Protokoll:
4118

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Metadaten
  • date_rangeWahlperiode: 4

  • date_rangeSitzungsnummer: 118

  • date_rangeDatum: 4. März 1964

  • access_timeStartuhrzeit der Sitzung: 09:00 Uhr

  • av_timerEnduhrzeit der Sitzung: 21:28 Uhr

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  • tocInhaltsverzeichnis
    Deutscher Bundestag 118. Sitzung Bonn, den 4. März 1964 Inhalt: Glückwünsche zu den Geburtstagen der Abg. Arndgen und Bühler . . . . . . 5403 A Fragestunde (Drucksache IV/1993) Frage des Abg. Dr. Müller-Emmert: Gesetzentwurf betr. freiwillige Sterilisation und Kastration Dr. Bucher, Bundesminister . 5404 A, B, C Dr. Müller-Emmert (SPD) . . . . 5404 B Frage des Abg. Seifriz: Schutzeinrichtungen gegen Überfälle auf Banken Dr. Neef, Staatssekretär 5404 C, D, 5405 A Schmitt-Vockenhausen (SPD) . . . 5404 D Frage des Abg. Seifriz: Versicherungsschutz bei Bankeinbruch Dr. Neef, Staatssekretär 5405 A Frage der Abg. Frau Dr. Hubert: Feldversuch zur Bekämpfung der Bilharziose Frau Dr. Schwarzhaupt, Bundesminister . . . . 5405 B, C, D Frau Dr. Hubert (SPD) . . . . 5405 C, D Frage des Abg. Riedel (Frankfurt) : Vortrag des Professors Golo Mann in Rom Lahr, Staatssekretär 5405 D, 5406 B, C, D, 5407 A, B, C Riedel (Frankfurt) (CDU/CSU) . . 5406 A, B Dr. Czaja (CDU/CSU) 5406 C, D Dr. Dr. h. c. Friedensburg (CDU/CSU) 5406 D Porzner (SPD) . . . . . . . 5407 A, B Kahn-Ackermann (SPD) . . . . 5407 B, C Dr. Mommer (SPD) 5407 C Fragen des Abg. Vogt: Verleihung der Goethe-Medaille Lahr, Staatssekretär . . 5407 D, 5408 A Vogt (CDU/CSU) 5408 A Frage des Abg. Vogt: Deutsche Schulen in Polen und in den besetzten Ostgebieten Lahr, Staatssekretär . . . 5408 A, C, D Vogt (CDU/CSU) 5408 C, D Frage des Abg. Dr. Mommer: Denkschrift der Bundesregierung zur Deutschland- und Berlin-Frage Lahr, Staatssekretär . . . 5409 A, B, C Dr. Mommer (SPD) 5409 B Riedel (Frankfurt) (CDU/CSU) . . 5409 C II Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 118. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. März 1964 Fragen des Abg. Reichmann: Verwendung von Heizöl als Dieselkraftstoff Dr. Dahlgrün, Bundesminister . . 5409 C, D, 5410 A, B Reichmann (FDP) 5410 A Dr. Rinderspacher (SPD) . . . . 5410 B Frage des Abg. Maier (Mannheim) : Anrechnung einer Rentenerhöhung aus der Sozialversicherung Dr. Dahlgrün, Bundesminister . 5410 B, C, D Maier (Mannheim) (CDU/CSU) . 5410 C Jahn (SPD) 5410 D Frage des Abg. Höhmann (Hessisch Lichtenau) : Gesetz über den Zollgrenzdienst Dr. Dahlgrün, Bundesminister . . 5411 A, B Höhmann (Hessisch Lichtenau) (SPD) 5411 B Frage des Abg. Höhmann (Hessisch Lichtenau) : Abgabe von Zollgrenzdienstbeamten an andere Verwaltungen Dr. Dahlgrün, Bundesminister 5411 B, C, D, 54112 A Höhmann (Hessisch Lichtenau) (SPD) 5411 C, D, 5412 A Frage des Abg. Höhmann (Hessisch Lichtenau) : Gesundheitszustand der Beamten des Außendienstes Dr. Dahlgrün, Bundesminister 5412 A, B, C, 5413 A Höhmann (Hessisch Lichtenau) (SPD) 5412 B, C Fritsch (SPD) 5412 D Fragen des Abg. Dr. Schmidt (Wuppertal) : Doppelbesteuerungsabkommen mit Belgien Dr. Dahlgrün, Bundesminister . . . 5413 A, B, C, D, 5414 A Dr. Schmidt (Wuppertal) (CDU/CSU) 5413 C, 5414 A Fragen des Abg. Günther: Todesfall durch Schußwaffengebrauch eines Zollbeamten Dr. Dahlgrün, Bundesminister . 5414 A, D, 5415 A, C, D Günther (CDU/CSU) 5414 C, D Dr. Hölzl, Staatssekretär . . . 5415 B, C, 5416 A, B Schmitt-Vockenhausen (SPD) . . 5415 C, D, 5416 A Brück (CDU/CSU) 5416 A Sammelübersicht 28- des Petitionsausschusses über Anträge zu Petitionen (Drucksache IV/1977) 5416 B Entwurf eines Bundeskindergeldgesetzes (BKGG) (Drucksache IV/818); Schriftlicher Bericht des Ausschusses für Arbeit (Drucksache IV/1961) — Zweite Beratung —Frau Dr. Heuser (FDP) 5416 C Blank, Bundesminister . 5417 B, 5422 C, 5425 D, 5427 A Gerlach (SPD) . . . . 5417 D, 5428 B Dr. Schellenberg (SPD) . 5422 C, 5424 C, 5426 C, 5427 C, 5428 A, B, 5429 A, D, 5430 B Müller (Berlin) (CDU/CSU) 5423 A, 5429 B Spitzmüller (FDP) . . . 5423 D, 5433 C Franzen (CDU/CSU) 5430 B Mischnick (FDP) . . . . . . . 5432 A Rasner (CDU/CSU) . . . 5433 C, D Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Einkommensteuergesetzes (SPD) (Drucksache IV/1897) ; Schriftlicher Bericht des Finanzausschusses (Drucksache IV/1953) -- Zweite und dritte Beratung — Seuffert (SPD) . . . . . . . 5434 B Schlee (CDU/CSU) 5435 A Dr. Aschoff (FDP) 5435 D Entwurf eines Gesetzes zu dem Assoziierungsabkommen vom 12. September 1963 zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Türkei (Drucksache IV/1788); Schriftlicher Bericht des Auswärtigen Ausschusses (Drucksache IV/1982) — Zweite und dritte Beratung — Metzger (SPD) . . . . . . . . 5436 D Entwurf eines Vierten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über die Deutsche Genossenschaftskasse (Drucksache IV/1792); Schriftlicher Bericht des Wirtschaftsausschusses (Drucksachen IV/1983, zu IV/1983) — Zweite und dritte Beratung — 5439 A Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 118. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. März 1964 III Entwurf eines Gesetzes zur Änderung der Reichsabgabenordnung (Abg. Meis, Etzel, Freiherr von Kühlmann-Stumm u. Gen.) (Drucksache IV/1395); Schriftlicher Bericht des Finanzausschusses (Drucksache IV/1929) — Zweite und dritte Beratung — 5439 B Große Anfrage der Fraktion der SPD betr. Förderung der wissenschaftlichen Forschung und Aufgaben der Bildungsplanung (Drucksache IV/1829) Dr. Lohmar (SPD) . . . 5439 C, 5467 A Lenz, Bundesminister . . 5445 C, 5490 C Dr. Mikat, Minister des Landes Nordrhein-Westfalen 5453 D Dr. Martin (CDU/CSU) . . . . 5458 D Dr. Schütte, Minister des Landes Hessen . . . . . . . . . . 5463 C Dr. Hellige (FDP) . . . . . . . 5463 D Strauß (CDU/CSU) . . . . . . . 5467 D Dr. Schäfer (SPD) . . . . . . . 5476 B Dr. Stoltenberg (CDU/CSU) . . . . 5478 B Deneke (FDP) . . . . . . . . 5483 B Dr. Frede (SPD) . . . . . . . . 5484 C Dr. Dichgans (CDU/CSU) . . . . . 5486 D Entwurf eines Abzahlungsgesetzes (Abg. Frau Blohm, Dr. Elbrächter, Frau Dr. Kiep-Altenloh, Mertes u. Gen. und Fraktionen der CDU/CSU, FDP) (Drucksache IV/ 1894 [neu]) — Erste Beratung —; in Verbindung mit dem Entwurf eines Gesetzes über Teilzahlungsverträge (Teilzahlungsgesetz) (SPD) (Drucksache IV/1895) — Erste Beratung — Dr. Elbrächter (CDU/CSU) . . . . 5492 A Frau Beyer (Frankfurt) (SPD) . . 5493 A Mertes (FDP) 5494 B Dr. Bülow, Staatssekretär . . . 5495 C Entwurf eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 29. Mai 1962 mit dem Spanischen Staat über Kriegsopferversorgung (Drucksache IV/718) — Erste Beratung —; in Verbindung mit dem Entwurf eines Gesetzes zu dem Notenwechsel vom 16. Mai 1963 zwischen dem Auswärtigen Amt und der Spanischen Botschaft in Bonn über die Anwendung des Vertrages vom 29. Mai 1962 (Drucksache IV/1433) — Erste Beratung — . . 5495 D Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes zur Förderung der Wirtschaft von Berlin (West) (Abg. Meis, Dr. Stecker, Dr. Imle u. Gen.) (Drucksache IV/1854) — Erste Beratung — . . . . 5496 A Entwurf eines Ingenieurgesetzes (Abg. Wieninger, Dr. Huys, Lemmrich, Burgemeister, Seidl [München], Dorn, Ollesch, Busse,. Frau Dr. Diemer-Nicolaus, Opitz u. Gen.) (Drucksache IV/1964) — Erste Beratung — 5496 B Entwurf eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 31. Mai 1963 mit der Regierung von Indien über den Fluglinienverkehr (Drucksache IV/1939) — Erste Beratung — 5496 B Entwurf eines Gesetzes zum Ratsbeschluß der Organisation für Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) vom 18. Dezember 1962 über die Annahme von Grundnormen für den Strahlenschutz (Drucksache IV/1938) — Erste Beratung — 5496 B Antrag betr. Errichtung einer D-Zug-Station im Raum Bingen—Bingerbrück (Abg. Dröscher, Dr. Süsterhenn, Dr. Danz, Kulawig, Holkenbrink, Dr. Schneider [Saarbrücken] u. Gen.) (Drucksache IV/1914) . . . . 5496 C Antrag betr. Statistik über Arbeitsunfälle von Kindern und Jugendlichen in der Landwirtschaft (SPD) (Drucksache IV./ 1950) 5496 C Antrag betr. Eintragung der niedergelassenen Ärzte in den Amtlichen Fernsprechbüchern (Abg. Dr. Tamblé, Frau Dr. Heuser, Dr. Jungmann u. Gen.) (Drucksache IV/1969) 5496 D Erster Schriftlicher Bericht des Verkehrsausschusses über die Vorschläge der Kommission der EWG an . den Rat für Richtlinien, Entscheidungen und Verordnungen betr. Verkehrswesen (Drucksachen IV/1313, IV/1960) 5496 D Schriftlicher Bericht des Ernährungsausschusses über den Vorschlag der Kommission der EWG für eine Verordnung des Rates über die Anwendung der Qualitätsnormen auf Obst und Gemüse (Drucksachen IV/1877, IV/1972) . . . . 5497 A IV Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 118. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. März 1964 Schriftlicher Bericht des Ernährungsausschusses über den Vorschlag der Kommission der EWG für eine Verordnung des Rats betr. Abänderung von Artikel 3 Absatz 1 der Verordnung Nr. 23 (Drucksachen IV/1878, IV/1973) 5497 A Schriftlicher Bericht des Ernährungsausschusses über den Vorschlag der Kommission der EWG für eine Verordnung des Rats zur Festsetzung der Untergrenzen und Obergrenzen der Orientierungspreise für Rindfleisch für das am 1. April 1964 beginnende Wirtschaftsjahr (Drucksachen IV/1913, IV/1979) 5497 B Schriftlicher Bericht des Gesundheitsausschusses über die Vorschläge der Kommission der EWG für eine Richtlinie des Rates zur Regelung gesundheitlicher und lebensmittelrechtlicher Fragen beim Handelsverkehr mit Fleischerzeugnissen und eine Richtlinie des Rates zur Regelung gesundheitlicher Fragen beim Handelsverkehr mit frischem Geflügelfleisch (Drucksachen IV/1808, IV/1963) . . . . 5497B Schriftlicher Bericht des Gesundheitsausschusses über den Vorschlag der Kommission der EWG für eine Richtlinie des Rates zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten auf dem Gebiet des Kakaos und der Schokolade (Drucksachen IV/1453, IV/1962) . . . . 5497 C Übersicht 20 des Rechtsausschusses über Streitsachen vor dem Bundesverfassungsgericht (Drucksache IV/1946) 5497 D Mündlicher Bericht des Ausschusses für wirtschaftlichen Besitz des Bundes über den Antrag des Bundesministers der Finanzen betr. Veräußerung eines Teils der ehem. Artillerie-Kaserne in Göttingen-Weende (Drucksachen IV/1773, IV/1968) 5497 D Antrag des Bundesministers der Finanzen betr. Veräußerung der ehem. Heeresstandortverwaltung in Stuttgart (Drucksache IV/1956) 5497 D Antrag des Bundesministers der Finanzen betr. Veräußerung von Teilflächen der ehem. Wehrkreisreit- und Fahrschule in Aalen (Drucksache IV/1988) . . . . 5498 A Nächste Sitzung 5498 A Anlagen 5499 118. Sitzung Bonn, den 4. März 1964 Stenographischer Bericht Beginn: 9 Uhr
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    Anlage 1 Liste der beurlaubten Abgeordneten Abgeordnete(r) beurlaubt bis einschließlich a) Beurlaubungen Dr. Achenbach 6. 3. Dr. Atzenroth 4. 3. Bading 6. 3. Dr.-Ing. Balke 6. 3. Bergmann 6. 3. Dr. Bieringer 6. 3. Birkelbach 6. 3. Dr. Birrenbach 4. 3. Blachstein 6. 3. Dr. Bleiß 21. 3. Dr. h. c. Brauer 6. 3. Dr. von Brentano 21. 3. Corterier 6. 3. Frau Döhring 6. 3. Drachsler 6. 3. Frau Dr. Elsner 6. 3. Erler 6. 3. Gaßmann 4. 3. Gehring 6. 3. Giencke 4. 3. Freiherr zu Guttenberg 6. 3. Hahn (Bielefeld) 6. 3. Dr. Harm (Hamburg) 26. 3. Hauffe 15. 3. Hesemann 6. 3. Höhne 21. 3. Hoogen 6. 3. Kemmer 6. 3. Frau Dr. Kiep-Altenloh 6. 3. Frau Kipp-Kaule 4. 3. Klinker 6. 3. Koenen (Lippstadt) 5. 3. Dr. Kopf 6. 3. Dr. Kreyssig 6. 3. Leber 4. 3. Lenz (Bremerhaven) 15. 3. Lenz (Brühl) 6. 3. Liehr 6. 3. Dr. Löhr 20. 3. Lücker (München) * 6. 3. Frau Dr. Maxsein 6. 3. Memmel 6. 3. Michels 6. 3. Dr. h. c. Dr.-Ing. E. h. Möller 15. 3. Nellen 6. 3. Neumann (Allensbach) 4. 3. Paul 6. 3. Dr.-Ing. Phillipp 6. 3. Rademacher 6. 3. Richarts 26. 3. Ruland 21. 3. Schlick 6. 3. Dr. Schmid (Frankfurt) 4. 3. Schneider (Hamburg) 6. 3. Dr. Seffrin 6. 3. Dr. Serres 6. 3. Anlagen zum Stenographischen Bericht Abgeordneter) beurlaubt bis einschließlich Storch 6. 3. Unertl 4. 3. Weinkamm* 6. 3. Dr. Zimmer 6. 3. Zoglmann 4. 3. b) Urlaubsanträge Fürst von Bismarck 15. 3. Dr. Deist 31. 3. Dopatka 15. 3. Dr. Dr. h. c. Dresbach 21. 3. Glüsing (Dithmarschen) 17. 3. Hansing 17. 4. Kriedemann 17. 3. Frau Kuchtner 4. 7. Dr. Meyer (Frankfurt) 20. 3. Dr. Miessner 21. 3. Murr 22. 3. Dr. Pflaumbaum 22. 3. Frau Dr. Probst 17. 3. Saxowski 22. 3. Dr. Süsterhenn 14. 3. Frau Welter (Aachen) 21. 3. * Für die Teilnahme an Sitzungen des Europäischen Parlaments Anlage 2 Umdruck 401 Änderungsantrag der Abgeordneten Frau Dr. Heuser zur zweiten Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Bundeskindergeldgesetzes (BKGG) (Drucksachen IV/818, IV/1961). Der Bundestag wolle beschließen: 1. § 1 wird wie folgt geändert: a) Es wird folgender neuer Absatz 2 eingefügt: „ (2) Erfüllt der männliche Elternteil der in § 3 Abs. 2 Nr. 1 bis 4 genannten Personen die Anspruchsvoraussetzungen allein, so wird das Kindergeld dem weiblichen Elternteil des genannten Personenkreises gewährt." b) Der bisherige Absatz 2 wird Absatz 3. 2. § 3 Abs. 3 erhält folgende Fassung: „(3) Erfüllen für ein Kind Mutter und Vater die Anspruchsvoraussetzungen, so wird das Kindergeld der Mutter gewährt; es wird jedoch dem Vater gewährt, wenn ihm die Sorge für die Person des Kindes allein zusteht." Bonn, den 4. März 1964 Frau Dr. Heuser Anlage 3 Umdruck 400 Änderungsantrag der Fraktion der SPD zur zweiten Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Bundeskindergeldgesetzes (BKGG) (Drucksachen IV/818, IV/1961). Der Bundestag wolle beschließen: 1. In § 3 Abs. 5 werden die Worte „weil ihr Jahreseinkommen im Berechnungsjahr die Einkommensgrenze des § 4 Abs. 1 überstiegen hat oder" gestrichen. 2. § 4 wird gestrichen. Für den Fall der Ablehnung des Antrages unter Nr. 2. 3. In § 4 Abs. 1 werden die Worte „7200 Deutsche Mark" durch „9000 Deutsche Mark" ersetzt. 4. § 5 wird gestrichen. 5. § 17 wird gestrichen. 6. In § 18 Abs. 2 wird Satz 2 gestrichen. 7. In § 28 Abs. 1 wird Nummer 1 gestrichen. 8. In § 29 Satz 1 werden die Worte „1 oder" gestrichen. 9. In § 41 a Nr. 2 werden in Absatz 2 Satz 2 die Worte „114 Millionen Deutsche Mark" durch die Worte „15 Millionen Deutsche Mark" ersetzt. Für den Fall der Ablehnung des Antrages unter Nr. 2. 10. In § 41 a Nr. 2 werden in Absatz 2 Satz 1 die Worte „vom 1. April 1964" durch die Worte „vom 1. Mai 1964" ersetzt. Bonn, den 3. März 1964 Erler und Fraktion Anlage 4 Umdruck 398 Änderungsantrag der Fraktion der CDU/CSU zur zweiten Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Bundeskindergeldgesetzes (BKGG) (Drucksachen IV/818, IV/1961). Der Bundestag wolle beschließen: 1. In § 32 Abs. 4 Satz 1 werden die Worte „zum 31. März 1964" durch die Worte „zum 30. Juni 1964" und die Zahl „125" durch die Zahl „150" ersetzt. 2. In § 34 werden folgende Nummern 2 a und 2 b eingefügt: ,2a. dem § 1262 Abs. 3 wird folgender Satz 3 angefügt: „Im Falle der Unterbrechung oder Verzögerung der Schul- oder Berufsausbildung durch Erfüllung der gesetzlichen Wehr- oder Ersatzdienstpflicht des Kindes wird der Kinderzuschuß auch für einen der Zeit dieses Dienstes entsprechenden Zeitraum über das 25. Lebensjahr hinaus gewährt." 2 b. Dem § 1267 Abs. 1 wird folgender Satz 3 angefügt: „Im Falle der Unterbrechung oder Verzögerung der Schul- oder Berufsausbildung durch Erfüllung der gesetzlichen Wehroder Ersatzdienstpflicht des Kindes wird die Waisenrente für einen der Zeit dieses Dienstes entsprechenden Zeitraum über das 25. Lebensjahr hinaus gewährt."' 3. § 35 erhält folgende Fassung: , § 35 Änderung des Angestelltenversicherungsgesetzes Das Angestelltenversicherungsgesetz wird wie folgt geändert und ergänzt: 1. In § 39 erhält Absatz 2 Nr. 7 folgende Fassung: „7. (unverändert wie Drucksache IV/1961)" 2. In § 39 wird dem Absatz 2 folgende Nummer 8 angefügt: „8. (unverändert wie Drucksache IV/1961)" 3. In § 39 wird dem Absatz 3 folgender Satz 3 angefügt: „Im Falle der Unterbrechung oder Verzögerung der Schul- oder Berufsausbildung durch Erfüllung der gesetzlichen Wehr- oder Ersatzdienstpflicht des Kindes wird der Kinderzuschuß auch für einen der Zeit dieses Dienstes entsprechenden Zeitraum über das 25. Lebensjahr hinaus gewährt. 4. In § 44 wird dem Absatz 1 folgender Satz 3 angefügt: „Im Falle der Unterbrechung oder Verzögerung der Schul- oder Berufsausbildung durch Erfüllung der gesetzlichen Wehr- oder Ersatzdienstpflicht des Kindes wird die Waisenrente für einen der Zeit dieses Dienstes entsprechenden Zeitraum über das 25. Lebensjahr hinaus gewährt."' 4. § 36 erhält folgende Fassung: ,§ 36 Änderung des Reichsknappschaftsgesetzes Das Reichsknappschaftsgesetz wird wie folgt geändert und ergänzt: 1. In § 60 Abs. 2 erhält die Nummer 7 folgende Fassung: „7. (unverändert wie Drucksache IV/1961)" 2. In § 60 wird dem Absatz 2 folgende Nummer 8 angefügt: „8. (unverändert wie Drucksache IV/1961)" Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 118. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. März 1964 5501 3. In § 60 wird dem Absatz 3 folgender Satz 3 angefügt: „Im Falle der Unterbrechung oder Verzögerung der Schul- oder Berufsausbildung durch Erfüllung der gesetzlichen Wehr- oder Ersatzdienstpflicht des Kindes wird der Kinderzuschuß auch für einen der Zeit dieses Dienstes entsprechenden Zeitraum über das 25. Lebensjahr hinaus gewährt." 4. In § 67 wird dem Absatz 1 folgender Satz 3 angefügt: „Im Falle der Unterbrechung oder Verzögerung der Schul- oder Berufsausbildung durch Erfüllung der gesetzlichen Wehr- oder Ersatzdienstpflicht des Kindes wird die Waisenrente für einen der Zeit dieses Dienstes entsprechenden Zeitraum über das 25. Lebensjahr hinaus gewährt." 5. § 41 a Nr. 1 erhält folgende Fassung: 1. § 4 Abs. 1 erhält folgende Fassung: „(1) Das Kindergeld beträgt für das dritte und jedes weitere Kind je 50 Deutsche Mark monatlich. Das Kindergeld erhöht sich für April 1964 für ,das dritte und jedes weitere Kind zusätzlich um je 30 Deutsche Mark."' 6. In § 41 a Nr. 2 werden. in Absatz 2 Satz 1 die Worte „1. April 1964 bis zum Ablauf des dritten Monats nach .dem Monat der Verkündung des Bundeskindergeldgesetzes" durch die Worte „1. Januar bis zum 30. Juni 1964" ersetzt. 7. In § 41 a Nr. 2 erhält Absatz 2 Satz 2 und 3 folgende Fassung: „Die Zuschüsse betragen 22 Millionen Deutsche Mark monatlich. Sie werden für die ersten vier Monate des Jahres 1964 am 25. April 1964, für die späteren Monate jeweils am zehnten Tage des Monats, für den sie bestimmt sind, fällig." 8. § 41 b erhält folgende Fassung: „§ 41 b Nachzahlungen durch die Bundesanstalt Personen, die im Jahre 1964 für einen der ersten drei Monate Kindergeld für ein drittes Kind oder für einen der ersten sechs Monate Kindergeld für ein viertes oder weiteres Kind bezogen haben, wird von der Bundesanstalt der Betrag nachgezahlt, um den das bezogene Kindergeld niedriger ist als das Kindergeld, das sie erhalten hätten, wenn bereits die in § 10 Abs. 1 genannten Kindergeldsätze maßgebend gewesen wären. Der nachzuzahlende Betrag vermindert sich um den Betrag, den dieselbe Person für das Kind nach § 4 Abs. 1 Satz 2 ,des Kindergeldgesetzes in der Fassung des § 41 a Nr. 1 dieses Gesetzes erhalten hat. Die Nachzahlung ist bis zum 31. Oktober 1964 zu beantragen; die in den Sätzen 1 und 2 genannten Voraussetzungen sind glaubhaft zu machen." 9. In § 43 Satz 2 werden die Worte „am ersten Tage nach Ablauf des auf den Monat der Verkündung folgenden dritten Monats" durch die Worte „am 1. Juli 1964" ersetzt. Bonn, den 3. März 1964 Dr. Barzel und Fraktion Anlage 5 Umdruck 397 Änderungsantrag der Fraktion der SPD zur zweiten Beratung des von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Einkommensteuergesetzes (Drucksachen IV/1897, IV/1953) Der Bundestag wolle beschließen: In Artikel 1 Nr. 1 und 2 werden die Worte „1. Juli 1964" ersetzt durch die Worte „1. Januar 1964".*) Bonn, den 3. März 1964 Erler und Fraktion Anlage 6 Umdruck 396 Antrag der Fraktion der SPD zur Großen Anfrage der Fraktion der SPD betreffend Förderung der wissenschaftlichen Forschung und Aufgaben der Bildungsplanung (Drucksache IV/1829). Der Bundestag wolle beschließen: Der Bundeskanzler wird aufgefordert, dem Minister für wissenschaftliche Forschung die ungeteilte Zuständigkeit für alle Fragen im Bereich der Förderung wissenschaftlicher Forschung, der Ausbildungsförderung und der Bildungsplanung zu übertragen. Die Bundesregierung wird aufgefordert, 1. einen Bericht über den Stand und den Zusammenhang aller Maßnahmen des Bundes und der Länder auf dem Gebiet der wissenschaftlichen Forschung, der Ausbildungs- und Studentenförderung und der Bildungsplanung dem Bundestag bis zum 1. Oktober 1964 vorzuliegen; 2. darauf hinzuwirken, daß der Wissenschaftsrat sich in seinen Vorschlägen zur Finanzierung der bestehenden, auch der neuen Universitäten und Hochschulen ausschließlich an den sachlichen Erfordernissen orientieren kann; 3. dafür zu sorgen, daß ein langfristiger Plan für den Ausbau bzw. Neubau unserer Hochschulen und Universitäten, der Forschungseinrichtungen s) Siehe Seite 5434 B. 5502 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 118. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. März 1964 außerhalb der Hochschulen und der erforderlichen Maßnahmen auf dem Gebiet der Ausbildungs- und Studentenförderung unverzüglich erarbeitet wird; 4. sich in ihrer Planung davon leiten zu lassen, daß der Bedarf an wissenschaftlich ausgebildeten Menschen in vielen Bereichen ständig wächst und daß der Zugang zu einer wissenschaftlichen Ausbildung lediglich von Begabung und Leistung abhängen darf; 5. den inneren Zusammenhang. der Maßnahmen in der Wirtschafts- und Sozialpolitik einerseits und der Wissenschafts- und Bildungspolitik andererseits zu wahren; 6. mit den Bundesländern Maßnahmen zu erörtern, wie ein bestehendes Bildungsgefälle in den einzelnen Bundesländern überwunden werden kann; 7. in Verwaltungsabkommen mit den Bundesländern gemeinsame Aufgaben in der Förderung der wissenschaftlichen Forschung, der Ausbildungs- und Studentenförderung und der Bildungsplanung zu umreißen und gemeinsame Anstrengungen zur Bewältigung dieser Aufgaben zu vereinbaren. Bonn, den 3. März 1964 Erler und Fraktion Anlage 7 Umdruck 399 Antrag der Fraktion der CDU/CSU zur Großen Anfrage der Fraktion der SPD betreffend Förderung der wissenschaftlichen Forschung und Aufgaben der Bildungsplanung (Drucksache IV/1829). Der Bundestag wolle beschließen: 1. Der Bundestag ist gewillt, im Rahmen seiner verfassungsmäßigen Kompetenzen alles zu tun, um dem deutschen Volk und seiner Jugend einen auf der Höhe der Zeit stehenden, seiner Kulturtradition angemessenen Bildungs- und Leistungsstand zu gewährleisten. Er ist darum bereit, mit steigenden Mitteln an der Erreichung dieses Zieles zu arbeiten. 2. Der Bundestag appelliert im Blick auf nicht zu bestreitende Mängel und Gefahren an die Bundesregierung und an die Länderregierungen, in enger Zusammenarbeit durch gemeinsame Planung und aufeinander abgestimmte gesetzliche und finanzielle Maßnahmen zeit- und sachgerechte Lösungen sowohl im Bereich der Schule wie der Hochschulen auf allen Stufen und in allen Ländern herbeizuführen. 3. Der Bundestag bekennt sich zu seiner Mitverantwortung für die Entwicklung und Zukunft der deutschen Kultur. In ihrer Pflege über die Grenzen der Bundesländer und der Zone hinweg sieht er zugleich ein entscheidendes Mittel zur Behauptung der nationalen Einheit der Deutschen. Bonn, den 3. März 1964 Dr. Barzel und Fraktion Anlage 8 Umdruck 4021 Antrag der Abgeordneten Dr. Dichgans und Genossen zur Großen Anfrage der Fraktion der SPD betreffend Förderung der wissenschaftlichen Forschung und Aufgaben der Bildungsplanung (Drucksache IV/1829). Der Bundestag wolle beschließen: Der Bundestag begrüßt es, daß die Konferenz der Kultusminister die Dauer der Ausbildung für akademische Berufe abkürzen will. Er hält es für wünschenswert, Stoff und Ausbildungsleistung der Schulen, der Hochschulen und des Vorbereitungsdienstes so zu gestalten, daß bei normalem Studiengang das letzte Examen, das zur vollen Berufsreife führt, auch bei Ableistung ,des Wehrdienstes spätestens mit 26 Jahren abgelegt werden kann. Bonn, den 4. März 1964 Dr. Dichgans Balkenhol Bauknecht Bausch Becker Frau Brauksiepe Dr. Burgbacher Dr. Deringer Eichelbaum Dr. Dr. h. c. Friedensburg Dr. Furler Günther Illerhaus Frau Jacobi (Marl) Dr. Kanka Leonhard Maier (Mannheim) Mick Dr.-Ing. Philipp Frau Pitz-Savelsberg Rauhaus Riedel (Frankfurt) Scheppmann Dr. Schmidt (Wuppertal) Frau Schroeder (Detmold) Dr. Sinn Varelmann Dr. Wahl Wieninger Dr. Willeke Winkelheide Dr. Wuermeling Anlage 9 Umdruck 403 Antrag der Fraktion der FPD zur Großen Anfrage der SPD betreffend Förderung der wissenschaftlichen Forschung und Aufgaben der Bildungsplanung (Drucksache IV/1829). Der Bundestag wolle beschließen: 1. Der Bundestag anerkennt erneut die Förderung von Wissenschaft und Forschung als Gemeinschaftsaufgabe des Bundes und der Länder. Er fordert deshalb die Länder auf, alsbald dem „Verwaltungsabkommen zwischen Bund und Ländern zur Förderung kulturpolitischer Aufgaben" beizutreten. 2. Der Bundestag schlägt vor, ein Wissenschaftskabinett unter dem Vorsitz des Bundeskanzlers und unter Beteiligung der Bundesminister für wissenschaftliche Forschung, des Innern, der Verteidigung, der Wirtschaft und der Finanzen, zu gründen. Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 118. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. März 1964 5503 3. Der Bundestag schlägt vor, das Bundesministerium für wissenschaftliche Forschung organisatorisch und personell in den Stand zu setzen, die wichtigen Aufgaben der Forschungsplanung zu erfüllen. Dabei hat es die Einheit von Forschung und Bildung zu berücksichtigen. Eine in die Zukunft weisende Forschungspolitik ist nur möglich, wenn der Bund sich ständig einen Überblick verschafft über die Wechselwirkung von Forschung und Bildung, der Wirtschaft und der Gesellschaft. Bonn, den 4. März 1964 Freiherr von Kühlmann-Stumm und Fraktion Anlage 10 Schriftliche Begründung des Abgeordneten Meis zu dem Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes zur Förderung der Wirtschaft von Berlin (West) (Drucksache IV/1854). Mit dem Antrag auf Drucksache IV/1854 soll erreicht werden, daß eine durch das „BerlinhilfeGesetz" (BHG) vom 26. 7. 1962 hervorgerufene ernsthafte Benachteiligung der westdeutschen Konsumspirituosenindustrie beseitigt wird. Die Antragsteller sind der Ansicht, daß ein Teil der im BHG enthaltenen Präferenzen, nämlich die Umsatzsteuerpräferenzen, soweit sie für nach Westdeutschland verbrachte Spirituosen gewährt werden, nicht mehr in voller Höhe vertretbar erscheinen. Bekanntlich verfolgt das BHG die Absicht, West-Berliner Firmen wirtschaftlich und steuerlich zu begünstigen und darüber hinaus westdeutschen Unternehmen den Anreiz zu geben, nach West-Berlin zu gehen, dort Niederlassungen zu errichten und dort die Produktion aufzunehmen. Die gewährten Vergünstigungen sind so mannigfacher Art, daß es zunächst richtig sein dürfte, darzustellen, wie sie im einzelnen aussehen. Der Katalog der Vergünstigungen sieht wie folgt aus: 1. Lohn- und Einkommensteuern sind um 30 % niedriger als im Bundesgebiet. 2. Erhebliche Steuerersparnisse ergaben sich bei Investitionen, da diese im ersten Jahr mit 75 % abgeschrieben werden können. Die zusätzliche Gewährung von Investitionsprämien bis zu 10 % der Investitionssumme ist ebenfalls bedeutsam. 3. Werden Investitionen durch Darlehen in West-Berlin finanziert, so vermindern sich die Steuerverpflichtungen um 10 % - 20 % des Darlehnsbetrages. 4. Die Lagerhaltung in West-Berlin wird durch gewinnmindernde Rücklagen begünstigt. 5. Die Beförderungssteuer beim Werkfernverkehr ist um 50 % ermäßigt. 6. West-Berliner Lieferungen nach dem Bundesgebiet sind grundsätzlich von der 4 %igen Umsatzsteuer befreit. 7. Der Bezieher von West-Berliner Erzeugnissen in der Bundesrepublik erhält eine Umsatzsteuerrückvergütung in Höhe von 4 %. Nun wirken sich die Umsatzsteuervergünstigungen bei Spirituosen zwangsläufig anders aus als bei anderen Produkten, und das hat folgende Gründe. Die Umsatzsteuervergünstigungen beschränken sich bei fast allen Branchen auf die unternehmerische Leistung, was auch richtig sein muß. Bei den Spirituosen dagegen erstreckt sich die Umsatzsteuervergünstigung auch auf den Teil der Gestehungskosten, der nichts mit der unternehmerischen Leistung zu tun gehabt hat, nämlich auf den staatlich festgesetzten Monopolspritpreis. Man könnte diese Tatsache sicher dann unberücksichtigt lassen, wenn der Monopolspritpreis niedrig wäre. Bei den Selbstkosten einer einfachen Spirituose aber beträgt allein der Anteil des Monopolsprits rund 80 %. Wenn man die Berechtigung der Gewährung der Umsatzsteuervergünstigung auf einen Gegenstand wie die Spirituose prüft, muß man sich mit § 6 des BHG beschäftigen. In § 6 BHG sind die Gegenstände aufgeführt, die keinerlei Umsatzsteuervorteile haben, für die also die 2 mal 4 % Umsatzsteuervergünstigung nicht in Frage kommen. Es sind die Edelsteine und Schmucksteine (Halbedelsteine) sowie synthetische Edelsteine und Edelsteine und Schmuck in Verbindung mit diesen Steinen, Perlen, Zuchtperlen, Edelmetalle, Edelmetallegierungen, Fertigwaren aus Edelmetallen oder EdelmetallLegierungen, Quecksilber, Wismut und Kadmium sowie Legierungen aus diesen. Bei Wismut und Kadmium werden von der Umsatzsteuerbegünstigung Legierungen ausgenommen, die mehr als 3 % Anteil dieser beiden Elemente enthalten. Bei diesen Gegenständen handelt es sich also um Erzeugnisse, die einen außerordentlich hohen Rohstoffpreis haben und einen im Verhältnis dazu geringen Bearbeitungsaufwand aufweisen. Die losen Spirituosen werden in § 6 BHG bereits von den Umsatzsteuervergünstigungen ausgenommen, da man hierfür schon im Jahre 1962 das unrichtige Verhältnis zwischen hohem, für alle einheitlich staatlich festgesetztem Branntweinpreis und im Verhältnis dazu außerordentlich niedrigem Bearbeitungsanteil anerkannt hat. Nur hat hierbei der Gesetzgeber vielleicht nicht bedacht, daß schon im Umsatzsteuerrecht das Abfüllen von Spirituosen als geringfügiger Bearbeitungsvorgang und somit als nicht umsatzsteuerschädlich anerkannt wird. Während also das Abfüllen von Wein und Spirituosen sich wegen Geringfügigkeit nicht umsatzsteuerschädlich auswirkt, stellt der gleiche Vorgang in West-Berlin einen maßgeblichen Bearbeitungsvorgang dar und wird mit 2 mal 4 % Umsatzsteuerbegünstigung honoriert. Hier liegt offensichtlich ein steuersystematischer Widerspruch vor, ein Widerspruch, der in der Praxis zu einer erheblichen Benachteiligung der westdeutschen Konsumspirituose geführt hat. 5504 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 118. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. März 1964 Nun könnte man mir entgegenhalten, daß der Gesetzgeber in § 14 BHG die Möglichkeit vorgesehen hat, auftretende Mißstände durch eine Rechtsverordnung der Bundesregierung zu beseitigen. Warum sollte also der Gesetzgeber hier tätig werden? Dazu ist aber folgendes zu sagen. Aus der Systematik des BHG, besonders seines § 6, ergibt sich, daß der Sonderfall, der bei der Spirituose vorliegt, zweckmäßigerweise durch eine Änderung des § 6, der ja schon ähnliche Sonderfälle regelt, gelöst wird. Zudem ist höchste Eile geboten. Die Vielzahl der westdeutschen Spirituosenhersteller wird von Woche zu Woche notleidender. Der Konsumspirituosenabsatz in Westdeutschland geht nach uns gemachten Angaben stark zurück, da sich die in Einkaufsverbänden organisierten Handelsorganisationen Westdeutschlands das billigste Angebot — und das sind wegen der erheblichen Steuervorteile die West-Berliner — heraussuchen. Die westdeutsche Spirituosenindustrie könnte sich nicht damit abfinden, daß erst die Mehrzahl ihrer Unternehmen in Konkurs gegangen sein muß, ehe die Verwaltung das Ausmaß der Schädigung einer gesamten Sparte überblickt hat. Im Konkurrenzkampf aktive westdeutsche Firmen können die durch die billigen Berliner Angebote eingetretenen bedrohlichen Absatzrückgänge der letzten 11/2 Jahre nachweisen und sind hierzu bereit. Umsatzrückgänge von mehr als 50% werden in Westdeutschland erkennbar. Auch das Bundesfinanzministerium ist der Auffassung, daß die Voraussetzungen, im Wege einer Verordnung rechtzeitig und wirksam Hilfe zu geben, nicht vorliegen oder zumindest doch zweifelhaft sind. Das Bundesfinanzministerium hält deswegen die Änderung des Gesetzes für richtig und zweckmäßig. Bei der Prüfung des Antrages im Finanzausschuß wäre im einzelnen noch zu untersuchen, wer geschädigt wird, wenn die Umsatzsteuervergünstigungen wegfallen. Hierbei bleibt auch die Frage zu prüfen, ob nicht die gesamte Umsatzsteuervergünstigung von 2 mal 4 zu beseitigen ist, wie es auch eine Anzahl von Kollegen, die den Ihnen vorliegenden Antrag unterschrieben hat, für richtig hält. Die großen kapitalstarken, vornehmlich westdeutschen Unternehmen, die das BHG als einzige voll ausnutzen können, werden mit Sicherheit in West-Berlin bleiben. Die übrigen Vorteile des BHG sichern diesen Betrieben immer noch einen beachtlichen Wettbewerbsvorsprung gegenüber ihren westdeutschen Kollegen. Aber auch die kleinen und mittleren — meist alteingesessenen — Berliner Herstellerfirmen werden keine Schädigung durch den Wegfall der Umsatzsteuerpräferenz erfahren. Sie leiden oft ebenso unter dem Preisdruck der großen, meist westdeutschen Unternehmen in Berlin. Auch sie werden ihre Geschäfte in Zukunft machen, besonders wenn ihre Erzeugnisse, wie das ja der Fall ist, einen guten Ruf und Namen haben. Die noch verbleibenden Vorteile sichern auch diesen Betrieben einen Wettbewerbsvorsprung gegenüber ihren westdeutschen Kollegen. Bei Wegfall der Umsatzsteuervergünstigungen kann nach den mir vorliegenden Informationen mit einem Verlust von vielleicht 100 bis 130 Beschäftigten in der Spirituosenbranche in West-Berlin gerechnet werden. Wie wenig nachhaltig die Westberliner Wirtschaft von der Spirituosenindustrie unterstützt wird, ergibt sich aus einer Untersuchung, über die in der Zeitschrift „Die Ernährungswirtschaft" (Heft 12, Dezember 1963) über die Entwicklung der Westberliner Ernährungsindustrie in 1962 berichtet wird: Den höchsten Umsatzwert erreichte mit 290,8 Millionen DM die Spirituosenindustrie in West-Berlin. Sie hatte eine Zunahme von 73,6 Millionen DM oder 34 %. Dieses außergewöhnliche Ergebnis ist um so erstaunlicher, als die Beschäftigtenzahl mit 2337 nur um 102 Arbeitskräfte größer war als im Vorjahr. Ursache dieser Entwicklung ist die starke Belebung des Absatzes in das Bundesgebiet, vor allem in preiswerter Konsumware, die zumeist in hochmechanisierter Produktion hergestellt wird. Es ist zu vermuten, daß sich im Jahre 1963 die Verhältnisse ganz erheblich zuungunsten der westdeutschen Spirituosenindustrie und zugunsten der Westberliner Spirituosenindustrie verschoben haben. Bei den Beratungen im Finanzausschuß müssen wir die neuesten Ergebnisse zur Verfügung haben, um die Lage richtig beurteilen zu können. Bei der Kritik in der Öffentlichkeit ist die Frage aufgeworfen worden, ob nicht die Preispolitik der großen, vornehmlich westdeutschen Unternehmen in West-Berlin auf die Vernichtung der kleinen und mittleren Unternehmen in der Bundesrepublik hinausläuft und damit einigen kapitalstarken Firmen eine zukünftige Marktbeherrschung oder Monopolstellung in Westdeutschland sichert — das bleibt noch genau zu prüfen. Zu berücksichtigen ist weiter die Tatsache, daß auch eine Anzahl mittlerer und kleiner Berliner Firmen ihre Befürchtung geäußert hat, daß sie ebenfalls bei der jetzigen Entwicklung ihre Existenz verlieren oder Umsatzeinbußen hinnehmen muß. Alle diese Umstände sollten wir bei der Beratung nicht außer acht lassen, denn die Befürchtung, die auf die Eingaben der westdeutschen Spirituosenhersteller erhoben werden, gehen dahin, es werde bei der Beseitigung der Umsatzsteuerpräferenzen der Westberliner Wirtschaft und den Westberliner Spirituosenherstellern geschadet. Nicht unterlassen soll der Hinweis sein, daß — wie uns mitgeteilt wird — lt. Angabe der Bundesmonopolverwaltung für Branntwein im Oktober, November und Dezember 1963 von der Bundesmonopolverwaltung 60 % mehr Branntwein an die Monopolverwaltung Berlin geliefert wurde als im gleichen Zeitraum des Vorjahres. Hinzu kommen noch große Mengen an Korn- und Weindestillaten, die nach West-Berlin verbracht werden, um dort nach geringfügiger Bearbeitung mit den Berliner Vergünstigungen versehen als Fertigprodukte nach hier zu gelangen. Im Oktober, November und Dezember 1963 setzte die Bundesmonopolverwaltung in Westdeutschland Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 118. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. März 1964 5505 dagegen 3,5 % weniger Trinksprit ab als im gleichen Zeitraum des Vorjahres. Diese Zahlen — ich beschränke mich bei meinen Ausführungen bewußt auf die Zahlen des Monopols — und die sich daraus ergebende unverhältnismäßig hohe Verlagerung der Spirituosenproduktion nach West-Berlin sollte uns zu denken geben. Eine durch das BHG verursachte Entwicklung, die dahin geht, wenige Großunternehmen zu begünstigen, die Masse der mittleren und kleineren Betriebe dagegen ernsthaft zu benachteiligen, würde auf jeden Fall der von meiner Fraktion und — ich glaube sagen zu dürfen — auch von der FDP-Fraktion vertretenen Mittelstandspolitik widersprechen. Unser heutiger Wirtschaftsminister Schmücker hat sich wiederholt hierzu geäußert. Hierzu aus der Zeitschrift ,,Der Mittelstand und die Berliner Wirtschaft" einige Sätze: Aufgabe der Mittelstandspolitik ist es, eine möglichst breite, gesellschaftlich stabile und wirtschaftlich gesunde Schicht von mittleren und kleineren Existenzen in möglichst vielen Berufen und Wirtschaftsbereichen zu erhalten. Dieser politischen Aufgabe hat schon meine besondere Aufmerksamkeit als Bundestagsabgeordneter gegolten. Als Bundeswirtschaftsminister werde ich sie mit Nachdruck fortführen. Die beste Mittelstandspolitik bleibt die konsequente Durchsetzung der sozialen Marktwirtschaft. Dazu gehört, daß alle Wettbewerbsverfälschungen, die vom Staat beeinflußbar sind, abgebaut werden. Man sollte uns auch nicht entgegenhalten, daß es im normalen Ablauf der Wirtschaftsentwicklung liegt, daß die Zahl der kleinen und mittleren Betriebe immer stärker zugunsten der Großunternehmen zurückgeht. Sicherlich, auch in der Spirituosenbranche fordert der fortschreitende Konzentrationsprozeß seine Opfer. Dieser Prozeß spielte sich aber bisher in einem erträglichen Rahmen ab. Während z. B. im Jahre 1956/57 (lt. Angabe der Monopolverwaltung) 5669 Spritbezieher in Westdeutschland vorhanden waren, waren es 1961/62 noch 4792. Das ist in 5 Jahren ein Rückgang von 877 Betrieben oder rd 2,5 % im Jahr. Eine natürliche Entwicklung. Durch die nach meiner Ansicht nicht vertretbare Begünstigung der Westberliner — vornehmlich Großunternehmen — erfährt nunmehr dieser normal verlaufende Strukturwandel in Westdeutschland eine gefahrvolle Beschleunigung. Zum Schluß darf ich an Hand eines Zahlenbeispiels zu erkennen geben, wie die Auswirkungen der Vergünstigung sind, um zu beweisen, daß wir nicht etwa dem Begehren von Interessentenvereinigungen zum Opfer gefallen sind, sondern nur das Ziel verfolgen, den mittelständischen Betrieben in der Bundesrepublik in konsequenter Verfolgung unserer bisherigen Politik ihre Existenz zu erhalten. Eine Westberliner Firma bietet laut mir vorliegender Offerte Doppel-Wacholder, also 38%ige Ware, zum Preis von 3,96 DM pro 1/1 Flasche 0,7 Liter an. Auf diesen Preis bekommt der Großabnehmer laut Offerte 1 % Mengenrabatt und 4 % Umsatzsteuervergütung durch sein Finanzamt. Es verbleibt also ein Nettopreis von 3.76 DM für den Abnehmer in Westdeutschland. Die für den westdeutschen wie für den Westberliner Hersteller gleichen Preise für Monopolsprit und für Flasche, Verpackung, Verschluß und Etikett betragen für das genannte Produkt insgesamt 3,70 DM. Der westdeutsche Hersteller müßte nun, um konkurrenzfähig zu sein, mit den verbleibenden 6 Pfennigen (Differenz von 3,70 zu 3,76 DM) abdecken: die 4 % Umsatzsteuer, die Fracht, die Aromatisierungskosten, die Verwaltungs-, Vertriebs- und Herstellungskosten wie den Gewinn. Ein aussichtsloses Beginnen. Wie kann es zu einem solchen Preise kommen? Der West-Berliner Hersteller braucht die 4 % Umsatzsteuer nicht zu zahlen, sein westdeuscher Kunde bekommt außerdem 4 % Umsatzsteuerrückvergütung beim Finanzamt. Die zurückvergüteten 4 % machen in diesem unserem Falle allein 0,16 DM je Flasche aus. Diese und ähnliche Angebote beweisen u. E., daß der West-Berliner Hersteller außerdem Umsatzsteuervorteil noch weitere, nicht unerhebliche im BHG begründete Vergünstigungen hat, da er sonst einen Preis, wie z. B. von 3,76 DM, nicht einräumen könnte. Man kann demgegenüber nicht behaupten, der westdeutsche Spirituosenfabrikant habe bestimmte Vorteile, die der West-Berliner Hersteller nicht besitze. Wenn hier z. B. gedacht sein sollte an die sog. Vertriebsgesellschaft, die eine gewisse Umsatzsteuereinsparung ermöglicht, so kann gesagt werden, daß der BdF den Entwurf einer Änderung der Branntweinverwertungsordnung vorgelegt hat, die diese Vertriebsgesellschaft gegenstandslos macht. Wenn hier weiter gedacht sein sollte an die immer wieder behauptete Besserstellung größerer Brennereien in Westdeutschland den Monopolspritbeziehern gegenüber, dann ist zu sagen, daß der BdF den Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Branntweinmonopolgesetzes fertiggestellt und auch schon dem Bundesrat zugeleitet hat. Es wird darin eine höhere Besteuerung größerer Brennereien vorgesehen. Es bleibt damit bei der Tatsache, daß infolge des BHG eine Wettbewerbsverzerrung zwischen WestBerliner und westdeutscher Spirituosen vorliegt, um deren Beseitigung wir uns bemühen sollten. Ich bitte, den Antrag dem Finanzausschuß zu überweisen. Anlage 11 Schriftliche Begründung des Abgeordneten Braun zur Beratung des Antrags der Fraktion der SPD betreffend Statistik über Arbeitsunfälle von Kindern und Jugendlichen in der Landwirtschaft (Drucksache IV/1950). Nach den zur Zeit geltenden Vorschriften für die Träger der gesetzlichen Unfallversicherung für die 5506 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 118. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. März 1964 Statistik weisen die landwirtschaftlichen Berufsgenossenschaften nur statistische Angaben nach a) über angezeigte Unfälle insgesamt, ohne jede Unterteilung nach Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen und b) über die im Geschäftsjahr erstmals entschädigten Unfälle, getrennt nach Erwachsenen einerseits und Jugendlichen unter 18 Jahren andererseits, ohne Unterteilung nach Kindern unter 14 Jahren. Der Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung hat in Durchführung eines Beschlusses des Ausschusses für Arbeit, .die Anzahl der Arbeitsunfälle von Kindern in .der Landwirtschaft festzustellen, über den Berufsverband der landwirtschaftlichen Berufsgenossenschaften ermittelt, daß nur eine der landwirtschaftlichen Berufsgenossenschaften über die bestehenden Vorschriften hinaus unfallverletzte Kinder statistisch erfaßt hat. Diese Erfassung ergab, wenn ihr repräsentativer Charakter untenstellt werden würde, bei einer Umrechnung auf die Gesamtzahlen, daß in der Zeit vom 1. 1. 1951 bis zum 31. 12. 1960 etwa 2800 unfallverletzte Kinder unter 14 Jahren eine erstmalige Entschädigung erhalten haben. Aus dieser unter Vorbehalt gegebenen Zahl wurde errechnet, daß im Verhältnis der Gesamtzahl der gemeldeten Unfälle zur Gesamtzahl ,der erstmals entschädigten Unfälle etwa 18 000 bis 19 000 Arbeitsunfälle von Kindern unter 14 Jahren im genannten Zeitraum eingetreten sind. Unter Zugrundelegung dieser Zahlen hat der Bundesverband weiter errechnet, ,daß sich im ,genannten Zeitraum der Anteil ,an der Gesamtzahl von 2 917 400 gemeldeten Unfällen in der Landwirtschaft a) bei Jugendlichen unter 18 Jahren, einschl. der Kinder unter 14 Jahren, auf rd. 5 % und b) der Kinder unter 14 Jahren auf etwa 0,7 % beläuft. Der Anteil an der Gesamtzahl von 425 500 der erstmaligen Entschädigungen im gleichen Zeitraum beträgt nach dieser Rechnung a) bei Jugendlichen unter 18 Jahren einschl. der Kinder unter 14 Jahren 3,3 % und b) bei Kindern unter 14 Jahren 0,65 %. Diese Errechnung der prozentualen Anteile unfallverletzter Kinder sowohl an der Gesamtzahl der gemeldeten als auch der erstmalig entschädigten Unfälle kann jedoch keine wirkliche Übersicht vermitteln, weil die Anzahl der in der Landwirtschaft tätigen Jugendlichen und der zeitweilig tätigen oder vorübergehend mithelfenden Kinder unter 14 Jahren nicht bekannt ist und darum nicht in ein Verhältnis zur Gesamtzahl der in der Landwirtschaft Tätigen gesetzt werden kann. Sie ist darum von untergeordneter Bedeutung. Auch ein Hinweis auf die sinkende Anzahl der Arbeitsunfälle in der Landwirtschaft, auch der von Jugendlichen und Kindern, kann nicht beruhigen, weil sich auch die Anzahl der in der Landwirtschaft Beschäftigten laufend verringert. Die Anzahl der in der Landwirtschaft zeitweilig tätigen oder vorübergehend mithelfenden Kinder unter 14 Jahren dürfte dagegen konstant sein. Von Bedeutung ist die effektive Zahl der von Arbeitsunfällen betroffenen Jugendlichen und Kindern unter 14 Jahren. Diese jungen Menschen stehen entweder am Anfang ihres Berufslebens oder haben es noch nicht begonnen. Schwerwiegend ist für sie die vollkommene oder teilweise Vernichtung ihrer Arbeitskraft und die mehr oder weniger starke Beeinträchtigung ihrer Lebensfreude. Auch der Volkswirtschaft entstehen durch diese Arbeitsunfälle Verluste, die in ihrer Auswirkung kaum meßbar sind. Diese Auswrikungen der Arbeitsunfälle von Jugendlichen und von Kindern unter 14 Jahren veranlassen die Fraktion der SPD, den Antrag auf Drucksache IV/1950 zu stellen. Durch ihn soll die Möglichkeit geschaffen werden, eine genaue Übersicht über die gemeldeten Arbeitsunfälle sowohl der Jugendlichen von 14 bis 18 Jahren und der Kinder unter 14 Jahren getrennt voneinander, als auch der erstmalig entschädigten verletzten Jugendlichen von 14 bis 18 Jahren und der Kinder unter 14 Jahren, ebenfalls voneinander getrennt zu erhalten. Sie soll auch bei Kindern die Art des Unfalles und das Alter des unfallverletzten Kindes ersichtlich machen. Anlage 12 Schriftliche Antwort des Herrn Staatssekretärs Hüttebräuker vom 27. Februar 1964 auf die Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Schmidt (Gellersen) zu der Mündlichen Anfrage des Abgeordneten Dr. Kohut *). Ihre Zusatzfrage vom 12. 2. 1964 Herr Bundesminister, „Können Sie dem Hause sagen, wie sich die Handelsspannen bei Eiern im letzten halben Jahrzehnt entwickelt haben?" beantworte ich wie folgt: Eine Aufgliederung der Spannen zwischen den Erzeugerpreisen für inländische Eier in der Schale bzw. den Einfuhrpreisen frei Grenze (einschließlich Zoll/Abschöpfungen und Umsatzausgleichsteuer) für ausländische Eier einerseits und den Verbraucherpreisen andererseits für die einzelnen Handelsstufen ist nicht möglich. Die inländischen Eier werden in der Regel geliefert: vom Erzeuger an die Eiererfassungsstelle, die eine Durchleuchtung, Sortierung und Verpackung vornimmt, *) Siehe 114. Sitzung Seite 5196 D. von der Erfassungsstelle an den Großhandel, vom Großhandel an den Einzelhandel, vom Einzelhandel an Verbraucher. Die vorstehende Lieferreihe ändert sich in vielen Fällen durch Ausschaltung oder Zwischenschaltung (Großhandel-Großhandel) von Handelsstufen. Die Erzeuger liefern einen hohen Prozentsatz ihrer Eier z. B. an Krankenhäuser oder direkt an den Einzelhandel und die Verbraucher; in diesen Fällen sind die Erzeugerpreise wohl stets höher als für Lieferungen an Erfassungsstellen, und die Spannen zwischen Erzeuger- und Verbraucherpreisen sind entsprechend kleiner. Die ausländischen Eier werden von dem Importeur entweder an den Großhandel oder - in seiner zusätzlichen Eigenschaft als Großhändler. - direkt an den Einzelhandel geliefert. Bei Auslandseiern entfällt die Tätigkeit der Erfassungsstellen für Inlandseier (Durchleuchtung, Sortierung und Verpackung), weshalb die Handelsspannen im Durchschnitt bei ausländischen Eiern niedriger liegen als bei Inlandseiern. Aus Vorstehendem wollen Sie bitte entnehmen, daß die Spannen - besonders bei Inlandseiern - je nachdem, wie viele Handelsstufen eingeschaltet sind, in ihrer Höhe unterschiedlich sind. Die in der Anlage aufgeführten Spannen für die Jahre 1959-4963 ergeben sich aus den von dem Statistischen Bundesamt Wiesbaden ermittelten Erzeuger- bzw. Einfuhrpreisen (einschließlich Zoll/ Abschöpfungen und Umsatzausgleichsteuer) einerseits und den Verbraucherpreisen andererseits. Es handelt sich demnach nur um Durchschnittswerte. Anlage Entwicklung der Handelsspannen bei Eiern in der Schale in den Jahren 1959-1963 für deutsche Eier: Spanne zwischen Erzeugerpreis (unsortiert) und Verbraucherpreis (Klasse B) fürausländische Eier: Spanne zwischen Einfuhrpreis für holländische Eier (zuzüglich Zoll und Umsatzausgleichsteuer bzw. Abschöpfungsbeträge (ab 1. 8. 1962) und Verbraucherpreis für (ausländische Eier Klasse B in Pf je Stück Inlandseier 1959 1960 Auslandseier Inlandseier 1961 Inlandseier 1962 Inlandseier 1963 Auslandseier Inlandseier Auslandseier Auslandseier Auslandseier Januar 8,2 6,8 7,8 6,7 7,6 5,8 7,0 7,1 5,4 2,9 Februar 7,1 5,3 6,1 4,5 7,5 5,8 7,9 5,9 6,6 4,0 März 6,0 4,4 6,3 4,1 7,2 5,1 6,9 3,6 6,6 5,0 April 6,2 5,1 5,4 3,1 6,3 3,5 5,8 2,8 6,7 7,2 Mai 5,7 3,5 6,2 2,5 6,6 3,0 7,3 4,2 6,2 5,7 Juni 6,1 4,3 5,6 3,2 6,2 4,0 6,5 3,9 5,0 4,3 Juli 5,2 1,7 5,2 1,4 6,3 2,9 6,6 4,2 5,6 5,4 August 6,5 3,3 6,0 3,4 6,6 3,3 4,7 4,0 5,0 3,3 September 6,2 4,0 6,4 3,2 8,3 7,8 5,0 4,3 5,9 3,1 Oktober 5,5 4,1 5,9 3,9 6,9 5,0 4,0 3,2 5,7 5,3 November 5,6 3,7 5,9 4,4 6,7 6,4 4,4 1,9 5,7 6,8 Dezember 7,6 7,1 6,7 6,4 7,3 6,6 5,3 2,9 6,6 7,2
Gesamtes Protokol
Dr. Thomas Dehler (FDP):
Rede ID: ID0411800000
Ich eröffne die Sitzung.
Zunächst darf ich zwei Kollegen die Glückwünsche des Hauses zum Geburtstag aussprechen. Herr Kollege Arndgen ist am 24. Februar 70 Jahre alt geworden,

(Beifall)

Herr Kollege Bühler am 26. Februar 60 Jahre.

(Beifall.)

Beiden gelten unsere besten Wünsche.
Folgende amtliche Mitteilungen werden ohne Verlesung in den Stenographischen Bericht aufgenommen:
Der Bundesrat hat in seiner Sitzung am 28. Februar 1964 den nachstehenden Gesetzen zugestimmt bzw. einen Antrag gemäß Artikel 77 Abs. 2 GG nicht gestellt:
Gesetz zu dem Europäischen Übereinkommen vom 21. April 1961 über die internationale Handelsschiedsgerichtsbarkeit
Gesetz zu der Vereinbarung vom 17. Dezember 1962 über die Anwendung des Europäischen Übereinkommens vom 21. April 1961 über die internationale Handelsschiedsgerichtsbarkeit
Gesetz zur Aufhebung von Erwerbsbeschränkungen für Staatsangehörige und Gesellschaften der Mitgliedstaaten der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft
Drittes Gesetz zur Änderung des Zollgesetzes
Gesetz zu dem Assoziierungsabkommen vom 20. Juli 1963 zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und den mit dieser Gemeinschaft assoziierten afrikanischen Staaten und Madagaskar sowie zu den mit diesem Abkommen im Zusammenhang stehenden Abkommen.
Der Herr Präsident des Bundesrates hat am 28. Februar 1964 mitgeteilt, daß der Bundesrat in seiner Sitzung am gleichen Tage gemäß 4 77 Abs. 5 des Zollgesetzes beschlossen hat, gegen folgende Verordnungen keine Bedenken zu erheben:
Sechsunddreißigste Verordnung zur Änderung des Deutschen Zolltarifs 1963 (Waren der EGKS - 1. Halbjahr 1964)

Achtundvierzigste Verordnung zur Änderung des Deutschen Zolltarifs 1963 (Änderung des Gemeinsamen Zolltarifs der EWG - I. Teil)

Zweiundfünfzigste Verordnung zur Änderung des Deutschen Zolltarifs 1963 (Stahlzölle)

Dreiundvierzigste Verordnung zur Änderung des Deutschen Zolltarifs 1963 (Zollkontingent für Bananen - 1964).
Seine Schreiben sind als Drucksachen IV/1989 bis IV/1992 verteilt.
Die Frau Bundesministerin für Gesundheitswesen hat unter dem 20. Februar 1964 die Kleine Anfrage der Abgeordneten Dr. Jungmann, Dr. Dittrich, Dr. Willeke und Genossen betr. Gesetzgeberische Maßnahmen zur Bekämpfung der Verunreinigung der Außenluft - Drucksache IV/1847 - beantwortet. Ihr Schreiben ist als Drucksache IV/1970 verteilt.
Der Herr Bundesminister des Innern hat unter dem 21. Februar 1964 die Kleine Anfrage der Fraktion der SPD betr. Schutz des Ansehens der Bundesrepublik Deutschland - Drucksache IV/1866 - beantwortet. Sein Schreiben ist als Drucksache IV/1974 verteilt.
Der Herr Stellvertreter des Bundeskanzlers hat unter dem 24. Februar 1964 einen Bericht des Bundesministers der Justiz über die Möglichkeit einer wahrheitsgemäßen vergleichenden Werbung, der auf Grund der Regierungserklärung vom 9. Oktober 1963 dem Bundeskabinett erstattet worden ist, zusammen mit einer Entschließung, übersandt. Der Bericht und die Entschließung sind als Drucksache IV/1976 verteilt.
Der Herr Präsident des Bundesrechnungshofes hat am 27. Februar 1964 unter Bezug auf den Beschluß des Bundestages vom 14. Oktober 1959 über die Übertragung von Aufgaben auf das Bundesverwaltungsamt berichtet. Sein Schreiben wird als Drucksache IV/1996 verteilt.
Der Präsident des Bundestages hat entsprechend dem Beschluß des Bundestages vom 25. Juni 1959 die nachstehenden Vorlagen überwiesen:
Zweite Richtlinie des Rates auf dem Gebiete des Filmwesens - Drucksache IV/1975 -
an den Wirtschaftsausschuß mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor dem Plenum am 29. April 1964.
Der Präsident des Bundestages hat entsprechend dem Beschluß des Bundestages vom 23. Februar 1962 die nachstehenden Vorlagen überwiesen:
Zwölfte Verordnung zur Änderung der Einfuhrliste - Anlage zum Außenwirtschaftsgesetz - Drucksache IV/1980 -
an den Außenhandelsausschuß mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor dem Plenum am 29. April 1964
Dreizehnte Verordnung zur Änderung der Einfuhrliste -
Anlage zum Außenwirtschaftsgesetz - Drucksache IV/1981 -
an den Außenhandelsausschuß mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor dem Plenum am 29. April 1964.
Zu den in der Fragestunde der 115. Sitzung des Deutschen Bundestages am 19. Februar 1964 gestellten Fragen des Abgeordneten Dr. Kohut Nm. VI/2 und VI/3 ist inzwischen die schriftliche 'Antwort des Herrn Staatssekretärs Dr. Carstens vom 29. Februar 1964 eingegangen. Sie lautet:

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0411800100

Die Bundesregierung ist ebenso wie die frühere Bundesregierung der Auffassung, daß in Übereinstimmung mit den Grundsätzen, die in den Bundestagssitzungen vom 1. Oktober 1958 und 30. Juni 1961 zum Ausdruck gekommen sind, alle Wege beschritten werden müssen, die zu einer Wiedervereinigung Deutschlands in Frieden und Freiheit auf der Grundlage des Selbstbestimmungsrechts führen können.
In der Regierungserklärung vom 18. Oktober 1963 hat der Herr Bundeskanzler erklärt, daß Kontakte zwischen den Vereinigten Staaten und der Sowjetunion nützlich sein könnten und daß sie mit dem Ziele fortgesetzt werden sollten zu prüfen, ob es Möglichkeiten eines Abbaus der Spannungen gibt.
Der Herr Bundeskanzler hat auch erklärt, daß die Bundesregierung immer wieder die Forderung nach einer allgemeinen kontrollierten Abrüstung mit Nachdruck erhoben habe und an dieser Forderung festhalte. Da wir uns aber darüber im klaren seien, daß sie nur schrittweise verwirklicht werden könne, seien wir bereit, auch an weltweiten Teilmaßnahmen mitzuwirken, sofern sichergestellt sei, daß sie das Kräfteverhältnis zwischen Ost und West nicht zu unserem Nachteil verschieben und uns nicht diskriminieren.
Der Herr Bundeskanzler hat auch auf unsere Pflicht hingewiesen, die Aufmerksamkeit der Welt immer erneut auf die ungelöste deutsche Frage zu lenken. Die Bundesregierung erhebe auf Grund des Mandats, das ihr das Grundgesetz und das deutsche Volk erteilen, die Forderung, jede sich bietende Möglichkeit in den West-Ost-Gesprächen zu ergreifen, um hinsichtlich der Lösung des Deutschlandsproblems Fortschritte zu erzie-



Vizepräsident Dr. Dehler
len. Die Bundesregierung sei jedoch in keinem Falle bereit, eine Maßnahme zu akzeptieren, „die den unbefriedigenden Stand, in dem sich das Deutschlandproblem befindet, statt zu verbessern verschlechtern würde, sei es, daß durch sie die unnatürliche Teilung unseres Landes sanktioniert oder gefestigt würde, sei es, daß eine Anerkennung oder auch nur eine internationale Aufwertung des Regimes der sowjetisch besetzten Zone mit ihr verbunden wäre".
Die Regierungserklärung ist mit den Parteien der Regierungskoalition abgestimmt worden. Der Herr Bundeskanzler hat in seiner Erklärung hierzu gesagt:
„Diese Regierung ist eine Koalitionsregierung, die auf vertrauensvoller Partnerschaft beruht. Sie stützt sich auf gemeinsam erarbeitete Grundsätze, wie sie auch in dieser Erklärung ihren Ausdruck finden . . .
Die Bundesregierung weiß sich mit der von ihr verfolgten Politik auch heute in Übereinstimmung mit den sie tragenden Koalitionsparteien.
Wir treten in die Tagesordnung ein. Ich rufe Punkt 1 auf:
Fragestunde (Drucksachen IV/1993, IV/1999, IV/1997).
Die Frage auf Drucksache IV/1993, die den Geschäftsbereich des Bundeskanzlers und des Bundeskanzleramts angeht, wird am Donnerstag aufgerufen.
Ich rufe die Frage aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers der Justiz — des Herrn Abgeordneten Dr. Müller-Emmert — auf:
Beabsichtigt die Bundesregierung, einen Gesetzentwurf im Bundestag einzubringen, der die freiwillige Sterilisation und Kastration regelt?
Bitte, Herr Minister.

Dr. Ewald Bucher (FDP):
Rede ID: ID0411800200
Die Bundesregierung beabsichtigt, einen derartigen Gesetzentwurf einzubringen. Die Vorarbeiten dazu sind
) bereits im. Gange.

Dr. Thomas Dehler (FDP):
Rede ID: ID0411800300
Eine Zusatzfrage.

Dr. Adolf Müller-Emmert (SPD):
Rede ID: ID0411800400
Herr Minister, könnten Sie vielleicht einige kurze Angaben über die wichtigsten Punkte des materiellen Inhalts dieses Gesetzentwurfs machen?

Dr. Ewald Bucher (FDP):
Rede ID: ID0411800500
Ich kann dazu natürlich nichts Verbindliches sagen, da der Entwurf noch nicht einmal das Stadium eines Referentenentwurfs erreicht hat.
Grundlage des Entwurfs ist selbstverständlich, wie Sie es in Ihrer Frage auch erwähnen, die Freiwilligkeit. Es wird zu prüfen sein, welche Indikationen — medizinische, eugenische — in Frage kommen. Inwieweit die sozialen Gesichtspunkte berücksichtigt werden können, ist natürlich eine sehr schwierige Frage. Als Grund für eine Sterilisation oder Kastration — selbstverständlich auf freiwilliger Basis — wird etwa das in Frage kommen, was in dem gestern in der Presse erwähnten Urteil des Bundesgerichtshofs vom 13. Dezember enthalten ist.

Dr. Thomas Dehler (FDP):
Rede ID: ID0411800600
Eine weitere Zusatzfrage.

Dr. Adolf Müller-Emmert (SPD):
Rede ID: ID0411800700
Ich möchte eine weitere kurze Zusatzfrage stellen: Herr Minister, könnten Sie vielleicht Angaben darüber machen, wann dieser von Ihrem Haus erarbeitete Gesetzentwurf dem Bundeskabinett zur Verabschiedung vorgelegt werden wird?

Dr. Ewald Bucher (FDP):
Rede ID: ID0411800800
Dazu kann ich leider noch keine Angaben machen. Da es sich dabei um sehr schwierige medizinische Fragen handelt, wird es sich nicht vermeiden lassen, noch einige sachverständige Stellen dazu anzuhören.

Dr. Thomas Dehler (FDP):
Rede ID: ID0411800900
Keine weitere Frage. Ich danke dem Herrn Minister.
Ich rufe die Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Wirtschaft auf, zunächst die Frage III/1 — des Herrn Abgeordneten Seifriz —:
Sieht die Bundesregierung Möglichkeiten und ist sie gegebenenfalls bereit zu gesetzgeberischen Maßnahmen, durch die die Bankinstitute, Sparkassen etc. verpflichtet werden, ihre Schalterräume — und damit vor allem das Schalterpersonal — durch modernste Alarmeinrichtungen, kugelsichere Glaswände etc. verstärkt zu sichern?
Bitte, Herr Staatssekretär.

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0411801000
Ausreichende Schutzeinrichtungen gegen Banküberfälle liegen im ureigenen Interesse der Kreditinstitute. Die Frage, ob die Institute durch gesetzlichen Zwang zu einer verstärkten Sicherung ihrer Schalterräume angehalten werden können und sollen, wirft eine Reihe rechtlich und tatsächlich schwieriger Probleme auf, die noch der Prüfung bedürfen. Diese Prüfung wird zur Zeit in Zusammenarbeit zwischen den Bundesministerien des Innern, für Arbeit und Sozialordnung, der Justiz und für Wirtschaft vorgenommen. Die Bundesregierung wird Ihnen, Herr Abgeordneter, einen schriftlichen Bericht über das Ergebnis dieser Prüfung vorlegen.

Dr. Thomas Dehler (FDP):
Rede ID: ID0411801100
Zu einer Zusatzfrage Herr Kollege Schmitt-Vockenhausen.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0411801200
Herr Staatssekretär, ich hatte in dieser Frage die Bundesregierung schon zweimal angesprochen, ob es nicht auch durch Verhandlungen mit den Spitzenverbänden möglich ist, hier zumindest auf freiwilliger Basis zu Verbesserungen zu kommen. Ihr Haus hatte damals eine schnelle Aufnahme dieser Bemühungen zugesagt. Was ist in der Zwischenzeit geschehen?

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0411801300
Die Verhandlungen mit den Spitzenverbänden des Kreditgewerbes sind geführt worden. Die Verbände wurden nachdrücklich auf die Notwendigkeit besonderer Sicherungseinrichtungen hingewiesen.

Dr. Thomas Dehler (FDP):
Rede ID: ID0411801400
Eine weitere Frage.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0411801500
Könnten Sie, Herr Staatssekretär, in den dem Herrn Kollegen Seifriz zugesagten Bericht auch noch das Ergebnis dieser Bemühungen aufnehmen, damit ersichtlich ist, wie die Verbände reagiert haben?




Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0411801600
Jawohl.

Dr. Thomas Dehler (FDP):
Rede ID: ID0411801700
Ich rufe die Frage III/2 — des Herrn Abgeordneten Seifriz — auf:
Hält es die Bundesregierung für zweckmäßig, das Versicherungsvertragsgesetz dahin gehend zu ändern, daß Versicherungsgesellschaften zu Leistungen an Banken im Falle eines Einbruchs bzw. eines Raubes nur dann verpflichtet sind, wenn die jeweilige Bank alle Sicherungsvorkehrungen getroffen hat?

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0411801800
Eine Vorschrift, daß der Versicherer zu Leistungen an Banken im Falle eines Einbruchs oder eines Raubes nur verpflichtet ist, wenn alle Sicherungsvorkehrungen getroffen waren, würde vornehmlich den Versicherern zugute kommen, die ihre Leistungspflicht ohnehin zu begrenzen pflegen. Die Versicherer haben ihre Leistungspflicht in der Einbruchsdiebstahl- und Beraubungsversicherung eingeschränkt, indem sie sich in § 7 der Allgemeinen Versicherungsbedingungen ein außerordentliches Kündigungsrecht sowie Leistungsfreiheit bei Verletzung gesetzlicher, polizeilicher oder vereinbarter Sicherungsvorschriften vorbehalten haben. Bei der Versicherung von Geschäftsräumen ist es darüber hinaus üblich, daß bis zur Anbringung bestimmter Sicherungseinrichtungen das Risiko begrenzt wird.
Unter diesen Umständen hält die Bundesregierung eine gesetzliche Einschränkung des Versicherungsschutzes nicht für ein geeignetes Mittel, die Kreditinstitute zu zusätzlichen Vorkehrungen gegen Einbruch und Beraubung anzuhalten.

Dr. Thomas Dehler (FDP):
Rede ID: ID0411801900
Keine Zusatzfrage. Ich danke Ihnen, Herr Staatssekretär.
Ich rufe die Frage der Frau Abgeordneten Dr. Hubert aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Gesundheitswesen auf:
Entspricht es den Tatsachen, daß die Frau Bundesgesundheitsministerin bei ihrem Besuch in Kairo vor zwei Jahren versprochen hat, für einen Feldversuch zur Eindämmung der Bilharzia die notwendige Ausrüstung, Experten und Techniker sowie die notwendigen Bekämpfungsmittel, Medikamente und Impfstoffe für den Verlauf von drei Jahren zur Verfügung zu stellen, die Bundesregierung danach aber erklärt hat, sie könne Techniker, Geräte und Fahrzeuge nur entsenden, wenn Ägypten mindestens zwei Drittel der Bekämpfungsmittel, Medikamente und Impfstoffe kaufe?
Bitt, Frau Minister!

Dr. Elisabeth Schwarzhaupt (CDU):
Rede ID: ID0411802000
Es entspricht nicht den Tatsachen, daß ich bei meinem Besuch in Ägypten irgendwelche Zusagen in bezug auf das in Ihrer Frage erwähnte Fayum-Projekt gemacht hätte. Die Regierung der Vereinigten Arabischen Republik hat mich damals über ihre Wünsche für die Durchführung eines Feldversuchs zur Bekämpfung der Bilharziose in der Oase Payum unterrichtet. Ich stellte die Prüfung dieser Wünsche in Aussicht. Nach einer entsprechenden Prüfung wurden im Januar 1963, also vor über einem Jahr, für den Feldversuch über eine Million DM für Geräte, Kraftfahrzeuge und deutsche Fachkräfte bewilligt. Alle weiteren Leistungen für dieses Projekt wurden entsprechend den interministeriellen Richtlinien für Technische Hilfe im Partnerschaftswege von der VAR erwartet. Zur Zeit wird geprüft, ob ausnahmsweise noch weitere Verpflichtungen zu Lasten des Entwicklungsfonds bei der Beschaffung des Schneckenvertilgungsmittels eingegangen werden können. Eine Entscheidung darüber ist erst nach Eingang einer zur Zeit noch ausstehenden Stellungnahme der VAR möglich.

Dr. Thomas Dehler (FDP):
Rede ID: ID0411802100
Zu einer Zusatzfrage Frau Dr. Hubert!

Dr. Elinor Hubert (SPD):
Rede ID: ID0411802200
Frau Minister, sind Sie nicht der Meinung, daß zu einem solchen Versuch die notwendigen Medikamente und Impfstoffe unabdingbar dazugehören und daß man, wenn man schon von Deutschland aus bereit ist, einen solchen Versuch 'durchführen zu lassen, die erforderlichen Mittel auch wirklich vollständig gewähren und nicht verlangen sollte, daß die Ägypter Medikamente selbst kaufen?

Dr. Elisabeth Schwarzhaupt (CDU):
Rede ID: ID0411802300
Ich bin dieser Meinung nicht, Frau Hubert, sondern ich bin der Meinung, daß wie bei allen derartigen Projekten im Rahmen einer Partnerschaft Leistungen ides Landes, dem geholfen wird, und Leistungen der Bundesrepublik zusammenkommen müssen. Hier ist die Verteilung so gewesen, wie ich es Ihnen eben dargestellt habe. Wir prüfen, ob wir unsere Leistungen noch ergänzen können.

Dr. Thomas Dehler (FDP):
Rede ID: ID0411802400
Eine weitere Frage!

Dr. Elinor Hubert (SPD):
Rede ID: ID0411802500
Dann muß aber wohl in Ägypten Ihr Hilfeangebot mißverstanden worden sein?

Dr. Elisabeth Schwarzhaupt (CDU):
Rede ID: ID0411802600
Von einem Hilfeangebot von mir ist nicht die Rede gewesen. Ich glaube auch nicht, daß die verantwortlichen Persönlichkeiten in Ägypten die Gespräche, die wir dort geführt haben, so mißverstanden haben. Zusagen habe ich in bezug auf ein anderes Projekt gemacht, nämlich für das Bilharziose-Institut.

Dr. Thomas Dehler (FDP):
Rede ID: ID0411802700
Ich danke Ihnen, Frau Ministerin.
Wir kommen zu den Fragen aus dem Geschäftsbereich des Auswärtigen Amts. Ich rufe die von Herrn Abgeordneten Riedel (Frankfurt) gestellte Frage V/1 auf:
Wie beurteilt es die Bundesregierung, daß im Rahmen der deutschen Kulturarbeit im Ausland von einem deutschen Hochschullehrer die Wahrung der völkerrechtlichen Position des deutschen Staatsgebietes als „Phantom" bezeichnet wird (Professor Golo Mann in einer Veranstaltung des Goethe-Instituts in Rom) ?

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0411802800
Professor Golo Mann von der Technischen Hochschule in Stuttgart hat am 7. Febrile, ,dieses Jahres in der Deutschen Bibliothek in Rom einen Vortrag über das Thema „Ära Konrad Adenauer" gehalten. Dabei hat er die Ostpolitik des früheren Bundeskanzlers mit



Staatssekretär Lahr
der Bemerkung kritisiert, er habe in Verkennung der durch den Krieg Hitlers ,geschaffenen Tatsachen das „Phantom des Reiches" aufrechterhalten. Professor Mann hat ferner erklärt, daß nach seiner Auffassung der Verzicht auf die Forderung der Wiederherstellung des Deutschen Reiches in den Grenzen von 1937 die Grundlage eines vernünftigen Verhältnisses zu den osteuropäischen Staaten bilde.
Der Standpunkt der überwiegenden deutschen öffentlichen Meinung, einschließlich der der Bundesregierung, zu diesen Fragen ist bekannt. Die Bundesregierung respektiert die Freiheit der Meinungsäußerung; das gilt auch für Veranstaltungen der deutschen Kulturinstitute im Ausland. Sie meint jedoch, wenn Herr Professor Golo Mann es für zweckmäßig hielt, gegenwärtig die Frage der deutschen Ostgrenzen vor einem ausländischen Publikum zu behandeln, so hätte eine Persönlichkeit von seinem wissenschaftlichen Rang es sich angelegen lassen sein sollen, darauf hinzuweisen, daß in seinem Land im allgemeinen eine andere Auffassung vertreten wird, und die Argumente anzuführen, die dieser Auffassung zugrunde liegen.

Dr. Thomas Dehler (FDP):
Rede ID: ID0411802900
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Riedel.

Clemens Riedel (CDU):
Rede ID: ID0411803000
Herr Staatssekretär, ist die Bundesregierung der Auffassung, die auch die meine ist, daß die Vertretung des Postulats der freien Meinungsäußerung und die Wahrung der völkerrechtlichen Interessen unseres Landes zwei verschiedene Dinge sind?

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0411803100
Herr Abgeordneter, sicherlich sind das zwei verschiedene Dinge. Sie unter einen Hut zu bringen, ist nicht immer ganz einfach. Ich glaube, die Lösung, die sich darbietet, ist die, die ich soeben andeutete: Die Bundesregierung sollte einem Wissenschaftler — um mich deutlich auszudrücken — nicht den Mund verbieten; aber sie sollte eben erwarten, daß dieser Wissenschaftler, wenn er von der überwiegenden Meinung seines Landes abweicht, klar zum Ausdruck bringt: Was ich hier sage, ist meine persönliche Auffassung; die offizielle Auffassung meines Landes ist .eine andere. Er muß da um die Argumentation genauso bemüht sein wie um die seiner eigenen Meinung.

Dr. Thomas Dehler (FDP):
Rede ID: ID0411803200
Eine weitere Frage, Herr Abgeordneter Riedel.

Clemens Riedel (CDU):
Rede ID: ID0411803300
Herr Professor Mann hat die Wetterkarte des deutschen Fernsehens angegriffen. Wird die Bundesregierung weiterhin dafür Sorge tragen, daß in der kartographischen Darstellung unseres Landes nach innen und nach außen die Konturen unseres Staatsgebietes erhalten bleiben, die uns auch in dem Potsdamer Abkommen zugebilligt worden sind?

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0411803400
Das wire sie ganz gewiß tun, Herr Abgeordneter. Es gehört zu den laufenden Aufgaben des Auswärtigen Amtes, darauf zu achten.

Dr. Thomas Dehler (FDP):
Rede ID: ID0411803500
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Czaja.

Dr. Herbert Czaja (CDU):
Rede ID: ID0411803600
Herr Staatssekretär, darf ich aus Ihrer ersten Antwort entnehmen, daß die Bundesregierung die Auffassungen von Professor Mann nicht teilt, daß — trotz der von ihm zwar theoretisch hervorgehobenen Unrechtmäßigkeit der von Polen angestrebten Westgrenzen — die letzten zwanzig Jahre genügen, um zu erkennen, daß die Entwicklung in friedlicher Weise nicht mehr rückgängig gemacht werden könne, oder steht die Bundesregierung vielmehr auf dem Standpunkt, daß die Wiederherstellung auch nur unvollkommener Ordnung nach solchen geschichtlichen Katastrophen sehr lange Zeiträume erfordert?

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0411803700
Ich erwähnte vorhin schon, daß die Bundesregierung nicht der Auffassung von Herrn Professor Golo Mann ist. Was unsere deutsche Auffassung, die Auffassung der Bundesregierung zu dieser Frage ist, ist bei unzähligen Gelegenheiten gesagt worden. Wir sind der Auffassung, daß die Behandlung dieser Frage eine Angelegenheit einer gesamtdeutschen Regierung und diese Frage heute nicht spruchreif ist.

Dr. Thomas Dehler (FDP):
Rede ID: ID0411803800
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Friedensburg.

Dr. Ferdinand Friedensburg (CDU):
Rede ID: ID0411803900
Herr Staatssekretär, halten Sie es für richtig, daß ein Redner, der im Ausland bei einer offiziösen Gelegenheit — nämlich bei der Veranstaltung des von uns geschaffenen und unterhaltenen Goethe-Instituts — spricht, anderen Pflichten unterliegt, als wenn er sich frei als Wissenschaftler äußert?

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0411804000
Ja, Herr Abgeordneter, ich bin dieser Auffassung. Die Folgerung, die ich daraus ziehe, ist die, daß er dort nicht nur seine persönliche Auffassung bekanntgeben sollte, sondern daß er im Falle der Abweichung von der der Regierung das klar zum Ausdruck zu bringen hat. Ich würde nicht so weit gehen, von einem Wissenschaftler zu fordern, daß er stets immer nur die Auffassung der Regierung zu vertreten hat.

(Beifall bei der SPD.)


Dr. Thomas Dehler (FDP):
Rede ID: ID0411804100
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Czaja.

Dr. Herbert Czaja (CDU):
Rede ID: ID0411804200
Darf ich im Zusammenhang mit der vorletzten Antwort unterstellen, daß die Bundesregierung im Gegensatz zu Professor Mann der Auffassung ist, daß die Grundlagen eines dauerhaften Friedens durch einen Friedensvertrag nicht gewährleistet sind, der in den Fragen der deutschen Ostgrenzen von uns die völlige Kapitula-



Dr. Czaja
tion vor der geschichtlichen Vergangenheit und vor dem völkerrechtlich bestätigten Rechtsstandpunkt, den wir bisher einnehmen, verlangt? Ist vielmehr die Bundesregierung der Auffassung, daß diese Grundlage eines dauerhaften Friedens nur durch einen versöhnenden, die Rechte aller Völker wahrenden Kompromiß erreicht werden kann?

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0411804300
Die Bundesregierung ist der Auffassung, daß diese Frage später durch eine gesamtdeutsche Regierung durch Verhandlungen gelöst werden muß, und ich kann mir nicht vorstellen, daß für uns der Ausgangspunkt dieser Verhandlungen der völlige Verzicht ist.

Dr. Thomas Dehler (FDP):
Rede ID: ID0411804400
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Porzner.

Konrad Porzner (SPD):
Rede ID: ID0411804500
Herr Staatssekretär, ich möchte mich nur vergewissern: sind Sie wirklich der Ansicht, daß, wenn Professoren — unabhängig davon, ob es sich um 'außenpolitische oder innenpolitische Fragen handelt — im Ausland sprechen, vorher die Meinung der Bundesregierung darlegen müssen, bevor sie ihre eigene Meinung äußern?

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0411804600
Ich habe mich nicht über die Reihenfolge geäußert. Ich habe nur gesagt: wenn ein deutscher Wissenschaftler in einem solchen Vortrag eine persönliche Auffassung äußert, die von der der Bundesregierung abweicht, so sollte er — von mir aus hinterher — zu erkennen geben, 'daß da Meinungsverschiedenheiten bestehen; und er muß dann in einer objektiven Weise diese Meinungsverschiedenheiten erläutern und begründen.

Dr. Thomas Dehler (FDP):
Rede ID: ID0411804700
Eine weitere Frage des Herrn Abgeordneten Porzner.

Konrad Porzner (SPD):
Rede ID: ID0411804800
Herr Staatssekretär, sind Sie der Ansicht, daß .ein Unterschied darin besteht, ob ein Professor die Meinung der Bundesregierung vor oder nach seiner eigenen Meinung sagt?

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0411804900
Da sehe ich keinen wesentlichen Unterschied.

Dr. Thomas Dehler (FDP):
Rede ID: ID0411805000
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Kahn-Ackermann.

Georg Kahn-Ackermann (SPD):
Rede ID: ID0411805100
Herr Staatssekretär, ich darf Ihrer Antwort entnehmen, daß nach dem Vortrag ides Professors Mann von Ihrem Amt keine Anweisung an die Leitungen der Goethe-Institute ergangen ist, in Zukunft die Programmgestaltung in dieser Richtung einer besonderen Auswahl und Vorprüfung zu unterwerfen?

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0411805200
Nein, Herr Abgeordneter. Wir legen den Leitern der Kulturinstitute nahe, in solchen Fällen vorher, soweit das möglich ist, zu klären, inwieweit unterschiedliche Auffassungen zur Sprache kommen, und in einem Falle wie dem jetzt vorliegenden dem Redner nahezulegen, auch die von seiner eigenen abweichende Auffassung zum Ausdruck zu bringen.

Dr. Thomas Dehler (FDP):
Rede ID: ID0411805300
Eine weitere Frage.

Georg Kahn-Ackermann (SPD):
Rede ID: ID0411805400
Bedeutet das, daß inzwischen also eine entsprechende Anweisung ergangen ist, Herr Staatssekretär?

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0411805500
Meines Wissens ja, Herr Abgeordneter; aber ich glaube, da bin ich mit Ihnen einig, daß man diesen Fall zum Anlaß nehmen sollte, die Anweisung in Erinnerung zu bringen.

Dr. Thomas Dehler (FDP):
Rede ID: ID0411805600
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Mommer.

Dr. Karl Mommer (SPD):
Rede ID: ID0411805700
Herr Staatssekretär, ist die Meinung richtig, daß alle Deutschen, gleichviel, welchem Stande sie angehören, gleichviel, welcher Partei sie angehören, welcher Fraktion in diesem Hause, im Ausland verpflichtet sind, besondere Zurückhaltung zu üben und die Interessen des deutschen Volkes nachdrücklich zu vertreten?

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0411805800
Ja, dieser Auffassung bin ich, Herr Abgeordneter.

Dr. Thomas Dehler (FDP):
Rede ID: ID0411805900
Keine weitere Zusatzfrage.
Frage V/2 — des Abgeordneten Vogt —:
Nach welchen Gesichtspunkten allgemeiner Art verleiht das Goethe-Institut die Goethe-Medaille?

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0411806000
Die Goethe-Medaille wird vom Vorstand des GoetheInstituts zur Pflege deutscher Sprache und Kultur im Ausland e. V. München für wissenschaftliche, pädagogische und sonstige Verdienste um die deutsche Sprache im Ausland verliehen. Bevorzugt werden Persönlichkeiten, die sich sowohl durch ein hervorragendes wissenschaftliches Werk als auch durch besondere Verdienste um die Förderung des deutschen Sprachunterrichts in ihrem Lande ausgezeichnet haben.

Dr. Thomas Dehler (FDP):
Rede ID: ID0411806100
Frage V/3 — des Herrn Abgeordneten Vogt —:
Treffen Agenturmeldungen zu, nach denen dem polnischen Wissenschaftler Syrocki die Goethe-Medaille in Silber — wie es nach „upi" wörtlich heißt — „wegen der Verdienste, die dieser sich in seinem Heimatland um die Pflege der deutschen Sprache und Kultur erworben hat", verliehen worden ist?

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0411806200
Die Antwort lautet: Nein. Der in der Meldung der „upi" verwandte Ausdruck „in seinem Heimatland" stammt nicht vom Goethe-Institut. In der Pressenotiz, die das Goethe-Institut 1963 aus Anlaß der Verleihung der Goethe-Medaille in Silber an den polnischen Germanisten Dr. Syrocki herausgegeben hat, wurde ausgeführt:



Staatssekretär Lahr
Die Goethe-Medaille wurde ihm verliehen für Verdienste, die er sich durch seine sorgende Teilnahme an der Erhaltung und Pflege der kostbaren deutschen Bibliotheksbestände aus dem 17. Jahrhundert in Breslau und durch seine zahlreichen Bücher, Aufsätze und Vorträge in polnischer und deutscher Sprache über die deutsch-polnischen Literaturbeziehungen, insbesondere über die schlesische Barockdichtung, erworben hat.

Dr. Thomas Dehler (FDP):
Rede ID: ID0411806300
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Vogt.

Karl-Heinz Vogt (CSU):
Rede ID: ID0411806400
Herr Staatssekretär, sind Sie in der Lage, mir zu sagen, ob andere Wissenschaftler aus Ostblockländern bereits mit der GoetheMedaille bedacht worden sind?

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0411806500
Die Frage kann ich nicht beantworten. Ich bin aber gern bereit, ihr nachzugehen.

Dr. Thomas Dehler (FDP):
Rede ID: ID0411806600
Frage V/4 — des Herrn Abgeordneten Vogt :
Wie groß ist die Zahl deutscher Schulen und deutscher kultureller Einrichtungen in Polen und in den von Polen besetzten deutschen Ostgebieten?

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0411806700
Nach den polnischen statistischen Jahrbüchern der letzten Jahre gibt es in Polen und in den unter 1 polnischer Verwaltung stehenden deutschen Ostgebieten seit dem Schuljahr 1959/60 noch fünf Volksschulen deutscher Unterrichtssprache mit etwa 140 Schülern. Im Schuljahr 1954/55 wurden noch 132 Grundschulen und ein Lyzeum — ein Gymnasium — mit deutscher Unterrichtssprache gezählt, die von insgesamt 6459 deutschen Schülern und Schülerinnen, darunter 73 Oberschülern besucht wurden. Die Schulen mit deutscher Unterrichtssprache befinden sich, wie polnischen Pressemeldungen zu entnehmen isst, vermutlich überwiegend in Niederschlesien, und zwar u. a. in Breslau, Liegnitz und möglicherweise Glogau; die fünfte Schule ist wahrscheinlich in Stettin.
Aus der ständigen Beobachtung der polnischen Presse ist ersichtlich, daß in polnischen Schulen mit deutscher Unterrichtssprache nur Kinder solcher Deutschen zugelassen werden, die sich ausdrücklich als deutsche Staatsangehörige bezeichnen und nicht wie die überwiegende Zahl der noch in Polen und den deutschen Ostgebieten wohnhaften Deutschen gleichzeitig die polnische Staatsangehörigkeit besitzen. Die Zahl dieser sich als deutsche Staatsangehörige bezeichnenden Deutschen wird von der offiziösen polnischen Presse seit 1957/58 konstant mit 3000 angegeben. Von den übrigen, seit 1956/57 geschaffenen deutschen kulturellen Einrichtungen in den deutschen Ostgebieten kann infolge der Abnahme der Mitgliederzahl durch Aussiedlung der Deutschen nicht mit Sicherheit gesagt werden, ob sie heute noch bestehen. Dies gilt in erster Linie für die „Deutsche sozial-kulturelle Gesellschaft in Polen" mit Sitz in Waldenburg, deren Zweck die Kultur- und Bildungsarbeit im Bereich der Wojwodschaft Breslau war, ferner für die in zahlreichen Orten Niederschlesiens errichteten Freundschaftszirkel, deren Mitglieder hauptsächlich mit dem kulturellen Leben und 'der Literatur der sowjetischen Besatzungszone bekanntgemacht wurden. Diesowjetische Besatzungszone unterhält in Breslau ein sogenanntes Kulturzentrum mit Lesesaal, Leihbibliothek, Filmvorführungsraum und einer kleinen Verkaufsabteilung für Spielzeug und Schallplatten.

Dr. Thomas Dehler (FDP):
Rede ID: ID0411806800
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Vogt.

Karl-Heinz Vogt (CSU):
Rede ID: ID0411806900
Herr Staatssekretär, können Sie in diesem Zusammenhang Antwort darauf geben, ob es den in den polnisch verwalteten deutschen Ostgebieten verbliebenen Deutschen möglich ist, von ihrer Muttersprache Gebrauch zu machen und sie auch im Verkehr auf der Straße und sonst zu pflegen?

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0411807000
Die Nachrichten, die wir darüber haben, sind bekanntlich nicht amtlicher Natur. Unsere Handelsvertretung in Warschau, die im übrigen nur einen begrenzten Tätigkeitsbereich hat, befindet sich noch in den Anfängen ihrer Arbeit. Ich glaube, daß wir .im Laufe der Zeit besser mit amtlichen Nachrichten versehen sein werden. Das, was man aus Berichten von Reisenden hört, zeigt wohl, daß die verhältnismäßig kleine Zahl von Deutschen, die in Polen leben, im Privatleben im Gebrauch ihrer deutschen Sprache nicht behindert ist.

Dr. Thomas Dehler (FDP):
Rede ID: ID0411807100
Eine weitere Frage, Herr Abgeordneter Vogt.

Karl-Heinz Vogt (CSU):
Rede ID: ID0411807200
Darf ich Herr Staatssekretär, nach diesem Fragenkomplex — meine letzte Frage war ja im Zusammenhang mit meiner ersten und zweiten Frage gestellt worden — zusammenfassend feststellen, daß das Goethe-Institut dem polnischen Wissenschaftler Syrocki die Medaille nicht — wie es in der „upi"-Meldung heißt — wegen seiner Verdienste um die Pflege der deutschen Sprache verliehen hat, sondern lediglich um der Verdienste willen, die er sich um die Unterhaltung der Bibliothek an der Universität in Breslau erworben hat?

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0411807300
So ist es; das ist die Hauptsache. Im übrigen aber sind dabei auch seine Veröffentlichungen in deutscher und polnischer Sprache über deutsche Literatur in Betracht gezogen worden.

Dr. Thomas Dehler (FDP):
Rede ID: ID0411807400
Die Frage V/5 — des Herrn Abgeordneten Kahn-Ackermann — ist vom Fragesteller zurückgezogen.
Ich rufe auf die Frage V/6 — des Herrn Abgeordneten Dr. Mommer —:
Ist die Bundesregierung bereit, ihre Denkschrift zur Deutschland- und Berlin-Frage vom 21. Februar 1962 an die Sowjetunion und den Bericht des Abgeordneten Jaksch vom 31. Mai



Vizepräsident Dr. Dehler
1961 — Drucksache 2740 — über das Verhältnis der Bundesregierung zu den osteuropäischen Staaten so zu verbreiten, daß alle Repräsentanten des geistigen und öffentlichen Lebens der Bundesrepublik bei Erklärungen zu außenpolitischen Fragen, insbesondere im Ausland, wo Redner aus der Bundesrepublik als Repräsentanten des ganzen Volkes angesehen werden, den gemeinsamen Standpunkt der Bundesregierung und aller Parteien des Bundestages in den Fragen der Wiedervereinigung und der Friedensgestaltung kennen und berücksichtigen können?
Bitte, Herr Staatssekretär.

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0411807500
Die Bundesregierung hat ihre Denkschrift zur Deutschland- und Berlin-Frage vom 21. Februar 1962 an die Sowjetunion und den Bericht des Abgeordneten Jaksch vom 31. Mai 1961 über das Verhältnis der Bundesregierung zu den osteuropäischen Staaten bereits 1962 so verbreitet, daß die Repräsentanten der Bundesrepublik Deutschland im Ausland den Standpunkt der Bundesregierung und aller Parteien des Bundestages in den Fragen der Wiedervereinigung und der Friedensgestaltung kennen und berücksichtigen können. Neben der Veröffentlichung im Bulletin der Bundesregierung hat sie allen Auslandsvertretungen den Wortlaut ihrer Denkschrift in deutscher, englischer, französischer und spanischer Sprache zugehen lassen und die Botschaften angewiesen, die Denkschrift im Rahmen der politischen Öffentlichkeitsarbeit weitestgehend zu verbreiten. Sie hat ferner Sonderdrucke ihrer Denkschrift in verschiedenen Sprachen anfertigen lassen und sie in genügender Anzahl im Bundespresseamt bereitgehalten sowie den Auslandsvertretungen zugeleitet.
Die Bundesregierung hat veranlaßt, daß der Bericht des Abgeordneten Jaksch vom 31. Mai 1961 über das Verhältnis der Bundesregierung zu den osteuropäischen Staaten als Sonderdruck bei der Edition Atlantic-Forum Bonn, Brüssel, New York, in deutscher, englischer und französischer Sprache veröffentlicht wurde. Sie hat die Auslandsvertretungen mit 3800 Exemplaren in deutscher, 4200 in englischer, 2200 in französischer und 4600 in spanischer Sprache versehen.
Die Bundesregierung geht davon aus, daß Deutsche, die sich im Ausland öffentlich zu den Fragen der Wiedervereinigung und der Friedensgestaltung äußern, im allgemeinen mit den beiden erwähnten grundsätzlichen Dokumenten versehen sind. Im übrigen sind auch weiterhin die beiden Dokumente in mehreren Sprachen sowohl in Bonn als auch bei den Auslandsvertretungen erhältlich.

Dr. Thomas Dehler (FDP):
Rede ID: ID0411807600
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Mommer!

Dr. Karl Mommer (SPD):
Rede ID: ID0411807700
Herr Staatssekretär, wäre es bei der Vergänglichkeit des Papiers und der Fülle des Papiers, die auf die Menschen, auf die es hier ankommt, niedergeht, nicht gut, wenn man wieder einmal nachfaßte und z. B. die beiden erwähnten Dokumente in einer Broschüre erneut an die Adressen brächte, auf die es ankommt?

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0411807800
Ich halte das für eine durchaus erwägenswerte Anregung. Das Auswärtige Amt wird dem nachgehen.

Dr. Thomas Dehler (FDP):
Rede ID: ID0411807900
Eine weitere Zusatzfrage!

Clemens Riedel (CDU):
Rede ID: ID0411808000
Herr Staatssekretär, hält es die Bundesregierung für notwendig, den Wissenschaftler, an die hier offenbar gedacht ist und die sich mit Fragen der Politik beschäftigen, dauernd Rundschreiben zugehen zu lassen, in denen der Standpunkt der Regierung dargelegt wird? Glauben Sie, daß diese Wissenschaftler darauf angewiesen sind? Sollten sich solche Persönlichkeiten nicht schon von Berufs wegen und aus Eigenem um eine allgemeine Unterrichtung bemühen?

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0411808100
Ich habe den Eindruck, daß Ihre Frage eine Ergänzungsfrage zu der ersten Frage ist, die .ich vorhin beantwortet habe. Ich glaube, ich habe alles gesagt, was ich zu diesem Punkt sagen kann.

Dr. Thomas Dehler (FDP):
Rede ID: ID0411808200
Ich danke Ihnen, Herr Staatsekretär.
Vereinbarungsgemäß rufe ich jetzt die Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers der Finanzen — Drucksache IV/1993 — auf, zunächst die Frage des Herrn Abgeordneten Reichmann. Bitte, Herr Minister.

Dr. Rolf Dahlgrün (FDP):
Rede ID: ID0411808300
Darf ich die Fragen 1 und 2 zusammen beantworten, Herr Präsident?

Dr. Thomas Dehler (FDP):
Rede ID: ID0411808400
Einverstanden. Ich rufe damit auf die Fragen VII/1 und VII/2 — des Herrn Abgeordneten Reichmann —:
Ist der Bundesregierung bekannt, daß Heizöl in immer größerem Ausmaß als Dieselkraftstoff verwendet und der Fiskus damit um erhebliche Steuerbeträge geschädigt wird?
Welche Maßnahme beabsichtigt gegebenenfalls die Bundesregierung zu ergreifen, um den in Frage VII/1 geschilderten Mißbrauch zu verhindern?

Dr. Rolf Dahlgrün (FDP):
Rede ID: ID0411808500
Es ist der Bundesregierung bekannt, daß Heizöl vielfach mißbräuchlich als Dieselkraftstoff verwendet und daß dadurch das Steueraufkommen wegen der immer weiter zunehmenden Heizölverwendung vielleicht in steigendem Maße beeinträchtigt wird. Eine Möglichkeit, den Mißbrauch schlechthin zu verhindern, gibt es nicht. Eine Vergällung, an die die Bundesregierung zunächst gedacht hatte, hat sich als nicht durchführbar erwiesen. Das dafür geeignete Mittel würde auch die Verwendung als Heizöl beeinträchtigen. Eine ausreichend intensive Überwachung der zur Zeit etwa 4 Millionen Heizölverwender ist unmöglich. Die Bundesregierung beabsichtigt, das Heizöl nunmehr durch Färben und durch Zugabe eines chemischen Indikators zu kennzeichnen. Damit kann man zwar Mißbräuche nicht schlechthin ausschließen, weil das Öl als Kraftstoff verwendbar bleibt, aber man darf eine Abschrekkungswirkung und damit wenigstens eine Einschränkung der Mißbräuche erwarten. Außerdem wird dadurch der Mißbrauchsnachweis erleichtert werden.




Dr. Thomas Dehler (FDP):
Rede ID: ID0411808600
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Reichmann.

Martin Reichmann (FDP):
Rede ID: ID0411808700
Herr Minister, darf ich fragen, ob Ermittlungen angestellt worden sind, in welchem Ausmaß in etwa diese Mißbräuche erfolgt sind.

Dr. Rolf Dahlgrün (FDP):
Rede ID: ID0411808800
Wir haben uns überlegt, wieviel das sein könnte. Wir haben auch Ermittlungen versucht, sind aber gescheitert. Einen Überblick über das Ausmaß haben wir nicht. Wir vermuten nur wie auch Sie, Herr Kollege Reichmann, daß es erhebliche Mengen sein könnten.

Dr. Thomas Dehler (FDP):
Rede ID: ID0411808900
Eine weitere Frage, Herr Abgeordneter Reichmann.

Martin Reichmann (FDP):
Rede ID: ID0411809000
Herr Minister, sind Sie deshalb ebenfalls meiner Meinung, daß die mißbräuchliche Heizölverwendung, angereizt durch die sehr großen Steuerunterschiede, weiter ansteigen würde, wenn nicht baldmöglichst die von Ihnen genannten Gegenmaßnahmen ergriffen und eingeleitet würden?

Dr. Rolf Dahlgrün (FDP):
Rede ID: ID0411809100
Da haben Sie sicher recht, Herr Kollege Reichmann. Deshalb führen wir das sehr bald ein.

Dr. Thomas Dehler (FDP):
Rede ID: ID0411809200
Herr Abgeordneter Dr. Rinderspacher zu einer Zusatzfrage.

Dr. Fritz Rinderspacher (SPD):
Rede ID: ID0411809300
Herr Minister, bezieht sich die mißbräuchliche Anwendung des Heizöls nur auf die Landwirtschaft, oder sind auch in anderen Gebieten Mißbräuche festzustellen?

Dr. Rolf Dahlgrün (FDP):
Rede ID: ID0411809400
Ich nehme an, daß Mißbrauch auf allen Gebieten vorkommt.

Dr. Thomas Dehler (FDP):
Rede ID: ID0411809500
Ich rufe auf die Frage VII/3 — des Abgeordneten Maier (Mannheim) —:
Was gedenkt die Bundesregierung zu tun, um zu verhindern, daß eine Rentenerhöhung aus der Sozialversicherung bei einer Wiedergutmachungsrente in Anrechnung gebracht wird?

Dr. Rolf Dahlgrün (FDP):
Rede ID: ID0411809600
Die Frage des Herrn Abgeordneten Maier beantworte ich wie folgt. Die Frage der Anrechnung von Rentenerhöhungen aus der Sozialversicherung läßt sich nicht von der allgemeinen Frage der Anrechnung von Sozialversicherungsleistungen auf die Entschädigungsrenten nach dem Bundesentschädigungsgesetz trennen, da die Rentenerhöhungsbeträge nicht ausscheidbar sind. Der gesamte Fragenkomplex ist von der Bundesregierung auf Grund des Beschlusses des Deutschen Bundestages vom 13. Dezember 1961 — Drucksachen IV/16, IV/72, Umdruck 4 — geprüft worden. Ich darf insoweit auf die Vorlage des Herrn Bundsministers für Arbeit und Sozialordnung vom 5. Juni 1962 — Bundestagsdrucksache IV/446 — verweisen. Außerdem hat sich mit dieser Frage der Wiedergutmachungsausschuß des Deutschen Bundestages auf seiner Sitzung vom 12. Dezember 1962 befaßt. Das Ergebnis der Sitzung ist im Protokoll Nr. 13 dieses Ausschusses niedergelegt. Da sich die Sach- und Rechtslage seitdem nicht geändert hat, sehe ich keine Möglichkeit, der Bundesregierung eine Neuregelung vorzuschlagen. Ich darf jedoch auf den dem Deutschen Bundestag bereits vorliegenden Entwurf einer Novelle zum Bundesentschädigungsgesetz verweisen, in dem allgemein die Möglichkeit einer Anpassung der Renten und der Anrechnungsfreibeträge vorgesehen ist, wenn sich die Dienst- und Versorgungsbezüge der Bundesbeamten auf Grund gesetzlicher Vorschriften erhöhen.

Dr. Thomas Dehler (FDP):
Rede ID: ID0411809700
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Maier.

Josef Maier (CDU):
Rede ID: ID0411809800
Ich möchte den Herrn Minister fragen, ob ihm bekannt ist, daß im besonderen in der Wiedergutmachungsfrage diese Anrechnungen sich sehr als Härten erweisen und daß gerade die politisch, religiös und rassisch Verfolgten dadurch zu einer wesentlichen Kürzung ihrer Renten gekommen sind, so daß wir alles tun sollten, um dies zu vermeiden.

Dr. Rolf Dahlgrün (FDP):
Rede ID: ID0411809900
Dieser Umstand ist Gegenstand einer Diskussion im Ausschuß gewesen und wird auch weiter im Ausschuß behandelt werden.

Dr. Thomas Dehler (FDP):
Rede ID: ID0411810000
Eine Zusatzfrage? — Bitte, Herr Abgeordneter Jahn.

Gerhard Jahn (SPD):
Rede ID: ID0411810100
Herr Minister, sind Sie nicht der Meinung, daß die gegenwärtige Regelung, wonach ausgerechnet die Empfänger von Entschädigungsrenten, die zugleich eine Sozialrente beziehen, seit vielen Jahren infolge der Anrechnungsbestimmungen ständig eine unveränderte Rente bekommen, nicht auch für die Bundesregierung Anlaß sein muß, nach einem Ausweg zu suchen, der dieses völlig unmöglich Ergebnis endlich einmal beseitigt?

Dr. Rolf Dahlgrün (FDP):
Rede ID: ID0411810200
Herr Kollege Jahn, ich bin dafür, daß wir das im Ausschuß diskutieren. Ich bin mir auch darüber klar, daß Sie in vielen Fällen recht haben mögen und daß tatsächlich Härten vorkommen können.

Dr. Thomas Dehler (FDP):
Rede ID: ID0411810300
Eine weitere Frage, Herr Abgeordneter Jahn.

Gerhard Jahn (SPD):
Rede ID: ID0411810400
Darf ich aus Ihrer Antwort entnehmen, Herr Minister, daß die Bundesregierung nicht bereit ist, von sich aus an eine Lösung dieses Problems heranzugehen?

Dr. Rolf Dahlgrün (FDP):
Rede ID: ID0411810500
Nachdem die Arbeiten im Ausschuß laufen, halte ich es für richtig, daß wir es da machen,




Dr. Thomas Dehler (FDP):
Rede ID: ID0411810600
Frage VII/4 — des Abgeordneten Höhmann (Hessisch Lichtenau) —:
Wie weit sind die Vorarbeiten an dem im Erlaß des Bundesfinanzministers vom 13. September 1963 angekündigten Gesetz über den Zollgrenzdienst gediehen?

Dr. Rolf Dahlgrün (FDP):
Rede ID: ID0411810700
Die Frage VII/4 — des Herrn Kollegen Höhmann — beanworte ich wie folgt.
Am 9. Januar 1964 hat Herr Staatssekretär Grund von dieser Stelle aus bei der Beantwortung der Mündlichen Anfrage des Herrn Abgeordneten Fritsch eingehend die Problematik dargelegt und ausgeführt, daß die Überlegungen über ein Gesetz für den Zollgrenzdienst im Bundesfinanzministerium noch nicht abgeschlossen sind. Ich darf hierauf verweisen und ergänzend mitteilen, daß inzwischen eine Besprechung mit Vertretern der Gewerkschaften stattgefunden hat.
Bei der Bedeutung, die der in Aussicht genommenen Regelung für die Zollverwaltung und für die Beamten des Zollgrenzdienstes zukommt, bedarf es sehr eingehender und weit in die Zukunft reichender Überlegungen in rechtlicher, personeller und organisatorischer Hinsicht. Ich glaube, daß übereilte Entscheidungen nicht am Platze sind.

Dr. Thomas Dehler (FDP):
Rede ID: ID0411810800
Herr Abgeordneter Höhmann, eine Zusatzfrage.

Egon Höhmann (SPD):
Rede ID: ID0411810900
Herr Minister, in dem von mir angezogenen Erlaß wird angedeutet, daß Beamte in Zukunft bis zum 60. Lebensjahr Außendienst machen sollen. Ist dies bei Ihren Beratungen immer noch Gegenstand aller Überlegungen?

Dr. Rolf Dahlgrün (FDP):
Rede ID: ID0411811000
Wenn der Herr Präsident einverstanden ist, darf ich die Antwort auf die Frage VII/5 vorwegnehmen, die besser zu dieser Zusatzfrage, Herr Kollege Höhmann, paßt als die erste Antwort.

Dr. Thomas Dehler (FDP):
Rede ID: ID0411811100
Dann rufe ich die Frage VII/5 — des Abgeordneten Höhmann (Hessisch Lichtenau) — auf:
Bitte, Herr Minister.
Ist der Herr Bundesfinanzminister bereit, Beamte des Zollgrenzdienstes, soweit sie nicht im mittleren Innendienst der Zollverwaltung Verwendung finden können, an andere Verwaltungen freizugeben?

Dr. Rolf Dahlgrün (FDP):
Rede ID: ID0411811200
Der mittlere Innendienst der Zollverwaltung, der sich aus den Beamten des Zollgrenzdienstes ergänzt, wird in Zukunft nicht sämtliche Beamte des Zollgrenzdienstes in gleichem Ablauf aufnehmen können wie bisher. Auf der anderen Seite ist der Personalmangel im Zollgrenzdienst so erheblich, daß die zur Zeit im Innendienst nicht unterzubringenden Beamten dringend im Grenzdienst benötigt werden, wenn nicht die Aufgaben der Zollverwaltung an der Grenze gefährdet werden sollen.
Zollgrenzdienstbeamte können deshalb nach der augenblicklichen Lage nur ausnahmsweise an andere Verwaltungen abgegeben werden, wenn besondere Gründe dies rechtfertigen.
Ob die künftige Entwicklung — gegebenenfalls auch nach Erlaß eines Zollgrenzdienstgesetzes — die Abgabe der Beamten an andere Verwaltungen möglich machen wird, kann jetzt noch nicht übersehen werden.

Dr. Thomas Dehler (FDP):
Rede ID: ID0411811300
Vielleicht können Sie die Antwort auf die Frage VII/6 auch gleich geben, Herr Minister.

Dr. Rolf Dahlgrün (FDP):
Rede ID: ID0411811400
Herr Höhmann hatte eine Ergänzungsfrage, Herr Präsident.

Dr. Thomas Dehler (FDP):
Rede ID: ID0411811500
Es ist ja an sich ein Komplex. Die Zahl Ihrer Zusatzfragen, Herr Abgeordneter Höhmann, wird dadurch nicht beeinträchtigt.

Egon Höhmann (SPD):
Rede ID: ID0411811600
Herr Präsident, es ist ganz sicher nicht ein Komplex, da es sich hier um Verwaltungsdinge handelt. Auf der anderen Seite handelt es sich um die Überprüfung des Gesundheitszustandes der Beamten. Das sind zwei verschiedene Schuhe.

Dr. Thomas Dehler (FDP):
Rede ID: ID0411811700
Bitte, wollen Sie zunächst Ihre Frage stellen.

Egon Höhmann (SPD):
Rede ID: ID0411811800
Herr Minister, darf ich dann feststellen, daß die in Ihrem Erlaß angeführten Gründe nicht völlig ausreichen, weil hier lediglich gesagt wird, daß die Personallage im mittleren Innendienst eine zügige Ablösung im Grenzdienst nicht erlaube. Darf ich auf Grund Ihrer Ergänzung jetzt annehmen, daß auch die besonders schwierige Nachwuchsfrage bei den Beamten im Außendienst einer der Gründe ist, die dazu führen, die Zeit bis zum 60. Lebensjahr zu verlängern?

Dr. Rolf Dahlgrün (FDP):
Rede ID: ID0411811900
Daß das 60. Lebensjahr so etwas wie eine magische Zahl wind, glaube ich nicht, Herr Kollege Höhmann. Es kommt natürlich auf den Menschen an. Eine Vielzahl von Beamten legen auch Wert darauf, an ihrer Stelle zu bleiben. Aber im allgemeinen, Herr Kollege Höhmann, haben Sie recht. Wir leiden sehr an Nachwuchsmangel.

Dr. Thomas Dehler (FDP):
Rede ID: ID0411812000
Eine weitere Frage.

Egon Höhmann (SPD):
Rede ID: ID0411812100
Herr Minister, glauben Sie nicht auch, daß es dann besser wäre, auch noch andere Überlegungen anzuschließen, also nicht nur durch Erlasse und neue Gesetze die Dienstzeit zu verlängern, sondern auch daran zu denken, über die Gehaltsfrage etwas zu tun, um mehr Nachwuchs zu bekommen?




Dr. Rolf Dahlgrün (FDP):
Rede ID: ID0411812200
Auch die Gehaltsfrage spielt in diesem Zusammenhang selbstverständlich eine Rolle.

Dr. Thomas Dehler (FDP):
Rede ID: ID0411812300
Frage VII/6 — des Herrn Abgeordneten Höhmann (Hessisch Lichtenau) —.
Welche Erfahrungen wurden bisher bei Überwachung des Gesundheitszustandes der Beamten des Außendienstes gemacht?
Oder haben Sie noch Zusatzfragen zu der vorigen Frage?

Egon Höhmann (SPD):
Rede ID: ID0411812400
Herr Minister, bisher sind sämtliche Beamte durch die Bundeszollverwaltung mit dem Slogan geworben worden, daß man nur einige Zeit im Zollgrenzdienst in Uniform, mit Waffen, Hunden, Kraftfahrzeugen und Funk zu verbringen hätte. Würde das bedeuten, daß man die Leute, die mit diesem Werbeslogan an den Zollgrenzdienst herangeführt worden sind, zunächst einmal unter dieser Bestimmung weiterlaufen läßt und erst die Neugeworbenen unter die neue Gesetzgebung stellt, oder will man die Zusage, die man zunächst gegeben hat, jetzt wieder rückgängig machen?

Dr. Rolf Dahlgrün (FDP):
Rede ID: ID0411812500
Verehrter Herr Höhmann, .es kommt auf den Einzelfall an.
Die Frage VII/6 — des Herrn Kollegen Höhmann — beantworte ich wie folgt.
Ich nehme an, Herr Kollege, daß sich Ihre Anfrage in erster Linie auf den Zollgrenzdienst bezieht. Die Beamten des Zollgrenzdienstes sind Beamte des allgemeinen Verwaltungsdienstes. Ihr Gesundheitszustand wird deshalb auch nur in den für alle Verwaltungsbeamten vorgesehenen Fällen, z. B. bei der Einstellung, bei Dienstunfällen, bei Ruhestandsversetzungen, von Amts wegen geprüft. Einer besonderen Überwachung des Gesundheitszustandes der Beamten des Zollgrenzdienstes bedarf ,es nach den bisherigen Erfahrungen nicht. In den letzten zehn Jahren sind jährlich nur etwa 0,8 v. H. aller Beamten des Zollgrenzdienstes wegen Grenzdienstuntauglichkeit vorzeitig in den Innendienst versetzt worden.

Dr. Thomas Dehler (FDP):
Rede ID: ID0411812600
Noch eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Höhmann.

Egon Höhmann (SPD):
Rede ID: ID0411812700
Herr Minister, sind Sie nicht mit mir der Meinung, daß es ein Unterschied ist, ob ich meinetwegen, wie es die meisten Beamten zu tun haben, zehn Jahre lang Außendienst machen muß und bei Wind und Wetter die Grenze zu überwachen habe oder ob ich zu Hause in irgendeiner anderen Verwaltung in einem Büro sitze?

Dr. Rolf Dahlgrün (FDP):
Rede ID: ID0411812800
Herr Höhmann, das ist sehr schwer zu sagen. Der Aufenthalt in frischer Luft bei Wind und Wetter ist ja im allgemeinen nicht gesundheitsschädlich. Viele legen geradezu größten Wert darauf, nicht im
Büro festgebunden zu sein, sondern draußen zu arbeiten.

Dr. Thomas Dehler (FDP):
Rede ID: ID0411812900
Eine letzte Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Höhmann.

Egon Höhmann (SPD):
Rede ID: ID0411813000
Darf ich dann etwas deutlicher werden: Herr Minister, wenn also solche Beschwerden über den Gesundheitszustand und über die dauernde Belastung, die dieser Dienst mit sich bringt, bisher nicht zu Ihnen gedrungen sind, würden Sie dann vielleicht einmal die Beamten Ihres Hauses veranlassen, bei den untersten Dienststellen nachzufragen, wie es dort wirklich aussieht?

Dr. Rolf Dahlgrün (FDP):
Rede ID: ID0411813100
Herr Kollege Höhmann, das ist wirklich nicht nötig, daß ich nachfrage; denn wir

(Abg. Wehner: Wissen alles! — Heiterkeit bei der SPD)

machen uns sehr große Sorgen. Ich weiß, worauf Sie hinaus wollen, und ich bin gern bereit, Ihnen einen Überblick über die große Arbeit zu geben, die wir wegen der Beeinträchtigung der Beamten an den Zollausfallstraßen und an den Autobahnen durch die Auspuffgase der Kraftfahrzeuge durchgeführt haben. Wir haben seit Ende der fünfziger Jahre eingehende Ermittlungen in Gang gesetzt, um festzustellen, wie man Abhilfe schaffen kann. Das Thema eignet sich nicht, hier in aller Breite dargestellt zu werden. Ich bin aber gern bereit, Ihnen einmal einen Einblick darin zu geben, wie sehr die Verwaltung am Werk ist, um die sicherlich nicht gering einzuschätzenden Gefahren von ihren Beamten abzuwenden.

(Abg. Höhmann [Hessisch Lichtenau] : Dafür wäre ich sehr dankbar, Herr Minister!)


Dr. Thomas Dehler (FDP):
Rede ID: ID0411813200
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Fritsch.

Walter Fritsch (SPD):
Rede ID: ID0411813300
Herr Minister, wenn Sie schon der Meinung sind, daß Wind und Wetter eine der Gesundheit zuträgliche Einwirkung ausüben, sind Sie dann nicht mit mir der Auffassung, daß man in der von mir schon einmal angeschnittenen Frage der Errichtung von Schutzhütten dafür sorgen müßte, daß diese Unterstellmöglichkeit den Zollgrenzbeamten des Außendienstes gegeben wird, und zum zweiten, daß diese Einrichtung auch beheizbar gemacht werden muß? Ich darf darauf hinweisen, daß unsere Schutzhütten zwar errichtet werden, daß man aber nach wie vor auf seiten der zuständigen Vorgesetzten die Auffassung vertritt, daß diese Schutzhütten nicht beheizt werden sollen. Beim Grenzdienst und seinen Witterungsunbilden — denken wir besonders an den Bayerischen Wald — ist es unvermeidbar, daß die den Zollgrenzdienst versehenden Beamten oft bis auf die Haut naß werden und nicht unmittelbar anschließend an den Wohnort zurückkehren können.




Dr. Rolf Dahlgrün (FDP):
Rede ID: ID0411813400
Das war eine lange Frage, Herr Kollege. — Ich glaube, daß alles getan wird und daß auch in vernünftiger Weise alles getan wird, um zu helfen. In der Frage der Schutzhütten werde ich noch einmal Erkundigungen einziehen und Ihnen über den derzeitigen Stand berichten. Im übrigen darf ich Ihnen sagen, daß ich die Absicht habe, in aller Kürze einmal die Grenzdienststellen im Bayerischen Wald zu besuchen.

Dr. Thomas Dehler (FDP):
Rede ID: ID0411813500
Frage VII/7 — des Herrn Abgeordneten Schmidt (Wuppertal) —:
Wann ist mit dem Abschluß des Doppelbesteuerungsabkommens mit Belgien zu rechnen?
Bitte, Herr Minister.

Dr. Rolf Dahlgrün (FDP):
Rede ID: ID0411813600
Die Frage VII/7 des Herrn Kollegen Dr. Schmidt (Wuppertal) beantworte ich wie folgt.
Die Bundesregierung hat es seit jeher als dringlich angesehen, mit Belgien ein Doppelbesteuerungsabkommen abzuschließen. Die Verhandlungen, die bereits im Mai 1957 aufgenommen worden sind, führten im April 1962 zur Paraphierung eines Abkommensentwurfes. Bevor die Unterzeichnung stattfinden konnte, kam es aber in Belgien zu der umfassenden Steuerreform vom November 1962, die das belgische Steuersystem in seiner Struktur grundlegend änderte. Daraus hat sich die Notwendigkeit ergeben, verschiedene Regelungen des paraphierten Abkommensentwurfs der neuen Lage anzupassen.
Die Bundesregierung hat die erforderlichen Ändederungsvorschläge erstellt und ist im März 1963 an die belgische Regierung mit der Bitte um eine baldige Wiederaufnahme der Verhandlungen herangetreten. Die belgische Seite hat sich damit grundsätzlich einverstanden erklärt. Sie hält es jedoch für zweckmäßig, zunächst die Ausführungsbestimmungen zu dem belgischen Reformgesetz abzuwarten und dann die Verhandlungen mit den Staaten, mit denen Belgien bereits ein Doppelbesteuerungsabkommen hat, vorzuziehen.
Selbstverständlich wird sich die Bundesregierung aber auch weiterhin mit Nachdruck um eine möglichst baldige Terminvereinbarung und einen schnellen Abschluß des Abkommens bemühen.

Dr. Thomas Dehler (FDP):
Rede ID: ID0411813700
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Schmidt? — Nein.
Dann die Frage VII/8 — des Herrn Abgeordneten Dr. Schmidt (Wuppertal) ::
Wird ein Doppelbesteuerungsabkommen mit Belgien die gegenwärtig bestehende Doppelbesteuerung bei belgischen Arbeitskräften, die nach Deutschland kommen, um im Grenzraum zu arbeiten, im Hinblick auf die Arbeitsmarktlage vermeiden?
Bitte, Herr Minister.

Dr. Rolf Dahlgrün (FDP):
Rede ID: ID0411813800
Die Frage VII/8 des Herrn Abgeordneten Dr. Schmidt (Wuppertal) beantworte ich wie folgt.
Der paraphierte Entwurf enthält eine Regelung für sogenannte Grenzgänger. Das sind Arbeitnehmer, die im Grenzgebiet eines Vertragsstaates arbeiten und im Grenzgebiet des anderen Staates ansässig sind, wohin sie täglich oder zumindest wöchentlich zurückkehren. Die belgischen Grenzgänger sollen damit nur noch in Belgien besteuert werden. Da diese Regelung von den Änderungsvorschlägen nicht betroffen ist, wird sie zweifellos in das endgültige Abkommen übernommen werden. Eine Doppelbesteuerung wird damit vermieden.

Dr. Thomas Dehler (FDP):
Rede ID: ID0411813900
Eine Zusatzfrage?

Dr. Otto Schmidt (CDU):
Rede ID: ID0411814000
Läßt sich gegebenenfalls ein Abkommen über die Grenzgänger vorwegziehen, ohne daß das Doppelbesteuerungsabkommen als Ganzes abgewartet wird?

Dr. Rolf Dahlgrün (FDP):
Rede ID: ID0411814100
Herr Kollege Dr. Schmidt, Ihre Fragen in der heutigen Fragestunde werden mir Veranlassung geben, bei dem nächsten Treffen der EWG-Finanzminister Anfang April in Luxemburg den Herrn belgischen Finanzminister unmittelbar anzusprechen, um zu sehen, wie man das Ganze beschleunigen kann. Eventuell werde ich ihm dann auch diese Frage stellen.

Dr. Thomas Dehler (FDP):
Rede ID: ID0411814200
Dann die Frage VII/9 — des Herrn Abgeordneten Dr. Schmidt (Wuppertal) —:
Wie wird ein Doppelbesteuerungsabkommen mit Belgien das Schachtelprivileg im Verhältnis zu Belgien regeln?
Bitte, Herr Bundesfinanzminister!

Dr. Rolf Dahlgrün (FDP):
Rede ID: ID0411814300
Die Frage 9 — des Herrn Abgeordneten Dr. Schmidt (Wuppertal) — beantworte ich wie folgt: Dividenden, die eine in der Bundesrepublik ansässige Kapitalgesellschaft von einer belgischen Aktiengesellschaft bezieht, an der sie mit mindestens 25 % der stimmberechtigten Anteile beteiligt ist, sollen nach dem Enwurf des Doppelbesteuerungsabkommens von der deutschen Körperschaftsteuer und Gewerbeertragsteuer freigestellt werden; entsprechendes gilt, was die Beteiligung selbst anlangt, für die Gewerbekapitalsteuer und die Vermögensteuer.
Um zu vermeiden, daß deutsche Gesellschaften unter Ausnutzung dieser Regelung Einkünfte aus Drittstaaten, die sonst in der Bundesrepublik voll zu versteuern wären, über belgische Gesellschaften leiten, soll das Schachtelprivileg nur gewährt werden, wenn die belgische Gesellschaft mindestens 80 v. H. ihrer Gewinne aus Belgien bezieht.
Da die Gewährung des internationalen Schachtelprivilegs einseitig den Staat berührt, in dem die Muttergesellschaft ansässig ist, ist damit zu rechnen, daß der deutsche Änderungsvorschlag endgültig In das Abkommen aufgenommen wird.

Dr. Thomas Dehler (FDP):
Rede ID: ID0411814400
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Schmidt (Wuppertal)!



Dr. Schmidt (Wuppertal) ,(CDU/CSU) : Wird sich die Bundesregierung mit Rücksicht darauf, daß der Abschluß dieses Vertrages so lange ansteht und der Wirtschaftsverkehr zwischen Belgien und Deutschland darunter erheblich leidet, gegebenenfalls für eine Rückwirkung des Abkommens einsetzen, .wie das z. B. auch im deutsch-dänischen Doppelbesteuerungsabkommen geschehen ist?

Dr. Rolf Dahlgrün (FDP):
Rede ID: ID0411814500
Ich werde diese Frage sehr sorgfältig prüfen und ebenfalls mit dem Herrn belgischen Kollegen besprechen.

Dr. Thomas Dehler (FDP):
Rede ID: ID0411814600
Frage VII/10 — des Herrn Abgeordneten Günther —:
Hält die Bundesregierung die Anwendung staatlicher Gewalt in der Form, wie sie in Lichtenbusch bei Aachen zum Ausdruck kam, wo ein Zollbeamter am 22. Februar 1964 einen flüchtenden Schmuggler erschoß, für ein rechtmäßiges und zweckmäßiges Mittel?
Bitte, Herr Bundesfinanzminister!

Dr. Rolf Dahlgrün (FDP):
Rede ID: ID0411814700
Die Bundesregierung und ich selber bedauern wie Sie alle diesen tragischen Unglücksfall ganz außerordentlich. Die Justizbehörden in Aachen führen wegen des Verdachts der fahrlässigen Tötung Ermittlungen gegen den beteiligten Zollsekretär, durch dessen Schußwaffengebrauch der Todesfall verursacht worden ist. Das Ergebnis dieser Ermittlungen der Justiz liegt noch nicht vor. Ich kann deshalb nicht sagen, Herr Kollege Günther, ob die Voraussetzungen für den Schußwaffengebrauch nach dem Gesetz über den unmittelbaren Zwang bei Ausübung öffentlicher Gewalt durch Vollzugsbeamte des Bundes vom 10. März 1961 gegeben waren und daß damit die Handlung des Zollbeamten rechtmäßig war. Die Entscheidung darüber und damit die Antwort auf die gestellte Frage ist allein Recht und Pflicht der Justiz.
Zur Rechtslage im allgemeinen, Herr Kollege, darf ich folgendes noch kurz ausführen. Rechtsgrundlage für den Waffengebrauch durch Zollbeamte ist das bereits erwähnte Gesetz vom Jahre 1961, also ein verhältnismäßig junges Gesetz über den unmittelbaren Zwang. Nach § 9 Nr. 2 gehören Zollgrenzdienstbeamte zu den zum Gebrauch von Schußwaffen Berechtigten, wobei der Schußwaffengebrauch nach diesem Gesetz das äußerste Zwangsmittel bei Ausübung des unmittelbaren Zwanges ist. Im Grenzdienst können, wie § 11 des Gesetzes bestimmt, Schußwaffen gegen Personen gebraucht werden, die sich der wiederholten Weisung, zu halten oder die Überprüfung ihrer Person oder der etwa mitgeführten Beförderungsmittel und Gegenstände zu dulden, durch die Flucht zu entziehen versuchen. Das Anhalterecht ergibt sich aus § 71 des Zollgesetzes. Die Weisung anzuhalten, wird im allgemeinen mündlich gegeben. Sie kann nach § 11 Abs. 1 des Gesetzes über den unmittelbaren Zwang durch einen Warnschuß ersetzt werden, wenn anzunehmen ist, daß sie nicht verstanden wird. Das mit dem Schußwaffengebrauch verbundene Risiko für Leib und Leben ist gegenüber dem erzielten Erfolg, die Flucht schmuggelverdächtiger Personen zu verhindern, besonders gewissenhaft abzuwägen. Das Gesetz stellt deshalb in seinem § 4 den wichtigen Grundsatz der Verhältnismäßigkeit auf. Ein Zollgrenzdienstbeamter darf demnach nicht von der Schußwaffe Gebrauch machen, wenn er z. B. den Fliehenden durch Nachlaufen einholen kann oder einwandfrei erkennbar ist, daß der Fliehende nur wenig Schmuggelware bei sich führt. Nach § 12 darf der Zweck des Schußwaffengebrauchs nur sein, angriffs- oder fluchtunfähig zu machen. Es ist also z. B. bei Kraftfahrzeugen anzustreben, die Bereifung, den Tank, den Motor oder den Kühler zu beschädigen.
Der tragische Unglücksfall, Herr ,Kollege Günther, hat mich veranlaßt, gemeinsam mit dem federführenden Herrn Bundesminister des Innern Erwägungen darüber anzustellen, ob nicht durch eine Änderung der Vorschriften solche Vorkommnisse in Zukunft vermieden werden können. Auch sind bereits die Fraktionen des Hohen Hauses, insbesondere der Herr Vorsitzende des Innenausschusses, bei diesen Überlegungen ,eingeschaltet.

Dr. Thomas Dehler (FDP):
Rede ID: ID0411814800
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Günther!

Bernhard Günther (CDU):
Rede ID: ID0411814900
Herr Bundesminister, ist dem Unglücksschützen bekannt gewesen, welche Mengen Schmuggelware der Getötete bei sich gehabt hat, und ist ihm weiter die Nummer des Fahrzeugs bekannt gewesen? Das Moped ist ja mit einer Versicherungsnummer versehen. Hätte es auf Grund dieser Kenntnis nicht in seinem Ermessen gelegen, von der Schußwaffe Gebrauch zu machen?

Dr. Rolf Dahlgrün (FDP):
Rede ID: ID0411815000
Herr Kollege Günther, die Frage, die Sie stellen, bildet meiner Ansicht nach den Kern ides staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahrens. Ich kann dazu natürlich nur sehr schwer etwas sagen. Nach den Berichten, die ich vorliegen habe — ich muß also ausdrücklich einschränken: nach den Berichten, die ich vorliegen habe —, habe ich nicht den Eindruck, daß der beteiligte Zollsekretär das gewußt hat; denn die Stelle, an der der Unglücksfall passierte, liegt verhältnismäßig sehr weit von der Stelle entfernt, an der der Betreffende die Grenze überschritten hat. Die Beamten, die ihn dort schon anhalten wollten, haben die Streife über Funk durch eine dritte Stelle unterrichten lassen. Nach dem ganzen Sachverhalt möchte ich also glauben, daß der Zollsekretär nicht gewußt hat, um was es sich gehandelt hat. Das ist die Tragik in diesem Falle. Aber die Aufklärung obliegt der Justiz. Ich kann und darf nicht selbst ermitteln, sondern kann mich nur nach den Berichten richten.

Dr. Thomas Dehler (FDP):
Rede ID: ID0411815100
Herr Abgeordneter Günther, bitte!

Bernhard Günther (CDU):
Rede ID: ID0411815200
Herr Minister, ich bin erfreut, zu hören, daß Sie die Absicht haben, das Gesetz bzw. die Anordnungen zum Gesetz so zu ändern, daß sich solche Fälle nicht so leicht wiederholen.



Günther
Daran anknüpfend aber eine andere Frage! Sowohl auf deutscher wie auf belgischer Seite wurden in der Presse Äußerungen belgischer Zollbeamter wiedergegeben, die gesagt haben sollen: „Bei uns passiert so was nicht, daß auf Menschen geschossen wird." Meine Frage: Ist unser Gesetz bzw. unsere Anordnung strenger als die belgische? Kann nicht angestrebt werden, daß unsere Anordnungen den belgischen und holländischen Anordnungen angeglichen werden, damit wir wenigstens an der Grenze einheitliche Regelungen haben?

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0411815300
Herr Kollege Günther, das ist eine sehr schwer zu beantwortende Frage. Die Grenzen Deutschlands sehen anders aus als die Grenzen Belgiens. Wir haben sehr schwierige Grenzen! Denken Sie einmal an die Alpen, an den Bayerischen Wald, denken Sie an die Zonengrenze! Wir sollten tatsächlich mit dem federführenden Innenminister, dem Justizminister und den interessierten Abgeordneten des Innenausschusses prüfen, ob und was getan werden muß. Ich darf Sie in diesem Zusammenhang daran erinnern, daß dieses Gesetz erst im Jahre 1961 vom Bundestag einstimmig beschlossen worden ist. Wir müssen das Anhalterecht an der Grenze aufrechterhalten. Das brauchen wir so oder so.
Auf der anderen Seite glaube ich nach den Gesprächen, die ich in den letzten Tagen mit den interessierten Kollegen aus diesem Hause geführt habe, daß die Kernfrage für uns als Mitglieder des Parlaments folgende ist: Inwieweit kann ich die Beurteilung der Verhältnismäßigkeit bei Einsatz der Schußwaffe einem Beamten in einer Situation aufbürden, wo es schnell geht, wo er in einer gewissen Erregung ist? Geht das Gesetz oder gehen die Verwaltungsvorschriften da nicht über das Beurteilungsvermögen des Beamten hinaus? Das müssen wir sorgfältig prüfen. Die Prüfung soll, wie mir der Herr Vorsitzende des Innenausschusses gesagt hat, in Angriff genommen werden.

Dr. Thomas Dehler (FDP):
Rede ID: ID0411815400
Herr Abgeordneter Schmitt-Vockenhausen, sind Sie einverstanden, daß zunächst der Herr Staatssekretär des Bundesministeriums des Innern die Fragen VI/10 und 11 — des Herrn Abgeordneten Günther — beantwortet? Sonst geht die Fragestunde zu Ende. — Dann danke ich Ihnen, Herr Minister, und Sie, Herr Staatssekretär, beantworten die Frage VI/10 — des Herrn Abgeordneten Günther —.
Ist die Bundesregierung bereit zu prüfen, ob in den gesetzlichen Bestimmungen und den dienstlichen Anordnungen für die vollziehende Gewalt des Bundes die Achtung vor der Unantastbarkeit des menschlichen Lebens einen entsprechenden Niederschlag findet, wie er sich aus Artikel 2 Abs. 2 und Artikel 102 GG ableiten läßt?

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0411815500
Herr Abgeordneter, Ihre Frage 10 ist schon weitgehend vom Herrn Bundesminister der Finanzen beantwortet worden, nämlich dahin gehend, :daß zwischen den beteilgten Ressorts neuerdings überprüft wird, ob das noch sehr junge Gesetz über die Anwendung unmittelbaren Zwanges, das 1961 einstimmig verabschiedet wurde, den Verhältnissen angepaßt werden muß, die sich nun bei dem bedauerlichen Fall gezeigt haben.
Im übrigen darf ich noch darauf hinweisen, daß sich die Sondervorschriften über das Anhalterecht der Grenzorgane bereits seit 1921 in der gleichen Form als geltendes Recht finden.

Dr. Thomas Dehler (FDP):
Rede ID: ID0411815600
Ich rufe die Frage VI/11 — des Herrn Abgeordneten Günther — auf:
Hat die Bundesregierung Anstrengungen unternommen, um zu erreichen, daß der Gebrauch von Schußwaffen für Vollzugsbeamte des Bundes und der Länder nach einheitlichen Gesichtspunkten geregelt wird?
Zur Beantwortung der Herr Staatssekretär.

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0411815700
Das UZwG gilt an sich nur für den Bund und seine Sicherheitsorgane. Der Bundesinnenminister hat aber bei den Ländern angeregt, die Vorschriften dieses Gesetzes inhaltlich als Landesrecht zu übernehmen. Wir können den Ländern dieses Gesetz nicht vorschreiben. In Bayern und Nordrhein-Westfalen ist diese Anpassung des Landesrechts an das Bundesrecht inzwischen vollzogen worden. Es ist damit zu rechnen, daß die übrigen Länder im Laufe der Zeit diesen beiden Ländern folgen werden.

Dr. Thomas Dehler (FDP):
Rede ID: ID0411815800
Herr Abgeordneter Schmitt-Vockenhausen zu einer Zusatzfrage.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0411815900
Ich habe noch eine Zusatzfrage an den Herrn Finanzminister zu stellen. Herr Finanzminister, stimmen Sie mit mir überein, daß die Tatsache, daß ein Gesetz noch verhältnismäßig jung ist und vielleicht Mängel hat, nicht etwa Anlaß sein darf, nicht sofort in eine Prüfung einzutreten? Das Argument ist jetzt beim Herrn Staatssekretär wieder aufgetaucht.

Dr. Rolf Dahlgrün (FDP):
Rede ID: ID0411816000
Herr Kollege Schmitt-Vockenhausen, ich gehe sogar noch einen Schritt weiter. Ich bin Ihnen dankbar, daß Sie es aufgegriffen haben. Es ist ganz selbstverständlich, daß auch bei einem jungen Gesetz Fehler, die sich in der Praxis herausstellen, sofort beseitigt werden müssen.

Dr. Thomas Dehler (FDP):
Rede ID: ID0411816100
Eine weitere Zusatzfrage.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0411816200
Herr Minister, können wir, nachdem ich im persönlichen Gespräch feststellen konnte, daß Sie die menschlichen und auch die beamtenpolitischen Probleme sehr klar sehen, mit einer Formulierungshilfe der beteiligten Häuser rechnen, damit eine eventuelle Änderung schnell beraten werden kann?

Dr. Rolf Dahlgrün (FDP):
Rede ID: ID0411816300
Jawohl.

Dr. Thomas Dehler (FDP):
Rede ID: ID0411816400
Zu einer Zusatzfrage an den Herrn Staatssekretär.




Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0411816500
Herr Staatssekretär, ist Ihnen bekannt, daß ein weiterer Regierungsentwurf über die Anwendung unmittelbaren Zwanges im militärischen Bereich vorliegt, der meines Erachtens auch gewisse Gefahren für den Staatsbürger bringen kann, weil in bestimmten Fallen sogar ohne Warnschuß und ohne Anruf geschossen werden darf?

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0411816600
Es ist bekannt, daß ein solcher Gesetzentwurf vorliegt. Er ist vom Bundesverteidigungsministerium zu vertreten.

Dr. Thomas Dehler (FDP):
Rede ID: ID0411816700
Eine weitere Frage!

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0411816800
Wäre die Bundesregierung bereit, im Lichte dieser Erfahrungen den Entwurf noch einmal zu überprüfen?

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0411816900
Wir werden die Anregung an den Herrn Bundesminister der Verteidigung weitergeben.

Dr. Thomas Dehler (FDP):
Rede ID: ID0411817000
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Brück!

Valentin Brück (CDU):
Rede ID: ID0411817100
Herr Staatssekretär, darf ich Sie im Zusammenhang mit ;der vom Herrn Kollegen Günther ,gestellten Fragefolgendes fragen: Haben Ihre Prüfungen ergeben, daß in diesem Falle nach derzeitigem Recht dem Beamten irgendeine Schuld vorzuwerfen ist? Müssen wir in diesem Zusammenhang nicht auch an die innere Verantwortung der Beamten denken?

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0411817200
Herr Abgeordneter, ich darf hierzu auf die Antwort des Herrn Bundesministers der Finanzen verweisen. Ob den Beamten ,eine Schuld trifft oder nicht, ist durch die Justizorgane festzustellen. Das Innenministerium war nur für den Erlaß des Gesetzes federführend. Für den Vollzug ist der Bundesfinanzminister zuständig. Für die Prüfung der Schuldfrage in diesem Falle liegt die Zuständigkeit bei den Gerichten.

Dr. Thomas Dehler (FDP):
Rede ID: ID0411817300
Ich danke dem Herrn Finanzminister und dem Herrn Staatssekretär des Innenministers. Die Fragestunde ist für heute beendet.
Ich rufe auf Punkt 2 der Tagesordnung:
Beratung der Sammelübersicht 28 des Ausschusses für Petitionen (2. Ausschuß) über Anträge von Ausschüssen des Deutschen Bundestages zu Petitionen (Drucksache IV/1977).
Das Wort wird nicht gewünscht.
Es liegt der Antrag des Ausschusses vor, die in der Sammelübersicht enthaltenen Anträge anzunehmen. — Kein Widerspruch; ich stelle das Einverständnis des Hauses fest.
Ich rufe auf Punkt 3 der Tagesordnung:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Bundeskindergeldgesetzes (BKGG) (Drucksache IV/818);
Schriftlicher Bericht des Ausschusses für Arbeit (21. Ausschuß) (Drucksache IV/1961).

(Erste Beratung 55. Sitzung)

Ich danke dem Herrn 'Berichterstatter, Herrn Abgeordneten Gerlach, für seinen Schriftlichen Bericht. Eine mündliche Ergänzung des Berichts wird nicht gewünscht.
Wir treten in die Beratungen ein. Ich rufe auf § 1. Dazu liegt ein Änderungsantrag der Abgeordneten Frau Dr. Heuser vor. Er ist noch nicht verteilt; er wird die Umdruck-Nr. 401 *) bekommen. Wird der Antrag begründet? — Bitte, Frau Abgeordnete Dr. Heuser!

(Zurufe von der SPD: Liegt noch nicht vor!)

— Er muß Ihnen zunächst einmal vorgetragen werden. Ich nehme an, daß die Verteilung inzwischen erfolgt.

Dr. Hedda Heuser (FDP):
Rede ID: ID0411817400
Herr Präsident! Meine Herren und Damen! Insbesondere Sie, meine Herren, bitte ich um Aufmerksamkeit. Der Antrag, der Ihnen als Umdruck 401 vorgelegt wird, enthält zwei Änderungen zum Entwurf des Bundeskindergeldgesetzes. § 1, in dem der allgemeine Anspruch geregelt wird, soll dahin geändert werden, daß, wenn die in § 3 genannten Personen anspruchsberechtigt dergestalt sind, daß der männliche Elternteil die Voraussetzungen für die Berechtigung erfüllt, die Auszahlung des Kindergeldes an den weiblichen Elternteil erfolgt. Dementsprechend soll § 3 dahin umformuliert werden, daß, wenn Vater u n d Mutter die Anspruchsvoraussetzungen erfüllen, das Kindergeld der Mutter gewährt wird. Es wird jedoch dem Vater gewährt, wenn ihm die Sorge für die Person des Kindes allein zusteht.
In den anfänglichen Verhandlungen um dieses Projekt hat man mir entgegengehalten, die bisherige Regelung, daß die Auszahlung an den Vater erfolgte, habe man nur deswegen vornehmen können, weil die Tatsache, daß der Vater in der Regel den überwiegenden Unterhalt für die Familie leiste, ein objektives Merkmal sei, daß ihn in bezug auf die Gleichberechtigung innerhalb einer Ehe über die Situation der Frau hinaushebe. Das ist jedoch kein ausreichendes Argument, wenn man berücksichtigt, daß der Anteil ,am Familienverdienst, den die Frau durch ihre Arbeit im Haushalt und in der Familie erbringt, nach geltendem Recht dem Unterhaltsbeitrag gleichgesetzt wird, den der Mann durch seinen Verdienst bestreitet, und zwar unabhängig von der absoluten Höhe. Wenn wir im Zusammenhang mit dem Kindergeldgesetz nach einem objektiven Merkmal suchen, dann zeigt sich doch, daß die tägliche Fürsorge für die Kinder die Aufgabe der Mutter ist. In seiner Unmittelbarkeit dem Kind
*) Siehe Anlage 2



Frau Dr. Heuser
gegenüber scheint mir das das hervorstechendere Merkmal zu sein. Wenn das Kindergeld dafür gedacht ist, den Familien die Sorge für die Kinder zu erleichtern, dann sehe ich nicht ein, warum dieses Geld an die Person, deren Aufgabe die unmittelbare Sorge für die Kinder ist, erst auf einem Umweg oder unter Umständen gar nicht herankommen soll.
In Frankreich und in Schweden besteht diese Regelung schon seit Jahren und wird dort mit Erfolg durchgeführt. Eine schwedische Kollegin hat mir auf meine Anfrage gesagt, daß gerade die Mütter, die nicht berufstätig sind, dies als eine Aufwertung ihres sozialen Status besonders begrüßen. Aus Frankreich habe ich eine Zuschrift bekommen, die sich mehr mit dem Mißbrauch des Kindergeldbetrages durch den Vater befaßt. Um einen solchen Mißbrauch zu vermeiden, ist man dort dazu übergegangen, das Kindergeld an die Mutter auszuzahlen. Ich erwähne dies nur, möchte aber ausdrücklich betonen, daß es mir nicht primär darauf ankommt, Mißbrauch zu vermeiden, obwohl das eine sehr begrüßenswerte und durchaus beabsichtigte Folge sein würde. Ich will vielmehr ganz generell sagen, daß dies eine Maßnahme wäre — man spricht so viel davon, daß die Frauen, die zu Hause sind, ihre Familien versorgen und „Nur-Hausfrauen" sind, eine sozial vergessene Gruppe seien —, um dieser sogenannten sozial vergessenen Gruppe eine Anerkennung zu bringen.
Im Ausschuß ist ein Kompromißvorschlag gemacht worden, den Sie in der Drucksache IV/1961 finden. Er besagt, beim Antrag sollten die Anspruchsberechtigten selber entscheiden, wer das Kindergeld ausgezahlt bekommen soll, die Mutter oder der Vater. Das hört sich zunächst recht liberal an. Ich bitte Sie aber, folgendes zu bedenken: Wenn in einer Familie darüber Unstimmigkeiten bestehen und eine solche Entscheidung dort gefällt werden soll, dann können Sie doch wohl sicher sein, daß das immer zugunsten des Vaters ausgeht. Ich glaube also, daß damit nicht das erreicht wird, was wir erreichen wollten.
Vor einigen Wochen hat dieses Hohe Haus eine Enquete über die Situation der Frau in der Gesellschaft und in der Familie behandelt. Meine Herren und Damen, Sie haben damit gezeigt, daß Sie Verständnis für die veränderte Situation der Frauen in unserer heutigen Welt haben. Hier haben Sie eine Gelegenheit, Ihr Verständnis zu beweisen. Ich glaube, daß Sie damit den Menschen eine Anerkennung in ihrem sozialen, in ihrem gesellschaftspolitischen Status verschaffen könnten, denen wir alle alles verdanken: nämlich unseren Müttern.

(Beifall bei der FDP.)


Dr. Thomas Dehler (FDP):
Rede ID: ID0411817500
Das Wort hat der Herr Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung.

Theodor Blank (CDU):
Rede ID: ID0411817600
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Gedanke, das Kindergeld nicht dem Vater, sondern der Mutter zu geben, ist nicht neu. Wir haben uns mit ihm bereits vor zehn Jahren auseinandergesetzt, als das Kindergeldgesetz geschaffen wurde.
Ich gebe freimütig zu, daß ich für die Motive, die hinter diesem Antrag stehen, volles Verständnis habe. Wir sind aber damals zu dem Ergebnis gekommen, daß es richtig ist, das Kindergeld dem Elternteil zu geben, der für das Kind finanziell aufzukommen hat. Da dies im allgemeinen der Vater ist, erhält er nach bisherigem Recht auch das Kindergeld.
Die Regierungsvorlage sieht jedoch vor, daß das Kindergeld der Mutter gewährt wird, wenn diese das Kind überwiegend unterhält. So hatte es zunächst auch der Ausschuß beschlossen. Dann wurde von seiten der heutigen Antragsteller der Wunsch geäußert, daß Kindergeld doch generell der Mutter zu geben. Der Ausschuß hat daraufhin seinen Beschluß noch einmal überprüft. Er ist zu einer, wie ich glaube, wahrhaft salomonischen Entscheidung gekommen. Er hat beschlossen, das Kindergeld dem Elternteil zu geben, auf den sich die Eltern einigen. Kommt keine Einigung zustande, so bekommt das Kindergeld derjenige von ihnen, der das Kind überwiegend unterhält. Das Vormundschaftsgericht kann das Kindergeld jedoch im Interesse der Kinder auch dem anderen Elternteil zusprechen.
Ich glaube, eine bessere Lösung, die dem Wesen der Ehe gemäßer wäre, läßt sich einfach nicht finden.

(Zustimmung bei der CDU/CSU.)

Zu dem Antrag, das Kindergeld der Mutter zu geben, ist aber noch etwas anderes zu sagen. Ich hatte das Bundesjustizministerium gebeten, noch einmal zu prüfen, ob eine solche Regelung, wie sie der Änderungsantrag vorsieht, mit dem Grundgesetz vereinbar sei. Ich habe gestern vom Herrn Bundesjustizminister die schriftliche Antwort erhalten. Er schreibt: Eine Regelung, nach der das Kindergeld allgemein der Mutter gewährt wird, nach der die Mutter das Kindergeld also im Unterschied zur Regierungsvorlage auch dann erhält, wenn sie das Kind nicht überwiegend unterhält, ist mit Artikel 3 Abs. 2 und 3 des Grundgesetzes nicht vereinbar.
Ich bitte daher, es in diesem Punkte bei der Ausschußfassung zu belassen und den Änderungsantrag abzulehnen. Meine Damen und Herren, die Lösung, die der Ausschuß gefunden hat, ist, wie ich glaube, sehr praktikabel, ist dem Wesen der Ehe gemäß, und wir sollten uns nach dieser klaren Stellungnahme des Bundesjustizministeriums nicht der Gefahr aussetzen, daß die Verfassungsmäßigkeit unseres Gesetzes angezweifelt wird; damit würde ja schließlich niemandem gedient sein.

Dr. Thomas Dehler (FDP):
Rede ID: ID0411817700
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Gerlach.

Horst Gerlach (SPD):
Rede ID: ID0411817800
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Antrag der Kollegin Frau Dr. Heuser ist ja bereits am 28. Februar in Schwabach angekündigt worden. Im Grundsatz kann ich mich den Ausführungen des Herrn Bundesarbeitsministers anschließen und nur sagen, daß die jetzige Ausschuß-



Gerlach
fassung von einer gesunden Familiensituation ausgeht; das heißt, daß die Eltern, also Vater und Mutter, gleichmäßig empfangsberechtigt sind und die Verwendung bestimmen können. Nur für den Zweifelsfall ist hier eine Regelung nach der einen oder der anderen Seite getroffen.

Dr. Thomas Dehler (FDP):
Rede ID: ID0411817900
Herr Abgeordneter Gerlach, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

(Abg. Gerlach: Bitte sehr!)


Dr. Emmy Diemer-Nicolaus (FDP):
Rede ID: ID0411818000
Herr Kollege, sind Sie sich bewußt, daß, wenn die Familienverhältnisse gesund sind, man am besten ohne gesetzliche Regelung auskommt, daß aber gerade für die Fälle, wo in der Ehe etwas nicht stimmt, klare gesetzliche Bestimmungen angebracht sind?

Horst Gerlach (SPD):
Rede ID: ID0411818100
Vielen Dank, Frau Kollegin. Aber Sie finden ja in § 3 Abs. 3 diese Ausnahmen geregelt; es bedarf daher keiner weiteren Ergänzung. Außerdem darf man davon ausgehen, daß 60 % des Kindergeldes per Postbarscheck zugestellt werden; im allgemeinen ist die Frau also schon „am Drücker", möchte ich sagen, wenn der Postbote die Tür aufmacht. Ich finde, die jetzige Ausschußfassung ist, wenn Sie so wollen, Frau Kollegin Dr. Heuser, auch in Ihrem Sinne die liberalste Lösung. Ich bitte daher, den Antrag abzulehnen.

(Beifall bei der SPD.)


Dr. Thomas Dehler (FDP):
Rede ID: ID0411818200
Der Antrag kann noch nicht verteilt werden. Ich will ihn deswegen noch einmal verlesen:
§ 1 wird wie folgt geändert:
a) Es wird folgender neuer Abs. 2 eingefügt:

(2) Erfüllt der männliche Elternteil der in § 3 Abs. 2 Nrn. 1 bis 4 genannten Personen die Anspruchsvoraussetzungen allein, so wird das Kindergeld dem weiblichen Elternteil des genannten Personenkreises gewährt.

b) Der bisherige Abs. 2 wird Abs. 3.
Einverständnis, daß wir darüber abstimmen. — Wer zustimmt, gebe bitte Handzeichen. — Gegenprobe! — Der Antrag ist abgelehnt.
Wir können dann über § 1 abstimmen. Wer zustimmt, gebe bitte Zeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — § 1 ist angenommen.
§ 2. Wer zustimmt, gebe bitte Zeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Einstimmige Annahme.
Ich rufe § 3 auf. Hier liegt zunächst ein Änderungsantrag von Frau Dr. Heuser zu Abs. 3 vor. Frau Dr. Heuser, wollen Sie den Antrag begründen, oder ist er erledigt? —

(Zurufe.) —.Er ist zurückgezogen.

Auf Umdruck 400 *) liegt unter Ziffer 1 ein Änderungsantrag der Fraktion der SPD vor. Wird er begründet? — Bitte, Herr Abgeordneter Gerlach.

Horst Gerlach (SPD):
Rede ID: ID0411818300
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der erste Teil des vorliegenden Änderungsantrags der Bundestagsfraktion der Sozialdemokratischen Partei auf Umdruck 400 bezweckt mit der Streichung des § 4 des Gesetzentwurfs die Aufhebung der Einkommensgrenze beim Zweitkindergeld und berücksichtigt bereits den damit zusammenhängenden Fortfall der in Ziffer 1 des Umdrucks 400 angeführten Worte des § 3 Abs. 5 sowie aller Paragraphen, die auf die Einkommensgrenze beim Zweitkindergeld Bezug nehmen.
Bei den Beratungen im Ausschuß wurde von den Vertretern aller Fraktionen die Aufhebung der Einkommensgrenze im Sinne einer dynamischen, folgerichtigen Familienpolitik als wünschenswert und richtig anerkannt. Die Mehrheit des Ausschusses hielt aber den Fortfall „zur Zeit" nicht für möglich und hat einen entsprechenden Antrag der Vertreter der SPD-Fraktion nicht nur zu meinem und meiner politischen Freunde Bedauern, sondern auch und vor allem zum Bedauern der Betroffenen abgelehnt. Bei der Sachverständigenanhörung in der Ausschußsitzung hat der Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft der deutschen Familienorganisationen, Herr Dr. Hutter, sehr deutlich unterstrichen, daß die Bundesrepublik unter allen westlichen Ländern, insbesondere auch unter den EWG-Ländern, auf dem Gebiet des Kindergeldes an letzter Stelle liegt. Besonders kraß ist, wie Sie, meine Damen und Herren, wissen, der Unterschied zu dem uns befreundeten Frankreich. Das wiegen auch die Steuervorteile für die Zwei- und Mehrkinderfamilien in der Bundesrepublik nicht auf. Die Familienverbände fordern eine Aufhebung der Einkommensgrenze. Die Beibehaltung widerspricht einer fortschrittlichen Familienpolitik und damit einem spezifischen Familienlastenausgleich. Die Beibehaltung der Einkommensgrenze verfälscht die Leistungen des Zweitkindergeldes zu bloßen Fürsorgemaßnahmen.

(Sehr wahr! bei der SPD)

Dabei bedeutet schon ,das erste Kind für eine Familie, materiell gesehen, eine entscheidende Belastung. Schätzungen haben ergeben, daß man für ein Kind 100 DM monatlich aufzuwenden hat. Diese Kosten entstehen natürlich bereits beim ersten Kind. Von dieser Überlegung und Feststellung ausgehend; ist die Festsetzung einer Einkommensgrenze in höchstem Maße sinnwidrig — um ein Wort von Herrn Dr. Hutter aufzugreifen —, und sie ist auch ungerecht; denn ausgerechnet die Familienväter nehmen an Lohnerhöhungen um einen um das Kindergeld niedrigeren Betrag Anteil als ihre unverheirateten und verheirateten, aber kinderlosen Kollegen. Dieser Nachteil führt zu Härten und wird besonders dann spürbar, wenn durch eine Lohnerhöhung die Einkommensgrenze knapp überschritten wird. Die Einkommensfeststellung, die nach dem Regierungs- und dem vorliegenden Ausschußentwurf bei Gewährung des
*) Siehe Anlage 3



Gerlach
Zweitkindergeldes notwendig ist, ist einer Bedürftigkeitsprüfung gleichzusetzen. An dieser Tatsache ändern auch gegenteilige Meinungen nichts.
Das Zweitkindergeld soll eine Maßnahme des gerechten Ausgleichs unter den Familien sein und den meisten Familien helfen, die Aufwendungen für ihre Kinder auszugleichen. Die Einkommensgrenze, zumal noch so niedrig .angesetzt, erschwert zweifelsohne die Erfüllung einer allgemein anerkannten gesellschaftspolitischen Aufgabe.

(Abg. Dr. Wuermeling meldet sich zu einer Zwischenfrage.)

— Einen Moment, bitte.
Wer — das ist meine Meinung — an der Einkommensgrenze von 600 DM monatlich festhält, nach draußen aber von der Sicherung der Familie mit mehr Kindern und von einem gerechten Familienlastenausgleich spricht, redet mit zwei Zungen.

Dr. Thomas Dehler (FDP):
Rede ID: ID0411818400
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Wuermeling?

Horst Gerlach (SPD):
Rede ID: ID0411818500
Bitte.

Dr. Franz-Josef Wuermeling (CDU):
Rede ID: ID0411818600
Herr Kollege, ist Ihnen nicht bekannt, daß die völlige Aufhebung der Einkommensgrenze für Zweitkinder einen Mehraufwand im Bundeshaushaltsplan von nunmehr über 600 Millionen DM erfordert, und sind Sie bereit, eine Auskunft darüber zu geben — ich würde es sehr begrüßen, wenn wir dem Antrag entsprechen könnten —, wie Sie diesen Mehraufwand von 600 Millionen DM im Rahmen des Bundeshaushalts 1964 zu decken in der Lage sind?

Horst Gerlach (SPD):
Rede ID: ID0411818700
Vielen Dank, Herr Kollege. — Herr Präsident, ich möchte in diesem Zusammenhang um die Erlaubnis bitten, die Ziffern 1, 2 und 4 bis 9 zusammenzufassen. — Herr Kollege Dr. Wuermeling, die Antwort ist darin enthalten.

Dr. Thomas Dehler (FDP):
Rede ID: ID0411818800
Ich habe keine Bedenken.

Horst Gerlach (SPD):
Rede ID: ID0411818900
Vielen Dank. — Die Einkommensprüfung hat in der praktischen Anwendung des Kindergeldrechts zu großen Schwierigkeiten geführt. So muß in allen Fällen, in denen ein Einkommensteuerbescheid nicht vorgelegt werden kann, obwohl eine Einkommensteuererklärung abzugeben war, bei den Finanzämtern nach der Einkommenshöhe des Antragstellers Rückfrage gehalten werden. Es ist nicht selten vorgekommen, daß eine solche Rückfrage durch die Bundesanstalt .erst nach drei Monaten vom zuständigen Finanzamt beantwortet wurde. Interessant erscheint mir auch die von den Vertretern der Bundesanstalt auf Anfrage gegebene Auskunft, daß die Feststellung der Einkommenshöhe beim Zweitkindergeld 40% der Verwaltungskosten beansprucht.

(Abg. Dr. Schellenberg: Hört! Hört!)

Im Haushaltsvoranschlag 1964, Einzelplan 11, sind hierfür 39,4 Millionen DM .eingesetzt worden, von denen ein Teil bei Fortfall der Einkommensgrenze schon in diesem Jahr eingespart werden kann.
Die im Ausschußentwurf festgesetzte Einkommensgrenze in Höhe von 600 DM monatlich führt angesichts der gestiegenen Löhne und Gehälter zu einer starken Reduzierung des Empfängerkreises. Um nebenbei die Antwort auf einen sicherlich zu erwartenden Einwand zu geben, sei gesagt, daß die Lohn- und Gehaltssteigerungen durch die gestiegenen Lebenshaltungskosten durchaus gerechtfertigt sind. Ich denke hierbei nur an die Mieterhöhungen, die nicht zuletzt die kinderreichen Familien auf sich nehmen müssen.

(Sehr wahr! bei der SPD.)

Das jetzt noch in Kraft befindliche Kindergeldkassengesetz reduzierte bis zum 1. Juli 1963 den Personenkreis der ursprünglich Empfangsberechtigten auf weniger als die Hälfte, und an der Höhe der Einkommensgrenze hat sich nach der Fassung des Ausschusses nichts geändert. Nicht zuletzt aus diesem Grunde sah sich der Präsident der Evangelischen Arbeitsgemeinschaft für Familienfragen zu der Feststellung veranlaßt, daß durch den Rückgang der Empfangsberechtigten an Stelle eines familienpolitischen Nachholens ein effektives und bedrohliches Abschmelzen des Zweitkindergeldes stattfindet. Herr Präsident Donath sah sich — leider, wie er sagte — zu der Frage veranlaßt, wo denn die hier freigesetzten Beträge in der Vergangenheit verblieben sind und wo sie eventuell im Bundesetat versickert sind, statt einer wenigstens geringfügigen Förderung der jungen und aufbauenden Familien zu dienen.
Vielleicht veranlaßten diese Feststellungen und diese Fragen Sie, Herr Kollege Dr. Wuermeling, bei Ihrer Betrachtung über „den seit Jahren abwärts rollenden Zug des Familienausgleichs" zu der Äußerung: Wir brauchen einen familienpolitischen Paukenschlag, der nicht überhört werden kann.

(Sehr wahr! bei der SPD. — Abg. Dr. Wuermeling: Aber mit Deckungsvorschlag!)

Ich bedaure sehr, daß dem Kollegen Dr. Wuermeling keine Fraktionspauke oder keine Koalitionspauke zur Verfügung stand und steht; denn dann wäre bereits im Ausschuß für Arbeit über den Antrag meiner Fraktionskollegen auf Fortfall der Einkommensgrenze beschlossen worden.

(Beifall bei der SPD.)

Auch der Herr Familienminister hat sich in einem Paukenschlag geübt, fand jedoch bisher bei den Koalitionsparteien dieses Hohen Hauses keine Resonanz.

(Abg. Behrendt: Wo ist der Minister?)

Aber sicher hat er bei der Zehnjahrfeier der Arbeitsgemeinschaft baden-württembergischer Familienorganisationen viel Beifall erhalten, als er dort sagte: Einkommensgrenze bei Kindergeldgewährung



Gerlach
bedeutet Diffamierung; die Bundesrepublik ist ein familienpolitisch unterentwickeltes Land.

(Hört! Hört! bei der SPD.)

Beiden Herren hätte es aber doch freigestanden, bei den Beratungen im zuständigen Ausschuß — verzeihen Sie — auf die Pauke zu hauen.

(Sehr wahr! bei der SPD.)

Bei meinen Kollegen und mir zumindest wäre die Resonanz nicht ausgeblieben, und bei der Kollegin Frau Dr. Heuser wäre und ist ja wohl ebenfalls ein Widerhall dieser Paukenschläge zu hören gewesen, als sie an dem besagten Freitag, dem 28. Februar 1964, das Sozialpaket „von zarter Hand in Schwabach aufschnürte". So jedenfalls schreibt eine Schwabacher Zeitung am Tage danach. Mit Genehmigung des Herrn Präsidenten darf ich einen Abschnitt aus diesem Zeitungsartikel, der mir sehr aufschlußreich erscheint, zitieren:
Die FDP sei anfangs dafür eingetreten, — so heißt es in diesem Artikel —
daß das Sozialpaket nur aus zwei Einzelteilen bestehen soll, nämlich aus dem Lohnfortzahlungsgesetz und dem KrankenversicherungsNeuregelungsgesetz. Auf Betreiben der CDU/ CSU sei dieses Päckchen dann mit dem Kindergeldgesetz zum Paket verknüpft worden. Ohne sich mit der Berechtigung und der Notwendigkeit des Kindergeldes zu beschäftigen, lehnte die Referentin eine Einkommensbegrenzung, die bei 8400 DM liegen soll, aus grundsätzlichen Erwägungen ab, da Grenzen stets Härten mit sich brächten.
Ich muß meinerseits hinzufügen, daß die Zahl 8400 aus dem Artikel von mir abgelesen ist, also von mir aus keine unrichtige Zahl bedeutet.
Nun muß ich heute und hier bedauern, daß die Entscheidung über den vorliegenden Gesetzentwurf nicht in Sindelfingen, bei Herrn Dr. Heck also, oder in Schwabach getroffen wird. Es liegt wohl an der Atmosphäre dieser Länder, daß man dort freimütig die Ungerechtigkeiten dieses Gesetzes ablehnt.

(Zuruf von der SPD: Nein, am Landtagswahlkampf!)

Aber vielleicht können Frau Kollegin Dr. Heuser und der Familienminister

(Abg. Behrendt: Wo steckt der Familienminister denn?)

diese Atmosphäre hierhin übertragen und die Mehrheit dieses Hauses zur Annahme des vorliegenden Änderungsantrags, den ich hier vertrete, bewegen. Dann werde ich nämlich nicht mehr fragen, ob man z. B. im schönen Land Baden-Württemberg oder in Franken nur aus Gründen, die mit den zeitlichen Umständen zusammenhängen, diese Unzulänglichkeiten des Gesetzes anprangert. Der April hat eben — für Baden-Württemberg gesprochen — so seine Launen. Jedenfalls bin ich schon jetzt für die Unterstützung der beiden Herren und der verehrten Frau Kollegin sehr dankbar, die sie sicherlich dem Änderungsantrag der SPD-Fraktion gewähren werden, wobei ich einschränken muß: bedauerlicherweise ist der Herr Bundesfamilienminister nicht anwesend.

Dr. Thomas Dehler (FDP):
Rede ID: ID0411819000
Der Herr Abgeordnete Dr. Wuermeling möchte noch eine Frage dazu stellen.

Dr. Franz-Josef Wuermeling (CDU):
Rede ID: ID0411819100
Herr Kollege, darf ich Sie, bevor Sie schließen, vorsorglich noch einmal fragen, ob Sie bereit sind, meine Frage nach der Deckung für die über 600 Millionen DM in einer Weise zu beantworten, die es dem Hause ermöglicht, dem Deckungsvorschlag auch zuzustimmen? Wenn Sie solche Wege wiesen, wäre ich sehr glücklich, Ihrem Antrag zustimmen zu können.

(Zuruf von der SPD: Sie haben den Antrag nicht gelesen!)


Horst Gerlach (SPD):
Rede ID: ID0411819200
Ich komme noch darauf.
Wir sind — und in diesem Zusammenhang muß ich sagen: leider — in Bonn. Von dieser Stelle aus hat der Herr Bundeskanzler am 18. Oktober 1963 in seiner Regierungserklärung in der Fortführung seiner Sozialpolitik den Ausbau des Familienlastenausgleichs als vordringlich bezeichnet. Nicht weit von hier und nicht viel später danach hat der Herr Bundeskanzler am 5. Dezember 1963 in Bad Godesberg vor den Arbeitgeberverbänden seinen Gedanken zum Familienlastenausgleich im Widerspruch zu seiner Regierungserklärung wie folgt Ausdruck gegeben; ich zitiere mit Genehmigung des Herrn Präsidenten:
Wenn ich von einer Kollektivierung spreche, — so sagte der Herr Bundeskanzler —
dann möchte ich ein Beispiel nehmen, nicht die Kriegsopfer, sondern das Kindergeld. Heute ist es so, daß jemand Kindergeld für das zweite Kind bekommt, wenn er ein Einkommen bis 650 DM
— die Zahl ist dort genannt worden —
hat. In Zukunft soll es so werden, daß bei mehr Kindern keine Einkommensgrenze mehr besteht, da kann jemand verdienen, so viel er will — 100 000 DM oder 1 Million —, und er kann alle Vorteile in Anspruch nehmen, die ihm aus der Steuerpolitik erwachsen, er hat Anspruch auf das Kindergeld, auf diese 60 oder 70 Mark. Hier
— so sagte der Herr Bundeskanzler —
treibt die Sozialpolitik in einen Kollektivismus hinein, der zu einer Enthumanisierung der Sozialpolitik führen muß.
Nun hoffe ich, daß der Herr Bundeskanzler bei seinem Besuch in Den Haag nicht versäumt hat, sich nach der Kindergeldregelung in den Niederlanden zu erkundigen. Er möge aber auf keinen Fall — das hoffe ich — dort derartige Äußerungen getan haben, denn dann würde man in den Niederlanden an eine Harmonisierung des Sozialrechts in der EWG nicht mehr glauben. Hier aber, in diesem Hause, möge sich jeder selbst den Widerspruch zwischen



Gerlach
den beiden Äußerungen des Herrn Bundeskanzlers — und es ist ja nicht der einzige — erklären. Ich kann nur mit folgendem antworten. Das Grundgesetz der Bundesrepublik sagt in Art. 6 Abs. 1:
Ehe und Familie stehen unter dem besonderen Schutze der staatlichen Ordnung.
Und in der Eidesformel, die der Herr Bundeskanzler an dieser Stelle nach Art. 56 des ,Grundgesetzes geleistet hat, heißt es:
. . . daß ich meine Kraft dem Wohle des deutschen Volkes widmen, seinen Nutzen mehren, Schaden von ihm wenden, das Grundgesetz und die Gesetze des Bundes wahren und verteidigen, meine Pflichten gewissenhaft erfüllen und Gerechtigkeit gegen jedermann üben werde.
Sicher, der Herr Bundeskanzler bestimmt die Richtlinien ,der Politik; aber er muß sich dann daran erinnern, welche Richtlinien er sich selbst gegeben hat. Nach meiner Meinung werden doch diese Richtlinien in einer Regierungserklärung manifestiert. Von dieser Stelle aus hat mein Kollege Dr. Möller vor einigen Wochen erklärt: „Er ist ‘auch unser Bundeskanzler." Er meinte damit, daß derjenige, der mit diesem hohen Amte in der Bundesrepublik betraut wird, dem ganzen Volke, nicht nur den Koalitionsparteien, verantwortlich ist, d. h., sich dem Wohle des Volkes widmen soll, wie er es in seinem Eid gesagt hat. Mit seiner Äußerung in Godesberg hat er sich einer scharfen und berechtigten Kritik der Familienverbände ausgesetzt. Ich erlaube mir daher, das Wort meines Kollegen Dr. Möller etwas abzuwandeln und zu sagen: Er s o 11 auch unser Bundeskanzler sein, d. h. er soll dem ganzen Volk verpflichtet sein, nicht nur der Partei, der er angehört, und nicht nur Iden Verbänden sich verpflichtet fühlen, vor denen er gerade spricht.

(Sehr wahr! bei der SPD.)

Das ist letzten Endes auch die Kritik der Familienverbände, und also telegraphiert der Herr Kollege Dr. Wuermeling als Antwort auf die Rede des Herrn Bundeskanzlers in Godesberg — ich zitiere wörtlich mit Genehmigung des Herrn Präsidenten —:
In zehnjährigem Ringen hat unsere CDU eine familienpolitische Konzeption durchgesetzt. Danach ist Familienlastenausgleich nicht Sozialpolitik für Bedürftige, sondern Gesellschaftspolitik im Bereich aller sozialer Schichten.
— Ich kürze etwas. —
Ihre gestrigen Ausführungen zum Kindergeld sind ein Schlag ins Gesicht unserer bekanntlich ohnehin immer wieder zurückgesetzten Mehrkinderfamilien.

(Hört! Hört! bei der SPD.)

Herr Kollege Dr. Wuermeling ist immerhin Ehrenpräsident der Arbeitsgemeinschaft der deutschen Familienorganisationen. Er ist Mitglied der CDU-Fraktion dieses Hauses und war Familienminister. Er muß also die familienpolitische Konzeption der CDU kennen. Wenn die CDU eine solche Konzeption im Sinne des zitierten Telegramms hat, dann sind sich — Frau Kollegin Dr. Heuser nunmehr miteinbezogen — alle Fraktionen einig: Die Einkommensgrenze beim Zweitkindergeld muß aufgehoben werden.

(Beifall bei der SPD.)

Der Ihnen vorliegende Antrag, den ich vertrete, enthält einen Finanzierungsvorschlag, dem der frühere Bundesminister Professor Balke als Vertreter der Arbeitgeberverbände indirekt bereits zugestimmt hat. Nach § 41 a Abs. 2 des vorliegenden Ausschußentwurfs gewährt der Bund den Familienausgleichskassen für 'die Übergangszeit Zuschüsse zu ihren Aufwendungen für die Kindergeldzahlung in Höhe von monatlich 114 Millionen DM bis zum 30. Juni 1964, falls der § 43 in der vorliegenden Fassung angenommen wird.

(Abg. Ruf: Das ist doch keine Deckung!)

Die Mehraufwendungen für das Zweitkindergeld bei Fortfall der Einkommensgrenze betragen rund 315 Millionen DM für das zweite Halbjahr 1964. Der von mir vertretene Änderungsvorschlag ändert den in. § 41 a Abs. 2 Satz 2 vorgesehenen Betrag von 114 Millionen DM auf 15 Millionen DM monatlich. Danach wird dann der erforderliche Betrag von 315 Millionen DM von den Familienausgleichskassen, die ihre Beiträge von den Beitragszahlern bereits empfangen haben, aufzubringen sein. In diesem Fall sparen die Beitragszahler nach dem jetzt geltenden Recht noch rund 500 Millionen DM im Jahre 1964 ein. Der Bund erstattet an die Familienausgleichskassen dreimal 15 Millionen DM gleich 45 Millionen DM bis zum 30. Juni 1964. Diese 45 Millionen DM ergeben sich aus dem ursprünglich an die Familienausgleichskassen zu zahlenden Betrag von 342 Millionen DM abzüglich der von den Familienausgleichskassen nach dem Änderungsantrag zu übernehmenden 315 Millionen DM gleich 27 Millionen DM zuzüglich 'der bescheiden angesetzten Einsparung an Verwaltungskosten bei Fortfall der Einkommensgrenze in Höhe von 18 Millionen DM. Der Haushalt des Jahres 1964 braucht also bei dieser Regelung nicht zusätzlich in Anspruch genommen zu werden, zumal der Haushaltsausschuß bereits 172 Millionen DM für das Kindergeld bereitgestellt hat.
Mit der Annahme dieses Antrags — ich bitte da um Ihre Zustimmung — würde ein für allemal der Streit um die Einkommensgrenze beendet — —

Dr. Thomas Dehler (FDP):
Rede ID: ID0411819300
Herr Abgeordneter Gerlach, der Abgeordnete Wuermeling möchte eine Frage an Sie stellen.

Horst Gerlach (SPD):
Rede ID: ID0411819400
Bitte, Herr Kollege.

Dr. Franz-Josef Wuermeling (CDU):
Rede ID: ID0411819500
Herr Kollege, ich hatte mich zu der Frage gemeldet, als Sie mein Telegramm an den Herrn Bundeskanzler zitiert hatten, und möchte dazu die Frage stellen: Ist Ihnen bekannt, daß der Herr Bundeskanzler inzwischen eindeutig zu erkennen gegeben hat, daß er nicht die Absicht hat, eine Einkommensgrenze für das Dritt- und Mehrkindergeld anzustreben, und daß er darüber hinaus erklärt hat, daß eine Einkommens-



Dr. Wuermeling
grenze beim Dritt- und Mehrkindergeld — denn nur darum ging es bei seiner Rede damals — mehr Verwaltungskosten verursachen würde, als das Kindergeld an Generaldirektoren überhaupt ausmachen würde?

(Zurufe von der SPD.)

Sind Sie bereit zu konzedieren, daß in diesem Punkte völlige Übereinstimmung zwischen dem Herrn Bundeskanzler und der CDU/CSU-Fraktion besteht?

(Zurufe von der SPD.)


Horst Gerlach (SPD):
Rede ID: ID0411819600
Wenn Sie es so sagen, dann muß ich mich wundern, daß Sie auf der anderen Seite ein Telegramm an den Herrn Bundeskanzler senden. Aber wie Sie sagen, hat er sich ja revidiert. In Gesprächen mit Mitgliedern der Koalitionsparteien habe ich sehr oft bestätigt bekommen, daß man für den Fortfall der Einkommensgrenze die Zustimmung geben würde, wenn man die Finanzierung sichern könnte, ohne den Haushalt 1964 zusätzlich belasten zu müssen.
Die vorhin von mir zitierten Äußerungen der Frau Kollegin Dr. Heuser, des Kollegen Dr. Wuermeling und nicht zuletzt des Herrn Bundesfamilienministers dürften von den Genannten eine Zustimmung erwarten lassen. Mehr aber noch läßt mich die familienpolitische Konzeption der CDU, wonach also Familienlastenausgleich nicht Sozialpolitik für Bedürftige, sondern Gesellschaftspolitik im Bereich aller sozialen Schichten ist, eine große Mehrheit erhoffen. Auch hoffe ich von der Sache her, daß die Mehrheit dieses Hohen Hauses ihre Zustimmung dem Änderungsantrag meiner Fraktion nicht versagen wird. Ober aber — das müßte sicherlich begründet werden, wenn es ein solches „oder aber" gibt —: diese Begründung der Ablehnung wird nicht nur die Mitglieder dieses Hohen Hauses, sondern auch die Familienverbände, hauptsächlich aber die rund zwei Millionen Zweikinderfamilien, die von der Ablehnung des von mir vertretenen Änderungsantrages betroffen würden, interessieren. Eine Ablehnung würde auch eine von vielen Kolleginnen und Kollegen der Koalitionsparteien den Betroffenen gemachte Hoffnung begraben.
Ich bitte daher um Zustimmung zu dem Änderungantrag der SPD-Bundestagsfraktion. Alle Mehrkinderfamilien werden es Ihnen danken, meine Fraktionskollegen werden Sie zu dem Entschluß beglückwünschen, und ich würde sagen können: der Bundestag hat den Mehrkinderfamilien ein wirkliches Ostergeschenk gemacht.

(Beifall bei der SPD.)


Dr. Thomas Dehler (FDP):
Rede ID: ID0411819700
Es wird notwendig sein, daß wir die Abstimmung über den Antrag auf Umdruck 400 Ziffer 1, die Worte „weil ihr Jahreseinkommen im Berechnungsjahr die Einkommensgrenze des § 4 Abs. 1 überstiegen hat oder" zu streichen, zurückstellen und zunächst über § 4 der Gesetzesmaterie abstimmen.

(Abg. Dr. Schellenberg: Zur Geschäftsordnung!) — Zur Geschäftsordnung Herr Professor Schellenberg.


Dr. Ernst Schellenberg (SPD):
Rede ID: ID0411819800
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es wurde durch Zwischenrufe verschiedentlich bedauert, daß der Herr Bundesfamilienminister nicht an dieser Beratung teilnimmt.

(Abg. Wehner: Herr Blank vertritt ihn, wie immer!)

Wir haben vorhin Rückfrage bei den Kollegen der CDU gehalten. Es wurde uns mitgeteilt, der Herr Bundesfamilienminister sei in der Kabinettsitzung, aber auf dem Wege hierher. Wir beanstanden, daß der Herr Bundesfamilienminister immer noch nicht anwesend ist. Er hätte von Beginn der Sitzung an an dieser wichtigen Beratung teilnehmen müssen. Ich beantrage deshalb Herbeirufung des Herrn Bundesfamilienministers.

(Beifall bei der SPD.)


Dr. Thomas Dehler (FDP):
Rede ID: ID0411819900
Bitte, Herr Minister.

(Unruhe bei der SPD.)


Theodor Blank (CDU):
Rede ID: ID0411820000
Ich wußte gar nicht, daß Ihre Freude so groß ist, Herr Wehner, mich zu sehen.

(Abg. Wehner: Es ist immer nett, Sie zu sehen! — Heiterkeit. — Weitere Zurufe von der SPD. — Abg. Jacobi [Köln]: Aber das war Spaß!)

— Warum auch nicht, Herr Jacobi? Spaß gehört ja auch dazu.

(Abg. Wehner: Mit Ihnen sieht es so schön aus !)

— Sehen Sie, Herr Wehner, ich betrachte das aber nicht als Angebot.
Der Herr Kollege Dr. Schellenberg hat soeben einen Antrag gestellt, den Herrn Minister für Familie und Jugend herbeizuholen. Dazu will ich nicht Stellung nehmen. Es ist, glaube ich, nicht meine Aufgabe. Ich will nur feststellen: für dieses Gesetz ist der Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung zuständig.

(Sehr richtig! bei der CDU/CSU)

und der war von der ersten Minute der Behandlung dieser Materie an in diesem Saal und wird bis zum Schluß bleiben.

(Beifall bei den Regierungsparteien. Abg. Wehner: Wann ist Schluß?)


Dr. Thomas Dehler (FDP):
Rede ID: ID0411820100
Einschlägig ist § 46 unserer Geschäftsordnung:
Jeder Abgeordnete kann die Herbeirufung eines Mitgliedes der Bundesregierung
— also nicht nur des hier zuständigen Ministers — beantragen.
Wird der Antrag des Herrn Abgeordneten Schellenberg unterstützt?

(Zurufe von der SPD: Ja!)




Vizepräsident Dr. Dehler
— Dann müssen wir darüber abstimmen. Wer dem Antrag zustimmt, gebe bitte Zeichen! — Gegenprobe! — Der Antrag ist abgelehnt.

(Lachen bei der SPD. — Zurufe von der SPD: Die große Familie!)

Das Wort hat der Abgeordnete Müller (Berlin).

Johannes Müller (CDU):
Rede ID: ID0411820200
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Fraktion der Christlich Demokratischen Union und Christlich Sozialen Union ist sich darüber im klaren, daß die Annahme des soeben gestellten Änderungsantrages auf Umdruck 400 nicht nur finanzielle Auswirkungen hat, sondern auch eine grundsätzliche Änderung gegenüber dem bisherigen Recht bedeutet. Wie schon aus den Ausführungen des Herrn Kollegen Gerlach zu entnehmen war, wäre das eine Einbeziehung auch des zweiten Kindes in die allgemeine Kindergeldregelung.
Ich habe nicht die Absicht, in eine Grundsatzdebatte über die Ausführungen des Herrn Kollegen Gerlach einzutreten. Die Debatte haben wir ja auch schon im Ausschuß für Arbeit geführt. Ich müßte z. B. darauf hinweisen, daß man zu Beginn unserer Tarifgestaltung immer davon ausgegangen ist, daß Löhne und Gehälter für eine Familie mit zwei Kindern ausreichend sein sollten. Das soll nicht für alle Zeiten gelten. Sicherlich gibt es bei Wandlungen unserer Lebenshaltung und dem Verlauf der Entwicklung und der allgemeinen Auffassung aus gesellschaftspolitischen Gründen auch einen Zeitpunkt, wo man diese Dinge überdenken muß.
Ich möchte mich aber heute mehr darauf beschränken, wie die Mittel für die Deckung im Sinne dessen verwendet werden sollen, was in der Ausschußvorlage enthalten ist. Wir sind der Meinung, wenn die Mittel schon begrenzt sind, dann sollten sie vorwiegend den größeren Familien zugute kommen, d. h. also Familien mit drei und mehr Kindern.

(Abg. Ruf: Sehr richtig!)

Wie aus dem Schriftlichen Bericht des Ausschusses über das Kindergeldkassengesetz in der 3. Legislaturperiode — Drucksache 2868 — hervorgeht, hat auch schon damals die Mehrheit die Auffassung vertreten, daß die Gewährung von Zweitkindergeld nur für diejenigen Personen gerechtfertigt ist, deren Einkommen eine bestimmte Höhe nicht übersteigt, weil diese Frage im Zusammenhang mit dem im Einkommensteuerrecht für zweite Kinder vorgesehenen Freibetrag betrachtet werden muß. Diese Freibeträge wirken sich nämlich bei Familien mit niedrigem Einkommen — wir legen besonderen Wert darauf, das zu betonen — nicht nur ungenügend, sondern meistens gar nicht aus. Die CDU/ CSU-Fraktion ist auch heute noch dieser Auffassung. Sie hält es nach wie vor für ein Gebot der sozialen Gerechtigkeit, diesen Familien einen entsprechenden sozialen Ausgleich zu gewähren.
Der Wegfall der Einkommensgrenze würde bedeuten, daß sich die Zahl der Zweitkinder von der jetzt vorgesehenen Zahl von 1,25 Millionen auf 3,29 Millionen erhöht; oder anders ausgedrückt: weitere 2,04 Millionen Zweitkinder müßten nach dem derzeitigen Stand auf Grund der im Ausschuß vorgelegten Zahlen zusätzlich einbezogen werden. Die Einbeziehung dieser 2,04 Millionen Kinder verursacht unter Zugrundelegung von 25 DM Kindergeld im Monat, wie vorgesehen, finanzielle Aufwendungen in Höhe von — 2,04 Millionen mal 25 mal 12 = 612 Millionen DM plus 3 % Verwaltungskosten, also rund 630 Millionen DM für ein Jahr. Diese 630 Millionen DM beziehen sich, wie gesagt, auf das ganze Haushaltsjahr. Nach der Ausschußvorlage wäre für das Rechnungsjahr 1964 also noch die Hälfte davon — das sind 315 Millionen DM — erforderlich. Wenn man vom 1. April 1964 ausgehen will, wären für 1964 sogar noch rund 473 Millionen DM erforderlich. Wir sind der Auffassung, daß angesichts der angespannten Haushaltslage diese weitere Belastung im Augenblick nicht möglich ist.
Auch mit dem langen Zitat, sehr verehrter Herr Kollege Gerlach, haben Sie nicht gesagt, wie diese Millionen gedeckt werden sollen..

(Abg. Behrendt: Dann haben Sie nicht zugehört!)

— Darüber hinaus, lieber Kollege Behrendt, darf ich sagen, haben Sie auch nicht mit einkalkuliert, daß von uns noch ein Änderungsantrag kommt, nach dem die Kindergelderhöhung ab 1. Januar in Kraft treten soll. Aber hierzu wird noch ein Kollege von mir etwas sagen.
Ich bitte deshalb namens der CDU/CSU-Fraktion das Hohe Haus, den Antrag der SPD-Fraktion auf Umdruck 400 Ziffern 1 und 2 abzulehnen und der Ausschußvorlage zuzustimmen.
Nun enthält der Umdruck 400 auch noch einen Alternativantrag,

(Abg. Behrendt: Der kommt noch!)

die Einkommensgrenze für das Kindergeld für Zweitkinder — —

(Abg. Behrendt: Der kommt extra!) — Ich dachte, das war mit einbezogen.

Schön, dann kann ich es vorläufig dabei belassen. Ich bitte also das Hohe Haus, den Antrag der SPD-Fraktion abzulehnen und der Ausschußvorlage zuzustimmen.

(Beifall bei der CDU/CSU.)


Dr. Thomas Dehler (FDP):
Rede ID: ID0411820300
Das Wort hat der Abgeordnete Spitzmüller.

Kurt Spitzmüller (FDP):
Rede ID: ID0411820400
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Wenn auf den Kollegen Müller einer mit dem Namen Spitzmüller folgt, so braucht das nicht unbedingt gleich Gedankenassoziationen auszulösen.

(Heiterkeit. — Zuruf von der SPD: Warum nicht?)

Ich möchte zu den Anträgen der SPD ausführen, daß die Freien Demokraten selbstverständlich entsprechend ihrer Haltung im 3. Deutschen Bundestag



Spitzmüller
von der grundsätzlichen Einstellung ausgehen, daß solche Einkommensbegrenzungen nicht gut sind und so schnell wie möglich beseitigt werden sollten.

(Abg. Dr. Schellenberg: Aber wann, Herr Spitzmüller?)

— Lieber Herr Kollege Schellenberg, da wir im 3. Bundestag wußten — was uns auch im 4. Bundestag immer wieder zum Bewußtsein kommt —, daß man nicht alles auf einmal bekommen kann, haben wir damals versucht, dieses unser Grundziel dadurch anzustreben, daß wir sagten: Keine Einkommensbegrenzung für Familien mit drei und mehr Kindern, Einkommensbegrenzung nur für Familien mit zwei Kindern. Wir wollten also damals unter allen Umständen eine Besserstellung der Familien mit drei und mehr Kindern erreichen. Diesem unserem Anliegen ist nun im Ausschuß durch eine andere Form, nämlich durch die Staffelung 50, 60, 70, Rechnung getragen worden. Deshalb haben wir gesagt: Es ist dann immer noch einfacher, wenn wir — in Gottes Namen — diese vom Ausschuß beschlossene Einkommensbegrenzung in Kauf nehmen.

(Vorsitz: Vizepräsident Dr. Jaeger)

Natürlich hat dieser Bundestag immer die Möglichkeit, bei der Beratung aller Gesetze zu prüfen, ob die finanzielle Situation dm Augenblick so günstig ist, daß eine Verbesserung möglich ist. Wenn das Gesetz in der Form angenommen wird, in der es der Ausschuß vorgelegt hat, wird der Bundestag in Zukunft nicht nur die Höhe des Kindergeldes zu beschließen, sondern auch die Verantwortung für die Aufbringung der Mittel zu übernehmen haben. Das kommt, glaube ich, der Erhöhung des Verantwortungsbewußtseins des Parlaments durchaus zugute.
Ich möchte also bitten, den Antrag der SPD, auch wenn er in unserer Grundlinie liegt, abzulehnen. Der Herr Kollege Gerlach hat für das Jahr 1964 einen eindeutigen Deckungsvorschlaggemacht. Dieser läßt natürlich den Änderungsvorschlag der CDU/CSU nolens volens außer acht; aber für seinen Antrag ist eine einwandfreie Deckung für das Jahr 1964 vorhanden.
Ich bin der Meinung — um .ein anderes Wort des Kollegen Gerlach aufzugreifen —, Herr Kollege Gerlach, wir sollten hier keine Ostergeschenke für die Familien machen. Wir sollten versuchen, der Familie so gerecht wie möglich zu werden. Wir sollten auch dem Bundesfinanzminister oder, sagen wir: dem Haushaltsausschuß oder dem Parlament keine buntscheckigen Ostereier für das Haushaltsjahr 1965 ins Nest legen, von denen man nicht weiß, wie hart sie gekocht sind.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Sie würden nämlich eine Vorbelastung des Haushalts 1965 von 640 Millionen DM bedeuten. Man sollte im Jahre 1965 überlegen, ob das noch drin ist, wenn man das durchführen will, was Sie wie wir für das Jahr 1965 z. B. für die Steuergesetze schon ins Auge gefaßt haben.
Weil also für 1965 noch gar keine Deckungsmöglichkeit vorhanden ist, bitte ich, den Antrag abzulehnen. Wir sind der Meinung, daß in dieser Richtung, in die der Antrag zielt, im Laufe der nächsten Jahre etwas geschehen muß. Man muß diese Einkommensbegrenzung abbauen. Aber es kann alles nur zu seiner Zeit geschehen, so wie es das zuständige Parlament haushaltsmäßig decken und auf lange Zeit verantworten kann.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)


Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0411820500
Wird hierzu das Wortgewünscht? — Herr Abgeordneter Schellenberg.

Dr. Ernst Schellenberg (SPD):
Rede ID: ID0411820600
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir freuen uns sehr, daß inzwischen der Herr Bundesfamilienminister eingetroffen ist.

(Zurufe von der CDU/CSU: Ohne Ihren Antrag! — Ganz freiwillig!)

— Freiwillig oder Zwang, wie Sie meinen. Faktisch, meine Damen und Herren, ist der Herr Bundesfamilienminister nun endlich gekommen, und insofern hat unser Antrag, wenn auch verspätet, einen bescheidenen Erfolg.

(Abg. Dr. Barzel: Ihr Antrag kam zu spät! — Weiterer Zuruf von der CDU/CSU: Er war unterwegs!)

Ich muß zu dem, was die Herren Kollegen Müller und Spitzmüller ausgeführt haben, einige Bemerkungen machen.
Herr Kollege Müller, was Sie bezüglich der Familien mit zwei Kindern gesagt haben, ist eine Illusion. Denn Sie sagen, es solle einen Familienlohn geben. Der besteht aber faktisch nicht, insofern ist Ihre Argumentation nicht überzeugend.
Was sind die wirklichen Tatbestände? Als wir das Kindergeldkassengesetz und damit die Gewährung von Kindergeld für Zweitkinder beschlossen, wurde nach den Berechnungen der Bundesregierung veranschlagt: Zahlung von Kindergeld für 1 900 000 Familien. Praktisch ist die Zahl der Familien, die heute Kindergeld erhalten, auf 1 200 000 herabgesunken, d. h. wegen der starren Einkommensgrenzen haben 700 000 Familien das Kindergeld verloren.

(Hört! Hört! bei der SPD.)

Wenn jetzt ein Bundeskindergeldgesetz beschlossen wird, das an diesen starren Grenzen festhält, so bedeutet das für die Zukunft eine ständige Verringerung der Zahl der Familien, die Zweitkindergeld erhalten werden, d. h. einen laufenden Abbau der Familienausgleichsleistungen.

(Sehr wahr! bei der SPD.)

Das ist die Frage, um die es bei unserem Antrag geht.
Herr Kollege Müller, Sie haben auf Steuerfreibeträge Bezug genommen. Diese Argumentation steht im Widerspruch zu dem, was die Bundesregierung in dem bei früheren Fragestunden wiederholt



Dr. Schellenberg
zitierten Finanzbericht dargelegt hat. In diesem Finanzbericht heißt es auf Seite 150, daß der Höchstbetrag für das erste Kind auf 53 DM und die Steuerersparnis für Bezieher sehr hoher Einkommen beim zweiten Kind bis auf 74 DM ansteigen kann. Das bedeutet praktisch, daß Bezieher sehr hoher Einkommen mit zwei Kindern Steuerfreibeträge von insgesamt monatlich 127 DM erhalten.

(Abg. Stingl: Und dazu wollen Sie noch 25 Mark Kindergeld geben!)

Dagegen entziehen Sie praktisch durch das Festhalten an der Einkommensgrenze für Zweitkinder dem Familienvater, der etwas über 600 DM verdient, das Kindergeld von 25 DM monatlich. Das ist der soialpolitische und finanzpolitische Inhalt!

(Beifall bei der SPD.)

Deshalb ist die Frage der Einkommensgrenze eine
entscheidende Frage der gesamten Familienpolitik.

(Abg. Spitzmüller meldet sich zu einer Zwischenfrage.)

— Bitte, Herr Kollege Spitzmüller!

Kurt Spitzmüller (FDP):
Rede ID: ID0411820700
Herr Kollege Schellenberg, muß ich die Ausführungen, die Sie soeben gemacht haben, dahin auslegen, daß Sie gegen einen familienspezifischen Lastenausgleich eingestellt sind?

Dr. Ernst Schellenberg (SPD):
Rede ID: ID0411820800
Herr Kollege Spitzmüller, wir sprechen hier über die Einkommensgrenzen beim Kindergeld, und Sie selbst haben erklärt, daß Sie grundsätzlich Bedenken gegen Einkommensgrenzen bezüglich des Kindergeldes haben. Es muß deshalb hier bei der Verabschiedung des Bundeskindergeldgesetzes etwas getan werden, um die Einkommensgrenze zu Fall zu bringen.
Nun haben wir die Ausführungen des Herrn Kollegen Müller gehört. Er hat leider nicht dem, was mein Kollege Gerlach gesagt hat, zugehört. Herr Kollege Gerlach hat — Herr Kollege Spitzmüller bestätigte es — einen vollen Deckungsvorschlag für das laufende Haushaltsjahr 1964 geboten.

(Zurufe von der Mitte: Nur für 1964!)

— Aber darauf kommt es jetzt an. Wir beraten jetzt weder die Steuerreform, die Sie für 1965 durchführen wollen, noch beraten wir jetzt den Haushalt 1965. Es ist Pflicht des Parlaments, für das laufende Haushaltsjahr eine Deckung zu suchen, und wir haben Ihnen einen präzisen Deckungsvorschlag unterbreitet.

(Beifall bei der SPD.)

Herr Kollege Dr. Wuermeling hat sich wiederholt zu Zwischenfragen gemeldet. Herr Kollege Dr. Wuermeling, ich muß Sie deshalb darauf verweisen, was Sie selbst im Mai 1962 ausgeführt haben, nämlich:
Jede Einkommensgrenze auf diesem Gebiet wirkt diffamierend für alle, die das Unterschreiten der Grenze nachweisen müssen. Die Familie kommt also in den Geruch hilfsbedürftiger Almosenempfänger.
Das haben Sie selbst erklärt, und Sie haben keine Schritte unternommen, dafür zu sorgen, daß diese Einkommensgrenze, wenn auch nur schrittweise, in Fortfall kommt.

Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0411820900
Herr Abgeordneter Dr. Schellenberg, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Wuermeling?

Dr. Ernst Schellenberg (SPD):
Rede ID: ID0411821000
Jawohl.

Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0411821100
Herr Abgeordneter Dr. Wuermeling!

Dr. Franz-Josef Wuermeling (CDU):
Rede ID: ID0411821200
Herr Kollege Schellenberg, sind Sie bereit, davon Kenntnis zu nehmen, daß Sie einem Irrtum erlegen sind? Denn die Formulierung, die Sie eben gebrauchten, stammt nicht von mir, sondern vom Herrn Familienminister Dr. Heck. Dadurch wird sie aber nicht falsch.

(Heiterkeit.)

Da jedoch Ihr Deckungsvorschlag fehlt, nützen uns die ganzen Reden hier nichts.

Dr. Ernst Schellenberg (SPD):
Rede ID: ID0411821300
Herr Kollege Dr. Wuermeling, ich stütze mich in dem, was ich sage, auf das „Bulletin", und im „Bulletin" heißt es: „Bundesminister Dr. Wuermeling führte aus"; das habe ich zitiert.

(Heiterkeit.)

Das ist der Tatbestand. Vielleicht haben Sie Ihre Ausführungen nicht mehr so in Erinnerung. Aber auch Herr Familienminister Dr. Heck hat wörtlich erklärt: „Einkommensgrenzen bei Kindergeldgewährung bedeuten Diffamierung."

(Hört! Hört! bei der SPD.)

Es geht jetzt darum, diese Diffamierung endlich zu beseitigen. Das ist der Sinn unseres Antrags.

(Beifall bei der SPD.)


Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0411821400
Das Wort hat der Herr Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung.

Theodor Blank (CDU):
Rede ID: ID0411821500
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ein paar kurze Ausführungen. Herr Kollege Schellenberg, zunächst muß ich die Zahlen, die Sie gebraucht haben, ein wenig kritisieren, obgleich die Schuld nicht Sie trifft. Sie haben gesagt, wir hätten 1,9 Millionen Kinder, die in den Genuß des Zweitkindergeldes kämen. Ich weiß, daß wir diese Zahl früher einmal genannt haben; sie war das Ergebnis sehr schnell vorgenommener Schätzungen. Heute können wir die Dinge überblicken. Wir gehen bei der Betrachtung immer von der Jahresmitte aus, weil sich dann die Anspruchsberechtigungen ändern. Im Jahre 1962 hatten wir 1,6 Millionen, Mitte 1963 1,38 Millionen anspruchsberechtigte Kinder, und für Mitte 1964 werden wir mit einer Zahl von etwa 1,25 Millionen rechnen müssen. Das ist zunächst einmal die zahlenmäßige Feststellung.



Bundesminister Blank
Zu der Einkommensgrenze sind wir damals wie folgt gekommen. Es war zunächst nicht beabsichtigt, Kindergeld im Sinne des Kindergeldgesetzes zu zahlen, sondern wir waren von der Überlegung ausgegangen, daß bei einem gewissen Einkommen ganz allgemein Steuerfreiheit einsetzt und daß daher Kinderfreibeträge nicht mehr wirksam werden können. Weil wir aber eine solche Wirkung wollten, blieb uns doch nichts anderes übrig, diesem Kreis eine Zuwendung in der Höhe zu machen, wie sie für andere Familien mit zwei Kindern, die in einer höheren Einkommensklasse liegen, durch die Inanspruchnahme der Steuerermäßigung gegeben war. Das ist der historische Ausgangspunkt, und an ihm haben wir bis heute festgehalten. Damit ist nicht gesagt, ob man nicht doch in der Zukunft diese Dinge neu überprüfen sollte. Aber für das jetzt vorliegende Gesetz haben wir es mit diesem Tatbestand zu tun.
Die Ausgeschiedenen — wieviele ausscheiden, habe ich soeben dargelegt — kommen mit dem Überschreiten der Einkommensgrenze in den Genuß einer dem Zweitkindergeld entsprechenden Steuerermäßigung, weil sich jetzt der steuerliche Freibetrag auswirkt. Nun will ich gern zugeben, daß der Wegfall des Kindergeldes in manchen Fällen zu Unzufriedenheiten führt. Es ist aber zu berücksichtigen, daß nach der Ausschußfassung des Gesetzes ein Überschreiten des Jahreseinkommens von 7200 DM erst zu Beginn des übernächsten Jahres zum Wegfall des Anspruchs auf Zweitkindergeld führt. Daraus folgt, daß bis dahin diese Personen sowohl die Steuerermäßigung als auch das Kindergeld in Anspruch nehmen können. Ich meine, der Ausschuß — ich habe heute morgen schon einmal gesagt, er habe an einer Stelle eine salomonische Entscheidung gefällt — hat hier wieder eine Entscheidung getroffen, die, wenn man alle Umstände in Betracht zieht, sehr glücklich und sehr richtig ist, eine Entscheidung, wie sie besser gar nicht sein könnte.
Nun zu dem Deckungsvorschlag! Herr Kollege Schellenberg, da haben Sie es sich ein bißchen zu leicht gemacht. Sie beziehen sich auf die Ausführungen Ihres Kollegen Gerlach. Herr Kollege Schellenberg, Sie wissen ganz genau, daß die Ausschußvorlage im Grunde genommen uns ein Defizit von 173 Millionen DM bringt. Der Haushaltsausschuß hat dies bei der Beratung der Vorlage sehr wohl erkannt und auch ausgesprochen. Er hat nur daraus noch keine Konsequenz gezogen, sondern gesagt: Wir müssen dafür noch eine Deckung finden. Wenn nun der Änderungsantrag der CDU/CSU-Fraktion — ich weiß im Augenblick nicht, ob ihm schon andere Fraktionen beigetreten sind — zur Wirkung kommen sollte, wonach die Erhöhung der Leistungen bereits auf den 1. Januar vorgezogen wird, dann träte eine weiteres Defizit von 100 Millionen DM in Erscheinung. Diese insgesamt 273 Millionen DM will der Änderungsantrag dadurch gewinnen, daß die Beitragsübernahme von den Kindergeldausgleichskassen vom 1. April auf den 1. Juli verschoben wird. Nun machen Sie den Versuch, dasselbe noch einmal für einen zweiten Fall zu tun. Wie man aber ein und dieselben 273 Millionen DM zweimal verwenden kann — einmal, um das Vorziehen der Leistungsverbesserungen und das schon vorhandene Defizit abzudecken, zum zweiten aber auch, um das Defizit zu decken, das entstände, wenn man die Einkommensgrenze veränderte —, wie das möglich sein soll, Herr Kollege Dr. Schellenberg, haben Sie nicht dargetan, und infolgedessen haben Sie nach meiner Auffassung keinen Deckungsvorschlag gemacht.

(Beifall bei der CDU/CSU.)


Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0411821600
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Schellenberg.

Dr. Ernst Schellenberg (SPD):
Rede ID: ID0411821700
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich stütze mich bei den Angaben über die Zahl der Familien, die Zweitkindergeld erhalten, auf das offizielle Zahlenmaterial. Als wir das Zweitkindergeldgesetz verabschiedeten, hat uns die Bundesregierung erklärt — und das steht im Schriftlichen Bericht —: für 1 870 000 Zweitkinder wird Kindergeld gezahlt werden. Der Herr Bundesarbeitsminister gibt jetzt zu, daß die Bundesregierung sich geirrt hat.

(Hört! Hört! bei der SPD.)

In den neuesten Unterlagen für die Zukunft stehen auch Zahlenangaben, die wahrscheinlich zu hoch sind. In dem offiziellen Material des Bundesarbeitsministeriums heißt es jetzt: bei einer Einkommensgrenze von 600 DM Kindergeld für 1 250 000 Kinder. Ich habe eine neue Mitteilung der auszahlenden Stelle der Bundesanstalt vorliegen. Sie hat im Dezember 1963 für 1 073 000 Kinder ausgezahlt. Es besteht also zwischen 1961 und 1963 sogar eine noch höhere Differenz, als ich sie angenommen habe — ich habe nur 700 000 genannt —, nämlich die Differenz zwischen der ursprünglichen Mitteilung des BAM 1 870 000 und der tatsächlichen Zahl 1 070 000, also für 800 000 Kinder weniger Kindergeld.
Aber meine Damen und Herren, so hart dies für die einzelne Familie ist, das Entscheidende ist, daß die Zahl der Familien, die Zweitkindergeld erhalten, sich ständig weiter vermindert. Dagegen wenden wir uns.

(Abg. Stingl: Ein gutes Zeichen! — Ein Zeichen, daß die Einkommen steigen!)

— Aber, Herr Kollege Stingl: Gewiß steigen die Einkommen; aber es steigen leider auch die Preise

(Beifall bei der SPD)

und die wirtschaftlichen Belastungen der Familien.
Ich kann auch in etwas anderem dem Herrn Bundesarbeitsminister ganz zustimmen. Er hat das Beispiel einer Familie mit zwei Kindern gebracht und gesagt, die Einkommensgrenze wirke sich erst später aus. Das kann richtig sein. Das kann sich aber auch gegen die wirtschaftlichen Interessen der Familien auswirken. Wenn eine Frau mit nur einem Kind berufstätig ist, dann das zweite Kind der Familie kommt und die Frau aus dem Arbeitsleben ausscheidet, dann gilt eine zurückliegende Einkommensgrenze weiter; obwohl die Familie nun zwei Kinder und ein geringeres Einkommen hat, kommt sie noch



Dr. Schellenberg
nicht gleich in den Genuß des Zweitkindergeldes. Das ist also eine negative Auswirkung.
Im übrigen, Herr Bundesarbeitsminister, muß ich mich in der finanziellen Begründung unseres Antrages auf den Beschluß des Haushaltsausschusses stützen. Der Haushaltsausschuß hat erklärt, daß im Rahmen der Ausschußvorlage eine Deckung gegeben ist. Wir verändern die Deckung in der Weise, daß wir bei Fortfall der Einkommensgrenze, wir sagen es ganz freimütig, die Wirtschaft noch teilweise, nämlich bis zum 1. Juli weiter belasten wollen und dann erst die volle Entlastung eintreten lassen wollen. Wir bringen also—und darum geht es—einen, wie wir meinen, sinnvollen Ausgleich zwischen ,den Interessen der Familie einerseits und den Interessen der Wirtschaft andererseits, die nämlich zu erwarten hat, daß ab Juli die Belastung für die Betriebe endgültig wegfällt. Wir meinen, daß es sich hier in der Tat um eine Finanzregelung handelt, die den Interessen beider Seiten entspricht, während Ihre sogenannte klassische Konzeption höchst widerspruchsvoll war. Wir wollen endlich zu einer sinnvolleren sozialpolitischen und wirtschaftspolitischen Regelung kommen.

(Beifall bei der SPD.)


Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0411821800
Das Wort hat der Herr Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung.

Theodor Blank (CDU):
Rede ID: ID0411821900
Herr Präsident, meine Damen und Herren, noch eine kurze Entgegnung! Herr Kollege Schellenberg, Sie haben recht, die zuerst angegebene Zahl von 1,9 Millionen — ich hatte das schon betont — beruht auf einer Schätzung, die im Laufe der Zeit, wie das so geht, im Verwaltungswege berichtigt werden konnte. Die letzte Zahl, die Sie angegeben haben, beruht darauf, daß wohl vorliegt, für wieviel Kinder von der Bundesanstalt Kindergeld gezahlt ist. Dennoch kommt es zu der Summe von 1,25 Millionen, die ich eben genannt habe, weil heute noch eine ganze Reihe unerledigter Anträge vorliegt. Die Zahlen sind also soweit Genauigkeit des Überblicks bei diesen Größenordnungen überhaupt möglich ist, den tatsächlichen Verhältnissen sehr nahegekommen.
Nun aber kommt das Entscheidende. Sie haben gesagt, Herr Kollege Schellenberg, der Haushaltsausschuß habe beschlossen. Ja, was hat er denn beschlossen? Der Haushaltsausschuß hat in klarer Erkenntnis, daß die Ausschußvorlage ein Defizit von 173 Millionen DM bringt, beschlossen, daß dafür bei der Beratung des Haushalts für den Einzelplan 11 eine Deckung gefunden werden müsse. Nun weiß doch jeder von Ihnen, daß der Einzelplan 11, also der Plan meines Ministeriums, überhaupt keinen Spielraum läßt, weil nahezu alle seinen Ausgaben auf gesetzlichen Verpflichtungen basieren. Deshalb ist ja gerade in dem Änderungsantrag nach einer Deckung gesucht worden, indem man sagt: Wir schieben die Beitragsbefreiung der Wirtschaft um ein Vierteljahr hinaus, — genau das gleiche, was Sie jetzt tun wollen, nur um die Einkommensgrenze aufzuheben. Daß Man aber nicht mit einem und demselben Deckungsvorschlag zwei Begehren mit zahlenmäßig gleicher Auswirkung begründen kann, das meine Damen und Herren, ist doch eine bare Selbstverständlichkeit. Deshalb sage ich noch einmal: Würde Ihr Antrag angenommen, stünden wir vor der sehr schwierigen Situation, uns zu entscheiden, was wir tun sollten. Denn ich sehe keine Möglichkeit, für dieses Haushaltsjahr die Deckungsmittel zu finden, und was das nächste Jahr betrifft, so bin ich nicht so vermessen, schon heute fröhlich bei dem zugreifen zu wollen, von dem wir nicht wissen, ob es uns im nächsten Jahr überhaupt zur Verfügung steht.

(Beifall bei der CDU/CSU. — Abg. Wehner: Der Finanzminister tut's aber!)


Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0411822000
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Schellenberg.

Dr. Ernst Schellenberg (SPD):
Rede ID: ID0411822100
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bitte zu entschuldigen, daß ich noch wenige Worte sage. Ich muß es tun, weil es sich bei der Frage der Einkommensgrenze um eine sehr wichtige, grundsätzliche familienpolitische Frage handelt. Wir Sozialdemokraten sind der Auffassung, daß es nicht hingenommen werden kann, wenn man sich hierbei hinter finanziellen „Argumenten" verstecken will.

(Widerspruch in der Mitte.)

Darauf läuft das, was von Ihnen gesagt wurde, hinaus.
Meine Damen und Herren! Ich habe den Haushalt des Bundesarbeitsministeriums hier vorliegen. In Kapitel 1113 Titel 610 ist ein Betrag von 340 Millionen DM eingesetzt, ein Betrag, der um über 200 Millionen DM höher ist als der des Vorjahres. In der Erläuterung heißt es, der Bund erstattet ab 1. April 1964 nach dem Krankenversicherungs-Neuregelungsgesetz usw. Ein KrankenversicherungsNeuregelungsgesetz kann aber am 1. April 1964 nicht mehr in Kraft treten, auch wenn der Herr Bundesarbeitsminister das sehr bedauern sollte.

(Beifall bei der SPD.)


Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0411822200
Meine Damen und Herren, ich darf zuerst einmal festhalten, daß die Abstimmung über den Änderungsantrag Umdruck 400 Ziffer 1 — zu § 3 Abs. 5 — zurückgestellt ist, bis die Entscheidung über § 4 gefallen ist. Darüber besteht Einigkeit. Wir kommen also zuerst zu § 4 mit den dazu vorliegenden beiden Änderungsanträgen Umdruck 400 Ziffern 2 und 3. Wird hierzu noch das Wort gewünscht?

(Zurufe: Nur Nr. 2!)

Im Moment jedenfalls kommen wir zuerst zu diesen beiden Änderungsanträgen, ehe wir den Änderungsantrag Umdruck 400 Ziffer 1 behandeln. Das wollte ich festhalten. Wird dazu noch das Wort gewünscht? — Dann muß ich Sie zuerst darauf aufmerksam machen, daß es nach der Übung dieses Hauses im Sinne der Geschäftsordnung nicht möglich ist, in zweiter Lesung über einen Streichungsantrag abstimmen zu lassen, sondern daß dies nur in der Form möglich ist, daß diejenigen, die die Streichung



Vizepräsident Dr. Jaeger
wünschen, gegen den Paragraphen stimmen. Das ist vom Geschäftsordnungsausschuß eindeutig festgestellt worden, wie ich einem Schreiben des Kollegen Ritzel entnehme. Außerdem war es immer Übung dieses Hauses. Das macht die Sache wegen der Ziffer 3 etwas schwierig. Sie können natürlich gemäß § 127 der Geschäftsordnung mit Zweidrittelmehrheit eine Ausnahme beschließen. — Hierzu Herr Abgeordneter Dr. Schellenberg!

Dr. Ernst Schellenberg (SPD):
Rede ID: ID0411822300
Herr Präsident, ich glaube, das Verfahren kann relativ einfach gestaltet werden, wenn Sie die Liebenswürdigkeit hätten, zuerst über Ziffer 1 unseres Antrags Umdruck 400 abstimmen zu Lassen. Das betrifft den § 3. Wenn über diesen Antrag entschieden ist, würde ich eine Erklärung zu Ziffer 2 abgeben. Vielleicht kann man so verfahren. Dann haben wir bei § 3 die prinzipielle Entscheidung getroffen und können weiter verhandeln.

Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0411822400
Wenn das Haus damit einverstanden ist, wird der Plan dahin geändert, daß wir zuerst über den Antrag Umdruck 400 Ziffer 1 abstimmen, was keine geschäftsordnungsmäßigen Schwierigkeiten macht. — Wer dem Antrag der Fraktion der SPD Umdruck 400 Ziffer i zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe! —

(Abg. Dr. Schellenberg: Herr Wuermeling! Herr Wuermeling! — Heiterkeit. Abg. Dr. Wuermeling: Deckungsvorschlag fehlt!)

Der Antrag ist abgelehnt.
Ich lasse abstimmen über den gesamten § 3, so wie bisher beschlossen ist.

(Abg. Dr. Schellenberg: Abatzweise, bitte!)

Wer ihm zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. Angenommen. — Absatzweise abzustimmen ist nicht mehr möglich, weil wir schon bei Abs. 5 sind.
Wir kommen nunmehr zu § 4. Ich gebe das Wort Herrn Abgeordneten Dr. Schellenberg.

Dr. Ernst Schellenberg (SPD):
Rede ID: ID0411822500
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nach Ablehnung unseres Antrags unter Ziffer 1 ziehen wir unseren Antrag unter Ziffer 2 zurück und beantragen jetzt, die Ziffer 3 aufzurufen.

Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0411822600
Nachdem der Antrag unter Ziffer 2 zurückgezogen ist, rufe ich nunmehr Ziffer 3 auf. Wer wünscht das Wort? — Herr Abgeordneter Gerlach!

Horst Gerlach (SPD):
Rede ID: ID0411822700
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Dieser Antrag ist ein Hilfsantrag und beinhaltet im wesentlichen den schon am 13. Juni 1962 von der Fraktion der SPD vorgelegten Entwurf eines Gesetzes zur Verbesserung des Leistungsrechts der Kindergeldgesetze. Dort wurde beantragt, die Worte „7200 DM" durch „9000 DM" zu ersetzen. Dieser damals eingereichte Antrag — er ist nahezu vier Jahre alt — ist bedauerlicherweise im Sozialpolitischen Ausschuß nicht beraten worden. Er konnte nicht beraten werden, weil die Mitglieder der Koalitionsparteien dieses Ausschusses bedauerlicherweise verhindert haben, daß der Antrag auf die Tagesordnung gesetzt und beraten wurde.
Mit Annahme dieses Antrags Umdruck 400 Nrn. 3 und 10 — sie stehen in einem Zusammenhang miteinander — wird die Einkommensgrenze in § 4 des vorliegenden Entwurfs des Bundeskindergeldgesetzes Drucksache IV/1961 von 7200 auf 9000 DM jährlich, gleich einem Monatseinkommen von 750 DM, erhöht. Das ist eine Mindestforderung der Familienverbände. Die Einkommensgrenze liegt danach um rund 50 DM monatlich höher, als der Ausschuß für Familien- und Jugendfragen als mitberatender Ausschuß einstimmig bei einer Stimmenthaltung beschlossen hat, und der Antrag ist damit bescheiden zu nennen. Er berücksichtigt, wie man wohl zugeben muß, die inzwischen gestiegenen Löhne und Gehälter und reduziert den ausgeschiedenen Kreis der Empfangsberechtigten für das Zweitkindergeld. Die Zahl der Empfangsberechtigten bei einer Einkommensgrenze von 600 DM ist, wie bereits vom Herrn Bundesarbeitsminister dargelegt und bestätigt, auf 1,25 Millionen für das Jahr 1964 als Durchschnitt festgestellt. Infolge der gestiegenen Löhne und Gehälter wird die Zahl ab 1. Juli 1964 bei der erneut von der Bundesanstalt durchzuführenden Einkommensüberprüfung meiner Meinung nach wieder erheblich unterschritten werden. Wird dagegen die Einkommensgrenze nach diesem Vorschlag auf 750 DM erhöht, so erhöht sich die Zahl der Empfangsberechtigten auf rund 2 Millionen. Um die Mehraufwendungen in Höhe von 115 Millionen DM für das zweite Halbjahr 1964 zu decken, soll in § 41 a Nr. 2 Abs. 2 das Datum in den 1. Mai 1964 geändert werden analog dem Deckungsvorschlag bei dem vorigen Antrag.
Ich darf in diesem Zusammenhang erneut ein Wort des Präsidenten der Evangelischen Aktionsgemeinschaft für Familien- und Jugendfragen aufgreifen. Herr Präsident Donath, dem der Herr Bundespräsident in Anerkennung seiner Verdienste um sein stetiges Bemühen für die Familien in der Bundesrepublik das Bundesverdienstkreuz erster Klasse verliehen hat, hat in seiner Kritik zur Regierungserklärung des Herrn Bundeskanzlers am 18. Oktober 1963 zutreffend festgestellt — ich darf mit Genehmigung des Herrn Präsidenten zitieren —:
Vermißt haben wir
— so sagt Herr Präsident Donath —
ein Wort zur Förderung der jungen und zum Schutz der einkommensschwachen Familien mit zwei Kindern. Nur über sie führt der Weg zur Freude am Kind und zu Kinderreichtum. Auch insoweit müssen wir endlich wieder in Generationen denken.
Meine Damen und Herren, Ihre Ablehnungsgründe für die Aufhebung der Einkommensgrenze waren unter Zurückstellung aller parteipolitischen und damit politischen Unterschiede zwischen den Koalitionsparteien und der SPD-Bundestagsfrak-



Gerlach
tion, von mir aus gesehen, nicht überzeugend. Ich kann es wirklich nicht begreifen, wie Sie, meine Damen und Herren von der CDU/CSU und der FDP, von einem Familienlastenausgleich sprechen können, ihn aber nicht durchführen wollen. Wenn Sie sich auch schon nicht zu einer generellen Aufhebung der Einkommensgrenze haben entschließen können, was in der Öffentlichkeit, besonders aber bei den Mehrkinderfamilien bedauert und nicht verstanden wird, zumal eine Deckungsmöglichkeit, wenn auch erstmals für das Jahr 1964, vorliegt — verzeihen Sie, wir können dem Herrn Bundesfinanzminister hier nicht einen Haushalt für 1965 vorlegen —, so bitte ich doch, diesem Antrag zuzustimmen. Er belastet nicht den Haushalt, entlastet aber rund 1 Million Familien und gleicht die gestiegenen Lebenshaltungskosten in bescheidenem Maße aus. Ich bitte Sie daher, diesem Antrag zuzustimmen.

(Beifall bei der SPD.)


Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0411822800
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Schellenberg.

Dr. Ernst Schellenberg (SPD):
Rede ID: ID0411822900
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Ich hatte vorhin im Namen meiner Kollegen die Herbeirufung des Herrn Bundesfamilienministers beantragt. Vorher hatten uns die Kollegen der CDU, mit denen wir darüber gesprochen hatten, mitgeteilt, der Herr Bundesfamilienminister befinde sich in der Sitzung des Bundeskabinetts. Soeben erfahren wir, daß die Frau Mutter des Herrn Bundesfamilienministers verstorben ist Wir bedauern sehr, daß wir nicht vorher Kenntnis hiervon hatten. Ich erlaube mir, dem Herrn Bundesfamilienminister im Namen meiner Fraktion unser herzliches Beileid auszusprechen.

Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0411823000
Das Wort hat der Abgeordnete Müller (Berlin).

Johannes Müller (CDU):
Rede ID: ID0411823100
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Darf ich zunächst eine Vorbemerkung zu den Ausführungen des Herrn Abgeordneten Schellenberg machen, der sich mit meinen Darlegungen befaßt hat.
Herr Abgeordneter Professor Schellenberg, Sie haben mir den Vorwurf gemacht, wir hielten starr an eine Auffassung fest, obwohl in der Zwischenzeit veränderte Verhältnisse eingetreten seien. Ich muß sagen, Herr Professor Schellenberg, ich habe nur ein Beispiel gebracht, daß ich anführen mußte, wenn wir uns mit der Grundsatzfrage beschäftigen wollten. Ich habe ausdrücklich betont, einmal bestandene Vorstellungen könnten durchaus überprüft werden, hätten keine Gültigkeit für alle Zeit. Auch der Herr Bundesarbeitsminister hat in der Zwischenzeit gesagt, daß unser Standpunkt mal überprüft werden müsse. Ich schließe mich dem an. Ich sage das nur, damit kein Mißverständnis entsteht.
Nun zur Sache! Ich darf noch einmal auf meine Ausführungen über den Wegfall der Einkommensgrenze Bezug nehmen und ergänzend dazu folgendes sagen. Die Anhebung der Einkommensgrenze würde eine Änderung der Funktion des bisherigen Zweitkindergelds bedeuten, daß nämlich die Familien mit Einkommen bis zu 600 DM monatlich — das ist hier schon mehrmals betont worden — das Kindergeld als Ausgleich dafür erhalten, daß sich bei ihnen der Steuerfreibetrag für das zweite Kind überhaupt nicht oder nicht genügend auswirkt. Eine Anhebung der Einkommensgrenze würde die Familien mit höherem Einkommen — nach Ihrem Antrag beispielsweise mit einem Einkommen von 750 DM monatlich — in doppelter Hinsicht begünstigen; sie erhielten nämlich das Kindergeld und die Steuerersparnis, während die Familien mit geringerem Einkommen nur das Kindergeld erhielten.
Darf ich Ihnen dazu, nur damit kein Mißverständnis entsteht, ein Beispiel vortragen. Die Anhebung der Einkommensgrenze auf 750 DM monatlich würde bei einer Familie mit drei Kindern bedeuten, daß sie einmal Steuerermäßigung für das zweite Kind in Höhe von 28 DM und zum anderen Steuerermäßigung für das dritte Kind von 26 DM bekäme und daß dazu das Kindergeld für das zweite Kind von 25 DM und das Kindergeld für das dritte Kind von 50 DM träte; das machte zusammen 129 DM, und zwar aus Bundesmitteln!
Wenn man eine Bleichgroße Familie mit einem Einkommen von nur 500 DM monatlich nähme, so wäre folgendes festzustellen: sie bekäme keine Steuerermäßigung, und zwar weder für das zweite noch für das dritte Kind — mit Rücksicht auf die geringe Höhe des Einkommens —, sie erhielte nur Kindergeld für das zweite Kind von 25 DM und für das dritte Kind von 50 DM, also zusammen 75 DM aus Bundesmitteln, die durch die Steuern aufgebracht werden. Halten Sie das für sozial gerecht?

(Zuruf des Abg. Dr. Schellenberg.)

Es kann sich aus diesem Grunde nur darum handeln, sich entweder für die Aufhebung der Einkommensgrenze oder für die Festlegung einer Einkommensgrenze bis zu 600 DM monatlich zu entscheiden.

(Erneuter Zuruf des Abg. Dr. Schellenberg.)

— Meine Damen und Herren von der SPD, Sie sind unlogisch!

(Lachen bei der SPD.)

Weil Sie unlogisch sind, können wir Ihnen nicht ohne weiteres folgen. Ich habe ausdrücklich gesagt: wir werden natürlich in eine Überprüfung der Vorstellungen, die bisher gegolten haben, eintreten. Für den Augenblick allerdings bitte ich das Hohe Haus, mit Rücksicht auf die finanziellen Auswirkungen und in Anbetracht dessen, daß wir stärker für die Familien mit drei und mehr Kindern eintreten, auch diese Änderungsanträge abzulehnen und der Ausschußvorlage zuzustimmen.

Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0411823200
Herr Abgeordneter Dr. Schellenberg.

Dr. Ernst Schellenberg (SPD):
Rede ID: ID0411823300
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Müller, ich kann Ihnen die Sache ganz einfach erklären. Die Entwick-



Dr. Schellenberg
lung der Einkommen von 1961 bis heute entspricht genau der von uns beantragten Neufestsetzung der Einkommensgrenze. Wir halten also an der Grundkonzeption fest, die im Jahre 1961 vom Hause beschlossen wurde, und passen sie nur der wirtschaftlichen Entwicklung an.

(Beifall bei der SPD.)


Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0411823400
Wird weiter das Wort gewünscht? — Das ist nicht der Fall. Ich lasse dann abstimmen. Wer dem Änderungsantrag der Fraktion der SPD auf Umdruck 400 Ziffer 3 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen.
— Ich bitte um die Gegenprobe. — Das zweite ist die Mehrheit; der Antrag ist abgelehnt.
Wer § 4 in der Ausschußfassung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Das erste ist die Mehrheit; angenommen.
Ich rufe auf § 5 und dazu den Antrag Umdruck 400 Ziffer 4 unter dem Hinweis darauf, daß ich den Streichungsantrag als solchen nicht zulassen kann, sondern daß wir über den Paragraphen selbst abstimmen. Wird das Wort gewünscht? —

(Zurufe: Alles erledigt! — Von 4 bis 9 erledigt!)

— Der Antrag ist erledigt? — Gut.
Dann komme ich zu den §§ 5, — 6, — 7, — 8, —9,-10,-10a,-11,-12,-13,-14,-15,16. — Das Wort wird nicht gewünscht. Wer den aufgerufenen Paragraphen zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Es ist so beschlossen.
Ich komme zu § 17 und damit zu dem Antrag Umdruck 400 Ziffer 5.

(Zurufe: Erledigt!)

— Ist auch erledigt? Sind die Ziffern 6, 7 und 8 auch erledigt?

Dr. Ernst Schellenberg (SPD):
Rede ID: ID0411823500
Der gesamte Antrag ist mit der zu den Ziffern 2 und 3 getroffenen Entscheidung erledigt.

Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0411823600
Der gesamte Antrag ist erledigt, jawohl.
Damit kann ich aufrufen die §§ 17, — 18, — 19, —20, — 21, — 22, — 23,— 24, — 25, — 26, — 27, —28, — 29, — 30, — 31. — Das Wort wird nicht gewünscht. Wer den aufgerufenen Paragraphen zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen.
— Ich bitte um die Gegenprobe. — Es ist so beschlossen.
Ich komme zu § 32 und zugleich zum Antrag Umdruck 398 *) Ziffer 1. Das Wort zur Begründung hat der Abgeordnete Franzen.

Jakob Franzen (CDU):
Rede ID: ID0411823700
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mit den Änderungsanträgen auf
*) Siehe Anlage 4 Umdruck 398 will meine Fraktion die im Ausschuß für Arbeit beschlossenen Leistungsverbesserungen im Bundeskindergeldgesetz für die kinderreichen Familien wesentlich erweitern. Die neun Änderungsanträge beinhalten zwei grundsätzliche Änderungen. Die im Ausschuß für Arbeit erhöhten Kindergeldsätze gemäß § 10 der Ausschußvorlage — für das dritte Kind anstatt 40 DM 50 DM, für das vierte Kind anstatt 40 DM 60 DM und für das fünfte und jedes weitere Kind anstelle von 40 DM 70 DM monatlich — sollen ab 1. Januar 1964 gezahlt werden. Das Kindergeld soll ferner über das 25. Lebensjahr hinaus gewährt werden, wenn die Zahlung für das anspruchsberechtigte Kind infolge Unterbrechung der Schul- und Berufsausbildung durch die Erfüllung der gesetzlichen Wehr- und Ersatzpflicht verzögert wird.
Die CDU/CSU-Fraktion ist der Meinung, daß neben anderen bereits erfolgten allgemeinen Leistungsverbesserungen die Familie nicht länger mehr zurückstehen kann. Wir glauben auch, daß es möglich ist, mit den zur Verfügung stehenden Haushaltsmitteln und einer noch zumutbaren unmittelbaren Unterstützung der Wirtschaft über die Familienausgleichskassen unseren Familien bereits ab 1. Januar 1964 eine wirksame Hilfe geben zu können. Durch diese Regelung würden die allergrößten Härten ausgeglichen, die den Familien, insbesondere aber den kinderreichen Familien, durch die bereits mehrfach erwähnten erhöhten Lebenshaltungskosten entstanden sind.
Die vom Ausschuß für Arbeit am 13. Februar 1964 beschlossene Fassung des Entwurfs sieht vor, daß sowohl die Verbesserung des Kindergeldes, als auch die Finanzierung des bisherigen Kindergeldes aus Bundesmitteln ab 1. April 1964 wirksam werden sollen.
Unser Antrag beinhaltet, daß die vom Ausschuß für Arbeit beschlossenen Leistungsverbesserungen bereits mit Wirkung vom 1. Januar 1964 in Kraft treten und daß die hierzu entstehenden Mehraufwendungen vom Bund getragen werden. Die Übernahme der Finanzierung des bisherigen Kindergeldes von den Familienausgleichskassen auf den Bundeshaushalt soll um drei Monate — wie das bereits in der Debatte erwähnt wurde — auf den 1. Juli verschoben werden.
Ich glaube, daß ich über die Bedeutung einer gesunden und kinderfreudigen Familie für den Bestand einer Nation und für die Wirtschaftskraft eines Volkes keine besonderen Ausführungen zu machen brauche. Diese Bedeutung, die unseren Familien zukommt, ist wohl allen in diesem Hohen Hause sehr wohl bekannt. Wir sollten daher in dieser Stunde zusammenstehen und die Inkraftsetzung des Bundeskindergeldgesetzes und die Überleitung der Finanzierung von den Familienausgleichskassen auf den Bundeshaushalt so regeln, wie es meine Fraktion Ihnen in dem Änderungsantrag Umdruck 398 vorschlägt.
Die Änderungsvorschläge in unserer Vorlage sind chronologisch in der Paragraphenfolge aufgeführt. Mit den Ziffern 2, 3 und 4 beantragen wir eine



Franzen
Ergänzung der Rentengesetze. In § 34 der Vorlage — unser Änderungsantrag Ziffer 2 — sollen die Nrn. 2 a und 2 b eingefügt werden, durch die die §§ 1262 und 1267 der Reichsversicherungsordnung durch die Vorschrift ergänzt werden, den Kindergeldzuschuß bzw. das Waisengeld über das 25. Lebensjahr hinaus zu gewähren in den Fällen der Unterbrechung oder Verzögerung der Schuloder Berufsausbildung vor Vollendung des 25. Lebensjahres infolge Wehr- oder Ersatzdienst. Das gleiche gilt für die Angestelltenversicherung: § 35 der Ausschußvorlage — unser Änderungsantrag Ziffer 3 —, ebenfalls für die knappschaftliche Rentenversicherung: § 36 der Ausschußvorlage, unser Änderungsantrag Ziffer 4.
Das Inkrafttreten der Leistungsverbesserungen mit Wirkung vom 1. Januar 1964 zwingt uns, die §§ 32, 41 a, 41 b und 43 der Ausschußvorlage zu ändern. Die Änderungsanträge hierzu finden Sie in unserem Umdruck 398 unter den Ziffern 1, 5, 6, 7, 8 und 9.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, bei Inkrafttreten der Leistungsverbesserungen bereits ab 1. Januar 1964 ist eine Nachzahlung erforderlich. Aus Gründen der Verwaltungsvereinfachung sollen die Familienausgleichskassen diese Nachzahlung vornehmen und zu diesem Zweck für jedes dritte und weitere Kind, für das im April 1964 ein Antrag auf Kindergeld besteht, je 30 DM zahlen. Unser Änderungsantrag Ziffer 5 zu § 41 a Nr. 1 der Ausschußvorlage!
Die Familienausgleichskassen erhalten dafür, von Januar 1964 an gerechnet, einen monatlichen Zuschuß von 22 Millionen DM gemäß unserem Änderungsantrag unter Ziffer 7 zu § 41 a Nr. 2.
Hier müssen wir auch den Änderungsantrag unter Ziffer 6 berücksichtigen, wonach die Fristen für den Zuschuß geändert werden. Die Ausschußvorlage sah vor, daß den Familienausgleichskassen bei Inkrafttreten des Gesetzes ab 1. April und Übernahme der Finanzierung durch den Bund ein Zuschuß von monatlich 114 Millionen DM für die ersten drei Monate gewährt wird. Mit Rücksicht auf unseren Änderungsvorschlag ist diese Vorschrift dahin zu ändern, daß in Abs. 2 Satz 1 die Worte „1. April 1964 bis zum Ablauf des dritten Monats nach dem Monat der Verkündung 'des Bundeskindergeldgesetzes" durch die Worte „1. Januar bis 30. Juni 1964" ersetzt werden.
Die Familienausgleichskassen sind aus verwaltungstechnischen Gründen nicht in der Lage, bereits die höheren Beträge für die vierten und weiteren Kinder, also die Stufung des Kindergeldes, zu zahlen. Für diese Kinder können sie zunächst auch nur je 30 DM nachzahlen. Die Nachzahlung der darüber hinausgehenden Erhöhungsbeträge von 10 DM für das vierte und je 20 DM für das fünfte und weitere Kind muß der Bundesanstalt übertragen werden, ebenso die Nachzahlung für die Drittkinder von etwa 30 DM für das erste Vierteljahr 1964, sofern diese Drittkinder im April dieses Jahres keinen Anspruch mehr auf Kindergeld hatten. Wir schlagen Ihnen daher in Ziffer 8 unseres Antrages vor, § 41 b
neu zu fassen. Ich darf Ihnen mit Erlaubnis des Herrn Präsidenten den Wortlaut des Paragraphen zur Klarstellung vorlesen:
§ 41 b
Nachzahlungen durch die Bundesanstalt
Personen, die im Jahre 1964 für einen der ersten drei Monate Kindergeld für ein drittes Kind oder für einen der ersten sechs Monate Kindergeld für ein viertes oder weiteres Kind bezogen haben, wird von der Bundesanstalt der Betrag nachgezahlt, um den das bezogene Kindergeld niedriger ist als das Kindergeld, das sie erhalten hätten, wenn bereits die in § 10 Abs. 1 genannten Kindergeldsätze maßbend gewesen wären. Der nachzuzahlende Betrag vermindert sich um den Betrag, den dieselbe Person für das Kind nach § 4 Abs. 1 Satz 2 des Kindergeldgesetzes in der Fassung des § 41 a Nr. 1 dieses Gesetzes erhalten hat. Die Nachzahlung ist bis zum 31. Oktober 1964 zu beantragen; die in den Sätzen 1 und 2 genannten Voraussetzungen sind glaubhaft zu machen.
Zu unserem Änderungsantrag auf Umdruck 398 Ziffer 1, der den '§ 32 der Vorlage betrifft, ist folgendes zu sagen. Nach dem Kindergeldgesetz erhalten ,die landwirtschaftlichen Familienausgleichskassen von den Ausgleichskassen der gewerblichen Wirtschaft einen Zuschuß. Der Ausschuß hat hier Fristen festgelegt, die nach unserem Antrag geändert werden sollen. Unser Antrag lautet:
In § 32 Abs. 4 Satz 1 werden die Worte „zum 31. März 1964" durch die Worte „zum 30. Juni 1964" und die Zahl „125" durch die Zahl „150" ersetzt.
Das heißt, daß nunmehr dieser Ausgleich an die landwirtschaftlichen Berufsgenossenschaften bis zum 30. Juni zu leisten ist und daß der Vomhundertsatz von 125 auf 150 erhöht wird. Dieser Betrag ist nach den Zuschüssen errechnet, die die Familienausgleichskassen in den Jahren 1962 und 1963 bereits geleistet haben.
Schließlich, meine sehr verehrten Damen und Herren, soll nach Ziffer 9 unseres Antrages auf Umdruck 398 das Inkrafttreten des Gesetzes konkret festgelegt werden. Die Ausschußvorlage sah vor, daß das ganze Gesetz nach Ablauf des dritten Monats nach seiner Verkündung in Kraft treten sollte. Wir schlagen statt dessen vor, das gesamte Gesetz am 1. Juli 1964 in Kraft treten zu lassen.
Nun wären noch einige Sätze zur Deckung zu sagen. Der Herr Minister für Arbeit und Sozialordnung hat eben bereits darauf hingewiesen, daß der Haushaltsausschuß bei der Mitberatung des Gesetzentwurfes festgestellt hat, daß der Haushaltsansatz 1964 für das Kindergeld um etwa 173 Millionen DM unter dem Betrag der nach der Fassung des Ausschusses für Arbeit erforderlichen Mittel liegt, daß also zunächst eine Defizit von 173 Millionen DM besteht. Übernimmt der Bund die Finanzierung des Kindergeldes in der bisherigen Höhe aber erst ab 1. Juli 1964, so verringert sich nicht nur das Defizit, sondern es werden 273 Millionen DM, die für das



Franzen
Kindergeld als Aufwendungen des Bundes in den Haushalt eingestellt sind, frei. Dieser Betrag reicht aus, um sowohl die Kosten, die mit dem Inkrafttreten aller Leistungsverbesserungen am 1. Januar 1964 entstehen, zu decken, als auch den Fehlbetrag im Haushalt, der durch die Erhöhung des Kindergeldes um etwa 100 Millionen DM entstanden ist, zu finanzieren.
Da somit auch im Haushalt 1964 für unseren Vorschlag ,eine Deckung besteht, bitte ich Sie, unserem Antrag Ihre Zustimmung zu geben.

(Beifall bei der CDU/CSU.)


Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0411823800
Das Wort hat der Abgeordnete Mischnick.

Wolfgang Mischnick (FDP):
Rede ID: ID0411823900
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Namens der Fraktion der Freien Demokraten bitte ich, den Antrag Ziffer 1 abzulehnen.
Ich möchte zunächst nur zu Ziffer 1 des Antrags Stellung nehmen. Der Antrag befaßt sich zwar nur mit dem Ausgleich bei den landwirtschaftlichen Kassen, aber mit der Abstimmung darüber fällt natürlich auch die Grundsatzentscheidung, ob die Übernahme der Kindergeldzahlung von der Wirtschaft auf den Bundeshaushalt auf den 1. Juli verlegt wird. Wir Freien Demokraten sind der Auffassung, daß wir es bei der Ausschußfassung belassen sollten.
Wir bedauern sehr, daß die, wie sich aus dem Antrag ergibt, recht komplizierten Umstellungsvorschläge hier erst in der zweiten Lesung gemacht werden und nicht bereits im Ausschuß behandelt worden sind. Das Argument, daß keine Deckung für in der Regierungsvorlage nicht enthaltene Ausgaben vorhanden sei, ist nach unserer Auffassung deshalb nicht zugkräftig, weil wir nicht bereit sind, dem Haushaltsausschuß zu unterstellen, daß er bei seiner Entscheidung vom 5. Februar keinen Dekkungsvorschlag gemacht hat, der dem damaligen Beschluß des zuständigen Arbeitsausschusses entspricht. Deshalb bitten wir, es bei der Ausschußfassung zu belassen.
Es ist davon gesprochen worden, daß es doch zumutbar sei, die Übernahme um ein Vierteljahr zu verschieben. Es geht hier nicht um die Frage, ob etwas zumutbar oder nicht zumutbar ist, sondern nach unserer Auffassung darum, daß nun endlich die Ausschußbeschlüsse, das Gesetz ab 1. April in dieser Form durchzuführen, zum Beschluß des Plenums erhoben werden. Immerhin soll ja nach nunmehr fast 10 Jahren eine falsche Entscheidung, die damals von der Mehrheit gefaßt worden ist, korrigiert werden.
Wir sind der Überzeugung, daß eine Ablehnung dieses Antrags durch das Hohe Haus keine Gefährdung der Haushaltslage mit sich bringen wird. Der Haushaltsausschuß hat einstimmig seiner Überzeugung Ausdruck gegeben ,daß die Beträge, die in die Ausschußvorlage eingesetzt worden sind, gedeckt werden können.
Ich darf weiterhin bitten, daß ähnliche Überlegungen bei anderen Gesetzen in Zukunft im Ausschuß rechtzeitig angestellt und nicht erst dem Plenum in dieser Form vorgebracht werden. Zum Teil sind die Anträge erst heute vorgelegt worden. Deshalb war eine genaue Durchsicht im einzelnen kaum möglich.
Ich möchte auf die einzelnen Punkte, die von dem Kollegen Franzen von der CDU/CSU hier behandelt worden sind, nicht eingehen. Die Möglichkeit, seinem Wunsche entgegenzukommen, nämlich die Erhöhung des Kindergeldes ab 1. Januar wirksam werden zu lassen, ist auch auf einem anderen Wege gegeben. Wir werden dazu, wenn nötig, Stellung nehmen.

(Beifall bei der FDP.)


Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0411824000
Wird weiter das Wort gewünscht? — Das ist nicht der Fall.
Ich lasse über den Änderungsantrag der Fraktion der CDU/CSU Umdruck 398 Ziffer 1 abstimmen. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Ich lasse die Abstimmung wiederholen. Wer dem Änderungsantrag der Fraktion der CDU/CSU Umdruck 398 Ziffer 1 zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Das zweite ist die Mehrheit; der Antrag ist abgelehnt.
Ich lasse über § 32 in der Ausschußfassung abstimmen. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Es ist so beschlossen.
Ich rufe die §§ 32 und 33 auf. — Das Wort wird nicht gewünscht. Wer den aufgerufenen Bestimmungen zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Es ist so beschlossen.
Ich rufe § 34 auf. Dazu liegt der Änderungsantrag Umdruck 398 Ziffer 2 vor. Er ist schon begründet. Wird das Wort gewünscht? — Das ist nicht der Fall. Wer dem Änderungsantrag der Fraktion der CDU/CSU Umdruck 398 Ziffer 2 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Das ist die große Mehrheit; er ist angenommen.
Ich lasse über § 34 mit der soeben beschlossenen Änderung abstimmen. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Es ist so beschlossen.
Ich komme zu § 35. Dazu liegt der Antrag Umdruck 398 Ziffer 3 vor. Er ist begründet. Wird noch das Wort gewünscht? — Das ist nicht der Fall. Wer dem Änderungsantrag der Fraktion der CDU/CSU Umdruck 398 Ziffer 3 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Es ist so beschlossen.
Ich lasse über § 35 mit der soeben beschlossenen Änderung abstimmen. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Es ist so beschlossen.
Ich rufe auf § 36. Dazu liegt der Änderungsantrag Umdruck 398 Ziffer 4 vor. Der Antrag ist begründet. Wird das Wort gewünscht? — Das ist nicht der Fall. Wer dem Änderungsantrag der Fraktion der CDU/CSU Umdruck 398 Ziffer 4 zuzustimmen



Vizepräsident Dr. Jaeger
wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Das ist die Mehrheit; es ist so beschlossen.
Wer § 36 mit der soeben beschlossenen Änderung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Es ist so beschlossen.
Ich rufe auf die §§ 37, — 38, — 39, — 40 und 41. — Das Wort wird nicht gewünscht. Wer den aufgerufenen Paragraphen zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Es ist so beschlossen.
Ich rufe auf § 41 a. Dazu liegt der Änderungsantrag Umdruck 398 Ziffern 5, 6 und 7 vor.

(Abg. Dr. Schellenberg: Herr Präsident, ich bitte ziffernweise abzustimmen!)

Der Antrag ist begründet. Wird das Wort gewünscht? — Das ist nicht der Fall. — Es wird ziffernweise Abstimmung gewünscht. Dagegen gibt es keinen Widerspruch. Es handelt sich insgesamt um den Änderungsantrag der Fraktion der CDU/CSU auf Umdruck 398. Ich lasse zunächst rüber Ziffer 5 abstimmen. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Keine Gegenstimmen; der Antrag ist angenommen.
Ziffer 6! Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Bei zahlreichen Gegenstimmen rechts angenommen.
Ziffer 7! Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Ich lasse die Abstimmung wiederholen. Wer Ziffer 7 zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Das zweite ist die Mehrheit; der Antrag ist abgelehnt.

(Zuruf von der CDU/CSU: Die neue Koalition!)

Wer § 41 a unter Berücksichtigung der soeben beschlossenen Änderungen zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Es ist so beschlossen.
Ich rufe auf § 41 b. Dazu liegt der Änderungsantrag Umdruck 398 Ziffer 8 vor. Wird das Wort dazu gewünscht? — Das ist nicht der Fall. Wer dem Änderungsantrag der Fraktion der CDU/CSU Umdruck 398 Ziffer 8 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Der Antrag ist angenommen.
Wer § 41 b mit der soeben beschlossenen Änderung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Es ist so beschlossen.
Ich rufe auf § 42. Das Wort wird nicht gewünscht. Wer § 42 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Es ist so beschlossen.
Ich rufe auf § 43. Dazu liegt der Änderungsantrag Umdruck 398 Ziffer 9 vor. Wird das Wort gewünscht? — Das ist nicht der Fall. Wer den Änderungsantrag der Fraktion der CDU/CSU Umdruck 398 Ziffer 9 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Bei zahlreichen Gegenstimmen rechts angenommen.
Wer § 43 mit der soeben beschlossenen Änderung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Es ist so beschlossen.
Ich komme zu Einleitung und Überschrift. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Es ist so beschlossen.
Damit stehen wir am Ende der zweiten Beratung. Das Wort hat der Abgeordnete Rasner.

Will Rasner (CDU):
Rede ID: ID0411824100
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Durch die Beschlüsse des Hauses sind Mehrbelastungen für den Haushalt entstanden. Nach § 96 der Geschäftsordnung ist die Vorlage daher ohne Abstimmung im Hause ex officio vom Präsidenten an den Haushaltsausschuß zu überweisen. Wir waren im Ältestenrat darüber einig und hatten vorsorglich vorgesehen, daß die dritte Lesung am Freitag erfolgen soll. Ich bitte, entsprechend zu verfahren.

Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0411824200
Das Wort hat der Abgeordnete Spitzmüller.

Kurt Spitzmüller (FDP):
Rede ID: ID0411824300
Durch die unterschiedlichen Abstimmungsergebnisse sind nach meinem Dafürhalten Beschlüsse gefaßt worden, die weiter gehen, als es die Mehrheit des Hauses eigentlich wollte.

(Abg. Stingl: Da müßt ihr besser aufpassen, da müßt ihr Änderungsanträge stellen!)

— Herr Kollege Stingl, keine Aufregung. Im Dezember hat hier die Mehrheit auch Beschlüsse gefaßt, die im Ausschuß noch einmal durchberaten werden sollten. Damals brauchte die Regierung 48 Stunden, um das, was die Mehrheit des Hauses damals wollte, in allgemein verständliches Deutsch umzuformulieren. Ich halte es deshalb für notwendig, daß auch der Arbeitsausschuß noch einmal damit befaßt wird, damit in den Gesetzestext genau das hineinkommt, was die Mehrheit mit ihren Anträgen erreichen wollte, nämlich eine Übernahme ab 1. April durch den Bundeshaushalt und ein Inkrafttreten der Erhöhungen ab 1. Januar, zu tragen von den Familienausgleichskassen vom 1. Januar bis 31. März.

Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0411824400
Das Wort hat der Abgeordnete Rasner.

Will Rasner (CDU):
Rede ID: ID0411824500
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Was jetzt zu entscheiden ist, ist gar keine Frage, die vom Fachlichen her im Arbeitsausschuß behandelt werden muß. Vielmehr handelt es sich um ein reines Deckungsproblem, um ein reines Finanzproblem, und das muß im Haushaltsausschuß erörtert werden. Eine Rücküberweisung an den Fachausschuß ist nicht nötig.

Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0411824600
Es liegen zwei Anträge vor. Der Abgeordnete Spitzmüller hat die Rücküberweisung an den Arbeitsausschuß und der



Vizepräsident Dr. Jaeger
Abgeordnete Rasner die Überweisung an den Haushaltsausschuß — ich nehme an, nach § 96 (neu) — beantragt. Am weitesten geht der Antrag auf Rücküberweisung an den Arbeitsausschuß. Ich lasse darüber zuerst abstimmen.
Wer im Sinne des Antrags des Abgeordneten Spitzmüller einer Rücküberweisung an den Arbeitsausschuß zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe.
— Mit großer Mehrheit abgelehnt.
Ich komme zu dem Antrag des Abgeordneten Rasner auf Überweisung an den Haushaltsausschuß gemäß § 96. Wer zuzustimmen wünscht; den bitte ich um ein Handzeichen.

(Abg. Rasner: Ex officio durch den Präsidenten zu überweisen!)

— Die Vorlage ist jedenfalls nach § 96 überwiesen. Wir kommen zu Punkt 4 der Tagesordnung:
Zweite und dritte Beratung des von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Einkommensteuergesetzes (Drucksache IV/1897);
Schriftlicher Bericht des Finanzausschusses (14. Ausschuß) (Drucksache IV/1953).

(Erste Beratung 110. Sitzung)

Ich danke dem Abgeordneten Schlee für seinen Schriftlichen Bericht.
Ich rufe in zweiter Beratung den Artikel 1 auf. Dazu liegt vor der Antrag Umdruck 397*). Wird dieser Antrag begründet? — Herr Abgeordneter Seuffert!

Walter Seuffert (SPD):
Rede ID: ID0411824700
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich darf vorweg, damit ich es nicht vergesse, darauf aufmerksam machen, daß der Umdruck 397 einen Druckfehler enthält. Die Worte, die eingefügt werden sollen, heißen: „1. Januar 1965" und nicht: „1. Januar 1964".

Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0411824800
Diese Änderung wird zu Protokoll genommen und liegt dann der Abstimmung zugrunde.

Walter Seuffert (SPD):
Rede ID: ID0411824900
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir haben im vorigen Jahr den § 7 b des Einkommensteuergesetzes in seiner bisherigen Form suspendiert bis 31. März dieses Jahres in der Voraussetzung, daß eine Ersatzlösung betreffend die Abschreibungen auf Grundbesitz überhaupt von der Bundesregierung innerhalb dieser Frist vorgelegt werde. Das ist nicht geschehen. Eine Ersatzlösung der Regierung liegt dem Bundestag bisher nicht vor. Die Vorstellungen der Regierung kommen nur in Form eines Initiativantrages aus dem Hause zum Ausdruck, und gleichzeitig liegt ein anderer Antrag zu demselben Gebiet aus den Reihen der Regierungskoalition dem Hause vor.
Die sozialdemokratische Opposition hat deshalb beantragt, die Frist für die Suspendierung des § 7 b
*) Siehe Anlage 5 des Einkommensteuergesetzes bis Ende dieses Jahres zu verlängern.
Wie Sie aus dem Ausschußantrag sehen, ist man auf seiten der Ausschüsse zwar auch der Auffassung, daß diese Verlängerung endgültig bis zum 31. Dezember dieses Jahres erfolgen müsse. Nur schlägt man jetzt eine Verlängerung um einen kürzeren Zeitraum vor, weil man glaubt, bis zum 30. Juni 1964 die Ersatzlösung verabschieden zu können; dann will man, wie Sie aus dem Ausschußbericht sehen, erneut beschließen, und zwar eine Verlängerung bis zum 31. Dezember 1964.
Wir sind also in der Sache gar nicht in Streit. Es handelt sich lediglich um die Frage, ob ernsthaft damit gerechnet werden kann, daß die Neuregelung der Abschreibungen für Grundstücke von diesem Hause bis zum 30. Juni 1964 behandelt und verabschiedet werden kann. Diese Annahme, meine Damen und Herren, ist völlig illusorisch. Das hat sich auch der Finanzausschuß — der federführende Ausschuß, auf dem die Belastung mit dieser Aufgabe liegt — bei seinem ersten Beschluß klargemacht.
Es ist bereits in den bisherigen Verhandlungen, auch im Bundesrat, klargeworden, daß die Frage — es handelt sich überall um Zustimmungsgesetze, über die der Bundestag mit dem Bundesrat einig sein muß — gar nicht ohne Zusammenhang mit dem Steueränderungsgesetz, auf dem die Bundesregierung brütet, verabschiedet werden kann.
Ich will gar nicht davon sprechen, welche weitreichenden Konsequenzen in bezug auf die Zuschüsse zum Wohnungsbau und in bezug auf die Mietberechnung davon abhängen, ob man bei der Bemessung der Abschreibungen auf Grundbesitz von einer Lebensdauer des Grundbesitzes von hundert Jahren oder von fünfzig Jahren ausgeht.
Ich verstehe am allerwenigsten, Herr Kollege Hesberg, Ihre Stellungnahme in dieser Sache. Sie waren doch der Vorsitzende des Gutachterausschusses, der für das Bewertungsgesetz die ganzen Grundlagen in Form von Tabellen usw. für die Neubewertung des Grundbesitzes erarbeitet hat; Sie müssen doch wissen, daß das Bewertungsgesetz nicht von einer Lebensdauer — wie jetzt vorgesehen — von fünfzig Jahren, sondern grundsätzlich von einer Lebensdauer von hundert Jahren ausgeht. Ich will gar nicht die Frage vertiefen, ob es überhaupt möglich ist, im Bewertungsgesetz von einer anderen Grundlage auszugehen als im Ertragssteuergesetz.
Die Vorstellungen, die die Regierung angesichts der enstandenen Situation im Finanzausschuß bisher dargelegt hat, waren jedenfalls weder klar noch befriedigend. Eines aber, Herr Kollege Hesberg, ist doch sicher: daß man diese Fragen neben allen anderen Fragen — da brauche ich vom sonstigen Arbeitsprogramm des Finanzausschusses gar nicht zu sprechen — unmöglich bis Juni dieses Jahres lösen kann.
Wir glauben deswegen, daß hier die Vernunft sprechen und man den ursprünglichen Beschluß des Finanzausschusses wiederherstellen, daß heißt, die Frist schon jetzt bis zum 1. Januar 1965 erstrecken sollte.




Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0411825000
Das Wort hat der Abgeordnete Schlee.

Albrecht Schlee (CSU):
Rede ID: ID0411825100
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist richtig, daß die Fraktion der CDU/CSU insofern mit dem Antrag der SPD übereinstimmt, als eine Verlängerung der Suspension des § 7 b jetzt notwendig ist. Ich bitte Sie aber im Namen meiner Fraktion, dem Entwurf in der Fassung zuzustimmen, die der Ausschuß für Finanzen beschlossen hat. Dazu darf ich einen kurzen historischen Rückblick bringen. Er wird Ihnen klar zeigen, worum es geht.
Im März 1963 hat der Bundestag eine befristete Beschränkung des § 7 b des Einkommensteuergesetzes beschlossen. Der § 7 regelt die Abschreibungen für den allmählichen Verschleiß der Wirtschaftsgüter, die der Steuerpflichtige zur Erzielung von Einkommen benützt. Der § 7 b ist eine besondere Vorschrift. Er regelt die besonderen Abschreibungen, die im Interesse des Wohnungsbaues für Wohngebäude gelten sollen. Die Beschränkung dieser besonderen Vorschrift ist im März 1963 beschlossen, das Gesetz am 16. Mai 1963 verkündet worden. Ich habe gesagt, die Beschränkung ist befristet. Sie soll für alle Wohngebäude gelten, für die die Baugenehmigung nach dem 9. Oktober 1962 und vor dem 1. April 1964 beantragt wurde oder beantragt wird. Es würde also, wenn jetzt nichts geschähe, mit dem 1. April 1964 auch der alte Rechtszustand des § 7 b wieder eintreten.
Ich darf die Entschließung, die der Bundestag damals, am 13. März 1963, zugleich angenommen hat, in Ihre Erinnerung zurückrufen. Der Bundestag hat damals die Regierung ersucht, bis zum Mai 1963 eine Neuregelung, einen Entwurf für ein neues Gesetz vorzulegen, das sowohl den § 7, soweit er Gebäude im allgemeinen betrifft, als auch den § 7 b insgesamt ablösen sollte. Es sollte eine Dauerlösung getroffen und dabei auch die Frage geprüft werden, ob für die Abschreibung von Gebäuden eine Frist von 100 Jahren oder eine kürzere Frist angemessen ist. Die Regierung hat diesen Termin zunächst nicht einhalten können; aber sie hat inzwischen, am 4. Februar dieses Jahres, dem Bundesrat ihren Entwurf zugeleitet. Der Bundesrat hat sich bereits am Mittwoch der vergangenen Woche damit befaßt.
Auch Herr Abgeordneter Dr. Hesberg und Genossen haben einen Antrag eingereicht. Er entspricht in seinem Inhalt genau der Vorlage der Bundesregierung. Ebenso haben Herr Abgeordneter Dr. Schmidt und Genossen einen Antrag eingereicht, der in seinem Inhalt etwas abweicht.
Sie sehen also, die Gesetzgebung, die der Bundestag im März 1963 gefordert hat, ist in Gang gekommen. Ich habe eben schon gesagt, wir sind damit einverstanden, daß nunmehr die Suspendierung des § 7 b in der jetzt geltenden Fassung verlängert wird. Denn es wäre sicher nicht gut, wenn am 1. April dieses Jahres der alte Rechtszustand wieder eintreten sollte. Würde es dabei bleiben, so wäre damit der Wille des Bundestages mißachtet, daß die ganze Frage der Abschreibung für Gebäude überhaupt einer Prüfung und Neuregelung unterzogen werden soll. Würde es aber zu einer Neuregelung kommen, so wäre es ebenso ungeschickt für alle interessierten Kreise, wenn am 1. April der bis zum Jahre 1962 geltende Zustand wieder eintreten und im Laufe dieses Jahres auf Grund einer Neuregelung noch einmal ein anderer Rechtszustand eingeführt werden sollte. Wir sind der Meinung — und hier hat sich die Mehrheit des Finanzausschusses einem Antrag des Herrn Abgeordneten Schulhoff angeschlossen —, daß sich der Bundestag für diese Gesetzgebung eine Frist bis zum 30. Juni 1964 setzen sollte. Nach dem bisherigen Verlauf der Gesetzgebung glauben wir — die verschiedenen Entwürfe sind dem Finanzausschuß schon überwiesen worden; der Wirtschaftsausschuß und der Wohnungsbauausschuß sind mitberatend —, daß es gelingen wird, diese Entwürfe bis zum 30. Juni 1964 so durchzuberaten, daß das Gesetz rechtzeitig verabschiedet und verkündet werden kann.
Wir glauben weiterhin, daß alle am Wohnungsbau interessierten Kreise ein berechtigtes Interesse daran haben, daß die nunmehr seit dem März 1963 in Frage stehende Angelegenheit einer baldigen Klärung zugeführt wird, damit die Bauwilligen wieder wissen, woran sie sind und womit sie zu rechnen haben,

(Abg. Schulhoff: Sehr richtig!) wenn sie jetzt einen Bau beginnen wollen.

Hier ist auch nicht darüber zu verhandeln und zu entscheiden, ob die Neuregelung einer Rückwirkung unterworfen werden sollte. Aber eins dürfte klar sein: sollte es zu einer teilweisen Rückwirkung der neuen Bestimmungen kommen, so wäre es sicher günstiger, man würde schon vor dem 30. Juni ein Gesetz verkünden als erst nach dem 1. Januar 1965.
Namens der Fraktion der CDU/CSU bitte ich Sie daher, der Beschränkung der Befristung auf den 30. Juni dieses Jahres und damit dem gewollten Druck auf unsere Gesetzgebungsarbeit im Interesse einer baldigen Klarstellung der steuerrechtlichen Lage auf diesem Gebiet zuzustimmen, d. h. den Antrag anzunehmen, so wie ihn der Ausschuß gestellt hat.

(Beifall 'bei der CDU/CSU.)


Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0411825200
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Aschoff.

Dr. Albrecht Aschoff (FDP):
Rede ID: ID0411825300
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Im Namen der Fraktion der Freien Demokraten habe ich folgendes zu erklären. Meine Fraktion wird dem Antrag ,des Ausschusses zustimmen und bedauert, dem Vorschlag der SPD nicht folgen zu können. Wir haben dafür folgende Gründe.
Wir stimmen den Ausschußanträgen zu, allerdings in der festen Erwartung, daß die Regelung eine eindeutige Klarheit über die Rechtsverhältnisse auf dem Baumarkt ab 1. Juli bringt. Ich glaube, daß die deutsche Wirtschaft und der private Bauunternehmer einen echten Anspruch gegenüber dem Deutschen Bundestag auf Klarheit haben, damit man nun nach



Dr. Aschoff
langer Zeit unerfreulicher Unklarheit weiß, wie man disponieren soll.

(Sehr gut! bei der CDU/CSU.)

Wir stimmen also der Vorverlegung unter der Voraussetzung zu, daß die zu treffende Regelung ab 1. Juli klare Verhältnisse schafft.
Soweit das Problem der Rückwirkung hier angesprochen worden ist, glaube ich, daß ein großer Teil meiner Freunde rechtsstaatliche Bedenken dagegen anmelden wird, daß wir immer wieder wegen angeblicher Terminnot versuchen, rückwirkende Möglichkeiten zu schaffen, die eigentlich in derartigen Gesetzen nicht erwünscht sind.

(Abg. Schulhoff: Das haben wir bei der .Suspendierung ,des § 7 b auch gemacht!)

— Eben, das weiß ich.
Die Herren der SPD haben das Bedenken vorgetragen, daß es nicht möglich sein werde, in dieser Zeit das Gesetz zu verabschieden. Das Problem ist in allen drei Ausschüssen, die daran beteiligt sind, erörtert worden, und wir sind zu der Auffassung gekommen, daß es möglich ist. Allerdings würde ich dann doch darum bitten, daß wir den Versuch unterlassen, durch eine Reihe von Randproblemen allgemeiner volkswirtschaiftlicher Art — —

(Abg. Seuffert: Die Mieten sind kein Randproblem!)

— Herr Kollege, ich glaube, daß man es bis zu Randproblemen treiben kann, wenn man das generelle Problem der Mietpreisentwicklung, die ja zum Teil schließlich auch vom Markt her bedingt ist und so gesehen werden muß, in diese Erörterungen in einem uferlosen Umfang einbezieht.
Wir sind der Auffassung, daß zwei Probleme untersucht werden müssen. Es ist das eigentumspolitische Problem, ob es zweckmäßiger ist, durch eine Umgestaltung des § 7 b diese Dinge zu regeln, oder ob es möglich ist, durch eine andere Form der Abschreibung zum gleichen Ziel der Eigentumspolitik zu kommen. Wir haben zweitens zu untersuchen, ob ohne die Bevorrechtung bestimmter einzelner die Abschreibungen unter Verkürzung der Zeit den gewünschten Erfolg haben werden. Inwieweit man mit dieser ganzen Frage später noch Wettbewerbsverzerrungen auf dem Baumarkt wird untersuchen müssen, wird eine spätere Frage sein.
Diese Überlegungen haben uns veranlaßt, meine Damen und Herren, Sie zu bitten, den Vorschlägen der Ausschüsse zuzustimmen.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)


Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0411825400
Wird noch das Wort gewünscht? — Das ist nicht der Fall.
Ich komme damit zur Abstimmung. Wer dem Antrag der Fraktion der SPD auf Umdruck 397 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen.
— Ich bitte um die Gegenprobe. — Das zweite ist die Mehrheit; der Antrag ist abgelehnt.
Wer § 1 in der Ausschußfassung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Mit Mehrheit beschlossen.
Ich rufe auf Art. 2, Art. 3, Einleitung und Überschrift. — Das Wort wird nicht gewünscht. Wer den aufgerufenen Bestimmungen zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Es ist so beschlossen.
Ich komme zur
dritten Beratung
und eröffne die allgemeine Aussprache. — Das Wort wird nicht gewünscht. Ich schließe die allgemeine Aussprache.
Wer dem Gesetzentwurf als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Bei zahlreichen Enthaltungen links angenommen.
Ich rufe auf Punkt 5 der Tagesordnung:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Assoziierungsabkommen vom 12. September 1963 zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Türkei sowie zu den mit diesem Abkommen in Zusammenhang stehenden Abkommen (Drucksache IV/1788);
Schriftlicher Bericht des Ausschusses für auswärtige Angelegenheiten (3. Ausschuß) (Drucksache IV/1982)

(Erste Beratung 106. Sitzung).

Zur Ergänzung des Schriftlichen Berichts hat das Wort als Berichterstatter der Abgeordnete Metzger.

Ludwig Metzger (SPD):
Rede ID: ID0411825500
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es handelt sich hier um die zweite Assoziierung eines europäischen oder eines wenigstens teilweise europäischen Landes an die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft. Die Türkei hat bereits im August 1959 ihre Assoziierung beantragt. Nun liegt der Vertrag vor, den wir hier zu ratifizieren haben. Die Assoziierung ist wie bei der Assoziierung Griechenlands vorgesehen mit dem Ziel, die Mitgliedschaft der Türkei zu erreichen. Diese Mitgliedschaft bedeutet keinen Rechtsanspruch der Türkei, sie ist als eine Möglichkeit vorgesehen.
Allerdings wird diese Mitgliedschaft lange Weile haben; denn die Assoziierung ist in drei Phasen mit erheblichen Fristen vorgesehen. Die Assoziierung wird zunächst nach Art. 238 des Vertrages zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft vorgenommen, d. h. die Assoziierung ist durch den Ministerrat der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft vorzunehmen. Der Vertrag hat aber — wie auch der Vertrag mit Griechenland — die Eigentümlichkeit, daß die Assoziierung zur gleichen Zeit durch die Mitgliedstaaten vorgenommen wird, in diesem Falle deswegen, weil auch erhebliche Mittel durch die Mitgliedstaaten aufgebracht werden müssen. Vom Standpunkt der Einheitlichkeit der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft aus ist es zu be-



Metzger
dauern, daß dieser Vertrag sowohl von den Mitgliedstaaten als auch von der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft abgeschlossen wird und daß hier nicht eine saubere und reinliche Trennung erfolgt. Immerhin wird deutlich, daß die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft diesen Vertrag mit der Türkei schließt, daß also das Völkerrechtssubjekt Europäische Wirtschaftsgemeinschaft den Vertragsschluß mit der Türkei vornimmt. Die Assoziierung bedeutet ja, daß zwischen dem Völkerrechtssubjekt Europäische Wirtschaftsgemeinschaft und dem Völkerrechtssubjekt Türkei ein völkerrechtlicher Vertrag abgeschlossen wird. Die Mitgliedschaft, die in Aussicht genommen ist, bedeutet dann, daß die Türkei in die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft integriert werden soll, daß also dann nicht mehr eine völkerrechtliche Beziehung von Völkerrechtsgemeinschaft zu Völkerrechtsgemeinschaft vorliegen wird.
Der Vertrag soll in drei Phasen durchgeführt werden. Es wird eine Vorbereitungsphase, eine Übergangsphase und eine Endphase geben. Die Vorbereitungsphase soll 5 Jahre dauern, kann aber bis auf 11 Jahre verlängert werden.
Die Vorbereitungsphase ist interessant; sie hat ihre Eigentümlichkeiten. In der Vorbereitungsphase geschieht eigentlich nur das, was zugunsten der Türkei vorgesehen ist. Die EWG leistet, während die Türkei keinerlei Leistungen zu erbringen hat. Die EWG wird innerhalb dieser 5 Jahre an die Türkei 175 Millionen Rechnungseinheiten, d. h. Dollar, zahlen. Auf die Bundesrepublik entfallen 33,42 %; das sind 234 Millionen DM. Die Türkei wird außerdem einen Vorteil dadurch haben, daß Zollpräferenzkontingente für 4 Warengattungen vorgesehen sind: für Tabak, für getrocknete Weintrauben, für Feigen und für Haselnüsse. Dabei ist wiederum interessant, daß die EWG nicht in der Weise auftritt, daß der Gemeinsame Markt dem Markt der Türkei gegenübersteht, sondern daß der Gemeinsame Markt in die verschiedenen nationalen Märkte aufgespalten ist. Auch dies ist bedauerlich, daß es in dieser Weise geschieht; denn hier zeigt sich, daß der Gemeinsame Markt aus nationalen Interessen heraus nicht so sehr als Einheit gesehen wird.
Interessant ist dabei, daß die wirtschaftlichen Interessengegensätze innerhalb des Gemeinsamen Markts recht deutlich in die Erscheinung treten. Die Zollpräferenzkontingente werden nämlich sehr verschieden auf die einzelnen Mitgliedstaaten verteilt. Wenn ich z. B. die Feigen nehme, so stelle ich fest, daß Deutschland 5000 t, Frankreich 7000 t, Italien überhaupt nichts übernommen haben. Von den Präferenzzollkontingenten für die Schalenfrüchte Haselnüsse haben Deutschland 14 500 t, also den weitaus größten Teil, Frankreich nur 1250 t, Italien wiederum nichts übernommen. Es zeigt sich also, daß hier innerhalb der Mitgliedstaaten mancherlei Interessengegensätze ausgeglichen werden mußten und daß die Bundesrepublik dabei erhebliche Kontingente übernommen hat.
Ich sage also: die Vorbereitungsphase geht davon aus, daß der Türkei zunächst einmal auf die Beine geholfen werden soll. Die Türkei ist das Land mit dem niedrigsten Pro-Kopf-Einkommen in Europa und steht, was den Bevölkerungszuwachs anlangt, mit an der Spitze der Welt.
Es wird mit Recht erwartet — der Außenminister Luns hat das als Vorsitzender des Ministerrats im Europäischen Parlament erklärt —, daß die Türkei innerhalb dieser Vorbereitungsphase eigene Anstrengungen macht, um so weit zu kommen, daß es in die weiteren Phasen eintreten kann und schließlich auch einmal zur Mitgliedschaft kommt. Also zunächst wird der Türkei nur Hilfe geleistet, und als Gegenleistung wird von ihr nur verlangt, daß sie in ihrem Interesse eigene Anstrengungen macht.
Es ist interessant, daß dieser Vertrag in der DreiPhasen-Abstufung, d. h. als etwas geschlossen wird, in dem verschiedenartige Zeiträume zusammengefaßt werden. Wenn die Vorbereitungsphase für sich allein gesehen würde, wäre es ohne Zweifel so, daß die Vergünstigungen vor allen Dingen zollpolitischer Art, die der Türkei eingeräumt werden, gegen die GATT-Bestimmungen verstoßen würden. Man hat deswegen diese Phase einbezogen in die Phase, die nachher zur weiteren Entwicklung führen soll. Das ist insofern interessant, als sich zeigt, daß man auch die GATT-Bestimmungen bei gutem Willen überwinden kann. Ich sage das deswegen, weil für Israel das gleiche Problem besteht und der Ministerrat bei Israel nicht so viel guten Willen gezeigt hat. Bei Israel hat sich der Ministerrat auf den Standpunkt gestellt: keine Assoziierung, aber dann, wenn keine Assoziierung erfolgt, wird es die Schwierigkeit mit den GATT-Bestimmungen geben. Hier bei dem Vertrag mit der Türkei — wir sind damit einverstanden, daß das geschieht — hat man den guten Willen gehabt und glaubt deswegen, die GATT-Bestimmungen überwinden zu können. Es ist recht interessant, was dazu sowohl von der Bundesregierung als auch im Europäischen Parlament gesagt worden ist. In der Begründung der Bundesregierung heißt es:
Da außerdem nur Präferenzvereinbarungen geeignet waren, der Türkei echte Vorteile zu verschaffen,
— darüber gibt ,es keinen Zweifel, daß nur Präferenzvereinbarungen Hilfe bringen konnten —
war es erforderlich, für das Abkommen eine der im GATT für solche Fälle vorgesehenen Lösungen zu wählen.
Aber die Lösung war nur dadurch möglich, daß man weitere Phasen miteinbezogen und damit die GATT-Bestimmungen mehr oder weniger umgangen hat.
Im Europäischen Parlament hat der Abgeordnete Dehousse ,als Berichterstatter des Parlaments erklärt: Die Mitglieder der EWG-Kommission, die im politischen Ausschuß das Wort ergriffen, zeigten sich in bezug auf die GATT-Regelung optimistisch. Sie sagten uns, daß die Sache gut ablaufen werde und daß das GATT, das ganz andere Schwierigkeiten bewältigte, dieses Abkommen akzeptieren werde wie schon so viele andere. Wir hören gern, daß diese Möglichkeit besteht, daß man auch über GATT-Bestimmungen hinwegkommen kann, wenn



Metzger
I man helfen will. Ich wiederhole: Es wäre wünschenswert — und das hat auch der politische Ausschuß vertreten —, daß man in bezug auf Israel die GATT-Bestimmungen in einer gleich großzügigen Weise anwendete und Wege suchte, um wirklich helfen zu können.
Für die zweite Phase ist vorgesehen, daß in schrittweiser Entwicklung eine Zollunion erreicht wird. Die Zollunion soll sich auf den gesamten Warenaustausch erstrecken. Dabei kommen der Wegfall der zoll- und mengenmäßigen Beschränkungen — also das, was man Binnenzölle nennt — und die Einführung des gemeinsamen Außenzolls in Frage. Die Zollunion soll sich auch auf die Landwirtschaft erstrecken. Die Zollunion ist die Endphase. Wenn die Zollunion erreicht ist — was aber, wie ich schon sagte, viele Jahre dauern kann —, wird erörtert werden, ob eine Mitgliedschaft der Türkei in der EWG in Frage kommt. Sie ist in Aussicht genommen.
Als Instrumente sind in diesem Vertrag erstens ein Assoziationsrat geschaffen worden, der auf der einen Seite durch den Rat, die Kommission und die . Mitgliedstaaten und auf der anderen Seite durch die Türkei beschickt wird. Der Assoziationsrat soll paritätisch zusammengesetzt werden. Jede Seite wird eine Stimme haben. Die Entscheidungen werden einstimmig gefaßt werden. Außerdem ist vorgesehen, daß eine Zusammenarbeit zwischen dem türkischen Parlament und dem Europäischen Parlament stattfindet und daß ein paritätischer parlamentarischer Ausschuß gebildet wird.
Bei den Verhandlungen mit der Türkei und beim Abschluß des Vertrages haben die gleichen Fragen eine Rolle gespielt wie bei anderen Assoziierungen, unter anderem die Frage, wann das Europäische Parlament anzuhören ist. Wir wissen alle und wir haben schon wiederholt darüber gesprochen, daß aus den Zuständigkeiten der nationalen Parlamente Zuständigkeiten an die EWG abgegeben worden sind, daß diese Zuständigkeiten aber keineswegs bei dem Parlament gelandet sind. Für den Fall des Abschlusses solcher Verträge ist im Vertrag eine Anhörung des Parlaments vorgesehen, nicht mehr. Immerhin hat die Anhörung den Sinn, daß das Parlament auf die Gestaltung des Vertrages einwirken kann. Der Ministerrat hat zunächst den Vertrag abgeschlossen und ihn durch die beiden Teile signieren lassen und dann erst das Parlament angehört. Das Europäische Parlament hat bei wiederholten Fällen dagegen Verwahrung eingelegt und hat bei diesem Vertrag erklärt, daß es in Zukunft einen Vertrag nicht mehr behandeln wird, wenn die Anhörung nicht vor der Fertigstellung des Vertrages erfolgt, damit das Parlament noch Einfluß nehmen kann.
Der Außenpolitische Ausschuß hat sich diese Auffassung zu eigen gemacht. Er hat das in einer Entschließung ausdrücklich festgelegt. Zunächst einmal hat der Außenpolitische Ausschuß mit Genugtuung zur Kenntnis genommen, daß die Bundesregierung bestrebt ist, das Anhörungsrecht des Europäischen Parlaments gemäß Art. 238 des Vertrages zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft bei dem Abschluß von Assoziationen dadurch umzugestalten, daß der Rat seine Beschlußfassung von der Genehmigung des Europäischen Parlaments abhängig macht. Das wäre also mehr als Anhörung. Hier würde dem Europäischen Parlament eine wirkliche Zuständigkeit 'gegeben, und der Außenpolitische Ausschuß hat das Bestreben der Bundesregierung ausdrücklich gebilligt, ein Genehmigungsrecht des Europäischen Parlaments bei dem Abschluß von Assoziierungsverträgen zu statuieren.
Der Außenpolitische Ausschuß sagt außerdem:
Die Bundesregierung wird aufgefordert, bis zur Regelung dieser Frage im Rat der EWG dafür einzutreten, daß bei Assoziierungsverhandlungen zwischen der EWG und dritten Ländern gemäß Artikel 238 das Europäische Parlament vor der Unterzeichnung des Assoziierungsvertrages konsultiert wird.
Der Außenpolitische Ausschuß hat sich damit die Gründe, die vom Europäischen Parlament vorgetragen worden sind, zu eigen gemacht, und er bittet das Parlament, den Bundestag, diesem Entschließungsentwurf zuzustimmen. Im übrigen bittet er, den Gesetzentwurf unverändert anzunehmen und ebenso den Vorlagen, die hier die Gestalt von Verträgen haben, unverändert zuzustimmen.
Ich habe versucht, in großen Zügen darzulegen, was Inhalt dieser Verträge ist, welche Bedeutung dem Vertrag dadurch zukommt, daß die Türkei an die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft näher herangeführt wird mit dem Ziele, daß sie bald einmal Mitglied wird. Ich habe aber auch darzulegen versucht, welche Probleme damit verbunden sind. In Zukunft muß also den Problemen, die hier anstehen, ihrer Bedeutung entsprechend Rechnung getragen werden!

(Beifall bei der SPD und FDP.)


Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0411825600
Ich danke dem Herrn Berichterstatter.
Ich rufe in zweiter Beratung die Art. 1, — 2, — 3, — Einleitung und Überschrift auf. — Das Wort wird nicht gewünscht. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Es ist so beschlossen.
Wir kommen zur
dritten Beratung.
Ich eröffne die allgemeine Aussprache. Wird das Wort gewünscht? — Das ist nicht der Fall. Ich schließe die allgemeine Aussprache.
Wer dem Gesetzentwurf als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Keine Gegenstimmen. Enthaltungen? — Auch keine Enthaltungen; der Gesetzentwurf ist einstimmig angenommen.
Wir kommen zu dem Entschließungsantrag des Ausschusses auf Drucksache IV/1982, Ziffer 2. Das Wort wird nicht gewünscht. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Keine Gegenstimmen.



Vizepräsident Dr. Jaeger
Enthaltungen? — Keine Enthaltungen; einstimmig angenommen.
Ich rufe Punkt 6 der Tagesordnung auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Vierten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über die Deutsche Genossenschaftskasse (Drucksache IV/1792);
Schriftlicher Bericht des Wirtschaftsausschusses (16. Ausschuß) (Drucksachen IV/1983, zu IV/1983)

(Erste Beratung 107. Sitzung).

Ich danke dem Herrn Berichterstatter, dem Herrn Abgeordneten Mertes, für seinen Schriftlichen Bericht.
Ich rufe in zweiter Beratung auf die Art. I, — II,
— III, — IV, — Einleitung und Überschrift. — Das Wort wird nicht gewünscht. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Angenommen.
Wir kommen zur
dritten Beratung.
Das Wort in der allgemeinen Aussprache wird nicht
gewünscht. Wer dem Gesetzentwurf als Ganzem
zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben.
— Ich bitte um die Gegenprobe. — Keine Gegenstimmen. Enthaltungen? — Auch keine Enthaltungen; einstimmig angenommen.
Ich rufe Punkt 7 der Tagesordnung auf:
Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Meis, Etzel, Freiherr von Kühlmann-Stumm und Genossen eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung der Reichsabgabenordnung (Drucksache IV/1395) ;
Schriftlicher Bericht des Finanzausschusses (14. Ausschuß) (Drucksache IV/1929)

(Erste Beratung 84. Sitzung).

Ich danke dem Herrn Berichterstatter, dem Abgeordneten Beuster, für seinen Schriftlichen Bericht.
Ich rufe auf in zweiter Beratung Art. 1, — Art. 2,
— Art. 3, — Einleitung und Überschrift. — Das Wort wird nicht gewünscht. Wer den aufgerufenen Bestimmungen zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Angenommen.
Ich rufe auf die
dritte Beratung.
Das Wort zur allgemeinen Aussprache wird nicht gewünscht. Wer dem 'Gesetzentwurf als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. Ich bitte um die Gegenprobe. — Zwei Gegenstimmen. — Enthaltungen? — Eine Enthaltung. Der Gesetzentwurf ist mit großer Mehrheit angenommen.
Meine Damen und Herren, ich schlage Ihnen vor, daß wir nunmehr in 'die Mittagspause eintreten. Ich unterbreche die Sitzung bis 15 Uhr.

(Unterbrechung der Sitzung von 12.52 Uhr bis 15 Uhr.)


Dr. Eugen Gerstenmaier (CDU):
Rede ID: ID0411825700
Die unterbrochene Sitzung ist wieder eröffnet. Ich rufe auf den Punkt 9 der Tagesordnung:
Große Anfrage der Fraktion der SPD betr. Förderung der wissenschaftlichen Forschung und Aufgaben der Bildungsplanung (Drucksache IV/1829).
Zur Begründung der Großen Anfrage hat das Wort der Herr Abgeordnete Dr. Lohmar.

Dr. Ulrich Lohmar (SPD):
Rede ID: ID0411825800
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Herr Bundeskanzler hat vor einem halben Jahr in seiner Regierungserklärung ein Plädoyer für die Aufgaben in der Forschung und in der Bildung gehalten. Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion findet es an der Zeit, einmal danach zu fragen, welche Folgerungen der Kanzler aus seinen guten Vorsätzen gezogen hat. Wir haben dem Regierungschef Zeit gelassen, die Möglichkeiten zur Verwirklichung seiner Ziele zu prüfen. Aber In der Wissenschafts- und Bildungspolitik kann man nach beinahe sechs Monaten mit einem Bericht über die Taten der Regierung Erhard nicht einmal eine Schreibmaschinenseite füllen. Die Versäumnisse dagegen werden vor allem in der Wissenschaftsförderung, in der Ausbildungsförderung und in der Bildungsplanung immer spürbarer. Auf die angekündigten Maßnahmen des neuen Kanzlers zur Überwindung des Bildungsnotstandes in unserem Lande warten wir bisher vergebens.
Der Herr Bundeskanzler hatte uns in Aussicht gestellt, daß der Haushaltsplan für 1964 Auskunft über die ernsten Absichten seiner Regierung geben werde. Ich will hier die Haushaltsdebatte über diese Fragen nicht vorwegnehmen. Aber es verdient doch festgehalten zu werden, daß von dem zunächst so viel beredeten Schwerpunkt Wissenschaft in diesem Haushalt nicht viel übrig bleiben wird, wenn es nach den bekanntgewordenen Vorstellungen der CDU/CSU gehen sollte. Die vorgeschlagenen Kürzungen im Bereich Wissenschaft werden von der größeren Regierungspartei mit dem lässigen Argument begründet, auch die Mittel für die Wissenschaft müßten schließlich verringert werden, wenn schon gespart werden solle. Mir scheint, daß diese Begründung völlig die Tatsache verkennt, daß die Wissenschaftsförderung in den vergangenen Jahren immer zu kurz gekommen ist und daß es sich bei den Aufwendungen dafür nicht um Subventionen, sondern um Investitionen für unsere Zukunft handelt.
Aber weiter: Eine eindeutige Verantwortlichkeit im Rahmen der Bundesregierung für die Probleme der Wissenschafts- und Bildungspolitik ist bisher nicht geschaffen worden. Der Herr Bundeskanzler hat es versäumt, dem Minister für wissenschaftliche Forschung die Zuständigkeiten zu übertragen, die er für eine sinnvolle Amtsführung braucht. Nicht einmal die Hälfte dier von der Bundesregierung vorgesehenen Mittel für die Wissenschaftsförderung unterliegen der Weisung des zuständigen Fachministers. Zwei so eng miteinander verbundene Aufgaben wie die allgemeine Wissenschaftsförderung und die Studentenförderung werden nach wie vor von zwei verschiedenen Ministerien wahrgenom-



Dr. Lohmar
men — einfach deshalb, weil der Regierungschef die Rücksicht auf persönliche Empfindlichkeiten höher bewertet als eine vernünftige sachliche Regelung.

(Abg. Dr. Schäfer: Sehr richtig!)

Der Bundesminister für wissenschaftliche Forschung hat zwar den Vorsitz im interministeriellen Ausschuß für diese Fragen übernommen, aber es war ihm bis heute nicht möglich, dem Bundestag den seit langem überfälligen Bericht über den Stand und den Zusammenhang der Maßnahmen der Regierung auf dem Gebiet der Förderung der wissenschaftlichen Forschung vorzulegen. Die Verantwortung für diese ärgerliche Verzögerung kann man dem Wissenschaftsminister nicht allein aufbürden; sie trifft in erster Linie den Regierungschef, der es versäumt hat, seinem Fachminister die nötigen Vollmachten zu geben.

(Abg. Dr. Huys: Oho!)

Wir wissen alle, Herr Huys, Sie auch, daß der Herr Bundeskanzler auf das Stichwort „Planung" emotional zu reagieren pflegt. Leider tut er das auch, wenn es sich um Bildungsplanung handelt. Wie
sonst soll man es verstehen, daß die Regierung den Bundestag bisher nicht ersucht hat, dem Wissenschaftsministerium endlich eine Abteilung für Bildungsplanung anzugliedern? Die Zuständigkeitsvermutung für diese Bildungsfragen, so hört man, spreche innerhalb der Regierung zugunsten des Bundesinnenministers. Aber auch dort geschieht nichts, und dabei hat die Bundesregierung in der Bildungsplanung die Pflicht und die Möglichkeit, wirklich etwas zu tun.
Unsere Verfassung regelt die Zuständigkeiten in der Bildungs- und Kulturpolitik für Gesetzgebung und Verwaltung. Sie sagt nichts über die Planungskompetenz. Warum entschließt sich die Bundesregierung also nicht dazu, hier einer sachlichen Veranwortung nachzukommen, die ihr im Rahmen eines Bundesstaates niemand abnehmen kann?! Bildungsplanung — und das heißt doch zunächst: Bildungsforschung — ist ja keine Spielerei für planungsbesessene Ideologen. Sie ist einfach sachlich geboten. Planung heißt doch — wenn man den Begriff einmal seines ideologischen Beigeschmacks entkleidet — nichts anderes, als sich einen Überblick über das Vorhandene, das Notwendige und das Mögliche zu verschaffen und daraus politische Folgerungen zu ziehen. Und Planung in diesem Sinne kann sich nicht nur auf den Bereich der wissenschaftlichen Ausbildung erstrecken. Sie muß unser Bildungswesen im ganzen sehen, wenn sie brauchbare Entscheidungsvoraussetzungen für die Politik schaffen will.
Damit komme ich zu unserer zweiten Frage. Wir möchten wissen, wie die Bundesregierung eine zeitgerechte Wissenschafts- und Bildungspolitik mit der wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung in Übereinstimmung zu bringen gedenkt. Dieses Problem kam in der Regierungserklärung des Herrn Bundeskanzlers überhaupt nicht vor. Aber es bedarf gleichwohl einer sorgfältigen Erwägung.

(Abg. Dr. Huys: Alles kann er ja auch nicht erwähnen!)

— Da haben Sie recht, Herr Huys; aber es ist bemerkenswert, was er weggelassen hat. — Nehmen wir einmal die Zahlen, die der Wissenschaftsrat erarbeitet hat. Danach würde, wenn wir keine größeren Anstrengungen unternähmen als bisher, bis 1970 die Zahl der Studenten an den deutschen wissenschaftlichen Hochschulen um 40 000 auf rund 195 000 absinken und erst 1980 wieder den jetzigen Stand von etwa 240 000 erreichen.

(Abg. Dr. Huys: Was sind Sie für ein Prophet!)

-- Ja, das ist Ihr Nachteil, Herr Kollege Huys, daß Sie sich immer zu spät informieren. — Hinzu kommen nach den Angaben der Konferenz der Kultusminister bis 1970 etwa 80 000 Ingenieurstudenten und 45 000 Lehrerstudenten. Das macht im ganzen, wiederum für das Jahr 1970, 320 000 Studenten.

(Abg. Dr. Huys: 1970 lasse ich gelten!)

Diese Zahl wird bei weitem nicht ausreichen, um den voraussichtlichen Bedarf an wissenschaftlich ausgebildeten Nachwuchskräften zu decken.
Wir tun gut daran, uns in diesem Zusammenhang einmal die Verhältnisse anzusehen, die 1970 in einigen anderen europäischen Ländern zwischen der Zahl der Abiturienten und damit der möglichen Studenten einerseits und dem entsprechenden Altersjahrgang andererseits gegeben sein werden: Norwegen 22, Schweden 22, Frankreich 19, Osterreich 14, Italien 12,5, Dänemark 11,5, die Niederlande 9, die Bundesrepublik Deutschland 6,8. In wenigen Jahren also werden auf einen deutschen Abiturienten 3 und mehr Abiturienten in unseren nördlichen und westlichen Nachbarländern kommen.
Wenn wir die Zahl der Abiturienten und damit die der Studenten bei uns auch nur annähernd auf dieses Niveau bringen wollen, dann brauchen wir eine großzügig durchdachte und nicht nur materiell fixierte Ausbildungsförderung. Die bisherigen Vorstellungen der Bundesregierung zu diesem Thema beschränken sich auf die Kritik an dem seit langem vorliegenden Gesetzentwurf der SPD zur Ausbildungsförderung und auf allgemeine Beteuerungen, daß man ja schließlich auch guten Willens sei. Im übrigen beläßt es die CDU/CSU bei der Hoffnung aller Konservativen, daß das Gras halt da wachsen werde, wo man es brauche.

(Heiterkeit bei der SPD.)

Wir stoßen hier unmittelbar auf das Problem der Bedarfsschätzung. Dazu gibt es leider keinerlei verläßliche Unterlagen für den gesamten Bereich der eine wissenschaftliche Ausbildung erfordernden Berufe. Hier, meine ich, hätte eine Abteilung für Bildungsplanung im Wissenschaftsministerium ihre große Aufgabe. Sie dürfte sich nicht darauf beschränken, einfach mehr Akademiker zu fordern, sondern sie müßte sich bemühen, herauszubekommen, für welche Berufe denn mit einem gesteigerten Nachwuchsbedarf gerechnet werden muß und für welche Berufe das wahrscheinlich nicht der Fall sein dürfte. Georg Picht hat in seiner aufrüttelnden Aufsatzreihe in „Christ und Welt" einige der Aufgaben angesprochen, um die es hier geht; ich darf mit freund-



Dr. Lohmar
licher Genehmigung des Herrn Präsidenten einige Sätze zitieren. Picht sagt:
Das Landwirtschaftsministerium muß darüber Auskunft geben, was unser ländliches Schulwesen zu leisten hat, wenn die deutsche Landwirtschaft im Rahmen der EWG einmal wieder konkurrenzfähig werden soll. Das Verteidigungsministerium muß die Informationen darüber liefern, welche Rückwirkungen sich aus der Planung im Rahmen der NATO für die personelle Struktur der Bundeswehr und die benötigten Bildungsqualifikationen ergeben. Das Ministerium für Entwicklungshilfe muß einen Plan entwerfen, aus dem hervorgeht, welche Personalreserven es braucht, wenn man verhindern will, daß auch in Zukunft die Bundesrepublik nur das Geld gibt, die Ostblockländer für dieses Geld aber die Menschen schicken. Das Auswärtige Amt muß ausarbeiten, welche Kräfte ihm zur Verfügung stehen müssen, wenn die personelle Misere unserer Kulturpolitik im Ausland endlich einmal ein Ende finden soll. Das Wirtschaftsministerium schließlich muß in Zusammenarbeit mit den großen Wirtschaftsverbänden versuchen, den künftigen Bedarf unserer Wirtschaft an Nachwuchskräften aller Stufen zu schätzen. Alle diese Informationen müssen dann an einer zentralen Stelle gesammelt, methodisch ausgewertet, aufeinander abgestimmt und mit der Ausbildungskapazität der Bildungseinrichtungen der Länder in Einklang gebracht werden.
Soweit Dr. Picht.
Dies ist eine Aufgabe, die die Bildungsplanung zu bewältigen hat. Die Bundesregierung hat dafür bisher nicht einmal die institutionellen und personellen Voraussetzungen ins Auge gefaßt, und die Länder haben bisher auch keine hinreichend präzisen Instrumente entwickelt, mit deren Hilfe man zu einer solchen Bedarfsschätzung kommen könnte.
Ich habe mich über den Erfolg gefreut, den Herr Minister Mikat mit seinem Telegramm an den Bundesverteidigungsminister gehabt hat, in dem er darauf hingewiesen hat, man könne jetzt nicht den in Nordrhein-Westfalen ohnehin katastrophalen Lehrermangel noch dadurch verschärfen, daß man die Absolventen der Pädagogischen Hochschulen zur Bundeswehr hole. Aber daß es dieses Telegramms bedurfte, deutet doch auf einen erschrekkenden Mangel an Zusammenarbeit zwischen Bund und Ländern hin; sonst wäre es nicht notwendig gewesen, sich auf diesem Weg an den Verteidigungsminister zu wenden und ihn erst darauf aufmerksam zu machen, was hier los ist.

(Beifall bei der SPD. — Abg. Dr. Huys: Da können Sie sich aber nicht an dieses Haus wenden, sondern da müssen Sie sich an die Länder wenden!)

— Ich habe eben von den Ländern gesprochen und vom Bund; es geht dabei immer um beide.
Der Zusammenhang der Bildungs- und Wissenschaftspolitik mit der wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung wird noch in anderer Hinsicht deutlich.
Die technologischen Entwicklungen, die in den beiden nächsten Jahrzehnten unsere Gesellschaftsordnung weitgehend verändern werden, bedürfen ebenfalls der Aufmerksamkeit des Parlaments und der Regierung. Ich meine vor allem die Auswirkungen, die die Automation in ihren verschiedenen Äußerungsformen haben wird. Experten schätzen, daß zum Beispiel in den USA in 20 Jahren ungefähr ein Drittel der Industrie, mehr als die Hälfte der Verwaltung und weniger als ein Viertel der Landwirtschaft vollautomatisiert sein werden. Das amerikanische Arbeitsministerium hat auf Grund des Manpower Development and Training Act 70 verschiedene Projekte gestartet mit dem Ziel, Arbeiter auszubilden und umzuschulen, die infolge der technischen Entwicklung arbeitslos geworden sind. Die Sowjetunion hat ihrerseits den Aufgaben in der wissenschaftlichen Forschung, in der Elektronentechnik, der Automation und der Kybernetik die erste Priorität in ihren Staatsausgaben gegeben. Verglichen damit wirkt die Politik der Bundesregierung so, als ob sie sich nach wie vor auf einem vorindustriellen Spielplatz tummeln könnte. Das Wort des Bundeskanzlers, unser Berufsausbildungssystem sei noch mustergültig, kann doch nur als eine romantische Fehlleistung hingenommen werden.

(Beifall bei der SPD.)

Hat sich die Bundesregierung einmal damit beschäftigt, welche Berufe im Zuge der technologischen Entwicklung in 20 Jahren noch Aussichten bieten werden und welche nicht? Hat die Regierung z. B. einmal geprüft, ob es zutrifft, daß ein ausgebildeter Ingenieur eine berufliche Halb-Lebenserwartung von nur etwa zehn Jahren habe? Die Hälfte von dem, was er heute gelernt hat. kann in zehn Jahren überholt sein, und nur die Hälfte von dem, was er dann wissen muß, ist heute für ihn verfügbar. Darin drückt sich eine Tatsache aus, auf die der Heidelberger Mediziner Professor Schaefer kürzlich hingewiesen hat. Es gehe, sagte er, nicht allein um einen hohen Stand unserer wissenschaftlichen Forschung. Vorhandene Forschungsergebnisse seien nur soweit etwas wert, als sie in die Ausbildung der Praktiker umgesetzt und technisch ausgewertet werden könnten.
Nun, meine Damen und Herren, die Demokratie verlangt eine Gesellschaft, in der Menschen ihrer Begabung und ihrem Leistungsvermögen gemäß arbeiten können. Leistung ist ein Ergebnis von Begabung, Erziehung, Arbeit und Chancen der Entwicklung. Nun, es gibt z. B. in unserem Lande Zehntausende von Fernschülern, die unter großen zeitlichen und materiellen Opfern sich bemühen, eine zusätzliche und bessere Berufsausbildung zu erhalten. Sie sind dabei vielfach auf private Fortbildungsanstalten angewiesen, deren Tätigkeit in mehr als einem Fall Anlaß zu der Mahnung gibt, dafür eine staatliche Rahmenregelung zu schaffen. Zu diesem Thema hört man von der Bundesregierung so gut wie nichts. Noch bedrückender ist es, daß diese meist jungen Menschen ihr Leistungsvermögen nicht in öffentlichen Fortbildungsinstituten erproben können, sondern auf die freie Wildbahn verwiesen und damit dem Gewinnstreben privater Unternehmer ausgeliefert bleiben. Sie müssen teuer bezahlen für



Dr. Lohmar
etwas, das uns allen zugute kommen wird, dem wirtschaftlichen Leistungsvermögen ebenso wie dem allgemeinen Ausbildungsstand unseres Volkes.

(Zuruf von der CDU/CSU.)

Sie haben, Herr Stoltenberg, nicht einmal Darlehen — die von Ihnen so geschätzte Form der Hilfe — zur Verfügung

(Abg. Stoltenberg: Spätmarxismus!)

wie die Studenten, die nach dem Honnefer Modell eine bescheidene Unterstützung bekommen.
Ich will es bei diesen Beispielen bewenden lassen.
Der Herr Bundeskanzler hat in seiner Regierungserklärung gesagt, das Bund/Länder-Verhältnis werde zu einer Lebensfrage, wenn es sich um die Zuständigkeit und Verantwortung für das Schul- und Bildungswesen oder um das Gebiet der Forschung handele. So gewiß die Bundesregierung bereit sei, fuhr der Regierungschef damals fort, die Zuständigkeiten der Länder in der Kulturpolitik zu respektieren, so gewiß habe die Bundesregierung die Pflicht, vorausblickend die Lebensbedingungen eines modernen Staates zu garantieren. Aber eine solche Gesamtverantwortung des Bundes bedeutet eben — um Georg Picht noch einmal zu zitieren —, daß die Bundesregierung die Länder durch Rat und Tat bei der Erfüllung ihrer schweren Aufgaben unterstützen muß. Der Regierungschef hat sich darum bisher nur insoweit bemüht, als es ihm offenbar um ein besseres Klima zwischen Bund und Ländern geht. Aber man kann die Sachaufgaben in der Politik auf die Dauer nicht zu „Klimafragen" umformen. Die großen Aufgaben in der Bildungs- und Wissenschaftspolitik sind bisher einer vernünftigen Lösung keinen Schritt nähergebracht worden.

(Abg. Dr. Stoltenberg: Das stimmt ja einfach nicht!)

Es geht hier, meine Damen und Herren, nicht um ein Gegeneinander von Bund und Ländern, sondern um ein Miteinander, um eine an den Sachaufgaben orientierte Anwendung des bundesstaatlichen Strukturprinzips unserer Verfassung.

(Abg. Dr. Huys: Sie wissen doch selbst, welche Schwierigkeiten das hat!)

Die Bundesregierung wird aus dieser Aufgabe institutionelle Konsequenzen ziehen müssen. Das Wissenschaftsministerium ist bis heute nicht viel mehr als ein Amt zur Verteilung von Geld, zur Registrierung von Bedürfnissen und zur Repräsentation auf internationaler Ebene, wobei es oft genug noch zu Reibereien kommt. Um die Ausbildungsförderung streiten sich die Minister für Arbeit und Sozialordnung, für Wirtschaft, für Familien- und Jugendfragen und für den Bundesschatz. Für Bildungsplanung fühlt sich innerhalb der Regierung ernstlich niemand zuständig. Was die Bundesregierung daher braucht, ist eine politisch und sachlich eindeutige Zusammenfassung der Verantwortlichkeiten für die Bereiche der Wissenschaftsförderung, der Ausbildungsförderung und der Bildungsplanung. Auch der Bundestag, meine Damen und Herren, wird sich überlegen müssen, ob er seinerseits
mit dem bisherigen, etwas verwirrenden System der Fachausschüsse, die sich in diese zusammengehörenden Aufgabenbereiche „teilen", eine angemessene Arbeitsform gefunden hat oder ob man nicht auch hier zu besseren Lösungen kommen kann.
Lassen Sie mich zu unserer dritten Frage kommen. Uns interessiert, welche Maßnahmen nach Auffassung der Bundesregierung nötig sind, um die Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse in den Bundesländern nach Art. 72 Abs. 2 Nr. 3 des Grundgesetzes im Bereich des Bildungswesens zu gewährleisten. Wir wissen natürlich — und respektieren insoweit selbstverständlich unsere Verfassung —, daß die unmittelbare Verantwortlichkeit auf der Ebene der Gesetzgebung und Verwaltung hier bei den Bundesländern liegt. Das schließt nicht aus, sondern macht es geradezu erforderlich, daß in einem Bundesstaat der Bund mit den Ländern die Gesamtpolitik abstimmt, soweit das in Lebensfragen der Nation geboten erscheint.
Die Ständige Konferenz der Kultusminister hat vor einiger Zeit eine Bedarfsfeststellung bis 1970 vorgelegt. Sie ist damit in der planenden Vorausschau sehr viel weiter gegangen als die Bundesregierung. Aber die Bedarfsfeststellung der Kultusminister ist kein kulturpolitisches Programm. Sie konnte keine allen Bundesländern gemeinsamen Ziele entwickeln. Sie mußte es bei einer Vorausschätzung der Entwicklung bewenden lassen, die sich bei Fortführung der gegenwärtigen Schulpolitik in den jeweiligen Bundesländern ergeben mag. Die Bedarfsfeststellung ist insofern keine Konkretisierung, sondern eine Verschleierung der unterschiedlichen bildungspolitischen Zielsetzungen in den Bundesländern. Man kann den Kultusministern daraus nicht nur einen Vorwurf machen; denn sie sind ja an den politischen Willen ihrer Landesregierungen und an die Mehrheitsverhältnisse in ihren Ländern gebunden. Sie haben es zudem schwer genug, eine Priorität für die Aufgaben in der Bildungspolitik allmählich durchzusetzen. Aber die Bedarfsfeststellung läßt doch erkennen, wo ein Bildungsgefälle zwischen den Bundesländern besteht und wo damit die Gesamtverantwortung des Bundes nach Art. 72 beginnt.
Ich möchte zwei Beispiele dafür erwähnen. Der Anteil der Kinder mit Fremdsprachenunterricht in Volksschulen liegt in Westberlin bei 74 %, in Schleswig-Holstein bei 47 %, in Nordrhein-Westfalen dagegen bei nur 3,4 % und in Rheinland-Pfalz lediglich bei 1,7 %. Die mittlere Reife erreichen von den Schülern Schleswig-Holsteins 24 %, in Berlin 23%, in Rheinland-Pfalz 7% und im Saarland 5 %. Zum Vergleich seien einige Zahlen aus unseren Nachbarländern genannt. Der Anteil junger Menschen, die die mittlere Reife erreichen, liegt in Norwegen bei 36, in den Niederlanden und in Schweden bei 33, in Belgien und Frankreich bei 31 %. Diese Zahlen machen deutlich, daß es zwar in der Bundesrepublik im Bereich des Bildungswesens eine formale, nicht aber eine tatsächliche Chancengleichheit gibt. Die Chancenungleichheit ist in der Unterschiedlichkeit der Schulorganisationen, den möglichen oder angestrebten finanziellen Aufwendun-



Dr. Lohmar
gen der Bundesländer und den differenzierten bildungspolitischen Zielen in den einzelnen Bundesländern begründet. Aber muß das so weitgehend so bleiben? Haben wir nicht aus den hervorragenden Gutachten des Deutschen Ausschusses für das Erziehungs- und Bildungswesen Hinweise entnehmen können, wie einer solchen Fehlentwicklung zu begegnen war und immer noch begegnet werden kann? Warum blieben diese Ratschläge unbeachtet? Niemand wird im Ernst behaupten wollen, daß die Kinder im Saarland dümmer seien als die Kinder in Westberlin oder die in Schleswig-Holstein. Es gibt Begabungsreserven in unserem Volk, die in vielen Bundesländern bisher nicht hinreichend ausgeschöpft worden sind.
Die Bundesregierung und ihre Mehrheit im Parlament haben den drängenden Hinweis auf diesen Sachverhalt in der Vergangenheit meist mit einer Handbewegung abgetan. Die Regierung hat sich in Gestalt des Innenministers sogar dazu verstanden, die ohnehin unzureichende Förderung begabter und bedürftiger Studenten nach dem Honnefer Modell zu drosseln.
Wir könnten in dieser Hinsicht einiges von unserem britischen Nachbarn lernen. Die britische Regierung hielt es schon vor drei Jahren für notwendig, eine Studienkommission einzusetzen, die sich mit dem Stand und den Entwicklungsmöglichkeiten des Bildungswesens in Großbritannien befassen sollte. Die Kommission hat vor kurzem einen umfangreichen Report vorgelegt, der im ganzen sieben Bände umfassen wird und für den Lord Robbins verantwortlich zeichnet. Darin wird die wünschenswerte und mögliche Entwicklung des britischen Bildungswesens, soweit die höhere Bildung in Frage steht, bis zum Jahre 1980 entworfen. Für uns interessant dabei ist, daß Lord Robbins und seine Mitarbeiter mit erheblichen Begabungsreserven unter den jungen Menschen Englands rechnen. Sie suchen sie bei den Mädchen, in der handarbeitenden und in der landwirtschaftlich tätigen Bevölkerung. Großbritannien ist ein Industrieland wie die Bundesrepublik. Welche Vermutung spricht eigentlich dafür, daß die Dinge bei uns anders liegen sollten als in Großbritannien? Warum entzieht sich die Bundesregierung seit Jahr und Tag dem Drängen der SPD, diese Begabungsreserven ausschöpfen zu helfen?

(Abg. Dr. Huys: Das ist ja völlig falsch!) Lord Robbins hat in seinem — —


(Abg. Dr. Martin meldet sich zu einer Zwischenfrage. — Abg. Dr. Huys: Das geht ja nicht! Sie halten doch den Vortrag im falschen Saal!)

— Sie können ja nachher dazu Stellung nehmen.

Dr. Eugen Gerstenmaier (CDU):
Rede ID: ID0411825900
Einen kleinen Augenblick!

(Zurufe von der Mitte. — Gegenrufe von der SPD.)

Während der Begründung einer Großen Anfrage sollen Zwischenfragen nicht gestellt werden. Wenn
aber der Redner einverstanden ist, bin ich gern bereit, sie dennoch zuzulassen.

Dr. Ulrich Lohmar (SPD):
Rede ID: ID0411826000
Mit Vergnügen, Herr Präsident.

Dr. Eugen Gerstenmaier (CDU):
Rede ID: ID0411826100
Bitte sehr; dann Herr Abgeordneter Dr. Martin!

Dr. Berthold Martin (CDU):
Rede ID: ID0411826200
Herr Lohmar, welche Möglichkeiten sehen Sie denn für die Bundesregierung aus dem Grundgesetz, in die Ungleichheit der Bildungschancen bei den Ländern einzugreifen? Können Sie mir das einmal sagen?

Dr. Ulrich Lohmar (SPD):
Rede ID: ID0411826300
Herr Kollege Martin, im weiteren Verlauf meiner Überlegungen werde ich genau auf diese Frage kommen.
Lord Robbins hat in seinem Bestreben, eine Ausweitung des Kreises junger Menschen, die eine Hochschule besuchen wollen, zu erreichen, lediglich drei Voraussetzungen angenommen. Er sagt, in einer demokratischen Gesellschaft sei es selbstverständlich, daß jeder junge Mensch seiner Begabung und Leistung entsprechend ausgebildet werden könne. Er setzt zweitens auf vorhandene Begabungsreserven, und er stellt drittens die Tatsache in Rechnung, daß eine moderne Industriegesellschaft in Zukunft über mehr qualifiziert ausgebildete Menschen verfügen müsse als bisher. Man dürfe dabei, so sagt er, nicht erst bei den Universitäten, sondern müsse schon beim Zugang zu den höheren Schulen ansetzen. Hier schließt sich der Kreis der Überlegungen wieder. Dazu, meine Damen und Herren, brauchen wir eben eine großzügige Ausbildungsförderung.
Robbins schlägt für sein Land weiter vor, die Regierung möge die Verteilung von Informationsmaterial veranlassen, das Aufschluß über die Möglichkeiten der Hochschulausbildung gibt. Dieser Aufgabe soll sich ein nationaler Informationsdienst für Hochschulfragen annehmen. Wer oder was, Herr Kollege Martin, hindert eigentlich die Bundesregierung daran, mit den Bundesländern gemeinsam Ähnliches zu erwägen? Wir wissen alle, daß es nicht nur materielle Gründe sind, die Kinder aus manchen Gruppen unseres Volkes davon abhalten oder ihre Eltern daran hindern, den Weg über die höhere Schule zu einem Hochschulstudium zu wagen. Die Bundesregierung sollte sich unverzüglich mit den Kultusministern der Ländern darüber verständigen, wie hier durch geeignete Informationen psychologische oder einfach im mangelnden Wissen begründete Barrieren und Schwierigkeiten beseitigt werden können. In diesem Sinne kann es gar keine Frage sein, daß Bund und Länder sich gemeinsam um eine Bildungsplanung bemühen müssen. Der Abgeordnete Erler hat unter dem Beifall des ganzen Hauses in seiner Antwort auf die Regierungserklärung des Herrn Bundeskanzlers gesagt, daß wir uns einen unfruchtbaren Prinzipienstreit über den Föderalismus in der Bildungs- und Wissenschaftspolitik nicht länger leisten dürfen.



Dr. Lohmar
Wenn der Herr Bundeskanzler sich also schon um eine bessere Zusammenarbeit mit den Bundesländern in diesem Bereich bemühen will, dann sollte er dafür sorgen, daß notwendige Abkommen mit den Ländern nicht nur für die Finanzierung der Forschung und der Hochschulen erzielt werden, sondern daß sich eine Übereinkunft in dieser oder in anderer Art auch auf die Fragen der Bildungsplanung und der Ausbildungsförderung erstreckt. Ein Forschungsförderungsgesetz des Bundes nach Art. 74 Nr. 13 des Grundgesetzes könnte der Sache dabei vermutlich bessere Dienste leisten, als es die Bundesregierung im Gegensatz zur SPD und zu manchen Bundesländern bislang augenscheinlich für möglich gehalten hat.
Gestatten Sie mir meine Damen und Herren, zu unserer vierten und letzten Frage einiges zu bemerken. Wir bedauern es, daß die Bundesregierung in ihrer Mitwirkung im Wissenschaftsrat die Vorschläge dieses Gremiums für die Finanzierung der beistehenden Hochschulen dadurch zu beeinflussen sich bemüht, daß sie den Wissenschaftsrat von vornherein auf die haushaltspolitischen Erwägungen des Herrn Bundesfinanzministers festzulegen sucht. In den Vorschlägen des Wissenschaftsrats über die Bereitstellung von Bundesmitteln für den Ausbau der bestehenden Hochschulen für das Haushaltsjahr 1964 heißt es, der Wissenschaftsrat habe sich nach mehrfachen, nur schwer zu vertretenden Kürzungen entschlossen, der Bundesregierung die Bereitstellung von rund 278 Millionen DM plus 85 Millionen DM Bindungsermächtigungen zu empfehlen. Ich will auch hier unsere Aussprache über den Haushalt nicht vorwegnehmen. Aber es gibt uns zu denken, daß trotz dieser Einwände des Wissenschaftsrates die Bundesregierung noch einmal um 63 Millionen DM hinter den Vorschlägen zurückgeblieben ist, die der Wissenschaftsrat schließlich unterbreitet hat.
Uns scheint, meine Damen und Herren, daß diese Praxis sich mit dem Auftrag und dem Ansehen des Wissenschaftsrates nicht verträgt. Das Abkommen über die Errichtung des Wissenschaftsrates sagt in Art. 2 Ziffer 1, der Wissenschaftsrat habe die Aufgabe, auf der Grundlage der von Bund und Ländern aufgestellten Pläne einen Gesamtplan für die Förderung der Wissenschaften zu erarbeiten und hierbei die Pläne des Bundes und der Länder aufeinander abzustimmen. In Art. 2 Ziffer 3 des Abkommens heißt es weiter, der Wissenschaftsrat solle Empfehlungen für 'die Verwendung derjenigen Mittel geben, die in den Haushaltsplänen des Bundes und der Länder für die Förderung der Wissenschaft verfügbar sind. Meine Damen und Herren, beiden Vorschriften kann der Wissenschaftsrat heute nicht entsprechen. Die Haltung der Vertreter der Bundesregierung macht es dem Wissenschaftsrat unmöglich, in einer der Sache angemessenen Weise zu verfahren. Der Bundestag muß schließlich wissen, was unsere Hochschulen an finanziellen Mitteln brauchen, um den Ausbau ihrer Einrichtungen zu beschleunigen und den Leistungsstand der Wissenschaft in unserem Lande dem internationalen Standard anzugleichen. Das Parlament, meinen wir, hat einen Anspruch darauf, zu erfahren, was dafür finanziell notwendig ist. Der Bundesfinanzminister ist — abgesehen von Wahlzeiten — ein sparsamer Mann und er soll es sein; aber es ist nicht seine Aufgabe, sich darum zu bemühen, daß 'die tatsächlich erforderlichen Mittel für unsere Hochschulen vom Bundestag erst gar nicht erbeten werden. Eine solche Praxis, meine Damen und Herren, — —
Herr Kollege Stoltenberg?

Dr. Gerhard Stoltenberg (CDU):
Rede ID: ID0411826400
Herr Kollege Lohmar, würden Sie nicht doch an Hand der von Ihnen zitierten Texte des Verwaltungsabkommens Ihr Urteil überprüfen? Denn erstens hat der Wissenschaftsrat seinem Auftrag durch die Vorlage eines Mehrjahresplans entsprochen und zweitens hat der Wissenschaftsrat die Aufgabe, über die zur Verfügung stehenden Mittel, dd. h. über die vom Parlament und von der Regierung genehmigten Mittel, jährlich eine Empfehlung zu geben.

Dr. Ulrich Lohmar (SPD):
Rede ID: ID0411826500
Ja, das tut er, mit der Einschränkung, Herr Kollege Stoltenberg, daß der Bund den Haushalt sehr viel später beschließt als der Wissenschaftsrat seine Empfehlungen vorlegt, während es zeitlich nach dem Text des Abkommens —wie Sie genau wissen — eigentlich umgekehrt sein müßte. Außerdem geht es in der Sache nicht darum, sondern um die Frage, ob man an den Wissenschaftsrat das Ansinnen richten soll, in seinen Vorlagen an das Parlament von dem auszugehen, was der Wissenschaftsrat selber sachlich für geboten hält, oder von dem, was der Bundesfinanzminister sachlich für ausreichend hält. Das ist der Unterschied, um den es sich handelt. Wir meinen, es geht nicht an, den Wissenschaftsrat zu einem ,Exekutivorgan des Haushaltsreferenten des Herrn Bundesfinanzministers machen zu wollen.

(Zuruf von der Mitte.)

Eine solche Praxis muß um so mehr zum Widerspruch herausfordern, als z. B. für die Zweckforschung im Bereich der Verteidigung beinahe die dreifache Summe wie für den gesamten Ausbau unserer wissenschaftlichen Hochschulen bereitstehen soll.
Dieses Mißverhältnis deutet auf eine fatale Verkennung der möglichen Leistungen hin, die eine wissenschaftliche Ausbildung — und dafür ist der rasche Ausbau der Universitäten notwendig — für eine freie Gesellschaft erbringen kann. Wir benötigen für die Wissenschaftsfinanzierung einen über mehrere Jahre sich erstreckenden Finanzierungsplan, weil wir sachgerechte, neue Schwerpunkte in der Haushaltspolitik des Bundes nur dann herausbilden können, wenn wir wissen, was in den kommenden Jahren im ganzen notwendig werden wird.
Lassen Sie mich zusammenfassen. Selbst durchgreifende Sofortmaßnahmen in der Bildungs- und Wissenschaftspolitik würden, wenn sie in nächster Zeit ergriffen würden, um Jahre zu spät kommen. Wir müßten — um nur ein Beispiel zu nennen — zwei Drittel ,aller unserer Abiturienten für den Lehrerberuf gewinnen, wenn wir den hier immer spürbarer werdenden Engpaß überwinden wollen.



Dr. Lohmar
Unser Volk hat jetzt dafür 'zu bezahlen — und das wird es in den nächsten Jahren noch teurer zu stehen kommen —, .daß in unserem Lande noch vor wenigen Jahren ein Wahlkampf mit dem törichten Slogan „Keine Experimente" geführt und gewonnen werden konnte.

(Beifall bei der SPD. — Zurufe von der Mitte.)

Dieser Wahlspruch, Herr Kollege Huys, entsprach genau einer Denkart, die ,die Macht um jeden Preis behalten, sie aber nicht für vernünftige Zwecke einsetzen will.

(Beifall bei der SPD.)

Auch der neue Bundeskanzler hat offenbar keine hinreichend präzisen Vorstellungen von den Errungenschaften, Bedürfnissen und Notwendigkeiten unserer Zeit.

(Abg. Dr. Huys: Das ist perfide!)

Seine Lieblingsidee, den privaten Wohlstand und die öffentliche Armut für der politischen Weisheit letzten Schluß zu halten, mag denjenigen einleuchten, die nur den materiellen Gewinn der Stunde sehen. Aber eine große Industrienation wird ihre Zukunft nur dann sichern können, wenn sie in einer gemeinsamen Anstrengung die wesentlichen Gemeinschaftsaufgaben der Gegenwart anpackt.

(Abg. Dr. Huys: Wir sind doch nicht auf einer Wahlversammlung! — Abg. Dr. Martin: Sie wollen den Wahlkampf eröffnen!)

Wenn man an das etwas mißverständliche Wort, die Aufgaben in der Bildung und in der Wissenschaft müßten heute — —

(Zuruf des Abg. Dr. Barzel)

— Lassen Sie mich doch zu Ende sprechen, Herr Barzel! Sie haben hier so manche „freundliche" Rede an die Opposition gehalten. Sie beschweren sich im übrigen darüber, daß Sie im Bundestag nie mehr eine Oppositionsrede zu hören bekämen. Freuen Sie sich also doch über diese Gelegenheit!

(Beifall bei der SPD. — Lachen bei der CDU/CSU.)

Wenn man an die Bemerkung, den Fragen der Bildung und der Wissenschaft müsse heute der gleiche Rang zukommen wie der sozialen Frage im 19. Jahrhundert — eine mißverständliche Formulierung, wie ich sagen muß —, anknüpfen will, dann läßt sich leider nur registrieren, daß die Wissenschafts- und Bildungspolitik der Bundesregierung offenbar noch im Zeitalter des Frühkapitalismus steckt.
Ich will nicht mit einer polemischen Bemerkung schließen, so angebracht sie ist. Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion ist der Auffasung, daß wir gemeinsam überlegen müssen, wie der Bildungsnotstand in unserem Land so rasch wie möglich überwunden werden kann. Dazu brauchen wir sachliche Voraussetzungen für die politische Entscheidung. Dazu bedarf es der gemeinsamen Überlegung und Entschlossenheit von Bund und Ländern, Deutschland nicht zu einer unterentwickelten Provinz werden zu lassen. Dazu brauchen wir den Rat und die Hilfe sachkundiger Wissenschaftler. Wir sollten, meine Damen und Herren, den Herrn Bundespräsidenten bitten, eine Kommission zu berufen, in der Repräsentanten der Bundesländer, der Bundesregierung und des Bundestages mit Wissenschaftlern zusammenwirken, um unverzüglich ein Sofortprogramm zur Behebung des Bildungsnotstandes in der Bundesrepublik vorzulegen. Gute Vorarbeiten dazu sind vom Deutschen Ausschuß, von den Kultusministern der Länder, vom Wissenschaftsrat und von einzelnen Wissenschaftlern geleistet worden. Sie müssen zusammengefaßt, ergänzt und zu einem großzügigen Entwurf für eine zeitgerechte Bildungs- und Wissenschaftspolitik verdichtet werden. Mit dieser Arbeit können und müssen wir heute, nicht erst morgen und übermorgen, beginnen.

(Beifall bei der SPD.)


Dr. Eugen Gerstenmaier (CDU):
Rede ID: ID0411826600
Sie haben die Begründung der Großen Anfrage gehört. Zur Beantwortung hat das Wort der Herr Bundesminister für wissenschaftliche Forschung Lenz.

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0411826700
Namens der Bundesregierung möchte ich die Große Anfrage der SPD-Fraktion zur Wissenschaftsförderung, Drucksache IV/1829, beantworten. Ich begrüße es, daß Vertreter des Bundesrates an der Debatte teilnehmen.
Zur Frage 1: Der Forderung in der Regierungserklärung vom Oktober 1963: „Eis muß dem deutschen Volke bewußt sein, daß die Aufgaben der Bildung und Forschung für unser Geschlecht den gleichen Rang besitzen wie die soziale Frage für das 19. Jahrhundert" kommt, wie in der öffentlichen Debatte damals sofort erkannt worden ist, einmalige Bedeutung zu. Zum ersten Male wurde in einer Regierungserklärung der Stellenwert von Bildung und Forschung in dieser Weise hervorgehoben, nachdem schon bei der Regierungsumbildung im Dezember 1962 ein eigenes Bundesministerium für wissenschaftliche Forschung geschaffen worden war. Während frühere Regierungserklärungen sich mit Einzelmaßnahmen auf diesem Gebiet beschäftigt hatten,

(Abg. Wehner: Hört! Hört!)

z. B. dem Ausbau der Hochschulen, der Studentenförderung, der Erwachsenenbildung usw., bringt die Erklärung vom Oktober 1963 eine Grundsatzerklärung, die den ganzen Bildungsbereich zum Schwerpunkt macht. Bildung und Forschung werden damit in die vorderste Reihe der Prioritäten gerückt.
Diese Feststellung drückt eine Überzeugung aus, die der Herr Bundeskanzler schon mehrfach geäußert hat, nämlich daß unsere Wirtschaft und damit unser Wohlstand und unsere soziale Sicherheit nicht nur abhängen von der Tüchtigkeit unserer Unternehmer, vom Fleiß und Können unserer Arbeiter, sondern ebenso von dem, was Wissenschaft, Forschung und Schulen zur Bereicherung unseres Lebens und für den deutschen Rang in der Welt beizutragen vermögen. Von diesen Faktoren hängt es
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Bundesminister Lenz
praktisch ab, ob in 10 oder 20 Jahren Deutschland seinen Platz als Industrieland behauptet. Jedes Zukunftsprojekt wirtschaftlicher oder sozialer Art muß seinen Ausgangspunkt in unseren Schulen und Hochschulen haben.
Über die Bedeutung von Bildung und Forschung hat der Herr Bundeskanzler in der Regierungserklärung an einer bestimmten Stelle gesprochen, nämlich bei der Erörterung des Bund-Länder-Verhältnisses. Er sagte: „Das Bund-Länder-Verhältnis wird zu einer Lebensfrage, wenn es sich um die Zuständigkeit und Verantwortung für das Schul- und Bildungswesen oder um das weite Gebiet der Forschung handelt." Daraus erhellt, daß die Förderung der Forschung oder gar des Bildungswesens nicht als eine Aufgabe des Bundes angesprochen wurde, sondern als ein für unsere Zukunft entscheidendes nationales Problem und Programm. Es sollte zugleich ein Appell an die Länder sein, in diesen weittragenden und schwerwiegenden Fragen mit dem Bund zum Wohle des Ganzen zusammenzuwirken, weil es nur so möglich sein werde, das Bildungswesen den modernen Erfordernissen unserer Zeit anzupassen.
Als die SPD-Fraktion, die übrigens der Grundsatzerklärung der Regierung durchaus zustimmte, am 14. Januar 1964 ihre Große Anfrage einbrachte, waren seit der Regierungserklärung vom 18. Oktober 1963 noch keine drei Monate vergangen; das ist eine Zeit, die zu kurz ist, als daß vielleicht schon entscheidende Fortschritte hätten erwartet werden können. Es muß berücksichtigt werden, daß im Oktober 1963 der Bundeshaushalt für 1964 im wesentlichen fixiert war; auch war damals der sogenannte Steuerstreit zwischen Bund und Ländern noch nicht bereinigt; erst im Januar 1964 ist dies gelungen.
Ich darf zu den Fragen 1 und 2 kommen. Die SPD-Fraktion fragt unter Ziffer 1 nach den Folgerungen, die die Bundesregierung aus der zitierten Regierungserklärung gezogen habe, und in Ziffer 2 nach dem Inhalt der Bildungs- und Wissenschaftspolitik der Bundesregierung. Da die Folgerungen, zu denen sich die Bundesregierung entschlossen hat, mit der Politik der Regierung übereinstimmen, erscheint es zweckmäßig, daß die Ziffern 1 und 2 im Zusammenhang behandelt werden.
Erstens. Eine nationale Bildungs- und Wissenschaftspolitik muß sich zunächst auf die gesellschaftliche Funktion und die wirtschaftliche Bedeutung von Wissenschaft und Bildung in unserer Zeit besinnen und wird dabei von folgender Lage ausgehen müssen.
Wissenschaft und Bildung haben heute für alle Bereiche des menschlichen Lebens, insbesondere für Gesellschaft und Wirtschaft, eine überragende Bedeutung gewonnen, wie sie auch umgekehrt von der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Entwicklung wesentlich beeinflußt werden. Bildung ist heute nicht nur der Gewinn eines Wissens oder einer geistigen Form, die allein den Einzelmenschen angeht; der Bildungsstand jedes einzelnen ist wichtig für die Leistungsfähigkeit der Wirtschaft, diese wiederum bietet die materielle Voraussetzung zu einer freiheitlichen Gesellschaftsordnung und für den Schutz der Persönlichkeit des Einzelmenschen. Diese wechselseitige Bedingtheit und Abhängigkeit zu erkennen und ihr bei der politischen Gestaltung Rechnung zu tragen, gehört zu den Grundforderungen einer zeitgerechten Bildungspolitik, zu der sich die Bundesregierung bekennt. Sie wird aber dabei beachten, daß Wissenschaft und Bildung auch einen Eigenwert besitzen und die Eigengesetzlichkeit dieser Kulturbereiche nicht verkannt werden darf.
Mehr denn je zuvor entscheiden heute Bildung und Ausbildung über den Status des einzelnen in der Gesellschaft. Die beiden Weltkriege und ihre inflationären Folgezeiten haben deutlich gemacht, daß Bildung und Wissen dauerhaftere Werte sind als etwa Vermögen und Besitz. In einer demokratischen Gesellschaftsordnung, die dem einzelnen „das Recht zur freien Entfaltung seiner Persönlichkeit" — Art. .2 des Grundgesetzes — gewährleistet, und in einer entsprechenden Wirtschaftsordnung, die die freie wirtschaftliche Betätigung des einzelnen und die Honorierung nach dem Leistungsprinzip in den Mittelpunkt stellt, haben Bildung und Ausbildung eine gegenüber früher unvergleichliche Bedeutung. Wissen und Fähigkeiten sind die Grundlagen einer Leistungsgesellschaft, die dem Tüchtigen die Chance zum sozialen und wirtschaftlichen Aufstieg gibt. Bildungspolitik ist heute — verkürzt ausgedrückt — ein wichtiges Stück Gesellschaftspolitik. Bildung und Ausbildung haben damit andere gesellschaftliche Differenzierungskriterien, wie Standeszugehörigkeit und Vermögen, sehr zurückgedrängt. So sind Bildung und Ausbildung nicht mehr einzelnen Schichten vorbehalten, sondern grundsätzlich jedem zugängig gemacht, der dazu die entsprechenden Fähigkeiten, Neigungen und Einsatzbereitschaft mitbringt.
Wissenschaft und Bildungswesen sind sehr eng miteinander verflochten. Die Wissenschaft muß gleichsam die Pyramidenspitze auf dem Fundament eines breiten und soliden Bildungswesens sein, das wiederum seine Vollendung in der Wissenschaft findet. Wie ein hoher Stand des Bildungswesens nur möglich ist bei einem hohen Stand der Wissenschaft, so setzt dieser wiederum ein hochwertiges Bildungswesen voraus. Die Bedeutung der Wissenschaft für die Entwicklung der Gesellschaft besteht aber nicht nur in dieser Beziehung zum Bildungswesen allgemein, sondern vor allem in den Ergebnissen wissenschaftlicher Forschung selbst. Die wissenschaftlichen Erkenntnisse bereichern und — es soll keineswegs verkannt werden — gefährden auch teilweise das Leben des einzelnen und der Gesellschaft. Das gilt offensichtlich besonders von den Naturwissenschaften und den Gesellschaftswissenschaften, obwohl sie wesentliche Voraussetzungen für den sozialen Fortschritt schaffen.
Aber auch die wirtschaftliche Entwicklung wird zunehmend beeinflußt von den Erkenntnissen in Wissenschaft und Technik. Ihr Fortschritt ist vor allem nach Abschluß der Phase des Wiederaufbaues der kriegszerstörten Produktionskapazitäten und nach der weitgehenden Ausschöpfung der Arbeitskraftreserven einer der entscheidenden Faktoren für das weitere Wirtschaftswachstum geworden.



Bundesminister Lenz
Es ist daher verständlich und begrüßenswert, wenn die Wirtschaft und die Wirtschaftspolitik der Entwicklung der Wissenschaft in jüngster Zeit immer mehr Aufmerksamkeit zuwenden. Wenn auch die Wissenschaft und damit die Wissenschaftspolitik aus allgemein kulturpolitischen Erwägungen auf keinen Fall ausschließlich nach den ökonomischen Bedürfnissen ausgerichtet werden dürfen, so ist doch wegen der wechselseitigen Abhängigkeit eine Koordinierung zwischen Wissenschafts- und Wirtschaftpolitik notwendig. Denn wie die wirtschaftliche Entwicklung zu einem großen Teil von der Entwicklung der wissenschaftlichen Erkenntnis abhängt, so sind auch die materiellen und personellen Voraussetzungen für die Wissenschaft von den Ergebnissen der Wirtschaft abhängig. Nur eine kraftvolle Wirtschaft kann auf lange Sicht hin den gewaltig zunehmenden Aufwand für Wissenschaft und Forschung bereitstellen. Sie muß es jedoch tun, wenn sie ihre Position im internationalen Wettbewerb behalten will. Aber gemessen an den wirtschaftlichen Produktionsergebnissen der Bundesrepublik schneidet der Aufwand der deutschen Wirtschaft und des Staates für Wissenschaft und Forschung im internationalen Vergleich nicht besonders gut ab. Das Defizit in der Lizenzbilanz ist ein alarmierendes Zeichen, auf das die Bundesregierung mit Nachdruck hinweist.
Ebenso wie Wissenschaft und Forschung sind auch Bildung, Ausbildung und Fortbildung wesentliche Faktoren für die wirtschaftliche Entwicklung. Die fortschreitende Komplizierung und Technisierung des wirtschaftlichen Prozesses stellen wachsende Anforderungen an den Bildungsgrad, das Ausbildungsniveau und die Anpassungsfähigkeit der in der Wirtschaft tätigen Menschen. Die schnellwechselnde Struktur der Wirtschaft wird künftig stärker als bisher eine Umstellung der Arbeitskräfte auf neue Tätigkeiten und Berufe erfordern. Deshalb ist eine gute und breite Grundbildung und Ausbildung für den jungen Menschen von besonderer Bedeutung. In diesem Zusammenhang kommt darum der beruflichen Fortbildung sowie der Umschulung bereits Berufstätiger eine große Bedeutung zu.
Zweitens. Diese Lage erfordert nach Auffassung der Bundesregierung — ohne Rücksicht darauf, ob Bund oder Länder zuständig sind — folgende in sich geschlossene Bildungs- und Wissenschaftspolitik:
1. Das gesamte Schul- und Hochschulwesen muß in außerordentlicher Breite ausgebaut werden, so daß jeder ohne Schwierigkeiten eine seinen Anlagen entsprechende Bildungsmöglichkeit finden kann. Dazu gehört auch eine innere Umgestaltung der Bildungswege, die Eigenverantwortung und Selbständigkeit des einzelnen noch mehr anregen müssen als bisher.
2. Eine angemessene Ausbildungsförderung auf allen Bildungsstufen muß gesichert werden, so daß niemand durch wirtschaftliche Not gezwungen wird, auf die höchstmögliche Ausbildung seiner Fähigkeiten zu verzichten.
3. Für Erwachsenenbildung und berufliche Fortbildung müssen umfangreiche individuelle und institutionelle Hilfen ausgebaut werden.
4. Die wissenschaftliche Forschung und die technische Entwicklung müssen so verstärkt werden, daß sie ihre höchste Leistungsfähigkeit erreichen, insbesondere den Anschluß an den wissenschaftlichen Stand vergleichbarer hochentwickelter Industrienationen finden. Schwerpunkt wird dabei der Ausbau der bestehenden Hochschulen und die Gründung neuer Hochschulen sein müssen: daneben darf die Förderung der hochschulfreien Forschung z. B. in der Max-Planck-Gesellschaft, der Deutschen Forschungsgemeinschaft, der Industrieforschung und der Ressortforschung nicht zurückbleiben. Beim Ausbau und Neubau der Hochschulen ist dafür Sorge zu tragen, daß die Hochschulen nicht nur quantitativ, sondern auch qualitativ ausgebaut werden.
Alle diese Maßnahmen aber können nur dann erfolgreich durchgeführt werden, wenn ihre enge Verflechtung mit Wirtschaft und Sozialordnung beachtet wird und die notwendigen Vorhaben im Einvernehmen zwischen Bund und Ländern ausgeführt werden.
Übrigens hat sich auch der Wissenschaftsrat völlig zu Recht genötigt gesehen, die Fragen in den Kreis seiner Überlegungen einzubeziehen, die der eigentlichen Wissenschaftspflege unmittelbar vorausgehen, für sie aber von wesentlicher Bedeutung sind, nämlich die Fragen des Ausbaues der höheren Schulen, der Abiturientenzahlen und der Lehrerbildung.
Ich darf drittens zur Bildungspolitik im einzelnen folgendes sagen. Es ist zu bedauern, daß wegen der im Grundgesetz geregelten Kompetenzverteilung im Bereich des Bildungswesens noch nicht der Grad der Zusammenarbeit zwischen Bund und Ländern erreicht werden konnte wie bei der Wissenschaftsförderung, obschon wegen der bereits geschilderten Interdependenz von Wissenschaft, Bildung, Wirtschaft und Gesellschaft es dem Bunde nicht gleichgültig ist und gleichgültig sein darf, in welchem Zustand sich das Bildungswesen in den Ländern der Bundesrepublik befindet. Aus der schmalen Wirkungsmöglichkeit der Bundesregierung im Bildungsbereich will ich nur zwei Einzelpunkte, nämlich die Erwachsenenbildung und die Studienförderung, hervorheben und mich dann ausführlicher dem Deutschen Ausschuß und damit dem Problem der Bildungsplanung zuwenden.
1. Der Bund fördert die Erwachsenenbildung, soweit sie von überregionaler Bedeutung ist, so die Pädagogische Arbeitsstelle des Deutschen Volkshochschulverbandes und die Arbeitsstelle für das Büchereiwesen, deren Träger der Deutsche Büchereiverband ist. Er will diese Förderung fortsetzen.
2. Als eine besonders wirkungsvolle gemeinsame Maßnahme von Bund und Ländern auf dem Gebiete der Bildungspolitik im weiten Sinne ist das Honnefer Modell hervorzuheben, das der hochschulgerechten Förderung von Studenten an wissenschaftlichen Hochschulen durch Stipendien und Darlehen dient. Es eröffnet erstmalig in breitem Ausmaß jedem begabten Abituierenten die Möglichkeit einer



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wissenschaftlichen Ausbildung ohne wirtschaftliche Not. Es zielt damit gleichzeitig auf die Förderung der wissenschaftlichen Forschung, indem es für die Heranbildung eines akademischen Nachwuchses sorgt, um dessen Spitzenkräfte sich die Studienstiftung des deutschen Volkes und entsprechende Förderungseinrichtungen bemühen, denen ihre Förderungsarbeit nur durch erhebliche Bundeszuschüsse möglich ist. Schwierigkeiten, die im Augenblick einer angemessenen Verbesserung entgegenstehen, sollten nicht überbewertet werden. Da die Förderung auf keinen Fall Schaden nehmen darf, sie im Gegenteil ab 1. April dieses Jahres auf nachdrückliches Drängen des Bundesministeriums des Innern wieder verbessert werden soll, sollte es den gemeinsamen Anstrengungen des Bundes und der Länder gelingen, die erforderlichen Mittel hierfür aufzubringen.
3. Im Jahre 1953 wurde auf Anregung des Deutschen Bundestages gemeinsam vom Bundesministerium des Innern und dem Präsidenten der Kultusministerkonferenz der Deutsche Ausschuß für das Erziehungs- und Bildungswesen ins Leben gerufen. Es wird dankbar anerkannt, was dieser unabhängige Kreis von 20 ehrenamtlich tätigen Frauen und Männern in den zehn Jahren seines Bestehens geleistet hat. Seine Empfehlungen und Gutachten haben eine fruchtbare Diskussion hervorgerufen, die nicht nur Fachkreise, sondern eine breite Öffentlichkeit erfaßt hat. Mehr als gemeinhin angenommen wird, ist aus diesen Empfehlungen manches als praktische Verbesserung in das Schul- und Bildungswesen von seiten der Kultusministerien übernommen worden. Trotz dieser dankenswerten Beiträge konnte es dem Deutschen Ausschuß nach seiner Konstruktion nicht gelingen, den konkreten Ausbau des Schul- und Bildungswesens so voranzutreiben wie es dem Wissenschaftsrat für den Bereich der Wissenschaft gelang.
Immer unabweisbarer wurde in den vergangenen Jahren die Notwendigkeit, auch das Schulwesen über lange Jahre hinaus zu planen und zwischen den Bundesländern abzustimmen, um einen unterschiedlichen Ausbau innerhalb der Bundesrepublik und ein Bildungsgefälle gegenüber dem Ausland zu vermeiden. Ich verzichte hier darauf, Ihnen die schon bekannten Zahlen vorzutragen; ich gehe zu Frage 3 noch darauf ein. Zwar sind im Hinblick auf eine Koordinierung für eine langfristige Planung gewisse Teilerfolge in den letzten Jahren erzielt worden. Von besonderer Bedeutung ist die Bestands- und Bedarfsfeststellung für das Bildungswesen bis zum Jahre 1970, die die Kultusministerkonferenz im Frühjahr 1963 vorlegen konnte. Diese Bedarfsfeststellung hat keine Lenkungsabsicht, sondern stellt lediglich einen ersten Versuch dar, die. künftige Nachfrage nach Bildungsmöglichkeiten zu schätzen und dementsprechend Hinweise zu geben für den Ausbau des Bildungswesens und die Größenordnung des dafür erforderlichen Finanzaufwandes.
Auch konnte die Kultusministerkonferenz in mühevoller Kleinarbeit eine Fülle von Differenzen ausgleichen und auf manchen Gebieten des Schulwesens zu einer angemessenen Vereinheitlichung gelangen. Das jüngste Abkommen über die Vereinheitlichung des Ingenieurschulwesens sei hier als Beispiel genannt. Auf der anderen Seite ist es immer noch nicht gelungen, einen einheitlichen Beginn des Schuljahres in der Bundesrepublik zu erreichen.
Die Max-Planck-Gesellschaft konnte ein Institut für Bildungsforschung einrichten. Es ist zu erwarten, daß hier viele Fragen eine wissenschaftlich begründete Antwort finden, bei denen bisher persönliche oder Gruppenmeinungen aufeinanderprallten. Es ist auch zu hoffen, daß hier ein wesentlicher Beitrag für eine Versachlichung und Entideologisierung der Bildungspolitik geleistet wird.
Dennoch fehlt — das soll offen zugestanden werden — eine koordinierende Institution, in der die Gesamtplanung für den Bereich der Bundesrepublik abgesprochen würde, und zwar unter Berücksichtigung der gegenseitigen Abhängigkeit von Bildungswesen, Wirtschaft und Sozialordnung; eine solche Institution würde auch die Voraussetzung für eine wirkungsvollere Repräsentation gegenüber dem Ausland schaffen, die bei der zunehmenden internationalen Verflechtung notwendig ist.
Nachdem in Vertretung des Präsidenten des Bundesrates Herr Ministerpräsident Goppel in der Kulturdebatte vom Februar 1963 im Bundestag die Errichtung eines Bildungsrates nicht für erforderlich gehalten hat und die Beratungen zu diesem Punkt im Kulturpolitischen Ausschuß des Deutschen Bundestages bisher keine Meinungsklärung erbrachten, hofft die Bundesregierung, durch den Abschluß des Bund-Länder-Abkommens zur Förderung kulturpolitischer Aufgaben die Voraussetzungen für ein Einvernehmen mit den Ländern zu schaffen. Sie hofft insbesondere, in der Ständigen Kommission, die in diesem Abkommen vorgesehen ist, ein Instrument zu finden, das zu koordinierenden Absprachen dienen könnte. Die Länder haben, wie Sie wissen, dem Vertragsentwurf vorläufig noch nicht zugestimmt.
Die Bundesregierung ist jedoch — mehr denn je — von der Notwendigkeit einer umfassenden Bildungspolitik überzeugt. Sie wird daher nicht müde werden in dem Versuch, mit den Ländern zu einer Vereinbarung darüber zu gelangen, die den Erfordernissen des Grundgesetzes, aber auch den praktischen Gegebenheiten in gleicher Weise gerecht wird. Sie erwartet, daß die Vorschläge der Finanzexpertenkommission, des sogenannten Tröger-Ausschusses, zu Lösungen führen, die die bisherigen Spannungen zwischen Bund und Ländern bei der Finanzierung kulturpolitischer Aufgaben endgültig ausräumen und so den Föderalismus funktionsfähig machen; sie hofft, daß die Länder dann eher zu einer Koordinierung bereit sind, wenn sie sich überzeugt haben, daß damit keine Gefährdung der föderalistischen Ordnung unseres Staates verbunden ist.
Die Bundesregierung begrüßt es sehr, daß der Wissenschaftsrat sich entschlossen hat, sich auch



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mit Bildungsfragen zu befassen, und wird diese Initiative nach Kräften fördern.
Ich darf zur Forschungspolitik im einzelnen folgendes ausführen. Bei den Maßnahmen zur Förderung der Forschung ist die Bundesregierung von der Überlegung ausgegangen, daß eine wirksame Förderung der Forschung zwei Voraussetzungen hat: 1. ausreichende Mittel, 2. eine geeignete Organisation. Diese beiden Gesichtspunkte hat die Bundesregierung an allen Stellen ins Spiel gebracht, wo sich die Notwendigkeit dazu ergab. Daraus ist eine Forschungspolitik der Regierung entwickelt worden, die folgende Schwerpunkte hat.
Zur Frage der Mittel! Ein beträchtlicher Teil der Forschung wird in Deutschland an den Hochschulen durchgeführt. Infolgedessen wird entscheidender Wert darauf gelegt, den Ausbau der bestehenden Hochschulen nach den Empfehlungen des Wissenschaftsrates voranzutreiben. Die Beteiligung des Bundes an dieser Maßnahme, die in der Hand der Länder liegt, betrug 1963 220 Millionen DM und soll im Jahre 1964 auf 250 Millionen DM steigen — vorausgesetzt daß bei diesen nicht auf Rechtsverbindlichkeiten beruhenden Zahlungen allgemeine Haushaltskürzungen und Bausperren vermieden werden können.
Für Hochschulneugründungen sind im Haushalt 1964 noch keine Mittel bereitgestellt. Zwar haben einige Länder bereits Bundeszuschüsse für ihre Neugründungsobjekte beantragt: Bremen für seine Universität, Schleswig-Holstein für eine Medizinische Akademie in Lübeck, Niedersachsen für eine Medizinische Akademie in Hannover. Die Verhandlungen mit diesen Ländern sind jedoch seit der Saarbrükkener Konferenz der Ministerpräsidenten vom Juni 1963 ins Stocken geraten. Bekanntlich haben die Ministerpräsidenten die Neugründung wissenschaftlicher Hochschulen als Aufgabe der Länder bezeichnet und damit offengelassen, ob sich der Bund finanziell beteiligen soll.
Die Bundesregierung ist in dieser Frage einer Meinung mit dem Wissenschaftsrat, der in einem Beschluß vom Juli 1963 betont hat, daß Bund und Länder auch bei der Neugründung wissenschaftlicher Hochschulen zusammenarbeiten müssen. Die Bundesregierung wiederholt ihre Bereitschaft, sich an den Hochschulneugründungen zu beteiligen, und hofft, daß im Interesse der Arbeitsfähigkeit unserer Hochschulen mit den Ländern bald Vereinbarungen getroffen werden können.
Die Deutsche Forschungsgemeinschaft! Die Förderung bestehender und neuer Hochschulen muß durch die Förderung der Deutschen Forschungsgemeinschaft ergänzt werden. Die Haushalte der wissenschaftlichen Hochschulen werden bei sachgerechter Bemessung nicht ausreichen, alle innerhalb der Hochschulen betriebenen Forschungsarbeiten voll zu finanzieren. Die Deutsche Forschungsgemeinschaft, die große zentrale Selbstverwaltungsorganisation der Wissenschaft, soll und kann auf Grund ihres Überblickes über die gesamte Forschungstätigkeit in der Bundesrepublik insbesondere auf wichtigen Wissenschaftsgebieten Schwerpunkte bilden und diese unterstützen. Man denke an wissenschaftliche Großgeräte wie elektronische Rechenmaschinen, Teilchenbeschleuniger usw., die nach überregionalen Gesichtspunkten eingesetzt werden müssen. — Der Bund unterstützt die Deutsche Forschungsgemeinschaft in diesem Rechnungsjahr mit 67 Millionen DM.
Ein Wort zur Max-Planck-Gesellschaft! Sie ist die überregionale Forschungsorganisation in der Bundesrepublik, deren wissenschaftliche Leistungen heute wieder international anerkannt sind. Der Bund stellt mit seinen Leistungen alljährlich im wesentlichen die einmaligen Kosten der Max-PlanckGesellschaft bereit, nämlich die Mittel für die großen Bauvorhaben, die Beschaffung von Großapparaturen, die wissenschaftliche Zusammenarbeit mit dem Ausland. Für 1964 soll der Bundeszuschuß um rund 7,3 Millionen DM auf 41,1 Millionen DM erhöht werden.
Mit den für 1964 vorgesehenen Leistungen des Bundes für die Deutsche Forschungsgemeinschaft und die Max-Planck-Gesellschaft in Höhe von rund 108 Millionen DM stellt der Bund etwa 50 % des Gesamtzuschusses bereit, der diesen beiden Organisationen von der öffentlichen Hand — Bund und Ländergemeinschaft — in Höhe von voraussichtlich 217,3 Millionen DM zur Verfügung gestellt werden wird. Das entspricht u. a. der im Verwaltungsabkommen mit den Ländern vorgesehenen Regelung.
Zur Atomforschung! Die Aufwendungen für die Atomkernenergieforschung und -nutzung sind im Entwurf des Bundeshaushaltsplanes 1964 mit ungefähr 345 Millionen DM vorgesehen. Sie liegen damit um ca. 14 Millionen DM, rund 4,3 %, über denen des Vorjahres. Diese Steigerung bleibt nicht unerheblich hinter den Empfehlungen der Deutschen Atomkommission zurück. Die Deutsche Atomkommission hält nach dem von ihr am 4. Mai 1963 gebilligten „Atomprogramm" für die Jahre 1963 bis 1967 eine jährliche Erhöhung der finanziellen Aufwendungen von etwa 20 % für notwendig.
Die Weltraumforschung! Die Aufwendungen für die Weltraumforschung sollen in den drei Sparten Extraterrestrische Forschung, Raumflugforschung und Raumflugtechnik einschließlich der Beiträge für die europäischen Organisationen auf diesem Gebiet — ESRO und ELDO — nach dem Haushaltsplan 1964 etwa 158 Millionen DM erreichen und so mit etwa 61 Millionen DM — rund 62,9 % — über den entsprechenden Mitteln von 1963 liegen. Von dem Mehr entfallen rund 51 Millionen DM auf den deutschen Beitrag an die europäischen Organisationen für die Entwicklung und den Bau von Raumfahrzeugträgern — ELDO — und 10 Millionen DM auf die Förderung von Vorhaben der Weltraumforschung.
Neben dem Bundesministerium für wissenschaftliche Forschung stehen noch 14 anderen Ministerien Mittel zur Förderung der sogenannten Ressortforschung zur Verfügung. Ich möchte hier nur die fünf Häuser nennen, deren Forschungsbudget die 50-
Millionen-Grenze überschreitet.
1. Der größte Anteil soll 1964 auf das Bundesministerium der Verteidigung entfallen. Die 700 Mil-



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lionen DM, die für dieses Ministerium bereitgestellt werden sollen, sind hauptsächlich für wehrtechnische Entwicklung und Erprobung bestimmt. Hinzu kommen 34 Millionen DM Erstattung an das Bundesministerium für Verkehr für Luftfahrtforschung.
2. An zweiter Stelle steht das Bundesministerium des Innern, für das 100,1 Millionen DM veranschlagt sind. Diese Mittel sollen der Studentenförderung und der Förderung der wissenschaftlichen Einrichtungen zugute kommen, deren Betreuung dem Bundesministerium des Innern obliegt.
3. Der Anteil des Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten an den Ausgaben für die Ressortforschung ist auf 71,3 Millionen DM festgesetzt. Diese Mittel dienen vorwiegend der Unterhaltung der einschlägigen Bundesforschungsanstalten.
4. Dem Bundesministerium für Wirtschaft sollen 1964 70 Millionen DM für eine Reihe von Förderungsmaßnahmen unter dem speziellen Aspekt der wirtschaftlichen Entwicklung zur Verfügung stehen. Dazu gehören vor allem die Unterhaltung der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt, der Bundesanstalt für Materialprüfung und der Bundesanstalt für Bodenforschung, die Förderung der industriellen Gemeinschaftsforschung im Bereich der klein- und mittelständischen Industrie, die Förderung der wirtschafts-wissenschaftlichen Forschung und der Handwerks- und Mittelstandsforschung sowie die Beteiligung bei internationalen Gemeinschaftsprojekten, z. B. denen der OECD.
In diesem Zusammenhang darf erwähnt werden, daß zur Zeit geprüft wird, ob die Forschung in der Industrie z. B. durch steuerliche Maßnahmen indirekt gefördert werden kann.
5. Bei der Allgemeinen Finanzverwaltung — Einzelplan 60 — sind 117,6 Millionen DM veranschlagt, die für den Beitrag zum Forschungs- und Investitionshaushalt der Europäischen Atomgemeinschaft und als Zuschuß zum Aufbauplan Berlin — Ausbau von Freier Universität und Technischer Universität — verwendet werden sollen.
Die Koordinierung der Forschung in den Bundesressorts geschieht über den „Interministeriellen Ausschuß für Forschung", dessen Vorsitz beim Bundesministerium für wissenschaftliche Forschung liegt.
Ein Wort zur Frage 2, zur Organisation. Es ist häufig darauf hingewiesen worden, daß die Förderung der Wissenschaft eine gemeinsame Aufgabe von Bund und Ländern ist. Wenn man einmal bedenkt, daß Forschung in großem Umfang an den Hochschulen betrieben wird und daß alle Hochschulen Einrichtungen der Länder sind, und wenn man sodann berücksichtigt, daß Forschung, besonders die Großforschung in den Naturwissenschaften, sehr aufwendig ist und die Finanzkraft der Länder unterschiedlich groß ist, wird klar, daß hier alles auf ein vernünftiges Zusammenarbeiten von Bund und Ländern ankommt. Dieses Zusammenwirken von Bund und Ländern setzt eine Verabredung beider Seiten darüber voraus, was gefördert wird und wie hoch die Beiträge beider Seiten sein sollen. Ein solches Abkommen ist, wie ich schon mehrfach darlegen konnte, von der Bundesregierung gutgeheißen worden. Nach Beendigung des Steuerstreites habe ich wiederum Verhandlungen mit den Ländern angeregt. Die Antwort der Länder steht noch aus.
Bund und Länder führen das Verwaltungsabkommen zwar praktisch schon durch. Ich würde jedoch darüber hinaus die schriftliche Fixierung der Zusammenarbeit von Bund und Ländern in einem Verwaltungsabkommen sehr begrüßen. Die Unterzeichnung des förmlichen Abkommens würde nämlich die von Fall zu Fall und von Jahr zu Jahr immer wieder auftretende Unsicherheit beseitigen, ob jede Seite leistet, ob und wieviel sie kürzt usw. Das Verwaltungsabkommen würde die gesamte Zusammenarbeit stabilisieren. Hinzu kommt, daß das Verwaltungsabkommen die schon erwähnte „Ständige Kommission" zwischen Bund und Ländern vorsieht, also eine Einrichtung, die verhindern würde, daß Bund und Länder bei der Förderung der Wissenschaft nach verschiedenen Gesichtspunkten vorgehen. Aufgabe dieser Kommission könnte es außerdem sein, weitere Vereinbarungen über gemeinsame Aufgaben vorzubereiten. Ich denke hier vor allem an ein Abkommen über die Finanzierung neuer Hochschulen.
Wie gesagt, bin ich der Ansicht, daß wir diese Abkommen brauchen, um eine feste Form zu haben, in der jedem ,der beiden Partner seine Aufgaben zugewiesen sind. Im übrigen haben wir im Wissenschaftsrat eine Plattform, auf der Bund, Länder, Wissenschaft und Wirtschaft sich treffen und zusammenarbeiten. Was an „Forschungsplanung" vorliegt, vor allem in Hinsicht auf den Ausbau der bestehenden und die Gründung neuer Hochschulen, ist der hervorragenden Empfehlungs- und Planungsarbeit des Wissenschaftsrates zu danken, der sich als das entscheidende Instrument hierfür erwiesen hat.
Darüber hinaus müssen für die Großforschung, die besondes auf den Gebieten der Kernenergie und Weltraumforschung nötig wird, neue Organisationsformen gefunden werden, welche einerseits die Flexibilität der Formen der Privatwirtschaft haben, andererseits sich in den Rahmen der staatlichen Verwaltung einfügen lassen und vor allem der Wissenschaft die erforderliche Freiheit und den nötigen Spielraum gewähren. Auch scheint es nötig, die zum Teil ausgezeichnete Forschungs- und Entwicklungskapazität der Industrie mehr als bisher für die vom Staat geförderte Forschung nutzbar zu machen. Hier müssen Brücken geschlagen und Formen der Zusammenarbeit gefunden werden, wobei die Partnerschaftsverhältnisse, die in anderen Staaten bestehen, auf ihre Anwendbarkeit in Deutschland geprüft werden müßten.
So wichtig die einzelnen Maßnahmen sind, die der Bund zur Förderung der 'Forschung eingeleitet hat bzw. unterstützt — für eine wirksame Forschungspolitik genügt es nicht, daß die Bundesregierung für die gegenwärtigen Forschungsbedürfnisse die erforderlichen oder doch die verfügbaren Mittel bereitstellt und sich um möglichst effektive Organisationsformen bemüht. Darüber hinaus muß sich die Bundesregierung auf künftige Entwicklungen und Bedürf-



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nisse vorbereiten. Nur wenn die mutmaßlichen Linien der Entwicklung und der damit nötig werdende Finanzbedarf abgeschätzt werden, kann die öffentliche Hand wie ein guter Haushalter vorausschauend planen, sich einrichten und Prioritäten feststellen. Dabei geht es — wohlgemerkt — nicht etwa um eine Planung der Forschung, sondern um eine Planung der Finanzmittel für die Forschung.
Die Bundesregierung wird — und sie begrüßt die entsprechende Bitte des Bundestages — einen „Bericht über die Lage der Wissenschaft" vorlegen. Dieser Bericht wird voraussichtlich sowohl eine Bestandsaufnahme über den derzeitigen Stand der Forschungsförderung durch den Bund enthalten als auch eine Vorausschätzung für die nächsten fünf Jahre in bezug rauf die Aufwendungen des Bundes für Wissenschaft und Forschung. Dem Zahlenteil soll ein Katalog von zu fördernden Wissenschaftsgebieten (Schwerpunkte) gegenübergestellt werden.
Voraussichtliches Ergebnis wird sein: Die Anforderungen ran den Bund für die Förderung der Wissenschaft werden sich in den nächsten Jahren verdoppeln, sich teilweise sogar noch stärker vermehren.
Der kommende Bericht der Bundesregierung muß im Zusammenhang mit der „Bedarfsfeststellung der Länder 1963 bis 1970" gesehen werden. Erst beide Berichte gemeinsam werden die Umrisse einer deutschen Wissenschaftspolitik erkennen lassen, vor allem aber den Bedarf für die Förderung der Forschung 'für die nächste Zukunft. Es wird dann Sache der Finanzminister sowie der Parlamente beim Bund und in den Ländern sein, zu entscheiden, in welchem Umfang der Bedarf von Jahr 211 Jahr — auch im Zusammenhang mit den anderen Staatsaufgaben — gedeckt werden kann.
Der Bericht der Bundesregierung, der sowohl mit allen Bundesressorts wie mit den Ländern und den Wissenschaftsorganisationen abzustimmen ist, erfordert Zeit. Ich hoffe jedoch, ihn im Sommer 1964 vorlegen zu können.
Die Wissenschaftspolitik ist eine der vordringlichsten Aufgaben der Bundesregierung. Sie ist aber nicht die einzige, sondern nur eine unter mehreren vordringlichen Regierungsaufgaben. Andere staatliche Aufgaben sind genauso entscheidende Voraussetzungen für den Bestand unseres Lebens und unserer Freiheit, z. B. eine zeitgerechte Sozialpolitik, eine moderne Defensiv-Rüstung, eine zeitgemäße Verkehrspolitik. Es wird immer wieder darauf ankommen, die verschiedenen Staatsaufgaben in ein vernünftiges Gleichgewicht zueinander zu bringen.
Da unsere öffentlichen Mittel nicht dazu ausreichen, alle Staatsaufgaben im gewünschten Umfang zu fördern, müssen notgedrungen Prioritäten für vordringliche Aufgaben aufgestellt werden. Die Bundesregierung hat für den Haushalt 1964 zum erstenmal solche Prioritäten in einem Katalog zusammengefaßt. Es sind dies die öffentlichen Aufgaben, für die eine Steigerung um mehr als 6 %, also über den Zuwachs des Bruttosozialprodukts hinaus, vorgesehen ist, und zwar die Sozialpolitik mit 2,01 Milliarden DM — das sind 20,1 % der Verkehr mit 574 Millionen DM — das sind 13,4 % — und die Wissenschaft, wobei es nur die Zahlen des Bundesministers für wissenschaftliche Forschung und nicht die der Ressortforschung sind, mit mehr als 119 Millionen DM — das sind 15,4 % —. Daß die wissenschaftspolitik unter den genannten Prioritäten erscheint, läßt den Rang erkennen, den die Bundesregierung dieser Aufgabe zuerkennt. Diese Priorität für die Wissenschaftspolitik ist eine unmittelbare Auswirkung der zitierten Stelle aus der Regierungserklärung.
Daß selbst eine bevorzugte Förderung der Wissenschaft nicht dazu ausreicht, alle oder auch nur die wichtigsten Wünsche der Wissenschaft selbst zu erfüllen, liegt an folgendem Dilemma: Einerseits sind die Forschungsthemen der Wissenschaft und damit ihre Geldwünsche praktisch unbeschränkt. Andererseits sind die öffentlichen Mittel naturgemäß begrenzt. Es ist daher unvermeidlich, von Jahr zu Jahr zwischen Wünschen und vorhandenen Mitteln eine erträgliche Lösung zu finden. Dabei fällt dem Bundesministerium für wissenschaftliche Forschung die Rolle des Mittlers zu, eine notwendige, wenn auch gelegentlich undankbare Aufgabe, da man es bekanntlich keiner Seite ganz recht machen kann.
Wichtig ist bei der Beurteilung des wirtschaftlichen Aufwandes für die Wissenschaftspolitik des Bundes nicht nur die absolute Summe der Mittel, sondern auch die Relation zu anderen Größen. Die Wissenschaftsaufwendungen des Bundes (einschließlich der Wehrforschung) betrugen 1963 3,3 % des Gesamthaushalts. Die entsprechenden Aufwendungen von Bund, Ländern und Gemeinden im Jahr 1962 machten 0,8 % des Bruttosozialprodukts aus. Es wird darauf ankommen, auch bei wachsender Endsumme des Gesamthaushalts den Anteil der Wissenschaftsaufwendungen konstant zu halten oder sogar zu steigern, wozu internationale Vergleiche nötigen. Wir werden alle Anstrengungen darauf verwenden müssen, die „Wissenschaftsrate" unserer öffentlichen Aufwendungen zu dynamisieren.
Ich darf noch einmal kurz zusammenfassen. An der Bildungspolitik nimmt die Bundesregierung das allergrößte Interesse, wenn auch das Schwergewicht der Zuständigkeiten bei den Ländern liegt. Für eine Koordinierung von Bund, Ländern, Wissenschaft und Wirtschaft steht der Wissenschaftsrat zur Verfügung und hoffentlich demnächst noch die „Ständige Kommission" nach dem Verwaltungsabkommen als Kontaktstelle zwischen Bund und Ländern.
Für die Forschungspolitik dient ebenfalls der Wissenschaftsrat als Instrument. Planungsunterlagen sind bei den Ländern die „Bedarfsfeststellung" und demnächst beim Bund der Parlamentsbericht über die Lage der Wissenschaft.
Zu Frage 3 Ihrer Großen Anfrage. Der Gesetzgeber des Grundgesetzes hat offensichtlich dem Bund nicht die Aufgabe gestellt, allgemein für einheitliche Lebensverhältnisse im Bildungswesen Sorge zu tragen. Denn Art. 72 Abs. 2 Nr. 3 des Grundgesetzes gibt dem Bund keine Gesetzgebungsoder Verwaltungskompetenz, sondern stellt nur



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eine einschränkende Voraussetzung auf, unter der der Bund die konkurrierende Gesetzgebung nach Art. 74 ausüben kann. Da aber dem Bund auf dem Gebiet des Bildungswesens eine konkurrierende Gesetzgebungskompetenz nicht zusteht, ist auch für die Anwendung des Art. 72 Abs. 2 Nr. 3 des Grundgesetzes im Bildungswesen kein Raum, während diese Bestimmung für den sozialen Bereich und den Bereich der wissenschaftlichen Forschung volle Geltung hat. Dennoch nimmt die Bundesregierung ein vitales Interesse daran, zu prüfen, ob und wodurch die Einheit der Lebensverhältnisse in den Ländern der Bundesrepublik im Bereich des Bildungswesens gefährdet ist und wie die Länder veranlaßt werden könnten, hier für Abhilfe zu sorgen.
Da, wie schon gesagt, die Lebensverhältnisse eines Menschen, seine Stelle innerhalb der sozialen Ordnung, weitgehend von dem Grade seiner Ausbildung abhängig sind, ist zu prüfen, ob junge Menschen gleichen Begabungsgrades überall die gleichen Möglichkeiten zu einer Ausbildung ihrer Fähigkeiten vorfinden. Hier stimmen nun die von Professor Eddinng und seinen Mitarbeitern durchgeführten Untersuchungen über den relativen Schulbesuch nachdenklich. Er konnte zeigen, daß offensichtlich innerhalb der Länder der Bundesrepublik erhebliche Unterschiede bestehen. Ähnliches ist auch aus der soeben vom Statistischen Bundesamt herausgegebenen Statistik 1956 bis 1961 über das allgemeinbildende Schulwesen zu entnehmen. Demnach schwankte im Jahre 1961 der Anteil der Absolventen der Ausbildungsart Mittelschulen an der gleichaltrigen Wohnbevölkerung zwischen 1,9% im Saarland und 18,9% in Schleswig-Holstein — Herr Kollege Lohmar, Sie haben die Eckziffern schon genannt —, bei einem Mittelwert im Bundesgebiet einschließlich Berlin-West von 9%. Eine nicht ganz so große Streuung der Werte ist festzustellen bei den Abiturienten des Jahres 1961. Ihr Anteil an der gleichaltrigen Wohnbevölkerung schwankte 1961 zwischen 4,7 % im Saarland und 10,3 % in Berlin bei einem Durchschnittswert im Bundesgebiet einschließlich Berlin von 6,1 %.
Es geht bei diesen Unterschieden also nicht darum, ob etwa in einem Land die 4-, in den anderen die 5- oder 6jährige Mittelschule üblich ist oder welche Sprachenfolge an den Schulen besteht; es geht vielmehr darum, daß das Netz der Schulen so unterschiedlich dicht ausgebaut ist, daß in einem Land Kinder ohne Schwierigkeiten eine Mittel- oder höhere Schule besuchen, in einem anderen aber nicht.
Wenn auch für den Bau, die Einrichtung und Verwaltung der Schulen nach dem Grundgesetz die alleinige Zuständigkeit der Länder gegeben ist, so ist für den Bund von größter Wichtigkeit, daß das Bildungswesen der Länder gut ausgebaut ist; denn hiervon ist, wie schon ausführlich gesagt, die zukünftige wirtschaftliche Entwicklung abhängig. Aus diesem Grunde kann und wird die Bundesregierung nicht müde werden, an die zuständigen Stellen der Länder den Appell zu richten, alle Kräfte einzusetzen, um das unterschiedliche Bildungsangebot nach oben auszugleichen.
Dabei handelt es sich, wie schon die Bedarfsfeststellung der Kultusministerkonferenz vom Frühjahr 1963 zeigt, um eine Aufgabe gewaltigen Ausmaßes, die den Einsatz ganz erheblicher Finanzmittel erfordert. Obschon nach den großen Kriegszerstörungen seit 1945 von den Ländern Großes geleistet wurde, bleibt noch mehr zu tun. Die Länder werden beweisen müssen, daß der vornehmste Bereich öffentlicher Aufgaben von nationalem Belang, ,der ihrer föderativen Zuständigkeit anvertraut ist, auch in den Länderhaushalten bevorzugt bedacht wird.
Die Lösung dieser Aufgaben wird wegen des unterschiedlichen Ausbaues des Bildungswesens in den einzelnen Ländern noch unterschiedliche Anstrengungen erfordern. Das Beispiel Schleswig-Holstein zeigt, daß das nicht allein ein finanzielles Problem ist. Vielleicht noch größere Schwierigkeiten als im finanziellen Sektor bestehen darin, die Menschen in erforderlicher Anzahl zu finden, die als Lehrer an diesen Schulen tätig werden sollen. Die Bedarfsfeststellung der Kultusministerkonferenz zeigt auch hier den gefährlichen Engpaß, den eine Zeit der Vollbeschäftigung zwangsläufig heraufgeführt hat, unter dem aber nicht nur die Bundesrepublik leidet, der vielmehr ein weltweites Problem ist. Auch zur Überwindung des Lehrermangels haben die Kultusminister der Länder bereits eine ganze Reihe von Maßnahmen eingeleitet. Dazu wird auch eine beschleunigte intensive Erprobung gehören, ob und gegebenenfalls wie durch programmierten Unterricht ein Beitrag zu einer rationelleren Gestaltung des Unterrichts und damit zur Linderung des Lehrermangels geleistet werden kann.
Weiter kann die Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse dadurch gefährdet werden, daß junge Menschen angebotene Bildungschancen deshalb nicht ausnutzen können, weil sie selbst oder ihre Familien die Ausbildungskosten nicht aufbringen können. Hier sollte der Staat die nötige Hilfe leisten, und zwar sowohl um die Grundrechte des einzelnen zu wahren, als auch im Hinblick auf die Zukunft des gesamten Volkes. Nach unserer freiheitlichen Staatsordnung sollten jedoch abgewogene Lösungen angestrebt werden, die sowohl die Interessen wie die Pflichten des einzelnen und der Gesamtheit berücksichtigen.
Das Ziel der Bundesregierung ist es, in gerechterer Form als bisher die Einheit der Lebensverhältnisse durch eine umfassende Regelung in sozialer Hinsicht zu erreichen. Sie hat deshalb den Entwurf eines Ausbildungsbeihilfengesetzes auf der Basis des Art. 74 Nr. 7 des Grundgesetzes erarbeitet. Allerdings ist von einigen Ländern, insbesondere vom Land Hessen, die Zuständigkeit des Bundesgesetzgebers bestritten worden, weil der Entwurf des Bundes bildungspolitischen Charakter trage; er strebe als Ziel die allgemeine Begabtenförderung an, während die sozialpolitische Komponente, nämlich die Berücksichtigung einer fürsorgerechtlich relevanten Notlage, dahinter zurücktrete. Diese verfassungsrechtlichen Bedenken treffen offenbar auch den bereits vorliegenden Initiativgesetzentwurf der Fraktion der SPD für ein Ausbildungsförderungs-



Bundesminister Lenz
gesetz. Die Bundesregierung ist bemüht, die verfassungsrechtlichen Bedenken gegen ihren Entwurf auszuräumen.
Im übrigen weise ich darauf hin, da die mangelnde Förderung begabter Jugendlicher nicht nur ein finanzielles Problem ist. Leider bestehen noch in weiten Kreisen unserer Bevölkerung große, nicht finanziell begründete Hemmungen, ihren Kindern eine höhere Bildung zukommen zu lassen. Es ist z. B. bekannt, daß Kinder der unteren Beamtenstufen in erheblich größerer Zahl Mittelschulen und Gymnasien besuchen als Kinder von oft besser verdienenden Arbeitern. Bei der Überwindung dieser Hemmungen sollten alle Kräfte mitwirken, die berufen sind, Eltern und Jugendliche bei der Berufsfindung zu beraten.
Ich komme zur Beantwortung Ihrer Frage 4. Der Auftrag des Wissenschaftsrates lautet — abgesehen von der Aufstellung eines Gesamtplanes für die Förderung der Wissenschaft —, jährlich ein Dringlichkeitsprogramm aufzustellen und Empfehlungen für die Verwendung der in den Haushaltsplänen von Bund und Ländern für die Förderung der Wissenschaft verfügbar en Haushaltsmittel zu geben. Mit den „Bedarfsplänen" in der Frage 4 sind offenbar die jährlichen Empfehlungen des Wissenschaftsrates gemeint, die auf Anträgen der Länder aufbauen. Diese Empfehlungen sollen sich nach Art. 2 Ziffer 3 des Verwaltungsabkommens über den Wissenschaftsrat auf die verfügbaren Bundesmittel beziehen. Es trifft zu, daß die Bundesregierung in den beiden letzten Haushaltsjahren nicht in der Lage war, den gegenüber den Vorjahren nicht unerheblich erhöhten Empfehlungen des Wissenschaftsrates in vollem Umfang zu entsprechen. Das hängt mit der Haushaltslage zusammen, also damit, daß neben der Wissenschaftspolitik noch andere Staatsaufgaben zu lösen sind.
Im Jahre 1963 blieb der Bundeszuschuß um rund 20 % hinter den Empfehlungen des Wissenschaftsrates zurück. Im Jahre 1964 wird der Rückstand voraussichtlich 10 % betragen. Herr Kollege Lohmar, Sie haben die Bindungsermächtigungen noch dazugenommen. Dadurch hat sich diese exorbitante Zahl ergeben. Mit der 20 %-10 %-Relation wird es einigermaßen. Die Differenzen zwischen den Empfehlungen des Wissenschaftsrates und den jeweiligen Haushaltsansätzen sind mit dem Auftrag des Wissenschaftsrates, Empfehlungen zu geben, durchaus vereinbar. Sie haben bisher das Ansehen des Wissenschaftsrates in keiner Weise gemindert. Das Ansehen des Wissenschaftsrates ist nach wie vor außerordentlich groß

(Abg. Dr. Lohmar: Aber das der Bundesregierung, Herr Minister?!)

und beruht auf der ausgezeichneten sachlichen Qualität seiner Arbeit. Wir tun alles, um diesen Empfehlungen gerecht zu werden und um auch in Ihren Augen einiges Ansehen dadurch zu gewinnen. Es ist nicht abhängig davon, daß die finanziellen Empfehlungen des Wissenschaftsrates in voller Höhe realisiert werden. Die Bundesregierung ist weiterhin bemüht, die Empfehlungen des Wissenschaftsrates bei der Aufstellung ihrer Haushaltspläne im Rahmen ihrer haushaltsmäßigen Möglichkeiten — wie in Art. 3 Abs. 1 des Verwaltungsabkommens über den Wissenschaftsrat festgelegt — zu berücksichtigen. An dem guten Willen der Bundesregierung, den Empfehlungen des Wissenschaftsrates im Rahmen ihrer finanziellen Möglichkeiten zu entsprechen, sollte man nicht zweifeln. Immerhin sind die Bundesmittel für den Ausbau der wissenschaftlichen Hochschulen von 85 Millionen DM im Rechnungsjahr 1958 auf 220 Millionen DM im Rechnungsjahr 1963 erhöht worden und sollen 1964 auf 250 Millionen DM steigen.
Zum Abschluß greife ich noch einmal auf den Anfang zurück. So wie die soziale Frage nur gelöst werden kann oder ihrer Lösung nahegebracht werden kann, indem die Gesellschaft enorme Lasten gemeinsam trägt, so müssen auch für die Lösung der Bildungsfrage außerordentliche Leistungen erbracht werden. Bei der langfristigen Förderung von Bildung und Forschung geht es um die Gestaltung unserer Zukunft. Man hat gelegentlich den Eindruck, als sei unser Volk restlos mit der Gestaltung der Gegenwart und mit ihrem Genuß beschäftigt. Wir müssen es lernen — das ist die Forderung der Regierungserklärung —, uns um unsere Zukunft zu kümmern — wenn es sein muß, auch um den Preis eines Verzichts in der Gegenwart. Nur Forschung und Bildung retten unsere Zukunft. Es geht um das Schicksal derer, die nach uns kommen!

(Beifall bei den Regierungsparteien.)


Dr. Eugen Gerstenmaier (CDU):
Rede ID: ID0411826800
Sie haben die Antwort der Bundesregierung gehört.
Ich gebe das Wort dem Herrn Kultusminister des Landes Nordrhein-Westfalen als Mitglied des Bundesrates und Vorsitzendem seines Kulturpolitischen Ausschusses.
Dr. Mikat, Minister des Landes Nordrhein-Westfalen: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zunächst möchte ich dafür danken, daß mir als Vorsitzendem des Kulturpolitischen Ausschusses des Bundesrates Gelegenheit gegeben ist, zu Ziffer 3 der Großen Anfrage Stellung zu nehmen, in der gefragt wird, welche Maßnahmen nach Auffassung der Bundesregierung notwendig sind, um die Einheitlichkeit der Lebensverhältnisses in den Bundesländern nach Art. 72 Abs. 2 Nr. 3 des Grundgesetzes im Bereich des Bildungswesens zu gewährleisten.
Ich darf hierzu eine mir wichtig erscheinende verfassungsrechtliche Vorbemerkung machen, die heute schon angeklungen ist. Die Bestimmung des Art. 72 Abs. 2 Nr. 3 des Grundgesetzes bezieht sich unstreitig ausschließlich auf die konkurrierende Gesetzgebung des Bundes und nicht etwa auf die Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse im Bunde schlechthin, sondern nur auf die Wahrung der Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse im Rahmen der konkurrierenden Gesetzgebungszuständigkeit des Bundes. Keinesfalls kann die Verfassung so ausgelegt werden, als ob das Bildungswesen in den Bereich der



Minister Dr. Mikat
konkurrierenden Gesetzgebung des Bundes falle; denn eine solche Zuweisung ist weder in Art. 74 erfolgt — der die Materien der konkurrierenden Gesetzgebung ja aufzählt —, noch ist eine solche Zuweisung an einer anderen Stelle des Grundgesetzes ausgesprochen.
Wenn in der Großen Anfrage die Frage gestellt wird, welche Maßnahmen notwendig erscheinen, um die Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse in den Bundesländern nach Art. 72 Abs. 2 Nr. 3 unserer Verfassung im Bereich des Bildungswesens zu gewährleisten, so führt die ausdrückliche Aufführung von Art. 72 Abs. 2 Nr. 3 des Grundgesetzes zu dem zwingenden Schluß, daß mit diesen Maßnahmen keine gesetzgeberischen Maßnahmen gemeint sein können; denn eine Gesetzgebungskompetenz des Bundes auf dem Gebiete des Bildungs- und Erziehungswesens liegt verfassungsrechtlich nicht vor.

(Abg. Dr. Lohmar: Das hat auch niemand behauptet, Herr Minister!)

— Ich habe auch nicht behauptet, daß Sie das behauptet haben, Herr Abgeordneter, sondern ich habe eine verfassungsrechtliche Vorbemerkung gemacht, die, glaube ich, auch unter meinen Kollegen völlig unbestritten sein dürfte.

(Beifall des Abg. Dr. Stoltenberg. — Abg. Dr. Schäfer: Warum der große Beifall? — Abg. Schmitt-Vockenhausen: Das war der Kultusminister in spe!)

Unsere Verfassung kennt keine Bestimmung zur Gewährleistung einheitlicher Lebensverhältnisse im Bereich der ausschließlichen Länderkompetenz. Das Bildungswesen ist nicht in Art. 74 des Grundgesetzes aufgenommen worden, was notwendig geschehen wäre, wenn der Verfassungsgeber eine Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse auf dem Gebiete des Bildungswesens verfassungsrechtlich hätte verankern wollen.
Wie immer man über die Frage der Möglichkeit und Notwendigkeit der Einheitlichkeit des Bildungswesens in der Bundesrepublik auch denken mag, jedenfalls ist die Begründung dafür nicht als zwingendes verfassungsrechtliches Postulat aus dem Grundgesetz herzuleiten. Andererseits sollte aber auch nicht übersehen werden, daß der jeweilige Landesgesetzgeber verpflichtet ist, in Fällen, in denen die Auswirkungen einer gesetzlichen Regelung nicht auf den Raum des Landes begrenzt bleiben, Rücksicht auf die Interessen Ides Bundes und der übrigen Länder zu nehmen. Aber wenngleich auch die Verfassung dem Bunde nicht die Möglichkeit gibt, die Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse im Bildungsbereich auf dem Wiege der Gesetzgebung zu gewährleisten, so ist mit einer solchen Feststellung allein noch kein positiver Beitrag geleistet.

(Abg. Dr. Lohmar: In der Tat!)

Es ist vielmehr zu fragen: was kann und muß im Rahmen der verfassungsrechtlich gegebenen Möglichkeiten getan werden, um jenes Maß an Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse auch im Bildungsbereich zu sichern, das sowohl den übergreifenden Forderungen der Gesamtnation wie auch den legitimen Besonderheiten der einzelnen Länder gerecht wird.
Eine zweite Vorbemerkung sei gestattet. In der Öffentlichkeit mehren sich in letzter Zeit die Stimmen, die den Eindruck erwecken, als wenn in der Bundesrepublik aus Mangel an einer einheitlichen Konzeption das ganze Bildungs- und Schulwesen schlechthin rückständig wäre. Darüber hinaus wird auch vielfach vorgetragen, die ,deutsche Wissenschaft befinde sich heute im Rückstand und sei geradezu zu einem unterentwickelten Gebiet geworden. Soweit solche Urteile den Charakter von Alarmrufen haben mit der Aufgabe, eine breitere Öffentlichkeit und vor allen Dingen die politisch verantwortlichen Stellen auf de Notwendigkeit einer intensiven Förderung von Wissenschaft und Forschung, Bildung und Erziehung aufmerksam zu machen, haben sie durchaus ihren Wert. Es sollte aber auch nicht ihre höchst bedenkliche Seite übersehen werden. Eine stärkere Differenzierung der Urteile 'auf diesem Feld erscheint mir notwendig.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Die Behauptung, die deutsche Wissenschaft sei rückständig — —

(Abg. Dr. Lohmar: Nicht die Wissenschaft, sondern die Förderung der Wissenschaft ist rückständig, Herr Minister!)

— Da befinden wir uns ja in einer gemeinsamen Front, Herr Abgeordneter. Aber ich muß doch zunächst einmal die Ausgangsposition meiner Antwort festlegen.
Die Behauptung, die deutsche Wissenschaft sei rückständig, ist nicht nur unzutreffend. Sie schadet überdies dem Ansehen unserer deutschen Wissenschaft nach innen und nach außen. Was uns heute not tut, ist eine exakte Untersuchung über die einzelnen wissenschaftlichen Disziplinen. So liegen etwa — um nur ,ein Beispiel zu nennen — in bestimmten geisteswissenschaftlichen Disziplinen die Verhältnisse völlig anders als in bestimmten technisch-naturwissenschaftlichen Disziplinen. Aber auch innerhalb der einzelnen Disziplinen wird man sorgfältige Differenzierungen vornehmen zu müssen.
Daß etwa aus der Zahl der einem Land verliehenen Nobelpreise kein Urteil über die gesamte Wissenschaft eines Landes gefällt werden kann, dürfte sich wohl von selbst verstehen. Ich sage das nicht etwa, weil ich glaubte, daß dieses Argument hier in diesem Hohen Hause oder in irgendeinem deutschen Landesparlament fallen würde, sondern weil wir in der Öffentlichkeit heute dafür sorgen sollten, daß wir ganz exakt fragen: Wo kann etwas getan werden? Diese Frage kann ich aber nur dann beantworten, wenn ich jedes einzelne Wissenschaftsgebiet sorgfältig auf die Möglichkeiten und Notwendigkeiten seiner Förderung untersuche.

(Sehr richtig! bei der CDU/CSU.)

Ähnliches gilt auch etwa für die heute gängige Behauptung über das angebliche totale Versagen der deutschen Schule. Allen, die in der konkreten politischen Verantwortung stehen, ist nur mit einer Kritik geholfen, die konkrete Mängel nennt und sich



Minister Dr. Mikat
nicht in verallgemeinernden Abwertungen begnügt. Damit soll nicht geleugnet werden, daß wir gerade auf dem Gebiet des Bildungswesens einen großen Nachholbedarf zu decken und darüber hinaus wichtige neue Aufgaben zu erfüllen haben.

(Abg. Wehner: Hört! Hört!)

Wer immer aber auch in Deutschland über den Stand unseres Erziehungs- und Bildungswesens spricht, der sollte bedenken, von welcher Ausgangsposition die deutschen Länder 1945 ausgehen mußten. Er sollte nicht übersehen, daß der Nationalsozialismus unser Erziehungs- und Bildungswesen weithin ruinierte; ein Umstand, der weit schwerer wiegt als die Zerschlagung unserer Universitäten und Schulen, die es nach dem Kriege aufzubauen galt. Ich glaube, alle Einsichtigen sind sich heute darüber klar, daß die Wunden, die hier geschlagen wurden, nicht in 10 und in 15 und in 20 Jahren geheilt werden können. Wohlgemerkt, uns ist nicht damit gedient — und kein Mensch denkt daran —, den derzeitigen Stand zu beschönigen. Vielmehr soll eine seiner Wurzeln aufgedeckt werden und damit zugleich die Bitte an alle im Bund und in den Ländern verbunden werden, künftig erhebliche Mehraufwendungen für den Bereich von Wissenschaft und Forschung, von Bildung und Erziehung zu investieren.
Mit der Frage nach der Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse, was, auf die Situation in der Bundesrepublik bezogen, nur heißen kann: Einheit in Vielfalt, ist aber nur ein Kernproblem jedes Bundesstaates gestellt. Das Beispiel etwa der großen, traditionsreichen, föderalen Staaten wie der USA oder Kanadas, Großbritanniens oder der Schweiz zeigt, daß es durchaus möglich ist, die Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse mit der Eigenständigkeit der Einzelstaaten und einem fortschreitenden Ausbau des Bildungswesens zu vereinen.

(Sehr gut! bei der CDU/CSU.)

Dieses setzt allerdings eines voraus: die Zusammenarbeit der Einzelstaaten untereinander, die Zusammenarbeit der Einzelstaaten mit dem Bund und nicht zuletzt die Zusammenarbeit auch zwischen Staat und Gemeinde sowie die Mitarbeit und Mitverantwortung jedes Staatsbürgers, für die gerade ein föderales System mannigfache Möglichkeiten zu bieten vermag.
In diesem Zusammenhang darf ich dankbar die Initiative des Herrn Bundeskanzlers begrüßen, die es ermöglicht hat, einen von Bund und Ländern gebildeten Ausschuß mit der Klärung uns seit Jahren bedrängender Kompetenzfragen zu betrauen.
Lassen Sie mich versuchen, die Zusammenarbeit auf den einzelnen Gebieten des Bildungswesens kurz darzustellen. Die Zusammenarbeit der Länder untereinander, die sich in der Kultusministerkonferenz und ihren zahlreichen Ausschüssen, Unterausschüssen und Arbeitsgruppen vollzieht, und die Zusammenarbeit der Länder mit dem Bund auf den Gebieten, auf denen Bundeszuständigkeiten bestehen, wird durch die Verfassung, aber auch durch die geschichtlich gewordenen und heute gegebenen
Verhältnisse bestimmt. Diese Zusammenarbeit hat unter anderem zum Ziele, die Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse so weit als möglich und sachlich notwendig herzustellen und mit der Vorausberechnung künftiger Schüler- und Studentenzahlen, wahrscheinlicher Lehrerdefizitzahlen, sonstiger künftig zu erwartender Entwicklungen das jeweils Erforderliche rechtzeitig einzuleiten.
Hierbei will ich jetzt kurz darlegen, welche Maßnahmen bisher getroffen worden sind und welche Maßnahmen nach unserer Auffassung künftig noch zu treffen sein werden. Im Bereich des Schulwesens haben die Länder nach der Periode des Wiederaufbaus der durch Krieg und Hitlerdiktatur erfolgten Zerstörungen mit dem Düsseldorfer Abkommen von 1955 den Rahmen für die Weiterentwicklung unseres allgemeinbildenden Schulwesens gelegt. Mit Recht trägt dieses Abkommen die Bezeichnung „Abkommen zur Vereinheitlichung auf dem Gebiete des Schulwesens", denn es legt einheitliche Organisationsformen und Schultypen im Bereich der Mittelschule und der Höheren Schule fest und regelt die gegenseitige Anerkennung der Reifezeugnisse und Lehramtsprüfungen. Da das Düsseldorfer Abkommen zunächst auf 10 Jahre geschlossen wurde, wird zur Zeit im Schulausschuß der Kultusministerkonferenz eine Novellierung des Abkommens vorbereitet, um ab 1965 weitere Maßnahmen zur Vereinheitlichung und Weiterentwicklung auf dem Gebiete des allgemeinbildenden Schulwesens zu treffen.
Auf dem Gebiet des berufsbildenden Schulwesens sind bisher die wichtigsten Teilbereiche einheitlich geregelt worden. Ich erwähne in diesem Zusammenhang vor allem die Vereinbarung über die Einrichtung von Berufsaufbauschulen von 1959, durch die eine wichtige Stufe des zweiten Bildungsweges ausgebaut wurde, sowie die Vereinbarung zur Vereinheitlichung des Ingenieurschulwesens von 1964, die diesen besonders wichtigen Ausbildungsbereich für alle Länder einheitlich geregelt hat. Weitere Maßnahmen zur Reform und gleichzeitig zur Vereinheitlichung anderer Teilgebiete des berufsbildenden Schulwesens werden angestrebt.
Die Zusammenarbeit der Kultusministerien mit dem Ziele der Vereinheitlichung, des Ausbaues und der Reform des allgemeinbildenden und berufsbildenden Schulwesens ist durch den im Jahre 1953 gegründeten Deutschen Ausschuß für das Erziehungs- und Bildungswesen nachhaltig unterstützt worden. Wenn der Deutsche Ausschuß mit der bevorstehenden Erstattung des Gutachtens zur Neugestaltung des berufsbildenden Schulwesens, an dem er zur Zeit arbeitet, den von ihm selbst bestimmten Abschluß seiner Arbeiten erreicht haben wird, muß geprüft werden, wie die wichtige und verdienstvolle Tätigkeit des Deutschen Ausschusses in einer neuen Form weitergeführt werden kann. Das Beispiel Großbritanniens oder Schwedens zeigt, wie durch die Einsetzung von Ad-hoc-Kommissionen wirksame Reformvorschläge unter Beteiligung eines weiten Kreises von Fachleuten aus Schule, Hochschule und Wirtschaft ausgearbeitet werden können.



Minister Dr. Mikat
Ich darf hier vielleicht einfügen, daß ich tatsächlich glaube, daß es heute darauf ankommt und viel wichtiger ist, für konkrete Gebiete und konkrete Aufgabenstellungen, also einzelne Aufgabenstellungen, sogenannte Ad-hoc-Ausschüsse einzurichten. Sie sind sehr viel schneller in der Arbeit, sind sehr viel sachbezogener, weil es nicht darauf ankommt, etwa ein großes Gesamtprogramm zu entwerfen. Das zeigt deutlich das von mir angeführte Beispiel etwa von Großbritannien oder Schweden. Andererseits zeigt das Beispiel Frankreichs, daß auch ein ständiges beratendes Gremium, in welchem die verantwortlichen Fachleute etwa der Verwaltung mit Experten, die außerhalb der Verwaltung stehen, zusammenarbeiten, zur Lösung dringlicher Aufgaben des Erziehungs- und Bildungswesens entscheidend beitragen kann. Hier die richtige und unseren Gegebenheiten entsprechende Einrichtung zu schaffen, gehört zu dem Katalog der Maßnahmen, die nach meiner Auffassung künftig getroffen werden müssen.
Auf dem Gebiete des Hochschulwesens hat gerade der föderale Aufbau der Bundesrepublik, in der die Länder die Träger der wissenschaftlichen Hochschulen sind, zu einer gleichmäßigen Entwicklung aller Hochschulen beigetragen. Schon die Konkurrenz der einzelnen Länder auf diesem Gebiete führte zu einer weitgehenden Angleichung der Forschungs- und Arbeitsbedingungen an allen Hochschulen. Die Freizügigkeit der Studenten und Professoren ist eine selbstverständliche Grundlage unseres Hochschulwesens. Im Wissenschaftsrat arbeiten Bund, Länder und Wissenschaft seit 1957 eng zusammen. Gestatten Sie auch hier noch einmal den Hinweis, meine Damen und Herren: sicherlich, wir müssen ungeheure Investitionen auf dem Gebiete des Hochschulwesens — Wissenschaft und Forschung, Universität — erbringen. Wir sollten aber nicht übersehen, was allein in diesem Bereich bisher erbracht worden ist. Ich kann ja immer nur das Urteil aus konkreten Situationen heraus fällen. Ich weiß nicht, ob nicht sogar die Kompetenzverteilung des Grundgesetzes - ich persönlich bin der Auffassung —, die nun einmal die Sorge etwa für den Universitätsbereich im wesentlichen den Ländern zuwies, mit eine der Ursachen dafür ist, daß wir überhaupt schon soviel auf diesem Sektor haben investieren können. Das jeweilige Länderparlament konnte doch ganz andere Prioriäten bilden, als es etwa diesem Hohen Hause angesichts der wirtschaftlichen und sozialen Bedrückung der ersten Jahre des Wiederaufbaus überhaupt möglich gewesen wäre.

(Abg. Dr. Schäfer: Gerade bei der Regierungsmehrheit! — Abg. Dr. Barzel: Ach, Herr Schäfer! — Abg. Stoltenberg: Ach, Herr Schäfer, was haben Sie uns denn prophezeit: vier Millionen Arbeitslose!)

Ich bitte nur auch hier einmal den positiven Wert der Kompetenzverteilung zu sehen, der, meine ich, nicht gering veranschlagt werden sollte; denn die These etwa der Regelung bestimmter Bereiche von einer Stelle hat ja in der Vergangenheit außerordentlich schlechte Ergebnisse gerade für die Bereiche des Bildungswesens und des Wissenschafts-
und Forschungswesens bei uns in Deutschland gezeitigt.
Ich wies darauf hin, daß wir im Wissenschaftsrat seit 1957 eine Zusammenarbeit von Bund, Ländern und Wissenschaft haben. Gemeinsam haben sie die Empfehlungen zum Ausbau der wissenschaftlichen Hochschulen, zur Neugründung wissenschaftlicher Hochschulen und zu den Reformmaßnahmen erarbeitet, die z. B. in dem Bemühen um Verstärkung und einheitliche Gestaltung des sogenannten akademischen Mittelbaus, der sich für unsere Universitäten als immer wichtiger erweist, zum Ausdruck kommen. Die Empfehlungen des Wissenschaftsrates sind durch die Länder schon weitgehend, z. B. im personellen Ausbau mit Lehrstühlen bereits zu 74 %, verwirklicht. Seit der Bekanntgabe der Empfehlungen, d. h. also zwischen dem 15. November 1960 und dem 1. August 1963, sind insgesamt 803 Planstellen für neue Lehrstühle, 2335 Planstellen für den akademischen Mittelbau und 4677 Stellen für Oberassistenten und Assistenten, mithin insgesamt 7815 Stellen für Wissenschaftler neu geschaffen worden. Das ist die Entwicklung von drei Jahren. Diese geradezu explosive Entwicklung hat dazu geführt, daß sich die Ausgaben der Länder für Wissenschaft und Forschung ähnlich wie im Schulwesen von 1955 bis heute mehr als verdoppelt haben.
Über diesem quantitativen Ausbau des Hochschulwesens sind bestimmte grundsätzliche Maßnahmen allerdings zunächst in den Hintergrund getreten. Hier ist in erster Linie an die Bildung von Schwerpunkten an einzelnen Hochschulen zu erinnern. Schon in seinen Empfehlungen hatte der Wissenschaftsrat betont, daß wir nicht jedes Fach an jeder Hochschule in gleicher Weise ausbauen können. Vielmehr müssen wir zu einem flexiblen System von Schwerpunkten kommen, indem wir bestimmte Fächer an bestimmten Hochschulen konzentrieren. Hierüber werden sich künftig die Länder untereinander, die Länder mit dem Bund und Bund, Länder und Wissenschaftsrat gemeinsam im Wissenschaftsrat intensiver als bisher zu verständigen haben. Wie bei allen Reformmaßnahmen, so sind auch hier Mitberatung und Mitwirkung der Hochschulen unerläßlich. Die Schwerpunktbildung, das Kernstück jeder umfassenden Wissenschaftspolitik, kann nicht von oben her kommandiert, sie muß in der Partnerschaft von Staat und Hochschule von Fall zu Fall und von Fach zu Fach entwickelt werden.
Die Finanzierung ,der Neugründung wissenschaftlicher Hochschulen hat die öffentliche Meinung in den letzten Monaten in besonderem Maße beschäftigt. Ich darf heute hier mitteilen, daß die im Auftrage der Ministerpräsidenten-Konferenz von der Kultus- und Finanzminister-Konferenz eingesetzte Sachverständigenkommission ihre Arbeiten im Februar abgeschlossen und Alternativvorschläge für eine gemeinsame Finanzierung der Hochschulneugründungen der Ministerpräsidenten-Konferenz jetzt vorgelegt hat. Die Ministerpräsidenten werden in Kürze über diese Vorschläge zu entscheiden haben.
Im Bereich der wissenschaftlichen Einrichtungen außerhalb unserer Hochschulen haben die Länder



Minister Dr. Mikat
schon im Jahre 1949 das Königsteiner Staatsabkommen geschlossen, durch das eine gemeinsame Finanzierung und ein einheitlicher Ausbau dieser Einrichtungen gewährleistet sind. Ferner tragen Bund und Länder seit langem durch eine gemeinsame und in der Praxis auch reibungslose Finanzierung die Deutsche Forschungsgemeinschaft und die Institute der Max-Planck-Gesellschaft insgesamt je zur Hälfte.
Auf dem Gebiet der Studienförderung an wissenschaftlichen Hochschulen wirken Bund und Länder sowohl in der Aufbringung der Mittel wie in der Festlegung der Richtlinien zusammen. Die Verhandlungen zur Verbesserung der Studienförderung nach dem Honnefer Modell stehen ja nun wohl bald vor dem Abschluß. Durch diese Verbesserung hoffen wir einen größeren Kreis von Studierenden als bisher fördern zu können. Die Neuregelung wird voraussichtlich zum Sommersemester 1964 in Kraft treten. Ich darf aber in diesem Zusammenhang darauf aufmerksam machen, wie sehr sich die Kultusminister aller deutschen Länder um eine rechtzeitige Verabschiedung dieser Neuregelung bemüht haben. In Anlehnung an das Honnefer Modell haben die Länder die Studienförderung an den künstlerischen Hochschulen, den Pädagogischen Hochschulen und den Ingenieurschulen einheitlich geregelt.
Lassen Sie mich diese Entwicklung durch einige Haushaltszahlen verdeutlichen. Im Jahre 1955 brachten Bund, Länder und Gemeinden für Kulturaufgaben insgesamt rund 6 Milliarden DM auf. Bis zum Jahre 1963 war dieser Betrag auf 13,1 Milliarden DM angestiegen. Die Mittel wurden aufgebracht im Jahre 1963 mit 1,1 Milliarden DM durch den Bund, 8,4 Milliarden DM durch die Länder und 3,6 Milliarden DM durch die Gemeinden. Gegenüber dem Vorjahr 1962 hatte sich der Bundesanteil um 2,6 % gesenkt, der Länderanteil um 11,9 % erhöht; desgleichen erhöhte sich der Anteil der Gemeinden um 7,1 %. Diese Steigerung der Kulturausgaben, meine Damen und Herren, darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, daß wir im Vergleich mit anderen hockindustrialisierten Staaten für unsere Schulen, Fachschulen und Hochschulen noch immer einen geringeren Anteil des Bruttosozialprodukts aufwenden. Bei uns lag dieser Anteil im Jahre 1961, dem letzten Jahr, für das wir überhaupt exakte Angaben machen können, bei 3,5 %, während er in Großbritannien, in Schweden und in den Niederlanden bereits rund 4 % erreicht bzw. überstiegen hat.
Dieser Überblick kann Ihnen vielleicht zeigen, daß die Grundlagen gelegt sind, um einheitliche Rechtsverhältnisse für Schüler und Studierende, Lehrende und Forschende zu schaffen und gleichzeitig den Ausbau und die Reform unseres Bildungswesens zu fördern und zu verstärken.
Aber ich behaupte nicht, daß alles zum besten steht. Gerade die Kultusminister und -senatoren, die täglich allen dringlichen Problemen unseres Bildungswesens gegenüberstehen, sind sich durchaus dessen bewußt, wie unendlich viel uns zu tun bleibt. Wir wissen, daß die Bedürfnisse der modernen Industriegesellschaft und das Steigen der Geburtenzahlen uns vor ungeheure, wie wir oft meinen, manchmal kaum zu bewältigende Aufgaben stellen.
Im Jahre 1970 wird, um hierfür nur ein Beispiel zu nennen, die Zahl der Volksschüler voraussichtlich um über 1 Million über der des Jahres 1960 liegen. Diese vermehrte Schülerzahl wird durch unsere allgemeinbildenden und berufsbildenden Schulen und schließlich ab 1980 auch durch unsere Hochschulen strömen.
Aus diesem Grunde hat die Kultusministerkonferenz schon im Jahre 1956 einen Bedarfsplan für alle Sachgebiete der Kultusverwaltungen ausgearbeitet und Anfang 1963 ihre Bedarfsfeststellung 1961 bis 1970 der deutschen Öffentlichkeit vorgelegt.
Die Kultusministerkonferenz hat darüber hinaus eine ständige Arbeitsgruppe für Fragen der Bedarfsfeststellung geschaffen, in der jedes Land durch einen verantwortlichen Beamten vertreten ist. Diese Arbeitsgruppe wird in einem jährlichen Bericht an das Plenum der Kultusministerkonferenz — jetzt erstmals zum Jahresende 1964 — feststellen, an welchem Punkt der Entwicklung wir jeweils stehen und wieweit die Ziele der Bedarfsfeststellung in den einzelnen Ländern erreicht werden konnten. Diese Jahresberichte werden aus dem jeweiligen Stand die voraussichtliche Tendenz der künftigen Entwicklung ableiten, um damit der Verwaltung, den Parlamenten und der Öffentlichkeit einen Hinweis auf die Maßnahmen zu geben, die jeweils getroffen werden müssen.

(Vorsitz: Vizepräsident Schoettle.)

Ich glaube daher nicht, daß der Vorwurf zutrifft, die Kultusverwaltungen hätten es an der notwendigen Voraussicht fehlen lassen. Wir haben im Gegenteil das Instrument geschaffen, um eine Bestandserhebung und zugleich eine Vorausberechnung des künftigen Bedarfs von Jahr zu Jahr fortzuführen.
Wenn wir aus dieser Sicht die gegenwärtige Situation prüfen, so sind es vor allem zwei Tatsachen, die uns besonders große Sorgen bereiten. Wenn ich diese beiden Tatsachen hier erwähne, so nicht, als seien es die ausschließlichen Sorgenfaktoren; aber sie brennen uns besonders auf den Nägeln. Wie alle europäischen Länder, die im Zeichen der Vollbeschäftigung und Hochkonjunktur stehen, haben auch wir einen empfindlichen Lehrermangel auf allen Gebieten des Schulwesens zu verzeichnen. Bei uns ist dieser Lehrermangel verschärft durch die verfehlte Schul- und Hochschulpolitik des Nationalsozialismus, die den Zugang zu den Hochschulen drosselte, und die Kriegsverluste, die gerade die mittleren Jahrgänge getroffen haben, die uns heute im Lehrerberuf fehlen. Wir tragen auch hier an der Vergangenheit mit; die Bildungs- oder, besser gesagt, die Unbildungspolitik ab 1933 wirkt sich — wie immer im Bildungswesen — erst 30 Jahre später, nämlich jetzt aus. In allen Ländern der Bundesrepublik sind darum Maßnahmen getroffen worden, um die Mittelschulen und die höheren Schulen auszubauen, Aufbauzüge einzurichten, die Abiturientenzahlen zu steigern, die Pädagogischen Hochschulen zu erweitern und den Nachwuchs an Gymnasiallehrern insbesondere der naturwissenschaftlichen Disziplinen zu verstärken.



Minister Dr. Mikat
Eine zweite Tatsache ist das Stagnieren des Gymnasialbesuchs. Während in vielen anderen europäischen Ländern die Zahl der Gymnasiasten und damit auch der Abiturienten steigt — soeben ist hier schon Zahlenmaterial genannt worden —, ist bei uns festzustellen, daß der Anteil eines Geburtsjahrganges, der das Gymnasium besucht, mit geringfügigen Schwankungen in den letzten Jahren konstant geblieben und teilweise sogar zurückgegangen ist. Wir kennen noch nicht im einzelnen die exakten Ursachen dafür. Auch dieses Thema gehört zu denjenigen, die einer vertieften soziologischen und pädagogischen Untersuchung bedürfen. Wir müssen durch geeignete Maßnahmen dafür sorgen, daß jedes Kind die seiner Begabung gemäße Schulbildung erhält. Dazu gehört ebenso der Ausbau des Schulsystems wie die Werbung für den Besuch weiterführender Schulen bei den Eltern. Die Auffassung, daß Gymnasien vorwiegend Schulen für Kinder bestimmter sozialer Schichten sind, ist längst überholt. Wo aber noch in Schichten unseres Volkes eine Zurückhaltung besteht, Kinder auf eine weiterführende Schule zu schicken, haben wir dafür zu sorgen, daß diese Scheu überwunden wird. Ebensosehr gilt es zu verhindern, daß begabte Kinder vorzeitig weiterführende Schulen verlassen. Die Kultusminister müssen jedoch, wenn sie überhaupt Erfolg haben wollen, immer wieder an die Öffentlichkeit, an die Eltern und an die Jugendlichen appellieren, von den angebotenen Möglichkeiten den rechten Gebrauch zu machen.
Ich habe Ihnen unsere Sorgen hier dargelegt. Ich möchte aber keinen Zweifel daran lassen, daß es zur Lösung der vordringlichen Aufgaben unseres Bildungswesens keine Patentrezepte gibt und geben kann. Wir müssen schrittweise und stetig vorgehen und uns dabei offenhalten für neue Ideen und neue Entwicklungen. Unser Schul- und Hochschulwesen ist in den letzten zehn Jahren und gegenüber den Verhältnissen in der Weimarer Zeit oder im Kaiserreich entscheidend verbessert worden. Lassen Sie mich auch hierfür nur zwei Zahlenreihen nennen: Auf einen hauptberuflichen Lehrer an Volksschulen kamen im Durchschnitt im Jahre 1911 54 Schüler, im Jahre 1950 49 und heute 36 Schüler. Im Jahre 1911 besuchten 7,9 % der 10- bis unter 20jährigen weiterführende allgemeinbildende Schulen, im Jahre 1955 15,3 % und heute 18 %. Die Männer und Frauen, die den Wiederaufbau nach Kriegsende vollzogen. und das Wirtschaftswunder geschaffen haben, haben also unter weit schlechteren Verhältnissen als heute ihre Schulbildung abschließen müssen. Ich bin überzeugt, daß die Verbesserungen im Schul- und Hochschulwesen und die Maßnahmen zum weiteren Ausbau und zur inneren Reform fortgeführt werden können und daß die geistigen und sittlichen Kräfte unseres Volkes auch heute noch und heute erst recht in der Lage sind, die uns gestellten Aufgaben zu meistern.
Lassen Sie mich zusammenfassen. Die föderale Struktur der Bundesrepublik ist nicht zufällig entstanden, nicht auf Grund eines Befehls der damaligen Besatzungsmächte und nicht aus der Schwäche des neugeborenen deutschen Staates. Unsere heutige föderale Struktur beruht auf dem klaren und eindeutigen Willen des Verfassungsgebers. Diese föderale Struktur verhindert aber nicht und sie darf nicht verhindern, daß auf dem Gebiete des Bildungswesens, in Schule, Fachschule und Hochschule, einheitliche Modelle der Bildung und Ausbildung und einheitliche Lebensverhältnisse für Schüler und Lehrer geschaffen werden. Unsere föderale Struktur verhindert auch nicht, sie erfordert vielmehr eine enge Zusammenarbeit der Länder mit dem Bund. Dieser Zusammenarbeit wird allerdings nicht gedient, wenn die Verfassungsbestimmungen so extensiv ausgelegt werden, daß dadurch der Sinn des Grundgesetzes verkehrt werden könnte. Diese Zusammenarbeit kann vielmehr nur auf einer klaren Abgrenzung der beiderseitigen Rechte und Pflichten beruhen. Unabhängig von dem verfassungsrechtlich Gebotenen werden Bund und Länder darüber hinaus vor allem in der klaren Vorausschau des künftigen Bedarfs und der Mittel zu seiner Deckung zusammenarbeiten müssen. Formen dieser Zusammenarbeit sind insbesondere auf dem Gebiet des weiteren Ausbaues unseres Hochschulwesens, auf dem Gebiet der Studienförderung und auf dem Gebiet der Wissenschaftsförderung bereits entwickelt. In Zukunft wird es darauf ankommen, diese Zusammenarbeit noch zu vertiefen und zu verstärken als Ausdruck eines lebendigen gemeinsamen Kulturwillens von Bund und Ländern.

(Beifall auf allen Seiten des Hauses.)


Erwin Schoettle (SPD):
Rede ID: ID0411826900
Die Große Anfrage der Fraktion der SPD ist begründet und beantwortet. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Martin.

Dr. Berthold Martin (CDU):
Rede ID: ID0411827000
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Begründung, die der Kollege Lohmar der Großen Anfrage gegeben hat, war für mich ganz schlicht eine Enttäuschung. Die CDU/ CSU hatte sich darauf eingerichtet, daß nach den vielen Verlautbarungen in der Öffentlichkeit der Bundestag heute vielleicht einen großen Tag erleben würde und daß die Redner sich des Gegenstandes würdig erweisen würden.

(Zuruf von der SPD.)

Ich muß sagen, daß das Pathos bei Herrn Lohmar eigentlich nur da überzeugend war, wo er zurückgriff auf die Terminologie des Wahlkampfes, die Bildungspolitik der CDU unter dem Stichwort „Keine Experimente" herabzusetzen versuchte und ganz schlicht sagte, unsere Bildungs- und Wissenschaftspolitik entspreche etwa der Zeit des Frühkapitalismus. Ich halte das nicht für eine gute Einleitung für eine Sache, die nun wirklich von nationaler Bedeutung ist und die uns alle zutiefst beschäftigen muß.

(Abg. Dr. Schäfer: Sind Sie vorsichtig!)

— Ich bin nicht vorsichtig, ich werde meine ganz klare Meinung sagen, Herr Schäfer; Sie sind nachher dran.

(Beifall bei der CDU/CSU.)




Dr. Martin
Ich habe natürlich den Rückgriff auf die Regierungserklärung begrüßt. Denn niemand wird bestreiten können, daß in dieser Regierungserklärung die Töne angeklungen sind, die zeigen, daß die die Regierung tragende Koalition und die Regierung selber in Bildungs- und Wissenschaftsfragen sich auf der Höhe der Zeit bewegen.

(Beifall bei der CDU/CSU. — Zuruf des Abg. Wehner.)

— Herr Wehner, Sid werden unruhig. Das paßt mir ganz gut, Herr Wehner. Wir werden uns jetzt auseinandersetzen.

(Abg. Wehner: Sie hören schwer, merke ich! Sie sollten sich mal untersuchen lassen!)

— Was denn? — Seien Sie vorsichtig, Herr Wehner. Ich kann auch untersuchen, das hat dann eine bestimmte Bedeutung. Sie glauben doch nicht, Herr Wehner, daß ich all diese Dinge

(Abg. Wehner: Sie sind ein Flegel!)

ohne weiteres hinnehme; das glauben Sie doch wirklich nicht. Ich würde das an Ihrer Stelle nicht gesagt haben, was Sie gesagt haben; ich halte das nicht für gut. Sie können doch nicht erwarten, Herr Wehner, daß ich einen so massiven Angriff auf die Kulturpolitik der CDU durchgehen lasse.

Erwin Schoettle (SPD):
Rede ID: ID0411827100
Gestatten Sie eine Unterbrechung. Herr Wehner, das Wort, das Sie gebraucht haben, ist nicht zulässig. Ich muß Sie zur Ordnung rufen.

Dr. Berthold Martin (CDU):
Rede ID: ID0411827200
Ich danke Ihnen, Herr Präsident.

(Abg. Dr. Lohmar: Lassen Sie sich nicht einschüchtern, Herr Martin!)

— Ich lasse mich nicht einschüchtern, auch nicht von Herrn Wehner; da brauchen Sie keine Angst zu haben.
Ich habe gesagt, daß die Regierungserklärung die Grundlagen für eine Kulturpolitik und eine Wissenschaftspolitik gegeben hat, die sich auf der Höhe der Zeit befindet. Ich glaube, es wäre richtig, noch etwas weiter zu greifen und mehr zu zitieren als nur den einen Satz, den Herr Lohmar zur Grundlage der Anfrage seiner Fraktion gemacht hat.
Ich glaube, wir haben zu rasch vergessen, daß nicht nur die materiellen Grundlagen des deutschen Lebens durch Nationalsozialismus und Krieg, sondern auch die geistigen zerstört worden sind. Wer sich an den Anteil erinnert, den Deutschland zu den geistigen Gütern der Menschheit beigetragen hat, wird sich mit den materiellen Erfolgen der Politik nicht zufrieden geben können. Das Bild Deutschlands wird erst wiederhergestellt sein, wenn sich das Ansehen unseres Volkes in der Welt nicht nur gründet auf wirtschaftlichen Leistungen, wie es heute weitgehend der Fall ist, sondern darauf, daß die von Deutschland ausgehenden geistigen Kräfte auch für andere Menschen eine Bereicherung und Vertiefung des Lebens sind.

(Zustimmung bei der CDU/CSU.)

Man wird sagen müssen, daß wir das bisher noch nicht erreicht haben. Es wäre auch verwunderlich, wenn wir so leicht noch einmal davongekommen wären.
Aber mir scheint, daß das Bewußtsein davon, daß diese Aufgabe nach dem erfolgreichen Wiederaufbau unseres Landes jetzt in großer Dringlichkeit vor uns steht, ein verheißungsvolles Zeichen ist. Es wäre gut gewesen, wenn die SPD, als sie in ihrer Großen Anfrage die Regierungserklärung zitierte, auch vermerkt hätte, daß der Bundeskanzler das Verhältnis von Geist und Politik zu einem tragenden Gedanken innerhalb seiner Überlegungen gemacht hat.

(Zuruf von der SPD.)

Diese Bundesregierung sieht es auch als ihre Aufgabe an, — heißt es da —den Kontakt zu den geistig und kulturell führenden Schichten 'unseres Landes zu suchen und zu vertiefen. In der Welt, in der wir leben, kann kein Bereich des menschlichen Handelns neben .der Erfahrung der tieferen Erkenntnis entraten.
Das Verhältnis von Geist und Politik ist in Deutschland selten befriedigend gewesen. Es gibt eine traditionelle Geringschätzung der Intelligenz von seiten der Vertreter des Staates, und die Leute nennen sich dann „Realpolitiker", und umgekehrt ist es der deutschen Intelligenz nie recht gelungen, in ein ersprießliches Verhältnis zum Staat zu treten, in ein Verhältnis, das Kritik und Mitarbeit zugleich bedeutet.
Aber es sollte keine ungeistige Politik und kein wirklichkeitsfremdes Denken geben. Ungeistige Politik ist ebenso gefährlich wie unpolitischer Geist.
In ,der Konzeption von Staat, Wirtschaft und Außenpolitik, wie sie nach 1945 entwickelt worden ist, hat sich eine Menge an Geist, Erfahrung und Intelligenz konkretisiert. Auf der anderen Seite hat sich das kulturelle Leben in unserem Lande langsam wieder erholt. Aber die beiden Bereiche, der politische und der kulturelle, sind nicht so zueinander in Beziehung getreten, wie es sein sollte, und auf eben diesen Zustand zielt die von mir zitierte Passage der Regierungserklärung. „Das Handeln entspringt anderen Gesetzen als das Denken, aber gleichwohl sind beide 'aufeinander angewiesen."
Das politische und das geistige Deutschland zusammenzuführen ist eine der lebenswichtigen Aufgaben. Es ist eine Sache für sich, daß bei uns jetzt vieles dadurch erschwert wird, daß die Hauptstadt des Landes verlorengegangen ist und daß die großen Zentren des kulturellen Lebens, die Verlage, die Zeitungen, die Zeitschriften, die Theater, der Rundfunk, das Fernsehen nicht in einer Hauptstadt sich zusammenfinden .zu einem ausstrahlungsfähigen kulturellen Zentrum. Die Regierung sollte sich aber überlegen, wie sie diesem Mangel abhelfen kann und ob es nicht Möglichkeiten gibt, ,das so dringende Gespräch zwischen Geist und Politik in Bonn in irgendeiner Form zu 'institutionalisieren.



Dr. Martin
Die SPD hat in ihrer Anfrage einen Satz aus der Regierungserklärung herausgegriffen: „Es muß dem deutschen Volk bewußt sein, daß die Aufgaben der Bildung und Forschung für unser Geschlecht den gleichen Rang besitzen wie die soziale Frage für das 19. Jahrhundert". Es ist in den vorausgegangenen Reden hier schon gesagt worden, daß damit der Rang der Kulturpolitik oder, wie es in der Antwort des Ministers heißt, ihr Stellenwert, festgelegt worden ist. Im ganzen geht es darum, meine Damen und Herren, im Bereich der Bildung die Konsequenzen zu ziehen, die erforderlich sind, nachdem wir, wie die Soziologen sagen, in einer industriell-bürokratischen Gesellschaft leben.
Dabei wird man sagen müssen, .daß die Anpassung ;der Bildungseinrichtungen nicht nur in Deutschland, sondern in allen Industrieländern des Westens auf Schwierigkeiten stößt. Es ergibt ein einseitiges Bild, wenn man — wie es in Zeitungen geschieht — nur die sogenannte deutsche Bildungsmisere schildert. Tatsache ist, daß die Anpassung der Bildungseinrichtungen an die wachsende Gesellschaft und insbesondere an die Erfordernisse der Industriegesellschaft bis ,auf die wenigen Ausnahmen, die es gibt, nicht gelungen ist. In Paris gehen die Studenten zu Zehntausenden auf die Straße, weil es nicht ausreichend Studienplätze an der Sorbonne gibt. Das Problem des Lehrermangels ist in Frankreich und Amerika chronisch. Der hier von Herrn Lohmar zitierte Robins-Bericht zeigt, wenn man ihn einmal umgekehrt liest, daß in England sieben bis acht Universitäten fehlen.

(Zuruf von der SPD: Bei uns das gleiche!)

Natürlich; darauf komme ich noch; ich will nur einmal das Thema in die richtige Größenordnung zu stellen versuchen. — Diese internationalen Anpassungsschwierigkeiten sind ein Charakteristikum in der ganzen westlichen Welt, und wir haben außer diesen Schwierigkeiten noch die Tatsache des verlorenen Krieges und der damit zusammenhängenden Vorgänge zu überwinden.
Meine Damen und Herren! Es lohnt sich vielleicht, in diesem Zusammenhang Arnold Gehlen zu zitieren, weil man damit sozusagen mit einem Satz das Problem in der Hand hat. Er beschreibt die Situation wie folgt:
Seit mehr als hundert Jahren haben sich die Amerikaner und Europäer eine noch nie dagewesene Wirklichkeit aufgebaut: sie haben die technischen und industriellen Erfindungen in einen großen Zusammenhang gebracht, ihn wie eine zweite Erde als eine Bedingung ihres Weiterlebens betreten und sich in einer neuen Umwelt eingerichtet, die an Gewaltsamkeit und zugleich Künstlichkeit alle Vergleichbarkeiten hinter sich läßt.
Für uns kommt es, um im Zitat zu bleiben, darauf an, die zweite Erde als Bedingung unseres Weiterlebens rechtzeitig und angemessen zu betreten und nicht noch einmal die verspätete Nation zu werden. Sind wir diesen Anforderungen gewachsen? Ist das System des Föderalismus leistungsfähig genug, um das Lebensnotwendige zu tun? Welche Konsequenzen hat die praktische Politik aus dieser Situation zu ziehen? Die Opposition ist sich, wie ich hoffe, darüber im klaren, daß die Grundsätzlichkeit, mit der sie ihre Fragen stellt, nur dann gerechtfertigt wäre, wenn sie die Forderung auf Änderung des Grundgesetzes zumindest diskutierte. Denn sie fragt die Bundesregierung nicht nur nach der Wissenschaftspolitik, wie sie in der konkurrierenden Gesetzgebung möglich ist, sondern sie fragt auch nach der Bildungspolitik, und sie stellt in diesem Zusammenhang die Frage nach der Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse in den Bundesländern, so als ob die Bundesregierung vielleicht doch in der Lage wäre, auf einem Umweg eine Kompetenz zu bekommen, um direkt in das Bildungswesen in Deutschland einzugreifen.

(Sehr richtig! bei der CDU/CSU.)

Ich meine, daß die Opposition nachher durch ihren Sprecher zu dieser Frage sehr klar Stellung nehmen sollte, und es ist klar, daß es auch in der SPD schwierig sein wird, darauf zu antworten; denn auch wir wissen, daß es innerhalb der SPD verschiedene Strömungen gibt, nämlich enschiedene Verfechter der Kulturhoheit und solche Politiker, die sich nach mehr zentralen Lösungen umsehen möchten. Jedenfalls hielte ich es für nützlich, wenn die Opposition hier klar zum Ausdruck brächte, was sie meint.
Wir in der CDU/CSU halten nichts davon, die „Insuffizienz der Verfassung" durch einen Kunstgriff unterlaufen zu wollen, ganz gleich, wie die Vorschläge lauten, und die Bundesregierung sowie der Bundestag können hier auf ihre Verantwortung nur angesprochen werden, soweit sie solche Verantwortung aus den Kompetenzen des Grundgesetzes haben. Wir sind dabei natürlich der Meinung, daß es sich hier um Lebensfragen des deutschen Volkes handelt. Deshalb möchte ich nicht, daß das hier Fragen im Prestigekampf der Parteien werden. Da das hier geschehen ist und die Kulturpolitik der CDU/CSU, wie ich glaube, in sehr pauschaler Weise behandelt worden ist, muß ich einiges dazu sagen; denn die CDU hat keinen Grund, ihre kulturpolitischen Leistungen im Bund und in den Ländern verkleinern zu lassen,

(Beifall bei der CDU/CSU)

und sie denkt auch nicht daran, sich einer suggestiven Parteipropaganda zu unterwerfen, die darauf hinaus will, zu sagen, daß es das Privileg einer Partei in Deutschland sei, sich für Geist, Kunst, Bildung, Forschung und Wissenschaft zu engagieren.

(Beifall bei der CDU/CSU. — Zurufe von der SPD: Wer sagt denn das? Vorsicht!)

Meine Damen und Herren, wie sieht das in Wirklichkeit aus? Wir haben hier eben eine Enumeration der Leistungen der Länder gehört, und wir sind dankbar dafür. Aber es ist jetzt auch Anlaß, das einmal nach der politischen Seite hin durchzudenken. Wer die Leistungen der Bundesländer kennt, der weiß — darin hat Herr Lohmar recht — daß es verschiedene Leistungen gibt; aber die Unterschiede in den Leistungen liegen nicht nur zwischen den Ländern, sondern sie liegen auch innerhalb der ein-



Dr. Martin
zelnen Länder selbst. Schleswig-Holstein beispielsweise hat auf ganz bestimmten Gebieten des Schulwesens einen großen Vorsprung. Man weiß, daß in Baden-Württemberg die Universitäten am meisten ausgebaut sind. Man weiß, daß Bayern in der Relation zur Bevölkerung einen sehr hohen Prozentsatz von Studienplätzen zur Verfügung stellt. Man weiß, daß Nordrhein-Westfalen zügig zwei neue Universitäten errichtet. Dafür gibt es in anderen Ländern Rückstände, die wir genau kennen.
Aber, meine Damen und Herren, wer nicht parteipolitisch verblendet ist, sieht doch auf den ersten Blick, daß für diese Verschiedenheiten viel eher historische, geographische und andere Gründe maßgebend sind als die Initiative und das Engagement von politischen Parteien.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Ich halte es nicht für einen sehr guten Stil, wenn man dann mit pauschalen Urteilen den Fortschritt in der Kulturpolitik für sich in Anspruch nimmt.
Sehen sie, Herr Lohmar, ich könnte in dieser Preislage ohne weiteres fortfahren. Sie halten mir hier vor: Da sind die Kürzungen im Bundeshaushalt. — Ja, natürlich; diese Kürzung hat ihre Vorgeschichte. Aber wenn ich polemisch sein wollte, wie Sie es waren, dann würde ich Ihnen sagen, daß Herr Schütte — jetzt ist er gerade nicht hier — einen Haushalt in Wiesbaden vorgelegt hat, dem zum Überfluß auch der Landtag noch zugestimmt hat, bei dem es zu Kürzungen für die hessischen Universitäten und da speziell bei den Etatsmitteln, die der Forschung dienen, von 9 % bis zu 20 % gekommen ist.

(Hört! Hört! in der Mitte. — Zurufe von der SPD.)

Meine Damen und Herren, das muß man dann auch dazu sagen, und man hat vielleicht auch die Freundlichkeit, zu vermerken, daß demgegenüber die Leistungen des Bundes trotz einer geringfügigen Kürzung von 33 Millionen DM bei einem Aufwand von 2 Milliarden DM immerhin noch ausweisen, daß diese Bundesregierung ein Plus von 15 % für diese Zwecke im Haushalt hat.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Die Aufgaben der deutschen Kulturpolitik verlangen eine sehr enge Zusammenarbeit zwischen Bund und Ländern. Wir müssen uns gerade im Deutschen Bundestag davor hüten, die Verantwortung zwischen Bund und Ländern und den Parteien hin- und herzuschieben. Hier geht es um eine nationale Aufgabe, für die der Bund und die Länder und die hier vertretenen Parteien gemeinsam einzustehen haben.

(Beifall in der Mitte. — Zurufe links.)

Meine Damen und Herren, diese Aufgaben sind aus folgendem Grund so dringlich. Ich werde jetzt nicht originell sein — Herr Lohmar, Sie sind es eigentlich auch nicht gewesen —; aber weil davon gesprochen worden ist, muß ich der Vollständigkeit halber sagen und erklären, was wir darunter verstehen. Es ist für uns keine Phraseologie, wenn wir sagen, daß Bildungspolitik die Sozialpolitik des 20. Jahrhunderts ist. Und der Satz, den der Herr Bundeskanzler ausgesprochen hat, wird von uns voll verantwortet. Denn wir wissen sehr wohl, daß wir in einer Leistungsgesellschaft leben, und es ist uns vollständig klar, daß die Chancen jedes Jungen und ,jedes Mädchens davon abhängen, welche Möglichkeiten sie haben, sich zu bilden, sich ausbilden zu lassen, weil danach das Sozialprestige, das Einkommen, die Stellung in der Gesellschaft und die Versorgung im Alter bestimmt werden. Aber auch der Wohlstand des Gemeinwesens und die Leistungsfähigkeit des Staates hängen davon ab.
In den fünfziger Jahren war die Hauptaufgabe unserer Wirtschaftspolitik, die kriegszerstörten Kapazitäten wiederaufzubauen und durch Schaffung von Arbeitsplätzen immer mehr Menschen in den Produktionsprozeß einzugliedern. Dadurch nämlich wurden damals die Voraussetzungen für wirtschaftliches Wachstum geschaffen. Heute liegen die Dinge anders. Der Mangel an Arbeitskräften und die Verkürzung der Arbeitszeit machen sich jetzt geradezu ,als wachstumshemmende Faktoren bemerkbar. In dieser Situation kommt dem wissenschaftlichen und dem technischen Fortschritt eine hohe Bedeutung für das weitere Wirtschaftswachstum zu. Was in den letzten Jahren in der Wirtschaft zugewachsen ist, war das Ergebnis von Automation, war das Ergebnis von Rationalisierung, war das Ergebnis von immer neuen Verfahren, oder auf deutsch, das war deshalb möglich, weil die Wissenschaft und die Technologie leistungsfähig genug waren, das herzugeben.
Das bedeutet: Wenn in der Zukunft der Fortschritt von der Leistungsfähigkeit der Wissenschaft abhängt, dann ist das Wort, daß es sich hier um eine nationale Frage handelt, die uns alle angeht, nicht übertrieben; denn es geht um die Glückschance des einzelnen Menschen. Es geht aber auch um die Weltgeltung dieses Staates, meine Damen und Herren, und um das Gewicht, das er in der Außenpolitik hat; denn Weltgeltung und wissenschaftliche Leistung sind heute fast identisch geworden. Das wird sehr oft gesagt, die Terminologie dafür hat die OECD geliefert. Die Zahlen, die hier und da in der Presse genannt werden, stammen ebenfalls von der OECD und der KMK; insofern sind sie keine Neuigkeiten, sie beschäftigen die Kultusminister und die Kulturpolitiker seit Jahren.

(Abg. Dr. Frede: Aber nicht die Öffentlichkeit!)

— Doch, mindestens seit voriger Woche, Herr Frede.
Umgekehrt muß man sich in der Wissenschaftspolitik davor hüten, den wirtschaftlichen Vorteil zum ausschließlichen Motor der Wissenschaftspolitik zu machen. Meine Damen und Herren, Wissenschaft ist mehr. Sie dient nicht nur der Wirtschaft, sie ist ein Wert in sich selbst, und damit hängt beispielsweise das Selbstverständnis unserer Universitäten zusammen.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Sie ist deshalb ein Wert in sich selbst, weil sie zur Erhellung der menschlichen Existenz und zur Orientierung in der Welt verhilft.



Dr. Martin
Nachdem das gesagt ist, kann man nun das Notwendige über die Interdependenz, wie man heute sagt, zwischen Wirtschaft und Wissenschaft und über die Notwendigkeit der Koordinierung von Wirtschaftspolitik und Wissenschaftspolitik ausführen. Dem Staat wird es immer in großem Maße zufallen, die Grundlagenforschung zu fördern. Das ist eine Sache, die fast ausschließlich auf den Staat zukommt, während in einer freien Gesellschaft und in einer freien Wirtschaft die Verantwortung für die Durchführung der angewandten Forschung und Entwicklung fast ausschließlich bei der Wirtschaft, und zwar als Forschung innerhalb des eigenen Unternehmens, als Gemeinschaftsunternehmen mehrerer Unternehmer und als Vertragsforschung, liegt. Der Staat muß die Durchführung der angewandten Forschung in der Wirtschaft durch steuerpolitische Maßnahmen begünstigen. Ich freue mich, daß auf unsere Anregung in dem Steueränderungsgesetz jetzt Abschreibungsmöglichkeiten bis 50 % vorgesehen sind. Damit haben wir eine Regelung erreicht, wie sie die Franzosen und die Amerikaner seit langer Zeit haben. Ich hoffe, daß das Gesetz im Bundestag eine Mehrheit findet und damit der Forschung in der Wirtschaft ein neuer Impuls gegeben wird.
Meine Damen und Herren, man kann sich diese Erörterungen eigentlich auch in recht einfacher Weise vor Augen führen. Wer die Geschichte der Gründung der Max-Planck-Gesellschaften kennt, wer die Geschichte der Wissenschaft von der Elektrizität und der Chemie kennt, der weiß, daß ein großer Aufschwung des deutschen Exports in den 90er Jahren und um die Jahrhundertwende — das Entstehen von Siemens & Halske beispielsweise und der großen chemischen Industrie — die Voraussetzungen waren, daß Deutschland zur Weltgeltung durchbrach und eine erstklassige Handels- und Wirtschaftsmacht wurde.
Man wird sich zugestehen müssen, daß die bisherigen Schwierigkeiten in der Kulturpolitik des Bundes wie der Länder — und die Opposition weiß das genauso gut wie wir — darin lagen, daß das Grundgesetz dem Bund nur sehr geringe Möglichkeiten einer gestaltenden Kulturpolitik gelassen hat, so daß der Bund seiner Gesamtverantwortung, die wir bejahen, aus eigener Kraft nicht gerecht zu werden vermochte. Die einzelnen Länder als solche sind aber ebenfalls nicht in der Lage, in einem modernen Wirtschafts- und Sozialstaat für sich selbst eine großzügige Kulturpolitik zu treiben. Sie sind andererseits verfassungsrechtlich aber auch nicht fähig, einen kulturpolitischen Länderbund neben dem Bundesstaat zu errichten. Diese Schwierigkeiten sind durch rein verfassungsrechtliche Lösungen nicht zu meistern. Wollte man sie lediglich formaljuristisch begreifen, so befänden wir uns in einem magischen Dreieck, aus dem sich nichts anderes als ein kulturpolitisches Vergeblichkeitsbewußtsein entwickeln kann. Eine Lösung ist nur möglich, wenn die Länder bereit sind, auf dieser Grundlage gemeinsame Abkommen mit dem Bund zu schließen, wobei der Bund den institutionellen Primat der Länder grundsätzlich und in jedem Detail garantiert, wogegen die Länder bereit sein müssen, sich mit dem Bund zu einer nationalen Kulturpolitik zusammenzuschließen. In der Kulturpolitik liegt eine Schicksalsfrage des deutschen Föderalismus; das ist hier schon mit Recht von Herrn Mikat gesagt worden. Es ist nicht so, daß die zentralistische oder zentrale Lösung kulturpolitisch überlegen wäre. Die großen Leistungen der Amerikaner beruhen auf einem föderalen System, die Leistungen der Sowjetunion auf einer zentral-bürokratischen Lösung mit einem entsprechenden System. Das ist nicht der Punkt, meine Damen und Herren. Der Punkt ist der, ob der Föderalismus — so weit es die Kulturpolitik angeht — wirklich so funktioniert, wie wir das für die Lösung der großen Aufgaben der Kulturpolitik brauchen. Es ist nicht eine Frage an den Föderalismus, sondern eher an die Föderalisten, die in diesem Staat tätig sind.

(Beifall in der Mitte.)


Erwin Schoettle (SPD):
Rede ID: ID0411827300
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Schäfer?

Dr. Berthold Martin (CDU):
Rede ID: ID0411827400
Bitte sehr!

Dr. Friedrich Schäfer (SPD):
Rede ID: ID0411827500
Herr Kollege Martin, resignieren Sie, wenn Sie diese Feststellung treffen, daß es eine Frage an die Föderalisten sei, oder wollen Sie uns jetzt auch sagen, was Sie denn als die Aufgabe der Bundesregierung und des Bundestages betrachten?

Dr. Berthold Martin (CDU):
Rede ID: ID0411827600
Ich komme sofort darauf, Herr Kollege Schäfer. Ich resigniere keineswegs. Lassen Sie sich sagen: Pessimist ist der einzige Mist, auf dem nichts wächst.
Ich will jetzt einige Ausführungen zu der Frage machen, was wir konkret tun können; denn, meine Damen und Herren, wir diskutieren ja heute hier, um dem Ganzen einen neuen Impuls zu geben. Ich bin mit Ihnen, glaube ich, einer Meinung, Herr Kollege Lohmar, wenn ich sage: Der Bund muß in die Lage versetzt werden, einen gesicherten Überblick über die Gesamtentwicklung von Bildung und Wissenschaft zu bekommen. Ein solcher Gesamtüberblick ist aber auch für jedes einzelne Land notwendig, weil es seine Maßnahmen fast stets auf die Gesamtsituation abstellen muß. Aus diesem Grunde wäre es vielleicht zweckmäßig — und darüber ist zu diskutieren —, wenn Bund und Länder gemeinsam eine Stelle errichteten, die diesen Überblick erarbeitete und Regierung, Parlament und die Öffentlichkeit des Bundes und der Länder in Einzelheiten unterrichtete. Eine Einrichtung, die in dieser Richtung durchaus ausbaufähig wäre, besteht bereits bei der Ständigen Konferenz der Kultusminister. Durch ein weiteres Abkommen zwischen Bund und Ländern könnte diese Dokumentationsstelle zu einer arbeitsfähigen Einrichtung ausgebaut werden, die planende Maßnahmen ermöglichen würde. Ich bin mir natürlich darüber im klaren - und das ist nicht alternativ —, daß die Regierung bzw. das Wissenschaftsministerium mindestens ein Referat brauchte, um für eine solche Stelle gesprächsfähig zu werden. Aber ich würde es für einen guten föde-



Dr. Martin
ralistischen Stil halten, wenn diese Aufgabe in einem gemeinsamen Büro erledigt werden könnte. Die Zusammenarbeit mit den Ländern in einem gemeinsamen Büro, das einen Überblick über das gesamte Bildungs- und Forschungswesen der Bundesrepublik erarbeiten soll, gewährt nämlich dem Bund das Recht, sich formell über die Verhältnisse in den einzelnen Ländern zu orientieren. Nur wenn der Bund durch ein Abkommen mit den Ländern dieses Recht auf eine formelle Unterrichtung hat, können Bundesregierung und Bundestag dieses Wissen zum Gegenstand von Debatten, Beschlüssen und so fort machen. Das Ziel der Bundesregierung muß dabei sein, aus solchen statistischen Übersichten Forderungen an den Bundestag, aber auch an die Gesamtheit der Länder, abzuleiten und den Ländern, die selbst nicht dazu in der Lage sind, seine Hilfe anzubieten.
Ich versuche zusammenzufassen. Die CDU/CSU begrüßt, daß die Bundesregierung die Fragen von Forschung und Bildung zu einem Schwerpunkt ihrer Regierungsarbeit zu machen gewillt ist. Sie ist der Überzeugung, daß die Fragen der Kulturpolitik von schicksalhafter Bedeutung für unser Volk sind. Die Förderung von Forschung, Wissenschaft und Bildung muß eine gemeinsame Aufgabe der Länder und des Bundes sein. Die CDU/CSU fordert darum die Bundesregierung erneut auf, das Kulturabkommen mit den Ländern auf den neuesten Stand zu bringen und möglichst bald abzuschließen. Bund, Länder und Gemeinden müssen sich bei ihrer Haushaltsgestaltung darauf einstellen, daß Wissenschaft, Forschung und Bildung wegen ihrer grundlegenden Bedeutung steigende Mittel erhalten müssen, weil das Wachstum der Wirtschaft und die beruflichen Aussichten des einzelnen sowie seine Fähigkeit, sich in der modernen Welt zu behaupten, von den Investitionen in diesem Bereich abhängen. Schließlich erfordert der zweckmäßige Einsatz dieser Mittel eine langfristige Planung, die in freundschaftlichem Einvernehmen zwischen den Ländern und dem Bund gestaltet werden muß.
Ein Wort noch zu dem Vorschlag, den Herr Lohmar hier etwas vorsichtig gemacht hat, eine Art Royal Commission für diese Fragen einzusetzen. Ich würde denken, bei dem jetzigen Stand der Dinge ist es richtiger, daß wir mit den Ländern in dem Sinne, wie ich es hier ausgeführt habe, möglichst rasch zu einem Ergebnis kommen und die Bereitschaft der Parlamente stärken, in höherem Maße zu investieren.
Das, was ist, ist weitgehend bekannt. Das, was man als den Notstand der deutschen Kulturpolitik oder als ihre Misere bezeichnet, das liegt in Fakten vor. Ganz gleich, wie man das im einzelnen beurteilt, worauf es jetzt ankommt, ist, in dem oben bezeichneten Sinne zu handeln. In diesem Sinne erneuert die CDU/CSU ihren entschiedenen politischen Willen, den Fragen von Wissenschaft, Bildung und Forschung ihre volle Aufmerksamkeit und zu deren Lösung ihre tatkräftige Unterstützung zu leihen.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)


Erwin Schoettle (SPD):
Rede ID: ID0411827700
Das Wort hat Herr Staatsminister Professor Schütte.
Dr. Schütte, Minister des Landes Hessen: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich freue mich, daß ich gleich an Ort und Stelle einen Irrtum widerlegen kann, dem Herrn Abgeordneten Martin offensichtlich erlegen ist wie auch einige Journalisten vor ihm. Selbstverständlich hat auch das Land Hessen wie alle Bundesländer für das Etatjahr 1964 die Ansätze und den Gesamtbetrag für seine Universitäten außerordentlich erhöht. Ich glaube, es sind insgesamt 17 Millionen DM; ich glaube, mich mit dieser Summe nicht zu irren. Es hat sich lediglich folgendes ereignet, und das haben einige Leute mißverstanden. Im Kabinett haben wir den Etat mit noch höheren Ansätzen an zwei sehr wichtigen Stellen, bei den Titeln 300 und 871 — da handelt es sich spezifisch um die Forschungsmittel —, verabschiedet. In der Haushaltsberatung hat sich gezeigt, daß die Universitäten — ich nenne nur ein Beispiel — von Ansätzen von 3 Millionen DM im September erst 1 Million DM in Anspruch genommen hatten.

(Zuruf von der CDU/CSU: Das ist sehr interessant!)

Nur wegen der außerordentlich geringen Ist-Zahlen bei diesen beiden Titeln hat der Kulturausschuß dann eine geringe Reduktion der Ansätze an diesen beiden Stellen durchgesetzt; gegen meinen Widerstand, das gestehe ich. Die Mittel sind bekanntlich übertragbar.
Es ist nämlich nur deshalb dazu gekommen, nur deshalb haben die Universitäten die Forschungsmittel nicht in Anspruch nehmen können — und das steht dann nicht in den Zeitungen —, weil das Land Hessen von 1962 auf 1963 ganz außerordentlich — ich muß sagen: geradezu exorbitant — seine Mittel auch und gerade für die Forschungszwecke der Universitäten erhöht hat. Kurzum, die Universitäten sind mit diesem hohen Ansatz von 1963 und auch mit dem anderen Faktum nicht fertig geworden, daß der Etat von 1963 wegen der vorausgehenden Wahlen später verabschiedet wurde.
Ich wollte schnell richtigstellen und auf die Tatsache hinweisen, daß selbstverständlich auch das Land Hessen, das — darf ich das auch noch in Erinnerung rufen — drei Universitäten und eine Technische Hochschule hat, diese ganz gewiß in der Vergangenheit und in der Gegenwart nicht geringer, ich behaupte sogar: sehr viel mehr als manche anderen Bundesländer gefördert hat.

(Beifall bei der SPD.)


Erwin Schoettle (SPD):
Rede ID: ID0411827800
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Hellige.

Dr. Walther Hellige (CDU):
Rede ID: ID0411827900
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Diskussion kulturpolitischer Probleme hat in den letzten Jahren spürbar zugenommen. In den angelsächsischen Ländern und in Frankreich hat sie sich zu großzügigen Planungen verdichtet. Man kann nicht sagen, daß die Bundes-



Dr. Hellige
republik untätig war; aber es fehlt uns noch der rechte Anstoß. Uns fehlt der wache Eindruck von den Schwierigkeiten, die uns bald bevorstehen, wenn wir nicht Vorsorge treffen. Vielleicht trüben uns unsere Leistungen im Wiederaufbau den Blick. Vielleicht meinen wir: Laßt doch die Probleme auf uns zukommen, wir werden sie schon meistern.
Wir, die wir uns mit Kulturpolitik enger befassen müssen, wir wissen, wie wenig wir für die Zukunft gerüstet sind. Wir kennen den Fehlbestand an Lehrern und Forschern, der uns schon heute drückt. Wir sehen, wie gegen Ende des Jahrhunderts, ja schon in 10 bis 15 Jahren, der Notstand sich zu einer Katastrophe zu verschärfen droht. Wir wissen, in welch hohem Maße Technik und Wirtschaft von Bildung, Ausbildung und Wissenschaft abhängen. Wir wissen, daß derzeit 20 bis 30 Jahre benötigt werden, um hochqualifizierte Fachkräfte heranzubilden. Wir wissen, daß wir heute und nicht erst morgen für die nächste Generation planen müssen. Wir wissen, daß sofort gehandelt werden muß und daß erhebliche Anstrengungen unvermeidlich sind.
Jahre hindurch mußten ,die kulturellen Notwendigkeiten vor dem Wiederaufbau der Wirtschaft zurücktreten. Wir sind nicht so weltfremd, zu glauben, man könne eine gesunde Bildungspolitik ohne die Finanzkraft einer gesunden Wirtschaft verwirklichen. Aber um so dringlicher stellt sich nun die Aufgabe, unser Bildungsniveau .dem Anspruch des Jahrhundertendes vorausschauend anzupassen. Das wird uns erhebliche Mittel abverlangen. Das Hohe Haus sollte sich daher die Frage stellen, wieweit Steuersenkungen jetzt zu verantworten sind. Es sollte sich fragen, ob nicht ,die Rücksicht auf die Zukunft unseres Volkes uns den Verzicht auch auf berechtigte Maßnahmen gebietet.
Ich glaube, wir werden auf das Verständnis unserer Mitbürger bauen dürfen, nachdem auch die Presse in zunehmendem Maße in die Diskussion der Bildungsplanung eingetreten ist. Wir begrüßen ihre Mitarbeit, auch wenn die Akzente mitunter falsch gesetzt werden, wenn gesagt wird, in Bonn geschehe nichts, in Bonn wisse man nichts von dem auf uns zukommenden Notstand. Das ist im Eifer für die gute Sache verständlich, aber es ist gewiß überspitzt. Der Herr Bundeskanzler hat in der Regierungserklärung den Vorrang der Förderungsmaßnahmen für die Wissenschaft anerkannt. Auch der Finanzminister hat sich zur Vordringlichkeit dieser Aufgaben bekannt. Der Ansatz für die Forschung ist um 15,4 % — ,das .sind 120 Millionen DM — erhöht worden. Der Gesamtbetrag für Forschungszwecke in allen Einzelplänen des Bundesetats beträgt über 2 Milliarden DM. Die Gesamtausgaben des Bundes und der Länder für Wissenschaft und Forschung überstiegen schon im vergangenen Jahre 4,2 Milliarden DM. Andere Länder vergleichbarer Wirtschaftskraft leisten freiwillig für die Kulturarbeit erheblich mehr.
Wir wissen, daß unsere Ansätze den Bedürfnissen schon der nahen Zukunft nicht genügen werden. Wir werden am Ende dieses Jahrzehnts mit der Größenordnung des Dreifachen zu rechnen haben. Wir werden unter diesen Aspekten den gesamten Haushalt neu überdenken müssen.
Geld allein wird es nicht tun. Wir können den Sozialstatus der Lehrer aller Stufen durch verbesserte Ausbildung und eine angemessene Besoldung erhöhen. Das ist auch nötig. Aber ebenso dringend ist es. ,die Würde und Wichtigkeit der Kulturarbeit im Bewußtsein unseres Volkes zu verankern, um junge Menschen für diese Berufe zu gewinnen. Hier hat das Parlament nur geringe Möglichkeiten. Hier sind wir auf die Mitarbeit des verantwortungsbewußten Journalisten angewiesen.
Den politisch verantwortlichen Gremien im Staate kommt es zu, zu planen, zu organisieren und zu finanzieren. Ist da wirklich so wenig geschehen? Meine Damen und Herren, wir haben seit kurzem ein Ministerium für wissenschaftliche Forschung. Damit ist ein altes Anliegen meiner politischen Freunde verwirklicht worden. Dieses Haus erfaßt große Teile der Forschung, die der Bund betreibt. Es wäre besser, wenn ,die gesamte Forschung, die zur Zeit in 14 Ministerien betrieben wird, dort vereint wäre. Immerhin liegt beim Minister der Vorsitz im interministeriellen Ausschuß, der die Ressortforschung 'koordiniert. In seinem Haus — wir haben das schon früher betont — wächst eine Beamtenschaft heran, die mit Planungsaufgaben in Bildungs- und Wissenschaftsfragen vertraut ist. Zur Zeit freilich genügt die personelle Ausstattung des Ministeriums noch nicht einmal für die laufenden Aufgaben.
Der Ausbau der Hochschulen liegt in der Hand des Wissenschaftsrates. In ihm arbeiten die Verwaltungen des Bundes und der Länder mit den gewählten Vertretern der Wissenschaft zusammen. Von Differenzen zwischen den beiden Gruppen habe ich noch nie gehört. Ich verstehe daher auch den Gegensatz Staat und Wissenschaft nicht, den Punkt 4 der Großen Anfrage offensichtlich unterstellt. Wir haben den Gelehrten und Beamten, die gemeinsam dieses Gremium bilden, schon mehrmals unseren Dank ausgesprochen. Wir haben die Verlängerung der Amtszeit des Wissenschaftsrates gefordert und seine Kompetenzen zu erweitern beantragt. Dem Wissenschaftsrat werden sich meine politischen Freunde stets besonders verbunden fühlen. Er verdankt sein Entstehen der Initiative des früheren Bundesvorsitzenden und Ehrenvorsitzenden unserer Partei Theodor Heuss, der als Gelehrter und Minister beiden Ausschüssen des Rates gleich verbunden war.
Wir haben weiterhin für notwendige Reformen unseres Bildungswesens den Deutschen Ausschuß für Erziehung und Bildungswesen. Auch an seiner Wiege stand ein Liberaler, mein Parteifreund Professor Luchtenberg. Wir bedauern, daß die Arbeit dieses Ausschusses nicht den gleichen Erfolg gehabt hat wie die des Wissenschaftsrates. Ihm fehlt einerseits ein gut ausgestatteter Arbeitsstab. Das Entscheidende aber ist, daß er niemandem verantwortlich ist, daß er in der Luft hängt, daß seine Empfehlungen für die zuständigen Stellen keinen verpflichtenden Charakter haben. Das zeigt sich am deutlichsten am Schicksal des Rahmenplanes, der schnell in das Gestrüpp der kulturpolitischen Meinungsdifferenzen und der Verbandsinteressen geriet, während



Dr. Hellige
die auf konkrete Maßnahmen zielenden Empfehlungen des Wissenschaftsrates unmittelbar verwirklicht werden konnten. Wir haben uns bestätigen lassen, daß der Großteil der personellen Vorschläge des Wissenschaftsrates für 1965 schon jetzt erfüllt ist.
Am guten Willen der Länder fehlt es nicht — solange es um das eigene Land geht. Aber es entstehen immer wieder Schwierigkeiten in der Durchführung der Förderungsmaßnahmen aus unserer unglücklichen Staatskonstruktion, die die Zuständigkeit für die Bildungspolitik bei den Ländern läßt und die Forschungsförderung dem Bunde zuweist, ohne klare Abgrenzungen zu schaffen und ohne der wechselseitigen Abhängigkeit von Bildung und Forschung Rechnung zu tragen. Bei einer solchen mangelhaften Verfassungskonstruktion — wir haben sie an diesem Platze schon mehrfach bedauert = bleibt um der Sache willen nichts übrig, als Bund und Länder in freiwilliger Zusammenarbeit zusammenzuführen.
Nicht immer handelt es sich ja um weltbewegende Fragen wie die folgenden: Da wendet sich eine Ministerin an die Schulkinder mit Hinweisen auf die Notwendigkeit der Zahnpflege. Prompt erfolgt ein Protest aus der Länderebene: Zähneputzen von Schulkindern gehört in die Kompetenz der Länder! — Ein Minister will eine Schule für Strahlenschutz schaffen. Eine Schule? Das Wort ist für die Länder patentiert. Es wird also eine Ausbildungsstätte für Strahlenschutz.
Nun, meine Damen und Herren, das sind keine hohen Gedankenflüge, aber das gehört zur Praxis, vielleicht zum Bodensatz der Praxis unseres Verhältnisses zwischen Bund und Ländern. Aber wer solche Geschichten hört, wer weiß, was so oft an Zeit und Energie verlorengeht, wer daran denkt, daß es sechs Jahre Verhandlungen zwischen Bund und Ländern bedurft hat, um die Europäische Konvention zur Anrechnung von Hochschulsemestern, die im Jahre 1956 in Straßburg abgeschlossen wurde, im Jahre 1964 zur ersten Lesung in diesem Hause zu bringen, der versteht den Seufzer des preußischen Kultusministers Becker nach einem neuen Reichsdeputationshauptschluß.

(Beifall bei der FDP.)

Man wird dem Bunde zuerkennen müssen, daß er mit Umsicht und Geduld verhandelt hat. „Tempus habemus et patientiam" ist ein guter Leitsatz. Für unseren Gegenstand freilich gilt er nicht. Wir können keine Zeit verlieren. Seit Jahren liegt das Verwaltungsabkommen zur Förderung kulturpolitischer Aufgaben vor.

(Sehr richtig! bei der SPD.)

Es ist aber noch nicht unterschrieben. Der Herr nordrhein-westfälische Ministerpräsident hat gerade in letzter Zeit neue Bedenken vorgebracht.
Meine Damen und Herren, wir meinen, ein sinnvoller Föderalismus kann nicht auf Paragraphen gegründet werden — ich bedauere, daß Herr Minister Mikat nicht da ist; ich wollte ihm das ganz besonders ans Herz legen; er hat zuviel von Paragraphen geredet —, sondern allein auf Leistungen, und zwar auf Leistungen im Dienste des Ganzen. Wer an den Teil denkt, den er darstellt, ist ein Partikularist. Denn der Teil heißt „pars". Der Föderalist denkt an das „foedus", und foedus heißt auf deutsch: der Bund.

(Zustimmung bei der FDP.)

Wenn die Förderung von Bildung und Wissenschaft, meine Damen und Herren, in Verzug bleibt, wird sich in unserem Volke in wenigen Jahren ein Sturm erheben, der diejenigen treffen wird, die die Grundgesetzkommentare wälzen und darüber die Aufgabe vergessen.

(Beifall bei der FDP.)

In der Öffentlichkeit ist das Wort von der Bildungskatastrophe gefallen. Wir alle, Bund und Länder, sollten uns warnen lassen. Die Bewältigung der Zukunft darf nicht an der Starrheit von Gesetzesparagraphen scheitern. Verfassungen sind nicht für die Ewigkeit geboren. Sie müssen der Entwicklung angepaßt werden, und diese Entwicklung führt in Großräume und nicht in die Romantik der Kantönli. Theodor Heuss hat einmal gesagt: Auf der höheren Ebene des rein Geistigen gibt es keine Autonomie von Teilen Deutschlands. Nun, das wissen auch unsere Länder, und sie suchen daher die Zusammenarbeit. Sie suchen sie neben dem Bund, außerhalb des Bundes. Wir sprechen von der Ländergemeinschaft, der dritten Ebene, den vereinigten Kirchtürmen, wie einer meiner Freunde sie einmal optimistisch getauft hat — denn sie kommen ja gar nicht zusammen —, wir sprechen von dem Föderalismus der Bürokratie, wie ihn Theodor Heuss im Parlamentarischen Rat warnend nannte. Von dieser Ländergemeinschaft weiß unser Grundgesetz nichts. Wir würden die Idee der Ländergemeinschaft nicht so wichtig nehmen, wenn sie nicht im vergangenen Jahre ihren Niederschlag im kulturpolitischen Programm einer unserer großen Parteien gefunden hätte, einer Partei, die bislang im Rufe stand, ziemlich zentralistisch zu sein, die aber in den letzten Jahren manche ihre Anschauungen abgewandelt hat. Ich spreche von den Bildungspolitischen Leitsätzen der SPD. Deren dritter Teil trägt die Überschrift: Kulturpolitische Aufgaben der Länder.
Die Länder können ihrer Aufgabe nur gerecht werden, wenn sie den Blick auf das Ganze richten und sich für das Ganze verantwortlich fühlen.
Bravo! Aber wie soll das geschehen? Für die wissenschaftliche Forschung in Verbindung mit dem Bund — und nur an dieser Stelle wird der Bund genannt. Im übrigen werden die Bundesländer verpflichtet, kulturpolitische Maßnahmen von grundsätzlicher und überregionaler Bedeutung gemeinsam zu planen und selbstverantwortlich zu koordinieren. Die Landesregierungen sollen gemeinsame Richtlinien erstellen und kulturpolitische Fragen von grundsätzlicher und überregionaler Bedeutung gleichzeitig in allen Landesparlamenten zur Erörterung stellen.
Meine Damen und Herren, das ist doch weltfremd. Nach diesem Bildungsprogramm wünscht die SPD



Dr. Hellige
den kulturpolitischen Schwerpunkt auf der dritten Ebene, also bei der Gemeinschaft der Länder. Es ist dabei noch nicht einmal von der erforderlichen Zusammenarbeit zwischen Bund und Ländern die Rede. Ich habe allerdings — das muß ich sagen — in der Rede, die unser Kollege Lohmar hier gehalten hat, von diesen Gedankengängen nichts gehört, und ich habe mich darüber gefreut.
Ich möchte es klar aussprechen: Die Gemeinschaft der Länder ist der Bund. In ihm arbeiten die Länder zusammen, nicht neben ihm oder gar gegen ihn.

(Beifall bei der FDP.)

Auf der Bundesebene sollte daher auch die Bildungsplanung, die von der Wissenschaftsförderung sachlich nicht zu trennen ist, angesiedelt werden. Planung kann nur von einer Stelle betrieben werden, und diese Stelle kann nur der Bund sein. Nur er hat den Überblick über die Gesamtforderungen, die von allen Seiten, von der Wissenschaft, der Wirtschaft, der Verwaltung und selbst der Bundeswehr gestellt werden. Selbstverständlich kann diese Planung nur in enger Zusammenarbeit mit den Ländern erfolgen. Ich bin sehr erfreut darüber, aus den Darlegungen von Herrn Lohmar, von Herrn Martin, von Herrn Minister Lenz, kurz, von allen Seiten gehört zu haben, daß eine solche Stelle beabsichtigt ist und daß sie beim Wissenschaftsministerium am besten untergebracht ist. Denn eine gut ausgestattete Planungsabteilung des Wissenschaftsministeriums in enger Verbindung mit der Kultusministerkonferenz und den Selbstverwaltungsorganen der Wissenschaft, das, meine Damen und Herren, wäre ein gangbarer Weg. Wenn beim Bund gemeinsam geplant wird und die Länder in ihren Bereichen durchführen, dann ist beiden Ebenen Rechnung getragen.
Ich möchte betonen, wir sind keine Gegner eines durch das Gemeinwohl bestimmten Föderalismus. Wir erkennen die Leistungen der Länder an: Bau der Schulen, Ausbau der Schulen, Verbesserung der Lehrerbildung, Vermehrung der Lehrerstellen, Erweiterung der bestehenden Hochschulen, Planung neuer Hochschulen. Die Leistungen der Länder sind freilich unterschiedlich. Oft sind die bereitgestellten Mittel gering, oder die Finanzkraft ist überhaupt unzureichend. Wie lange, meine Damen und Herren, kennen wir den Bremer, Universitätsplan schon, und wann wird der erste Student dort einziehen? Der Vorschlag Dr. Mendes, Berlin zum Sitz einer Weltuniversität zu machen, ist weiland vom Berliner Senat freudig aufgenommen worden. Und was ist geschehen? Hier gibt es ein reiches Betätigungsfeld auch für die Opposition dieses Hauses; sie hat in Bremen und Berlin die Verantwortung hierfür.
Es gibt auch Fragen, die die Länder ganz zwanglos miteinander regeln können, die die Kultusministerkonferenz auch ohne Beistand des Bundes harmonisieren könnte, wichtige, die Bevölkerung unmittelbar betreffende Fragen wie Schulanfang, Lehrpläne, Folge der Fremdsprachen. Immer wieder hören wir Klagen, sehr berechtigte Klagen, aus allen Kreisen der Bevölkerung, vor allem aber von Beamten und Soldaten, die ihren Wohnsitz häufig ändern müssen und deren Kinder beim Wechsel von Land zu Land in der Schule oft größte Schwierigkeiten haben und nicht selten ein Jahr verlieren. Ein dankbares Feld für die Kultusminister! Hier ist das Düsseldorfer Abkommen vom Jahre 1956 angezogen worden. Wir sähen es gerne realisiert. Seit der Hitler-Diktatur sind fast zwanzig Jahre vergangen. Die Verhältnisse waren danach in allen Ländern gleich, aber die Leistungen in den Ländern sind sehr unterschiedlich.

(Sehr gut! bei der SPD.)

Wir auf der Bundesebene können nicht uninteressiert sein, das festzustellen. Wir kennen finanzschwache Länder mit hervorragendem Schulwesen, wir kennen reiche Länder, bei denen der Prozentsatz der Schüler auf weiterführenden Schulen außerordentlich klein ist. Hier sollte der örtliche Ehrgeiz zupacken. Das ländliche Schulwesen ist unterentwickelt und verdient unsere besondere Aufmerksamkeit, denn auf dem Dorfe sitzt unsere stärkste Bildungsreserve.
Sehr wichtig scheint uns die Aufgabe der Ausbildungsförderung. Freie Bahn dem Tüchtigen! Das ist ein liberaler Grundsatz. Wir hoffen, den Gesetzentwurf der Bundesregierung bald auf dem Tisch zu haben.

(Abg. Dr. Lohmar: Liberale Grundsätze und sozialistische Maßnahmen, das gibt eine gute Kulturpolitik!)

— Versuchen Sie es mal! — Wir erwarten von diesem Entwurf der Bundesregierung vor allem eine Zusammenfassung der heute fast unübersehbaren Förderungsquellen. Aber über diese Frage wird mein Kollege Deneke noch sprechen.
Wir sind der Meinung, Bund und Länder müssen zusammenarbeiten. Dabei kommt es nicht so sehr auf eine klare paragraphenmäßige Abgrenzung an, Herr Minister Mikat. Mich hat sehr beeindruckt ein Gespräch, das ich einmal mit dem Stadtdirektor von Northeim hatte. Ich habe ihm eine Frage nach einer Einzelheit aus der Gemeindeordnung gestellt. Er sagte: „Die kenne ich nicht; in meiner ganzen Amtszeit haben wir lediglich einmal nachgeschlagen. Im übrigen sind meist alle Parteien des Rates und die Verwaltung einer Meinung, und Gesetze braucht man nur, wenn Meinungsverschiedenheiten auftreten."

(Beifall bei der FDP.)

Aber vielleicht liegt es daran, daß zu viele Kultusminister Juristen sind.
Wir sind auf dem Weg in ein geeintes Europa. Die Angleichung unserer Wirtschaftssysteme, unserer Rechts- und Sozialordnung beschäftigen dieses Hohe Haus oft genug. Auch unser Bildungswesen muß auf den europäischen Maßstab ausgerichtet werden. Davon sind wir noch weit entfernt. Auch dieser Weg bedarf der Planung, der Planung durch den Bund. Hier können wir nicht durch elf Minister, die in sich selbst oft uneinig sind, verhandeln. Wir wollen die Einheit ohne Uniformität, wir wollen die Geschlossenheit im Reichtum der Schattierungen. Möge uns diese Debatte dazu verhelfen.

(Beifall bei der FDP und Abgeordneten der SPD.)





Erwin Schoettle (SPD):
Rede ID: ID0411828000
Das Wort hat der Abgeordnete Lohmar.

Dr. Ulrich Lohmar (SPD):
Rede ID: ID0411828100
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte mich im Gegensatz zu manchen meiner Vorredner einer stilistischen Kritik an den Ausführungen des einen oder anderen Redners enthalten, weil ich finde, daß zu dem farbigen Stil im Bundestag, den wir uns zuweilen alle wünschen, auch gehört, daß wir unseren jeweiligen individuellen Stil besser ertragen lernen, Herr Kollege Martin.
Wir haben aufmerksam die sehr verhaltene Zufriedenheit registriert, die aus dem Bericht des Herrn Bundesministers für wissenschaftliche Forschung über die bisherige Arbeit und die bisherigen Leistungen seines Hauses herausklang. Wir können auch nicht übersehen, daß er über eine Reihe von Aspekten seiner Arbeit nichts gesagt hat oder sich nur mit einer außerordentlich großen Zurückhaltung, die man auf Koalitionsdisziplin, politische Courtoisie usw. zurückführen mag, geäußert bzw. ausgeschwiegen hat. Im ganzen enthielt der Bericht eine Summe von Teilaspekten, vom Minister selber als Bruchstücke bezeichnet — Bruchstücke in mehrfachem Sinne des Wortes —,

(Abg. Dr. Martin: Der Stil gefällt mir!)

der im vergangenen Jahre zu Ende gegangenen Ara Adenauer, darüber hinaus auch eine Sammlung von guten Wünschen, die wir aber nicht erst heute hören, sondern die wir bereits im vergangenen Jahr in der Regierungserklärung und bei der Debatte über das Forschungsgesetz gehört haben und die wir bei den Haushaltsberatungen wahrscheinlich erneut hören werden. Kurzum: Es war eine Rede, die — ohne boshaft zu sein; Herr Minister, Sie wissen, daß ich dazu in unserem speziellen Verhältnis nicht neige — einem Neckermann-Katalog vergleichbar war: vielseitiger als sonst, aber nicht reichhaltiger.

(Heiterkeit und Beifall bei der SPD.)

Das, was Herr Minister Mikat gesagt hat, fordert rechtlich nicht zu wesentlicher Kritik heraus. Aber im Sachlichen fand ich seine Rede etwas porös und im )Politischen ,etwas konturlos. Ich empfinde mit dem Kollegen Hellige einen Mangel in der Darstellung des Sprechers des Bundesrates. Es handelt sich nicht so sehr darum, jetzt zu fixieren, wer bisher recht gehabt hat oder wer verfassungsrechtlich heute im Recht ist, sondern es geht im Kern darum, in gemeinsamen Überlegungen herauszufinden, wie wir mit dem Bildungsnotstand in diesem Lande fertig wenden können.
Wenn man die beiden Reden von Herrn Lenz und von Herrn Mikat betrachtet, dann reibt man sich die Augen und fragt sich: Ja, hat denn Herr Dr. Picht da unten im Schwarzwald den deutschen Bildungsnotstand erfunden, oder wie kommt er dazu, darüber eine Aufsatzreihe zu veröffentlichen? Haben denn die Journalisten, die in den letzten Monaten der Frage der Berufsausbildung in diesem Lande nachgegangen sind, sich ihre alarmierenden Nachrichten aus den Fingern gesogen, oder woher kommen ihre
Informationen? Sie haben sie von Wissenschaftlern bekommen, und die Journalisten haben sich gehütet, das zu tun, was heute in den beiden Rechenschaftsberichten der Bundesregierung und des Bundesrates der Tenor war: nämlich ein verhaltenes Loblied auf den Status quo zu singen.

(Sehr richtig! bei der SPD.)

Das reicht nicht aus; quer durch die Parteien reicht es nicht aus. Wir sollten mit einer unbegründeten Selbstzufriedenheit diese Debatte nicht zu Ende gehen lassen.
Ich muß Ihnen gestehen, daß nach meinem Eindruck die Fragen, die wir in der Großen Anfrage gestellt haben, nicht beantwortet worden sind. Ich habe in den Ausführungen des Herrn Bundeswissenschaftsministers keine Antwort darauf gehört, wie die Bundesregierung eine Wissenschafts- und Bildungspolitik in Übereinstimmung mit der wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung gestalten will. Ich habe nichts darüber gehört, welche Konsequenzen der 'Bundeskanzler aus seinen guten Vorsätzen ziehen will. Er hat hier einige Zeit unserer Debatte beigewohnt. Die Fragen, die die Opposition in ihrer Großen Anfrage gestellt hat, konnten der Sache nach nicht oder nicht allein von einem Fachminister beantwortet werden, sondern sie richteten sich an den Herrn Bundeskanzler, an seine Pflicht, die Richtlinien der Politik zu bestimmen,

(Beifall bei der SPD)

in der Hoffnung, von ihm endlich ein klärendes Wort zu hören, das mehr bedeutet als die Wiederholung guter Vorsätze.
Ich möchte Ihnen die Bitte vortragen, daß wir uns jetzt nicht verbeißen in den Vorschlag, den die FDP in ihrem Entschließungsantrag gemacht hat, ein Wissenschaftskabinett zu gründen — wofür ich viel Sympathie habe, Herr Hellige —, oder in den Vorschlag, den die CDU unterbreitet hat, oder in 'den Vorschlag, den ich namens meiner Fraktion in meiner Rede gemacht habe. Ich finde, wir sollten uns einige Tage Zeit nehmen und in Ruhe miteinander sprechen und darüber nachdenken. Vielleicht kommen wir zu einem Vorschlag, den wir gemeinsam dem Plenum des Parlaments unterbreiten können. Aber ich möchte darum bitten: Lassen Sie uns heute nicht auseinandergehen, ohne daß auch die Regierungsparteien in Umrissen deutlich gemacht haben — ich habe das bei der Begründung unserer Großen Anfrage getan —, wie ein Sofortprogramm zur Überwindung des Bildungsnotstandes aussehen kann. Wenn das heute nicht herauskommt, haben wir eine große Chance für unsere Kultur- und Bildungspolitik verschenkt.

(Beifall bei der SPD.)


Erwin Schoettle (SPD):
Rede ID: ID0411828200
Das Wort hat der Abgeordnete Strauß.

Dr. Franz Josef Strauß (CSU):
Rede ID: ID0411828300
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Auch mir liegt es ferne, eine stilistische Kritik anzubringen, und in der inhaltlichen Kritik an der Begründung der Großen Anfrage möchte ich nur einige Punkte aufweisen.



Strauß
Der Herr Kollege Lohmar hat davon gesprochen, daß die Wissenschafts- und Bildungspolitik offensichtlich etwas unter der Überschrift: „Keine Experimente!" gelitten habe.

(Abg. Dr. Lohmar: Im Gegensatz zur Verteidigungspolitik, Herr Strauß!)

Ich darf hierzu eine kurze Interpretation geben. Mit der Formel: „Keine Experimente!" war eine vorsorgliche Warnung ausgesprochen vor allen planwirtschaftlichen Überlegungen oder außenpolitischen Abenteuern.

(Beifall bei der CDU/CSU. — Zurufe von der SPD: Na! Na! — Abg. Dr. Schäfer: Sie haben sich aber in allem daran gehalten!)

Hinsichtlich der Wissenschafts- und Bildungspolitik wären wir beileibe nicht in der Lage zu sagen, daß bei uns alles Gold ist, was glänzt

(Zuruf von der SPD)

— dazu kann ich Ihnen einiges besonders sagen —, oder daß wir auf dem Erreichten, wie es in vergangenen Generationen der Fall gewesen sein mag, zur Ruhe übergehen könnten. Aber es ist auch nicht zu verkennen, daß die Fortschritte der Wirtschaftspolitik, die nun einmal mit den Namen Erhard und Adenauer untrennbar verbunden sind, erheblich früher Fortschritte auf dem kulturellen und Bildungssektor ermöglicht haben, als es sonst der Fall gewesen wäre, wenn die Bewältigung der pritimivsten Lebensnotstände noch länger gedauert hätte.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Aber das sollte nur ein allgemeiner Hinweis ohne eine besondere Polemik sein.

(Zuruf von der SPD: Billig! — Abg. Dr. Schäfer: Darüber lachen Sie selber!)

Wenn Sie weiter davon sprechen, daß die Wissenschafts- und Bildungspolitik der Bundesregierung etwa den Auffassungen des Frühkapitalismus entsprechen könnte,

(Zuruf des Abg. Dr. Lohmar)

— im Stadium des Frühkapitalismus — dann, Herr Kollege Lohmar, halte ich Sie für einen viel zu guten Kenner der Geschichte und der Theorie des Sozialismus, als daß Sie das ernsthaft gemeint haben könnten.

(Zuruf von der CDU/CSU: Eine Äußerung des Publizisten!)

Denn ich habe, glaube ich, schon einmal von dieser Stelle aus gesagt, daß die Forderungen, die der demokratische Sozialismus im Pionierzeitalter des Kapitalismus, im Frühkapitalismus, erhoben hat, vom humanitären, sozialen und politischen Standpunkt aus absolut berechtigt waren. Sie sind zu gleicher Zeit von anderer Seite unter anderen Gesichtspunkten erhoben worden; aber darüber ist hier nicht zu reden. Daß aber die Forderungen, ich möchte beinahe sagen: die Zukunftsträume und Postulate, ja Visionen der sozialistischen Führer des Frühkapitalismus heute weitgehend erfüllt worden sind, daran müssen Sie der Politik der Ära Erhard
und Adenauer und Adenauer und Erhard ein erhebliches Verdienst beimessen.

(Lebhafter Beifall bei der CDU/CSU. — Lachen bei der SPD. — Abg. Dr. Schäfer: Da lachen Sie ja selber darüber!)

— Nein, ich lache über Ihre Unkenntnis der Zusammenhänge, wenn ich hier noch lachen könnte, Denn daß der gesellschaftliche Aufstieg unseres Arbeiters

(Abg. Könen [Düsseldorf]: Erhard, der Erfüller sozialistischer Utopien!)

vom Sozialprestige bis zur Lebenshaltung mit der Wirtschaftspolitik der letzten 15 Jahre untrennbar verbunden ist, wird außer Ihnen kaum jemand in Deutschland und außerhalb Deutschlands leugnen können.

(Beifall bei der CDU/CSU und bei Abgeordneten der FDP.)

Ich wollte nur soviel zum Frühkapitalismus sagen.
Die Fragesteller gehen von der Erklärung des Bundeskanzlers in seiner Regierungserklärung aus, daß die Aufgaben der Bildung und Forschung

(Zuruf von der SPD)

— ich möchte Sie ja nicht immer ärgern, Herr Kollege Schäfer, darum kann ich auch manchmal auf Wirkung verzichten! — daß die Aufgaben der Bildung und Forschung für unser Geschlecht den gleichen Rang besitzen wie die soziale Frage für das 19. Jahrhundert, und stellen im Zusammenhang damit Fragen, deren Beantwortung allerdings weit über den Rahmen der Zuständigkeit und der Verantwortung der Bundesregierung oder überhaupt einer einzigen Stelle in der Bundesrepublik Deutschland hinausgeht.
Erlauben Sie mir deshalb, einige Hinweise zu geben, die zum Teil auch in Ihrem letzten Beitrag besser angeklungen sind als in der Begründung der Anfrage. Dieser Fragen- und Aufgabenbereich sollte nicht zum Streit zwischen den Parteien im Sinne einer Urheberrechtsanmeldung oder im Sinne einer politischen Konkurrenz gemacht werden. Diese Aufgabe ist dafür viel zu ernst. Denn beim Streit zwischen den Parteien wie anderswo beim Kompetenzstreit zwischen den verschiedenen Stellen bleibt zu leicht die Aufgabe selbst auf der Strecke. Ferner sollte man hier auch verhüten, daß es zu einem Streit zwischen Bund und Ländern kommt, weil es nicht um Prinzipien geht, sondern um eine von niemandem geleugnete, von allen Seiten erkannte und bejahte Aufgabe.
Sie haben in der Formulierung Ihrer Großen Anfrage davon gesprochen, daß Bundeskanzler Erhard diese Auffassung übernommen habe.

(Abg. Dr. Lohmar: Ja, von Herrn Kunst!)

Ich wollte gern von Ihnen die Auskunft haben, von wem er sie übernommen hat.

(Abg. Dr. Lohmar: Sehen Sie, da haben Sie sie schon!)




Strauß
— Ich bin dankbar für die Aufklärung. Ich hatte nicht erwartet, daß Herr Lohmar sagt: von mir.

(Heiterkeit bei der CDU/CSU.)

Deshalb wollen wir uns auch in der Frage der Zuständigkeit — hie Bund und hie Länder — im Parlament und in den Organisationen hüten, das Schwarze-Peter-Spiel zu beginnen:

(Sehr gut! bei der CDU/CSU)

wer ist daran schuldig, oder in wessen Händen kann man die Veranwortung vor der Öffentlichkeit zwecks eigener Exkulpation deponieren?
Das dritte, was ich in diesem Zusammenhang sagen will, ist: Wir sollten auch keine Versäumnislegende schaffen, daß bisher so gut wie nichts geschehen sei.

(Zuruf von der SPD: Da darf ich Sie bei anderer Gelegenheit mal daran erinnern!)

Ich meine jetzt nicht eine Dolchstoßlegende in
außenpolitischer Hinsicht, sondern eine Versäumnislegende, es sei in diesen Jahren nichts geschehen.
Woran mir ganz besonders liegt, ist, zu sagen, daß wir uns gerade bei diesem Problembereich vor einem isolierten und isolierenden Denken hüten sollten. Wir sollten diese Dinge vielmehr im Zusammenhang ansprechen. Hier sind heute einzelne Zusammenhänge zwischen Wissenschaft, Wirtschaft, sozialer Entwicklung, Lebensstandard, Zukunftsvorsorge usw. angesprochen worden. Es geht bei dieser Frage nicht um das internationale Prestige der Bundesrepublik Deutschland, etwa in dem Sinne, daß der Bau einer modernen technischen Anlage oder gar eines Erdsatelliten politisches Prestige verleihe. Das mag für andere zutreffen, für uns sicherlich nicht. Es geht auch nicht um die Frage, ob wissenschaftlich-technisches Niveau einen höheren politischen Einfluß auf der Welt verleiht. Es geht für uns, ,die wir uns ja immer noch in den Nachwehen des zweiten Weltkrieges, bei allem äußeren Wohlstand kund Scheinwohlstand, befinden, darum, daß Stabilität und Kontinuität unserer Demokratie nicht zuletzt durch Bildung, durch Eigentum und soziale Sicherheit des einzelnen Staatsbürgers geprägt werden.

(Zurufe von der SPD: Natürlich! Einverstanden!)

Ohne Bildung, Eigentum und soziale Sicherheit des einzelnen Staatsbürgers würden wir in Deutschland bei allem guten Willen in diesem Hause die politische Entwicklung eines Tages nicht mehr unter Kontrolle halten können.

(Sehr gut! bei der SPD.)

Ich glaube daran liegt uns allen: an dem Bürger unseres Staates, der in einer Welt des technischen und wirtschaftlichen Risikos nach Geborgenheit verlangt.
In Verbindung damit ist ein schwerwiegender Zusammenhang zu beachten, und zwar einerseits der Zusammenhang zwischen Produktion und Produktionszuwachs und auf der anderen Seite unserem bestehenden und im Ausbau befindlichen Sozialsystem mit seinen großen Lasten für die Gegenwart und seinen Hypotheken für die Zukunft. Man mag ruhig sagen, die Wirtschaft könne auch einige Zeit ohne Wachstum auskommen. Ich möchte, ohne es hier experimentell beweisen zu können, behaupten, daß das von uns geschaffene Sozialsystem mit seinen starken Lasten für die Gegenwart und wachsenden Hypotheken für die Zukunft ohne ein ständiges Wachstum der Wirtschaft nicht durchgehalten werden kann.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Von diesem Sozialsystem aus gibt es auch ohne schwere politische Erschütterungen keinen Weg zurück. Darum ist für uns die Frage der Interdependenz, wie es heute hieß, zwischen Wissenschaft und Bildung auf der einen Seite und Wirtschaft auf der anderen Seite nicht eine Frage der außenpolitischen Macht, auch nicht nur eine Frage des Lebensstandards, es ist einfach eine Frage der inneren Stabilität unseres Staates. Wir können die Lasten der Gegenwart und die wachsenden Hypotheken der Zukunft nicht bewältigen — wenn ich nur an die dynamische Altersrente denke — ohne ein ständiges Wachstum unserer Wirtschaft, das prozentual gleich sein mag, aber absolut — bei proportionaler Berechnung natürlich — immer größer sein muß.
Deshalb ist kein Zweifel an der Interdependenz zwischen der Erhaltung und dem Ausbau dieses Sozialsystems einerseits sowie — und jetzt komme ich auf ein kritisches Thema zu sprechen — der Quantität und der Qualität unserer Arbeitsleistung andererseits; ich sage bewußt: auch der Quantität und der Qualität unserer Arbeitsleistung andererseits.
Ich darf noch einen zweiten Satz aus derselben Regierungserklärung des Bundeskanzlers zitieren, von der ein anderer Ausschnitt Gegenstand der Großen Anfrage geworden ist, und zwar folgenden Satz:
Es bedeutet eine wesentliche Aufgabe aller verantwortungsbewußten Kräfte im Lande, jenen Leistungswillen, der uns gerettet hat, für alle Zukunft wachzuhalten.
Ich darf von mir aus hinzufügen: wachzuhalten aus ideellen und materiellen Gründen. Man sagt: Lebe, um zu arbeiten — Nein! Arbeite, um zu leben — Ja, wenn wir dabei auch an das Leben des Nächsten und der Generation von morgen denken!
Sicherlich gehören neben Lohnerhöhungen, über die hier nicht zu sprechen ist, Verkürzungen der Arbeitszeit zum allgemeinen sozialen Fortschritt. Vor hundert Jahren mag die Arbeitszeit etwa 70 Stunden wöchentlich betragen haben. Aber die Dauer der Arbeitszeit muß ebenso wie die Qualität der Arbeitsleistung unter dem Zeichen einer Frage stehen, nämlich: Wie groß muß unser Sozialprodukt sein und in welchen Raten muß es wachsen, damit die als dringlich sich stellenden Aufgaben bewältigt werden können?
Dazu gehört ein anderes kompliziertes Problem, das man auch nicht gerne anfaßt, nämlich die Notwendigkeit, Anreiz und Pflicht zur Berufsausbildung und zur Berufsfortbildung zu verstärken. Es ist nicht zu leugnen, daß der Trend, der Zug zum Aus-



Strauß
weichen in solche Tätigkeiten — im Dienstleistungsgewerbe und anderswo —, bei denen keine schwierige, langwährende, vielleicht sogar kostspielige Berufsausbildung erforderlich ist, sich verstärkt hat. Der Zug, frühzeitig nach Verlassen der Volksschule oder auch Mittelschule zu verdienen und nicht eine angesichts der Kompliziertheit des modernen Lebens und der pluralistischen Gesellschaftsordnung nicht sehr angenehme Berufsausbildung auf sich zu nehmen, ist immer stärker geworden. Diesem Zug müssen wir entgegentreten,

(Beifall in der Mitte)

weil nur die Verbindung einer gewissen Quantität mit einer hohen Qualität unserer Arbeitsleistung die Grundlage dafür liefern kann, daß unser Sozialsystem mit seinen sich zwangsläufig steigernden Lasten und Hypotheken überhaupt aufrechterhalten werden kann.
Ich glaube, ich brauche darüber keine Zahlen zu nennen. Das Problem ist bekannt. Das Ausweichen in solche Berufe, sei es bei der eigenen Tätigkeit, sei es bei der Einstellung von Arbeitnehmern, trifft man heute bei Arbeitnehmern und Arbeitgebern in einem, ich darf sagen, auf die Dauer besorgniserregendem Ausmaße an. Die großen uns gestellten Aufgaben sind nur zu lösen, wenn alle nach körperlicher, geistiger und charakterlicher Verfassung zur Ausübung eines qualifizierten Berufes geeigneten jungen Menschen Anreiz und Verpflichtung erhalten, die dafür notwendige Berufsausbildung auf sich zu nehmen. Ich möchte mich damit nicht zum Anhänger des — Sie wissen das vielleicht besser, Herr Kollege Lohmar — vom Soziologen, Historiker und Philosophen Freyer in seiner „Theorie des gegenwärtigen Zeitalters" kritisierten Modeglaubens machen, daß der Lebensstandard der Gott unserer Zeit und die Produktion sein Prophet sei, sondern ganz im Gegenteil mich dazu bekennen, daß Können, Leistung und Arbeit nicht nur einen materiellen Sinn egoistischer Art haben dürfen, sondern auch einem höheren Wert dienen müssen, der in der Entfaltung der Persönlichkeit, in der Sorge für den Nächsten und in der Vorsorge für die Lebensbedingungen der Zukunft liegen muß.

(Abg. Könen [Düsseldorf] : Wer hat denn eigentlich gesagt: Was du hast, weißt du!?)

Alles, was auf dem Gebiet der wissenschaftlichen Forschung und der Bildungsplanung geschehen muß — erlauben Sie mir zu sagen, daß ich dieses Wort „Bildungsplanung" schrecklich finde;

(Abg. Dr. Lohmar: Aber es ist nun einmal da!)

schon das Wort „Wissenschaftspolitik" kann einen pejorativen Sinn haben, aber das Wort „Bildungsplanung" erinnert doch allzu sehr an experimentelles Denken —

(Zustimmung bei der CDU/CSU — Abg. Dr. Lohmar: Schon wieder „Keine Experimente!"?)

— eben, das habe ich ja gemeint —, alles, was auf
dem Gebiet der wissenschaftlichen Forschung und
der Bildungsplanung geschehen muß, kostet Geld und immer mehr Geld.

(Abg. Dr. Lohmar: Es spart Geld, Herr Strauß!)

— Alles, was auf dem Gebiet der wissenschaftlichen Forschung und der Bildungsplanung geschehen muß, kostet Geld und kostet immer mehr Geld. Ich rede gar nicht davon, daß man das Geld rationeller anwenden kann, gar nicht davon, daß durch eine bessere Verteilung der Aufgaben und der Arbeiten — ich habe neulich schon einmal in anderem Zusammenhang davon gesprochen — ein größerer Nutzeffekt erzielt werden kann. Aber daß die Aufgaben der Bildung und der wissenschaftlichen Forschung Geld und immer mehr Geld kosten, darüber gibt es nicht den geringsten Zweifel. Davon zeugen alle Haushalte der Länder, des Bundes und aller ausländischen Staaten. Ich glaube, darüber gibt es keine Meinungsverschiedenheit. Ich möchte damit die Frage der zweckmäßigsten Organisation und der rationellen Aufgabenverteilung nicht etwa vermindern. Aber Geld und immer mehr Geld ist hier im Vordergrund.
Ich habe mich deshalb gegen eine isolierte und isolierende Betrachtungsweise ausgesprochen, weil sie nicht ehrlich wäre und in das Gebiet der Propaganda führen würde. Darf ich Sie einmal daran erinnern, was in diesem Hohen Hause und außerhalb dieses Hohen Hauses bisher an Schwerpunkten gerade von der Opposition besonders betont worden ist: 1. Steigerung der sozialen Leistungen auf fast allen Gebieten und im umfassenden Sinne des Wortes mit Übernahme auf die öffentlichen Haushalte. 2. Eine rascheste Lösung des Verkehrsproblems durch Bau von Autobahnen, Straßen aller Art, Modernisierung des bestehenden Straßennetzes, Bau von Umgehungsstraßen, Hochstraßen, Tiefstraßen, Bau von U-Bahnen und S-Bahnen in Großstädten, alles kostspielige Projekte, gegen deren Notwendigkeit kein Wort zu sagen ist. Wenn aber der Kollege Dr. Bleiß die Bundesregierung sozusagen unmittelbar für alle auf den deutschen Straßen bedauerlicherweise vorkommenden Verkehrsopfer verantwortlich macht, dann geht er dabei vielleicht etwas über die Grenze der sachlichen Erörterung hinaus. Aber daß die Verkehrspolitik eine echte Priorität darstellt, wird von Ihrer Seite nicht mit Unrecht, aber mit großem Nachdruck betont.
Ich komme zu einem dritten Schwerpunkt: Ausbau des Zivilen Bevölkerungsschutzes, seine gleichrangige Behandlung mit der militärischen Landesverteidigung, deren finanzielle Anforderungen auch immer noch wachsen. 4. Stärkere finanzielle Unterstützung der Gemeinden, 5. umfangreiche Maßnahmen auf dem Gebiet der Gesundheitsvorsorge, 6. Förderungsmaßnahmen für Landwirtschaft und Mittelstand, 7. erhebliche Leistungen auf dem Gebiet der Entwicklungshilfe, 8. Berlinhilfe usw. Dazu kommen noch andere Vorschläge, andere Projekte, wie Steuerreformpläne, dazu kommt der erhöhte Investitionszwang bei der produzierenden Wirtschaft gerade im Zusammenhang mit der zunehmenden Technisierung.



Strauß
Wir können einerseits nicht sagen: Wir finanzieren alle Aufgaben in vollem Umfange und mit gleicher Dringlichkeit. Wir können andererseits nicht sagen: Wir finanzieren mit beschränkten Mitteln alle Aufgaben gleichrangig nebeneinander. Das erste würden Sie gerne tun, das zweite uns gerne überlassen. Aber all das ergibt zusammen einen Engpaß, der zwingend die Forderung nach Prioritäten stellt. Hier ist einem Sprecher der Regierungskoalition auch die Frage an die Opposition erlaubt: Wie wollen Sie all diese Schwerpunkte, die Sie genannt haben, all diese Aufgaben bezahlen, und wie ist Ihre Rangfolge der Dringlichkeiten?

(Abg. Dr. Martin: Ohne Inflation!)

— Ich habe nicht unterstellt, daß der Weg der Inflation gegangen werden sollte;

(Zuruf von der Mitte: Nein!)

das würde jedermann nach den Erfahrungen der Jahre bis 1923 und der Kriegsjahre bis 1948 mit Entrüstung von sich weisen. Aber wenn Sie die sich aus sieben Schwerpunkten ergebenden finanziellen Anforderungen addieren und dazu einen Zeitplan für die Dringlichkeit aufstellen, dann kommen Sie nicht darum herum, einmal zu sagen: Wie und in welcher Reihenfolge?

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Diese Antwort sind Sie der Öffentlichkeit und uns schuldig geblieben und werden Sie wahrscheinlich auch nach den gemachten Erfahrungen in Zukunft schuldig bleiben.

(Zuruf von der SPD: Warten Sie ab!)

Keine politische Partei kann gleichzeitig alles für die Gegenwart und noch mehr für die Zukunft verlangen oder versprechen, wenn sie nicht Politik mit Propaganda verwechseln und damit den Boden der Tatsachen unter ihren Füßen verlieren will.

(Erneuter Beifall bei der CDU/CSU.)

Das heißt eben, daß sich die Dinge hart im Raume stoßen, daß ein Haushalt keine Wunder wirken kann; das heißt, daß man ohne Steuererhöhungen, die kein Mensch verlangt, daß man bei Plänen für eine Steuersenkung, die von allen Seiten befürwortet werden, und bei dem Finanzierungsbedarf für zahlreiche wichtige Aufgaben einen Haushalt eben nur in einem ganz engen Bereich aufstellen kann, in dem sich die Notwendigkeiten sehr hart im Raume stoßen.

Erwin Schoettle (SPD):
Rede ID: ID0411828400
Gestatten Sie eine Frage, Herr Abgeordneter?

Dr. Franz Josef Strauß (CSU):
Rede ID: ID0411828500
Selbstverständlich, bitte sehr!

Dr. Ulrich Lohmar (SPD):
Rede ID: ID0411828600
Herr Kollege Strauß, würden Sie es nicht für eine gute Einleitung des von Ihnen gewünschten Dialogs — wie ich hoffen möchte — halten, wenn Sie uns einmal einen Einblick in Ihre Prioritätenskala gäben?

(Zuruf von der Mitte: Der Haushalt!)

— Der Haushalt ist doch eine Sache von gestern; mit dem können Sie doch wirklich keinen „Staat" machen.

Dr. Franz Josef Strauß (CSU):
Rede ID: ID0411828700
Der Haushalt zeigt gewisse Prioritäten auf. Der Haushalt 1964 zeigt — gewissermaßen auch als Nachholbedarf angesichts der verstärkten Ausgaben für die militärische Landesverteidigung im Jahr der Berlinkrise, im Kubajahr und in dem folgenden Jahr — als erste Priorität eine Verbesserung der sozialen Leistungen auf einer Reihe von Gebieten. Sie haben doch diese Verbesserung der sozialen Leistungen auf einer Reihe von Gebieten als das Mindestmaß oder — wenn ich Sie richtig verstanden habe — als weniger betrachtet, als eigentlich wünschenswert wäre.
Wir haben eine zweite Priorität; das ist die militärische und zivile Verteidigung. Wir haben eine dritte Priorität; das ist das ganze Verkehrsprogramm. Wir haben eine vierte Priorität; das ist Wissenschaft und Forschung in der Zuwachsrate. Wir haben eine fünfte Priorität; das ist die Förderung der Landwirtschaft. Das ,sind doch alles Ziele, zu denen Sie sich bekennen. Wir freuen uns über diese Aktion „Gemeinsinn". Wir können es aber nicht ohne Widerspruch hinnehmen, wenn Sie sagen, daß auf allen Gebieten zu wenig geschehe, daß gemäß der heutigen Debatte auf dem Gebiet der Bildung und Wissenschaft alles getan werden soll, die Steuern gesenkt werden sollen, und wenn niemand den Mut hat, Prioritäten zu nennen und dafür die Zurücksetzung anderer Aufgaben vor der Öffentlichkeit zu verantworten.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Zu dem von den Fragestellern angeschnittenen Problemkreis gehören neben der lebenswichtigen Frage der Finanzierung auch noch andere Aspekte, die mit Recht angeschnitten worden sind; einmal das Verhältnis Bund und Länder, dann die Hochschulreform, von Berufungsverfahren bis zur Studienberatung und Studiengestaltung. Ich stimme Ihnen, Herr Kollege Lohmar, völlig zu, daß wir eine Liberalisierung des Berufungsverfahrens und eine Rationalisierung der Studiengestaltung haben müssen, so wie Sie sie — wenn ich es recht in Erinnerung habe — in einem Artikel in der „Zeit" vor einigen Wochen gefordert haben, und ich möchte noch hinzufügen: eine Verbesserung auch der Studienberatung, damit nämlich der junge Mann, das junge Mädchen und die Eltern möglichst bald wissen, wofür sie ihr Kind ausbilden lassen sollen und wofür sie das auch heute knappe Geld zur Verfügung stellen sollen.
Ich möchte die Frage der Hochschulreform in diesem Zusammenhang aber nicht erörtern. Neulich stand in einer großen Zeitung: „Man trägt in diesem Jahr Hochschulreform". Das heißt, daß auch das Wort „Hochschulreform" sehr häufig zu einem Modeausdruck geworden ist. Man müßte sich dann sehr intensiv über die Grundsätze und die wesentlichen Einzelheiten unterhalten. Dazu gehört die Schaffung einer Grundstruktur unseres Schulwesens, das allen gleiche Bildungs- und Berufschancen bietet,



Strauß
aber ohne öde Gleichmacherei. Die Forderung der Verfassungsänderung ist heute nicht erhoben worden. Die Helden sind auch schon müde geworden, die ein Bundeskultusministerium verlangt haben. Jedenfalls haben sie sich heute nicht zu Wort gemeldet. Es gab solche diesseits und jenseits der Grenze zwischen Regierung und Opposition. Ich glaube auch nicht, daß wir durch eine zentralistische, einheitsstaatliche Gestaltung unserer Schulpolitik etwas gewinnen würden. Ich glaube, daß der rationale Vorteil durch Verkümmerung und Verödung anderer Aufgabengebiete wieder verlorengehen würde. Gerade die Mannigfaltigkeit des Schul- und Ausbildungswesens in Deutschland hat bei Anwendung des Mindestmaßes an gesundem Menschenverstand hinsichtlich ,der Notwendigkeit gleicher oder einheitlicher Lösungen auf freiwilliger Grundlage ohne Zweifel erhebliche Vorteile. Man kann nicht alle Vorteile eines Systems mit allen Vorteilen eines anderen Systems in einer Lösung verbinden. Dazu gehört auch die Vorsorge auf personellem und materiellem Gebiet für Volksschulen, mittlere Schulen, höhere Schulen und Hochschulen.
Hier ist das Problem der Lehrer,

(Zuruf von der SPD: Katastrophe!)

des Lehrermangels zu nennen. — Seien Sie mit dem Ausdruck „Katastrophe", mit dem ich heute schließen werde, vielleicht etwas vorsichtig.

(Abg. Könen [Düsseldorf]:: Das will er selber sagen!)

— Das will ich selber sagen, natürlich. Sie haben es erraten. — Aber wenn ich unterstelle, daß es richtig ist, was Kollege Lohmar heute sagte — ich kann das nicht nachprüfen, aber wahrscheinlich hat er es mit Recht gesagt —, daß 75 % aller Abiturienten Lehrer werden müßten, um den Lehrerbedarf zu decken,

(Abg. Dr. Lohmar: Jawohl, in den nächsten 10 Jahren!)

dann muß ich allerdings sagen, daß die Frage, ob alle Lehrer nur auf dem Weg über das Abitur zu ihrem Beruf kommen können, noch einmal überprüft werden muß.

(Beifall.)

Dann muß man ernsthaft die Frage prüfen, ob der Zugang zu diesem Beruf nicht auch über die Mittelschule sollte eröffnet werden.

(Zuruf von der SPD: Das gibt es doch!)

— Das gibt es. Ich kann nicht die Verhältnisse in allen Ländern beurteilen. Aber sicher ist es in einer Reihe von Ländern nicht so. Die Lehrer selbst und ihre Verbände und eine Reihe von politisch wichtigen Kräften haben als Voraussetzung das Abitur verlangt. Daß darunter heute die Landschulen zu leiden begonnen haben, daß der Lehrernachwuchs nicht in ausreichendem Maße zustande kommt, ist eine Frage, die man nicht hier in einer Parlamentsrede eingehend klären kann, aber mit der man sich im Zusammenhang mit der Frage der Eröffnung weiterer Zugangswege ernsthaft befassen muß.

Erwin Schoettle (SPD):
Rede ID: ID0411828800
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Frage?

Dr. Franz Josef Strauß (CSU):
Rede ID: ID0411828900
Bitte sehr.

Fritz Sänger (SPD):
Rede ID: ID0411829000
Herr Kollege Strauß, wollen Sie die Forderung nach der Überprüfung der Abitursvoraussetzung nur auf die Lehrer beziehen oder auch auf andere Berufe?

Dr. Franz Josef Strauß (CSU):
Rede ID: ID0411829100
Ich bin allgemein der Meinung, daß man von niemandem ein Abitur verlangen sollte, wenn die Art seiner Berufsausübung nicht das Abitur zwingend voraussetzt.

(Beifall.)


Fritz Sänger (SPD):
Rede ID: ID0411829200
Würden Sie nicht glauben, daß die Erziehung von Kindern ganz entscheidende Voraussetzungen in der wissenschaftlichen Ausbildung der Lehrer verlangt?

(Zuruf von der SPD: Von Kleinkindern nicht!)


Dr. Franz Josef Strauß (CSU):
Rede ID: ID0411829300
Ich bestreite nicht, daß zur Erziehung von Kindern wissenschaftliche Voraussetzungen und fachliche Qualifikationen erforderlich sind. Aber ich möchte, auch wenn das heute nicht mehr umzukehren ist, trotzdem ein Wort für den alten Lehrer sagen, wie wir ihn früher gehabt haben.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Hier ist ein Weg zurück nicht mehr möglich. Ich bin nur von der Bemerkung des Kollegen Lohmar ausgegangen, die ich als richtig unterstelle, daß 75 % aller Abiturienten in den nächsten zehn Jahren Lehrer werden müßten, wenn der Lehrermangel gedeckt werden sollte. Es werden sich bestimmt nicht 75 % aller Abiturienten für diesen Beruf melden. Also muß man sich einen Weg überlegen, wie man den Lehrermangel trotzdem beheben kann.

Fritz Sänger (SPD):
Rede ID: ID0411829400
Darf ich mir als letztes, da ich selbst zu denen gehöre, die die alte Lehrerausbildung bis zum Examen einschließlich durchgemacht haben, die Frage erlauben, Herr Kollege Strauß: Glauben Sie nicht, daß die Anforderungen, die heute an einen Volksschullehrer gestellt werden, noch wesentlich höher sind als die vor 50 Jahren?

Dr. Franz Josef Strauß (CSU):
Rede ID: ID0411829500
Sie sind ohne jeden Zweifel wesentlich höher. Ich bin auch der Meinung, daß im Regelfall das Abitur die wünschenswerte Übergangsstufe zur Spezialausbildung des Lehrers an Pädagogischen Hochschulen ist. Aber angesichts der Behauptung von Kollegen Lohmar — die ich als richtig unterstelle —, daß 75 % aller Abiturienten Lehrer werden müßten, wenn die — ich darf jetzt Ihr Wort wiederholen — „Lehrerkatastrophe" behoben werden soll, muß ein Weg gefunden werden, um den Lehrermangel auch auf andere Weise beheben zu können. Hier scheint mir die Prüfung der Frage wirklich erwägenswert zu sein, auch den Zu-



Strauß
gang über die Mittelschulen für die Lehrerlaufbahn zu eröffnen.

Erwin Schoettle (SPD):
Rede ID: ID0411829600
Gestatten Sie eine Frage, Herr Abgeordneter?

Dr. Franz Josef Strauß (CSU):
Rede ID: ID0411829700
Bitte.

Dr. Erhard Eppler (SPD):
Rede ID: ID0411829800
Herr Kollege Strauß, ist Ihnen bekannt, daß die Zahlen, die Herr Lohmar genannt hat, davon ausgehen, daß wir in der Bundesrepublik nur ein Drittel der Abiturienten haben, die etwa in Frankreich vorhanden sind, und können Sie sich nicht vorstellen, daß man an die Sache auch dadurch herankommt, daß man die Begabungsreserven mehr ausschöpft und nachher mehr Abiturienten hat?

Dr. Franz Josef Strauß (CSU):
Rede ID: ID0411829900
Sicher hängt diese Frage damit zusammen, daß wir eine größere Zahl von Höheren Schulen bekommen,

(Zuruf von der SPD: Oder den zweiten Bildungsweg!)

von Höheren Schulen, Oberschulen, Oberrealschulen, Gymnasien, also von neunklassigen Anstalten, die es ja in dieser Form in der Bundesrepublik — gegenüber den achtklassigen Anstalten in anderen Ländern — gibt. Aber ich glaube auch nicht falsch zu liegen, wenn ich sage, daß alle Bemühungen auf diesem Gebiet sich erst über einen langen Zeitraum hinaus auswirken. Wenn also Herr Kollege Lohmar von einem akuten Mangel spricht und von der Notwendigkeit, daß 75 % der jetzigen und der künftigen Abiturienten Lehrer werden müßten, dann können wir nicht allein auf dem Weg über Vermehrung und Verbesserung der Höheren Schulen, sondern müssen auch auf anderem Wege versuchen, diese Lücke zu schließen, von deren Schließung sehr viel abhängt. Ich glaube, daß wir uns hier gar nicht widersprechen.
Dazu gehört der Ausbau des zweiten und dritten Bildungsweges im . Zusammenhang zwischen Staat, Wirtschaft und Organisationen mannigfaltiger Art. Wenn ich von zweitem und drittem Bildungsweg spreche, dann möchte ich mit einem Satz den Hinweis eines führenden Mannes unserer Wirtschaft erwähnen, mit dem ich vor kurzem über die Förderung des dritten Bildungsweges gesprochen habe. Er sagte mir: Wir sind grundsätzlich dafür, daß der dritte Bildungsweg in Zusammenarbeit zwischen Staat, Organisationen und Wirtschaft verbessert wird, daß hier dem Facharbeiter, dem dafür geeigneten Betriebsangehörigen eine besondere Ausbildungsmöglichkeit gegeben wird, vielleicht auch auf die Weise, daß er einige Zeit freigestellt wird, um damit ein bestimmtes Bildungs- oder Ausbildungsziel zu erreichen. Aber wir können eines nicht in Kauf nehmen — sagte er —, daß die Schicht unserer hochqualifizierten Facharbeiter nach oben hin durch den Übergang zum Techniker und zum Ingenieur vermindert wird, während von unten her, vom ungelernten und angelernten Arbeiter nichts mehr in den Bereich der Facharbeiter nachwächst.
Das hängt mit der vorher aufgestellten Forderung zusammen, daß jeder junge Mann und jedes junge Mädchen bei uns, wenn sie geistig, körperlich und charakterlich dafür geeignet sind, die höchstmögliche und höchstqualifizierte Berufsausbildung bekommen sollen. Denn Quantität und Qualität der Arbeitsleistung sind die Basis für unser gesamtes Wirtschafts- und Sozialsystem in Gegenwart und Zukunft.
Erlauben Sie mir, auch etwas zu sagen, was ich gar nicht polemisch meine: wir sollten uns nicht in Panik- und in Katastrophenstimmung hineintreiben lassen. Wir sollten auch nicht die Statistik als eine unfehlbare Prophetin anbeten. Wenn ich daran denke, was uns in den Jahren 1947 und 1948 auf wirtschaftlichem Gebiet an statistischen Prognosen unfehlbarer Art gestellt worden ist und wie hernach die Wirklichkeit dann ausgesehen hat, dann wage ich auch zu bemerken, daß man mit der Statistik sehr, sehr viel anfangen kann, je nachdem welche Bezugsgrößen man miteinander vergleicht. Wir sollten auch nicht ausländische Statistiken ungeprüft übernehmen und zum Gegenstand pessimistischer Vergleiche machen. Wir sollten nicht nach Schuldigen suchen und das Schwarze-Peter-Spiel pflegen. Die Notwendigkeit einer starken Vermehrung und Verbesserung unserer Schulen ist unbestritten. Es geht aber nicht an, ungleiche Bezugsgrößen miteinander zu verbinden und dann die Wissenschafts- und Bildungspolitik eines Landes nach dem sogenannten — entschuldigen Sie den Ausdruck — „Verschulungsgrad" zu bemessen, wie es leider heute heißt. Denn Vollzeitschule, berufsbegleitende Schule, Abendkurse und Fernunterricht müssen gleichartig in die Statistik eingesetzt werden, was durchweg nicht geschieht.
Ich möchte hier besonders den hohen Wert der deutschen berufsbegleitenden Berufsschule hervorheben. Sie war immer noch der Quell, sie war immer noch das Reservoir, sie war immer noch der Ausgangspunkt eines hochqualifizierten Handwerker- und Facharbeiterstandes, mit dem wir nicht zuletzt unsere wirtschaftliche, technische und industrielle Bedeutung in der Welt erlangt haben.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Professor Edding ist hier schon oft strapaziert worden. Ich möchte ihn nur mit zwei Bemerkungen bemühen. Ich zitiere wörtlich. Er schreibt:
Wer in der Diskussion um Bildungsfragen internationale Vergleiche benutzt, findet nicht nur ein wachsendes Interesse, sondern er setzt sich auch einer Kritik aus, die zum Teil wohl begründet ist. Diese Kritik verlangt nämlich, daß nur exakt Vergleichbares verglichen wird. Die Voraussetzungen für solche Perfektion sind jedoch auf diesem Gebiet des Lebens nicht gegeben. Im Gegenteil: wir sind von Einheitlichkeit der Definitionen und anderen Bedingungen der exakten Vergleichbarkeit in Fragen des internationalen Vergleichs der Bildungsbemühungen und Bildungsergebnisse besonders weit entfernt.



Strauß
— Und er fährt fort:
Es besteht ein allgemeines Interesse daran, daß diese
— nämlich die internationalen Vergleiche —
so gut wie möglich fundiert werden. Sie sind es bisher sehr oft nicht. Sie können es auch kaum sein, weil die wissenschaftlichen Grundlagen auf diesem Gebiet noch weithin fehlen. Pädagogen und Soziologen sind darum bemüht, in der vergleichenden Erziehungswissenschaft solche Grundlagen zu schaffen. Ihnen geht es vor allem um die Möglichkeiten des Vergleichs von Systemen, Inhalten und Ergebnissen.
Soweit Professor Edding. Dieses Wort wollte ich hier als aus dem Munde eines berufenen Fachmannes kommend zitieren, um vor einer allzu extensiven Strapazierung von Statistiken und ausländischen Statistiken zu warnen.
Wir sollten auch in diesem Hause anerkennen, daß in den Ländern im Laufe all der Jahre viel geleistet worden ist.

(Sehr richtig! bei der CDU/CSU.)

Wir sollten nicht nach einer einheitsstaatlichen Kulturpolitik rufen, auch wenn das Wort expressis verbis heute nicht gefallen ist.
Ich darf auf Maßnahmen hinweisen, weil vorhin das Wort Bayern gefallen ist, die gestern in der Haushaltsrede des bayerischen Kultusministers erwähnt worden sind und .die sich genau an die Empfehlungen des deutschen Ausschusses, des Wissenschaftsrates halten und .die einen Teil dessen vowegnehmen, was heute gesagt worden ist. Die Maßnahmen, die erarbeitet worden sind und durchgeführt werden, betreffen erstens eine Bedarfsrückrechnung für den finanziellen, räumlichen und personellen Bedarf an Bildungsstätten. Bei dieser Bedarfsrückrechnung ist festgestellt worden, daß in diesem Bundesland 80 % der als notwendig bezeichneten Forderungen bereits erfüllt sind und daß finanzielle Vorsorge getroffen wird, auch ,die restlichen 20 % von 80 % bis 100% zu decken. Ich darf an den bayerischen Schulentwicklungsplan erinnern, den auch Herr Picht in seinem heute so oft zitierten Artikel lobend erwähnt. Er bemängelt, daß er in anderen Ländern nicht nachgeahmt worden ist, und erwähnt auch Hessen und Niedersachsen in diesem Zusammenhang nicht. Ich darf an die Oberstufenreform für die Volksschulen erinnern. Ich darf an die Ausführung des Schulverbandsgesetzes zur Reform des Landschulwesens, an die Oberstufenreform für die höheren Schulen, an die Ausführung der Empfehlungen des Wissenschaftsrates für den Ausbau der Hochschulen, die Gründung der Universität Regensburg mit ihren Gesamtkosten von 1 Milliarde DM, an die Ausführung des Landesingenieurschulplans, an den Landesjugendplan sowie den Landessportplan erinnern.
Ich möchte generell zu der Frage der Zuständigkeiten zwischen Bund und Ländern, ohne daß ich die Rechtsbestimmungen bis ins letzte auszuwerten gedenke, nur wenige Bemerkungen machen: Erstens daß man dem Bund eine Zuständigkeit und Verantwortung für die Lebensgrundlagen unseres Volkes nicht absprechen kann;

(Abg. Dr. Martin: Sehr gut!)

zweitens daß man einmal prüfen muß, welchen Aufgaben die Länder in eigener Zuständigkeit und mit eigenen Mitteln nach ihrer eigenen Ansicht gerecht werden können.

(Abg. Dr. Martin: Das ist gut so!)

Hier geschieht immer ein merkwürdiges Spiel mit einem negativen und positiven Kompetenzkonflikt. Wenn gezahlt werden soll, ist es ein negativer Kompetenzkonflikt. Wenn bestimmt werden soll, was zu geschehen hat, hat man den positiven Kompetenzkonflikt.

(Zuruf von der SPD: Das ist Ihre Erfahrung als Minister!)

In der Ministerpräsidentenkonferenz in Saarbrükken ist doch davon gesprochen worden, daß der Bund eine Reihe von Aufgaben erfüllt, die außerhalb seiner Zuständigkeiten liegen und daß deshalb die Verteilung der Finanzquellen auch unter diesem Gesichtspunkt überprüft werden muß. Wenn aber der Bund einmal darangeht und Leistungen auf Gebieten vermindert, auf denen er nur freiwillig leistet, aber keinerlei Zuständigkeit hat, dann erfolgt sofort die lauteste Kritik, auch von Ihnen, Herr Kollege Lohmar; ich denke nur an ihre heutigen Ausführungen zum Honnefer Modell. Wir alle sind doch dafür, daß das Honnefer Modell in vollem Umfang beibehalten wird, seine Leistungen verbessert, auf alle Begabten unseres Landes ausgedehnt werden. Aber nirgends steht geschrieben, daß angesichts der Kritik der Länder auf diesem Gebiet unbedingt der Bund .die Hälfte der Lasten tragen muß. Warum können denn hier nicht die Länder einspringen?

Erwin Schoettle (SPD):
Rede ID: ID0411830000
Gestatten Sie eine Zwischenfrage? — Bitte!

Dr. Günter Frede (SPD):
Rede ID: ID0411830100
Herr Kollege Strauß, ist Ihnen nicht bekannt, daß in dem Länderabkommen, das praktiziert wird, wenn es auch noch nicht ratifiziert ist, eine 50 %ige Beteiligung des Bundes vorgesehen ist?

Dr. Franz Josef Strauß (CSU):
Rede ID: ID0411830200
Ich weiß, daß das in dem noch nicht ratifizierten Abkommen vorgesehen ist. Aber ich beziehe mich nicht auf ein noch nicht ratifiziertes Abkommen

(Zuruf von der SPD: Aber Sie wollen es doch haben!)

— daß es noch nicht ratifiziert ist, liegt an den Ländern und nicht am Bund —, sondern ich beziehe mich darauf, daß am Bund allerorts die Kritik geübt worden ist, er leiste Ausgaben auf Gebieten, auf denen er keine Zuständigkeit habe, und überziehe deshalb seine finanziellen Forderungen.

(Abg. Dr. Schäfer: Das war doch Herr Meyers!)

— Nicht nur! Peccatur intra muros et extra.



Strauß
Ich meine drittens, daß man festlegen muß, wo eine Koordinierung zwischen Bund und Ländern um der Sache willen erforderlich ist, und viertens, daß man sich auch darüber einigen kann, wo der Bund allein tätig werden kann und muß. Wir kämpfen doch heute nicht um irgendwelche parteipolitischen Aspekte. Es ist doch ganz offensichtlich, daß hier heute an zwei verschiedenen Fronten die Diskussion stattfindet, nämlich einmal an der Front Bund und Länder und zum andern zwischen Regierung und Opposition.

(Widerspruch bei der SPD.)

Es ist doch unser gutes Recht, auch ein kritisches Wort zur einen wie zur andern Seite zu sagen, auch wenn es der einen Seite nicht paßt.

(Zurufe von der SPD.)

Ich halte aber gar nichts von Versuchen, zu einer Verfassungsänderung zu kommen, weil sie sich an Mehrheitsverhältnissen, Zuständigkeitsproblemen und Prinzipienstreitigkeiten erschöpfen werden. Ich halte mehr von einem neuen Anlauf in der Zusammenarbeit zwischen Bund und Ländern.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Ich sehe den Wert dieser Debatte, Herr Kollege Lohmar, nicht darin, daß heute ein schon sehr reichhaltiges Arsenal noch ergänzt worden ist. Ich sage dieses etwas bissige Wort vorher, weil ich versöhnlicher schließen will. Ich erinnere mich, in diesem Hause mit eigenen Ohren so einige Reden gehört zu I haben, die in Richtung wirtschaftlicher Katastrophenstimmung lagen. Das war in den Zeiten, wo Sie (zur SPD) beantragt haben, das Amtsgehalt des damaligen Wirtschaftsministers zu streichen.

(Heiterkeit und Zustimmung bei der CDU/CSU.)

Das war die wirtschaftliche Katastrophenstimmung, die hier angeklungen ist. Hand in Hand damit ging die Theorie der sozialen Verelendung. Und dann leuchtete im Hintergrund die außenpolitische Notstandstimmung auf, und wenig danach kamen auch so düstere Prognosen militärischer Untergangsvisionen.
Nun, heute haben wir einen Kulturpessimismus erlebt, der in dieser Form angesichts des Erreichten nicht berechtigt ist.

(Beifall bei der CDU/CSU. — Zuruf von der CDU/CSU: Die neue Masche!)

Ich glaube auch nicht, daß die Opposition wirklich um jeden Preis in Pessimimus machen muß. Denn Sie rüsten sich doch —

(Abg. Lohmar: Wenn Sie die Opposition mal richtig verstehen lernten, Herr Strauß!)

— Sie haben schon erhebliche Fortschritte erzielt, Herr Kollege Lohmar. Aber Sie rüsten sich ja darauf, für nächstes Jahr — nach Ihren Vorstellungen —die Regierungsgewalt zu übernehmen. Sie werden dann froh sein, in Ihren Prognosen und Versprechungen nicht allzu weit gegangen zu sein, so daß wir Sie in einer umgekehrten Rolle daran erinnern
würden. Die Gefahr ist nicht sehr groß; aber trotzdem sollte man daran denken.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Wenn ich von einem neuen Anlauf spreche, dann meine ich damit — und ich sage es nicht im Namen der Fraktion, weil ich es noch nicht mit ihr abstimmen konnte —, daß einmal der Herr Bundeskanzler und nach ausreichender und umfassender Vorbereitung die Ministerpräsidenten der Länder, ihre Mitarbeiter, die Kultusminister, und manchmal die Oberkultusminister in Gestalt der Finanzminister — Sie kennen ja das System — sowie die Vertreter der dafür zuständigen Organisationen zu einer Konferenz über die Probleme der wissenschaftlichen Forschung, der technischen Entwicklung und der all. gemeinen Bildungsaufgaben zusammenrufen sollten, um Klarheit auf dem Gebiet der vorher genannten vier Punkte zu schaffen. Ich glaube, daß damit manches an Utopien beseitigt, manches an Wünschenswertem erreicht werden kann. Und wenn diese Diskussion heute in diesem Hause dazu einen Anstoß gegeben hat, auch wenn die Zuständigkeiten nicht geändert werden, wenn aber ein neuer Anlauf erzielt wird, dann waren die Stunden es wert, die wir hier mit diesem Gegenstand verbracht haben.

(Zuruf von der SPD: Hoffentlich!)

Ich glaube weiter, daß eine langfristige Finanzplanung des Bundes gemeinsam mit den Ländern notwendig ist, eine Finanzplanung nicht nur auf kulturpolitischem Gebiet, eine Finanzplanung unter Einbeziehung all der heute genannten Schwerpunkte und damit auch eine Aufstellung klarer Prioritäten. Ich sage es jetzt nicht als Vorwurf gegen irgend jemanden, aber allgemein, damit endlich mit dem demagogischen Spiel der isolierten Behandlung einzelner Probleme nicht mehr fortgefahren werden kann.

(Beifall in der Mitte.)

Denn bei dieser langfristigen Finanzplanung wird sich etwas sehr Bedauerliches ergeben: daß nämlich die gesetzlichen Verpflichtungen und die unabweisbaren sonstigen Engagements des Bundes mindestens 90 % der verfügbaren Haushaltsmittel beanspruchen.

(Zuruf von der SPD: Das ist bei den Ländern nicht anders!)

Und es wird sich etwas Weiteres ergeben: daß dieses Haus durch seine Gesetzgebung und Beschlüsse Gefahr läuft, die 10 % disponibler Verfügungsreserven des Bundes noch weiter einzuschränken und damit jede gestaltende Politik auch auf diesem Gebiet unmöglich zu machen.
Ferner trete ich dafür ein, klare Zuständigkeiten auf der Bundesebene zu schaffen. Es ist schon ein gewisser Fortschritt erzielt worden, aber ich glaube, daß die Zuständigkeiten und Mitzuständigkeiten mit Abzeichnen, Gegenzeichnen usw. noch etwas vereinfacht werden können.

(Vorsitz: Vizepräsident Dr. Dehler.)

Außerdem meine ich, daß Bund und Länder sich darüber einig werden sollten, die in Forschung und



Strauß
Lehre tätigen Persönlichkeiten von Verwaltungsarbeit und Abrechnungsprozeduren zu befreien,

(Beifall bei den Regierungsparteien)

die durch die Vielfalt der Finanzierungsquellen noch erschwert werden. Was geht an Ausbildungsintensität und an wissenschaftlicher Forschungskapazität dadurch unter, daß die aus vielfältigen Töpfen stammenden Finanzmittel in genauester Weise von den Wissenschaftlern selbst abgerechnet werden müssen! Ich wende mich nicht gegen die Genauigkeit der Abrechnung, aber ich plädiere für eine Entlastung dieses hochqualifizierten Fachpersonals, dessen Zeit zu schade ist, um mit diesen Aufgaben erschöpft zu werden.

(Beifall auf allen Seiten des Hauses.)

Letztens, meine Damen und Herren, glaube ich, daß Bundesregierung und Länderregierungen und alle dafür noch verantwortlichen Stellen, Organe und Personen auf breitester Ebene einmal .die Bevölkerung aufklären sollten über den Zusammenhang zwischen Konsumverzicht von heute und Daseinsvorsorge für morgen. Wer heute alles will und alles verspricht, der muß sich zwangsläufig an den Lebensgrundlagen der nächsten Generation versündigen.

(Beifall in der Mitte.)

Hier ist der politischen Propaganda, hier ist der Auseinandersetzung zwischen den Parteien oder zwischen Stellen verschiedener Kompetenz eine Grenze gesetzt. Wir müssen endlich einmal nicht nur den Mut haben, es auszusprechen, sondern uns auch in der politischen Praxis dazu bekennen, daß der Konsumverzicht von heute das notwendige Opfer für die Erreichung der Ziele von morgen ist.

(Lebhafter Beifall bei der CDU/CSU.)


Dr. Thomas Dehler (FDP):
Rede ID: ID0411830300
Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. Schäfer.

Dr. Friedrich Schäfer (SPD):
Rede ID: ID0411830400
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte nur auf einige Bemerkungen meines Herrn Vorredners, die mir sehr wesentlich erscheinen, eingehen. Zunächst darf ich in Erinnerung rufen, daß mein Fraktionskollege Dr. Lohmar zu der Regierungsdarstellung sagen mußte, daß es eine bescheidene Bilanz war und daß es eine Bilanz war, in der von Wünschen, ohne sie zu konkretisieren, viel die Rede war und bei der man doch zweifellos im ganzen Hause den Eindruck bekam, daß die Bundesregierung nicht mit dem notwendigen Elan und mit dem notwendigen politischen Verantwortungsbewußtsein diese Gesamtaufgabe in Angriff nimmt. Seit der Regierungserklärung vom Oktober 1963 sollte in diesem Hause auch kein Zweifel mehr darüber bestehen, daß die Inangriffnahme von Gemeinschaftsaufgaben vordringlich ist. Wir haben uns damals gefreut, wir haben es das erste Mal in einer Regierungserklärung gehört; wir streiten uns nicht über das Urheberrecht. Herr Minister Lenz hat auch heute einige Male in seiner Erklärung sagen müssen: Das erste Mal haben wir uns doch in der Regierungserklärung dazu bekannt, und wir haben doch schon Ansätze dazu gemacht, aber der Haushalt 1964 sei fertig gewesen.
Herr Strauß hat nun eine ganze Anzahl von Gemeinschaftsaufgaben aufgezählt, und er stellt mit Recht die Frage: Wie soll das alles zur gleichen Zeit geschehen? Die Frage ist sehr begründet, und der Politiker muß sich ernsthaft überlegen, in welcher Rangordnung hier das Richtige zu geschehen hat und wie es finanziell ermöglicht werden kann. Dazu darf ich einiges sagen.
Erstens. Wir haben in der Bundesrepublik die Dreistufigkeit der Verwaltung: Gemeinden, Länder und Bund. Alle Aufgaben, ob sie den Gemeinden, den Ländern oder dem Bund obliegen, sind gleichwertig. Wenn einer der Aufgabenträger nicht funktionsfähig ist, ist das Ganze nicht funktionsfähig. Also muß man dafür Sorge tragen, daß jeder dieser Träger von Aufgaben auch finanziell in der Lage ist — aus eigenem Finanzaufkommen oder durch Beteiligung am Finanzaufkommen —, seine Aufgaben in Eigenverantwortung wahrzunehmen. Wir legen Wert auf die Eigenverantwortung, weil es uns für das demokratische Bewußtsein in den Ländern und insbesondere in den Gemeinden darauf ankommt. Wir Sozialdemokraten haben jahrelang darauf gedrungen, daß diese ungeheuer schwierige Aufgabe in Angriff genommen wird. Im Januar waren es jetzt zwei Jahre her, daß mein Fraktionskollege Dr. Möller hier den Antrag begründet hat, eine Finanzexpertenkommission einzusetzen. Es hat ganz genau zwei Jahre gedauert, bis man überhaupt die betreffenden Herren beauftragt hat. Ein Ergebnis ist noch nicht zu sehen.
Herr Strauß, auch Sie sprachen von den Finanzen. Dazu muß ich Ihnen etwas sagen. Aus den Reihen Ihrer Parteifreunde ist in der vorletzten Woche hier im Plenum ein Antrag vorgelegt worden, der vom Bund 17 bis 18 Milliarden DM Leistungen für sogenannte Reparationsschäden verlangt, für Leute, die durch Steuervergünstigungen für den Wiederaufbau ihrer Industrie längst Millionen und aber Millionen bekommen haben.

(Beifall bei der SPD. — Abg. Dr. Dittrich: Damit ist er ja noch nicht angenommen!)

— Leute aus Ihren Reihen wehren sich dagegen, diese Kreise genauso zu behandeln wie die Flüchtlinge, die Hab und Gut stehenlassen mußten, und sie wollen denjenigen, die viel haben, noch einmal 17 bis 18 Milliarden geben.

(Zuruf von der CDU/CSU: Das war eine Minderheit!)

— Ich darf mich auf Herrn Windelen beziehen, und ich hoffe, Herr Kollege, daß Ihre Mehrheit sich mit uns zusammen durchsetzt, um solche Bemühungen zu verhindern.

(Zuruf von der CDU/CSU: Die Fraktion hat nicht mitgemacht!)

— Ich erkenne das dankbar an.
Aber die Bundesregierung kündigt Steuerermäßigungen an, Herr Strauß, Steuerermäßigungen für das Wahljahr 1965 in Höhe von 3,1 Milliarden DM.

(Abg. Dr. Dittrich: Kommen Sie doch zur Sache!)




Dr. Schäfer
— Wenn Sie den Zusammenhang nicht verstehen, Herr Drittrich, kann ich Ihnen nicht helfen.

(Abg. Metzger: Herr Dr. Dittrich, warum haben Sie das nicht Herrn Strauß zugerufen!?)

— Herr Kollege Metzger, wenn Herr Dittrich nicht versteht, daß man politische Aufgaben finanzieren muß und daß man darüber sprechen muß, will ich darüber reden; aber es dauert dann länger.
Die Sozialdemokratie hat konkrete Pläne über die notwendige Änderung des Einkommensteuertarifs vorgelegt. Wir hatten den Mut, nicht nur Verbesserungen, sondern bei den großen Einkommen über 100 000 DM auch die entsprechende Belastung vorzuschlagen, so daß die Gesamtmindereinnahme höchstens .1,1 Milliarden DM ausmachen würde. Die Bundesregierung schlägt vor — der Einkommensteuertarifentwurf liegt bereits vor —: 3,1 Milliarden DM Einnahmenminderung.
Jetzt kommt eine ganz grundsätzliche Frage. Herr Strauß, Sie haben recht mit Ihrer letzten Bemerkung, daß man mit heutigem Konsumverzicht die Aufgabe finanzieren muß, die sich erst morgen oder übermorgen auswirkt. Hier kommt es nun darauf an, die richtige Rangordnung zu erkennen. Es gibt Aufgaben, die man heute, die man morgen und die man übermorgen erfüllen kann. Es gibt aber Aufgaben, die, wenn man sie heute nicht wahrnimmt, versäumt sind; ihre Erfüllung ist nicht nachholbar. Das Bildungswesen ist genau und entscheidend dieses Gebiet. Wenn man heute nicht das Bestmögliche aus unserem einzigen großen Kapital herausholt, dann ist man seiner politischen Verantwortung für die nächste Generation nicht gerecht geworden.

(Beifall bei der SPD.)

Bei der zweiten Aufgabe, beim Verkehr, ist es genauso. Wenn wir heute nicht die notwendigen Mittel investieren, damit wir in fünf Jahren — vom Wirtschaftlichen her gesehen — einen vernünftigen Verkehr haben, dann schädigen wir die Wirtschaft enorm, weil sie sich dann in fünf Jahren mit den Problemen herumschlagen muß.
Nun kommt die entscheidende Frage, und da darf ich in die Erinnerung rufen, daß meine Freunde seit Jahren entsprechende Vorschläge machen Man kann nicht erwarten, daß wir heute für die von morgen und übermorgen alles bezahlen und vorfinanzieren.

(Sehr richtig! bei der SPD.)

Das geht nämlich über das Mögliche hinaus. Es würde die Gefahr des Währengsverfahs heraufbeschwören. Deshalb haben wir seit Jahren gesagt: die nächste Generation soll ihr Teil zu der Finanzierung der Aufgaben beitragen, die wir jetzt vorrangig für sie wahrnehmen, und dazu gibt es das Mittel des außerordentlichen Haushalts.

(Sehr richtig! bei der SPD.)

Durch das einfache Mittel des außerordentlichen Haushalts trägt die nächste Generation einen Teil der heute notwendigen Investition m, die sich später vielfach auszahlen, mit. — Bitte schön.

Dr. Thomas Dehler (FDP):
Rede ID: ID0411830500
Herr Abgeordneter Strauß, eine Zwischenfrage.

Dr. Franz Josef Strauß (CSU):
Rede ID: ID0411830600
Herr Kollege Schäfer, ist Ihnen die Tatsache bekannt, daß seit Beginn des Jahres 1964 Neuemissionen von festverzinslichen Wertpapieren in Höhe von 2,6 Milliarden DM erfolgt sind, von denen die Wirtschaft nur 260 Millionen DM in Anspruch genommen hat, während die überwiegende Mehrheit, an die 90 %, von der öffentlichen Hand in Anspruch genommen worden sind, und glauben Sie, daß man diesen Prozentsatz noch weiter zugunsten der öffentlichen Hand verschieben kann?

Dr. Friedrich Schäfer (SPD):
Rede ID: ID0411830700
Herr Strauß, ich beantworte Ihre Frage sehr gern, indem ich Sie daran erinnere, daß in den Haushalten von 1952 bis 1962 der außerordentliche Haushalt zwar ausgewiesen war, aber nie in Anspruch genommen wurde, man also seit über 10 Jahren falsch gehandelt hat, und daß man auf der anderen Seite die Gemeinden als die kleinsten und schwächsten mit über 15 Milliarden DM an den Kapitalmarkt herangeführt hat.

(Sehr richtig! bei der SPD.)

Heute verschiebt es sich etwas. Wir wollen nicht über das richten, was hinter uns liegt; das hat nicht viel Wert. Man muß es analysieren, um es für die Zukunft richtig zu machen.
Wir hätten hier seit längerer Zeit etwas tun sollen. Sie werden verstehen, wenn ich sage, daß seit dem Parteitag der SPD von 1956 in München niemand mehr übersehen und überhören konnte, der sehen und hören wollte, was für ein Problem auf uns zukommt. Seither hätte man den außerordentlichen Haushalt mindestens für die vermögenswirksamen Maßnahmen — das sind jedes Jahr rund 2 bis 3 Milliarden DM — benutzen sollen. Dadurch hätte man eine Lastenverteilung auf eine Generation bekommen, und man könnte heute die richtigen Investitionen vornehmen. Ich muß feststellen, daß meine Freunde seit Jahren das immer vorgetragen haben. Eine falsche Haushaltspolitik nach Althausväterart hat das nicht gesehen. Lesen Sie nach, was z. B. schon 1950 im amerikanischen Senat darüber gesagt wurde, wie man auch beim Staat wirtschaften muß; man muß auch hier wie ein Privater das Geld richtig investieren, um etwas Richtiges herauszubekommen.
Da habe ich natürlich einige Sorge, wenn man, wie ich vor wenigen Tagen las, von höchster Stelle die öffentliche Investitionstätigkeit kritisiert und wenn, wie ich in der Zeitung las, der Herr Bundeskanzler der Meinung ist, die öffentliche Hand sollte weniger investieren. Die öffentliche Hand, meine Damen und Herren, ist nicht frei hinsichtlich des Maßes, in dem sie investiert. Diejenigen, die sagen, die öffentliche Hand könne nur in einer Konjunkturminderphase ergänzend eintreten; übersehen völlig, daß die Aufgabe für die nächste Generation sich nicht verschieben läßt.
Um d a s handelt es sich für uns nicht nur in der Bildungspolitik, sondern bei allen Fragen, die wir



Dr. Schäfer
als Gemeinschaftsfragen bezeichnen und bei denen wir der Auffassung sind, daß man sich spätestens heute auch bei der Mehrheit dieses Hauses darauf' besinnen sollte, daß man die notwendigen finanziellen Voraussetzungen dafür schaffen muß. Man sollte die Verhandlungen mit den Ländern beschleunigen. Man sollte sich auch dessen bewußt sein, daß sich der Bund nicht auf reine Kompetenzfragen zurückziehen kann. Denn dieses Haus ist nicht nur die gesetzgebende Körperschaft, es ist auch die Körperschaft, die über gesamtpolitische Anliegen der ganzen Nation zu beraten und die Richtung anzugeben hat,

(Beifall bei der SPD)

und zwar so deutlich und unüberhörbar die Richtung anzugeben hat, daß sich die Länderpolitik im Interesse der Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse in der ganzen Bundesrepublik darin einfügen muß.
In diesem Sinne ist unsere Anfrage gemeint.
Ihre Ausführungen, Herr Strauß — ich darf Sie noch einmal ansprechen —, haben im ganzen gezeigt, daß Sie die Aufgaben sehr wohl verstehen, so wie wir sie sehen. Wir hoffen, daß das mit ein Anlaß ist, uns in aller Kürze über die Fraktionsgrenzen hinweg — wir sind der Meinung, daß es nicht ein Parteienstreit, wohl aber vielleicht ein Wettbewerb sein soll — zusammenzusetzen, um die notwendigen finanziellen Voraussetzungen zu schaffen, damit die Aufgaben in der notwendigen richtigen Rangordnung in Angriff genommen werden können.

(Beifall bei der SPD.)


Dr. Thomas Dehler (FDP):
Rede ID: ID0411830800
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Stoltenberg.

Dr. Gerhard Stoltenberg (CDU):
Rede ID: ID0411830900
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist von den Sprechern der SPD, vor allem von Herrn Kollegen Lohmar, sehr harte Kritik an der Regierung, auch an den heutigen Erklärungen des Bundeswissenschaftsministers, geübt worden. Ich glaube, man muß diese Kritik zurückgeben, so wichtig und bemerkenswert manche Beiträge der Opposition heute waren, neben anfechtbaren Äußerungen.
Ich glaube, es sind in dieser jetzt über vierstündigen Debatte von seiten der Anfragesteller, der Initiatoren, der Kritiker selbst drei entscheidende Fragen nicht beantwortet worden.
Die eine Aufgabe, die uns hier gestellt ist und zu der wir bisher keine klare Antwort von Ihnen gehört haben, ist die des Versuchs einer Abgrenzung der Aufgaben von Bund und Ländern in einer vernünftigen und sachgerechten Interpretation unserer Verfassung.
Die zweite Aufgabe scheint mir eine genaue Analyse der wesentlichen finanziellen Leistungen, die der Bund heute vollbringt, und der voraussichtlichen Entwicklung dieser Leistungen in den nächsten Jahren im Rahmen des Gesamtetats zu sein.
Die dritte, entscheidende Frage — Herr Kollege Strauß hat sie hier schon sehr deutlich angesprochen — ist die einer verbindlichen Aussage, wo denn die Prioritäten im Haushalt des Bundes liegen, welchen Anteil die Ausgaben für Wissenschaft und Forschung in diesem Etat in Zukunft haben sollen und welche Forderungen demgegenüber zurückzustehen haben.

(Zustimmung bei der CDU/CSU.)

Ich muß sagen, Herr Kollege Schäfer, daß auch Ihr Versuch einer Replik zu diesem Punkt in keiner Weise eine für uns befriedigende Stellungnahme erbracht hat.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Die völlig unzulängliche Behandlung dieser wesentlichen Fragen, dieser Kernfragen auch im Hinblick auf die konkreten Entscheidungen, die dieses Haus zu treffen hat, durch die Initiatoren empfinden wir als Enttäuschung, und sie ist doch, so positiv diese Debatte sicher von allen Seiten her gesehen in vielen Momenten war, bezeichnend für den etwas unwirklichen Charakter mancher Kulturdebatten dieses Hauses und vielleicht auch bezeichnend für manche Kritik, die wir in der Vergangenheit in diesem Zusammenhang erfahren haben.
Ich möchte nun zu dieser sehr späten Stunde diese drei zentralen Fragen nur noch mit einigen Bemerkungen erörtern. Der schwerwiegendste Einwand gegen die SPD ist in der Tat der, den der Kollege Strauß hier formuliert hat: Ihre Forderungen nach einer starken Vermehrung, nach einer Vervielfachung der Leistungen des Bundes für Wissenschaft und Forschung entbehren jeder konkreten finanz- und haushaltspolitischen Fundierung. — Bitte sehr, Herr Kollege Frede.

Dr. Günter Frede (SPD):
Rede ID: ID0411831000
Herr Stoltenberg, können Sie freundlicherweise sagen, wenn wir heute diese Forderung nach einer mehrfachen Leistung gestellt haben?

Dr. Gerhard Stoltenberg (CDU):
Rede ID: ID0411831100
Ich kann die Ausführungen von Herrn Kollegen Lohmar über eine Bildungskatastrophe und das Versagen der Bundesregierung mit den sehr globalen Folgerungen, die er daraus gezogen hat, gar nicht anders verstehen.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Er hat es nicht konkretisiert. Das bedauere ich sehr. Aber ich würde mich freuen, wenn Sie, Herr Frede — ich entnehme das Ihrer Frage — die Absicht hätten, in diesem Punkt das Hohe Haus noch genauer zu unterrichten.
Worum geht es denn? Wir haben einen Bundeshaushalt von 60,3 Milliarden. Wir haben — das ist ganz unbestreitbar — einen Leistungsstand des Bundes, .der ,Länder und der Gemeinden auf den verschiedensten Gebieten, den man vor fünf oder zehn Jahren noch für undenkbar gehalten hat. Als Kontrast dazu erleben wir, von Ihnen stark bestimmt, die eigentümliche Diskussion in der deutschen Öffentlichkeit, daß man überall vom Versagen des Staates redet. Es sind doch drei große Säulen, aus denen sich dieser Haushalt im wesentlichen zusammensetzt: die sozialen Leistungen — ihr Umfang ist



Dr. Stoltenberg
immer etwas umstritten; ich nehme die Zahlen des Bundesfinanzministers — mit etwa 18 Milliarden, unmittelbar und auch mittelbar, zweitens die Aufgaben der äußeren Sicherung, für die Verteidigung, für Berlin und den Notstand mit etwa 22 Milliarden und drittens jener große Sektor, um den es hier in erster Linie geht, der Bereich ,der sogenannten produktiven Investitionen für Wirtschaft, Verkehr, Wissenschaft, Gesundheitswesen und Wohnungsbau mit etwa 15 Milliarden.
Da ist nun die Frage, meine Damen und Herren, die wir zu stellen haben: Wo setzen Sie die Prioritäten konkret und wo weisen Sie Forderungen zurück, oder wo sind Sie zu empfindlichen Einschränkungen bereit? Heute nachmittag sprechen wir über Wissenschaft und Forschung. Heute morgen haben wir über das Kindergeld gesprochen und Anträge aus Ihren Reihen in der Größenordnung von über 600 Millionen behandelt. Wir setzen uns mit den verschiedenen Gesetzen auseinander, die Sie eingebracht haben. Das Sie, Herr Kollege Schäfer, nun zu der ganzen Serie der milliardenwirksamen Gesetze auf sozialem und wirtschaftlichem Gebiet, die hier vorliegen, von uns nichtsweiter vorweisen konnten als diesen von unseren Fraktionen nicht gebilligten Initiativantrag einer Gruppe von Abgeordneten zu den Reparationsschäden, ist kein sehr überzeugendes Gegenargument; das ist doch eine verhältnismäßig schmale Basis für Ihre Replik. Herr Kollege Erler vertritt hier im Hause eine wehrpolitische Konzeption, die nach der Auffassung aller Fachleute teurer ist als die der Bundesregierung. Und wir hören von Ihnen die bekannten Reden — Herrn Bazille, Herrn Schellenberg — bei den einschlägigen Titeln vom totalen sozialen Versagen der Bundesregierung. Herr Schmitt-Vockenhausen setzt sich hier in Interviews für eine Notstandsgesetzgebung ein, die über 2,5 Milliarden an zusätzlicher Belastung für den Bundeshaushalt bringen würde, und Herr Brandt redet von ,den vernachlässigten Gemeinschaftsaufgaben. Dann, meine Damen und Herren, haben wir uns mit Steuersenkungswünschen von Ihrer Seite auseinanderzusetzen, 'die ja nicht nur, Herr Kollege Schäfer, die 1,1 Milliarde beinhalten, von der Sie gesprochen haben. Sie haben ja auch den Wegfall der Kaffeesteuer, der Teesteuer und eine Reihe weiterer populärer Maßnahmen verlangt, deren Ertrag ebenfalls in die Milliarden geht. Das steht dann im Gegensatz zu der polemischen Bemerkung des Herrn Kollegen Lohmar, der uns vorwirft, daß wir den armen Staat und die reiche Gesellschaft wollten. Ja, was das mit einer geschlossenen politischen Konzeption in entscheidenden Fragen der Innenpolitik zu tun hat, ist mir unerfindlich.

(Zuruf von der CDU/CSU: Ausgezeichnet! — Beifall bei der CDU/CSU.)

Herr Kollege Schäfer, ich muß Ihnen schon sagen — ich gebe zu, es ist immer schwierig, improvisiert zu sprechen; Sie haben eben in einer sehr netten Form eine improvisierte Replik in diesem Punkt zu geben versucht —, daß das, was Sie hier gesagt haben, nicht überzeugend ist.

(Zurufe von der SPD.)

— Ich setze mich kritisch mit diesen Bemerkungen
auseinander; das müssen Sie mir schon gestatten.

(Zuruf von der SPD: Natürlich!)

Ich glaube, Herr Kollege Lohmar hat die Ausführungen der Regierung hier in wesentlich schärferer Form zensiert. Gestatten Sie mir daher, das auch in bezug auf Sie einmal zu tun.
Herr Kollege Schäfer hat hier als Ausweg für die Vergangenheit und die Zukunft empfohlen, die Mittel des außerordentlichen Haushalts wesentlich stärker für produktive Investitionen auch im Bildungswesen in Anspruch zu nehmen.

(Zuruf von der SPD.)

— Vielleicht im Generellen.

(Abg. Dr. Schäfer: Ich habe gesagt: die Mittel werden frei werden!)

— Gut, im Rahmen des Bundeshaushalts in Anspruch zu nehmen. Das ist eine Frage, über die wir uns ja schon häufiger unterhalten haben. Aber ich muß Sie doch auch hier auf eine grundlegend entgegengesetzte Äußerung aus Ihren Reihen hinweisen. Seitdem Herr Alex Möller und Herr Schoettle als die finanzpolitischen Sprecher Ihrer Fraktion im Gegensatz zu den früheren Vorstellungen vom Bedarfsdeckungshaushalt den vom Bundeskanzler Erhard verkündigten Grundsatz der Begrenzung des Etats und der Währung unter volkswirtschaftlichen Gesichtspunkten auf 60,3 Milliarden anerkannt haben, können sie natürlich, wenn sie diesen Grundsatz anerkennen, auch über den außerordentlichen Haushalt keine weiteren Mittel mehr mobilisieren.

(Beifall bei der CDU/CSU.)


Dr. Thomas Dehler (FDP):
Rede ID: ID0411831200
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn. Abgeordneten Schäfer?

Dr. Friedrich Schäfer (SPD):
Rede ID: ID0411831300
Herr Stoltenberg, sind Sie der Auffassung, daß die Nichtinanspruchnahme des außerordentlichen Haushalts in den letzten 12 Jahren finanzpolitisch richtig war?

Dr. Gerhard Stoltenberg (CDU):
Rede ID: ID0411831400
Ja, Herr Kollege Schäfer, ich muß nun doch sagen: Sie lenken auf ein etwas anderes Geleise ab. Ich wollte mit Ihnen eigentlich nicht über die Vergangenheit, sondern über die Aufgaben sprechen, die wir zu meistern haben.

(Zurufe und Lachen bei der SPD.)

Ich weise darauf hin, daß diese Wendung doch völlig neuen Datums ist. Im vergangenen Jahr haben Sie von einem Bedarfsdeckungshaushalt gesprochen, der eben ausgeweitet werden müsse. In diesem Jahr haben Sie zum erstenmal — ich begrüße das als eine positive Wirkung der Regierungserklärung des Bundeskanzlers — den Grundsatz der Begrenzung des Etats unter volkswirtschaftlichen Gesichtspunkten anerkannt. Ich weise einfach darauf hin, daß man dann rein logisch nicht mehr sagen kann, man könne zusätzliche Mittel durch eine Ausweitung des außerordentlichen Haushalts schöpfen.




Dr. Thomas Dehler (FDP):
Rede ID: ID0411831500
Gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Abgeordneten Schäfer?

Dr. Friedrich Schäfer (SPD):
Rede ID: ID0411831600
Herr Kollege Stoltenberg, wollen Sie ernsthaft bestreiten, daß durch die ordnungsgemäße — ich betone: ordnungsgemäße — Inanspruchnahme des außerordentlichen Haushalts nicht jedes Jahr insgesamt anderthalb bis zwei Milliarden für zusätzliche Investitionen auf dem Gebiet des Bildungswesens, Verkehrswesens, Gesundheitswesens frei gewesen wären?

Dr. Gerhard Stoltenberg (CDU):
Rede ID: ID0411831700
Herr Kollege Schäfer, für die Vergangenheit ist es mir zweifelhaft; das ist eine sehr schwierige Frage.

(Zurufe von der SPD.)

Nachdem Sie aber mit den grundlegenden Erklärungen Ihrer Fraktionssprecher diesen Weg beschritten haben, ist das für heute und für die Zukunft sicher nicht gangbar.

(Erneute Zurufe von der SPD.)

Ich stimme Herrn Lohmar zu, daß wir uns über die Zukunft zu unterhalten haben.

(Zurufe von der SPD.)

Meine Damen und Herren, ich möchte nun doch etwas zu dem zweiten Punkt sagen, um den es hier geht. Wir sind uns darin einig — das ist auch von Herrn Lohmar gesagt worden —: mit allgemeinen Deklamationen ist es nicht getan. Wir sind auch nicht eine Akademie der freien Künste, die hier abstrakt über Fragen des Geistes und der Kultur sprechen sollte, sondern wir müssen uns jetzt sehr im Detail über Finanzfragen, über Zuständigkeitsfragen unterhalten. Auch da sehe ich eine völlig entgegengesetzte Beurteilung, Herr Lohmar, in dem, was Sie hier sagen, und dem, was Ihre verantwortlichen Minister in den Ländern sagen. Sie haben etwa so gesagt — ich habe es nicht ganz wörtlich, aber sinngemäß mitgeschrieben —: In der Lösung der großen kultur- und wissenschaftspolitischen Aufgaben sind wir praktisch kaum einen Schritt weitergekommen.
Ich habe hier einen Aufsatz des heute bereits zitierten hessischen Kultusministers Professor Schütte. In diesem Fall ist es vorteilhaft, daß ich seine Ausführungen schwarz auf weiß, aus seiner eigenen Feder habe; insofern sind wahrscheinlich Interpretationsschwierigkeiten nicht gegeben. Er sagt etwas völlig anderes. Er sagt — ich darf es vielleicht mit Genehmigung des Herrn Präsidenten zitieren —:
Man kann heute klagen, das alles sei schon voraussehbar gewesen. Vor Jahren hätten schon neue Hochschulen entstehen müssen. Aber konjunktivistische Spekulationen oder Schuldsprüche sind steril. Jedenfalls haben die betroffenen Hochschulen selbst nicht in diese Richtung gedrängt, sondern mehr gewarnt als angetrieben. Schon heute kann man konstatieren: die politischen Instanzen — Bund und Länder
— haben den Plan des Wissenschaftsrates Zug um Zug realisiert.
So, wie die Dinge liegen,
— so schreibt Herr Professor Schütte —
muß gesagt werden, daß sich die Hochschulen im Bereich ihrer Zuständigkeit nicht mit der gleichen Energie dem Anspruch des Wissenschaftsrates gestellt haben wie die politischen Organe.
Meine Damen und Herren, das ist doch eine wesentlich positivere Beurteilung eines Sozialdemokraten, der in der Regierungsverantwortung steht und der hier für Bund und Länder Leistungen in Anspruch nimmt, die wir bei aller Würdigung des noch nicht Erreichten mit Nachdruck herausstellen können.
Worum geht es nun konkret? Was tut der Bund, was kann er leisten? Wir haben hier eine sehr interessante Zusammenstellung der finanziellen Leistungen des Bundes in der Drucksache des Bundesfinanzministers Nr. 676 vom 2. Januar. Diese Zahl — die Bundesratsbank, die ja sehr gut besetzt war, hat sich etwas gelichtet — weicht ganz erheblich von ,den Zahlen ab; die Herr Professor Mikat hier für die Kultusminister als Leistung des Bundes vorgetragen hat. Das scheint mir auch dafür zu sprechen — Herr Lohmar, darin bin ich mit Ihnen einig —, daß man einmal anfangen sollte, die statistischen Unterlagen gegenseitig zu bereinigen. Wir kommen nämlich nach den Unterlagen des Bundesfinanzministers, die in jedem einzelnen Etattitel spezifiziert sind, nicht auf 1,2, 1,3 Milliarden, von denen wir hier hörten, wir kommen im Jahre 1964 bei den Leistungen des Bundes für Wissenschaft und Forschung auf einen Betrag von 2033 Millionen DM. Das ist bei den zivilen Ressorts ein Zuwachs von 160 Millionen DM gegenüber dem Vorjahr, während wir bei der Wehrforschung einen geringfügigen Rückgang auf 685 Millionen DM haben.

Dr. Günter Frede (SPD):
Rede ID: ID0411831800
Darf ich mir nur die Frage erlauben: Haben Sie die Wehrforschung mit einbezogen?

Dr. Gerhard Stoltenberg (CDU):
Rede ID: ID0411831900
Ja, sie ist mit einbezogen. Ich werde auch gleich sagen, warum.

Dr. Günter Frede (SPD):
Rede ID: ID0411832000
Dann sind wir uns auch einig, daß etwa 1,2 Milliarden DM außerhalb der Wehrforschung übrigbleiben?

Dr. Gerhard Stoltenberg (CDU):
Rede ID: ID0411832100
Es bleibt auch dann noch etwas mehr übrig, Herr Kollege Frede. Ich wollte gerade dazu Stellung nehmen. Ich halte es nicht für richtig, daß Sie und Herr Kollege Lohmar in dieser polemischen Form gegen den angeblich zu hohen Anteil der Wehrforschung Stellung nehmen.

(Abg. Dr. Lohmar: Gegen den zu niedrigen Anteil der allgemeinen Wissenschaftsförderung!)




Dr. Stoltenberg
— Sie haben das in dieser Relation gesagt, man konnte es so verstehen. — Man kann nämlich nur eines tun. Man kann nicht, wie Sie es gerne tun und auch die Selbstverwaltungsorgane der Wissenschaft kritisch und warnend tun, uns auf die gewaltigen Leistungen der anderen Länder, etwa der Vereinigten Staaten von Amerika, hinweisen, in diese statistischen Vergleiche die Wehrforschung, die dort 60 % der Bundesmittel ausmacht, mit einbeziehen und bei uns sagen: Es ist selbstverständlich illegitim, wenn ihr die Ansätze für die Wehrforschung, die bei uns im Bundeshaushalt etwa 33 % ausmachen, in diese Rechnung einbezieht.

(Beifall bei der CDU/CSU. — Abg. Dr. Schäfer: Gegen wen richten Sie sich denn damit?)

— Herr Kollege Schäfer, das ist eine allgemeine Feststellung gegen manche Fehldeutung, die es gibt, auch in Ihren Reihen. Man kann gerade nach dem amerikanischen Beispiel und bestimmten ersten Erfahrungen, die wir haben, überhaupt nicht bestreiten, daß von der Wehrforschung, deren große Bedeutung für die Landesverteidigung wir sicher alle anerkennen, auch für die allgemeine wissenschaftliche Entwicklung ganz gewaltige Impulse ausgehen, die man gar nicht hoch genug einschätzen kann. Daß wir ohne eine Wehrforschung über eine Weltraumforschung heute in der westlichen und östlichen Welt nicht reden würden, ich glaube, darüber sind wir uns in diesem Hause sicher einig. Wir sollten also mit einem Maßstab arbeiten; ich möchte dafür plädieren.
Neben dieser Wehrforschung, die ein Drittel ausmacht, gibt es noch drei weitere Schwerpunkte: die allgemeine Wissenschaftsförderung, das Atomforschungsprogramm und als dritte Säule jetzt auch die Weltraumforschung und dazu — Herr Minister Lenz hat darüber gesprochen — die außerordentlich wichtigen Institutionen der Bundesressorts, die oft in der öffentlichen Betrachtung übersehen werden, dazu Studienförderung, gesamtdeutsche Aufgaben der Hochschulen usw.
Im Vordergrund der Debatten — diesem Problem möchte ich doch noch einige Sätze widmen — steht die Frage des Ausbaues der wissenschaftlichen Hochschulen. Herr Kollege Lohmar, einer der Höhepunkte ihrer Kritik an der Bundesregierung und an uns bildete die bekannte Formel, die wir schon kennen, von der Mißachtung des Wissenschaftsrates, so in der Vorstellung, da werde immer gekürzt, ständig gekürzt, und die Leistungen würden immer geringer. Meine Damen und Herren, auch da wollen wir uns einmal den Zahlen zuwenden. Wie sieht es aus? Der Wissenschaftsrat hat im Jahre 1960 seine bekannten, bedeutenden Empfehlungen zum Ausbau der bestehenden 'Hochschulen verabschiedet, die einen Markstein in der Entwicklung darstellen. Man ging damals, wie Sie wissen, von 2,5 Milliarden DM von Bund und Ländern in fünf Jahren aus, d. h. von einer gemeinsamen Leistung von Bund und Ländern von jährlich 500 Millionen DM.
Ich habe mir jetzt in der Vorbereitung der Etatberatungen eine Zusammenstellung über die Etatansätze von Ländern und Bund für den Ausbau der wissenschaftlichen Hochschulen im Jahre 1964 geben lassen, und ich komme zu dem Ergebnis, daß wir statt der damals vorgesehenen 500 Millionen DM bei Ländern und Bund auf einen Betrag von 810 Millionen DM für den Ausbau der wissenschaftlichen Hochschulen im Jahre 1964 kommen. Wir haben also die damals genannten Zahlen, die Richtzahlen in Ländern und Bund, um mehr .als 60 % überschritten. Natürlich sind seitdem neue Notwendigkeiten, neue Aufgaben entstanden. Das Problem der neuen Universitäten werde ich gleich noch streifen. Man sollte aber bei dieser Entwicklung, die zu einer Vervierfachung der Zahlen von Ländern und Bund seit 1957 geführt hat, doch ein etwas anderes Bild geben, als Sie es hier vor der Öffentlichkeit des Bundestages immer wieder tun.
Ich möchte nur am Rande anmerken — und das zur Bundesregierung —, daß auch die Zahlen im Verwaltungsabkommen bereits überholt sind. Dort arbeitet man mit 500 Millionen DM, während wir 800 Millionen DM haben. Wir haben selbstverständlich heute eine Verschiebung des Anteils. Die Länder geben 70 %, wir geben 30 %. Aber das scheint mir unbedenklich zu sein, weil die Länder zunächst einmal Träger der wissenschaftlichen Hochschulen sind, diese Aufgabe auch verfassungsmäßig für sich in Anspruch nehmen, während der Bund eine ergänzenden wirkungsvolle Hilfe gibt, etwas differenziert nach schwachen und starken Ländern, eine Hilfe, die auch für die Zukunft ganz unentbehrlich sein wird, wenn wir diese Aufgabe meistern wollen.
Nun einige Sätze zum Thema der neuen Hochschulen. Wir wissen, daß die Diskussionen der Landtage, der wissenschaftlichen Gremien und der Kabinette um fünf neue Hochschulen kreisen. Dazu kommt das Problem der medizinischen Akademien. Wie hoch der Gesamtbetrag sein wird, vermag ich nicht zu übersehen. Ich weiß, daß es Schätzungen darüber gibt, ob es 5, 6 oder 7 Milliarden DM sind. Keiner weiß es genau. Natürlich ist dies auch eine ganz schwierige Frage von hohem politischen, verfassungsrechtlichen und finanziellen Rang, ob und in welchem Umfang sich der Bund an dieser Aufgabe beteiligt. Wir sind der Auffassung, daß die Bundesregierung diese Frage schnell prüfen muß und daß sie diesem Hohen Hause bald Vorschläge machen muß. Sicher ist das eine Aufgabe, die auch in die Arbeit der Vierer-Kommission — von der schon gesprochen wurde — für die Frage der Kompetenz zwischen Bund und Ländern hineingehört. Wir meinen dabei aber auch, daß an bestimmten Punkten eine sehr schnelle Hilfe des Bundes wahrscheinlich notwendig ist, nämlich da, wo der Gründungsbeschluß und seine Verwirklichung in finanzschwachen Ländern von der direkten Mitwirkung des Bundes abhängig ist. Das gilt ganz sicher — darüber sind wir uns, glaube ich, unter den Fraktionen einig — für das Thema der Universität Bremen; dies gilt wahrscheinlich auch für die Universität Regensburg. Die anderen Hochschulgründungen liegen in finanzstarken Ländern. Die Frage der medizinischen Akademien ist gesondert zu betrachten. Hier müssen wir schnell zu einem Ergebnis kommen. Ich darf für meine Fraktion sagen, daß wir bereit sind, vor



Dr. Stoltenberg
der Regelung der allgemeinen Fragen diese Dinge in Angriff zu nehmen.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Zur Atomforschung möchte ich nicht sehr viel sagen. Hier arbeiten wir auf einem festen verfassungsrechtlichen Fundament, auf einem besonders festen und guten Fundament. Außerdem ist die planende Arbeit für die Atomforschung in den Fachreferaten des Wissenschaftsministeriums ebenso wie in der Deutschen Atomkommission doch ein Zeichen dafür, daß auf dem Gebiet einer vernünftigen, sinnvollen, konkreten Planung heute bereits wesentlich mehr geschieht, als manche Leute anerkennen, die nun den Begriff „Bildungsplanung", den auch ich philologisch nicht sehr schön finde, gleichsam als eine neue Erfindung kreieren. In den Fachabteilungen der Bundesregierung wird in Verbindung mit den wissenschaftlichen Kommissionen bereits wesentlich mehr auf diesem Gebiet geleistet, als in der öffentlichen Diskussion oft anerkannt wird.
Nun etwas zur allgemeinen Verfassungsproblematik zwischen Bund und Ländern. Nötig ist, glaube ich, eine vernünftige, sachgerechte Interpretation von beiden Seiten, die von konstruktiven politischen Vorstellungen an die Aufgabe einer verfassungsgerechten Wissenschaftspolitik herangeht und nicht von einem formaljuristischen, prozessualen Denken. Ich glaube, das ist die Aufgabe, die wir zu bewältigen haben und worüber wir uns in diesem Hause sicher einig sind, weil wir es nicht erleben sollten, daß bestimmte wesentliche Entscheidungen letzten Endes von den Unwägbarkeiten — ich sage das bei allem Respekt vor dem Bundesverfassungsgericht — des richterlichen Ermessensdenkens in Karlsruhe abhängig werden. Die Erfahrungen, die wir mit dem Fernsehurteil auch in seinen Auswirkungen für die Wissenschaftspolitik gemacht haben, sollten alle Beteiligten, Bund und Länder, davor warnen, diesen Weg zu gehen.
Nun möchte ich doch sehr deutlich etwas zu dem Thema sagen, das hier von Herrn Minister Professor Mikat kurz angesprochen wurde, nämlich zur Frage eines Lastenausgleichs 'zwischen den Ländern, insbesondere zum Ausbau der Hochschulen. So etwas kann gut und nützlich sein. Aber wir bitten die Länder sehr darum, bei den jetzt anstehenden entscheidenden Beratungen doch die Art. 106 und 107 des Grundgestezes sorgfältig zu würdigen, in denen u. a. festgelegt ist, daß der Länderfinanzausgleich durch ein Bundesgesetz erfolgt und nicht durch einen Staatsvertrag.
Meine Damen und :Herren, wer sich noch einmal mit .der Entstehungsgeschichte des Grundgesetzes befaßt, wird feststellen, daß die Frage der Regelung des Länderfinanzausgleichs durch ein Bundesgesetz mit Zustimmung des Bundesrates in den damaligen Kämpfen mit den alliierten Militärgouverneuren eine zentrale Frage war und daß der Parlamentarische Rat damals in seinen verschiedenen Fraktionen auf diesem legitimen Recht der Bundesgewalt — selbstverständlich unter voller Mitwirkung des Bundesrates — bestanden hat. Deshalb müssen wir doch Bedenken gegen Überlegungen anmelden, die es im Zusammenhang mit den Saarbrücker Diskussionen der Ministerpräsidenten gegeben hat, nämlich einen entscheidenden Bereich des Länderfinanzausgleichs, das Bildungswesen, das Hochschulwesen, auszuklammern und ohne den Bund allein auf dem Wege des Staatsvertrages zu regeln. Ich glaube, daß man durch eine Lösung im Länderfinanzausgleich selber unter diesen Aspekten — Sonderansatz für Bremen und andere Dinge — eine verfassungsrechtlich völlig unbedenkliche Lösung finden kann, die nicht zu einer vielleicht bitteren Konsequenz führt und dieses Haus oder Teile dieses Hauses veranlaßt, um die Bestätigung seines Rechts beim Bundesverfassungsgericht nachzusuchen. Ich möchte das mit allem Nachdruck hier sagen. Es wäre schlecht, wenn die Kulturpolitik noch einmal zu sehr in dieses Spannungsfeld hineinkäme.
Meine Damen und Herren, ich möchte abschließen. Die Leistungen des Bundes ,werden steigen. Darüber kann überhaupt kein Zweifel sein. Ich glaube auch, daß der Haushaltsausschuß trotz aller Diskussionen über Kürzungen und Streichungen Ihnen einen Vorschlag zur zweiten Lesung des 'Haushalts machen wird, der diesem Willen des Parlaments gerecht wird. Herr Professor Schütte hat einige Bemerkungen über das Thema der Streichungen im Etat gemacht, die den Mitgliedern des Haushaltsausschusses geradezu .aus dem Herzen gesprochen waren. Es ist auch eine modische Illusion unserer Zeit und vieler publizistischer Diskussionen, daß man das Problem der stärkeren Finanzierung von Wissenschaft und Forschung allein mit schematischen Etaterhöhungen auf der ganzen Linie bewältigen könne.

(Zuruf des Abg. Dr. Lohmar.)

— Natürlich, Herr Kollege Lohmar, es gibt Engpässe. Dort müssen wir besonders ausweiten. Wir erleben es aber jedes Jahr — bitte fragen Sie einmal Ihre Kollegen, die sich noch intensiver mit diesem Thema befassen —, daß wir, wenn wir hohe Ansätze genehmigen, geradezu erschreckende Reste haben. Wir haben ein sehr interessantes Beispiel dafür in der internationalen Diskussion. Die „New York Times" hat vor zwei Tagen aufsehenerregenden Artikel — Sie werden ihn wahrscheinlich kennen — aus der Feder ihres Bonner Korrespondenten über das schlechte Vrehältnis zwischen Geist und Macht hier in Bonn veröffentlicht. Ich wundere mich eigentlich, daß Sie ihn nicht hier in der Diskussion zum Beleg Ihrer Thesen herangezogen haben. Eines der drei Dinge, die hier genannt werden, ist die Tatsache, daß dieses Haus — so steht es dort geschrieben, Herr Lohmar — die Mittel für einen Versuchsreaktor gestrichen habe. Wie sehen die Dinge aus? Wir haben bei dem Haushaltsansatz, um den es hier geht, im vergangenen Jahr 40 Millionen DM bereitgestellt, und wir haben festgestellt, daß das Bundesministerium von diesen 40 Millionen DM im pflichtgemäßen Bemühen nur 21 Millionen DM ausgeben konnte, daß also 19 Millionen DM praktisch als Rest verfallen sind. Selbstverständlich ist es dann die Pflicht des Haushaltsausschusses, bei der Bemessung des nächstjährigen Ansatzes daraus die Folgerung



Dr. Stoltenberg
zu ziehen, den Ansatz so realistisch zu gestalten, wie es dem tatsächlichen Bedarf entspricht.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Selbstverständlich ist kein einziges der dort angeführten Projekte gestrichen worden, sondern der Etatansatz ist auf seine voraussichtlich notwendige Höhe gebracht worden. So wird aber heute in Deutschland über diese Fragen diskutiert. Denn der Bonner Korrespondent der „New York Times" hat diese Angaben selbstverständlich der Fachpresse, der Tagespresse und vielleicht — in diesem Fall weiß ich es nicht genau — auch den einschlägigen Informationsdiensten der Opposition entnommen.

(Abg. Dr. Lohmar: Die sind besser!)

— Ich würde mich freuen, Herr Lohmar, wenn sie besser wären.
Diese kurze und notwendigerweise bruchstückhafte Betrachtung zeigt, daß wir uns dem Ernst dieser Frage zu stellen haben, daß wir aber auch mit klaren Zahlen und klaren Begriffen zu diskutieren haben,

(Beifall bei der CDU/CSU)

wie es dem traditionellen Anspruch der Wissenschaft und des Geistes in ganz besonderer Weise entspricht. Dann werden wir nicht in eine Katastrophenstimmung verfallen, auch sicher nicht in einen falschen Optimismus, sondern wir werden die Aufgaben unter Würdigung der Verfassung und unserer Verantwortung anpacken und, so glaube ich, im Zusammenwirken von Bund und Ländern schließlich auch meistern können.

(Beifall bei der CDU/CSU.)


Dr. Thomas Dehler (FDP):
Rede ID: ID0411832200
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Deneke.

Prof. J.F. Volrad Deneke (FDP):
Rede ID: ID0411832300
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Ein bißchen schade finde ich es eigentlich, daß ein Teil dieser Debatte in der Erregung gegeneinander geführt worden ist, während es die Sache doch verdienen würde, daß wir uns miteinander darum erregen. Mir scheint auch, daß vielleicht im Rahmen dieser Unterhaltung — zum mindesten im Laufe der letzten ein bis anderthalb Stunden — die finanziellen Probleme ein wenig stark im Vordergrund gestanden haben.
Hingegen gibt es doch in der Sache so außerordentlich viele Probleme, die noch nicht ausdiskutiert sind, weder in der Öffentlichkeit noch in diesem Hohen Hause. Mein Fraktionfreund Dr. Hellige hatte ausdrücklich den Punkt 2 der Großen Anfrage der SPD bei seiner Darstellung ausgeklammert und es mir freundlicherweise überlassen, zu diesem Punkt 2 Stellung zu nehmen. Ich möchte mich daher auch auf diesen Punkt 2 beschränken: Wie will die Bundesregierung zeitgerechte Wissenschafts- und Bildungspolitik in Übereinstimmung mit der wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung gestalten?
Wir müssen bei der Prüfung dieser Frage ganz besonders die seit Generationen unerhört dynamische Entwicklung unserer Wirtschaft, unserer
Technik und auch die ungeheuren Veränderungen unserer Gesellschaftsstruktur ins Auge fassen. Ich möchte nur an einen Punkt anknüpfen, der mir aber für eine zeitgemäße Verbindung zwischen der Bildungspolitik und der Wirtschafts- und Sozialentwicklung entscheidend zu sein scheint: die Veränderung der Position der menschlichen Arbeit in unserer Wirtschaft und in unserer Gesellschaft.
An Stelle der Muskelkraft ist heute mehr und mehr die Kraft des menschlichen Verstandes als das Wesentlichste beim Einsatz der menschlichen Arbeit gefordert. Das war noch in der Zeit des Frühkapitalismus völlig anders. Dies ist ein zentraler Ansatzpunkt, den wir auch in der Bildungspolitik zu berücksichtigen haben. Ein Facharbeiter von heute weiß wahrscheinlich sehr viel mehr als etwa ein Ingenieur der Zeit vor hundert Jahren. Hier hat sich also Außerordentliches verändert, das natürlich auch — erfreulicherweise — nicht ohne Rückwirkung auf das Selbstbewußtsein der arbeitenden Menschen geblieben ist.
Ebenso wie sich der Intelligenzgehalt der Arbeit verändert hat, so hat sich auch der Verantwortungsgehalt verändert: an Stelle unselbständig ausgeführter Handlangerarbeit ist heute mehr und mehr verantwortliche Arbeit gefordert, — und zwar in allen Berufen, in allen Berufstätigkeiten. Auch das bedeutet, daß die Ansatzpunkte für die Bildungspolitik heute ganz anderer Art sind als etwa noch in der Zeit des beginnenden Kapitalismus. Im Grunde genommen geht die Entwicklung ja dahin, daß letzlich jeder arbeitende Mensch nicht mehr Handlanger in der Arbeit sein wird, sondern selbst ein Überwacher von Robotern, Maschinen, Apparaten, hochkomplizierten Werkzeugen. Das bedeutet Verantwortung einmal im Betrieb selbst, die sehr viel größer ist als früher, und es bedeutet zum anderen im Rahmen der arbeitsteiligen Wirtschaft eine Steigerung der sozialen Verantwortung, wie sie es Jahrhunderte oder, ich möchte fast sagen, Jahrtausende über nicht gegeben hat. Wir werden daraus Schlußfolgerungen ziehen müssen.
Ich darf ferner daran erinnern, daß gerade im Zusammenhang mit diesem Spezialisierungsprozeß die früher einigermaßen überschaubare Zahl festgelegter klassischer Berufe abgelöst worden ist durch eine heute schier unübersehbare Zahl und Fülle spezialisierter Berufstätigkeiten. Sie kennen das Wort von der „Barbarei des Spezialistentums". Dieses Wort hat viele, vor allem kulturpessimistische Gedanken gefördert, die — auf die Zukunft gesehen — nicht berechtigt sind. Denn wir werden der Spezialisten nicht entraten können. Im Gegenteil, wir brauchen die Fachleute. Wir brauchen mehr und mehr und, je weiter wir in die Zukunft hineinbauen, noch viel mehr Spezialisten. Das ist also nicht das Problem. Das Problem ist vielmehr, daß wir Fachleute brauchen; aber wir müssen verhindern, daß sie Fachmenschen werden. Hier darf ich ein Wort von Herrn Minister Lenz zitieren, das meines Erachtens genau das trifft: Die höchste fachliche Kenntnis muß sich mit höchster persönlicher Verantwortung paaren. Einerseits höchste Spezialisierung, andererseits aber müssen wir den Plafond der



Deneke
menschlichen Verantwortung, den Plafond auch der Bildung des Menschen so hoch schrauben wie nur möglich, damit eben nicht aus dem Fachmann ein Fachmensch im abwertenden Sinne dieses Wortes wird. Wir werden diese Aufgabe sicher nur bewältigen, wenn immer auch der einzelne als Fachmann daran gewöhnt wird, sich selbst dazu erzieht, über die Grenzen seines Fachwissens hinaus und in die benachbarten Gärten zu schauen, ja vielleicht auch einmal in die metaphysischen Bereiche hinaufzusehen, um sich aller Bindungen auch seiner spezialistischen Arbeit bewußt zu sein. Ich meine, das sind säkulare Bildungsaufgaben, die uns aus dieser Situation der Spezialisierung erwachsen: Im Teil das Ganze sehen!
Schließlich darf ich noch auf eine Entwicklung aufmerksam machen, die mir in diesem Zusammenhang sehr bedeutsam erscheint. Verbunden mit der qualitativen Aufwertung der Arbeitsleistungen ist eine soziale Angleichung der Arbeitseinkommen in Gang gekommen. Stichwort: Einkommensnivellierung nach oben! Die krassen Unterschiede des Frühkapitalismus gibt es nicht mehr. Das Schlagwort „Proletariat" gehört der Vergangenheit an. Diese Entwicklung bedeutet auch, meine ich, gewisse Gefahren für die Weiterentwicklung. Hier ist beispielsweise angeklungen, daß uns in großem Maße Lehrer fehlen, — übrigens nicht nur in den Volksschulen, sondern in allen Schulgattungen, auch in den Berufsschulen.

(Zuruf von der .SPD: Vor allem!)

Hier besteht wohl ein Zusammenhang. Man darf nicht vergessen, daß es heute eine ganze Reihe von akademischen Berufen gibt, deren Einkommensstatus nicht allzu weit von dem vieler Facharbeiterberufe entfernt ist. Dabei muß ein Vergleich der Einkommen hier als ein Vergleich der lebenszeitlichen Einkommen betrachtet werden. Die Akademiker mit langer Berufsausbildung haben nämlich in der Regel viele Jahre lang Konsumverzicht in Kauf zu nehmen, während ja die anderen schon mit dem 15., 16. Lebensjahr Geld nach Hause bringen. Ich meine also, daß hier Entwicklungsprobleme bestehen, an die wir denken müssen, wenn wir den Aufstieg fördern wollen.
Welche Konsequenzen haben wir zu ziehen? Im Hintergrund aller Diskussionsbeiträge ist doch wohl die Erkenntnis sichtbar geworden, daß eben bessere und breitere Fundamente der Allgemeinbildung gebaut werden müssen. Zusätzlich darf darauf aufmerksam gemacht werden, daß die Aufgaben der Weiterbildung — der Weiterbildung auch im allgemeinbildenden Sinn — nicht weniger bedeutsam sind. Gerade wenn wir vermeiden wollen, daß aus den Fachleuten Fachmenschen werden, müssen wir an der Allgemeinbildung ständig weiterarbeiten. Es gibt keine abgeschlossene Bildung.
Es ist ferner wichtig, das ganze Bildungs- und Ausbildungssystem nach allen Seiten hin, wie man sagt, durchlässig zu machen. Stichwort: Zweiter Bildungsweg.
Es wind sicher notwendig sein, die Förderungsmaßnahmen zu vereinheitlichen, überschaubar zu machen. Dies soll ja eine der wesentlichen Aufgaben des Berufsausbildungsgesetzes sein. Aber auch hier sollten wir immer wieder bedenken, daß uns nicht nur Finanzprobleme aufgegeben sind, sondern daß letzten Endes das wichtigste ist, genügend überzeugende Persönlichkeiten für diese Aufgaben zu gewinnen.
Und nun gestatten Sie mir noch ein allerletztes Wort: Auch mir gefallen die Begriffe „Wissenschaftsplanung" und „Bildungsplanung" nicht. Auch in aller notwendigen Wissenschafts p 1 a 'n u n g darf nicht untergehen die Freiheit der Forschung, und in aller notwendigen Bildungs p 1 a n u n g darf niemals vergessen werden, daß die freie Persönlichkeitsentfaltung der Sinn aller dieser Arbeit ist.

(Beifall bei der FDP.)


Dr. Thomas Dehler (FDP):
Rede ID: ID0411832400
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Frede.

Dr. Günter Frede (SPD):
Rede ID: ID0411832500
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Rückschauend auf den Verlauf der Debatte darf man wohl sagen, daß die Diskussion mehr als einmal von dem Grundanliegen, das uns bewegt hat, hinweggeflossen ist in andere Gebiete. Das gilt nicht zuletzt auch von dem, was Herr Stoltenberg sagte, indem er die Dinge allzu stark auf das Finanzpolitische, auf das Fiskalische hinschob. Wenn Sie unsere Anfrage einmal genau betrachten, werden Sie erkennen müssen, daß wir diese Finanzfragen bewußt gar nicht angesprochen haben, weil wir auch gar nicht wollten, daß — wie es zum Teil in den Ausführungen des Herrn Ministers für wissenschaftliche Forschung und auch in den Ausführungen des Vertreters des Bundesrates, des Herrn Ministers Mikat geschehen ist — eine Leistungsschau über das gegeben würde, was bisher alles geschehen ist. Sicher, ich erkenne gern an: auch das muß sein nach all den Kritiken, die in der Öffentlichkeit erfolgten. Aber niemand, der Statistiken lesen kann, und niemand, der in Haushaltsfragen Bescheid weiß, wird daran zweifeln, daß zunehmend von Jahr zu Jahr mehr getan worden ist.
Uns ging es bei unserer Anfrage im wesentlichen darum, festzustellen, wie durch eine Gesamtplanung, wie in einem Gesamtvorhaben von Bund und Ländern ein Fortschritt erzielt werden kann, um ohne Zweifel von allen Seiten erkannte Notstände zu beseitigen und kulturpolitisch eine Gesamtkonzeption zwischen Bund und Ländern zu entwickeln. Es ist erfreulich, daß das auch der Tenor der drei Anträge ist, die hier vorgebracht worden sind, wenn auch mit verschiedener Akzentuierung. Ich glaube, hochverehrter Herr Martin, sagen zu können, daß wir mit allzu allgemein gehaltenen Forderungen bzw. Deklamationen, wie sie in Ihrem Antrag — das darf ich in aller bescheidenen Kritik zum Ausdruck bringen — enthalten sind, nicht wesentlich weiterkommen. Wesentlich sympathischer ist mir in dieser Beziehung das, was die FDP in ihrem Antrag vorgebracht hat.

(Abg. Dr. Martin: Das stammt von mir!)




Dr. Frede
Ich darf aber noch einmal kurz auf die Darlegungen des Herrn Stoltenberg hinsichtlich der finanzpolitischen Auswirkungen zurückblenden. Herr Stoltenberg hat den Versuch einer Abgrenzung vermißt. Dazu möchte ich feststellen, daß wir uns, was die Leistungen des Bundes angeht, immer auf den Standpunkt gestellt haben, daß eine solche Abgrenzung durch das gegeben ist, was der Wissenschaftsrat als eine der wesentlichen tragenden Säulen innerhalb einer möglichen Konzeption der Zusammenarbeit zwischen Bund und Ländern erarbeitet. Es trifft leider nicht zu, wie uns hier gesagt worden ist, daß all die Forderungen erfüllt seien. Es war mir interessant, daß gerade heute auf den Tisch unseres Hauses ein Schreiben des Bundesministers für wissenschaftliche Forschung flatterte, das genau das Gegenteil besagt, also nicht das, was Herr Stoltenberg ausführte. Ich darf es vorlesen. In dem von Herrn Minister Lenz frisch versandten Schreiben wird festgestellt:
Es war nicht möglich, den Empfehlungen des Wissenschaftsrates, die mit einem Gesamtbetrag von rund 266 Millionen DM abschlossen, in voller Höhe nachzukommen, da im Bundeshaushalt 1963 nur 220 Millionen DM zur Verfügung standen. Der Ausgleich war nur dadurch möglich, daß die Landeskultusverwaltungen in allen Fällen auf Landesmittel zurückgegriffen hatten.
Weiterhin heißt es — und das ist noch schwerwiegender —:
Nahezu alle im Rechnungsjahr 1963 begonnenen Bauvorhaben mußten daher aus der Förderung mit Bundesmitteln ausgeschlossen und von den Ländern allein finanziert werden.
Meine Damen und Herren, da kann man nicht sagen, alles sei im vollen Maße befriedigt, was gefordert wurde.
Da wir gerade beim Wissenschaftsrat sind, gestatten Sie mir einiges zu unserem Punkt 3. Hinsichtlich der Aufgaben und Möglichkeiten des Wissenschaftsrates liegt offensichtlich ein Mißverständnis vor. Sie werden nicht bestreiten und Sie wissen, daß in den letzten beiden Vorschlägen und Empfehlungen erneut gesagt worden ist, daß der Wissenschaftsrat, und zwar auf einstimmigen Beschluß, es für angezeigt hält, daß sich Bund und Länder jeweils mit 50 % an den entsprechenden Ausgaben beteiligen. Das würde also bedeuten, daß beispielsweise in diesem Jahr, wenn man rein von den Dringlichkeitsvorhaben und von der Dringlichkeitsaufstellung des Wissenschaftsrats 1964 ausgeht, durch den Bund bis zu 400 Millionen DM aufgebracht werden müßten, während wir bei einer Größenordnung von 220 bis 250 Millionen DM stehen.
Bei der Kritik, die hier geübt wird, liegt auch insofern ein Mißverständnis vor, als wir durchaus wissen, daß sich die Empfehlungen des Wissenschaftsrates im Rahmen der Haushalte der Länder und des Bundes halten sollen. Aber in Art. 2 der Ländervereinbarung wird ausdrücklich gesagt, daß jährlich ein Dringlichkeitsprogramm aufzustellen ist. Dieses Dringlichkeitsprogramm ist ohne Rücksicht auf die betreffenden Länderhaushalte aufzustellen.
Man kommt hier in eine gewisse Schwierigkeit insofern, als man ja erst dann über die Verteilung der Mittel sprechen kann, wenn die Haushalte von den Länderparlamenten und hier vom Hohen Hause verabschiedet sind, d. h. praktisch erst im Laufe des Etatjahres. Wir müssen also, glaube ich, streng scheiden, und wir sollten darauf hinwirken, daß in Zukunft rechtzeitig für das kommende Jahr, unabhängig von den Möglichkeiten, die in den Länder-und Bundeshaushalten vorhanden sind, der Wissenschaftsrat sein Dringlichkeitsprogramm nach den sachlichen Erfordernissen aufstellt und daß rechtzeitig, d. h. dann, wenn die Haushalte in den Regierungen veranschlagt und aufgestellt werden, diese Unterlagen bereits vorliegen. Im vergangenen Jahr hat der Wissenschaftsrat im November einen solchen Beschluß gefaßt, viel zu spät; denn da waren die Voranschläge bereits fertig. Es müßte so sein, daß beispielsweise für das kommende Jahr dieses Dringlichkeitsprogramm bereits in den kommenden Monaten, im Mai/Juni etwa, vorliegt, damit sowohl die Länderkultusverwaltungen wie der Bundesminister für wissenschaftliche Forschung in der Lage sind, danach den Haushalt zu planen und aufzustellen. Es bleibt den Regierungen und Parlamenten alsdann überlassen zu entscheiden, wieweit diesen Forderungen nachgekommen werden kann oder wieweit Abstriche gemacht werden müssen.
Herr Kollege Strauß hat gemeint, wir wollten hier einen Gegensatz zwischen Bund und Ländern inszenieren. Maßgebliche Politiker unserer Partei sind in sehr erheblichem Umfang an der Gestaltung der Kulturpolitik in den Ländern tätig. Wir wissen daher sehr wohl, daß es zwischen deren Auffassungen und den Auffassungen anderer unter Umständen Unterschiede geben kann. Aber es lag uns völlig fern, dem einen oder dem anderen den Schwarzen Peter zuzuschieben. Das würden wir nur dann tun können, wenn eindeutig irgendeine Seite, sei es die Länderseite oder die Bundesseite, in vollem Umfang versagt hätte; aber das ist nicht der Fall.
Aber das Problem, das im Mittelpunkt der heutigen Debatte stand, ist nach wie vor das dringlichste und muß gelöst werden, nämlich das Problem der Zusammenarbeit, des Zusammenstehens von Bund und Ländern in der Verfassungswirklichkeit, wie es uns das Grundgesetz gebietet. Wir sind gefragt worden, wie wir dazu stehen. Auch da ist unsere Meinung ziemlich einhellig. Der eine oder andere mag es für zweckmäßiger halten, daß das Gewicht des Bundes etwas stärker ist, aber nur im Rahmen des Grundgesetzes.
Wir haben es dankbar begrüßt, daß Herr Stoltenberg nicht auf den Beschluß der Ministerpräsidenten eingegangen ist, wonach die 3 Milliarden DM, die der Bund für Länderaufgaben aufwendet, noch einmal bis ins einzelne durchforstet werden sollen und dann eine völlig neue Verteilung vorgenommen werden soll. Es ist im Laufe des letzten Jahres offensichtlich Übereinstimmung dahin gehend erzielt worden, daß es bei der gegenwärtigen Verteilung der finanziellen Aufwendungen zwischen Bund und Ländern bleibt, es sei denn, daß unterschiedliche Auslegungen bestehen. Sie können bestehen hin-



Dr. Frede
sichtlich des Verwaltungsabkommens, in dem z. B. ein Limit von 250 Millionen DM der Förderungsbeträge des Bundes für die Förderung der Wissenschaft gesetzt ist. Ich bedaure dieses Limit; denn es wäre zweckmäßiger, wenn so verfahren würde, wie es der Wissenschaftsrat vorsieht, d. h. daß jeweils eine Verteilung 50 zu 50 für diese Maßnahmen Platz greift.
Wir dürfen in allen Parteien nicht verkennen, daß eine stärkere Betonung der Zuständigkeit der Bundesregierung dem Willen der Mehrheit der Bevölkerung entspricht. Hier sind die Auffassungen der Parteien keineswegs immer mit den Auffassungen breiter Kreise des Volkes gleichzusetzen. Das können Sie auch aus der kürzlich veranstalteten Umfrage ersehen, wonach nur 11 % der Bevölkerung glauben, daß die Bundesregierung auf kulturpolitischem Gebiet hinreichend tätig ist. Wir wissen aus den Nachwirkungen des Düsseldorfer Abkommens, daß in der Bevölkerung eine breite Stimmung für eine Verstärkung der kulturpolitischen Einflußnahme seitens des Bundes besteht. Das hat seinen Grund, seinen Grund auch deshalb, weil Beschlüsse, die die Kultusministerkonferenz faßt, in sehr vielen Fällen nicht in allen Ländern realisiert werden. Ich bedaure, daß Herr Minister Mikat nicht mehr anwesend ist. Er könnte sonst seinem Ministerpräsisidenten oder auch sich selbst einen Stoß geben. Das Düsseldorfer Abkommen sieht beispielsweise eine Regelung der Sprachenfolge an den höheren Schulen vor. Erst jetzt, vor wenigen Monaten, hat sich Nordrhein-Westfalen jener Regelung der Sprachen-folge angepaßt, die bereits im Düsseldorfer Abkommen 1955 bindend vorgeschrieben ist,

(Hört! Hört! bei der SPD)

daß nämlich in jeder Stadt als zweite Fremdsprache auch Französisch angeboten werden muß. Sie wissen, daß diese Dinge durch die Initiative der SPD-Fraktion im Düsseldorfer Landtag einer Lösung zugeführt worden sind. Entschuldigen Sie, Herr Dr. Martin, daß ich wieder meine Partei anführe, aber so war es eben.
Wenn die Länder nicht immer in der Lage oder gewillt sind, die Beschlüsse, die die Kultusminister fassen, gleichmäßig durchzusetzen, dann wächst natürlich in weiten Kreisen der Bevölkerung das Unbehagen gegenüber einer zu starken Aufsplitterung und der Eindruck, daß es der Bundeskultusministerkonferenz an Funktionsfähigkeit mangelt. Das muß man leider sagen, auch wenn sie morgen ihre 100. Plenarsitzung hat.
Dennoch sind wir der Meinung, daß es so bleiben muß, wie es die Väter des Grundgesetzes nun einmal beschlossen haben, wobei sie allerdings hinter die Kompetenzen zurückgegangen sind, die bereits in der Weimarer Verfassung installiert waren. Dort war noch eine gewisse Rahmengesetzgebung seitens des Reiches — wir würden heute sagen: des Bundes — möglich. Wir werden uns aber auf längere Sicht mit den gegebenen verfassungsmäßigen Zuständigkeiten und mit der verfassungsmäßigen Wirklichkeit abfinden müssen. Es kommt im wesentlichen darauf an — damit darf ich angesichts der vorgeschrittenen Zeit zum Ende meiner Ausführungen kommen —, nunmehr gemeinschaftlich auf Grund der drei Vorschläge, die in den Anträgen enthalten sind, nach einem Weg zu suchen, sei es, durch den Herrn Bundespräsidenten ein Gremium berufen zu lassen, daß eine Bildungsenquete erstellt, sei es — wie es der FDP-Antrag will —, neben dem Wirtschaftkabinett ein Wissenschaftsgremium innerhalb der Regierung zu bilden, oder sei es — in diesem bescheidenen Rahmen bewegt sich unser Vorschlag —, das Ministerium für wissenschaftliche Forschung etwas mit bildungspolitischem Sachverstand anzureichern.
Man wird nicht bestreiten, daß das Schwergewicht in diesem Ministerium noch auf den alten Gebieten liegt, der Atomforschung und der Nutzung der Atomkernenergie; dazu ist jetzt noch die Weltraumforschung und Raumträgerforschung und -technik — mit ESRO und ELDO — gekommen. Hier wird sehr sorgfältig und sehr umfassend gearbeitet; wir werden mit Statistiken und Planungen überschüttet. Aber außerhalb jener Wissenschaftsabteilungen fehlt es doch an all den Dingen, die angefaßt werden müssen und die wir heute mit Bildungsplanung angesprochen haben. Es muß hier etwas Sachverstand sichtbar werden, der in der Bundesregierung in diesem gesamten Bildungsbereich einfach nicht vorhanden ist. Ob eine besondere Abteilung für Bildungsplanung geschaffen wird oder wie immer man das organisiert, das mag weiteren Überlegungen überlassen bleiben. Daß aber etwas geschieht, ohne daß sich die Kompetenzen verschieben, ohne daß die Verfassung geändert wird, scheint mir dringend notwendig zu sein. Wir würden uns freuen, wenn wir in dieser Richtung die Unterstützungen der anderen Fraktionen in den Ausschüssen hätten.

(Abg. Dr. Martin: Bekommen Sie!)

Ich beantrage, daß die Anträge dem Kulturpolitischen Ausschuß — federführend — und zur Mitberatung dem Ausschuß für Atomkernenergie und Wasserwirtschaft überwiesen werden. Ich hoffe, daß wir sehr bald zu Ergebnissen kommen, und zwar etwas schneller als bei den vorjährigen Anträgen, und den Wünschen nach einem Bericht alsbald Rechnung getragen wird, damit dem Hohen Hause in Kürze eine gemeinsame Entschließung vorgelegt werden kann, die uns einen Schritt weiterbringt.

(Beifall bei der SPD.)


Dr. Thomas Dehler (FDP):
Rede ID: ID0411832600
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Dichgans.

Dr. Hans Dichgans (CDU):
Rede ID: ID0411832700
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen, meine Herren! Die Debatte hat, scheint mir, mit großer Deutlichkeit folgendes ergeben: Die Kritik an der kulturpolitischen Entwicklung in der Bundesrepublik richtet sich in der Substanz gegen die Konferenz der Kultusminister. Der Präsident der Konferenz der Kultusminister hat hier sehr eindrucksvoll vorgetragen, wie eng er — von den Kultusministern her betrachtet — die Grenzen der Zuständigkeit des Bundes sieht. Wollen wir uns hier mit der Konferenz der Kultusminister über



Dr. Dichgans
diese Grenzen streiten? Glauben Sie, daß es eine gute Grundlage für das fruchtbare Gespräch mit den Ländern wäre, das wir brauchen, wenn wir einen solchen Streit begännen? Ich glaube nicht.
Wenn man aber die von dem Präsidenten der Konferenz der Kultusminister aufgezeigten Grenzen akzeptiert, so ist es offenbar wenig sinnvoll, den Bund für Mängel in der kulturpolitischen Entwicklung verantwortlich zu machen. Die Kritik richtet sich also gar nicht gegen uns, sondern gegen die Kultusminister. Aber wir sollten die Arbeiten der Konferenz der Kultusminister auch gerecht würdigen. Sicher hat die Konferenz nicht alles erreicht, was sie nach dem Wunsch der öffentlichen Meinungen hätte erreichen sollen. Aber wenn wir unsere eigenen Arbeiten betrachten, so müssen wir wahrscheinlich gestehen, daß auch wir nicht alles erreicht haben. Offenbar ist die Politik eine schwierige Sache, und gute Lösungen brauchen Zeit.
Unter den Kultusministern gibt es ganz ausgezeichnete Leute; wir haben zwei hier heute in der Aussprache erlebt. Es sind Leute, zu denen wir Vertrauen haben dürfen. Es findet sich in der Konferenz der Kultusminister auch ein sehr erfreulicher Wille zur sachlichen Zusammenarbeit über die Parteigrenzen hinweg, der volle Zustimmung verdient.
Die 100. Konferenz der Kultusminister in Berlin schickt sich, wenn ich recht unterrichtet bin, dazu an, grundlegende Aktionen einzuleiten. Wenn hier Landespolitik und Bundespolitik gemeinsam Hand in Hand gehen, dann können wir die Aktionen der Länder wirkungsvoll unterstützen.
Wie können wir das tun? Wir, der Bundestag, sind nicht nur Gesetzgeber, sondern wir haben — wenn Sie mir diese Formulierung gestatten — auch die Funktion einer sehr illustren Form der öffentlichen Meinung; und von diesen Möglichkeiten sollten wir Gebrauch machen.
Nachdem ich in der Haushaltsdebatte im Januar die Rechte der Länder so nachdrücklich verteidigt habe, werde ich wohl nicht in den Verdacht geraten, daß ich durch Äußerung einer sachlichen Meinung Zuständigkeiten für den Bund erobern wolle. Das liegt mir völlig fern.
Die wichtigste Aufgabe der Bildungspolitik scheint mir darin zu bestehen, der Politik auf diesem Gebiete zu ihrem Recht zu verhelfen. Die Parlamente müssen ständig über Fachfragen entscheiden und sich dazu von Fachleuten beraten lassen. Es war aber nie zweifelhaft, daß die Entscheidung über die Alternativen, das Ja oder Nein, bei der Politik liegen muß. Nur auf dem Gebiete des Bildungswesens ist das bisher weitgehend anders gewesen. Wir haben die Entscheidung über die Gestaltung des Bildungswesens weitgehend den Philologen und den Universitätsprofessoren überlassen. Das sind nun gewiß ausgezeichnete Leute. Unsere Lehrer und unsere Hochschullehrer üben in den meisten Fällen ihren Beruf mit einer Begeisterung aus, die weit größer ist als die Begeisterung in anderen Berufen. Wir sollten jede Gelegenheit benutzen, insbesondere die hingebende und wirkungsvolle Arbeit unserer Lehrer dankbar anzuerkennen. Unter unseren Universitätsprofessoren haben wir zahlreiche Wissenschaftler von Weltruf. Aber es ist die Frage zu stellen: Ist ein hervorragender Wissenschaftler zugleich auch ein hervorragender Organisator des Bildungswesens? Ich würde sagen: Die Vermutung spricht eher dagegen. Wer sich in seinem ganzen Leben mit Leidenschaft der physikalischen Chemie oder den alten Sprachen gewidmet hat, von dem ist eigentlich nicht zu erwarten, daß er zugleich auch ein Organisationsfachmann ist. Wir haben jedoch praktisch den Universitätsprofessoren bisher ein Vetorecht gegen jede Veränderung des gegenwärtigen Zustandes eingeräumt. Ist das richtig?
Selbstverständlich müssen die Fachleute die Einzelheiten regeln. Niemand denkt hier daran, das Entscheidungsrecht darüber, wie der Unterricht in der Anatomie oder in der Trigonometrie im einzelnen gestaltet werden soll, für den Politiker zu beanspruchen.
Aber in der Bildungspolitik stecken zahlreiche Fragen, die gar nicht fachlicher, sondern rein politischer Natur sind.
Da ist zunächst die Frage nach den Bildungszielen. Soll die Höhere Schule als Vorbereitung auf die Universität gestaltet werden, oder soll sie nur die optimale Ausbildung der Zehn- bis Achtzehnjährigen sein? Sollen die Universitäten fertige Spezialisten ausbilden, oder sollen sie sich auf eine Grundausbildung beschränken, die dann später vom Arbeitgeber her oder durch Selbststudium ergänzt werden muß? Soll der Bildungsgang der Hochschulen auf den künftigen Privatdozenten oder auf den künftigen praktischen Akademiker ausgerichtet werden?
Zu dieser Frage nach den Bildungszielen kommt die Frage nach der Bildungsdauer. Auch sie ist nicht fachlicher, sondern politischer Natur. Wie lange dürfen wir unsere jungen Leute in dem Stande eines unterbezahlten oder auch gänzlich unbezahlten Lehrlings und Prüfungskandidaten festhalten? Bis zum 25. Lebensjahr? Bis zum 31. Lebensjahr? Bis zum 35. Lebensjahr? In der Bundesrepublik wird heute in zahlreichen akademischen Berufen — bei den Juristen, bei den Philologen, bei den Chemikern, bei den Bergleuten — die volle Berufsreife erst nach dem 30. Geburtstag erreicht. Das gibt es in keinem anderen Lande der Welt. Um nur ein Beispiel zu nennen: unsere jungen Studienassessoren sind, wenn sie ihre erste Berufstätigkeit beginnen, fünf bis sechs Jahre älter als ihre französischen Kollegen. Es liegt auf der Hand, daß das nicht nur eine der wesentlichen Ursachen des Lehrermangels ist, sondern daß diese Tatsache auch schon unter dem Gesichtspunkt einer Angleichung der Rechts- und Lebensverhältnisse in Europa einer Harmonisierung bedarf.
Aber auch ganz abgesehen von diesem europäischen Aspekt, der keineswegs der wichtigste ist, müssen wir die Ausbildung verkürzen, weil die Überdehnung zu einem schweren sozialen und politischen Mißstand führt. Er hat in unser ganzes Bildungswesen einen Abschreckungseffekt hereinge-



Dr. Dichgans
bracht, der verhängnisvolle Konsequenzen hat. Hier liegt, glaube ich, die Grundursache der in der Debatte mehrfach beklagten Tatsache, daß wir zu wenig Akademiker und zu wenig Abiturienten haben.

Dr. Thomas Dehler (FDP):
Rede ID: ID0411832800
Herr Abgeordneter Dichgans, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Frau Abgeordneten Funcke?

Dr. Hans Dichgans (CDU):
Rede ID: ID0411832900
Bitte sehr!

Liselotte Funcke (FDP):
Rede ID: ID0411833000
Herr Kollege Dr. Dichgans, schließt Ihre Forderung auf Verkürzung der Ausbildung auch die Forderung ein, die — meines Erachtens nicht vertretbar — heute von Herrn Kollegen Strauß erhoben wurde, nämlich für den Volksschullehrerberuf nicht mehr das Abitur als Voraussetzung zu fordern?

Dr. Hans Dichgans (CDU):
Rede ID: ID0411833100
Ich bin der Meinung — ich will das später noch ausführen —, daß es besser ist, die Schwierigkeiten durch eine Vergrößerung der Zahl der Abiturienten zu lösen, und dazu will ich auch Vorschläge machen.
Darf ich zunächst den Gedankengang weiterführen. Wir haben mit unserem System zunächst erreicht, daß wir zuwenig Abiturienten haben. Ferner führt unser System zur falschen Auswahl.

(Sehr richtig! in der Mitte.)

Die falsche Auswahl ergibt sich daraus, daß die überlange Ausbildung die aktiven Leute, die selbständigen Leute, also die wertvollsten Nachwuchskräfte, am stärksten abschreckt. Dieser Abschrekkungseffekt wirkt sich insbesondere auch bei unseren Arbeiterkinden aus, die aus historischen Gründen eine gewisse Hemmung gegenüber der höheren Bildung haben und die naturgemäß wenig geneigt sind, sich einer Ausbildung zu unterziehen, die sie überlang festhält. Wenn ich das hier erwähne, so bitte ich mir zu glauben, daß das nicht eine Blume ist, die ich in ein Bukett einordnen will. Ich bin ernstlich der Meinung, daß wir auf die Vitalität des Nachwuchses, der von unten kommt, im Interesse der Gesamtheit gar nicht verzichten dürfen.
Ein weiterer, sehr schädlicher Effekt der Überdehnung der Ausbildung liegt in der ungünstigen Wirkung auf die Persönlichkeit. Wer über das 30. Lebensjahr hinaus bis in das Alter des Familienvaters hinein in der Situation eines abhängigen Schülers gehalten wird, wird oft die Schülermentalität sein ganzes Leben bewahren.

(Sehr richtig! bei der CDU/CSU.)

Alle diese Fragen der Bildungsziele und der Bildungsdauer sind keine Fachfragen, die in den Bereich der Philologen oder der Universitätsprofessoren gehören; es sind politische Fragen. Sie sind aber sonderbarerweise bisher noch nie als politische Fragen diskutiert worden. Dafür darf ich Ihnen ein charakteristisches Beispiel vortragen.
Die sehr wichtige Frage der zwölf- oder dreizehnjährigen Schulzeit bis zum Abitur ist, wie mir ein hervorragender Fachmann versichert hat, im Jahre 1949 von einer Konferenz der Schulexperten der verschiedenen Länder besprochen worden. Diese Konferenz neigte zunächst zur Beibehaltung der früher geltenden zwölfjährigen Schulzeit, kam aber später zu der dreizehnjährigen Schulzeit. Dieser Beschluß wurde dann von sämtlichen Länderparlamenten im Sinne eines löblichen Willens zur Kooperation und zur gemeinschaftlichen Regelung ratifiziert, ohne daß auch nur ein einziges dieser Parlamente, soweit ich habe feststellen können, über die Sachfrage — zwölf oder dreizehn Jahre — überhaupt noch diskutiert hat. Die Konferenz der Kultusminister schickt sich jetzt an, diese Frage unter politischen Aspekten neu zu behandeln. Selbstverständlich müssen die Fachleute dabei gehört werden; aber es darf kein Vetorecht der Fachleute geben. Die Entscheidung muß souverän im politischen Bereich gefällt werden. Wilhelm von Humboldt hat vor 150 Jahren seinen Auftrag nicht als Vorsitzer einer Rektorenkonferenz, sondern als einen politischen Auftrag erhalten und hat ihn als politischen Auftrag ausgeführt.

(Abg. Dr. Martin: Ausgezeichnet!)

Ich wünsche der Konferenz der Kultusminister die gleiche Entschlossenheit, die damals Wilhelm von Humboldt bewiesen hat. Ich bin überzeugt, daß sie dann auch den gleichen Erfolg haben wird.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Erlauben Sie mir nun noch, einige konkrete Überlegungen und Anregungen zur Frage der Ausbildungsdauer vorzutragen, die mir besonders am Herzen liegt. Zur Frage der Ausbildungsdauer nehme ich die Frage wieder auf, die ich eingangs gestellt habe: Wie lange dürfen wir unsere jungen Leute im Stande der Prüfungskandidaten festhalten? Dazu möchte ich die politische These vertreten: höchstens 20 Jahre. Wer mit 6 Jahren die Schule besucht, soll mit 26 Jahren die schulmäßige Ausbildung hinter sich haben. Nach der Verfassung kann man mit 25 Jahren Bundestagsabgeordneter werden.

(Heiterkeit und Zurufe.)

Das sollte uns den Mut geben zu sagen: mit 26 Jahren sollte auch die akademische Ausbildung zu Ende gehen. Und, meine Damen und Herren, mit 26 Jahren liegen wir immer noch an der oberen Grenze aller EWG-Länder.
Ich bin in diesen Tagen mehrfach aus diesem Hohen Hause heraus erschreckt gefragt worden, ob das denn ein realistischer Vorschlag sei. Erlauben Sie mir dazu zum Schluß noch einige Worte. Schon die Überlegung, daß andere Länder mit 20 Jahren Ausbildungsdauer gut auskommen, ohne daß die Erzeugnisse dieser Ausbildung schlechter sind als die deutschen Erzeugnisse, sollte uns von der Möglichkeit einer Reform überzeugen. Bei welchem Ausbildungsabschnitten im einzelnen was gespart werden kann, sollten die Fachleute entscheiden. Aber offensichtlich gibt es Möglichkeiten sowohl hinsichtlich der Schulzeit als auch hinsichtlich der Hochschulzeit. 13 Jahre Schuljahre bis zum Abitur gibt es in Europa nur in der Bundesrepublik, in



Dr. Dichgans
Osterreich und Island. In Italien gibt es zwei Schulsysteme, teils mit 12, teils mit 13 Jahren. In allen anderen europäischen Ländern

(Abg. Dr. Frede: Und außereuropäischen!)

— und außereuropäischen, sehr richtig; ich will nur die europäischen anführen —, in Frankreich, England, der Schweiz, in Belgien, Holland, Luxemburg und in den skandinavischen Ländern kommt man mit 12 Schuljahren aus. In Deutschland kommt erschwerend hinzu, daß die Schulzeit in Wahrheit gar nicht 13 Jahre, sondern 14 Jahre beträgt.

(Zuruf von der Mitte: Weil sie ein Jahr sitzenbleiben?)

Nach der Statistik sind unsere Abiturienten 20,5 Jahre alt. Das sie im Mittel mit 6,5 Jahren in die Schule kommen, hat also jeder Abiturient im Schnitt 14 Schuljahre hinter sich, d. h. im Mittel ist jeder Abiturient einmal sitzengeblieben oder zurückgestellt worden.

(Abg. Dr. Kanka: Na, na!)

— Nach der Statistik, Herr Kanka, rechnen Sie nach: 20,5 Jahre minus 6,5 Jahre ergeben 14 Jahre.

(Abg. Dr. Kanka: Vielleicht stimmt die Statistik doch nicht!)

— Ich habe sie mir vorsorglich von der Behörde des
Präsidenten der Konferenz der Kultusminister bestätigen lassen; ich muß mich darauf zurückziehen.
Nun bleiben selbstverständlich auch in anderen Ländern die Schüler sitzen. Aber das System ist dort wesentlich praktischer und humaner. Wenn man z. B. in Frankreich im Juli durchs Abitur fällt, kann man es im Oktober wiederholen, d. h. wer durchs Abitur fällt, wird mit dem Verlust der Sommerferien bestraft. Das ist eine gerechte Sanktion für Faulheit in der Schule. Wenn man dagegen bei uns durchs Abitur fällt, wird man im allgemeinen ein ganzes Jahr zurückgestellt.
Wer eine Verkürzung der Schulzeit fordert, begegnet im allgemeinen dem Einwand, der Stoff lasse sich eben in 12 Jahren nicht bewältigen. Aber es ergibt sich die Frage: Wer entscheidet eigentlich darüber, welcher Stoff bewältigt werden soll? Ist der Schulstoff eine Naturkonstante, die durch wissenschaftliche Überlegung exakt festgestellt werden kann? Offenbar doch nicht! Der Schulstoff ist eine reine Konvention.

(Abg. Dr. Kanka: Eine aufgeblähte Konvention?!)

Dazu bitte ich Sie folgende Überlegungen anzustellen. Um zu testen, ob jemand zu einem Hochschulstudium zugelassen werden kann, das ihn später zum Beruf des Arztes, des Pfarrers, des Juristen oder des Ingenieurs führen soll, muß er ein Abitur machen. Dazu muß er etwa nachweisen: Kenntnisse in der lateinischen Grammatik, die Fähigkeit, ein Gedicht von Rimbaud zu interpretieren, Kenntnisse in der sphärischen Trigonometrie und Kenntnisse in der deutschen Literaturgeschichte. Alle diese Kenntnisse und Fähigkeiten sind gewiß nützlich, aber sie sind nur in seltenen Fällen eine Grundlage der späteren beruflichen Tätigkeit. Und
wenn etwa ,der Herr Bundestagspräsident jetzt hier die Sitzung unterbrechen würde, um Schulhefte zu verteilen mit der Aufgabe: Beweisen Sie ,den Lehrsatz des Pythagoras,

(Zuruf rechts: Machen wir! — Heiterkeit)

würden die meisten von uns, darunter auch ich, in sehr große Verlegenheit kommen. Ich glaube übrigens, eine solche Aufgabe wäre nach der Geschäftsordnung nicht zulässig, so daß Sie keine Sorge zu haben brauchen.
Meine Damen und Herren, diese Aufgabe ist aber keineswegs Abiturstoff, sondern nur Stoff der Untertertia, d. h. der achten Schulklasse. Der Schulstoff ist also überhaupt nicht wichtig an sich, sondern nur stellvertretend für Bildung überhaupt, und Bildung ist nach Wilhelm von Humboldt bekanntlich die Summe dessen, was man vergessen hat. Mit anderen Worten: Wenn die Konferenz der Kultusminister die politische Entscheidung treffen sollte, daß das Abitur nur zwölf Schuljahre voraussetzt, wäre es ohne weiteres möglich, Schulstoff und Ausbildung entsprechend zu gestalten. Auch hier die naheliegende Erwägung: Sind die französischen Kinder klüger als die deutschen?
Wenn dabei erreicht wird, daß jemand, der die höhere Schule besucht, im normalen Verlauf damit rechnen kann, daß er mit 18 Jahren fertig wird und nicht mit mehr als 20 wie jetzt, so glaube ich prophezeien zu dürfen, daß dann schlagartig die Anziehung der höheren Schule auch sehr viel größer wird.
Meine Damen und Herren, nun noch einige Worte über die Universitätszeit. Wir haben es erlebt, daß in den letzten 30 Jahren die Studienzeit des Philologen von acht auf 13 Semester, die des Chemikers von neun auf 18 Semester gestiegen ist. Ist das eigentlich notwendig? Diese auffallende Verlängerung der Ausbildung — die es übrigens in keinem anderen Land der Welt gibt — ist eine der wesentlichen Ursachen der Überfüllung der Hochschulen. Eine radikale Verkürzung der Zeit des Hochschulstudiums ist angezeigt.
Meine Damen und Herren, hier fühle ich mich völlig sicher, weil ich einen klassischen Zeugen zitieren kann. Professor Heisenberg, Direktor des Max-Planck-Instituts für Physik und Astrophysik, der den Nobelpreis in einem Lebensalter erhalten hat, in dem ihn heute kaum eine deutsche Universität zum Doktor promovieren würde, hat Herrn Bundestagspräsidenten Gerstenmaier einen Brief geschrieben, in dem er sich dafür ausspricht, für alle Fakultäten das Studium auf vier Jahre zu begrenzen. Ich halte diesen Brief für so bemerkenswert, daß ich den Herrn Bundestagspräsidenten gestern gebeten habe, diesen Brief allen Kolleginnen und Kollegen in Abschrift zuzuleiten. Herr Professor Heisenberg ist damit ausdrücklich einverstanden.
Vier Studienjahre bedeuten natürlich nicht acht Semester in der jetzigen Zählung, acht Semester zu durchschnittlich elf Wochen, wie sie heute bei den deutschen Universitäten üblich sind. Wenn die Hochschulen die 22 Studienwochen im Jahr, an denen sie



Dr. Dichgans
zur Zeit voll in Betrieb sind, auf 34 verlängerten, so hätten die Studenten immer noch 18 Ferienwochen im Jahr. Die Notwendigkeit, den Professoren genügend vorlesungsfreie Zeit für Forschungszwecke zur Verfügung zu stellen, ließe sich ohne weiteres dadurch schaffen, daß man einen Teil der Vorlesungen auf Dozenten überträgt. Auch dieses Problem wird lösbar sein, wenn wir die Kolleggeldreform hinter uns haben, die die Konferenz der Kultusminister, wie sie versprochen hat, in diesem Jahr zu Ende bringen wird. Wenn das geschieht, müßte der Student sozusagen am Tage der Immatrikulation gleich die Ladung für das Schlußexamen vier Jahre später bekommen. Das ist nicht so absurd, wie es sich anhört. Der Automatismus des Prüfungstermins ist ja anderen Bereichen, z. B. bei den juristischen Referendaren, seit langem bekannt.
Studienplätze auf der Universität sind Mangelware, und wir müssen unseren jungen Leuten sagen, daß der einzelne Student normalerweise nicht mehr als vier Jahre Hochschulstudium bekommen kann.

(Abg. Dr. Frede: Dem Professor auch!)

— Dem Professor auch, sehr richtig! Damit soll natürlich die Zeit der wissenschaftlichen Weiterbildung nicht abgeschlossen werden. Aber die wissenschatfliche Weiterbildung muß sich dann so vollziehen, daß jemand, der Neigung für die Wissenschaft hat, sich bemühen muß, eine vollbezahlte Assistentenstelle zu finden. Das heißt, die Auswahl muß dann in der Weise stattfinden, daß die Universitäten von sich aus die Leute, die sie behalten wollen, aussuchen; die müssen sie dann aber — wie jeder andere Arbeitgeber auch — voll bezahlen. Auch dieser Vorschlag macht in der Durchführung gar keine Schwierigkeiten. Ich habe mir sagen lassen, daß in gewissen Disziplinen bereits jetzt ein Drittel der planmäßigen Assistentenstellen unbesetzt sind, weil es gar nicht genügend Bewerber für solche Assistentenstellen gibt.
Nun noch ein Wort zur Zahl der Abiturienten überhaupt. Ich bin mit Ihnen, Frau Kollegin Funcke, der Meinung, daß es problematisch ist, die Schwierigkeiten, die sich aus der mangelnden Zahl der Abiturienten ergeben, dadurch zu lösen, daß wir für einen Teil der Berufe auf das Abitur verzichten. Ich bin der Meinung, daß man die Zahl der Abiturienten sehr stark vermehren sollte, und zwar einmal dadurch, daß man die Anziehungskraft der höheren Schulen erhöht, wie ich es vorgeschlagen habe, zum anderen aber auch dadurch, daß man die Mittelschulen und Realschulen bis zum Abitur durchführt. Auch das müßte möglich sein. Wir haben bekanntlich seit langem das hauswirtschaftliche Abitur für Mädchen, das nach einer Zusatzprüfung auch zum Universitätsstudium berechtigt. Warum sollte es nicht möglich sein, auch bei Real- und Mittelschulen ähnliche Lösungen zu finden? Wenn wir dann bei den Volksschulen ebenfalls die Aufbauzüge sehr viel stärker fördern als das bisher der Fall ist, können wir vielleicht das zahlenmäßige Problem lösen. Wenn das nicht gelingt, wenn es nicht möglich ist, die Zahl der Abiturienten wesentlich zu erhöhen, wird der Verzicht auf das Abitur — darin muß ich dem Kollegen
Dr. Strauß völlig recht geben — für einen Teil der Berufe die zwangsläufige Folge sein.
Meine Damen und Herren, ich habe zusammen mit meinen Freunden einen Antrag formuliert, der sich für eine Verkürzung der Studiendauer ausspricht. Ich würde mich freuen, wenn das konkrete Ergebnis der heutigen Debatte auch darin bestünde, daß Sie sich diesem Antrag anschlössen.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)


Dr. Thomas Dehler (FDP):
Rede ID: ID0411833200
Das Wort hat der Herr Bundesminister für wissenschaftliche Forschung.

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0411833300
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Gestatten Sie mir zu später Stunde noch ein paar Sätze. Aus dem Gang der Debatte über den Rahmen, die Priorität, den Stellenwert der Wissenschaft und der Förderung der Wissenschaft glaube ich doch mehr Gemeinsames als Kontroverses herausgehört zu haben, von einigen polemischen Schlenkern, Herr Kollege Lohmar — die ich Ihnen natürlich nicht übelnehme —, abgesehen. Sie haben die Freundlichkeit gehabt, die Regierungserklärung mit dem Katalog eines bekannten Versandhauses zu vergleichen, ohne zu sagen, daß Sie sich vielleicht auch den Slogan dieses Versandhauses zu eigen machen könnten „Die Bundesregierung macht's möglich".

(Heiterkeit und Beifall bei den Regierungsparteien.)

Eine Regierungserklärung ist kein „Krimi". Sie ist eine Gemeinschaftsarbeit, an der eine ganze Menge von Häusern und deren Referenten mitarbeiten mit dem einen Ziel, ihr weder ein günstiges noch ein ungünstiges, sondern lediglich ein richtiges Bild zu ,geben. Wollen Sie es bitte so auffassen, daß die ,Regierung in ihr Rechenschaft ablegt über das, was sie zu tun vermochte, nicht zuletzt auf Grund der Bewilligungen dieses Hohen Hauses.
Das zweite, was ich sagen wollte, war, daß sich in dieser sehr dankenswerten Debatte ein neuer Anlauf zu einem neuen Bund-Länder-Verhältnis anzubahnen scheint. Der Bundeskanzler hat nicht umsonst dies als ein schicksalhaftes Element angesprochen. Wir leiden doch unter der Zersplitterung der Kompetenzen. Das ist gar keine Frage. Ich rufe wirklich nicht nach dem Bundeskultusministerium oder nach irgendwelchen Änderungen der Verfassung, ganz im Gegenteil. Ich bin der Überzeugung, daß die kulturelle Vielfalt, der Kranz deutscher Städte mit ihren Theatern, Museen, Konzerten und dergleichen, auf einem gesunden föderalen Boden beruht.
Trotzdem müssen wir uns vergegenwärtigen, daß wir uns da, wo bestimmte Notstände existieren — und daß sie existieren, das kann man, glaube ich, nicht ganz leugnen; denken Sie an die Studienplätze an den Universitäten, denken Sie an bestimmte Engpässe, die auf uns zukommen werden —, nicht darauf hinausreden können — das wird uns in Zukunft kein Vater, keine Mutter, das wird uns niemand mehr abnehmen —: Wir sind nicht schuld, der an-



Bundesminister Lenz
dere ist es. Das möchte ich doch vermieden haben, daß wir uns gegenseitig immer den Schwarzen Peter zuschieben. Deswegen versuche ich wirklich ehrlich, auf ein neues, gutes Verhältnis zu den Ländern zu kommen.
Hier bieten sich eine ganze Reihe von Möglichkeiten an. Ich wäre dankbar, wenn sich die Staatsrechtler noch etwas einfallen ließen. Die Engländer haben hier eine ganze Menge von guten Instrumenten, von der Independent Agency über Royal Commission bis zur ständigen Kommission, von der Dokumentationsstelle, die heute schon genannt worden ist, bis zum Wissenschaftskabinett. Ich sage das nur als eine der Möglichkeiten, um die Zusammenarbeit zu aktivieren. Kurzum, ich meine doch, daß wir zu Verwaltungsabkommen in diesen Fragen kommen können, weil wir sicher nicht die Möglichkeit haben, eine andere Lösung zu finden.
Nun hören wir in letzter Zeit Stimmen, die fordern, daß zuerst die Aufgaben zwischen Bund und Ländern fein säuberlich getrennt werden, bevor wir solche Abkommen schließen. Ganz gleichgültig, wie das ausgehen wird, eines wird sicher sein: daß es gemeinsame Aufgaben von Bund und Ländern geben wird und daß die Wissenschaft ganz sicher eine gemeinsame Aufgabe von Bund und Ländern sein wird. Es kann sein, daß das Honnefer Modell als eine Länderaufgabe, der Grüne Plan als eine Länderaufgabe, die Max-Planck-Institute als eine reine Bundesaufgabe, die Forschungsgemeinschaft ebenfalls, angesehen werden. Wie das auch kommen wird, ich würde vorschlagen, dieses Verwaltungsabkommen abzuschließen, und eine Vorbehaltsklausel einzufügen: unbeschadet dessen, was die Troeger-Kommission, dieser ständige Ausschuß, der sich mit der Prüfung der Ausgaben von Bund und Ländern beschäftigt, einmal beschließen wird. Ich glaube, daß wir dann weiterkommen. Der Bund würde sich als ein laut denkender Helfer verstehen, der versucht, Modelle, Kooperation und dergleichen dazu beizutragen.
Eine von Ihnen, Herr Kollege Stoltenberg, aufgeworfene Frage hat mir zu denken gegeben. Sie haben völlig mit Recht dargestellt, wie es mit dem Betrag für die Reaktoren bestellt war. Es waren 40 Millionen DM, und 21 Millionen DM sind ausgegeben worden. Sie wissen, ich bin ein zu alter Haushaltsmann, als daß ich nicht auch selbst die Forderung bejahte, der Verwaltung nie mehr Geld an die Hand zu geben, als sie in dem betreffenden Haushaltsjahr auszugeben vermag. Das ist ganz sicher richtig, und dieser Haushaltsgrundsatz muß auch bestehenbleiben. Die Frage ist nur, ob er auf Forschungsprojekte in dieser Form angewendet werden kann und ob wir uns nicht doch entschließen sollten, Bund, Länder und Wissenschaft, vielleicht Fünfjahrespläne aufzustellen und dergleichen mehr. Ich könnte mir vorstellen, daß dann auch die Wissenschaft nicht immer wieder vor prekäre Situationen ihren Mitarbeitern, ihren Aufgaben gegenüber gestellt würde, wenn sie für etwas länger planen könnte. Insofern bin ich nicht durchaus ein Gegner des Wortes „Planung", so viel Hautgout ihm auch anhaften mag.
Noch ein Letztes! Herr Kollege Martin hat ganz flüchtig den Gedanken aufblitzen lassen, daß diesem Staat bis jetzt versagt geblieben sei — so habe ich ihn zum mindesten verstanden —, eine Versöhnung von Geist und Macht herbeizuführen. Ich spreche nicht davon, daß der Geist bei der Wissenschaft und die Macht allein hier bei uns wäre; ich habe zu viel beobachtet. Aber ganz sicher ist, daß eine Versöhnung zwischen Geist und diesem Staat notwendig wäre, ganz sicher ist, daß diese beiden etwas nebeneinander herlaufen.
Ich könnte mir denken, daß die Wissenschaftsförderung über all die Fragen der sozialen Sicherung, der Stabilisierung der Wirtschaftsentwicklung, der Sicherung unserer Zukunft hinaus durchaus noch eine andere Aufgabe hätte: sie hat mit für die geistige Substanz dieses Staates zu sorgen und kann ihm durch diese Substanz Konturen geben, die ihm bis heute fehlen. Deswegen glaube ich oder bin ich völlig überzeugt davon, daß wir in der Wissenschaft wieder Anschluß an die internationale Wissenschaftsentwicklung bekommen müssen. Ich stimme durchaus Herrn Professor Mikat zu, daß wir nicht pauschal, sondern sehr differenziert werten müssen, aber daß unsere Wissenschaft in den Stand gesetzt werden muß, diesen Anschluß zu bekommen, um wieder originäre Beiträge auf den verschiedensten Wissenschaftsgebieten zu leisten. Sicher sind solche Beiträge in den letzten Jahren bereits gelungen. Aber wenn wir uns alle bemühen, Bund, Länder und Wissenschaft, diesem Staat jene Qualität, wenn ich einmal so sagen darf, wiederzugeben, diese geistige Substanz wiederzugeben, dann könnte — könnte! — unserer Politik durch diese Förderung ein moralisches Vertrauenskapital zuwachsen, das sie in den Stand setzen würde, auch größere Aufgaben als die der Wissenschaft in Angriff zu nehmen und mit zu lösen.
Ich hoffe und wünsche, daß diese Debatte heute dazu beigetragen hat, daß die Frage der Wissenschaftsförderung, die Frage der Bildung und die Frage der Zukunft unserer Kinder nicht mehr aus den Debatten des Deutschen Bundestages verschwinden werden.

(Beifall bei den Regierungsparteien und Abgeordneten der SPD.)


Dr. Thomas Dehler (FDP):
Rede ID: ID0411833400
Ich schließe die Beratung der Großen Anfrage der SPD und der Antwort der Bundesregierung.
Es liegen Anträge auf den Umdrucken 396, 399, 402 und 403 vor *). Es besteht, glaube ich, Einverständnis, daß sie dem Ausschuß für Kulturpolitik und Publizistik — federführend — überwiesen werden. Herr Kollege Frede hat beantragt: auch noch an den Ausschuß für Atomkernenergie unid Wasserwirtschaft zur Mitberatung. — Keine Bedenken; es ist so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 8 auf:
a) Erste Beratung des von den Abgeordneten Frau Blohm, Dr. Elbrächter, Frau Dr. Kiep-
*) Siehe Anlagen 6 bis 9.



Vizepräsident Dr. Dehler
Altenloh, Mertes und ,Genossen und Fraktionen der CDU/CSU, FDP eingebrachten Entwurfs eines Abzahlungsgesetzes (Drucksache IV/1864 [neu]);
b) Erste Beratung des von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über Teilzahlungsverträge (Teilzahlungsgesetz) (Drucksache IV/1895).
Das Wort hat Herr Abgeordneter Elbrächter.

Dr. Alexander Elbrächter (CDU):
Rede ID: ID0411833500
Sehr verehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die hohe Weisheit ,des Ältestenrates zwingt mich, nach diesem Höhenflug in die Gefilde der Kultur in die Niederungen des Alltags zurückzukehren; aber auch der Alltag verlangt sein Recht.
Lassen Sie mich mit der gebotenen Kürze — entsprechend der fortgeschrittenen Stunde — den Antrag der Koalitionsfraktionen für ein neues Abzahlungsgesetz begründen. Anlaß zu dieser Neueinbringung war nicht die Tatsache, daß das jetzt gültige Gesetz schon 60 Jahre alt ist. Die Tatsache, daß ein Gesetz 60 Jahre alt ist, kann durchaus positiv gewertet werden. Aber Sie werden mir zustimmen, daß sich auf dem Gebiete der Wirtschaft im Laufe der letzten sechs Jahrzehnte einiges geändert hat.
Ich möchte auch gleich zu Anfang sagen: Anlaß war nicht ,etwa die Tatsache, daß der Umfang der Abzahlungsgeschäfte in der Bundesrepublik irgendwie besorgniserregend ist. Ich darf ganz kurz darauf hinweisen, daß nur etwa 7 Milliarden DM im Jahre in der Bundesrepublik durch Abzahlungsgeschäfte gegenüber einem Einzelhandelsumsatz von rund 100 Milliarden DM umgesetzt werden. Die Kopfverschuldung aus Abzahlungsgeschäften beträgt in der Bundesrepublik nur 100 DM gegenüber dem nahezu Zehnfachen in den USA und dem Zweifachen in Großbritannien und Schweden, um vergleichbare Länder .anzuführen.
Anlaß war ausschließlich die Tatsache, daß bei ganz bestimmten Amtsgerichten eine ungewöhnlich hohe Zahl von Rechtsstreitigkeiten aus Abzahlungsgeschäften anfällt. Nun weiß ich sehr wohl, daß diese Amtsgerichte natürlich insofern ausgesuchte Amtsgerichte sind, als sie eben Sitz des Gerichtsstandes ganz bestimmter Firmen sind. Ich möchte zu Eingang auch betonen, daß wir mit diesem Antrag nicht das Versandhandelsgeschäft oder das Abzahlungsgeschäft in irgendeiner Weise diskreditieren wollen. Wir halten es für eine absolut legitime Einrichtung in unserer Gesellschaft, die nach meiner Überzeugung auf Grund der Regelungen, die durch die Ladenschlußzeiten nun einmal manchem Konsumenten aufgezwungen sind, noch stärker Fuß fassen wird. Lassen Sie mich das ruhig einmal zu Anfang sagen.
Aber es läßt sich leider nicht leugnen, daß ganz unerwünschte Praktiken durch — ich sage: erfreulicherweise nur einzelne — Firmen eingerissen sind, daß sehr versierte, mit allen psychologischen Tricks geschulte Vertreter den unerfahrenen Käufer veranlassen, Geschäfte zu tätigen, die er, im Grunde genommen, gar nicht will. Nun kann man natürlich sagen: Nun, das ist seine eigene Dummheit, und für Dummheit muß man einstehen. Aber ich meine doch, daß der Umfang dieser unerwünschten und ungewollten Käufe so groß geworden ist, daß wir ein Recht haben, diese Materie neu zu gestalten.
Der hier vorliegende Entwurf bringt im wesentlichen nur drei Neuerungen. Um die Mißstände auszuschalten, sehen wir einmal vor, daß der Vertragstext ganz bestimmte Punkte enthalten muß. Es soll Klarheit und Wahrheit herrschen. Es muß also der Barpreis aufgeführt werden. Es muß der Endpreis aufgeführt werden. Die Teilzahlungskosten müssen ersichtlich gemacht werden, so daß auch der unerfahrene Käufer sozusagen mit der Nase darauf gestoßen wird, was ihn denn eigentlich dieses Geschäft kostet. Ich sage das so kraß und so deutlich, weil leider ganz bedauerliche Fälle vorgekommen sind, wo die Käufer — man soll es nicht für möglich halten — wirklich in unerhörter Weise überfahren worden sind. Ich meine also, daß diese Vorschriften erforderlich sind. Diese Punkte sollen vor allen Dingen so deutlich im Vertragstext aufgeführt werden, daß sie sichtbar sind und nicht in unleserlicher Form, also in Mikrobuchstaben, irgendwie unter einer Unzahl von Konditionen verschwinden. Das ist Punkt 1, der gefordert wird.
Die zweite materielle Neuerung ist schon einschneidender. Sie bringt für deutsche Verhältnisse etwas Neues, nämlich ein Rücktrittsrecht vom Kauf. Allerdings, möchte ich betonen, sind meine Freunde und die Koalitionskollegen ebenfalls der Auffassung, daß dieses Rücktrittsrecht nur gewährt werden soll, wenn Käufe außerhalb der normalen Geschäftsräume durch mündliche Verhandlungen getätigt werden. Ich mache bei dieser Gelegenheit darauf aufmerksam, daß wir bei den Verhandlungen im Ausschuß zu diesem Punkt eine Umformulierung von § 6 des Entwurfes vorlegen müssen, damit sichergestellt wird, daß lediglich bei dieser Art von Käufen das Recht gegeben wird, vom Kauf zurückzutreten.
Die dritte Neuerung wird sein, daß der Gerichtsstand nicht wie bisher automatisch immer beim Sitz des Verkäufers, bei der Firma, sein wird, sondern daß vereinbart werden kann, daß der Gerichtsstand auch am Sitz des Käufers ist. Wenn .durch Vertrag der Sitz des Verkäufers als Gerichtsstand vereinbart ist, dann muß das ganz deutlich hervorgehoben werden. Außerdem besteht noch im nachhinein eine Möglichkeit, daß der Gerichtsstand auf Antrag beim zuständigen Amtsgericht an den Sitz des Käufers verlegt wird. Ich betone aber bereits hier bei der Begründung, daß diese Regelung auch Nachteile für den Käufer bringen kann, und zwar insofern, als bei einem nicht obsiegenden Urteil höhere Kosten erwachsen können.
Ich möchte, wie versprochen, meine Begründung in fünf Minuten abgeschlossen haben. Ich habe diese Zeit gerade eingehalten. Ich beantrage namens der Koalitionsfraktionen, diesen Entwurf an den Wirtschaftsausschuß als federführenden Ausschuß und



Dr. Elbrächter
an den Rechtsausschuß zur Mitberatung zu überweisen.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)


Dr. Thomas Dehler (FDP):
Rede ID: ID0411833600
Der Entwurf der SPD-Fraktion wird von Frau Kollegin Beyer begründet. Ich erteile ihr das Wort.

Lucie Beyer (SPD):
Rede ID: ID0411833700
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Auch ich werde mich sehr kurz fassen. Wir begrüßen es, daß nicht nur einige Abgeordnete der CDU diesen Entwurf eines Gesetzes über Abzahlungsgeschäfte eingebracht haben, sondern daß sich ihm nunmehr die gesamte CDU/CSU-Fraktion angeschlossen hat. Wir können also hoffen, daß wir bald zu einer Neuregelung kommen. Von meinem Vorredner ist bereits darauf hingewiesen worden, daß die beiden Gesetzentwürfe in wesentlichen Teilen übereinstimmen. Diese Übereinstimmung bezieht sich einmal auf das Erfordernis der schriftlichen Vertragsform. Sie ist weiter hinsichtlich der sogenannten Reuefrist gegeben, auf die mein Herr Vorredner soeben eingegangen ist, nämlich hinsichtlich des Rechts zum Rücktritt innerhalb von sechs Tagen.
Uns kommt es allerdings darauf an, daß keine unterschiedlichen Regelungen getroffen werden — auch das ist hier zum Ausdruck gekommen —, sondern daß Teilzahlungsgeschäfte überall gleichmäßig behandelt werden. Sonst würde man unter Umständen eine bestimmte Personengruppe treffen und diskriminieren, und ich glaube, das kann man nicht. Man kann hier schlecht eine Personengruppe besonders herausstellen; denn alle haben sich auf diesem Gebiet Mißbräuche zuschulden kommen lassen. Aber ich glaube, daß über dieses Problem im Ausschuß noch im einzelnen zu sprechen sein wird.
Als dritter wesentlicher Punkt ist die Frage des Gerichtsstandes aufgeworfen worden. Auch hier gibt es im wesentlichen eine Übereinstimmung. Wir wollen, daß der Gerichtsstand generell dort ist, wo der Käufer seinen Wohnsitz hat. Sie wollen, daß der Gerichtsstand im Vertrag entsprechend dem Wunsch des Käufers festgelegt werden soll. Nun, auch darüber läßt sich sprechen. In diesem Zusammenhang ist es, glaube ich, wesentlich, zu wissen, daß nach Auskunft der Gerichte in immerhin 70 % der in Frage kommenden Fälle Versäumnisurteile ergehen. Das macht deutlich, daß ein großer Prozentsatz derjenigen, die in einen derartigen Prozeß verwickelt sind, in der Verhandlung nicht anwesend sein können. Deshalb ist es, glaube ich, dringend notwendig, daß auf diesem Gebiet eine Änderung erfolgt.
Nun zu den Bestimmungen, in denen die beiden Gesetzentwürfe voneinander abweichen. In § 6 unseres Entwurfs wird eine Mindestanzahlung von 20 % festgelegt. Wenn man sich die geschichtliche Entwicklung ansieht, stellt man fest, daß nicht nur die Bank deutscher Länder bereits 1953 eine Mindestanzahlung in dieser Höhe — sogar 20 % gemessen an der Kredithöhe — haben wollte, sondern daß, soviel ich mich erinnere, auch der alte Antrag der
CDU vom Jahre 1953 eine solche Mindestanzahlung vorgesehen hat.
Wir sind der Auffassung, daß eine Mindestanzahlung immerhin einen gewissen erzieherischen Wert hat. Derjenige, der einen bestimmten Mindestbetrag ansparen muß, wird sicherlich selbstbewußter und vor allen Dingen kritischer sein, wenn er einen Teilzahlungsvertrag eingeht. Auch die evangelische Kirche tritt, wie sich aus ihrer neuesten Veröffentlichung ergibt, für eine solche Mindestanzahlung ein. In Kreisen der Wirtschaft wird zum Teil sogar eine noch weit über die von uns vorgeschlagene Mindestanzahlung hinausgehende Anzahlung gefordert.
Das sind Fragen, über die wir noch einmal sprechen müssen. Im übrigen entnehme ich Ihrem Antrag, daß auch Sie davon ausgehen — dies geht aus der Bestimmung über die schriftliche Vertragsform hervor —, daß eine Anzahlung zu leisten ist. Damit machen Sie deutlich, daß Sie sicher wissen, daß die Abzahlungsgeschäfte zumindest im allgemeinen so gehandhabt werden. Die Frage ist also, ob wir dies nicht aus grundsätzlichen Erwägungen generell so festlegen sollten.
In § 7 sehen wir vor, diese Anzahlung auch vom konjunkturpolitischen Gesichtspunkt festzulegen. In Kreisen der Wissenschaft neigt man dazu, in der Hochkonjunktur mindestens ein Drittel, bei rückläufiger Konjunktur ein Achtel Anzahlung zu fordern. Zu dem Stabilisierungsprogramm der neuen italienischen Regierung gehört auch der Punkt, daß bei einer Anzahlung von 30 % die Laufzeit auf 12 Monate begrenzt werden soll. In den Vereinigten Staaten finden wir eine ähnliche Entwicklung. In England hat das Board of Trade-Orders in all den Jahren dieses Instrument benutzt. Das sind Beweise dafür, daß man sich in den an uns angrenzenden Ländern, auch in den Vereinigten Staaten, der Gefahren des Teilzahlungsgeschäfts bewußt wird.

(Abg. Dr. Elbrächter: Es ist ein Unterschied im Volumen!)

— Ich gebe Ihnen völlig Recht; ich komme darauf Aber auch in England ist das Volumen nicht so hoch. Die Vereinigten Staaten gehen über .den von uns vorgesehenen Prozentsatz hinaus. Das macht deutlich, daß man sich bewußt wird, auf einem begrenzten Gebiet ein Konjunkturmittel in Händen zu haben. Da die Bestimmung im § 7 nur eine Kann-Bestimmung ist, wonach der Bundeswirtschaftsminister mit Zustimmung .der Bundesbank ein solches Mittel anwenden kann, sollte sie uns im Ausschuß zu Überlegungen Anlaß geben; denn wir suchen ja in der ganzen Zeit nach einem konjunkturpolitischen Instrumentarium. Der Bundeswirtschaftsminister hat das in letzter Zeit in der Öffentlichkeit ebenfalls wieder hervorgehoben. Da solche Bestimmungen also in anderen Ländern bereits in die Gesetzgebung miteinbezogen werden, sollten auch wir, wenn wir ein neues Gesetz verabschieden, diese Überlegungen nicht außer Betracht lassen; uns kommt es sehr darauf an.

(Abg. Dr. Elbrächter: Durch Rechtsverordnung!)




Frau Beyer (Frankfurt)

— Durch Verordnung, das geht aus dem § 7 hervor: ,der Minister kann durch Rechtsverordnung eine solche Maßnahme in die Wege leiten. Ich meine also, daß es hier ohne weiteres Möglichkeiten gibt, die auch uns Veranlassung geben sollten, das zu überdenken.
Ich möchte absichtlich hier nicht auf juristische Fachfragen eingehen; ich glaube, das gehört nicht in die erste Lesung. — Nachdem 1953 und 1955 aus Kreisen der CDU und der SPD wiederholt Anträge eingebracht wurden und in Fragestunden die Regierung wiederholt gefragt wurde, was sie zu tun gedenke, ist es nunmehr erfreulich, daß das Parlament insgesamt initiativ wird. Ich glaube, es kann nicht ganz so gesehen werden, Herr Kollege Elbrächter, wie Sie es dargelegt haben, daß Sie nicht nur das alte Gesetz ablösen wollen. Es muß doch noch deutlich ausgesprochen werden, daß ,das alte Gesetz darauf verzichtete, dem Käufer einen wirklichen Schutz zu geben; es war vielmehr in erster Linie ein Schutz für den Verkäufer. Wenn wir uns die ganze Entwicklung ansehen, dann erkennen wir, daß das Gesetz überholt ist und daß es nun an der Zeit ist, sowohl aus unseren sozialethischen wie aus familienpolitischen Gesichtspunkten heraus ein Recht zu schaffen, das auch den Käufer vor Übervorteilung schützt und ihm auf der anderen Seite die Möglichkeit gibt, von einem übereilten Kauf zurückzutreten,
Da ich einige unterschiedliche Punkte hervorheben mußte, habe ich etwas länger als fünf Minuten gebraucht. Aber wir können hoffen, nunmehr bald zu einem neuen Gesetz zu kommen. Wir schlagen vor, die Entwürfe an den Rechtsausschuß — federführend — und an den Wirtschaftsausschuß zu überweisen.

(Beifall.)


Dr. Thomas Dehler (FDP):
Rede ID: ID0411833800
Beide Entwürfe sind begründet. Ich eröffne die Aussprache.
Das Wort hat der Abgeordnete Mertes.

Dr. Werner Mertes (FDP):
Rede ID: ID0411833900
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich will versuchen, mich dem guten Beispiel von Frau Beyer und Herrn Kollegen Elbrächter anzuschließen und die Fünfminutengrenze einzuhalten.
Erfreulicherweise wird heute überhaupt nicht mehr in Frage gestellt, daß das zur Zeit noch geltende Abzahlungsgesetz aus dem Jahre 1894 durch ein neues, modernes Gesetz ersetzt werden muß. Diesem Ziel diente ja bereits der Vorstoß meiner Kollegin Frau Dr. Kiep-Altenloh in der 94. Sitzung des Deutschen Bundestages im November des vergangenen Jahres. Wir Freien Demokraten begrüßen es ebenfalls, daß die CDU/CSU sich nun auch als Fraktion der Vorlage auf Drucksache 1864 angeschlossen hat.
Der Kauf und insbesondere auch der Kauf auf Teilzahlung erscheinen im allgemeinen als ein so unkompliziertes Rechtsgeschäft, daß sich kaum noch jemand etwas dabei denkt. Und doch werden mit ihm mannigfaltige und vieschichtige Rechtsbeziehungen begründet. Das wird meist erst dann deutlich, wenn etwas schiefgegangen ist, und wie oft etwas schiefgeht, davon weiß fast jeder Abgeordnete ein
Lied zu singen. Diese erfreuliche Entwicklung findet nicht nur in einer Vielzahl von Eingaben an den Petitionsausschuß des Deutschen Bundestages ihren Niederschlag, sondern auch in zahlreichen Zivilprozessen und Strafverfahren. Ich will nur eine Zahl nennen: In Stuttgart, wo ich wohne, entfallen jährlich von rund 17 000 Zivilverfahren beim Amtsgericht mindestens 4000 auf Abzahlungsgeschäfte, die von Vertretern abgeschlossen werden. So sieht die Wirklichkeit aus, und diese Wirklichkeit hat meine Fraktion mit dazu bewogen, die Vorlage Drucksache 1864 von vornherein zu unterstützen.
Wesentlich erschien uns, daß dem Käufer ein Preisvergleich zwischen Barpreis und Teilzahlungspreis ermöglicht wird. Das, was in diesem Zusammenhang in § 2 unserer Vorlage gefordert wird, ist bei jedem guten Verkaufsgespräch selbstverständlich. Aber wir wissen auch, wie selten heute bei dem herrschenden Personalmangel gute Verkaufsgespräche geworden sind.
Das gilt ganz besonders, wie mein Zahlenbeispiel gezeigt hat, für Vertragsabschlüsse an der Wohnungstür. Sicher, es sind nur relativ wenige, die hier durch ein unsolides Vorgehen einen ganzen Berufsstand in Mißkredit bringen. Aber wegen dieser wenigen brauchen wir dringend eine gesetzliche Regelung, eine gesetzliche Regelung, die sozial schwächere Schichten und vor allem auch alleinstehende ältere Menschen davor bewahrt, Kaufverträge zu unterschreiben, von denen sie bei ruhiger und gründlicher Nachprüfung feststellen würden, daß sie ihre Finanzkraft bei weitem übersteigen. Der solide Vertreter wird durch den § 6 unserer Vorlage nicht getroffen. Er wird seine Aufgabe darin sehen, zu überzeugen und nicht zu überreden. Bei einem Kauf aus Überzeugung wird aber ein nachträglicher Rücktritt, wie ihn § 6 ermöglicht, immer eine Ausnahme bleiben.
Selbstverständlich haben wir uns auch überlegt, ob dieses Rücktrittsrecht nicht generell gelten soll, also auch für Teilzahlungskäufe in Ladengeschäften. Wir haben davon abgesehen, eine solche Vorschrift vorzusehen; denn es ist doch etwas anderes, ob jemand an der Haustür überfallen und zu einem Kauf überredet wird oder ob er aus eigener Initiative in ein Geschäft geht, um etwas Bestimmtes zu kaufen. Der Verwirklichung dieser Absicht gehen doch im allgemeinen gründliche Überlegungen voraus, und dieses Nachdenken möchten wir dem Käufer nicht abgewöhnen. Dasselbe gilt für das Abzahlungsgeschäft im Versandhandel. Auch hier ist ein Rücktrittsrecht wie beim Kauf an der Wohnungstür nicht notwendig, weil auch hier der Anstoß zum Kauf vom Käufer ausgeht und nicht vom Verkäufer in einer Art und Weise, die keine ausreichende Überlegung zuläßt.
In der Frage des Gerichtsstands möchte ich mich ganz dem anschließen, was Herr Kollege Dr. Elbrächter vorhin gesagt hat.
Man kann auch darüber sprechen, ob mit einem Teilzahlungsgesetz Konjunkturpolitik gemacht werden soll. Ich persönlich bin der Meinung, daß unser



Mertes
bestehendes konjunkturpolitisches Instrumentarium ausreicht.

(Abg. Kurlbaum: Wo denn, was denn?!)

— Nun bitte, Herr Kollege Kurlbaum, das wollen wir doch heute abend nicht ausdiskutieren. Sie sind sicher so gut wie ich davon überzeugt, daß wir in unserer Wirtschaftspolitik ein konjunkturpolitisches Instrumentarium besitzen;

(Zurufe von der SPD: Nein!)

es kommt nur darauf an, dieses Instrumentarium anzuwenden und es auch von der öffentlichen Hand bei ihrer Ausgabenpolitik anwenden zu lassen. Ich glaube, darüber können wir uns doch einig sein.
Es wurde vorhin darauf hingewiesen, daß andere Länder hier mit einem guten Beispiel vorangegangen seien und Teilzahlungsgesetze als Instrumentarium der Konjunkturpolitik mit benützten. Ich weiß, man hat so etwas auch in den Vereinigten Staaten von Amerika versucht — versucht, Frau Kollegin —; dann hat man aber doch sehr schnell einsehen müssen, daß derartige Bestimmungen sehr leicht umgangen werden können. Da man niemand in Versuchung führen soll, ist man in den USA bereits in den fünfziger Jahren wieder von derartigen Experimenten abgekommen. Meines Wissens bestehen auch keine Bestrebungen, ähnliche Regelungen wieder einzuführen.
Wir sind dennoch bereit, bei den Ausschußberatungen zu prüfen, ob es zweckmäßig ist, im Gesetz eine Anzahlung in bestimmter Höhe vorzusehen. Manches spricht ganz ohne Zweifel dafür. Denken wir noch daran, daß dadurch der Käufer veranlaßt wird, einen Teil des Barpreises vorher anzusparen und somit nicht erst dadurch zum Sparen gezwungen wird, daß er nachher für die einzelnen Raten aufkommen muß.
Sehr skeptisch sind wir Freien Demokraten hinsichtlich der Ermächtigung für den Bundeswirtschaftsminister, die Anzahlung zu senken oder zu erhöhen, so wie dies in Ihrem Entwurf vorgesehen ist. Ist es wirklich im Interesse des Käufers, der nicht in der Lage ist, bar zu zahlen, und deswegen ein Teilzahlungsgeschäft abschließt, durch eine Senkung der Anzahlung zu einem Kauf zusätzlich angereizt zu werden, und zwar zu einem Zeitpunkt, bei dem man befürchten muß, daß unter Umständen die Vollbeschäftigung gefährdet ist? Das ist etwas, was wir doch sehr sorgfältig prüfen sollten. Wir sind der Meinung, daß die Entscheidung über diese Frage der Konjunkturpolitik hier im Parlament und nicht durch eine Rechtsverordnung des Herrn Bundeswirtschaftsministers getroffen werden sollte. Das sind Fragen, die wir auszudiskutieren haben werden.
Wir Freien Demokraten wollen, daß mit diesem Gesetz krasse Mißstände beseitigt werden, ohne daß in die Eigenverantwortlichkeit des Käufers eingegriffen wird. Wir sind der Überzeugung, daß die Vorlage Drucksache IV/1864 (neu) eine gute Ausgangsbasis für die Ausschußberatung bildet. In diesen Beratungen, Herr Kollege Kurlbaum, wollen wir alle diese Fragen noch einmal sehr sorgfältig prüfen. Ich habe keine Angst, daß wir nicht zu einem guten Ergebnis kommen. Wir wünschen lediglich, daß mit diesen Ausschußberatungen sehr bald begonnen wird.

(Beifall bei der FDP.)


Dr. Thomas Dehler (FDP):
Rede ID: ID0411834000
Das Wort hat der Herr Staatssekretär im Bundesministerium der Justiz.

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0411834100
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich glaube, die Rücksichtnahme auf das Hohe Haus gebietet, daß ich mich sehr kurz fasse, obwohl ich vorhatte, auf einige Fragen der beiden Entwürfe, die Sie beschäftigen, näher einzugehen und Ihnen gleichzeitig damit Rechenschaft abzulegen, daß die Bundesregierung sich schon seit langem mit diesen Fragen befaßt hat, daß sie bisher aber nicht in der Lage war, Ihnen einen eigenen Entwurf vorzulegen.
Die Bundesregierung hatte bereits bei der Antwort auf die Große Anfrage der SPD-Fraktion betreffend Maßnahmen der Bundesregierung auf dem Gebiet des Verbraucherschutzes und der Verbraucheraufklärung am 4. Dezember 1963 das Bedürfnis für eine Neuregelung des Abzahlungsrechts zumindest auf Teilgebieten bejaht, und es war versprochen, daß die entsprechenden Vorarbeiten weiter gefördert werden sollten.
Ich habe es begrüßt, daß heute auf eine große Analyse der beiden Initiativanträge, die vorliegen, verzichtet wird. Wir können sie in den Ausschußberatungen sehr wohl betreiben. Vielleicht muß ich Sie etwas enttäuschen: zu den beiden Initiativentwürfen, deren Erörterung so in voller Harmonie hier ausklang, wird vielleicht ein dritter Entwurf, ein Entwurf der Bundesregierung hinzutreten. Wir werden Ihnen erstens unsere Materialien bei den Ausschußberatungen voll zur Verfügung stellen. Wir geloben aber gleichzeitig für die Bundesregierung, unsere Vorarbeiten möglichst bald abzuschließen, damit das Gesetz, das Sie planen, noch in dieser Legislaturperiode verabschiedet wird. Das ist auch der Wunsch der Bundesregierung, und wir sind erfreut darüber, so viel Harmonie zu diesem Vorhaben gehört zu haben, wie wir es bei anderen so selten finden.
Ich will mich auf diese wenigen Bemerkungen beschränken und versichere Ihnen, daß die Bundesregierung Ihnen in den Ausschußberatungen zur Verfügung stehen wird.

(Abg. Kurlbaum: Wann kommt der Entwurf?)


Dr. Thomas Dehler (FDP):
Rede ID: ID0411834200
Ich schließe die erste Beratung. Vorgesehen ist Überweisung an den Wirtschaftsausschuß — federführend — und den Rechtsausschuß — mitberatend —. Es ist so beschlossen.
Ich rufe Punkt 10 der Tagesordnung auf:
a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu



Vizepräsident Dr. Dehler
dem Vertrag vom 29. Mai 1962 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Spanischen Staat über Kriegsopferversorgung (Drucksache IV/718),
b) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Notenwechsel vom 16. Mai 1963 zwischen dem Auswärtigen Amt und der Spanischen Botschaft in Bonn über die Anwendung des Vertrages vom 29. Mai 1962 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Spanischen Staat über Kriegsopferversorgung (Drucksache IV/1433).
Aussprache wird nicht gewünscht. Vorgesehen ist Überweisung der Gesetzentwürfe an den Ausschuß für auswärtige Angelegenheiten — federführend — und den Ausschuß für. Kriegsopfer- und Heimkehrerfragen — mitberatend —. Es ist so beschlossen.
Ich rufe Punkt 13 der Tagesordnung auf:
Erste Beratung des von den Abgeordneten Meis, Dr. Stecker, Dr. Imle und Genossen eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes zur Förderung der Wirtschaft von Berlin (West) (Drucksache IV/1854).
Eine schriftliche Begründung des Abgeordneten Meis wird zu Protokoll genommen *). Ohne Aussprache soll der Gesetzentwurf an den Finanzausschuß — federführend — und an den Ausschuß für gesamtdeutsche und Berliner Fragen — mitberatend — überwiesen werden. Es ist so beschlossen.
Punkt 14 der Tagesordnung:
Erste Beratung des von den Abgeordneten Wieninger, Dr. Huys, Lemmrich, Burgemeister, Seidl (München), Dorn, Ollesch, Busse, Frau Dr. Diemer-Nicolaus, Opitz und Genossen eingebrachten Entwurfs eines Ingenieurgesetzes (Drucksache IV/1694).
Der Entwurf soll ohne Aussprache überwiesen werden dem Wirtschaftsausschuß — federführend — und dem Ausschuß für Mittelstandsfragen — mitberatend. — Es ist so beschlossen.
Ich rufe Punkt 15 der Tagesordnung auf:
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 31. Mai 1963 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Regierung von Indien über den Fluglinienverkehr (Drucksache IV/1939).
Ohne Aussprache soll der Entwurf überwiesen werden an den Ausschuß für Verkehr, Post- und Fernmeldewesen. — Es ist so beschlossen.
Punkt 16 der Tagesordnung:
Erste Beratung des von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zum
Ratsbeschluß der Organisation für Wirt-
*) Siehe Anlage 10 schaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) vom 18. Dezember 1962 über die Annahme von Grundnormen für den Strahlenschutz (Drucksache IV/1938).
Der Entwurf soll ohne Aussprache dem Ausschuß für Atomkernenergie und Wasserwirtschaft überwiesen werden. — Es ist so beschlossen.
Punkt 20 der Tagesordnung:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Dröscher, Dr. Süsterhenn, Dr. Danz, Kulawig, Holkenbrink, Dr. Schneider (Saarbrücken) und Genossen betr. Errichtung einer D-ZugStation im Raum Bingen-Bingerbrück (Drucksache IV/1914).
Der Antrag soll ohne Aussprache dem Ausschuß für Verkehr, Post- und Fernmeldewesen überwiesen werden. — Es ist so beschlossen.
Ich rufe Punkt 21 der Tagesordnung auf:
Beratung des Antrags der Fraktion der SPD betr. Statistik über Arbeitsunfälle von Kindern und Jugendlichen in der Landwirtschaft (Drucksache IV/1950).

(Abg. Braun begibt sich zum Präsidenten.)

— Sie wollen eine Begründung zu Protokoll geben?
— Das geschieht. *)
Der Antrag soll ohne Aussprache dem Ausschuß für Sozialpolitik — federführend — und dem Ausschuß für Inneres — mitberatend — überwiesen werden. — Es ist so beschlossen.
Ich rufe auf den Tagesordnungspunkt 23:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Tamblé, Frau Dr. Heuser, Dr. Jungmann und Genossen betr. Eintragung der niedergelassenen Ärzte in den Amtlichen Fernsprechbüchern (Drucksache IV/1969).
Der Antrag soll ohne Aussprache an den Ausschuß für Verkehr, Post- und Fernmeldewesen — federführend — und den Ausschuß für Gesundheitswesen — mitberatend — überwiesen werden. — Es ist so beschlossen.
Ich rufe auf den Tagesordnungspunkt 26:
Beratung des Ersten Schriftlichen Berichts des
Ausschusses für Verkehr, Post- und Fernmeldewesen (23. Ausschuß) über die von der Bundesregierung zur Unterrichtung vorgelegten Vorschläge der Kommission der EWG an den Rat für Richtlinien, Entscheidungen und Verordnungen betreffend Verkehrswesen (Drucksachen IV/1313, IV/1960).
Es liegt vor der Bericht des Herrn Abgeordneten Dr. Sinn, dem ich danke. — Keine Wortmeldung.
Der Antrag des Ausschusses auf Drucksache 1960 liegt Ihnen vor. Wer zustimmt, gebe bitte Handzeichen. — Gegenprobe! — Einstimmig so beschlossen.
*) Siehe Anlage 11



Vizepräsident Dr. Dehler
Ich rufe auf den Tagesordnungspunkt 27:
Beratung des Schriftlichen Berichts des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten (19. Ausschuß) über den von der Bundesregierung zur Unterrichtung vorgelegten Vorschlag der Kommission der EWG für eine Verordnung des Rates über die Anwendung der Qualitätsnormen auf Obst und Gemüse, das innerhalb des erzeugenden Mitgliedstaates in den Verkehr gebracht wird (Drucksachen IV/1877, IV/1972).
Es liegt vor der Bericht des Herrn Abgeordneten Logemann, dem ich danke.
Der Antrag des Ausschusses, Kenntnis zu nehmen und die Bundesregierung zu ersuchen, liegt auf Drucksache 1972 vor. Wer zustimmt, gebe bitte Zeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Es ist so beschlossen.
Dann folgt Tagesordnungspunkt 28:
Beratung des Schriftlichen Berichts des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten (19. Ausschuß) über den von der Bundesregierung zur Unterrichtung vorgelegten Vorschlag der Kommission der EWG für eine Verordnung des Rats betreffend Abänderung von Artikel 3 Absatz 1 der Verordnung Nr. 23 (Drucksachen IV/1878, IV/ 1973) .
Es liegt vor der Bericht des Herrn Abgeordneten Logemann.
Der Antrag des Ausschusses geht dahin, von dem Vorschlag Kenntnis zu nehmen. — Das ist geschehen.
Dann Tagesordnungspunkt 29:
Beratung des Schriftlichen Berichts des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten (19. Ausschuß) über den von der Bundesregierung zur Unterrichtung vorgelegten Vorschlag der Kommission der EWG für eine Verordnung des Rats zur Festsetzung der Untergrenzen und Obergrenzen der Orientierungspreise für Rindfleisch für das am 1. April 1964 beginnende Wirtschaftsjahr (Drucksachen IV/1913, IV/1979).
Es liegt vor der Bericht des Herrn Abgeordneten Sühler.
Es soll von dem Vorschlag der EWG-Kommission Kenntnis genommen werden. Ferner soll die Bundesregierung ersucht werden, bei den künftigen Verhandlungen darauf hinzuwirken, daß von einer starren Preisrelation abgesehen wird. Wer zustimmt, gebe bitte Zeichen. — Gegenprobe! — Es ist so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 30 auf:
Beratung des Schriftlichen Berichts des Ausschusses für Gesundheitswesen (11. Ausschuß) über die von der Bundesregierung zur
*) Siehe Anlage 11 Unterrichtung vorgelegten Vorschläge der Kommission der EWG für eine
Richtlinie des Rates zur Regelung gesundheitlicher und lebensmittelrechtlicher Fragen beim Handelsverkehr mit Fleischerzeugnissen
Richtlinien des Rates zur Regelung gesundheitlicher Fragen beim Handelsverkehr mit frischem Geflügelfleisch (Drucksachen IV/1808, IV/1963).
Dazu liegt vor der Bericht des Abgeordneten Dr. Pohlenz mit dem Antrag des Ausschusses auf Drucksache IV/1963. Wer zustimmt, gebe bitte Zeichen. — Gegenprobe! — Es ist zugestimmt.
Tagesordnungspunkt 31:
Beratung des Schriftlichen Berichts des Ausschusses für Gesundheitswesen (11. Ausschuß) über den von der Bundesregierung zur Unterrichtung vorgelegten Vorschlag der Kommission der EWG für eine Richtlinie des Rates zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten auf dem Gebiet des Kakaos und der Schokolade (Drucksachen IV/1453, IV/1962).
Es liegt der Bericht des Herrn Abgeordneten Dr. Huys vor. Wer dem Antrag des Ausschusses auf Drucksache IV/1962 zustimmt, gebe bitte Zeichen. — Gegenprobe! — Es ist so beschlossen.
Dann rufe ich den Tagesordnungspunkt 34 auf:
Beratung der Ubersicht 20 des Rechtsausschusses (12. Ausschuß) über die dem Deutschen Bundestag zugeleiteten Streitsachen vor dem Bundesverfassungsgericht (Drucksache IV/1946).
Der Antrag des Ausschusses geht dahin, von einer Äußerung abzusehen. Ich nehme an, daß das Haus damit einverstanden ist. — Es ist so beschlossen.
Tagesordnungspunkt 35:
Beratung des Mündlichen Berichts des Ausschusses für wirtschaftlichen Besitz des Bundes (28. Ausschuß) über den Antrag des Bundesministers der Finanzen betr. Veräußerung eines Teils der ehemaligen Artillerie-Kaserne in Göttingen-Weende an das Land Niedersachsen (Drucksachen IV/1773, IV/1968).
Es liegt der Bericht des Herrn Abgeordneten Dr. Mälzig vor. Ich nehme an, daß das Haus dem Antrag auf Drucksache IV/1968 zustimmt. — Das ist der Fall; es ist so beschlossen.
Tagesordnungspunkt 36:
Beratung des Antrags des Bundesministers der Finanzen betr. Veräußerung der ehemaligen Heeresstandortverwaltung in Stuttgart, Rosensteinstraße 31/33, an die Firma Württ. Milchverwertung - Südmilch - AG in Stuttgart (Drucksache IV/1956).



Vizepräsident Dr. Dehler
Der Antrag soll dem Ausschuß für wirtschaftlichen Besitz des Bundes überwiesen werden. — Es ist so beschlossen.
Tagesordnungspunkt 37:
Beratung des Antrags des Bundesministers der Finanzen betr. Veräußerung von Teilflächen der ehemaligen Wehrkreisreit- und Fahrschule in Aalen (Drucksache IV/1988).
Der Antrag soll dem Ausschuß für wirtschaftlichen Besitz des Bundes überwiesen werden. — Ich stelle die Zustimmung des Hauses fest.
Damit sind wir am Ende der heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung auf morgen, Donnerstag, den 5. März, 14 Uhr, ein.
Die Sitzung ist geschlossen.