Gesamtes Protokol
Die Sitzung ist eröffnet.
Vor Eintritt in die Tagesordnung gebe ich bekannt,
daß die heutige Tagesordnung nach einer interfraktionellen Vereinbarung erweitert werden soll um die
Beratung des Schriftlichen Berichts des Ausschusses für Verkehr, Post und Fernmeldewesen über den Vorschlag der
Kommission für eine Richtlinie des Rates über
Wendelborn —
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Bewertungsgesetzes
Beratung des Antrags der Abgeordneten Struve, Glüsing , Tobaben, Kuntscher, Hermsdorf, Dr. Schmidt (Gellersen), Dr. Tamblé, Peters (Poppenbüll), Dr. Miessner und Genossen betr. Konservierungsmittel für Fischwaren (Drucksache IV/1622).
Ist das Haus einverstanden? — Dann ist so beschlossen.
Zu den in der Fragestunde der 94. Sitzung des Deutschen Bundestages am 6. November 1963 gestellten Fragen des Abgeordneten Faller Nrn. IX/1 und IX/2 ist inzwischen die schriftliche Antwort des Herrn Bundesministers Schwarz vom 8. November 1963 eingegangen. Sie lautet:
Zu Frage 1:
Die Resolution des badischen Bäckerhandwerks vom 22. September 1963 auf dem 81. Verbandstag des Bäcker-Innungsverbandes Baden wurde dem BML nicht vorgelegt. Der Zentralverband des Bäckerhandwerks hat allerdings die Verhältnisse an der deutschschweizerischen Grenze hinsichtlich des Broteinkaufs der Grenzbevölkerung in der Schweiz vor der Resolution am 22. September 1963 dargelegt und gebeten zu prüfen, ob der Broteinkauf für die Grenzbevölkerung auf 250 g täglich beschränkt werden kann.
Aufgrund dieses Schreibens wurde die Oberfinanzdirektion über das Bundesfinanzministerium sowie die Landesregierung Württemberg-Baden gebeten, an der deutsch-schweizerischen Grenze den kleinen Grenzverkehr in bezug auf die Broteinfuhr zu überwachen und das Ergebnis dieser Feststellungen meinem Hause mitzuteilen.
Zu Frage 2:
Diese Frage möchte ich erst beantworten, wenn die obenerbetenen Stellungnahmen vorliegen. Ich erlaube mir, auf diese Sache zur gegebenen Zeit unaufgefordert zurückzukommen.
Wir beginnen mit Punkt 1 der Tagesordnung:
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4464 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 97. Sitzung. Bonn, Freitag, den 15. November 1963
— Sie verzichten. — Keine Wortmeldungen.
b) Beratung der Sammelübersicht 21 des Ausschusses für Petitionen über Anträge von Ausschüssen des Deutschen Bundestages zu Petitionen und systematische Ubersicht über die beim Deutschen Bundestag in der Zeit vom 17. Oktober 1961 bis 30. September 1963 eingegangenen Petitionen (Drucksache IV/1605).Berichterstatter ist der Herr Abgeordnete Böhme . Ich erteile ihm das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Tätigkeitsbericht des Ausschusses für Petitionen, den ich gemäß § 113 Abs. 1 der Geschäftsordnung dem Hohen Hause zu erstatten die Ehre habe, umfaßt die Zeit vom 1. Juni bis zum 30. September 1963, also im wesentlichen die der Parlamentsferien, und schließt sich en den vom Herrn Kollegen Dr. Kübler in der 81. Sitzung vom 26. Juni 1963 vorgetragenen Bericht an.In diesem Zeitraum sind 2052 neue Eingaben registriert worden, so daß sich die Gesamtzahl der in dieser Wahlperiode eingegangenen Petitionen auf 13 189 erhöht hat. Hinzu kommen 8108 sogenannte Masseneingaben, also Einzelpetitionen mit gleichem Anliegen und meist demselben Wortlaut, zur Verkehrsslicherheit, zur Aufnahme diplomatischer Beziehungen zu Israel, zur Krankenversicherungsreform, zur Notstandsgesetzgebung und seit vergangener Woche eine noch steigende Zahl von bis jetzt etwa 300 000 Zuschriften, in denen eine Beschleunigung der Urheberrechtsreform gewünscht wird.Durchschnittlich gingen in den Berichtsmonaten je 513 Petitionen ein. In derselben Zeit wurden 2510 Eingaben abschließend behandelt, wodurch sich die Zahl der erledigten Petitionen in dieser Wahlperiode auf insgesamt 11 683 erhöht hat. In der Berichtszeit konnten demnach 458 Petitionen mehr erledigt werden, als im gleichen Zeitraum neu hinzugekommen sind. Es besteht damit ein Überhang von 1506 noch nicht endgültig abgeschlossenen Eingaben, bei denen es sich um Fälle handelt, die zur Entscheidung noch nicht reif waren. Das Büro für Petitionen hat in den Berichtsmonaten durchschnittlich 1400 Schreiben an Petenten, Abgeordnete und Ministerien versandt.Diese wenigen Zahlen lassen erkennen, daß es eine parlamentarische Sommerpause weder für den Ausschuß noch für das Büro für Petitionen gegeben hat.Für die weiteren statistischen Angaben erlaube ich mir Ihre Aufmerksamkeit auf die Ihnen vorliegende systematische Übersicht am Ende der Drucksache IV/1605 zu lenken.Der Schwerpunkt der Eingaben liegt nach wie vor bei fünf großen Bereichen, die 53 % der Gesamteingaben ausmachen. Die restlichen 47 % verteilen sich auf 17 weitere Sachgebiete. Über 15 % der Anliegen betreffen Probleme der Sozialpolitik, 11 % befassen sich mit Angelegenheiten des Lastenausgleichs und fast 7 % mit solchen der allgemeinen inneren Verwaltung und des öffentlichen Dienstrechts. Nahezu alle Petitionen enthalten Begehren, die in ihrem Kern vernünftig sind und sich für eine Behandlung im Bundestag eignen. Nur etwa 5 0/o der Zuschriften ließen ein Anliegen nicht erkennen, waren anonym, beleidigend, ohne ausreichende Anschrift oder aus anderen formellen Gründen unbehandelbar.Wenn Sie die Art der Erledigung der Petitionen betrachten — ich verweise hier auf Abschnitt C der Ihnen vorliegenden systematischen Übersicht auf Seite 17 der Drucksache IV/1605 —, gelangen Sie zu der vermutlich auch Sie verblüffenden Feststellung, daß der Deutsche Bundestag nahezu 48 % aus verfassungsrechtlichen Gründen nur formell behandeln
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Böhme
durfte und die Eingaben entweder zuständigkeitshalber an die Volksvertretungen abgeben oder den Einsendern mitteilen mußte, daß gerichtliche Verfahren oder das Nichtbetreten des Instanzenzuges innerhalb der Verwaltung eine Behandlung der Sache selbst nicht zuließen.Ich glaube daraus die Folgerung ziehen zu müssen, daß sehr viele Staatsbürger nicht wissen, ob der Bund oder die Länder zur Ausführung der Gesetze zuständig sind. Allein in 13 % der Fälle war das gewaltenteilende Prinzip des Grundgesetzes nicht bekannt oder es wurde völlig verkannt. Viele Petenten halten den Bundestag für eine oberste Rechtsmittelinstanz und glauben, er könne Gerichtsurteile abändern oder aufheben. Diese Zahlen sollten uns nachdenklich stimmen. Hier scheint uns rund 15 Jahre nach dem Inkrafttreten des Grundgesetzes noch eine echte Aufgabe und eine gute Möglichkeit zur staatsbürgerlichen Bildungsarbeit gegeben zu sein.Schließlich möchte ich aus der Statistik erwähnen, daß der prozentual höchste Anteil von Eingaben, fast 30 °/o, aus Nordrhein-Westfalen kommt. Bezogen auf die Bevölkerungszahlen sind jedoch die Länder Berlin und Schleswig-Holstein mit 350 bzw. 315 Eingaben auf 1 Million Einwohner die petitionsfreudigsten.385 Petitionen oder 3,3 % fanden bisher in dieser Wahlperiode eine positive Erledigung. Das sind rund 9,3 %, bezogen auf die Zahl der auf Abhilfe persönlicher Beschwerden gerichteten Eingaben. Diese Zahlen deuten darauf hin, daß die Verwaltungsbehörden in der Bundesrepublik einen hohen Grad von gründlichen und fehlerfreien Entscheidungen treffen und daß die Fehlerquellen in dem sehr engen und stärker kaum einengbaren Rahmen menschlichen Versagens liegen.23 % der Eingaben mußten auf Grund der Stellungnahmen der Regierung für erledigt erklärt werden. Die Prüfung des Ausschusses und Bundestages ergab in diesen Fällen, daß die Verwaltung die Gesetze richtig angewandt, daß sie richtig gehandelt hatte und die Anliegen damit unbegründet waren.Etwa 8 % der Eingaben ließen nach Auffassung des Ausschusses und des Plenums Lücken oder Härten bestehender gesetzlicher Vorschriften erkennen, deren Abhilfe angezeigt erschien. Sie wurden den zuständigen Fachausschüssen oder der Regierung als Material für künftige Gesetzentwürfe überwiesen.Insbesondere diese Zahlen und die der positiven Erledigungen sind ein deutliches Zeichen dafür, wie notwendig es war, das Grundrecht des Art. 17 im Grundgesetz zu verankern. Hier wurde trotz gut funktionierender Verwaltung und nahezu vollkommenen Rechtsschutzes ein notwendiges Regulativ geschaffen. Für den Gesetzgeber selbst ist es von hohem Nutzen, durch die aus der Mitte des Volkes eingereichten Petitionen zu erfahren, wie seine Arbeit im Volke aufgenommen wird und wo sich Lükken oder Härten in den von ihm beschlossenen Gesetzen befinden. Weder die Verwaltung noch die Justiz kann diese Funktion ausfüllen.Im zweiten Teil meines Berichts möchte ich Ihnen einige Anliegen vornehmlich aus den sozialen Bereichen aufzeigen.Zahlreiche Petenten erstreben die Berechtigung zur freiwilligen Weiterversicherung in den gesetzlichen Rentenversicherungen nach Überschreiten der Einkommensgrenze. Dabei handelt es sich meistens um angestellte Akademiker, die bereits vor Ablauf von 60 Beitragsmonaten in der Rentenversicherung in ihrem Einkommen über die Versicherungsgrenze hinauskommen und dadurch keine Möglichkeit zur Weiterversicherung mehr haben.Manche Einsender wünschen eine günstigere Regelung für die Anrechnung von Kriegs- und Wehrdienstzeiten als Ersatzzeiten in der Rentenversicherung. Ehemalige Hausangestellte und Krankenpflegerinnen führen immer wieder Klage über die ihnen gezahlten niedrigen Renten, wobei das Problem der Bewertung der freien Kost und Wohnung angeschnitten wird. Die Regierung hat zugesagt, bei einer Überprüfung der Rentenversicherungs-Neuregelungsgesetze eine Höherbewertung der Sachbezüge zu erwägen.Groß ist auch die Zahl der Eingaben, die eine Mindestrente, eine Herabsetzung des Rentenalters oder eine Weihnachtszuwendung für Rentner erstreben und die vor allem eine stärkere Anhebung der kleinen Renten zum Ziele haben. Die Zahl derartiger Eingaben ist zur Zeit vermutlich deshalb besonders hoch, weil seit Wochen Presse, Rundfunk und Fernsehen den Entwurf eines Sechsten Rentenanpassungsgesetzes behandeln, den die Bundesregierung inzwischen den gesetzgebenden Körperschaften zur Beschlußfassung zugeleitet hat. Daneben sind es vor allem das Krankenversicherungs-Neuregelungsgesetz und das Zweite Neuordnungsgesetz zur Kriegsopferversorgung, zu dem zahlreiche Eingaben eingehen. Sie wurden an die zuständigen Ausschüsse, in denen die Gesetzentwürfe zur Zeit beraten werden, überwiesen.Ein Problem, das sich wie ein roter Faden durch verschiedene Sachgebiete zieht, ist die Festlegung von Stichtagen in zahlreichen Gesetzen. Immer wieder weisen Petenten darauf hin, es bedeute für sie eine besondere Härte, wenn sie eine gesetzlich mögliche Leistung oder Vergünstigung nur deshalb nicht erhielten, weil sie nicht bis zu einem bestimmten Tag ihren Wohnsitz im Geltungsbereich des Grundgesetzes genommen hätten. Hierzu darf ich einige Beispiele anführen.Bei der Umwandlung von Reichsmark-Guthaben bzw. bestimmten Ansprüchen gegen die Berliner Altbanken aus der Reichsmarkzeit nach dem Umstellungsergänzungs- bzw. Berliner Altbankengesetz ist als Stichtag der 31. Dezember 1952 festgelegt. Eine Ausnahme hierfür gibt es nur für anerkannte Flüchtlinge nach § 3 des Bundesvertriebenen- und Flüchtlingsgesetzes. Inzwischen wird in diesem Hause ein Gesetzentwurf beraten, durch den natürliche Personen, die nach dem Stichtag in den Westen kommen, den Berechtigten gleichgestellt werden. Ich verweise in diesem Zusammenhang auf den Entwurf eines Dritten Umstellungsergänzungsgesetzes, Ihnen vorliegend als Drucksache IV/1457.
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Böhme
Die in dem Gesetz zur Regelung von Ansprüchen aus Lebens- und Rentenversicherungen vom 5. August 1955 enthaltene Stichtagsregelung wird ebenfalls bemängelt. Der Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur Änderung und Ergänzung des Gesetzes zur Regelung von Ansprüchen aus Lebens- und Rentenversicherungen sieht nunmehr vor, daß ohne Rücksicht auf den Zeitpunkt der Wohnsitzbegründung im Geltungsbereich des Grundgesetzes Ansprüche aus der Reichsmark-Versicherung gegen den Versicherungsträger geltend gemacht werden können.Diese beiden Gesetze brechen die erste Lücke in die zahlreichen Kriegsfolgengesetze, die als Anspruchsvoraussetzung eine Stichtagsregelung beinhalten. Dadurch wird sicherlich in zahlreichen Einzelfällen eine befriedigende Lösung und echte Hilfe erzielt werden.Im Gegensatz zu den Gesetzen, in denen die Berechtigung zur Inanspruchnahme von Leistungen und Vergünstigungen von einem Anwesenheitsstichtag abhängig gemacht ist und eine Ausnahme hiervon für anerkannte Flüchtlinge nach § 3 des Bundesvertriebenen- und Flüchtlingsgesetzes vorgesehen ist, fehlt eine derartige Ausnahmeregelung bisher im Kriegsgefangenenentschädigungsgesetz. Dies führte zu Härten und zu mehreren Eingaben. Der Entwurf eines Dritten Änderungsgesetzes zum Kriegsgefangenenentschädigungsgesetz sieht nunmehr vor, daß eine entsprechende Ausnahmebestimmung in das Gesetz aufgenommen wird. Bei der Stichtagsregelung selbst soll es dagegen verbleiben.In der 78. Sitzung vom 19. Juni 1963 hat der Bundestag beschlossen, der Bundesregierung eine Petition als Material für eine Novellierung des Häftlingshilfegesetzes zu überweisen. Der dieser Eingabe zugrunde liegende Sachverhalt war Ihnen von unserer verehrten Frau Kollegin Klee in ihrem mündlichen Bericht vom 27. März 1963 geschildert worden und entspricht dem einer gleichartigen Eingabe, in der die Petentin verzweifelt um Gewährung einer Unterhaltsbeihilfe und die Wiederzusammenführung mit ihrem Ehemann bittet, der in einer Haftanstalt der SBZ festgehalten wird. Wegen sogenannter Staatsverleumdung im Jahre 1960 zu einer Zuchthausstrafe verurteilt, unternahm er nach der Strafverbüßung im Jahre 1962, also nach Errichtung der Berliner Mauer, einen Fluchtversuch, trat dabei auf eine Mine und fiel schwerverletzt in die Hände der Volkspolizei. Nach der Entlassung aus dem Krankenhaus wurde er erneut inhaftiert. Seit der ersten Entlassung aus dem sowjetzonalen Zuchthaus erhält die Petentin keine Unterstützung mehr nach dem Häftlingshilfegesetz. Dieser Fall beweist einmal mehr, wie dringlich eine gesetzliche Neuregelung des Gewahrsamsbegriffs in § 1 Abs. 3 des Häftlingshilfegesetzes ist, zumal offenbar nicht alle mit der Durchführung des Gesetzes befaßten Behörden von der Möglichkeit Gebrauch machen, Härteausgleich nach § 12 des Häftlingshilfegesetzes zu gewähren, wenn der ehemalige Häftling zwar nicht mehr gefangengehalten wird, aber am Übertritt in die Bundesrepublik oder nach Westberlin gehindert ist.Immer wieder führen uns zahlreiche Eingaben vor Augen, daß der Krieg und seine Folgen 18 Jahre nach Einstellung der Kampfhandlungen noch nicht bewältigt sind und daß die vollkommensten Gesetze nicht ausreichen, um der vielen oft wahrhaft tragischen Schicksale Herr zu werden.Ich darf Ihnen auch hier noch einmal einige Einzelfälle anführen. Eine aus Ostpreußen im Jahre 1945 geflüchtete Petentin ließ im Jahre 1952 ihren seit 1944 vermißten Ehemann für tot erklären, um in den Besitz einer kleinen Spareinlage ihres Mannes zu gelangen, die sie zur Bestreitung ihres notwendigsten Lebensunterhalts benötigte. Als Todestag wurde in dem Gerichtsbeschluß nach § 9 des Verschollenheitsgesetzes der 31. Juli 1949 bestimmt. Anfang 1963 erfuhr die Einsenderin über den Suchdienst des Deutschen Roten Kreuzes von einem ehemaligen Kriegskameraden ihres Mannes, daß er bereits im Herbst 1944 in Odessa in der Sowjetunion verstorben sei. Die Gewährung von Leistungen an unmittelbar Geschädigte nach dem Lastenausgleichsgesetz setzt jedoch voraus, •daß der Erbfall vor der Vertreibung stattgefunden hat. Auf Grund der Todeserklärung vom 31. Juli 1949 lehnte das Ausgleichsamt daher die Anträge der Petentin ab.Als sie nach mehr als zehn Jahren nach der Todeserklärung erfuhr, daß ihr Mann schon 1944 gestorben war, konnte sie aber nicht mehr innerhalb der in § 33 a Abs. 2 des Verschollenheitsgesetzes vorgesehenen Fünfjahresfrist den Antrag auf Änderung des Todeszeitpunktes stellen. Der Bundesminister der Justiz wies nun einen Weg, durch den, ohne daß es einer Änderung der Ausschlußfrist in § 33 a des Verschollenheitsgesetzes bedarf, die Petentin doch noch als unmittelbar Geschädigte nach dem Lastenausgleichsgesetz anerkannt werden und in den Genuß von Lastenausgleichsleistungen kommen kann.An Hand eines Einzelfalles wurde die grundsätzliche Frage geklärt, ob ein Kriegsbeschädigter arbeitsunfähig im Sinne der gesetzlichen Krankenversicherungsbestimmung en ist und gegebenenfalls Anspruch auf Einkommensausgleich nach § 17 des Bundesversorgungsgesetzes hat oder ob der entgangene Arbeitsverdienst nach § 24 des Bundesversorgungsgesetzes zu ersetzen ist, wenn ihm seine Prothese wegen der Vornahme notwendiger Änderungen längere Zeit nicht zur Verfügung steht und er seinen Beruf deshalb nicht ausüben kann.Der Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung hat im Sinne der Petition entschieden und seine Auffassung den Arbeitsministern und Senatoren der Länder in einem im Bundesversorgungsblatt veröffentlichten Rundschreiben vom 2. April 1963 mitgeteilt, daß keine Bedenken beständen, § 24 Abs. 2 des Bundesversorgungsgesetzes auch auf den Tatbestand der Änderung oder Ausbesserung von Hilfsmitteln anzuwenden. Dies bedeutet, daß dem Betroffenen während der durch die Ersatzbeschaffung bedingten Arbeitsunfähigkeit in angemessenem Umfang Ersatz für den entgangenen Arbeitsverdienst geleistet wird.Meine Damen und Herren! Ich hoffe, Ihnen einen Überblick über die Tätigkeit des Petitionsausschus-
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Böhme
ses gegeben zu haben, der Sie in der Auffassung bestärken möge, daß der Petitionsausschuß eine notwendige Ergänzung unserer staatlichen Organe darstellt, daß er dazu beiträgt, zu helfen, wo Verwaltung und Rechtsprechung nicht mehr helfen können.Abschließend möchte ich Sie bitten, der Ihnen als Drucksache IV/1605 vorliegenden Sammelübersicht Nr. 21 des Ausschusses für Petitionen Ihre Zustimmung zu geben.
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Ich danke dem Herrn Berichterstatter für diesen ausgezeichneten Bericht und meine, daß war uns nicht damit begnügen sollten, ihn angehört zu haben, sondern daß wir aus diesen Feststellungen und Lehren gesetzgeberische Konsequenzen ziehen sollten. Vielleicht darf ich mir die Anregung erlauben, daß man den Ausschüssen des Hauses die in ihre Arbeitsbereiche fallenden Feststellungen, die wir soeben gehört haben, mit der Bitte zuleitet, daraus bestimmte Folgerungen zu ziehen. Es hätte ja wenig Sinn, den Bericht anzuhören, wenn wir nichts damit anfangen würden. Dafür war die Mühe zu groß, die sich die Damen und Herren des Ausschusses gemacht haben. Vielleicht, Frau Abgeordnete Wessel, können Sie veranlassen, daß die Fachausschüsse entsprechend unterrichtet werden. Es wäre auch nicht schlecht, wann man in den Fraktionen den Versuch machte, sich zu überlegen, ob nicht einige Anträge im. Bundestag eingebracht werden könnten.
Wird das Wort gewünscht? — Herr Abgeordneter Mommer!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich ergreife die Gelegenheit, einmal unseren Kolleginnen und Kollegen im Petitionsausschuß für die Arbeit zu danken, die sie dort leisten.
Es ist ohne Zweifel nicht immer eine Arbeit, die Ruhm bringt und deren Erfolge man greifen kann; aber wir wissen, welche Bedeutung dem Petitionsrecht in ieiner Demokratie zukommt, und wir schulden unseren Kollegen Anerkennung für ihre Leistung.
Dann ein Vorschlag in Ergänzung zu dem, was der Herr Präsident soeben schon gesagt hat. Im Petitionsausschuß lernt man, wo im deutschen Volke der Schuh drückt; da kommt man auf die Lücken in der Gesetzgebung, die Mängel, die Widersprüche, die Unvollkommenheiten. Aus dieser Arbeit des Petitionsausschusses könnte eine sehr positive und konstruktive Gesetzgebungsarbeit hervorgehen. Wie wäre es denn, wenn wir unsere Kollegen im Petitionsausschuß bäten, die Fälle, die sie bearbeiten, klassifizieren und registrieren, jetzt auch noch eine Stufe weiter auszuwerten und aus den Erkenntnissen über Lücken, Mängel, Widersprüche Novellen zur Gesetzgebung zu machen? Das wäre eine zusätzliche große und sehr oft schwierige Arbeit, aber das wäre erst das eigentliche Resultat, das sich aus der Arbeit ides Ausschusses ergeben könnte.
— Eben das wollte ich sagen. Es wird kaum möglich sein, daß unsere Kollegen vorn Petitionsausschuß selber Novellen machen und im Namen der Mitglieder des Ausschusses einbringen. Das dürfte zumindest nicht lin allen Fällen möglich sein. Aber vielleicht ist es doch möglich, Anträge zu stellen — wie wir es ja gelegentlich auch aus dem Hause, aus den Fraktionen heraus tun —, die Bundesregierung möge Gesetzentwürfe vorlegen, die der Lösung von Problemen, die bei der Bearbeitung der Petitionen klargeworden sind, dienen. Vielleicht wäre das ein Weg, die Arbeit im Petitionsausschuß noch fruchtbarer zu gestalten zum Wohle aller derjenigen, die der Schuh drückt und die sich dann vertrauensvoll an den Deutschen Bundestag und seinen Petitionsausschuß wenden.
Das Wort hat Frau Abgeordnete Wessel in ihrer Eigenschaft als Vorsitzende des Petitionsausschusses.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte als Vorsitzende des Petitionsausschusses sehr für die Worte danken, die der Herr Präsident unserer Arbeit gewidmet hat, und auch für die Anerkennung, die unser Kollege Herr Dr. Mommer hier ausgesprochen hat.Die Anliegen, die in dem Bericht des Kollegen Böhme dargelegt worden sind, drücken uns schon seit Jahren. In einer Beratung über den Personalbedarf des Petitionsbüros habe ich, wie Sie sich vielleicht erinnern, gerade darauf hingewiesen, daß die Aufgabe des Petitionsausschusses nicht allein in der Behandlung der Petitionen besteht, sondern daß die Erkenntnisse, die wir "bei der Bearbeitung der Petitionen hinsichtlich von Lücken und Mängeln in der Gesetzgebung gewinnen, ausgewertet werden sollten und wir bemüht sind, sie zu beseitigen. Dazu bedürfen wir aber, lassen Sie mich das noch einmal aussprechen, auch eines entsprechenden Personalbestandes im Petitionsbüro. Ich möchte schon heute die Mitglieder des Haushaltsausschusses bitten, sich bei den nächsten Haushaltsberatungen, wenn wir auf diese Frage zurückkommen, an diese Debatte, die wir erfreulicherweise gehabt haben, zu erinnern und die Wünsche, die wir aus den dargelegten Gründen in bezug auf eine Verbesserung unseres Personalbestandes vorbringen müssen, wohlwollend zu unterstützen.Das war vor allem das Anliegen, das ich noch einmal aussprechen wollte. Denn es kommt uns wirklich darauf an, die Arbeit des Petitionsausschusses ' für den Bundestag so fruchtbar zu machen, wie es möglich ist, aus den Erkenntnissen heraus, die wir haben. Ich glaube nach der Debatte, die geführt worden ist, sagen zu dürfen, daß der Petitionsausschuß als Bindeglied zwischen Bürger und Bundes-
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Frau Wesseltag eine wichtige Aufgabe zu erfüllen hat und daß. er durch eine gute Arbeit in der Lage ist, das Vertrauen zur Demokratie und zu unserem Staat zu stärken.
Das Wort hat der Abgeordnete Dürr.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zur Ergänzung dessen, was Herr Kollege Dr. Mommer vorgeschlagen hat, möchte ich aus der Erfahrung als früheres Petitionsausschußmitglied noch etwas sagen.
Der Petitionsausschuß ist ein Ausschuß, der weit mehr als die anderen Ausschüsse des Hauses seine Mitglieder mit Hausaufgaben belastet. Sie können sich vorstellen, was es bedeutet, im Laufe der Legislaturperiode nahezu tausend nicht nur kleine Akten als Berichterstatter oder Mitberichterstatter durcharbeiten zu müssen. Dem Petitionsausschuß fällt es deshalb wegen seiner ungeheuren Arbeitsbelastung schwer, seinerseits aus dem, was er bei der Bearbeitung der Petitionen feststellt, Folgerungen in der Form zu ziehen, daß aus dem Petitionsausschuß heraus Novellen von Abgeordneten der verschiedenen Fraktionen. eingebracht werden.
Ich glaube, daß aus der Kombination dessen, was der Herr Präsident gesagt hat, und dessen, was Herr Kollege Dr. Mommer erwähnt hat, sich eine brauchbare Lösung finden ließe. Wenn der Petitionsausschuß an Hand von einzelnen Akten über wesentliche Sachen berichtet und wenn der Fachausschuß zur Beratung dieses Punktes Berichterstatter und Mitberichterstatter des Petitionsausschusses lädt, dann kann, glaube ich, zwischen dem Petitionsausschuß und 'den Fachausschüssen eine gute Zusammenarbeit erfolgen, die für die Mitglieder des Petitionsausschusses eine erhebliche Arbeitsentlastung und damit eine Erleichterung ihrer Tätigkeit bedeuten würde. Denn, meine Damen und Herren, über eins müssen wir uns klar sein: die Mitglieder des Petitionsausschusses sind dies parlamentarisch sozusagen nur im Nebenberuf. Sie sind gleichzeitig Mitglieder aller möglichen Fachausschüsse und sind deshalb mit Ausschußarbeit besonders belastet. Aus diesem Grunde scheint mir neben einer zweckmäßigen Personalbesetzung, von der die Frau Vorsitzende gesprochen hat, eine 'solche Form der Zusammenarbeit zwischen Fachausschüssen und Petitionsausschuß zweckmäßig zu sein.
Das Wort hat dei Abgeordnete Rasner.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Auch unsere Fraktion weiß, daß die Arbeit der Mitglieder des Petitionsausschusses oft in der Gefahr steht, verkannt zu werden. Es liegt auch uns sehr daran, den Damen und Herren, die sich dieser mühseligen Arbeit unterziehen, mit der mancher verdiente und begabte Politiker angefangen hat, den besonderen Dank auszusprechen.
Ich habe soeben mit dem Kollegen Mommer ein kurzes Gespräch geführt, damit wir in einer Sache Klarheit haben: Das Initiativrecht für Gesetzesvorlagen liegt bei den Abgeordneten oder bei den Fraktionen; das Initiativrecht für Gesetzesvorlagen liegt nicht bei den Ausschüssen. In dieser Frage müssen wir ganz klar sehen. Vorschläge, wie sie der Kollege Dürr soeben gemacht hat, sind realisierbar, aber nicht etwa in der Form, daß der Petitionsausschuß seine Erfahrungen an Fachausschüsse weitergibt und sie dort in Gesetzesinitiativen umgesetzt werden. Noch einmal: Initiativen bei den Abgeordneten oder bei den Fraktionen, aber nicht bei den Ausschüssen. Soviel zur Klarstellung in Übereinstimmung mit dem Kollegen Mommer, dem an dieser Klarstellung auch gelegen ist.
Meine Damen und Herren, nach der Geschäftsordnung besteht wohl kein Zweifel darüber, daß die Ausschüsse kein Initiativrecht haben. Sie können 'als Ausschüsse keine Anträge stellen, es sei denn, sie seien vom Plenum beauftragt worden, eine Vorlage zu beraten und dem Plenum einen Entscheidungsvorschlag zu machen. Aber natürlich können die Mitglieder des Ausschusses als einzelne jeden Antrag stellen, der geschäftsordnungsmäßig zulässig ist. So war das wohl auch vom Herrn Abgeordneten Dr. Mommer gemeint. Ich selber habe keinen Zweifel daran, daß nichts im Wege steht, wenn der Petitionsausschuß Anregungen, Sachdarstellungen an die Fachausschüsse weitergibt, zur Kenntnisnahme und weiteren Veranlassung. Jeder von uns kann jedem anderen von uns Briefe schreiben. Wir können solche auch einem Ausschuß schreiben. Auch ein Ausschußvorsitzender kann an seine Kollegen Briefe schreiben. Die Empfänger werden dann pflichtgemäß handeln. Was daraufhin geschieht, — nun, das wird man sehen.
Wenn das Wort nicht weiter gewünscht wird, können wir über den Antrag des Ausschusses abstimmen. Der Ausschuß beantragt -- Drucksache IV/1605 —, die in der nachfolgenden Sammelübersicht enthaltenen Anträge von Ausschüssen des Deutschen Bundestages zu Petitionen anzunehmen. Wer diesem Antrag zustimmen will, gebe ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Ich stelle einstimmige Annahme fest.
Wir kommen zu Punkt 7 der Tagesordnung:
Beratung des Antrags der Fraktion der SPD betr. Sachverständigenkommission für die Krankenversicherungsreform .
Das Wort zur Begründung hat der Abgeordnete Professor Schellenberg.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Herr Bundeskanzler hat in seiner Regierungserklärung unter anderem davon gesprochen, daß die Reform der Krankenversicherung schwierige Probleme aufwerfe. Eigentlich wurde damit nur bestätigt, was jedermann, von wenigen Ausnahmen abgesehen, erkannt hat. Die
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Dr. Schellenbergin diesen Tagen und Wochen geführten sozialpolitischen Verhandlungen auf höchster Koalitions- und Regierungsebene haben die Schwierigkeiten der Materie für die Öffentlichkeit noch unterstrichen. Die grundlegenden Probleme einer Krankenversicherungsreform hätten unbedingt vor Einbringung der Regierungsvorlage geklärt werden müssen.
Eine gesetzliche Regelung, die von großer Tragweite für die Gesundheit der versicherten Bevölkerung ist, erfordert — das sollte doch eigentlich selbstverständlich sein — fundierte VorarbeitDaran hat es bisher gefehlt, und das ist der wahre Grund, weshalb die Beratungen der Krankenversicherungsreform, mit denen der Bundestag seit nunmehr vier Jahren beschäftigt wird, immer wieder in eine Sackgasse geraten sind. Leider wurde es auch versäumt, aus dem Scheitern dieser Reform in der letzten Legislaturperiode die notwendigen Konsequenzen zu ziehen und den Rat unabhängiger Sachverständiger einzuholen. Wie dem auch sei, dem Hin und Her muß Einhalt geboten werden.
Es geht um mehr, meine Damen und Herren von der Koalition, als darum, wie diese oder jene strittige Einzelfrage geregelt wird. Natürlich ist auch das wichtig, aber zuerst müssen die vielfältigen sozialen und gesundheitlichen Zusammenhänge, die die Grundlage einer Krankenversicherungsreform bilden, ) geklärt werden. Hierzu soll der Antrag der sozialdemokratischen Fraktion auf Bestellung einer Sachverständigenkommission beitragen und damit die Voraussetzungen für eine moderne Krankenversicherung schaffen.Unser Antrag wendet sich an den Herrn Bundeskanzler, der die Richtlinien der Politik bestimmt und dafür die Verantwortung trägt. Bei der Vorbereitung der Tagesordnung haben deshalb die sozialdemokratischen Mitglieder im Ältestenrat zum Ausdruck gebracht, daß wir auf die Anwesenheit des Herrn Bundeskanzlers bei der Beratung unseres Antrages besonderen Wert legen, dies auch deshalb, weil nach diesem Antrag der Herr Bundeskanzler die Sachverständigen zu bestellen und das Bundeskanzleramt die Voraussetzung für die Arbeit der Kommission sicherzustellen hat. Die Sozialdemokraten haben im Ältestenrat bekundet, daß sie bereit sind, diesen Punkt gestern oder heute zu jeder dem Herrn Bundeskanzler genehmen Stunde auf die Tagesordnung setzen zu lassen. Es gab darüber ein Hin und Her. Schließlich wurde uns vom Büro des Herrn Präsidenten wörtlich mitgeteilt: Der Herr Bundeskanzler wird nicht da sein.Da wir aus politischen Gründen auf die Teilnahme des Herrn Bundeskanzlers an der Beratung unseres Antrages besonderen Wert legen, hat sich der stellvertrende Vorsitzende der SPD-Fraktion, Herr Kollege Erler, schriftlich an den Herrn Bundeskanzler gewandt, um ihn um Überprüfung seiner Entscheidung, der Sitzung fernzubleiben, zu bitten. In dem Schreiben von Herrn Kollegen Erler heißt es u. a.:Sie, sehr geehrter Herr Bundeskanzler, haben in den vergangenen Wochen mehrfach mit den Vertretern der Koalitionsparteien eingehende Gespräche über die aktuelle sozialpolitische Situation geführt. Wir würden es als einen ernsten politischen Vorgang werten müssen, wenn Sie in der Zeit von Donnerstag, dem 14., früh, bis Freitag, dem 15., mittags, keine Gelegenheit fänden, dem Parlament im ganzen für die Behandlung dieser grundlegenden Fragen, welche Ihre persönliche Entscheidung, die Autorität Ihres Amtes als Bundeskanzler und eine Tätigkeit des Bundeskanzleramtes erfordern, zur Verfügung zu stehen. Ihr Fernbleiben bei dieser Beratung würde Ihrer Regierungserklärung widersprechen,
in der Sie den Wunsch nach guter Zusammenarbeit von Regierung und Parlament zum Ausdruck gebracht haben.
So weit der Brief des stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden der SPD.Der Herr Bundeskanzler antwortete, daß er zwar den Wunsch nach guter Zusammenarbeit nochmals unterstreichen möchte, daß ihn aber unabdingbare Verpflichtungen davon abhalten, unserer Bitte, bei der Beratung der Drucksache IV/1565 im Plenum anwesend zu sein, zu entsprechen. Das ist ein bedeutsamer Vorgang. Wir Sozialdemokraten stellen fest: Mit dem sozialdemokratischen Antrag wird ein Kernstück unserer Sozialpolitik, die Gestaltung unserer Krankenversicherung, angesprochen. Heute wird der Bundeskanzler zum erstenmal seit der Regierungserplärung mit der Frage konfrontiert, welches Gewicht seine Worte über die Zusammenarbeit von Wissenschaft und Politik für den sozialen Bereich haben sollen.
Der Herr Bundeskanzler bringt durch sein Fernbleiben von diesen Beratungen zum Ausdruck, daß er diesem Bereich seiner Regierungserklärung offenbar keine wesentliche Bedeutung zumißt.
Im übrigen erklärt der Herr Bundeskanzler in seinem Schreiben an meinen Fraktionsfreund Erler, die Bundesregierung lege Wert darauf, daß der Regierungsentwurf beschleunigt beraten werde.
Hier scheint uns ein Widerspruch zur Regierungserklärung vorzuliegen, in der von den Schwierigkeiten bei der Krankenversicherungsreform gesprochen wird.Nun zum Inhalt unseres Antrages. Der Herr Bundeskanzler soll elf Persönlichkeiten der Sozial- und Wirtschaftswissenschaften, der medizinischen Wissenschaften und der Sozialpartner mit dem Auftrag berufen, für die gesetzgebenden Körperschaften ein Gutachten über die Grundsätze der Krankenversicherungsreform zu erstatten. Das Gutachten soll u. a. folgendes behandeln:
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4470 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 97. Sitzung. Bonn, Freitag, den 15. November 1963
Dr. SchellenbergZu 1. Den Ausbau der gesundheitlichen Vorsorge und die Gewährleistung ärztlicher Behandlung nach dem Stand der medizinischen Wissenschaft. Daß ein Ausbau der Vorsorgehilfe ein dringendes Erfordernist ist, wird heute allgemein anerkannt. Aber noch fehlen ausreichende fachliche Grundlagen dafür, wie eine solche Vorsorge im Rahmen der Krankenversicherung gestaltet werden kann. Der Krankheitsbegriff im Sinne der über 50 Jahre alten Reichsversicherungsordnung genügt nicht mehr dem gewandelten Krankheitsbild und den medizinischen Erkenntnissen in der zweiten Hälfte unseres Jahrhunderts.
Eine zeitgemäße Krankenversicherung muß ärztliche Hilfe gewähren, die in jeder Hinsicht den medizinischen und wissenschaftlichen Erfahrungen entspricht. Dabei sollte auch die Reglementierung der ärztlichen Leistung, die in dem Begriff der sogenannten Unwirtschaftlichkeit liegt, überwunden werden.Zur Lösung dieser vielfältigen Probleme ist der Rat von Sachverständigen unentbehrlich.Zu 2. Die Kranken und ihre Familien müssen auch bei langfristiger Krankheit ausreichend gesichert werden. Nach unserer Meinung sollten sich Sachverständige dazu äußern, wie zeitlich unbegrenzte Leistungen an Krankengeld und bei Krankenhauspflege ohne Aussteuerung geboten werden können, wie ein sinnvoller Übergang vom Krankengeld zur Rente geschaffen werden kann und wie gewährleistet werden kann, daß die Wiederherstellung der Gesundheit und der Erwerbsfähigkeit den unbedingten Vorrang vor der Rentenzahlung als einer Dauerleistung erhält. Hier geht es um ein zentrales Problem einer neuzeitlichen Krankenversicherung.Selbstverständlich müssen bei Krankheit ausreichende Geldleistungen gewährt werden. Durch die Gestaltung der Leistungen muß aber erreicht werden, daß die Krankenversicherung wirksamer als bisher in das. System der Rehabilitation, in die Wiedergewinnung der Gesundheit und der beruflichen Leistungsfähigkeit eingebaut wird. In dieser Hinsicht ist es bei uns noch schlecht bestellt. Wir erwarten deshalb, daß uns Sachverständige und Wissenschaftler helfen, hier zu besseren Lösungen zu kommen.Zu 3. Die Krankenhäuser können ihre bedeutsamen Aufgaben für den erkrankten Menschen nur erfüllen, wenn die Beziehungen zwischen der Krankenversicherung und den Krankenhäusern zweckentsprechend gesetzlich geregelt werden. Die Reform der Krankenversicherung bietet für den Bundesgesetzgeber einen Ansatzpunkt, um zur Minderung der Sorgen der Krankenhäuser und zur Lösung der Krankenhausfrage beizutragen. Hierbei geht es nicht nur um die wichtige Frage der Höhe des Pflegesatzes, sondern auch darum, wo eine sinnvolle Grenze zwischen der ambulanten ärztlichen Behandlung und der Behandlung im Krankenhaus liegt. Das sind Probleme von fundamentaler Bedeutung für die Ärzte, für die Krankenhäuser und für die Patienten.
— Ja, Herr Kollege Ruf, diese Probleme müssen gründlich nach allen Seiten durchdacht und zur sinnvollen Regelung gebracht werden. Wer wollte bestreiten, daß für die gesetzgebenden Körperschaften auch in dieser Hinsicht das Urteil von Sachverständigen unentbehrlich ist?
Zu 4. Die Regierungsvorlagen der vergangenen Wahlperiode und auch dieser Legislaturperiode wurden wesentlich durch die Annahme beeinflußt, der Krankenstand sei stark überhöht. Inzwischen hat sich der Krankenstand gesenkt. Aber niemand kennt genau die Gründe hierfür. Auch fehlen uns Kenntnisse darüber, weshalb der Krankenstand in Betrieben von gleicher Struktur höchst unterschiedlich ist. Jedenfalls liegen den gesetzgebenden Körperschaften bisher keine wissenschaftlich fundierten Untersuchungen über die Ursachen des Krankenstandes vor.Das ist im Hinblick auf die finanzielle Bedeutung des Krankenstandes eine Unmöglichkeit. Es müssen deshalb nach unserer Auffassung über Einzeluntersuchungen hinaus umfassende Erkenntnisse über die Tatbestände gewonnen werden, die den Krankenstand in der industriellen Gesellschaft beeinflussen. Zudem ist die Konstruktion des vertrauensärztlichen Dienstes nach den bisherigen Entwürfen ausschließlich vom Mißtrauen gegenüber den Patienten und gegenüber den behandelnden Ärzten getragen. Das wird den gesundheitlichen Anliegen, um die es geht, nicht gerecht. Der vertrauensärztliche Dienst hat mehr zu sein als eine -Kontrollinstitution zur Überprüfung der Arbeitsunfähigkeit.
— Ja, Herr Kollege Ruf, dafür müssen wir aber Voraussetzungen schaffen. Wenn es nämlich mit Unterstützung von Sachverständigen gelingt, den vertrauensärztlichen Dienst zu einem sozialärztlichen Dienst umzugestalten, wird das unerquickliche Nebeneinander von unterschiedlichen Begutachtungen beseitigt.
Zudem kann ein solcher sozialärztlicher Dienst durch verbesserte diagnostische Beratungen nicht nur zur Gesundschreibung, sondern vor allem zur Gesundung der Versicherten beitragen.
Darauf kommt es für die Volkswirtschaft und für den Menschen entscheidend an.Zu 5. Der Gedanke der Selbstverwaltung wird als wichtige Grundlage unserer Sozialversicherung auf allen Seiten des Hauses bejaht. Der Regierungsentwurf sieht jedoch vor, die soziale Selbstverwaltung einzuengen, anstatt sie zu stärken. Deshalb soll nach unserer Auffassung das Gutachten der Sachverständigen Vorschläge für eine Synthese von Selbstverwaltung und Staatsaufsicht enthalten, durch die die Entfaltung der konstruktiven Kräfte gefördert wird.Zu 6. Der Aufwand der sozialen Krankenversicherung beläuft sich auf rund 10 Milliarden DM
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Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 97. Sitzung. Bonn, Freitag, den 15. November 1963 4471
Dr. Schellenbergjährlich. Das macht es selbstverständlich erforderlich, im Rahmen einer Krankenversicherungsreform auch die finanziellen Zusammenhänge sorgfältig zu prüfen.Aber noch etwas anderes, meine Damen und Herren! Die Verwaltungskosten für alle sozialen Leistungen betragen gegenwärtig insgesamt 2,5 Milliarden DM jährlich.
— Gesamtverwaltungskosten für den sozialen Bereich ! Bei dieser Sachlage läßt es sich nicht verantworten, durch gesetzliche Regelungen den Verwaltungsaufwand nicht nur für die Träger der Krankenversicherung, sondern auch für die Betriebe, die Ärzte, die Krankenhäuser und dergleichen noch weiter zu erhöhen.
Der Gesetzgeber hat die Verpflichtung, mit Unterstützung von Sachverständigen alle Anstrengungen zu unternehmen, um die Verwaltung auch der sozialen Krankenversicherung zu vereinfachen und sie nicht ins Unerträgliche zu komplizieren.Zu 7. Selbstverständlich ist auch etwaigen Mißständen in der gesetzlichen Krankenversicherung zu begegnen. Diese Zusammenhänge müssen vorurteilsfrei geprüft und erörtert werden. Wir sind zur Mitarbeit auch in dieser Hinsicht bereit. Denn niemand, der Verantwortung trägt, will Mißstände bestehen lassen. Deshalb soll das Gutachten der Sachverständigen sich auch zu etwaigen Mißständen äußern und nach Möglichkeit Vorschläge zu ihrer Beseitigung machen.Es steht den Sachverständigen nach unserem Antrag frei, sich auch zu weiteren grundsätzlichen Fragen — nicht technischen Angelegenheiten — der Krankenversicherungsreform gutachtlich zu äußern.Die Sachverständigenkommission kann ihre verantwortungsvolle Aufgabe nur meistern, wenn ihr jede mögliche Hilfe zur Verfügung gestellt wird. Deshalb soll die Kommission nach ihrem Ermessen weitere Sachverständige an der Ausarbeitung des Gutachtens beteiligen. Wir sehen deshalb in unserem Antrag vor, daß alle Dienststellen, insbesondere die Träger der Krankenversicherung, die kassenärztlichen und -zahnärztlichen Vereinigungen, verpflichtet werden, der Kommission die erforderliche Unterstützung zu gewähren.Wenn das Gutachten — und das ist ein entscheidender Punkt, meine Damen und Herren — Grundlagen für eine Neugestaltung unserer Krankenversicherung schaffen soll, dann muß die Unabhängigkeit der Sachverständigenkommission gewährleistet werden. Das schlechte Beispiel des Beirats für die soziale Neuordnung, der seinerzeit beim Bundesarbeitsministerium gebildet wurde und der seit 1958 vom Arbeitsminister nicht mehr zusammengerufen wurde, darf sich nicht wiederholen.
Deshalb beantragen wir, daß die Mitglieder derKommission vom Herrn Bundeskanzler berufen werden und daß das Bundeskanzleramt die Voraussetzungen für .die Arbeit der Kommission zu schaffen hat.Wir .sind uns natürlich darüber klar, daß die Sachverständigen durch ihr Gutachten den gesetzgebenden Körperschaften die Verantwortung für die Gestaltung der Krankenversicherung nicht abnehmen können. Die Sachverständigen können aber dazu beitragen, die politischen Entscheidungen, die getroffen werden müssen, zu erleichtern. Darauf kommt es an.
Es erhebt sich die Frage — ich will ihr nicht ausweichen; denn wir wollen heute mit voller Klarheit sprechen —, oh nicht mit der Berufung einer Sachverständigenkommission die Reform ,der Krankenversicherung für diese Legislaturperiode zum Scheitern verurteilt wird. Meine Damen und Herren, niemand kann einer solchen Kommission von vornherein Termine setzen. Aber es wäre durchaus möglich, daß das Gutachten noch vor der nächsten Sommerpause vorliegt. Gestützt hierauf könnten dann die Ausschuüsse die Beratung der Regierungsvorlage zu einem sinnvollen Abschluß bringen. Auf diese Weise wäre der Sache, um die es geht, ein guter Dienst erwiesen. Allein darauf sollte es ankommen.
Ich komme zum Schluß. Der Herr Bundeskanzler hat sich in seiner Regierungserklärung zu einer Sozialpolitik aus einem Guß bekannt und eine Sozialenquete in Aussicht gestellt. Über das, was in dieser Hinsicht von der Mehrheit bisher versäumt wurde, will ich jetzt nicht sprechen. Allein entscheidend ist für uns, daß endlich ein Anfang gemacht wird. Es ist notwendig, bessere Grundlagen für eine Krankenversicherungsreform zu schaffen, zumal die Regierungserklärung zugibt, daß sich im Bereich der Krankenversicherungsreform besondere Schwierigkeiten ergeben haben. Die grundlegenden Probleme müssen vor Beschlußfassung über ein Reformgesetz geklärt werden.
Es wäre höchst sinnwidrig, den Rat von Sachverständigen erst zum Zwecke der Behebung von Fehlern in der Gesetzgebung, die jetzt noch vermieden werden können, einzuholen. Nach den vielfältigen Enttäuschungen, die es mit den Regierungsentwürfen zur Neuregelung der Krankenversicherung gegeben hat, müssen endlich die Voraussetzungen für eine Reform — darauf kommt es uns an — geschaffen werden, die den Erfordernissen des Industriezeitalters entspricht.Mit unserem Antrag auf Berufung der Sachverständigenkommission für die Krankenversicherungsreform machen wir ein politisch und fachlich ,fundiertes Angebot, um die Schwierigkeiten zu überwinden, von denen in der Regierungserklärung gesprochen wird. Wir haben die Hoffnung, meine Damen und Herren, daß das ganze Haus unserem Antrag zustimmt, weil damit den Grundsätzen der Regierungserklärung entsprochen würde. Denn wir können und wollen nicht glauben, daß in
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4472 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 97. Sitzung. Bonn, Freitag, den 15. November 1963
Dr. Schellenbergdieser Hinsicht die Regierungserklärung nur für die Bedürfnisse des Tages und nicht als Richtlinie für die Politik formuliert wurde.
Das Wort hat der Bundesarbeitsminister.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich will nicht in eine Diskussion über die Krankenversicherungs-Neuregelung eintreten; die haben wir am 23. Januar dieses Jahres hier geführt. Seitdem befindet sich die Gesetzesvorlage in dem zuständigen Ausschuß, und es ist Sache des Ausschusses, diese Vorlage zu beraten und sie eines Tages zur zweiten und dritten Lesung dem Parlament wieder zuzuleiten.
Die Bundesregierung hat schon bei ihrer Gesetzesvorlage, die sie zum gleichen Thema in der vergangenen Legislaturperiode gemacht hatte, ebenso wie bei der Gesetzesvorlage, die sie in dieser Legislaturperiode eingebracht hat, sich bei der Vorbereitung der Entwürfe die Arbeitsergebnisse zweier Kommissionen zunutze gemacht. Es handelt sich um die bekannten Gutachten über die Grundsätze einer Reform der gesetzlichen Krankenversicherung, einmal das sogenannte Vier-Professoren-Gutachten der Professoren Achinger, Höffner, Muthesius und Neundörfer und zum andern das Gutachten des Ausschusses für Krankheitsbekämpfung; dieser Ausschuß war, wie Sie wissen, ein Unterausschuß des Beirats für die Neuordnung der Sozialleistungen, der in der Zeit von 1955 bis 1958 — achten Sie bitte auf das Datum, denn es wurde eben gesagt, er sei seit 1958 nicht einberufen worden — ein umfassendes Gutachten zur Reform der Krankenversicherung erarbeitet hat.Wir haben uns also bei der Abfassung unserer Entwürfe Gutachten in genügender Zahl, abgefaßt, was den Sachverstand anbetrifft, von hervorragenden Herren, zunutze gemacht. Es scheint mir daher wenig sinnvoll — ich spreche es ganz offen aus —, nunmehr, wo wir mitten in der Beratung des Entwurfs stehen,
ein drittes Gutachten einzuholen.
Es ist nämlich gar nicht zu erwarten — weil das, was in der Krankenversicherung nottut, nicht erst seit gestern und nicht erst seit heute jedermann, nicht nur Sachverständigen, bekannt ist —, daß die Ergebnisse eines dritten Gutachtens zu völlig neuen Erkenntnissen führen würden. Außerdem — und da stimme ich mit der SPD einfach nicht überein — käme darin eine abwertende Kritik an der Arbeit dieser beiden Kommissionen zum Ausdruck, die nicht nur ungerechtfertigt wäre, sondern auch die Tätigkeit einer dritten Kommission von vornherein belasten müßte. Denn so zahlreich sind nun dieSachverständigen in Deutschland für dieses Spitzengremium auch wieder nicht; es würden vielleicht vielfach die gleichen Leute sein.Nun räume ich gern ein, und jeder Kenner der Materie wird mir sicherlich beistimmen, daß das gesamte Gebiet der sozialen Krankenversicherung ein reichhaltiges, vielfach auch schwer überschaubares Gebilde ist und daß völlig unabhängig von dem Ihnen jetzt vorliegenden Reformgesetzentwurf auch nach Verabschiedung dieses Entwurfs immer wieder Probleme auftauchen werden, die der kritischen Untersuchung, der Auswertung, der Beobachtung bedürfen. Es erschiene mir daher sinnvoll, diesen Ausschuß, dessen Erkenntnisse wir uns schon einmal bedient haben, im Hinblick darauf, daß auch nach Abschluß des genannten Gesetzgebungswerkes die Probleme immer wieder auftauchen, wieder zu aktivieren, ihn mit solchen Aufgaben zu betrauen. Sowohl Regierung als auch Parlament würden wohl gleichermaßen gern bereit sein, sich diese Erkenntnisse immer dienstbar zu machen. Daher bedarf es meiner Ansicht nach keiner neuen Kommission mit neuer Aufgabenstellung, sondern es bedarf nur, wenn wir unser Werk abgeschlossen haben, der neuen Aktivierung dieser Arbeit.Zu den vorliegenden Entwürfen sagte Herr Schellenberg, es müsse endlich ein Anfang gemacht werden. Nun, meine Damen und Herren, wir haben einen Anfang gemacht.
Wir haben über die Dinge hier grundsätzlich in erster Lesung gesprochen. Wir sind in der Beratung im Ausschuß. Herr Schellenberg, wenn Sie sich von diesen Beratungen absentiert haben, dann steht es Ihnen wohl nicht gut an, nunmehr als Aushängeschild dafür zu sagen, man brauche noch einmal ein neues Gutachten. Das hätte Ihnen schon bei der ersten Lesung einfallen müssen.
Überdies haben sich eine große Anzahl — ich kann sie gar nicht mehr alle aufzählen — von Sachverständigen und auch von Interessenten — auch die müssen zu Wort kommen; wer will ihnen das verwehren — zum Gesetzentwurf der Bundesregierung geäußert. Meine Damen und Herren, ich trete doch niemandem von Ihnen in diesem Hohen Hause zu nahe, wenn ich sage: Sie haben doch geradezu Mühe, das vorliegende schriftliche Material in seinem ganzen Umfang überhaupt noch zu lesen.
Wenn Sie also glauben, durch dessen Vermehrung dem Hohen Hause dienen zu können, irren Sie.Es wäre reizvoll für mich, auf die einzelnen Punkte Ihrer Rede einzugehen. Ich will mir das aber versagen, weil ich nicht eine unzeitgemäße Diskussion über die Krankenversicherungsreform, eine sogenannte nachholende zweite erste Lesung hier mit Ihnen veranstalten möchte. Wir sind jetzt in der Ausschußberatung. Es steht allen Fraktionen frei, sich der Ergebnisse dieser gutachtlichen Äußerungen zu bedienen.
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Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 97. Sitzung. Bonn, Freitag, den 15. November 1963 4473
Bundesminister BlankAuf eines aber möchte ich hinweisen, und ich hoffe, daß das ganze Hohe Haus mit mir darin übereinstimmt — ich darf wohl dessen sicher sein —: kein Gutachter und kein Gutachten einer irgendwie gearteten und zusammengesetzten Kommission kann Ihnen, die Sie allein das Recht zur Legislative haben, die politische Entscheidung abnehmen.
Meine Damen und Herren, worum geht es hier? Es geht um eine politische Entscheidung in einem bedeutsamen Bereich der sozialen Sicherung. Meine Damen und Herren, die erbitte ich mir von Ihnen. Da kann mir im Augenblick kein Gutachten helfen. Ich bitte daher das Hohe Haus, dem Antrag der SPD nicht stattzugeben.
Das Wort hat der Abgeordnete Ruf.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Im Namen der CDU/CSU-Fraktion bitte ich, den Antrag, den soeben Herr Kollege Schellenberg begründet hat, abzulehnen. Dieser Antrag hat nur den einen Zweck, das Sozialpaket aufzuschnüren und die Reform der sozialen Krankenversicherung auch in dieser Legislaturperiode zu beerdigen.
Da ist gar kein Zweifel. Nach Auffassung der CDU/ CSU-Fraktion muß das Sozialpaket als Ganzes verabschiedet werden. Wir halten nach wie vor an dem Junktim der drei Gesetzentwürfe fest. Insbesondere kann auf die gleichzeitige Verabschiedung der Reform der Krankenversicherung auf keinen Fall verzichtet werden.
Ein erneutes Scheitern der Krankenversicherungsreform — seien wir uns darüber im klaren — wäre ein Armutszeugnis für uns alle, für das ganze Haus, für das ganze Parlament.
Die Krankenversicherungsreform ist ja schon einmal gescheitert. Ein Korrespondent einer angesehenen Zeitung, den viele von Ihnen sehr gut kennen, hat in einem Buch — einem sehr lesenswerten Buch — „Weil alle besser leben wollen" geschrieben, das Scheitern der Krankenversicherungsreform in der dritten Legislaturperiode sei ein Lehrstück über Macht und Ohnmacht vernünftiger Ideen in einer Massendemokratie. Meine Damen und Herren, das sollten wir uns nicht noch ein zweites Mal sagen lassen müssen.
Das Parlament — und das Parlament ist hier angesprochen und nicht mehr die Regierung und nicht mehr der Herr Bundeskanzler —,
das Parlament, Herr Kollege Wehner, darf sich nicht auf eine Linie des Rückzugs vor den Verbänden begeben.
Das Parlament, meine Damen und Herren, hat endlich zu beweisen, daß es in der Lage ist, notwendige Reformen auch gegen Widerstände, auch gegen ein Trommelfeuer der Interessenten durchzusetzen.
— Daß die SPD die Krankenversicherungsreform, Herr Kollege Wehner, mit diesem Antrag ein zweites Mal wiederum begraben will, das wundert uns keineswegs. Herr Kollege Schellenberg hat ja schon bei der ersten Lesung angekündigt, daß die SPD dieses Mal der Reform der Krankenversicherung einen noch schärferen Kampf ansagen wolle, als es das letzte Mal der Fall war.
Wir wundern uns auch schon deswegen gar nicht, Herr Kollege Wehner, weil das bei einer hundertjährigen Partei ja gar nicht anders sein kann. Sie kommen aus ihren alten, eingefahrenen Gleisen, besonders auf dem Gebiet der Sozialpolitik, nicht heraus.
Wir wissen doch — dafür haben wir Verständnis, meine Damen und Herren von der Opposition —, daß Sie immer eine geraume Zeit brauchen,
bis Sie zu den notwendigen Erkenntnissen kommen.
Der Herr Kollege Erler hat in seiner ausgezeichneten Rede zur Regierungserklärung seinerzeit gesagt, Sozialpolitik von heute sei nicht mehr Notstandspolitik, sondern sei Wohlstandspolitik. Das ist ein sehr gutes Wort, das habe ich mir sehr gut gemerkt, das hat mir sehr gut gefallen.
Das ist auch unsere Auffassung. Aber, meine Damen und Herren, dann muß man auch die richtigen Konsequenzen ziehen.
Dann muß man auch sehen, daß wir Sozialpolitiker uns heute im 20. Jahrhundert in dieser Wohlstandsgesellschaft alle Mühe geben müssen, um mit den Problemen und Sorgen, die aus dieser Wohlstandsentwicklung, aus der Vollbeschäftigung, aus der Überbeschäftigung usw. entstehen, fertig zu werden, und bestrebt sein, die sozialen Einrichtungen, die Einrichtungen der sozialen Sicherung von heute den Gegebenheiten von heute anzupassen. Man kann eben eine Krankenversicherung, die im wesentlichen noch auf gewissen Gegebenheiten des 19. Jahrhunderts, auf der Notstandspolitik des
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4474 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 97. Sitzung. Bonn, Freitag, den 15. November 1963
Ruf19. Jahrhunderts beruht, nicht mehr so weiterführen, als ob sich in der Zwischenzeit nichts geändert hätte.Nun sagt unsere gute SPD, dazu bedürfe man eines neuen Gutachtens einer Sachverständigenkommission. Eine Sachverständigenkommission soll erneut über die Reform der Krankenversicherung beraten. Wie wenn wir nicht schon genügend Gutachten hätten! Wir haben Gutachten und Stellungnahmen in einer solchen Zahl, daß man damit allmählich ganze Bibliotheken füllen kann. Meine Damen und Herren, die Literatur zur Krankenversicherung ist ja kaum mehr zu übersehen.Wir haben einen Beirat zur Neuordnung der sozialen Leistungen. Der Herr Kollege Blank hat vorhin die Protokolle der Sitzungen dieses Beirates erwähnt. Ich würde Ihnen empfehlen, sie nachzulesen. Manches davon ist sehr Lesens- und beherzigenswert. Diese Protokolle füllen bereits ganze Aktenschränke. Dieser Beirat und sein Unterausschuß — er hat einen Unterausschuß für Fragen der Krankheitsbekämpfung inklusive Krankenversicherung geschaffen — haben in sehr, sehr ausführlichen Gutachten bereits vor langer Zeit die Arbeitsergebnisse vorgelegt. In diesem Beirat und seinen Arbeitsausschüssen waren Männer der Sozial- und Wirtschaftswissenschaften, Persönlichkeiten der medizinischen Wissenschaft, der Sozialpartner, der Sozialversicherungsträger usw. so, wie es die SPD verlangt, ja bereits vertreten. Diese Persönlichkeiten haben — das muß man doch anerkennen — seinerzeit eine gründliche Arbeit geleistet. Aber — und darin liegt die Schwierigkeit — in wesentlichen Fragen sind die Herren — es war gar nicht anders zu erwarten — eben nicht zu einheitlichen Vorschlägen gekommen. Die anstehenden Fragen waren nämlich, wie es in einem der Berichte heißt, nicht ausschließlich nach fachlichen, sondern, wie es in der Natur der Sache liegt, nach politischen Gesichtspunkten zu entscheiden. Ich persönlich habe trotz mancher Erfahrungen immer noch eine hohe Meinung von Sachverständigen, insbesondere, wenn sie aus den Reihen der Wissenschaft kommen. Aber kein Sachverständiger — da hat Herr Kollege Blank recht — kann uns die Last — und es ist eine Last — der politischen Entscheidung abnehmen. Der Mut zur Entscheidung und der Wille, das was wir als richtig und als notwendig erkennen, auch durchzusetzen, wird von uns gefordert; dazu sind wir da.Wir wissen doch auch alle, daß man unterscheiden muß zwischen Sachverständigen und Sachverständigen. In solchen Gremien sitzen nicht nur unabhängige Experten, sondern mitunter sehr, sehr abhängige Vertreter von bestimmten Gruppen und weisungsgebundene Funktionäre, die gar nicht in der Lage sind, eine andere Meinung als die ihres Verbandes, der sie delegiert hat, zu vertreten. Darüber müssen wir uns doch auch im klaren sein.Was soll uns eine solche Sachverständigenkommission überhaupt noch Neues auf diesem Gebiet sagen? Die Krankenversicherungsreform ist doch schon seit Jahren auf nationaler und auch auf internationaler Ebene nach allen Seiten hin durchleuchtet und durchdiskutiert worden, so daß man einfach nichts Neues mehr vorschlagen und dazu sagen kann. Der Asgard-Verlag hat sieben dicke Bände mit Dokumenten und Stellungnahmen zur Sozialreform zusammengestellt. Das ist ein Verdienst von Dr. Richter, der das gemacht hat; das erleichtert uns die Arbeit. Lassen Sie mich einmal aus dem Inhaltsverzeichnis dieser Dokumentensammlung einiges vorlesen, damit Sie sehen, was in der Vergangenheit auf diesem Gebiet schon begutachtet worden ist. Ich kann natürlich von diesen 17 Seiten Inhaltsverzeichnis nur einige Positionen herausgreifen.Da gibt es z. B. sehr lesenswerte „Grundgedanken zur Gesamtreform der sozialen Leistungen" aus dem Jahre 1955 von dem damaligen Bundesarbeitsminister, dem Kollegen Storch. Dann die Ergebnisse der Arbeitstagung des Beirats für die Neuordnung der sozialen Leistungen, insbesondere die „Beschlüsse des Arbeitsausschusses für Fragen der Krankheitsbekämpfung " und einen langen ausführlichen schriftlichen Bericht des Vorsitzenden dieses Ausschusses. Es gibt Stellungnahmen des Bundesrates und ausdrückliche Stellungnahmen, die in einzelnen Länderministerien erarbeitet worden sind; so hat z. B. das Ministerium für Arbeit in Baden-Württemberg ein sehr ausführliches Gutachten mit Gedanken zur Neuordnung des sozialen Rechts vorgelegt. Auch die Parteien haben sehr viel zu dieser Dokumentensammlung geliefert, auch die SPD. Ich erinnere an den Sozialplan der SPD und nenne weiter: „Unser Weg zur Sozialreform", „Gesundheitssicherung in unserer Zeit" usw. usw. Auch die gesellschaftlichen Verbände haben einen ganzen Katalog von Stellungnahmen und Gutachten zur Krankenversicherung vorgelegt; so hat z. B. der DGB zur Sozialreform eine Denkschrift vom Juni 1956 vorgelegt. Ich erwähne weiter die „DGB-Forderungen zur Neugestaltung der Gesundheitssicherung", die „Stellungnahme zum Referentenentwurf eines Gesetzes zur Neuregelung des Rechts der sozialen Krankenversicherung" usw. Dann erwähne ich die Stellungnahme der IG-Metall zur Gesundheitssicherung und zur Krankenversicherung, die Stellungnahme der DAG zur Reform der sozialen Krankenversicherung. Weiter nenne ich die Äußerungen der Sozialausschüsse der christlich-demokratischen Arbeitnehmerschaft, der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände, des Bundes Katholischer Unternehmer, alles sehr lesenwerte Gutachten. Unabsehbar ist die Zahl der Stellungnahmen der Verbände der freien Berufe, insbesondere der Ärzte. Ich brauche das im einzelnen gar nicht aufzuzählen. Selbstverständlich haben sich auch alle Krankenkassenarten in ihren Gremien in der Vergangenheit sehr intensiv mit den Fragen der Reform beschäftigt. Diese Diskussionen haben sich in ausführlichen Gutachten und Stellungnahmen niedergeschlagen, so z. B. des Bundesverbandes der Ortskrankenkassen, der Verbände der Ersatzkassen, in gemeinsamen Vorschlägen der Bundesspitzenverbände der Krankenversicherung usw. Die Verbände der Privatversicherung haben dazu Stellung genommen, ebenso der Bundesverband der Vertrauensärzte mit seinem Gutachten: „Die Sozialreform und die künftige Stellung des Vertrauensarztes". Dann, Herr
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Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 97. Sitzung. Bonn, Freitag, den 15. November 1963 4475
RufKollege Schellenberg, hat auch die Deutsche Krankenhausgesellschaft Stellung genommen: „Ein Wort der Krankenhäuser an die Öffentlichkeit" und „Stellungnahme zum Referentenentwurf eines Krankenversicherungs-Neuregelungsgesetzes". Ferner haben private wissenschaftliche Vereinigungen Stellung genommen. Die Gesellschaft für sozialen Fortschritt e. V. hat, mit Bundesmitteln unterstützt, eine Kommission eingesetzt, die ein sehr ausführliches und wirklich gutes Gutachten zu Fragen der Krankenversicherung vorgelegt hat. Die Gesellschaft für Versicherungswissenschaft und -gestaltung, der Deutsche Verein für öffentliche und private Fürsorge haben Stellung genommen. Außerdem gibt es das erwähnte Vier-Professoren-Gutachten und dazu ein Gegengutachten von drei anderen Professoren. Dann haben die Richter von gewissen Sozialgerichten Stellung genommen, des weiteren viele, viele Einzelpersonen; ich denke an das umfassende Gutachten von Herrn Professor Bogs oder auch an die Dinge, die uns von Herrn Professor Preller und von Herrn Staatssekretär Auerbach vorgelegt worden sind. Auch die sehr bekannte und sehr lesenswerte Rede unseres Herrn Vizepräsidenten Professor Carlo Schmid „Krankenversicherung in Selbstverantwortung" ist dankenswerterweise in dieser Dokumentensammlung enthalten.Meine Damen und Herren, wer diese vielfältigen Erörterungen und Stellungnahmen durchgearbeitet hat, muß feststellen, daß in der Tat auf diesem Gebiet in der Vergangenheit das Äußerste bereits geschehen ist und daß man wirklich nichts Neues mehr sagen kann.Man muß auch sagen, daß sich mancher guter Vorschlag, der in der Vergangenheit gemacht worden ist, im Regierungsentwurf niedergeschlagen hat. Selbstverständlich konnte der Regierungsentwurf nicht alle Vorschläge und nicht alle Gesichtspunkte aufnehmen; dann wäre der Entwurf ja ein furchtbarer Wechselbalg geworden. Daran ist nicht zu denken. Die Regierung hatte bei der Abfassung des Entwurfs die Aufgabe, abzuwägen, auszugleichen und dafür zu sorgen, daß man noch von einer einheitlichen Konzeption des Entwurfs sprechen kann. Ich möchte sagen, das ist der Regierung gelungen. Bei dem vorliegenden Entwurf kann man von einer einheitlichen Konzeption ohne jeden Zweifel sprechen.Niemand kann erwarten, daß er in einem Reformentwurf nur seinen Standpunkt und nur sein Interesse oder das Interesse seines Verbandes berücksichtigt findet. Irgendeinem Egoismus oder Gruppenegoismus — das gilt für alle Fälle — müssen wir als Politiker bei jeder Reform auf die Füße treten. Das bringt Unannehmlichkeiten mit sich. Aber diese Unannehmlichkeiten kann man eben nicht auf Sachverständige abladen; wir müssen schon selber sehen, wie wir damit fertig werden.Dann noch eines. Sozialpolitik wird ja heute — übrigens wie in früheren Jahren und Jahrzehnten — nicht bloß unter rein fachlichen und sachlichen Gesichtspunkten betrieben. Das mag man bedauern; aber an der Tatsache kommen wir nicht vorbei, daß Sozialpolitik eben auch ein Machtkampf ist, einKampf um Sonderinteressen und Sondervorteile. Damit haben wir uns als Sozialpolitiker auseinanderzusetzen, da stehen wir im Kreuzfeuer dieser Kämpfe. Wir haben auszugleichen und dafür zu sorgen, daß das allgemeine Wohl nicht zu kurz kommt. Auch diese Aufgabe können wir nicht auf eine Sachverständigenkommission abschieben.Herr Kollege Erler hat in der Aussprache zur Regierungserklärung gemeint, durch eine Sachverständigenkommission könnten die Debatten um die Krankenversicherungsreform entschärft und entideologisiert und auf einwandfreier Grundlage sachliche Lösungen erarbeitet werden. Da kann ich nur sagen: welche Illusionen! Es gibt doch wenige Materien in diesem Hause, die mit so viel politischem Sprengstoff geladen sind wie gerade die Dinge der Sozialpolitik. Das ist doch nun einmal unser Kummer und unser Schicksal. Auch das können wir nicht auf eine Kommission von Sachverständigen abwälzen, damit müssen wir selber fertig werden.Der Herr Bundeskanzler hat einmal — ich weiß nicht, wann — in einer seiner Reden gesagt, er wolle alles tun, um die Schallmauer der kollektiven Meinungsbildung zu durchbrechen. Meine Damen und Herren, das ist auch beim Sozialpaket notwendig. Das gilt insbesondere für die Lohnfortzahlung und für die Reform der sozialen Krankenversicherung. Hier sollten wir an das denken, was vor kurzem der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Industrie- und Handelstages, Dr. Düren, auf einer Tagung der Arbeitsgemeinschaft selbständiger Unternehmer in Bad Brückenau gesagt hat. Er sagte in seiner Rede:Gerade hier sollte man hoffen, daß es gelingen wird, diese Schallmauer zu durchbrechen, sehen wir doch um uns herum in einem erschreckenden Ausmaß eine kollektive Meinungsbildung, bei der die Verantwortung des einzelnen immer mehr zurücktritt, oft genug nur von Funktionären formulierte Meinungen, die mit großer Kraft und mit Rücksichtslosigkeit ohnegleichen nach außen getragen werden.Ein sehr wahres Wort, das auf unser Sozialpaket und die Auseinandersetzungen um die Schwierigkeiten, die wir haben, sehr zutrifft. Lassen Sie uns, meine Damen und Herren, diese Mauer der kollektiven Meinungsbildung endlich durchbrechen und lassen Sie uns das Sozialpaket verabschieden!Der Sozialpolitische Ausschuß wird übrigens in einer der nächsten Sitzungen die erste Lesung der Krankenversicherungsreform beenden. Lassen Sie uns diese Arbeiten beschleunigen und sorgen wir dafür, daß wir mit dem Gesetz so schnell wie möglich ins Plenum kommen. Wir dürfen notwendigen Entscheidungen nicht ausweichen, indem wir neue Kommissionen einsetzen. Es ist lange genug geredet worden. Es ist an der Zeit, daß endlich entschieden wird.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Stammberger.
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4476 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 97. Sitzung. Bonn, Freitag, den 15. November 1963
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Eigentlich war die Rede des Herrn Kollegen Professor Schellenberg doch sehr erfreulich, denn sie zeigt das ernsthafte Bemühen der Opposition, an der Verwirklichung der Regierungserklärung mitzuarbeiten. Mit gutem Recht, Herr Kollege Schellenberg, haben Sie sich darauf berufen, daß bereits in der Regierungserklärung vom 18. Oktober dieses Jahres durch den Herrn Bundeskanzler eine Sozialenquete angekündigt worden ist. Der Sprecher unserer Fraktion, Herr von Kühlmann-Stumm, hat gerade diesem Punkt der Erklärung zugestimmt. Ich darf daran erinnern, daß die Freie Demokratische Partei bereits in ihrem Wahlaufruf im Jahre 1961 die gleiche Forderung gestellt hat, die jetzt in der Regierungserklärung enthalten ist. Aber, meine Damen und Herren, unsere Vorstellungen von einer Sozialenquete sind umfassender. Wir sind der Meinung, man muß das sozialpolitische Problem aus einer gewissen Gesamtschau heraus sehen. Wir meinen, daß es unter Umständen nicht zweckmäßig sein könnte, einen Teilbereich der Sozialpolitik, etwa die Krankenversicherung, herauszunehmen und einer gesonderten Betrachtung zu unterziehen,
weil hierbei nämlich die Gefahr besteht, daß die Dinge zu sehr isoliert gesehen werden.
Es könnte sein, daß das Gutachten, das Sie wünschen, zu den in Punkt 3 Ihres Antrags angeschnittenen Fragen zu Schlußfolgerungen führt, die innerhalb der Sozialenquete ganz anders aussehen würden.Aber, meine Damen und Herren, warum wollen wir es eigentlich der Opposition verübeln, oder warum wollen wir sie davon abhalten, zumindest Teilbereiche zunächst einmal zu klären? Gewundert habe ich mich, Herr Kollege Schellenberg — und ich habe Ihnen das ja schon gestern bei einem persönlichen Gespräch gesagt —, über die Punkte 1 und 2 Ihres Antrages, mit denen Sie die Einsetzung einer Sachverständigenkommission verlangen. Sowohl Herr Minister Blank wie auch Herr Kollege Ruf haben Ihnen gesagt, daß. ein solcher Ausschuß bereits besteht, und zwar auf Grund Ihrer Initiative. Am 21. Februar 1952 hat in diesem Hohen Hause eine ganz ähnliche Debatte stattgefunden auf Grund eines Antrags von Ihnen, mit dem Sie die Einsetzung einer sozialen Studienkommission gefordert haben. Dieser Antrag wurde damals abgelehnt; angenommen aber wurde ein Gegenantrag der damaligen Regierungskoalition, die im wesentlichen auch die heutige ist, auf Grund dessen der Beirat für die Neuordnung der Sozialleistungen beim Bundesarbeitsministerium eingerichtet wurde. Und jetzt, Herr Kollege Schellenberg, muß ich Ihnen einen Vorwurf machen. Sie hätten Ihren heutigen Antrag vier Wochen eher stellen sollen; dann wäre die heutige Debatte vielleicht schon um den 13. Oktober herum gewesen, und wir hätten sie mit dem fünften Jahrestag des letztmaligen Zusammentretens dieses Beirats verknüpfen können.
Das wäre doch bestimmt sehr feierlich gewesen.
Aber nachdem der Herr Bundesarbeitsminister soeben vor dem Hohen Hause die Erklärung .abgegeben hat, daß er baldmöglichst, hoffentlich nicht erst nach idem Ende der Beratungen des KVNG, diesen Ausschuß — der bereits besteht und der fünf Jahre Zeit zur 'Erholung gehabt hat, um neuen Taten entgegenzuschreiten — wieder aktivieren will, kann man Ihren Antrag in den Punkten 1, 2 und 4 durch eine entsprechende Erklärung der Bundesregierung als erledigt erklären. Wir stimmen ihm nicht zu, wir lehnen ihn nicht ab, sondern wir betrachten ihn als erledigt durch 'die Erklärung des Bundesarbeitsministers, die er vielleicht in der gewünschten Form noch etwas präzisieren könnte. Wir wollen damit nicht warten, bis das KVNG zu Ende beraten ist.Nun zu den Punkten 3 und 5 Ihres Antrags. Da stimmen wir Freien Demokraten der Überweisung an den Ausschuß zu. Es wäre zweckmäßig, dort die Punkte, die geklärt werden sollen und die Herr Kollege Schellenberg sehr ausführlich erörtert hat, einmal zu prüfen, vielleicht zu ergänzen oder zu ändern. Wir sollten sie dem Beirat bei seinen demnächst wieder beginnenden Sitzungen als Material überweisen.Daß das KVNG augenblicklich im Ausschuß beraten wird — Herr Kollege Ruf, bevor Sie den Kopf schütteln, hören Sie mich bitte erst zu Ende an —, sollte 'kein 'Hinderungsgrund sein. Ich will Ihre Hoffnung, daß das KVNG noch In dieser Legislaturperiode verabschiedet wird, 'durchaus nicht trüben, sondern nur eines sagen: wenn nichts käme, Herr Kollege, würde ich das durchaus nicht ohne weiteres' gleich als Armutszeugnis für den Bundestag betrachten.
Ich bin der Meinung, lieber gar nichts als etwas Schlechtes
— warten Sie bitte mit Ihrem Beifall —, womit ich nichts über den Regierungsentwurf gesagt haben will.
Aber wie auch immer die Behandlung des Sozialpaketes aussieht, eine Ideallösung ist es nicht und kann es auch gar nicht sein, vor allem keine Idealläsung für längere Zeit. Die kann es gar nicht geben. In der Sozialpolitik ist alles immer im. Wandel 'begriffen. Jede Sozialpolitik ist abhängig und bedingt von den wirtschaftlichen Verhältnissen, von der gesellschaftspolitischen Entwicklung und im vorliegenden Fall der sozialen Krankenversicherung auch noch von gesundheitspolitischen Erfordernis-
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Dr. Stammbergersen, von den Erkenntnissen der Wissenschaft und dergleichen mehr, beispielsweise von psychologischen Faktoren. Alle diese Dinge sind in einem ständigen Wandel und Fortschritt begriffen, .und die Arbeit an den sozialen Problemen, insbesondere auch und gerade an der sozialen Krankenversicherung, muß sich kontinuierlich weiter entwickeln können. Sie kann und darf nicht stehenbleiben. Ich bin der festen Überzeugung — auch da stimme ich mit dem Herrn Minister Blank völlig überein —, daß die weitere Arbeit des Beirats, völlig unabhängig von den Beratungen des Sozialpolitischen Ausschusses, Unis wertvolle Erkenntnisase für die Zukunft bringen wird. So habe ich auch den Wunsch des Herrn Bundeskanzlers nach einer Sozialenquete in der Erklärung der Bundesregierung aufgefaßt, daß eben hier an die Zukunft gedacht wird. Es wäre gut, wenn Sie alle noch einmal das täten, was ich gestern getan halbe: ich habe diese Punkte der Regierungserklärung nachgelesen.Herr Kollege Ruf, wenn wir die Punkte 3 und 5 des Antrags an den Sozialpolitischen Ausschuß überweisen, so hat die ganze Sache noch einen anderen heilsamen Effekt. Sie wissen ja, daß sich die antragstellende Fraktion an den Ausschußarbeiten, soweit sie die soziale Krankenversicherung betreffen, nicht mehr beteiligt. Wenn nun der Antrag, zumindest die Punkte 3 und 5, dort, wie unsere Fraktion das gern möchte, zur Behandlung ansteht, wird die antragstellende Fraktion natürlich wiederkommen müssen, um ihren Antrag zu begründen und entsprechend durchzusetzen.
— Frau Kalinke, ich bin fest davon überzeugt, daß Sie auch dann noch Zeit genug haben werden, dort im Ausschuß wie die Sprecher der SPD Ihre eigenen Gedanken und Ihre eigene Meinung vorzutragen.Der Ausschuß wird dann wieder mit allen politischen Richtungen vertreten sein, und das kann für die kontinuierliche Weiterarbeit an diesem Problem nur gut sein.Auch aus diesem Grunde schlagen wir vor, die Punkte 3 und 5 an den Ausschuß zu überweisen. Im Namen der Ausschußmitglieder meiner Fraktion möchte ich Ihnen von der SPD-Fraktion ein fröhliches Wiedersehen im Sozialpolitischen Ausschuß zurufen.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Schellenberg.
Meine Damen und Herren! Wir verwenden hier viel weniger Zeit für dieses Thema, als Sie für Ihre internen Koalitionsberatungen benötigen. Deshalb darf ich wohl noch wenige Bemerkungen zu dem machen, was der Herr Bundesarbeitsminister und die Herren Kollegen Ruf und Stammberger gesagt haben.Erstens. Der Herr Bundesarbeitsminister hat das Gutachten der vier Sachverständigen zur Neuordnung der sozialen Leistungen erwähnt. Ich habe es mir beschafft. Dieses Gutachten wurde seinerzeit auf Anregung des Herrn Bundeskanzlers erstattet und sollte — das ist der entscheidende Punkt —, wie auch die Überschrift lautet, zur Neuordnung der sozialen Leistungen Stellung nehmen. Es behandelt also die gesamte soziale Sicherung, und deshalb wird darin zur Krankenversicherung nur kurz Stellung genommen, jedenfalls nicht zu den Grundproblemen, die nach unserer Auffassung unbedingt geklärt werden müssen. Entscheidend ist aber, daß die Bundesregierung aus diesem Gutachten der Sachverständigen, die der Herr Bundeskanzler seinerzeit mit der Erstellung betraute, nicht die Konsequenz gezogen hat, eine Gesamtkonzeption der sozialen Leistungen zu entwickeln.
An einer Gesamtkonzeption fehlt es heute immer noch!Im übrigen, meine Damen und Herren, möchte ich aus diesem Gutachten, auf das der Herr Bundesarbeitsminister und auch Sie, Herr Kollege Ruf, plötzlich so großen Wert legen, einige Sätze vorlesen:Für die erfolgreiche Neuordnung der sozialen Hilfe ist es erforderlich, daß die sozialen Tatbestände bekannt sind. Auch heute fehlt daran noch vieles.So sagen diese Sachverständigen. Dann heißt es weiter:Die vorliegende Denkschrift— das ist die Denkschrift, auf die sich der Bundesarbeitsminister und Sie, Herr Kollege Ruf, beziehen —ist in allen Teilen bemüht gewesen, von den sozialen Tatbeständen auszugehen, so gut sie erfaßt werden konnten. Sie mußte sich aber bei vielen Fragen mit dem Mangel ausreichender sozialer Evidenz abfinden.
Deshalb bestätigt 'das Gutachten, auf das Sie sich berufen, geradezu die Notwendigkeit der von uns beantragten Sachverständigenkommission, die nämlich die Tatbestände zusammentragen soll, deren Kenntnis für eine Neuordnung der Krankenversicherung notwendig ist.Zweitens: Der Herr Bundesarbeitsminister will den Beirat zur Neuordnung der sozialen Leistungen wiederbeleben. — Nun, meine Damen und Herren,' das ist eine interessante Nuance der sozialpolitischen Diskussion.Was war das entscheidende Kennzeichen dieses Beirates? Diesem Beirat zur Neuordnung der sozialen Leistungen fehlte — und das war der wesentliche Mangel — die Unabhängigkeit. Der Beirat bestand 'aus über 40 Mitgliedern und stand unter der politischen Verantwortung des Bundesarbeitsministers. Dieser Beirat mußte — Herr Kollege Stammberger hat darauf hingewiesen — vor 5 Jahren seine Tätigkeit einstellen, weil der Bundesarbeitsminister ihn nicht mehr einberufen hat. Daß der Beirat keine
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4478 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 97. Sitzung. Bonn, Freitag, den 15. November 1963
Dr. SchellenbergMöglichkeit hatte, selbst das in das öffentliche Bewußtsein zu bringen, bestätigt nur seine Abhängigkeit und seine — man muß es leider sagen — relative Bedeutungslosigkeit. Der Herr Bundesarbeitsminister will heute — und das ist politisch wichtig — das Kind, das er vor fünf Jahren hat sterben lasen, wieder zum Leben erwecken.Meine Damen und Herren, wir sind der Auffassung, daß nach den Erfahrungen, nach den traurigen Erfahrungen, die mit diesem Beirat gewonnen wurden, seine Wiederbelebung nicht zu sinnvollen Ergebnissen führen kann.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Frage der Frau Abgeordneten Kalinke?
Ja, bitte schön!
Sind Sie, Herr Professor Schellenberg, der Auffassung — und ich frage das als Mitglied dieses Beirats —, daß auch die Ihrer Partei angehörenden Professoren, die dort wesentliche Auffassungen Ihrer Partei zur Sozialpolitik zur Geltung bringen konnten, in ihrer Stellungnahme als Sachverständige etwa nicht ein genügend unabhängiges Urteil gehabt haben?
Sehr verehrte Frau Kollegin Kalinke, ich muß feststellen, daß Sie sich als Mitglied dieses 'Beirats, den der Herr Bundesarbeitsminister hat sterben lassen, fünf Jahre lang nicht gerührt haben, um diesen Beirat wieder zum Leben zu erwecken.
Deshalb ist es für uns keine sinnvolle Regelung,
diesen Beirat, dessen Vorsitz der Bundesarbeitsminister innehatte, wieder zum Leben zu erwecken.
Herr Abgeordneter Schellenberg, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage der Abgeordneten Frau Kalinke?
Bitte sehr!
Darf ich Sie bitten, da Sie meine erste Frage nicht beantwortet haben,
Ich bin noch bei der Beantwortung.
— — sie jetzt zu beantworten und gleichzeitig auch folgende .Frage zu beantworten:
Glauben Sie ernsthaft, Herr Professor, daß es in der Krankenversicherungsreform noch irgendein nationales oder internationales Problem gibt, das nicht nach allen Seiten hin von Sachverständigen aller Richtungen und von Interessenten aller Richtungen
auf das gründlichste untersucht worden ist, und haben Sie nicht auch durch eigene Erfahrungen Ihrer Partei, in der Sie die Meinung der Ärzte über die Vorsorge gehört haben, einiges hinzugelernt? — Vielleicht sind Sie so liebenswürdig und nehmen dazu Stellung.
Meine Damen Und Herren und Frau Kollegin Kalinke im besonderen: Ich glaube, Sie haben nicht aufmerksam zugehört
bei dem, was ich vorhin gesagt habe; denn daß wir über die Ursachen des Krankenstandes — um nur ein Beispiel zu erwähnen — viel zuwenig wissen, kann doch niemand in diesem Hause bestreiten.
Der Krankenstand aber war gewissermaßen der Angelpunkt für die Konzeption des Regierungsentwurfs. Wir wissen leider über das Krankheitsgeschehen in der industriellen Arbeitswelt noch viel zuwenig, und deshalb muß mehr getan werden, um durch wissenschaftliche Forschung dem Gesetzgeber die Möglichkeit zu geben, sinnvolle Entschlüsse zu fassen.
Und nun, Frau Kollegin Kalinke, möchte ich Ihre erste Frage weiter beantworten. Selbstverständlich ist jede einzelne dieser 42 Persönlichkeiten zu einem unabhängigen Urteil fähig. Aber es kommt doch, wenn es um den Beirat geht, darauf an, ob dieses Gremium seine Aufgaben erfüllen konnte und kann. Das Gremium ist seit fünf Jahren nicht mehr aktiv geworden und konnte sich nicht betätigen, weil der Bundesarbeitsminister den Beirat nicht einberufen hat.Drittens. Der Bundesarbeitsminister und Herr Kollege Ruf haben von Beschlüssen eines Arbeitsausschusses dieses Beirats gesprochen. Sie wurden am 13. Oktober 1958 gefaßt und ohne vorherige Beratung im Beirat veröffentlicht. Der Beirat hatte also noch nicht einmal die Möglichkeit, die Ergebnisse seines Unterausschusses zu besprechen.
Die Beschlüsse dieser Unterkommission wurden seinerzeit veröffentlicht, um die Diskussion zu beleben. Aber, meine Damen und Herren, der Bundesregierung lag an dieser öffentlichen Diskussion über die Stellungnahme des Unterausschusses überhaupt nichts. Das Sozialkabinett hat nämlich wenige Tage später, am 24. Oktober 1958, Grundsätze zur Neuordnung der sozialen Krankenversicherung beschlossen und sich damit politisch festgelegt,
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Dr. Schellenbergohne überhaupt eine öffentliche Erörterung über diese Meinungsäußerung des Unterausschusses abzuwarten.
Viertens. Herr Kollege Ruf, Sie haben davon gesprochen, daß eine ganze Reihe von Stellungnahmen zu Problemen der Krankenversicherung vorliegen. Selbstverständlich, wir kennen sie genauso wie Sie. Aber was fehlt, leider auch heute noch weithin fehlt, sind fundierte wissenschaftliche Untersuchungen über eine Reihe wichtiger Fragen, die in unserem Antrag aufgegriffen sind. Daß das alles fehlt, ist doch ein Grund, weshalb Sie auch in Ihren internen Beratungen nicht weitergekommen sind und weshalb wir seit vier Jahren das Durcheinander um die Reform der Krankenversicherung erleben.
— Herr Kollege Ruf, ich weiß nicht genau, welche internen Gründe es für Ihre Schwierigkeiten gibt. Aber wir wissen und müssen feststellen, daß wichtige Tatbestände, über die bei der Reform politisch zu entscheiden ist, noch nicht — leider noch nicht — wissenschaftlich geklärt sind. Es ist ein erhebliches Verschulden auch des Bundesarbeitsministers, daß er die Möglichkeiten dieses Beirats, nach dieser Richtung zur Klärung beizutragen, nicht genutzt hat.
Fünftens. Meine Damen und Herren, es ist sachlich und menschlich verständlich, daß sich der Herr Bundesarbeitsminister gegen die Einsetzung einer Sachverständigenkommission wehrt. Deshalb richtet sich unser Antrag an den Herrn Bundeskanzler. Leider— ich muß es noch einmal betonen — ist er heute nicht anwesend. Der Bundesarbeitsminister muß sich gegen die Sachverständigenkommission wenden, auch deshalb, weil es unmöglich wäre, elf Sachverständige— wie wir es beantragen — der Wirtschafts- und der Sozialwissenschaften, der medizinischen Wissenschaften und der Sozialpartner zu finden, die sich zu seinem Entwurf, zum Regierungsentwurf, bekennen würden; sie gibt es nicht in der Bundesrepublik.
— Meine Damen und Herren, wir wollen doch hier ein freimütiges Wort sagen. In vielen Gesprächen auch mit Ihnen, meine Damen und Herren von der Regierungskoalition, bestätigt sich immer wieder, daß auch Sie große Bedenken haben, ob es zu einer sinnvollen Reform kommt. Das Hin und Her in der Krankenversicherungsreform wird von vielen in Ihrem Lager als bedauerlich empfunden. Wir wollen deshalb die Möglichkeit schaffen, aus den Schwierigkeiten herauszukommen. Darum geht es uns!
Herr Abgeordneter Schellenberg, gestatten Sie eine Frage der Frau Abgeordneten Kalinke?
Bitte schön.
Herr Professor, glauben Sie wirklich, daß es sachverständige Persönlichkeiten in der Bundesrepublik, die die Geschichte und die Situation unserer Wohlstandsgesellschaft, unserer Industriegesellschaft kennen, geben könnte, die die Grundsätze, die der Gesetzentwurf der Regierung beinhaltet, nämlich die Stärkung der Selbstverwaltung, die Stärkung der Beziehungen zwischen Versicherten und Ärzten, die Veränderung der Situation, die sich aus all den Problemen ergibt, die Sie hier genannt haben, nicht übersehen sollten und etwa nur einer parteipolitischen Auffassung huldigen würden?
Frau Kollegin Kalinke, sicherlich können Sie von den Sachverständigen nichts mehr lernen. Aber meine politischen Freunde und ich, wir könnten aus einem Gutachten der Sachverständigen großen Nutzen ziehen.
Sechstens. Manchmal hatte ich den Eindruck, Herr Kollege Ruf, daß mancher die Situation der Krankenversicherungsreform weniger nach den sachlichen Notwendigkeiten, sondern vor allen Dingen unter dem Gesichtspunkt des politischen Prestiges beurteilt. Ich bitte Sie wirklich herzlich, Gesichtspunkte des Prestiges zurückzustellen. Wir stellen sie auch zurück. Denn wir selbst geben dadurch, daß wir ein Sachverständigengutachten erbitten, zu, daß sich auch für uns neue Erkenntnisse und Lehren ergeben können. Bitte, betrachten Sie die Dinge nicht unter dem Blickfeld des Prestiges. Dazu ist die Angelegenheit, um die es geht, zu wichtig. Schließlich machen wir nicht in jeder Legislaturperiode und nicht für einen kurzen Zeitraum eine Reform der sozialen Krankenversicherung.
Damit auch Sie die Möglichkeit haben, sich das alles auf Grund der heutigen Aussprache und insbesondere der Anregungen des Herrn Kollegen Dr. Stammberger noch einmal zu überlegen, bitte ich Sie, damit einverstanden zu sein, daß unser Antrag den Ausschüssen überwiesen wird. Dann können wir darüber sprechen. Wie lange wir darüber sprechen wollen, liegt selbstverständlich in der Hand der Mehrheit. Die Vorlage sollte, und ich beantrage das hiermit, dem Ausschuß für Sozialpolitik — federführend — und dem Gesundheitsausschuß zur Mitberatung überwiesen werden, schon deshalb, Herr Kollege Stammberger, damit dieser Vorlage, wenn Sie nur für die Ziffern 3 und 5 stimmen wollen, eine entsprechende Form gegeben werden kann; denn die Annahme nur der Ziffern 3 und 5 halte ich nicht für sinnvoll.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Stammberger.
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4480 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 97. Sitzung. Bonn, Freitag, den 15. November 1963
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Schellenberg, wir sollten nicht so viel in die Vergangenheit schauen, ob nun der Beirat etwas getan hat, was er noch hätte tun können usw. Wir sollten lieber in die Zukunft blicken. Da sollten wir uns heute doch freuen, daß der Herr Bundesarbeitsminister vorhin hier die Erklärung abgegeben hat — wie das früher war, sei dahingestellt —, jetzt wird er an die Arbeit gehen. Wir würden die Sache nur noch verzögern, wenn wir die Punkte 1, 2 und 4, um noch einmal darauf zurückzukommen, im Ausschuß erneut besprechen würden, obwohl die Kommission bereits da ist. Ich sehe nun wirklich nicht ein, warum aus mehr oder weniger denselben Leuten wieder eine andere Kommission gebildet werden soll. Man kann die Dinge doch auch übertreiben. Ich bin nach wie vor der Meinung, daß wir die Punkte 1, 2 und 4 als durch die vom Herrn Bundesarbeitsminister für die Bundesregierung abgegebene Erklärung erledigt betrachten sollten.
Ich will sogar noch einen weiteren Vorschlag machen, um die Arbeit dieses Beirates zu beschleunigen. Ich habe vorhin gesagt, daß wir Punkt 3, der der wesentliche und sachliche Inhalt Ihres Antrages ist, dem Sozialpolitischen Ausschuß überweisen sollten, bevor wir ihn als Material an die Regierung zur Behandlung im Sozialbeirat bzw. in seinem Unterausschuß Krankenversicherung geben.
Ich bin der Meinung, daß wir den Beschluß hier schon heute treffen können. Wir sollten heute schon beschließen: Wir geben die Fragen, die hier zu klären sind, an die Bundesregierung, damit sie veranlaßt, daß im zuständigen Unterausschuß des Sozialbeirats entsprechend verfahren wird.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Abgeordneten Frau Dr. Hubert?
Selbstverständlich.
Herr Kollege Stammberger, ich weiß nicht, ob ich den Arbeitsminister falsch verstanden habe. Sie sagten, er habe gesagt, er wolle den Beirat jetzt wieder beleben. Ich habe verstanden, wenn das Gesetz verabschiedet ist, dann wolle er es tun.
Frau Kollegin, Sie haben vorhin nicht zugehört. Ich hatte den Bundesarbeitsminister auch so verstanden. Ich habe aber gesagt, ich wäre dankbar, wenn er sich dahin erklären würde, daß er ihn sofort zusammenruft, und zwar — im Gegensatz zu Ihnen — völlig unabhängig von dem weiteren Fortgang der Beratungen im Sozialpolitischen Ausschuß über die Krankenversicherungsreform. Das eine hat mit dem anderen nichts zu tun. Ich habe vorhin auch genau erklärt, warum das eine mit dem andern nichts zu tun hat, auch nicht nach dem Sinn der Sozialenquete, die der Herr Bundeskanzler im Oktober angekündigt hat. Wir sind da völlig einer Meinung — ob Sie auch zustimmen, weiß ich nicht —, aber der Herr
Bundesarbeitsminister und wir; ich nehme es jedenfalls an. — Er nickt.
Ich bin nicht einmal der Meinung, daß dieser Beirat nun nur ein Gutachten erstellen sollte. Ich bin vielmehr der Meinung, daß der Sinn einer Sozialenquete und der Sinn eines solchen Beitrags ist, diese Fragen laufend zu überwachen und geeignete Vorschläge aus einer möglichst politisch unabhängigen Sachverständigensituation an die zuständige Stelle der Gesetzgebung, d. h. an die Bundesregierung und an das Parlament, zu geben. Ich bin der Meinung, wir können das Problem heute schon, letzten Endes auch in dem Sinne, wie die Antragsteller es wollen, erledigen.
Das Wort hat der Abgeordnete Schellenberg.
Herr Kollege Stammberger, ich bin in jeder Hinsicht bereit, nach Wegen zu suchen, die eine sinnvolle Regelung sicherstellen. Aber ich kann nicht verstehen, worüber hier eigentlich abgestimmt werden soll. Es liegt vor der Antrag meiner Fraktion mit der Überschrift „Sachverständigenkommission für die Krankenversicherungsreform". Eine solche Sachverständigenkommission existiert bisher nicht.
Wenn man Ihrer Anregung folgt, würde es heißen: „Der Bundestag wolle beschließen: Das Gutachten soll u. a. behandeln ...". Jetzt geht es um Fragen der Formulierung von Anträgen usw. Das kann man doch nicht im Plenum erledigen. Wir bitten Sie deshalb, damit einverstanden zu sein, daß der Gesamtantrag dem Ausschuß überwiesen wird. Dann kann man sehr schnell, vielleicht in einer einzigen Sitzung, eine Formulierung finden, die der Sache dient und die auch Ihrem Anliegen entspricht.
Meine Damen und Herren, es liegen keine Wortmeldungen mehr vor.
Wir kommen zur Abstimmung. Der Abgeordnete Schellenberg hat beantragt, den Antrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 1V/1565 an den Ausschuß für Sozialpolitik — federführend — und an den Ausschuß für Gesundheitswesen — mitberatend — zu überweisen. Wer dem Antrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Das zweite ist die Mehrheit; die Ausschußüberweisung ist abgelehnt.
Damit komme ich zur Abstimmung über den Antrag Drucksache IV/1565 selbst.
— Das Wort zur Abstimmung hat der Abgeordnete Dr. Schellenberg.
Herr Präsident, ich beantrage namentliche Abstimmung.
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Wird der Antrag auf namentliche Abstimmung hinreichend unterstützt? — Das ist der Fall. Wir stimmen also über den Antrag Drucksache IV/1565 namentlich ab.Meine Damen und Herren, ich gebe das vorläufige Ergebnis der namentlichen Abstimmung über den Antrag der SPD auf Drucksache IV/1565 bekannt. Mit Ja haben gestimmt 148 stimmberechtigte und 11 Berliner Abgeordnete, mit Nein 175 stimmberechtigte und 6 Berliner Abgeordnete. Stimmenthaltungen und ungültige Stimmen sind nicht zu verzeichnen. Damit ist der Antrag abgelehnt.Endgültiges Ergebnis:Ja: 147 und 10 Berliner Abgeordnete Nein: 175 und 6 Berliner AbgeordneteJaSPDFrau AlbertzAnders AugeBading Bäumer BalsBauer BazilleBehrendt BergmannBeusterFrau Beyer BieglerBiermannBirkelbachBlachsteinDr. h. c. Brauer BrünenBruseBüttner BuschDiekmannFrau Döhring DröscherFrau EilersDr. EpplerErlerEschmannFelder Figgen Flämig Folger Franke FrehseeFrau Freyh GeigerGerlach GscheidleHaase HamacherHansingDr. Harm HeideHeilandDr. Dr. Heinemann HellenbrockFrau Herklotz HermsdorfHeroldHöhmann
Höhne HöraufFrau Dr. Hubert HufnagelHussongIven
Jacobi
JacobsJahnJürgensen Junghans JunkerKaffkaKahn-AckermannFrau Kettig KillatDr. KochKönen Koenen (Lippstadt) KohlbergerFrau KorspeterKrausDr. KreyssigKulawig Kurlbaum Lange
Langebeck LautenschlagerLeberLemperLenz
Dr. LohmarLücke Maibaum MarquardtMarxMatthöfer MatznerFrau MeermannMertenMetterDr. Meyer
Meyer
Dr. h. c. Dr.-Ing. E. h. Möller Dr. MommerDr. MorgensternMüller
Müller Müller (Ravensburg) Müller (Worms)Dr. Müller-EmmertNellenPaulPeiterPeters
Dr. Pohlenz PriebeRavensReglingRehsDr. Reischl ReitzRiegel
RitzelDr. Roech RohdeFrau RudollSängerSaxowski Dr. SchäferFrau Schanzenbach ScheurenDr. Schmid Schmidt (Braunschweig) Dr. Schmidt (Gellersen) Schmidt (Würgendorf) Schmitt-Vockenhausen Schröder (Osterode) SchwabeSeidel
SeitherFrau Seppi Seuffert Steinhoff Stephan Striebeck Dr. Tamblé TheisWegener Wehner WelkeWelslauWeltner
Frau WesselWienand Wilhelm ZühlkeBerliner AbgeordneteBartschFrau Berger-Heise Frau KrappeLiehr
Frau LöscheNeumann Dr. Schellenberg Dr. SeumeUrbanWellmannNeinCDU/CSUDr. Adenauer AdornoDr. Althammer ArndgenDr. Artzinger Baier BaldaufDr.-Ing. Balke BalkenholDr. Barzel BauschBeckerBewerunge BiecheleDr. Bieringer BlankBlöckerBlumenfeldDr. Böhm Böhme (Hildesheim) BrandDr. Brenck BrückBühlerDr. BurgbacherDr. Conring Dr. Czaja van Delden DeringerDiebäcker Dr. Dittrich DraegerEhnesEichelbaumDr. ElbrächterDr. Even
Even
FalkeDr. Franz FranzenDr. Fritz
Dr. FurlerGaßmann GedatGehringFrau GeisendörferDr. GerlichGewandt Gibbert Giencke Dr. GleissnerGlüsing
Dr. GosselGotteslebenDr. h. c. GüdeGünther Frau HaasHärzschelDr. von Haniel-Niethammer Dr. HauserHeixDr. HesbergHesemannHöcherlHörnemann
HöslHolkenbrinkHoogen Illerhaus Frau Jacobi
Dr. JaegerJostenFrau KalinkeDr. KankaFrau KleeDr. Kliesing
Dr. Kopf KrugFrau Dr. Kuchtner KuntscherLang
Lenze
Leonhard Dr. Luda Maier
Majonica Dr. MartinMeisMemmel MengelkampMenkeDr. von MerkatzMickMüller
Dr. Dr. OberländerOetzelFrau Dr. PannhoffDr.-Ing. PhilippFrau Pitz-SavelsbergDr. PoepkeDr. RammingerRasner Rauhaus Dr. ReinhardRiedel RommerskirchenRufRuland ScheppmannSchlickDr. Schmidt Schneider (Hamburg) SchulhoffDr. SchwörerDr. Seffrin
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4482 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 97. Sitzung. Bonn, Freitag, den 15. November 1963
Dr. Serres Dr. SinnSpiesStauchDr. Stecker Dr. Steinmetz StormDr. SüsterhennTerieteTobabenDr. Toussaint UnertlVarelmann VogtWagnerDr. WahlDr. Weber WehkingWeinzierlFrau. Welter WernerWieninger Dr. Willeke Windelen WinkelheideWittmer-EigenbrodtDr. Wuermeling Wullenhaupt ZieglerDr. Zimmer
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4486 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 97. Sitzung. Bonn, Freitag, den 15. November 1963
— Der Anspruch ist da; ich rede von seiner Verwirklichung und möchte das meine dazu beitragen.Meine Damen und Herren, es besteht heute Klarheit darüber, daß die Freiheit der Presse nicht vom Staat her bedroht ist. Darüber besteht völlige Klarheit, und dazu braucht man nur den Art. 5 des Grundgesetzes zu lesen. Aber es gibt andere Bedrohungen der Pressefreiheit. Die können entstehen, wenn die wirtschaftliche Basis nicht in Ordnung ist — wie das vielleicht der Fall ist — oder wenn gewisse Presseerzeugnisse sich unter wirtschaftlichem Druck dazu verleiten lassen, um des lieben Geldes willen an alles andere im Menschen, nur nicht an das Geistige und Humane in ihm, zu appellieren. Auch dazu ein Satz von dem eben zitierten Autor:Es ist die Frage, ob die Masseneigenschaften restlos alles ruinieren, was dem Menschen hier, möglich wäre.Damit bin ich am Ende meiner Begründung. Ich möchte zusammenfassend sagen: Der Bundestag hat die Aufgabe, ohne Voreingenommenheit zu prüfen, ob die Garantien des Art. 5 des Grundgesetzes für alle Kommunikationsmittel gewährleistet sind. Er muß sich die Möglichkeit verschaffen, oberhalb des Interessenkonflikts die Erfordernisse, die durch das Gemeinwohl gegeben sind, durchzusetzen. Dabei entstehen rechtliche Fragen ebenso wie Probleme wirtschaftlicher Natur, und da es sich bei den Massenmedien um einen Bereich handelt, der tief in die kulturelle Entwicklung einschneidet, ist es geboten, in einer umfassenden Untersuchung die Verhältnisse klarzulegen und, wenn möglich oder nötig, zu gesetzgeberischen Maßnahmen zu kommen, die sicherstellen, daß es eine durch nichts eingeschränkte Freiheit der Meinungsbildung, der Meinungsäußerung und der Nachrichtengebung gibt. Da es sich bei allem um die Kommunikationsmittel handelt, ohne die eine moderne Gesellschaft und ein moderner Staat nicht bestehen können, sollte der Bundestag über die reine Tatsachenforschung hinaus den politischen Charakter des Problems ernst nehmen, uni Gefahren, die aus einer Verzerrung der Wettbewerbsverhältnisse und aus einer Ungleichheit der Nachrichtengebungsmittel entstehen können, zu beseitigen.Meine Damen und Herren, ich bitte darum, daß dieser Antrag gemäß der Vereinbarung im Ältestenrat an den Wirtschaftspolitischen Ausschuß als federführenden Ausschuß und an den Kulturpolitischen Ausschuß zur Mitberatung überwiesen wird.
Meine Damen und Herren, Sie haben die Begründung des Antrags — Drucksache IV/1612 — gehört. Wir treten in die Aussprache ein.
Bevor ich das Wort erteile, möchte ich die Redner zu diesem und zum nächsten Punkt darum bitten, bei ihren Ausführungen gelegentlich auf die Uhr zu blicken und auch zu beachten, daß die meisten Plätze im Hohen Hause wie auf der Pressetribüne unbesetzt sind.
Das Wort hat der Abgeordnete Sänger.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Dem Wunsch des Herrn Präsidenten möchte ich gern nachkommen. Ich fühle mich Ihnen gegenüber verpflichtet, mich so kurz wie möglich zu fassen, aber auch der Sache gegenüber. Ich darf versichern, es wird der abendländischen Kultur dadurch kein unwiederbringlicher Beitrag verlorengehen.Heute handelt es sich ohnehin nur darum, daß wir die Behandlung eines sehr wichtigen Problems, das lange ansteht, vorbereiten. Denn wenn wir uns entschließen — und wir sind ja gemeinsam dieser Auffassung —, eine Kommission von sachverständigen Persönlichkeiten berufen zu lassen, die erst einmal die Tatsachen des Verhältnisses zwischen Presse, Funk und Film untersuchen und feststellen soll — unter „Funk" ist immer Hör- und Fernsehfunk zu verstehen —, dann sollten wir auch das Ergebnis der Beratungen und der Feststellungen dieser Kommission abwarten.Ich möchte in diesem Zusammenhang, damit sich nicht abermals eine Debatte entfaltet, wie wir sie vorhin bei den Sozialpolitikern erlebt haben, gleich sagen, daß diese Kommission natürlich keine politischen Entscheidungen zu treffen hat, sondern Tatsachenfeststellungen vornehmen soll. Die politischen Entscheidungen behalten wir uns in den Ausschüssen und hier im Plenum vor.
Ich bin überzeugt, daß Sie es deshalb auch verstehen werden, wenn ich es mir verkneife, schon jetzt Zahlen und eine große Anzahl von Tatsachen zu erwähnen oder gar zu untersuchen. Herr Dr. Martin hat es eben getan, und ich will es ihm nicht nachmachen. Denn ich bin überzeugt davon, daß diese Zahlen zwar von der einen oder von der anderen Seite mit bestem Willen zur Objektivität erarbeitet worden sind, aber doch wohl noch einer sehr sachverständigen Untersuchung unterworfen werden müssen, ehe wir sagen können: Ja, so ist es, wie diese Zahlen es ausdrücken.Wenn wir uns heute bemühen, das Verhältnis von Presse, Rundfunk — also Hörfunk und Fernsehfunk — und Film zu untersuchen, so sollten wir feststellen, daß diese Publikationsmittel oder, wie wir so gelehrt zu sagen pflegen, diese Medien heute tatsächlich die Zeitungen sind. Wir haben es uns durch Jahrhunderte angewöhnt, mit dem Wort „Zeitung" den Druck — ich meine jetzt den Buchdruck — zu verbinden. Eine Zeitlang mußten wir uns auch angewöhnen, einen anderen Druck mit dem Begriff „Zeitung" zu verbinden. Es war schon sehr nett, daß der frühere Bundeskanzler kürzlich einmal in einer Veranstaltung beanstandete, daß
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Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 97. Sitzung. Bonn, Freitag, den 15. November 1963 4487
Sängerdas Wort „Presse" gebraucht wird; man möge die Presse nicht pressen, meinte er damit sicherlich.
— Ich habe schon während dieser Veranstaltungeine Belehrung darüber gehört, wie das gemeintwar.Das, was heute der Rundfunk im Hörfunk und im Fernsehen macht, das, was uns der Film bietet, und das, was die Zeitung gedruckt darbietet, das alles ist eine Darstellung unserer Zeit, und das alles sollten wir gemeinsam unter dem Begriff „Zeitungen" zusammenfassen. Das ist nicht nur eine, wenn Sie so wollen, philosophierende oder allgemeine Bemerkung, sondern eine sehr wichtige. Denn ich kann es umdrehen und sagen: Wo steht geschrieben, daß der, der eine Zeitung, der eine Mitteilung über die Zeit, der eine Information, der eine Meinung herausgibt, diese Meinung, ,diese Information, diese Mitteilung drucken lassen muß? Das war zu jener Zeit die zweckmäßige Art der Herstellung einer Zeitung. Zu unserer Zeit ist dazu eine andere technische Möglichkeit der Herstellung einer Zeitung gekommen.Daher entsteht von ganz allein die Frage, ob nicht die, die sich Herausgeber von Zeitungen nennen, sich von vornherein — nicht nur aus Gründen der Anciennität freilich — doch auch fühlen können als die Herausgeber jener Zeitungen. Informationen, Mitteilungen, Meinungen, die wir heute über den Funk und über das Bild im Fernsehen vermitteln.Auf jeden Fall, sie alle erfüllen eine öffentliche Aufgabe. Auf jeden Fall ist bisher die Untersuchungdarüber unterblieben, welche organische Verbindung zwischen diesen verschiedenen Mitteln der Publikation besteht. Und auf jeden Fall ist von allen Seiten eine staatliche, eine obrigkeitliche Führung dieser Publikationsmittel abgelehnt worden. Dabei soll es seine Bewandtnis haben, meine ich.Die Frage ist also heute für uns nur: wer bietet den größeren Schutz dafür, daß alle diese Publikationsmittel ihre Unabhängigkeit und ihre Leistungsfähigkeit bewahren können? Da richtet sich unser Blick ganz von selbst auf die beiden schwächsten Teile dieses Gesamtinstruments, auf Zeitung und auf Film; es sind die wirtschaftlich Schwächsten; was nicht heißen soll, daß sie an sich und allesamt und jeder einzelne Betrieb wirtschaftlich schwach sind. Aber insgesamt sind wir doch aus der Zeit heraus, in der die gedruckte Zeitung Publikationsmittel ohne Konkurrenz war. Die Konkurrenz anderer Publikationsmittel macht es Film und Zeitung zunehmend schwerer, den Wettbewerb auszuhalten.Wenn es also so ist, daß ein Ringen um die Existenz des einen oder des anderen Publikationsmittels entstanden ist oder zu entstehen droht, dann haben wir die wirtschaftliche Grundlage der Herausgabe von Zeitungen, Film, auch Funk und Fernsehen zu untersuchen und einmal festzustellen: welche Chancen .gibt es, daß sie beide oder alle vier in eine vernünftige Ordnung zueinander gebracht werden können? Natürlich, die Presse meldet ihre kommerziellen Interessen an; das ist ihre Pflicht. 1 Sie hat eine kulturpolitische Aufgabe, sie hat eine staatspolitische Aufgabe zu erfüllen. Der verantwortliche Beitrag der Presse zum demokratischen Gespräch in unserem Land kann nur wirkungsvoll sein, wenn er ohne Furcht vor Folgen, auch ohne Furcht vor materiellen Folgen gegeben werden kann.Wenn nun beide Teile, Rundfunk und Presse — das nur allgemein gesagt —, ihre Aufgabe erfüllen sollen, müssen sie auch wirtschaftlich unabhängig sein. Keiner von beiden darf an dem anderen leiden. Keiner von beiden darf an dem anderen krank werden oder gar sterben. Sonst leidet die allgemeine Aufgabe, und letzten Endes leidet die Informierung der Öffentlichkeit, leidet also die demokratische Wirklichkeit in unserem Land.Wir wollen also feststellen: welche Tatsachen gibt es, um sie frei und unabhängig arbeiten zu lassen? Da gibt es verschiedene Ausgangspositionen. Ich will mich nicht — ich versprach es Ihnen — auf die Einzelheiten dieser Unterschiedlichkeiten einlassen. Ich will aber sagen, daß z. B. schon der von Herrn Dr. Martin erwähnte Tatbestand wichtig ist und ein Schlaglicht auf die Situation wirft, daß die Mittelschichten in unserem Land ein, wie ich meine, legitimes Interesse haben, an unserer Diskussion teilzunehmen. Sie werden von der Werbung der Großen fühlbar betroffen, und die Erfahrung läßt sie ernsthaft fragen, ob es volkswirtschaftlich und ob es strukturell vertretbar ist, eine Konzentration in der Wirtschaft durch diese ungewöhnliche und intensive wirkungsvolle Werbung noch zu verstärken, wie sie im Fernsehen zweifellos gegeben ist. Sie fragen auch — und sie fragen nach meiner Auffassung legitim —, ob es zu verantworten ist, daß ein Übergewicht eines Teiles der Wirtschaft über andere Teile durch Anstalten öffentlichen Rechts herbeigeführt oder unterstützt .werden kann. Dies ist mit ein Bestandteil der Untersuchung. Ich wollte es nur erwähnen, um zu zeigen, wie wichtig es ist, eine solche Untersuchung jetzt vorzunehmen und die öffentliche Diskussion, die stark in die Polemik ausgeglitten ist, nunmehr, wenn möglich, abzustellen.Ohne ausreichendes Wissen über die Bedingungen und Möglichkeiten der Arbeit hier und dort gibt es keine gesicherte und gesunde Lösung in der Zukunft. Bestenfalls wird es eine Konstruktion werden.Was ist zu untersuchen? Ich glaube, wir sollten untersuchen lassen, welchen Anteil die Werbeeinnahmen bei Funk, bei Presse, bei Film ausmachen und welche Nebenbetriebe jenseits der eigentlichen Zweck- und Hauptbetriebe wirklich tätig sind.Hierzu übrigens gleich eine Tatsachenfeststellung, die sich einfach nicht aus der Welt schaffen läßt, die aber wichtig ist, weil immer das Gegenteil behauptet wird und dadurch die öffentliche Diskussion vergiftet wurde. Die Werbegesellschaften der Funkgesellschaften zahlen Steuern, Umsatz-, Körperschaft- und Gewerbesteuer, und sind nicht steuerfrei, wie oft behauptet wird.
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4488 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 97. Sitzung. Bonn, Freitag, den 15. November 1963
SängerWir haben weiter zu untersuchen, ob und welchen Einfluß die Einnahmen bei Funk, Fernsehen, Film und auch Presse auf die Unternehmungen, auf die Programme, auf die Zeitungen nehmen. In dem Vorwurf von der einen wie in dem Vorwurf von der anderen Seite wird behauptet, daß solche Einflüsse vorhanden seien. Wir sollten darüber Auskünfte bekommen, ob und welchen Einfluß die Tatsache der Körperschaft des öffentlichen Rechts auf das Programm im Rundfunk und welchen Einfluß zahlungskräftige Inserenten möglicherweise auf die Presse ausüben. Wir sollten prüfen, ob eine der beiden Seiten Sondervorteile genießt und welche.Meine Damen und Herren, dabei darf es nicht zu einer Diffamierung eines der Publikationsmittel kommen, und wir sollten auch keinen Versuch einer heimtückischen Schmälerung der Chancen eines der beiden Publikationsmittel zulassen. Die Unabhängigkeit und die Freiheit der Arbeit bei Rundfunk, Film und Presse sollte unteilbar sein. Alle bedürfen sie des staatlichen Schutzes für ihre Freiheit und Unabhängigkeit, und alle bedürfen sie der Möglichkeit zu freier Arbeit.Ich halte es nicht für einen förderlichen Beitrag, wenn im Verlaufe der Debatte, die wir hinter uns haben — nicht hier im Hause, sondern in der Öffentlichkeit —, an einer Stelle geschrieben worden ist: Es ist heute schon für viele Politiker interessanter, in einflußreichen Rundfunkräten zu sitzen als im Parlament. Ich glaube, das ist nicht die Art, wie wir zu einer vernünftigen Zusammenarbeit kommen können. Da ich selbst viele Jahre einem Rundfunkrat angehört habe und noch angehöre und eben hier im Parlament zu sprechen die Ehre habe, darf ich wohl sagen, daß es besser wäre, eine andere Möglichkeit zum Zusammenkommen zu finden.Wir sprechen über die Sache hier im Hause nicht zum erstenmal. Der jetzige Herr Bundeskanzler und damalige Wirtschaftsminister Erhard hat schon 1961 festgestellt, hier sei nach seiner Auffassung eine Länderfrage angeschnitten. Wie wichtig diese Länderfrage von den Ländern genommen wird, meine Damen und Herren, sehen Sie an der Besetzung der Bundesratsbank.
Am 24. April 1963 hat Staatssekretär Westrick auf eine Frage aus dem Hause geantwortet, daß es eine gesetzliche Sonderbehandlung des Fernsehwerbens kaum geben könne, es sei jedenfalls sehr schwer, sich eine solche Behandlung auszudenken. Wir haben im Juni dieses Jahres noch einmal gehört, und zwar vom Herrn Bundesminister Höcherl, daß es sinnvoll sei, eine Sachverständigenkommission einzurichten. Damit sind wir an einer Zusage für eine solche Kommission angelangt.Ich darf mich nun noch in aller Kürze unmittelbar Ihrem Antrag, Herr Dr. Martin, zuwenden und empfehle, für die Beratungen doch folgendes zu beachten. Ich glaube, daß man die wirtschaftliche Seite der dort tätigen Medien — um dieses Wort auch einmal zu gebrauchen — gründlich untersuchen sollte. Wir sollten die rechtliche Begründung der zweigleisigen Finanzierung — ich verstehe nicht ganz, was damit gemeint ist, aber lassen wir das einmal untersuchen — feststellen lassen. Wir sollten auch die Auswirkungen der verschiedenen staatlichen Privilegien — so vorhanden — untersuchen lassen.Aber ich halte es für schwierig, in diesem Zusammenhang dann auch die Frage der Persönlichkeitsbildung mit in die Diskussion zu ziehen. Es ist unbestreitbar, daß jede Publikation, sofern sie gelesen, gehört oder angesehen wird, die Persönlichkeit beeinflußt. Aber nun in diesem Zusammenhang eine Untersuchung anzustellen, wie stark oder wie wenig die eine oder die andere Seite die Bildung der Persönlichkeit beeinflußt, geht weit über das hinaus, was wir mit dieser Sachverständigenkommission eigentlich vorhaben.Ich würde empfehlen, daß wir feststellen lassen, was wirklich ist — das soll die Kommission machen —, und daß wir dann versuchen, in den Ausschüssen und im Plenum die politischen Konsequenzen daraus zu ziehen.Meine Freunde und ich sind im Gegensatz zu Ihnen, Herr Dr. Martin, der Auffassung, daß es besser ist, die Federführung demjenigen Ausschuß zuzuweisen, der Kulturpolitik und Publizistik nach seinem Namen und seiner Aufgabe zu bearbeiten hat, und die Mitberatung dem Wirtschaftsausschuß. Das hätte übrigens den Vorteil, daß durch die Mitberatung des Wirtschaftsausschusses zunächst die wirtschaftlichen Tatsachen festgestellt werden. Das Ergebnis dieser Tatsachenfeststellung würde dann dem Ausschuß für Kulturpolitik und Publizistik mitgeteilt werden, der daraus die publizistisch notwendigen Folgerungen ziehen könnte.Erlauben Sie mir zum Schluß noch eine Berner-kung. Ich hätte es lieber gesehen, wenn sich Presse, Film und Funk selber an einen Tisch gesetzt hätten, ohne daß der Staat bzw. das Parlament angerufen worden wäre. Es hätte den Exponenten einer freiheitlichen Wirklichkeit in Deutschland zum Nutzen gereicht, wenn bei dem Versuch einer vernünftigen Ordnung der Publikationsmittel der Staat ganz draußen geblieben wäre. Ich habe die Hoffnung, das Ergebnis der Untersuchungen und dann auch der Arbeit der Ausschüsse und des Parlaments wird es zu dieser Situation kommen lassen, daß wir vom Staat her die Publikationsmittel in unserem Land so unberührt sein lassen, wie sie es sein müssen, damit sie ihre Arbeit frei und unabhängig fortsetzen können.
Wir fahren in der Rednerliste fort. Das Wort hat der Abgeordnete Zoglmann.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich hoffe Sie noch viel kürzer in Anspruch zu nehmen als der Kollege Sänger. Ich bin mir ja bewußt, daß jeder, der in diesem Hause am Freitag nach 12 Uhr spricht, sich den Unwillen des Hauses zuzieht.Diese Diskussion beweist, daß der Antrag der CDU einem tatsächlichen Bedürfnis entspringt. Denn
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Zoglmannwas hier vorhin von Herrn Dr. Martin über das Problem, das zu untersuchen ist, gesagt wurde, beweist, lieber Kollege Martin, daß in diesem Hause viel Unwissen über diese Dinge vorhanden ist und daß es daher notwendig ist, einmal von kompetenter Stelle Tatsachen vorgetragen zu bekommen.Wenn ich höre, ein Ministerpräsident eines Landes habe einen Brief geschrieben und erklärt: 1957 60 %, 1962 48 % der Werbung in Zeitungen, dann kommt mir das so vor, wie es etwa die Sowjetrussen machen, die grundsätzlich nur mit Prozentzahlen arbeiten, aber im Effekt mit der Angabe dieser Prozentzahlen nur bewirken wollen, daß die Tatsachen verschleiert werden. Denn, meine Kollegen, die Sache sieht ganz anders aus, wenn man nicht die Prozentzahlen, sondern die nackten Zahlen, die effektiven Zahlen betrachtet.
— Lieber Kollege Martin, lassen Sie mich etwas über die echten Zahlen sagen; diese Minute schenken Sie mir bitte noch. Es ist übrigens besonders makaber, daß das Jahr 1957 als Ausgangspunkt gewählt wurde; denn 1957 hat das Fernsehen fast noch gar nicht bestanden, so daß jede prozentuale Steigerung natürlich eine Steigerung ins Unendliche ist. Bleiben wir also lieber bei 1958. Da ergibt sich überhaupt erst eine Relation. 1958 sieht die Sache so aus: rund 1000 Millionen DM Anzeigenaufkommen der Zeitungen — wie Sie sehen, eine ganz beachtliche Zahl —, rund 550 Millionen DM Anzeigenaufkommen bei Zeitschriften, also konkret bei den Illustrierten, rund 42 Millionen DM bei der Rundfunkwerbung und rund 12 Millionen DM beim Werbefernsehen. Das war damals ganz am Anfang. Und nun die Zahlen für 1962: 1408 Millionen DM Anzeigenaufkommen bei Zeitungen, also eine Steigerung um mehr als 400 Millionen DM, 1097 Millionen DM, also rund 1100 Millionen DM, also eine Steigerung um 100 %, um 550 Millionen DM, bei den Zeitschriften, also konkret bei den Illustrierten. Und hören Sie die Zahl beim Fernsehen: eine Steigerung auf 281 Millionen DM.Damit ist das Fernsehen aber auch schon am Ende. Eine weitere Steigerung ist nämlich nicht mehr möglich, da die Anstalten beschlossen haben, daß die Werbezeiten nicht ausgedehnt werden dürfen. Der Bericht wird nur zu bestätigen haben, daß die Anstalten bei rund 300 Millionen DM am Ende angekommen sind und die Verschiebungen, wenn Sie wollen, sich im wesentlichen im Raum der Zeitungen und Zeitschriften ergeben haben, ein Problem, das Sie gar nicht angeschnitten haben.Unser Anliegen, die kleinen und mittleren regionalen Tageszeitungen in einen gewissen Schutz zu nehmen, soweit das im Rahmen der heutigen Situation überhaupt möglich ist, ist unbestritten. Aber vergessen Sie doch nicht, daß sich auch im Raum der Zeitungen selber ein Prozeß vollzieht, vor dem wir die Augen nicht verschließen können. Denken Sie daran, daß von den überregionalen Tageszeitungen mit einer Auflage von 4,8 Millionen im ganzen Bundesgebiet 4,2 Millionen Stück in einem einzigen Verlag erscheinen. Da haben Sie die Konzentration.
Wenn das keine Konzentration ist, meine Kollegen, dann frage ich: Was ist noch Konzentration?! Wir können doch an diesen Dingen nicht vorbeigehen. Und schließlich: betrachten Sie die Situation bei den Illustrierten!Es wird immer der Anschein erweckt, beim Fernsehen könne der kleine und mittlere Unternehmer nicht werben, weil er die Preise nicht bezahlen könne. Zu den Preisen muß daher auch etwas gesagt werden, denn wir wollen doch hier nicht Nebel abblasen, meine Kollegen. Bei den Preisen sieht es konkret so aus: Eine Seite in der „Bild-Zeitung" kostet 116 000 DM, eine Seite Buntdruck in „Hör zu" kostet 74 000 DM, eine Seite im „Stern" ohne Buntdruck 24 000 DM, mit Buntdruck wahrscheinlich 36 000 DM. Und nun die Situation im Fernsehen! Man muß doch die Dinge wirklich objektiv sehen. Hier spricht ein Werbefachmann. Ich betreibe eine Werbeagentur. Ich muß mit allen Medien arbeiten. Ich muß also objektiv sein.
Ich kann Ihnen sagen: eine Seite in einer Zeitung entspricht etwa einem 30-Sekunden-Spot im Fernsehen.
Ein 30-Sekunden-Spot im Westdeutschen Rundfunk kostet 12 000 DM, und ein 30-Sekunden-Spot im Berliner Rundfunk kostet 2150 DM. Das also zur Objektivierung. Lassen Sie sich doch nicht von irgendwelchen Leuten irgendwelche Zahlen auf den Tisch legen, damit Sie sie hier völlig unkontrolliert weitergeben.Wenn Untersuchungen über die Konzentration und die Verschiebung angestellt werden sollen, dann muß auch der Bereich der Konzentration innerhalb der Presse selbst einer sehr aufmerksamen Prüfung unterzogen. werden. Das Abwandern von den objektiven, seriösen regionalen Tageszeitungen zur illustrierten Presse — ein Komplex für sich — ist allein schon der Untersuchung wert. Selbstverständlich muß auch die Situation in den Anstalten einbezogen werden.Lieber Kollege Martin, ich bin immer ein Praktiker in meinem Leben gewesen. Mir reicht es nicht zu sagen, das gehe gegen die roten Funkhäuser, daher müsse man etwas machen.
Ich bin auch gegen die roten Funkhäuser, — damit kein Irrtum entsteht. Meine Kollegen von der SPD, ich bin ganz energisch gegen die roten Funkhäuser. Aber wir können nicht das falsche Pferd aufzäumen; wir müssen da ansetzen, wo ein Ansatz wirklich möglich ist.Und nun kommen wir zu einem sehr interessanten Problem. Mit Ihrer Hilfe, mit Hilfe der CDU, ist hier vor wenigen Jahren ein Rundfunkgesetz
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4490 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 97. Sitzung. Bonn, Freitag, den 15. November 1963
Zoglmannverabschiedet worden. Hinterher hat sich dann der Herr Bundeskanzler, wie Sie wissen, mit der Deutschland-Fernsehen-GmbH eingeschaltet, ganz im Gegensatz zu dem, was meine Freunde und ich vorgetragen haben. Das wäre eine Möglichkeit gewesen, die Dinge richtig 21.1 regeln: ähnlich wie in England, wo die BBC ohne Werbung nur mit Gebühren finanziert wird und wo daneben ein zweites Fernsehen, kontrolliert, besteht — die ITA —, das sich allein aus Werbung finanziert. Wer die Werbung nicht haben will, .dreht das andere Programm an. Das wäre eine Möglichkeit gewesen.
— Was heißt „zu spät" ? Wir sind noch alle hier, wir können noch springen, wenn wir wollen, wir können das organisieren, und wir werden sehen, wohin wir dabei kommen. Diese Dinge mußte ich Ihnen, glaube ich, zur Verdeutlichung und zum Abblasen dieses Nebels sagen.Lieber Kollege Zimmermann, Sie haben vorhin eingewendet, die Anstalten zahlten keine Steuern. Dazu ist zu sagen — ich habe hier eine Unterlage einer einzigen Anstalt, und zwar des Südwestdeutschen Rundfunks —, ,daß der Südwestdeutsche Rundfunk allein im Jahre 1962 für seine Werbefernsehen-GmbH etwas über vier Millionen DM an Steuern bezahlt hat, — wie jeder andere Betrieb auch. Es hat doch keinen Sinn, über diese Dinge hinwegzugehen. Hier stehen Sie vor Fakten, die eben nicht, jedenfalls ,auf die Dauer nicht, mit Erfolg in ein anderes Licht gebracht werden können.
Herr Abgeordneter Zoglmann, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Zimmermann?
Selbstverständlich!
Herr Kollege Zoglmann, sind Ihnen die Verhältnisse beim Werbefernsehen der anderen Stationen auch bekannt?
Also, lieber Kollege Zimmermann, ich will doch hoffen — —
Ist Ihnen nicht bekannt, daß die bayerische Werbefernsehen-GmbH z. B. keine der von Ihnen geschilderten Steuern zahlt, weil sie einen ganz bestimmten Status hat? Das gilt auch noch für andere.
Ich wollte eben so argumentieren: ich hoffe doch, daß sich nicht etwa im Interesse der Berücksichtigung der bayerischen Belange die baberische Situation von der in Baden-Württemberg unterscheidet.
Aus Ihrer Aussage ist aber zu entnehmen, daß sie
sich von ihr unterscheidet. Wenn ich richtig informiert bin, hat in Bayern die CSU allein die absolute
Majorität im Landtag. Verabschieden Sie also bitte ein Gesetz und beseitigen Sie diese Zustände in der bayerischen Fernsehanstalt!
Abschließend zur Zuständigkeitsfrage! Lieber Kollege Sänger, ich bin wie Sie als langjähriger Publizist der Meinung: an sich gehört das in den Ausschuß für Kulturpolitik und Publizistik als federführenden Ausschuß. Sie haben vorhin gesagt: Die Bundesratsbank ist leer, und das zeigt das „Interesse" der Länder. Glauben Sie mir, wenn wir das dem Kulturpolitischen Ausschuß überweisen, werden die alle sehr schnell wieder wach! Und um zu verhindern, daß wir am Ende Zuständigkeitseinsprüche seitens der Länder bekommen, möchte ich vorschlagen: Lassen wir die Federführung beim Wirtschaftsausschuß! Wir werden uns dann im Kulturpolitischen Ausschuß mitberatend in die Sache einschalten, und ich hoffe, daß wir zu einem vernünftigen Ergebnis kommen.
Das Wort hat der Abgeordnete Blumenfeld.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Auch ich bin mir der vorgerückten Stunde bewußt und werde mich ebenso wie meine Herren Vorredner bemühen, es kurz zu machen. Aber ich möchte doch etwas deutlicher in die Wettbewerbsverzerrungen einsteigen, die wir hier vor uns sehen. Herr Kollege Sänger hat davon gesprochen, daß die Gefahren der Existenzbedrohung, die sich zeigen könnten, für alle Massenmedien untersucht und geprüft werden sollten. Ich kann mir, sehr verehrter Kollege Sänger, nicht vorstellen, daß es eine Gefährdung für eine Anstalt öffentlichen Rechts gibt, die Gebühren einzieht oder eingezogen bekommt — und zwar in ständig steigendem Maße — und die keine Steuern abzuführen braucht. Jedenfalls ist die Situation gegenüber den privatwirtschaftlich betriebenen Zeitungsverlagen doch eine ganz andere.Ich möchte nur in wenigen Punkten auf die Wettbewerbsnachteile, die ganz evident sind, zwischen den Anstalten und den deutschen Zeitungsverlagen hinweisen. Auch ich bin, wie es mein Kollege Martin ausgesprochen hat, keineswegs — und das ist, glaube ich, keiner in diesem Hause — ein Bildschirmstürmer. Aber wir sind auch keine — insofern hat der Kollege Sänger recht — Naturschutzparkverwalter. Es ist die Aufgabe der deutschen Presse selber, sich in ihrem Wettbewerbs- und Konkurrenzkampf zu helfen. Die deutsche Presse und die deutschen Verlage können aber erwarten, daß der Staat, daß wir ihnen die Möglichkeiten zur Selbsthilfe geben.Die Tatsache, daß, wie der Kollege Martin es ausgeführt hat, es eine Vielzahl von Tageszeitungen gibt, hat außer den erfreulichen politischen Aspekten, die erwähnt worden sind, auch harte wirtschaftliche Konsequenzen; auch 'der Kollege Zoglmann hat soeben darauf verwiesen. Aber die Verleger
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Blumenfeldmüssen sich dem Wettbewerbskampf stellen und sich wappnen.Wie ist nun die Angelegenheit bei den öffentlich-rechtlichen Anstalten des Fernsehens und des Rundfunks? Da gibt es doch überhaupt keinen Wettbewerb um Inserenten, um Abonnenten wie bei den Zeitungen. Wenn es einen Wettbewerb gibt, dann intern um die bessere Leistung, um das Bemühen, ein besseres Programm und eine größere Aktualität zu erreichen. Aber wie immer dieser Kampf innerhalb der Anstalten entschieden werden wird, er ändert an der Existenz dieser Anstalten überhaupt nicht das geringste. Dagegen möchte ich den Verleger sehen, der eine schlechte Zeitung weiterproduziert und dabei noch am Leben bleibt. Wir haben genügend Beispiele dafür in den vergangenen Jahren erlebt.Die den öffentlich-rechtlichen Anstalten vom Staat eingeräumte Monopolstellung erlaubt es ihnen, sich nicht nur von jedem echten Leistungswettbewerb und Wirtschaftswettbewerb fernzuhalten, sondern auch noch in den natürlichen Wettbewerbskampf der Zeitungen und Zeitschriften und anderer verschärfend einzugreifen. Wir brauchen uns doch nur einmal den ungleichen Wettbewerbsaufwand zu betrachten, den die Presse einerseits und Rundfunk und Fernsehen andererseits zu treiben angehalten sind. Wir haben soeben vom Kollegen Zoglmann die Preise für die Anzeigen gehört. Ich möchte eine andere Zahl nennen, die wir im Ausschuß noch genauer untersuchen sollten. 50 Millionen DM muß die Tagespresse im Jahresdurchschnitt aufwenden, um der Fluktuation der Leserschaft zu begegnen. Einen Wettbewerbsnachteil dieser Größenordnung brauchen die Rundfunkanstalten überhaupt nicht hinzunehmen. Im Gegenteil, man kann sagen, daß sie einen Vorteil in dieser Größenordnung genießen; er ergibt sich aus dem — das soll nun nicht polemisch interpretiert werden — Zwangscharakter der Rundfunk- und Fernsehgebühren. Ich glaube auch nicht, daß irgendwelche Kosten für Werbung von Hörern und Zuschauern die Aufwandseite der Rundfunkanstalten belasten.In diesem gesamten Gebiet sind die Anstalten des öffentlichen Rechts in einer sehr viel glücklicheren, glückhafteren Position. Man könnte hier einen Vergleich mit den Positionen im Wettbewerb zwischen Kohle und Öl ziehen. Das eine ist eben das Modernere, das sich weiter entwickelt hat, und das andere ist das Traditionelle.
— Ich werde das gleich noch erläutern, Herr Kollege Blachstein. Ich will nämlich ganz klar herausarbeiten, daß eine privatwirtschaftliche unternehmerische Tätigkeit, abgestützt durch die öffentlichrechtliche Situation, in der man sich nicht bemühen muß, um die finanzielle Existenz zu kämpfen, und in der man im übrigen Steuervorteile jeder Art genießt, nach unserer Auffassung unvereinbar ist hinsichtlich der Werbetätigkeit und der zusätzlichen Einnahmenseite.Wir alle wissen, daß hier die Presse in einer sehr viel schwierigeren Ausgangsposition ist. Ich möchte das gar nicht als ein Faktum für unsere Untersuchungen in den Raum stellen; wir müssen aber objektiv sehen, daß die Ausgangspositionen von vornherein verschieden sind.Aber nun komme ich hinsichtlich dieser ;,Sonntagskind-Position", in der sich die öffentlich-rechtlichen Rundfunk- und Fernsehanstalten — per se, möchte ich sagen — befinden, auf die beiden wichtigsten Punkte, nämlich einmal die ungleiche Steuerbelastung und zum zweiten die Werbedurchführung seitens der Anstalten.Zur Steuerbelastung! Sie alle wissen, daß die Zeitungen jeder Steuerart unterworfen sind — Umsatz-, Einkommen-, Körperschaft-, Gewerbe- und Vermögensteuer — und daß demgegenüber die Rundfunkanstalten völlige Freiheit von diesen Abgaben genießen.
— Ich komme noch auf die Werbegesellschaften. — Allein diese Tatsache bedeutet eine ganz ungleiche Position in der Belastung.Wenn wir jetzt die besondere Verschärfung betrachten, meine Damen und Herren, müssen wir doch die Praktiken und den Aufschwung des Werbefernsehens einmal ganz kurz betrachten. Auch hier will ich den Punkt durch einige Zahlen untermauern.Wir haben vorhin schon gehört, daß früher das Verhältnis von Vertriebserlös zu Anzeigenerlös etwa 65 : 35 gewesen ist, heute aber die Vertriebserlöse nur noch 30 bis 40 % ausmachen; den Rest müssen die Anzeigen erbringen. Nun ist es doch so, daß heute einen wesentlichen Anteil des Anzeigengeschäftes — Kollege Martin hat es ausgeführt — die saisonal und konjunkturell abhängigen Stellenanzeigen ausmachen. Der Teil des .Anzeigengeschäfts aber, wo nunmehr das Werbefernsehen einbricht, ist der Teil des Anzeigengeschäfts der Presse, auf den sie wirklich angewiesen ist, nämlich insonderheit die Werbung für Markenartikel. Es läßt sich, Herr Kollege Sänger — wir werden es im Ausschuß nachprüfen —, statistisch sehr genau belegen, daß die Werbetätigkeit der Rundfunk- und Fernsehanstalten überwiegend auf Kosten der Zeitungsanzeige gegangen ist. An dem gesamten Werbeetat für Markenartikel und überregionale Dienstleistungen hatten die Tageszeitungen 1956 einen Anteil von 38,8 %, .das Werbefernsehen einen solchen von null. Im Jahre 1962 hatte sich die Relation bereits ganz erheblich verschoben; der Anteil der Tageszeitungen betrug nur noch 29,6 %, war also um beinahe 10 % zurückgegangen, der Anteil des Werbefernsehens war hingegen auf beinahe 16 % geschnellt. Dieselbe Entwicklung haben wir in den Vereinigten Staaten und in Großbritannien zu verzeichnen. Dort gibt es Werbefernsehen, allerdings völlig getrennt, auf privatwirtschaftlicher Basis; aber es ist interessant, sich für unsere Untersuchungen das Beispiel Großbritannien ins Gedächtnis zurückzurufen; dort betrug im Jahre 1955 der Anteil des Werbefernsehens
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4492 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 97. Sitzung. Bonn, Freitag, den 15. November 1963
Blumenfeld3,2 %, im Jahre 1960 war er schon auf beinahe 46 % gestiegen.
Herr Abgeordneter Blumenfeld, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dürr?
Herr Kollege Blumenfeld, würden Sie die Freundlichkeit haben, nach den Prozentzahlen, die Sie uns angegeben haben, auch die absoluten Zahlen zu nennen? Es kann doch sein, daß Einnahmen prozentual zurückgegangen sind, absolut aber höher geworden sind.
Ich glaube, unsere Prüfungen im Ausschuß werden sogar beweisen, daß dem so ist.
Aber der Punkt, auf den ich hinweise, ist, daß der ganze Bereich der Markenartikelwerbung in immer stärkerem Maße einen wirtschaftlichen Einbruch bei den Zeitungen zur Folge hat.
Wer wünscht eine Zwischenfrage zu stellen? — Herr Abgeordneter Zoglmann.
Herr Kollege Blumenfeld, halten Sie es für möglich, daß ein Teil des Zuwachses des Anzeigenaufkommens insgesamt auch daraus resultiert, daß ein neues Werbemedium auf dem Markt erschienen ist und daher dieses neue Medium einen originären Zuwachs aufweist?
Herr Kollege Zoglmann, ich bezweifle das; denn die Statistiken bzw. die Nachforschungen eines in dieser Frage so objektiven Instituts, wie es der Deutsche Industrie- und Handelstag ist, haben erwiesen, daß verschiedene Gruppen von Markenartikelfirmen seit der Verstärkung der von den Firmen betriebenen Fernsehwerbung die Anzeigenaufträge bei den Zeitungen beträchtlich vermindert haben. Es ist selbstverständlich, daß dieser Anzeigenrückgang in der Hauptsache — mein Kollege Martin hat schon darauf hingewiesen — die mittlere regionale und die Heimatpresse trifft; denn daß die großen Zeitungen mit hohen Auflagen erst zu allerletzt von dieser existenzbedrohenden Entwicklung erfaßt werden, versteht sich von ganz allein.Sollte sich diese Entwicklung fortsetzen, so wird die Presse sehr bald an einer absoluten Stagnationsmarke der Zuwachsrate, von der Sie, Herr Kollege Zoglmann, eben sprachen, angelangt sein. Aus dem Aufschwung des Werbefernsehens seit 1956/57 ergibt sich nach meiner Auffassung, daß die Zeitungsverleger, ob sie nun unabhängig sind oder parteipolitisch irgendwie gebunden sind, allen Grund haben, zu befürchten, daß dieser Tag nicht mehr allzu fern ist. Die gewaltigen Zuwachsraten, mit denen das Werbefernsehen hier aufzuwarten hat, sind nicht zu verkennen, und ich meine, daß dieser Entwicklung von unserer Seite, also von staatlicher Seite, gesteuert werden muß. Der Werberadius der öffentlich-rechtlichen Anstalten muß entweder entscheidend eingeengt oder die Werbung muß ganz untersagt werden; denn sonst wird der Werbeanteil und damit die wirtschaftliche Prosperität des Fernsehens Ausmaße erreichen, wie sie in den Vereinigten Staaten oder in Großbritannien bereits an der Tagesordnung sind.Im übrigen brauchen wir nur darauf hinzuweisen, daß auch in den Nachbarländern das Werbefernsehen durchaus unbekannt ist, d. h. dort nicht praktiziert wird. Aber bei uns in der Bundesrepublik hat sich gleichsam über Nacht eine Zwischenlösung durchgesetzt, und die Einnahmen aus diesem Werbefernsehen machen einen ganz- beträchtlichen Prozentsatz der Gesamteinnahmen aus. Ich habe das einmal nach allen statistischen und sonstigen Unterlagen, die mir zur Verfügung stehen, durchgerechnet. Es sind mindestens 40 %, die jetzt schon aus den Nettoerlösen des Werbefernsehens in den Etats der ARD figurieren. Diese Entwicklung ist äußerst unbefriedigend. Sie verhilft den Rundfunk- und Fernsehanstalten dazu, ihre Situation, die eigentlich eine Monopolsituation ist, immer stärker auszubauen und die wirtschaftliche Lage der Tagespresse immer weiter zu erschweren.Niemand wird behaupten können — ich sage das mit allem Nachdruck —, daß die Erlöse aus dem Werbefernsehen für die Anstalten existenznotwendig seien.
— Die Anstalten brauchen nur vernünftig, ordentlich und sorgsam mit den recht hohen, jedes Jahr weiter steigenden Gebühreneinnahmen zu wirtschaften, und diese brauchen nicht in einem derartigen Ausmaß zu überwuchern. Verehrter Herr Kollege Blachstein, Sie sitzen ja im Verwaltungsrat einer ganz bestimmten bekannten Anstalt. Sie könnten ein gutes Werk tun, wenn Sie auch darauf Ihr Augenmerk lenkten. Sollte aber dieses Argument einmal aufkommen, daß die Anstalten auf stärkere Einnahmen, - und zwar aus anderen Quellen, angewiesen sind, so möchte ich, Herr Kollege Blachstein, darauf hinweisen, daß die BBC in London mit der Hälfte der Gebühren Tag für Tag ein Programm ausstrahlt, das dem des NDR oder auch des WDR zumindest gleichwertig ist. Ich glaube, Sie werden mit mir darin übereinstimmen.Eine ganz andere Bedeutung haben natürlich die Werbeeinnahmen für die Tagespresse und ihren Bestand. Eine Sinken der Anzeigenerlöse wird unmittelbar und sofort die Existenz eines Zeitungsverlages gefährden. Wenn wir davon ausgehen, daß im Laufe des nächsten Jahres noch einmal mit einer Erhöhung der Zahl der Fernsehzuschauer in der Größenordnung bis zu etwa 1 1/2 Millionen gerechnet werden muß, so ist es ganz klar, daß von dieser Seite allein genügend finanzielle Unterstützung kommt und daß auf der anderen Seite die Zeitungen es sich nicht leisten können — und nicht leisten werden —, die Gebühren für ihre Erzeug-
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Blumenfeldnisse zu erhöhen. Selbstverständlich werden die Erlöse, die die Zeitungen erzielen, immer wieder für umfangreiche Investitionen verwandt werden müssen, um der ganzen Entwicklung, die ich aufgezeigt habe, zu steuern.Leider ist festzustellen, daß das Werbefernsehen sich erst nach einem Urteil des Oberlandesgerichts München im November 1957 entwickelt hat. Ich will die Begründung hier nicht verlesen. Das Gericht hat die Klage des Bundesverbandes Deutscher Zeitungsverleger gegen den Bayerischen Rundfunk wegen der Einführung des Werbefernsehens zurückgewiesen. Im nachfolgenden Ablauf der Jahre hat sich gezeigt, daß das Gericht sich absolut geirrt hat; denn die sechs Minuten, von denen damals gesprochen wurde, sind heute ganz allgemein — im Durchschnitt aller Anstalten in der Bundesrepublik — zu 20 Minuten reiner Werbezeit ausgeweitet worden. Daß sich hier selbst ein so hohes und würdiges Gericht wie das beyerische Oberlandesgericht geirrt hat, ist für uns kein Trost, sondern eher eine Ermahnung dahin, daß wir uns mit diesen Fragen beschäftigen müssen.Noch ein Wort zu den Werbefernsehen-Gesellschaften. Herr Kollege Sänger hat gesagt, daß diese Werbe-GmbHs ja Steuern zahlten wie jede normale GmbH auch. Das ist von Herrn Kollegen Zoglmann unterstrichen worden. Aber Herr Kollege Zimmermann hat dem schon unter Anführung eines Beispiels — es gibt mehrere dafür — widersprochen.Aber wir wollen diesen Streit jetzt nicht austragen. Das Ziel unserer Untersuchung ist, festzustellen: Wie geht es denn dort, wie laufen die Dinge da? — Ich muß Ihnen idazu sagen, daß die Gründung der Werbegesellschaften, die quasi Privatgesellschaften sind, so vollzogen wird, daß sich die Anteile in der Mehrheit zumindest immer in der Hand der öffentlich-rechtlichen oder der betreffende Anstalten befinden. Diese Werbe-GmbHs erledigen nunmehr alle mit den Werbesendungen verbundenen Geschäfte und haben sich ihrerseits teils direkt, teils indirekt über die Mutteranstalt — ich glaube, Herr Martin erwähnte das — sogar Filmstudios zugelegt. Die erworbenen Anteile sind im allgemeinen hochgenug, um ihren Eignern zu ermöglichen, die Geschäftsrichtlinien zu bestimmen. Daß neben den wirtschaftlichen Verzahnungen erhebliche personelle Verflechtungen ibeistehen, ist selbstverständlich. Ich könnte eine ganze Reihe von Beispielen aus dem Bereich des NDRausbreiten, will das 'aber hier nicht tun, sondern dm Ausschuß.Meine Damen rund Herren, warum erzähle ich das alles? Um Ihnen zusagen — und das gilt, Herr Kollege Sänger, insbesondere für die Untersuchung, die wir anzustellen halben —: der von diesen Werbegesellschaften erwirtschaftete Gewinn fließt, so behaupte ich, in verdeckter oder in offener Form den Muttergesellschaften zu einem solchen Anteil zu, daß am Schlusse nur noch ein kleiner steuerpflichtiger Gewinn übrig bleibt. Ich könnte dafür Beispiele aus dein Bereiche der Nordwestdeutschen Fernseh-GmbH bringen. Es sind Beträge in der Größenordnung von vielen, vielen Millionen, dieder Muttergesellschaft entweder durch Gewinnübertragung oder durch Kostenerstattungen oder andere Manipulationen zugeflossen sind, deren eine ganz sicherlich — ich spreche das hier heute nur als Vermutung aus — im normalen Geschäftsleben den Tatbestand einer verdeckten Gewinnausschüttung gleichkommen würde. Nach dem deutschen Steuerrecht ist eine solche verdeckte Gewinnausschüttung steuerpflichtig; hier wird das aber nicht erfaßt.Nun einen letzten Punkt, meine Damen und Herren! Die Zeitung hat natürlich — und das ist in der Debatte vorhin nicht erwähnt worden — nicht nur diese Wettbewerbsnachteile, sondern auch Aktualitätsverluste hinzunehmen. Dais werden wir nicht ändern können; aber es muß darauf hingewiesen werden. Die Zeitung meldet im allgemeinen doch das, was das Fernsehen am Abend vorher gebracht hat. Ich meine, daß wir auch diesen Punkt im Ausschuß prüfen sollten im Hinblick auf sogenannte Standortvorteile, die sich da 'ergeben könnten.Meine Damen und Herren, ich habe versucht, in einigen Punkten herauszustellen und zusammenzufassen, wo sich die Lage ungleichen Wettbewerbs zwischen Tagespresse und Rundfunk sund Fernsehanstalten ergibt. Es waren die ungleiche Konkurrenzsituation an 'sich, der ungleiche Werbeaufwand, die ungleiche Steuerbelastung, der ungleiche Werbeertrag und die ungleiche Aktualität, von der ich soeben zum Schluß noch kurz gesprochen habe. Gewiß ist die wirtschaftliche Bedeutung der einzelnen Punkte unterschiedlich. Die Hauptprobleme bilden — das wird die Ausschußarbeit ergeben — Werbefernsehen und Aktualitätsnachteil.Die Zeitungen wären überfordert, wollte man sie in ihrem Existenzkampf allein lassen; davon sind wir überzeugt. Es wird unsere Aufgabe in den Ausschüssen sein, darüber nachzudenken, wie wir einer Wettbewerbsverzerrung entgegenwirken können. Ich meine, das Zweite Deutsche Fernsehen hat sich bisher als eine unglückliche Konstruktion erwiesen. Wenn Presse und Film überleben wollen, müssen sie nach meiner Auffassung auch am Fernsehgeschäft beteiligt werden. Man gebe ihnen die Chance, ein eigenes Programm herauszubringen, und mache ihnen die Auflage, es allein aus Werbetätigkeit zu finanzieren.
— Herr Kollege, bitte.
Herr Kollege Blumenfeld, sind Sie nicht der Auffassung, man müßte bei der Erörterung der Möglichkeit, der Presse eine Beteiligung an einer oder zwei oder drei Fernsehschienen einzuräumen, auch darauf bedacht sein, daß nicht am Ende die Mehrheitsverhältnisse so liegen, daß eine einzige solche durch die Presse gesteuerte Gesellschaft über 80 % der Anteile verfügt und die restlichen 20 % bei anderen Verlagen liegen?
Herr Kollege Zoglmann, ich verstehe die berechtigte Sorge, die aus Ihrer Frage klingt; aber in der Praxis wird sie sich gar
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Blumenfeldnicht ergeben. Sie brauchen ja nur die genossenschaftliche Form anzuwenden. Es gibt eine ganze Reihe anderer Möglichkeiten, um eine solche zweifelsohne unerwünschte Konzentration bei der Verwirklichung meines Vorschlages zu vermeiden. Wenn wir das aber feststellen, muß natürlich andererseits der ARD jede Werbetätigkeit im Fernsehen untersagt werden. Aber ich glaube, es würde auch den Anstalten der ARD nicht schlecht bekommen, wenn sie auf den ursprünglich gedachten Zweck, die Idee ihrer Aufgabe, zurückgeführt würden. Es war einmal so gedacht, daß man ihnen das feuergefährliche Spielzeug der unternehmerischen Betätigung in der Werbewirtschaft wieder aus den Händen nehmen wollte.Ich bin mit meinen Kollegen der Auffassung, daß hier dem Bundestag und seinen Ausschüssen eine eminent wichtige politische Aufgabe obliegt, und ich hoffe — da die Angelegenheit sehr dringlich ist —, daß Parlament wie Bundesregierung bis Mitte nächsten Jahres eine Lösungsmöglichkeit vorschlagen, die sich dann vielleicht zu gesetzgeberischen Beschlüssen verdichten könnte.
Das Wort hat der Abgeordnete Sänger.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir haben aus dem Munde des Herrn Zoglmann sehr viele Zahlen gehört, die die Situation vom Standort des Fernsehen und Hörfunks aus beleuchteten. Wir haben aus dem Munde des Herrn Blumenfeld Zahlen gehört, die die Situation vom Standpunkt der Presse aus beleuchteten. Finden Sie nicht, daß es zweckmäßig wäre, den Vergleich dieser Zahlen nicht hier im Plenum vorzunehmen, diese Diskussion also nicht fortzusetzen?
Wir wären übrigens dazu durchaus in der Lage; denn die Zahlen waren uns samt und sonders nicht ganz unbekannt. Wahrscheinlich haben wir aus den gleichen Quellen geschöpft. Die Diskussion darüber sollte jedoch nun in den Ausschüssen erfolgen, nachdem Sachverständige geprüft haben, was an den Zahlen richtig und was falsch ist. Deshalb bitte ich darum, so zu verfahren.
Meine Damen und Herren, es liegen keine Wortmeldungen mehr vor. Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung. Es geht um die Ausschußüberweisung. Ich glaube, es besteht Einmütigkeit darüber, daß sowohl der Wirtschaftsausschuß als auch der Ausschuß für Kulturpolitik und Publizistik befaßt werden.
— Außerdem ein weiterer Ausschuß? —
Dann ist nur noch die Frage, welcher Ausschuß federführend sein soll. Es ist beantragt, daß der Wirtschaftsausschuß federführend sein soll. Wird ein anderer Antrag gestellt? Sie haben den Kulturausschuß vorgeschlagen.
Hierzu der Herr Abgeordnete Rasner.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich würde doch sehr dafür plädieren, daß wir bei der Absprache, die wir im Ältestenrat aus sehr guten Gründen getroffen haben, bleiben. Erstens ist die Untersuchung über die Wettbewerbsfähigkeit schon vom Thema her wirtschaftspolitischer Natur. Zum zweiten haben wir über die Frage des Verhältnisses Rundfunk-Bund Karlsruhe gehört. Der Rundfunk reicht hier hinein. Wir sollten dabei nach meiner Meinung sehr, sehr sorgfältig sein.
Im übrigen kommt der mitberatende Ausschuß zuerst dran. Der mitberatende Ausschuß, dessen Votum dem federführenden Ausschuß vorliegen muß, ist der Ausschuß für Kulturpolitik und Publizistik. Wir sollten wirklich dabei verbleiben.
Der Antrag wird also zurückgezogen? —
— Es besteht dann Einmütigkeit darüber, daß der Wirtschaftsausschuß federführend sein soll. Ich danke Ihnen, daß Sie dem Haus eine Auszählung der Stimmen zu dieser Tageszeit ersparen.
Damit ist dieser Punkt der Tagesordnung erledigt. Ich rufe Punkt 15 der Tagesordnung auf:
Beratung des Schriftlichen Berichts des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten über den Antrag der Abgeordneten Sander, Peters (Poppenbüll), Dr. Effertz, Logemann, .Walter, Ertl, Dr. Frey (Bonn), Struve und Genossen betr. Zuckerrübenpreis 1963/64 (Drucksachen IV/1416, IV/1534).
Ich danke dem Berichterstatter, dem Abgeordneten Marquardt, für seinen Schriftlichen Bericht und erteile das Wort dem Abgeordneten Rasner.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zu dieser Materie liegt der Ausschußantrag vor und ist ein Kabinettsbeschluß vorhanden. Beides sollte nach unserer Auffassung noch einmal im Ausschuß diskutiert werden. Ich beantrage deshalb, diese Vorlage an die Ausschüsse zurückzuüberweisen.
Das Wort hat der Abgeordnete Ertl.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Namens meiner Freunde teile ich Ihnen mit, daß wir gegen die Rückverweisung stimmen wer-
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Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 97. Sitzung. Bonn, Freitag, den 15. November 1963 4495
Ertlden. Wir sehen keine neuen Gesichtspunkte für eine Behandlung im Ausschuß. Daher würde ich mich den Ausführungen von Herrn Professor Schellenberg von vorhin anschließen und fast gewillt sein, ebenfalls namentliche Abstimmungen zu beantragen, weil, wie mir scheint, auch diese Sache nicht von geringfügiger Bedeutung ist. Aber auf Grund Ihrer Stimmung — —
Herr Abgeordneter, bei Anträgen zur Geschäftsordnung können Sie keine namentliche Abstimmung beantragen.
Ich bedanke mich für die Aufklärung, Herr Präsident. Ich habe ja auch gesagt: ich würde es gern tun.
Aber ich bin mir der Schwierigkeit der Situation bewußt. Ich will Sie auch nicht mehr lange belästigen.
Es tut uns furchtbar leid. Wir hätten gern diese Sache baldigst behandelt. Es erscheint uns unwahrscheinlich, daß zwei Ausschüsse die Sache sehr klar diskutiert und ausführlich behandelt haben und zu einem klaren Votum gekommen sind, und weil nun Spannungen mit der Regierung aufgekommen sind, sollte im Parlament diese Frage nicht einmal behandelt werden. Wir sind der Meinung, diese Frage hätte im Parlament entschieden werden sollen, um auch ein echtes Spannungsverhältnis zwischen Parlament und Regierung für die Zukunft aufrechtzuerhalten.
Wortmeldungen liegen nicht mehr vor. Ich schließe die Besprechung.
Wer dem Antrag des Abgeordneten Rasner auf Rücküberweisung an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Das erste war die Mehrheit; die Rücküberweisung ist beschlossen.
Wir stehen am Ende der heutigen Tagesordnung. Ich darf nur noch bemerken, daß der Verteidigungsausschuß um 14.00 Uhr zu seiner Sitzung zusammentritt.
Die nächste Sitzung des Plenums berufe ich auf Mittwoch, den 4. Dezember, 9.00 Uhr.
Die Sitzung ist geschlossen.