Gesamtes Protokol
Meine Damen und Herren! Ich eröffne die 48. Sitzung des Deutschen Bundestages und bitte um Bekanntgabe der Namen der entschuldigten Abgeordneten.
Es suchen für längere Zeit um Urlaub nach der Abgeordnete Dr. Lindenberg für zwei Wochen wegen Krankheit; ferner für zwei Wochen wegen dienstlicher Inanspruchnahme die Abgeordneten Frau Geisendörfer, Knapp, Feller, Dr. Lütkens, Dr. Willeke, Höfler, Etzenbach, Meitmann, Kühn , Rasner und für fünf Wochen wegen Krankheit der Abgeordnete Bazille.
Meine Damen und Herren, ich unterstelle, daß Sie mit der Erteilung des Urlaubs einverstanden sind, soweit er über eine Woche hinausgeht.
Der Präsident hat Urlaub erteilt für zwei Tage den Abgeordneten Glüsing, Illerhaus, Gaul, Dr. Königswarter, Brandt , Stahl, Sassnick, Seither, Dr. Weber (Koblenz), Kiesinger, Euler, Rademacher, Schrader, Rehs, Brand (Remscheid), Dr. Czermak, Matthes, Dr. Preller, Dr. Bucher, Hahn, Dr. Kreyssig, Massoth, Dr. Schmid (Frankfurt) und Müller (Worms).
Der Präsident hat Urlaub erteilt für einen Tag den Abgeordneten Dr. Dittrich, Dr. Deist, Dr. Werber, Dr. Krone, Rasch, Hansen und Wagner (Ludwigshafen).
Ich stelle fest, daß der Abgeordnete Krone trotz des ihm für einen Tag erteilten Urlaubs anwesend ist.
Die übrigen amtlichen Mitteilungen werden ohne Verlesung in den Stenographischen Bericht aufgenommen:
Der Herr Bundesminister für besondere Aufgaben Dr. Schäfer hat unter dem 6. Oktober 1954 die Kleine Anfrage 109 der Fraktion der DP betreffend Beirat für Fragen des unselbständigen Mittelstandes — Drucksache 824 — beantwortet. Sein Schreiben wird als Drucksache 865 vervielfältigt.
Der Herr Bundesminister für Verkehr hat unter dem 8. Oktober 1954 die Kleine Anfrage 112 der Abgeordneten Schlick, Müller und Genossen betreffend Verkehrsunglücke an unbeschrankten Bahnübergängen — Drucksache 829 — beantwortet. Sein Schreiben wird als Drucksache 881 vervielfältigt.
Der Herr Bundesminister für Verkehr hat unter dem 7. Oktober 1954 die Kleine Anfrage 114 der Abgeordneten Josten, Stauch, Dr. Weber , Franzen und Genossen betreffend Neubau eines Wehrs an der Lahn in Niederlahnstein — Drucksache 844 — beantwortet. Sein Schreiben wird als Drucksache 870 vervielfältigt.
Der Herr Beauftragte des Bundeskanzlers für die mit der Vermehrung der alliierten Truppen zusammenhängenden Fragen hat unter dem 11. Oktober 1954 die Kleine Anfrage 115 der Fraktion der SPD betreffend Sicherheitsvorschriften bel militärischen Anlagen der Besatzungsmächte — Drucksache 846 — beantwortet. Sein Schreiben wird als Drucksache 882 vervielfältigt.
Die Fraktion der DP hat unter dem 12. Oktober 1954 mitgeteilt, daß sie ihren Antrag auf Gewährung von Weihnachtsgratifikationen für 1954 — Drucksache 805 — zurückziehe.
Meine Damen und Herren, zur heutigen Tagesordnung habe ich bekanntzugeben, daß interfraktionell vereinbart worden ist, den Punkt 4, Erste Beratung des von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Geschäftsraummietengesetzes , heute abzusetzen und für die morgige Plenar-
sitzung vorzusehen und die Tagesordnung um den Punkt zu ergänzen: Wahl eines Schriftführers gemäß § 3 der Geschäftsordnung. — Ich darf annehmen, daß das Haus mit dieser Veränderung der Tagesordnung einverstanden ist.
An Glückwünschen habe ich auszusprechen: zum 68. Geburtstag Glückwünsche dem Herrn Abgeordneten Gengler, der ihn am 8. Oktober gefeiert hat.
Da ich die Erfahrung gemacht habe, daß man Glückwünschen nicht entgehen kann, habe ich dem Wunsch eines Bundesministers, seines Geburtstags heute nicht zu gedenken, nicht entsprechen können. Ich gratuliere dem Herrn Bundesminister Dr. Lübke zu seinem 60. Geburtstag am heutigen Tag.
Meine Damen und Herren, ich darf also zunächst zur
Wahl eines Schriftführers gemäß § 3 der Geschäftsordnung
kommen. Die Fraktion der SPD hat an Stelle des verstorbenen Abgeordneten Tenhagen als Schriftführer den Herrn Abgeordneten Stümer vorgeschlagen. Ich bitte die Damen und Herren, die der Wahl des Herrn Abgeordneten Stümer zustimmen, eine Hand zu erheben. — Ich stelle fest, daß Herr Abgeordneter Stümer einstimmig als Schriftführer gewählt ist, und wünsche ihm guten Erfolg für seine Arbeit als Schriftführer.
Ich rufe den Punkt 1 auf:
Beratung des Mündlichen Berichts des Aus-
schusses nach Art. 77 des Grundgesetzes
zu dem Gesetz über die Lastenausgleichsbank (Bank für Vertriebene und Geschädigte) (Drucksachen 871, 86, 628, 753).
Berichterstatter des Vermittlungsausschusses ist Herr Abgeordneter Kunze . Ich bitte ihn, das Wort zu nehmen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Bundesrat hat zu dem Beschluß des Plenums des Deutschen Bundestages den Vermittlungsausschuß mit dem Ziel angerufen,
in § 7 Abs. 1 der Nr. 10 die Fassung zu geben: „bis zu fünf weiteren Mitgliedern, sofern die Hauptversammlung die Zuwahl weiterer Mitglieder für geboten hält." Nach dem Bundestagsbeschluß hatte die Nr. 10 gelautet: „sieben weiteren Mitgliedern, die vom Bundestag gewählt werden." Im Vermittlungsausschuß ist einstimmig beschlossen worden, beiden Häusern vorzuschlagen, den § 7 in zwei Punkten zu ändern, und zwar dahin, daß in § 7 Abs. 1 die Nr. 10 lautet: „10. fünf weiteren sachverständigen Mitgliedern" und § 7 Abs. 4 durch folgenden Satz 2 ergänzt wird: „Die fünf weiteren Mitglieder werden vom Bundestag gewählt." Es ist also dazu die entsprechende Einschränkung gemacht, daß der Bundestag sachverständige Mitglieder wählen muß.
Ich bitte, dem einstimmig gefaßten Beschluß des Vermittlungsausschusses zuzustimmen.
Ich danke dem Herrn Berichterstatter. Der Vermittlungsausschuß hat
offenbar nicht 'beschlossen, daß über beide Punkte gleichzeitig abgestimmt werden muß.
— Nicht erforderlich.
— Die beiden Punkte stehen also sachlich in innerer Beziehung zueinander.
Meine Damen und Herren, sollen Erklärungen dazu abgegeben werden? — Das ist nicht der Fall.
Im Interesse der Vereinfachung darf ich wohl über beide Punkte gleichzeitig abstimmen lassen. Ich bitte die Damen und Herren, die dem Antrag des Vermittlungsausschusses auf Drucksache 871 Ziffern 1 und 2 zuzustimmen wünschen, eine Hand zu erheben. — Wer ist dagegen? — Ich stelle fest, daß dieser Antrag des Vermittlungsausschusses einstimmig angenommen worden ist.
— Ach, Enthaltungen! Ich habe nicht daran gedacht, daß es das auch gibt. Also: bei einigen Enthaltungen.
Dann rufe ich auf Punkt 2 der Tagesordnung:
a) Dritte Beratung des von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Gewährung von Kinderbeihilfen und des von der Fraktion der CDU/CSU eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Gewährung von Kindergeld und die Errichtung von Familienausgleichskassen (Drucksachen 318, 319, 708, zu 708) Zusammenstellung der Beschlüsse in zweiter Beratung — Drucksache 847 ----(Erste Beratung 21. Sitzung, zweite Beratung 44. und 45. Sitzung) (Anträge Umdrucke 162, 169, zu 169, 173, 176, 179, 180, 181, 182);
b) Erste Beratung des von der Fraktion der FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Gewährung von Kinder-. geld ;
c) Erste Beratung des von der Fraktion der CDU/CSU eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Anpassung der Leistungen für Kinder in der gesetzlichen Unfallversicherung, in den gesetzlichen Rentenversicherungen, in der Arbeitslosenversicherung und Arbeitslosenfürsorge sowie in der Kriegsopferversorgung an das Kindergeldgesetz (Drucksache 876).
Meine Damen und Herren, ich nehme an, daß zunächst eine allgemeine Aussprache der dritten Beratung stattfinden soll.
— Herr Abgeordneter Richter, ich verstehe Sie nicht ganz.
Ich würde Sie bitten, erst die Umdrucke zur Beratung zu stellen und dann die allgemeine Aussprache stattfinden zu lassen!
Bitte, Herr Abgeordneter Schellenberg zur Geschäftsordnung!
Ich glaube, das ist deshalb notwendig, weil der § 1, zu dem Änderungsanträge gestellt worden sind, die gesamte Konstruktion des Gesetzes berührt. Deshalb muß wohl erst eine Aussprache über § 1 stattfinden.
Also, meine Damen und Herren, es ist völlig richtig, daß der § 1 die gesamte Konstruktion des Gesetzes betrifft und daß dazu Anträge vorliegen. Aber wir kommen doch um die geschäftsordnungsmäßig vorgesehene Generalaussprache zum Gesetz überhaupt, wenn sie gewünscht wird, nicht herum. Ob bei dieser Generalaussprache die zu § 1 gestellten grundsätzlichen Anträge mit erörtert werden, ist ja Sache des einzelnen Abgeordneten, der spricht.
Also. ich eröffne geschäftsordnungsmäßig zunächst einmal die allgemeine Aussprache der dritten Beratung. Dazu haben sich bisher gemeldet Herr Abgeordneter Schellenberg
— nein, nicht —, dann Herr Abgeordneter Atzenroth. Bitte!
Meine Damen und Herren! Selten sind wir bei einem Gesetz so schwer zu klaren Vorstellungen über den einzuschlagenden Weg gekommen wie bei der Frage der Kinderbeihilfen.
— Nicht wahr? Ich danke für die Bestätigung, gnädige Frau!
Das ist auch der innere Grund dafür, daß wir im 1. Bundestag nicht zu einer Lösung der Frage gekommen sind. Es sind viele Überlegungen, viele Vorschläge und manche Irrtümer notwendig gewesen, bis wir zu der jetzigen Vorstellung kamen. Das gilt jedenfalls für meine Partei und, ich nehme an, auch für die meisten anderen. Aber man soll ja seine Fehler zunächst einmal so weit überprüfen, daß man zu einer Einsicht kommt, die nachher in der Öffentlichkeit auch wirklich bestehen kann.
Das ist der Grund dafür, daß wir dem Hause erst nach der zweiten Lesung einen Gesetzentwurf vorgelegt haben, der unsere Auffassung von dieser Angelegenheit klar und eindeutig umreißt. Leider sind wir in den Vorberatungen auf so viel Widerstände und so viel Abweisung gestoßen, daß es der Sache geschadet hat. Dadurch hat die zweite Lesung eine Formulierung dieses Gesetzes gebracht, die in der Öffentlichkeit allgemein abgelehnt und als untragbar angesehen wird.
Die erste Teillösung wurde uns vorgelegt, als von seiten der Wirtschaft der Vorschlag gemacht wurde, den Arbeitnehmern die Kinderbeihilfen auf dem Weg über die Berufsgenossenschaften zukommen zu lassen. Dieser Vorschlag zeigte eine gewisse Geschlossenheit. Die Vorstellung, daß man verwaltungsmäßig auf dem Wege über die Berufsgenossenschaften billig zu einer Lösung kommen könne, war zwar falsch; aber das ist nicht der entscheidende Punkt. Es hatte jedenfalls eine gewisse Berechtigung, diesen Weg zu wählen, solange man sich auf die Arbeitnehmer beschränkte. Diesen Weg hatten wir auch mitmachen wollen. Dann kam plötzlich
der Gedanke auf, die Selbständigen in dieses Gesetz hineinzunehmen, und zwar anscheinend dadurch hervorgerufen, daß z. B. die selbständigen Landwirte sich darüber beklagten, ihre Arbeitnehmer sollen in den Genuß einer Kinderbeihilfe kommen, während sie selber, die sich wirtschaftlich in nicht wesentlich anderer Lage befinden, davon ausgeschlossen werden sollen. Solche und ähnliche Motive waren maßgebend.
Zunächst einmal ist der Begriff „selbständig" in diesem Zusammenhang ein völlig falscher Begriff. Was heißt selbständig? Warum macht man einen Unterschied zwischen demjenigen, der nach der Rechtsstruktur seines Unternehmens selbständig ist, und dem Direktor eines großen Unternehmens, der als Arbeitnehmer gilt? Für die Frage der Kinderbeihilfen sind diese beiden Personenkreise absolut gleichzustellen. Also das Wort „selbständig" ist bei diesem Problem völlig schief.
Diesen schiefen Ausdruck brachte man nun in dieses Gesetz hinein. Da begann unser Widerstand; denn nunmehr war die Konstruktion des Gesetzes, bei der der Weg über die Berufsgenossenschaft gewählt wurde, völlig falsch. Nach dem ganzen Aufbau der Berufsgenossenschaften gehören Selbständige — also im Gegensatz zu Arbeitnehmern — in diese nicht hinein. Es gab technische Schwierigkeiten, besonders bei den landwirtschaftlichen Berufsgenossenschaften. Diese Schwierigkeiten sind keineswegs ausgeräumt. Die Erklärung, die von dieser Tribüne in der zweiten Lesung abgegeben worden ist, daß einzelne Leiter von landwirtschaftlichen Berufsgenossenschaften sich anders als in den schriftlichen Eingaben, die wir alle erhalten haben, geäußert hätten, ist unrichtig. Die landwirtschaftlichen Berufsgenossenschaften bleiben nach wie vor dabei, daß das Gesetz für sie, wenn auch nicht absolut undurchführbar, so doch so schwer durchführbar ist, daß es — auch nach der Fassung der zweiten Lesung — eine untragbare Belastung für sie bedeutet.
Es kommt hinzu, daß die Finanzierung für die Selbständigen Ungerechtigkeiten enthält, einmal dadurch, daß man sie anders als die Arbeitnehmer behandelt — denn sie sollen selbst aufbringen —, und zweitens dadurch, daß, nachdem man die Notwendigkeit eingesehen hatte, Grenzen zu ziehen, die verbleibenden Kreise besonders stark zusätzlich belastet werden. Das sind Dinge, die ein solches Gesetz nicht tragbar erscheinen lassen. Deswegen haben wir in der zweiten Lesung gegen diese Formulierungen Stellung genommen.
Ich wiederhole: wir sind von Anfang an auch nicht mit ganz klaren Vorstellungen an dieses Problem herangegangen. Auch bei uns mußte sich die Auffassung über das Notwendige und Zweckmäßige langsam entwickeln. Wir haben eine klare Auffassung erst nach dem Ergebnis der zweiten Lesung, nach all den Darlegungen, die von dieser Tribüne herab gemacht worden sind, und zum Teil auch nach den Eindrücken, die in der Presse wiedergegeben worden sind, gewinnen können. Auf Grund dieser Eindrücke haben wir unseren Gegenentwurf zusammengestellt. Wir behaupten, daß es sich hier um eine klare und eindeutige Lösung handelt, der man in einzelnen Punkten widersprechen kann— zweifellos, aus Gründen der Weltanschauung meinetwegen —, die aber ein Konzept darstellt, das klar und einfach ist. Wir wollen der Kindergeldfrage eine, ich will einmal sagen: soziale Lösung geben. Wir gehen von dem Standpunkt aus,
daß der Staat den kinderreichen Familien dort eine Hilfe geben soll, wo er nicht auf dem Wege über die Steuervergünstigungen dazu in der Lage ist und wo eine solche Bedürftigkeit besteht, daß der Staat eingreifen muß. Das steht im strikten Gegensatz zu Ihrem Entwurf, der hier in der zweiten Lesung beschlossen worden ist, bei dem große Teile gerade der Bedürftigsten ausgenommen sind. Diese sind bei uns voll und ganz erfaßt. Bei uns werden alle erfaßt, sofern sie nicht aus anderen Mitteln, nämlich den Mitteln der Steuer, die ganze oder eine ähnliche Vergünstigung erhalten. Das ist eine viel klarere Lösung, als sie in den Beschlüssen der zweiten Lesung zum Ausdruck gekommen ist.
Darüber hinaus haben wir die Finanzierungsfrage von den bisher erhobenen Vorwürfen befreit, daß man eventuell die Steuer, also den Bundeshaushalt, in Anspruch nehmen müsse. Auch das ist bei uns vermieden. Durch die einfache Lösung, die Begünstigung auf den Kreis, der nicht von der Steuer begünstigt ist, zu beschränken, haben wir es ermöglicht, daß die Belastung der Wirtschaft auf etwa die Hälfte herabsinkt. Das ist ein entscheidendes Moment. Wir brauchen keine Steuermittel in Anspruch zu nehmen, wir gefährden die Steuerreform nicht, und wir haben trotzdem die Belastung wesentlich vermindert gegenüber dem Entwurf, der in der zweiten Lesung beschlossen worden ist.
Ich darf noch auf eines hinweisen. Von unserem Antrag würden mindestens 75, wenn nicht 80% aller dritten und weiteren Kinder erfaßt werden. Das möchte ich mit aller Deutlichkeit herausstellen, damit man nicht sagt, das sei eine Kleinstlösung, sondern das ist eine große und soziale Lösung, die einen sehr großen, den wichtigsten Kreis der Bevölkerung, die davon betroffen ist, umfaßt.
Wir haben diese Gedanken in unseren Änderungsanträgen zu den Beschlüssen der zweiten Lesung niedergelegt. Wir sind der Überzeugung, daß jeder, der die Dinge noch einmal ernsthaft überprüft, zu der Überzeugung kommen muß: Nur diese Lösung, die den gesamten Bevölkerungskreis erfaßt, die aber die Grenze dort setzt, wo die soziale Bedürftigkeit nicht mehr vorhanden ist oder wo auf dem Wege über die Steuer eine andere Hilfe zuteil wird, — nur eine solche Lösung ist gerecht, ist tragbar und ist technisch durchführbar. Ich bitte Sie daher, wenn wir im Verlauf der Einzelberatung zu unseren Änderungsanträgen kommen, diesen zuzustimmen, insbesondere beim § 1 dem Grundsatz zuzustimmen, der, wie ich aus den anderen Änderungsanträgen ersehe, im Prinzip von den übrigen Parteien ebenfalls gebilligt wird.
Meine Damen und Herren! Bevor ich das Wort weitergebe, darf ich auf folgende Vereinbarung über die Zeiteinteilung aufmerksam machen. Wir haben vorgesehen, die Sitzung heute, wenn möglich, bis 22 Uhr auszudehnen, mit einer Mittagspause von 13 bis 15 Uhr. Außerdem hat die Fraktion der SPD gebeten, vor der Schlußabstimmung zum Kindergeldgesetz die Sitzung für etwa eine halbe Stunde zu unterbrechen. Ich darf annehmen, daß das Haus damit einverstanden ist.
Das Wort hat der Bundesminister für Familienfragen.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege Atzenroth hat soeben einen Antrag vorgetragen, der in einem Punkte etwas ganz Neues enthält, über das bisher hier im Hause des Näheren noch nicht gesprochen wurde, nämlich die Begrenzung des Einkommens auf 400 DM monatlich als Voraussetzung für die Gewährung des Kindergeldes. Weil dieser Gesichtspunkt ganz neu ist und weil er so grundlegend ist, halte ich mich für verpflichtet, namens der Bundesregierung dazu Stellung zu nehmen.
Auf die übrigen Fragen, die in dem Änderungsantrag und in den soeben gemachten Darlegungen berührt worden sind, insbesondere auf die Frage des Systems, möchte ich von mir aus nicht noch einmal eingehen, da diese Dinge hier bereits im einzelnen vielfach erörtert worden sind. Aber dieser Vorschlag der Begrenzung auf 400 DM im Monat ist so grundlegend, daß wir daran nicht vorbeigehen können.
Der Gedanke, der diesem Begrenzungsvorschlag zugrunde liegt, wurde dahin erläutert, daß die steuerlichen Ermäßigungen für die Einkommen über 400 DM ein genügendes Entgegenkommen für die Familien mit mehreren Kindern bedeuteten. Meine Damen und Herren, lassen Sie mich dazu einmal einige ganz nüchterne Tatsachen vortragen.
Bei einem Monatseinkommen von 450 DM, bei dem also nach dem hier gestellten Antrag das Kindergeld nicht gewährt werden soll, hat der Einkommensbezieher mit drei Kindern ganze 12,83 DM im Monat mehr als der Einkommensbezieher mit zwei Kindern. Ich kann es nur schmerzlich bedauern, daß man bei einem aus dem Hause gestellten Antrag davon ausgeht, es sei eine genügende Hilfe für die Familien mit drei Kindern und einem Einkommen von 450 DM, wenn für das dritte Kind ganze 12,83 DM im Monat als Vergünstigung gewährt werden.
Ich darf das durch Beispiele aus anderen Einkommensgruppen noch ein wenig ergänzen. Bei 500 DM im Monat beträgt die Vergünstigung vom zweiten zum dritten Kind 17,92 DM, bei 600 DM 22,67 DM, bei 700 DM 25,92 DM und bei 800 DM 28,34 DM.
Noch eindrucksvoller sind die Zahlen, die sich an Hand der Steuertabelle ergeben — ich nehme hier, wie eben, die Tabelle der Regierungsvorlage, also die ermäßigten Sätze, wie sie dem Bundestag vor einigen Monaten vorgelegt wurden —, wenn man das kinderlose Ehepaar mit einer Familie mit drei Kindern vergleicht. Bei einem Monatseinkommen von 450 DM beträgt der Unterschied zwischen ,dem kinderlosen Ehepaar und dem Ehepaar mit drei Kindern ganze 34,25 DM. Man geht also davon aus, daß es ein ausreichendes Entgegenkommen für die Dreikinderfamilie sei, wenn sie gegenüber dem kinderlosen Ehepaar um 34,25 DM besser steht. Bei 500 DM Monatseinkommen sind es 41,33 DM, bei 600 DM 49,17 DM, bei 700 DM 54,67 DM, und auch bei 800 DM Monatseinkommen beträgt die Differenz nur 59 DM,
um die sich die Familie mit drei Kindern günstiger steht als das kinderlose Ehepaar.
Herr Minister, darf ich Sie unterbrechen. Herr Abgeordneter Schellenberg wünscht eine Zwischenfrage zu stellen.
Wie ist es mit der Steuerermäßigung beim zweiten Kind, Herr Minister? Wollen Sie vielleicht darüber dem Hause Auskunft geben? Denn auch die Frage des zweiten und dritten Kindes wird im Zusammenhang mit dem Kindergeldgesetz behandelt werden müssen.
Herr Kollege Schellenberg, daß ich für jede mögliche Erweiterung der Kinderermäßigung eintrete, wo und wann ich kann, bedarf wohl keiner besonderen Erklärung. Es handelt sich hier, beim Steuergesetz, ja lediglich um den Rahmen der uns finanziell leider gezogenen Grenzen.
— Das hat leider auch mit den gegebenen finanziellen Möglichkeiten zu tun, die die Bundesregierung nun einmal nicht überschreiten kann. Aber, meine Damen und Herren, darf ich in der sachlichen Behandlung der Dinge fortfahren?
Die bescheidenen steuerlichen Vorteile der Familien mit Kindern erscheinen erst im richtigen Licht, wenn man — und das soll nun hier einmal geschehen — die Ausgaben und Aufwendungen gegenüberstellt, die die Kinder der Familie verursachen. Erstaunlicherweise gibt es in Deutschland hierüber noch keine Untersuchungen mit wissenschaftlicher Genauigkeit; aber das Bundesministerium für Familienfragen ist bemüht, in absehbarer Zeit solche Unterlagen und Grundlagen zu beschaffen. Immerhin geht die unterste Schätzung, die auch auf Untersuchungen des längst weiter fortgeschrittenen Auslandes beruht, dahin, daß die Kosten für ein Kind 20 % der Ausgaben für den Lebensbedarf eines kinderlosen Ehepaars betragen, es sei denn, daß es sich um extrem hohe Einkommen handelt.
Lassen Sie mich das bitte einmal an einem Arbeitseinkommen von 600 DM monatlich bei einer Familie mit fünf Kindern zeigen. 20% dieses Einkommens je Kind wären 120 DM im Monat; also wäre die an sich notwendige Ausgabe für die Kinder 600 DM. Das wäre das ganze Monatseinkommen. Ich setze aber jetzt als Ausgabe einmal nur den Betrag von 80 DM monatlich je Kind an und gehe dabei aus von 50 DM im Monat — oder 1,60 DM pro Tag — für Ernährung und 30 DM für sonstiges, z. B. für Bekleidung, erhöhten Wohnbedarf, Schulgeld, Bücher, Verkehrsmittel, Arztkosten usw. Dann komme ich in dieser Einkommensschicht bei fünf Kindern normalerweise auf 400 DM notwendige Kosten.
Diese Familie hat nach dem Vorschlag der Bundesregierung für die Steuerreform gegenüber dem kinderlosen Ehepaar für alle fünf Kinder zusammen einen steuerlichen Vorteil von 67 DM monatlich. Das sind nur 16% der notwendigen Ausgaben für die Kinder. Mit dem Kindergeld von 75 DM monatlich würde sich dieser Vorteil auf 142 DM erhöhen, nämlich je 25 DM für das dritte, vierte und fünfte Kind. Das bedeutet aber nur rund 35 %, also ungefähr ein Drittel der notwendigen Ausgaben für die Kinder. Damit ist doch wirklich nicht zuviel für die Familien mit Kindern getan, zumal da der Betrag von 80 DM monatlich auch nur für die jüngeren Lebensalter ausreicht und die so oft zitierte Senkung der Kosten mit zunehmender Kinderzahl nach den bisherigen Untersuchungen — wenn überhaupt — nur in ganz geringfügigem Umfang gegeben ist, wie jeder Familienvater und jede Familienmutter weiß.
Natürlich müssen unsere Familien heute in aller Regel mit weit weniger auskommen; aber sie können das nur deswegen, weil auch in den mittleren Schichten bei größeren Familien alle Familienmitglieder eben nur Margarine, weil die Kinder kein Obst und oft kein Gemüse, vielleicht nicht einmal satt zu essen bekommen, weil sich der Vater keinen Tabak und die Mutter keinen Bohnenkaffee leistet, weil sie niemals auch nur daran denken können, etwa einen Urlaub auf dem Lande zu verleben und dergleichen.
Die Forderungen, die hier zugunsten der Familien vor allem des Mittelstandes gestellt werden müssen, können doch nicht auf ein Existenzminimum abgestellt werden, das sie in dem Beispiel mit 600 DM Einkommen vom Lebensstandard der Berufskollegen des Familienvaters ausschließen würde.
Warum sollen aber, wenn man einmal von den Elt e r n absieht, die Kinder solcher Familien in ihrer Entwicklung geschädigt werden? Ich möchte in diesem Zusammenhang die Bemerkung nicht unterdrücken, daß, wie ich aus dem Bundesinnenministerium erfahren habe, der Gesundheitszustand der Kinder aus den Mehrkinderfamilien nachweislich schlechter ist als der aus Ein- und Zweikinderfamilien.
Nun sagt man hier beim Kindergeldgesetz, „die Steuerermäßigung genügt", und im Steuerausschuß sagen die gleichen Leute, „das Kindergeld genügt, wir brauchen kein weiteres Entgegenkommen bei der Steuer mehr".
— Jawohl! — Und mit solch zwiespältiger Haltung tarnt man dann seine familien- und kinderfeindliche Einstellung, tarnt man seine Gegnerschaft gegen eine wirkliche Familienpolitik,
gegen eine Familienpolitik, die nicht nur das sozialpolitische Anliegen der Fürsorge für Notleidende hat, sondern staatspolitische Gerechtigkeit in allen Schichten des Volkes erreichen will.
Die Bundesregierung lehnt es mit aller Entschiedenheit ab, unsere Familienpolitik zu einer Politik des Mitleids mit den „armen Leuten mit den vielen Kindern" stempeln zu lassen.
Ich stelle fest, daß jeder derartige Versuch ein Angriff auf die familienpolitische Grundkonzeption der Bundesregierung ist.
Solange ich die Verantwortung für die Grundlinien dieser Familienpolitik trage, werde ich jedem Versuch, in längst überholte Mitleidstheorien zurückzufallen, mit allem Nachdruck entgegentreten.
Im übrigen trägt die Begrenzung, die hier vorgeschlagen wird, einen ausgesprochen mittelstandsfeindlichen Charakter.
Wir wollen doch gerade auch im Mittelstand einer sozialen Deklassierung der Familien mit mehreren Kindern entgegenwirken, und dazu reicht eben die Steuerermäßigung allein nicht aus. Mittelstandspolitik und Familienpolitik müssen Hand in Hand gehen. Sie gehören zusammen, zumal gerade der selbständige Mittelstand auf bäuerlicher oder gewerblicher Grundlage mit Grundeigentum doch die familiengerechteste Lebensform der Gegenwart ist. Die vorgeschlagene Begrenzung ist also nicht nur kinderfeindlich und familienfeindlich, sondern auch mittelstandsfeindlich.
Aus diesen Gründen bitte ich das Hohe Haus, gerade diesen Antrag, der eine Einkommensgrenze schaffen will, im Sinne der Politik der Bundesregierung mit einer überzeugenden Mehrheit abzulehnen.
Das Wort hat Frau Abgeordnete Finselberger.
Herr Präsident! Meine Herren und Damen! Heute wird sich das Hohe Haus nun mit einem zweiten Antrag bzw. mit einer Anzahl von Änderungsanträgen zum Familienausgleichs- oder Kindergeldgesetz — wie wir es nennen wollen, möchte ich den einzelnen Abgeordneten überlassen — beschäftigen. Ich möchte darauf hinweisen, daß es doch eine sehr merkwürdige Entwicklung genommen hat, wenn sich sicherlich — das darf ich hier einmal sagen — drei Fraktionen auf bestimmte Grundsätze zumindest genähert haben, während die Fraktion, deren Antrag wir heute nochmals zur Beratung vorliegen haben, ziemlich allein steht, wobei wir feststellen müssen, daß auch heute wieder neue Anträge dieser antragstellenden Fraktion auf unseren Plätzen liegen. Das kompliziert natürlich diesen Antrag, mit dem wir uns heute zu beschäftigen haben. Ich darf hier auch einmal sagen: mit einer gewissen Erleichterung habe ich vor einiger Zeit gelesen und gehört, daß ein Abgeordneter dieses Hohen Hauses davon gesprochen hat, es müsse unser Anliegen sein, die deutsche Gesetzgebung zu entrümpeln. Wie wahr ist das doch! Aber wie steht dem doch die Entwicklung entgegen, die wir hier sehen! Wir behandeln heute ein Familienausgleichsgesetz in der dritten Lesung und müssen dabei feststellen, daß es außerordentlich kompliziert ist und daß sich dabei nicht nur ergibt, daß sich ihm ein Kindergeldanpassungsgesetz anzuschließen hat, sondern daß außerdem von der gleichen Fraktion noch ein Nachtrag zum Änderungsantrag vorliegt. Mir kommt das so vor, als ob man einer einfachen Konstruktion — die durchaus möglich ist! — mit aller Anstrengung aus dem Wege geht, um die Frage des Kindergeldes und des Familienlastenausgleichs außerordentlich zu erschweren, ja gewissermaßen sogar kompliziert zu machen!
Das sollte uns doch alle miteinander außerordentlich betrüben. Ich meine auch, der Staatsbürger hat ein Recht darauf, ein Gesetz vorgelegt zu bekommen, das zu begreifen er in der Lage ist!
Ich habe Sie im Auftrage meiner Fraktion auf den Umdruck 162*) hinzuweisen. Meine Fraktion hat sich nun doch entschlossen, dem Hohen Hause diesen Entschließungsantrag vorzulegen, weil die monatelangen Beratungen über dieses Gesetz zu außerordentlich großen Meinungsverschiedenheiten geführt haben. Ich brauche gar nicht daran zu erinnern, welche Schwierigkeiten sich immer und immer wieder gezeigt haben. Wir meinen, daß die unkomplizierteste Form gefunden werden muß. Wir haben in dieser Beziehung auch feststellen müssen, daß wir sehr viele gemeinsame Anliegen auch mit dem vorliegenden FDP-Antrag haben, aber auch mit den Änderungsanträgen der SPD, und daß sich die Standpunkte tatsächlich genähert haben. Wenn am 1. Januar das Kindergeld ausgezahlt werden muß, müßte es der Bundesregierung möglich sein, bis zu diesem Tage ein möglichst einfaches, überschaubares Gesetz vorzulegen. Diese Auffassung haben wir nach all den Erfahrungen, die in den Beratungen des Ausschusses für Sozialpolitik in dieser Frage gesammelt worden sind. Wir meinen, daß man das Kindergeld für Kinder aller Bevölkerungskreise — wie es in unserem Entschließungsantrag unter Ziffer 1 zum Ausdruck gebracht worden ist — leisten sollte, um die Angelegenheit möglichst einfach zu machen und ohne daß irgendwelche anderen Gesetzesvorlagen nachgeschoben werden sollen.
Ich möchte aber auch an das erinnern, was ich schon einmal von dieser Stelle aus gesagt habe. Es ist nicht einzusehen, weshalb unter Kindern schon Unterschiede gemacht werden. Herr Familienminister, ich habe gern zur Kenntnis genommen, daß Sie davon gesprochen haben, es sei das Anliegen der Bundesregierung, eine starke positive Bejahung einer echten Familienpolitik zu finden. Ich glaube, dann müßten Sie sich aber auch zu dem Grundsatz entscheiden, daß man das Kindergeld für alle Bevölkerungskreise in einem Gesetz erfaßt und daß nicht Unterschiede hinsichtlich der gesetzlichen Behandlung dabei gemacht werden.
Ich möchte hier auch noch einmal zum Ausdruck bringen — ich darf mich auf einige kurze grundsätzliche Bemerkungen beschränken, weil es in der ersten Beratung schon sehr ausführlich behandelt worden ist —: wir haben 30 Berufsgenossenschaften, aber wir müssen 56 Familienausgleichskassen schaffen. Damit kann doch eine organische Einheit überhaupt nicht hergestellt werden! Wenn man dazu berücksichtigt, daß unter den Arbeitnehmern häufiger ein Arbeitsplatzwechsel eintritt und daß — das steht fest, aber darüber ist man sich vielfach nicht klar — mindestens 600 000 Akten hin-
*) Siehe Anlage 8.
und herwandern müssen — ja, man schätzt diese Zahl sogar auf eine Million —,
dann können Sie sich ungefähr ein Bild von der verwaltungsmäßigen Bearbeitung machen, die das Kindergeld im Rahmen der Familienausgleichskassen oder des Gesamtverbandes, der ja auch noch vorgesehen ist, erfordert. Diese Kompliziertheit möchten wir vermeiden.
Es ist auch unsere Aufgabe, darauf hinzuweisen, daß an Verwaltungskosten unter allen Umständen gespart werden muß. Wir meinen, daß diese Aufgabe eine Angelegenheit des Staates ist. Ich freue mich, daß das auch in dem FDP-Antrag und auch in den Änderungsanträgen der SPD so klar zum Ausdruck gekommen ist.
Ich möchte auch um der Gerechtigkeit willen noch feststellen, daß dies ja auch sowohl der Standpunkt der SPD als auch der unserer Fraktion von Anfang an gewesen ist. Weil wir uns der Verantwortung, die wir mit der Vertretung dieses Standpunkts übernommen haben, bewußt sind, glauben wir auch, daß der Umdruck 162 heute auf Ihren Tischen liegen mußte. Wir sind der Meinung, daß wir — gerade weil es eine ganz neue Angelegenheit ist, die uns in Form dieses Kindergeldes im Raum unserer Bundesrepublik beschäftigt — auch mit allem Verantwortungsbewußtsein an die Lösung dieses Problems gehen sollten, wobei ich allerdings noch zum Ausdruck bringen -möchte, daß wir uns in den Beratungen über diesen und jenen Paragraphen und seine Auswirkungen noch unterhalten können.
Ich darf Sie jedenfalls bitten, unserem Antrag nun jene Beachtung zu schenken, die er verdient. Unser Verantwortungsbewußtsein gab uns den Anlaß, ihn einzureichen.
Das Wört hat der Abgeordnete Winkelheide.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zu Beginn der dritten Lesung ist es, glaube ich, wohl notwendig, daß wir das Kernproblem und das Kernanliegen herausstellen. Ich möchte das nicht in der Form wie die verehrte Frau Kollegin Finselberger tun. So kann man im Brustton der Forderung und der überspannten Kritik keine Sozialpolitik machen.
Ich darf das Hohe Haus daran erinnern, daß aus der Mitte der CDU-Fraktion am 4. November 1949 in der Drucksache Nr. 163 dem Bundestag der erste Antrag auf Errichtung von Familienausgleichskassen vorgelegt wurde. Die lange Dauer der Beratung dieses Gesetzes — und es ist im Volk eine Ungeduld deswegen ausgelöst worden — mag Beweis dafür sein, wie schwierig die Materie an sich ist.
Heute morgen, zu Beginn der dritten Lesung, möchte ich nochmals betonen, daß die CDU/CSU-Fraktion seit der Einbringung ihres ersten Antra-
ges ihren Grundsatzstandpunkt vertreten hat, der lautet, daß für die zusätzlichen Lasten der Mehrkinderfamilie nicht allein der Staat verantwortlich ist, sondern daß subsidiär die Wirtschaft die Mehrlasten einer Mehrkinderfamilie mittragen muß.
Für die CDU/CSU-Fraktion war der Ausgangspunkt des Kindergeldgesetzes die Familie,
und die CDU/CSU-Fraktion glaubte, daß die Wirtschaft die Mehrbelastung einer Familie vom dritten Kind ab mittragen müsse, weil dann das Maß der Eigenleistung und der Eigenverantwortung überschritten wird. Die Grundkonzeption der CDU/CSU-Anträge und der Gesetzesvorlagen war und ist die, daß zwischen der Eigenverantwortung der Familie und der Gesamtverantwortung des Staates der Verantwortungsbereich der Wirtschaft als mittlerer Verantwortungsbereich eingeschaltet werden muß; denn die Wirtschaft in ihrer Gesamtheit lebt von den Arbeitskräften aus den Mehrkinderfamilien.
Zu diesem Mittragen der Lasten der Mehrkinderfamilien war und ist die Wirtschaft bereit. Vorläufer dieses Gesetzes waren die in der Wirtschaft gefundenen freiwilligen Lösungen des Problems.
— Jawohl, Herr Dr. Atzenroth, für Arbeitnehmer
in der Wirtschaft; jene Hilfe, die freiwillig gelei-
stet wurde, um den Mehrkinderfamilien zu helfen.
In dieser Lösung, Herr Dr. Atzenroth, liegt aber eine nicht zu übersehende Gefahr, wenn die Lösung sich auf betrieblicher Ebene aufbaut. Ich meine die Gefahr, daß der Arbeitsplatz des kinderreichen Familienvaters gefährdet und die Bereitschaft zur Einstellung kinderreicher Väter sehr erschwert wird, weil das Geld doch aus dem Lohnkonto des Betriebs kommt. Aus diesen Überlegungen ist das dem Deutschen Bundestag nun vorliegende Gesetz entstanden. Es zeichnet sich dadurch aus, daß die Mittel in der Gesamthöhe von rund 400 Millionen DM von der Wirtschaft aufgebracht werden. Diese 400 Millionen DM belasten nicht in erster Linie den Staatshaushalt, abgesehen von dem Steuerausfall, sondern die Wirtschaft.
Das vorliegende Kindergeldgesetz zeichnet sich ferner dadurch aus, daß nicht nur Arbeitnehmer, also Unselbständige, sondern auch die Selbständigen und die mithelfenden Familienangehörigen einbezogen sind, weil sie alle im produktiven Erwerbsraum stehen. So besteht unseres Erachtens der besondere sozialpolitische Wert des Gesetzes darin, daß hier in der Wirtschaft ein neuer Weg beschritten worden ist. Konkret kommt das darin zum Ausdruck, daß die gewerbliche Wirtschaft für den landwirtschaftlichen Sektor zwei Drittel der Kosten mitträgt.
Die Durchführung des Kindergeldgesetzes haben wir der Selbstverwaltung übertragen zu sollen geglaubt. Der geeignete Zweig der Selbstverwaltung, der die Wirtschaftszweige in etwa umfaßt, sind die Berufsgenossenschaften.
So legt das Gesetz fest, daß die Familienausgleichs-
kassen bei den Berufsgenossenschaften errichtet
I werden, und zwar im gewerblichen und im land-
wirtschaftlichen Sektor. Die Familienausgleichskassen werden in einer Personalunion, Frau Kollegin Finselberger, verwaltet, und es wird kein so großer Verwaltungsapparat erstellt werden.
Ich möchte mal sehen, Frau Kollegin Finselberger, wo im letzten mehr Akten transportiert werden, in der Selbstverwaltung oder bei den Finanzämtern des Staates.
Darf ich Sie einen Augenblick unterbrechen. Frau Kollegin Finselberger möchte eine Frage stellen.
Herr Kollege Winkelheide, können Sie mir vielleicht einmal die Frage beantworten, wo der Ausgangspunkt der Arbeit der Familienausgleichskassen zu sein hat? Ist es nicht so, daß zunächst einmal mindestens eine Kinderkarte oder eine Familienkarte neu erarbeitet werden muß, während wir diese Unterlagen aktenmäßig geordnet bei den Finanzämtern haben? Bitte antworten Sie auf diese Frage.
Frau Kollegin Finselberger, ich antworte Ihnen darauf — ich nehme an, daß Sie das Gesetz gelesen haben —: Im letzten Teil des Gesetzes ist vorgesehen, daß eine Kindergeldkarte eingeführt wird, weil daneben noch eine Steuerkarte besteht. Das gehört wirklich zur Grundsatzgestaltung.
Meine Damen und Herren, wir sollten uns bei der dritten Lesung daran erinnern, ,daß durch das Kindergeldgesetz rund 1,3 Millionen dritte und weitere Kinder erfaßt werden, von denen ungefähr die Hälfte aus dem Kreis der Selbständigen und die andere Hälfte aus dem Kreis der Arbeitnehmer, der Unselbständigen, kommen. Die Leistungen dieses Gesetzes sind den zur Zeit gegebenen Möglichkeiten entsprechend bescheiden: monatlich 25 DM bis zum 18. Lebensjahr, auf Antrag bis zum 25. Lebensjahr. Das Kindergeld soll steuerfrei sein, wie es das Gesetz vorsieht. Diese bescheidene Leistung steht aber nicht allein, sie ist die Leistung aus dem Verantwortungsbereich der Wirtschaft und tritt subsidiär zur Eigenleistung der Familie. Die Gesamtleistung des Staates darf aber auch nicht übersehen werden; denn die Leistungen aus dem Steuertarif der Klasse III, dem alten wie dem neuen, treten hinzu, und wenn beide Leistungen zusammenkommen, wird sich die Hilfe, die die Mehrkinderfamilie durch das Mittragen der Lasten aus dem Raum der Wirtschaft, gestützt durch die Steuerpolitik des Staates, erfährt, als wirksam erweisen. Die CDU/CSU-Fraktion glaubt, daß diese Lösung trotz aller Kritik, die dieses Gesetz erfahren hat, eine fortschrittliche Lösung darstellt. Deshalb ist die CDU/CSU-Fraktion nicht den leichtesten Weg der Lösung gegangen,
sondern hat die Lösung organisch in das Gefüge der Wirtschaft eingebaut.
Die CDU/CSU-Fraktion möchte auch bei der Verabschiedung dieses Gesetzes ihrem Grundsatz treu bleiben, dem Staat nicht mehr Aufgaben aufzubürden, als sachlich notwendig ist.
Die CDU/CSU-Fraktion ist sich darüber klar -und das sollten auch Sie wissen, Frau Kollegin Finselberger —, daß das vorliegende Gesetz nur den Kreis erfaßt, der im produktiven Erwerbsraum steht. Darum steht auf der heutigen Tagesordnung auch ,der Entwurf eines Gesetzes über die Anpassung der Leistungen für Kinder in der gesetzlichen Unfallversicherung, in den gesetzlichen Rentenversicherungen, in der Arbeitslosenversicherung und Arbeitslosenfürsorge sowie in der Kriegsopferversorgung an das Kindergeldgesetz. In allen diesen Sparten soll das Kindergeld ab drittem Kind auf 25 DM erhöht werden. Denn wir vertreten den Grundsatz, daß man nur e i n Kindergeld zahlen soll und daß dieses Kindergeld in allen Sparten gezahlt werden soll.
Das Kindergeldgesetz, das heute zur Verabschiedung steht, hat eine umfassende Kritik erlebt.
Kritik ist bei diesem Gesetz verständlich, weil wir mit ihm Neuland betreten haben, Neuland deshalb, weil in anderen Ländern diese Lösung schon seit vielen Jahren verwirklicht ist. Wir betreten hier Neuland, denn wir haben eine Lösung gesucht, die, wie bereits dargelegt, den mittleren Verantwortungsbereich der Wirtschaft zum Träger der Mehrlasten der Mehrkinderfamilien macht. Aber die Kritik in der Öffentlichkeit, die von Organisationen und Verbänden geführt wurde, hat das Maß einer konstruktiven Kritik manchmal überschritten. Um nur einige kritische Überschriften anzuführen, seien folgende genannt: Das Gesetz sei ein „Meisterstück gesetzgeberischer Unfähigkeit", es sei eine „Treibhausblüte", ein „grober Unfug", eine „falsche Sozialpolitik".
Eine andere Zeitung schrieb: „Viel Lärm um nichts". Ja, meine Damen und Herren, sind 400 Millionen Mark denn gar nichts?
Andere Formulierungen lauteten „Unsoziale Kinderbeihilfe", „Kleine Leute übersieht man". Manche schlugen vor, der Familie durch Naturalleistungen zu helfen, andere wieder, die Familie nur durch die Steuerpolitik zu stützen.
Zu diesen vielseitigen Kritiken muß einmal gesagt werden, daß wir keinem böse sind, der Kritik geübt hat. Wir wären aber dankbar gewesen, wenn diese Kritik konstruktiv gewesen wäre.
Konstruktiv konnte man nur aus einem einfachen Denkschema die staatliche Lösung oder eine Einheitskasse vorschlagen. In der Kritik war immer zu spüren, daß alle, die sich mit dem Gesetz auseinandersetzten, den Ausgangspunkt nicht mehr gesehen haben. Der Ausgangspunkt war und ist für uns die Familie und wird es immer bleiben;
die Familie hat einen naturrechtlichen Anspruch
darauf, daß die Mehrlasten durch die übergeordnete
Gemeinschaft mit getragen werden. Ein Kindergeld, das fürsorgerechtlichen Charakter hat, so wie es im Gesetzentwurf der FDP vorgeschlagen ist, genügt dem Anspruch der Familie nicht. Dieser fürsorgerechtliche Charakter des FDP-Entwurfs kommt deutlich in der festgesetzten Einkommensgrenze zum Ausdruck. Die Vorschläge, der Familie durch Naturalleistungen zu helfen, stempeln, wie schon oft gesagt, die Familie zu einem Fürsorgeempfänger. Das lehnen wir ab, weil es der Würde, der Freiheit und der Unabhängigkeit der Familie nicht entspricht.
Nun ein Wort zu der Kritik, zu diesem Gesetz seien so viele Änderungsanträge gestellt worden. — In einer Demokratie muß es doch möglich sein, bei einer so schwierigen Materie Änderungsanträge einzubringen; denn jeder Änderungsantrag stellt doch ,das Streben nach einem möglichst vollkommenen Gesetz dar. Das sollte man nicht zum Anlaß der Kritik nehmen.
Die Kritiken sind manchmal auch nicht aus gutem Willen geboren worden.
Sie waren vielmehr einerseits Ausflüsse eines zu starken staatszentralistischen Denkens, andererseits waren es Ausflüsse liberalen Denkens.
Wir aber möchten die Familie im Mittelpunkt der Gesellschaft, der Wirtschafts- und Sozialpolitik sehen. Der Wert dieses Gesetzes besteht nicht zuletzt darin, daß es das Familienbewußtsein mit geformt hat. Dieses Gesetz —das ist trotz der langen Dauer der Beratungen nicht zu verkennen — hat einen gewissen Durchbruch geschaffen. Künftig wird man im wirtschafts- und sozialpolitischen Raum den Blick auf die Mehrkinderfamilie richten.
Die CDU/CSU-Fraktion ist sich darüber klar, daß kein. Gesetz vollkommen sein kann. Wir behaupten auch nicht, daß unser Gesetz ganz vollkommen ist.
Wir müssen uns aber dagegen wehren, daß es ein Urwald, ein Dickicht, ein Irrgarten ist. Schwierigkeiten wären bei jeder Lösung — ob wir die staatliche oder die Einheitskasse gewählt hätten — aufgetreten. Wenn der gute Wille in der Selbstverwaltung und bei allen Beteiligten vorhanden ist, dann läßt sich dieses Gesetz durchführen, auch, Herr Dr. Atzenroth, wenn Sie anderer Meinung sind.
Dieses Gesetz baut auf ,dem Gedanken der Selbstverwaltung auf, und dieser Selbstverwaltungsgedanke und damit der Verantwortungsbereich der Selbstverwaltung werden durch dieses Gesetz erneut gestärkt.
Ich glaube, in dieser Stunde der dritten Lesung sollten wir nicht noch mehr Worte verlieren.
Wir sollten zur Tat schreiten und den vorliegenden Gesetzentwurf verabschieden. Darum bitte ich im Namen meiner Freunde das Hohe Haus, diesem sozialpolitisch wichtigen Gesetze die Zustimmung nicht zu versagen.
Das Wort hat der Abgeordnete Richter.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Bundesminister Wuermeling hat, wenn ich mich nicht verhört habe, in seinen Ausführungen gesagt, daß er im Namen der Bundesregierung zu dem vorliegenden Gesetzentwurf Stellung nehmen würde. Mir ist nicht bekannt, daß diese Bundesregierung den Mut hatte, überhaupt einen Gesetzentwurf über Kinderbeihilfen dem Hohen Hause zu unterbreiten.
Mir ist nach Pressemeldungen bekannt, daß der Herr Bundesarbeitsminister erklärt hat, bis zum Frühjahr dieses Jahres — und jetzt haben wir Herbst — würde bestimmt ein Gesetzentwurf der Bundesregierung unterbreitet sein, und mir ist auch bekannt, daß der Herr Bundesarbeitsminister, als die CDU/CSU-Fraktion die Drucksache 319 eingebracht hat, erklärt hat, damit sei die Aufgabe der Bundesregierung erledigt; denn es liege ja nun ein Gesetzentwurf vor. Das hat er nicht zu der Drucksache 318, zu dem SPD-Initiativgesetzentwurf, gesagt. Dazu hat er sich ausgeschwiegen, weil dieser angeblich — nach Ansicht des Herrn Kollegen Winkelheide — eine . staatliche Regelung bedeuten würde.
Meine Damen und Herren! Es ist das Traurigste, was ich seit der Zeit des Wirtschaftsrates erlebt habe, seitdem ich politisch bei der Gesetzgebung mitwirken darf, daß man sich nicht um das materielle Recht streitet — da ist man sich u. a. in der Gewährung der Kinderbeihilfen in Höhe von 25 DM einig —, sondern daß man sich darum streitet, welches Prinzip zugrunde gelegt werden soll, wer der Träger sein soll. Die Frage der Organisation, eine Sache, die doch nebensächlich sein sollte,
die doch nur ein notwendiges Übel sein dürfte, wird hier zum Prinzip gemacht. Annähernd fünf Jahre lang haben wir darum gestritten und darüber beraten.
Es ist für mich kein erhebendes Gefühl, wenn ich hier zur dritten Lesung spreche. Es ist auch nicht so, wie Herr Wuermeling gesagt hat, daß die Kinderbeihilfe auf Grund der staatlichen Regelung mit Anwendung 'der dritten Steuerklasse in Ordnung sei. Es gibt doch die Masse der Arbeitnehmer, die überhaupt keine Kinderermäßigung nach Steuerklasse III bekommen,
weil ihr Einkommen einfach zu gering ist. Die Steuerklasse III ist doch nur für die mittleren und Höchstverdiener da — ihnen bringt sie eine Ermäßigung ihrer steuerlichen Lasten —, aber nicht der großen Masse der Arbeiter, Angestellten und Beamten. Deshalb können wir nicht die Steuerklasse III zur Grundlage machen und können auch nicht damit einverstanden sein, daß hinsichtlich dessen, was der einzelne Arbeitnehmer verdienen darf, eine Höchstgrenze festgelegt Wird, wenn er Anspruch auf Gewährung von Kindergeld haben soll. Ob das im Monat 400 oder 500 Mark oder mehr ist, ist ganz gleich. Ich bin nach wie vor grundsätzlich der Auffassung — und ich habe die
Ansicht, daß das Hohe Haus mit überwiegender Mehrheit diesen Standpunkt teilt —, daß wir eine Höchstgrenze nicht festlegen sollten.
Nun hat Herr Kollege Winkelheide bei der Einbringung des CDU/CSU-Antrags Drucksache 319 unter anderem erklärt, daß es die klassische Regelung sei, die diesem Gesetzentwurf zugrunde liege. Wie ,,klassisch" diese Regelung war und ist, haben die unzähligen Verhandlungen im Sozialpolitischen Ausschuß und in Arbeitskreisen bewiesen. Sie selbst mußten zu diesem, Ihrem „klassischen" Entwurf 76 Änderungsanträge im Ausschuß einbringen
und 14 Anträge zur zweiten Lesung. Und heute haben Sie zur dritten Lesung dem Hohen Haus wiederum 4 Änderungsanträge vorgelegt. Das sind, wenn ich richtig addiert habe, insgesamt 94 Anträge der CDU/CSU-Fraktion. Die Zahl 100 haben Sie noch nicht erreicht; aber Sie haben die Chance, sie heute zu vollenden. Zur zweiten Lesung — ich glaube, das war noch nie der Fall — sind 50 Änderungsanträge eingebracht worden,
und heute, zur dritten Lesung stehen 40 Änderungsanträge zur Diskussion.
Es wird gesagt, daß wir Kinderbeihilfe gewähren müssen. Das ist auch mein Standpunkt. Das Gesetz muß endlich verabschiedet werden. Es ist einfach nicht mehr zu ertragen, daß weitere Verzögerungen erfolgen. Aber es muß ein Gesetz verabschiedet, ein neues Recht auf diesem Gebiet geschaffen werden, das auch diejenigen verstehen, für die es gemacht wird, damit sie ihren Anspruch geltend machen können. Was die Mehrheit des Ausschusses für Sozialpolitik gegen die Stimmen der SPD und anderer in verschiedenen Fragen beschlossen hat, entspricht nicht diesem Grundsatz, den ein Gesetzgeber befolgen muß. Bitte, warum denn nun unter allen Umständen die Berufsgenossenschaften? Kollege Winkelheide hat doch eben selbst erklärt: das Gesetz hat Lücken. Es hat Lücken, weil man als Organisation, als Träger die bestehenden Berufsgenossenschaften verwendet. Warum die Berufsgenossenschaften nehmen, die ganz andere Aufgaben, Aufgaben der Unfallverhütung, der Verhütung von Berufskrankheiten, des Ersatzes von Schaden usw. zu erfüllen haben? Die Gewährung von Kinderbeihilfen ist doch keine staatliche Einrichtung, wenn zum Einkassieren der Arbeitgeberbeiträge, so wie es von der SPD und von der FDP vorgeschlagen wird, das Finanzamt benutzt wird. Man kann doch nicht von „staatlicher" Kinderbeihilfe reden, wenn dafür besondere Mittel, wie Beiträge der Arbeitergeber, zur Verfügung gestellt werden, wenn sie nicht den Berufsgenossenschaften, sondern mit der Lohnsteuer an die Finanzämter überwiesen werden und wenn der Arbeitgeber, so wie es in dem Antrag der SPD und der FDP vorgesehen ist — und es ist uns nicht leicht gefallen, dem zuzustimmen; wir tun es nur im Interesse der kinderreichen Familien und damit das Gesetz endlich verabschiedet wird — , dann die Auszahlung vornimmt. Bitte, das haben Sie selbst beantragt. Also, wir sind uns auf weiteren Gebieten nahegekommen. Man kann es doch nicht nur von dem Prinzip abhängig machen, ob die Berufsgenossenschaften die Kasse haben oder das Finanzamt. Alles andere ist im Grundsätzlichen doch geblieben. Aber die Lücken, verehrter Kollege
Winkelheide, sind zu. Es gibt keine Differenzen, und die Hälfte der Paragraphen ist nicht mehr erforderlich. Es wird deshalb beantragt, sie zu streichen.
Damit hätten wir ein einfaches, zweckmäßiges Gesetz. Wir brauchten überhaupt keine besondere Verwaltung. Wir brauchten noch nicht einmal die Verwaltung der Berufsgenossenschaften zu erweitern. Die Kassierung der Lohnsteuer zusätzlich des halben oder einen Prozents würden die Finanzämter mit ihrem Apparat machen, würden sie nebenher machen können.
Die Kindergeldkarte, die wir als SPD-Fraktion im Ausschuß gefordert haben und die auch akzeptiert wurde, entfällt, wenn die Lohnsteuerkarte beim Finanzamt zugrunde gelegt wird. Die Lohnsteuerkarte muß sowieso ausgestellt werden. Auf der Lohnsteuerkarte steht sowieso die Kinderzahl drauf. Also ist doch alles da, was gebraucht würde. Einfacher geht's wirklich nicht mehr.
Meine Damen und Herren, ich mache die Ausführungen nicht für meine Kollegen vom Sozialpolitischen Ausschuß Arndgen, Horn und Winkelheide. Die sind unverbesserlich. Da habe ich mir schon alle Mühe gegeben.
Ich mache sie für Sie, und ich hoffe, Sie zu gewinnen für einen Akt der Vernunft.
- Nun, Kollege Albers, vielleicht werden wir zwei uns wenigstens einig.
Ich möchte Sie darum bitten, daß wir uns auf Grund der Ausführungen des Herrn Ministers für Familienangelegenheiten Wuermeling auch noch überlegen, ob nicht doch die Gewährung der Kinderbeihilfe vom zweiten Kind an in Erwägung gezogen werden kann. Denn vom dritten Kind an ist es gar zu bescheiden. Die Erkenntnis bei den in Betracht kommenden Kreisen in der Bevölkerung kommt ja erst, wenn sie erfahren, daß sie nichts bekommen, wenn sie feststellen, es gibt die Kinderbeihilfe erst vom dritten Kind an, und für das erste und zweite Kind wird nichts gewährt. Deshalb bitte ich Sie, unseren Antrag auf Gewährung der Kinderbeihilfe vom zweiten Kind an auch in Rechnung zu stellen.
Das wäre das Wesentliche, was ich dazu sagen wollte. Ich bitte Sie, heute der Vernunft und der sozialen Tat zu dienen und nicht irgendeinem Prinzip.
Das Wort hat der Abgeordnete Elbrächter.
Herr Präsident! Meine Damen, meine Herren! Herr Kollege Richter hat eingangs sehr treffend bemerkt, daß es schwerfällt, nun in der dritten Lesung noch zu diesem Gesetz zu sprechen. Ich habe den Eindruck, daß die Argumente nicht schwerer wiegen, nur weil sie alle nochmals mit sehr lautstarker Stimme vorgetragen werden. Herr Kollege Winkelheide, wir wissen doch genau, warum und weshalb wir zunächst der Auffassung waren, es solle eine Familienausgleichskasse gegründet werden. Sie verschweigen aber doch, daß diese Lösung ursprünglich nur für Arbeitnehmer gedacht war. Alle Sachverständigen
sind sich auch heute noch darin einig, daß diese Konstruktion nur für Arbeitnehmer durchzuziehen ist.
Ich muß bei dieser Gelegenheit gleich auf eine Auslassung des verehrten Herrn Familienministers kommen, der im „Deutschland-Union-Dienst" kürzlich geäußert hat, der jetzt vorliegende Entwurf sei so lange und so gründlich mit Sachverständigen durchberaten worden, daß er jetzt ohne Sorge in Kraft gesetzt werden könne. Meine Damen und Herren, es ist doch ein starkes Stück, wenn man solche Ausführungen macht — nehmen Sie es mir bitte nicht übel, Herr Minister Wuermeling — und dabei verschweigt, daß sich die Sachverständgen fast einstimmig dagegen ausgesprochen haben.
- Ich habe mir trotz der knapp bemessenen Zeit
die Mühe gemacht, Herr Arndgen, gestern abend noch einmal die Sachverständigengutachten und Zuschriften durchzulesen. Ich könnte sie Ihnen dutzendweise vorlegen. Ich habe sie hier drin. Sie alle haben sie auch bekommen. Ich brauche nur zu zitieren, was hier die Berufsgenossenschaft für Verwaltung und freie Berufe usw. gesagt hat: Es ist einfach nicht durchführbar, weil die Unterlagen nicht da sind, um die Beitragshöhen und die Auszahlungen zu ermessen. Die landwirtschaftlichen Berufsgenossenschaften haben sich doch einstimmig dagegen ausgesprochen und ebenso die Berufsgenossenschaft für Einzelhandel. So könnte ich eine ganze Reihe von anderen Sachverständigen aufführen.
Ich habe aber hier noch eine Ehrenpflicht zu er- füllen. Ich habe es in der zweiten Lesung leider vergessen. Wenn diese Fehlkonstruktion dem Hause vorgelegt worden ist, so ist das diesmal nicht die Schuld der Sachbearbeiter des Ministeriums. Die haben weiß Gott ihr Bestes versucht und getan. Wir dürfen, wenn dieses Gesetz wirklich durchgehen sollte — was ich nicht hoffe —, um Gottes willen diesmal nicht der Ministerialbürokratie die Verantwortung zuschieben. Die Verantwortung liegt ausschließlich bei uns.
— Ich beziehe uns jetzt mit ein, wenn wir auch nicht schuldig sind. Aber wir als Parlament sind eine geschlossene Einheit, und wir tragen die Verantwortung mit. Ich bekenne mich dazu. Wir haben unser Bestes versucht; das stelle ich hier noch einmal deutlich heraus. Ich verwahre mich auch gegen den Vorwurf, den der Herr Familienminister hier geäußert hat, daß die Fraktionen, die gegen diese Konstruktion seien, familien- oder kinderfeindlich seien.
— So habe ich es aber aufgefaßt. Wenn Sie es nicht so gemeint haben, ist es um so besser.
In puncto Kinderzahl nehme ich es mit dem Herrn Familienminister Wuermeling noch auf, und in puncto Familienbeihilfe habe ich immerhin das Plus, daß ich in der Praxis seit Jahren schon Kindergeld im Betrieb auszahlen lasse, und zwar vom ersten- Kinde an.
Jetzt komme ich auf ein Anliegen, das Herr Kollege Richter hier vorgebracht hat, wir sollten das Kindergeld vom zweiten Kind ab gewähren. Herr Kollege Richter, Sie wissen ganz genau, welche Mehrbelastung das bringt. Es ist vernünftig, wenn wir uns in dieser entscheidenden Stunde begrenzen und das Kindergeld erst vom dritten Kind an gewähren. Der Vorschlag, den die FDP jetzt gemacht hat, ist insofern begrüßenswert, als er für die Zukunft alle Möglichkeiten offenläßt. Wir können bei dieser Lösung durch eine einfache Änderung erreichen, daß die Kinderbeihilfe vom zweiten Kind an eingeführt werden kann. Wir haben die Möglichkeit, die jetzige Einkommensgrenze von 4 800 DM, die auch nach meiner Auffassung zu niedrig ist — ich würde zunächst etwa 6 000 DM vorschlagen —, später heraufzusetzen. Wir haben bei dieser Lösung sogar die Möglichkeit, daß wir die Kinderbeihilfe je nach der Einkommensgrenze vom zweiten Kinde an und bei höheren Einkommen erst vom dritten Kinde an gewähren. Sie sehen, in dieser Konstruktion liegt eine sehr große Elastizität und eine Erweiterungsmöglichkeit. Deswegen sind meine politischen Freunde und ich entschlossen, diesen Entwurf zu unterstützen.
Ich begreife sehr wohl die Ablehnung, die die Einkommensgrenze bei den Vertretern der Opposition findet. Aber ich glaube, wir sollten vernünftig sein. Wir waren im Sozialpolitischen Ausschuß doch auch bei der von der CDU vorgeschlagenen Lösung einstimmig der Auffassung, daß es im Grunde genommen eine Absurdität ist, wenn ein Selbständiger oder ein Generaldirektor mit 100 000 DM, 200 000 DM oder gar 1 Million DM Einkommen Kinderbeihilfe bekommt. Man hat doch diese — in sozialem Sinne — Ungeheuerlichkeit nur in Kauf genommen, weil man die Sache verwaltungsmäßig( vereinfachen wollte. Aber bei der Lösung über das Finanzamt hat man die ganzen Verwaltungsschwierigkeiten nicht. Herr Kollege Richter hat mit außerordentlicher Eindringlichkeit und Überzeugung vorgeführt, daß die Verwaltung über das Finanzamt praktisch keine zusätzlichen Kosten verursacht. Zumindest gilt das für die Arbeitnehmer. Eine zusätzliche Verwaltung bei der Lösung über das Finanzamt entsteht doch nur dadurch, daß jetzt auch die Selbständigen das Kindergeld ausgezahlt erhalten. Aber das ist eine so relativ geringe Verwaltungsarbeit, daß effektiv keine zusätzlichen Verwaltungskosten entstehen.
Wir sollten nun endlich den Mut haben, daß wir uns, wenn wir die Sache wollen, für den einfachsten Weg entscheiden. Es ist sinnlos, daß wir hier praktisch seit fünf Jahren um eine Lösung herumstreiten, daß wir die Sache immer wieder hinausschieben, weil wir uns über den Weg nicht einig werden können. Für die politische Wirklichkeit spielt doch nicht nur die Gerechtigkeit, sondern auch die Durchführbarkeit eine entscheidende Rolle. Ich will den ganzen grundsätzlichen Streit um das Prinzip hier nicht mehr aufrühren. Ich habe die Hoffnung aufgegeben, daß wir uns da gegenseitig noch überzeugen. Überzeugend sollte der Gesichtspunkt sein, daß wir den Staat nicht überfordern dürfen. Insofern komme ich zu ganz anderen Schlüssen als Sie, Herr Kollege Winkelheide. Wir überfordern den Staat und diskreditieren ihn in dem Augenblick, wo wir unseren Bürgern ein. schlechtes Gesetz vorlegen.
Das habe ich schon in der zweiten Lesung betont, und das gilt auch jetzt. Das Ansehen unseres jungen Staates ist weiß Gott nicht so gefestigt, daß wir uns den Luxus erlauben könnten, mit sehenden Augen ein Gesetz zu verabschieden, von dem alle Fachleute
mit Ausnahme des Familienministers anderer Auffassung sind, der Auffassung nämlich, daß es nicht praktikabel ist,
und das sollte für uns entscheidend sein.
— Ja, dann lesen Sie doch einmal nach, was die Fachleute dazu sagen!
So einfach können wir uns doch die Sache nicht machen, daß wir jetzt, weil es uns nicht paßt, die Einstellung der Fachleute einfach ignorieren und mit dem Wort „Unterstellung" abtun.
Ich stelle jedenfalls noch einmal ausdrücklich fest: Wenn wir uns nicht für diese Lösung der CDU/CSU entscheiden können, dann tun wir das nicht etwa deshalb, weil wir, wie hier von interessierter Seite oder auch von der Presse behauptet worden ist, ein Interesse daran hätten, die Sache zu verzögern, oder weil wir etwa kinderfeindlich oder familienfeindlich wären. Ich bin überzeugt, daß wir, wenn wir den Mut haben, uns zu einer Lösung zu entschließen, wie sie von der FDP und im Grunde genommen auch in dem Änderungsantrag der SPD zu
27 vorgeschlagen wird, spätestens bis zum 1. Januar zu einer Entscheidung kommen können, so daß das Geld dann ausgezahlt wird. Vorher wird es sowieso nichts. Dann würden auch die ganzen notwendigen Ergänzungsgesetze, wie sie heute von der CDU vorgelegt werden, für den nicht unter dieses Gesetz fallenden Personenkreis hinfällig werden. Das Entscheidende ist, daß wir so einfache Gesetze machen, wie es nur irgend möglich ist, Gesetze, die den geringsten Aufwand an Verwaltung kosten.
Dann haben wir den kinderreichen Familien geholfen, und zum anderen können wir unseren Bürgern mit gutem Gewissen sagen, daß wir hier gute Arbeit und keine schlechte Arbeit geleistet haben.
Das Wort hat der Abgeordnete Schmücker.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zur zweiten Lesung habe ich im Auftrage ' insbesondere meiner mittelständischen Fraktionsfreunde erklärt, daß wir die Frage der Einbeziehung der Selbständigen in dieses Gesetz noch einmal überprüfen wollten. Darüber aber, daß die Selbständigen am Kindergeld beteiligt werden sollten, herrschte keinerlei Zweifel.
Wir wollten dennoch die Einbeziehung der Selbständigen prüfen, weil wir einen klaren Überblick
über die möglichen Belastungen gewinnen wollten. Ich freue mich, heute feststellen zu können, daß diese Bemühungen in unserer Fraktion erfolgreich waren. Mit dem neuen § 11 wären wir in der Lage, dem vorliegenden Gesetz nach Annahme unserer Änderungsvorschläge insgesamt zuzustimmen.
Im Zusammenhang mit dem vorliegenden Gesetz sind sehr viele Mißverständnisse, Mißdeutungen und auch Diffamierungen laut geworden und gerade gegen uns gerichtet worden. Deshalb möchte ich noch einmal in aller Kürze, ohne mich in Einzelheiten zu verlieren, unsere Auffassung darlegen.
Über die Notwendigkeit des Kindergeldes herrscht kein Zweifel. Wie ich mich entsinnen kann und wie ich im Protokoll der Sitzung des Bundestages gelesen habe, hat auch niemand hier im Hause die generelle Herausnahme der Selbständigen aus dem Familienausgleich verlangt. Es wurde immer nur diese Lösung für die Selbständigen abgelehnt.
Das zweite Moment ist, daß der vorliegende Entwurf, wie uns allen bekannt, ursprünglich eine Arbeitnehmerlösung ist. Wir waren für die sofortige Einbeziehung der Selbständigen, zumindest für eine sofortige Diskussion über die Einbeziehung der Selbständigen, da selbstverständlich, wenn die Arbeitnehmer vorweggenommen werden, diese Regelung dann präjudizierend wirkt für die Regelung der Selbständigen. Wir müssen aber sagen, daß die Vorlage auch nach den Verbesserungen der zweiten Lesung die Frage der Einbeziehung der Selbständigen nach unserer Meinung noch nicht ausreichend befriedigend geklärt hat.
Unsere Klagen in der zweiten Lesung waren, daß auch nach der Regelung — der völlig unbestrittenen Regelung — für die öffentlich Versorgten noch einige draußen bleiben: Freiberufler, besonders auch die Witwen, die von Mieten leben, und so weiter.
Unser zweites Bedenken war, daß keine Begrenzung des Kindergeldes auf normale Einkommen stattfindet. Damit haben wir nicht die Forderung ausgesprochen, das Kindergeld auf kleine Einkommen zu beschränken. Wir wollten nur vermeiden, daß sehr hohe Einkommen auch noch in den Genuß des Kindergeldes kommen. Wir wissen, daß die Differenzierung hier sehr schwer ist. Doch auch die gegenwärtige Regelung muß sich einen Vorwurf gefallen lassen, und sie kann dem Vergleich - der immer wieder kommt — zwischen dem kleinen Unternehmer und dem Generaldirektor nicht aus dem Wege gehen.
Unser dritter Einwand war, daß die Vorlage die juristischen Personen besser stellt als die natürlichen Personen, da man einen Beitrag nur bei den natürlichen Personen, aber naturgemäß nicht bei den juristischen Personen erheben kann.
Der vierte Punkt war, daß die Belastung nur für die Arbeitnehmerseite klar ist, eben deswegen klar, weil sie nichts zu bezahlen haben — ich sage hier ausdrücklich, daß uns das zum mindesten für die Kreise der Arbeitnehmer, die gut verdienen, nicht ohne Bedenken zu sein scheint —, während fünftens die Selbständigen zu zahlen hatten, für sie also die Wirtschaft — ich gehe immer von der Fassung der zweiten Lesung aus — nicht zu zahlen hatte. Die These der Abwälzbarkeit, meine Damen und Herren, trifft ja wohl nur in den höheren Einkommensstufen zu. In den normalen Einkommensstufen ist sie reine Theorie.
Wir waren uns klar darüber, daß die Satzungen viele Sorgen beheben und etliche mildern könnten, und wir glauben auch heute noch, daß die Selbstverwaltungsorgane sich hier Mühe geben müssen. Die Hoffnung allein genügt jedoch nicht; wir müssen etwas Konkretes tun.
Lassen Sie mich hier aber mit allem Nachdruck sagen, daß wir .den großen Vorteil dieser Vorlage in dem Sinne, wie auch der Kollege Winkelheide es dargelegt hat, anerkennen. Der große Vorteil dieser Vorlage ist, daß sie keine staatliche Lösung ist. Ich weiß, daß unsere Meinungen darüber auseinandergehen. Aber wenn Herr Kollege Richter sagt, es sei belanglos, wer die Kasse hat, dann muß ich ihm erwidern: ich weiß aus Erfahrung, daß es sehr entscheidend ist, wer die Kasse hat.
Wir möchten dafür, daß wir nicht die staatliche Lösung haben, eventuell sogar einiges in Kauf nehmen. Ich weise aber darauf hin, daß auch die staatliche Lösung technische Schwierigkeiten haben wird.
Nun ist es vielleicht zufällig so, daß die technischen Schwierigkeiten der staatlichen Lösung nicht mit denen identisch sind, die bei dies er Lösung auftreten. Vielleicht ist es sogar so, daß einzelne Schwierigkeiten dieser Lösung in der staatlichen nicht auftreten.
Aber, meine Damen und Herren, dadurch dürfen wir uns doch nicht verwirren lassen. Schwierigkeiten gibt es auf beiden Seiten.
Ich möchte also bitten: Wir sollten die Einsicht gewinnen, daß wir unvermeidbare Nachteile in Kauf nehmen müssen, uns aber bemühen, alles das an Nachteilen zu vermeiden, was zu vermeiden geht.
Zu meinen fünf Bedenken möchte ich nun sagen, daß die Regelung für die noch nicht Erfaßten schnellstens nachgeholt werden soll, wie auch unsere Entschließung es von der Regierung fordert.
Eine Festlegung von Einkommens-Höchstgrenzen ist, davon haben wir uns überzeugen lassen müssen, sehr schwierig. Man müßte mit erheblichen Strafbestimmungen kommen, da ja immer der Betroffene sich selber anzeigen müßte, selber melden müßte, daß er kein Kindergeld zu bekommen hat. Das würde sehr schwierig sein, und möglicherweise würde der Effekt nicht im richtigen Verhältnis zu dem nötigen Verwaltungsaufwand stehen. Ich möchte aber in aller Klarheit hier sagen, daß wir die Bezieher hoher Einkommen und Gehälter dringend bitten, keinen Antrag auf Kindergeld zu stellen.
Die Besserstellung der juristischen Personen kann nach unserer Meinung dadurch vermieden werden, daß man die Lohnsumme als Hauptkriterium der Umlage bestehen läßt.
Die Freistellung der Arbeitnehmer, insbesondere der Arbeitnehmer mit hohem Einkommen, scheint uns weiterhin nicht ohne Bedenken zu sein; denn wir teilen nicht die These, daß Sozialbeiträge vorenthaltener Lohn seien. Beim Kindergeld mag diese These halbwegs zutreffen. Wir haben aber dadurch einen Ausgleich erreicht, daß wir die Freistellung der Selbständigen in unteren Einkommensstufen vorsehen, daß wir sie also nicht belasten. So ist in
etwa ein Ausgleich zwischen den Arbeitnehmern
und den kleinen selbständigen Existenzen gegeben.
Aber nun das Wesentlichste. Es war unser Bestreben, die Belastung der Selbständigen möglichst genau festzulegen. Wir sind, wie ich seinerzeit schon gesagt habe, davon ausgegangen, daß bei einem Einkommen von etwa 17 Milliarden DM ein Kindergeld von 73 Millionen DM benötigt wird. Das betrifft nur die gewerbliche Wirtschaft. Hinzu kommen die Umlagen für die Landwirtschaft und die Mehrkosten der Freigrenze, so daß die Belastung ungefähr an 1 % des Einkommens heranreichen dürfte, ohne ungerecht zu sein. Deswegen haben wir den Vorschlag gemacht, in den Berufsgenossenschaften, in denen die Selbständigen für ihren Anteil getrennt veranlagt werden, die Bestimmung einzubauen, daß die Beiträge 1 °/o des Einkommens nicht übersteigen dürfen.
Nun ist uns von der Verwaltung — sicherlich mit einigem Recht — gesagt worden, daß die Einfügung einer Prozentklausel, die sich auf das Einkommen bezieht, mit einer Umlage schlecht zu vereinbaren sei. Man machte uns den Vorschlag, lieber einen Fixbetrag zu nennen und etwa zu sagen, daß der Beitrag der Selbständigen 50 oder 60 DM nicht übersteigen dürfe. Das schien uns auch wieder nicht 'richtig zu sein; denn man kann den kleinen Unternehmer nicht einfach dem großen gleichstellen. Da unser Vorschlag — ich wiederhole es noch einmal — besagte, daß über 1 % nicht hinausgegangen werden sollte, schien uns der letzte Vermittlungsvorschlag, den Sie auf dem Umdruck eben erhalten haben, angängig zu sein. Er legt fest, daß eine getrennte Berechnung nach dem Bedarf der Selbständigen und der anderen in einer Familienausgleichskasse nicht erfolgen darf. Der Passus lautet:
Der Gesamtbedarf jeder Familienausgleichskasse ist durch eine Gesamtumlage aufzubringen; eine getrennte Berechnung der Umlage für den Bedarf an Kindergeld für die Selbständigen und für die übrigen Leistungsberechtigten ist ausgeschlossen.
Damit haben wir eine sehr weitreichende Sicherung erzielt. Ich erinnere Sie daran, daß unser Anliegen eben war, eine zu hohe Belastung der Selbständigen vor vornherein auszuschließen.
Nun ist mir wohl bekannt, daß diese Regelung vielleicht die Möglichkeit offen läßt, ungerechtfertigt hohe Kopfbeiträge zu erheben. Aber, meine Damen und Herren, hier möchte ich doch mit allem Nachdruck folgendes sagen. Wir bitten die Berufsgenossenschaften dringend, Rücksicht auf die Größe der Betriebe zu nehmen,
und wir erklären mit allem Nachdruck, daß wir, wenn das nicht geschehen sollte, wenn man also auf die Betriebsgröße keine Rücksicht nehmen und alle über einen Leisten schlagen sollte, aufpassen und hier im Plenum erscheinen werden, um die Gesetze einzubringen, die notwendig sind, um eine ungerechtfertigte Belastung gerade der mittleren und kleinen Selbständigen zu vermeiden.
Ich betone nochmals — und ich lege Wert auf diese Feststellung—, daß wir die Selbständigen auf jeden Fall einbeziehen möchten. Wir wollen nur die Belastungen übersehen können.
Unsere Forderungen sind mit dem neuen § 11 erfüllt, und ich möchte Sie darum bitten, dem Änderungsantrag und nachher dem Gesetz zuzustimmen.
Durch den Vorschlag der FDP scheint nun eine neue Lage entstanden zu sein. Dieser Vorschlag ist wahrlich sehr verlockend. Aber, meine Damen und Herren von der FDP, man muß doch davon ausgehen, daß Ihre erste Zahl, nämlich die Grenze von 4800 DM, schon falsch ist. Die kriegen Sie in diesem Hause niemals durch! Herr Richter hat gesagt, daß er nicht einverstanden ist, und ich sage Ihnen, daß wir mit einer solchen Grenze auch nicht einverstanden sind. Wenn Sie aber diese Zahl 4800 nicht durchkriegen, dann ist es selbstverständlich, daß die Umlage auf die Lohnsumme oder aber der staatliche Anteil erhöht werden muß. Meine Damen und Herren, wenn der Satz von 0,5% der Lohnsumme erhöht werden muß — auch schon bei 0,5 % gilt. das —, bedeutet das, daß die Großwirtschaft und vielleicht die lohnintensivere mittlere Wirtschaft die Hauptlasten zu tragen haben.
— Wir haben ja auf die 1 % schon verzichtet, wir haben ja eine andere Regelung gefunden!
— Wir sind dafür, daß nach der Lohnsumme ein Beitrag erhoben wird und ein Kopfbeitrag genommen wird. Sie gehen von 4800 DM aus und müssen wissen, daß 4800 DM — so werden Sie mir bestätigen — nicht zu halten sind;
also muß mehr erhoben werden als 0,5%. (Sehr richtig! in der Mitte.)
Jetzt sagen Sie: wer soll es zahlen vom Lohn her? Das bedeutet: die Großwirtschaft und die lohnintensiven Betriebe. Herr Dr. Atzenroth, als Mittelständler sage ich dazu: das ist zu schön, um wahr zu sein.
Wenn wir Schwierigkeiten schon bei unserem Vermittlungsvorschlag haben, wenn wir bei unserem Vermittlungsvorschlag gerade aus diesen Kreisen die Schwierigkeiten bekommen, dann glaube ich niemals, daß Ihrer Lösung zugestimmt werden wird.
Und ich kann mir nicht vorstellen, daß Ihr Vorschlag im Endeffekt eine gute Lösung bringt. Jeder geht davon aus, wie er es gerne ausbauen möchte. Aber hier sind zwei Gegensätze, Herr Atzenroth, 4800 DM und 0,5 %, die sich nicht vertragen.
Darum halte ich Ihren Vorschlag, so schön er aussieht, für irreal. Ich sage auch ganz offen: so gern ich möchte, daß die Großwirtschaft etwas stärker an den öffentlichen Lasten beteiligt wird, — ich bin nicht bereit, eine soziale Maßnahme nur zu Lasten einer Gruppe durchzuführen, auch wenn ich selbst einen Vorteil davon hätte.
Ich meine, daß alle anteilsgerecht beteiligt werden müssen, und das ist von der ersten Stunde an unser Anliegen gewesen. Darum haben wir auch so peinlich darauf geachtet, daß wir weitestmöglich
eine Begrenzung der Belastung der Selbständigen vornehmen konnten.
Ich darf zusammenfassen. Das Gesetz unserer Konzeption — das verschweige ich gar nicht — wird selbstverständlich nicht ohne Komplikationen durchzuführen sein.
— Ja, welches Gesetz ist denn ohne Schwierigkeiten durchzuführen?
Sehen Sie doch mal alle Gesetze durch, auch die, die wir einstimmig angenommen haben! Denken Sie an das Lastenausgleichsgesetz und was Sie wollen! Kein Gesetz ist ohne Schwierigkeiten durchzuführen.
Und wenn Sie meinen, beim Finanzamt geht es besser, — ich habe andere Erfahrungen; vielleicht sprechen wir auch darüber einmal.
Denken Sie doch nicht, daß die staatliche Lösung einfacher sei oder daß sie keine Bedeutung habe, weil es egal sei, wer die Kasse in der Hand hat. Es ist sehr wichtig, wer die Kasse in der Hand hat.
Wir müssen in dauerndem Kontakt mit denen bleiben, die das Gesetz durchzuführen haben, und wie wir heute den Mut haben, das Gesetz durchzuziehen, müssen wir dann auch den Mut besitzen, das Gesetz gegebenenfalls zu ändern. Heute ist das zur dritten Lesung anstehende Gesetz mit den erwähnten Änderungen von allen Vorschlägen —
das ist meine feste Überzeugung — trotz seiner Fehler der beste Vorschlag, der bisher gemacht worden ist. Und ich wiederhole: nachdem die Frage der Belastung der Selbständigen geklärt ist, haben wir keinen Grund mehr, unseren Widerstand aufrechtzuerhalten. Denn wir wollen die Einbeziehung der Selbständigen, wir wollen vermeiden, daß sie weiterhin sozialpolitisch überrundet werden. Wir haben keinen Grund, unseren Widerstand aufrechtzuerhalten. Wir werden dem Gesetz zustimmen, und ich bitte die Damen und Herren des Hohen Hauses, das gleiche zu tun, damit endlich das Kindergeld gezahlt werden kann.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Atzenroth.
Meine Damen und Herren! Ich muß mich zunächst einmal mit den Ausführungen des Herrn Ministers Wuermeling befassen. Herr Richter hat schon mit Recht darauf hingewiesen, daß der Herr Minister hier namens der Bundesregierung eine Erklärung zu der Frage des Kindergelds vorgelesen hat. Ich bestreite ihm das Recht dazu. Mir ist nicht bekannt — und die Minister meiner Fraktion haben mir das bestätigt —, daß sich das Kabinett mit dieser Frage beschäftigt und Herrn Minister Wuermeling einen Auftrag zu dieser Erklärung gegeben hat.
Wenn der Herr Familienminister überhaupt zu
dieser Frage spricht, dann muß man — Herr Rich-
ter hat das schon zum Ausdruck gebracht — eigentlich seinem Befremden darüber Ausdruck geben,
daß er, der sich hier für zuständig erachtet, bisher
— ein Jahr ist er doch wohl schon im Amt — nicht den Mut aufgebracht hat, dem Hohen Hause einen Gesetzentwurf vorzulegen. Dann hätten wir uns damit beschäftigen können.
– Wenn es nicht seine Aufgabe ist, dann hätte er hier nicht in dieser Form sprechen dürfen!
Wenn Sie, Herr Lücke, erklären, es sei nicht seine Aufgabe, dann hat Herr Wuermeling hier als Parteiredner gesprochen!
— Dann hätte er im Kabinett veranlassen sollen, daß die Bundesregierung die Vorlage gemacht hätte!
— Die SPD hat eine Vorlage gebracht und wir zum Schluß auch noch eine, aber nicht die Regierung, und dann kann man nicht namens der Bundesregierung hier solche Erklärungen abgeben, die rein parteipolitischen Charakter tragen,
und muß sich Ausführungen enthalten, gegen die
sich schon Herr Kollege Elbrächter verwahrt hat, daß nämlich Kollegen, die eine andere Auffassung vortragen, kinderfeindlich eingestellt seien. Dagegen müssen auch wir uns mit aller Entschiedenheit verwahren.
Herr Minister Wuermeling hat erklärt, wir dürften nicht an das soziale Mitleid appellieren; — er hat aber auf die Tränendrüsen gedrückt,
und zwar in einem Maße, das hier für einen Minister nicht schicklich ist! Im übrigen hat er sich nur mit der Grenze von 4800 DM beschäftigt, weil sein Konzept von gestern auf unserem Gesetzentwurf beruhte.
— Dann lesen Sie sie doch bitte durch und vergleichen Sie die beiden Vorlagen! Unsere Vorlage ist eine eigene Erarbeitung, eine selbständige Arbeit. Nun hat sich Herr Minister Wuermeling einfach auf diese Zahl, 4800 DM, gestürzt und hat eine Reihe von Beispielen errechnet. Bei jeder Grenzzahl gibt es Ungerechtigkeiten, nach oben und nach unten. Diejenigen, die am Lastenausgleich mitgearbeitet haben, werden sich erinnern, Herr Kunze, wie oft wir vor diese Frage gestellt wurden; ob bei Datumszahlen oder Geldzahlen, irgendwo gibt es eine Ungerechtigkeit an der Grenze. Aber Herr Minister Wuermeling hat sich mit unserem Grundgedanken nicht beschäftigt. Das hätte er besser tun sollen, als sich mit den Beispielen zu beschäftigen, bei denen man am Rande nach oben oder nach unten ausweichen könnte.
Folgender Gedanke liegt unserem Entwurf bezüglich der Höhe der Bemessung zugrunde: Wir haben, Herr Arndgen, die Zahl 4800 absolut mit der Zahl 0,5 °/o der Lohnsumme abgestimmt. Damit wird nach den Unterlagen, die uns zur Verfügung standen, ein Gleichgewicht erzielt. Deswegen diese Zahl. Sie entspricht aber nicht dem Grundgedanken unseres Vorschlags. Wir betrachten die Steuerermäßigung ebenso wie das Kindergeld als gleichgeartete Leistung des Staates. Wir wollten dahin kommen, daß — abgesehen von den oberen Stufen, wo die Steuervergünstigung höher als 300 DM im Jahr ist — von einer bestimmten Stufe an jeder für das dritte Kind — entsprechend für das vierte und fünfte — 300 DM Vergünstigung bekommt, entweder in der Form der Steuervergünstigung oder in der Form des Kindergeldes. Wer also keine Steuervergünstigung bekommt, soll 300 DM Kindergeld für das dritte Kind erhalten. Wer schon 100 DM Steuervergünstigung für das dritte Kind erhält, soll nur noch 200 DM bekommen. Das ist unsere Ideallösung, die in unserem Entwurf natürlich nicht verwirklicht ist, weil wir wegen der Kürze der Zeit mit einer festen Zahl operieren mußten. Aber diese Ideallösung erstreben wir auch jetzt noch, und das ist der Grundgedanke, mit dem sich aber auch Herr Minister Wuermeling hätte befassen sollen, nicht mit der zunächst zufälligen Zahl von 4800 DM.
Jeder Deutsche soll also — ich wiederhole es noch einmal: jeder Deutsche, und, Herr Schmücker, da ist bei uns überhaupt kein Unterschied zwischen Selbständigen und Unselbständigen gemacht -eine Vergünstigung in Höhe von mindestens 300 DM für das dritte Kind erhalten, sei es in Form einer Steuerermäßigung, sei es in Form eines Kindergeldes. Das ist unser Idealgedanke, und ich bin der Meinung, daß es möglich sein müßte — allerdings nicht hier im Plenum —, ihn auch noch in die gesetzgeberische Form zu kleiden. Ich bin überzeugt davon, daß die große Masse auch der CDU innerlich einem solchen Gedanken ihre Zustimmung geben würde.
— Hellseher? Nein; aber ich vermute das, ich hoffe das, Herr Horn. Ich halte es für einen Akt der Vernunft.
Mit den Ausführungen, die Herr Wink e 1h e i d e hier vorgelesen hat, will ich mich nicht eingehend beschäftigen; denn es war ja eigentlich nur eine große Entschuldigungsrede. Alle Vorwürfe sind vorgebracht worden, die gegen seine Formulierung vorzutragen sind. Herr Winkelheide, wenn man selber so viele Vorwürfe vorträgt und vorliest, dann müßte man doch in sich gehen und sagen: Donnerwetter, meine Sache ist doch nicht in Ordnung, hier stimmt doch irgend etwas nicht; wenn so viele Menschen in der Öffentlichkeit nein dazu sagen, dann müssen die Dinge doch einen Haken haben!
Die Ausführungen über die „Auswüchse eines liberalen Denkens" möchte ich nur gerade zurückweisen. Warum soll etwa ein liberales Denken schlecht sein, und warum sollen schlechte Formulierungen aus ihm hervorgehen? Das muß ich entschieden zurückweisen.
Eine ernstere Aufgabe ist es allerdings, sich noch einmal mit den Ausführungen von Herrn Schmücker zu beschäftigen. Herr Schmücker, zunächst einmal hätte ich gewünscht, daß Sie an den Beratungen im Sozialpolitischen Ausschuß mit teilgenommen hätten;
denn ich habe das Gefühl, daß Sie doch noch nicht den ganzen Umfang der Materie erkannt haben.
— Aber, Herr Horn, ich habe doch wohl einen Beweis meiner Sachkenntnis gegeben. Das kann mir doch wohl niemand bestreiten; auch Sie nicht.
Ich bin seit 25 Jahren ehrenamtlich in der Berufsgenossenschaft tätig, und ich weiß aus eigenster und langjähriger Erfahrung über die Technik Bescheid. Ich kann Ihnen fast so wie Herr Lauterbach sagen, ob etwas durchführbar oder nicht durchführbar ist.
Ich glaube, im ganzen Hause ist niemand, der über eine solche Erfahrung auf diesem Spezialgebiet verfügt wie ich.
— Herr Arndgen, ich habe gestern abend noch einmal mit Herrn Lauterbach gesprochen, und Herr Lauterbach erklärte mir, daß nach Ihren Änderungsanträgen, die Sie hier gestellt haben, das Gesetz nunmehr endgültig undurchführbar ist.
— Soll ich Ihnen das nun in aller Breite technisch auseinandersetzen? Auch Ihr neuer Änderungsantrag Umdruck 169 bringt die Undurchführbarkeit. Wenn ich eine Umlage erhebe, dann kann ich bei der Berechnung keine unbekannte Größe hineinbringen. Jede unbekannte Größe macht die Umlageberechnung unmöglich. Wenn ich eine bestimmte Schuld, die ich zu decken habe, einen bestimmten Betrag, den ich aufbringen muß, umlegen soll, dann kann ich das zunächst auf Grund der mir gegebenen Größen tun, und dann bestimme ich den Umlagebetrag. Nehmen wir einmal an, er soll 20 DM betragen, und dann stellt sich plötzlich heraus, daß eine Gruppe Berechtigter sagt: ja, jetzt
falle ich nicht mehr unter die Umlage; ich erhebe Anspruch, ich melde mich, ihr müßt mich herausnehmen. — Dann ist die Zahl bei der Berechnung der Umlage falsch gewesen, und ich muß eine neue Umlage mit einer kleineren Zahl der Betroffenen neu berechnen. Der Umlagebetrag steigt, und nun kommt wieder eine Gruppe und sagt: jetzt falle ich nicht mehr darunter; und das Theater geht von neuem los. Wenn Sie einmal den technischen Ablauf einer Umlageberechnung bei einer Berufsgenossenschaft miterlebt hätten, würden Sie feststellen, ,daß das viele Wochen dauert, und wenn man bei einer Berufsgenossenschaft eine Umlageberechnung wiederholen muß, dann vergeht ein halbes Jahr, vielleicht auch ein Jahr. Es entstehen Kosten, die in keinem Verhältnis zu den Dingen stehen.
Herr Schmücker, ich möchte noch eins sagen: Als ich erklärte, nach dem Entwurf der zweiten Lesung werde die Wirtschaft — die Sie ja belasten wollen — weniger belastet als nach unserem Entwurf, haben Sie das bestritten. Wir haben 0,5% gesagt. Wenn wir eine etwas andere Lösung als den Betrag von 4800 DM fänden, über die wir diskutieren könnten — das berührt aber nicht das Grundproblem —, dann müßte der Satz von 0,5 Vo natürlich erhöht werden, aber niemals auf 1%. Herr Schmücker, die Belastung nur durch die Unselbständigen ist in den Berufsgenossenschaften mit 0,8, 0,9 bis 1 % der Lohnsumme errechnet worden.
— Das haben die Sachverständigen uns vorgetragen. Das ist also eine viel höhere Belastung, und zwar ohne die Selbständigen; diese sind ja dabei ausgeschaltet, sie kommen besonders hinzu. Die Belastung durch unseren Vorschlag ist also geringer; denn wir haben die Kreise von dem Bezug des Kindergeldes ausgenommen, die auch Sie gerne ausgenommen haben wollen. Der berühmte Generaldirektor ist bei uns draußen.
— Der Ausdruck ist vorher gebraucht worden, er stammt von anderen, und deswegen habe ich ihn eben leider wiederholen müssen. Das ist auch keine Spitze gegen diese Kreise. Der Personenkreis, der durch die Steuerermäßigung schon diese Vergünstigung erhält, soll ausgenommen werden. Darum handelt es sich doch im wesentlichen, und das bewirkt unser Entwurf. Herr Schmücker, ich bin überzeugt, wenn wir Gelegenheit hätten, uns einmal einen halben Tag oder mehrere Stunden zusammenzusetzen — —
— Herr Lücke, Herr Schmücker war nicht dabei.
— Bei welchen wichtigen Debatten?
— In Ihrer Fraktion! Da habe ich ja keine Gelegenheit, meine Gedanken vorzutragen.
Ich wiederhole: Herr Schmücker, wenn ich Gelegenheit hätte, mich mit Ihnen zwei Stunden über das Thema zu unterhalten, ich bin überzeugt,
auch Sie kämen zu der Überzeugung, daß die Formulierung der zweiten Lesung nicht durchführbar ist, daß sie auch für den Mittelstand ungünstiger und schlechter ist.
Ich darf zum Schluß noch auf ein Schreiben des Deutschen Bauernverbandes hinweisen — ich bitte gerade die Landwirte der CDU, ganz genau hinzuhören —,
das er uns, wahrscheinlich Ihnen allen zugestellt hat und in dem er schreibt:
Soeben hat die FDP-Fraktion — —
— Aber Herr Arndgen, wer hat denn den großen Einfluß auf den Bauernverband? Doch Ihre Mitglieder und nicht unsere!
Es ist doch eine Unterstellung, zu behaupten, wir hätten das bestellt.
Hier wird also gesagt:
. . . daß dieser Antrag geeignet erscheint, unseren Bedenken in wesentlichen Punkten Rechnung zu tragen. Ohne damit schon zu dem Entwurf im einzelnen Stellung zu nehmen, möchten wir in letzter Minute die Bitte wiederholen, durch eine kurzfristige Vertagung der dritten Lesung die Möglichkeiten für eine einfachere und zweckmäßigere gesetzliche Regelung zu schaffen.
Das ist die Meinung, die mir vom Deutschen Bauernverband eben auf den Tisch gelegt worden ist.
Ich stelle fest, Herr Atzenroth, daß dem Präsidenten, der hier im Hause sitzt, das Schreiben heute morgen bekanntgeworden ist, obwohl das
Präsidium am Dienstagabend beschlossen hatte, in der Sache nichts mehr zu unternehmen.
Das Wort hat der Abgeordnete Atzenroth.
Meine Damen und Herren! Herr Kollege Müller hat erstens eine Frage gei stellt und zweitens eine Feststellung getroffen. Die Feststellung gehört ja nicht hierher; dazu kann ich nichts sagen. Er hat mich gefragt, ob das Schreiben vom Deutschen Bauernverband ausgegangen ist. Meine Herren, Sie kennen meine wirtschaftliche Vergangenheit. Ich habe mit dem Bauernverband nichts zu tun. Ich kenne den Herrn Präsidenten nicht, ich kenne den Generalsekretär nicht, ich kenne keinen von ihnen. Aber das Schreiben trägt die Aufschrift „Deutscher Bauernverband e. V.". Meine Damen und Herren, Sie müssen mir doch zugute halten, daß ich das als ein Schreiben des Deutschen Bauernverbandes anerkenne.
Ich wiederhole Ihnen noch einmal: Unser Gesetzentwurf — und das ist hier in der Debatte schon wiederholt zum Ausdruck gekommen — ist eine einfache, klare Lösung. Ich wollte noch ein Wort sagen zu der Frage der staatlichen Lösung. Herr Kollege Winkelheide hat den Vorwurf erhoben, die Lösungen, die von uns und von der SPD vorgetragen werden, seien staatliche Lösungen. Meine Damen und Herren, ausgerechnet mir werden Sie ( nicht vorwerfen, daß ich in der Sozialversicherung der staatlichen Lösung das Wort rede.
Meine Vergangenheit in der Beziehung ist wohl klar, und, Herr Professor Schellenberg — mit dem ich in diesem Augenblick vielleicht einigermaßen gleichziehe —, ich bin jedenfalls Ihr schärfster Gegner gewesen und bin es auch heute noch: in der Frage der Einheitsversicherung. Darüber besteht gar kein Zweifel.
Aber hier handelt es sich gar nicht um die Frage, ob staatliche Lösung oder was für eine Lösung sonst. Meine Damen und Herren, sind Sie einmal in einer Berufsgenossenschaft gewesen? Was ist denn da los? Wo hat denn das einzelne Mitglied Einfluß auf die Tätigkeit der Berufsgenossenschaft?
— Ja, bei den Vorstandsmitgliedern, Herr Arndgen! Aber der kleine Schreinermeister in IdarOberstein weiß doch nicht, was wir im Vorstand in Bielefeld machen!
— Jawohl, ich bin der Mann des Vertrauens, und das bin ich bet der Finanzamtslösung genau so gut als Abgeordneter des Bundestags. Aber von einer staatlichen Lösung im Gegensatz zu irgendeiner andersgearteten Lösung kann man hier doch nicht
sprechen! Das ist wirklich falsch! Unser Vorschlag sieht auch insofern eine gewisse Milderung vor, als wir die Auszahlung, also das, was den einzelnen Kindergeldempfangsberechtigten betrifft, im Betrieb vornehmen lassen. Da ist die innere Verbundenheit gegeben. Man kann also diesen Vorwurf wirklich nicht erheben.
Ich möchte noch einmal zusammenfassen. Unser Entwurf ist klar und eindeutig. Er ist, wie Herr Elbrächter gesagt hat, entwicklungsfähig, er kann noch weiter ausgebaut werden. Herr Schmücker dagegen kündigt jetzt schon an: Wir sind bei der Antragstellung durch Menschen mit hohem Einkommen auf deren Wohlwollen angewiesen; wir bitten sie, keine Anträge zu stellen; wir bitten die Berufsgenossenschaften, den Rahmen nicht zu überspannen! — Alle diese Dinge zeigen doch, daß das Gesetz lückenhaft ist. Das ist bei unserem Gesetzentwurf nicht der Fall. Ich bitte Sie deshalb dringend, sich das noch einmal zu überlegen, die Angelegenheit sachlich zu betrachten und unseren Vorschlägen Ihre Zustimmung zu geben.
Das Wort hat der Abgeordnete Arndgen.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Zunächst ein Wort zu der von den Herren Kollegen Richter und Atzenroth gestellten Frage, ob der Herr Bundesminister für Familienfragen berechtigt gewesen sei,
hier im Namen der Bundesregierung zu diesem Gesetz eine Erklärung abzugeben oder etwas auszuführen.
Während der Amtszeit der ersten deutschen Bundesregierung hat unter dem Vorsitz des Herrn Bundesarbeitsministers eine Regierungskommission getagt, die sich mit der Frage der Familienausgleichskassen beschäftigt hat. Diese Regierungskommission, der auch der Herr Minister Blücher angehörte
— aber der Herr Minister Blücher hat dieser Kommission angehört —, hat der Konzeption des Gesetzes, das heute hier beraten wird, grundsätzlich zugestimmt.
Ich bin der Meinung, daß die zweite deutsche Bundesregierung in der Frage der Kinderbeihilfe derselben Auffassung ist wie die erste deutsche Bundesregierung.
Daher durfte meines Erachtens Herr Bundesminister Wuermeling schon im Namen der Bundesregierung sprechen.
Der Herr Bundesminister Wuermeling hat, wenn' er von Familienfeindlichkeit und von Mittelstandsfeindlichkeit gesprochen hat, an die Grenze gedacht, die in dem Entwurf der FDP bezüglich der Gewährung von Kinderbeihilfe festgelegt ist. Der FDP-Entwurf will bei den Einkommen, die 4800 DM übersteigen, die Kinderbeihilfe nicht gewähren. Das ist kinderfeindlich und auch mittelstandsfeindlich.
Herr A t z e n r o t h hat von der Undurchführbarkeit unseres Gesetzentwurfs gesprochen. Er hat Bezug genommen auf eine Unterredung, die er gestern abend telefonisch mit Herrn Lauterbach gehabt hat. Nach der Unterredung, die Sie, Herr Atzenroth, mit Herrn Lauterbach hatten, hatten wir zu dritt eine weitere Unterredung.
Auf Grund dieser Unterredung ist die Formulierung des Umdrucks 169 erfolgt.
— Ich weiß nicht, Herr Kollege Richter; ich weiß auch nicht, Herr Kollege Atzenroth, wo der größere Sachverstand bezüglich der Verwaltung in den Berufsgenossenschaften zu suchen ist.
Dann kann ich wohl sagen: wir haben heute im großen und ganzen die Diskussion wiederholt, die wir bei der zweiten Lesung gehabt haben. Es sind kaum neue Gedanken zum Ausdruck gekommen.
Wenn Sie, Herr Kollege Atzenroth, der Meinung sind, daß Ihr Vorschlag nicht auf die staatliche Lösung zustrebe, dann weiß ich nicht mehr, was staatliche Lösung ist.
Daß Sie, Herr Kollege Richter, und Ihre Freunde die staatliche Lösung erstreben, das ist kein Geheimnis, das hat sich mittlerweile herumgesprochen. Aber daß ausgerechnet von der rechten Seite dieses Hauses jetzt die gleichen Bestrebungen deutlich werden, das läßt uns doch etwas in Erstaunen kommen.
Seitdem wir in unserem deutschen Volk Sozialeinrichtungen haben, sind wir immer bestrebt gewesen, diese sozialen Einrichtungen so weit wie möglich vom Staat zu distanzieren.
Das hat der Gesetzgeber bei der Krankenversicherung, das hat der Gesetzgeber in der Unfallversicherung, auch in der Rentenversicherung, und das haben auch wir bei dem Gesetz, das wir im 1. Bundestag beschlossen haben, beim Lastenausgleichsgesetz, getan. Auch hier haben wir die sozialen Dinge so weit wie möglich vom Staat entfernt. Ich bin der Auffassung, daß, wenn wir jetzt wieder ein neues Gesetz schaffen, wir auch dieses
Gesetz nicht in die Bürokratie des Staates hineingeben sollen, sondern in den Kreis, der für diese Dinge zuständig ist. Wir sollten auch dieses Gesetz in die Selbstverwaltung hineinbringen.
Gerade von der FDP und auch von der DP ist heute sehr stark der Gedanke unterstrichen worden, die Selbständigen aus dem Gesetz herauszulassen. Dieses Gesetz geht nicht vom Unselbständigen und auch nicht vom Selbständigen aus, sondern es geht von der Familie aus. Eine Belastung durch mehr Kinder wirkt sich bei den Unselbständigen genau so aus wie bei den Selbständigen. Auch bei den Selbständigen gibt es eine große Zahl, die von der Steuergruppe III überhaupt keinen Gebrauch machen können, weil ihr Einkommen nicht entsprechend hoch ist.
— Denen wollen Sie helfen? Bei einem Schnitt bei 4800 DM Jahreseinkommen?
Herr Abgeordneter Arndgen, einen Augenblick bitte! Frau Abgeordnete Dr. Ilk möchte eine Zwischenfrage stellen.
Herr Abgeordneter Arndgen, ich hätte eine Frage. Wenn hier eine staatliche Stelle wie das Finanzamt als Zahlstelle fungiert, dann sehen Sie das als eine staatliche Lösung an, nach Art der Sozialisierung. Ich frage Sie nun, wie haben Sie es eigentlich beim Bundesversorgungsgesetz gehalten? Da haben wir ja auch den Staat in Anspruch genommen an Stelle einer Sonderorganisation und haben durch ihn die Zahlung der Leistungen. Ich meine das nur als ein Beispiel, das mir gerade jetzt einfällt. Ich könnte vielleicht, wenn ich länger nachdenke, noch andere Fälle, noch bessere finden. Ich würde Sie gern einmal fragen, wo da so ein Unterschied liegt.
Diese Frage, Frau Dr. Ilk, hätten Sie an die Kriegsopfer stellen sollen. Ich glaube, daß Ihnen von der Seite eine Antwort zuteil geworden wäre, die Ihnen deutlich und klar machte, daß die Kriegsopfer sich anders behandelt wissen wollen als die sonstigen Notgruppen im Volke.
Eine weitere Frage!
Zu einer weiteren Zwischenfrage Frau Abgeordnete Dr. Ilk.
Mit letzterem haben Sie sehr recht, Herr Arndgen. Aber wir wollen ja hier auch eine allgemeingültige Lösung für alle Staatsbürger finden, die ein drittes Kind haben und denen wir helfen wollen, ihre Kinder zu erziehen, zu guten Staatsbürgern zu erziehen. Warum dann nicht amtliche Zahlstellen?
Ich bin erstaunt, daß gerade von der FDP diese Frage gestellt wird; denn besonders aus Ihren Kreisen, sehr geehrte Frau Dr. Ilk, wird die Bürokratie des Staates sehr oft beanstandet, und Sie sind doch der Meinung, daß der Staatsbürokratie so wenig wie möglich überantwortet werden soll. Wenn Sie nun die Durchführung Ihres Gesetzes den Finanzämtern auftragen wollen, haben Sie Staatsbürokratie reinsten Wassers.
Frau Dr. Ilk wünscht eine weitere Frage zu stellen. Bitte!
Nein, keine Frage; ich möchte nur die Feststellung treffen, daß wir uns um die beste Lösung in Objektivität bemühen, und das scheint mir doch sehr viel richtiger als Prinzipienreiterei.
Das letzte war eine Feststellung; das war keine Frage.
Meine Damen und Zierren, darf ich diese Gelegenheit benutzen, um einmal zu klären: die Mikrophone stehen nicht nur da — wie in der Fragestunde —, um Fragen zu stellen, sondern auch um Einwürfe zu machen. Auch Feststellungen gehören durchaus in den Rahmen dieser Einwürfe.
Danke.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir sind und bleiben der Meinung, daß diese soziale Einrichtung, die wir mit den Familienausgleichskassen schaffen, in die Selbstverwaltung derjenigen gebracht werden soll, die für diese Einrichtung als Träger in Frage kommen. Das entspricht auch dem Subsidiaritätsgedanken, der hier schon ausgesprochen wurde. Wir sind der Ansicht, daß der einzelne in den Wirtschaftszweigen, in denen er seine Arbeit findet, für seine ganze Familie die Existenz finden soll, auch dann, wenn die Familie mit mehr als zwei Kindern gesegnet ist. Wenn diese Wirtschaftsgemeinschaft nicht dazu in der Lage ist, dann erst soll von übergeordneten Ebenen eingegriffen werden.
Ich möchte Sie daher bitten, meine sehr verehrten Damen und Herren, trotz der Einwendungen, die heute wie auch in der zweiten Lesung vorgetragen worden sind, unserem Gesetzentwurf die Zustimmung zu geben.
Das Wort hat der Abgeordnete Schmücker.
Herr Atzenroth, Sie haben gesagt, daß Sie vielleicht der beste Sachverständige für diese Dinge hier im Hause seien.
Das will ich gar nicht bestreiten. Aber wenn Sie im Hochgefühl dieser Weisheit sagten, es wäre wohl besser gewesen, ich hätte nicht geredet, denn ich hätte an den Ausschußverhandlungen nicht teilgenommen und wüßte genau Bescheid, so halte ich das für sehr gefährlich. Denn wenn hier nur noch die Ausschußmitglieder zu diskutieren haben, warum wollen wir überhaupt noch zusammenkommen? Wenn nur diese Meinung entscheidet, weswegen brauchen wir dann ein politisches Parlament? Herr Atzenroth, Sie haben das sicherlich
nicht so gemeint, und ich sage das auch ohne Bitterkeit. Aber es könnte der Eindruck entstanden sein: ach, der Schmücker, der redet so daher, im Ausschuß ist er nicht dagewesen. Meine Damen und Herren, dagegen muß ich mich wehren. Der Ausschuß gibt einen Bericht, und jeder von uns hat das Recht, aufzustehen und zu sagen, wie seine Meinung ist.
Wir lassen uns auch nicht durch größeren Fachverstand von unserer politischen Richtung abbringen.
Herr Atzenroth, Sie sagten dann, daß ich wahrscheinlich in zwei Stunden so weit sein würde, Ihren Vorschlag zu akzeptieren. Aber ich habe weiterhin das ungute Gefühl, daß man sich durch den Beifall, der von dort kommt, etwas ganz anderes erhofft, als was Sie vorgeschlagen haben. Denn der Gegensatz zwischen 4800 DM — und wenn Sie auf 6000 DM kommen — und 0,5% wird Ihre Sache zum Platzen bringen; und dann klappt sie nicht mehr.
Meine Damen und Herren, ich habe hier das Anliegen vertreten, man solle .die Selbständigen nicht überrunden und in der Beitragsleistung nicht schlechter stellen als die anderen. Von diesem Standpunkt bin ich ausgegangen, und so, Herr Atzenroth, müssen Sie es verstehen, daß wir alle Wege gesucht haben, um unseren Standpunkt ohne Störung der Verwaltung durchzusetzen. Dabei kamen wir auf die Idee von einem Prozent. Weswegen? Weil uns gesagt wurde: Die Durchschnittsbelastung wird 36 DM sein. 1 % von 4800 DM sind 48 DM. Wir sagten, innerhalb dieser Grenze hat die Verwaltung den notwendigen Spielraum, und wir haben eine Sicherheit. Aber ich gebe Ihnen recht: es sind Gefahren da. Und deswegen, Herr Atzenroth, haben wir unseren Standpunkt aufgegeben. Ich habe Herrn Lauterbach gestern abend gefragt: Sagen Sie mir doch, wie wollen Sie verfahren? Er hat erklärt: Natürlich so, daß wir die Lohnsumme und einen Kopfbeitrag nehmen. Dann haben wir gefragt: Also Sie wollen keine getrennte Veranlagung für die Selbständigen? Das hat er bestätigt: Nein, das wollen wir nicht. — Meine Damen und Herren, und genau das steht in unserem Antrag, weiter gar nichts. Es ist also den Wünschen entsprochen worden, die von den Berufsgenossenschaften an uns herangetragen worden sind. Nun weiß ich nicht, Herr Atzenroth—bei Achtung vor Ihrem Fachverstand —, was wir noch weiter tun sollen. Den Wünschen der Berufsgenossenschaften ist voll und ganz Rechnung getragen worden, und auch unseren Wünschen ist weithin entsprochen worden. Wir haben nur zusätzlich die Bitte, daß man mit dem Kopfbeitrag vernünftig umgeht, weil wir sonst wieder hier ins Plenum kommen müßten.
Das Wort hat die Abgeordnete Gräfin Finckenstein.
Herr Präsident! Meine Herren und Damen! Meine Freunde vom Gesamtdeutschen Block und ich vermögen dem Antrag der FDP, soweit er eine Einkommensgrenze von 4800 DM im Jahr vorsieht, nicht zuzustimmen. Wir meinen aber, daß sich hier vieleicht doch eine
Plattform finden könnte, auf der wir alle zusammenkommen können.
Die beiden unterschiedlichen Auffassungen vom Kindergeld sind in den langwierigen Debatten dieses Hohen Hauses in großer Klarheit herausgearbeitet worden und kommen in zwei Sätzen zum Ausdruck. Von den CDU-Rednern ist in der zweiten Lesung wiederholt geäußert worden, das Kindergeld sei eine Zulage zum Arbeitseinkommen,
und Professor Schellenberg hat gemeint, wir sollten den Anspruch auf das Kindergeld als das eigene Lebensrecht des Kindes anerkennen. Zwischen diesen beiden Auffassungen gilt es nun zu entscheiden. Meine politischen Freunde und ich neigen ganz klar zu dem schönen Bild vom eigenen Lebensrecht des Kindes, das doch unabhängig vom Stand und Einkommen des Vaters zu sehen ist. Wir haben diese Einstellung auch in unserem Entschließungsantrag bekräftigt. Wenn wir die bisherige Debatte überblicken, so stellen wir fest, daß hier vorwiegend Bedenken vorgetragen worden sind. Die Überfülle von sachlich fast immer gerechtfertigten Einwendungen hat es uns bisher unmöglich gemacht, über sie hinweg den großen Wurf zu tun und einfach eine klare und großzügige Regelung zu treffen. Es gibt sie; wir wissen das alle. In England geht die Mutter einmal im Monat auf das nächste Postamt, unterschreibt einen Zettel, legt den Geburtsschein vor und erhält 5 Schilling für jedes Kind. Das ist ein Minimum an bürokratischem Aufwand und ein Maximum an psychologischer Einfühlung in die Bewußtseinslage einer Mutter. Und ist das, was eine Mutter denkt, unwichtig bei der Beratung eines Gesetzes wie dieses? Ich habe die Einbeziehung der Gefühle der Mütter und besonders der jungen Mütter oder der jungen Frauen, die erst Mütter werden wollen, in unsere Arbeit bisher vermißt. Und doch kommt es auf sie ausschließlich an, weil schließlich sie es sind, die uns die Kinder schenken. Die unnachahmlich taktvolle Art der englischen Staatshilfe für die Familie im Alltagsleben muß doch von den Müttern ganz anders und unendlich viel positiver aufgefaßt werden als die unglückselige Verkoppelung von ausgerechnet Unfallberufsgenossenschaften und der Geburt eines Kindes.
Die zahllosen Ausnahmen, die diese Regelung, wie wir ja dauernd hören müssen, nötig macht, bringen doch der jungen Mutter keine Sicherheit, sondern müssen bei ihr die bebende Angst auslösen, daß gerade ihr Mann sicherlich aus einem der unzähligen Gründe nicht unter das Gesetz fallen wird.
Ich muß es wiederholen: Das Gesetz, das wir hier machen, ist für die Mütter.
Sie sehen heute alle, wirklich alle auf uns. Die Mütter erwarten von uns, daß wir unser Werk mit großem Herzen tun und uns über Bedenken kühn hinwegtragen lassen
und daß wir freudig an unsere große Aufgabe gehen, den Müttern Hilfe zu bringen.
Bei unseren Ausführungen kommt aber immer wieder zum Ausdruck, wie schwer die Last allen fällt und wie unter der Aufbringung der Mittel gestöhnt wird. Wir verlieren uns völlig in das Zweckdenken und vergessen dabei vielleicht ein wenig, daß die Materie „Kind" mit diesem sachlich-begrifflichen Denken allein nicht erfaßt werden kann. Kinder sind nicht nur Einkommensträger, nicht nur zukünftige Soldaten, nicht nur notwendige Arbeitskräfte, sondern vor allem neue Zellen unseres Volkskörpers, die die Keimkraft des Schöpfungswunders mit sich bringen. Sie erneuern unser Volk nicht nur der Zahl nach. Wer von uns, die wir mit Kindern täglich leben dürfen, kennt nicht die Sauberkeit, die holde Gradheit, die köstliche Frische, die der Umgang mit Kindern mit sich bringt! Welch ein Glück, welch eine Vollkommenheit liegt in dem Begriff einer blühenden Familie! Ein Volk ohne reiche Kinderzahl nennt jedermann dekadent in der doppelten Bedeutung dieses Wortes, weil die ältere Generation sich der Freude beraubt, sich im Umgang mit jungen Menschen zu erquicken. Welch öde Leere tritt ein, wenn zuwenig Kinder geboren werden! Gottes Lächeln liegt nicht mehr über einem Volk ohne Kinder, sagt ein ostpreußisches Sprichwort.
Meine Fraktion wäre bereit, sogar einer Einkommensgrenze der Empfangsberechtigten zuzustimmen, wenn dadurch die gemeinsame Plattform gefunden werden könnte, aber auch nur dann, weil eine solche Grenze uns im Grunde abwegig erscheint. Allerdings erscheint meinen politischen Freunden und mir die Einkommensgrenze von 400 DM in Übereinstimmung mit dem, was von anderen Rednern gesagt worden ist, auf jeden Fall als zu niedrig, da sehr viele Angestellte und Facharbeiter unberücksichtigt bleiben würden. Das ganze Vorhaben Kindergeld würde damit eindeutig zu einer sozialen Maßnahme für die wirtschaftlich Schwächsten gestempelt und wäre in keiner Weise mit dem Bekenntnis zum Kind schlechthin vereinbar, wie ich es soeben ablegen durfte.
Wir stellen deshalb, falls überhaupt eine Einkommensgrenze für erforderlich gehalten wird, den Antrag, diese auf 750 DM im Monat oder auf 9000 DM im Jahr zu bemessen, wobei wir uns an die Grenze der Angestelltenversicherungspflicht anlehnen und wobei natürlich der Prozentsatz für das Aufkommen, der in dem FDP-Antrag mit 0,5 beziffert worden war, sinngemäß auf etwa 0,7 zu erhöhen wäre.
Ich darf Ihnen, Herr Präsident, unseren Antrag hiermit schriftlich überreichen, und ich darf damit schließen, indem ich Sie alle, die Sie in diesem Hause sitzen, noch einmal ausdrücklich bitte, daß wir unsere Hilfe für unsere Kinder
uns nicht so verzweifelt abringen lassen, sondern daß wir heute zu einem großen und gemeinsamen Entschluß kommen, damit das, was der Herr Bundeskanzler in seiner Regierungserklärung ausdrücklich gesagt hat, daß das Kindergeld kommen wird, schon heute Wirklichkeit werden kann.
Zu einigen Sätzen, wie er versichert, Herr Abgeordneter Richter!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte ausdrücklich betonen, daß
bei unserer Einstellung zur Gewährung von Kinderbeihilfe uns weder die Auffassung der einen
noch die Auffassung der anderen Seite irgendwie
beeinflußt hat, sondern daß wir hier grundsätzlich eine gute Sache wollen, daß wir der Familie dienen wollen. Wir werden nach der dritten Lesung in der Schlußabstimmung dem Gesetz nur zustimmen können, wenn für alle Familien eine gerechte Lösung gefunden wird.
Herr Kollege Arndgen, es geht nicht so, daß Sie
— oder Herr Kollege Schmücker, wie Sie es auch getan haben versuchen, uns gegenseitig auszuspielen. Es geht uns nicht um ein taktisches Manöver. Es geht uns hier nur darum, eine vernünftige, einfache, sparsame, dem ganzen Volk dienende Regelung zu schaffen.
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die allgemeine Aussprache der dritten Beratung.
— Zur Geschäftsordnung hat das Wort Herr Abgeordneter Horn.
Horn Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nach Abschluß dieser Generalaussprache beantrage ich namens meiner Fraktion, die Sitzung für eine Stunde zu unterbrechen.
Ich darf gleichzeitig die Mitglieder der CDU/CSU-Fraktion bitten, sich anschließend sofort zu einer Fraktionssitzung zusammenzufinden.
Ich darf annehmen, daß das Haus damit einverstanden ist. Ich mache Ihnen nur den Vorschlag, daß wir diese Unterbrechung für eine Stunde und die vorgesehene Mittagspause kombinieren, so daß wir nicht um 15 Uhr, sondern um 14 Uhr wieder anfangen. Ich glaube, das ist eine zweckmäßigere Lösung, als wenn wir noch eine ganze Stunde einschieben.
— Es findet auch eine Fraktionssitzung der FDP sofort statt.
Die Sitzung wird um 14 Uhr 4 Minuten durch den Vizepräsidenten Dr. Jaeger wieder eröffnet.
Wir setzen die unterbrochene Sitzung fort.
Wir befinden uns in der Beratung des Punktes 2 der Tagesordnung. Das Wort zu einer Erklärung wünscht der Herr Abgeordnete Dr. Atzenroth.
Meine Damen und Herren! Meine Fraktion hat mich beauftragt, hier die Erklärung abzugeben, daß sie dem Antrag auf Erhöhung der Grenze für die Begünstigten von 4800 DM auf 9000 DM die Zustimmung geben wird.
Meine Damen und Herren, das Wort wird jetzt nicht gewünscht. Wir treten dann in die Einzelberatung ein.
Ich rufe auf § 1 mit den Änderungsanträgen Umdruck 176 Ziffer 1 *), Umdruck 173 Ziffer 1 **) und Umdruck 182 ***). Wird hierzu das Wort gewünscht? — Herr Abgeordneter Schellenberg!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Meine Freunde und sicher auch viele Mitglieder des Hauses waren der Auffassung, daß sich aus der Unterbrechung der Sitzung ein neuer Tatbestand ergeben könnte. Das scheint nicht der Fall zu sein. Wir müssen also jetzt zu einer Entscheidung über die grundlegende Frage des § 1 kommen.
Im Entwurf ist nach den Beschlüssen des Ausschusses in § 1 festgelegt, daß Kindergeld nach diesem Gesetz Arbeitnehmer, Selbständige und mithelfende Familienangehörige erhalten, wenn sie eine bestimmte Zahl von Kindern haben — es heißt hier: drei oder mehr Kinder — und wenn sie nach der Reichsversicherungsordnung bei einer Berufsgenossenschaft versichert sind oder sich dort versichern können. Es ist schon bei der allgemeinen Aussprache zum Ausdruck gekommen, daß meine Fraktion — und wir befinden uns in dieser Hinsicht, wie wir den Erklärungen der Kollegen Atzenroth, Frau Finselberger und Elbrächter entnehmen konnten, auch mit anderen Fraktionen in Übereinstimmung — diese Konstruktion des Gesetzes für unglücklich hält. Wir beantragen, dem § 1 eine andere Fassung zu geben. Dabei soll es unter Buchstaben a, der unseres Erachtens von entscheidender Bedeutung für die gesamte Gestaltung des Gesetzes ist, nach Auffassung meiner Fraktion heißen:
Kindergeld . . . erhält auf Antrag, wer
a) Im Inland seinen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt hat.
Das ist die erste grundsätzliche Frage.
Die zweite Frage wird bei b entschieden, von welchem Kind an Kindergeld gewährt werden kann. Eine dritte Frage hat Herr Kollege Atzenroth angedeutet, daß eine gewisse Einkommensbegrenzung Platz greifen soll.
Jetzt muß nach dem Gang der allgemeinen Aussprache erst eine grundsätzliche Entscheidung über die Konzeption fallen, ob nämlich alle Staatsbürger unter den allgemeinen Voraussetzungen — Zahl der Kinder usw. — Anspruch auf Kindergeld haben sollen oder ob die Gewährung von Kindergeld beschränkt sein soll auf diejenigen, die eine unfallversicherungspflichtige Tätigkeit ausüben. Ich brauche zu diesem Problemkreis nichts mehr auszuführen; das ist alles in der Generaldebatte gesagt. Ich weise nur darauf hin, daß die CDU dadurch, daß sie bei den Ausschußberatungen eine Fülle von Anträgen gestellt hat — es wurde eine Zahl genannt, die fast an die Grenze von 100 heranreicht —, zu erkennen gegeben hat, wie, unsicher nach der Auffassung in ihren eigenen Reihen die Materie ist. Dies kommt auch dadurch zum Ausdruck, daß uns heute gewissermaßen schon die erste Novelle zu diesem Gesetz vorgelegt wird in Gestalt eines Kindergeldanpassungsgesetzes, durch das Lücken geschlossen werden sollen, was aber nicht vollständig erreicht wird. Beispielsweise bleiben auch nach der neuen Konzeption Kinder von Personen, die in Haushaltungen tätig sind, in
*) Siehe Anlage 4. **) Siehe Anlage 3. ***) Siehe Anlage 7.
Land- und Forstwirtschaft außerhalb der gesetzlichen Regelung für Kindergeld. Wir halten das für eine unmögliche Lösung.
Die CDU-Fraktion ließ gestern in ihrem Deutschland-Union-Dienst die Mitteilung verbreiten, daß die SPD-Fraktion — ich zitiere wörtlich — „nach den Erfahrungen der zweiten Lesung den CDU/ CSU-Entwurf tolerieren" wird. Das wird entscheidend von dem Inhalt des Gesetzes abhängen. Hier geht es uns um eine grundsätzliche Frage, nämlich um die, ob Anspruch auf Kindergeld prinzipiell alle Staatsbürger haben sollen oder ob eine Aufgliederung, eine Einschränkung nach unfallversicherungstechnischen Prinzipien usw. erfolgen soll. Nach Auffassung meiner Fraktion ist dies eine Frage, die von grundsätzlicher Bedeutung für die gesamte Konstruktion nicht nur dieses Gesetzes, sondern für die gesamte weitere Gestaltung des Kindergeldes ist. Deshalb beantrage ich namens meiner Fraktion zu § 1 Abs. 1 Lit. a namentliche Abstimmung.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Jentzsch.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir haben Ihnen einen Änderungsantrag zu § 1 vorgelegt. Wir sind dazu gezwungen worden auf Grund der Erkenntnis, daß die Struktur des vorliegenden Gesetzentwurfs ihn als nicht durchführbar erscheinen läßt. Darüber hat mein Freund Atzenroth in der Generaldebatte Näheres ausgeführt. Die Erklärungen, die im Verlaufe der Generaldebatte von den Koalitionsfreunden aus der CDU abgegeben worden sind, haben meine politischen Freunde und mich nicht zu überzeugen vermocht, ,daß dieser Gesetzentwurf praktikabel ist. Ich darf auch insoweit auf meine eigenen Ausführungen anläßlich der zweiten Lesung verweisen.
Gestatten Sie mir aber noch ganz kurz einen Hinweis. Sie werden sich erinnern, daß ich Ihnen bei der Vorlage des Schriftlichen Berichts über den Gesetzentwurf gleichzeitig eine Stellungnahme des Rechtsausschusses mitteilte und darauf hinwies, daß die dort geäußerten Bedenken innerhalb des Sozialpolitischen Ausschusses nicht mehr erwogen und abgewogen werden konnten. Wir werden nicht an der Tatsache vorbeikommen können, daß in dem vorliegenden Entwurf der Gleichheitsgrundsatz verletzt ist. Es findet ein e unterschiedliche Behandlung der Berechtigten und es findet eine unterschiedliche Behandlung der Verpflichteten statt. Hiernach ist ohne weiteres der Nachweis möglich, daß eine Verletzung des Grundgesetzes vorliegt und daß dadurch Konsequenzen heraufbeschworen werden können, die man als Gesetzgeber sehenden Auges nicht auf sich nehmen darf.
Aus diesen Gründen bitten wir Sie, den Änderungsantrag, den wir zu § 1 gestellt haben, anzunehmen. Er ist unserer Ansicht nach — und, wie wir inzwischen festgestellt haben, auch nach Auffassung einer großen Anzahl der Mitglieder dieses Hohen Hauses — geeignet, eine Gleichheit herbeizuführen. So erreichen wir das, was wir wollen, nämlich eine gerechte Behandlung derjenigen, die es not haben.
Das Wort hat der Abgeordnete Wittrock.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Kollege Dr. Jentzsch hat eben die verfassungsrechtlichen Bedenken in Ihre Erinnerung zurückgerufen. Der Rechtsausschuß hat ein Votum abgegeben, und die Mehrheitsfraktion dieses Hauses hat es bisher nicht für notwendig gehalten, sich in aller Ernsthaftigkeit mit diesem Votum, mit den dort geäußerten verfassungsrechtlichen Bedenken auseinanderzusetzen.
Man könnte hieraus interessante Schlußfolgerungen über die Achtung vor der Verfassung ziehen.
Der Kollege Dr. Jentzsch hat ja bereits auf die Verletzung des Gleichheitsgrundsatzes — und hierum geht es bei den Anträgen, die im Moment zur Debatte stehen — hingewiesen. Es kann hier nicht darauf hingewiesen werden, daß man aus sachlichen Überlegungen auch Gleiches ungleich behandeln könne. Zwar gilt dieser allgemeine Grundsatz; aber hier ist er nicht anwendbar. Was heißt denn: „aus sachlichen Erwägungen differenzieren können"? Das heißt doch nichts anderes, als daß man dort, aber auch nur dort differenzieren kann, wo es die Sache erfordert. Und um welche Sache — und das ist ja das allgemeine Anliegen dieses Hohen Hauses — geht es hier? Es geht um die Gewährung von Kindergeld. Die Differenzierung, die bezüglich der Anspruchsberechtigung durchgeführt worden ist, ergibt sich nicht aus der Sache, sondern
diese Differenzierung — und das ist ja heute morgen bereits hier ausgeführt worden — ergibt sich aus einer verwaltungsorganisatorischen Konstruktion,
also aus einer sachfremden Überlegung. Deshalb verletzt die von der stärksten Fraktion dieses Hauses gewählte Konstruktion das Grundgesetz, den Gleichheitsgrundsatz.
Wenn man derartige Betrachtungen anstellt, dann soll man auch einmal überprüfen, welche Auffassung in weiten Kreisen der Öffentlichkeit herrscht. Mir ist ein Schreiben des Familienbundes der deutschen Katholiken in der Diözese Limburg zugegangen. In diesem Schreiben heißt es, daß es im Interesse a 11 er Familien liege, dieses Gesetz — ein Kinderbeihilfengesetz — zu verabschieden, und ,daß dabei das Interesse der ges am t en Bevölkerung auf dem Spiel stehe. Jawohl, es geht hier um die Belange aller Familien, wie der Familienbund der deutschen Katholiken in der Diözese Limburg sehr richtig sagt. Das ist die Auffassung, die in der Öffentlichkeit von Ihnen erweckt wird, und dieser Auffassung kann nur Genüge getan werden und diese berechtigten Erwartungen können nur erfüllt werden, wenn Sie sich nicht willkürlich über den Gleichheitsgrundsatz hinwegsetzen. Verfassungsgrundsätze verdienen den Respekt aller, die am Gang der Gesetzgebung beteiligt sind. Wollen Sie, meine Damen und Herren von der CDU, in Kauf nehmen, daß die verfassungsrechtlich' bedenklichen Bestimmungen dieser Vorlage durch eine Verfassungsbeschwerde kassiert werden? Wollen Sie das in Kauf nehmen? Damit bringen Sie sich, meine Damen und Herren von der CDU/CSU-Fraktion,
selbst in Mißkredit, und Sie diskreditieren aber darüber hinaus das ganze Haus.
Das können wir im Interesse der parlamentarischen Demokratie nicht akzeptieren.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Atzenroth.
Meine Damen und Herren! Wenn wir jetzt zur namentlichen Abstimmung kommen, tun wir den entscheidenden Schritt bei diesem Gesetz, denn damit legen wir die Richtung fest. Ich möchte noch einmal mit aller Eindringlichkeit darauf hinweisen, daß wir die Dinge nicht zu einer Prinzipienfrage machen sollten. Ich sehe, gerade die Fraktion, auf deren Entscheidung es ankommt, ist in einer so seltenen Geschlossenheit anwesend,
daß man annehmen muß, sie macht es — ich behaupte: unnötigerweise — zu einer Prinzipienfrage.
Meine Damen und Herren, ich möchte Ihnen nur noch zwei Punkte vortragen. Ein gewiß für Sie unverdächtiges Blatt, dem man mindestens nicht den Vorwurf der Familienfeindlichkeit, den der Herr Familienminister erhoben hat, machen kann, der „Rheinische Merkur", kommt in seiner heutigen Ausgabe zu der Feststellung, daß man auch in der CDU zugibt, die Lex Winkelheide sei ein schlechtes Gesetz.
Der Präsident des Deutschen Einzelhandelsverbandes, der frühere CDU-Abgeordnete Schmitz, hat mir erklärt, daß er diese Formulierung ablehnt und unserer Konzeption zustimmt — Herr Schmücker, für den Einzelhandel, der bestimmt zum Mittelstand zu zählen ist! Aber diese Dinge liegen nur am Rande.
Wir wollen ja gar nicht rechthaberisch sein. Ich habe von Anfang an erklärt: Unser Standpunkt ist nicht unumstößlich, man kann an ihm ändern und verbessern. Aber wir sollten doch nicht in eine entscheidende Abstimmung, die unwiderruflich ist, gehen in der Erkenntnis — und ich behaupte, bei einem großen Teil von Ihnen hier in der Mitte ist innerlich die Erkenntnis vorhanden —, daß es sich um ein schlechtes Gesetz handelt.
Das wäre eine unparlamentarische Haltung. Ich möchte Sie mit aller Eindringlichkeit warnen, solche entscheidenden Schritte in dieser Übereilung zu tun.
Das Wort hat der Abgeordnete Horn.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bitte das Hohe Haus, Verständnis dafür zu haben, daß ich zunächst erkläre, daß wir nicht die Absicht haben, zu allen Änderungsanträgen, die von den verschiedenen Seiten des Hauses gestellt werden, im einzelnen Stellung zu nehmen. Was wir gegen die Anträge, die uns zum überwiegenden Teil ja auch schon bei der zweiten Lesung beschäftigt haben, zu sagen haben, ist mehr als einmal
mit Begründung zum Ausdruck gebracht worden. Meine politischen Freunde und ich können darauf verzichten, zu allen einzelnen Dingen, die uns im Verlaufe der Diskussion über diese Anträge noch beschäftigen, erneut Stellung zu nehmen.
Aber der § 1, der jetzt zur Entscheidung steht, ist, wie das mit Recht gesagt worden ist, der entscheidende Paragraph des ganzen Gesetzes. Wenn bei ihm die Änderungsanträge oder einer von ihnen zur Annahme kämen, wäre damit über das Schicksal der Vorlage, wie sie aus der zweiten Lesung herausgekommen ist, im negativen Sinne entschieden.
Daß wir das Hohe Haus deshalb noch einmal mit Nachdruck darum bitten, sich der Fassung der zweiten Lesung anzuschließen und die Änderungsanträge abzulehnen, werden Sie verstehen.
Herr Professor Schellenberg hat geglaubt, die eingehende Diskussion im Ausschuß, bei der vielerlei Änderungsanträge gestellt worden sind, als einen Schwächepunkt unserer Konzeption auslegen zu können. Ich möchte das mit Entschiedenheit zurückweisen. Wir alle wissen — auch damit wiederhole ich nur x-mal Gesagtes —, daß wir mit diesem neuen sozialpolitischen Gesetz in der Tat Neuland betreten. Deshalb ist es notwendig, daß man die Konstruktion, die diesem Gesetz zugrunde liegt, bis zum letzten gründlich durchdenkt und diskutiert. Wenn deshalb im Verlauf der Ausschußberatungen eine Reihe von Änderungsanträgen von uns gestellt und angenommen worden sind, so sollten Sie das nicht in geringschätziger Weise kritisieren, sondern sollten anerkennen, daß dadurch erhebliche, auch noch notwendige Verbesserungen erzielt worden sind. Abgesehen davon haben wir bei der Einbringung des Gesetzes von allem Anfang an erklärt, daß das, was in der Drucksache stehe, noch nicht der Weisheit letzter Schluß sei,
sondern daß es im Ausschuß noch gründlich durchgearbeitet werden müsse.
Insofern ist es auch abwegig, Herr Professor Schellenberg, von dem ebenfalls auf der Tagesordnung stehenden Entwurf eines Kindergeldanpassungsgesetzes als von einer ersten Novelle zu reden. Sie wissen sehr genau, daß wir immer gesagt haben: weil die Sozialgesetze mit ihren Kindergeldzuschlägen in unsere Konstruktion nicht hineinpassen, werden wir einen Gesetzentwurf einbringen, der sicherstellen soll, daß die Angleichung in den einzelnen Sozialgesetzen mit dem gleichen Zeitpunkt wirksam wird wie das Kindergeldgesetz selber. Deshalb muß ich dem widersprechen.
Mit aller Entschiedenheit aber möchte ich mich dagegen wenden, daß der Herr Kollege Wittrock sich hier hinstellt und bezweifelt, daß wir den notwendigen Respekt vor dem Grundgesetz hätten.
Herr Abgeordneter Dr. Schellenberg zu einer Frage.
Herr Kollege Horn, ich habe eine Frage. Sie haben erklärt, daß Sie durch dieses Anpassungsgesetz die Lücke, die noch besteht, schließen wollen. Nach Ihrem Anpassungsgesetz bleiben weiterhin — darauf haben Sie keine Antwort erteilt — ausgeschlossen die in Haushaltungen Tätigen — also Hausschneiderinnen, Reinemachefrauen — und die in der Land- und Forstwirtschaft tätigen Personen. Eine solche Konzeption entspricht nicht der Regelung, die Sie vertreten und von der Sie sagen, sie erfasse praktisch alle dritten Kinder.
Ich habe nicht behauptet, daß alle dritten Kinder erfaßt seien.
Ich habe erstens von diesem Anpassungsgesetz gesprochen, und zweitens hätten Sie sich vielleicht diese Frage schenken können, verehrter Herr Kollege, wenn Sie sich unseren Entschließungsantrag angesehen hätten, mit dem wir die Regierung beauftragt wissen wollen, Prüfungen darüber anzustellen, in welcher Weise man die Leistungen dieses Gesetzes auch noch dem verbleibenden kleinen Rest, der in diese Konzeption nicht einbezogen werden konnte,
gewähren kann und mit dem wir bis zum 1. April nächsten Jahres von der Bundesregierung die Vorlage eines Berichtes oder eines Gesetzentwurfes verlangen.
Ich habe bei der zweiten Lesung — ich weiß nicht, ob Herr Wittrock anwesend war — als Nichtjurist zu der Frage der Verletzung des Gleichheitsgrundsatzes ein paar Sätze gesagt. Ich brauche das heute nicht zu wiederholen; aber sagen möchte ich trotz der sogenannten Rechtsbelehrung, die uns hier eben zuteil geworden ist, daß es auch nach meiner Kenntnis der Dinge sehr gute Juristen gibt, die in dieser Frage total anderer Meinung sind, als die zufällige geringe Mehrheit des Rechtsausschusses sie festgelegt hat.
Ich möchte nur den einen Satz wiederholen: Wenn Sie diesen Grundsatz aufstellen, dann würde der Deutsche Bundestag gezwungen sein, eine Fülle von Gesetzen, die in der Vergangenheit beschlossen worden sind, einer gründlichen Nachprüfung zu unterziehen.
Und nun, meine verehrten Damen und Herren, lassen Sie mich zu diesem § 1 nur noch folgendes sagen.
Zu einer Zwischenfrage Herr Abgeordneter Wittrock!
Eine Zwischenfrage bitte. Ist Ihnen bekannt, daß sich die Mehrheit dieses Hauses auch über im Rechtsausschuß einstimmig gefaßte Beschlüsse, die verfassungsrechtliche Bedenken zum Inhalt haben, hinweggesetzt hat? Ist Ihnen das bekannt?
Ob mir das bekannt ist oder
nicht, spielt in diesem Zusammenhang keine Rolle.
Hier handelt es sich um die konkrete Frage dieses Gesetzes. Wenn Sie diese Konsequenzen gezogen wissen wollen, dann sage ich nur noch einmal: dann möchte ich dieses Parlament bemitleiden ob der Aufgabe, die ihm aus einer solchen Einstellung hinsichtlich der Überprüfung einer Fülle von Gesetzen erwachsen würde.
Ich möchte davor warnen, der Auffassung zuzustimmen, als ob es sich bei der Unterschiedlichkeit im § 1 nur um eine technisch-konstruktive Angelegenheit handele. Wir stehen hier in der Tat vor einer bedeutsamen Grundsatzentscheidung. Wir halten, weil wir von unserer Grundeinstellung aus an diese Konzeption herangegangen sind, auch nach wie vor daran fest. Sie hat im übrigen noch den Vorzug — wenn ich das noch sagen darf —, daß sie im Rahmen des Möglichen auch auf die besonderen Bedürfnisse und Belange der einzelnen Kategorien oder Gruppen Rücksicht nimmt.
Wenn Sie, meine Damen und Herren, den Änderungsanträgen folgen, dann wird beispielsweise die Landwirtschaft im Leben nicht mehr eine solche Vergünstigung erhalten, wie sie ihr in diesem Gesetz garantiert wird,
dann wird auch der gewerbliche Mittelstand wahrscheinlich mit einer solchen Lösung in der Zukunft nicht mehr rechnen können.
Ich möchte Sie deshalb im Gesamtinteresse und auch im Interesse der Zusicherungen, die wir gegeben haben, daß dieses Gesetz unter allen Umständen bis zum 1. Januar wirksam werden soll, bitten, die Änderungsanträge abzulehnen. Namens meiner Fraktion beantrage ich zu allen drei Änderungsanträgen namentliche Abstimmung.
Meine Damen und Herren, Wortmeldungen liegen nicht mehr vor. Wir kommen damit zur Abstimmung. Es liegen drei Änderungsanträge vor: der Freien Demokraten auf Umdruck 173, der Sozialdemokraten auf Umdruck 176 und des GB/BHE auf Umdruck 182. Am weitgehendsten ist die Neufassung des § 1, die die sozialdemokratische Fraktion vorschlägt. Bei dem Antrag der sozialdemokratischen Fraktion wünschen die Antragsteller offenkundig eine getrennte Abstimmung über die Buchstaben a und b.
Sie haben zu Buchstabe a namentliche Abstimmung beantragt. Der Antrag ist hinreichend unterstützt. Wir kommen also zur namentlichen Abstimmung über den Änderungsantrag der Fraktion der Sozialdemokratischen Partei auf. Umdruck 176 Ziffer 1, und zwar betreffend § 1 Buchstabe a. Wer mit Ja abzustimmen wünscht, den bitte ich, die blaue Karte abzugeben, wer abzulehnen wünscht, die rote, im übrigen bei Stimmenthaltung die weiße.
Ich frage, sind noch Damen oder Herren im Saal, die ihre Stimme noch nicht abgegeben haben? — Das ist offenbar nicht der Fall; dann schließe ich die namentliche Abstimmung.
Ich gebe das vorläufige Ergebnis *) der namentlichen Abstimmung über den Umdruck 176 Ziffer 1 betreffend § 1 Buchstabe a bekannt. Insgesamt haben 413 stimmberechtigte Abgeordnete und 18 Berliner Abgeordnete ihre Stimme abgegeben. Mit Ja haben gestimmt 200 stimmberechtigte Abgeordnete und 13 Berliner Abgeordnete, mit Nein 211 stimmberechtigte Abgeordnete und 5 Berliner Abgeordnete; enthalten haben sich 2 stimmberechtigte Abgeordnete und kein Berliner Abgeordneter. Damit ist der Antrag abgelehnt.
Wir kommen nunmehr zur Abstimmung über Buchstabe b des gleichen Antrags der sozialdemokratischen Fraktion. Wird dazu noch das Wort gewünscht? Ich kann aber nur noch zur Abstimmung das Wort geben; denn zur Sache selbst ist die Aussprache über alle Anträge bereits geschlossen.
— Vorhin ist die Aussprache über sämtliche Änderungsanträge gemeinsam geführt worden. Also eine besondere Begründung ist jetzt nicht mehr möglich. Das gilt für sämtliche Damen und Herren und für sämtliche Anträge. Zur Abstimmung können Sie noch sprechen.
Zur Abstimmung hat das Wort Frau Abgeordnete Döhring.
Herr Präsident! Meine Herren und Damen! Die Frage, ob das Kindergeld vom dritten oder vom zweiten Kind an gewährt werden soll, hält meine Fraktion im Interesse der betroffenen Familien, die seit Jahren auf dieses Kindergeld hoffen, für so wichtig, daß ich namentliche Abstimmung zu § 1 Buchstabe b beantrage.
Sie haben den Antrag auf namentliche Abstimmung gehört. Er ist hinreichend unterstützt. Wir werden also auch die Abstimmung über § 1 Buchstabe b, Umdruck 176 Ziffer 1, namentlich vornehmen. Ich eröffne die Abstimmung und bitte die Schriftführer, die Karten einzusammeln.
Ich frage, befinden sich noch Damen und Herren im Saal, die Ihre Stimme noch nicht abgegeben haben? — Das ist offenbar nicht der Fall.
— Dann bitte ich Sie, Herr Abgeordneter Huth, Ihre Stimme beschleunigt abzugeben.
Wünscht noch jemand seine Stimme abzugeben? — Das ist nicht der Fall; dann kann ich die namentliche Abstimmung schließen. —
Meine Damen und Herren, ich gebe das vorläufige Ergebnis **) der namentlichen Abstimmung zu Umdruck 176 Ziffer 1 betreffend § 1 Buchstabe b bekannt. An der Abstimmung haben sich beteiligt 416 stimmberechtigte und 18 Berliner Abgeordnete. Mit Ja haben gestimmt 152 stimmberechtigte und 8 Berliner Abgeordnete, mit Nein 262 stimmberech-
*) Vgl. das endgültige Ergebnis Seite 2392. **) Vgl. das endgültige Ergebnis Seite 2392.
tigte und 10 Berliner Abgeordnete. Enthalten haben sich 2 stimmberechtigte Abgeordnete. Demgemäß ist der Antrag abgelehnt.
Nunmehr kommen wir zu dem weitergehenden der beiden noch vorliegenden Anträge, dem Antrag des GB/BHE auf Umdruck 182 Ziffer 1. Abgeordneter Horn hat zu diesem Antrag ebenfalls namentliche Abstimmung beantragt. Das ist entsprechend unterstützt. Wir kommen also zur namentlichen Abstimmung über Umdruck 182 Ziffer 1. Ich bitte, die Stimmkarten einzusammeln.
Ich frage, befinden sich Damen und Herren im Saal, die ihre Stimme noch nicht abgegeben haben? — Dann bitte ich, das beschleunigt zu tun.
Wünscht noch jemand seine Stimme abzugeben?
— Das ist nicht der Fall; dann schließe ich die namentliche Abstimmung.
Meine Damen und Herren, ich gebe das vorläufige Ergebnis *) der namentlichen Abstimmung über Umdruck 182 Ziffer 1 bekannt. Insgesamt wurden 419 Stimmen von stimmberechtigten und 18 von Berliner Abgeordneten abgegeben. Davon haben mit Ja gestimmt 202 stimmberechtigte und 13 Berliner Abgeordnete, mit Nein 215 stimmberechtigte und 5 Berliner Abgeordnete, enthalten haben sich 2. Der Antrag ist damit abgelehnt.
Ich komme nunmehr zur Abstimmung über den letzten Änderungsantrag zu § 1, und zwar den Antrag der Fraktion der Freien Demokratischen Partei, Umdruck 173 Ziffer 1. Auch hierzu ist—
von dem Abgeordneten Horn namens der CDU/CSU
— namentliche Abstimmung beantragt. Ich darf die namentliche Abstimmung eröffnen und die Schriftführer bitten, die Karten einzusammeln.
Befinden sich noch Damen und Herren im Saal, die ihre Stimmen nicht abgegeben haben?
Wünscht noch jemand seine Stimme abzugeben?
— Dann schließe ich die namentliche Abstimmung.
Ich gebe das vorläufige Ergebnis") der namentlichen Abstimmung bekannt. An der Abstimmung haben sich 424 stimmberechtigte und 18 Berliner Abgeordnete beteiligt.
— Es werden immer mehr, wie Sie mit Recht bemerken.
Mit Ja haben gestimmt 205 stimmberechtigte und 13 Berliner, mit Nein 218 stimmberechtigte und 5 Berliner Abgeordnete, enthalten hat sich ein stimmberechtigter Abgeordneter. Der Antrag ist abgelehnt.
Damit komme ich zur Abstimmung über den § 1 in der Fassung der zweiten Beratung. Wer ihm zuzustimmen wünscht, den bitte ich, die Hand zu heben. —
— Zur Abstimmung Herr Abgeordneter Richter.
*) Vgl. das endgültige Ergebnis Seite 2392. **) Vgl. das endgültige Ergebnis Seite 2392.
Herr Präsident Meine Damen und Herren! Ich beantrage getrennte Abstimmung über den § 1 in der Fassung, wie s: e in der zweiten Lesung beschlossen wurde, und zwar erstens über den Personenkreis und die Anzahl der Kinder bis „die drei oder mehr Kinder haben" und zweitens über den anschließenden Wenn-Satz mit dem Begriff „Reichsversicherungsordnung".
Ich bitte doch genau zu präzisieren, wo Sie die Trennung vornehmen wollen, nach welchen Ziffern.
Ich wiederhole, Herr Präsident — ich darf vorlesen —:
Kindergeld nach diesem Gesetz erhalten auf Antrag
1. Arbeitnehmer,
2. Selbständige,
3. mithelfende Familienangehörige, die drei oder mehr Kinder haben;
und die zweite Abstimmung über das Folgende:
wenn sie nach der Reichsversicherungsordnung bei einer Berufsgenossenschaft versichert sind oder sich versichern können oder nach § 541 Nrn. 5 und 6 der Reichsversicherungsordnung versicherungsfrei sind.
Herr Dr. von Brentano zur Abstimmung.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich glaube, daß durch die vorangegangenen namentlichen Abstimmungen an sich die Situation hinreichend geklärt ist und daß wir jetzt nicht etwa über einen Halbsatz abstimmen können, der ganz sinnlos wird, wenn er nicht im Zusammenhang mit dem zweiten Halbsatz steht.
— Nach unserer Meinung ja, Herr Kollege! Ich glaube deswegen, daß wir diesem Vorschlag widersprechen müssen.
Meine Damen und Herren, ich stelle fest, daß nach § 53 der Geschäftsordnung auf Beschluß des Bundestages die Abstimmung getrennt werden kann. Über diese Frage müßte also ein Beschluß des Hohen Hauses herbeigeführt werden, über den Antrag, getrennt abzustimmen. Wollen Sie formell einen Antrag stellen?
Dem Antrag wurde widersprochen. Das Wort wird nicht mehr dazu gewünscht.
Wer getrennte Abstimmung wünscht, den bitte ich, die Hand zu heben. — Ich bitte um die Gegenprobe. - Das letztere war die Mehrheit; der Antrag ist abgelehnt.
Wir kommen damit zur Abstimmung über § 1 als Ganzes in der Fassung der zweiten Lesung. Wer dem § 1 zuzustimmen wünscht, den bitte ich, die Hand zu heben. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Das erstere war die Mehrheit; der Antrag ist angenommen.
Ich rufe auf § 2, dazu Umdrucke 173 Ziffer 2, 176 Ziffer 2 und 182 Ziffer 2. Wird dazu das Wort gewünscht? — Das ist nicht der Fall. Dann komme ich
zur Abstimmung über die übereinstimmenden Anträge Umdruck 173 Ziffer 2 — Antrag der FDP — und Umdruck 176 Ziffer 2 — Antrag der SPD —, wonach in § 2 die Absätze 2, 3 und 4 gestrichen werden sollen. Wer diesen übereinstimmenden Anträgen zuzustimmen wünscht, den bitte ich, die Hand zu heben.
Ich wiederhole: Wer den übereinstimmenden Anträgen Umdruck 173 Ziffer 2 und Umdruck 176 Ziffer 2 zuzustimmen wünscht
— wir sind bereits in der Abstimmung —, den bitte ich, die Hand zu heben. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Das letztere ist die Mehrheit; die Anträge sind abgelehnt.
— Zur Abstimmung?
— Herr Dr. Atzenroth zur Abstimmung.
Durch die Beschlußfassung zu § 1 ist unser Antrag auf Umdruck 173 in der Gesamtheit erledigt. Wir brauchen dann nicht mehr über die einzelnen Punkte abzustimmen.
Ich danke Ihnen für die Erklärung.
Wir kommen nunmehr zur Abstimmung über den Änderungsantrag der Fraktion des GB/BHE auf Umdruck 182 Ziffer 2. Wer diesem Antrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich, die Hand zu heben. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Letzteres war die Mehrheit; der Antrag ist abgelehnt.
Damit kommen wir zur Abstimmung über § 2 in der Fassung der zweiten Beratung. Wer ihm zuzustimmen wünscht, den bitte ich, die Hand zu heben. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Das erstere war die Mehrheit; es ist so beschlossen.
— Bei zahlreichen Enthaltungen.
Ich rufe auf § 3, dazu Umdruck 169 Ziffer 1 und Umdruck 173 Ziffer 5.
— 173 ist entfallen, Entschuldigung! Also nur noch Umdruck 169 Ziffer 1 *). Das ist der Änderungsantrag der Fraktion der CDU/CSU.
Das Wort hat Frau Kollegin Rösch.
Herr Präsident! Meine Herren und Damen! Wir haben in § 3 den Abs. 2 etwas geändert, auch diesmal nur deshalb, damit die ganze Gesetzgebung in der Ausführung wirklich klar und eindeutig wird.
Wir haben die Unterteilung in 1., 2. und 3. vorgenommen. Dabei möchte ich Sie besonders darauf hinweisen, daß wir es für nötig erachtet haben, zur Erläuterung des in Ziffer 1 des Abs. 2 stehenden Begriffes „sonstige Körperschaften, Anstalten und Stiftungen" die Personen, die dort beschäftigt sind,
*) Siehe Anlage 1.
noch besonders zu nennen. Sie werden ebenfalls von diesem Gesetz nicht betroffen, soweit sie bereits in den Genuß eines Kindergeldes kommen. Ich bitte Sie deshalb, unserem Änderungsvorschlag zu § 3 Abs. 2 auf Umdruck 169 Ihre Zustimmung zu geben.
Wird hierzu noch das Wort gewünscht? Das ist nicht der Fall.
Ich komme zur Abstimmung über den Änderungsantrag der Fraktion der CDU/CSU Umdruck 169 Ziffer 1. Wer dem Antrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich, die Hand zu heben. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Das erste war die Mehrheit; bei zahlreichen Enthaltungen ist der Antrag angenommen.
Wer dem § 3 in der Fassung der zweiten Beratung mit der nunmehr vorgenommenen Änderung zuzustimmen wünscht, den bitte ich, die Hand zu erheben. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Das erste war die Mehrheit;
bei zahlreichen Enthaltungen ist so beschlossen. Ich rufe § 5 auf.
— Zu § 4 liegen keine Änderungsanträge vor. Ich brauche ihn also in dritter Beratung nicht aufzurufen.
Ich rufe § 5 auf; dazu Umdruck 176 Ziffer 3.
— Zu welchem Paragraphen?
— Zu § 4 liegt kein Änderungsantrag vor.
— Herr Abgeordneter Richter!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zu § 4 ist in der zweiten Lesung ein neuer Abs. 6 beschlossen worden. Die SPD-Fraktion hat Sie bereits in der zweiten Lesung gebeten, diesen Abs. 6 in einer anderen Fassung anzunehmen. Sie haben diese Fassung damals nur in einem Exemplar gehabt und konnten vielleicht deshalb die Tragweite des Änderungsantrages zu Ihrem Antrag, meine Damen und Herren von der CDU, nicht übersehen. Ich darf mir deshalb erlauben, diesen Antrag nochmals zu stellen und ihn Ihnen vorzulesen:
§ 4 Abs. 6 erhält folgenden Wortlaut: Arbeitnehmern, deren Tätigkeit unterbrochen wird, ist das Kindergeld für die Dauer von 6 Monaten auch während der Unterbrechung weiterzuzahlen. Kindergeld, das den Arbeitnehmern für die Zeit der Unterbrechung auf Grund .anderer gesetzlicher Bestimmungen zu gewähren ist, wird angerechnet.
Hier handelt es sich um die Frage, ob das Kindergeld weiter gewährt werden soll, wenn der Arbeitnehmer aus irgendeinem Grunde nicht mehr bei dem Arbeitgeber tätig ist, bei dem er seither war, sei es, daß er entlassen wurde, sei es, daß — wie es bei den Bauarbeitern sehr oft der Fall ist — wegen des Frostes die Arbeit eingestellt werden
mußte, sei es, daß sonstige Umstände dazu veranlaßten. In all diesen Fällen kann ich nicht glauben, daß der Arbeitnehmer während der Zeit, während der er keine Tätigkeit ausübt, andererseits aber weder Arbeitslosenunterstützung noch Krankengeld, noch Rente oder sonst einen Ersatz an Stelle seines Lohnes bekommt, kein Kindergeld mehr erhalten soll. Es ist doch untragbar, wenn wir jetzt das Kindergeld in der Bundesrepublik einführen, wenn für das 3., 4., 5., 6. Kind usw. Kindergeld gezahlt wird, daß infolge eines Umstandes, der nicht in der Person des Arbeitnehmers zu liegen braucht, auf einmal diese 75 oder 100 Mark pro Monat nicht mehr gewährt werden. Nach Ihrer Fassung, meine Damen und Herren, würde der Arbeitnehmer nach Wegfall des Umstandes, also etwa nach Ablauf der Frostperiode, das Kindergeld nur dann gewährt bekommen, wenn er wieder bei demselben Arbeitgeber eintritt. Wie oft ist es doch bei unseren Bauarbeitern der Fall, ,daß sie ihren Arbeitgeber wechseln! Das ist dort üblich; das ist dort nicht irgendwie der Ausdruck einer Gegensätzlichkeit zwischen Bauarbeiter und Arbeitgeber.
Deshalb bitte ich Sie, meine Damen und Herren, unserem Antrag zuzustimmen. Dann haben wir all die Fälle mit berücksichtigt, nach denen einer unverschuldet eine gewisse Zeit keinen Arbeitsplatz hat und auch nicht Rente, Arbeitslosenunterstützung oder sonst etwas bezieht.
Nachdem nunmehr ein Änderungsantrag zu § 4 gestellt worden ist, rufe ich diesen § 4 und dazu den Änderungsantrag, der soeben begründet wurde, auf. Es würde allerdings den Gang der Verhandlungen, der etwas schwierig ist, vereinfachen, wenn wenigstens ich rechtzeitig darauf hingewiesen würde, daß solche Änderungsanträge gestellt werden. Wird hierzu noch das Wort gewünscht? — Dann darf ich noch einmal den Änderungsantrag der Fraktion der SPD verlesen, um jeden Zweifel auszuschließen:
§ 4 Abs. 6 erhält folgenden Wortlaut: Arbeitnehmern, deren Tätigkeit unterbrochen wird, ist das Kindergeld für die Dauer von sechs Monaten auch während der Unterbrechung weiterzuzahlen. Kindergeld, das den Arbeitnehmern für die Zeit der Unterbrechung auf Grund anderer gesetzlicher Bestimmungen zu gewähren ist, wird angerechnet.
Wer diesem Antrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich, die Hand zu erheben. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Das letzte war die Mehrheit.
— Nicht die Enthaltungen, die Gegenstimmen waren die Mehrheit; der Antrag ist abgelehnt.
— Es wird eine Wiederholung der Abstimmung gewünscht. Ich komme dem gern entgegen. Ich bitte diejenigen Damen und Herren, die dem Änderungsantrag zustimmen wollen, sich von den Sitzen zu erheben. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Das Präsidium ist sich nicht einig. Wir müssen auszählen. Ich bitte Sie, den Saal zu verlassen, und bitte die Schriftführer, sich an die Türen zu begeben.
Ich bitte, die Türen zu schließen.
Ich eröffne die Abstimmung. Ich bitte, die Türen zu öffnen.
Ich bitte, die Türen zu schließen.
Ich gebe das Ergebnis der Abstimmung bekannt. Für den Änderungsantrag haben 165 Abgeordnete gestimmt, dagegen 228; enthalten haben sich 6. Der Antrag ist abgelehnt.
Damit komme ich zur Abstimmung über § 4 in der Fassung der zweiten Beratung. Wer ihm zuzustimmen wünscht, den bitte ich, die Hand zu heben.
— Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? - Bei zahlreichen Enthaltungen mit Mehrheit angenommen.
Ich rufe nun § 5 auf. Dazu liegt ein Änderungsantrag der Fraktion der SPD auf Umdruck 176 Ziffer 3 vor. Wird hierzu das Wort gewünscht? — Das ist nicht der Fall. Dann komme ich zur Abstimmung über den Umdruck 176 Ziffer 3. Wer dem Antrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich, die Hand zu heben. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Die Nein-Stimmen sind die Mehrheit; der Antrag ist abgelehnt.
Damit komme ich zur Abstimmung über § 5 in der Fassung der zweiten Beratung. Wer ihm zuzustimmen wünscht, den bitte ich, die Hand zu heben. Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? —Bei zahlreichen Enthaltungen angenommen.
Ich rufe § 6 auf. Dazu liegt der Änderungsantrag der Fraktion der SPD auf Umdruck 176 Ziffer 4 vor. Das Wort wird auch hier nicht gewünscht. Ich lasse über den Änderungsantrag auf Umdruck 176 Ziffer 4 abstimmen. Wer ihm zuzustimmen wünscht, den bitte ich, die Hand zu heben. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Das letzte ist die Mehrheit; der Antrag ist abgelehnt.
Ich lasse über § 6 in der Fassung der zweiten Beratung abstimmen. Wer ihm zuzustimmen wünscht, den bitte ich, die Hand zu heben. - Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Bei zahlreichen Enthaltungen angenommen.
Ich rufe § 7 auf. Dazu liegt der Änderungsantrag der Fraktion der SPD auf Umdruck 176 Ziffer 5 vor. Das Wort wird nicht gewünscht. Ich lasse über den Antrag auf Umdruck 176 Ziffer 5 abstimmen. Wer dafür ist, den bitte ich, die Hand zu heben. -Ich bitte um die Gegenprobe. — Das letzte ist die Mehrheit; der Antrag ist abgelehnt.
Ich lasse über § 7 in der Fassung der zweiten Beratung abstimmen. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich, die Hand zu heben. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Das erste war die Mehrheit; angenommen.
Zu § 8 sind Änderungsanträge nicht gestellt.
Ich rufe § 9 auf. Dazu liegt der Änderungsantrag der sozialdemokratischen Fraktion auf Umdruck 176 Ziffer 6 vor. Er betrifft die §§ 9 bis 24, die insgesamt gestrichen werden sollen. Wird hierzu das Wort gewünscht?
— Der Antrag wird zurückgezogen. Demnach ist zu § 9 kein Änderungsantrag mehr gestellt.
Dann liegt auf Umdruck 176 Ziffer 7 ein Antrag der Fraktion der SPD vor, einen neuen § 9 a einzufügen. Wird das Wort gewünscht?
— Herr Dr. Atzenroth!
Ich möchte die Erklärung abgeben, daß wir dem Antrag zugestimmt hätten, wenn zu § 1 die . Anträge der SPD angenommen worden wären. Ich möchte an die Kollegen der SPD die Bitte richten, aus der Ablehnung Ihres Änderungsantrages zu § 1 die Folgerung zu ziehen und die anderen Änderungsanträge auf Umdruck 176 zurückzunehmen.
Wird noch das Wort gewünscht? — Das ist nicht der Fall. Ich lasse demnach abstimmen über Umdruck 176 Ziffer 7. Wer diesem Änderungsantrag der SPD zuzustimmen wünscht, den bitte ich, eine Hand zu heben. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Das letzte ist die Mehrheit; der Antrag ist abgelehnt.
— Die brauche ich hier nicht eigens festzustellen; die Mehrheitsverhältnisse sind eindeutig.
Ich rufe § 10 auf, dazu den Umdruck 169 Ziffer 2 und den Umdruck 180. Wer wünscht hierzu das Wort? — Herr Dr. Jentzsch!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In § 10 ist der Kreis der Beitragspflichtigen und Meldepflichtigen festgelegt worden. Wir haben Ihnen zu Abs. 3 des § 10 eine Ergänzung vorgeschlagen. Die Gründe dafür sind folgende. Der Änderungsantrag bezieht sich auf die Einrichtungen, deren freiwillige Leistungen bereits nach dem § 32 als Leistungen im Sinne dieses Gesetzes anerkannt werden. Diese freiwilligen Einrichtungen, die eigentlich praktisch den Modellfall für die Familienausgleichskassen darstellen, haben vor allem deshalb besonders gut gearbeitet, weil ihr Verwaltungsapparat außerordentlich einfach gewesen ist und sehr wenig Kosten verursacht hat. Daher ist es durchaus vertretbar und gerecht, wenn man verlangt, daß diese nach § 32 befreiten Gruppen nicht auch noch an den gemeinsamen Verwaltungskosten beteiligt werden, die ja nicht auf sie selbst, sondern auf die anderen Gruppen innerhalb der Berufsgenossenschaften entfallen. Die Familienausgleichskassen beteiligen sich ja auch nicht an den Verwaltungskosten der befreiten Gruppen.
Aus diesem Grunde haben wir Ihnen vorgeschlagen, als Satz 2 im Abs. 3 zu § 10 hinzuzufügen:
Hierbei bleiben die Verwaltungskosten außer Betracht.
Wird noch das Wort gewünscht? — Das ist nicht der Fall. Wir kommen dann zur Abstimmung über den Änderungsantrag der Fraktion der CDU/CSU auf Umdruck 169 Ziffer 2. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich, die Hand zu heben. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Das erste war die Mehrheit; der Antrag ist angenommen.
Wir kommen zur Abstimmung über Umdruck 180, Antrag der Fraktion der FDP, in Form eines Eventualantrages gestellt. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich, die Hand zu heben. — Gegenprobe! — Der Antrag ist abgelehnt.
Wir kommen damit zur Abstimmung über § 10 in der Fassung der zweiten Beratung mit der soeben angenommenen Änderung. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich, die Hand zu <heben. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Bei zahlreichen Enthaltungen angenommen.
Ich rufe § 11, hierzu den Änderungsantrag der Fraktion der CDU/CSU auf, zu Umdruck 169. Wird dazu das Wort gewünscht?
Wir verweisen auf die Begründung von heute morgen.
Sie verweisen auf die Begründung von heute morgen, Herr Abgeordneter Schmücker. Dann darf ich abstimmen über den Änderungsantrag der Fraktion der CDU/CSU, zu Umdruck 169*). Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich, die Hand zu heben. Ich bitte um die Gegenprobe. — Das erste war die Mehrheit; angenommen.
Ich lasse nunmehr über § 11 in der soeben beschlossenen Fassung abstimmen. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich, die Hand zu heben. - Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Bei zahlreichen Enthaltungen gegen einige Stimmen angenommen.
Zu den §§ 12 bis 24 liegen keine Änderungsanträge vor.
Ich rufe § 25 auf und dazu den Änderungsantrag auf Umdruck 176 Ziffer 8. — Herr Abgeordneter Richter hat das Wort.
Herr Präsident, ich bitte, den Antrag Umdruck 176 Ziffern 8 und folgende auf Grund der bisherigen Abstimmung als erledigt anzusehen.
Der Abgeordnete Richter erklärt, daß der Umdruck 176 Ziffern 8 und folgende als durch die vorhergegangenen Abstimmungen erledigt anzusehen ist. Ich kann von diesem Antrag absehen, brauche also den Paragraphen nicht aufzurufen.
Das gilt auch von den §§ 26 bis 31.
Ich rufe dann § 32 auf mit den Änderungsanträgen auf Umdrucken 169 Ziffer 4 und 181. Wird das Wort dazu gewünscht? — Das ist nicht der Fall. Ich lasse abstimmen über den Änderungsantrag der Fraktion der CDU/CSU, Umdruck 169 Ziffer 4. Wer diesem Antrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich, die Hand zu heben. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Das erste war die Mehrheit; der Antrag ist angenommen.
Ich lasse abstimmen über den Antrag Umdruck 181. Kann ich über Ziffer 1 und Ziffer 2 zusammen abstimmen lassen?
— Ich lasse über Ziffer 1 und Ziffer 2 des Antrags Umdruck 181 der Fraktion der FDP gemeinsam abstimmen. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich, die Hand zu heben. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Das letzte ist die Mehrheit; der Antrag ist abgelehnt.
Dann darf ich Sie bitten, über § 32 in der soeben beschlossenen Fassung abzustimmen. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich, die Hand zu heben. Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Das erste war die Mehrheit; § 32 ist angenommen.
Zu § 33 ist kein Änderungsantrag gestellt. Ein Änderungsantrag zu § 34 ist zurückgezogen. Das gleiche gilt bei den §§ 35 bis 37. Änderungsanträge zu den folgenden Paragraphen liegen nicht vor. Damit ist die Einzelberatung abgeschlossen.
*) Siehe Anlage 2.
Die Fraktion der SPD hat den Antrag gestellt, die Sitzung für eine Stunde bis zur Schlußabstimmung zu unterbrechen. Ich nehme an, daß Sie diesem Wunsche willfahren. — Es ist so beschlossen. Ich unterbreche die Sitzung; sie wird um 17 Uhr wieder aufgenommen.
Die Sitzung wird um 17 Uhr 34 Minuten durch den Präsidenten D. Dr. Ehlers wieder eröffnet.
Meine Damen und Herren, wir fahren in der unterbrochenen Sitzung fort.
Die Einzelberatung des Gesetzes über die Gewährung von Kindergeld war abgeschlossen. Wir stehen vor der Schlußabstimmung. Es war beabsichtigt, daß Erklärungen zur Abstimmung abgegeben werden. Da wir diese Übung auch früher gehabt haben, setzen wir sie fort, obwohl sie an sich nicht der Geschäftsordnung entspricht. Bitte, Herr Abgeordneter Schellenberg!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die sozialdemokratische Fraktion hat seit 1950 durch eigene Gesetzentwürfe und rege Mitarbeit im Sozialpolitischen Ausschuß alles unternommen, um eine schnelle Verabschiedung eines fortschrittlichen Kindergeldgesetzes zu ermöglichen. Dabei war die SPD im Interesse der Sache bereit, wichtige Grundsätze wie die Gewährung von Kindergeld vom ersten oder vom zweiten Kind an vorläufig zurückzustellen, um überhaupt erst einmal einen Anfang in der Kindergeldgewährung möglich zu machen. Nach Ablehnung sämtlicher Änderungsanträge der sozialdemokratischen Fraktion in der zweiten und dritten Lesung steht jetzt ein Gesetz zur Verabschiedung, das noch nicht einmal alle dritten Kinder umfaßt. Bei diesem Gesetz bleiben die Kinder von Rentnern, Arbeitslosen, Hausschneiderinnen, Reinemachefrauen, Wald- und Forstarbeitern zur Zeit noch ohne Kindergeld.
Dagegen sollen die dritten Kinder von Beziehern höchster Einkommen Kindergeld erhalten. Die Erklärung der CDU, daß man versuchen wird, diese unsozialen Lücken baldigst zu schließen, kann die sozialdemokratische Fraktion nicht befriedigen. CDU und Regierung hätten seit über einem Jahr diese Lücken beseitigen können.
Es ist bis heute nicht geschehen.
Die Sorgen der SPD, die vom Rechtsausschuß des Bundestages geteilt werden, daß der Gleichheitsgrundsatz der Verfassung verletzt wird, konnten heute nicht beseitigt werden. Es besteht die Befürchtung, daß das zur Abstimmung kommende Gesetz mit dem Grundgesetz unvereinbar ist.
Das jetzt zur Verabschiedung kommende Gesetz achtet nicht das gleiche Lebensrecht aller Kinder,
sondern macht die Gewährung von Kindergeld von der unfallversicherungspflichtigen Beschäftigung der Eltern abhängig. 91 °/o aller Kinder bleiben nach dem Gesetz ohne Kindergeld.
Dieses Gesetz ist kein modernes Gesetz,
kein soziales Gesetz, kein fortschrittliches Kindergeldgesetz.
Es ist das schlechteste Kindergeldgesetz Europas. Die sozialdemokratische Fraktion lehnt ein solches Gesetz ab.
Zu einer Erklärung hat das Wort Herr Abgeordneter Dr. von Brentano.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bedauere die Erklärung, die Herr Kollege Schellenberg im Auftrag seiner Fraktion abgegeben hat.
— Wir haben Herrn Kollegen Schellenberg ausreden lassen; lassen Sie mich auch ausreden!
Herr Kollege Schellenberg hat die sehr kühne Formulierung ausgesprochen, dieses Gesetz achte nicht das gleiche Lebensrecht der Kinder.
Meine Damen und Herren, wir sind der Meinung, daß wir hier auf einem Gebiete, das bisher noch nicht im Rahmen der Gesetzgebung ausgefüllt ist, eine dringende soziale Verpflichtung erfüllen. Wir sind tief befriedigt, daß es heute gelungen ist, trotz des Nein der Sozialdemokratischen Partei und anderer Gruppen für dieses Gesetz eine Mehrheit in diesem Hause erhalten.
Man kann wohl vielleicht über die eine oder die andere Bestimmung des Gesetzes diskutieren, aber auch für die Gesetzgebung gilt, daß das Bessere der Feind des Guten ist.
Es ist nicht unsere Aufgabe, in einem höchst mißverstandenen und meistens höchst unglücklichen Perfektionismus zu arbeiten,
sondern es geht hier darum, daß wir zunächst einmal gegenüber den kinderreichen Familien eine soziale Verpflichtung erfüllen. Ich habe kein Verständnis dafür, daß eine Partei, die bisher behauptet, das Monopol dieser sozialen Verpflichtung zu besitzen, sich ihrer Verpflichtung entzieht, rein aus parteipolitischen Gründen heraus!
Meine Damen und Herren, ich hätte es verstanden, wenn man vielleicht aus gewissen Gründen gesagt hätte: Wir können diesem Gesetz nicht zustimmen, und deswegen enthalten wir uns. Ich hätte das für mutig gehalten.
Aber wenn man hier sagt: „Wir sind gegen das Gesetz", dann sagt man: Wir sind dagegen, daß die Kinder vom dritten Kinde an Kindergeld erhalten!
— Meine Damen und Herren, — —
—Meine Damen und Herren, auch Ihre Zwischenrufe ändern nichts an der Tatsache, ---- —
Es wird eine Zwischenfrage gewünscht, bitte schön!
Diese Zwischenrufe ändern nichts an der Tatsache, daß, wenn wir uns den Standpunkt der sozialdemokratischen Fraktion zu eigen machten, dieses Gesetz fallen würde und Kindergeld nicht gewährt würde!
Das Wort zu einer Zwischenfrage hat der Abgeordnete Könen .
Herr Dr. von Brentano, sind Sie nicht wie ich der Auffassung, daß Ihre Behauptung, die soeben von Ihnen aufgestellt worden ist, wonach die SPD-Fraktion mit der Feststellung, daß sie dieses Gesetz ablehnen werde, gegen Kindergeld sei, Ihrerseits eine etwas mehr als böswillige Unterstellung ist?
Nein, ich bin nicht mit Ihnen der Meinung!
Meine Damen und Herren, ich bitte darum, dieser Vorlage zuzustimmen. Meine Fraktion der CDU/CSU wird es gern tun in dem Gefühl, eine soziale Verpflichtung zu erfüllen.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Atzenroth.
Meine Damen und Herren! Im Auftrage der FDP-Fraktion habe ich folgende Erklärung abzugeben. Die Beratungen dieses Gesetzes in der zweiten und dritten Lesung haben unter dem Motto gestanden, dem heute ein Abgeordneter dieses Hauses Ausdruck gab: Selbst die größere Sachkunde kann unsere politische Haltung nicht verändern!
Wir befinden uns in Übereinstimmung mit dem e größten Teil der deutschen Presse — einschließlich der CDU-Presse — und, wie wir glauben, auch der deutschen Öffentlichkeit, wenn wir dieses Gesetz für schlecht halten.
Wir haben dagegen den Entwurf eines Gesetzes vorgelegt, durch den die Kinder sämtlicher Eltern ohne Berücksichtigung von Herkunft und Stand in den Genuß eines Kindergeldes kommen sollen. Die Vorlage hat den Vorteil, daß sie so präzise und kurz ist, daß sie vom Ausschuß in einer Sitzung verabschiedet werden könnte. Unter diesen Umständen sind wir nicht in der Lage, dem hier beschlossenen Gesetz unsere Zustimmung zu geben.
Das Wort hat der Abgeordnete Haasler.
— Immer der Reihe nach, Herr Kollege!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Gesamtdeutsche Block/BHE hat in den vorausgegangenen Debatten klar zum Ausdruck gebracht, daß er sich für eine möglichst umfassende und einfach zu handhabende Gewährung von Kindergeld _vorbehaltlos einsetzt. Das vorliegende Gesetz faßt jedoch nach unserer Meinung den Kreis der Berechtigten zu eng. Es schafft damit Ungerechtigkeiten.
Es berücksichtigt schließlich ganze Bevölkerungsgruppen nicht, die nach sozialen Gesichtspunkten keinesfalls außerhalb des Kreises der Berechtigten hätten bleiben dürfen.
Wir möchten niemandem guten Willen absprechen; aber wir haben doch Anlaß zu sagen, daß man bei der Behandlung des Gesetzes weniger die Aufbringungsseite als vielmehr den Gleichheitsgrundsatz hätte im Auge haben müssen.
Denn auch die Befürworter dieses Gesetzes geben zu, daß nach dem heutigen Stand Bevölkerungsgruppen nicht in den Genuß der Leistungen nach dem Gesetz kommen, die eigentlich — oder, besser gesagt, auf jeden Fall — hineingehörten.
Die Notwendigkeit der Korrekturen wird -von den Befürwortern des Gesetzes bereits heute zugegeben.
Auf verfassungsrechtliche Bedenken, die hier schon angesprochen worden sind, vermag ich heute nicht näher einzugehen. Sie bestehen aber, und man hätte über so gewichtige Dinge wie über das Votum des Ausschusses für Rechtswesen und Verfassungsrecht nicht hinweggehen dürfen.
Wir vermögen aus all diesen Gründen dem Gesetz nicht zuzustimmen.
Das Wort hat der Abgeordnete Elbrächter.
Ich bedaure außerordentlich, daß wir die Abstimmung durch Erklärungen verlängern, obwohl keinerlei neue sachliche Argumente vorgebracht werden können. Die Fronten sind an und für sich klar, und ich verzichte auch auf eine Sachdebatte, obwohl nochmals Gelegenheit gegeben wäre, das Problem ganz klar zu umreißen. Aber ich verwahre mich im Namen meiner politischen Freunde in aller Form dagegen, wenn hier durch Herrn v o n Brentano erklärt wird, daß alle diejenigen, die dieses Gesetz ablehnen, gegen den Gedanken der Familienhilfe und familienfeindlich seien.
Ich verwahre mich dagegen, weil ich meine politische Aufgabe ernst nehme und mich nicht unter einen Gewissensdruck setzen lasse, ganz gleich, von welcher Seite er kommt.
Wenn ich klar erkenne, daß ein Gesetz nicht durchführbar ist — und ich befinde mich mit dieser Auffassung in Übereinstimmung mit der Mehrheit aller Sachverständigen —, dann habe ich die Pflicht, nein zu sagen, zumal ganz deutlich herausgestellt worden ist, daß es Möglichkeiten gibt, ein
Gesetz zu schaffen, das in jeder Form besser ist.
Ich habe mich niemals auf eine bestimmte Form festgelegt, weil mir wirklich der Gedanke, den kinderreichen Familien Unterstützung zukommen zu lassen, als das Wesentliche erscheint. Wir sollten diesen Gedanken der sozialen Hilfe nicht aus doktrinären Gesichtspunkten irgendwie beeinträchtigen.
Es geht nicht an, daß man, nur um eine bestimmte parteipolitische Konzeption durchzubekommen,
den Gegnern dieser Konzeption parteipolitische Interessen unterstellt.
Ich bedauere außerordentlich, daß wir am Schluß dieser Abstimmung diese Feststellung treffen mußten.
Meine Damen und Herren, wir haben keine Debatte. Es sind Erklärungen zur Abstimmung abzugeben.
Zur Abstimmung Herr Abgeordneter Dr. Schellenberg!
Namens der sozialdemokratischen Fraktion beantrage ich namentliche Abstimmung.
Dieser Antrag war von der CDU-Fraktion bereits bei mir gestellt worden. Ich war eben dabei, ihn bekanntzugeben, Herr Abgeordneter Schellenberg.
Insofern besteht also eine weitgehende Übereinstimmung, stelle ich fest.
Meine Damen und Herren, wir kommen zur Schlußabstimmung über das Gesetz über die Gewährung von Kindergeld und die Errichtung von Familienausgleichskassen . Ich bitte die Schriftführer, die Stimmzettel einzusammeln.
Meine Damen und Herren, ich frage: Sind noch Abgeordnete vorhanden, die in der namentlichen Abstimmung ihre Stimme abzugeben wünschen? — Das ist nicht der Fall. Dann schließe ich die namentliche Abstimmung.
Meine Damen und Herren! Ich gebe das vorläufige Ergebnis *) der namentlichen Abstimmung bekannt. An der Schlußabstimmung über das Kindergeldgesetz haben sich beteiligt 418 stimmberechtigte Abgeordnete und 17 Berliner Abgeordnete. Von den stimmberechtigten Abgeordneten haben gestimmt mit Ja 215, mit Nein 202, bei einer Enthaltung; von den Berliner Abgeordneten vier mit Ja und 13 mit Nein. Das Gesetz ist in der Schlußabstimmung angenommen.
Meine Damen und Herren, es liegt weiter vor — ich darf Sie freundlichst bitten, sich an den Abstimmungen weiter zu beteiligen — ein Entschließungsantrag der Fraktion des GB/BHE Umdruck 162 **). Der Umdruck liegt Ihnen vor. Soll zur Begründung noch etwas gesagt werden? Ich nehme an, nicht mehr; oder doch, Frau Abgeordnete Finselberger?
Mir scheint, als ob die Probleme, die darin stecken, heute hinreichend erörtert wären.
— Das sollte jeder Antrag in diesem Hause!
Ich komme zur Abstimmung. Ich bitte die Damen und Herren, die diesem Entschließungsantrag auf Umdruck 162 zuzustimmen wünschen, eine Hand zu erheben.
— Meine Frage war klar, meine Damen und Herren! Ich bitte die Damen und Herren, die für den
*) Vgl. das endgültige Ergebnis Seite 2392. **) Siehe Anlage 8.
Entschließungsantrag des GB/BHE zu stimmen wünschen, eine Hand zu erheben. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Das zweite war die Mehrheit; der Antrag ist abgelehnt.
Es liegt weiter vor ein Entschließungsantrag der Fraktion der CDU/CSU Umdruck 179 *). Ich bitte die Damen und Herren, die diesem Antrag zuzustimmen wünschen, eine Hand zu erheben. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Bei zahlreichen Enthaltungen mit Mehrheit angenommen.
Ich komme weiter zur
Ersten Beratung des von der Fraktion der FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Gewährung von Kindergeld .
Herr Abgeordneter, ist dieser Entwurf jetzt noch aktuell?
— Es wird der Antrag gestellt, den Entwurf dem Sozialpolitischen Ausschuß zu überweisen. Darf ich annehmen, .daß das Haus mit der Überweisung einverstanden ist?
Ich bitte die Damen und Herren, die diesem Antrag auf Überweisung des Gesetzentwurfs der der FDP, Drucksache 877, an den Sozialpolitischen Ausschuß zuzustimmen wünschen, eine Hand zu erheben. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? —
Meine Damen und Herren, ich glaube, das ist genau die gleiche Mehrheit, wie sie sich vorhin in der namentlichen Abstimmung ergeben hat; die Überweisung ist abgelehnt. Wir werden diesen Gesetzentwurf zur zweiten Beratung auf die Tagesordnung einer der nächsten Sitzungen setzen.
Es liegt dann weiter vor der Antrag der Fraktion der CDU/CSU — ich bezeichne ihn kurzerhand hier als Kindergeldanpassungsgesetz. — auf Drucksache 876.
Herr Abgeordneter Horn!
Ich beantrage namens meiner Fraktion, diesen Gesetzentwurf dem Sozialpolitischen Ausschuß — federführend — und als mitberatenden Ausschüssen dem Kriegsopferausschuß und dem Ausschuß für Arbeit zu überweisen.
Meine Damen und Herren, Sie haben den Antrag gehört. Ich bitte die Damen und Herren, die diesem Überweisungsantrag zuzustimmen wünschen, eine Hand zu erheben. — Das ist ,die überwiegende Mehrheit des Hauses; die Überweisung ist erfolgt. Damit ist dieser Punkt der Tagesordnung erledigt.
Ich rufe den Punkt 3 auf:
Zweite und dritte Beratung des von den
Fraktionen der CDU/CSU, FDP, GB/BHE,
DP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
*) Siehe Anlage 9. zur Gewährung von Mehrbeträgen an alte Rentner in den gesetzlichen Rentenversicherungen und zur Neufestsetzung des Beitrages in der Rentenversicherung der Arbeiter, der Rentenversicherung der Angestellten und der Arbeitslosenversicherung (Drucksache 820); Mündlicher Bericht des Ausschusses für Sozialpolitik (28. Ausschuß) (Drucksache 879; Umdrucke 174, 175).
Berichterstatter ist Herr Abgeordneter Meyer . Ich bitte ihn, das Wort zu nehmen.
Meyer (SPD), Berichterstatter: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe die Ehre, für den Sozialpolitischen Ausschuß den Mündlichen Bericht über das sogenannte Renten-Mehrbetrags-Gesetz zu erstatten. Aus der neuen Überschrift des Gesetzes ist bereits ersichtlich, daß der Sozialpolitische Ausschuß über die Vorlage der ersten Lesung hinausgegangen ist. Die Beschränkung einer Zulage oder Aufwertung für die Rentner über 60 Jahre bzw. Witwen über 60 Jahre ist beseitigt worden. Dahin ging die einstimmige Auffassung des Ausschusses. Ich darf wohl sagen: auch die öffentliche Meinung, die sich gerade mit diesem Gesetzentwurf sehr stark beschäftigt hat, hatte Bedenken angemeldet. Die Sozialrenten sind stark zurückgeblieben gegenüber der wirtschaftlichen Entwicklung.
In den Kreis der Aufwertung sind die bis zum 31. Dezember 1938 geleisteten Beiträge einbezogen. Diese sind wiederum in die beiden Dekaden unterteilt, von denen die erste die Beiträge bis zum 31. Dezember 1923 und die zweite Dekade die Beiträge bis zum 31. Dezember 1938 einbeziehen.
Für die drei Versicherungsarten wird ein unterschiedlicher Zuschlag errechnet. Er beträgt bei der Invalidenversicherung in Dekade eins 80 vom Hundert, bei der Angestelltenversicherung 120 vom Hundert. In der zweiten Dekade beträgt der weitere Zuschlag in der Invalidenversicherung 40 vom Hundert und in der Angestelltenversicherung 60 vom Hundert. In der Knappschaftsversicherung mußte nach dem Wegfall der Begrenzung der Zulage über das 65. Lebensjahr eine Änderung in der Form vorgenommen werden, daß in der ersten Dekade für die Knappschaftsvollrenten und Witwenvollrenten ein Zuschlag von 40 vom Hundert und bei den Knappschaftsrenten und Witwenrenten ein solcher von 70 % gewährt wird. Ich darf auf diese Änderung hinweisen. In der zweiten Dekade betragen die Sätze 20 bzw. 35 vom Hundert. Dieser Unterschied ergibt sich dadurch, daß der Steigerungsbetrag für die Knappschaftsrente 1,5 % und bei der Knappschaftsvollrente 2,4% beträgt.
Gegen diese unterschiedlichen prozentualen Zuschläge sprachen sich die SPD-Abgeordneten des Ausschusses aus, die für die Invaliden- und Angestelltenversicherung einen einheitlichen Zuschlag von 120 vom Hundert forderten. Dieser Antrag wurde von der Mehrheit abgelehnt. Es fand der jetzt zur Entscheidung stehende § 3 Annahme. Auch der nach Ablehnung ihres Antrags gestellte Antrag der SPD, den Grundbetrag in der Invalidenversicherung um 30 % zusätzlich zu erhöhen, fand keine Annahme.
Ein Wort zu den angefügten zwei Tabellen, aus
denen man jedoch erst nach dem Studium des § 4
klug wird. Es sind drei Dinge zu beachten. Erstens:
es wird der Steigerungsbetrag jeder Rente ermittelt, der sich in der Invalidenversicherung dadurch ergibt, daß der Grundbetrag und die Erhöhung nach dem Sozialversicherungs-Anpassungsgesetz, zusammen 28 DM, abgezogen werden. Weiter sind abzuziehen der Betrag von 5 DM nach dem Grundbetragerhöhungsgesetz und der Zuschlag nach dem Rentenzulagengesetz, der beispielsweise bei dem Invalidenrentner, der eine Rente von durchschnittlich 97 DM erhält — ich nehme hier Bezug auf ein angeführtes Beispiel —, 18,40 DM beträgt. Es werden also alle festen Bestandteile der Rente abgezogen, um den Steigerungsbetrag herauszuschälen. Bei dem genannten Rentner würde sich somit ein Steigerungsbetrag von 45,60 DM ergeben. Nur d i es e r Betrag unterliegt nach diesem Gesetz bei allen Renten der Mehrbewertung.
Jetzt kann man, um die Dinge einigermaßen zu erklären, eine der beiden Tabellen zur Hand nehmen. Oben in der Spalte, in der Überschrift gewissermaßen, finden Sie das Geburtsjahr und an der linken Seite den Beginn der Rente. Dort, wo sich diese beiden Linien schneiden, finden Sie den prozentualen Zuschlag, der aus dem ermittelten Steigerungsbetrag jeder Rente errechnet wird. Bei der Bewertung und Ausrechnung im Hollerithverfahren fallen die Pfennigbeträge weg, da sonst eine Verzehnfachung der Arbeit notwendig wäre und das Ausrechnen viel zu lange dauern würde.
Ich möchte den Herrn Präsidenten hier auch auf einen Fehler im § 4 Abs. 2 hinweisen. Dort fehlen zwei Worte, die sehr bedeutsam sind. In dem Satz 2 dieses Absatzes sind nach den Worten „Sodann wird der" die Worte „nach unten" vergessen worden. Es muß also heißen: „Sodann wird der nach unten auf volle Deutsche Mark abgerundete Steigerungsbetrag der Renten . . .". Die Renten werden also bei dieser Ermittlung nach unten abgerundet, um die beiden Markbeträge vorn auswerfen zu können, die auf die Hollerithkarte übertragen werden. An anderer Stelle aber, beispielsweise im § 7 und im § 11a, wird dann der ermittelte Betrag, also der Betrag mit dem prozentualen Zuschlag, nach oben aufgerundet, so daß hier ein Ausgleich stattfindet. Die Faktoren in den Tabellen sind pauschal — mit einem inneren Ausgleich --unter -Berücksichtigung der Summe, die für diese Rentenerhöhung zur Verfügung steht, errechnet. Diesbezüglich empfehle ich das Studium der umfangreichen Begründung, mit der ich mich als Berichterstatter hier nicht beschäftigen möchte.
Es ist berücksichtigt worden, daß die Versicherungsträger in vielen Fällen keine Unterlagen
nach denen insbesondere festgestellt
mehr haben, nach denen insbesondere festgestellt werden könnte, wann die erste Beitragsleistung erfolgte. Aus diesem Grunde griff man auf das Geburtsjahr des Versicherten zurück, um so unter Annahme eines normalen Arbeitslebens den. Eintritt in die Versicherung zu ermitteln. Die• beiden Tabellen haben die Kritik der SPD-Kollegen hervorgerufen. Sie haben darauf aufmerksam gemacht, daß die Tabelle A für die Invalidenversicherung nicht bei. 8() vom Hundert unten beginnt und die Tabelle B für die Angestelltenversicherung nicht bei 120 vom Hundert
Die Knappschaftsversicherung hat erklärt, daß sie ohne eine solche Tabelle auskomme. Hier wird also die Berechnung individuell vorgenommen. Diese Rentner kommen auch nicht in den Genuß der nach § 11 a durchzuführenden Vorschußzahlung für vier Monate im Dezember dieses Jahres.
Hervorzuheben ist noch, daß auf diese Zulage die sogenannten Ruhensvorschriften, die §§ 1274, 1275 und 1279 der Reichsversicherungsordnung keine Anwendung finden. Der Vorschuß beträgt bei den beiden Versicherungen mindestens 10 DM und höchstens 200 DM.
Ihre besondere Beachtung möchte ich noch auf die Bestimmungen der §§ 9 und 10 lenken. Nach § 9 wird der Beitragssatz in der Invaliden- und der Angestelltenversicherung um 1% auf 11 % erhöht. Dafür wird der Beitrag nach § 10 in der Arbeitslosenversicherung auf 3 % des Entgelts ermäßigt.
Der § 12 bestimmt, wann die einzelnen Bestimmungen in Kraft treten.
Gegensätzliche Auffassungen gab es im Ausschuß weiter in der Frage der Aufbringung der Mittel, die nach der Erweiterung des Gesetzes laut Angaben der Regierung ungefähr bei 800 Millionen DM liegen. Im § 8 ist festgestellt, daß die Kosten von den Rentenversicherungsträgern getragen werden. Der Bundeshaushalt wird im Rahmen der gesetzlichen Bestimmungen belastet und trägt die Mehraufwendungen in der Knappschaftsversicherung restlos, Die Fraktionen der SPD und der FDP waren der Auffassung, daß diese Aufwertung vom Bund in voller Höhe getragen werden muß. Auch hier bestand jedoch Einmütigkeit, daß keinerlei Verzögerung für die wartenden Rentner eintreten darf. Aus diesem Grunde haben die SPD-Vertreter 1 im Ausschuß gewünscht, daß die Rentenversicherungsträger die Zahlung bevorschussen und der Bund entsprechende Gegenwerte zur Verfügung stellt. Die Mehrheit war der Auffassung, daß es bei der Formulierung des § 8 verbleiben sollte.
Durch das Gesetz werden etwas über 4 Millionen Rentner erfaßt. Es ist zu wünschen, daß die Rentenversicherungsträger und die Bundespost, die erfreulicherweise ihre Arbeitskraft bei der Ausrechnung der Zuschläge zur Verfügung stellt, mit den Vorarbeiten vorankommen, damit wie vorgesehen bereits vor Weihnachten die ersten Zahlungen erfolgen können. Die Beteiligten werden sicher freudig manche Überstunde hierfür leisten; denn die Not breiter Rentnerschichten ist sehr groß. Ich möchte diesen Angestellten und Beamten von dieser Stelle — ich glaube, ich darf das für das ganze Haus tun — den Dank für ihren Fleiß zum Ausdruck bringen und auch den Herrn des Bundesarbeitsministeriums für ihre Vorarbeiten unseren Dank sagen.
Gleichzeitig mit der Verabschiedung des RentenMehrbetrags-Gesetzes muß nun noch der von der sozialdemokratischen Fraktion eingereichte Gesetzentwurf behandelt werden, worin verlangt wird, im Monat Oktober eine volle, also gewissermaßen eine 13. Monatsrente zur Auszahlung zu bringen, die, wie die Vertreter der SPD im Ausschuß betont haben, als eine Abgeltung für das abgelaufene Jahr gedacht ist. Der Ausschuß hat sich auch mit diesem Gesetzentwurf der sozialdemokratischen Fraktion beschäftigt. Sie finden in dem Mündlichen Bericht, Drucksache 879, die Feststellung, daß die Mehrheit des Sozialpolitischen Ausschusses vorschlägt, diesen sozialdemokratischen Antrag durch die Verabschiedung des Renten-Mehrbetrags-Gesetzes für erledigt zu erklären.
Ich bitte das Hohe Haus, das Renten-Mehrbetrags-Gesetz zu verabschieden.
Ich danke dem Herrn Berichterstatter.
Ich rufe zur Einzelberatung der zweiten Lesung den § 1 auf. Dazu liegen vor die gleichlautenden Anträge der Fraktion der SPD, Umdruck 174*) Ziffer 1, und der Fraktion des Gesamtdeutschen Blocks/BHE, Umdruck 175**). Zur Begründung des Antrags der Fraktion der SPD Frau Abgeordnete Döhring, bitte!
Herr Präsident! Meine Herren und Damen! Auf Grund der bei den Beratungen im Sozialpolitischen Ausschuß an dem Gesetz zur Gewährung von Mehrbeträgen an Rentner vorgenommenen Änderungen sieht der Gesetzentwurf nunmehr vor, daß alle Versicherten und Witwen, soweit es sich um Beiträge aus der Zeit vor 1939 handelt, einen Mehrbetrag erhalten. Das ist gegenüber der Vorlage der Regierungsparteien ein sehr beachtlicher Fortschritt, der allseits anerkannt wird und insbesondere sicherlich von den Betroffenen anerkannt werden wird, wobei wir Sozialdemokraten der Auffassung sind, daß diese Verbesserung nicht zuletzt auf die erheblichen Einwendungen zurückzuführen ist, die von den Kollegen meiner Fraktion schon bei der ersten Lesung des Gesetzentwurfs vorgebracht wurden und die in der Öffentlichkeit einen sehr lebhaften Widerhall gefunden hatten.
— Die überlasse ich Ihnen, Herr Abgeordneter Horn! — Durch die jetzige Regelung wird wenigstens erreicht, daß auch alle vorzeitig Berufsunfähigen in den Genuß einer Sonderzulage kommen.
Der Beschluß des Sozialpolitischen Ausschusses weist aber noch eine sehr erhebliche Lücke auf, nämlich die Nichtberücksichtigung der Waisenkinder. Voll- und Halbwaisen, deren Väter bzw. Mütter Beiträge in den Zeiträumen entrichtet haben, die nach diesem Gesetz eine Aufwertung finden, sollen keinen Mehrbetrag erhalten. Das widerspricht jedem Grundsatz der Gerechtigkeit, weil ja auch die Väter dieser Waisen vor 1939 Beiträge gezahlt haben. Die Beiträge zur Sozialversicherung werden nicht nur für den Versicherten selbst, sondern im Falle seines Todes auch für seine Ehefrau, also für die Witwe, und seine Waisen geleistet. Der Sozialpolitische Ausschuß hat mit seinem erweiterten Beschluß, daß nunmehr ein Mehrbetrag für alle Witwen gewährt werden soll, für die Beiträge in den Aufwertungszeiträumen gezahlt wurden, den selbstverständlichen Grundsatz für die Witwen anerkannt. Für die Waisen jedoch wird dieser Grundsatz mißachtet. Das bedeutet, daß etwa eine Million Waisen leer ausgehen.
Ich muß schon sagen, daß mir hierfür jedes Verständnis fehlt, wenn ich daran denke, daß man ungezählte Milliarden für eine neue Wehrmacht zur Verfügung stellen will, aber nicht bereit ist, einige bescheidene Millionen für die Waisen aufzubringen.
*) Siehe Anlage 10. **) Siehe Anlage 11.
Es läßt sich nach Auffassung meiner Fraktion nicht verantworten, daß Waisenkinder, deren Väter im letzten Krieg gefallen oder infolge Krankheit gestorben sind, mit ihrer sowieso sehr kärglichen Rente ohne Anpassung an die veränderte Kaufkraft bleiben sollen. Eine solche Gesetzgebung würde übrigens dem in der deutschen Sozialversicherung seit jeher anerkannten Grundsatz, daß die Waisenrente einen Teil der Versichertenrente ausmacht, widersprechen und ließe sich doch gerade vom Versicherungsprinzip aus, welches das Gesetz angeblich fördern will, nicht vertreten.
Der Aufwand, der für die Waisen entstehen würde, ist, gemessen an den Gesamtaufwendungen des Gesetzes, doch sehr bescheiden. Er liegt bei rund 30 Millionen DM für die eine Million Kinder, von denen die meisten sowieso nur eine, zwei oder höchstens drei DM erhalten würden. Das wäre gewiß nicht viel, meine Herren und Damen. Wer aber weiß, wie in diesen Halbfamilien nicht nur mit der Mark, sondern mit dem Groschen gerechnet werden muß, der muß doch den Antrag auf Einbeziehung der Waisen in dieses Gesetz bejahen, um damit ein großes Versäumnis des Herrn Familienministers gutzumachen. Ich bedauere sehr, daß der Herr Familienminister bei der Beratung dieses Gesetzes nicht zugegen ist. Ich muß es aber trotzdem sagen: Hier lag eine echte Aufgabe für ihn vor; hier hätte er einmal die Daseinsberechtigung seines Ministeriums unter Beweis stellen können.
Meine Fraktion möchte nun mit diesem Antrag auf Berücksichtigung der Waisen, der leider im Sozialpolitischen Ausschuß keine Mehrheit gefunden hat, noch einmal versuchen, hier die Abstimmung zu beeinflussen, damit auch die Waisen eine Rentenzulage bekommen. Deshalb legen wir Ihnen auf Umdruck 174 einen Änderungsantrag zu § 1 vor, in den ein neuer Buchstabe c eingefügt werden soll, wonach die Empfänger von Waisenrenten in der Rentenversicherung der Arbeiter, in der Rentenversicherung der Angestellten und in der knappschaftlichen Rentenversicherung ebenfalls einen Rentenmehrbetrag erhalten sollen. Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion hält es für ihre Pflicht, dem Plenum diesen Antrag noch einmal zu unterbreiten und damit nochmals zu versuchen, genügend Abgeordnete in diesem Hohen Hause für die Gewährung eines höheren Waisengeldes zu gewinnen. Ich möchte Sie dringend bitten, sich bei der Abstimmung über diesen Antrag für die Waisenkinder doch auch darauf zu besinnen, daß man nicht die Gerechtigkeit zuungunsten von Kindern, deren Ernährer gestorben ist, verletzen darf, Diese Frage ist für uns so wichtig, daß ich namens meiner Fraktion namentliche Abstimmung beantrage.
Frau Abgeordnete Finselberger! Zur Begründung des gleichen Antrages?
- Das ist wörtlich derselbe.
Herr Präsident! Meine Herren und Damen! Bei der ersten Beratung des Renten-Mehrbetrags-Gesetzes habe ich schon darauf hingewiesen, daß meine Fraktion einen Antrag vorbereite, damit die Altersgrenzen fielen,
4 die damals im ersten Entwurf des Gesetzes noch zu finden waren. Wir haben damals auch darauf hingewiesen, daß wir die vom Fremdrenten- und Auslandsrentengesetz Erfaßten gern in das RentenMehrbetrags-Gesetz einbezogen sehen möchten. Wir sind sehr froh darüber, daß es im Ausschuß gelungen ist, den Kreis der vom Renten-MehrbetragsGesetz zu erfassenden Personen zu erweitern. Wir können feststellen, daß in drei Punkten den besonderen Wünschen meiner Fraktion Rechnung getragen ist.
Wir bedauern aber, daß einer weiteren Forderung, die wir ebenfalls schon in der ersten Beratung angemeldet haben, nämlich die Waisenrenten in das Gesetz einzubeziehen, nicht Rechnung getragen worden ist. Wir empfinden die Nichtberücksichtigung der Waisenrenten als eine Lücke im Gesetz. Aus diesem Grunde haben wir uns gestattet, Ihnen heute in Umdruck 175 einen Antrag vorzulegen, der auch die Empfänger von Waisenrenten in das Renten-Mehrbetrags-Gesetz einbaut.
Lassen Sie mich auch einiges zu dem bemerken, was bisher sowohl im Ausschuß als auch sonst in persönlichen Gesprächen über den Komplex gesagt worden ist. Es ist, wenn selbst Regierungsvertreter sagen, daß der finanzielle Aufwand gar nicht so groß ist, wirklich nicht einzusehen, daß die Einbeziehung der Waisenrenten nur daran scheitert, daß die Waisenrenten nicht in die Konzeption des Renten-Mehrbetrags-Gesetzes hineinpassen. Dann müssen wir eben versuchen, die Konzeption irgendwie abzuändern, und es wird sich schon ein Weg finden. Es scheint mir aber nicht möglich, die Empfänger von Waisenrenten, die zweifellos schon versicherungstechnisch in dieses Renten-Mehrbetrags-Gesetz hineingehören und denen auch der I) versicherungsrechtliche Anspruch zusteht, aus dem Gesetz auszuschließen.
Ich brauche nicht besonders zu betonen, daß wir auch eine besonders große moralische Verpflichtung gerade gegenüber den Empfängern von Waisenrenten haben. Aus diesem Grunde möchte ich bitten, daß alle Abgeordneten des Hohen Hauses doch diesem Antrage ihre Stimme geben, damit wir nicht schon in dem Personenkreis, der von dem Gesetz erfaßt wird, eine Lücke haben, die nicht verstanden werden könnte. Die Frage sollte deshalb nochmals besonders sorgfältig geprüft werden. Ich möchte der Hoffnung Ausdruck geben, daß diese Prüfung zu dem Ergebnis führt, daß auch die Waisenrenten in das Renten-Mehrbetrags-Gesetz einbezogen werden.
Herr Abgeordneter Stingl.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe schon, als wir den Gesetzesantrag der Koalitionsparteien im Bundestag vorlegten, bei seiner Begründung gesagt, daß meine politischen Freunde durchaus der Meinung seien, im Ausschuß könnten noch Verbesserungen dieses Gesetzes erörtert und gegebenenfalls beschlossen werden. Schon die Frau Kollegin Döhring hat betont. daß im Sozialpolitischen Ausschuß eine erhebliche Erweiterung des Personenkreises beschlossen worden ist, so daß die Aufwendungen aus dem Gesetz, die ich damals mit 684 Millionen DM jährlich, falls keine Höchstgrenze eingeführt werde, beziffert habe, nunmehr durch die Ausweitung des
Personenkreises auf 826 Millionen DM insgesamt gestiegen sind. Davon trägt 156 Millionen der Bund. Wir haben in ernster Überprüfung der vorliegenden Änderungsanträge festgestellt, daß durch die Anträge der SPD insgesamt ein Mehraufwand von 568 Millionen erforderlich werden würde.
— Die in Ziffer 3 vorgeschlagene Änderung der Tabelle A würde einen Mehraufwand von 45 Millionen und die der Tabelle B einen Mehraufwand von 23 Millionen zur Folge haben. Die Abschaffung der Höchstgrenze — Ziffer 5 Ihres Antrags — würde bedeuten, daß ein Mehraufwand von 70 Millionen entsteht. Der im Ausschuß genannte Betrag von 58 Millionen erhöht sich auf diese 70 Millionen, weil wir den Personenkreis ausgeweitet haben. Wir würden bei der Einführung einer Mindestgrenze des Mehrbetrags selbst mit den geringen Sätzen, die Sie hier vorgeschlagen haben, eine Mehrbelastung von 90 Millionen erreichen, weil die Ausweitung des Personenkreises ausgerechnet die geringen Beträge betrifft. Weiter würde die Einführung des Stichtags vom 1. Juli statt des 1. Dezember einen Mehraufwand von 340 Millionen mit sich bringen.
Das sind nur die größten Posten. Wenn wir die anderen Umrechnungen noch berücksichtigen, ergibt sich ein Mehraufwand von rund 600 Millionen pro Jahr, so daß die Gesamtaufwendungen über 1,4 Milliarden betragen. Nachdem Sie außerdem beantragt haben, dafür Schuldverschreibungen des Bundes aufzunehmen, sehen wir uns nach ernster Prüfung nicht in der Lage, Ihren Argumenten zuzustimmen. Ich darf daher von vornherein wegen des ungemein großen Mehraufwandes, den wir nicht verantworten können, namens meiner Fraktion erklären, daß wir Ihre Anträge ablehnen werden.
Herr Abgeordneter Schellenberg, eine Zwischenfrage!
Ich habe eine Frage an Sie. Ich hatte Sie gebeten, diesen Betrag von 568 Millionen zu spezifizieren. Sie haben ihn spezifiziert. Wenn ich recht verstanden habe, haben Sie dabei einbezogen ,die einmalige Leistung Juli/ Dezember in Höhe von 340 Millionen DM. Ich vermag also nicht zu verstehen, weshalb Sie die Auffassung vertreten, es entstände eine jährliche, d. h. eine Dauerbelastung von 600 Millionen DM. Spezifiziert haben Sie, soweit ich es zusammenzählen konnte, nur einen Betrag von 220 Millionen DM.
Herr Kollege Schellenberg, ich habe gesagt, daß ich zunächst Stellung nehmen werde zu allen Mehrkosten, die Ihre Änderungsanträge verlangen, und die sind dann 600 Millionen DM einschließlich — —
Herr Schellenberg, noch eine Zwischenfrage!
Herr Kollege Stingl, wenn ich noch eine Frage in diesem Zusammenhang an Sie richten darf: Sie haben verschiedene Positionen — soweit ich das übersehen kann, denn die 600 Millionen DM haben Sie nicht spezifiziert
— zusammenaddiert, die nicht zusammenaddiert gehören. Wenn die SPD beispielsweise beantragt, die Tabelle um 10 % zu erhöhen, so hat das natürlich Auswirkungen auf die Ausgaben für den Mindestbetrag, um nur ein Beispiel zu nehmen. Und so haben Sie verschiedene Positionen addiert, die nicht addiert werden dürfen. Ich werde mir erlauben, unter Umständen nachher noch darauf einzugehen.
Wir werden das erwarten.
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen? — Offenbar nicht. Ich schließe die Aussprache zu § 1.
Wir können über die beiden vorliegenden Anträge der SPD und des BHE wegen der wörtlichen Übereinstimmung gemeinsam abstimmen. Die Fraktion .der SPD hat namentliche Abstimmung beantragt. Ich darf bitten, die entsprechenden Signale zú geben. Ich bitte die Schriftführer, die Stimmzettel einzusammeln. — Es geht um die Abstimmung über den Antrag der SPD und des BHE.
Meine Damen und Herren, ich frage: sind noch Abgeordnete vorhanden, die bei der Abstimmung über die Änderungsanträge zu § 1 Abs. 1 Buchstabe c ihre Stimme noch nicht abgegeben haben und dies zu tun wünschen? — Das ist nicht der Fall. Ich schließe die namentliche Abstimmung.
Meine Damen und Herren, ich gebe das vorläufige Ergebnis *) der namentlichen Abstimmung über die beiden Änderungsanträge zu § 1 Abs. 1 Buchstabe c — Umdrucke 174 und 175 — bekannt. Es sind abgegeben worden 401 Stimmen von stimmberechtigten Abgeordneten und 17 Berliner Stimmen. Mit Ja haben gestimmt 175 stimmberechtigte Abgeordnete, mit Nein 220, bei 6 Enthaltungen; von den Berliner Abgeordneten stimmten mit Ja 13, mit Nein 4. Die Anträge sind abgelehnt.
Ich komme zur Abstimmung über § 1 in der Ausschußfassung. Ich bitte die Damen und Herren, die § 1 in der Ausschußfassung zuzustimmen wünschen, eine Hand zu erheben. — Das ist die überwiegende Mehrheit; § 1 ist angenommen.
Ich rufe § 2 auf. Ein Änderungsantrag ist neu gekommen. Bitte, Herr Abgeordneter Richter!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der § 2 des Gesetzentwurfs lautet:
Der Mehrbetrag wird nur gewährt, wenn und solange der Berechtigte im Geltungsbereich dieses Gesetzes seinen Wohnsitz oder dauernden Aufenthalt hat, es sei denn, daß zwischenstaatliche Abkommen anderes bestimmen.
In der Ausschußberatung haben wir die Frage aufgeworfen, ob diese Fassung genügend sei. Wir wiesen darauf hin, daß es auch Rentenberechtigte gibt, ,die sich als Verfolgte heute noch im Ausland aufhalten, und daß es auch Vertriebene gibt, denen es ebenso geht und die im Ausland und nicht im Inland sind. Hier nützen zwischenstaatliche Abkommen nichts, und wir sind der Auffassung, daß in diesem Gesetz gleiches Recht für die beiden Per-
*) Vgl. das endgültige Ergebnis Seite 2397. sonengruppen geschaffen werden muß, die wohl zahlenmäßig relativ weniger ins Gewicht fallen werden. Wir schlagen Ihnen deshalb vor, bei diesem Paragraphen noch hinzuzufügen:
oder daß der Berechtigte durch Verfolgungsmaßnahmen wegen seiner Rasse, seines Glaubens oder seiner politischen Überzeugung gezwungen war, den Geltungsbereich dieses Gesetzes vor dem 8. Mai 1945 zu verlassen, oder wer nach dem 30. Januar 1933 aus den gleichen Gründen die in § 1 Abs. 1 des BVFG vom 19. Mai 1953 genannten Gebiete verlassen mußte und seinen Wohnsitz außerhalb des Deutschen Reiches genommen hat.
Wir beziehen uns also hier auf bereits in anderen Gesetzen von uns beschlossenes, geltendes Recht und bitten Sie, diesem Nachsatz zuzustimmen.
Herr Abgeordneter Horn!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir bedauern außerordentlich, daß dieser Vorschlag, der jetzt zur zweiten Lesung gemacht wird, nicht schon bei den Ausschußberatungen vorgebracht worden ist,
damit man sich in Ruhe darüber hätte unterhalten können. Aber da der Antrag jetzt so plötzlich
auf den Tisch des Hauses kommt, kann man seine
Konsequenzen natürlich nicht recht übersehen und
hat auch keine Möglichkeit, mit der Regierung darüber Fühlung zu nehmen. Wir meinen, meine
Damen und Herren, wir sollten durch die Annahme irgendwelcher Änderungsanträge nicht unter Umständen die dritte Lesung gefährden.
Wir müssen die dritte Lesung heute unter allen Umständen abschließen.
Vielleicht kann man in der Beratung mit der Regierung einen Weg finden, daß man etwa eine Ermächtigung gibt oder in einer Entschließung die Bundesregierung ersucht, dafür zu sorgen, daß der Personenkreis, der hier angesprochen worden ist, noch berücksichtigt werden kann, sofern er nicht schon ohnehin von dem Gesetz erfaßt wird.
In diesem Augenblick dem Antrag zuzustimmen, sind wir leider nicht in der Lage. Wir möchten aber empfehlen, sich eventuell noch über eine solche Entschließung zu unterhalten und sich vielleicht in dem Sinne zu verständigen.
Herr Abgeordneter Richter!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bedaure diese Erklärung des Herrn Abgeordneten Horn außerordentlich. Wir haben im Ausschuß — das möchte ich nochmals ausdrücklich betonen — auf diese Frage hingewiesen. Wir haben erklärt, daß uns diese Fassung nicht ausreichend ist. Wir hatten im Moment keinen Änderungsantrag gestellt. Aber wir haben hier einen so klaren Änderungsantrag eingebracht, den jeder in seiner Auswirkung übersehen kann, daß es wirklich kein sachliches Argument geben kann, gegen den Antrag zu stimmen.
Das Argument, das Herr Kollege Horn vorgebracht hat, ist nicht gut. Er hat gesagt, wenn ein
Änderungsantrag angenommen werde, dann könne man der dritten Lesung widersprechen. Derartige Taktiken und Praktiken wendet die SPD-Fraktion nicht an. Wegen der Annahme dieses Antrags werden wir nicht der dritten Lesung widersprechen
Ich bedaure diese Argumentation.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Ich komme zur Abstimmung über den Antrag, den die Fraktion der SPD gestellt hat. Herr Abgeordneter Richter hat ihn verlesen, ich brauche ihn nicht zu wiederholen. Ich bitte. die Damen und Herren, die diesem Antrag zuzustimmen wünschen, eine Hand zu erheben. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Das zweite war die Mehrheit; der Antrag ist abgelehnt.
Ich bitte die Damen und Herren, die § 2 in der Ausschußfassung zuzustimmen wünschen, eine Hand zu erheben. — Das ist die Mehrheit; angenommen.
Ich rufe auf § 3, Änderungsantrag der Fraktion der SPD Umdruck 174 Ziffer 2.
Herr Abgeordneter Richter, bitte!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Bereits in der ersten Lesung habe ich im Auftrag meiner Fraktion darauf hingewiesen, daß dieser Gesetzentwurf ungerecht und unsozial ist, insbesondere in seinem § 3, in dem verschiedene Vomhundertsätze für die Berechnung des Mehrbetrags festgelegt werden. Es wird Ihnen, die Sie mit diesem Gebiet nicht ständig zu tun haben, im ersten Augenblick nicht klar sein, warum für diejenigen, die Renten aus der Angestelltenversicherung bekommen, ein von 120 % des Steigerungsbetrags festgelegt ist und für diejenigen, die Renten aus Arbeiterrentenversicherung beziehen, nur ein Satz von 80 % des Steigerungsbetrags.
Wir haben im Ausschuß über diese Frage eingehend diskutiert. Der Herr Bundesarbeitsminister, der ausnahmsweise dieser Ausschußsitzung beigewohnt hat, hat mir den guten Rat gegeben, diese Angelegenheit doch einmal mit seinen Sachbearbeitern zu besprechen. Er hat daran die Hoffnung geknüpft, daß ich dann sehr rasch aufgeklärt bzw., wenn ich so sagen darf, bekehrt würde und dann. Verständnis für die unterschiedliche Wertung des Steigerungsbetrags hätte. Ich war bei den Sachbearbeitern des Bundesarbeitsministeriums. In meiner Gesellschaft war Herr Schellenberg, und wir haben die Frage eingehend diskutiert. Das Ergebnis ist folgendes: In diesem Gesetzentwurf heißt es in § 3 Abs. 2, daß die Grundlage die Steigerungsbeträge aus den geleisteten Beiträgen seien. In Wirklichkeit hat man aber die Berechnung der Tabellen auf Grund des mutmaßlichen damaligen Entgelts vorgenommen. Man legt das verschieden hohe Entgelt sowohl bei den Arbeitern wie bei den Angestellten bis 1939 zugrunde, anstatt den Steigerungsbetrag zu nehmen. Meine Damen und Herren, so geht's nicht. Auf Grund des Entgelts zahlt jeder Arbeitnehmer seinen Beitrag zur Rentenversicherung, sowohl der Arbeiter wie der Angestellte. Auf Grund des Beitrags wird die Rente berechnet. Die Rente besteht aus einem Grundbetrag und einem Steigerungsbetrag. Wenn man in diesem Gesetz, so wie es hier ganz klar und zweifelsfrei heißt, als Grundlage der Geldentwertung den Steigerungsbetrag nehmen will, muß man den Steigerungsbetrag zugrunde legen, den der Betreffende auf Grund geltenden Rechts zu bekommen hat und mit seiner Rente auch bekommen hat.
Das geschieht nicht, und das ist unrecht und nicht nur unsozial.
Wir müssen deshalb im Interesse der Millionen Arbeiterrentner und Witwen der Arbeiter beantragen, daß der Satz des Steigerungsbetrages ebenso 120 % beträgt, wie er für die Angestellten vorgesehen ist. Wenn man es so durchführt, wie es der Entwurf vorsieht und wie es die Mehrheit des Ausschusses gegen uns beschlossen hat, erreicht man lediglich eine weitere Vergrößerung des Unterschieds zwischen der Rente der Angestellten und der Rente der Arbeiter. Man erreicht hiermit, daß der Mehrbetrag, also die Rentenerhöhung bei den Angestellten wesentlich höher ist als bei den Arbeitern. Man erreicht weiter, daß die Differenz zwischen der Durchschnittsrente des Arbeiters und der Durchschnittsrente des Angestellten vergröBert wird. Dieses Unrecht können Sie unmöglich wollen. Man kann • nicht die Reform der Rentenversicherung auf dem Gebiet der Erhöhung der Steigerungsbeträge bis zum Jahre 1939 vorwegnehmen,. Wenn man das will, wenn man einen einheitlichen Steigerungsbetrag von 2 %, so wie es sich nach Ihrem Entwurf ergibt, für die geleisteten Bell rage bis 1939 will., warum will man dann diesen einheitlichen Steigerungsbetrag nicht überhaupt für die Rentenversicherung der Arbeiter und die Rentenversicherung der Angestellten einführen? Wenn man das macht, warum dann nicht auch einen einheitlichen Grundbetrag? Können Sie es verantworten, daß zwar ein einheitlicher Steigerungsbetrag bis 1939 der Berechnung bei den Altrentnern usw. zugrunde gelegt wird, daß aber der Grundbetrag bei den Arbeitern nach wie vor pro Monat 40 DM oder pro Jahr 480 DM und bei den Angestellten nach wie vor pro Monat 70 DM oder pro Jahr 840 DM beträgt? Dieses Unrecht können Sie unmöglich verantworten.
Wir bedauern, daß dieser Gesetzentwurf im Gegensatz zu dem vorhin behandelten Kinderbeihilfegesetz im Ausschuß innerhalb weniger Wochen durchgepeitscht wurde, und wir bedauern, daß eine derartige Vorlage uns überhaupt unterbreitet wurde, daß man hier von der Grundlage eines einheitlichen Entgeltes ausgeht, ohne den Beitrag, ohne den Steigerungsbetrag, ohne den Grundbetrag überhaupt berücksichtigt zu haben. Das ist unsozial. Deshalb bitten wir, unserem Antrag zuzustimmen. In Anbetracht der Bedeutung dieses Antrags für die Millionen von Arbeiterrentnern und Witwen beantrage ich namentliche Abstimmung.
Das Wort hat der Abgeordnete Arndgen.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Zunächst möchte ich darauf verweisen, daß wir gar nicht die
Absicht haben, mit diesem Gesetz die ga
der
Sozialversicherung vorwegzunehmen.
Es scheint einem großen Teil der Abgeordneten
dieses Hauses nicht bekannt zu sein, daß die Steigerungsbeträge in der Invaliden-, in der Angestell-
ten- und in der Knappschaftsversicherung sich nach verschiedenen Vomhundertsätzen errechnen. In der Rentenversicherung der Invaliden beträgt dieser Hundertsatz 1,2, in der Rentenversicherung der Angestellten 0,7 und in der knappschaftlichen Rentenversicherung 2,4.
Was will nun dieses Gesetz? Es will nichts weiter als die Möglichkeit geben, bei gleichem Entgelt für den gleichen Zeitraum die gleichen Mehrbeträge zu errechnen. Das ist der Sinn und Zweck dieses Gesetzes. Würden wir dem Antrag der SPD-Fraktion zustimmen, dann würden wir die Ungleichheit nicht nur weiter behalten, sondern noch verschärfen.
Wir wollen aber mit diesem Gesetz Mehrbeträge zu den bisher schon gewährten Renten erreichen. Wenn wir bei gleichem Entgelt und für die gleiche Zeit den gleichen Steigerungsbetrag erreichen wollen, dann müssen wir es bei der Vorlage des Ausschusses belassen. Ich bitte daher, die Anträge der sozialdemokratischen Fraktion abzulehnen.
Herr Abgeordneter Schellenberg!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Arndgen hat seine Ausführungen mit der Erklärung begonnen, es seien wohl nicht allen Damen und Herren des Hauses die unterschiedlichen Grundbeträge und Steigerungsbeträge in den verschiedenen Versicherungszweigen bekannt. Herr Kollege Arndgen, Sie werden wohl nicht der Meinung sein, daß den Mitgliedern des Sozialpolitischen Ausschusses und den Herren der sozialdemokratischen Fraktion, die gestern das Bundesarbeitsministerium aufgesucht haben, diese Tatbestände nicht genau bekannt sind. So soll man nicht argumentieren.
Wir kennen die Berechnung der Renten genau so gut wie Sie. Das wird uns niemand bestreiten.
Aber worum geht es? Es geht darum, daß durch diesen Gesetzentwurf der gegenwärtige Stand, die gegenwärtige Relation zwischen den Renten der Arbeiter mid den Renten der Angestellten verändert wird. Dagegen wehren wir uns.
Ich darf Ihnen das an einem Beispiel erläutern. Die Hauptgruppe sind die zwischen 65 und 69 Jahre alten Rentner. Bei diesen ergibt sich, wie aus der finanztechnischen Begründung des Entwurfs zu entnehmen ist, für die Gruppe der Arbeiter eine Steigerung um 14 "/o und für die Angestellten in gleicher Altersgruppe — wir haben gleiche Beiträge in den Rentenversicherungen der Arbeiter und der Angestellten —
eine Steigerung um 20%. Diese unterschiedliche Steigerung für Arbeiter und Angestellte verändert den gegenwärtigen Stand in der Rentenversicherung, und deshalb ist die Regelung des Gesetzentwurfs ungerecht. Wenn man aus diesem oder jenem Grunde den Steigerungsbetrag in der Angestelltenversicherung rückwirkend stärker erhöht, muß man eine solche Maßnahme auch für den Grundbetrag der Rente durchführen. Denn die Rente besteht aus zwei Teilen: aus Grundbetrag und Steigerungsbetrag. Wenn man beim . Steigerungsbetrag eine Veränderung zugunsten der Angestellten vornimmt, muß man, um sozial gerecht zu sein, diesen Schritt auch bei dem Grundbetrag in der Rentenversicherung der Arbeiter tun. Das unterläßt aber die Vorlage. Deshalb ist sie gegenüber den Arbeitern sozial ungerecht.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Atzenroth.
Meine Damen und Herren! Diese Fragen haben wir im Sozialpolitischen Ausschuß durchexerziert. Sie gehören nicht in das Plenum, denn es ist keine Mißachtung der Mitglieder dieses Hauses, wenn man unterstellt, daß sie diese Einzelheiten, die den Beratungen zugrunde liegen, nicht kennen können. Ich möchte aus dem Ergebnis der Beratungen des Sozialpolitischen Ausschusses nur mitteilen, daß wir uns die Argumente von beiden Seiten angehört haben und daß das anscheinend so schlagende Argument des Herrn Professor Schellenberg einen Fehler aufweist. Er unterstellt nämlich, daß die beiden Gruppen, die er einander gegenübergestellt hat, im Laufe ihrer versicherungspflichtigen Zeit die gleichen Leistungen aufgebracht hätten. Auf Grund dieser Unterstellung ist er zu den unterschiedlichen Prozentsätzen von 14 und 20 % gekommen. Das trifft aber nicht zu, sondern die beiden Gruppen haben verschiedenartige Leistungen aufgebracht. Wenn man die wirklichen Leistungen zugrunde legt, kommt man zu gleichen Prozentsätzen. Das ist der Grund, weshalb wir im Ausschuß zu dieser Formulierung gekommen sind. Deswegen müssen auch wir den Antrag der Sozialdemokratischen Partei ablehnen.
Das Wort hat der Abgeordnete Dannebom.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Sie haben in der Vorlage für die knappschaftliche Rentenversicherung gegenüber der JV und der AV eine Halbierung in der Staffelung vorgenommen. Wir haben dagegen in unserem Änderungsantrag gefordert, die Staffelung für die knappschaftliche Rentenversicherung aufzubessern. Ich habe zwar nach Ihrer Einstellung des heutigen Tages gegenüber gewiß begründeten Anträgen von unserer Seite, die wir schon bei anderen Anlässen vorgebracht haben, nicht die Hoffnung, daß ich Sie überzeugen könnte. Für den Bergmann ergibt sich nach der Verabschiedung dieses Renten-Mehrbetrags-Gesetzes die Situation, daß er, soweit er invalidisiert ist, in seiner Rente nicht mehr die Vorrangstellung behält, die er sich eigentlich erdient hat mit den hohen Beiträgen, die er schon seit 1891 sowohl in die Knappschaftsversicherung als auch in die JV gezahlt hat; denn er war doppelt versichert, er mußte doppelte Beiträge leisten. Diese doppelte Beitragszahlung der Bergleute, die bis 1942 erfolgen mußte, hat doch immerhin zu einer Belastung des einzelnen Bergarbeiters geführt. Wir glauben deshalb mit gutem Recht sagen zu können, daß er sich diese Rente erdient hat und daß dieser Vorsprung auch in dem Renten-MehrbetragsGesetz, das wir hier heute zu verabschieden haben, gewährleistet werden muß. Obwohl erfreulicherweise — das wird auch von mir begrüßt — gegenüber der ursprünglichen Vorlage einige Verbesserungen in das Gesetz hineingekommen sind, nämlich Wegfall der Altersbegrenzung und Nichtanwendung der Ruhensvorschriften, bleibt doch die
Tatsache im Raume, daß die hohen Beiträge, die der Bergmann in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten geleistet hat, sich für ihn in diesem Gesetz nicht rentensteigernd auswirken. Ich habe die große Sorge, daß dies bei den Bergarbeitern zu einem erheblichen Unmut führen wird.
Die Geschichte hat auch noch eine wirtschaftspolitische Seite. Sie alle wissen, daß sich der Bergbau heute 'allgemein mit dem Invalidenproblem zu beschäftigen hat. Sie alle, oder jedenfalls die Kenner der Materie, wissen auch, daß die verschiedensten Bergwerksgesellschaften daran interessiert sind, daß die Invaliden ausscheiden, und von sich aus den Invaliden beim Ausscheiden einen gewissen Differenzbetrag zu der Rente gewähren. Das ist sowohl von der Bergbauseite wie aber auch von der sozialpolitischen Seite her gesehen nicht wünschenswert. Deshalb sollten wir- auch die wirtschaftspolitische Seite berücksichtigen und einen gewissen Vorsprung des Bergmanns durch die Knappschaftsversicherung anerkennen. Denn — ich spreche von der wirtschaftspolitischen Seite — das Nachwuchsproblem im Bergbau ist heute schon akut, und wenn der Bergbau in Zukunft die Vorzugsstellung, die er durch die knappschaftliche Versicherung hat, nicht mehr behält, wird natürlich wegen der Schwere und der Gefährlichkeit des Bergmannsberufs niemand mehr gewillt sein, sein Kind in den Bergbau zu schicken.
Wir sollten uns also bei der Verabschiedung dieses Paragraphen und bei der Staffelung, die vorgesehen ist, Gedanken darüber machen, ob gemäß unserem Vorschlag eine Änderung in der Staffelung vorgenommen oder die Höchstbegrenzung fallengelassen werden sollte. Einen der beiden Wege müssen wir gehen, wenn wir diese Vorzugsstellung des Bergmanns auch in Zukunft anerkennen wollen.
Meine Damen und Herren, auf der kürzlichen Trauerkundgebung in Dortmund für die zehn Bergleute im besten Mannesalter, die nach einem bedauerlichen Unfall unter Tage zu Grabe getragen wurden, wurde davon gesprochen, daß der Bergbau infolge einzelner tödlicher Unfälle jährlich 700 Menschen zu beklagen hat. Tausende von schweren Unfällen und Silikoseerkrankungen kommen jährlich hinzu. Wir sprechen dem Bergmann und dem Bergmannsberuf bei gewissen Anlässen Anerkennung und Achtung aus, und ich meine, der Bundestag in seiner Gesamtheit hätte heute und hier die Verpflichtung, durch Zustimmung zu unserem Änderungsantrag seiner Dankespflicht Genüge zu tun.
Das Wort hat der Abgeordnete Stingl.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn hier behauptet wird, daß durch die Einführung des Mehrbetrags mit unterschiedlichen Sätzen — an den Steigerungsbeträgen gemessen — das ungünstige Verhältnis der Invalidenrente gegenüber der Angestelltenrente noch mehr vergrößert werde, so ist das einfach nicht richtig. Die Durchschnittsrente 'der Angestellten, die wir mit 121 DM angegeben finden, und die Durchschnittsrente der Arbeiter, die wir mit 76 DM angegeben finden, beruhen eben darauf, daß diesen Versicherungsdurchschnittsrenten verschiedene Entgelte zugrunde liegen. Es ist der Wille jedenfalls meiner politischen Freunde, daß die Ungerechtigkeit der unterschiedlichen Bewertung des Entgelts von Arbeitern und Angestellten im Mehrbetrag nicht fortgesetzt wird. Gerade das aber würden Sie erreichen. Wenn die Arbeiter nach Ihrer Meinung durch die bisherige Regelung gegenüber den Angestellten benachteiligt sind, so ist das eine Angelegenheit, die in der Sozialversicherungsreform geregelt werden muß. Wenn wir Ihren Anträgen folgen, benachteiligen wir jetzt bei. den Mehrbeträgen die Angestellten. Ich habe schon im Ausschuß angeführt, die Relation wird durch den Mehrbetrag nicht zugunsten der Angestellten, sondern zugunsten der Arbeiter verschoben, bei gleichem Entgelt allerdings; und das ist der Grundsatz dieses Gesetzes. Denn wenn Sie zu einer Rente, die aus Grundbetrag und Steigerungsbetrag besteht, einen für beide gleichen Betrag hinzufügen, hat jedenfalls derjenige prozentual den Vorteil, der bisher die niedrigere Rente bezogen hat. Unser Mehrbetrags-Gesetz hat den Sinn, daß endlich die Ungerechtigkeit, daß die Entgelte verschieden bewertet werden — das liegt am Grundbetrag und am Steigerungsbetrag —, beseitigt wird und daß der Mehrbetrag sich nicht mehr nach Grundbetrag und Steigerungsbetrag, sondern nach dem Entgelt richtet und daß er als Mehrbetrag für Angestellte, Arbeiter und Arbeitnehmer der Knappschaftsversicherung gleich ist.
Herr Abgeordneter Schellenberg!
Das Entgelt, der Lohn, der Beitrag wirkt sich in der Rente in zweifacher Weise aus, im Grundbetrag und im Steigerungsbetrag. Jetzt wird durch dieses Gesetz folgendes getan: der Steigerungsbetrag für Angestellte wird für den rückwärtigen Zeitraum stärker erhöht als der für Arbeiter. Dadurch wird die Relation der Renten verändert, wenn nicht gleichzeitig in entsprechender Weise der Grundbetrag in der Rentenversicherung der Arbeiter angehoben wird.
— Aber, Herr Kollege, das ist unbestreitbar. Bei den vielen versicherungstechnischen Auseinandersetzungen, die wir auch mit den Herren des Ministeriums gehabt haben, wurden unterschiedliche Meinungen vertreten. Aber der Tatbestand, daß der Beitrag sich im Grundbetrag und im Steigerungsbetrag auswirkt, konnte nicht bestritten werden. Wenn Sie den Steigerungsbetrag für die Angestellten stärker erhöhen und den Grundbetrag für die Arbeiter nicht erhöhen, benachteiligen Sie die Arbeiter.
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. — Herr Abgeordneter Richter! — Wenn alle Politiker sich am jüngsten Tage einig werden, dann werden die Sozialpolitiker sich erst am Abend des jüngsten Tages einig.
Der Herr Kollege Arndgen hat soeben den Zwischenruf gemacht: „Sie vergessen ein Element!" Ein Beispiel ist wohl ein Element. Ich habe hier ein Beispiel ausgerechnet. Der betref-
fende Invalidenversicherte ist im gleichen Jahr wie der Angestelltenversicherte geboren, sie haben im gleichen Jahr zu arbeiten begonnen und haben beide gleich lange gearbeitet; der Rentenbeginn ist in beiden Fällen 1954/55. Der Steigerungsbetrag in der Invalidenversicherung beträgt nach diesem Beispiel 92,36 DM, der Steigerungsbetrag in der Angestelltenversicherung 104,22 DM.
— Hier sprechen Tatsachen und keine Theorien und kein Hexeneinmaleins, und wie Sie es sonst beweisen wollen!
Der Mehrbetrag für den Arbeiter, der 92,36 DM Steigerungsbetrag hat, beträgt 80 %, und der Mehrbetrag für den Angestellten, der 104,22 DM Steigerungsbetrag hat, beträgt 120%. Das steht im Gesetz. Daß dadurch der Unterschied zwischen dem Arbeiterrentner und dem Angestelltenrentner größer wird, ,das werden Sie nicht bestreiten.
Leider können wir Ihnen erst in einem Jahr nachweisen, daß der Unterschied zwischen den Durchschnittsbeträgen der Renten in der Invalidenversicherung der Arbeiter, der Facharbeiter, und der Renten in der Angestelltenversicherung noch größer wird. Wenn Sie das gerecht nennen, dann überlasse ich es Ihnen und der Zukunft, darüber zu urteilen!
Meine Damen und Herren, ich schließe die Besprechung zu § 3. Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der Fraktion der SPD auf Umdruck 174 Ziffer 2 betreffend Neufassung des § 3 Abs. 2. Ich bitte die Damen und Herren, die diesem Antrag zuzustimmen wünschen, eine Hand zu erheben. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Das zweite war die Mehrheit; bei einigen Enthaltungen mit Mehrheit angenommen.
— Ich bitte um Entschuldigung, meine Damen und Herren. Ich hatte es inzwischen vergessen. Es war namentliche Abstimmung beantragt. Ich bitte die Schriftführer, die Abstimmungskarten einzusammeln. —
Meine Damen und Herren, ich mache Ihnen den Vorschlag, daß wir, nachdem die Einsammlung im wesentlichen beendet ist, die Begründung der Änderungsanträge zu § 4 hören. Darf ich bitten, Platz zu nehmen.
Ich wiederhole meine Bitte, Platz zu nehmen, damit
wir zur Begründung der Änderungsanträge zu § 4
— Umdruck 174 Ziffern 3 und 4 — kommen können.
Herr Abgeordneter Schellenberg zur Begründung dieser Anträge!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nur wenige Worte zur Begründung. Meine Fraktion verkennt nicht, daß eine Pauschalierung für die laufenden Renten unentbehrlich ist. Wir sind aber der Ansicht, daß die Pauschalierung, die hier durch § 4 vorgenommen wird, ungerecht ist. Es wird bei dieser Pauschaltabelle für Arbeiter ein Abzug von 10 % und für Angestellte sogar ein Abzug von 20% vorgenommen. Jede Pauschalregelung ist eine Durchschnittsregelung, und deshalb müßte man die errechneten Durchschnittssätze und nicht reduzierte Durchschnittssätze nehmen.
Zu dem zweiten Antrag, den wir stellen: Jede Pauschalregelung ist — ich hoffe, darüber sind sich alle Damen und Herren dieses Hauses einig — ein Übel, vielleicht ein notwendiges Übel. Deshalb wollen wir durch unseren Antrag dem Versicherten, der die Unterlagen noch zur Verfügung hat, das Recht geben, eine Berechnung des Mehrbetrages auf Grund der tatsächlich geleisteten Beiträge zu beantragen. Das ist der Sinn unseres Änderungsantrages.
Meine Damen und Herren, ich frage zunächst, sind noch Abgeordnete vorhanden, die ihre Stimme in der namentlichen Abstimmung zu § 3 abzugeben wünschen? — Das ist nicht der Fall; ich schließe die namentliche Abstimmung.
Wird weiter das Wort zu § 4 gewünscht? — Herr Abgeordneter Atzenroth, bitte!
Meine Damen und Herren! Auch über diese Frage haben wir uns im Ausschuß eingehend unterhalten. Der Antrag der SPD hat eine gewisse Grundlage und Berechtigung. Denn der Abzug von 10%, der in der Tabelle vorgenommen worden ist, ist sehr global durchgeführt worden. Auf meine Anfrage bei den Ausschußberatungen ist mir gesagt worden, man könne technisch eine bessere Differenzierung einfach nicht vornehmen. Ich möchte daher die Bundesregierung hier noch einmal fragen:
1. Ist es technisch möglich, eine solche Differenzierung — die wohl auch eine Verzögerung dieses Gesetzes bedeuten würde - vorzunehmen?
2. Welche Mehrkosten würden sich ergeben, wenn wir einem solchen Antrag zustimmten?
Der Herr Bundesarbeitsminister!
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! In der Rentenversicherung der Arbeiter bei den Tabellenwerten der Anlage A den Abschlag von 10 v. H. zu streichen, bedeutet zunächst eine finanzielle Mehrbelastung von 45 Millionen DM. Die Tabellensätze mußten als Durchschnittswerte auch den Umstand berücksichtigen, daß beim Bestand der laufenden Renten Beträge für Zeiten nach dem 31. Dezember 1938 dem Prinzip des Gesetzes nach zu Unrecht gewährt werden müssen. Der dadurch verursachte Mehraufwand muß durch Abschlag vom Gesamtaufwand für den Bestand ausgeglichen werden.
Die Herabsetzung des Abschlags in der Angestelltenversicherung von 20 v. H. auf 10 v. H. bringt eine Mehrbelastung von 23 Millionen DM, d. h. es würden, wenn dem Antrag stattgegeben würde, Mehrkosten in Höhe von 68 Millionen DM entstehen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Meine Damen und Herren, wird zu § 4 noch das Wort gewünscht? — Herr Abgeordneter Professor Schellenberg!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Was der Herr Bundesarbeitsminister sagt, ist richtig, aber es ist zu bedenken, daß in die Berechnungen der Regierung erstens ein pauschaler Sicherheitszuschlag von 15 0/o einbezogen worden ist, der aus der Berechnung ersichtlich ist, und daß darüber hinaus die Regierung mit zusätzlichen Sicherheitswerten gerechnet hat, die zwischen 10 und 20 % schwanken. In dem Gesetzentwurf steckt also noch ein finanzielles Fettpolster, so daß die von uns beantragte Umrechnung dieser Tabellen entsprechend den Grundsätzen versicherungstechnischer Gerechtigkeit finanziell auch im Rahmen des Ansatzes durchaus zu verkraften wäre.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Wird das Wort zu
4 weiter gewünscht? — Das ist nicht der Fall. Dann schließe ich die Einzelberatung zu § 4 des Gesetzes.
Ich schlage dem Hause vor, daß wir einen Augenblick auf das Ergebnis der namentlichen Abstimmung warten, ehe wir fortfahren.
—Ist das Haus damit einverstanden, daß ich gewissermaßen vorgreife und zu § 4 schon die Abstimmung durchführe?
-- Das scheint der Fall zu sein.
Es liegt zunächst der Änderungsantrag der SPD-Fraktion auf Umdruck 174 Ziffer 3 vor. Wer diesem Änderungsantrag zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Mit Mehrheit abgelehnt.
Ich komme zur Abstimmung über den Änderungsantrag Ziffer 4 des gleichen Umdrucks. Wer diesem Änderungsantrag der SPD-Fraktion zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen.
— Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen?
— Mit der gleichen Mehrheit abgelehnt. Die beiden Änderungsanträge sind damit abgelehnt.
Ich komme zur Abstimmung über § 4 in der Ausschußfassung. Wer § 4 zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Bei zahlreichen Enthaltungen mit Mehrheit angenommen.
Ich rufe auf § 5. Änderungsanträge liegen nicht vor. Wer dem § 5 des Gesetzentwurfs zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Wie ich sehe, einstimmig angenommen.
Zu § 6 liegen zwei Änderungsanträge der SPD-Fraktion auf Umdruck 174 Ziffer 5 und Ziffer 6 vor. Wer will sie begründen? — Bitte, Herr Abgeordneter!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der § 6 Abs. 3 sieht vor, daß ein Höchstbetrag von monatlich 30 DM gewährt werden soll. Das bedeutet aber eine Durchbrechung des gesamten Versicherungsprinzips, und wir können dieser Regelung deshalb nicht zustimmen, weil sie diesem selbstverständlichen Prinzip hohnspricht. Außerdem würde dies eine Benachteiligung insbesondere der Angestellten- und Knappschaftsrentner bedeuten. Nach der Gesetzesvorlage sollen die Mehrbeträge auf Grund von Versicherungsleistungen gezahlt werden. Dann müssen diese aber auch der Höhe der Leistungen entsprechen. Dies ist um so berechtigter, als man Mindestleistungen auch nicht vorsieht, auch wenn die Beträge noch so gering sein sollten. Deshalb kann man in § 6 Abs. 3 nicht etwas einführen, das zu Lasten der Berechtigten geht, indem man durch Festsetzung eines Höchstbetrages die Versicherten benachteiligt, und das der ganzen Anlage der Sozialgesetzgebung widerspricht. Deshalb bitte ich, in § 6 Abs. 3 den Höchstbetrag zu streichen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter Meyer hat das Wort.
Meyer (SPD): Meine Damen und Herren! Jedes Gesetz hat gewissermaßen seinen Schönheitsfehler. Aber jetzt stoßen wir auf einen Schönheitsfehler, der sich nicht nur für einige hunderttausend Rentner sehr übel bemerkbar machen, sondern der auch starke Widerstände gegen dieses Gesetz in breiten Kreisen hervorrufen wird. Ich will mich nicht auf eine genaue Zahl festlegen, aber es sind mindestens 400 000 Rentner, die Beträge bekommen, die um eine Mark herum liegen. Aus diesen Erwägungen schlagen wir Ihnen vor, hier eine Mindesterhöhung in dieses Gesetz hineinzubringen, die für den Versicherten 6 DM, für die Witwe 4 DM betragen soll; die Waisenrente ist ja fortgefallen. Also diese beiden Mindestsätze bitten wir doch unter allen Umständen in das Gesetz hineinzubringen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Meine Damen und Herren, bevor ich in der Diskussion zu § 6 fortfahre, darf ich Sie bitten, mir zu erlauben, daß ich das vorläufige Ergebnis*) der namentlichen Abstimmung bekanntgebe. Abgestimmt haben 404 stimmberechtigte Abgeordnete, mit Ja haben gestimmt 135, mit Nein 248, enthalten haben sich 21 Abgeordnete. Berliner Abgeordnete haben abgestimmt 16, mit Ja 8, mit Nein 8. Damit ist der Änderungsantrag der SPD-Fraktion auf Umdruck 174 Ziffer 2 zu § 3 des Gesetzes abgelehnt.
Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den § 3 des Gesetzes in der Ausschußfassung. Wer dem § 3 in dieser Fassung zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Damit ist der § 3 des Gesetzes in der Ausschußfassung bei zahlreichen Enthaltungen mit Mehrheit angenommen.
Ich eröffne nunmehr wieder die Aussprache zu § 6 und erteile das Wort dem Abgeordneten Dr. Atzenroth.
Meine Damen und Herren! Die beiden Anträge der SPD würden das Gesetz in seiner finanziellen Struktur völlig verändern. Ich selber mache keinen Hehl daraus, daß auch ich
*) Vgl. das endgültige Ergebnis Seite 2397.
dieses Gesetz in seinem ganzen Aufbau nicht für glücklich halte, insbesondere nicht in seiner finanziellen Gestaltung, zu der ich ja Anträge gestellt habe. Wenn man das Gesetz durchführen will und wenn es auf dieser Grundlage verbleibt, dann muß man sich auch darüber klarwerden, wer diese Mehrlasten zu tragen hätte, die von der SPD gefordert werden.
Die SPD fordert in dem ersten Antrag Streichung der Höchstgrenze von 30 DM, in dem zweiten Antrag Festsetzung einer verhältnismäßig hohen Mindestgrenze. In der unteren Grenze gibt es sehr viele, ich glaube, Millionen von Rentnern, die davon betroffen würden.
Es sind also keineswegs kleine, sondern recht erhebliche Beträge. Und wenn wir die obere Grenze wegfallen lassen, dann würden auch die vereinzelten Bezieher von Renten in Höhe von 600 DM, die uns mal genannt worden sind — es sind allerdings Ausnahmen —, in den Genuß einer Rentenerhöhung von etwa 360 DM kommen. Sie würden also fast 1000 DM Rente bekommen.
— Aber bitte, Herr Schellenberg, Sie haben doch gehört, daß aus dem Sudetenland Renten vorhanden sind, die 600 DM betragen, aus besonderen Anlässen, gebe ich zu; ihre Bezieher haben sehr hohe Beiträge geleistet. Die werden doch mindestens eine 60%ige Erhöhung bekommen; das sind 360 DM. Sie würden also künftig 960 DM erhalten.
All diese Erhöhungen nach beiden Richtungen gehen zu Lasten der heutigen Beitragszahler, denn sie verringern den Topf noch weiter. Das ist der große Fehler dieses ganzen Gesetzes, daß wir alle diese Erhöhungen aus einem Topf nehmen, der eigentlich für etwas ganz anderes bestimmt ist, nämlich dafür, die künftigen Renten der heutigen Beitragszahler zu garantieren. Deswegen kann man diesen Anträgen, solange wir diese Konstruktion des Gesetzes aufrechterhalten, nicht zustimmen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Wird das Wort zu § 6 weiter gewünscht? — Das ist nicht der Fall. Dann schließe ich die Beratung zu § 6 und komme zur Abstimmung. Es liegt vor der Änderungsantrag unter Ziffer 5 auf Umdruck 174. Er lautet: § 6 Abs. 3 wird gestrichen. Wer diesem Änderungsantrag zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Mit Mehrheit abgelehnt.
Ich komme zur Abstimmung über den Änderungsantrag unter Ziffer 6 auf Umdruck 174. Wer diesem Änderungsantrag zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Mit Mehrheit abgelehnt.
Ich komme zur Abstimmung über § 6 in der Ausschußfassung. Wer dem § 6 in der Ausschußfassung zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Bei zahlreichen Enthaltungen mit Mehrheit angenommen.
Ich rufe § 7 des Gesetzes in der Einzelberatung auf. Dazu liegt ein Änderungsantrag der SPD-Fraktion unter Ziffer 7 des Umdrucks 174 vor. Soll er begründet werden?
— Soll nicht begründet werden. — Wird das Wort weiter gewünscht? — Das ist nicht der Fall. Ich schließe die Beratung zu § 7.
Ich komme zur Abstimmung. Wer dem Änderungsantrag Umdruck 174 Ziffer 7 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Mit Mehrheit abgelehnt.
Ich komme zur Abstimmung über § 7 in der Ausschußfassung. Wer ihm zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Mit Mehrheit angenommen.
Ich rufe § 8 des Gesetzes in der Einzelberatung auf.
— Ja, weil es zweckmäßig ist, rufe ich auf die §§ 8, 9 und 10. Dazu liegen Änderungsanträge unter Ziffer 8 und Ziffer 9 des Umdrucks 174 vor, die dahin gehen, daß § 8 Abs. 1 in bestimmter Weise geändert und die §§ 9 und 10 gestrichen werden sollen. — Wer begründet? — Bitte, Herr. Abgeordneter Frehsee!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die §§ 8, 9 und 10 der Auschußfassung regeln die Finanzierung dieses Gesetzes. Nach Abs. 1 des § 8 sollen die Mehrbeträge aus diesem Gesetz zu Lasten der Rentenversicherung gehen. Das bedeutet also, daß die entwertete Kaufkraft durch die Rentenversicherungsträger oder, noch genauer gesagt, durch die jetzigen Beitragszahler zur Rentenversicherung angepaßt werden soll. Meine politischen Freunde sind nicht der Auffassung, daß es Sache der Rentenversicherungsträger und Sache der Versicherten sei, die Kaufkraftentwertung anzugleichen. Wir meinen, daß es Sache der Rentenversicherungsträger ist, künftig Renten zu gewähren. In diesem Fall handelt es sich um eine Wiedergutmachungspflicht des Staates, um eine Wiedergutmachungspflicht, wie sie auf vielen anderen Gebieten besteht und wie sie auf v ielen anderen Gebieten zum Teil auch schon erfüllt ist. Die Versicherungsansprüche sind Eigentum wie anderes Eigentum, meine Damen und Herren, Eigentum, das nicht angetastet werden sollte, das genau so geschützt werden muß wie jedes andere Eigentum!
Die Verpflichtung, die hier der wirkliche Schuldner, nämlich der Staat und die gesamte Gemeinschaft unseres Volkes, von sich weist, soll einer in diesem Fall durchaus nicht verpflichteten Gemeinschaft, der Sozialversicherung, aufgeladen werden. Wir sind der Auffassung, daß es im Rechtsstaat nicht angängig ist, für eine Verpflichtung der Gesamtheit eine Person oder wie in diesem Fall eine Vereinigung in Anspruch zu nehmen.
Denken Sie bitte daran, daß die Sozialversicherung für die großen Vermögensverluste, die sie erlitten hat — sie belaufen sich doch auf 18 Milliarden Mark — nicht entschädigt worden ist. Denken Sie daran, daß der Zugriff auf die Kassenüberschüsse der Rentenversicherungsträger die Lebens- und Leistungsfähigkeit der Rentenversicherungen sehr gefährden müßte. Alle Sachverständigen, die wir im Sozialpolitischen Ausschuß gehört haben — sowohl die Vertretungen der Arbeitnehmer, die Vertreter der Bundesvereinigung der Arbeitgeber, des Verbandes der Rentenversicherungsträger und wer da noch alles gehört wurde, auch die Sozialwissenschaft —, alle zusammen sind der Auffassung, daß
es sich hier um eine Wiedergutmachungspflicht des Staates handelt und daß die Mittel, die für die Durchführung dieses Rentenmehrbetragsgesetzes notwendig sind, von der Bundesrepublik aufgebracht werden müssen. Die Auffassung, die verschiedentlich vertreten wurde, daß die Belastung ja nur einige Jahre in der gegenwärtigen Höhe aufrechterhalten bleibe und daß sie in einigen Jahren abnehmen werde, ist falsch; denn wenn die Versicherungszeiten vor dem 1. Januar 1939 erfaßt werden sollen, dann bedeutet das doch, daß die Belastung durch die Mehrbeträge noch für Jahrzehnte zu berücksichtigen sein wird.
Wenn Sie — und das ist ein anderer Gesichtspunkt — die Rentenversicherungsträger mit diesen Neuaufgaben belasten, dann haben wir keine Gewähr, daß der Versicherte in Zukunft eine Rentenleistung erhält, die seinem jetzigen Beitragsaufwand in angemessener Höhe entspricht. Herr Bundesarbeitsminister Storch hat schon in der ersten Lesung im Plenum — und er hat es auch im Ausschuß wieder getan — davon gesprochen, daß hier die Solidarität der Versicherten in Funktion treten müsse und daß an diese Solidarität der Versicherten schon früher und mit Erfolg appelliert worden sei. Wir befürchten aber, daß wir eines schönen Tages den Punkt erreichen, wo die Solidaritätsbereitschaft der Versicherten überschätzt wird. Im Wirtschaftsrat ist ja der Sozialversicherungsbeitrag für die Rentenversicherung von 5,6 auf 10 % erhöht worden. Das ist im allgemeinen ohne Widerspruch der Versicherten über die Bühne gegangen. Soll vielleicht — so müssen wir fragen --- dieser Appell des Herrn Bundesarbeitsministers an die Solidaritätsbereitschaft der Versicherten bedeuten, daß sich die Entwicklung, die damals im Wirtschaftsrat angefangen hat, wo eben die Sozialversicherungsbeiträge für die Rentenversicherung von 5,6 % auf 10 % erhöht worden sind, fortsetzen soll?
Noch ein anderes Argument! Denken Sie bitte an die Alterspyramide. Denken Sie an die Entwicklung, die sich im Verhältnis der Versicherten und der Rentenempfänger in der Zukunft ergeben wird. Sie wissen alle ganz genau, daß die Zahl der Beitragszahler relativ im Verhältnis zur Zahl der Rentenempfänger sinken wird und daß das gegenwärtige Verhältnis im Lauf der Jahre immer ungünstiger wird. Denken Sie bitte daran, daß der Herr Bundesarbeitsminister Storch auch in dieser Beziehung früher in bezug auf die Geldflüssigkeit der Rentenversicherungsträger durchaus sehr skeptisch war. Diese frühere Skepsis steht in einem für uns sehr merkwürdigen Widerspruch zu seinem jetzigen Optimismus, wie er im Bulletin der Bundesregierung vom 30. September 1954 zum Ausdruck gekommen ist, wo der Bundesarbeitsminister schreibt, daß eine Lösung gefunden sei, die sich sicherlich als gut erweisen werde.
Meine Damen und Herren, wir warnen davor, daß das Vertrauen der Beitragszahler in die gesetzliche Rentenversicherung erschüttert wird. Wir warnen vor einer Politik der bequemen Lösungen, wie sie zweifellos hier wieder einmal versucht wird. Wir beantragen deswegen, daß Sie den Abs. 1 des § 8 in der Richtung ändern, daß die Leistungen aus diesem Gesetz für die Rentenversicherung vom Bund getragen werden und daß im Augenblick die Mittel für die Mehraufwendungen, die erforderlich sind, von den Rentenversicherungsträgern bevorschußt werden. Wir wollen damit bewirken, daß das Inkrafttreten dieses neuen Gesetzes auch nicht
um eine Minute verzögert wird. Wir wollen aber auf der andern Seite sicherstellen, daß der Bund, daß der Staat hier seine Verpflichtung dann auch bei der insgesamt notwendigen und vorgesehenen Gesamtneuregelung der Rentenversicherung erfüllt.
Nun zu den §§ 9 und 10. Wir haben Streichung dieser beiden Paragraphen beantragt. In § 9 hat der Ausschuß vorgeschlagen, die Beiträge für die Rentenversicherung von 10 auf 11% zu erhöhen. Meine Damen und Herren, das bedeutet, wie auch schon in der ersten Lesung vorgetragen worden ist, daß die Angestellten mit Monatsgehältern zwischen 500 und 750 DM um 1% — praktisch, absolut genommen, um 10 % — erhöhte Sozialversicherungsbeiträge zu zahlen haben werden, denen auf der andern Seite keinerlei Leistungen gegenüberstehen. Das gleiche trifft für die freiwillig Versicherten zu, da ja nur die Mehrbeträge für die Zeit vor dem 1. Januar 1939 gezahlt werden sollen.
Auch zu § 10, der bestimmt, daß in der Arbeitslosenversicherung der Beitragssatz 3 % betragen soll, der also, anders ausgedrückt, bestimmt, daß die Beiträge zur Arbeitslosenversicherung um ein Viertel, um 25 %, gekürzt werden sollen, haben wir Bedenken anzumelden. Wir haben im Ausschuß für Arbeit die Auffassung der Bundesanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung gehört, daß, wenn diese Bestimmung so verabschiedet wird, der Bundesanstalt ein Defizit von monatlich 200 Millionen DM entstehen wird.
Dieses Defizit wird ihr selbst unter der Voraussetzung einer gleichbleibenden wirtschaftlichen Entwicklung erwachsen.
— Natürlich 200 Millionen DM jährlich.
Dabei ist auch noch zu berücksichtigen, daß einige wichtige Aufgaben der Bundesanstalt sehr gekürzt werden müßten, wenn diese Bestimmung so beschlossen würde. Sie könnte nicht die Mittel aufwenden, die sie bis jetzt zum Beispiel für die werteschaffende Arbeitslosenfürsorge oder für die Förderung der Arbeitsaufnahme oder für die Umschulung der langfristig Arbeitslosen vorgesehen hat. Insgesamt würde eine Abschwächung arbeitsmarktpolitischer Maßnahmen die Folge sein.
Im übrigen möchte ich darauf hinweisen, daß uns 'demnächst die Novelle zum AVAVG vorgelegt werden soll. Sie wird höchstwahrscheinlich auch wieder neue Belastungen bringen, die wir jetzt noch nicht kennen, die aber berücksichtigt werden sollten. Wenn dann, abgesehen von allen diesen Dingen, bei der Arbeitslosenversicherung noch etwas übrigbleibt, dann entspräche es nach der Auffassung meiner politischen Freunde der gesamten wirtschaftlichen Entwicklung und den wirtschaftspolitischen Notwendigkeiten viel besser, wenn man eine echte Beitragskürzung, soweit sie möglich ist, vornähme.
Meine Damen und Herren, aus diesen Überlegungen beantragen wir Streichung der §§ 9 und 10. Wir beantragen — ich darf das noch einmal wiederholen — Änderung des Abs. 1 des § 8, wie sie unter Ziffer 8 auf Umdruck 174 vorgeschlagen ist.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort hat der Herr Bundesarbeitsminister Storch.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich kann den Herrn Kollegen Frehsee sehr gut beruhigen, indem ich ihm sage: Ich denke bestimmt nicht daran, die gesamte soziale Entwicklung in Deutschland nur von den Arbeitnehmern solidarisch bezahlen zu lassen. Denken Sie doch einmal daran: Als wir das Sozialversicherungs-Anpassungsgesetz gemacht und den Beitrag von 5,6 auf 10% erhöht haben, haben wir in den Ländern noch nicht einmal 300 Millionen DM aus Staatsmitteln für die Rentenversicherung bekommen. Wir haben dann durch diese Erhöhung der Beiträge eine Erhöhung des Beitragsaufkommens von ungefähr 2,1 Milliarden DM erhalten und haben in der Zwischenzeit die Staatszuschüsse für die Rentenversicherung auf 2,6 Milliarden DM im Bundeshaushalt erhöht. Sehen wir die Dinge doch nebeneinander! Ich glaube, dann kommen wir zu einer viel ruhigeren Beurteilung.
Weiter ist eben gesagt worden, es sei nicht richtig, den Beitrag für die Arbeitslosenversicherung zugunsten der Rentenversicherungsträger um 1% zu kürzen. Herr Kollege Richter ist derjenige gewesen, der schon im Wirtschaftsrat den Antrag gestellt hat, den Beitrag für die Arbeitslosenversicherung, der damals 61/2% betrug, auf 3% zu kürzen und die restlichen Beträge den Rentenversicherungsträgern zuzuleiten. Im Sozialpolitischen Ausschuß, in dem dieses Gesetz behandelt worden ist, haben meine Sachbearbeiter den Damen und Herren des Ausschusses ganz klar beweisen können, daß man, wenn damals diesem Antrag der sozialdemokratischen Fraktion entsprochen worden wäre, bei der vollen Erfüllung der damaligen Aufgaben noch mit einem Überschuß von 100 Millionen DM in diesen sechs Jahren hätte rechnen können.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Einzelberatung der aufgerufenen §§ 8, 9 und 10 und komme zur Abstimmung. Ich lasse zuerst abstimmen über den Antrag auf Umdruck 174 Ziffer 8, dem § 8 Abs. 1 einen bestimmten Wortlaut zu geben. Wer für diesen Änderungsantrag stimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Mit Mehrheit abgelehnt.
Ich komme zur Abstimmung über § 8 in der Ausschußfassung. Wer § 8 in der Ausschußfassung zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Bei zahlreichen Enthaltungen mit Mehrheit angenommen.
Ich komme zu dem Änderungsantrag auf Umdruck 174 Ziffer 9, der die Streichung der §§ 9 und 10 verlangt. Wer diesem Änderungsantrag zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Mit Mehrheit abgelehnt.
Ich lasse deshalb über § 9 in der Ausschußfassung abstimmen. Wer ihm zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Bei zahlreichen Enthaltungen mit Mehrheit angenommen.
Ich komme zur Abstimmung über § 10 in der Ausschußfassung. Wer ihm zustimmen will, den
bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Bei zahlreichen Enthaltungen mit Mehrheit angenommen.
Bevor wir zu § 11 kommen, rufe ich auf den in Umdruck 174 unter Ziffer 10 von der SPD gestellten Antrag, einen neuen § 10 a einzufügen.
Das Wort zur Begründung des Antrags hat Herr Abgeordneter Freidhof.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die sozialdemokratische Fraktion wünscht, daß ein neuer § 10 a eingefügt wird. Es handelt sich darum, daß in § 6 der Mehrbetrag als ein fester Bestandteil der Rente festgelegt werden soll. Das hätte zur Folge, daß ein Teil derjenigen, ,die jetzt unter das Renten-Mehrbetrags-Gesetz fallen, auf der einen Seite durch diesen Mehrbetrag etwas bekommen, aber auf der anderen Seite diesen Betrag wieder abgezogen bekommen.
Wir haben im Sozialpolitischen Ausschuß über diese Dinge sehr eingehend gesprochen. Dabei ist von dem Vertreter des Finanzministeriums darauf hingewiesen worden, daß etwa 150 000 Rentenbezieher außerdem noch laufend von der Fürsorge unterstützt werden müssen, weil der Rentenbetrag so niedrig ist, daß er noch nicht einmal an die Fürsorgesätze herankommt. Wenn wir nun diesen Menschen auf der einen Seite durch das Renten-Mehrbetrags-Gesetz etwas mehr geben, dann wird ihnen das auf der anderen Seite von der Fürsorge wieder abgezogen. Das heißt also, sie werden praktisch nichts bekommen. Das trifft nicht nur für die Fürsorgeempfänger zu, das trifft auch für die Empfänger von Unterhaltshilfe, für die Kriegsbeschädigten und für eine ganze Reihe von Berechtigten aus dem Lastenausgleichsgesetz zu. Es trifft also insbesondere für die Kreise zu, die zweifellos die niedrigsten Renten bekommen und noch auf andere Unterstützungen angewiesen sind. Wenn wir das durchführen, dann bringen wir vom politischen Standpunkt aus gesehen zwei demokratische Institutionen in eine schwere Belastung. Die Leute, die unter diese Bestimmung fallen, werden nämlich auf den Bundestag schimpfen und erklären: die haben ein Gesetz gemacht und haben uns einige Mark mehr gegeben, aber gleichzeitig mit dem Hintergedanken, daß wir dieses Geld von der Fürsorge wieder abgezogen bekommen. Dadurch bringen wir nicht nur den Bundestag, sondern auch die Gemeindeverwaltung, die Fürsorgebehörde in eine außerordentlich schwierige Situation. Gerade vom politischen Standpunkt aus ist es außerordentlich notwendig, daß diese Dinge nicht geschehen, um die Demokratie nicht noch in eine schwierige Lage zu bringen.
Nun hat der Vertreter des Innenministeriums uns im Ausschuß gesagt, man könne nicht zweierlei Fürsorgeempfänger schaffen, nämlich diejenigen, die nur Fürsorge bekommen, und •diejenigen, die Rente und Fürsorge bekommen. Meine Damen und Herren, hier ist doch ein Unterschied vorhanden. Derjenige, der nur Fürsorge bekommt, hat zum größten Teil selbst nichts dazu beigetragen, daß er Fürsorge bekommt. Derjenige, der aber Rente und Fürsorge bekommt, hat Beiträge geleistet, hat selbst etwas dazu beigetragen.
— Natürlich! Aber dieser hier hat Beiträge geleistet, und er hat einen Rechtsanspruch auf Grund der gesetzlichen Bestimmungen. Es kann nach meiner Auffassung gar nicht davon die Rede sein, daß sie hier über einen Leisten geschlagen werden müssen, sondern derjenige, der aus eigener Kraft etwas aufgebracht hat, kann anders behandelt werden.
Ich möchte deshalb bitten, daß unser Änderungsantrag angenommen wird. Sollte aber der Antrag keine Zustimmung finden, dann hoffe ich, daß die Fürsorgebehörde draußen etwas sozialer eingestellt ist als die Mehrheit, die unseren Antrag ablehnen wird.
— Ja, nachdem Sie ihn im Ausschuß abgelehnt haben und nachdem dort gesagt worden ist, Sie werden ihn nicht annehmen, hoffe ich, daß Sie ihn hier annehmen werden. Sollten Sie ihn aber auch hier ablehnen, dann hoffe ich, daß die Fürsorgebehörde sozialer denkt und den Mehrbetrag nicht an der sozialen Fürsorge in Abzug bringt.
Ich bitte Sie, unserem Antrag Ihre Zustimmung zu geben.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich eröffne die Aussprache über diesen Änderungsantrag. Wird das Wort gewünscht? — Das ist nicht der Fall. Dann schließe ich die Aussprache.
Ich komme zur Abstimmung. Wer dem Änderungsantrag der SPD Umdruck 174 Ziffer 10 zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? -Mit Mehrheit abgelehnt.
Ich rufe auf § 11 des Gesetzes. Änderungsanträge liegen nicht vor. Ich eröffne die Aussprache. Wird das Wort gewünscht? — Das ist nicht der Fall. Ich schließe die Aussprache.
Ich komme zur Abstimmung. Wer § 11 des Gesetzes in der Ausschußfassung zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! —Enthaltungen? — Einstimmig angenommen.
Ich rufe § 11 a des Gesetzes auf. Dazu liegt ein Änderungsantrag Umdruck 174 Ziffer 11 vor. Soll er extra begründet werden?
Bitte, Herr Abgeordneter!
— Bitte sehr!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es handelt sich um die Frage des Inkrafttretens des Gesetzes und damit auch des Inkrafttretens der Vorschußregelung. Ich möchte an die Aussprache in der ersten Lesung erinnern. Wir haben seinerzeit ausgeführt, daß schon seit etwa einem Jahre von einer Rentenerhöhung gesprochen wird und daß die Rentner seit etwa Mai mit einer solchen Rentenerhöhung rechneten. Auf Grund dieser Sachlage haben wir das Gesetz über die Gewährung einer Sonderzulage beantragt, durch die die rückwärtige Zeit bis zum Inkrafttreten des Gesetzes erfaßt werden sollte. Sie haben im Ausschuß diesen Gesetzentwurf als erledigt betrachtet.
Deshalb sind wir der Auffassung, daß das Gesetz
rückwirkend in Kraft treten muß. Wir haben be-
antragt, den Zeitpunkt auf den 1. Juli festzulegen, nachdem auch bei der Aussprache über die große Sozialreform hier im Hause am 21. Mai der 1. Juli als Zeitpunkt der Vorlage des Gesetzes genannt wurde. Die Versicherungsträger haben sich — das wird auch dem Bundesarbeitsministerium bekannt sein — in ihrer Finanzgestaltung schon auf den 1. Juli dieses Jahres eingestellt. Die Beträge, mit denen gerechnet wurde, stehen bei den Versicherungsträgern zur Verfügung. Es ist deshalb unseres Erachtens ein Gebot der Gerechtigkeit gegenüber den Rentnern, den Zeitpunkt des Inkrafttretens auf den 1. Juli zu verlegen und damit auch die Vorschußzahlung für den Zeitraum vom 1. Juli bis 31. Dezember festzulegen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich rufe noch § 12 in der Einzelberatung auf und eröffne die Aussprache. Wird das Wort gewünscht? — Das ist nicht der Fall. Dann schließe ich die Aussprache zu §§ 11 und 12.
— §§ 11a und 12. Ich komme zur Abstimmung. Wer dem Änderungsantrag auf Umdruck 174 unter Ziffer 11 zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? -Mit Mehrheit abgelehnt!
Ich komme zur Abstimmung über den § 11a in der Ausschußfassung. Wer ihm zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Bei zahlreichen Enthaltungen mit Mehrheit angenommen!
Ich komme zur Abstimmung über Ziffer 12 des Änderungsantrags auf Umdruck 174. Wer ihm zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Mit Mehrheit abgelehnt!
Ich komme zur Abstimmung über § 12 des Gesetzes in der Ausschußfassung. Wer ihm zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Mit Mehrheit bei einigen Enthaltungen angenommen!
Ich rufe Einleitung und Überschrift des Gesetzes auf.
— Ich stimme über Einleitung und Überschrift in der Ausschußfassung ab. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe!
— Enthaltungen? — Angenommen!
Damit sind wir am Ende der zweiten Beratung. Ich eröffne die
dritte Beratung.
Ich eröffne die allgemeine Aussprache. Wird das Wort gewünscht? — Herr Abgeordneter Dr. Schellenberg!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es handelt sich um ein sehr wichtiges Gesetz. Dazu sollte man einige Bemerkungen machen dürfen, auch wenn die Zeit vorgeschritten ist.
An dieses Gesetz knüpfen sich — ich glaube, das ist die Auffassung des ganzen Hauses — die Hoffnungen von 5 bis 6 Millionen Rentnern. Meine
Fraktion ist befriedigt darüber, daß mit dem Fortfall der Altersgrenze eine soziale Lücke des Entwurfs beseitigt wurde. Es bestehen aber in der jetzt vorliegenden Fassung noch einige empfindliche soziale Lücken. Zunächst sind etwa eine Million Waisenrentner von dem Mehrbetrags-Gesetz ausgeschlossen, auch wenn die Väter oder Mütter Beiträge in dem Aufwertungszeitraum entrichtet haben. Weiter besteht nach Auffassung meiner Fraktion eine Ungerechtigkeit darin, daß bei der Rentenberechnung die Kluft zwischen Arbeitern und Angestellten vertieft wird. Drittens werden für etwa 700 000 Versicherte und Witwen die Mehrbeträge zwischen monatlich 1 und 2 DM schwanken, nachdem die Mehrheit dieses Hauses unseren Antrag auf Mindestbeträge abgelehnt hat. Viertens werden durch die Pauschalregelung namentlich die Rentner, für die Renten bereits laufen, nicht unerheblich benachteiligt. Fünftens ist es nach unserer Auffassung sozialpolitisch sehr bedauerlich, daß die Mehrbeträge, soweit es sich nicht um Vorschüsse handelt, auf andere Sozialleistungen angerechnet werden.
Aus diesen Gründen ist meine Fraktion der Auffassung, daß das Renten-Mehrbetrags-Gesetz ungeachtet der Tatsache, daß es eine Erhöhung des gesamten Leistungsaufwandes bringt, doch bei vielen Rentnern Bitternis und Enttäuschung hervorrufen wird.
Wenn wir dennoch dem Gesetz zustimmen, so deshalb, weil wir eine Erhöhung der Gesamtleistung nicht verweigern wollen. Aber die Art und Weise, wie der wichtige Grundsatz der Anpassung der Renten an die veränderte Kaufkraft, den wir voll
und ganz bejahen, in diesem Gesetz durchgeführt wird, scheint uns unbefriedigend zu sein. Wir befürchten, daß die sozialpolitische Praxis der nächsten Monate dies bestätigen wird.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort hat Frau Abgeordnete Finselberger.
Herr Präsident! Meine Herren und Damen! Ich habe das Anliegen meiner Fraktion bereits bei der zweiten Beratung vorgetragen. Ich habe das Hohe Haus im Auftrage meiner Fraktion noch einmal zu bitten, zu unserem Antrag, die Waisenrenten mit einzubeziehen, hier doch noch einige Überlegungen anzustellen. Es handelt sich um ein sehr ernstes Anliegen, an dem wir nicht einfach vorbeigehen sollten. Ich habe gesagt — und das ist unwidersprochen geblieben —, daß der finanzielle Aufwand für die Einbeziehung der Waisenrenten nicht allzu hoch ist. Im Ausschuß ist lediglich der Einwand gemacht worden, die Waisenrente passe nicht in die Konzeption dieses Gesetzes. Ich darf Ihnen, ehe ich dem Herrn Präsidenten unseren Antrag überreiche, seinen Inhalt verlesen:
In § 1 Abs. 1 wird der folgende neue Buchstabe c eingefügt:
c) die Empfänger von Waisenrenten in der Rentenversicherung der Arbeiter, in der Rentenversicherung der Angestellten und in der knappschaftlichen Rentenversicherung
Ich darf Ihnen, Herr Präsident, diesen Antrag zur dritten Lesung überreichen.
Ich darf noch ein paar allgemeine Bemerkungen 1 zu diesem Renten-Mehrbetrags-Gesetz machen. Wir werden uns hoffentlich alle bemühen — und ich darf auch Sie, Herr Bundesarbeitsminister, freundlichst darauf ansprechen —, daß wir bald im Rahmen der Sozialreform den Hauptteil, nämlich die Rentenreform, auf den Tisch des Hauses bekommen, damit die Lücken, die — darüber sind wir uns, glaube ich, alle klar - in diesem Übergangsgesetz zweifellos vorhanden sind, geschlossen werden können. Auch wir sehen durchaus ein, daß in einem Übergangsgesetz nicht all das erfüllt werden kann, was wir von der Sozialreform im ganzen und insbesondere von der Rentenreform erwarten dürfen. Ich hoffe, daß wir hier recht bald gemeinsam für die Rentner, für die Witwen und Witwer und für die Waisen das tun können, was durch dieses Gesetz noch nicht voll erfüllt werden kann.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort hat der Abgeordnete Horn.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Erklärung des Herrn Kollegen Schellenberg veranlaßt auch uns zu einigen wenigen Sätzen. Durch den Wegfall der Altersgrenzen in der Gesetzesvorlage werden mit der durch das Gesetz eingeführten Verbesserung der Leistungen über 5 Millionen Rentner bedacht. Das Gesetz bedingt immerhin einen Aufwand von 826 Millionen DM.
Ich glaube, daß der Bundestag sich mit diesem Beschluß, wenn die dritte Lesung beendet sein wird, draußen vor dem Volke und auch vor den Millionen der Rentner sehr wohl sehen lassen kann
und daß die Rentner, wenn sie die Dinge nüchtern betrachten, uns für diese Leistung auch dankbar sein werden.
Mein Kollege Stingl hat vorhin aufgezeigt, welchen zusätzlichen Aufwand die Anträge der SPD bedingt hätten. Wenn wir mit diesem Gesetz ausdrücklich zum Ausdruck bringen, daß das eine Regelung ist, die bis zur Reform der Rentenversicherung gelten soll — wir müssen bei allen Anträgen, die hier zusätzlich gestellt werden, letztlich auch an unsere schwere Verantwortung für die Inordnunghaltung der Finanzen insgesamt denken —,
und wenn wir das dem Volke deutlich sagen, dann wird man auch anerkennen, daß der Deutsche Bundestag mit diesem Gesetz einen erheblichen Schritt vorwärts getan hat.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Weitere Wortmeldungen in der allgemeinen Aussprache liegen nicht vor. Ich schließe die allgemeine Aussprache in der dritten Beratung. Wir treten in die Einzelberatung ein.
Ich rufe § 1 auf. Hierzu liegt ein Änderungsantrag des Gesamtdeutschen Blocks/BHE vor, den die Frau Kollegin Finselberger vorhin begründet hat. Er konnte naturgemäß noch nicht umgedruckt werden. Ich darf ihn deshalb nochmals verlesen.
Er lautet:
In § 1 Abs. 1 wird der folgende neue Buchstabe c eingefügt:
c) die Empfänger von Waisenrenten in der Rentenversicherung der Arbeiter, in der Rentenversicherung der Angestellten und in der knappschaftlichen Rentenversicherung
Wird das Wort dazu gewünscht? — Das ist nicht der Fall. Dann komme ich zur Abstimmung. Wer dem Änderungsantrag, den ich soeben verlesen habe, zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Der Antrag ist abgelehnt.
Ich rufe § 3 auf.
— Mir liegt bisher bloß ein Änderungsantrag zu § 3 vor. In der dritten Lesung rufe ich entsprechend den Vorschriften der Geschäftsordnung nur die Paragraphen auf, zu denen Änderungsanträge gestellt sind. Soll ein Änderungsantrag zu § 2 gestellt werden? — Dann rufe ich § 2 auf und bitte den Abgeordneten Richter, das Wort zu nehmen.
Herr Präsident, ich bitte zu entschuldigen, ich zweifle die Ordnungsmäßigkeit Ihrer Geschäftsführung nicht an; es liegt sicherlich eine Nachlässigkeit von mir vor.
Wir stellen zu § 2 den gleichen Änderungsantrag, den wir schon in zweiter Lesung gestellt haben. Herr Kollege Horn hat, glaube ich, auch die Absicht, hierzu einen Änderungsantrag zu stellen. Vielleicht finden wir eine Basis der Verständigung, Herr Kollege Horn.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort hat der Abgeordnete Horn.
Meine Damen und Herren! Wir haben dem Zusatzantrag der sozialdemokratischen Fraktion zu § 2 in der zweiten Lesung nicht folgen können, weil er so plötzlich auf den Tisch des Hauses kam. Die Frage, ob der § 2 in der Vorlage überhaupt bestehenbleiben sollte, ist schon im Ausschuß diskutiert worden. Der Bundesrat hat bei seiner Stellungnahme zum § 2 darauf hingewiesen, daß diese Bestimmung unter Umständen im internationalen Recht ein Präjudiz darstellen könnte, das die Empfänger von Renten aus dem Ausland in gleicher Weise benachteilige. Wir haben uns in der Zwischenzeit in dieser Frage auch mit der Bundesregierung benommen und sind zu der Auffassung gekommen, daß, nachdem wir die Altersgrenze in der Vorlage überhaupt gestrichen haben, dieser § 2, wie ihn die Ausschußvorlage beinhaltet, in der Tat entbehrt werden kann.
Deshalb gestatte ich mir, dem Herrn Präsidenten zur dritten Lesung einen Antrag zu überreichen, der ganz kurz lautet:
Der Bundestag wolle beschließen: Der § 2 wird gestrichen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Wird das Wort weiter gewünscht? — Das ist nicht der Fall; dann schließe ich die Aussprache.
Meine Damen und Herren, der weitergehende Antrag — das brauche ich wohl nicht zu begründen — ist der auf Streichung des § 2.
Wir kommen zur Abstimmung. Wer dem weitergehenden Antrag auf Streichung des § 2 zustimmen will, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — § 2 ist bei einigen Enthaltungen mit großer Mehrheit gestrichen.
Ich rufe nunmehr § 3 auf. Hierzu liegt ein Änderungsantrag der SPD vor, der in der Eile auch noch nicht umgedruckt werden konnte. Wer begründet ihn? — Abgeordneter Richter hat das Wort zur Begründung.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir haben uns alle Mühe gegeben, das Hohe Haus zu überzeugen, daß die Fassung des § 3, wonach der Mehrbetrag für die verschiedenen Gruppen verschieden hoch ist, nicht gerecht ist und sich unsozial auswirken muß. Sie haben unseren Antrag abgelehnt. Es bleibt nur noch als einzige Möglichkeit, daß Sie, wenn Sie in der Berechnung der Erhöhung des Steigerungsbetrags verschieden verfahren, dann auch den Grundbetrag berücksichtigen müssen. Wir verlangen nicht, daß Sie den unterschiedlichen Grundbetrag der Arbeiter von monatlich 40 DM auf monatlich 70 DM des Grundbetrages der Angestellten erhöhen. Wir bitten Sie aber, unserem Antrag zuzustimmen, der lautet:
Für Renten aus der Rentenversicherung der Arbeiter wird außer dem Mehrbetrag nach den Absätzen 2 und 3 ein Mehrbetrag von 30 v. H. des Grundbetrages der Rente einschließlich der Erhöhung nach dem Grundbetragserhöhungsgesetz gewährt.
Dies würde praktisch bedeuten, daß der Grundbetrag bei den Arbeiterrentnern sich um 6 DM pro Monat erhöht. Ich bitte Sie, diesem Antrag Ihre Zustimmung zu geben.
Herr Kollege Horn hat in seinen Schlußbetrachtungen geglaubt, uns nachsagen zu müssen, daß wir mit unseren Erhöhungsanträgen die Finanzen in Unordnung brächten. Da befinden Sie sich in einem Irrtum. Da Ihr Gesetzentwurf von vornherein nicht alles berücksichtigt und vor allen Dingen nicht dem Grundsatz der Gerechtigkeit entsprochen hat, die Arbeiter, Angestellten und Knappen gleichmäßig zu behandeln, mußten wir diese Änderungsanträge mit den finanziellen Auswirkungen stellen.
Wenn Herr Minister Storch in seinen Ausführungen erwähnt hat, wir hätten bereits im Wirtschaftsrat beantragt, die Arbeitslosenversicherungsbeiträge auf 3 % zu senken, so entspricht dies den Tatsachen. Das haben wir zu einer Zeit beantragt, wo nach unseren Berechnungen bei den einzelnen Landesarbeitsämtern trotz Erfüllung der gesetzlichen Verpflichtungen immer noch Überschüsse vorhanden waren. Wenn dies jetzt nicht mehr der Fall ist, so ist daran vielleicht mehr oder weniger Ihre verfehlte Wirtschaftspolitik schuld.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Meine Damen und Herren! Wird das Wort weiter gewünscht? — Das ist nicht der Fall. Ich schließe die Aussprache und komme zur Abstimmung. Der Änderungsantrag liegt inzwischen in Umdruck 188*) vor; ob er schon überall verteilt worden ist, vermag ich von hier oben nicht zu beurteilen. Ich unterstelle, daß das Haus mir erlaubt, über den Änderungsantrag im ganzen abstimmen zu lassen, weil die einzelnen
*) Siehe Anlage 13.
Punkte materiell zusammengehören. Es wird ja auch eine kleine Änderung des § 3 Abs. 1 beantragt. Wer diesem Änderungsantrag der SPD auf Umdruck 188 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Mit Mehrheit abgelehnt.
Ich rufe § 9 auf. Dazu liegt auf Umdruck 185 *) ein Änderungsantrag der Fraktion der FDP vor. Das Wort zur Begründung hat der Abgeordnete Atzenroth. Ich bitte ihn, der Kürze halber den Entschließungsantrag seiner Fraktion auf Umdruck 184 **) gleich mitzubegründen.
Meine Damen und Herren! Ich habe schon in der zweiten Lesung darauf hingewiesen, daß meine Fraktion die Finanzierung dieser auch von uns als so notwendig betrachteten Erhöhung der Renten für falsch hält. Es handelt sich hier um Lasten, die durch Kriegsfolgen und Erhöhung des Lebensstandards entstanden sind, die also zu Lasten der Allgemeinheit gehen müßten, die vom Bund getragen werden müßten. Die Finanzierung aus dem Fonds der Rentenversicherung, wie sie hier vorgenommen worden ist, ist im Prinzip falsch. Wir haben uns mit vieler Mühe dazu bereit gefunden, dem Antrag der SPD zu § 8 in der zweiten Lesung nicht zuzustimmen, obwohl er eigentlich unserer Konzeption entsprochen hätte, weil wir uns mit der Übergangslösung einverstanden erklärt haben, die darin besteht, daß wir 1 % von der Arbeitslosenversicherung in die Rentenversicherung überführen.
Diese Überführung von 1 °/o in die Rentenversicherung halten wir für eine dringende Notwendigkeit. Aber sie soll der Rentenversicherung wirklich in ihrem Versicherungscharakter zugute kommen; sie soll ihr eigentlich nicht zugute kommen in dem Rahmen dieses, ich will einmal sagen: Fürsorgecharakters, und wir wollen diesen Teil zeitlich beschränkt wissen.
Wir erwarten von der Bundesregierung die Sozialreform. Wir drängen darauf erneut in unserem Entschließungsantrag und setzen ihr darin noch einmal eine Frist zur Vorlegung bis spätestens 30. Juni 1955. Wir wollen in unserem Änderungsantrag zu § 9 als zusätzlichen Druck zu der Forderung nach einer Sozialreform die Bestimmung hineinbringen, die eine Begrenzung der Verwendung dieser aus der Arbeitslosenversicherung kommenden Mittel darstellt. Wir wollen also sagen, daß das Mehraufkommen aus der Erhöhung des Beitragssatzes in der Rentenversicherung gemäß Abs. 1, also aus der Arbeitslosenversicherung, längstens bis zum 31. Dezember 1955 für diesen Zweck verwandt werden darf.
— Das ist sehr dringlich, Herr Haasler, weil wir es als einen zusätzlichen Druck auf die Bundesregierung betrachten, endlich mit der Sozialreform vorwärtszukommen. Sie alle kennen die Beratungen, die hier im Mai stattgefunden haben. Seitdem sind wir doch keinen Schritt weitergekommen. Wir müssen einige konkrete Forderungen an die Bundesregierung stellen, um diesen Druck zu verschärfen. Das soll sowohl unser Änderungsantrag zu § 9 als auch unser Entschließungsantrag bezwecken.
*) Siehe Anlage 12. **) Siehe Anlage 14.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Becker .
Meine Damen und Herren! Die Fraktion der Deutschen Partei hat dieses Gesetz von Anfang an als ein ausgesprochenes Notgesetz angesehen. Wir haben unsere Unterschrift zu dem gemeinsamen Koalitionsantrag gegeben, einmal, um den Rentnern nun endlich schnell die Hilfe zu bringen, die notwendig ist, zum anderen aber auch, um der Bundesregierung zu helfen, mit ihren Maßnahmen schnell voranzukommen.
Die Aussprache über dieses Gesetz gerade während der zweiten Lesung hat aber doch ergeben, daß in großen Teilen dieses Hauses die Prinzipien, nach denen dieses Gesetz aufgebaut wird, anscheinend endgültig hingenommen werden sollen. Es entsteht der Eindruck, daß die Damen und Herren der CDU, vorwiegend jedenfalls, dieses Gesetz nicht als Notgesetz, sondern als für längere Zeit bestehend ansehen. Das ist ganz und gar nicht die Ansicht der Deutschen Partei, sondern wir sind durchaus der Auffassung, daß an sich die öffentliche Hand, der Staat, für die entstandenen Schäden verantwortlich ist. Es ist nicht Sache der Rententräger und nicht Sache der jetzigen Beitragszahler, für die Aufwertung aufzukommen, die hier durchgeführt wird. Darum glauben wir, daß dem Änderungsantrag der FDP auf Umdruck 185 unbedingt zuzustimmen ist; denn darin ist doch klar und deutlich zum Ausdruck gebracht, daß es sich tatsächlich nur um ein vorübergehendes Gesetz handelt, d. h. das Mehraufkommen soll nur bis zum 31. Dezember nächsten Jahres für die Zahlung des Mehrbetrags verwendet werden.
Meine Damen und Herren, der Abgeordnete Horn hat vorhin gesagt, der Bundestag könne auf dieses Gesetz stolz sein, oder er könne zufrieden sein, wenn er es verabschiede. Das stimmt vielleicht, wenn man es vom Blickpunkt der Rentner' ansieht, die nun endlich in den Genuß der seit Jahren angekündigten Mehrbeträge kommen. Betrachtet man aber dieses Gesetz vom Standpunkt der Beitragszahler in der Sozialversicherung, dann ist es durchaus keine stolze Leistung, die wir hier vollbracht haben; denn es bedeutet doch tatsächlich, daß die jetzigen Beitragzahler zwar ihre Solidarität erklären und es auch für einen befristeten Zeitraum wollen; aber wir können ihnen nicht zumuten, daß sie lange Jahrzehnte hindurch diese Mehrbeträge zahlen, ohne daß das in ihrer eigenen Rente durch eine Mehrleistung zum Ausdruck kommt. Ganz besonders trifft das die Gruppen, die durch die Herabsetzung des Beitrags zur Arbeitslosenversicherung nicht betroffen werden. Es sind ja nicht nur die, die vorhin hier angeführt wurden, nämlich die Angestellten mit einem Verdienst über 500 DM oder die freiwillig Versicherten; es sind doch auch die unzähligen Arbeitnehmer in der Landwirtschaft, die nicht in der Arbeitslosenversicherung versicherungspflichtig sind, die aber die erhöhten Beiträge zahlen müssen. Es ist doch eine nicht zumutbare Forderung, wenn man von ihnen verlangt, sie sollen nun auf dem Umwege, daß diese Mehrbeträge z. B. bei der Fürsorge nicht angerechnet werden, zu einer Entlastung des öffentlichen Haushalts bei den Kommunen beitragen. Das kann man für eine befristete Zeit, etwa als Übergangsmaßnahme, als Atempause für die Bundesregierung bis zur Vorlage der endgültigen Sozialreform, aber nicht als endgültigen Zustand verlangen.
Darum bitte ich Sie — und ich unterstütze hiermit die Aufforderung des Kollegen Atzenroth —, dem Antrag der FDP auf Umdruck 185 Ihre Zustimmung zu geben. Gleichzeitig gebe ich hiermit bekannt, daß die Fraktion der DP auch der Entschließung der Fraktion der FDP zustimmen wird.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Wird das Wort weiter gewünscht? — Das ist nicht der Fall. Dann schließe ich die Aussprache und komme zur Abstimmung. Wer dem Änderungsantrag auf Umdruck 185 zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Mit Mehrheit abgelehnt.
Meine Damen und Herren, damit sind wir am Ende der Einzelberatung der dritten Lesung.
Ich komme zur Schlußabstimmung, wobei ich, damit gar keine Zweifel entstehen können, unterstelle, daß die Berichtigung: Einfügung der beiden Wörtchen in § 4 hinter „Deutsche Mark" „nach unten", als mitbeschlossen gilt. Wer dem Gesetz im ganzen zustimmen will, den bitte ich, sich zu erheben. — Ich stelle einstimmige Annahme fest.
Damit ist das Gesetz verabschiedet.
Ich komme zur Abstimmung über Ziffer 2 des Ausschußantrags:
den von der Fraktion der . SPD eingebrachten Entwurf eines Gesetzes über die Gewährung einer Sonderzulage in den gesetzlichen Rentenversicherungen — Drucksache 788 — durch die Beschlußfassung zu Nr. 1 für erledigt zu erklären.
Wer diesem Antrag zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Mit Mehrheit angenommen.
Ich komme nunmehr zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der FDP auf Umdruck 184. Begründet worden ist er. Wird das Wort dazu gewünscht? — Das ist nicht der Fall. Ich komme zur Abstimmung. Wer diesem Entschließungsantrag auf Umdruck 184 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Mit Mehrheit abgelehnt.
Damit ist der Punkt 3 der heutigen Tagesordnung erledigt. Punkt 4 ist abgesetzt.
Ich rufe auf Punkt 5:
Erste Beratung des von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Wohnungsbaugesetzes .
Ich erteile das Wort zur Begründung dem Herrn Abgeordneten Jacobi.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Einstimmige Annahme, einstimmige Beschlüsse zu Gesetzesvorlagen, wie wir sie soeben hier erlebt haben und wie sie mit Beifall begrüßt wurden, haben wir auf dem Gebiet der Wohnungsbaupolitik im 1. Bundestag sehr oft feststellen können. Das Parlament, obwohl in vielen Fragen geteilter Auffassung, hat sich auf dem Gebiet der Wohnungsbaupolitik bemüht, extreme Lösungen möglichst zu vermeiden und einen Ausgleich der Auffassungen herbeizuführen.
Dem verdankt die Bundesrepublik das Erste Wohnungsbaugesetz, das einen festen Baugrund gebildet hat für Wohnungsbauleistungen, um die wir auch außerhalb Deutschlands immer wieder beneidet werden. Es kann andererseits kein Zweifel darüber bestehen, daß dieses Erste Wohnungsbaugesetz auch gewisse Fehler aufweist, nicht verwunderlich bei einer Notlösung wie diesem Gesetz. Im großen und ganzen aber hat es sich bewährt, und wenn wir jetzt darangehen, zu überlegen, welche Konsequenzen aus den Erfahrungen zu ziehen sind, so möchten meine politischen Freunde diesem Hohen Hause den Rat geben, behutsam an Änderungen heranzugehen und doch noch einmal den Versuch zu machen, wenigstens in einer Reihe von wichtigen Grundsatzfragen möglichst wieder eine einmütige Manifestation dieses Hauses herzustellen.
Sie werden diesen Appell etwas merkwürdig finden zu einem Zeitpunkt wie diesem, wo ich die Verpflichtung habe, einen Wohnungsbaugesetzentwurf meiner Fraktion zu begründen. Aber 'dieser Entwurf, den wir Ihnen heute vorlegen, ist nicht zufällig entstanden, sondern ist die Folge von zwei Entwürfen, die in diesem Hause zwar noch nicht beraten, aber bereits an die Ausschüsse verwiesen worden sind. Er ist die Folge der Drucksache 5, des Familienheimgesetzentwurfs der CDU/ CSU, und der zweiten Novelle, die die Bundesregierung uns zum Ersten Wohnungsbaugesetz vorgelegt hat. Ich will an dieser Stelle und zu dieser späten Stunde keine kritische Würdigung der beiden genannten Gesetzentwürfe vornehmen. Es ist ja im übrigen auch meine Aufgabe in der ersten Lesung, nicht auf Einzelheiten eingehend nur das Wesentliche dessen vorzutragen, was Gegenstand Ihrer Beurteilung in der ersten Lesung sein soll. Aber ich möchte doch zu zwei Punkten ein kritisches Wort sagen, soweit es sich um die genannten Gesetzentwürfe handelt, weil dieser Hinweis einen Teil der Gründe klarlegt, die uns zu einem eigenen Gesetzentwurf gebracht haben.
In den vielfältigen Diskussionen der letzten Monate ist eine Tatsache von keiner Seite bestritten worden: ,daß der Wohnungsbau, soweit er den Namen „sozialer Wohnungsbau" trug und trägt, in gewisser Weise entartet, fehlentwickelt ist.
Es gibt keinen Zweifel darüber, daß die Wohnungsversorgung für die breiten Schichten der Bevölkerung —das sind jene Schichten, für die das Erste Wohnungsbaugesetz die öffentlichen Darlehen und die Richtsatzmieten eingeführt hat — immer mehr ins Hintertreffen geraten ist.
— Dann haben Sie Erfahrungen, die dem Herrn Wohnungsbauminister dienlich gemacht werden sollten, der kürzlich in diesem Hause
— allerdings nicht mündlich, sondern schriftlich in der Begründung zu seinem Gesetzentwurf — genau dieselben Erwägungen angestellt hat, die ich soeben vertreten habe. Ich werde es Ihnen gleich wörtlich zitieren. Ich weiß nicht, in welcher Welt Sie leben. Die von heute und ,die, die uns umgibt, scheint es nicht zu sein, denn Sie scheinen nichts vom Elend jener Schichten zu wissen, die heute noch nicht wohnversorgt sind, und Sie scheinen nicht zu wissen, daß es heute in vielen Orten praktisch unmöglich ist, eine Wohnung zu erhalten,
wenn man keine Mieterdarlehen oder verlorenen Baukostenzuschüsse — selbst beim sogenannten sozialen Wohnungsbau — anbietet.
Wer diese Tatsache leugnet, ist blind. Diese Tatsache ist ja mit ein Grund dafür — angeblich ein Grund dafür! —, daß auch die Bundesregierung glaubt, in ihrem eigenen Gesetzentwurf die Leistungen für die sozial schwachen Schichten zu erhöhen, — so jedenfalls lautet die Begründung.
Was der Herr Kollege Lenz hier soeben als Zwischenruf servierte, ist vielleicht von höchster Stelle souffliert worden. Denn wir entsinnen uns, daß der Herr Bundeskanzler im nordrhein-westfälischen Wahlkampf in einer Wahlversammlung im Bochumer Verein sogar die Auffassung vertreten hat, bei Fortsetzung seiner Regierungspolitik werde die Wohnungsnot in zwei Jahren behoben sein.
Ich weiß nicht, wer dem Herrn Bundeskanzler diese Informationen gegeben, wer ihn dazu angeregt hat, diese Ausführungen zu machen.
— Was meinen Sie? Das müßten wir nicht glauben, sacien Sie? Ich weiß nicht, was wir nicht glauben sollen; wir glauben dem Herrn Bundeskanzler jedenfalls nicht so viel, wie Sie es tun!
Wir sind der Überzeugung, daß er schlecht beraten gewesen ist; denn es ist geradezu grotesk, zu glauben, —
— Moment, Herr Kollege Lücke! Diese seine Ausführungen sind durch die Presse gegangen,
sind niemals dementiert worden und sind durch eine Reihe von Zeugen belegt; sie scheinen festzustehen! Bitte, versuchen Sie, ein Dementi hereinzuholen! Das Bundespresseamt hat eine gewisse Routine im Dementieren von Behauptungen; vielleicht gelingt es auch hier. — Das ist aber unwesentlich, denn ich bin zu diesem Hinweis ja nur gekommen, weil man meine Behauptung anzweifelte — die jederzeit bewiesen werden kann —, daß es mit der Wohnversorgung für die breiten Schichten der Bevölkerung nicht besonders gut bestellt ist.
— Verzeihen Sie, ich stelle hier eine Tatsache fest. Daß Sie daran nicht schuld sind, weiß ich.
— Da spricht man nicht darüber? Über Tatsachen muß man sprechen, und diese Tatsache muß festgehalten werden! Sie braucht Ihnen doch gar nicht unangenehm — —
— Gut, dann stimmen Sie doch dem zu, was ich gesagt habe, und zweifeln Sie es nicht an! — Sie haben es soeben angezweifelt!
Trotz der Wohnungsbauleistung, die auch wir begrüßen und an der ja alle Kreise unserer Bevölkerung mitgewirkt haben, haben wir doch noch eine brennende Wohnungsnot vor allem der leistungsschwachen Schichten der Bevölkerung, und diesen Schichten dient in erster Linie unser Entwurf.
Ich muß doch, nachdem in diesem Hause gewisse Zweifel über den Grad der Not, die zu beheben ist, zu bestehen scheinen, einige wenige Tatsachen feststellen. Eine Erhebung in Hamburg vor einiger Zeit hat ergeben, daß 70 bis 80 % der Wohnungsuchenden zu den Schichten gehören, in denen der Haushaltungsvorstand ein Bruttoeinkommen bis zu 400 DM hat. In Stuttgart haben amtliche, äußerst sorgfältig 'geführte Erhebungen folgendes Bild ergeben: Von den am 31. Dezember 1953 für eine Wohnung vorgemerkten 25 538 Familien können 62% die heutigen Durchschnittsmieten nicht zahlen. — Ich weiß nicht, was da zu lachen ist. Einige von Ihnen lachen.
Ich finde nicht, daß das ein Grund zum Lachen ist. Das ist eine traurige Tatsache, die ich hoffe mit Ihnen bedauern zu dürfen. Wir werden alle nicht sehr glücklich sein, solche Feststellungen treffen zu müssen, und sollten gemeinsam einen Weg suchen, das Elend zu beheben. Wir sind jedenfalls dazu bereit.
In Bayern liegen zur Zeit noch in den Mitgliedsstädten und -gemeinden des bayerischen Städteverbands, die eine Einwohnerzahl von 2 521 043 aufweisen, 165 119 Anträge auf Wohnungszuteilung
— hiervon 73 290 in der Dringlichkeitsstufe I — vor, und von den Wohnungsuchenden dieser Dringlichkeitsstufe I haben 57,6% ein Familieneinkommen unter 300 DM.
Ich könnte Ihnen ähnliche Zahlen aus Lübeck und aus anderen Städten nennen, aus Dortmund etwa. Sie alle zeigen, daß der Kreis derer, die wohnungsmäßig noch nicht versorgt sind und die über ein so geringes Einkommen verfügen, daß ihnen selbst die heutigen Richtsatzmieten nicht oder kaum zugemutet werden können, einen hohen Prozentsatz in der Reihe der Wohnungsuchenden stellt und daß für sie etwas geschehen muß. Wir brauchen im übrigen nur an das Barackenelend zu denken, an die Notquartiere, an die Läger, die immer noch nicht so geräumt worden sind, wie es notwendig erscheint. Hier müssen Mittel und Wege zur Lösung der Probleme gesucht werden.
Nun haben wir nicht nur das Gefühl, sondern die Überzeugung, daß die beiden Gesetzesvorlagen, die jetzt schon in den Ausschüssen zur Beratung vorliegen — der Familienheimgesetzentwurf der CDU/CSU und die Regierungsnovelle —, keine geeignete Grundlage sind, um die Not der sozial leistungsschwachen Schichten auf dem Gebiete der Wohnungsversorgung zu beheben.
— Nun, das ist nicht eine Frage der Meinung, sondern, verehrter Herr Kollege Lücke, das ist eine Frage, die sich sehr schnell entscheiden läßt, wenn man einen Blick in die Gesetzentwürfe wirft. Wie Sie z. B. mit Ihrem Familienheimgesetz und dem darin erhobenen Anspruch, die öffentlichen Mittel
überwiegend für den Bau von Eigen- oder Familienheimen zur Verfügung zu stellen, gerade die Not der sozial leistungsschwachen Bevölkerungsschicht vordringlich beheben wollen, bleibt ein Rätsel, das zu lösen Ihnen obliegt.
Der Herr Bundeswohnungsbauminister hat in seiner schriftlichen Begründung bei Gelegenheit der Einreichung der Regierungsnovelle, Bundestagsdrucksache 601, u. a. als Ziel der Gesetzgebung, also auch des von ihm vorgelegten Gesetzes hingestellt, daß Privatinitiative, Kapitalmarkt und Privateigentum große Chancen und wirksame Anreize zu einer Betätigung im Wohnungsbau erhalten müssen. Wir sind mit einer solchen Tendenz durchaus einverstanden und bereit, nach Mitteln und Wegen zu suchen, um diese Tendenz zu realisieren. Aber wir können nicht zugeben, daß Kapitalmarkt und auch die eigene Kraft, von der gelegentlich die Rede ist, ohne wesentliche öffentliche Hilfe einen Ausweg für die Versorgung der sozial Leistungsschwachen bieten. Wir glauben, daß für diese einiges mehr zu geschehen hat, als die Regierungsnovelle vorsieht.
Ich habe soeben schon darauf hingewiesen, daß der Herr Wohnungsbauminister keinen Zweifel darüber gelassen hat, daß er die Fehlentwicklung kennt, die im Sozialen Wohnungsbau nun seit Jahren stattgefunden hat. Er hat wörtlich erklärt, daß seit der Verabschiedung des Ersten Wohnungsbaugesetzes vom 24. April 1950 eine vom Gesetzgeber nicht beabsichtigte partielle Fehlentwicklung zu Lasten der sozial schwachen Schichten der Bevölkerung eingetreten sei und daß sie ihm große Sorge bereite. Er hat es als ein fast selbstverständliches Gebot der sozialen Verantwortung bezeichnet —nun darf ich ihn wieder wörtlich zitieren —, „durch zwingende gesetzliche Vorschriften den notwendigen Vorrang der sozial schwachen Schichten in einer Weise sicherzustellen, daß der eigentliche Sinn des Sozialen Wohnungsbaues nicht verfälscht werden kann." Das sind seine eigenen Worte. Es sind gute, es sind ausgezeichnete Worte. Aber wenn man die Regierungsnovelle daraufhin überprüft, ob sie dem geäußerten Anliegen Rechnung trägt, so wird man arg enttäuscht. Da finden sich nämlich ganz hinten, im Dritten Abschnitt, unter dem Titel Mietwohnungen nicht mehr als folgende, völlig unzureichende Sätze:
Bei der Bewilligung öffentlicher Mittel zum Bau von Mietwohnungen ist dafür zu sorgen, daß für die Bevölkerungsschichten mit geringerem Einkommen Wohnungen mit verbilligter Miete in einem ihrem Anteil an der Gesamtbevölkerung entsprechenden Ausmaß geschaffen werden.
Das steht in Abs. 1 des § 36 der Regierungsvorlage. In Abs. 2 heißt es:
Die für das Wohnungs- und Siedlungswesen zuständige oberste Landesbehörde hat sicherzustellen, daß ein angemessener Anteil der öffentlichen Mittel zum Bau von Wohnungen mit verbilligter Miete für Bevölkerungsschichten mit geringerem Einkommen eingesetzt wird.
— Das ist gut? Das ist gar nicht gut. Das sind programmatische Sätze, das sind keine Regelungen, die klar und bestimmt sind, die die Gewähr dafür bieten, daß in der Praxis entsprechend verfahren
wird. Zwar soll der Mindestanteil öffentlicher Mittel durch Rechtsverordnung entsprechend dem Anteil dieser Bevölkerungsschichten festgesetzt werden. Aber einmal weiß man nie, wie eine spätere Rechtsverordnung aussieht, zweitens weiß man nicht, wie sie in der Praxis gehandhabt wird, und schließlich ist, von allem anderen abgesehen, was sich sonst noch kritisch sagen ließe, ein wesentlicher Ausgangspunkt falsch: Es läßt sich kein sachgerechter Maßstab finden, wenn man den Anteil der wirtschaftlich Leistungsschwachen in Relation zur Gesamtbevölkerung setzt, von der ein großer Teil wohnungsmäßig bekanntlich versorgt ist. Den richtigen Maßstab findet man nur, wenn man statt der Gesamtbevölkerung die Zahl der noch vorhandenen Wohnungsuchenden zugrunde legt und im Verhältnis zu ihnen den Anteil zu bestimmen versucht, der beim Wohnungsbau zugunsten der Bevölkerungsschichten mit geringerem Einkommen — um noch einmal mit den Worten des Bundeswohnungsbauministers zu sprechen — „mit 'dem notwendigen Vorrang" öffentlich zu fördern ist. Der SPD-Entwurf spricht in der Sprache des Gesetzgebers klar und verbindlich aus, was Herr Dr. Preusker in der Begründung seines Gesetzentwurfs als in seiner Vorlage geregelt ansieht, durch sie jedoch nicht geregelt ist. Dafür sollten uns der Herr Bundeswohnungsbauminister und auch Sie, Herr Kollege Lücke, nach Ihrem Zwischenruf von vorhin eigentlich dankbar sein.
— Ja, ja, durch diese Vorlage, die Sie hoffentlich
sachlich prüfen werden, haben Sie die Möglichkeit,
festzustellen, welche Regelung auch Ihnen zweckmäßig und möglich erscheint. Ich kann wohl darauf vertrauen, daß Sie die Vorlage sorgfältig prüfen, so daß ich mir hier eingehende Darstellungen ersparen kann.
Ich beschränke mich auf die Feststellung, daß wir vier Kategorien des Wohnungsbaus vorsehen. Erstens den Sozialen Wohnungsbau im engeren Sinne. Das ist der Wohnungsbau für Bevölkerungskreise mit einem Jahreseinkommen bis zu 4800 DM für den Haushaltungsvorstand plus 840 DM je Familienmitglied. Für diese Schichten mit niedrigem Einkommen sollen jährlich 300 000 Wohnungen mit öffentlichen Mitteln und unter Verzicht auf Zuschüsse und Mietvorauszahlungen — das ist sehr wichtig — gebaut werden; Wohnungen, deren Wohnfläche im Regelfall mindestens 45 qm, höchstens 80 qm, für größere Familien bis zu 100 qm betragen soll. Der Hauptwohnraum darf nicht unter 16 qm, die Mindestwohnfläche für Alleinstehende nicht unter 24 qm liegen. Im Gegensatz zu den Entwürfen der CDU/CSU und der Bundesregierung verlangt die SPD eine Mindestausstattung. Als solche sieht unser Entwurf für den Regelfall vor: Wohnungsabschluß mit Vorraum, Küche mit Herd und Spülbecken, Abort innerhalb der Wohnung, eingerichtetes Bad oder Dusche, ausreichende Nebenräume wie Speisekammer oder Speiseschrank, Besenschrank, Keller- und Abstellraum, Öfen oder gleichwertige Heizgeräte für einen Wohnraum außer der Küche.
— Wenn das selbstverständlich ist - ich werde Sie
beim Wort nehmen, Herr Kollege Lücke —, dann
haben wir einen weiteren Punkt, bei dem sich Übereinstimmung erzielen läßt.
Aber das, was Sie jetzt sagten, wird festgehalten.
— Also noch einmal! Sie haben es gehört. Ihr Wort in Gottes Ohr!
Neben dem Sozialen Wohnungsbau im engeren Sinne sieht der SPD-Entwurf als zweite Kategorie den teilgeförderten Wohnungsbau vor. Ihm sollen öffentliche Mittel für 100 000 Wohnungen jährlich zur Verfügung stehen, die Schichten mit mittleren Einkommen zugedacht sind. Als solche mittleren Einkommen werden Einkommen von jährlich 4800 DM bis zur Angestelltenpflichtversicherungsgrenze angesehen. Während bei der Kategorie I, also beim Sozialen Wohnungsbau, wie wir ihn verstehen, öffentliche Förderungsmittel bis zu 90 % der Gesamtherstellungskosten unter Berücksichtigung der Kapitalmarkt- und sonstigen Restfinanzierungsmittel gewährt werden sollen, und zwar grundsätzlich zinslos und mit einer 1%igen jährlichen Tilgung, wobei weder Mieterdarlehen noch verlorene Baukostenzuschüsse zugelassen sind und eine Richtsatzmiete von 80 Pf bis 1,10 DM festgelegt bleibt, ist die öffentliche Finanzierungsförderung für die Bezieher mittlerer Einkommen eingeschränkt. Daher der Name „teilgeförderter Wohnungsbau". In ihm liegen die Wohnflächengrenzen — zwischen 45 und 120 qm — ausnahmsweise auch höher. Hier werden Kostenmieten zugelassen und Darlehenshöchstsätze festgelegt, die bis 80 DM, bei Eigentumsbauten bis 90 DM pro Quadratmeter betragen. Die öffentlichen Mittel sind hier mit 2 % zu verzinsen und mit 1% pro anno zu tilgen. Hier sind Mieterdarlehen zugelassen, verlorene Zuschüsse jedoch ebenfalls unerlaubt. Als dritte und vierte Kategorie nennt der SPD-Entwurf die eingeführten Gruppen des steuerbegünstigten und des frei finanzierten Wohnungsbaus.
Unser Entwurf ist — um dies abschließend noch einmal herauszustellen — in seinem Kernpunkt auf den Wohnungsbau für die unteren Einkommensschichten abgestellt und enthält klare und sozial abgewogene Mietpreisbestimmungen. Im übrigen sieht er für Wohnungsbewerber mit besonders niedrigem Einkommen Mietbeihilfen vor. Unser Anliegen ist, daß der Wohnungsbau als ein konstruktives Glied des Städtebaus betrachtet und als eine Aufgabe betrieben wird, die vordringlich der Wohnversorgung der wirtschaftlich leistungsschwachen Schichten dient, einer Wohnversorgung, bei der ebenso anständige Wohnungsgrößen wie eine Primitivlösungen vermeidende menschenwürdige Mindestausstattung garantiert ist. Hierzu zeigt der Ihnen heute vorgelegte sozialdemokratische Gesetzentwurf einen Weg, der fernab jeder Spekulation und Illusion von allen betreten werden kann, denen ein wirklich sozialer Wohnungsbau nach wie vor als eine dringliche Aufgabe der Bundesrepublik vor Augen steht.
Wir beantragen die Überweisung an den Ausschuß für Wiederaufbau und Wohnungswesen und den Ausschuß für Bau- und Bodenrecht und haben die Hoffnung, daß in den Ausschüssen in sachlicher Arbeit der Versuch gemacht wird,
unsere Grundgedanken zu verstehen und sie möglichst konstruktiv bei der Schaffung neuer gesetzlicher Regelungen mit zu verwenden.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Meine Damen und Herren! Sie haben die Begründung des Gesetzentwurfs gehört. Es ist die Frage, ob wir jetzt noch in die Debatte eintreten wollen.
Es ist an mich herangetragen worden, daß heute in einem engeren Gremium für die Zukunft beschlossen worden ist, um 21 Uhr Schluß zu machen. Das wäre also jetzt. Wenn das Haus dieser Meinung ist, würde ich jetzt nicht mehr in die Debatte eintreten, um sie nicht zu zerreißen, und sie dann morgen in einem Zug durchführen lassen.
— Der Herr Minister hat sich jetzt schon zum Wort gemeldet, und dem Herrn Minister kann ich das Wort nicht abschneiden. Wenn ,das Haus der Meinung ist, daß es sonst keine Debatte gibt und nur noch der Herr Minister zu der Begründung Stellung nimmt — —
— Ja, wie soll ich verfahren?
— Es wird der Antrag gestellt, daß der Herr Minister noch sprechen soll. Ich kann das nicht allein entscheiden; ich muß deshalb das Haus entscheiden lassen. Wer für den Antrag ist, daß der Herr Minister jetzt noch sprechen soll, .den bitte ich um ein Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. —
Meine Damen und Herren, wir sind uns über das Ergebnis nicht einig.
— Bitte, Herr Abgeordneter Mellies!
Meine Damen und Herren! Es sollte doch um diese Frage kein Streit entstehen. Es ist vereinbart, daß normalerweise um 21 Uhr Schluß sein soll. Ich glaube, das Haus sollte sich auch darüber klar sein, daß es nicht zweckmäßig ist, wenn heute mit der Ministerrede geschlossen wird; denn wenn der Herr Minister gesprochen hat, muß anschließend sofort die Debatte einsetzen. Ich bitte also, jetzt doch Schluß zu machen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Bitte, Herr Abgegeordneter Lücke!
Ich darf im Namen der Koalitionsparteien sprechen. Wir verzichten auf eine Aussprache jetzt, weil die Begründung des Kollegen Jacobi dazu keinen Anlaß bietet. Wir beraten im Ausschuß die Gesetze bereits. Wenn der Minister kurz dazu sprechen will, bitte ich doch das Hohe Haus, dem Wunsch nachzukommen, damit
das Gesetz in den Ausschuß gelangt und wir dort in den Beratungen fortfahren können.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich mache darauf aufmerksam: die antragstellende Fraktion hat nur begründet, und wenn der Herr Minister spricht, ist es nach der Geschäftsordnung geradezu zwingend, daß die Debatte wieder eröffnet ist; diese kann ich dann also nicht abschneiden.
— Der Herr Minister verzichtet. Dann kann ich wohl annehmen, daß das Wort nicht weiter gewünscht wird. Ich schließe die erste Beratung. Sie haben den Antrag auf Überweisung des Gesetzentwurfs an den Ausschuß für Wiederaufbau und Wohnungswesen als federführenden Ausschuß gehört. Auf meiner Vorlage steht noch: Ausschuß für Wirtschaftspolitik zur Mitberatung.
— Bloß Ausschuß für Wiederaufbau und Wohnungswesen? Es ist noch Überweisung an den Ausschuß für Bau- und Bodenrecht beantragt.
— Also an die beiden Ausschüsse, an den einen zur Federführung, an den andern zur Mitberatung in der Form, wie das üblich ist. Ich unterstelle, daß das Haus mit dieser Überweisung einverstanden ist.
— Es wird weiter der Antrag auf Überweisung an den Kommunalpolitischen Ausschuß gestellt.
Meine Damen und Herren! Ich beantrage die Mitüberweisung an den Kommunalpolitischen Ausschuß deshalb, weil in diesem Gesetz sehr viele Dinge stehen, die die Gemeinden sehr interessieren.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter Wirths!
Herr Kollege, Sie haben soeben diesen Antrag gestellt. Ich darf Sie darauf aufmerksam machen, daß das völlig unmöglich ist, weil die Regierungsvorlage und der CDU-Entwurf bereits im 32. Ausschuß beraten sind. Sie können doch nicht den Kommunalpolitischen Ausschuß nur für diese Vorlage einschalten; die anderen Vorlagen kennt der Ausschuß nicht.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich komme zur Abstimmung. Wer der Meinung ist, daß der Gesetzentwurf außer an die beiden Ausschüsse auch an den Kommunalpolitischen überwiesen werden soll, —
— Der Antrag wird zurückgenommen. Gut, dann ist das Gesetz in der schon beschlossenen Form überwiesen.
Ist das Haus nun der Meinung, daß wir jetzt mit der Maßgabe Schluß .machen sollen, daß die nicht abgewickelten Punkte morgen als erste auf die Tagesordnung kommen? — Ich unterstelle das Einverständnis des Hauses. Ich bitte, die Drucksachen wieder mitzubringen, damit sie nicht noch einmal verteilt werden müssen.
Ich berufe die nächste, die 49. Sitzung des Deutschen Bundestags auf Freitag, den 15. Oktober 1954, 9 Uhr, und schließe die heutige Sitzung.