Gesamtes Protokol
Die Sitzung ist eröffnet.
Vor Eintritt in die Tagesordnung habe ich eine interfraktionelle Vereinbarung bekanntzugeben. Danach soll die heutige Tagesordnung erweitert werden um die erste Beratung des von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Dritten Gesetzes zur Änderung des Sozialversicherungs-Anpassungsgesetzes — Drucksache 1247 — und um die erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU, FDP, DP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Sozialversicherungs-Anpassungsgesetzes, Drucksache 1418. Ich schlage vor, diese beiden Punkte zwischen den. Punkten 4 und 5 der Tagesordnung zu behandeln.
Ich rufe auf Punkt 1 der Tagesordnung:
Erste Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über Preise für Getreide inländischer Erzeugung für das Getreidewirtschaftsjahr 1955/56 sowie über besondere Maßnahmen in der Getreide- und Futtermittelwirtschaft (Drucksache 1408).
Auf Begründung und Aussprache wird verzichtet. Ich schlage vor: Überweisung an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten als federführenden Ausschuß und an den Ausschuß für
Wirtschaftspolitik zur Mitberatung. — Widerspruch erfolgt nicht; es ist so beschlossen.
Ich rufe auf Punkt 2 der Tagesordnung:
a) Große Anfrage der Fraktion der FDP betreffend Postverkehr zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Saargebiet ;
b) Beratung des Mündlichen Berichts des Ausschusses für Gesamtdeutsche und Berliner Fragen über den Antrag der Abgeordneten Dr. Friedensburg und Genossen betreffend Verkehr zwischen der Bundesrepublik und den anderen deutschen Ländern (Drucksachen 1325, 310).
Ich schlage Ihnen vor, zuerst zu Punkt a die Begründung und die Antwort der Regierung, dann den Bericht zu Punkt b zu hören und über beide Punkte eine gemeinsame Debatte zu führen. — Widerspruch erfolgt nicht.
Wer gibt die Begründung für die Fraktion der FDP? — Das Wort hat der Abgeordnete Hübner.
Hübner , Anfragender: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es mag ungewöhnlich erscheinen, daß sich dieses Hohe Haus mit einer Postgebührenfrage beschäftigt, nachdem durch Beschluß des vorigen Bundestages das Postverwaltungsgesetz beschlossen und in ihm die Entscheidungsbefugnis über Gebührenfragen dem Postverwaltungsrat übertragen worden ist. Diese Entscheidungsbefugnis teilt allerdings der Verwaltungsrat der Bundespost mit dem Herrn Bundespostminister. Ich stelle diese Erwägung meinen Ausführungen voraus, weil bei anderer Gelegenheit — zuletzt bei der Erörterung der Frage der Berliner Postgebühren im Ausschuß für das Post-und Fernmeldewesen — geltend gemacht worden ist, daß sich der Bundestag mit den Fragen, die die Gebühren betreffen, nicht mehr zu beschäftigen habe, sondern daß die Kompetenz hierfür einzig und allein beim Postverwaltungsrat liege. Ich habe mich im Ausschuß dagegen gewandt und tue es auch hier für meine Fraktion. Wir sind der Auffassung, daß der Herr Bundespostminister diesem Hohen Hause wie in jeder Frage so auch in dieser Frage verantwortlich ist. Das erklärt sich schon daraus, daß dem Verwaltungsrat der Bundespost eine Entscheidungsbefugnis bezüglich Gebührenfragen nicht allein übertragen worden ist, sondern daß er sie nur im Einvernehmen mit dem Bundespostminister ausüben kann.
Welcher Situation stehen wir nun hinsichtlich der Postgebühren für das Saargebiet gegenüber? Die frühere Sachlage fußte auf der Kompetenz der Besatzungsmächte, die im Jahre 1947 eine Kontrollratsanordnung erlassen haben, nach der im Postverkehr mit dem Saargebiet Auslandsgebühren zu erheben waren. Man hätte nun annehmen sollen, daß in dem Augenblick. in dem die Deutsche Bundespost die Gebührenhoheit zurückerlangt hat, diese Anordnung sofort durch eine Anordnung des Bundespostministeriums abgelöst worden wäre, nach der auch im Verkehr mit dem Saargebiet Inlandsgebühren zu erheben wären. Das ist jedoch nicht geschehen. Wir stehen deshalb vor der untragbaren Tatsache, daß wir im Postverkehr mit dem Saargebiet nach wie vor Auslandsgebühren hinnehmen müssen, und stehen damit vor einer Regelung ohne Beispiel. Ich darf darauf hinweisen, daß selbst in der Weimarer Zeit im Postverkehr mit dem Freistaat Danzig in bei-
den Richtungen Inlandsgebühren — allerdings auf Grund eines Abkommens — erhoben worden sind. Ich frage mich: müssen wir nun das Saargebiet postalisch schlechter behandeln, als es Frankreich tut? Zwischen Frankreich und dem Saargebiet werden Inlandsgebühren verrechnet. Und müssen wir das Saargebiet postalisch schlechter behandeln, als es die Sowjetzonenpost tut?
Wo liegt denn nun aber die rechtliche Veranlassung und Notwendigkeit zur Aufrechterhaltung der Regelung von 1947? Selbst im Weltpostvertrag, der die Auslandsbeziehungen zwischen den einzelnen Staaten hinsichtlich der postalischen Verbindungen regelt, erscheint das Saargebiet natürlich nicht als selbständiges Land. Es besteht also auch hiernach nicht die geringste Veranlassung, im Verkehr mit dem Saargebiet Auslandsgebühren zu erheben.
Wir haben nun den nachteiligen Zustand zu ertragen, daß Postsendungen in das Saargebiet aus dem Bundesgebiet teurer bezahlt werden müssen als aus den übrigen deutschen Gebieten und auch teurer als aus Frankreich. Man hat sich offenbar nicht überlegt, welche folgenschweren Auswirkungen hiermit verbunden sind. Man sollte sich doch darüber klar sein: gerade in der gegenwärtigen Situation muß außerordentlicher Wert darauf gelegt werden, daß wir unsere Brüder im Saargebiet ausreichend mit deutschem Schrifttum versorgen. Diese Versorgung mit deutschem Schrifttum über Drucksachen wird erheblich benachteiligt gegenüber den Möglichkeiten, die insbesondere Frankreich zur Verfügung stehen, weil die Gebühren hierfür eine besondere Erhöhung erfahren haben, die sich für die Saarländer als doppelte Gebührenerhöhung auswirkt. Es ist doch so: einmal sind die Postgebühren im Verkehr mit dem Saargebiet als Auslandsgebühren deklariert; diese Auslandsgebühren haben nun aber durch die letzte Gebührenerhöhung eine starke Erhöhung gerade für Drucksachen erfahren. Diese Benachteiligung wirkt sich natürlich weitgehend politisch aus, soweit es sich eben um die Übersendung von Schrifttum aus der Bundesrepublik in das Saargebiet handelt. Ich frage mich: Wäre es nicht Aufgabe der Deutschen Bundespost gewesen, den deutschen Lebenswillen an der Saar mit allen Mitteln und mit allen Überlegungen zu stützen? Wie konnte man sich denn zu dieser doppelten Erhöhung verstehen? Es bleibt mir eigentlich kaum eine andere Erklärung dafür übrig als die, daß bei dieser letzten Gebührenerhöhung die von mir soeben angeschnittene Frage von elementarer politischer Bedeutung im Verwaltungsautomatismus steckengeblieben ist. Wenn dieser sehr unerwünschte Sachverhalt eines gezeigt hat, so doch wohl die Erkenntnis, daß es undenkbar ist, eine Bundesbetriebsverwaltung lediglich vom unpolitischen Standpunkt eines Betriebs aus zu betrachten. Wir sollten zumindest die Folgerung daraus ziehen, daß sich der Bundestag — und nicht allein der Verwaltungsrat — doch mit allen Fragen, die den Bereich der Postgebühren betreffen, sehr eingehend beschäftigen sollte.
Besorgt muß man sich allerdings auch die Frage stellen, welche Rolle der Verwaltungsrat mit §einem Initiativrecht und seiner Entscheidungsbefugnis in dieser Frage gespielt hat. Vielleicht — und es scheint fast so — ließ er sich auch vom Routinegeist einspinnen. Was haben aber insbesondere im Verwaltungsrat die Vertreter des Bundestags in dieser Angelegenheit getan? Ich darf darauf hinweisen, daß der Bundestag auf Grund der d'Hondtschen Schlüsselung nur Vertreter der CDU/CSU und SPD in den Verwaltungsrat entsandt hat. Es wäre immerhin wichtig, zu wissen, inwieweit sich diese Vertreter des Bundestags in der Angelegenheit engagiert haben.
Wir stehen jedenfalls unter dem Eindruck der sehr bitteren Enttäuschung, daß von keiner Seite der verschiedenen Organe, die eine Kompetenz in der Frage ausweisen können, ausreichende Aktivität entfaltet worden ist. Wir möchten aber in allen Fragen, die nur irgendwie unsere noch ungelöste nationale Einheit berühren, auf seiten der Verwaltung und auch bei den Gremien, die den Verwaltungsgang zu bestimmen haben, das routinemäßige, administrative Denken durch ein leidenschaftliches Ringen um unsere nationalen Forderungen ergänzt sehen.
Wenn uns der Herr Minister bzw. sein Vertreter bei der Beantwortung unserer Anfrage für die Zukunft die Gewißheit hierfür überzeugend vermitteln könnte, wären wir ihm besonders dankbar.
Ich habe bekanntzugeben, daß der Haushaltsausschuß um 9 Uhr 30 zu seiner Sitzung zusammentritt.
Das Wort zur Beantwortung der Großen Anfrage hat Herr Staatssekretär Gladenbeck.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Frage des Postverkehrs zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Saargebiet ist bereits mehrfach Gegenstand von Erörterungen in den zuständigen Ausschüssen des Hohen Hauses gewesen, zuletzt im Ausschuß für Gesamtdeutsche und Berliner Fragen auf Grund des Antrags der Abgeordneten Dr. Friedensburg und Genossen auf Drucksache 310. Bei diesen Erörterungen haben die Vertreter ides Bundespostministeriums stets darauf hingewiesen, daß die Deutsche Post trotz Einführung der französischen Auslandsgebühren für den Postverkehr aus dem Saargebiet nach Deutschland für Postsendungen nach dem Saargebiet zunächst die Inlandsgebühren mit ,der Begründung beibehalten hatte, daß das Saargebiet auch weiterhin als deutsches Gebiet zu behandeln ist. Am 28. September 1948 wurde die Deutsche Post jedoch vom damaligen Bipartite Control Office angewiesen, vom 1. Oktober 1948 an im Postverkehr der damaligen amerikanischen, britischen und französischen Besatzungszone nach dem Saargebiet die Bestimmungen und Gebühren für den Auslandspostdienst anzuwenden.
Der Ausschuß für Gesamtdeutsche und Berliner Fragen hat nun am 29. März dieses Jahres in der Frage ides Postverkehrs mit dem Saargebiet folgenden, Ihnen auf Drucksache 1325 vorliegenden Antrag beschlossen:
Der Bundestag wolle beschließen:
Die Bundesregierung wird beauftragt, B. im Postverkehr
2. mit dem Saargebiet Iden engen Bindungen von Bevölkerung und Wirtschaft der Bundesrepublik und des Saargebietes Rechnung zu tragen und im Postverkehr die Inlandsgebühren zu erheben; dabei ist anzustreben, daß die saarländische Postverwaltung im gleichen Sinne verfährt.
Die Bundesregierung wird ersucht,
alle zur Erreichung obiger Ziele im einzelnen geeigneten und erfolgversprechenden Maßnahmen zu ergreifen, die nicht als Anerkennung der in anderen deutschen Landesteilen eingerichteten Regierungen oder Verwaltungen ausgelegt werden müssen.
Die Bundesregierung . beabsichtigt, im Sinne dieses Antrags zu verfahren.
Das Postabkommen zwischen den Militärregierungen der Vereinigten Staaten, des Vereinigten Königreichs und Frankreichs und der saarländischen Verwaltung für das Post- und Fernmeldewesen vom 1. Oktober 1948, das die Grundlage der bisherigen Regelung war, steht auf der Liste der außer Kraft getretenen Verträge, die in einer Anlage zum Deutschlandvertrag enthalten ist. Die im Zusammenhang mit diesem Abkommen erwähnte Anweisung hat ihre Wirksamkeit verloren.
Nach Auffassung der Bundesregierung sollte daher nunmehr der früher bestehende Zustand der Abwicklung des Postverkehrs nach Inlandsgrundsätzen wieder eintreten, und zwar nicht nur im Verkehr von der Bundesrepublik zum Saargebiet,
3) sondern auch umgekehrt. Diese Regelung dürfte auch im Interesse ides Saargebiets liegen.
Im übrigen unterstreicht diese Regelung auch den Art. XII ides Saarabkommens vom 23. Oktober 1954, nach dem zwischen ,der Bundesrepublik und dem Saargebiet gleichartige Beziehungen herzustellen sind, wie sie zwischen diesem und Frankreich bestehen. Wie Ihnen aus Zeitungsmeldungen bekanntgeworden ist, sind auf posttechnischer Ebene bereits Konsultationen eingeleitet worden, um diesen Zustand möglichst bald auch praktisch herbeizuführen.
Ich erteile das Wort zur Berichterstattung über Punkt 2 b der Tagesordnung dem Abgeordneten Dr. Mommer.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Antrag Dr. Friedensburg und Genossen, der dem Bericht des Gesamtdeutschen Ausschusses zugrunde liegt, ist ein kurzer Antrag von nur vier Zeilen; aber er befaßt sich mit einer für uns sehr wichtigen Sache, nämlich dem Verkehr zwischen der Bundesrepublik und den anderen deutschen Landesteilen. Damit werden durch diesen Antrag die innerdeutschen Aspekte des Problems der Wiedervereinigung Deutschlands angesprochen. Es geht darum, innerdeutsche Maßnahmen zur Erhaltung des Einheitsbewußtseins in unserem Volke und zum Abbau der innerdeutschen Grenzschranken zu treffen.
Diese innerdeutschen Grenzschranken sind für uns um so unerträglicher, als wir alle, seitdem wir hier im Bundestag sind, uns bemüht haben, die Grenzschranken zwischen den europäischen Nationen abzubauen. Wir alle haben uns für den freien
Verkehr der Menschen, der Waren und der Nachrichten über die Grenzen hinweg eingesetzt und wir haben einiges auf diesem Gebiet getan. Ich erinnere daran, daß der Bundestag beschlossen hat, einseitig das Visum abzuschaffen, und daß durch diesen Beschluß des Bundestags eine der Hemmungen im freien Verkehr der Personen in Europa jetzt fast gänzlich verschwunden ist.
Wenn wir uns für den freien Verkehr zwischen den Nationen einsetzen, dann müssen wir uns um so mehr und mit um so mehr Leidenschaft für den freien, unbeschränkten Verkehr innerhalb unseres eigenen Landes einsetzen. Dieser freie Verkehr ist für uns von ganz besonderer politischer Bedeutung. Deswegen hat ein sehr kurzer Antrag unseres Kollegen Dr. Friedensburg dazu geführt, daß im Gesamtdeutschen Ausschuß aus den vier Zeilen ein langer Antrag mit nicht weniger als 19 Punkten geworden ist.
Der Gesamtdeutsche Ausschuß hat also das, was in dem Antrag Drucksache 310 im Keime enthalten war, konkretisiert und entwickelt. Es hat darüber eine kleine Diskussion im Gesamtdeutschen Ausschuß gegeben; aber wir waren uns schließlich darin einig, daß es doch die Rolle des Bundestages ist, die Regierung zu drängen, etwas auf diesem wichtigen Gebiete zu tun und dieses Drängen nicht nur in allgemeiner Form zu vollziehen, sondern möglichst zu konkretisieren, was wir wollen. Wir waren uns wohl auch darin einig, daß es die Aufgabe des Bundestages ist, der Regierung bei den Verhandlungen zu helfen, die sie mit den verschiedensten Stellen führen muß, wenn die Anregungen unseres Antrags in die Wirklichkeit übersetzt werden sollen. Die Bundesregierung kann sich dann auf Beschlüsse dieses Hauses berufen und damit ihre Position in den Verhandlungen stärken. Es ist klar, daß es nicht Sache des Bundestages ist, der Bundesregierung jetzt im einzelnen über das Wie der Durchführung Vorschriften zu machen. Auch der schon weitgehend konkretisierte Antrag Drucksache 1325 läßt der Bundesregierung weiten Spielraum für die praktische Durchführung. Ich glaube, daß solche Vorschläge, die zum großen Teil technischen Charakter haben, die aber eine politische Wirkung erzielen sollen, eine gute Gelegenheit zur Zusammenarbeit zwischen der Bundesregierung und dem Bundestag darstellen.
Manche der Anliegen, die wir hier vorbringen, sind seit langem auch Anliegen der Bundesregierung, und sie hat sich bemüht, die behandelten Probleme einer Lösung zuzuführen. Aber ich glaube, daß unser Antrag geeignet ist, die Aktivität der Bundesregierung zu verstärken. Andere Anliegen des Antrags hat die Bundesregierung sich so sehr zu eigen gemacht, daß sie zu dieser Stunde, da wir zur parlamentarischen Behandlung des Antrags kommen, schon durchgeführt, die Punkte also erledigt sind. Ich darf auf den Punkt B 1 des Antrags verweisen, im Paketverkehr mit Berlin die sogenannte Ostpreußenregelung einzuführen, d. h. der Gebührenberechnung eine niedrigere Entfernungszone zugrunde zu legen, als es der geographischen Entfernung entspricht. Dieses Anliegen ist bereits verwirklicht. Ich möchte sagen, daß der Bundestag keinen Anlaß hat, darüber böse zu sein, daß die Bundesregierung ihm sozusagen die Wünsche von den Lippen abliest und die Anträge verwirklicht, noch ehe im Bundestag ein Beschluß gefaßt wird;
Dr. Mommer)
im Gegenteil, wir können nur wünschen, daß es recht häufig so ist, daß die Bundesregierung sozusagen die Hand am Puls des Bundestages haben möge und seine Wünsche schon vorzeitig verwirklicht. Auf dieser Linie liegt auch der Brief, den der Herr Postminister Balke an die Verwaltung in Saarbrücken geschrieben hat und zu dem ich gleich noch einige Worte sagen werde.
Nun einiges zum Inhalt des Antrags. Er befaßt sich mit dem Verkehr zwischen der Bundesrepublik und den anderen Teilen Deutschlands. Er läßt bewußt das große Gebiet des Interzonenhandels beiseite, der eine der wichtigsten Klammern des Zusammenhalts der beiden Teile Deutschlands darstellt. Wir haben uns im Ausschuß anläßlich der Behandlung des Antrags Dr. Friedensburg und Genossen auch mit diesem Problem ausgiebig beschäftigt. Wir haben aber darauf verzichtet, dazu Anträge zu stellen. Ebenso bleibt das große Gebiet der kulturellen Beziehungen zwischen der sowjetischen Besatzungszone und der Bundesrepublik außer Betracht. Das ist auch ein umfangreiches und wichtiges Gebiet, auf dem wir hier mit unseren innerdeutschen Mitteln viel tun könnten, um die Spaltung Deutschlands nicht zu vertiefen und um die Verbindungen wieder zu knüpfen. Der Gesamtdeutsche Ausschuß befaßt sich jetzt noch besonders mit diesen kulturellen Beziehungen. Aus der Behandlung dieses Themas werden dann wahrscheinlich auch konkrete Anregungen an das Hohe Haus gelangen.
Der Antrag beschränkt sich also auf den Personen- und Postverkehr, auf den Straßen- und Eisenbahnverkehr. Ich würde Sie langweilen, wenn ich alle 19 Punkte, die der Antrag enthält, im einzelnen begründen wollte. Ich werde nur hier und da einiges herausgreifen können.
Zunächst wird der Personenverkehr mit der sowjetischen Besatzungszone behandelt. Ich brauche seine Bedeutung im Kampf gegen das Sichabfinden mit der Spaltung Deutschlands, im Kampf gegen die Entfremdung der Deutschen diesseits und jenseits des „Vorhangs" kaum hervorzuheben. Wir sollten uns diesen menschlichen Kontakt von hüben nach drüben und umgekehrt immer ganz besonders angelegen sein lassen und überlegen, was wir tun können, um diesen schon so erfreulich starken Kontakt weiterhin zu verstärken und zu entwickeln.
Die Entwicklung ist in der Tat erfreulich gewesen. Vor Juni 1953 kamen im Monatsdurchschnitt etwa 80 000 bis 100 000 Menschen zu uns aus der sowjetischen Besatzungszone. Im vergangenen Jahr sind es im Monatsdurchschnitt 220 000 Menschen gewesen. Der Verkehr hat sich also mehr als verdoppelt. In der umgekehrten Richtung sind die Zahlen entsprechend.
Dieser Anstieg des Personenverkehrs ist zwei Umständen zu verdanken. Einmal haben wir auf der anderen Seite glücklicherweise eine veränderte politische Haltung zu dem Problem feststellen können: man hat dem freien Verkehr nicht mehr soviel Hemmnisse politischer und verwaltungsmäßiger Art in den Weg gelegt wie vorher. Ein andermal haben w i r dazu beigetragen, daß dieser Verkehr intensiver werden konnte. Wir haben sozusagen verwaltungsmäßige Schachzüge getan; wir haben uns — leider erst nach langem Hin und Her — entschlossen, einseitig auf den Interzonenpaß zu verzichten, und haben damit alle Hemmnisse dieser Art beseitigt, die auf unserer Seite dem Personenverkehr entgegenstanden. Mit diesem Schachzug haben wir die andere Seite gezwungen, auch ein wenig nachzuziehen; auch dort wurde der Interzonenpaß abgeschafft. Allerdings hat sich dieser Polizeistaat bisher nicht entschließen können, auf die wirkliche Kontrolle des Personenverkehrs zu verzichten. Die Reisenden von hier nach drüben brauchen vorher eine Aufenthaltsgenehmigung von den zuständigen örtlichen Behörden, und unsere Deutschen aus der SBZ brauchen, um zu uns zu kommen, eine Personalbescheinigung, die sie gegen Hinterlegung ihrer Kennkarte erhalten. Auf diese Weise ist es trotzdem noch in der Hand der sowjetzonalen Behörden, den Personenstrom, den Verkehr der Personen über die Zonengrenzen hinweg, zu kontrollieren und, wenn es ihnen gefällt, von einem Tag zum andern zu bremsen, zu drosseln oder gar abzustoppen.
Leider müssen wir feststellen, daß in den letzten Monaten die Handhabung dieser Kontrolle nicht großzügiger, sondern engherziger geworden ist. Es sind neue Maßnahmen eingeführt worden, die auch schon dazu geführt zu haben scheinen, daß der Strom etwas dünner wird. Im April des vorigen Jahres kamen aus der Zone 223 000 Menschen zu uns. Im April dieses Jahres waren es 181 000, also eine Verminderung um ein Fünftel. In den Monaten vorher lagen die Zahlen noch über denjenigen des Vorjahrs.
Was können wir auf diesem Gebiet tun, um den Strom stärker werden zu lassen? Auf unserer Seite sollten wir alle Hemmnisse auch sekundärer Natur beseitigen — ich komme gleich auf diese zu sprechen —, die der Entwicklung des Personenverkehrs entgegenstehen. Auf die andere Seite sollten wir immer wieder drücken, daß sie die verwaltungsmäßigen Schikanen abbaut. Das ist nicht notwendigerweise ein gänzlich hoffnungsloses Unterfangen. Ein diktatorischer Staat verzichtet nicht gerne auf die Kontrolle der Bewegung der Menschen. Aber er kann sich in verschiedenem Grade diesem Strom entgegensetzen. Wenn drüben so sehr von der Wiedervereinigung Deutschlands, von dem Zusammenhang der beiden Teile und dem Verkehr der Deutschen untereinander gesprochen wird, dann sollten wir immer darauf hinweisen, daß wir hier die bürokratischen Hemmnisse abgebaut haben und daß wir darauf warten, daß sie auch auf der anderen Seite beseitigt werden. Wir sollten nie müde werden, diese Mahnung an die andere Seite zu richten.
Aber auch auf unserer Seite ist noch manches zu tun. Zum Teil handelt es sich um Kleinigkeiten, aber um Kleinigkeiten, die ihre Bedeutung haben. Wenn man mit den Interzonenzügen in den anderen Teil Deutschlands fährt, dann ist manchmal die Fahrzeit sehr viel geringer als die Kontrollzeit an den Kontrollbahnhöfen. Diese Kontrollzeit ist zwar auf der anderen Seite zwei- bis dreimal länger als bei uns, und wir können stolz darauf sein, daß bei uns die sehr viel kürzeren Zeiten vorhanden sind, aber es ist durchaus noch nicht alles getan, um auf unserer Seite den Übergang möglichst formlos zu machen und durch die Formlosigkeit zu unterstreichen, daß hier zwar gegen unseren Willen eine Demarkationslinie gezogen wurde, daß hier aber keine wirkliche Grenze besteht.
Daß man noch vieles tun kann, geht aus folgendem
kleinem Beispiel hervor. In Helmstedt braucht man
zur Abfertigung der Interzonenzüge in beiden Richtungen. 18 Minuten, in Hof braucht man in Richtung Zone 33 Minuten und in der Richtung her zu uns gar 50 Minuten. Bitte, wenn es in Helmstedt mit 18 Minuten geht — und wahrscheinlich ginge es auch noch kürzer —, warum geht es dann nicht auch in Hof mit 18 Minuten, meine Herren von der Bundesregierung? Warum braucht man dann in Hof doppelt und dreimal soviel Zeit, um die Kontrolle der Züge, die über die Zonengrenze kommen, durchzuführen? Ich habe auch den neuen Sommerfahrplan einsehen lassen und leider festgestellt, daß die Bundesregierung uns hier die Wünsche nicht von den Lippen abgelesen hat. In dem neuen Fahrplan sind die Wartezeiten genau so lang wie im alten. Ich möchte hoffen, daß, wenn dieser Antrag heute angenommen wird, die Bundesregierung sich auch dieser Kleinigkeiten, die für die 200 000 und mehr Menschen, die im Monat zu uns herüberkommen, doch von großer Bedeutung sind, annimmt.
Besonders wichtig im Verkehr der Personen zwischen drüben und uns ist der Punkt A 1 d des Antrags. Es handelt sich um die Bezahlung des Rückfahrpreises für die Besucher aus der sowjetischen Besatzungszone. Zwischen der sogenannten Reichsbahn drüben und unserer Bundesbahn gibt es keine Abmachungen über Rückfahrkarten, oder vielmehr: es gibt eine alte Abmachung aus Besatzungsrecht, daß keine Rückfahrkarten ausgegeben werden. So sind die Menschen aus der SBZ gezwungen, bei der Rückfahrt ihre Fahrkarte in Westmark zu lösen. Sie haben aber keine Westmark; sie dürfen ja auch nicht einmal Ostmark mitnehmen. So haben sie, um die Rückfahrt zu bezahlen, nur die Möglichkeit, sich an ihre Verwandten und Freunde oder gar an die Wohlfahrtsämter zu wenden. Meine Damen und Herren, wir sollten das unseren Brüdern und Schwestern aus der SBZ ersparen. Denn das ist immer eine kleine Demütigung für sie. Da müssen sie es besonders spüren, daß sie das schlechte Los gezogen haben, daß es ihnen so viel schlechter geht, daß sie unsere ,armen und hilfsbedürftigen Verwandten sind. Wir sollten da bessere Lösungen finden.
In dem Vorschlag des Gesamtdeutschen Ausschusses wird gesagt, man solle mit der Reichsbahn drüben über die Ausgabe von Rückfahrkarten ein Abkommen nach Art des Abkommens über die Annahme von Ostmark in den Speise- und Schlafwagen der Interzonenzüge anstreben. Ein solches Abkommen ist zwischen den beiden Bahnen zustande gekommen. Danach können die Deutschen aus der Zone hier im Westen in den Speise- und Schlafwagen mit ihrem Geld zum Pari-Kurs bezahlen. Das 'ist die einzige gute und vernünftige Lösung. Es ist uns klar, daß es nicht leicht sein wird, ein solches Abkommen auch für die Fahrkarten zu erzielen. Aber wenn man erkannt hat, daß das die einzig vernünftige Lösung ist, dann soll man der anderen Seite die Verlegenheit nicht ersparen und immer wieder diesen Antrag stellen. Es ist uns ja dadurch leichter gemacht, daß ein Präzedenzfall durch das Abkommen über die Bezahlung in den Speise- und Schlafwagen schon geschaffen worden ist.
Nun, trotzdem müssen wir uns klar 'darüber sein, daß ein solches gutes Abkommen eben nicht leicht zu erreichen sein wird. Deshalb müssen wir Maßnahmen für das treffen, was bis dahin zu tun ist. Der Gesamtdeutsche Ausschuß schlägt hier vor:
bis zum Abschluß eines solchen Abkommens sind Mittel des Bundeshaushaltsplanes bereitzustellen, die es ermöglichen, Interzonenreisenden aus der sowjetisch besetzten Zone die Rückreise zu erleichtern.
Meine Damen und Herren, die Bezahlung der Rückfahrkarte ist ein besonders wichtiger Punkt für den Besuch von Personen aus der SBZ. Hier können wir viel tun, urn die Zahl 'der Reisenden zu vergrößern und 'dadurch die Kontakte zwischen Ost und West, Mittel- und Westdeutschland zu erleichtern. Wir erklären immer allesamt, die wir hier im Hause vertreten sind, daß die Wiedervereinigung Deutschlands, daß der Zusammenhalt Deutschlands unser oberstes politisches Anliegen ist. Solche Dinge muß man beweisen, wenn es darum geht, für diesen politischen Willen Opfer zu bringen. Hier wäre einmaterielles Opfer von unserer Seite zu bringen, ein nicht ganz unerhebliches; es könnte sich um einige 40 Millionen D-Mark handeln. Der Gesamtdeutsche Ausschuß ist aber der Meinung, daß wir verpflichtet sind, ein solches Opfer zu bringen, und daß es, gemessen an dem großen Ziel, auch ein sehr erträgliches, ja sogar ein kleines Opfer wäre.
In Punkt A 2 behandelt der Antrag den. Personenverkehr mit Berlin. Ich will hier nur auf einige Dinge verweisen. Die Absätze h und c handeln vom Luftverkehr. Einmal sollten zwischen Berlin und Hannover sogenannte Lufttaxen eingesetzt werden, es sollte also auf der kürzesten Strecke in der Luft die Entfernung überbrückt werden, vor allem für die Menschen, die Gründe haben könnten, nicht die Interzonenzüge zu benutzen, die aber andererseits sich den teureren Flug an die Bestimmungshäfen hier im Westen nicht leisten können. In dem folgenden Abs. c regt der Ausschuß an, zu erwirken, daß der Deutschen Lufthansa das Befliegen der Luftkorridore nach Berlin gestattet wird. Wir haben jetzt wieder eine deutsche zivile Luftfahrt, und wir sollten mit allen Mitteln dahin wirken, daß diese zivile Luftfahrt auch ,die Luftkorridore befliegen kann. Es wird da auf der anderen Seite Widerstände geben. Aber Widerstände muß man überwinden, und mir scheint, daß die Bundesregierung hier in Auseinandersetzungen mit der anderen Seite ein gutes Argument hätte. Sagt man nicht da drüben: „Ami go home", und wenn man das sagt, kann man sich dann auf den Standpunkt stellen, daß nur amerikanische und andere Flugzeuge den Luftverkehr zwischen Berlin und dem Westen aufrechterhalten sollen? Liegt es nicht auch im Trend der Politik der anderen Seite, das, was bisher Besatzungsmächte getan haben, mehr und mehr durch deutsche Institutionen und Stellen tun zu lassen? Ich glaube also, daß, wenn wir hier zum Angriff übergehen, eigentlich politisch gute Chancen gegeben sein müßten, auch zum Ziele zu gelangen.
Bei den Beratungen im Ausschuß haben wir den Eindruck gehabt, daß es sich keineswegs nur darum handelt, politische Widerstände solcher Art, wie ich sie eben nannte, aus dem Wege zu räumen, daß vielmehr solchen Anliegen wie der Einrichtung von Lufttaxen und dem Verkehr durch die Lufthansa auch sehr massive materielle Interessen der westlichen Mächte entgegenstehen.
Im Verkehr zwischen Berlin und Westdeutschland wären auch durch einfache administrative Maßnahmen wesentliche Verbesserungen zu erzielen. Ein
Zug aus Berlin hat jetzt in Marienborn 68 Minuten Aufenthalt — über eine Stunde —, in Helmstedt hat er 18 Minuten Aufenthalt. Beide Aufenthalte, soweit sie nicht die nötigen Haltezeiten sind, sondern Kontrollzeiten, wären völlig überflüssig, wenn es gelänge, die andere Seite zu dem zu bewegen, was der Gesamtdeutsche Ausschuß in Punkt A 2 d vorschlägt, nämlich den Eisenbahnverkehr von Personen und Gütern zwischen Berlin und der Bundesrepublik dadurch zu erleichtern, daß die etwa noch für notwendig gehaltenen Kontrollen sich durch Mitnahme von sowjetzonalem Begleitpersonal erledigen. Wenn es gelänge, dieses Ziel zu erreichen, dann würde es diese Wartezeit nicht mehr geben, und die Fahrt von Berlin nach dem Westen wäre um über eine Stunde verkürzt.
Auch im Personenverkehr mit dem Saargebiet sind noch einige Dinge zu tun. Wir haben im vorigen Jahre auf Beschluß des Bundestages durchgesetzt, daß von uns aus im Verkehr mit dem Saargebiet nach Inlandsgrundsätzen verfahren wird, daß bei Reisen von Deutschen über diese innerdeutsche Grenze der Personalausweis ,als Personalpapier genügt und der Paß nicht gefordert wird. Die Gegenseitigkeit ist hier noch nicht erzielt. Auf der anderen Seite wird der Paß verlangt. Angesichts der vorbildlichen europäischen Begeisterung der Saarbrücker Stellen — nicht wahr, Herr Walz, Sie lachen! — müßte es doch möglich sein, da zu erreichen, daß die Gegenseitigkeit recht bald hergestellt wird!
Auch auf dem Gebiet des Eisenbahnverkehrs ist noch einiges zu tun. In Bruchmühlbach halten die Züge 23 Minuten, in Homburg 33 Minuten. Insgesamt also fast eine Stunde Verzögerung an dieser Grenze! Es gibt Züge, die weit über eine Stunde Verzögerung erleiden.
Zum Postverkehr darf ich mich darauf beschränken, auf den Punkt B 2 einzugehen: den Postverkehr mit dem Saargebiet. Dieser Postverkehr ist hier eben schon behandelt worden. Ich möchte nur darauf verweisen, daß der Gesamtdeutsche Ausschuß hier zwei Anliegen hat. Im ersten Satz des Punktes B 2 beantragt er, den engen Bindungen von Bevölkerung und Wirtschaft der Bundesrepublik und des Saargebietes Rechnung zu tragen und im Postverkehr die Inlandsgebühren zu erheben, d. h. von uns aus entsprechend dem zu handeln, was wir in der Theorie behaupten: wir vertreten ja alle die These, daß das Saargebiet ein Teil Deutschlands innerhalb der Grenzen von 1937 ist.
Dann folgt der Satz:
dabei ist anzustreben, daß die saarländische Postverwaltung im gleichen Sinne verfährt.
Das Postministerium hat jetzt bei Satz 2 angefangen und zunächst durch Kontaktaufnahme mit Saarbrücken die Gegenseitigkeit angestrebt. Das ist gut und schön, meine Damen und Herren. Aber wenn sich in einer vernünftigen Zeit erwiese, daß die andere Seite nicht bereit ist, im gegenseitigen Verkehr die Inlandstarife einzuführen, dann sollten wir auf Satz 1 zurückkommen und einseitig von uns aus die Inlandsgebühren für den Verkehr mit dem Saargebiet erheben.
Ich glaube, es befürchtet heute niemand mehr, daß dann auf der anderen Seite Repressalien ergriffen werden könnten, daß dann dort Strafporto erhoben würde und dergleichen Dinge mehr. Es muß ja ins
Gedächtnis gerufen werden, daß die sowjetische Besatzungszone in dieser Hinsicht immer schon konsequent gewesen ist und Briefe mit Auslandsporto für das Saargebiet sogar zurückgewiesen hat, und daß die Behörden im Saargebiet sich mit dieser Handlungsweise abgefunden haben und die Briefe, die mit Inlandsporto aus der sogenannten DDR kommen, sehr wohl befördern, genau wie die, die paradoxerweise mit Auslandsporto aus der Bundesrepublik kommen.
Zum Schluß beschäftigt sich der Antrag mit den Mitteln und Wegen, die zur Erreichung der verschiedenen Ziele ergriffen werden könnten. Zum Teil sind hier Dinge vorgeschlagen, die durch einseitige Maßnahmen hier bei uns verwirklicht werden können. Zum Teil sind zur Durchführung Verhandlungen notwendig. Dabei soll man sich nach dem Willen des Gesamtdeutschen Ausschusses immer daran erinnern, daß die Teilung Deutschlands nicht durch uns, sondern durch die Besatzungsmächte erfolgte und daß sie verantwortlich für sie sind, daß sie auch verantwortlich für die Wiederzusammenführung Deutschlands sind. Sie haben ja alle, die östliche Besatzungsmacht und die westlichen Besatzungsmächte, in den jüngsten Maßnahmen zur Ablösung des Besatzungsregimes Vorbehalte in bezug auf Deutschland als Ganzes gemacht. Wir sollten immer daran anknüpfen, sollten die Besatzungsmächte nicht aus ihrer Verantwortung entlassen und sie deshalb mit diesen konkreten Anliegen angehen und von ihnen verlangen, daß sie die Dinge in Ordnung bringen. Das ist z. B. jetzt geschehen in der Frage der erhöhten Straßengebühren im Verkehr zwischen der Bundesrepublik und Berlin.
Der Gesamtdeutsche Ausschuß glaubt jedoch, daß dieser Weg über die Besatzungsmächte nicht ausreichend ist und daß er sogar nicht immer möglich ist. In allen Dingen, z. B., die die Bundesbahn und die Reichsbahn drüben angehen, ist der Weg über die Besatzungsmächte nicht mehr gangbar, und wir können nur im direkten Gespräch mit den zuständigen Stellen der anderen Seite zum Ziele kommen. Deshalb sind Verhandlungen von Verwaltung zu Verwaltung nicht nur möglich, sondern auch notwendig.
Im Gesamtdeutschen Ausschuß waren wir uns darüber einig, daß solche Verhandlungen zwischen Bonner Stellen und Stellen in Pankow und in Saarbrücken keine Grundsatzfragen sind, sondern Fragen der Zweckmäßigkeit, Fragen der politischen Gewinn- und Verlustrechnung, daß deswegen auch nicht generell gesagt werden kann, mit wem und wie solche Verhandlungen zu führen sind. Das muß von Fall zu Fall entschieden werden, und je nach dem Einsatz, der auf dem Spiele steht, können die Methoden verschieden sein, kann auch die politische Ebene verschieden sein, auf der solche Verhandlungen geführt werden. Um Mißverständnisse zu vermeiden, möchte ich unterstreichen, daß es sich hier immer nur um Verhandlungen handelt, die praktische, technische, wirtschaftliche und verkehrstechnische Dinge angehen, also nie um politische Verhandlungen. Der Gesamtdeutsche Ausschuß ist auch da einer Meinung, daß politische Verhandlungen etwa mit Pankow über die Wiedervereinigung Deutschlands sinnlos sind und nicht geführt werden sollen. Dagegen ist er der Meinung, daß zur Erreichung konkreter Ziele im Verkehr der Teile Deutschlands miteinander die Ebene nach Zweckmäßigkeit gewählt werden soll. Er macht
dabei einen Vorbehalt, indem er sagt, daß solche Maßnahmen ergriffen werden sollen, die nicht als Anerkennung der in anderen deutschen Landesteilen eingerichteten Regierungen oder Verwaltungen ausgelegt werden müssen. Ich möchte das Wort „müssen" unterstreichen; es soll nämlich darauf hinweisen, daß man nicht sehr zimperlich sein soll, daß man vielmehr überlegen muß, ob eine solche Maßnahme zwangsläufig und von jedem vernünftig denkenden Menschen als eine Anerkennung ausgelegt werden muß. Ich möchte persönlich sagen, daß ich z. B. den Brief des Herrn Postministers an einen Minister in Saarbrücken wegen des Inlandstarifs im Postverkehr nicht als ein Dokument ansehen würde, das eine Anerkennung des dort geschaffenen Regimes beinhaltete.
Meine Damen und Herren, es ist so schwierig, zu der Wiedervereinigung Deutschlands im Politischen zu gelangen. Morgen früh werden wir uns über diese politische Seite in diesem Hause unterhalten. Wir können aber hier in Deutschland selbst durch unser praktisches Verhalten auf den Gebieten des Handels und des Verkehrs viel dafür tun, daß Deutschland zusammengehalten wird, daß die Spaltung nicht vertieft wird, daß vielmehr das, was schon weitgehend auseinandergekommen ist, wieder zusammenkommt und wieder miteinander verknüpft wird. Was hier vom Gesamtdeutschen Ausschuß vorgeschlagen wird, sind keine sensationellen, großen Dinge. Es handelt sich da um Kleinigkeiten mit manchmal großen Wirkungen. Es handelt sich darum, ruhmlose, zähe Kleinarbeit im Dienste des Zusammenhalts unseres geteilten Landes zu leisten. Der Gesamtdeutsche Ausschuß hat mit dem Antrag Drucksache 1325 einen Beitrag zu dieser zähen Kleinarbeit leisten wollen. Er bittet Sie um Ihre Zustimmung.
Ich danke dem Herrn Berichterstatter. Ich eröffne die gemeinsame Aussprache über die Punkte a und b. Das Wort hat der Abgeordnete Körner.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich glaube, es würde das Hohe Haus sehr strapazieren, nun noch einmal in alle Einzelheiten, die ja jedem am Herzen liegen, einzutreten. Ich darf mich also darauf beschränken, für meine Fraktion zu erklären, daß wir diesem Antrag unsere volle Unterstützung zuteil werden lassen. Wir bewegen uns in dem Trend einer europäischen Integration, eines Zusammenschlusses und eines engeren Aneinanderrückens der Völker Europas. Wir wollen die Mauern und die Grenzen abbauen. Da ist es bemerkenswert, daß im Gegensatz dazu in unserem deutschen Raum große Hindernisse, schwerste Barrieren errichtet worden sind. Diese wollen wir nach der politischen Seite hin abbauen und müssen wir in verkehrstechnischer Hinsicht durch Verhandlungen und Maßnahmen zu überwinden versuchen. Die deutschen Menschen müssen die Möglichkeit haben, so oft und auch so billig wie möglich zueinander zu kommen; denn darauf kommt es an. Dasselbe gilt für den Strom der Güter.
Ich will auf die einzelnen Punkte nun doch etwas eingehen, besonders auf das Problem der Rückfahrkarten für die Besucher aus der sowjetischen Besatzungszone, das schon in der Begründung des Antrags von Herrn Kollegen Dr. Mommer herausgestellt wurde. Ich weiß wohl, daß in der Zwischenzeit eine Maßnahme angelaufen ist, aber diese Maßnahme erfaßt nur den Kreis der in gewissem Sinne Minderbemittelten. Sie eröffnet nicht die Möglichkeit eines allgemein freieren Verkehrs und bringt diesen deutschen Menschen nicht die nötige Erleichterung. Es wäre also gut, wenn die Bundesregierung und besonders die Bundesbahn im Verhandlungswege alle Möglichkeiten ausschöpfen würden, damit das Problem des uneingeschränkten Hin-und-Her-Pendelns der Besucher in einer, ich möchte einmal sagen, eleganteren Form gelöst wird.
Auch das ist ein Wunsch an die Deutsche Bundesbahn: daß wir die Grenzübergangsstellen, vor allen Dingen auch die Bahnhöfe so ausgestalten, daß sie sich als erster und starker Eindruck, als die Visitenkarten der westlichen Welt und der deutschen Bundesrepublik dem Besucher aus der sowjetischen Besatzungszone repräsentieren.
Zu dem Problem der Fahrzeiten, der Aufenthalte der Züge usw. ist schon genügend gesagt worden. Wir haben heute nicht ganz klar vernommen, was in puncto Posttarife gemäß dem Abkommen mit der Saarregierung geschehen ist. Ich weiß nur aus einem Brief des Herrn Postministers, daß dieser sich auf die Anordnung der alliierten Behörden und die Bestimmungen über die Gebühren für den Auslandspostdienst beruft. Auch hier wäre es möglich, ernsthafte Verhandlungen mit Saarbrücken oder, wenn nötig, auch anderen Stellen aufzunehmen. Schlägt dieser Versuch fehl, dann ist es an uns, selbst vorzugehen und die Inlandstarife für den postalischen Verkehr mit dem Saargebiet einfach in Kraft zu setzen. Das würde die andere Seite in Verlegenheit bringen. Wir sollten da und dort den Mut zu gewissen Entscheidungen haben.
Dabei kommt mir der Gedanke, der Deutschen Bundespost doch einmal den Vorschlag zu machen, im Zuge einer europäischen Integration Besprechungen aufzunehmen. Ich will es einmal in den Terminus technicus eines europäischen Postvereins kleiden. Wenn es möglich wäre, innerhalb Europas auch hier zu neuen Formen zu kommen, unabhängig vom Vertrage eines Weltpostvereins, könnte alles das, was uns im einzelnen immer wieder beunruhigt, mit einem Schlage in einem viel größeren Rahmen geregelt werden. Das gilt auch für den Vorschlag in der Drucksache 1325, in den Gebieten, die zeitweise in belgische, niederländische und luxemburgische Verwaltung übergegangen sind, Inlandsgebühren zu erheben. Es ist also an der Zeit, hier energische Verhandlungen zu führen und Maßnahmen zu ergreifen.
Unter den Problemen steht der Luftverkehr mit Berlin mit an erster Stelle. Ich will hier nicht das Hin und Her mit den alliierten Dienststellen und den übrigen Verkehrsgesellschaften der Luftfahrt erörtern; das ist zum Teil bekannt, auch aus der Presse. Wenn aber, wie ich höre und lese, Angebote vorliegen, einen Nachtflug Hannover-Berlin und zurück nicht etwa für '75 Mark, sondern sogar für 50 bis 58 Mark durchzuführen, dann sollte man ein solches Angebot ernsthafter prüfen und die Verhandlungen mit allem Ernst weiterführen. Daß hierbei die Deutsche Lufthansa einzuschalten ist, versteht sich am Rande. Darüber ist gar kein Wort weiter nötig. Das würde für die Menschen in Westberlin und für die Besucher, die aus Westdeutschland nach Berlin und zurück pendeln müssen, eine sehr entscheidende Erleichterung geben.
Ein weiterer Punkt — damit möchte ich die ganze Frage mehr oder weniger abschließen — ist der Güterverkehr und ist die Frachtberechnung. Wir haben an der Zonengrenze einen sogenannten Frachtenbruch. Wir sind leider gezwungen, die Güterströme nicht, wie es natürlich wäre, überall da über die Grenze laufen zu lassen, wo es zweckmäßig ist, sondern es ist j a alles künstlich, es ist ja zerniert. Es gibt nur ganz wenige Übergangsstellen. Nicht nur daß wir da unnötige Umwege fahren müssen, die das Ganze verteuern, nein, die Berechnungen laufen auch darauf hinaus, im Einzelfall gewisse Abschnitte der Entfernungen zu berechnen, so daß sich insgesamt höhere Preise ergeben. Es bedarf hier einer Durchrechnung der Tarife nicht nur für gewisse Güterarten, wie man es konzediert hat, sondern, wenn es sein muß, für alle Güter, auch für die Massengüter. Denn das verstärkt die Produktionskraft der Berliner Wirtschaft und fördert den Waren- und Güterstrom zwischen Berlin und der Bundesrepublik. Das ist notwendig, denn der Kraftwagen kennt weder den Frachtenbruch noch die Erschwerungen bei der Frachtberechnung. Da rechnet man sozusagen elegant durch, während wir hier eine Komplizierung des Ganzen haben mit gewissen Interzonenzuschlägen. Das zu den einzelnen Fragen.
Ich darf hoffen, daß auf Grund der Vorschläge des Gesamtdeutschen Ausschusses die Regierung und die zuständigen Stellen, nicht etwa dauernd aus der Gefahr heraus, man könnte andere sogenannte Regierungen auf dem internationalen Parkett damit anerkennen, sondern aus der Notwendigkeit heraus, auf gewissen Ebenen, durch gewisse Fachreferenten, ich möchte sagen, durch eine permanente, laufend vorhandene Sachverständigenkommission nach der verkehrstechnischen Seite hin alles tun, um die deutschen Menschen immer wieder aneinanderzubringen und die Barrieren zu überwinden, die gegen die Natur, gegen jedes politische Verständnis und gegen jede Vernunft errichtet worden sind, die überhaupt jede politische Entwicklung im Großen hemmen.
Ich halte für besonders begrüßenswert die Vorschläge, die der Ausschuß für gesamtdeutsche Fragen über den Antrag hinaus, der ja ursprünglich nur allgemeiner Natur war, der Regierung gemacht hat. Ich darf bitten, diese Einzelvorschläge mit allem Ernst und mit allem Nachdruck jetzt aufzunehmen.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Friedensburg.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Namens meiner politischen Freunde darf ich erklären, daß wir grundsätzlich und in allen Einzelheiten mit dem Bericht einverstanden sind. Wir haben den dringenden Wunsch, die Bundesregierung möge ihn recht ernst nehmen und, soweit es überhaupt in ihren Kräften steht, auf die Durchführung hinarbeiten.
Ich freue mich, erwähnen zu dürfen, daß die Bundesregierung in den Sitzungen des Ausschusses für Gesamtdeutsche Fragen sehr eifrig und sehr verständnisvoll mitgewirkt hat. Ich wäre sehr dankbar, wenn wir auch hier im Plenum eine entsprechende Stellungnahme namentlich des zuständigen Ministeriums zu dieser Frage erfahren könnten. Es wäre wegen der Wirkung für die Öffentlichkeit vielleicht doch nicht ganz ohne Bedeutung, wenn dies in irgendeiner deutlichen Form geschähe.
Zu den Einzelheiten Stellung zu nehmen, kann ich mir angesichts des ausgezeichneten Berichts unseres Kollegen Mommer ersparen, der sich durch seinen Eifer und seine Gründlichkeit auf r diesem Gebiet um uns alle ein Verdienst erworben hat. Da brauche ich keine großen Worte mehr zu verlieren.
Aber als jemand, der vielleicht in diesem Hause einer der eifrigsten Benutzer des Interzonenverkehrs ist, möchte ich doch noch zu einigen praktischen Fragen ein paar kurze Bemerkungen hinzufügen. Ich will einmal ausgehen von einem Erlebnis, das ich gerade vor wenigen Tagen an der Zonengrenze hatte. Ein Volkspolizist kontrollierte in meinem Wagen die Kästen, und ich fragte ihn etwas scherzhaft: „Sagen Sie mal um Gottes willen, nach was suchen Sie denn eigentlich?" Darauf erwiderte er mir: „Solange man noch über diese Zustände scherzen kann, da geht es ja noch." Ich fühle mich durch diesen Anruf eines Mannes von der anderen Seite verpflichtet, für den Bundestag festzustellen, daß wir über diese Dinge nicht nur scherzen können, sondern daß wir sie außerordentlich ernst nehmen sowohl in ihrer praktischen Bedeutung als auch in ihren grundsätzlichen Zusammenhängen.
Es bedarf dazu einiger Worte. Wenn ich mit dem Wagen über die Zonengrenze fahre — ich habe das das letzte Mal einmal nachgezählt —, so passiere ich, meine verehrten Kolleginnen und Kollegen, zwölf Kontrollen zwischen hier und Berlin. Ich würde Ihnen trotzdem raten, es sich nicht verdrießen zu lassen und nicht, wie es leider immer noch sehr viele Leute aus einer völlig unbegründeten Angstlichkeit tun, in 2000 m Höhe über dieses deutsche Gebiet hinwegzuhüpfen. Ich würde Ihnen dringend raten, selbst einmal den einen oder andern kleinen Aufenthalt oder den einen oder anderen kleinen Ärger hinzunehmen. Etwas Ernsthaftes ist nie passiert und wird nie passieren, insbesondere uns Kollegen nicht. Es ist von großer Bedeutung, daß wir diese Zustände noch als Realität empfinden, und das kann man nur durch einen unmittelbaren Besuch erreichen.
Wir dürfen sie nicht nur als Phantom kennen, von dem wir durch die Zeitungen und den Rundfunk hören, unter dem wir uns aber nichts Konkretes mehr vorstellen können. Insofern, würde ich meinen, sollten wir uns die Mühe nicht verdrießen lassen, zu fahren.
Es ist nun allerdings unser Wunsch, daß diese Mühe doch etwas gegenüber den heutigen Zuständen verringert wird. Ich möchte vor allen Dingen dringend empfehlen, daß man dem Eisenbahnverkehr wesentlich größere Bedeutung beimißt als dem doch nun einmal leistungsfähigsten und billigsten Mittel der Verbindung. Ich habe den neuen Fahrplan, den uns die Bundesbahn in reizvoller Aufmachung zugestellt hat, mit großem Interesse aufgeschlagen und, ich muß sagen, mit einer großen Enttäuschung wieder geschlossen. Gerade für uns Berliner ist es doch sehr ärgerlich, daß die Bahnverbindungen zwischen Berlin und dem übrigen Deutschland weiter so unzulänglich, und ich möchte
beinahe sagen, so prohibitiv bleiben, wie es bisher leider der Fall gewesen ist. Wenn man von Berlin nach Bonn fährt, wird man nachts um 2 Uhr im Schlafwagen kontrolliert, wenn man nach Frankfurt fährt, um 4 Uhr, und wenn man nach München fährt, auch um 4 Uhr. Das sind Umstände, die es dem vielgeplagten und -beschäftigten Menschen des Geschäftslebens, der Politik oder der Verwaltung einfach unmöglich machen, mit einem solchen Zug zu fahren. Ich würde mir brennend gerne die Fahrt hierher erleichtern und im Schlafwagen fahren. Aber wenn ich mir sage, daß ich um 2 Uhr aus dem Schlafwagen herausgeholt werde, verliert diese Möglichkeit tatsächlich jeden Wert. Ich habe auch nicht den Eindruck, daß die Bundesbahn dort, wo sie vielleicht von sich aus darauf hinwirken könnte, in dieser Beziehung das Letzte getan hat. Es wäre doch beispielsweise sehr wohl möglich, diesen Zug so rechtzeitig in Helmstedt eintreffen zu lassen, daß er zu einer vernünftigen Zeit kontrolliert würde. Ich habe gerade einmal diesen einen Zug vor Augen; man könnte aber genau das gleiche für die anderen Züge sagen. Der Zug fährt nachher von Braunschweig bis Köln 63/4 Stunden, und ein kurze Zeit darauf fahrender, aber nicht mit Anschluß nach Berlin ausgestatteter Zug braucht nur 4 1/2 Stunden. 2 1/4 Stunden wird der Berliner Zug langsamer von Helmstedt hierher gefahren als andere Züge, mit dem Erfolg, daß der Zug nach 10 Uhr auf dem Bahnhof in Bonn ankommt, also zu einer Zeit, wo alle Sitzungen schon angefangen haben. Das ist einfach prohibitiv.
Ich will gar nicht sagen, daß man für die Bundestagsabgeordneten besondere Zugverbindungen schaffen sollte. Aber für den Geschäftsmann gilt genau das gleiche. Ein Geschäftsmann, der nach 10 Uhr hier eintrifft, hat die beste Tageszeit bereits versäumt. Wenn man uns helfen will — und ich habe ja gestern mit großer Freude und Dankbarkeit festgestellt, wie einmütig dieser Wunsch ist, und es liegt mir sehr daran, auch als Berliner den Dank dafür auszusprechen —, dann sollte man das auch bei den Gelegenheiten tun, wo es mit verhältnismäßig geringen Mitteln möglich wäre, eine durchgreifende Besserung der Berliner Situation herbeizuführen.
Dann die Paketfrage. Hier wissen wir, daß wir nicht allein von unserem Willen abhängen. Aber ich möchte doch dringend bitten, daß auch die Bundesregierung versucht, dieser wichtigen Frage durch Verhandlungen in der Interzonenhandelsstelle irgendwie zu Leibe zu rücken.
Meine Damen und Herren, ich weiß nicht, ob Sie darüber unterrichtet sind, daß sich die Ernährungslage im sowjetischen Besatzungsgebiet in der letzten Zeit wieder wesentlich verschlechtert hat. Ich habe gerade von Verwandten gehört, daß es Milch für Personen, die älter sind als neun Jahre, überhaupt nicht mehr gibt. Für Kinder zwischen fünf und neun Jahren gibt es nur Magermilch, und zwar nur einen Viertelliter den Tag. Man kann sich ungefähr vorstellen, was das für Kinder bedeutet. Vollmilch gibt es überhaupt nur noch für Kinder bis zu fünf Jahren. Die Erwachsenen — und Personen, die älter sind als neun Jahre, kann man eigentlich kaum schon als Erwachsene bezeichnen — sind zum großen Teil schon seit 1939 von der Milch entwöhnt. Da treten allmählich Wirkungen ein, von deren weiteren Konsequenzen wir uns sehr schwer eine Vorstellung machen können. Unter diesen Umständen ist jede kleine Hilfe, wie sie die Pakete bedeuten, von größter Wichtigkeit. Ich will gar nicht die moralische Ermutigung anführen, obwohl die nach meiner Kenntnis auch gar nicht gering zu achten ist, sondern es handelt sich um die einfache materielle Unterstützung. Ich habe manchmal den Eindruck, daß wir hier in unserem Wirtschaftswunder noch gar nicht genug von dieser großartigen Möglichkeit Gebrauch machen, unseren Brüdern und Schwestern drüben zu helfen.
Ich darf vielleicht von dieser Stelle aus den dringenden Appell an Sie richten, es sich auch nicht verdrießen zu lassen, wenn wirklich einmal ein Paket danebengeht. Irgendwie kommt es ja dann doch letzten Endes der Ernährung drüben zugute. Aber selbst ohne Rücksicht darauf ist es von größter Wichtigkeit, daß wir es uns geradezu zur Regel machen, in kurzen Abständen etwas zu schicken. Man kann sich vorher darüber verständigen, ob der Betreffende gerade dran ist. Sie dürfen ja zur Zeit nur einmal im Monat ein Paket
bekommen. Aber bei drei, vier Personen in der Familie läßt sich das ganz schön verteilen. Jede Person zählt für sich, und man muß sich bloß ein klein wenig Mühe geben. In all unserem Wohlbefinden und all der schönen neuen Ordnung, die wir geschaffen haben, sollten wir gerade diese dringende Verpflichtung nicht vergessen.
Vielleicht, meine Damen und Herren, wäre es gut, wenn man der Bedeutung des Verkehrs zwischen West- und Mitteldeutschland dadurch Rechnung trüge, daß man der Interzonenhandelsstelle eine Interzonenverkehrsstelle zur Seite stellte. Ich bin mit dem Kollegen Mommer durchaus einig, daß wir eine irgendwie als formelle Anerkennung auszulegende Behandlung der dortigen Behörden unter allen Umständen vermeiden müssen. Aber ich würde — und auch darin stimme ich mit dem Kollegen Mommer überein — da gar nicht so ängstlich sein. Ob die Interzonenhandelsstelle nun auf der Obersekretärsebene oder der Oberregierungsratsebene oder der Ministerialdirektorsebene arbeitet, ist letzten Endes, gemessen an den Problemen, die hier auf dem Spiele stehen, und angesichts der Schwierigkeiten von durchaus untergeordneter Bedeutung.
Nach meiner Kenntnis der Dinge würde manches besser werden, es würde auch manches vermieden werden, wenn die dortigen Stellen sich gezwungen sähen, gleich am nächsten Tage mit den Kollegen von der anderen Seite sich darüber zu unterhalten, was sie da neuerdings wieder angerichtet haben. Es wird gerade durch die kleinen Dinge so viel böses Blut geschaffen und wird so viel für die Entfremdung zwischen einzelnen deutschen Landesteilen getan, daß wir diesen Dingen gar nicht genug Aufmerksamkeit entgegenbringen können. Wir haben das schmerzliche Gefühl, daß man —ich will gar nicht sagen: aus bürokratischen Erwägungen, aber aus einer gewissen politischen Ängstlichkeit heraus — die Möglichkeiten, die hier immer noch gegeben sind, nicht genügend wahrnimmt.
Nun möchte ich doch noch ein paar Worte zu der politischen Seite der Angelegenheit sagen. Ich weiß, wie der Antrag entstanden ist. Er trägt meinen Namen, und das ist eigentlich nicht ganz berechtigt. Der Antrag sollte viel eher den Namen des Kolle-
gen Mommer tragen. Aber er ist nun einmal so entstanden, eigentlich aus einem Zufall heraus. Im Ausschuß für gesamtdeutsche Fragen stand ein Antrag des Kollegen Prinz Löwenstein zur Beratung, und dieser Antrag bezog sich auf den Paß-verkehr mit dem Saarland. Da sagte ich: Wir müssen die uns vorschwebende Ordnung eigentlich nicht nur für das Saarland durchführen, sondern im großen und allgemeinen, und daraus hat sich dieser Antrag entwickelt, der zunächst nur eine Aufforderung an die Bundesregierung darstellen sollte, zu versuchen, die Rechtslage auf diesem Gebiet wiederherzustellen.
Das hat eine tiefere politische Bedeutung, als dem Antrag vielleicht von außen angesehen werden kann. Wir müssen Wert darauf legen — und ich glaube, wir sind uns alle darin einig —, daß das, was in den Jahren 1945 bis 1955 mit Gewalt an einzelnen Stellen unserer Grenzen und innerhalb unseres Landes geschehen ist, von uns nicht anerkannt wird.
Wenn wir so besonderen Wert darauf legen, den sowjetzonalen Behörden nicht die Ehre anzutun, sie als ebenbürtig, als legitim anzusehen. so gilt das für diese ganzen Grenzziehungen mit genau der gleichen Berechtigung. Es besteht für uns einstweilen gar kein Anlaß. völkerrechtlich oder staatsrechtlich zuzugeben. daß diese Demarkationslinien, die mehr oder weniger zunächst durch Zufall auf Grund militärischer Erwägungen entstanden. später vielleicht auch auf Grund recht raffinierter Berechnungen einzelner unserer Nachbarn gezogen worden sind, von uns anerkannt werden.
Ich könnte mir auch denken. daß es bei den Verhandlungen, die einmal dem Friedensvertrag vorausgehen werden, für die Bundesregierung sehr wichtig ist, an dem Ausgangspunkt ganz unverrückt festzuhalten. daß Deutschland einstweilen noch in seinen Grenzen von 1937 besteht und daß keine deutsche Behörde das Recht hat. von dieser grundsätzlichen Voraussetzung abzuweichen.
Das hat auch eine rechtliche Bedeutung. Wer unsere Zeit einmal als Ganzes überblickt, der wird, glaube ich, als am meisten beunruhigendes Symptom die Erschütterung des Rechtsgedankens erkennen,
die auf mancherlei Gebieten festzustellen ist, die sich aber am bedenklichsten und am gefährlichsten in den internationalen Beziehungen entwickelt hat. Dinge, die seit Jahrhunderten in den Beziehungen zwischen den Völkern festzustehen schienen, sind heute in Frage gestellt. In den Beziehungen zwischen den einzelnen Völkern gilt heute nicht mehr das Recht. Es gibt in diesen Beziehungen überhaupt keinen übergeordneten Begriff mehr, sondern es regiert lediglich die Gewalt, es regiert lediglich der augenblickliche Vorteil. Wir sehen mit tiefem Kummer und mit tiefer Fnttäuschung, daß auch Völker, von denen wir annehmen sollten, daß sie unsere Auffassung von der Rechtsordnung teilen, sich aus mehr oder weniger engherzigen und egoistischen Erwägungen im gegebenen Augenblick genauso über die Rechtsgrundsätze hinwergsetzen wie die Völker auf der anderen Seite des Eisernen Vorhangs.
Das ist ein sehr, sehr schmerzlicher und ein sehr gefährlicher Zustand. Wir sollten alles tun, soweit wir dazu überhaupt in der Lage sind, den Gedanken des Rechts in den Beziehungen zwischen den Völkern sehr viel stärker zu betonen, als das bisher der Fall gewesen ist, und uns nicht einfach aus Bequemlichkeitsgründen oder weil es vielleicht unter kurzsichtigen Gesichtspunkten politisch Vorteil zu bringen scheint, davon abdrängen lassen, von dieser Rechtsauffassung auszugehen. Es würde vielleicht manchem unserer Nachbarn ganz angenehm sein, wenn man das fait accompli anerkennte und dann von Koexistenz spräche, die das Geschaffene hinnimmt. In unserer Lage haben wir ein Lebensinteresse daran, daß wir, genau wie die anderen Völker, das, was zum deutschen Staate gehört und auch innerlich mit dem deutschen Staate zusammengehört, nicht mutwillig und freiwillig preisgeben.
Ich glaube auch nicht, daß das für die europäische Einigung gut wäre. Es ist sehr billig, zu sagen, über solche Schwierigkeiten kämen wir im Rahmen der neuen europäischen Einigung hinweg. Eine europäische Einigung, die im einzelnen von Unrechtszuständen ausgeht, wird keine Dauer haben. Wenn wir es nicht fertigbringen, rechtzeitig nach dieser Erkenntnis zu handeln, dann wird eine Jugend heranwachsen, die uns eines Tages tadeln und die vielleicht in einer uns höchst unerwünschten Weise versuchen wird, diese deutschen Forderungen wieder zu verwirklichen. Ich glaube, daß es auch dem ausländischen Interesse, dem Interesse unserer Nachbarn dienen würde, wenn sie den neuen demokratischen Versuch der Deutschen nicht wieder durch eine engherzige Gewaltpolitik stören wollten, sondern diesem neuen deutschen Staat rechtzeitig gewährten, was ihm doch eines Tages gewährt werden muß. Was würde es bedeuten, wenn das wieder einem neuen Hitler gewährt würde, wie das die Franzosen im Saargebiet und die Polen im Korridor haben tun müssen?
Lassen Sie mich mit der Feststellung schließen, daß es unserer Zeit nicht mehr entspricht, Grenzen zu verändern. Unserer Zeit entspricht es, Grenzen aufzuheben und Grenzen nicht mehr gelten zu lassen.
Wir möchten, daß unsere Bundesregierung, soweit sie heute mit ihrer neu gewonnenen Geltung und mit der Kraft, die unsere wirtschaftliche Leistung ihr gewährt, dazu in der Lage ist, sich dafür einsetzt und alles tut, um dort, wo die Grenzen vorläufig noch nicht so geordnet sind, wie wir es wünschen, die Folgen für unser Volk so weit wie möglich zu beseitigen.
Das Wort hat der Abgeordnete Hübner.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Erlauben Sie mir noch wenige Bemerkungen zu den Darlegungen, die einige der Herren Vorredner gemacht haben. Der Herr Staatssekretär hat gesagt, wir hätten wahrscheinlich in der Presse gelesen, daß Verhandlungen mit Dienststellen des Saargebiets über die Postgebühren stattfinden. Hier möchte ich schon eine Beanstandung einflechten: das ist leider eine Praxis, die in letzter Zeit Platz gegriffen hat und die nicht hingenommen werden darf. Es kann nicht hinge-
nommen werden, daß die Vertreter des deutschen Volkes sich über derart wichtige Angelegenheiten aus der Presse unterrichten sollen. Wir fordern, daß wir über solche Vorgänge unmittelbar unterrichtet werden. Übrigens besteht seit einiger Zeit doch auch ein Pressedienst der Bundespost. Mir ist nicht erinnerlich, daß in den Verlautbarungen dieses Pressedienstes etwas über diese Verhandlungen erschienen ist.
Nun zu den sehr wohlwollenden Ausführungen des Herrn Berichterstatters Dr. Mommer darüber, daß die Bundespost insbesondere bei der Regelung der Berlin-Postgebühren recht viel Fingerspitzengefühl entwickelt habe. Ich bedauere außerordentlich, als Vertreter einer Partei, die zur Koalition gehört, im Gegensatz zu diesem Wohlwollen etwas mehr Nüchternheit walten lassen zu müssen. Meine Partei hat vor über einem Jahr den Antrag gestellt, die Berlin-Gebühren der Post auf den Satz von Helmstedt abzustellen; diesem Antrag aber ist bis heute nicht entsprochen worden.
Ich halte das für sehr seltsam und merkwürdig.
Ich muß noch hinzufügen, daß man bei der Behandlung dieses Antrags im Postausschuß unserem Anliegen — im Grunde genommen war es zweifellos ein Anliegen des ganzen Hauses — einigermaßen reserviert gegenübergetreten ist mit dem Hinweis auf etwaige Gebührenverluste und auf die Zuständigkeit des Verwaltungsrats, die ich ja bestritten habe, wie ich vorhin ausführte. Jedenfalls habe ich von einer begeisterten Aufnahme dieses Antrags nichts gespürt. Wir warten nach weit über einem Jahr immer noch auf seine Erledigung.
Bestürzt gemacht hat mich nun allerdings ein Hinweis, den der von mir verehrte Kollege Körner gegeben hat. Er sagte, er habe auf einen Brief hin die Mitteilung bekommen, daß im Postverkehr mit dem Saargebiet die Anordnung der alliierten Behörden berücksichtigt werden müsse. Ich habe das zunächst für unwahrscheinlich gehalten und mich in der Zwischenzeit bei dem Kollegen Körner vergewissert. Tatsächlich hat — Herr Kollege Körner wird mir gestatten, den entscheidenden Satz vorzulesen — der Herr Bundespostminister in seinem Antwortschreiben an den Kollegen Körner ausgeführt: „Im gesamten Postverkehr mit dem Saargebiet müssen auf Anordnung der alliierten Behörden die Bestimmungen und Gebühren für den Auslandspostdienst angewandt werden."
Dieser Brief stammt vom 20. November 1954. Wir haben das Postverwaltungsgesetz, das Gesetz über die Verwaltung der Deutschen Bundespost, bereits seit dem 24. Juli 1953. Seit diesem Tage hat die Bundespost die Gebührenhoheit. Ich verstehe einfach nicht, wie man zu solchen Ausführungen kommen kann. Ist etwa die Bundespost nicht verpflichtet, ein Bundesgesetz auszuführen, und kann sie sich in einer so wichtigen Frage wirklich noch auf längst überwundene Zustände berufen?
Ich wiederhole deshalb zum Schluß meine Bitte um eine lebendigere Behandlung von Angelegenheiten, die an unsere nationalen Fragen rühren. Hier muß wirklich etwas mehr staatspolitisches Bewußtsein im Geist der Verwaltung spürbar werden.
Das Wort hat der Abgeordnete Trittelvitz.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Während im übrigen Deutschland die Entwicklung zu einer Liberalisierung des Verkehrs zwischen Zonen und Ländern einsetzte, erlebten wir mit der Saar das Schauspiel einer immer enger werdenden Abschnürung von den übrigen deutschen Landesteilen. Wir erlebten das auch auf den Gebieten, von denen heute in dem Antrag des Gesamtdeutschen Ausschusses die Rede ist: auf dem Gebiete der Pässe, bei den Fragen des Zolls und der Grenzkontrollen, bei den Fragen von Triptyk und Carnet de Passage und bei vielen kleinen Dingen, von denen wir immer annehmen, sie seien für das politische Geschehen nicht wichtig. Aber wir haben den Eindruck, daß gerade diese kleinen Schikanen, die den Bürger so treffen, den Weg zum Zusammenkommen aller Deutschen erheblich erschweren; wir können uns auch des Eindrucks nicht erwehren, daß seitens der Bundesrepublik der Abschnürung durch Verwaltungsanordnungen nicht genügend Widerstand entgegengesetzt worden ist. Das ist nicht nur bei der Briefmarke so, sondern das ist auch bei der stillschweigenden Anerkennung des Paßzwanges der Fall, der sich in dem Augenblick zwischen Bundesrepublik und Saargebiet entwickelte, als man ,anderwärts zum Abbau solcher Maßnahmen schritt. Damals — es ging ja um den Verkehr zwischen der Bundesrepublik und anderen europäischen und außereuropäischen Ländern mit Pässen und um das gute Vorbild, das die Bundesrepublik mit der Abschaffung des Visumszwanges gab — haben wir erlebt, wie sich die Dinge um die Saar versteiften und wie Saarbrücken höchst schwerfällig war, als es das gute Beispiel sah, das von uns aus gekommen war. Darum haben wir jene einseitige Aufhebung des Paßzwanges nach dem Saargebiet beantragt, die zur Folge haben sollte, daß man dem Beispiel folge. Aber wenn man das dann an der Grenze nicht so macht, wie man es hier in diesem Hause beschlossen hat, dann kann das ja kein gutes Beispiel sein, dann muß es ja dazu kommen, daß jener blau-uniformierte Paßbeamte an der Grenzstelle in Vogelbach nach wie vor hartnäckig nach dem Auslandspaß fragt, wo doch ein Personalausweis genügen sollte. Diese ganze Kontrolle bei dem Grenzübergang, die uns so viel kostbare Zeit nimmt und die im Eisenbahnverkehr 40 bis 45 Minuten auf beiden Seiten der Grenze beansprucht, ist besonders lästig, wo wir doch genau wissen, daß man die Zugkontrollen während der Fahrt durchführen könnte. Aber das wird man vielleicht regeln können.
Entscheidend ist die Frage der Kontrollen beim Grenzübergang mit Kraftfahrzeugen, der Triptyks, die zum Schutze gegen unlautere Einfuhr eingeführt sind, wobei wir glauben, daß andere Kontrollen viel wirksamer verhindern könnten, daß Kraftfahrzeuge ohne Entrichtung des Zolls in die Bundesrepublik eingeführt werden, als das Abstempeln von Carnets de Passage und sonstiger Grenzdokumente.
Im Verkehr mit dem Saargebiet finden wir dann auch noch jenes ominöse ovale Schild an saarländischen Kraftfahrzeugen, jenes „SA", das für die Saar gilt, für dessen Anerkennung es aber keine gesetzlichen Grundlagen gibt; ein Schild, das trotzdem — wir erlebten es praktisch in Kehl und anderwärts — von 'deutschen Zollorganen verlangt
wird, wenn es fehlt. Ja, nicht nur das, magi geht halt hin und sagt zu Saardeutschen, die mit ihrem Kraftfahrzeug über die Kehler Brücke kommen, wenn das „SA"-Schild am Wagen fehle, dann solle man sich doch gefälligst das „F" wie Frankreich beschaffen.
Das sind so ganz kleine Dinge; aber die sind es doch, die die Menschen dort unten völlig aus der Fassung bringen. Wenn sie mit klopfendem Herzen und angesichts des Schwarzwaldes über die Kehler Brücke kommen und sich erholen wollen, dann stürzt sich gleich die Bürokratie über sie und behandelt sie als das, als was sie doch als Deutsche nicht behandelt werden wollen. Dann wird die Sache schwierig, und wir müssen bei ,dieser Gelegenheit schon einige Minuten in Anspruch nehmen, um ganz kurz auch einmal auf diese kleinen Dinge hinzuweisen.
Die Geschichte mit der Briefmarke und dem Porto: Sie haben an der Saar wunderschöne Briefmarken, und wir sollten uns eigentlich ein Beispiel an ihnen nehmen. Es sei zu ihrem Lobe gesagt: diese Vaugirard-Drucke sind etwas Wundervolles. Aber es geht ja nicht um schöne Bilder auf den Briefmarken, sondern es geht darum, wie wir jenem Eindruck wehren können, der bedeutet: Jawohl, die Saar ist Ausland; hier sind es 40 Pfennig, die du kleben mußt!
Müssen wir uns von postalischen Anordnungen der Machthaber von Pankow beschämen lassen, die sich weigerten, Auslandsporto auf die Briefe nach der Saar zu erheben, und die sich durchgesetzt haben? Die Saar-Instanzen haben es aufgegeben, Strafporto zu erheben, weil man in Pankow, Leipzig und Schwerin Inlandsporto auf Briefe an die Saar klebt. Wir sollten uns von ihnen nicht beschämen lassen!
Im übrigen sollten wir bei allen unseren europäischen Bemühungen um Erleichterungen des Verkehrs zwischen allen Ländern nicht die Aufgabe des Abbaus innerdeutscher Grenzen vergessen. Der Antrag des Gesamtdeutschen Ausschusses ist wohl gerade deswegen so wichtig, weil er sich diesmal besonders deutlich mit gesamtdeutschen Angelegenheiten im West en befaßt. Darum ist er hier auch in etwas größerer Breite diskutiert worden, weil wir die Niederreißung von Grenzen an allen Enden Deutschlands forcieren und ein gutes Beispiel geben wollen. Die sogenannten Kleinigkeiten, die wir dabei erledigen können, tragen zur Erfüllung gesamtdeutscher Aufgaben bei.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Reif.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! An sich wäre jetzt nicht mehr notwendig, als daß ich für meine Freunde die Erklärung abgebe, daß wir uns voll und ganz hinter das Programm stellen, das im Ausschuß für Gesamtdeutsche Fragen erarbeitet worden ist. Aber einmal habe ich das Bedürfnis, im Anschluß an die Worte des Herrn Kollegen Friedensburg zu bitten, daß in dieser Diskussion auch von der Bundesregierung ein Wort gesagt wird, damit alle Welt weiß, daß die Regierung
diesen Auftrag des Hauses akzeptiert.
Zweitens möchte ich mir mit Rücksicht auf ' etwas, was in dieser Diskussion gelegentlich mit durchgeklungen ist, doch eine Bemerkung erlauben. Wir fassen dieses Programm auf als eine redliche Bemühung, das Leben unserer Landsleute auf beiden Seiten erleichtern zu helfen. Wir verbinden damit aber weder — und das möchte ich vor allen Dingen nach Westen hin sagen — ein Zugeständnis an die Idee einer Koexistenz im Sinne des Status quo — wir bitten, das keinesfalls so auffassen zu wollen —, noch möchten wir — und auch das klang in der Debatte etwas durch — diese Bemühungen mit rein taktischen Überlegungen belastet wissen.
Meine Damen und Herren, ich möchte ganz offen sein. Wenn wir ein solches Programm aufstellen und die Regierung auffordern, dieses Programm durchzuführen, so meinen wir damit, daß die Regierung wirklich alles tun soll, damit diese Forderungen verwirklicht werden, die im Interesse des Lebens aller Deutschen von uns gestellt werden. Wir denken keinen Augenblick daran, daß wir vielleicht damit nur den Versuch machen könnten oder wollten, die andere Seite ins Unrecht zu setzen. Ich glaube, diese taktische Auffassung der Dinge entspricht einfach nicht der Situation, in der wir uns befinden. Es entspricht auch nicht dem, was unsere Landsleute in der sowjetisch besetzten Zone von uns erwarten.
Ich darf also diese kurzen Ausführungen damit schließen, daß ich versichere, daß meine Freunde, wie Sie alle, hinter der Durchführung dieses Programms stehen und daß wir hoffen, daß damit ein Beitrag geleistet wird, der das Leben der Deutschen in einem Zustand, den wir alle nicht billigen, erleichtert. Wir werden immer bereit sein, in diesem Sinne zu wirken, ohne daß damit irgendwelche außenpolitische Prätentionen verbunden sind. Die Welt muß begreifen, daß ein Volk in einer solchen Lage sehr vieles tun muß, ohne daraus Schlüsse zu ziehen auf Maximen einer Politik, über die wir uns ja morgen unterhalten wollen, die aber unmittelbar damit gar nichts zu tun haben; es sei denn, daß wir vielleicht zu unserem kleinen Teil dazu beitragen können, die Atmosphäre zu verbessern, und das wäre immerhin auch schon etwas wert.
Das Wort hat der Staatssekretär im Bundesministerium für gesamtdeutsche Fragen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Durch mehrere der Herren Abgeordneten, insbesondere durch Herrn Prof. Friedensburg und Herrn Abgeordneten Dr. Reif ist der Wunsch geäußert worden, daß die Bundesregierung in der heutigen Sitzung zu dem Bericht des Gesamtdeutschen Ausschusses Stellung nimmt. Ich bedaure, daß die Herren Bundesminister durch eine dringende Kabinettssitzung im Augenblick verhindert sind, hier teilzunehmen. Ich darf aber namens der verschiedenen durch diesen Ausschußbericht angesprochenen Ressorts hier erklären, daß die Bundesregierung sich selbstverständlich mit größter Intensität bemüht, die in diesem Ausschußbericht zum Ausdruck gekommenen Wünsche zu erfüllen.
Der Herr Berichterstatter, Abgeordneter Dr. Mommer, war so liebenswürdig, in seinem Bericht an-
zuerkennen, daß die Ressorts der Bundesregierung bei den sehr eingehenden Beratungen dieser Materie nach Kräften mitgearbeitet haben. Ich darf hier hinzufügen, daß dies selbstverständlich das absolut Normale war; denn die in dem Antrag des Herrn Professor Friedensburg und in der sehr eingehenden Behandlung durch den Gesamtdeutschen Ausschuß zum Ausdruck gekommene Meinung, daß alles nur Menschenmögliche geschehen muß, um die Beziehungen zwischen den Menschen im Gebiet der Bundesrepublik und in den anderen deutschen Landesteilen, insbesondere in der Sowjetzone, so eng zu gestalten, wie es nur irgendwie möglich ist, ist das übereinstimmende Anliegen der Bundesregierung und des Hohen Hauses.
Ich nehme nicht an, daß die Herren Abgeordneten, die sich soeben an die Bundesregierung gewandt haben, erwarten, daß nunmehr zu den sehr zahlreichen Einzelheiten, die in diesem Bericht zusammengefaßt sind, Stellung genommen wird. Das ist zum Teil schon in den Ausschußberatungen geschehen In diesen Ausschußberatungen hat sich in vielen Fällen das Erfreuliche ergeben, daß bestimmte Dinge, die dort als Forderung aufgestellt wurden, schon in einem gewissen Umfang realisiert worden sind. Die Bundesregierung wird sich weiterhin bemühen, alle nur gangbaren Wege zu gehen, um den menschlichen Kontakt auf allen Gebieten zwischen den abgetrennten Teilen des deutschen Landes und der Bundesrepublik herzustellen.
Wird weiter das Wort gewünscht? — Das ist nicht der Fall. Damit ist Punkt 2 a erledigt.
Zu Punkt 2 b ist abzustimmen über die Drucksache 1325. Wer dem Ausschußbericht zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Einstimmig angenommen.
Ich rufe auf Punkt 3 der Tagesordnung:
Erste Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über die Verjährung von deutschen Auslandsschulden und ähnlichen Schulden .
Auf Begründung und Aussprache wird verzichtet. Ich schlage vor Überweisung an den Ausschuß für Rechtswesen und Verfassungsrecht — federführend — und an die Ausschüsse für Finanz- und Steuerfragen sowie für Geld und Kredit zur Mitberatung. — Widerspruch erfolgt nicht; es ist so beschlossen.
Ich rufe auf Punkt 4 der Tagesordnung:
a) Zweite und dritte Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über Todeserklärungen nach der Konvention der Vereinten Nationen vom 6. April 1950 über die Todeserklärung Verschollener ;
Mündlicher Bericht des Ausschusses für Rechtswesen und Verfassungsrecht (Drucksache 1362)
;
b) Zweite und dritte Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über den Beitritt der Bundesrepublik Deutschland zu der Konvention der Vereinten Nationen vom 6. April 1950 über die Todeserklärung Verschollener ;
Wird noch das Wort gewünscht? — Das ist nicht der Fall. Dann schlage ich Ihnen vor, die beiden vorliegenden Anträge an den Ausschuß für Sozialpolitik — federführend — und zur Mitberatung an den Haushaltsausschuß zu überweisen. — Widerspruch erfolgt nicht; es ist so beschlossen.
Ich stelle Punkt 5 der Tagesordnung zurück und rufe auf Punkt 6 der Tagesordnung:
Beratung des Mündlichen Berichts des Ausschusses für Wahlprüfung und Immunität betreffend Genehmigung zum Strafverfahren gegen den Abgeordneten Elsner gemäß Schreiben des Bundesministers der Justiz vom 20. Januar 1955 (Drucksache 1242).
Das Wort als Berichterstatter hat der Abgeordnete Freiherr Riederer von Paar.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die vorliegende Angelegenheit war schon auf der Tagesordnung der 74. Sitzung dieses Hauses und wurde damals auf Grund interfraktioneller Vereinbarung abgesetzt, da angeblich noch weiteres Material vorgelegt werden sollte. Dieses Material ist nicht zum Vorschein gekommen, und der Immunitätsausschuß hat es deshalb nicht für erforderlich gehalten, nochmals in eine Erörterung der Angelegenheit einzutreten. Er ist bereits in einer früheren Sitzung, die der 74. Vollsitzung vorausgegangen war, zu dem Ergebnis gekommen, eine Ablehnung des Antrags des Oberstaatsanwalts Braunschweig, die Immunität des Abgeordneten Elsner aufzuheben, zu empfehlen.
Dem Abgeordneten Elsner wird vorgeworfen, er habe im Oktober 1933 als Landrat in Rosenberg/ Oberschlesien einen Rechtsanwalt festsetzen lassen und ihn drei Tage lang ohne Verhör festgehalten. Der Abgeordnete Elsner wendet demgegenüber ein, die Verhaftung sei auf Veranlassung der Gestapo erfolgt, die damals bereits dafür zuständig gewesen sei. Er habe sich sofort um die Freilassung bemüht, und es sei ihm in der Tat gelungen, schon nach drei Tagen die Freilassung dieses Rechtsanwalts zu erreichen.
Der Ausschuß hat erwogen, daß die ganze Angelegenheit zweifellos in der politischen Sphäre liegt — die Stellung des Landrats war damals eine ausgesprochen politische, und auch der Grund für die Verhaftung war ein politischer —, und hat aus diesem Grunde einer Aufhebung der Immunität des Abgeordneten Elsner nicht zustimmen können.
Der Ausschuß schlägt Ihnen vor, den Antrag auf Aufhebung der Immunität des Abgeordneten Elsner abzulehnen.
Ich danke dem Herrn Berichterstatter. Wird das Wort gewünscht? — Das ist nicht der Fall.
Das Wort als Berichterstatter hat der Abgeordnete Müser.
Der Ausschuß hält zwar nach dem Vorbringen des Privatklägers den Tatbestand des § 187 des Strafgesetzbuches für nicht erfüllt, da keine ausreichenden Tatsachen vorgetragen worden sind, aus denen sich ergibt, daß hier wider besseres Wissen eine Äußerung gemacht worden ist. Aber auch wenn man die Erfüllung des Tatbestandes als gegeben unterstellte, wäre der Sachverhalt nach Art. 46 Abs. 1 Satz 2 zu beurteilen. Der Strafausschließungsgrund, also der Indemnitätsfall des Art. 46 Abs. 1 Satz 1 liegt dann nicht vor, wenn es sich um einen Fall einer verleumderischen Behauptung handelt. Ob eine solche Beleidigung vorliegt, kann aus grundsätzlichen Erwägungen nach Auffassung des Ausschusses in Übereinstimmung mit den einschlägigen Kommentaren zum Grundgesetz nur durch die ordentlichen Gerichte festgestellt werden. Diese Feststellung ist den ordentlichen Gerichten, also dem Strafgericht, nur möglich, wenn als Prozeßvoraussetzung die Genehmigung zur Durchführung des Strafverfahrens vorliegt.
So kommt der Ausschuß zu dem Ergebnis, daß der hier vorliegende Fall ausschließlich unter dem Gesichtspunkt der etwaigen Aufhebung der Immunität nach Art. 46 Abs. 2 des Grundgesetzes zu prüfen ist, und in diesem Sinne hat der Ausschuß die Prüfung unternommen. Er hat sich die Frage vorgelegt, ob nach den bisherigen Grundsätzen, die in diesem Hohen Hause für die Erteilung der Genehmigung zur Durchführung des Strafverfahrens entwickelt worden sind, im vorliegenden Fall die Genehmigung zu erteilen ist. Ich darf hierzu auf die Ausführungen, die der Abgeordnete Dr. von Merkatz in der 14. Sitzung des 1. Bundestages über politisch infizierte Verfahren gemacht hat, verweisen. Es handelt sich hier um ein Verfahren politischen Charakters, um ein Strafverfahren, das durch Äußerungen veranlaßt worden ist, die politische Werturteile enthalten. Nach den Grundsätzen, zu denen sich das Hohe Haus bisher stets bekannt hat, ist die Genehmigung zum Strafverfahren nicht zu erteilen.
Ich möchte Sie deshalb namens des Ausschusses für Immunität bitten, durch die Zustimmung zur Drucksache 1365 die Genehmigung zum Strafverfahren nicht zu erteilen.
Ich danke dem Herrn Berichterstatter. Wird das Wort gewünscht? — Das ist nicht der Fall.
Dann stimmen wir ab. Wer für die Annahme des Ausschußantrages ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Bei einigen Enthaltungen angenommen.
Ich rufe auf Punkt 16:
Beratung des Antrags des Präsidenten des Bundesrechnungshofes betreffend Rechnung des Bundesrechnungshofes für das Rechnungsjahr 1953 — Einzelplan 20 — .
Der Ältestenrat war der Meinung, daß diese Sache ohne besondere mündliche Begründung und ohne Aussprache erledigt werden sollte. Ist das Haus damit einverstanden? — Das ist der Fall.
Der Antrag lautet — ich will ihn doch verlesen —
An den Herrn
Präsidenten des Deutschen Bundestages
Hiermit überreiche ich gemäß § 108 Abs. 3 der Reichshaushaltsordnung die Rechnung und die Gesamtrechnung (Anlage 2) über den Haushalt des Bundesrechnungshofes — Einzelplan 20 — für das Rechnungsjahr 1953 mit der Bitte, die Entlastung durch den Bundestag herbeizuführen.
Die Rechnung ist von mir gemäß § 88 Abs. 4 der Reichshaushaltsordnung geprüft worden. Den Herrn Präsidenten des Bundesrates habe ich gleichzeitig gebeten, die Entlastung durch den Bundesrat herbeizuführen.
Das Hohe Haus hätte zu beschließen, ob es Entlastung erteilt. Die Frage, die an das Hohe Haus gerichtet ist, ist also — ich wiederhole es —, ob das Hohe Haus Entlastung erteilen will. Wer dafür ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Ich stelle einstimmige Annahme dieses Antrages fest.
Punkt 17:
Beratung des Mündlichen Berichts des Ausschusses für Besatzungsfolgen über den Antrag der Abgeordneten Wehking, Frau Dr. Steinbiß, Kunze (Bethel) und Genossen betreffend Hilfsmaßnahmen für Bad Oeynhausen (Drucksachen 1349, 1161).
Berichterstatter ist der Abgeordnete Dr. Zimmermann. Ich erteile ihm das Wort zur Berichterstattung.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Am 27. Januar 1955 wurde die Drucksache 1161 dem Ausschuß für Besatzungsfolgen und dem Haushaltsausschuß von diesem Hohen Hause zur Beratung und Berichterstattung überwiesen. In dem Antrag handelt es sich um Hilfsmaßnahmen für Bad Oeynhausen, das nach fast zehnjähriger Besetzung im Zuge der Verlegung des britischen Hauptquartiers der Rheinarmee nach Mönchengladbach wieder freigegeben wurde und nunmehr seinem ursprünglichen Aufgabenbereich zugeführt werden soll. Wenn man die Größe der anfallenden Aufgaben ermessen will, muß man sich einige Zahlen des bisherigen Zustandes vor Augen halten.
Im Jahre 1945 wurden beschlagnahmt: Hotels und Gaststätten 23, Fremdenheime und Pensionen 126, Gewerbebetriebe und Ladengeschäfte 185, Wohngebäude und Einfamilienhäuser 591, Krankenhäuser, Kliniken, Kurheime usw. 6, staatliche Kureinrichtungen 23, öffentliche Gebäude, Schulen usw. 21, sonstige Grundstücke 186, so daß 1100 Objekte in diesem Staatsbad Oeynhausen erfaßt worden sind. 6500 Einwohner von Bad Oeynhausen mußten ihre Wohnungen räumen, und 70 % des gesamten Stadtgebietes wurden verdrahtet und damit gewissermaßen von der Stadt und den Beziehungen zu der Bevölkerung abgeschnitten. Der Kurbetrieb, einst die tragende Säule des Bades Oeynhausen, kam vollständig zum Erliegen. Die Bettenzahl sank auf ein Minimum. Sie beträgt zur Zeit einige hundert und soll langsam wieder auf zweitausend heraufgebracht werden.
Es ist selbstverständlich, daß mit der schlagartigen Räumung eine große Zahl von Fragen aufkam und daß für den Ausschuß die Gefahr entstand, eine Lex Oeynhausen zu schaffen, die dann präjudizierend für das gesamte Bundesgebiet gewesen wäre. Aber mit einer derartigen Lex Oeynhausen hätte der Ausschuß den Rahmen der Drucksache 1161 weit gesprengt. Er mußte sich auf den Aufgabenkreis beschränken, der ihm von diesem Hohen Hause mit der Drucksache zugewiesen war.
Der Punkt 1 der Drucksache, die Nutzungsvergütungen statt bisher für drei Monate für sechs Monate zu gewähren, wurde zwischenzeitlich vom Bundesfinanzminsterium erledigt, so daß dieser Punkt nicht mehr vom Ausschuß behandelt zu werden brauchte. Es stellte sich aber als sehr wesentlich heraus, daß oftmals die Kredite und die Sachentschädigungen nicht ausreichten, eine Neuanschaffung des Inventars sowie auch eine Änderung der Wohngebäude in den alten Zustand zu gewährleisten.
Aus diesem Grunde ist Ihnen im Mündlichen Bericht Drucksache 1349 unter Punkt 1 der Antrag vorgelegt worden und wird ihnen zur Annahme empfohlen, daß das Bundesfinanzministerium über die bisherigen Richtlinien seiner Anweisungen im Einzelfall bei wirklicher Not und im wirklichen Bedarfsfall hinausgehen kann. Mit dieser Regelung glauben wir den größten Anforderungen, die von Bad Oeynhausen kommen, einigermaßen entsprechen zu können und das Bad wieder seinem alten Aufgabenbereich zuzuführen.
Seinerzeit ist von der Kollegin Meyer-Laule bei dem Besuch eines Arbeitsausschusses anläßlich einer Besichtigung in Bad Oeynhausen das Wort geprägt worden, es handele sich um eine so große Aufgabe, daß sie außerhalb der Meinungsverschiedenheiten der politischen Parteien liege und daß alle politischen Parteien in diesem Sinne die Lösung mit durchführen sollten.
Ich möchte Ihnen daher im Auftrage des Ausschusses die Annahme des Antrags Drucksache 1349 empfehlen.
Ich danke dem Herrn Berichterstatter.
Soeben wird mir ein Änderungsantrag überreicht. Es wird wohl genügen, wenn ich ihn verlese.
— Er wird ja wohl begründet werden. Es heißt dort:
Der Bundestag wolle beschließen,
in Nr. 1 des Ausschußantrages nach den Worten „Bad Oeynhausen" die Worte „und Bad Eilsen" einzufügen.
Herr Kollege Wahl, Sie wünschen das Wort? — Ich erteile Ihnen das Wort zu diesem Antrag.
Ich bitte, den Änderungsantrag dem Ausschuß für Besatzungsfolgen zu überweisen; denn was für Bad Eilsen gilt, gilt auch noch für eine Reihe von anderen Badeorten und Orten, in denen jetzt eine große Anzahl von Hotels freigegeben wird. Es ist aus diesem Grunde wichtig, daß der Ausschuß darüber noch einmal berät.
Ich bitte also, den Ausschußantrag ohne Änderung anzunehmen.
Meine Damen und Herren, ich komme da in eine Verlegenheit; denn ich kann nicht gut einen Änderungsantrag an den Ausschuß überweisen lassen und über den Antrag des Ausschusses, der geändert werden soll, materiell abstimmen lassen. Das geht nicht. Dann muß eben die ganze Sache noch einmal an den Ausschuß zurück.
— Das geht nicht; ich kann nicht den Änderungsantrag allein an den Ausschuß überweisen. Dann muß man diesen Änderungsantrag als einen selbständigen Antrag behandeln. Die Antragsteller müssen also in einem selbständigen Antrag darum bitten, daß Hilfsmaßnahmen, wie sie für Bad Oeynhausen beschlossen werden sollen, auch Bad Eilsen zugute kommen. Darf ich den Wort- oder Schriftführer der Herren Antragsteller bitten, sich vielleicht dazu zu äußern. Wollen Sie so verfahren?
— Dann ziehen Sie diesen Antrag insoweit zurück, als er ein Änderungsantrag zum Ausschußantrag ist, und Sie behalten sich vor, einen besonderen Antrag einzureichen. Dann brauchen wir über diesen Änderungsantrag nicht abstimmen zu lassen, sondern nur noch über den Ausschußantrag.
Wortmeldungen liegen nicht vor. Wer für die Annahme des Ausschußantrags ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Ich stelle einstimmige Annahme fest.
Meine Damen und Herren, ich muß um Entschuldigung bitten. Ich habe bei Punkt 16 der Tagesordnung — betreffend Rechnung des Bundesrechnungshofes — einen Fehler gemacht. Ich habe übersehen, daß der Ältestenrat der Meinung war, die Sache sollte an den Haushaltsausschuß überwiesen werden, was offenbar auch sachlich richtig ist. Ich muß Sie bitten, den gefaßten Beschluß, Entlastung zu erteilen, wieder aufzuheben und zu beschließen, die Vorlage an den Haushaltsausschuß zu verweisen. Sind Sie damit einverstanden?
— Dann ist so beschlossen. Ich danke Ihnen.
Dann rufe ich auf Punkt 15 der Tagesordnung, der zurückgestellt worden war:
Beratung des Mündlichen Berichts des Ausschusses für Geschäftsordnung über den Antrag der Fraktionen der CDU/ CSU, FDP, GB/BHE, DP betreffend Ergänzung der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages (Drucksachen 1376, 1299).
Der Abgeordnete Ritzel verzichtet auf mündliche Berichterstattung. Ist das Haus bereit, die Sache ohne mündliche Berichterstattung zu behandeln?
— Das ist der Fall. Wird zur Drucksache 1376 das Wort gewünscht? — Das ist wohl nicht der Fall. Wer für die Annahme des Ausschußantrags ist, den bitte ich um das Handzeichen. --- Gegenprobe! — Enthaltungen? — Ich stelle einstimmige Annahme fest.
— Ich verbessere mich: einige Mitglieder des Hauses wollen sich offenbar der Stimme enthalten.
Dann kommen wir zu Punkt 18 der Tagesordnung:
Beratung des Antrags der Fraktion des GB/ BHE betreffend Durchführung des Kriegsgefangenenentschädigungsgesetzes .
Zur Begründung des Antrags hat das Wort der Abgeordnete Petersen.
Petersen , Antragsteller: Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Seit der Verabschiedung des Kriegsgefangenenentschädigungsgesetzes durch den 1. Deutschen Bundestag am 2. Juli 1953 sind mehr als 22 Monate vergangen. Aber im Geiste einer echten, sozial verpflichteten Volksgemeinschaft, wie er diesem Gesetz damals mit auf den Weg gegeben wurde, bleibt noch viel zu wünschen übrig. Auch der 2. Deutsche Bundestag hat sich schon mehrfach mit den Sorgen und Problemen der heimgekehrten Kriegsgefangenen befassen müssen. So hat er sich am 11. November 1953 noch einmal, und zwar eindeutig, dazu bekannt, daß den Kriegsgefangenen echte Rechtsansprüche auf die für die erlittene Kriegsgefangenschaft zu zahlenden Entschädigungen zustehen und daß die Zahlungen nicht von der wirtschaftlichen Bedürftigkeit des einzelnen abhängig gemacht werden dürfen.
Dies noch einmal ins Gedächtnis zurückzurufen, erscheint notwendig in einem Augenblick, in dem der Herr Bundesfinanzminister die bisherige Nichtdurchführung des zweiten Abschnitts des Kriegsgefangenenentschädigungsgesetzes zu erklären versucht. Er sagt, er schätze die in dem Gesetz vorgesehenen fakultativen Leistungen höher ein als die dort zwingend vorgeschriebenen Entschädigungszahlungen. Weiter sagt er, er habe zur Erfüllung weiterer Verpflichtungen keine Mittel im Haushalt. Es besteht wohl einmütige Meinung darüber, daß man die Pflichtzahlungen von 1 Mark pro Tag für die in den Jahren 1947 und 1948 verbrachte Zeit der Kriegsgefangenschaft und von 2 Mark pro Tag für die in den folgenden Jahren verbrachte Zeit der Kriegsgefangenschaft nicht als eine echte Entschädigung für die Leiden in dieser Zeit, für die gesundheitliche Schädigung und für die für den Beruf beste, nun aber verlorene Lebenszeit ansehen kann. Diese Zahlungen sind im besten Falle eine unterstützende Beihilfe des Staates, die den Kriegsgefangenen helfen soll, die Schäden der Vergangenheit zu überwinden und für die Eingliederung in das Wirtschaftsleben eine befriedigende Ausgangsbasis zu erhalten.
Um das letzte Ziel, die Eingliederung der Heimkehrer in das Wirtschaftsleben, zu erreichen, hätte aber auch der zweite Abschnitt des Gesetzes schnell verwirklicht werden müssen. Er sieht in seinen §§ 28 ff. die Bereitstellung von Mitteln für Existenzaufbaudarlehen, für Wohnraumdarlehen und für Beihilfen zur Hausratsbeschaffung vor. Hierfür ist in den vergangenen 22 Monaten aber nichts getan worden. Weder im Haushalt für das Rechnungsjahr 1954/55 wurden Mittel eingesetzt noch ist im laufenden Haushaltsjahr dafür bisher auch nur eine D-Mark vorgesehen. Die Heimkehrer konnten zwar auf dem Wege über den § 3 der Zweiten Leistungsdurchführungsverordnung zum Lastenausgleichsgesetz aus dem Lastenausgleichshärtefonds Darlehen erhalten, aber diese Hilfsmöglichkeit läuft jetzt aus, nachdem der Herr Präsident des Bundesausgleichsamtes die Landesausgleichsämter angewiesen hat, vom 1. Oktober 1955 ab aus dem Härtefonds Aufbaudarlehen für die Spätheimkehrer
nicht mehr zu bewilligen. Diese Entscheidung wird ausdrücklich damit begründet, daß das Kriegsgefangenenentschädigungsgesetz nunmehr über ein Jahr in Kraft sei und in ihm die Gewährung solcher Darlehen vorgesehen sei. Wenn deshalb nicht die ganze sozialpolitische Zielsetzung des Kriegsgefangenenentschädigungsgesetzes gefährdet werden soll, müssen sofort Mittel bereitgestellt werden.
Nach den angestellten Berechnungen des Bundesministers für Vertriebene, Flüchtlinge und Kriegssachgeschädigte ist im laufenden Haushaltsjahr zur Erfüllung der Verpflichtungen aus dem Zweiten Abschnitt des Gesetzes ein Mindestbetrag von 70 Millionen DM notwendig. Davon werden rund 35 Millionen DM für Existenzaufbaudarlehen, 30 Millionen DM für Wohnraumdarlehen und rund 5 Millionen DM für Hausratsbeihilfen erforderlich sein. Man wird davon ausgehen müssen, daß die Beträge für Existenzaufbaudarlehen und Wohnraumdarlehen gegenseitig übertragbar sein sollen, damit ein interner Ausgleich je nach dem stärkeren Bedarf der einen oder anderen Gruppe erfolgen kann. Wir dürfen nicht übersehen, daß von dieser Summe von 70 Millionen DM 65 Millionen DM Darlehen sind, die also eines Tages wieder an die Staatskasse zurückfließen, und daß nur 5 Millionen DM Mittel sind, auf die man endgültig verzichten muß.
Die dem Hohen Hause heute obliegende Entscheidung geht weit über die finanziellen Erwägungen hinaus. Hier ist die echte politische Frageangesprochen, ob der Deutsche Bundestag es mit seinem Ansehen vereinbaren kann, daß ein Gesetz 22 Monate nach seiner Verabschiedung in einem wesentlichen Teil bisher nicht ausgeführt werden konnte, weil die Mittel hierfür nicht bereitgestellt wurden.
Der Herr Bundeskanzler hat am 31. März 1955 im Zusammenhang mit der Saardebatte in diesem Hohen Hause — ich darf mit Genehmigung des Herrn Präsidenten zitieren — folgendes erklärt:
Es erscheint uns unmöglich, ein Bundesgesetz, das in drei Lesungen vom Bundestag genehmigt ist, das den Bundesrat passiert hat, durch die Bundesregierung bis auf weiteres auf Eis zu legen.
Diese klare und begrüßenswerte Stellungnahme des Herrn Bundeskanzlers gilt natürlich für alle Gesetze, auch für das Kriegsgefangenenentschädigungsgesetz.
Der Herr Bundesfinanzminister kann sich nicht darauf berufen, daß es sich bei den im Abschnitt II des Kriegsgefangenenentschädigungsgesetzes vorgesehenen Maßnahmen um Kann-Leistungen im Rahmen der vorhandenen Haushaltsmittel handelt; es besteht wohl im Hinblick auf den Kreis der Betroffenen, der vom Schicksal so hart beschwerten Kriegsgefangenen, kein Zweifel, daß man nicht gesetzlich Kann-Leistungen vorsehen kann, die man in absehbarer Zeit nicht erbringen kann. Die Kriegsgefangenen haben nicht nur für sich, sondern für das ganze deutsche Volk so außerordentliches Leid ertragen müssen, daß sie nicht nur unser ganzes Mitgefühl, sondern auch unsere tatbereite Hilfe verdienen. Der Dank des Vaterlandes liegt weniger in Worten als in Taten, und hier bleibt uns noch Entscheidendes zu tun.
Wenn wir eine neue Wehrmacht aufbauen, dann dürfen wir erst recht nicht die Probleme sozialer
Not der Opfer des letzten Krieges vergessen. Die Verwirklichung der sozialen Gerechtigkeit für sie sollte die vordringliche Aufgabe einer klugen Staatsführung sein. Den Krieg haben wir alle gemeinsam verloren; so sind wir auch zur Tragung seiner Lasten gemeinsam verpflichtet.
Ich darf mit Genugtuung feststellen, daß der Haushaltsausschuß bei seinen Beratungen einmütig die Notwendigkeit der Bereitstellung von Mitteln für die Erfüllung der Verpflichtungen aus Abschnitt II des Kriegsgefangenenentschädigungsgesetzes anerkannt hat, daß er die Entscheidung hierüber aber als eine politische Entscheidung ansieht, die das Plenum fällen muß. Wir haben in diesen Tagen vernommen, daß der Herr Bundesfinanzminister im Bundeskabinett seine Bereitschaft erklärt hat, der Einsetzung von 70 Millionen DM in den Haushaltsplan des laufenden Etatsjahres in Kap. 4010 zuzustimmen. Wir nehmen dankbar davon Kenntnis und hoffen, daß der Herr Bundesfinanzminister seine Bereitschaft auch vor diesem Hause bestätigen wird.
Die heimgekehrten Kriegsgefangenen können es nicht mehr verstehen; sie sehen, mit welcher Langmut die Neuordnung ihrer sozialen und wirtschaftlichen Lebensgrundlage bisher behandelt wurde. Sie erwarten vom Deutschen Bundestag Hilfe. Nur dann, wenn wir ihnen dadurch helfen, daß auch die Verpflichtungen aus dem zweiten Abschnitt des Kriegsgefangenenentschädigungsgesetzes erfüllt wenden und damit ihre soziale und wirtschaftliche Eingliederung in das Leben unseres Volkes gesichert wird, werden die zurückgekehrten Kriegsgefangenen wirklich heimgekehrt sein.
Ich bitte deshalb namens der Fraktion des Gesamtdeutschen Blocks/ BHE ,das Hohe Haus, zu beschließen, die Bundesregierung zu ersuchen, für die Durchführung des Abschnitts II des Kriegsgefangenenentschädigungsgesetzes die notwendigen Haushaltsmittel in Höhe von rund 70 Millionen DM durch den Herrn Bundesminister der Finanzen bereitzustellen, und bitte weiter, den Antrag Drucksache 1374 dem Haushaltsausschuß zu überweisen mit der Auflage, in Kap. 40 10 des Bundeshaushaltsplans für das Rechnungsjahr 1955/56 den Betrag von 70 Millionen DM einzusetzen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich eröffne die Aussprache.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Stammberger.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Über dem Kriegsgefangenenentschädigungsgesetz hat von allem Anfang an kein glücklicher Stern gestanden.
Das zeigte sich schon bei der Beratung und der Beschlußfassung über dieses Gesetz, bei der sehr viele Widerstände aller Art zu überwinden waren. Dann begann die siebenmonatige Tragödie um die Frage der Verkündung dieses Gesetzes, und es hat erst eines sehr erheblichen Druckes des gesamten Hauses bedurft, bis das Gesetz endlich Wirklichkeit wurde. Dann begann das Bemühen um die erste Novelle, um nach dieser gewaltigen Verzögerung wenigstens die Laufzeit des Gesetzes in Gang zu setzen. Und nun erleben wir von Haushaltsjahr zu Haushaltsjahr den Kampf um die Bereitstellung
der Mittel, die notwendig sind, um dieses nun einmal verkündete Gesetz auch wirksam zu machen.
Meine Damen und Herren, der Herr Bundesfinanzminister Schäffer soll gesagt haben, der Abschnitt II — um den es ja bei den hier beantragten Mitteln geht — sei ihm noch lieber als der Abschnitt I. Ich möchte das durchaus unterstreichen. Denn gerade in diesem Abschnitt II werden ja erst die Möglichkeiten geschaffen, dem Heimkehrer zu helfen und ihn nach den langen Jahren der Gefangenschaft durch Unterstützung bei der Berufsausbildung, bei der Existenzgründung, bei der Beschaffung von Wohnraum und dergleichen mehr wieder in das familiäre und in das berufliche Leben zurückzugliedern.
Die Pannen, die gerade bei diesem Gesetz in der Gesetzgebung passiert sind, sind zahlreich gewesen wie wohl kaum zuvor bei irgendeinem Gesetz, das der Bundestag bisher erlassen hat, und wohl auch bei irgendeinem Gesetz, das er noch erlassen wird. Ich bin der Meinung, wir sollten nun mit allem Nachdruck darauf dringen, daß damit endlich Schluß ist und daß dieses Gesetz nun so durchgeführt wird, wie es der Wille 'des gesamten Hauses war.
Daß es solche Pannen gerade bei diesem Gesetz gegeben hat, ist um so bedauerlicher, als das Kriegsgefangenenentschädigungsgesetz die Visitenkarte unseres freien und demokratischen Staates sein soll gegenüber Menschen, die jahrelang —ich möchte fast sagen, jahrzehntelang, wenn man Drittes Reich und die Jahre der Gefangenschaft zusammenzählt — unter der Diktatur und in der Unfreiheit gelebt halben und deren erster Eindruck von der gegenteiligen Staatsform infolge der Behandlung dieses ,Gesetzes nun weiß Gott alles andere als glücklich ist.
Der Verband der Heimkehrer als das Sprachrohr der Kriegsgefangenen hat in den vergangenen Jahren stets eine sehr positive Einstellung zu unserem Staat gezeigt und ein, ich möchte fast sagen, übergroßes Maß an Verständnis für die gesetzgeberischen und finanziellen Schwierigkeiten bewiesen, die bei dem Erlaß und der Durchführung dieses Gesetzes zu lösen waren. Dieses Verständnis hätte oft vorbildlich sein können für manche anderen Organisationen, die mit teilweise untragbaren und unerfüllbaren Forderungen ständig den Bundestag überfallen. Dieses Verständnis haben diese Heimkehrer trotz der Nackenschläge bewahrt, die sie ununterbrochen durch die durchaus vermeidbaren Pannen, die hier entstanden sind, erhalten haben. Aber man soll den Bogen nicht überspannen,
und man soll in diesen Leuten nicht das Gefühl aufkommen lassen, daß eine Radikalisierung notwendig ist, um den Bundestag und die Bundesregierung an eine soziale Verpflichtung zu erinnern, die sie sich selbst bereits durch den Erlaß des Gesetzes auferlegt haben.
Meine Damen und Herren, man kann aus diesen Tatsachen verschiedene Folgerungen ziehen. Man kann einmal versuchen, der Bundesregierung damit eins ,auszuwischen. Man kann zum zweiten versuchen, auf das eigene soziale Banner zu zeigen und gegenüber anderen Gruppen dieses Hauses den Vorwurf zu erheben, daß man das alles so hat geschehen lassen. Man kann aber auch noch etwas anderes tun, und ich bin der Meinung, daß das der richtige Weg ist. Der Herr Kollege Euler hat als Sprecher der FDP-Fraktion bereits in der ersten Lesung des Gesetzes darauf hingewiesen, daß dieses Gesetz der Niederschlag einer sehr erfreulichen Gemeinschaftsarbeit sei und aus dem Bemühen aller Fraktionen entstanden sei. Dazu sollten wir uns auch heute bekennen: zu dem gemeinsamen Bemühen um Hilfe für die Menschen, die die unsagbare Härte des Krieges noch Tag für Tag zu spüren bekamen, als für uns alle der Krieg schon jahrelang zu Ende war. Das war der Wille des gesamten Bundestages, und das soll und muß er auch bleiben. Dieser Wille sollte auch im Haushaltsplan seinen sichtbaren Ausdruck finden. Meine politischen Freunde und ich stimmen daher dem vorliegenden Antrag zu.
Das Wort hat der Abgeordnete Merten.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Stammberger hat mit Recht darauf hingewiesen, daß uns nur noch wenige Wochen von dem Tag trennen, an dem vor zwei Jahren der 1. Bundestag das Kriegsgefangenenentschädigungsgesetz beschlossen hat. Er hat damit natürlich etwas gewollt, daß nämlich den ehemaligen Kriegsgefangenen und ihren Familien Gerechtigkeit widerfahren soll und aus einer sozialen Not herausgeholfen werden soll. Ich muß der Bundesregierung den Vorwurf machen, daß sie diesen Willen des Parlaments, wie auch schon in manchen anderen Fällen, gründlich mißachtet hat. Sie verkündete nämlich das Gesetz nicht. Sie berief sich aber auch nicht auf den Art. 113 des Grundgesetzes. Sie tat einfach gar nichts, und der 2. Bundestag mußte in einer seiner ersten Sitzungen etwas tun, was in der Geschichte der parlamentarischen Demokratie wohl nicht allzu häufig vorkommt: er mußte die Regierung ersuchen, ein ordnungsgemäß zustande gekommenes Gesetz nunmehr auch freundlichst verkünden zu wollen.
Wir wissen ja aus Erfahrung, daß die Bundesregierung dieses Gesetz nicht sonderlich liebt. Seit dem 20. Juni 1951 — das ist jetzt also beinahe vier Jahre her — ersuchte der Bundestag die Bundesregierung mehr als ein dutzendmal, in der Sache der Kriegsgefangenenentschädigung tätig zu werden. Er hat diese Frage im Jahre 1952 sechsmal und im Jahre 1953 wiederum sechsmal auf seine Tagesordnung gesetzt. Alle Ersuchen des Bundestages wurden von der Regierung ignoriert. Ich meine, daß wir hier nicht gerade ein sehr musterhaftes Verhalten einer Regierung gegenüber ihrem Parlament konstatieren können, und es ist für einen Abgeordneten alles andere als angenehm, wenn er sich von seinen Wählern fragen lassen muß, was er denn eigentlich im Parlament treibt, wenn die demokratische Regierung ganz offenbar mit einem Achselzucken über die Beschlüsse des Parlaments hinweggeht und nur die Beschlüsse und Gesetze ausführt, die ihr zufällig passen.
Herr Kollege Stammberger hat darauf hingewiesen, daß dieses Gesetz eine Leidensgeschichte hinter sich hat. Als endlich am 2. Februar 1954,
also sieben Monate nach dem Beschluß des Bundestages, das Gesetz verkündet war, wurde die Ausführung verhindert, indem im Bundeshaushalt die Mittel, die zur Durchführung des Gesetzes notwendig sind, mit einem Sperrvermerk versehen wurden. Die Aufhebung des Sperrvermerks war an Bedingungen geknüpft, die weder der Einwirkung der betroffenen Personen noch der Einwirkung des Bundestages unterlagen,
und es gelang 1954 dem Hause nicht, diesen Sperrvermerk zu beseitigen. Es ist lediglich gelungen, den Herrn Bundesfinanzminister zu einer Zusage zu bewegen, die praktisch die Möglichkeit eröffnete, wenigstens die Durchführung des ersten Abschnitts des Gesetzes in Angriff zu nehmen. Der zweite Abschnitt des Gesetzes mit seinen Möglichkeiten der Gewährung von Darlehen und Beihilfen in Fällen besonderer Notlage blieb weiterhin Papier.
Wir müssen dem Lastenausgleich und seinen Organen dafür dankbar sein, daß er mit den Mitteln des Härtefonds eingesprungen ist, damit wenigstens einem Teil der Personen, die in diesem Gesetz angesprochen sind, Darlehen gewährt werden konnten. Aber diese Möglichkeit ist theoretisch am 30. September, praktisch aber schon am 31. März dieses Jahres zu Ende gegangen; denn seit dieser Zeit werden alle Anträge von Heimkehrern von den Lastenausgleichsämtern aus Mangel an Mitteln — so wie es das Gesetz vorschreibt — abgelehnt. Die Angehörigen von Kriegsgefangenen und die Heimkehrer des Jahres 1947, die in das Gesetz mit einbezogen sind, haben bis jetzt überhaupt gar keine Möglichkeit der Antragstellung gehabt. Der Bedarf ist jedoch auf diesem Sektor ganz erheblich. Ich möchte hier ein Beispiel anführen, das vom Lastenausgleichsamt in Hessen stammt. Dort liegen heute noch an unerledigten Anträgen von Heimkehrern vor: erstens Darlehen für die gewerbliche Wirtschaft und freie Berufe: 400 Anträge mit einem Gesamtbetrag von 4 Millionen DM; zweitens Darlehen für die Landwirtschaft: 200 Anträge mit einem Gesamtbedarf von 1,5 Millionen DM; drittens Darlehen für Erstellung von Wohnraum: 1300 Anträge mit einem Bedarf von 4 Millionen DM. Nehme ich nun einmal an, daß von diesen Anträgen 40 % abgelehnt werden, dann bleibt allein im Lande Hessen ein Mindestkapitalbedarf, der weit über 7 Millionen DM liegt. Die Zahl der Antragsteller, die nach dem Lastenausgleichsgesetz kein Antragsrecht hatten, ist jedoch noch völlig unbekannt und kommt noch dazu. Hinzu kommen ferner die Anträge auf Beihilfen für Hausrat, die ebenfalls bisher gar nicht gestellt werden konnten.
Wir haben sicher alle, die wir hier in diesem Hause sind, zahlreiche Resolutionen erhalten, die sich mit diesem Problem befassen. Es wird in diesen Resolutionen mit Recht vor den gefährlichen wirtschaftlichen Auswirkungen gewarnt, die dadurch entstanden sind, daß nach dem Abschluß der Lastenausgleichsleistungen der Abschnitt II des Kriegsgefangenenentschädigungsgesetzes nicht ausgeführt wird. Zum Beispiel ist der Bau von Eigenheimen für Heimkehrer völlig ins Stocken geraten, und es ist zu befürchten, daß er auch in diesem Baujahr gar nicht wieder in Gang kommt. Dadurch tritt schon allein auf diesem einen Sektor durch die inzwischen steigenden Baukosten und durch das Stocken der bereits angefangenen Bauten eine schwere wirtschaftliche Schädigung der Bauherren ein. Auf der anderen Seite geraten Existenzen in Gefahr, vernichtet zu werden, und andere Existenzen können nicht neu begründet werden.
Aber neben den wirtschaftlichen Schäden sind auch schwere politische Schäden, auf die meine Vorredner schon hingewiesen haben, zu befürchten, wie aus dem Tenor der Resolutionen ganz klar und deutlich hervorgeht. Es wird das Ansehen dieses Hauses, das Ansehen des Parlaments selber, auf das schwerste geschädigt, und es wird die Generation der ehemaligen Soldaten in eine politische Haltung gegenüber unserem demokratischen Staatswesen hineinmanövriert, die alles andere als erfreulich ist. Sie geht von der völligen Resignation bis zur offenen Auflehnung. Kann man so mit einer Generation umspringen, die eigentlich ihrem Alter und ihrer Stärke nach heute die Hauptlast der politischen Verantwortung in diesem Staate zu tragen hätte? Auch daran sollte man denken, wenn man die Ausführung von beschlossenen Gesetzen unterläßt. Über die Notwendigkeit der Ausführung braucht hier nicht gesprochen zu werden. Das ist in diesem Hause und in den Ausschüssen wiederholt und eingehend begründet worden. Aber die Heimkehrer fragen: Was steckt eigentlich hinter eurer feierlichen Begrüßung an der Grenze und im Lager Friedland, wenn hinterher die Taten auf sich warten lassen? Denn Arbeit, Existenz, Wohnung und Gesundheit sind nun einmal das, was diesen Menschen gegeben werden muß. Statt dessen sind sie häufig gezwungen, sich durch das Gestrüpp der Zuständigkeiten einen Weg zu erkämpfen, ohne zum Schluß überhaupt noch das Ziel erkennen zu können, das sie ursprünglich verfolgt haben.
Fast die Hälfte aller Entscheidungen, die gefällt werden, fordert Beschwerden und die Einlegung von Rechtsmitteln und zwingt das Parlament, dann nachher in Novellen die Durchführungsverordnungen wieder in Ordnung zu bringen, die das eigentliche Gesetz eingeengt haben. Man hat, wenn man diese Durchführungsverordnungen liest, häufig das Gefühl, daß bei der Durchführung gesetzlicher Maßnahmen nicht der Wille des Gesetzgebers, sondern der Wille der Bürokratie entscheidend ist. Man hat häufig das Gefühl, daß die Verwaltung sich bemüht, dem Gesetzgeber zu beweisen, wieviel klüger, aber auch wieviel stärker sie ist als das Parlament.
Diese Haltung hat schon bei der Schaffung dieses Gesetzes in statu nascendi Pate gestanden, als nämlich die Herren Vertreter der Ministerien in den Ausschüssen auf höhere Weisung sich der Mitarbeit enthalten mußten und den Gesetzgeber dadurch, wenn auch vergeblich, in eine schwierige Situation zu bringen versuchten.
Ich darf heute schon ankündigen, daß die Ausführung dieses Gesetzes uns zwingt, dem Hause in allernächster Zeit Vorschläge für eine Änderung und Ergänzung des Gesetzes zu machen. Die häufige Ablehnung der Anträge beispielsweise von Internierten und verschleppten Zivilpersonen, die ja praktisch in der gleichen Situation waren und 'sind wie die Kriegsgefangenen, zwingt zu der klaren Feststellung, daß auch sie auf die Leistungen aus diesem Gesetz Anspruch haben sollen.
Die viel zu enge Auslegung des Begriffes „ursächlicher Zusammenhang mit den Kriegsereignissen" entspricht nicht dem Willen des Gesetzgebers. Allein der Entwurf der Durchführungsverordnung, die diesen Begriff definieren soll, zeigt uns heute schon, daß hier nicht die Durchführung eines Gesetzes erleichtert wird, sondern daß das, was der Gesetzgeber gewollt hat, durch diese Verordnung in einer ganz bestimmten Form eingeengt wird. Abgesehen davon, daß das mit den Grundsätzen des Grundgesetzes nicht in Einklang zu bringen ist, ist es auch eine völlige Mißachtung des gesetzgeberischen Willens, — vielleicht im Hinblick darauf, gewisse Beträge einzusparen. Gewiß können die Länder in Ausführung des Gesetzes kraft eigener Zuständigkeit Entscheidungen treffen, aber diese Entscheidungen fallen doch niemals so aus, daß sie den Durchführungsverordnungen oder den Erlassen der Bundesbehörden widersprechen, weil sonst die Länder fürchten müssen, daß die Ausgaben, die sie durch die Gesetze hatten, nachher nicht entsprechend erstattet werden. Es ist also schon ein ganz erheblicher Einfluß, den derartige Verordnungen und Erlasse auf die Durchführung der Gesetze in den Ländern haben. Auch heute noch können Deutsche im Zusammenhang mit den Kriegsereignissen in den Gewahrsam ausländischer Mächte geraten. Leider ist das heute noch so. Dafür haben wir Beispiele aus der allerjüngsten Vergangenheit.
Die Anrechnung auch der Entschädigungszahlung auf das, was der Betreffende früher einmal bekommen hat, sei es aus der Fürsorge, sei es aus der Soforthilfe, ist genau das Gegenteil von dem, was das Gesetz erreichen sollte. Es sollte nämlich
o nicht dazu dienen, öffentliche Kassen aufzufüllen, sondern es sollte den ehemaligen Kriegsgefangenen eine fühlbare Hilfe bringen.
Ich sagte vorhin: die Bundesregierung liebt dieses Gesetz nicht sonderlich. Ich möchte den Satz noch etwas präzisieren: insbesondere der Herr Bundesfinanzminister hat keine sehr große Zuneigung zu diesem Gesetz.
Ich gebe zu, das Gesetz ist nicht aus einer Vorlage der Bundesregierung entstanden. Aber, Herr Bundesfinanzminister, man sollte auch Stiefkinder nicht so schlecht behandeln, wie es in diesem Falle von Ihnen mit diesem Gesetz geschieht. Immerhin haben Sie hier oder auch an anderer Stelle erklärt, Sie haben für die notwendigen Ausgaben für dieses Gesetz keine Deckung im Haushalt f in-den können. Manchmal jedoch, Herr Bundesfinanzminister, außerhalb dieses Hauses, haben Sie auch andere Erklärungen abgegeben, und zwar Erklärungen, die erkennen lassen, daß tief in Ihrem Herzen doch so etwas wie eine stiefväterliche Liebe zu diesem Gesetz vorhanden ist. Sie haben z. B. am 8. August 1953 einem Heimkehrer in Würzburg auf die Frage, wie es denn nun mit dem Kriegsgefangenenentschädigungsgesetz stehe, gesagt: „Was wollt ihr Heimkehrer denn, ihr habt doch euer Entschädigungsgesetz!" Damals war es noch gar nicht verkündet, aber man mußte doch auf Grund dieser Äußerung annehmen, daß alles in bester Ordnung war. Sie haben etwas später, am 4. September 1953, dem Vorsitzenden des Verbandes der Heimkehrer in Fürstenfeldbruck erklärt, Sie wüßten eine Deckungsmöglichkeit für das Kriegsgefangenenentschädigungsgesetz. Es ist gewiß nur Zufall, daß diese beiden Termine unmittelbar vor der Bundestagswahl gelegen haben!
Es erscheint mir deswegen heute etwas unverständlich, daß Sie von diesem Wissen, dem Sie damals Ausdruck verliehen haben, keinen Gebrauch gemacht haben und den Haushalt 1955 wiederum vorgelegt haben, ohne die vom Parlament beschlossene Regelung auf diesem Gebiete zu berücksichtigen.
Gewiß lesen wir heute morgen in der Presse, daß das Kabinett beschlossen habe -- und nun zitiere ich wörtlich —, „weitere 50 bis '70 Millionen DM zur Verfügung zu stellen". Ich muß offen gestehen, daß es mir nach dem Wörtchen „weitere" in diesem Zusammenhang doch so danach aussieht, daß die Bundesregierung nach außen hin den Eindruck erwecken will, sie habe ja schon etwas getan, und jetzt seien diese Bemühungen verstärkt worden. In Wirklichkeit ist es so, daß bisher überhaupt noch nichts getan worden ist und daß jetzt zum erstenmal Mittel für die Durchführung des zweiten Abschnitts dieses Gesetzes zur Verfügung gestellt werden. Von „weiteren" Mitteln kann gar keine Rede sein, es sei denn, Sie nehmen die Leistungen des Lastenausgleichs als Voraussetzung für dieses Wörtchen in Anspruch.
Wenn wir im Haushalt die Leistungen für ein Gesetz, das jetzt fast zwei Jahre alt ist, vermissen, haben wir das Gefühl, daß die Arbeit des Parlaments zu einer leeren Formsache degradiert wird. Das können wir und das dürfen wir uns nicht gefallen lassen. Denn die Arbeit und die Bedeutung dieses Hauses leiden dadurch ohne jeden Zweifel in den Augen der Öffentlichkeit Schaden. Durch die Verzögerung der Hilfe, deren Ursache nun schon sehr lange zurückliegt, ist bereits erheblicher Schaden entstanden, zum größten Teil Schaden, der gar nicht wieder gutgemacht werden kann. Wir fordern daher jetzt mit aller Energie, daß mit diesen Methoden Schluß gemacht wird und die Beschlüsse des Parlaments von der Bundesregierung respektiert werden. Diese Beschlüsse bewegen sich in bescheidenstem Rahmen. Wir haben uns errechnen lassen, daß insgesamt für die Befriedigung der Ansprüche auf Darlehen und Beihilfen in vier Jahren 400 Millionen DM notwendig wären. Das ergäbe eine jährliche Summe von 100 Millionen DM. Der Antrag des Gesamtdeutschen Blocks spricht von 70 Millionen DM eben in Anbetracht der Tatsache, daß wahrscheinlich viele Anträge abgelehnt werden müssen und daß die Haushaltslage des Bundes gespannt ist. Aber wir können uns unter gar keinen Umständen mit einem Betrag zufrieden geben, der unter dieser Summe liegt, weil nämlich durch zu langsame Hilfe erfahrungsgemäß die Hilfe per Saldo wesentlich teurer wird und in vielen Fällen überhaupt gar keine Hilfe mehr gebracht werden kann.
In diesem Zusammenhang ist es vielleicht auch
nützlich, einmal daran zu erinnern, daß der Bundestag im Juli 1953 nicht nur dieses Gesetz beschlossen hat, sondern daß er damals auch eine Entschließung gefaßt hat, die Entschließung nämlich, daß die Heimkehrer der Jahre 1945 und 1946 einmal registriert werden sollten, damit wir überhaupt einmal einen Überblick über den Umfang der Kriegsgefangenschaft im letzten Weltkrieg er-
halten. Ich stelle hiermit und heute fest, daß auch diese Entschließung, dieser Beschluß des Parlaments nicht ausgeführt worden ist. Wir haben das bereits vor einem Jahr bemängelt; wir müssen es heute wiederum bemängeln und können auch heute nur mit aller Energie fordern, daß dieser Beschluß, der in Zusammenhang mit dem Gesetz steht, endlich einmal der Ausführung etwas nähergebracht wird.
Im übrigen sind meine Freunde und ich der Auffassung, daß man dem Antrag, den der Herr Kollege Petersen hier gestellt hat — Überweisung an den Haushaltsausschuß mit der Auflage, daß noch im ordentlichen Haushalt 1955 der Betrag von 70 Millionen DM eingesetzt wird —, die Zustimmung geben sollte.
Das Wort hat der Abgeordnete Schneider .
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Meine verehrten Herren Vorredner haben hier schon das Wesentlichste zu diesem Tagesordnungspunkt gesagt. Ich kann mich daher kurz fassen, möchte aber folgendes mitteilen. Meinen Freunden von der Deutschen Partei und mir ist es an sich unverständlich, weshalb wir heute erneut in Sachen Kriegsgefangenenentschädigungsgesetz eine Debatte in diesem Haus führen müssen. Ich glaube, die Tatsache, daß der Bundestag schon vor langer Zeit dieses Gesetz beschlossen hat und daß er daraufhin die Verkündung des Gesetzes noch einmal ausdrücklich von der Regierung fordern mußte, hätte ausreichen müssen, um die Regierung zu dem notwendigen Handeln zu veranlassen. Es ist hier schon zum Ausdruck gebracht worden, daß es nicht angängig ist, ja daß es fast unmoralisch wirken muß, wenn man den Heimkehrern auf der einen Seite nach ihrer Rückkehr aus der Gefangenschaft an der Zonengrenze unseres Vaterlandes begeisterte Empfänge bereitet und ihnen dann auf der andern Seite nicht das zu geben bereit ist, was ihnen gebührt. Der Eindruck, der dadurch in der Öffentlichkeit, und zwar nicht nur bei den Heimkehrern selbst, sondern in der gesamten deutschen Öffentlichkeit entstanden ist, ist außerordentlich schlecht. Der Bundestag sollte hier, indem er den vorliegenden Antrag einstimmig verabschiedet, klar zum Ausdruck bringen, daß die Heimkehrer zumindest im Deutschen Bundestag einen guten Freund haben.
Meine Damen und Herren, manchmal wird man bei der Behandlung der Bestimmungen dieses Gesetzes daran erinnert, daß nicht nur die Durchführung des Kriegsgefangenenentschädigungsgesetzes selbst, sondern beispielsweise auch die Behandlung der Frage der Kriegsverurteilten den nötigen Nachdruck durch die Bundesregierung vermissen läßt. Eine bedauerliche Parallele! Die Bundesregierung sollte sich durch die hier gemachten Ausführungen veranlaßt sehen, in Zukunft den Wünschen und dem Willen des Parlaments mit mehr Nachdruck Rechnung zu tragen, als es bisher geschehen ist. Einer meiner Herren Vorredner hat hier sehr richtig gesagt, daß die ehemaligen Kriegsgefangenen ihre besten Lebens- und teilweise auch Berufsjahre drangegeben haben. Diesem Satz ist nichts hinzuzufügen.
Wenn der Herr Kollege Merten hier zum Ausdruck gebracht hat, daß die Ausführungsbestimmungen zu diesem Gesetz oft sehr engherzig ausgelegt werden — beispielsweise hinsichtlich des Zusammenhangs mit den Kriegsereignissen —, so kann ich das auf Grund der zahllosen Zuschriften, die ich in meiner Eigenschaft als Mitglied des Ausschusses für Kriegsopfer- und Heimkehrerfragen erhalten habe, nur bestätigen, und ich nehme an, daß sehr viele Damen und Herren Kollegen ebenfalls solche Zuschriften, die oftmals erschütternde Tatbestände aufzeigen, erhalten haben.
Ich möchte abschließend sagen, daß die Durchführung dieses Gesetzes, und zwar die großzügige Durchführung in allen seinen Punkten, ein Herzensanliegen meiner politischen Freunde und, ich nehme an, des gesamten Bundestages ist. Alle Reden von einer sozialen Sicherstellung und von einer Betreuung gerade dieses Personenkreises müssen eine leere Phrase bleiben, wenn sich die Regierung nicht endlich entschließt, dem Willen des Parlaments entsprechend Rechnung zu tragen. Meine Freunde von der Deutschen Partei werden dem vorliegenden Antrag ihre Zustimmung geben. Ich möchte aber der Erwartung Ausdruck geben, daß dies das allerletzte Mal ist, daß der Deutsche Bundestag, der ja nun mehrfach einmütig zum Ausdruck gebracht hat, daß er bereit ist, den ehemaligen Kriegsgefangenen zu helfen, sich mit dieser Angelegenheit befassen muß. Ich kann nur die Worte wiederholen, die ich anläßlich der Begründung meines Antrages vor zwei Jahren, der bekanntlich die Regierung aufforderte, das Gesetz nun endlich zu verkünden, schon gesagt habe: Es ist billig, vom Dank des Vaterlandes zu reden; man muß sich diesen Dank auch etwas kosten lassen!
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Strosche.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte mich vor allem den Schlußworten des sehr verehrten Herrn Kollegen Schneider anschließen, indem ich auch unsererseits dem Wunsch Ausdruck verleihe, es möge das letzte Mal sein, daß wir hier eine Debatte in der eben zutage getretenen Richtung führen müssen. Wir hoffen, daß es uns künftig anläßlich der Haushaltsberatungen erspart bleibt, immer wieder den einmütigen Willen des gesamten Bundestages betonen und dabei stets erneut Hindernisse aufzeigen zu müssen, die zweifellos nicht das notwendige Verständnis für die betroffenen Kreise zeigen. Wir vermissen auch das notwendige Verständnis dafür, welch große Leistung die Organisationen, die sich vor diese Menschen stellen, heute für den Staat erbringen und in der Vergangenheit bereits erbracht haben.
Von einigen der sehr verehrten Vorredner ist mit Recht darauf hingewiesen worden, wie fragwürdig, ja blamabel die Begleitumstände beim Zustandekommen dieses Gesetzes gewesen sind, eines Gesetzes, das eine selbstverständliche Dankesschuld des ganz e n deutschen Volkes gegenüber den so hart betroffenen Kriegsopfern darstellt.
Es isst auch mit Recht darauf hingewiesen worden, daß die Durchführung dieses Gesetzes sehr schleppend, beschämend und gerade im Hinblick auf die Einsetzung der Mittel für den zweiten Teil
des Kriegsgefangenengesetzes durchaus unerfreulich gewesen ist. Es war ja auch unerfreulich, immer wieder erleben zu müssen, wie sich ein offensichtliches Hin und Her, ein Tauziehen zwischen dem zuständigen Ministerium und dem Finanzministerium bemerkbar machte. Wer an Versammlungen und Tagungen insbesondere des Heimkehrerverbandes teilgenommen hat und dort auch als Parlamentarier Rede und Antwort stehen mußte, der mußte feststellen, wie wenig gerade dieses Hin- und Herziehen bezüglich Kompetenzen und Einflußmöglichkeiten idas demokratische Bewußtsein der Betroffenen gestärkt hat.
Sehr oft hat der sehr verehrte Herr Finanzminister auch von Interessenverbänden, ihrem Einfluß und ihrem Willen, Einfluß zu nehmen, gesprochen. Ich glaube, er hat damit den Verband der Heimkehrer gemeint! Es ist heute meine Aufgabe, ganz kurz darauf hinzuweisen, daß solche Verbände zum größten Teil zweifellos nicht nur berechtigte Interessen vertreten, sondern darüber hinaus auch eine politische Aufgabe erfüllt haben, die man nicht zu gering einschätzen sollte.
Wir wissen alle, daß es Interessenverbände gibt, die sich mit mehr oder weniger überzeugenden Argumenten an das Parlament und an den einzelnen Parlamentarier heranzupirschen verstehen. Aber ich glaube, daß gerade Verbände wie der Heimkehrerverband, wie der VdK, dieser und jener Kriegsopferverband, Heimatvertriebenenverbände usw. über die berechtigte Wahrnehmung ihrer Interessen hinaus auch eine ungeheure politische Aufgabe erfüllt haben. Sie haben nämlich die zu betreuenden deutschen Menschen vor jeder Radikalisierung bewahrt und nicht dazu werden lassen, was letzten Endes viele, die zu den Zuständen nach 1945 ihren Teil noch nachträglich beigetragen haben, vielleicht sogar beabsichtigt haben: diese aus ihrer sozialen Lebensordnung gerissenen Menschen zu einem Sprengkörper, zu einem sozialpolitischen Dynamit zu machen und damit den Aufbau unserer jungen Demokratie bewußt zu stören.
Hier haben diese Verbände — obwohl ja mancher sagt, es sei überhaupt beschämend, daß sich für solche Menschengruppen Interessenvertretungen und Verbände bilden müßten! — zweifellos eine politische Aufgabe ersten Ranges erfüllt. Sie haben damit wohl auch eine Vorleistung für die Freiheit und die Sicherheit und die Ausgangsmöglichkeiten auch außenpolitischer Art für unseren Staat erbracht.
Ich glaube, sehr verehrter Herr Finanzminister, daß man, wenn man von Verbänden und Interessengruppen, die an den Staatsbürger und vor allem natürlich an den Finanzminister herantreten, spricht, auch hier eine echte Bewertungsskala politischer Art haben sollte, ja haben müßte. Mit an der Spitze dieser Bewertungsskala stehen wohl gerade die Interessenverbände — wenn wir sie einmal so nennen wollen —, die sich um die Heimkehrer, die Kriegsgeschädigten, die Kriegsbeschädigten und Kriegsopfer im weitesten Sinn des Wortes gekümmert haben und immer noch vorbildlich kümmern.
Diese gleichen Verbände haben ja auch bewußt über die bloße Interessenvertretung hinaus eine gewisse Unterrichtung und Förderung auch des staatspolitischen Denkens ihrer Anhänger und alles dessen betrieben, was wir als ein Positivum im Aufbau unseres Staates zu werten haben. Ich glaube, daß sich in gewisser Hinsicht die soziale Dringlichkeitsskala auch nach dieser politischen Skala mit zu richten hat. Es ist heute sehr oft gesagt worden, daß weithin der Eindruck entstanden sei, daß der Herr Finanzminister dieses Gesetz stiefväterlich betrachte und seine Durchführung offensichtlich nicht ganz mit vollem Herzen an der Spitze dieser sozialen und politischen Dringlichkeitsskala rangieren lasse. Dem scheint tatsächlich so zu sein! Ich glaube, es muß unser aller Wunsch sein, daß die Dinge, wie Herr Kollege Schneider gesagt hat, heute zum letztenmal angesprochen werden müssen, noch dazu in einer Zeit, wo wiederum an junge Menschen die Aufgabe herantreten wird, Dienst für das Vaterland zu leisten, in Wehrmachtsdienste zu treten. Es erscheint auch politisch kaum vertretbar, will sagen: unverständlich, daß gerade diejenigen, die die bittersten Opfer des vergangenen Krieges gebracht haben, nicht diese selbstverständliche Hilfe erfahren. Ich bin der Auffassung und weiß mich darin mit den sehr verehrten Vorrednern einig, daß hier höchste Eile not tut, nämlich zur Durchführung des zweiten Teils des Kriegsgefangenenentschädigungsgesetzes, das, wie richtig bemerkt wurde, auch reformbedürftig ist, eine erst e Dotierung zu geben! Der Bundesregierung muß es möglich sein, den Mitte Juni in Hannover versammelten Massen von Heimkehrern zu sagen, daß die Durchführung auch dieses Teils des Gesetzes gewährleistet ist und somit eine Dankesschuld und -pflicht des ganzen Volkes in Zukunft etwas weniger blamabel, zögernd und mit unangenehmen Begleitumständen verbunden erfüllt werden wird. Das wollen wir alle gemeinsam hoffen und erstreben!
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Lindrath.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das, was von Rednern aller Fraktionen dieses Hohen Hauses sehr eindringlich vorgetragen worden ist, ist auch das Anliegen meiner Freunde der CDU/CSU. Auch wir halten es für notwendig, daß der Not der Kriegsgefangenen Rechnung getragen wird, und setzen uns für die beschleunigte Durchführung des Kriegsgefangenenentschädigungsgesetzes ein. Diese Angelegenheit darf keine Verzögerung erfahren, sondern muß schnellstens erledigt werden. Die erforderlichen Mittel müssen zur Verfügung gestellt werden. In welcher Weise das geschehen soll, wird der Haushaltsausschuß bestimmen müssen. Wir treten dem Antrag bei, die Vorlage dem Haushaltsausschuß zu überweisen, damit die erforderlichen Mittel bereitgestellt werden können.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor.
— Haben Sie sich gemeldet, Herr Finanzminister? — Dann erteile ich Ihnen das Wort.
Meine Damen und Herren! Ich kann zur Sache im Namen der Bundesregierung nur die Erklärung abgeben:
Die Bundesregierung ist grundsätzlich bereit, der Anregung, die in dem Antrag enthalten ist, zu entsprechen. Sie ist grundsätzlich bereit, sich mit dem Haushaltsausschuß über Höhe, Maß und dergleichen zu einigen.
Ich darf nur eine Feststellung treffen — ich wollte das Wort zunächst nicht nehmen —, weil ich mich für verpflichtet halte, bei dieser Gelegenheit gegen Behauptungen, die sich gegen meine Person richten und die unwahr sind, etwas zu sagen. Es ist unwahr, daß ich am 4. September dem Vorsitzenden des Heimkehrerverbandes, dem Herrn Bürgermeister Fischer, die Erklärung abgegeben hätte, daß eine Deckung vorhanden sei. Ich habe zwei Tage vor der Wahl in der Öffentlichkeit erklärt, daß ich bereit bin, für die Zustimmung zu dem Gesetz dann, aber auch nur dann einzutreten, wenn eine Deckung gefunden wird und wenn das Parlament die Deckung genehmigt.
Das Wort hat der Abgeordnete Merten.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe vorhin, als ich erklärte, daß der Herr Bundesfinanzminister am 4. September 1953 dem Vorsitzenden des Heimkehrerverbandes sagte, er wisse eine Deckung für dieses Gesetz, das in eine Form gekleidet, die es dem Herrn Bundesfinanzminister ersparen sollte, hier etwas zu sagen.
Ich habe gesagt, daß er in der Tiefe seines Herzens doch so etwas wie eine verborgene stiefväterliche Liebe für das Gesetz habe.
Der Herr Bundesfinanzminister hat erklärt, es sei unwahr, daß er am 4. September etwas über die Deckung gesagt habe.
Ich habe nur folgendes festzustellen. Am 4. September hat der Herr Bundesfinanzminister dem Oberbürgermeister Fischer von Kempten in Gegenwart von Zeugen auf drei Fragen Antwort erteilt: erste Frage, ob er einen Deckungsvorschlag für das Kriegsgefangenenentschädigungsgesetz wisse, zweite Frage, ob er diesen Deckungsvorschlag einbringen würde, und dritte Frage, ob dieser Deckungsvorschlag für den ganzen Umfang des Gesetzes ausreiche. Der Herr Minister hat jede einzelne dieser drei Fragen mit Ja beantwortet. Ich stelle fest, daß der Herr Minister soeben etwas anderes erklärt hat.
Es ist nicht unsere Aufgabe, hier im Parlament zu untersuchen, wer von den beiden Herren recht hat und ob die Zeugen zu ihrem Wort stehen. Ich kann bloß nicht im Raum stehenlassen, daß ich, als ich vorhin das Wort ergriff, etwas behauptet hätte, was nicht den Tatsachen entspreche.
— Mir liegen die eidesstattlichen Erklärungen vor, Herr Kollege Sabel, und ich kann Ihnen auch für die Behauptung, die ich in bezug auf den 8. August aufgestellt habe, eine eidesstattliche Erklärung hier vorlesen.
Ich habe Ihnen aber gesagt, daß ich dieses Parlament nicht zu einer Auseinandersetzung über Wahrheit oder Unwahrheit der Erklärungen des einen oder des andern veranlassen will. Es steht hier — das steht fest — Aussage gegen Aussage. Ich habe dem Herrn Bundesfinanzminister zugetraut, daß er damals, als er das gesagt hat, auch tatsächlich gewußt hat, was er in dieser Frage vorhat, und ich habe meiner Befriedigung Ausdruck zu geben, daß die Bundesregierung nun auch offensichtlich, wenn sie durch den Mund des Herrn Bundesfinanzministers diesem Antrag des Hauses ihre Zustimmung gibt, eine Deckungsvorlage im Haushalt weiß.
Das Wort hat der Bundesfinanzminister.
Meine Damen und Herren! Ich steile zunächst fest, daß über das Gespräch am 4. September 1953 auch Urkunden vorliegen, weil ich sofort nach dem Gespräch selbstverständlich Bericht darüber an die Bundesregierung gemacht habe, da ich mir klar darüber war, daß solche Gespräche später unter Umständen, sagen wir einmal, im politischen Kampf mißverstanden werden. Ich halte jedes Wort aufrecht. Ich wäre sehr dankbar, wenn ich solche eidesstattlichen Erklärungen, von denen ich bisher nichts erfahren habe, erhielte. Dann kann die endgültige Klärung erfolgen.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Wir kommen zur Abstimmung. Es ist der Antrag gestellt, — —
— Meine Damen und Herren, ich bitte, es dem Präsidenten nicht unmöglich zu machen, die Abstimmung 'durchzuführen. Es ist der Antrag gestellt, den Antrag der Fraktion des GB/BHL dem Haushaltsausschuß zu überweisen. Ich frage, ob es sich nicht empfehlen könnte, ihn auch dem Ausschuß für Kriegsopfer- und Heimkehrerfragen zu überweisen,
dem Haushaltsausschuß federführend, dem anderen Ausschuß zur Mitberatung.
— Das ist die Frage. Dann lasse ich getrennt abstimmen. Wer für die Überweisung an den Haushaltsausschuß ist, möge die Hand erheben. — Einstimmigkeit. Danke. Wer dafür isst, daß der Antrag dazuhin noch an den Ausschuß für Kriegsopfer- und Heimkehrerfragen zur Mitberatung überwiesen werden soll, den bitte ich um das Handzeichen.
— Im Ältestenrat ist das vorgeschlagen worden. Deswegen empfahl ich das.
— Jedenfalls: es hat sich keine Mehrheit dafür ergeben.
Ziffer 19:
Erste Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über die Statistik für Bundeszwecke (Drucksache 1386).
Hier schlägt Ihnen der Ältestenrat vor, auf Begründung und Beratung zu verzichten. Die Vorlage wäre an den Ausschuß für Angelegenheiten der inneren Verwaltung zu verweisen. Ist das Haus einverstanden? — Es ist so beschlossen.
Ziffer 20:
Zweite und dritte Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Bereinigung deutschösterreichischer Staatsangehörigkeitsfragen ;
Schriftlicher Bericht*) des Ausschusses für Angelegenheiten der inneren Verwaltung (Drucksache 1391).
Das Wort zur Berichterstattung hat der Abgeordnete Dr. Kihn .
— Zur Geschäftsordnung?
— Das Wort zur Geschäftsordnung hat der Abgeordnete Reitzner.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Im Namen der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion gestatte ich mir den Antrag zu stellen, den Gesetzentwurf unter Punkt 20 der Tagesordnung, der jetzt zur zweiten und dritten Lesung kommen soll, an den Ausschuß für Angelegenheiten der inneren Verwaltung zurückzuverweisen.
Ich darf diesen Antrag kurz begründen. Wir sind nach längerer Überlegung und Beratung zu der Auffassung gekommen, daß eine Reihe von Problemen neuer Überlegungen bedürfen. Diese Überlegungen und Beratungen können nicht in der zweiten und dritten Lesung, sondern nur im zuständigen Ausschuß durchgeführt werden.
Wir bitten daher, unseren ernsten Erwägungen Rechnung zu tragen und unserem Antrag auf Rückverweisung an den Ausschuß für Angelegenheiten der inneren Verwaltung zuzustimmen.
Das Wort hat der Abgeordnete Kihn. Zu diesem Antrag?
— Bitte!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es besteht das größte Interesse, daß die Meinungsverschiedenheiten zwischen Verwaltungsbehörden und Verwaltungsgerichten über die Staatsangehörigkeit der sogenannten „Anschluß "-Deutschen tunlichst bald bereinigt werden. Das Interesse an der Klärung dieser Frage ist ungemein groß. Ich bitte, diesen Antrag abzulehnen.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Arndt.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zur Unterstützung dessen, was der Herr Kollege Reitzner hier vorgetragen hat, muß ich zu meinem Bedauern darauf hinweisen, daß dem Hause von Herrn Kollegen Dr. Kihn in der Drucksache 1391 ein Schriftlicher Bericht erstattet ist, der unseren Gepflogenheiten nicht entspricht.
s) Siehe Anlage 5. Wenn in einem Ausschuß eine Mehrheits- und eine Minderheitsauffassung vertreten worden sind, hat der Berichterstatter die Verpflichtung, auch die Minderheitsauffassung wiederzugeben und in seinem Bericht auch darzulegen, aus welchen Gründen eine Minderheitsauffassung vertreten wurde.
Der Herr Berichterstatter im Ausschuß für Rechtswesen und Verfassungsrecht, der Herr Kollege Bauer, hat eingehend dargelegt, warum er erhebliche verfassungsrechtliche Bedenken aus Art. 16 des Grundgesetzes gegen diesen Gesetzentwurf hat. Davon findet sich in dem Schriftlichen Bericht kein Wort. Statt dessen steht drin, daß der Rechtsausschuß die Verfassungsmäßigkeit bejahe und zu der Auffassung gekommen sei, der Art. 16 Abs. 1 sei überhaupt nicht anwendbar. Es mpg sein, daß das die Mehrheitsauffassung gewesen ist. Aber man darf in einem Schriftlichen Bericht dem Parlament nicht eine Auffassung verschweigen, die von einer erheblichen Minderheit vertreten worden ist, zu der nach meiner Erinnerung auch Abgeordnete zumindest des Gesamtdeutschen Blocks gehört haben; es sind auch entsprechende Stimmen, wenn ich nicht irre, sogar aus der CDU/ CSU lautgeworden. Infolgedessen ist dieser Bericht so gar nicht geeignet, daß sich die Parlamentsmitglieder von den Fragen, um die es hier geht, ein zutreffendes Bild machen können.
Weitere Wortmeldungen zu diesem Antrag auf Rückverweisung liegen nicht vor. Ich lasse abstimmen. Wer für den Antrag auf Rücküberweisung ist, den bitte ich um ein Handzeichen. — Es ist schwer, sich ein Bild zu machen. Ich bitte die Damen und Herren, die dem Antrag zustimmen wollen, sich von ihren Sitzen zu erheben. — Gegenprobe! — Ersteres war die Mehrheit; der Antrag auf Rückverweisung ist angenommen.
— Ich habe Sie nicht verstanden. Bitte, kommen Sie doch vor zur Tribüne!
Ich beantrage, daß die Sache, wenn jetzt schon die Rückverweisung an den Ausschuß für Angelegenheiten der inneren Verwaltung erfolgt, auch an den mitberatenden Vertriebenenausschuß zurückverwiesen wird.
Ich halte diesen Antrag für unzulässig. Es ist abgestimmt; der Antrag ist zurückverwiesen an den Ausschuß, der darüber beraten hat.
— War der vorher mitberatend beteiligt?
— Dann muß er natürlich auch an den Vertriebenenausschuß mit zurückverwiesen werden.
— Wozu wollen Sie das Wort haben?
— Bitte!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Soviel mir bekannt ist, hat auch der Auswärtige Ausschuß an diesen Arbeiten
mitgewirkt. Es war, glaube ich, auch ganz zweckmäßig, daß der Auswärtige Ausschuß bei diesen Angelegenheiten mitgesprochen hat. Wenn wir also die ganze Angelegenheit noch einmal aufrühren und beraten wollen, dann halte ich es für richtig, daß sie den drei Ausschüssen überwiesen wird, die damals beraten haben. Dazu gehört auch der Auswärtige Ausschuß. Ich beantrage deshalb, daß die Sache auch an den Auswärtigen Ausschuß zurückverwiesen wird.
Wenn das so ist — ich weiß die Dinge nicht —, daß auch der Auswärtige Ausschuß beteiligt war, dann muß er auch jetzt wieder beteiligt werden. Dann muß die Sache also auch an ihn zurückverwiesen werden.
— An alle bisher beteiligten Ausschüsse! — Dieser Punkt ist erledigt.
Ich rufe auf Punkt 21 der Tagesordnung:
Zweite und dritte Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zum Schutz deutschen Kulturgutes gegen Abwanderung aus dem Gebiete
der Bundesrepublik ; Schriftlicher Bericht*) des Ausschusses für Kulturpolitik (11. Ausschuß) (Drucksache 1373). (Erste Beratung: 8. Sitzung.)
Berichterstatter ist der Abgeordnete Dr. Kleindinst. Ich erteile ihm das Wort zur Berichterstattung.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Gesetzentwurf, der Ihnen zur Beschlußfassung vorliegt, enthält nichts grundsätzlich Neues. Das Kulturgut in nichtöffentlichem Besitz, das national wertvoll ist, war bereits vor 1914 in den Ländern in Verzeichnisse eingetragen, die ein Verbot begründeten, dieses Kulturgut in das Ausland zu veräußern. Im Jahre 1919 wurde eine Verordnung der Reichsregierung erlassen, weil vor allem mit dem Beginn der Geldentwertung eine besondere Gefahr der Abwanderung des Kulturgutes bestand. Diese Verordnung ist dann fortgesetzt verlängert und im Jahre 1932 als unbefristet erklärt worden.
Das Grundgesetz enthält eine Verpflichtung zum Erlaß eines Gesetzes. Der Gesetzentwurf liegt Ihnen nunmehr vor. Seine Beratung hat sich deshalb lange hingezogen, weil verfassungsmäßige Schwierigkeiten bestanden haben, deren Überwindung ich Ihnen nunmehr darlege. In dem Entwurf ist jetzt scharf unterschieden zwischen den Verwaltungsbefugnissen der Länder und denen des Bundes. Die Kulturaufgabe, d. h. der Schutz des Kunstgutes, ist nun ausgesprochen Sache der Länder. die Ausfuhrgenehmigung oder -versagung Befugnis des Bundes. Eine Mischverwaltung zwischen den Ausschüssen der Länder und dem Ausschuß des Bundes, die Beschwerden ermöglicht hätte, ist dadurch vermieden. Zweitens ist die politische Verantwortung der Bundesminister und der Länderminister klargestellt. Die Ausschüsse sind nicht mehr beschließende Ausschüsse, sondern nur noch Gutachterausschüsse. Dadurch ist auch vermieden. daß sich wieder eine besondere Verwaltung zwischen den Ausschüssen der Länder und dem des Bundes entwickelt.
*) Siehe Anlage 6.
Wichtig ist die weitere Hervorhebung, daß in den begutachtenden Ausschüssen der Länder der Bund vertreten ist und im Bundesausschuß das Land durch zwei Beauftragte. Damit ist die Trennung der Befugnisse zwischen Bund und Ländern und die Zusammenarbeit gegeben. Die Mischverwaltung ist vermieden, und die politische Verantwortung der Minister, auf die insbesondere der Rechtsausschuß Gewicht gelegt hat, ist klargestellt.
Neu ist dagegen, daß in diesen Schutz der Kulturgüter neben den eigentlichen Kunstgütern auch das Archivgut und das Bibliotheksgut einbezogen worden ist.
Ich möchte Ihre Aufmerksamkeit noch auf den § 9 a richten, der neu in den Gesetzentwurf hereingekommen ist und dessen Entstehung dem Gerechtigkeitsgefühl des Vorsitzenden des Ausschusses, des Herrn Kollegen Gaul, zu verdanken ist. Dieser Paragraph sieht vor, daß dann, wenn ein Kulturgut, das geschützt ist, infolge einer wirtschaftlichen Notlage des Eigentümers zum Verkauf gestellt wird, die oberste Behörde des Landes, in dem sich das Kulturgut befindet, verpflichtet wird, einen billigen Ausgleich herbeizuführen. Wir haben uns über die Fassung dieses § 9 a sowohl im Kulturpolitischen Ausschuß als auch im Rechtsausschuß sehr eingehend ausgesprochen. Wir haben hier erstens die Verpflichtung des Landesministers festgelegt, auf dem Wege der aktiven Verwaltung, auf dem Wege über Verhandlungen alle Maßnahmen zu ergreifen, um das Kulturgut im Bundesgebiet oder im Landesgebiet zu halten. Wir haben aber auch vorgesehen, daß der zuständige Minister die größte Bewegungsfreiheit hat, mit allen interessierten Kreisen, mit Galerien und Museen, mit Kommunalbehörden und mit den Mäzenen, die wieder erstanden sind, zu verhandeln, um auf diese Weise in einer Gemeinschaftsarbeit die Unterbringung des Kulturgutes zu erreichen. Das ist bisher schon in einer Reihe von Fällen gelungen. Wir werden wegen des von einzelnen Herren der FDP gestellten Antrages noch zu § 9 a kommen. Ich möchte mich daher jetzt auf diese Ausführungen beschränken und weitere erst dann machen, wenn der Änderungsantrag zur Beratung steht.
Im ganzen glaube ich sagen zu dürfen, daß wir — in beiden Ausschüssen einstimmig — zu einem Ergebnis gekommen sind, das verfassungsrechtlich und verwaltungsmäßig völlig in Ordnung ist.
Ich darf nur noch zwei Bemerkungen machen, die in die Berichterstattung gehören. Die Zahl der geschützten Kunstgüter, die sich im nichtöffentlichen Besitz befinden, ist sehr gering. Eine Zusammenstellung, die nicht ganz vollständig ist, besagt, daß an Kunstwerken geschützt sind in Bayern 66, in Berlin 11, in Bremen 6, in Hamburg 2, in Hessen 6, in Niedersachsen 18, in Nordrhein-Westfalen 40, in Rheinland-Pfalz 39, in Schleswig-Holstein 2. Das vorläufige Gesamtergebnis beträgt 190 Kunstwerke, deren Zahl sich noch um etwa 30 bis 40 in Baden-Württemberg erhöhen wird.
Das besagt weiter, daß eine Gefahr für den Kunst- und Antiquitätenhandel nicht befürchtet zu werden braucht. Hier sind Sorgen entstanden, die wahrscheinlich noch auf die Erinnerung an die Methoden des Dritten Reiches zurückgehen, als einzelne Machthaber, die sich für besondere Kunstwerke interessierten, sie einfach auf das Verzeichnis der geschützten Kunstgüter setzen ließen: Das
ist natürlich im Rechtsstaate völlig ausgeschlossen. Ich möchte nochmals ausdrücklich betonen, daß Besorgnisse des Kunst- und Antiquitätenhandels wegen dieses Gesetzes nicht berechtigt sind, daß nicht beabsichtigt ist, hier Schwierigkeiten zu machen, und daß sich der Schutz des in privater Hand befindlichen Kulturgutes nach den gleichen Grundsätzen entwickeln wird, wie sie vor 1914 und zwischen 1919 und 1932 in Geltung gewesen sind.
Die Ausschüsse bitten Sie deshalb, dem Gesetzentwurf Ihre Zustimmung zu geben.
Ich danke dem Herrn Berichterstatter. Wir treten in die zweite Beratung ein. Ich rufe auf: Erster Abschnitt, § 1, — § 2, —§ 3, — § 4, — § 5, — § 6, — § 7, — § 8 entfällt, § 9 entfällt. Wer für die Annahme dieser Bestimmungen ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. — Gegenprobe! — Ich stelle einstimmige Annahme fest.
Zu § 9 a ist ein Änderungsantrag *) angekündigt. Das Wort zur Begründung hat der Abgeordnete Dr. Bucher.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Obwohl ich eben höre, daß der § 9 a dem Gerechtigkeitsgefühl meines sehr verehrten Kollegen Gaul entsprungen ist, ist mir und den Antragstellern bei diesem Paragraphen doch nicht ganz wohl. Es dreht sich um die Frage, ob nicht mit diesem Gesetz eine Enteignung vorgenommen wird. Ich habe nicht die Absicht, Ihnen lange theoretische Ausführungen über die verschiedenen Ansichten zur Enteignung zu machen bzw. zu wiederholen; ich möchte nur auf das eingehen, was der Ausschußbericht dazu sagt, und — Herr Kollege Kleindinst, nehmen Sie mir es nicht übel — ich finde, hier ist kein besonders wertvoller Beitrag zur Lehre der Enteignung geliefert worden.
Es heißt im Ausschußbericht:
Die Fassung des § 9 a vermeidet den Eindruck einer Enteignung oder eines ähnlichen Eingriffes in das Eigentumsrecht nach Art. 14 Abs. 3 GG. Sie spricht deshalb nur von der Herbeiführung „eines billigen Ausgleichs" und hat die Anführung einer „angemessenen Entschädigung", die im Enteignungsverfahren zu gewähren ist, aus diesem Grunde nicht vorgesehen.
Das kommt mir so vor, wie wenn ein Arzt den Verdacht einer Herzkrankheit hat und sagt: „Damit mir der Patient nicht am Herzen stirbt, verordne ich ihm kein Strophantin, sondern Lindenblütentee." Hier wird doch das Pferd von hinten aufgezäumt! Wenn eine Enteignung vorliegt, müssen wir eine angemessene Entschädigung gewähren und nicht einen unbestimmten „billigen Ausgleich".
Ich glaube, daß man durchaus die Ansicht vertreten kann, es liege eine Enteignung vor; denn Enteignung besteht nicht nur in einer Übertragung des Eigentums, sondern auch in einer Einschränkung dann, wenn diese Einschränkung nicht eine große Zahl, eine große Gruppe, sondern einzelne oder eine verhältnismäßig kleine Gruppe betrifft. Es ist gerade ausgeführt worden, welch kleiner Kreis von Betroffenen hier überhaupt in Frage steht: etwa 200 Fälle. Deshalb glaube ich, man kann hier von einer Enteignung sprechen.
*) Siehe Anlage 3.
Aber auch wenn es keine Enteignung sein sollte, halte ich den Staat, der mit Recht um den Verbleib seines Kulturgutes besorgt ist, für verpflichtet, denen, welchen er hier Beschränkungen auferlegt, auch eine wirklich angemessene Entschädigung zu geben.
Die Fassung unseres Antrages hat darauf Bedacht genommen, daß nicht etwa jemand Phantasiepreise verlangen kann, die ihm von ausländischen Kaufinteressenten oder gar fingierten Kaufinteressenten geboten werden, sondern daß er wirklich nur die angemessene Entschädigung bekommt.
Ich bin mir natürlich darüber im klaren, daß unser Antrag die Durchführung des Gesetzes etwas erschweren würde, weil dann mehr Geldmittel gebraucht werden. Aber wenn verfassungsrechtliche Bedenken vorliegen, darf das wohl kein Gegenargument sein. Außerdem auch hier noch einmal der Hinweis: Es ist ja eine so kleine Zahl von Fällen, und nur in einer ganz kleinen Zahl von dieser kleinen Zahl wiederum wird diese Entschädigungspflicht etwa akut werden, so daß wir doch im Hinblick auf die Rechtsstaatlichkeit die von uns vorgeschlagene Fassung des § 9 a wählen sollten. Aber auch wenn sich das Haus dazu nicht sollte entschließen können, hat doch, glaube ich, diese Debatte das Gute, einmal von der anderen Seite her auf die Probleme des § 9 a aufmerksam zu machen.
Das Wort hat der Herr Berichterstatter.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In § 9 a ist lediglich das Verbot eines Verkaufes des geschützten privaten Kunstgutes in das Ausland vorausgesetzt. Eine weitere Beschränkung des Eigentums liegt nicht vor. Wir haben derartige Beschränkungen auch auf anderen Gebieten und zu verschiedenen Zeiten gehabt.
Der Ausdruck „angemessener Preis" ist deshalb vermieden worden, weil er in den Enteignungsgesetzen eine Rolle spielt und weil vermieden werden sollte, auch nur den Verdacht hervorzurufen, daß hier irgendeine Enteignung beabsichtigt sei. Das war der Grund, warum wir diesen Begriff vermieden haben.
In dem Antrag des Herrn Dr. Bucher und seiner Freunde ist die ganze Angelegenheit zu sehr bürgerlich-rechtlich und nicht vom Standpunkt der Verwaltungspraxis aus gesehen. Wenn wir hier den Bund verpflichten einzustehen, dann wird folgendes erreicht. Dann wird sich niemand weiter um das Kunstgut kümmern, weil jeder sagen wird: Der Bund muß das Kunstgut übernehmen. Was dann der Bund, der selber keine Galerie und kein Museum hat, mit dem Kunstgut anfängt, ist eine Sache für sich.
Es ist die Aufgabe eines Kulturministers — ich vermeide absichtlich das Wort Kultusminister —, alle Wege zu beschreiten, die möglich sind, um das Kulturgut im Inland zu behalten. Der Erfolg solcher Bestrebungen ist auch bisher ohne Gesetz erreicht worden. Ich erinnere nur an das letzte Ereignis in dieser Beziehung, an den Verkauf des Echternacher Kodex, der in das Ausland geholt worden wäre. Da ist es im Zusammenwirken der Länder mit dem Bund und einer Stiftung gelungen, den Kodex zu erwerben und ihn dem Germa-
nischen Museum in Nürnberg zuzuweisen. Wenn Sie das so beschränken, wie es hier vorgesehen ist, dann schneiden Sie den zuständigen Ministern alle Bewegungsmöglichkeiten ab. Wie oft ist es vorgekommen, daß man derartige Kunstwerke nicht gegen einen sofort zu erlegenden Kaufpreis, sondern gegen eine Leibrente veräußert hat, die dem Eigentümer die Möglichkeit gegeben hat, sich ohne wesentliche Beeinträchtigung seiner Lebenshaltung — bis an sein Lebensende — von dem Kunstwerk zu trennen. Ich habe im Ausschuß solche Möglichkeiten und solche Beispiele vorgetragen.
Die beantragte Änderung würde ein Weiteres ermöglichen. Es könnte sich ein Eigentümer mit einem Kunsthändler im Ausland in Verbindung setzen, um auf diese Weise den Bund zu zwingen, das Kunstwerk zu dem angebotenen Preis für den Bund zu erwerben. Alle diese Gesichtspunkte haben wir im Ausschuß sehr eingehend überlegt. Auch ein Vorkaufsrecht würde hier gefährlich wirken; denn dann würde sich eine Festlegung auf
den von dem ausländischen Kunsthändler angebotenen Preis ergeben. Außerdem sind die Fristen viel zu eng gesteckt; die Verhandlungen mit den verschiedenen Interessenten, mit den Mäzenen und mit Stiftungen ziehen sich doch immer einige Monate hin, bis eine solche Entscheidung gefallen ist.
Ich bitte also dringend, uns zu vertrauen, daß wir, geleitet von den Erfahrungen der Kulturverwaltungen der Länder und der Gemeinden, den richtigen Weg gegangen sind, mit dem Ziel der Erhaltung der Kunstwerke, der Archivgüter und Bibliotheksgüter im Inland, aber auch im Interesse der Eigentümer, denen wir auf diese Weise die Sicherung verschafft haben, daß die zuständigen verantwortlichen Minister erstens verpflichtet sind, einzugreifen, und zweitens, alle Wege zu beschreiten, die in Ansehung dieses bestimmten Kunstwerkes und der bestimmten Zeit möglich sind, um es dem Inland zu erhalten.
Ich bitte aus diesen Gründen, den Antrag zu § 9 a abzulehnen. Er liegt weder im Interesse der Eigentümer noch im Interesse der Kulturverwaltungen.
Meine Damen und Herren, ehe ich das Wort weitergebe, habe ich mitzuteilen, daß die Sitzung des Arbeitskreises der CDU/CSU Land- und Ernährungswirtschaft, die für 16 Uhr angesetzt war, ausfallen soll.
Das Wort hat der Abgeordnete Pusch.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der verehrte Herr Kollege Kleindinst hat die Gründe, die ihn zur Ablehnung des Änderungsantrages veranlaßt haben, so ausführlich und überzeugend dargelegt, daß mir nur noch sehr wenig zu sagen bleibt. Der Hauptgrund für die Ablehnung ist, daß dieser Änderungsantrag, der den Kaufzwang für Kulturgut vorsieht, den Zweck des Gesetzes gefährdet; denn es könnte sein, daß gerade dadurch, daß dieser Kaufzwang statuiert wird, eine Welle von teils echten, teils scheinbaren Kaufangeboten provoziert wird. Wenn man sich auch noch vor Augen hält, daß die Zahl der in Frage kommenden Fälle außerordentlich klein ist und daß bisher in der Praxis immer Wege gefunden worden sind, um Härtefälle zu vermeiden, so sollten wir zu dem Ergebnis kommen, daß wir es bei der Fassung des Ausschusses belassen.
Im Namen meiner politischen Freunde bitte ich Sie deshalb, den Änderungsantrag auf Umdruck 371 abzulehnen.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor.
Wir kommen zur Abstimmung. Wer für die Annahme des Änderungsantrages *) ist, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Das letzte ist die Mehrheit; der Antrag ist abgelehnt.
Ich rufe auf in der Ausschußfassung §§ 9 a, — 10, — 11, — 12, — 13 entfällt, 14, — 15 entfällt, 15 a, — 16, —17, — 18, — 19, — 20, — 21, — 22, —23, — 24, — 24 a, — 25, — Einleitung und Überschrift. Wer für die Annahme dieser Bestimmungen ist, der möge die Hand erheben. — Das ist die Mehrheit; die Bestimmungen sind angenommen.
Damit ist die zweite Beratung abgeschlossen. Ich rufe auf zur
dritten Beratung.
Ich eröffne die allgemeine Aussprache. — Ich sehe keine Wortmeldungen. Eine Einzelaussprache findet nicht statt, da keine Änderungsanträge angekündigt sind.
Wir kommen zur Schlußabstimmung. Wer für die Annahme des Gesetzes als Ganzen ist, den bitte ich, sich zu erheben. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Gegen einige wenige Gegenstimmen und bei einer Enthaltung angenommen.
Wir haben noch über Ziffer 2 des Ausschußantrags abzustimmen, „die zu diesem Gesetzentwurf eingegangenen Petitionen und Eingaben für erledigt zu erklären". Wer für die Annahme ist, den bitte ich um ein Handzeichen. — Ich stelle einstimmige Annahme fest.
Meine Damen und Herren, damit ist die Tagesordnung erledigt. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages, die 84., ein auf Freitag, den 27. Mai 1955, 9 Uhr, und schließe die 83. Sitzung.