Gesamtes Protokol
Die Sitzung ist eröffnet.Bevor ich in die Tagesordnung eintrete, habe ich meine und des Hauses Glückwünsche auszusprechen dem Herrn Abgeordneten Schneider zu seinem 72. Geburtstag
und dem Herrn Abgeordneten Wehking zu seinem 65. Geburtstag.
Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat sollen folgende Gesetzentwürfe, die dem Haushaltsausschuß zur Mitberatung überwiesen worden sind, ihm nunmehr zusätzlich auch gemäß § 96 der Geschäftsordnung überwiesen werden:Entwurf eines Gesetzes zur Neuregelung des Rechts der gesetzlichen Krankenversicherung Krankenversicherungs-Neuregelungsgesetz)
Entwurf eines Bundeskindergeldgesetzes
Entwurf eines Gesetzes über bauliche Maßnahmen zum Schutz der Zivilbevölkerung (Drucksache IV/896)Entwurf eines Gesetzes über den Selbstschutz der Zivilbevölkerung (Drucksache IV/897)Entwurf eines Gesetzes über die Gewährung von Darlehen zur Ablösung von Schweizerfranken-Grundschulden
Entwurf eines Dritten Gesetzes zur Änderung des Kriegsgefangenenentschädigungsgesetzes (Drucksache IV/997)Entwurf eines Gesetzes über Hilfsmaßnahmen für Deutsche aus ,der sowjetischen Besatzungszone Deutschlands und dem Sowjetsektor von Berlin
Metadaten/Kopzeile:
5034 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 110. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 5. Februar 1964
davon entfallen auf denzivilen Bereich 3,2 Mrd. DMund auf den Bereich derVerteidigung 4,1 Mrd. DMb) im außerordentlichen Haushalt 2,1 Mrd. DMdavon entfallen auf denzivilen Bereich 1,6 Mrd. DMund auf den Bereich derVerteidigung 0,5 Mrd. DMDie vom Haushaltsausschuß des Deutschen Bundestages in der Sitzung am 16. Januar 1964 zugunsten der Kriegsopferversorgung vorgeschlagenen Kürzungen sind dabei berücksichtigt.Zu der in der Fragestunde der 109. Sitzung des Deutschen Bundestages am 24. Januar 1964 gestellten Frage des Abgeordneten Kahn-Ackermann Nr. XII/1 ist inzwischen die schriftliche Antwort der Frau Bundesminister Dr. Schwarzhaupt vom 29. Januar 1964 eingegangen. Sie lautet:Ich nehme an, daß Sie unter der jüngsten Entwicklung die Zunahme der Geschlechtskrankheiten verstehen, die in einzelnen wissenschaftlichen Arbeiten und auch in Pressestimmen behauptet wird. Leider liegt eine verwertbare Statistik weder auf Bundes- noch auf Länderebene vor, da nur eine beschränkte Meldepflicht besteht.Mit der Frage, ob über die bisherigen Bestimmungen des Gesetzes zur Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten hinaus eine allgemeine Meldepflicht für Geschlechtskranke wieder eingeführt werden soll, beschäftigt sich seit einiger Zeit eine Kommission, der Vertreter mehrerer Landesgesundheitsbehörden, des Bundesgesundheitsamtes und ein Vertreter meines Hauses angehören. Die Kommission hat ihre Beratungen noch nicht abgeschlossen, so daß die Bundesregierung auch die von Ihnen aufgeworfene Frage noch nicht abschließend beantworten kann. Nach Abschluß der Kommissionsberatungen wird geprüft werden, ob und in welcher Weise das Geschlechtskrankengesetz zu ändern sein wird. Nach dem jetzigen Stand der Arbeiten wird nur eine Meldung in Betracht kommen, welche die Anonymität des Erkrankten wahrt, also auch auf die Verschwiegenheitspflicht des Arztes Bedacht nimmt. Anderes gilt natürlich für diejenigen Personen, die nach den geltenden Bestimmungen namentlich erfaßt werden müssen.Ich rufe auf Punkt 1 der Tagesordnung:Fragestunde .Die Frage aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers der Justiz auf Drucksache IV/1884 ist von der Fragestellerin zurückgestellt worden.Wir kommen zu den Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Wohnungswesen, Städtebau und Raumordnung. Ich rufe die von dem Abgeordneten Schmidt gestellte Frage II/ 1 auf:Wie verteilen sich die aus Bund, Land und ggf. anderen öffentlichen Mitteln bis 1963 in den sozialen Wohnungsbau geflossenen Gelder zum Aufbau von Eigenheimen, von privaten Mehrfamilienbauten und von Bauten der genossenschaftlichen Bauträger?Das Wort zur Beantwortung hat der Herr Staatssekretär.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Die Frage nach der Verteilung der von Bund, Ländern, Gemeinden und Gemeindeverbänden zur Verfügung gestellten öffentlichen Mittel zur Förderung des sozialen Wohnungsbaus kann mit der gewünschten Untergliederung nach Eigenheimen, privaten Mehrfamilienbauten und Bauten der genossenschaftlichen Bauträger nicht beantwortet werden, weil die vorhandenen statistischen Unterlagen die Aufgliederung der Mittel nach den vorgenannten Bauvorhaben nicht zulassen. Nach der Bewilligungsstatistik ist es nur möglich, Angaben über die insgesamt bewilligten Mittel sowie über die Zahl der daraus geförderten Wohnungen zu machen.Nach der Bewilligungsstatistik, die erst seit 1952 geführt wird, können Angaben nur für die Zeit von Anfang 1952 bis Ende 1962 gemacht werden. Für 1963 erwarten wir die Zahlen zum April.Nach dieser Statistik sind in der genannten Zeit insgesamt an öffentlichen Mitteln von Bund, Ländern und Gemeinden 26,8 Milliarden DM für den sozialen Wohnungsbau bewilligt worden. Der Umfang der in den Jahren 1950/51 eingesetzten öffentlichen Mittel wird auf 3 Milliarden DM geschätzt. Zu den vorgenannten Beträgen kommen hinzu 430 Millionen DM objektbezogene Beihilfen zur Verbilligung von Kapitalmarktmitteln in Höhe von insgesamt 5,7 Milliarden DM.Mit diesen öffentlichen Mitteln wurden in dem genannten Zeitraum insgesamt 3,5 Millionen Wohnungen gefördert, von denen sich in Mehrfamilienhäusern rund 2,3 Millionen Wohnungen und in rund 0,8 Millionen Ein- und Zweifamilienhäusern rund 1,2 Millionen Wohnungen befanden.Über die Bauherreneigenschaft ist der Statistik zu entnehmen, daß von den mit öffentlichen Mitteln geförderten Wohnungen etwa 49 % insgesamt auf private Bauherren und 45 % auf gemeinnützige Wohnungsunternehmen — also Kapitalgesellschaften und Genossenschaften — entfallen. Die Differenz von 6 % entfällt auf öffentliche Bauherren und die freien Wohnungsunternehmen.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 110. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 5. Februar 1964 5035
Eine Zusatzfrage wird nicht gewünscht.
Wir kommen zu der ebenfalls von dem Abgeordneten Schmidt gestellten Frage II/2:
Wie weit haben die unter Frage II/1 genannten Bauträger jeweils von der Möglichkeit der vorzeitigen Rückzahlung Gebrauch gemacht?
Das Wort zur Beantwortung hat der Herr Staatssekretär.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Auch hier ist die gewünschte Aufgliederung der Bauherren nach den vom Herrn Fragesteller genannten Gruppen aus den darlegten Gründen nicht möglich. Es läßt sich nur angeben, wieviel Eigentümer von Familienheimen und Eigentumswohnungen einerseits und von Mietwohngrundstücken andererseits von der Möglichkeit der vorzeitigen Rückzahlung Gebrauch gemacht haben.
Es haben Darlehen, die der Bund für die Durchführung von Eigentumsmaßnahmen gewährt hat, abgelöst 88 364 Schuldner, Darlehen, die der Bund für die Finanzierung von Mietwohngrundstücken gegeben hat, 40 878 Schuldner. Die zurückgeflossenen Ablösungsbeträge der ersten Gruppe — also bei den Eigentumsmaßnahmen — belaufen sich auf 264 764 000 DM, die Rückzahlungsbeträge der zweiten Gruppe — also bei den Mietwohngrundstücken — auf 168 354 000 DM.
Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter Hammersen!
Herr Staatssekretär, würden Sie es nicht für zweckmäßig halten, die Wohnungsstatistik in der unter Frage II/1 aufgeführten Form erweitern zu lassen?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich will die Frage gern mit den Ländern besprechen, Herr Abgeordneter.
Keine weitere Zusatzfrage. Ich danke Ihnen, Herr Staatssekretär.
Wir kommen zu den Fragen aus dem Geschäftsbereich des Auswärtigen Amtes. Ich rufe die von dem Abgeordneten Dröscher gestellte Frage III/1 auf:
Was tut die Bundesregierung, um den deutschen Geschädigten der BRANDARIS-Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherungs-Affäre endlich zu ihrem Recht zu verhelfen, nachdem die Anspruchsberechtigten nun schon mehr als drei Jahre auf die Erstattung vorgelegter Beträge warten müssen?
Bitte, Herr Staatssekretär!
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich darf die Frage des Herrn Abgeordneten Dröscher wie folgt beantworten.
Das Ergebnis der deutsch-amerikanischen Verhandlungen wurde in einem Briefwechsel zwischen der amerikanischen Botschaft in Bonn und dem Bundesminister der Finanzen vom 28. Februar und
14. März 1963 niedergelegt. Die amerikanischen Streitkräfte haben sich danach bereit erklärt, ohne Anerkennung einer Rechtspflicht Entschädigungen für die Opfer von Verkehrsunfällen zu gewähren. Die Entschädigungen bemessen sich grundsätzlich nach dem Betrag, den der im Einzelfall für den Schaden Verantwortliche zu leisten haben würde. Über die auf Antrag zu gewährende Entschädigung entscheidet die zuständige Dienststelle der amerikanischen Streitkräfte.
Die deutschen Behörden haben es übernommen, die eingereichten Anträge zu prüfen und der amerikanischen Dienststelle einen begründeten Entschädigungsantrag auf der Grundlage der Bestimmungen des deutschen Rechts zu übermitteln. Unmittelbar nach dem Abschluß der Vereinbarungen sind die deutschen Behörden mit Richtlinien versehen worden. Sie haben ihre Arbeit aufgenommen und bereits in zahlreichen Fällen der amerikanischen Dienststelle Entschädigungsvorschläge unterbreitet.
Die Bundesregierung wird sowohl bei den deutschen Behörden als auch bei den amerikanischen Streitkräften auf eine beschleunigte Abwicklung aller Schadensfälle hinwirken. Die Verhandlungen mit der britischen und der kanadischen Botschaft sind noch im Gange.
Keine Zusatzfrage.
Ich rufe auf die Frage III/2 — des Abgeordneten Dr. Dr. h. c. Friedensburg —:
Glaubt es die Bundesregierung verantworten zu können, sehr erhebliche Beträge an Entwicklungshilfe für Indonesien zu zahlen, wenn die Politik dieses Landes ständig die Umwelt in Unruhe versetzt und den Weltfrieden gefährdet, wenn die Regierung dieses Landes Eigentum und Sicherheit der dort tätigen ausländischen Personen und Unternehmen nicht respektiert und wenn die zu fördernden Maßnahmen weder dringlich noch nach strengen wirtschaftlichen Maßstäben zweckmäßig sind?
Der Fragesteller hat sich mit schriftlicher Beantwortung einverstanden erklärt. Die Antwort des Herrn Staatssekretärs Dr. Carstens vom 1. Februar 1964 lautet:
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Indonesien hat bisher Kapitalhilfe in Höhe von 100 Mio DM erhalten und wie folgt verbraucht55 Mio DM für Entwicklung des Eisenbahnnetzes ;15 Mio DM für Bewässerungsanlage in Djatiluhur;30 Mio DM ebenfalls für rollendes Eisenbahnmaterial.Ferner wurde zum gleichen Zeitpunkt ein sog. Hermes-Sonderplafond in Höhe von 100 Mio DM zugesagt, der bisher von indonesischer Seite nicht ausgenutzt wurde.Während des Staatsbesuches des Herrn Bundespräsidenten in Indonesien im November 1963 wurden keine Zusagen über neue Kapitalhilfen gegeben. Die Technische Hilfe an Indonesien wird entsprechend den vertraglichen Verpflichtungen und in dem Umfang fortgesetzt, wie dies auch von allen übrigen Ländern, die solche Hilfen geben, geschieht; auch die USA haben ihre Finanzhilfe nicht unterbrochen. Im übrigen stimmt die Bundesregierung ihre entwicklungspolitischen Maßnahmen für Indonesien im Rahmen des DAC mit allen westlichen Geberländern laufend ab.Indonesien ist das drittgrößte Land Asiens und unterhält intensive Wirtschaftsbeziehungen mit Deutschland. Besonders hingewiesen wird hierbei auf den Tabakmarkt in Bremen, den zur Zeit im Aufbau befindlichen Holzmarkt und andere deutschindonesische Gemeinschaftsunternehmungen. Es wird auch daran erinnert, daß sämtliche aus der obengenannten Kapitalhilfe sich ergebenden Aufträge der deutschen Industrie zugute gekommen sind. Indonesien ist seinen Zahlungsverpflichtungen stets nachgekommen.Ob die Bundesregierung in Zukunft neue Finanzhilfe an Indonesien gewähren wird, hängt von der politischen Entwicklung ab.
Metadaten/Kopzeile:
5036 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 110. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 5. Februar 1964
Vizepräsident Dr. JaegerIm übrigen darf die Bundesregierung die Haltung Indonesiens in der Deutschland- und Berlinfrage bei der Gestaltung der deutsch-indonesischen Beziehungen nicht unberücksichtigt lassen.Ich rufe auf die Frage III/3 — des Abgeordneten Dr. Dr. h. c. Friedensburg —:Beabsichtigt die Bundesregierung weiterhin, an Länder, die die Absicht verkünden, die Lebensgrundlagen des Staates Israel durch Unbrauchbarmachung des Jordanwassers zu gefährden, Entwicklungshilfe zu leisten und damit das unheilvolle, den Weltfrieden bedrohende Vorhaben dieser Länder zu unterstützen?Der Fragesteller hat sich mit schriftlicher Beantwortung einverstanden erklärt. Die Antwort des Herrn Staatssekretärs Dr. Carstens vom 1. Februar 1964 lautet:
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Die Politik der Bundesregierung ist darauf gerichtet, den Frieden zu erhalten und in Spannungszentren ausgleichend zu wirken. Dieser Grundsatz gilt auch für die Politik im Nahostraum. Die Bundesregierung wird daher alle Maßnahmen ergreifen, die geeignet sind, zu einer Verminderung der Spannungen beizutragen. Die Richtlinien, nach denen Entwicklungshilfe gewährt wird, entsprechen der den Frieden erhaltenden Politik der Bundesregierung.
Ich rufe dann die Frage III/4 — des Abgeordneten Dr. Kanka — auf:
Unter welchen Voraussetzungen und mit welchen Beschränkungen wird Nationalchinesen aus Taiwan für den Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland ein Visum erteilt?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Darf ich, Herr Präsident, die beiden Fragen des Herr Abgeordneten Kanka zusammen beantworten?
Bitte sehr. Ich rufe also auch die Frage III/5 — des Herrn Abgeordneten Dr. Kanka — auf:
Hält die Bundesregierung es für richtig, daß einer aus Nationalchina — Taiwan — stammenden jungen, gesunden und gut beleumundeten Chinesin zuerst von der deutschen konsularischen Vertretung in Hongkong das Visum für einen länger als drei Monate dauernden Aufenhalt im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland, während dessen sie dort auch arbeiten wollte, mit der Begründung versagt wurde, Visa für einen solchen Aufenthalt würden nur Angehörigen der EWG-Länder erteilt, und daß der gleichen Antragstellerin dann von der deutschen konsularischen Vertretung in Wien auch ein Visum, mit dessen Hilfe sie studieren wollte, abgelehnt wurde; dieses Mal mit der Begründung, sie wolle offenbar doch nur „einem Arbeitsverdienst nachgehen"?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Chinesen sowie andere Ausländer, die in die Bundesrepublik Deutschland einreisen wollen, müssen folgende Unterlagen vorlegen: erstens die Zusicherung der Aufenthaltserlaubnis der zuständigen Ausländerpolizeibehörde; ferner, wenn sie in der Bundesrepublik Deutschland eine Arbeit aufnehmen wollen, eine Arbeitsgenehmigung des zuständigen Arbeitsamts; wenn sie hier studieren wollen, eine Immatrikulationsbescheinigung der gewählten Universität; wenn sie eine Besuchs- oder Touristenreise nach Deutschland machen wollen, den Nachweis, daß Lebensunterhalt und Rückreise gesichert sind.
Eine Ausnahme hiervon gilt im Verhältnis zu den EWG-Partnerstaaten. Den Angehörigen dieser Staaten ist die Arbeitsaufnahme in der Bundesrepublik Deutschland ohne weiteres erlaubt.
Ich darf dann auf die zweite Frage des Herrn Abgeordneten Kanka eingehen. Ich möchte vorausschicken, daß ich zu dem Fall, um den es sich handelt, ohne seine konkrete Kenntnis keine Auskunft geben, sondern mich nur ganz allgemein zu dem in der Frage aufgeworfenen Problem äußern kann.
Wenn ein Ausländer zur Arbeitsaufnahme in die Bundesrepublik Deutschland einreisen will, die eben genannten Voraussetzungen aber nicht erfüllt, so muß ihm das Visum verweigert werden. Wenn der betreffende Ausländer daraufhin bei einer anderen Auslandsvertretung versucht, unter Angabe eines anderen Reisezwecks — in diesem Fall Studium — eine Einreiseerlaubnis zu erhalten, ohne daß er die Zulassung zu einer deutschen Universität nachweisen kann, so muß ihm der Einreisesichtvermerk ebenfalls verweigert werden.
Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter Kanka.
Finden Sie nicht, daß die Verteilung der Kompetenzen für die Ausstellung der Bescheinigungen, die Sie — nach Ihrer Antwort auf die erste Frage — von Nationalchinesen und Ausländern aus anderen als den zur EWG gehörenden Staaten fordern, zu Schwierigkeiten führen kann? Wäre es nicht angebracht, einmal zu überlegen, wie man die Dinge vereinfachen und wie man eine von der Praxis in den einzelnen Ländern und der einzelnen Behörden unabhängige Gesamtkonzeption für die Erteilung von Visen finden könnte?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, die deutschen Auslandsvertretungen sind mit den einschlägigen Bestimmungen versehen, so daß jedem Ausländer, der sich an sie wendet, eine eindeutige und vollständige Auskunft erteilt werden kann.
Eine weitere Zusatzfrage.
Sind Sie bereit, sich mit mir später noch einmal etwas einläßlicher über die Materie zu unterhalten?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Dazu bin ich sehr gern bereit, Herr Abgeordneter, besonders wenn Sie mir den konkreten Fall nennen, um den es sich handelt.
Ich rufe dann auf die Frage III/6 — des Herrn Abgeordneten Dr. Mommer —:
Was steht nach Meinung der Bundesregierung im Wege, das in Artikel 138 des EWG-Vertrages dem Mitgliedstaat überlassene Verfahren zur Ernennung seiner Mitglieder im Europäischen Parlament aus der Mitte des Bundestages so festzulegen, daß die gleichzeitig mit der Wahl in den Bundestag auf einer europäischen Liste gewählten 36 Abgeordneten in das Europäische Parlament entsandt werden?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Artikel 138 des EWG-Vertrages schreibt vor, daß die Mitglieder des Europäischen Parlaments in-
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 110. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 5. Februar 1964 503
'7
Staatssekretär Dr. Carstensdirekt, nämlich von den nationalen Parlamenten aus ihrer Mitte gewählt werden müssen. Diese Bestimmung ist für alle Mitgliedstaaten bindend. Ihr Gedanke, Herr Abgeordneter Mommer, läuft im Ergebnis auf eine direkte Wahl der Mitglieder des Europäischen Parlaments hinaus. Ihm begegnen daher, ohne daß insoweit jetzt ein abschließendes juristisches Urteil gefällt werden sollte, gewisse rechtliche Bedenken.Hinzu kommt aber eine politische Überlegung, daß nämlich ein Parlament grundsätzlich in seiner Gänze nach denselben Richtlinien, nach denselben Grundsätzen und nach demselben Verfahren gewählt werden sollte. Es wird also darauf ankommen, daß man verwirklicht, was in Absatz 3 desselben Artikels des EWG-Vertrages vorgesehen ist, die Vorbereitung für die direkte Wahl des Europäischen Parlaments weiter zu betreiben.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Mommer!
Herr Staatssekretär, ist es nicht so, daß Sie das Wort „indirekt" von sich aus hinzugefügt haben? Im Artikel 138 ist vielmehr von einem von jedem Mitgliedstaat zu bestimmenden Verfahren die Rede. Könnte dieses Verfahren nicht so sein, daß man die Mitglieder des Hauses — also aus seiner Mitte — entsendet, die in einem Nebenverfahren auch direkt gewählt werden?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Es ist richtig, Herr Abgeordneter, daß der Artikel 138 das Wort „indirektes Wahlverfahren" nicht gebraucht. Dennoch bestimmt er, daß die Abgeordneten des Europäischen Parlaments von den Parlamenten aus ihrer Mitte bestellt werden. Das ist das Verfahren, das man üblicherweise als indirektes Verfahren bezeichnet. Es ist richtig, daß die Modalitäten dieses Verfahrens den einzelnen Mitgliedstaaten überlassen sind. Ich meine nur, daß die Verwirklichung des Gedankens, den Sie hier zur Diskussion gestellt haben, das Verfahren sehr nahe an ein direktes Wahlverfahren heranbringen würde und daß insofern rechtliche Bedenken erhoben werden könnten.
Aber ich möchte noch einmal sagen: dies soll keine abschließende juristische Stellungnahme zu dieser Frage sein. Ich habe darüber hinaus auf gewisse politische Erwägungen hingewiesen, die nach meiner Auffassung ebenfalls berücksichtigt werden müssen.
Noch eine Zusatzfrage!
Herr Staatssekretär, darf ich aus Ihrem letzten Satz schließen, daß es im wesentlichen politische und nicht juristische Bedenken sind, die zu Ihrer Stellungnahme führen?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das würde ich daraus nicht zu folgern bitten, Herr Abgeordneter. Ich glaube, beide Erwägungen müssen nebeneinander in Betracht gezogen werden.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Wehner!
Herr Staatssekretär, wenn bei einem solchen Verfahren die Abgeordneten zugleich als Abgeordnete für den Deutschen Bundestag gewählt würden, entfiele doch jedes Bedenken hinsichtlich der Ungleichartigkeit, der Art und Weise ihrer Delegation, auf die Sie ja abgehoben haben. Befinde ich mich da im Irrtum, oder müßten Sie das nicht zugeben?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich glaube nicht, daß Sie mich da richtig verstanden haben, Herr Abgeordneter. Wenn ich den Vorschlag oder den Gedanken des Herrn Abgeordneten Mommer richtig verstehe, so läuft er darauf hinaus, in einer direkten Wahl zu entscheiden, welche Mitglieder des Bundestages in das Europäische Parlament entsandt werden sollen. Es sollen selbstverständlich Mitglieder des Bundestages sein. Das habe ich wohl verstanden.
Mitglieder des Bundestages! Sie haben in Ihrer Antwort darauf gesagt, der Vertrag sehe vor, es dürften nicht Abgeordnete aus verschiedenen Rechten in dieses Europäische Parlament entsandt werden. Sie würden ja hier nicht unter verschiedenen Rechten benannt werden. Auch heute werden ganz unterschiedlich bei den Wahlen zu den nationalen Parlamenten Abgeordnete in den verschiedenen Ländern gewählt, ohne daß das diese Bestimmung, die Sie hier anziehen, stört.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, nach dem jetzt geltenden Verfahren werden aber die Abgeordneten aus den nationalen Parlamenten durch die nationalen Parlamente gewählt.
So wollen Sie damit sagen, daß das für Sie ein willkommenes Argument ist, um jeden Versuch eines Näherbringens der Abgeordneten im Europäischen Parlament an die Bevölkerung und des Bewußtseins der Bevölkerung an diese Abgeordneten zu verhüten?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, das will ich in gar keiner Weise sagen. Im Gegenteil, die Bundesregierung hat des öfteren gesagt — und ich habe das in meiner ersten Antwort auch zum Ausdruck gebracht —, daß sie für die direkte Wahl der Mitglieder des Europäischen Parlaments eintrete. Es ist nur die Frage, die hier zur Diskussion gestellt worden ist, ob es sinnvol ist, ein solches quasi direktes Verfahren in einem der Mitgliedstaaten einzuführen, und da habe ich gewisse Bedenken ausgesprochen.
Keine weitere Zusatzfrage.Ich rufe auf die Frage III/7 — des Abgeordneten Dr. Mommer —:Wird der Herr Bundeskanzler mit Initiativen zur politischen Einigung Europas bis zur Beratung dieser Probleme mit den Regierungen Belgiens und der Niederlande warten?
Metadaten/Kopzeile:
5038 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 110. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 5. Februar 1964
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Der Herr Bundeskanzler hat in seiner Erklärung vor dem Bundestag am 9. Januar 1964 darauf hingewiesen, daß es dringend notwendig sei, die wirtschaftspolitische Integration der Gemeinschaftsstaaten im Rahmen der Europäischen Verträge durch eine neue Initiative politischer Art zu erweitern und zu ergänzen. Er hat Gespräche hierüber mit den Partnerstaaten in den Gemeinschaften aufgenommen. Zunächst wurde die Frage bei dem Besuch des Herrn Bundeskanzlers in Paris im November, sodann bei dem kürzlichen Besuch in Rom erörtert. Eine weitere Gelegenheit hierzu werden die bevorstehenden Besprechungen des Herrn Bundeskanzlers in Paris bieten. Mit der englischen Regierung fand ebenfalls ein Meinungsaustausch statt. Der Herr Bundeskanzler beabsichtigt, in naher Zukunft auch mit den Regierungen der übrigen Partnerstaaten der Gemeinschaften Besprechungen zu führen. Im Anschluß daran wird sich ein vollständigeres Bild hinsichtlich der Möglichkeit weiterer Schritte bieten.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Mommer.
Herr Staatssekretär, verstehe ich Sie richtig und verstehe ich das Kommuniqué von Rom nach dem Besuch des Herrn Bundeskanzlers richtig, wenn ich meine, daß Sie die Idee fallengelassen haben, die Pläne, die an den FouchetPlan anknüpfen würden, weiter zu verfolgen, vielmehr die Initiativen in Richtung auf den Ausbau der bestehenden Gemeinschaften legen wollen?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich würde darauf so antworten, Herr Abgeordneter, daß der Ausbau der bestehenden Gemeinschaften in jedem Falle weiter betrieben und weiter verfolgt werden soll, daß darüber hinaus aber eine zusätzliche politische Initiative notwendig erscheint. Über die Art dieser Initiative und über ihren Zeitpunkt muß selbstverständlich mit den anderen Partnern der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und mit Großbritannien Fühlung genommen werden.
Eine zweite Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Mommer.
Um welche politische Initiative kann es sich ,da handeln, wenn es sich nicht um die politische Union handelt, die 1962 gescheitert ist?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich glaube, Herr Abgeordneter, es gibt eine Reihe von Möglichkeiten, zu einer engeren politischen Zusammenarbeit in Europa zu kommen. Eine davon ist beispielsweise die Aktivierung der Westeuropäischen Union, die wir ja seit längerem mit Nachdruck und auch mit Erfolg betreiben. Aber ich sehe darüber hinaus weitere Möglichkeiten, ohne daß ich sie jetzt hier im einzelnen darlegen möchte.
Keine Zusatzfrage. Ich danke Ihnen, Herr Staatssekretär,
Ich komme nunmehr zu den Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung und rufe auf die Frage VIII/1 — des Abgeordneten Baier —:
Ist der Bundesregierung bekannt, daß der österreichische Rentenversicherungsträger bei Renten an deutsche Staatsbürger, die in der Bundesrepublik wohnhaft sind, einen Beitrag für die Krankenversicherung einbehält, obgleich diese Rentenbezieher, weil sie in der Bundesrepublik wohnhaft sind, keine Leistungen der österreichischen Krankenversicherung in Anspruch nehmen können?
Ist der Abgeordnete Baier im Saal? — Das ist nicht der Fall. Dann wird die Frage schriftlich beantwortet werden.
Ich rufe auf die Frage VIII/2 — des Abgeordneten Baier —:
Was hat die Bundesregierung unternommen, um die volle Rentenauszahlung durch den österreichischen Rentenversicherungsträger an die in der Bundesrepublik wohnhaften rentenberechtigten Bürger sicherzustellen?
Diese Frage wird ebenfalls schriftlich beantwortet.
Ich rufe ,auf die Frage VIII/3 — des Abgeordneten Jahn —:
Wie ist der Stand der Vorarbeiten zu einem Entwurf eines Deutschen Arbeitsgesetzbuches, deren Einleitung der 3. Bundestag in der Sitzung vom 2. Dezember 1959 einstimmig gefordert hat?
Herr Bundesminister, ich darf bitten.
Ich darf die Beantwortung beider Fragen wohl zusammenfassen; denn sie gehören zusammen.
Dann rufe ich auch auf die Frage VIII/4 — des Abgeordneten Jahn —:
Hat das Sachverständigengremium, das nach den Ausführungen des Vertreters des Bundesarbeitsministeriums in der Sitzung des Bundestagsausschusses fur Arbeit vom 18. Januar 1962 gebildet werden sollte, um die zuständigen Ministerien bei den Vorarbeiten zu einem Entwurf eines Deutschen Arbeitsgesetzbuches zu unterstützen, die Tätigkeit inzwischen aufgenommen?
Ich bitte um Entschuldigung, wenn die Antwort ein wenig umfangreicher ausfällt, Herr Kollege Jahn. Die Vorbereitungsarbeiten für ein Deutsches Arbeitsgesetzbuch hat das Bundesministerium für Arbeit entsprechend dem Plan fortgeführt, über den dem Ausschuß für Arbeit am 18. Januar 1962 berichtet worden ist.Inzwischen liegt als Teilergebnis der Arbeiten eine systematische Gliederung des gesamten Arbeitsrecht vor, in der rund 2000 für die Kodifikation des Arbeitsrechts bedeutsame Rechtskomplexe herausgearbeitet und unter Berücksichtigung sowohl rechtssystematischer Erkenntnisse als auch der Erfordernisse der praktischen Gesetzgebungsarbeit in eine systematische Ordnung gebracht worden sind. Im arbeitsrechtlichen Archiv meines Ministeriums ist nach derselben Gliederung eine umfassende Dokumentation des Arbeitsrechts aufgebaut, so daß die gesamten Rechtsunterlagen zu jeder Detailfrage aufbereitet zur Verfügung stehen.Das Bundesarbeitsministerium hat sich zunächst den grundlegenden Fragen des Arbeitsverhältnisses zugewandt und an namhafte Wissenschaftler Forschungsaufträge erteilt. Angesichts der Vielfältigkeit
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 110. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 5. Februar 1964 5039
Bundesminister Blankund des Umfangs der zu berücksichtigenden Sachverständigenkreise — Wissenschaft, Rechtsprechung, Verwaltung und Sozialpartner — bereitet eine ausgewogene Zusammensetzung des Gremiums, nach dem Sie fragen, gewisse Schwierigkeiten. Erst wenn die jetzt in Angriff genommenen Verarbeiten weiter fortgeführt sind, wird ein solches Gremium seine Arbeit mit Erfolg aufnehmen können. Auch muß das Ergebnis wichtiger Forschungsaufträge abgewartet werden. Ich möchte aber schon jetzt sagen, daß ich Sie wegen des Interesses, das Sie diesen Fragen zuwenden, über den weiteren Fortgang der Arbeiten von Fall zu Fall unterrichten werde.
Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter Jahn!
Herr Minister, läßt sich nach den bisherigen Vorarbeiten in etwa absehen, wann die Sachverständigenkommission von Ihnen zusammengerufen werden kann?
Herr Kollege Jahn, darauf kann ich im Moment keine präzise Antwort geben. Wir müßten diesen Fragenkomplex einmal durchsprechen. Daran müßte sich auch jemand beteiligen, der im Arbeitsrecht sachverständiger ist als ich. Ich würde Sie zu einer solchen Besprechung gern hinzuziehen.
Eine zweite Zusatzfrage!
Herr Minister, Sie erwähnten in Ihrer Antwort die Aufbereitung und Sammlung von rund 2000 Rechtskomplexen. Handelt es sich dabei um 2000 Einzelvorschriften oder um 2000 verschiedene Rechtsfragen?
Sicherlich um 2000, ich will nicht direkt sagen: Einzelfragen, aber immerhin um solche unterteilten Gruppen. Daraus ergibt sich diese ungeheure Zahl.
Ich rufe auf Frage VIII/5 — des Abgeordneten Dr. Schmidt —:
Sind der Bundesregierung Untersuchungen über das Auftreten der chronischen Emphysem-Bronchitis, insbesondere bei älteren Bergleuten, bekannt?
Herr Minister, bitte!
Herr Kollege, der Bundesregierung sind diese Untersuchungen bekannt. Aber aus anderen Untersuchungen geht hervor, daß die chronische Emphysem-Bronchitis auch bei älteren Personen, die nicht im Bergbau tätig sind oder tätig waren, relativ häufig vorkommt. Der ärztliche Sachverständigenbeirat des Bundesministeriums für Arbeit hat sich im Herbst 1962 ausgiebig mit der Bedeutung exogener Faktoren für die Entstehung der chronischen Emphysem-Bronchitis befaßt. Dabei kam zum Ausdruck, daß das Ergebnis bisheriger Untersuchungen nicht
ausreicht, um einen ursächlichen Zusammenhang zwischen der Tätigkeit unter Tage und der Entstehung einer Emphysem-Bronchitis — sofern diese nicht die Folge einer Silikose oder ähnlicher Erkrankungen ist — anzunehmen.
Nicht nur die Ergebnisse meiner diesbezüglich erteilten Forschungsaufträge lassen keine ausreichend gesicherten Schlüsse zu, sondern auch die von der Hohen Behörde für Kohle und Stahl in Luxemburg vergebenen Forschungsaufträge haben hinsichtlich dieses Problems kein eindeutiges Ergebnis gebracht.
Um die Frage einer Klärung zuzuführen, sind weitere spezielle und einheitlich durchzuführende ärztliche Untersuchungen von beruflich Exponierten und vergleichsweise beruflich nicht Exponierten erforderlich. Hierzu werden seit geraumer Zeit in meinem Ministerium unter Mitwirkung medizinischer Wissenschaftler „Richtlinien zu arbeitsmedizinischen Untersuchungen über die chronische Bronchitis und das chronische Lungenemphysem" erarbeitet.
Eine Zusatzfrage!
Herr Minister, wann etwa werden diese Untersuchungsergebnisse vorliegen?
Herr Kollege, darauf kann ich Ihnen im Augenblick keine klare Antwort geben. Das sind, wie Sie wissen, sehr schwerwiegende Untersuchungen. Ich bin im Moment überfragt. Daß ich den Problemen ständig nachgehe, werden Sie, glaube ich, von mir annehmen.
Eine zweite Zusatzfrage!
Sind Sie bereit, diese Untersuchungsergebnisse zur Verfügung zu stellen?
Gern. Ich bin sogar der Meinung, dieses Problem ist auch für die Abgeordneten, die sich in den Ausschüssen mit Fragen der Arbeitsmedizin, des Unfallschutzes, der Berufskrankheiten usw. beschäftigen, so interessant, daß man ihnen das Material laufend zur Verfügung stellen sollte. Ich werde das veranlassen.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Heiland.
Herr Minister, sind Ihnen die Arbeiten von Herrn Dr. Carstens in Recklinghausen bekannt? Soweit ich informiert bin, kommen die Erkrankungen an chronischer Emphysem-Bronchitis nicht nur bei Bergleuten, sondern bei allen Staubeinwirkungen unterliegenden Berufsgruppen vor. Nach diesen Ergebnissen könnte, soweit mir bekannt ist, wenn man die Erkrankten früh genug aus den sie gefährdenden Arbeitsbereichen umsetzte, erstens
Metadaten/Kopzeile:
5040 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 110. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 5. Februar 1964
Heilandeine Frühinvalidität verhindert werden und zweitens den einzelnen davon Betroffenen eine größere Lebenserwartung ermöglicht werden.
Herr Kollege, mir ist die von Ihnen jetzt angezogene Arbeit nicht bekannt. Aber die gesamten Untersuchungen laufen doch gerade darauf hinaus, hier, soweit das im Bereich der medizinischen Wissenschaft möglich ist, klare Erkenntnisse zu schaffen, natürlich mit dem Ziel, den Betroffenen zu helfen, d. h. sie rechtzeitig an einen anderen Arbeitsplatz zu bringen oder sonstige Schutzmaßnahmen zu ergreifen. Das ist das Ziel all dieser Untersuchungen. Ich kann Ihnen natürlich im Rahmen einer Fragestunde nicht im Detail Auskunft geben, was in einer einzelnen Arbeit steht und wie das medizinisch zu bewerten ist. Da wäre ich jedenfalls mit meinem Sachverstand überfragt.
Eine zweite Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Heiland.
Herr Minister, wenn festgestellt wird, daß diese Krankheit nicht nur bei Bergleuten, sondern bei allen Staubeinwirkungen unterliegenden Personen vorkommt, sind Sie dann bereit, diese Erkrankungen als Berufserkrankungen gesetzlich anerkennen zu lassen?
Das ist gerade der Sinn dieser Untersuchungen: alles zu klären, um dann eine Entscheidung darüber zu fällen, ob man diese Art von Erkrankungen in die Liste der Berufserkrankungen und damit der unter die Unfallversicherung fallenden Berufskrankheiten aufnehmen sollte. Die Entscheidung allerdings, ob man das tun sollte, wird von dem endgültigen Ergebnis dieser Untersuchungen abhängig zu machen sein.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Arendt.
Herr Minister, ist Ihnen bekannt, wie groß der Anteil der an chronischer Emphysem-Bronchitis erkrankten Bergleute ist, die deswegen berufsunfähig geworden sind?
Herr Kollege, diese Zahlen habe ich zwar im Augenblick nicht griffbereit, aber sie liegen selbstverständlich in meinem Ministerium vor und sind allen mit dieser Materie Beschäftigten genauestens bekannt. Denn wir bekommen die statistischen Berichte von der Ruhrknappschaft. Das ist auch Ihnen, Herr Kollege, bekannt.
Eine zweite Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Arendt.
Herr Minister, hat die Bundesregierung Maßnahmen geplant, um die erkrankten Bergleute in andere, gesundheitlich zumutbare Berufe umzuschulen?
Ich habe soeben dieselbe Frage beantwortet. Ich habe gesagt: Sobald diese Untersuchungen klare Erkenntnisse schaffen, werden wir die Frage zu prüfen haben, ob diese Krankheit in die Liste der Berufskrankheiten aufzunehmen ist und was weiter zu geschehen hat. Daß es schon heute genügend Möglichkeiten gibt, jeden Arbeiter, der gesundheitlich gefährdet erscheint, an einen anderen Arbeitsplatz zu bringen, ist doch eine bare Selbstverständlichkeit, auch ohne daß im letzten klar ist, worauf das Leiden medizinisch zurückzuführen ist. Es ist wohl eine Selbstverständlichkeit, daß, wenn jemand infolge einer Krankheit unfähig ist, eine gewisse Arbeit zu leisten, eine vernünftige Betriebsleitung und auch ein vernünftiger Betriebsrat miteinander dafür sorgen, daß der Mann einen anderen Arbeitsplatz bekommt. Ich glaube, das ist nicht eine Frage, die mit diesen Untersuchungen in Zusammenhang steht.
Keine Zusatzfrage mehr? — Ich komme dann zur Frage VIII/6 — des Herrn Abgeordneten Fritsch —:
Worauf ist die Zahl von rd. 54 000 derzeit unerledigter Versorgungsanträge in der Kriegsopferversorgung im wesentlichen zurückzuführen?
Bitte sehr, Herr Bundesminister.
Die Frage des Herrn Abgeordneten Fritsch, worauf die Zahl von rund 54 000 derzeit unerledigter Versorgungsanträge in der Kriegsopferversorgung zurückzuführen sei, möchte ich wie folgt beantworten; ich möchte vorwegschicken, Herr Abgeordneter Fritsch, daß die Länder das Bundesversorgungsgesetz in eigener Zuständigkeit ausführen.Diese 54 109 unerledigten Versorgungsanträge wies die Statistik am 30. September 1963 aus; ich überprüfe das vierteljährlich. Zum gleichen Zeitpunkt erhielten rund 2 900 000 Berechtigte Leistungen nach dem Bundesversorgungsgesetz. Es sind seit dem 1. September 1952 insgesamt 2 623 900 Anträge nach diesem Gesetz erledigt worden.Wenn trotz dieser großen Leistung der Versorgungsverwaltung noch rund 54 000 Antragsteller auf die Entscheidung warten mußten, so liegt das nach meiner Ansicht im wesentlichen an folgendem. Der Zugang an neuen Anträgen beträgt pro Vierteljahr immer noch rund 18 000. Ein erheblicher Teil dieser Anträge wird von Personen gestellt, die ihren Wohnsitz in den zur Zeit unter fremder Verwaltung stehenden deutschen Gebieten oder in den ost- und südosteuropäischen Staaten haben. Die Ermittlungen zur Entscheidung dieser Anträge sind besonders schwierig und zeitraubend. Die durch das erste Neuordnungsgesetz eingeführten und verbesserten Ansprüche sowie der Fortfall der Fristvorschriften hatten eine große Anzahl von Anträgen zur Folge, deren Erledigung teilweise mit besonderem Arbeitsaufwand verbunden war. Die angespannte Lage auf dem Arbeitsmarkt führt dazu, daß eine Reihe von Planstellen der Versorgungsverwaltung — besonders im ärztlichen Dienst — nicht besetzt werden können. Wenn ich den gesamten Arbeitsanfall und
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 110. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 5. Februar 1964 5041
Bundesminister Blankdie Leistungen betrachte — ich habe anfangs betont, daß diese Behörden nicht mir unterstehen —, dann stehe ich nicht an, hier zu erklären, daß wir den Angehörigen der Versorgungsverwaltung für ihre pflichtbewußte und fleißige Arbeit Dank schulden.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Fritsch.
Herr Minister, wie würden Sie den Komplex der unerledigten Versorgungsanträge im Zusammenhang mit dem zweiten Neuordnungsgesetz sehen, also bezogen auf den Tatbestand, daß mit Inkrafttreten dieses Neuordnungsgesetzes alle oder fast alle Rentenanträge nach dem Bundesversorgungsgesetz als unerledigt anzusehen sind, weil über sie neu entschieden werden muß?
Die Verwaltung wird sich mit dem zu beschäftigen haben, was dieses Hohe Haus beschlossen hat. Dieses Hohe Haus hat vor kurzem das Neuordnungsgesetz verabschiedet. Die Verwaltung wird sich bemühen — das ist ihre Aufgabe —, dieses Gesetz nach besten Kräften auszuführen. Eine Spekulation darüber, ob das, was beschlossen worden ist, besondere Schwierigkeiten bietet, kann ich nicht anstellen; ich kann zu diesem Zeitpunkt keine Voraussage machen, wie sich das abwickeln wird.
Eine zweite Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Fritsch.
Herr Minister, kann man wenigstens damit rechnen, daß von Ihrem Hause aus alles getan wird, um eine beschleunigte Erledigung all der im Rahmen des zweiten Neuordnungsgesetzes auftretenden Fälle herbeizuführen?
Herr Kollege, warum bezweifeln Sie das? Die Ausführung dieses Gesetzes ist eigene Angelegenheit der Länder. Was mein Ministerium dazu tun kann, wird getan. Das war in der Vergangenheit so, das wird in der Zukunft so sein. Sie dürfen sicher sein, daß wir das tun werden.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Riegel.
Herr Minister, wie hoch ist die Zahl derjenigen, die Anträge auf Leistungen nach dem Bundesversorgungsgesetz gestellt haben und außerhalb des Verwaltungsbereichs der Bundesrepublik wohnen?
Herr Kollege, das kann ich Ihnen im Augenblick nicht sagen. Selbstverständlich ist die Zahl dem Referat meines Ministeriums, das sich mit diesen Fragen beschäftigt, bekannt. Wenn es Sie interessiert, werde ich gerne veranlassen, daß Ihnen die Zahl mitgeteilt wird.
Eine zweite Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Riegel.
Glauben Sie, Herr Minister, daß die Zahl dieser Anträge bei den 54 000 unerledigten Anträgen eine wesentliche Rolle spielt?
Ich darf auf die soeben dazu gegebene Antwort verweisen; ich habe ihr nichts hinzuzufügen.
Sie haben zwei Zusatzfragen gehabt; mehr stehen Ihnen nicht zu, Herr Abgeordneter.
Ich komme damit zu den Fragen VIII/7 und VIII/8 — des Abgeordneten Maucher —:
Sind Personen — sei es auch die Ehefrau —, die einen Schwerstbeschädigten, der eine Pflegezulage nach den Stufen III bis V erhält, Hilfe leisten, auch dann gesetzlich unfallversichert, wenn sie die Hilfe unentgeltlich leisten?
Wenn solche in Frage VIII/7 bezeichnete Personen nicht in allen Fällen gesetzlich unfallversichert sind, auf welche Weise konnte eine Unfallversicherung dieser Personen sichergestellt werden?
Pflegepersonal für Schwerstbeschädigte ist gesetzlich unfallversichert, wenn der Pflegedienst mit einer versicherten Tätigkeit des Schwerstbeschädigten ursächlich zusammenhängt.
Ob diese Voraussetzungen erfüllt sind, kann nur im Einzelfall entschieden werden. Personen, die z. B. Blinde zur Arbeitsstätte führen, sind unfallversichert.
Die hilfeleistende Ehefrau genießt grundsätzlich keinen Unfallversicherungsschutz, da sie ihrem schwerstbeschädigten Ehegatten nicht wie ein Arbeitnehmer, sondern als Ehefrau Hilfe leistet. Aber auch hiervon sind Ausnahmen denkbar. Liegt die Hilfeleistung wesentlich im Interesse des Arbeitgebers des schwerstbeschädigten Ehemanns, so kommt auch für die Ehefrau Unfallversicherungsschutz in Betracht, z. B. wenn sie ihn auf einer Dienstreise begleitet, die er sonst nicht durchführen könnte.
Sie sehen, daß man hier jeden Fall individuell betrachten und darauf hin prüfen muß, ob die gesetzlichen Voraussetzungen gegeben sind.
Wir kommen zur Frage VIII/9 — des Abgeordneten Peiter —:
Teilt die Bundesregierung die Vorstellungen eines Versorgungsamtes, daß ohne Vorlage der durch Kriegseinwirkung verlorengegangenen Krankenpapiere ein Kb.-Verfahren nicht durchgeführt werden kann, obwohl die Krankenbuchauszüge vorliegen?
Herr Kollege Peiter, ich möchte auch Ihnen sagen, was ich den Fragestellern vorhin gesagt habe. Die Länder führen das Bundesversorgungsgesetz als eigene Angelegenheit aus. Ich möchte das deshalb einmal sagen, weil bei solchen Fragen immer etwa der Eindruck entsteht, daß ich ein spezielles Weisungsrecht gegenüber irgendeinem Versorgungsamt hätte. Das habe ich nicht.
Metadaten/Kopzeile:
5042 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 110. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 5. Februar 1964
Bundesminister BlankNun zu dieser Sache: Das Verfahren bei der Aufklärung des Sachverhalts ist in den §§ 12 und 15 des Gesetzes über das Verwaltungsverfahren der Kriegsopferversorgung eingehend geregelt. Nach diesen Bestimmungen kann die Entscheidung über einen Versorgungsantrag nicht an dem Verlust von Krankenpapieren scheitern. Ich äußere mich also nicht zu der Frage, ob ich die Vorstellungen irgendeines Versorgungsamtes teile oder nicht, sondern ich beantworte die Frage dahin, daß das verlorengegangene Krankenpapier nicht der Umstand sein kann, an dem ein berechtigter Versorgungsanspruch scheitern kann. Das ist, wie gesagt, in den §§ 12 und 15 des Gesetzes über das Verwaltungsverfahren der Kriegsopferversorgung eingehend geregelt.
Eine Zusatzfrage.
Herr Minister, Sie teilen also meine Auffassung, daß das Versorgungsamt in diesem Falle nicht richtig gehandelt hat?
Nicht ich, das Gesetz teilt Ihre Auffassung. Wenn es Sie interessiert, kann ich Ihnen den betreffenden Paragraphen zitieren:
Die Angaben des Antragstellers, die sich auf die mit der Schädigung im Zusammenhang stehenden Tatsachen beziehen, sind, wenn Unterlagen nicht vorhanden oder nicht zu beschaffen oder ohne Verschulden des Antragstellers oder seiner Hinterbliebenen verlorengegangen sind, der Entscheidung zugrunde zu legen, soweit sie nach den Umständen des Falles glaubhaft erscheinen. Die Verwaltungsbehörde kann in besonderen Fällen von dem Antragsteller die eidesstattliche Versicherung verlangen, daß er bei seinen Angaben nach bestem Wissen die reine Wahrheit gesagt und nichts verschwiegen hat.
Ich wiederhole: das Gesetz teilt Ihre Ansicht; oder, genauer gesagt: Ihre Ansicht stimmt mit dem, was das Gesetz vorschreibt, überein.
Keine Zusatzfrage!
Ich darf noch feststellen, daß die einleitenden Worte zu den Fragen 7 und 8 nicht mir, sondern der Frage 9 galten.
Ich darf, Herr Präsident, wenn Sie gestatten, daran folgende Bemerkung knüpfen. Meine Damen und Herren, ich darf nicht den Anschein erwecken, als ob ich sozusagen derjenige wäre, der die Oberdienstaufsicht Taber die Versorgungsämter führt. Wenn solche Detailfragen auftreten, die Ihr besonderes Interesse erregen, möchte ich Sie doch wirklich bitten — auch im Interesse einer geordneten Verwaltung —, Ihre Anfragen zunächst »bei der zuständigen Landesbehörde einzureichen.
Zweitens: Ob ich Rechtsauffassungen teile oder nicht teile, ist auch absolut unerheblich; denn in einem Rechtsstreit enscheiden die zuständigen Gerichte und nicht meine richtige oder falsche Rechtsauffassung.
Ich danke Ihnen, Herr Bundesminister.
Ich komme zu den Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers des Innern. Ich rufe auf die Frage IV/1 — ides Abgeordneten Dr. Dittrich
Ist die Bundesregierung der Auffassung, daß der Betriebssport eine dienstliche Veranstaltung im Sinne des § 135 Abs. 2 Nr. 3 BBG ist, wenn er die vom Bundessozialgericht im Urteil vom 28. November 1961 — 2 RV 130/59 — für die Anwendung der RVO nötigen Merkmale trägt, so daß die Beamten, die dabei einen Unfall erleiden, Anspruch auf Unfallfürsorge nach Abschnitt V Nr. 5 BBG haben?
Herr Dr. Dittrich ist offenbar nicht da. — Kollege Memmel übernimmt die Frage. — Bitte, Herr Bundesminister!
Die Frage muß ich aus Rechtsgründen verneinen. Das angezogene Urteil enthält andere Kriterien als das geschriebene Beamtenrecht. Das Beamtenrecht müßte erst geändert werden, damit eine solche Folgerung gezogen werden könnte.
- Ich rufe auf die Frage IV/2 — des Abgeordneten Jahn —:
Für welche Gebiete plant die Bundesregierung, Änderungen des Grundgesetzes in dieser Wahlperiode vorzuschlagen?
Herr Bundesminister, bitte!
Herr Kollege Jahn, Sie stellen eine halb prophetische Frage. Ich kann Ihnen nur eine Antwort hinsichtlich der bereits jetzt sichtbaren Anträge und Vorschläge der Bundesregierung für Verfassungsänderungen geben.Erstens darf ich auf die geplante Änderung des Art. 74 Nr. 10 des Grundgesetzes hinweisen, eine Verfassungsänderung, die für das Gräberrecht und für die Zuständigkeit des Bundes auf diesem Gebiet notwendig ist. Sie ist bereits vom Kabinett verabschiedet worden. Im Plenum wurde die Frage bereits angesprochen, weil ja ein Initiativentwurf Ihrer Fraktion zu diesem Thema vorliegt.Ein weiterer Gesetzentwurf zur Änderung des Grundgesetzes ist für die Änderung des Art. 120, der die Kriegsfolgelasten betrifft, erforderlich. Er hat bereits in der 3. Wahlperiode vorgelegen. Der 3. Bundestag hat diese Verfassungsänderung aber nicht mehr verabschiedet, so daß sie nachgeholt werden muß. Die Vorlage kommt aus dem Geschäftsbereich des Bundesfinanzministeriums.Weiter wird sich unter Umständen eine Änderung des Art. 75 Nr. 1 des Grundgesetzes als erforderlich erweisen. Hier handelt es sich um die Kompetenz des Bundes für das Besoldungsrecht. Sie wissen, daß bereits ein Versuch durch das Haus das Klassenziel nicht erreicht hat. Die Einheitlichkeit wird aber von allen Seiten so dringend gewünscht, daß sich das Innenministerium diesem Begehren kaum auf die Dauer wird versagen können.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 110. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 5. Februar 1964 5043
Bundesminister HöcherlFerner ist eine Änderung des Art. 10 des Grundgesetzes notwendig. Hier handelt es sich um eine sehr dringende und aktuelle Grundgesetzänderung. Das Kabinett wird diesen Gesetzentwurf voraussichtlich schon in der nächsten Woche verabschieden. Er sieht eine notwendige gesetzliche Ergänzung vor, die ohne Verfassungsänderung in der gewünschten Form nicht durchführbar ist.Sodann erhebt sich die Frage, ob Art. 95 des Grundgesetzes, der die Errichtung eines Obersten Bundesgerichts zur Wahrung der Rechtseinheit vorsieht, in dieser Form bestehenbleiben kann, weil die Ausführung dieses Verfassungsauftrages bisher nicht erfolgt ist und auch Überlegungen angestellt werden, ob das Ziel nicht vielleicht auch in einer anderen Form erreicht werden kann.Schließlich darf ich noch das Gesamtthema Notstandsrecht ansprechen. Die von der Bundesregierung vorgeschlagenen Verfassungsänderungen kennen Sie. Weitere können sich unter Umständen aus der Diskussion im Rechtsausschuß ergeben. Auf Grund dieser Diskussion wären weitere, heute noch nicht ganz übersehbare Grundgesetzänderungen möglich.Das ist das, was bisher übersehen werden kann.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Jahn!
Herr Bundesminister, ist die Bundesregierung oder sind Sie als federführender Minister bereit, sich bei dieser verhältnismäßig langen und auch nicht ganz unumstrittenen Liste von gedachten Verfassungsänderungen darum zu bemühen, alle Änderungen, die nach Ihrer Auffassung im Laufe dieser Legislaturpreiode erforderlich sind, zumindest soweit es übersehbar ist, in einer Vorlage zusammenzufassen und dem Hause geschlossen vorzulegen?
Herr Kollege, das ist eine sehr schwierige, wenn auch mehr technische als prinzipielle Frage. Die technische Frage kann ich nicht uneingeschränkt mit Ja beantworten; aber auf jeden Fall bin ich bereit — und das ist der Sache wahrscheinlich dienlicher —, so wesentliche Vorschläge mit allen Beteiligten des Hauses vorher zu besprechen.
Eine zweite Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Jahn.
Ich kann auf Ihre verschiedenen Bemerkungen, auch auf die wegen des „Klassenziels" hier nicht antworten; aber der Gegenstand, mit dem wir uns hier beschäftigen, scheint es mir doch wert zu sein, einmal die grundsätzliche Überlegung anzustellen, ob es nicht dem Rang des Grundgesetzes, der von dem einfacher Gesetze, die jederzeit durch Novellen geändert werden können, ja wohl etwas verschieden ist, angemessen wäre, alle während einer Legislaturperiode für notwendig gehaltenen Grundgesetzänderungen zusammenzufassen.
Ich kann der Antwort, die ich bereits gegeben habe, nichts hinzufügen.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Schäfer.
Herr Minister, sind in Ihrem Hause schon konkrete Vorstellungen vorhanden, ob im Zusammenhang mit der Notstandsgesetzgebung noch mit weiteren Grundgesetzänderungsvorschlägen zu rechnen ist?
Jawohl.
Zweite Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Schäfer.
Wären Sie in der Lage, uns, wenn auch nicht hier, darüber zu informieren, auf welche Gebiete sich das erstreckt? Denn man muß das ja mit in Betracht ziehen.
Das wird in geeigneter Weise zum geeigneten Zeitpunkt geschehen.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Hammersen.
Herr Bundesminister, darf ich der Aufzählung, die Sie in Ihrer Antwort auf die Frage des Herrn Abgeordneten Jahn gegeben haben, entnehmen, daß sich die Bundesregierung nicht mit dem Gedanken einer Änderung des Art. 29 des Grundgesetzes über die Neugliederung des Bundesgebietes beschäftigt?
Nein. Aber diese Frage ist in dem zuständigen Ausschuß, der die Vorlage behandelt, angeschnitten worden, und vielleicht kommt aus diesem Ausschuß eine Initiative.
Ich rufe auf Frage IV/3 — des Abgeordneten Varelmann —:
Sind die Unterschiede in der Besoldung der Steuerbeamten in den einzelnen Ländern sehr erheblich?
Bitte sehr, Herr Minister.
In Beantwortung der Frage des Herrn Kollegen Varelmann darf ich sagen: bezieht man die Frage auf die Zuordnung zu den Besoldungsgruppen der Besoldungsordnungen A und B, so ist zu sagen, daß es zwar gewisse Unterschiede in den einzelnen Ländern gibt; aber ich möchte sie nicht als erheblich bezeichnen. Denkt man aber an die effektive Höhe der Besoldung der Steuerbeamten in den Ländern, so ist auch auf die allgemein unterschiedliche Höhe der Beamtengehälter insgesamt, nicht nur der Steuerbeamten, in einigen Ländern hinzuweisen. Gemeint sind insbesondere die höheren Grundgehaltssätze in Nordrhein-Westfalen und Hamburg.
Metadaten/Kopzeile:
5044 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 110. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 5. Februar 1964
Eine Zusatzfrage.
Herr Minister, sind Bestrebungen im Gange, die Besoldung dieser Beamten in den einzelnen Ländern gleichzuziehen?
Jawohl, das wird laufend gemacht. Der beste Weg wäre die Verfassungsänderung gewesen, die wir vorgeschlagen haben, so daß ein Ausbrechen von Ländern und Kommunen nicht mehr möglich gewesen wäre. Aber das Hohe Haus hat sich diesem Ordnungsvorschlag leider versagt.
Ich komme zur Frage IV/4 — des Abgeordneten Dr. Kanka —:
Hält die Bundesregierung es für richtig, daß in ausländische Pässe für ausländische Studenten, die eines deutschen Visums bedürfen und während ihres Aufenthalts im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland einmal an einer Demonstration gegen ihre Regierung teilgenommen haben, nur wegen dieser einmaligen Handlung von deutschen Ausländer-Polizeibehörden Vermerke eingetragen werden, die Behörden und Vertretungen des Heimstaates jener ausländischen Studenten den Schluß auf deren Teilnahme an der Demonstration mindestens nahelegen?
Herr Bundesminister, bitte.
Herr Kollege Kanka, ich kann die Frage mit Ja beantworten. Ich bin der Meinung, daß ein solcher Eintrag nicht in Ordnung ist, und habe bereits Gelegenheit genommen, bei einem einzelnen Fall darauf hinzuweisen, daß ein solcher Eintrag unerwünscht ist.
Ich rufe auf Frage IV/5 — des Abgeordneten Fritsch —:
Ist die Bundesregierung bereit, mit der CSSR darüber zu verhandeln, die früheren Grenzübergänge bei Furth im Wald, Eisenstein und Haidmühle wieder zu eröffnen?
Bitte sehr, Herr Bundesminister.
Die Bundesregierung hat keine Bedenken, daß mit der tschechoslowakischen Seite über die Wiedereröffnung von Grenzübergangsstellen an der deutschtschechoslowakischen Grenze verhandelt wird. Sie ist bereit, auf entsprechende Anregungen einzugehen, und hat dies bereits zum Ausdruck gebracht.
Keine Zusatzfrage. Ich danke Ihnen, Herr Bundesminister.
.Ich komme zu den Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers der Finanzen.
Ich rufe auf die Frage V/1 — des Abgeordneten Schmidt —:
Wann ist damit zu rechnen, daß die Bundesregierung einen Gesetzentwurf über die Aufhebung der Baulandsteuer vorlegt?
Der Fragesteller hat sich mit schriftlicher Beantwortung einverstanden erklärt. Die Antwort liegt noch nicht vor. Sie wird nach Eingang im Sitzungsbericht abgedruckt.
Ich rufe auf Frage V/2 — des Abgeordneten Varelmann —:
Ist in der Bundesrepublik Deutschland in Zukunft die Finanzverwaltung unter Berücksichtigung der natürlichen und außergewöhnlichen Abgänge von Beamten ausreichend gesichert?
Herr Bundesminister, ich darf bitten.
Ich beantworte die Frage des Herrn Kollegen Varelmann wie folgt:
Über die Steuerverwaltung, die Sache der Länder ist, könnte ich erst nach Ermittlungen bei allen Finanzministern der Länder Auskunft geben. Bei der Kürze der Zeit waren sie bis heute nicht möglich.
Für die Bundesfinanzverwaltung, also für die Bundesvermögensverwaltung, die Zollverwaltung und die Umsatz- und Beförderungssteuerstellen, gilt das Folgende: Die zur Zeit ungünstigere Altersschichtung wird gerade in den nächsten Jahren zu zahlreichen Zur-Ruhe-Setzungen führen. Auch mehren sich die Fälle, daß junge Kräfte der Bundesfinanzverwaltung — vorzugsweise in andere Verwaltungen — abwandern.
Nachwuchs kann entsprechend der allgemeinen Lage auf dem Arbeistmarkt nur in beschränktem Umfang und nicht immer in der gewünschten Güte gewonnen werden. Die gleichen Schwierigkeiten bestehen aber auch bei allen anderen Bundesverwaltungen. Stellen in der freien Wirtschaft und in den Verwaltungen der Länder und Gemeinden werden von den Bewerbern vielfach bevorzugt, ohne daß allerdings auch dort der Bedarf voll gedeckt werden kann.
Die Bundesfinanzverwaltung hofft, die Schwierigkeiten durch verstärkte Personalwerbung und durch Vereinfachungsmaßnahmen überwinden zu können.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Varelmann!
Werden an die Steuerbeamten in bezug auf ihre schulische Vorbildung nicht zu hohe Anforderungen gestellt?
Das glaube ich nicht, Herr Kollege Varelmann. Im Vergleich zu anderen Beamtengruppen halte ich die Anforderungen für gerechtfertigt.
Ich rufe auf Frage V/3 — des Herrn Abgeordneten Memmel —:
Ist der Bundesregierung das Urteil des Bundesfinanzhofes München bekannt, das einem im Konkubinat lebenden Steuerpflichtigen für den Unterhalt seiner Konkubine und deren zwei nicht von ihm stammenden Kinder Steuerermäßigung zubilligt?
Herr Bundesminister, ich darf bitten.
Darf ich die Fragen 3, 4 und 5 zusammen beantworten, Herr Präsident?
Bitte sehr. Ich rufe also außerdem die Fragen V/4 und V/5 — des Herrn Abgeordneten Memmel — auf:Ist der Bundesregierung das Urteil des Bundesfinanzhofes München bekannt , das in seinem Leitsatz Einkünfte aus „Geschlechtsverkehr gegen Entgelt" für einkommensteuerfrei erklärt und damit einer Witwe, die neben ihrer Witwenpension solcherart bezogenen 92 000 DM Nebeneinkünfte steuerfrei beläßt?Sieht die Bundesregierung eine Möglichkeit, durch Änderung des Einkommensteuergesetzes oder der Richtlinien die in Fragen V/3, 4 geschilderten Mißstände zu beseitigen und damit in Zukunft solche Urteile zu verhindern?
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 110. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 5. Februar 1964 5045
Herr Kollege Memmel, die in Ihren Fragen angeführten Entscheidungen des Bundesfinanzhofs sind der Bundesregierung und dem Bundesministerium der Finanzen bekannt.
Die erste Entscheidung — VI 282/62 U — betrifft einen Fall, in dem ein verheirateter Steuerpflichtiger mit einer Witwe in. einem eheähnlichen Verhältnis zusammenlebte. Das Gericht hat in dieser Entscheidung zunächst einmal klar herausgestellt das möchte ich betonen —, daß in solchen und ähnlichen Fällen eine Steuerermäßigung grundsätzlich nicht in Betracht kommen kann. Im Urteilsfall konnte der Bundesfinanzhof allerdings in Würdigung der tatsächlichen Verhältnisse ausnahmsweise eine echte Lebensgemeinschaft annehmen, aus der heraus sich seiner Auffassung nach eine Sorgepflicht des Steuerpflichtigen ergab. Die Anforderungen, die der Bundesfinanzhof insoweit gestellt hat, sind so streng, daß eine Steuerermäßigung nur in begründeten Ausnahmefällen in Betracht kommen kann. Eine Änderung des Einkommensteuergesetzes wird deshalb von mir nicht für erforderlich gehalten. Bei der Beurteilung dieses Ergebnissees, Herr Kollege Memmel, kann man meines Erachtens auch nicht unberücksichtigt lassen, daß das Bundessozialhilfegesetz, das dieses Hohe Haus beschlossen hat, die eheähnlichen Verhältnisse ausdrücklich behandelt, und zwar wird ein Partner einer solchen Gemeinschaft wegen des Lebensunterhalts zunächst an den anderen Partner verwiesen und erhält Sozialhilfe erst, wenn dieser den Unterhalt nicht bestreiten kann.
Gegenstand der zweiten Entscheidung — VI 112/ 59 S — war die Frage, ob Einkünfte aus entgeltlichem Geschlechtsverkehr unter eine der sieben Einkunftsarten des Einkommensteuergesetzes gebracht werden können. In Abweichung von der Auffassung des Reichsfinanzhofs, der zuletzt, und zwar in einem Urteil aus dem Jahre 1943, in solchen Fällen das Vorliegen steuerpflichtiger Einkünfte angenommen hatte, hat der Bundesfinanzhof die Steuerpflicht mit der Begründung verneint, daß der Geschlechstverkehr überhaupt nicht als eine einkommensteuerlich beachtliche Leistung angesehen werden könne.
In dem entschiedenen Fall kam im übrigen hinzu — und das scheint mir wichtig zu sein —, daß die Steuerpflichtige von einer Anzahl von „Freunden" Zuwendungen erhalten hatte, bei denen es zweifelhaft war, ob sie als Entgelt oder als Schenkung anzusehen waren.
Nun, Herr Kollege Memmel, der Bundesfinanzhof wird sich auf Grund einer Rechtsbeschwerde gegen ein Urteil eines Finanzgerichts aus dem Jahre 1963, das die Einkünfte aus berufsmäßiger Prostitution als gewerbliche Einkünfte beurteilt hat, erneut mit der Streitfrage befassen müssen. Es erscheint zweckmäßig, bevor irgend etwas unternommen wird, zunächst diese neue Entscheidung des Bundesfinanzhofs abzuwarten, wobei die Möglichkeit besteht, daß es wegen der Abweichungen zwischen den Senaten
vielleicht sogar zu einer Entscheidung des Großen Senats kommt.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Memmel.
Herr Bundesminister, sind Sie mit mir der Meinung, daß es unbefriedigend ist, die Einnahmen aus diesem Gewerbe einkommensteuerfrei zu lassen, während Frauen mit dem Entgelt aus anständiger Arbeit der Einkommensteuerpflicht unterliegen? Wissen Sie, daß deswegen der Reichsfinanzhof in dem von Ihnen erwähnten Urteil diese Entscheidung getroffen hat?
Herr Kollege Memmel, ich wage es nicht, diese Frage mit Ja oder Nein zu beantworten.
Ich weiß, daß auch auf internationaler Ebene die Frage, ob sich der Staat gewissermaßen als Zuhälter an diesen Einkommen beteiligen darf,
in verschiedenen Rechtssystemen erhebliche Schwierigkeiten bereitet, und ich weiß, daß auf internationaler Ebene bei den Rechtsgelehrten darüber zur Zeit Überlegungen angestellt werden.
Eine weitere Zusatzfrage? — Es sind drei Fragen, es stehen Ihnen also sechs Zusatzfragen zu, Herr Kollege.
Nein, ich will nur noch eine Frage zu dem ersten Urteil stellen, Herr Präsident.
Herr Bundesminister, sehen Sie also keine Möglichkeit, bei der geplanten Änderung des Einkommensteuergesetzes den § 33 a des Einkommensteuergesetzes so zu fassen, daß der diesem Urteil zugrunde liegende Tatbestand — nämlich das außereheliche Zusammenleben — nicht mehr als zwangsläufige Ausgabe angesehen wird? Ich stoße mich an der Entscheidung „zwangsläufige Ausgabe", wenn sich jemand freiwillig in eine solche Situation hineinbegibt.
Herr Kollege Memmel, ich hatte Ihnen schon gesagt: dies ist ein ganz außergewöhnlicher Fall, den der Bundesfinanzhof entschieden hat. Grundsätzlich steht der Bundesfinanzhof auf dem Standpunkt, den auch Sie einnehmen. Ich muß Ihnen allerdings offen sagen: wenn wir schon so scharf vorgehen wollten und auch einen so außergewöhnlichen Fall ausschalten wollten, dann müßte ich Sie bitten, auch das Bundessozialhilfegesetz zu ändern.
Noch eine Zusatzfrage? — Herr Abgeordneter Dr. Wuermeling.
Metadaten/Kopzeile:
5046 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 110. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 5. Februar 1964
Herr Bundesminister, ist Ihnen bekannt — oder sind meine Informationen darüber nicht zutreffend —, daß in dem Urteil der Ausnahmecharakter dieses Falles darin gesehen wurde, daß der Mann, um den es sich handelte, verheiratet und nicht in der Lage war, sich gegen den Widerspruch seiner Ehefrau scheiden zu lassen, daß also der „außergewöhnliche" Umstand, der zu der Ausgabe zwang, durch den Bundesfinanzhof darin gesehen wurde, daß der Mann verheiratet war? Deswegen wurde dieses Konkubinat steuerlich begünstigt. Sind Sie der Meinung, daß ein ehebrecherisches Konkubinat steuerlich begünstigt werden darf, ein nichtehebrecherisches Konkubinat hingegen nicht?
Ich bin mit dem Bundesfinanzhof der Meinung, daß die Frage verneint werden muß. Ich bin aber der Ansicht, daß es exzeptionelle Fälle geben kann, zu denen der vorliegende rechnet. In solchen Fällen hat der Bundesfinanzhof eine andere Entscheidung getroffen. Aus den Urteilsgründen ergibt sich, daß nicht etwa die Tatsache, daß keine Möglichkeit für die Durchsetzung der Scheidung gegeben war, zu der Entscheidung geführt hat; vielmehr waren die speziellen Umstände der zerrütteten Ehe und des eheähnlichen Verhältnisses ausschlaggebend. Der Bundesfinanzhof hat diese Entscheidung also ausnahmsweise getroffen; grundsätzlich hat er sich gegen eine solche Regelung ausgesprochen.
Zu einer zweiten Zusatzfrage Herr Abgeordneter Dr. Wuermeling.
Herr Bundesminister, ich will die Dinge hier nicht vertiefen; deshalb nur noch eine kurze Frage: Wären Sie nicht doch bereit, zu prüfen, ob nicht gerade die Begründung des Urteils in diesem Ausnahmefall Veranlassung gibt, auf verwaltungsmäßigem oder gesetzgeberischem Wege bessere Voraussetzungen zu schaffen?
Ich will mir das Urteil gern im vollen Wortlaut ansehen, Herr Kollege Wuermeling. Wenn ich das tue, dann muß ich mir auch die Akten kommen lassen. Ich werde die Beiziehung veranlassen.
Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter Hammersen!
Herr Bundesminister, würde bei einer — von dem Herrn Abgeordneten Memmel offenbar gewünschten — „Dirnensteuer" das Aufkommen nach dem geltenden Steuerrecht zweckgebunden sein
oder würde es in den allgemeinen Haushalt fließen?
Das würde ohne weiteres in den allgemeinen Haushalt fließen müssen. Ich glaube nicht, daß hier vom Parlament eine Zweckbindung beschlossen werden könnte.
Meine Damen und Herren, auch bei diesem Thema bitte ich um Ruhe.
Zu einer weiteren Zusatzfrage Abgeordneter Dr. Mommer!
Herr Minister, sind Sie bereit, für diese schwierige Frage einen Sachverständigenbeirat zu berufen
und dabei in erster Linie an unsere Kollegen Memmel und Wuermeling zu appellieren?
Herr Abgeordneter Mommer, diese Frage kann ich nicht zulassen. Sie war ja wohl auch nur rhetorisch gemeint.
Ich danke Ihnen, Herr Bundesminister. Wir stehen am Ende der Fragestunde. Ich rufe auf Punkt 2 der Tagesordnung:
a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Umsatzsteuergesetzes ,
b) Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU, FDP, SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Umsatzsteuergesetzes ,
c) Erste Beratung des von den Abgeordneten Schulhoff, Opitz und Genossen eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Umsatzsteuergesetzes .
Das Wort zur Begründung des Regierungsentwurfs hat der Herr Bundesminister der Finanzen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Am 15. Februar 1963 habe ich vor diesem Hohen Hause im Namen der Bundesregierung eine grundsätzliche Erklärung zur Reform des deutschen Umsatzsteuerrechts und zur Harmonisierung der Umsatzsteuern im Gemeinsamen Markt abgegeben. Der dabei angekündigte Entwurf eines neuen Umsatzsteuergesetzes zur Schaffung einer wettbewerbsneutralen Besteuerung liegt nunmehr als Drucksache IV/1590 zur Beratung und Entscheidung vor.Die Umsatzsteuerreform ist wie kaum ein Besteuerungsproblem sonst seit vielen Jahren nicht nur in den Fachkreisen, sondern auch in der breiten Öffentlichkeit eingehend diskutiert worden. Das macht eine umfassende Rechtfertigung und Begründung dieser Regierungsvorlage jedoch nicht überflüssig. In den vergangenen Monaten sind so viele Äußerungen und Argumente für und gegen eine Reform lautgeworden, daß es notwendig ist, noch einmal grundsätzlich Stellung zu nehmen.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 110. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 5. Februar 1964 5047
Bundesminister Dr. DahlgrünDer Ausgangspunkt der Umsatzsteuerreform ist eine Grundsatzforderung unserer Steuerpolitik, die zu den unbestrittenen wirtschaftspolitischen Zielen der Bundesregierung gehört. Diese Forderung lautet: Steuern sollen den wirtschaftlichen Wettbewerb, soweit dies nur möglich ist, nicht ungünstig beeinflussen.
In besonderem Maße gilt das für die Umsatzsteuer; denn als indirekt erhobene allgemeine Verbrauchssteuer wird sie von den Unternehmern in die Preise ihrer Waren und Leistungen eingerechnet und so auf den Verbraucher überwälzt.Die Umsatzsteuer muß also, wenn sie den Markt nicht stören soll, allen Unternehmern ohne Ansehen der Größe und ohne Ansehen der organisatorischen Gestaltung des Betriebes im wirtschaftlichen Wettbewerb die gleiche Chance der Überwälzung geben. Niemand sollte in der Lage sein, durch Maßnahmen der Konzentration von Unternehmungen eine geringere umsatzsteuerliche Belastung seiner Erzeugnisse oder Leistungen und damit einen steuerlich bedingten Wettbewerbsvorteil zu erzielen. Außerdem sollte die Umsatzsteuer unsere Unternehmer im wirtschaftlichen Wettbewerb mit anderen Ländern nicht benachteiligen.Ich glaube, ich kann hier ohne Streit feststellen, daß unsere gegenwärtige Umsatzsteuer diesen Forderungen keineswegs gerecht wird. Sie belastet Waren und Leistungen, weil sie kumulierend erhoben wird, unterschiedlich und schafft außerdem einen konzentrationsfördernden Anreiz aus der Möglichkeit, durch Ausschaltung oder Zusammenfassung von Wirtschaftsstufen Steuervorteile zu erlangen. Auch der Forderung nach Wettbewerbsneutralität im zwischenstaatlichen Handelsverkehr genügt sie nicht, weil die Entlastung der Ausfuhrwaren ebenso wie die Belastung der Einfuhrwaren nur nach Durchschnittssätzen vorgenommen werden kann.Nun hat das geltende Umsatzsteuersystem zweifellos auch gewisse Vorzüge. Es wäre falsch, über sie hinwegzusehen oder sie gar zu leugnen. Die Vorzüge wiegen die erwähnten Mängel jedoch dann nicht auf, wenn die Umsatzsteuer — wie es jetzt der Fall ist — mit einem allgemeinen Steuersatz von 4 % erhoben werden muß.Wir handelten im steuerlichen Bereich gegen unsere wirtschaftspolitische Überzeugung, wenn wir uns bei dieser Sachlage mit den Vorzügen des geltenden Rechts zufrieden gäben und die Mängel hinnähmen. Der Herr Bundeskanzler hat das in seiner Regierungserklärung vom 18. Oktober 1963 ausdrücklich hervorgehoben. Ich möchte eis heute wiederholen. Der Herr Bundeskanzler sagte sinngemäß: Die Umsatzsteuerreform wird zu einem zwingenden Gebot, wenn sich das Hohe Haus darüber einig ist, daß von der Umsatzsteuer keine konzentrationsfördernden Anreize ausgehen dürfen und die Verzerrungen im Außenhandel beseitigt werden sollen.Sie wissen, meine Damen und Herren, daß seit Jahren aus Kreisen der Wissenschaft und der Wirtschaft immer wieder die Forderung nach einerReform erhoben worden ist. Die Bundesregierung hat alle Vorschläge und Anregungen eingehend geprüft und zu ihnen Stellung genommen. Entscheidende Impulse für die Umsatzsteuerreform hat aber auch — das muß hier anerkannt werden — das Hohe Haus selbst gegeben. Ich erinnere daran, daß der Deutsche Bundestag bereits am 19. November 1954, also vor knapp zehn Jahren, die Bundesregierung ersucht hat, Untersuchungen anzustellen, ob und in welcher Weise eine Änderung des derzeitigen Umsatzsteuerrechts erforderlich sei. Als sich daraufhin der Bundesminister der Finanzen in seiner Denkschrift vom 6. Dezember 1955 hauptsächlich mit den Änderungsmöglichkeiten im Rahmen des geltenden Systems befaßte und sich zu der Empfehlung eines grundlegenden Wechsels im System noch nicht entschließen konnte, richtete der Deutsche Bundestag an die Bundesregierung ein erneutes Ersuchen. Durch Beschluß vom 13. Dezember 1956 forderte er die Bundesregierung auf, einen umfassenden Bericht über die Möglichkeiten des Umbaus des kumulativen Umsatzsteuersystems in ein nichtkumulatives System unter Beifügung der für eine Entscheidung notwendigen Materialien vorzulegen. Zwischen diesem Ersuchen aus dem Jahre 1956, das die Bundesregierung mit der Denkschrift vom 20. Dezember 1958 beantwortet hat, und dieser Stunde heute, in der ich Ihnen in Gestalt der Regierungsvorlage einen Reformvorschlag mit den von mir eingangs genannten Zielen einer wettbewerbsneutralen Umsatzbesteuerung unterbreite, liegen also volle sieben lange Jahre.Man mag heute der Bundesregierung vorwerfen, daß sie sich in der Vergangenheit sehr viel Zeit genommen hat, Voraussetzungen und Möglichkeiten für eine Umsatzsteuerreform immer wieder zu prüfen und zu untersuchen. Ich denke an die Großen Anfragen der Fraktionen der Sozialdemokratischen Partei und der Freien Demokraten aus dem Jahre 1962, in denen — offen oder zwischen den Zeilen — die Ungeduld über die noch immer ausstehende Umsatzsteuerreform zum Ausdruck gekommen ist. Ich denke auch daran, daß schließlich eine Gruppe von 76 Abgeordneten der CDU/CSU des Wägens und Prüfens leid war und einen Initiativgesetzentwurf auf der Grundlage einer Mehrwertsteuer mit Vorsteuerabzug einbrachte. Die Bundesregierung kann hierauf — ich glaube, mit Recht — entgegnen, daß die Schwierigkeiten des Übergangs von dem heutigen System zu einem anderen solche eingehenden Untersuchungen rechtfertigten und daß ohne Klärung der wesentlichen Fragen die Vorlage eines Gesetzentwurfs nicht verantwortet werden konnte. Doch jetzt, nachdem die Bundesregierung die Umsatzsteuerreform entschlossen angefaßt hat, höre ich von einigen den Rat, in der Frage der Reform solle man keine voreiligen Beschlüsse fassen. Lassen Sie mich dazu das Folgende sagen: Wohl werden wir uns zur Prüfung der Einzelheiten dieses Gesetzentwurfs in den Ausschußberatungen die notwendige Zeit unbedingt nehmen müssen, wie es auch in der Regierungserklärung vom 18. Oktober 1963 zum Ausdruck gekommen ist. Aber in ,der grundlegenden Frage der Reform selbst ist die Bundesregierung auf Grund ihrer jahrelangen Prüfungen und Vorbe-
Metadaten/Kopzeile:
5048 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 110. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 5. Februar 1964
Bundesminister Dr. Dahlgrünreitungen der Überzeugung, daß sich kein befriedigender Weg eröffnet, die seit vielen, vielen Jahren immer wieder beklagten Mängel des jetzigen Rechts im Rahmen des derzeitigen Systems entscheidend abzuschwächen, und daß deshalb eine grundlegende Umgestaltung unausweichlich ist.Noch ein Weiteres hat sich dabei nach Auffassung der Bundesregierung ergeben: Bei der Wahl des neuen Systems gibt es bei den in der Bundesrepublik bestehenden Verhältnissen nur einen Weg. Zwar kommen für die Reform neben der Mehrwertsteuer die drei Grundformen einphasiger Umsatzsteuern — die Produktionsteuer, die Grossistensteuer und die Einzelhandelsteuer — in Betracht. Aber eine allein im Produktionsbereich erhobene Umsatzsteuer würde bei der Struktur der deutschen Wirtschaft zu erheblichen Wettbewerbsverzerrungen anderer Art als heute führen; die Produktionsteuer muß daher schon aus diesem Grunde ausscheiden. Weiterhin bin ich sicher, meine Damen und Herren, daß Sie mit der Bundesregierung die Überzeugung gewinnen werden, man sollte bei einem Umsatzsteueraufkommen von rund 20 Milliarden DM die Zahllast künftig nicht allein etwa dem Großhandel oder dem Einzelhandel aufbürden, sondern diese gewaltige Zahllast auf die breite Basis aller am Wirtschaftsleben Beteiligten stellen.So bleibt für die Umsatzsteuerreform nur die sogenannte Mehrwertsteuer, bei der jeder Unternehmer letztlich immer nur für den Teil des Werts einer Ware oder Leistung Steuer zu zahlen hat, den er hinzugefügt hat, also für den von ihm geschaffenen Wert. Andere Möglichkeiten für eine nichtkumulative und hierdurch wettbewerbsneutrale Umsatz- oder Leistungsbesteuerung bestehen nicht, bestehen jedenfalls nicht in der Bundesrepublik. Auch am Beispiel Frankreichs, dessen Umsatzsteuer sich aus einer Produktionsteuer zu einer Mehrwertsteuer bis zur Großhandelsstufe entwickelte und das sich jetzt bemüht, auch den Einzelhandel in die Mehrwertsteuer einzubeziehen, erkennen wir eine zunehmende Tendenz zur Allphasenbesteuerung bei der Umsatzsteuer. Wenn demgegenüber in anderen Staaten eine einphasige Umsatzsteuer — sei es als Produktionsteuer, sei es als Grossistensteuer, sei es als Einzelhandelsteuer — mit befriedigenden Ergebnissen erhoben oder die Einführung solcher Steuern erwogen wird, so muß man darauf hinweisen, daß in diesen Staaten die Verhältnisse nicht nur hinsichtlich der Wirtschafts- und Steuerstruktur, sondern auch hinsichtlich des aus der Umsatzsteuer zu deckenden Finanzbedarfs andere sind als in der Bundesrepublik.Die Mehrwertsteuer selbst kann, wie Sie wissen, nach verschiedenen Methoden erhoben werden: nach dem Vorsteuerabzug, nach dem Vorumsatzabzug und theoretisch auch nach dem sogenannten additiven System. Mag auch das Verfahren des Vorumsatzabzuges gewisse technische Vorteile haben, so sollte es doch nach den eingehenden Studien zu dieser Frage nicht mehr im Streit sein, daß bei unterschiedlichen Steuersätzen allein der Vorsteuerabzug die Erfordernisse der Wettbewerbsneutralitätsowohl im Innern als auch an den Steuergrenzen in vollem Umfange zu erfüllen vermag.Meine Damen und Herren, ich glaube, daß ich Ihnen das Prinzip, mit dem der Regierungsentwurf auf der Grundlage dieses System die Forderungen an eine wettbewerbsneutrale Umsatzsteuer zu erfüllen versucht, nicht in seinen Einzelheiten darzustellen brauche. Ich werde mich deshalb mit dem Hinweis begnügen dürfen, daß es dem Unternehmer künftig — im Gegensatz zum geltenden Recht — grundsätzlich gestattet sein wird, die gesamte Umsatzsteuer, die auf seinen betrieblichen Vorumsätzen lastet, von der Steuer abzuziehen, die er selbst für seine eigenen Umsätze schuldet. Die Waren oder Leistungen sind danach im Ergebnis immer gleichmäßig mit dem maßgeblichen Steuersatz belastet. An das Finanzamt abgeführt, d. h. gezahlt wird nur der Differenzbetrag zwischen dieser Belastung und der abzugsfähigen Vorbelastung. So verhindert der Vorsteuerabzug im wirtschaftlichen Ergebnis, daß die bereits besteuerten Vorumsätze, die in die Preise der Güter und Leistungen eingehen, in der nächsten und in allen folgenden Umsatzstufen erneut besteuert werden und damit die Umsatzsteuer zur „Lawinensteuer" wird. Die Kumulativwirkung des gegenwärtigen Umsatzsteuersystems ist endgültig ausgeschaltet. Die umsatzsteuerliche Gesamtbelastung der Waren und Leistungen wächst nicht mehr automatisch mit der Zahl der Umsätze, sondern ist immer nur so hoch, wie es dem nominellen Steuersatz entspricht.Bei einem solchen Steuersystem, das mit dem alten System nichts zu tun hat und das deshalb ein völliges Umdenken erfordert, müssen die Steuersätze — Sätze! — höher sein als im geltenden Recht, obwohl mit der Mehrwertsteuer kein höheres Steueraufkommen als mit der jetzigen Umsatzsteuer für den Staat herausgeholt werden soll. Im übrigen macht diese Feststellung sehr deutlich, daß die jetzige Umsatzsteuer mit ihrem allgemeinen Satz von 4 % keineswegs eine harmlose Steuer ist. Daß 10 % bzw. 5% Mehrwertsteuer dasselbe Steueraufkommen von annähernd 20 Milliarden DM jährlich wie die Umsatzsteuer mit 4 % bzw. 1 % erbringen soll, ist ohne die „Lawinenwirkung" des heutigen Systems nicht zu begreifen.Da die Belastung der Waren und Leistungen bei der Mehrwertsteuer mit Vorsteuerabzug auch bei unterschiedlichen Steuersätzen, wie sie uns für den Regierungsentwurf unvermeidlich erschienen, immer dem Steuersatz entspricht, lassen sich bei diesem Verfahren außerdem die Ausfuhrwaren — der Export — in einfacher Weise entlasten. Entsprechendes gilt für den Import, für die Einfuhrwaren.Es ist jedoch ein verhängnisvoller Irrtum, anzunehmen, daß alle diese geschilderten Vorzüge der Mehrwertsteuer uns einfach mit der Wahl des Systems in den Schoß fallen werden. Schon in der Grundsatzerklärung zur Umsatzsteuerreform vom 15. Februar 1963 hat die Bundesregierung darauf hingewiesen, daß sich die Vorzüge der Mehrwertsteuer nur unter ganz bestimmten Voraussetzungen voll erreichen lassen. Wir dürfen bei der Gestaltung des künftigen Gesetzes keine Sonderregelungen
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 110. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 5. Februar 1964 5049
Bundesminister Dr. Dahlgrüntreffen, die es unmöglich machen, die umsatzsteuerliche Gesamtbelastung der Waren und Leistungen aus dem Steuersatz abzulesen. Wir würden sonst auf die Wettbewerbsneutralität des neuen Systems im Innern und auf die Möglichkeit eines genauen Belastungsausgleichs an der Grenze im zwischenstaatlichen Handel verzichten. Ich denke hier z. B. an die Gestattung des Abzugs tatsächlich nicht bezahlter, also fiktiver Vorsteuerbeträge oder an Sondersteuern wie etwa die Beibehaltung der alten Umsatzsteuer für bestimmte Unternehmergruppen. Wir dürfen auch die Steuer nicht etwa nach der Umsatzgröße des Unternehmens staffeln. Ferner müssen wir die Mehrwertsteuer bis zum Einzelhandel einschließlich erstrecken und dabei auch die sonstigen Leistungen grundsätzlich in die Besteuerung einbeziehen.Um des Zieles willen, das wir mit der Umsatzsteuerreform verfolgen, muß ich Sie eindringlich bitten, bei den kommenden Beratungen des Regierungsentwurfs diese Grundsätze immer zu beachten und nicht zu verletzen. Wir müssen uns darüber im klaren sein, daß es im Rahmen des neuen Systems nicht möglich ist, die jetzt bestehenden zahlreichen Befreiungen und Begünstigungen aufrechtzuerhalten, also etwa einen Besitzstand zu wahren. Das wäre ein verhängnisvoller Irrtum. Die Mißachtung der Grenzen, die den gesetzgeberischen Gestaltungsmöglichkeiten bei der Mehrwertsteuer gesetzt sind, kann sehr schnell dazu führen, daß der Sinn der gesamten Reform gänzlich in Frage gestellt wird.Es geht hier nicht um ein blutleeres Prinzip der Systemgerechtigkeit, sondern um die praktische Realisierbarkeit der Wettbewerbsneutralität in der Umsatzbesteuerung. Man darf diese Enge, die nun einmal bei dem empfohlenen System vorhanden ist, nicht als Mangel der Mehrwertsteuer empfinden. Allein bei Geschlossenheit des Systems werden gleiche steuerliche Belastungen und damit gleiche Überwälzungschancen gewährleistet. Wenn man diese Vorzüge der Mehrwertsteuer will, muß man sich auch zu dieser Eigenschaft der Mehrwertsteuer entschieden bekennen. Wir müssen vor allem auch daran denken, daß das Reformwerk, das wir uns vorgenommen haben, für die Zukunft Bestand haben soll. Deshalb dürfen wir uns nicht dazu verleiten lassen, nur um gewisse Übergangsschwierigkeiten zu vermeiden, das System der Mehrwertsteuer durch Sonderregelungen zu durchlöchern, so daß es die von ihm erwarteten Vorteile schon von Anfang an einfach nicht zu erbringen vermag.Glaubt man diese entscheidenden Grundsätze bei der Gestaltung der Mehrwertsteuer nicht einhalten zu können, dann sollte man sich — das sage ich hier ganz offen — in der Tat überlegen, ob es nicht besser wäre, auf die Reform zu verzichten, besser, als eine Steuer einzuführen, die zu noch größeren Wettbewerbsverzerrungen führen müßte als die derzeitige Umsatzsteuer.
Auch der Wissenschaftliche Beirat beim Bundesministerium der Finanzen hat in seiner Entschließung zur Umsatzsteuerreform vom 14. Dezember 1963 eindringlich davor gewarnt, im System der Mehrwertsteuer besondere Bevorzugungen, Erleichterungen und Befreiungen anzuerkennen. Er weist mit Recht darauf hin, daß alle derartigen Vergünstigungen den Antragstellern nur durch eine Erhöhung des allgemeinen Steuersatzes und daher auf Kosten aller übrigen Steuerbelasteten eingeräumt werden könnten und daß sie letztlich die Gesamtreform in Frage stellen.Zu den tragenden Elementen des Systems der Mehrwertsteuer gehört das Prinzip der gleichen Belastung bei gleichem Steuersatz. Es ist daher unvermeidlich, daß der Übergang von einem System ungleicher Belastungen — das muß man immer wieder sagen der Waren und Leistungen zu einem System der gleichen Belastung eine Veränderung in den Belastungsverhältnissen mit sich bringen wird. Ich ersehe aus vielen Eingaben, die ich fast täglich erhalte und die im Laufe des ganzen letzten Jahres immer wieder an mich gerichtet wurden, daß weitgehend unrichtige Vorstellungen über diese Veränderungen vorhanden sind. Man vergleicht den allgemeinen Steuersatz des jetzigen Systems von 4 % mit dem allgemeinen Steuersatz des künftigen Rechts, der nach dem Regierungsentwurf 10 % vom Preis der Ware oder Leistung, aber ohne Steuer, betragen soll. In Ausnahmefällen soll es — das wissen Sie — einen ermäßigten Steuersatz von 5 % geben, nämlich für Lebensmittel und sonstige landwirtschaftliche Erzeugnisse sowie für die Leistungen der freien Berufe. Es wird übersehen, daß der Steuersatz des heutigen Rechts im Gegensatz zur Mehrwertsteuer nichts über die Gesamtbelastung an Umsatzsteuer besagt, die zur Zeit bis zum Dreifachen des allgemeinen Steuersatzes von 4 %, in extrem gelagerten Fällen sogar bis zu 14 %, betragen kann. Auf diese Gesamtbelastung, die auf den Verbraucher überwälzt wird, kommt es im wirtschaftlichen Wettbewerb allein an.Man bedenkt auch nicht, daß die Steuer gegenwärtig vom Preis einschließlich Steuer erhoben wird. Bei einem Vergleich der heutigen und der künftigen Gesamtbelastung berücksichtigt man daher oft nicht, daß die künftige Umsatzsteuerbelastung, also die Belastung durch die Mehrwertsteuer, eigentlich, genau berechnet, nur 9,09 bzw. 4,76 % betragen wird.Man läßt ferner aber vor allem außer Betracht, daß die Mehrwertsteuer nach dem Regierungsentwurf allen Unternehmern bei gleichem Steuersatz die gleiche Möglichkeit der Überwälzung gewähren und zugleich die Weitergabe der Steuer von Unternehmen zu Unternehmen in einer bislang nicht für möglich gehaltenen Weise erleichtern wird; denn die Unternehmer werden die in den Eingangsrechnungen ausgewiesenen umsatzsteuerlichen Belastungen der Waren oder Leistungen, die sie für ihren Betrieb beziehen, dem Finanzamt gegenüber als bereits entrichtete Umsatzsteuer geltend machen, d. h. abziehen können. Weil diese Zusammenhänge noch nicht voll erkannt werden, wertet man auch die Tatsache nicht überall in ihrem vollen Gewicht, daß die künftige Umsatzsteuer den Konzentrationsanreiz ausschalten und damit zum Nutzen gerade der wirtschaftlich schwächeren und mittleren Unternehmer die volkswirtschaftlich erwünschte Arbeitsteilung nicht
Metadaten/Kopzeile:
5050 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 110. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 5. Februar 1964
Bundesminister Dr. Dahlgrünmehr behindern kann. Insoweit ist die Mehrwertsteuer ausgesprochen mittelstandsfreundlich. Die Angleichung der umsatzsteuerlichen Belastung auf die durch den künftigen Steuersatz bestimmte Höhe muß sich zwangsläufig auf alle Waren und Leistungen beziehen, wenn wir wirklich von einem wettbewerbsneutralen künftigen Umsatzsteuersystem sprechen wollen. Ich bin überzeugt, daß sich die Einsicht in diese Zusammenhänge und das Vertrauen in die Richtigkeit und Notwendigkeit des von der Bundesregierung vorgeschlagenen Weges immer mehr durchsetzen werden.Der gelegentliche Vorwurf, die Mehrwertsteuer laufe den mittelständischen Interessen zuwider, ist meiner Überzeugung nach nicht berechtigt, denn er verkennt, daß die beste Mittelstandspolitik im Rahmen einer allgemeinen und besonders preiswirksamen Verbrauchsteuer darin besteht, dem Mittelstand im Wettbewerb mit den großen, konzentrierten Unternehmen gleiche umsatzsteuerliche Wettbewerbsbedingungen zu sichern.
Durch die Beseitigung des Konzentrationsanreizes des bisherigen Systems wird dieses Ziel gefördert. Unter diesem Ruf ist auch die Bundesregierung jahrelang im Namen des Mittelstandes zur Umsatzsteuerreform aufgefordert worden.
Die Freibeträge im geltenden Umsatzsteuerrecht, deren Aufrechterhaltung vielfach gefordert wird, ergeben sich nur aus dem Bemühen, die durch dasjetzige System bedingten Nachteile mittelständischer Unternehmungen — wenn auch sehr ungleichmäßig — zu mildern. Die Mehrwertsteuer hat eine solche Maßnahme überhaupt nicht nötig, weil sie selber die Neutralität im Wettbewerb verwirklicht.
Ebensowenig berechtigt ist der Vorwurf, die Mehrwertsteuer belaste die vorwiegend zum Mittelstand gehörenden lohnintensiven Unternehmen stärker als kapitalintensive Unternehmen. Die lohnintensiven Unternehmen haben bei der Mehrwertsteuer allerdings mehr Steuer an das Finanzamt zu entrichten als die kapitalintensiven — wenn man schon einmal global etwas sagen will —; dafür zahlen die kapitalintensiven Unternehmen mehr Steuer an ihre Vorlieferanten beim Einkauf der Investitionsgüter und Vormaterialien. Insgesamt hat jedes Unternehmen, ob lohnintensiv oder kapitalintensiv, gleich viel Steuer, nämlich 10 oder 5 % des Preises aller von ihm gelieferten Güter und der von ihm erbrachten Leistungen zu zahlen und auf seinen Abnehmer zu überwälzen.Dies schließt natürlich nicht aus, daß die Mehrwertsteuerbelastung gewisser Güter und Leistungen infolge der von mir bereits erwähnten Belastungsverschiebungen etwas höher sein wird als ihre bisherige Gesamtbelastung mit einer kumulativen Umsatzsteuer. Soweit die Abnehmer dieser Güter und Leistungen umsatzsteuerpflichtige Unternehmer sind, bildet die Überwälzung überhaupt kein Problem; denn, wie ich ebenfalls schon ausgeführt habe,können die umsatzsteuerpflichtigen Abnehmer die ihnen in Rechnung gestellte Steuer auf die eigene Steuerschuld anrechnen, d. h. ihre Steuerschuld durch Abzug der Vorsteuern mindern.Aber auch soweit die in Zukunft höher belasteten Leistungen gegenüber einem privaten Verbraucher erbracht werden — ich erinnere hier an die häufig zitierten Beispiele der Friseure und der Schornsteinfeger —, erwächst daraus nicht ohne weiteres ein Nachteil für den Unternehmer. Bei der Mehrwertsteuer ist nämlich die Umsatzsteuerbelastung dieser Leistungen in allen Fällen gleich hoch, und jeder Unternehmer hat daher die gleiche Chance der Überwälzung. Für den Verbraucher tritt in diesen Fällen allerdings eine gewisse Verteuerung ein, der aber eine Reihe von Entlastungen gegenüberstehen, auf die ich später eingehen werde.Es trifft also nicht zu, was vielfach behauptet wird, daß die Mehrwertsteuer viele mittelständische Betriebe deswegen, weil sie lohnintensiv sind, in ihrer Existenz bedrohen würde. Hinter der Behauptung, daß die lohnintensiven Betriebe stärker belastet werden, steht meines Erachtens hauptsächlich die Sorge, daß die Überwälzung bei Leistungen, die ausgesprochen Dienstleistungscharakter haben, dann besonders schwierig werden könnte, wenn sie unmittelbar an den nicht mehrwertsteuerpflichtigen Verbraucher gehen. Mir ist klar, daß man über dieses Problem in den Ausschüssen noch sehr eingehend diskutieren muß, und ich bitte, das auch zu tun.Ich darf an dieser Stelle noch eines zwischenschalten. Was ich soeben zu den lohnintensiven Betrieben ausführte, gilt grundsätzlich auch für die freien Berufe. Sie wissen, meine Damen und Herren, daß sich gerade diese Berufsgruppe in besonders scharfer Form gegen ihre Einbeziehung in die Mehrwertsteuer gewandt hat. Ich muß es mir versagen, hier auf die Argumente im einzelnen einzugehen, und möchte nur nochmals auf folgendes hinweisen: Die deutsche Umsatzsteuer hat sich von jeher nicht auf die Besteuerung von Waren beschränkt. Sie war seit 1919 immer eine allgemeine Leistungssteuer grundsätzlich für alle Fälle, in denen ein Selbständiger im Wirtschaftsleben gegen Entgelt tätig wird. Wir dürfen auch bei der Beurteilung der geistigen Leistungen, die seit 1919 durch einen Beschluß der Nationalversammlung unter die Umsatzsteuer fallen, nicht vergessen, daß letzten Endes ja auch nicht die Büchse Ölsardinen besteuert wird, sondern die hinter der Ware — hier: der Büchse Ölsardinen — stehende geistige Leistung des Unternehmers,
so daß es nicht ganz richtig ist, wenn eine Gruppe behauptet, sie erbringe eine geistige Leistung, die mit Umsatzsteuer belegt sei. Auch hinter den Waren steht derjenige, der mit seiner geistigen Leistung — —
— Die geistige Leistung, Herr Kollege Seuffert, ist natürlich verschieden hoch.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 110. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 5. Februar 1964 5051
Bundesminister Dr. DahlgrünEs entspricht also dem Gebot der steuerlichen Gleichmäßigkeit, die Steuer auch zu erheben, soweit sich die im Erwerbs- und Wirtschaftsleben selbständig Tätigen ihre Leistungen bezahlen lassen. Daß diese Gründe nicht so abwegig sind, mag man auch daraus ersehen, daß bereits von anderer Seite Widerspruch gegen den im Regierungsentwurf für die freien Berufe vorgesehenen ermäßigten Steuersatz erhoben und darauf hingewiesen wurde, diese Vergünstigung führe zu Wettbewerbsstörungen. Die Bundesregierung bleibt bei ihrer Auffassung, daß die von ihr vorgeschlagene Regelung eines Sondertarifsatzes von 5 % mit Rücksicht auf die tatsächlich vorhandene besondere Stellung der freien Berufe im Wirtschaftsleben notwendig ist, daß sie aber auch den Belangen der freien Berufe ausreichend Rechnung trägt.Nach dieser Zwischenbemerkung zunächst nochmals kurz zurück zu dem Preisproblem, auf das ich später noch eingehen werde! Mit gewissen Verteuerungen muß bei einigen Gütern und Leistungen gerechnet werden, die nach dem bisherigen Recht besonders begünstigt waren. Ich erwähne hier die Energiewirtschaft, ich erwähne bestimmte Personenbeförderungen. Auch die hier eintretende Mehrbelastung soll nicht verschwiegen werden. Sie muß jedoch ebenfalls im Zusammenhang mit den sich auf anderen Gebieten ergebenden Entlastungen gesehen werden. Insgesamt wird sich und soll sich nach dem Gesetzentwurf für den Verbraucher keine höhere umsatzsteuerliche Belastung ergeben. Wir werden das ja beim tatsächlichen Inkraftsetzen des Gesetzes sehr schnell erkennen. Sie wissen, daß wegen der monatlichen Abrechnung innerhalb weniger Monate feststehen wird, wie das System funktioniert.Wie sehr sich das Verständnis der Mehrwertsteuer durchsetzt, zeigt gerade das Beispiel der Landwirtschaft. Ich habe den Eindruck, daß in der Landwirtschaft in zunehmendem Maße die Erkenntnis Platz greift, daß die Einbeziehung der Landwirtschaft in die Mehrwertsteuer ihre Stellung im Markt keineswegs verschlechtert. Diese Einbeziehung in das neue System ist meiner Überzeugung nach notwendig; denn die umsatzsteuerpflichtigen Abnehmer landwirtschaftlicher Produkte werden darauf bestehen, daß ihnen die Vorsteuerbeträge aus ihren Einkäufen zur Verrechnung zur Verfügung stehen. Ich bin überzeugt, daß sich auch Mittel und Wege finden lassen — darüber wäre im Ausschuß zu sprechen —, die mit der Umsatzbesteuerung der Landwirtschaft verbundenen technischen Probleme befriedigend zu lösen. Ich denke hier an die Aufzeichnungsnotwendigkeit und anderes mehr.Aus den vielen Eingaben, die an mich gerichtet werden, ersehe ich weiterhin, daß viele Unternehmer die Mehrwertsteuer und das mit ihrer Einführung verfolgte Ziel billigen würden, hätten sie nicht die Befürchtung, daß die Mehrwertsteuer ein Übermaß an Mehrarbeit bei der Abrechnung bringen würde. Sie glauben, daß im künftigen Recht für jede Ware und für jede Leistung der genaue Mehrwert im einzelnen berechnet werden müsse. Wenn diese Besorgnisse berechtigt wären, müßten wir in der Tat auf die von uns in Aussicht genommene und vorgeschlagene Systemänderung verzichten. In Wirklichkeit jedoch werden für die Unternehmer — abgesehen von der beim Übergang notwendigen einmaligen, allerdings grundsätzlichen Umstellung der Kalkulation ohne Steuer — zu der bereits nach heutigem Recht notwendigen Aufzeichnung der Bruttoumsätze des maßgeblichen Voranmeldungs- oder Veranlagungszeitraums einzig und allein die schematische Aufzeichnung aller Vorsteuerbeträge desselben Zeitraums sowie der Ausweis der Steuer in den Rechnungen an andere Unternehmer treten. Diese Mehrarbeit ist unvermeidbar. Sie allein gibt den Unternehmern die Möglichkeit — endlich die Möglichkeit —, auf der Grundlage von Nettopreisen und einer transparenten Umsatzsteuerbelastung die Kalkulation ihrer Preise exakt durchzuführen. Die Mehrarbeit ist andererseits meines Erachtens auch zumutbar, zumal für viele Unternehmer eine Reihe ganz komplizierter steuertechnischer Probleme des heutigen Rechts — ich erinnere z. B. an die Großhandelsvergünstigungen, die Zusatzbesteuerung und die Ausfuhrvergütungen — in Zukunft bei der Mehrwertsteuer entfallen wird.
Im übrigen sieht der Regierungsentwurf eine Ermächtigung vor, um eine Besteuerung der nichtbuchführungspflichtigen Unternehmer nach Durchschnittssätzen zu ermöglichen. Mit diesen Durchschnittssätzen soll den kleineren Unternehmern vor allem die mit der genauen Erfassung der Vorsteuern verbundene Mehrarbeit erspart werden. Die Delegation des Finanzausschusses des Bundestages, die im Oktober 1963 das französische Umsatzsteuerrecht an Ort und Stelle zu studieren Gelegenheit hatte, wird den Eindruck gewonnen haben, daß die Mehrwertsteuer mit Vorsteuerabzug bei einer nicht mit vielen Ausnahmen durchsetzten Regelung ohne besondere Schwierigkeiten und auch ohne Personalvermehrung zu handhaben ist. So darf die Bundesregierung hoffen, daß das Hohe Haus den Wünschen mancher Wirtschaftsbereiche nach Sonderregelungen auch um der Praktikabilität der Mehrwertsteuer willen nicht entsprechen wird, abgesehen davon, daß diese Mehrarbeit in gleichem Maße auch die Finanzverwaltung treffen würde. Im übrigen gibt es hier in gewissem Umfang auch Entlastungen; ich erwähnte schon den Wegfall der Ausfuhrvergütungen. Das heißt, die Umsatzsteuer-Vergütungsstellen werden bei uns eingespart werden.Unsere besondere Aufmerksamkeit richtet sich auf die Frage, wie sich der Übergang zur Mehrwertsteuer auf die Preise auswirken wird; ich hatte das schon verschiedentlich anklingen lassen. Denn die Erhaltung der Stabilität des Preisniveaus bildet eine der wichtigsten Leitlinien der Wirtschaftspolitik der Bundesregierung. Wie ich schon erwähnte, erfordert der Wechsel im System eine Angleichung der gegenwärtigen unterschiedlichen umsatzsteuerlichen Gesamtbelastung der einzelnen Waren und Leistungen auf eine einheitliche Höhe von 5 bzw. 10 % des Preises ohne Steuer — je nachdem welcher Steuersatz maßgeblich ist —, weil anderenfalls die Nachteile des jetzigen Systems nicht beseitigt wer-
Metadaten/Kopzeile:
5052 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 110. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 5. Februar 1964
Bundesminister Dr. Dahlgründen können. Wird die Anpassung der umsatzsteuerlichen Belastung in der Wirtschaft exakt durchgeführt, werden also die künftigen Mehrbelastungen oder Minderbelastungen an Umsatzsteuer in den Preisen genau weitergegeben, so müssen sich zwar zwangsläufig viele Einzelpreise ändern; denn die Veränderung des umsatzsteuerlichen Belastungsgefüges bringt eine entsprechende Änderung dies Preisgefüges. Gesamtwirtschaftlich gesehen besteht aber kein kostenbedingter Anlaß, aus der Mehrwertsteuer zu einer Anhebung des allgemeinen Preisniveaus zu kommen. Da mit dem umsatzsteuerlichen Systemwechsel keine Erhöhung — ich sage das noch einmal — des Steueraufkommens verbunden sein soll, wird sich die Umsatzsteuerbelastung des Waren- und Dienstleistungsangebots unserer Wirtschaft insgesamt nicht verändern.Wenn immer wieder Stimmen laut werden, die von negativen Auswirkungen der Mehrwertsteuer auf die Preise sprechen, so ist das vielfach die Folge einer punktuellen Betrachtung der Dinge, die nur die Preisänderungen einzelner Waren oder Leistungen aus dem Zusammenhang herausgreifen. Man sieht, daß dieser oder jener Preis vermutlich steigen wird, und folgert daraus bewußt oder unbewußt, daß sich damit auch das allgemeine Preisniveau, also die Summe aller Preise, erhöhen wird. Einer solchen vereinfachenden und damit einseitigen Betrachtungsweise muß entgegengetreten werden. Gleichwohl — das sage ich hier ganz offen — enthält der Übergang zur Mehrwertsteuer ohne Zweifel ein gewisses preispolitisches Risiko, nämlich die Gefahr, daß zwar die Mehrbelastungen im Preis weitergegeben werden, nicht aber immer die Steuerentlastungen. Wir dürfen vor diesem Risiko keineswegs die Augen verschließen; andererseits besteht aber auch wirklich kein Grund, die Gefahren zu übertreiben, wenn wir noch bereit sind, an die Funktion des Marktes und des Wettbewerbs zu glauben.Ganz allgemein möchte ich zunächst sagen, daß das Risiko nun nicht etwa wie ,das manchmal dargestellt wird — ein spezifischer Nachteil der Mehrwertsteuer ist. Auch der Wechsel zu einem anderen Umsatzsteuersystem, zu einem anderen als der Mehrwertsteuer wäre mit einer — unter Umständen sogar noch größeren — Umschichtung der Belastungsverhältnisse verbunden und damit ebenfalls mit dem Risiko, daß die Änderung des Preisgefüges nicht ausschließlich im Rahmen der umsatzsteuerlichen Umschichtung bliebe. Ich glaube, daß dieser Gesichtspunkt bei der Diskussion um das Für und Wider der Mehrwertsteuer leider zu wenig beachtet wird.Im übrigen möchte ich noch das Folgende bemerken. Eine wesentliche Voraussetzung für die Erhaltung der Stabilität des Preisniveaus und damit die Einschränkung des Preisrisikos ist, daß der Systemwechsel nicht mit einer Phase der Überkonjunktur zusammenfällt. Vielmehr sollte die Konjunktur- und Wettbewerbssituation während der Übergangsperiode möglichst so beschaffen sein, daß die Unternehmer durch den Markt gezwungen werden, die Preise entsprechend den Belastungsunterschieden an gegenwärtiger und zukünftiger Umsatzsteuer umzubilden.Dadurch wird die Gefahr verringert, daß sich aus den notwendigen Umschichtungen im Preisgefüge ungünstige Rückwirkungen auf das Preisniveau ergeben.Eine weitere wichtige Voraussetzung für die Einschränkung ,des Preisrisikos besteht in einer urn-fassenden und gründlichen Information aller Unternehmer über die richtige Kalkulation und Preisbildung beim Übergang zur Mehrwertsteuer. Es muß verhindert werden, daß mit den alten Kalkulationszuschlägen gerechnet wird und damit wohl meist zu hohe Preise auf dem Markt erscheinen. Die Gefahr einer irrtümlichen Preisbildung gewinnt um so mehr an Gewicht, je höher der allgemeine Steuersatz bei der Mehrwertsteuer liegt. Nicht zuletzt ergibt sich auch hieraus die Notwendigkeit, auf alle Sonderregelungen und Vergünstigungen, die zu einer Erhöhung des allgemeinen Steuersatzes zwingen, soweit wie nur möglich zu verzichten.Andererseits sinkt die Gefahr irrtümlicher Preisbildung in dem Maße, in dem das Wissen Allgemeingut wird, daß der künftige Umsatzsteuersatz — auf den Preis der Ware oder Leistung bezogen — die gesamte umsatzsteuerliche Belastung ausmacht, während der Steuersatz nach dem heutigen Recht nur die an das Finanzamt zu zahlende Steuer angibt, jedoch nichts über die auf den betrieblichen Anschaffungen lastende Steuer aussagt, die der Unternehmer ebenfalls in seinen Preisen heute unsichtbar laufend weitergibt.
— Das ist Wettbewerb, Herr Kollege Schulhoff.Wir können zur Zeit — ich erwähnte es schon bei meinen Ausführungen über die Änderung der umsatzsteuerlichen Belastungen — noch nicht davon ausgehen, daß diese Erkenntnis sich allgemein durchgesetzt hat. Noch häufig ist die unrichtige Vorstellung anzutreffen, daß es wesentlich auf die Höhe der Steuerzahllast gegenüber dem Fiskus ankommt. Daher glaubt vielleicht noch mancher Unternehmer, daß eine Erhöhung seiner Steuerzahllast notwendigerweise eine Preiserhöhung zur Folge haben müsse, weil er die Veränderungen in der umsatzsteuerlichen Belastung seiner Vorumsätze nicht berücksichtigt. In Wirklichkeit müßte sich in nicht wenigen Fällen eine Preissenkung ergeben, da die gegenwärtige kumulierte umsatzsteuerliche Gesamtbelastung der betreffenden Ware oder Leistung über 9,09 % oder 4,76 % vom Preis einschließlich Steuer liegt. Zu dieser Unkenntnis trägt nicht wenig die Verwechslung des Begriffs der den Unternehmer auf den einzelnen Stufen der Verteilung und der Produktion treffenden Steuerzahllast mit dem Begriff der umsatzsteuerlichen Gesamtbelastung der Preise für Waren und Dienstleistungen bei.In diesen Zusammenhang gehört das Problem der Umstellung des betrieblichen Rechnungswesens auf eine Kalkulation mit Nettowerten. Das gehört nun einmal dazu. Der nach dem Regierungsentwurf erforderliche offene Ausweis der umsatzsteuerlichen Gesamtbelastung der Ware oder Leistung in den Rechnungen an andere Unternehmer erleichtert eine exakte Kalkulation und ist damit als ein das Preis-
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 110. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 5. Februar 1964 5053
Bundesminister Dr. Dahlgrüngefüge und Preisniveau günstig beeinflussendes Element des künftigen Rechts anzusehen. Wir sollten deshalb — ich darf das hier schon einmal sagen — unter allen Umständen an dem offenen Ausweis der Steuer auf den Rechnungen festhalten. Auch in Frankreich besteht diese Regelung. Ihre Vorzüge sind dort so unbestritten, daß eine Änderung nicht in Erwägung gezogen werden sollte.Bei der Umstellung der Kalkulation ist es aber vor allem notwendig, die bisherigen differenzierten und globalen Zuschläge um die in ihnen enthaltene Umsatzsteuer des gegenwärtigen Rechts zu bereinigen. Durch diese Korrektur muß verhindert werden, daß die Mehrwertsteuer auch von Teilen der alten Bruttoumsatzsteuer erhoben wird und daß durch die sich daraus ergebende Aufblähung des Kalkulationsvolumens ein kumulativer preissteigernder Effekt eintritt.Weil wir nicht ausschließlich darauf vertrauen können und dürfen, daß sich im Laufe der anstehenden parlamentarischen Beratungen des Regierungsentwurfs das Wissen um die für die richtige Preisbildung wichtigen Unterschiede zwischen dem gegenwärtigen und dem künftigen System in der breiten Öffentlichkeit allmählich von selber durchsetzt, wird es intensiver Aufklärungsarbeit bedürfen. Hierbei wird es unter anderem auch sehr auf die Mitarbeit der Verbände ankommen. Ich kann mit Befriedigung feststellen, daß eine sehr große Zahl von Verbänden sich bereits jetzt in sehr verdienstvoller Weise um diese unerläßliche Aufklärungsarbeit bemüht.Ich möchte auch die noch zu findende Regelung für die Altvorräte erwähnen — das ist ein sehr heißes Eisen —, also für die Waren, die mit der heutigen Umsatzsteuer belastet und zum Zeitpunkt des Übergangs in den Unternehmen gelagert sind. Es sollte möglichst vermieden werden, daß das Preisniveau in der Anlaufzeit der neuen Steuer, in der Übergangszeit, durch die Vorbelastung der Altvorräte nachteilig beeinflußt wird. Andererseits bedarf es keiner näheren Begründung, daß eine Anrechnung der auf diesen Vorräten lastenden kumulierten Umsatzsteuer im Rahmen der Mehrwertsteuer unter haushaltsmäßigen Überlegungen, die wir im Ausschuß werden anstellen müssen, sehr sorgfältig geprüft werden muß. Ich darf darauf hinweisen, daß die Höhe der Vorräte in der deutschen Wirtschaft Ende 1962 schätzungsweise 85 Milliarden DM betragen hat.Die Bundesregierung hat sich bemüht — soweit es mit einem 10 v. H. nicht übersteigenden allgemeinen Steuersatz zu vereinbaren war —, die künftige umsatzsteuerliche Belastung solcher Güter und Leistungen niedrig zu halten, die große Teile der Kaufkraft einkommensschwacher Bevölkerungskreise beanspruchen. Hierbei mußte allerdings zugleich auf die Grundsätze der Wettbewerbsneutralität zwischen konkurrierenden Waren und Leistungen und der Praktikabilität des neuen Gesetzes Rücksicht genommen werden. Die nach dem Gesetzentwurf mit dem Sondersteuersatz von 5 % vom Preis ohne Steuer begünstigten Waren, die in der Anlage zum Entwurf aufgeführt sind, haben im Warenkorb derPreisindexziffer für die Lebenshaltung der mittleren Verbrauchergruppe einen Anteil von etwa 38 %. Die umsatzsteuerliche Gesamtbelastung dieser Waren wird also künftig nur 4,76 % vom Preis einschließlich Steuer betragen und damit in den meisten Fällen niedriger sein als die gegenwärtige durchschnittliche Umsatzsteuerbelastung kumuliert.
Deshalb dürfte auch von diesem bedeutenden Sektor keine Gefahr für das Konsumpreisniveau ausgehen. Vielmehr wird hier insgesamt mit einer Umsatzsteuerentlastung und damit Preissenkung — hoffentlich — gerechnet werden können.
Auch wenn der Übergang zur Mehrwertsteuer — wie übrigens auch zu jedem anderen Umsatzsteuersystem — unvermeidlich ein preispolitisches Risiko mit sich bringt, besteht meiner Überzeugung nach kein Grund, deswegen vor dem Systemwechsel zurückzuschrecken. Man sollte über den gewiß nicht leichten Problemen des Übergangs, die aber letzten Endes alle kurzfristiger Natur sind, nicht übersehen, daß die Mehrwertsteuer die Wettbewerbs- und Preisneutralität herbeiführt und damit langfristig über die Förderung des Leistungswettbewerbs auf jeden Fall einen Druck auf das Preisniveau ausüben wird.
Von diesen Problemen läßt sich nicht die Frage trennen, wie wir im künftigen Recht — ein weiteres heißes Eisen — den Abzug der auf den Investitionsgütern lastenden Vorsteuern gestalten sollen. Nach dem Regierungsentwurf können diese Vorsteuerbeträge nur in zeitanteiligen Teilbeträgen, also pro rata temporis, abgezogen werden. Diese Regelung hat u. a. vor allem den für den Übergang zur Mehrwertsteuer sehr bedeutsamen Vorzug, daß der allgemeine Steuersatz auf 10 % vom Preis der Waren und Leistungen ohne Steuer gehalten werden kann, obwohl nach dem Regierungsentwurf auch die kumulierten Vorsteuern zeitanteilig abzugsfähig sind, die auf den in den beiden letzten Jahren vor dem Inkrafttreten des neuen Gesetzes angeschafften Altinvestitionen ruhen. Demgegenüber müßte — das darf ich hier einmal ganz offen sagen — der allgemeine Steuersatz, wie sorgfältige Berechnungen auf Grund der Wirtschaftstatbestände des Jahres 1962 ergeben haben, um 2 Punkte höher sein, also 12 % betragen, wenn man den Unternehmern das Recht des sofortigen Vollabzugs der Investitionsvorsteuern gäbe. Selbstverständlich sprechen auch gewichtige Gründe für das Verfahren des sofortigen Vollabzugs. Ich kann hier nicht alle Gesichtspunkte behandeln, die sich beim Für und Wider ergeben.Die Bundesregierung ist sich darüber im klaren, daß diese Probleme in den Ausschußberatungen noch sehr eingehend diskutiert werden. Dabei können die konjunkturellen, preispolitischen, strukturpolitischen und nicht zuletzt auch — darum möchte ich bitten — die fiskalischen Aspekte nicht außer acht gelassen werden, Gesichtspunkte, die letztlich die Bundesregierung veranlaßt haben, die Pro-rata-
Metadaten/Kopzeile:
5054 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 110. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 5. Februar 1964
Bundesminister Dr. DahlgrünRegelung für die Investitionsaufwendungen vorzuschlagen.Nicht ohne Grund habe ich zunächst die innenpolitischen Probleme der Umsatzsteuerreform in ihren entscheidenden Grundzügen dargelegt. Es lag mir an der eindeutigen Klarstellung, daß uns der Übergang zur Mehrwertsteuer allein schon aus innenpolitischen Gründen notwendig und richtig erscheint.
Denn ich fühle mich verpflichtet, den in diesen Tagen verschiedentlich zu hörenden Vorwurf zurückzuweisen, daß die Umsatzsteuerreform eine durch die Interessen der deutschen Wirtschaft nicht gerechtfertigte Vorleistung zugunsten der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft sei.Die Umsatzsteuerreform war und ist uns zunächst ein innenpolitisches Anliegen.
Mit der Einführung der Mehrwertsteuer entsprechen wir aber zugleich dem auf eine Harmonisierung der Umsatzsteuern der Mitgliedstaaten des Gemeinsamen Marktes gerichteten Vorschlag der EWG-Kommission vom Herbst 1962. Die Bundesregierung bejaht die Bestrebungen, eine Harmonisierung der Umsatzsteuern herbeizuführen, weil sie in ihr die geeignete Voraussetzung für die im Interesse der Wirtschaft erforderliche Herstellung klarer steuerlicher Wettbewerbsbedingungen im Gemeinsamen Markt durch Aufhebung der Steuergrenzen sieht, für die sich auch das Hohe Haus bereits nachdrücklich eingesetzt hat. Die Einführung der Mehrwertsteuer in der Bundesrepublik wird, solange die Mitgliedstaaten den Grenzausgleich beibehalten, künftig auf jeden Fall eine genaue umsatzsteuerliche Belastung der Einfuhren und Entlastung der Ausfuhren ermöglichen. Die Wettbewerbshemmnisse im zwischenstaatlichen Handelsverkehr, die sich aus der Beschränkung des Grenzausgleichs auf die indirekten Steuern ergeben, werden allerdings nur durch die Aufhebung der Steuergrenzen, also durch die Herstellung binnenmarktähnlicher Verhältnisse zwischen den Partnerstaaten, zu beheben sein.Sie wissen, meine Damen und Herren, daß . die EWG-Kommission auf der Grundlage umfangreicher Untersuchungen wissenschaftlicher und technischer Sachverständiger ebenso wie die Bundesregierung zu dem Ergebnis gekommen ist, daß sich die Mehrwertsteuer von allen nichtkumulativen Umsatzsteuersystemen für einen umsatzsteuerlich wettbewerbsneutralen Güteraustausch der Mitgliedstaaten untereinander am besten eignet.Noch steht die Entscheidung des Rates der EWG über den Harmonisierungsvorschlag der Kommission aus. Auch wenn sich das Europäische Parlament und der Wirtschafts- und Sozialausschuß der EWG grundsätzlich hinter den Vorschlag der Kommission gestellt haben, vermag heute niemand mit Sicherheit zu sagen, ob sich die Regierungen der Mitgliedstaaten einstimmig — wie es Art. 99 des EWG-Vertrages vorschreibt — zu diesem bedeutsamen Schritt der Harmonisierung entschließen werden. Wir dürfen aber gewiß sein, daß die Bundesrepublik gerade dadurch, daß sie mit den innerstaatlichen Beratungen ihres eigenen Reformgesetzes auf der Grundlage einer Mehrwertsteuer mit Vorsteuerabzug bereits jetzt beginnt, nicht nur einen gewichtigen, sondern auch — was die Gestaltung der gemeinsamen Mehrwertsteuer angeht — einen einflußreichen Beitrag zur Harmonisierung der Umsatzsteuern leisten wird.Die Bundesregierung hat bereits in der Regierungserklärung vom 15. Februar 1963 ihren Willen bekundet — das möchte ich heute noch einmal deutlich sagen —, den deutschen Unternehmern und den deutschen Steuerzahlern einen zweifachen Systemwechsel zu ersparen. Zwar besteht kein Anlaß zu der Annahme, daß das von der Bundesregierung für unsere Umsatzsteuer vorgeschlagene Verfahren des Vorsteuerabzugs nicht auch für die gemeinsame Mehrwertsteuer in der EWG ausgewählt wird; gleichwohl wird es die Bundesregierung als ihre selbstverständliche Pflicht ansehen, weiterhin der Entwicklung der Harmonisierung ihre volle Aufmerksamkeit zu schenken. Unter diesen Umständen ist es nicht ersichtlich, weshalb die Bundesrepublik, wie manche meinen, den Beginn der parlamentarischen Beratungen über die Umsatzsteuerreform, die ohnehin viel Zeit in Anspruch nehmen werden, trotz der innenpolitischen Dringlichkeit der Reform zurückstellen sollte, bis die Entscheidung des Rates der EWG gefallen ist.Nach dem bisherigen Zeitplan der EWG-Kommission wird sich der Ministerrat bereits im April oder Juli dieses Jahres mit der Richtlinie der Kommission befassen. Zuvor soll die Umsatzsteuerharmonisierung auf der EWG-Finanzminister-Konferenz in der nächsten Woche, am 10. und 11. Februar, vorbereitend besprochen werden. Es besteht danach durchaus die Aussicht, daß schon vor Abschluß der parlamentarischen Beratungen in diesem Hohen Hause klar erkennbar geworden sein wird, in welcher Richtung die Umsatzsteuerharmonisierung im EWG-Raum gehen wird.Der Bundesrat, dem der Regierungsentwurf zunächst entsprechend Art. 76 Abs. 2 des Grundgesetzes zugeleitet wurde, hat dem Gesetzgebungsvorhaben der Bundesregierung seine Zustimmung nicht versagt. Er hat sich in seiner Stellungnahme der Auffassung der Bundesregierung angeschlossen, daß die mangelnde Wettbewerbsneutralität der geltenden Umsatzsteuer als störendes Element in unserer auf dem freien Wettbewerb basierenden Wirtschaftsordnung beseitigt und daß ein exakter Steuerausgleich im grenzüberschreitenden Warenverkehr erreicht werden muß, solange für die Umsatzsteuer noch das Bestimmungslandprinzip gilt. Es sind also genau die Punkte, auf die ich in meinen Darlegungen besonders abgestellt habe. Auch er ist der Ansicht, daß das neue Umsatzsteuersystem im Interesse der Wettbewerbsneutralität in möglichst reiner Form verwirklicht werden sollte. Es entspricht den Vorstellungen der Bundesregierung über den Systemwechsel, wenn auch der Bundesrat den Wunsch äußert, daß der Übergang zum neuen Recht nicht in einer
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 110. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 5. Februar 1964 5055
Bundesminister Dr. DahlgrünZeit überhitzter Konjunktur vorgenommen werden sollte und daß außerdem bei den weiteren Beratungen die Verhandlungen über die Harmonisierung der Umsatzsteuer in der EWG sorgfältig zu beobachten ist.Die Bundesregierung hat zwar Verständnis für die Ansicht des Bundesrates, daß bei der Vielgestaltigkeit des wirtschaftlichen und sozialen Lebens gewisse Änderungen der Regierungsvorlage wünschenswert seien; sie teilt diese Auffassung aber nicht. In Anerkennung der Tatsache, daß die dem Bundesrat nach dem Grundgesetz gewährte Frist von nur drei Wochen für eine Stellungnahme zu einem so umfangreichen Gesetzgebungswerk keine ausreichende Zeit zu einer eingehenden Prüfung aller von den Ausschüssen vorgetragenen Anregungen und Anträge ließ, hat der Herr Bundeskanzler den Herren Ministerpräsidenten der Länder zugesichert, daß die Bundesregierung ihrerseits diese Anregungen des Bundesrates sorgfältig prüfen, objektiv den Ausschüssen des Deutschen Bundestages vortragen und zur Diskussion stellen wird. Ich werde das also in den Ausschüssen tun. Der Bundesrat hat sich deshalb darauf beschränkt, die Anregungen seiner Ausschüsse Ihnen, dem Bundestag, als Material zuzuleiten.Meine Damen und Herren, ich darf meine einführenden Worte zu dem Regierungsentwurf eines neuen Umsatzsteuergesetzes, der die grundlegende Reform unseres gegenwärtigen Umsatzsteuerrechts einleiten soll, abschließen. In der Geschichte des deutschen Steuerrechts beginnt mit dieser Reform ein neuer Abschnitt, dessen Bedeutung wir nicht unterschätzen dürfen. Das fiskalische und wirtschaftliche Risiko, das mit einem Systemwechsel bei der für den Bundeshaushalt so außerordentlich wichtigen Steuer mit einem Aufkommen von rund 20 Milliarden DM verbunden ist, wollen wir nicht gering veranschlagen. Entscheidend ist die Verwirklichung eines der grundsätzlichen Ziele der Steuerpolitik, nämlich das Ziel, unsere allgemeine Verbrauchsteuer so zu gestalten, daß von ihr keine den Wettbewerb störenden Einflüsse ausgehen. Dieses Vorhaben wird nur erreicht — das habe ich schon verschiedentlich gesagt — und die Umsatzsteuerreform nur dann von Erfolg sein, wenn sich das Hohe Haus in dem Bewußtsein seiner Verantwortung für das gute Gelingen der Reform den vielfachen Wünschen nach Sonderregelungen versagt. Diese Verantwortung umfaßt alle Bereiche der deutschen Wirtschaft in gleicher Weise. Was wir dem einen als Vergünstigung geben, müssen wir dem anderen als zusätzliche Last auferlegen. Wenn wir uns dessen stets bewußt sind, sollte uns das schwierige, aber, wie ich wirklich glaube, dann auch lohnende Werk gelingen.
Meine Damen und Herren, der Regierungsentwurf ist damit begründet. Die Gesetzesanträge unter Punkt 2 b und 2 c der Tagesordnung sollen, wie ich höre, nicht eigens begründet werden, so daß wir dann in die allgemeine Aussprache eintreten können.
Ich erteile das Wort dem Abgeordneten Dr. Luda.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Herr Bundesfinanzminister hat namens der Bundesregierung den Entwurf eines Umsatzsteuergesetzes ausführlich begründet. Bevor ich zu diesem Gesetzentwurf namens der CDU/CSU-Bundestagsfraktion im einzelnen Stellung nehme, gestatten Sie mir einige kurze Vorbemerkungen.Der Herr Bundesfinanzminister hat in seinen Ausführungen darauf verwiesen, daß im Frühjahr vorigen Jahres hier die Großen Anfragen der Fraktionen der SPD und der Freien Demokraten zur Debatte gestanden haben. Er hat gesagt, daß in dieser Tatsache und ferner in der Tatsache, daß durch eine Gruppe der CDU/CSU-Bundestagsfraktion ein Mehrwertsteuergesetzentwurf eingebracht worden sei, eine Ungeduld sämtlicher Bereiche dieses Hohen Hauses zum Ausdruck gekommen sei. Das ist zweifellos richtig. Bei allen Fraktionen hat seit Jahr und Tag diese Ungeduld bestanden. Aber ich glaube für alle Teile dieses Hauses zusätzlich sagen zu dürfen, daß mit diesem Ausdruck der Ungeduld kein Vorwurf gegen die Regierung erhoben werden sollte; denn alle hier in diesem Hause sind sich zweifellos darin einig, daß ein so großes Reformwerk nicht übers Knie gebrochen werden darf.Gerade aber weil dieser Vorsatz, nicht voreilig handeln zu wollen, uns alle hier beseelen muß, darf ich zur Vorgeschichte der heutigen Debatte in Ergänzung der entsprechenden Darlegungen des Herrn Bundesfinanzministers zusätzlich noch einiges sagen.Erstmals wurde auf die Tatsache der Reformbedürftigkeit der Allphasen-Bruttoumsatzsteuer in diesem Hohen Hause im Jahre 1951 von Herrn Kollegen Schmücker, dem jetzigen Bundeswirtschaftsminister, hingewiesen, und zwar ausdrücklich aus mittelstandspolitischen Erwägungen. Das war der erste Anfang, 1951.Zweitens möchte ich ausdrücklich auf das erste Gutachten hingewiesen haben, welches der Wissenschaftliche Beirat beim Bundesministerium der Finanzen in dieser Angelegenheit erstattet hat. Das war schon im Jahre 1953, zu einem Zeitpunkt also, als es in Frankreich noch keine Mehrwertsteuer gab. Obwohl es damals eine Mehrwertsteuer noch nirgendwo gab, hat der Wissenschaftliche Beirat, ein zweifellos neutrales und objektives Gremium, schon die Forderung erhoben, daß dieses Allphasen-Bruttoumsatzsteuer-System aufgegeben werde, und erklärt, daß es erforderlich sei, eine Art der Nettobesteuerung dafür bei uns in Deutschland einzuführen.Der Wissenschaftliche Beirat hat in seinem damaligen Gutachten einmal den Vorschlag Wilhelm von Siemens aus dem Anfang der 20er Jahre verwertet, die sogenannte von Siemenssche veredelte Umsatzsteuer. Dieser Vorschlag ist bekannt. Er hat außerdem alber auch — es steht im Gutachten geschrieben — das entsprechende Material des früheren Reichswirtschaftsrates verwertet. Es ist historisch ganz interessant, aus diesem Zusammenhang etwas von der Wirksamkeit des damaligen Reichswirtschaftsrates zu hören. Es scheint mir wichtig zu sein, ausdrücklich darauf hinzuweisen, daß die Reformbestrebungen also schon weit mehr als zehn Jahre in der Bundesrepublik zurückliegen.
Metadaten/Kopzeile:
5056 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 110. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 5. Februar 1964
Dr. LudaSehr gravierend ist mir ferner die Tatsache, daß wir im Jahre 1956 den Besuch einer OEEC-Kommission hier in der Bundesrepublik gehabt haben, die sich mit allen möglichen wirtschafts- und finanzpolitischen Fragen befaßt hat und die dann in ihrem abschließenden Gutachten ausdrücklich festgestellt hat, daß dieses deutsche kumulative Umsatzsteuersystem spezialisierungsfeindlich sei. Diese Voten, die wir von außerhalb des deutschen Bereiches zum deutschen Umsatzsteuersystem in der Vergangenheit bekommen haben, sind mir besonders wichtig; denn das sind ja Bekundungen von Sachverständigen, die vollständig außerhalb der deutschen Interessensphäre liegen. Ihr Votum ist deshalb von besonderer Bedeutung.Die wesentlichsten Vorarbeiten sind dann aber in der 3. Legislaturperiode geleistet worden. Der Herr Bundesfinanzminister hat schon auf die Denkschrift der Bundesregierung vom Jahre 1958 hingewiesen. Ich möchte hier sagen: Dies ist eine vorzügliche Denkschrift, welche die Problematik, mit der wir uns heute beschäftigen, und ihre gesamte Vorgeschichte in einer sehr anschaulichen und komprimierten Art zusammenfaßt. Der damalige Bundesfinanzminister Etzel hat im übrigen verschiedene Kommissionen eingesetzt, um die Vielschichtigkeit dieses Problems von den Sachverständigen untersuchen zu lassen. Er hat dann vor allen Dingen auch dem Wissenschaftlichen Beirat beim Bundesministerium der Finanzen einen zweiten Auftrag erteilt: ein abschließendes Gutachten zur Frage einer Umsatzsteuerreform in Deutschland zu erarbeiten.Das Ergebnis der Bemühungen des Finanzministeriums in der 3. Legislaturperiode war dann der Studienentwurf der Bundesregierung vom August 1960, und ich glaube, in der öffentlichen Diskussion hat dieser Studienentwurf eine große Rolle gespielt. Wenn nämlich bis dahin unter den Experten in der öffentlichen Diskussion durchaus streitig war, welches Umsatzsteuersystem im Falle einer Reform an die Stelle des heutigen Systems zu treten habe, besteht seit diesem Diskussionsentwurf der Bundesregierung darüber in der Öffentlichkeit sozusagen gar kein Streit mehr, vielmehr eine Einigkeit dahin gehend, daß, falls überhaupt ein Systemwechsel bei uns zu vollziehen sei, eben nur die Einführung einer Art der Mehrwertbesteuerung in Frage kommen könnte. Dieser Studienentwurf der Bundesregierung von August 1960 war von besonderer Wichtigkeit. Der damalige Bundesfinanzminister Etzel hat somit in bezug auf die Vorarbeiten die entscheidenden Verdienste.Ich darf im übrigen auch auf die Ausführungen hinweisen, die der frühere Bundesfinanzminister Herr Kollege Starke in seiner Haushaltsrede vom 13. März 1962 gemacht hat. Herr Kollege Starke hatte damals auf das noch ausstehende zweite Gutachten des Wissenschaftlichen Beirats beim Bundesministerium der Finanzen und darauf hingewiesen, daß auch die Meinungsbildung in der EWG-Kommission noch nicht hinreichend deutlich erkennbar sei, hat aber gesagt, daß, wenn das zweite Gutachten des Beirats vorliege und man in Brüssel einigermaßen klar sehe, die Reform noch innerhalb der 4.Legislaturperiode des Deutschen Bundestages zu vollziehen sei.Wenn wir schon bei diesem kurzen Rückblick sind, haben wir alle Veranlassung, Herrn Professor Schmölders zu danken, der als erster aus dem Bereich der Wissenschaft auf alle diese Dinge aufmerksam gemacht hat. Dank an Zierold-Pritsch, Dank an die verschiedenen Industrie- und Wirtschaftsverbände, die ihrerseits teilweise sogar ausführliche Gesetzentwürfe zum Zwecke der öffentlichen Diskussion vorgelegt haben.
Besonders Herr Kollege Kurlbaum hat sich um die öffentliche Diskussion in dieser Angelegenheit verdient gemacht. Ich darf in diesem Zusammenhang auch an Herrn Dr. Becker, das frühere Mitglied dieses Hohen Hauses, erinnern. Der Becker-Entwurf war ja der Gegenstand der Initiative, an der ich im Oktober 1962 auch beteiligt gewesen bin. Man wird sagen können, daß die Einbringung dieses Beckerentwurfs im parlamentarischen Verfahren den Stein ins Rollen gebracht hat.Ich sprach vorhin von dem Votum der OEEC-Kommission und möchte in diesem Zusammenhang auch darauf hinweisen, daß die EWG-Kommission sechs verschiedene Ausschüsse damit beauftragt hatte, die umsatzsteuerrechtlichen Verhältnisse in sämtlichen Partnerstaaten zu untersuchen. Sämtliche Ausschüsse der EWG sind völlig unabhängig voneinander zu dem Ergebnis gekommen, es gehe nicht an, daß auch nur einer der Partnerstaaten der EWG ein kumulatives Umsatzsteuersystem beibehalte. Alle haben sich für die Einführung einer Art der Mehrwertbesteuerung im gesamten EWG-Bereich ausgesprochen.In diesem Zusammenhang darf auch der Hinweis auf den Bundestagsbeschluß vom 24. April vorigen Jahres nicht fehlen. Der Deutsche Bundestag hat damals einstimmig dem Dreistufenplan der EWG-Kommission zur Harmonisierung der Umsatzsteuer im Bereich der EWG zugestimmt, aber auch die EWG-Kommission einstimmig gebeten, das Verfahren zur Harmonisierung der Umsatzsteuer zu komprimieren und somit zeitlich zusammenzufassen.Man muß abschließend feststellen, daß in dieser Angelegenheit gar nichts übers Knie gebrochen wird. Ich glaube sagen zu dürfen, daß noch keine große Reform dieser Art so gründlich und von so langer Hand vorbereitet worden ist wie diese Umsatzsteuerreform. Ich muß mich gleichzeitig aber auch gegen Versuche wehren, die Reform ganz geflissentlich so lange nicht „übers Knie zu brechen", bis auch die 4. Legislaturperiode verstrichen ist. Solche Verzögerungstaktiken sind zweifellos gleichfalls nicht am Platze.Zum Abschluß dieser Vorbemerkungen darf ich noch auf die Haltung der Sozialdemokratischen Partei hinweisen, ohne die Sprecher der Fraktion hier insoweit irgendwie präjudizieren zu wollen. Ich habe in den Papieren eine Äußerung der SPD aus dem Jahre 1913 zu dem System der kumulativen Umsatzsteuer gefunden, und ich darf das ganz kurz
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 110. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 5. Februar 1964 5057
Dr. Ludaverlesen, weil es, glaube ich, den Kern der ganzen Problematik in vorzüglicher Weise zusammenfaßt. Wörtlich hat die SPD im Reichstag des Jahres 1918 — das will ich mir im Jahre 1964 hier voll inhaltlich zu eigen machen — die Umsatzsteuer kritisiert, „weil sie nach nichts weiter als dem Umsatz, nicht nach dem Gewinn, nicht nach der volkswirtschaftlichen Bedeutung, nicht nach der Notwendigkeit, nicht nach der Entbehrlichkeit eines Umsatzes fragt". — Ende des ZitatsNun, meine Damen und Herren, das an Hand eines konkreten politischen Problems, welches über mehr als vier Jahrzehnte das gleiche geblieben ist, feststellen zu können, daß nämlich eine politische Partei von Anbeginn eines solchen Gesetzeswerks an bis zum heutigen Tage — so darf man angesichts der Haushaltsrede des Herrn Kollegen Möller vor wenigen Wochen hier in diesem Hause wohl sagenihre Auffassung beibehalten hat, das, glaube ich, ist eine interessante und gravierende Reminiszenz.
Man sollte darauf doch hingewiesen haben. Ich bin versucht zu sagen: eine solche historische Betrachtung an diesem interessanten Beispiel anzustellen ist beinahe so interessant und bedeutsam wie die Tatsache des kürzlichen hundersten Geburtstages der Sozialdemokratischen Partei. Denn, meine Damen und Herren, was war denn dazu zu sagen? Was kam in diesem hundersten Geburtstag zum Ausdruck? Doch an sich nur die Tatsache, daß die SPD inzwischen ins Greisenalter eingetreten ist.
— Das kommt sofort.Ich darf jetzt zu den Einzelheiten dieses Gesetzentwurfs der Bundesregierung Stellung nehmen. Daher bitte ich um Ihr freundliches Verständnis dafür, daß ein Redner innerhalb dieser Diskussion unmöglich zu allen bedeutsamen Fragen, die mit diesem Gesetzentwurf aufgeworfen werden, Stellung nehmen kann. Ich hoffe aber, wenigstens die wesentlichsten Fragen in meinen Ausführungen hinreichend berühren zu können.Das alte System — ich sagte es schon mehrfach — ist die Allphasen-Bruttoumsatzsteuer. Was stört an dieser Steuer? Stört die Tatsache, daß es eine Allphasensteuer ist? Nein, das ist nicht der Fall. Bei einem Finanzvolumen von jährlich etwa 20 Milliarden DM ist es sicherlich ausgeschlossen — der Herr Bundesfinanzminister hat darauf mit Recht hingewiesen —, mit der Aufgabe des Inkassos nur eine Wirtschaftsstufe zu beauftragen. Das ist für eine Wirtschaftsstufe zweifellos zu viel. Nun gut, die Allphasensteuer muß also bleiben.Stört die Tatsache, daß es sich um eine Umsatzsteuer handelt? Nun, was soll künftig in der Mehrwertsteuer die Steuerpflicht auslösen? Soll die Steuerpflicht des einzelnen durch die Tatsache des Veredelungsprozesses ausgelöst werden? Soll sie durch den bloßen Umstand der vollzogenen Wertschöpfung ausgelöst werden? Nein, das ist durchaus nicht der Fall. Auch in der Mehrwertsteuerwird die Steuerpflicht durch die Transaktion ausgelöst, also durch die Tatsache des Umsatzes. Was aber ist Umsatz? Umsatz ist, betriebswirtschaftlich gesehen, Gelderlös, sonst gar nichts, Gelderlös für selbständige berufliche Tätigkeit. Nicht die eigene Leistung ist Umsatz, nicht die Hingabe der von mir erzeugten Waren ist Umsatz, sondern die Gegenleistung, die ich als beruflich Tätiger bekomme. Ich glaube, es ist wichtig, das zu sagen, insbesondere auch in Zusammenhang mit der Frage der Besteuerung der beruflichen Dienstleistungen. Nach Art. 106 Abs. 1 Nr. 3 des Grundgesetzes steht die Umsatzsteuer dem Bund zu. Ich muß deshalb ausdrücklich hier sagen: Die Mehrwertsteuer ist eine Umsatzsteuer, und die Bundesregierung hat recht getan, daß sie einen Umsatzsteuergesetzentwurf und keinen Mehrwertsteuergesetzentwurf vorgelegt hat. Es muß eine Allphasenbesteuerung bleiben, und es bleibt die Tatsache einer Umsatzsteuer. Was stört also am alten System? Es stört das Bruttoprinzip. Und das ist das einzige, was stört.Warum hat sich der Gesetzgeber des Jahres 1918/19 für das Bruttoprinzip entschieden? Das ist jetzt der methodische Kern unserer heutigen Debatte. Der Gesetzgeber von 1918 wollte eine verdeckte Steuer. Er wollte die Steuer ganz bewußt als unsichtbaren Preisbestandteil. Warum? Darin liegt nämlich der Vorteil der Unmerklichkeit. Eine derartig verdeckte Steuer läßt sich dem Publikum politisch relativ leicht servieren. Das Publikum, der Verbraucher vor allem, merkt diese Steuer kaum, obwohl er der einzige ist, der die Steuer tragen soll. Der Gesetzgeber des Jahres 1918 hat also ganz bewußt ein Spiel mit verdeckten Karten gewollt.Was aber ist die zwangsläufige Folge der Tatsache einer verdeckten Steuer? Die zwangsläufige Folge ist eben die Kumulation. Es ist durchaus nicht so, als ob der Gesetzgeber des Jahres 1918 sich über diese negative Folge — die Kumulation — nicht im klaren gewesen wäre. Ich bitte dazu bei Johannes Popitz, dem Verfasser des Umsatzsteuergesetzes von 1918, nachzulesen; in der Juristischen Wochenschrift von 1919 findet sich ein Artikel von Popitz mit dem Titel: Die Umsatzsteuer als Faktor der Betriebs- und Besitzkonzentration. Von Anfang an hat Popitz ausgeführt, daß, wenn innerhalb dieses kumulativen Umsatzsteuersystems der allgemeine Steuersatz über 1 % hinausgehe, schädliche Auswirkungen auf die Struktur der Wirtschaft unvermeidlich seien; ein kumulatives System mit einem Steuersatz von über 1 % könne also der Wirtschaft nicht zugemutet werden. Es ist bei der Begründung der großen Anfrage im Frühjahr vorigen Jahres gesagt worden, Popitz habe 2 % als die äußerstenfalls zulässige Grenze bezeichnet. Das ist nicht richtig. Ich bitte, das in der Bibliothek dieses Hauses nachzulesen. Heute beträgt nun der allgemeine Steuersatz 4 %;
es ist wichtig, das hier herauszustellen.Der Entwurf der Bundesregierung wendet nun die entgegengesetzte Methode an, und er geht den ent-
Metadaten/Kopzeile:
5058 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 110. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 5. Februar 1964
Dr. Ludagegengesetzten Weg. Er macht die Umsatzsteuer sichtbar. Durch den Regierungsentwurf wird die Umsatzsteuer zum durchlaufenden Posten. Sie scheidet deshalb aus der Kalkulation aus. Es gibt einen völlig neuen Begriff, nämlich den Begriff des Preises an sich, den Begriff des Nettopreises. Das ist dann ein Spiel mit offenen Karten. Das ist der wesentliche Unterschied, um den es sich heute hier handelt.Warum will die Bundesregierung die offene, die sichtbare, die transparente Steuer? Deshalb, weil nur sie die Möglichkeit des Vorsteuerabzuges eröffnet. Nur dadurch kann dem einzelnen Steuerzahler der Vorsteuerabzug ermöglicht werden, und nur dadurch kann die Kumulation in dem neuen Umsatzsteuersystem vermieden werden.Was sind nun Vorsteuern, die abzugsfähig sind? Das sind die Vorsteuern auf Vormaterialien, auf Investitionen und auf sonstigen Gemeinkosten.In diesem Zusammenhange ein Wort zu den Vorsteuern auf Investitionen. Der Regierungsentwurf sieht den Vorsteuerabzug auf Investitionen nach dem Zeitraum des Werteverschleißes, also pro rata temporis, vor. Mir und meinen politischen Freunden erscheint diese Regelung problematisch. Sie erscheint vor allen Dingen aus technischen Gründen problematisch. In diesem Zusammenhang verweise ich insbesondere auf den § 9 Abs. 6 des Entwurfs. Nur wegen der Regelung pro rata temporis brauchen wir im neuen System das Institut des Selbstverbrauchs. Hätten wir den Sofortabzug, brauchten wir es nicht. In welche Schwierigkeiten uns allein der Selbstverbrauch bringt, beweist § 9 Abs. 6, wo es wörtlich heißt: „An die Stelle des vereinbarten Entgelts tritt . . . in den Fällen des Selbstverbrauchs . . . der Preis, der am Ort und zur Zeit der Verwendung . . . gezahlt zu werden pflegt." Das ist Kautschuk und muß große Schwierigkeiten bereiten. Über die Frage, ob Pro-rata-Abzug oder sofortiger Vollabzug, muß also im Finanzausschuß noch ausführlich beraten werden.Den Vorumsatzabzug hat die Bundesregierung abgelehnt, ich glaube, mit Recht. Auch die EWG-Kommission wird uns ja nicht den Vorumsatzabzug, sondern den Vorsteuerabzug vorschlagen. Deshalb kann ich es mir ersparen, dazu etwas zu sagen.Das Kennzeichen des Vorsteuerabzuges ist eben die Tatsache der Nachholwirkung. Ich brauche dazu hier nichts Weiteres erklärend zu sagen. In der öffentlichen Diskussion hat ein Kritiker der Mehrwertsteuer in diesem Zusammenhang von der „Dämonie der Mehrwertsteuer" gesprochen, weil eine Steuerbefreiung irgendwie zurückschlage und letzten Endes nur ein Nachteil für die Beteiligten sei. Nun, ich möchte in bezug auf das Institut der Nachholwirkung hier nicht von einer „Dämonie" der Mehrwertsteuer sprechen, sondern von einer ausgesprochenen Rechtswohltat des neuen Systems.
Denn durch diese Nachholwirkung, meine Damen und Herren, wird der Gesetzgeber verhindert, übermäßig viel Ausnahmebestimmungen oder Begünstigungen ins Gesetz aufzunehmen.Das Ergebnis ist also die Tatsache: wir haben dann in Zukunft eine Allphasen-Netto-Umsatzsteuer.Bei dieser Steuer ist die Höhe der umsatzsteuerlichen Endbelastung völlig unabhängig von der Zahl der Transaktionen von der Urproduktion bis zum Einzelhandel. Die Höhe der umsatzsteuerlichen Endbelastung ist von der Integrationstiefe der beteiligten Unternehmen völlig unabhängig.Wir kommen dann zu einem weiteren Charakteristikum dieser Mehrwertsteuer. Herr Kollege Dr. Dresbach hat in vielen anderen Zusammenhängen mit Recht immer wieder darauf hingewiesen, daß ein Steuersystem nicht manipulierbar sein dürfe. Nun, wenn das der Vorsatz ist — und ich glaube, diesen Vorsatz haben wir alle —, müssen wir die Mehrwertsteuer begrüßen. Denn die Mehrwertsteuer läßt sowohl Manipulationen des Steuerzahlers als auch übermäßige Manipulationen des Gesetzgebers vom System her gar nicht mehr zu. Das ist ihr großer Vorzug.Die Zahl der Selbständigen wird also bei diesem System, bei dem es auf die Integrationstiefe der Unternehmen nicht mehr ankommt, nicht mehr reduziert. Im alten System ist das ja der Stein des Anstoßes: daß die Zahl der Selbständigen durch die Prämie für den Großbetrieb, die im alten System gezahlt wird, reduziert wird. Diese Prämie des Großbetriebs gibt es im neuen System nicht. Deshalb ist es eine Reform für den Mittelstand.Natürlich müssen wir aber gleichzeitig bekennen, daß in der Mehrwertsteuer, obwohl es sich um eine mittelstandsfreundliche Reform handelt, eine Gefahr besteht, daß gewisse Randbereiche des Mittelstandes unter die Räder kommen könnten; das sind die Dienstleister, das sind die umsatzschwachen Unternehmen. Über diese Komplexe wird nachher noch zu sprechen sein. Im Prinzip aber ist es so, daß durch den Systemwechsel Halt gemacht wird mit der ständigen Reduzierung der Zahl der Selbständigen in der Volkswirtschaft. Die Selbständigen haben also durch den Systemwechsel in Zukunft eine bessere Chance.Wenn man sagt, der Vorsteuerabzug wird dadurch ermöglicht, daß die früher verdeckt gewesene Steuer jetzt eine offene Steuer wird, muß man gleichzeitig bekennen: dadurch, daß die Steuer transparent gemacht wird, könnte für die Wirtschaft und für die Finanzämter die Gefahr einer technischen Mehrbelastung — durch die Trennung des Preises von der Steuer — bestehen.Was ist dazu zu sagen? Das ist die Frage des sogenannten zusätzlichen steuerlichen Aufwandes. Was ist zusätzlicher steuerlicher Aufwand? Das sind die Kosten meiner Steuerbuchführung, das sind die Kosten meines Steuerberaters, das sind die Kosten der Beamten beim Finanzamt.Wird insoweit die Wirtschaft oder die Verwaltung durch die Trennung von Warenpreis und Steuer zu sehr strapaziert? Nun, meine Damen und Herren, nach dem Regierungsentwurf bringt die Mehrwertsteuer für den Unternehmer folgende technische Mehrerfordernisse mit sich. Erstens: Auf jeder in der
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 110. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 5. Februar 1964 5059
Dr. LudaVolkswirtschaft erteilten Rechnung muß in Zukunft der Steuerbetrag gesondert ausgewiesen werden. Insofern ein Mehrerfordernis. Zweitens: Nach dem Regierungsentwurf muß das Vorsteuerkonto bei jeder Buchführung eingerichtet werden, das Konto, auf dem die Vorsteuerbeträge, die meine Vorlieferanten mir in Rechnung gestellt haben, gesammelt werden, um am Monatsende addiert zu werden. Der Herr Bundesfinanzminister hat mit Recht darauf hingewiesen: Was sind das für Beträge, die auf diesem Vorsteuerkonto stehen? Das sind Steuerguthaben, das sind meine Forderungen ans Finanzamt, und deshalb ist das besonders wichtig. Diese beiden Umstände, die ich erwähnt habe, sind zweifellos Mehrerfordernisse für den Unternehmer in technischer Hinsicht. Aber ich weigere mich, anzuerkennen, daß es echte Mehrbelastungen sind. Jedenfalls sind es keine unzumutbaren Mehrbelastungen.Zu dieser Regelung, die sich aus dem Regierungsentwurf ergibt, gibt es aber eine Alternative, die ihren Niederschlag in dem Becker-Entwurf gefunden hat. Nach dem Becker-Entwurf braucht nicht in jeder Rechnung der Steuerbetrag gesondert ausgewiesen zu werden, sondern nach ihm genügt die Angabe des Steuersatzes. Zur Erleichterung der Unterschiede kann man dann vielleicht in der gesamten Volkswirtschaft noch die Regelung einführen, daß alle Rechnungen, die nach Maßgabe des Steuersatzes von 10% erteilt werden, eine blaue Farbe und alle anderen, die nach Maßgabe des Steuersatzes von 5 % erteilt werden, eine rote Farbe erhalten. Aber das ist nur eine technische Einzelheit.Dann würde es also genügen, daß der Unternehmer, der seine Rechnungsformulare ohnehin in der Druckerei herstellen läßt, seiner Druckerei sagt: Ihr müßt mir in Zukunft eine Fußnote aufdrucken: „In obigem Rechnungsbetrage sind 10 % — oder 5 % —Mehrwertsteuer enthalten". Insoweit würde also für den Unternehmer noch nicht einmal ein Mehrerfordernis technischer Art gegeben sein.Aber diese Regelung — die bloße Angabe des Steuersatzes — hat noch einen weiteren Vorteil für den Unternehmer. Bei ihr entfällt nämlich die Notwendigkeit, zwei Buchungen vorzunehmen. Wenn die Angabe des Steuersatzes genügt, kann der Unternehmer in seiner Buchführung bei den Eingängen die erfolgten Eingänge getrennt verbuchen nach 10 %iger Belastung und 5 %iger Belastung. Dann entfällt das zweite zusätzliche Erfordernis der Führung eines Vorsteuerkontos. Das Ergebnis ist die Tatsache, daß dann überhaupt keine technische Mehrbelastung des einzelnen Unternehmers festzustellen ist.Die Frage, ob die Finanzämter mit der Mehrwertsteuer fertig werden können, hat den Finanzausschuß in besonderer Weise bei seinem Paris-Besuch, aber auch bei der Anhörung der Sachverständigen aus dem Saargebiet interessiert. Besonders der Hinweis auf das Saargebiet ist ja wichtig. Denn wir können — außer Frankreich — als einziger Partnerstaat in der EWG auf die Tatsache verweisen, daß die Mehrwertsteuer in einem nicht unwesentlichen Teil des deutschen Wirtschaftsgebietes schon über12 Jahre praktiziert worden ist. Die Sachverständigen aus dem Saargebiet haben uns gesagt, daß im Jahre 1959, als im Saarland im Zuge der Rückangliederung an das deutsche Bundesgebiet die altbekannte Allphasen-Brutto-Umsatzsteuer wieder eingeführt werden sollte, bei den dortigen Finanzämtern in den Umsatzsteuerabteilungen zusätzliches Personal eingestellt werden und bis auf den heutigen Tag beibehalten werden mußte. Das ist, glaube ich, ein schlagender Beweis dafür, daß für das Finanzamt keine Mehrbelastung, sondern eine Entlastung eintritt. Warum eine Entlastung? Weil durch die Mehrwertsteuer eine Selbstkontrolle der Steuerzahler stattfindet; denn die Steuerbelastungen werden ja weitergereicht von Unternehmer zu Unternehmer, von der Urproduktion bis zum Einzelhandel.Die Stellungnahme des Saarhandwerks ist entsprechend gewesen. In einem Artikel der Zeitschrift „Der Saarhandwerker" ist der Übergang zur altbekannten Allphasenbruttoumsatzsteuer im Namen des saarländischen Handwerks bedauert und gefordert worden, man möge sich in Bonn damit beeilen, möglichst bald im gesamten deutschen Bundesgebiet eine Mehrwertbesteuerung einzuführen.Meine Damen und Herren, das waren einige Bemerkungen zur Frage der technischen Mehrbelastung von Unternehmern und Verwaltungsstellen.Ferner müssen einige kurze Worte zur Höhe des Steuersatzes in der Mehrwertsteuer gesagt werden. Die Mehrwertsteuer bringt eine Egalisierung der Belastungen aller Waren und Leistungen der Volkswirtschaft; denn dann ist für den weitaus größten Bereich nur noch ein Steuersatz — das sind 10 % — und für einen kleineren Bereich der Volkswirt-schaft nur e i n Steuersatz — das sind 5 % — maßgehend.Es ist sehr wichtig, dies zu sagen. Denn wieviele Steuersätze hat das jetzige deutsche System? Das jetzige System hat 6 verschiedene Steuersätze. Man komme mir nicht mit der oftmals leichtfertig aufgestellten Behauptung, daß das jetzige System in allen Fällen so leicht zu handhaben sei. 4 % ist heute der allgemeine Steuersatz; 3 %, 2,5 %, 2,3 %, 1,5 % und 1 % sind die weiteren heute gültigen Steuersätze, abgesehen von der Vielzahl der Fälle absoluter Steuerbefreiung.Was psychologische Schwierigkeiten macht, ist natürlich die Tatsache, daß bisher die Steuerzahllast im Regelfall 4 % beträgt, während sie in der Mehrwertsteuer dann 10 % ausmacht. Aber warum muß der Steuersatz — also die nominelle Zahlenlast — größer werden? Weil die Kumulation entfällt.Es ist wichtig, an dieser Stelle zu sagen, daß im alten System kein einziger Steuerzahler nur 4 % Umsatzsteuer zahlt. Alle zahlen mehr! Denn außer der Steuerzahllast gegenüber idem Finanzamt hat schon im alten System jeder Unternehmer Vorsteuern zu zahlen. Vorsteuer ist ja kein neuer Begriff, der durch das Mehrwertsteuersystem begründet worden ist. Vorsteuer gibt es heute schon. Bloß sind die Vorsteuern im neuen System voll ab-
Metadaten/Kopzeile:
5060 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 110. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 5. Februar 1964
Dr. Ludawälzbar. Im alten System gibt es keinen Vorsteuerabzug.Der Wissenschaftliche Beirat beim Bundesministerium der Finanzen hat in seinem Gutachten festgestellt, daß die Endprodukte, die heute dem deutschen Verbraucher zum Kauf angeboten werden, im Durchschnitt mit 8 bis 12 % Umsatzsteuer belastet sind, also im Durchschnitt mit 10 %. Die 10% sind der Steuersatz des künftigen Systems.Ich sprach von 8 bis 12%. In Einzelfällen mag die Belastung unter 8% liegen; aber in wichtigen sonstigen Fällen liegt sie sogar über 12 %, beträgt sie nahezu ,das Vierfache des allgemeinen Steuersatzes von 4%, nämlich nahezu 16%.Meine Damen und Herren, nehmen Sie die erstaunliche Tatsache, daß die Automobile, die in Deutschland neu zu kaufen sind, im alten System durchschnittlich mit 14,7% Umsatzsteuer belastet sind. Es ist wichtig, das zu wissen, wenn man einen objektiven Vergleich zwischen dem alten und dem neuen System anstellen will.Ich sagte, durchschnittlich sei heute schon jede Ware mit 10 % belastet. Erlauben Sie mir jetzt eine Kontrollrechnung! Der private Verbrauch in der Bundesrepublik im Jahre 1962 betrug — das ist recht interessant — 190 Milliarden DM. Das Umsatzsteueraufkommen betrug im gleichen Jahr 19,2 Milliarden DM, also 10% des privaten Verbrauchs. Sie ersehen daraus, daß auch insoweit die Berechnungen der Statistiker ides Bundesfinanzministeriums bestätigt werden.Der Unterschied zum neuen System liegt in folgender Tatsache. Bisher hatte der Steuerzahler nur eine Zahlstelle; das war das Finanzamt. Im künftigen System hat er zwei Zahlstellen, einmal das Finanzamt und zum anderen seinen Vorlieferanten. Je mehr Umsatzsteuer er an den Vorlieferanten zu zahlen hat, desto weniger hat er an das Finanzamt zu zahlen. Je mehr der Zeitungsverleger seinen Vorlieferanten — das sind die selbständig arbeitenden Journalisten — an Vorsteuern erstattet, um so weniger Mehrwertsteuern braucht er unmittelbar ans Finanzamt zu zahlen. Das ist eine ganz klare Sache, die aber auch erkannt sein muß.In diesem Zusammenhang — der Herr Bundesfinanzminister hat schon darauf hingewiesen —: Es ist keineswegs unbedingt ein Vorteil, wenn man in der Mehrwertsteuer von der Steuerpflicht befreit wird. Wir haben das eklatante Beispiel der Binnenschiffer. Sie sind in dem neuen Regierungsentwurf befreit, und sie haben beschlossen, bei der Einführung der neuen Steuer den Antrag zu stellen, freiwillig in die Mehrwertsteuer einbezogen zu werden, weil nur auf diese Art und Weise sie die Möglichkeit des Vorsteuerabzugs bekommen. Das Transportgewerbe hat ja sehr hohe Fremdbezüge, und die Binnenschiffer würden im Verhältnis zur Bundesbahn Gefahr laufen, als einzige die Vorsteuern auf Investitionen nicht abwälzen zu können. Hier wieder die Frage: Dämonie oder Rechtswohltat? Nun, die Reaktion der Binnenschiffer beweist wohl eindeutig: es ist eine Rechtswohltat,Wie gesagt, die alte Steuer hatte den Vorzug der Unmerklichkeit. Der Steuerzahler merkte die Vorsteuern kaum, und die Zahllast merkte er nur wenig. In diesem Zusammenhang wird eben der alte Erfahrungssatz wieder bedeutsam: Jede alte Steuer ist eine gute Steuer, und jede neue Steuer ist eine schlechte Steuer. Das sind die psychologischen Schwierigkeiten, vor denen der Gesetzgeber steht, wenn er eine verdeckte Umsatzsteuer umgestalten und eine offene Umsatzsteuer einführen will. Die Mehrwertsteuer ist der Testfall für die Frage, ob der 4. Deutsche Bundestag die politische Kraft besitzt, sich über diese psychologischen und somit politischen Schwierigkeiten hinwegzusetzen.
Es ist dann ein Wort zu der preispolitischen Situation erforderlich. Der Herr Bundesfinanzminister hat mit Recht darauf hingewiesen, daß die Einführung der Mehrwertsteuer Preisverschiebungen zur Folge haben werde und zur Folge haben müsse. Das ist richtig. Was uns aber allgemein-politisch interessiert und natürlich auch Sorge macht, ist die Frage, ob das allgemeine Preisniveau durch die Reform erhöht wird. Wodurch können volkswirtschaftlich allgemeine Preissteigerungen verursacht werden? Sie können volkswirtschaftlich verursacht werden entweder durch generelle Kostensteigerungen oder durch Erzeugung zusätzlicher Kaufkraft. Der Herr Bundesfinanzminister hat schon dargelegt, daß die Wirtschaft durch die Einführung der Mehrwertsteuer nicht zusätzlich mit Kosten belastet werden solle. Die Umsatzsteuer hat im Haushaltsjahr 1962 56,8 % der gesamten Bundessteuereinnahmen ausgemacht. Die Umsatzsteuer ist die Königin der Bundessteuern, und das muß so bleiben. Das Aufkommen aus der Mehrwertsteuer darf nicht geringer werden. Aber auf der anderen Seite ist es der Vorsatz sicherlich aller Seiten dieses Hauses, das Steueraufkommen auch nicht zu erhöhen. Von daher gesehen kann es also keine Ursache für einen allgemeinen Preisauftrieb geben. Daß andererseits durch die Durchführung einer Umsatzsteuerreform nicht zusätzliche Kaufkraft erzeugt wird, ist sicherlich klar und eindeutig.Die Gefahr liegt eben darin, daß partielle Preiserhöhungen ungerechtfertigter Art eintreten können, und sie können nur dann vermieden werden, wenn alle Steuerpflichtigen veranlaßt werden, netto zu kalkulieren. Bisher haben sie die Bruttokalkulation; in Zukunft werden sie die Kalkulation ohne Steuerfaktor haben.Mit dem weiteren Problem, ob alle Steuerzahler, die durch die Reform eine Steuerermäßigung erfahren, diese Steuerermäßigung auch im Preise weitergeben, muß sich der Finanzausschuß befassen. Ich glaube, es gibt technische Möglichkeiten in dem Reformgesetz, dafür Hilfen zu geben, daß auch nicht einzelne Unternehmer der Gefahr erliegen, sich irgendwelche Zwischengewinne in die Tasche zu stecken. Wir haben insofern einen Anhaltspunkt in den heutigen Beträgen der Umsatzausgleichsteuer; die müssen als Preisermäßigungen mindestens nach dem Tage X in Erscheinung treten, im Regelfall sogar nicht wenig mehr,
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 110. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 5. Februar 1964 5061
Dr. LudaIn diesem Zusammenhang eine Feststellung: der Anteil aller mit 5 % versteuerten Waren und Leistungen nach dem Regierungsentwurf beträgt fast 40 % des Gesamtvolumens in der Volkswirtschaft. Das ist enorm viel. Wenn wir das berücksichtigen, kommen wir zu dem Ergebnis, daß in der Mehrwertsteuer ein durchschnittlicher Steuersatz von 8,35 % gelten wird.In diesem Zusammenhang muß ich noch auf die Frage des lebensnotwendigen Bedarfs eingehen. Der Herr Bundesfinanzminister hat eine Liste derjenigen Nahrungsmittel und derjenigen notwendigen Textilien aufgestellt, die aus sozialpolitischen Gründen in dem Mehrwertsteuergesetz eine Sonderbehandlung erfahren müssen. Wir alle sind uns darüber einig, daß das Gesetz möglichst wenig Ausnahmebestimmungen enthalten sollte. Das ist völlig klar. Aber eis gibt gewisse Bereiche, wo auch bei der Mehrwertsteuer gewisse Begünstigungen erforderlich sind. Das ist völlig unstreitig sowohl bei der EWG-Kommission als auch beim wissenschaftlichen Beirat und wohl auch hier bei uns auf der politischen Ebene. Für diese Waren des lebensnotwendigen Bedarfs ist die Steuer auf 5 % festgesetzt worden. Das bedeutet, daß nach dem Tage X die notwendigen Nahrungsmittel und die notwendigen Textilien weniger mit Umsatzsteuer belastet sein werden als im heutigen System. Das ist ein sehr wichtiger Hinweis. Insoweit ist die Bundesregierung ihrer Verpflichtung, den einkommensschwachen Verbraucher besonders zu schützen, zweifellos in weitgendem Maße nachgekommen.Der Finanzausschuß wird sich besonders auch mit diesem Komplex zu befassen haben. Er hat in diesem Zusammenhang ferner die Frage der Energieleistungen für Haushaltungen und der Nahverkehrsleistungen der kommunalen Betriebe und dergleichen zu prüfen. Das Weitere muß sich bei den Einzelberatungen ergeben. Unser Grundsatz bezüglich der Systemreinheit oder der Frage möglicher Ausnahmen lautet jedenfalls dahin gehend: möglichst Gleichheit aller vor dem Mehrwertsteuergesetz, aber Zubilligung mildernder Umstände dort, wo es aus sozialpolitischen Gründen notwendig ist.Wir sind jetzt bei der Frage der Sonderregelungen. Hier kommen wir in die kritischen Bereiche der Mehrwertsteuer hinein. Für umsatzschwache Unternehmen hat die Bundesregierung eine Freigrenze von 20 000 DM Jahresumsatz vorgeschlagen. Ich glaube, daß das Institut der Freigrenze von uns akzeptiert werden muß. Welches die Grenze sein wird, ob 20 000 DM oder ein anderer Betrag, darüber werden wir im Finanzausschuß eingehend zu beraten haben.Ich begrüße es auch, daß der Herr Bundesfinanzminister darüber hinaus für umsatzschwache Unternehmen Pauschalierungsmöglichkeiten geschaffen hat, nämlich für Unternehmen bis zu einer Umsatzgrößenklasse von 200 000 DM im Jahr. Ein Unternehmer, der also nicht mehr als 200 000 DM Jahresumsatz hat — und wer fällt darunter?, darunter fallen doch sämtliche freien Berufe, die gesamte bäuerliche Landwirtschaft und ein großer Teil des Handwerks —, braucht, wenn er Interesse an derPauschalierung hat, nur eine Postkarte ans Finanzamt zu schreiben, und schon hat er mit der gesamten Technik der Mehrwertsteuer absolut nichts mehr zu tun. Wir begrüßen außerordentlich diese Möglichkeit technischer Erleichterung für kleinere Unternehmen.Aber — und jetzt kommt ein Gedanke, den ich hier persönlich noch vorbringen möchte — der Herr Bundesfinanzminister hat in seinem Entwurf die Pauschalierung nach Durchschnittssätzen vorgesehen. Ich persönlich werde im Finanzausschuß zu erwägen geben, ob es nicht richtig ist, statt der Pauschalierung nach Durchschnittssätzen eine Pauschalierung nach ermäßigten Sätzen durchzuführen, entsprechend der heutigen Freibetragsregelung im alten System. Wenn man diese Begünstigung im künftigen Mehrwertsteuersystem den umsatzschwachen Unternehmen einräumt, wird man sicherlich keine großen technischen Schwierigkeiten bekommen, auch nicht an der Grenze beim Außenhandel. Diese Frage erscheint mir persönlich besonders wichtig.Die Landwirtschaft ist bekanntlich seit dem 1. April 1956 von der Umsatzsteuer vollständig befreit. Aber befreit ist sie natürlich nur von der Umsatzsteuer-Zahllast. Trotzdem trägt sie heute — das muß hier ausdrücklich gesagt werden — sämtliche Vorsteuern, die auf ihren Investitionen, auf ihren Raumkosten, auf ihren Fahrzeugkosten usw. ruhen.Der Herr Bundesfinanzminister will die landwirtschaftlichen Produkte und somit den Bereich der Landwirtschaft mit 5 % besteuern. Geschieht das, dann erhält die Landwirtschaft damit die Möglichkeit des Vorsteuerabzugs. Darüber hinaus ist aber der Vorschlag des Bundesrats im Gespräch. Darin ist die Einbeziehung der gesamten Landwirtschaft in die Mehrwertsteuer mit einem Steuersatz von 5 % und die Begründung einer gesetzlichen Fiktion vorgesehen, daß in allen landwirtschaftlichen Betrieben die Vorsteuern 5 % betragen, mit der Folge, daß kraft gesetzlicher Bestimmung beides gegeneinander aufgehoben wird, weshalb dann die Landwirtschaft im Verhältnis zum heutigen System nicht mehr belastet ist; im Gegenteil, sie genießt dann sogar den Vorzug des Vorsteuerabzugs, ohne daß aber bei den Abnehmern der Landwirtschaft eine Nachholwirkung eintritt. In diesem Zusammenhang darf ich auf das Gutachten des Wissenschaftlichen Beirats vom Jahre 1962 hinweisen, in dem schon genau die gleiche Regelung vorgeschlagen war. Das letzte Wort zu dem Thema ist noch nicht gesprochen. Ich halte den Vorschlag des Bundesrats aber für gut, und es ist nötig, daß darüber verhandelt wird.Ich sagte vorhin schon, daß wir uns jetzt den kritischen Bereichen der Mehrwertsteuer genähert haben. Der kritischste Bereich in der Mehrwertsteuer ist derjenige der Dienstleister. „Dienstleister" ist ein Oberbegriff und muß als solcher in der Diskussion verwendet werden. Er umfaßt die handwerklichen Dienstleister und die freiberuflichen Dienst-leister. Der Warenumsatzstempel des Jahres 1916, der ja der Anfang der Umsatzsteuer in Deutschland überhaupt gewesen ist, sah eine Besteuerung lediglich von Warenumstäzen vor. Nach dem ersten Weltkrieg hat die Regierung Ebert im Deutschen
Metadaten/Kopzeile:
5062 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 110. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 5. Februar 1964
Dr. LudaReichstag die Ausdehnung der Besteuerung auf gewerbliche Leistungen — diejenigen der Handwerker — und die der freien Berufe betrieben und, nachdem der Reichstag seine Zustimmung nicht geben wollte, in der Weimarer Nationalversammlung eingebracht und dort diese „Besteuerung des Geistes" durchgesetzt. Seitdem haben wir also die Besteuerung aller Dienstleistungen, auch derjenigen der freien Berufe. Es ist also keineswegs so, daß diese Besteuerung erst durch die Vorlage der Bundesregierung eingeführt würde.Ich bin der Meinung, daß der gesamte Bereich der Dienstleister, sowohl handwerklicher als auch freiberuflicher Art, im Finanzausschuß neu durchdacht werden muß, und zwar etwa nach folgendem Schema:Erstens: Welche Dienstleistergruppe zeichnet sich durch eine besonders hohe Wertschöpfungsquote aus? Aber diese Frage allein ist kein hinreichendes Kriterium für eine eventuelle Begünstigung. Denn solange die Abwälzung nicht gefährdet ist, ist es in der Mehrwertsteuer ja völlig gleichgültig, ob die Zahllast groß ist oder nicht, d. h. ob die Wertschöpfungsquote groß ist oder nicht.Die zweite Frage: Wer von diesen Dienstleistern mit besonders hoher Wertschöpfungsquote leistet seine Dienste überwiegend an Private? Da liegt — darüber sind wir uns alle einig — die kritische Nahtstelle im ganzen Mehrwertsteuersystem, wo das Gut an den Konsumenten übergeht.Ich bin der Meinung, wo beide Fragen zu bejahen sind, d. h. wo Dienstleistungsbereiche eine besonders hohe Wertschöpfungsquote haben und außerdem vorwiegend an Private leisten, da sollten wir uns im Finanzausschuß überlegen, inwieweit wir für diese Berufsgruppen nicht den ermäßigten Steuersatz von 5 % festsetzen sollten. Geschieht es aber, daß für einige kritische Handwerksbereiche der Steuersatz von 10 auf 5 % geändert wird, dann müssen wir schon heute eindeutig feststellen: Wer in der Mehrwertsteuer einem Steuersatz von 5 % unterliegt, zahlt auf jeden Fall weniger Umsatzsteuer als im alten System bei 4 %. Das ist eine ganz klare Rechnung. Zu denjenigen, die am wenigsten Vorsteuern haben, zählen im allgemeinen die freien Berufe. Auch bei den freien Berufen beträgt die Vorsteuerquote im Durchschnitt mindestens 1 bis 3 °%. Das heißt — ich sage es nochmal —: wer künftig als Dienstleister 5% Mehrwertsteuer zu zahlen hat, zahlt im Vergleich zum alten Umsatzsteuersystem mit seiner kumulativen Vorbelastung auf jeden Fall weniger Umsatzsteuer.Neu durchdenken müssen wir darüber hinaus einige Grenzbereiche zwischen Handwerk und freien Berufen. Ich sage hier nur die Stichworte: die Verzerrungen, die die Folge des Regierungsentwurfs sein würden, zwischen Architekten und Bauunternehmern, soweit der Baunternehmer selbst einen Bauentwurf liefert, die Verzerrungen, die sich zwischen Bildhauern und Steinmetzen — das liegt auf der Hand — und zwischen Zahnärzten und Zahntechnikern ergeben müssen. Diese Verzerrungen müssen irgendwie aus dem System beseitigt werden. Ich glaube, dazu besteht auch die technische Möglichkeit.Nach meiner persönlichen Ansicht muß vor allen Dingen auch der Bereich der Heilberufe neu durchdacht werden. Die Heilberufe stehen ja nun wahrhaftig hundertprozentig außerhalb des eigentlichen Wirtschaftsgeschehens. Hier ist die Einbeziehung in die Mehrwertbesteuerung vom System her also nicht zwingend notwendig. Außerdem entsteht da die Frage der Mehrbelastung der Sozialversicherungsträger. Mit diesem Problem werden wir im Finanzausschuß auch noch genug zu tun haben. Dieser Bereich steht also ganz eindeutig außerhalb des Wirtschaftsgeschehens, und wir müssen uns noch anstrengen, dafür passende elastische Regelungen zu finden.Ähnliches könnte und müßte man unbedingt zur künstlerischen Leistung sagen, wenn nicht die Antwort auf die Frage „An wen leistet der Künstler im allgemeinen?" ganz eindeutig lauten würde: Er leistet im allgemeinen an Mehrwertsteuerpflichtige, an Buchverleger, an Zeitungsverleger und was es alles sein mag. Da liegen die Schwierigkeiten.Meine Damen und Herren, in den letzten Monaten ist oft die Frage erhoben worden, ob alle freien Berufe von der Mehrwertsteuer befreit werden könnten. Ich möchte gerade an dieser Stelle dem Herrn Bundesfinanzminister für seine Entwurfsarbeit herzlich danken, er hat damit einen großen Mut und großen Reformeifer gezeigt. Was die freien Berufe betrifft, so muß besonders gesagt werden, daß er mit seiner Regelung, die die Ermäßigung der Steuersätze für alle freien Berufe auf 5 % enthält, für die freien Berufe viel getan hat. Er wird dafür von einer Millionenzahl anderer Dienstleister, nämlich den handwerklichen Dienstleistern, angegriffen. Das müssen wir sehen. Ich für meine Person lehne es daher in dieser heutigen öffentlichen Debatte ab, insoweit dem Herrn Bundesfinanzminister in den Rücken fallen zu wollen.
Außerdem muß man noch folgendes sagen. Wer diesen oder jenen aus der Mehrwertsteuer heraushaben will, der soll gleichzeitig sagen, wen er an dessen Stelle in die Mehrwertsteuer hineinnehmen will,
veilleicht von 5 % auf 10 % setzen will. Der soll sich dann auch nicht scheuen, zu sagen: Wenn ich insoweit keinen Deckungsvorschlag machen kann, dann muß ich jedenfalls zugeben, daß zu Lasten sämtlicher anderen Bereiche der Volkswirtschaft der allgemeine Steuersatz entsprechend angehoben werden muß. Das ist also wie bei den kommunizierenden Röhren. Da brauchen wir uns hier gar nichts vorzumachen. Die Begünstigung auf der einen Seite hat immer Mehrbelastungen auf der anderen Seite mit den entsprechenden politischen Konsequenzen zur Folge.Was im übrigen die Befreiung aller freien Berufe betrifft, so wäre mir persönlich sehr unbehaglich zumute, wenn ich, der ich von Beruf Rechtsanwalt und Notar bin, hier die materiellen oder sonstigen Interessen meines Standes vertreten wollte, sozu-
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 110. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 5. Februar 1964 5063
Dr. Ludasagen nach der Melodie „Der brave Mann denkt an sich selbst bis zuletzt".
Ich traue dem Finanzausschuß des Deutschen Bundestages, auch soweit er nicht aus Freiberuflern zusammengesetzt ist, soviel Sachkunde und Objektivität zu, daß er den kritischen Bereich der freien Berufe in der Mehrwertsteuer objektiv und neutral überprüfen und dann entscheiden wird. Da, meine ich, brauchen die Freiberufler mit dem Munde nicht selbst voranzusein. Sind wir im Deutschen Bundestag überhaupt eine Ständevertretung, meine Damen und Herren? Ich habe manchmal den Eindruck. Ich gebe zu, es läßt sich wahrscheinlich an diesem Tatbestand nichts ändern. Aber was meine Person betrifft, muß ich Ihnen doch sagen: wenn mir an diesem Staate irgend etwas verhaßt ist, dann ist es das erbärmliche Gruppendenken, das wir in weiten Bereichen feststellen müssen.
Nun Beispiele für Sonderwünsche in der Wirtschaft. Ich habe in den vergangenen Monaten vor vielen Wirtschaftsverbänden, Verbraucherverbänden und auch politischen Gremien über die Mehrwertsteuer gesprochen, wie Sie, meine Damen und Herren, das teilweise auch getan haben werden. Was erleben wir bei solchen Sonderwünschen? Ich bin einmal bei einem Verband gewesen — einem sehr seriösen Verband —, wo ich ein sehr gutes Gespräch hatte. Ich muß überhaupt sagen, daß das Verständnis und die Bereitschaft zur konstruktiven Mitarbeit in den Verbänden der deutschen Wirtschaft doch sehr stark ist. Ohne diesen Erfahrungsaustausch des Gesetzgebers mit der Praxis bringen wir ja ein praktikables Gesetz gar nicht zustande. Aber wie kurios es manchmal bei solchen Gesprächen zugehen mag, dafür folgendes Beispiel. Ich sprach also vor einem Verband und hatte ein sehr gutes Gespräch. Während ich rede, frage ich den Geschäftsführer, weil ich annehme, daß die Wertschöpfungsquote in diesem Bereich nicht besonders hoch sein könne: „Wie hoch ist denn Ihre Wertschöpfungsquote?" Da sagt der Geschäftsführer prompt: „75%." Ich sage: „Da staune ich aber; nun gut, dann müssen wir davon ausgehen." Nach der Versammlung saßen wir noch bei einem Glase Bier. Da sagte ich zu ihm: „Es würde mich interessieren, einmal Ihre Statistiken, Ihre Unterlagen zu bekommen, damit wir über die 75% sprechen können." — „Ja", sagt er, „das will ich Ihnen sagen. Sie haben mich vorher nach unserer Wertschöpfungsquote gefragt. Da habe ich Ihnen mal so einfach 75% gesagt. Meinen Sie, ich wollte mir nachher von meinen Mitgliedsfirmen irgendwelche Vorwürfe anhören?"Offenbar gibt es in der deutschen Volkswirtschaft kaum noch Bereiche mit Wertschöpfungsquoten unter 70%. Das ist für uns eine Veranlassung, demnächst bei den Beratungen des Finanzausschusses diese Kostenstrukturen ganz besonders sorgfältig zu überprüfen.Dann haben wir immer wieder etwas anderes festzustellen. Wenn irgendwelche Wirtschaftszweige Begünstigungen in der Mehrwertsteuer haben wollen, dann fragt man sie: „Wie ist denn der Endverkaufspreis Ihrer Produkte im heutigen System mit Umsatzsteuer belastet?" Dann nennen die einem prompt, wie es mir passiert ist, einen Satz von 5,4 %. Dann sage ich, der ich mich auf das Gespräch präpariert hatte: „Ihr Wirtschaftsverband hat aber im Jahre 1956, als alle Bereiche der Volkswirtschaft aufgefordert wurden, ihre kumulativen Vorbelastungen zum Zwecke der Festsetzung der Umsatzausgleichsteuer zu melden, nicht 5,4% Gesamtbelastung, sondern 10,9 % Gesamtbelastung angegeben." Meine Damen und Herren, an das, was die Wirtschaftsverbände damals angegeben haben, müssen sie sich gebunden halten. Ich bin der Meinung, daß der Gesetzgeber alle Veranlassung hat, zu demonstrieren, daß er nicht gewillt ist, sich an der Nase herumführen zu lassen.Wenn wir heute diesen politisch kritischen Bereich seriös verhandeln wollen, sollten wir im übrigen aber auch möglichst davon absehen, einzelne Berufsstände beim Namen zu nennen. Im Finanzausschuß werden wir dazu noch Veranlassung genug haben.Der Herr Kollege Kurlbaum hat bei der Großen Anfrage am 15. Februar 1963 gesagt, daß die SPD zur konstruktiven Mitarbeit in dieser Sache bereit sei. Ich bin für dieses Wort des Herrn Kollegen Kurlbaum sehr dankbar gewesen. „Konstruktiv" — was heißt das im Zusammenhang mit der Umsatzsteuerreform? „Konstruktiv" heißt in diesem Zusammenhang: Absage an jedes Besitzstandsdenken. Wenn nicht alle Bereiche dieses Hohen Hauses dazu bereit sind, kann eine solche Reform niemals vollkommen werden. „Konstruktiv" heißt ferner: Absage an jede Gefälligkeitsdemokratie. Meine Damen und Herren, muß jede demokratische Partei eine Gefälligkeitspartei sein? Die Frage stellt sich bei dieser Reform. Muß jede Partei .in einer solchen bloßen Sachfrage versuchen, den anderen parteipolitisch zu übertrumpfen? Kann es keine Zusammenarbeit geben bei der Bewältigung eines so großen strukturpolitischen Problems, das von der Natur der Sache aus keinerlei parteipolitischen Anstrich hat? Es wäre ein Armutszeugnis der Demokratie, wenn diese konstruktive Aussprache über das Problem hier nicht möglich wäre.Ich darf aber sagen, daß die bisherige öffentliche Diskussion der Mehrwertsteuervorlage der Bundesregierung von allen drei Parteien dieses Hauses konstruktiv geführt worden ist. Jede dieser drei Parteien hat bisher der Versuchung zu widerstehen gewußt, insofern den anderen übertrumpfen zu wollen. Das läßt auf eine vernünftige und förderliche Arbeit demnächst auch im Finanzausschuß hoffen.Meine Damen und Herren, lassen Sie mich bitte zum Schluß kommen. Weite Bereiche der EWG in Brüssel und in den Partnerstaaten bezeichnen den Dahlgrün-Entwurf als beispielhaft für die europäische Diskussion. Daran sollten wir heute hier denken. Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion dankt der Bundesregierung und dem Herrn Bundesfinanzminister daher ganz besonders für diese mutige Initia-
Metadaten/Kopzeile:
5064 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 110. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 5. Februar 1964
Dr. Ludative. Sie dankt der Regierung und dem Finanzminister für den gezeigten Reformwillen.Das große Ziel bleibt die Durchführung einer großen Steuer- und Finanzreform. In diesem Zusammenhang aber ein Zitat aus dem Gutachten des Troeger-Ausschusses:Es ist unvertretbar, gleichzeitig bei der Einkommensteuer und bei der Umsatzsteuer weittragende Änderungen vorzunehmen.Das hat der Troeger-Ausschuß festgestellt. Ich glaube, es ist von zwingender Logik. Das heißt auf deutsch: Wenn wir im 5. Deutschen Bundestag die Chance haben wollen, die große Steuer- und Finanzreform durchzuführen, können wir mit Erfolgsaussichten an diese Arbeit nur herangehen, wenn es gelingt, im 4. Deutschen Bundestag die Königin der Bundessteuern, diese Umsatzsteuer hier, zu reformieren; denn erst auf der Basis können auch alle anderen Steuern reformiert werden.
Es wäre sonst zu riskant, alles auf einmal zu machen.Meine Damen und Herren, in dem Sinne stimmt die Fraktion der CDU/CSU der Regierungsvorlage zu. Die Fraktion der CDU/CSU wünscht im übrigen zügige Ausschußberatungen.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Imle.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Selten ist über eine Steuer eine so vielseitige und heftige Klage geführt worden wie, besonders aus den Kreisen des Mittelstandes, über das heute geltende kumulative Allphasensteuersystem. 'Es ist daher eigentlich kaum zu verstehen, daß nun den Änderungsbestrebungen, die zur Vorlage eines Regierungsentwurfs mit dem Ziel einer Wettbewerbsneutralität eines neuen Umsatzsteuergesetzes geführt haben, eine genauso heftige Kritik entgegengesetzt wird. Wenn man bedenkt, daß seit dem Jahre 1957 beim Bundesverfassungsgericht eine Verfassungsbeschwerde bezüglich ,des heute geltenden Umsatzsteuergesetzes vorliegt, ist das um so weniger verständlich. Der Grund für diese heftige Kritik kann wohl nur darin gesehen werden, daß zum Teil vorschnell geurteilt wird und daß jeder einzelne betroffene Wirtschaftszweig einzig und allein von seinen Interessen ausgeht und Zustimmung oder Ablehnung ausschließlich davon abhängig macht, ob er glaubt, für sich selbst mehr oder weniger Vorteile von idem neuen System zu haben. Die Diskussion über die vorgeschlagene Mehrwertsteuer in der Form einer Umsatzsteuerreform in der Bundesrepublik kann aber nur durch nüchternen und unvoreingenommenen Vergleich und durch Prüfung der Vor- und Nachteile der Systeme erfolgen, wenn eine ersprießliche Neuordnung dabei herauskommen soll.Das Werk, das uns heute vom Bundesfinanzminister vorgetragen worden ist, ist die erste große Reform, der Beginn einer allgemeinen Steuer- und Finanzverfassungsreform. Es ist kein einfaches Gesetzgebungswerk, und daher ist es zu begrüßen — ich darf wiederholen, was mein Vorredner schon sagte —, daß das Haus sich in allen Fraktionen darüber einig ist, daß, wenn wir ein solches Gesetzgebungswerk schaffen, es nicht das Werk einzelner Fraktionen sein darf, vielmehr das Haus diesem Werk mit großer Mehrheit zustimmen soll; denn es soll ja Bestand haben für unsere Wirtschaft für die nächsten Jahrzehnte. Eine Umsatzsteuerreform erfolgt wahrscheinlich in jedem Jahrhundert nur einmal. Deswegen muß hier eine Arbeit geleistet werden, die für alle Bereiche der Wirtschaft nicht nur erträglich, sondern ihnen auch dienlich ist.Ich muß auch noch einmal einen Blick in die Vergangenheit tun; denn der preußische Finanzminister Popitz zeichnet bekanntlich hier als Vater. Kurz nach dem ersten Weltkrieg erhob man einen Satz von 0,1 %, und bei einem so niedrigen Satz ist natürlich das System völlig gleichgültig. Auch bei den 2 %, die Popitz als die höchste Grenze einer etwaigen Wettbewerbsneutralität bezeichnete und die — mit Zwischenstufen — bis zum zweiten Weltkrieg erhoben wurden, traten wenig Beschwerden auf. Erst der heutige Satz von 4 % brachte zum Teil unerträgliche Wettbewerbsverzerrungen, die die Kritik nicht mehr schweigen ließen.Ich darf hier einblenden, daß bereits zu Beginn unseres heute geltenden Systems Änderungsvorschläge, wie vorhin schon angedeutet, von Herrn von Siemens vorgetragen wurden. Danach haben die Bemerkungen über die Notwendigkeit einer Änderung nicht mehr aufgehört. Die Mängel des Systems wurden im Februar 1953 in dem Bericht des Wissenschaftlichen Beirats beim Bundesfinanzministerium herausgestellt. Man stellte hier fest, daß die Ursachen der Mängel im System lägen, in diesem kumulativen Allphasensystem, das für die nachteiligen Wirkungen auf den deutschen Außenhandel und für die Konzentrationen verantwortlich zu machen sei.Für die Umgestaltung — man muß das alles hier noch einmal klar sagen, um die Notwendigkeit einer Reform herauszustellen — des gegenwärtigen Umsatzsteuerrechts wurden daher vornehmlich die Beseitigung der Kumulativwirkung sowie die Herbeiführung der Wettbewerbsneutralität und der. Konzentrationsneutralität gefordert.In den zehn Jahren, die seit dem Gutachten des Wissenschaftlichen Beirats ins Land gegangen sind, ist die Diskussion dann auf breitester Basis fortgesetzt worden. Wissenschaftler, Politiker, Verwaltungsbeamte, Vertreter wirtschaftlicher Verbände, der Bund der Steuerzahler haben sich mit diesen Problemen sehr eingehend beschäftigt. Ich darf hier noch einmal darauf hinweisen, daß bereits in der letzten Legislaturperiode bei den Freien Demokraten ein Entwurf von Dr. Zierold-Pritsch sehr eingehend beraten wurde und nur deswegen noch nicht eingebracht wurde, weil uns damals die Zeit für ein solches Gesetz noch nicht reif erschien. Es mußte noch im einzelnen geprüft werden. Die Tatsache, daß
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 110. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 5. Februar 1964 5065
Dr. Imleinzwischen die Diskussionen weitergegangen sind, scheint uns doch recht zu geben.Auf Grund eines Initiativantrages veröffentlichte dann die Bundesregierung im September 1958 eine Denkschrift über die Möglichkeiten einer Verbesserung der Umsatzbesteuerung, die einen Überblick über die verschiedenen Reformpläne und die voraussichtliche Wirkung der vorzuschlagenden Reform brachte. In jüngster Zeit haben sich zwei vom Bundesfinanzministerium besonders eingesetzte Kommissionen unter jeweils verschiedenen Gesichtspunkten mit den sich anbahnenden Fragenkomplexen beschäftigt. Endlich hat der Herr Bundesfinanzminister die Quintessenz all dieser Voruntersuchungen, eine Studie zur Mehrwertsteuer mit Vorsteuerabzug in Form eines Gesetzentwurfs mit Erläuterungen, als Diskussionsbeitrag 1960 vorgelegt, aus dem sich nunmehr der Regierungsentwurf eines Umsatzsteuergesetzes ergeben hat, den wir heute beraten.Wenn jetzt auch die Wogen der Diskussion über die Umsatzsteuerreform hochgehen, so ist doch sehr zu begrüßen, daß die Diskussion so lebhaft geworden ist und die Gemüter jetzt so stark beschäftigt. Denn es handelt sich nicht mehr nur um ein innerdeutsches Problem. Im Rahmen des Gemeinsamen Marktes — sagen wir es ganz kurz — kommt die angestrebte Harmonisierung der Umsatzsteuer auf uns zu, wobei schon heute ausdrücklich festgelegt ist, daß für eine Harmonisierung das kumulative Allphasensystem nicht in Betracht kommt.Lassen Sie mich ein Wort zu Frankreich sagen, weil immer wieder in den Diskussionen die dortigen Verhältnisse hochgespielt werden. In Frankreich bestand bis 1936 ebenfalls ein kumulatives Allphasensystem. Dann ging man dort auf die Produktionssteuer über, die man bis 1954 beibehielt. Zu diesem Zeitpunkt hatte man in Frankreich erkannt, daß die Produktionssteuer zu erheblichen Schwierigkeiten führte und man zu einer Änderung kommen müsse. Diese Änderung fand man darin, daß man 1954 zu einer sogenannten fraktionierten — also wie bei der Mehrwertsteuer —, verteilten Produktionssteuer überging. Man verteilte eben die Steuerlast vom Endproduzenten auf die vorhergehenden Produzenten und führte damit einen gewissen Vorabzug ein. Insoweit hatte man damit schon einen Vorläufer für die Mehrwertsteuer, die dann 1959 eingeführt wurde.Die Verhältnisse in Frankreich sind aber sehr problematisch. Gerade die Erfahrungen, die man mit dem dortigen System gemacht hat, sollten uns davor bewahren, bei uns ein solches System, wie es dort üblich ist, einzuführen. Es kann daher nach unserer Auffassung keineswegs das französische System übernommen werden. Denn es würde für uns ein kompliziertes neues System bringen, und es wäre falsch, das jetzige komplizierte System durch einzweites kompliziertes System zu ersetzen.In diesem Zusammenhang wird immer das bekannte Wort von der Vorleistung in die Debatte geworfen, die in einem etwaigen Bekenntnis zu einer Mehrwertsteuer in Deutschland läge. Hierbei kann es sich keineswegs um eine Vorleistung handeln. Es soll vielmehr eine wettbewerbsneutrale Umsatzsteuer eingeführt werden. Die lebhafte Diskussion bewahrt uns also davor, eines Tages unliebsame Überraschungen erleben zu müssen und vielleicht vor vollendete Tatsachen gestellt zu werden. Durch eine frühzeitige Diskussion können wir den Gang der Dinge beeinflussen und mitgestalten.Hierbei geht es darum — wie ich es vorhin getan habe —, die Nachteile des jetzigen Systems aufzudecken und ein System zu finden, das die jetzigen Nachteile vermeidet. Ich darf nochmals hervorheben: Die Hauptschwäche unseres jetzigen Systems liegt in seinem Charakter als kumulative AllphasenBruttoumsatzsteuer. Die Steuer umfaßt auf jeder Stufe des Wirtschaftsablaufes grundsätzlich jeden Verkauf und jede Leistung. Sie wird bei jedem Umsatz vom vollen vereinnahmten Entgelt erhoben. Man bezeichnet daher auch heute schon dieses System als Lawinensteuer. Es wird sogar von einer brutalen Steuer gesprochen, die zu unterschiedlicher Gesamtbelastung führt, je nachdem, wie oft eine Ware auf dem Weg zum Verbraucher umgesetzt wird. Zudem wird bei diesem System Steuer von der Steuer erhoben, weil die Steuer in den Preis eingeht. Die Belastung wird dadurch um so größer, je mehr Stufen durchlaufen werden. Wem es gelingt, Wirtschaftsstufen auszuschließen oder mehrere Stufen in einem Unternehmen zusammenzufassen, der kann die Umsatzsteuer für die jeweiligen Stufen einsparen und damit billiger liefern. Dadurch wird, wie bekannt, die vertikale Konzentration begünstigt. Diese Begünstigung der Konzentration hat natürlich gesellschaftspolitisch unerwünschte Wirkungen. Für die Klein- und Mittelbetriebe, an deren Erhaltung wir insbesondere interessiert sind, ergeben sich besondere Nachteile. Auch die Zuliefererbetriebe, die in unserer arbeitsteiligen Wirtschaft eine wichtige Rolle spielen, werden durch die Umsatzsteuer besonders benachteiligt.Von einer allgemeinen Verbrauchssteuer muß eine Gleichmäßigkeit der Besteuerung gefordert werden. Dieser Forderung kann unser heutiges System einfach nicht gerecht werden. Bei ihm unterliegen gleiche Erzeugnisse, je nach der Zahl der Umsatzstufen, die sie durchlaufen, einer verschieden hohen Endbelastung. Damit verstößt das jetzige System gegen die Wettbewerbsneutralität.Ein weiterer unliebsamer Nachteil unseres Systems wird beim zwischenstaatlichen Warenverkehr deutlich. Bei einem Grenzübertritt werden die Ausfuhrwaren von den auf ihnen ruhenden Umsatzsteuern entlastet, und die Einfuhrwaren werden mit einer entsprechenden Ausgleichsabgabe belegt. Die Umsatzsteuerbelastung ist infolge der Kumulativwirkung bei den einzelnen Waren unterschiedlich und daher im Einzelfalle nicht bekannt. In der Praxis ist es darum gar nicht möglich, den Grenzausgleich beim zwischenstaatlichen Handelsverkehr bei den einzelnen Waren in der tatsächlichen Höhe der Belastung durchzuführen. Es mußte daher bei uns als Ausweg auf die Pauschalierung — bis in die jüngste Vergangenheit 4 bis 6% — ausgewichen werden. Erst vor den Sommerferien hat der Bundestag für eine Reihe von Erzeugnissen, wenn auch in
Metadaten/Kopzeile:
5066 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 110. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 5. Februar 1964
Dr. Imlebeschränkter Zahl, den Satz bis zu 8 % erhöht. Aber auch damit kann noch kein genauer Ausgleich erzielt werden. Es muß leider gesagt werden, daß diese Entwicklung noch nicht zu Ende ist, weil sich in dieser Frage auch die EWG-Kommission eingeschaltet hat.Die Diskussion über die Umsatzsteuerreform, die von den Nachteilen des derzeitigen Systems ausgeht und die Mehrwertsteuer als eine Reform der Umsatzsteuer behandelt, sollte sich aber auch mit den anderen Formen einer Umsatzsteuerreform auseinandersetzen. Wir kennen insgesamt Einphasen- und Mehrphasensteuern, Brutto- und Nettoumsatzsteuern. Die wichtigsten Einphasensteuern sind die Einzelhandelssteuer, die Grossistensteuer und die Produktionssteuer. Ich kann mir nähere Erläuterungen ersparen, da der Bundesfinanzminister sehr eingehend hierauf hingewiesen hat und gegen diese Ausführungen, wie ich meine, keine Einwendungen erhoben werden können, zumal diese Auffassung schon Allgemeingut geworden ist.Ein besonderes Problem ergibt sich aber aus folgender Überlegung: Es ist klar, daß, wenn bei einem neuen System bestimmte Umsatzsteuerpflichtige, bestimmte Wirtschaftsgruppen in Zukunft weniger zahlen sollen, von anderen mehr Steuern aufgebracht werden müssen, da ja das Gesamtaufkommen der Umsatzsteuer gleichbleiben soll. Wer weniger zahlen soll, wird das ruhig hinnehmen; der andere wird selbstverständlich seine Kritik laut zum Ausdruck bringen.Es wird dabei sehr wesentlich darauf ankommen, welcher Steuersatz der Mehrwertsteuer zugrunde gelegt wird. Nach den Berechnungen des Bundesfinanzministeriums reicht ein Satz von 10 % aus. Voraussetzung ist allerdings, daß möglichst wenig Ausnahmen zugelassen werden. Würde das System in zahlreichen Fällen durchbrochen und müßte ein Steuersatz von 15 oder 18 % eingeführt werden, dann erschiene mir schon aus diesem Grunde die Einführung der Mehrwertsteuer problematisch.Es ist daher notwendig, daß alle Argumente sehr sorgfältig geprüft werden. Notwendig ist aber auch, daß die betroffenen Wirtschaftskreise nicht einfach Steuerzahlen vorher und nachher miteinander vergleichen, sondern sich ganz konzentriert in die Systemänderung, die mit der Mehrwertsteuer verbunden ist, hineindenken. Die Mehrwertsteuer ist etwas gänzlich anderes als unsere bisherige Umsatzsteuer, und ohne ein bewußtes Umdenken auf allen Seiten geht es einfach nicht. Bekanntlich wird die Mehrwertsteuer nicht vom Gesamtumsatz erhoben wie die Bruttoumsatzsteuer, sondern jeweils nur die Wertschöpfung auf der jeweiligen Stufe erfaßt. Eine Bruttoumsatzbesteuerung ausschließlich auf der letzten Stufe, also vor Übergang auf den Endverbraucher, hätte die gleiche Belastungswirkung wie die Besteuerung der Wertschöpfungselemente durch eine Nettoumsatzsteuer auf sämtlichen Produktionsstufen. Die Kumulativwirkung wäre also aufgehoben. Der Nachteil wäre aber, daß die Gesamtbelastung auf die letzte Stufe zukäme. Das erscheint uns bedenklich.Die einzelnen Werterhöhungen ergeben den Gesamtpreis und den Gesamtwert der Ware, und die Gesamtbelastung der Ware mit der Mehrwertsteuer entspricht dann dem Betrag, der sich bei der Anwendung des Steuersatzes auf den Endverkaufspreis errechnet.Die Mehrwertsteuer, in dieser reinen Form durchgeführt, ergäbe folgende Vorteile:1. Die gleiche Ware wird in gleicher Weise belastet, ganz gleich, wieviel Stufen die Ware auf ihrem Weg vom Produzenten bis zum Endverbraucher durchlaufen hat. Die unterschiedliche Belastung von Waren aus ein- und mehrstufigen Betrieben ist aufgehoben und damit eine optimale Wettbewerbsneutralität erreicht.2. Die Einsparung von Umsatzstufen führt also nicht mehr wie bisher zu einer Minderung der umsatzsteuerlichen Belastung der Ware oder Leistung. Die Konzentration ist daher steuerlich nicht mehr interessant; also insoweit auch Konzentrationsneutralität.3. Auch die beim grenzüberschreitenden Verkehr bisher auftretenden Schwierigkeiten verschwinden. An jeder Stufe des Warenweges läßt sich die tatsächliche Belastung mit Mehrwertsteuer, wenn wir den Vorsteuerabzug nehmen, exakt feststellen. Die Entlastungen und Rückvergütungen an der Grenze können daher immer genau vorgenommen werden; man braucht keine ungenauen Durchschnittssätze mehr anzusetzen.Da die Mehrwertsteuer nach dem Entwurf in der Rechnung neben dem Preis auf den Nachfolger überwälzt werden soll, ist sie auch eine echte Verbrauchsbesteuerung. Die gesamte Steuerlast wird auf den Verbraucher überwälzt und von diesem getragen, während für die gesamte Produktions- und Verteilerkette die Steuer aufgeteilt wird und somit zwar eine Steuerzahllast auf jeder Stufe, aber keine Steuertraglast entsteht.Im Effekt ist somit die Mehrwertsteuer eine Einzelhandelsumsatzsteuer, die von den Vorstufen vorfinanziert wird. Die Vorteile dieser Steuer sind geblieben, während das Risiko entfällt. Ob sich diese Vorteile in der Praxis auch tatsächlich auswirken können, hängt davon ab, wie die Steuer durchgeführt und ausgestaltet wird.Wichtig ist dabei auch die Wahl der Berechnungsmethode. Es hängt viel davon ab, ob man zum System des Vorumsatzabzuges oder zum System des Vorsteuerabzuges übergeht. Wichtig ist die Frage der Behandlung der Investitionen, vor allem die Frage der Möglichkeit des Abzuges der darauf liegenden Steuern, also die Frage, ob diese Steuern in vollem Umfang auf einmal oder in Raten abgezogen werden sollen. Bedeutung hat weiter die Frage — wie schon betont—, ob es gelingt, das System möglichst rein durchzuführen, wobei natürlich systemgerechte Anpassungen durchaus möglich erscheinen.Bei der Frage, ob Vorumsatzabzug oder Vorsteuerabzug, ist folgendes zu beachten. Beim Vorumsatzabzug werden vom Gesamtumsatz die Vorumsätze abgezogen und so der Nettoumsatz des
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 110. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 5. Februar 1964 5067
Dr. ImleUnternehmens ermittelt und die Steuerschuld errechnet. Beim Vorsteuerabzug wird der Steuerbetrag für den Gesamtumsatz des steuerpflichtigen Unternehmens ermittelt, und von diesem SteuerSoll wird die Summe der in den Lieferantenrechnungen ausgewiesenen Vorsteuerbeträge abgezogen. Beide Berechnungsarten führen bei verschiedener Technik zu denselben Ergebnissen, wenn ein einheitlicher Steuersatz vorgesehen und das System rein durchgeführt wird. Bei verschiedenen Steuersätzen und Ausnahmebestimmungen ist das jedoch anders. Untersuchungen bei der Industrie haben ergeben, daß es dann beim Vorumsatzabzug keine befriedigenden Möglichkeiten gibt, die Vorumsätze aufzuteilen und den verschieden hoch besteuerten Bruttoumsätzen zuzuordnen. Nur Schätzungen sind möglich, und daher sind Wettbewerbsstörungen unvermeidlich.Daher läßt sich auch beim grenzüberschreitenden Verkehr beim Vorumsatzabzug kein genauer Grenz.ausgleich durchführen, weil keine exakten Werte bekannt sind. Es müßten wieder Pauschaldurchschnittssätze angenommen werden. Beim Vorsteuerabzug fallen diese Schwierigkeiten nicht an. Deshalb ist es insbesondere beim grenzüberschreitenden Verkehr von besonderer Bedeutung, daß man sich zum Vorsteuerabzug und nicht zum Vorumsatzabzug bekennt.Auch für die Kalkulation ist der Vorsteuerabzug vorzuziehen, da der Steuerbetrag immer bestimmbar ist. Bei dieser Berechnungsmethode wird erreicht, daß auch bei Anwendung 'ermäßigter Steuersätze die umsatzsteuerliche Gesamtbelastung dem nominellen Steuersatz entspricht und bekannt ist. Es gibt also keine Wettbewerbsverzerrungen in der Endstufe, beim Verbraucher.Beim Vergleich beider Methoden kommt man demnach zu dem Ergebnis, daß der Vorsteuerabzug gegenüber dem Vorumsatzabzug wesentliche Vorzüge aufweist.Lassen Sie mich nun noch zu einigen besonderen Fragen Stellung nehmen, die draußen in der Diskussion immer wieder hochkommen. Noch heute liegt dem Finanzausschuß des Deutschen Bundestage ein Antrag der FDP vor, die Handelsvertreter von der Umsatzsteuer zu befreien, weil sie im heutigen System nicht in der Lage sind, die Umsatzsteuer zu überwälzen. Als die Diskussion um die Mehrwertsteuer in Gang kam, forderte diese Wirtschaftsgruppe, auch für den Fall, daß das Mehrwertsteuersystem eingeführt würde, von der Besteuerung ausgenommen zu werden. Nachdem man sich aber mit diesen Vorschlägen befaßt hatte, stellte man fest, daß nach dem neuen System die Mehrwertsteuer dem Fabrikanten in Rechnung zu stellen ist, der sie seinerseits wieder berücksichtigt. Damit ist auch eine Überwälzung beim Handelsvertreter möglich.Daß darüber hinaus noch einige Sonderprobleme auftauchen, die erörtert werden müssen, ist klar. Auch eine Reihe anderer Wirtschaftszweige sind inzwischen zu der Schlußfolgerung gekommen, daß ihnen entgegen ihrer früheren Auffassung die Annahme des Gesetzesvorschlages Vorzüge bringen würde. So soll nach dem Entwurf z. B. die Binnenschiffahrt ausgenommen werden. Das beruht auf der internationalen Mannheimer Schiffahrtsakte. In zwischen haben die Binnenschiffahrtsunternehmen gebeten, Überlegungen anzustellen, ob das nicht geändert werden kann.Auch für die Blindenbetriebe, die aus sozialen Gesichtspunkten davon ausgenommen bleiben sollten, ist die Frage zu prüfen, ob sie sich für den Fall, daß sie in das Gesetz nicht einbezogen werden, nicht selbst irgendwie aus dem Wettbewerb ausschalten.Mein Vorredner und der Herr Bundesfinanzminister sind schon auf das Problem der Auswirkungen bei den lohnintensiven und den kapitalintensiven Unternehmen eingegangen. Hier überwiegt die Behauptung, daß anlageintensive Unternehmungen bei der Mehrwertsteuer günstiger wegkämen als andere Unternehmen; aber das ist nicht in allem zutreffend, denn auch bei anlageintensiven Unternehmen kann die Belastung höher sein, wenn auf den Anlageinvestitionen nur geringe Vorsteuern ruhen. Insbesondere sind hier vom Handwerk Vorstellungen erhoben worden. Aber auch hier wird erst eine genaue Überprüfung ergeben, wie sich die Mehrwertsteuer in den einzelnen Zweigen auswirkt. Es sei z. B. an den Installateur erinnert, der hohe Kosten für Waschbecken, Kräne usw. hat, die den Lohn übersteigen. Das schließt aber nicht aus, daß die hiermit in Zusammenhang stehenden Fragen einer sehr eingehenden Prüfung bedürfen.
— Einer sehr eingehenden, einer gerechten Prüfung, Herr Schulhoff!
— Ich hoffe auch.Es stehen hier folgende Probleme zur Debatte. In unserem bisherigen Umsatzsteuerrecht wurde mittelständischen Unternehmen Steuerbegünstigungen gewährt. Es ist die Frage, ob diese Steuerbegünstigungen im neuen System irgendwie aufrechterhalten werden können. Es ist der Vorschlag gemacht worden, für bestimmte Zweige Pauschalierungen vorzunehmen. Pauschalierungen als solche sind ja auch schon im Gesetzentwurf vorgesehen. Es wird ferner vorgeschlagen, Sätze zwischen 5 und 10 % einzuführen. Aber man sollte auch hier, um nicht das ganze System zu erschweren, sehr eingehend prüfen, ob das möglich ist.Von besonderer Bedeutung erscheint mir allerdings die Frage, wie es sich auswirkt, wenn eine hohe Wertschöpfung vorliegt und wenn diese gegenüber dem Letztverbraucher erbracht wird. Hier wird zu untersuchen sein, ob man eine ähnliche Regelung vornehmen kann wie bei den freien Berufen, nämlich mit einem Steuersatz von 5 %.Wenn von dieser Möglichkeit gesprochen wird, so möchte ich doch gleichzeitig darauf hinweisen, daß es sich hier nur um ganz bestimmte Gruppen han-
Metadaten/Kopzeile:
5068 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 110. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 5. Februar 1964
Dr. Imledein kann, daß es also nicht für den großen, umfassenden Bereich Geltung hat. Wenn man diese Fragen einmal eingehend überprüfen wird, wird sich herausstellen, daß das auch gar nicht im großen Umfange notwendig ist.Ferner erscheint es mir von besonderer Bedeutung, daß die Kalkulation auf eine völlig neue Grundlage gestellt werden muß, da die Mehrwertsteuer gesondert neben ,dem Preis ,auf der Rechnung auszuweisen ist. Bisher ist die Umsatzsteuer immer im Preis aufgegangen. Bei reeller Festlegung des Verkaufspreises müßte daher in den einzelnen Stufen die Ware als solche billiger werden. Ein solch reelles Verhalten müßte — das ist eine ganz selbstverständliche Voraussetzung — von der gesamten Wirtschaft erwartet werden können. Schließlich wird auch der Konkurrenzdruck in der Marktwirtschaft für die Einhaltung dieses Grundsatzes sorgen, wobei natürlich nicht geleugnet werden soll, daß auch hier Ausnahmen die Regel bestätigen werden.In bezug auf das Preisgefüge ist schon eingehend dargelegt worden, daß sich beim Preisniveau keine Änderungen ergeben werden. Gleichwohl wird aber untersucht werden müssen, ob es nicht doch in bestimmten Wirtschaftszweigen zu einer Preisverschiebung kommt, die sich letztlich auf den Verbraucher auswirkt. Wir dürfen solche Hinweise keineswegs leicht nehmen, sondern müssen sie in die Beratung einbeziehen.Noch ein Wort zum Problem der Pauschalierung. I Dem Steuerzahler soll also vom Finanzamt ein Pauschalsatz angegeben werden. Vorhin ist schon mit Recht ausgeführt worden, daß das neue System für die Buchhaltung nicht so viel Mehrarbeit bringen werde, daß es tatsächlich nicht zu verkraften wäre, selbst wenn bei den einzelnen Unternehmen nachher unterschiedliche Steuersätze anzuwenden wären. Ich bin der festen Überzeugung: wenn wir der Pauschalierung in diesem Umfang Raum geben, werden diejenigen, die die Pauschalierung für sich in Anspruch nehmen, nach einer geraumen Zeit von der Mehrwertsteuer Gebrauch machen wollen, weil sie keine sonderliche Belastung darstellt. Man könnte die Frage auch noch dahin regeln, daß die Vorsteuer in der Buchhaltung nicht jeweils bei den einzelnen Rechnungen ausgewiesen zu werden braucht, sondern eben beim Monatsabschluß mit 10% schnell und einfach errechnet wird. Bei Unternehmen, die nur mit einem Steuersatz zu rechnen haben, dürfte das klar sein.Ein besonderes Problem ergibt sich im Hinblick auf die Investitionen. Ich brauche darauf nicht näher einzugehen. Es ist schon dargelegt worden, wie sich das auswirkt. Ein Hinweis scheint mir allerdings von Bedeutung zu sein: Wenn die Investitionen pro rata wie bei der Einkommensteuer verrechnet werden sollen, ergibt sich unter Umständen die Notwendigkeit, für jedes Wirtschaftsgut ein besonderes Konto zu führen, und das würde allerdings in großen Unternehmungen zu einer erheblichen Belastung sowohl des Unternehmens selbst als auch durch das später prüfende Finanzamt führen. Dieser Gesichtspunkt sollte beachtet werden, zumal derVollabzug der Steuer bei Investitionen auch für mittelständische Unternehmen zu einer Verbilligung der Investitionen gegenüber dem bisherigen System führt.Das Hauptproblem stellt sich aber bei der Überleitung. Da tritt die ganze Schwierigkeit zutage, weil es sich nämlich darum handelt, wie die bisherigen Investitionen, die ja in die Zukunft wirken, behandelt werden sollen. Nehmen wir einmal an, daß folgendes eintritt: Am Tage X werden die vorhandenen Investitionen in keiner Weise berücksichtigt. Das würde selbstverständlich zu einem Investitionsstopp, man kann ruhig sagen, ein Jahr vor der Einführung der Mehrwertsteuer führen. Das wäre natürlich eine schlechte Wirkung im Hinblick auf die Gesamtentwicklung der Wirtschaft. Man wird hier eine entsprechend flexible, leichte Übergangsregelung finden müssen. Dasselbe trifft für die Vorräte zu, die sich im Augenblick wohl auf 60 Milliarden DM belaufen.Auch wird man eventuell daran denken müssen, einen partiellen Abzug der Steuer zuzulassen, aber diesen auf verschiedene Jahre zu verteilen, damit der Ausfall für den Bundesfinanzminister nicht allzu groß wird.Eine rein politische Frage ist es, ob die Landwirtschaft mit 5% belastet oder überhaupt freigestellt werden soll, wie es der Bauernverband verlangt. Bei einer Freistellung müßte die Landwirtschaft die bei den eigenen Bezügen von Maschinen usw. anfallende Umsatzsteuer als Letztverbraucher voll bezahlen. Sie könnte sie bei den eigenen Umsätzen nicht in Abzug bringen. Da aber nach den bisherigen Berechnungen die auf die Landwirtschaft entfallende Zahllast in etwa der eigenen Traglast gleichkommen würde, würde nach dem Vorschlag des Entwurfs bei 5% eine Belastung der Landwirtschaft nicht eintreten. Es könnte sogar sein, daß bei einzelnen Unternehmen die Vorsteuer höher als die eigene zu zahlende Last wäre und man dann sogar vom Finanzamt noch etwas herausbekäme. Wir glauben, daß bei der vorgesehenen Besteuerung von 5% ein Ausgleich bei der Landwirtschaft gewährleistet ist. Zur Lösung dieser Frage wird es sehr eingehender Verhandlungen bedürfen.Hinsichtlich der Freigrenze kann ich mich auf die Ausführungen des Kollegen Luda beziehen. Ob man sie einführt, ob man sie erhöht, das ist nicht so bedeutsam; darüber kann man sich verständigen.Bezüglich der freien Berufe hat meine Fraktion bisher die Auffassung vertreten, daß freie Berufe nicht mit solchen verglichen werden können, die Leistungen und Lieferungen gewerblicher Art erbringen. Dabei treten besondere Schwierigkeiten zutage. Die Beispiele, die von Herrn Luda angeführt wurden, möchte ich um ein weiteres ergänzen. Wie ist es z. B. bei einem Garten, der entweder von einem Gärtnermeister oder von einem Gartenbauarchitekten angelegt werden kann? Hier ergeben sich Schwierigkeiten. Überall da, wo der freie Beruf in den gewerblichen Sektor hineinwirkt, wird es zu Überschneidungen kommen. Wir werden ein-
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 110. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 5. Februar 1964 5069
Dr. Imlegehend prüfen müssen, wie wir Wettbewerbsverzerrungen auf diesem Gebiet vermeiden.
Schließlich ist von Bedeutung, ob der jetzige Bundestag noch in der Lage sein wird, dieses Problem zu lösen und das Gesetz zu verabschieden. Für den Fall der Verabschiedung ist nicht gesagt, daß auch festgelegt werden muß, wann das Gesetz in Kraft tritt. Heute kann noch nicht übersehen werden, wann — falls wir das Gesetz tatsächlich in dieser Legislaturperiode noch verabschieden — der geeignete Zeitpunkt für das Inkrafttreten des Gesetzes ist. Daher sollte jetzt nur gesagt werden, daß die Bestimmung über das Inkrafttreten einem späteren Gesetz überlassen bleibt.Die nach dem Gesetz vorgesehenen Rechtsverordnungen müssen dem Finanzausschuß vorgelegt werden, damit auch wir bereits die Auswirkungen überprüfen können. Allerdings muß bedacht werden, daß sowohl der Wirtschaft als auch der Verwaltung genügend Spielraum gegeben werden muß, damit sie sich mit dem Gesetz vertraut machen können. Ebenso müssen wir noch die Auswirkung der Verbrauchsteuern auf die Mehrwertsteuer — wieder Steuer auf Steuern — feststellen und überprüfen.Wir hoffen, daß es den vereinten Bemühungen in diesem Hause gelingen wird, noch auftretende Schwierigkeiten zu beseitigen und das Gesetzgebungswerk zu einem guten Ende zu führen. Voraussetzung dafür ist, daß die Wettbewerbsneutralität, wie wir sie verlangen, in dem Gesetz auch verankert wird. Die FDP-Fraktion wird einem Mehrwertsteuergesetz mit Vorsteuerabzug zustimmen, wenn die Schwierigkeiten, die zur Zeit erkennbar sind, ausgeräumt werden.
Meine Damen und Herren, ich unterbreche die Sitzung. Wir treten wieder zusammen um 15.00 Uhr.
Wir fahren in den Verhandlungen fort.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung soll die Tagesordnung um folgende Punkte erweitert werden:
Erste Beratung des von den Abgeordneten Dr. Hesberg, Dr. Czaja, Stiller, Baier und Genossen eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neuregelung der Absetzung für Abnutzung bei Gebäuden (Drucksache IV/1892),
Erste Beratung des von den Abgeordneten Dr. Schmidt , Etzel, Dr. Vogel, Dr. Imle, Frau Funcke (Hagen) und Genossen eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Einkommensteuergesetzes (Drucksache IV/1894),
Erste Beratung des von der Fraktion der SPD
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Einkommensteuergesetzes .
Das Haus ist damit einverstanden? — Es ist so beschlossen. Ich schlage vor, daß diese Vorlagen am Schluß der heutigen Sitzung behandelt werden, damit die Drucksachen inzwischen verteilt werden können.
Wir fahren in der Behandlung des Tagesordnungspunkts 2, der Umsatzsteuernovellen, fort. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Besold.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zusätzlich zu den Ausführungen des Herrn Kollegen Luda, der bereits für die CDU/CSU gesprochen hat, darf ich für die Landesgruppe der CSU noch einige ergänzende Ausführungen machen. Da die Vorlage dieses Gesetzentwurfs vielleicht einen Abschied von der AllphasenBruttoumsatzsteuer bedeutet, darf ich eine kurze Reminiszenz vorausschicken und dabei einen besonderen Aspekt herausstellen.Die Umgestaltung der Umsatzsteuer im System— Herr Luda nannte dies ein großes Reformwerk— von der Allphasenumsatzsteuer zur Mehrwertsteuer oder Nettoumsatzsteuer ist ein einschneidender und bedeutungsvoller Schritt. Spiegeln doch die Entwicklung und die Rolle der Umsatzsteuer seit ihrer Geburtsstunde im Jahre 1916 bis heute die ganze ungeheure Belastung von Staat und Volk durch die beiden Weltkriege und die damit verursachten wirtschaftlichen und finanziellen Belastungen und Schwierigkeiten über einen Zeitraum von 50 Jahren wider. Das wird sichtbar in der raschen Anhebung und Ausweitung der Steuersätze von ursprünglich 0,1 % auf 0,5 % und schon im Jahre 1919 auf 1,5%. Die Umsatzsteuer erfaßte auf allen Wirtschaftsstufen grundsätzlich alle Lieferungen und bald auch schon alle Leistungen und war wirtschaftlich zur allgemeinen Verbrauchssteuer des Reiches geworden. Dabei ist interessant, daß man sich vor dem letzten Krieg eine Umsatzsteuerbelastung von über 2% nicht vorstellen konnte und daß der angehobene Steuersatz 1931/32 der Anlaß für die Einführung der Umsatzausgleichsteuer war, mit der man eine Gefährdung der Wettbewerbsneutralität im Verhältnis zu den ausländischen Waren verhindern wollte.Der Zusammenbruch nach dem zweiten Weltkrieg und der Wille zum Wiederaufbau der zerstörten Wirtschaft brachte die außerordentliche Verschärfung der Umsatzbesteuerung — mit dem Gesetz von 1951 — durch die Anhebung des allgemeinen Steuersatzes auf 4%. Damit errang die Allphasenumsatzsteuer wiederum auf Grund der Nachkriegsverhältnisse eine erstrangige fiskalische Bedeutung: weil sie rasch in den Staatssäckel floß, weil sie ergiebig ist und weil sie fast ein Drittel des Gesamthaushalts deckt.In dem Augenblick, da mit dieser Vorlage ein Systemwechsel in der Umsatzsteuer erstrebt wird, muß man feststellen, daß die bisherige Umsatzsteuerregelung in der Folge der Zusammenbrüche und der Wirtschafts- und Währungsverfälle wesent-
Metadaten/Kopzeile:
5070 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 110. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 5. Februar 1964
Dr. Besoldlich dazu beigetragen hat, Volk und Staat zu retten. So ist auch das Urteil über die Allphasenumsatzsteuer, das ihr eigener Schöpfer, Johannes Popitz, gesprochen hat — es wurde hier schon einmal erwähnt; ich tue es aus einem bestimmten Grund noch einmal —, für uns besonders zu werten. Er hat diese Steuer als einen Steuertyp gekennzeichnet, der nach allen überkommenen finanzwissenschaftlichen Ansichten in Grund und Boden verurteilt werden muß, der sich aber ausgezeichnet bewährt hat. Das ist doch ein Bekenntnis, daß diese Steuer ein Fiskuserfolg in schwerer Zeit war, ohne Rücksicht auf die Wirtschaft mit einem lebendigen, vorwärtsstrebenden Unternehmertum.Das mag während der langen Dauer der wirtschaftlichen Depressionen nicht spürbar und sichtbar geworden sein. Jetzt aber, da die deutsche Wirtschaft mit dem gelungenen Wiederaufbau seit dem ersten Weltkrieg zum erstenmal wieder festen Boden gewonnen hat, in einer Zeit dauernder Prosperität sich mit angespannten Konjunkturen und Vollbeschäftigung zu bewähren hat, in einer Zeit, in der sich die deutsche Wirtschaft wieder weltweit mit den ausländischen Märkten messen kann, sind die Grundlagen, die Auswirkungen und die Aspekte unserer Wirtschafts- und Finanzpolitik ganz anderer Natur.Vor allem hat sich der Konkurrenzkampf der einzelnen Wirtschaftszweige und Wirtschaftsgruppen sichtbar verschärft. Der fiskalische Vorzug der Allphasen-Bruttoumsatzsteuer, daß die Steuer über alleStufen der Produktion und Verteilung grundsätzlich immer wieder vom vollen Bruttoentgelt erhoben wird und damit den Verbraucher mit weit über 4 % belastet, wodurch sie ergiebig wird, ist nunmehr, in der normalen wirtschaftlichen Entwicklungsperiode, zugleich ihr Nachteil geworden, weil ihr System einen Anreiz in konzentrationsfördernder Richtung ausübt und damit eine Behinderung volkswirtschaftlich erwünschter Arbeitsteilung — das ist ja die Sorge des Mittelstands — zur Folge hat. Ferner führt die Umsatzsteuer zu einer unterschiedlichen und dazu noch unbekannten Belastung in den Endpreisen.So ist zu verstehen, daß seit ungefähr einem Jahrzehnt Sachverständige und Kommissionen sowie das Bundesfinanzministerium — unter Anhörung der betroffenen Wirtschaftskreise — an einer Umgestaltung des Umsatzsteuerrechts arbeiten und die Bundesregierung und Abgeordnete dieses Gesetzeswerk vorgelegt haben.Ich brauche auf die allgemeinen Grundsätze, die die Ergiebigkeit und die wirkungsvolle Gestaltung der Mehrwertsteuer erfordern, nicht mehr einzugehen. Wer sich zur Mehrwertsteuer bekennt, muß auch diese Grundsätze bewahren.Ausdrücklich sollte hier auf folgendes hingewiesen werden. Der Bundesrat hat die Gesetzesvorlage der Bundesregierung befürwortet, gleichzeitig aber auch zu erkennen gegeben, daß bei der Vielfältigkeit des wirtschaftlichen und sozialen Lebens gewisse Änderungen der Vorlage nicht zu vermeiden sein werden. In der Stellungnahme des Bundesrats wird ausdrücklich darauf hingewiesen, daß erim gegenwärtigen Zeitpunkt von konkreten Änderungsvorschlägen absieht, da sich Inhalt, Umfang und Auswirkungen eventuell notwendiger Änderungen im augenblicklichen Stadium der Gesetzgebung nicht mit der wünschenswerten Genauigkeit beurteilen lassen.Die Landesgruppe der CSU hat die Entwicklung der Umsatzsteuer mitverfolgt und durch ihre Vertreter auch in der Kommission mitgearbeitet. Sie sieht in der Gesetzesvorlage eine geeignete Grundlage, die für die betroffenen Wirtschaftskreise offensichtlichen Probleme einer Lösung zuzuführen. Gleichwohl möchte sie zum Ausdruck bringen, daß allzu rosiger Optimismus nicht der richtige Impuls wäre, noch umstrittene und noch nicht ganz überschaubare Probleme zu lösen, zumal nicht zu übersehende und nicht zu überhörende Wirtschaftsgruppen mit Änderungswünschen und sogar Protesten abseits stehen. Wenn ich richtig unterrichtet bin, sollen von 450 Wirtschaftsverbänden, die um eine Stellungnahme gebeten wurden, 90 negativ reagiert haben. Das wäre ein Fünftel, ein natürlich nicht allzu großer, aber immerhin ein beachtlicher Teil von Stimmen aus Wirtschaftskreisen.
Wenn es auch sein mag, daß ein Teil davon noch nicht erkannt hat, daß die Mehrwertsteuer ein völliges Umdenken erfordert — da die Unternehmen in der Bundesrepublik gewohnt sind, die Steuer als Kostenanteil zu kalkulieren —, so sind doch auch wirklich berechtigte Einwände noch nicht ausgeräumt.Ich erlaube mir, nun noch auf einige Punkte hinzuweisen, die gerade der Landesgruppe der CSU mit Rücksicht darauf, daß insbesondere auch Mittelstandskreise — Landwirtschaft usw. — unter diesen Wirtschaftskreisen sind, bedeutsam erscheinen.Es ist heute schon von der technischen Schwierigkeit gesprochen worden, die die Mehrwertsteuer mit sich bringen könnnte, und von der Praktikabilität der Mehrwertsteuer. Ein Überblick über die Stellungnahme der Sachverständigen zeigt, daß gerade zu diesem Punkt keine eigentliche Meinung vorhanden ist. Ich erinnere mich an eine Reise des Finanzausschusses nach Paris, wo wir lin einem ausgezeichneten großen Industriewerk davon gehört haben, daß dort ein eigener „Gehirntrust" die Handhabung der Mehrwertsteuer ganz genau vorarbeitete, um sie praktikabel zu machen, damit man dann bei der späteren Durchführung mit wenigen Arbeitskräften auskommen kann. Das ist doch auch ein Fingerzeig dafür, daß kleinere und mittlere Betriebe befürchtenich übersehe nicht, daß Herr Luda heute bereits Erleichterungen aufgezeigt hat —, es könnten, da es sich um eine Größenordnung handelt, die eine Pauschalierung ausschließt, hier Schwierigkeiten entstehen. Auch der Sachverständige Appel hat die Auffassung vertreten, die Mehrwertsteuer werde für die Unternehmen und die Verwaltung im Schnitt eine Verdoppelung des Aufwandes mit sich bringen; dasselbe gelte für die Betriebsprüfungen. Er bestritt allerdings nicht, daß die Mehrwertsteuer praktikabel
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 110. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 5. Februar 1964 5071
Dr. Besoldwäre. Die Schwierigkeiten werden aber je nachGröße und Art des Unternehmens verschieden sein.Der Dauerzustand des Arbeitskräftemangels und die damit verbundene Schwierigkeit, geeignete Arbeitskräfte auszulesen, bringen Sorge, Angst und für manchen Unternehmer verzweifelte Situationen. Ich verkenne nicht, daß gerade infolge der Pauschalierung — ich glaube, jetzt bis zu einem Betrag von 200 000 DM — und wenn insbesondere auch dem Vorschlag des Herrn Luda Beachtung geschenkt wird, daß nicht von Durchschnittssätzen, sondern von Mindestsätzen unter Einbeziehung vielleicht des Freibetrages ausgegangen wird, den schwächeren Betrieben eine Hilfe gegeben ist. Wir glauben aber, daß diese Schwierigkeiten immerhin auch noch bei Unternehmen auftreten können, deren Umsatz die Pauschalierungsgrenze übersteigt.Eine Hauptsorge besteht allenthalben wegen der möglichen Auswirkungen des Systemwechsels auf das Preisgefüge. Nun möchte ich nicht behaupten, daß in dem Systemwechsel als solchem, also in der Einführung der Mehrwertsteuer, eine preissteigernde Wirkung begründet sein muß. Vielmehr ist die Wirkung auf die Preise nach meiner Meinung von der jeweiligen Konjunkturlage im Zeitpunkt des Systemwechsels abhängig. Man darf doch in der gesamten Auseinandersetzung nicht übersehen, daß die konjunkturelle Lage für einen wesentlichen Zeitraum bereits vorgezeichnet ist. Sie ist seit 1959 dauernd in einem Spannungszustand, auch in der zukünftigen Entwicklung begleitet von Vollbeschäftigung und Arbeitskräftemangel und einem unkritischen Käuferpublikum. Zu dem kommen noch der inflationsgeladene Zustand verschiedener umliegender Wirtschaftsgebiete und dessen „Importgefahr". Der Herr Minister hat heute erklärt, eine Auswirkung auf das Preisgefüge sei nicht zu erwarten. Aber wenn das nicht schon im System der Mehrwertsteuer liegt, kann diese Erklärung doch im Hinblick auf die vorausgezeichnete Situation und die Gesamtbeurteilung der Einführungsmöglichkeiten in Zweifel gezogen werden.Ich darf noch ganz kurz auf einige spezielle Punkte eingehen, die gerade die CSU in Bayern berühren, weil dort die Landwirtschaft eine wichtige Rolle spielt.Die Entlastung der Landwirtschaft von der Umsatzsteuer hat schon im Jahre 1930 begonnen. Damals wurde die Erhöhung des allgemeinen Steuersatzes nicht auf die landwirtschaftlichen Erzeugnisse ausgedehnt. Im Jahre 1956 wurden schließlich die in der Landwirtschaft erzeugten Produkte ganz befreit. Es muß gesehen werden, daß der Land- und der Forstwirtschaft die letztere zahlt gegenwärtig 1,5 % Bruttoumsatzsteuer und soll mit 10% belastet werden — alle Vorteile verlorengehen, die ihr in langen Jahren des Kampfes mit Rücksicht auf ihre Struktur und ihre Erzeugungsgrundlage zugestanden wurden So sieht und empfindet es die Landwirtschaft. Dadurch, daß die Landwirtschaft als Wirtschaftszweig in die Mehrwertsteuer einbezogen werden soll und der ermäßigte Steuersatz nach Waren vom allgemeinen Steuersatzabgegrenzt ist, verschwindet der Unterschied, der derzeit noch zwischen landwirtschaftlicher und gewerblicher Veredelungswirtschaft besteht.Andererseits — auch das muß gesagt werden, und das soll nicht verkannt werden — soll der Landwirtschaft die Möglichkeit eingeräumt werden, den Vorsteuerabzug geltend zu machen. Ob damit die Ausgleichswirkung zur Steuertraglast gegeben ist, müßte einer eingehenden Untersuchung durch Sachverständige vorbehalten werden. Es würde aber hinwiederum die Kleinbetriebe treffen, die unter die Freigrenze fallen — das sind immerhin 1,1 Millionen Betriebe von 1,6 Millionen — und die ebenfalls mit landwirtschaftlichen Genossenschaften oder dem privaten Landhandel in Geschäftsbeziehungen stehen und somit wegen der Freigrenze nicht in den Genuß des Vorsteuerabzugs kämen. Gerade auf dem Gebiet der Landwirtschaft zeigen sich also Diskrepanzen, die vom Grundsätzlichen her ausgeräumt werden müssen.Nachdem die freien Berufe von verschiedenen Seiten angesprochen worden sind, darf auch ich einige Worte hierzu sagen. Im Jahre 1919, glaube ich, sind die freien Berufe nach dem verlorenen Krieg zur Verbreiterung der Umsatzsteuerwirkung in die Umsatzsteuerpflicht einbezogen worden. Heute, in einer normalen wirtschaftlichen Entwicklung sollte diese Frage noch einmal grundsätzlich behandelt werden. Ich glaube aber nicht — das möchte ich ganz klar sagen —, daß man mit der Polemik, die bisher von gewissen Seiten geführt worden ist, fortfahren kann. Man kann nicht mit „Geist und Gurke" oder mit „Geist gleich Ware" oder „Geist gleich Klosettschüssel" die Fragen lösen, auch nicht mit Abschätzung des Geisteswertes, des Freiberuflers, des Kaufmanns und des Industriellen oder gar in verstiegener Arroganz des Akademikers und des Nichtakademikers. Das führt zu nichts.Das Problem ist nach meiner Ansicht: Kann die Leistung aus beruflicher Tätigkeit des ,,freiberuflichen Unternehmers" . im Steuerrecht subsumiert oder gleichgestellt werden mit der gewerblichen Tätigkeit des kaufmännischen oder industriellen Unternehmers? Ich möchte dies bezweifeln. Was damals im Jahre 1919 steuerlich geschehen ist —es droht jetzt wieder zu geschehen —, ist meiner Ansicht nach ein steuerpolitischer Zwangsakt gewesen. Ich meine, daß bei den freien Berufen gerade vom Unternehmensbegriff her ganz, ganz wesentliche Unterschiede bestehen, über die die Diskussion nochmals aufgegriffen werden sollte. Man sollte doch sehen, daß sich verschiedene freie Berufe infolge der Gebührengebundenheit gar nicht einem freien Wettbewerb aussetzen können. Bei verschiedenen Berufsgruppen ist Reklame und Werbung überhaupt verboten. Der Verkauf etwa einer Anwaltspraxis ist nicht möglich. Keine Maschinen, keine Mitarbeit, keine Vertretung können die persönliche Leistung z. B. eines Künstlers ersetzen, die mit dem Tode des Betreffenden eben zu Ende ist. Die Beispiele könnten vermehrt werden. Schon daraus sehen Sie, daß, wenn es zu einem Systemwech-
Metadaten/Kopzeile:
5072 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 110. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 5. Februar 1964
Dr. Besoldsel kommen soll, auch in dieser Hinsicht noch einmal alles geprüft werden muß.Ich möchte einräumen, daß diese Kriterien nicht auf alle freien Berufe zutreffen, die als solche in § 18 des Einkommensteuergesetzes abgegrenzt sind. Das kommt wohl daher, daß in 40jähriger Ausweitung des Anwendungsbereiches der Umsatzsteuer auch der Begriff des freien Berufes umfänglicher geworden und damit verwischt worden ist. Ich möchte aber behaupten, daß verschiedene dieser freien Berufe vielleicht keine Not und keinen Anlaß spüren, aus der Umsatzsteuerverpflichtung und der Mehrwertsteuer herausgenommen zu werden, weil ihr Abnehmer an der Abwälzung der Umsatzsteuer keinen Anstoß nimmt oder weil sein freier Beruf so mit dem gewerblichen oder industriellen Unternehmen verflochten ist, daß eine Herausnahme aus der Mehrwertumsatzsteuerverpflichtung wettbewerbs-und konkurrenzstörend für ihn selbst wäre. Alle diese Probleme werden nochmals von der grundsätzlichen Seite her bei der Beratung der Mehrwertsteuer aufgegriffen werden müssen.Zum Schluß möchte ich sagen: Dieses Gesetz hat weitgesteckte Ziele, und es sind noch manche Probleme zu lösen. Sie umfassen vornehmlich finanzpolitische, wirtschaftspolitische, gesellschaftspolitische Bereiche und reichen nicht zuletzt in die europäische Entwicklung hinein. Möge der Arbeit an diesem Entwurf ein guter Erfolg nicht nur für die Unternehmer, sondern auch für die Verbraucher beschieden sein.
Das Wort hat der Abgeordnete Seuffert.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Gründlichkeit, Langwierigkeit und Umsichtigkeit der Vorbereitung und Diskussion, die dieser Vorlage und dieser Beratung vorhergegangen sind, ist heute vormittag verschiedentlich mit großer Ausführlichkeit und zum Teil mit bewegten Worten dargestellt und gerühmt worden. Trotzdem ließen die Ausführungen bei der Einbringung dieses Gesetzentwurfes erkennen, daß der Herr Bundesfinanzminister oder seine Referenten für einige sehr wesentliche und sehr aktuelle strittige Grundsatzfragen in dieser Vorlage dem Hause noch keine abschließende und klare Stellung anzubieten haben. Die Referenten haben dafür den Herrn Bundesfinanzminister und uns mit einer ganzen Reihe von Darlegungen mehr populär-belehrenden, etwas reproduktiven und elementaren Inhalts versehen. Diese Darlegungen sind dankenswerterweise auch noch reichlich von den Vorrednern ergänzt und zum Teil historisch untermauert worden. 'Dabei sind auch einige Rezitative ganz hübsch abgesungen worden.Daneben stehen wir in der ziemlich einzigartigen Situation, daß wir bei einer Gesetzesvorlage von dieser Bedeutung eine Stellungnahme des Bundesrates zu den Einzelfragen nicht vorliegen haben. Der Bundesrat hat, abgesehen von seiner allgemeinen Zustimmung zu dem Gesetzentwurf, von einersolchen Stellungnahme abgesehen, obwohl er Anträge seiner Ausschüsse zu den Einzelfragen zu einigen Dutzend vorliegen hatte und diese uns ja auch als Material übermittelt hat. Man könnte das kritisieren. Es erleichtert unsere Arbeit sicherlich nicht.Aber ich möchte nicht einmal die gewisse Unklarheit und . Unentschlossenheit, die noch bei der Einbringung dieses Gesetzentwurfs auf seiten des Bundesfinanzministeriums hervorgetreten ist, unbedingt der Bundesregierung zur Unehre anrechnen. Man kann darin auch — und Idas möchte ich tun und möchte darin den Ausführungen des Bundesrats in der Begründung seiner Stellungnahme folgen — die Erkenntnis der besonders schwierigen Fragen sehen, die bei dieser Gesetzesberatung anstehen. Es ist von einem völligen Umdenken, von einer Umwälzung des Steuerrechts usw. bereits die Rede gewesen.Ich möchte natürlich nicht unterstellen, daß der Bundesrat diesem Haus die Vorhand in der Beratung der Einzelfragen wegen hier vermuteten höheren Sachverstandes überlassen wollte. Eine solche Annahme wäre höchst schmeichelhaft, aber sie wäre höchst unrealistisch. Vielmehr ist der Bundesrat — das hat er ja zum Ausdruck gebracht — davon ausgegangen — ich glaube, mit Recht —, daß die Auswirkungen dieses Reformentwurfs so schwer zu übersehen sind, daß eine Stellungnahme zu Einzelfragen vor Klärung einer Reihe von Vorbedingungen und Grundsatzfragen wenig sinnvoll erscheint.Das entspricht in der Tat nicht nur der umwälzenden wirtschaftlichen Bedeutung dieses Reformentwurfs, sondern auch der Tatsache, daß dieser Entwurf als Teil und Bestandteil einer europäischen Gesetzgebung gesehen werden muß, die bereits in Verhandlung begriffen ist. Es handelt sich um einen wesentlichen Schritt im Zuge der Harmonisierung der Umsatzsteuern im Gemeinsamen Markt. Zu diesen Fragen liegen bekanntlich vor die Harmonisierungsrichtlinien der Kommission, der einstimmige Beschluß dieses Bundestages dazu und der fast einmütige Beschluß des Europäischen Parlaments. Diese beiden Beschlüsse stimmen in der Zielsetzung so gut wie vollständig überein, und beide haben die Zustimmung der sozialistischen Fraktionen dieser Parlamente gerne und mit Nachdruck gefunden. Die Beschlüsse besagen, daß entgegen den ursprünglichen Vorschlägen der Kommission die Harmonisierung — noch nicht Egalisierung — der Umsatzsteuersysteme der Mitgliedstaaten in einem Zuge, also ohne mehrfachen Systemwechsel, in Angriff genommen werden soll, daß sie auf der Grundlage eines Mehrwertsteuersystems erfolgen soll, daß die Grundsätze des gemeinsamen Systems im Jahre 1964 von Kommission und Ministerrat festgelegt werden sollen und daß diese harmonisierten Systeme spätestens mit Ablauf 1967 in den Mitgliedstaaten in Kraft gesetzt werden sollen. Zu diesen Beschlüssen stehen wir. Wir begrüßen das Werk, das damit in Gang gesetzt werden coil, als einen wesentlichen und unerläßlichen Schritt auf dem Wege zur Herstellung nicht nur des Gemeinsamen Marktes, sondern der europäischen Einigung
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 110. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 5. Februar 1964 5073
Seuffertschlechthin. Wir werden es begrüßen, wenn man auf diesem Wege noch schneller vorgehen kann, als in den Beschlüssen vorgesehen.Ich möchte daher dem Herrn Bundesfinanzminister für die unmittelbar bevorstehenden Finanzministerbesprechungen und der Bundesregierung für den Ministerrat den Wunsch mitgeben — und es würde mich freuen, wenn ich damit die einmütige Ansicht des Hauses ausdrücken könnte —, daß sie für die alsbaldige Verabschiedung der Harmonisierungsbeschlüsse — ich denke, grundsätzlich in der vom Europäischen Parlament empfohlenen Fassung — eintreten. Ich möchte ihnen die Feststellung mitgeben können, daß der Deutsche Bundestag sich nicht davon abbringen lassen wird, alles, was von seiner Seite aus geschehen kann, zu tun, um das Werk in den vorgezeichneten Bahnen vorwärtszubringen, und daß er die bei uns ohnehin fällige Reform vollziehen wird. Die Verhandlungslage, wie sie sich darstellt, macht es offensichtlich aber auch zwingend notwendig, daß vor allen anderen Schritten die grundsätzlichen Klärungen auf europäischer Ebene, wie sie in den zitierten Beschlüssen vorgesehen sind, durchgeführt werden. Es ist deswegen nicht die Absicht meiner Fraktion — erst recht nicht die Absicht ihres Redners —, alle möglichen, sehr vielfältigen Einzelheiten dieser Vorlage zu erörtern, bevor das erfolgt ist, sowenig wie der Bundesrat das getan hat. Ich werde mich deswegen auf grundsätzliche Bemerkungen, hauptsächlich zu den Punkten, die auch Gegenstand der europäischen Beschlüsse sein müssen,zu beschränken versuchen.Der Finanzausschuß dieses Hauses hat, dank der großzügigen und verständnisvollen Haltung des Herrn Präsidenten und dank einer sehr entgegenkommenden Initiative der Mitglieder und der Dienste der Kommission, für die wir besonders danken möchten, Gelegenheit gehabt, in einer kurzen, aber sehr intensiven Aussprache in Brüssel sich ein Bild zu verschaffen von den voraussichtlichen Themen der vorgesehenen Grundsatzklärung und von den Vorstellungen über mögliche Lösungen und deren Aussichten. Ich kann sagen, daß die gewonnenen Eindrücke sehr wertvoll waren und daß sie uns hinsichtlich des weiteren Fortgangs optimistisch gestimmt haben. Wir konnten dabei den Eindruck gewinnen, daß man mit einer gewissen Spannung und Erwartung von der Gemeinschaft aus auf die Beratungen in diesem Hause blickt und daß man ihnen eine große Bedeutung für den Fortgang des europäischen Werkes beimißt. Das muß sicherlich kein unangenehmer Eindruck sein. Wir dürfen wohl sagen — ohne im geringsten irgendwie in ungebührlicher Weise eine Federführung in Anspruch oder übernehmen zu wollen —, daß wir bereit sind, einer solchen uns zufallenden Aufgabe gern und in voller Verantwortung gerecht zu werden.Nun einige grundsätzliche Bemerkungen zu sachlichen Fragen! Wenn man eine Steuer so grundlegend reformieren will, wie das hier geschehen soll, darf man niemals damit beginnen, sie als selbstverständlich anzusehen. Die Umsatzsteuer ist keineswegs selbstverständlich. Sie ist keine natürliche Steuer wie die Einkommensteuer, die Grundsteuer,die allgemeine Vermögensteuer und wie auch gewisse Verbrauchsteuern, Genußmittelsteuern usw. Sie ist vielmehr von Anfang an wirtschaftspolitisch und ,gesellschaftspolitisch eine unnatürliche Steuer und eine rein fiskalische Erfindung. Wenn Sie meine Meinung hören wollen: sie ist feine scheußliche Steuer.
— Genußmittelsteuern sind recht natürliche Steuern, Herr Kollege Etzel. Aber was mein Gefühl in der Beziehung auch ;sein möge: Wir sind uns darüber klar, daß die Umsatzsteuer als fiskalische Finanzquelle jetzt nicht mehr wegzudenken ist. Ich bin mir auch darüber klar, daß mit diesem Instrument der Umsatzsteuer notwendige Impulse zur Harmonisierung und zur endlichen Herstellung eines Gemeinsamen Marktes und des gemeinsamen Europas in Gang gebracht werden müssen, die anders nicht in Gang gesetzt werden können.Die Umsatzsteuer, gerade in der Form der Mehrwertsteuer, wird neuerdings als allgemeine Verbrauchsteuer nicht nur bezeichnet, sondern geradezu angepriesen, und es wird nicht nur als eine hinzunehmende Folge, sondern geradezu als das Ziel und der Vorzug dieser Steuer aufgefaßt, daß sie in ihrer Gänze den Verbraucher trifft, und das möglichst uneingeschränkt, möglichst allgemein, möglichst ohne Unterschied und ohne Rücksicht auf die Art und Qualität seines Verbrauchs.Zunächst ist es auch für die Umsatzsteuer nicht selbstverständlich, daß sie allgemeine Verbrauchsteuer ist. Im Gegenteil, in ihrem historischen Werdegang konnte sie sehr oft aufgefaßt werden und ist sie aufgefaßt worden als eine allgemeine Produktionssteuer, als die Steuer desjenigen, der mit Produktion, mit Vertrieb, mit Angebot von gewerblichen Leistungen auf dem Markt auftritt und auf dem Markt sich betätigt. Von dieser Wurzel ist ja gerade auch die französische Umsatzsteuer ausgegangen, und ich darf des weiteren daran erinnern, daß man sich mindestens im ersten Teil der mehrjährigen Diskussion, die der heutigen Beratung vorausgegangen ist, vornehmlich unter dem Gesichtspunkt der Produktionsverhältnisse und der Belastung der Produktion mit der Steuer beschäftigt hat, sich über ihre Wirkungen auf die gewerblichen Unternehmen, über Fragen der Konzentration und der Wettbewerbsgleichheit unterhalten hat und auch heute noch diese Gesichtspunkte mit Recht anführt, wobei die Gesichtspunkte des Verbrauchers weitgehend — manchmal für meinen Geschmack zu sehr — in den Hntergrund getreten sind.Ich meine, weder die eine noch die andere Betrachtungsweise kann für sich allein unter Ausschluß aller anderen Betrachtungsweisen eine genügende Grundlage für die Beurteilung des Wesens dieser Steuer abgeben. Keinesfalls aber kann der einseitige Gedanke der allgemeinen Verbrauchsteuer für sich zum Dogma oder gar zum angebeteten Fetisch erhoben werden. Wenn man den Verbrauch jeder Art ohne Rücksicht auf seine so verschiedenartige Zusammensetzung — so verschiedenartig nach Begründung des Verbrauchs, nach Notwendigkeit des Verbrauchs, nach Erwünschtheit
Metadaten/Kopzeile:
5074 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 110. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 5. Februar 1964
Seuffertdes Verbrauchs — absolut und dogmatisch gleichbehandeln will, gleichbelasten will — was man doch allenfalls zu 1/2%, aber kaum zu 2% und schon gar nicht zu 4% oder gar zu 10% tun kann —, so erhält diese allgemeine Verbrauchsteuer ein Element der Kopfsteuer, einer Steuer auf die bloße Existenz.Ich bin dem Kollegen Dr. Luda nun allerdings sehr dankbar für den genauen Nachweis, daß die Sozialdemokraten schon 1918 — und natürlich auch früher — diese Dinge genauso gesehen und genauso ausgedrückt haben, wie ich sie heute hier vortrage.
— Nein, verzeihen Sie; die haben genau das gesagt: daß der Verbrauch nicht unterschiedslos und gleichmäßig besteuert werden darf. — Wir wissen eben, was Tradition ist,
und das Herz bleibt immer links!
Der Gedanke der allgemeinen Verbrauchsteuer gibt der Steuer ein Element der Steuer auf die bloße Existenz; ich brauche nicht zu sagen, mit welchen Folgen für die soziale Gerechtigkeit und für die Familienstruktur, wenn dieses Prinzip übertrieben wird. Ich sage das deswegen mit Nachdruck, weil ich von vornherein allem missionarischen Eifer für ein lupenreines System, für erwünschte Nachholwirkungen, für eine allgemeine Verbrauchsbelastung als Dogma entgegentreten muß.In der Einkommensteuer haben wir das richtige und wichtige Prinzip, daß das Einkommen an der Quelle, das heißt: ohne Rücksicht auf die Einkommensverwendung zu besteuern ist. Aber dieses richtige Prinzip können wir auch dort weder lupenrein noch annähernd lückenlos durchführen. Wir sind immer gezwungen gewesen und werden immer gezwungen sein, in einer ganzen Reihe von Steuervorschriften und Steuerbegünstigungen auf die Einkommensverwendung abzustellen, weil jeder Versuch, ein solches Prinzip, so richtig es an sich auch ist, dogmatisch und lupenrein durchzuführen, das Gesetz zu einem schlechten und unerträglichen Gesetz machen würde. Jedes Steuergesetz, das schematisch und lupenrein durchgeführt werden soll, wird dadurch ein schlechtes Gesetz.
— Die Gleichheit vor dem Gesetz bedeutet die gleiche Behandlung gleicher Tatbestände und die ungleiche Behandlung ungleicher Tatbestände.
Das ist der Unterschied.
Ich habe — das muß ich offen sagen — kein Verständnis für solche Dikten wie „Eine Steuer darf nicht manipulierbar sein". Was soll sie denn anders sein als manipulierbar? Welche andere Aufgabe soll denn ein Steuergesetz haben als die, sich geschmeidig den Zielen und den Absichten des Gesetzgebers anzupassen?
— Es ist eine Sache des Gesetzgebers, wie weit er sich von Interessen und wie weit er sich von sachlichen Gesichtspunkten leiten läßt. Er kann Fehler in der einen und in der anderen Hinsicht machen, ganz gleich, ob seine Gesetze starr oder geschmeidig sind.Aber alles dies ändert nichts daran — ich glaube, ich kann für mich selbst einen Sinn für systemgerechte Besteuerung in Anspruch nehmen —, daß man Steuergesetze nicht von vornherein dogmatisch und schematisch durchführen kann. Und ich sage: wenn Sie schon bei der Einkommenbesteuerung ein so richtiges Prinzip, daß das Einkommen ohne Rücksicht auf die Verwendung zu besteuern ist, nicht durchführen können— wieviel weniger können Sie ein so fragwürdiges Prinzip wie das, den allgemeinen Verbrauch ohne Rücksicht auf seine Zusammensetzung, Qualität und Begründung unterschiedslos zu besteuern, schematisch durchführen?!Deswegen wollte ich an dieser Stelle schon sagen: Lupenreinheit als Dogma, unbedingt gleichmäßige Verbrauchsbelastung, das ist eine Zielsetzung, das sind Argumente, die von uns nicht akzeptiert werden können.Ein Weiteres! Es ist doch einfach falsch, daß, wie es z. B. heute morgen vom Herrn Bundesfinanzminister gesagt worden ist, das Funktionieren der angestrebten europäischen Ausgleichsregelung und der angestrebten Harmonisierung verlange, daß keine Ausnahmen für den Einzelhandel gemacht, daß die Befreiungen eingeschränkt würden usw. Es ist doch bekannt, daß sämtliche Beschlüsse, die hier vorliegen — einschließlich der Beschlüsse dieses Hauses —, davon ausgehen, daß erstens die Frage der Einbeziehung des Einzelhandels Sache der autonomen Entscheidung der Mitgliedstaaten bleibt und daß zweitens die Befreiungen einstweilen nicht harmonisiert werden. Diejenigen, die das vorgeschlagen und beschlossen haben — und dazu gehören wir selbst, meine Damen und Herren; denn wir haben dem in unseren Beschlüssen auch zugestimmt —, mußten ja wissen, warum sie das tun mußten und warum sie das tun konnten. Sie mußten diese Vorbehalte machen, weil ohne sie keine Aussichten auf eine fortschreitende Harmonisierung und einen diesbezüglichen einstimmigen 'Beschluß in der Gemeinschaft bestehen. Und sie konnten es tun, weil sie sich überzeugt hatten, daß das Ziel der Harmonisierung, auch das Nahziel der Harmonisierung, nämlich die Verbesserung des Ausgleichs an den Grenzen und die Harmonisierung der Belastungen überhaupt, auch erreichbar ist, wenn diese Vorbehalte bestehenbleiben. Ich spreche — um jedes Mißverständnis auszuschließen — keineswegs für die eine oder andere Entscheidung jetzt, im Augenblick, zu diesen Fragen; ich möchte nur klarstellen, daß wir nach den von uns mit gutgeheißenen Vorstellungen in der Gemeinschaft hier eine autonome Entschei-
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 110. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 5. Februar 1964 5075
Seuffertdung zu treffen haben, die wit selbst vor uns und vor unseren Wählern zu verantworten haben. Wir können uns nicht mit dem Argument hinausstehlen, das ergebe sich schon zwingend aus den europäischen Vorstellungen. Das bleibt vielmehr unserer eigenen Entscheidung überlassen, die wir zu verantworten haben werden.Deswegen sehen wir keinen Grund, unter Berufung auf künftige Prinzipientreue und Lupenreinheit eines künftigen Systems notwendige und gebotene Bereinigungen bei der derzeitigen Umsatzsteuer schon jetzt zu verweigern, zumal wir ja mit einer Reihe von Jahren zu rechnen haben, bis wir das System in Kraft treten lassen können. Das gilt für den heute vorliegenden gemeinsamen Antrag wegen der Besteuerung der forstwirtschaftlichen Umsätze, das gilt für die Besteuerung der Dienstleistungen und der freien Berufe — darauf werde ich noch kurz zurückkommen —, das gilt z. B. für die Beseitigung der unsinnigen Textilzusatzsteuer, die wir immer noch erheben, und das mag noch für eine ganze Reihe von anderen Punkten gelten, die noch zur Sprache gebracht werden könnten. Das heißt, Schematismus oder gar vorweggenommenen Schematismus in diesen Dingen machen wir nicht mit.Ich möchte nun noch auf einen anderen sehr wesentlichen Punkt zu sprechen kommen, der auch Gegenstand der bereits vorliegenden Beschlüsse der Parlamente gewesen ist. Dieses Haus und — noch deutlicher — das Europäische Parlament haben verlangt, daß gleichzeitig mit der Harmonisierung der Umsatzsteuersysteme, die ja die Steuergrenzen zwischen den einzelnen Mitgliedstaaten zunächst bestehen läßt und voraussetzt, wenigstens Termine gesetzt werden und Verfahren ausgearbeitet und vorbereitet werden zur Beseitigung dieser Steuergrenzen im Gemeinsamen Markt. Es handelt sich dabei nicht nur um die Selbstverständlichkeit, daß ohne Beseitigung dieser Grenzen ein wirklicher gemeinsamer Binnenmarkt nicht bestehen und das Ziel der Römischen Verträge nicht erreicht werden kann, so daß man von vornherein diese wichtige Operation nicht aus dem Auge verlieren darf. Es handelt sich auch nicht nur darum, daß die jetzt vorgesehene Harmonisierung zwar die Ausgleichsmaßnahmen auf diesen inneren Steuergrenzen auf einen gemeinsamen Nenner bringt, ihnen einen klaren Rahmen für ihre Zulässigkeit gibt und ihre Auswirkungen klarer erkennen läßt — das wird ja als Hauptvorteil angesehen und das wird auch von uns anerkannt —, aber doch eben diese Grenzen bestehen läßt und sie voraussetzt. Sie macht sie gewissermaßen praktikabler, woraus die Gefahr entsteht, daß diese Grenzen zementiert werden, daß man sich mit ihnen abfindet und sich aus ihrem Bestehen Vorteile errechnet. Das muß also von vornherein ausgeschlossen werden; das wirkliche Ziel muß im Auge behalten werden.Es handelt sich vor allem darum, daß hier die Weichen für den Finanzausgleich zwischen den Mitgliedstaaten und für die Harmonisierung ihrer Finanzsysteme von vornherein richtig gestellt werden. Beides hängt untrennbar zusammen und muß geregelt sein, wenn der Gemeinsame Markt und die europäische Einigung eines Tages verwirklicht sein sollen. Das ist natürlich eine sehr langwierige Aufgabe. Ich spreche nur von Weichenstellen. Der Zug wird noch eine ganze Weile nicht abfahren können. Aber es müssen die Vorbereitungen getroffen, es muß die Absicht ins Auge gefaßt werden.Ich will jetzt nicht über Ursprungslandprinzip und Bestimmungslandprinzip — diese neuerdings für meinen Geschmack etwas kompliziert aufgemachten Begriffe — sprechen. Was dahinter steht, ist doch der Finanzausgleich innerhalb der Mitgliedstaaten zwischen dem Land, wo produziert wird, und ,dem Land, wo verbraucht wird. Was weiter dahinter steht, ist, daß die Harmonisierung der Steuerberechnung und der Ausgleichsmaßnahmen Vorteile im Wettbewerb innerhalb der Gemeinschaft bei Beibehaltung der Steuergrenzen der Wirtschaft desjenigen Landes bringen muß, das, einen besonders hohen Anteil seiner Steuern durch ausgleichspflichtige und ausgleichsfähige indirekte Steuern aufbringt und einen entsprechend niedrigeren Anteil seiner Steuern durch direkte Steuern; woraus sich für die Harmonisierung der Finanzsysteme, die Gegenstand dieses ganzen europäischen Prozesses und Ergebnis dieses Prozesses sein muß — und diese Finanzsysteme werden ja entscheidend durch den Anteil der direkten und der indirekten Steuern charakterisiert —, ein Druck zur Erhöhung des Anteils der indirekten Steuern ergeben muß. Das ist eine Entwicklung, die wir, wie Sie wissen, aus Gründen der sozialen und der steuerlichen Gesundheit und Gerechtigkeit unter allen Umständen ablehnen müssen. Das Verhältnis der direkten zu den indirekten Steuern in der Bundesrepublik ist zur Zeit etwa 50 zu 50. Wie Sie wissen, empfinden wir es wegen des zu hohen Anteils der indirekten Steuern als unbefriedigend. Die Bundesrepublik steht mit diesem Verhältnis etwa in der Mitte der Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft. Es gibt schlechtere und es gibt bessere Verhältnisse, wie Sie aus den Finanzberichten ersehen. Aber wenn wir uns auch klar darüber sind, daß die notwendigen Harmonisierungen die Verwirklichung unserer Wünsche auf Verbesserung des zur Zeit hier bestehenden Systems erschweren müssen, so müssen wir doch von vornherein sagen, daß wir keineswegs bereit sind, eine Verschlechterung dieses Verhältnisses hinzunehmen. Das ist ein entscheidender Grund — neben den sonst genannten und neben einigen, die sonst noch genannt werden könnten —, warum wir Wert darauf legen, daß entsprechend den gefaßten Beschlüssen die Beseitigung der Steuergrenzen ernst genommen, daß sie vorbereitet und in absehbarer Zeit durchgeführt wird.Noch ein Wort zu einigen Fragen, die auch Gegenstand der grundsätzlichen Klärung in diesem Jahre sein müssen, wenn wir unseren Fahrplan einhalten wollen. Da ist die Systemfrage, ob Vorumsatzabzug oder Vorsteuerabzug. Sie wissen, daß wir uns in unserem statistischen Steuerentwurf oder Entwurf zur Klärung — ich meine: das Verfahren bleibt nach wie vor ein guter Gedanke — für den Vorumsatz entschieden haben, und zwar deswegen, weil wir dabei die Gesichtspunkte des Verbrauchers mit in
Metadaten/Kopzeile:
5076 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 110. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 5. Februar 1964
Seuffertden Vordergrund gestellt haben. Wir wollten die Nachholwirkungen in der Weise vermeiden, daß, wenn man aus irgendwelchen politischen oder sonstigen Gründen irgendeine Tätigkeit oder irgendeinen Umsatz nicht besteuern will oder kann, dann, ohne daß die Steuerermäßigung beim Verbraucher selbst ankommt, dieser die Steuer nachzahlen muß. Außerdem haben wir das Verfahren für richtiger gehalten, weil es für den Steuerpflichtigen viel einfacher ist. Wir haben aber auch schon gesagt, daß wir zur Diskussion bereit sind, und wir sind uns klar darüber, daß das eine Diskussion auf der europäischen Ebene sein muß.Über die technischen Vorteile oder Nachteile des einen oder anderen Systems bei der Grenzüberschreitung sind die Meinungen in den Gutachten teils geteilt, teils sind sie einfach unklar. Möglicherweise wird sich eine europäische Entscheidung in dieser Frage für den Vorsteuerabzug abzeichnen. Wir können nur sagen: wenn man bestimmte Erwerbszweige aus politischen oder anderen Gründen von der Steuer ausnehmen und dann die Steuer vom Verbraucher nachzahlen lassen. wollte, so wären wir entschieden dagegen. Wenn man genügend differenziert — mit ermäßigten Sondersätzen, z. B. für Lebensmittel und bestimmte Waren, die bis zum Verbraucher durchgehen —, wie es im Regierungsentwurf vorgesehen ist, so ist das ein Mittelweg, über den man reden kann. Wir glauben, daß er sogar auch auf europäischer Ebene Aussicht hätte.Auch den Vorschlag des Bundesratsausschusses, durch eine Globalabrechnung der Vorumsätze der Landwirtschaft praktisch, um in der Fachsprache zu reden, einen fiktiven Vorsteuerabzug oder in der Tat — siehe unsere Vorschläge — einen Vorumsatzabzug ohne Nachholwirkung vorzunehmen, halten wir durchaus für annehmbar.Was die Besteuerung der Dienstleistungen anlangt — ich bin Herrn Kollegen Luda sehr dankbar dafür, daß er ein neues Überdenken gerade dieser Fragen zugesagt hat —, so ist sie noch viel weniger selbstverständlich als die Umsatzsteuer überhaupt. Was den historischen Ablauf bei der Besteuerung der Dienstleistungen betrifft, so glaube ich, daß Herr Kollege Luda ohne Zweifel gegenüber dem Finanzministerium recht hat. Der Anfang waren die allgemeine Warenverkehrsabgabe und der allgemeine Warenstempel. Dann ist als ein Fremdkörper, als ein fiskalisches Anhängsel zur Besteuerung des Warenverkehrs kurz nach Kriegsende damals die Besteuerung der Dienstleistungen dazugekommen. Sie ist ein Fremdkörper, selbst in der Umsatzsteuer, und nur in wenigen Fällen wird sie durch einen Zusammenhang mit dem Warenverkehr gerechtfertigt.Die Dienstleistungen sind ein Gebiet, auf dem viele sonst stark umstrittene und gern verwandte Begriffe überhaupt keine Anwendung finden. Bei den Dienstleistungen gibt es keine Stufen; es gibt keine Dienstleistungen im Großhandel oder im Einzelhandel. Es gibt keine Konzentrationserscheinungen. Sie sind vom Warenverkehr grundsätzlich getrennt, sie sind in den meisten Fällen nicht einmal richtig in Konkurrenz miteinander — wie es beim Warenverkehr der Fall ist —, weil schließlich jede oder doch ein Großteil dieser Leistungen einen unverwechselbar persönlichen Charakter hat. Das gilt natürlich ganz besonders für die freien Berufe. Grenzüberschreitungsprobleme spielen bei den Dienstleistungen überhaupt keine Rolle oder eine ganz untergeordnete, allenfalls bei Versicherungsleistungen oder Beförderungsleistungen; aber bei denen sind in Wirklichkeit ganz andere Probleme zu bewältigen als die Steuerfragen.Man sollte sich deswegen von vornherein darauf einigen, daß das Gebiet der Dienstleistungen aus der Harmonisierung und dem gemeinsamen System grundsätzlich ausgeklammert wird und nur insoweit einbezogen wird — eventuell in einem genau festzulegenden Umfang —, wie es der Zusammenhang mit dem Warenverkehr, der der eigentliche Steuergegenstand ist, zwingend geboten erscheinen läßt. Wir sollten dann unsere Entscheidungen auf diesem Gebiet autonom und alsbald treffen.Dabei sollten weder fiskalische noch gar optische Erwägungen in bezug auf den Steuersatz maßgebend sein. Die Besteuerung der freien Berufe z. B. ist keine Frage der Mehrwertsteuer und keine materielle Frage für die Beteiligten. Es ist offensichtlich, daß 5% mit Vorsteuerabzug in vielen, wenn nicht in den meisten Fällen besser sind als die derzeitige Besteuerung. Es handelt sich vielmehr um eine grundsätzliche Frage, und das ist in diesem Haus schon öfter dargelegt worden. Wir von unserer Seite werden das Geeignete tun, damit die doch wohl immer noch bestehende Mehrheit in diesem Hause für die richtige Lösung alsbald zum Tragen kommt.
— Nicht für eine dogmatische Lösung. Das ist doch wirklich so undogmatisch wie möglich, was ich jetzt über die Dienstleistungen vorgetragen habe.
— Jawohl! Darüber, was die freien Berufe bezahlt bekommen, gibt es auch Ausführungen die Fülle — ich könnte sie wiederholen —, von denen keine einzige als dogmatisch bezeichnet werden kann.Die gleichen Überlegungen sollten für die Besteuerung persönlicher Leistungen gelten, die ähnlich wie die der freien Berufe zu beurteilen sind. Es sind heute schon einige genannt worden. Ich denke hier z. B. an gewisse Maklerleistungen.Ein sehr schwieriges Problem ist die Frage, ob und wie die Investitionen abzurechnen sind. Wir sind durchaus bereit, sie als technisches Problem anzusehen und zu diskutieren, ohne jeden weltanschaulichen Vorbehalt. Wir erkennen an, daß die Entscheidung darüber auf europäischer Ebene fallen muß, wenn nicht die ganze Harmonisierung steckenbleiben soll. Diese Vorweg-Grundentscheidung muß also dort fallen. Aber damit verliert das Problem noch nicht viel von seinen Schwierigkeiten. Ich sagte ausdrücklich, es steht die Frage zur Debatte, ob und wie die Investitionen abzurechnen sind, also
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 110. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 5. Februar 1964 5077
Seuffertnicht nur die Frage, ob pro rata temporis oder Vollabzug, sondern auch, ob überhaupt Abzug. Wir wünschen deswegen auch das Problem ausdiskutiert zu sehen, welche Vorzüge der Ausschluß der Investitionen von der Steuerverrechnung hätte, denn er hat solche Vorzüge. Sie wissen, daß wir uns in unserem Entwurf zur Aufklärung, den wir immer noch für dieses Verfahren empfehlen möchten, für einen Pro-rata-Abzug mit einem fixen Prozentsatz ausgesprochen haben. Die Regierung hat den Abzug der ertragsteuerlichen Abschreibungen vorgesehen. Gefordert wird vielfach der Vollabzug im Jahre der Anschaffung oder Herstellung. Der Regierungsentwurf scheint mir deswegen nicht praktikabel zu sein, weil damit eine Harmonisierung der Wettbewerbsbedingungen in diesem Bereich illusorisch würde; denn die Gleichschaltung der Abschreibungsvorschriften in den Ertragsteuergesetzen O würde unabsehbare Zeit in Anspruch nehmen.Soweit wirklich zwischen einem Pro-rata-Abzug und einem Vollabzug zu wählen ist — es muß vorweg geprüft werden, ob es nicht noch andere Lösungen gibt —, geben wir zu, daß auf die Dauer gesehen der Vollabzug zu demselben fiskalischen Ergebnis führt und daß er in Einzelheiten Vorzüge für sich hat. Wir müssen aber zu bedenken geben, daß die Wettbewerbsprobleme dadurch sehr verschärft werden. Nicht nur daß die Berücksichtigung der vorhandenen Vorräte und der vorhandenen Investitionen dann sehr große Schwierigkeiten machen würde und nur mit höchst massiven Übergangslösungen —allenfalls — zu bewältigen wäre, es würde auch der Wettbewerbsvorsprung des investitionsstarken Betriebs, sprich des Großbetriebs, gegenüber dem kleinen Betrieb zwar auch schon beim Pro-rata-Abzug recht bedenkliche, beim sofortigen Vollabzug aber ganz gewaltige Probleme aufwerfen und sehr ernste Ausmaße annehmen. Diesem Problem etwa durch Ausdehnung der Umsatzbesteuerung auf bisher ganz unangefochtene befreite Leistungen wie z. B. die Mieten für gewerbliche Räume auszuweichen, halten wir für ganz undiskutabel.Ich möchte mich auf diese .grundsätzlichen Bemerkungen, die immerhin noch etwas mehr in die Sache gehen als das, was der Herr Bundesfinanzminister heute morgen zu ,dem Problem gesagt hat, beschränken. Der Lösung dieses Problems werden wir noch sehr viele Überlegungen und Untersuchungen widmen müssen. Wir sind dazu im Interesse der ganzen Reform durchaus bereit.Zur Frage der Anwendung des neuen Systems 'und seiner Sonderbestimmungen auf Kleinbetriebe und zur Frage der Befreiungsvorschriften für bestimmte Umsätze oder Umsatzträger! Um hier klar zu sehen, werden wir zunächst einmal festhalten müssen—was heute der Kollege Luda völlig zutreffend festgestellt hat —, daß die Befreiungen in dem neuen System eine durchaus andere Bedeutung haben als im gegenwärtigen. Sie sind zweischneidig. Sie bedeuten, daß der Betreffende zwar keine Steuer abzuführen hat, aber andererseits als Endverbraucher behandelt wird, d. h. daß er die Steuer auf die von ihm bezogenen Leistungen und Lieferungen endgültig und voll 'zu tragen hat. Er verliert die Möglichkeit, dieseSteuer bei seinen eigenen Umsätzen wieder geltend zu machen, auf den Empfänger abzuwälzen, und er kann dem Empfänger der Leistungen, soweit er irgendwie im Wettbewerb steht, keine anrechnungsfähige Vorsteuer anbieten. Er muß mit der Steuerbelastung wie der normale Endverbraucher im Rahmen seiner eigenen Ertrags- und Einkommensrechnung fertig werden.
— Sehr wohl. Daraus folgt, Herr Kollege Schmidt, daß in jedem Einzelfall die Betroffenen und auch wir sehr genau prüfen müssen, ob eine Befreiung wirklich einen Vorteil bedeutet, und wenn, ob das auch gerechtfertigt ist.
Ich will mich an den Vorsatz halten, nicht weiter auf Einzelheiten einzugehen. Wenn ich nur eine nennen würde, könnte es als Diskriminierung aller anderen ausgelegt werden. Ich will nur die allgemeine Bemerkung machen, daß wir von unserer Seite aus den Gründen, die ich vorhin dargelegt habe — weil weder Gründe der Harmonisierung noch anzuerkennende Gründe des Schematismus, noch sonstige wirtschaftlich wirklich ins Gewicht fallende Gründe dagegen sprechen —, sehr zur Aufrechterhaltung der in der Regel aus guten Gründen hergestellten Besitzstände nach bisherigem Recht neigen.Ich muß noch einmal auf folgendes hinweisen, Herr Kollege Schmidt. In den vorgesehenen europäischen Regelungen ist ausdrücklich vorgesehen, daß Befreiungen nicht harmonisiert werden, und das mit Grund: weil sich niemand vorstellen kann, daß er von den teils bestehenden, teils notwendigen Befreiungen so schnell wegkommt.Das heißt vor allen Dingen auch, daß wir grundsätzlich für die Aufrechterhaltung aller Befreiungsvorschriften eintreten, die für die Tätigkeiten auf kulturellem Gebiet, für die gemeinnützigen Tätigkeiten und ähnliches — ich will auch Bücher erwähnen — und in Sondersätzen und Befreiungen bestehen. Wir möchten also im wesentlichen die Vorschläge der Bundesratsausschüsse in diesen Punkten übernehmen und die Liste aufrechterhalten, wie Sie es auch in unserem Gesetzentwurf schon gesehen haben.Dann werden von uns Entcheidungen über die Behandlung des Einzelhandels, des Handwerks und der Kleinbetriebe zu treffen sein. Was den Einzelhandel und das Handwerk — soweit es insbesondere dem Einzelhandel in seiner Nähe zum Endverbraucher gleichzustellen ist — anlangt, so habe ich schon darauf hingewiesen, daß es von der europäischen Ebene aus notwendig und möglich erschien, diese Dinge aus der gemeinsamen Regelung auszugliedern. Ohne der von uns zu treffenden Entscheidung vorgreifen zu wollen, könnte ich mir denken, daß, wenn man es einmal richtig durchrechnet und auch in Betracht zieht, daß wir in den Großbetrieben des Einzelhandels und auch in vielen Handwerksbetrie-
Metadaten/Kopzeile:
5078 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 110. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 5. Februar 1964
Seuffertben doch auch Funktionen des Großhandels und der eigentlichen Produktion vorfinden, die Einbeziehung in das allgemeine System nicht nur folgerichtiger, sondern für die Betroffenen auch günstiger wäre. Das würde aber, wie gesagt, noch einiger Erörterungen bedürfen. Ich möchte in diesem Zusammenhang nur erwähnen, daß auch die Probleme des Großhandels noch einigen Nachdenkens bedürfen werden.Die Behandlung der Kleinbetriebe ist eine andere Frage. Hierbei spielen Erwägungen der soeben angedeuteten Art eine Rolle, aber daneben auch die Frage, ob die mit der Systemänderung fraglos verbundene vermehrte Arbeitsbelastung für sie zumutbar, durchführbar und auch für die Verwaltung lohnend ist. Man darf wohl als einhellige Meinung sowohl in diesem Hause als auch auf europäischer Ebene unterstellen, daß es Freigrenzen, Sonderregelungen für Kleinbetriebe geben wird, seien es Freigrenzen, seien es Optionen für ein bisheriges oder auf ein anderes angemessenes System. Es scheint mir in keinem Fall notwendig zu sein, daß in diesem Bereich Verschlechterungen gegenüber dem derzeitigen Zustand eintreten. Wir jedenfalls sehen keine Veranlassung, uns auf solche Schlechterstellungen einzulassen.Ich will noch zwei Punkte erwähnen, die sehr eingehend erwogen werden müssen. Sie sind teilweise auch schon angesprochen worden. Das eine ist das Problem der Steuer von der Steuer, das hier noch einschneidender wird als bei der bisherigen Besteuerung, insbesondere natürlich bei hoch besteuerten Waren. Ich nenne als eine sehr hoch besteuerte Ware, die gleichzeitig ein Gegenstand des notwendigen allgemeinen Bedarfs ist, das Mineralöl. Das zweite Problem, das ich erwähnen muß, ist die Aufrechterhaltung der Berlin-Präferenzen, derer wir sicherlich noch auf einige Jahre bedürfen werden und die im neuen System gesichert sein müssen.Zum Schluß — das sind doch wohl immer die zwei Worte, die bei solchen Ausführungen den Zuhörern am angenehmsten klingen — folgendes. Ich habe dem Hinweis, den der Bundesrat in seiner Stellungnahme auf die Bedeutung des Gesetzes, auf die Schwierigkeiten des Gesetzes, auf die Bedeutung des Zeitpunkts des Inkrafttretens und auf seine möglichen Folgen für die Preisentwicklung, für die Konjunktur gegeben hat, eigentlich nichts hinzuzufügen. Die Bedeutung kann in der Tat kaum überschätzt werden. Ich glaube, daß dieses Haus tatsächlich noch kein Steuergesetz mit so umfassenden Auswirkungen in Angriff genommen hat. Es werden Wettbewerbsverzerrungen beseitigt werden, aber es können und es werden auch neue Wettbewerbsprobleme entstehen, und wenn man hier nun in der Tat zu einer Rohgewinnsteuer übergeht und sich damit doch den Ertragsteuern annähert, können auch Auswirkungen auf das Ertragsteuersystem selbst kaum ausbleiben. Gleichzeitig müssen wir uns bewußt sein, daß es sich hier um einen Anfang europäischer Gesetzgebung handelt und daß dieser erste Akt der Mitwirkung bei europäischer Gesetzgebung in diesem Hause durch unser Gesetz vollzogen werden wird. Es werden Weichen gestellt für die künftigegemeinsame Gesetzgebung, und diese Weichen werden gestellt für ganz entscheidende Fragen der Wirtschaft und ganz entscheidende Fragen der Verwirklichung der europäischen Einheit. Die Auswirkungen in bezug auf die Preisentwicklung dürfen unter gar keinen Umständen überschätzt werden. Es gibt eine Reihe sehr empfindlicher Märkte, auf denen diese Auswirkungen besonders bedacht werden müssen. Ich nenne von ihnen nur — es wird vielleicht noch andere zu nennen geben — die Bauwirtschaft mit allen Auswirkungen auf den Wohnungsmarkt und die Mieten, die Energie — vor allen Dingen die Versorgung der privaten Verbraucher durch die öffentlichen Versorgungsunternehmen — und das Mineralöl, das ich schon genannt habe. Wenn schon der Herr Bundesfinanzminister sagt, daß mit Verteuerungen der Tarife der öffentlichen Versorgungsunternehmen gerechnet werden müsse, so kann man, glaube ich, schon aus dieser Bemerkung den Ernst des Problems ersehen. Man muß daraus schließen, daß es schon sehr, sehr gründlicher Begründungen bedürfte, die mir bisher nicht ersichtlich sind, um solche Verteuerungen hinnehmen zu können. Es handelt sich weiter um den Verkehr, die Beförderungsleistungen, und es handelt sich natürlich auch um die Lebensmittel. Das sind alles sehr empfindliche Märkte. Aber das war natürlich keine erschöpfende Aufzählung.Ich sage hier für unsere Fraktion, daß wir wünschen, daß diese Reform verwirklicht wird, und zwar grundsätzlich auf dem Wege, der hier vorgezeichnet ist, und unter Berücksichtigung der Gesichtspunkte und Forderungen, die ich vorgetragen habe. Wir wünschen, daß das so schnell geschieht, wie es in der Sache möglich ist, und wir wünschen, daß es entsprechend den Beschlüssen dieses Hauses und des Europäischen Parlaments als ein entscheidender Akt der europäischen Einigung geschieht, sobald die Voraussetzungen dafür geschaffen sind. Dabei lassen wir durchaus keinen Zweifel daran, daß diese Reform von uns auch dann durchgeführt werden müßte, wenn, was wir nicht erwarten können, die angestrebte gemeinsame europäische Aktion ins Stocken kommen sollte.Es sollte aber niemand eine Angelegenheit des Prestiges oder der Polemik aus der Frage machen, wann wir unsere Beratungen werden abschließen können. Wir sollten auch die gebotene Rücksichtnahme auf die Entschließungen unserer europäischen Partner nicht vermissen lassen und wir sollten uns an die vorliegenden Parlamentsbeschlüsse halten. Niemand würde diesem Bundestag, der ohnehin auf dem steuerlichen Gebiet noch sehr viel zu bewältigen hat — ich weiß, es sind einige arg verschleppte Sachen darunter, und das ist nicht unsere Schuld —, einen Vorwurf daraus machen können, wenn er dieses Gesetz nicht mehr endgültig verabschieden könnte. Wir werden es in unserer Legislaturperiode ohnehin nicht in Kraft treten lassen können. Es wäre ein weit größerer Fehler, wenn es übereilt und ohne gründliche Prüfung und zum unrichtigen Zeitpunkt in Kraft gesetzt würde.Aber auf jeden Fall — davon gehen wir aus, und davon bin ich überzeugt — werden dieser Bundes-
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 110. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 5. Februar 1964 5079
Seufferttag und seine Ausschüsse dieser Reform viel Arbeit widmen müssen, und das alsbald. Es wäre der größte Fehler und ein Vorwurf, den wir nicht tragen könnten, versäumt zu haben, unsere Arbeit an diesen Entwurf zu wenden, und uns damit einer Entwicklung, die nicht mehr hinausgeschoben werden kann und darf, entzogen zu haben. Wir von der Opposition wollen deswegen diese Reform mit allen Kräften und mit konstruktiver Mitarbeit fördern, und wir hoffen, daß wir mit der großen Mehrheit des Hauses darin einig sind.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Toussaint.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich bitte, nicht böse darüber zu sein, daß ich trotz der vorgerückten Stunde noch einige Worte zu Ihnen sage. Ich halte es für richtig, daß auch wenigstens e i n Unternehmer, also ein Mann der Wirtschaft, zu dem Problem spricht, das die Wirtschaft in erster Linie angeht.Meine sehr verehrten Damen und Herren, es ist eine merkwürdige Erscheinung, daß die Wirtschaft jetzt, da ihre Wünsche erfüllt werden sollen, so zurückhaltend reagiert. Seitdem die Reformvorschläge bekanntgeworden sind, haben wir — das dürfen wir wohl sagen — nur wenige eindeutige Erklärungen aus der breiten Wirtschaft gehört. Es ist wohl angebracht, sich einmal die Frage vorzulegen: Wie kommt das?Ich bin der Meinung, daß das Gesetz, das wir heute hier vorliegen haben, zusammen mit den letzten Erklärungen der Bundesregierung wesentlich dazu beitragen wird, diese Zurückhaltung abzubauen. Diese Zurückhaltung gilt nämlich gar nicht der Regierung. Diese Zurückhaltung — das muß ich in aller Offenheit sagen — gilt dem Parlament. Die Wirtschaft weiß, daß ein Gesetz, das dem Bundestag zugeleitet wird, in den meisten Fällen nicht so verabschiedet wird, wie es eingebracht worden ist, sondern daß es sehr starken Veränderungen unterliegt. Ich meine, daß die Wirtschaft gut daran tut, sich zurückzuhalten, nachdem ich die Ausführungen unseres Kollegen Seuffert gehört habe. Wenn er die von ihm formulierten Forderungen an das neue Gesetz stellt, dann wird es allerdings nicht gut aussehen, dann werden wir so viele Ausnahmen vorfinden, daß das Gesetz einfach nicht mehr praktikabel ist. Er hat hier — ich weiß nicht, ob er sich versprochen hat — erklärt, daß er die alten Besitzstände gewahrt wissen wolle. Dann weiß ich überhaupt schon nicht mehr, wie wir ein wettbewerbsneutrales Umsatzsteuergesetz gestalten sollen. Dann bin ich der Meinung: möglichst schnell den Entwurf weg vom Tisch; dann wollen wir uns lieber anderen Aufgaben widmen.Ich bin auch der Meinung, daß die Vorwürfe, die Herr Kollege Seuffert der Regierung hinsichtlich der Starrheit des Gesetzes gemacht hat, nicht berechtigt sind. Er selbst mußte ja auch zugeben, daß die Regierung, um dieses Gesetz praktikabel zu gestalten, wesentliche Ausnahmen gestattet hat und daß auch dem sozialen Charakter und der sozialen Verpflichtung, die wir alle haben, in diesem Gesetz Rechnung getragen worden ist.Es ist von der Wirtschaft allgemein begrüßt worden, daß die Regierung erklärt hat, sie wünsche, daß das Gesetz einfach und übersichtlich zu halten sei. Ich meine, wir alle sollten das begrüßen. Ich begrüße aber auch die Rücksichtnahme auf die kleinen und mittleren Betriebe, die hier schon wiederholt angeführt worden sind. Die kleinen Betriebe mit einem Jahresumsatz bis 20 000 DM bleiben aus der Mehrwertsteuer heraus. Betriebe, die nicht buchführungspflichtig sind, können pauschaliert behandelt werden. Wichtig ist noch eine Vorschrift, die Sie vielleicht zum Teil übersehen haben werden. Nach ihr ist die Ausweispflicht auf den Rechnungen nur gegeben, wenn die Ware von Unternehmen zu Unternehmen geliefert wird, d. h. daß also für den Einzelhandel und das Handwerk die Ausweispflicht nicht besteht, wenn sie direkt an den Konsumenten liefern.Eine Frage haben allerdings meine Vorredner — anscheinend auch mein Kollege Dr. Luda — doch etwas bagatellisiert. Ich bin wirklich der Meinung, daß dieses Gesetz mit Mehrarbeit sowohl für die Verwaltung als auch für die Wirtschaft belastet ist. Diese Mehrarbeit wird es ganz sicherlich geben. Sie ist natürlich relativ zu sehen. Daß sie sich für ein großes Unternehmen, das auch im Buchhaltungs-und Kalkulationsbetrieb nur mit Maschinen arbeitet, kaum auswirkt, dürfte selbstverständlich sein. Denjenigen, der einen Betrieb mit über 200 000 DM Umsatz leitet, wird man jedoch stark mit Mehrarbeit belasten. Hier geht leider Gottes das böse Wort, daß es sich nicht um eine Mehrwert-, sondern um eine „Mehrarbeitssteuer" handelt. Wir haben bei der Gestaltung dieses Gesetzes dafür zu sorgen, daß diese Mehrarbeit getragen werden kann, daß sie in einem angemessenen Verhältnis zu dem Erfolg steht, den dieses Gesetz doch der gesamten Wirtschaft bringen soll. Die Mehrarbeit wird durch die neue Art der Rechnungslegung und durch die Nettokalkulation erforderlich. Sie wird sich vor allen Dingen in einem kleineren Betrieb bemerkbar machen; da der kleinere Betrieb mit einer Zuschlagskalkulation zu arbeiten gewohnt ist, wird es hier doch allerhand Umstellungen im Betrieb geben.Das Neutralitätsprinzip, das wir in den Wettbewerb hineinbringen, also das Prinzip, daß im Wettbewerb stehende Unternehmer für eine Leistung gleicher Güte, gleicher Menge und gleichen Preises auch die gleiche umsatzsteuerliche Belastung tragen sollen, erfordert diesen Tribut.Ich sagte schon: Die Zustimmung der Wirtschaft wird entscheidend davon abhängen, wieweit wir Ausnahmeregelungen vorsehen. Denn diese Ausnahmeregelungen haben ja eine doppelte Wirkung. Einmal werden sie die Mehrarbeit in den Betrieben ganz erheblich ansteigen lassen. Zum zweiten: Je mehr Ausnahmen wir machen, desto höher muß der Steuersatz sein. Auch hier, glaube ich, war es zunächst eine gute Überraschung für die Wirtschaft,
Metadaten/Kopzeile:
5080 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 110. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 5. Februar 1964
Dr. Toussaintals sie zur Kenntnis nehmen konnte, daß der Steuersatz nur 10 % betragen würde, nachdem vorher in der Öffentlichkeit von 14 bis 18 % gesprochen worden war. Es wird vielleicht auch Sie, meine sehr verehrten Damen und Herren, interessieren, daß der Anteil der mit 5 % zu versteuernden Waren, wie es im Gesetz vorgesehen ist, zirka 33 % der zu versteuernden Waren umfaßt. Ich glaube, das ist eine sehr beachtliche Zahl. Der durchschnittliche Steuersatz wird 7,66 % betragen.Ich habe so entscheidenden Wert darauf gelegt, Sie zu bitten, bei der Beurteilung der Anträge auf Sonderbehandlung, die an Sie gerichtet werden, möglichst vorsichtig zu sein, weil mir bekannt geworden ist, daß bereits zirka 200 solcher Anträge vorliegen. Ich bin überzeugt: wenn dieses Gesetz seitens der Organisationen mehr durchdacht wird, werden eine ganze Reihe solcher Anträge zurückgezogen werden können. Eine ganze Reihe von Anträgen sind einfach deshalb gestellt, weil man sich noch nicht in dieses Gesetz hineingedacht hat.
—Ganz richtig, die Wirtschaft hat sich erst in dem Augenblick verstärkt damit befaßt, als das Gesetz von der Regierung eingebracht wurde und sie nunmehr klar ,sah, wie die Richtung ist, in die marschiert werden soll.Eine Frage, die heute morgen eine große Rolle gespielt hat, ist die Preisentwicklung. Ich meine, diese Frage wird in der Öffentlichkeit überschätzt. Haben wir Vertrauen in die Marktwirtschaft, dann sind wir auch davon überzeugt, daß die Preise sich nach den marktwirtschaftlichen Gesetzen sehr schnell einspielen. Ich bin aber der Meinung, daß das eine Frage der Aufklärung ist und daß man sehr stark an der Unterrichtung der Betriebe arbeiten muß. Denn es steht ja fest, daß es der allgemeine Wille dieses Hauses und auch der Wille der Regierung ist, daß das Gesetz nicht zur Zeit einer Hochkonjunktur eingeführt werden soll. Ist das die allgemeine Auffassung, daß wir das nicht wollen, und führen wir dieses Gesetz zur Zeit eines harten Wettbewerbs ein, dann ist jeder Unternehmer gezwungen, seine Preise möglichst schnell der Konkurrenz anzupassen, wenn er nicht durch verfehlte Kalkulation aus dem Markt herausgeworfen werden will.In der Öffentlichkeit wird seitens der Wirtschaft immer die Frage nach der Behandlung der Vorräte am Einführungstag gestellt. Sehr verehrter Herr Minister, ich möchte Sie bitten, im Rahmen dieses Gesetzes die Entscheidung zu treffen und nicht im Rahmen eines weiteren Gesetzes. Ich bin der Meinung, daß die Wirtschaft hier klar sehen muß. Herr Dr. Luda hat heute morgen das schöne Wort gebraucht: Wir wollen nicht mit verdeckten Karten spielen. Hier sollte auch die Regierung nicht mit verdeckten Karten spielen wollen. Sie sollte ganz klar sagen, was sie will. Ich bin persönlich der Meinung: wenn wir nicht dafür sorgen, daß die Ware von der auf ihr lagernden Allphasen-Bruttoumsatzsteuer befreit wird, ehe wir die Mehrwertsteuerdarauf zur Berechnung bringen, kommen wir bei der Überführung in das neue System zu einem Preisdurcheinander. Hier tun klare Verhältnisse not. Die Öffentlichkeit und die Wirtschaft reagieren in den Tagen des Übergangs besonders empfindlich, und hier könnte ein Gesetz sehr bald in Verruf kommen.Der Herr Minister hat heute morgen erklärt, daß die Warenvorräte zur Zeit 90 Milliarden DM betragen. Das bedeutet aber nicht — wie einmal von der Regierung erklärt worden ist — einen Betrag von 3,6 Milliarden DM Umsatzsteuer. Wir wissen, daß in den Vorräten mit einem Wert von 90 Milliarden DM große Mengen sind, die überhaupt keine Umsatzsteuerverpflichtung getragen haben. Es sind viele Rohstoffe, Lebensmittel und Halbfabrikate darunter. Es handelt sich um die verschiedensten Vorräte, die die verschiedenartigste Steuerbelastung tragen. Wenn wir also einmal tatsächlich an die Berechnung herangehen, können wir sehr wohl eine Lösung treffen, wie sie die Wirtschaft wünscht.Wenn man glaubt, die Vergütung nicht im ersten Jahr der Gültigkeit dieses Steuergesetzes geben zu können, dann soll man die Vergütung in drei oder vier Jahren zur Verrechnung bringen. Wir sind nicht gehalten, gleich im ersten Jahr der Wirtschaft die steuerliche Vergütung voll zu geben.Ich hatte eigentlich nicht vor, etwas zu der Frage der Investitionen zu sagen. Aber nachdem Herr Kollege Seuffert dazu gesprochen hat, möchte ich doch auch meine Meinung sagen. Herr Seuffert, ich bin der Meinung, daß die Investitionen sofort voll abgezogen werden sollen. Sonst würden hier wieder buchhalterische Belastungen auf die Betriebe zukommen, die wir ihnen nicht auferlegen sollten. Sie werden sicherlich mit mir konform gehen, wenn ich sage, daß sehr viele streitige Auseinandersetzungen zwischen Steuerzahlern und Steuerverwaltung wegen der Fragen der Abschreibung entstehen. Die Abschreibungsfrage bereitet in den Betrieben sehr, sehr viel Arger und führt zu Auseinandersetzungen mit der Finanzverwaltung. Ich sehe nicht ein, warum wir eine Vorschrift in das Gesetz bringen sollen, die dem Steuerzahler das Leben schwerer macht, als es notwendig ist. Wir haben von Frankreich sehr Wohltuendes gehört. Die dortige Steuerverwaltung erklärt: Wir führen keine Prozesse — oder nur in ganz wenigen Ausnahmefällen — mit unseren Steuerzahlern, wir behandeln sie wie unsere Klienten; wir versuchen, mit ihnen im Wege des Vergleichs zurecht zu kommen.Ich meine also, daß das Gesetz nicht mehr Schwierigkeiten bringen sollte, als notwendig ist. Wir sollten uns im Finanzausschuß vornehmen, nicht zu perfektionistisch zu verfahren. Herr Kollege Luda, ich bin sehr mißtrauisch geworden, als Sie erklärten, Sie wollten mit dem Gesetz der Wirtschaft eine „Hilfe" — in Anführungsstrichen — dergestalt geben, daß man sie dazu bringe, beim Übergang richtig zu kalkulieren. Davon halte ich gar nichts. Wir sind doch Vertreter der Marktwirtschaft, und in ihr muß sich das einspielen. Man kann nicht vom Gesetzgeber aus den Unternehmer beeinflussen wollen, so oder so wirtschaftlich zu handeln. Nimmt er einen über-
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 110. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 5. Februar 1964 5081
Dr. Toussaintsetzten Preis, dann wird die Konkurrenz ihn im Wettbewerb sehr bald zwingen, mit dem Preis herunterzugehen. Und wir haben ja auf diesem Gebiet Erfahrungen; ich denke an die Zollherabsetzungen, die wir durchgeführt haben. Wir haben festgestellt, daß die Wirtschaft darauf gut reagiert hat. Ich zweifle nicht daran, daß der Wettbewerb sie zwingen würde, richtig darauf zu reagieren, auch wenn sie nicht wollte.Ich habe noch einen Wunsch. Die Steuerverwaltung sollte sich verstärkt — vor allen Dingen im Zusammenhang mit den Durchführungsverordnungen — mit der Praxis in Verbindung setzen. Ich habe das Empfinden, daß sich die Verwaltung auch hier wieder, wie wir das gewohnt sind, ein wenig zu grundsätzlich mit dieser Materie beschäftigt. In diesem Falle stimme ich Herrn Kollegen Seuffert zu: Man sollte nicht allzu dogmatisch verfahren, sondern man sollte überlegen, wie man die Dinge gemeinsam so über die Bühne bringt, daß die Wirtschaft in diesem Gesetz wirklich einen Dienst an ihr sieht.
Das Wort hat der Abgeordnete Opitz.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Nach den ausgiebigen Ausführungen meiner Herren Vorredner kann und will ich Ihnen versprechen, daß ich mich wirklich kurz fassen werde. Trotzdem aber zunächst einen Satz zum Kollegen Seuffert. Herr Seuffert hat gesagt, daß er eine Umsatzsteuer für scheußlich hält. Der Herr Finanzminister möge mir verzeihen: ich stehe auf dem Standpunkt, daß alle Steuern scheußlich sind; nur weiß ich leider keine Alternative.Seit Jahren diskutieren wir die Umwandlung der deutschen Umsatzsteuer in ein anderes Steuersystem, wenn Sie so wollen, in eine Mehrwertsteuer. Wir diskutieren heiß aus dem Gefühl heraus, aus dem Wissen heraus, daß das alte System, das wir haben, wettbewerbsverzerrend wirkt und andere Nachteile mit sich bringt. Angesichts der Nachteile der augenblicklich geltenden Umsatzsteuer sollten wir, meine ich, bereit sein zu einer Systemänderung, wenn Sie so wollen, zugunsten einer Mehrwertsteuer.Diese grundsätzliche Zustimmung schließt aber nicht aus, daß noch erhebliche Bedenken und auch viele Mißverständnisse nicht nur in der Öffentlichkeit, sondern, wie wir heute gesehen haben, ,auch in den Fraktionen bestehen. Diese Mißverständnisse hinsichtlich der Praktikabilität der Mehrwertsteuer sollten und müßten wir ausräumen. Wir sollten die Bedenken und die Sorgen, die wir haben, offen aussprechen — wie das ja einige meiner Herren Vorredner heute schon getan haben —, damit in den Ausschußberatungen eine konkrete Aufklärung all dieser Punkte herbeigeführt werden kann.Ich bin der Meinung, daß eine endgültige Verabschiedung der Umsatzsteuerreform erst dann vorgenommen werden kann, wenn die Rechtsverordnungen nach § 22 und § 23 sowie die Verwaltungsvorschriften zu § 24 des Entwurfs vorliegen; ich hoffe, daß dadurch möglichst viele echte Schwierigkeiten beseitigt werden, echte Schwierigkeiten, die auch durch Stellungnahmen der Wirtschaftsverbände an die Regierung bekanntgeworden sind. Diese Aufklärung sollte nicht nur in den Ausschüssen und den Fraktionen erfolgen, sondern weitestgehend auch durch die Regierung in die Öffentlichkeit getragen werden, damit die dort zum Teil bestehenden Sorgen und Nöte ausgeräumt werden. Das hat meines Erachtens nichts mit Gefälligkeitsdemokratie zu tun. Ich bin der Meinung, daß wir echte Sorgen und Bedenken prüfen müssen und, wenn wir sie geprüft haben, die entsprechende Aufklärung zu erteilen haben.Man muß sich darüber im klaren sein, daß die Mehrwertsteuer mit Vorsteuerabzug entscheidende Veränderungen im Preisgefüge mit sich bringen wird. Preissteigerungen und Preissenkungen sollten zwar gesamtwirtschaftlich gesehen keine Änderungen des Preisspiegels herbeiführen. Das ist jedoch meiner Meinung nach nicht allein das Problem. Entscheidend und wichtiger als alle anderen Gesichtspunkte ist für mich die Frage, wo die Gesamtbelastung steigt und wo sie sinkt und wie die Gesamtbelastung steigt, nicht nur im Hinblick auf einzelne Wirtschaftsstufen, sondern auch im Hinblick auf ganze Warengruppen; denken sie z. B. nur einmal an den Vergleich von Porzellan zu Kunststoffen. Vor allen Dingen dürfen die Belastungen in den Bereichen nicht zunehmen, in denen heute die wirtschaftlichen Schwierigkeiten schon besonders groß sind. Das — so möchte ich meinen — ist eine eminent wichtige gesellschaftspolitische Frage. Tatsache ist, daß die Belastung im lohnintensiven Betrieb und im Dienstleistungsbereich am stärksten steigen wird. Die lohnintensiven Betriebe und der Dienstleistungsbereich stehen bekanntlich bereits heute unter einem erheblichen Kostendruck, und bei steigender Kostenbelastung wird, wenn auch aus anderen Gründen, wiederum eine Verschärfung der Konzentrationstendenz eintreten. Man muß sich deshalb meines Erachtens ernsthaft Gedanken darüber machen, wie die höhere Gesamtbelastung im lohnintensiven Mittelstand, im Handwerk, im Dienstleistungsbereich im Rahmen der Mehrwertsteuer zu vermeiden ist.Es steht auch, glaube ich, außer Frage, daß der Mittelstand zum erheblichen Teil an der Nahtstelle des Überwälzungsvorganges liegt. Daher ist die Überwälzbarkeit bei gestiegener Gesamtbelastung für den Mittelstand eine Kardinalfrage. Ich halte das Argument, daß die Mehrwertsteuer nur bei harter Wettbewerbslage eingeführt werden könne, für bedenklich. Ich halte es für bedenklich, weil das praktisch heißt, daß weiteste Kreise des Mittelstandes nicht überwälzen können, daß weiteste Kreise des Mittelstandes dann gezwungen werden, von ihrem Verdienst, von ihrem Gewinn die erhöhte Steuer zu tragen.Da bisher keine Unterlagen für die zu erwartenden Verschiebungen der Gesamtbelastungen für Waren oder Leistungen vorliegen, sollte die Bundesregierung Erhebungen anstellen, die Aufschluß darüber
Metadaten/Kopzeile:
5082 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 110. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 5. Februar 1964
Opitzgeben können, wie diese Belastungsverschiebung aussehen wird. Ich bin der Meinung, wenn diese Erhebungen ergiebig sein sollen, müssen sie in einer gewissen Breite angestellt werden. Da gerade im Bereich des Mittelstandes, da gerade im Bereich des Handwerks im Rahmen der bisherigen Umsatzsteuer Erleichterungen und Befreiungen gewährt wurden — es ist heute bereits einmal angesprochen worden —, müßte meiner Meinung nach der bisherige Umsatzsteuerfreibetrag für Klein- und Kleinstbetriebe durch einen entsprechenden Steuerfreibetrag ersetzt werden. Ich bin der Ansicht, daß dieses Verfahren völlig systemgerecht sein könnte.
Man könnte z. B. daran denken, allen Betrieben mit einem Jahresumsatz bis zu 60 000 DM einen Steuerfreibetrag von 960 DM und allen Betrieben mit einem Jahresumsatz von 60 000 bis 120 000 DM einen Steuerfreibetrag von 480 DM zu gewähren. Es bleibt zu überlegen, ob Betriebe, die unter der Freigrenze liegen, ein Wahlrecht für einen Steuerfreibetrag von 960 DM haben sollten. Diese Frage wäre sicherlich einer Überprüfung wert.Bei Betrieben mit hoher Wertschöpfung ist darauf hinzuwirken, daß sich die Mehrbelastungen in Grenzen halten. Deshalb müßte in den Ausschußberatungen die Frage eines zweiten oder gar eines dritten Steuersatzes zumindest mit in die Überlegungen einbezogen werden.Wir begrüßen es, daß der Regierungsentwurf auf den Seiten 28 und 29 in den unteren Bereichen eine Pauschalierung vorsieht. Man müßte Überlegungen darüber anstellen, ob die Pauschalierungsgrenze nicht erhöht werden sollte. Die Versteuerung innerhalb der Pauschalierungsgrenze könnte meines Erachtens nach einer Tabelle erfolgen. Dadurch träte, soweit ich informiert bin, für den Finanzminister kein Steuerausfall ein. Die französischen Erfahrungen haben gezeigt, daß durch eine höhere Pauschalierungsgrenze die Arbeitsbelastung — und die ist heute ja auch bereits angesprochen worden — in den unteren Bereichen verringert und damit die Praktikabilität der Mehrwertsteuer erhöht worden ist. Letztlich wäre eingehend zu prüfen, inwieweit durch die teurer werdenden Güter — das ist auf Seite 32 der Regierungsvorlage auch gesagt — eine zu starke oder eine stärkere Belastung der Verbraucher einträte; ich denke an Gas, Elektrizität, Kohle, Mineralöle, Miete. Darum muß dieses Hohe Haus meines Erachtens der zu erwartenden Preisentwicklung bei den Gütern des lebenswichtigen Verbrauchs von vornherein in allen Phasen der Beratungen über die Mehrwertsteuer sorgfältigste Beachtung schenken.Angesichts der Wichtigkeit dieses Gesetzes sollten wir uns alle darüber einig sein, daß die hier von allen aufgezeigten Bedenken ausgeräumt werden müssen, wenn wir — entsprechend unserer Verantwortung — diesem Gesetz zustimmen wollen. Ich bin der Meinung, daß wegen der enormen Sorgen und wegen der wichtigen mittelständischen Probleme der Mittelstandsausschuß als mitberatender Ausschuß beteiligt werden sollte. Ich unterstelle das als selbstverständlich, möchte aber fürsorglich offiziell diesen Antrag stellen.
Das Wort hat Frau Abgeordnete Diemer-Nicolaus.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Aus den vielen Problemen der Umsatzsteuerreform möchte ich nur ein Problem herausgreifen, das der freien Berufe. Ich möchte Sie daran erinnern, daß dem Hohen Hause noch immer unser FDP-Antrag vorliegt, der zum Ziele hat, die freien Berufe völlig aus der Umsatzsteuer herauszunehmen. Ich bin der Auffassung, daß dieser Antrag keineswegs erledigt ist, sondern spätestens zusammen mit der Umsatzsteuerreform behandelt werden muß.Die Ausführungen einiger Sprecher haben mir die Hoffnung gegeben, daß unser FDP-Antrag durchaus Aussicht auf Annahme hat. Ich darf insoweit auf die Ausführungen von Herrn Kollegen Besold, aber auch auf die des Sprechers der Opposition, des Herrn Seuffert, hinweisen. Herr Seuffert hat mit Recht dargelegt, daß man nur Gleiches gleich behandeln kann. Es fragt sich, ob eine Umsatzsteuer, sei es nun als Mehrwertsteuer oder als Allphasensteuer, für die freien Berufe paßt.Herr Kollege Luda, ich bin mir durchaus dessen bewußt, daß ich mich insofern in einem Gegensatz zu Ihnen befinde, obwohl wir ja als Anwälte Kollegen sind. Aber ich habe keine Scheu davor, dieses Problem als Angehörige eines freien Berufs anzusprechen. Ich glaube, es ist nicht ganz richtig, daß Sie in diesem Zusammenhang von „erbärmlichem Gruppendenken" sprachen; wenigstens fiel dieses Wort im unmittelbaren Anschluß an diese Ausführungen. Wir kennen nämlich auf der einen Seite als Angehörige eines freien Berufes sehr gut die Sorgen und Nöte, die auch bei den freien Berufen vorhanden sind. Auf der anderen Seite gehören wir als Rechtsanwälte gerade einem Zweig der freien Berufe an, der durch die Umsatzsteuer deshalb nicht belastet wird, weil er sie auf die Mandanten abwälzen kann.Herr Kollege Luda, Sie haben einen neuen Ausdruck geprägt. Sie haben von Dienstleistern als Oberbegriff gesprochen. Das ist eine sehr interessante neue Wortschöpfung. Ich hätte eher an Dienstleistende als Oberbegriff gedacht statt an Dienstleister.
Ich bitte Sie, doch einmal folgendes zu bedenken, wenn Sie schon glauben, in diesem Zusammenhang von Dienstleistern als Oberbegriff sprechen zu sollen. Sie haben nur die freien Berufe und die gewerblichen Dienstleistungen aufgezählt. Aber Dienstleistungen werden selbstverständlich erst recht von den Angestellten und Beamten erbracht. Sie denken natürlich nicht daran, ihre Bezüge durch die Mehrwertsteuer zu erfassen. Ich wollte Ihnen nur einmal zeigen, wie vorsichtig man mit neuen Begriffen
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 110. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 5. Februar 1964 5083
Frau Dr. Diemer-Nicolaussein soll. Vielleicht fällt Ihnen doch noch ein etwas besserer Oberbegriff ein.Abgesehen davon haben Sie in bezug auf die Abgrenzung darauf hingewiesen, daß die Nahtstelle dort liege, wo diese Leistungen, sei es von den freien Berufen, sei es von gewerblichen, unmittelbar an den Endverbraucher gingen. Sie haben an anderer Stelle dargelegt, daß z. B. die Heilberufe ausgenommen werden sollten und müßten.Ich hatte bei all Ihren Ausführungen den Eindruck, daß Sie das Kriterium für die Abgrenzung — ob und welche freien Berufe in die Mehrwertsteuer einbezogen werden sollen — darin sehen, ob der Empfänger der Dienstleistung in der Lage ist, diese vorher erbrachte Steuer wieder bei seiner Steuer in Abzug zu bringen. Da muß ich allerdings sagen: das halte ich nicht für ein geeignetes Kriterium. Ausgangspunkt für die Beurteilung muß vielmehr sein: Passen die geistigen Leistungen der freien Berufe überhaupt in das System einer Mehrwertsteuer hinein? Was sind die Gründe für die Mehrwertsteuer? Sie soll die Umsatzsteuer wettbewerbsneutral gestalten. Wie steht es mit dem Wettbewerb in den freien Berufen? Herr Kollege Luda, ich darf Sie darauf aufmerksam machen — darauf hat auch schon Herr Kollege Besold hingewiesen —: Viele freie Berufe dürfen keine Reklame machen. Sie dürfen auch nicht frei kalkulieren — jede Umsatzsteuer soll ja eine Verbrauchsteuer sein, sie soll vom Verbraucher getragen werden —, sondern sie sind an Gebührenordnungen gebunden. Ist Ihnen eigentlich bekannt, daß bestimmten freien Berufen auch von der öffentlichen Hand, von den Behörden, Konkurrenz gemacht wird und daß diese Behörden, die keinerlei Umsatzsteuer zahlen, Gebührenordnungen aus dem Jahre 1951 zugrunde legen, die überhaupt nicht mehr zeitgemäß sind, an die sich aber der Freiberufliche trotzdem halten muß, damit er überhaupt noch Aufträge bekommt? Ich führe das alles nur an, um Ihnen zu zeigen, daß die Dinge nicht so einfach liegen und die Kriterien geprüft werden müssen. Ein weiterer Grund für die Mehrwertsteuer ist die Vermeidung einer Konzentration aus steuerlichen Gründen. Eine Konzentration bei den freien Berufen gibt es nicht. Auch grenzüberschreitenden Verkehr für die freien Berufe gibt es nicht. Und noch etwas: die neue Steuer heißt „Mehrwert"-Steuer. Bei den freien Berufen gibt es keinen Wert, gegenüber dem ein Mehrwert geschaffen wird, sondern das ist ein einmalige geistige Leistung.
— Ein Wert ist es absolut, aber kein Mehrwert gegenüber etwas, was vorher gewesen ist.
— Wenn Sie darauf abheben, Herr Kollege, muß ich doch sagen, daß immerhin ein Unterschied zwischen der geistigen Leistung und dem Material besteht, das dazu verwendet wird. Wenn ich bei einem juristischen Schriftsatz den Wert des Papiers gegenüber der geistigen Leistung berechnen sollte, müßte ich schon beinahe ein Elektronengehirn haben.
Das sind doch zwei verschiedene Dinge, und das dürfen wir nicht übersehen. Ich bin nach wie vor der Auffassung, daß es sich bei den freien Berufen um ganz spezifische, andersartige Leistungen handelt als bei den gewerblichen Dienstleistungen. Vom Grundsätzlichen her passen diese spezifischen geistigen Leistungen in keinerlei Umsatzsteuersystem hinein.Noch eine andere Frage. Herr Kollege Luda, ausgerechnet im Zusammenhang mit Ihren Ausführungen über die Mehrwertsteuerpflicht auch der freien Berufe hatten Sie erklärt: Wenn soviel Ausnahmen gemacht würden, müßte der Steuersatz erhöht werden. Sie wissen, Herr Kollege Luda, daß unser Bundesetat in diesem Jahr über 60 Milliarden DM beträgt. Das gesamte Steueraufkommen aus der Umsatzsteuer aller freien Berufe betrug im Jahre 1961 ganze 148 Millionen DM. Sie müssen damit rechnen, daß — wenn Sie von dem vorgeschlagenen System ausgehen — durch die Freigrenze und durch die Pauschalierung bis zu einem Umsatz von 200 000 DM das Aufkommen nicht höher, sondern geringer wird. Gleichgültig ob die freien Berufe mehrwertsteuerpflichtig werden oder nicht, wird sich der Steuersatz auch nicht um eine Dezimalstelle ändern. Ich kann nur das unterstützen, was von Vorrednern schon gesagt wurde und was von uns Freien Demokraten bereits bei der Einbringung unseres Entwurfs für die Umsatzsteuerfreiheit der freien Berufe ausgeführt wurde. Eine Umsatzsteuer für eine geistige Leistung, ob als Allphasensteuer oder Mehrwertsteuer, ist sehr problematisch; die Reform sollte zur Annahme des FDP-Antrages führen und diese Steuer für die freien Berufe beseitigen.
Das Wort hat der Abgeordnete Riedel .
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Mehrwertsteuer, über deren Gestaltung wir hier diskutieren, ist schon lange, bevor sie Konturen gewinnt, zum erklärten Idol jugendfrischer Erneuerung des Wettbewerbs geworden. Ihre hervorragendsten Tugenden hat diese junge Dame so huldreich gleichmäßig nach allen Seiten hin offeriert, daß man nun, da diese Schönheit in den Mahlstrom der Gesetzgebung kommt, fürchten muß, daß sie kaum einen Freier findet, der sie unbesehen heimführen möchte.Den Eindruck gewinnt man jedenfalls, wenn man die Stimmen, die man draußen in der Diskussion hört, auf sich wirken läßt. Dort, wo die Zauberformel „Abwälzbarkeit" bei der Einführung eines Nettopreissystems das Überwälzen der Steuerrate bis zum Letzverbraucher erkennbar macht, ist kein Erschrecken zu spüren. Denn jedermann traut sich zu — gleich den Damen und Herren Rechtsanwälten, Frau Diemer-Nicolaus, die schon lange so praktizieren —, den Steueranfall, den ein Klient verursacht, als Fußnote bei der Rechnungslegung genauso und mit ähnlicher Bravour an den Letztverbrau-
Metadaten/Kopzeile:
5084 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 110. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 5. Februar 1964
Riedel
cher weiterzuschreiben. Dadurch entsteht in vielen Wirtschaftsstufen das erleichternde Gefühl: Wettbewerbsneutralität heißt steuerschonend abwälzbar für mich und zahlbar bei allen anderen.Mit diesen Ausführungen nähere ich mich schon der Nahtstelle im Wirtschaftsbereich, an der es um die Nagelprobe des neuen Konzepts geht. Der Gesetzgeber wird verhindern müssen, daß aus der kristallklaren Theorie einer Verbrauchsteuer in der Praxis beim Übergang von Waren und Leistungen an den Letztverbraucher unversehens eine Einzelhandelsteuer oder eine zusätzliche Gewerbesteuer wird.Die Befürchtungen der kleineren und mittelgroßen Wirtschaft basieren auf zwei konkreten Fakten, an denen einfach nicht vorbeigeredet werden kann. Es kann nicht übersehen werden, daß im Marktgetümmel der Anbieter und Letztverbraucher, also im Kleinverbrauch und Kleinverkauf, das Nettopreisprinzip mit gesondertem Steuerausweis notgedrungen verlassen werden muß. Als zweites gravierendes Moment ist zu beachten, daß die Preisgestaltung im Bereich der gewerblichen Dienstleistungen sich vielfach anders vollzieht als im Fakturierverfahren der Kalkulationsbüros der Produktionswirtschaft. Zu der Gegenüberstellung von kapitalintensiven und lohnintensiven Wirtschaftszweigen ist zu sagen, daß der kapitalintensivere zugleich auch der kapitalmassivere Teil der Wirtschaft ist. Auch die neuesten Statistiken offenbaren, daß das deutsche Sozialprodukt — neben den Großformen unserer Wirtschaft — in einer Vielzahl unterschiedlich starker Kleinunternehmer erarbeitet wird.Wenn also das Bekenntnis der Bundesregierung und der sie tragenden Parteien zur Erhaltung und Stärkung unserer Wirtschafts- und Gesellschaftsstruktur ernst gemeint ist, dann muß in der materiellen Ausgestaltung des Mehrwertsteuerrechts darauf geachtet werden, daß nicht durch eine Häufung von Faktoren — in diesem Zusammenhang darf ich an die zunehmende Belastung der Wirtschaft aus der Sozialgesetzgebung, an die ungleichen Bedingungen zwischen der Großwirtschaft und den kleinen Einheiten bei der Betriebsfinanzierung und an die nachteilige steuerliche Behandlung von Personalunternehmen gegenüber den Kapitalgesellschaften erinnern —, also nicht durch die Summierung unguter Einflüsse ein großer Teil der kleinsten und kleinen Unternehmer praktisch an den Rand der Wettbewerbsfähigkeit gedrängt wird.Die Sorge, der ich hier Ausdruck gebe, ist — zusammenfassend gesagt —, daß auch unter dem System der Mehrwertsteuer die Abwälzbarkeit des Kostenfaktors Steuer nicht einklagbar sein wird. Aus diesem Grund darf also nicht vom Formalen her als gleich erachtet werden, was in Wirklichkeit doch aus faktischen Gegebenheiten — und nicht etwa aus individuellem Versagen in unserer Wettbewerbswirtschaft — nicht in gleichem Maße tragfähig ist. In der Steuergesetzgebung müssen wir selbstverständlich die Gleichbehandlung aller Bürger und Betriebe anstreben. Ich habe auch nicht die Absicht, einer Ausnahmeregelung das Wort zu reden, die nicht systemgerecht wäre. Aber ich möchte doch darauf aufmerksam machen, daß es nicht angängig ist, jetzt die Belastung möglicher Wettbewerbsverzerrungen gerade von den kleinen und kleinsten Einheiten der Wirtschaft her zu befürchten, die sich in bezug auf ihre Kapitalkraft und ihren Anteil am Markt nicht etwa wie David, sondern höchstens wie Däumling gegenüber dem Riesen Goliath ausnehmen.Es ist schlechthin nicht zu bestreiten, daß die Steuerpolitik strukturierende Auswirkungen hat. Das gilt auch für eine allgemeine Verbrauchsteuer wie die zur Diskussion stehende Mehrwertsteuer. Von dieser Überlegung her und nicht etwa aus einem Denken der Besitzstanderhaltung aus dem geltenden Recht erlaube ich mir vorzuschlagen, kleineren, umsatzschwachen Betrieben, die zudem großenteils notwendige, aber aus dem Denken unserer Gesellschaft heraus schlechtbezahlte Dienstleister sind, Freigrenzen einzuräumen oder Steuerfreibeträge zuzugestehen. Ebenso halte ich bis zu einer in sorgfältiger Prüfung zu ermittelnden Jahresumsatzquote die Einführung einer Pauschalierung mit festzulegenden Mindeststeuersätzen für notwendig. Konkrete Anhaltspunkte dazu finden sich in dem Dr. Becker-Luda-Entwurf, der insbesondere mit Unterstützung des Diskussionskreises Mittelstand der CDU/CSU-Fraktion eingebracht worden ist und ebenfalls im Finanzausschuß zur Beratung anstehen wird.Da meine Ausführungen ein gesamtpolitisches Anliegen nahebringen wollten, darf ich mich im Materiellen auf diesen Hinweis beschränken. Ich möchte aber noch ein Wort zu Argumenten sagen, die draußen in der Diskussion gebraucht werden. Nach meiner Auffassung ist die Wettbewerbsneutralität innerwirtschaftlich und für unseren Außenhandel ein nicht zu unterschätzender Stabilisierungsfaktor, und wir sollten uns endlich der Konkretisierung dieses Anliegens zuwenden. In der bunten Palette beruflicher Variationen unserer Wirtschaft wird es in dem Mehrwertsteuersystem ebensowenig wie in einem anderen möglich sein, branchenkonforme Maßanzüge zu verpassen. Wenn der Systemwechsel eine Kosten beinhaltende Kalkulation erheischt, dann darf sich im Grunde genommen niemand allein aus dieser Notwendigkeit überfordert fühlen.Und schließlich: der Vorwurf der preistreibenden Tendenz, die man dem neuen System voraussagt, richtet sich, genau gesehen, gegen andere Tatsachen des Wirtschaftsgeschehens, die in der Diskussion um die Mehrwertsteuer eben jetzt schärfer sichtbar werden, aber bereits vorhanden und wirksam sind. Ich könnte mir gut vorstellen, daß hier neben der Aufklärungsarbeit, die Regierung, Parlament und die Organisationen zu leisten haben, auch gewisse modisch-illustre Wirtschaftsjournalisten, die unter der Scheinmarke wissenschaftlicher Dokumentation einem unwissenden Leserpublikum Halbwahrheiten verkaufen und damit ein Erschrecken verursachen, dazu beitragen knönten, unserem Volk einmal einen Satz klarzumachen, den wir nicht nur einfach zur Kenntnis nehmen, sondern nach dem wir auch unser Handeln ausrichten sollten: In einer Volkswirtschaft, die einem allgemeinen, breitgelagerten Wohlstand zustrebt und die seit Jahren an einem ausverkauf-
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 110. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 5. Februar 1964 5085
Riedel
ten Arbeitsmarkt „leidet" — wenn ich es einmal so sagen darf —, müssen Dienstleistungen aller Art notwendigerweise teurer werden, ohne daß man etwas dafür verantwortlich macht, was noch gar nicht existiert.
Ich schließe die Aussprache zur Sache. Schriftliche Ausführungen des Abgeordneten Schulhoff werden zu Protokoll genommen.
Zur Frage der Überweisung an Ausschüsse gebe ich das Wort Herrn Abgeordneten Dr. Aschoff.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Gestatten Sie mir, daß ich als Vorsitzender des Wirtschaftsausschusses mich zu einer Bemerkung verpflichtet fühle.
Ich halte es nicht für zweckmäßig, diesen Gesetzentwurf ausschließlich dem Finanzausschuß zuzuweisen. Wenn ich mir die Ausführungen sämtlicher Redner und die Einlassung der Bundesregierung im Querschnitt noch einmal vor Augen halte, so muß ich sagen: Es ist einheitlich vorgetragen worden, daß es sich hier um ein ganz entscheidendes Gesetz für unsere Wirtschaft handelt. Mir bleibt unverständlich, warum bei allgemeiner Übereinstimmung über die Bedeutung für die Wirtschaft der hierfür zuständige Ausschuß des Deutschen Bundestages nicht beteiligt werden soll. Dieser Ausschuß hat doch das Recht und die Pflicht, sich über das Gesamtproblem der Wettbewerbsneutralität, darüber, ob sie durch dieses Gesetz verbessert wird, und über die damit zusammenhängenden Fragen der Preise und der Konjunkturpolitik zu äußern.
Zweitens ist bei verschiedenen Rednern angeklungen, daß wir mit diesem Gesetz einen ersten Schritt in Richtung auf eine supranationale Gesetzgebung auf wirtschaftlichem Gebiet tun.
Drittens haben bisher alle Fraktionen bei den verschiedensten Gelegenheiten ebenso wie der Herr Bundeskanzler und der Herr Bundeswirtschaftsminister zum Ausdruck gebracht, daß die Kooperation zwischen Wirtschafts- und Finanzpolitik stärker sein sollte, d. h. der Einsatz der klassischen finanzpolitischen Mittel innerhalb der gesamtwirtschaftlichen Überlegung stärker als bisher koordiniert sein sollte.
Ich glaube, diese Bemerkungen reichen zur Begründung meiner Bitte an das Hohe Haus aus, den Antrag auf Überweisung an den Finanzausschuß, der die anderen Ausschüsse eventuell gutachtlich hören kann, dahin zu ergänzen, daß der Wirtschaftsausschuß zur Mitberatung beteiligt wird.
Hierdurch tritt keine Verzögerung ein. Mein sehr verehrter Kollege Schmidt wird mit bestätigen müssen, daß in der Zusammenarbeit dieser beiden Ausschüsse durch gemeinsame Beteiligung an Gesetzesarbeiten nach meiner Kenntnis eine Verzögerung in der Sache bisher noch nie eingetreten ist. Ich glaube auch nicht, daß man diesen Antrag auf Mitberatung des Wirtschaftsausschusses dadurch eliminieren kann, daß man sagt: Dann kommt eine Reihe anderer Ausschüsse. Es handelt sich hier darum, daß sich der Ausschuß, der für die Grundsätze der Wirtschaftsführung in diesem Hause mitverantwortlich ist, äußern möchte, nicht ein Ausschuß, der zu Spezialfragen Stellung nimmt.
Ich darf Sie bitten, meinem Antrag zuzustimmen.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Schmidt .
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich darf mich hier, obwohl ich den Beschluß des Ältesten-rats nicht kannte, zum Wortführer dieses Beschlusses machen, der einmütig dahin ging, den Gesetzentwurf dem Finanzausschuß und dem Haushaltsausschuß mit der Maßgabe zu überweisen, daß der Finanzausschuß die übrigen Ausschüsse dadurch beteiligt, daß er sie um Voten bittet, über deren Thematik vorher ein Einverständnis erzielt werden kann.
In der Tat haben sich, glaube ich, praktisch acht oder neun Ausschüsse um die Mitarbeit an diesem Gesetz beworben, voran natürlich der Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten, dann der Kulturpolitische Ausschuß und der Verkehrsausschuß. Kurzum, man kann sie praktisch alle aufführen. Alle haben eine bedeutsame Mitarbeit zu leisten; das ist gar keine Frage.
Ich kann als Vorsitzender des Finanzausschusses, nachdem ich von dem Beschluß des Ältestenrats Kenntnis erlangt habe, nur folgendes sagen. Der Finanzausschuß hat ein eminentes Interesse daran, sich die Sach- und Fachkenntnisse der an diesem Gesetz tatsächlich mitbeteiligten Ausschüsse zunutze zu machen, etwa, um nur ein Beispiel zu nennen, den Kulturausschuß auf dem Gebiete des Rundfunks, der Presse, des Buchhandels oder auf irgendeinem anderen Gebiete Stellung nehmen zu lassen.
Es versteht sich ganz von selbst, daß wir ohne diese Voten gar nicht auskommen können. Wenn man aber alle diese Ausschüsse mitbeteiligte, würde man natürlich praktisch die Verabschiedung des Entwurfs in dieser Legislaturperiode unmöglich machen. Deshalb bitte ich das Hohe Haus, sich im Sinne des Vorschlages des Ältestenrats zu entscheiden.
Zur gleichen Frage hat das Wort der Abgeordnete Dr. Starke.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich möchte nur ganz kurz etwas zu der Frage der Ausschußüberweisung sagen. Ich habe volles Verständnis für das, was der Vorsitzende des Finanzausschusses soeben vorgetragen hat. Ich muß auch offen gestehen, daß ich nichts von einer Vereinbarung im Ältestensrat wußte.Ich möchte glauben, daß wir zwischen den Ausschüssen, die an einem bestimmten Problem oder an mehreren Problemen interessiert sind und in der vorgeschlagenen Form befragt werden, und dem Wirtschaftspolitischen Ausschuß unterscheiden müs-
Metadaten/Kopzeile:
5086 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 110. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 5. Februar 1964
Dr. Starkesen, von dem Herr Kollege Aschoff gesprochen hat, weil dieser Ausschuß eben ein Querschnittsausschuß ist, der die ganze Wirtschaft umfassen soll. Nun hat Herr Kollege Opitz, der Mitglied des Mittelstandsausschusses ist, beantragt, auch den Mittelstandsausschuß zur Mitberatung einzusetzen. Ich halte das für richtig; denn wenn der Mittelstandsausschuß einen Sinn haben soll, dann soll er in derselben Breite wie der Wirtschaftsausschuß einen Teil der Wirtschaft betrachten und die dort wichtigen Fragen beraten.
Es handelt sich schließlich um eine große Reform, und wir sind uns heute alle einig gewesen, daß man hier nichts übers Knie brechen darf, wenn die Beratung auch jetzt tatkräftig in Angriff genommen wird. Ich bin also mit dem Herrn Vorsitzenden des Finanzausschusses der Meinung und stimme darin dem Beschluß des Ältestenrates zu, daß alle die Ausschüsse, die ein Teilproblem oder mehrere behandeln wollen, in der gutachtlichen Form gehört werden sollen, meine aber, daß die großen Querschnittsausschüsse für die Wirtschaftsfragen doch mitberatend sein sollten. Ich halte das bei der Beratung dieses Entwurfs nicht für einen Nachteil, sondern für einen Vorteil. Ich weise auch darauf hin, daß wir dabei ein wenig beruhigend wirken können. Wir wissen doch, daß gerade im Bereich des Mittelstandes eine sehr große Unruhe besteht, und diese Unruhe würde sicherlich auch ein wenig behoben, wenn man diesem Antrag folgte.
Der Herr Bundesfinanzminister wünscht ein Schlußwort. Ich erteile ihm das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Am Ende einer Aussprache, die fast den ganzen Tag gedauert hat, habe ich den Wunsch, Ihnen allen, den Teilnehmern an der Aussprache und den Zuhörern, sehr herzlich für den Verlauf dieser Auseinandersetzung zu danken. Ich sagte Ihnen schon heute vormittag, daß ich zu Beginn der nächsten Woche mit den Finanzministern der EWG-Länder in Rom zusammen sein werde und daß bei diesem Treffen der Finanzminister der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft die Frage der Harmonisierung der Umsatzsteuern wie überhaupt die Frage der Harmonisierung der Steuern einer der wichtigsten Tagesordnungspunkte sein wird. Sie werden alle wie ich selbst das Gefühl haben, daß ich aus der Aussprache des heutigen Tages für dieses Gespräch in Rom eine Menge habe mitnehmen können.
Aus der Debatte möchte ich eine Äußerung des Herrn Kollegen Toussaint herausgreifen, der gesagt hat, er wünsche sich und dem Ganzen, daß diese Fragen nicht dogmatisch behandelt werden, sondern daß darin ein gemeinsamer Dienst, den Parlament und Regierung dem Ganzen zu leisten haben, gesehen wird. Ich glaube, daß wir uns vom Bundesministerium der Finanzen aus im Laufe des letzten Jahres in diesem Sinne bemüht haben, die Sache voranzutreiben. Dabei möchte ich daran erinnern, daß trotz der großen Belastung, die dadurch entstanden ist, von uns jeder Wunsch, gerade in dieser Sache Auskunft zu erhalten, erfüllt worden ist. Wir haben uns also schon Mühe gegeben, die noch notwendige Aufklärungsarbeit zu leisten. Ich habe heute morgen zu diesem Punkt auch Dank dafür gesagt, daß eine ganze Reihe von großen Verbänden und Organisationen schon wertvolle Beiträge zur Aufhellung des Tatbestandes geleistet hat.
Herr Kollege Seuffert hat in den Vordergrund seiner kritischen Ausführungen die Überlegungen gestellt, die im Hinblick auf den Gemeinsamen Markt gerade bei der Frage des Systemwechsels von der Umsatzsteuer auf die Mehrwertsteuer zu beachten sind. Ich bin Ihnen, Herr Seuffert, für alles, was Sie aufgezählt haben, sehr dankbar, und Sie können versichert sein, daß ich mich bemühen werde, in dem Bereich, auf den es jetzt insoweit ankommt, die Dinge nach Möglichkeit vorklären zu lassen.
Ich glaube, daß die Aussprache gut gelaufen ist, daß wir alle durch dieses Gespräch miteinander gemerkt haben, worauf es ankommt. Mich stört nicht — das sage ich ganz offen —, daß auch Einzelwünsche und Einzelsorgen vorgetragen worden sind. Bei einer solch großen Reform bleibt es gar nicht aus, daß auch einzelne Wünsche, einzelne Sorgen und einzelne Bedenken vorgetragen werden. Jeder kann sicher sein, daß in den Ausschüssen in dem Geiste, in dem heute die Aussprache geführt worden ist, auch Sorgen und Bedenken behandelt werden. Ich hoffe also, daß alles in gemeinsamer Arbeit zu einem guten Ende geführt werden kann.
Zur Frage der Ausschußüberweisung hat noch der Abgeordnete Dr. Mommer das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen. und Herren! Ich möchte Sie doch bitten, es bei dem Vorschlag des Ältestenrates zu belassen. Der Gedanke, der uns leitete, ist folgender: Wenn man viele Ausschüsse zu mitberatenden Ausschüssen im Sinne der Geschäftsordnung macht, blockiert man in Wirklichkeit den federführenden Ausschuß. Nach der Geschäftsordnung könnte der federführende Ausschuß seinen Bericht dem Plenum nicht vorlegen, solange nicht auch der letzte der mitberatenden Ausschüsse seinen Bericht dem federführenden Ausschuß zugeleitet hätte.Deswegen sind wir übereingekommen — übrigens nicht erst aus diesem Anlaß, sondern schon bei früheren Gesetzen, die in gleicher Weise eine ganze Reihe von Ausschüssen interessierten —, daß alle Ausschüsse, die auch nur subjektiv meinen, sie müßten sich zu der Vorlage äußern, das Recht haben, das zu tun. Jeder Ausschuß kann morgen schon die Vorlage beraten und einen Bericht an den federführenden Ausschuß geben, und der federführende
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 110. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 5. Februar 1964 5087
Dr. MommerAusschuß ist dem Hause gegenüber verpflichtet, von dieser Stellungnahme dem Plenum Kenntnis zu geben, so als käme sie im Sinne der Geschäftsordnung von einem mitberatenden Ausschuß. Der Herr Vorsitzende des Finanzausschusses hat das ja zum Ausdruck gebracht. Es ist selbstvertändlich, daß der federführende Ausschuß gerade auch die Stellungnahme des Wirtschaftsausschusses innerhalb einer vernünftigen Frist abwarten und daß er dem Hause darüber berichten muß.Ich glaube, daß die Arbeit an diesem großen Gesetzgebungswerk besser funktioniert, wenn wir uns an den Vorschlag des Ältestenrates halten.
Es besteht Einigkeit, daß der Finanzausschuß federführend, der Haushaltsausschuß gemäß § 96 der Geschäftsordnung mitberatend ist.
Von Herrn Abgeordneten Opitz ist der Antrag gestellt worden, den Mittelstandsausschuß als mitberatenden Ausschuß zuzulassen. Wer diesem Antrag zustimmt, gebe bitte das Handzeichen! — Gegenprobe! — Der Antrag ist abgelehnt.
Weiterhin ist von Herrn Abgeordneten Dr. Aschoff der Antrag auf Überweisung an den Wirtschaftsausschuß als mitberatenden Ausschuß gestellt worden. Wer dem zustimmt, gebe bitte das Handzeichen! — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Der Antrag ist abgelehnt.
Es ist festgelegt, daß die noch interessierten Ausschüsse vom federführenden Ausschuß um eine gutachtliche Äußerung gebeten werden sollen.
Ich rufe Punkt 3 der Tagesordnung auf:
Beratung des Schriftlichen Berichts des Außenhandelsausschusses über die von der Bundesregierung vorgelegte Dritte Verordnung über die Verringerung von Abschöpfungssätzen bei der Einfuhr von Eiprodukten (Drucksachen IV/1726, IV/1876).
Hier ist eine Rücküberweisung an den Außenhandelsausschuß und an den Ernährungsausschuß vorgesehen, und weiter, daß der Tagesordnungspunkt am Freitag, dem 7. Februar, neu auf die Tagesordnung gesetzt werden soll. — Kein Widerspruch? — Es ist so beschlossen.
Ich rufe Punkt 4 der Tagesordnung auf:
a) Erste Beratung des von der Fraktion der FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die allgemeinen Rechtsverhältnisse der Presse (Drucksache IV/ 1814);
b) Erste Beratung des von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Rahmengesetzes zur Vereinheitlichung des Presserechts (Drucksache IV/1849);
c) Erste Beratung des von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur
Änderung der Strafprozeßordnung ;
d) Erste Beratung des von den Abgeordneten Dr. Schmidt , Bading, Margulies und Genossen eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung der Strafprozeßordnung (Drucksache IV/1734);
e) Erste Beratung des von der Fraktion der FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung der Strafprozeßordnung .
Es ist vorgesehen, daß zunächst die Vorlagen unter Punkt 4 a und 4 b, also das Presserechtsrahmengesetz, begründet und zusammen beraten werden sollen.
Herr Abgeordneter Busse hat das Wort zur Begründung des Entwurfs auf Drucksache IV/1814.
— Ich darf bitten, Privatgespräche im Saale einzustellen.
Ich darf die Bitte wiederholen! Bitte, Herr Abgeordneter Busse.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren Kollegen! Nach umfangreichen Vorarbeiten nicht nur in dieser Legislaturperiode hat die FDP-Fraktion den Ihnen vorliegenden Entwurf eines Presserechtsrahmengesetzes eingebracht.Ein solches Rahmengesetz ist zulässig. Art. 75 Nr. 2 des Grundgesetzes schafft die Rahmengesetzgebungskompetenz des Bundes für die allgemeinen Rechtsverhältnisse der Presse. Es besteht auch eine Notwendigkeit, ein solches Rahmengesetz zu schaffen. Einmal ist Tatsache, daß bereits zahlreiche Länder von den Möglichkeiten, selbst Pressegesetze zu schaffen, Gebrauch gemacht haben. Wir wissen, daß weitere Länder im Begriffe sind, ihrerseits nunmehr presserechtliche Fragen zu regeln. Endlich besteht in einer Reihe von Ländern noch ein Gesetz über die Presse, das jetzt fast seinen hundertsten Geburtstag feiert. Betrachtet man die Verhältnisse der Presse in der Bundesrepublik heute, so wird wohl niemand die Augen davor verschließen können, daß es nicht angängig ist, die Grundfragen, die die Presse betreffen, in jedem Lande modifiziert zu regeln.
Bereits die bestehenden Ländergesetze zeigen nicht unerhebliche Unterschiede, und nachdem auch der Versuch, durch einen Modellgesetzentwurf wenigstens auf Länderebene zu einer allgemeineren Regelung zu kommen, gescheitert ist, ist es unabweisbar notwendig, nunmehr auf Bundesebene das nachzuholen, was wir bereits seit längerer Zeit erstreben.Diese allgemeine Grundlage ist es, die wir nunmehr dem gesamten deutschen Pressewesen geben wollen. Denn daß für eine Zeitung, die in Hamburg erscheint und über das ganze Gebiet der Bundes-
Metadaten/Kopzeile:
5088 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 110. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 5. Februar 1964
Busserepublik verbreitet ist, nicht in Hamburg, in Bayern, in Schleswig-Holstein, in Niedersachsen je gesondertes Recht gelten kann, mich wundert, daß diese Erkenntnis nicht längst zu den Konsequenzen geführt hat, die wir nunmehr gezogen haben.
Ich wende mich nunmehr dem materiellen Inhalt des Presserechts, insbesondere des Rahmengesetzes, das wir hier vorgelegt haben, zu. Wir haben eine in ihrer Grundkonzeption, glaube ich, gute Grundlage. Der Art. 5 unseres Grundgesetzes bestimmt als Ausgangspunkt für alle Überlegungen, die in Verbindung mit der Presse angestellt werden können und sollen, daß jeder das Recht hat, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten und sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten. Die Pressefreiheit wird darüber hinaus ausdrücklich gewährleistet.Wenn man von dieser Grundlage ausgeht, so, meine ich, sollte man an dieser Stelle und in diesem Zusammenhang wenigstens kurz noch einmal die Bedeutung erwähnen, die gerade der Art. 5 in unserer gesamten Verfassung hat. Das Recht der freien Meinungsäußerung als der generellere Begriff, dem die Pressefreiheit ja irgendwie eingeordnet ist, ist — und da stehen wir, glaube ich, mit unserer Meinung nicht allein — der entscheidende und gravie-. rende Unterschied unserer Staatsordnung zu all denen, die gerade dieses Grundrecht verweigern und dadurch eine staatliche Ordnung haben oder schaffen, die diametral dem entgegengesetzt ist, was wir in unserem gesamten Grundgesetz zu realisieren versucht haben. Die Grundlage jedes rechtsstaatlichen demokratischen Lebens ist und bleibt nun einmal die Möglichkeit, daß jeder das Recht hat, seine Meinung in Wort und Schrift frei zu äußern und sich die Quellen zu dieser Meinungsbildung zu erschließen. Das hervorragendste, das beste Mittel, diese Unterrichtungsmöglichkeit zu schaffen, um die Öffentlichkeit zu informieren, damit sie bei der Mitwirkung im staatlichen Leben überhaupt in der Lage ist, sich die Vorstellungen zu schaffen, die Urteile zu bilden, die erforderlich sind, um am Staatsgeschehen mitzuwirken, ist nun einmal die Presse.Wir begrüßen es, daß in mehreren Urteilen gerade das Bundesverfassungsgericht diese gar nicht zu unterschätzende Bedeutung einer freien Presse und der freien Meinungsäußerung klar herausgestellt hat im Gegensatz zu manchen Entscheidungen mancher anderer Gerichte. Diese Grundsätze, die vom Bundesverfassungsgericht aufgestellt worden sind, sind für uns die erste und entscheidende Richtlinie gewesen, die wir bei der Auslegung des Art. 5 zugrunde gelegt haben.Wir haben als Grundprinzip in unserem Entwurf diese von mir .so betonte Freiheit der Presse herausgestellt. Ich freue mich, daß wir hier mit dem Entwurf, der gleich zur Erörterung steht, wohl völlig übereinstimmen. Wenn wir aus dieser gemeinsamen Grundkonzeption heraus an die Erörterung der verschiedenen Sonderbestimmungen herangehen, dann werden wir auch da zu Lösungen kommen, wo wir heute in unseren Entwürfen noch differieren. Ich darf dazu in meinen Ausführungen bereits dieses und jenes bemerken.Eine solche kleine Differenz ist in folgendem Punkt vorhanden. Das Recht der freien Meinungsäußerung der Presse ist kein Recht, das irgendwie abstrakt, absolut im Raum steht und als solches seine Bedeutung hat. Das Recht der freien Meinungsäußerung, die Pressefreiheit ist ein 'sehr wesentliches, sehr entscheidendes Recht oder gar das entscheidende Recht unserer freiheitlich demokratischen Ordnung. Aber dieses Recht der Presse hat genauso wie jedes andere staatsbürgerliche Recht auch dieser :staatsbürgerlichen Ordnung zu dienen. Wenn in der Presse — um es einmal etwas einfach auszudrücken — meinetwegen über die neuesten Pullover oder ähnliches berichtet wird, so interessiert das den Staat glücklicherweise in keiner Weise. Wenn der Journalist öffentliche Angelegenheiten behandelt — wir brauchen bei der Auslegung dieses Begriffs nicht kleinlich zu sein —, soll ihm das Recht, das wir ihm allgemein zugestehen wollen, in uneingeschränktem Umfange gewährt werden.Aber nicht nur die Frage, was die Presse schreiben darf und wo sie ein berechtigtes öffentliches Interesse wahrnimmt, ist bedeutsam. Dem Recht der Pressefreiheit muß das Recht der Informationsfrei-heit der Presse immanent sein. Darum haben wir eine Frage angeschnitten, die ich hier nicht erörtern möchte, die aber in diesem Zusammenhang von Bedeutung ist — dazu wird meine Kollegin Frau Dr. Diemer-Nicolaus nachher noch sprechen —: die Frage des Zeugnisverweigerungsrechts. Wir haben in unserem Entwurf nicht nur die Frage behandelt, in welchem Umfange die Presse bei Privatpersonen oder bei den sonst üblichen Informationsquellen ihre Informationen holen kann, sondern auch die Frage, wieweit die öffentlichen Stellen, insbesondere die Behörden, zur Auskunftserteilung an die Presse verpflichtet sind. Wir haben in unserem Entwurf ausdrücklich stipuliert, daß die Behörden im Grundsatz verpflichtet sind, der Presse die zur Erfüllung ihrer Aufgaben erforderlichen Auskünfte zu erteilen. Wir haben aber — ich darf gleich bemerken, entscheidend aus verfassungsrechtlichen Erwägungen — davon abgesehen, im einzelnen — der SPD-Entwurf tut das viel detaillierter — darzulegen, wo dieses Informationsrecht der Presse bei den Behörden seine Begrenzung findet. Wir glauben, daß hier Fragen angeschnitten werden, die in der ausschließlichen Kompetenz der Behörden der Länder liegen. Wir bedauern das; aber wir glauben, daß wir aus diesem Grunde nicht weitergehen können, als daß wir sagen: da, wo begründete öffentliche oder private Interessen — ich darf es in diesem Zusammenhang einmal bei dieser Formulierung belassen — entgegenstehen, soll die Grenze der Informationspflicht der Behörden liegen.Wer der Presse ein so weitgehendes Recht einräumt, wie wir es tun, der wird von ihr verlangen, daß sie von diesem Recht mit der erforderlichen Sorgfalt Gebrauch macht. Daher meinen wir, daß es erforderlich ist, ausdrücklich festzulegen, daß die Presse alle Nachrichten vor ihrer Verbreitung mit der nach den Umständen gebotenen Sorgfalt auf
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 110. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 5. Februar 1964 5089
BusseWahrheit, Inhalt und Herkunft zu überprüfen hat. Eine willkürlich arbeitende Presse kann den Aufgaben, die sie hat, nicht gerecht werden.Wir haben ein anderes Mittel wieder mit eingebaut, das sich eigentlich schon Jahrzehnte bewährt hat: das ist der Gegendarstellungsanspruch des Staatsbürgers gegen Tatsachenbehauptungen, Tatsachenwiedergaben in den Presseorganen. Zu diesem Gegendarstellungsanspruch ist wesentliches Neues nicht zu sagen.Eine Frage werden wir sehr eingehend erörtern müssen, und ich glaube, daß wir da auch zu einer Lösung kommen werden: die Frage, wo die Grenze zu ziehen ist zwischen dem Geschäftlichen und dem Privaten und wo die Grenze zu ziehen ist zwischen dem, ich will einmal sagen, Anzeigenteil und dem allgemeinen Teil einer Zeitung. Ich glaube, nachdem ich Ihren Entwurf, meine Damen und Herren von der SPD, gelesen habe, daß wir hier wohl weitgehend dem folgen werden, was in Ihrem Entwurf angeregt ist, und daß wir da Korrekturen werden vornehmen können.
Bei der Frage der Beschlagnahme von Presseerzeugnissen stelle ich gleichfalls eine weitgehende Übereinstimmung im Grundsätzlichen zwischen dem, was die SPD vorgeschlagen hat, und dem, was wir vorgeschlagen haben, fest. Der entscheidende Gesichtspunkt ist meines Erachtens der, daß einmal völlig klargestellt wird, wann überhaupt eine Beschlagnahme eines Presseerzeugnisses möglich ist, sodann aber auch, daß die Beschlagnahme grundsätzlich nur vom Richter ausgesprochen werden kann. Unser Entwurf unterscheidet sich in diesem Punkte von dem Entwurf der SPD dadurch, daß wir den Umfang der Beschlagnahme nicht im einzelnen geregelt haben, wie Sie es getan haben, und ich muß offen gestehen, daß ich Bedenken habe, hier Ihrer Anregung, wie sie in § 10 Ihres Gesetzentwurfes vorliegt, jedenfalls in dieser Form zu folgen.Entscheidend scheint mir aber ein anderer Punkt zu sein: daß wir nämlich hinsichtlich der Dauer der Beschlagnahme verschiedene Meinungen vertreten. Während wir der Meinung sind, daß gegen die Beschlagnahme die üblichen Rechtsmittel, die die Strafprozeßordnung gibt, ausreichend sind und eine Sonderregelung im Pressegesetz nicht erforderlich ist, meinen Sie — und das scheint mir ein nicht unbedenklicher Schritt zu sein —, daß gegebenenfalls durch Zeitablauf, wenn auch durch einen verlängerbaren Zeitablauf, bereits eine Unwirksamkeit der Beschlagnahme eintreten können soll. Wir werden über diese Frage sehr eingehend diskutieren. Sie hängt in etwa ja mit dem zusammen, was wir bei der Frage der Aufrechterhaltung eines Haftbefehls bereits im Ausschuß und im Plenum erörtert haben. Daß zahlreiche meiner Freunde damals schon eine Befristung der Beständigkeit des Haftbefehls haben wollten — eine äußerste Befristung —, ist bekannt. Die Dinge bedürfen noch einmal einer Überprüfung und Überlegung.Dagegen glaubten wir auf eine andere Maßnahme nicht verzichten zu können — der Schritt, sie Ihnenvorzuschlagen, ist uns nicht ganz leicht gefallen —, nämlich darauf, daß auch eine vorläufige Sicherstellung von Presseerzeugnissen ermöglicht werden sollte. Wir sind insbesondere von Männern der Presse darauf hingewiesen worden, daß es ja bereits jetzt die verschiedensten Sicherungsmaßnahmen gebe und daß der eilige Richter ja immer zur Verfügung stehe, um die nötigen Beschlüsse zu fassen, und somit immer eine gerichtliche Kontrolle gewährleistet sei. Wir sind darauf hingewiesen worden, daß Schutzbestimmungen gegen die Einschleusung illegalen Materials über die Grenzen und derartige Dinge bereits bestehen. Trotzdem meinen wir — und hier haben uns die Innenminister der Länder in nicht unerheblichem Umfange beraten —, daß angesichts der besonderen Situation der Bundesrepublik gerade bei subversivem und illegalem Material, das auch in der Bundesrepublik hergestellt werden kann, die Möglichkeit gegeben sein muß, durch raschen Zugriff ohne Einschaltung des Richters größeren Schaden zu verhindern. Wir sind freilich der Meinung, daß in diesem Falle — etwa analog der Regelung bei der vorläufigen Festnahme — nach einer solchen vorläufigen Sicherstellung sehr schnell — wir haben vorgeschlagen, innerhalb von 48 Stunden — die Bestätigung durch den Richter herbeigeführt werden muß.Wenn ich nun noch auf etwas eingehe, was wir gleichfalls für erheblich erachtet haben, nämlich auf die Möglichkeit, bei fehlerhaften Beschlagnahmen eine Entschädigung zu gewähren, so tue ich das deshalb, weil die Vergangenheit in der Tat gezeigt hat, daß nicht selten durch Beschlagnahmen, durch Sicherstellungen und ähnliche Maßnahmen wirtschaftliche Schäden für den Betroffenen herbeigeführt werden, die außer Verhältnis zu dem stehen, was man an Schadensverhütung erreichen wollte. Darum muß und soll jeder, der gerade in bezug auf die Presse Sicherungsmaßnahmen anordnet, über das bisher bereits bestehende Maß hinaus mit der Möglichkeit rechnen, daß er für fehlerhafte Akte verantwortlich gemacht wird.Insoweit deckt sich im Kern wiederum Ihre Ansicht mit unserer Vorstellung. Wenn Sie, meine Damen und Herren von der SPD, meinen, daß dieser Anspruch bereits bestehen sollte, wenn sich eine Anordnung hinterher als unzulässig — darüber sind wir einer Meinung — oder auch nur als ungerechtfertigt erweist, so meinen wir, daß wir hier etwas strengere Anforderungen stellen müßten. Wir verlangen, daß die Beschlagnahme offensichtlich unbegründet gewesen sein muß, um einen Ersatzanspruch auszulösen. Aber das sind Nuancierungen. Über das Prinzip sind wir uns einig.
— Ja, Herr Kollege, ich habe schon den Beschluß eines Gerichtes gelesen — und zwar war es das Preußische Kammergericht in Berlin —, der mit den Worten anfing: „Der nach Form und Inhalt unverständliche Beschluß des Landgerichts". Sie sehen, daß auch höhere Instanzen durchaus in der Lage sind, eine angemessene Kritik an den Urteilen und
Metadaten/Kopzeile:
5090 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 110. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 5. Februar 1964
BusseBeschlüssen der Vorinstanzen zu üben, wenn es die Sache erfordert.
Auch darüber können wir uns aber noch im einzelnen unterhalten.Dagegen möchte ich in diesem Zusammenhang doch eines mit einiger Vorsicht anmelden. Ihr Entwurf, meine Damen und Herren von der SPD, unterscheidet sich von unserem auch dadurch, daß er strafrechtliche Bestimmungen übernimmt. Wir sind uns darüber klar, daß wir — leider Gottes muß man das ja im staatsrechtlichen Leben immer — ohne gewisse Strafrechtsbestimmungen auf die Dauer nicht auskommen werden. Aber was und wo etwas unter Strafe gestellt werden soll, das kann, glaube ich, entscheidend und letztlich nicht in unserem Presserechtsrahmengesetz entschieden werden, sondern hier ist es meines Erachtens doch wohl erforderlich, daß wir zunächst einmal wissen, was über unser Rahmengesetz hinaus in den einzelnen Ländergesetzen geregelt wird und was wir auf Grund der Gesamtkonzeption dieser Regelung des Presserechtsrahmengesetzes des Bundes und der einzelnen Ländergesetze gegebenenfalls unter Strafe stellen müssen. Wir werden uns dann auch noch über die einzelnen Straftatbestände genauer zu unterhalten haben; denn auch da sind Nuancierungen drin, die unseres Erachtens mindestens in dieser Form nicht richtig sind und nicht so bestehenbleiben können.
Da wir uns in der ersten Lesung befinden und ich nicht in den Fehler verfallen möchte, eine Fülle von Problemen anzuschneiden, die in diesem ganzen Komplex neben den von mir angedeuteten noch bestehen, sondern dies den Ausschußberatungen und eventuell der zweiten Lesung überlassen möchte, werden Sie mir gestatten, daß ich hiermit meine Ausführungen beschließe. Ich darf aber zum Schluß noch einmal auf den Anfang zurückkommen. Die Bedeutung der Materie, die hier geregelt werden soll, sollte nicht unterschätzt werden.
Die Materie hat für unser gesamtes Staatswesen eine so entscheidende Bedeutung, daß jedenfalls wir meinen, wir sollten hier lieber etwas mehr Freiheit gewähren als die Gefahr laufen, daß die Freiheit in einem Maße eingeschränkt werden könnte, das auch nur die Möglichkeit zur mißbräuchlichen Einschränkung geben könnte. Dabei sind wir uns bewußt, daß die große Freiheit, die wir einzuräumen bereit und gewillt sind, manche Mißbräuche nicht ausschließen wird, weil jede Freiheitsgewährung die Gefahr des Mißbrauchs der Freiheit in sich trägt. Wir haben das Vertrauen zur deutschen Presse, daß sie versuchen wird, in erster Linie in eigener Zuständigkeit solche Mißbräuche zu verhüten, und daß sie nicht auf staatlichen Zwang und staatliche Organisationen in dieser Hinsicht wartet. Sollte diese Hoffnung freilich enttäuscht werden, was ich nichtglaube, so würden wir zu neuen Überlegungen kommen müssen.
Das Wort zur Begründung der Vorlage der SPD hat der Herr Abgeordnete Sänger.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist die für das Zustandekommen eines Gesetzes in unserem Lande sehr seltene Situation eingetreten, daß wir im Grunde schon eine Entwicklunghaben, in der wir für die Rechtserfordernisse Formulierungen suchen müssen. Die Länder haben ihre Schritte getan, haben ihre Gesetze entweder schon verabschiedet oder sind dabei, sie zu verabschieden, und sie haben damit der staatspolitischen Wirklichkeit Rechnung getragen, die sich entwickelt hat. Wir müssen nun versuchen, Verfassung und Wirklichkeit auch für das Bundesgebiet in Einklang zu bringen.Die Vorlage des Entwurfs eines Rahmengesetzes zur Vereinheitlichung des Presserechts — wie wir unseren Gesetzentwurf genannt haben — ist notwendig. Fast 90 Jahre sind jetzt vergangen — am 24. April werden es 90 Jahre sein —, seit das noch immer gültige Reichsgesetz für die Presse geschaffen wurde. Sehr bald nach der Reichsgründung bemühten sich die Abgeordneten aus den Parteien im Deutschen Reichstag, aus der ja noch obrigkeitlichen Struktur des Kaiserreiches Prinzipien eines liberalen Pressegesetzes zu formulieren. In den Debatten des Reichstags ist damals auch häufig und von allen Seiten Klage darüber geführt worden, daß der Ausgangspunkt nicht in irgendwelchen Grundrechten gefunden werden könne; die gab es nicht.Heute sind wir an einem Punkte, wo wir sagen können und müssen und dürfen, daß das Grundgesetz in seinen Grundrechten die Richtung für eine neue Pressepolitik angibt. Wie immer Juristen die Position der Grundrechte formulieren werden und wie sie die Gewichte zu verteilen bereit sind, es ist doch so, daß das Fundament und die Bedeutung des Rechts in unserem Lande aus diesen Grundrechten besteht. Alle Menschenrechte — eines wollen wir ja heute in ein praktisches Verhältnis zu unserer Wirklichkeit bringen, nämlich das Recht der Informationsfreiheit und der freien Meinungsäußerung —, alle diese Menschenrechte, auch das zuletzt genannte, kommen nicht aus dem Wohlwollen des Staates, sondern wir leiten sie ab aus den Gesetzen Gottes, und unsere Aufgabe ist es, eine redliche und eine gediegene Ordnung des Gebrauchs der Freiheit zu finden, die unser Zusammenleben fördert und das Zusammenleben aller Völker ermöglicht.Hier geht es also nicht um Sonderrechte, nicht um die Sonderrechte eines Gewerbes, nicht um die Sonderrechte einer Berufsgruppe oder um irgendein Sonderrecht einer Einrichtung im Staate, sondern hier geht es darum, das Recht der Bürger einer Demokratie zu sichern, sich frei zu informieren und
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 110. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 5. Februar 1964 5091
Sängerfreie Meinung jederzeit zu äußern. In Art. 5 des Grundgesetzes ist das festgehalten.In Art. 75 des Grundgesetzes ist das Recht des Bundes verankert, durch Rahmenvorschriften sicherzustellen, daß die allgemeinen Rechtsverhältnisse der Presse und des Films im Bunde einheitlich sind. Deutlicher: wenn er die Rechtseinheit wahren will, kann er ein Rahmengesetz schaffen. Nach Art. 72 des Grundgesetzes besteht ein Bedürfnis nach bundesgesetzlicher Regelung, wenn „die Wahrung der Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse über das Gebiet eines Landes hinaus" sie erfordert.Das ist die Absicht des Entwurfs, den wir vorgelegt haben. In dem Pressegesetz von 1874 mußten noch Mängel zutage treten, weil die Entwicklung bei weitem nicht reif war für ein wirklich liberales Gesetz. Dennoch war die Freiheit in diesem Gesetz die Regel und die Beschränkung die Ausnahme, wenn auch die Praxis dann zuweilen anders aussah und wir manche Dinge erleben mußten, die heute nicht mehr vorkommen sollten. Das Reichspressegesetz wahrte wenigstens die Einheitlichkeit des Rechts in Deutschland. Sie wäre heute in Gefahr, wenn wir nur den Ländern überließen, Länderpressegesetze zu schaffen, und wenn wir darauf verzichteten, den Versuch zu unternehmen, durch ein Rahmengesetz die Länder zu einer Vereinheitlichung der Rechtsauffassungen zu bringen.Das ist nicht unmöglich, zumal wir ja in jahrelanger Arbeit von Juristen und Pressepolitikern, Fachleuten aller Art, von Länderregierungen, Länderministern und Länderbeauftragten einen Modellentwurf für ein Presserecht geschaffen haben. Wer immer heute in einem Land der Bundesrepublik den Entwurf eines Gesetzes über die allgemeinen Rechtsverhältnisse der Presse vorlegen will, der wird — ebenso wie das die Freien Demokraten und auch wir Sozialdemokraten getan haben — zu diesem Modellentwurf greifen und versuchen, etwa in seinem Geiste und in seiner Art zu formulieren und das Recht zu schaffen.Die Rechtseinheit und die Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse müssen durch ein Rahmengesetz gesichert werden. Wir wollen die Länder verpflichten — so steht es in unserem Entwurf —, bis zum 31. Dezember 1965 nach den Vorschriften dieses Entwurfs — wenn er Gesetz wird — unter Berücksichtigung der gemeinsamen Interessen von Bund und Ländern die Rechtsverhältnisse der Presse zu regeln.Es gibt nützliche Vorarbeiten. Den Modellentwurf der Länder nannte ich. schon. Ich darf noch auf die Tatsache hinweisen, daß die meisten der umstrittenen Formulierungen in gemeinsamer Arbeit entstanden sind. Daraus darf ich, Herr Busse, die Hoffnung und den Glauben herleiten, daß wir bei der gemeinsamen Arbeit in den Ausschüssen auch zu einem gemeinsamen Ergebnis kommen. Darin ist auch die CDU eingeschlossen, Herr Dr. Martin, wenn sie bereit ist, ,den fortschrittlichen Entwürfen der Länderregierungen, die von Ihnen gebildet worden sind, zu folgen.Es gibt noch einige Differenzen. Darüber müssen wir sprechen. Aber erwarten Sie bitte nicht, daß ich in diesem Augenblick bei der ersten Lesung des Gesetzes die — im engeren Sinne des Wortes — materiellen Inhalte des Gesetzentwurfs im einzelnen behandle.Auf zwei Punkte muß ich jedoch eingehen, weil Herr Busse sie genannt hat. Zunächst ein Wort zum Thema Beschlagnahmerecht. Ich darf alle Parteien darauf aufmerksam machen, daß schon bei den Beratungen 1874 in einer Entschließung des Reichstages ein :Beschlagnahmerecht insgesamt und ausnahmslos abgelehnt worden ist. Später ist das nicht in das Gesetz gekommen. Aber in § 23 des Gesetzes von 1874 ist das Beschlagnahmerecht nur dem Richter zuerkannt worden. Das geschah damals nach den endgültigen Beschlüssen.Über die Regelung des Zeugnisverweigerungsrechts, auf die Herr Busse ebenfalls einging, wird nachher besonders gesprochen werden. Ich möchte Ihnen hierzu nur sagen, auch das ist kein Sonderrecht für Journalisten, die etwa für sich etwas in Anspruch nehmen wollen, was keinem anderen Staatsbürger zusteht. Indem sie vielmehr die Information besorgen, indem sie sie — auf anständige Art und Weise — beschaffen und geheimhalten, woher sie sie beschafft haben, versuchen sie doch, der Informationspflicht gegenüber dem Bürger zu dienen, also im Interesse dessen zu handeln, von dem die Staatsgewalt im Volke ausgeht.Dieses Schutzrecht für den Bürger, das hier begründet wird, kann man in früherer Beurteilung auch so formuliert hören:Ich bin der Meinung, daß es vollkommen zulässig ist und daß es im Interesse der Presse geboten ist, den Zeugenzwang zu beseitigen. Das ist auch früher im Abgeordnetenhause Preußens die überwiegende Meinung gewesen, und die Herren, die dafür stimmten, hatten nicht gemeint, irgendwie die Rechtsordnung stören oder unzulässige Privilegien für die Presse schaffen zu wollen.Ich bitte den Herrn Präsidenten um Entschuldigung. Ich habe soeben zitiert, ohne ihn vorher um Erlaubnis gefragt zu haben.
Herr Kollege Sänger, das schenke ich Ihnen.
Wissen Sie, es wird so viel abgelesen in diesem Hause, daß das bißchen Originalzitat darin untergeht. Ich entbinde jedenfalls jedes Mitglied dieses Hauses von einem Gesuch dieser Art in der Zukunft.
Dann darf ich noch einen weiteren Satz zitieren:Die Zeugenpflicht ist überhaupt keineswegs eine generelle; es bestehen vielmehr allerlei Ausnahmen davon, solche Ausnahmen, die in der Natur der Verhältnisse begründet sind. Der Arzt, der Anwalt, der Beichtvater, Verwandte usw. haben ein Recht, das Zeugniß zu verweigern. Das ist in den Verhältnissen begründet,
Metadaten/Kopzeile:
5092 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 110. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 5. Februar 1964
Sängerund ich behaupte, daß, gerade wie bei diesenes in den Verhältnissen begründet ist, der Redakteur einer Zeitung, der Verleger, kurz die Leute, die sich in der Preßfamilie befinden, nicht veranlaßt und gezwungen werden sollen, das, was ihnen in diesem engen Vertrauensverhältniß mitgetheilt ist, als Zeugen vorzulegen.Wenn noch irgendwo Bedenken bestünden gegen das Zeugnisverweigerungsrecht, dieses Zitat könnte sie weggeräumt haben: es stammt von Windthorst und ist damals in der Beratung des Presserechts am 24. April 1874 im Deutschen Reichstag ausgesprochen worden.Wir können diesen Entwurf um so beruhigteren Herzens in Ihre Hände geben, als wir wissen, daß er auch in der Presse selbst eine gute Zustimmung gefunden hat: im Deutschen Presserat, jener Körperschaft, die ohne Satzung, ohne Gesetzesgrundlage, nur aus der Objektivität ihrer Arbeit und aus der Zuverlässigkeit ihrer Leistung sich Respekt erworben hat. Da wir heute alle — in allen Parteien — die Prinzipien eines fortschrittlichen Rechts für die Presse bejahen, könnten wir uns zusammenfinden und dieses neue Rahmengesetz nicht nur bearbeiten, sondern auch bald verabschieden. Es müßte möglich sein, daß wir den drängenden Fortschrittswillen, den die Ländergesetzgebung beweist, wirklich bei uns praktizieren und daß wir uns bemühen, angesichts dieser Übereinstimmung, angesichts dieser gemeinsamen Vorarbeiten doch noch in dieser Legislaturperiode zu einem Beschluß und zu einer Verabschiedung des Gesetzes zu kommen.Wir wissen, daß die Information für unsere Bürger wichtig ist. Wir wissen, daß wir die Mithilfe und das Mitdenken der Menschen in den nächsten Jahren und in aller Zeit, in der eine Demokratie besteht, benötigen. Wir sollten uns bemühen, solche Rechtsverhältnisse zu schaffen, daß wir in Deutschland jederzeit eine freie Arbeit der Presse ohne Furcht und ohne Schwierigkeiten garantieren.Wir teilen nicht die in auf diese Debatte zu geführten Vorbesprechungen geäußerte Befürchtung, es werde in Deutschland zuviel Kritik, zuviel verantwortungslose Kritik geübt. Ich glaube, in Deutschland ist viel größer die Gefahr, daß nicht reichlich, aber auch nicht sachlich genug Kritik geübt wird und daß es an persönlichem Mut und auch an der charaktervollen Beharrlichkeit fehlt, Kritik zu üben. Unsere Gefahr ist immer noch die Bereitschaft zum Verzicht auf den öffentlichen Disput und eine gewisse Furcht, sich durch Kritik zu vereinsamen.Die Demokratie und die Information und freie Meinungsäußerung sind nicht Grundsatz und Methode, sondern sind Einheit im Wesen. Das politische Gespräch, das wir durch das Vorhandensein der freien Presse ermöglichen und fördern wollen, ist der Beginn der demokratischen Wirklichkeit. Ich glaube, daß eine unabhängige Information, frei gegeben und frei genommen, und daß eine frei bearbeitete und erarbeitete Presse, verantwortungsbewußt geführt, die Komponenten sind, aus denen wirein vernünftiges politisches und verantwortungsbewußtes Gespräch in Deutschland führen können.
Sie haben die Begründung der beiden Vorlagen gehört. Wir sind im Ältestenrat übereingekommen, die Behandlung der Entwürfe eines Presserechtsrahmengesetzes einerseits und einer Änderung der Strafprozeßordnung andererseits getrennt zu behandeln. Ist das Haus damit einverstanden? — Das ist der Fall.
In der Aussprache hat das Wort Herr Abgeordneter Neumann.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Über die Rechtsverhältnisse der Presse ist in diesem Hohen Hause zum letztenmal im Jahre 1952 ausführlicher gesprochen worden, und zwar, wie man wohl sagen kann, mit einem eindeutig negativen Ergebnis. Daran liegt es wohl auch, daß seither, also seit 11 Jahren, niemand — ich betone: niemand — das heiße Eisen wieder anrühren wollte, ohne zuvor die Problematik der Materie neu zu erkunden und zu analysieren. In der Tat sind wir nun wohl auch soweit, daß die Dinge heute in einer ruhigeren und sachlicheren Atmosphäre zwischen den Fraktionen des Deutschen Bundestages untereinander sowie auch zwischen dem Parlament einerseits und den berufenen Repräsentanten der Presse andererseits diskutiert werden können. Das ist ein bedeutender Fortschritt. Er läßt sich im wesentlichen wohl darauf zurückführen, daß in der Zwischenzeit alle Interessierten über den Sachverhalt, über seine Umstände, seine Gegebenheiten nachgedacht haben, und auch darauf, daß der Deutsche Presserat unermüdlich an Vorschlägen gearbeitet hat, die der Gesetzgebung hilfreich sein sollen. Dafür gebührt dem Deutschen Presserat auch unser Dank.Wir haben uns hier mit zwei Entwürfen für ein Presserechtsrahmengesetz auseinanderzusetzen, die von der FDP und von der SPD eingebracht worden sind. Da ich nun schon einmal bei den Danksagungen bin, möchte ich mich bei der SPD dafür bedanken, daß sie für das Buchstabenungetüm „Presserechtsrahmengesetz" — nicht wahr, Herr Kollege Sänger — gleich eine Versalienabkürzung mitgeliefert hat: PRRG. Aber das nur nebenbei.Meine Fraktion begrüßt, daß die beiden Gesetzentwürfe die Möglichkeit verschaffen, die Arbeit an einer Klärung der Rechtsverhältnisse der Presse wiederaufzunehmen.Wenn wir in der CDU/CSU davon abgesehen haben, einen eigenen, einen dritten Entwurf auf den Tisch des Hauses zu legen, so hat das Gründe. Ich nehme an, niemand wird bezweifeln, daß auch wir in der Lage wären, aus dem Modellentwurf des Presserats einerseits und aus der Vorlage des Bundesrats und aus den verschiedenen Landesgesetzen andererseits einige Artikel herauszuschneiden und hier in neuer Reihenfolge gegliedert anzubieten.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 110. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 5. Februar 1964 5093
Neumann
Nein, daran liegt es nicht. Wir hatten, wie gesagt, Gründe, und zwar glaubten wir, daß es notwendig und gut sein würde, eine Reihe von noch immer problematischen Punkten der Materie besser zu klären, als es bisher gelungen ist. Aber diese Erwägungen, meine Damen und Herren, sind durch die Vorlage dieser Entwürfe überholt. Wir wollen daher nun auch von uns aus alles tun, um aus dem PRRG, dem Presserechtsrahmengesetz, das zu machen, was das Grundgesetz ihm einräumt, was das Grundgesetz von ihm erwartet.Wir sollten aber die Gelegenheit dieser Aussprache nicht vorübergehen lassen, ohne wenigstens einige, ich gebe zu: lückenhafte Überlegungen über das gegenwärtige Verhältnis zwischen Staat, Gesellschaft und Presse anzustellen. Das Grundgesetz hat sich, wie schon erwähnt wurde, hinsichtlich der Presse global und — ich darf wohl sagen — in Worten sehr sparsam ausgedrückt. Sie kennen alle den Art. 5, in dem es heißt:Die Pressefreiheit und die Freiheit der Berichterstattung durch Rundfunk und Film werden gewährleistet.Aber immerhin hat es der Gesetzgeber — auch das wurde schon betont — für notwendig gehalten, darüber hinaus dem Bund in Art. 75 Nr. 2 zuzugestehen, daß er Rahmenvorschriften über „die allgemeinen Rechtsverhältnisse der Presse und des Films" — der Rundfunk wird hier schon nicht mehr erwähnt — erlassen darf. Was wir hier behandeln, ist gewissermaßen eine Erbmasse des Grundgesetzes.Jedem aufgeschlossenen Beobachter der zeitgeschichtlichen Entwicklung drängt sich nun die Frage auf, aus welchen Gründen diese globalen und sparsamen Bestimmungen des Grundgesetzes jetzt einer Vereinzelung bedürfen sollen. Dabei muß man wohl in Rechnung stellen, daß es heute im Gegensatz zu der Situation von 1952 die Wortführer der Presseorganisationen sind, die auf gesetzlicher Regelung oder Überprüfung der vorhandenen gesetzlichen Regelungen in den Ländern bestehen. Wir haben allen Grund, dieses Begehren der Presseorganisationen zur Kenntnis zu nehmen und zu respektieren; denn — und das scheint mir wichtig zu sein, meine Damen und Herren — es ist auch ein Symptom für die Konsolidierung der inneren Verhältnisse in diesem, wenn ich so sagen darf, deutschen Kernstaat Bundesrepublik.Die Presse möchte heraus aus der Rechtsunsicherheit, die hier und da besteht. Sie verlangt von uns, von diesem Hohen Hause, die bundeseinheitliche Regelung bestimmter rechtlicher Basisprobleme, die sich im Rahmen der gesetzgeberischen Tätigkeit der Länder angesammelt oder sogar aufgestaut haben. Wir erkennen an, daß sie einen Anspruch auf die möglichst baldige Regelung entsprechend diesem Begehren besitzt.Aber nicht nur die Presse sollte an dieser bundeseinheitlichen Regelung interessiert sein. Der Staat, die Gesellschaft müssen tun, was immer sie tun können, um die Rechtsverhältnisse der Presse so zu regeln, daß der tägliche Verkehr mit ihr reibungslos funktioniert.Das alte Reichspressegesetz aus dem Jahre 1874, das Herr Kollege Sänger schon gelobt hat, ist aus diesem Bestreben entstanden, und wir sollten wirklich objektiv genug sein, den Gesetzgebern jener Zeit, die 90 Jahre hinter uns liegt, ein Kompliment zu machen.
Dieses alte Reichspressegesetz, das in vielen Teilen noch gültiges Recht darstellt, hat mit all seinen Stärken und Schwächen, mit seinen Vor- und Nachteilen eben doch so gut funktioniert, daß einerseits Staat und Gesellschaft mit ihm zurechtkamen und andererseits die ungeheure Entwicklung der Presse in diesen neun Jahrzehnten nicht tangiert worden ist.Freilich sahen die Dinge damals einfacher aus. Es ging, soweit die Informationen und die Lenkung der öffentlichen Meinung in Frage standen, nur um die Presse. Die Presse war auf dem freilich viel größeren Reichsgebiet jener Zeit auch damals schon ein zahlenmäßig beträchtlicher Faktor. Die Quellen, auf die wir uns in dieser Rückschau stützen können, sind statistisch ungenau. Aber bereits im Jahre 1885 hat es im Deutschen Reich rund 3000 Zeitungen mit einer Gesamtauflage von etwas mehr als 8 Millionen Exemplaren gegeben. Im Jahre 1963 wurden auf dem sehr viel kleineren Gebiet der Bundesrepublik allein 22,5 Millionen Exemplare von Tageszeitungen gedruckt. Die Mitleserzahlen eingeschlossen ergibt das eine Versorgung, so möchte ich sagen, von 80 % der erwachsenen Personen.Das größte Boulevardblatt in der Bundesrepublik — ausschließlich oder unter anderen — informiert „erscheinungstäglich", wenn ich so sagen darf, fast ein Viertel unserer Bevölkerung. Die Fülle der illustrierten Blätter, die man im Jahre 1874 weder technisch noch vertriebsmäßig voraussehen konnte, kommt mit ihren Millionenauflagen hinzu, ebenso die Fülle der politischen und unpolitischen Magazine. Daraus geht hervor, daß die periodische Druckschrift, gleich in welcher Form, trotz der neuen Reize von Rundfunk und Fernsehen der ständige Unterrichter des Menschen in unserer Gesellschaft geblieben ist. Man könnte sogar sagen, daß die periodische Druckschrift in Konkurrenz zu den Medien aus dem Äther ihren Wirkungsbereich, ihren Markt ständig ausgedehnt hat, wenn auch freilich in verwandelter Form.Damit ist nichts über die wirtschaftliche Lage, über die Wettbewerbslage ausgesagt. Aber darüber ist in diesem Hohen Hause ja unlängst gesprochen worden, und man wird darüber noch viel mehr zu sprechen haben.Aus diesen Zahlen, meine Damen und Herren — und man könnte noch viele andere anführen — ergibt sich aber auch der Nachweis für das gestiegene Informationsbedürfnis der breitesten Schichten unserer Bevölkerung. Ich möchte das nun keineswegs als ein Kennzeichen der Demokratie einstufen; denn in einer Diktatur sind die Menschen wahrscheinlich und erfahrungsgemäß noch wissensdurstiger. Aber in einer Demokratie haben wir die Aufgabe und die Pflicht, dieses Informationsbedürfnis des Publikums in redlicher Weise zu befriedigen
Metadaten/Kopzeile:
5094 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 110. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 5. Februar 1964
Neumann
und befriedigen zu lassen. In den Gesetzentwürfen der FDP und der SPD ist von der öffentlichen Aufgabe der Presse die Rede. In dieser Aufgabe und Pflicht, nämlich das Informationsbedürfnis des Publikums in redlicher Weise zu befriedigen, liegt sie zuerst. Das wird in den Entwürfen auch berücksichtigt, wenn meiner Ansicht nach auch etwas beiläufig.Ich möchte mich an dieser Stelle und in dieser ersten Lesung nicht darauf einlassen, die zum Teil behauptete Kontrollfunktion der Presse gegenüber dem Staat auf ihre Wirklichkeit hin zu untersuchen. Diese Kontrollfunktion liegt unserer Auffassung nach hier in diesem Hause, nämlich beim Parlament. Auch die Wortführer der Presseorganisationen sind da wohl ihrer Sache nicht ganz sicher. Aber wir gestehen — und damit darf ich vielleicht die Frage von Herrn Kollegen Sänger an Herrn Kollegen Martin aufnehmen — der Presse uneingeschränkt das Recht auf sachliche Kritik des Staates zu, weil unserer Auffassung nach auch die Kritik insgesamt der Befriedigung eben dieses Informationsbedürfnisses, also der öffentlichen Aufgabe der Presse, dient, die mit ihr untrennbar verwoben ist.
Von diesen grundsätzlichen Überlegungen her ist es nur ein sehr kurzer Weg zur Erörterung der vorliegenden Entwürfe. Ich will nur einige Punkte aus diesen Entwürfen herausgreifen, ohne damit zu sagen, daß wir denen, die ich nicht erwähne, etwa uneingeschränkt unseren Beifall geben.So verpflichten beide Entwürfe — das scheint mir ein wichtiger Punkt zu sein — die Behörden in mehr oder weniger strenger Weise zur Auskunftserteilung gegenüber der Presse. Einmal ist von einem Anspruch die Rede — ich glaube, ein Anspruch ist etwas, was man einklagen kann — und einmal von einer Pflicht. Aber sowohl im Interesse der Presse als auch in dem der Behörden wird man es doch begrüßen müssen, daß in beiden Fassungen ausdrücklich von „Behörden" die Rede ist. Denn die Auskunftspflicht der Behörden auf Bundesebene ist in § 63 des Beamtengesetzes so geregelt, daß hier Mißverständnisse nicht aufkommen können. Dort heißt es — ich zitiere mit Erlaubnis des Herrn Präsidenten —:Auskünfte an die Presse erteilt der Vorstand der Behörde oder der von ihm bestimmte Beamte.Auch der § 55 des gleichen Gesetzes könnte hier herangezogen werden. Ich zitiere abermals:Der Beamte hat seine Vorgesetzten zu beraten und zu unterstützen. Er ist verpflichtet, die von ihnen erlassenen Anordnungen auszuführen und ihre allgemeinen Richtlinien zu befolgen.Wir haben hier also ein sehr wohl ausgewogenes Verhältnis zwischen der Auskunftspflicht der Behörden gegenüber der Presse, die in den Entwürfen gefordert wird, und der Praktizierung dieser Pflicht im Bundesbeamtengesetz zu registrieren.Eine andere Einzelheit, die mit Gewissenhaftigkeit erwogen werden sollte, ist im SPD-Entwurfzu finden. Da heißt es in § 4 — ich darf wieder zitieren —:Der Tätigkeit der Presse ist gleichgestellt die journalistische Tätigkeit bei Rundfunk, Fernsehen und Film.Das erscheint uns bedenklich. Zunächst einmal wird hier der Rundfunk einbezogen, für den das Grundgesetz in Art. 75 keine Rahmenvorschriften des Bundes vorsieht. Darüber hinaus müßte man aber wohl auch den Begriff journalistische Tätigkeit genauer definieren, wenn man ihn auf Presse, Rundfunk, Fernsehen und Film gleichmäßig anwenden will. Man sollte aber, so glauben wir, den Versuch, in einem Presserechtsrahmengesetz von anderen Kommunikationsmitteln als eben nur von der Presse zu handeln, unterlassen, weil man sonst die Aussichten eines solchen Gesetzentwurfs wesentlich reduziert.Dabei wird von meiner Fraktion in keiner Weise verkannt, daß die der Presse verwandten publizistischen Tätigkeiten genauso viel Anspruch auf ernsthafte gesetzliche Beschreibung, auf Einordnung und auf gesetzlichen Schutz haben wie die Presse. Aber der Rundfunk, das Fernsehen und der Film sind eben nicht Gegenstand dieses Gesetzes und nicht Gegenstand dieser Beratungen. Wir halten es — das sei ausdrücklich betont — für ein Ziel, dem man sich mit sehr viel Kraft verschreiben sollte, eine Synchronisierung, wenn ich so sagen darf, der Gesetzgebung für alle publizistischen Media zu erreichen. Das ist ein Ziel, dem sich dieses Hohe Haus, meine ich, langfristig widmen sollte, weil es kurzfristig gewiß nicht zu erreichen ist. Man wird dann allerdings nach unserer Auffassung auch nicht daran vorbeikommen, die Normen des Presserechts aus dem 19. Jahrhundert — nur mit diesem gehen wir ja um, auch in dieser Aussprache — durch noch zu setzende Normen eines dem 20. Jahrhundert gemäßen Presserechts zu ergänzen oder abzulösen. Aber, wie gesagt, das ist eine Aufgabe für Jahre. Sie sollte vom Bundestag aufgegriffen und in engster Zusammenarbeit mit den Organisationen der Presse betrieben werden.Es gibt eine Reihe von Paragraphen in diesen Gesetzentwürfen, denen wir nichts hinzuzufügen haben. Das gilt z. B. für die Begriffsbestimmung, für die Zulassungsfreiheit. Auch mit den Vorstellungen von der Gegendarstellungspflicht, wie die SPD es nennt, oder den Gegendarstellungsanspruch, wie die FDP es bezeichnet, gehen wir prinzipiell konform. Allerdings würden wir doch empfehlen, den Text dieser Paragraphen noch einmal genau durchzusehen. Da heißt es nämlich, daß die Gegendarstellungen in der gleichen Schrift wie der beanstandete Text abgedruckt werden müßten. Ich möchte nicht unterstellen, daß das ganze Hohe Haus in Fragen des Buch- und Zeitungsdrucks erfahren ist. Aber ich möchte sagen, daß hier doch eine Art von Unkenntnis oder Flüchtigkeit vorliegen muß. In der vorliegenden Form besagt das ja nichts anderes, als daß eine Gegendarstellung in Antiqua oder Fraktur abgedruckt werden muß, wenn der beanstandete Text gleichfalls in Antiqua oder Fraktur gesetzt war. In Wirklichkeit handelt es sich doch — bei Gesetzen soll man es genau nehmen — um den Schriftgrad,
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 110. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 5. Februar 1964 5095
Neumann
der gemeint ist, also um den Anspruch darauf, daß die Gegendarstellung in derselben Schriftgröße veröffentlicht wird wie der beanstandete Text.
— In der Tat! Warum haben Sie es dann nicht in Ihrem Entwurf geändert?Problematisch erscheint uns auch die Frage nach dem Ort, wo die Gegendarstellung untergebracht werden soll. Man sollte doch noch einmal eingehend darüber sprechen, ob es ausreichend ist, vorzuschreiben, daß die Gegendarstellung im gleichen Teil eines Blattes zu erscheinen habe wie der beanstandete Text. Das ist dann doch ein sehr weites Feld, wenn man bedenkt, daß der Teil einer Zeitung, also das Ressort, vier, sechs Seiten umfassen kann. Das macht dann doch einen erheblichen Unterschied, ob der beanstandete Text, wie es hier heißt, auf Seite 1 des Teils links oben erscheint und die Gegendarstellung dann auf Seite 4 oder 6 rechts unten abgedruckt wird.Es gibt — da werden mir die Antragsteller beipflichten — noch eine ganze Reihe von Punkten in diesen Entwürfen für ein PRRG, die einer sozusagen „ausgeruhten" nachdenklichen Betrachtung bedürfen. Ohne dabei eine Rangordnung schaffen zu wollen, möchte ich doch noch einige wenige Anmerkungen zum Schluß machen.Zunächst zur Beschlagnahme! Die effektive Freiheit der Presse in einem Lande kann, wenn man es genau nimmt, nur daran gemessen werden, wie einfach oder schwierig sich die Beschlagnahme einer periodischen Druckschrift erreichen läßt. Die vorliegenden Entwürfe umschreiben sehr eingehend die Modalitäten der Beschlagnahme aus strafrechtlichen Gründen, über deren Zeitdauer, Gültigkeitsdauer man durchaus sprechen kann. Wir wissen, daß diese Gruppe von Beschlagnahmen doch verhältnismäßig selten ist. Man muß aber mit wachsender Sorge feststellen, daß die Beschlagnahmen auf Grund von einstweiligen Verfügungen aus dem Zivilrecht in letzter Zeit häufiger geworden sind, sogar im unpolitischen Bereich. Es gibt eine Zeitschrift, die sich mit Warentests beschäftigt. Diese Zeitschrift ist auf diese Weise immer mehr in Bedrängnis und — ich möchte mich vorsichtig ausdrücken — zumindest in sehr gefährdete Verhältnisse gebracht worden. Wir fragen uns, ob diese Zustände fortbestehen sollen. Es geht dabei nicht um dieses Blatt und nicht um diesen Typus. Aber sollte man nicht überlegen, im weiteren Sinne: sollte man nicht versuchen, die Beschlagnahmepraxis im Strafrecht und im Zivilrecht — ich habe das Wort schon einmal gebraucht — zu synchronisieren? Auch sollte es in weiterer Zukunft keine einstweilige Verfügung dieser Art ohne mündliche Verhandlung geben.Ein Bundesrahmengesetz soll der Ländergesetzgebung einen wesentlichen Spielraum belassen. Das ist gut und schön. Aber wenn man schon ein Bundesrahmengesetz macht, sollte man sich dann nicht auch mit der Person des Verantwortlichen, des verantwortlichen Redakteurs, befassen? Davon haben beide Antragsteller — ich weiß nicht, aus welchen Gründen — abgesehen. Wir möchten empfehlen,hier eine bundeseinheitliche Regelung zu treffen, wenigstens im Wichtigsten. Nach unseren Vorstellungen sollten verantwortliche Redakteure großjährig sein, sie sollten das aktive Wahlrecht besitzen, der Gerichtsbarkeit der Bundesrepublik direkt unterstehen, also nicht immun sein, und ihren ständigen Wohnsitz in der Bundesrepublik haben. Vielleicht kann man für Fachzeitschriften ohne politischen Charakter Ausnahmebestimmungen erlassen, aber dann auch nur für diese.Ich habe, wie schon gesagt, verschiedene Einzelheiten dieser Entwürfe berührt, ohne damit sagen zu wollen, daß die, die wir jetzt in der ersten Lesung nicht aufgreifen, von uns nicht noch behandelt werden können. Aber in aller Freimütigkeit, meine Damen und Herren, möchte ich abschließend noch ein Kapitel erörtern, das meiner Ansicht nach in beiden Entwürfen zu barsch, zu heftig abgetan wird. Ich bin auf Ihren Widerspruch gefaßt, aber ich möchte es trotzdem bezeichnen: Es handelt sich um den § 3 Abs. 4 des FDP-Entwurfs und um den § 1 Abs. 4 des SPD-Entwurfs. Darin wird die Einrichtung von Berufsorganisationen der Presse mit Zwangsmitgliedschaft und eine mit hoheitlicher Gewalt ausgestattete Berufsgerichtsbarkeit der Presse als unzulässig erklärt.Ich frage mich, meine Damen und Herren, ob das für alle Zukunft so stehenbleiben soll und ob das für alle Zukunft der Demokratie ernstlich dient. Seien wir doch ehrlich! Hier geht es um nichts anderes als um eine Art von Tribut an die sogenannte unbewältigte Vergangenheit. Die Erinnerung an die Reichspressekammer ist so unerfreulich wie nur möglich. Aber Bestrebungen, Berufsorganisationen der oben erwähnten Art zu schaffen, hat es ja schon längst vor dem „Dritten Reich" gegeben, und zwar waren diese von der Presse selbst in Gang gebracht. Es waren die Nationalsozialisten, die diese Bestrebungen verwirklicht haben, und zwar auf die widerlichste Art. Aber die Nationalsozialisten haben auch die schon damals bestehenden Anwalts- und Ärztekammern als Lenkungsorganisationen mißbraucht. Indessen, diese Kammern sind wiederentstanden, sie haben die Vergangenheit abgeschüttelt und erfüllen heute wieder ihre Aufgabe.In diesen Gesetzentwürfen ist wiederholt von Vertretern der Presse die Rede. Was darunter zu verstehen ist, wird in einzelnen Landesgesetzen andeutungsweise definiert. Ist es aber tatsächlich undenkbar oder soll es tatsächlich undenkbar bleiben, daß die Organisationen der Presse selbst eine brauchbare Ausdeutung anbieten?
Herr Kollege Neumann, gestatten Sie mir eine Frage?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Gerne!
Würden Sie es als unkollegial empfinden, wenn ein alter Redakteur der „Kölnischen Zeitung" und später noch der „Frankfurter Zeitung" eine Körperschaft öffent-
Metadaten/Kopzeile:
5096 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 110. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 5. Februar 1964
Dr. Dr. h. c. Dresbachlichen Rechts als Organisationsform der Redakteure wirklich ablehnt?
Und, Herr Kollege Neumann, sind wir uns darin einig, daß jede Körperschaft öffentlichen Rechts als Korrelat die Staatsaufsicht hat, von der Gemeinde als Gebietskörperschaft angefangen? Das muß man überlegen!
Herr Kollege Dresbach, ich betrachte das in keiner Weise als unkollegial. Ich weiß nur nicht, ob ich Ihnen ganz beipflichten kann. Ich habe bisher noch nicht von einer Körperschaft öffentlichen Rechts gesprochen.
Habe ich Sie recht verstanden: Sie wandten sich gegen die Ablehnung der Körperschaft öffentlichen Rechts, wie sie in den beiden Entwürfen ausgesprochen ist?
Nein, Verzeihung. Ich kann sagen, was ich ausgeführt habe. Herr Kollege Dresbach, es gibt in beiden Entwürfen die Formulierung, daß Berufsorganisationen mit Zwangscharakter unzulässig sind. Ich habe nur die Frage gestellt, ob das auf alle Zeit so bleiben solle. Das war eine reine Überlegung. Ich halte es, wie gesagt, nach wie vor für erwägenswert — und dazu möchte ich jetzt etwas sagen, wozu ich noch nicht gekommen war —, ob man nicht ganz autonom aus der Presse heraus so etwas selber schaffen könnte. Das war der Satz, den ich gerade sprechen wollte, als Sie mich mit einer Zwischenfrage unterbrachen.
Wir sind uns darüber einig, daß autonom doch nur ein Verein geschaffen werden kann, eine Körperschaft öffentlichen Rechts aber nur durch Gesetz.
Meine Damen und Herren, man sollte doch einen anderen Sitzungssaal haben; für solche Gelegenheiten wäre das viel besser.
Herr Kollege Dresbach, ich will Sie nicht hindern, Ihre kritischen und sachverständigen Fragen zu stellen, wenn der Redner darauf eingehen will.
Unter Umständen ersparen solche Zwischenfragen lange Reden.
Herr Abgeordneter Neumann, fahren Sie bitte fort.
Ich möchte dennoch darauf beharren: man sollte solche Möglichkeiten — das ist das einzige, was ich in diesem
Zusammenhang gesagt habe und was ich ausdrücken
möchte — nicht nurch einBundesgesetz ausschließen.
Hier braucht — keiner von uns bildet sich das ein — weder heute noch morgen etwas zu geschehen. Aber es sollten mögliche Entwicklungen — Sie wissen doch alle selber, daß die Organisation der Presse mit Überlegungen in dieser Richtung umgeht — nicht ausgeschlossen werden.
In einem demokratischen Staat ist die Pressefreiheit ein Eckpfeiler des ganzen Systems. Gerade wir Deutsche haben hier unsere Erfahrungen. Wir wissen: wenn die Unabhängigkeit der Zeitungen angetastet wird, schrumpfen bald auch alle übrigen Freiheiten. Es kommt indes aber nicht nur darauf an, daß der Gesetzgeber von dieser Einsicht beseelt ist und der Presse seinen Schutz gewährt. Auch die Presse selber muß sich der Kostbarkeit ihres Privilegs bewußt sein und diesem die Fürsprache und den Respekt der Öffentlichkeit erhalten. Sie braucht nicht mit der Regierung zu gehen. sie braucht nicht dem Staat zu schmeicheln. Aber sie sollte doch nicht in der Illusion leben, daß sie diesem gegenüber nur Rechte und keine Pflichten habe. Sie hat insbesondere abzuwägen, was der Gesellschaft, die auch ihre Leserschaft ist, nützlich und was schädlich ist.
Meine Fraktion und ich hoffen, daß es entgegen mancher pessimistischen Erwartung möglich sein wird — da stimmen wir wohl alle überein —, das Presserechtsrahmengesetz rasch zu verabschieden. Das setzt voraus, daß es im Sinne des Grundgesetzes wirklich nur ein Rahmengesetz ist, also nur Rahmenvorschriften enthält. Geben wir uns darum Mühe, den Rahmen nicht zu groß zu machen; denn das könnte dazu führen, daß das Thema in diesem Hohen Hause wieder in Vergessenheit gerät. Das sollten wir alle gemeinsam verhindern.
Im Namen meiner Fraktion beantrage ich die Überweisungen der beiden Entwürfe an den Ausschuß für Kulturpolitik und Publizistik — federführend — und .an den Rechtsausschuß zur Mitberatung.
Das Wort hat der Herr Bundesinnenminister.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir waren relativ zahlreich und, wie ich auch feststellen darf, ohne mir hier Hausrechte anzumaßen, recht andächtig Zeugen eines edlen Wettstreits in der Erklärung eines Wohlwollens für die Pressefreiheit. Ich ergreife nicht deswegen das Wort, weil ich mich nun in diesen Wettstreit einfügen möchte.
— Nein, so ist es keineswegs. Ich will vielmehr folgendes sagen. Ich glaube, daß das Thema heute gar nicht mehr „Staat und Presse" heißt. Die Anerkennung der Freiheit für die Presse vom Staat her
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 110. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 5. Februar 1964 5097
Bundesminister Höcherlist zu einer absolut unbestrittenen Selbstverständlichkeit für jedermann geworden.
Das wirkliche Spannungsverhältnis wird von ganz anderen Faktoren — aus dem wirtschaftlichen und aus dem Kostenbereich, aber auch aus dem Bereich der Technik — in einem Maße beeinflußt, wie das bisher nicht zum Ausdruck gekommen ist.
— Herr Kollege Wehner, ich will Ihnen gleich eine Antwort darauf geben. Ich habe tief darüber nachgedacht, über Ihren eigenen Pressekonzern, die Konzentra, und da ist mir diese Erkenntnis gekommen.
Nun wäre es außerordentlich reizvoll, weil es ja gar kein neues Thema ist, geschichtliche Reminiszenzen anzustellen. Dieses Thema hat es schon immer gegeben. Mit der Erfindung der Buchdruckerkunst ist das Thema fast augenblicklich entstanden. Es gäbe interessante historische Erinnerungen, aus dem Nürnberger Reichsabschied vom Jahre 1524, dem Reichsabschied von Speyer 1529, der Reichspolizeiordnung vom Jahre 1548, in der sogar die Folter für Missetaten auf diesem Sektor vorgesehen war.
Wir alle können zu unserer Freude feststellen, wie sehr wir uns gemeinsam entwickelt haben; einer der wenigen Punkte, in dem wohl absolute Einigkeit besteht.Aber nicht nur bei uns, in unserer eigenen Historie, wurde in dieser Frage gesündigt, sondern auch außerhalb unserer Grenzen. Die Königin Elisabeth I. hat ein sehr strenges, fast bis zum Regal reichendes Gesetz erlassen. Die Freiheit, meine Damen und Herren, begann in den Vereinigten Staaten zum erstenmal sich zu dokumentieren, und zwar in der Verfassung des Staates Virginia im Jahre 1776, dann in der Verfassung der Vereinigten Staaten, der Unions-Verfassung von 1791.Ich möchte Sie aber mit diesen historischen Reminiszenzen gar nicht länger behelligen, obwohl man immer in der Geschichte forschen sollte,
um für die Zukunft zu lernen.Ich darf mich jetzt dem schon wiederholt erwähnten und zitierten Reichspressegesetz von 1874 zuwenden, das demnächst seinen 90. Geburtstag feiern kann. Man muß sich schon verneigen vor soviel Gesetzgebungskunst, wie sie sich damals unter ganz anderen soziologischen und politischen Verhältnissen und ohne den so häufigen Gebrauch des Wortes „Demokratie", aber doch recht demokratisch, entfalten konnte. Ich darf den Herrn Kollegen Sänger zitieren, der das Gesetz sehr richtig gekennzeichnet hat mit dem Grundsatz: „Die Freiheit wardie Regel und die Einschränkung war die Ausnahme." Eine sehr gerechte Würdigung, der ich mich nur anschließen kann.Wir sollten in der Gesetzgebungsabsicht, die hier nun in zwei Entwürfen sich bekundet — ich möchte fast, wenn es opportun wäre, das berühmte Wort von den tausend Blumen oder hundert Blumen, die da blühen, zitieren —, in den Ländern und auf der Bundesebene ein Entwurf nach dem anderen — —
— Ich sage: wenn es opportun wäre; aber es ist nicht opportun, sondern es war nur eine ganz kleine Anspielung.
— Herr Schäfer, Sie haben die Bemerkung nicht erfaßt; es tut mir leid. Schon in diesem Reichspressegesetz war, wie gesagt, die Freiheit die Regel, die Pressefreiheit, die in verschiedenen Materien ihren Niederschlag findet, nicht nur im Bekenntnis zur Pressefreiheit. Damit ist überhaupt niemandem gedient; die Pressefreiheit hat nur dann gegenständlichen und konkreten Lebenswert, wenn sie in Einzelheiten formuliert wird, wie das ja überhaupt ganz allgemein bemerkt werden darf. Im Reichspressegesetz, das heute noch in einigen Ländern gilt, finden Sie schon in § 4 die gewerberechtliche Pressefreiheit — eine sehr bedeutsame Angelegenheit —, die Einschränkung der Möglichkeiten der Beschlagnahme von Druckschriften in den §§ 23 und folgenden, das Verbot polizeilicher Strafverfügungen gegenüber der Presse im § 29 und das Verbot der Sonderbesteuerung; ebenfalls eine sehr interessante und damals schon sehr weit vorausschauende Regelung. Und selbst die kurze Verjährungsfrist für Pressevergehen in § 22 kann man wohl als Privileg der Presse ansprechen. Ich glaube, meine Damen und Herren, daß es durchaus gestattet ist, von einem Sonderrecht zu reden. Das ist gar nichts Diskriminierendes, sondern ein Sondertatbestand; er verdient durchaus seine eigene und besondere rechtliche Behandlung.Die verfassungsmäßige Grundlage des Reichspressegesetzes lag in Art. 4 Ziffer 16 der Bismarckschen Verfassung. Danach — meine Damen und Herren, jetzt darf ich Sie bitten, besonders zuzuhören — gehörten die Bestimmungen über die Presse zur ausschließlichen Gesetzgebungskompetenz des damaligen Reiches. Das war eine Ausgangssituation, die ein vollwertiges Gesetz zuließ. Wir sind heute in einer ganz anderen rechtlichen Kompetenzsituation, und das macht die Aufgabe, die sich die beiden Gesetzentwürfe gestellt haben, außerordentlich kompliziert.Dieses fast 90 Jahre alte Gesetz hat auch in der Weimarer Zeit fortgegolten und hat sogar, wenn auch überlagert durch das Schriftleitergesetz, die Zeit der 12 Jahre überstanden. Es gilt unbestritten seit dem Jahre 1945 weiter, soweit nicht die Länder eigene Pressegesetze geschaffen haben.
Metadaten/Kopzeile:
5098 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 110. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 5. Februar 1964
Bundesminister HöcherlNach dem Zusammenbruch im Jahre 1945 begann ein neues Kapitel für die Pressegesetzgebung. Es ist interessant, daß es mit einer Einschränkung begann. Die Alliierten fanden die Situation so, wie wir sie sahen: die Presse war nicht nur in ihrem wirtschaftlichen Bestand und in ihrer ganzen Existenz unter den Umständen zusammengebrochen, sondern sie befand sich auch einseitig in politischen Händen. Auf Grund der Befürchtung, daß der totalitäre Gedanke des Nationalsozialismus sich in einer mißgeführten und mißgeleiteten Presse fortsetzen könnte, wurde auf dem Wege der Lizenz, also auf einem Verwaltungsweg, der nun mit Freiheit gar nichts zu tun hat, sondern der absolut ein Steuerungsmittel ist, ein neues Kapitel begonnen. Erst im Sommer 1949 wurde der Lizenzzwang in den westlichen Besatzungszonen aufgehoben und die allgemeine Pressefreiheit wieder eingeführt.Aber die Dinge, die damals in diesen vier Jahren gesetzt worden sind, meine Damen und Herren, haben nachwirkenden Charakter. Sie haben ihr eigenes wirtschaftliches und persönliches Gewicht, und man sollte bei der historischen Betrachtung hinsichtlich der Frage, die heute zu entscheiden ist, diese vier Jahre nicht übersehen. Sie spielen eine große Rolle unter vielen Gesichtspunkten und haben bedeutsame Ausstrahlungen.
Auf dem Gebiete des deutschen Rechts war die Gesetzgebungsgewalt auf die Länder übergegangen. Ein zunächst in Bayern, Hessen und Württemberg-Baden ausgearbeiteter Länderratsgesetzentwurf vom 5. November 1946 fand Ablehnung bei der Presse selbst und trat nicht in Kraft. Die Länder Bayern, Bremen, Hamburg, Hessen, Nordrhein-Westfalen, Schleswig-Holstein und Württemberg-Baden schufen in eigener Zuständigkeit Landesregelungen, die entweder Voll- oder nur Teilregelungen darstellten.Erst das am 23. Mai 1949 in Kraft getretene Grundgesetz schuf dann die Rechtsbasis für die Weiterentwicklung auf diesem so bedeutsamen und trotz aller gemeinsamen Grundeinstellung nach wie vor außerordentlich schwierigen Rechtsgebiet. Der Art. 118 der Weimarer Verfassung z. B. — um ihn kurz in die Erinnerung zurückzurufen — kannte nur die Freiheit der Meinungsäußerung. Der Art. 5 des Grundgesetzes geht erfreulicherweise darüber hinaus, er schützt die Freiheit der Meinungsverbreitung und das Recht der Informationsfreiheit.Die Vorschriften des Art. 5 des Grundgesetzes bilden den Kern und die Grundlage auch für die Gesetzgebung der Länder. Dem Bund steht auf Grund der neuen Kompetenzverteilung zwischen Bund und Ländern nach Art. 75 Nr. 2 des Grundgesetzes nur die Rahmenkompetenz zu. Meine Damen und Herren, das hat eine viel weiter reichende Bedeutung, als es bisher vorgetragen worden ist. Gerade die Beschränkung auf die Rahmenkompetenz war mit ein Grund dafür, daß es bisher nicht gelungen ist, ein einheitliches Gesetz zu schaffen. Ich werde Ihnen gleich im einzelnen darlegen, welche Schwierigkeiten wirklich in dieser Kompetenzbeschränkung — wenn man die Dinge tief durchdenkt — liegen.
— Ja, ich weiß es nicht. Der Entwurf beweist nicht, daß Sie das selber wissen. Wenn Sie das genau studiert hätten, hätten Sie den Entwurf wahrscheinlich — —
— Ja, genau, der Entwurf beweist es nicht.
— Wir werden es lösen. Ich werde Ihnen am Schluß meiner Ausführungen einen praktischen Vorschlag machen, weil ich der Meinung bin, daß auch in einer ersten Lesung nicht nur allgemeine Betrachtungen angestellt, sondern auch praktische Vorschläge gemacht werden sollten.Während vor Inkrafttreten des Grundgesetzes die Länder ohne Rücksicht auf das bestehende frühere Recht Pressegesetze erlassen konnten und insoweit lediglich später einer Einschränkung durch die Verfassungsgerichtsbarkeit unterlagen — wobei zweifellos in den ersten Jahren die Fortgeltung von Bestimmungen der Weimarer Verfassung zu beachten war —, hat der Bund nur eine Rahmenkompetenz für die allgemeinen Rechtsverhältnisse der Presse.Ich glaube, der Kollege Neumann war es, der auf die Debatte vom Jahre 1952 hingewiesen hat. Damals hat das Bundesinnenministerium einen Entwurf vorgelegt, der heftiger Kritik ausgesetzt war und zurückgezogen wurde, so daß die Bundeskompetenz bis heute von Regierungsseite her nicht ausgenutzt worden ist.Im Jahre 1960 bestanden in den Ländern Bayern, Baden-Württemberg, Saarland und SchleswigHolstein Pressegesetze, die das Presserecht zum Teil ganz, zum Teil aber auch nur in Ausschnitten und einzelnen Bestimmungen regelten und inhaltlich voneinander abwichen. Die nicht einheitliche Rechtsentwicklung geht also schon auf diese Zeit zurück.In den Ländern, die nur Teilregelungen vorsahen, galt das Reichspressegesetz ergänzend weiter; in den Ländern ohne Landespressegesetze galt es in vollem Umfang weiter; das gilt für Rheinland-Pfalz, Niedersachsen und Berlin.In folgenden Ländern sind nun neue Gesetzentwürfe vorgelegt worden: in Baden-Württemberg— das Gesetz ist in der Zwischenzeit, nämlich am 1. Februar, in Kraft getreten —, in Hamburg, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz und Schleswig-Holstein. In den anderen Ländern sind gesetzliche Initiativen zu erwarten.Die den Parlamenten der Länder vorgelegten Gesetzentwürfe beruhen auf einem Modellentwurf. Das war also schon einmal ein Versuch auf Länderebene, der oft so beliebten „dritten Ebene" der freiwilligen gemeinschaftlichen Zusammenarbeit, eine Einheitlichkeit zu erreichen.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 110. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 5. Februar 1964 5099
Bundesminister HöcherlDieser Modellentwurf hatte ein sehr unterschiedliches Schicksal. Er wurde in der Ständigen Konferenz der Innenminister der Länder ausgearbeitet. Die Ausarbeitung begann im Oktober 1959. Die Initiative lag bei dem Land Schleswig-Holstein. Die Kommission bestand aus den Vertretern der Länder Hamburg, Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein. Die Federführung lag bei NordrheinWestfalen. In vier Sitzungen tagte dann die Kommission. An den Beratungen waren Vertreter der übrigen Länder, des Bundesinnenministeriums und des Bundesjustizministeriums sowie der Länderjustizverwaltungen beteiligt. Am 31. März 1961 hatten auch Vertreter des Deutschen Presserates und der Organisation der Verleger und Journalisten Gelegenheit, ihre Meinungen zum Ausdruck zu bringen.Im Jahre 1960 wurde in einer Ministerkonferenz ein Modellentwurf für ein Landespressegesetz vorgelegt. Am 10. Januar 1963 wurde dieser Modellentwurf durch die Innenministerkonferenz der Länder angenommen. Er sollte die Grundlage für die Landespressegesetzgebung bilden.Der Bund war schon bei der Erarbeitung dieses ersten gemeinsamen Gesetzes beteiligt. Wir waren daher der Meinung, daß eine weitere Initiative zunächst nicht vonnöten sei, sondern daß durchaus abgewartet werden könne, wie sich die Geschlossenheit in der Ausführung des Modellentwurfs spiegeln würde.Nun, die Erfahrungen sind nicht ganz überzeugend. Selbst die Länder, die an der Ausarbeitung dieses Modellentwurfs führend beteiligt waren, sind bei der Einzelbehandlung in ihren zuständigen Organen dann doch abgewichen. Ich darf mich hier z. B. auf die Äußerungen des Ihnen sehr nahestehenden Innenministers des Landes Niedersachsen, Bennemann, bei der Einbringung des eigenen Regierungsentwurfs im Niedersächsischen Landtag im Oktober 1963 und vor allem auch auf die Äußerung des Hamburger Innensenators Schmidt beziehen, der bei der Einbringung des Hamburger Pressegesetzes am 15. Januar 1964 vor der Hamburger Bürgerschaft ebenfalls seine Bedenken wegen der fehlenden Rechtseinheit zum Ausdruck gebracht hat. Beide Redner haben unterstrichen, daß auch seitens der Länder ein besonderes Bedürfnis nach einer bundeseinheitlichen Regelung anerkannt wird.Nicht zuletzt die eingetretene Rechtszersplitterung infolge der unterschiedlichen Kompetenzregelung des Bundes und der Länder auf dem Gebiete des Strafrechts und Strafprozeßrechts — als des formellen Teils — und auf dem Gebiete des Presserechts — als des materiellen Teils — haben dann dazu geführt, die Forderung nach einem modernen, umfassenden und möglichst einheitlichen Presserecht zu erheben. Den Ländern erschien es schon fraglich, ob das Presserecht nur die materiellen oder auch die formellen Fragen, insbesondere die Fragen des Zeugnisverweigerungsrechts, regeln sollte. Das baden-württembergische Landespressegesetz, das, schon in Kraft getreten ist, hat sich für eine Vollregelung entschieden. Schleswig-Holstein hat in seinem Entwurf eines Landespressegesetzes ebenso wie Hamburg eine Vollregelung in Erwägung gezogen. Niedersachsen hingegen hat in seinem Entwurf die formellen Bestimmungen über Zeugnisverweigerungsrecht und eine sich daraus ergebende Einschränkung der Beschlagnahme herausgelassen und sich nur für eine Regelung des materiellen Presserechts entschieden.Es ist eine große Frage — sie muß von hier aus verneint werden —, ob den Ländern überhaupt eine rechtliche Kompetenz für diese formellen Bestandteile des Presserechts zusteht. Diese Erwägung scheint in Niedersachsen begonnen zu haben. Sie hat dann in einem Initiativentwurf ihren Niederschlag gefunden, den das Land Hessen für den ganzen Komplex Zeugnisverweigerungsrecht eingebracht hat.Die Frage, welche Schlußfolgerungen die Bundesregierung aus diesen unterschiedlichen Länderregelungen zu ziehen hat, ist noch offen. Für den formellen Teil des Presserechts hat der Bund die konkurrierende Gesetzgebung; für den materiellen Teil des Presserechts steht ihm nach Art. 75 Nr. 2 des Grundgesetzes die Rahmengesetzgebung zu. Damit gibt das Grundgesetz dem Bund weniger Befugnisse in die Hand als die Reichsverfassung von 1871.Die Bundesregierung bejaht von sich aus das Bedürfnis einer einheitlichen Regelung,
muß jedoch auf die rechtlichen Schwierigkeiten hinweisen, die sich aus den Bestimmungen des Grundgesetzes ergeben, die schon eine weitgehende Interpretation durch das Bundesverfassungsgericht erfahren haben.Die eigentlichen Schwierigkeiten kommen wohl aus der Abgrenzung und der rechtlichen Beurteilung der Rahmenrechtsbefugnisse. Im Bereich des Besoldungsrechts ist ein anderes Beispiel exerziert worden. Sie wissen, daß Anlaß für den Vorschlag der Bundesregierung, in der Besoldungsgesetzgebung eine Einheitlichkeit zu erreichen, ein Verfassungsgerichtsurteil gewesen ist. In der Frage des Umfangs eines Presserechtsrahmengesetzes ist noch keine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts ergangen. Zweifellos ist es außerordentlich schwierig, die Grenze in diesem Bereich so zu ziehen, daß den Ländern noch die verfassungsrechtliche Freiheit bleibt, dieses Rahmenrecht nach gewissen eigenen Möglichkeiten auszufüllen. Das ist die eigentliche große Schwierigkeit. Wahrscheinlich wird die Frage einmal durch ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts entschieden werden, wenn es uns nicht gelingt, diese sehr schwer zu ermittelnde Grenze zu finden.Sie werden mir zugeben, daß dieser Gesichtspunkt in Ihren beiden Entwürfen doch nicht die nötige Beachtung gefunden hat und daß die Schwierigkeiten wohl etwas zu leicht genommen worden sind.
Metadaten/Kopzeile:
5100 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 110. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 5. Februar 1964
Bundesminister Höcherl— Es wird sich aber zeigen, Herr Kollege, auch wenn Sie das nicht zugeben. Das Zugeben allein macht ja nicht einen Sachverhalt.
— Sie müssen aufmerksamer zuhören, Herr Kollege Schmitt. Es geht um eine schwierige rechtliche Frage. Sie sind ja kein Jurist; Sie haben es da etwas schwer, das weiß ich.
— Herr Kollege Schmitt, ich will Ihnen folgendes sagen: Was hier sachlich zu der Angelegenheit beigetragen worden ist, ist schon einmal in dem nicht so sehr gewürdigten Entwurf vom Jahre 1952 enthalten. In der Zwischenzeit ist die Diskussion weitergegangen. Der Modellentwurf, der von den Ländern ausgearbeitet worden ist, ist unter wesentlicher Beteiligung des Bundes in seinem sachlichen Inhalt mitgestaltet und mitgeformt worden. Das sind die Leistungen des Bundes, die schon in der Entwicklung der Diskussion zum Presserecht vorliegen und die Sie etwas mehr hätten zur Kenntnis nehmen sollen, als das bisher geschehen ist.
— Ja, Herr Kollege Wehner, das ist schon sehr praktisch; ich finde das sehr praktisch.
— Herr Kollege Schmitt, ich habe gesagt: ich bin Jurist; das Wort „klug" haben Sie gesagt.
— Bitte, Herr Kollege Wehner, was haben Sie gesagt? — Darf ich Sie bitten, das zu wiederholen; ich möchte gern darauf erwidern.
— Herr Kollege Wehner, die Antwort ist sehr einfach: das ist ein Innenminister, der Jurist ist. Das ist, wie so oft, eine Synthese. Das Einfache ist die Wirklichkeit.Hier sind sehr wesentliche und interessante Ausführungen über die Aufgabenstellung der Presse gemacht worden. Vor allem ist ein Punkt hervorgehoben worden, der meiner Ansicht nach noch einer sehr eingehenden Diskussion bedarf: es ist die öffentliche Aufgabe, die die Presse hat, herausgestellt worden. Das sei nicht bestritten. Wir haben auch andere Bereiche, in denen private Einrichtungen öffentliche Aufgaben wahrnehmen, und zwar sehr bedeutsame. Das bedeutsamste und gewichtigste Beispiel sind wohl die Parteien, die ebenfalls auf privater Basis entstehen und Funktionen ausüben, die praktisch in der Wahrnehmung der höchsten Souveränität bestehen. Wer aber eine öffentliche Aufgabe wahrnimmt, muß es sich gefallen lassen, daß in demselben Maße, in dem seine öffentliche Aufgabe anerkannt und ausgestattet wird, sofort ein Pflichtenkreis entsteht, ein Pflichtenkreis, der unter Umständen sogar nach Institutionalisierung drängt. Es ist ein Pflichtenkreis, der — ähnlich wie bei kommunizierenden Röhren — in demselben Maße wächst, in dem Rechte und Möglichkeiten wachsen. Ich darf auf ein Beispiel hinweisen, das ich Ihnen doch zu bedenken gebe. Die Parteien sind durch die Bestimmung des Art. 21 des Grundgesetzes unter gewisse Kontrollen gestellt, z. B. die Kontrollen, die sich demnächst in einem Parteiengesetz niederschlagen werden.
— Demnächst, sehr bald, in wenigen Wochen werden Sie Gelegenheit haben, dieses Ausführungsgesetz zu Art. 21 zu beraten.
— Sie haben dieses Gesetz ja nicht beraten wollen. Aber ich nehme an, daß Sie es jetzt mit größerem Ernst betreiben. Sie haben noch Zeit genug, in dieser Legislaturperiode dem Gesetz zum Leben zu verhelfen.Ich sage bloß: es ist ein verwandter Tatbestand. Auf ,der einen Seite haben Sie das Verlangen — das berechtigte Verlangen — nach der Anerkennung der öffentlichen Funktion der Presse, auf der anderen Seite kommt der Pflichtenbereich. Wir können das vergleichen mit der verfassungsmäßigen und verfassungsrechtlichen Behandlung der Parteien, die eine ähnliche private Entstehungsursache haben. Wir müssen uns überlegen, welchen Ausgleich wir zu finden haben, um auch dieser Forderung des Pflichtkreises gerecht zu werden.
Über Meinungsfreiheit und all diese Dinge brauche ich nichts mehr zu sagen; das Thema ist von den Vorrednern in erschöpfender Weise abgehandelt worden. Es fragt sich nur noch, wie wir vorgehen sollen. Hier wurde das Verlangen zum Ausdruck gebracht, sehr rasch zu beraten. Auf der anderen Seite beobachten wir in den Ländern, daß ein Gesetz nach dem andern entsteht. Ich habe keinen Zweifel, daß auch die noch ausstehenden Länder von ihrer Gesetzgebungsbefugnis Gebrauch machen.Sollte man nicht folgenden Weg einschlagen: unter Bejahung der notwendigen Rechtseinheit, unter Bejahung des Gesichtspunktes, daß die tatsächlichen Verhältnisse eine einheitliche Regelung verlangen, heute, nachdem die Presse in einer internationalen, in einer Weltinterdependenz steht, diesen Ländergesetzen, die sich nur in ihren vielleicht nicht so ganz wesentlichen Teilen unterscheiden, eine gewisse Bewährungsfrist einzuräumen? Sollten wir nicht einmal sehen, ob aus der praktischen Anwendung sich ein besonders starkes Bedürfnis — und
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 110. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 5. Februar 1964 5101
Bundesminister Höcherldas brauchen wir für unsere Gesetzgebung — für eine Bundesrahmengesetzgebung ergibt?Ich wäre sehr dankbar, wenn wir etwas verhalten wollten, wenn wir der Gesetzgebungskompetenz, die bei den Ländern liegt, von der sie Gebrauch gemacht haben in dem Bestreben, die Dinge einheitlich zu gestalten, die Möglichkeit gäben, sich auszuwirken und zu bewähren. Ich glaube, daß das notwendig ist. Wenn wir eine solche Frist uns selber geben sollten und wollten, wäre es notwendig, dieses Thema noch viel umfassender anzusprechen. Ich habe schon eingangs darauf hingewiesen, daß es die wirtschaftlichen, die Kosten-, die Wettbewerbs- und die technischen Verhältnisse sind, die heute in Wirklichkeit das Leben der Presse in einem solchen Maße bestimmen, daß das uralte und längst gelöste Spannungsverhältnis zwischen Staat und Presse heute geradezu obsolet geworden ist gegenüber den Gefahren, die von dieser Seite kommen. Ich vermisse in jedem einzelnen dieser Gesetzentwürfe ein Eingehen auf diese Argumente. Sie sind bedeutsam, sie sind entscheidend.Wir haben hier vor einigen Wochen ein Wett: bewerbsthema abgehandelt, nämlich das Thema des Wettbewerbs zwischen Presse und Fernsehen. Allein in dieser Frage liegt viel mehr presserechtlicher Zündstoff als in all den Fragen, die schon x-mal angesprochen worden sind und die nicht viel besser gelöst werden, wenn wir ihnen eine etwas modernere Fassung geben, — obwohl ich nicht bestreite, daß auch das seinen Wert hat. Aber das, was im Materiellen zu lösen ist, ist das Problem, das sich angesichts der gigantischen Entwicklung, die im technischen und wirtschaftlichen Bereich stattfindet, ergibt. Hier werden auch Machtverhältnisse entstehen, Machtverhältnisse, die unsere politische Aufmerksamkeit verdienen. Wir beschränken unsere Gesetzgebung, z. B. im wirtschaftlichen Bereich, oft auf rein, ich möchte einmal sagen, kaufmännische Vorgänge, die sich im Warenbereich abspielen, und glauben dort große Machtpositionen zu treffen, während sie in anderen Bereichen mit einem viel größeren Gewicht, in einer viel größeren Bedeutung entstehen und dort unsere gesetzespolitische Aufmerksamkeit verdienten. Das wollte ich Ihnen ans Herz legen.Ich möchte Sie noch einmal bitten, den Versuch der Länder, durch gesetzgeberische Arbeit auf ihrer Ebene zunächst einmal zu einer gewissen Modernisierung und auch zu einer gewissen Vereinheitlichung zu kommen, zu achten und dann das Thema neu aufzunehmen. So werden wir den Aufgaben in einer Art und Weise gerecht werden, wie es die ständig wachsende und sich ins Gigantische ausweitende Bedeutung des Themas verlangt.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Bitte!
Herr Minister, wollen Sie hier als Meinung der Bundesregierung die Auffassung vertreten, wir sollten erst warten, bis die sich anbahnende unterschiedliche Rechtsentwicklung in den einzelnen Ländern auch die negativen Folgen spüren läßt?
Herr Kollege, ich habe ausdrücklich folgendes erklärt und darf es wiederholen — vielleicht ist es Ihrer Aufmerksamkeit entgangen —: Es ist zwar bedauerlich, daß sich gewisse Unterschiede ergeben und daß bei der Ländergesetzgebung der Modellentwurf nicht exakt eingehalten worden ist. Andererseits sind aber die Unterschiede nicht so groß, daß sich daraus Übelstände und Notstände ergäben. Deswegen halte ich es durchaus für angängig, daß wir noch eine gewisse Frist zuwarten, vor allem auch deshalb, weil das Thema viel gründlicher und tiefgehender, viel gewichtiger angefaßt werden muß, als das in diesen beiden — zweifellos gutgemeinten — Entwürfen geschehen ist.
Noch eine Zwischenfrage!
Wer hindert Sie dann daran, Herr Minister, solche nach Ihrer Auffassung gewichtigeren und umfassenderen Vorlagen hier einzubringen?
Herr Kollege, wir haben zunächst bei dem Modellentwurf mitgewirkt und glauben für die Rechtseinheit etwas geleistet zu haben. Wir waren vielleicht zu optimistisch hinsichtlich der Ausführung. Aber immerhin, ich halte die Differenzen nicht für so gravierend, wie Sie das hier darstellen wollen. Es sind auch Ihre Freunde, die bei der Verwirklichung mitgeholfen haben. Wir haben es hier mit einem Thema zu tun, dessen Gegenstand fortgesetzt im Fluß ist. Ich bin absichtlich in die Historie zurückgegangen, um Ihnen zu zeigen, welche Bedeutung dieses Thema hat. Die Entwicklung, die wir hier in den letzten zwanzig Jahren zu verzeichnen haben, übersteigt alles, was sich in den vergangenen Hunderten von Jahren auf diesem Sektor ereignet hat. Es sieht ganz so aus, als ob es auf Grund der technischen Entwicklung mit ihren quantitätsmäßigen Veränderungen, die oft in qualitätsmäßige umschlagen, noch neue Überraschungen gibt, die wir heute noch gar nicht berücksichtigen können. Deswegen üben wir eine gewisse Vorsicht bezüglich einer „vollständigen" Gesetzgebung, insbesondere nachdem hier kein Notstand besteht. Die Freiheit ist unangetastet, die Betätigungsmöglichkeit ist ebenfalls unangetastet. Daneben hat die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und der oberen Bundesgerichte Grundsätze herausgearbeitet, die für die weitere Arbeit richtunggebend sind.
Herr Minister, wollen Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Busse beantworten?
Bitte sehr!
Metadaten/Kopzeile:
5102 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 110. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 5. Februar 1964
Herr Minister, wenn ich Sie recht verstanden habe, meinten Sie, wir sollten retardieren, um abzuwarten, inwieweit die Länder einheitliches Recht schaffen wollten?
Herr Kollege Busse, das Wort „retardieren" ist in meinem Lexikon überhaupt nicht enthalten.
Sie meinten, wir sollten retardieren, um die Ländergesetzgebung abzuwarten. Ich frage nur: Können wir die Einheitlichkeit der Ländergesetzgebung nicht gerade dadurch fördern, daß wir hier einheitliche Grundsätze zu erarbeiten versuchen?
Herr Kollege Busse, ich sage folgendes: Die Absichten sind durchaus lobenswert, die Regierung will sich durchaus an diesen Arbeiten beteiligen. Aber ich darf eines feststellen — Sie können es gar nicht bestreiten und haben es bisher auch nicht bestritten, selbst nicht durch sehr polemische Zwischenrufe —: daß das Thema durch die beiden Entwürfe nicht in der Breite angefaßt worden ist.
Ich darf für die Bundesregierung mitteilen, daß wir uns bei der Beratung der beiden Gesetzentwürfe bemühen werden, das Fehlende in der notwendigen Form zu ergänzen.
— Voreilige Gesetzgebung war noch nie gut.
Ich rufe auf die Erste Beratung des Gesetzentwurfs Drucksache IV/1696. Zur Begründung dieser Vorlage hat das Wort Herr Abgeordneter Hirsch.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir Abgeordneten in diesem Hause sind seitens der Presse sehr oft — manchmal mit Recht und machmal mit Unrecht — gerügt worden, weil wir hier wenig zahlreich sind. Ich muß mit einer gewissen inneren Befriedigung feststellen, daß heute bei der für die Presse immerhin nicht ganz unwichtigen Erörterung der Presserechts- und sonstigen Pressefragen die Zahl der Abgeordneten jedenfalls höher ist als die der vorhandenen Journalisten.
Meine Damen und Herren, mir obliegt die Begründung des Gesetzentwurfs der SPD-Fraktion Drucksache IV/1696 betreffend das Zeugnisverweigerungsrecht der Journalisten.Hier ist zur Genüge ausgeführt worden, was Pressefreiheit bedeutet. Art. 5 des Grundgesetzes stabilisiert sie genauso wie Art. 19 der Konvention der Menschenrechte. Es ist auch schon gesagt worden, daß Pressefreiheit nicht ohne Informationsfreiheit möglich ist. Die Presse kann ihre Funktion als Kontrollorgan des öffentlichen Lebens nicht erfüllen, wenn sie nicht den Schutz der Anonymität genießt, d. h. wenn sie nicht davor sicher ist, daß ihre Informanten normalerweise nicht bekannt werden, weil diese Informanten sonst nicht zu ihr kommen würden.Es ergibt sich aus der Natur der Sache, daß dieses Presserecht, dieses Recht auf Informationsfreiheit, dieses Recht auf Anonymität gelegentlich in Konflikt mit gewissen Ansprüchen des Staates auf Offenlegung, auf Bekanntgabe von Informanten — insbesondere im Strafverfahren, wo der Staat an sich ja einen Anspruch darauf hat, möglichst die Wahrheit zu ermitteln — kommen muß. Es kommt darauf an, diesen Interessenkonflikt, wie in anderen Fällen, dergestalt zu regeln, daß man überprüft, welches der geschützten Rechtsgüter — Pressefreiheit auf der einen, Recht auf Wahrheitsermittlung auf der anderen Seite — gewichtiger ist.Ich glaube, es bedarf keiner längeren Erörterung, daß das geltende Recht unserer Strafprozeßordnung, wo die Rechte der Journalisten auf Aussageverweigerung in § 53 geregelt sind, nicht verfassungskonform ist. Das geltende Bundesrecht — ich betone ausdrücklich: Bundes recht — sieht ja ein Aussageverweigerungsrecht der Journalisten nur vor, wenn sich der Journalist durch die Veröffentlichung strafbar gemacht hat, wenn also sichergestellt ist, daß jemand für das betreffende Delikt strafrechtlich zur Verantwortung gezogen werden kann. Es gibt aber kein Aussageverweigerungsrecht in den Fällen, in denen die Presse wahrheitsgemäß berichtet hat.Ausnahmen gibt es in deutschen Ländern in zunehmendem Maße. Das Problem ist ja eben in nuce erörtert worden. Ausnahmen gibt es besonders in Bayern. Ich möchte als bayerischer Abgeordneter mit Genugtuung feststellen, daß das so oft im Geruch der Rückständigkeit stehende Land Bayern das erste deutsche Land gewesen ist, das nach dem letzten Krieg ein modernes Presserecht geschaffen hat. Daran kann gar kein Zweifel sein. In diesem modernen bayerischen Presserecht befindet sich § 12, der das Aussageverweigerungsrecht der Journalisten in einem, so möchte ich sagen, fast vorbildlichen Umfang und in einer fast vorbildlichen Art regelt. Er ist in einiger Hinsicht verbesserungsbedürftig. Aber dieser § 12 des bayerischen Pressegesetzes hat immerhin dazu geführt, daß in Bayern nach dem Kriege keinerlei praktische Probleme hinsichtlich des Rechtes der Journalisten auf Aussageverweigerung aufgetreten sind. In keinem einzigen Fall hat es einen solchen Konflikt gegeben, und das ist immerhin ein gewisser Beweis für die Richtigkeit dieser bayerischen Regelung.Es steht also, glaube ich, fest, und darüber brauchen wir wohl nicht zu streiten, daß § 53 der Strafprozeßordnung geändert werden muß. Es fragt sich nur, wie. Wir haben praktisch drei Entwürfe vorliegen: einen des Bundesrates, einen der FDP und einen meiner Fraktion.Der Entwurf des Bundesrates ist ein merkwürdiges Produkt. Er zeigt, wie ich meine, alle Qualitäten
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 110. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 5. Februar 1964 5103
Hirschder Bürokratie, aber auch ihre Mängel. Er zeigt ihre Qualitäten, weil es in den Beratungen innerhalb des Bundesrates, seines Innenausschusses, seines Rechtsausschusses, immerhin gelungen ist, den Kreis der zu schützenden Presseleute vernünftig abzugrenzen. Das war eines der Probleme, die bisher nicht recht gelöst werden konnten. Der Bundesratsentwurf grenzt diesen Kreis vernünftig ab, und es ist immerhin erfreulich, daß insofern der Text des Bundesratsentwurfs mit den Entwürfen der FDP und der SPD übereinstimmt.Er ist aber auch, wie ich schon sagte, ein Ausdruck mancher Mängel der Bürokratie; denn dieser Entwurf in seiner endgültigen Gestalt hat aus dem, was das Land Hessen mit seinen Anträgen gewollt hat, praktisch genau das Gegenteil gemacht. Die Bürokratie hat in ihrer altbewährten Autoritätsgläubigkeit zustande gebracht, daß dieser Entwurf des Bundesrates genau genommen eine erhebliche Rückentwicklung unseres diesbezüglichen Rechts beinhaltet. Nach ihm sollen gewisse Privilegien der Presse, wenn ich sie so nennen darf, beseitigt werden. Der Bundesrat meint, das Problem lösen zu können, indem er das Aussageverweigerungsrecht grundsätzlich bejaht, dann aber Einschränkungen folgen läßt. Da ist zunächst die Einschränkung hinsichtlich der Beschaffung der Information mit illegalen Mitteln. Es folgt eine lange Skala von Bestimmungen des Strafgesetzbuches, für die das Aussageverweigerungsrecht nicht gelten soll. Dann kommt eine Generalklausel: immer — insbesondere für Beleidigungen — soll es nicht gelten, wenn höhenwertige Interessen im Spiele stehen. Für die Praxis würde das bedeuten, daß ein Journalist seine Aussage so gut wie nie verweigern könnte. Ich glaube, es lohnt sich nicht recht, sich mit diesem Bundesratsentwurf länger zu beschäftigen; denn er kann wohl nicht Gesetz werden.
Im Gegensatz zu dem Bundesratsentwurf möchte ich gleich sagen, daß der FDP-Entwurf einen erheblichen Fortschritt gegenüber dem geltenden Recht darstellt. Ich wundere mich persönlich nur darüber, daß die Freie Demokratische Partei ihren liberalen Gedankengängen, gerade was den Beruf des Journalisten betrifft, nicht so ganz Rechnung trägt; denn auch dieser Entwurf ist gegenüber der berühmten Staatsautorität jedenfalls vorsichtiger als das angeblich so konservative Bayern. Auch der Entwurf der FDP geht von dem Standpunkt aus, man müsse gewisse Schranken setzen; man müsse grundsätzlich das Aussageverweigerungsrecht gewähren, es aber versagen — an sich sehr vernünftig eingeschränkt — bei Delikten, die mit 15 Jahren oder lebenslänglichem Zuchthaus bestraft zu werden pflegen, und bei illegaler Beschaffung der Information. Ich kann mir persönlich, um das ganz offen zu sagen, gar keinen konkreten Fall vorstellen, in dem ein Journalist bei einer Tat in diesen Konflikt geraten könnte, die mit 15 Jahren oder lebenslänglichem Zuchthaus bestraft wird. Das Wesen der Presse besteht ja gerade darin, daß sie — manchmal gerade in voreiliger Form — mehr an Aufklärung zu geben versucht, als ihr zusteht. Ich kann mir aber nicht den Fall eines Journalisten vorstellen, der, wenn ereine Information über einen Mörder bekommen hat, ausgerechnet diese Information verschweigt. Er wird diese Information im Gegenteil mit Stolz in die Öffentlichkeit tragen und wird sie mit Sicherheit nicht verschweigen. Ich glaube also, daß diese Abgrenzung nicht nötig ist, daß sie überflüssig ist und daß sie schädlich ist, und zwar einfach deswegen, weil eine Beschränkung des Aussageverweigerungsrechts bei illegaler Beschaffung der Information und beim Vorliegen gewisser Tatbestände geradezu zu einem Mißbrauch herausfordert.Wenn jemand die Aussage eines Pressemannes erzwingen will, hat er es ganz einfach. Er kann das Strafverfahren einfach an einem solchen schwerwiegenden Delikt aufhängen und behaupten: das ist eine solche strafwürdige Tat. Das wird in sehr vielen Fällen möglich sein, und dadurch könnte man die Aussage erzwingen. Er kann genauso einfach behaupten, der Journalist habe sich seine Information mit illegalen Mitteln beschafft.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Bitte schön.
Herr Kollege, würden Sie es nicht für zweckmäßiger halten, zunächst einmal die Begründung des Entwurfs der FDP abzuwarten, ehe Sie ihn hier in Bausch und Bogen herunterzensieren?
Es kann gar keine Rede davon sein, daß ich diesen Entwurf in Bausch und Bogen herunterzensiere. Ich habe im Gegenteil betont, daß dieser Entwurf erfreulich ist. Ich habe bloß zweckmäßigerweise die Einschränkung, die der FDP-Entwurf enthält, gleich vorweg erörtert, weil nämlich der SPD-Entwurf diese Einschränkung nicht enthält, und zwar aus wohlerwogenen Gründen.Wir sind der Meinung, daß die Presse ihrer Informationspflicht nur genügen kann, wenn sie völlig geschützt ist vor allen Möglichkeiten, hinter ihre Anonymität zu kommen, vor allen Möglichkeiten, ihre Informanten herauszubekommen, vor allen Möglichkeiten, sie daran zu hindern, die Öffentlichkeit über die Wahrheit zu informieren.
Wir haben in dieser Hinsicht Erfahrungen. Wir sollten sie alle beachten und die Konsequenzen daraus ziehen.Nun, meine Damen und Herren, es wird immer gesagt: Das kann man doch nicht machen. Dann wird auf irgendwelche suspekten Presseleute hingewiesen, die es natürlich auch gibt. Es wird auf nicht korrekte Presseveröffentlichungen hingewiesen. Aber, meine Damen und Herren, diejenigen in der Presse, die schlecht sind, können doch für unsere Entscheidung auf diesem Gebiet nicht maßgeblich sein. Es kommt darauf an, diese Entscheidung so zu treffen, daß die Presse ihre Funktion erfüllen kann.Nach geltendem deutschem Recht haben ein uneingeschränktes Aussageverweigerungsrecht die
Metadaten/Kopzeile:
5104 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 110. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 5. Februar 1964
HirschÄrzte, die Geistlichen und die Rechtsanwälte. Diese drei Gruppen sind ganz sicher nicht mit der Presse zu vergleichen; denn ihre Informationen sind nicht für die Öffentlichkeit bestimmt, sondern sind dazu bestimmt, vertraulich gehalten zu werden. Wir finden aber eine weitere Gruppe, die ein grundsätzliches Aussageverweigerungsrecht hat, und das sind die Abgeordneten der deutschen Parlamente. Ich muß ehrlich sagen, ich vermag nicht einzusehen, warum wir uns hier eine größere Möglichkeit, die Aussage zu verweigern, einräumen wollen als der Presse, da unsere Situation genau die gleiche ist wie die der Presseleute, die Informationen bekommen. Auch wir bekommen unsere Informationen nicht, um. sie im stillen Kämmerlein niederzulegen, sondern wir bekommen sie, damit etwas geschieht. Wir bekommen sie im allgemeinen, damit wir darüber sprechen. Wir bekommen sie, damit wir sie hier erörtern und eventuell entsprechende Schlußfolgerungen daraus ziehen. Genau das ist die Situation eines Pressemanns. Wenn man dem Abgeordneten dieses Recht gibt — man muß es ihm geben —, muß man es auch der Presse geben.Ich kann also all die Bedenken, die gegen das uneingeschränkte Recht zur Aussageverweigerung der Presse erhoben worden sind, nicht teilen, auch nicht, wenn sie zum Teil von seiten der Presse selbst kommen. Auch die Veröffentlichungen des Presserats sind für mein Gefühl viel zu vorsichtig. Man könnte an sich sagen: volenti non fit iniuria, und man könnte meinen: Wir wollen nicht päpstlicher sein als die Presse. Aber es hat sich herausgestellt, daß manches, was in den Erörterungen des Presserats steht, überholt ist und daß man beginnt, auch bei der Presse das, was dereinst beim Presserat als heilig gegolten hat, zu überprüfen und zu überdenken, und zwar, wie ich hoffe, insbesondere auch auf Grund unseres Entwurfs.Es gibt noch ein anderes Argument dafür, der Presse ein uneingeschränktes Aussageverweigerungsrecht zu geben. Es ist ein altes, selbstverständliches Standesrecht aller Journalisten in freien Staaten, daß sie um nichts in der Welt ihre Informanten preisgeben, daß sie ihr Redaktionsgeheimnis wahren. Sie betrachten es als standeswidrig, wenn einer das Redaktionsgeheimnis bricht. Wenn wir aber — Gott sei Dank hat sich die Praxis insofern im allgemeinen sehr vernünftig verhalten — doch einmal einen Journalisten in eine solche Lage bringen, dann bringen wir ihn in einen echten Gewissenskonflikt und verstoßen, indem wir das tun, genaugenommen auch gegen den Art. 1 des Grundgesetzes, indem wir die Menschenwürde mißachten. Einen Journalisten, der von seinem Beruf her gelernt hat und gewohnt ist und es für richtig hält, daß er seinen Informanten nicht preisgibt, daß er sich vor ihn stellt und sich weigert auszusagen, bringen wir in einen echten Konflikt, wenn der Staat erklärt: Du mußt aussagen. Wir kennen alle die Fälle, in denen sich ein Journalist deswegen tatsächlich hat in Beugehaft nehmen lassen. Ich glaube, wir sollten das nicht tun. Wir sollten mit seiner Menschenwürde vorsichtiger umgehen, als das bisher in unserem Gesetz geschehen ist.Im übrigen hat diese Sache noch eine andere Seite. Ich habe durch Zufall kürzlich einen Beschluß des Kreisgerichts Insterburg vom 5. Oktober 1862 gefunden. Dieses Kreisgericht hatte einen Journalisten, weil er sich geweigert hatte, auszusagen, in Beugehaft genommen. Er hatte viereinhalb Monate dieser Beugehaft abgesessen. Dann hat das Gericht diesen seinen Beschluß aufgehoben. Es hat in der Begründung gesagt:Nimmt man an, daß die Haft nur ein Exekutionsmittel bildet, so führt die Verlängerung nicht zum Ziele, weil der Redakteur Hagen nur durch sie gewinnen kann. Es ist notorisch— sagt das Gericht —,daß seine Vermögenslage bei seiner Inhaftierung von der allerschlechtesten Art war und daß dieselbe durch die für ihn an vielen Orten veranstalteten Geldsammlungen bedeutend verbessert ist.
Es ist doch so: Es gibt genaugenommen nach unserem heutigen Recht für einen jungen Journalisten keine bessere Chance, als daß er in Beugehaft genommen wird. Dadurch wird er nämlich bekannt. Wenn er diese Chance wahrt, ist seine Karriere wohl gesichert.
Das passiert — gerade einige der Fälle, die nach dem Kriege geschehen sind, sollten uns zu denken geben — vielleicht aber auch bei Journalisten, die nicht unbedingt zur Elite gehören, sondern diese Sache ausnutzen, um populär zu werden. Auch das sollten wir vermeiden.Wir sind also für die uneingeschränkte Gewährung dieses Aussageverweigerungsrechtes. Diese Gewährung korrespondiert natürlich mit entsprechenden Bestimmungen, die den Staat hindern, auf die schriftlichen Unterlagen der Journalisten zurückzugreifen. Mit anderen Worten: wir brauchen Bestimmungen, die die Beschlagnahme der schriftlichen Unterlagen verhindern. Es kann lediglich umstritten sein, meine ich, ob der Wortlaut unseres Gesetzentwurfs zunächst genügt, der vorsieht, daß die zur Veröffentlichung bestimmten Unterlagen geschützt sind, um auch das sogenannte Hintergrundmaterial zu schützen, d. h. das, was nicht gleich veröffentlicht, sondern als Material aufbewahrt wird, um später einmal verwendet zu werden. Ich persönlich bin der Meinung, daß auch diese Informationen zur Veröffentlichung bestimmt sind. Aber darüber wird man sich unterhalten müssen. Ich persönlich meine: auf jeden Fall soll auch das Hintergrundmaterial geschützt werden.In dem Entwurf der FDP ist insofern eine sehr interessante und beachtenswerte Bestimmung enthalten. Ich sage das, damit Sie, Herr Kollege, sehen, daß ich keineswegs die Absicht habe, den FDP-Entwurf, wie Sie meinten, in Grund und Boden zu verdammen. Genau das Gegenteil ist der Fall. Ich meine die Bestimmung, die vorsieht, daß zu Unrecht beschafftes Material im Strafverfahren nicht ausgewertet werden darf. Wir werden gerade dieseHirschBestimmung sehr sorgfältig überprüfen müssen. Ich persönlich bin zunächst mit allen Vorbehalten der Meinung, daß die Bestimmung vielleicht nicht nötig ist, weil sie sich von selbst ergibt. Aber es wäre tatsächlich zweckmäßig, diese Bestimmung in das Gesetz aufzunehmen, um klarzustellen, daß dieser Mißbrauch auf jeden Fall verhütet werden muß und daß der Staat, wenn er sich Material unter Verletzung des Presserechts verschafft hat, es auf keinen Fall auswerten darf. Ich bin der Meinung, daß unser Entwurf einerseits der Verfassung entspricht, andererseits aber zweckmäßig ist und dafür sorgt, daß unsere Presse die Funktion erfüllen kann, die sie erfüllen muß.Für Sie ist es wohl interessant zu wissen, daß. ein Land wie Schweden erheblich weitergeht, als unser Entwurf das vorsieht. In Schweden wird ein Journalist bestraft, der dem Gericht über das Auskunft gibt, was er weiß. Wir wollen ihn lediglich davor schützen, daß er gezwungen wird, Auskünfte zu geben. Das ist aber auch das mindeste, was wir in Erfüllung unseres Verfassungsauftrages tun müssen.Ich bitte Sie daher, bei der Einzelberatung unseren Entwurf mit gebührender Sorgfalt zu prüfen, selbstverständlich aber auch mit Wohlwollen und nicht von dem Dolus aus, daß die Sozialdemokraten wieder einmal etwas fürchterlich Revolutionäres auf den Tisch gelegt haben. Was in dem Entwurf steht, ist genau das, was in unserem Grundgesetz steht, und hinter dem stehen Sie ja auch.
I)
Ich rufe auf die Erste Beratung des Gesetzentwurfs Drucksache IV/1734. Zur Einbringung hat das Wort der Herr Abgeordnete Dr. Müller-Emmert.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bin beauftragt, den Ihnen vorliegenden Gesetzentwurf Drucksache IV/1734 zu begründen, der von den Kollegen Dr. Schmidt , Bading, Margulies und Genossen eingebracht wurde. Ich darf gleich darauf hinweisen, daß dieser Antrag bezweckt, im Aussageverweigerungsrecht der Strafprozeßordnung eine Lücke zu schließen, daß er aber andererseits nicht das Aussageverweigerungsrecht der Presse betrifft, vielmehr das Aussageverweigerungsrecht der Abgeordneten und ihrer Hilfspersonen.Es geht hierbei, meine Damen und Herren, um folgendes. Nach den Bestimmungen der Strafprozeßordnung haben die Mitglieder des Bundestages, eines Landtages oder einer zweiten Kammer und auch die Gehilfen dieser Personen, also ihre Sekretäre und Bürokräfte, ein Aussageverweigerungsrecht. Hiernach kann also ein Abgeordneter oder dessen Gehilfe die Aussage verweigern über Personen, die dem Abgeordneten in dieser seiner Eigenschaft oder auch seinem Gehilfen Tatsachen anvertraut haben, oder auch über Personen, denen der Abgeordnete oder sein Gehilfe Tatsachen selbst anvertraut hat, und schließlich selbstverständlich auch über diese Tatsachen selbst.Nach fast allgemeiner Meinung in der Rechtsprechung müssen jedoch diese Gehilfen als Hilfspersonen berufsmäßig für diesen Abgeordneten tätig sein. Demnach sind Familienangehörige oder vielleicht im Haushalt des Abgeordneten tätige Personen im Sinne dieses Gesetzes keine Gehilfen. Dies ist, wie Fälle in der Praxis schon bewiesen haben, eine Lücke, die nach Meinung der Antragsteller geschlossen werden muß, da sonst das Zeugnisverweigerungsrecht der Abgeordneten auf Umwegen ausgehöhlt werden kann.Ein Fall, meine sehr verehrten Damen und Herren, der sich in einem Bundesland in ähnlicher Weise zugetragen hat, möge Ihnen dies verdeutlichen. Beispielsweise stellt ein Abgeordneter aus irgendeinem Grund politische Erhebungen über irgendeine Sache an. Dabei spricht er vielleicht mit einer Behörde und läßt sich einen bestimmten Sachverhalt vortragen. Vielleicht reicht ihm dieses Material, das er nunmehr 'bekommen hat, nicht aus, und er führt aus Gründen der Aufklärung weitere Erhebungen, auf eigene Faust gewissermaßen, durch. Dies ist, nebenbei bemerkt, nicht nur sein Recht, sondern wohl auch seine Pflicht. Diese weiteren Erhebungen bleiben aber der Behörde nicht unbekannt. Sie hat ein Interesse daran, zu wissen, wer dem Abgeordneten das Material beschafft hat oder wer ihn unter Umständen aufgeklärt hat. Es ist vorgekommen, daß in einem solchen Falle eine Behörde Strafanzeige gegen Unbekannt wegen Geheimnisbruchs oder wegen einer ähnlichen strafbaren Handlung erstattet oder daß sie unter Umständen auch ein Dienststrafverfahren gegen einen verdächtigen Beamten einleitet, wobei ich bezüglich des letzteren Falles sagen darf, daß für die Durchführung eines Dienststrafverfahrens, insbesondere für die Beweiserhebung, die Bestimmungen der Strafprozeßordnung entsprechende Anwendung finden.Im Laufe dieses Ermittlungsverfahrens oder Dienststrafverfahrens wird dann wohl aller Voraussicht nach der Abgeordnete, der sich in 'diesem Falle erkundigt hat, als Zeuge vernommen werden. Dieser Abgeordnete wird wohl — das kann man annehmen, aber es ist eine Frage seiner freien Entscheidungsbefugnis — die Aussage verweigern. Wenn er nun die Aussage verweigert hat und der Staatsanwalt oder der Untersuchungsführer sich mit dieser Aussageverweigerung nicht zufrieden gibt und weiterbohrt und unter Umständen ein findiger Mann ist, dann kann es sehr wohl vorkommen, daß dieser Staatsanwalt oder Untersuchungsführer auf die Idee kommt, die Familienangehörigen dieses Abgeordneten oder auch im Haushalt dieses Abgeordneten beschäftigte Personen als Zeugen zu vernehmen, eben deshalb, weil dieser Staatsanwalt oder dieser Untersuchungsführer von der sicher oftmals richtigen Vorstellung ausgehen kann, daß diese Personen, nämlich die Haushaltsangehörigen und die Familienangehörigen des Abgeordneten, in irgendeiner Weise von der Tätigkeit des Abgeordneten Kenntnis bekommen haben und dann unter Umständen auch Angaben machen können.Wir alle wissen, daß die Briefe, die an Abgeordnete gerichtet sind und in seine Wohnung gehen,
Metadaten/Kopzeile:
5106 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 110. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 5. Februar 1964
Dr. Müller-Emmertsehr oft von den Familienangehörigen geöffnet werden. Nun, immerhin, Herr Kollege Kanka, bei Ihnen kommt das vielleicht nicht vor, aber bei anderen Abgeordneten kommt es vor; das könnte man durch entsprechende Nachfragen sehr leicht beweisen. Wir wissen weiterhin, daß bei der Abwesenheit eines Abgeordneten von seiner Frau, von seinen erwachsenen Kindern oder von einer Hausangestellten sehr oft Telefongespräche empfangen werden, die möglicherweise einen diesbezüglichen Inhalt haben. Wir wissen auch, daß die Familienangehörigen eines Abgeordneten oder auch Hausangestellte, die in seiner Familie tätig sind, bewußt oder unbewußt die Post eines Abgeordneten vor ihrer Versendung lesen oder zumindest Telefongespräche, die er von seiner Wohnung aus führt, mithören.Daraus ergibt sich dann, daß in einem solchen Fall, wenn eine solche Person als Zeuge in einem derartigen Verfahren vernommen werden würde, diese kein Zeugnisaussageverweigerungsrecht hätte, daß sie dann Angaben machen müßte und daß damit das eigene Zeugnisverweigerungsrecht des Abgeordneten auf diesem Umweg ausgehöhlt wäre. Aus diesen Erwägungen heraus wurde von den Antragstellern der Antrag auf Drucksache IV/1734 eingebracht.Ich darf ergänzend dazu noch sagen, daß die ganze Angelegenheit im Jahre 1962 schon einmal im Landtag von Niedersachsen besprochen wurde. Der Niedersächsische Landtag hat in seiner Sitzung vom 20. Juni 1962 einstimmig beschlossen, beim Bundestag anzuregen, die Strafprozeßordnung derart zu ändern, daß die von mir aufgezeigte Lücke geschlossen wird.Nach Meinung der Antragsteller ist die vorgelegte Formulierung sehr streng und eng gefaßt. Es ist bei ihr gesichert, daß die Familienangehörigen des Abgeordneten und die Personen, die in seinem Haushalt tätig sind, nur dann ein Zeugnisverweigerungsrecht haben, wenn sie jeweils im Einzelfall für den Abgeordneten in dessen Abgeordneteneigenschaft oder dessen politischer Eigenschaft tätig geworden sind. Es ist wohl hinreichend begründet, daß hier eine Lücke in der Strafprozeßordnung vorhanden ist, die mit dem Antrag, sofern er angenommen wird, sehr leicht zu schließen ist.Ich bitte Sie, den Gesetzentwurf dem Rechtsausschuß zur weiteren Beratung zu überweisen.
Sie haben die Begründung gehört.
Ich rufe auf die Erste Beratung des Gesetzentwurfs Drucksache IV/1815. Das Wort zur Begründung der Vorlage der Fraktion der FDP hat die Frau Abgeordnete Dr. Diemer-Nicolaus.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege Müller-Emmert hat soeben einen interfraktionellen Antrag zum Zeugnisverweigerungsrecht begründet, der eben dadurch den Beifall des
ganzen Hauses bekommen hat. Ich habe nun die Aufgabe, den von den Freien Demokraten eingereichten Antrag zum Zeugnisverweigerungsrecht zu erläutern. Zuvor aber möchte ich kurz auf das eingehen, was der Herr Kollege Müller-Emmert gesagt hat.
Einen Augenblick, Frau Abgeordnete. Ich habe Ihnen das Wort zur Einbringung dieser Vorlage gegeben. Die Aussprache ist noch nicht eröffnet. Ich bin durch die Geschäftsordnung gehalten, daran zu erinnern, daß in der ersten Lesung die Grundzüge der Vorlage, und nichts anderes, zu erörtern sind.
Herr Präsident, Sie haben durchaus recht. Ich habe nicht darauf geachtet, weil ich nur einen Satz sagen wollte, um die Sache zu erledigen; den stelle ich jetzt zurück.
Danke vielmals!
Schon bei der Begründung des Presserechtsrahmengesetzes wurde eingehend auf Art. 5 des Grundgesetzes und seine große Bedeutung für einen demokratischen Rechtsstaat hingewiesen. Es wurde dargelegt, welche Bedeutung die Presse hat. Wenn aber die Presse wirklich in demokratischem Sinne arbeiten soll, ist es erforderlich, daß eine staatlich bestimmte, anerkannte Geheimsphäre für die Presse geschaffen wird, damit sie möglichst ungestört den sehr verantwortlichen Aufgaben, die sie auf Grund des Artikels 5 des Grundgesetzes zu erfüllen hat, nachkommen kann.Ich möchte in diesem Zusammenhang doch einmal auf folgendes hinweisen. Herr Kollege Hirsch, aus Ihren Ausführungen klang ein wenig durch, daß wir, die FDP, nicht mehr so liberal seien, daß Sie, die SPD, jetzt vielleicht liberaler seien als wir. Zu der speziellen Frage werde ich noch kommen. Aber historisch gesehen ist die Pressefreiheit ein Kind des Liberalismus und genauso auch die nach und nach bessere Ausgestaltung des Zeugnisverweigerungsrechtes. Es waren immer die Liberalen, die sich dafür eingesetzt haben, und es war der demokratische Reichsjustizminister Schiffers, der schon in der Zeit der Weimarer Verfassung einen entsprechenden weitgehenden Antrag eingereicht hatte. Er ist damals nicht durchgekommen; das passiert uns Liberalen öfters. Wir freuen uns aber, immer wieder feststellen zu können, daß unsere liberalen Gedanken doch auch bei anderen Parteien immer stärker Fuß fassen, wo sie früher nicht so zuhause waren.
Es ist in diesem Zusammenhang weiter darauf hinzuweisen, daß es sich beim Zeugnisverweigerungsrecht um eine Entwicklung von 114 Jahren handelt. Es wurde vorhin bemerkt, daß ein Journalist nicht besser Bekanntwerden könne als durch eine Beugehaft. Nun, das ist schon im Jahre 1850
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 110. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 5. Februar 1964 5107
Frau Dr. Diemer-Nicolauseinem Journalisten passiert, und die damalige Beugehaft war der Anlaß dazu, daß gesetzliche Maßnahmen ergriffen und immer wieder neu ergriffen wurden, um dem Journalisten bei der Ausübung seines Berufes ein Zeugnisverweigerungsrecht zu geben.Nach der geltenden Strafprozeßordnung haben Journalisten — genauer gesagt: Redakteure, Verleger, Herausgeber und Journalisten, wenn sie gleichzeitig Redakteure sind — nur ausnahmsweise ein Zeugnisverweigerungsrecht, nur in den Fällen, die in der Strafprozeßordnung aufgeführt sind. Ferner ist auf folgende Eigenart der geltenden gesetzlichen Regelung hinzuweisen: gerade wenn es sich um eine Veröffentlichung strafbaren Inhalts handelt, hat der Journalist bzw. Redakteur ein Zeugnisverweigerungsrecht; wenn aber der Journalist oder der Redakteur sich korrekt verhält, keinen Mißbrauch mit der Pressefreiheit getrieben hat, gerade dann hat er kein Zeugnisverweigerungsrecht. Das ist widersinnig und sehr schwer einzusehen und hat schon in den letzten Jahren zu erheblicher Kritik an dieser Bestimmung geführt.Es ist des weiteren mit Recht beanstandet worden, daß der Kreis der Personen, die in Ausnahmefällen ein Zeugnisverweigerungsrecht haben, zu sehr eingeschränkt ist. Es gehören nicht dazu die Korrespondenten und die Journalisten, wenn sie nicht gleichzeitig Redakteure sind.Ferner ist an der jetzt geltenden Regelung beanstandet worden, daß auch das Material, das vor der Beschlagnahme und Durchsuchung geschützt werden soll, zu eng begrenzt ist, daß gerade das nicht unter den Schutz fällt, was — Herr Kollege Hirsch hat bereits darauf hingewiesen — für die Erfüllung der Aufgaben der Presse notwendig ist, nämlich all das Material, das bei den Zeitungen, Zeitschriften usw. als Unterlage für künftige Veröffentlichungen im Archiv gesammelt wird, um irgendwie einmal verwendet zu werden; ganz abgesehen von der modernen Entwicklung hinsichtlich von Tonbändern, Fotos und allem, was in dieser Hinsicht vorhanden ist.Wir Freien Demokraten sind — das darf ich in aller Offenheit sagen — auch auf Grund einiger Vorfälle in nicht allzu ferner Vergangenheit der Auffassung, daß mit einer Reformierung des Zeugnisverweigerungsrechtes nicht länger gewartet werden kann, sondern daß es sich um ein vordringliches Problem handelt, das noch in diesem Bundestag befriedigend gelöst werden muß.Die nächste Frage — besonders Herr Bundesinnenminister Höcherl, der im Augenblick nicht mehr da ist, hat sie behandelt — ist dann: Wo und wie soll die Regelung erfolgen, und ist der Weg, den wir als Freie Demokraten — im übrigen aber auch die Sozialdemokratische Partei — für richtig erachten, nämlich der, die Strafprozeßordnung entsprechend zu ändern, der richtige Weg? Herr Minister Höcherl hat bereits auf verschiedene Landesgesetze hingewiesen. Von Ihnen, Herr Kollege Hirsch, wurde das nach Ihrer Auffassung vorbildliche bayerische Pressegesetz angeführt. Wie ich weiß, enthält auch das erst in letzter Zeit verabschiedete baden-württembergische Landespressegesetz, das seit dem 1. Februar dieses Jahres, also erst seit wenigen Tagen, Gültigkeit hat, ein Zeugnisverweigerungsrecht. Ein Zeugnisverweigerungsrecht ist auch in den Landespressegesetzen von Schleswig-Holstein und Hamburg vorgesehen. Trotzdem waren wir der Auffassung, daß das Zeugnisverweigerungsrecht ein so wichtiges Recht ist, daß eine bundeseinheitliche Regelung hier dringend geboten ist.Wir halten die Regelung in der Strafprozeßordnung auch deshalb für richtig, weil diese Materie bisher schon in der Strafprozeßordnung, nämlich in ihrem § 53 Abs. 1 Ziffern 5 und 6, geregelt ist, allerdings nach unserer Auffassung in einer reformbedürftigen Art und Weise.Wir schlagen — ebenso wie die SPD — eine Regelung vor, die die bisherige Regelung praktisch umkehrt. Während bisher ein Zeugnisverweigerungsrecht für die Presse nur ausnahmsweise besteht, soll es nach unserem Vorschlag in Zukunft grundsätzlich bestehen. Herr Kollege Hirsch hat eingewandt, wir als Liberale seien gar nicht mehr so liberal, und die von uns für notwendig erachteten Einschränkungen seien nicht erforderlich. Herr Kollege Hirsch, ich habe mit diesem Einwand gerechnet. Ich habe gelesen, was in den Zeitungen stand, nachdem unser Gesetzentwurf bekannt geworden war. Ich habe auch die Kritik gelesen, die daran geübt wird, daß wir das Zeugnisverweigerungsrecht in zwei Fällen einschränken wollen. Diese von uns vorgesehenen Einschränkungen beruhen nicht darauf, daß wir nicht genügend liberal sind, sondern darauf, daß — übrigens nach der Schaffung des bayerischen Landespressegesetzes — einige Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts ergangen sind, die sich mit der Frage der Pressefreiheit und der Meinungsfreiheit des Art. 5 des Grundgesetzes und mit der Frage befassen, in welchem Umfang eine Begrenzung unter Umständen notwendig und zu verantworten sei.Schon in Art. 5 des Grundgesetzes wird ja auf die Möglichkeit einer Einschränkung hingewiesen. In Art. 5 Abs. 2 heißt es ausdrücklich:Diese Rechte— also Pressefreiheit, Meinungsfreiheit, Informationsfreiheit, die in Abs. 1 aufgeführt sind —finden ihre Schranken in den Vorschriften der allgemeinen Gesetze, den gesetzlichen Bestimmungen zum Schutze der Jugend und in dem Recht der persönlichen Ehre.Wenn das schon in unserem liberalen Grundgesetz enthalten ist, so zeigt das, daß sich auch dessen Schöpfer durchaus bewußt waren, daß der Liberalismus hinsichtlich der Grundrechte nicht nur Freiheiten kennt, sondern gegebenenfalls auch eine Einschränkung im Interesse der Allgemeinheit, im Interesse des größeren Ganzen bejaht.Herr Kollege Hirsch, wir, die wir seit vielen Jahrzehnten dem Liberalismus und seiner ganzen Entwicklungsgeschichte verhaftet sind, haben in den politischen Fragen und besonders in den wirtschaft-
Metadaten/Kopzeile:
5108 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 110. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 5. Februar 1964
Frau Dr. Diemer-Nicolauslichen Fragen erkannt, daß der ursprüngliche Liberalismus, der Liberalismus im „Urzustand", für unsere heutigen Verhältnisse nicht mehr tragbar ist. Wir fragen als Liberale heute nicht nur nach der Freiheit „wovon", sondern noch viel stärker nach der Freiheit „wofür".Hier gibt das Bundesverfassungsgericht in einer Entscheidung maßgebliche Richtlinien. Sie finden die Entscheidung in Band 7 S. 198. Es heißt darin im Zusammenhang mit Art. 5 Abs. 1 und 2:Die allgemeinen Gesetze— von denen in Abs. 2 die Rede ist —müssen in ihrer das Grundrecht beschränkenden Wirkung ihrerseits im Lichte der Bedeutung dieses Grundrechts gesehen und so interpretiert werden, daß der besondere Wertgehalt dieses Rechts, der in der freiheitlichen Demokratie zu einer grundsätzlichen Vermutung für die Freiheit der Rede in allen Bereichen, namentlich aber im öffentlichen Leben, führen muß, auf jeden Fall gewahrt bleibt.Uns ist dieser vom Bundesverfassungsgericht ausgesprochene Satz außerordentlich wertvoll.Es heißt aber dann, daß die „allgemeinen Gesetze" zwar dem Wortlaut nach dem Grundrecht Schranken setzen, ihrerseits aber aus der Erkenntnis der wertsetzenden Bedeutung dieses Grundrechts im freiheitlich-demokratischen Staat ausgelegt und so in ihrer das Grundrecht begrenzenden Wirkung selbst wieder eingeschränkt werden müssen.Wir sind der Auffassung: Wenn wir eine Reform durchführen, wenn wir eine Verbesserung vornehmen wollen, müssen wir beachten, wo auch für ein Zeugnisverweigerungsrecht, das ja dann grundsätzlich vorhanden ist, eine Grenze gesetzt werden muß, und zwar aus der Erkenntnis, daß dem Interesse an der Verwirklichung des Grundrechts der Pressefreiheit auf der einen Seite gegebenenfalls das Interesse an der Strafverfolgung auf der anderen Seite gegenübersteht.Damit komme ich auf etwas, was nicht immer richtig gesagt wird. Es handelt sich nicht nur und schlechthin um das Interesse an Strafverfolgung, sondern es geht nur um die Strafverfolgung allerschwerster Verbrechen. Das ist nämlich ein Unterschied. Ich glaube, das muß man sehen, denn grundsätzlich soll nach Art. 5 die Presse- und Informationsfreiheit gewahrt werden.Herr Kollege Hirsch, Sie haben vorhin gesagt, Sie könnten sich keinen Fall denken, in dem das praktisch werden könnte. Vor einigen Monaten ist ein Fall durch die Presse gegangen; es war ein Fall aus der Schweiz, nicht aus Deutschland. Wenn ich ihn recht in Erinnerung habe, war es so, daß dort einer, der ein Tötungsdelikt begangen hatte — ich glaube sogar, es war Mord; aber ich will da vorsichtig sein —, sich an die Presse gewandt und gesagt hatte: Ihr bekommt meine Information, dürft aber nicht verraten, wer ich bin.Sehen Sie, das geht nicht. Wir Freien Demokraten sind der Auffassung: so geht es nicht, bei allem Informationsbedürfnis der Presse! Wenn derart schwerwiegende Dinge an die Presse herangetragen werden und die Presse publiziert sie, dann muß gegebenenfalls auch gesagt werden, woher diese Kenntnisse stammen. Hier sind die Grenzen gesetzt.
In der Frage, wo die Grenze zu setzen ist, sind wir allerdings zu weniger Konzessionen bereit als der Bundesrat mit seinem Antrag, der dem Bundestag noch gar nicht vorliegt und der eine enumerative Aufzählung enthält. Das ist unsere Kritik an diesem Bundesratsantrag: Da wird zuerst gesagt, grundsätzlich Schutz der Pressefreiheit und des Zeugnisverweigerungsrechts; aber danach werden dann nahezu alle Abschnitte des 'Besonderen Teils des Strafgesetzbuchs aufgeführt — einschließlich Fahrlässigkeitsdelikt — als Ausnahmen des Zeugnisverweigerungsrechts, und es bleibt von diesem Schutz des Zeugnisverweigerungsrechts nur sehr wenig übrig.
Deshalb werden wir uns in den Beratungen im Rechtsausschuß sehr eingehend mit dieser Grenze, die zu ziehen ist, befassen müssen. Es ist der Wunsch und der Wille der Freien Demokraten, daß das Zeugnisverweigerungsrecht entsprechend den grundsätzlichen Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts nicht mehr eingeschränkt wird, als es unbedingt erforderlich ist. Da ist einmal der Fall einer Strafverfolgung bei allerschwerster Kriminalität. Hinzu kommt noch eine andere Einschränkung, die wir als Liberale mit unseren jahrzehntelangen Erkenntnissen glaubten ebenfalls vornehmen zu müssen. Da geht es um die Frage der illegalen Informationsbeschaffung. Herr Kollege Hirsch, Sie glaubten und glauben wahrscheinlich auch jetzt noch — vielleicht überzeugen wir Sie noch in den Ausschußberatungen eines anderen —, daß eine derartige Einschränkung nicht notwendig sei. Sie wiesen in diesem Zusammenhang auf den Deutschen Presserat hin. Ich muß sagen, mich hat es eigentlich gefreut, daß der Deutsche Presserat, der doch so sehr verantwortlich arbeitet und auch sehr verantwortlich seine Richtlinien für die Berichterstattung an die Presse herausgegeben hat, ebenfalls der Auffassung ist, daß eine illegale Informationsbeschaffung nicht gedeckt werden könnte.
Ich will Ihnen ganz krasse Fälle nennen. Sagen Sie nicht, so etwas komme nicht vor. Wir als Anwälte und auch die Richter wissen: Es gibt nichts, was nicht vorkommt, wenn man es auch, wäre es in einem Roman geschrieben, nicht für möglich halten würde. Nehmen Sie an, daß das Informationsmaterial im Wege eines Diebstahls beschafft worden ist. Würden Sie es für richtig erachten, daß der betreffende Redakteur, der das weiß und es dennoch veröffentlicht, ein Zeugnisverweigerungsrecht hat? Oder nehmen Sie an, es handelt sich um eine schwere Bestechung. Vielleicht ist das Material sogar durch einen Einbruch beschafft worden. Würden Sie in einem solchen Fall, bei einer derart unlau-
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 110. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 5. Februar 1964 5109
Frau Dr. Diemer-Nicolausteren Materialbeschaffung und bei Veröffentlichung in Kenntnis dieser Tatsache ein Zeugnisverweigerungsrecht für richtig halten? Uns ging das zu weit. Deswegen waren wir der Auffassung, daß auch insofern die von uns gewünschte Einschränkung bezüglich der illegalen Informationsbeschaffung berechtigt ist und vertreten werden muß.Noch etwas anderes. Ein Zeugnisverweigerungsrecht bei Journalisten und entsprechend den anderen Personen, die in unserem Antrag aufgeführt sind, ist etwas anderes als das Zeugnisverweigerungsrecht des Anwalts, des Arztes oder des Pfarrers. Was bei diesen Personengruppen geschützt werden soll, ist das Vertrauensverhältnis zu dem jeweiligen Mandanten oder zu dem Patienten. Das kann gar nicht streng genug geschützt sein. Es hat dazu geführt, daß es sich nicht nur um ein Zeugnisverweigerungsrecht — von Rechtsanwälten, Ärzten, Pfarrern — handelt, sondern um eine Pflicht. Gegebenenfalls macht sich derjenige strafbar, der diese Pflicht verletzt.Herr Kollege Hirsch, Sie haben darauf hingewiesen, daß in Schweden eine ähnliche Regelung für Journalisten besteht.
— Sie haben sich das nicht zu eigen gemacht, nach meiner Auffassung zu Recht nicht zu eigen gemacht. Denn es besteht das Zeugnisverweigerungsrecht der Presse nicht zugunsten bestimmter Personen — wie es beim Mandanten und bei einem Patienten der Fall ist —, das Zeugnisverweigerungsrecht wird der Presse auch nicht um der Journalisten willen gegeben, sondern um einer freiheitlichen Presse willen, damit sie ihre Aufgabe erfüllen kann, damit wir als Bürger auf alle Fälle von der Presse unterrichtet werden können, damit wir erkennen können, was vorgeht, damit die Presse ihre Kontrollfunktion — nicht nur ihre Meinungsbildungsfunktion — ausüben kann.Was wären wir manchmal als Abgeordnete, wenn wir nicht die Information über die Presse hätten, auch wenn es sich nicht um erfreuliche, sondern manchmal auch um unerfreuliche Dinge handelt. Es wurde das Zeugnisverweigerungsrecht dem Institut der Pressefreiheit gegeben. Es dient nicht wie bei einem Anwalt speziell dem Schutz des einzelnen Mandanten usw. Deswegen ist der Journalist freier. Er braucht nicht eine Einwilligung einzuholen, wenn er Angaben machen will. Das ist eine hohe Verantwortung, die ihm durch dieses Gesetz auferlegt wird. Er muß nämlich gegebenenfalls im Einzelfall entscheiden; wenn er ein Zeugnisverweigerungsrecht hat, ob er davon Gebrauch machen soll oder nicht — das ist seine Entscheidung —, er darf aussagen, anders als der Anwalt, der Arzt, der Pfarrer. Er muß selbst eine Güterabwägung vornehmen: Was ist hier wertvoller: daß ich im Interesse der Öffentlichkeit Angaben mache, woher ich das Material habe und wer der Informant ist, oder daß ich es nicht tue? Diese Verantwortung können wir ihm nicht abnehmen. Wir können nur das eine hoffen und wünschen: daß alle diejenigen, denen wir heute das sehr großzügige Zeugnisverweigerungsrecht geben, wirklich immer eine entsprechende Güterabwägung vornehmen und Aussagen, auch wenn sie dazu berechtigt wären, dann nicht verweigern, wenn es die Belange der Allgemeinheit erfordern.Bei der Beratung im Rechtsausschuß wird weiterhin zu überlegen sein, ob es sich nicht als notwendig erweisen wird — es handelt sich jetzt nur um eine Änderung der Strafprozeßordnung —, auch noch entsprechende Änderungen bei dem Recht zur Aussageverweigerung in der Zivilprozeßordnung und anderen Gesetzen vorzunehmen. Wir haben das im Augenblick noch zurückgestellt.Geschützt wollen wir aber auch das ganze sogenannte Hintergrundmaterial haben. Das halten wir für erforderlich. Daß wir diese Auffassung haben, ersehen Sie aus der Formulierung des von uns vorgeschlagenen § 97 a StPO.Noch eines! Das Beschlagnahmerecht — die Festlegung, wieweit also beschlagnahmt werden kann — und das Zeugnisverweigerungsrecht gehören ganz eng zusammen. Ein Beschlagnahmerecht und ein Durchsuchungsrecht kann es nur da geben, wo auch ein Zeugnisverweigerungsrecht nicht besteht. Wir wollen deshalb all diese Bestimmungen ganz streng — lassen Sie mich in diesem Fall den juristischen Ausdruck gebrauchen — akzessorisch gestalten. Wir halten das für erforderlich, damit die Presse wirklich in der Weise geschützt wird, wie es für ihre verantwortungsvolle Aufgabe notwendig ist.Namens der FDP-Fraktion bitte ich, auch diesen Antrag dem Rechtsausschuß zu überweisen. Ich darf weiterhin die Bitte an Sie aussprechen, auch von Ihrer Seite dazu beizutragen, daß diese Änderung der Strafprozeßordnung sobald wie möglich erfolgt,
damit unsere von uns allen kritisierte, doch noch sehr obrigkeitliche Strafverfahrensordnung wenigstens in diesem Punkt einen freiheitlicheren Geist atmet und ein Schritt weiter auf dem Wege gegangen wird, einen demokratischen Rechtsstaat so entstehen zu lassen, wie wir ihn uns im Interesse aller wünschen.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Kanka.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bitte sehr um Entschuldigung dafür, daß ich, obwohl wir alle schrecklich müde sind, mit dem Vorsatz hierhergegangen bin, noch eine lange Rede zu halten. Ich habe aber nichts dagegen, wenn sich auch der Rest der Getreuen an die Fleischtöpfe des Restaurants begibt; denn ich weiß sehr genau: Sie und die Herren von der Presse, die auch alle schon an den Fleischtöpfen sitzen, werden morgen oder übermorgen das, was heute abend
Metadaten/Kopzeile:
5110 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 110. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 5. Februar 1964
Dr. Kankagesagt wird, mit aller Aufmerksamkeit lesen und es für wert halten, kritisch darüber nachzudenken.
Während das Zeugnisverweigerungsrecht der Geistlichen, der Rechtsanwälte, der Verteidiger in Strafsachen, der Notare, der Ärzte
— und auch der Abgeordneten schon seit langem unumstritten ist, kennt unser positives Recht ein Zeugnisverweigerungsrecht der Presse erst seit dem 27. Dezember 1926. An diesem Tage ist ein Gesetz zur Abänderung der Strafprozeßordnung ergangen, das in § 53 Abs. 1 eine Ziffer 4 eingefügt hat, eine Bestimmung, die im wesentlichen jetzt noch in § 53 Abs. 1 Ziffer 5 enthalten ist. Dieses Zeugnisverweigerungsrecht ist also 38 Jahre alt. Es hat damit noch nicht das Alter erreicht, in dem unsere schon von Kindesbeinen an ungemein klugen schwäbischen Mitbürger den Gipfel der Klugheit zu erreichen pflegen. Unsere Aufgabe ist es, jetzt dafür zu sorgen, daß das Kind Zeugnisverweigerungsrecht noch klüger wird. Es hat dazu auch einigen Anlaß, denn die gesetzliche Regelung ist in der Tat unvollkommen.Wir begrüßen deshalb die Entwürfe der SPD — Drucksache 1696 — und der Freien Demokraten — Drucksache 1815 —. Wir begrüßen sie nicht, weil wir ihnen etwa in allem zustimmten, aber wir begrüßen sie als Diskussionsgrundlage und vor allen Dingen als Anerkenntnis, daß die Regelung des Zeugnisverweigerungsrechts für Redakteure usw. nach Art. 74 Nr. 1 des Grundgesetzes dem Bundesgesetzgeber und nicht dem Landesgesetzgeber obliegt.Daß das herausgestellt wird, ist gut, denn einige unserer Landesgesetzgeber haben sich in den Jahren 1948/49 beeilt, noch schnell vor dem Zusammentreten des 1. Deutschen Bundestages am 7. September 1949 landesrechtliche Regelungen des Zeugnisverweigerungsrechts zu schaffen. Die Hessen haben es mit einem Gesetz vom 23. Juni 1949 getan und die Bayern mit dem vom Herrn Kollegen Hirsch so laut und so zu Unrecht gerühmten Gesetz vom 3. Oktober 1949. Diese Schlaumeier haben es nur auf den 1. Juli 1949 zurückdatiert, um das Datum des 7. September 1949 zu umgehen.Es gibt aber Landesgesetzgeber, die sogar jetzt noch das Zeugnisverweigerungsrecht zum Gegenstand ihrer Regelung machen wollen, z. B. das ehrbare Land Baden-Württemberg durch ein Landespressegesetz vom 14. Januar 1964. Dieses Landesgesetz ist jetzt gerade drei Wochen alt geworden. Andere Landesgesetzgeber, z. B. Schleswig-Holstein, brüten über einer landesgesetzlichen Regelung des Zeugnisverweigerungsrechts der Presse.Wir stehen also vor der Gefahr, daß wir einen bunten Fleckerlteppich landesrechtlicher und grundgesetzwidriger Regelungen des Zeugnisverweigerungsrechts erhalten. Dieser Gefahr müssen wirdurch die bundesrechtliche Regelung entgegentreten.
Daß die bundesrechtliche Regelung verbesserungsbedürftig ist, darüber sind wir uns alle einig.
Wo sind die Grundsätze für eine bessere Regelung zu finden? Erster Grundsatz muß sein: ein möglichst weitreichender Schutz des Redaktionsgeheimnisses, wesentlich weiterreichend als im geltenden Recht, sogar noch weiterreichend als im Vorschlag der SPD.
Nicht nur Mitteilungen, sondern auch anderes Material müssen unter dem Mantel des Redaktionsgeheimnisses und seinem Schutz geborgen sein. Das ist es, was man als Grundsätzliches voranzustellen hat.Jeder gute Grundsatz hat in unserer vielschichtigen Welt aber auch seine Ausnahmen nötig. Uns scheinen einige Ausnahmen, an die die SPD gar nicht und die FDP nur zum Teil gedacht hat, nötig zu sein.Es sind einmal Ausnahmen zum Schutze der Ehre, wenn sie durch ein gegen sie gerichtetes Presseinhaltsdelikt verletzt worden ist oder verletzt worden sein kann. Die SPD schweigt sich in ihrem Vorschlag absolut darüber aus und leider auch die FDP. Ich werde nachher darauf zurückkommen.Eine weitere Ausnahme ist zur Aufklärung besonders schwerer Straftaten nötig, sei es, daß sie durch eine Veröffentlichung, sei es, daß sie außerhalb einer Veröffentlichung begangen worden sind. Da kann ich mich auf die zutreffenden Ausführungen meiner verehrten Frau Vorrednerin berufen. Es gibt sogar Journalisten, die auch Privatdetektive sind, die sich unter Umständen mit der Aufklärung eines Mordfalles befassen, der die Illustrierten kräftig beschäftigt. Vielleicht könnte ein Staatsanwalt von einem solchen Privatdetektiv eine wesentliche Aufklärung über den Tatbestand erhalten, sei es zur Überführung des Täters, sei es, um die Freisprechung eines zu Unrecht Verdächtigten beantragen zu können. Insofern sollte man da nicht sagen, daß überhaupt keine Ausnahmen im Dienste der Aufklärung besonders schwerer, kapitaler Verbrechen zugelassen werden sollten.Die dritte Ausnahme — da sind wir uns wieder mit der FDP einig — sollte geschaffen werden, damit das Anzapfen und das Eröffnen von illegalen Informationsquellen aufgeklärt werden kann. Es muß allerdings eine hinreichend schwere Straftat begangen sein.
Herr Kollege Kanka, Sie haben die Frage des Schutzes der Ehre angesprochen. Wären Sie zufriedener, wenn ich Ihnen schon jetzt sagte, daß ich durchaus bereit bin, über die Frage der Garantenhaftung, die da eine Rolle spielt, ausgiebig im Rechtsausschuß zu diskutieren?
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 110. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 5. Februar 1964 5111
Ich wäre sehr zufrieden. Ich werde mich aber noch mit dem Kollegen Hirsch auseinanderzusetzen haben; denn ich habe mir vorgenommen, ihn heute abend davon zu überzeugen, daß er auf dem falschen Wege ist, wenn er von der Garantenhaftung nichts wissen will. Ich werde noch darauf zu sprechen kommen.
Aber noch ein Kompliment an die FDP! Ihr Vorschlag hat für sich, daß er das Thema des Zeugnisverweigerungsrechts der Presse aus dem § 53 herausnimmt und es in einem eigenen § 53 b behandelt. Das ist gut so. Das ist richtig angesichts der Besonderheit und der Eigenart des Zeugnisverweigerungsrechts gerade der Redakteure, das eine ganz andere Wurzel hat als das Zeugnisverweigerungsrecht der Geistlichen, der Ärzte usw. Auch hier bin ich in der glücklichen Lage, mich auf die durchaus zutreffenden Ausführungen meiner sehr geschätzten Kollegin Diemer-Nicolaus beziehen zu können.
Nun möchte ich mich so allmählich den Vorlagen IV/1696 und IV/1815 zuwenden, möchte vorher aber noch einen kleinen historischen Rückblick nehmen.
Einen Augenblick, Herr Abgeordneter! Das ist nach der Geschäftsordnung gar nicht statthaft. § 78 der Geschäftsordnung — ich lese ihn wieder vor; ab und zu muß der Präsident darauf bestehen —:
In der ersten Beratung findet eine Aussprache nach den vom Bundestag gebilligten Vorschlägen des Ältestenrats statt. Es werden nur die Grundsätze der Vorlagen besprochen.
Ich bitte also, zu den Grundsätzen und nicht zu den historischen Details zu kommen.
Ich will mich mit den Grundsätzen der Vorlage rückblickend befassen und vor allen Dingen auf das eingehen, was Herr Kollege Hirsch gesagt hat. Herr Kollege Hirsch hat die bayerische Regelung des Zeugnisverweigerungsrechts gepriesen, die da ganz allgemein lautet, daß verantwortliche Redakteure, Verleger oder Herausgeber über die Person des Verfassers das Zeugnis verweigern können. Ohne jede Einschränkung! Sehen Sie, Herr Kollege, darin sind also die Einschränkungen hinsichtlich der Kapitalverbrechen und des Ehrenschutzes nicht enthalten. Alles, was ich über die Notwendigkeit dieser Einschränkungen gesagt habe, spricht gegen dieses bayerische Gesetz. Sie haben alle diese Einwendungen mit dem Argument zurückschlagen wollen, daß es in Bayern noch nie zu einem Konflikt zwischen der Presse und der Justiz gekommen sei. Das sei auf dieses hervorragende bayerische Gesetz, auf diesen hervorragenden § 12 zurückzuführen.Dazu ist folgendes zu sagen. Seit dem Jahre 1949 hat es im deutschen Bundesgebiet ganze anderthalbFälle eines Konflikts zwischen der Presse und der Justiz über das Zeugnisverweigerungsrecht gegeben. Warum? — Weil die hochlöbliche Dame dritte Gewalt Justiz und die Großmacht Presse einander mit vollem Respekt begegnen.
Wenn wir daran denken, könnten wir sogar sagen: also lassen wir es überhaupt bei § 53 Nr. 5. Das sollten wir aber nicht tun. Wir haben nun einmal die Aufgabe, uns mit diesen Problemen auseinanderzusetzen, und im Blick auf die Akzessorietät .des Beschlagnahmerechts wird es nicht schaden, wenn wir in den Regeln des § 53 b über das Zeugnisverweigerungsrecht etwas genauer und zuverlässiger und besser werden, als es das geltende Recht ist.Im gleichen Jahr 1949 hat man in Hessen etwas anderes bestimmt. In Hessen ist das Zeugnisverweigerungsrecht gegeben worden, auch über die Person des Verfassers, aber nur dann, wenn ein Redakteur des periodischen Druckwerks bestraft ist oder seiner Bestrafung keine Hindernisse entgegenstehen. Das hessische Recht von 1949 ist inzwischen verändert worden. Im Jahre 1958 ist ein neues hessisches Presserecht geschaffen worden. Den Anstoß dazu hat eine Beschlagnahme von Presseerzeugnissen wegen eines Inserats mit dem Trojanischen Pferd gegeben; meine hessischen Landsleute werden sich an den Fall erinnern. Da hat sich dann die hessische Regierung und die hessische Gesetzgebung beeilt, ein neues, besseres Pressegesetz zu machen. Als man sich an diese Aufgabe machte, hat man, weil inzwischen das Grundgesetz in Kraft getreten war, im hessischen Pressegesetz das Zeugnisverweigerungsrecht der Redakteure etc. überhaupt nicht mehr behandelt.Man hat sich allerdings noch — und es ist zweifelhaft, ob man das durfte — mit dem Beschlagnahmerecht befaßt. Da will ich Ihnen, Herr Kollege Hirsch, aus dem § 13 dieses hessischen Gesetzes von 1958 etwas vorlesen. Da wird gesagt, daß die Beschlagnahme des Druckwerks grundsätzlich nur in bestimmten Fällen durchgeführt werden darf: wenn seine Herstellung oder Verbreitung als Hochverrat, als Staatsgefährdung usw. mit Strafe bedroht ist. In diesem Katalog steht aber auch: wenn sie als Beleidigung — §§ 185 bis 187 a und 189 — mit Strafe bedroht ist; also das klare und durchaus richtige Anerkenntnis, daß der Ehrenschutz im Rahmen des Schutzes des Redaktionsgeheimnisses durchaus seine Beachtung verdient, daß er nicht so beiseite geschoben werden kann, wie Sie es mit Ihrem Entwurf leider getan haben.Der Bundesratsentwurf, der dem Hohen Hause noch nicht zugegangen ist, der uns aber allen bekannt ist, bringt die Ausnahmen, die nach unserer Meinung und fast übereinstimmend auch nach der Meinung der Freien Demokraten notwendig sind. Ich gebe aber zu, daß er sie in einer Weise bringt, die nicht vorbildlich ist. Der lange Katalog ist nahezu unverständlich. Das ist reines Juristendeutsch. Die Volksnähe, die unser Recht haben soll, hat dieser Katalog in keiner Weise. Auch die Rege-
Metadaten/Kopzeile:
5112 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 110. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 5. Februar 1964
Dr. KankaI lung, die für den Ehrenschutz vorgesehen ist, das Abwägen, ist eine ungenaue Sache und praktisch so dem Mißbrauch oder dem Mißverständnis ausgesetzt, daß ich der Meinung bin, man sollte sie ablehnen.Wesentlich besser ist schon das an sich grundgesetzwidrige baden-württembergische Gesetz mit seinem § 23.
— Aber es kann uns bei den Beratungen als ein wesentlich besseres Beispiel für eine Regelung des Zeugnisverweigerungsrechts dienen als Ihr Vorschlag, Herr Kollege Jahn. Da werden klar und deutlich alle die Unterschiede und alle die Ausnahmen gemacht, die gemacht werden müssen.Nun ganz genau zu Ihrem Entwurf, meine Herren von der sozialdemokratischen Fraktion. Hinreichender Ehrenschutz und die Rücksicht auf ihn fehlt vollkommen.
— Lassen Sie mich den Gedanken zu Ende führen.— Dabei haben wir nicht nur den Art. 5 des Grundgesetzes zu beachten, sondern vor ihm noch den Art. 1 des Grundgesetzes, der da sagt:Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt;auch die Verpflichtung des Gesetzgebers.Ich gehe dann weiter zu Art. 5, um dessen Ausführung es im weiteren Sinne des Wortes geht und auf den man sich bei der Forderung nach dem Schutz des Redaktionsgeheimnisses stützt, mit guten Gründen stützt. In diesem Art. 5 lesen wir, daß jeder das Recht hat, seine Meinung zu äußern usw., daß die Pressefreiheit und die Freiheit der Berichterstattung durch Rundfunk und Film gewährleistet werden, daß eine Zensur nicht stattfindet. Dann kommt Abs. 2:Diese Rechte finden ihre Schranken in den Vorschriften der allgemeinen Gesetze, den gesetzlichen Bestimmungen zum Schutze der Jugend und in dem Recht der persönlichen Ehre.Herr Kollege Hirsch, Sie haben gesagt, daß das geltende Recht grundgesetzwidrig sei. Ich sage Ihnen: eine Lösung nach Ihrem Vorschlag, die den Schutz der persönlichen Ehre nicht berücksichtigt, wäre wegen Verstoßes gegen Art. 1 und gegen Abs. 2 des Art. 5 des Grundgesetzes grundgesetzwidrig.
Wollen Sie jetzt eine Zwischenfrage beantworten?
Ja.
Herr Abgeordneter Jahn!
Herr Kollege Dr. Kanka, warum übersehen Sie eigentlich — das ist der grundlegende Fehler in Ihrer ganzen Argumentation —, daß in jedem der Fälle, von denen Sie sprechen, die Bestrafung des Journalisten möglich ist und daß er davor durch das Zeugnisverweigerungsrecht in keiner Weise geschützt ist?
Das stimmt nicht. Nicht in jedem Falle! Ich könnte eine ganze Anzahl von Fällen anführen, in denen diese Möglichkeit nicht besteht. Sie müssen auch ein anderes bedenken: Sie schreiben in das Presserechtsrahmengesetz hinein, daß die Presse mit ihrer Berichterstattung eine öffentliche Aufgabe erfüllt und daß sie berechtigte Interessen wahrnimmt. Wenn die Presse eine üble Nachrede, vielleicht ohne daß man dem Redakteur einen Vorwurf machen kann, abdruckt und die Ehre eines Menschen mit dem sehr brutalen Mittel der weit verbreiteten Presse kräftig in den Schmutz gezogen wird, dann kann der Redakteur nicht zur Rechenschaft gezogen werden, und es kann niemand von den Presseleuten zur Rechenschaft gezogen werden. Sie können nämlich immer sagen: wir berufen uns darauf, daß wir ein berechtigtes Interesse wahrgenommen haben, also auf den § 193.Schön, Herr Kollege, ich will Ihrer Frage entnehmen, daß auch Sie das Bedürfnis haben, dafür zu sorgen, daß dem Ehrenschutz einiger Raum, gebührender Raum, geschaffen wird.
— Gut, Sie kommen fast auf das, was vorhin die Kollegin Diemer-Nicolaus gesagt hat. Wenn wir uns darüber einig werden und auch darüber, daß es gewisse Kapitaldelikte gibt, deren Aufklärung dem Schutz des Pressegeheimnisses, des Redaktionsgeheimnisses vorgeht, werden wir zu einem besseren Ergebnis kommen.Die Hoffnung, die da aufkeimt, erlaubt es mir, nun schneller zum Schluß zu kommen.
Die Entwürfe werden dem Rechtsausschuß zugeleitet werden. Dort liegt bereits das Strafprozeßänderungsgesetz. Wir werden sehr sorgfältig zu prüfen haben, ob wir die Entwürfe bei dem Strafprozeßänderungsgesetz mit erledigen. Dagegen spricht vielleicht, daß die Beratungen des Strafprozeßänderungsgesetzes, die schon ziemlich weit gediehen sind, dann noch weiter verzögert werden. Vor allen Dingen aber spricht ein Gesichtspunkt dagegen, den die Kollegin Diemer-Nicolaus erwähnt hat. Wir müssen uns, wenn wir uns mit dem Schutz des Redaktionsgeheimnisses befassen, vielleicht auch über die Zäune des Strafprozeßrechts hinweg in das Gebiet des Zivilprozeßrechtes begeben. Wir müssen daran denken, daß auch auf diesem Verfahrensgebiet das Zeugnisverweigerungsrecht der Presse überhaupt erst neu geregelt werden muß. Wir müssen uns auch mit dem Beschlagnahmerecht im Wege der zivilprozessualen Vollstreckung, auch auf Grund einstweiliger Verfügungen, befassen. Ich gehe allerdings nicht so weit, daß ich der Meinung bin, einstweilige Verfügungen könnten auf diesem Gebiet nur auf
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 110. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 5. Februar 1964 5113
Dr. KankaGrund mündlicher Verhandlungen erlassen werden. Es können doch Fälle vorkommen, in denen die Verletzung eines subjektiven Rechts, eines Ehrenrechts oder irgendeines anderen Rechts, so eklatant ist, daß man die einstweilige Verfügung auch ohne mündliche Verhandlung ergehen lassen muß.Meine Damen und Herren, es ist ein sehr schwieriges Gebiet, das wir zu regeln haben. Unsere erste Lesung war — ich bitte den Herrn Präsidenten um Entschuldigung — vielleicht etwas zu gründlich. Ich will vielleicht kann ich es für uns alle tun — ein bißchen halb-poetisch mit dem Gelöbnis schließen, daß wir der Presse, aber auch der Justiz für die Dienste, die sie beide unserem Volke zu leisten haben, die Presse wie die Justiz, ein gutes Zeugnisverweigerungsrechtsgesetz liefern wollen.
Das Wort hat der Herr Bundesjustizminister.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nachdem die Fraktionen der SPD und der FDP ihre Gesetzentwürfe in den Grundzügen begründet haben und der Abgeordnete Kanka sie in den Einzelheiten fast erschöpfend behandelt hat, glaube ich mich auf einige grundsätzliche Bemerkungen beschränken zu können.Die geltenden Vorschriften der Strafprozeßordnung über das Zeugnisverweigerungsrecht sind seit Monaten in der öffentlichen Diskussion und werden auf vielen Seiten als unzulänglich bezeichnet. Vor allem wird das sogenannte privilegium miserabile beanstandet, das von den Kollegen Frau Diemer-Nicolaus und Hirsch dargestellt worden ist. Ohne jetzt auf die Einzelfragen einzugehen, halte ich die Kritik an der geltenden Regelung prinzipiell für berechtigt.Ich möchte aber doch nicht, daß der falsche Eindruck entsteht, als ob unser bisheriger gesetzlicher Zustand, verglichen mit anderen Ländern, rückständig sei. Sicher, mit dem fortschrittlichen Land Bayern können wir offensichtlich nicht konkurrieren. Aber ich muß es leider sagen: ich halte die gesetzliche Bestimmung im § 12 des bayerischen Pressegesetzes, wenn vielleicht auch für fortschrittlich, doch für ebenso verfassungswidrig, weil Gegenstände der Strafprozeßordnung eben zur Bundesgesetzgebung gehören. Es ist Herrn Kanka sicher darin zuzustimmen, daß diese bayerische Bestimmung, wie er dargelegt hat, auch noch gar keine Gelegenheit hatte, sich in einem Konflikt zu bewähren.
— In dem Falle kann man doch nicht sagen, daß das die Wirkung einer fleet in being hat.Aber ein ganz kurzer Blick auf andere Länder; ich will das nur in Stichworten sagen. In den Vereinigten Staaten von Amerika gibt es nur in einigen Bundesstaaten ein Zeugnisverweigerungsrecht. Großbritannien kennt es nur im Zivilprozeß wegen Ehrverletzung; im Strafprozeß muß der Redaktionsangehörige seine Informationsquellen aufdecken. Es gibt kein Zeugnisverweigerungsrecht in Frankreich, Belgien, Italien und den Niederlanden. In der Schweiz gibt es eine Lösung, die hinter dem zurückbleibt, was wir haben. Die schwedische Regelung ist von Frau Kollegin Diemer-Nicolaus beschrieben worden, und in Dänemark ist es ähnlich wie in der Schweiz.Ich wiederhole aber: Ich stelle das nur dar, um nicht den Eindruck entstehen zu lassen, als ob wir besonders rückständig seien. Ich halte trotzdem die Kritik und die Tendenz der Entwürfe, die mit dieser Kritik verbunden ist, für berechtigt. Ich bin der Meinung, daß es an der Zeit ist, die mit dem Zeugnisverweigerungsrecht der Presse zusammenhängenden Fragen gründlich zu überprüfen und die Vorschriften den gewandelten Vorstellungen über die öffentliche Aufgabe der Presse, wie sie ja auch in der vorangegangenen Debatte zum Presserechtsrahmengesetz zum Ausdruck gekommen sind, anzupassen. Ich stimme also grundsätzlich dem Anliegen der beiden heute zur ersten Beratung anstehenden Gesetzentwürfe zu. Eine andere Frage ist allerdings, wie diese Neuregelung aussehen soll. Diese Frage ist nicht leicht zu beantworten.Der Entwurf der SPD-Fraktion geht .offenbar von der Auffassung aus, daß die durch Art. 5 des Grundgesetzes gewährleistete Pressefreiheit ein uneingeschränktes umfassendes Zeugnisverweigerungsrecht und eine entsprechende Beschlagnahmefreiheit zur Folge haben muß. Das bedeutet die Inanspruchnahme eines absoluten Vorranges für den Schutz der Informationsquellen der Pressegegenüber anderen Gemeinschafts- und Individualinteressen. Ein solch uneingeschränkter Vorrang der Pressefreiheit läßt sich nach Auffassung der Bundesregierung aus Art. 5 des Grundgesetzes nicht begründen. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist vielmehr zwischen den Erfordernissen einer freien Presse einerseits und den Belangen der Strafverfolgung andererseits abzuwägen und ein Ausgleich zu finden. Dabei sind zu den Belangen der Strafverfolgung auch die Belange des Strafverfolgten zu zählen. Diese Rechtsprechung macht deutlich, daß es Grenzen des Zeugnisverweigerungsrechts geben muß. Das Interesse der Presse am Schutz ihrer Informationsquellen muß dann zurücktreten, wenn der Schutz höherrangiger Rechtsgüter, der zu den Aufgaben der Strafrechtspflege gehört, dies erfordert. Deshalb halte ich Einschränkungen, wie sie im Entwurf der FDP-Fraktion vorgesehen sind, für erforderlich. Man kann auch nicht sagen, wie es Herr Kollege Hirsch tut, daß in einem Falle, wo es sich um einen Mörder handele, kein verantwortungsbewußter Journalist die Angabe seiner Quelle verweigern würde. Wenn das so ist, warum soll man dann nicht doch vorsichtshalber diese Grenze in das Gesetz hineinschreiben?Die gezogene Parallele zum Abgeordneten trifft nicht zu. Ich möchte zwar nicht vereinfachend sagen: Quod licet Jovi, non licet bovi. Wir Abgeordnete betrachten uns — ich glaube, ich kann hier den Herrn Präsidenten dieses Hohen Hauses zitieren — nicht als eine Elite, sondern als einen vom Volk gewählten Querschnitt. Aber: wir sind gewählt; das heißt der
Metadaten/Kopzeile:
5114 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 110. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 5. Februar 1964
Bundesminister Dr. BucherAbgeordnete muß sich immer wieder zur Wahl stellen und steht deshalb in einer ganz anderen Position als der Journalist, der völlig frei ist und auch keine Qualifikation wie andere begünstigte Gruppen — Geistliche, Rechtsanwälte, Ärzte — erbringen muß. Ich will nicht die Reichsschrifttumskammer bemühen, die heute schon durch den Raum geisterte. Ich will auch gar nicht kritisieren, daß der Journalist völlig freien Zugang zum Beruf hat. Aber andererseits zeigt dies, daß hier Grenzen erforderlich sind, die bei den anderen Gruppen, denen wir das Zeugnisverweigerungsrecht zugestehen, nicht notwendig sind.Der Entwurf der FDP-Fraktion versucht, die gebotene Abwägung vorzunehmen und einen Ausgleich zwischen den gegensätzlichen Interessen zu finden. Ob die Grenzen in diesem Gesetzentwurf richtig gezogen sind, darüber wird man sicherlich noch sprechen müssen. Es steht jedenfalls außer Frage, daß die nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts unerläßliche Abgrenzung zwischen den widerstreitenden Interessen die eigentliche Schwierigkeit bei der gesetzlichen Neuregelung des Zeugnisverweigerungsrechts bildet.Ich freue mich, daß auch der Deutsche Presserat die Notwendigkeit dieser Grenzziehung anerkennt. Ich darf aus einem Artikel der heutigen Nummer der „Süddeutschen Zeitung" zitieren, wo am Schluß folgende vier Grundgedanken des Deutschen Presserates erwähnt werden:1. Ohne den Schutz ihrer Quellen kann die Presse ihre Kontrollfunktion und damit einen Teil ihrer öffentlichen Aufgaben nicht erfüllen.2. Bei Rechtsverletzungen hat der Schutz des Berufsgeheimnisses den Vorrang, wenn durch die strafrechtliche Haftung des Redakteurs eine Sühne möglich ist.3. Der Schutz des Berufsgeheimnisses hat dann zurückzutreten, wenn der Bestand oder die Sicherheit des Staates und seine freiheitliche Grundordnung in Gefahr sind.4. Bei strafprozessualen Maßnahmen ist zwischen den Erfordernissen einer freien Presse und der Strafverfolgung abzuwägen.Diesen Grundsätzen kann man sicher zustimmen.Zu dem vom Bundesrat beschlossenen Entwurf eines Gesetzes zur Änderung der Strafprozeßordnung, das ebenfalls diese Materie betrifft, vermag sich die Bundesregierung heute leider noch nicht zu äußern — ich bitte ausdrücklich um Nachsicht hierfür —, und zwar deshalb, weil die Stellungnahme des Bundesgerichtshofes, die uns wegen der großen Erfahrung dieses Gerichts sehr notwendig zu sein scheint, noch nicht vorliegt, angesichts der Belastung des Bundesgerichtshofes auch noch nicht vorliegen kann. Der Entwurf des Bundesrates kann deshalb leider erst später diesem Hause vorgelegt werden, und ich darf wohl davon ausgehen, daß er dann zusammen mit den beiden anderen Entwürfen im Rechtsausschuß beraten werden wird.Zur Beratung im Rechtsausschuß würde ich es auch sehr begrüßen, wenn diese Materie mit der bereits anhängigen Novelle zur Strafprozeßordnung verbunden werden könnte und wenn trotzdem diese Novelle zur Strafprozeßordnung uns dann recht bald zur zweiten Lesung vorgelegt würde.
— Ja. Ich brauche hier nicht darauf einzugehen, warum es so lange dauert, warum wir sie noch nicht haben.Es wird aber selbstverständlich auch die Frage geprüft werden müssen, ob nicht eine parallele Angleichung in der Zivilprozeßordnung notwendig ist. Ich hoffe jedoch, daß diese Frage die Verabschiedung der Strafprozeßordnungnovelle nicht verzögert.Meine Damen und Herren, was den vom Kollegen Müller-Emmert begründeten interfraktionellen Initiativantrag, der eine kleine Detailfrage betrifft, angeht, so glaube ich Sie jetzt wirklich nicht mehr lange aufhalten zu sollen. Nur so viel dazu: Die Lücke, die hier ausgefüllt werden soll, besteht nicht. Denn es ist einheitliche Auffassung der Wissenschaft, daß auch die ad hoc hinzugezogenen Personen unter das Zeugnisverweigerungsrecht fallen. Wenn hier von der Rechtsprechung die Rede ist, so muß ich gestehen, daß mir nur ein Urteil des Landgerichts Frankfurt bekannt ist, das sich in dem Sinne äußert, wie ich es hier sagte: daß die Lücke nicht besteht, daß das Zeugnisverweigerungsrecht auch den gelegentlich zugezogenen Personen zusteht. Ich darf darauf hinweisen, daß auf eine Initiative der SPD-Fraktion der § 53 a der Strafprozeßordnung bei der Beratung seine jetzige Fassung erhielt. Damals hat in der zweiten Lesung in diesem Hause die SPD einen Änderungsantrag eingebracht, der die Worte „berufsmäßig Tätigen" streichen wollte. Ich brauche es Ihnen hier nicht vorzulesen; ich darf Sie bitten, es in den Protokollen der ersten Legislaturperiode Seite 13020 nachzulesen. Herr Abgeordneter Arndt hat den Antrag begründet, und das Haus hat dann dementsprechend beschlossen. Es ist bis jetzt nicht ersichtlich, daß hier eine Lücke vorliegt. Wenn dem vorliegenden Gesetzentwurf gefolgt würde, würde im Gegenteil die Gefahr bestehen, daß die Neuregelung nur auf die Abgeordneten bezogen wird und nicht, wie es bis jetzt zu Recht geschieht, auf den ganzen vom Zeugnisverweigerungsrecht erfaßten Personenkreis.Selbstverständlich widerspreche ich nicht der Behandlung dieses Antrages im Ausschuß. Ich darf aber jetzt schon darauf hinweisen, daß wir diesem Antrag von seiten der Bundesregierung entgegentreten.
Keine weiteren Wortmeldungen. Die Aussprache ist geschlossen.Vorgeschlagen ist die Überweisung dieser Vorlagen an den Rechtsausschuß und den Ausschuß für Kulturpolitik und Publizistik. Zu klären ist die Frage, ob auch die Vorlage unter 4 d) an den Aus-
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 110. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 5. Februar 1964 5115
Präsident D. Dr. Gerstenmaierschuß für Kulturpolitik und Publizistik überwiesen werden soll. Eigentlich hat sie dort gar nichts zu suchen, nach meinem Verständnis. — Nur an den Rechtsausschuß! Die Vorlage unter 4 d) geht also nur an den Rechtsausschuß.Nun die Frage, ob die Vorlagen unter 4 a), b), c) und e) an den Rechtsausschuß und an den Kulturpolitischen Ausschuß überwiesen werden sollen. Die Frage ist die der Federführung. Im Ältestenrat gab es keine Einigung darüber, wer die Federführung bekommen soll.
— Bitte!
Schon von Herrn Kollegen Neumann ist beantragt worden, die Presserechtsrahmengesetze an den Ausschuß für Kulturpolitik und Publizistik — federführend — und an den Rechtsausschuß — mitberatend — zu überweisen. Ich schließe mich diesem Antrag an.
Und bei den anderen umgekehrt?
— Also die Entwürfe der Gesetze zur Änderung der Strafprozeßordnung gehen an den Rechtsausschuß als federführenden Ausschuß und an den Ausschuß für Kulturpolitik und Publizistik zur Mitberatung.
— Das haben wir ja beschlossen. Also der Antrag auf Drucksache IV/1734 geht nur an den Rechtsausschuß.
Nun also zunächst zu den Gesetzentwürfen unter Punkt 4 a und 4 b der Tagesordnung. Hier ist in der Tat von der CDU/CSU bereits beantragt worden, die Entwürfe an den Kulturpolitischen Ausschuß als federführenden Ausschuß zu überweisen. Ist das Haus damit einverstanden? — Kein Widerspruch! Es ist beschlossen. Der Rechtsausschuß soll hier mitberatend sein. — Es ist beschlossen.
Die unter Punkt 4 c und 4 e der Tagesordnung aufgeführten Entwürfe von Gesetzen zur Änderung der Strafprozeßordnung sollen an den Rechtsausschuß als federführenden Ausschuß überwiesen werden. Alles einverstanden?
— Das ist der Fall. Frage: Sollen die Gesetzentwürfe zur Mitberatung an den Ausschuß für Kulturpolitik und Publizistik überwiesen werden?
— Ja oder nein?
— Also nein. Das ist dem Präsidenten um so lieber, da es so in Übereinstimmung mit der Geschäftsordnung ist. Die Entwürfe unter Punkt 4 c, Punkt 4 d und Punkt 4 e sind also nur an den Rechtsausschuß überwiesen.
Meine Damen und Herren, nunmehr rufe ich noch die nach einer interfraktionellen Vereinbarung zusätzlich in die Tagesordnung aufgenommenen Punkte auf. Zunächst:
Erste Beratung des von den Abgeordneten Dr. Hesberg, Dr. Czaja, Stiller, Baier , Hammersen, Dr. Mälzig und Genossen eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neuregelung der Absetzung für Abnutzung bei Gebäuden (Drucksache IV/1892).
Ich frage die Antragsteller, ob sie das Wort zur Begründung nehmen wollen. — Das ist nicht der Fall. Überweisungsvorschlag: Finanzausschuß federführend, Wirtschaftsausschuß, Ausschuß für Wohnungswesen, Städtebau und Raumordnung mitberatend, Haushaltsausschuß mitberatend und nach § 96 der Geschäftsordnung. Wieder ein bißchen viel Ausschüsse auf einmal! Aber so spät am Abend kann ich mich auf keinen Streit einlassen. Widerspruch? — Kein Widerspruch! Es ist so beschlossen.
Weiter rufe ich auf:
Erste Beratung des von den Abgeordneten Dr. Schmidt , Etzel, Dr. Vogel, Dr. Imle, Frau Funcke (Hagen) und Genossen eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Einkommensteuergesetzes (Drucksache IV/1894).
Für die Antragsteller hat Herr Abgeordneter Dr. Schmidt zwei Berichtigungen hierzu zu Protokoll gegeben. *)
Überweisungsvorschlag genau der gleiche wie eben. — Kein Widerspruch; es ist so beschlossen.
Sodann rufe ich auf:
Erste Beratung des von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Einkommensteuergesetzes .
Herr Kollege Seuffert!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der § 7 b des Einkommensteuergesetzes ist suspendiert bis zum 1. April dieses Jahres mit dem Beschluß dieses Bundestages, daß eine Neuregelung für Abschreibungen bei Wohngebäuden rechtzeitig vorgelegt werden sollte. Diese Neuregelung ist nicht rechtzeitig vorgelegt worden. Dem Hause liegen heute zwei kontroverse Anträge aus den Reihen der Regierungskoalition vor. Sie unterscheiden sich, wie mir gesagt wird, ungefähr wie 270 zu 1800, — Millionen Steuerausfall jährlich nämlich. Es ist — darüber dürfte kein Zweifel sein — vollständig unmöglich, bis zum Fristablauf, d. h. bis zum 1. April, auch nur die Auswirkungen dieser Anträge auf die Wohnungsmieten und die Wohnungswirtschaft, geschweige denn die sehr vielen steuerlichen Fragen zu klären, die damit zusammenhängen. Ich möchte von vornherein sagen, daß diese Anträge in dieser Hinsicht einer erheblichen Kritik seitens der Sozialdemokratie begegnen werden. Worauf es*) Siehe Anlage 11
Metadaten/Kopzeile:
5116 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 110. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 5. Februar 1964
Seuffertjetzt ankommt, ist, die Frist zu verlängern, um jedenfalls für die Beratung der Neuregelung Raum zu schaffen. Das ist unser Antrag. In der Sache steckt er wohl auch in anderen Anträgen drin. Wir haben, um die Angelegenheit vorwärtszubringen, der kurzfristigen Einbringung all dieser Anträge und den Überweisungsanträgen zugestimmt. Ich bitte ausdrücklich darum, unseren Gesetzentwurf Drucksache IV/1897 nur an den Finanzausschuß zu überweisen.
Wird dazu das Wort gewünscht? — Keine Wortmeldung.
Hier ist also nur Überweisung an den Finanzausschuß beantragt. Ist das Haus damit einverstanden?
— Kein Widerspruch; es ist so beschlossen. Ich rufe die Punkte 8 a bis 9 b auf:
8. a) Beratung der von der Bundesregierung vorgelegten Sechsundvierzigsten Verordnung zur Änderung des Deutschen Zolltarifs 1963 (Drucksache IV/1873);
b) Beratung der von der Bundesregierung vorgelegten Einundfünfzigsten Verordnung zur Änderung des Deutschen Zolltarifs 1963 (Drucksache IV/1885.)
b) Beratung der von der Bundesregierung vorgelegten Neunundvierzigsten Verordnung zur Änderung des Deutschen Zolltarifs 1963 (Änderung des Gemeinsamen Zolltarifs der EWG
— II. Teil) .
Vorgesehen ist bei den Punkten 8 a und b Überweisung an den Außenhandelsausschuß — federführend — und an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten. Ist das Haus einverstanden? — Kein Widerspruch; es ist so beschlossen.
Bei 9 a und b ist nur der Außenhandelsausschuß zuständig. Wird der Überweisung der Vorlagen an ihn zugestimmt? — Kein Widerspruch; es ist so beschlossen.
Punkte 10 und 11 der Tagesordnung:
10. Beratung des Antrags des Bundesministers der Finanzen betr. Veräußerung der ehemaligen Wehrmachtskommandantur in Kassel,
Obere Königstraße 37, an die Eheleute Münstermann in Kassel und an den Kaufmann Friedrich Vordemfelde in Aschaffenburg ;
11. Beratung des Antrags des Bundesministers der Finanzen betr. Veräußerung einer Teilfläche des ehemaligen Flugplatzes Linter-Eschhofen Kr. Limburg an das Land Hessen (Drucksache IV/1869).
Wird dazu das Wort gewünscht? — Das Wort wird nicht gewünscht.
Überweisung an den Ausschuß für wirtschaftlichen Besitz des Bundes. — Kein Widerspruch; es ist so beschlossen.
Punkt 12:
Beratung des Antrags des Bundesministers der Finanzen betr. Entlastung der Bundesregierung wegen der Bundeshaushaltsrechnung für das Rechnungsjahr 1960 auf Grund der Bemerkungen des Bundesrechnungshofes .
Der Antrag soll an den Haushaltsausschuß gehen. Das Haus ist einverstanden? — Kein Widerspruch; es ist so beschlossen.
Schließlich Punkt 13:
Beratung des Schriftlichen Berichts des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten über den von der Bundesregierung vorgelegten 2. Halbjahresbericht über die Auswirkungen der EWG-Marktorganisationen auf dem Agrargebiet für die Zeit von Januar bis Juni 1963 (Drucksachen IV/1548, IV/1883).
Berichterstatter ist Herr Abgeordneter Bauknecht. Wünscht er das Wort? — Der Herr Berichterstatter verzichtet. Wird das Wort sonst gewünscht? — Das Wort wird nicht gewünscht.
Wer dem Antrag des Ausschusses zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Angenommen!
Meine Damen und Herren, damit sind wir am Ende der heutigen Sitzung. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages ein auf Donnerstag, den 6. Februar, 14 Uhr — Fragestunde —, und mache darauf aufmerksam, daß die übernächste Plenarsitzung auf Freitag, den 7. Februar, 9. Uhr angesetzt ist.
Die Sitzung ist geschlossen.