Rede von
Dr.
Karl
Mommer
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Antrag Dr. Friedensburg und Genossen, der dem Bericht des Gesamtdeutschen Ausschusses zugrunde liegt, ist ein kurzer Antrag von nur vier Zeilen; aber er befaßt sich mit einer für uns sehr wichtigen Sache, nämlich dem Verkehr zwischen der Bundesrepublik und den anderen deutschen Landesteilen. Damit werden durch diesen Antrag die innerdeutschen Aspekte des Problems der Wiedervereinigung Deutschlands angesprochen. Es geht darum, innerdeutsche Maßnahmen zur Erhaltung des Einheitsbewußtseins in unserem Volke und zum Abbau der innerdeutschen Grenzschranken zu treffen.
Diese innerdeutschen Grenzschranken sind für uns um so unerträglicher, als wir alle, seitdem wir hier im Bundestag sind, uns bemüht haben, die Grenzschranken zwischen den europäischen Nationen abzubauen. Wir alle haben uns für den freien
Verkehr der Menschen, der Waren und der Nachrichten über die Grenzen hinweg eingesetzt und wir haben einiges auf diesem Gebiet getan. Ich erinnere daran, daß der Bundestag beschlossen hat, einseitig das Visum abzuschaffen, und daß durch diesen Beschluß des Bundestags eine der Hemmungen im freien Verkehr der Personen in Europa jetzt fast gänzlich verschwunden ist.
Wenn wir uns für den freien Verkehr zwischen den Nationen einsetzen, dann müssen wir uns um so mehr und mit um so mehr Leidenschaft für den freien, unbeschränkten Verkehr innerhalb unseres eigenen Landes einsetzen. Dieser freie Verkehr ist für uns von ganz besonderer politischer Bedeutung. Deswegen hat ein sehr kurzer Antrag unseres Kollegen Dr. Friedensburg dazu geführt, daß im Gesamtdeutschen Ausschuß aus den vier Zeilen ein langer Antrag mit nicht weniger als 19 Punkten geworden ist.
Der Gesamtdeutsche Ausschuß hat also das, was in dem Antrag Drucksache 310 im Keime enthalten war, konkretisiert und entwickelt. Es hat darüber eine kleine Diskussion im Gesamtdeutschen Ausschuß gegeben; aber wir waren uns schließlich darin einig, daß es doch die Rolle des Bundestages ist, die Regierung zu drängen, etwas auf diesem wichtigen Gebiete zu tun und dieses Drängen nicht nur in allgemeiner Form zu vollziehen, sondern möglichst zu konkretisieren, was wir wollen. Wir waren uns wohl auch darin einig, daß es die Aufgabe des Bundestages ist, der Regierung bei den Verhandlungen zu helfen, die sie mit den verschiedensten Stellen führen muß, wenn die Anregungen unseres Antrags in die Wirklichkeit übersetzt werden sollen. Die Bundesregierung kann sich dann auf Beschlüsse dieses Hauses berufen und damit ihre Position in den Verhandlungen stärken. Es ist klar, daß es nicht Sache des Bundestages ist, der Bundesregierung jetzt im einzelnen über das Wie der Durchführung Vorschriften zu machen. Auch der schon weitgehend konkretisierte Antrag Drucksache 1325 läßt der Bundesregierung weiten Spielraum für die praktische Durchführung. Ich glaube, daß solche Vorschläge, die zum großen Teil technischen Charakter haben, die aber eine politische Wirkung erzielen sollen, eine gute Gelegenheit zur Zusammenarbeit zwischen der Bundesregierung und dem Bundestag darstellen.
Manche der Anliegen, die wir hier vorbringen, sind seit langem auch Anliegen der Bundesregierung, und sie hat sich bemüht, die behandelten Probleme einer Lösung zuzuführen. Aber ich glaube, daß unser Antrag geeignet ist, die Aktivität der Bundesregierung zu verstärken. Andere Anliegen des Antrags hat die Bundesregierung sich so sehr zu eigen gemacht, daß sie zu dieser Stunde, da wir zur parlamentarischen Behandlung des Antrags kommen, schon durchgeführt, die Punkte also erledigt sind. Ich darf auf den Punkt B 1 des Antrags verweisen, im Paketverkehr mit Berlin die sogenannte Ostpreußenregelung einzuführen, d. h. der Gebührenberechnung eine niedrigere Entfernungszone zugrunde zu legen, als es der geographischen Entfernung entspricht. Dieses Anliegen ist bereits verwirklicht. Ich möchte sagen, daß der Bundestag keinen Anlaß hat, darüber böse zu sein, daß die Bundesregierung ihm sozusagen die Wünsche von den Lippen abliest und die Anträge verwirklicht, noch ehe im Bundestag ein Beschluß gefaßt wird;
Dr. Mommer)
im Gegenteil, wir können nur wünschen, daß es recht häufig so ist, daß die Bundesregierung sozusagen die Hand am Puls des Bundestages haben möge und seine Wünsche schon vorzeitig verwirklicht. Auf dieser Linie liegt auch der Brief, den der Herr Postminister Balke an die Verwaltung in Saarbrücken geschrieben hat und zu dem ich gleich noch einige Worte sagen werde.
Nun einiges zum Inhalt des Antrags. Er befaßt sich mit dem Verkehr zwischen der Bundesrepublik und den anderen Teilen Deutschlands. Er läßt bewußt das große Gebiet des Interzonenhandels beiseite, der eine der wichtigsten Klammern des Zusammenhalts der beiden Teile Deutschlands darstellt. Wir haben uns im Ausschuß anläßlich der Behandlung des Antrags Dr. Friedensburg und Genossen auch mit diesem Problem ausgiebig beschäftigt. Wir haben aber darauf verzichtet, dazu Anträge zu stellen. Ebenso bleibt das große Gebiet der kulturellen Beziehungen zwischen der sowjetischen Besatzungszone und der Bundesrepublik außer Betracht. Das ist auch ein umfangreiches und wichtiges Gebiet, auf dem wir hier mit unseren innerdeutschen Mitteln viel tun könnten, um die Spaltung Deutschlands nicht zu vertiefen und um die Verbindungen wieder zu knüpfen. Der Gesamtdeutsche Ausschuß befaßt sich jetzt noch besonders mit diesen kulturellen Beziehungen. Aus der Behandlung dieses Themas werden dann wahrscheinlich auch konkrete Anregungen an das Hohe Haus gelangen.
Der Antrag beschränkt sich also auf den Personen- und Postverkehr, auf den Straßen- und Eisenbahnverkehr. Ich würde Sie langweilen, wenn ich alle 19 Punkte, die der Antrag enthält, im einzelnen begründen wollte. Ich werde nur hier und da einiges herausgreifen können.
Zunächst wird der Personenverkehr mit der sowjetischen Besatzungszone behandelt. Ich brauche seine Bedeutung im Kampf gegen das Sichabfinden mit der Spaltung Deutschlands, im Kampf gegen die Entfremdung der Deutschen diesseits und jenseits des „Vorhangs" kaum hervorzuheben. Wir sollten uns diesen menschlichen Kontakt von hüben nach drüben und umgekehrt immer ganz besonders angelegen sein lassen und überlegen, was wir tun können, um diesen schon so erfreulich starken Kontakt weiterhin zu verstärken und zu entwickeln.
Die Entwicklung ist in der Tat erfreulich gewesen. Vor Juni 1953 kamen im Monatsdurchschnitt etwa 80 000 bis 100 000 Menschen zu uns aus der sowjetischen Besatzungszone. Im vergangenen Jahr sind es im Monatsdurchschnitt 220 000 Menschen gewesen. Der Verkehr hat sich also mehr als verdoppelt. In der umgekehrten Richtung sind die Zahlen entsprechend.
Dieser Anstieg des Personenverkehrs ist zwei Umständen zu verdanken. Einmal haben wir auf der anderen Seite glücklicherweise eine veränderte politische Haltung zu dem Problem feststellen können: man hat dem freien Verkehr nicht mehr soviel Hemmnisse politischer und verwaltungsmäßiger Art in den Weg gelegt wie vorher. Ein andermal haben w i r dazu beigetragen, daß dieser Verkehr intensiver werden konnte. Wir haben sozusagen verwaltungsmäßige Schachzüge getan; wir haben uns — leider erst nach langem Hin und Her — entschlossen, einseitig auf den Interzonenpaß zu verzichten, und haben damit alle Hemmnisse dieser Art beseitigt, die auf unserer Seite dem Personenverkehr entgegenstanden. Mit diesem Schachzug haben wir die andere Seite gezwungen, auch ein wenig nachzuziehen; auch dort wurde der Interzonenpaß abgeschafft. Allerdings hat sich dieser Polizeistaat bisher nicht entschließen können, auf die wirkliche Kontrolle des Personenverkehrs zu verzichten. Die Reisenden von hier nach drüben brauchen vorher eine Aufenthaltsgenehmigung von den zuständigen örtlichen Behörden, und unsere Deutschen aus der SBZ brauchen, um zu uns zu kommen, eine Personalbescheinigung, die sie gegen Hinterlegung ihrer Kennkarte erhalten. Auf diese Weise ist es trotzdem noch in der Hand der sowjetzonalen Behörden, den Personenstrom, den Verkehr der Personen über die Zonengrenzen hinweg, zu kontrollieren und, wenn es ihnen gefällt, von einem Tag zum andern zu bremsen, zu drosseln oder gar abzustoppen.
Leider müssen wir feststellen, daß in den letzten Monaten die Handhabung dieser Kontrolle nicht großzügiger, sondern engherziger geworden ist. Es sind neue Maßnahmen eingeführt worden, die auch schon dazu geführt zu haben scheinen, daß der Strom etwas dünner wird. Im April des vorigen Jahres kamen aus der Zone 223 000 Menschen zu uns. Im April dieses Jahres waren es 181 000, also eine Verminderung um ein Fünftel. In den Monaten vorher lagen die Zahlen noch über denjenigen des Vorjahrs.
Was können wir auf diesem Gebiet tun, um den Strom stärker werden zu lassen? Auf unserer Seite sollten wir alle Hemmnisse auch sekundärer Natur beseitigen — ich komme gleich auf diese zu sprechen —, die der Entwicklung des Personenverkehrs entgegenstehen. Auf die andere Seite sollten wir immer wieder drücken, daß sie die verwaltungsmäßigen Schikanen abbaut. Das ist nicht notwendigerweise ein gänzlich hoffnungsloses Unterfangen. Ein diktatorischer Staat verzichtet nicht gerne auf die Kontrolle der Bewegung der Menschen. Aber er kann sich in verschiedenem Grade diesem Strom entgegensetzen. Wenn drüben so sehr von der Wiedervereinigung Deutschlands, von dem Zusammenhang der beiden Teile und dem Verkehr der Deutschen untereinander gesprochen wird, dann sollten wir immer darauf hinweisen, daß wir hier die bürokratischen Hemmnisse abgebaut haben und daß wir darauf warten, daß sie auch auf der anderen Seite beseitigt werden. Wir sollten nie müde werden, diese Mahnung an die andere Seite zu richten.
Aber auch auf unserer Seite ist noch manches zu tun. Zum Teil handelt es sich um Kleinigkeiten, aber um Kleinigkeiten, die ihre Bedeutung haben. Wenn man mit den Interzonenzügen in den anderen Teil Deutschlands fährt, dann ist manchmal die Fahrzeit sehr viel geringer als die Kontrollzeit an den Kontrollbahnhöfen. Diese Kontrollzeit ist zwar auf der anderen Seite zwei- bis dreimal länger als bei uns, und wir können stolz darauf sein, daß bei uns die sehr viel kürzeren Zeiten vorhanden sind, aber es ist durchaus noch nicht alles getan, um auf unserer Seite den Übergang möglichst formlos zu machen und durch die Formlosigkeit zu unterstreichen, daß hier zwar gegen unseren Willen eine Demarkationslinie gezogen wurde, daß hier aber keine wirkliche Grenze besteht.
Daß man noch vieles tun kann, geht aus folgendem
kleinem Beispiel hervor. In Helmstedt braucht man
zur Abfertigung der Interzonenzüge in beiden Richtungen. 18 Minuten, in Hof braucht man in Richtung Zone 33 Minuten und in der Richtung her zu uns gar 50 Minuten. Bitte, wenn es in Helmstedt mit 18 Minuten geht — und wahrscheinlich ginge es auch noch kürzer —, warum geht es dann nicht auch in Hof mit 18 Minuten, meine Herren von der Bundesregierung? Warum braucht man dann in Hof doppelt und dreimal soviel Zeit, um die Kontrolle der Züge, die über die Zonengrenze kommen, durchzuführen? Ich habe auch den neuen Sommerfahrplan einsehen lassen und leider festgestellt, daß die Bundesregierung uns hier die Wünsche nicht von den Lippen abgelesen hat. In dem neuen Fahrplan sind die Wartezeiten genau so lang wie im alten. Ich möchte hoffen, daß, wenn dieser Antrag heute angenommen wird, die Bundesregierung sich auch dieser Kleinigkeiten, die für die 200 000 und mehr Menschen, die im Monat zu uns herüberkommen, doch von großer Bedeutung sind, annimmt.
Besonders wichtig im Verkehr der Personen zwischen drüben und uns ist der Punkt A 1 d des Antrags. Es handelt sich um die Bezahlung des Rückfahrpreises für die Besucher aus der sowjetischen Besatzungszone. Zwischen der sogenannten Reichsbahn drüben und unserer Bundesbahn gibt es keine Abmachungen über Rückfahrkarten, oder vielmehr: es gibt eine alte Abmachung aus Besatzungsrecht, daß keine Rückfahrkarten ausgegeben werden. So sind die Menschen aus der SBZ gezwungen, bei der Rückfahrt ihre Fahrkarte in Westmark zu lösen. Sie haben aber keine Westmark; sie dürfen ja auch nicht einmal Ostmark mitnehmen. So haben sie, um die Rückfahrt zu bezahlen, nur die Möglichkeit, sich an ihre Verwandten und Freunde oder gar an die Wohlfahrtsämter zu wenden. Meine Damen und Herren, wir sollten das unseren Brüdern und Schwestern aus der SBZ ersparen. Denn das ist immer eine kleine Demütigung für sie. Da müssen sie es besonders spüren, daß sie das schlechte Los gezogen haben, daß es ihnen so viel schlechter geht, daß sie unsere ,armen und hilfsbedürftigen Verwandten sind. Wir sollten da bessere Lösungen finden.
In dem Vorschlag des Gesamtdeutschen Ausschusses wird gesagt, man solle mit der Reichsbahn drüben über die Ausgabe von Rückfahrkarten ein Abkommen nach Art des Abkommens über die Annahme von Ostmark in den Speise- und Schlafwagen der Interzonenzüge anstreben. Ein solches Abkommen ist zwischen den beiden Bahnen zustande gekommen. Danach können die Deutschen aus der Zone hier im Westen in den Speise- und Schlafwagen mit ihrem Geld zum Pari-Kurs bezahlen. Das 'ist die einzige gute und vernünftige Lösung. Es ist uns klar, daß es nicht leicht sein wird, ein solches Abkommen auch für die Fahrkarten zu erzielen. Aber wenn man erkannt hat, daß das die einzig vernünftige Lösung ist, dann soll man der anderen Seite die Verlegenheit nicht ersparen und immer wieder diesen Antrag stellen. Es ist uns ja dadurch leichter gemacht, daß ein Präzedenzfall durch das Abkommen über die Bezahlung in den Speise- und Schlafwagen schon geschaffen worden ist.
Nun, trotzdem müssen wir uns klar 'darüber sein, daß ein solches gutes Abkommen eben nicht leicht zu erreichen sein wird. Deshalb müssen wir Maßnahmen für das treffen, was bis dahin zu tun ist. Der Gesamtdeutsche Ausschuß schlägt hier vor:
bis zum Abschluß eines solchen Abkommens sind Mittel des Bundeshaushaltsplanes bereitzustellen, die es ermöglichen, Interzonenreisenden aus der sowjetisch besetzten Zone die Rückreise zu erleichtern.
Meine Damen und Herren, die Bezahlung der Rückfahrkarte ist ein besonders wichtiger Punkt für den Besuch von Personen aus der SBZ. Hier können wir viel tun, urn die Zahl 'der Reisenden zu vergrößern und 'dadurch die Kontakte zwischen Ost und West, Mittel- und Westdeutschland zu erleichtern. Wir erklären immer allesamt, die wir hier im Hause vertreten sind, daß die Wiedervereinigung Deutschlands, daß der Zusammenhalt Deutschlands unser oberstes politisches Anliegen ist. Solche Dinge muß man beweisen, wenn es darum geht, für diesen politischen Willen Opfer zu bringen. Hier wäre einmaterielles Opfer von unserer Seite zu bringen, ein nicht ganz unerhebliches; es könnte sich um einige 40 Millionen D-Mark handeln. Der Gesamtdeutsche Ausschuß ist aber der Meinung, daß wir verpflichtet sind, ein solches Opfer zu bringen, und daß es, gemessen an dem großen Ziel, auch ein sehr erträgliches, ja sogar ein kleines Opfer wäre.
In Punkt A 2 behandelt der Antrag den. Personenverkehr mit Berlin. Ich will hier nur auf einige Dinge verweisen. Die Absätze h und c handeln vom Luftverkehr. Einmal sollten zwischen Berlin und Hannover sogenannte Lufttaxen eingesetzt werden, es sollte also auf der kürzesten Strecke in der Luft die Entfernung überbrückt werden, vor allem für die Menschen, die Gründe haben könnten, nicht die Interzonenzüge zu benutzen, die aber andererseits sich den teureren Flug an die Bestimmungshäfen hier im Westen nicht leisten können. In dem folgenden Abs. c regt der Ausschuß an, zu erwirken, daß der Deutschen Lufthansa das Befliegen der Luftkorridore nach Berlin gestattet wird. Wir haben jetzt wieder eine deutsche zivile Luftfahrt, und wir sollten mit allen Mitteln dahin wirken, daß diese zivile Luftfahrt auch ,die Luftkorridore befliegen kann. Es wird da auf der anderen Seite Widerstände geben. Aber Widerstände muß man überwinden, und mir scheint, daß die Bundesregierung hier in Auseinandersetzungen mit der anderen Seite ein gutes Argument hätte. Sagt man nicht da drüben: „Ami go home", und wenn man das sagt, kann man sich dann auf den Standpunkt stellen, daß nur amerikanische und andere Flugzeuge den Luftverkehr zwischen Berlin und dem Westen aufrechterhalten sollen? Liegt es nicht auch im Trend der Politik der anderen Seite, das, was bisher Besatzungsmächte getan haben, mehr und mehr durch deutsche Institutionen und Stellen tun zu lassen? Ich glaube also, daß, wenn wir hier zum Angriff übergehen, eigentlich politisch gute Chancen gegeben sein müßten, auch zum Ziele zu gelangen.
Bei den Beratungen im Ausschuß haben wir den Eindruck gehabt, daß es sich keineswegs nur darum handelt, politische Widerstände solcher Art, wie ich sie eben nannte, aus dem Wege zu räumen, daß vielmehr solchen Anliegen wie der Einrichtung von Lufttaxen und dem Verkehr durch die Lufthansa auch sehr massive materielle Interessen der westlichen Mächte entgegenstehen.
Im Verkehr zwischen Berlin und Westdeutschland wären auch durch einfache administrative Maßnahmen wesentliche Verbesserungen zu erzielen. Ein
Zug aus Berlin hat jetzt in Marienborn 68 Minuten Aufenthalt — über eine Stunde —, in Helmstedt hat er 18 Minuten Aufenthalt. Beide Aufenthalte, soweit sie nicht die nötigen Haltezeiten sind, sondern Kontrollzeiten, wären völlig überflüssig, wenn es gelänge, die andere Seite zu dem zu bewegen, was der Gesamtdeutsche Ausschuß in Punkt A 2 d vorschlägt, nämlich den Eisenbahnverkehr von Personen und Gütern zwischen Berlin und der Bundesrepublik dadurch zu erleichtern, daß die etwa noch für notwendig gehaltenen Kontrollen sich durch Mitnahme von sowjetzonalem Begleitpersonal erledigen. Wenn es gelänge, dieses Ziel zu erreichen, dann würde es diese Wartezeit nicht mehr geben, und die Fahrt von Berlin nach dem Westen wäre um über eine Stunde verkürzt.
Auch im Personenverkehr mit dem Saargebiet sind noch einige Dinge zu tun. Wir haben im vorigen Jahre auf Beschluß des Bundestages durchgesetzt, daß von uns aus im Verkehr mit dem Saargebiet nach Inlandsgrundsätzen verfahren wird, daß bei Reisen von Deutschen über diese innerdeutsche Grenze der Personalausweis ,als Personalpapier genügt und der Paß nicht gefordert wird. Die Gegenseitigkeit ist hier noch nicht erzielt. Auf der anderen Seite wird der Paß verlangt. Angesichts der vorbildlichen europäischen Begeisterung der Saarbrücker Stellen — nicht wahr, Herr Walz, Sie lachen! — müßte es doch möglich sein, da zu erreichen, daß die Gegenseitigkeit recht bald hergestellt wird!
Auch auf dem Gebiet des Eisenbahnverkehrs ist noch einiges zu tun. In Bruchmühlbach halten die Züge 23 Minuten, in Homburg 33 Minuten. Insgesamt also fast eine Stunde Verzögerung an dieser Grenze! Es gibt Züge, die weit über eine Stunde Verzögerung erleiden.
Zum Postverkehr darf ich mich darauf beschränken, auf den Punkt B 2 einzugehen: den Postverkehr mit dem Saargebiet. Dieser Postverkehr ist hier eben schon behandelt worden. Ich möchte nur darauf verweisen, daß der Gesamtdeutsche Ausschuß hier zwei Anliegen hat. Im ersten Satz des Punktes B 2 beantragt er, den engen Bindungen von Bevölkerung und Wirtschaft der Bundesrepublik und des Saargebietes Rechnung zu tragen und im Postverkehr die Inlandsgebühren zu erheben, d. h. von uns aus entsprechend dem zu handeln, was wir in der Theorie behaupten: wir vertreten ja alle die These, daß das Saargebiet ein Teil Deutschlands innerhalb der Grenzen von 1937 ist.
Dann folgt der Satz:
dabei ist anzustreben, daß die saarländische Postverwaltung im gleichen Sinne verfährt.
Das Postministerium hat jetzt bei Satz 2 angefangen und zunächst durch Kontaktaufnahme mit Saarbrücken die Gegenseitigkeit angestrebt. Das ist gut und schön, meine Damen und Herren. Aber wenn sich in einer vernünftigen Zeit erwiese, daß die andere Seite nicht bereit ist, im gegenseitigen Verkehr die Inlandstarife einzuführen, dann sollten wir auf Satz 1 zurückkommen und einseitig von uns aus die Inlandsgebühren für den Verkehr mit dem Saargebiet erheben.
Ich glaube, es befürchtet heute niemand mehr, daß dann auf der anderen Seite Repressalien ergriffen werden könnten, daß dann dort Strafporto erhoben würde und dergleichen Dinge mehr. Es muß ja ins
Gedächtnis gerufen werden, daß die sowjetische Besatzungszone in dieser Hinsicht immer schon konsequent gewesen ist und Briefe mit Auslandsporto für das Saargebiet sogar zurückgewiesen hat, und daß die Behörden im Saargebiet sich mit dieser Handlungsweise abgefunden haben und die Briefe, die mit Inlandsporto aus der sogenannten DDR kommen, sehr wohl befördern, genau wie die, die paradoxerweise mit Auslandsporto aus der Bundesrepublik kommen.
Zum Schluß beschäftigt sich der Antrag mit den Mitteln und Wegen, die zur Erreichung der verschiedenen Ziele ergriffen werden könnten. Zum Teil sind hier Dinge vorgeschlagen, die durch einseitige Maßnahmen hier bei uns verwirklicht werden können. Zum Teil sind zur Durchführung Verhandlungen notwendig. Dabei soll man sich nach dem Willen des Gesamtdeutschen Ausschusses immer daran erinnern, daß die Teilung Deutschlands nicht durch uns, sondern durch die Besatzungsmächte erfolgte und daß sie verantwortlich für sie sind, daß sie auch verantwortlich für die Wiederzusammenführung Deutschlands sind. Sie haben ja alle, die östliche Besatzungsmacht und die westlichen Besatzungsmächte, in den jüngsten Maßnahmen zur Ablösung des Besatzungsregimes Vorbehalte in bezug auf Deutschland als Ganzes gemacht. Wir sollten immer daran anknüpfen, sollten die Besatzungsmächte nicht aus ihrer Verantwortung entlassen und sie deshalb mit diesen konkreten Anliegen angehen und von ihnen verlangen, daß sie die Dinge in Ordnung bringen. Das ist z. B. jetzt geschehen in der Frage der erhöhten Straßengebühren im Verkehr zwischen der Bundesrepublik und Berlin.
Der Gesamtdeutsche Ausschuß glaubt jedoch, daß dieser Weg über die Besatzungsmächte nicht ausreichend ist und daß er sogar nicht immer möglich ist. In allen Dingen, z. B., die die Bundesbahn und die Reichsbahn drüben angehen, ist der Weg über die Besatzungsmächte nicht mehr gangbar, und wir können nur im direkten Gespräch mit den zuständigen Stellen der anderen Seite zum Ziele kommen. Deshalb sind Verhandlungen von Verwaltung zu Verwaltung nicht nur möglich, sondern auch notwendig.
Im Gesamtdeutschen Ausschuß waren wir uns darüber einig, daß solche Verhandlungen zwischen Bonner Stellen und Stellen in Pankow und in Saarbrücken keine Grundsatzfragen sind, sondern Fragen der Zweckmäßigkeit, Fragen der politischen Gewinn- und Verlustrechnung, daß deswegen auch nicht generell gesagt werden kann, mit wem und wie solche Verhandlungen zu führen sind. Das muß von Fall zu Fall entschieden werden, und je nach dem Einsatz, der auf dem Spiele steht, können die Methoden verschieden sein, kann auch die politische Ebene verschieden sein, auf der solche Verhandlungen geführt werden. Um Mißverständnisse zu vermeiden, möchte ich unterstreichen, daß es sich hier immer nur um Verhandlungen handelt, die praktische, technische, wirtschaftliche und verkehrstechnische Dinge angehen, also nie um politische Verhandlungen. Der Gesamtdeutsche Ausschuß ist auch da einer Meinung, daß politische Verhandlungen etwa mit Pankow über die Wiedervereinigung Deutschlands sinnlos sind und nicht geführt werden sollen. Dagegen ist er der Meinung, daß zur Erreichung konkreter Ziele im Verkehr der Teile Deutschlands miteinander die Ebene nach Zweckmäßigkeit gewählt werden soll. Er macht
dabei einen Vorbehalt, indem er sagt, daß solche Maßnahmen ergriffen werden sollen, die nicht als Anerkennung der in anderen deutschen Landesteilen eingerichteten Regierungen oder Verwaltungen ausgelegt werden müssen. Ich möchte das Wort „müssen" unterstreichen; es soll nämlich darauf hinweisen, daß man nicht sehr zimperlich sein soll, daß man vielmehr überlegen muß, ob eine solche Maßnahme zwangsläufig und von jedem vernünftig denkenden Menschen als eine Anerkennung ausgelegt werden muß. Ich möchte persönlich sagen, daß ich z. B. den Brief des Herrn Postministers an einen Minister in Saarbrücken wegen des Inlandstarifs im Postverkehr nicht als ein Dokument ansehen würde, das eine Anerkennung des dort geschaffenen Regimes beinhaltete.
Meine Damen und Herren, es ist so schwierig, zu der Wiedervereinigung Deutschlands im Politischen zu gelangen. Morgen früh werden wir uns über diese politische Seite in diesem Hause unterhalten. Wir können aber hier in Deutschland selbst durch unser praktisches Verhalten auf den Gebieten des Handels und des Verkehrs viel dafür tun, daß Deutschland zusammengehalten wird, daß die Spaltung nicht vertieft wird, daß vielmehr das, was schon weitgehend auseinandergekommen ist, wieder zusammenkommt und wieder miteinander verknüpft wird. Was hier vom Gesamtdeutschen Ausschuß vorgeschlagen wird, sind keine sensationellen, großen Dinge. Es handelt sich da um Kleinigkeiten mit manchmal großen Wirkungen. Es handelt sich darum, ruhmlose, zähe Kleinarbeit im Dienste des Zusammenhalts unseres geteilten Landes zu leisten. Der Gesamtdeutsche Ausschuß hat mit dem Antrag Drucksache 1325 einen Beitrag zu dieser zähen Kleinarbeit leisten wollen. Er bittet Sie um Ihre Zustimmung.