Protokoll:
4121

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Metadaten
  • date_rangeWahlperiode: 4

  • date_rangeSitzungsnummer: 121

  • date_rangeDatum: 19. März 1964

  • access_timeStartuhrzeit der Sitzung: 13:01 Uhr

  • av_timerEnduhrzeit der Sitzung: 21:11 Uhr

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  • tocInhaltsverzeichnis
    Deutscher Bundestag 121. Sitzung Bonn, den 19. März 1964 Inhalt: Nachruf auf den Abg. Dr. Deist . . . . . 5605 A Abg. Herberts tritt als Nachfolger des Abg. Dr. Deist in den Bundestag ein . . . . 5605 D Anteilnahme an dem Tod von König Paul von Griechenland . . . . . . . . . 5605 C Glückwünsche zu den Geburtstagen der Abg. Dr. Arndt und Frau Döhring . . . 5605 D Erweiterung der Tagesordnung . . . . . 5605 D Fragestunde (Drucksache IV/2035) Frage des Abg. Ritzel: Deutsche Kraftfahrzeuge in Frankreich Lahr, Staatssekretär 5608 B Frage des Abg. Kahn-Ackermann: Kulturelle Beziehungen zu der UdSSR Lahr, Staatssekretär 5608 C Kahn-Ackermann (SPD) 5608 D Sänger (SPD) 5609 A Frage des Abg. Kaffka: Fremdenlegionär Eugen Reinig Lahr, Staatssekretär . . . . . . 5609 B Kaffka (SPD) . . . . .. . . . . 5609 B Fragen der Abg. Müller (Aachen-Land) und Baier (Mosbach) : Film „Das Schweigen" Dr. Bucher, Bundesminister . . . . 5609 C Müller (Aachen-Land) (CDU/CSU) . 5609 C Dr. Imle (FDP) . . . . . . . . 5610 B Höcherl, Bundesminister . . . . . 5610 C Baier (Mosbach) (CDU/CSU) . . . 5611 B Frau Geisendörfer (CDU/CSU) . . 5611 C Zoglmann (FDP) 5611 D Dr. Besold (CDU/CSU) . . . . 5612 A Schwabe (SPD) . . . . . . . 5612 C Dr. Kohut (FDP) . . . . . . . 5612 D Unertl (CDU/CSU) . . . . . . 5613 A Bausch (CDU/CSU) . . . . . . 5613 D Dr. Schmidt (Wuppertal) (CDU/CSU) 5614 C Frage des Abg. Mertes: Milchpreisverordnung, Rückvergütung bei Milch Schwarz, Bundesminister . . . 5614 D Mertes (FDP) 5615 A Frage des Abg. Dr. Jungmann: Krankenpflegegesetz, Neufassung . . 5615 A Frage der Abg. Frau Dr. Diemer-Nicolaus: Einkommen der freiberuflichen Hebammen Bargatzky, Staatssekretär . . . . 5615 B Frau Dr. Diemer-Nicolaus (FDP) . . 5615 B II Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 121. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. März 1964 Fragen des Abg. Dr. Supf: Unzureichende Unterbringung von Luftschutz-Löschgerät Höcherl, Bundesminister . . . . 5615 D Liehr (SPD) 5616 A Frage des Abg. Kreitmeyer: Schulsystem, Versetzungen von Bundesbediensteten Höcherl, Bundesminister 5616 B Kreitmeyer (FDP) 5616 C Frage des Abg. Kreitmeyer: Novelle zum Gesetz nach Art. 131, Ehemalige Berufsunteroffiziere Höcherl, Bundesminister 5616 C Kreitmeyer (FDP) 5616 D Hammersen (FDP) 5617 A Fragen des Abg. Varelmann: Betriebsprüfungen, Lohnsteuer, Einkommensteuer Dr. Dahlgrün, Bundesminister . . 5617 B Varelmann (CDU/CSU) 5618 A Fragen des Abg. Dr. Kohut: Lohnsteuerjahresausgleich Dr. Dahlgrün, Bundesminister . . . 5618 D Dr. Kohut (FDP) 5619 B Seuffert (SPD) 5619 D Dr. Schmidt (Wuppertal) (CDU/CSU) 5620 A Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über Umstellung der Abgaben auf Mineralöl (CDU/CSU, SPD, FDP) (Drucksache IV/2018) ; Schriftlicher Bericht des Finanzausschusses (Drucksachen IV/2039, zu IV/2039) — Zweite und dritte Beratung — 5620 B Antrag betr. Vorlage eines Berichts über die Lebensverhältnisse der älteren Mitbürger (SPD) (Drucksache IV/1922) ; in Verbindung mit Große Anfrage betr. die Situation der alten Menschen (CDU/CSU) (Drucksache IV/1955) Frau Korspeter (SPD) 5620 C Frau Schroeder (Detmold) (CDU/CSU) 5622 C Höcherl, Bundesminister . . . . . 5625 D Meyer (Wanne-Eickel) (SPD) . . . 5630 C Frau Dr. Flitz (Wilhelmshaven) (FDP) 5631 D Kühn (Hildesheim) (CDU/CSU) . . 5635 D Könen (Düsseldorf) (SPD) . . . . 5636 D Schriftlicher Bericht des Ernährungsausschusses über den Vorschlag der Kommission der EWG für eine Verordnung des Rats über die Definition von Butter (Drucksachen IV/2022, IV/2036) . . . . 5639 A Schriftlicher Bericht des Ernährungsausschusses über den Vorschlag der Kommission der EWG für eine Verordnung des Rats über die Festsetzung der Grenzen der Richtpreise der Erzeugermitgliedstaaten für Reis usw. für den am 1. Juli 1964 beginnenden Zeitraum (Drucksachen IV/2023, IV/2037) 5639 B Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur Änderung und Ergänzung des Gesetzes zur Regelung von Ansprüchen aus Lebens-und Rentenversicherungen (Drucksache IV/1671); Schriftlicher Bericht des Wirtschaftsausschusses (Drucksache IV/2016) — Zweite und dritte Beratung — . . . 5639 B Mündlicher Bericht des Ausschusses für wirtschaftlichen Besitz des Bundes über den Antrag des Bundesministers der Finanzen betr. Veräußerung der bundeseigenen Grundstücke in Köln, Bonner Wall 108-120 und Vorgebirgsstraße 49 (Drucksachen IV/1830, IV/2086) . . . . 5639 C Mündlicher Bericht des Ausschusses für wirtschaftlichen Besitz des Bundes über den Antrag des Bundesministers der Finanzen betr. Veräußerung der ehemaligen Heeresstandortverwaltung in Stuttgart, Rosensteinstraße 31/33 (Drucksachen IV/1956, IV/2087) . . . . . . . . . 5639 D Mündlicher Bericht des Ausschusses für wirtschaftlichen Besitz des Bundes über den Antrag des Bundesministers der Finanzen betr. Veräußerung der ehemaligen Wehrmachtkommandantur in Kassel, Obere Königstraße 37 (Drucksachen IV/1859, IV/2088) . . . . . . . . . 5640 A Mündlicher Bericht des Ausschusses für wirtschaftlichen Besitz des Bundes über den Antrag des Bundesministers der Finanzen betr. Veräußerung einer Teilfläche des ehemaligen Flugplatzes LinterEschhofen Kr. Limburg (Lahn) (Drucksachen IV/1869, IV/2089) 5640 A Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 121. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. März 1964 III Mündlicher Bericht des Ausschusses für wirtschaftlichen Besitz des Bundes über den Antrag des Bundesministers der Finanzen betr. Veräußerung von Teilflächen der ehemaligen Wehrkreisreit- und Fahrschule in Aalen (Drucksachen IV/1988, IV/2090) 5640 B Schriftlicher Bericht des Außenhandelsausschusses über die Fünfundfünfzigste Verordnung zur Änderung des Deutschen Zolltarifs 1963 (Drucksachen IV/2033, IV/2083) 5640 D Große Anfrage betr. EWG-Agrarpolitik (FDP, CDU/CSU) (Drucksache IV/1903); in Verbindung mit Schriftlicher Bericht des Ernährungsausschusses über die Vorschläge der Kommission der EWG für Verordnungen betr. Getreidepreise in der Gemeinschaft, Ausgleichsmaßnahmen und Aufstellung von Gemeinschaftsplänen sowie Finanzierung der gemeinsamen Agrarpolitik (Drucksachen IV/1705, IV/1971, zu IV/1971) Dr. Effertz (FDP) 5640 C Schwarz, Bundesminister . 5644 D, 5681 C Dr. Dr. h. c. Erhard, Bundeskanzler . 5646 C Dr. Schmidt (Gellersen) (SPD) . . . 5647 B Bauknecht (CDU/CSU) . . . . . . 5655 D Mauk (FDP) . . . . . . . . . 5660 B Bauer (Wasserburg) (CDU/CSU) . . 5662 D Frau Strobel (SPD) . . . . . . . 5666 C Dr. Starke (FDP) 5673 A Dröscher (SPD) . . . . . . . 5683 B Nächste Sitzung 5684 C Anlagen 5685 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 121. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. März 1964 5605 121. Sitzung Bonn, den 19. März 1964 Stenographischer Bericht Beginn: 13.01 Uhr
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    Anlage 1 Liste der beurlaubten Abgeordneten Abgeordnete (r) beurlaubt bis einschließlich a) Beurlaubungen Dr. Aschoff 19. 3. Dr.-Ing. Balke 19.3. Balkenhol 19. 3. Bartsch 19. 3. Bazille 19. 3. Behrendt 21. 3. Dr. Birrenbach 21. 3. Fürst von Bismarck 21. 3. Dr. Bleiß 21.3. Dr. h. c. Brauer 21. 3. Dr. von Brentano 21. 3. Deringer 21. 3. Drachsler 19. 3. Dr. Dr. h. c. Dresbach 21. 3. Dr. Furler 19. 3. Gehring 20. 3. Dr. Gerlich 21. 3. Freiherr zu Guttenberg 19. 3. Frau Haas 19. 3. Dr. Hamm (Kaiserslautern) 19. 3. Hansing 17. 4. Dr. Dr. Heinemann 19. 3. Hesemann 21.3. Höhne 21.3. Hoogen 21.3. Frau Dr. Hubert 19. 3. Kalbitzer 19. 3. Frau Kalinke 19. 3. Kemmer 19. 3. Frau Dr. Kiep-Altenloh 19. 3. Dr. Kopf 19. 3. Dr. Krümmer 19. 3. Freiherr von Kühlmann-Stumm 23. 3. Frau Dr. Kuchtner 4. 7. Dr. Löhr 20. 3. Maier (Mannheim) 21. 3. Majonica 21.3. Dr. Martin 19. 3. Frau Dr. Maxsein 21. 3. Memmel 19. 3. Mengelkamp 19.3. Dr. h. c. Menne (Frankfurt) 19. 3. Dr. Meyer (Frankfurt) 20. 3. Dr. Miessner 21. 3. Dr. h. c. Dr.-Ing. E. h. Möller 20. 3. Müller (Berlin) 21. 3. Müller (Remscheid) 21.3. Murr 22.3. Dr. Pflaumbaum 22. 3. Porten 21. 3. Rademacher 19. 3. Ravens 21.3. Dr. Rieger (Köln) 4. 4. Saxowski 22. 3. Scheppmann 21. 3. Schlick 21.3. Dr. Schmid (Frankfurt) 21. 3. Schmidt (Kempten) 21. 3. Anlagen zum Stenographischen Bericht Abgeordnete (r) beurlaubt bis einschließlich Schneider (Hamburg) 19. 3. Dr. Schneider (Saarbrücken) 22. 3. Schultz 19. 3. Stephan 21. 3. Dr. Stoltenberg 20. 3. Theis 19. 3. Dr. Wahl 21. 3. Frau Welter (Aachen) 21. 3. Werner 19. 3. Dr. Wuermeling 19. 3. Urlaubsanträge Dr. Aigner* 25. 3. Arendt (Wattenscheid)* 25.3. Arndgen 10. 4. Dr. Arndt (Berlin) 30. 6. Dr. Dr. h. c. Baade 17. 4. Bergmann* 25. 3. Birkelbach* 25. 3. Dr. Burgbacher* 25. 3. Dr. Dichgans* 25. 3. Frau Döhring 11. 4. Frau Dr. Elsner* 25. 3. Dr. Emde 24.3. Erler 28. 3. Faller* 25. 3. Figgen 11. 4. Dr. Dr. h. c. Friedensburg* 25. 3. Gerlach 8. 4. Hahn (Bielefeld)* 25. 3. Dr. Harm (Hamburg) 1. 6. Hauffe 31.3. Illerhaus* 25. 3. Klinker* 25. 3. Dr. Kreyssig* 25. 3. Kriedemann* 25. 3. Kulawig* 25. 3. Lenz (Bremerhaven) 30.4. Lenz (Brühl)* 25.3. Dr. Löbe 24. 4. Lücker (München)* 25.3. Margulies* 25. 3. Mauk* 25. 3. Metzger* 25. 3. Dr. Mommer 24. 3. Dr. Müller-Hermann* 25. 3. Dr.-Ing. Philipp 15. 4. Frau Dr. Probst* 25. 3. Richarts* 25. 3. Rohde* 25. 3. Ruland 11.4. Seifriz* 25. 3. Dr. Starke* 25. 3. Storch* 25.3. Frau Strobel* 25. 3. Dr. Süsterhenn 11. 4. Verhoeven 11.4. Dr. Weber (Koblenz) 9. 4. Weinkamm* 25. 3. Wischnewski* 25. 3. * Für die Teilnahme an einer Tagung des Europäischen Parlaments. 5686 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 121. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. März 1964 Anlage 2 Begründung des Bewertungsausschusses der Filmbewertungsstelle Wiesbaden für das Prädikat Besonders wertvoll Im Falle eines so außergewöhnlichen Filmes pflegt die Begründung für die Erteilung des höchsten Prädikates meist mit dem sachlichen Hinweis auf eine ausgedehnte Diskussion im Bewertungsausschuß zu beginnen. Diesmal jedoch war der Eindruck des Films so stark, daß zunächst eine längere Pause eingelegt werden mußte, da die Beisitzer sich erst aus der unmittelbaren Umklammerung durch den Film lösen mußten. Auch nach der längeren Pause bestand nur geringe Neigung zu einer ausgedehnten Diskussion, zumal die Beisitzer sich über den außergewöhnlich künstlerischen Rang dieses Films einig waren. So wurde denn das höchste Prädikat nahezu im Verfahren des Zurufes einstimmig erteilt. Es schien dem Ausschuß angemessen zu sein, in seiner Begründung auf diesen seltsamen Vorgang ausdrücklich hinzuweisen, zumal damit die fast unglaubliche optische Intensität und Faszination des Films Das Schweigen annähernd schon charakterisiert wird. Ingmar Bergman hat sich diesmal, im Gegensatz zu einigen seiner früheren Filme, ausschließlich auf die optische Aussagekraft des Films verlassen. Die Bildfolgen sind bis in das beiläufigste Requisit dermaßen dicht gestaltet, daß man ihnen schlechterdings nicht zu entrinnen vermag. Dabei bleibt die Kamera durchweg sehr ruhig; sie erstarrt geradezu vor der Leere, vor der Einsamkeit und der seelischen Qual einer Menschenwelt unter dem Schweigen Gottes. Ingmar Bergman erlaubt sich keine Kniffe und Gags. Sein Film ist in der Kameraarbeit denkbar unmodern. Die Großaufnahme des menschlichen Gesichts hat einen neuen künstlerischen Rang erreicht. Es gibt in dem ganzen Film kein zufälliges Beiwerk. Jedes Eisenbahnabteil, jedes Hotelzimmer, jede Straße und jedes Café ist eine ureigene Erfindung, eine filmische Erfindung von Ingmar Bergman. Der Betrachter wird umstellt mit lauter symbolischen Gegenständen, die nun freilich nicht in der gewohnten Art symbolisch wirken, sondern in ihrem optischen Zusammenhang eine Welt imagieren, die sich in der alltäglichen Realität nicht vorfindet. Das ganze Drama ist schon ausgespielt während der einleitenden Fahrt im Eisenbahnabteil. Die schier endlose Dehnung dieser Exposition gehört zu den frappierenden künstlerischen Mitteln dieses Films. Man ist in eine hoffnungslose Welt hineingerissen, ehe noch die beiden Schwestern mit dem kleinen Sohn der jüngeren Schwester das fast leere Hotel in einem fingierten Land betreten. Die große Sprachlosigkeit gehört zu den unterströmigen Themen des Films, der daher auch nur spärliche, im buchstäblichen Sinne notdürftige Dialoge kennt. Für die Einwohner jenes fingierten Landes hat Ingmar Bergman eine eigene, nirgends anklingende Sprache erfunden, die niemand versteht. In der Schlußsequenz des Films sieht man den kleinen Jungen in einem Eisenbahnabteil, während er von einem Blatt Papier einige dürftige Worte in jener imaginären Sprache zu buchstabieren versucht, ohne den Sinn dieser Worte zu erfassen. So liest er die, letzte Botschaft seiner Tante, die im Sterben liegt, eine unentzifferbare Botschaft, Buchstaben des Schweigens. Es gibt keine Sprache zwischen den Menschen, wenn Gott schweigt, nicht einmal die simpelste Sprache einer elenden Bettszene, nachdem die jüngere Schwester sich irgendeinen beliebigen Kellner aus dem Café ins Hotel geholt hat. Die einzige Sprache spricht hier das Kettengeklirr ihrer Armbänder, die sie abstreift. Die Sprachlosigkeit des Films wird durch .die stark akzentuierten Geräusche oder durch den kontrastierenden Klang der Kirchenglocken und Bach scher Musik nur noch quälender. Das bloße Ticken einer Taschenuhr zerrt an den Nerven, und wenn sich dann gar der Lärm von Düsenjägern, Panzern und Straßenarbeiten mit dem Keuchen der nackten Wollust mischt, dann findet sich der Betrachter auch akustisch umzingelt und kann in keine Distanz mehr entrinnen. Ingmar Bergmans furchtbare Welt unter dem Schweigen Gottes hat unter der schöpferischen Kraft künstlerischer Gestaltung eine dinglichere Wirklichkeit angenommen als die geläufige Wirklichkeit. In dieser furchtbaren Welt gibt es letzten Endes nur noch rollende Panzer und eine sprachlos entleerte Sexualität, die sich selbst zur Qual wird. Und Zwerge dazu, die einzigen Bewohner jenes Hotels. Wenn die ältere Schwester sich nach einem schrecklichen Anfall ihres Lungenleidens selbst das Laken über das Gesicht zieht wie einem Toten; wenn der kleine Junge in das Zimmer der Zwerge gerät und dort, als Mädchen verkleidet, zum Spaß der Zwerge herhalten muß; wenn die jüngere Schwester über dem Bettrand in ein hoffnungsloses Heulen und Gelächter ausbricht, indessen der Kellner aus dem Café sich noch immer an ihr zu schaffen macht — dann hat der Film Stationen des leeren Leidens erreicht, die Ingmar Bergman mit der starr verweilenden, tief in die Szene sich einbohrenden Kamera wie Höllenvisionen gestaltet. Fast wäre man versucht, Bergmans Regie angesichts solcher Stationen erbarmungslos zu nennen, wenn sie denn nicht ganz unwillkürlich Erbarmen freisetzten als den letzten noch möglichen Laut einer menschlichen Regung. Auch dieses sprachlose Erbarmen hat bei Bergman Gestalt angenommen, und zwar in dem alten, selbst schon fast ohnmächtigen Oberkellner des Hotels, der der älteren Schwester während ihrer Anfälle beisteht. Neben dem zaghaften Hoffnungsschimmer in der Gestalt des kleinen Jungen scheint dieser Oberkellner einen Schimmer von Licht in der Finsternis zu verbreiten. Es ist nun allerdings nicht die Aufgabe des Bewertungsausschusses, von sich aus etwa zur Deutung dieses neuen Bergman-Filmes beizutragen. Er kann sich auf die Feststellung beschränken, daß in einem Film nur sehr selten eine so unausweichliche Identität zwischen dem Inhalt oder der „Aussage" und der filmischen Form erreicht wurde. Es gibt nicht viele Beweise für die Behauptung, daß der Film den Rang einer schöpferischen Kunst erreichen kann. Der Film Das Schweigen ist freilich Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 121. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. März 1964 5687 ein unwiderlegbarer Beweis dafür, zumal Bergman sich der filmischen Form im Sinne der Dichtung bedient. Er schafft sich ein eigenes Abbild der Welt in ihrer Trostlosigkeit und ruft damit zum mindesten das Verlangen nach Trost hervor. Der Ausschuß ist der Überzeugung, daß der Film Das Schweigen in voller Übereinstimmung mit der künstlerischen Gestaltung einen ethischen Wert enthält, und zwar im Kehrbild. Dieses Kehrbild zeigt einige Szenen, die heftige moralische Entrüstungen zur Folge haben werden. Solche Entrüstung kann freilich nur aufkommen, wo man sich der ungeheuer intensiven Wirkung dieses Films widersetzt und ihn daher gar nicht erst als eine künstlerische Schöpfung akzeptiert. Der Ausschuß ist weit davon entfernt, mögliche moralische Bedenken gering zu achten. Es muß solchen Bedenken allerdings entgegengehalten werden, daß gerade die enthüllende Schonungslosigkeit dieser bedenklichen Szenen jeden falschen Anreiz ausschließt. Die Beisitzer jedenfalls, die dem Film ohne Zögern insgesamt den Rang eines Kunstwerkes zubilligten, waren eher von der umgekehrten Frage bewegt, wie es denn möglich sei, daß derart schamlose Szenen im Zusammenhang des gesamten Films gerade keinen Anstoß erregen. Die Antwort auf diese Frage ergibt sich aus der reinen künstlerischen Gestaltung des Films, der das höchste Prädikat ohne jede Einschränkung unverzüglich zugestanden wurde. Anlage 3 Umdruck 408 Antrag der Fraktionen der CDU/CSU, FDP zur Großen Anfrage der Fraktionen der FDP, CDU/ CSU betreffend EWG-Agrarpolitik (Drucksache IV/ 1903). Der Bundestag wolle beschließen: Die Bundesregierung wird ersucht, bei den Beratungen zur Agrarpolitik im Ministerrat der EWG folgende Beschlüsse und Feststellungen zu berücksichtigen: 1. Die Festsetzung eines gemeinsamen Getreidepreises vor dem Ende der Übergangszeit wird abgelehnt, weil a) ein gemeinsames Preisniveau nicht festgelegt werden kann, bevor die Kosten und andere den Wettbewerb beeinflussende Bedingungen ausreichend angeglichen sind und b) der Zeitpunkt und die Festsetzung eines gemeinsamen Getreidepreises wegen der völlig unterschiedlichen Entwicklung von Preisen, Löhnen und Kosten innerhalb der einzelnen Mitgliedstaaten jetzt noch nicht bestimmt werden kann, c) Einkommenseinbußen durch Preissenkung nicht durch soziale Ausgleichsmaßnahmen ersetzt werden können. 2. Die von der EWG-Kommission vorgeschlagene Senkung des deutschen Getreidepreises wird abgelehnt, weil dadurch weder die Agrarprobleme in der Bundesrepublik und innerhalb der EWG noch die handelspolitischen Probleme mit den Drittländern gelöst werden. Es sollte vielmehr geprüft werden, ob diese Probleme nicht durch Mengenregelungen zweckentsprechender gelöst werden können. 3. Die Senkung des deutschen Getreidepreises nach dem Vorschlag der Kommission führt zwangsläufig zu einer Verminderung des bäuerlichen Einkommens und gefährdet die Existenz zahlreicher bäuerlicher Familienbetriebe, ohne daß der Verbraucher erkennbar entlastet wird. 4. Das mit einer Getreidepreissenkung zwangsläufig eintretende Ausweichen auf verstärkte Veredelungsproduktion schafft keinen Einkommensausgleich der Landwirtschaft und gefährdet darüber hinaus die Existenzgrundlage der auf Veredelungswirtschaft eingestellten klein- und mittelbäuerlichen Familienwirtschaft. Bonn, den 19. März 1964 Struve und Fraktion Zoglmann und Fraktion Anlage 4 Umdruck 407 Entschließungsantrag der Fraktion der SPD zur Beratung des Schriftlichen Berichts des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten (19. Ausschuß) über die von der Bundesregierung zur Unterrichtung vorgelegten Vorschläge der Kornmission der EWG für eine Verordnung Nr. . . ./63/ EWG des Rates zur Änderung der Verordnung Nr. 19 des Rates im Hinblick auf eine Vereinheitlichung der Getreidepreise in der Gemeinschaft Verordnung Nr. . . ./63/ EWG des Rates über die Festsetzung der Getreidepreise für das Wirtschaftsjahr 1964/65 und die Bestimmung der Handelsplätze Verordnung Nr. . . ./EWG des Rates betr. Ausgleichsmaßnahmen und Aufstellung von Gemeinschaftsplänen zur Verbesserung der Lebenshaltung der landwirtschaftlichen Bevölkerung Verordnung Nr. . . ./63/ EWG des Rates vom . . . . betr. Ergänzung der in Artikel 5 Abs. 1 der Verordnung Nr. 25 über die Finanzierung der gemeinsamen Agrarpolitik enthaltenen Bestimmungen ,(Drucksachen IV/ 1705, IV/ 1971, zu IV/ 1971). Der Bundestag wolle beschließen: 1. Der Bundestag sieht die Vorschläge der Kommission der EWG unter allgemein wirtschaftspolitischen Gesichtspunkten als eine Diskussionsgrundlage für die Herstellung eines gemeinsamen Getreidepreisniveaus an. Die alsbaldige Vereinheitlichung der Getreidepreise in der Gemeinschaft ist eine Voraussetzung für die gemeinsame Agrarpolitik. Darüber hinaus erscheint 5688 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 121. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. März 1964 dem Bundestag die Fixierung eines einheitlichen Getreidepreises im Hinblick auf den erfolgreichen Abschluß der bevorstehenden GATT-Verhandlungen dringend geboten. Der Bundestag billigt die Überlegungen der Bundesregierung, wonach der Vorschlag der Kommission für das Getreidewirtschaftsjahr 1964/65 noch nicht durchgeführt werden soll. Die weiteren Verhandlungen im Rat sollten jedoch so geführt werden, daß die Vereinheitlichung bald beschlossen, aber erst zu einem späteren, jetzt schon festzulegenden Zeitpunkt durchgeführt wird. Dies hätte den Vorteil, daß die der Bundesregierung nach dem 1. Januar 1966 drohende Majorisierung vermieden und eine angemessene Ausgleichszahlung erreicht wird. Darüber hinaus würde eine solche Regelung die von der Landwirtschaft mit Recht erwartete Klarheit über die künftige Agrarpolitik der Bundesregierung bringen. Im übrigen ist der Bundestag der Auffassung, daß bei der noch vorzunehmenden Festlegung des einheitlichen Getreidepreisniveaus die Interessen der gesamten Wirtschaft der Bundesrepublik berücksichtigt werden müssen. 2. Der EWG-Vorschlag — Drucksache IV/ 1705 — trägt der Forderung einer angemessenen Ausgleichszahlung nicht in genügender Weise Rechnung. Es müssen ausreichende europäische Mittel bereitgestellt werden, damit die Einkommenseinbußen voll ausgeglichen werden können. Der Abbau der Ausgleichszahlungen kann nur in dem Maße erfolgen, wie die Einkommen der landwirtschaftlichen Betriebe sich entsprechend gebessert haben. Gleichzeitig mit der Entwicklung der gemeinsamen Agrarpolitik muß die Harmonisierung der unterschiedlich beeinflußbaren Kosten und Lasten so rechtzeitig erfolgen, daß am Ende der Übergangszeit gleiche Startbedingungen in der EWG gegeben sind. Der EWG-Verordnungsentwurf über die Preiskriterien ist vom Ministerrat baldigst zu verabschieden. Dabei sind geeignete Maßstäbe für die zukünftige Festsetzung der Preise zu entwickeln. Die Beseitigung der Wettbewerbsverzerrungen, die durch offene oder versteckte Subventionen aller Art in den verschiedenen Mitgliedstaaten hervorgerufen werden, muß tatkräftig in Angriff genommen werden. Die EWG-Kommission ist zu veranlassen, darüber mit besonderer Aufmerksamkeit zu wachen, daß die Verordnung Nr. 19 (Getreide) auch tatsächlich in allen Teilen der Gemeinschaft durchgeführt wird. Die EWG-Kommission und der Ministerrat sind gehalten, gleichzeitig die preispolitischen Vorstellungen bei den anderen landwirtschaftlichen Grundprodukten bekanntzugeben. Die angekündigten Gemeinschaftspläne zur Verbesserung der Lebenshaltung der landwirtschaftlichen Bevölkerung sind schnellstens auszuarbeiten und mit der Angleichung der Getreidepreise in Gang zu setzen. Im Ministerrat ist dafür Sorge zu tragen, daß Wege zu einer einheitlichen Währungspolitik gefunden werden, um die Entwicklung der gemeinsamen Agrarpolitik nicht durch eigenständige währungspolitische Maßnahmen der Partnerländer zu gefährden. Den nationalen Parlamenten werden immer mehr politische Entscheidungen entzogen, ohne daß das Europäische Parlament diese Rechte übertragen bekommt. Die Bundesregierung wird aufgefordert, eine entsprechende Erweiterung der Befugnisse der demokratischen europäischen Volksvertretung herbeizuführen. Der Bundestag fordert die Bundesregierung auf, diese Vorbehalte auf dem Verhandlungswege auszuräumen, gegebenenfalls Alternativvorschläge zu entwickeln. Bonn, den 18. März 1964 Erler und Fraktion Anlage 5 Schriftliche Antwort des Herrn Bundesministers Schwarz vom 4. März 1964 auf die Zusatzfrage des Abgeordneten Kurlbaum zu der Mündlichen Anfrage des Abgeordneten Saxowski*). Die Zusatzfrage Sind Sie bereit, die Rechtsfrage, ob ein solcher Aufdruck (,Unverbindlicher Richtpreis ... DM') möglich ist, genau zu klären und dem Hause eine endgültige Stellungnahme zuzuleiten?" beantworte ich nach Abstimmung mit dem Bundesministerium für Wirtschaft wie folgt: Schon bei früheren Auslagerungen von EVStFleischkonserven war geprüft worden, ob ein Etikettaufdruck „Unverbindlicher Richtpreis ... DM kartellrechtlich zulässig sei. Eine derartige den Verbraucher erreichende Preisempfehlung ist jedoch nach § 15 des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen unzulässig. Eine unverbindliche Preisempfehlung kann nur für Markenartikel angemeldet werden; die im Auftrage der Einfuhr- und Vorratsstelle für Schlachtvieh, Fleisch und Fleischerzeugnisse in verschiedenen Verarbeitungsbetrieben angefertigten Rindfleischkonserven können jedoch nicht als Markenartikel im Sinne des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen angesehen werden. Es kann aber mit Befriedigung festgestellt werden, daß die zur Zeit von der Einfuhr- und Vor *) Siehe 112./113. Sitzung Seite 5154 B Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 121. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. März 1964 5689 ratsstelle abgegebenen Rindfleischkonserven im Einzelhandel zu Preisen zwischen 1,38 DM und 1,58 DM abgegeben werden, wobei die überwiegende Menge der Konserven zu einem Preise von rd. 1,50 DM angeboten wird. Anlage 6 Schriftliche Antwort des Herrn Staatssekretärs Hopf vom 6. März 1964 auf die Mündliche Anfrage des Abgeordneten Weigel (Drucksache IV/ 1993 Frage VIII/ 5) : Ist der Herr Bundesverteidigungsminister bereit, Truppenfahrten, die sich als Dienstfahrten aus dem Fehlen eines Hallenbades am Garnisonsort ergeben — also z. B. die Durchführung des für die Ausbildung der Truppe eminent wichtigen Schwimmsports der in Weiden (Oberpfalz) stationierten Panzergrenadierbrigade 10 im Hallenschwimmbad Amberg gewährleisten —, generell von den verfügten Treibstoffeinsparungen auszunehmen? Die im Haushaltsjahr 1964 zur Verfügung stehenden Mittel für Kraftstoff werden gegenüber dem. Vorjahr geringer sein. Die Kraftstoffzuweisungen sind den Korps zur eigenen Bewirtschaftung bekanntgegeben. Die Truppe hat mit den zugewiesenen Betriebsstoffmengen ihre Ausbildungsvorhaben durchzuführen; sie hat mit ihrem Betriebsstoffkontingent so zu disponieren, daß im Rahmen der Ausbildung auch die Fahrten zum Schwimmen möglich sind. Anlage 7 Schriftliche Antwort des Herrn Bundesministers Stücklen vom 9. März 1964 auf die Mündliche Anfrage des Abgeordneten Dr. Dr. Friedensburg (Drucksache IV/ 1993, Frage X/1*): Hält es die Bundesregierung für vereinbar mit den praktischen Bedürfnissen und dem moralischen Ansehen eines großen Landes, wenn zahlreiche Staatsbürger und Unternehmen auf einen so elementar wichtigen Gegenstand des persönlichen und wirtschaftlichen Bedarfs, wie es der Telefonanschluß darstellt, 2 bis 3 Jahre warten müssen? Wenn Sie damit einverstanden wären, daß ich das Wörtchen moralischen ausklammere, so könnte ich mit einem klaren Nein antworten. Die Bundespost hat in den vergangenen Jahren im Rahmen ihrer technischen und finanziellen Möglichkeiten alles in ihrer Macht stehende getan, um mit der stürmischen Entwicklung Schritt halten zu können: Von 1959 bis 1963 wurden die Investitionen für die Erweiterung und Erneuerung der Fernmeldeanlagen verdoppelt und die Zahl der neueingerichteten Hauptanschlüsse wesentlich gesteigert. 1958 waren es 191 400, 1963 330 000 neue Hauptanschlüsse, 1964 werden es rd. 350 000 sein. Trotz dieser großen Zuwachsrate stieg die Warteliste von 1958 mit 53 612 auf heute 1964 rd. 350 000 *) Siehe 120. Sitzung Seite 5581 B Antragsteller, die im Durchschnitt 9 Monate warten müssen, ein Teil sogar mehrere Jahre. Die Bundespost ist bestrebt, den Ausbau des Fernsprechwesens weiter voranzutreiben. Die entscheidende Frage ist dabei, ob es der Bundespost gelingt, die Mittel für die notwendigen und von keiner Seite bestrittenen Investitionen aufzubringen. Anlage 8 Schriftliche Antwort des Herrn Bundesministers Höcherl vom 11. März 1964 auf die Mündliche Anfrage ides Abgeordneten Dr. Mommer (Drucksache IV/ 1997 Frage II) : Erhält ein Minister das in § 14 des Bundesministergesetzes vom 17. Juni 1953 vorgesehene Übergangsgeld für mindestens sechs Monate auch dann, wenn er bei der Ernennung zum Minister den Herrn Bundeskanzler und den Herrn Bundespräsidenten über relevante Punkte seiner politischen Vergangenheit im Unklaren gelassen hat? Nach § 14 des Bundesministergesetzes hat grundsätzlich jeder Bundesminister, der aus dem Amt ausscheidet, Anspruch auf Übergangsgeld. Die Voraussetzungen, die nach § 13 des Bundesministergesetzes in entsprechender Anwendung des § 162 des Bundesbeamtengesetzes zu einem 'Erlöschen des Anspruchs auf Übergangsgeld führen können, liegen bei idem von Ihnen dargestellten Sachverhalt nicht vor. Anlage 9 Schriftliche Antwort des Herrn Bundesministers Stücklen vom 16. März 1964 auf die Mündliche Anfrage des Abgeordneten Cramer ('Drucksache IV /1997 Frage IV): Ist die Bundesregierung bereit, die Freiwilligen Feuerwehren von der Gebühr für die Benutzung von Funksprechgeräten zu befreien? So verständlich das Bestreben der Freiwilligen Feuerwehren ist, muß ich die Frage doch leider mit nein beantworten. Mögen die Anmelder von Fernmeldeanlagen auch noch so gemeinnützig sein, es ist nicht Aufgabe der Bundespost, durch Gebührenbefreiung Beihilfen für sie zu leisten. Die finanzielle Unterstützung gemeinnütziger Einrichtungen ist Sache ihrer öffentlichrechtlichen Träger. Die Leistungen und damit die Aufwendungen der Post stehen in keinem Zusammenhang mit der Art und den Aufgaben eines Anmelders. Auf 'der .anderen Seite ist die Bundespost nach dem Postverwaltungsgesetz verpflichtet, ihre Ausgaben aus ihren Einnahmen 'zu bestreiten. Die derzeitige Finanzlage der Bundespost gestattet es nicht, irgendwelche Gebührenbefreiungen neu einzuführen. 5690 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 121. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. März 1964 Anlage 10 Schriftliche Antwort des Herrn Bundesministerfis Dr. Dollinger vom 11. März 1964 auf die Mündliche Anfrage des Abgeordneten Weber (Georgenau) (Drucksache IV/ 1997 Frage V) : Teilt die Bundesregierung im Grundsatz die Auffassung, daß ehemaliges Wehrmachtsgelände (Flugplatz) vorrangig an die früheren Eigentümer zur landwirtschaftlichen Nutzung zurückzugeben ist, vor allem deshalb, weil der Grundstücksverkauf zur damaligen Zeit in der Regel unter Druck zustande kam? Die Bundesregierung teilt im Grundsatz die Auffassung, daß ehem. Wehrmachtgelände vorrangig an die früheren Eigentümer zur landwirtschaftlichen Nutzung zurückzugeben sind. So ist auch in der Vergangenheit entsprechend verfahren gemäß dem Beschluß des Deutschen Bundestages in seiner 116. Sitzung am 20. Mai 1960 (Drucksache 1804), der wie folgt lautet: „Die Bundesregierung wird ersucht, Grundstücke, die auf Grund des Gesetzes über die Landbeschaffung für Zwecke ,der Wehrmacht vom 29. März 1935 (RGBl. I S. 467) und den dazu ergangenen Durchführungsverordnungen enteignet und heute Eigentum des Bundes sind, auf Wunsch, den früheren ,Eigentümern zurückzuübereignen. Soweit diese Grundstücke für öffentliche Zwecke, insbesondere auch für die Ansiedlung oder Ansetzung von Vertriebenen, Flüchtlingen und anderen Kriegsgeschädigten, benutzt oder benötigt werden, entfällt eine Rückübereignung. Die Bundesregierung ist darüber hinaus der Ansicht, daß nicht nur solche Grundstücke bei Entbehrlichkeit rückübertragen werden sollen, die auf Grund des Landbeschaffungsgesetzes von 1935 enteignet wurden, sondern auch Grundstücke, die seinerzeit von den Eigentümern an das Deutsche Reich verkauft wurden, um eine Enteignung zu vermeiden. Der Rückverkauf der Grundstücke an die früheren Eigentümer sollte grundsätzlich auch Vorrang vor dem Vorkaufsrecht der Siedlungsgesellschafrten haben. Es können sich allerdings Fälle ergeben, in denen es sinnvoll sein wird, im Interesse der agrarstrukturellen Verbesserung eines Gebietes und zur Beschleunigung und Erleichterung eines Flurbereinigungsverfahrens eine bundeseigene Liegenschaft geschlossen an ein Siedlungsunternehmen zu veräußern, das die Grundstücke dann seinerseits den ortsansässigen Landwirten in rationeller Strukturierung übertragen wird. Anlage 11 Schriftliche Antwort des Herrn Bundesministers Dr.-Ing. Seebohm vom 19. März 1964 auf die Mündlichen Anfragen des Abgeordneten Sänger (Drucksache IV/ 2035 Fragen X/2, X/3 und X/4) : Ist die Bundesregierung in der Lage, zu sagen, wann mit dem in Aussicht genommenen Bau der zweiten Schleusenkammer an der Schleuse in Geesthacht begonnen werden kann? In welcher Höhe sind Mittel vorgesehen, um den Bau der dringend erforderlichen zweiten Schleusenkammer an der Schleuse in Geesthacht zu ermöglichen? Besteht noch Aussicht, daß die zweite Schleusenkammer an der Schleuse in Geesthacht, wie ursprünglich beabsichtigt, bis 1966 fertiggestellt sein kann? Es ist heute noch nicht' zu übersehen, wann mit dem Bau der zweiten Schleusenkammer Geesthacht begonnen werden muß. Jetzt reicht die erste Kammer für den bestehenden Schiffsverkehr auf der Elbe aus. Bei der augenblicklichen Haushaltslage können nur die allerwichtigsten Bauten an den Bundeswasserstraßen durchgeführt werden. Hierzu gehört die zweite Schleusenkammer so lange nicht, bis der Verkehr — etwa durch den Bau des NordSüd-Kanals — eine wesentliche Ausweitung erfährt. Die Kasten für die zweite Schleusenkammer betragen noch 10 Mio DM; bekanntlich wurden beim Bau der Schleuse Geesthacht schon einige Baumaßnahmen vorzeitig ausgeführt, die der zweiten Schleusenkammer dienen (Mittelmauer, beide Schleusenhäupter, Vorhäfen). Für 1964 sind im Haushaltsplan keine Mittel vorgesehen. Auch 1965 wird sich voraussichtlich keine Möglichkeit ergeben. Ihre dritte Frage (X/4) beantworte ich mit Nein, denn für die Durchführung der Arbeiten sind etwa 2 Jahre zu veranschlagen. Anlage 12 Schriftliche Antwort des Herrn Bundesministers Dr.-Ing. Seebohm vom 19. März 1964 auf die Mündlichen Anfragen des Abgeordneten Dr. Müller-Emmert (Drucksache IV/ 2035 Fragen X/6 und X/7): Ist die Bundesregierung bereit, dafür einzutreten, daß der Ausbau der Mittelrheinstrecke Mannheim—St. Goar in einer angemessenen Frist, also in den nachsten sechs bis sieben Jahren, vorgenommen wird? Ist die Bundesregierung bereit, der Anregung der Vereinigung der Handelskammern des Rheingebietes näherzutreten, die Finanzierung des Ausbaus der Mittelrheinstrecke Mannheim—St.Goar auf internationaler Basis sicherzustellen? Die Bundesregierung ist sich der großen Bedeutung des Mittelrheinausbaues für den deutschen und den internationalen Verkehr bewußt. Sie hat in sorgfältiger Vorarbeit die Voraussetzungen zur Aufnahme der Arbeiten geschaffen. Sie ist daher bereit, für einen möglichst baldigen Ausbau einzutreten. Die Gesamtbauzeit ist aus technischen Gründen zu acht Jahren veranschlagt. Die Bauarbeiten beginnen in diesem Jahr an einer Teilmaßnahme in der Gebirgsstrecke mit Bundesmitteln in Höhe von 1 Mio. DM. Die Gesamtkosten der in 18 Teilstrecken durchzuführenden Bauarbeiten sind zu 110 Mio. DM, die Bauzeit ist zu 8 Jahren veranschlagt. Zur Finanzierung des Vorhabens hat die Vereinigung der Handelskammern des Rheingebietes der Zentralkommission für die Rheinschiffahrt den Vorschlag gemacht, daß eine internationale Anleihe aufgenommen und aus Staatsmitteln der Rheinschifffahrtsländer zurückgezahlt werden solle. Die Zentralkommission wird diesen Vorschlag auf ihrer Frühjahrssitzung im April erörtern. Die deutsche Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 121. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. März 1964 5691 verladende Wirtschaft hat ebenfalls ihre Mithilfe bei der Finanzierung angeboten. Die Bundesregierung wird die Vorschläge prüfen und außerdem versuchen, eine Beteiligung anderer Rheinschiffahrtsländer mit Staatsbeiträgen zu den Baukosten zu erreichen. Anlage 13 Schriftliche Antwort des Herrn Bundesministers Dr.-Ing. Seebohm vom 19. März 1964 auf die Mündliche Anfrage des Ab- geordneten Ritzel (Drucksache IV/ 2035, Frage X/8) : Was beabsichtigt der Herr Bundesverkehrsminister zu tun, um den überteuerten Preisen in den Speisewagen der Deutschen Bundesbahn zu begegnen? Der Speisewagenbetrieb der DSG ist nach Lage der Dinge mit wesentlich höheren Kosten belastet als der Betrieb von Gaststätten üblicher Prägung. Für die Beschaffung eines Speisewagens sind je nach Bauart 500 000 bis 800 000 DM aufzuwenden. Diese Fahrzeuge müssen nicht nur instand gehalten, sondern aus Sicherheitsgründen auch laufend amtlich untersucht werden. An zahlreichen Stellen des Bundesgebietes sind Versorgungs- und Betriebsstellen vorzuhalten. Die Verluste durch Bruchschäden bei Glas, Porzellan usw. und der Geräteverschleiß liegen weit höher als im üblichen Gastwirtschaftsbetrieb. Vor allem aber erreichen die Personalkosten wegen der Eigenarten dieses Gewerbezweiges 39 % des Umsatzes, während sonst nur mit 24-27 % gerechnet wird. Wenn man unter Berücksichtigung dieser Erschwernisse die Preise der DSG mit denjenigen entsprechender Restaurants in Vergleich setzt, wird man im allgemeinen nicht sagen können, daß die Preise der DSG überteuert seien. Das kann allenfalls bei einer gesonderten Betrachtung der Preise in den Luxuszügen wie TEE usw. gesagt werden. Tatsächlich erleidet die DSG in diesem Betriebszweig laufend finanzielle Verluste. Diese treten vor allem durch den Betrieb in den Interzonenzügen ein. Man wird deshalb von ihr eine allgemeine Reduzierung der Preise nicht erwarten können. Eine andere Frage ist es, ob nicht die Deutsche Bundesbahn, die schon aus Gründen des Wettbewerbs gegenüber dem Flugzeug und anderen Verkehrsmitteln an preiswerten Leistungen der DSG in ihren Speisewagen interessiert sein muß, durch Verzicht auf Abgaben oder auf andere Weise zur Senkung der Speisewagenpreise beitragen könnte. Über diese Frage will ich mich, sehr geehrter Herr Kollege, gern wieder einmal mit dem Vorstand der Deutschen Bundesbahn unterhalten, um so mehr, als die DSG sich ja allein im Besitz der Deutschen Bundesbahn befindet. Anlage 14 Schriftliche Antwort des Herrn Bundesministers Dr. -Ing. Seebohm vom 19. März 1964 auf die Mündlichen Anfragen des Abgeordneten Müller (Worms) (Drucksache IV/ 2035 Fragen X/9 und X/10): Ist dem Herrn Bundesverkehrsminister bekannt, daß auf der B 47 von Bensheim bis Bürstadt Radfahrwege vorhanden sind, von der Gemeinde Rosengarten jedoch bis nach Bürstadt die Radfahrwege fehlen? Hält der Herr Bundesverkehrsminister es nicht für zweckmäßig in Anbetracht der Tatsache, daß der Odenwald Naturschutzpark ist und infolgedessen auch von der Wormser Bevölkerung gern aufgesucht wird, Radfahrwege von Rosengarten bis Bürstadt bauen zu lassen, damit übers Wochenende auch diejenigen Naturliebhaber im Odenwald Erholung finden können, die nicht motorisiert sind? Ich weiß, daß auf dem Abschnitt RosengartenBürstadt keine Radfahrwege vorhanden sind. Die Anlage von Radfahrwegen auf diesem Abschnitt ist notwendig. Die Straßenbauverwaltung beabsichtigt daher, noch in diesem Jahre Radfahrwege in der gleichen Ausführung zwischen Bürstadt und Rosengarten zu schaffen, wie sie auf dem Abschnitt Bensheim—Bürstadt der B 47 bereits vorhanden sind. Die Anlage zusätzlicher Radwege in der bestehenden Ortsdurchfahrt Bürstadt ist wegen des geringen zur Verfügung stehenden Verkehrsraumes zwischen der beiderseitigen Bebauung nicht möglich. Eine wirksame Verbesserung der Verkehrsverhältnisse und damit eine größere Sicherheit für den Zweiradverkehr kann nur durch den Bau der Umgehungsstraße und die damit verbundene Herausnahme des Durchgangsverkehrs geschaffen werden. Die alte Ortsdurchfahrt bleibt dann dem örtlichen Verkehr und den Radfahrern vorbehalten. Anlage 15 Schriftliche Antwort des Herrn Bundesministers Dr.-Ing. Seebohm vom 19. März 1964 auf die Mündliche Anfrage des Abgeordneten Peiter (Drucksache IV/ 2035 Frage X/11): Treffen Pressemeldungen zu, nach denen die Deutsche Bundesbahn eine Einschränkung des Personenverkehrs auf der Strecke 195 e Limburg—Diez—Bad Schwalbach plant? Wie mir die Hauptverwaltung der Deutschen Bundesbahn zu Ihrer Frage mitteilt, ist ab Sommerfahrplan 1964 vorgesehen, die außerordentlich schwach besetzten Früh- und Spätzüge der Strecke Limburg—Diez—Bad Schwalbach—Wiesbaden durch Straßenbusse zu ersetzen. Die Deutsche Bundesbahn müßte eine derartige Teilverkraftung nicht in Erwägung ziehen, wenn das Platzangebot in den Zügen besser ausgenutzt würde. Durch diese Rationalisierungsmaßnahme erzielt die Deutsche Bundesbahn einen beachtlichen wirtschaftlichen Erfolg, während eine Verschlechterung der Verkehrsbedienung in keiner Weise eintritt. Der Bundesminister für Verkehr hat keine Zuständigkeit, in derartige Betriebsumstellungen der Deutschen Bundesbahn mit Weisungen einzugreifen. Anlage 16 Schriftliche Antwort des Herrn Bundesministers Dr.-Ing. Seebohm vom 19. März 1964 auf die Mündliche Anfrage des Abgeordneten Freiherr von Mühlen (Drucksache IV/ 2035 Frage X/12) : 5692 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 121. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. März 1964 Welche Erfahrungen sind bisher von der Bundesregierung in bezug auf Verkehrssicherheit und Verkehrsfluß auf dem ersten beleuchteten Autobahnabschnitt Köln-Mülheim—Leverkusener Kreuz gemacht worden? Die Feststellungen des Ministeriums für Wirtschaft, Mittelstand und Verkehr des Landes Nordrhein-Westfalen haben folgendes ergeben: Die Strecke Köln-Mülheim-Leverkusen hat eine Belastung bis zu 60 000 Kraftfahrzeugen in 24 Stunden. Der relative Gefahrengrad bei 100 Millionen Kraftfahrzeugkilometern ist auf dieser Strecke um 20 bis 30 % niedriger als auf vergleichbaren Autobahnstrecken mit einer Belastung bis zu 40 000 auf je zwei Fahrstreifen in beiden Richtungen. Ob jedoch dieser höhere Sicherheitsgrad auf der Beleuchtung beruht oder auf der Geschwindigkeitsbeschränkung oder auf der Verteilung des Verkehrs auf 3 Fahrstreifen oder auf der Anlage von zusätzlichen Standspuren, kann nicht mit Sicherheit festgestellt werden. Ich glaube, daß hier alle diese verschiedenen Maßnahmen gemeinsam zur Erhöhung der Verkehrssicherheit beigetragen haben. Anlage 17 Schriftliche Antwort des Herrn Bundesministers Dr. -Ing. Seebohm vom 19. März 1964 auf die Mündliche Anfrage des Abgeordneten Strohmayr (Drucksache IV/ 2035 Frage X/13): Wie beurteilt die Bundesregierung den Vorschlag der Bundesärztekammer, für die in Großstädten praktizierenden Ärzte eine Parkraum-Reservierung einzuführen, damit durch Kennzeichnung und ständige Sicherung der Parkfläche der Arzt zur schnellen Hilfeleistung in der Lage ist? Ich habe bereits im Jahre 1959 in Zusammenarbeit mit den zuständigen obersten Landesbehörden Grundsätze über die Gewährung von Ausnahmegenehmigungen an Ärzteempfohlen, um diesem Personenkreis wichtige Hausbesuche zu ermöglichen. Diese Empfehlungen wurden von den meisten Bundesländern als Richtlinien für ihre Verwaltungstätigkeit übernommen. Nach § 46 Abs. 2 der Straßenverkehrs-Ordnung ist es möglich, Ausnahmegenehmigungen an Einzelpersonen zu erteilen. Ob überwiegende Erfordernisse der Sicherheit und Leichtigkeit des fließenden Verkehrs Ausnahmen vom Parkverbot für Ärzte im Einzelfall örtlich unmöglich machen, muß der pflichtgemäßen 'Entscheidung der nach Landesrecht zuständigen Behörde überlassen werden, da das Grundgesetz die Ausführung ides Verkehrsrechtes den Ländern zugewiesen hat. Ich 'bitte um Verständnis dafür, daß generelle Ausnahmen von den Parkverboten für einen bestimmten Personenkreis nicht zugelassen werden können. Allgemein erlaube ich mir, darauf hinzuweisen, daß die Rechtsordnung die unabweisbare ärztliche Forderung nach ausreichendem Schutz für menschliches Leben und. menschliche Gesundheit durchaus berücksichtigt. Ein Arzt, der vor die Wahl gestellt ist, entweder die Abwendung einer konkreten Gefahr für Leben oder Gesundheit zu unterlassen oder in nicht zu verantwortender Weise zu verzögern oder anderseits ein Verkehrsverbot zu übertreten, macht sich nicht strafbar, wenn er sich für die Überschreitung entscheidet. Der übergesetzliche Notstand entschuldigt solche Verstöße jedenfalls dann, wenn nicht der Verstoß selbst gleichschwere Gefahren herbeiführt. Bei Verstößen gegen Park- -und Halteverbote in geschlossenen Ortslagen dürfte eine solche Gefährdung in der Regel ausscheiden. Anlage 18 Schriftliche Antwort des Herrn Bundesministers Dr. -Ing. Seebohm vom 19. März 1964 auf die Mündliche Anfrage des Abgeordneten Faller (Drucksache IV/ 2035 Frage X/14): In welcher Weise soll die sog. Strategische Bahn (WeizenZollhaus—Blumberg) wieder befahren werden, nachdem diese von der Deutschen Bundesbahn stillgelegte Strecke mit Unterstützungen des Bundes wieder in einen verkehrssicheren Zustand gebracht worden ist? Die Deutsche Bundesbahn teilt mir mit, daß sie nicht beabsichtige, den durchgehenden Verkehr auf der Strecke Waldshut-Immendingen und den öffentlichen Betrieb auf dem Abschnitt Weizen-ZollhausBlumberg nach dessen Instandsetzung wieder aufzunehmen. Eine solche Maßnahme ist nach ihrer Auffassung wirtschaftlich nicht zu vertreten,weil den hohen Betriebskosten keine entsprechenden Einnahmen 'gegenüberstehen. Anlage 19 Schriftliche Antwort des Herrn Bundesministers Dr.-Ing. Seebohm vom 19 März 1964 auf die Mündliche Anfrage der Abgeordneten Frau Meermann (Drucksache IV/ 1035 Frage X/15) : Ist der Herr Bundesverkehrsminister bereit, sich dafür einzusetzen, daß die württembergische Kreisstadt Tuttlingen an die Bundesautobahn Stuttgart—westlicher Bodensee über Tuningen statt über Geisingen angeschlossen wird? Die Voruntersuchungen für die Trassierung der Autobahn Stuttgart — westl. Bodensee, die vom Innenministerium Baden-Württemberg in Stuttgart als zuständige oberste Straßenbaubehörde nach Artikel 90 des Grundgesetzes durchgeführt werden, liegen noch nicht vor, da die Untersuchungen noch nicht abgeschlossen sind. Die Stadt Tuttlingen wird in bester Weise an die geplante Autobahn angeschlossen. Es kann wohl damit gerechnet werden, daß sowohl bei Geisingen als auch im Raume Tuningen Anschlußstellen angelegt werden, von denen aus Tuttlingen angefahren werden kann. Außerdem kann von Tuttlingen aus über die B 14 nach Norden der Anschluß an diese Autobahn erreicht werden. Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 121. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 19. März 1964 5693 Anlage 20 Schriftliche Antwort des Herrn Bundesministers Dr.-Ing. Seebohm vom 19. März 1964 auf die Mündliche Anfrage des Abgeordneten Fritsch (Drucksache IV/ 2035 Frage X/16) : Wann ist mit der Elektrifizierung der Bundesbahnstrecke München—Eisenstein zu rechnen? Die Eisenbahnverbindung München—Bayerisch Eisenstein kann auf Grund ihrer Bedeutung und ihrer Bauart nicht als eine durchgehende Strecke bezeichnet werden. Sie zerfällt in die bereits elektrifizierte zweigleisige Hauptbahn München—Landshut, die eingleisige Haupthahn Landshut—Plattling, das an der ebenfalls elektrifizierten Strecke Passau—Regensburg liegt, und der eingleisigen Hauptbahn Plattling—Deggendorf—Bayerisch Eisenstein an der Landesgrenze zur Tschechoslowakei. Wie bereits ausgeführt, ist der 76 km lange Abschnitt München—Landshut bereits seit Jahren elektrifiziert. Wegen der Elektrifizierung der Strecke LandshutPlattling sind zwischen der Hauptverwaltung der Deutschen Bundesbahn und dem Bayerischen Staatsministerium für Wirtschaft und Verkehr Verhandlungen eingeleitet. Diese Aufgabe gilt es zunächst zu lösen. Eine Elektrifizierung der Strecke Plattling—Deggendorf—Bayerisch Eisenstein dürfte erst später zur Erörterung anstehen. I Anlage 21 Schriftliche Antwort des Herrn Bundesministers Dr.-Ing. Seebohm vom 19. März 1964 auf die Mündliche Anfrage des Abgeordneten Dr. Schmidt (Wuppertal) (Drucksache IV /2035 Frage X/17) : Ist es richtig, daß von den 363 Tankwagenunfällen, die sich 1963 in Nordrhein-Westfalen ereigneten, allein 217 auf fehlerhaftes Verhalten der Fahrer, insbesondere auf die zu große Geschwindigkeit, zurückzuführen waren? Der Herr Innenminister des Landes Nordrhein-Westfalen hat mir mitgeteilt, daß sich im Jahre 1963 in Nordrhein-Westfalen 353 (nicht 363) Tankwagenunfälle ereignet haben. Davon beruhten 217 auf fehlerhaftem Verhalten der Tankwagenfahrer, wobei 26 durch Fehler anderer Verkehrsteilnehmer mitverursacht wurden. In 98 Fällen war zu schnelles Fahren die Ursache, in 23 weiteren Fällen zu dichtes Auffahren. Soweit die Geschwindigkeit zu hoch war, soll es sich jedoch nicht um die Überschreitung der durch Rechtsvorschrift oder Verkehrszeichen vorgesehenen zahlenmäßigen Geschwindigkeitsgrenzen handeln, sondern um eine Geschwindigkeit, die im Hinblick auf die besonderen Verkehrsverhältnisse örtlich nicht zu verantworten war. Im übrigen kann allgemein nicht festgestellt werden, daß Tankwagen mehr Unfälle aufzuweisen haben als andere schwere Lastkraftwagen. Anlage 22 Schriftliche Antwort des Herrn Bundesministers Dr. -Ing. Seebohm vom 19. März 1964 auf die Mündliche Anfrage des Abgeordneten Dr. Schmidt (Wuppertal) (Drucksache IV/ 2035 Frage X/18) : Ist es zweckmäßig — wie für die Fahrer von Autobussen —, für Tankwagenfahrer einen besonderen Führerschein und eine Höchstgeschwindigkeit für Tankwagen vorzuschreiben? Ich halte eine Prüfung der Frage für nötig, ob leine besondere Fahrerlaubnis für Tankwagenfahrer eingeführt werden soll. Wegen der Schwierigkeiten, die sich aus der besonderen Schwerpunktlage der Tankwagen und aus der Druckverlagerung der beförderten Flüssigkeiten bei Kurvenfahrten ergeben, ist eine zusätzliche Ausbildung der Tankwagenfahrer ;zweckmäßig. Auch die Herabsetzung der zahlenmäßigen Geschwindigkeitsgrenzen für Tankwagen außerhalb geschlossener Ortschaften muß erneut geprüft werden. Sie könnte die Anzahl der Fälle mindern, in denen sich Unfälle wegen einer nach der Verkehrslage zu hohen Geschwindigkeit ereignen. Andererseits könnte sie den Verkehrsfluß behindern, die Anzahl .der Überholvorgänge vermehren und dadurch zusätzliche Gefahren schaffen, die bei der Abwägung der Vorteile und der Nachteile berücksichtigt werden missen. Seit einem Jahre sammeln die Länder auf meine Veranlassung Unterlagen dafür, ob und welche neuen Vorschriften über den Tankwagenverkehr nötig sind. Mitte April 1964 soll das bisherige Ergebnis auf einer Länderreferententagung geprüft werden. Dabei werden die Fragen der besonderen Fahrerlaubnis und ,der Geschwindigkeitsregelung besonders beachtet werden.
Gesamtes Protokol
Dr. Thomas Dehler (FDP):
Rede ID: ID0412100000
Die Sitzung ist eröffnet.
Meine Damen und Herren,

(die Abgeordneten erheben sich)

der Deutsche Bundestag hat wieder einen schweren Verlust zu beklagen. Unser Kollege Dr. Heinrich Deist ist in den Frühstunden des 7. März in Meran, wo er Erholung suchte, verstorben. Das geradlinige Leben eines rastlos tätigen, klugen und charaktervollen Mannes ist damit jäh und viel zu früh zu Ende gegangen.
Es hat am 10. Dezember 1902 in Bant im Kreise Wilhelmshaven begonnen. Heinrich Deist hat Staats-und Rechtswissenschaften studiert. Er ist in den preußischen Verwaltungsdienst eingetreten, 1931 Regierungsrat geworden, 1933 aus seinem Amt verdrängt worden. Er ist seinen Weg weitergegangen, war als Wirtschaftstreuhänder tätig, hat nebenbei Betriebswirtschaft studiert und ist Wirtschaftsprüfer geworden. Nach dem Zusammenbruch hat er seine reiche Erfahrung an vielen verantwortungsvollen Posten einsetzen können und sich beim wirtschaftlichen Aufbau hohe Verdienste errungen. Er war lange Jahre geschäftsführendes Mitglied der Stahltreuhändervereinigung in Düsseldorf, war in vielen wirtschaftlichen Unternehmungen als Berater tätig, war vor allem als Vorsitzender des Aufsichtsrats der Gußstahlwerke Bochumer Verein sichtbar wirksam.
Schon als Sechzehnjähriger hat er sich politisch bekannt, ist Mitglied der Sozialistischen Arbeiterjugend geworden. Als Achtzehnjähriger wurde er Mitglied der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands, der Jungsozialisten und der Sozialistischen Studentenschaft. Daß er nach 1945 in der ersten Linie seiner Partei stand, war selbstverständlich. Er ist 1953 in dieses Haus als Abgeordneter für Bochum eingezogen. 1958 ist er stellvertretender Vorsitzender seiner Fraktion geworden. Er war in der Gemeinsamen Versammlung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl, später des Europäischen Parlaments. In diesem Hause hat er seine ganze Kraft der Klärung wirtschaftspolitischer und gesellschaftspolitischer Fragen im Wirtschaftsausschuß, im Vermittlungsausschuß gewidmet; seine großen, noblen Reden in diesem Hause werden unvergessen sein.
Nicht nur seine Fraktion und seine Partei haben einen schweren Verlust erlitten. Wir haben einen vorbildlichen Parlamentarier verloren und haben Grund, seinen Tod tief zu beklagen. Ich spreche der Witwe unseres verstorbenen Kollegen, seiner Fraktion und seiner Partei unsere aufrichtige Anteilnahme aus. — Sie haben sich zu Ehren unseres verstorbenen Kollegen erhoben. Ich danke Ihnen.
Der Bundestagspräsident hat an den Präsidenten des griechischen Parlaments in Athen am 6. März folgendes Telegramm gerichtet:
Zu dem schmerzlichen Verlust, den das griechische Volk durch den Tod Seiner Majestät des Königs Paul von Griechenland .erlitten hat, spreche ich dem Parlament und der Regierung des Königreichs Griechenland die herzliche Anteilnahme des Deutschen Bundestages aus. Ich bitte auch, Ihrer Majestät der Königin, der Königlichen Familie das Mitgefühl des Deutschen Bundestages zu übermitteln.
Darauf ist folgende Antwort eingelaufen:
Für den Ausdruck Ihres Mitgefühls an unserer nationalen Trauer anläßlich des Todes von König Paul bitte ich Sie, unseren herzlichsten Dank entgegennehmen zu wollen.
Tsirimokos
Präsident der Nationalen Versammlung
Wir haben heute der Geburtstage von zwei Kollegen zu gedenken. Herr Kollege Arndt ist am
12. März 60 Jahre und Frau Kollegin Döhring ist am
13. März 65 Jahre alt geworden. Ich darf beiden die herzlichen Glückwünsche des Hauses aussprechen.

(Beifall.)

Für den verstorbenen Abgeordneten Dr. Deist ist mit Wirkung vom 12. März der Abgeordnete Herberts in den Bundestag eingetreten. Ich hoffe auf eine gedeihliche Zusammenarbeit mit ihm.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung soll die heutige Tagesordnung erweitert werden um folgende Punkte:



Vizepräsident Dr. Dehler
1. Beratung des Schriftlichen Berichts des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten (19. Ausschuß) über den von der Bundesregierung zur Unterrichtung vorgelegten Vorschlag der Kommission der EWG für eine Verordnung des Rats über die Definition von Butter der ersten Qualität im Sinne der Verordnung Nr. .../64/EWG des Rats (Drucksachen 1V/2022, IV/2036)
Berichterstatter: Abgeordneter Bauer (Wasserburg) ;
2. Beratung des Schriftlichen Berichts des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten (19. Ausschuß) über den von der Bundesregierung zur Unterrichtung vorgelegten Vorschlag der Kommission der EWG für eine Verordnung des Rats über die Festsetzung der Grenzen der Richtpreise der Erzeugermitgliedstaaten für Reis sowie über die Festsetzung des Schwellenpreises der Nichterzeuger-Mitgliedstaaten für Reis und Bruchpreis für den am 1. Juli 1964 beginnenden Zeitraum (Drucksachen IV/2023, IV/2037)
Berichterstatter: Abgeordneter Seither;
3. Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU, SPD, FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gsetzes über Umstellung der Abgaben auf Mineralöl (Drucksache IV/2018)

Schriftlicher Bericht des Finanzausschusses (14. Ausschuß) (Drucksachen . IV/2039, zu 1V/2039)
Berichterstatter: Abgeordneter Stecker;
4. Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung und Ergänzung des Gesetzes zur Regelung von Ansprüchen aus Lebens- und Rentenversicherungen (Drucksache IV/1671)

Schriftlicher Bericht des Wirtschaftsausschusses (16. Ausschuß) (Drucksache IV/2016)
Berichterstatter: Abgeordneter Leonhard;
5. Beratung des Mündlichen Berichts des Ausschusses für wirtschaftlichen Besitz des Bundes (28. Ausschuß) über den Antrag des Bundesministers der Finanzen betreffend Veräußerung der bundeseigenen Grundstücke in Köln, Bonner Wall 108-120 und Vorgebirgsstraße 49, an die Erwerbsgemeinschaft „Bonner Wall" (Drucksachen IV/1830, IV/2086) ;
6. Beratung des Mündlichen Brichts des Ausschusses für wirtschaftlichen Besitz des Bundes (28. Ausschuß) über den Antrag des Bundesministers der Finanzen betreffend Veräußerung der ehemaligen Heeresstandortverwaltung in Stuttgart, Rosensteinstraße 31/ 33, an die Firma Württ. Milchverwertung — Südmilch — AG in Stuttgart (Drucksachen IV/1956, IV/2087)
Berichterstatter: Abgeordneter Opitz; Beratung des Mündlichen Berichts des Ausschusses für wirtschaftlichen Besitz des Bundes (28. Ausschuß) über den Antrag des Bundesministers der Finanzen betreffend Veräußerung der ehemaligen Wehrmachtkommandantur in Kassel, Obere Königstraße 37, an die Eheleute Münstermann in Kassel und an den Kaufmann Friedrich Vordemfelde in Aschaffenburg (Drucksachen IV/1859, IV/2088)
Berichterstatter: Abgeordneter Opitz;
8. Beratung des Mündlichen Berichts des Ausschusses für wirtschaftlichen Besitz des Bundes (28. Ausschuß) über den Antrag des Bundesministers der Finanzen betreffend Veräußerung einer Teilfläche des ehemaligen Flugplatzes Linter-Eschhofen Kr. Limburg (Lahn) an das Land Hessen (Drucksachen IV/ 1869, IV/2089)
Berichterstatter: Abgeordneter Opitz;
9. Beratung des Mündlichen Berichts des Ausschusses für wirtschaftlichen Besitz des Bundes (28. Ausschuß) über den Antrag des Bundesministers der Finanzen betreffend Véräußerung von Teilflächen der ehemaligen Wehrkreisreit- und Fahrschule in Aalen (Drucksachen IV/1988, IV/2090)
Berichterstatter: Abgeordneter Opitz;
10. Beratung des Schriftlichen Berichts des Außenhandelsausschusses (17. Ausschuß) über die von der Bundesregierung vorgelegte Fünfundfünfzigste Verordnung zur Änderung des Deutschen Zolltarifs 1963 (Zollkontingente 1964 — gewerbliche Waren — III. Teil und Zollaussetzung für Bearbeitungsabfälle, Bruch und unbrauchbar gewordene Waren aus künstlichem Graphit) (Drucksachen IV/ 2033, IV/2083)
Berichterstatter: Abgeordneter Bading.
Das Haus ist damit einverstanden; es ist so beschlossen.
Im Ältestenrat ist vereinbart worden, in Abweichung von der gedruckten Tagesordnung nach der Fragestunde den Punkt 3 a und b aufzurufen. Ich schlage vor, die Zusatzpunkte danach zu behandeln. Anschließend wird Punkt 2 der Tagesordnung — EWG-Agrarpolitik — aufgerufen.
Das Gesetz zur Änderung des Gesetzes über die Umstellung der Abgaben auf Mineralöl soll wegen seiner Vordringlichkeit sofort nach Punkt 1 der Tagesordnung aufgerufen werden, damit unser Beschluß noch heute dem Bundesrat für seine morgige Sitzung zugeleitet werden kann.
Folgende amtliche Mitteilungen werden ohne Verlesung in den Stenographischen Bericht aufgenommen:
Der Herr Bundesminister des Innern hat am 9. März 1964 die Kleine Anfrage der Abgeordneten Riedel (Frankfurt), Dr. Siemer, Burgemeister, Tobaben, Dr. Elbrächter und Genossen betr. Aufterungen über den Abgeordneten Dr. Dr. Oberländer —

Vizepräsident Dr. Dehler
Drucksache IV/1945 - beantwortet. Sein Schreiben ist als Drucksache IV/2031 verteilt.
Der Herr Bundesminister des Auswärtigen, der Herr Bundesminister für Wirtschaft und der Herr Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit haben am 11. März 1964 die Kleine Anfrage der Abgeordneten Dr. Fritz (Ludwigshafen), Leicht, Gewandt, Dr. Birrenbach, Dr. Althammer, Haase (Kassel) und Genossen betr. Internationale Organisationen, die sich mit Entwicklungshilfe befassen - Drucksache IV/1858 - beantwortet. Ihr Schreiben ist als Drucksache IV/2038 verteilt.
Der Herr Bundesminister des Innern hat am 18. März 1964 die Kleine Anfrage der Fraktion der SPD betr. Schutz des Ansehens der Bundesrepublik Deutschland - Drucksache IV/2004 - beantwortet. Sein Schreiben wird als Drucksache IV/2085 verteilt.
Der Herr Stellvertreter des Bundeskanzlers hat am 5. März 1964 unter Bezugnahme auf den am 14. Februar 1964 übersandten Vorschlag der Kommission der EWG für eine
Verordnung des Rats zur Ermächtigung der Mitgliedstaaten, die Abschöpfungsbeträge gegenüber dritten Ländern für Schweine und einige Teilstücke von Schweinen für Einfuhren in der Zeit vom 15. Februar bis 31. März 1964 über den in der Verordnung Nr. . . ./64/EWG des Rats vorgesehenen Rahmen hinaus zu senken
mitgeteilt, daß der Vorschlag entgegen der in seinem Schreiben vom 14. Februar 1964 enthaltenen Mitteilung vom Rat der EWG in seiner Sitzung vom 3. bis 5. Februar 1964 nicht verabschiedet, sondern abgelehnt worden und ein Ersatzvorschlag nicht vorgelegt worden ist. Er bitte deshalb, die Zuleitung als gegenstandslos zu betrachten.
Der Herr Vorsitzende des Außenhandelsausschusses hat am 11. März 1964 mitgeteilt, daß der federführende Außenhandelsausschuß und der mitbeteiligte Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten keine Bedenken gegen die Verordnung des Rats, durch die die Bundesrepublik Deutschland ermächtigt wird, Interventionsmaßnahmen zu ergreifen, um die Einfuhr von Rindern aus Dänemark zu ermöglichen, erhoben haben.
Der Herr Präsident des Bundestages hat gemäß § 96 a der Geschäftsordnung die von der Bundesregierung als dringlich bezeichnete Fünfundfünfzigste Verordnung zur Änderung des Deutschen Zolltarifs 1963 (Zollkontingente 1964 - gewerbliche Waren - III. Teil und Zollaussetzung für Bearbeitungsabfälle, Bruch und unbrauchbar gewordene Waren aus künstlichem Graphit) - Drucksache IV/2033 - dem Außenhandelsausschuß mit der Bitte um fristgemäße Behandlung überwiesen.
Der Herr Bundesminister der Justiz hat unter dem 18. März 1964 die Kleine Anfrage der Fraktion der SPD betr. Arbeitsrückstand beim Deutschen Patentamt in München - Drucksache IV/ 2002 - beantwortet. Sein Schreiben wird als Drucksache IV/2092 verteilt.
Der Präsident des Bundestages hat entsprechend dem Beschluß des Bundestages vom 25. Juni 1959 die nachstehenden Vorlagen überwiesen:
Richtlinie des Rats zur Koordinierung der Schutzbestimmungen, die in den Mitgliedstaaten der Gesellschaften im Sinne des Artikels 58 Absatz 2 im Interesse der Gesellschafter sowie Dritter vorgeschrieben sind, um diese Bestimmungen gleichwertig zu gestalten - Drucksache IV/2014 -
an den Rechtsausschuß - federführend - und an den Wirtschaftsausschuß - mitberatend - mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor dem Plenum am 29. April 1964
Verordnung des Rats über die Definition von Butter der
ersten Qualität im Sinne der Verordnung Nr. . . ./64/EWG
des Rats - Drucksache IV/2022 -
an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor dem Plenum am 19. März 1964
Verordnung des Rats über die Festsetzung der Grenzen der Richtpreise der Erzeugermitgliedstaaten für Reis sowie über die Festsetzung des Schwellenpreises der Nichterzeuger-Mitgliedstaaten für Reis und Bruchreis für den am 1. Juli 1964 beginnenden Zeitraum - Drucksache IV/2023 -
an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten - federführend - und an den Wirtschaftsausschuß - mitberatend - mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor dem Plenum am 19. März 1964
Verordnung des Rats über die Anwendung von Artikel 85 Absatz 3 EWG auf Gruppen von Vereinbarungen, Beschlüssen und aufeinander abgestimmten Verhaltensweisen - Drucksache IV/2024 -
an den Wirtschaftsausschuß mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor dem Plenum am 29. April 1964
Verordnung des Rats über die Änderung und Verlängerung der Verordnung Nr. 3/63/EWG vom 24. Januar 1963 betreffend die wirtschaftlichen Beziehungen zu den Ländern mit Staatshandel (landwirtschaftliche Erzeugnisse der Verordnungen Nr. 19, 20, 21 und 22) -- Drucksache IV/2027 -
an den Außenhandelsausschuß - federführend - und an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten - mitberatend - mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor dem Plenum am 29. April 1964
Zweite Richtlinie des Rats zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschrfiten für Arzneispezialitäten - Drucksache IV/2028 -
an den Ausschuß für Gesundheitswesen mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor dem Plenum am 29. April 1964
Richtlinie des Rats über den Verkehr mit Rübensaatgut
Richtlinie des Rats über den Verkehr mit Futterpflanzensaatgut
Richtlinie des Rats über den Verkehr mit Getreidesaatgut Richtlinie des Rats über den Verkehr mit Pflanzkartoffeln Richtlinie des Rats über den Verkehr mit forstlichem Ver-
mehrungsgut
- Drucksache IV/2030 -
an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor dem Plenum am 29. April 1964
Richtlinie des Rats über die Einzelheiten der Verwirklichung des freien Dienstleistungsverkehrs in den Berufen der Landwirtschaft und des Gartenbaus - Drucksache IV/2040 -
an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor dem Plenum am 29. April 1964
Verordnung Nr. 23/64/EWG des Rats vom 4. März 1964 über die Festsetzung der Abschöpfungsbeträge gegenüber dritten Ländern für Schweine sowie Schweinefleisch enthaltende Erzeugnisse für Einfuhren, die vom 1. April bis zum 30. Juni 1964 getätigt werden (Amtsbl. 42/64)

an den Außenhandelsausschuß - federführend - und an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten - mitberatend - mit der Bitte um Berichterstattung innerhalb eines Monats, wenn im Ausschuß Bedenken gegen die Verordnung erhoben werden.
Der Präsident des Bundestages hat entsprechend dem Beschluß des Bundestages vom 23. Februar 1962 die nachstehende Vorlage überwiesen:
Fünfzigste Verordnung zur Änderung des Deutschen Zolltarifs 1963 (Angleichungszoll für Dextrine und Stärke - Neufestsetzung) - Drucksache IV/2032 -
an den Außenhandelsausschuß mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor dem Plenum am 3. Juni 1964.
Zu der in der Fragestunde der 94. Sitzung des Deutschen Bundestages am 6. November 1963 gestellten Frage des Abgeordneten Faller Nr. IX/2 ist inzwischen ,die schriftliche Antwort ides Herrn Bundesministers Schwarz vom 13. März 1964 eingegangen. Sie lautet:*)
Die Uberprüfung der Broteinfuhr an der deutsch-schweizerischen Grenze durch die Oberfinanzdirektion Freiburg und durch das Ministerium für Ernährung, Landwirtschaft, Weinbau und Forsten in Stuttgart hatten folgendes Ergebnis:
Durch Anschreibungen, die sich auf die Zeit vom 16. bis 21. Dezember 1963 und vom 6. bis 11. Januar 1964 erstrecken, wurden die Broteinfuhren festgestellt.
Ein Vergleich mit entsprechenden Feststellungen im Jahre 1958 führt zu folgender Gegenüberstellung:
Broteinfuhren täglich
in der Zeit vom kg
14.-19. 4. 1958 7 523
16.-21. 12. 1963 5 467
6.-11. 1. 1964
Rückgang der täglichen Broteinfuhr 2 056
Die Behauptung des Verbandes, die Broteinfuhren seien in letzter Zeit erheblich angestiegen, trifft demnach nicht zu; sie sind vielmehr um etwa 27 v. H. zurückgegangen.
Was die Einfuhren über die in Betracht kommenden Grenzzollstellen des HZA-Bezirks Konstanz anlangt, so bietet sich folgendes Bild:
Tägliche Broteinfuhren
in der Zeit vom Menge in kg
14.-19. 4. 1958 1 778
16.-21. 12. 1963 1 409
6.-11. 1. 1964
Rückgang der tägl. Broteinfuhr 369 kg (21 v. H.)

In diesem Gebiet, das der Verband als „besonders gefährdeten Bereich" bezeichnet, ist sonach ein Rückgang von 21 v. H. festzustellen.
5) Siehe auch 97. Sitzung Seite 4453 B, C.



Vizepräsident Dr. Dehler
Die folgende Zusammenstellung veranschaulicht die täglichen Broteinfuhren in den Gemeinden Rheinheim, Erzingen und Stühlingen:
in der Zeit tägliche Broteinfuhr — = Rückgang
vom
Ort der Einfuhr 14. bis 16. bis + = Zunahme der Einfuhr
19. 4. 58 21. 12. 63
6. bis
11. 1. 64
kg kg kg
Rheinheim (2 Betriebe) 62,6 42,1 — 20,5
Erzingen (2 Betriebe) 94,3 73,5 — 21,8
Stühlingen (4 Betriebe) 50,8 65 + 14,2
Eine Zunahme der Broteinfuhren ist sonach lediglich in Stühlingen zu verzeichnen.
Nach den getroffenen Feststellungen kann keine Rede davon sein, daß die Broteinfuhren aus der Schweiz allgemein zugenommen haben.
Mangels entsprechender Unterlagen über den Gesamtbrotverbrauch der Grenzbevölkerung ist es nicht möglich, genauere Zahlen darüber zu geben, in welchem Verhältnis die Einfuhr von Brot zum Gesamtverbrauch im ganzen Grenzbereich steht. Es sind jedoch die Verhältnisse im Bezirk Konstanz bekannt; hier entfällt bei einer täglichen Broteinfuhr von 1409 kg nur ein ProKopf-Anteil von 15 g auf die grenznahe Bevölkerung (90 000 Einwohner), so daß auch die Frage, ob die Einfuhr ein bedenkliches Ausmaß hat, eindeutig verneint werden muß.
Eine schärfere Überwachung der Broteinfuhren ist kaum möglich, aber auch nicht notwendig. Brot in 1 kg-Laiben und mehr läßt sich ohnehin schlecht verbergen, da es sehr sperrig ist. Für die Grenzbevölkerung besteht aber auch kein Anreiz, Brot zu schmuggeln, da je nach Preislage 2 bis 3 kg Brot ohne Entrichtung von Eingangsabgaben eingeführt werden können, eine Menge, die üblicherweise den täglichen Familienbedarf an frischem Brot deckt.
Eine Erschwerung des Broteinkaufes im Nachbarland würde außerdem eine heftige Reaktion der Grenzbevölkerung hervorrufen und könnte zu einer unerwünschten Belastung des guten gegenseitigen Einvernehmens der Grenzbewohner führen. Auch sind negative Rückwirkungen auf den Einkauf von in der Bundesrepublik preisgünstigeren Waren durch schweizerische Staatsangehörige zu befürchten, so daß mit einer nicht allzu großen Verbesserung der Lage der grenznahen Backbetriebe ein wesentlicher Umsatzrückgang bei anderen Waren verbunden sein kann.
Aus den dargelegten Gründen sehe ich keinen Anlaß, besondere Maßnahmen zur Erschwerung der Broteinfuhren an der deutsch-schweizerischen Grenze zu treffen. .
Ich rufe auf Punkt 1 der Tagesordnung: Fragestunde (Drucksache IV/2035).
Zunächst sollen die Fragen aus dem Geschäftsbereich des Auswärtigen Amts behandelt werden. Ich rufe auf die Frage IV/1 — des Abgeordneten Ritzel —:
Treffen die Meldungen zu, wonach deutsche Kraftfahrzeuge in Frankreich eine diskriminierende Behandlung erfahren, die zu besonderen Schwierigkeiten in bezug auf die Haftpflicht- und Kaskoversicherung führen soll?
Bitte, Herr Staatssekretär!

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0412100100
Es trifft zu, daß die meisten französischen Versicherungsunternehmen im vergangenen Jahr einen neuen Kraftfahrzeug-Versicherungstarif eingeführt haben, bei dem die Prämienerhöhungen, insbesondere bei der Kaskoversicherung, für nichtfranzösische Fahrzeuge bedeutend höher ausfallen als für französische Fahrzeuge. Die französischen Versicherer begründen die erhöhten Prämien in der Kaskoversicherung damit, daß bei ausländischen Fahrzeugen der Listenpreis im allgemeinen über dem der vergleichbaren französischen Typen liege, daß die Ersatzteile durch die Zollbelastung teurer und die Reparaturkosten höher seien.
Die Bundesnegierung ist dennoch der Auffassung, daß die Prämienerhöhungen diskriminierenden
Charakter haben und den Absatz deutscher Kraftfahrzeuge auf dem französischen Markt behindern könnten. Die Botschaft Paris ist deshalb angewiesen worden, in der Angelegenheit bei der französischen Regierung vorstellig zu werden.

Dr. Thomas Dehler (FDP):
Rede ID: ID0412100200
Ich rufe auf die Frage IV/2 — des Abgeordneten Kahn-Ackermann —:
Welche Vorstellungen hat die Bundesregierung über eine Fortsetzung kultureller Beziehungen zu der UdSSR nach Beendigung des in dem bisherigen Kulturabkommen enthaltenen Programms?

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0412100300
Die Bundesregierung hat sich alsbald nach Ablauf des Kulturabkommens von 1959 in Verhandlungen mit der Sowjetregierung um ein neues Kulturabkommen bemüht. Sie hatte hiermit jedoch trotz aller erdenklichen Versuche, zu einer beiderseits akzeptablen Lösung zu gelangen, keinen Erfolg, da die sowjetische Seite in der Frage der Beteiligung Berlins auf einer Regelung bestand, die die Anerkennung der sowjetischen Berlin-Thesen durch uns bedeutet hätte. Um den Kulturaustausch nicht zum Erliegen zu bringen, ist in der Folgezeit in beiderseitigem Einvernehmen das alte Abkommen insofern weiter abgewickelt worden, als dafür noch zahlreiche in ihm vereinbarte, aber noch nicht durchgeführte Vorhaben zur Verfügung standen. Diese Abwicklung nähert sich nunmehr ihrem Ende.
Die Bundesregierung bejaht den Kulturaustausch mit der Sowjetunion auch weiterhin. Sie prüft gegenwärtig die Frage, ob dieser Austausch auf eine neue Grundlage gestellt werden kann, die, ohne wesentliche deutsche Interessen in Frage zu stellen, günstigere Verhandlungsaussichten bietet als die frühere. Sobald diese Überlegungen abgeschlossen sind, werden entsprechende neue Versuche unternommen werden, mit der sowjetischen Seite zu einer beiderseits befriedigenden Fortsetzung der kulturellen Beziehungen zu gelangen.

Dr. Thomas Dehler (FDP):
Rede ID: ID0412100400
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Kahn-Ackermann.

Georg Kahn-Ackermann (SPD):
Rede ID: ID0412100500
Herr Staatssekretär, teilt das Auswärtige Amt die Auffassung, daß das bisherige Ergebnis des deutsch-sowjetischen Kulturaustausches im Sinne einer Korrektur sowjetischer Vorstellungen über die Bundesrepublik in ungewöhnlichem Maße positiv gewirkt hat?

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0412100600
Wir sind der Auffassung, Herr Abgeordneter, daß die Wirkungen des Kulturabkommens positiv gewesen sind.

Dr. Thomas Dehler (FDP):
Rede ID: ID0412100700
Eine weitere Frage? — Bitte.

Georg Kahn-Ackermann (SPD):
Rede ID: ID0412100800
Herr Staatssekretär, wird ungeachtet der Abwicklungsmodalitäten das Auswärtige Amt bei einem Kulturetat von ungefähr 120 Millionen DM die Summe von 110 000 DM im Jahr — wie es im Jahre 1963 gewesen ist — als
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 121. Sitzung. Bonn, Donnerstag,. den 19. März 1964 5609
Kahn-Ackermann
ausreichend erachtet, um diese auf diesem Gebiet so besonders wichtige Aufgabe in dem Umfang wahrzunehmen, in dem sie wahrzunehmen notwendig wäre?

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0412100900
Ich kann nicht bestätigen, ob im Jahre 1963 nur 110 000 DM für diesen Kulturaustausch aufgewandt worden sind. Ich möchte eigentlich annehmen, daß es mehr gewesen ist. Wir werden jedenfalls die Frage dieses Austausches auch in Zukunft bei der Verteilung der Mittel gebührend berücksichtigen.

Dr. Thomas Dehler (FDP):
Rede ID: ID0412101000
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Sänger.
Sänger (SPD).: Habe ich Sie recht verstanden, Herr Staatssekretär, daß Sie es für richtiger halten, den Kulturaustausch mit der Sowjetunion im Rahmen eines Austauschabkommens vorzunehmen — es also nicht der Union selbst zu überlassen, die Regie und die einzelnen Maßnahmen zu treffen — als das dem freien Lauf der Kräfte zu überlassen?

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0412101100
Wir ziehen eine Regelung dem freien Lauf der Kräfte vor.

Dr. Thomas Dehler (FDP):
Rede ID: ID0412101200
Dann die Frage IV/3 — des Abgeordneten Kaffka —:
Was hat die Bundesregierung unternommen, um den seit drei Monaten im französischen Gefängnis einsitzenden ehemaligen Fremdenlegionär Eugen Reinig aus Bexbach (Saar), der 1957 aus der Legion desertierte, freizubekommen?

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0412101300
Die Bundesregierung hat im Rahmen der gegebenen Möglichkeiten alle notwendigen Schritte zugunsten von Reinig unternommen. Sofort nach Bekanntwerden der Verhaftung ist die deutsche Botschaft in Paris bei den zuständigen französischen Stellen wegen seiner Freilassung vorstellig geworden. Unmittelbar nach der Verurteilung hat das Generalkonsulat in Marseille die Einreichung eines Gnadengesuchs durch den Verteidiger veranlaßt. Das Gnadengesuch ist mit einer Befürwortung des Generalkonsulats bei der zuständigen Stelle in Marseille eingereicht und vor kurzem von dort an das Armeeministerium in Paris weitergeleitet worden. Die deutsche Botschaft in Paris ist gebeten worden, auf eine baldige positive Entscheidung hinzuwirken.

Dr. Thomas Dehler (FDP):
Rede ID: ID0412101400
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter.

Rudolf Kaffka (SPD):
Rede ID: ID0412101500
Herr Staatssekretär, hat sich die Bundesregierung Gedanken darüber gemacht, durch eventuelle Verhandlungen mit der französischen Regierung eine allgemeine Amnestie für ehemalige Fremdenlegionäre zu erwirken, damit sich derartige Vorfälle nicht wiederholen?

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0412101600
Herr Abgeordneter, seit längerer Zeit finden Gespräche zwischen dem Auswärtigen Amt und den zuständigen französischen Stellen in der Frage der Fremdenlegionäre statt. Sie bewegen sich in der Richtung, die Sie angedeutet haben. Bisher haben sich allerdings nur in Einzelfällen Erfolge gezeigt. Eine generelle Regelung hat sich noch nicht erreichen lassen.

Dr. Thomas Dehler (FDP):
Rede ID: ID0412101700
Ich danke Ihnen, Herr Staatssekretär.
Ich rufe auf aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers der Justiz die Frage I/1 — des Abgeordneten Müller (Aachen-Land) —:
Ist der Bundesregierung bekannt, daß gegen den Film „Das Schweigen" inzwischen 10 Strafanzeigen wegen Verbreitung unzüchtiger Darstellungen erstattet worden sind?

Dr. Ewald Bucher (FDP):
Rede ID: ID0412101800
Die erste Frage ist mit ja zu beantworten. Der Bundesregierung ist diese Tatsache bekannt.

Dr. Thomas Dehler (FDP):
Rede ID: ID0412101900
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Müller.
Miller (Aachen-Land) (CDU/CSU) : Herr Minister, ist der Bundesregierung bekannt, daß gegen den Film „Das Schweigen" außer in Strafanzeigen auch in der Öffentlichkeit, in Publikationen z. B., der Vorwurf erhoben wird, er sei pornographisch, — wie das z. B. die angesehene sozialdemokratische Wochenzeitschrift „Vorwärts" mit der Schlagzeile tut: „Bergmann-Film ,Das Schweigen' bietet ausgezeichnete Pornographie"?

Dr. Ewald Bucher (FDP):
Rede ID: ID0412102000
Der Bundesregierung ist dies ebenso bekannt wie die Tatsache, daß nach einem Bericht in der Kölner „Rundschau" die Katholische Filmkorrespondenz geschrieben haben soll: „Nie zuvor gab es einen Film, aus dem die Sehnsucht nach Gott, das elementare Bedürfnis Gottes als einzige Rettung deutlicher gesprochen hat".

(Heiterkeit.)


Dr. Thomas Dehler (FDP):
Rede ID: ID0412102100
Eine weitere Frage?
Müller (Aachen-Land) (CDU/CSU) : Herr Minister, darf ich dann annehmen, daß der Bundesregierung die inzwischen verlautbarten weiteren Äußerungen beider Kirchen — die sich ganz anders ausdrücken — ebenfalls bekannt sind?

Dr. Ewald Bucher (FDP):
Rede ID: ID0412102200
Auch diese Äußerungen sind der Bundesregierung bekannt.

(Zurufe von der FDP.)


Dr. Thomas Dehler (FDP):
Rede ID: ID0412102300
Die Zweite Frage des Herrn Abgeordneten Müller — Frage I/2 — lautet:
Hat die Bundesregierung Verbindung mit den Justizministern der Länder zu dem Zweck aufgenommen, Möglichkeiten zu prüfen, im Wege der Weisungsbefugnis an die Staatsanwaltschaften gegen einen Film vorzugehen, der weiten Kreisen unseres Volkes ein berechtigtes Ärgernis bereitet, wie im Falle des Films „Das Schweigen" Leserzuschriften und Gespräche mit der Bevölkerung beweisen?
Bitte, Herr Minister,




Dr. Ewald Bucher (FDP):
Rede ID: ID0412102400
Auf die zweite Frage des Herrn Abgeordneten Müller würde ich in dem Bestreben, präzise Antworten zu geben, eigentlich am liebsten antworten: „Schweigen ist Gold".

(Beifall bei Abgeordneten aller Fraktionen.)

Aber da dies als unhöflich angesehen werden müßte, möchte ich zur Sache folgendes sagen.
Ich darf als bekannt voraussetzen, daß die Bundesregierung und der Bundesjustizminister den Länderministern und Landesstaatsanwaltschaf ten keine Weisungen geben können. Die Bundesregierung sieht aber auch keine Veranlassung, etwa zum Zwecke der Koordinierung mit den Ländern Verbindung aufzunehmen, und zwar deshalb nicht, weil diese Koordinierung ohnehin gewährleistet ist. In den Richtlinien für das Strafverfahren, die von sämtlichen Landesjustizministern vereinbart sind, ist in Ziffer 225 vorgesehen, daß die Landesjustizverwaltungen Zentralstellen zur Bekämpfung unzüchtiger und jugendgefährdender Schriften, Abbildungen und. Darstellungen einrichten. Diese halten Fühlung miteinander, und so sind im vorliegenden Falle die Zentralstellen der Länder ebenfalls in Fühlung. Sie geben eingehende Strafanzeigen an die Zentralstelle des Landes Nordrhein-Westfalen, die ihrerseits die Staatsanwaltschaft Duisburg mit der Durchführung der Ermittlungsverfahren beauftragt hat. Im übrigen muß es der Entschließung der Justizminister und -senatoren der Länder überlassen bleiben, ob und . inwieweit sie im Rahmen ihrer ) rechtlichen Möglichkeiten tätig werden.

Dr. Thomas Dehler (FDP):
Rede ID: ID0412102500
Eine Zusatzfrage? — Bitte, Herr Dr. Imle.

Dr. Wolfgang Imle (FDP):
Rede ID: ID0412102600
Herr Bundesminister, ist daraus zu schließen, daß, wenn in Leserzuschriften und Gesprächen eine Forderung erhoben wird, daraus bereits ein „berechtigtes Anliegen" nachgewiesen ist?

Dr. Ewald Bucher (FDP):
Rede ID: ID0412102700
„Berechtigtes Anliegen" ist ein sehr beliebtes Wort in der Politik. Ich bin immer sehr vorsichtig, bevor ich etwas als „berechtigtes Anliegen" anerkenne. Aber jedenfalls ist die Bundesregierung nicht in der Lage, hier als Kunstrichter aufzutreten,

(Sehr gut! bei der SPD)

und schon gar nicht, nachdem Strafanzeigen anhängig sind und sich möglicherweise Gerichte mit der Sache befassen werden.

Dr. Thomas Dehler (FDP):
Rede ID: ID0412102800
Ich danke Ihnen, Herr Minister.
Ich rufe die Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers des Innern auf, die den gleichen Gegenstand betreffen, zunächst die Frage V/5 — des Herrn Abgeordneten Baier (Mosbach) —:
Ist der Bundesregierung bekannt, welche Gründe die Freiwillige Selbstkontrolle der Filmwirtschaft (FSK) veranlaßt haben, den Film „Das Schweigen" ohne Schnittauflagen freizugeben?
Bitte, Herr Minister.

Hermann Höcherl (CSU):
Rede ID: ID0412102900
Bevor ich die eigentliche Frage beantworte, möchte ich zwei Bemerkungen voranschicken, die den Sachverhalt etwas klären können. Ganz grundsätzlich möchte ich sagen, daß Filme in der Bundesrepublik keiner Zensur unterliegen. Zum zweiten darf ich darauf hinweisen, daß es doch begrüßenswert ist, daß die deutsche Filmwirtschaft durch die vor fast 15 Jahren erfolgte Gründung der Freiwilligen Selbstkontrolle der deutschen Filmwirtschaft eine Einrichtung ins Leben gerufen hat, die nach den Regeln der freiheitlichen Demokratie einem Mißbrauch der Freiheit im Bereich des Films vorbeugen soll. Diese freiwillige Selbstkontrolle ist eine unabhängige Selbstverwaltungseinrichtung der Spitzenorganisation der Filmwirtschaft, die auch ihr Rechtsträger ist. Sie umfaßt ungefähr 160 ausnahmslos ehrenamtliche Prüfer, die im wechselnden Turnus in drei Prüfungsgremien mitwirken.
Die erste Instanz, wenn ich so sagen darf, ist der Arbeitsausschuß, der aus sechs Vertretern der Filmwirtschaft und einer gleichen Zahl von Persönlichkeiten, die von der öffentlichen Hand benannt werden, nämlich vom Bund und von den Ländern, von den Kirchen einschließlich der Israelitischen Religionsgemeinschaft sowie von dem Bundesjugendring, zusammengesetzt ist. Den Vorsitz mit dem Recht des Stichentscheids führt ein im Einvernehmen mit der öffentlichen Hand benannter Vertreter der Filmwirtschaft.
Die Antragsteller, also die Produzenten oder Verleiher sowie eine je nach der Zahl der anwesenden Mitglieder aus zwei oder drei Mitgliedern des Arbeitsausschusses bestehende überstimmte Minderheit kann die zweite Instanz, den sogenannten Hauptausschuß, anrufen. Er besteht aus sieben von der Filmwirtschaft und sieben von der öffentlichen Hand bestellten Mitgliedern und dem Vorsitzenden, den wiederum die Filmwirtschaft benennt.
Produzent oder Verleiher sowie eine aus mindestens zwei Mitgliedern des Hauptausschusses bestehende überstimmte Minderheit können die dritte Instanz, den Rechtsausschuß, anrufen. Von seinen 10 Mitgliedern werden fünf von der Filmwirtschaft und weitere fünf gemeinsam von Bund und Ländern benannt. Sie nehmen turnusmäßig an den Sitzungen des Rechtsausschusses teil, der in einer Besetzung von fünf Mitgliedern entscheidet. Sämtliche Mitglieder des Rechtsausschusses müssen die Befähigung zum Richteramt haben oder ordentliche oder außerordentliche Professoren der Rechte sein.
Bei der Einstufung der Filme in bestimmte Altersgruppen nach dem Gesetz über den Schutz der Jugend in der Offentlichkeit treten beim Arbeits- und beim Hauptausschuß Jugendsachverständige sowie beim Rechtsausschuß Jugend- oder Vormundschaftsrichter mit Stimmrecht hinzu. Für diese Entscheidung entfällt das Stimmenübergewicht der Filmwirtschaft.
Es liegt in der Natur der Sache, daß alle Mitglieder der Prüfungsgremien weisungsfrei sind und selbstverständlich auch in der Zukunft bleiben müssen,



Bundesminister Höcherl
Nach dieser Einleitung, die etwas länger ausgefallen ist, die aber zum Verständnis wohl nicht ganz uninteressant war, darf ich mich der eigentlichen Frage zuwenden.
Die Freiwillige Selbstkontrolle begründet ihre Entscheidungen nur im Falle der Nichtfreigabe oder der Freigabe unter Auflagen. Somit hat die Freiwillige Selbstkontrolle im vorliegenden Fall, ihrer ständigen Praxis folgend, eine Begründung nicht gegeben. Aber im Rahmen der vielfachen Diskussionen um den in Rede stehenden Film hat die Freiwillige Selbstkontrolle verschiedentlich Veranlassung gehabt, auf Erwägungen hinzuweisen, die zu ihrer Entscheidung geführt haben. Soweit sie mir bekanntgeworden sind — also aus zweiter Hand und nicht amtlich —, darf ich sie im folgenden kurz zusammenfassen und mich dabei der Diktion bedienen, die hier angewandt worden ist und die vielleicht in diesem Hause nicht alltäglich ist.
Nach eingehender Beratung — so lautet die mir bekanntgewordene inoffizielle Begründung — und Abwägung des Für und Wider wurde dem Film vom Formalen her ein bemerkenswerter künstlerischer Rang zuerkannt, der eine so bedeutsame Aussage zur menschlichen Situation unserer Tage enthalte, daß die vom Gestalter konzipierte und verwirklichte Fassung Erwachsenen nicht vorenthalten werden sollte. Einzelne sexual-bezügliche Stellen seien in ihrer Drastik ins Geistige überhöht, durch Anwendung verschiedener filmkünstlerischer Mittel vom Realitätsbezug weggeführt und unübersehbar distanziert „entfremdet". Das Moment des Abschreckenden, Abstoßenden, des Schauderns vor tierischer Triebhaftigkeit scheint der Ausschuß als so beherrschend angesehen zu haben, daß eine etwaige spekulative Laszivität oder Schmuddeligkeit dabei überdeckt wird. Die Mitglieder des Ausschusses scheinen sich von dem Gedanken leiten zu lassen, die Darstellung tierischer Triebhaftigkeit ohne Herz, ohne Zärtlichkeit, reiße der Sexualisierung des täglichen Lebens gleichsam die Maske herunter, um den Verrat der Liebe durch den Sexus um so erschreckender deutlich werden zu lassen.
Das ist das, was mir als Information aus zweiter Hand über die Begründung zuteil geworden ist.

Dr. Thomas Dehler (FDP):
Rede ID: ID0412103000
Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter Baier.

Fritz Baier (CDU):
Rede ID: ID0412103100
Herr Bundesminister, billigen Sie die Freigabe zur öffentlichen Vorführung ohne Schnittauflagen im Hinblick auf die Prüfmaßstäbe der Freiwilligen Selbstkontrolle, die Sie zum Teil auch dargelegt haben und in denen es heißt: Kein Film soll Themen, Handlungen oder Situationen darstellen, die geeignet sind, das sittliche oder religiöse Empfinden zu verletzen, entsittlichend oder verrohend zu wirken?

Hermann Höcherl (CSU):
Rede ID: ID0412103200
Zunächst darf ich sagen, daß jedes Mitglied der Bundesregierung auch nur den Anschein vermeiden möchte, irgendwelche Zensurrechte in Anspruch zu nehmen.

(Zustimmung in der Mitte.)

Wenn Sie aber meine private Meinung zu der Angelegenheit wissen wollen, darf ich Ihnen folgendes sagen. Der Film ist für die breite Öffentlichkeit bestimmt. Dazu gehören auch junge Menschen. Ein junger Mensch ist man auch dann noch, wenn man etwas älter als 18 Jahre ist. Der künstlerische Wert des Films hätte meines Erachtens nicht gelitten — das ist meine rein private Meinung —, wenn man in den drei mit Recht beanstandeten Szenen darauf Rücksicht genommen hätte.

(Zurufe von der CDU/CSU: Sehr richtig! — Ausgezeichnet!)


Dr. Thomas Dehler (FDP):
Rede ID: ID0412103300
Zu einer Zusatzfrage Frau Abgeordnete Geisendörfer.

Ingeborg Geisendörfer (CSU):
Rede ID: ID0412103400
Darf ich die Antwort der Bundesregierung dahin interpretieren, daß auch die Bundesregierung der Ansicht ist, daß die beabsichtigte Aussage dieses Films, „die Leere des modernen Menschen darzustellen, die ihn in die Hölle der Triebhaftigkeit und Sinnlosigkeit drängt", mit dieser Art der Darstellung nicht deutlich geworden ist, sondern daß vielmehr — um mit den Formulierungen der Freiwilligen Selbstkontrolle zu sprechen — das „sittliche Empfinden" verletzt worden ist, wobei es nach ihrer Auslegung und nach den Richtlinien nicht auf den „Inhalt" und die „Darstellung", sondern auf die „Wirkung" ankommt, die Wirkung also, die das sittliche Empfinden verletzt hat, und daß die Bundesregierung darum auch der Meinung der Fragesteller ist, daß die Freiwillige Selbstkontrolle hier eine Fehlentscheidung getroffen hat?

Hermann Höcherl (CSU):
Rede ID: ID0412103500
Frau Kollegin, ich habe mich sehr deutlich ausgedrückt und möchte von der Formulierung, die ich bereits gebraucht habe, nicht abweichen.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)


Dr. Thomas Dehler (FDP):
Rede ID: ID0412103600
Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter Zoglmann.

Siegfried Zoglmann (CSU):
Rede ID: ID0412103700
Hat der Herr Bundesinnenminister eine Vorstellung davon, um wieviel Millionen die Zahl der Zuschauer für diesen Film nach dieser Diskussion des Hauses ansteigen wird?

(Beifall bei der FDP, der SPD und Abgeordneten der CDU/CSU.)


Dr. Thomas Dehler (FDP):
Rede ID: ID0412103800
Bitte, Herr Minister, zur Beantwortung.

Hermann Höcherl (CSU):
Rede ID: ID0412103900
Herr Kollege Zoglmann, einen Kausalzusammenhang zwischen den beanstandeten Stellen und den Besucherzahlen rechnerisch festzustellen dürfte sehr schwierig sein, weil es sich um psychologische Vorgänge handelt.

(Beifall.)





Dr. Thomas Dehler (FDP):
Rede ID: ID0412104000
Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter Besold.

Dr. Anton Besold (CSU):
Rede ID: ID0412104100
Darf ich mir einmal die Frage erlauben, ob die Bundesregierung oder der Bundestag glaubt, daß der Rahmen einer Fragestunde überhaupt geeignet ist zur Abgabe einer Stellungnahme zu den so bedeutenden Problemen dieses Filmes, seien sie positiv oder negativ?

(Beifall auf allen Seiten.)


Dr. Thomas Dehler (FDP):
Rede ID: ID0412104200
Diese Frage kann nicht der Minister beantworten, die haben w i r zu beantworten.
Ich rufe die Frage V/6 — des Abgeordneten Baier (Mosbach) — auf:
Ist der Bundesregierung bekannt, welche Gründe die Filmbewertungsstelle der Länder (FBW) bewogen haben, dem Film Das Schweigen" das höchste Prädikat zu verleihen, das dieses Gremium zu vergeben hat, nämlich „besonders wertvoll"?
Bitte, Herr Minister.

Hermann Höcherl (CSU):
Rede ID: ID0412104300
Die Filmbewertungsstelle Wiesbaden ist eine durch Verwaltungsabkommen der Länder errichtete hessische Landesbehörde zur künstlerischen Einstufung von Filmen unter dem Gesichtspunkt der Ermäßigung oder der Befreiung von der Vergnügungsteuer. Der Bund war an ihrer Errichtung nicht beteiligt und wirkt auch bei ihren Entscheidungen nicht mit. Die Begründung der Filmbewertungsstelle wird der Bundesregierung nicht offiziell mitgeteilt. Ich bin genauso wie Sie auf Pressemeldungen angewiesen. Danach ist die Begründung der Zuerkennung des Prädikats zu umfangreich, als daß ihre Verlesung mit dem Wesen der Fragestunde vereinbar wäre, die nur für kurze Fragen und kurze Antworten gedacht ist.
Ich habe die Begründung hier. Ich habe eine Ablichtung von ihr machen lassen und kann sie dem Fragesteller sofort aushändigen, damit er sich über Einzelheiten informieren kann, die aus dem Zusammenhang gerissen kaum darstellbar wären.

Dr. Thomas Dehler (FDP):
Rede ID: ID0412104400
Herr Minister, vielleicht geben Sie diese Begründung zu Protokoll, damit sie gedruckt wiedergegeben wird *).
Herr Abgeordneter Baier zu einer Zusatzfrage.

Fritz Baier (CDU):
Rede ID: ID0412104500
Herr Bundesminister, billigen Sie die hohe Prädikatisierung „besonders wertvoll" — die eine vergnügungsteuerfreie Vorführung des Films erlaubt —, die in der Offentlichkeit soviel Kopfschütteln hervorruft?

Hermann Höcherl (CSU):
Rede ID: ID0412104600
Ich erklärte, daß es sich hier um eine hessische Landesbehörde handelt. Es ist nicht Aufgabe der Bundesregierung, Zensuren an Ländereinrichtungen auszugeben. Was ich hier ganz persönlich zu dem Film zu sagen habe, habe ich bereits deutlich genug in aller Abwägung gesagt.
*) Siehe Anlage 2

Dr. Thomas Dehler (FDP):
Rede ID: ID0412104700
Zu einer weiteren Zusatzfrage Herr Abgeordneter Baier.

(Zuruf von der SPD: Wieviel Fragen hat er noch?)


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0412104800
Sind Sie nicht der Auffassung, daß der Hinweis auf eine mögliche Aufwertung dieses Films, der hier gefallen ist, dort seine Grenze haben muß, wo eben alle Grenzen von Anstand und Sitte überschritten werden und damit der Staat und sein Interesse an Sauberkeit angesprochen wird?

Dr. Thomas Dehler (FDP):
Rede ID: ID0412104900
Herr Minister, bitte!

Hermann Höcherl (CSU):
Rede ID: ID0412105000
Herr Kollege, es ist eine Selbstverständlichkeit, und ich glaube das im Sinne des ganzen Hauses sagen zu können, daß dort, wo die Grenzen von Sitte und Anstand überschritten werden, eine Billigung nicht stattfinden kann. In welcher Form das geschieht, das ist eine ganz andere Frage.

Dr. Thomas Dehler (FDP):
Rede ID: ID0412105100
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Schwabe!

Wolfgang Schwabe (SPD):
Rede ID: ID0412105200
Herr Minister, Sie sprachen von der hessischen Stelle. Ist es nicht so, daß es eine kollegiale Stelle ist, bei der nur die äußere Dienstaufsicht über den Ablauf der technischen Dinge von dem hessischen Kultusministerium mit erledigt wird? Ich glaube, daß die Bezeichnung „hessische Stelle" — und ich hoffe, Sie teilen diese Auffassung — der Sachlage nicht ganz gerecht wird.

Hermann Höcherl (CSU):
Rede ID: ID0412105300
Herr Kollege Schwabe, ich wundere mich, daß Sie hier diese Frage stellen, da Sie keine landsmannschaftlichen Beziehungen zu Hessen haben. Aber ich darf erwidern: Ich habe den rechtlichen Charakter korrekt wiedergegeben und habe auch erwähnt, daß diese hessische Einrichtung auf Grund eines Verwaltungsabkommens zustande gekommen ist und daß sie kollegial arbeitet.

Dr. Thomas Dehler (FDP):
Rede ID: ID0412105400
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Kohut!

Dr. Oswald Adolph Kohut (FDP):
Rede ID: ID0412105500
Herr Minister, eine Vertrauensfrage: Haben Sie den Film überhaupt gesehen?

(Heiterkeit.)


Hermann Höcherl (CSU):
Rede ID: ID0412105600
Jawohl, aber unter Ausschluß der Öffentlichkeit.

(Große Heiterkeit und Beifall.)


Dr. Thomas Dehler (FDP):
Rede ID: ID0412105700
Eine weitere Zusatzfrage des Abgeordneten Kohut!




Dr. Oswald Adolph Kohut (FDP):
Rede ID: ID0412105800
Ist der Film der Regierung oder dem Kabinett vorgeführt worden?

(Erneute Heiterkeit.)


Hermann Höcherl (CSU):
Rede ID: ID0412105900
Nein, dazu hatte ich noch keine Gelegenheit. Ich habe aber im Innenministerium einen Filmvorführungsraum und habe mir zur angemessenen Vorbereitung auf diese Fragestunde den Film angesehen.

(Beifall bei der CDU/CSU.)


Dr. Thomas Dehler (FDP):
Rede ID: ID0412106000
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Unertl!

Franz Xaver Unertl (CSU):
Rede ID: ID0412106100
Herr Bundesminister, wäre es denn nicht möglich, nachdem schon so viel Reklame für diesen Film gemacht wird, auch eine geschlossene Vorstellung für alle Interessierten in diesem Hause zu veranstalten?

(Heiterkeit.)


Hermann Höcherl (CSU):
Rede ID: ID0412106200
Ich möchte annehmen, daß es keinem einzigen Mitglied des Hauses Schwierigkeiten irgendwelcher Art machen wird, den Film bei anderweitigen Vorführungen zu sehen.

Dr. Thomas Dehler (FDP):
Rede ID: ID0412106300
Ich rufe auf die Frage V/7 — des Herrn Abgeordneten Baier (Mosbach) —:
Ist der Bundesregierung bekannt, in welchen Staaten der Film „Das Schweigen" ebenfalls wie bei uns ohne Schnittauflagen zur öffentlichen Vorführung freigegeben wurde?

Hermann Höcherl (CSU):
Rede ID: ID0412106400
Ich muß zunächst die Feststellung vorausschicken, daß es hier wie auch schon in ähnlichen früheren Fällen unmöglich ist, zuverlässige Unterlagen beizuziehen. Ich bin deshalb darauf angewiesen, mich auf die Angaben des Verleihs zu verlassen. Ich habe auch keinen Anlaß, in diese Angaben Zweifel zu setzen. Nach diesen Angaben läuft der Film zur Zeit außer in der Bundesrepublik Deutschland in Schweden und Dänemark ohne Schnittauflagen. Mit Italien und Israel sollen zur Zeit Verhandlungen schweben. In den USA soll eine Schnittauflage von 55 Sekunden gemacht worden sein. Ebenso soll der Film in Norwegen nur unter Schnittauflagen freigegeben worden sein. In Argentinien ist der Film verboten. Von einem in der Presse berichteten Verbot in Frankreich ist dem Verleih nichts bekannt.

Dr. Thomas Dehler (FDP):
Rede ID: ID0412106500
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Baier!

Fritz Baier (CDU):
Rede ID: ID0412106600
Herr Bundesminister, entnehmen Sie nicht aus diesen Tatsachen, daß eine gewisse Lockerung der Spruchpraxis bei der Freiwilligen Selbstkontrolle festzustellen sein dürfte?

Hermann Höcherl (CSU):
Rede ID: ID0412106700
Ob man das an Hand eines einzelnen Falls sagen kann, möchte ich bezweifeln.

Dr. Thomas Dehler (FDP):
Rede ID: ID0412106800
Eine weitere Frage, Herr, Abgeordneter Baier!

Fritz Baier (CDU):
Rede ID: ID0412106900
Herr Bundesminister, auf Grund der Erfahrungen mit dem Film „Das Schweigen", aber auch mit anderen Filmen, die ich jetzt nicht namentlich nennen will, um sie nicht aufzuwerten, möchte ich doch fragen, ob nicht die heftige Kritik, die bei einem Großteil der Offentlichkeit vorhanden ist, Anlaß sein sollte, Form und Arbeitsweise der Institution der Freiwilligen Filmselbstkontrolle zu überprüfen, um zu vermeiden, daß die immer mehr um sich greifende Freigabe von Filmen, die Anstand und Sitte verletzen, aber insbesondere auch die Filmwerbung in Wort und Bild, die Bundesrepublik zu einem unrühmlichen Turnmelplatz machen.

Hermann Höcherl (CSU):
Rede ID: ID0412107000
Herr Präsident, die Frage, die jetzt gestellt worden ist, enthält zugleich die Frage 8. Wäre Herr Kollege Müller einverstanden, daß ich seine Frage schon jetzt beantworte?

Dr. Thomas Dehler (FDP):
Rede ID: ID0412107100
Herr Abgeordneter Baier, sind Sie damit einverstanden, daß zunächst die Frage 8 beantwortet wird? Wir werden dann auch Ihre Frage berücksichtigen. — Zunächst noch eine Zusatzfrage des Abgeordneten Bausch.

Paul Bausch (CDU):
Rede ID: ID0412107200
Herr Bundesminister, können Sie etwas darüber sagen, ob die Zeitungsnachricht richtig ist, daß die Aufführung dieses Films in Finnland verboten worden ist?

Hermann Höcherl (CSU):
Rede ID: ID0412107300
Das kann ich nicht sagen; aber ich werde es nachprüfen und Ihnen eine Mitteilung machen.

Paul Bausch (CDU):
Rede ID: ID0412107400
Danke!

Dr. Thomas Dehler (FDP):
Rede ID: ID0412107500
Ich rufe auf die Frage V/8 — des Herrn Abgeordneten Müller (Aachen-Land) —:
Wie bewertet die Bundesregierung die Tatsache, daß die „Freiwillige Selbstkontrolle" (FSK) offensichtlich einer einheitlichen und systematischen Spruchpraxis völlig entbehrt, indem z. B. in dem Film „Das Schweigen" Szenen unbeanstandet blieben, die in dieser Eindeutigkeit bislang niemals Gegenstand einer öffentlichen Vorführung waren, während in vielen anderen Filmen erheblich weniger anstößige Szenen mit einer Schnittauflage versehen wurden?
Bitte, Herr Minister.

Hermann Höcherl (CSU):
Rede ID: ID0412107600
Die etwa 160 Mitglieder der Prüfausschüsse der Freiwilligen Selbstkontrolle sind, von wenigen Ausnahmen abgesehen, ehrenamtlich tätig und werden deshalb in einem bestimmten Turnus zu den einzelnen Terminen herangezogen. Das hat eine unterschiedliche Besetzung der einzelnen Prüfgremien zur Folge, die



Bundesminister Höcherl
naturgemäß zu gewissen Unterschieden in der Beurteilung des einen oder anderen Falles führen muß. Insofern gibt es sicherlich keine strenge einheitliche Praxis.
Auf der anderen Seite glaube ich aber nicht, daß die Freiwillige Selbstkontrolle einer einheitlichen und systematischen Spruchpraxis völlig entbehrt. Die Wahrheit dürfte, wie so oft, in der Mitte liegen.
Für die Freiwillige Selbstkontrolle ist bei der Beurteilung des Films offenbar der Gesamtinhalt maßgebend gewesen. — Herr Kollege Baier, wenn ich gleich Ihre Frage beantworten darf: ich glaube weniger an Satzungen als an Männer.

(Bravo!-Rufe von der Mitte. — Abg. Bausch: Aber was passiert, wenn die Männer versagen?!)


Dr. Thomas Dehler (FDP):
Rede ID: ID0412107700
Herr Abgeordneter Müller zu einer Zusatzfrage!
Muller (Aachen-Land) (CDU/CSU): Herr Minister, ist Ihnen bekannt, daß die von mir in der Frage 8 skizzierte Uneinheitlichkeit der Spruchpraxis auch vom Verband der Filmhersteller in der Bundesrepublik bemängelt worden ist, also einem Verband, der als Interessent wohl das beste Bild darüber haben muß, welche Praktiken bei der Filmselbstkontrolle geübt werden?

Hermann Höcherl (CSU):
Rede ID: ID0412107800
Herr Kollege Müller, man muß auch die andere Seite berücksichtigen. Wir haben eine ganze Sammlung von Auflagen der Freiwilligen Selbstkontrolle, die doch beweist, daß mit Ernst an diese Fragen herangegangen wird. Ich glaube, man kann nicht auf Grund eines Falles, auch wenn da etwas mißlungen ist, die ganze, im übrigen sehr wertvolle Einrichtung angreifen, die sehr viel Gutes gestiftet hat. Was durch diese Einrichtung auf der Basis der Freiwilligkeit verhindert worden ist, ist sehr, sehr viel. Auch das sollte bei der Beurteilung ins Gewicht fallen.

(Beifall in der Mitte.)


Dr. Thomas Dehler (FDP):
Rede ID: ID0412107900
Eine weitere Frage des Herrn Abgeordneten Müller!
Müller (Aachen-Land) (CDU/CSU) : Herr Minister, glauben Sie nicht, daß trotzdem die Tatsache der Freigabe dieses Films ohne Schnittauflage die geschäftstüchtigen Hersteller von Filmen geradezu ermuntern kann, sich nunmehr auf dem als gangbar und sogar legal erwiesenen Wege weiterzubewegen und z. B. die Verfilmung der „Lady Chatterley" ins Auge zu fassen?

(Heiterkeit.)


Hermann Höcherl (CSU):
Rede ID: ID0412108000
Herr Kollege Müller, ich habe in einem anderen Zusammenhang erklärt, daß es bei uns keine Zensur gibt. Der wirkliche Zensor, den es allerdings in einer sehr beachtlichen Form gibt, ist die öffentliche Meinung, vor allem auch die öffentliche Meinung, die hier zum Ausdruck kommt. Ich glaube, die harte Diskussion, die dieser Vorgang ausgelöst hat, wird nicht ohne Einfluß bleiben; sie wird korrigierende Folgen haben.

(Beifall in der Mitte.)

Das ist meine Meinung.

Dr. Thomas Dehler (FDP):
Rede ID: ID0412108100
Herr Abgeordneter Dr. Schmidt (Wuppertal) !

Dr. Otto Schmidt (CDU):
Rede ID: ID0412108200
Herr Minister, ist es überhaupt möglich, anstößige Szenen in Filmen miteinander zu vergleichen, oder muß es nicht vielmehr so sein, daß die anstößige Szene im Zusammenhang gesehen wird und daß erst von ,der Tendenz des Zusammenhangs her beurteilt werden kann, ob die Szene in sich pornographisch oder anstößig ist? Ist es nicht gerade in diesem Film deutlich, daß sich der Regisseur innerlich gar nicht wohlgefällig mit den anstößigen Szenen identifiziert, sondern genau das Gegenteil bezwecken und hervorrufen will?

(Zurufe von der Mitte.)


Hermann Höcherl (CSU):
Rede ID: ID0412108300
Herr Kollege Schmidt, Sie würden mich, wenn ich Ihre Frage beantworten sollte, zu einer Zensurleistung veranlassen, die ich nicht abgeben will. Ich habe Ihnen meine private Meinung gesagt, die dahin geht, daß der künstlerische Wert dieses Filmes wahrscheinlich nicht gelitten hätte, wenn die betreffende Stelle anders behandelt worden wäre. Im übrigen bin ich Ihrer Auffassung, daß der Zusammenhang, nicht eine Einzelbetrachtung maßgebend gewesen sein wird, auch für die Angehörigen der Freiwilligen Selbstkontrolle.

Dr. Thomas Dehler (FDP):
Rede ID: ID0412108400
Ich rufe die Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten auf. Die Frage des Abgeordneten Faller ist zurückgezogen. Ich rufe die Frage II/2 — des Abgeordneten Mertes — auf:
Ist die Bundesregierung im Interesse der Verbraucher bereit, im Wege einer Änderung der Milchpreisverordnung vom 28. Juni 1963 den bisher üblichen dreiprozentigen Barzahlungsnachlaß im Einzelhandel wieder zuzulassen und damit der seit Monaten erklärten Bereitschaft des Lebensmitteleinzelhandels — vor allem der Filialbetriebe — zum Verzicht auf einen Teil der Spanne für Milch als wichtiges Grundnahrungsmittel Rechnung zu tragen?

Werner Schwarz (CDU):
Rede ID: ID0412108500
Nach eingehender Prüfung und Umfrage bei den Länderministerien bin ich im Einvernehmen mit dem Bundesministerium für Wirtschaft bereit, den Bundesrat um Zustimmung zu einer Änderung der Milchpreisverordnung vom 28. Juni 1963 in der Form zu bitten, wie sie in der Zuckerpreisverordnung vom 30. Juli 1958 gefunden ist. Danach gilt die Gewährung der gesetzlich zulässigen Barzahlungsnachlässe durch den Einzelhandel nicht als Festpreisunterschreitung.

Dr. Thomas Dehler (FDP):
Rede ID: ID0412108600
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Mertes.




Dr. Werner Mertes (FDP):
Rede ID: ID0412108700
Halten Sie es, Herr Minister, mit dem Gleichheitsprinzip auf dem Gebiet des Wettbewerbs für vereinbar, daß die Konsumgenossenschaften nach einem Urteil des Landgerichts Karlsruhe auch bei Milch eine Rückvergütung von 3 % gewähren können, während dem weitgehend mittelständigen Handel ein entsprechender Rabatt untersagt ist?

Werner Schwarz (CDU):
Rede ID: ID0412108800
Herr Kollege, ich kann mich erst nach Prüfung der Urteilsfindung zu einer Auskunft bereit erklären; ich darf sie Ihnen schriftlich geben.

Dr. Thomas Dehler (FDP):
Rede ID: ID0412108900
Ich rufe die Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Gesundheitswesen auf. Zunächst die Frage III/1 — des Herrn Abgeordneten Dr. Jungmann —:
Ist in absehbarer Zeit, ggf. in welcher Zeit, mit der Einbringung einer Neufassung des Krankenpflegegesetzes zu rechnen?

Dr. Elisabeth Schwarzhaupt (CDU):
Rede ID: ID0412109000

Der Entwurf eines neuen Krankenpflegegesetzes ist mit den Fachkreisen, den beteiligten Bundesressorts sowie den obersten Landesgesundheitsbehörden besprochen und nunmehr dem Herrn Bundesminister der Justiz zur Prüfung auf Rechtsförmlichkeit zugeleitet worden. Sobald diese Prüfung abgeschlossen ist, wird der Entwurf dem Kabinett zur Beschlußfassung zugeleitet werden. Einen genauen Zeitpunkt seiner Einbringung in den Bundestag vermag ich noch nicht vorauszusagen.
Frage III/2 — der Frau Abgeordneten Dr. Diemer-Nicolaus —:
Was gedenkt die Bundesregierung zu tun, um den f reiberuflichen Hebammen ein ihrem verantwortungsvollen Beruf angemessenes Einkommen zu sichern?
Bitte, Herr Staatssekretär.

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0412109100
Ich darf die Frage der Frau Abgeordneten Dr. Diemer-Nicolaus wie folgt beantworten: Die den freiberuflich tätigen Hebammen von den Krankenkassen zu zahlenden Gebühren sind durch eine Verordnung, die das Bundesgesundheitsministerium im Einvernehmen mit dem Herrn Bundesarbeitsminister am 23. Dezember 1963 mit Wirkung vom 1. April 1963 erlassen hat, um rund 28 % gegenüber den im Jahre 1960 festgesetzten Gebühren erhöht worden. Damit hat der Bund alles getan, was ihm in seiner Zuständigkeit nach geltendem Recht möglich war.

Dr. Thomas Dehler (FDP):
Rede ID: ID0412109200
Bitte, Frau Abgeordnete, eine Zusatzfrage.

Dr. Emmy Diemer-Nicolaus (FDP):
Rede ID: ID0412109300
Darf ich fragen, ob der Bundesregierung und der Frau Gesundheitsministerin das Schreiben der Hebammen vom 3. Februar 1963 mit den Anlagen bekannt ist und ob die Bundesregierung mit den hier aufgestellten Berechnungen übereinstimmt. Danach ergibt sich doch, daß die Anhebung keinesfalls geeignet ist, zu einer angemessenen Vergütung der Hebammen zu führen. Bargatzky, Staatssekretär im Bundesministerium für Gesundheitswesen: Frau Abgeordnete, das Schreiben ist uns bekannt. Wir können uns der Auffassung des Verbandes nicht ganz anschließen und betrachten die Gebührenerhöhung, über die, wie ich sagte, wir nicht allein zu befinden haben, als angemessen. Ich darf in diesem Zusammenhang erwähnen, daß, wenn ich nicht irre, die Steigerung der Preise und Löhne seit 1960, also seit dem Datum der letzten Erhöhung der Hebammengebühren, nicht so hoch ist wie die Erhöhung der durch die Verordnung festgesetzten Gebührensätze.

Dr. Thomas Dehler (FDP):
Rede ID: ID0412109400
Eine weitere Frage, Frau Diemer-Nicolaus.

Dr. Emmy Diemer-Nicolaus (FDP):
Rede ID: ID0412109500
Sind nicht schon damals die Gebühren gänzlich unzulänglich gewesen und ist nicht die Entlohnung der Hebammen, auf die Stunde umgerechnet, geringer als die der Raumpflegerinnen, und geht es außerdem nicht nur um die einmaligen Gebühren, sondern auch um die Garantie des Mindesteinkommens? Ich beziehe mich auf meine Frage, die ich schon im März 1962 gestellt habe, als die Bundesregierung eine alsbaldige Regelung und Verbesserung zugesagt hat.

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0412109600
Ich bitte meine Antwort nicht so zu verstehen, als ob wir für die bedrängte Lage der Hebammen nicht volles Verständnis hätten und nicht alles tun wollten, um sie zu verbessern. Sie haben mit Recht erwähnt, daß die Erhöhung der Gebührensätze nur eine Hilfe ist, die den Hebammen geboten werden kann. Für die Festsetzung des Mindesteinkommens ist der Bund allerdings nicht zuständig. Wie damals schon meine Frau Ministerin in der Fragestunde erwähnte, bleibt uns hier nur die Möglichkeit, auf die Länder, die diese Festsetzung vorzunehmen haben, einzuwirken. Wir haben das auch getan. Ich bin informiert, daß von den Ländern — ob in zureichendem Maße, vermag ich im Augenblick nicht zu sagen, weil die Regelungen örtlich verschieden sind — eine laufende Erhöhung des Mindesteinkommens vorgenommen wird.

Dr. Thomas Dehler (FDP):
Rede ID: ID0412109700
Ich danke Ihnen, Herr Staatssekretär.
Ich rufe die weiteren Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers des Innern auf, zunächst die Frage V/1 — des Abgeordneten Dr. Supf —:
Ist der Bundesregierung bekannt, daß wertvolle Löschgeräte, die für den Luftschutz gedacht sind, wegen unzureichender Unterbringung durch die Witterungseinflüsse verrotten, z. B. in Regensburg oder Fürstenfeldbruck?

Hermann Höcherl (CSU):
Rede ID: ID0412109800
Ich würde gern die beiden Fragen des Herrn Dr. Supf gemeinsam beantworten.

Dr. Thomas Dehler (FDP):
Rede ID: ID0412109900
Einverstanden! Frage V/2 — des Herrn Abgeordneten Dr. Supf —:
Welche Maßnahmen sind vorgesehen, um derartige in Frage Vil geschilderten Schädigungen zu verhindern?




Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0412110000
Schon am 4. Dezember des vergangenen Jahres, Herr Kollege Supf, hatte ich Gelegenheit, auf eine ähnliche Frage des Herrn Kollegen Haase (Kellinghusen) mitzuteilen, daß nach Auskunft aller Länder kein Gerät des Luftschutzhilfsdienstes für längere Zeit im Freien steht. Auf Grund der Anfrage des Herrn Kollegen Dr. Supf habe ich das Bayerische Staatsministerium des Innern nach den Verhältnissen in Regensburg und Fürstenfeldbruck befragt und die Mitteilung bekommen, daß in Regensburg nur ein Tanklöschfahrzeug stationiert und daß dieses ordnungsgemäß untergebracht ist. Auch in Fürstenfeldbruck sind im wesentlichen alle Geräte ordnungsgemäß untergebracht. Lediglich vorübergehend stehen dort insgesamt 26 Fahrzeuge im Freien, die erst vor wenigen Wochen von dem Bestückungslager Dransdorf abgeholt worden sind. An diesen Fahrzeugen müssen in Fürstenfeldbruck Kundendienstarbeiten vorgenommen werden. Bis zum 20. März, also bis morgen, sollen diese Fahrzeuge sämtlich in die neuen Standorte übergeführt werden; dort ist ihre ordnungsgemäße Unterbringung gewährleistet.

Dr. Thomas Dehler (FDP):
Rede ID: ID0412110100
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Liehr.

Harry Liehr (SPD):
Rede ID: ID0412110200
Herr Minister, ist Ihnen bekannt, daß bei einigen Bundesdienststellen zum Teil kostspielige Geräte für den Luftschutz angeschafft wurden, die jedoch nicht benutzt werden können, weil bisher niemand dafür ausgebildet worden ist?

Hermann Höcherl (CSU):
Rede ID: ID0412110300
Die Frage steht zwar in keinem Sachzusammenhang mit der von mir soeben beantworteten Frage, aber ich wäre für einen Hinweis dankbar, der es mir ermöglicht, die Dinge im einzelnen nachzuprüfen.

Dr. Thomas Dehler (FDP):
Rede ID: ID0412110400
Frage V/3 — des Herrn Abgeordneten Kreitmeyer —:
Welche Maßnahmen gedenkt die Bundesregierung zu ergreifen, um den Kindern zu helfen, die durch Versetzung des Vaters als Bundesbediensteten Schwierigkeiten haben, Anschluß an das jeweilige Schulsystem zu finden, und damit in ihrer Ausbildung erheblich gehemmt werden?

Hermann Höcherl (CSU):
Rede ID: ID0412110500
Die Bundesregierung hat schon im Jahre 1960 Schulbeihilferichtlinien erlassen. Sie gelten bei Versetzung eines Bediensteten an einen Dienstort, an dem eine geeignete höhere Schule nicht vorhanden ist. Ist die Schule mit täglicher Fahrt erreichbar, wird das Fahrgeld erstattet. Muß das Kind am auswärtigen Schulort wohnen, so wird Schulbeihilfe bis zu 120 DM im Monat gewährt. Ist an dem neuen Dienstort. keine Schule mit dem gleichen Lehrsystem vorhanden, können Aufwendungen für Umschulungsunterricht bis zum Betrage von 300 DM erstattet werden. Nach Inkrafttreten des Bundesumzugskostengesetzes am 1. Juli dieses Jahres werden Auslagen für Umschulungs- und Nachhilfeunterricht bis zur Höhe von 600 DM erstattet.

Dr. Thomas Dehler (FDP):
Rede ID: ID0412110600
Eine Zusatzfrage.

Reinhold Kreitmeyer (FDP):
Rede ID: ID0412110700
Herr Minister, wären Sie geneigt, zusätzlich die Frage zu prüfen, ob es sich bei der großen Zahl von Versetzungen von Bundesbediensteten nicht lohnen würde, mit diesen Mitteln an bestimmten Schwerpunkten Internate in irgendeiner Form für Kinder von Bundesbediensteten zu schaffen, so daß nicht nur die Fahrkosten, sondern auch die mit den Fahrten zum Schulort verbundenen zusätzlichen Belastungen für die Kinder wegfallen würden?

Hermann Höcherl (CSU):
Rede ID: ID0412110800
Das ist eine interessante Frage, Herr Kollege Kreitmeyer, die ich im Einvernehmen mit den Ländern und mit meinem Nachbarn zur Rechten prüfen werde.

Dr. Thomas Dehler (FDP):
Rede ID: ID0412110900
Frage V/4 — des Herrn Abgeordneten Kreitmeyer —:
Ist die Bundesregierung bereit, die von ihr eingereichte
4. Novelle zum Gesetz nach Artikel 131 im Hinblick auf den Mangel an Unteroffizieren in der Bundeswehr und auf die Feststellungen des Bundesverteidigungsministers über die Lage der ehemaligen Berufsunteroffiziere zu überprüfen?
Bitte, Herr Minister.

Hermann Höcherl (CSU):
Rede ID: ID0412111000
Der Entwurf eines Schlußgesetzes zum Gesetz nach Art. 131 des Grundgesetzes ist dem Deutschen Bundestag von der Bundesregierung am 17. Januar 1964 zugeleitet worden. Die Bundesregierung hat deshalb schon rechtlich keine Möglichkeit, im derzeitigen Stadium nochmals in eine Prüfung der von Ihnen angeschnittenen Fragen einzutreten. Die Bundesregierung hat sich im übrigen auch bei der Vorbereitung dieser Novelle eingehend mit der Lage der ehemaligen Berufsunteroffiziere befaßt und dabei erhebliche Verbesserungen für diesen Personenkreis beschlossen. So sollen die vielen Unteroffiziere, die am 8. Mai 1945 infolge Dienstbeschädigung dienstunfähig, aber nicht dauernd arbeitsverwendungsunfähig waren und deshalb bisher keine Versorgung erhielten, in Zukunft versorgungsberechtigt werden. Außerdem kommen den versorgungsberechtigten Berufsunteroffizieren die vorgesehenen allgemeinen Verbesserungen des 131 er-Versorgungsrechts zugute.
Ganz zum Schluß darf ich bemerken, daß ich in einen strengen finanziellen Rahmen von 60,3 Milliarden DM, der vom Haus gebilligt worden ist, eingepaßt worden bin und alle Überlegungen diesem Rahmen einzufügen hatte.

Dr. Thomas Dehler (FDP):
Rede ID: ID0412111100
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Kreitmeyer.

Reinhold Kreitmeyer (FDP):
Rede ID: ID0412111200
Herr Bundesminister, darf ich versuchen, kurz zusammenzufassen, — —

Dr. Thomas Dehler (FDP):
Rede ID: ID0412111300
Sie müssen- eine Frage stellen, Herr Kollege Kreitmeyer.

Reinhold Kreitmeyer (FDP):
Rede ID: ID0412111400
Herr Minister, ist Ihre Antwort so zu verstehen, daß Sie nicht auf Grund des vorliegenden Berichtes — der den' Abgeordneten ja



Kreitmeyer
erst seit einem Vierteljahr bekannt ist — noch einmal eine Revision vornehmen wollen?

Hermann Höcherl (CSU):
Rede ID: ID0412111500
Eine solche Frage kann nur im Ausschuß entschieden werden, und sie kann auch nur im Rahmen unserer finanziellen Ordnung entschieden werden. Das ist nicht Sache der Regierung, sondern jetzt hat das Parlament das Wort.

Dr. Thomas Dehler (FDP):
Rede ID: ID0412111600
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Hammersen!

Walter Hammersen (FDP):
Rede ID: ID0412111700
Herr Bundesminister, ist aus Ihrer Antwort und daraus, daß Sie das Wort „Schlußnovelle" so betont haben, zu folgern, daß die Bundesregierung der Meinung ist, daß auf Grund ihrer Vorlage dieser Gesetzeskomplex ein für allemal abschließend geregelt wird?

Hermann Höcherl (CSU):
Rede ID: ID0412111800
Das könnte man sagen.

(Abg. Kreitmeyer meldet sich zu einer Zusatzfrage.)


Dr. Thomas Dehler (FDP):
Rede ID: ID0412111900
Herr Abgeordneter Kreitmeyer, Sie haben kein Fragerecht mehr. Sie hatten zwei Zusatzfragen.

(Abg. Kreitmeyer: Ich habe noch eine zweite Zusatzfrage, Herr Präsident!)

— Sie haben bereits zwei Zusatzfragen gehabt.

(Abg. Kreitmeyer: Nein, ich habe noch keine zwei Zusatzfragen gehabt!)

— Doch, doch! Sie haben keine Frage mehr. Ich danke Ihnen, Herr Minister.
Wir kommen zu den Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers der Finanzen.

Dr. Rolf Dahlgrün (FDP):
Rede ID: ID0412112000
Herr Präsident, darf ich Ihr Einverständnis voraussetzen, wenn ich die drei Fragen des Herrn Kollegen Varelmann geschlossen beantworte?

Dr. Thomas Dehler (FDP):
Rede ID: ID0412112100
Einverstanden! Dann rufe ich auf die Frage VI/1, VI/2 und VI/3 —des Abgeordneten Varelmann —:
Ist es zutreffend, daß auf Grund des Mangels an Betriebsprüfern bei den Finanzverwaltungen der Länder, insbesondere in Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen, die Betriebsprüfungen nicht umfassend und termingerecht durchgeführt werden und auf der anderen Seite die Lohnsteuervergütungsanträge keine ausreichende gründliche Bearbeitung erfahren?
Ist die oft gehörte Behauptung zutreffend, daß mehr als eine Million Lohnsteuerpflichtige mehr an Lohnsteuer entrichten, als nach den gesetzlichen Bestimmungen gefordert wird?
Ist der Gleichheitsgrundsatz zwischen Einkommen- und Lohnsteuerpflichtigen gewahrt, wenn die wirtschaftlich Selbständigen ohne Antrag die zuviel entrichtete Einkommensteuer zurückerhalten, die Lohnsteuerpflichtigen aber nur auf Grund eines Antrages, obwohl die Finanzämter in einem Teil der Fälle an Hand der Lohnsteuerkarte die Überzahlungen feststellen können?

Dr. Rolf Dahlgrün (FDP):
Rede ID: ID0412112200
Nach § 162 Abs. 10 der Abgabenordnung ist für die
Durchführung von Betriebsprüfungen ein Prüfungsturnus nur für Großbetriebe vorgesehen, der drei Jahre betragen soll. Der nach den Statistiken der Jahre 1956 bis 1962 tatsächlich erreichte Prüfungsabstand beträgt vier Jahre. Der vorgeschriebene Prüfungsturnus ist also nahezu verwirklicht. Bei Mittelbetrieben beträgt der Prüfungsabstand etwa .sechs Jahre und bei Kleinbetrieben etwa 16 Jahre. Die Finanzverwaltungen der Länder sind bemüht, auch bei Mittel- und Kleinbetrieben die Prüfungsabstände zu verringern. Ohne wesentliche Personalvermehrung wird dieses Ziel in absehbarer Zeit jedoch nicht erreicht werden können.
Fälle, in welchen Betriebsprüfungen nicht umfassend durchgeführt wurden, sind dem Bundesministerium der Finanzen bisher nicht bekanntgeworden. Ebensowenig sind idem Bundesfinanzministerium bisher Umstände bekanntgeworden, ,die darauf schließen lassen, daß Lohnsteueranträge nicht mit der erforderlichen Sorgfalt bearbeitet würden.
Das Bundesfinanzministerium und die Finanzministerien der Länder legen besonderen Wert darauf, daß die Arbeitnehmer über die ihnen zustehenden Steuerersparnismöglichkeitenhinreichend unterrichtet werden. Auf meine diesbezüglichen Ausführungen in der Fragestunde am 16. Januar 1963 darf ich zur Vermeidung von Wiederholungen hinweisen. Die ständig steigende Zahl der Anträge auf Lohnsteuerermäßigung und auf Lohnsteuer-Jahresausgleich zeigt, daß die meisten Arbeitnehmer sich in ihren steuerlichen Belangen gut auskennen und sie zu wahren wissen. Trotzdem wird es vorkommen, daß einzelne Arbeitnehmer aus Unkenntnis oder vielfach auch aus persönlicher Bequemlichkeit davon absehen, entsprechende Anträge zu stellen. Es ist nicht bekannt, wie groß die Zahl dieser Arbeitnehmer ist. Feststellungen hierüber sind auch kaum möglich.
Bei Personen, die zur Einkommensteuer veranlagt werden, erfolgt die Erstattung von überzahlter Einkommensteuer erst, nachdem die Veranlagung zur Einkommensteuer durchgeführt worden ist. Die Vornahme einer Veranlagung setzt die Abgabe einer Erklärung voraus. Es trifft somit nicht zu, daß Einkommensteuerpflichtigen überzahlte Einkommensteuerbeträge ohne eigene Mitwirkung erstattet würden. Bei Arbeitnehmern hingegen wird der einer Veranlagung vergleichbare Lohnsteuerjahresausgleich in der überwiegenden Zahl aller Fälle bereits vom Arbeitgeber durchgeführt, und zwar ohne Mitwirkung der Arbeitnehmer. Der Arbeitgeber erstattet auch die überzahlte Lohnsteuer. Lediglich in den Fällen, in denen der Arbeitgeber den Jahresausgleich aus bestimmten Gründen nicht durchführen kann oder in denen ,der Arbeitnehmer im Anschluß an den bereits vom Arbeitgeber vorgenommenen Jahresausgleich einen weiteren Jahresausgleich beim Finanzamt beantragt, bedarf es eines Antrages. In diesen Fällen ist auch die Ausfüllung eines besonderen Antragsvordruckes erforderlich. Die Angaben in der Lohnsteuerkarte reichen in der Regel nicht aus, um den Jahresausgleich durchführen zu können.



Bundesminister Dr. Dahlgrün
Eine Benachteiligung der Arbeitnehmer gegenüber ,den veranlagten Einkommensteuerpflichtigen kann darin, daß das Finanzamt den Lohnsteuerjahresausgleich nur auf Antrag durchführt, nicht erblickt werden.

Dr. Thomas Dehler (FDP):
Rede ID: ID0412112300
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Varelmann.

Franz Varelmann (CDU):
Rede ID: ID0412112400
Herr Finanzminister, wie hoch schätzt die Bundesregierung die Steuerausfälle, die durch Idas Fehlen einer ausreichenden Zahl von Betriebsprüfern in 'diesem Jahr entstehen bzw. im vergangenen Jahr entstanden sind?

Dr. Rolf Dahlgrün (FDP):
Rede ID: ID0412112500
Ich glaube, daß .es ,etwas zuviel 'verlangt ist, hier eine Zahl zu nennen. Das kann ich wirklich nicht.

Dr. Thomas Dehler (FDP):
Rede ID: ID0412112600
Eine weitere Frage, Herr Abgeordneter Varelmann.

Franz Varelmann (CDU):
Rede ID: ID0412112700
Aus der Steuerpraxis ist bekannt, daß den Einkommensteuerpflichtigen durch die Möglichkeit, Ausgaben von der Einkommensteuer abzusetzen, Vorteile geboten werden, die den Lohnsteuerpflichtigen nicht gegeben sind. Ist die Bundesregierung bereit, bei der Lohnsteuer einen Arbeitnehmerfreibetrag einzuführen bzw. die Tarife danach zu 'gestalten? In welchen Ländern Europas kennt man bereits eine Vergünstigung für die Lohnsteuerpflichtigen?

Dr. Rolf Dahlgrün (FDP):
Rede ID: ID0412112800
Das ist eine solche Fülle von Fragen, Herr Kollege Varelmann, daß ich 'eigentlich gar nicht weiß, wo ich mit der Beantwortung anfangen soll. Die Bundesregierung ist laufend bemüht, unser Steuersystem ,so gerecht wie möglich auszugestalten.

Dr. Thomas Dehler (FDP):
Rede ID: ID0412112900
Sie haben keine Fragen mehr.

(Abg. Varelmann: Ich habe zu drei Fragen nur zwei Zusatzfragen gehabt!)

— Sie haben vollkommen recht; Sie haben weitere Zusatzfragen, insgesamt sechs; Sie sind ein reicher Mann.

Franz Varelmann (CDU):
Rede ID: ID0412113000
Die automatische Rückzahlung der zuviel gezahlten Lohnsteuer im Falle des Ausfalls durch Krankheit oder Arbeitslosigkeit erfolgt nur in Betrieben mit mehr als 10 Beschäftigten, aber nicht in Betrieben mit weniger als 10 Beschäftigten, und in den Betrieben mit mehr als 10 Beschäftigten nur zum Teil durch den Arbeitgeber. Wäre es aus diesem Grund nicht angebracht, in den Fällen, in denen die Finanzverwaltung an Hand der Lohnsteuerkarte die Überzahlung feststellen kann, die zuviel gezahlte Lohnsteuer automatisch rückzuvergüten?

Dr. Rolf Dahlgrün (FDP):
Rede ID: ID0412113100
Das geschieht ja in praxi bereits. Ich darf Sie im
übrigen darauf verweisen, daß morgen dem Bundesrat der Antrag auf Drucksache IV/1395 und IV/1929 vorliegt, durch den eine Ergänzung von § 107 Abs. 3 der Abgabenordnung erfolgen soll. Die Hilfeleistung in Lohnsteuersachen an Arbeitnehmer durch den Arbeitgeber für seine eigenen Leute und durch bestimmte Personenvereinigungen soll von dem Verbot der geschäftsmäßigen Hilfeleistung in Steuersachen ausgenommen werden. Auch das ist eine Maßnahme, diese Dinge möglichst zu vereinfachen.

Dr. Thomas Dehler (FDP):
Rede ID: ID0412113200
Eine weitere Frage, Herr Abgeordneter Varelmann.

Franz Varelmann (CDU):
Rede ID: ID0412113300
Herr Bundesfinanzminister, sind Sie bereit, die Fragen, die jetzt nicht mündlich beantwortet wurden, dem Hause schriftlich zu beantworten?

Dr. Rolf Dahlgrün (FDP):
Rede ID: ID0412113400
Ich würde Ihnen sogar vorschlagen, Herr Kollege Varelmann, mich gelegentlich einmal im Ministerium zu besuchen, damit wir den ganzen Komplex durchsprechen. Ich bin gern zu einer solchen Unterredung bereit.

Dr. Thomas Dehler (FDP):
Rede ID: ID0412113500
Ich rufe die Frage VI/4 — des Abgeordneten Dr. Kohut — auf:
Ist der Bundesregierung bekannt, daß Lohnsteuerzahler, die sich um den Lohnsteuerausgleich oder um Freibeträge für das laufende Jahr bemühen, zu Beginn jeden Jahres stundenlang in den Finanzämtern warten müssen, was zu Unzuträglichkeiten für den einzelnen und zu unabsehbaren Verlusten für die Volkswirtschaft durch Arbeitsausfall führt?

Dr. Rolf Dahlgrün (FDP):
Rede ID: ID0412113600
Herr Präsident, ich wäre dankbar, wenn ich auch die beiden Fragen — VI/4 und VI/5 — des Herrn Abgeordneten Dr. Kohut gemeinsam beantworten dürfte.

Dr. Thomas Dehler (FDP):
Rede ID: ID0412113700
Bitte sehr. Ich rufe dann noch auf die Frage VI/5 — des Herrn Abgeordneten Dr. Kohut —:
Was beabsichtigt die Bundesregierung zu tun, um diesem in Frage VI/4 geschilderten, für die Staatsbürger und für die Volkswirtschaft unerträglichen Zustand abzuhelfen?

Dr. Rolf Dahlgrün (FDP):
Rede ID: ID0412113800
Die Antwort, Herr Kollege Kohut, lautet: Der Bundesregierung ist bekannt, daß um die Jahreswende insbesondere bei städtischen Finanzämtern Stauungen in der Abfertigung von Steuerpflichtigen eintreten, die Anträge auf Rückzahlung von Lohnsteuer stellen wollen.
Die Unzuträglichkeiten bei den Lohnsteuerstellen können in erster Linie nur durch personelle und organisatorische Maßnahmen der Länderfinanzverwaltungen, auf die der Bund keine unmittelbare Einflußmöglichkeit hat, beseitigt oder gemildert werden. Eine Reihe solcher Maßnahmen ist bereits getroffen worden. Der Altersfreibetrag und ' die steuerfreien Pauschbeträge für Körperbehinderte werden schon bei Ausschreibung der Lohnsteuerkarten ohne Mitwirkung der Arbeitnehmer eingetragen. Viele Finanzämter haben je nach Bedarf



Bundesminister Dr. Dahlgrün
Abendsprechstunden eingeführt oder die Antragsteller nach den Anfangsbuchstaben des Familiennamens eingeteilt. Andere Finanzämter nehmen die Anträge in größeren Betrieben durch dorthin entsandte Amtsangehörige entgegen. Bei Großunternehmen werden die Anträge auf Lohnsteuerermäßigung und auf Lohnsteuerjahresausgleich häufig in den Lohnbüros der Betriebe gesammelt, dort geprüft und geschlossen abgegeben. Darüber hinaus werden die Lohnsteuerstellen in den kritischen Zeiten durch Beamte anderer Dienststellen erheblich verstärkt.
Unnötige Wartezeiten können außerdem durch Einreichung der Anträge auf dem Postwege vermieden werden. Den Arbeitnehmern entstehen hierdurch keinerlei Nachteile. Auch sollten die Arbeitnehmer ihre Anträge sogleich nach Erhalt der Lohnsteuerkarte, d. h. spätestens ab Mitte November des laufenden Jahres, und nicht erst zu Beginn des neuen Kalenderjahres stellen.
Im Rahmen des geplanten Steueränderungsgesetzes 1964 wird übrigens voraussichtlich eine Erhöhung des Pauschbetrages für Sonderausgaben vorgeschlagen werden. Dadurch tritt eine Vereinfachung des Lohnsteuerverfahrens und eine Verminderung der Antragsfälle ein. Darüber hinaus sollten die Bundesregierung und dieses Hohe Haus aber immer bestrebt sein, auch das materielle Lohnsteuerrecht zu vereinfachen.

Dr. Thomas Dehler (FDP):
Rede ID: ID0412113900
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Kohut.

Dr. Oswald Adolph Kohut (FDP):
Rede ID: ID0412114000
Herr Minister, würde durch eine Erhöhung der Pauschbeträge für Werbungskosten und Sonderausgaben nicht die Zahl der Anträge auf Lohnsteuerermäßigung, die mir mit 8,4 Millionen genannt wurde, reduziert und würden damit Arbeitskräfte der Finanzverwaltung frei gemacht?

Dr. Rolf Dahlgrün (FDP):
Rede ID: ID0412114100
Die Frage kann ich mit Ja beantworten. Aber es geht bei der Entscheidung darüber, was man tun soll, nicht allein darum, daß bei den Finanzämtern Arbeitskräfte gespart werden, sondern es geht auch darum, daß die Steuerverteilung gerecht bleibt. Außerdem ist dabei noch zu berücksichtigen, daß bei derartigen Maßnahmen, wenn sie wirklich nachhaltig, also in großem Umfange, durchgeführt würden, ein Steuerausfall entstände, den Bund und Länder bisher nicht glaubten tragen zu können.

Dr. Thomas Dehler (FDP):
Rede ID: ID0412114200
Eine weitere Frage, Herr Abgeordneter Dr. Kohut.

Dr. Oswald Adolph Kohut (FDP):
Rede ID: ID0412114300
Würde sich das nicht bei einer Erhöhung des Pauschbetrages für Werbungskosten angesichts der ungeheuren Zahl der Anträge ausgleichen?

Dr. Rolf Dahlgrün (FDP):
Rede ID: ID0412114400
Nein, ich glaube nicht; der Steuerausfall ist außerordentlich hoch.

Dr. Thomas Dehler (FDP):
Rede ID: ID0412114500
Eine weitere Frage, Herr Abgeordneter Dr. Kohut.

Dr. Oswald Adolph Kohut (FDP):
Rede ID: ID0412114600
Ist Ihnen bekannt, daß sich die Lohnsteuerpflichtigen gegenüber den Einkommensteuerzahlern, die sich meist noch eine individuelle Steuerberatung leisten können, sowieso benachteiligt fühlen?

Dr. Rolf Dahlgrün (FDP):
Rede ID: ID0412114700
Nein, bei der Lohnsteuer und bei der Einkommensteuer sind die Vorschriften so gegeneinander ausgewogen, daß es nach Möglichkeit nicht zu einer Bevorzugung der einen oder anderen Seite kommt.

Dr. Thomas Dehler (FDP):
Rede ID: ID0412114800
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Kohut.

Dr. Oswald Adolph Kohut (FDP):
Rede ID: ID0412114900
Bietet sich bei der Massenabfertigung mehrerer Personen zu gleicher Zeit und in den gleichen Räumlichkeiten, wozu es hier und da kommt, eine Gewähr für die Wahrung des Steuergeheimnisses im Sinne des § 22 der Abgabenordnung?

Dr. Rolf Dahlgrün (FDP):
Rede ID: ID0412115000
Ich glaube nicht, daß durch die Abfertigung das Steuergeheimnis in diesem Sinne beeinträchtigt wird.

Dr. Thomas Dehler (FDP):
Rede ID: ID0412115100
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Seuffert.

Walter Seuffert (SPD):
Rede ID: ID0412115200
Es ist also richtig, Herr Bundesfinanzminister, daß ein großer Teil der gerügten Mißstände bereits beseitigt wären, wenn dem schon lange vorliegenden Antrag der SPD auf Erhöhung der Sonderausgabenpauschale, sachlich gebilligt vom Finanzausschuß und von sämtlichen Ländern, bereits stattgegeben worden wäre, statt ihn, wie Sie anscheinend beabsichtigen, erst 1965 zu berücksichtigen?

(Beifall bei der SPD.)


Dr. Rolf Dahlgrün (FDP):
Rede ID: ID0412115300
Die Frage, Herr Seuffert, enthält außer der reinen Fragestellung auch einige politische Bemerkungen. Mir ist z. B. nicht bekannt, daß die Länder einverstanden gewesen sind. Aber, Herr Seuffert, wenn Sie ein Steueränderungsgesetz machen, so wissen Sie als Fachmann, daß das selbstverständlich seine Zeit braucht. Die Verzögerung, die inzwischen eingetreten ist, ist nicht zuletzt dadurch eingetreten, daß ich laufend Verhandlungen u. a. auch mit den Ländern geführt habe. Wenn das Steueränderungsgesetz fertig ist, wird es Ihnen vorgelegt werden. Es ist unmöglich — das werden Sie ebenfalls aus Ihrer langjährigen parlamentarischen Praxis wissen —, Einzelmaßnahmen vorzuziehen, wenn man ein geschlossenes Werk vorlegen möchte.

Dr. Thomas Dehler (FDP):
Rede ID: ID0412115400
Eine weitere Frage, Herr Abgeordneter Seuffert.




Walter Seuffert (SPD):
Rede ID: ID0412115500
Haben Sie, Herr Bundesfinanzminister, sich eigentlich jemals ernsthaft um die Zustimmung der Länder in dieser Frage der Erhöhung der Sonderausgabenpauschale bemüht, und welche Gründe waren denn wirklich dafür anzuführen, daß diese sachlich so klare Frage zurückgestellt werden sollte, bis Sie irgendwelche anderen Fragen im Steueränderungsgesetz regeln?

Dr. Rolf Dahlgrün (FDP):
Rede ID: ID0412115600
Ich habe mit den Länderfinanzministern das gesamte Problem behandelt. Kein Länderfinanzminister hat gewünscht, daß eine solche Regelung vorgezogen wird.

Dr. Thomas Dehler (FDP):
Rede ID: ID0412115700
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Schmidt (Wuppertal).

Dr. Otto Schmidt (CDU):
Rede ID: ID0412115800
Herr Minister, in Anknüpfung an die Frage von Herrn Kohut: Besteht nicht doch ein wesentlicher Unterschied zwischen einem Lohnsteuerpflichtigen einerseits und einem einkommensteuerpflichtigen selbständigen Gewerbetreibenden andererseits insofern, als der selbständige Gewerbetreibende noch Einziehungspflichten für den Staat wahrnimmt, und zwar bei den verschiedensten Steuern, und darüber hinaus auch noch das Abwälzungsrisiko bei Steuern wie der Umsatzsteuer und der Gewerbesteuer übernimmt?

(Beifall bei Abgeordneten in der Mitte und rechts.)

Dr. Dahlgrün, (Bundesminister der Finanzen: Das ist an sich selbstverständlich richtig, Herr Dr. Schmidt. Bloß ich bleibe bei meiner Antwort, die ich Herrn Dr. Kohut gegeben habe: daß wir im System natürlich bemüht sein müssen und bemüht sind, uns bei Lohnsteuer und Einkommensteuer möglichst gerecht nach beiden Seiten zu verhalten.

Dr. Thomas Dehler (FDP):
Rede ID: ID0412115900
Ich danke Ihnen, Herr Minister.
Wir sind damit am Ende der Fragestunde.
Wegen der Vordringlichkeit ist angeregt, das Gesetz über die Umstellung von Abgaben auf Mineralöl vorzuziehen und zu verabschieden. — Keine Erinnerung. Ich rufe also den Zusatzpunkt 3 auf:
Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU, SPD und FPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über Umstellung der Abgaben auf Mineralöl (Drucksache IV/2018);
Schriftlicher Bericht des Finanzausschusses (14. Ausschuß) (Drucksachen IV/2039, zu IV/2039).
Berichterstatter ist Herr Abgeordneter Dr. Stecker. Wird eine Ergänzung gewünscht? — Das ist nicht der Fall.
Wir kommen zur Einzelberatung. Ich rufe in zweiter Beratung auf Art. 1, — Art. 2, — Art. 3, — Einleitung und Überschrift. --
Das Wort wird nicht gewünscht.
Wir kommen zur Abstimmung. Grundlage der Abstimmung ist der Schriftliche Bericht (Drucksache IV/2039).
Wer den aufgerufenen Bestimmungen zustimmt, gebe bitte Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Einstimmig angenommen.
Ich schließe die zweite Beratung und eröffne die
dritte Beratung.
Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die dritte Beratung.
Wir kommen zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetz in der vorliegenden Form zustimmt, erhebe sich vom Platze. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Ich stelle die einstimmige Annahme fest.
Ich rufe Punkt 3 der gedruckten Tagesordnung auf:
a) Beratung des Antrags der Fraktion der SPD betreffend Vorlage eines Berichts über die Lebensverhältnisse der älteren Mitbürger (Drucksache IV/1922),
b) Große Anfrage der Fraktion der CDU/CSU betreffend die Situation der alten Menschen (Drucksache IV/1955).
Wer begründet den Antrag der Fraktion der SPD? — Frau Abgeordnete Korspeter hat das Wort.

Lisa Korspeter (SPD):
Rede ID: ID0412116000
Herr Präsident! Meine Herren und Damen! In der Regierungserklärung vom 18. Dezember 1963 wurde vom Herrn Bundeskanzler die Durchführung einer Sozialenquete angekündigt, die, so wurde wörtlich von ihm erklärt, die Grundlage dafür bilden soll, die sozialen Leistungen und Maßnahmen in ihrer Ganzheit und in ihren gegenseitigen Beziehungen überschaubar zu machen, und die die Voraussetzungen für eine Sozialgesetzgebung in einem Guß schaffen soll. Kurze Zeit danach konnte man einer Pressenotiz entnehmen, daß der zuständige Minister aufgefordert worden war, dem Bundeskanzler Vorschläge über eine solche Enquete und ihre Durchführung zu unterbreiten.
Für uns Sozialdemokraten war es selbstverständlich, daß wir eine solche Absicht nur begrüßen konnten — das hat Herr Erler in der Antwort auf die Regierungserklärung auch getan —; denn Sie wissen, wir waren von jeher der Meinung, daß sich die Sozialpolitik stärker als bisher auf die Erkenntnisse der Sozialforschung und der Sozialwissenschaft stützen muß, um auf der Basis einer Gesamtkonzeption zu einer sozialen Neuordnung zu gelangen, die unseren gesellschaftlichen Verhältnissen entspricht. Deshalb bedauern wir noch heute auf das lebhafteste, daß unser im Februar 1952 gestellter Antrag eine unabhängige soziale Studienkommission zu bilden, die eben die Voraussetzungen für eine Sozialpolitik aus einem Guß schaffen sollte, von der Mehrheit des Hauses aus uns heute noch völlig unerfindlichen Gründen abgelehnt wurde, es sei denn, dieser Antrag wurde abgelehnt, weil es ein sozialdemokratischer Antrag war.



Frau Korspeter
Offenkundig haben aber die Fehlentwicklungen in der sozialpolitischen Gesetzgebung die Bundesregierung nun endlich davon überzeugt, daß es für eine fundierte Sozialgesetzgebung notwendig ist, vor gesetzgeberischen Maßnahmen Grundlagenforschung zu betreiben, um Fehler zu vermeiden und die Sozialpolitik nicht — wie es bisher z. B. bei dem sogenannten Sozialpaket geschehen ist — in ein völliges Gegeneinander und Durcheinander zu bringen. Bis heute ist dem Parlament noch nicht bekannt, in welcher Richtung, in welcher Form und mit welchem Inhalt diese Sozialenquete im einzelnen durchgeführt werden soll.
Wir Sozialdemokraten halten aber ein Sonderproblem unserer Gesellschaft, dem immer mehr Bedeutung zukommt, für so wichtig, daß wir der Meinung sind, daß so schnell wie möglich dafür gesorgt werden sollte, eingehende Kenntnisse darüber zu gewinnen. Es handelt sich um die Lebensverhältnisse unserer älteren Mitbürger und um die Sicherung der ihnen gemäßen Lebensbedingungen.
Meine Fraktion legt deshalb dem Hause mit Drucksache IV/1922 einen Antrag vor, durch den die Bundesregierung beauftragt werden soll, dem Bundestag einen umfassenden Bericht über die Lebensverhältnisse unserer älteren Mitbürger vorzulegen, der alle Lebensbereiche umfassen soll. Wir wissen, daß sich das Interesse der Offentlichkeit, aber auch das der Mediziner, der Psychologen, der Soziologen und insbesondere der Politiker und der Sozialpolitiker in zunehmendem Maße darauf richtet, wie der aus dem Arbeitsprozeß Ausgeschiedene seinen Lebensabend verbringt, wie unsere älteren Mitbürger leben und welche Maßnahmen getroffen werden müssen, um ihnen in unserer Gesellschaft zu Lebensbedingungen zu verhelfen, die ihnen angemessen sind. Diese Fragen sind für uns alle deshalb so bedeutungsvoll, weil sich dieses Problem durch die Änderungen im Aufbau unserer Gesellschaft und auch durch die Strukturveränderungen bis hinein in die kleinste Gemeinschaft, nämlich die Familie, zu einem Zentralproblem unseres Gemeinschaftslebens entwickelt hat.
Nach Ermittlungen des Statistischen Bundesamtes lebten im Jahre 1960 in der Bundesrepublik bereits 5,7 Millionen Männer und Frauen im Alter von über 65 Jahren. Im Jahre 1900 waren von 1000 Personen im Deutschen Reich 49 älter als 65 Jahre. 1933 waren es 74, 1963 waren es in der Bundesrepublik 111, und 1980 werden 144 von 1000 Personen ihr 65. Lebensjahr vollendet haben. Wenn nicht mehr jeder 20. — wie 1900 —, sondern jeder 7. — wie 1980 — über 65 Jahre alt ist, so müssen wir dieser Gruppe unser besonderes Augenmerk schenken.
Wenn — in absoluten Zahlen betrachtet — 1939 3 Millionen im Alter von über 65 Jahren lebten, heute 6 Millionen leben und 1975 8 Millionen leben werden, so lassen diese Zahlen ganz deutlich erkennen, daß die Lebenslage, die Sorgen, die Wünsche unserer älteren Mitbürger das gesellschaftliche Gesicht unseres Volkes in steigendem Maße bestimmen werden.
Sicher wissen wir, daß es zu jeder Zeit eine bestimmte Altersproblematik gegeben hat, mit der sich die jeweilige Gesellschaft auseinandersetzen mußte. Aber in allen Ländern mit hochentwickelter Industrialisierung werden der gesamten Gesellschaft auf diesem Gebiet neue Aufgaben gestellt, und es werden verschiedenartige Versuche zu ihrer Lösung angestrebt.
In einer Gesellschaft, deren Mitglieder zu 80 % von Landwirtschaft lebten, in ,der die Großfamilie die soziale Institution war, hatte der ältere Mensch in dieser Familie seinen ihm angestammten, seinen sinnvollen und auch seinen wichtigen Platz. Heute dagegen haben wir 80 % Abhängige oder deren Angehörige, und das Bareinkommen — durch Einsatz der eigenen Kraft erworben — ist zur typischen materiellen Lebensgrundlage geworden. Wer aber heute kein Kapital besitzt und auch seine Arbeitskraft nicht mehr im Produktions-, Verteilungs- oder Verwaltungsprozeß einsetzen kann, der läuft Gefahr, von den entscheidenden Beziehungen unseres gesamten gesellschaftlichen Lebens abgeschnitten zu werden. In genau dieser Situation finden wir heute einen hohen Prozentsatz unserer älteren Mitbürger.
Die traditionelle Rolle des alten Menschen ist im Wandel begriffen. Ein älterer Mensch zu sein, ist heute etwas grundlegend anderes als vor 100 Jahren oder auch nur vor 50 Jahren.
Was diese Situation für den älteren Mitbürger bedeutet — materiell, gesundheitlich, gesellschaftlich —, das soll auf Grund des von uns eingebrachten Antrags erforscht und aufgezeigt werden. Dabei möchte ich einfügen, daß die Fragen, die in der Großen Anfrage der CDU/CSU gestellt werden, die nachher behandelt wird, eigentlich die Erledigung unseres Antrages voraussetzen, damit wir ganz genau wissen, auf welchem Boden wir uns in dieser Sache bewegen.

(Beifall bei der SPD.)

Der Zeitpunkt für eine solche Untersuchung ist günstig. Die Strukturen sind heute für uns sehr viel schärfer sichtbar, als sie etwa vor einigen Jahren infolge der Nachwirkungen des Krieges und des Neuaufbaus unseres Landes gewesen wären. Der große demographische Schub des Anteils der älteren Mitbürger von 11,1 % im Jahre 1963 auf 14,4 % im Jahre 1980 steht noch vor uns. Allerdings gilt es gerade auch deshalb, keine Zeit zu verlieren und diese Untersuchung in Angriff zu nehmen.
Bereits bei der Aussprache zur Regierungserklärung hat Herr Kollege Erler u. a. folgendes zu diesen Problemen unserer älteren Mitbürger gesagt:
Eine große gemeinsame Anstrengung aller lebendigen Kräfte unseres Volkes von den privaten Vereinigungen und den Parteien bis hin zu den Gebietskörperschaften aller Art muß durch einen politischen Impuls unserer Führungskräfte ausgelöst werden.
Herr Kollege Erler führte darauf weiter aus, und ich glaube, wir sollten das alle unterstreichen:



Frau Korspeter
Wir schulden dem Herrn Bundespräsidenten Dank für seinen warmherzigen Aufruf an unser Volk in dieser Sache.
Die Wissenschaft hat den ersten Schritt in das Neuland der Altenforschung getan. Wir sind aber überzeugt davon, daß sie ein gutes Stück weiterkommen wird, wenn wir hier im Parlament unserem Antrag folgen.
Sicher wissen wir, daß die Parlamente, Verwaltungen, freie Wohlfahrtsverbände und andere Organisationen nicht völlig im Dunkeln tappen, wenn sie das Problem der älteren Mitbürger aufgreifen. Wir wissen auch — das zeigt allerdings auch die Notwendigkeit einer umfassenden Untersuchung —, daß bereits einige Städte eigene Untersuchungen über die Lebenslage, über die Verhaltensweise und über die Erwartungen unserer älteren Mitbürger angestellt haben. Wir sehen auch — ich glaube, das muß von uns hier dankbar anerkannt werden —, daß von den Ländern, den Gemeinden und den freien Wohlfahrtsverbänden schon eine Reihe von Maßnahmen eingeleitet wurden, u. a. auch angeregt durch das Bundessozialhilfegesetz, das in seinem § 75 vorsieht, daß die Altenhilfe dazu beitragen soll, Schwierigkeiten, die durch das Alter entstehen, zu überwinden und Vereinsamung im Alter zu verhüten. Mit dieser Formulierung ist ein weiter Spielraum gegeben. Aber wir sind der Meinung, daß die genaue Kenntnis von den Lebensverhältnissen unserer älteren Mitbürger, von ihren Sorgen, ihren Wünschen und ihren Hoffnungen an die Gesellschaft die Voraussetzung für eine gute Hilfe und gezielte Maßnahmen ist. Ohne einen solchen Gesamtüberblick können die Aufgaben unseres Erachtens nicht befriedigend gelöst werden.
Der Bericht, den die Bundesregierung nach unserer Ansicht erstellen soll, sollte — ich habe das vorhin schon gesagt — deshalb alle Bereiche umfassen: die wirtschaftliche Lage, die Wohnverhältnisse, die gesundheitliche Lage und die gesellschaftliche Situation unserer älteren Mitbürger. Dabei legen wir ganz besonderen Wert darauf, daß der Bericht auch die Besonderheiten von Stadt und Land berücksichtigt, um das eigentlich als grundgesetzwidrig zu bezeichnende Gefälle zwischen Stadt und Land, das wir noch auf vielen Gebieten haben, auch in dieser Frage für uns alle aufzuhellen.
Wir legen weiterhin Wert darauf, den Stand der Forschung auf allen einschlägigen Fachgebieten, besonders auch im Vergleich zum Ausland, und ihre Förderung durch die öffentliche Hand in dem Bericht verankert zu sehen. Wir sind der Meinung, daß wir die Sache, um die es hier geht, so gründlich klären müssen, daß wir von der Flickschusterei wegkommen, die sich immer mehr in der offiziellen Sozialpolitik in der letzten Zeit breitgemacht hat, und daß wir alles tun sollten, um auf diesem Gebiet Fehlentscheidungen für die Zukunft zu verhüten.

(Beifall bei der SPD.)

Mit allem Sachverstand, mit Hilfe der jungen Wissenschaft der Altenforschung und der Altersmedizin sollen die Lebensverhältnisse unserer älteren Mitburger erforscht, erfaßt und dargestellt werden. Wenn Frau Dr. Hanna Behrens schon 1961 im Nachrichtendienst des Deutschen Vereins zu diesem Thema u. ,a. schrieb:
So darf man wohl sagen, daß manches, was in der Altersfürsorge noch nicht unsere Zustimmung findet,weniger auf mangelnder Einsicht beruht als auf mangelnder Erkenntnis vom Wesen und vom inneren Bedürfnis ,des alten Menschen
so ist es das Ziel unseres Antrages, uns allen, die wir uns mit diesem Problem zu beschäftigen haben, diese Erkenntnis zu verschaffen.
Meine Herren und Damen, wir bitten, diesen Antrag deshalb ,dem Sozialpolitischen Ausschuß — federführend — und dem Ausschuß für Kommunalpolitik und ,Sozialhilfe zur Mitberatung zu überweisen und den Sozialpolitischen Ausschuß idariiber hinaus gleichzeitig zu beauftragen, andere Ausschüsse, die von diesem Antrag berührt werden, im Laufe der Beratung gutachtlich zu hören.

(Beifall bei der SPD.)


Dr. Thomas Dehler (FDP):
Rede ID: ID0412116100
Damit ist der Antrag der Fraktion der SPD begründet.
Die Große Anfrage der Fraktion der CDU/CSU wird von der Frau Abgeordneten Schroeder begründet. Sie hat das Wort.

Christa Schroeder (CDU):
Rede ID: ID0412116200
Herr Präsident! Meine Damen ,und Herren! Die Sorge für die alten Menschen gehört zweifellos zu den ältesten sozialen Aufgaben überhaupt. Von den ersten Anfängen fürsorgerischen Tuns an haben sich kirchliche, private und staatliche Stellen der Altenhilfe als Aufgabe angenommen. 'Es ist also sicher kein neues Problem, mit dem wir uns heute hier zu befassen haben. Aber wir stehen doch vor einer ganz neuen Situation; Ida gebe ich Ihnen, Frau Kollegin, vällig recht. Sicher kann man sagen, daß das Problem der alten Menschen heute nicht mehr allein eine Frage der Sozialhilfe ist. Es ist in mancher Hinsicht ein Problem gesellschaftspolitischer Art von hoher Aktualität 'geworden.
Sicher ist richtig, daß uns eine gründliche Durchdringung dieser neuen, veränderten Situation noch fehlt. Insofern bejahen wir den Antrag der SPD durchaus. Ich meine sogar, daß sich der Antrag der SPD und die Große Anfrage der CDU/CSU recht gut ergänzen. Wenn man einen Patienten hat, so ist sicher beides nötig: eine gründliche Diagnose und auch eine wirksame und schnelle Therapie. Man darf nur über die allzu gründliche Untersuchung die Behandlung nicht so lange zurückstellen, bis sich die Krankheit verschlimmert.

(Zustimmung bei der SPD.)

Wir sind im Zweifel, ob es zur Hilfe für unsere alten Mitbürger das Dringendste ist, noch eine Enquete mehr in Auftrag zu geben. Wir wissen doch alle, daß eine so gründliche Analyse sehr viel Zeit braucht und daß sie oft schon überholt ist, wenn sie hier vorliegt. Wir sind jedenfalls ganz einfach da-



Frau Schroeder (Detmold)

von 'ausgegangen, daß wir uns fragten: Was ist das Dringendste für unsere alte Generation? Welches sind ihre ungelösten Probleme, und zwar die Probleme, bei denen speziell vom Bund aus geholfen werden müßte?
Wir haben versucht, die Punkte herauszugreifen, wo die Altenhilfe der Länder, Gemeinden und freien Wohlfahrtsverbände auf Grenzen stößt. Die Aufgabe ,der Altenhilfe ist ja zunächst einmal von diesen Stellen wahrzunehmen. Wir wollen diesen Aufgabenbereich in gar keiner Weise schmälern. Soeben ist schon gesagt worden: Der Bund hat ja bereits das Bundessozialhilfegesetzerlassen. Er hat damit eine Grundlage für ,die Altenhilfe geschaffen, die sich alsausgezeichnet erwiesen hat.

(Abg. Stingl: Sehr richtig!)

Es muß auch mit Genugtuung festgestellt werden, daß die Bereitschaft der Allgemeinheit zur Hilfe an ihren alten Mitbürgern in erfreulichem Maße gewachsen ist. Die Gemeinden und Verbände haben sich mit viel Initiative und Phantasie dieser Aufgaben angenommen. Ich möchte geradezu sagen, daß sich die Altenhilfe als ein Schulbeispiel dafür erwiesen hat, wie richtig es ist, daß sich, wenn es sich um eine solche Aufgabe handelt, bei der mitmenschliche Beziehungen angesprochen werden, zunächst einmal der kleine Kreis einer solchen Aufgabe annimmt, die Nachbarschaft, der Verband, die kirchliche oder politische Gemeinde.
Ich möchte im Namen meiner politischen Freunde noch eines sehr deutlich an den Anfang stellen: Zuallererst hat nach unserer Meinung die Verantwortung für ihre alten Angehörigen immer noch die Familie.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Es ist bereits manches über die veränderte Stellung zur Familie gesagt worden. Wir haben vieles gelesen, und es wird vieles geschrieben über die Lockerung der Bindung unserer alten Generation zur Familie und darüber, daß die Großfamilie, die mehrere Generationen umfaßt, wie sie früher natürlich und üblich gewesen ist, sich im industriellen Zeitalter aufzulösen beginnt. Es ist sicher richtig, daß die Industriegesellschaft von heute einfach mit sich bringt eine stärkere Fluktuation der jüngeren Generation, die ihre Arbeitsmöglichkeiten einmal hier, einmal dort hat. Die alte Generation aber will in der vertrauten Umgebung bleiben und bleibt damit allein.
Wir werden auch zu berücksichtigen haben, daß sehr viele Kriegsschicksale mitspielen und die Zerreißung durch Flucht und Vertreibung solch ein Alleinbleiben durchaus verstärkt. Der hohe Frauenüberschuß aus dem ersten Weltkrieg, der sich jetzt in den Jahrgängen über 65 auswirkt, hat auch noch seine Bedeutung. Solche zwangsläufigen Gegebenheiten müssen wir sicher hinnehmen. Trotzdem kann darüber gar kein Zweifel sein: wenn wir hier von Altenhilfe sprechen oder wo immer das geschieht, kann es nicht darum gehen, eine Aufgabe, die zum ureigensten Bereich der Familie gehört, auf den Staat oder auf die Allgemeinheit abzuschieben.

(Beifall in der Mitte.)

Wir sind nicht bereit, die Familie aus dieser Verantwortung zu entlassen. Wir sind auch nicht bereit, die Lockerung der Bindung an die Familie einfach als etwas Gegebenes hinzunehmen. Wir sind vielmehr der Meinung, daß man alles tun sollte, was diese Bindung erhält und wieder stärken kann, und daß man zunächst alle Möglichkeiten ausschöpfen muß, die es den Familien erleichtern, selbst für ihre alten und pflegebedürftigen Angehörigen zu sorgen, daß man hier also Hilfe zur Selbsthilfe treiben soll,

(Beifall in der Mitte)

nicht etwa, weil sich der Staat dieser Aufgabe entziehen will, sondern weil wir meinen, daß die Geborgenheit der Familie durch nichts auch für unsere alten Mitmenschen zu ersetzen ist. Ich meine, daß auch heute noch die Großmutter und der Großvater einfach zur Familie gehören als ein Teil der Familie

(Sehr richtig! bei der CDU/CSU)

und daß die Familie ärmer wird, wenn sie der alten Generation entbehrt.

(Sehr wahr! bei der CDU/CSU.)

Sehen wir uns einmal die Statistiken an. Frau Kollegin Korspeter hat soeben deutliche Zahlen genannt. Wir müssen erkennen, daß ein ganz besonders starker Prozentsatz unserer alten Menschen in. sogenannten Einzelhaushalten, also allein lebt. Die Aufgabe der Allgemeinheit wird groß genug sein, für diese Menschen zu sorgen, die der Geborgenheit der Familie entbehren müssen. Es wird hier z. B. gesagt, daß 29 % aller Frauen über 65 Jahre in Einzelhaushalten, also allein leben und 10 % der Männer, insgesamt 21 % der Personen über 65 Jahre. Hinzurechnen, glaube ich, muß man die 4 % unserer alten Menschen, die in Altersheimen wohnen, so daß wir insgesamt sagen können: Ein Viertel unserer alten Menschen lebt allein.
Nun, was wissen wir bereits über die Situation unserer alten Menschen, auch wenn uns eine umfassende Enquete noch fehlt? Was wissen wir über ihre Sorgen und Wünsche? Soeben ist schon gesagt worden, daß ein großer Teil von Einzelerhebungen aus Ländern, Städten oder auch aus den Wohlfahrtsverbänden vorliegen, aus denen man recht gute Schlüsse ziehen kann.
Zu den Hauptsorgen gehört zweifellos auch die wirtschaftliche Sicherung. Aber ich möchte gleich hinzufügen, daß wir in unserer Großen Anfrage diese wirtschaftliche Sicherung nicht angesprochen haben, weil wir uns ja eigentlich ständig mit dieser Frage beschäftigen. Wir haben jedes Jahr den Sozialbericht; wir haben jedes Jahr ein Rentenanpassungsgesetz. Wir wissen, daß die Sozialenquete in Vorbereitung ist. Sie wird etwaige Lücken, wenn diese vorhanden sein sollten, deutlich machen.
Ich möchte jedoch auf eine andere Schwierigkeit hinweisen, der sich unsere alte Generation gegenübersieht. Die alte Generation lebt heute in einer gegenüber der Zeit ihrer Jugend so stark veränderten Umwelt, wie kaum eine Generation vor ihr. Ich denke dabei nicht nur an die Menschen, die aus ihrer Heimat vertrieben und dadurch entwurzelt



Frau Schroeder (Detmold)

sind. Für sie trifft das natürlich ganz besonders zu. Ich denke auch daran, daß Technik und Verkehr in einem rapiden Fortschritt diese Umwelt verändert haben. Der Lebensstil hat sich gegenüber der Zeit vor etwa 50, 60 Jahren derart verändert, daß ein großer Teil unserer alten Menschen sich einfach in dieser neuen Umwelt nicht mehr zurechtfindet und ihr unsicher und ablehnend gegenübersteht.
Wie wünschen die alten Menschen zu leben? Übereinstimmend müssen wir feststellen, daß bei allen ein großer Hang nach Selbständigkeit besteht, solange sie noch eben dazu in der Lage sind. Sie wünschen, ihr Leben, ihren Tagesablauf selbst zu gestalten. Sie wünschen wohl den engen Kontakt mit ihrer Familie; aber gar nicht alle wünschen unbedingt mit ihr im gemeinsamen Haushalt zu leben. Genau so stark ist ihr Wunsch nach Sicherheit der Hilfe im Notfall. Man kann wohl sagen, daß Alterssicherung heute nicht mehr nur wirtschaftlich aufgefaßt werden kann. Sie besteht auch in dem Streben, betreut zu sein, Menschen zu haben, die bei Hinfälligkeit helfen können.
Sicher zu den stärksten Anliegen unserer alten Generation gehört der Wunsch nach Kontakt mit der Umwelt. Die alten Menschen wollen nicht ausgeschlossen sein. Sie wollen teilhaben am Leben. Sie wollen auch noch ein vollwertiges Mitglied der Gesellschaft sein. Ihr Leben soll einen Sinn haben. Der Feind der alten Menschen, den sie am meisten fürchten, ist die Einsamkeit. Gerade in unseren Großstädten besteht noch trotz aller Bestrebungen und aller Arbeiten ein unvorstellbares Maß an Einsamkeit.
Darum richtet sich unsere erste Frage nach den Menschen, die wir für alle diese Hilfsmaßnahmen brauchen. Keine wirtschaftliche Sicherung und kein noch so schöner Plan, auch kein Heim kann helfen, wenn wir nicht die Menschen haben, die diese Hilfe durchführen.
Als besonders wertvoll für die Altenhilfe haben sich die Einrichtungen der Hauspflege durch eine für ihre besondere Arbeit speziell vorgebildete Altenpflegerin erwiesen. Wir kommen damit dem Wunsch unserer alten Menschen entgegen, in ihrem Haushalt, in der ihnen vertrauten Umgebung solange wie möglich zu bleiben. Sie haben dann im Notfall Sicherheit und Hilfe. Wir würden dadurch auch das Verbleiben mancher pflegebedürftigen alten Menschen in der eigenen Familie ermöglichen.

(Beifall.)

Manche berufstätige Tochter, manche Familienmutter, die durch Haushalt und Kinder schon bis an den Rand ihrer Kräfte belastet ist, könnte mit Hilfe einer Altenpflegerin die alte Mutter oder den alten Vater im eigenen Haushalt behalten und brauchte die alten Menschen nicht in ein Heim zu geben.
Bei diesem Aufgabenkreis hat sich erwiesen, daß die Hilfe der Gemeinden und Wohlfahrtsverbände durchaus einmal an Grenzen stößt. Wir brauchen mehr Ausbildungsstätten für Altenhelferinnen. Wir brauchen einen verstärkten Ausbau der Hauspflegestationen. Wir fragen deshalb die Bundesregierung, ob sie Möglichkeiten sieht, durch zentrale Maßnahmen helfend einzugreifen, ob sie Möglichkeiten sieht, zusätzliche Kräfte zu gewinnen, um die Aufnahme solcher Tätigkeiten attraktiver zu gestalten. Sicherlich wird sich hierbei das Gesetz zur Förderung eines freiwilligen sozialen Jahres positiv auswirken; denn dadurch werden die Mädchen in den Heimen mit dieser Arbeit konfrontiert. Schon jetzt hat sich erwiesen, daß sie dadurch Freude an ihrer Arbeit bekommen und in dieser Arbeit bleiben.
Für ebenso wichtig halten wir die Lösung der Wohnungsfrage für unsere alten Mitbürger. Die altersgerechte Wohnung ist bereits zu einem Begriff geworden; hiermit ist eine Wohnung gemeint, die von den alten Menschen bewirtschaftet und auch bezahlt werden kann. Es ist sehr schwer, einen klaren Überblick darüber zu bekommen, wieviel alte Menschen eigentlich eine Wohnung suchen. Fest steht, daß ein unverhältnismäßig hoher Prozentsatz von ihnen zum Beispiel noch in ,Untermiete, also in unbefriedigenden Verhältnissen lebt. Wir wissen noch nicht, ob und wie vielen jetzt in den weißen Kreisen gekündigt worden ist. Dabei dürfen wir nicht übersehen, daß es manchmal durchaus im Sinne einer zweckmäßigen Wohnungsbewirtschaftung liegt, wenn ein alter Mensch, der allein in einer zu großen Wohnung lebt, diese für eine Familie freimacht. Aber es muß für die alten Menschen auch ein befriedigender Ersatz da sein.
In sehr vielen Gemeinden fehlt es noch an den nötigen altersgerechten Kleinwohnungen. Mit den allgemeinen Wohnungsbauförderungsmitteln sind sie nur sehr schwer zu erstellen, und die Wohnungsbauträger sind auch nicht immer bereit, solche Wohnungen zu bauen. Gute Maßnahmen, die in den Großstädten bereits durchgeführt sind, dürfen uns nicht darüber hinwegtäuschen, daß in den kleineren Städten, in den Landgemeinden und in den Landkreisen noch großer Mangel herrscht.
In diesem Zusammenhang begrüße ich den Antrag der CDU vom 4. März 1964 auf Drucksache IV/2010 und die Debatte vom 5. März. In beiden ist bereits angeklungen, daß speziell für diesen Personenkreis etwas getan werden soll. Es wäre sehr wünschenswert, daß für solche Wohnungen Darlehen und Zinszuschüsse gegeben würden. Ich begrüße auch die von Herrn Minister Lücke angekündigten Maßnahmen, die zum Ziel haben, die Wohnungen des sozialen Wohnungsbaues auf die Dauer wieder denen zuzuführen, für die sie gedacht waren.

(Beifall in der Mitte.)

Ich glaube, daß dadurch manchen alten Rentnern Hilfe gebracht werden könnte.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Wenn wir uns die Bindung an die Familie angelegen sein lassen wollen, sollten wir auch Erwägungen anstellen, wie es den Familien erleichtert werden kann, in Eigenheimen Einliegerwohnungen für ihre alten Angehörigen mitzubauen.
Zu unserer Frage 3 darf ich folgendes sagen. Angesichts des Wunsches der alten Generation nach Selbständigkeit, solange das möglich ist, und Hilfs-



Frau Schroeder (Detmold)

möglichkeit im Notfall tritt immer mehr das Altenwohnheim in den Vordergrund, das heißt die heimmäßige Zusammenfassung von Kleinstwohnungen mit eigenen Küchen unter einer gewissen Betreuung, sei es, daß sie neben einem Altersheim liegen, sei es, daß eine Gemeindepflege- oder Hauspflegestation vorhanden ist oder daß sie eine Altenpflegerin beherbergen. Es gibt die mannigfachsten Formen. Diese Altenwohnheime erfreuen sich bei unseren alten Mitbürgern zunehmender Beliebtheit.
Die Arbeitsgemeinschaft der freien Wohlfahrtsverbände hat eine sehr sorgfältig erarbeitete Denkschrift über den Bedarf an Heimplätzen vorgelegt. Sie hat darin einen Fehlbedarf von 126 000 Heimplätzen festgestellt, wobei der Schwerpunkt auf 55 000 Plätzen in Altenwohnheimen liegt, während 52 000 Plätze in Altenpflegeheimen und 18 000 Plätze in Altersheimen benötigt würden. Der Plan der freien Wohlfahrtsverbände geht darauf aus, in 12 Jahren je 10 000 Heimplätze zu schaffen, wobei mit einem Gesamtaufwand von jährlich 300 Millionen gerechnet wird. Daß dies nur in gemeinsamen Anstrengungen aller Stellen geschafft werden kann, liegt auf der Hand. In dem Finanzierungsplan der Verbände ist der Wunsch ausgesprochen, der Bund möge sich mit 10 % beteiligen. Selbst wenn man sich auf den Standpunkt stellt, daß die Erstellung der üblichen Altersheime Sache der Länder sei, so sollte der Bund doch die Schaffung von Wohnheimen fördern. Er sollte sich auch die Erstellung von Altenpflegeheimen, die eine gute Entlastung der Krankenhäuser bringen könnten, angelegen sein lassen. Unsere Frage geht dahin, was hier getan werden kann.
Ausgehend von der Erkenntnis, daß der alte Mensch noch ein vollwertiges Mitglied der Gesellschaft bleiben möchte, daß er noch nützlich sein will, daß er noch „mittun" möchte, daß er darunter leidet, ausgeschlossen zu sein, fragen wir nach der Möglichkeit einer sinnvollen Betätigung.
Bereits das Bundessozialhilfegesetz schreibt die Hilfe zu einer solchen sinnvollen Betätigung, die der Konstitution des alten Menschen angepaßt ist, vor. Gerade über diesen Punkt hat der Herr Bundeskanzler dankenswerterweise in seiner Regierungserklärung gesprochen. Ich habe aber den Eindruck, daß hier noch ein sehr unerprobtes Gebiet in der Bundesrepublik ist. Von dieser Möglichkeit des Bundessozialhilfegesetzes scheint mir am wenigsten Gebrauch gemacht worden zu sein.

(Sehr richtig! bei der CDU/CSU.)

Ich halte das nicht für berechtigt. Es wäre durchaus zu begrüßen, wenn eine spezielle Untersuchung sich einmal mit dieser Frage befaßte.
Was wünschen auf diesem Gebiete eigentlich unsere alten Mitbürger? Kann hier dem Unbefriedigtsein der alten Menschen Abhilfe geschaffen werden? Ich habe gehört, daß viele von ihnen bereits zur Selbsthilfe geschritten sind, daß sie sich zu Altenklubs zusammengetan haben, die es sich zur Aufgabe gemacht haben, anderen mit Rat und Tat zu helfen, und die gelegentlich Arbeiten, die ihnen gemäß sind, übernehmen. Es scheint also durchaus notwendig zu sein, diesen Aufgabenkreis einmal einer Prüfung zu unterziehen.
Zu unserer nächsten Frage möchte ich sagen, daß wir in der Möglichkeit, die Träger der Sozialversicherung und Versorgung für die Einrichtungen der Altenhilfe einzusetzen, eine sehr sinnvolle Maßnahme sehen würden, gerade weil man die Alterssicherung nicht mehr nur als wirtschaftliche Maßnahme, sondern auch als Sicherstellung der Betreuung ansehen muß.
Mit unserer letzten Frage bitten wir die Bundesregierung um Auskunft: Wo sonst sieht sie noch die Notwendigkeit, die Altenhilfe der Länder, Gemeinden und freien Wohlfahrtsverbände zu ergänzen? Etwa auf dem Gebiet gesundheitlicher Maßnahmen und Vorsorge? Hier meine ich allerdings, daß gerade hier die Länder dankenswerterweise ganz besonders aktiv geworden sind. Vielleicht sollte man auch einmal auf dem Gebiet der Beratung der alten Menschen etwas mehr tun, als bisher getan worden ist. Eine Umfrage in einer kleinen Stadt meines Heimatkreises hat z. B. ergeben, daß viele alte Menschen nicht in den Genuß der ihnen gesetzlich zustehenden Aufwendungen gekommen sind, weil sie die Wege noch immer nicht wissen.

(Hört! Hört! bei der CDU/CSU.)

Trotz aller Bestrebungen liegt hier, glaube ich, noch manches brach.
Ich habe mit großem Interesse den letzten Jahresbericht des Kuratoriums Deutsche Altenhilfe gelesen. Das Kuratorium hat mit seinen Mitteln genau bei den Aufgaben ansetzen müssen, von denen wir in unserer Großen Anfrage gesprochen haben, d. h. insbesondere bei der Ausbildung und Gewinnung von Altenpflegerinnen und bei der Erstellung von altersgerechten Kleinwohnungen. Es hat sich also auch hier gezeigt, daß die überörtliche Stelle den örtlichen Maßnahmen zu Hilfe kommen muß.
Wenn in den von uns angeschnittenen Fragen die Möglichkeiten der Hilfe geprüft werden und ihre Lösung gegebenenfalls in Angriff genommen wird, wird unseren alten Mitbürgern manche Sorge genommen werden können.
Wir bitten deshalb die Bundesregierung um Antwort auf die von uns gestellten Fragen.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)


Dr. Thomas Dehler (FDP):
Rede ID: ID0412116300
Die Große Anfrage der Fraktion der CDU/CSU wird beantwortet von dem Herrn Bundesminister des Innern. Er hat das Wort.

Hermann Höcherl (CSU):
Rede ID: ID0412116400
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Namens der Bundesregierung beantworte ich die Große Anfrage im Einvernehmen mit dem Herrn Kollegen von der Finanz, dem Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung, dem Bundesminister für Familie und Jugend, dem Bundesminister für Gesundheitswesen und dem Bundesminister für Wohnungswesen, Städtebau und Raumordnung wie folgt:



Bundesminister Höcherl
Die Sorge für die ältere Generation und die soziale Sicherung des Lebensabends arbeitender Menschen sieht der moderne Sozialstaat als wichtigen Teil seiner Aufgaben an. Die strukturellen Veränderungen in der Bevölkerung, insbesondere das Ansteigen der Lebenserwartung, und die Anerkennung gesteigerter Lebensbedürfnisse fordern dabei neue Formen der sozialen Hilfe auch für unsere betagten Mitbürger. Auch hier gilt das Leitbild des Grundgesetzes, das mit dem Begriff des „sozialen Rechtsstaates" das Recht des einzelnen auf eine soziale Sicherung gewährleistet, die der Würde des Menschen entspricht. Die Bundesregierung hat sich bei ihren sozialen Maßnahmen stets von dem Gedanken leiten lassen, daß auch die Lage der älteren Generation unseres Volkes wirksam und nachhaltig zu verbessern ist. Die Bundesregierung stellt fest, daß ihr dies in einem erfreulichen Umfang bereits gelungen ist. Sie wird ihre Bemühungen auf den Teilgebieten, auf denen es notwendig erscheint, fortsetzen. Sie wird dabei besonders darauf hinwirken, daß die Familie in den Stand gesetzt wird, ihrer Betreuungs-, Schutz- und Pflegeaufgabe gerecht zu werden.
Nun darf ich mich der Frage 1 zuwenden und zunächst einmal den Begriff „Hauspflege" definieren. Unter Hauspflege für alte Menschen versteht man deren vorübergehende pflegerische und hauswirtschaftliche Betreuung in ihrer Häuslichkeit durch eine Pflegeperson, die von einem die Hauspflege ausübenden freien oder öffentlichen Träger sozialer Arbeit bestellt. ist. Voraussetzung ist ein durch Krankheit oder andere soziale Gründe verursachter Notstand, für dessen Behebung keine anderen Kräfte zur Verfügung stehen.
Nach einer vor zwei Jahren von den Wohlfahrtsverbänden durchgeführten Erhebung waren etwa 3 000 hauptberufliche sowie 10 000 nebenberufliche und ehrenamtliche Hauspflegerinnen im Bundesgebiet tätig. Die Zahlen sind seitdem erfreulicherweise wieder angestiegen. Die Ausbildung einer Hauspflegerin dauert ein Jahr. Die Verbände der freien Wohlfahrtspflege, die weit überwiegend Träger dieser Hauspflege sind, verfügen heute über 14 Ausbildungsstätten. Eine Ausbildungs- und Prüfungsordnung, die eine staatliche Anerkennung durch die Länder vorsieht, wird von den Spitzenverbänden der freien Wohlfahrtspflege vorbereitet und voraussichtlich in wenigen Monaten den Landesregierungen vorgelegt werden können. Wird dem Vorschlag entsprochen, so dürfte dieser Sozialberuf, auch für junge Menschen, größere Anziehungskraft gewinnen. Dem Vorschlag der Bundesregierung, im Haushalt des Bundesministeriums des Innern 250 000 DM für zentrale Maßnahmen in der Hauspflege bereitzustellen — der Antrag wurde schon 1959 gestellt —, ist der Bundestag damals leider nicht gefolgt.
Auf dem Sondergebiet der Hauskrankenpflege veranstalten die Verbände der freien Wohlfahrtspflege Lehrgänge, die 22 Wochen dauern und den Charakter der Umschulung tragen. Sie werden von der Arbeitsverwaltung mit Zuschüssen ausgestattet. Außerdem vermitteln die Wohlfahrtsverbände, z. B. die Landesverbände des Roten Kreuzes, eine Ausbildung in der häuslichen Krankenpflege. Es ist nichts darüber bekanntgeworden, daß die Ausbildungsstellen der gesetzlich normierten Ausbildung in der Krankenpflege und der halbjährigen Ausbildung in der Hauskrankenpflege sowie die Abendkurse in der häuslichen Krankenpflege für die Anmeldungen bisher nicht ausgereicht hätten.
Nach der Ubersicht eines Landes, die ich beispielsweise anführen darf, umfaßte im Jahre 1962 die Tätigkeit von Haupflegerinnen für alte und gebrechliche Menschen 30 bis 45 % aller Hauspflegefälle. Bei alten Menschen wird die Hauspflegerin meistens über längere Zeit benötigt. Durch die Pflegesätze, die zwischen 10 und 18 DM täglich liegen, können die Gesamtkosten aber nicht gedeckt werden. Aus diesem Grunde haben bereits acht Länder in den Haushaltsplänen für 1963 pauschale Zuschüsse für die Träger der Hauspflege vorgesehen. Die Bemühungen, die Sozialversicherungsträger zur Bereitstellung solcher pauschaler Zuwendungen zu veranlassen, werden fortgesetzt.

(Vorsitz: Vizepräsident Dr. Jaeger.)

Die Bundesanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung versucht laufend, geeignete Bewerberinnen für den Beruf der Altenpflegerin zu gewinnen, und unterstützt die Ausbildung in vielen Fällen. Wieviel geeignete Frauen in Zukunft für den Beruf gewonnen werden können, ist schwer zu sagen. Das Interesse der Frauen hängt u. a. davon ab, welche anderen Arbeitsmöglichkeiten geboten werden und ob die Arbeitsbedingungen, vor allem die Regelung der Arbeitszeit, den Wünschen der Frauen entsprechen. Die Bundesanstalt wird ihre Bemühungen fortsetzen und auch weiterhin die Ausbildung der Altenpflegerin finanziell unterstützen.
Die Finanzierung der Einzelfälle ermöglicht das Bundessozialhilfegesetz durch die Hilfe zur Pflege und durch die Hilfe zur Weiterführung des Haushalts. Auch die in Aussicht genommene Krankenversicherungsreform hatte Bestimmungen zur Förderung dieser Aufgaben vorgesehen. Mein Haus hat im übrigen im Einvernehmen mit den beteiligten Ressorts die beamtenrechtlichen Beihilfevorschriften in Krankheits-, Geburts- und Todesfällen durch die Verwaltungsvorschriften vom 14. 1. 1964 — also ganz neue Vorschriften — dahin gehend ergänzt, daß bei stationärer Unterbringung der sonst den Haushalt führenden Person die Kosten für eine Familien- und Hauspflegerin bis zum Betrag von 12 DM täglich als beihilfefähig anerkannt werden können. Diese Beihilfebestimmungen gelten auch für die Versorgungsempfänger des Bundes; sie finden auch in den meisten Ländern Anwendung.
Die Hauspflege hat in den letzten Jahren einen beachtlichen Aufschwung genommen. Die Bundesregierung hält zwar die bestehenden Einrichtungen der Hauspflege noch nicht für ausreichend — um auf diese Frage nun ganz spezifisch zu antworten —, um den Bedarf, insbesondere auch für gebrechliche und alte Menschen, zu decken. Sie ist aber überzeugt, daß sich die Zahl der Betreuungskräfte infolge der gemeinsamen Bemühungen des Bundes, der Länder, der Sozialversicherungsträger, der freien



Bundesminister Höcherl
Wohlfahrtsverbände und der Frauenorganisationen erhöhen wird. Dazu könnte auch eine Erweiterung der Möglichkeiten zur Gewährung von Ausbildungs-und Fortbildungsbeihilfen für die sozialen Berufe beitragen.
Ich darf mich nun der Frage 2 zuwenden.
Nach dem Zweiten Wohnungsbaugesetz sind Bund, Länder und Gemeinden verpflichtet, bei der allgemeinen Wohnungsbauförderung den Bedürfnissen Alleinstehender und älterer Ehepaare in angemessenem Umfang Rechnung zu tragen. Diese Förderung erstreckt sich sowohl auf den Bau von Wohnungen als auch auf den Bau von Altersheimen. Soweit sich beim Bau von Altenwohnungen im Einzelfall eine Miete ergibt, die nicht tragbar ist, wird ergänzend eine Miet- oder Lastenbeihilfe gewährt. Bei der Förderung wird besonderer Wert darauf gelegt, daß Wohnverhältnisse geschaffen werden, die den besonderen Lebensbedürfnissen der alten Menschen entsprechen. Hierzu sind folgende Gesichtspunkte hervorzuheben:
Der Wohnungsbau für Alte sollte mit dem Ziele betrieben werden, daß innerhalb geschlossener Siedlungen drei Arten der Unterbringung für alte Menschen möglich sind:
1. für alte Alleinstehende und für alte Ehepaare, die körperlich noch imstande sind, sich selbst zu versorgen und ihren Haushalt zu führen: Unterbringung in ebenerdigen, höchstens aber in zweigeschossigen Reihenhaustypen mit voll ausgestatteten 1-, 11/2- und 2-Zimmerwohnungen mit ferngespeister Zentralheizung;
2. für alte Alleinstehende und alte Ehepaare, die körperlich nur beschränkt imstande sind, sich selbst zu versorgen und ihren Haushalt zu führen: Unterbringung ebenfalls in ebenerdigen Reihenhaustypen mit entsprechend ausgestatteten 1-, 11/2- und 2-Zimmerwohnungen;
3. für behinderte und pflegebedürftige alte Menschen: Unterbringung in Wohnblöcken mit Appartementwohnungen.
Für die mit Bundesmitteln geförderten Demonstrativbauten, bei denen es sich ausschließlich um geschlossene Wohnsiedlungen handelt, sind in die vom Bundesministerium für Wohnungswesen, Städtebau und Raumordnung aufgestellten Richtlinien entsprechende Leitsätze für den Wohnungsbau für Alleinstehende und alte Menschen aufgenommen und damit zur Auflage für die Förderung gemacht worden.
Nun zur Frage 3!
Da die Bundesregierung selbst die Vorsorge für die Wohnraumversorgung alter Menschen über die bisherigen Bestimmungen des Zweiten Wohnungsbaugesetzes hinaus zu verstärken beabsichtigte, begrüßt sie die Pläne der Bundesarbeitsgemeinschaft der freien Wohlfahrtspflege.
Im Verfolg der vom Bund beabsichtigten Maßnahmen hat der Bundesminister für Wohnungswesen, Städtebau und Raumordnung in der vorbereiteten Novelle zum Zweiten Wohnungsbaugesetz die bisherigen Vorschriften verstärkt und eine Bestimmung aufgenommen, nach der alte Menschen, Alleinstehende und Ehepaare bevorzugt unterzubringen sind. Nach diesem Gesetzentwurf sollen frei werdende Sozialwohnungen, die hierfür geeignet erscheinen, bevorrechtigt an alte Menschen vergeben werden.
Ferner sollen im Haushalt 1964 im Einzelplan 25 des Bundesministers für Wohnungswesen, Städtebau und Raumordnung die Voraussetzungen dafür geschaffen . werden, daß der Wohnungsminister durch geeignete Maßnahmen die Unterbringung alter Menschen fördern kann. Über die Notwendigkeit einer solchen Förderung bestand im Haushaltsausschuß absolute Einigkeit.
Den Spitzenverbänden der freien Wohlfahrtspflege hat der. Bund für die Beseitigung der Schäden aus der Zeit von 1933 bis 1945, für den Nachholbedarf und den zeitgemäßen Ausbau ihrer Anstalten und Einrichtungen — also auch der Altersheime, Alterswohnheime und Alterspflegeheime — unverzinsliche Darlehensmittel zur Verfügung gestellt. Unter die Zweckbestimmung des Haushaltsplanes des Bundesministers des Innern fallen Neubauten jedoch nicht. Bei den Erörterungen dieser Haushaltsposition hat die Bundesregierung stets die Auffassung vertreten, daß die Förderung von Neubauten in die Zuständigkeit der Länder gehört. In der Zeit von 1956 bis Ende Februar 1964 sind aus diesem Titel 81 Millionen DM zur Verfügung gestellt worden, davon für Alterseinrichtungen rund 20 Millionen DM. Der Haushaltsausschuß hat bei den diesjährigen Haushaltsberatungen die Absicht bekundet, die Darlehensgewährung für die genannten Zwecke noch für einen längeren Zeitraum fortzusetzen. Die Bundesregierung ist bereit, die Tätigkeit der freien Wohlfahrtspflege auf diesem Gebiet im Rahmen der im Haushaltsplan jeweils zur Verfügung gestellten Mittel weiter zu fördern.
Zu Frage 4:
Die seit Jahren ständig steigende Nachfrage nach Arbeitskräften bietet auch alten Menschen Möglichkeiten, eine ihrer Konstitution angepaßte Beschäftigung zu finden. In Betracht kommen insbesondere Teilzeitarbeit oder sonstige, körperlich leichte Tätigkeiten. Voraussetzung ist jedoch stets ein ausreichendes Leistungsvermögen, das den alten Menschen in die Lage versetzt, überhaupt noch einer Beschäftigung nachzugehen.
Um eine solche Beschäftigung auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt zu erlangen, bedarf es nach der Meinung der Bundesregierung in der heutigen Situation keiner besonderen Maßnahmen. Die Dienststellen der Bundesanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung stehen dem alten Menschen im gleichen Umfang zur Verfügung wie allen anderen Arbeitsuchenden. Die Vermittler der Arbeitsämter bemühen sich in jedem Einzelfall, auch dem arbeitswilligen alten Menschen einen geeigneten Arbeitsplatz zu vermitteln, der seinem Leistungsvermögen entspricht. Nach den vorhandenen statistischen Unterlagen der Bundesanstalt gab es



Bundesminister Höcherl
am 30. September 1957 rund 114 000 männliche Beschäftigte im Alter von 65 und mehr Jahren und rund 91 000 weibliche Beschäftigte im Alter von 60 und mehr Jahren. Die entsprechenden Zahlen für den Stichtag 30. September 1962 sind: rund 152 000 männliche und 177 000 weibliche Arbeitnehmer.
Inwieweit im Bereich der Wirtschaft besondere Maßnahmen für die Beschäftigung alter Menschen getroffen wurden, ist der Bundesregierung im einzelnen nicht bekannt. Es darf jedoch davon ausgegangen werden, daß bei der herrschenden Verknappung an Arbeitskräften die einzelnen Betriebe die Gelegenheit wahrnehmen, noch leistungsfähige alte Menschen zu beschäftigen, um sich nicht nur ihre Arbeitskraft, sondern vor allem auch ihre meist langjährige Berufserfahrung zunutze zu machen. Für manchen alten Menschen wird sich auch ein Betätigungsfeld in karitativen Einrichtungen oder Verbänden finden.
Nach all dem werden besondere staatliche Maßnahmen zur Erweiterung des Umfangs der Beschäftigung alter Menschen zur Zeit nicht für erforderlich gehalten.
Ob und inwieweit es aus gesundheitlichen und psychologischen Gründen angezeigt erscheint, alten Menschen ihrer Leistungsfähigkeit entsprechend und ihrer Neigung gemäß die Möglichkeit zu bieten, sich zu betätigen, wird zur Zeit durch Forschungsarbeiten geprüft. Diese werden von der Bundesregierung gefördert.
Zu Frage 5:
Nach dem geltenden Recht können die Träger der Sozialversicherung im Rahmen der Vorschriften der Reichsversicherungsordnung über die Vermögensanlegung Geldmittel nicht nur für den allgemeinen Wohnungsbau, sondern auch für die Errichtung von Altenwohnheimen, Altenheimen und Altenpflegeheimen zur Verfügung stellen. Hierüber haben die Selbstverwaltungsorgane der Versicherungsträger zu befinden. Den sozialen Wohnungsbau haben die Sozialversicherungsträger in den vergangenen Jahren auf Grund dieser Vorschriften in wesentlichem Umfang unterstützt.
Die Träger der gesetzlichen Rentenversicherung können neben der Vermögensanlage auch nach § 1306 RVO und den entsprechenden Vorschriften des Angestelltenversicherungsgesetzes und des Reichsknappschaftsgesetzes Mittel der Versicherung zum wirtschaftlichen Nutzen der Rentenberechtigten, der Versicherten und ihrer Angehörigen aufwenden, insbesondere zur Förderung der Erstellung von Wohnungen und Eigenheimen für die versicherte Bevölkerung. Dazu zählen auch Altenheime.
In diesem Zusammenhang wird auch auf § 1307 RVO und die entsprechenden Vorschriften des Angestelltenversicherungsgesetzes und des Reichsknappschaftsgesetzes hingewiesen. Danach können die Träger der Rentenversicherung Mittel der Versicherung aufwenden, um Rentenberechtigte mit ihrer Zustimmung in einem Altenheim oder einer ähnlichen Einrichtung unterzubringen mit der Maßgabe, daß für die Dauer der Unterbringung des
Rentenberechtigten dessen Rente ganz oder teilweise ruht. Eine ähnliche Vorschrift besteht für die gesetzliche Unfallversicherung.
Die Bundesregierung ist bereit, an die Aufsichtsbehörden heranzutreten mit der Bitte, den Sozialversicherungsträgern nahezulegen, ihr besonderes Augenmerk im Rahmen der bestehenden gesetzlichen Bestimmungen auch auf die Förderung der Errichtung von Altenheimen zu richten. Die Bundesregierung glaubt, daß die Sozialversicherungsträger diesem Anliegen in ähnlicher Weise Rechnung tragen werden, wie sie schon in den vergangenen Jahren den sozialen Wohnungsbau gefördert haben.
Im Bereich der Kriegsopferversorgung wird den Problemen der alternden Beschädigten und Hinterbliebenen besondere Aufmerksamkeit und besonderes Verständnis entgegengebracht. Die Bundesregierung hält es für angebracht, sorgfältig zu prüfen, ob das Bundesversorgungsgesetz durch Regelungen der Art ergänzt werden kann, wie sie die Reichsversicherungsordnung auf den Gebieten der gesetzlichen Unfallversicherung und der gesetzlichen Rentenversicherung bereits vorsieht.
Zu Frage 6:
Das Bundessozialhilfegesetz vom Jahre 1961 hat den in den einleitenden Sätzen dieser Antwort aufgestellten Grundsätzen Rechnung ,getragen und die Hilfe für alte Menschen neu gestaltet. Alte Menschen haben, wenn die gesetzlichen Voraussetzungen vorliegen. Anteil an den Hilfen, 'die für jeden Hilfesuchenden im Bundessozialhilfegesetz vorgesehen sind. Sie erhalten Hilfe zum notwendigen Lebensunterhalt mit einem Zuschlag von 20 % des maßgebenden Regelsatzes. Zu den persönlichen Bedürfnissen, die im Rahmen ,des notwendigen Lebensunterhalts zu ,gewährleisten sind, gehören auch Beziehungen alter Menschen zur Umwelt und ihre Teilnahme an kulturellen und geselligen Einrichtungen. Selbstverständlich steht alten Menschen, wenn nötig, Krankenhilfe zu; auch vorbeugende Gesundheitshilfe, insbesondere Erholungshilfe, soll ihnen gewährt werden. Bedeutsam ist ,gerade für alte Menschen, wie schon erwähnt, die Hilfe zur Pflege und die Hilfe zur Weiterführung des Haushalts, wenn keine Haushaltsangehörigen oder Nachbarn zur Verfügung stehen. Bedarf ein Pflegebedürftiger dauernd der Wartung und der Pflege, so ist ihm ein Pflegegeld von 100 DM zu gewähren, sofern die Pflege durch Nahestehende oder Nachbarn übernommen wird und sonstige Voraussetzungen vorliegen.
Neben diesen Leistungen für alle Bedürftige, auch für alte Menschen, hat das Bundessozialhilfegesetz in § 75 Bestimmungen getroffen, die nur für alte Menschen gelten. Diese Form ,der Altenhilfe soll nicht eine materielle Not ,des alten Menschen beheben, sondern ihm helfen, altersbedingte Schwierigkeiten anderer Art zu überwinden, psychische Hemmungen abzubauen, mitmenschliche Beziehungen zu fördern und ihn damit vor Vereinsamung zu schützen, die mit Recht als die am meisten gefürchtete Erscheinung angesprochen wurde. Die Hilfe ist unabhängig von Einkommen und Vermögen.



Bundesminister Höcherl
Jede Sozialhilfe, also auch ,die Hilfe für alte Menschen, soll familiengerecht sein. Sie muß daher den Zusammenhalt mit den betagten Gliedern ,der Familie festigen und diese nach Möglichkiet im Familienbereich halten.
Die Prüfung der Erfordernisse und Möglichkeiten einer modernen Altershilfe setzt ein umfassendes Bild von der Lebenslage der alten Menschen voraus. Der Gesetzgeber hat hierbei Unterstützung von verschiedenen Seiten gefunden. In der gleichen Richtung liegt der Antrag der SPD-Fraktion.
Wissenschaftliche Gremien und 'Einzelpersonen, gemeinnützige Verbände und öffentliche Körperschaften haben sich in den letzten Jahren intensiv mit der wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und geistigen Situation der alten Menschen befaßt und durch ,zahlreiche Publikationen versucht, deren Lage zu durchleuchten. Verbände und Vereinigungen, so die Gesellschaft für sozialen Fortschritt, haben Sonderstudien zur Altenfrage erarbeitet. Der Deutsche Verein für öffentliche und private Fürsorge gibt durch iseinen Fachausschuß „Altenhilfe" laufend Impulse für die Weiterentwicklung der Altenhilfe und für eine fruchtbare Anwendung der neuen gesetzlichen Bestimmungen. An diesen Bestrebungen hat sich das Bundesministerium des Innern lebhaft beteiligt und sie gefördert. Es bemüht sich ständig um die Auswertung ides gesamten anfallenden Materials.
Wesentlich zur Klärung ides Umfangs ides Altenproblems trägt auch Idas Statistische Bundesamt durch seine Erhebungen bei. So hat der Mikrozensus seit 1957 Einblicke in Zahl und Struktur der Haushalte auch alter Menschen vermittelt. Die Volks- und Berufszählung 1961 hat die Altersschichtung unseres Volkes und die Stellung der älteren Generation in Haushalt und Familie aufgehellt. Ergebnisse der statistischen Erhebungen über die Auswirkung .des Bundessozialhilfegesetzes zu den Fragen der Altenhilfe auf Grund der Sozialhilfestatistik für 1963 werden erstmals im August dieses Jahres vorliegen.
Eine besondere Rolle spielen die zahlreichen Vereine und Einrichtungen, die in den Spitzenverbänden der freien Wohlfahrtspflege — das sind Arbeiterwohlfahrt, Caritasverband, Paritätischer Wohlfahrtsverband, Deutsches Rotes Kreuz, Innere Mission und Hilfswerk der Evangelischen Kirche sowie Zentrale Wohlfahrtsstelle der Juden — zusammengeschlossen sind. Sie haben seit Jahrzehnten in verdienstvoller Weise die Hilfe für Alte als eine ihrer wichtigsten sozialen Aufgaben angesehen. Über ihre Leistungen auf dem Gebiet der Heimfürsorge gibt die Denkschrift „Die Altenheimplanung in der Altenhilfe" vom Juli 1963 Auskunft. Die Wohlfahrtsverbände leisten aber auch wertvolle Arbeit in der offenen Hilfe.
Seit einigen Jahren betätigen sich auch Selbsthilfeorganisationen erfolgreich auf dem Gebiet der Altenhilfe, so die Lebensabendbewegung und der Verband der Sozialrentner. Hervorzuheben ist vor allem das Wirken des vom Herrn Bundespräsidenten und Frau Wilhelmine Lübke ins Leben gerufenen Kuratoriums „Deutsche Altershilfe", das durch die groß angelegten Appelle „Miteinander-Füreinander" und „Das Alter darf nicht abseits stehen" das Verständnis für diese Aufgaben in breiten Kreisen geweckt und zahlreiche Einrichtungen für alte Menschen finanziell gefördert hat.
Der Aufbau einer umfassenden Altershilfe wird, vor allem dank der Anregungen des Bundessozialhilfegesetzes, jetzt auch von Gemeinden, Städten, Kreisen und Ländern mit Nachdruck betrieben.
Die Länder haben sich in den letzten Jahren in steigendem Maße den Fragen der Altenhilfe zugewandt. Sie haben ihre Bestrebungen meist unter dem Begriff „Landesaltenpläne" zusammengefaßt. Das Ergebnis ist eine erfreuliche, wenn auch in den einzelnen Ländern naturgemäß unterschiedliche Steigerung der Leistungen für alte Menschen. Insgesamt waren in den Länderhaushalten 1963 erheblich mehr als 100 Millionen DM für diesen Zweck eingesetzt.
Kreise und Gemeinden, insbesondere die großen Städte, werden sich ihrer Aufgabe in der Altenhilfe immer deutlicher bewußt. Auch ihre „Altenpläne" beruhen zum Teil auf eingehenden, von namhaften wissenschaftlichen Instituten erstellten Untersuchungen. Die Kommunen bemühen sich neben der Behebung materieller Not durch die Leistungen der Sozialhilfe in steigendem Maße um eine stärkere Teilnahme der Betagten am gesellschaftlichen Leben und eine bessere Einordnung in die Gemeinschaft.
Auch bei diesen Bestrebungen öffentlicher Hilfe für alte Menschen nach den Bestimmungen des Bundessozialhilfegesetzes besteht eine fruchtbare Wechselwirkung partnerschaftlicher Zusammenarbeit zwischen öffentlicher und freier Wohlfahrtspflege. Sie hat sich in vielen Jahren bewährt und bleibt auch weiterhin für alle Beteiligten unverzichtbar.
Die Arbeit der letzten Jahre hat gezeigt, daß eine wirksame und dauernde Hilfe für alte Menschen durch folgende Maßnahmen erreicht wird:
1. Sorge für das Wohlbefinden alter Menschen, insbesondere Erholungsaufenthalte in ansprechender Umgebung und Stadtranderholung. Hier sind sowohl zahlreiche Kommunen wie freie Organisationen mit Erfolg tätig.
2. Sicherung der Teilnahme alter Menschen am Leben in der Gemeinschaft durch Förderung altersgemäßer Geselligkeit, wie sie besonders in Altentagesstätten, heute meist Altenklubs genannt, gepflegt wird. Sie finden sich in großen und kleinen Städten und zunehmend auch auf dem Lande. Alten Menschen geben sie Anregung durch gesellige und kulturelle Veranstaltungen, Ausflüge, Kaffeefahrten und dergleichen. Sie sind geeignet, die Eigeninitiative alter Menschen zur sinnvollen Gestaltung ihres Lebensabends zu wecken. Die Verbundenheit der Teilnehmer führt auch zur Betreuung kranker und nicht mehr ausgehfähiger Mitglieder. Der Vereinsamung alter Menschen wird damit wirksam und unabhängig von ihrer finanziellen Lage entgegentreten.



Bundesminister Höcherl
3. Maßnahmen der Einzelhilfe sind im übrigen vor allem: Beratung in sozialen Fragen, z. B. in Renten-, Wohn- und Sozialhilfeangelegenheiten, Haushaltsdienste wie Wäsche-, Flick- und Einkaufshilfe. Bewährt haben sich jüngst die „Mahlzeiten auf Rädern", eine Aktion, bei der das Mittagessen alten Menschen in die Wohnung gebracht wird. Interesse verdient der aus England übernommene Notruf „Silberfisch", der Hilfsbereite herbeiruft. Auch manche Jugendgruppen haben sich Hilfeleistungen für alte Menschen einfallen lassen und zur Aufgabe gemacht.
4. Auch die rechtzeitige Vorbereitung auf das Alter wird als Aufgabe erkannt. Wohlfahrtsverbände und Selbsthilfeorganisationen haben sie aufgegriffen.
5. Insgesamt kann festgestellt werden, daß die Erfahrungen bei der Durchführung der Altenhilfe auf Grund des Bundessozialhilfegesetzes in den letzten Jahren in steigendem Maße befriedigen. Die Altenhilfe hat heute dank der Initiative der öffentlichen und freien Kräfte eine große und erfreuliche Breitenwirkung erhalten, der auch in der Offentlichkeit wachsendes Verständnis entgegengebracht wird. Es wird zweifellos heute viel getan, aber die Größe der Aufgabe erfordert noch weitere erhebliche Anstrengungen. Sie ist und bleibt eine Daueraufgabe.
Die Altenhilfe ist nach dem Bundessozialhilfegesetz Aufgabe der Länder, der Landkreise und der kreisfreien Städte. Sie führen sie weithin mit Nachdruck und Erfolg durch. Die Kommunen entziehen sich heute in aller Regel dieser Verpflichtung gegenüber ihren alten Mitbürgern nicht. Die Intensität hängt freilich von der Leistungsfähigkeit, in gewissem Maße auch von der Leistungsbereitschaft ab. Die Länder haben sich in erfreulichem Umfange bemüht, durch finanzielle Zuwendungen die Hilfe für wichtige Maßnahmen zugunsten alter Menschen zu verstärken. Die gesamte Arbeit wird auf allen Ebenen durch die Verbände der freien Wohlfahrtspflege entscheidend gefördert. Diese haben auch die Durchführung von Aufgaben der öffentlichen Träger der Sozialhilfe zum erheblichen Teil übernommen und deren finanzielle Leistungen durch die Bereitstellung geeigneter Einrichtungen und von Pflegepersonal unterstützt. Die Bundesregierung begrüßt daher, daß die umfassenden Bestimmungen des Bundessozialhilfegesetzes hier zu einer Aktivierung eines besonders wichtigen Zweiges der sozialen Hilfe geführt haben. Sie ist der Überzeugung, daß die Hilfe für alte Menschen auch weiterhin sinnvolle Planung und Abstimmung aller Beteiligten verlangt. Die Bundesregierung hat diese Bemühungen stets gefördert und wird den Fragen der Altenhilfe auch weiterhin ihre besondere Aufmerksamkeit zuwenden. Sie dankt dem Hohen Hause — und vor allem den Damen dieses Hohen Hauses — dafür, daß diesem so bedeutsamen Thema eine Große Anfrage gewidmet und die Ehre einer Aussprache im Parlament zuteil geworden ist.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)


Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0412116500
Das Haus hat die Antwort der Bundesregierung auf die Anfrage der
Fraktion der CDU/CSU entgegengenommen. Ich frage das Haus, ob eine Aussprache gewünscht ist, und bitte diejenigen, die sie wünschen, die Hand zu erheben. — Das sind mehr als 30 Mitglieder. Wir treten in die Aussprache ein.
Das Wort hat der Abgeordnete Meyer (WanneEickel).
Meyer (Wanne-Eickel) (SPD): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Auch wir begrüßen die sehr starken Initiativen der freien Wohlfahrtsverbände in bezug auf die alten Menschen, Initiativen, die vor einem Jahrzehnt von einzelnen Menschen in unserem Volke angeregt und heute erfreulicherweise zu einer allgemeinen Aufgabe geworden sind. Aber auch die Darlegungen des Herrn Ministers, der diesen draußen geleisteten Aufgaben eine Untersuchung gewidmet hat, zeigen doch, wie berechtigt unser Antrag ist,

(Abg. Winkelheide: Die Große Anfrage!)

eine eingehende Analyse über die Lage der wachsenden Zahl alter Menschen zu erstellen. Wir müssen die alten Menschen, die ja nicht nur in unserem Volke, sondern in allen Industrienationen eine außerordentlich bedeutsame Rolle spielen und spielen werden, als einen besonderen Faktor unserer modernen Gesellschaftsordnung sehen. Nach unserer Auffassung kommen wir eben mit diesen — ich möchte nicht sagen „kleinen" — Dingen einfach nicht aus, sondern müssen diese Frage doch von einer höheren Warte aus sehen. Hier ist schon mit Recht die Sozialpolitik als solche kritisiert worden. Ich greife auf, daß eine allgemeine Feststellung der großen Fraktionen in diesem Haus erfreulicherweise dahin geht, daß es sich hier nicht um eine rein humanitäre, sondern auch wesentlich um eine gesellschaftspolitische Hauptfrage handelt.
1957 hat dieses Haus mit der Rentenreform eine Entscheidung getroffen, nach der die alten Menschen durch hohe Beiträge und Steuermittel der noch schaffenden Menschen versorgt werden müssen. Leider ist diese sozialpolitische Aufgabe gesellschaftspolitisch in keiner Weise fortgeführt worden. Denn daß man beispielsweise — um nur eine Erscheinung herauszugreifen — den alten Menschen ab 125 DM Monatseinkommen noch 2 %. als einen Sonderbeitrag zur Krankenversicherung abknöpfen will, ist keine sinnvolle Fortführung der 1957 begonnenen Sozialpolitik.
Deshalb haben wir mit Punkt 1 der von uns gewünschten Untersuchung die wirtschaftliche Lage der alten Menschen in den Vordergrund gestellt. Ich könnte hier Dutzende Presseartikel und auch den vom Herrn Minister angesprochenen Mikrozensus des Statistischen Bundesamts, der 2,8 Millionen Rentnerhaushalte durchleuchtet hat, anführen. „Für die alten Menschen reicht die Rente nicht aus", „Alte Menschen leben nicht so gut" ; so können wir immer wieder in den Zeitungen lesen. Die Millionen alten Menschen würden diese Aussprache im Parlament nicht verstehen, wenn wir nicht die wirtschaftliche Lage der alten Menschen ansprechen. Ich darf Ihnen aus meiner eingehenden Kenntnis der Dinge



Meyer (Wanne-Eickel)

— ich beschäftige mich seit einem Jahrzehnt mit dieser Frage — sagen, daß die wirtschaftliche Lage von Millionen alter Menschen zu wünschen übrig läßt. Uns muß wirklich etwas einfallen, um die wirtschaftliche Lage einiger Millionen alter, oft in Einsamkeit und — leider — nicht im Schoße der Familie lebender Menschen zu bessern. Selbstverständlich wäre der ideale Zustand der, daß die Familie einspringen muß. Darüber gibt es, glaube ich, in diesem Haus absolut keinen Streit.
Eine Sozialpolitik, wie sie 1957 in bezug auf die alten Menschen mit der Rentenreform begonnen worden ist, muß von zwei entscheidenden Gesichtspunkten getragen werden. Der erste ist eine wirkliche Sicherstellung der wirtschaftlichen Lage der alten Menschen. Da sieht es sehr schlecht aus. Ein weiteres zentrales Problem ist die Frage der Gesundheit, die hier im Zusammenhang mit der Altenpflege angesprochen worden ist. Wie für die Generation, die unser ganzes wirtschaftliches Leben prägt, die Gesundheitspolitik eine entscheidende Frage ist, ist auch für die wachsende Zahl alter Menschen die Frage der Gesundheit von einer großen Bedeutung. Wer sich die wachsende Zahl von Pflegefällen und die damit verbundene finanzielle Belastung der Gesamtheit vor Augen führt, muß, wenn er das Altenproblem wirklich lösen will, in der Gesundheitsfrage einen ganz anderen Weg gehen, als die Sozialpolitik der Bundesregierung seit 1957 gegangen ist.

(Beifall bei der SPD.)

Dadurch würden wir Milliardenbeträge einsparen. Ich will hier nicht eine allgemeine Redensart wiederholen, wenn ich sage: Der alte Mensch muß gesund in das Alter hineingehen. Das ist wirklich die entscheidende Frage, die wir neben der wirtschaftlichen Seite zu sehen haben.
Der dritte große Fragenkomplex ist das Wohnungsproblem. Hier ist gesagt worden, daß dieses neue wunderbare Gesetz, das der Herr Wohnungsbauminister in bezug auf die höherverdienenden Menschen vorbereitet, den alten Menschen helfen wird. Da muß ich widersprechen. Das Gesetz ist sehr umstritten, auch juristisch und vom Standpunkt der Kommune aus. Nein, das ist nicht der Weg. Der Herr Minister, der hier und da zugegebenermaßen oft fortschrittliche Gedanken hat, hat in der Baupolitik für die Schaffung von Altenwohnungen bisher doch — ich möchte mich vorsichtig ausdrücken — viel zu wenig getan. Aber das Wohnungsproblem ist die dritte große Frage, die wir lösen müssen.
Es sollten viel mehr Auflagen gemacht werden, wenn man Milliardenbeträge vergibt, z. B. die Auflage, daß Altenwohnungen auf Erdgeschoßebene geschaffen werden. Einem Alten-Ghetto, wie es einmal in einer großen Gemeinde eine Rolle gespielt hat, soll nicht das Wort geredet werden. Die alten Menschen gehören vielmehr mitten hinein in das pulsierende Leben der Städte. Sie wollen keine Abkapselung, sondern Teilnahme am kulturellen Leben.
Ich darf mir im Zusammenhang mit all den Dingen, die auf diesem Gebiet geschehen, erlauben, auf etwas hinzuweisen, was von mir seit zehn Jahren bezüglich der Gesundheits- und Altenfrage in den Vordergrund geschoben worden ist. Es ist die, wie ich es genannt habe, „Altenentfaltung", die Teilnahme der alten Menschen am Geschehen. Erfreulicherweise haben wir heute bereits überall „Altentagesstätten", wie ich sie vorgeschlagen habe. Sie werden auf Grund von § 75 des Bundessozialhilfegesetzes gefördert.
Gesundheitsfürsorge, Altenentfaltung, Herabdrükkung der Zahl der Pflegefälle, die uns so stark belasten, gehören zu einem vorausschauenden Wirken und sind ein Weg, dem Altenproblem wirklich richtig zu begegnen. Die Reporte, die in einzelnen Städten wie Köln, Neheim-Hüsten, Mannheim — ich will nur diese nennen — auf Grund von Untersuchungen erstellt worden sind, haben doch nicht befriedigt, sondern eine wirklich tragische und wirtschaftlich schlechte Lage unserer alten Menschen ergeben. Deshalb erheben wir ja seit Jahren die Forderung: „Lebensabend ohne Not!" Die Verwirklichung dieser Forderung muß im Vordergrund stehen.
Dem, was wir hier im Parlament beraten, hören Millionen alter Menschen irgendwie zu, oder sie lesen es nach — das wurde erfreulicherweise auch von der Sprecherin der CDU/CSU hervorgehoben —, nicht nur die verschämten Armen, sondern viele Menschen, die gar nicht wissen, daß das Sozialhilfegesetz damit zu tun hat. Sie nehmen Rücksicht auf ihre Kinder, damit diese später nicht durch Rückschläge belastet werden. Wir erfahren es ja alle aus den Besuchen und Briefen, die wir bekommen, daß man diesen Weg nicht gehen will. Die Alten gehen deshalb oft ganz kümmerlich durch ihren letzten Lebensabschnitt hindurch. Man wundert sich manchmal, wie sie diesen harten Lebensweg im Alter zurücklegen.
Auf diese Ausführungen möchte ich mich heute bei der Betrachtung der Altenfrage beschränken. Ich habe einige grundsätzliche Dinge herausgearbeitet. Wir bitten Sie wirklich ernsthaft darum — ich glaube, wir sind uns in diesem Hause darüber auch einig —, diesen unseren Antrag dem Sozialpolitischen Ausschuß zu überweisen — andere Ausschüsse sollten mitberaten —, damit wir der Lösung des für Millionen in unserem Volke so ernsten Problems über diese Debatte hinaus näherkommen. Wir müssen gemeinsam nach neuen und vielleicht noch besseren Lösungsmöglichkeiten suchen.

(Beifall bei der SPD.)


Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0412116600
Das Wort hat Frau Abgeordnete Dr. Flitz.

Dr. Hedi Flitz (FDP):
Rede ID: ID0412116700
Herr Präsident! Meine Herren! Meine Damen! Namens der Fraktion der Freien Demokratischen Partei darf ich wie folgt Stellung nehmen zu dem uns vorliegenden Antrag Drucksache IV/1922 und der Großen Anfrage Drucksache IV/1955, diesich mit der Situation der älteren Menschen befassen. Um den angeforderten Bericht gut zu erstellen, ware eine



Frau Dr. Flitz (Wilhelmshaven)

möglichst breite Untersuchung wünschenswert, da er die Grundlage für .Maßnahmen auf lange Sicht bilden soll. Trotzdem nsind wir der Meinung, daß man nicht alle Fragen neu untersuchen, sondern zunächst einmal das vorliegende Material 'sichten sollte. Es ist ja auch für uns als Politiker und für unsere Entscheidungen wichtig zu wissen, wo schon etwas existiert.
Es ist erfreulich, daß ,das Kuratorium „Deutsche Altershilfe" unter dem Vorsitz von Frau Wilhelmine Lübke neben den Mitteln für die praktischen Einrichtungen der Altenpflege lerhebliche Mittel auch für die Altersforschung zur Verfügung stellt, die nun sicher dem Begehren der Antragsteller dienen wird.
Das 20. Jahrhundert, so hatte man einmal angenommen, werde das Jahrhundert des Kindes werden. Zwei Weltkriege, zwei Geldentwertungen und die Weltwirtschaftskrise haben diese Illusion zerstört. Es ist ein Jahrhundert der alternden Menschen geworden. Aber unabhängig von den politischen Faktoren muß festgestelltwerden, daß überall in der sich immer mehr technisierenden Welt die durchschnittliche Kinderzahl ,absinkt und die Lebenserwartung der älteren Menschen steigt. Auch eine weitere Erscheinung, das frühere Ausscheiden aus dem Arbeitsprozeß infolge Frühinvalidität, führt nicht, wie man zunächst einmal vermuten konnte, zu einem generellen Sinken der Lebenserwartung. Die Lebenserwartung der jetzt 65jährigen hat sich seit 1945 um zwei Jahre verlängert. In der Tat entwickelt sich die Industriegesellschaft von der Dreigenerationengesellschaft zur Viergenerationengesellschaft. Trotzdem würde es einen falschen Eindruck erwecken, spräche man von einer Überalterung, weil diese Altersstruktur charakteristisch ist für die industrielle .Gesellschaft. Internationale Vergleiche beweisen das.
Der „Ausschuß für Bevölkerungs- und Flüchtlingsfragen" im Europarat hat kürzlich einen Bericht .abgegeben über 'die demographische Entwicklung, in dem die demographischen Aussichten in der Welt, besonders in Europa, gekennzeichnet und behandelt werden. Danach zeigt die gegenwärtige Entwicklung überall eine allgemein höhere Lebenserwartung und gleichzeitig eine Verminderung der werktätigen Bevölkerung. Wegen der 'Bedeutung dieser Tatsache wurde die Empfehlung gegeben, das Jahr 1966 zu einem Europäischen Demographischen Jahr zu erklären und die ,entsprechenden Vorbereitungen zu treffen.
Nur wenige Zahlen zu unserer gegenwärtigen Situation in Deutschland: Die durchschnittliche Lebenserwartung liegt zur Zeit bei den Frauen um 73 Jahre, bei den Männern um 71 Jahre. Nach der „Zeitschrift für Sozialhilfe" vom März 1963 waren im Jahre 1963 in der Bundesrepublik 10,8 % der Bevölkerung über 65 Jahre alt. Im Jahre 1975 werden nach den Vorausberechnungen ,schätzungsweise etwa 14,5 % der Bevölkerung über 65 Jahre alt sein. Dabei wird sich — und das ist interessant — der Anteil der Frauen stärker erhöhen als der der Männer. Das Statistische Bundesamt rechnet damit, daß im Jahre 1970 3,3 Millionen Männer und 5,2
Millionen Frauen über 65 Jahre alt sein werden, d. h. daß in dieser Altersgruppe auf drei Männer fünf Frauen kommen werden. Das bedeutet eine besondere Sorge insofern, als die Einkommensverhältnisse 'der Frauen im Durchschnitt sehr viel schlechter sind 'als die der Männer.
Nach den wechselvollen Schicksalen unserer Generation ist es verständlich, daß die Sorge um die wirtschaftliche Sicherung des Lebensabends den Menschen begleitet. Welch eine hervorragende Rolle die Altersversorgung im Bewußtsein der Offentlichkeit spielt, beweist die Tatsache, daß heute die Berufswahl nicht selten von der Versorgung her beeinflußt wird, sei es nun als Folge des Schicksals der Eltern, die eine Währungsreform und andere Schicksale erlebt haben, sei es durch die Änderung der Wirtschaftsstruktur, weil bestimmte Berufe eben eine Sicherheit versprechen. So bedeutet es in der augenblicklichen Situation des Arbeitskräftemangels noch immer eine gewisse Anziehung, wenn man mit sozialen Leistungen für bestimmte Lebenssituationen, insbesondere natürlich für das Alter, wirbt. 40 % der freiwilligen betrieblichen Sozialleistungen deuten in diese Richtung. Wir kennen auch die Werbeslogans, wie z. B. einen der Bundesbahn: „Wähle Sicherheit! Werde Eisenbahner!" Daß durch das Sicherheitsbedürfnis unter Umständen eine gewisse Steuerung hinsichtlich der Berufswahl und ausübung stattfindet, ist gewiß nicht unbedingt erfreulich. Denn es sollte doch nicht nur auf die Sicherheit im Alter, sondern mehr noch auf die Lebenserfüllung im Beruf ankommen.
Allerdings müssen wir auch erkennen, daß durch die ungleiche Bewertung von gesetzlicher Altersversorgung und privater Altersvorsorge Tatbestände geschaffen worden sind, die bei vielen eine nicht zu beseitigende Verbitterung geschaffen haben und die einer Korrektur bedürfen, wenn man nicht einen Trend verstärken will, der gesellschaftspolitisch nur als bedenklich bezeichnet werden kann. Hier liegt sicherlich auch eine der Ursachen dafür, daß heute in vielen Fällen von einer Rentenpsychose gesprochen wird. Die Untersuchung, die angestellt werden soll, kann vielleicht in dieser Hinsicht wertvolle Aufschlüsse dahin gehend geben, daß es nicht der Idealzustand ist, im Alter eine bestimmten Prozentsatz seines letzten oder durchschnittlichen Arbeitseinkommens zu erhalten. Wenn ein Rentner oder ein Pensionär sich im Alter an seine Rente oder an seine Pension als alleinige Säule der Versorgung zu halten hat, wird er das Ausgeschiedensein aus dem Arbeitsprozeß und damit aus einem sehr wesentlichen Teil seines bisherigen gesellschaftlichen Daseins vielleicht doch härter empfinden, als wenn ihm noch bestimmte Funktionen, vielleicht in einem Eigenheim oder auf Grund eines sonstigen Besitzes, bleiben.
Wir müssen uns aber die Frage vorlegen, ob nicht durch die sichtbare oder unsichtbare fortschreitende Sozialisierung der Löhne und Gehälter der von allen angestrebten Eigentumspolitik ein wenig der Boden entzogen wird. Wir werden zwangsweise prüfen müssen, ob das jetzige System nicht dahin geändert werden sollte, daß nach Erreichung eines



Frau Dr. Flitz (Wilhelmshaven)

gewissen Existenzminimums dem einzelnen wieder die Freiheit gegeben wird, selbst zu entscheiden, welche Form der Vorsorge er treffen will. Der Versuch der totalen Versorgung über Institutionen führt zu einer Kollektivierung, die wir alle nicht wollen, und die Sicherheit, die sie verspricht, hat sie im Grunde noch niemals gebracht.
Angesichts des Wandels unserer Wirtschaftsstruktur müssen wir erkennen, daß bestimmte Berufe, die Generationen eine Existenzsicherung gewährt haben, diese Sicherung heute infolge der technischen Entwicklung und der Änderung der Bedürfnisse der Bevölkerung nicht mehr bieten und daß deshalb in irgendeiner anderen Form als bisher eine gewisse Sicherung für das Alter eingeleitet werden muß. Es ist selbstverständlich, daß wir bei allen unseren Überlegungen immer wieder davon ausgehen müssen, daß man menschliche Schicksale nicht eliminieren kann. Sie gehören nun einmal zur Reifung der Persönlichkeit.
Der Wert der Ergebnisse und die Auswertung der Untersuchung wird nicht entscheidend davon abhängen, ob. gewisse Maßnahmen zur Verbesserung der wirtschaftlichen und Lebenssituation der alten Menschen getroffen werden, sondern davon, ob die alten Menschen diese Maßnahmen als gerecht und sinnvoll empfinden. Wenn ich bei meiner Tätigkeit im Petitionsausschuß die Anliegen betrachte, die einen wesentlichen Anteil darstellen — die meisten Notrufe betreffen soziale Fragen, auch die der Alterssicherung —, dann kann ich nur sagen, daß das Parlament und die entscheidenden Gremien Fragen gegenüberstehen, die nicht zu lösen sind. So ist es zum Beispiel einfach unmöglich, in der Bevölkerung Verständnis dafür zu finden, daß bestimmte soziale Leistungen nur dann gewährt werden, wenn andere Einkommen nicht vorhanden sind. Die Ersatzfunktion von Ausgleichsrenten der Kriegsopferversorgung und bestimmter Leistungen nach dem Bundessozialhilfegesetz wird niemals gesehen, wenn sie einmal gewährt werden. Jede Kürzung beim Steigen anderer Einkommen wird als ein ungerechter Eingriff in ein erworbenes Recht angesehen. Gerade weil hier ein bestimmtes Einkommensniveau gehalten wird, während in anderen Bereichen eine Verbesserung der Einkommensverhältnisse festzustellen ist, wird den Rentnern die Besonderheit ihres Status bewußt. Wegen dieser negativen psychologischen Momente sollten alle Maßnahmen unterstützt werden, die dahin führen, daß der Mensch im Alter nicht unverschuldet in die Abhängigkeit von einem solchen Leistungsrecht gerät.
Man weiß draußen sehr wohl, daß wir im Jahre 1964 7,5 Milliarden DM als Zuschuß an die drei Rentenversicherungsträger zahlen. Angesichts der nach dem geltenden Rentenrecht noch immer möglichen Kleinstrenten ist es für viele einfach unverständlich, daß sich solch hohe Zuschüsse nicht stärker bemerkbar machen. Aus der Sicht der Betroffenen handelt es sich hier nicht um eine Frage des Rentensystems, sondern um eine soziale oder unsoziale Lösung. Gerade an uns weibliche Abgeordnete wird immer wieder von Witwen geschrieben, die es nicht verstehen können, daß ihre zum Teil minimalen Renten — ob es nun ihre eigenen oder ob es Hinterbliebenenrenten sind — prozentual genauso angehoben werden wie die schon höheren anderen Renten.
Die Arbeit im Petitionsausschuß gewährt hier immer wieder Einblick in Tatbestände, die als Notstände empfunden werden. Ich möchte hier noch auf ein anderes, immer wiederkehrendes Beispiel eingehen. Es gibt Fälle, wo Familiensinn und Familienverantwortung von Kindern ihren Eltern gegenüber durch jahre- und jahrzehntelange Betreuung bewiesen werden. Will es das Schicksal, dann stirbt zum Beispiel die unverheiratete Tochter, die ihre Eltern oder einen Elternteil versorgt hatte, vor diesen. Obwohl bei einer entsprechenden beruflichen Tätigkeit jahrelang Pflichtversicherungsbeiträge geleistet wurden, stehen die hinterbliebenen Alten nicht selten unversorgt da und können es dann einfach nicht verstehen, daß diese Beiträge dem Versicherungsträger zugeflossen sind, ohne daß dieser später Verpflichtungen hat.
Es wird von Interesse sein, aus dem Bericht zu erfahren, wo noch gewisse typische Notstände herrschen. Wir alle wissen: es ist nicht so, daß dort, wo am lautesten gerufen wird, nun die größte Armut herrscht. Man muß feststellen, ob die Optik der sozialen Notstände auch mit den Tatsachen übereinstimmt oder ob in Projekten Verzerrungen vorhanden sind. — Soviel zur finanziellen Versorgung der alten Mitbürger.
Der angeforderte Bericht wird ohne Zweifel bestätigen, daß die Wohnverhältnisse unserer alten Mitbürger noch wenig befriedigend sind. Ich verweise unter anderem auf die sehr interessanten Erhebungen des Statistischen Bundesamtes von 1960 über die Wohnverhältnisse der Rentner.
Die Fraktion der CDU stellt in ihrer Anfrage fest, daß die Sorge für die alte Generation in erster Linie Aufgabe der Familie ist. Wir sind sicher einig, daß alle Maßnahmen gefördert werden sollen, die diese Aufgabe erleichtern.

(Sehr gut! in der Mitte.)

Ein Großelternteil in der Familie hat in vieler Hinsicht einen segensreichen Einfluß.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Es wäre aber sicher falsch, aus dem Zusammenleben der Generationen ein Dogma zu machen. Wohnbedingungen und Veranlagung und Gewohnheiten der einzelnen Familienmitglieder sichern nicht immer die notwendige Harmonie; das ist durchaus menschlich, besonders in unserer hektischen Zeit. Neuere Umfragen beweisen ja auch, daß die älteren Menschen ihr privates Leben noch führen wollen, solange es geht. Sie nehmen dabei. gern am Leben der Jungen teil, aber doch bei gleichzeitiger Wahrung der Distanz und der wirtschaftlichen und wohnungsmäßigen Selbständigkeit.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Diese Selbständigkeit wird ihnen geboten in Alterswohnhäusern, in Stiften und Heimen, in denen sie im Gegensatz zu ihren Altersgenossen, die in ihren Wohnungen verblieben sind, eine ge-



Frau Dr. Flitz (Wilhelmshaven)

wisse Betreuung finden. Alle diese Wohntypen mit ihren Vorteilen und Nachteilen stehen in der Sozialpolitik seit Jahren zur Diskussion.
Die Altersheime, seien die Träger nun die Kommunen oder die freien Wohlfahrtsverbände oder andere Stiftungen, nehmen zwar viele Sorgen, aber sie engen auch den Spielraum und die Entscheidungsfreiheit des einzelnen ein; und für viele Altere ist doch immer noch das Sorgendürfen wichtiger als das Umsorgtsein. Der alte Mensch braucht seine Bestätigung.
Als neuere Wohnform sind Altenwohnungen für alte Ehepaare oder einzelne entwickelt worden; das heißt, eine größere Zahl von Wohneinheiten in einem Gebäude mit einer Wohnung möglichst für ein Hausmeisterehepaar und auch eine Fürsorgerin. Viele Städte bieten gute Beispiele. Aber die Erfahrung hat doch gezeigt, daß auch diese Lösung nichts Ideales ist. Die mitmenschlichen Beziehungen innerhalb des Gebäudes mit den Nachbarn werden nur sehr wenig gepflegt. Es müßte mindestens ein Gemeinschaftsraum oder eine Art Klubhaus in der Nähe existieren. Es wird auch festgestellt, daß gerade die Bewohner der Altenwohnungen den notwendigen Kontakt mit der Außenwelt verstärkt verlieren. Diese Altenwohnungen werden, wie vorhin schon einmal angedeutet worden ist, immer mehr zu Gettos. Man ist deshalb schon einen anderen Weg gegangen: man versucht Altenwohnungen und Kinderheime in einem Areal zu kombinieren.
Dem natürlichen Zusammenleben der Generationen entspräche wohl am besten eine möglichst vermehrte Streuung von Altenwohnungen in Familiensiedlungen; das heißt, mehr als bisher sollte man in neuen Wohnbauvorhaben größere und kleinere Wohnungen mischen, um den Alleinstehenden, eben auch den älteren Menschen, das Gefühl der Vereinsamung zu nehmen. Ich freue mich, daß der Herr Bundesminister diese Form so warm befürwortet hat.
In dieser engen Berührung kann sich sogar eine Nachbarschaftshilfe auf Gegenseitigkeit entwickeln; Kinder und junge Menschen können den Alten helfen, und vielleicht gewinnen die Alten auch Freude daran, einmal Kinder zu hüten und dadurch die überbeanspruchte oder eventuell kranke Mutter zu entlasten.
Es scheint deshalb wichtig, daß spezielle Maßnahmen der Wohnungsversorgung für alte Leute in die Wohnungsbauprogramme aufgenommen werden. Nach Beseitigung der ärgsten Not auf dem Wohnungssektor müssen die Wünsche dieser Kreise nun endlich als dringlich angesehen werden.
Ich sprach schon von der erhöhten Lebenserwartung der alten Menschen. Sie bedeutet, daß der biologische Abbauprozeß sich verlangsamt, mit allen Anfälligkeiten und ihren Auswirkungen auf das gesundheitliche Befinden. Eine Altersmedizin hat es von jeher gegeben. Heute scheint es wichtig, die Vorsorgehilfe, die vorbeugende Hilfe, auch bei den Alten zu verstärken. Ich denke unter anderem an eine verstärkte Ernährungsberatung. Für Krankheitsfälle müssen mehr als bisher Hauspflegerinnen in der Stadt zur Verfügung stehen. Es ist erfreulich, daß die Hauspflege in den Entwurf des Krankenversicherungs-Neuregelungsgesetzes mit aufgenommen wurde, und sicher hat sich als eine Notwendigkeit der Beruf der Altenpflegerin herausgebildet, der einen neuen Frauenberuf darstellt. Denn zur Ausübung der Tätigkeit bei alten Menschen gehören Kenntnisse über die Besonderheiten dieser Entwicklungsphase, die ja durchaus unterschiedlich verlaufen kann; denn den alten Menschen gibt es nicht, jeder ist letzten Endes geprägt von seinem einmaligen Lebensablauf.

(Sehr wahr! bei der CDU/CSU.)

Für chronisch Kranke und Sieche müssen mehr Pflegeheime zur Verfügung stehen — auch das ist ja von Frau Kollegin Schroeder schon erwähnt worden —, die die Krankenhäuser mit ihrer beschränkten Bettenzahl und übrigens auch die Krankenschwestern entlasten; denn in solchen Heimen gibt es sicherlich Möglichkeiten für den Einsatz der zukünftigen Krankenpflegehelferin.
Pflegeabteilungen sollten aber auch den Altersheimen angegliedert werden; denn ein Milieuwechsel ist für alte Menschen nicht gerade günstig. So behalten sie den Kontakt mit den Heiminsassen, mit denen sie bisher zusammen waren.
Als einen Teil der Altershilfe sollte man vielleicht doch die Altenerholung noch etwas stärker fördern. Ich denke an Urlaubsreisen, eventuell in Kur- und Badeorte, außerhalb der Saison. Für viele wäre es sicherlich zum erstenmal eine Urlaubsreise.

(Abg. Könen [Düsseldorf]:: Warum außerhalb der Saison?)

— Schöner wäre es natürlich auch in der Saison. — Ich denke an Tageserholung, wie sie einige Städte für alte Leute schon in bestimmten Einrichtungen am Stadtrand geschaffen haben. Ich denke auch an die Gewährung von gewissen Freifahrten an Alte in städtischen Verkehrsmitteln, damit auch sie einmal Freude an der Natur draußen vor der Stadt haben.
Alle Faktoren, die in der Lage sind, die Daseinsfreude der älteren Menschen zu beeinträchtigen, haben letztlich ihre Auswirkungen im gesundheitlichen Bereich. Das heißt, die Lebensbedingungen insgesamt üben einen maßgeblichen Einfluß auf das objektive Kranksein bzw. das subjektive Sich-krankFühlen aus. Damit berühren wir vielleicht den wichtigsten Punkt: das Altersproblem ist nicht nur ein Greisenproblem, sondern es ist ein Lebensproblem, das Problem des Überlebens. Man muß den alternden Menschen helfen, mit ihrer seelischen Situation fertig zu werden. Dies ist eine Aufgabe, die sich nicht nur dem Staat, den Ländern und Kommunen sowie den Organisationen stellt, sondern letzten Endes ist jeder einzelne von uns dazu aufgerufen. Ein unversorgter kranker Alter und, wie wir leider gelegentlich lesen müssen, ein bereits einsam in der Dachkammer eines Wohnblocks Verstorbener sind doch im Grunde genommen eine Anklage gegen unsere Gesellschaft, und ich finde es fast beschämend, daß eine Aktion „Silberfisch" — Sie wissen, was sie



Frau Dr. Flitz (Wilhelmshaven)

bedeutet: die Alten sollen einen Silberfisch an das Fenster oder an die Tür hängen, wenn sie Hilfe brauchen — überhaupt nötig wurde.
Altwerden ist für viele eine beunruhigende seelische Sorge geworden; denn die innere Reifung des heutigen Menschen ist vielfach noch nicht so weit fortgeschritten, um zu der Einsicht zu führen, daß auch diese Lebensphase Werte zu schenken hat, denn das Alter bedeutet ja nicht nur Abbau. Wir brauchen vielleicht — auch das ist schon angedeutet worden — eine Erziehung zum Altwerden. Hier könnte die Gemeinschaftskunde vielleicht schon tätig werden. Aber ich denke noch mehr an die Einrichtungen der Erwachsenenbildung, die lehren könnten, zeitig in ein inneres Verhältnis zum Altern zu kommen, also sein Alter sozusagen zu planen. Denn eine echte Ausreifung der Persönlichkeit geschieht ja nicht mühelos und ganz selbstverständlich.
Dabei haben es unsere heutigen alten Menschen nicht leicht. Die Nachwirkungen des „Dritten Reiches", das wie jedes totalitäre System die Jugend verherrlichte, haben dazu beigetragen, daß Autoritäten abgebaut werden. Auch im Wirtschaftsprozeß — das wissen wir ja — wird der jüngere Bewerber wesentlich bevorzugt. Wie oft lesen wir: „Höchstalter 35 Jahre, mit langjähriger Erfahrung"! Im Grunde genommen wird die wirkliche Lebenserfahrung kaum mehr gewertet.
Alter bedeutet neben dem biologischen eben doch auch ein soziales Schicksal, das An-den-Rand-Gedrängtwerden. Wir müssen deshalb in erster Linie den alten Menschen helfen, mit ihrer Freizeit fertig zu werden, damit sie eben nicht auf der Bank im Park Zaungäste des gesellschaftlichen Lebens werden.
In diesem Zusammenhang wirft die zwangsweise Ausschaltung von Menschen an der sogenannten Altersgrenze ein Problem auf, mit dem wir uns auseinandersetzen müssen. Ich erinnere daran, daß Herr Bundeskanzler Erhard in seiner Regierungserklärung ausdrücklich gesagt hat, daß es nicht in der Absicht der Bundesregierung liegt, das Pensionsalter der Beamten oder die Altersgrenze der Arbeiter und Angestellten nach oben zu rücken. Aber man sollte denjenigen, die freiwillig bereit sind, die Chance geben, auch später ihr Können und Wissen nicht ungenützt zu lassen, auch schließlich zu ihrem persönlichen Nutzen. Mit Erreichung der gesetzlichen Altersgrenze wird der Mensch sozusagen in eine Altersgarage abgestellt. Können wir uns im Grunde genommen diesen Luxus leisten, erfahrene, reife, wertvolle Menschenkräfte zu vergeuden? Hinzu kommt, daß das Ausscheiden aus dem Arbeitprozeß von heute auf morgen häufig wie ein Schock wirkt und zu Depressionen führt. Unsere Rentenversicherung entspringt einer Sozialpolitik auf dem Grundsatz einer die Generationen verbindenden Solidarität. Alte Menschen können keine dauerhafte Beserung ihrer Lage erwarten, wenn der erwerbstätige Bevölkerungsanteil im Rückgang ist, und dies ist, wie wir wissen, der Fall.
Wir sollten langfristig prüfen, ob Beispiele aus anderen Ländern, wie etwa aus den Vereinigten
Staaten und aus Schweden, nicht auch für uns wirksam gemacht werden können. In den Vereinigten Staaten gibt es zum Beispiel die stufenweise Pensionierung der Bundesbediensteten mit einer Beschäftigung, die von einer immer leichteren Art wird, oder man regelt die Frage durch Arbeitszeitverkürzung. In Schweden gibt es eine schwebende Rentengrenze mit dem Anreiz, daß bei einer größeren Zahl von Arbeitsjahren auch die Rente steigt.
Die Initiative in der Altenhilfe ist in weiten Kreisen unseres Volkes in erfreulichem Maße gestiegen. Es sind schon erwähnt worden die Altenklubs, in denen man die älteren Bürger zusammenfaßt, damit sie Kontakt finden, aber auch den Kontakt zum kulturellen Leben behalten. Die Träger sind die freien Wohlfahrtsverbände, daneben die in Kassel gegründete Lebensabend-Bewegung; es ist das Soziale Hilfswerk, das sich ganz besonders der geistig Schaffenden annimmt, und es sind die Ortsringe des Deutschen Frauenringes. Es wäre nur wünschenswert, wenn die Initiativen auch dieser privaten Verbände mehr als bisher von den Kommunen unterstützt würden.
Noch ein letztes Wort zur Generationenfrage. Unsere Lebensordnung verlangt ein Zusammenwirken der Generationen. Im Leben eines Volkes ist jede Altersstufe notwendig und auch auf die andere angewiesen. Deshalb erscheint es mir als ein guter Weg, daß man junge Menschen in die Betreuung der alten einschaltet. Als ein Beispiel darf ich eine Aktion der „Offenen Tür", Altenhilfe in Bonn, erwähnen. Hier verteilt man adressierte Postkarten an alte Menschen, mit denen diese — nach Konfessionen getrennt — die Hilfe von jungen Menschen erbitten können.
Das geistige, kulturelle, soziale und politische Leben eines Volkes hat der Erfahrungsfülle und den schöpferischen Kräften des Alters viel zu verdanken, und es ist deshalb nicht mehr als eine selbstverständliche Pflicht, sich ihrer Sorgen und Nöte anzunehmen.
Die Fraktion der Freien Demokratischen Partei begrüßt es — wie schon eingangs gesagt wurde —, wenn diese Untersuchungen der Lebensverhältnisse der alten Menschen durchgeführt werden und eine Auswertung erfahren, die den politisch entscheidenden Gremien die Möglichkeit gibt, die entsprechenden Folgerungen daraus zu ziehen.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)


Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0412116800
Das Wort hat der Abgeordnete Kühn (Hildesheim).

Friedrich Kühn (CDU):
Rede ID: ID0412116900
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wegen der Kürze der Zeit will ich mich auf einige wenige Anmerkungen beschränken. Lassen Sie mich damit beginnen, daß ich zunächst einmal dem Personenkreis, über dessen Schicksal und über dessen Wohlergehen wir uns heute unterhalten und dem wir alle so sehr viel verdanken, unseren herzlichen Dank ausspreche. Ich glaube, das ist die Situation, von der allein aus wir auch die fachlichen Probleme,



Kühn (Hildesheim)

um die es hier im einzelnen geht, richtig behandeln können. Wir sollten der älteren Generation dankbar sein und wissen, daß wir ihr für das, was sie zu ihrer Zeit geleistet hat, Dank schuldig sind.
Von daher gesehen möchte ich ein Wort an uns alle richten. Es ist ja mehrfach — von der verehrten Frau Kollegin Dr. Flitz wie auch von Frau Schroeder und Herrn Meyer — angedeutet worden, daß das Problem der Versorgung der älter gewordenen Menschen zunächst ein Problem der Familie ist; das ist ganz selbstverständlich. Wir sollten nach draußen hin bekunden, daß wir der Familie wieder Mut dazu machen möchten, die älter Gewordenen im Kreise der Familie zu behalten;

(Beifall)

denn, meine Damen und Herren, welchen Segen der Großvater und die Großmutter in der Familie bedeuten, weiß nur der zu schätzen, der sie zu früh verloren hat oder bei der Erziehung seiner Kinder überhaupt vermissen mußte.

(Erneuter Beifall.)


Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0412117000
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Bausch?

Friedrich Kühn (CDU):
Rede ID: ID0412117100
Bitte sehr!

Paul Bausch (CDU):
Rede ID: ID0412117200
Herr Kollege, stimmen Sie mir zu, wenn ich sage, daß die Großmütter die selbstlosesten Wesen sind, die es auf dieser Welt gibt?

(Beifall.)


Friedrich Kühn (CDU):
Rede ID: ID0412117300
Ich stimme Ihnen voll zu, verehrter Herr Kollege Bausch.

(Beifall.)

Meine Damen und Herren, von daher ergibt sich umgekehrt nun aber auch der Dank an unsere Altgewordenen deswegen, weil sie sich — gerade die Bemerkung des Kollegen Bausch gibt mir Gelegenheit, das doch einmal zu unterstreichen — auch heute noch über den Kreis ihrer Familie hinaus in vielfältiger Weise einsetzen. Wer darum weiß, was älter gewordene Alleinstehende in den unvollständigen Familien oder in den Kreisen der unglücklichen Kinder, die auf die Bewahrung im Dauerkinderheim angewiesen sind, an seelischer Kraft zu vermitteln vermögen, an geistiger Leitung in der Entwicklung der Menschen, die ja sonst weitgehend des Segens, des Schutzes der Familie und der Möglichkeiten der Bildung, die sich von daher ergeben, verlustig gehen; wer davon weiß, der wird, glaube ich, auch umgekehrt sagen dürfen: hier liegt auch noch eine Quelle der Betätigung für die älter Gewordenen in unserem Volke, die sie selber noch ausschöpfen können, ausschöpfen sollten. Je mehr ich selber mich nämlich bemühe, anderen noch in Nöten zu helfen, um so leichter überwinde ich die Not, in die ich durch die Vereinsamung und Vereinzelung hineinkomme.
Darüber hinaus bleibt uns im Parlament natürlich noch eine Fülle zu tun. Ich darf hier nur kurz auf ein Problem hinweisen, von dem heute noch nicht gesprochen worden ist. Mit der 17. Novelle zum Lastenausgleichsgesetz wollen wir die Hilfen für die älteren ehemals Selbständigen unter den Flüchtlingen regeln, für die weithin noch ein Schutz gefehlt hat.
Ich möchte meine Anmerkungen schließen mit der Bitte an Sie, Herr Bundesminister, doch mit Ihren Herren Kollegen in den Ländern einmal zu sprechen. Ich fürchte, daß ,das, was hier vorher mehrfach in der Diskussion angesprochen worden ist, daß nämlich unsere älter gewordenen Mitbürger nicht in der Lage sind, die ihnen schon jetzt auf Grund von Rechtsvorschriften zustehenden Hilfen nichtig auszuschöpfen, zum großen Teil an einer Überbürokratisierung hängt, die notwendigerweise abgebaut werden muß.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Was hilft ,es, wenn das Parlament auf 'diesem Gebiet noch so gute Gesetze beschließt, wenn sich in der Verwaltung Hemmnisse zeigen, die ihre Verwirklichung verhindern. Meine Damen und Herren, ich bin überzeugt, wenn wir auf dieser Basis unsere Überlegungen im Ausschuß über die von uns vorgelegte Große Anfrage und den von der SPD vorgelegten Antrag anstellen, wenden wir in gemeinsamer Beratung zu Entschließungen und Vorlagen kommen, die uns auch auf diesem Gebiete weiterbringen.

(Beifall bei der CDU/CSU.)


Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0412117400
Das Wort hat der Abgeordnete von Bodelschwingh.

(Abg. von Bodelschwingh: Ich verzichte!)

— Er verzichtet. Das Wort hat Herr Abgeordneter Winkelherde.

(Abg. Winkelherde: Ich verzichte, ebenfalls wegen der Kürze der Zeit!)

— Die beiden Herren haben im Hinblick auf die beschränkte Zeit verzichtet.
Das Wort hat der Abgeordnete Könen (Düsseldorf) .

(Unruhe und Zurufe.)


Willy Könen (SPD):
Rede ID: ID0412117500
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Den freundlichen Zurufen, ich möchte mich den „Verzichtpolitikern" anschließen,

(Heiterkeit)

kann ich leider nicht nachkommen. Aber ich werde mich bemühen, den Zurufen, ich solle mich kurz fassen, nachzukommen. Wenn das ,auf Kosten der Höflichkeit gehen sollte, bitte ich schon vorher um Entschuldigung.

(Erneute Heiterkeit.)

— Ja, dm Telegrammstil hört sich manches gröber an.
Die Antwort des Herrn Bundesinnenministers Höcherl auf die Große Anfrage der CDU/CSU hat



Könen (Düsseldorf)

eigentlich, wenn es noch nötig gewesen wäre, bewiesen, daß der Antrag der SPD, eine gründliche Untersuchung auf vielen Gebieten vorzunehmen, dringend erforderlich gewesen ist.

(Beifall bei der SPD. — Abg. Stingl: Wie gut, daß wir Idle Anfrage gestellt haben!)

— Herr Stingl, ich muß schon sagen, es dauert dadurch immer länger. Was hat Herr Minister Höcherl denn .im Grunde genommengesagt? Er hat zu der Großen Anfrage erst eine Aufzählung alles dessen geliefert, was andere tun bzw. tun wollen, und dann hat er uns einen Bericht über .das 'gegeben, was im Bundessozialhilfegesetz steht. Herr Minister, ich werde mir also Ihre Ausführungen im Protokoll herausschneiden, weil ich damit einen neuen Text für meine Vorträge über den Inhalt ides BSHG habe. Dadurch kann ich das, was ich selber sage, inhaltlich ein wenig verändern.
Damit ist die Große Anfrage der CDU nicht beantwortet worden, besonders wenn ich an das denke, was im Punkt 6 gefragt wurde : Welche Erfahrungen hat die Bundesregierung gesammelt? Das erinnert mich daran, meine Damen und Herren, daß es nach der Verabschiedung des Bundessozialhilfegesetzes, das am 1. Juni 1962 in Kraft trat, zwischen CDU/ CSU und FDP eine Vereinbarung gegeben hat. Die CDU/CSU hat der FDP gesagt, die ja auch nicht für dieses Gesetz war, wie es dann nachher entwickelt wurde: Nun hört mal zu und haltet ein bißchen still; in einem Jahr werden wir einen Erfahrungsbericht vorlegen. Das Jahr ist um. Der Bericht ist nicht da.
Nun hatte ich gehofft, daß die Regierung wenigstens zu einem Paragraphen, nämlich zu § 75 des BSHG, einen Bericht über die gesammelten Erfahrungen geben würde. Sie hat keinen Bericht gegeben, sondern sie hat eines als Erfahrung festgestellt, nämlich daß das Zusammenkommen alter Leute in Altenklubs und ähnlichen Einrichtungen zu dem wirklich — ich kann nur bestätigen, was Herr Minister Höcherl gesagt hat -- erfreulichen Ergebnis geführt hat, daß die Alten sich nun gegenseitig nicht nur kennenlernten, sondern sich auch gegenseitig besuchten, wenn sie krank wurden, dem einen oder anderen einen Weg abnahmen, d. h. daß sie miteinander solidarisch verkehrten. Das ist tatsächlich eine Erfahrung aus der Altenhilfe. Aber im übrigen war aus den „Erfahrungen" nicht viel zu entnehmen.
Dann hat Herr Minister Höcherl noch gesagt, die Erfahrungen seien die, daß die Entwicklung in steigendem Maße befriedigend sei. Meine Damen und Herren, entschuldigen Sie, das ist nichtssagend. Ich vermute, daß die CDU/CSU-Fraktion mit ihrer Großen Anfrage etwas anderes wissen wollte, nämlich welche Erfahrungen mit § 75 BSHG gemacht worden sind.
Die Bundesregierung begrüßt die Pläne der Bundesarbeitsgemeinschaft der Spitzenverbände. Begrüßen von Plänen kostet nichts. Es kommt darauf an, was die Bundesregierung bereit ist finanziell mehr zu tun, als sie bisher getan hat.

(Abg. Stingl: Das Parlament!)

— Verzeihung, die Bundesregierung war gefragt. Wenn wir im Parlament entsprechende Anträge stellen, ist die Währung in Gefahr, Herr Stingl, darüber sind wir uns doch klar.

(Abg. Stingl: Das haben Sie aber sehr verkürzt!)

— Ich muß ja verkürzen; Sie sind schuld.
Herr Minister Höcherl hat hier aufgeführt, was an Darlehen gegeben worden ist und wie das mit den Mitteln und mit dem Nachholbedarf ist. Aber, meine Damen und Herren, das wissen wir ja. Das genügt eben nicht, um mit dieser Situation fertig zu werden.
Herr Kollege Kühn hat mit Recht davon gesprochen, daß diese ältere Generation einen Dank verdient hat für das, was sie in einem Lebensalter geschaffen hat und von dem wir profitieren. Dazu muß ich nur feststellen: Auch dieser Dank genügt nicht. Herr Kollege Kühn, der Dank hätte z. B. darin bestehen können, daß man die immer wiederholten Anträge der SPD auf Einführung einer Mindestrente wenigstens in diesem Hause hätte annehmen können. Das wäre ein handfester Dank an die Alten gewesen.

(Beifall bei der SPD.)

Mir kommt das also ein wenig billig vor.
Was die Beschäftigung alter Leute angeht, so stellt sich der Herr Minister hier hin und sagt, nach Auffassung der Bundesregierung seien keine besonderen Maßnahmen nötig; die Arbeitsmarktlage sei entsprechend, die Arbeitsämter machten das schon und vom Hörensagen wisse die Bundesregierung, daß auch in der Wirtschaft etwas geschehe.
Meine Damen und Herren, das ist eine ausgesprochen oberflächliche Betrachtungsweise. Es geht nicht darum, ob man irgendwo einen alten Mann, weil man keine Gastarbeiter bekommen kann, beschäftigt, sondern es geht hier darum, ob man einen alten Menschen im seinem Sinne vernünftig beschäftigen kann, an einem Arbeitsplatz, der für ihn zurechtgeschneidert worden ist. Darauf kommt es an und nicht auf die Arbeitsmarktlage.

(Beifall bei der SPD.)

Entschuldigen Sie, aber, wie gesagt, diese Antwort hat hoffentlich auch die CDU nicht befriedigt.
Nun sind wir uns alle miteinander — ich gehöre auch dazu — einig darüber, daß das Ideal eigentlich wäre, wenn die Familie wieder den alten Menschen gegenüber in Funktion träte. Der Herr Bundeskanzler Erhard hat in seiner Regierungserklärung von der positiven Familienpolitik gesprochen; aber er hat nicht, von den alten Menschen gesprochen, sondern von der Familie schlechthin, ohne die alten Menschen. Meine Damen und Herren, wir haben ein Wohnbeihilfegesetz; der Herr Minister hat darauf hingewiesen. In diesem Gesetz steht nun, hinsichtlich der Feststellung der Quadratmeterzahl, für die eine Mietbeihilfe beantragt werden kann: für jede weitere Person 10 qm. Soll da der alte Opa das Leben führen, von dem Frau Dr. Flitz mit Recht gesagt hat, daß es ein Leben nach dem Willen des



Könen (Düsseldorf)

alten Menschen sein soll, ein Leben, das ihm Distanz möglich macht und einen eigenen Lebensraum läßt? Meine Damen und Herren, da stoßen sich die Dinge hart im Raume. Mit 10 qm kann man den Opa eben nicht glücklich machen — darüber müssen wir uns im klaren sein —, abgesehen von dem, was diesen Dingen in der Wohnungspolitik heute sonst noch entgegensteht.
Ich bin der Meinung, daß die Frage der Nebenbeschäftigung alter Leute — und dazu, Herr Minister gehört auch die Hauspflege und die Altenpflege — in Zusammenhang mit den Abzugsmöglichkeiten nach der heutigen Gesetzgebung für Nebenverdienst gesehen werden muß. Ich habe mich persönlich dafür einsetzen müssen, daß eine Frau, die mit vielen Kindern für vier Wochen als Helferin in ein Erholungslager ging, vom Sozialamt deswegen ihre Unterstützung nicht abgezogen bekommen hat. Das sind Tendenzen, die wir abschaffen müssen.
Wegen der Kürze der Zeit nur noch einige Bemerkungen! Es gibt einige Dinge am Rande. Es wird davon gesprochen, für alte Leute ebenerdige Wohnungen zu bauen. Problem: die Polizeiverordnung über das Schneeräumen und die Eisbeseitigung! Sollen das die alten Leute tun? Wir haben solche Fälle, ich habe damit praktisch zu tun. Da muß etwas geschehen. Es muß etwas mehr geschehen, als ebenerdige Wohnungen zu bauen. Das Problem muß den alten Leuten gemäß rundherum geregelt werden, damit sie nicht morgens früh um 7 Uhr vom Schutzmann zum Schneeräumen her-ausgeschellt werden.
Nehmen Sie das Verhalten der alten Leute im Straßenverkehr! Jeder, der Auto fährt, weiß, mit welch unglaublicher Unberührtheit vom Straßengeschehen die alten Menschen über die Straßen rennen; es interessiert sie nicht, ob die Ampel grünes oder rotes Licht zeigt. Wissen wir überhaupt, wie viele alte Leute farbenblind sind? Sollten wir uns nicht dafür interessieren? Wie viele würden noch leben, wenn man das gewußt hätte! Warum geben wir nicht Merkblätter darüber heraus, wie man sich im modernen Straßenverkehr verhält? Das würde nicht viel Geld, sondern nur ein wenig Nachdenken kosten.
Nun zu den verschiedenen Formen der Einrichtungen für alte Menschen! Vom Altenkrankenhaus ist hier wenig geredet worden. Das Altenpflegeheim — früher sagte man Siechenheim — soll — wie ich hier von Frau Dr. Flitz hörte — die Krankenhäuser entlasten. Wir wissen, daß die Krankenhäuser Personen über 70 Jahre nicht gerne aufnehmen. Man befürchtet, daß diese Leute monatelang im Krankenhaus bleiben, und die Krankenhäuser sagen, diese Personen seien nicht eigentlich krank, sondern siech. Es gibt aber wahrscheinlich viel weniger sieche alte Leute, als wir glauben. In Berlin-Neukölln besteht ein Krankenhaus für alte Leute unter der Leitung von Herrn Dr. Günther, und es ist hochinteressant, wie man es in diesem Spezialkrankenhaus für alte Leute, die „siech" sind, mit der richtigen Art und Weise der Behandlung erreicht hat, daß diese Leute nach einigen Monaten dieses Krankenhaus gesund — natürlich nur so gesund, wie es ihr Alter zuläßt — verlassen können. Sie sind also gar nicht siech. Man hat sich hier ihrer besonders angenommen, während sie woanders bettlägerig bleiben.
Meine Damen und Herren, noch eine Bemerkung zur totalen Versorgung! Sehr geehrte Frau Dr. Flitz, ich wünsche Ihnen von Herzen ein sehr, sehr langes Leben, damit Sie noch den Tag erleben, an dem endlich — in der Art und Weise, wie es hier in den letzten Jahren gehandhabt worden ist — die g e -n ü g en de Versorgung eintritt. Die totale Versorgung werden Sie bei dieser Bundesregierung nie erleben. Abgesehen davon: Andere Leute wollen die totale Versorgung auch nicht. Aber wir möchten wenigstens die genügende Versorgung erleben, und dazu brauchen Sie das biblische Alter.
Bei dieser Gelegenheit fällt mir ein, daß ein prominentes Mitglied dieses Hauses auf zwei Parteitagen erklärt hat, daß wir die Grenzen des sozialen Rechtsstaates erreicht hätten. Dieses Mitglied hat 1958 auf dem CDU-Parteitag davor gewarnt, weiterzumachen, und hat gesagt, wir würden sonst in den hochsozialistischen Versorgungsstaat hineinstürzen. Wie weit wir noch von diesem Sturz entfernt sind, hat Herr Dr. Heck, Bundesfamilienminister, gesagt. Er hat nämlich im Bulletin gesagt: „Wir müssen uns vor Augen halten, wie unzureichend, ja wie beschämend unsere alten Menschen untergebracht sind. Rund 10 % der über 65 Jahre alten Menschen leben nach der Wohnungserhebung von 1960 in Notwohnungen." Wir sind also von dem „hochsozialen Wohlfahrtsstaat" leider noch sehr weit entfernt. Sie können deshalb in aller Ruhe mitmachen, was die Sozialdemokraten beabsichtigen.
Ich möchte zum Schluß noch folgendes sagen. Die Steigerung der Lebenserwartung hat nur dann einen Sinn, wenn sie nicht zu langem Siechtum oder zu einem langweiligen Ansammeln von Jahresringen führt. Die Steigerung der Lebenserwartung hat nur dann einen Sinn, wenn eine Lebenserfüllung auch im biblischen Alter gesichert und möglich ist.
Und lassen Sie sich auch noch gesagt sein: unser Antrag unterscheidet sich von der Großen Anfrage der CDU darin, daß Sie in allen Punkten von der „Altenhilfe" reden. Nehmen Sie bitte zur Kenntnis, daß Altenhilfe nur ein Teil des Problems sein kann. Wir haben nicht das Teilproblem „Altenhilfe" zu lösen, sondern

(Abg. Schmitt-Vockenhausen: Die Herren brauchen die Hilfe des Alten! — Heiterkeit links)

wir müssen eine gesellschaftspolitische Konzeption entwickeln, die es möglich macht, daß der alternde Mensch reibungslos und zufrieden in dieser Gesellschaft als alter Mensch, der einem Beruf nicht mehr nachgeht, leben kann und dabei glücklich wird. Ich hoffe sehr, daß die heutige Aussprache dazu führt — und auch die Ausschußberatungen —, daß wir auf diesem Wege doch ein Stückchen weiterkommen.

(Beifall bei der SPD.)





Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0412117600
Meine Damen und Herren, es liegen keine Wortmeldungen mehr vor. Ich schließe die Aussprache.
Ich schlage Ihnen vor. den Antrag der Fraktion der SPD — Drucksache IV/1922 — dem Ausschuß für Sozialpolitik — federführend — sowie dem Ausschuß für Familien- und Jugendfragen zur Mitberatung und gemäß § 96 der Geschäftsordnung dem Haushaltsausschuß zu überweisen. — Widerspruch erfolgt nicht; es ist so beschlossen.
Nunmehr wenden wir uns den Zusatzpunkten zu. Ich rufe auf Punkt 1:
Beratung des Schriftlichen Berichts des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten (19. Ausschuß) über den von der Bundesregierung zur Unterrichtung vorgelegten Vorschlag der Kommission der EWG für eine Verordnung des Rats über die Definition von Butter der ersten Qualität im Sinne der Verordnung Nr. . . . / 64 / EWG des Rats (Drucksachen IV/2022, IV/2036).
Ich danke dem Berichterstatter, dem Abgeordneten Bauer (Wasserburg), für seinen Schriftlichen Bericht. Ich eröffne die Aussprache. — Das Wort wird nicht gewünscht. Ich schließe die Aussprache.
Wer dem Antrag des Ausschusses auf Drucksache IV/2036 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Keine Gegenstimmen. Enthaltungen? — Keine Enthaltungen. Einstimmig angenommen.
Ich rufe auf den zweiten Zusatzpunkt:
Beratung des Schriftlichen Berichts des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten (19. Ausschuß) über den von der Bundesregierung zur Unterrichtung vorgelegten Vorschlag der Kommission der EWG für eine Verordnung des Rats über die Festsetzung der Grenzen der Richtpreise der Erzeugermitgliedstaaten für Reis sowie über die Festsetzung des Schwellenpreises der Nichterzeuger-Mitgliedstaaten für Reis und Bruchreis für den am 1. Juli 1964 beginnenden Zeitraum (Drucksachen IV/2023, IV/2037).
Ich danke dem Berichterstatter, dem Abgeordneten Seither, für. seinen Schriftlichen Bericht. Wird das Wort gewünscht? — Das ist nicht der Fall.
Ich lasse über den Antrag des Ausschusses auf Drucksache IV/2037 abstimmen. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen.. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Keine Gegenstimmen. Enthaltungen? — Auch keine Enthaltungen. Einstimmig angenommen.
Der dritte Zusatzpunkt ist bereits erledigt. Ich rufe auf den vierten Zusatzpunkt:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung und Ergänzung des Gesetzes zur Regelung von Ansprüchen aus Lebens- und Rentenversicherungen (Drucksache IV/1671);
Schriftlicher Bericht des Wirtschaftsausschusses (16. Ausschuß) (Drucksache IV/2016).
Ich danke dem Berichterstatter, dem Abgeordneten Leonhard, für den Schriftlichen Bericht. Ich rufe in zweiter Beratung auf Art. 1, — 2, — 3, — 4, —5, — 6, — Einleitung und Überschrift. — Das Wort wird nicht gewünscht.
Wer den aufgerufenen Bestimmungen zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Angenommen.
Wir kommen zur
dritten Beratung.
Ich eröffne die allgemeine Aussprache. — Das Wort wird nicht gewünscht; ich schließe die allgemeine Aussprache.
Wer dem Gesetzentwurf in dritter Beratung zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Keine Gegenstimmen. Enthaltungen? — Keine Enthaltungen. Einstimmig angenommen.
Ich rufe auf den fünften Zusatzpunkt:
Beratung des Mündlichen Berichts des Ausschusses für wirtschaftlichen Besitz des Bundes (28. Ausschuß) über den Antrag des Bundesministers der Finanzen betreffend Veräußerung der bundeseigenen Grundstücke in Köln, Bonner Wall 108 — 120 und Vorgebirgsstraße 49, an die Erwerbsgemeinschaft „Bonner Wall" (Drucksache IV/1830, IV/2086).
Ich erteile das Wort dem Berichterstatter, dem Abgeordneten Opitz. — Er hält eine Berichterstattung nicht für notwendig. Ist das Haus bereit, auf Berichterstattung zu verzichten? — Offensichtlich. Wünscht sonst jemand das Wort? — Das ist nicht der Fall. Wer dem Antrag des Ausschusses auf Drucksache IV/2086 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Keine Gegenstimmen. Enthaltungen ? — Keine Enthaltungen. Einstimmig angenommen.
Ich rufe auf den sechsten Zusatzpunkt:
Beratung des Mündlichen Berichts des Ausschusses für wirtschaftlichen Besitz des Bundes (28. Ausschuß) über den Antrag des Bundesministers der Finanzen betreffend Veräußerung der ehemaligen Heeresstandortverwaltung in Stuttgart, Rosensteinstraße 31/33, an die Firma Württ. Milchverwertung — Südmilch — AG in Stuttgart (Drucksache IV/1956, IV/2087).
Berichterstatter ist Herr Abgeordneter Opitz. — Ich nehme an, daß wir auch hier auf einen Bericht verzichten können. — Das Wort wird nicht gewünscht.
Wer dem Antrag des Ausschusses auf Drucksache IV/2087 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegen-



Vizepräsident Dr. Jaeger
probe. — Keine Gegenstimmen. Enthaltungen? — Keine Enthaltungen. Einstimmig angenommen.
Wir kommen zum siebenten Zusatzpunkt:
Beratung des Mündlichen Berichts des Ausschusses für wirtschaftlichen Besitz des Bun-dies (28. Ausschuß) über den Antrag des Bundesministers der Finanzen betreffend Veräußerung der ehemaligen Wehrmachtkommandantur in Kassel, Obere Königstraße 37, an die Eheleute Münstermann in Kassel und an den Kaufmann Friedrich Vordemfelde in Aschaffenburg (Drucksache IV/1859, IV/2088).
Auch hier hält der Berichterstatter, Herr Abgeordneter Opitz, einen Bericht nicht für notwendig. Das Haus verzichtet? — Auch sonst wird das Wort nicht gewünscht.
Wer dem Antrag des Ausschusses auf Drucksache IV12088 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Keine Gegenstimmen. Enthaltungen? — Keine Enthaltungen; einstimmig angenommen.
Ich rufe auf den achten Zusatzpunkt:
Beratung des Mündlichen Berichts des Ausschusses für wirtschaftlichen Besitz des Bundes f28. Ausschuß) über den Antrag des Bundesministers der Finanzen betreffend Veräußerung einer Teilfläche des ehemaligen Flugplatzes Linter-Eschhofen Kr. Limburg (Lahn) an das Land Hessen (Drucksachen IV/1869, IV/2089).
Der Berichterstatter, der Abgeordnete Opitz, hält auch hier einen mündlichen Bericht nicht für notwendig. Das Haus verzichtet ebenfalls, und auch sonst wird das Wort nicht gewünscht.
Wer dem Antrag des Ausschusses auf Drucksache IV/2089 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Keine Gegenstimmen. Enthaltungen? — Keine Enthaltungen; einstimmig angenommen.
Ich rufe auf den neunten Zusatzpunkt:
Beratung des Mündlichen Berichts des Ausschusses für wirtschaftlichen Besitz des Bundes (28. Ausschuß) über den Antrag des Bundesministers der Finanzen betreffend Veräußerung von Teilflächen der ehemaligen Wehrkreisreit- und Fahrschule in Aalen (Drucksachen IV/1988, IV/2090).
Auch hier hält der Berichterstatter, Herr Abgeordneter Opitz, einen mündlichen Bericht nicht für notwendig. Das Haus verzichtet? — Auch sonst wird das Wort nicht gewünscht.
Wer dem Antrag des Ausschusses auf Drucksache IV/2090 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Keine Gegenstimmen. Enthaltungen? — Keine Enthaltungen. Einstimmig angenommen.
Wir kommen zum zehnten und letzten Zusatzpunkt:
Beratung des Schriftlichen Berichts des Außenhandelsausschusses (17. Ausschuß) über die von der Bundesregierung vorgelegte Fünfundfünfzigste Verordnung zur Änderung des Deutschen Zolltarifs 1963 (Zollkontingente 1964 — gewerbliche Waren — III. Teil und Zollaussetzung für Bearbeitungsabfälle, Bruch und unbrauchbar gewordene Waren aus künstlichem Graphit) (Drucksachen IV/ 2033, IV/2083).
Ich danke dem Berichterstatter, dem Abgeordneten Bading, für seinen Schriftlichen Bericht. — Das Wort wird nicht gewünscht.
Wer dem Antrag des Ausschusses auf Drucksache IV/2083 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Keine Gegenstimmen. Enthaltungen? — Keine Enthaltungen. Einstimmig angenommen.
Ich rufe nun auf Punkt 2 der ursprünglichen Tagesordnung, und zwar zunächst:
a) Große Anfrage der Fraktionen der FDP, CDU/CSU betr. EWG-Agrarpolitik (Drucksache IV/1903).
Ich erteile das Wort zur Begründung dem Abgeordneten Dr. Effertz.

Dr. Josef Effertz (FDP):
Rede ID: ID0412117700
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft besteht nun sieben Jahre. Man kann heute mit Fug und Recht darüber streiten, ob man angesichts der inzwischen in dieser oder jener Form gemachten Erfahrungen dem Vertrag damals hätte zustimmen oder ihn hätte ablehnen sollen, insbesondere deshalb, weil inzwischen das eigentliche Ziel des Römischen Vertrages, die politische Einigung Westeuropas, in recht ferne Zukunft gerückt zu sein scheint.
Der Römische Vertrag hat auf der einen Seite in den sieben Jahren Hoffnungen erweckt, Begeisterung und Zustimmung ausgelöst, aber auch manche Illusion hochkommen lassen. Auf der anderen Seite mehren sich die Vorbehalte. Es zeigt sich immer mehr Mißverständnis, und erschreckend ist die Unkenntnis über den Inhalt und die Bedeutung dieses Vertrages sowohl in der öffentlichen Meinung als auch, wie mir scheint, bei manchem Mitverantwortlichen bei der Durchführung dieses Vertrages.
In der EWG stehen sich nach dem Römischen Vertrag sechs Partner gegenüber. Darunter sind fünf, die auf dem Agrarsektor — darum geht es heute — an den letzten, an den einen verkaufen wollen. Wir haben also fünf Verkäufer und einen Käufer. Daß das für die Bundesrepublik Deutschland eine besondere und schwierige Situation schafft, brauche ich kaum zu erwähnen.
Der Römische Vertrag sieht drei Anpassungsphasen vor, in denen bestimmte Aufgaben, die im Vertrag genannt sind und deren Ausführung anschließend durch Verordnungen in Brüssel geregelt werden soll, erfüllt werden sollen. Die erste Phase begann 1957 und endete 1961. Die zweite Phase be-



Dr. Effertz
Bann 1962 und endet 1965. Die letzte Phase endet im Jahre 1970.
Ich glaube, wir sind uns inzwischen alle darüber einig, daß viele Hoffnungen, die an diesen Vertrag geknüpft worden sind, nicht erfüllt wurden. Wir sind uns wohl auch darüber einig, daß es bis heute ein schwerer Weg im Dschungel der Verhandlungen der Kommission und des Ministerrats in Brüssel war. Wenn man nach dem Abschluß der Verhandlungen im Dezember letzten Jahres und nachdem wiederum einige Verordnungen beschlossen worden sind, in der Zeitung liest, daß alle mit dem Ergebnis zufrieden sind, aber auch alle behaupten, sie hätten Opfer gebracht, dann fragt man sich: Wofür muß das Ganze dann wohl gut sein, wenn sie alle Opfer gebracht haben und trotzdem alle zufrieden sind?
Ich erinnere in dem Zusammenhang an die schweren und langwierigen Verhandlungen insbesondere im Jahre 1961 bis hinein in den Januar, bis zum 14. Januar 1962. Ja, man hielt die Uhren an, um endlich am 14. Januar nach Marathonsitzungen und bis zur Erschöpfung der Beteiligten ohne Weihnachtspause, ohne Neujahrspause Verordnungen durchzupeitschen und zu erlassen, die wir jetzt durchzuführen haben.
Die Bundesregierung hatte damals im Zusammenwirken der beiden Koalitionsparteien für die Verhandlungen in Brüssel ein Elf-Punkte-Programm aufgestellt, das in sich ein Junktim sein sollte. Leider hat die Regierung aber damals, im Dezember, zwei entscheidende Fehler gemacht. Einmal hat sie in diesem Elf-Punkte-Programm, ohne daß der Vertrag dazu gezwungen hat, auf das Instrument der Mindestpreise beim Import verzichtet, und zum zweiten hat sie auf das Instrument der Kontingente, also der Mengenregelung, verzichtet.
Im Anschluß an die Beratungen in Brüssel im Dezember 1961 und Januar 1962 haben wir hier im Bundestag nach einer ausführlichen Debatte am 31. Januar 1962 einstimmig, also unter Einschluß der Opposition, eine Entschließung angenommen, in der wir uns miteinander und gegeneinander verpflichtet haben, mit Rücksicht auf das gemeinsam gewünschte Ziel einer Einigung Westeuropas nunmehr eine gemeinsame agrarpolitische Konzeption zu entwickeln und daran mitzuarbeiten. Das sage ich heute mit Betonung, weil ich auch die Opposition nicht aus ihrer damals eingegangenen Verantwortung, mit Wege zu suchen, wie man am besten das Ziel im Interesse der deutschen Landwirtschaft, aber auch der deutschen Verbraucher verfolgen kann, entlassen möchte.
Oftmals ist mit bitterem Unterton davon gesprochen worden, daß die Bundesrepublik im Laufe der letzten sieben Jahre zugunsten der anderen Partner, die also Exportländer sind, als Voraussetzung zur Zustimmung zu Verordnungen mehr Vorleistungen erbracht hat, als die anderen uns gegenüber an Konzessionen zu geben bereit waren. Hier darf ich insbesondere an den sehr rührigen und vielleicht für Frankreich auch sehr erfolgreichen Landwirtschaftsminister Pisani erinnern, der in Brüssel manchmal in recht impulsiver Art darauf hingewiesen hat, daß es ihm besonders darum geht, die französischen Belange durchzusetzen, und daß er erwartet, daß die anderen, insbesondere die Bundesrepublik als der Abnehmer, darauf eingehen.
Während wir das Gespenst an die Wand gemalt bekommen, wir sollten nicht zuviel produzieren, insbesondere in der Veredelungsproduktion, während wir also unseren Bauern sagen: tut nicht zuviel in der Produktion!, ist es nach den Worten Pisanis das erklärte Ziel der französischen Agrarpolitik, die französische Produktion, obwohl Frankreich bereits ein Exportland ist, um weitere 30 % zu steigern. Wenn ich nun unterstellen darf, daß, wiederum nach französischer Vorstellung, zunächst einmal die EWG mit einem Außenzoll ein autarkes Gebilde sein soll, in dem nämlich nur ein Käufer vorhanden ist, dann bedeutet das Mehr von 30 % in Frankreich ein Weniger von 30 % in der Bundesrepublik, also ein Schrumpfen unserer Produktion um 30 %. Daß wir dem aus eigenen nationalen Gründen und auch im Hinblick auf die Ernährungssicherung — ich denke da insbesondere an die Notstandsgesetzgebung und die Sicherstellungsgesetze — nicht zustimmen können und nun auf der Herstellung der Chancengleichheit, wie der Römische Vertrag sie vorsieht, in den Verhandlungen in Brüssel bestehen müssen, ich glaube, das brauche ich nicht besonders zu betonen.
Meine Damen und Herren, wir haben bis jetzt auch immer wieder gehört, es sei sehr nützlich, daß bis zum 1. Januar 1966 Beschlüsse in Brüssel nur einstimmig gefaßt werden könnten, und es sei nützlich, in dieser Zeit, wo in Brüssel alles einstimmig beschlossen werden muß, deutscherseits dafür zu sorgen, daß wir dann, wenn einmal in der dritten Phase die Beschlüsse nicht mehr mit Einstimmigkeit gefaßt werden, nicht überstimmt werden. Wenn ich diese Argumente höre, möchte ich sagen, daß diese Einstimmigkeit auch eine Kehrseite hat, daß es auch eine andere Seite der Medaille gibt. Die Kehrseite heißt: Es gibt auch ein Vetorecht für jeden, und von diesem Vetorecht hat, glaube ich, Frankreich in der Vergangenheit mehr als einmal Gebrauch gemacht. Ich denke dabei besonders daran, daß Herr Pisani im Auftrag der französischen Regierung im Dezember 1961 Vorleistungen von uns gefordert hat, die nach dem Vertrag eigentlich erst in der zweiten und dritten Phase hätten erfüllt werden müssen, als Voraussetzung für die Zustimmung Frankreichs zum Beginn der zweiten Phase.
Ich wäre glücklich gewesen, wenn die Bundesrepublik in der Vergangenheit auch einmal oder manchmal — und wir hätten mehr Ursache gehabt als die Franzosen — von dieser Möglichkeit des Vetorechts Gebrauch gemacht hätte, um den berechtigten Belangen unserer Landwirtschaft unter Berufung auf unsere Verpflichtungen nach dem Landwirtschaftsgesetz Wirkung zu verschaffen.
Meine Damen und Herren, wenn mir als Politiker und Parlamentarier die Ergebnisse der Verhandlungen in Brüssel vorgelegt werden und ich den Perfektionismus sehe, der dort getrieben wird, wenn



Dr. Effertz
ich dann weiter unterstelle, daß wir über das Zustandekommen von Beschlüssen in den Kommissionen keine Kenntnis bekommen, insbesondere keine Kenntnis von den Argumenten und Gegenargumenten, mit denen ein Beschluß in den Kommissionen zur Vorlage an den Ministerrat zustande kommt, dann kann ich verstehen, daß der Nichteingeweihte, der sich nicht um die Dinge kümmert, allmählich ein Grauen bekommt vor dem, was die — jetzt im guten Sinne gesprochen — Bürokraten in Brüssel uns an Perfektionismus im Zusammenhang mit dem Römischen Vertrag vorsetzen. Wir laufen mit dieser Einstellung und mit dieser Feststellung des Zuviel an Bürokratismus und Perfektionismus, je länger wir von der Annahme des Vertrages uns entfernen, Gefahr, daß die Mißverständnisse sich häufen und immer größer werden. Inzwischen sind wir da gelandet, daß man die allgemeine Auffassung vertritt, die EWG habe nur etwas mit Landwirtschaft zu tun, und in letzter Zeit sogar ,die Auffasung hört, die EWG habe nur etwas mit dem Getreidepreis zu tun. Diejenigen, die so etwas behaupten, haben vielleicht den Vertrag in der Vergangenheit noch nicht gelesen und sollten es nachholen. Sie sollten ihn genau durchlesen. Dann werden sie feststellen, daß im Römischen Vertrag von dem Ziel der politischen Einigung und von der Integration der gesamten Wirtschaftspolitik die Rede ist und nicht nur von der Integration der Agrarpolitik, erst recht nicht nur von der Harmonisierung von Preisen.
Warum wird nun heute die Große Anfrage behandelt? Wir stehen im April vor einer sehr wichtigen, I vielleicht der letzten wichtigen Entscheidung in Brüssel. Dort geht es um die Frage, ob die Bundesregierung der Vorlage der Kommission, dem MansholtPlan, zustimmen soll oder nicht, ob wir uns in eine Diskussion über eine Abwandlung dieses Vorschlages einlassen sollen oder ob nicht jetzt der Zeitpunkt gekommen ist, wo die Bundesrepublik im Interesse der deutschen Landwirtschaft auch einmal nein sagen sollte.
Nun, darüber werden wir uns im Anschluß an die Beantwortung der Großen Anfrage durch die Regierung noch zu unterhalten haben. Ich sage: es ist vielleicht die letzte Möglichkeit, in Brüssel noch einmal eine Weiche zu stellen, bevor wir uns vollends unserer Souveränitätsrechte als Parlament begeben haben. Der Mansholt-Plan verlangt einseitig die Senkung des deutschen Getreidepreises. Im Plan selbst heißt es: die Harmonisierung der EWG-Getreidepreise. Das bedeutet für das einzige Käuferland, die Bundesrepublik, eine wesentliche Preisherabsetzung, für Frankreich eine Erhöhung, allerdings nicht in dem gleichen Ausmaß, wie wir die Preise senken sollen.
Wenn ich mir den Mansholt-Plan ansehe und dabei feststelle, daß dort nur etwas über den Preis ausgesagt wird, der harmonisiert werden soll, ohne daß man von den Voraussetzungen spricht, unter denen das möglich ist, so muß ich immer an einen Kaufmann denken, der so leichtsinnig ist, seine Ware im Schaufenster mit Preisen auszuzeichnen, ohne vorher untersucht zu haben, was ihn der Einkauf dieser Ware kostet, und ohne seine Unkosten mit denen der Konkurrenz verglichen zu haben.
Es wird gesagt: das sei ein Anfang, das andere I werde nachgezogen. Darauf muß ich antworten: das ist ein verhängnisvoller Weg, den die Bundesrepublik nicht mitgehen sollte; denn wir allein bezahlen die Zeche. Dabei geht es nicht so sehr um die Bauern, die dann zum Ausgleich höhere Subventionen bekommen sollen. Vielmehr bezahlt diese Zeche, die in Brüssel auf uns zukommt, der deutsche Steuerzahler insgesamt. Nur kennen wir heute noch nicht die Summe. Sie wird aber erschreckend hoch werden und sich von Jahr zu Jahr weiter erhöhen, ohne daß der Verbraucher eine spürbare Senkung der Lebensmittelpreise erwarten darf. Ich gehe sogar so weit, daß ich sage: wenn die Agrarpolitik ein Bestandteil der Wirtschaftspolitik ist und die Landwirtschaft mit den gleichen sich erhöhenden Kosten und mit den gleichen weglaufenden Löhnen produzieren muß wie die übrige Wirtschaft, wird es zwangsläufig zu einer Erhöhung der Lebensmittelpreise für den Verbraucher im gesamten Bereich der EWG kommen; denn es wäre unverständlich, wenn ein Produkt, das mit den gleichen höheren Kosten produziert wird, nun im Preise sinken sollte.
Es wäre auch eine Illusion, zu glauben, daß die jetzigen höheren Preise bei dem einen oder anderen Produkt etwa schon oder überhaupt das Ergebnis der angeblich so guten Beschlüsse für die einzelnen Marktordnungen in Brüssel seien. Die Gründe für die jetzigen höheren Preise bei Rindern und Schweinen sind ganz andere; sie sind das Ergebnis eines vorher zusammengebrochenen Preises und damit einer eingeschränkten Produktion.
Nun zu der Großen Anfrage im einzelnen noch einige Bemerkungen. Mit der Frage 1 fragen wir die Bundesregierung, ob auch sie die Auffassung teilt, daß der EWG-Vertrag, in dem den Landwirtschaften aller Partnerstaaten gleiche Entwicklungschancen zugesichert werden, nicht nur die Preisharmonisierung, sondern als Voraussetzung dafür auch die Kostenangleichung vorsieht. Ich habe schon darauf hingewiesen, daß es ein Unding ist, zu glauben, man könne — um überhaupt, wie behauptet wird, einen Anfang für die Entwicklung zu finden — in der Anpeilung des Zieles der EWG nur an den Preisen herumschnipseln, ohne die Voraussetzungen, die Kosten, die Wettbewerbsverzerrungen zu untersuchen. Die Bundesregierung wird uns auf diese Frage antworten, und wir werden dann darüber diskutieren.
Ich darf in diesem Zusammenhang insbesondere darauf hinweisen, daß es einen Artikel 39 des Römischen Vertrages gibt, der eine laufende Erhöhung des Pro-Kopf-Einkommens in der Landwirtschaft und die Gewährleistung einer angemessenen Lebenshaltung, das heißt mit anderen Worten: die Chancengleichheit für alle vorsieht. Es geht also nicht an, in Brüssel einseitig, für uns zwingend Preise zu senken, ohne vorher — und nicht hinterher — auch die Kosten zu harmonisieren und die zum Teil sogar gegen uns und diskriminierend wirkenden Wettbewerbsverzerrungen abzubauen. Im Römischen Vertrag steht auch nicht drin, daß die einzelnen Forderungen nacheinander erfüllt werden müssen. Wenn man ihn sinngemäß liest, dann ergibt



Dr. Effertz
sich, daß entweder das eine die Voraussetzung für das andere ist oder daß diese Dinge zumindest gleichzeitig zu geschehen haben, weil im Jahre 1970 für alle die restlose Chancengleichheit hergestellt sein soll.
Die Frage 2 bezieht sich auf die erste Frage. Sie bringt aber eine Einschränkung auf den Getreidepreis und bezieht sich damit auf das, was uns von der Bundesregierung zur Vorlage des Mansholt-Planes noch gesagt werden soll. Wenn uns nun im Zusammenhang mit der Senkung des Getreidepreises eine Ausgleichszahlung angeboten wird, dann ist es notwendig, den Verbraucher und den Steuerzahler in der Bundesrepublik darauf hinzuweisen, daß die Ausgleichsbeträge in ihrer Gesamthöhe noch strittig sind. In Brüssel hat man errechnet, daß bei einer Senkung des deutschen Getreidepreises auf das Mittelniveau wir einen Ausgleichsbetrag aus einer gemeinsamen Kasse von 560 Millionen bekommen sollen. Nach unterschiedlichen Feststellungen aus der Bundesrepublik beläuft sich dagegen — alles zusammengerechnet — die Einkommensminderung durch die Senkung des Getreidepreises auf eine Größenordnung zwischen 900 Millionen und 1,2 Milliarden. Das ist aber nur die eine Seite.
Die andere Seite, die zu untersuchen interessant ist und die insbesondere dem Steuerzahler vorzuhalten ist, ist die, daß die Bundesrepublik auf Grund der Beschlüsse zunächst gezwungen ist, in diese gemeinsame Kasse hineinzuzahlen, bevor sie Geld bekommt. Es gibt hier eine interessante Berechnung. 1 Wenn wir unterstellen, daß der echte Einkommensausgleich, den wir bekämen, 560 Millionen DM betragen würde, dann müßten wir nach den bisherigen Beschlüssen in die gemeinsame Kasse zunächst über 600 Millionen hineinzahlen, ehe wir 560 Millionen zurückbekommen.
In der Frage 4 fragen wir die Bundesregierung, ob im Hinblick auf die anstehenden GATT-Verhandlungen bezüglich der Agrarpreise, insbesondere der Getreidepreise und der Abschöpfungsbeträge schon Vereinbarungen im Ministerrat der EWG oder mit Regierungen von Partnerländern oder Drittländern getroffen oder Zusagen gemacht worden sind. Ich kann mir vorstellen, daß die Bundesregierung darauf mit einem glatten Nein antwortet. Es würde uns in diesem Hohen Haus auch interessieren, ob nicht in den Kommissionen hinter verschlossenen Türen oder durch zweiseitige Absprachen bzw. Zugeständnisse oder dadurch, daß etwas in Aussicht gestellt worden ist, die Weichen gestellt sind, so daß sich eine Vorbelastung für die GATT- und Kennedy-Runde ergibt.
Zur Frage 5. Wir fragen die Bundesregierung, wie es mit der Milchprämie ist, ob sie bis zum Ende der Anpassungsfrist, also bis zum Jahre 1970 und darüber hinaus, in der bisherigen Form als Bundes-und als Landesmilchsubvention weiter gezahlt werden kann. Die Bundesregierung wird darauf, wie ich vermute, antworten: ja; und sie wird damit recht haben. Ich bitte aber, dieses Ja doch sehr deutlich zu betonen und zu begründen, weil leider, nicht zuletzt aus Brüssel, wahrscheinlich gesteuert, unterschiedliche und mißverständliche Äußerungen über diesen Beschluß in die Welt gesetzt worden sind, durch die Beunruhigung in unserer Landwirtschaft entstanden ist; Äußerungen, als ob wir bereits mit dem Jahre 1967 beginnend unsere eigenen nationalen Milchstützungsbeträge abbauen müßten, ohne daß vorher geregelt ist, was an ihre Stelle treten soll.
Zur Frage 6: Warum hat die Bundesregierung — ich will es zusammenfassen — der straffsten Form, also einer gemeinsamen Marktordnung für alle landwirtschaftlichen 'Erzeugnisse, in den Verordnungen zugestimmt, obwohl sie doch nach Art. 40 die Möglichkeit gehabt hätte, zwischen drei Möglichkeiten zu wählen: entweder gemeinsame Wettbewerbsregeln aufzustellen und zu vereinbaren, oder eine bindende Koordinierung der verschiedenen einzelstaatlichen Marktordnungen anzustreben, oder — wie leider bisher für alle Produkte geschehen — eine einheitliche Marktordnung zu etablieren?
Nun, wenn man den letzten Weg bei Getreide und anderen Produkten gewählt hat, wo es vielleicht möglich ist, so bin ich doch der Meinung, daß es z. B. bei den Beratungen über einen gemeinsamen Markt für Milch nicht möglich ist oder noch nicht möglich ist. Ich bin durchaus der Meinung, daß wir den Art. 40 in seiner Gesamtheit bei den Verhandlungen in Brüssel wieder berücksichtigen sollten, um bei den kommenden Beratungen, auch wenn man sich — allerdings ohne Befragung des Parlaments — in der einen oder anderen Kommissionsbesprechung auf eine Richtung festgelegt hat, das zu revidieren.
Auf Art. 39 habe ich schon verwiesen. Er wird in der Frage 7 noch einmal angesprochen.
Nun zur Frage 8. Hier geht es um die Frage nach einem Gesamtprogramm für die europäische Agrarpolitik, das den deutschen Vorstellungen auf Grund unseres noch gültigen Landwirtschaftsgesetzes entspricht.
Ich könnte die Bundesregierung weiter fragen, ob es nach ihrem Wissen in der EWG ein Gesamtkonzept und eine Gesamtkonzeption für das Endbild einer gemeinsamen Agrarpolitik in der EWG, wenn alles harmonisiert und Chancengleichheit hergestellt sein soll, gibt. Ich glaube, die letzte Frage müßte die Bundesregierung verneinen. Aber auch auf die erste Frage wird uns die Bundesregierung, glaube ich, heute kein endgültiges Konzept sagen können. Deshalb diese Frage, und deshalb auch die anschließende Diskussion und der Appell an uns alle, dann mit der Regierung zusammen zu versuchen, das nachzuholen, was bis jetzt nicht geschehen ist: in Zukunft mit einer gemeinsamen Marschroute in Brüssel unsere deutschen Interessen unter Bezugnahme auf die Möglichkeiten des Vertrages durchzusetzen.
Was wir als Koalitionsparteien nicht möchten, ist die Empfehlung des Herrn Mansholt in seinem Plan, im Zusammenhang mit der Getreidepreissenkung eine Ausgleichszahlung aus sozialpolitischen Gründen vorzusehen. Damit würde man die Agrarwirt-



Dr. Effertz
schaft mehr oder weniger — wie das in Frankreich leider schon sehr weit gediehen ist — zu einem Sozialempfänger, die Agrarpolitik zu einem Anhängsel der Sozialpolitik machen. Ich habe nichts dagegen, daß man dann, wenn es notwendig ist, die sozialen Belastungen der Landwirtschaft mildert, auch Hilfen gewährt. Aber finanzielle soziale Hilfen dürfen niemals ein Ersatz für konjunkturpolitische Hilfen sein; sonst klammern wir die Agrarpolitik vollends aus der Wirtschaftspolitik aus. Ich bin der Meinung, sie sollte noch mehr als bisher in die Gesamtwirtschaftspolitik einbezogen werden. Und wenn ich die Agrarpolitik so sehe, im Rahmen der Gesamtwirtschaftspolitik, dann paßt der Vorschlag Mansholt nicht hinein.
Meine Damen und Herren, im Römischen Vertrag und insbesondere in den Verordnungen zur Getreidemarktordnung und auch nach Absprachen und Beschlüssen in Brüssel ist vorgesehen, daß die unterschiedliche Kostenlage und die Wettbewerbsverzerrungen in den einzelnen Ländern untersucht werden und Verzerrungen abgebaut werden sollen. Also die Gleichheit ist Voraussetzung für die Preisharmonisierung.
Was ist inzwischen geschehen? Nun, inzwischen, habe ich gehört, liegt ein Katalog der bestehenden Wettbewerbsverzerrungen und Kostenunterschiede vor. Aber es wird bezweifelt, ob dieser Katalog vollständig und ob er absolut eindeutig isst. Leider muß ich hinzufügen, daß man das, was mit der Beseitigung der Wettbewerbsverzerrungen gewollt ist, bis jetzt nicht begonnen hat.
In Frage 8 wird auch nach einer Vorlage von Vorschlägen zur Harmonisierung in den Bereichen der Wirtschafts-, Finanz- und Sozialpolitik gesprochen, die von entscheidendem Einfluß auf die Kostenlage, auf dieProduktionskosten in der Landwirtschaft sind. Diese Frage ist nicht zuletzt deshalb gestellt worden, weil im Römischen Vertrag die Harmonisierung und die Integrierung der gesamten Wirtschaftspolitik vorgesehen sind.
Nun, mit der Landwirtschaft haben wir begonnen. Die Verkehrsexperten sagen, auf ihrem Gebiet sei das so schwer, da könne man noch nicht beginnen. Ob die Steuerfachleute der Meinung sind, daß wir die Steuern harmonisieren könnten — was ja auch eigentlich eine Voraussetzung wäre —, steht ebenfalls noch nicht fest. Ob die Energiepolitik, die Tarifpolitik und vieles andere mehr bis 1970 harmonisiert und integriertwerden können, ist auch eine Frage.
Deshalb, weil bisher auf diesen Gebieten nichts oder noch nichts geschehen ist, weil vielleicht die anderen sich auch bisher mit Erfolg gegenüber Vorstellungen der Bundesregierunggesperrt haben, stellen wir die Frage 8 unter c, welche Vorstellungen die Bundesregierung darüber hat, ob Vorschlägie zur Harmonisierung auf diesem Gebiet gemacht werden können.
Und nun zur kritischsten Frage, zur Frage 9:
Sieht die Bundesregierung überhaupt eine Möglichkeit für die Preisharmonisierung, solange nicht eine gemeinsame Währungspolitik sichergestellt ist?
Sollte die Bundesregierung — was eigentlich vorausgesetzt werden müßte — sagen: ja, auch sie sei der Meinung, 'daß zunächst die Wahrung harmonisiert oder eine Verrechnungseinheit gesucht werden müßte, um zu verhindern, daß ein Land mit harter Währung die Inflation eines Landes mit weicher Währung bezahlt, würde das allerdings bedeuten, daß wir, insbesondere aus diesem Grunde, in Brüssel eine Verschnaufpause einlegen und überlegen müßten, ob wir dem Mansholt-Plan in der vorliegenden Form mit allen seinen Konsequenzen zustimmen können.
Ich bitte nunmehr die Bundesregierung um Beantwortung unserer Großen Anfrage. Ich habe nur noch einen Wunsch — mit dem Hinweis auf den Römischen Vertrag und das Ratifizierungsabkommen —: daß das Parlament in Zukunft etwas mehr als bisher, etwas rechtzeitiger als bisher und insbesondere vor Grundsatzbeschlüssen auch etwas frühzeitiger Gelegenheit bekommt, die Dinge, die in Brüssel zur Entscheidung stehen, ausgiebig zu behandeln. Wir fühlen uns als Parlament manchmal zu sehr 'ausgeschaltet und halten es nicht für gut, daß man nationale Rechte an ein noch nicht existentes internationales Parlament — ich meine an das Parlament in Straßburg — abgibt, dafür dann aber einem Ministerrat in Brüssel alles in die Hand gibt, sowohl die Legislative als auch die Exekutive als auch die Selbstkontrolle, und daß wir dann auch noch nicht einmal unterrichtet werden über das Zustandekommen von schwierigen Verhandlungen und Beschlüssen in den Kommissionen, die ja die Grundlage für die Vorlage an den Ministerrat und damit für die gesetzgebende Beschlußfassung im Ministerrat bilden.
Ich darf die Bundesregierung bitten, alles zu tun, damit in Brüssel in Zukunft — vor allem aber jetzt bei der Behandlung des Mansholt-Plans — der Gesichtspunkt berücksichtigt wird, daß das Ziel der EWG — neben dem Endziel der politischen Einigung — die Chancengleichheit ist, und zwar nicht nur in der Landwirtschaft, sondern in der Gesamtwirtschaft, und daß es nicht angeht, sich auf den Standpunkt zu stellen: Zuerst muß das eine Land ein Opfer bringen, und dann zieht das andere nach. Unter dieser Voraussetzung werden dann nämlich Beschlüsse gefaßt, die nicht mehr zu reparieren sind. Das Ziel ist die Chancengleichheit. Auf die eigene Landwirtschaft können wir im Bundesgebiet aus Gründen der Sicherung und aus politischen Gründen nicht verzichten.
Die Bundesregierung sollte sich von uns bitten lassen, die Offentlichkeit mehr als bisher darüber aufzuklären, daß der EWG-Vertrag etwas mehr darstellt als nur die Frage nach dem deutschen Getreidepreis.

(Beifall bei der FDP und in der Mitte.)


Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0412117800
Die Große Anfrage ist begründet.
Zur Beantwortung hat das Wort der Herr Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten.

Werner Schwarz (CDU):
Rede ID: ID0412117900
Herr Präsident! Meine Da-



Bundesminister Schwarz
men und Herren! Die Antworten der Bundesregierung auf die vorliegende Große Anfrage sind — wie es dem Stil des Hohen Hauses entspricht — konkret und knapp auf den Wortlaut der neun Fragen abgestellt. Allen diesen neun Fragen ist aber eine grundsätzliche Frage gemeinsam, nämlich die Frage nach dem Verhältnis zwischen der deutschen Agrarpolitik und der gemeinsamen Agrarpolitik der EWG oder, im besonderen, zwischen dem deutschen Landwirtschaftsgesetz und dem EWG-Vertrag.
Ich brauche heute auf die deutsche Agrarpolitik der letzten Jahre und ihre Ergebnisse nicht einzugehen, sondern kann auf meine Ausführungen bei der Vorlage des Grünen Berichts und des Grünen Plans 1964 verweisen, die Gegenstand der anschließenden Debatte gewesen sind. Wohl aber scheint mir eine kurze erklärende Vorbemerkung zu der erwähnten Grundsatzfrage nötig.
Die gemeinsame Agrarpolitik der EWG ist eine Aufgabe, die den sechs Partnerstaaten durch den EWG-Vertrag gestellt worden ist und die von ihnen in den vom Vertrag vorgesehenen Fristen gelöst werden muß. Abgesehen von den Grundsätzen des EWG-Vertrages und den zwingenden Fristen, die er setzt, ist die Ausarbeitung dieser gemeinsamen Agrarpolitik weitgehend den Anstrengungen der Partnerstaaten überlassen, wobei die Betonung jedoch auf dem Wort „gemeinsam" liegt. Damit sind etwaige Alleingänge eines der Partnerstaaten, die mit dem Vertrag nicht übereinstimmen, ausgeschlossen worden. Die nationale agrarpolitische Gesetzgebung wird sich also in Zukunft im Rahmen der supranationalen Verpflichtungen zu halten haben. Das heißt praktisch, daß der Verzicht auf Souveränität auf den Gebieten der Handels- und Preispolitik realisiert werden muß. Die gemeinsame Agrarpolitik muß im Laufe der Übergangszeit bis 1970 erarbeitet werden.
Die Kommission der EWG hat mehrfach erklärt, daß sie es ablehnen müsse, eine solche gemeinsame Agrarpolitik gleichsam als fertiges Gebilde für 1970 hinzustellen. Tatsächlich handelt es sich um einen Entwicklungsprozeß aus den lebendigen Kräften der Wirtschaft, also der freien einzelnen Teilnehmer am Wirtschaftsleben. Dieser Prozeß verlangt die mannigfaltigsten Anpassungsvorgänge, bei den Unternehmern in der Landwirtschaft nicht anders als in der übrigen Wirtschaft. Das Ziel der gemeinsamen Agrarpolitik am Ende der Übergangszeit ist als Vorstellung sichtbar. Im Vertrag ist verankert, mit welchen Mitteln es erreicht werden soll, d. h. ebenso, welche Mittel während der Übergangszeit ausgeschlossen werden sollen. Über die agrarwirtschaftlichen Schritte zu diesem Ziel muß von Fall zu Fall und auf dem Wege der Verhandlung zwischen den Partnerstaaten eine Einigung erzielt werden. Eine solche Einigung darf jedoch grundsätzlich nicht auf Kosten der Lebenshaltung der Landwirtschaft eines der Partnerstaaten gehen. Wenn zur Verwirklichung des großen politischen Ziels auch Opfer verlangt werden, dann dürfen diese jedoch keineswegs das Fundament der wirtschaftlichen Existenz großer Bevölkerungsgruppen erschüttern.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Mindestens ist zu verlangen, daß den Betroffenen als Äquivalent für ihr Opfer eine Chance in der gemeinsamen Wohlstandsentwicklung gezeigt werden kann, die sie auf dem Weg der unternehmerischen Selbsthilfe ergreifen können. Diese Chance ist für den Landwirt der Bundesrepublik im Gemeinsamen Markt nach allen bekannten Spielregeln der Ökonomik wie nach den Gesetzen der landwirtschaftlichen Produktion ebenso gegeben wie für seinen Berufskollegen in den Partnerstaaten. Voraussetzung dafür ist jedoch, daß er hinsichtlich der Startbedingungen, soweit sie durch Maßnahmen der Staaten beeinflußt werden, nicht benachteiligt wird. Soweit solche Benachteiligungen vorhanden sind, müssen sie schon in der Übergangszeit beseitigt werden. Dann kann auch der Landwirt im Gemeinsamen Markt die optimale Kombination der Produktionsmittel anstreben, die seinem Standort gerecht wird, der ja grundsätzlich nicht ungünstig ist.
Ich darf diese Vorbemerkungen zu den nun folgenden Antworten auf die Einzelfragen mit einem Satz aus meinen Ausführungen vom 12. Februar abschließen:
Leitidee der Agrarpolitik der Bundesregierung in diesem Wandel ist die Überführung der Landwirtschaft der Bundesrepublik bei gleichzeitiger Erhaltung ihrer materiellen und ideellen Werte in die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Nunmehr zu den einzelnen Fragen. Frage 1. Für eine Harmonisierung der Kosten bietet der EWG-Vertrag eine eindeutige Rechtsgrundlage im Bereich der Verkehrspolitik. Die Bundesregierung ist bemüht, auch auf eine Angleichung anderer Kostenfaktoren hinzuwirken.
Zu Frage 2! Eine Angleichung der Erzeugungskosten dürfte in dem differenzierten Wirtschaftsraum der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft nur sehr schwer möglich sein. Dies ergibt sich allein daraus, daß eine derartige Angleichung schon in dem engeren Raum der Bundesrepublik nur bis zu einem gewissen Grade zu erreichen ist.
Zu Frage 3! Entgegen der Auffassung der Kommission ist die Bundesregierung der Meinung, daß die Erlösminderung durch die Senkung der Getreidepreise wesentlich höher ist, als im Mansholt-Plan angegeben wird, und auch eine Minderung bei den Erlösen für andere Produkte eintreten würde. Da die Bundesregierung eine Senkung der Getreidepreise für 1964/65 abgelehnt hat, sind die für den Erlösausfall 1964/65 durchgeführten Berechnungen überholt.
Zu Frage 4! Im Ministerrat der EWG einigte man sich auf bestimmte Grundsätze für ein Mandat, in dessen Rahmen die Kommission Handelsverhandlungen im GATT führen soll. Damit wurde die Haltung der Gemeinschaft grundsätzlich festgelegt. Für den Agrarsektor wurde der Gedanke der gegenseitigen Abreden über bestimmte Stützungsbeträge für die landwirtschaftlichen Erzeugnisse eingeführt. Dabei soll für einzelne Agrarprodukte die Möglichkeit



Bundesminister Schwarz
der Regelung durch weltweite Abkommen geprüft werden.
Bezüglich der Agrarpreise wurden weder Vereinbarungen getroffen noch Zusagen gemacht.
Zu Frage 5! Auf Beschluß des Ministerrats der EWG wird die Kommission der Bundesregierung empfehlen, ihre Qualitätsprämien für Milch ab 1966/67 schrittweise abzubauen oder durch produktneutrale Subventionen zu ersetzen. Die Bundesregierung kann zum Inhalt einer etwaigen Empfehlung noch nicht Stellung nehmen. Es ist hingegen nicht möglich, Ausgleichszahlungen über die Übergangszeit hinaus auf nationaler Ebene sicherzustellen. Sollte die Lage der Milcherzeuger in der Endphase des Gemeinsamen Marktes Ausgleichsmaßnahmen erforderlich machen, so wird es Aufgabe der Bundesregierung sein, für einen entsprechenden Ausgleich im Rahmen der Gemeinschaft zu sorgen. Über die Zukunft des deutschen Trinkmilch-Werkmilch-Ausgleichs wird erst bei der noch ausstehenden EWG-Regelung der Trinkmilchmärkte entschieden werden. Die Bundesregierung fordert, das deutsche Ausgleichssystem in die EWG-Regelung zu übernehmen.
Zu Frage 6: Bei den bisher verabschiedeten Marktregelungen ist allen im Vertrag vorgesehenen Möglichkeiten zur Herstellung eines gemeinsamen Agrarmarktes, soweit sie mit dem angewandten Abschöpfungssystem in Einklang zubringen sind, entsprochen worden. Desgleichen ist die volle Ausnutzung der Übergangszeit in den Verordnungen sichergestellt. Allerdings muß darauf hingewiesen werden, daß ab 1. Januar 1966 durch Mehrheitsbeschluß des Ministerrates auf einzelnen Warengebieten einheitliche Markt- und Preisregelungen vor Ende der Übergangszeit eingeführt werden können.
Zu Frage 7: Bei den Verhandlungen über die EWG-Marktordnungen sind alle Bestimmungen des Art. 39 des EWG-Vertrages maßgebend gewesen. Darüber hinaus hat der Ministerrat der EWG beschlossen, in alle bestehenden und noch zu verabschiedenden Verordnungen eine bestimmte Klausel aufzunehmen. Durch diese Klausel soll sichergestellt werden, daß bei der Anwendung der gemeinsamen Marktorganisationen zugleich den in Art. 39 und 110 des EWG-Vertrages genannten Zielen in geeigneter Weise Rechnung getragen wird.
Zu Frage 8, zunächst zu 8 a: Die Bundesregierung ist bereit, sich für derartige Untersuchungen einzusetzen. Die EWG-Kommission hat Materialsammlungen der in der Frage erwähnten Art, nämlich über die Beihilfengewährung sowie über die Preisverhältnisse und deren Entwicklungstendenzen, eingeleitet bzw. durchgeführt.
Zu 8 b: Für die Übergangszeit hat die EWG-Kommission ein Aktionsprogramm u. a. für den Agrarsektor vorgelegt. Eine Planung, die sich über diesen Zeitraum hinaus erstreckt, kann seitens der Bundesregierung nicht befürwortet werden, weil sie mit den Grundlagen ihrer Wirtschaftspolitik nicht vereinbar ist.
Zu 8 c: Die Bundesregierung wird sich dafür einsetzen, daß Hand in Hand mit einer Harmonisierung der Agrarpreise eine Harmonisierung der Wirtschafts-, Finanz- und Verkehrspolitik, hier bevorzugt Agrarfrachten, erfolgt. Eine Harmonisierung im Bereich der Sozialpolitik ist im EWG-Vertrag nicht vorgesehen. Dem steht nicht entgegen, daß auch im sozialen und wirtschaftlichen Bereich geeignete Maßnahmen für die landwirtschaftliche Bevölkerung ergriffen werden.
Zu Frage 9: In der Beantwortung zu Frage 8 wurde zum Ausdruck gebracht, daß sich die Bundesregierung dafür einsetzt, daß gleichzeitig mit der Harmonisierung der Agrarpreise eine Annäherung der Wirtschafts-, Finanz- und Verkehrspolitik erfolgt. Die Bundesregierung ist der Ansicht, daß eine Harmonisierung der Agrarpreise ohne eine Koordinierung der Währungspolitik nicht möglich ist.
Meine Damen und Herren, die Bundesregierung hat damit die in Drucksache IV/1903 vermerkten Fragen beantwortet.

(Beifall bei der CDU/CSU.)


Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0412118000
Weiterhin hat das Wort zur Beantwortung der Großen Anfrage der Herr Bundeskanzler.

Dr. Ludwig Erhard (CDU):
Rede ID: ID0412118100
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zu der Frage des Getreidepreises erkläre und wiederhole ich: Der derzeitige deutsche Getreidepreis ist unter Berücksichtigung der Produktions- und Kostenverhältnisse nicht überhöht. Für die Getreidewirtschaftsjahre 1964 und 1965 wird deshalb die Bundesregierung keiner Senkung des Getreidepreises zustimmen. Ich sehe mich heute auch nicht in der Lage, für spätere Jahre einen Zeitpunkt anzugeben, unter welchen Voraussetzungen und Bedingungen die Bundesregierung bereit sein könnte, in dieser Frage andere Vereinbarungen zu treffen.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Die Bundesregierung tritt im Hinblick auf die Kennedy-Runde dafür ein, daß im europäischen Markt nach dem Grundsatz der Aufrechterhaltung der traditionellen Handelströme die Interessen anderer getreideerzeugender Länder gebührend berücksichtigt werden. Immer wird sich die Bundesregierung ihrer Verantwortung und Verpflichtung bewußt sein, keinen Lösungen zuzustimmen, aus denen der deutschen Landwirtschaft bzw. der bäuerlichen Bevölkerung Schaden erwachsen würde.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Es ist vielmehr ihr Bestreben, die Existenzgrundlagen der bäuerlichen Familienbetriebe weiter zu
festigen und deren Wettbewerbsfähigkeit zu stärken.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)


Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0412118200
Die Große Anfrage der Fraktionen der FDP, CDU/CSU ist beantwortet.
Meine Damen und Herren, ich bitte diejenigen, die eine Aussprache wünschen, die Hand zu heben.



Vizepräsident Dr. Jaeger
— Das sind mehr als 30 anwesende Mitglieder des Hauses.
Ich rufe nunmehr auch Punkt 2 b der gedruckten Tagesordnung auf:
Beratung des Schriftlichen Berichts des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten (19. Ausschuß) über die von der Bundesregierung zur Unterrichtung vorgelegten Vorschläge der Kommission der EWG für eine
Verordnung Nr. .../63/EWG des Rates zur Änderung der Verordnung Nr. 19 des Rates im Hinblick auf eine Vereinheitlichung der Getreidepreise in der Gemeinschaft,
Verordnung Nr. .../63/EWG des Rates über die Festsetzung der Getreidepreise für das Wirtschaftsjahr 1964/65 und die Bestimmung der Handelsplätze,
Verordnung Nr. .../EWG des Rates betreffend Ausgleichsmaßnahmen und Aufstellung von Gemeinschaftsplänen zur Verbesserung der Lebenshaltung der landwirtschaftlichen Bevölkerung,
Verordnung Nr. .../63/EWG des Rates vom betreffend Ergänzung der in Artikel 5 Absatz 1 der Verordnung Nr. 25 über die Finanzierung der gemeinsamen Agrarpolitik enthaltenen Bestimmungen. (Drucksachen IV/1705, IV/1971, zu IV/1971).
Ich danke dem Berichterstatter, Herrn Abgeordneten Ehnes, für seinen Schriftlichen Bericht.
Wir verbinden die Aussprache über die Große Anfrage mit der Aussprache über den Schriftlichen Bericht des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. Schmidt (Gellersen).

Dr. R. Martin Schmidt (SPD):
Rede ID: ID0412118300
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Diese heutige Sondersitzung hat interessante Beweg- und Hintergründe. Zunächst möchte ich mir erlauben, den Koalitionsparteien meinen Dank dafür auszusprechen, daß sie diese Debatte zustande gebracht haben. Das Machtwort des Bundestagspräsidenten hat seine Wirkung nicht verfehlt. Seien Sie versichert, daß wir die Anstrengungen durchaus zu würdigen wissen, die Sie unternommen haben, um sich gegen den vereinigten Widerstand einiger Ministerien, insbesondere des Bundeswirtschaftsministeriums, des Auswärtigen Amtes und vielleicht sogar des Kanzleramtes, durchzusetzen, die aus ihrer Ansicht gar keinen Hehl machen, der Bundestag habe mit der Zustimmung zum Ratifikationsgesetz und mit der Annahme der Grundverordnung zur EWG-Marktordnung der Regierung freies Schußfeld gegeben. In diesem Zusammenhang scheinen in einigen Ministerien Erinnerungen an jene glorreichen Zeiten wachgeworden zu sein, in denen man ohne die lästige Einrichtung des Parlaments hat regieren können. Diese Einstellung ist sehr viel stärker verbreitet, als die Offentlichkeit im allgemeinen annimmt. Das zeigt sich gerade in den Fragen der EWG-Agrarpolitik, wo die Bundesregierung — wie Sie sich vielleicht erinnern werden — vor zwei Jahren allen Ernstes den Plan gefaßt hatte, dem Parlament ein generelles Ermächtigungsgesetz abzufordern. Erfreulicherweise ist es nicht dazu gekommen.
Leider müssen wir nun beobachten, daß die Exekutive jetzt die Taktik verfolgt, den Bundestag mit Informationen möglichst knapp zu halten. Die Auskünfte, die wir gerade in den heute anstehenden Fragen von der Bundesregierung in der letzten Zeit erhalten haben, waren bisher meistens derart dürftig, daß selbst das Studium einer Tageszeitung, die sich mit Agrarfragen nur am Rande befaßt, bedeutend mehr Information geboten hat. Es ist ein gewisser Trost, daß die Koalition ebenso schlecht behandelt wurde wie die Opposition; denn wenn es anders gewesen wäre, dann wäre diese Große Anfrage schon früher und nicht in dieser Form gestellt worden.
Der Herr Minister Schwarz hat geglaubt in seiner Schlußansprache anläßlich der „Grünen Debatte" vor einem Monat bemerken zu müssen, daß meine Rede insofern eine Panne sei, als diese Rede bereits fertig gewesen sei, ehe die Botschaft durchdrang, daß wir an jenem Tage zu keiner Beantwortung der Großen Anfrage kämen. Weit gefehlt, Herr Minister. Sie werden es gleich merken, daß dem nicht so ist. Im Gegenteil, ich bin froh, daß ich diese Bußpredigt, wie sie Herr Kollege Ertl zu charakterisieren suchte, schon vor einem Monat gehalten habe. Denn erstens hätte ich die Fülle des Materials heute nicht unterbringen können, und zweitens wollte ich bewußt damals schon eine Reihe von Fragen an die Bundesregierung richten, damit sie diese bei nächster Gelegenheit, also heute, beantworten kann.
Doch nun zur Großen Anfrage der Koalitionsparteien und zur Antwort der Bundesregierung zurück! Lassen Sie mich dazu folgendes anmerken. In einer Koalition ist man sicher nicht auf Gedeih und Verderb miteinander verkettet. Aber wenn einer dem anderen die Hasen abjagen will, dann macht das schon einen recht fatalen Eindruck. Die Freien Demokraten scheinen in den letzten Monaten mit großem Eifer die Rolle der Opposition in der Koalition zu praktizieren. Herrn Struve und seinen Mannen bereitet das natürlich erhebliche Sorgen: nicht etwa, Herr Kollege Bauer (Wasserburg),

(Zurufe von der Mitte)

wegen der Konkurrenz in der sachlichen Arbeit in den Ausschüssen und im Plenum, vielmehr wegen der Angst, Herr Kollege Richarts,

(Zuruf von der CDU/CSU: Angst haben wir nicht!)

um die Wählerstimmen. Deshalb hat er sich mit seiner Fraktion in letzter Minute angehängt, weil er glaubte, man könne sonst auf dem Lande nicht mehr so operieren und könnte an Gewicht verlieren.

(Erneute Zurufe von der CDU/CSU.)




Dr. Schmidt (Gellersen)

Die Freien Demokraten werden das sicher mit einem Schmunzeln registrieren.
Wie peinlich muß es der Bundesregierung gewesen sein, von den eigenen Koalitionsfraktionen mit solchen Fragen bedacht zu werden, die doch in der ganzen Anlage den Zweck haben, die Bundesregierung auf einen anderen als den bereits eingeschlagenen Kurs zu bringen.
Das Fragefeld dieser Großen Anfrage haben meine Freunde und ich in einer Fragestunde abzutasten versucht. Die Antworten waren damals nicht ergiebig, und mit einer Großen Anfrage nachzustoßen, das fanden wir der Sache und der Lage nach nicht lohnend. Die heutige Antwort hat — soeben gegeben — unsere Vermutung bestätigt. Wenn ich sie qualifizieren darf, dann bleibt nur ein „sehr dürftiges An-der-Sache-Vorbeigehen" übrig. Im übrigen hat die Art und Weise der Antwort die Berechtigung meiner Frage und meiner Anmerkungen am 19. Februar vollauf bestätigt.
Aber lassen Sie mich noch zu den Fragen im einzelnen Stellung nehmen. Die Fragen 1 und 2 sind für Ihr Empfinden — nach dem Beifall zu urteilen — durch die Bundesregierung sicher ausreichend beantwortet worden. Ergänzend dazu möchte ich Ihre Aufmerksamkeit auf die Ausführungen lenken, die Herr Ministerialdirigent Professor Meyer-Cording vom Bundeswirtschaftsministerium am 23. Januar im Wirtschaftsausschuß dieses Hohen Hauses gemacht hat. Laut Protokoll hat der Referent des Wirtschaftsministeriums darauf hingewiesen, daß der Anspruch auf die Harmonisierung der Kostenfaktoren ein sehr schwacher Anspruch sei. Eine absolute Harmonisierung sei praktisch nur denkbar bei völliger Angleichung aller Kostenfaktoren.

(Zuruf von der Mitte: Das wissen wir doch!)

Es sei deshalb offen, meinte Professor Meyer-Cording, wie weit die Kostenharmonisierung gehen könne. Gewisse Unterschiede z. B. in der Steuergesetzgebung seien auch wie Standortvorteile zu beurteilen. Im Bereich der gewerblichen Wirtschaft seien im übrigen zu keinem Zeitpunkt so weitgehende Harmonisierungsansprüche geltend gemacht worden.
Was den Bereich der Landwirtschaft angeht, so haben wir bisher nur von Vertretern der Koalition, nicht aber von Vertretern ,der Bundesregierung in Brüssel die Forderung nach Kostenangleichung gehört. Leute mit einem guten Gedächtnis oder mit einem sehr guten Archiv werden sich vielleicht daran erinnern, daß derartige Gedanken schon einmal vor vier Jahren im Ministerrat in Brüssel geäußert worden sind, und zwar von ,dem damaligen belgischen Landwirtschaftsminister Baron de Vleeschauwer. Es ist nicht bekanntgeworden, bis heute nicht, ,daß die Vertreter der Bundesregierung auch nur den Versuch gemacht hätten, den belgischen Minister dabei zu unterstützen.
Die Frage 3 kann ich übergehen.
Zur Frage 4. Die Antwort der Bundesregierung hätte lauten müssen, daß in der Tat bereits konkrete Vereinbarungen im Ministerrat der EWG bestehen.
In dem Verhandlungsmandat, Idas der EWG-Kommission Ende 1963 gegeben worden ist und dessen Inhalt die Bundesregierung aus begreiflichen Gründen vertraulicher behandelt wissen möchte als das Papier der Staatssekretäre, heißt es ausdrücklich, daß 'die Brüsseler 'Behörde ermächtigt ist, die Getreidepreise zum Gegenstand von Verhandlungen in Genf zu machen. In dem Dokument — die besonders Interessierten darf ich darauf hinweisen, idaß es das Aktenzeichen T/76 trägt — heißt es wörtlich: „Die Tatsache, daß der EWG-Preis für ein bestimmtes Agrarerzeugnis nicht festgelegt worden ist, darf nicht den Ausschluß dieses Erzeugnisses von den GATT-Verhandlungen zur Folge haben." Daraus leitet die EWG-Kommission völlig zu Recht die Folgerung ab, daß es ihr auch nicht möglich ist, in Genf einen fiktiven Getreidepreis zur Diskussion zu stellen. In einer Fußnote zu diesem Teil ides Mandats hat der Ministerrat, also auch die Bundesregierung, in der Sitzungsrunde vom 16. bis zum 23. Dezember noch einmal ausdrücklich erklärt, er halte es für wünschenswert, die wichtigsten 'Elemente der gemeinsamen Agrarpolitik und insbesondere das Niveau der Getreidepreise im Hinblick auf die GATT-Runde festzulegen, Ida von diesen Elementen die Stützungspolitik der Gemeinschaft weitgehend abhängen könne.
Die 'Bundesregierung hat außerdem einem weiteren Beschluß des Ministerrates zugestimmt, der in dem Dokument S/106 enthalten ist. Darin heißt es, daß auch die von der Gemeinschaft angestrebten weltweiten Abkommen auf der Basis einer Festlegung der internen Stützungsmaßnahmen und der anderen Marktordnungsmaßnahmen in den Ein- und Ausfuhrländern ,abgeschlossen werden sollten. Die Bundesregierung list damit :also ganz konkrete Verpflichtungen eingegangen, von denen sie sich nicht so ohne weiteres wird läsen können, sosehr dies auch die Kommission wünschen mag. Was das praktisch bedeutet, darauf werde ich später noch einmal zurückkommen.
Auch den Partnerländern gegenüber ist man bereits konkrete Verpflichtungeneingegangen, so z. B. dadurch, daß man nun schon seit Wochen an der Beratung ides Mansholt-Plans mitarbeitet, obwohl die Annahme dieses Plans noch nicht einmal grundsätzlich beschlossen worden ist. In einer ganzen Reihe wichtiger technischer Details konnte im Sonderausschuß „Landwirtschaft" des Rates und in den beiden Unterausschüssen bereits eine weitgehende Einigung erzielt werden, so daß man sagen kann: Der Mansholt-Plan ist in wenigen Wochen entscheidungsreif. Ich 'kann mir nicht vorstellen, meine Damen und Herren von der Koalition, daß die Partnerländer so viel Humor aufbringen, daß sie es wortlos hinnehmen, wenn jetzt von deutscher Seite erklärt wird: Es tut uns leid, meine Herren, daß wir uns umsonst bemüht haben, wir haben die ganze Zeit über nur ein bißchen 'herumgespielt. Ich würde mir das als holländischer oder als französischer Landwirtschaftsminister nicht •gefallen lassen.
Frage 5. Die ehrliche Antwort der Bundesregierung müßte lauten, daß die Erhaltung der Milchprämie keineswegs gesichert ist. Ich babe mich dar-



Dr. Schmidt (Gellersen)

über vor einiger Zeit mit Herrn Staatssekretär Hüttebräuker in einer Diskussion dm Rundfunk unterhalten. Nach der Tonbandaufzeichnung hat Herr Hüttebräuker dabei erklärt, nach dem ursprünglichen Text 'der Milchmarktordnung habe man mit dem Abbau der produktgebundenen Hilfen bis Ende 1969 warten können. Dann sagte Herr Hüttebräuker weiter: „Nun aber ist 'uns eine Empfehlung gegeben, vorher zu beginnen. Wenn wir nichts tun, dann wird man uns eben im Ministerrat, der ja ab 1. Januar 1966 mit Mehrheit, beschließt, wahrscheinlich zwingen." Weiter führte er aus: „Also werden wir schon etwas tun müssen in kleinen Schritten." Wie diese kleinen Schritte aussehen, hat Herr Hüttebräuker bei dieser Gelegenheit auch ausgeführt. Er sagte: „Ich könnte mir vorstellen, daß man erst neinmal irgendeinen Betrag von Länderpfennigen, einen halben Pfennig oder einen Pfennig, nimmt zur Verbesserung der Molkereistruktur." Sie sehen 'daraus, wie es sich mit ,dieser Frage in Wirklichkeit verhält.
Frage 6. Die ehrliche Antwort der Bundesregierung, die Sie aus dem, was der Bundesminister Schwarz soeben vorgetragen hat, sicher auch herauslesen können, muß lauten, daß die volle Ausnutzung der Übergangszeit selbstverständlich nicht sichergestellt ist, einfach deshalb nicht, weil sie nicht sichergestellt werden kann. Es liegt vielmehr in der erklärten Absicht der Bundesregierung, diese Frist in einer ganzen Reihe von Teilbereichen zu verkürzen. Es wäre schlichter Selbstbetrug, anzunehmen, daß es ihr gelingt, ausgerechnet die Landwirtschaft, an der schließlich die Mehrheit der Partnerländer im höchsten Maße interessiert ist, aus dieser Verkürzung herauszulassen.
Frage 7. Die offene Antwort der Bundesregierung muß natürlich lauten, daß dem Art. 39 des EWG-Vertrages der Form nach Rechnung getragen worden ist. Ob ihm aber ausreichend Rechnung getragen wurde, dürfte mehr oder weniger in den subjektiven Bereich der Geschmacksfragen gehören. Nach meiner privaten Meinung hätte man von „ausreichend" im Sinne Ihrer Diktion, meine Damen und Herren von der Koalition, nur sprechen können, wenn man sich gleichzeitig mit der Annahme der Marktordnung für Rindfleisch und Milchprodukte über die Richtpreiskriterien verständigt hätte. Dann nämlich hätten Sie eine Basis gehabt, von der aus Sie hätten operieren können. So aber ist Art. 39 nichts anderes als eine Deklamation, aus der jeder herauslesen kann, was er will.
Die Landwirtschaft kann auf Abs. 1 b hinweisen, wo von einer angemessenen Lebenshaltung der bäuerlichen Bevölkerung die Rede ist. Andere wiederum werden sich Abs. 1 e heraussuchen, in dem es heißt: Es ist für die Belieferung der Verbraucher zu angemessenen Preisen Sorge zu tragen. Eine weitere Gruppe wird die Absätze 1 c und 2 c in den Vordergrund rücken, in denen als Ziel der gemeinsamen Agrarpolitik die Stabilisierung der Märkte gefordert und außerdem auf die Tatsache hingewiesen wird, daß die Landwirtschaft in den Mitgliedstaaten einen mit der gesamten Volkswirtschaft eng verflochtenen Wirtschaftsbereich darstellt. Mit solchen Gummiparagraphen können Sie doch im Ernst bei niemandem Eindruck machen.
Zur Frage 8. Mit der ersten Unterfrage — a —, meine Damen und Herren von der Koalition, haben Sie sich nicht ganz an die richtige Adresse gewandt. Sie haben zweifellos recht, wenn Sie davon ausgehen, daß es eigentlich Aufgabe der Kommission wäre, eine Untersuchung über die Kostenlage durchzuführen. Da aber die Kommission nach allen bisherigen Erfahrungen kaum bereit sein dürfte, auf Ihre spezifischen Wünsche für eine solche Kostenuntersuchung einzugehen, hätten Sie eigentlich verlangen können, daß die Bundesregierung das in eigener Regie durchführt. Darüber, daß sie dazu in der Lage ist, kann doch kein Zweifel bestehen.
Zur Unterfrage b wäre zu bemerken, daß das Konzept der Kommission schon seit langem bekannt ist. Es ist in den Vorschlägen zur Gestaltung und Durchführung der gemeinsamen Agrarpolitik gemäß Art. 43 des Vertrages zur Gründung der EWG niedergelegt worden, die am 30. Juli 1960 — Herr Richarts weiß das — unter dem Aktenzeichen VI/60 105 dem Ministerrat zugeleitet worden sind. Auf Grund Ihrer Anfrage, Herr Kollege Effertz, kann man sich leider des Eindrucks nicht erwehren, daß Sie dieses Dokument bisher des Studiums noch ,nicht für wert befunden haben.
Zu Unterfrage c) nach Vorschlägen zur Harmonisierung in den Bereichen der Wirtschafts-, Finanz-und Sozialpolitik wäre zu bemerken, daß es hier wohl an der Bundesregierung liegt, die Initiative zu ergreifen; denn ebenso wie die Fortschritte in der Agrarpolitik bisher nur dadurch erzielt worden sind, daß einzelne Partnerländer, vor allem Frankreich, ganz präzise Wünsche angemeldet und diese Wünsche mit dem notwendigen politischen Druck auch durchgesetzt haben, werden sich Fortschritte in den Bereichen, die ich genannt habe, nur erzielen lassen, wenn auch hier ein entsprechender Druck ausgeübt wird. Im übrigen kann dabei nicht genug betont werden, daß es allein an der Bundesregierung liegt, in der Wirtschafts-, Finanz- und. Sozialpolitik in ihrem eigenen Zuständigkeitsbereich Fortschritte zu erzielen und damit die Lage der Landwirtschaft zu verbessern.
Die Bundesregierung hat beispielsweise durchaus die Möglichkeit, auf eine Reihe von Betriebsmittelpreisen einzuwirken. Sie hat die Möglichkeit, die Landwirtschaft finanziell zu entlasten oder ihr die Finanzierung bestimmter Vorhaben zu ermöglichen. Sie hat schließlich die Möglichkeit, die Leistungen der Sozialpolitik den Leistungen in den übrigen Partnerländern anzupassen. Was wollen Sie, meine Damen und Herren von der Koalition, eigentlich mit einer solchen Forderung erreichen? Glauben Sie etwa, um nur ein Beispiel zu nennen, Frankreich könne überhaupt gezwungen werden, seine sozialen Hilfen abzubauen? Glauben Sie, die Kommission sei bereit, einen solchen Vorschlag auch nur in Erwägung zu ziehen? Wenn Sie eine Harmonisierung auf sozialpolitischem Gebiet wollen, warum fangen Sie nicht ¿erst einmal in diesem Hause damit an?



Dr. Schmidt (Gellersen)

Zur Frage 9 möchte ich im Augenblick keine Anmerkungen machen.
Soweit, meine Damen und Herren, meine Anmerkungen zur Großen Anfrage. Doch nun zum Kernpunkt der heutigen Debatte, zur Frage des Getreidepreises. Das Kabinett hat, wie uns bekannt ist, mehrere ergebnislose Beratungen hinter sich. Der Auftrag an die Staatssekretäre, die Entscheidung vorzubereiten, nahm ebenfalls einen ungewöhnlichen Verlauf. Das Papier wurde am 28. Februar auf eine noch heute ungeklärte Art und Weise der Öffentlichkeit unterbreitet. Einer der beteiligten Staatssekretäre, wenn nicht sogar der Minister, muß es ja wohl gewesen sein. Das war ein gezielter Schuß, Herr Kollege Effertz, auf Ihre Große Anfrage, gleichzeitig ein Testversuch, die Meinung der Offentlichkeit zu erkunden. Ich will das nicht näher beleuchten.
Aber interessant bleibt doch, zu wissen und sich zu merken, was in diesem Papier der Staatssekretäre zu lesen war. Da war die Rede davon, daß man die Preisangleichung im Jahre 1967 bewerkstelligen soll. Der gemeinsame Getreidepreis sollte gegen Verschiebungen in den Währungsrelationen und in der Kaufkraft gesichert werden. Da sollten die Agrarfrachten vereinheitlicht und bis zum Angleichungstermin wesentliche Fortschritte der Harmonisierung der Finanz-, Konjunktur- und Energiepolitik erreicht werden. Da war die Forderung enthalten, daß man die Unterschiede in den einkommenswirksamen Sozialleistungen auf andere Art und Weise auswerten könne, weil man mit einer Harmonisierung der ländlichen Sozialpolitik Unheil fürchtete. Der degressive Abbau der Ausgleichszahlungen an die Landwirte sollte vermieden werden. Vor allen Dingen sollte es nicht möglich sein — nach Aussage dieses Papiers —, die Beschlüsse zur Getreidepreisangleichung in den nächsten Jahren zu ändern. Die positive Mitwirkung in der Kennedy-Runde gehörte ebenfalls zu den wichtigen Punkten dieser Ausarbeitung. Die Landwirtschaft sollte darüber hinaus durch ein Gesetz zur Anpassung an die EWG gefördert .werden. Zur Umstellung der Bauern in der Betriebs- und Marktwirtschaft sollten ihnen produktionsneutrale Subventionen in Form eines Bonus für Betriebsmittel gewährt werden, wobei man es allerdings unterließ, sich näher darüber auszulassen. Die Maßnahmen zur inneren und äußeren Aufstokkung der kleinbäuerlichen Betriebe sollten besonders vordringlich durchgeführt werden. Zum Schluß war etwas zur Finanzierung gesagt. Grüner Plan wie EWG-Mittel sollten durch einen Beitrag der Industrie in Form einer Investitionshilfe ergänzt werden.
Soweit diese Ausarbeitung der Staatssekretäre. Inzwischen hat Herr Struve den ganzen Vorschlag als ein Sandkastenspiel deklariert.

(Heiterkeit.)

Der Vorschlag scheint auch in der Tat bei den Diskussionen innerhalb der Regierungskoalition und im Kabinett kaum noch eine Rolle zu spielen.
Dieser Plan hat nicht nur negative Seiten, wie selbst der Rheinische Landwirtschaftsverband in seinem Organ festzustellen sich beeilte. In der Tat: mancher Gesichtspunkt ist durchaus erwägenswert, wenn auch manch anderer unausgegorenes Zeug ist. Schließlich handelt es sich dabei ja nicht um die Nachtarbeit irgendeines Journalisten, sondern um das Werk von vier Staatssekretären der vier wichtigsten Ressorts.

(Hört! Hört! bei der SPD.)

Auch diese Ausarbeitung hat dem Kabinett nicht weitergeholfen. Man ist in der vergangenen Woche wiederum der Entscheidung ausgewichen. Die Fronten haben bis gestern abend ständig gewechselt. Der Grabenkrieg zwischen den beteiligten Ressorts der Bundesregierung und den Koalitionsparteien ging weiter. Der Bonner Brief des Ernährungsdienstes von vorgestern gibt herrliche Einblicke in dieses Kulissenspiel. Die Bundesregierung erwartete anscheinend eine angemessene Entscheidung der Koalition, während die Koalition eine angemessene Entscheidung der Bundesregierung erwartete.

(Heiterkeit bei der SPD.)

Angesichts dieser Lage erscheint es nützlich, sich noch einmal die Fakten vor Augen zu führen.

(Zurufe von der Mitte: Beide haben sich entschieden! — Demokratisches Spiel!)

— Sie hören noch mehr darüber. Passen Sie auf!
Erstens. Ich möchte das Hohe Haus daran erinnern, daß der Ministerrat im Herbst vergangenen Jahres dahingehend einig wurde, daß bis zum 15. April 1964 ein Beschluß über den zukünftigen Getreidepreis zu fassen sei. An diesem Termin hat bisher niemand gerüttelt, auch nicht die Bundesregierung. Es gibt also für sie kein Ausweichen mehr.

(Zuruf von der CDU/CSU: Wird es auch nicht geben! — Weitere Zurufe von der Mitte.)

— Hören Sie ruhig zu! Es kommt ja noch viel besser.

(Abg. Dr. Aigner: Denn man tau!)

Zweitens. Der sogenannte Mansholt-Plan ist wiederholt im Kabinett angesprochen und diskutiert worden. Der Sonderausschuß „Landwirtschaft" hat in mehreren Sitzungen Einzelheiten des Planes durchgeackert. Die Vertreter der Bundesregierung haben sich daran recht munter beteiligt und in vielen Fällen mit der Vorlage Übereinstimmung entdeckt, wie ich das bereits darlegen konnte.
Drittens. In der letzten Ministerratssitzung Anfang März waren alle Delegationen unserer Partner darin einig, noch vor dem 15. April verbindliche Beschlüsse über die Höhe des künftigen Preisniveaus und über den Zeitpunkt der Angleichung zu fassen. Die ersten Bremsversuche des Herrn Staatssekretärs Hüttebräuker stießen in dieser Runde auf den einhelligen und massiven Widerstand der fünf Partner, wobei der holländische Landwirtschaftsminister Biesheuvel auch auf die Erklärungen des Bundeskanzlers Erhard anläßlich seines Besuchs in Den Haag hinwiesen konnte, daß die weitere Integration Europas und der Erfolg der



Dr. Schmidt (Gellersen)

Kennedy-Runde nicht am Getreidepreis scheitern dürfe.

(Hört! Hört bei der SPD. — Abg. Bauknecht: Soll er ja auch nicht!)

Selbst die Luxemburger und Italiener fanden sich nicht bereit, Herrn Hüttebräuker zu unterstützen, obwohl sie sich in der gleichen Situation befinden wie die Bundesrepublik. Sie sind für die Angleichung. Sie wünschen nur eine Karenzzeit von zwei bis vier Jahren. Auch das sollten Sie zur Kenntnis nehmen. Herr Pisani ging in seinen Anmerkungen noch viel weiter: Für ihn sei eine Zustimmung zum Ausgleich aus EWG-Mitteln nur dann zu erreichen, wenn die Angleichung in der Tat sehr schnell erfolge. Die Nachrichten von heute vormittag über die Verhandlungen im Sonderausschuß in Brüssel sind geradezu bestürzend. Es wird aller Verhandlungskünste bedürfen, um den Ausgleich aus EWG-Mitteln überhaupt noch durchzusetzen.
Alles in allem: die Haltung unserer Partner ist unabänderlich, und dabei wird erst jetzt deutlich, daß für sie der späteste Termin der Angleichung 1966 ist. Beobachter der Brüsseler Bühne sind sich darin einig, daß unsere Partner in den kommenden Verhandlungen es auf eine sehr harte Probe ankommen lassen werden. Der Vergleich mit den Englandverhandlungen macht die Runde. Eine ähnliche Krise könnte allerdings wohl von keinem verantwortlichen Politiker der Bundesrepublik gewünscht, geschweige denn herbeigeführt werden. Diese Situation in Brüssel ist die bittere Frucht einer Politik des ewigen Vorsichherschiebens und des Ausweichens. Selbst Herr von Rohr konnte neulich in seinen Stimmen sich nicht verkneifen, zu bemerken, daß das Theater der Bundesregierung mit dem Hinauszögern bis 1967 nur den Sinn habe, die Unruhe unter den Bauern auf die Zeit nach den Bundestagswahlen zu vertagen.

(Beifall bei der SPD. — Lachen und Zurufe von der CDU/CSU.)

Der Herr Bundeskanzler hat soeben dem Hause an dieser Stelle mitgeteilt, daß eine Angleichung in den nächsten zwei Jahren nicht zur Debatte stehe. Eine Festlegung für die Zeit nach 1966 scheint ihm hier in diesem Hause und heute unmöglich. Der Kanzler irrt sich. Ich glaube überzeugend dargelegt zu haben, daß es schon heute ein Ausweichen nicht mehr gibt. Es bleibt dem Kanzler überlassen, wie er seine laufenden Erklärungen in den westlichen Ländern der Welt mit seiner heutigen innenpolitischen Rede in Übereinstimmung bringt.

(Beifall bei der SPD. — Abg. Bauknecht: Das wird ihm nicht schwerfallen!)

Wir haben seit Jahr und Tag gewarnt, sich nicht eine Verordnung nach der anderen als Teil der gemeinsamen Agrarpolitik aus der Nase ziehen zu lassen, ohne auch nur die im deutschen Interesse liegenden Wünsche erfüllt zu bekommen. Wir haben in den vergangenen Jahren der Bundesregierung empfohlen, für die Herbstverhandlungen des Jahres 1963 ein Verhandlungspaket zusammenzustellen. Aber aus inneren Schwierigkeiten der Ressorts untereinander hat man ein solches Paket nicht zustande gebracht. Mit fliegenden Blättern hat man die Verhandlungsräume in Brüssel betreten.
In meiner Rede vor vier Wochen habe ich der Regierung schwere Vorwürfe gemacht. Sie blieben unwidersprochen. Zwischen den Versprechungen gegenüber der bäuerlichen Offentlichkeit hier in der Bundesrepublik und der Wirklichkeit besteht in der Tat eine nicht zu übersehende Diskrepanz.
Ich habe an dieser Stelle wiederholt an den Termin des 1. Januar 1966 erinnert und vor den Möglichkeiten der Majorisierung gewarnt. Wenn auch einige landwirtschaftliche Wochenblätter und Bauernzeitungen schreiben, das sei bloß ein Kinderschreck, dann frage ich mich, warum eigentlich der verantwortliche Ernährungsminister, dem die Koalition heute noch den Rücken stärken möchte, sowohl auf dem CDU-Parteitag in der Pfalz wie auch in Hannover seinen üblichen Bemerkungen zum Getreidepreis immer die Passage folgen ließ, daß ab 1966 die Möglichkeit der Majorisierung bestehe und man deshalb nichts unversucht lassen dürfe, für die Landwirtschaft zu einem annehmbaren Ergebnis zu kommen.
Ich will das Terminargument nicht allzu sehr strapazieren. Aber für jeden Kenner der Brüsseler Verhältnisse ist sicher, daß man in den Verhandlungen ab 1966 viel entgegenkommender und mit mehr Geschicklichkeit als bisher wird operieren müssen, um zu Erfolgen zu kommen. Wir sollten uns in diesem Hause darüber klar sein — das hat auch der Kollege Effertz schon betont —, daß die fünf Partner mehr gemeinsame als trennende Anliegen in Brüssel zu vertreten haben. Wir haben schon einige Kostproben von der gemeinsamen Haltung der Fünf hinter uns; ich denke dabei an die Festlegung der Weinkontingente, an die Nichteinführung einer Binnenabschöpfung bei Eiern und Geflügel und an das Debakel mit der Anwendung der Schutzklausel vor einigen Wochen. Wer wollte also bestreiten, daß der Termin des 1. Januar 1966 ernste Sorgen bereitet?
Über die Kennedy-Runde habe ich schon an anderer Stelle einige Ausführungen gemacht. Aber da ich sicher bin, daß in der Aussprache der Einwand gemacht werden wird, daß dieses Mandat inzwischen gegenstandslos geworden ist, weil nämlich die USA und Großbritannien samt den Commonwealthländern das Brüsseler Konzept ablehnten und ihrerseits nicht bereit seien, einer Bindung der Stützungsbeträge zuzustimmen, möchte ich noch einiges dazu sagen.
Es gehe ,den USA als Hauptlieferant — so heißt es vielfach — nicht um den Preis in der EWG, sondern um die Menge, die sie jetzt und in Zukunft in der EWG absetzen könne. Das ist nicht zu leugnen; das ist so. Die USA wollen ininsbesondere eine Gewähr dafür, daß nicht die Produktion innerhalb der EWG ansteigt, so daß entweder die Absatzmöglichkeiten der Drittländer geschmälert werden oder die EWG als Exporteur auf dem Weltmarkt in Erscheinung tritt. Die Kommission .sagt nun, daß sie diese Gewähr nur geben könne, wenn sie die Produktion in



Dr. Schmidt (Gellersen)

der EWG über den Preis steuere. Ob das richtig ist oder nicht, mag 'dahingestellt bleiben; ich habe meine Meinung dazu. Tatsache ist, meine Damen und Herren von der Koalition, daß die Bundesregierung diesem Konzept zugestimmt hat. Tatsache ist weiter, daß dieses Konzept für die EWG-Behörde nicht dadurch an Gewicht verliert, daß es von den übrigen GATT- Partnern abgelehnt wird. Es bleibt auf der Tagesordnung. Ich bin davon unterrichtet, daß sich die Kommission bei den Genfer Verhandlungen auch ,damit zufrieden geben würde, idaß sich die übrigen GATT-Partner verpflichteten, ihr Angebot, also ihre Produktion, durch andere als durch preispolitische Mittel in bestimmten Grenzen zu halten. Die Vereinigten Staaten könnten sich also beispielsweise Bereiterklären, ihr Programm zur Stillegung von Flächen beizubehalten oder zu erweitern, während auf der anderen Seite die EWG erklären könnte, die Angebotssteuerung über den Preis vorzunehmen. Dazu ist die Kommission nach dem Verhandlungsmandat durchaus ermächtigt. Falls die Bundesregierung das bezweifeln sollte, würde sie sich im Ministerrat sicher sehr einsam vorkommen.
Wenn ich sehe, wie Sie, meine Damen und Herren von der Koalition, landauf, landab so argumentieren, scheint mir, Sie haben immer noch nicht begriffen, daß die Schlüsselposition der Bundesrepublik in Brüssel sich dem Ende zuneigt, ohne daß sie je genutzt worden wäre. Wie konnten Sie nur annehmen oder glauben, daß 'die ewige Rolle auf der Passivseite am Ende einen Aktivposten ergibt? Und I wiederum muß ich auf die Erfolge Frankreichs verweisen, was mir wirklich nicht leicht fällt.
Nachdem die Freien Demokraten in Baden-Baden mit dem Gewicht der ganzen Fraktion jede Angleichung bis 1970 als unannehmbar bezeichnet haben, hat die CDU das sogar in ihrem agrarpolitischen Programm verankert. Da heißt es:
Die Erhaltung des deutschen Agrarpreisniveaus in der EWG ist die entscheidende Voraussetzung für die Existenz der bäuerlichen Betriebe. Das 'gilt vor allem für .den deutschen Getreidepreis, der als Eckpreis für die gesamte Boden-und Veredelungsproduktion die Höhe der wesentlichen Agrarpreise beeinflußt.
Mit diesem Programm hat es eine besondere Bewandtnis. Herr Landesminister Niermann hat behauptet, daß Sie damit die Mehrheit im Bundestag wieder zu erreichen ,gedenken, damit endlich wieder eine klare, überzeugende Agrarpolitik in Bonn durchgesetzt werden könne. Wen soll ich nun eigentlich bedauern — die CDU, die mit dem Koalitionspartner nicht fertig wird, oder die FDP, die ,ein Hindernis für das Glück der Bauern ist?

(Heiterkeit und 'Beifall bei der SPD.)

Ein Kommentar in der „Welt" über dieses Programm trifft den Nagel auf den Kopf; ich zitiere:
Solch offenes Bekenntnis ehrt Verfasser und
Verkünder. So sind wohl auch offene Bemerkungen erlaubt, vor allem, da das neue agrarpolitische Rüstzeug der CDU recht widerspruchsvoll ,erscheint.

(Zuruf von der CDU/CSU: Woraus zitieren Sie?)

— Aus der „Welt" —. Weiter:
Wie — beispielsweise — will man — erstens — fest und treu an den Grundlagen der Agrarpolitik von gestern festhalten und zugleich zweitens eine neue Agrarpolitik von morgen proklamieren, um drittens endlich wieder eine klare und überzeugende Agrarpolitik durchsetzen zu können?

(Beifall und Heiterkeit bei der SPD. — Zurufe von der CDU/CSU.)

Beim Grübeln über ,den tieferen Sinn dieser kühnen Kombination wird man, Herr Bauknecht, recht verwirrt. Das CDU-Agrarprogramm zu klassifizieren, bleibt einer späteren Zeit vorbehalten, .den nächsten Wochen und Monaten.

(Zuruf von der CDU/CSU: Genau das!)

Ich möchte heute nur feststellen, daß man in diesem Programm bewußt oder unbewußt — das bleibt dahingestellt — vergessen hat, daß es eine europäische Entwicklung gibt. Sie können sicher sein: die Bauern werden sich durch solche Manöver nicht täuschen lassen.

(Beifall bei der SPD. — Abg. Bauknecht: Oho! Hannover!)

So weit der offizielle Standpunkt der Koalitionsparteien zur Getreidepreisfrage!

(Zurufe von der CDU/CSU.)

Ich möchte dem Hohen Hause nicht vorenthalten, was wir dazu zu sagen haben.

(Zuruf von der CDU/CSU: Ja eben, darauf warten will)

— Das kommt jetzt, das hören Sie jetzt. (Weitere Zurufe von der CDU/CSU.)

— Seien Sie nur beruhigt, das kommt. (Anhaltende Zurufe von der CDU/CSU.)

Wir haben erwartet und gewußt, daß diese Frage eines schönen Tages auf den Tisch kommt. Es gibt wohl in der ganzen Bundesrepublik niemanden, der den Standpunkt bezweifelt, daß zur gemeinsamen Agrarpolitik auch eine gemeinsame Preispolitik gehört. Die gegenwärtige Vorlage ist nicht die erste ihrer Art. Sie hat gegenüber den früheren Vorlagen den Vorteil, daß die Kommission sagt, wie sie sich den gemeinsamen Preis im Augenblick vorstellt. Damit wissen die Bauern und Landwirte in der Gemeinschaft, woran sie sind, und das ist ein Aktivposten.
Ich bin weit davon entfernt, anzunehmen, daß dieser Vorschlag der Stein der Weisen ist, daß er den Schlußstein für die ganze Agrarpolitik setzt und Lokomotive für alle möglichen politischen Notwendigkeiten der Gemeinschaft sein kann. Aber was steht dem entgegen, daß man darüber verhandeln kann? Wo steht oder wo ist der Anspruch



Dr. Schmidt (Gellersen)

r erhoben, daß man jeden Buchstaben oder jede Zahl dieses Vorschlags zu übernehmen hat?
Ich darf vorausschicken und ganz deutlich in diesem Hause sagen — und das ist auch im Bericht des Ausschusses zu lesen —, daß auch meine Fraktion eine Preisangleichung in den nächsten zwei Jahren für undurchführbar und für nicht praktikabel hält.

(Lachen und Zurufe von den Regierungsparteien.)

— Warten Sie doch ab! Es geht ja noch weiter.

(Weitere Zurufe von den Regierungsparteien.)

— Herr Kollege Bauknecht, Sie wissen, daß ich das im Ausschuß deutlich gesagt habe. Warum zweifeln Sie jetzt daran?

(Fortgesetzte Zurufe von der CDU/CSU.)

— Ich wollte Ihnen das nur vorhalten.
Wir halten die Verhandlungen seit langer Zeit. im Interesse der deutschen Landwirtschaft für notwendig.

(Zuruf von der Mitte: Wir auch!)

— Sie wollen nicht verhandeln, wir wollen verhandeln.

(Zuruf von der Mitte: Wieso denn?)

Der Getreidepreis kann kein Dogma sein. Ich habe mich gefreut, daß sich auch der Ernährungsminister inzwischen dazu durchgerungen hat. Der EWG-Vorschlag ist auch für uns nicht in allen Teilen annehmbar.

(Zuruf von der Mitte: Aha!)

So haben wir seit Jahr und Tag

(Lachen bei der CDU/CSU)

die Auffassung vertreten,

(Zuruf von der CDU/CSU: Die Bekehrung!)

daß man der deutschen Landwirtschaft allein kein besonderes Opfer zumuten kann, wenn die nationalen europäischen Interessen einen solchen Schritt erforderlich machen.

(Zuruf von der Mitte: Auf nach Straßburg!)

Dieser Grundsatz des Ausgleichs ist im Mansholt-Vorschlag anerkannt. Aber der Vorschlag trägt der Forderung nach einer angemessenen Ausgleichszahlung nicht genügend Rechnung. Die Berechnungen der Kommission sollen hier nicht im einzelnen untersucht werden. Lassen Sie mich nur folgendes sagen. Da die Preisangleichung nicht vor 1966 kommen wird, muß also später eine neue, exakte Berechnung unter Berücksichtigung der wirklichen Marktentwicklung und der durch den technischen Fortschritt erhöhten Mengen durchgeführt werden. Die jetzige Vorlage setzt die Verkaufsmengen zu niedrig an.
Die Marktordnungen für die übrigen Agrarprodukte sind noch nicht in Kraft getreten. Wenn sie am 1. Juli 1964 wirksam werden, liegt kein einheitlicher Preis zugrunde. Der Preis pendelt vielmehr zwischen Preisgrenzen. Dadurch wird die Interdependenz der Preise noch voll wirksam, und zwar nicht nur, wie in der EWG-Vorlage angenommen, bei den vom Getreide direkt abhängigen Produkten, sondern auch bei den vom Getreide unabhängigen Produkten außer denen, für die zur Zeit Festpreise vorliegen, also Milch, Raps und Zuckerrüben. Insbesondere wird die Preissenkung bei Rind- und Kalbfleisch, bei Kartoffeln und Futtermitteln durchschlagen. Dies ist in der Kommissionsvorlage nicht berücksichtigt.
Die Ausgleichszahlungen berücksichtigen weiterhin nicht die Angleichung der Qualitätsstandards in der Bundesrepublik an das europäische Niveau, so daß für die deutschen Erzeuger Preiseinbußen von mindestens 5,96 DM je Tonne Weizen, 6,49 DM je Tonne Roggen und 9,27 DM je Tonne Gerste zu erwarten sind. Nach dem Vorschlag der Kommission sollten die Reports bei Weizen um 2 DM, bei Roggen um 6 DM und bei Gerste um 7,30 DM erhöht werden. Dies führt zu einer weiteren Minderung der Weizen-und Roggenerlöse für den Erzeuger. Für die Anbauer von Gerste ist diese Regelung in der ersten Jahreshälfte zwar vorteilhaft; sie verteuert aber in der zweiten Jahreshälfte, wenn die Inlandsablieferung abgewickelt ist, die Preise insbesondere für Import-, Futter- und Industriegetreide, zum Nachteil der auf Zukauf angewiesenen landwirtschaftlichen Betriebe und des Verbrauchers. Durch die Verminderung der Paritätspunkte von 200 auf 38 wird eine weitere Preisminderung eintreten. Alles in allem dürfte die Senkung der Getreidepreise als solche nicht — wie die Kommissionsvorlage behauptet — 11 bis 15 °/o, sondern mindestens 16 % betragen.

(Zurufe von der Mitte: Aha!)

Der Einkommensausfall wird insgesamt weit über 560 Millionen DM hinausgehen und sich eher der Milliarde nähern. Der Abbau der Ausgleichszahlungen kann nur in dem Maße erfolgen, wie die Einkommen der landwirtschaftlichen Betriebe sich entsprechend gebessert haben.
An zwei markanten Beispielen möchte ich beweisen, daß die von der EWG-Kommission vorgeschlagene Degression der Ausgleichsmaßnahmen im Widerspruch zu Ihren eigenen Erklärungen stehen.
Erstens. In der Begründung der EWG-Vorlage zur Ausgleichszahlung heißt es:
Die mittel- und langfristigen Investitionen, die die landwirtschaftlichen Betriebe in den zurückliegenden Jahren zum größten Teil mit Fremdkapital getätigt haben, fußten auf Kalkulationen über Amortisation und Verzinsung, denen das bisherige Preisniveau zu Grunde lag.
Das bedeutet doch wohl, daß die restliche Finanzierung dieser Investitionen durch die Ausgleichsmaßnahmen gesichert sein soll.
Ich frage nun die Kommission, ob sie wirklich der Ansicht ist, daß unsere Investitionen z. B. in der Flurbereinigung, in der Aussiedlung usw. in drei bzw. sechs Jahren abgezahlt sind. Das kann man nicht glauben, vor allen Dingen dann nicht, wenn man weiß, daß diese Kredite 15, 20 und 25 Jahre



Dr. Schmidt (Gellersen)

laufen. Wenn hier keine grundlegende Hilfe erfolgt, dann war unsere gesamte Struktur- und Kreditpolitik, der ja eine tragbare Belastung zugrunde liegt, zu einem erheblichen Teil umsonst.
Zweitens in der Begründung für die Ausgleichsmaßnahmen heißt es weiter:
Das bisherige Niveau der landwirtschaftlichen Preise entsprach im gesamtwirtschaftlichen Zusammenhang einem bestimmten Niveau der Produktionsmittelpreise. Diese Elemente, die für das Einkommen der landwirtschaftlichen Betriebe eine große Rolle spielen, da sie die Höhe der Betriebsausgaben entscheidend bestimmen, werden erst mit der schrittweisen Verwirklichung des Gemeinsamen Marktes ein gemeinsames Niveau erreichen.
Soweit die Begründung.
Dies ist nun wirklich eigenartig. Die Kommission vermeidet es bewußt, von einem mittleren Niveau der Kosten zu sprechen; sie sagt, gemeinsames Niveau. Dies ist doch eine der entscheidenden Fragen. Man kann nicht einerseits die Preise senken und auf der anderen Seite bei den Kosten nichts tun. Das trifft aber nicht nur die EWG, sondern auch die Bundesregierung. Es ist unmöglich, einen Teil der Volkswirtschaft, nämlich die Landwirtschaft, in ihrem Preisniveau zu fixieren, ohne auch auf die übrigen relevanten Bereiche der Wirtschaft einen gewissen Einfluß zu nehmen. Ich verweise dabei auf die Große Anfrage meiner Fraktion: Kostensenkung in der Landwirtschaft.
Obwohl also die Kommisson eher steigende als sinkende Kosten annimmt, schlägt sie doch die Degression der Ausgleichsmaßnahmen vor. Der Abbau der Ausgleichszahlungen kann aber nach unserer Überzeugung in dem Maße erfolgen, wie durch nationale bzw. europäische Maßnahmen, z. B. die Gemeinschaftspläne, die Einkommen der landwirtschaftlichen Betriebe sich entsprechend gebessert haben. Unabhängig von der merkwürdigen Einstellung der Kommission, die Ausgleichszahlungen degressiv zu gestalten, ohne ähnliches bei den Kosten zu tun, kommt der Harmonisierung der beeinflußbaren Kosten und Lasten im Hinblick auf die Gleichheit der Bedingungen für die sechs Partner große Bedeutung zu.

(Vorsitz: Vizepräsident Schoettle.)

In dem Memorandum der EWG-Kommission über Preise und Preispolitik für landwirtschaftliche Erzeugnisse in der EWG ist ein kurzer Abriß über die unterschiedlichen Kosten enthalten. Daraus geht hervor, daß die deutsche Landwirtschaft im europäischen Vergleich fast durchweg die höchsten Kosten zu tragen hat.

( Löhnen gewerblicher Arbeitnehmer liegen sie weit zurück. Ich möchte hier nur auf die Größenunterschiede hinsichtlich der Lohnkosten aufmerksam machen. Bei den Soziallasten ist es ähnlich. Die deutsche Landwirtschaft steht im EWG-Vergleich nicht nur bezüglich der Leistungen an letzter Stelle, sondern hinsichtlich der Beteiligung an diesen Leistungen an erster Stelle. Während beispielsweise in Frankreich der Anteil der Landwirtschaft an den Sozialleistungen nur 32 % beträgt, beträgt er in der Bundesrepublik 69 %. Auch im Realvergleich sind die Unterschiede zuungunsten der deutschen Landwirtschaft trotz der niedrigen Leistungen ganz erheblich. Ein weiteres Beispiel für die unterschiedlichen Kosten sind die Preise für Treibstoff. Währénd der italienische Bauer für 100 Liter Dieselöl nur 12,68 DM zu zahlen hat, zahlt sein deutscher Kollege 21,25 DM, also nahezu das Doppelte. Der Vergleich der Maschinenpreise leidet im EWG-Memorandum darunter, daß nur Preise des Jahres 1960 verglichen werden. Aber auch in diesem Vergleich liegen die Preise in der Bundesrepublik ziemlich an der Spitze. Gleichgültig, ob mit oder ohne Bundesbeihilfe, hat der deutsche Bauer die höchsten Kreditkosten zu zahlen. So betrug beispielsweise im Jahre 1961 die Höhe der Kreditbelastung mit Hypotheken in der Bundesrepublik 5,22 % und in Italien nur 3,45 %. In dem Memorandum ist nichts über die sonstigen Steuern und Lasten, die Beiträge zu den Versicherungen usw. gesagt. In diesem Zusammenhang sei nur daran erinnert, daß die deutsche Landwirtschaft im Gegensatz zu den übrigen Partnern Leistungen für den Lastenausgleich zu erbringen hat. Im Realkaufkraftvergleich schneidet die deutsche Landwirtschaft zwar etwas günstiger ab. Aber was heißt das? Das heißt doch nur, daß sie sich bei einer Senkung der Getreidepreise bedeutend schlechter stellen würde. Wo also Kosten und Lasten beeinflußbar sind, sollten Maßnahmen in Angriff genommen werden, damit am Ende der Übergangszeit gleiche Startbedingungen in der EWG gegeben sind. Ein weiterer Vorbehalt! Jedem von uns ist klar, daß die Landwirtschaft nur zum Teil in die Wettbewerbswirtschaft eingegliedert ist. Der größte Teil der Preise und damit der Produktion ist und wird durch Marktordnungen geregelt. Für diese Marktordnungen und die dabei notwendigen politischen Preisentscheidungen sind, da der freie Wettbewerb ausgeschaltet ist, Maßstäbe, statistische Vergleiche unerläßlich. Nun sind leider in der Vergangenheit die Beratungen über die EWG-Verordnung bezüglich der Preiskriterien ins Stocken geraten. Sowohl im Verordnungsentwurf als auch in sämtlichen Veröffentlichungen der EWG-Kommission wird betont, daß man an dem Prinzip einer variablen Preispolitik festhält, d. h., daß die Preise Jahr für Jahr neu festgesetzt werden sollen. Dabei kommt den Einkommen der in der Landwirtschaft Tätigen eine besondere Bedeutung zu. Wenn man somit von der Notwendigkeit einer variablen Preispolitik vom landwirtschaftlichen Einkommen als wichtigstem Kriterium und von dem Zwang zur Schaffung eines Dr. Schmidt Maßstabes überzeugt ist, dann frage ich, warum nicht nur nicht die Verordnung über Preiskriterien verabschiedet wurde, sondern warum nicht die Maßstäbe realisiert wurden. Als solcher Maßstab kann nur eine ausreichende Zahl von Testbetrieben in Frage kommen. Im Ausschußbericht des Europäischen Parlaments von Herrn Mauk heißt es: Wegen der Vielfältigkeit und Unterschiedlichkeit der Landwirtschaft in der Gemeinschaft ist es notwendig, diese Testbetriebe aufzugliedern nach Betriebsgrößen, Typen, Systemen, Wirtschaftsgebieten. Die Aufgliederung der Betriebe sowie •die Art der durchzuführenden Untersuchungen müssen so sein, daß ein klares Bild entsteht sowohl über die Gestehungskosten in den einzelnen Produktionsgebieten der Gemeinschaft als auch insgesamt für die einzelnen Produkte. Dabei sind als Testbetriebe im wesentlichen strukturell gesunde Betriebe zu nehmen mit durchschnittlichen Produktionsbedingungen, die bei ordnungsgemäßer Führung die wirtschafliche Existenz einer bäuerlichen Familie nachhaltig gewährleisten. So weit Herr Mauk in dem Bericht. Ich frage die Bundesregierung und die Kommission: Warum ist auf diesem Gebiet nichts geschehen? Wie kann ich loyalerweise Preise festsetzen, ohne diese Maßstäbe zu haben? Es ist unmöglich. Aus diesem Grunde ist die Verabschiedung der Verordnung über die Preiskriterien und die Errichtung der Testbetriebe, an Hand derer unter Berücksichtigung der Kosten und der Produktivität die Preisfestsetzung erfolgen kann, einer der wesentlichen Vorbehalte meiner Fraktion. Ein weiterer Vorbehalt ist zu erheben in der Frage der Wettbewerbsverzerrungen. Darüber habe ich mich wiederholt in diesem Hause geäußert. Obwohl neues Material vorliegt, will ich mich in Anbetracht der Zeit nicht näher dazu äußern. Nur ein Satz: Im Informationsdienst des Bundesernährungsministeriums vom 16. März wird versucht, sich eine reine Weste zu verschaffen. Aber wer etwas von der Materie kennt, weiß, daß das nur Augenauswischerei ist. Die weiteren Anmerkungen und Vorbehalte meiner Fraktion finden Sie in unserem eingebrachten Entschließungsantrag, • den wir zur Freude Ihrer Kollegen aus dem Wirtschaftsausschuß dessen Entschließung vorangestellt haben. Im Augenblick muß ich es mir versagen, diese Vorbehalte zu begründen. Sie lauten: Die EWG-Kommission ist zu veranlassen, darüber mit besonderer Aufmerksamkeit zu wachen, daß die Verordnung Nr. 19 Die BWG-Kommission und der Ministerrat sind gehalten, gleichzeitig die preispolitischen Vorstellungen bei den anderen landwirtschaftlichen Grundprodukten bekanntzugeben. Die angekündigten Gemeinschaftspläne zur Verbesserung der Lebenshaltung der landwirtschaftlichen Bevölkerung sind schnellstens auszuarbeiten und mit der Angleichung der Getreidepreise in Gang zu setzen. Im Ministerrat ist dafür Sorge 2u tragen, daß Wege zu einer einheitlichen Währungspolitik gefunden werden, um die Entwicklung der gemeinsamen Agrarpolitik nicht durch eigenständige währungspolitische Maßnahmen der Partnerländer zu gefährden. Und .ein letzter Vorbehalt: Den nationalen Parlamenten werden immer mehr politische Entscheidungen entzogen, ohne .daß ,das Europäische Parlament diese Rechte übertragen bekommt. Die Bundesregierung wird aufgefordert, eine entsprechende Erweiterung der Befugnisse der demokratischen europäischen Volksvertretung herbeizuführen. Meine Damen und Herren, .Sie mögen daraus ersehen, daß unser Wille .zur Verhandlung ergänzt wird durch den festen Willen, die Getreidepreisangleichung für unsere Landwirtschaft 'annehmbar zu machen. Es wird Aufgabe der Verhandlungen sein, diese Vorbehalteauszuräumen und gegebenenfalls Alternativvorschläge zu entwickeln. Ich halte jeden Tag, der ohne Aktivität der Bundesregierung vorübergeht, für einen verlorenen Tag. Das brauchte mich an sich nicht zu stören, wenn es nicht das Tragische wäre, daß nicht !die Bundesregierung, sondern die Bauern für diese Versäumnisse werden zahlen müssen. Zwar hatte ich schon längst die Hoffnung aufgegeben, daß die Bundesregierung je eigene Ideen zur Gestaltung der europäischen Agrarpolitik entwickeln könnte. Aber wenn die Einsicht jetzt kommt, daß sie einen falschen Weg betreten hat und daß sie aus der passiven Rolle heraustreten muß, dann kommt diese Einsicht nie zu spät. Herr Struve hat in der letzten Debatte am 19. Februargeäußert — lassen Sie mich das zum Schluß sagen —, das Brüssel für unsere Bauern lähmend sei. Herr Kollege Struve, ich teile diese Meinung nicht. Kein anderer als die Bundesregierung ist schuld daran, ,daß unsere Bauern an der Zukunft zweifeln. Die Initiative war ihr bisher fremd, und die Immobilität ist ihr Charakteristikum. Der Herr Bundeskanzler hat heute erstmals Initiativen ungekündigt. Wir haben schon auf anderem Gebiete solche Proklamationen vernommen. Wir wünschen und hoffen, daß endlich die Taten folgen und Klarheit über die Zukunft geschaffen wird. Unsere Bauern und Landwirte warten darauf. Das Wort hat der Abgeordnete Bauknecht. Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Verlauf der Debatte hat gezeigt, daß doch offenbare Mißverständnisse vorhanden sind. Herr Kollege Schmidt, Sie hatten gemeint, daß sich die Bundesregierung in ihren Auffassungen zu den Fragen des Mansholt-Planes bzw. Bauknecht der Anpassung der Getreidepreise in der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft gewandelt habe. Ich glaube vielmehr feststellen zu können, daß nicht die Bundesregierung sich gewandelt hat; die Bundesregierung hatte immer dieselbe Auffassung. Aber mir scheint, daß Sie sich zu wandeln beginnen. Wenn dem so wäre, wäre das gar nicht schlecht. Sie müßten dann nur noch die Gelegenheit wahrnehmen, auch Ihre Vertreter in Straßburg entsprechend zu instruieren. Ich habe als Sprecher der CDU — nachher wird sich noch ein Vertreter der CSU zum Wort melden — Ihnen, sehr verehrter Herr Bundesminister Schwarz, dafür zu danken, daß Sie in der vergangenen Zeit unbeirrt, unbeirrt überall, wo Sie Gelegenheit hatten, das zum Ausdruck gebracht haben, was heute durch den Bundeskanzler offen kundgetan wurde. Wir danken Ihnen für diese mannhafte Haltung. Der Herr Bundeskanzler ist noch anwesend. Ich möchte auch ihm sehr dafür danken. Ich und meine Freunde waren sich nie darüber im Zweifel, wie die Haltung Bundeskanzler Erhards sein würde. Nur andere haben versucht, uns am Zeuge zu flikken. Wir sind gar nicht verwundert über das, was der Herr Bundeskanzler heute zum Ausdruck gebracht hat; das stand für uns vielmehr seit eh und je fest. Aber andere haben die Bundesregierung nur mies gemacht. — Ja, sicher, es ist so. Es wäre ja direkt lächerlich, wenn man von einem Regierungschef von dem Format Professor Ludwig Erhards annehmen wollte, daß er erst seit gestern abend diese Haltung eingenommen hätte. Meine Damen und Herren, das ist wirklich kleinlich. Herr Bundeskanzler, wir haben Ihnen dafür zu danken, daß Sie — es war vorher ja gar nicht notwendig — heute diese Erklärung vor dem Parlament abgegeben haben. Ich möchte auch den vier Herren Staatssekretären danken, die es wirklich nicht einfach hatten; denn sie mußten ja die Dinge vorbereiten. Wenn wir auch mit einzelnen Auffassungen, die dargelegt wurden, nicht völlig einig sind, so möchte ich ihnen doch für ihre Arbeit danken, die dazu beigetragen hat, die Dinge zu klären. Lassen Sie mich noch einige Gesichtspunkte ins Feld führen, die meines Erachtens für die Bundesregierung bei ihren weiteren Verhandlungen in Brüssel eine Unterstützung sein können! Zunächst möchte ich hier einmal feststellen, daß sich die Leute, die im Jahre 1956 den Römischen Vertrag abgeschlossen haben, bei ihrer Forderung nach einer Übergangszeit von zwölf Jahren ja auch Gedanken gemacht haben. Sicherlich geschah das in erster Linie mit Rücksicht auf die Landwirtschaft; denn die Landwirtschaft kann sich doch — das ist eine Binsenweisheit — nicht von heute auf morgen umstellen. Das sah man angesichts der Entwicklung der letzten Jahrzehnte, die in den einzelnen Ländern doch verschiedenartig verlaufen ist. Die Holländer hatten eine reine Exportpolitik, die Franzosen hatten im kolonialen Zeitalter ihre Landwirtschaft völlig vernachlässigt, und in Deutschland hat man die nationale Produktion mit allen Mitteln geschützt. Nun ist es doch ganz selbstverständlich, wenn man so konträre Entwicklungen koordinieren soll, nicht nur koordinieren, sondern zu einer Einheit zusammenschließen soll, ist das eine sehr, sehr schwierige Angelegenheit. Deswegen ist ja in Art. 8 Ziffer 5 des Römischen Vertrages sogar vorgesehen, daß, wenn man in den zwölf Jahren nicht imstande ist, diese Angleichung vorzunehmen, man noch die Möglichkeit weiterer drei Jahre hat. Davon redet heute kein Mensch mehr. Jeder meint, es müsse von heute auf morgen geschehen. Ich möchte noch einen anderen Gesichtspunkt ins Feld führen. Der frühere, der Altbundeskanzler Adenauer hat auf unserem letzten Bundesparteitag in Hannover wieder zum Ausdruck gebracht, er hat es aber beispielsweise auch, und zwar sehr deutlich, auf dem Deutschen Bauerntag in Hamburg gesagt, daß man das Wort „Sicherheit" doch nicht so ganz von sich weisen solle. Ich möchte diesen Bundestag fragen: warum hat er denn in den letzten Wochen, Monaten und Jahren immer wieder jede Gelegenheit benützt, für eine andere Urproduktion ein Mindestmaß an Sicherheit auf gesetzestechnischem Gebiete einzuführen, nämlich für Kohle und Erdöl? Das ist doch sonderbar. Ist denn die Kohle im Ofen und das Benzin im Tank interessanter für eine Volkswirtschaft als das tägliche Brot auf dem Tisch? Man sollte also dieses Argument nicht völlig negieren. Das, was wir hier fordern, die Gleichstellung der Landwirtschaft mit einer anderen Urproduktion, ist nichts Ausgefallenes, sondern verlangt nur eine gleiche Wertung. Entscheidend dabei ist, welches Preisniveau in der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft angesteuert wird. Ich glaube, das hat der Kollege Effertz mir bereits vorweggenommen. Wenn wir schon diese Vorleistung gemacht haben, indem wir von den anderen Möglichkeiten — a)





(Beifall bei der SPD.)


(Beifall bei der SPD.)

Erwin Schoettle (SPD):
Rede ID: ID0412118400
Bernhard Bauknecht (CDU):
Rede ID: ID0412118500




(Zustimmung bei der CDU/CSU.)


(Beifall bei der CDU/CSU.)


(Zuruf von der SPD: Das ist eine Fraktion!)


(Bravo! und Beifall bei der CDU/CSU.)


(Erneuter Beifall bei der CDU/CSU.)


(Lachen bei der SPD.)


(Sehr richtig! bei der CDU/CSU.)


(Beifall bei der CDU/CSU.)


(Oho! bei der SPD.)


(Beifall bei der CDU/CSU.)


(Beifall bei der CDU/CSU.)




Bauknecht
honorieren, weil wir auf die andere Dinge verzichtet haben.
Ich will jetzt nicht mehr über die Frage der Wettbewerbsgleichheit reden. Diese Frage klang in der Begründung und auch in der Antwort der Bundesregierung an. In Wirklichkeit ist doch nicht zu leugnen, daß die Kostenlage eine völlig andere ist, daß die Löhne in den anderen Partnerstaaten andere sind als in der Bundesrepublik. Ich fürchte manchmal: wenn man auf anderen Gebieten nicht so rasch zum Zuge kommt und eine Integrierung nicht herstellen kann, namentlich auf politischem Gebiet, dann versucht man es eben dort, wo der Zaun am niedrigsten ist, dann versucht man es beim Agrarpreisniveau. Ich bin nicht ganz sicher, ob die Herren der Kommission in Brüssel sich nicht aus einem bestimmten Ehrgeiz möglichst rasch eine Feder an den Hut stecken wollen, um so einmal in die Geschichte einzugehen. Wir müssen es ablehnen, daß hier der Weg des geringsten Widerstandes gegangen wird.
Sie sehen alle in der Begründung für die Ablehnung des Mansholt-Planes — in der Vorlage, die Ihnen der Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten unterbreitet hat —, welche Umstände dafür maßgebend waren, daß wir hier heute nicht ja sagen können — es wurde von anderen schon ausgeführt —: unterschiedliche finanztechnische Zustände auf dem steuerlichen Gebiet, auf dem Konjunkturgebiet und auf dem Gebiet der Verkehrspolitik. Meine Damen und Herren, warum sollten wir dann nicht die Möglichkeiten nützen, die zweite Hälfte der Übergangszeit voll in Anspruch zu nehmen? Europa geht deswegen nicht unter, wenn wir jetzt nicht sofort ein einheitliches Getreidepreisniveau herstellen können.

(Beifall bei Abgeordneten der Regierungsparteien.)

Man tut nur so. Man spielt die Dinge viel zu hoch. Man glaubt, es gehe die ganze Menschheit unter, wenn wir morgen nicht den einheitlichen Getreidepreis hätten.

(Abg. Dr. Schmidt [Gellersen] : Sie spielen es doch auch von Ihrer Seite aus hoch!)

— Nein, von uns wird es gar nicht hochgespielt.

(Abg. Dr. Schmidt [Gellersen] : Natürlich!)

— Lieber Herr Kollege Schmidt, bei uns ist es eine echte Sorge um das Wohlergehen der bäuerlichen Betriebe in der Bundesrepublik.

(Beifall bei Abgeordneten der Regierungsparteien. — Abg. Dr. Schmidt [Gellersen] : Meinen Sie, bei uns nicht?)

— Ich will Ihnen das gar nicht unterstellen. Aber Sie haben mir den Vorwurf gemacht, wir spielten das hoch. Dem ist eben nicht so.
Es ist vorhin schon angeklungen — ich weiß nicht, wer es gesagt hat —, daß die Herstellung des gemeinsamen Getreidepreises nicht die Herstellung der Wettbewerbsgleichheit bedeuten würde. Es ist wahrscheinlich allen von Ihnen schon aus der Presse bekanntgeworden, welche horrenden Unterschiede in den Aufwendungen der einzelnen Länder auf sozialem Gebiet sind. Hier geht unser Nachbarland Frankreich voran. Von der EWG-Kommission wurde festgestellt, daß dort die staatlichen Zuwendungen auf diesem Gebiet in deutschem Geld 2,2 Milliarden DM betragen. In Deutschland sind es 570 Millionen DM. Es ist also ein Unterschied von 1,6 Milliarden DM, den allein dieses Land, Frankreich, in jedem Falle zum Voraus hätte, wenn man jetzt etwa den Getreidepreis nach dem Mansholt-Plan harmonisierte. Wie man dieses Gefälle ausgleichen will, ist eine besondere Frage. Wir sollten nicht in den Fehler verfallen, in ähnlicher Weise wie in Frankreich einen Ersatz für entgangene Einkommen auf dem Markt über sozialpolitische Maßnahmen erzielen zu wollen.

(Abg. Dr. Schmidt [Gellersen] : Die wollen Sie natürlich nicht!)

— Das entspricht nicht unserer Konzeption. Das enthebt uns nicht, Herr Kollege Schmidt, der Notwendigkeiten, bestimmte Verbesserungen vorzunehmen. Das wissen Sie ganz genau. Aber wir wollen das nicht als völligen Ersatz haben.
Meine Damen und Herren, wie haben sich denn die Dinge entwickelt? Glaubt jemand in diesem Hause, daß sich etwa der Lohn des Arbeiters in der gewerblichen Wirtschaft einem mittleren Lohn in Europa zuneigen würde? Eine Utopie, von niemandem gewünscht. Die Dinge gehen doch in eine andere Richtung. Wir werden in wenigen Jahren erleben, daß sich die Löhne in Italien, in Holland und in Frankreich den Löhnen der deutschen gewerblichen Wirtschaft anpassen werden. Damit haben wir auch eine völlige Veränderung der Kostenlage für die agrarische Produktion in diesen Ländern.

(Beifall bei Abgeordneten der Regierungsparteien.)

Das sind die nüchternen Tatsachen, und alles andere sind Utopien.
Und dann sehen Sie doch die Entwicklung bei uns! Auch bei uns in der Bundesrepublik haben die Löhne, ob Sie es beklagen oder nicht beklagen, eher eine steigende Tendenz als umgekehrt. Nun frage ich Sie: Wie kann man da überhaupt von Brüssel aus den in einem Land wie der Bundesrepubilk tätigen Bauern zumuten, daß sie von ihrem heutigen Einkommensniveau noch heruntergehen auf ein mittleres Niveau? Das ist doch völlig unzumutbar.

(Beifall bei Abgeordneten der Regierungsparteien.)

Wir haben doch einiges geleistet. Wir haben seit 13 Jahren jetzt den gleichen Getreidepreis. In dieser Zeit hat sich einiges entwickelt. Ich will jetzt keine Zahlen nennen; sie sind längst alle bekannt durch die Veröffentlichungen des früheren Bundeswirtschaftsministers. Auch der jetzige Bundeswirtschaftsminister bringt Veröffentlichungen darüber, wie die Dinge hier gelaufen sind. Also kann man mit Fug und Recht sagen, daß unsere Forderungen zu Recht bestehen,



Bauknecht
Meine Damen und Herren, man sagt: „Ja, was wollt ihr denn? Ihr regt euch so auf. Brüssel ist doch bereit, euch Zuzahlungen zu machen!" Dazu hat Herr Kollege Effertz in seiner Begründung schon einiges gesagt. Es ist interessant, daß selbst der Bundesfinanzminister der Feststellung nicht widersprochen hat, daß die Mehraufwendungen aus dem Etat der Bundesregierung 600 Millionen DM betragen würden, wenn wir bereit wären, die Hälfte dessen in Empfang zu nehmen — nämlich 560 Millionen DM —, was uns an Schaden durch die Annäherung der Preise nach dem Mansholt-Plan in Aussicht gestellt wird.
Sie kennen doch alle die Lage des Etats. Ich möchte nicht verantwortlich sein wie Sie, Herr Bundesernährungsminister, wenn Sie diese paar lächerlichen Millionen, die Sie von Brüssel bekommen, auf diejenigen verteilen sollen, die den größten Schaden haben.

(Zustimmung in der Mitte.)

Das ist ein Gesichtspunkt, der bisher viel zuwenig berücksichtigt wurde.
In dem Bericht des Ernährungsausschusses finden Sie, daß der Abschlag gar nicht 5 DM je Doppelzentner, sondern in marktfernen Gebieten bis zu 7,70 DM beträgt. Aber nach der These von Brüssel darf dieses Geld, das wir von Brüssel empfangen, ja nicht an diejenigen verteilt werden, die den Schaden erleiden, sondern es soll allgemein verteilt werden. Meine Damen und Herren, das ist eine Zumutung, die wir ganz entschieden ablehnen müssen. Das geht nicht, was man uns da zumutet.
Wenn das Papier, das nach den heutigen Ausführungen Gott sei Dank kaputt ist, realisiert worden wäre, dann hätte ich befürchtet, daß mindestens ein Viertel des deutschen Kulturbodens wegen völliger Unrentabilität stillgelegt worden wäre. Denn nach den Grünen Berichten müssen wir doch feststellen, daß die Einkommen in unserer Landwirtschaft um nahezu 30 °/o niedriger sind. Glauben Sie, daß dann noch ein Bauer bereit wäre, auf kargem Boden weiterhin etwa Landbau zu betreiben, wenn er die Futtermittel billiger von Amerika kaufen kann?
Es ist eine völlig falsche These, zu glauben: Aha, großartige Sache, man kann das Futter von Übersee billiger kaufen, und man kann beginnen, eierlegende Hennen oder Masthühner oder Mastschweine zu halten. Meine Damen und Herren, wie empfindlich dieser Sektor ist, konnten Sie vor wenigen Wochen auf dem Gebiet der Eierwirtschaft feststellen. Wenn jetzt — das sage ich mit besonderer Betonung — etwa in der deutschen Landwirtschaft der größere Familienbetrieb und der Großbetrieb gezwungen wären, auch noch zur tierischen Veredelungsproduktion überzugehen, weil das Einkommen aus der Feldwirtschaft zurückgeht, dann, meine Damen und Herren, käme es unaufhaltsam zu einem Preiszusammenbruch, bei dem gerade den Kleinen, die sich mit der tierischen Veredelungsproduktion beschäftigen, der Strick um den Hals gelegt würde. Das müssen wir bei der Betrachtung dieser Verhältnisse doch auch sehen. Wenn man den Versuch machen würde, überschießende Produkte der tierischen Veredelungsproduktion in den Weltmarkt zu exportieren, so müßte man sich fragen: Wohin will man das verkaufen? Zweitens muß man sich fragen: Wer bringt das Geld hierfür auf?
Im übrigen möchte ich bei der Gelegenheit auch sagen: Es wird so vulgär immer behauptet, die Bundesrepublik hätte die höchsten Preise. Wenn Sie einen Blick auf den Zuckermarkt werfen, so sehen Sie, daß in Italien und in Holland die Zuckerrübenpreise höher sind als in Deutschland. Das wird uns übrigens Veranlassung geben, über dieses Thema im Bundestag nächstens ein ernstes Wort zu reden.

(Beifall in der Mitte.)

Und dann wird gesagt: es darf keiner ausbrechen. Man hat hier ein Limit: der höchste Preis darf nicht ,überschritten werden, der niedrigste Preis darf nicht unterschritten werden. So ist es beispielsweise bei Milch. Und siehe da, was müssen wir feststellen? Die Italiener haben kürzlich bei den Verhandlungen klar dargelegt: Wir können es unseren italienischen Bauern nicht zumuten, daß sie weniger als 42 Pf Erzeugerpreis bekommen!, obwohl vorher die Kommission und der Ministerrat festgestellt haben: 38 Pf ist der Höchstpreis, der nicht überschritten werden darf. Was hat man mit den Italienern gemacht? Hat man sie verurteilt? Nein! Man hat die Dinge zur Kenntnis genommen, nicht wahr? Man hat sie zur Kenntnis genommen. Wenn die Bundesrepublik erklären muß: Es kann der deutschen Landwirtschaft wirklich nicht zugemutet werden, daß sie unter dem jetzigen deutschen Getreidepreis produziert, dann wird man das in Brüssel halt auch zur Kenntnis nehmen müssen.

(Beifall in der Mitte und rechts.)

Meine Damen und Herren, nun möchte ich mich noch ganz kurz mit dem Argument auseinandersetzen: Das eben entsteht durch diese sogenannte Kennedy-Runde bei den GATT-Verhandlungen! Es ist gar nicht zu leugnen: die Amerikaner haben große Sorge, wenn etwa der Preis an den deutschen angeglichen würde, daß es dann zu einer Überproduktion in Europa kommen könnte und sie ihren Marktanteil an Getreide in der EWG verlieren. Wie liegen nun die Verhältnisse? In Italien hat man einen Weizenpreis, der ungefähr auf der gleichen Höhe liegt wie in der Bundesrepublik. Es ist doch sonderbar, daß es da zu keiner Überproduktion gekommen ist. Also ist der Preis nicht schuld. Und wie ist es in der Bundesrepublik? In der Bundesrepublik wird es zu keiner Überproduktion kommen. Hier sind die letzten Möglichkeiten ausgeschöpft, die heute auf Grund der Erkenntnisse der Wissenschaft und der Technik gegeben sind, um höchstmögliche Erträge zu erzielen. Wenn wir etwa bei Getreide, sagen wir einmal bei Braugerste auf bestimmte ausgezeichnete Braugerstensorten, bei Weizen auf Kleberweizen übergehen, dann ist das mit einer Tendenz zur Verringerung der Hektarerträge verbunden.
Im übrigen weiß doch jeder, der in der Landwirtschaft herumfährt, daß täglich — ich kann Ihnen die Zahl nicht nennen; ich weiß sie nicht — einige Dutzend Hektar an landwirtschaftlicher Kulturfläche



Bauknecht
verlorengehen durch Wohnungsbau, durch Industriebauten und durch den Straßenbau. Das heißt mit anderen Worten: von der Bundesrepublik wird bei dem jetzigen Getreidepreis keine Gefahr einer höheren Produktion ausgehen, und die Amerikaner werden ihren Anteil deswegen nicht verlieren.
Aber wie sind denn die Verhältnisse in Frankreich? Meine Damen und Herren, da wird herumgeredet und -geschrieben von Leuten, die etwas verstehen, und solchen, die weniger verstehen, einer redet dem anderen nach: riesengroße Produktionsreserven in Frankreich! Uns wird Hören und Sehen vergehen, wenn die einmal anfangen zu produzieren, wenn etwa der deutsche Getreidepreis in der EWG eingeführt würde! — Ja, liebe Leute, wie ist denn das? Viele von Ihnen kommen doch öfters nach Frankreich. Ich war auch schon öfters drüben. Wie liegen denn die Verhältnisse dort? — Wo die Verhältnisse günstig sind — wie etwa bei uns in den besten Gebieten, in der Soester Börde oder am Niederrhein —, dort sind heute die Getreideerträge schon höher als bei uns in Deutschland. Sie sind einfach nicht mehr zu steigern, Und dort, wo 2,5, 2,7 Millionen ha brachliegen? Glauben Sie, daß jemand sein gutes Geld in Gebieten mit armen Böden oder mit zuwenig Niederschlag oder dort, wo die Obergestalt der Erde eine Technisierung verbietet, investiert, obwohl er genau weiß, daß er nie über 18 oder 20 Doppelzentner je Hektar hinauskommen wird? Wer wird denn da sein Geld investieren!

(Beifall in der Mitte und rechts.) Es wäre eine Illusion, das zu glauben.

Ich möchte einen anderen Punkt erwähnen. Herr Bundesernährungsminister Schwarz, ein Wort an Sie und an Ihr Haus! Dieser Tage habe ich den Veröffentlichungen der Korrespondenz von „Agrareurop" entnommen, daß in Wirklichkeit der Auszahlungspreis an den französischen Getreideerzeuger bei Weizen um 30 Mark die Tonne über den Vergleichszahlen liegt, die uns jetzt mit dem MansholtPlan angegeben werden. Man sagt: Eine Schwalbe. macht noch keinen Sommer. Aber ich habe mir heute bestätigen lassen, daß das sicher einwandfreie IFOInstitut in München zu der Feststellung gekommen ist, daß der französische Getreidepreis effektiv wahrscheinlich sogar um 35 Mark die Tonne höher liegt. Ich bitte ferner zu berücksichtigen, daß bei Weizen zwischen dem deutschen und dem französischen Getreidepreis nicht ein Unterschied von 7,83 DM je Doppelzentner, sondern nach „Agrareurop" von 4,83 DM und nach IFO von nur 4,23 DM besteht. Und da mutet man uns zu, um 5 DM abzuschlagen! Ich fordere das Bundesernährungsministerium und die Bundesregierung auf, sich einmal mit diesen Dingen zu beschäftigen, damit hier Klarheit geschaffen wird.

(Beifall in der Mitte und rechts.)

Wenn wir auf Grund einer Feststellung, die einfach der Wahrheit offenbar nicht entspricht, in die Geschichte hineingegangen wären, hätten wir Kopf und Kragen verloren.
Herr Bundesernährungsminister, Sie und Ihre Mitarbeiter wissen — vor allem weiß es auch der Herr
Bundeskanzler —, daß es nicht das Anliegen der Amerikaner in der Kennedy-Runde ist, nun absolut den europäischen Getreidepreis zu senken. Die Amerikaner sind nüchterne, wirtschaftlich denkende Leute. Sie fragen: Was können wir in Zukunft nach Europa verkaufen? Da geht es um ein Mengenproblem, und da müßte man eben mit den Amerikanern reden. Ich habe Ihnen schon dargestellt, daß die Gefahren einer Überproduktion nicht so groß sind und daß die Nachfrage nach Futtergetreide in Europa einen Trend nach oben aufweisen wird. Man wird sich mit den Amerikanern über eine Konzeption einigen können. Natürlich entspricht das nicht den Vorstellungen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft. Jetzt sollen sogenannte Stützungsbeträge gemessen werden. Man sagt: Das geht nicht ohne einen einheitlichen Getreidepreis. — Ja, dann mißt man eben die Stützungsbeträge zwischen dem Weltmarktpreis und dem französischen Preis und zwischen dem Weltmarktpreis und dem deutschen Preis sowie dem Preis in den anderen Ländern; Dann wird es auch weitergehen. Da habe ich gar keine Sorge.
Natürlich sind wir sehr an der deutsch-amerikanischen Freundschaft interessiert. Daran besteht gar kein Zweifel. Das ist eine politisch sehr wichtige Sache. Aber ich darf mir die Gegenfrage erlauben: Glauben Sie nicht auch, daß die Vereinigten Staaten von Nordamerika an dem Wohlergehen ihres sichersten Partners zur Verteidigung der Freiheit in Europa genauso interessiert sind, nämlich der Bundesrepublik?

(Beifall in der Mitte und rechts.)

Ich glaube, daß wir auf diesem Gebiet ohne weiteres zu einer Einigung kommen können und daß die Bundesregierung hier nicht versagen wird.
Noch eine bedauerliche Feststellung. Sie muß getroffen werden, weil immer wieder zu Recht die Frage gestellt wird: Was hat denn der Verbraucher von der EWG zu erwarten? Bestehen da keine Möglichkeiten, die Lebenshaltungskosten zu ermäßigen? Ich habe mir erlaubt, einige Daten zusammenzustellen: Verbrauch an Mehlwert 74,9 kg — nach Haus Schwarz — gleich 100 kg Getreide, Weizenpreis um 5 DM ermäßigt, ergibt im Monat je Kopf eine Ermäßigung von 41 Pf je Monat und Kopf, eine Ermäßigung von 1,3 Pf je Tag. Nun bitte, wer kann mir den Künstler vorführen, dem es gelingt, diese 1,3 Pf zu verteilen a) auf Brötchen, b) auf Normalbrot, c) auf Teigwaren und d) auf Kuchen und Gebäckwaren? Keiner hätte etwas davon. Leider ist es aber so. Das muß man feststellen und dabei darauf hinweisen, daß der Brotpreis — obwohl unser Getreidepreis seit 1951, 1952 der gleiche geblieben ist — zwischen 43 und 55 % gestiegen ist. Also auf diesem Sektor wäre kein Vorteil vorhanden.
Natürlich muß man auch die Möglichkeiten der Verbilligung der tierischen Veredelungsproduktion in Betracht ziehen. Was ich jetzt sage, ist nicht nur meine Meinung, sondern die Meinung eines Mannes, der in der Bundesrepublik eine große Anerkennung besitzt; ich meine Herrn Professor Niehau von der landwirtschaftlichen Fakultät der Universi-



Bauknecht
tät in Bonn. Er hat darüber in der Offentlichkeit gesprochen und dabei folgendes festgestellt: Wenn der Preis des Getreides um 15 % sinkt — hier war Futtergetreide gemeint —, würde der Preis der Veredelungsprodukte um 7 % sinken. Wenn man berücksichtigt, daß der Anteil des Erzeugers am Endverbraucherpreis 50 % beträgt, würden praktisch die Veredelungsprodukte um 31/21)/o billiger werden. Da an den Gesamtlebenshaltungskosten die Ernährungskosten — präterpropter — mit einem Drittel beteiligt sind, so würde das eine Senkung der Lebenshaltungskosten um 1,2 % bedeuten. Das würde herauskommen, wenn man dieser Ermäßigung des Getreidepreises zustimmen würde. Was soll denn das?
Lassen Sie mich zum Schluß noch einen Gesichtspunkt erwähnen. Man könnte in einen anderen Fehler verfallen. Ich glaube zwar nicht, daß die Gefahr gegeben ist, aber ich habe schon einige Male folgende Auffassung gehört: Wenn wir hier nicht nachgeben, kommt unsere Exportindustrie in Verdrückung. Das hat gewisse Gefahren, namentlich im Hinblick auf die Kennedy-Runde. Wir können nachher nicht mehr so sehr exportieren. — Ich möchte dem folgendes entgegenhalten. Unsere Exportwirtschaft ist heute überbeschäftigt. Es besteht die Gefahr, daß wir sogar eine Inflation importieren, wenn wir diesen Trend noch übersteigern. Man soll doch auch in Betracht ziehen, daß die Kaufkraft der Landwirtschaft ein bestimmter Faktor ist, der nicht negiert werden darf. Wenn Sie den Getreidepreis und damit das gesamte Getreidepreisniveau heruntersetzen, aber die nationalen Kosten für die Erzeugung von Getreide und Veredelungsprodukte belassen, wird die deutsche Landwirtschaft nicht mehr imstande sein, die notwendigen Investitionen vorzunehmen, die sie für die Anpassung in der europäischen Gemeinschaft einfach braucht. Hier ginge dann der Schuß nach hinten los.
Ich bin am Schluß und möchte Sie bitten, dem Antrag des Ernährungsausschusses mit den dort gegebenen Begründungen für die Ablehnung des Mansholtplanes zuzustimmen. Sie erweisen damit nicht nur Ihrer Landwirtschaft, sondern unserer gesamten Volkswirtschaft einen guten Dienst.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)


Erwin Schoettle (SPD):
Rede ID: ID0412118600
Das Wort hat der Abgeordnete Mauk.

Adolf Mauk (FDP):
Rede ID: ID0412118700
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wer an dritter oder vierter Stelle spricht, hat es entweder schwer oder auch leicht, wenn ihm die anderen Redner .einiges aus dem Konzeptweggenommen haben. Ich glaube, ich habe es heute leichter bekommen; ich konnte ungefähr die Hälfte meiner Notizzettel ,auf dem Platz liegenlassen, kann also jetzt etwas kürzer sein, weil manches von dem, was ich mir zu sagen vorgenommen hatte, von meinen beiden Kollegen Bauknecht und auch Dr. Schmidt (Gellersen) schon gesagt worden ist.
Ich habe mich, Herr Kollege Dr. Schmidt — ich darf mich zunächst mit Ihnen befassen —, über manche Ihrer Ausführungen wirklich gefreut. Ich habe mich aber auch sehr gefreut über das, was Herr Kollege Bauknecht gesagt hat. Ich freue mich jetzt als FDP-Mann, was unser ganz glasklarer, einstimmiger Fraktionsbeschluß Anfang Januar in Berlin, zweitens der Beschluß, eine Große Anfrage einzubringen — auch wieder einstimmiger Beschluß der Fraktion — und dann unser Beschluß von Baden-Baden in den letzten Wochen nicht alles für Wunder gewirkt haben. Ganz besonders bei Ihnen, Herr Dr. Schmidt, habe ich michdarüber gefreut. Denn ich hatte vorher ja mit einem Ihrer Kollegen seit einem Jahr über die Frage zu kämpfen gehabt. Das ist Herr Kriedemann, wie Sie wissen; der hat den Mansholt-Plan, den wir ja heute letzten Endes zum Hauptgegenstand unserer Großen Anfrage gemacht haben, ganz anders kommentiert, als Sie es heute getan haben.

(Abg. Dr. Schmidt [Gellersen] : Auch Herr Kohut?)

— Wir sprechen jetzt von Getreidepreisen. Kohut ist im Augenblicknicht in der Diskussion.

(Heiterkeit.)

Er hat diesen Beschluß auch mit gefaßt.
Nun, Herr Dr. Schmidt, ich war im großen und ganzen mit Ihren Vorbehalten einig; denn es sind ja diejenigen, die auch wir immer wieder herausgestellt haben. Aber letzten Endes habe ich 'doch die entscheidende Äußerung von Ihnen vermißt; vielleicht kommt sie noch im Laufe der Diskussion heute abend. Sie haben zwar auch anerkannt, daß eine Harmonisierung der Getreidepreise nicht möglich ist, bevor nicht gewisse Voraussetzungen erfüllt sind, und Siehaben auch ganz klar gesagt, daß sie für 1964 und 1965 nach Auffassung der SPD noch nicht möglich ist. Da haben Sie sogar ganz genau dasselbe gesagt, was 'auch der Herr Bundeskanzler gesagt hat. Aber das geht mir nun noch nicht ganz weit genug.

(Zuruf von der SPD: Der Bundeskanzler auch nicht?)

— Der Bundeskanzler auch noch nicht; darauf komme ich gleich zu sprechen. Der 'deutsche Bauer will nämlich nicht nur wissen, was mit ihm bis zur nächsten Bundestagswahl geschieht,

(Sehr richtig! bei der CDU/CSU — Beifall und Heiterkeit bei der SPD)

sondern er möchte ja auch wissen, was mit ihm nach der nächsten Bundestagswahl geschieht.

(Sehr gut! bei der SPD.)

Ich glaube, dasollten wir heute, wenn wir ,uns schoneinig sind, ebenfalls einen ganz glasklaren Beschluß fassen. Von .den Koalitionsparteien ist ein Entschließungsantrag eingebracht worden, 'der auch die Frage, was nach 1967 zu geschehen hat, 'deutlich anspricht. Wenn wir diesem Antrag zustimmen, dann, glaube ich, braucht der deutsche Bauer keine Angst zu haben. Wenn alle drei Fraktionen zustimmen, dann ist ja sicher, daß diese Fraktionen auch



Mauk
im nächsten Bundestag noch .diesen Standpunkt vertreten wenden.

(Zuruf von der SPD: Aber was dann?)

— Was dann? Darauf komme ich jetzt gleich zu sprechen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, soviel zu den Ausführungen meiner beiden Vorredner. Nun .scheinen mir aber doch noch einige Dinge angesprochen werden zu müssen. Ich darf hier feststellen, daß man von der deutschen Landwirtschaft als ,einzigem Zweig der westdeutschen Wirtschaft fordert, daß sie eine Senkung ihrer Erträge hinnimmt, während in dergesamten übrigen Wirtschaft die Preise und Löhne nach oben tendieren. Ich erinnere mich da an manche Äußerungen des Bundesverbandes der Deutschen Industrie und anderer ähnlicher Organisationen. Ich möchte einmal hören, was die Vertreter dieser Wirtschaftszweige sagen würden, wenn man ihnen auch nur iannähernd etwas ähnliches zumuten würde wie der deutschen Landwirtschaft!

(Sehr gut! bei der CDU/CSU.)

Über die Lage der deutschen Landwirtschaft brauchen wir uns gar nicht zu unterhalten; wir haben ja erst kürzlich den Grünen Bericht diskutiert, und ich glaube, da ist alles so deutlich gesagt worden, daß jeder, der willens ist, die Dinge zu erfahren, insbesondere alle diejenigen, die immer wieder von der Landwirtschaft zusätzliche Opfer fordern, wissen müßten, wie die Dinge in Wirklichkeit stehen. Trotz einer Produktivitätssteigerung — das ist ja das Zauberwort in der übrigen Wirtschaft — um 150 % seit 1950 konnte die deutsche Landwirtschaft — das weist der letzte Grüne Bericht aus — an der allgemeinen Aufwärtsentwicklung in der Bundesrepublik nicht teilnehmen. Das, was jetzt vorgeschlagen wird, was der Mansholt-Plan von uns in der Bundesrepublik verlangt, bedeutet nur, daß wir die Lage der Landwirte noch weiter verschlechtern, ohne daß der deutsche Verbraucher auch nur den geringsten Nutzen davon hätte. Denn darüber sind wir uns doch klar — Herr Bauknecht hat das deutlich ausgeführt —, daß diese kleine Preisermäßigung sich auf den Endverbraucherpreis überhaupt nicht auswirken wird.
Wir Freien Demokraten sind deshalb der Auffassung, daß Voraussetzung für eine Preisharmonisierung in der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft erstens die Beseitigung aller nicht naturbedingten Wettbewerbsunterschiede sein muß, ferner die Beseitigung der bestehenden Wettbewerbsverzerrungen — es gibt noch echte Verzerrungen — und daß dann auch auf allen anderen Gebieten, z. B. in der Verkehrspolitik — gleiche Agrarfrachten —, in der Energie-, der Finanz- und Steuerpolitik, mindestens zu gleicher Zeit oder sogar noch eher eine Harmonisierung in der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft herbeigeführt werden muß.
Wir sind deshalb der Auffassung, daß diese Angleichung, daß diese Integration — und hier spreche ich den Herrn Bundeskanzler und die übrigen Vertreter der Bundesregierung an —, daß eine Harmonisierung auf den übrigen Bereichen der Wirtschaft in den nächsten zwei Jahren — das wissen wir, wir wollen uns doch nichts vormachen — einfach nicht drin ist. Weil sie nicht drin ist, weil wir wissen, daß auf all diesen Gebieten die Übergangszeit annähernd vollständig in Anspruch genommen werden muß, sind wir der Meinung, daß auch eine Harmonisierung der Agrarpreise vor dem Ende der Übergangszeit, also vor 1970, nicht durchführbar ist. Für uns ist dieser Vorschlag der Kommission deshalb unannehmbar.
Das Preisniveau kann nicht festgelegt werden, bevor die Kosten und die Wettbewerbsbedingungen harmonisiert sind. Der Zeitpunkt einer Harmonisierung kann nicht bestimmt werden, solange in den einzelnen Mitgliedstaaten der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft völlig unterschiedliche Entwicklungen von Preisen, Löhnen und Kosten im Gange sind; und das ist doch zur Zeit der Fall.
Es ist gesagt worden, warum wir auch den Vorschlag der EWG-Kommission, die Einkommenseinbußen auszugleichen, ablehnen müssen. Erstens reicht die in Aussicht genommene Summe von 560 Millionen DM nicht aus. Wir haben heute gehört, daß die Einkommenseinbuße für die deutsche Landwirtschaft ungefähr doppelt so hoch sein würde, wenn wir — das ist heute gar nicht mehr bestritten — auch die Auswirkungen auf andere Agrarprodukte beachten. Das Getreidepreisniveau ist ja die Grundlage des gesamten Agrarpreisniveaus. Wir sind aber auch der Ansicht, daß ein wichtiger Wirtschaftszweig nicht auf die Dauer mit Subventionen, sondern nur mit einem kostengerechten Preis erhalten werden kann. Diesen muß ei bekommen. Wer dem Kommissionsvorschlag zustimmt, begibt sich meines Erachtens auf ein recht gefährliches Gebiet, auf ein Gebiet, das ich jetzt nicht näher definieren will. Aber ich glaube, hier haben wir es mit Ansichten zu tun, die mit unserer Auffassung von freiheitlicher Wirtschaftspolitik nichts mehr gemein haben.
Wir müssen deshalb von der Bundesregierung fordern, daß sie nunmehr in den nächsten Besprechungen im Ministerrat der EWG unseren EWG-Partnern und der Kommission die Auffassung des Deutschen Bundestages, die doch heute, glaube ich, hier ziemlich einhellig dargelegt worden ist, ganz klar mitteilt und daß sie diese unsere Auffassung auch gegenüber dem Rat kompromißlos vertritt. Es geht uns — wie ich schon gesagt habe — nicht nur um die nächsten zwei Jahre, sondern es geht uns um die ganze Dauer der Übergangszeit. Meines Erachtens muß von der Bundesregierung im Ministerrat ein Beschluß darüber erwirkt werden, in welchem Maße die Harmonisierung der Agrarpreise von der Integration in den anderen Bereichen der Wirtschaft, besonders auch bezüglich der Währungspolitik, abhängig gemacht wird. Ein gemeinsames Agrarpreisniveau darf nicht durch Währungsmanipulationen gefährdet oder verzerrt werden, wie es leider schon einmal aufgezeigt worden ist.
Ich darf daran erinnern, daß beim Abschluß des Vertrages von Rom die Getreidepreise in der Bundesrepublik und in Frankreich gar nicht so weit auseinanderlagen, wie sie im Augenblick auseinander-



Mauk
liegen. Inzwischen ist aber der französische Franc durch die Umstellung auf neue Francs abgewertet worden, und die D-Mark ist aufgewertet worden; nur dadurch ist die Spanne höher geworden.
Ich darf aber auch noch an etwas anderes erinnern, wovon ebenfalls vorhin gesprochen wurde. Wenn nämlich die Verordnung Nr. 19, die vom Ministerrat auch mit den Stimmen Frankreichs beschlossen worden ist, in Frankreich konsequent durchgeführt worden wäre, wäre die Spanne zwischen dem französischen Preis und dem derzeitigen deutschen Weizenpreis nur halb so hoch, wie sie jetzt von der Kommission dargestellt wird. Der Unterschied würde wirklich wesentlich weniger ausmachen. Wenn die Entwicklung in Italien, in Frankreich und in letzter Zeit auch in Holland so weitergeht, wie sie sich in den letzten Monaten und Jahren — gerade im Jahre 1963 — abgezeichnet hat, dann lassen sich meiner Überzeugung nach die Preise dort einfach nicht mehr halten, genauso wenig, wie sich die Löhne dort halten lassen; sie nähern sich ja rapide dem deutschen Lohnniveau an. So werden sich auch die Preise in diesen Bereichen der Wirtschaft annähern, und wir werden dann gar keine großen Sorgen mehr haben, wie eine. Harmonisierung des Agrarpreisniveaus in 4, 5, 6 Jahren, also am Ende der Übergangszeit, durchgeführt werden soll.
Ich bitte Sie deshalb und bitte auch die Bundesregierung, nicht nur nein zu sagen, sondern mit wirklichen Begründungen nun einmal selbst — ähnlich wie es Herr Pisani, der französische Landwirtschaftsminister, tut — Vorschläge zur Weiterentwicklung der Agrarpolitik zu machen. Ich glaube, wir können das tun. Zunächst müssen wir fordern, daß die Ratsbeschlüsse in allen Mitgliedsstaaten konsequent durchgeführt werden. Es darf nicht so sein, daß sie in einem Staat durchgeführt werden, im anderen zur Kenntnis genommen und im dritten überhaupt nicht beachtet werden. Dann würde sich manches schon von selbst lösen; denn die heutigen Getreidepreise in Frankreich wären — wie ich schon gesagt habe — erheblich höher, wenn die Regionalisierung durchgeführt worden wäre.
Dann könnte man einen weiteren Schritt tun, den ich für richtig hielte. Das Parlament und die Kommission haben anerkannt, daß die Relation der Getreidepreise, wie sie in der Bundesrepublik gegeben ist, auch die zukünftige Relation in der europäischen Gemeinschaft sein soll, d. h. also Weizen gleich 100, Gerste und andere Futtergetreidearten gleich 85. Auch diese Relation könnte man in einer gewissen Übergangszeit allmählich in Gang bringen, und später müßte man sich dann darüber unterhalten, welcher Preis der richtige kostendeckende Preis ist.
Wir bitten die Bundesregierung, darauf noch einmal deutlich einzugehen und die Auffassung ganz klar in Europa zu vertreten, daß wir dem deutschen Bauern eine Einkommenssenkung nicht zumuten können. Es ist erschreckend für uns, wenn wir uns die Alterspyramide ansehen und feststellen, wie viele von der Jugend schon abgewandert sind. Wir müssen unseren Ernährungsanteil in der Bundesrepublik erhalten. Herr Bauknecht hat mit Recht auf das Beispiel Erdöl und Kohle hingewiesen. Im Durchschnitt der letzten 4 Jahre betrug der Ernährungsanteil aus der eigenen Bodenproduktion nur noch 67 %, 10 weitere Prozent stammten aus importierten Futtermitteln. Diesen Anteil müssen wir uns erhalten, in erster Linie im Interesse der deutschen Verbraucher. Denn wann sind die Lebensmittelpreise für den Verbraucher erträglich? Immer dann, wenn ein ausreichendes deutsches Angebot auf dem Markt ist. Fällt aus irgendwelchen Gründen, sei es durch Witterungseinflüsse oder sonstwie, das deutsche Angebot aus, dann wissen wir, daß der an uns liefernde ausländische Exporteur schamlos dem deutschen Verbraucher jeden, aber auch jeden nur möglichen Preis abnimmt.
Gerade deshalb meine ich, daß wir unsere deutsche Landwirtschaft mindestens in dem heutigen Umfang erhalten müssen. Dazu müssen wir unserer Landwirtschaft eine Sicherheit geben, daß ihre Preise nicht abgewertet werden, bevor nicht eine völlige Harmonisierung der Wettbewerbsvoraussetzungen erreicht ist. Der deutsche Bauer hat keine Angst vor der Konkurrenz mit dem anderen, wenn die Konkurrenten auf gleicher Ebene arbeiten müssen. Ich glaube, diese Sicherheit müssen wir im Interesse unseres gesamten Volkes unserer deutschen Landwirtschaft geben, damit sie weiß, daß sie noch eine Daseinsberechtigung hat.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)


Erwin Schoettle (SPD):
Rede ID: ID0412118800
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Bauer (Wasserburg).

Josef Bauer (CSU):
Rede ID: ID0412118900
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich wollte mich an das löbliche Beispiel meines Herrn Vorredners halten und habe auch einige Zettel zurückgelassen. Von denen, die ich dabei habe, will ich nur jede zweite Zeile behandeln. Mir als Bayern fällt das um so leichter, als ich sowieso ein Sakrileg begehe, Herr Dr. Martin Schmidt, wenn ich mich heute mit Ihnen auseinandersetzen muß; denn heute ist in Bayern ein hoher Feiertag.

(Abg. Bauknecht: Heute ist Ihr Namenstag!)

— Das kommt auch noch dazu, Herr Kollege Bauknecht. Ich wollte nur sagen, Herr Präsident, daß es für uns Bayern wirklich ein Sakrileg ist, heute etwas zu tun.
Ich will mich darauf beschränken, einiges von dem, was mein Kollege Bauknecht in einer so ausgezeichneten Form, wie ich meine, vorgetragen hat, da und dort noch zu unterstreichen und zu ergänzen. Ich wende mich zunächst einmal der Regierungsbank zu, weil ich glaube, daß wir immer noch etwas miteinander zu besprechen haben. Auch in Kreisen unserer Verwaltung herrscht immer noch sehr stark die Meinung vor, daß eine der Begründungen für die schleunige Einführung eines harmonisierten Getreidepreises heute, morgen anderer Preise immer noch die Kennedy-Runde sei. Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich darf Sie erinnern: vor einer ähnlich



Bauer (Wasserburg)

hektischen Stimmung waren wir schon einmal in der EWG, als es seinerzeit um den Anschluß Englands an die EWG ging. Damals hieß es auch, wir seien der Hemmschuh, wenn wir das und das nicht täten, damit es schleunigst weitergehe. So ähnlich kommt es mir jetzt vor. Der Knüppel — die berühmte Kennedy-Runde — ist aus dem Sack und man sagt, die EWG sei nicht verhandlungsfähig, wenn wir nicht zu einer einheitlichen Preisbildung und Preisgestaltung kommen. Nun, meine sehr verehrten Damen und Herren und meine Herren auf der rechten Seite auf der Regierungsbank, ich muß doch zunächst einmal darauf aufmerksam machen, daß es ja nur eine einzige solche Gruppe gibt, die als Gemeinschaft in diese Verhandlungen geht, nämlich die EWG ; daß es darüber hinaus aber eine ganze Reihe von Einzelstaaten gibt, die dort ihrerseits ebenfalls mit unterschiedlichen Getreidepreisen antreten. Nun geht es also um das System der sogenannten Konsolidierung der Stützungsbeträge, wie es da erfunden wurde.

(Zuruf des Abg. Richarts.)

— Sie haben recht, Kollege Richarts, Sie winken ab, vermutlich ist es schon vom Tisch. Aber wenn es schon kommt — mir ist es gestern erst vorgehalten worden —, kann nach meiner Meinung die EWG-Verwaltung, die EWG-Kommission genauso mit sechs verschiedenen Preisen antreten und sagen, damit können wir genauso verhandeln. — Diese Fiktion besteht also nicht mehr, ganz abgesehen davon, daß ich mit Ihnen vermute, Kollege Richarts, daß der Plan als solcher sowieso nicht mehr existiert.
Etwas Zweites ist schon wiederholt gesagt worden, aber ich möchte es noch einmal unterstreichen; denn heute haben wir die Debatte über den EWG-Getreidepreis, morgen oder übermorgen bekommen wir vielleicht ähnliche Preiswünsche und -vorstellungen auf den Tisch. Wir sind nun einmal der Auffassung, daß die Reihenfolge der Entwicklung nicht Preise — Kosten ist, sondern daß die Entwicklung in der umgekehrten Richtung laufen muß: Erst die Kosten und dann die Preise. Nur so kann es gehen.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Ich unterstreiche das noch einmal so grundsätzlich, weil ich möchte, daß wir uns über diese selbstverständlichen volkswirtschaftlichen und betriebswirtschaftlichen Begriffe gar nicht lange streiten.
Meine politischen Freunde lehnen diesen Mansholt-Vorschlag aber auch aus wirtschafts- und gesellschaftpolitischen Gründen ab. Acht Jahre lang wird von diesem Pult herunter verkündet, daß die Landwirtschaft mit ihren Einnahmen ein mit anderen vergleichbares Einkommen nicht erreicht. Acht Jahre lang wird hier von den jeweils verantwortlichen Agrarministern darauf hingewiesen. Diesem Wirtschaftszweig, von dem wir wissen, daß er selbst bei direkten und indirekten Einkommenshilfen der öffentlichen Hand immer noch ein absolut unzureichendes Einkommen überhaupt erreichen kann, mutet man nun zu, auf dem Weg einer Getreidepreisharmonisierung neue Einkommensabschläge in Kauf zu nehmen.
So oft wird dieser Römische Vertrag zitiert, wenn er gegen uns zitiert werden kann. Wie wäre es denn, wenn wir in diesem Zusammenhang einmal den Art. 39 zitierten, in dem doch von einer angemessenen Lebenshaltung die Rede ist, wo die Rede davon ist, daß sichergestellt werden muß, daß das Einkommen aller Menschen in der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft, auch der der Landwirtschaft, keine Schmälerung erfahren darf?

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Herr Kollege Bauknecht hat schon gesagt, daß. der Einkommensausgleich für uns kein Ersatz sein kann, weil diese Zusage bekanntlich degressiv gestaltet ist, nur vorübergehend gegeben werden soll und ausläuft. Daß sie nicht hoch genug ist, ist bereits ausgeführt worden.
Auch auf die Problematik der Verteilung dieser Mittel ist hingewiesen worden. Ich kann nur wiederholen: Ich möchte den Landwirtschaftsminister kennen, der es fertig bringt, derartige Mittel ohne den größten Krieg und Krach in der ganzen deutschen Landwirtschaft an den Mann zu bringen.

(Sehr richtig! bei der CDU/CSU.)

Auch die Bedeutung der Frage der Sozialhilfen und Sozialpläne, wie sie uns immer wieder empfohlen werden, möchte ich für meine Freunde noch einmal ganz besonders unterstreichen. Wir sind zwar nicht gegen Sozialhilfen eingestellt. Ich darf hier einmal an meinen verstorbenen Kollegen Klausner erinnern, der seinerzeit die Altershilfe für die deutsche Landwirtschaft, mit unserer Hilfe selbstverständlich, initiiert hat. Das war einer von uns, aus unseren Reihen, und wir haben diesen Gedanken weiterentwickelt und sind bereit, ihn fortzuentwikkeln. Aber die Grenze in der Sozialpolitik für die Landwirtschaft ist für uns dort gezogen, wo die Selbständigkeit und die Unabhängigkeit des bäuerlichen Familienbetriebs gefährdet sind. Wir sehen auch im Landwirt einen selbständigen Unternehmer, der nicht in irgendeiner Form früher oder später zum Staatsrentner oder, wie es einmal irgendwo ganz bösartig geheißen hat, zum Parkwächter der deutschen Landschaft, mit öffentlichen Geldern subventioniert und degradiert werden soll. Dafür geben wir uns allerdings nicht her.

(Sehr gut! bei der CDU/CSU.)

Als Vertreter aus einem marktfernen Land, Herr Kollege Schäfer, muß ich ein Wort hinzufügen. Im Rahmen dieser uns zugemuteten Regelung werden marktferne Gebiete und die Gebiete, die von der Natur benachteiligt sind, besonders schlecht gestellt, ganz abgesehen von den, wie ich meine, sowieso unbefriedigenden technischen Details dieses Mansholt-Plans. Die Verringerung der Interventionspunkte, die uns Sorgen machen würde, das jetzt erst voll wirksam werdende Frachtgefälle — das steckt auch darin, aber über das alles redet man gar nicht viel —, das sind die stillen Begleiterscheinungen, ebenso etwa die Einstufung von Roggen als Futtergetreide und — erlauben Sie mir, das hinzuzufügen — das Fehlen einer angemessenen Sonderregelung für die Braugerste. Darüber hinaus fürchten wir — wohl zu Recht —, daß die Festsetzung eines zu niedrigen Getréidepreises einen ganz besonderen Druck auf die Entwicklung in den landwirtschaft-



Bauer (Wasserburg)

lichen Betrieben, die in von der Natur benachteiligten Gebieten oder im Grenzland liegen, ausüben würde. Schon diese Gründe, meine ich, verbieten uns, die Vorschläge anzunehmen.
Ich bin der Auffassung, daß die Güte der deutschen Agrarpolitik nicht damn gemessen werden darf, wie sie sich auf den besten den und in den besten Lagen und unter den besten klimatmschen Verhältnissen auswirkt, sondern idaran, wie sie sich dort auswirkt, 'wo die Ärmsten . unserer Landwirtschaft Isitzen, die auf den schlechtesten Böden und unter den schlechtesten klimatischen Verhältnissen säen und ernten müssen. Danach, wie sie sich dort bewährt, werden unsere Agrarpolitik und iihre Wir- kung letzten Endes bemessen 'werden, und dort — so hat Herr Kollege Ehnes mir :soeben noch gesagt — wind sich das Schicksal derdeutschen Landwirtschaft entscheiden. Ich bin ganz dieser Meinung.

(Beifall in der Mitte.)

Es wind oft — ich möchtebeinahe sagen: mit Leichtsinn — von geringen Preiseinbußen gesprochen. Herr Kollege Bauknecht hat bereits darauf aufmerksam gemacht, wie hoch diese Preiseinbußen, die uns hier zugemutet werden, in Wirklichkeit sind. In Wirklichkeit ist es doch so: im Kreis Passau etwa liegt der echte Preisabschlag, der dem Erzeuger zugemutet wird, weit über 7 DM je Doppelzentner. Ich meine, hier kann man nicht leichtfertigerweise von Kleinigkeiten reden, sondern das sind entscheidende Einschnitte im bäuerlichen Einkommen.
Im übrigen muß ich immer wieder sagen: Ich verstehe gar nicht, warum wir uns soviel Sorgen machen, ob wir vielleicht mit einer solchen Getreidepreisregelung und mit unseren deutschen Preisen in der EWG ungeheure Überschüsse bekommen würden. Herr Kollege Bauknecht hat schon darauf hingewiesen. Ich meine, daß sich auch in Europa viel leichter mit Überschüssen von Bodenprodukten fertig werden läßt, als wir je etwa mit von Veredlungsprodukten überquellenden Kühlhäusern fertig werden würden.

(Zustimmung in der Mitte.)

Meine Damen und Herren, in dieser Frage arbeitet die Zeit für uns und nicht gegen uns. Ich wünsche dabei nicht etwa, daß in den anderen Mitgliedstaaten inflationäre oder inflationistische Entwicklungen eintreten. Das wollen wir alle miteinander nicht. Im Gegenteil, lieber Kollege Ertl, 'das wäre sehr zu bedauern. Darauf stütze ich meine Argumentation nicht, Herr Kollege Dröscher.

(Zuruf von der SPD: Wie ist es denn anders zu verstehen?)

Ich stütze sie zunächst einmal auf die Ziele des Römischen Vertrages, der ja vorsieht, daß die Wirtschaft in den sechs Ländern fortentwickelt werden soll. Wir alle haben es doch erlebt, was es heißt, wenn die Kaufkraft in einer Volkswirtschaft wächst, was sich dann ereignet und was dann sehr bald auch in den Nachbarländern geschehen wird: Der Druck auf die Kasten wird in den anderen Ländern nicht ausbleiben, Herr Kollege Dröscher, und insofern meinen wir, daß dieses Zeitgewinnen auch ein
Gewinn in Richtung der Annäherung auf den deutschen Preis ist.
Das Festhalten am deutschen Getreidepreis über eine heute — wie wir meinen und wie auch der Herr Bundeskanzler ausgeführt hat — noch nicht zu fixierende Zahl von Jahren ist darüber hinaus nach unserer Meinung ein entscheidender Beitrag der deutschen Landwirtschaft zur europäischen Agrarpolitik und zur Verbesserung der Einkommenssituation

(Zustimmung bei der CDU/CSU)

— hier verweise ich wieder auf Artikel 39 des Römischen Vertrages — in den übrigen EWG-Partnerländern. Unterhalten Sie sich gelegentlich auch einmal mit Landwirten aus den übrigen Ländern! Frau Kollegin Strobel und unsere Freunde aus Europa müßten ja wissen, was die Landwirte zu der Haltung sagen, die wir hier bisher gegenüber diesen Forderungen eingenommen haben. Ich glaube, sie sind recht zufrieden, daß wir uns bisher so verhalten haben.
Meine Damen und Herren, auf diese unsere Haltung anspielend, werden wir immer wieder vor der Gefahr des Überstimmtwerdens gewarnt. Das ist auch so ein Schwarzer Peter oder, wie wir in Bayern sagen würden, so ein „Schachterlteufel", den man gelegentlich herausläßt. Auf diese Gefahr des Überstimmtwerdens hat die Bundesregierung heute real hingewiesen, und ich muß ganz klar sagen: Selbstverständlich gibt es bei dem hier vorgeschlagenen Weg des Zeitgewinnens und der Zeitverschiebung auch Risiken. Wir behaupten nicht einfach, daß dieser Weg frei von Risiken für die deutsche Landwirtschaft wäre. Nein, wer so handelte, würde der deutschen Landwirtschaft die Wahrheit vorenthalten. Wir sagen das unserer deutschen Landwirtschaft. Wir sagen ihr klipp und klar, daß nach diesem Vertrag de iure nach dem 1. Januar 1966 solche Möglichkeiten vorhanden sind. Erlauben Sie aber, daß ich gleich hinzufüge, daß heute niemand weiß, welche Regierungen, welche Partner sich im Jahre 1966 bei diesem Verfahren gegenübersitzen werden. Fast in allen europäischen Ländern finden in der Zwischenzeit Wahlen statt. Auch in den maßgeblichen atlantischen Partnerländern, in England und in Amerika, finden in der Zwischenzeit Wahlen statt. Wer weiß denn heute, was für eine Politik im Jahre 1966 von diesen Ländern vertreten wird? Ich sagte ja schon: wir sind der Meinung, daß die wirtschaftliche Entwicklung uns einer solchen Gefahr entheben wird.
Herr Kollege Dr. Schmidt, nun muß ich Sie einmal ansprechen. Wir sind der Meinung, daß wir es in der EWG nicht mit irgendwelchen Ländern zu tun haben, sondern mit Partnerländern, die sich doch mit uns zusammengetan haben, nicht um sich gegenseitig zu erpressen, sondern um sich gegenseitig zu helfen.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Wenn man aus einer solchen Gesinnung heraus, Herr Dr. Schmidt, auch im Jahre 1966 miteinander reden wird, dann habe ich nicht so große Angst, daß nur etwa Erpressung der Verhandlungsstil sein wird,



Bauer (Wasserburg)

sondern ich hoffe, daß auch die Vernunft und das gute Argument vorherrschen werden.

(Zuruf von der SPD: Das hat Herr Effertz gesagt!)

— Nein, meine Notiz stammt von den Ausführungen des verehrten Kollegen Schmidt.

(Abg. Dr. Schäfer: Dann haben Sie die Seiten verwechselt! — Zurufe von der Mitte.)

— Das ist nicht möglich, aber ich bin eine Zeitlang draußen gewesen, vielleicht hat es Herr Kollege Effertz auch gesagt. Dann kann es Frau Strobel noch richtigstellen, sie wird ja nach mir sprechen. Was ich nicht gehört habe, pflege ich auch nicht zu sagen.
Ich möchte mich noch etwas mit der in der Großen Anfrage der CDU/CSU enthaltenen Frage 5 befassen, der Frage der Milch-Qualitätsprämie des Bundes und der Länder.

(Zuruf von der FDP: Große Anfrage der FDP!)

— Die Anfrage der FDP und der CDU/CSU; nun habe ich das vergessen, schrecklich, da habe ich schon wieder ein Sakrileg begangen.

(Heiterkeit.)

Wie komme ich eigentlich über die Osterwochen hinweg, wenn das so weitergeht?

(Zuruf rechts: Da hilft nur Beichten!)

— Kollege Ertl, machen wir dann miteinander aus, wie wir über uns über den Weg kommen? Aber lassen Sie uns nicht zuviel Zeit verlieren; der Präsident wird sonst mit Recht vielleicht ärgerlich werden.

Erwin Schoettle (SPD):
Rede ID: ID0412119000
Ich höre bloß zu, Herr Kollege.

Josef Bauer (CSU):
Rede ID: ID0412119100
Ich bitte vielmals um Entschuldigung, Herr Präsident.
Ich möchte zunächst sagen, daß mich die Antwort der Bundesregierung auf die Frage 5 zufriedenstellt. Aber ich darf doch ein paar kritische Anmerkungen machen. Ich stelle zunächst mit Bedauern fest, daß der bisherige deutsche Qualitätsförderungszuschlag für Milch innerhalb der EWG schlicht und einfach plötzlich als Beihilfe deklariert wurde. Dies zeigt, daß die, wie ich meine, doch ungeheure Vorleistung der deutschen Landwirtschaft auf dem Gebiet der Qualitätserzeugung anscheinend nicht gebührend berücksichtigt wurde. Dieses Haus hat den Milchförderungszuschlag einmal an Qualitätskriterien gebunden, und die deutsche Landwirtschaft mußte Milliardenbeträge aufbringen, um ihnen zu entsprechen. Ich darf in diesem Zusammenhang nur auf die Sanierung des deutschen Rinderbestandes von Tbc, von der Bangschen Krankheit usw. hinweisen sowie auf unsere erfolgreichen Bemühungen um die Erzeugung einer gesunden und keimarmen Milch. Deshalb, meine Damen und Herren und meine Kollegen aus dem Europäischen Parlament, hier möchte ich Sie im besonderen ansprechen: auf eine Unterscheidung von Beihilfen zur Verbesserung des Preises — und damit des Einkommens — und von Qualitätszuschlägen, die ihrerseits einen Ausgleich für den vermehrten Aufwand bei der Erzeugung darstellen, muß unbedingt hingewirkt werden. Andernfalls laufen wir ernsthaft Gefahr, Rückschläge in der Qualitätserzeugung zu bekommen, die, wie ich meine, weder im Interesse des deutschen Verbrauchers noch der Volksgesundheit liegen würden.
Die EWG-Milchmarktordnung zielt auch auf einen einheitlichen Erzeugermilchpreis ab. Auf die Problematik der Festlegung solcher Preise wurde heute vom Kollegen Bauknecht anhand des italienischen Beispiels bereits hingewiesen; ich kann mir die Erwähnung deshalb ersparen. Bei der Milch ist die Ausgangssituation eine Preisschere zwischen dem niedrigsten und dem höchsten Milcherzeugerpreis in den sechs EWG-Ländern. Ich will über den Vorgang, der sich beim Zustandekommen dieser Preisschere ereignet hat, gar nicht polemisieren. Ich kann ihn höchstens in gewissem Sinne im Hinblick auf die betreffende Volkswirtschaft bedauern. Aber es wäre sehr zu begrüßen, wenn das zu der vertieften Erkenntnis führte, daß gemeinsame Preisvorstellungen erst dann sinnvoll sind, wenn auch z. B. hinsichtlich der Währungspolitik ein gewisses Maß an Übereinstimmung und Koordinierung erreicht worden ist. Ich glaube, gerade dieses italienische Beispiel ist ein Ausfluß des Fehlens einer solchen Übereinstimmung.
Das Schließen dieser Preisschere, das ebenfalls vorzeitig erfolgen soll — das sehe ich mit großem Bedauern; wir wollen auch hier wieder schneller sein, als es uns der Römische Vertrag vorschreibt —, darf weder zu Lasten des Verbrauchers noch des Erzeugers gehen.

(Sehr richtig! bei der CDU/CSU.)

Das wird aber nur möglich sein, wenn der EWG-Milcherzeugerpreis ebenfalls auf Qualität abgestellt wird und für Qualitätsleistungen entsprechende Prämien oder, wenn Sie es anders nennen wollen, ein Mehrkostenersatz in irgendeiner Form gegeben wird. Wenn jetzt die unter dem Sammelwort „Beihilfen" gegebenen Zuschläge jedoch auslaufen und durch Markterlöse kompensiert werden sollen, wie das der Vorschlag der Kommission vorsieht und wie das in der Zwischenzeit auch beschlossen worden ist, bedeutet das eine allgemeine, nicht unerhebliche Preissteigerung bei praktisch allen Milchprodukten. Meine Damen und Herren, ich bin deshalb so sehr darauf eingegangen, weil ich meine, daß der Widerstand der Bundesregierung gegen die Beseitigung dieses Qualitätszuschlags vollauf berechtigt war. Qualitätsverschlechterungen und Preissteigerungen für den Verbraucher sind damit zunächst für überschaubare Zeit durch das Einschreiten der Bundesregierung und der Delegation in Brüssel verhindert worden. Das soll doch auch einanal gesagt werden, weil so oft erklärt wird: Was tut eigentlich diese Bundesregierung bei den Verhandlungen in Brüssel für den Verbraucher? Hier ist ein ganz praktisches und sehr eindrucksvolles Beispiel, was getan werden kann.



Bauer (Wasserburg)

Ähnliches gilt auch für die noch zu beschließende EWG-Trinkmilchmarktordnung. Ich sage es schon heute: Wenn nicht durch den Zerfall von Einzugs-und Absatzgebietregelungen Kostensteigerungen mit der Wirkung von Erlösverlusten für den Erzeuger und Preiserhöhungen für den Verbraucher eintreten sollen, wäre es wohl am zweckmäßigsten — ich sage das heute ausdrücklich nach rechts —, diese Märkte auch in der EWG entweder regional oder national zu ordnen. Dabei können durchaus einheitliche Bestimmungen in der EWG zur Anwendung kommen. Eine solche Ordnung würde eine EWG-konforme Ausgleichs- und Stützungsregelung ermöglichen. Bei der Bedeutung der Milcherzeugung sowohl für den Erzeuger wie für den Verbraucher wollte ich auf diese Gefahren und Möglichkeiten, die hier noch gegeben sind, heute und bei dieser Gelegenheit hingewiesen haben.
Im übrigen lassen Sie mich jetzt zusammenfassen und abschließend folgendes bemerken. Wir haben uns bei dieser wie bei vielen anderen Agrardebatten immer wieder mit der Frage des Zuviel und des „Wohin mit .dem Zuviel an Ernährungsgütern?" beschäftigt. Ich halte es hier mehr mit dem amerikanischen Landwirtschaftsminister Freeman, der angesichts der ungeheuren Agrarüberschüsse der amerikanischen Landwirtschaft davon sprach, daß das Überschußproblem in der westlichen Welt, verglichen mit dem Mangel und mit dem Hunger in der übrigen Welt, doch ein „glückliches Problem" sei. Wir sollten bei all unseren Überlegungen und Sorgen um die europäische Agrarpolitik nicht vergessen, was uns die Kenner der Ernährungssituation immer wieder eindringlich nahelegen, daß es nämlich kein Überschuß-, sondern allenfalls ein Verteilungsproblem in der Welt- gibt.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Meine Damen und Herren, wenn der von mir und sicher auch von Ihnen allen so hoch geschätzte Kollege Professor Baade unter dem Eindruck dieser Versorgungsprobleme der Weltbevölkerung von morgen und übermorgen heute für ein deutsches Getreidepreisniveau in der EWG eintritt, so ist das, meine ich, eine weitere gute Bestätigung für die Richtigkeit unseres Verhaltens bei dieser Debatte.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU.)

Deshalb darf ich Sie namens meiner politischen Freunde von der CDU/CSU bitten, der Entschließung, die Ihnen die CDU/CSU und die FDP auf Umdruck 408*) vorgelegt haben, zuzustimmen.
Für meine Freunde von der CSU stelle ich mit tiefer Befriedigung fest, daß die so oft mit Tatkraft und Hartnäckigkeit vertretene Agrarpolitik nicht nur beim Altbundeskanzler Dr. Konrad Adenauer, als er noch die Richtlinien der Politik bestimmte, in guten Händen war. Gerade mit dem heutigen Tage dürfen wir feststellen, daß der neue Bundeskanzler Professor Dr. Erhard auch in dieser Beziehung ein in jeder Weise zuverlässiger und würdiger Nachfolger ist. Dafür danke ich ihm im Namen meiner Freunde von der CDU/CSU.

(Beifall bei den Regierungsparteien.) *) Siehe Anlage 3


Erwin Schoettle (SPD):
Rede ID: ID0412119200
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Strobel.

Käte Strobel (SPD):
Rede ID: ID0412119300
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Landwirtschaftliche Debatten werden überall leidenschaftlich geführt, nicht nur in diesem Hause. Wenn die Ursache für die Leidenschaftlichkeit wäre, daß sich alle um die beste Lösung bemühen, daß es ein Ringen um die beste Lösung ist, dann wäre es gut. Wenn die Leidenschaftlichkeit manchmal allerdings nur verdekken soll, daß man vor den Wählern nicht die Wahrheit sagen möchte,

(Zurufe von der CDU/CSU — weiterer Zuruf von der Mitte: Sie oder wir?)

— ich habe Sie leider nicht verstanden —, die harte realistische Wahrheit, dann ist das nicht gut. Es ist nicht gut, so zu tun, als ob etwas möglich sei, was nicht mehr möglich ist.
Wenn ich Ihre Entschließung mit dem vergleiche, was der Herr Bundeskanzler heute gesagt hat, und vor allen Dingen mit dem, was Sie in die Ausführungen des Herrn Bundeskanzlers hineingelesen haben, muß ich eine erhebliche Diskrepanz feststellen. Sie verlangen in Ihrer Entschließung, daß vor dem Ende der Übergangszeit ein gemeinsames Preisniveau nicht festgelegt wird. Der Herr Bundeskanzler hat gesagt, daß er lediglich für 1964/65 — wobei ich mir nicht ganz klar darüber war, ob er das Wirtschaftsjahr 1964/65 oder die Wirtschaftsjahre 1964/65 und 1965/66 meinte — die Angleichung nicht für möglich hält und daß er sich darüber hinaus heute noch nicht festlegen läßt. So habe ich ihn verstanden. Er hat also keinesfalls gesagt, daß er dem, was Sie in dieser Entschließung verlangen, seine absolute Zustimmung als Bundeskanzler für die Politik der Regierung im Ministerrat gibt. Er kann es auch gar nicht sagen, weil er in mehreren Ländern der Gemeinschaft und in anderen Ländern, z. B. in denen, die der EFTA angehören — ich erinnere an den Besuch von Tage Erlander, des Ministerpräsidenten Schwedens —, in dieser Richtung Äußerungen gemacht hat, die sich damit keinesfalls vereinbaren lassen.

(Widerspruch bei der CDU/CSU.)


Erwin Schoettle (SPD):
Rede ID: ID0412119400
Frau Kollegin Strobel, gestatten Sie eine Zwischenfrage? — Bitte.

Josef Bauer (CSU):
Rede ID: ID0412119500
Frau Kollegin Strobel, Sie können hinterher an Hand des Protokolls Ihren Irrtum selber feststellen. Aber zunächst einmal möchte ich Ihnen sagen: Sie legen doch sonst immer so großen Wert auf die Souveränität dieses Hauses. Da oben ist die Bundesregierung. Es gäbe durchaus die Möglichkeit, daß das Haus noch einen Schritt weiter geht als etwa da oben die Regierung. Auch das wäre nicht ungewöhnlich. Aber in diesem konkreten Fall haben Sie nur nicht aufgepaßt.

Käte Strobel (SPD):
Rede ID: ID0412119600
Herr Bauer, es ist durchaus möglich, daß dieses Haus einen anderen Beschluß faßt, als er der Regierung angenehm ist. Damit ist



Frau Strobel
allerdings noch nicht festgelegt, daß sich die Bundesregierung im Ministerrat wirklich so verhält.

(Vorsitz: Vizepräsident Dr. Dehler.)

Es gibt Beispiele dafür, daß sie das bisher auch nicht getan hat. Sie selber haben das nämlich in Ihren bisherigen Reden sogar beklagt, daß sie sich in dem einen oder anderen Fall in Brüssel anders verhalten hat, als Sie, die Parteien der Bundesregierung, es von ihr erwartet haben.

(Abg. Bauer [Wasserburg] : Aber Frau Strobel, der Kanzler hat doch weit mehr gesagt als das, dem Sie hier zugestimmt haben!)

— Ich habe genau das wiederholt, was der Kanzler gesagt hat:

(Zurufe von der CDU/CSU: Nein!)

daß er sich über die nächsten zwei Jahre hinaus nicht binden kann.

(Zuruf von der CDU/CSU: Nein, von zwei Jahren ist keine Rede!)

— Von 1964 bis 1965 sind auch zwei Jahre.

(Abg. Struve: Sie sind schon sehr gewöhnt an das, was das Europäische Parlament und die Kommission zu sagen haben! Hier sind ganz andere Verhältnisse!)

— Daß sich der Bundeskanzler nicht auf die durch Ihre Entschließung zum Ausdruck gebrachte Forderung festgelegt hat, habe nicht nur ich so verstanden, auch alle meine Freunde haben das so verstanden.

(Zuruf von der CDU/CSU: Dann haben es alle falsch verstanden!)

Meine Damen und Herren, was Sie gern möchten, ist doch, den Bauern in der Bundesrepublik weiszumachen, daß Sie auf die Dauer eine Politik vertreten und auch in der EWG durchhalten können, die Sie ihnen versprochen haben, von der Sie aber heute schon wissen, daß Sie sie nicht durchhalten können.

(Abg. Bauknecht: Liebe Frau Strobel, das ist doch eine Unterstellung!)

Dieses Bestreben, den Bauern das weiszumachen, resultiert aus Ihrem schlechten Gewissen, weil Sie bisher alles versäumt haben, was notwendig und möglich gewesen wäre, um die deutsche Landwirtschaft an die Erfordernisse der EWG anzupassen, damit sie gegenüber ihren Partnern in der EWG wettbewerbsfähig bleibt.

(Beifall bei der SPD. — Unruhe in der Mitte.)

Nun, meine Damen und Herren, möchte ich gern zu dem kommen, was ich sagen möchte. Aus der vom Wirtschaftspolitischen Ausschuß des Deutschen Bundestages dem Ernährungsausschuß übermittelten Stellungnahme zu den Vorschlägen der EWG-Kommission geht hervor, daß diese Entschließung im Wirtschaftsausschuß einstimmig angenommen worden ist.

(Widerspruch bei der CDU/CSU.)

— So steht es in dem Bericht! Ich habe aus dem Bericht entnommen, daß diese Entschließung im Wirtschaftsausschuß einstimmig angenommen worden ist. Aus dieser Entschließung des Wirtschaftsausschusses geht hervor, — —

Dr. Thomas Dehler (FDP):
Rede ID: ID0412119700
Frau Abgeordnete, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Käte Strobel (SPD):
Rede ID: ID0412119800
Ich möchte gern mal einen Satz zu Ende sprechen. — Aus dieser Entschließung des Wirtschaftsausschusses geht hervor, daß man sich doch mit allen Teilen dieser Vorschläge der EWG-Kommission auseinandergesetzt hat, sowohl mit dem Teil, der in erster Linie die Landwirtschaft berührt, als auch mit den Teilen, die Rückwirkungen auf unsere Volkswirtschaft haben, als auch mit den Teilen, die sich mit der Verhandlungsposition der EWG im GATT beschäftigen, mit denen, die für die europäische Integration wichtig sind, und mit denen, die für das Gelingen der Kennedy-Runde wichtig sind. Mir scheint, daß man dort sehr deutlich erkannt hat, wieviel auch für die deutsche Landwirtschaft und für uns Deutsche insgesamt vom Gelingen der Kennedy-Runde abhängt. Politisch ist außerordentlich wichtig die Tatsache, daß ein Scheitern der Kennedy-Runde verhängnisvoll für das westliche Bündnis ist.

(Unruhe in der Mitte und rechts.)

Ich komme darauf, welche Gefahren für die Kennedy-Runde bestehen, wenn man sich in der EWG nicht rechtzeitig einigt.

(Abg. Bauer [Wasserburg] : Über gemeinsame Preise oder über sonstige Dinge? Das müssen Sie dazusagen!)

— Herr Bauer, würden Sie es mal fertigbringen, mir zuzuhören? — Dann lernen Sie meinen Standpunkt kennen.

Dr. Thomas Dehler (FDP):
Rede ID: ID0412119900
Frau Abgeordnete Strobel, wollen Sie eine Frage des Abgeordneten Ertl zulassen?

Käte Strobel (SPD):
Rede ID: ID0412120000
Ja, bitte sehr!

Josef Ertl (FDP):
Rede ID: ID0412120100
Frau Kollegin, ich wäre Ihnen sehr dankbar, wenn Sie mir sagen würden, woher Sie die Mitteilung haben, daß der Beschluß einstimmig gefaßt worden ist. Die FDP-Mitglieder des Wirtschaftsausschusses haben sich der Stimme enthalten.

Käte Strobel (SPD):
Rede ID: ID0412120200
Herr Kollege Ertl, mir ist mitgeteilt worden, daß der Beschluß einstimmig gefaßt worden ist.

(Abg. Bauer [Wasserburg] : Sehen Sie, halbe Wahrheiten, die soll man nie anwenden, wenn man es nicht genau weiß!)

— Entschuldigen Sie, wenn aus dem Wirtschaftsausschuß mitgeteilt wind, .daß der Beschluß einstimmig angenommen worden ist — —(Abg. Dr. Schäfer: Es war ein FDP-Mann,
der sich der Stimme enthalten hat! — Weiterer Zuruf: Es waren zwei Stimmen!)



Frau Strobel
— Bitte, jetzt ist das richtiggestellt. Aber ich muß sagen: mir war tatsächlich mitgeteilt worden, daß der Beschluß einstimmig angenommen worden ist. Ich habe das auch für richtig gehalten, und zwar deswegen, weil mir gerade der Vorsitzende des Wirtschaftsausschusses, das FDP-Mitglied Aschoff, vorher mitgeteilt hatte, er möchte darauf hinaus, daß eine solche Entschließung im Wirtschaftsausschuß gefaßt wird. Also mußte ich doch wohl annehmen, .daß sogar die FDP bei dieser Entschließung mitgewirkt hat.

(Zurufe rechts.)

— Das ist Ihnen natürlich peinlich, aber man muß es trotzdem sagen ,dürfen.

(Weitere Zurufe von ,der FDP.)'

Ich möchte also einmal prüfen, inwieweit die Vorschlage der EWG-Kommission für die deutsche Landwirtschaft Nachteile bringen und wie man diesen Nachteilen begegnen kann. Ich möchte aber auch prüfen, was es bedeuten würde, wenn man die Angleichung der Getreidepreise lin der EWG allzu lange hinausschöbe.
Zunächst einmal darf ich ,feststellen, daß ein zu langes Hinauszögern der Angleichung den Ländern der EWG mit ,den niedrigeren Futtergetreidepreisen die Möglichkeit gibt, ihre Veredlungsproduktion immer weiter und immer mehr zu Lasten der deutschen Bauern auszubauen.

(Zuruf von ,der Mitte: Keine Angst!)

Es steht heute schon fest, daß allein der norditalienische Raum mit der zunehmenden Kaufkraft der norditalienischen Bevölkerung einen großen Absatzmarkt für die deutsche Veredlungsproduktion darstellen kann. Es steht aber genauso fest, daß die Holländer mit ihren niedrigeren Kasten in der Veredlungsproduktion sich sehr stark um diesen Markt bemühen. Da muß ich an Sie die Frage richten: Wollen Sie denn tatsächlich der deutschen Landwirtschaft, insbesondere der bayerischen Landwirtschaft, die es nötig hat, diesen Markt entgehen lassen?

(Widerspruch in der Mitte.)

Wollen Sie den Holländern auf diesem Markt den Vortritt lassen?

(Abg. Bauer [Wasserburg] : Ihr Wissen ist wieder unzureichend!)

— Herr Bauer, das kann immer jeder vom anderen behaupten. Ich habe schon wiederholt festgsetellt, daß auch Ihre Argumente nicht immer mit den Tatsachen übereinstimmen.

(Abg. Bauer [Wasserburg] : Also geben Sie zu, daß Ihre Argumente nicht mit den Tatsachen übereinstimmen?!)

Hören Sie nicht die Klagen derjenigen, die heute schon sagen, daß sie nicht mehr für die Zukunft planen können, weil sie nicht wissen, wie eigentlich der Getreidepreis in der Gemeinschaft wirklich aussieht?

(Zurufe von der Mitte.)

— Wir hören solche Klagen. (Zuruf von der CDU/CSU: Wer klagt denn?)

— Zu uns kommen solche Leute aus bäuerlichen Kreisen und aus der Ernährungswirtschaft.

(Anhaltende Zurufe in der Mitte und rechts.)

Wissen Sie denn nicht — das ist ja in den letzten Tagen von unseren Partnern, sowohl von Herrn Pisani wie von Herrn Bisheuvel, sehr deutlich gesagt worden —, daß die Bereitwilligkeit, Ausgleichszahlungen aus europäischen Mitteln an die deutschen Bauern zu leisten, immer mehr abnimmt, je länger man die Angleichung hinauszögert?

(Anhaltende Unruhe.)

Wissen Sie nicht, daß ab 1. Januar 1966 in der EWG Mehrheitsbeschlüsse möglich sind?
Herr Bauer, Sie haben vorhin gesagt: Man wird doch einen so wichtigen Partner wie die Bundesrepublik nicht überstimmen. Nun, auch ich bin der Meinung, daß sich das ein so wichtiger Partner wie die Bundesrepublik gar nicht leisten kann. Es ist für die Bundesrepublik politisch nicht vertretbar, daß sie sich in der EWG als ein so wichtiges Land überstimmen läßt. Sie wird dann eben unter Druck nachgeben müssen und verschlechtert damit ihre Verhandlungsposition. Das hat schon mein Parteifreund Schmidt alles sehr deutlich gesagt.
Nach Ihrer Entschließung würde die Landwirtschaft, wenn der Bundestag die Entschließung annähme, weiter im unklaren darüber gelassen.

(Abg. Bauer [Wasserburg] : Das ist doch immer die alte Leier!)

Es wird der Eindruck erweckt, als ob die anderen Mitgliedstaaten unseren Preisen nachziehen würden.
Ich habe mich schon gefreut, daß keiner der Redner das bisher so oft gebrauchte Inflationsargument verwendet hat. Leider ist es dann beim Herrn Bauer doch gekommen.

(Abg. Bauer [Wasserburg]: Im Gegenteil! Da haben Sie wieder nicht aufgepaßt! Lesen Sie doch das Protokoll!)

Man geht davon aus — das wird in der Offentlichkeit ständig gesagt —, daß wir nur unsere Getreidepreise festzuhalten brauchten; die anderen kämen dann schon nach. Nun, da möchte ich gerne wissen, was damit für die deutsche Landwirtschaft gewonnen wird; 'denn Idas ist genau idas Inflationsargument.

(Lachen und Widerspruch bei der CDU/CSU.)

Wenn die Preise in den anderen EWG-Staaten weiter steigen, dann bedeutet das eine Inflationsgefahr.

(Abg. Bauknecht: Nein!)

Der Bundeswirtschaftsminister hat gerade in den letzten Tagen immer davon gesprochen, er habe Sorge, daß die Inflation in die Bundesrepublik importiert werde. Mit dieser Inflationsinkt die reale Kaufkraft der deutschen Getreidepreise weiter ab. Gewonnen haben Sie damit für den deutschen Bauern nichts. Sie haben aber die reale Kaufkraft



Frau Strobel
der breiten Masse in der Bundesrepublik und in der europäischen Gemeinschaft aufs Spiel gesetzt.

(Abg. Bauknecht: Nein, nein!)

Es ist eine alte Tatsache, daß es von der Höhe der Massenkaufkraft abhängt, ob und zu welchen Preisen die landwirtschaftlichen Produkte absetzbar sind.

(Abg. Bauknecht: Ich habe bewiesen, daß 1,2 % im Höchstfalle herauskommen!)

Allein die jetzt von der EWG-Kommission vorgeschlagenen Preiserhöhungen bedeuten in Holland eine Steigerung der Lebensmittelpreise um 4,6 %, in Belgien um 2,5 %, in Frankreich um 2,1 %.

(Zuruf des Abg. Bauknecht.)

Es ist kein Zweifel, daß weitere Preiserhöhungen den Preisauftrieb in diesen Ländern mit allen Folgen für die gesamte Volkswirtschaft verstärken würden.

(Fortgesetzte Zurufe von der CDU/CSU.)

Das bleibt auch nicht ohne Auswirkungen bei uns. In derselben Zeit würde aber der deutsche Getreidepreis, wenn es nach Ihren Vorstellungen geht, allein festgehalten, während die EWG-Kommission in ihrem Vorschlag darauf hinausgeht, daß jedes Jahr der Getreidepreis neu festgesetzt wird.

(Abg. Bauknecht: Ja sicher! Aber Sie glauben doch nicht an eine Erhöhung in Belgien über den deutschen hinaus!)

— Ich habe das Gefühl, Sie haben diesen EWG-Vorschlag nicht genau gelesen.

(Abg. Bauknecht: Sehr genau!)

In diesem EWG-Vorschlag steht ganz deutlich drin, unter welcher Voraussetzung eine Änderung des Getreidepreises in der Gemeinschaft von Jahr zu Jahr erfolgen soll.

(Abg. Bauknecht: Aber im Augenblick sind doch keine Voraussetzungen da!)

— Was heißt im „Augenblick"? Es geht doch nicht um den Augenblick, sondern um die künftige Zeit.

(Weitere Zurufe von der CDU/CSU.)

Vizepräsient Dr. Dehler: Einen Augenblick! Ich halte es nicht für richtig, daß die Rednerin nach jedem Satz unterbrochen wird. Das scheint mir nicht fair.

(Abg. Wehner: Wieviel Kognak mögen die haben!)

— Bitte, Herr Abgeordneter Wehner! — Frau Abgeordnete Strobel, fahren Sie fort.

(Abg. Wehner: Gucken Sie mal nach, wieviel Promille die haben! — Gegenrufe von der CDU/CSU: Unverschämtheit, zu fragen, wieviel Promille wir haben!)

Wir wollen jetzt mal Frau Kollegin Strobel aussprechen lassen.

(Zurufe von der CDU/CSU: Herr Präsident, haben Sie das gehört!)


Käte Strobel (SPD):
Rede ID: ID0412120300
Meine Damen und Herren, die entscheidende Frage scheint mir zu sein, ob wir bereit sind, — —

(Abg. Bauknecht: So etwas zu sagen! Wir sitzen seit Stunden da!)


Dr. Thomas Dehler (FDP):
Rede ID: ID0412120400
Ich habe ja die Äußerung des Herrn Abgeordneten Wehner zurückgewiesen. Ich bitte auch Sie auf dieser Seite, etwas Ruhe zu behalten

(Abg. Bauknecht: Wir sitzen seit Stunden da!)

und die Kollegin in korrekter Weise ihre Ausführungen machen zu lassen. Bitte, Frau Abgeordnete Strobel.

Käte Strobel (SPD):
Rede ID: ID0412120500
Wenn wir die Absicht haben, die Dinge ernsthaft zu diskutieren und nach dem bestmöglichen Weg dafür zu suchen, daß die deutsche Landwirtschaft in dem Gemeinsamen Markt ihren Platz behaupten und ihr Einkommen verbessern kann, dann müssen wir unsere Argumente aneinander messen und auch bereit sein, sie anzuhören, auch wenn sie dem einen oder dem anderen unsympathisch sind.
Ich möchte zu den vielen bereits angeführten Argumenten noch einige hinzufügen. Es ist darauf aufmerksam gemacht worden, man solle keine Sorgen haben, daß bei einer Anhebung des Getreidepreisniveaus in den anderen EWG-Ländern auf das deutsche mit einem Überschuß bei der Getreideproduktion gerechnet werden müsse. Es ist vor allem darauf hingewiesen worden, daß keine Gefahr bestehe, daß die deutsche Getreideproduktion ausgeweitet werde. Das hat auch noch niemand behauptet. Es geht sehr viel mehr darum, welche Folgen der Getreidepreis für die Produktion in der gesamten Gemeinschaft hat; und zur Gemeinschaft gehört nun einmal auch Frankreich. Da nach den bisher verabschiedeten Marktordnungen unsere EWG-Partner gegenüber den sogenannten Drittländern eine erhebliche Präferenz genießen und mit dem Abbau der Abschöpfungen die Präferenz immer größer wird, ist die Frage: Wie wirkt die Getreidepreisangleichung auf die Produktion in Frankreich? für uns außerordentlich wichtig; auch für die deutsche Landwirtschaft außerordentlich wichtig.
Nun, ich möchte meine eigene Meinung dazu gar nicht sagen; ich möchte — mit Erlaubnis des Herrn Präsidenten — die Meinung des französischen Landwirtschaftsministers dazu zitieren, des Herrn Pisani, der seiner Sorge vor einer Steigerung der Produktion in Frankreich in einer Rede am 27. September 1963 in Hamburg ziemlich deutlichen Ausdruck gegeben hat. Herr Pisani hat gesagt:
Lassen Sie es mich deutlich sagen: Es gibt einen Widerspruch zwischen dem Willen, an hohen Preisen festzuhalten, und der Absicht, eine liberale Politik gegenüber Drittländern zu befolgen. Hohe Preise bedeuten eine Steigerung der Produktion. Eine anomale Produktionssteigerung aber bedeutet Blockierung des Warenaustausches mit Drittländern. So muß das Problem gestellt werden.



Frau Strobel
Und er sagt dazu:
Wir sind doch keine Kinder. Herr Pisani stellt dann fest:
Gegenwärtig habe ich in Frankreich fünf Millionen Hektar Brache. Wenn der Weizen 54 französische Franken pro Zentner erbringt, dann wird auf mehreren hunderttausend Hektar Weizen zusätzlich angebaut werden, und es wäre nichts gewonnen.
Herr Pisani sagt dann weiter, er habe eben Sorge, daß dann die Produktion so ansteige, daß sie im Gemeinsamen Markt nicht untergebracht werden könne.
Nun, da möchte ich gern wissen: wohin dann damit, und wie wirkt es sich für die deutschen Erzeuger, für die deutschen Landwirte aus, wenn die französische Produktion, die zum Teil günstigere Bedingungen hat, in einem solchen Maße wachsen wird?

Dr. Thomas Dehler (FDP):
Rede ID: ID0412120600
Frau Abgeordnete, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

(Abg. Frau Strobel: Bitte!)


Heinrich Sander (FDP):
Rede ID: ID0412120700
Frau Kollegin Strobel, sind Sie wirklich der Meinung, daß das, was Herr Pisani sagt, der Weisheit letzter Schluß ist, und sind Sie wirklich der Meinung, daß wir das hier unbedingt annehmen sollen? Und die dritte Frage, die ich Ihnen vorlegen darf: Gibt es nicht in der Welt Möglichkeiten genug, den dann eventuell auftretenden Überschuß an die Menschen zu verteilen, die heute noch Hunger leiden müssen?

Käte Strobel (SPD):
Rede ID: ID0412120800
Herr Sander, ich kann von Ihnen nicht unbedingt verlangen, daß Sie ernsthafte Überlegungen annehmen; ich muß das Ihnen anheimstellen. Aber solche Überlegungen werden ja nicht nur von Herrn Pisani angestellt, sie werden tatsächlich überall von den Fachleuten angestellt, und es ist einfach nicht zu vertreten, seine Augen davor zu verschließen. Denn letzten Endes schlägt Überproduktion dann gegen die deutsche Landwirtschaft aus, weil die anderen in der Lage sind, günstiger zu produzieren.
Es ist außerdem noch darauf aufmerksam zu machen, daß, wenn es dann nicht möglich ist, diese französische Überproduktion an Getreide im Gemeinsamen Markt als Getreide unterzubringen, die Franzosen in die Veredelung gehen werden, daß sie sogar nicht nur Gerste, sondern auch Weizen veredeln werden,

(Zuruf von der CDU/CSU: Theorien!)

und daß sie auch auf dem Gebiet der Veredelungsproduktion die deutschen Bauern von den Möglichkeiten, ihre Veredelungsproduktion zu erweitern und abzusetzen, verdrängen werden.
Es ist des weiteren darauf aufmerksam zu machen — man muß das immer wieder sehen —: in sämtlichen bisher beschlossenen Marktordnungen, sowohl bei Getreide als auch bei den Veredelungsprodukten, ist festgelegt — das ist ja einstimmig immer mit Zustimmung der Bundesregierung beschlossen worden —, daß alle Agrarexporte durch entsprechende Rückvergütung auf den Weltmarktpreis heruntergeschleust werden.
Es ist die Frage gestellt worden, ob es denn in der Welt keinen Platz für überschüssige Lebensmittel gebe. Nun, wir alle wissen, daß es diesen gibt. Da aber wahrscheinlich niemand in der Lage und willens ist, diese Lebensmittel zu verschenken, muß er sie auf anderen Märkten absetzen, und zwar zu Preisen, die wesentlich unter den EWG-Preisen liegen, wesentlich unter denen, zu welchen wir produzieren können. Diese Rückvergütung muß aus EWG-Mitteln bezahlt werden; das steht in den Marktordnungsgesetzen, das kann man doch nicht leugnen. Da muß man sich auch einmal fragen: Was würde das kosten, und wer würde das bezahlen? Letzten Endes würden es die deutsche Landwirtschaft und die Steuerzahler bezahlen.
Diese Sorgen machen wir uns, und deshalb machen wir darauf aufmerksam, daß man an diesen Gefahren nicht vorbeigehen darf.

(die Verhandlungen über die Fragen der Agrarpolitik auf der Basis der Konsolidierung des Unterstützungsniveaus führen soll. Es ist bekannt, Glauben Sie nicht, daß Sie auf diese Art und Weise kolossalen Sprengstoff in die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft hineintragen? Im übrigen würde das auch dm Widerspruch zu bestimmten Äußerungen stehen, die der Herr Bundeskanzler bei den verschiedensten Gelegenheiten getan hat. Ich zitiere z. B. nur einen einzigen Satz aus einem Interview, das er am 3. November 1963 gegeben hat und das im Bulletin vom 6. Dezember 1963 abgedruckt ist. Da heißt es u. ,a.: . . . und ich glaube, wir müßten aber wenigstens — ganz gleich, welchen Weg 'wir einschlagen wollten und welche Lösung wir gemeinsam finden — Klarheit gewinnen bis zur nächsten Kennedy-Runde. Frau Strobel Der Bundeskanzler war sich also durchaus bewußt, daß man bis zur Kennedy-Runde wissen muß, was man eigentlich will. (Zuruf von der CDU/CSU: Das hat er heute klar gesagt!)


(Abg. Wehner: Sehr wahr!)




Da stellt sich dann eben die Frage, ob man in der Kennedy-Runde auf der Basis des gegenwärtigen deutschen Getreidepreises verhandeln kann. Einer der Kollegen hat vorhin gesagt, er halte es durchaus für möglich, daß man auf der Basis des deutschen, auf 'der Basis des französischen oder auf der Basis des italienischen Getreidepreises verhandle. Da muß ich sagen, daß das eben nicht möglich ist.

(Zuruf von der CDU/CSU: Wieso denn nicht?)

Selbst wenn wir es wünschten, ist es nicht mehr möglich, weil die Gemeinschaft beschlossen hat — Gott sei Dank beschlossen hat, sage ich —, in der Kennedy-Runde im GATT als Ganzes gemeinsam aufzutreten und dort durch die EWG-Kommission einen gemeinsamen Standpunkt vertreten zu lassen.
Es ist auch gesagt worden, daß in dieser GATT-Runde nach Möglichkeit weltweite Abkommen ausgehandelt werden sollen. Wie sehr sich der Herr Bundeskanzler der Tragweite der Fragen der Kennedy-Runde und der Tatsache bewußt ist, daß man da am Getreidepreis nicht vorbeigehen kann, geht daraus hervor, daß er in Holland gesagt hat: Der Getreidepreis soll nicht der Stein des Anstoßes in der Kennedy-Runde sein. Und Herr Bisheuvel hat ihn in dieser Beziehung genauso verstanden wie wir, nämlich so, daß bis dahin über den künftigen Getreidepreis entschieden sein soll. Er hat sich in der Sitzung des Ministerrates am 3. März auf diese Außerung des Bundeskanzlers in Holland berufen.

(Zuruf von der CDU/CSU.)

Es wird immer wieder gesagt, daß die Gemeinschaft ohne Preisvorstellung hinsichtlich des Getreides in Genf nicht verhandlungsfähig ist. Nun frage ich: Wollen Sie eigentlich, daß sie verhandlungsfähig ist? Das behaupten Sie immer. Wollen Sie ihr dann nicht auch das Instrument für die Verhandlungsfähigkeit in die Hand geben? Das ist eben eine Entscheidung über den Getreidepreis.
Außerdem würde sonst das ganze System in Gefahr gebracht. Aber bitte: selbst wenn die Amerikaner nicht bereit wären, auf diesen Vorschlag der EWG-Kommission, beschlossen durch den Ministerrat, einzugehen, müßte man nach anderen Möglichkeiten, sich zu einigen, suchen. Glauben Sie, daß, wenn die Deutschen von ihrer Zusage, im Ministerrat auf dieser Basis zu verhandeln, abgingen, die Franzosen ihre Zusage aufrechterhalten würden, auf dem Gebiet der Zolldisparitäten im industriellen Sektor der Gemeinschaftslösung und der von der Bundesregierung im Ministerrat mit Erfolg durchgesetzten Auffassung zuzustimmen, daß man sich über die Disparitäten einigen muß? Glauben Sie, daß die Franzosen dann bei diesem Wort bleiben würden? Dann bringen Sie die ganze Einigkeit der EWG für die Verhandlungen in der Kennedy-Runde in Gefahr. Wollen Sie sich das politisch leisten? Wir sind der Meinung, das kann sich die Bundesrepublik aus vielen Gründen politisch nicht leisten. Im übrigen muß man, glaube ich, in diesem Zusammenhang auch unsere anderen Partner in Europa sehen. Wenn die Kennedy-Runde in den Zollfragen nicht zu einer Einigung käme, würde dies bedeuten, daß erneut eine Chance vertan wäre, den Graben zwischen der EWG und der EFTA zuzuschütten bzw. nicht weiter aufzugraben.
Wir alle wissen, welche Bedeutung der Rückgang der Möglichkeiten für Einfuhren aus den skandinavischen Ländern allein in die Bundesrepublik haben würde, und zwar nicht nur auf agrarischem Gebiet. Mich hat es kolossal beeindruckt, als vor einigen Wochen auf einer Konferenz in Godesberg ein schwedischer Abgeordneter darauf aufmerksam machte, wie sehr die Einfuhren Schwedens aus der Bundesrepublik von der Erhaltung des schwedischen Lebensstandards abhängen. Er hat unter anderem Zahlen genannt, aus denen hervorgeht, daß eine vierköpfige schwedische Familie im Jahr Einfuhren aus der Bundesrepublik im Werte von 1500 DM bezieht, wenn man die Gesamteinfuhren auf die Familien verteilt, während eine deutsche Familie aus Schweden nur Waren im Werte von 150 DM bezieht. Er hat ferner darauf aufmerksam gemacht, welche Gefahren für Schweden entstünden, wenn Dänemark seine Möglichkeiten zum Absatz landwirtschaftlicher Produkte in der Bundesrepublik verlöre, weil Dänemark dann als Absatzmarkt für schwedische industrielle Produkte verlorenginge.
Es gibt hier viele Wechselwirkungen, vor denen man einfach nicht die Augen verschließen darf, wenn man von seinen Partnern ernst genommen werden will, denen man dauernd verspricht, daß wir dafür sorgen werden, daß die EWG eine liberale und weltoffene Handelspolitik betreibt. Um eine liberale und weltoffene Handelspolitik betreiben zu können, müssen wir dafür sorgen, daß auf den Märkten in der EWG noch Platz für Einfuhren, und zwar Agrareinfuhren, aus anderen Ländern bleibt.
In diesem Zusammenhang noch ein Hinweis.
Es wird immer wieder behauptet, die Agrarpolitik in der EWG sei bei der Entwicklung zur Gemeinsamkeit hin gegenüber der Wirtschaftspolitik sehr viel mehr vorgezogen worden. Es steht fest, daß bei den gewerblichen und industriellen Zöllen bereits eine Senkung von 60 % eingetreten ist, und es war die Bundesregierung, die dem Ministerrat vor kurzem den Vorschlag gemacht hat, die Zölle am 1. Januar 1965 nicht nur um 10 %, sondern um 20 % zu senken, so daß ein 80 %iger Abbau der industriellen Zölle in der Gemeinschaft bis zum 1. Januar 1965 gegeben wäre. Man muß doch sehen, daß beim Agrarhandel bis heute noch keinerlei Abbau erfolgt ist, sondern die Abschöpfungen zum Teil höher sind, zum Teil sich auf derselben Höhe wie im Jahre 1958 bewegen. Nun, ich stelle das lediglich fest, weil das natürlich unsere Partner in der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft auch sehen und deshalb erwarten, daß auf dem Gebiet der Agrarpolitik gleichgezogen wird. Je länger wir aber dieses Gleichziehen hinauszögern, desto größer ist



Frau Strobel
doch die Gefahr, daß gegen die Absichten der Bundesregierung entschieden wird und daß eine viel ungünstigere Entscheidung fällt, als sie heute — wenn man alle Verhandlungsmöglichkeiten ausschöpfen würde — für die deutsche Landwirtschaft herausgeholt werden könnte, es sei denn, man negiert alles, was in den letzten Tagen und Wochen in diesem Zusammenhang gesagt worden ist. Das bezieht sich nicht allein auf die Ausgleichszahlungen, die ja jetzt schon sehr angeknabbert werden; das bezieht sich auch auf die Preise, meine Damen und Herren. Auch in dieser Richtung gibt es Äußerungen.
Wenn man nach Genf in die Kennedy-Runde ohne Preisentscheidung geht, besteht außerdem die Gefahr, daß der Preis in Genf ausgehandelt werden muß. Das würde viel ungünstiger für die deutsche Landwirtschaft ausfallen als das Aushandeln im Ministerrat der EWG, bevor solche Entscheidungen in. der Kennedy-Runde fallen. Das scheint mir doch offensichtlich zu sein. Ich halte es einfach nicht für richtig, daß man alles das hier einfach verschweigt.
Heute ist immer wieder gesagt worden, was vorher alles geschehen muß. Nun sind wir uns im Europäischen Parlament weitgehend darüber einig gewesen, was alles außer der Angleichung geschehen muß, wenn die Angleichung vertretbar sein soll. Ich habe ja auf viele solcher Punkte in Straßburg hingewiesen. Aber ich möchte auch heute darauf aufmerksam machen dürfen, daß, seit es ein Europäisches Parlament gibt, seit im Europäischen Parlament über die gemeinsame Agrarpolitik beraten wird, die Sozialdemokraten verlangt haben, daß die Markt- und Preispolitik nicht vorgezogen wird, sondern daß alle Teile der gemeinsamen Agrarpolitik gleichzeitig in Bewegung gesetzt werden. Wir haben uns damit leider nicht durchgesetzt. Wir sind als Sozialdemokraten da immer allein geblieben. Immer haben die anderen gesagt: die Markt- und Preispolitik ist das Wichtigste. Jetzt plötzlich wird gesagt: Ja aber die anderen Teile sind noch nicht entwickelt. Es war vor allen Dingen mein Kollege Martin Schmidt, der schon vor Jahren im Europäischen Parlament die gleichzeitige Entwicklung der Verkehrspolitik gefordert hat, der damals schon die Koordinierung der Währungspolitik gefordert hat, der im Auftrage des Landwirtschaftsausschusses des Europäischen Parlaments die Beseitigung der Wettbewerbsverzerrungen gefordert hat. Wir haben leider nicht feststellen können, daß diese Forderungen von der deutschen Bundesregierung im Ministerrat vertreten und mit Erfolg vertreten worden sind.
Es waren die Sprecher meiner Fraktion, die immer wieder verlangt haben, daß endlich auch die Struktur- und Sozialpolitik mit der gleichen Aktivität entwickelt wird. Wir haben das ja auch hier immer gefordert. Ich habe gerade heute vormittag festgestellt, daß schon im Jahre 1955 die sozialdemokratische Bundestagsfraktion einen Plan betreffend eine moderne Kreditpolitik gegenüber der deutschen Landwirtschaft vorgelegt hat. Wenn dieser Plan damals angenommen und durchgeführt worden wäre, dann wäre die Landwirtschaft heute in einer viel besseren Lage. Heute sind die Kreditkosten der deutschen Landwirtschaft im EWG-Vergleich die höchsten. Da frage ich Sie: Wer entscheidet denn darüber, wieweit die Zinsen für die landwirtschaftlichen Kredite ermäßigt werden? Darüber entscheiden Sie hier mit Ihrer Mehrheit im Deutschen Bundestag. Sie sind also für die Kreditpolitik verantwortlich, und Sie beklagen sich gleichzeitig darüber, daß die Kostenfaktoren noch nicht alle angeglichen sind. Nun, da muß ich sagen: Wohltun beginnt zunächst einmal zu Hause. Auch in vielen anderen Fragen — der Kollege Schmidt hat eine ganze Reihe angeführt — wäre ein solches Wohltun in der Bundesrepublik durch Beschlüsse des Bundestages auf Grund sozialdemokratischer Vorschläge durchaus möglich gewesen.
Ich hatte nicht die Absicht, über Verbraucherfragen zu sprechen, weil es leider stimmt, daß Preissenkungen beim Verbraucher kaum ankommen, .

(Sehr richtig! bei der CDU/CSU)

während Preiserhöhungen meistens um ein Vielfaches an ihn weitergegeben werden.

(Sehr richtig! bei der CDU/CSU.)

— Sie beklagen das mit uns. Aber ist das nicht eine Folge der hier praktizierten Wirtschaftspolitik?!

(Beifall bei der SPD.)

Warum kommen denn die Preissenkungen nicht an? Wir haben hier einen Antrag eingebracht, einmal gründlich zu untersuchen, woran das liegt.
Aber es gibt noch andere Beispiele. Selbst in den Fällen, in denen die Bundesregierung die Möglichkeit gehabt hätte, durch direkte Maßnahmen Preiserhöhungen für die Verbraucher zu vermeiden, ohne daß den Bauern daraus ein Nachteil entsteht, hat die Bundesregierung nichts getan.

(Zuruf von der CDU/CSU: Was sind denn dann Zuckersubventionen?)

Als kürzlich die Schweinefleischpreise überall stiegen, weil eine wesentliche Verknappung eingetreten war, hat die Bundesregierung trotz eingetretener Verknappung noch Schweinefleisch exportiert, und das sogar mit Subventionen.
Ein anderes Beispiel: Der Schweineschmalzpreis ist in der Bundesrepublik in den letzten Monaten um 30 % gestiegen. Auf eine Anfrage an die EWG-Kommission, was sie dagegen zu unternehmen gedenke, hat diese mitgeteilt, daß die Bundesregierung bis jetzt keinen Antrag gestellt hat, die Abschöpfungssätze für Schweineschmalz zu senken — trotz einer 30 %igen Preissteigerung! —, und daß man in der EWG-Kommission überlegt, ob man nicht dem Ministerrat einen Vorschlag zur Senkung der Abschöpfung unterbreiten muß.
Diese Beispiele ließen sich ins unendliche vermehren. Sie haben nicht direkt, aber indirekt mit der heutigen Debatte zu tun.
Wir warnen die Bundesregierung: Wenn die Bundesrepublik mit der Verhandlung über die Angleichung zu lange wartet, wird sie sowohl von den USA als auch von unseren EWG-Partnern in eine



Frau Strobel
viel ungünstigere Position gedrängt, als sie heute hat, und zwar nicht nur wegen der Ausgleichsbeträge. Wer es mit der Erhaltung des Bestandes der deutschen Landwirtschaft ernst meint, wer wirklich um den Bestand der deutschen Landwirtschaft in der EWG ringt, wer für die deutsche Landwirtschaft die Wettbewerbsfähigkeit mit den EWG-Partnern herstellen will,

(Zuruf von der CDU/CSU: Der senkt den deutschen Getreidepreis!)

der muß die Verhandlungsposition ausschöpfen und muß so rasch wie möglich das bisher versäumte Anpassungsprogramm vorlegen. Meine größte Enttäuschung aus dieser heutigen Debatte ist, :daß die Bundesregierung auf Grund der Anfrage der Regierungsparteien heute nicht endlich dieses Anpassungsprogramm auf den Tisch gelegt hat. Das wäre eine positive Antwort gewesen. Diese positive Antwort ist sie aber zum Schaden der deutschen Landwirtschaft schuldig geblieben, und auch das macht es uns leider unmöglich, Ihrem Entschließungsantrag zuzustimmen.

(Beifall bei der SPD.)


Dr. Thomas Dehler (FDP):
Rede ID: ID0412120900
Das Wort hat der Abgeordnete Starke.

Dr. Heinz Starke (CSU):
Rede ID: ID0412121000
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! 'Es ist notwendig, daß ich jetzt zu Beginn meiner Ausführungen auf das, was die verehrte Frau Kollegin Strobel soeben ausgeführt hat, eingehe, und zwar weil ich glaube — Sie werden mir das nicht übelnehmen, verehrte Frau Kollegin —, daß sich hier grundsätzliche Meinungsunterschiede gezeigt haben, die man auch noch von unserer Seite aus deutlich laufzeigen soll.
Das ganze Plädoyer, Idas Sie gehalten haben, war ein Plädoyerdahin, daß wir in Europa alle Probleme lösen, ohne daß wir dabei 'Rücksicht nehmen lauf die Notwendigkeiten unserer Landwirtschaft.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Das muß ich Ihnen leider sagen. — Ich will es wiederholen, weil Sie es nicht gehört haben: ein Plädoyer, bei dem Sie davon ausgehen, daß wir alle europäischen Notwendigkeiten iberücksichtigen und die Probleme lösen müssen ohne Rücksicht auf die Notwendigkeiten unserer Landwirtschaft.

Dr. Thomas Dehler (FDP):
Rede ID: ID0412121100
Gestatten Sie eine Zwischenfrage? — Bitte, Frau Abgeordnete Strobel!

Käte Strobel (SPD):
Rede ID: ID0412121200
Herr Kollege Starke, wenn ein Redner einer Fraktion alles aufgezählt hat, was wir für notwendig halten für die deutsche Landwirtschaft im Zusammenhang mit der Getreidepreisangleichung, Malten Sie es dann 'für richtig, daß der zweite das alles wiederholt? Ich halte es nicht für notwendig.

Dr. Heinz Starke (CSU):
Rede ID: ID0412121300
Nein, verehrte Frau Kollegin. Ich meine nicht das, was Sie etwaweggelassen haben — das wäre ja ganz sinnlos —, sondern ich nehme Bezug — und das muß rich jetzt tun — auf das, was Sie gesagt haben.
Zu Ihrem Entschließungsentwurf *) — ich habe ihn hier oben — aber möchte dich Ihnen sagen: Der grundsätzliche Unterschied — und damit meine ich gerade das, worauf wir auf keinen Fall eingehen — ist, daß Sie erst vollendete Tatsachen ischaffen wollen — nämlich bezüglich des Getreidepreises —, und dann führen Sie in Ziffer 2 ,alles das an, was die Bundesregierung erreichen soll

(Zurufe von der SPD: Wo steht denn das? — Ein Phantom, [das Sie aufbauen!)

und wovon Sie selbst gesagt haben, daß das so schwer zu erreichen ist.

(Zuruf von der SPD: Sagen Sie doch, wo das steht!)

— Ich will es Ihnen genau sagen. In der Ziffer 2 steht überall: gleichzeitig, danach, möglichst bald usw. Für uns ist alles, was in der Ziffer 2 steht, etwas, was erfüllt sein muß, wenn wir an die Getreidepreissenkung gehen. Das ist der grundsätzliche Unterschied. Der ganze Aufbau Ihrer Entschließung zeigt deutlich, wohin wir damit kämen. Ich will es einmal sagen: Sie würden nachgeben. Sie haben es ja immer wieder gesagt.

(Zuruf von der SPD: Sie werden nachgeben! — Heiterkeit und Beifall bei der SPD.)

— Ich habe gesagt: Sie würden nachgeben.

(Zurufe von der SPD: Und Sie werden nachgeben! — Sie haben schon! — Herr Starke, fragen Sie doch einmal Herrn Lahr! — Weitere Zurufe von der SPD.)

— Lassen wir doch Herrn Lahr aus dem Spiel!

(Abg. Dr. Schmidt [Gellersen] : Er ist doch Vertreter der Bundesregierung!)

— Sie werden nachher merken, daß ich an seine Adresse auch noch etwas sage.

(Zuruf von der SPD: Sagen Sie es bald! — Abg. Frau Strobel: Zu wem gehören denn die Staatssekretäre?)

— Auch darauf gehe ich nachher noch ein.

(Abg. Dr. Schmidt [Gellersen] : Geteiltes Leid ist halbes Leid!)

Ich sage Ihnen — weil wir schon bei diesem Thema sind —: Der Aufbau Ihrer Entschließung zeigt mir, daß Sie einen Weg gehen wollen, den wir nicht gehen können. Sie haben gesagt, die Regierung habe gar nichts getan. Wenn Sie auf diesem Standpunkt stehen, dürfen Sie sie erst recht nicht aus der Verpflichtung entlassen, daß das, was wir die Voraussetzungen für die Getreidepreissenkung nennen und was Sie in der Ziffer 2 gesagt haben, erfüllt sein muß, wenn die Getreidepreissenkung kommt. Und das haben Sie nicht gesagt. Sie haben vielmehr immerfort — und das nenne ich ein Plädoyer für die Getreidepreissenkung — auf tausend Schwierigkeiten hingewiesen. Verehrte Frau Kollegin Strobel, Sie haben gesagt, wenn die
*) Siehe Anlage 4



Dr Starke
Dänen nichts mehr nach Deutschland einführen könnten, würden sie in Schweden nichts mehr kaufen, und das wirke sich bei den Schweden aus. Haben Sie einmal überlegt, daß die Schweden uns doch gar kein Getreide liefern, sondern die Veredlungsprodukte, die Sie so schnell und in großer Menge in Deutschland herstellen wollen? Das ist nämlich die große Diskrepanz, daß wir immer wieder alles in einen Topf werfen: Wir sagen einfach „Agrarerzeugnisse" und vergessen, daß das einmal Veredlungsprodukte und zum anderen Getreideerzeugnisse sind.

(Abg. Frau Strobel: Und die Volkswagen, die wir nach Schweden verkaufen?)

— Genau darauf komme ich. Ich spreche über das Problem der Drittländer und sage, daß genau da die Diskrepanz zwischen Ihrer und unserer Auffassung liegt. Das mußte ich Ihnen sagen.
Auf das, was Sie zu den Ausführungen des Bundeskanzlers gesagt haben, gehe ich nachher ein, weil ich dazu sowieso vom Standpunkt der Freien Demokraten etwas sagen wollte, und lasse das deshalb hier aus.
Nun komme ich zu dem, was Sie das Inflationsmoment genannt haben. Dieses Inflationsmoment spielt eine außerordentlich große Rolle, und ich muß Ihnen, ehrlich gestanden, sagen: es darf natürlich keinesfalls gesagt werden — und das haben Sie getan —, daß unsere Agrarpolitik und unsere Weigerung, vor Erfüllung aller Voraussetzungen
den Getreidepreis zu senken, dazu führt, daß in den anderen EWG-Ländern der Inflationseffekt größer wird. Das ist doch fürchterlich! Dieser Effekt wird doch aus anderen Gründen größer, und Sie wissen doch, warum er dort größer wird. Wenn wir uns bemühen — darüber hat der Herr Wirtschaftsminister Schmücker jetzt oft gesprochen —, eine europäische Konjunkturpolitik zu betreiben, die dieses Unglück sich auseinander entwickelnder Währungsverhältnisse in der EWG aufhalten soll, sehen Sie daraus am besten, daß wir mit diesen, sich auseinanderentwickelnden Preisen und Kosten nicht in der Lage sind, in dem Sinne und mit der Beschleunigung, wie Sie vorgeschlagen haben, die Agrarfragen zu regeln. Das ist meine Auffassung, und deshalb sage ich, daß wir uns hier grundsätzlich unterscheiden.

(Abg. Dr. Schmidt [Gellersen] : Ihre Regierung tut ja nichts zur Kostenangleichung!)

— Ich komme noch darauf.

(Zuruf von der SPD: Vergessen Sie es nicht, schreiben Sie es sich auf!)

— Sie können mich ja noch fragen.
Lassen Sie mich auf einen anderen Punkt kommen: Italien als Agrarabsatzmarkt. Ich habe natürlich gar nichts dagegen, daß Sie das erwähnen. Wir alle wissen, daß die Italiener aus einer besonderen Situation heraus jetzt viele Agrarveredelungsprodukte gekauft haben. Aber Sie können doch nicht im Ernst glauben, daß auf dem italienischen Agrarmarkt . eine Zukunft der deutschen Landwirtschaft liege. Das wäre doch ein großer Irrtum. Deutschland I kann doch nicht ein Industrie- und Agrarexportland werden. Das wäre doch für die Welt schrecklich!

(Zuruf von der SPD: Aus Ihren eigenen Reihen wurde das gesagt! — Weitere Zurufe von der SPD.)

— Ich meine damit ja nicht, daß kein Stück Käse nach dort hinuntergehen soll. Aber Italien kann doch nicht ernsthaft ein großer Absatzmarkt werden.

(Abg. Dr. Schmidt [Gellersen] : Aber für Bayern ist Norditalien ein großer Absatzmarkt!)

— Das bezweifle ich gar nicht.

(Abg Dr. Schmidt [Gellersen] : Warum sagen Sie denn den Unsinn?)

Es kommt immer darauf an, daß man so etwas mit Maßen sagt. Wenn hier gesagt wird, wir seien völlig fehl am Platze mit unserer Politik, weil wir nicht den italienischen Agrarabsatzmarkt ausnutzten, kann ich darauf nur sagen: dort kann unmöglich die Rettung für das deutsche Agrarproblem liegen. Man muß das immer mit Maßen sehen; man darf nicht das Kind mit dem Bade ausschütten.
Nun kommen ich zu dem, was Sie über Herrn Pisani gesagt haben. Sie haben ihn zitiert. Aber ich sage ebenso: ich kann kein Wort von dem unterschreiben, was Herr Pisani da gesagt hat, kein Wort. Wenn in diesem Zusammenhang die Worte von Pisani gefallen sind, man sollte eine liberale Politik machen, und man sich an uns Deutsche wendet, dann muß ich erwidern: es gibt noch andere EWG-Mitgliedstaaten, an die man sich auch wenden kann.

(Zuruf von der Abg. Frau Strobel.)

— Nein, Frau Kollegin Strobel, es war so prononciert, was Sie gesagt haben, daß ich gezwungen bin, darauf einzugehen. Pisani hat gesagt: Die Preise, die Preise. — Ja, meine verehrte Frau Kollegin Strobel, Sie haben es verteidigt, was ich jetzt angreife: wenn wir den europäischen Agrarmarkt nur über die Preise steuern wollen, werden wir keine Ordnung hineinbekommen.

(Beifall bei der FDP.)

Fragen Sie doch einmal Frankreich, ob man eine Ordnung bekommt, wenn man an das Mengenproblem herangeht!

(Abg. Dr. Schmidt [Gellersen] : Aber hier in der Bundesrepublik schreien Sie doch dauernd nach dem Preis! Was sagen Sie denn dazu?)

— Ich sage gerade, wenn ich erst alle Voraussetzungen dafür schaffe, daß die Situation der Bundesrepublik als großen Käuferlandes für Agrarerzeugnisse unglücklich geworden ist, und dann von diesem Standpunkt aus sage: „Jetzt muß Deutschland nachgeben", dann kann ich diese Politik nicht mitmachen. Ich wehre mich schon dort, wo die Grundlagen gebaut werden. Deshalb sage ich: über den Preis schaffen wir das nicht, steuern wir den europäischen Agrarmarkt nicht.



Dr Starke
Nun komme ich zu dem Problem der Überschüsse. Wenn Sie, Frau Kollegin, mit den Worten von Pisani sagen wollten, wir würden eine Getreideüberproduktion haben, dann lasse ich einmal dahingestellt, ob das kommt. Aber ich sage Ihnen ebenso deutlich: die andere Politik einer vorschnellen, einer zu schnell durchgeführten Manipulation mit dem Getreidepreis führt uns in eine Überproduktion bei den Veredelungsprodukten hinein, die viel, viel gefährlicher ist.
Lassen Sie mich dazu eines an dieser Stelle vorwegnehmen. Dieser Veredelungsüberschuß — das sagt jeder, der es mit der Landwirtschaft gut meint, und aus gesellschaftspolitischen Gründen tue ich das wirklich — ist für die Landwirtschaft keine gute Sache, und für die Kleinbauern schon gar nicht. Denn wenn Sie die großen Bauern in die Veredelung jagen, weil Sie ohne Kostenharmonisierung den Getreidepreis senken, dann vernichten Sie die Existenzgrundlage der Kleinbauern. Das will ich Ihnen mit aller Deutlichkeit sagen. Ich bin für diesen gesellschaftspolitischen Faktor, eben die Bauern,

(Bravo! in der Mitte)

und deshalb muß ich das in aller Deutlichkeit sagen. Es gibt nichts Schlimmeres als eine Überproduktion an Veredelungserzeugnissen; vergessen Sie das nicht! Das ist unter anderem die Situation der Vereinigten Staaten.
Ich habe vorhin schon gesagt: die Bundesrepublik und die Landwirtschaft der Bundesrepublik können unmöglich der Prügelknabe bei all den Problemen sein, die Sie aufgeworfen haben. Wenn wir schon dabei sind, so möchte ich Ihnen auch mit aller Deutlichkeit folgendes sagen. Sie haben es nicht so ausgedrückt, aber ich fasse es dahingehend zusammen: Wir sitzen auf der Anklagebank in Europa. Nun, das, was heute hier in der Aussprache ein, ich möchte sagen, Erfolg gewesen ist, ist folgendes: sehr deutlich ist vor allen Dingen in der gemeinsamen Entschließung der CDU/CSU und der FDP zum Ausdruck gekommen, daß wir die These ablehnen, wir säßen auf der Anklagebank.

(Zurufe von der CDU/CSU.)

Ich möchte aus den verschiedensten Gründen auch dazu etwas sagen. Wir sitzen nicht auf der Anklagebank, weil wir die Lösung der Agrarfragen verzögern. Die Agrarfragen in der Perfektion, wie sie in Brüssel geregelt werden sollen, — das geht viel, viel weiter als das, was auf allen anderen Gebieten bisher auch nur versucht worden ist.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU/CSU.)

Wenn Sie mir sagen wollen, verehrte Frau Kollegin Strobel, daß die armen anderen Länder gar nichts bei uns absetzen, dann sehen Sie sich doch einmal an, welche ungeheuren Exportsteigerungen die französische Landwirtschaft und andere Landwirtschaften bei uns in Deutschland haben, seit die EWG besteht. Ich glaube, in Frankreich ist mehr als eine Verdreifachung eingetreten.

(Zuruf von der CDU/CSU: Selbst die USA!)

Dann kann man doch nicht mehr davon sprechen,
daß die Landwirtschaft zu spät organisiert wird.
Nein, wir ziehen sie vor allem anderen vor. — Bitte, Frau Kollegin.

Käte Strobel (SPD):
Rede ID: ID0412121400
Herr Starke, ist Ihnen entgangen, daß ich Aussprüche von Mitgliedern der Bundesregierung und Aussprüche des Bundeskanzlers in dieser Beziehung zitiert habe? Ist Ihnen außerdem nicht bekannt, daß sämtliche bisherigen Beschlüsse im Ministerrat auf dem Gebiet der Agrarpolitik — also die sogenannte perfektionierte Agrarpolitik — im Ministerrat mit den Stimmen der Bundesregierung gefaßt worden sind, ja, daß sogar eine ganze Reihe zusätzlicher Anträge der Bundesregierung diesen Perfektionismus erst herbeigeführt haben? Vergleichen Sie doch bitte einmal die Vorschläge der EWG-Kommission und das, was im Ministerrat zum Schluß herausgekommen ist! Haben Sie dazu nicht die Möglichkeit?

Dr. Heinz Starke (CSU):
Rede ID: ID0412121500
Doch. Ich möchte Ihnen dazu etwas sagen. Wenn Sie Aussprüche von Ministern und vom Bundeskanzler hier zitiert haben, so haben Sie sich doch die Schlußfolgerung zu eigen gemacht, daß wir auf dem Gebiet der Landwirtschaft zuwenig getan haben, und das lehne ich ab.

(Zurufe von der SPD: Im Inneren!)

— Nein, auch in der Beziehung zu Europa.

(Zurufe von der SPD: Nein, keineswegs! das hat niemand behauptet!)

— Also, ich kann ja nicht annehmen, daß Sie die Rede von Frau Strobel auswendig gelernt haben. Ich habe sie genauso gehört wie Sie. Ich habe gehört, daß sie gesagt hat: Wir haben in Europa zuwenig getan. Deswegen habe ich ja gesagt: Wir können die deutsche Landwirtschaft nicht zum Prügelknaben bei der Lösung der europäischen Probleme machen. Wenn, wie Sie sagen, Frau Kollegin Strobel, da gewisse perfektionistische Anträge gestellt worden sind, dann liegt das daran, daß wir die ganze Agrargeschichte viel zu zeitig vorgezogen haben. Wir müssen, aus ungeklärten Verhältnissen in die Perfektion hineingetrieben, versuchen, das Schlimmste zu verhindern. So sehe ich das.
Nun kommt etwas, worin wir uns auch unterscheiden. Für mich sind verschiedene Dinge kein Selbstzweck. Unter anderem ist die Frage des gemeinsamen Agrarpreises in der EWG kein Selbstzweck, sondern eine Sache, bei der das gemeinsame Wohl aller Mitgliedstaaten gefördert werden soll. Er ist nicht ein Wert an sich. Das unterscheidet uns, glaube ich.

(Zurufe von der SPD: Warum denn? — Das ist eine Unterstellung!)

— Nein, nein. Ich sage ja nur, was meine Meinung ist.
Ein Zweites, in dem ich mich von Ihnen unterscheide, verehrte Frau Kollegin Strobel, ist die gemeinsame Politik in der Kennedy-Runde. Sie wird von mir in vollem Umfange bejaht, aber nur insoweit, wie sie sich mit den Interessen und Belangen, die wir zu vertreten haben, 'vereinbaren läßt: nicht als .ein Selbstwert, als ein Wert für sich. Das ist



Dr Starke
meine Auffassung. So bin ich nicht gewillt, die Getreidepreissenkung, die ich jetzt für falsch halte, deshalb vorzunehmen, damit die Kommission eine Zuständigkeit hat. Das lehne ich ab.

(Beifall bei Abgeordneten der Regierungsparteien. — Abg. Dr. Schäfer: Wer hat das gefordert?)

— Also verehrter Herr Kollege Schäfer, da haben Sie nicht zugehört, was die Kollegin Strobel gesagt hat, oder ich habe ein europäisches Ohr, das geschärft zuhört.

(Abg. Dr. Schäfer: Sie kämpfen gegen ein Phantom, das Sie sich 'selber aufbauen! — Weiterer Zuruf von der SPD: Ausgesprochener Don Quijote! — Heiterkeit.)

— Ausgezeichnetes Bild übrigens.
Jetzt will ich es noch einmal wiederholen. Sie haben ;uns vorgetragen — das war das schrecklichste für mich —, daß wir hier in diesem Hohen Hause als deutsches Parlament, wenn wir in der Getreidepreisfrage, die wir so sehen, wie sie hier geschildert worden ist, nicht nachgeben, schuld sind, wenn dann die Franzosen in der Zolldisparitätenfrage mit den Amerikanern nicht nachgeben. Nein, so sehe ich es nicht, verehrte Frau Kollegin. Ich sehe dasetwas anders. Ich gehe nämlich mit mehr Vernunft an die Geschichte heran. Ich sage nicht bloß, wir müßten dort immer nachgeben. Nein, Idas will ich nicht.
Damit ist die Sache mit dem Phantom beendet. Ich glaubte, auf diese Fragen eingehen zu müssen. Das schien mir notwendig zu sein, weil hier vieles gesagt worden ist, was mir wirklich ganz gegen meine Auffassung gegangen. ist. Ich bin gern bereit, das Gespräch mit Ihnen einmal 'fortzusetzen, verehrte Frau Kollegin Strobel. Ich sehe eben vieles anders.
Ich sagte schon, daß diese Aussprache einen sehr guten Zweck gehabt habe. Ich äußere mich zu dem sogenannten Staatssekretärgutachten natürlich nicht, und ich Ihnen auch sagen, warum, meine verehrten Anwesenden. Es ist ein schlechter Stil, wenn in einem Parlament Dinge erörtert werden, die sich eine ,Bundesregierung nicht zu eigen gemacht hat, die nur ein Beamtengremium zusammengestellt hat.

(Zuruf von der SPD: Welche Beamten!)

— Entschuldigen Sie mal, auch ein Staatssekretär ist ein Beamter, und die politische Verantwortung wird erst dann von der Bundesregierung übernommen, wenn sie sich erklärt hat. Vielleicht wissen Sie das. Ich habe nichts davon gehört, daß sie das getan hat. Aus diesem Grunde möchte ich von dem Staatssekretärsgutachten auch sagen, daß es nicht gut ist wenn so etwas veröffentlicht wird. Ich stimme nicht damit überein. Aber ich sage nichts dazu, weil man sich im Parlament nicht mit Beamten unterhalten soll. Wir sprechen über politische Fragen. Die politische Entscheidung, ob dieses Gutachten falsch ist oder nicht, 'steht noch nicht fest. Wir kennen sie nicht.

Dr. Thomas Dehler (FDP):
Rede ID: ID0412121600
Gestatten Sie eine Zwischenfrage? — Bitte.

Harri Bading (SPD):
Rede ID: ID0412121700
Ist das Gutachten der Staatssekretäre auf eigene Veranlassung oder auf Veranlassung der Bundesregierung abgegeben worden?

Dr. Heinz Starke (CSU):
Rede ID: ID0412121800
Herr Kollege, Sie wissen doch genauso wie ich, daß die Bundesregierung das Gutachten hat anfertigen lassen. Ich bin der Meinung, daß ein Gutachten, wenn es auf Veranlassung der Bundesregierung hergestellt wird und uns die Bundesregierung noch nicht gesagt hat, ob sie dafür oder dagegen ist, nicht Gegenstand eines politischen Gesprächs in dem Sinne ist, daß man es der Bundesregierung quasi vorhält.

(Beifall bei den Regierungsparteien. —Abg. Dr. Schäfer: Es ist unsere Sache, ob wir es dazu machen!)

— Natürlich! Dann kämpfen Sie gegen ein Phantom, wie Sie es mir vorgeworfen haben.

(Abg. Dr. Schäfer: Es hat mindestens einen sachlichen Wert!)

— Nein. Ein Gutachten von Staatssekretären wird für mich in dem Augenblick zu einem Politikum, wo es sich die Bundesregierung zu eigen macht oder es ablehnt, nicht vorher. Wenn Sie mehr wissen, — ich weiß nicht, ob die Bundesregierung dafür oder dagegen ist. Nach der heutigen Diskussion, nach der Entschließung und nach den Erklärungen des Bundeskanzlers bin ich eher der Meinung, er hat es sich nicht zu eigen gemacht.

(Zuruf von der SPD: Gestern abend war die Sache anders! — Abg. Dr. Schäfer: Und morgen wieder!)

— Dazu kann ich Ihnen nichts sagen. Das ist Ihre Meinung.

(Zuruf von der SPD: Dessen sind wir sicher!)

Das dürfen Sie mit vollem Recht.
Für uns Freie Demokraten war das Staatssekretärsgutachten — jetzt komme ich zu dem, was ich für wichtig halte und wie man es erörtern kann
— sehr wichtig. Denn da wir mit den Prämissen und den Schlußfolgerungen nicht übereinstimmten, sind wir dazu gekommen, daß wir zu diesen Agrarfragen im Februar 1964 in Baden-Baden einstimmig Fraktionsbeschlüsse gefaßt haben. Die sind heute in ihrem Inhalt abgesprochen worden mit dem Koalitionspartner der CDU/CSU, sie sind auch Gegenstand der Entschließung, die wir heute vor uns haben. Das ist etwas, was ich außerordentlich begrüße.
Sie sehen also, daß so ein Staatssekretärsgutachten auch sein Gutes haben kann.

(Heiterkeit und Beifall bei der FDP. — Zuruf von der SPD: Jetzt haben Sie sich aber selbst widerlegt!)

— Warum habe ich mich widerlegt? Wenn ich auf Grund eines Gutachtens einen politischen Beschluß fasse, dann greife ich doch nicht die Regierung an, daß sie das angeblich vertritt. Das tut sie doch gar nicht.



Dr. Starke
Meine verehrten Damen und Herren, die Aussprache hatte noch einen zweiten Vorteil. Sie hat nämlich gezeigt — das gilt nicht gerade für die Kollegin Strobel, aber es gilt für meinen verehrten Freund Schmidt (Gellersen) —, daß wir uns alle ein bißchen wandeln. Wir sind ja sowieso meist einer Meinung, das wissen Sie. Was von der Opposition, was von den Regierungsparteien und was von der Regierung gesagt worden ist, das alles unterliegt eben einem gewissen Wandel. Mir tut er gut, und deshalb stelle ich das einmal fest.
Ich habe ja auch gewisse Erfahrungen von vor zwei Jahren, und deshalb freue ich mich, wenn es andere heute leichter haben.

(Abg. Dr. Schmidt [Gellersen] : Aber Sie sind im Wandel eingeschlossen!)

— Ich? Nein! In der Agrarpolitik nicht,

(Zuruf von der SPD: Der einzige Standhafte!)

das wissen Sie doch genau, Herr Kollege Schmidt. Ich möchte hier nicht private Gespräche zitieren wie Frau Kollegin Strobel ein Gespräch mit Herrn Aschoff. Aber ich könnte Ihnen erzählen, worüber wir uns in diesem Falle unterhalten haben.
Ich habe mich in meiner Partei ganz durchgesetzt. Ob Sie sich ganz durchsetzen, weiß ich nicht.

(Abg. Dr. Schäfer: Das sagt noch nichts!)

— Herr Schäfer, wir sind ja nur in den Ausschüssen nur zwei, sonst sind wir ein paar mehr. In Baden-Württemberg, wo wir jetzt Wahlkampf haben, sind wir noch mehr.
Nun komme ich zu dem Herrn Bundeskanzler. Ich möchte Ihnen sagen — hier kann ich es mir nicht verkneifen —: Wenn auch der verehrte Koalitionspartner gesagt hat, daß er nie einen Zweifel darüber gehabt hat, was der Bundeskanzler sagen würde — ich unterstelle das —, dann bin ich doch glücklich, daß er das heute gesagt hat.

(Abg. Dr. Schäfer: Sie hatten also Zweifel?)

-- Das habe ich gar nicht gesagt. Auch wenn Sie keinen Zweifel hatten, mir hat es wohlgetan, daß er es gesagt. hat. Ich will Ihnen auch sagen, warum: Es hat mir wohlgetan, weil ich finde, daß das Staatssekretärsgutachten damit nicht akzeptiert ist und daß nun, um es einmal deutlich zu sagen, die Weisungen, die unsere Herren nach Brüssel mitnehmen, klar und eindeutig und nicht so sein werden, wie das Staatssekretärsgutachten war.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Weshalb die Aussprache heute außerdem noch gut) war und weshalb ich Sie in so später Stunde hier doch noch in Anspruch nehme, ist das, meine verehrten Anwesenden — ich möchte es mit aller Deutlichkeit sagen: Ich bedaure außerordentlich, wieviel Organisationen und Einzelpersönlichkeiten zu den Agrarfragen, die jetzt unmittelbar anstehen, sich äußern, ohne daß sie sich, gelinde gesagt, genügend damit befaßt haben. Wenn ich von einer großen Organisation, zu der ich sonst ein recht enges Verhältnis habe von meiner wirtschaftspolitischen Auffassung her, höre, daß nicht nur der Getreidepreis sofort angeglichen werden müßte, sondern daß sogar die Ausgleichszahlungen völlig überflüssig seien, dann kann ich eben nur sagen: dafür habe ich kein Verständnis mehr, und da muß ich sagen: Wenn ein solcher Mann oder eine solche Organisation sich gegen dieses ganze Hohe Haus — das haben wir heute festgestellt — wendet, dann sollte man das hier auch einmal zum Ausdruck bringen.
Dafür habe ich Ihnen etwas Besonderes zu bieten, und ich verrate Ihnen sogar, wo Sie das finden können. Das ist eine Art Bonbon für jeden. Das ist eine Zeitschrift für internationale Agrar- und Handelspolitik, agriforum, vom Februar 1964. Dort hat der Ihnen allen bekannte Professor Röpke einen Aufsatz geschrieben über Agrarintegration und EWG. Ich empfehle Ihnen, das zu lesen; denn alle die Empfehlungen, alles, was dort steht, traut man Herrn Röpke an sich nicht sogleich zu. Und wenn Herr Röpke das geschrieben hat, dann verlasse ich mich völlig auf die Worte, die der Herr Bundeskanzler heute hier gesagt hat. Ich meine, das sind zwei verwandte Männer in diesen Fragen. Wenn Herr Röpke die Schwierigkeiten sieht — und der Frau Kollegin Strobel empfehle ich diesen Aufsatz —, die es bringt, wenn man einen solchen besonderen Zweig unseres Lebens wie die Landwirtschaft so plötzlich in ein kaltes Wasser hineinwerfen will: das verträgt sie noch weniger als andere. Also darüber habe ich mich sehr gefreut.
Ich möchte zu den kurzen und knappen Ausführungen von Herrn Minister Schwarz in der Beantwortung nichts weiter sagen. Immerhin bin ich der Meinung — das wird mir der Herr Landwirtschaftsminister nicht übelnehmen —, daß die Frage der Harmonisierung der Kosten dabei ein bißchen sehr schlecht wegkam. Ich finde, ein bißchen mehr kann man da schon von uns aus verlangen. Sie haben gelesen, was das IFO-Institut — das ist ja schon genannt worden — an Stützungsbeträgen errechnet hat. Ich kann die Sache nicht beurteilen und weiß nicht, ob die Rechnung richtig ist. Ich bin überzeugt, daß natürlich ein gewisser Unterschied gegeben ist, weil bei uns die Preise höher sind als bei den anderen. Trotzdem glaube ich, daß, wenn dieser allgemeine Stützungsbetrag aus öffentlichen Mitteln in Frankreich 87 DM, in Großbritannien 76 DM, in Holland 66 DM und bei uns 46 DM je Tonne Getreide ausmacht, wenn man alle landwirtschaftlichen Produkte auf Getreideeinheiten umrechnet, daß uns das eine Basis gibt, etwas stärker die Harmonisierung der Kosten und Wettbewerbsbedingungen zu verlangen, bevor die Getreidepreissenkung kommt.
Ich hatte nun vor, zu meinem verehrten Freund Schmidt (Gellersen) zu sprechen, aber ich möchte mir nicht ein neues Phantom aufbauen. Das will ich also nicht. Jedenfalls haben Sie sich sehr geschickt aus der Affäre gezogen. Ich meine, es gab ja auch einige unangenehme Punkte dabei. Wenn Sie gesagt haben, daß bei der Koalition gar nichts los ist — Sie haben das sehr nett gesagt und sehr freundlich, wie Sie das immer tun —, dann möchte ich sagen — Sie haben das sicherlich gelesen, aber ich muß darauf hinweisen —: die Entschließung der Re-



Dr. Starke
gierungskoalition, die heute vorliegt, sollten Sie sehr genau studieren; denn da steht doch einiges drin. Für mich ist sie sehr viel wert, weil die Gemeinsamkeit in dieser Entschließung beweist — jetzt muß ich den Partner der CDU bitten, zuzuhören —, die Gemeinsamkeit in dieser Entschließung, die so weitgehend ist, beweist, daß die CDU eine gute Agrarpolitik machen kann, auch ohne daß sie die absolute Mehrheit hat, wie sie es auf ihrem Parteitag in Hannover gefordert hat.

(Heiterkeit und Beifall in der Mitte und rechts.)

Das ist auch ganz gut; denn wir wollen sicher nicht sagen, daß diese Entschließung eine schlechte Agrarpolitik enthält, und außerdem sind mir weitere, über unsere Wünsche hinausgehende Wünsche der CDU nicht bekanntgeworden, sonst hätten wir sie wahrscheinlich auch noch aufgenommen.
Ich brauche auf die Ziffer 1 der Entschließung nicht einzugehen. Das hat für unsere Fraktion mein Freund Mauk gesagt. Ich glaube, es ist zur Genüge gesagt, weshalb wir nicht glauben, daß jetzt diese Getreidepreissenkung möglich ist. Ich darf mich auf diesen Satz beschränken.
Wir haben aber eine Ziffer 1 c) in dieser Entschließung, zu der ich noch etwas sagen muß; denn hier ergibt sich in der Tat eine grundsätzlich neue Unterscheidung etwa zu den Auffassungen der Kommission in Brüssel. Wir Freien Demokraten — und, wie Sie sehen, jetzt die Koalition — sind der Meinung, daß man die Landwirtschaft nicht völlig aus dem Markt herausnehmen soll. Das hat vor allem Herr Bauer von der CSU sehr gut ausgeführt. Man soll die Bauern nicht zu Staatspensionären machen.
Gestatten Sie, Herr Präsident, daß ich aus meiner Haushaltsrede vom 7. November 1962 einige Sätze zitiere. Es ist ganz kurz. Sie werden mir das nicht übelnehmen. Aber man ist doch immer ein bißchen stolz auf das, was man früher einmal gesagt hat. Ich habe damals als ein Grundbekenntnis von mir erklärt:
Dieses Ziel läßt sich nur erreichen,
— das Ziel, das Einkommen der in der Landwirtschaft tätigen Bevölkerung nicht zu mindern —
wenn der Landwirtschaft für ihre Erzeugnisse ausreichende Preise gesichert werden; staatliche Hilfen finden nun einmal ihre Grenze in der Belastbarkeit des Staatshaushalts.
Lassen Sie, meine Herren von der SPD, mich hier einfügen: Wenn Sie in Ihrer Entschließung unter Ziffer 2 am Anfang sagen, es müßten ausreichende europäische Mittel bereitgestellt werden, so muß ich Ihnen antworten: die sind für die deutsche Staatskasse genauso gefährlich, wie wenn es deutsche Mittel wären; denn Sie wissen, daß die EWG sich selbst kein Geld schaffen kann, sie muß . es bekommen.
Ich habe dann weiter erklärt:
Diese Grenze ist schon fast erreicht . . . Diese
Grundsätze müssen auch für die Europäische
Wirtschaftsgemeinschaft und auch im Fall des
Beitritts Großbritanniens zur Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft gelten. Das Beispiel der Schweiz zeigt, daß es für ein hochindustrialisiertes Land richtig und für den Verbraucher zumutbar ist, der Landwirtschaft neben staatlichen Hilfen ein ausreichendes Einkommen über den Preis zu verschaffen.

(Beifall bei der FDP.)

Ich habe das deshalb zitiert, weil das genau die Grundlage für die Ziffer 1 c der Koalitionsentschließung ist. Wir sind nicht der Meinung, daß man zu einem allgemeinen Sozialplan für die Landwirtschaft kommen darf, der dann die Preise ersetzt. Daß man sozialpolitische Maßnahmen durchführen kann, ist schon gesagt worden. Davon schließe ich mich nicht aus. Aber die Gemeinschaftspläne sind eine große Gefahr, bedeuten ein Abrutschen der Landwirtschaft in ein System hinein, das wir in der Bundesrepublik nicht wollen. Das sollte hier auch noch einmal hervorgehoben werden.
Über den Aufbau Ihrer Entschließung habe ich schon gesprochen. Ich entnehme ihr, daß Sie das, was wir als Voraussetzung fordern, eben — wie Sie sagen — gleichzeitig oder offensichtlich auch erst nachher herstellen wollen. Und das scheint uns falsch zu sein.
Bezüglich der Majorisierung ab 1. Januar 1966 muß ich Ihnen etwas Grundsätzliches sagen. Meine sehr verehrten Damen und Herren von der Opposition, ich kann Ihnen da nicht zustimmen. Ich bin auch der Meinung: wir sollten ganz vorsichtig damit sein, die Tatsache, daß wir majorisiert werden können, als taktisches Mittel zu benutzen, auf Eile zu drängen. Ich meine: in einer Lebensfrage — und um die geht es — kann eine Majorisierung nicht stattfinden.

(Beifall bei der FDP. — Abs. Dr. Schäfer: Vogel-Strauß-Politik!)

— Nein, Herr Kollege Schäfer, das ist keine Vogel-Strauß-Politik.

(Abg. Dr. Schäfer: Aber natürlich! Lesen Sie doch die Verträge!)

— Nein, das ist sie nicht. Ich bin ehrlich der Meinung, daß das nicht sein darf und auch nicht kommen wird.

(Abg. Dr. Schäfer: „... daß nicht sein kann, was nicht sein darf"!)

— In diesem Fall stimme ich wirklich einmal mit unserem verehrten Dichter Morgenstern überein.

(Weitere Zurufe von der SPD.)

Ein Weiteres kommt hinzu, und das geht allerdings noch viel weiter. Wenn Sie mit einer, ich möchte sagen, gewissen Genugtuung feststellen — das ist nun wieder die Frau Kollegin Strobel —, daß in Brüssel gesagt worden ist: Je länger wir mit dem Getreidepreis warten, um so weniger angemesssen wird die Entschädigung, die Ausgleichszahlung sein, so muß ich Ihnen antworten: in diesem Fall können wir uns einmal auf den Vertrag stützen, nicht bloß auf Verordnungen. Lesen Sie es nach! Da steht nämlich drin, daß eine Übereinstimmung nur bei einer angemessenen Entschädigung möglich ist. Sie glau-



Dr. Starke
ben, wir müßten auch noch bezüglich der Angemessenheit nachgeben. Nein, da bin ich anderer Meinung.

(Beifall bei der FDP.)

Ich bin der Meinung: so kann man das nicht machen.

(Abg. Dr. Schäfer: Sind Sie wieder bei Ihrem Phantom?)

— Nein, nein; das ist kein Phantom. Das steht doch sogar im Vertrag drin, Herr Schäfer.
Und nun komme ich zu der „Anklagebank". Warum sitzen wir eigentlich auf der Anklagebank? Weil andere unseren Agrarmarkt haben wollen, sitzen wir auf der Anklagebank? Ich kann das gar nicht verstehen. Weil andere Garantien haben wollen für die Einfuhren, die sie bisher auf dem deutschen Markt hatten, sitzen wir auf der Anklagebank? Nehmen wir sie ihnen denn?

(Abg. Frau Strobel: Wir können sie ihnen nicht geben!)

Wer sitzt denn hier auf der Anklagebank? Wer will den Erfolg der Kennedy-Runde? Wir sind doch nicht gegen die Kennedy-Runde! Vielleicht findet man woanders jemanden, der nicht so sehr dafür ist. Aber sollten wir uns selbst auf die Anklagebank setzen?

(Abg. Dr. Schäfer: Wer redet jetzt für sein Phantom?)

— Nein, nicht Phantom; das war sehr real. (Weitere Zurufe von der SPD.)

— Das geschärfte europäische Ohr hört das eben heraus.

(Lachen bei der SPD. — Zurufe von der SPD: Jetzt wissen wir es!)

— Wir sind alle in Europa, die wir hier gesprochen haben.
Es geht hier um das Vorziehen der Landwirtschaft, die bisher in der EWG angeblich zu kurz gekommen ist. Auf dem gewerblichen Gebiet haben wir den Markt geöffnet; da gibt es ja immerhin so etwas wie einen Wettbewerb. In der EWG schaffen wir ein Agrarsystem, in dem eine Ausschließlichkeitspräferenz gegeben wird. Und gerade das schafft die Schwierigkeiten zu den Drittländern.
Wir sind also bei dem Problem der Drittländer. Darüber haben Sie, Frau Kollegin Strobel, sehr deutlich gesprochen. Das Problem der Drittländer ist für mich allerdings beängstigend. Das muß ich hier sagen. Sie müssen jetzt einmal mit mir sehr scharf daran denken, was das beinhaltet. Es geht doch nicht nur um die Agrarerzeugnisse, die wir herstellen. Sie wissen, es geht auch um die sogenannten mittelmeerischen Agrarprodukte und um die tropischen Agrarprodukte. Wenn man in der Welt herumfährt — ein bißchen bin ich in der Zwischenzeit auch draußen gewesen —, dann stellt man die große Angst fest, die dort besteht. Verehrte Frau Kollegin Strobel, das ist nicht ein Phantom; jetzt kommen wir wirklich auf das, was ich vorhin gesagt habe.
Es gibt ein paar Länder, die haben Angst wegen der Getreideeinfuhr, und alle anderen — zahlenmäßig 90 °/o — haben Angst wegen der Einfuhr von
Veredelungsprodukten, die sie bisher bei uns abgesetzt haben. Deshalb bin ich so bedenklich wegen dieses rasanten Hineinlaufens in die Veredelungsproduktion. Ich bin der Meinung, daß bei dem augenblicklichen Stand der deutschen Landwirtschaft der Getreidepreis, wie er jetzt ist, das beste Mittel auch für unsere Handelspolitik mit den Drittländern ist und nicht das Umschwenken auf den Kurs, den Sie so heiß vertreten haben. Alle die Länder, die Sie genannt haben, die ich Ihnen genannt habe, kämpfen um den Markt ihrer Veredelungsprodukte in Deutschland.

(Abg. Frau Strobel: Schweden kämpft um seine Industrie!)

— Bestimmt nicht um Getreide, verehrte Frau Kollegin.

(Abg. Frau Strobel: Das habe ich auch nicht gesagt!)

Sie müssen einmal ganz genau wissen, daß ich nicht gegen ein Phantom kämpfe; Sie haben mich ja zu diesen Ausführungen aufgefordert.
Das wesentliche für mich kommt in wenigen Sätzen zum Ausdruck, die der Vizepräsident der Europäischen Kommission Mansholt in einem Spiegel-Interview gesagt hat; er hat es seitdem in den letzten 14 Tagen wiederholt. Damals ist er gefragt worden: Glauben Sie, daß bei Ihrer Agrarpolitik, die Sie eine weltoffene nennen, die Drittländer sich darauf werden beschränken lassen, nur noch Getreide in die EWG einzuführen? Darauf hat Herr Mansholt beide Male gesagt: Sie werden sich daran gewöhnen müssen. — Das ist eine Politik, die ich für falsch halte.

(Zurufe von der SPD.)

Ich halte sie für falsch. Wenn Sie es sich genau überlegen, dann werden Sie feststellen, daß Sie sie glühend verteidigt haben.

(Fortgesetzte Zurufe von der SPD.)

Das ist die Schwierigkeit, vor der wir stehen. Die deutsche Landwirtschaft, wie sie im Augenblick ist, würde bei einem gesenkten Getreidepreis in eine Veredelung hineingedrängt werden, die bei uns, wie der Eiermarkt gezeigt hat, zu Zusammenbrüchen führt. Sie ist für die Landwirtschaft nicht gut, sie ist für die Dänen und Holländer nicht gut, sie ist für alle nicht gut. Wir sollten uns das sehr überlegen.

(Zurufe von der SPD.)

— Ich bin bei dem ernstesten Punkt meiner Ausführungen. Wir hören immer das Rufen: Haltet den Dieb! Wer den Getreidepreis nicht senkt, der 'ist gegen den deutschen Export. — Ich bin da anderer Auffassung. Wer in der jetzigen Situation den Getreidepreis vorschnell senkt und damit diese überkräftige Veredelungsproduktion bei uns und in der übrigen EWG aufbaut, der wird sich sehr wundern, was aus .dem deutschen Export wird, der, abgesehen vom letzten Jahr, zu zwei Drittel in Länder außerhalb der EWG geht. Bisher ist er ja zu etwa 8 Milliarden mit Veredelungsprodukten agrarischer Natur bezahlt worden. Wir können darüber sprechen. Es ist gut, wenn das zu Protokoll festgelegt wird. Das wird für die weiteren Debatten stehenbleiben.



Dr. Starke
In der gemeinsamen Entschließung ist der Gedanke enthalten, daß die Senkung des Getreidepreises die handelspolitischen Probleme mit den Drittländern eben nicht löst. Wenn Sie sie so lösen wollen, daß unsere Landwirtschaft es verträgt und daß auch die anderen EWG-Partner und die Drittländer etwas davon haben, dann müssen Sie zu der mengenmäßigen Regelung, zu Kontingenten kommen. Sie müssen untersuchen, ob das nicht die bessere Lösung ist. Ich bin mit meinen Freunden der Meinung, daß das die bessere Lösung ist; es ist die Lösung, die wir finden müssen.

(Beifall bei der FDP.)

Wenn wir also Verhandlungen mit den USA und mit den dritten Ländern aufnehmen und uns nicht auf den verhänignisvollen Weg führen lassen, daß in der Kennedy-Runde alles davon abhängt, daß man den EWG-Agrarmarkt über den Preis steuert und daß wir den Getreidepreis senken, dann werden wir für unsere Landwirtschaft, für die europäische Landwirtschaft, für die Gesamt-EWG und für die dritten Länder ,bessere, eindeutig bessere Lösungen finden, meine verehrten Anwesenden; und darüber sollten wir uns in Zukunft unterhalten.
Ich habe über die Schwierigkeiten einer Veredelungsproduktion — vor allem gegenüber den dritten Ländern —gesprochen. Dieselbe Schwierigkeit ergibt sich natürlich im Innern. Ich brauche Ihnen das nicht auszuführen. Sie wissen, daß es vor allem die kleinen Bauern, sind, die in der Veredelung stehen.

(Zuruf von der SPD: Sind nicht die Großbauern schon in der Veredelung drin?)

— Noch nicht so stark; .das wissen Sie doch ganz genau.

(Zuruf von der SPD.)

Aber ich bestreite doch gar nicht, daß einzelne darin sind. Aber gerade weil Sie sie erwähnen, wissen Sie doch, daß die anderen noch nicht darin sind; und was wird, wenn sie jetzt alle schnell hineingehen? Ich will Ihnen ein Beispiel geben. Ich habe mir noch vor kurzem einen Bauernhof ,angesehen, der sehr hoch in der Veredelung steht; das war kein ganz kleiner. Dort wurde gesagt: Ja, wenn das natürlich alle machen, dann ist das vorbei; dann brechen die Preise zusammen. Wir dürfen also die Bewegung nicht zu stark werden lassen; das muß mit Maßen gemacht 'werden. In der Landwirtschaft kann man das nicht übers Knie brechen. Das sind die Gefahren. Hier liegt der ganz :enge Zusammenhang zwischen der Agrarpolitik und der Handelspolitik. Das war es, was ich Ihnen sagen wollte, worum es mir besonders geht.
Ich bin also der Meinung und stelle das fest, daß wir in der Agrarpolitik weiter sind als auf den anderen Gebieten der EWG; weit 'voraus der Konjunkturpolitik, weit voraus irgendwelchen Regelungen der Verkehrspolitik. Und wie sollen wir denn ohne Stütze die ganze Getreidepreispolitik betreiben, wenn die Frachten so unterschiedlich sind 'auf dem Verkehrsgebiet? — Das ist ein Beispiel, das ich Ihnen gebe dafür, daß wir auf dem Gebiet der
Agrarpolitik vorangegangen sind, und zwar nicht aus der Natur der Sache, sondern aus ganz bestimmten Wünschen einzelner Länder, und bestimmt nicht wegen der dritten Länder. 'Die haben am meisten Angst vor idem Wege, den wir ida gegangen sind. Auch das muß man sich einmal überlegen.
Nun — um es jetzt kurz zu machen — zur Kennedy-Runde. Es ist festgestellt worden — ich unterstreiche das —: wir brauchen für die Kennedy-Runde, die ein Erfolg werden soll, weder einen gemeinsamnen Getreidepreis noch brauchen wir uns auf die Anklagebank setzen zu lassen, und ich glaube — wenn ich Ihnen das einmal voraussagen darf —, wir werden sehen, daß sich die Dinge dort anders gestalten, als es nach einer festen Konzeption, die für uns so nachteilig ist, zunächst einmal aussieht.
Ich möchte jetzt der vorgerückten 'Zeit wegen kurz abschließen.
Die Ausgleichszahlungen, die vorgesehen sind, und die finanziellen Gesamtverpflichtungen, die aus dem Mansholt-Plan entstehen, halten wir von der Freien Demokratischen Partei in dieser Form für unannehmbar. Daß wir für eine vorübergehende Ausgleichszahlung, von der mehrfach festgestellt worden ist, daß sie uns mehr kostet, als wir dann von dort bekommen, auf Jahrzehnte hohe neue Lasten für die Umstrukturierung anderer Landwirtschaften übernehmen sollen, wo wir gar nicht wissen, was das alles bei uns kosten wird, das alles bedarf noch so sehr der Prüfung, daß nach Auffassung der FDP von einer Reife dieses Planes zur Annahme gar nicht gesprochen werden kann.
Sie haben dann, Herr Schmidt (Gellersen), gefragt: Was soll man eigentlich noch tun, und warum das Ganze und die Gespräche? — Ich möchte Ihnen das sagen. Solange festgestellt ist, daß die Verordnung Nr. 19 in Frankreich gar nicht angewendet wird, sind das alles Fragen, die immer wieder zeigen, daß wir nicht vorschnell handeln dürfen mit unserer Landwirtschaft und mit unseren Zugeständnissen; ich glaube, das wäre falsch. Der Kampf um den Getreidepreis in Brüssel ist nicht umsonst gewesen; jeder Zeitraum, den wir hier gewinnen, lohnt sich für die Gesamtverhältnisse, in denen wir stehen.

(Beifall bei der FDP.)

Ich glaube, bei den Wandlungen, in denen sich die Agrarwirtschaft befindet, werden Sie alle auch verstehen, was ich meine. Es ist nicht gleich, wann eine Senkung des Getreidepreises kommt, weder für die Bauern, gesellschaftspolitisch gesehen, noch für unseren Export, wie ich mir erlaubte auszuführen; und es ist auch keineswegs gleichgültig für Europa. Denn, meine verehrten Kolleginnen und Kollegen, wer will denn heute bestreiten, daß unsere hohe Einfuhr an Agrarerzeugnissen aus dritten Ländern eine Stütze unseres großen Exports in diese dritten Länder ist? Und dieser Export stützt im Augenblick schon die Handelsbilanz der EWG. Vergessen Sie das doch nicht! Wir dürfen nicht leichtfertig an die Dinge herangehen. Aber da bin ich natürlich gar nicht anderer Meinung als Sie. Ich erlaube mir nur, hier einmal im Zusammenhang mit der Agrarpolitik



Dr. Starke
auf diese Fragen hinzuweisen, so auch auf die Frage des Exports in die dritten Länder im Zusammenhang mit dem schnellen Übergang vom Getreidebau zur Veredelungswirtschaft in der Landwirtschaft.

(Zurufe von der SPD.)

Sehen Sie, ich bin nicht gegen die Veredelungswirtschaft, meine verehrten Anwesenden. Aber ich bin der Meinung, man muß das mit Maßen machen und muß es sich entwickeln lassen. Das ist für uns alle unzweifelhaft gesünder. Es ist also eine Umgestaltung, die Zeit erfordert, die man nicht übers Knie brechen kann.
Ich möchte Ihnen noch sagen, was Röpke dazu schreibt. Ich möchte, wenn der Herr Präsident es mir erlaubt — weil es eben Röpke ist, will ich ihn zitieren —, nur einen einzigen Satz vorlesen:
Welches auch immer die Gründe dieser Entwicklung in der Landwirtschaft waren, so sollte dies unter allen Umständen ausgemacht sein: daß sie nicht von heute auf morgen ungeschehen gemacht werden kann, ohne daß wirtschaftliche, politische und soziale Erschütterungen eintreten, die niemand verantworten kann.
Ich halte es für gut, einmal zu sagen, was ein Mann wie Röpke dazu ausgeführt hat. Ich wiederhole, daß viele Urteile, die über die Landwirtschaft abgegeben werden — wie Röpke es auch sagt —, sehr stark von einem Standpunkt aus abgegeben werden, der rein industriepolitisch oder großstadtpolitisch orientiert ist, und das ist natürlich nicht der einzige Faktor, mit dem wir es zu tun haben. Wir müssen sehr abwägen, was wir hier tun.
Darüber hinaus haben sich in der Agrarpolitik, wie wir sie nun angelegt haben, auch, wie Sie alle wissen, in der EWG ernste Reibungspunkte ergeben, weil auf der einen Seite die französischen und auf der anderen Seite die deutschen Bauern stehen. Weil wir diesen Weg nun einmal so angefangen haben, stehen wir in diesen Schwierigkeiten drin.
Ich bin der Meinung — wenn ich das zum Abschluß sagen darf —, daß wir in der Bundesrepublik — und auch in der EWG — eine gesunde Landwirtschaft brauchen. Ich darf hier an einen Satz erinnern, den ich in meiner Haushaltsrede gebracht habe und in dem ich gesagt habe, daß wir wie die Schweiz handeln sollten. Sie ist für mich agrarpolitisch das Vorbild. Dort besteht nämlich der Wille, eine breite Agrarbasis zu erhalten und dafür auch Opfer zu bringen, soweit sie selbst im Falle einer kräftigen Modernisierung und Rationaliserung der Landwirtschaft unumgänglich erscheinen. Mir erscheint diese Politik richtig. Ich habe dargelegt, daß wir uns mit unseren Koalitionspartnern auf eine Entschließung geeinigt haben, die in diese Richtung weist. Das ist für mich eine gute Richtschnur. Wir sollten diesen Weg weitergehen. Die Erklärung des Bundeskanzlers zur Agrarpolitik der EWG gibt uns die Grundlage dafür.

(Beifall bei der FDP und in der Mitte.)


Dr. Thomas Dehler (FDP):
Rede ID: ID0412121900
Das Wort hat der Abgeordnete Richarts. — Er verzichtet. Dann spricht der Herr Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten.

Werner Schwarz (CDU):
Rede ID: ID0412122000
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es gehört zu den Obliegenheiten des zuständigen Ressortministers, daß er noch ein wenig Nachlese hält bei einer so langen Aussprache, wie wir sie heute gehabt haben. Ich bin sehr glücklich über die Aussprache deswegen, weil sie vielen Nebel zerstreut hat, der sich gerade in den letzten Monaten in der Öffentlichkeit breitgemacht hat. Die Erörterung über den Getreidepreis hat tatsächlich in weitesten Teilen unseres Vaterlandes zu der Vorstellung geführt — so kann man sie wohl analysieren —, die Landwirtschaft warte geradezu darauf, einen niedrigen Getreidepreis zu bekommen bzw. wisse sonst nicht, wie sie weiter planen und wirken solle.
Angesichts der ganzen Situation — ich sagte es schon einmal in diesem Hause — mußte und muß die Landwirtschaft selbstverständlich mit allem rechnen, und sie wird auch in Zukunft mit allem rechnen müssen. Letzten Endes ist aber die Frage doch nur die: Wie lange kann man noch mit Gegebenheiten rechnen, die es zulassen, die Voraussetzungen für einen weiteren Schritt — irgendwann einmal — zu schaffen? Einstweilen ist nur festzustellen, daß diejenigen, die eventuell von einer Preisminderung betroffen würden, einmütig erklären, sie wollten an der Sache nicht teilnehmen, während die heißesten Angriffe von der Seite derer kommen, die nicht in eine Preisminderung einbegriffen sind.
Wir haben heute über verschiedene Dinge gesprochen, und ich möchte hier nur zunächst einmal meinem Kollegen Dr. Schmidt einiges erwidern. Er hat die Bundesregierung sehr hart angegriffen, weil die Unterrichtung der gesetzgebenden Körperschaften nicht in dem Maße erfolgt sei, wie es hätte geschehen müssen. Ich darf dazu sagen, daß sämtliche Unterlagen und sämtliche Verordnungen immer regelmäßig dem Parlament zur Verfügung gestellt und übersandt werden. Ich weiß noch aus der Zeit vor der letzten Bundestagswahl, daß wir damals eine nicht unerhebliche Menge Papiere an die Abgeordneten verteilt haben und ich nach der Bundestagswahl angeordnet habe, das zu wiederholen, weil die Damen und Herren aus dem Hohen Hause möglicherweise keine Gelegenheit mehr hatten, die Unterlagen vor der Wahl zu studieren. Wenn man es für richtig gehalten hätte, Herr Kollege Schmidt, aus eigener Initiative eine Aussprache zu verlangen, hätte niemand in diesem Hause daran gehindert werden können.
Wir fühlen uns also in bezug auf irgendwelche Vorwürfe völlig unschuldig. Wir müssen vielmehr die Schuld bei denen suchen, die es unterlassen haben, aus eigener Initiative zu handeln; denn die Unterlagen waren in ihrer Hand.
Einige Punkte Ihrer Ausführungen — ich kann sie beileibe jetzt nicht alle erwähnen; es würde viel zu lange dauern — sollen doch noch erwähnt werden. Sie haben sich zum Beispiel hier zu wiederholten Malen wegen der Milch beklagt und haben auch die Darstellung, die ich heute wieder gegeben habe, als nicht richtig hingestellt. Zunächst einmal darf ich sagen, die Anschuldigungen, die von Ihrer



Bundesminister Schwarz
Seite erfolgt sind, werden ja durch die Wiederholung nicht richtiger. Wir haben diese Fragen wiederholt eingehend behandelt, und ich kann nur noch einmal feststellen, daß die Auskunft, die hier gegeben wurde, absolut zuverlässig und richtig ist.
Ich darf aber auf etwas anderes hinweisen, Herr Kollege Dr. Schmidt. Wenn überhaupt solch eine gute Lösung bei der Milch gefunden werden konnte, so einzig und allein deswegen, weil der Herr Bundeskanzler sich persönlich für diese Angelegenheit nicht nur interessiert, sondern so hart eingegriffen hat, daß die Vorlage der Kommission einfach umgeworfen wurde.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Ich meine, das ist ein Grund zur Dankbarkeit, aber nicht Grund dafür, daß man an diesen Dingen im einzelnen Kritik übt, an Dingen, die im übrigen auch völlig einwandfrei laufen.
Sie haben dann weiter die Frage der Preiskriterien erwähnt. Die Preiskriterien sind bekanntermaßen von der Kommission vorgelegt worden und hätten vom Rat erledigt werden müssen. Aber diese Preiskriterien sind nicht verabschiedet worden, und zwar, weil wir nicht glauben, daß gewisse Grundsätze zu Preiskriterien Möglichkeiten bieten, die Bewertung der Erzeugnisse durchzuführen. Wir haben vielmehr aus der Praxis heraus die Erfahrung gemacht, daß spezifisch auf ein Objekt ausgerichtete Kriterien besser und wirkungsvoller sind, als wenn man nach einem gewissen Schema arbeitet. Ein Schema ist zu starr, es ist nicht anpassungsfähig genug. Die jeweiligen Orientierungspreise lassen sich leichter nach dem Lebendigen regeln, nämlich erstens nach dem, was zu erwarten steht, und zweitens nach dem, was in repräsentativen Zahlenreihen für die Vergangenheit nachzulesen ist. Das ist der Grund, weswegen wir uns um diese Dinge nicht weiter bemüht haben.
Sie haben u. a. behauptet, daß ich mich — so habe ich Sie jedenfalls verstanden — hier oder dort in Reden wegen des Getreidepreises wiederholt widersprochen hätte. Herr Kollege Dr. Schmidt, es ist nun einmal meine Aufgabe, daß ich solche Dinge nicht einseitig darstelle. Meine Stellungnahme zu diesen Fragen war allen Beteiligten von eh und je ziemlich klar.

(Abg. Dr. Schmidt [Gellersen] : Das habe ich nicht angezweifelt!)

Es scheint mir notwendig, in einem solchen Fall die Alternative aufzuzeigen und zu sagen: hier ist die eine Auffassung, der das Hohe Haus heute zweifellos zustimmen wird, und dort gibt es eine andere Auffassung, wie meinetwegen Sie sie haben. Es scheint mir ehrlich und notwendig zu sein, darauf hinzuweisen, daß diese beiden Möglichkeiten bestehen. Zumindest kann ich in meiner Stellung nicht eine einseitige Politik betreiben. Das würde nämlich dazu führen, daß genau Sie eines Tages den Vorwurf erheben würden, die Offentlichkeit draußen oder unsere Bauern würden nicht richtig oder nicht ausgiebig nach beiden Seiten orientiert.
Sie haben zu dem Punkt 4 unserer Fragen — es. handelt sich um die Grundsätze des Mandats — ein Papier herangezogen, das Sie auch mit Nummer nannten, so daß es mir möglich war, dieses Papier schnell einzusehen. Sie haben aus diesem Papier T/76/74 entnommen und vorgelesen, daß wir in Brüssel Beschlüsse gefaßt hätten, die in den GATT- Verhandlungen hinsichtlich einer Getreidepreissenkung, einer Getreidepreisangleichung bindend seien. In Punkt 4 dieser Regeln für die Handelsverhandlungen betreffend den gesamten Agrarsektor steht:
Wenn für ein bestimmtes Agrarerzeugnis der Gemeinschaftspreis noch nicht festgelegt worden ist, so darf dies nicht zur Folge haben, daß dieses Erzeugnis von den GATT-Verhandlungen ausgeschlossen wird.

(Abg. Dr. Schmidt [Gellersen] : Genau das habe ich gesagt!)

Der Rat berät hierüber auf Grund von Vorschlägen der Kommission.
Nun kommt eine Fußnote zu dem letzten Satz „Der Rat berät hierüber auf Grund von Vorschlägen der Kommission" :
Es ist also wünschenswert, im wesentlichen die Grundlage der gemeinsamen Agrarpolitik und insbesondere das Getreidepreisniveau festzulegen, von dem die Stützungspolitik der Gemeinschaft weitgehend abhängen wird.
Diese Fußnote bezieht sich darauf, wie sehr klar zu ersehen ist, daß der Rat hierüber berät. Es ist wünschenswert, daß er in dieser Form darüber berät. Aber es ist nicht in irgendeiner Form eine Weisung, wie man nachher in den GATT-Verhandlungen zu handeln hätte. Das ist der grundlegende Unterschied zwischen Ihrer Auffassung und dem, was in dem Papier steht.
Aus diesem Beispiel mögen Sie ersehen, meine Damen und Herren, daß man diese Fragen nicht so am laufenden Bande gewissermaßen aus der Taufe heben kann, wie hier heute Mittag vom Herrn Kollegen Dr. Schmidt vorgeführt wurde. Man muß immer bedenken, daß man all das, was wir in jahrelangen Verhandlungen gepflogen haben, was über Nächte ging, oft über Nächte, die bis morgens drei Uhr gingen — und das mehrmals hintereinander —, nicht irgendwo stückweise herausziehen kann, um damit zu beweisen, daß alles falsch gewesen sei. Wir glauben nicht, das alles richtig war, aber schon lange nicht, daß soviel falsch gewesen ist, wie Herr Dr. Schmidt es darstellt.

(Sehr gut! bei der CDU/CSU.)

Unserer Landwirtschaft ist zu gönnen, daß sie nun einmal eine Weile Ruhe vor dem Gerede über die Getreidepreise hat, daß sie weiter wirksam schaffen kann. Das ist um so notwendiger, als die Verhältnisse draußen wirklich nicht einfach zu meistern sind. Sie sollen nicht durch allerhand Vorgänge künstlich erschwert werden, die heute hier behandelt wurden, deren Erörterung aber in den letzten Wochen und Monaten landauf, landab auch durch Presse und Rundfunk usw. ging.



Bundesminister Schwarz
Wir haben Intervalle zwischen Mangel und Überfluß. Wir haben bis vor 10, 12 Jahren den Mangel gehabt. Wir sind dann zu Überschüssen gekommen. Es gibt gerade auch in Ihrer Fraktion Anschauungen dahin, daß in absehbarer Zeit wieder einmal ein Mangel kommen könnte. Diese Meinungsbildung in diesem Teil Ihrer Fraktion ist keineswegs so dahingesagt, sondern sie ist wissenschaftlich fundiert. Ich meine, daß wir alle die Pflicht haben, auch an die Möglichkeit eines Mangels in der Zukunft zu denken, und nicht vor lauter Fülle in der Gegenwart alles nur einseitig betrachten dürfen. Möge der heutige Tag dazu dienen, daß aus der Fülle von heute niemals ein Mangel wird, niemals eine Not, und daß auch die Maßnahmen, die wir ergreifen, so richtig und so weise sind, daß wir in der Zukunft bestehen können.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)


Dr. Thomas Dehler (FDP):
Rede ID: ID0412122100
Ich schließe die Beratung über die Antwort der Regierung auf die Große Anfrage und die Beratung über den Bericht des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten.
Zur Großen Anfrage der Fraktion der CDU/CSU, FDP liegt der Antrag auf Umdruck 408 vor. Der Antrag muß nach der Geschäftsordnung von 30 anwesenden Mitgliedern unterstützt werden. Geschieht das?

(Zustimmung.)

— Das ist der Fall.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dröscher.

Wilhelm Dröscher (SPD):
Rede ID: ID0412122200
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe die Ehre, zu der Abstimmung noch folgende Erklärung abzugeben.
Die SPD-Fraktion lehnt den Antrag auf Umdruck 408 ab. Wenn er angenommen würde, würde das zur Irreführung der Öffentlichkeit, insbesondere der bäuerlichen Bevölkerung führen.

(Widerspruch bei den Regierungsparteien.)

Der Antrag kann sogar zur bewußten Irreführung mißbraucht werden!
Erstens, weil ab 1966 die Bundesregierung diesem Antrag gar nicht mehr folgen kann, selbst wenn sie wollte.
Zweitens, weil sie ihn ab 1966 nicht mehr durchsetzen kann; es ist ja in der Aussprache eingehend bewiesen worden, daß das so ist.

(Widerspruch bei den Regierungsparteien.)

Drittens: Der Herr Bundeskanzler selbst hat heute, offenbar in klarer Erkenntnis der europäischen Notwendigkeiten, nur für 1964/65 eine deutliche und klare Aussage gemacht.

(Zuruf von der CDU/CSU: Sehen Sie doch das Protokoll nach! — Weitere Zurufe von den Regierungsparteien.)

— Meine Herren, wenn Sie das nicht glauben, will ich Ihnen vorlesen, was er gesagt hat:
Der derzeitige deutsche Getreidepreis — ich zitiere den Herrn Bundeskanzler —
ist unter Berücksichtigung der Produktions- und Kostenverhältnisse nicht überhöht. Für die Getreidewirtschaftsjahre 1964 und 1965 wird deshalb die Bundesregierung keiner Senkung des Getreidepreises zustimmen. Ich sehe mich heute auch nicht in der Lage, für spätere Jahre einen Zeitpunkt anzugeben, unter welchen Voraussetzungen und Bedingungen die Bundesregierung bereit sein könnte, in dieser Frage andere Vereinbarungen zu treffen.

(Zurufe von der CDU/CSU: Na also!)

Die Interpretation dieses Satzes, meine Damen und Herren, ist doch ganz klar. Es soll heißen: Ich sehe mich jetzt nicht in der Lage.

(Widerspruch bei den Regierungsparteien.)


Dr. Thomas Dehler (FDP):
Rede ID: ID0412122300
Herr Abgeordneter Dröscher, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Busse?

Hermann Busse (FDP):
Rede ID: ID0412122400
Sie hat sich nach den letzten Ausführungen erübrigt. Sie, Herr Dröscher, haben ja selbst festgestellt, daß diese Auslegung nicht logisch ist.

Wilhelm Dröscher (SPD):
Rede ID: ID0412122500
Ich habe nur den Herrn Bundeskanzler zitiert und interpretiere ihn so, wie ich es für richtig halte.
Viertens, und das hat mein Kollege Dr. Schmidt (Gellersen) schon genauso gesagt: Wir lassen Sie also bis 1965 in dieser Frage nicht allein.
Fünftens: Wir wollen nicht mitschuldig werden, wenn es darum geht, weiterhin die mögliche Vorbereitung und den möglichen Ausgleich für unsere bäuerlichen Betriebe zu erreichen, und zwar rechtzeitig zu erreichen.
Schließlich: Unsere bäuerlichen Menschen draußen im Lande sind es einfach müde, ständig in Unsicherheit in dieser für sie so lebenswichtigen Frage gehalten zu werden,

(Lachen bei der CDU/CSU)

insbesondere die Inhaber der kleinen und mittleren Betriebe. Sie wollen nämlich nicht defensiv geführt werden und dann zuletzt allein gelassen werden, um eventuell als industrielle Hilfsarbeiter ihren Lebensabend zu beschließen. Sie fordern konstruktive Ideen, eine Führung, der etwas einfällt.

(Abg. Dr. von Haniel-Niethammer: Das sind ja dumme Sprüche!)

— Das sind keine dummen Sprüche, sondern unsere
Bauern schauen manchmal auf das Nachbarland und
den dortigen Minister, dem dauernd etwas einfällt.
Es wäre leichtfertig, die Hoffnungen der Mitbürger etwa, wie es hier geschehen ist, auf die Kosten, auf die inflationistische Entwicklung zu lenken. Das kann uns nicht unberührt lassen. Eine solche Inflation werden wir in dem ganzen EWG-Raum importieren, und dann werden unsere Bauern vielleicht



Dröscher
1970 ihre alten Preise gehalten haben, aber zugleich eine neuerliche Verschlechterung ihres Realeinkommens haben, und die Relation ihrer Einkommen zu denen anderer Berufe wird sich erneut verschlechtert haben. Dann können Sie zwar sagen: Die Operation ist geglückt, aber der Patient — die deutschen Familienbetriebe — wird dann sterben müssen.

(Lebhafter Widerspruch bei den Regierungsparteien.)

Daran wollen wir nicht mitwirken. Deshalb lehnen wir Ihren Antrag ab.

(Beifall bei der SPD.)


Dr. Thomas Dehler (FDP):
Rede ID: ID0412122600
Wir stimmen über den Antrag der Fraktionen der CDU/CSU, FDP auf Umdruck 408 ab. Wer zustimmt, gebe Zeichen. —Gegenprobe! — Das erstere war die Mehrheit; der Antrag ist angenommen.
Zu Punkt 2 b — Beratung des Schriftlichen Berichts des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten über die Vorschläge der Kommission der EWG — liegt der Antrag dies Ausschusses auf Drucksache IV/ 1971 vor, dazu ein Antrag der SPD auf Umdruck 407, der als Änderungsantrag zu behandeln ist.
Ich werde zunächst über den Antrag der SPD auf Umdruck 407 abstimmen lassen.

(Abg. Dr. Schäfer: Nach Ziffern bitte!)

Also zunächst über die Ziffer 1 des Antrags der SPD auf Umdruck 407. Wer zustimmt, gebe bitte Zeichen. — Gegenprobe! — Das zweite war die Mehrheit. Der Antrag ist abgelehnt.
Dann die Ziffer 2 dieses Antrags. Wer zustimmt, gebe Zeichen. — Gegenprobe! — Dais letzte ist die Mehrheit. Der Antrag ist abgelehnt.
Wir stimmen dann ab über den Antrag des Ausschusses auf Drucksache IV/ 1971. Wer zustimmt, gebe bitte Zeichen. — Gegenprobe! — Der Antrag ist angenommen. — Wir sind damit am Ende der Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung auf Mittwoch, den 15. April 1964, 9 Uhr.
Die Sitzung ist geschlossen.