Protokoll:
18213

insert_drive_file

Metadaten
  • date_rangeWahlperiode: 18

  • date_rangeSitzungsnummer: 213

  • date_rangeDatum: 20. Januar 2017

  • access_timeStartuhrzeit der Sitzung: 09:02 Uhr

  • av_timerEnduhrzeit der Sitzung: 14:40 Uhr

  • account_circleMdBs dieser Rede
  • tocInhaltsverzeichnis
    Plenarprotokoll 18/213 Deutscher Bundestag Stenografischer Bericht 213. Sitzung Berlin, Freitag, den 20. Januar 2017 Inhalt: Glückwünsche zum Geburtstag des Abgeord- neten Dr. Hans-Joachim Schabedoth . . . . . . 21347 A Tagesordnungspunkt 21: Vereinbarte Debatte: zum Arbeitsprogramm der EU-Kommission 2017 Dr . Katarina Barley (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . 21347 B Dr . Gregor Gysi (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . 21348 B Ursula Groden-Kranich (CDU/CSU) . . . . . . . 21350 C Annalena Baerbock (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21352 A Axel Schäfer (Bochum) (SPD) . . . . . . . . . . . . 21353 B Dr . Wolfgang Strengmann-Kuhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . 21354 C Uwe Feiler (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . . 21355 C Joachim Poß (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21357 B Iris Eberl (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21358 B Tagesordnungspunkt 22: Antrag der Bundesregierung: Fortsetzung und Erweiterung der Beteiligung bewaff- neter deutscher Streitkräfte an der Mul- tidimensionalen Integrierten Stabilisie- rungsmission der Vereinten Nationen in Mali (MINUSMA) auf Grundlage der Re- solutionen 2100 (2013), 2164 (2014), 2227 (2015) und 2295 (2016) des Sicherheitsra- tes der Vereinten Nationen vom 25. April 2013, 25. Juni 2014, 29. Juni 2015 und 29. Juni 2016 Drucksache 18/10819 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21359 D Dr . Ursula von der Leyen, Bundesministerin BMVg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21359 D Christine Buchholz (DIE LINKE) . . . . . . . . . 21361 B Rainer Arnold (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21362 B Dr . Frithjof Schmidt (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21363 D Jürgen Hardt (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . 21364 D Jürgen Coße (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21365 C Florian Hahn (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . 21366 B Tagesordnungspunkt 23: Antrag der Bundesregierung: Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streit- kräfte zur Ausbildungsunterstützung der Sicherheitskräfte der Regierung der Region Kurdistan-Irak und der irakischen Streit- kräfte Drucksache 18/10820 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21367 C Dr . Ursula von der Leyen, Bundesministerin BMVg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21367 C Jan van Aken (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . 21368 D Michael Roth, Staatsminister AA . . . . . . . . . . 21370 A Omid Nouripour (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21372 A Dr . Johann Wadephul (CDU/CSU) . . . . . . . . . 21373 A Florian Hahn (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . 21374 A Tagesordnungspunkt 24: Antrag der Abgeordneten Susanna Karawanskij, Dr . Axel Troost, Klaus Ernst, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 213 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 20 . Januar 2017II LINKE: Zulassungspflicht für Finanzpro- dukte schaffen – Finanz-TÜV einführen Drucksache 18/9709 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21374 D Susanna Karawanskij (DIE LINKE) . . . . . . . . 21374 D Dr. Frank Steffel (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . 21376 B Susanna Karawanskij (DIE LINKE) . . . . . . . . 21378 B Dr. Frank Steffel (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . 21378 C Dr . Gerhard Schick (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21378 D Sarah Ryglewski (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . 21380 A Dr . Volker Ullrich (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . 21381 B Christian Petry (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21382 C Tagesordnungspunkt 25: Beschlussempfehlung und Bericht des Ver- teidigungsausschusses zu der Unterrichtung durch den Wehrbeauftragten: Jahresbe- richt 2015 (57. Bericht) Drucksachen 18/7250, 18/9768 . . . . . . . . . . . 21383 C Dr . Hans-Peter Bartels, Wehrbeauftragter des Deutschen Bundestages . . . . . . . . . . . . . . . 21383 C Dr . Ursula von der Leyen, Bundesministerin BMVg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21385 A Christine Buchholz (DIE LINKE) . . . . . . . . . 21387 A Henning Otte (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . 21388 A Heidtrud Henn (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21388 C Doris Wagner (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21390 A Gisela Manderla (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . 21391 B Dr . Reinhard Brandl (CDU/CSU) . . . . . . . . . . 21392 A Tagesordnungspunkt 26: Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- schusses für Bildung, Forschung und Technik- folgenabschätzung zu dem Antrag der Frakti- onen der CDU/CSU und SPD: Dem Frieden verpflichtet – Friedens- und Konfliktfor- schung stärken Drucksachen 18/10239, 18/10849 . . . . . . . . . 21393 A Dr . Claudia Lücking-Michel (CDU/CSU) . . . 21393 B Ralph Lenkert (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . 21394 D René Röspel (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21395 D Kai Gehring (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21397 A Dr . Philipp Lengsfeld (CDU/CSU) . . . . . . . . . 21398 A Dr . Daniela De Ridder (SPD) . . . . . . . . . . . . . 21399 C Tagesordnungspunkt 27: Antrag der Abgeordneten Beate Müller- Gemmeke, Kerstin Andreae, Katja Keul, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Unterneh- mensmitbestimmung stärken – Grauzonen schließen Drucksache 18/10253 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21400 D Beate Müller-Gemmeke (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21400 D Uwe Lagosky (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . 21402 A Jutta Krellmann (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . 21403 D Bernd Rützel (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21404 D Tobias Zech (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . 21405 C Klaus Barthel (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21407 A Nächste Sitzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21408 C Berichtigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21408 D Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten . . . . . . 21409 A Anlage 2 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Elfi  Scho-Antwerpes (SPD) zu der namentlichen Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Arbeit und Soziales zu dem Antrag der Abgeordneten Roland Claus, Matthias W . Birkwald, Caren Lay, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Keine Altersarmut von Ost-Krankenschwes- tern – Gerechte Renten für Beschäftigte im DDR-Gesundheits- und Sozialwesen schaffen (Tagesordnungspunkt 6 b, 212 . Sitzung, 19 . Ja- nuar 2017) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21410 A Anlage 3 Amtliche Mitteilungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21410 A (A) (C) (B) (D) Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 213 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 20 . Januar 2017 21347 213. Sitzung Berlin, Freitag, den 20. Januar 2017 Beginn: 9 .02 Uhr
  • folderAnlagen
    Berichtigung 212 . Sitzung, Seite 21271, dritte Spalte: Bei den Ja- stimmen der Fraktion der SPD ist der Name „Susann Rüthrich“ durch den Namen „Gerold Reichenbach“ zu ersetzen . Klaus Barthel (A) (C) (B) (D) Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 213 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 20 . Januar 2017 21409 Anlagen zum Stenografischen Bericht Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Andreae, Kerstin BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 20 .01 .2017 Bellmann, Veronika CDU/CSU 20 .01 .2017 Bleser, Peter CDU/CSU 20 .01 .2017 Bluhm, Heidrun DIE LINKE 20 .01 .2017 Brähmig, Klaus CDU/CSU 20 .01 .2017 Dinges-Dierig, Alexandra CDU/CSU 20 .01 .2017 Gambke, Dr . Thomas BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 20 .01 .2017 Gerster, Martin SPD 20 .01 .2017 Gohlke, Nicole DIE LINKE 20 .01 .2017 Heinrich, Gabriela SPD 20 .01 .2017 Hellmuth, Jörg CDU/CSU 20 .01 .2017 Höger, Inge DIE LINKE 20 .01 .2017 Ilgen, Matthias SPD 20 .01 .2017 Jarzombek, Thomas CDU/CSU 20 .01 .2017 Jung, Andreas CDU/CSU 20 .01 .2017 Kermer, Marina SPD 20 .01 .2017 Kindler, Sven-Christian BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 20 .01 .2017 Korte, Jan DIE LINKE 20 .01 .2017 Krüger, Dr . Hans-Ulrich SPD 20 .01 .2017 Lerchenfeld, Philipp Graf CDU/CSU 20 .01 .2017 Liebich, Stefan DIE LINKE 20 .01 .2017 Malecha-Nissen, Dr . Birgit SPD 20 .01 .2017 Mast, Katja SPD 20 .01 .2017 Michelbach, Dr . h . c . Hans CDU/CSU 20 .01 .2017 Müller (Potsdam), Norbert DIE LINKE 20 .01 .2017 Müntefering, Michelle SPD 20 .01 .2017 Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Pilger, Detlev SPD 20 .01 .2017 Poschmann, Sabine SPD 20 .01 .2017 Pronold, Florian SPD 20 .01 .2017 Rüthrich, Susann * SPD 20 .01 .2017 Scharfenberg, Elisabeth BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 20 .01 .2017 Schäuble, Dr . Wolfgang CDU/CSU 20 .01 .2017 Scheuer, Andreas CDU/CSU 20 .01 .2017 Schlecht, Michael DIE LINKE 20 .01 .2017 Schmidt (Fürth), Christian CDU/CSU 20 .01 .2017 Schwartze, Stefan SPD 20 .01 .2017 Spinrath, Norbert SPD 20 .01 .2017 Stein, Peter CDU/CSU 20 .01 .2017 Steinmeier, Dr . Frank- Walter SPD 20 .01 .2017 Stritzl, Thomas CDU/CSU 20 .01 .2017 Strothmann, Lena CDU/CSU 20 .01 .2017 Terpe, Dr . Harald BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 20 .01 .2017 Troost, Dr . Axel DIE LINKE 20 .01 .2017 Ulrich, Alexander DIE LINKE 20 .01 .2017 Veit, Rüdiger SPD 20 .01 .2017 Walter-Rosenheimer, Beate BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 20 .01 .2017 Wawzyniak, Halina DIE LINKE 20 .01 .2017 Winkelmeier-Becker, Elisabeth CDU/CSU 20 .01 .2017 Zeulner, Emmi * CDU/CSU 20 .01 .2017 Zimmermann (Zwickau), Sabine DIE LINKE 20 .01 .2017 Zimmermann, Pia DIE LINKE 20 .01 .2017 Zypries, Brigitte SPD 20 .01 .2017 *aufgrund gesetzlichen Mutterschutzes Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 213 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 20 . Januar 201721410 (A) (C) (B) (D) Anlage 2 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Elfi Scho-Antwerpes (SPD) zu der namentlichen Abstimmung über die Beschluss- empfehlung des Ausschusses für Arbeit und Sozia- les zu dem Antrag der Abgeordneten Roland Claus, Matthias W. Birkwald, Caren Lay, weiterer Abge- ordneter und der Fraktion DIE LINKE: Keine Al- tersarmut von Ost-Krankenschwestern – Gerechte Renten für Beschäftigte im DDR-Gesundheits- und Sozialwesen schaffen (Tagesordnungspunkt 6 b, 212. Sitzung, 19. Januar 2017) In der Ergebnisliste zur namentlichen Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Ar- beit und Soziales zu dem Antrag der Fraktion Die Linke „Keine Altersarmut von Ost-Krankenschwestern – Ge- rechte Renten für Beschäftigte im DDR-Gesundheits- und Sozialwesen schaffen“ (Tagesordnungspunkt 6 b) ist  meine Abstimmung nicht enthalten . Mein Votum lautet: Ja . Anlage 3 Amtliche Mitteilungen ohne Verlesung Der Bundesrat hat in seiner 952 . Sitzung am 16 . De- zember 2016 beschlossen, den nachstehenden Gesetzen zuzustimmen bzw . einen Antrag gemäß Artikel 77 Ab- satz 2 des Grundgesetzes nicht zu stellen: – Gesetz über die Feststellung des Bundeshaushalts- plans für das Haushaltsjahr 2017 (Haushaltsge- setz 2017) – Gesetz zur Stärkung der teilhabe und Selbstbe- stimmung von Menschen mit Behinderungen (Bun- desteilhabegesetz – BTHG) Der Bundesrat hat ferner folgende Entschließung ge- fasst: Der Bundesrat begrüßt, dass das Gesetz zur Stärkung der Teilhabe und Selbstbestimmung von Menschen mit Behinderungen (Bundesteilhabegesetz – BTHG) hin- sichtlich der finanzpolitischen Forderungen des Bundes- rates nachgebessert wurde . Die Einführung einer Erstattungsregelung des Barbe- trags durch den Bund für den Anteil an den Ausgaben der Länder und Kommunen für den notwendigen Le- bensunterhalt in stationären Einrichtungen wird die zu erwartenden Mehrkosten von Ländern und Kommunen reduzieren . Dies wird ebenso begrüßt wie die Regelung, dass die bisherige Definition des Begriffs für Menschen  mit Behinderung bis 2022 fortbesteht, um zunächst zu erproben, welche Auswirkungen der geplante Reforman- satz hat . Gleichwohl wird die Zusage des Bundes, dass aus dem Bundesteilhabegesetz keine zusätzlichen Ausgaben für Länder und Kommunen erwachsen dürfen und die Reform einen Beitrag dazu leistet, die bestehende Aus- gabendynamik in der Eingliederungshilfe zu stoppen, mit dem vorliegenden Gesetz klar verfehlt . Die vom Bundes- rat in seiner Stellungnahme zum Gesetzentwurf gefor- derte gesetzliche Kostenübernahmeregelung des Bundes bezüglich der durch das Bundesteilhabegesetz für die Kommunen und Länder entstehenden Mehrkosten fehlt nach wie vor . Länder und Kommunen sehen vor diesem Hinter- grund nach wie vor große Risiken im Hinblick auf die finanziellen Auswirkungen der geplanten Neuregelungen  im Bundesteilhabegesetz für ihre Haushalte insbesondere auch vor dem Hintergrund von zusätzlichen Leistungser- weiterungen . Hierdurch wären die Ziele des Bundesteil- habegesetzes, die 2012 zwischen Bund und Ländern im Rahmen des Fiskalpaktes vereinbart wurden, erheblich gefährdet . Daher begrüßt der Bundesrat die Aufnahme einer Evaluation der Einnahmen- und Ausgabenentwick- lung in den Jahren 2017 bis 2021 für die zentralen neuen Leistungen im Bundesteilhabegesetz . Diese sind: – verbesserte Einkommens- und Vermögensanrechnung, – Einführung des Budgets für Arbeit und der anderen Leistungsanbieter, – neue Leistungskataloge für die soziale Teilhabe und die Teilhabe an Bildung, – Trennung der Fachleistungen der Eingliederungshilfe von den Leistungen zum Lebensunterhalt, – Einführung eines trägerübergreifenden Teilhabeplan- verfahrens sowie – Einführung von Frauenbeauftragten in den Werkstät- ten für behinderte Menschen . Dies war eine zentrale Forderung des Bundesra- tes in seiner Stellungnahme vom 23 . September 2016 ( BR-Drs . 428/16 (Beschluss)) . Die Länder erwarten, dass der Bund im Lichte der Er- gebnisse der Evaluation etwaige bei den Ländern oder auf kommunaler Ebene anfallende Kostensteigerungen durch das Bundesteilhabegesetz vollständig und damit auch rückwirkend sowie dauerhaft übernimmt . – Gesetz zur Ermittlung von Regelbedarfen sowie zur Änderung des Zweiten und des Zwölften Bu- ches Sozialgesetzbuch Der Bundesrat hat ferner folgende Entschließung ge- fasst: Der Bundesrat stellt fest, dass die Stellungnahme des Bundesrates vom 4 . November 2016 im weiteren Gesetz- gebungsverfahren ganz überwiegend nicht berücksich- tigt wurde (BR-Drucksache 541/16 (Beschluss)) . Der Bundesrat bekräftigt seine Forderungen und bittet die Bundesregierung um zeitnahe Berücksichtigung insbe- sondere folgender Punkte: 1 . Bei den Leistungen für Bildung und Teilhabe muss nach aktueller Rechtslage bei Teilnahme an einer gemeinschaftlichen  Mittagsverpflegung  in  allen  Rechtskreisen – Zweites und Zwölftes Buch Sozialge- setzbuch, Asylbewerberleistungsgesetz und Bundes- kindergeldgesetz – ein Eigenanteil für ersparte Ver- brauchsausgaben für Ernährung in Höhe von einem Euro je Mittagessen berücksichtigt werden . Da insbe- Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 213 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 20 . Januar 2017 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 213 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 20 . Januar 2017 21411 (A) (C) (B) (D) sondere im Schulbereich die tatsächliche Teilnahme am Mittagessen an einer unterschiedlichen Anzahl von Schultagen erfolgt, entsteht bei der getrennten Rech- nungslegung durch den Essensanbieter sowie bei der Erstattung der nach § 34 Absatz 6 Satz 1 SGB XII und § 28 Absatz 6 Satz 1 SGB II entstandenen Mehrauf- wendungen durch die Schulämter monatlich ein erheb- licher Verwaltungsaufwand . Die Geltendmachung und Einziehung dieses geringen Betrages steht in keinem Verhältnis zu dem dafür entstehenden Verwaltungsauf- wand . 2 . Personen, die in stationären Einrichtungen leben, er- halten auch in Zukunft die Regelbedarfsstufe 3 . In der Eingliederungshilfe wird es ab dem Jahr 2020 rechtlich die Unterscheidung von stationären und ambulanten Wohnformen nicht mehr geben . In anderen Bereichen des Sozialgesetzbuches bleibt sie aber bestehen . Für Leistungsberechtigte in der Eingliederungshilfe soll ab dem Jahr 2020 die Regelbedarfsstufe 2 an die Stelle der Regelbedarfsstufe 3 treten . Hiermit ist im Ergeb- nis nicht – wie zu vermuten ist – eine Besserstellung, sondern eine Schlechterstellung zu befürchten, da die- se Leistungsberechtigten derzeit zur Sicherstellung des notwendigen Lebensunterhaltes in Einrichtungen Leistungen in Höhe der Regelbedarfsstufe 3 zuzüglich eines Barbetrages und einer monatlichen Bekleidungs- pauschale erhalten . Die Regelbedarfsstufe 2 beträgt ab dem Jahr 2017 laut Gesetz aber nur 368,00 Euro . Aus Sicht der Länder darf es für diesen Personenkreis nicht zu Verschlechterungen im Vergleich zu den aktuell ge- währten Leistungen kommen . 3. Der  Bundesrat  ist  der  Auffassung,  dass  das  Gesetz  für Sehhilfen, die als therapeutische Mittel und Ge- räte im Sinne der Abteilung 6 der Einkommens- und Verbraucherstichprobe (EVS) 2013 – Gesundheitspfle- ge – klassifiziert sind, Leistungen in einer Höhe fest- legt, die eine Deckung der  (Anschaffungs##) Kosten  für eine Sehhilfe aus dem jeweiligen Regelsatz nahezu ausschließt und bei Weitem nicht auskömmlich sind . Um eine Bedarfsunterdeckung zu vermeiden, sind die gesetzlichen Grundlagen zu schaffen, die die Berück- sichtigung von Ausgaben für Sehhilfen als einmalige Bedarfe ermöglichen . Hierzu bedarf es einer Auswei- tung der Anwendungsbereiche von § 24 Absatz 3 des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch und des § 31 Num- mer 3 des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch . 4 . Die EVS 2013 weist für Herd, Kühlschrank und Waschmaschine nur geringfügige Beträge auf, mit de- nen diese  erst  nach  jahrelanger Ansparung finanziert  werden können . Um eine Bedarfsunterdeckung zu vermeiden und den Vorgaben des BVerfG gerecht zu werden, sind die gesetzlichen Grundlagen zu schaffen,  die eine Berücksichtigung als zusätzliche Leistungen ermöglichen . 5 . Eine Erhöhung des Schulbedarfspakets ist erfor- derlich, da ohne eine hinreichende Deckung der Aufwendungen  zur  Erfüllung  schulischer  Pflichten  hilfebedürftigen Kindern nach Feststellung des Bun- desverfassungsgerichts der Ausschluss von Leben- schancen droht . Seit 2009 wird die Leistung für die Ausstattung mit persönlichem Schulbedarf in pauscha- lierter Form mit einem Bedarf von 100 Euro im Jahr berücksichtigt . Die damalige Ermittlung des Pauschal- betrags beruhte lediglich auf Erfahrungswerten aus der Praxis und wurde weder im Rahmen des RBEG im Jahr 2011 noch bei dem aktuellen Gesetzgebungsver- fahren auf eine mögliche Unterdeckung des Bedarfs hin überprüft . Eine Evaluation der bundesweiten In- anspruchnahme und Umsetzung der Leistungen für Bildung und Teilhabe des Soziologischen Forschungs- instituts Göttingen e . V . (SOFI) kommt zu dem Ergeb- nis, dass die Summe von 100 Euro pro Schuljahr in der Regel nicht ausreichend sei, um die Kosten für den Schulbedarf zu decken . Von daher wird empfohlen, die Leistungshöhe für den Schulbedarf nach oben an die tatsächlichen Bedarfe anzupassen . – Gesetz zur Regelung von Ansprüchen ausländischer Personen in der Grundsicherung für Arbeitsuchen- de nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch und in der Sozialhilfe nach dem Zwölften Buch Sozial- gesetzbuch – Viertes Gesetz zur Änderung des Saatgutverkehrs- gesetzes – Gesetz zum Erlass und zur Änderung marktord- nungsrechtlicher Vorschriften sowie zur Änderung des Einkommensteuergesetzes Der Bundesrat hat ferner folgende Entschließung ge- fasst: Zu Artikel 3 (Änderung des Einkommensteuergeset- zes) Der Bundesrat stellt fest, dass gegen die in Artikel 3 dieses Gesetzes vorgesehene Regelung einer dreijährigen Gewinnglättung für Einkünfte aus Land- und Forstwirt- schaft Bedenken in Bezug auf die horizontale Lasten- gleichheit und die Folgerichtigkeit der geplanten Steu- ervergünstigung bestehen . Zweifel bestehen ebenfalls an dem Nutzen und an der Zielgenauigkeit dieser Steuerver- günstigung . Kritisch zu beurteilen ist auch der unverhält- nismäßige Bürokratieaufwand . Die aufgeführten Bedenken machen deutlich, wie wichtig eine reguläre sorgfältige Prüfung und Beratung dieser Regelungen gewesen wäre . Das im vorliegenden Fall gewählte Verfahren, insbesondere die Verbindung der einkommensteuerrechtlichen Regelungen mit den marktordnungsrechtlichen Vorschriften sowie die Ein- bringung als Fraktionsinitiative haben verhindert, dass eine sorgfältige Prüfung der aufgezeigten Probleme im Bundesratsverfahren durchgeführt werden konnte . Der Bundesrat erwartet, dass bei zukünftigen Gesetz- gebungsvorhaben im Bereich des Steuerrechts stets eine reguläre Beratung unter Teilnahme des Bundesrates si- chergestellt wird . Der Bundesrat sieht eine inhaltliche Diskrepanz zwi- schen dem von der Bundesregierung angeführten Geset- zeszweck und der vorgesehenen zeitlichen Befristung der Regelungen . Er weist auf das Risiko einer Perpetu- ierung der geplanten Regelungen und einer Verstetigung der entstehenden Steuermindereinnahmen über das Jahr 2022 hinaus hin . Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 213 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 20 . Januar 201721412 (A) (C) (B) (D) Begründung: Gemäß Artikel 3 des Gesetzes zum Erlass und zur Än- derung marktordnungsrechtlicher Vorschriften sowie zur Änderung des Einkommensteuergesetzes soll eine drei- jährige Gewinnglättung für feste Betrachtungszeiträume eingeführt werden, um die Wirkungen aus der Progressi- on im Einkommensteuertarif zu verringern . Für das letz- te Jahr des Betrachtungszeitraums soll hinsichtlich der Einkünfte aus Land- und Forstwirtschaft eine gesonderte Steuerberechnung  der  tariflichen  Einkommensteuer  er- folgen, die sich aus einer Vergleichsrechnung durch den Vergleich der Steuerbelastung mit und ohne dreijährige Gewinnglättung ergibt . Nach dem neuen § 32c Absatz 1 Sätze 2 und 3 EStG vermindert oder erhöht sich die Steu- er des letzten Veranlagungszeitraums im Betrachtungs- zeitraum entsprechend . Die unterschiedliche Progression bei stark schwan- kenden  Einkünften  betrifft  jedoch  nicht  nur  landwirt- schaftliche Betriebe, sondern auch Gewerbetreibende und Freiberufler. Anders als bei diesen wird bereits nach geltendem Recht bei Land- und Forstwirten der Gewinn eines Wirt- schaftsjahres auf die Kalenderjahre, auf die er entfällt, zeitanteilig aufgeteilt und hierdurch bei schwankenden Gewinnen die Progressionswirkung der Einkommen- steuer zusätzlich abgemildert . Dies ist anderen Steuer- pflichtigen verwehrt.  Die Wirkung der Vorschrift ist stark von der Zusam- mensetzung der Einkünfte abhängig . Kommen andere Einkünfte des Landwirts oder seines Ehegatten hinzu, so kann die Steuerermäßigung gegenüber einer ausschließ- lichen Erzielung landwirtschaftlicher Einkünfte stark ab- weichen . Aus steuertechnischer Sicht geht die Vorschrift gerade bei landwirtschaftlichen Betrieben mit mehrjäh- rigen Verlusten und sofern im letzten Jahr des Betrach- tungszeitraums keine oder nur eine geringe Einkommen- steuer festzusetzen ist, ins Leere . Zudem ist darauf hinzuweisen, dass die Milchpreise gegenwärtig eine steigende Tendenz aufweisen und die Molkereien die Auszahlungspreise für die Landwirte er- höhen . Insofern ist bereits die Erforderlichkeit der Rege- lung infrage zu stellen . Auf Grund der Vielzahl der zu erwartenden Fälle ist mit einem höheren Verwaltungs- und Personalaufwand in der Finanzverwaltung zu rechnen . Der vorgesehene erste Betrachtungszeitraum von 2014 bis 2016 ist darüber hinaus bereits fast abgelaufen . Sollte es hier in der Praxis auf Grund der Anwendung des neuen § 32c EStG tatsächlich zu einer höheren Steu- erfestsetzung kommen, wird sich wegen der Anknüpfung an bereits abgeschlossene Sachverhalte die verfassungs- rechtliche Frage der Zulässigkeit einer Rückwirkung stellen . – Drittes Gesetz zur Änderung des Seefischereigeset- zes Der Bundesrat hat ferner folgende Entschließung ge- fasst: Der Bundesrat begrüßt das vorliegende Gesetz zur Änderung  des  Seefischereigesetzes.  Er  bittet  die  Bun- desregierung jedoch, bei nächster Gelegenheit eine Er- mächtigung in das Gesetz einzufügen, die es ermöglicht, Verstöße  der  Freizeitfischerei  gegen  die  im  Jahr  2017  erstmals geltenden Tagesfangbeschränkungen für Dorsch in der westlichen Ostsee über die Seefischerei-Bußgeld- verordnung zu sanktionieren . Mit dem Gesetz in seiner vorliegenden Form ist eine Ahndung von bei Freizeitfi- schern festgestellten Verstößen nicht möglich . Begründung: Mit der Verordnung (EU) 2016/1903 des Rates vom 28 . Oktober 2016 zur Festsetzung der Fangmöglichkei- ten für bestimmte Fischbestände und Bestandsgruppen in der Ostsee für 2017 hat die Europäische Union erstmals Fangbeschränkungen  für  die  Freizeitfischerei  (Angler,  Hobbyfischer) auf Dorsch in der westlichen Ostsee ein- geführt . So dürfen in den Monaten Februar und März nur drei, im übrigen Jahr fünf Dorsche je Freizeitfischer und  Tag entnommen werden . Nach den Untersuchungen des Instituts  für  Ostseefischerei  werden  von  der  deutschen  Freizeitfischerei/Angelfischerei inzwischen genauso vie- le Dorsche gefangen wie von der kommerziellen Fische- rei . Allein 163 000 Angler gehen auf der Ostsee diesem Hobby nach . Die Ergänzung ist erforderlich, um eine Er- mächtigung für die Schaffung entsprechender Ahndungs- möglichkeiten über die Seefischerei-Bußgeldverordnung  zu schaffen. Derzeit ist eine Ahndung von bei Freizeitfi- schern festgestellten Verstößen nicht möglich . – Gesetz zur Umsetzung der Änderungen der EU-Amtshilferichtlinie und von weiteren Maßnah- men gegen Gewinnkürzungen und -verlagerungen Der Bundesrat hat ferner folgende Entschließung ge- fasst: 1 . a) Durch die Steuervermeidung internationaler Kon- zerne gehen den Staaten beträchtliche Steuereinnah- men verloren . Ihre Strategien sind mit der Zeit immer ausgefeilter geworden . Sie beruhen in der Regel auf der grenzüberschreitenden Verlagerung von Gewin- nen in Niedrigsteuerländer . Es werden dabei die Un- stimmigkeiten und Lücken zwischen den einzelnen Steuersystemen der Staaten ausgenutzt . Die Steuer- vermeidung wird aber auch durch den schädlichen Steuerwettbewerb zwischen den Staaten begünstigt . b)  Steuerflucht  und  Steuerhinterziehung  erschweren  die Finanzierung öffentlicher Güter und enthalten dem  Staat zulasten aller ehrlichen Steuerzahler die Mittel für notwendige Investitionen etwa in Bildung und Infrastruktur vor . Um eine faire Finanzierung der öf- fentlichen Haushalte und die Funktionsfähigkeit des Gemeinwesens zu sichern, müssen die Staaten auch in abgestimmter Weise gegen die grenzüberschreitende Steuervermeidung vorgehen . c) Im Rahmen des Aktionsplans gegen Gewinnver- kürzungen und Gewinnverlagerungen (BEPS = Base Erosion  and Profit Shifting) hat die Organisation  für  wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) im Oktober 2015 einen Katalog von Rege- lungen gegen Steuergestaltungspraktiken multinati- Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 213 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 20 . Januar 2017 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 213 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 20 . Januar 2017 21413 (A) (C) (B) (D) onaler Unternehmen vorgelegt . Aus Sicht des Bun- desrates bietet der BEPS-Aktionsplan eine geeignete Grundlage für die Überarbeitung und Erweiterung der internationalen steuerlichen Standards gegen Gewinn- verkürzungen und Gewinnverlagerungen . Die von der OECD aufgezeigten Unstimmigkeiten zwischen den Steuersystemen  und  die  Schlupflöcher  und  Lücken  innerhalb der nationalen Steuersysteme müssen ge- schlossen werden . d) Das vorliegende Gesetz enthält erste Maßnahmen zur Umsetzung des BEPS-Aktionsplans mit Blick auf den Informationsaustausch von Tax-Rulings und das Country-by-Country-Reporting . Es stellt einen ersten notwendigen Schritt für die Umsetzung der BEPS-Maßnahmen in Deutschland dar . Über das vor- liegende Gesetz hinaus hält der Bundesrat weitere Ini- tiativen für dringend erforderlich, die verschiedenen, teilweise abstrakt formulierten Einzelvorhaben im Rahmen des BEPS-Aktionsplans in konkrete Geset- zesvorhaben zu überführen und im nationalen Steuer- recht umzusetzen . Der Bundesrat fordert die Bundes- regierung daher auf, die begonnenen Arbeiten zügig fortzusetzen und in enger fachlicher Abstimmung mit den Ländern mit der Erarbeitung von Regelungen zur Umsetzung auch der übrigen BEPS-Aktionspunkte im deutschen Steuerrecht zu beginnen, damit entspre- chende Neuregelungen schnellstmöglich in Kraft tre- ten können . e) Der Bundesrat erinnert die Bundesregierung an ihre Zusage, bereits bis Herbst 2015 gemeinsam mit den Ländern die Kriterien für schädlichen Steuerwettbe- werb zu überarbeiten sowie ergänzende Vorschriften zur Bekämpfung von Steuervermeidungspraktiken zu erarbeiten . Die mittlerweile im ECOFIN beschlossene Richtlinie des Rates vom 12 . Juli 2016 (sog . Anti-Tax Avoidance Directive – ATAD) bietet hierfür den ge- eigneten Rahmen, um die entsprechenden nationalen Regelungen anzupassen . f) In diesem Zusammenhang sollten auch die nach der Aufforderung des Bundesrats vom Mai 2014 mittler- weile aufgenommenen Arbeiten zur Implementierung einer gesetzlichen Anzeigepflicht für Steuergestaltun- gen zügig zum Abschluss gebracht werden . Der Bun- desrat spricht sich dafür aus, noch in dieser Legislatur- periode die Regelungen für eine effiziente gesetzliche  Anzeigepflicht  für Steuergestaltungen  zu verabschie- den. Eine solche Anzeigepflicht  leistet einen wesent- lichen präventiven Beitrag zur Bekämpfung von Steu- ervermeidungspraktiken, weil sie den Gesetzgeber frühzeitig in die Lage versetzt, effektiv auf Steuerge- staltungen zu reagieren . g) Der Bundesrat hat in seiner Stellungnahme zum Entwurf für das vorliegende Gesetz festgestellt, dass das Gesetz der Ergänzung um Maßnahmen zur Verhin- derung des Doppelabzugs von Betriebsausgaben bei Personengesellschaften bedarf . Derartige Gestaltun- gen werden in einer Vielzahl von Fällen zur Erzielung von Steuervorteilen in erheblichem Ausmaß genutzt . Der Bundesrat begrüßt, dass die vorgeschlagene Rege- lung im weiteren Verfahren in das Gesetz aufgenom- men worden ist . h) Der Bundesrat hat die Bundesregierung im Übrigen bereits im Mai 2013 dazu aufgefordert, sich auf euro- päischer Ebene intensiv dafür einzusetzen, die Mög- lichkeit zur doppelten Nichtbesteuerung von Einkünf- ten (so genannte „weiße Einkünfte“) zu beenden und den doppelten Abzug von Betriebsausgaben („Double Dip“) unmöglich zu machen . Die Bundesregierung hat im Dezember 2014 dem Bundesrat zugesagt, in Ab- stimmung mit den Ländern rasch einen Gesetzentwurf vorzulegen, der insbesondere Maßnahmen zur Verhin- derung hybrider Gestaltungen umfasst . Ein solcher Gesetzentwurf der Bundesregierung liegt bis heute nicht vor . Der Bundesrat fordert die Bundesregierung vor diesem Hintergrund mit besonderem Nachdruck dazu auf, gemeinsam mit den Ländern umfassende gesetzgeberische Maßnahmen zur möglichst vollstän- digen Beseitigung unversteuerter Einkünfte bzw . eines doppelten Betriebsausgabenabzugs durch hybride Ge- staltungen vorzubereiten . i) Ein zentraler Bereich der Steuergestaltung liegt bei immateriellen Wirtschaftsgütern wie Patenten und Lizenzen . Sondersteuerregime für Einkünfte aus Pa- tenten und Lizenzen gehören zu den besonders schäd- lichen Steuerpraktiken und haben in besonders star- kem Umfang zur Verlagerung von Gewinnen mit dem Ziel der Steuervermeidung geführt . Es ist ein Gebot der Steuergerechtigkeit, dieser Entwicklung entge- genzutreten. Nach Auffassung des Bundesrates sollte  die Vorzugsbesteuerung bei Patent- und Lizenzboxen international  langfristig  abgeschafft  werden.  Die  in- ternationale Einigung auf den sog . Nexus-Approach, der die steuerliche Begünstigung an eine Forschungs- tätigkeit  im  betreffenden  Staat  knüpft,  ist  ein  Zwi- schenschritt auf dem Weg zu einer fairen Besteuerung dieser Einkünfte . Wegen der langen Übergangsfristen bis zum Jahr 2021 und berechtigter Zweifel, ob tat- sächlich alle Staaten ihre Lizenzboxen auf den Ne- xus-Ansatz beschränken, hält es der Bundesrat für erforderlich, nationale Abwehrmaßnahmen zur Si- cherung des Steuersubstrats zu ergreifen, die sowohl verfassungsrechtlichen Vorgaben entsprechen als auch EU-rechtskonform sind . Auch hier sollten die aufge- nommenen Arbeiten auf Bund-Länder-Ebene zügig fortgesetzt werden, um noch in dieser Legislaturperio- de zu einem beschlussfähigen Ergebnis als Grundlage für gesetzgeberische Maßnahmen zu gelangen . Zudem sollte die Bundesregierung weiter konsequent auf eine Änderung der Zins- und Lizenzrichtlinie hinwirken, um eine Erhebung der Quellensteuer bei grenzüber- schreitenden Lizenzzahlungen zu ermöglichen, wenn der (Letzt-)Empfänger keiner oder einer nur niedrigen Besteuerung unterliegt . 2 . a) Das Gesetz enthält weitreichende Ergänzungen, die über die Stellungnahme des Bundesrates zum Gesetzentwurf hinausgehen . Die vom Deutschen Bundestag beschlossene Fassung stellt nunmehr ins- besondere auch die verfassungsrechtlich gebotene steuerliche Freistellung des sächlichen Existenzmini- mums entsprechend den Vorgaben des 11 . Existenzmi- nimumberichts sicher . Zu diesem Zweck werden der Grundfreibetrag bei der Einkommensteuer und der Kinderfreibetrag in zwei Schritten jeweils zum 1 . Ja- Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 213 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 20 . Januar 201721414 (A) (C) (B) (D) nuar 2017 und 1 . Januar 2018 erhöht . Gleichzeitig wird die Anhebung des Kinderfreibetrags durch eine Erhöhung des Kindergelds um zwei Euro im Jahr 2017 und durch weitere zwei Euro ab dem Jahr 2018 nach- vollzogen . Nach den Angaben der Bundesregierung werden die öffentlichen Haushalte durch die genann- ten Maßnahmen ab dem Jahr 2018 in Höhe von rund 3,8 Mrd Euro in der vollen Jahreswirkung belastet, wovon ein Betrag in Höhe von rund 2,1 Mrd Euro und damit mehr als die Hälfte auf die Haushalte von Län- dern und Kommunen entfällt . b) Neben diesen verfassungsrechtlich gebotenen Maß- nahmen sieht das Gesetz eine Rechtsverschiebung aller übrigen Eckwerte des Einkommensteuertarifs in zwei Schritten um 0,73 Prozent im Jahr 2017 und um weitere 1,65 Prozent ab dem Jahr 2018 vor, um der sogenannten kalten Progression entgegenzuwirken . Die Tarifentlastung führt zu zusätzlichen steuerlichen Mindereinnahmen von jährlich rund 2,4 Mrd Euro ab dem Jahr 2018, wovon jeweils rund 1,3 Mrd Euro von den Haushalten von Ländern und Kommunen zu tra- gen sind . Im Unterschied zu früheren Initiativen der Bundesregierung mit dem Ziel eines Abbaus der kalten Progression ist im vorliegenden Gesetz keine Kom- pensation der Steuerausfälle bei Ländern und Kom- munen durch den Bund vorgesehen . Der Bundesrat ist der Auffassung, dass der Abbau der kalten Progressi- on eine solide Finanzierung durch eine entsprechende Kompensation von Ländern und Kommunen durch den Bund voraussetzt . – Gesetz zu der Neuordnung der Aufgaben der Bun- desanstalt für Finanzmarktstabilisierung (FM- SA-Neuordnungsgesetz – FMSANeuOG) – Gesetz zur Weiterentwicklung der steuerlichen Verlustverrechnung bei Körperschaften – Viertes Gesetz zur Änderung arzneimittelrechtli- cher und anderer Vorschriften – Drittes Gesetz zur Stärkung der pflegerischen Ver- sorgung und zur Änderung weiterer Vorschriften (Drittes Pflegestärkungsgesetz – PSG III) Der Bundesrat hat ferner folgende Entschließung ge- fasst: 1 . Der Bundesrat würdigt ausdrücklich die umfassendste Reform der gesetzlichen Pflegeversicherung seit ihrer  Einführung . Diese Reform wurde in Expertengremien gründlich vorbereitet, seit 2014 in drei Schritten aus- gestaltet und wird nun mit dem PSG III gesetzgebe- risch abgeschlossen . Die Reform setzt eine zeitgemäße Definition von Pflegebedürftigkeit um, die neben kör- perlichen auch kognitive oder psychische Beeinträch- tigungen berücksichtigt . Der Bundesrat begrüßt, dass die pflegerischen Bedarfe  von Menschen, die gesundheitlich bedingte Belastun- gen oder Anforderungen nicht selbständig kompen- sieren oder bewältigen können, durch die Einführung eines  teilhabeorientierten Pflegebedürftigkeitsbegriffs  künftig besser berücksichtigt werden . Der Bundesrat bedauert allerdings, dass es das PSG III versäumt, in einem ausreichenden Maße die Rolle der Kommunen in der Pflege zu stärken. Für ältere Men- schen, Pflegebedürftige und Menschen mit einer Be- hinderung und ihre Familien leisten sie umfangreiche Unterstützung, zum Beispiel im Rahmen von Altenhil- fe, Hilfe zur Pflege, Eingliederungshilfe für behinder- te Menschen, Beratungs- und Koordinierungsstellen, familienentlastenden und familienunterstützenden Hilfen, Förderung bürgerschaftlichen Engagements, rechtlicher Betreuung sowie Maßnahmen zum Wohn- umfeld und zur Nutzbarkeit des öffentlichen Personen- nahverkehrs. Dem stehen im Bereich der pflegerischen  Versorgungsstrukturen nur begrenzte Gestaltungs- möglichkeiten in Planung, Beratung und Steuerung gegenüber . Der Bundesrat erinnert daran, dass sich die Bund-Län- der-Arbeitsgruppe „Stärkung der Rolle der Kommu- nen in der Pflege“ (Bund-Länder-AG) einig war, dass  nur im engen Zusammenwirken von Bund, Ländern, Kommunen,  Pflegekassen  und  Pflegeeinrichtungen  das Ziel erreicht werden kann, so lange wie möglich den Verbleib in der gewohnten häuslichen und familiä- ren Umgebung zu unterstützen und ein selbstbestimm- tes Leben im vertrauten Quartier beziehungsweise Sozialraum zu gewährleisten . Eine zukunftsfähige, ortsnahe  und  aufeinander  abgestimmte  pflegerische  Versorgung der Bevölkerung benötigt als Basis einen Sozialraum, in dem Unterstützungsbedarfe der Pflege- bedürftigen und ihrer Angehörigen so weit wie mög- lich von bestehenden Institutionen (zum Beispiel Ver- einen, Wohnungswirtschaft, Mittagstischen et cetera), bürgerschaftlichem Engagement, Nachbarschaftshilfe und ambulanten Diensten aufgefangen werden . Der Bundesrat bekräftigt ausdrücklich das Erforder- nis, praktikable und kommunalnahe „Modellvorhaben zur kommunalen Beratung Pflegebedürftiger und ihrer  Angehörigen“ zu implementieren . Diese Implemen- tierung  folgt  einer Verpflichtung des Bundes  aus der  Bund-Länder-AG, bundesweit 60 „Modellkommunen Pflege“  zuzulassen,  in  denen  ein  ganzheitlicher  und  sozialräumlicher Beratungsansatz erprobt wird, um eine Weiterentwicklung der Beratungsstrukturen in der Pflege zu erreichen.  Die im PSG III in den §§ 123, 124 SGB XI getroffenen  Regelungen sind nicht geeignet, den sozialräumlichen Beratungsansatz, den die Bund-Länder-AG mit den „Modellkommunen  Pflege“  verfolgte,  in  der  Praxis  zu realisieren . Eine Zielsetzung der Bund-Länder-AG war, die Bündelung von Beratungsstrukturen mit ei- nem ganzheitlichen Beratungsansatz unter Federfüh- rung  der  „Modellkommune  Pflege“  zu  ermöglichen.  Die Beratung im engeren Pflegekontext soll dabei um  weitere Elemente aus dem Bereich der kommunalen Infrastruktur, des breiten kommunalen Aufgaben- portfolios und der Daseinsvorsorge ergänzt werden . Bestehende gut funktionierende Beratungsstrukturen vor Ort,  auch  solche  der  Pflegekassen,  sollen  in  die  „Modellkommune Pflege“  integriert werden. Es geht  darum, einen anderen integrativen Beratungsansatz im sozialräumlichen Kontext zu erproben und nicht da- Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 213 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 20 . Januar 2017 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 213 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 20 . Januar 2017 21415 (A) (C) (B) (D) rum festzustellen, ob Kassen oder Kommunen eine be- stimmte Aufgabe besser wahrnehmen . Hierfür müssen die Kommunen aufgrund ihrer lokalen, sozialraum- orientierten Verantwortung für die Bürgerinnen und Bürger die Federführung übernehmen . Der Bundesrat hat in seiner Stellungnahme vom 23 . September 2016 zum Entwurf eines Dritten Geset- zes zur Stärkung der pflegerischen Versorgung und zur  Änderung  weiterer  Vorschriften  (Drittes  Pflegestär- kungsgesetz – PSG III) (vgl . BR-Drucksache 410/16 (Beschluss)) eine alternative Fassung der §§ 123, 124 SGB XI vorgeschlagen, die den Ergebnissen der Bund-Länder-AG entspricht . Hierzu hat die Bundes- regierung in ihrer Gegenäußerung vom 12 . Oktober 2016 (vgl . BT-Drucksache 18/9959) ausgeführt, den Vorschlag einer Neufassung der §§ 123 und 124 SGB XI zu prüfen, soweit die Regelungen mit den Empfeh- lungen der Bund-Länder-AG vereinbar sind . Der Deutsche Bundestag hat am 1 . Dezember 2016 das PSG III beschlossen . Dieses sieht allerdings kei- ne wesentlichen Änderungen und Anpassungen an die Beschlüsse der Bund-Länder-AG vor . Stattdessen wurden eher redaktionelle Änderungen in die §§ 123, 124 SGB XI aufgenommen, die nicht geeignet sind, eine praxistaugliche Regelungsgrundlage für die Mo- dellvorhaben zu bieten . Die nunmehrigen Regelungen lassen anstelle des in der Bund-Länder-AG vereinbarten ganzheitlichen Be- ratungsansatzes lediglich ein Konstrukt der Aufgaben- übernahme durch die Kommunen zu, das eine künst- liche Konkurrenzsituation zwischen Pflegekassen und  Kommunen schafft und jegliche Kooperation von Be- ratungsinstitutionen ausschließt . 2 . Der Bundesrat stellt seine Bedenken zugunsten einer Verabschiedung der leistungs- und vertragsrechtlichen Vorschriften des PSG III zunächst zurück . Er fordert aber die Bundesregierung auf, schnellstmöglich einen weiteren Gesetzentwurf vorzulegen, der die vom Bun- desrat in seiner Stellungnahme vom 23 . September 2016 vorgeschlagene Formulierung der §§ 123, 124 SGB XI übernimmt . Insbesondere folgende Aspekte sind zu berücksichtigen: a) Anstelle der bislang in § 123 Absatz 1 Satz 3 SGB XI vorgesehen Regelung, wonach die Kom- munen die Aufgaben mit eigenen Beratungsstel- len übernehmen müssen, womit zugleich jede Art von Kooperation mit vorhandenen funktionieren- den Beratungsangeboten ausgeschlossen wird, muss eine Regelung dergestalt getroffen werden,  dass die Modellvorhaben insbesondere folgende Aufgaben umfassen können: die Beratung der Altenhilfe nach § 71 Absatz 2 Nummer 3 und 4 SGB XII, die Beratung nach §§ 34 und 106 SGB IX,  die Beratung  des  öffentlichen Gesundheits- dienstes, die Beratung im Bereich rechtlicher Be- treuung, die Pflegeberatung nach den §§ 7a bis  7c SGB XI, die Beratung in der eigenen Häus- lichkeit nach § 37 Absatz 3 SGB XI und die Pfle- gekurse nach § 45 SGB XI . In den Modellvor- haben soll insbesondere die Zusammenarbeit mit behindertengerechten Wohnangeboten, mit dem öffentlichen Nahverkehr und mit der Förderung  des bürgerschaftlichen Engagements sicherge- stellt werden . b) Die Stadtstaatenregelung in § 123 Absatz 1 SGB XI ist zu streichen, da sie den Stadtstaaten – an- ders als allen anderen Großstädten – verwehrt, den Modellversuch in der gesamten Stadt durch- führen können . c) Anstelle der bislang in § 123 Absatz 3 Satz 4 SGB XI vorgesehenen Regelung, wonach die Länder insgesamt bei der Genehmigung sicher- stellen sollen, dass die Hälfte aller bewilligten Modellvorhaben durch Antragsteller nach § 123 Absatz 1 SGB XI durchgeführt wird, die keine mehrjährigen Erfahrungen in strukturierter Zu- sammenarbeit in der Beratung aufweisen, ist eine Regelung dergestalt aufzunehmen, dass die Län- der darauf hinwirken, dass unterschiedliche An- sätze erprobt werden und über die Genehmigung im Benehmen mit den kommunalen Spitzenver- bänden auf Landesebene und den Landesverbän- den der Pflegekassen entscheiden. d) Anstelle der bislang in § 123 Absatz 4 Satz 1 SGB XI vorgesehenen Regelung, wonach der GKV-Spitzenverband Empfehlungen über die konkreten Voraussetzungen, Ziele, Inhalte und Durchführung der Modellvorhaben beschließen soll, ist eine Regelung dergestalt aufzunehmen, dass das Nähere zu den konkreten Voraussetzun- gen, Zielen, dem Inhalt und der Durchführung der Modellvorhaben sowie zum Antragsverfah- ren und zum Widerruf einer Genehmigung durch landesrechtliche Vorschriften zu regeln ist . e) Anstelle der Vorschrift nach § 123 Absatz 5 Satz 2 SGB XI, wonach die Beiträge der Pflegekassen  zu den Modellversuchen auf deren Ausgabenvo- lumen vor dem Modellversuch begrenzt werden, ist eine Regelung aufzunehmen, die sicherstellt, dass  demografisch  bedingte  Steigerungen  und  Zunahmen der Beratungsnachfrage nicht zu ein- seitigen Belastungen der Modellkommune füh- ren . f)  Die  vorgesehene  Nachweispflicht  der  Kommu- nen in § 123 Absatz 7 SGB XI entspricht nicht den Absprachen in der Bund-Länder-AG . Sie wäre auch in der Praxis nicht umsetzbar, da die Nachweisführung über die eingebrachten Mittel vor und nach Beginn der Modellvorhaben auf Grundlage der Haushaltsaufstellung nicht hin- reichend gelingen könnte . Da gegenüber den Landesverbänden der Pflegekassen ohnehin eine  Nachweis-  und  Berichtspflicht  besteht  (§  123  Absatz 5 Nummer 3 SGB XI), kann auf weiter- gehende Vorgaben verzichtet werden; die betref- fende Regelung ist zu streichen . g) Anstelle der Vorschrift in § 124 Absatz 2 SGB XI, wonach die Genehmigung zur Durchführung eines Modellvorhabens zu widerrufen ist, wenn die in § 123 Absatz 1 Satz 5 SGB XI genannten Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 213 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 20 . Januar 201721416 (A) (C) (B) (D) Aufgaben oder die nach § 123 Absatz 5 Satz 1 SGB XI vereinbarten oder die in § 123 Absatz 5 Satz 2 oder Absatz 7 SGB XI festgelegten An- forderungen nicht oder nicht in vollem Umfang erfüllt werden, ist eine Ermessensregelung auf- zunehmen, damit die zuständigen obersten Lan- desbehörden bei geringfügigen „Verstößen“ die Verhältnismäßigkeit wahren können . 3 . Mit dem vom Deutschen Bundestag beschlosse- nen PSG III vollzieht die Bundesregierung nun zum letztmöglichen Zeitpunkt einen weiteren Schritt der Pflege reform  und  führt  den  neuen  Pflegebedürftig- keitsbegriff und das neue Begutachtungssystem auch  in die Sozialhilfe ein . Damit verbunden sind weitrei- chende Veränderungen im Sozialhilferecht, die auch eine Neuausrichtung des Leistungsrechts der Hilfe zur Pflege mit Leistungsausweitungen und neuen Leistun- gen beinhalten . Der Bundesrat hat bereits mit seinen Beschlüssen vom 25 . September und 18 . Dezember 2015 (vgl . BR-Drucksache 354/15 und 567/15) zum Zweiten Ge- setz  zur  Stärkung  der  pflegerischen Versorgung  und  zur Änderung weiterer Vorschriften  (Zweites Pflege- stärkungsgesetz – PSG II) deutlich zum Ausdruck ge- bracht, dass die seit dem Jahr 2009 von den Ländern geforderte Einführung des neuen Pflegebedürftigkeits- begriffs  und  das  damit  verbundene  neue  Begutach- tungsverfahren ausdrücklich begrüßt werden . Insbe- sondere haben die Länder aber bereits im Rahmen des  Zweiten  Pflegestärkungsgesetzes  auch  ihr  Un- verständnis in Bezug auf die rechtssystematisch und sozialpolitisch nicht nachvollziehbare Entkoppelung eines einheitlichen Lebenssachverhaltes hingewiesen, der in zwei Sozialgesetzbüchern – dem SGB XI als „Teilleistungssystem“ und dem SGB XII als ergänzen- des, „bedarfsdeckendes System“ geregelt ist und durch zwei getrennte Gesetzgebungsverfahren (PSG II und PSG III) geändert werden soll . Zur Sicherstellung des nahtlosen Übergangs in das neue Leistungsrecht und zur Definition des Leistungsspektrums der Sozialhil- fe einschließlich Abgrenzung zum SGB XI haben sie daher eine umgehende zeitnahe Umsetzung der grund- legenden pflegerechtlichen Änderungen auch im Sozi- alhilferecht gefordert . Die Länder begrüßen ausdrücklich, dass der eingeleite- te Perspektiven- und Paradigmenwechsel mit der Teil- habeorientierung  in der Pflege nun auch  in der Sozi- alhilfe Eingang findet und pflegebedürftige Menschen  mit Einschränkungen in der Alltagskompetenz ein- bezogen werden . Damit wird auch einem dringenden sozialpolitischen Anliegen der Länder Rechnung ge- tragen, pflegebedürftige Menschen im Leistungsbezug  der Sozialhilfe gegenüber dem neuen Leistungsrecht der Pflegeversicherung nicht schlechter zu stellen. Die  Länder bezweifeln allerdings die von der Bundesre- gierung prognostizierte Entlastung der Träger der So- zialhilfe . Eine solche Entlastung wird derzeit nicht als belegt und gesichert angesehen . Im Gegenteil ist zu befürchten, dass die Umsetzung des zweiten Artikels des PSG III mit der Gefahr von Mehrausgaben für die Träger der Sozialhilfe, das heißt insbesondere für die Kommunen verbunden ist . Die  finanziellen  Gesamtfolgen  des  neuen  Pflegebe- dürftigkeitsbegriffs  und  des  neuen  Leistungsspek- trums bedürfen daher einer genauen Analyse und der nachvollziehbaren, auf valider Grundlage beruhenden Bezifferung und Begründung. Aus diesem Grund müs- sen die Auswirkungen auf die Sozialhilfe ab dem Jahr 2017 evaluiert werden . Die Evaluationsklausel des § 18c SGB XI ist für die Feststellung der Kostenfolgen und der Ausgabenent- wicklung  in der Hilfe zur Pflege nach dem SGB XII  nicht ausreichend, weil hiernach nicht zwingend auch die Auswirkungen auf das SGB XII untersucht wer- den müssen und Kostenfolgen für die Sozialhilfe über- haupt keinen Untersuchungsgegenstand darstellen . Der Bundesrat fordert die Bundesregierung daher auf, unter Beteiligung der Länder eine begleitende wissen- schaftliche Evaluation zu beauftragen und dem Deut- schen Bundestag und dem Bundesrat über die Ergeb- nisse dieser Untersuchung zu berichten . Im Rahmen der Evaluation sind insbesondere Auswirkungen hin- sichtlich der folgenden Aspekte zu untersuchen: a) Brutto- und Nettoausgaben der Träger der Sozial- hilfe für erbrachte Leistungen nach dem Siebten Kapitel des SGB XII im Vergleich zu den jewei- ligen Ausgaben des Jahres 2016; b) Verwaltungsausgaben der Träger der Sozialhilfe im Rahmen des Siebten Kapitels des SGB XII im Vergleich zu den Ausgaben des Jahres 2016; c) Entwicklung der Anzahl der Leistungsberechtig- ten im Rahmen des Siebten Kapitels des SGB XII nach Pflegegraden, Leistungsart und -umfang so- wie Versichertenstatus; d) Entwicklung der Anzahl der Leistungsberechtig- ten, die sowohl Leistungen der Eingliederungs- hilfe nach dem Sechsten Kapitel als auch Leis- tungen  der  Hilfe  zur  Pflege  nach  dem  Siebten  Kapitel des SGB XII erhalten; e) Auswirkungen der Regelungen im SGB XI und SGB XII zur Abgrenzung der Leistungen der So- zialen Pflegeversicherung nach dem Elften Buch  sowie den Leistungen der Eingliederungshilfe und der Hilfe zur Pflege nach dem Sechsten und  Siebten Kapitel des Zwölften Buches . Die Bundesregierung wird gebeten, einen Beirat zur Begleitung der Evaluation einzurichten, dem Vertrete- rinnen und Vertreter der Kommunalen Spitzenverbän- de, der Bundesarbeitsgemeinschaft der überörtlichen Träger der Sozialhilfe, der Länder, der Wissenschaft, des Bundesministeriums für Gesundheit und des Bun- desministeriums für Arbeit und Soziales angehören . Der Bericht über die Ergebnisse der Evaluation für die Jahre 2017 bis 2021 ist aus Sicht der Länder bis zum 30. Juni 2022 vorzulegen und zu veröffentlichen. Für die Bundesregierung besteht hinsichtlich der ge- forderten Evaluation kein Risiko, da sie – von der Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 213 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 20 . Januar 2017 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 213 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 20 . Januar 2017 21417 (A) (C) (B) (D) Richtigkeit ihrer Berechnungen überzeugt – sogar unter Berücksichtigung der durchschnittlichen jährli- chen Ausgabensteigerungen in der Hilfe zur Pflege im  Ergebnis mit erheblichen Entlastungen der Träger der Sozialhilfe rechnet . Bei einem gegenteiligen Ergebnis der Evaluation erwarten die Länder, dass in weiteren Gesetzgebungsverfahren die im Rahmen der Umset- zung des PSG III von der Bundesregierung vorherge- sagte Entlastung zugunsten der Träger der Sozialhilfe umgesetzt wird . 4 . Der Bundesrat begrüßt grundsätzlich die Zielrichtung der im Rahmen des Verfahrens beim Deutschen Bun- destag vorgenommen Ergänzungen, insbesondere der §§ 84 und 89 SGB XI, die einen Gleichklang der leis- tungsgerechten Bezahlung zwischen tarifgebundenen und  nicht-tarifgebundenen  Pflegeeinrichtungen  zum  Ziel haben . Allerdings ist der Bundesrat der Auffassung, dass die- se Regelungen tief in das Vergütungsrecht des SGB XI eingreifen und deren Umsetzung derzeit noch nicht absehbare Konsequenzen bei den Vergütungen in der stationären und ambulanten Pflege und der Verhand- lung dieser Vergütungen zwischen Kostenträgern und Leistungsanbietern nach sich zieht . Insbesondere die Auswirkungen der Neuregelung des § 84 Absatz 2 Satz 6 SGB XI hinsichtlich der über Ta- rifvertrag hinausgehenden Vergütungen sind derzeit nicht abschätzbar . Unklar ist, wie die nicht-tarifgebun- denen Einrichtungen diese Möglichkeit in der Praxis umsetzen und sich die Regelungen auf das Tarifsystem und den zwischen den Leistungserbringern bestehen- den Wettbewerb auswirken . Der Bundesrat betont, dass die Regelung nicht dazu führen darf, dass die eigentliche Intention unterlaufen wird, einen Anreiz für tarifgerechte Entlohnung zu schaffen,  sondern vielmehr genutzt wird,  einer Wett- bewerbsverzerrung zu Lasten tarifgebundener Einrich- tungen Vorschub zu leisten, indem die Möglichkeit der Anerkennung  übertariflicher  Bezahlung  selektiv  ge- nutzt wird und der „Abwerbung“ von Pflegefachkräf- ten dient, ohne das Durchschnittsniveau der Gehälter für Beschäftigte zu verbessern . Der Bundesrat fordert die Bundesregierung daher auf, die Neuausrichtung der Vergütungsverfahren auf der Grundlage der oben genannten Änderungen zu evalu- ieren und bis 31 . Dezember 2019 einen Evaluationsbe- richt vorzulegen . Schwerpunkte der Evaluation sollten – die Entwicklung der Vergütungen und der Perso- nalstruktur, differenziert nach nicht-tarifgebunden  und tarifgebunden Einrichtungen, sowie die –  Auswirkungen auf die jeweiligen Pflegevergütun- gen und die Finanzierungsanteile insbesondere der Betroffenen, ihrer Angehörigen und der Sozialhilfe sein . Begründung zu Ziffer 4: Die Regelung zur tarifentsprechenden Bezahlung des Personals in nicht tarifgebundenen Einrichtungen ist grundsätzlich begrüßenswert . Allerdings werfen die jetzt gewählten Formulierungen Fragen hinsichtlich ih- rer praktischen Umsetzung und der daraus resultierenden Auswirkungen auf . Fraglich ist insbesondere, wie sich die Regelungen auf das Tarifvertragsgefüge auswirken, wie die grundsätzlich eingeräumte Möglichkeit übertariflicher Bezahlung von  nicht-tarifgebunden Einrichtungen genutzt wird und ob diesen hierdurch ein Vorteil gegenüber tarifgebunden Einrichtungen entsteht . Es ist nicht auszuschließen, dass nicht-tarifgebundene Einrichtungen ihre Gesamtperso- nalkonzeption darauf ausrichten werden, die Möglichkeit der Anerkennung einer über tarifliche Vergleichsentgelte  hinausgehenden Vergütung nur für spezielle Fachkräfte zu nutzen . So könnte das Durchschnittsniveau der Gehäl- ter für das Gros der Beschäftigen unverändert (gering) bleiben,  um  übertarifliche  Gehälter  für  Fachkräfte  mit  „Leitungsverantwortung oder Übernahme besonderer Aufgaben“ (vgl . Begründung zu §§ 84 und 89 Absatz 1 SGB XI in der Beschlussempfehlung und dem Bericht des federführenden Gesundheitsausschusses des Deut- schen Bundestages, BT-Drucksache 18/10510, hinsicht- lich der Frage des Vorliegens eines „sachlichen Grundes“ für eine über Tarifniveau hinausgehende Vergütung) zu finanzieren und damit  ihre Attraktivität  als Arbeitgeber  zu steigern, ohne ihr Einrichtungspreisniveau wesentlich zu verändern . Es ist nicht auszuschließen, dass damit aus den ta- rifgebundenen Einrichtungen Fachkräfte abgeworben werden . Eine Splittung der Gehälter birgt gegebenen- falls sogar die Gefahr der Verschlechterung der finanzi- ellen Situation eines großen Teils der Beschäftigten in nicht-tarifgebundenen Einrichtungen in sich . Um dies zu vermeiden, fehlt – zur Wahrung der Gleichbehandlung der Einrichtungen – in den jetzt geänderten Vorschriften eine konkrete Vorgabe, die bestimmt, dass für den Fall ei- ner Orientierung am Tarifniveau diese für alle Beschäfti- gen in nicht-tarifgebundenen Einrichtungen gelten muss . – Erstes Gesetz zur Änderung des Luftsicherheitsge- setzes – Gesetz zur Änderung des Versorgungsrücklagege- setzes und weiterer dienstrechtlicher Vorschriften – Gesetz über Maßnahmen zur Förderung des deut- schen Films (Filmförderungsgesetz – FFG) – … Gesetz zur Änderung des Gesetzes über die in- ternationale Rechtshilfe in Strafsachen – Gesetz zur Änderung des Völkerstrafgesetzbuches – Drittes Gesetz zur Änderung der Insolvenzordnung und zur Änderung des Gesetzes, betreffend die Ein- führung der Zivilprozessordnung – Sechstes Gesetz zur Änderung des Fernstraßenaus- baugesetzes – Drittes Gesetz zur Änderung des Bundesschienen- wegeausbaugesetzes – Gesetz über den Ausbau der Bundeswasserstraßen und zur Änderung des Bundeswasserstraßengeset- zes Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 213 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 20 . Januar 201721418 (A) (C) (B) (D) – Gesetz zu dem Abkommen vom 22. März 2016 zwi- schen der Regierung der Bundesrepublik Deutsch- land und der Regierung der Republik Serbien über die Zusammenarbeit im Sicherheitsbereich – Gesetz zu dem Abkommen vom 31. Mai 2013 zwi- schen der Regierung der Bundesrepublik Deutsch- land und dem Ministerrat der Republik Albanien über die Zusammenarbeit im Sicherheitsbereich – Gesetz zu dem Abkommen vom 9. Juli 2014 zwi- schen der Regierung der Bundesrepublik Deutsch- land und der Regierung von Georgien über die Zusammenarbeit bei der Bekämpfung der Organi- sierten Kriminalität, des Terrorismus und anderer Straftaten von erheblicher Bedeutung – Gesetz zu dem Protokoll vom 27. Juni 1997 zur Neufassung des Internationalen Übereinkommens vom 13. Dezember 1960 über Zusammenarbeit zur Sicherung der Luftfahrt „EUROCONTROL“ – Gesetz zu dem Protokoll vom 8. Oktober 2002 über den Beitritt der Europäischen Gemeinschaft zum Internationalen Übereinkommen vom 13. Dezem- ber 1960 über Zusammenarbeit zur Sicherung der Luftfahrt „EUROCONTROL“ entsprechend den verschiedenen vorgenommenen Änderungen in der Neufassung des Protokolls vom 27. Juni 1997 – Drittes Gesetz zur Änderung des Bundeswaldgeset- zes – Gesetz zum Schutz vor Manipulationen an digita- len Grundaufzeichnungen – Gesetz zur verbesserten Durchsetzung des An- spruchs der Urheber und ausübenden Künstler auf angemessene Vergütung und zur Regelung von Fragen der Verlegerbeteiligung – Gesetz zur Änderung von Vorschriften zur Vergabe von Wegenutzungsrechten zur leitungsgebundenen Energieversorgung – Gesetz zur Änderung der Bestimmungen zur Stromerzeugung aus Kraft-Wärme-Kopplung und zur Eigenversorgung – Gesetz zur Neuordnung der Verantwortung in der kerntechnischen Entsorgung Der Bundesrat hat ferner folgende Entschließung ge- fasst: 1 . Der Bundesrat sieht in dem Gesetz einen wichtigen Schritt zur Sicherstellung der Finanzierung der Stillle- gung und des Rückbaus der Kernkraftwerke sowie der Entsorgung der radioaktiven Abfälle . Er begrüßt, dass dabei im Bereich der kerntechnischen Entsorgung die Handlungsverantwortung mit der Pflicht zur Finanzie- rungssicherung grundsätzlich zusammengeführt wor- den ist . 2 . Das Gesetz begrenzt seinen gegenständlichen An- wendungsbereich jedoch bislang auf die in Anhang 1 des Entsorgungsfondsgesetzes aufgeführten Anlagen zur Spaltung von Kernbrennstoffen zur gewerblichen  Erzeugung von Elektrizität . Es weicht insoweit vom atomrechtlichen Verursachungsprinzip, das alle Ak- teure und Stadien des Brennstoffkreislaufs erfasst, ab.  Um  den  gesamten  Brennstoffkreislauf  zu  erfassen,  sollte daher nach einer dreijährigen Anwendungsphase das Gesetz im Lichte der zwischenzeitlichen Erfah- rungen daraufhin überprüft werden, ob es einer Ergän- zung des gegenständlichen Anwendungsbereichs be- darf . Dabei ist zu evaluieren, ob es zweckmäßig oder sogar notwendig ist, Forschungsanlagen (wie z . B . den THTR 300) oder gewerbliche Anlagen der Brennstoff- versorgung, in denen radioaktive Abfälle angefallen sind oder künftig noch anfallen werden, unter Anwen- dung des Verursacherprinzips ebenfalls zu erfassen . Die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hat mitge- teilt, dass sie den Antrag Mehr Frauen auf allen Füh- rungsebenen auf Drucksache 18/773 zurückzieht . Die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hat mit- geteilt, dass sie den Antrag Radargeschädigte der Bun- deswehr und der ehemaligen NVA zügig entschädigen auf Drucksache 18/6649 zurückzieht . Die folgenden Ausschüsse haben mitgeteilt, dass sie gemäß § 80 Absatz 3 Satz 2 der Geschäftsordnung von einer Berichterstattung zu den nachstehenden Vorlagen absehen: Auswärtiger Ausschuss – Unterrichtung durch die Bundesregierung Vierter Bericht der Bundesregierung über die Um- setzung des Aktionsplans „Zivile Krisenpräventi- on, Konfliktlösung und Friedenskonsolidierung“ (Berichtszeitraum: Juni 2010 bis Mai 2014) Drucksache 18/3213 Haushaltsausschuss – Unterrichtung durch die Bundesregierung Haushaltsführung 2016 Mitteilung gemäß § 37 Absatz 4 der Bundeshaus- haltsordnung über die Einwilligung in eine über- planmäßige Ausgabe bei Kapitel 08 01 Titel 687 31 – Sonstige Leistungen im Rahmen der Wieder- gutmachung an Opfer der nationalsozialistischen Verfolgung – bis zu einer Höhe von 17 Mio. Euro Drucksachen 18/10011, 18/10307 Nr. 3 – Unterrichtung durch die Bundesregierung Haushaltsführung 2016 Mitteilung gemäß § 37 Absatz 4 der Bundeshaus- haltsordnung über die Einwilligung in eine über- planmäßige Ausgabe bei Kapitel 11 02 Titel 636 12 – Erstattung von Aufwendungen der Deutschen Rentenversicherung Bund aufgrund der Überfüh- rung von Zusatzversorgungssystemen in die RV – bis zu einer Höhe von 14 Mio. Euro Drucksachen 18/10194, 18/10307 Nr. 10 – Unterrichtung durch die Bundesregierung Haushaltsführung 2016 Mitteilung gemäß § 37 Absatz 4 der Bundeshaus- haltsordnung über die Einwilligung in eine über- Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 213 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 20 . Januar 2017 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 213 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 20 . Januar 2017 21419 (A) (C) (B) (D) planmäßige Ausgabe bei Kapitel 11 02 Titel 636 85 – Zuschüsse zu den Beiträgen zur Rentenversi- cherung der in Werkstätten und Integrationspro- jekten beschäftigten behinderten Menschen – bis zu einer Höhe von 27 Mio. Euro Drucksachen 18/10195, 18/10307 Nr. 11 – Unterrichtung durch die Bundesregierung Haushaltsführung 2016 Mitteilung gemäß § 37 Absatz 4 der Bundeshaus- haltsordnung über die Einwilligung in eine über- planmäßige Ausgabe bei Kapitel 0813 Titel 688 04 – Zahlungen an die EU für abzuführende Zölle, soweit diese nicht eingenommen worden sind, ein- schließlich der Zinsen gemäß Artikel 11 der Rats- verordnung 1150/2000 – bis zur Höhe von 23,629 Mio. Euro Drucksachen 18/10693, 18/10924 Nr. 1.8 Ausschuss für Wirtschaft und Energie – Unterrichtung durch die Bundesregierung Tätigkeitsbericht 2014/2015 der Bundesnetzagen- tur – Telekommunikation mit Sondergutachten der Monopolkommission – Telekommunikation 2015: Märkte im Wandel Drucksachen 18/7010, 18/7276 Nr. 2 – Unterrichtung durch die Bundesregierung Tätigkeitsbericht 2014/2015 der Bundesnetzagen- tur – Post mit Sondergutachten der Monopolkommission – Post 2015: Postwendende Reform – Jetzt! Drucksachen 18/7011, 18/7276 Nr. 3 – Unterrichtung durch die Bundesregierung Tätigkeitsberichte 2014/2015 der Bundesnetzagen- tur – Telekommunikation und Post mit den Sondergutachten der Monopolkommission Telekommunikation 2015: Märkte im Wandel und Post 2015: Postwendende Reform – Jetzt! Drucksachen 18/7010 und 18/7011 hier: Stellungnahme der Bundesregierung Drucksachen 18/10040, 10307 Nr. 5 – Unterrichtung durch die Bundesregierung Bericht nach § 3 des Energieleitungsausbaugeset- zes Drucksachen 18/9855, 18/10102 Nr. 4 – Unterrichtung durch die Bundesregierung Stand und Bewertung der Exportinitiative Erneu- erbare Energien für die Jahre 2012 bis 2014 Drucksachen 18/10000, 18/10307 Nr. 2 Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur – Unterrichtung durch die Bundesregierung Bericht über Maßnahmen auf dem Gebiet der Unfall- verhütung im Straßenverkehr 2014 und 2015 (Unfallverhütungsbericht Straßenverkehr 2014/15) Drucksachen 18/9640, 18/9879 Nr. 1 – Unterrichtung durch die Bundesregierung Regierungsprogramm Wasserstoff- und Brenn- stoffzellentechnologie 2016 bis 2026 – von der Marktvorbereitung zu wettbewerbsfähigen Pro- dukten Drucksachen 18/9910, 18/10102 Nr. 9 Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reak- torsicherheit – Unterrichtung durch die Bundesregierung Hauptgutachten 2016 des Wissenschaftlichen Bei- rats der Bundesregierung Globale Umweltverände- rungen Der Umzug der Menschheit: Die transformative Kraft der Städte Drucksachen 18/9590, 18/9733 Nr. 1.3 Die Vorsitzenden der folgenden Ausschüsse haben mitgeteilt, dass der Ausschuss die nachstehenden Uni- onsdokumente zur Kenntnis genommen oder von einer Beratung abgesehen hat . Auswärtiger Ausschuss Drucksache 18/10706 Nr . A .1 EU-Dok 496/2016 Drucksache 18/10706 Nr . A .2 Ratsdokument 14392/16 Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Drucksache 18/7286 Nr . A .9 Ratsdokument 15261/15 Haushaltsausschuss Drucksache 18/9605 Nr . A .36 KOM(2016)300 endg . Drucksache 18/10116 Nr . A .18 Ratsdokument 12186/16 Drucksache 18/10116 Nr . A .19 Ratsdokument 12873/16 Drucksache 18/10311 Nr . A .12 Ratsdokument 12741/16 Drucksache 18/10311 Nr . A .13 Ratsdokument 12769/16 Drucksache 18/10311 Nr . A .14 Ratsdokument 13373/16 Drucksache 18/10449 Nr . A .12 Ratsdokument 13147/16 Drucksache 18/10449 Nr . A .13 Ratsdokument 13377/16 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 213 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 20 . Januar 201721420 (A) (C) (B) (D) Satz: Satzweiss.com Print, Web, Software GmbH, Mainzer Straße 116, 66121 Saarbrücken, www.satzweiss.com Druck: Printsystem GmbH, Schafwäsche 1-3, 71296 Heimsheim, www.printsystem.de Vertrieb: Bundesanzeiger Verlag GmbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de Ausschuss für Wirtschaft und Energie Drucksache 18/9605 Nr . A .50 Ratsdokument 10587/16 Drucksache 18/10449 Nr . A .14 Ratsdokument 13500/16 Drucksache 18/10706 Nr . A .8 Ratsdokument 14261/16 Ausschuss für Gesundheit Drucksache 18/9746 Nr . A .7 Ratsdokument 11520/16 Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur Drucksache 18/8936 Nr . A .24 ERH 8/2016 Drucksache 18/10116 Nr . A .23 EP P8_TA-PROV(2016)0322 Drucksache 18/10116 Nr . A .24 Ratsdokument 12279/16 Drucksache 18/10311 Nr . A .25 Ratsdokument 12259/16 Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit Drucksache 18/10116 Nr . A .25 Ratsdokument 12574/16 Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe Drucksache 18/9605 Nr . A .65 Ratsdokument 10800/16 213. Sitzung Inhaltsverzeichnis TOP 21 Arbeitsprogramm der EU-Kommission 2017 TOP 22 Bundeswehreinsatz in Mali (MINUSMA) TOP 23 Ausbildungsunterstützung der Bundeswehr im Irak TOP 24 Zulassungspflicht für Finanzprodukte TOP 25 Jahresbericht 2015 des Wehrbeauftragten TOP 26 Friedens- und Konfliktforschung TOP 27 Unternehmensmitbestimmung Anlagen Anlage 1 Anlage 2 Anlage 3
Gesamtes Protokol
Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1821300000

Nehmen Sie bitte Platz. Die Sitzung ist eröffnet.

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich begrüße Sie alle
herzlich und möchte vor Eintritt in die Tagesordnung
dem Kollegen Hans-Joachim Schabedoth zu seinem
heutigen 65 . Geburtstag herzlich gratulieren .


(Beifall)


Alle guten Wünsche für das neue Lebensjahr!

Wir kommen nun zum Tagesordnungspunkt 21:

Vereinbarte Debatte

zum Arbeitsprogramm der EU-Kommissi-
on 2017

Die Debatte soll nach einer interfraktionellen Verein-
barung 60 Minuten dauern. – Das ist offensichtlich ein-
vernehmlich . Also können wir so verfahren .

Ich  eröffne  die Aussprache  und  erteile  das Wort  zu-
nächst der Kollegin Katarina Barley für die SPD-Frak-
tion .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. Katarina Barley (SPD):
Rede ID: ID1821300100

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lie-

be Gäste! Das vorliegende Arbeitsprogramm der Euro-
päischen Kommission für das Jahr 2017 ist Anlass für
unsere heutige Debatte . Aber die Fragen, die uns beschäf-
tigen, gehen weit darüber hinaus . Es geht im Moment um
nichts weniger als um die Frage, wohin sich Europa ent-
wickeln wird, wohin sich die Europäische Union entwi-
ckeln wird . Wir haben ja ein Jahr der Zäsuren hinter uns,
ein Jahr mit Brexit-Referendum, ein Jahr mit Wahlkampf
und Wahl in den USA; und Donald Trump wird heute
als Präsident der Vereinigten Staaten vereidigt werden .
All das wird die Architektur der Welt und die Architektur
innerhalb der Europäischen Union verändern .

Genauso wie für viele von Ihnen bedeutete für mich
die Idee der Europäischen Union, zusammenzuwachsen
und einander besser zu verstehen, indem man zusam-

menarbeitet und sich austauscht . Es ist schon bestürzend,
zu sehen, dass die bisherigen Entwicklungen umkehrbar
sind . Wir sind mit zwei Entwicklungen konfrontiert, die
mich und, wie ich vermute, die meisten hier im Saal sehr
besorgt machen .

Die eine Entwicklung ist, dass sich Menschen von Eu-
ropa, von der Idee der Europäischen Union abwenden,
weil sie sich nicht mehr erreicht fühlen, sich nicht ver-
standen fühlen, weil sie sich nicht als Ziel europäischer
Politik fühlen . Ich nenne als Beispiel eine Begegnung bei
einer Wanderung in Bayern . Ein selbstständiger Metzger,
der das Geschäft in fünfter Generation fortführt, sagte
mir: Es ist schon wieder eine neue Regelung aus Brüssel
gekommen . Ich muss schon wieder neue Hygienevor-
schriften beachten und müsste bauliche Veränderungen
vornehmen, wenn ich meinen Betrieb an die nachfolgen-
de Generation übergeben will . Das lohnt sich nicht mehr .
Irgendwann werden wir dichtmachen müssen . – Das ist
nur eine kleine Begebenheit . Es gibt viele davon, bei
denen die Menschen das Gefühl haben: Europa wird zu
sehr von der Logik der Märkte her gedacht, aus der Logik
der Wirtschaft gedacht und eben zu wenig aus der Logik
von Menschen .

Die zweite sehr besorgniserregende Entwicklung ist
die der wachsenden nationalen Egoismen . Das ist keine
ganz neue Entwicklung . Das hatten wir schon bei Maggie
Thatcher . Insofern ist es wahrscheinlich auch kein Zu-
fall, dass nun Großbritannien das Land ist, welches die
Grundsatzfrage gestellt hat . Die Idee aber, dass man nicht
gemeinsam zu etwas beiträgt, sondern sich das größte
Stück herausbrechen will, haben wir schon lange .

Was wir jetzt aber zusätzlich sehen – zusätzlich zu
Unterbietungswettbewerben, die wir leider immer noch
haben in Form von Steuerdumping und auch Dumping
bei Sozialstandards –, ist noch etwas Weiteres: Es kommt
jetzt ein neuer Nationalismus, ein neuer Egoismus mit
einer ganz anderen Qualität und einer ganz anderen Ziel-
richtung dazu . Deswegen ist es so wichtig, dass sich die-
jenigen, welche die EU nach wie vor als ein Projekt der
Zukunft, als ein Projekt der Versöhnung, als ein Projekt
des gemeinsamen Wohlstandes ansehen, jetzt ernsthaft
überlegen, wie sich diese EU in Zukunft aufstellen soll .






(A) (C)



(B) (D)


Ich glaube, dass wir nach diesem Jahr der Zäsuren einen
neuen Aufschlag brauchen . Die EU ist ein Projekt, das
von Menschen gemacht wird . Deswegen haben wir es
auch in der Hand, Europa zu verändern . Und das müssen
wir tun .

Wir müssen die Rechtspopulisten bekämpfen, die eine
180-Grad-Wende hin zu einem neuen säbelrasselnden,
autoritären Nationalismus wollen . Das hat mit einem
freiheitlichen Europa in einem aufgeklärten Kontinent
überhaupt nichts mehr zu tun . Damit begänne eine Zeit
des Nationalismus, des Protektionismus und der auto-
ritären Regime . Das kann wirklich keiner wollen . Man
blicke einmal auf Polen und Ungarn und schaue sich an,
wem es da zuerst an den Kragen geht: der unabhängigen
Justiz, der freien Presse, der kritischen Kultur, den Rech-
ten der Frauen . Es sind immer die Gleichen, die darunter
zu leiden haben . Das kann wirklich kein Mensch wollen,
der an einem freiheitlichen Europa interessiert ist .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN)


Aber wir können und müssen Europa besser machen .
Das heißt für uns Sozialdemokratinnen und Sozialde-
mokraten vor allen Dingen, Europa sozialer zu machen .
Deswegen bin ich froh, dass die Europäische Kommissi-
on eine europäische Säule einziehen will . Das darf aber
keine reine Worthülse bleiben . Wir fordern das schon
lange; denn das bietet die Chance, wirklich ein Europa
der Bürger aufzubauen . Das heißt soziale Sicherungs-
standards, faire Mindestlöhne, das heißt ein Ende von
Steuerflucht und Steuerdumping. 

Das heißt auch ein Europa der Jugend; denn wir sehen
doch, dass wir vor allen Dingen in Südeuropa eine ganze
Generation für die europäische Idee verlieren . Die Idee
des Juncker-Plans, Investitionen zu stärken, ist der rich-
tige Ansatz . Aber Investitionen alleine werden uns nicht
helfen, wenn sie nicht in Beschäftigung münden, vor
allen Dingen in Beschäftigung von jungen Menschen;
denn sie sind unsere Zukunft im Kampf für ein geeintes
Europa .

Europa ist das, was wir daraus machen . Wir haben es
in der Hand . Unsere Generation wird sich später daran
messen lassen müssen, was wir aus dieser europäischen
Idee gemacht haben . Wir wollen einen neuen Aufbruch
in Europa für eine gute und eine gemeinsame Zukunft .

Vielen Dank .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1821300200

Gregor Gysi ist der nächste Redner für die Fraktion

Die Linke .


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. Gregor Gysi (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1821300300

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die

Europäische Union ist in einem desolaten Zustand . Lei-

der – das muss ich sagen – haben die Bundeskanzlerin
und der Bundesfinanzminister daran einen großen Anteil.


(Dr . Petra Sitte [DIE LINKE]: Das stimmt!)


Auch Vizekanzler und Minister Gabriel ist insofern mit-
schuldig, als er als Vizekanzler zu all dem geschwiegen
hat und sich als Wirtschaftsminister nicht eingemischt
hat .


(Zuruf von der SPD: Das stimmt jetzt nicht!)


Deutschland spielt eine führende Rolle in der Europäi-
schen Union . Und es gibt zwei Wege, wie man diese Rol-
le ausfüllen kann . Der erste Weg ist: Man baut den Süden
Europas und damit auch die Europäische Union auf . Der
zweite Weg ist: Man baut den Süden Europas und damit
auch die Europäische Union ab . Leider hat sich die Bun-
desregierung für den zweiten Weg entschieden . Das ist
verhängnisvoll .

Sie reden von Wettbewerbsfähigkeit, von wettbe-
werbsfähiger Demokratie . Die soziale Frage, die öko-
logische Nachhaltigkeit, die Solidarität – all das spielt
nicht die geringste Rolle; es interessiert Sie einfach nicht .


(Widerspruch bei Abgeordneten der CDU/ CSU – Christian Petry [SPD]: Das ist nicht wahr!)


Permanent wird vom Süden Europas gefordert: Runter
mit den Löhnen, runter mit den Renten, runter mit den So-
zialleistungen! Das sind aber Länder, die im Unterschied
zu Deutschland nicht vom Export, sondern von der Bin-
nenwirtschaft leben . Wenn Sie permanent die Kaufkraft
reduzieren – ich bin noch gar nicht bei der sozialen Fra-
ge –, dann bringt das mit sich, dass die Binnenwirtschaft
geschwächt wird . Das heißt, dass die Steuereinnahmen
zurückgehen, und das bedeutet, dass die Schulden nie-
mals zurückgezahlt werden können .


(Zurufe von der SPD)


Was wir gebraucht hätten, wäre ein Marshallplan für
den Süden gewesen . Den haben Sie abgelehnt . Aber
Deutschland – nicht die DDR, aber die Bundesrepu-
blik – bekam nach dem schlimmsten Krieg, nach den
schlimmsten Verbrechen nach 1945 einen Marshallplan,
der beim Aufbau geholfen hat . Nicht nur das: Acht Jahre
nach diesen entsetzlichen Verbrechen tagte eine Schul-
denkonferenz in London: 1953 . Auf ihr wurden Deutsch-
land fast alle Schulden erlassen . Vergleichen Sie das ein-
mal mit der Art und Weise, wie Sie den Süden Europas
behandeln .


(Beifall bei der LINKEN – Michael GrosseBrömer [CDU/CSU]: Ein sehr gewagter Vergleich!)


Ich behaupte, wir brauchen jetzt, 64 Jahre nach 1953,
wieder eine Schuldenkonferenz, nicht nur für Griechen-
land, sondern für die gesamte Euro-Zone .


(Beifall bei der LINKEN)


Bestimmte Schulden müssen einfach gestrichen werden .
Ich darf Sie an die Bibel erinnern, an das Alte Testament,

Dr. Katarina Barley






(A) (C)



(B) (D)


an die Verse 8 bis 55 im 3 . Buch Mose, Kapitel 25 – lesen
Sie das einmal –:


(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Sie müssen uns nicht an die Bibel erinnern!)


Da steht etwas von einem Schuldenerlass alle sieben Jah-
re, aber zumindest nach 50 Jahren im sogenannten Jubel-
jahr. – Ich finde, die Christdemokratinnen und Christde-
mokraten könnten sich doch wenigstens einmal nach der
Bibel richten . Das wird höchste Zeit .


(Beifall bei der LINKEN – Zuruf des Abg . Dr . Franz Josef Jung [CDU/CSU])


Wenn man den Banken sagt: „Alle 64 Jahre gibt es einen
Schuldenerlass“, dann gewöhnen sie sich auch daran . Sie
müssen es nur wissen . Ich glaube, dass das der richtige
Weg wäre .

Die EU ist unsolidarisch . Ich nenne ein Beispiel:
Deutschland hat die Solidarität mit Griechenland aufge-
kündigt . Das war deshalb so verhängnisvoll, weil sich
alle anderen Regierungen gesagt haben: Ach, so werden
wir behandelt, wenn es uns schlechtgeht . – Ich erinne-
re daran, dass die italienische Regierung, als sehr viele
Flüchtlinge nach Italien kamen, um EU-Flüchtlingsquo-
ten bat . Was sagte die Bundesregierung? Wir haben das
Abkommen von Dublin . Das kommt gar nicht infrage .
Das ist eure Angelegenheit .

Etwa zehn Monate später kamen sehr viele Flüchtlin-
ge nach Deutschland, und plötzlich wollte die Bundesre-
gierung EU-Flüchtlingsquoten . Ich habe selten in solch
wonnige Gesichter von Staats- und Regierungschefs ge-
sehen, die uns allen den mittleren Finger gezeigt haben .
Da war mir klar: Die Solidarität in der EU ist kaputt . Und
das geht nicht .


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN – Zurufe der Abg . Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Wissen Sie, was der Höhepunkt war? Als jetzt in Grie-
chenland etwas Geld übrig blieb, hat man entschieden,
dieses Geld den Ärmsten zur Verfügung zu stellen . Frau
Merkel  und  Herr  Schäuble  haben  ein Affentheater  ge-
macht und gedroht, dass alle weiteren Hilfen für Grie-
chenland gestrichen werden . Sie müssen sich einmal
überlegen, wie das bei den Leuten in Europa ankommt,
wenn man eine solch kleine Geste derart beschimpft .

Ich muss noch etwas sagen:

Die EU ist unsozial . Der Süden hat in den letzten Jah-
ren nichts anderes als Sozialabbau kennengelernt, und
auch in Deutschland haben wir den größten Niedriglohn-
sektor in Europa und millionenfache prekäre Beschäfti-
gung .

Die EU ist auch ökologisch nicht nachhaltig . Ich sage
immer: unzureichende Ziele und unzureichende Realisie-
rung von Maßnahmen im Kampf gegen den Klimawan-
del .

Die EU ist intransparent . Die TTIP-Verhandlungen
wurden als Geheimverhandlungen geführt . Ich beurteile
die Tatsache, dass Trump heute Präsident der Vereinig-
ten Staaten von Amerika wird, natürlich äußerst kritisch .

Aber Sie wissen: Negative Entwicklungen haben immer
auch ein positives Körnchen . Es könnte ja sein, dass er
TTIP fallen lässt, und das wäre dann im Interesse der Eu-
ropäerinnen und Europäer .


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN – Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Eine ganz gewagte These!)


Die EU ist undemokratisch . Ich werde Ihnen auch sa-
gen, warum die EU undemokratisch ist: weil sie einen
Regierungsföderalismus begründet hat . Man interessiert
sich diesbezüglich weder für das nationale Parlament
noch für das Europäische Parlament .


(Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ist Ihre Rede gegen die EU nicht unsozial und undemokratisch?)


Ich nenne Ihnen ein Beispiel: Weil Erdogan die Türkei
von einer Demokratie zu einer Despotie und zu einer
Diktatur entwickelt, hat das Europäische Parlament be-
schlossen, die Beitrittsverhandlungen auszusetzen . Was
sagt die Kanzlerin? Nein, wir verhandeln weiter . Viel-
leicht machen wir kein neues Kapitel . – Es interessiert
sie einfach nicht . Das bekommen doch die Europäerin-
nen und Europäer mit und vertrauen deshalb der Struktur
nicht mehr .

Außerdem ist alles wirr . Stichwort „Europarecht“ –
Sie haben es erwähnt –: Jeder Bürgermeister stützt sich
auf das Europarecht . In der einen Hälfte der Fälle zu
Recht, in der anderen Hälfte ist der Zusammenhang frei
erfunden . So geht es nicht weiter . Die Leute verlieren
jede Übersicht .

Nun will die EU auch noch militärisch werden . Ich
sage Ihnen klipp und klar – auf den Ersatz nationaler
Streitkräfte könnten wir uns verständigen; aber das kann
man ja vergessen; das alles kommt hinzu –: Wir sind
strikt dagegen, dass die Europäische Union invasionsfä-
hig wird .


(Beifall bei der LINKEN)


Aber nachdem ich das alles gesagt habe, muss ich Ih-
nen begründen, weshalb ich einen Neustart will und die
EU retten will .


(Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ach! Sie machen doch die EU fertig! – Zuruf von der CDU/CSU: Wie altruistisch!)


– Es ist ja scheinbar ein Widerspruch: Erst mache ich die
EU fertig, und dann kommt das Gegenteil . Aber ich bin
eben ein Dialektiker . Das kennen Sie nicht .

Erster Grund: die Jugend . Die Jugend ist europäisch
aufgewachsen . Die meisten Jugendlichen sprechen ganz
gut Englisch . Die haben mal hier, mal dort gearbeitet,
sie haben mal hier, mal dort studiert etc . Stellen Sie sich
doch mal vor, es gäbe wieder die alten Nationalstaaten
mit Grenzbäumen . Dann bestünde irgendwann wieder
die Notwendigkeit, einen Pass zu haben . Gibt es irgend-
wo einen Konflikt, dann wird eine Visumspflicht einge-
führt . Stellen Sie sich mal vor: Zwei Monate bevor Sie
nach Paris fliegen wollen, müssen Sie erst einmal ein Vi-

Dr. Gregor Gysi






(A) (C)



(B) (D)


sum in der französischen Botschaft beantragen! Das ist
für uns Alte ja kaum vorstellbar, aber für die Jungen eine
blanke Katastrophe . Das ist der erste Grund, weshalb das
nicht geht .


(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Sie werden echt so langsam zum Märchenonkel!)


Zweiter Grund . Die weltpolitische Relevanz der Nati-
onalstaaten können Sie vergessen . Was glauben Sie, wel-
che Rolle Luxemburg im Nahostkonflikt spielt? Nur als 
EU sind wir ein Faktor .

Dritter Grund . Ökonomisch haben wir als National-
staaten im Verhältnis zu China und den USA nichts zu
bestellen . Nur als EU sind wir ein Faktor .

Vierter Grund . Die deutsche Nationenbildung kam,
weil wir schlechte Revolutionäre sind – ich erinnere an
1848 –, ja erst 1871 . Zu spät! Da war die koloniale Auf-
teilung der Welt abgeschlossen, was wir heute begrüßen
können; denn wir müssen uns nicht ganz so oft entschul-
digen wie andere . Wir bekamen nur einen kleinen Teil
Afrikas . Die Herrschenden fühlten sich jedoch zu kurz
gekommen. Sie hatten nicht den Zugang zu Rohstoffen, 
konnten die Leute nicht so ausbeuten wie andere . Des-
halb gab es immer wieder diesen deutschen Sonderweg,
den Versuch der Neuordnung der Welt . Erster Weltkrieg,
Zweiter Weltkrieg – gescheitert . Eine Schlussfolgerung
bestand darin, Deutschland international zu verankern .
Ich will nicht zurück zum alten deutschen Nationalstaat .


(Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es klingt aber manchmal so! – Christian Petry [SPD]: Was denn jetzt?)


Es gibt wieder Rechte, die davon träumen, die Einfluss-
sphären zu erweitern . Genau diesen deutschen Sonder-
weg möchte ich für immer ausschließen . Auch deshalb
will ich die Verankerung in der Europäischen Union .


(Beifall bei der LINKEN)


Der fünfte und letzte Grund ist ganz einfach: Es gab
noch nie zwischen zwei Mitgliedsländern der Europäi-
schen Union einen Krieg, während vorher die ganze
europäische Geschichte durch Kriege zwischen diesen
Staaten gekennzeichnet war .

Vor diesem Hintergrund sage ich Ihnen zum Schluss:
Wenn Sie nicht ernsthaft für eine solidarische, sozial
gerechte, demokratische, transparente, unbürokratische
und unmilitärische Europäische Union streiten, wird
die Rechtsentwicklung, die wir in den USA, in Polen,
in Ungarn, in Finnland, in Dänemark, in Frankreich und
in Deutschland erleben, zunehmen . Wenn wir sie hier in
Deutschland wirksam bekämpfen, dann können wir sie
auch in Europa bekämpfen .


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1821300400

Für die CDU/CSU-Fraktion hat nun die Kollegin

Groden-Kranich das Wort .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Ursula Groden-Kranich (CDU):
Rede ID: ID1821300500

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr

Gysi, die Linke zitiert immer dann Bibelverse, wenn es
opportun ist .


(Dr . Petra Sitte [DIE LINKE]: Die CDU gar nicht!)


Wenn wir auf kommunaler Ebene christliche Kitas oder
Schulen unterstützen, dann ducken Sie sich ganz schnell
weg .


(Beifall bei der CDU/CSU – Zuruf von der LINKEN: Quatsch!)


Das dominierende Thema meiner ersten vier Jah-
re im Deutschen Bundestag und im EU-Ausschuss war
die Krisenbewältigung . Die erste Sondersitzung meiner
Mandatszeit thematisierte die dramatische Situation in
der Ukraine . Es folgten zahllose Unterrichtungen zur
Lage in Griechenland . Und unser Kontinent sah sich mit
der größten Flüchtlingswelle seit dem Ende des Zweiten
Weltkriegs konfrontiert . Als wäre das noch nicht genug,
beschäftigen wir uns künftig zusätzlich mit den Fragen,
welche der Brexit für uns aufwirft . Auch bei Gesprächen
in Brüssel dominierten bislang Krisenbewältigung und
Schadensbegrenzung . Europa täte es gut, wenn wir uns
deutlich häufiger mit unseren Erfolgen und der Schönheit 
unseres gemeinsamen europäischen Projekts beschäfti-
gen würden .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Leider wird das Arbeitsprogramm der EU-Kommis-
sion für das Jahr 2017 diesem Anspruch nicht wirklich
gerecht . Überschrieben ist es mit „Für ein Europa, das
schützt, stärkt und verteidigt“, und genau das sind die
Bereiche, in denen Europa zu alter Stärke zurückfinden 
muss .

Anfang dieser Woche wählten die Kolleginnen und
Kollegen im Europäischen Parlament Antonio Tajani zu
ihrem neuen Präsidenten . Mit ihm haben sich die Ab-
geordneten abermals für einen überzeugten und leiden-
schaftlichen Europäer entschieden .


(Lachen bei Abgeordneten der SPD, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


In diesen Tagen von aufziehendem US-amerikanischen
Protektionismus und nationalstaatlicher Verklärung sind
diese Charaktereigenschaften in unserer europäischen
Wertegemeinschaft sehr gefragt . Denn dies ist die Euro-
päische Union für mich: eine Wertegemeinschaft .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Man  kann  es  nicht  häufig  genug  betonen: Wir  sind 
mehr als ein Binnenmarkt von über 500 Millionen Men-
schen . Uns verbinden das christlich-abendländische
Erbe, unsere gemeinsame Vergangenheit und eben auch
unsere gemeinsame Zukunft .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Selbst wenn Europa nicht mehr wäre als ein Friedenspro-
jekt, würde es sich mehr als lohnen, dafür zu kämpfen .

Dr. Gregor Gysi






(A) (C)



(B) (D)


70 Jahre Frieden sind eine beispielslose Erfolgsgeschich-
te .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Die Europäische Union ist aber – und das ist meine
feste Überzeugung – auch unsere einzige Chance, in ei-
ner globalisierten Welt bestehen zu können . Daher ist der
Grundsatz der Kommission genau richtig: Europa muss
klein sein in den kleinen Dingen, aber groß, wenn es um
die wirklichen Herausforderungen unserer Zeit geht .

Als nationaler Gesetzgeber muss auch dieses Hohe
Haus seiner Verantwortung gerecht werden . Wir müssen
Subsidiarität nicht nur einfordern, sondern auch leben .
Immer wieder müssen wir kritisch fragen: Was können
wir national regeln? Was muss Europa regeln? Gemein-
sam mit unseren europäischen Partnern müssen wir uns
fit machen  für die Herausforderungen unserer Zeit und 
der Zukunft . Die Welt um uns herum ändert sich in ra-
sender Geschwindigkeit – und wir sind gut beraten, uns
diesen Änderungen frühzeitig zu stellen .

Auch im Jahr 2017 werden wir mit der Bewältigung
der europäischen Staatsschuldenkrise zu kämpfen haben .
Richtigerweise haben wir uns europaweit darauf verstän-
digt, den Teufelskreis zwischen Bankenkrise, Banken-
rettung und Staatsschuldenkrise zu durchbrechen . Durch
das sogenannte Bail-in müssen zunächst Eigner und
Gläubiger einer in Notlage geratenen Bank aktiv werden,
um diese zu stabilisieren . Erst in einem weiteren Schritt
kommt ein dezidiert von der Bankenwelt finanzierter Ab-
wicklungsfonds zum Zuge . Diese Aufteilung ist essenzi-
ell wichtig, um alle europäischen Steuerzahler vor Risi-
ken in ungeahnter Höhe zu schützen . Doch was passiert
aktuell? Die EU-Kommission hat im Rahmen einer Aus-
nahmegenehmigung der italienischen Regierung erlaubt,
das in Schieflage geratene drittgrößte Finanzinstitut des 
Landes durch staatliche Hilfen zu stützen – und dies an-
gesichts einer Staatsschuldenquote von 130 Prozent der
jährlichen Wirtschaftsleistung!

Liebe Kolleginnen und Kollegen, bei solchen Ent-
scheidungen der EU-Kommission dürfen wir uns nicht
wundern, wenn Bürgerinnen und Bürger ihr Vertrauen in
die europäische Politik verlieren . Die EU-Kommission
muss ihre Rolle als Hüterin der Verträge wieder deutlich
ernster nehmen .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Nichts Geringeres steht auf dem Spiel als unsere Glaub-
würdigkeit . Wenn sich die europäischen Gesetzgeber auf
Regeln verständigen, dann muss es eine Selbstverständ-
lichkeit sein, dass diese auch umgesetzt und Verstöße
sanktioniert werden .

Dies gilt auch für Griechenland . Wir dürfen eben nicht
tolerieren, dass nationale Alleingänge – wie jüngst in der
Rentenpolitik des Landes – ohne Folgen bleiben und still-
schweigend hingenommen werden . Wer Entscheidungen
trifft, muss mit  den Konsequenzen  leben. Der Hinweis 
auf die eingeschränkte Souveränität eines Staates greift
hier übrigens nicht; denn dieser Staat hat sich mit dem
Beitritt zum Euro und zur EU auch zu deren Regeln be-
kannt . Wer Fremdkapital in nicht unbeträchtlicher Höhe
aufnimmt, sich der Bonität anderer Staaten bedient und

regelmäßig  an  seine  eigenen  Verpflichtungen  erinnert 
werden muss, tritt diese Solidarität mit Füßen .

Kommt die EU-Kommission mit ihrer geteilten Rolle
als politische Kommission und als Hüterin der Verträge
nicht zurecht, dann müssen wir die Konsequenzen ziehen
und Kompetenzen notfalls neu ordnen .

Im Bereich der Bankenunion haben wir mit der Eu-
ropäischen Zentralbank und der Europäischen Banken-
aufsichtsbehörde starke unabhängige Institutionen, auch
wenn wir so manches Anleihekaufprogramm so nicht
unterstützen würden .

Eine der größten Herausforderungen bleibt aber die
Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit . Hier muss Eu-
ropa stärker werden und mit aller Kraft Zukunft gestal-
ten . Wir müssen Europas Jugend den Glauben an das
europäische Projekt zurückgeben; denn wenn die nach-
folgenden Generationen nicht mehr an einen geeinten
Kontinent glauben, dann sind alle unsere heutigen An-
strengungen vergebens .

Liebe Kolleginnen und Kollegen, die EU-Kommis-
sion wählte für ihr Arbeitsprogramm den Titel „Für ein
Europa, das schützt, stärkt und verteidigt“; ich habe es
bereits erwähnt . Gerade im Bereich des Schutzes und der
Verteidigung haben wir in den letzten Monaten viel er-
reicht . Der neue europäische Grenz- und Küstenschutz
hat seine Arbeit bereits aufgenommen . Er hat mehr Kom-
petenzen und ist besser für den Schutz der EU-Außen-
grenzen ausgestattet als die bisherige Agentur Frontex .
Die EU hat damit gezeigt, dass sie handlungsfähig ist
und bestehende Probleme aktiv angeht, wenn sie diese
erkannt hat – auch wenn es uns oft nicht schnell genug
gehen kann .

Was mich bei der Lektüre des Arbeitsprogramms
sehr erstaunt und auch enttäuscht hat, war, dass der
Brexit lediglich mit einem Satz in der Einleitung kurz
erwähnt wurde . Auch wenn der Antrag nach Artikel 50
des EU-Vertrags noch nicht eingereicht ist, so müssen
wir doch diese historische Zäsur zur Kenntnis nehmen;
die Rede von Theresa May haben wir ja alle gehört . Nun
müssen wir uns auch vorbereiten . Wir müssen uns vor
Augen führen, dass wir das Vereinigte Königreich zwar
nicht als Partner verlieren, wir die Zusammenarbeit aber
auf eine völlig neue Grundlage stellen müssen . Und mehr
noch: Wir müssen erkennen, welche massiven Auswir-
kungen der Brexit auf die Menschen Europas hat . Wir
können und werden unsere Werte und Prinzipien nicht
opfern . Aber wir sind es nicht zuletzt unseren Kindern
schuldig, weiter für ein geeintes und kooperatives Euro-
pa zu werben und zu arbeiten .

Europäische Kommission, Rat und Europäisches Par-
lament haben sich für das Jahr 2017 viel vorgenommen .
Ich bin sehr froh darüber, dass EVP und Liberale eine
Vereinbarung zur Umsetzung einer Reformagenda be-
schlossen haben . Lippenbekenntnisse bringen uns nicht
weiter . Europas Bürger wollen Taten sehen . Nur wenn
alle europäischen Gesetzgeber an einem Strang – und in
die gleiche Richtung – ziehen, können wir die aktuellen
Herausforderungen bewältigen . Lassen Sie uns unseren
Teil dazu beitragen, dieses Arbeitsprogramm zu einer Er-
folgsgeschichte zu machen .

Ursula Groden-Kranich






(A) (C)



(B) (D)


Für uns Mitglieder des Ausschusses für die Angele-
genheiten der Europäischen Union ist es inzwischen
zur Routine geworden, uns alljährlich und immer wie-
der mit dem Arbeitsprogramm zu befassen . Ich werbe
nachdrücklich dafür, dass auch unsere Kolleginnen und
Kollegen in den anderen Fachausschüssen diese Chance
ergreifen . Die jährliche Programmplanung gibt uns die
Gelegenheit, mögliche Fehlentwicklungen frühzeitig zu
erkennen und mit den Instrumenten, die uns auf nationa-
ler und auf EU-Ebene zur Verfügung stehen, gegensteu-
ern zu können .

Lassen Sie uns gemeinsam auch im anstehenden Jahr
mit Leidenschaft, Freude und Zuversicht weiter am eu-
ropäischen Haus im globalen Dorf bauen . Ich bin sicher:
Europa wird es uns danken .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1821300600

Ich erteile das Wort nun der Kollegin Annalena

Baerbock für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen .


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Wir haben direkt nach dem Brexit eine Debat-
te hier im Deutschen Bundestag geführt, die mich sehr
positiv gestimmt hat . Da wurde sehr selbstkritisch von
allen Rednerinnen und Rednern gesagt, dass wir an uns
arbeiten müssen, dass wir aufhören müssen, mit dem Fin-
ger auf andere Länder und andere Menschen zu zeigen,
dass wir uns vielmehr fragen müssen: Was tun wir ei-
gentlich für Europa? .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der Abg . Dr . Petra Sitte [DIE LINKE])


Da wurde sehr deutlich gesagt: Wir müssen mit dieser
Kosten-Nutzen-Debatte aufhören, damit, zu sagen: Der
ist schuld. – Deswegen bin ich echt richtig getroffen von 
dem, was heute hier passiert ist .

Alle nehmen das Wort „Brexit“ in den Mund, aber
dann kommt wieder der alte Reflex. Herr Gysi, bei Ihrer 
Rede habe ich mich ehrlich gefragt, ob Sie Ihre Karten
verwechselt haben . Ihre „Blaming and shaming“-Argu-
mente schienen mir eher aus dem Jahr 2015 zu sein; viel-
leicht haben Sie sich damals zuletzt wirklich mit Europa
beschäftigt . Das ist die eine Sache .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Die andere Sache ist: Auch von Ihnen, Frau Groden-
Kranich, kam wieder der Vorwurf: Diese Griechen! Herr
Kauder dagegen hatte in der Debatte über den Brexit in
jedem zweiten Satz genau das Richtige gesagt; ich muss-
te aufpassen, dass ich nicht ständig klatsche . Er sagte
zum Beispiel:

Wenn es nicht gelingt, Europa in den Herzen der
Menschen zu verankern, dann wird es in Zukunft
sehr schwer für Europa, die gute Geschichte zu er-
zählen …

Frau Barley, Sie haben in Ihrer Rede das Beispiel von
einem Metzger erwähnt, dem Sie bei einer Wanderung
in den Bergen begegnet sind und der Ihnen gesagt hat:
Europa macht alles kaputt . Ich habe mich da gefragt: Wa-
rum antworten Sie dann nicht: „Oh ja, Sie haben recht .
Ich als SPD-Generalsekretärin werde alles dafür tun,
dass Deutschland das ändert“? Denn Deutschland ist Eu-
ropa; Europa ist nicht nur irgendwo in Brüssel .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Leider hat  sich offensichtlich  auch der Finanzminis-
ter nicht die Worte des Fraktionsvorsitzenden Kauder zu
Herzen genommen; denn man könnte doch gerade jetzt
eine wirklich gute Geschichte erzählen . Man könnte er-
zählen, wie wichtig es ist, dass Menschen Freunde haben,
Freunde, die einem in der Not helfen und einem, wenn
man aus der schlimmsten Situation herausgekommen ist,
sagen: Ich bin stolz auf dich . Das hast du gut gemacht .

In dieser Situation – deswegen, Herr Gysi, kann ich
Ihren Griechenland-Vergleich wirklich nicht verstehen –
befinden wir uns gerade. 


(Dr . Gregor Gysi [DIE LINKE]: Fahren Sie da mal hin!)


Griechenland hat die Reformen so umgesetzt, dass es
jetzt zu den Schuldenerleichterungsmaßnahmen kommt,
die immer versprochen wurden und die wir alle eingefor-
dert haben . Ein Schuldenschnitt wäre besser, ja, aber es
gibt doch eine positive Entwicklung .

Anstatt dass auch Sie das hochhalten und sagen:
„Griechenland hat richtig was getan; daran können wir
uns ein Beispiel nehmen“,


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


wird auch vonseiten der Union jetzt wieder gesagt: Oh,
die Griechen müssen jetzt aber ihre Aufgaben erfüllen .

Warum sagen wir nicht: „Solidarität zahlt sich
aus . Solidarität in Europa zahlt sich aus – für
die Griechen, für Deutschland, für Europa“?
Wir könnten damit gleichzeitig der Partei, die
leider aufgrund der Euro-Krise großgeworden
ist, den Spiegel vorhalten;


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


denn Europa ist nicht den Bach runtergegangen, weil wir
den Griechen geholfen haben . Nein!

Diese Geschichte könnte Herr Schäuble erzählen und
sagen: Hier ist mein Interview: Solidarität zahlt sich aus .
In Zahlen: Für Deutschland zahlt sich die Solidarität mit
722 Millionen Euro aus . – Das ist nämlich das Geld, das
Sie in den Bundeshaushalt aufgrund der EZB-Ankäufe
und der guten Zinspolitik eingestellt haben . Dieses Geld
ist nach Deutschland zurückgekommen und steht seit
2015 und 2016 im Haushalt . Aber das verschweigen Sie
einfach .

Warum sorgen Sie nicht für die Schlagzeile in der
Bild-Zeitung: „Das haben wir Deutschen aus der Grie-

Ursula Groden-Kranich






(A) (C)



(B) (D)


chenland-Solidarität für uns bekommen“? Stattdessen
liest man in der Welt ein Interview von Herrn Schäuble,
in dem er wieder sagt: Oh, wir müssen aufpassen; die
Verpflichtungen müssen eingehalten werden, sonst droht 
auf Dauer die Dekonstruktion des Euro . – Ist das Ihre
positive Geschichte von Europa, die Sie erzählen wollen,
sehr verehrte Damen und Herren?


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Es gibt viele Bereiche, über die wir positive Geschich-
ten erzählen können, auch im Arbeitsprogramm der Eu-
ropäischen Kommission . Ich habe jetzt nicht mehr so viel
Zeit und möchte deswegen nur zwei Stichpunkte nennen .
Wir sehen doch in Frankreich an Macron, dass es Power
gibt, wenn man positiv in die Zukunft schaut .


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ich teile nicht alles, was er fordert . Aber wenn die USA
jetzt von der großen Bühne verschwinden, auch bei
der Klimapolitik zum Beispiel, warum sagt dann allein
China: „Wir treten für die ökologische Transformation
ein“? Das müsste im Arbeitsprogramm der Europäischen
Kommission stehen .

Als Letztes: Sie reden immer vom Friedensprojekt Eu-
ropa . Herr Gysi, wenn Ihnen wirklich das Friedenspro-
jekt Europa am Herzen liegt, dann sollten Sie nicht selber
ein Säbelrasseln inszenieren, sondern sagen: Wir haben
die einmalige Chance, in Europa in diesem Jahr das Frie-
densprojekt wieder zum Leben zu erwecken, nämlich in
Zypern .

Denn das Wertvollste, was Europa geschaffen hat, ist 
der Frieden . Daran sollten wir auch für Zypern arbeiten .
Wir haben hier eine einmalige Chance .

Herzlichen Dank .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1821300700

Axel Schäfer ist der nächste Redner für die SPD-Frak-

tion .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Axel Schäfer (SPD):
Rede ID: ID1821300800

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das

Wichtigste ist, dass wir heute das Arbeitsprogramm der
EU-Kommission hier im Deutschen Bundestag disku-
tieren; denn damit zeigen wir: Wir sind ein Teil dieses
Europa . Europa ist nicht irgendetwas Fernes in Brüssel,
sondern es gehört zu uns . Wir wollen dies gemeinsam mit
der Kommission, mit dem Europäischen Parlament und
mit dem Rat als Deutsche zum Erfolg bringen .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Zu meinen Vorrednerinnen und Vorrednern nur zwei
Bemerkungen . Frau Groden-Kranich, Sie haben den neu-

en Präsidenten des Europäischen Parlaments, den frühe-
ren Pressesprecher von Silvio Berlusconi, gelobt . Der
Maßstab ist Martin Schulz . Wir werden genau schauen,
was in den nächsten Jahren passiert, ob das Europäische
Parlament eine Stimme, ein Gesicht und eine Macht auch
nach außen hat, um gemeinsame Interessen zu vertreten,
damit Europa auch zur Geltung kommt, oder ob der neue
Präsident nur ein Zeremonienmeister wird .


(Beifall bei der SPD)


Herr Kollege Gysi, Sie haben eine Reihe von Dingen
angesprochen, deren Melodie in etwa so klang: Die EU
ist unsolidarisch, die EU ist dieses oder ist jenes . – Wir
können über all das diskutieren . Aber wie Sie es intoniert
haben, war falsch . Die EU, das sind wir . Die EU, das sind
eben nicht nur die 28 Mitgliedstaaten, das sind auch die
Fraktionen im Europäischen Parlament, das sind auch wir
hier im Bundestag . Wir werden in diesem Jahr eine ande-
re Diskussion führen müssen . Wir dürfen bei nationalen
Problemen, die zu lösen wir nicht in der Lage sind – wir
könnten hier sehr, sehr lange über die Türkei reden –,
nicht mehr sagen: „Oh, die EU-Kommission ist schuld“
oder: „Macht ihr mal dort“, weil wir uns selbst unserer
Verantwortung nicht stellen . Die Bürgerinnen und Bür-
ger akzeptieren Europa dann nicht . Sie stehen nicht zu
diesem gemeinsamen Europa, wenn wir hier so tun: Un-
ser Land macht alles richtig, und wenn etwas schiefgeht,
ist Brüssel schuld . – Das führt zu Europaverdrossenheit .
Es sollte Anspruch jeder Partei, jeder Fraktion, egal ob
Regierung oder Opposition, in diesem Parlament sein,
das eben nicht zu machen . Wir dürfen die Verantwortung,
die wir gemeinsam wahrnehmen müssen, nicht irgendwo
anders hinschieben .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Es geht heute nur noch zum Teil um die Frage: Ha-
ben wir mehr eine christdemokratische oder mehr eine
linksorientierte, eine grüne, liberale oder – das wäre
am besten – sozialdemokratische Politik? Darum geht
es auch . Es geht aber heute in Europa vor allem um die
Existenz . Wir müssen uns, wenn es um die Existenz geht,
unserer Verantwortung bewusst werden . Tucholsky hat
vor über 80 Jahren geschrieben:

Da liegt Europa . Wie sieht es aus?

Wie ein bunt angestrichnes Irrenhaus .

. . .

Die Neuzeit tanzt als Mittelalter .

Die Nation ist das achte Sakrament –!

Gott segne diesen Kontinent .

Wir wissen, was in den 30er-Jahren passiert ist . Wir
sind heute in einer Situation, in der Nationalismus nicht
mehr nur irgendeine Meinung ist, ein Irrtum, der auf ei-
nen Irrweg führt, aber der in einem Irrsinn endet . Viel-
mehr geht es um die Existenz dessen, was wir alle uns
in unterschiedlichen Parteien und Fraktionen gemeinsam
versprochen haben, nämlich dass das wichtigste nationa-
le Interesse die europäische Einheit ist . Wir sind heute

Annalena Baerbock






(A) (C)



(B) (D)


in der Gefahr, statt in Vielfalt geeint in Einfalt geteilt zu
werden .

Deshalb wird es wichtig sein, was wir dagegenhalten
und wie wir es dagegenhalten . Es gibt keinen Grund, sich
für irgendeine Entscheidung in Europa zu entschuldigen,
die demokratisch legitimiert durch das Parlament und
den Rat und vorbereitet von der Kommission war und
am besten noch verfassungsrechtlich in 28 Mitgliedstaa-
ten abgesegnet war . Es gibt viele Gründe für Kritik . Man
kann Frau Mogherini kritisieren; dies aber eher weniger .
Man kann auch den Kollegen Oettinger kritisieren; ich
lobe ihn manchmal . Aber es muss immer deutlich wer-
den, dass es um Politik geht, dass es nicht um die Ge-
meinschaftsidee, dass es nicht um Institutionen geht .

Heute erleben wir einen Versuch von rechts, Europa
zu zerstören . Es heißt: Wenn jeder an sich selbst denkt,
ist an alle gedacht . – Der Internationale der Nationalis-
ten, die sich am Wochenende leider hier in Deutschland
zusammenfinden wollen, müssen wir etwas Starkes ent-
gegensetzen . Zum Beispiel haben alle Christdemokraten,
alle Grünen, alle Linken und Sozialdemokratinnen und
Sozialdemokraten sowieso in diesem Parlament gesagt:
Wir sind gegen den Brexit . Wir sind gegen Nationalis-
mus und Fremdenfeindlichkeit . – Das muss auch in die-
ser Woche deutlich in Richtung dieser Konferenz gesagt
werden . Es geht nicht mehr in erster Linie um Parteipo-
litik, sondern es geht um unsere gemeinsame Existenz in
Europa; denn sie steht auf dem Spiel . Dieser Anforde-
rung müssen wir auch gemeinsam gerecht werden, liebe
Kolleginnen und Kollegen .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Nationalismus ist nicht einfach nur irgendetwas
Schlimmes, das passieren kann . Nationalismus ist der
Triebsatz, den wir jeden Tag erleben . Er wird von Frem-
denfeindlichkeit gespeist, trägt den Hass in die Herzen
und zerstört die christlich, islamisch, jüdisch, kulturell
geprägte Nächstenliebe .

Dem müssen wir uns entgegenstellen . Wir müssen es
auch in einer anderen Weise machen . Es ist nicht irgend-
eine andere Haltung . Das hat Herr Höcke gezeigt . Hier
geht es um ein Verbrechen . Am Ende des Nationalismus
steht nicht irgendeine Politik in Europa, sondern Krieg .
Diese Dimension müssen wir deutlich machen .

Wir werden den Frieden nur erhalten, wenn wir es bei
uns tun und wenn wir gemeinsam für das stehen, was
unsere Verfassung uns auch aufgegeben hat . Wir wollen
als Deutsche gleichberechtigt in einem vereinten Europa
dem Frieden der Welt dienen . So soll es sein .


(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1821300900

Wolfgang Strengmann-Kuhn hat nun das Wort für die

Fraktion Bündnis 90/Die Grünen .


(BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In
der Tat steht in diesem Jahr für die Europäische Union
viel auf dem Spiel. Wir befinden uns  jetzt seit gut acht 
Jahren in der stärksten Wirtschafts- und Finanzkrise seit
den 20er-/30er-Jahren . Es gibt leider auch starke Paral-
lelen .

Es gab vor dieser Krise starke Parallelen: einen An-
stieg der Schulden – übrigens nicht nur der Staatsschul-
den;  deswegen  befinden  wir  uns  auch  nicht  in  einer 
Staatsschuldenkrise, es ist eine Finanzkrise – und einen
parallelen Anstieg der Vermögensungleichheit und der
Ungleichheit insgesamt . Ende der 20er-Jahre kam es
dann zur Finanzkrise . Ähnlich war es im Jahr 2008, aus-
gelöst durch Lehman Brothers .

Auch danach bestehen leider politisch Parallelen . Sei-
nerzeit gab es einen starken Rechtsruck in Europa . Jetzt
ist leider in vielen Ländern wieder ein starker Rechtsruck
zu beobachten, mittlerweile auch in Deutschland – noch
nicht so bedrohlich wie in den 30er-Jahren, aber trotzdem
zumindest besorgniserregend .

Es gab damals in den USA eine Ausnahme von die-
ser Entwicklung . Durch den New Deal von Präsident
Roosevelt ist es dort gelungen, diesen Rechtsruck zu
vermeiden . Einen solchen New Deal, am besten einen
grünen New Deal, bräuchten wir jetzt auch in der Euro-
päischen Union .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Es gab damals ein massives Investitionsprogramm
mit  öffentlichen  Investitionen.  Das  brauchen  wir  jetzt 
auch in der Europäischen Union . Wir brauchen eine Ab-
kehr von der Austeritätspolitik . Wir brauchen Investiti-
onen da, wo sie notwendig sind – in den Krisenländern,
aber auch bei grenzüberschreitenden Dingen wie zum
Beispiel Energie netzen . Es darf nicht nur darum gehen:
„Was habe ich eingezahlt, und was bekomme ich wieder
zurück?“, sondern wir müssen die Investitionen dahin
leiten, wo sie wirklich gebraucht werden .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Bei der Finanzmarktregulierung – das war die zweite
Säule – ist auch noch viel zu tun . Es gab vor acht Jahren
das Versprechen: „Too big to fail“ muss vermieden wer-
den . – In Italien müssen jetzt schon wieder Banken ge-
rettet werden . Und was ist eigentlich, wenn die Deutsche
Bank ins Wanken gerät? Auch bei der Finanzmarktregu-
lierung ist noch viel zu tun .


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Die dritte Säule, die damals eine große Rolle gespielt
hat, ist mir besonders wichtig, nämlich die Sozialsäule
des New Deals . Damals erfolgten in den USA ein Aufbau
von sozialen Sicherungssystemen und gleichzeitig eine
Politik der Umverteilung .

Dazu findet sich jetzt im Arbeitsprogramm der Euro-
päischen Kommission ein wichtiger Punkt . Man muss
ihn ein bisschen suchen, weil er unter der Überschrift

Axel Schäfer (Bochum)







(A) (C)



(B) (D)


„Eine vertiefte und fairere Wirtschafts- und Währungs-
union“ steht . Dabei handelt es sich um den Aufbau einer
europäischen Säule sozialer Rechte . Das ist vorhin schon
angesprochen worden . Ich glaube, es ist ein ganz zentra-
ler Punkt, dass wir in der Europäischen Union dafür sor-
gen, dass die Menschen soziale Rechte bekommen, zum
Beispiel gleichen Lohn für gleiche Arbeit am gleichen
Arbeitsort, Zugang zu Bildung, Zugang zum Gesund-
heitssystem, eine angemessene Rente und eine Grundsi-
cherung in allen europäischen Ländern .


(Dr . Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das steht in den Verträgen alles drin!)


Diese Punkte sind unbedingt notwendig . Sie müssen
jetzt auf die Agenda . Hier muss die Bundesregierung die
Europäische Kommission unterstützen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Noch ein Hinweis an die Linke: Die Europäische Uni-
on ist nicht das Problem, sondern die Europäische Union
ist die Lösung der Probleme, die wir haben .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Gerade bei der sozialen Seite ist es die Europäische
Union gewesen, die seit Beginn dieses Jahrhunderts, was
die Armutsbekämpfung angeht, aber auch in anderen
sozialen Fragen treibende Kraft war und die Mitglied-
staaten vor sich hergetrieben hat . Es sind im Wesentli-
chen die Mitgliedstaaten, die gebremst haben, nicht die
Europäische Union – bei der Sozialpolitik . Bei der Kri-
senpolitik stimme ich Ihnen zu . Da gab es eine soziale
Schieflage, die beendet werden muss. Aber wenn es um 
Armutsbekämpfung und ähnliche Fragen ging, etwa um
den Aufbau einer sozialen Säule, dann ist die Europäi-
sche Union führend gewesen . Die Länder dürfen nicht
mehr bremsen . Auch die Bundesregierung, die in den
letzten Jahren viel gebremst hat, muss da endlich mit-
gehen und die soziale Säule in der Europäischen Union
weiter mit aufbauen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Es darf nicht dabei bleiben, nur die sozialen Rechte
in den Mitgliedstaaten zu stärken, sondern wir müssen
auch dahin kommen, übergreifende soziale Sicherungs-
systeme zu schaffen, damit es Umverteilung gibt: nicht 
von den reichen Ländern zu den armen Ländern, sondern
von den reichen Menschen zu den armen Menschen, von
den Reichen zu den Armen .


(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Umverteilung ist nicht die Lösung! Die müssen in den Ländern ihre Hausaufgaben machen! Umverteilt haben wir genug, aber es hat sich nichts geändert in den Ländern!)


Wir brauchen eine Diskussion über eine europäische
Basisarbeitslosenversicherung und über andere Maßnah-
men, die dazu beitragen, dass wir auch in der Europäi-
schen Union mehr Umverteilung und mehr soziale Si-
cherung hinbekommen . Wir brauchen einen Green New
Deal in Europa .

Vielen Dank für die Aufmerksamkeit .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1821301000

Uwe Feiler hat nun das Wort für die CDU/CSU-Frak-

tion .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Uwe Feiler (CDU):
Rede ID: ID1821301100

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Sehr verehrte Gäste auf den Tribünen, insbe-
sondere aus Oberhavel, Havelland, Potsdam-Mittelmark
und Potsdam! Ich freue mich, dass Sie an der heutigen
Europadebatte hier teilnehmen .


(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Und alle anderen! – Heiterkeit bei der CDU/CSU)


– Alle anderen natürlich auch .

Meine Damen und Herren, eine Kommission, die sich
auf die wichtigen Dinge konzentriert, eine Kommission,
die sich darauf konzentriert, die Dinge besser zu machen,
das sind die zwei Leitprinzipien, unter die die Europäi-
sche Kommission ihr Arbeitsprogramm für das Jahr 2017
stellt . Sie benennt dabei Prioritäten ihrer künftigen Arbeit
und listet parallel auf, welche Rechtsvorschriften einer
Evaluierung und Überprüfung unterzogen werden soll-
ten . Die Kommission bekräftigt im Arbeitsprogramm
ihren Standpunkt, dass die Schwerpunktlegung beim Eu-
ropäischen Semester auf drei Feldern liegen muss: Inves-
titionen, gesunde Staatsfinanzen und Strukturreformen. 

Das kann ich nur unterstreichen . Wir brauchen eine
zukunftsorientierte, weitsichtige Politik .


(Beifall der Abg . Ursula Groden-Kranich [CDU/CSU])


Strukturreformen bringen mehr Wettbewerbsfähigkeit .
Gesunde Staatsfinanzen sind eine unabdingbare Voraus-
setzung für Wachstum und Stabilität; sie sorgen dafür,
dass unsere Kinder nicht unsere Schulden bezahlen müs-
sen . Investitionen bringen dabei den Fortschritt und si-
chern den Wohlstand .

Die Kommission will ihren Vorschlag zur Überprü-
fung des mehrjährigen Finanzrahmens mit dem Europä-
ischen Parlament und dem Rat erörtern . Sie strebt einen
überarbeiteten, stärker an den Prioritäten der Union aus-
gerichteten Haushalt an, mit dem wir rascher auf unvor-
hergesehene Umstände reagieren können, der einfachere
Regeln für Finanzhilfeempfänger bereithält und stärker
ergebnisorientiert funktioniert . Die Europäische Union
muss – das ist mir wichtig – besser auf Veränderungen
mit einer finanziell unterfütterten Politik reagieren kön-
nen .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Wir benötigen eine europäische Politik, die ein Ge-
samtkonzept darstellt . Der Haushalt muss eng mit den
Prioritäten der europäischen Politik verbunden sein . Wir
müssen diese Prioritäten benennen und dann auch nach-

Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn






(A) (C)



(B) (D)


haltig umsetzen . Deswegen ist der Ansatz der Kommissi-
on, sich auf das Wesentliche zu konzentrieren und dabei
die Umsetzung sowie die Wirkung der beschlossenen
Maßnahmen zu überprüfen, sehr wichtig . Dabei muss
der Fokus – das sage ich hier im Plenum nicht zum ersten
Mal – auf Politikfelder gerichtet werden, die die gesamt-
europäischen Interessen vertreten .

Meine Damen und Herren, eine Diskussion über fal-
sche und richtige Prioritäten im EU-Haushalt ist für mich
unabdingbar . Notwendig ist dabei, dass man die Ergeb-
nisse endlich in die Tat umsetzt . Die Lösung des Pro-
blems ist nach wie vor, den Schwerpunkt auf Ausgaben
mit einem europäischen Mehrwert zu legen . Gemeinsame
Grenzsicherung, Bekämpfung des globalen Terrorismus,
Informationsaustausch, grenzüberschreitende Transport-
infrastruktur, Energie- und digitale Netze, europäische
Forschung und Entwicklung – da muss das Geld hin . Da-
von profitieren dann alle Mitgliedstaaten.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Auch wenn die rechtzeitige Entwicklung der Wert-
schätzung für gesunde Ernährung ganz sicher wichtig
ist, ist es zweifelhaft, ob die millionenschweren Obst-
in-die-Schule-Programme  aus  EU-Geldern  finanziert 
werden müssen oder ob die Mitgliedstaaten hier nicht
eigenständig tätig werden sollten . Ein weiteres Problem
sind beispielsweise verfehlte Infrastrukturprojekte: vom
Fahrradweg ins Niemandsland bis hin zur sinnlos ver-
laufenden Autobahn . Es werden EU-Gelder zum Teil ge-
setzeswidrig ausgezahlt und aufgrund des hohen Verwal-
tungsaufwandes dann nicht zurückgefordert .

Stichwort „Better Spending“, Beachtung des Subsi-
diaritätsprinzips sowie  laufende Kontrolle der Effizienz 
und der Wirksamkeit der EU-Mittel bis hin zum Finan-
zierungsstopp für ihre Wirkung verfehlende Projekte –
das sind die entscheidenden Grundsätze, die bei der eu-
ropäischen Ausgabenpolitik beachtet werden müssen .


(Axel Schäfer [Bochum] [SPD]: Von den Mitgliedsländern! – Dr . Katarina Barley [SPD]: Da gibt es eine Wortmeldung!)


– Nein, danke . – Das Subsidiaritätsprinzip muss stärker
auf die EU-Ausgaben angewandt werden, um dadurch
auch den europäischen Mehrwert der EU-Ausgaben zu
erreichen .


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1821301200

Herr Kollege, lassen Sie eine Zwischenfrage zu?


Uwe Feiler (CDU):
Rede ID: ID1821301300

Nein . Lassen Sie mich erst einmal fertig werden . –

Auch die Effizienz und die Wirksamkeit der EU-Mittel 
sollten – am besten laufend – überprüft werden . Ein Fi-
nanzierungsstopp für die ihre Wirkung verfehlenden Pro-
jekte könnte dann die letzte Konsequenz sein .

Die Kommission will einen umfassenden Vorschlag
für die Zeit nach 2020 in Bezug auf die Eigenmittel vor-
legen . Sehr positiv zu bewerten ist die Tatsache, dass die
Kommission diesen Vorschlag mit den Ergebnissen der
Initiative für einen ergebnisorientierten EU-Haushalt

verbinden möchte . Die im Jahr 2015 gestartete EU-Ini-
tiative, die dafür sorgen soll, dass die EU-Mittel sinnvoll
zum Nutzen der Bürgerinnen und Bürger eingesetzt wer-
den und dass alle Projekte, die die Union fördert, einen
klar erkennbaren Nutzen haben und ihr Geld wert sind,
ist ein nützliches Instrument .

Der Eigenmittelvorschlag soll laut dem Arbeitspro-
gramm auch mit der Abwägung der künftigen Heraus-
forderungen und Bedürfnisse der Union nach 2020 im
Lichte der Erfahrungen mit der bisherigen Ausgabenpo-
litik und ihren Instrumenten verbunden werden . Das ist
ein sehr vernünftiger Vorschlag .

Wir  sollten  die  Quellen  der  Haushaltsfinanzierung 
reformieren; keine Frage . Hier wird der Bericht der so-
genannten Monti-Gruppe eine gute Grundlage für die
anstehenden Verhandlungen bieten . Ich würde aber noch
einen Schritt weitergehen und sagen: Die Diskussion
über Einnahmen muss nicht nur im Lichte der Erfah-
rungen mit der bisherigen Ausgabenpolitik verbunden,
sondern auch zwingend grundsätzlich zusammen mit der
Diskussion über Ausgaben geführt werden .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Was wir brauchen, ist zum Beispiel eine haushaltspo-
litische Gesamtstrategie für den Umgang mit Krisen, da-
mit wir nicht immer neue Ad-hoc-Instrumente benötigen .

Ein Ausdruck der Gesamtstrategie wäre ebenfalls,
wenn die EU-Mittel so weit wie möglich mit der Um-
setzung der länderspezifischen Empfehlungen verbunden 
wären.  Die  länderspezifischen  Empfehlungen  sollten 
meiner Ansicht nach ausschlaggebend für die Auswahl
der aus den Kohäsionsmitteln finanzierten Projekte sein. 


(Dr . Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Davon wäre Deutschland  immer  besonders  betroffen!  Denn  die  Deutschen kürzen die fast nie!)


Projekte, die für den konkreten Mitgliedstaat Sinn
machen, die ihn voranbringen, die seine Strukturrefor-
men umsetzen, verdienen die europäische Unterstützung
und stellen einen sogenannten Marshallplan, wie er von
Herrn Gysi gefordert wurde, dar . Es gibt ihn eigentlich
schon .


(Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Na ja!)


Die Kommission will den Binnenmarkt vertiefen und
gerechter gestalten . Dazu sollen die Binnenmarktstrate-
gie, die Weltraumstrategie für Europa sowie der Aktions-
plan für eine Kapitalmarktstrategie umgesetzt werden .

Auch auf die Vorschläge für eine faire Unternehmens-
besteuerung und für die Bekämpfung des Steuerbetruges
geht die Kommission ein, was ich für essenziell halte . Die
Kommission betont, dass ein solider steuerrechtlicher
Rahmen für grenzüberschreitend tätige Unternehmen
einfach und effizient sein muss, aber auch gewährleisten 
soll, dass diese Unternehmen einen fairen, tatsächlichen
Steuerbeitrag dort zahlen, wo sie ihre Gewinne erwirt-
schaften .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Uwe Feiler






(A) (C)



(B) (D)


Erlauben Sie mir zum Schluss ein kurzes Plädoyer .
Das Motto des diesjährigen Programmes der Europäi-
schen Kommission lautet: „Für ein Europa, das schützt,
stärkt und verteidigt“ . Auch wenn das Motto sicherlich
im Hinblick auf die neuen Herausforderungen gewählt
wurde, die auf die Massenmigration und auf die Gefähr-
dung durch den internationalen Terrorismus zurückzu-
führen sind, möchte ich eines anmerken: Sich derart gro-
ßen Herausforderungen im Alleingang stellen zu wollen,
wozu die Populisten europaweit aufrufen, ist irrsinnig .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Der Europäischen Union, dem Zusammenschluss von
28, leider wohl bald nur noch 27 Staaten, dem gemein-
samen Dialog, der Zusammenarbeit in politischer und in
wirtschaftlicher Hinsicht haben wir es zu verdanken, dass
wir das große Glück haben, seit Jahrzehnten in Frieden
zu leben sowie unseren Wohlstand sichern und ausbauen
zu können . Diese Aussage mag zwar banal klingen, kann
jedoch meiner Ansicht nach aktuell nicht oft genug wie-
derholt werden .


(Axel Schäfer [Bochum] [SPD]: Sehr wahr!)


Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1821301400

Nächster Redner ist der Kollege Joachim Poß für die

SPD-Fraktion .


(Beifall bei der SPD)



Joachim Poß (SPD):
Rede ID: ID1821301500

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kol-

leginnen und Kollegen! Europa macht sich im Moment
der Krise unter dem Eindruck des wachsenden Nationa-
lismus in den Mitgliedstaaten und des weltweiten Popu-
lismus kleiner,  als es  tatsächlich  ist, wie  ich finde. Wir 
nutzen die Potenziale, die in diesem demokratischen Ge-
meinwesen Europa stecken, nicht hinreichend aus . Wir
Proeuropäer machen nicht hinreichend deutlich, wofür
wir stehen: für Menschenrechte, für Rechtsstaat und für
Demokratie .

Wir müssen keine Angst vor den Populisten dieser
Welt haben . Wir sollten uns mal die wirtschaftlichen Er-
gebnisse in Russland oder in der Türkei anschauen . Die-
se Volkswirtschaften sind hochgradig gefährdet . Über die
Euro-Zone haben wir gerade in dieser und in der letzten
Woche gehört, dass wir die wirtschaftliche Stabilisierung
erreicht haben, im Übrigen mit der europäischen Hilfe
für Griechenland .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Herr Gysi, Sie als Meister der Halbwahrheiten können
natürlich nicht zu richtigen Schlussfolgerungen kom-
men, wenn Sie eine falsche ökonomische Analyse vor-

nehmen . Wenn es nach Ihnen gegangen wäre, hätten wir
Griechenland überhaupt nicht geholfen .


(Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das stimmt!)


Wir haben Griechenland aber massiv geholfen . Wir
werden Griechenland auch weiter helfen, weil wir das
europäische Projekt zusammenhalten wollen . Sie als
Linkspartei haben keine vernünftigen Antworten auf die
europäische Situation .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Sie verstricken sich ebenso in Widersprüche wie die
Rechtspopulisten mit ihrem unverantwortlichen Reden
und Handeln, meine Damen und Herren . Sie sind in die-
ser Hinsicht nicht wesentlich besser .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Dr . Petra Sitte [DIE LINKE]: Unglaublich!)


Schauen Sie sich einmal einige Reden Ihrer Fraktions-
kollegin Wagenknecht an, und analysieren Sie diese .

Also, was tun? Es sind doch nicht die Europäische
Kommission und die Europäische Union, die das Handeln
gegen Steuerdumping in Europa verhindern . Es sind die
Mitgliedstaaten – die Niederlande an erster Stelle, Belgi-
en, Luxemburg, Malta, Irland –, die ein wirksameres und
erfolgreicheres Handeln der Europäischen Union gegen
Steuerdumping verhindern . Es sind Orban, Kaczynski
und Co ., die verhindern, dass wir in der Flüchtlingsfrage
erfolgreicher zusammenarbeiten . Das ist die Wahrheit,
meine Damen und Herren .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Wir müssen hier in diesem Parlament schon aussprechen,
was ist, und dürfen nicht unsere ideologischen Versatz-
stücke vortragen .


(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Sehr gut!)


Die Bürgerinnen und Bürger verlangen ein Ende des
Steuerdumpings der multinationalen Konzerne . Das
verlangen sie von uns . Wenn wir nicht liefern, tauchen
solche Figuren wie Trump auf, der heute amerikanischer
Präsident wird .


(Richard Pitterle [DIE LINKE]: Sie sind doch an der Regierung! Liefern Sie!)


Die Bürgerinnen und Bürger erwarten dann von ihm, dass
er handelt: von einem Mann – das muss man über den
zukünftigen amerikanischen Präsidenten sagen –, der ein
bekennender Spezialist im Umgehen der Steuerpflicht ist 
und der mit seiner Praxis in den letzten Jahrzehnten be-
wiesen hat, dass er nichts vom Gemeinwesen versteht,
sondern nur etwas von der Ausbeutung von Menschen,
um es einmal deutlich zu sagen . Das ist die Realität, mit
der wir uns jetzt natürlich auseinandersetzen müssen . Es
sind die weißen Arbeiter, die ihn gewählt haben und eine
Veränderung ihrer Lebenssituation erwarten .


(Zuruf des Abg . Richard Pitterle [DIE LINKE])


Uwe Feiler






(A) (C)



(B) (D)


– Ich will mit dem Beispiel deutlich machen: Wenn die
weißen Arbeiter in Deutschland oder in anderen euro-
päischen Ländern von den Populisten dieser Welt, ob
Rechts- oder Linkspopulisten, realitätstaugliche Antwor-
ten zur Verbesserung ihrer Lebensverhältnisse erwarten,
dann werden sie nach aller geschichtlichen Erfahrung an-
geschmiert . Davor müssen wir die Menschen bewahren .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Zuruf der Abg . Dr . Petra Sitte [DIE LINKE])


Es führt doch auch nicht weiter, dass Frau Theresa
May in ihrer Verlegenheit, eine vernünftige Antwort auf
die Brexit-Entscheidung  ihres  Landes  zu  finden,  damit 
droht, vor unseren Toren ein weiteres Steuerparadies ent-
stehen zu lassen . Wir haben bereits Jersey, Guernsey und
andere vor der Haustür . Damit würden die Handlungs-
und Finanzierungsmöglichkeiten, die wir benötigen, ver-
ringert, um Investitionen und damit auch Arbeitsplätze
für diejenigen zu schaffen, die sich abgehängt fühlen.

Im Übrigen muss natürlich auch Deutschland seinen
Beitrag zur notwendigen Stabilisierung der Euro-Zone
und Europas leisten und noch mehr investieren . Wir ha-
ben mit dem Investitionsprogramm einen ersten Schritt
gemacht . Die Laufzeit dieses Programms wird bis 2020
verlängert .

Abschließend sage ich: Je unsicherer und gefährlicher
die Welt wird, desto mehr muss die Europäische Union
ihr Gewicht auf der internationalen Bühne zur Geltung
bringen . Angesichts unserer Wirtschaftskraft und unserer
demokratischen Substanz haben wir allen Grund, liebe
Kolleginnen und Kollegen, auch gegenüber denjenigen
selbstbewusst aufzutreten, die öffentlich vor Kraft kaum 
laufen können und hinter deren Fassade es sehr hohl ist .

Vielen Dank .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1821301600

Letzte Rednerin zu diesem Tagesordnungspunkt ist

die Kollegin Iris Eberl für die CDU/CSU-Fraktion .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Iris Eberl (CSU):
Rede ID: ID1821301700

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen

und Herren Abgeordnete! Das Arbeitsprogramm der
EU-Kommission trägt den Titel „Für ein Europa, das
schützt, stärkt und verteidigt“ . Die Sicherheit der Bür-
ger ist die Existenzberechtigung eines jeden Staates . Die
Bedrohung durch den islamistischen Terrorismus macht
die Verstärkung der Sicherheitsmaßnahmen zu einem
Kernanliegen in unserem Staat – in allen Unionsstaaten .
Gut, dass sich die Kommission mit diesem Kernproblem
befassen wird .

Im Arbeitsprogramm ist zu lesen: Europa ist an einem
kritischen Punkt angelangt . – Richtig! Das Brexit-Votum
muss für uns ein Weckruf sein . Die Europäische Union
ist keine Zwangsvereinigung; Ausscheiden ist im Vertrag
vorgesehen . Wenn unsere Antwort an Großbritannien
einer Abstrafung gleichkommt, beweisen wir, dass der
Respekt vor dem Wählerwillen in der Union verloren ge-

gangen ist . Das wäre Wasser auf die Mühlen der Miesma-
cher der Union . Das darf nicht sein . Wir brauchen einen
fairen Deal mit Großbritannien .

Die Kommission beschreibt auch Probleme und Be-
drohungen der Bürger und erklärt: Wir haben zugehört,
und wir haben verstanden . – Sie verspricht, eine Kom-
mission zu werden, die sich darauf konzentriert, die Din-
ge besser zu machen . Das klingt gut, beweist Selbstkritik
und Einsicht . Aber warum, meine Damen und Herren, hat
die Kommission bisher nicht ihr Bestes gegeben, obwohl
sie weiß, dass sie für eine halbe Milliarde Menschen die
Verantwortung trägt?

Als Premierminister von Luxemburg beschrieb
Juncker 1999 die Strategie zur Integration wie folgt:

Wir beschließen etwas, stellen das dann in den
Raum und warten . . . ab, was passiert . Wenn es dann
kein großes Geschrei gibt und keine Aufstände, weil
die meisten gar nicht begreifen, was da beschlossen
wurde, dann machen wir weiter – Schritt für Schritt,
bis es kein Zurück mehr gibt .

Mit dieser undurchsichtigen Methode soll nun Schluss
sein . Deshalb will die Kommission – so steht es im Pa-
pier – in Zukunft ihr Tun den Bürgern besser erklären .
Aber das Problem der europakritischen Bürger ist we-
niger die Undurchsichtigkeit des Verfahrens, sondern es
sind die Inhalte .

2017 sind Wahlen in den Niederlanden, in Frankreich
und in Deutschland . Größte Vorsicht ist geboten, wenn
die Union nicht in ihrem Bestand gefährdet werden soll .
Trotzdem konzentriert sich das Arbeitsprogramm der
Kommission weiterhin auf jene zehn politischen Priori-
täten, die Juncker bereits zu Beginn seiner Amtszeit als
Kommissionspräsident formuliert hatte . Das bedeutet
„weiter so“, befürchte ich .

Die Europäische Union existiert aber nicht zum Selbst-
zweck . Sie hat eine dienende Funktion gegenüber den
Mitgliedstaaten . Allen Ländern gleichermaßen gerecht
zu werden, ist eine sehr schwierige Aufgabe; denn was
dem einen Staat nützt, kann für den anderen sehr nach-
teilig sein . Für Deutschland benenne ich an dieser Stelle
das konjunkturelle Ankurbeln Junckers und die Nullzins-
politik der EZB als Negativbeispiele . Vielleicht nutzen
sie anderen Ländern – vielleicht –; Deutschland scha-
det beides . Das Ankurbeln überhitzt unsere Konjunktur .
Außerdem ist es von gestern. Staatliche Eingriffe in die 
Wirtschaft verzerren den Wettbewerb; sie sind daher für
Marktwirtschaften schädlich .


(Lachen beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Zu viel echte Marktwirtschaft kann man der EU nicht un-
bedingt vorwerfen, Frau Dr . Barley .

Die Nullzinspolitik hat sich, salopp formuliert, als
Slim-Fast-Programm für die Altersvorsorge unserer Be-
völkerung entpuppt und das Vertrauen der Menschen
in die Union tief erschüttert . Dieses Vertrauen muss sie
zurückgewinnen . Aber stattdessen kam letzte Woche die
nächste fragwürdige Einmischung in nationales Recht .

Joachim Poß






(A) (C)



(B) (D)


Hohes Qualitätsniveau, Patientenschutz, Verbraucher-
schutz


(Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sind Sie dagegen?)


identifiziert  die Kommission  als mögliche Wachstums-
bremsen . Die Verhältnismäßigkeit von Berufsregeln soll
überprüft werden. Überflüssige nationale Qualifikationen 
zur Berufsausübung sollen verhindert werden, um Wirt-
schaftswachstum ohne Barrieren anzukurbeln . Damit
wird die Ökonomie zum einzigen Maßstab für nationales
Berufsrecht und dem Pfusch wohl Tür und Tor geöffnet. 

Meine Damen und Herren, wir brauchen eine schlanke
und flexible Europäische Union, die sich auf ihre Kern-
aufgaben konzentriert, keinen Superstaat, der sich in alle
Belange der Mitgliedstaaten einmischt . Subsidiarität und
Solidarität müssten eiserne Grundprinzipien werden . So-
lidarität darf keine Einbahnstraße sein . Wer sie einfor-
dert, muss auch gemeinsame Lasten tragen; siehe Vertei-
lung der Flüchtlinge .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Solidarität ist auch keine Hängematte . Bei unsolider
Haushaltspolitik in manchen Unionsstaaten muss ver-
langt werden, dass dort die Eigenverantwortung greift .
Jeder Staat muss seine nationale Einlagensicherung
schaffen.  Eine  Vergemeinschaftung  von  Schulden  und 
Risiken lehnt die CSU kategorisch ab . Verantwortung
und Haftung dürfen weder bei der Staatsverschuldung
noch im Bankensystem auseinanderfallen . Wir brau-
chen ein geordnetes Verfahren zur Restrukturierung der
Staatsschulden und eine Regelung zum Ausscheiden aus
dem Euro – zur Not, leider . Solidarität verlangt ebenfalls
die Einhaltung geschlossener Verträge, egal ob es um
die Verschuldung, die Regeln des Schengen-Vertrages
oder des Dublin-Abkommens geht . Solidarität bedeutet
Rechtstreue ohne Ausnahme von ohnehin flexiblen Re-
geln .

Aber was sind nun die markanten Kernaufgaben der
Union? Die Migrationskrise, der islamistische Terroris-
mus in Europa, Kriege in Syrien und der Ukraine sowie
die Situation in vielen anderen Krisengebieten verlangen
gemeinsame Anstrengungen . Die Gewährleistung unse-
rer Sicherheit ist eine Kernaufgabe der Union . Hier brau-
chen wir die Europäische Union, und hier liegt auch ihr
Mehrwert für die Bevölkerung . Warum wurde Eurodac
nur sporadisch angewandt? Warum wird SIS nicht konse-
quent umgesetzt? Beide Systeme sind gut . Beide würden
funktionieren, aber nur, wenn alle Länder mitmachen .

Nun will die Kommission wieder handeln . Sie will
ETIAS einführen, sie will ECRIS ausweiten, und die
Kommission will rasch Verbesserungen und Erfolge er-
reichen . Sehr gut! – Weitere Kernaufgaben sind die faire
Lastenverteilung zwischen den Staaten, der gemeinsame
Grenzschutz, die Union als starker europäischer Pfeiler
der NATO und vieles mehr, wie Kollege Feiler bereits
ausgeführt hat .

Ich will mit dem vielbeschworenen Kernthema „Be-
kämpfung der Fluchtursachen“ schließen . Wenn sich

nichts ändert, werden sich bald 18 Millionen Afrikaner
auf den Weg nach Europa machen .


(Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: So, jetzt noch das Schreckensgespenst!)


Und viel zu viele werden den Weg wieder nicht überle-
ben . Deshalb brauchen wir eine europäisch-afrikanische
Partnerschaft . Die Kommission will bis zum EU-Afri-
ka-Gipfel Ende 2017 ein Konzept mit Prioritäten für die
Beziehungen der Union zu Afrika erarbeiten . Die In-
dustrie sieht Afrika als kommenden Kontinent . Minister
Müller hat seinen Marshallplan für Afrika vorgestellt .
Helfen wir den afrikanischen Ländern, echte Handels-
partner für Europa zu werden .

Europa steht ungebrochen für den Traum eines Lebens
in Frieden, Freiheit und Wohlstand . Setzen wir diesen
Traum nicht aufs Spiel . Stehen wir zu unserer Europäi-
schen Union der Bürger .

Ich danke für die Aufmerksamkeit .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1821301800

Ich schließe die Aussprache .

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 22 auf:

Beratung des Antrags der Bundesregierung

Fortsetzung und Erweiterung der Beteiligung
bewaffneter deutscher Streitkräfte an der
Multidimensionalen Integrierten Stabilisie-
rungsmission der Vereinten Nationen in Mali

(MINUSMA) auf Grundlage der Resolutio-

nen 2100 (2013), 2164 (2014), 2227 (2015) und
2295 (2016) des Sicherheitsrates der Vereinten
Nationen vom 25. April 2013, 25. Juni 2014,
29. Juni 2015 und 29. Juni 2016

Drucksache 18/10819
Überweisungsvorschlag:
Auswärtiger Ausschuss (f)

Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwick-
lung
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Haushaltsausschuss gemäß § 96 der GO

Für die Debatte zu diesem Tagesordnungspunkt sollen
nach einer interfraktionellen Vereinbarung 38 Minuten
Redezeit  zur  Verfügung  stehen.  –  Das  ist  offenkundig 
unstreitig . Also können wir so verfahren .

Ich  eröffne  die Aussprache  und  erteile  das Wort  der 
Bundesverteidigungsministerin Ursula von der Leyen .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Dr. Ursula von der Leyen, Bundesministerin der
Verteidigung:

Vielen Dank, Herr Präsident . – Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Meine Damen und Herren! Mit Bestürzung

Iris Eberl






(A) (C)



(B) (D)


haben wir am Mittwoch von dem Anschlag auf den Mi-
litärstützpunkt der malischen Gefechtsverbände erfah-
ren . Wir trauern mit den Hinterbliebenen der mindestens
70 Toten, und wir wünschen den über 100 Verwundeten
baldige Genesung .

Meine Damen und Herren, dieser niederträchtige An-
schlag richtete sich gezielt gegen eines der Herzstücke
des Friedensvertrages, der in Mali umgesetzt werden
soll . Diejenigen, die vor kurzem mit auf der Einsatzreise
auch in Mali gewesen sind, wissen, dass es sehr schwie-
rig war, die Zusammensetzung gemischter Patrouillen
auf den Weg zu bringen, denen sowohl Kräfte der mali-
schen Regierung als auch Kräfte der Rebellen angehören,
die bereit waren, die Waffen niederzulegen. Es  ist  sehr 
schwierig gewesen, beide Seiten davon zu überzeugen .
Sie haben das  jetzt geschafft und  sind bald gemeinsam 
auf Patrouillen unterwegs . Insofern zeigt dieser Anschlag
auf das Lager einer dieser gemischten Patrouillen, dass
es nach wie vor Terroristen gibt, die gezielt den Frie-
densvertrag torpedieren und damit Mali in die Instabilität
bringen wollen . Umso wichtiger ist es, dass die Weltge-
meinschaft an der Seite Malis steht und dort konsequent
hilft .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg . Wolfgang Hellmich [SPD])


Wir bitten Sie heute um Unterstützung für einen der
anspruchsvollsten Einsätze, den die Bundeswehr hat .
Es ist einer der gefährlichsten VN-Einsätze, wenn nicht
der gefährlichste überhaupt . Es ist der zentrale Einsatz
auf unserem Nachbarkontinent Afrika . Denn Mali ist ein
Schlüsselland in der Sahelzone, ein Schlüsselland, das
Stabilität herstellen kann oder Fragilität hervorbringt .
Dort verläuft die Route für Migration, aber auch die
Route für Schleuser und Schlepper, die Menschen vom
Süden in den Norden bringen, sowie für Drogen- und
Waffenschmuggel und andere Formen der organisierten 
Kriminalität .

Die Menschen dort brauchen Schutz – sie brauchen
Schutz vor Terror, sie brauchen Schutz vor Krimina-
lität –, aber sie brauchen natürlich auch Alternativen .
Sie brauchen sicheren Zugang zu Wasser, sie brauchen
Straßen, Jobs, sie brauchen Perspektiven . Das Durch-
schnittsalter in Mali beträgt 16 Jahre, und diese jungen
Menschen möchten wissen, wo ihre Zukunft liegt .

Es ist deshalb richtig, dass sich Deutschland dort sehr
vielschichtig engagiert . Mir ist es im Zusammenhang mit
dem MINUSMA-Mandat wichtig, deutlich zu machen,
dass unser Engagement in Mali eigentlich ein Paradebei-
spiel für den vernetzten Ansatz ist . Ganz konkret: Das
Auswärtige Amt kümmert sich mit Rat und Tat um den
Friedensprozess, um die Beratung der malischen Regie-
rung, ist um Aussöhnung bemüht . Wir engagieren uns
in Mali entwicklungspolitisch . Ich bin dem BMZ sehr
dankbar, dass es dort vielfältig engagiert ist – beim Auf-
bau von Verwaltungsstrukturen, bei landwirtschaftlichen
Projekten, beim Errichten der Wasserversorgung . Die
Projekte sind eng koordiniert . Wir haben dankenswerter-
weise seit Dezember einen zivilen Berater in Gao .

Wir engagieren uns in Mali vielfältig, nicht nur im
Hinblick auf die wirtschaftliche Entwicklung und den

Versöhnungsprozess, sondern auch im Hinblick auf Sta-
bilität . Das Innenministerium hilft bei der Ausbildung
der Polizei . Wie Sie wissen, engagiert sich die Bundes-
wehr im Rahmen der europäischen Trainingsmission bei
der Ausbildung der lokalen Truppen . Zwei Drittel der
malischen Gefechtsverbände haben wir ausgebildet .

Mali  profitiert  auch  von  Mitteln  aus  dem  Ertüchti-
gungsfonds – im letzten Jahr waren es 7,5 Millionen
Euro, in diesem Jahr sind 15 Millionen Euro geplant . Um
nur einige Themen zu nennen: Es geht hierbei um die
Ertüchtigung des Flugplatzes in Gao, die so wichtig ist –
wir haben es bei der letzten Einsatzreise dort gesehen –,
und um Investitionen in den Garnisonsstandort Kati . Es
geht aber eben auch um 16 Ambulanzfahrzeuge für die
malischen Gefechtsverbände, die wir ausgebildet haben,
damit auch dort mit dem Aufbau einer Rettungskette be-
gonnen werden kann .

Wir beteiligen uns auch an der Mission der Vereinten
Nationen, MINUSMA, um die es heute geht . Man sieht
bei dieser Friedensmission, bei der über 15 000 Solda-
tinnen und Soldaten im Einsatz sind – es ist eine große
Mission –: Sie steht und fällt mit der Frage, wie diese
Soldatinnen und Soldaten ausgestattet und ausgerüstet
sind und mit technischen Fähigkeiten unterstützt wer-
den . Die Vereinten Nationen können nur so gut sein, wie
die Mitgliedstaaten sie ausrüsten . Deshalb ist es wichtig,
dass wir mit unseren Kapazitäten dort in Mali sind .

Das gilt besonders für die Aufklärung . Wir haben, wie
Sie wissen, mit der Luna angefangen; wir sind jetzt mit
der Heron da . Die Heron bedeutet einen Riesenschritt
vorwärts, wenn es darum geht, die Aufklärung in diesem
gewaltig großen nördlichen Gebiet – die benötigte Reich-
weite liegt zwischen 200 und 900 Kilometern – sicherzu-
stellen . Ich möchte an dieser Stelle sagen: Seit die Heron
da ist – seit November –, hat sie über 520 Flugstunden
absolviert, und es gab keine einzige Störung . Es läuft al-
les, wie es sollte . Ich glaube, gerade weil es so gut läuft,
wird darüber nicht berichtet . Es wird meistens nur dann
über etwas berichtet, wenn die Dinge schiefgehen . Ich
möchte an dieser Stelle schlicht und einfach denjenigen,
die diese Heron in Gang gesetzt haben und betreiben, da-
für danken, dass das alles dort so unkompliziert läuft .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Das war der Teil des Mandates, den wir kennen und
für den wir um Verlängerung bitten . Der zweite Teil des
Mandates betrifft den Schutz.

Sie alle wissen, dass die Niederländer in den letzten
drei Jahren die Rettungskette gestellt haben . Sie hatten
für zwei Jahre geplant, fanden aber niemanden, der sie
ablöst, sodass sie inzwischen schon drei Jahre dort sind .
Die Vereinten Nationen suchen nun eine Nation, die in
der Lage ist, diese Hochwertfähigkeiten zur Verfügung
zu stellen, nämlich MedEvacs und Kampfhubschrauber,
die schützen können . Wir haben auf Bitten der Vereinten
Nationen gesagt, dass wir diese Aufgabe gerne überneh-
men wollen, weil sie für das Mandat unverzichtbar ist –
aber auch nur vorübergehend . Das heißt, wir werden dort
vier MedEvac-NH90-Hubschrauber stationieren und vier
Tiger nach Mali entsenden . Die Tiger können wegen

Bundesministerin Dr. Ursula von der Leyen






(A) (C)



(B) (D)


der guten Sensoren zur Aufklärung, aber eben auch zum
Schutz der eigenen Kräfte und der MINUSMA sowie zur
Nothilfe eingesetzt werden .

Wir wollen unseren Beitrag leisten; denn die Er-
fahrung zeigt: Wir können uns nicht beschweren, dass
VN-Missionen nicht funktionieren, wenn wir nicht be-
reit sind, auch unseren Beitrag zu leisten . Deshalb er-
folgt auch eine Erhöhung der Obergrenze von 650 auf
1 000 Soldatinnen und Soldaten . Das ist aufgrund des
Einsatzes der acht Hubschrauber notwendig .

Wir haben dem VN-Generalsekretär aber angezeigt,
dass wir darum bitten, dass er bereits jetzt für Nachfol-
gekräfte sorgt, da wir in eineinhalb Jahren abgelöst wer-
den wollen . Wir halten es für richtig, dass wir bei diesen
Hochwertfähigkeiten, die nur wenige Nationen aufbieten
können, zu einem geregelten Rotationssystem kommen,
sodass es für die einzelnen Nationen leichter ist, für einen
überschaubaren Zeitraum dort hinzugehen, da sie wissen,
dass eine andere Nation, die ebenfalls in der Lage ist, das
zu leisten, sie danach ablöst .

Es gibt einen weiteren Punkt, der mir bei diesem Man-
dat wichtig ist und den ich noch kurz erwähnen möchte .
Es geht um die Vergütung des Personals . Unser Personal
arbeitet in diesem schwierigen und fordernden Einsatz
unermüdlich . Das bedarf meines Erachtens einer beson-
deren Würdigung . Deshalb ist es mir ein besonderes An-
liegen, dass wir in der Lage sind, die Vergütung dement-
sprechend anzupassen . Wir bereiten das im Augenblick
vor .

Sie wissen, dass wir das mit dem Innenministerium
und dem Außenministerium abstimmen müssen . Ich bin
aber sehr guter Dinge, dass wir für Mali künftig die Stu-
fe 6 und nicht wie bisher die Stufe 5 des AVZ erreichen
und die Vergütung entsprechend erhöhen können . Ich
glaube, das ist angemessen für die Soldatinnen und Sol-
daten in Mali .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


In diesem Sinne bitte ich um die Verlängerung des
Mandates .

Danke schön .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1821301900

Christine Buchholz erhält nun das Wort für die Frak-

tion Die Linke .


(Beifall bei der LINKEN)



Christine Buchholz (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1821302000

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Bun-

desregierung will die Beteiligung der Bundeswehr an der
UN-Mission MINUSMA in Mali von 650 auf 1 000 Sol-
daten erhöhen . Damit wird der Einsatz in Mali der größte
deutsche Militäreinsatz .


(Florian Hahn [CDU/CSU]: Sehr gut!)


Aber nicht nur das: Erstmalig werden auf der Grundla-
ge dieses Mandats deutsche Kampfhubschrauber in den
Norden Malis verlegt .


(Florian Hahn [CDU/CSU]: Noch besser!)


Mit diesem Mandat verstrickt die Bundesregierung die
Bundeswehr potenziell in einen Krieg mit den Aufständi-
schen im gefährlichen Norden Malis . Das erinnert mich
verdammt an die frühe Phase des Afghanistan-Kriegs .
Die Regierung will die Bundeswehr in der Sahelzone zu
einer militärischen Größe machen, die wie Frankreich in
der Lage  ist,  in dieser  rohstoffreichen Region Krieg zu 
führen . Die Linke wird diesem Mandat selbstverständ-
lich nicht zustimmen .


(Beifall bei der LINKEN – Ingo Gädechens [CDU/CSU]: Das ist ja überraschend! Haben Sie überhaupt schon einmal einem Mandat zugestimmt?)


Auf dem Papier soll MINUSMA den Frieden sichern .
Erst  vorgestern  wurden  in  Gao  bei  einem Angriff  von 
Aufständischen über 70 Soldaten der neuen gemeinsa-
men Einheiten der malischen Armee getötet .


(Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Von wem denn?)

Das ist schrecklich, und unser Mitgefühl gilt den Ange-
hörigen . Es ist aber auch wichtig, zu sehen: Das Camp, in
dem sich die Bundeswehr aufhält, ist keine 2 Kilometer
davon entfernt . Unmittelbar vor dem Bundeswehrcamp
sprengte sich am 29 . November ein Selbstmordattentä-
ter in die Luft . Glücklicherweise wurde niemand ernst-
haft verletzt . Den Frieden, den MINUSMA sichern soll,
gibt es nicht . Weil das so ist, droht die Mission selbst zur
Konfliktpartei zu werden. Das muss hier ehrlich gesagt 
werden .


(Beifall bei der LINKEN)


Vier Rettungs- und vier Kampfhubschrauber der Bun-
deswehr sollen nach Mali verlegt werden, nach Gao .
Frau von der Leyen spricht vor allem von den Rettungs-
hubschraubern. Das kommt  in der Öffentlichkeit natür-
lich besser an . Aber ich sage: Wieder einmal wollen Sie
der Bevölkerung Sand in die Augen streuen . Das machen
wir nicht mit .


(Beifall bei der LINKEN)


Mit der Fähigkeit, Rettungsaktionen durchzuführen,
vergrößert sich der Aktionsradius der Bundeswehr und
damit auch das Risiko, selbst Zielscheibe von Angriffen 
zu werden . Genau das bestätigte mir ein Soldat im per-
sönlichen Gespräch, als ich im Dezember letzten Jahres
für meine Fraktion die Ministerin nach Mali begleite-
te . Im Mandatstext selbst ist neuerdings vom „aktiven
Schutz des Mandats durch das Bekämpfen asymmetri-
scher Angriffe“ die Rede. Das heißt, dass die Kampfhub-
schrauber zur Bekämpfung militärischer Ziele eingesetzt
werden können . Aus Afghanistan wissen wir, wie die
Bundeswehr  Stück  für  Stück  in  eine  offensive Kampf-
operation hineingeführt wurde . Frau von der Leyen, mit
der jetzigen Aufstockung sorgen Sie möglicherweise für
eine Eskalation des Konflikts. Auf jeden Fall setzen Sie 

Bundesministerin Dr. Ursula von der Leyen






(A) (C)



(B) (D)


die Bundeswehrsoldaten einem erhöhten Risiko aus . Bei-
des halten wir für verantwortungslos .


(Beifall bei der LINKEN – Kordula SchulzAsche [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was ist denn die Alternative?)


Es gibt eine weitere Ähnlichkeit zu Afghanistan .
MINUSMA hat in Mali die Unterstützung der Regierung,
aber nicht der Bevölkerung . Ich habe in Mali die Rede
des Gouverneurs von Gao gehört . Der Eindruck entstand,
die gesamte Bevölkerung Gaos stehe hinter MINUSMA .
Was er nicht erwähnte, war: In Gao gab es vor einem hal-
ben Jahr wütende Demonstrationen, weil sich viele junge
Menschen bei der Umsetzung des Friedensabkommens
benachteiligt sehen . Die malische Armee hat Demons-
tranten auf offener Straße erschossen. Das ist leider kein 
Einzelfall .

Die deutschen Soldaten bewegen sich in Gao als Frem-
de, abgeschottet von der Bevölkerung . Je unsicherer die
Lage wird, desto mehr wird sich das deutsche Kontingent
einigeln . Das Magazin des Reservistenverbandes Loyal
berichtete jüngst, wie eine deutsche Patrouille in Gao
nicht nur mit der extremen Hitze, sondern auch mit un-
terkühlten Reaktionen der Bevölkerung zu kämpfen hat .
Sogar ein Stein flog auf das geschützte und bewaffnete 
Transportfahrzeug der Bundeswehr . Auf die Frage nach
dem Sinn des Einsatzes zitierte das Blatt den Patrouil-
lenführer: „Aber meinen Verwandten daheim kann ich
nicht erklären, warum ich in Mali bin und was wir hier
erreichen wollen .“

Die Lage in Mali ist so unsicher, dass die Bundeswehr
nun auch Kampfhubschrauber vor Ort stationieren soll .
Doch gleichzeitig erklärt die EU mit deutscher Unterstüt-
zung Mali als sicher genug, um dem Land ein Rückfüh-
rungsabkommen für Flüchtlinge aufzuzwingen . Wenn es
um die Rechtfertigung des Militäreinsatzes geht, dann
führen Sie das Leid der Malier an . Doch wenn Malier in
Europa Asyl beantragen, dann schieben Sie diese wieder
in die Unsicherheit ab . Das ist heuchlerisch und zynisch .


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1821302100

Für die SPD-Fraktion hat der Kollege Rainer Arnold

das Wort .


(Beifall bei der SPD)



Rainer Arnold (SPD):
Rede ID: ID1821302200

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Jede Krise in der Welt ist eine eigene Herausforderung .
Aber auf Mali zu schauen, lohnt sich schon aus grund-
sätzlichen Erwägungen . In Mali zeigt sich ein Stück weit
exemplarisch, wie die Verantwortung unseres Landes in
der Welt in Zukunft eher aussehen könnte .

Das Erste, was wir aufgrund der Situation in Mali
feststellen können, ist: Die Welt darf nicht einfach zu-
schauen – das hat sie auch nicht gemacht –, wie ein Land,
das von seiner Lage her für uns sicherheitspolitisch ex-
trem wichtig ist, zerfällt und Staatlichkeit zerbröselt .
Man sieht aber auch, dass es meistens zu spät ist, bis die

Staatengemeinschaft reagiert . Hätte Frankreich nicht auf
einen Einsatz gedrungen, hätten Aufständische nicht nur
die Mitte und den Norden des Landes unter Kontrolle
gehabt, sondern wären auch auf die wichtige Hauptstadt
Bamako zumarschiert, dann gäbe es einen weiteren zer-
fallenden Staat, ein weiteres Somalia .

Es gilt Lehren aus Mali zu ziehen . Die These von Frau
Buchholz, der Einsatz in Mali werde dem in Afghanis-
tan zunehmend ähnlicher, ist einfach falsch und an den
Haaren herbeigezogen .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Die Vorgehensweise in Mali beruht auf den Lehren, die
wir aus Afghanistan gezogen haben . In Bezug auf Afgha-
nistan hat man geglaubt, man könne mit 130 000 Solda-
ten in ein fremdes Land gehen, um dort Staatsaufbau –
auch militärisch unterstützt – zu betreiben . Es hat in der
Tat nicht funktioniert, von außen kommend Staatlichkeit
mit Militär herzustellen .

In Mali läuft es anders . Dort will man die örtliche Si-
cherheitsstruktur so stärken, dass das Land eben selbst
mit seinen Problemen umgehen kann . Deshalb wird es in
Zukunft in die Richtung gehen, mehr Ausbildungs- und
Ausstattungsmissionen in die Welt hinauszuschicken .
Das sind Lehren, die gezogen wurden . Deshalb sollten
Sie nicht derartige Vergleiche ziehen .

Eine weitere Lehre ist: Die örtliche Politik muss stär-
ker in die Pflicht genommen werden. Wir dürfen in Be-
zug auf die Akteure in Mali und in anderen Ländern nicht
zulassen, dass sich diese in gleichem Maße, wie es inter-
nationales Engagement gibt, auf ebendieses Engagement
verlassen . Das heißt, wir müssen dort schon deutliche Si-
gnale senden und überprüfbare Schritte einfordern, damit
die betroffenen Länder in der Lage sind, ihre Geschicke 
in die eigene Hand zu nehmen. Was Mali anbetrifft, müs-
sen wir dafür sorgen, dass die Reformen, die in diesem
Land notwendig sind – insbesondere im Bereich der De-
zentralisierung –, von der eigenen Regierung angegan-
gen werden . Wir müssen in diesem Bereich schieben und
drängen . Auch dies ist eine Lehre .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Niemand glaubt – das gilt auch für Mali –, dass man
mit Militär allein die Probleme beheben und die Struk-
turen verändern kann . Es geht immer um den vernetzten
Ansatz . Deutschland engagiert sich in Mali in ganz be-
sonderer Weise beim zivilen Aufbau und auch im Bereich
Beratung der Regierung . Das geschieht, damit endlich
besser regiert werden kann .

Und nicht zuletzt: Weil Militär allein die Probleme
nicht überwinden kann, brauchen solche Gesellschaf-
ten – auch das zeigt Mali – eben auch Versöhnungspro-
zesse . Es war richtig und gut, dass die Nachbarstaaten
ihrer Verantwortung in Mali ein Stück weit gerecht ge-
worden sind und mitgeholfen haben, dass der Friedens-
vertrag in Algerien ausverhandelt werden konnte . Auch
dies zeigt, in welche Richtung es in Bezug auf solche
Staaten zukünftig gehen muss .

Christine Buchholz






(A) (C)



(B) (D)


Die Soldaten und die acht Hubschrauber, die wir
jetzt dorthin schicken, sind ja in erster Linie dort, um
mitzuhelfen, dass der ausgehandelte Friedensvertrag
implementiert wird . Sie haben nicht den Auftrag, dort
mit militärischer Gewalt Sicherheit herzustellen . Dafür
sind es übrigens auch viel zu wenige . Man kann nicht
mit 12 000 UN-Soldaten und Polizisten ein Gebiet unter
Kontrolle bringen, das dreimal so groß ist wie die Bun-
desrepublik . Es geht also darum – das ist ganz klar –,
dort, wo es notwendig ist, Menschen zu schützen und
nicht wegzuschauen . In erster Linie geht es darum, da-
für zu sorgen, dass der schwierige Weg hin zum Frieden
möglich ist und der Friedensvertrag eingehalten wird .

Mali zeigt exemplarisch auch die schwierigen und tra-
gischen Seiten der zukünftigen Einsätze . Denn wir mer-
ken, dass es sich nicht nur um einen Akteur als Gegner
handelt . Vielmehr gibt es in solchen Staaten meist eine
Verbindung zwischen fundamental-islamistischen Ter-
roristen, schnöden kriminellen Banden und Verfechtern
ethnischer Interessen . Dabei handelt es sich um temporä-
re Verbindungen . Das macht die Aufgabe dort so schwie-
rig .

Wir sind – die Frau Ministerin hat es angesprochen –
gerade auch in dieser Stunde in Gedanken bei all den
Soldaten und Zivilbeschäftigten der Vereinten Nationen,
die dort vor zwei Tagen bei diesem fürchterlichen und
grausamen Anschlag ums Leben gekommen sind . Das
stecken wir nicht einfach so weg . Wenn ausgerechnet die
Menschen, die man zum ersten Mal – weil sie in der Ver-
gangenheit Feinde waren – in einer Kaserne zusammen-
geführt hat, damit sie gemeinsam den Frieden in Mali
erreichen, Opfer von Anschlägen werden, geht uns das
schon sehr nahe . Und das Camp der Deutschen ist nicht
weit vom Anschlagsort – 1,3 Kilometer – entfernt .

Frau Ministerin, ich sage es deutlich: Es ist extrem
wichtig – das ist Ihre allerwichtigste Aufgabe –, dafür zu
sorgen, dass der Einsatz der Soldaten aufgrund der damit
verbundenen Risiken und Gefahren entsprechend gewür-
digt wird . Das muss beim AVZ, also beim Auslandsver-
wendungszuschlag, sichtbar werden . Es darf nicht Mona-
te dauern, bis an dieser Stelle eine Verbesserung erreicht
wird, sondern es müsste eigentlich schon gestern gesche-
hen sein .


(Beifall bei der SPD)


Mali zeigt natürlich auch die Schwächen unserer ei-
genen Streitkräfte . Die Finanzierung der Bundeswehr ist
mit diesem zusätzlichen Engagement in vielen Bereichen
noch mehr „auf Kante genäht“ . Es fehlen nun einmal
Aufklärer, die Luftbilder der Drohnen auswerten können .
Wir haben einen Mangel im medizinischen Bereich und
auf vielen anderen Gebieten . Deshalb ist es richtig, dass
dort ein Helikoptereinsatz auf Zeit zugesagt wurde .

Wir Sozialdemokraten wünschen uns schon lange,
dass wir und die westlichen Industriestaaten insgesamt
mehr Verantwortung bei den 17 UN-Friedensmissionen
übernehmen . Verantwortungsübernahme dort kann aber
nicht bedeuten: Man geht dort erst einmal hinein und
bleibt dann zehn Jahre dort . Dies kann die Bundeswehr
nicht wirklich leisten, weil wir insbesondere in Osteuro-

pa  eine  ganze Reihe  ähnlich wichtiger Verpflichtungen 
haben .

Insofern ist dieser Weg von vornherein gut . Wir statu-
ieren ein Exempel und sagen: Wir führen diesen Einsatz
für ein Jahr durch, und dann müssen andere leistungs-
fähige Staaten ihn ergänzen . Das sollten wir in anderen
Bereichen ähnlich handhaben .


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1821302300

Herr Kollege .


Rainer Arnold (SPD):
Rede ID: ID1821302400

Dann könnten wir den Vereinten Nationen noch mehr

helfen, als wir es im Augenblick tun .

Dieser Einsatz ist also richtig und notwendig . Die
Linken haben keine Antwort auf die Frage, was dort zu
geschehen hat .


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1821302500

Herr Kollege .


Rainer Arnold (SPD):
Rede ID: ID1821302600

Ich bin fertig, Herr Präsident . – Die Linken würden

dieses Land den Terroristen und den Kriminellen einfach
überlassen und wegschauen . Dies ist doch keine verant-
wortungsvolle Politik . Wir handeln anders .

Vielen Dank .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Christine Buchholz [DIE LINKE]: Das ist völliger Quatsch! Wir würden die Ursachen bekämpfen!)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1821302700

Frithjof Schmidt hat nun das Wort für die Fraktion

Bündnis 90/Die Grünen .


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Meine Fraktion hat den Einsatz der Verein-
ten Nationen und der Europäischen Union von Anfang
an unterstützt . Frau Buchholz, die entscheidende Frage
ist, ob man der Meinung ist, dass es richtig ist, dass die
UNO dort ist, oder ob man sagt, sie sollte sich dort lieber
heraushalten . Wir sind der Meinung, es war richtig und
notwendig .

Man muss noch einmal kurz daran erinnern: 2012
stand Mali kurz vor dem Zusammenbruch . Die islamis-
tischen Kämpfer rückten direkt auf die Hauptstadt Ba-
mako vor . Es drohte eine humanitäre Katastrophe . Nur
durch das schnelle Eingreifen Frankreichs konnte diese
schlimme Entwicklung gestoppt werden . Ich sage, es
war richtig, das zu unterstützen, und es war richtig, dass
die UNO dann mit MINUSMA die Verantwortung im
Land übernommen hat, dass die UNO auch gesagt hat:
Wir sind für die Bewältigung dieser Krise zuständig . Die
Frage, die Sie politisch beantworten müssen, ist, ob Sie
das  falsch finden. Falls  ja,  entspricht  das  Ihrer  bisheri-

Rainer Arnold






(A) (C)



(B) (D)


gen Logik . Aber wenn Sie sagen: „Es ist richtig, dass die
UNO die Verantwortung für die Bewältigung dieser Kri-
se übernimmt“, dann müssen Sie auch sagen, welchen
Beitrag wir leisten und wie wir unterstützen wollen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU und der SPD)


Ich finde, diese Frage müssen Sie politisch beantworten. 

Vor allem ist es der UNO zu verdanken, dass es einen
politischen Friedensprozess gibt und dass 2015 ein Frie-
densabkommen zwischen der malischen Regierung und
den verschiedenen Tuareg-Gruppen zustande gekommen
ist . Der verheerende Selbstmordanschlag in Gao mit zig
Toten zeigt deutlich, wie sehr der Friedensprozess gerade
ins Stocken geraten ist . Da gibt es nichts schönzureden .

Das Ganze unterstreicht dramatisch, was die Verein-
ten Nationen seit mindestens zwei Jahren immer wieder
sagen: Der Einsatz in Mali gehört zu den gefährlichsten
der  UNO  überhaupt.  Immer  wieder  flammen  Kämpfe 
zwischen der Zentralregierung und den Rebellengruppen
auf, und immer wieder geraten dabei Blauhelme zwi-
schen die Fronten . Uns liegen die Zahlen vor – sie sind
erschreckend –: 106 UN-Soldaten haben in den letzten
drei Jahren bei diesem Einsatz ihr Leben verloren, und
in diesem Gebiet sind über 170 000 Menschen auf der
Flucht .

Die UN-Basis am Flughafen Gao ist zentral für die
Stabilisierung der Sicherheitslage im Norden von Mali,
und sie ist auch wichtig für die Versorgung und den
Schutz vieler Menschen in der Region . Deswegen sagen
wir: Es ist richtig, dass die Bundeswehr den Einsatz in
Gao seit einem Jahr mit über 500 Soldatinnen und Solda-
ten im Bereich der Aufklärung und der Absicherung des
Flughafens und der UN-Konvois unterstützt hat .

Ich empfehle meiner Fraktion, die Erweiterung die-
ses Einsatzes im neuen Mandat zu unterstützen . Es geht
um die Evakuierung von verletzten Blauhelmen durch
vier medizinisch entsprechend ausgerüstete Hubschrau-
ber . Man muss sagen: Wenn man der Meinung ist, der
UN-Einsatz sei richtig, dann ist die Aufrechterhaltung
der Rettungskette für die Blauhelme im Einsatz humani-
tär absolut notwendig und richtig . Da kann es kein Vertun
geben .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU und der SPD)


Auch die Absicherung von UN-Konvois aus der Luft
mit vier Kampfhubschraubern ist sinnvoll und notwen-
dig . Wenn dort Luftfracht auf die Konvois umgeladen
wird, dann müssen sie abgesichert werden . Das wurde
gerade auch in einem Bericht an den UN-Sicherheitsrat
wieder festgestellt . Den Vereinten Nationen fehlt es an
solchen Hubschraubern . Ohne sie könnte man den Ein-
satz im Norden Malis nicht weiterführen . Das wäre fatal .
Denn politisch ist klar: Wenn der Blauhelmeinsatz im
Norden scheitert, dann steht auch der malische Friedens-
prozess auf der Kippe . Die Folgen für die gesamte Sahel-
region und Westafrika wären nicht absehbar . Deswegen
unterstützen auch wir den Einsatz .

Allerdings erwarten wir von der Bundesregierung,
dass sie Klartext spricht, was die möglichen Materialpro-
bleme angeht, vor allen Dingen im Bereich der für die-
sen Einsatz vorgesehenen Hubschrauber . Man hört, der
Einsatz der Hubschrauber sei auf Mitte 2018 begrenzt,
weil die Durchhaltefähigkeit des Einsatzes höchstens bis
dahin zu gewährleisten sei . Herr Arnold, Sie haben das
ja gerade als Tugend dargestellt und gesagt: Wir haben
einen Plan . – Frau von der Leyen hat gesagt: Das ist ein
politisches Konzept . – Man hört, dass es erhebliche Pro-
bleme gibt . Es kommen auch Fragen nach der Einsatz-
fähigkeit der Kampfhubschrauber auf . Ich sage: Unsere
Soldatinnen und Soldaten, aber auch wir Abgeordneten
erwarten von der Bundesregierung ganz klare Aussagen
über mögliche Risiken . Die Sicherheit der Hubschrauber
darf nicht infrage stehen. Ich hoffe, dass Sie das eindeu-
tig klären können .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, der militärische
Einsatz der Vereinten Nationen kann humanitäre Hilfe
absichern und Hilfestellung für die politische Lösung der
Konflikte in Mali leisten. Der stockende Friedensprozess 
gehört ins Zentrum der internationalen Bemühungen .
Ich glaube, es muss mehr getan werden . Wir sehen, dass
dieser Prozess gerade in einer ganz kritischen Phase ist .
Wenn dieser Einsatz nicht gelingt, dann werden wir mit
Sicherheit ganz große Probleme bekommen . Deswegen
erwarten wir von der Bundesregierung und der Europäi-
schen Union ein intensives politisches Engagement . Das
muss angemessen adressiert werden . Ich glaube, da gibt
es noch Luft nach oben . Dafür haben Sie jedenfalls unse-
re Unterstützung .

Danke für die Aufmerksamkeit .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1821302800

Vielen Dank . – Nächster Redner ist Jürgen Hardt,

CDU/CSU-Fraktion .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Jürgen Hardt (CDU):
Rede ID: ID1821302900

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion unterstützt den An-
trag der Bundesregierung auf Verlängerung und Erweite-
rung des MINUSMA-Mandats . Ich freue mich, dass die-
se Debatte zeigt, dass die verantwortungsvollen Kräfte
dieses Hauses mit großer Geschlossenheit hinter diesem
Einsatz stehen .


(Jan van Aken [DIE LINKE]: Wir stehen nicht dahinter!)


Deutschland hat Mali nicht umsonst ins Zentrum sei-
ner Bemühungen um Frieden im westlichen Afrika ge-
rückt . Wir haben durch zahlreiche Besuche von Minis-
tern, aber auch der Bundeskanzlerin unterstrichen, wie
sehr uns daran liegt, dass in diesen Ländern eine positive
demokratische und stabilisierende Entwicklung voran-

Dr. Frithjof Schmidt






(A) (C)



(B) (D)


geht und dass insbesondere in Mali der Friedensprozess
zu einem guten Ergebnis führt . Denn der innere Frieden
eines Landes ist natürlich Voraussetzung, dass man sich
gegen äußere Feinde bzw . Gegner wirksam schützen
kann .

Wer die geografische Lage Malis betrachtet, sieht auf 
den ersten Blick, dass Mali für den gesamten westafri-
kanischen Raum ein enorm wichtiges Land ist . Wir ha-
ben die Weiten der Sahara mit nahezu unkontrollierbaren
Transportwegen  für Waffen-  und Menschenschmuggel. 
Wir haben im westlichen Afrika eine ganze Reihe von
Staaten, die positive Erfolge zeitigen mit Blick auf die
Demokratisierung . Islamistische Kräfte könnten aber na-
türlich jede Instabilität und jedes Wanken sofort nutzen,
um diese Staaten zu destabilisieren . Wie fragil manchmal
die demokratische Entwicklung ist, sehen wir in Gambia .
Wir haben in Gambia die Situation, dass ein Präsident
sein Amt nicht verlassen will . Es gibt einen demokratisch
gewählten neuen Präsidenten – von beiden Präsident-
schaftskandidaten ist die Wahl ja als richtig anerkannt
worden –, während der alte Präsident nicht weichen will .
Ich kann hier nur appellieren, dass Präsident Yahya Jam-
meh das Amt an den neuen legitimen Präsidenten Barrow
übergibt . Das zeigt, wie wichtig es ist, dass die Region
stabil bleibt und dass wir verhindern, dass der Islamis-
mus in dieser Region Fuß fasst .

Der Einsatz in Mali ist ein gefährlicher Einsatz . Wir
haben bei jeder Bundestagsdebatte hier vorgetragen, dass
wir unsere Soldatinnen und Soldaten wirklich gut schüt-
zen müssen und dass wir uns auch nichts vormachen dür-
fen . Wir haben gesehen, dass die Zahl der Anschläge in
den letzten Jahren weiter zugenommen hat . Das Problem
hat sich vor allem Richtung Süden entwickelt, weil genau
dort die Wege sind, auf denen der Terrorismus in andere
Regionen Westafrikas vorzudringen versucht . Deswegen
ist es eine gute Entscheidung der Bundesregierung, dass
wir dort voraussichtlich ab März Hubschrauberunterstüt-
zung haben .

Ich sage ganz konkret an die Adresse der Linken, die
das kritisiert hat: Sie wären doch die Ersten, die hier
Theater machen würden – vermutlich in diesem Punkt zu
Recht –, wenn wir darauf verzichten würden, unsere Sol-
daten durch die MedEvac-Hubschrauber zu unterstützen
und durch die Kampfhubschrauber wiederum diese mög-
lichen Lufteinsätze zu begleiten . Deswegen ist es eine
gute Maßnahme der Vorsorge für uns und für alle ande-
ren UN-Kräfte in der Region, dass wir die Hubschrauber
dorthin verlegen .


(Christine Buchholz [DIE LINKE]: Sie haben das Argument nicht verstanden!)


Wir hatten diese Einsatzkombination bereits zum
Ende des ISAF-Einsatzes in Afghanistan . Dort gab es
Fragezeichen, ob es klappen könnte . Es gab viele Ge-
rüchte über den neuen Transporthubschrauber und den
neuen Kampfhubschrauber . Diese Hubschrauber haben
im Afghanistan-Einsatz gezeigt, dass sie auch in dieser
Kombination die Aufgabe wahrnehmen können . Deswe-
gen ist es gut, dass wir das jetzt auch in Mali machen .

Ich finde es eine richtige Entscheidung der Bundesre-
gierung, dass die Soldatinnen und Soldaten im Einsatz

auch entsprechend besser bezahlt werden . Ich glaube,
dass wir den Angehörigen und den Soldaten selbst sagen
müssen, dass sie unsere gesamte Unterstützung haben
und wir alles, was wir tun können, auch leisten, damit
alle aus diesem Einsatz wieder wohlbehalten nach Hause
kommen können . Es wird der gegenwärtig größte und
vielleicht auch gefährlichste Bundeswehreinsatz sein .
Ich wünsche allen Soldaten Glück, dass sie wieder heil
nach Hause kommen . Die CDU/CSU-Bundestagsfrakti-
on wird dieses Mandat unterstützen .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1821303000

Vielen Dank . – Für die SPD-Fraktion spricht jetzt der

Kollege Jürgen Coße .


(Beifall bei der SPD)



Jürgen Coße (SPD):
Rede ID: ID1821303100

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Es geht heute um die Fortsetzung und die Erweiterung
einer Blauhelmmission in Mali . Die Stabilisierungsmis-
sion ist zurzeit die gefährlichste UN-Mission, die es gibt .
Allein im vergangenen Jahr töteten bewaffnete Gruppen 
29 Blauhelmsoldaten und verwundeten über 90 . Ein
Selbstmordattentäter riss vorgestern über 70 malische
Soldaten in den Tod und verletzte über 100 . Ja, auch
deutsche Soldaten sind bereits in Mali angegriffen wor-
den . Wir sind uns der Tragweite unserer Entscheidung
bewusst und wir treffen diese Entscheidung nicht leicht-
fertig. Ich finde das Wort „Heuchelei“ in dieser Hinsicht 
unangemessen .


(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Christine Buchholz [DIE LINKE]: Ich habe über das Rücknahmeabkommen gesprochen!)


Was ist denn die Alternative? Was passiert, wenn die
Blauhelme nicht Zivilisten schützen? Haben wir das
nicht in Ruanda beobachten können? Diejenigen, die
entschieden gegen diesen Einsatz sind, frage ich: Wie
würden Sie sich fühlen, wenn Sie selbst im Norden Ma-
lis leben müssten? Würden Sie gern unter dem Joch von
Islamisten und kriminellen Banden leben? Die Menschen
in Mali wollen dies auf jeden Fall nicht .


(Christine Buchholz [DIE LINKE]: Aber offensichtlich wollen sie auch keinen Militäreinsatz!)


90 Prozent sehen Sicherheit als oberste Priorität für ihr
Land . Wir dürfen dieses Land jetzt nicht im Stich lassen .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Das tut die internationale Gemeinschaft auch nicht .
Insgesamt sind 13 456 Soldaten, Polizisten und Zivi-
listen in dieser Mission im Einsatz . Afrikanische Staa-
ten, Bangladesch, Indien und Pakistan stellen bei dieser
Friedensmission – wie so oft – die meisten Truppen .
Es stimmt aber auch, dass Deutschland deutlich mehr
Personal nach Mali geschickt hat als bei jeder anderen
UN-Friedensmission . Der deutsche Beitrag wird mit ei-

Jürgen Hardt






(A) (C)



(B) (D)


ner Höchstgrenze von 1 000 Soldaten beträchtlich sein .
Unsere Männer und Frauen in Uniform leisten dort jetzt
schon gute Arbeit, und das werden sie auch in Zukunft
tun . Das sollten wir hier deutlich sagen, unterstützen und
ihnen dafür unseren Dank aussprechen .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Aber warum engagiert sich die Bundesrepublik in
Mali? Ich sehe zwei Gründe, weshalb die Stabilisierung
wichtig für uns und für Europa ist .

Erstens . Die Terrorismusbekämpfung . Die Vergangen-
heit hat immer wieder gezeigt, dass es sehr gefährlich ist,
wenn Terrororganisationen unbehelligt ein Territorium
kontrollieren; denn dann fällt es ihnen wesentlich leich-
ter, Kämpfer auszubilden und Anschläge zu verüben . Das
haben wir zuletzt bei den Anschlägen von Paris im Jahr
2015 gesehen . Die Attentäter konnten deshalb so profes-
sionell vorgehen, weil viele von ihnen in Syrien und im
Jemen ausgebildet worden waren . Die Lehre ist also klar:
Wir dürfen dort, wo wir es können, keine Terrorcamps
zulassen .

Zweitens . Mali ist ein Schlüsselland der Migration .
Durch Mali und das Nachbarland Niger laufen die wich-
tigsten Flüchtlingsrouten zur libyschen Mittelmeerküs-
te . Wenn es uns gelingen würde, Mali zu stabilisieren,
würden weniger Menschen im Mittelmeer ertrinken .
Denn es gilt nach wie vor: Ohne Frieden gibt es keine
Sicherheit . Sicherheit ist die Voraussetzung für eine gute
wirtschaftliche Entwicklung . Ohne wirtschaftliche Ent-
wicklung haben die Menschen vor Ort keine Perspektive .
Perspektivlosigkeit ist der Hauptgrund für Flucht . Und
ohne MINUSMA gäbe es zurzeit überhaupt keine Per-
spektive für Mali .


(Beifall bei der SPD)


Meine Fraktion, die SPD, unterstützt den Antrag der
Bundesregierung, auch in der nächsten Woche .

Ich danke für die Aufmerksamkeit .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1821303200

Vielen Dank . – Letzter Redner zu diesem Tages-

ordnungspunkt ist der Kollege Florian Hahn, CDU/
CSU-Fraktion .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Florian Hahn (CSU):
Rede ID: ID1821303300

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Die Linke hat noch nie einem Einsatz zugestimmt . Wer
heute der Kollegin Buchholz zugehört hat, hat gemerkt,
wie sie sich, wie jedes Mal in diesen Debatten, abmüht,
irgendwelche Argumente zu finden, die gegen eine Zu-
stimmung zu einem solchen Mandat sprechen könnten .


(Jan van Aken [DIE LINKE]: Das kostet uns keine Mühe!)


Das ist durchaus legitim, aber ich finde, Sie könnten sich 
zumindest eine Minute oder eine halbe Minute – und das
hat Frau Buchholz nicht getan – die Mühe machen, Alter-

nativen aufzuzeigen, wie wir dem islamischen Terror in
diesem Land, wie wir dem Bürgerkrieg und dem Staats-
zerfall begegnen können, um dem Land auf die Beine zu
helfen .


(Christine Buchholz [DIE LINKE]: Sie haben bei den letzten Reden gar nicht richtig zugehört!)


Sie haben nicht eine Sekunde darauf verwendet .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Das zeigt, dass Sie rein dogmatisch unterwegs sind . Sie
sind nicht regierungsfähig, Sie sind nicht verantwor-
tungsbewusst .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben in den
letzten Tagen viel über die Äußerungen des künftigen
US-Präsidenten gesprochen . Gerade was die NATO an-
geht, scheint vieles noch recht unausgegoren und wider-
sprüchlich . Aber in einem Punkt hat er natürlich recht:
Die USA schultern bisher überproportional die Lasten
im Bereich der gemeinsamen Verteidigung . Es ist daher,
meine ich, das gute Recht, von Europa und Deutschland
mehr Verantwortung für die eigene Sicherheit zu fordern .
Das ist auch in unserem ureigenen Interesse . Eine stär-
kere Orientierung an dem 2-Prozent-Ziel bei den Vertei-
digungsausgaben kann helfen, das europäische Gewicht
innerhalb der NATO und die strategische Autonomie Eu-
ropas zu stärken .

Wir Europäer sollten mit großem Engagement das
Ziel verfolgen, gemeinsam verteidigungsfähig zu sein .
So verstehe ich und so versteht die CSU den Gedanken
einer europäischen Armee . Wir müssen unsere Strukturen
reformieren, und wir müssen die bilateralen und die mul-
tilateralen Kooperationen ausbauen . Ziel ist eine stärkere
Koordination und Zusammenarbeit unserer Streitkräfte
mit denen anderer europäischer Partner . Hier passiert ak-
tuell mehr als früher, aber noch nicht genug .

Mehr Eigenverantwortung bedeutet aber auch den
Auftrag an uns Europäer, dort selbstständig aktiv zu wer-
den und zu sein, wo unsere Interessen besonders betrof-
fen sind und wo wir unsere Stärken sinnvoll einsetzen
können, und das ist vor allem Afrika . Dort kann Europa
mit einem vernetzten Ansatz aus militärischen und zivi-
len Komponenten helfen, Krisen zu bewältigen, deren
Folgen die Europäer unmittelbar betreffen. 

Die Einsätze in Afrika waren bislang, was Perso-
nalstärke und Anzahl angeht, eher überschaubar für
Deutschland . Erst jetzt, wenn wir die Personalstärke
bei der UN-Mission in Mali auf Tausend erhöhen – hin-
zu kommen noch 300 Mann für die Ausbildungsmissi-
on EUTM Mali –, wird die Herausforderung für unsere
Bundeswehr deutlich, die mit solch einer globalen Ver-
antwortungsübernahme einhergeht .

Die Gewährleistung der Rettungskette ist eine Schlüs-
selkomponente bei solchen Einsätzen . Wenn wir die enge
Verflechtung mit anderen europäischen Nationen im Ver-
teidigungsbereich vorantreiben wollen, müssen wir auch

Jürgen Coße






(A) (C)



(B) (D)


bereit sein, Partnern im Einsatz zu helfen, sie abzulösen,
wenn beschränkte Durchhaltefähigkeiten das erfordern .
Es  ist daher gut, dass wir den Staffelstab von den Hol-
ländern übernehmen . Es ist aber auch unbedingt erfor-
derlich, dass andere später bereit sind, wiederum von uns
den Stab zu übernehmen .

Der  Einsatz  in Mali  zeigt  einmal mehr,  dass  die  fi-
nanzielle und materielle Ausstattung der Bundeswehr
noch deutlich verbesserungsfähig ist, auch wenn die
Verteidigungsministerin schon große Fortschritte errei-
chen konnte . Nationale und globale Sicherheit haben
ihren Preis . Europa und Deutschland müssen also mehr
Verantwortung übernehmen, nicht nur für die eigene,
sondern auch für die globale Sicherheit und das globale
Wohlergehen, insbesondere in Afrika . Die Unterstützung
von Krisenstaaten wie Mali ist deshalb unerlässlich . Nur
wenn Menschen in der Heimat wieder eine Perspektive
sehen, können wir auch die globale Migration besser in
den Griff bekommen. 

Aber Verantwortung müssen schließlich auch die Län-
der tragen, die wir unterstützen . Unser Ziel muss es daher
stets sein, schnell zur Eigenverantwortung der betreffen-
den Länder zurückzukehren, zur Verantwortung für die
eigene Sicherheit wie auch für das Funktionieren von
Staat und Gesellschaft insgesamt . Wie schwer das in der
Praxis ist, zeigt der Einsatz in Afghanistan .

Der ohnehin schleppende Friedensprozess in Mali
ist  aber  nicht  nur  aufgrund der  häufigen  terroristischen 
Anschläge bedroht, er droht derzeit auch aufgrund von
Apathie und Desinteresse aufseiten der malischen Re-
gierung zu scheitern . Unsere Hilfe müssen wir daher mit
deutlich mehr Druck auf die Regierung verbinden, beim
Friedensprozess voranzukommen und Reformen umzu-
setzen . Wir sollten überprüfbare Ziele vereinbaren, deren
Einhaltung honorieren, deren Nichteinhaltung dann aber
auch sanktionieren .

Wir tun den Maliern aber auch keinen Gefallen, wenn
wir sie in eine Dauerabhängigkeit geraten lassen . Freiheit
und Eigenverantwortung sind auch in der Sicherheitspo-
litik richtige Leitmaximen für Europa und für Deutsch-
land, aber auch für Mali . In diesem Sinne gestalten wir
unseren Einsatz in Mali . Eine wichtige Säule dabei ist
der Einsatz unserer Bundeswehr dort . Ich bedanke mich
an dieser Stelle bei unseren Soldatinnen und Soldaten für
ihren Einsatz .

Herzlichen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1821303400

Vielen Dank . – Damit ist die Aussprache beendet .

Zwischen den Fraktionen wurde vereinbart, dass die
Vorlage auf Drucksache 18/10819 an die in der Tagesord-
nung aufgeführten Ausschüsse überwiesen werden soll .
Sind Sie damit einverstanden? – Ich sehe, das ist der Fall .
Dann ist so beschlossen .

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 23 auf:

Beratung des Antrags der Bundesregierung

Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deut-
scher Streitkräfte zur Ausbildungsunterstüt-
zung der Sicherheitskräfte der Regierung der
Region Kurdistan-Irak und der irakischen
Streitkräfte

Drucksache 18/10820
Überweisungsvorschlag:
Auswärtiger Ausschuss (f)

Innenausschuss
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwick-
lung
Haushaltsausschuss gemäß § 96 der GO

Interfraktionell wurde vereinbart, dass für die Aus-
sprache 38 Minuten vorgesehen sind . – Auch hier höre
ich keinen Widerspruch . Dann ist so beschlossen .

Ich  eröffne  die Aussprache.  Das Wort  für  die  Bun-
desregierung hat Bundesministerin Dr . Ursula von der
Leyen .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Dr. Ursula von der Leyen, Bundesministerin der
Verteidigung:

Vielen Dank . – Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen
und Kollegen! Es ist jetzt zweieinhalb Jahre her – ich
glaube, wir alle hier im Hohen Hause erinnern uns noch
daran –, als wir zum ersten Mal das grauenhafte, aber
foudroyante Vorgehen des sogenannten „Islamischen
Staates“ im Irak beobachten konnten, nämlich als damals
Mosul durch den IS eingenommen worden ist . Sie wer-
den sich daran erinnern, dass damals die Goldreserven
der  Bank  geplündert  worden  sind,  dass Waffen  in  die 
Hände der Terroristen gefallen sind . Es gab einen fou-
droyanten Siegeszug des IS damals . Er stand bis 10 Kilo-
meter vor den Toren Bagdads .

Wir haben es uns vor zweieinhalb Jahren nicht leicht
gemacht bei der Entscheidung, denjenigen, die dort unter
dem Morden und Wüten des IS leiden, Hilfe zu leisten .
Wir haben uns zum allerersten Mal in der Geschichte der
Bundesrepublik Deutschland entschieden, Waffen in ein 
Krisengebiet zu schicken . Ich glaube heute, diese Ent-
scheidung war richtig .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Es war richtig, die Kurden, das heißt die Peschmer-
ga, auszurüsten und dies mit Ausbildung, ganz eng be-
gleitet, zu kombinieren . Die Peschmerga haben viel Mut
bewiesen . Sie haben als Erste den IS gestoppt, sie haben
ihn empfindlich zurückgeschlagen, und sie haben Terri-
torium zurückgewonnen . Viel wichtiger ist aber, dass wir
von Anfang an, so wie wir es eben bei dem anderen Man-
dat auch besprochen haben, vernetzt vorgegangen sind .

Von Anfang an haben wir die Kurden, die über
1,5 Millionen Flüchtlinge aufgenommen haben, dabei
unterstützt, humanitäre Hilfe zu leisten . Vielen Dank an
das BMZ, das bis heute intensiv mit den Kurden zusam-
menarbeitet, um dort humanitäre Hilfe zu leisten und die

Florian Hahn






(A) (C)



(B) (D)


Flüchtlinge zu schützen und zu unterstützen . Wir haben
von Anfang an auf Diplomatie gesetzt, und das Auswär-
tige Amt hat mit der irakischen Zentralregierung zusam-
mengearbeitet, damit der Prozess inklusiv bleibt, das
heißt, dass Sunniten, Schiiten, Kurden und die anderen
Gruppen in den Kampf gegen die Terroristen, die das
Land zerstören wollen, einbezogen sind . Andere Länder
waren bereit, in der großen Koalition gegen den Terror
auch die irakischen Zentraltruppen auszurüsten und aus-
zubilden .

Es hat sich gezeigt, dass wir in diesem Fall vieles –
nicht alles – richtig gemacht haben . Denn bei der Rück-
eroberung des Gebietes, sei es Tikrit, sei es Ramadi, ist
von Anfang an so vorgegangen worden, dass am Tag der
Befreiung dieser Städte die Vereinten Nationen sofort
reingegangen sind und Hilfe für die Menschen geleistet
haben . Dabei ging es um die Versorgung mit Wasser und
Elektrizität, um Erste Hilfe und den Wiederaufbau von
Häusern . Dadurch sollten die Menschen merken, dass es
einen Unterschied macht, ob der IS in der Stadt ist und
sie dominiert oder ob sie befreit sind .

Dieses Mandat umfasst die Ausbildung von kurdi-
schen Peschmerga . 150 Soldatinnen und Soldaten der
Bundeswehr sind daran beteiligt . Wir sind gemeinsam
mit anderen Nationen dort . Im letzten Monat, im Dezem-
ber, hat Deutschland die Führung von Italien rotations-
mäßig zum dritten Mal übernommen .

Drei Punkte im Rahmen dieses Mandates, um dessen
Verlängerung wir heute bitten, möchte ich erwähnen .

Zunächst einmal: 12 000 Streitkräfte sind inzwischen
ausgebildet worden . Wir haben von Anfang an darauf
geachtet, dass die Peschmerga bereit sind, auch hier das
Prinzip der Inklusion ernst zu nehmen . Inzwischen sind,
soweit sie ihre Heimat verteidigen wollen, auch Christen,
Jesiden, Kakai und Turkmenen ausgebildet worden, um
nur einige zu nennen .

Zweiter Punkt: Materiallieferung und Ausbildung
müssen Hand in Hand gehen . Ich will nur zwei Beispiele
nennen . Am Anfang ging es um basale Fähigkeiten, um
die Grundausbildung bis hin zur richtigen Anwendung
von Erster Hilfe, damit diejenigen an der Front, die ver-
letzt sind, dort nicht verbluten . Material, das geliefert
wurde, umfasst zum Beispiel ein Lagerhaus für Medi-
kamente und Verbandsmaterial, das wir kürzlich an die
Kurden übergeben konnten .

Beim dritten Punkt – den wir modulmäßig anpas-
sen, je nachdem, wie der Verlauf des Konfliktes und der 
kriegerischen Auseinandersetzung mit dem IS durch die
Peschmerga ist – liegt der Schwerpunkt inzwischen na-
türlich auf der Minenentschärfung, auf Counter-IED . Das
Gebiet, das zurückerobert wird, ist minenverseucht . Das
ist eine der entscheidenden Aufgaben bei der Rückerobe-
rung von Gebieten . Auch das Thema Häuserkampf spielt
eine wichtige Rolle; hierfür haben wir entsprechende
Trainingsareale ausgebaut .

Heute, zweieinhalb Jahre später, geht es wieder um
Mosul, aber diesmal mit umgekehrten Vorzeichen . Es
gelingt der irakischen Zentralregierung inzwischen ge-
meinsam mit den Kurden und in einer engen Absprache

mit der Koalition gegen den Terror, Schritt für Schritt die
letzte Bastion des IS im Irak zurückzuerobern, nämlich
Mosul . Noch lange ist nicht entschieden, wie das zu ei-
nem guten Ende gebracht wird, obwohl Fortschritte er-
reicht wurden . Auch hier ist neben der militärischen Aus-
rüstung und dem militärischen Rat, den die Peschmerga
und die Zentralstreitkräfte brauchen, wichtig, dass von
Anfang an darauf geachtet wird, dass ethnische Konflikte 
im Keim erstickt werden, und dass von Anfang an darauf
geachtet wird, dass die Versorgung der Flüchtlinge naht-
los funktioniert . 125 000 Menschen sind inzwischen aus
Mosul geflohen, aber etwa 1,5 Millionen Zivilisten sind 
nach wie vor in Mosul eingeschlossen .

Ein weiterer Punkt ist mir wichtig . Es ist entschei-
dend, nach einem Sieg über den IS – diesen werden wir
hoffentlich erreichen –, was das Territorium im Irak an-
geht, das heißt nach dem physischen Verschwinden des
sogenannten äußeren Feindes, Sorge zu tragen, dass die
inneren Konflikte nicht aufbrechen, sondern dass der Irak 
weiter den Weg der Inklusion geht . In diesem Sinne bitte
ich um Verlängerung des Mandates .

Vielen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1821303500

Vielen Dank . – Für die Linke hat jetzt das Wort Jan

van Aken .


(Beifall bei der LINKEN)



Jan van Aken (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1821303600

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Sie wol-

len 150 Soldatinnen und Soldaten in den Nordirak schi-
cken, um kurdische Peschmerga auszubilden . Es gibt
viele gute Gründe gegen dieses Mandat . Ich habe Ihnen
heute fünf mitgebracht .

Erstens . Sie bilden dort die Miliz einer politischen
Partei aus . Nur um das einmal klarzustellen: Wir reden
nicht über die reguläre Armee des Irak oder des Nord-
irak . Die sogenannten Peschmerga sind Milizen von po-
litischen Parteien . Es gibt im Osten die Peschmerga, die
zur PUK-Partei gehören . Es gibt die Peschmerga, die zur
Partei des Präsidenten Barzani gehören .

Im Nordirak gibt es noch eine dritte große Partei, näm-
lich die Gorran-Bewegung . Sie hat keine Milizen – und
dann Pech gehabt;  denn ohne Waffengewalt  gibt  es  im 
Norden des Irak überhaupt keine demokratische Teilha-
be . Sie wird am Betreten des Parlaments gehindert . In
dieser Situation sind Sie im Nordirak selbst dann, wenn
Sie Wahlen gewinnen; wenn Sie keine Peschmerga ha-
ben, haben Sie verloren .

Ich halte die Ausbildung von Parteimilizen durch die
Bundeswehr für eine derart schlechte Idee, dass wir auch
deswegen dieses Mandat ablehnen werden .


(Beifall bei der LINKEN – Henning Otte [CDU/CSU]: Märchenstunde!)


– Herr Otte, wenn Sie jetzt „Märchenstunde“ rufen, dann
kann ich nur sagen: Sie haben vom Nordirak überhaupt

Bundesministerin Dr. Ursula von der Leyen






(A) (C)



(B) (D)


keine Ahnung . Das wundert mich auch gar nicht . Sie ha-
ben natürlich nicht mit Regimegegnern gesprochen .


(Henning Otte [CDU/CSU]: Woher wollen Sie das denn wissen?)


Sie waren nicht an der Front und haben nicht mit Pesch-
merga geredet . Wer die ganze Zeit immer nur Klinken bei
der Waffenindustrie putzt, hat für solche richtige Arbeit 
keine Zeit . Das ist wirklich Ihr Problem .


(Beifall bei der LINKEN – Henning Otte [CDU/CSU]: Sie sollten einmal dorthin fahren und sich das angucken!)


Zweitens . Sie unterstützen mit diesem Mandat einen
illegitimen Präsidenten . Präsident Massud Barzani hat
seine Amtszeit ja schon zwei Jahre überschritten . Was
hat er gemacht? Er ist einfach weiter im Amt geblieben .


(Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist komplett richtig!)


Mithilfe seiner Peschmerga hat er das Regionalparla-
ment daran gehindert, überhaupt zusammenzutreten . Es
gibt keine demokratische Kraft mehr, die ihn entfernen
könnte .


(Rainer Arnold [SPD]: Trotzdem!)


Gewählte Abgeordnete des Regionalparlaments werden
von Barzanis Peschmerga daran gehindert, überhaupt nur
die Hauptstadt Erbil zu betreten, geschweige denn das
Parlament .

Diese Peschmerga wollen Sie jetzt auch noch ausbil-
den, um diese undemokratischen Praktiken zu unterstüt-
zen? Ich verstehe Sie da einfach nicht . Auch deswegen
lehnen wir dieses Mandat ab .


(Beifall bei der LINKEN)


Drittens . Mit diesem Mandat – Frau von der Leyen, da
komme ich genau auf Ihren letzten Punkt zu sprechen –
treiben Sie die Spaltung des Irak immer weiter voran .


(Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist richtig!)


Wir waren uns doch eigentlich alle in dem einen Ziel
einig, dass der Irak auf gar keinen Fall noch weiter in
einzelne Regionen zerfallen darf und dass wir eine inklu-
sive, ausgewogene Regierung in Bagdad brauchen, in der
alle drei Bevölkerungsgruppen – die Sunniten, die Schi-
iten und die Kurden – gleichberechtigt vertreten sind .
Denn wenn wir das nicht haben, wird der sogenannte
„Islamische Staat“ immer stärker . Schließlich hat er den
Nährboden, auf dem er stark geworden ist, in den sunniti-
schen Gebieten . Deswegen muss es doch unser Ziel sein,
die Spaltung des Irak zu verhindern .


(Beifall bei der LINKEN sowie der Abg . Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Jetzt machen Sie mit der Ausbildung der Peschmerga
genau das Gegenteil . Sie unterstützen die einzige große
Kraft im Irak, die die Spaltung will, nämlich die Kurden
im Nordirak . Ihr Partner, Präsident Barzani, sagt doch
immer wieder – zuletzt im November 2016 –, dass er
eine Volksabstimmung über die Bildung eines eigenen

Nationalstaates durchführen lassen will . Dabei unterstüt-
zen Sie ihn militärisch . Politisch unterstützen Sie ihn mit
dem Bundeswehrmandat . Sie geben ihm aber auch die
militärischen Mittel an die Hand, um diese Abspaltung,
diese Bildung eines eigenen Nationalstaates, wirklich
durchzuführen .

Ich halte das für absoluten Wahnsinn . Auch deswegen
lehnen wir dieses Mandat ab .


(Beifall bei der LINKEN)


Viertens . Sie unterstützen massive Menschenrechts-
verletzungen . Können Sie eigentlich wirklich ausschlie-
ßen – Frau von der Leyen, Ihre Antwort auf diese Frage
interessiert mich sehr –, dass die von Ihnen ausgebildeten
Peschmerga nicht bei der Verhaftung von Regimegeg-
nern, bei der Schließung von Menschenrechtsorganisati-
onen oder bei der Ermordung von Journalisten eingesetzt
werden? Sie kennen doch auch den Fall des jungen Jour-
nalisten Wedad Hussein Ali, der im letzten Sommer von
Barzanis Sicherheitskräften erst schikaniert und dann be-
droht wurde und am 13 . August 2016 umgebracht worden
ist . Frau von der Leyen, wissen Sie sicher, dass da kein
von Ihnen ausgebildeter Peschmerga mit beteiligt war?


(Henning Otte [CDU/CSU]: Sie haben sich doch im Ausschuss informiert!)


Ich finde, dass allein dieser Fall ein Grund ist, dieses 
Mandat abzulehnen .


(Beifall bei der LINKEN)


Fünftens . Sie unterstützen – um das auch noch ein-
mal ganz deutlich zu sagen – mit dieser Ausbildung ver-
fassungswidrige Aktionen von Präsident Barzani . Die
Peschmerga haben sich die Stadt Kirkuk in Verletzung
der irakischen Verfassung einfach unter den Nagel geris-
sen. Natürlich ist dadurch der Konflikt mit Bagdad eska-
liert; denn in Kirkuk gibt es sehr viel Öl . Wir reden über
Milliarden von Dollar . Die Peschmerga haben sich das
ausdrücklich gegen die irakische Verfassung einverleibt
und sagen, es sei jetzt kurdisches Gebiet . Genau das un-
terstützen Sie mit Ihrem Bundeswehrmandat – die Spal-
tung des Irak .


(Henning Otte [CDU/CSU]: Märchenstunde!)


Manchmal verstehe ich überhaupt nicht, was in Ihrem
Kopf vorgeht .


(Florian Hahn [CDU/CSU]: Wir wollen die Welt vor islamischem Terror schützen!)


Sie wollen ein Regime militärisch unterstützen, das den
Irak spalten will, das die Menschenrechte mit Füßen tritt,
dass die irakische Verfassung mit Füßen tritt und das von
einem illegitimen Präsidenten geführt wird .


(Henning Otte [CDU/CSU]: Sie sollten sich einmal informieren!)


Manchmal verstehe ich wirklich gar nicht, wie Sie
sich zu solchen Mandaten hinreißen lassen können . Ich
finde, Sie sollten es ablehnen.

Im Übrigen bin ich der Meinung, dass Deutschland
überhaupt keine Waffen mehr exportieren sollte – weder 

Jan van Aken






(A) (C)



(B) (D)


in den Nordirak noch in den Irak und von mir aus auch
nicht in die Türkei .

Ich danke Ihnen .


(Beifall bei der LINKEN – Henning Otte [CDU/CSU]: Ach so, die Polizei sollen wir dann auch nicht unterstützen!)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1821303700

Vielen Dank . – Das Wort für die Bundesregierung hat

jetzt Herr Staatsminister Michael Roth . Bitte schön .


(Beifall bei der SPD)



Michael Roth (SPD):
Rede ID: ID1821303800

Guten Tag, Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Wenn ich Diplomat wäre, Herr van Aken – ich
bin es nicht –, würde ich sagen: Ihre Rede war ein wenig
unterkomplex .


(Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD)


Da ich aber Politiker bin, muss ich sagen: Ihre Rede war
unterirdisch,


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Heike Hänsel [DIE LINKE]: Weil Sie sie nicht verstanden haben!)


weil Sie den Eindruck erweckt hat, dass der Deutsche
Bundestag seiner Verantwortung bislang nicht gerecht
geworden ist .


(Jan van Aken [DIE LINKE]: Ist er nicht! – Kathrin Vogler [DIE LINKE]: Die Mehrheit zumindest nicht!)


Ich kann mich an keine Debatte erinnern – diese liegt
ja nun schon einige Zeit zurück –, die derart emotional
und auch derart kritisch und verantwortungsbewusst
geführt wurde . Wir waren uns doch in allen Fraktionen
darüber einig, dass dies ein ganz besonderer und in un-
serer Geschichte bislang einzigartiger Fall ist und wir
selbstverständlich um die dramatischen Risiken wissen .
Ich kann nicht nur für meine Fraktion, sondern sicherlich
auch für viele, viele andere Kolleginnen und Kollegen –
auch vor dem Hintergrund ihrer eigenen Verantwortung
und ihrer eigenen Expertise – sagen: Wir haben es uns
nicht leicht gemacht .

Herr van Aken, Sie haben eine zentrale Frage nicht
beantwortet: Was wäre denn passiert, wenn wir nicht so
entschieden hätten?


(Rainer Arnold [SPD]: Dann gäbe es keinen Irak mehr! – Gegenruf des Abg . Ingo Gädechens [CDU/CSU]: Ganz genau! – Weiterer Gegenruf des Abg . Henning Otte [CDU/ CSU]: Das ist die richtige Antwort!)


Wo ist denn Ihre Strategie im Umgang mit den Schläch-
tern und Barbaren der Terrororganisation „Islamischer
Staat“?


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Jan van Aken [DIE LINKE]: Geben Sie mir fünf Minuten!)


„Tut doch endlich etwas!“ – das war der Ruf, der uns
allen immer noch in den Ohren liegt .


(Jan van Aken [DIE LINKE]: Tut das Richtige!)


Ich hörte ihn in den Medien, in Bürgergesprächen und
zugegebenermaßen auch bei mir zu Hause am Familien-
tisch . Die Bilder, die sich mir und vielen anderen ins Ge-
dächtnis eingeprägt, eingebrannt haben, haben auch bei
uns in Deutschland zu großer Emotionalität geführt .


(Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das reicht aber nicht!)


Wir haben uns zu einer Sondersitzung zusammenge-
funden – nicht nur, weil es so sein muss, sondern auch,
weil es wichtig war –, um diese Entscheidung sehr offen 
zu treffen. Ich befinde mich nicht in der kritischen Aus-
einandersetzung mit Ihnen, weil Sie Argumente dagegen
vorgetragen haben; teilweise kennen wir sie ja . Was ich
Ihnen aber vorwerfe, ist, dass Sie keine Alternativen auf-
zeigen


(Jan van Aken [DIE LINKE]: Doch!)


und sich hier in kollektive Verantwortungslosigkeit bege-
ben . Eine solche kollektive Verantwortungslosigkeit mag
für eine Oppositionspartei wie die Linke möglich sein .
Aber sie kann nicht für Parteien und erst recht nicht für
eine Regierung in Betracht kommen, die Verantwortung
für ein Land und Verantwortung für den internationalen
Frieden übernommen haben, liebe Kolleginnen und Kol-
legen .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Es gab damals zwei Optionen, die wir debattiert ha-
ben. Die erste Option war, Waffen und militärische Aus-
rüstung an die kurdischen Peschmerga zu liefern . Viele
von uns haben damals mit ihrem Gewissen gerungen: Ist
es das wert? Können wir das verantworten? Die zweite
Option war, sich auf rein humanitäre Unterstützung zu
beschränken und damit das weitere Erstarken einer men-
schenverachtenden Terrormiliz und das Versinken einer
ganzen Region in Blut und Chaos zu riskieren .

Einige Monate später, fast auf den Tag genau vor zwei
Jahren, haben wir hier im Bundestag beschlossen, zusätz-
lich zur militärischen Ausbildung auch deutsche Solda-
tinnen und Soldaten in den Nordirak zu entsenden, um
die Sicherheitskräfte auszubilden . Ich erinnere mich gut:
Auch das waren keine einfachen Debatten und schon gar
keine einfachen Entscheidungen . Aber da kann ich mich
nur der Kollegin Frau von der Leyen und weiteren Kolle-
gen aus der CDU/CSU-Fraktion, der SPD-Fraktion, aber
auch aus der Mitte der Grünenfraktion anschließen: Wir
haben damals richtig entschieden; denn der Vormarsch
des „Islamischen Staates“ konnte vorerst gestoppt wer-
den .

Die Terrororganisation hat etwa die Hälfte der von
ihr kontrollierten Gebiete im Irak verloren . Vor allem im
Norden des Irak ist es den kurdischen Sicherheitskräften
und den Regierungstruppen mit Unterstützung der inter-
nationalen Allianz gelungen, den IS in die Defensive zu
drängen . Das bestätigt doch unseren Kurs . Der Ansatz,
die irakischen Sicherheitskräfte durch Ausbildung und

Jan van Aken






(A) (C)



(B) (D)


Ausrüstung zum Kampf gegen den IS zu befähigen, ist
wirksam . Auch dank unserer Unterstützung konnten vie-
le Menschen von der Schreckensherrschaft der Terrormi-
liz befreit und unzählige Menschenleben gerettet werden,
und Zehntausende Vertriebene konnten in ihre Heimat
zurückkehren . Das war es wert – trotz der Risiken, die
ich überhaupt nicht vernachlässigen möchte .

Den Bitten der irakischen Regierung und den wieder-
holten Aufrufen des Sicherheitsrates der Vereinten Nati-
onen sind wir damals gefolgt . Gemeinsam mit unseren
internationalen Partnern haben wir seit Februar 2015
12 000 Sicherheitskräfte ausgebildet .

Frau Ministerin von der Leyen sprach schon davon: Es
geht dabei um einen sogenannten inklusiven Ansatz . Er
war uns von Anfang an wichtig . Denn es ging nicht nur
um militärische Ausrüstung und um Ausbildung, sondern
es geht um viel mehr . Wir haben dafür auch Anerkennung
und Dank unserer kurdischen und zentralirakischen Part-
ner erfahren . Klar ist aber auch: Wir werden noch einen
langen Atem brauchen, bis im Irak dauerhaft wieder Sta-
bilität und Frieden einkehren .

Wir rechnen auch nicht mit einer raschen Befreiung
Mosuls; darüber ist schon gesprochen worden . Im Groß-
raum Mosul sind derzeit über 162 000 Menschen auf
der Flucht vor den Gefechten . Noch ist es möglich, die
humanitäre Versorgung dieser Menschen zu garantieren .
Auch konnten bislang rund 20 000 Menschen wieder in
Teile des südlichen Mosuls und die Vororte zurückkeh-
ren, weil die Sicherheitslage dies ermöglicht hat .

Die militärische Komponente ist nur das eine . Aber sie
ist der erste und wichtigste Schritt . Wichtig ist nun aber
auch, die befreiten Gebiete dauerhaft zu stabilisieren, da-
mit die vielen Binnenvertriebenen wieder in ihre Heimat
zurückkehren und ein normales Leben führen können .
Trotz schwieriger Bedingungen ist dies beispielsweise in
Ramadi und Falludscha auf einem guten Wege . Deshalb
arbeiten wir nicht nur an dieser militärischen Komponen-
te, sondern wir arbeiten auch daran, dass die Menschen
eine wirtschaftliche und eine soziale Perspektive in ihrer
Heimat haben . Nur wenn es uns gelingt, den Menschen
im Irak eine sichere Bleibeperspektive in ihrer Heimat zu
eröffnen, wird auch die Zahl derer abnehmen, die einen 
sehr gefahrvollen Weg auf sich nehmen, um ein Leben in
Frieden und in Sicherheit zu finden. 

Angesichts der gewaltigen Zerstörungen ist dieser Be-
darf in allen befreiten Gebieten immens . Es geht dabei
um die Grundversorgung mit Strom, Wasser und Ge-
sundheitseinrichtungen .

In  der  öffentlichen  Debatte  kommt  mir  die  Gefahr 
für die Bevölkerung etwas zu kurz, die von Mienen und
Sprengfallen ausgeht . Auch hierbei sind wir konkret ak-
tiv .

Wir haben im Jahr 2016 die Stabilisierung mit 41 Mil-
lionen Euro unterstützt . Wir werden das in diesem Jahr
unvermindert fortsetzen . Wir wollen die staatlichen
Strukturen in den vom IS befreiten Gebieten stärken . Wir
wollen vor allem aber auch zur Versöhnung beitragen .
Das ist dieser inklusive Ansatz, von dem die Kolleginnen
und Kollegen schon gesprochen haben, Herr van Aken .

Denn sie ist die Voraussetzung für den Frieden . Beispiel-
haft nenne ich unser Engagement in der Arbeitsgruppe
Stabilisierung der internationalen Koalition gegen den
IS, in der wir gemeinsam mit den Vereinigten Arabischen
Emiraten den Kovorsitz übernommen haben .

Dann möchte ich für die humanitäre Hilfe werben;
denn ich weiß, dass es ohne Ihre Unterstützung, liebe
Kolleginnen und Kollegen, nicht ginge . Denn Sie stel-
len uns die Finanzmittel im Haushalt zur Verfügung . Wir
haben im Jahr 2016 rund 119 Millionen Euro zur Ver-
fügung gestellt . Der Irak bleibt auch in diesem Jahr der
Schwerpunkt der humanitären Hilfe der Bundesregie-
rung . Wir haben auf der Washingtoner Geberkonferenz
im Juli vergangenen Jahres für dieses Jahr noch einmal
60 Millionen Euro zugesagt . Das ist die Voraussetzung
dafür, humanitäre Hilfe zu leisten und die Menschen mit
Wasser sowie mit Nahrungsmitteln zu versorgen .

Es gibt noch zwei weitere Schwerpunkte, bei denen
Deutschland besondere Verantwortung übernommen hat .
Wenn ich von „Deutschland“ rede, meine ich natürlich
unsere Hilfsorganisationen . Das sind die medizinische
Versorgung und die psychosoziale Betreuung der Opfer
von Krieg und Vertreibung . Nur wenn die tiefen Wunden
der Traumatisierung heilen, können wir verhindern, dass
eine ganze Generation den Teufelskreis aus Hass und Ge-
walt endlos wiederholt . Es ist so unendlich wichtig, was
dort viele Expertinnen und Experten täglich leisten . Ich
bin froh, dass wir dazu einen Beitrag zu leisten vermö-
gen .

Die eigentliche zivile Stabilisierungsarbeit kann aber
erst beginnen, wenn die Sicherheitslage dies zulässt . Da
bin ich wieder bei der militärischen Komponente, die wir
nicht außer Acht lassen dürfen . Deshalb ist der umfassen-
de und vernetzte Ansatz sehr wichtig: die Unterstützung
bei der Ausbildung und unser Engagement in den Berei-
chen Stabilisierung, Wiederaufbau, humanitäre Hilfe,
langfristige Entwicklungszusammenarbeit und natürlich
auch Diplomatie . Das alles greift ineinander . Da kann
man nicht, wie Sie das seit Jahren beharrlich tun, eine
wesentliche, aber nicht die einzige Komponente, einfach
so herausnehmen . Alles gehört zusammen .

Die Bundesregierung lässt sich von folgender Über-
zeugung leiten: Letztendlich – da sind wir vermutlich
wieder einer Meinung, Herr van Aken – kann es nur eine
politische Lösung der Krisen im Nahen und Mittleren
Osten geben . Daher unterstützen wir die Initiativen, die
von der irakischen Regierung unter Ministerpräsident
al-Abadi ausgehen und die dazu beitragen, dass alle po-
litisch Verantwortlichen am Prozess teilhaben . Denn: Je
stärker der irakische Staat ist, desto mehr schwächt das
Daesh . Gerade deshalb tragen wir in dieser Region Ver-
antwortung .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich möchte mich
noch einmal bei Ihnen bedanken, dass Sie dieses Mandat
so konstruktiv und generös begleiten . Mein besonderer
Dank und Respekt gilt aber auch den Soldatinnen und
Soldaten, die in den vergangenen zwei Jahren die Aus-
bildung in der Region Kurdistan-Nordirak oftmals unter

Staatsminister Michael Roth






(A) (C)



(B) (D)


ganz schwierigen Bedingungen aufgebaut und damit ei-
nen erfolgreichen Beitrag Deutschlands im internationa-
len Kampf gegen den IS geleistet haben .

Ich danke ganz besonders den Expertinnen und Ex-
perten der Hilfsorganisationen, die eine humanitär be-
achtliche Arbeit für uns alle und für die internationale
Gemeinschaft leisten . Deshalb bitte ich Sie aus voller
Überzeugung um Ihre Unterstützung, dieses Mandat um
ein weiteres Jahr zu verlängern . Die Menschen in der Re-
gion erwarten von uns, dass wir sie nicht im Stich lassen,
sondern sie in ihrem Kampf um Menschenwürde und
Freiheit weiterhin unterstützen .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1821303900

Vielen Dank . – Für Bündnis 90/Die Grünen spricht

jetzt Omid Nouripour .


Omid Nouripour (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1821304000

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir

brauchen in der Auseinandersetzung mit ISIS Partner .
Die autonome Region Nordirak ist einer der wichtigsten
Partner, die wir haben . Nicht nur dort, sondern im gesam-
ten Irak leiden Menschen unter der Barbarei von ISIS:
Sunnitinnen und Sunniten, Schiitinnen und Schiiten, Je-
sidinnen und Jesiden sowie die Kurdinnen und Kurden .
Gerade die Menschen im Nordirak übernehmen in einer
Art und Weise Verantwortung, vor der man einfach nur
den Hut ziehen muss, sowohl in der Auseinandersetzung
mit ISIS als auch in der Aufnahme und Versorgung von
Flüchtlingen .

Eine Ausbildung in der vorgesehenen Form kann
Sinn machen . Schließlich bilden wir die Jesidinnen und
Jesiden darin aus, sich selbst zu verteidigen . Im Übri-
gen berichten diese uns, dass sie diese Ausbildung auch
deswegen bräuchten, weil sie sich manchmal gegen die
Peschmerga verteidigen müssten .

Die Mission finden wir an und für sich nicht  falsch. 
Aber wir als Grüne werden ihr nicht zustimmen können,
weil sich die Bundesregierung beispielsweise weigert,
eine verfassungsgemäße Grundlage vorzulegen . Das ist
eindeutig .


(Henning Otte [CDU/CSU]: Das ist eine Flucht!)


– Nein, das ist keine Flucht . Wir wissen, was uns
Karlsruhe ins Stammbuch geschrieben hat: Man braucht
für Einsätze außerhalb des NATO-Gebietes ein System
kollektiver Sicherheit . Dieses System liegt hier nicht vor;
das haben wir letztes Jahr schon gesagt . Sie haben sich
nicht darum bemüht, ein solches herzustellen . Deshalb
können wir dem Mandat nicht zustimmen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Agnieszka Brugger [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dabei wäre es so einfach!)


Zurzeit gibt es die Auseinandersetzung um Mosul . Ja,
man muss großen Respekt vor dem haben, was dort an
Mut, Disziplin, an Einsatz und an Opferbereitschaft von
allen irakischen Streitkräften gezeigt wird; nicht von den

Milizen, aber von Peschmerga auf der einen Seite und
von der irakischen Armee auf der anderen Seite .

Die Probleme sind sichtbar: Was passiert am Tag nach
der Befreiung? Was passiert, wenn die letzte große Stadt
von ISIS befreit worden ist? Was passiert mit den Dör-
fern, aus denen die Sunniten nach Berichten von Amnesty
International und Human Rights Watch von Peschmerga
vertrieben wurden und die zerstört worden sind, mögli-
cherweise mit deutschen Waffen? Was ist mit den vielen 
Problemen in Kurdistan, die immer deutlicher werden?

Ich habe mir meine Rede in der Debatte im letzten
Jahr angeschaut, und ich fürchte, ich könnte vieles Wort
für Wort wiederholen . Das werde ich nicht machen . Aber
es ist weiterhin so, dass – es ist gerade gesagt worden –
die Regierung in Erbil keine Legitimität hat . Es ist wei-
terhin so, dass eine große Fraktion, der Gorran, aus dem
Parlament ausgeschlossen ist . Es ist weiterhin so, dass
die Spaltung zwischen KDP und PUK voranschreitet, so
stark wie schon lange nicht mehr und so sichtbar und ze-
mentiert wie noch nie, auch physisch in Form von Gren-
zen . Es gibt mittlerweile eine feste Grenzziehung zwi-
schen den Regionen Sulaymaniyah und Erbil .

Die Bundesregierung ist einer der größten Geber in
der autonomen Region Nordirak, und sie sagt zu all die-
sen Dingen einfach gar nichts . Ich frage mich die ganze
Zeit: Warum nicht? Nach den Reden der Mitglieder der
Bundesregierung, die ich gerade gehört habe, weiß ich
es: Sie stecken immer noch im August 2014 fest und ha-
ben das, was in den letzten zweieinhalb Jahren passiert
ist, anscheinend überhaupt nicht mitbekommen .


(Ingo Gädechens [CDU/CSU]: Na, na, na!)


Es tut mir leid: Das ist keine verantwortungsvolle Politik .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Zu den Waffenlieferungen. Es ist gerade gesagt wor-
den: Sie haben es sich nicht zu leicht gemacht . – Ich teile
das; das ist richtig . Ich habe das damals beobachtet und
weiß: Niemand in diesem Hohen Hause hat es sich zu
leicht gemacht . Aber gerade weil die Debatte damals so
kontrovers und emotional war, hat man doch als Bun-
desregierung, die die Waffen geliefert hat – auch bei uns 
gab es Menschen, die das richtig gefunden haben –, eine
Verantwortung, sich darum zu kümmern, was mit diesen
Waffen passiert.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Es  gibt  wachsende  interne  Konflikte  innerhalb  der 
Peschmerga . Es gibt Skandale, die hier aufschlagen, um
den Verkauf der Waffen. Es gibt keine Transparenz in der 
KDP-Administration . Es gibt mittlerweile ein massives
Überschwappen der Auseinandersetzungen zwischen
Erdogan und der PKK . Und im November lieferte die
Bundesregierung Tausende von Gewehren und Millionen
von Schüssen . Ich habe die Bundesregierung vorgestern
gefragt, was denn eigentlich mit der Endverbleibskon-
trolle ist . Die Antwort – in meinen Worten – lautete: Wir
wissen es nicht; wir wollen es aber auch nicht so genau
wissen .

Staatsminister Michael Roth






(A) (C)



(B) (D)


Das ist in einer so fragilen Region ausgesprochen
fahrlässig und verantwortungslos . Sie können nicht an-
gesichts der Risiken einfach den Kopf in den Sand ste-
cken . Die Risiken gab es schon damals; wir haben sie
abgewogen und kamen diesbezüglich zu verschiedenen
Ergebnissen . Ich gebe zu, dass man auch zu Ihren Ergeb-
nissen hätte kommen können; aber das entlässt Sie nicht
aus der Verantwortung, sich heute darum zu kümmern
und sehr klar und laut zu fragen, wo diese Waffen gelan-
det sind . Das tun Sie nicht . Das ist aus meiner Sicht be-
schämend und hat mit der guten Arbeit, die die Soldatin-
nen und Soldaten vor Ort machen, nichts zu tun . Nehmen
Sie sich ein Beispiel an der Gründlichkeit, mit der dort
ausgebildet wird . Dann wäre es für uns auch wieder mög-
lich, darüber zu sprechen, wie wir einem solchen Mandat
zustimmen können .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1821304100

Vielen Dank . – Jetzt hat der Kollege Dr . Johann

Wadephul für die CDU/CSU-Fraktion das Wort .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. Johann Wadephul (CDU):
Rede ID: ID1821304200

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Für uns ist der Irak ein Schlüsselstaat in der Re-
gion, und wir müssen alles tun, um diesen Staat zu stabi-
lisieren . Wir müssen den Kampf gegen den IS fortsetzen .
Das ist die wesentliche Begründung für dieses Mandat
gewesen . Der Kampf gegen den IS ist erfolgreich gewe-
sen . Ich will durchaus konzedieren, dass manches, was
der Kollege von Aken an kritischen Punkten genannt
hat – Kollege Nouripour hat das unterstrichen –, natür-
lich von uns gesehen werden muss . Nur: An die Play-
er, an diejenigen, die staatliche Gewalt im Irak besitzen,
können wir nicht westeuropäische Maßstäbe anlegen .
Das muss man einfach konzedieren . Man muss eine Gü-
terabwägung  treffen  in  einer  ganz  konkreten  Situation. 
Es gab eine politisch-ethisch schwierige Abwägung, be-
vor wir den Einsatz beschlossen haben . Aber wenn Sie,
Herr Kollege von Aken, heute sagen, wir hätten mit die-
sem Einsatz massive Menschenrechtsverletzungen unter-
stützt, dann verkehren Sie die Sache ins Gegenteil . Wir
haben einen kleinen, angemessenen, aber auch notwendi-
gen Beitrag dazu geleistet, dass die massiven Menschen-
rechtsverletzungen durch den sogenannten „Islamischen
Staat“ gestoppt werden konnten .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Das war der wesentliche Grund für diesen Einsatz, und
den muss man sicherlich auch weiterhin unterstreichen .

Im Irak gibt es nach wie vor staatliche Kräfte – das
sind die positiven Kräfte, die wir unterstützen –, die mit
einem inklusiven Ansatz versuchen, den Staat aufrecht-
zuerhalten, indem Sunniten und Schiiten – Mehrheit
Schiiten, Minderheit Sunniten – versuchen, möglichst
miteinander auszukommen und übrigens auch die Kur-
den zu integrieren . Das ist Ihnen, Kolleginnen und Kol-
legen der Linksfraktion, in Syrien so wahnsinnig wichtig .
Ein Zwischenruf in einer Sitzung des Auswärtigen Aus-

schusses war da sehr bezeichnend . Als es nämlich um die
Unterstützung der irakischen Kurden ging, gab es den
Zwischenruf: Das sind die falschen Kurden . – Meine sehr
verehrten Damen und Herren, man kann sich in dieser Si-
tuation halt nicht immer die richtigen Kurden aussuchen .

Ich bin der festen Überzeugung, dass es notwendig ist,
übrigens auch bei den Gesprächen in Astana, die Kurden
in Syrien zu integrieren . Ich bin aber auch der Überzeu-
gung, dass es notwendig ist, die Kurden im Irak zu inte-
grieren, auf sie einzuwirken . Die Möglichkeit dazu haben
Sie am Ende aber nur, wenn Sie kooperieren, wenn Sie
den Kurden auch eine gewisse Unterstützung geben . Sie
müssen diesen Kurden aber auch sagen – darin stimmen
wir wahrscheinlich sogar überein –: Das ist kein Mittel
zum Zweck, um sich selbstständig zu machen, um diesen
Staat Irak zu zerstören . Wir werden mit kleinen Ministaa-
ten, die an sich alle wirtschaftlich und politisch in dieser
Region nicht lebensfähig wären, keine bessere Politik
haben . Deswegen ist es Ziel unserer Politik, dafür zu sor-
gen, dass der Irak ein Staat bleibt, ein inklusiver Staat
bleibt, auch mit einer kurdischen Vertretung in diesem
Staat . Das ist die Politik der Bundesregierung .

An dieser Stelle muss ich etwas zum Vorwurf des
Kollegen Nouripour sagen . Die Bundesregierung, auch
Vertreter der Koalitionsfraktionen sagen immer wieder
in allen Gesprächen, die sie mit den Kurden führen, die
sie mit Vertretern aller politischen Fraktionen führen, die
es dort gibt – Sie haben sie aufgezeigt –: Unsere Politik
ist ganz klar; wir unterstützen die Kurden an dieser Stel-
le, aber wir erwarten, dass sie Teil des irakischen Staates
bleiben, und wir leisten keinen Beitrag zu Abspaltungs-
tendenzen . – Das ist klar unsere Position und die Position
der Bundesregierung .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Wie geht es weiter? In der jetzigen Situation muss
man die Frage beantworten: Beendet man jetzt die Un-
terstützung, oder setzt man sie fort? Natürlich gibt es an
dem, was in Kurdistan politisch passiert, manches zu
kritisieren . Natürlich braucht der Präsident eine neue de-
mokratische Legitimität; das kann man überhaupt nicht
bestreiten . Selbstverständlich ist das unser Ansatz . Ent-
scheidend aber ist Mosul – die Frau Bundesministerin
hat darauf hingewiesen –, wo der sogenannte „Islamische
Staat“ von dem sogenannten Kalifen Baghdadi ausgeru-
fen worden ist . Mosul ist nicht nur wegen der Hundert-
tausenden Menschen, vielleicht Millionen Menschen, die
dort leben, von großer Bedeutung, sondern eben auch,
weil die Stadt eine große symbolische Bedeutung für den
sogenannten „Islamischen Staat“ hat .

Deswegen müssen wir auf dem weiteren Weg kon-
sequent bleiben und weiterhin auch unsere militärische
Unterstützung liefern . Das ist nur ein Segment unserer
Politik zur Stabilisierung des Irak, aber ein unverzichtba-
res Element . Deswegen werden wir uns dafür einsetzen,
dass diese Ausbildungsmission fortgesetzt wird .

Herzlichen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Omid Nouripour






(A) (C)



(B) (D)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1821304300

Vielen Dank . – Jetzt hat der Kollege Florian Hahn,

CDU/CSU-Fraktion, das Wort .


(Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: So, jetzt kommt die verfassungsmäßige Grundlage!)



Florian Hahn (CSU):
Rede ID: ID1821304400

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Wenn wir heute den Einsatz beenden würden, wäre das
Fazit dieses Mandats positiv . Das Einsatzkontingent in
Erbil hat in den vergangenen zwei Jahren sehr erfolg-
reich kurdische und irakische Kämpfer ausgebildet .
Der maßgebliche Auftrag des Deutschen Bundestages,
die Bekämpfung der Miliz, deren menschenverachten-
de Gewaltakte bis nach Deutschland reichen, wird im
Irak wirksam ausgeführt . Die Terroristenorganisation IS
konnte  aus  weitflächigen  Rückzugsräumen  vertrieben 
werden . Die Peschmerga haben an nur einem Tag die
vereinbarten Haltepunkte vor Mosul eingenommen . Seit-
dem verteidigen sie diese Linie . Insgesamt genießt die
Bundesrepublik als Partner Erbils sowie Bagdads großes
Vertrauen, das insbesondere durch die zuverlässige Zu-
sammenarbeit mit der Bundeswehr entstehen konnte .

Ist daher nicht jetzt oder spätestens nach der Einnah-
me Mosuls der richtige Zeitpunkt, an dem wir erfolgreich
diese Mission abschließen können – ein durchweg po-
sitives Ergebnis und dann Strich drunter? Hinter jeder
Konfliktlinie steckt eine weitere mögliche Auseinander-
setzung: die Beziehungen zwischen Erbil und Bagdad,
die innerkurdischen Dispute, die Rolle der schiitischen
Volksmobilisierung und die destabilisierenden Einflüsse 
externer Partner, daneben die über 2 Millionen Binnen-
flüchtlinge,  die  zusätzlich  zur  Wirtschafts-  und  Haus-
haltskrise vor allem Kurdistan und Irak zu schaffen ma-
chen . Noch herrscht durch die IS-Bedrohung der Geist
der Einheit; aber was passiert am Tag danach?

Mir zeigen gerade diese Unsicherheiten, dass die Ver-
längerung des Mandats unerlässlich ist . Die Bundeswehr
wird auch über die Zerschlagung des IS hinaus als Stabi-
lisierungsfaktor in der Region notwendig sein . Der Irak
ist aufgrund seiner geostrategischen Position sowie als
Akteur im Kampf gegen den IS ein Schlüsselland . Gera-
de weil wir in der Region als verlässlicher Partner wahr-
genommen werden, ist unsere Präsenz vor Ort weiterhin
entscheidend .

Wir müssen aber auch das Gleichgewicht zwischen
Erbil und Bagdad im Blick haben . Die Entscheidungen,
irakische Streitkräfte vermehrt in die Ausbildung einzu-
binden sowie im Rahmen der NATO einen Militärberater
nach Bagdad zu senden, sind in diesem Kontext wichtige
Signale . Unser Engagement muss auch dazu dienen, die
Zusammenarbeit zwischen irakischer Zentralregierung
und kurdischer Regionalregierung zu verbessern .

Herr van Aken, wir können uns eben die Akteure vor
Ort nicht aussuchen . Wir müssen die Situation, in der wir
dort sind, nutzen, unseren Einfluss geltend machen, um 
natürlich für entsprechend positive, auch demokratische,
Entwicklungen zu sorgen . Aber ich würde mir manchmal

wünschen, dass Sie Ihren Maßstab von Demokratie bei-
spielsweise auch bei der Russischen Föderation anlegen .


(Beifall bei der CDU/CSU – Jan van Aken [DIE LINKE]: Meinen Sie mich persönlich?)


– Sie und vor allem Ihre Partei .

Auch bei den humanitären Fragen sollten wir unseren
Blick entsprechend schärfen . Es ist eine Illusion, zu glau-
ben, dass sich Konflikte auf das Land und den Kontinent 
begrenzen . Uns sollte bewusst sein, dass die Stabilität
des Iraks ganz maßgeblich im sicherheitspolitischen In-
teresse Deutschlands liegt . Wir haben im Falle Syriens
gemerkt,  wie  massiv  die  Folgen  auch  Europa  treffen 
können . Sollte es uns nicht gelingen, den Irak weiter zu
stabilisieren, können aus den mehr als 2 Millionen Bin-
nenflüchtlingen auch schnell viele Millionen Flüchtlinge 
werden, die nach Europa aufbrechen .

Nicht nur aus humanitärer Verantwortung, sondern
auch aus eigenem Interesse müssen wir uns bei der Kon-
fliktbewältigung weiter  engagieren. Mein Dank  gilt  an 
dieser Stelle allen Soldatinnen und Soldaten, die direkt
an der Ausbildung beteiligt sind, militärische Hilfsliefe-
rungen oder Bauprojekte begleiten und damit ihren Bei-
trag zum Erfolg dieses Einsatzes leisten .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1821304500

Vielen Dank . – Damit ist die Aussprache beendet .

Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlage auf
Drucksache 18/10820 an die in der Tagesordnung auf-
geführten Ausschüsse zu überweisen . – Sie sind damit
einverstanden, wie ich sehe . Dann ist die Überweisung
so beschlossen .

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 24 auf:

Beratung des Antrags der Abgeordneten Susanna
Karawanskij, Dr . Axel Troost, Klaus Ernst, wei-
terer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE

Zulassungspflicht für Finanzprodukte schaf-
fen – Finanz-TÜV einführen

Drucksache 18/9709
Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss (f)

Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Ausschuss für Wirtschaft und Energie

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 38 Minuten vorgesehen . – Ich höre kei-
nen Widerspruch . Dann ist auch dies so beschlossen .

Ich bitte Sie, jetzt die Plätze zügig einzunehmen .

Dann eröffne ich die Aussprache. Das Wort hat für die 
Fraktion Die Linke Susanna Karawanskij .


(Beifall bei der LINKEN)



Susanna Karawanskij (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1821304600

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Liebe Gäste! Eine Frage: Würden Sie mit ih-






(A) (C)



(B) (D)


ren Kindern oder Enkeln auf den Rummel gehen und Rie-
senrad fahren, wenn Sie wüssten, dass das Gerüst nicht
zugelassen ist oder es nicht den Sicherheitsvorschriften
entspricht? Oder würden Sie eine Kopfschmerztablette
einnehmen, wenn Sie nicht wüssten, dass das Medika-
ment auch zugelassen ist?


(Matthias W . Birkwald [DIE LINKE]: Nein!)


– Genau, würden Sie nicht . Ich würde es auch nicht ma-
chen .

Aber die Eltern, die Mütter, die für ihre Kinder etwas
Geld anlegen wollen, und die baldigen Ruheständler, die
Geld für die ruhigeren Tage zurücklegen wollen, sind am
Finanzmarkt auf sich selber gestellt .


(Manfred Zöllmer [SPD]: Das kann man nicht vergleichen!)


Denn da gilt: Alles, was nicht ausdrücklich verboten ist,
ist erlaubt . Fast jede Bank kann ein noch so komplexes
Produkt auf den Markt bringen und verkaufen . So wird
der Finanzmarkt tagtäglich mit einer wirklich unüber-
schaubaren Anzahl von Finanzprodukten überschwemmt,
und das Ganze wird damit immer unbeherrschbarer .

Die fortwährende Finanzkrise, mit der wir es zu tun
haben, hat sich unter anderem gerade auch wegen der
komplexen Finanzinstrumente und ihrer völlig falsch
eingeschätzten Werthaltigkeit über den Globus ausge-
breitet .

Die Verbraucherinnen und Verbraucher können kei-
nen Durchblick behalten und tappen dann schnell in die
Falle . Sie kaufen ein Produkt, das ihren Risikoneigungen
überhaupt nicht entspricht . Auch der Gang zu einem Fi-
nanzberater schafft nicht wirklich Abhilfe; denn er kann 
auch nur sehr schwer einschätzen, mit welchem Risiko
die Geldanlagen tatsächlich behaftet sind . Außerdem
berät er meistens auch mit Blick auf eine zu erwartende
Provision und damit eben nicht immer hundertprozentig
verbrauchergerecht .

Nach unterschiedlichen Schätzungen verlieren die
Bundesbürger jährlich bis zu 98 Milliarden Euro we-
gen – meist auf der Erwartung von Provision basieren-
der – Falschberatung bei Abschluss von Kapitalanlagen .
Bei Prokon – ich denke, der Skandal dürfte Ihnen noch
in Erinnerung sein – haben die 75 000 Anlegerinnen und
Anleger durch angeblich sichere Genussrechte bislang
etwa 1,4 Milliarden Euro verloren .

Die Bürgerinnen und Bürger in Deutschland besitzen
ungefähr 90 Millionen Lebensversicherungsverträge,
und die Anbieter von Lebensversicherungen haben einen
Kapitalanlagebestand von gut 885 Milliarden Euro . Ist
es angesichts solcher Zahlen nicht völlig absurd, dass
niemand prüft, ob die Anleihe, das Derivat oder das
Zertifikat den Verbraucherinnen und Verbrauchern,  den 
Rentenversicherungen, den Lebensversicherungen oder
sogar der Volkswirtschaft gefährlich werden kann?


(Beifall bei der LINKEN – Manfred Zöllmer [SPD]: Das ist doch Blödsinn! Selbstverständlich wird das gemacht!)


– Ja, in der Vergangenheit wurden Instrumente geschaf-
fen, um die Verbraucherinnen und Verbraucher zu schüt-
zen .


(Manfred Zöllmer [SPD]: Ja, stimmt!)


Die Finanzaufsicht prüft vorab aber lediglich formal, ob
die Prospekte für ein neues Produkt vollständig und da-
mit kohärent sind .


(Manfred Zöllmer [SPD]: Nein, das stimmt nicht!)


Sie prüft nicht inhaltlich . Somit kommt tatsächlich ge-
fährlicher Finanzschrott auf den Markt .

Es gibt die Möglichkeit der sogenannten Produktin-
tervention, und es gibt die Marktwächter Finanzen . Sie
werden aber höchstens im Nachhinein tätig,


(Dr . Volker Ullrich [CDU/CSU]: Das stimmt alles nicht!)


was bedeutet, dass sie sich erst dann inhaltlich mit einem
Finanzprodukt auseinandersetzen, nachdem das Produkt
auf den Markt gekommen ist und schon entsprechende
Schäden bei den Anlegern angerichtet hat .

Das ist für uns nicht ausreichend . Wir als Linke for-
dern eine Verfahrensumkehr und einen Finanz-TÜV .


(Beifall bei der LINKEN)


Im Gegensatz zum derzeitigen Zustand wollen wir näm-
lich, dass zukünftig jedes Finanzprodukt ausdrücklich
durch qualifizierte Fachleute  zugelassen wird, bevor  es 
auf den Markt kommt .

Beim Finanz-TÜV geht es um eine präventive Re-
gulierung nach dem Vorsorgeprinzip, damit die Märkte
nicht  weiter  mit  Finanzschrott  geflutet  werden  können 
und die Finanzbranche nicht weiter sehr kreativ beste-
hende Regulierungen umgehen kann, wodurch vor allen
Dingen ungeeignete Produkte in die Hände von Kleinan-
legern kommen .


(Dr. Frank Steffel [CDU/CSU]: Das ist sehr  einseitig!)


Durch die ausdrückliche Erstzulassung von Finanzin-
strumenten, Finanzmarktakteuren und -praktiken sollen
die Märkte entsprechend entschlackt und systemische
Risiken minimiert werden .


(Beifall bei der LINKEN)


Zudem sollen entsprechend transparente, einfache, kos-
tengünstige, risikobeherrschbare Finanzprodukte auf den
Markt kommen und gleichzeitig schädliche Geldanlagen
herausgefiltert  werden,  damit Anlagepleiten  vermieden 
werden können .

Klar ist, dass ein solcher Finanz-TÜV auf europäi-
scher Ebene – am besten bei der ESMA – etabliert wer-
den sollte, weil es überhaupt nichts nützt, wenn ein Fi-
nanzprodukt in Deutschland verboten ist, in Belgien aber
zugelassen wird .


(Manfred Zöllmer [SPD]: Wie viele Millionen Produkte gibt es?)


Susanna Karawanskij






(A) (C)



(B) (D)


Um es an dieser Stelle aber ganz deutlich zu sagen:
Wir wollen kein Verbot von Kapitalanlagen jenseits des
Sparbuchs . Das ist nicht unser Anliegen . Wer zocken
will, soll das gerne auch weiterhin tun können . Aktien
und andere riskante Produkte sollen auch weiterhin in
die Hände von Kleinanlegern gelangen können, solan-
ge sie transparent und seriös sind . Eine Zulassung durch
den Finanz-TÜV soll eben nicht wie ein Unbedenklich-
keitssiegel wirken, das zum Beispiel sagt, dass dadurch
Verluste ausgeschlossen sind . Sie verklagen ja auch nicht
einen Fönhersteller, weil ihre Haare nicht schnell genug
trocken werden, oder einen Autohersteller, weil Sie mit
dem Fahrzeug zu schnell gefahren sind .


(Dr. Frank Steffel [CDU/CSU]: Das ist ein  Quatsch!)


Zum Abschluss möchte ich noch etwas zur Finanzie-
rung des Finanz-TÜVs sagen . Die Prüfung durch ausrei-
chend qualifiziertes Personal kostet  zwangsläufig Geld. 
Mit zunehmender Komplexität eines Produkts wird die
Prüfung immer mehr kosten; das ist klar . Wir haben dabei
folgenden grundlegenden Gedanken: Die Herausgeber
der Finanzinstrumente zahlen für die Prüfung entspre-
chend dem Prüfaufwand . Ich denke, dass allein dadurch
die  Finanzprodukte  zwangsläufig  ein  bisschen  verein-
facht werden .


(Beifall bei der LINKEN)


Der vorliegende Antrag greift unsere Kernforderun-
gen zum Finanz-TÜV auf . Ich kann Ihnen nur wärmstens
empfehlen, innerhalb der parlamentarischen Beratungen
auch unser umfassendes Konzeptpapier dazu durchzule-
sen . Vielen Menschen, die für das Alter vorsorgen wol-
len, können Sie durch die Annahme unseres Vorschlags
Enttäuschungen ersparen . Gerade in einem Wahljahr wie
diesem sollte es in Ihrem Interesse liegen, die Menschen
ins Zentrum zu rücken und nicht die Finanzmarktlobby .

Vielen Dank .


(Beifall bei der LINKEN)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1821304700

Vielen Dank. – Nächster Redner ist Dr. Frank Steffel, 

CDU/CSU-Fraktion .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Frank Steffel (CDU):
Rede ID: ID1821304800

Vielen Dank, Frau Präsidentin . – Meine sehr geehrten

Damen und Herren! Liebe Frau Karawanskij, Sie haben
Ihre Rede begonnen – Sie haben das charmant vorgetra-
gen – mit dem Hinweis auf Medikamente . Das klingt für
die Zuhörer sicherlich überzeugend,


(Matthias W . Birkwald [DIE LINKE]: Das ist überzeugend!)


sodass sie sich fragen: Warum machen wir es nicht so
einfach? – Sie sollten aber fairerweise darauf hinweisen,
dass es bei Medikamenten erstens einen Beipackzettel
gibt und zweitens die Nebenwirkungen angegeben sind .
Nur weil ein Medikament mit größerer oder geringerer
Wahrscheinlichkeit möglicherweise Nebenwirkungen

hat, wird es nicht verboten . Wenn wir alle Medikamente
verbieten würden, die Nebenwirkungen haben könnten,
dann gäbe es in Deutschland keine Medikamente .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Zuruf der Abg . Susanna Karawanskij [DIE LINKE])


– Melden Sie sich doch zu einer Zwischenfrage . Ich stehe
Ihnen gerne zur Verfügung . Ansonsten sollten Sie mich
meine Argumente genauso vortragen lassen, wie ich es
bei Ihnen getan habe .

Wenn Sie das bei Finanzprodukten ähnlich machen
wollen, dann gilt das Gleiche . Sie können natürlich sagen:
Wir verbieten alle Finanzprodukte, die Nebenwirkungen
haben . – Aber, meine Damen und Herren Zuhörer, Sie
müssen wissen, dass das dann nicht nur hochspekulati-
ve, von uns allen als dubios und unseriös eingeschätzte
Produkte  betrifft,  sondern  auch  den  Ökobauernhof  um 
die Ecke, das Sozialprojekt, das Kulturprojekt und den
Sportverein, der ein paar Tausend Euro für das neue Ver-
einsheim sammelt . Das alles müssten wir – weil es Risi-
ken birgt und Nebenwirkungen hat – ebenfalls verbieten .


(Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Von „verbieten“ hat hier keiner was gesagt! Sie hätten zuhören sollen!)


Sie erwecken des Weiteren den Eindruck – das ist
schon erstaunlich –, dass diese Bundesregierung und
auch ihre Vorgängerin seit dem Ausbruch der globalen
Finanzkrise nicht unendlich viel für die Stabilisierung
der Finanzmärkte und insbesondere für den Anleger-
schutz getan hätten . Ich gebe Ihnen trotzdem recht – ich
sage das sehr klar –: Natürlich ist dieser Markt hoch dy-
namisch . Wir alle müssen aufpassen und schnell genug
sein, wenn es um Regulierung, Nachjustierung und den
Schutz von Bürgerinnen und Bürgern, die ihr Geld an-
legen wollen, geht; denn die Finanzindustrie ist außer-
gewöhnlich kreativ . Wir alle arbeiten ständig mit Hoch-
druck und versuchen, rechtzeitig wirksame Regelungen
zu  finden,  nachzujustieren  und  übrigens  aufzuklären, 
aufzuklären, aufzuklären . Der Deutsche Bundestag hat
aus diesem Grunde gerade im Finanzbereich so viele Ge-
setze beschlossen wie nur selten zuvor zu einem anderen
Thema in der Geschichte der Bundesrepublik Deutsch-
land .


(Beifall bei der CDU/CSU – Manfred Zöllmer [SPD]: Genau!)


Wir haben seit 2007 Gesetzeslücken geschlossen . Wir
haben mit unglaublichem Aufwand die Transparenz der
Vermögensanlagen erhöht . Wir haben zur Stabilisierung
der Finanzmärkte und zum Schutz der Anleger sehr viel
getan . Wir haben 40 Maßnahmen zur dauerhaften Sta-
bilisierung der Finanzmärkte auf nationaler und insbe-
sondere auf europäischer Ebene ergriffen; es gibt diverse 
Gesetze . Wir haben die Bankenunion beschlossen . Da-
mit gibt es eine europäische Aufsicht . Denn wir haben in
der Krise lernen müssen: Es nutzt uns gar nichts, wenn
wir Deutsche das perfekt machen . Wenn Lehman Bro-
thers in Amerika Probleme bekommt, dann wackelt auch
der deutsche Finanzsektor, mit allen Konsequenzen für
den deutschen Anleger . Wir haben die europäische Ein-

Susanna Karawanskij






(A) (C)



(B) (D)


lagensicherung und den europäischen Bankenabwick-
lungsmechanismus auf den Weg gebracht . Wir haben die
Bankenaufsicht für alle Banken Europas bei der EZB
angesiedelt . Übrigens sagen uns alle, die damit zu tun
haben, dass das hervorragend klappt .


(Dr . Gerhard Schick [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau! Sie haben es eigentlich gar nicht gewollt!)


Viele von uns hatten die Sorge, dass das nicht vernünf-
tig funktionieren wird . Nein, selbst die Bundesbank sagt
uns, dass es mindestens so gut klappt wie bei uns in
Deutschland . Wir sollten das heute einmal erwähnen und
stolz darauf sein, was der Deutsche Bundestag gerade in
diesem Bereich beschlossen hat .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Ich möchte Sie an das Kleinanlegerschutzgesetz er-
innern . Wir haben vor wenigen Monaten ein Kleinan-
legerschutzgesetz beschlossen . Wir haben hier den Ver-
braucherschutz zu einem weiteren Aufsichtsziel unserer
BaFin erklärt . Wir haben den Vertrieb problematischer
Produkte dramatisch beschränkt . Wir verbieten irrefüh-
rende Werbung; denn das war ein Teil der Probleme: Man
hat den Menschen Sicherheit – bei hoher Rendite – ver-
sprochen . Das kann es natürlich nicht geben . Wenn Sie
15 Prozent Zinsen erwarten, dann haben Sie ein hohes
Risiko . Das ist das kleine Einmaleins der Marktwirt-
schaft . Jemand wird 15 Prozent nur zahlen, weil er für
3 Prozent niemanden findet. Damit ist das Risiko natur-
gemäß höher als bei 3 oder 4 Prozent .

Wir ermöglichen der BaFin, bereits zu Beginn einer
Vermarktung eine Beschränkung oder ein Verbot auszu-
sprechen . Das heißt, die BaFin kann genau das, was Sie
fordern . Sie kann verhindern, dass problematische Pro-
dukte in der Bundesrepublik Deutschland überhaupt erst
auf den Markt kommen .

Wir haben den Vertrieb eingeschränkt und gesagt:
Bestimmte Produkte dürfen nur an Menschen vertrieben
werden, die von dem Produkt auch etwas verstehen .


(Matthias W . Birkwald [DIE LINKE]: Jetzt sagen Sie doch mal, warum Sie keine Zulassungspflicht wollen!)


Übrigens, meine Damen und Herren, dieser Satz gilt
immer – ich sage das gerade und besonders gerne hier im
Deutschen Bundestag, wenn  hoffentlich  ein  paar Men-
schen zuschauen und zuhören –: Kaufe kein Produkt, das
du nicht verstehst . Das ist der Hinweis an jeden Men-
schen, der Geld anlegen möchte: Kaufe nur Produkte, die
du verstehst . – Wenn das geschähe, hätten wir übrigens
einen Großteil der Probleme schon gelöst .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Das Kleinanlegerschutzgesetz hat darüber hinaus eine
Mindestlaufzeit eingeführt, weil kurze Laufzeiten ein
großes Problem waren . Es hat ein Kündigungsrecht ein-
geräumt . Heute kann man, wenn man ein Finanzprodukt
kauft, wie bei anderen Produkten auch innerhalb einer
gewissen Frist sagen: Ich habe mich geirrt, ich habe mich
schlaumachen lassen, ich trete vom Kaufvertrag zu-
rück . – Das war früher nicht so . Das, was für viele andere

Produkte galt, galt für Finanzprodukte nicht . – Auch die-
se Verbesserungen hat diese Koalition eingeführt .

Wir haben bei der Erarbeitung dieses Gesetzes – die
Kolleginnen und Kollegen, die wie ich damit befasst wa-
ren, werden das bestätigen können – gelernt, wie hetero-
gen auch der kleine Finanzmarkt ist . Ich habe zwischen
der ersten und zweiten Lesung über 60 Zuschriften von
kleinen Unternehmen, Sozialprojekten, Kulturprojek-
ten und Bürgerinitiativen bekommen, die gesagt haben:
Wir sammeln Geld ein, aber wir führen nichts Böses im
Schilde . Achtet darauf, dass ihr unsere Arbeit nicht durch
gesetzliche Regelungen unmöglich macht .

Wir haben deshalb in der Beratung hier im Bundes-
tag das Gesetz an vielen Stellen nachjustiert und gesagt:
Wir wollen, dass auch ein Sozialprojekt 50 000 Euro
einsammeln kann . Und wir wollen, dass es im Rahmen
eines Wohnprojekts Mieterinnen und Mietern ermöglicht
wird, ein Haus etwa zu kaufen . Natürlich gibt es da ein
Risiko . Es gibt bei jeder Finanzanlage ein Risiko . Immer
gibt es ein Risiko, wenn man Geld hat, das man irgendwo
hinpackt, um damit Geld zu verdienen . Das ist ein Na-
turgesetz der Marktwirtschaft . Und darüber müssen wir
aufklären . Im Übrigen gibt es nicht gute und schlechte
Finanzprodukte, wie Sie versuchen, das den Menschen
einzureden .


(Dr . Gerhard Schick [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Doch, es gibt richtig schlechte!)


– Nein, das Finanzprodukt, Herr Schick, richtet sich na-
türlich am Ziel und am Anlegerkreis aus . Wenn Sie für
sich entscheiden, von Ihrem üppigen Einkommen hier im
Deutschen Bundestag 1 000 Euro in ein hochriskantes
Geschäft zu stecken, weil Sie die Hoffnung haben, dass 
aus den 1 000 Euro 100 000 Euro werden, dann ist das
Ihre freie Entscheidung . Wenn ein anderer – weil er be-
scheidener ist als Sie – entscheidet, die 1 000 Euro in
ein vermeintlich ganz sicheres Produkt zu packen, wo er
nur 0,2 Prozent Zinsen bekommt, dann ist das seine ganz
persönliche Entscheidung . Und diese Entscheidung soll
auch jeder Deutsche treffen können. Das wollen wir! Er 
muss nur wissen, wofür er sich entscheidet .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg . Manfred Zöllmer [SPD])


Er muss wissen, welches Produkt er kauft . Deswegen
haben wir gesagt: Es muss eine klare Aufklärung, große
Warnhinweise und eine Einschränkung der Vertriebswe-
ge geben . Und die Werbung darf nicht mehr irreführen .
Das gibt es in vielen anderen Bereichen des Lebens übri-
gens auch, nur, im Finanzbereich sind die Auswirkungen
besonders elementar . Deswegen hat der Staat eingegrif-
fen .

Wir werden – ich will das abschließend noch erwäh-
nen – weitere Gesetze beschließen . Wir machen gerade
das Zweite Finanzmarktnovellierungsgesetz . Hier wer-
den wir natürlich wieder hingucken, wo wir nachjustie-
ren und an welchen Stellen wir den Entwicklungen fol-
gen müssen, die der Markt in den letzten Monaten oder
Jahren genommen hat .

Meine Damen und Herren, Ihre Forderung nach ei-
nem Finanz-TÜV hört sich super an . Und ich sage noch

Dr. Frank Steffel






(A) (C)



(B) (D)


einmal: Sie haben das lustig vorgetragen . Kompliment
an Ihren Redenschreiber! – Sie haben den Menschen das
Gefühl gegeben, man kann bei Finanzprodukten zwi-
schen guten und schlechten bzw . sicheren und unsicheren
unterscheiden . Meine Damen und Herren, so einfach ist
die Welt nicht . Es wird immer unterschiedliche Finanz-
produkte geben . Selbst die vermeintlich sichere Aktie
der Deutschen Bank hat gerade in diesem Jahr bewiesen,
dass es Risiken gibt . Und keiner weiß, wo der Kurs mor-
gen steht . Denn wenn wir das wüssten, dann säßen wir
alle nicht hier, sondern würden unser Geld entsprechend
anlegen und ab morgen unser Leben in der Sonne ver-
bringen . Insofern werden wir damit leben müssen, dass
es Unsicherheiten gibt .

Ein TÜV gaukelt Sicherheit vor, die es nicht gibt . Man
kann Produkte nicht unterscheiden, indem man rote und
grüne Ampeln einführt . Ich komme zurück zu den Medi-
kamenten . Sie können Medikamente nicht verbieten, nur
weil eines von tausend möglicherweise Nebenwirkungen
hatte, die wir alle nicht wollen . Dies gilt auch für Finanz-
produkte .


(Matthias W . Birkwald [DIE LINKE]: Nein, es  geht  um Zulassungspflicht,  nicht  um Verbieten!)


Wir wollen Aufklärung und Sicherheit für die Verbrau-
cher . Wir wollen, dass sich die Menschen bewusst für
etwas entscheiden können . Deswegen werden wir weiter
regulieren, aber nicht populistisch und einfach . So, wie
Sie mit Ihrem sozialistischen Weltbild sich die Welt vor-
stellen, ist sie nicht .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg . Manfred Zöllmer [SPD])



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1821304900

Vielen Dank . – Das hat jetzt die Frau Karawanskij

dazu bewegt, eine Kurzintervention zu beantragen . Bitte
schön, Frau Kollegin .


Susanna Karawanskij (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1821305000

Herr Steffel, erst einmal vielen Dank dafür, dass Sie 

meinen Mitarbeitern zutrauen, eine Rede zu schreiben,
aber nicht mir . Das mache ich immer noch selber!


(Beifall bei der LINKEN)


Zum anderen danke ich Ihnen dafür, dass Sie meine Rede
amüsant fanden . Ich denke angesichts des Amüsements
durch meine Rede: Sie hätten besser zuhören sollen . Ich
habe in meiner Rede und im Übrigen auch in unserem
Antrag – das lässt mich vermuten, dass Sie ihn doch
nicht gelesen haben – nicht davon gesprochen, dass wir
Finanzprodukte verbieten wollen; das ist überhaupt nicht
unser Anliegen . Unser Anliegen ist es, eine Zulassung für
Finanzprodukte mit einem Finanz-TÜV zu etablieren .
Das kommt keinem Verbot gleich; denn verboten werden
kann etwas erst, wenn es überhaupt existent ist . Vielmehr
geht es darum, dass es vorher zugelassen wird .

Sie haben es ja eben selber gesagt – ich habe es in
meiner Rede auch gewürdigt; das finden wir auch gut –, 
dass für den Kleinanlegerschutz in dieser Legislaturpe-

riode schon viel gemacht worden ist . Wenn Sie sagen,
dass bereits so viele Regulierungen auf den Weg gebracht
worden sind, dann müssten Sie doch gar kein Problem
damit haben, wenn wir jetzt sagten: Wir sollten dieses
Hase-und-Igel-Spiel beenden . Wir sollten nicht immer
weiteren Novellierungsgesetzen – wenn ich es richtig
sehe, haben wir das Zweite Finanzmarktnovellierungs-
gesetz noch in dieser Legislaturperiode auf dem Tisch –
hinterherlaufen . Wir sollten dem Ganzen den Garaus
machen und einfach grundsätzlich festlegen – in anderen
Gesetzen tun wir es bereits –, dass Kleinanlegerinnen
und Kleinanleger dadurch geschützt werden, dass sie nur
das tatsächlich in die Finger bekommen, womit sie auch
umgehen können . Dafür sind natürlich gesunder Men-
schenverstand und Informationsblätter, die den Produk-
ten quasi als Beipackzettel beigefügt sind, notwendig .
Insofern brauchen Sie doch gar kein Problem mit dem
von uns geforderten Finanz-TÜV zu haben .


(Beifall bei der LINKEN)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1821305100

Herr Kollege Steffel.


Frank Steffel (CDU):
Rede ID: ID1821305200

Liebe Frau Kollegin Karawanskij, ich fand nicht Ihre

Rede, sondern einige Beispiele Ihrer Rede amüsant .

Was die Zulassung angeht, ist es ganz einfach: Eine
Zulassung von Produkten beinhaltet logischerweise die
Nichtzulassung von anderen Produkten, und die Nicht-
zulassung von anderen Produkten bedeutet de facto das
Verbot dieser anderen Produkte . Deswegen sage ich völ-
lig zu Recht: Sie wollen mit Ihrem Antrag Produkte ver-
bieten . Übrigens, Regelungen dafür gibt es . Wir sagen:
Das ist nicht die Lösung; lasst uns vielmehr aufklären .
Lasst uns schauen, dass wir einfach allen Menschen die
Möglichkeit geben, sich frei zu entscheiden und dabei
keinen Fehler zu machen . – Ich habe dazu das Nötige
gesagt .

Es ist Freitagmittag. Ich hoffe, dass Sie am Wochen-
ende darüber nachdenken und Montagmorgen schlauer
zurückkommen .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1821305300

Jetzt hat der Kollege Dr . Gerhard Schick, Bündnis 90/

Die Grünen, das Wort . – Bitte schön .


Dr. Gerhard Schick (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1821305400

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Die Auseinandersetzung hat gerade schon gezeigt, dass
die Frage, wie viele Regeln es eigentlich braucht, wie
viele Vorgaben der Staat machen soll, immer heiß um-
stritten war . Wenn man sich anschaut, wie sich die CDU/
CSU-Fraktion über Jahre hinweg gegen Verbote bei of-
fensichtlich schlechten, nämlich intransparenten Finanz-
produkten, die für die Kunden eindeutig gefährlich sind,
gewehrt hat, dann merkt man: Es waren genau diesel-
ben Argumente, die Sie heute vorgetragen haben, Herr
Steffel. Sie haben heute zugegeben, dass Produktverbote 

Dr. Frank Steffel






(A) (C)



(B) (D)


manchmal schon notwendig sind . Daher sage ich Ihnen:
Wägen Sie Ihre Argumente noch einmal sehr gut . Es gibt
nämlich sehr wohl schlechte Finanzprodukte .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Es gibt zu viele schlechte Finanzprodukte, nämlich sol-
che, bei denen das, was das Finanzprodukt eigentlich
ausmacht, verschleiert wird, ohne dass der Kunde das
nachvollziehen kann . Von dieser Art Produkte gibt es
Hunderttausende in Deutschland .

Damit sind wir bei einem Zustand, den man einfach
einmal sehen muss. Herr Steffel, Sie haben gesagt: Wir 
müssen aufpassen, dass wir schnell genug sind . – Leider
ist der Staat unter dieser Bundesregierung nicht schnell
genug.  Seit  2008  hat  die Menge  der  Zertifikate,  die  in 
Deutschland zirkulieren, zugenommen .


(Dr. Frank Steffel [CDU/CSU]: Jetzt kommen  wir in den Wahlkampf!)


Die Lebensversicherungen sind an vielen Stellen immer
noch intransparent, und die Auszahlungen für die Kun-
den sind nicht nachvollziehbar . Deswegen muss man
sagen: Diese Regierung ist gegenüber dem Finanzmarkt
nicht schnell genug .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Was leistet jetzt ein Finanz-TÜV, wie er im Antrag
vorgeschlagen wird? Erst einmal möchte ich sagen: Im
Vergleich zu dem, was in der letzten Legislaturperiode
vorgeschlagen wurde, gibt es eine entscheidende Ver-
besserung: Sie setzen jetzt nämlich auf die europäische
Ebene, weil wir einen europäischen Finanzbinnenmarkt
haben – das haben Sie erkannt –, und deswegen wird eine
solche Zulassung europäisch verankert sein müssen . Die
Frage, inwieweit der Staat für das haftet, was er zugelas-
sen hat, ist jetzt beantwortet – wunderbar .

Es gibt trotzdem entscheidende Schwächen, und die
muss man sehen .

Mein erstes Beispiel für diese Schwäche betrifft jetzt 
nicht den Verbraucherbereich, sondern Derivate wie
zum Beispiel Kreditausfallversicherungen, die berühm-
ten Credit Default Swaps . Was solche Absicherungsge-
schäfte zwischen einzelnen Unternehmen und Banken
betrifft, so sind das erst einmal Produkte, bei denen eine 
Behörde sagen würde: Das können wir zulassen . – Mög-
licherweise können in einem Einzelfall zwischen Unter-
nehmen, die genau wissen, was sie machen, bestimmte
Absicherungen Sinn machen . Wenn das aber zum Mas-
sengeschäft wird und plötzlich ein Riesenmarkt daraus
entsteht, dann wird das in einer Immobilienkrise eine
massiv gefährliche Geschichte . So gibt es verschiedene
Produkte, die in ihren Ursprüngen gar nicht mal völlig
verkehrt waren, als sie in Einzelfällen genutzt wurden,
die aber in ihrer Gesamtwirkung für den Markt fatal wer-
den können . Wenn Sie jetzt denken: „Wenn man diese
Produkte am Anfang einmal prüft, dann ist alles gut“,
dann springen Sie eindeutig zu kurz . Vielmehr braucht es
auch eine Kontrolle: Welche Entwicklungen gibt es am
Markt? Insofern ist diese makroökonomische Sicht, also

die gesamtwirtschaftliche Sicht, die Frage „Was passiert
am Finanzmarkt?“ und gegebenenfalls ein nachträgliches
Eingreifen, um Produkte aus dem Verkehr zu ziehen, die
eine gefährliche Wirkung haben, so wichtig . Das überse-
hen Sie . Es braucht nicht nur einen Zulassungs- und Kon-
trollprozess am Anfang, es braucht ihn auch, während die
Produkte laufen, und das fehlt .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Das Zweite, was mich nicht überzeugt, ist: Es gibt
ja bereits Kontrollen am Anfang, zum Beispiel die Pro-
spektpflicht.  In  der  Tat  sehen  wir  auch  da  Nachsteue-
rungsbedarf . Bisher ist das immer noch zu formal, und
es wird zu wenig darauf geschaut, ob sich die Inhalte wi-
dersprechen, ob es Hinweise auf Interessenkonflikte gibt. 
Viele Finanzprodukte sind als Produkt erst einmal okay .
Nehmen  wir  den  Bereich  der  Immobilienfinanzierung: 
Wenn derjenige, der ein solches Produkt anbietet, mit
dem Bauträger, dem Vermieter und anderen am Projekt
Beteiligten unter einer Decke steckt, sodass die Rendite,
die normalerweise dem Anleger zugutekommen müsste,
unter den anderen aufgeteilt wird, dann steckt das Pro-
blem nicht allein im Produkt, sondern in dem, was insge-
samt passiert . In diesem Fall darf man nicht nur auf die
Produktzulassung schauen, um beim Vergleich mit den
Arzneimitteln zu bleiben, sondern man braucht, wenn so
etwas auf den Markt kommt, auch eine Kontrolle, dass
es  hier  keine  Interessenkonflikte  gibt  und  der Anleger 
nachher nicht leer ausgeht, bis hin zu betrügerischen Ge-
schäftsmodellen . Ich glaube, da greift der Vergleich mit
den Arzneimitteln an dieser Stelle zu kurz .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wenn man schon den Vergleich mit Arzneimitteln
bemüht, dann muss man sagen: Auch im Finanzbereich
gibt es einen Beratungsprozess . Viele Produkte sind für
manche Kunden grundsätzlich in Ordnung, erreichen
aber auch die völlig falschen Kunden . An der Stelle muss
man die Frage der Zulassung zusammendenken mit dem
ganzen Beratungsprozess . Hier ist Kritik daran zu üben,
wie es heute in Deutschland läuft . Wir haben das Provisi-
onsunwesen immer noch nicht überwunden, obwohl wir
schon seit acht Jahren, seit Ausbruch der Finanzmarkt-
krise, hier intensiv darüber diskutieren . Es gibt immer
noch Leute, die es schützen wollen – in Brüssel und in
Deutschland.  Dazu  gehören  leider  das  Bundesfinanz-
ministerium und insbesondere die CDU/CSU-Fraktion .
Auch da müsste dringend etwas getan werden . Wir müs-
sen also die Dinge in einem größeren Zusammenhang se-
hen und vorher und nachher eingreifen . Dann kann man
den Zustand überwinden, dass es immer noch zu viele
schlechte Produkte für die Anleger gibt .

Danke .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1821305500

Vielen Dank . – Jetzt hat für die SPD-Fraktion Sarah

Ryglewski das Wort .


(Beifall bei der SPD)


Dr. Gerhard Schick






(A) (C)



(B) (D)



Sarah Ryglewski (SPD):
Rede ID: ID1821305600

Frau Präsidentin! Sehr verehrte Damen und Herren!

Liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger auf der Tribüne!
Finanz-TÜV – Kompliment an die Linken – ist ein toller
Begriff. Wir alle können uns etwas unter TÜV vorstellen. 
Wenn wir uns in ein TÜV-geprüftes Auto setzen, dann
wissen wir, dass es sicher ist, dann haben wir Vertrauen .
Was könnte man denn grundsätzlich dagegen sagen, eine
solche Prüfung, die wir in Deutschland immerhin schon
seit mehr als 100 Jahren mit Verlässlichkeit und Sicher-
heit verbinden, auch für Finanzprodukte einzuführen?
Ich sage es Ihnen: Bei genauerer Betrachtung –, das kam
ja schon in den vorherigen Redebeiträgen zur Sprache –
ist es nämlich so, dass dieses Sicherheitsversprechen
nicht viel mehr bietet als diesen griffigen Namen.

Das, was Sie in Ihrem Antrag vorschlagen, ist leider
nur eine Scheinlösung, die viel verspricht, den Anlege-
rinnen und Anlegern aber nur eine gefährliche Scheinsi-
cherheit bietet . Wirkliche Verbesserungen erreichen wir
nur, indem wir die Transparenz für Anlegerinnen und An-
leger erhöhen, vor allem aber eine gute Beratung sicher-
stellen, weil nicht jedes Finanzprodukt für jeden geeignet
ist, und indem wir weiterhin für eine effektive Aufsicht 
sorgen .


(Beifall bei der SPD sowie des Abg . Dr. Frank Steffel [CDU/CSU])


Sie  hingegen  fordern  eine  Zulassungspflicht  für  Fi-
nanzprodukte und führen als Begründung an, dass es
diese auch für Medikamente und technische Produkte
gebe . Leider muss ich Ihnen sagen: Pillen und Policen
sind sich in etwa so ähnlich wie Äpfel und Birnen . Der
Vergleich zwischen der Zulassung von Medikamenten
und der Zulassung von Finanzprodukten hinkt einfach .
Bei einer Pille kann ich ganz konkret bestimmte Folgen
absehen; ich kann sie an Probanden testen . Bei einem Fi-
nanzprodukt muss ich mich auf eine Prognose beschrän-
ken . Ich weiß nicht, wie viel Erfolg ein Unternehmen
hat, ich weiß nicht, ob es Zukunft hat, und ich weiß auch
nicht – das hat Herr Kollege Dr . Schick dargestellt –, ob
sich möglicherweise Produkte, die für einen einzelnen
Verbraucher geeignet sind, in der Summe zu einem Pro-
blem aufbauen . Deswegen ist das eine Scheinsicherheit .
Finanzmärkte und Risiko sind eben untrennbar miteinan-
der verbunden .

Hinzu kommt, dass wir Leute möglicherweise mit
Produkten locken, die für sie gar nicht geeignet sind,
weil der Stempel „sicher“ darauf ist: staatlich geprüft .
Der TÜV hat es geprüft; das kennen wir vom Auto . Das
kann man also machen . – Das wollen wir nicht .

Es wird argumentiert, man könne die Haftung des
Staates dafür ausschließen . Das kann man juristisch
möglicherweise machen; das will ich nicht ausschließen .
Trotzdem ist es so, dass, wenn wir den Finanz-TÜV ein-
richten und es ein Problem gibt, das nicht der Kontrolle
der Einrichtung unterliegt, alle mit dem Finger auf diese
Einrichtung zeigen werden . Ihr Vertrauen wäre dann un-
tergraben, und wir wären keinen Schritt weiter .

Etwas  anderes,  was  ich  sehr  kritisch  finde,  ist,  wie 
Sie mit den Etiketten „Verbraucherrelevanz“, „Verbrau-

cherfreundlichkeit“ und „Verbraucherschutz“ umgehen .
Ich frage mich: Was ist denn eine verbraucherfreundli-
che Geldanlage? Ist ein Sparbrief mit mageren 0,1 Pro-
zent Zinsen verbraucherfreundlich? Ist ein kompliziertes
Zertifikat,  das mir  aktuell  5 Prozent Rendite verspricht 
und bei dem mir ein geringes Risiko zugesichert wird,
verbraucherfreundlich? Was ist mit einem Nachrangdar-
lehen für ein junges ökologisches Unternehmen? Ist das
verbraucherfreundlich? Ob ein Produkt geeignet ist, das
kommt auf den Verbraucher an und darauf, was er möch-
te .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Genau das sagen wir!)


Ich würde nicht jedem empfehlen, in Crowdfunding zu
investieren . Aber wenn jemand sagt: „Ich habe in mei-
ner Nachbarschaft jemanden, der ein innovatives Produkt
entwickelt hat, das ich unterstützen möchte“, dann würde
ich sagen: Das Risiko ist möglicherweise relativ hoch;
aber wenn du Interesse an dem Produkt hast und Geld
übrig hast, dann investiere .

Für uns heißt verbraucherfreundliche Kapitalanlage:
Jeder bekommt das Produkt, das zu ihm passt .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Dafür braucht man in erster Linie eine gute Beratung .
Wir sollten Anlegerinnen und Anleger nicht in falscher
Sicherheit wiegen, noch sollten wir für sie entscheiden,
wie sie ihr Geld investieren sollen .

In der Realität – das stört mich generell an Ihren An-
trägen – gibt es nicht die eine große Lösung, mit der alle
Risiken von den Kapitalmärkten verschwinden und je-
der Anleger sein Geld ohne Risiko, dafür aber mit hohen
Renditen anlegen kann . In der Praxis führt nur das Ne-
beneinander und Miteinander verschiedener Maßnahmen
zu einem verbesserten Schutz von Verbraucherinnen und
Verbrauchern . Daran arbeiten wir in dieser Koalition in
Deutschland und in Europa . Unsere Ziele sind deswegen
Transparenz,  eine  effektive Aufsicht  der  Finanzmärkte 
und vor allem – das habe ich vorhin schon gesagt – eine
gute Beratung, damit jeder das Produkt bekommt, das zu
ihm passt .

Mit dieser Koalition ist hier einiges passiert; Herr Kol-
lege  Steffel  hat  das  schon  ausgeführt. Wir  haben  viele 
Produkte, die bisher nur unzureichend reguliert werden,
aus dem Zwielicht des Grauen Kapitalmarkts geholt . Wir
stellen sicher, dass sie nicht mehr auf Kleinanlegerinnen
und Kleinanleger losgelassen werden, indem wir gesagt
haben: Diese Produkte sind für diesen Anlegerkreis nicht
geeignet . – So können Anlegerinnen und Anleger besser
einschätzen, welche Chancen und Risiken sich hinter
Produkten wie Nachrangdarlehen oder Crowdinvest-
ments verbergen .

Die Verbraucherinnen und Verbraucher müssen zu-
dem laufend über auftretende Problem informiert wer-
den . Auch hier haben wir etwas getan . Das Thema Ri-
sikoklassen habe ich schon angesprochen; dadurch
wird es leichter, sich im Dschungel der Finanzprodukte
zurechtzufinden.  Das  Thema  „Kosten  von  Produkten“ 






(A) (C)



(B) (D)


werden wir weiter angehen . Wir haben die Aufsicht, die
Eingriffsmöglichkeiten der BaFin weiter verbessert; das 
muss ich nicht weiter ausführen . Es ist ja nicht so, dass
das ein stumpfes Schwert ist . Sie macht von ihren Mög-
lichkeiten Gebrauch . So ist die BaFin beispielsweise bei
Bonitätsanleihen  und  Differenzkontrakten  schon  tätig 
geworden . Wir werden weiter beobachten, was passiert .

Ich möchte zum Schluss noch auf das Thema Be-
ratung eingehen . Ich bin mit dem Kollegen Dr . Schick
völlig einer Meinung: Wir müssen dafür sorgen, dass die
Beratung weiter verbessert wird . Für mich heißt das ganz
klar, dass wir das Thema Honorarberatung bzw . unab-
hängige Beratung – das ist eigentlich der richtige Begriff; 
Honorar beratung unterstellt ja immer, dass das andere
umsonst ist – weiter voranbringen müssen . Ich würde
mich freuen, wenn bei den Kolleginnen und Kollegen
von der Union noch ein bisschen mehr Offenheit und Be-
reitschaft vorhanden wären, hier weiterzukommen . Als
ersten Schritt sollten wir im FiMaNoG festlegen, dass
die Kosten und die Interessenlage bei provisionsbasierter
Beratung  offengelegt werden,  damit  eine Vergleichbar-
keit gewährleistet werden kann .


(Beifall bei der SPD)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1821305700

Frau Kollegin, Sie müssen jetzt wirklich Ihr Verspre-

chen einhalten, zum Schluss zu kommen .


Sarah Ryglewski (SPD):
Rede ID: ID1821305800

Genau . – Deswegen mein Appell: Wir debattieren

in der nächsten Woche hier im Plenum über das Zwei-
te Finanzmarktnovellierungsgesetz . In den Beratungen
sollten wir das Thema dann angehen . Finanzmarktno-
vellierungsgesetz klingt vielleicht nicht so sexy wie Fi-
nanz-TÜV, ist aber wahrscheinlich deutlich wirksamer .

Vielen Dank .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1821305900

Vielen Dank . – Jetzt hat Dr . Volker Ullrich, CDU/

CSU-Fraktion, das Wort .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. Volker Ullrich (CSU):
Rede ID: ID1821306000

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Der Antrag der Linken, einen Finanz-TÜV ein-
zuführen, zielt darauf ab, dass Finanzprodukte zukünftig
nur noch auf den Markt kommen dürfen, wenn sie vorher
zugelassen wurden . Der Hintergrund dieser Regelung ist
in der Tat ein Ärgernis . In den vergangenen Jahren gab
es gerade im Bereich des sogenannten Grauen Kapital-
markts Vorkommnisse, die uns als Gesetzgeber nicht zu-
friedenstellen können: Schiffsfonds mit hohen Verlusten, 
Schrottimmobilien, die viele Kleinanleger in die Pleite
getrieben haben, Abschlüsse von Verträgen, bei denen
lediglich das Provisionsinteresse im Vordergrund stand
und nicht das Interesse des Anlegers, und auch betrügeri-

sche Fonds, deren Vorgehen im Augenblick strafrechtlich
aufgearbeitet wird .

So ärgerlich diese Vorkommnisse auch waren, so är-
gerlich ist es auch, dass Sie in Ihrem Antrag nicht deutlich
machen, dass die Große Koalition auf diesen Missstand
bereits geantwortet hat . Es sind viele Gesetze erlassen
worden, mit denen wir auf diese Missstände reagiert ha-
ben, zum Beispiel das Kleinanlegerschutzgesetz mit ei-
ner strikteren Prospekthaftung und mehr Befugnissen für
die BaFin . Es gibt seit vielen Jahren in Deutschland ein
Altersvorsorgeverträge-Zertifizierungsgesetz,  mit  dem 
gerade die Produkte der Altersvorsorge unter eine ganz
besonders strenge Prüfung gestellt werden . Wir debattie-
ren in der nächsten Woche im Deutschen Bundestag über
das Zweite Finanzmarktnovellierungsgesetz, und im Be-
reich des Verbraucherschutzes gibt es seit einigen Jahren
die Marktwächter, die ganz deutlich darauf hinweisen,
welche Produkte für Verbraucher geeignet sind und wel-
che nicht . Diese Art der klugen Regulierung zeigt, dass
der Gesetzgeber aus den Missständen gelernt hat, und er
hat gehandelt . Zu sagen, es sei nichts passiert, ist allen-
falls populistisch, meine Damen und Herren .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU sowie des Abg . Manfred Zöllmer [SPD])


Ihr Finanz-TÜV wird von einer ganz anderen Grund-
haltung getragen . Sie sagen explizit: Alles, was nicht aus-
drücklich erlaubt ist, ist verboten . Dem liegt im Grunde
genommen ein ganz anderer Geist, eine andere Haltung
zu Fragen der Freiheit und der sozialen Marktwirtschaft
zugrunde . Ich sage Ihnen ehrlich: Ihre Haltung gegen-
über Freiheit und Marktwirtschaft ist nicht unsere Hal-
tung . Das ist Staatsdirigismus, und den lehnen wir ent-
schieden ab .


(Zuruf der Abg . Susanna Karawanskij [DIE LINKE])


Ihr Konzept wird auch nicht funktionieren, weil eine
Umsetzung in der Praxis nicht zu leisten ist . Sie schlagen
vor, eine Produktanlage aus Deutschland von einer Be-
hörde mit Sitz in Paris prüfen zu lassen . Von den sprachli-
chen Schwierigkeiten bei einem französischen, portugie-
sischen oder finnischen Mitarbeiter ganz zu schweigen, 
beantworten Sie die praktischen Fragen nicht, zum Bei-
spiel, wie es funktionieren soll, dass sich Mitarbeiter
einer europäischen Behörde in jedes Geschäftsmodell
einarbeiten .


(Widerspruch bei der LINKEN)


Die praktischen Schwierigkeiten dieses Modells haben
Sie nicht einmal im Ansatz umrissen . Aber Sie bekom-
men die Schwierigkeit, dass Sie die Haftung des Staates,
selbst wenn Sie sie am Anfang vielleicht rechtlich aus-
schließen wollen, tatsächlich nicht ausschließen können,
wenn der Staat einem Produkt seinen Stempel aufdrückt;
denn dann wird jeder Kleinanleger, bei dem sich das
Risiko verwirklicht hat, nicht beim Emittenten Regress
nehmen, sondern den Staat in Anspruch nehmen . Der

Sarah Ryglewski






(A) (C)



(B) (D)


Staat haftet aber nicht für das Versagen einer Kapitalan-
lage . Das ist nicht unser Verständnis .


(Beifall bei der CDU/CSU – Susanna Karawanskij [DIE LINKE]: Sie haben es nicht verstanden, und Sie haben es nicht gelesen!)


Sie müssen das einmal plastisch sehen . Ich erkläre es
Ihnen ganz einfach:


(Susanna Karawanskij [DIE LINKE]: Ja wenn Sie es nicht verstehen?)


Wenn in einem Restaurant oder in einer Gaststätte jeder
für sich selbst bezahlt, ist der Umsatz meistens geringer,
als wenn einer die Runde schmeißt und jeder so viel neh-
men kann, wie er möchte . So wird es auch im Bereich der
Finanzprodukte sein . Wenn der Staat haftet, dann werden
die Emittenten  im Endeffekt  ein  höheres Risiko  einge-
hen, als wenn der Staat nicht haften würde, weil eben
letzten Endes der Staat dahintersteht . Die Frage des Risi-
kos haben Sie völlig ausgeblendet .


(Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Können Sie das Beispiel wiederholen? Das hat hier keiner verstanden! Das Präsidium auch nicht!)


Wir setzen auf das Konzept einer vernünftigen Regu-
lierung . Wenn Betrug vorliegt, schaltet sich der Staatsan-
walt ein . Wenn Angaben im Prospekt nicht ordnungsge-
mäß gedruckt sind, kann die BaFin das Produkt bereits
jetzt aus dem Verkehr ziehen .


(Susanna Karawanskij [DIE LINKE]: Das habe ich auch anerkannt!)


Wir sagen aber auch ganz ehrlich, dass es in unserer
Volkswirtschaft einen Bedarf an Kapitalanlagen, die
Möglichkeit des Einsammelns von Geld gibt, und zwar,
weil wir es für Investitionen benötigen . Ich nenne Ih-
nen nur eine Zahl aus dem Bereich der Start-ups: Im
Jahr 2015 ist im gesamten Silicon Valley die Summe von
34 Milliarden Dollar an Wagniskapital eingesammelt
worden,  um Start-ups,  neue  Firmen  zu  finanzieren.  Im 
gleichen Zeitraum sind in ganz Deutschland nur 4 Mil-
liarden Euro eingesammelt worden . Das heißt, allein im
Silicon Valley war es achtmal so viel . Wir brauchen auch
in Deutschland eine Kultur des Geldeinsammelns – für
Start-ups, für neue Ideen, für neue Firmen und für junge
Gründer . Diese Idee würden Sie zunichtemachen, wenn
Sie letztendlich den Staat für die Geschäftsidee eines jun-
gen Unternehmers verantwortlich machten . Das ist nicht
unsere Vorstellung von einer vernünftigen Finanzarchi-
tektur .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Wir entlassen – das dürfen wir auch nicht – vor dem
Hintergrund unserer Vorstellungen die Menschen nicht
aus der Verantwortung . Es gilt der Satz, dass jeder nur
das Produkt kaufen soll, das er selbst versteht und be-
urteilen kann . Die Eigenverantwortung des Verbrauchers
ist die notwendige Kehrseite des staatlichen Schutzes,
den wir leisten . Nur notwendige Eigenvorsorge und klare
und strikte Regeln zusammen ergeben eine Finanzmarkt-
und Kapitalmarktarchitektur, die wirklich vernünftig ist .
Lassen Sie uns deswegen an klugen und praxistauglichen
Regelungen weiterarbeiten, an Regelungen, die einer-

seits verhindern, dass betrügerische Produkte auf den
Markt kommen, die uns andererseits aber Luft lassen,
damit wir Investitionen tätigen und Kapital einsammeln
können, um damit zum Wohlergehen unserer Volkswirt-
schaft beizutragen .

Vielen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1821306100

Vielen Dank . – Letzter Redner zu diesem Tagesord-

nungspunkt ist Herr Kollege Christian Petry, SPD-Frak-
tion .


(Beifall bei der SPD)



Christian Petry (SPD):
Rede ID: ID1821306200

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Zunächst einmal habe ich mich gefragt, was der
Anlass war, dass wir zum heutigen Zeitpunkt, da Donald
Trump Präsident wird, über den Finanz-TÜV reden . Viel-
leicht ist das Zufall; ich weiß es nicht genau . Ich habe
darauf noch keine Antwort gefunden .

Die Kritik, dass es dubiose Praktiken bei der Finanz-
anlagevermittlung und undurchsichtige Finanzvehikel
gibt, ist absolut berechtigt . Der Graue Kapitalmarkt hat
uns hier schon oft in Debatten beschäftigt . Wir hatten
Produkte, die tatsächlich kritisch waren . In Ihrem Antrag
wird auch Prokon genannt . Das war jetzt nicht unbedingt
ein klassisches Produkt des Grauen Kapitalmarkts . Die
Hinweise waren alle da . Es wollte sie nur niemand lesen;
denn 10 Prozent Zinsen sind so verführerisch, dass man
das Kleingedruckte oder auch das größer Gedruckte nicht
mehr liest . Von daher muss man immer aufpassen, wie
man argumentiert . Das passt also als Beispiel nicht, das
Thema als solches letztlich aber schon .

Wir haben hier im Bundestag in vielfältiger Weise
Regularien beschlossen . Das Kleinanlegerschutzgesetz,
durch das wir Finanzprodukte transparenter gemacht ha-
ben, ist genannt worden . Wir haben auch bezüglich des
Wertpapiergeschäfts Regelungen und Gesetze geschaf-
fen. Wir haben die Pflicht, ein Protokoll über das Bera-
tungsgespräch zu verfassen, eingeführt bzw . verbessert;
das war ein wesentlicher Schritt . Wir haben hinsichtlich
der Honoraranlagenberatung seit 2014 ein Gesetz, durch
das die unabhängige Finanzberatung, die Vermittlung
von Wertpapieren und Vermögensanlagen geregelt wird .
Ich glaube, seit der Finanzkrise ist es Daueraufgabe des
Deutschen Bundestages, hier Regelungen zu implemen-
tieren .

Ziel dieser Regelungen sind die Stärkung der Integrität
der Finanzmärkte und die Verbesserung der Transparenz
für Anlegerinnen und Anleger . In der kommenden Wo-
che – es ist hier genannt worden – fällt der Startschuss für
die Beratungen zum Zweiten Finanzmarktnovellierungs-
gesetz, dem FiMaNoG 2 . Das ist ein Mammutwerk; die
Vorlage umfasst 500 Seiten . Darin sollen, wenn man es
genau betrachtet, über 80 Rechtsfelder neu geregelt bzw .
verbessert werden . Die Finanzmarktrichtlinie MiFID
und die Durchführungen dazu in der MiFIR werden die
Märkte grundlegend noch transparenter und noch kon-

Dr. Volker Ullrich






(A) (C)



(B) (D)


trollierter machen . Das ist ein ganz wesentlicher Schritt .
Wir werden sehr intensiv beraten müssen, wie weit wir
da gehen .

Es ist in der Tat so, dass wir die Märkte nicht über-
regulieren wollen, sodass sie nicht mehr funktionieren .
Ein Spannungsfeld muss es geben . Die Verbraucher ha-
ben selbstverständlich auch Verantwortung; das ist ganz
klar . Hier ist niemand blauäugig . Wir wissen: Egal, was
wir an Regelungen einbringen, wenn jemand hohe Zins-
versprechen macht, wird es immer wieder welche geben,
die darauf hineinfallen. Zins ist Ausfluss von Risiko; das 
ist eine Binsenweisheit . Aber es ist sehr verführerisch,
wenn jemand sagt: Statt 0,1 Prozent auf eurem Sparbuch
bekommt ihr 8 Prozent bei der Anlage, und alles ist si-
cher . – Herr Dr . Meister wird mir zustimmen können,
dass es immer wieder solche Fälle gibt und dass es immer
wieder Risiken gibt . Die BaFin hat ja tagtäglich damit
zu tun .

Ich denke, dass die Geeignetheitsprüfung für jedes
Produkt durch die FiMaNoG-2-Novelle letztlich deutlich
gestärkt wird . Wir werden bessere Beratungsprotokolle
haben. Zielmärkte werden definiert werden. Zu den An-
forderungen an die Finanzvermittler werden umfassende
Produktinformationen gehören . Die Qualität der Anla-
geberatung wird deutlich erhöht . Wir werden letztlich
die Honorarberatung auf europäischer Ebene einführen .
Die Möglichkeit von unabhängigen Finanzvermittlern,
Provisionen anzunehmen, wird eingeschränkt . Solche
Zuwendungen dürfen in Zukunft nur noch unter ganz be-
stimmten Bedingungen erhoben und einbehalten werden .
Durch diese Regelungen wird es stärkere Offenlegungs-
pflichten  geben,  und  der  Markt  wird  für  den Anleger 
transparenter und damit auch sicherer .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Die Kolleginnen und Kollegen der Linken fordern
eine Ausweitung der Kompetenzen auf europäischer
Ebene, auf europäische Aufsichtsbehörden . Die Wert-
papieraufsicht ESMA wird genannt . Sie soll zusammen
mit der Bankenaufsicht EBA und der Versicherungsauf-
sicht EIOPA Produkte zulassen . Das wird technisch ganz
schwer . Das ist ein Vorschlag, über den man reden kann .
Aber  angesichts  des  Geflechts,  das  dahintersteht,  halte 
ich es für sehr schwierig, solche Produkte spontan – im
Crowdfunding  muss  es  eben  schnell  gehen  –  effektiv 
und effizient zu regeln. Gleichwohl ist natürlich die Idee 
eines Finanz-TÜVs nicht ganz abwegig . Darüber kann
man reden . Es waren die Verbraucherschützer, die die-
sen Begriff zum ersten Mal verwendet haben und vorge-
schlagen haben, das auf europäischer Ebene zu tun . Wir
werden im Verfahren darüber diskutieren . Die Diskussi-
on  ist  durchaus  offen. Aber  ich  halte  das, was wir  auf 
der Ebene der Bundesrepublik Deutschland schon alles
gemacht haben und machen werden, durchaus für effek-
tiv . Ich würde zunächst abwarten wollen, wie sich das
auswirkt . Es wirkt sich sehr positiv aus . Trotzdem stehen
spannende Gespräche im Fachausschuss an . Darauf freu-
en wir uns alle .

Glück auf!


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1821306300

Vielen Dank . – Damit ist die Aussprache beendet .

Interfraktionell wurde vereinbart, die Vorlage auf
Drucksache 18/9709 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse zu überweisen . – Ich sehe, Sie sind
damit einverstanden . Dann ist die Überweisung so be-
schlossen .

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 25 auf:

Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-

(12 . Ausschuss)

auftragten

Jahresbericht 2015 (57. Bericht)


Drucksachen 18/7250, 18/9768

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 38 Minuten vorgesehen . – Auch hier gibt
es keinen Widerspruch . Dann ist das so beschlossen .

Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Wehr-
beauftragte des Deutschen Bundestages, Herr Dr . Hans-
Peter Bartels .

Dr. Hans-Peter Bartels, Wehrbeauftragter des Deut-
schen Bundestages:

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Seit Abgabe meines Jahresberichts für 2015 ist einiges
geschehen: auf der Weltbühne noch mehr Risiken, noch
mehr Unberechenbarkeit, noch mehr Erwartungen an
Deutschland und in der deutschen Politik ein sehr brei-
tes Bekenntnis zur gewachsenen Verantwortung und zur
Stärkung der Bundeswehr . Unsere Soldatinnen und Sol-
daten müssen die Mittel bekommen – personell, materi-
ell, finanziell –, die sie brauchen, um ihre zunehmenden 
und sehr unterschiedlichen Aufträge gut erfüllen zu kön-
nen .

Ich freue mich, dass das Parlament hier in wichtigen
Bereichen der Antreiber ist – Stichwort „materielle Voll-
ausstattung“ –, aber auch bei Fragen der Attraktivität –
Stichwort „Trennungsgeld/UKV“ . Außerdem gibt es
Fortschritte  beim  Dauerthema  Radaropfer.  Der  Begriff 
„Parlamentsarmee“ wird hier sehr gut mit Inhalt gefüllt .
Es geht eben nicht nur um die Beschlussfassung über
Auslandseinsätze, sondern ganz grundsätzlich um Ver-
antwortung für die Soldatinnen und Soldaten . Das ist un-
sere gemeinsame Aufgabe .

Im letzten Bericht hatte ich unter anderem die Per-
sonalausstattung unserer Flugabwehrraketenkräfte the-
matisiert . Die Einsatzintervalle bei Active Fence in der
Türkei waren für viele Soldatinnen und Soldaten zu kurz .
Es gab zu wenig Regeneration, zu wenig Personal . Wenn
ich jetzt in der „Trendwende Personal“ lese, dass das
FlaRak-Geschwader künftig um 400 Dienstposten aufge-
stockt wird, macht mich das froh . Die Richtung stimmt .
Hoffentlich kommt das Personal auch, und zwar bald.

Personalgewinnung, Personalbindung und Attrak-
tivität – das zusammen ist ein Riesenthema . Die dazu
im letzten Jahr beschlossenen Verbesserungen sind alle
nützlich . Aber viele Bestandssoldaten – Portepee-Un-

Christian Petry






(A) (C)



(B) (D)


teroffiziere,  Fachdienstoffiziere  –  sagen,  dass  sie  noch 
nichts von verbesserter Attraktivität merken . Woran liegt
das? Sollten wir uns hier nicht noch einmal zusätzliche
Gedanken machen? Ganz gewiss spielt für die Attrak-
tivität des Dienstes das Schließen der materiellen und
personellen Lücken eine zentrale Rolle . Das ist militä-
rischer Kernbereich . Dazu kommen die Belastungen des
Pendelns für sehr viele Soldatinnen und Soldaten und
ihre Familien sowie die Unsicherheit über Verwendung,
Versetzung, Beförderung und letztlich die Dauer der
Dienstzeit . Altersgrenzen vertragen keine Spekulationen .
Soldaten wollen Planungssicherheit .

Eine besondere Aktivität, die 2015 begonnen hat,
läuft jetzt aus . Das ist die Flüchtlingshilfe . Im nächsten
Bericht werde ich einige Anmerkungen dazu machen .
Hier möchte ich Ihnen nur weitergeben, was der Leiter
des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge, Frank-
Jürgen Weise, mir dazu geschrieben hat . Er schreibt:

Die Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr leis-
ten im Bundesamt in Haltung, Einstellung und in
der Qualität der Arbeit einen unschätzbaren Beitrag .
Die Mobilität und Flexibilität, die sich durch die-
se personelle Unterstützung für das BAMF ergibt,
ist … von hoher Bedeutung . Es bestätigt das beste
Bild, welches wir von unserer Bundeswehr haben .

So weit Herr Weise . Ich glaube, wir alle stimmen ihm zu
und sagen: Danke!


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Danke für das große Engagement Tausender Soldatinnen
und Soldaten bei der Bewältigung der Flüchtlingskrise!

Im nächsten Bericht – ich übergebe ihn nächste Wo-
che – wird der Soldatenarbeitszeitverordnung ein Kapitel
gewidmet sein . Sie war 2015 in der Bundeswehr noch
kein Thema, insofern auch nicht in meinem Bericht .
Vielleicht war das ein Fehler; bessere Vorbereitung hätte
helfen können . So muss jetzt, wie es dann immer heißt,
nachgebessert werden . Aber bitte ohne schuldhaftes Zö-
gern! Kleinkariertheiten im Regelungswesen gehen im-
mer zulasten der Soldaten .

Wir reden in diesen Tagen auch über die Erweiterung
des deutschen Engagements in Mali . Parallelen zu Afgha-
nistan kommen einem da fast reflexartig in den Sinn, und 
sie werden genauso reflexartig offiziell zurückgewiesen. 
Klar, jeder Einsatz ist anders . Aber Lektionen, die wir aus
Afghanistan lernen können, sollten wir nicht ignorieren .
Es fehlt auch in Mali bisher an gemeinsamer Führung
oder wenigstens starker Koordination der unterschiedli-
chen militärischen Bemühungen von UNO, EU, franzö-
sischer Armee, malischer Armee und all der zusätzlichen
zivilen Hilfe, die ins Land kommt . Der vernetzte Ansatz
bzw . – international gesprochen – der Comprehensive
Approach braucht mehr als guten Willen . Er braucht ver-
bindliche Strukturen . Unsere Soldatinnen und Soldaten
wollen, dass ihr Einsatz in Mali erfolgreich ist . Kümmern
wir uns also auch um die Strukturen, die einen Erfolg in
Mali möglich machen .

Ich möchte hier noch ein Thema ansprechen, das
ebenfalls nicht im alten Jahresbericht erwähnt ist, son-
dern gerade jetzt recht aktuell geworden ist: den soge-
nannten Verhaltenskodex . Ich verstehe, dass Sie, Frau
Ministerin, auf die Vorschläge der Müller-Kommission
positiv reagieren wollten .


(Henning Otte [CDU/CSU]: Die gab es 2015 doch noch gar nicht!)


Dabei geht es um das Rüstungs- und Beschaffungswesen 
der Bundeswehr . Hier können wir uns alle in der Tat man-
ches vorstellen, was noch besser zu regeln wäre . Aber
was, bitte schön, soll der Panzergrenadier in Hagenow
davon halten, wenn er auf solche Compliance-Kauder-
welsch-Sätze  verpflichtet werden  soll wie  –  ich  zitiere 
einen – „Wir wollen die strategische Koordination von
Politikfeldern, die Realisierung von politischen Zielen,
Schwerpunkten und Programmen und die internationale
Zusammenarbeit gestalten“?


(Dr . Frithjof Schmidt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wow!)


Wer ist „wir“? Was soll die Truppe mit solchem Agen-
tur-Blabla? Was machen die Soldatinnen und Soldaten
bisher falsch, dass sie jetzt so einen Verhaltenskodex
bekommen sollen? Wenn diese fünf Seiten eng geschrie-
bener Text die Lösung sind, was war dann eigentlich das
Problem?

Soldaten schwören oder geloben; da geht es um Recht
und Freiheit . Auch die Beamten der Bundeswehr schwö-
ren übrigens einen Eid . Alle Rechtsverhältnisse der Sol-
daten sind durch das Grundgesetz, durch Bundesgesetze
und durch eine Vielzahl von Erlassen und Bestimmungen
geregelt .


(Beifall bei der SPD)


Keine Behörde, keine Firma hat präzisere Regeln als
die Bundeswehr . Ich meine, das reicht . Unsere Soldatin-
nen und Soldaten sind mündige Bürger, Staatsbürger in
Uniform . Sie folgen den Grundsätzen der Inneren Füh-
rung . Das heißt, dass sie in aller Loyalität auch berech-
tigt sind, Kritik zu üben, auch zum Beispiel gegenüber
Bundestags abgeordneten . Unsere Soldatinnen und Sol-
daten verdienen Vertrauen . Deshalb: Lassen Sie uns bitte
noch einmal darüber reden, wo wirklich etwas geregelt
werden muss und wo nicht .


(Beifall bei der SPD)


Für die Arbeit am Bericht und die Umsetzung vieler
Hinweise und Empfehlungen danke ich meinen Mitar-
beiterinnen und Mitarbeitern im Amt, den Zuständigen
in Ministerium und Bundeswehr und den Berichterstatte-
rinnen und Berichterstattern der Fraktionen . Die Zusam-
menarbeit ist wirklich kollegial und konstruktiv; auch
das macht mich froh .

Vielen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg . Christine Buchholz [DIE LINKE])


Dr. Hans-Peter Bartels






(A) (C)



(B) (D)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1821306400

Vielen Dank . – Für die Bundesregierung hat jetzt Bun-

desministerin Dr . Ursula von der Leyen das Wort .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Dr. Ursula von der Leyen, Bundesministerin der
Verteidigung:

Vielen Dank . – Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen
und Kollegen! Lieber Herr Bartels, Herr Wehrbeauftrag-
ter! Ich fange mit dem Jahresbericht 2015, über den wir
hier diskutieren, an . Wir müssen vielleicht irgendwann
einmal ein anderes Tempo hinbekommen, auch im Hin-
blick auf die Debatte; denn es ist für uns alle, glaube
ich, nicht ganz einfach, über den Jahresbericht 2015 zu
diskutieren, wenn schon nächste Woche der berechtigte,
wichtige Jahresbericht 2016 übergeben wird . Aber das ist
ein Wunsch, den wir vielleicht gemeinsam voranbringen
können .

Im Jahresbericht 2015 schreiben Sie – ich zitiere, Herr
Wehrbeauftragter –:

Wir leben in unruhigen Zeiten . Sicherheitspolitisch
bewegt sich gerade sehr viel in Europa und welt-
weit .

Daran hat sich, wie Sie eingangs sagten, nicht viel geän-
dert . Sie schreiben weiter, die Bundeswehr habe „in ei-
nigen Bereichen inzwischen ihr Limit erreicht, personell
und materiell“ . Ihre Schlussfolgerung lautet:

Die Bundeswehr hat von allem zu wenig .

In der Tat schreiben wir jetzt das Jahr 2017 . Ich möchte
festhalten: Ihre damalige Bestandsaufnahme war richtig;
das ist gar keine Frage . Wir haben viel darüber in diesem
Hohen Hause gesprochen . Aber wir alle haben hart daran
gearbeitet, dass inzwischen – ich darf es so formulieren –
von allem mehr da ist . Das fängt mit dem Geld an . Ich
bin sehr erfreut gewesen, dass wir im Jahr 2016 zeigen
konnten – der Finanzminister hat den Jahresabschluss
am Mittwoch vorgestellt –, dass wir eine Punktlandung
hingelegt haben und dass wir  in der Tat effizient sowie 
effektiv mit dem Geld umgehen. Wir haben sogar etwas 
mehr ausgegeben, als geplant war, nämlich 850 Millio-
nen Euro . Wir wissen: Das ist ein Fortschritt, denn es war
in anderen Zeiten schon anders .

Der Haushalt 2017 umfasst rund 37 Milliarden Euro .
Das ist ein Rekordwert in der Geschichte der Bundes-
wehr . Ich möchte heute nicht über die Trendwende „Fi-
nanzen“, ich möchte nicht über die Trendwende „Mate-
rial“, die auch zu sichtbaren und messbaren Ergebnissen
geführt hat, sprechen, sondern ich möchte, Herr Wehrbe-
auftragter, meine Damen und Herren, darauf fokussieren,
wo in der Tat das Zentrum das Berichts liegt, nämlich auf
das Personal, die Menschen in der Bundeswehr .

Sie sagen zu Recht: Lücken identifizieren, Menschen 
ansprechen, anwerben, ausbilden, halten – die gan-
ze lange Kette . Ich bin sehr froh, dass wir zum ersten
Mal in der Geschichte der Bundeswehr eine umfassen-
de und vorausschauende Personalstrategie eingerichtet
haben . Im letzten Jahr haben wir erstmals die Grundla-

gen vorgestellt . Damit gibt es zum ersten Mal eine mit-
telfristige Finanzplanung nach vorn . Damit wissen wir,
wie die nächsten sieben Jahre anhand der Daten, die wir
heute schon festlegen, aussehen, wo wir bereits Lücken,
Schwierigkeiten und Probleme ausmachen können und
was wir dagegen zu tun gedenken .

Sie wissen, dass das erste Personalboard im letzten
Jahr gezeigt hat, dass wir einen strukturellen Bedarf von
zusätzlich rund 7 000 militärischen und rund 4 400 zivi-
len Stellen haben . Ich bin dem Hohen Haus sehr dankbar,
dass dies in unsere haushälterische Planung aufgenom-
men worden ist .

Das zweite Personalboard – es kommt in diesem
Jahr – wird sich damit befassen, welche Personallücken
wir in den einzelnen Bereichen haben . Nicht überall ist
es knapp . Zum Teil gibt es einige seltene Ausnahmen, wo
wir gut aufgestellt sind und genug, wenn nicht sogar zu
viel haben . Wir werden gezielt deutlich machen, wo die
Lücken sind .

Das hat sich natürlich mit der Einführung der Sol-
datenarbeitszeitverordnung abgezeichnet . Sie hat das
sichtbar gemacht . Sie hat aber nichts Neues eingeführt,
etwa dass Soldatinnen und Soldaten abgezogen oder zu-
sätzlich eingeführt würden . Sie hat sichtbar gemacht, wo
bisher immer schon eklatante Lücken gewesen sind, die
aber dadurch überdeckt worden sind, dass Soldatinnen
und Soldaten schlicht und einfach Mehrarbeit machen
mussten . Keiner hat das gemessen .

Wir sehen jetzt Lücken aufgrund der Soldatenarbeits-
zeitverordnung . Sie hat diese Lücken aber nicht verur-
sacht . Wir sehen, dass der Dienstherr durch die Lebens-
arbeitszeit von Soldatinnen und Soldaten subventioniert
worden ist . Das wollen wir ändern .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Ich bin der festen Überzeugung, dass der Dienst-
herr nicht dauerhaft Personalmangel durch Mehrarbeit
kompensieren kann . Es muss ein nachvollziehbares und
verlässliches Maß und eine Mitte geben zwischen dem
Dienst, der notwendig ist, der Erholung, die notwendig
ist, und gelegentlich angeordneter Mehrarbeit . Sie muss
dann durch Freizeit oder finanziell ausgeglichen werden. 
Aber klar sein muss, dass dort gemessen wird .

Wenn es objektiv Lücken gibt – diesen Punkt betrach-
ten wir jetzt –, muss es mehr Personal geben . Jetzt wächst
die Bundeswehr endlich wieder . Ich will Ihnen einige
Zahlen nennen . Mit Stand vom 31 . Dezember 2016 wa-
ren wir bei 168 342 Soldatinnen und Soldaten . Wir hätten
gerne mehr, und wir brauchen mehr; ja, gar keine Frage .
Aber eines ist wichtig: Es geht in die richtige Richtung,
nämlich bergauf .

Um einige Zahlen zu nennen: Allein in den letz-
ten sechs Monaten haben wir einen Aufwuchs von
1 800 Zeit- und Berufssoldatinnen und -soldaten erreicht .
Die Einplanungen der Zeitsoldaten sind im letzten Jahr
um 16 Prozent gestiegen. Bei Offizieren gibt es ein Plus 
von 21 Prozent, bei den Mannschaften von 18 Prozent .
Besonders erfreulich: Bei den Feldwebeln im Fachdienst,
die sehr knapp sind, ist ein Plus von 28 Prozent zu ver-
zeichnen .






(A) (C)



(B) (D)


Wir bekommen mehr Fachkräfte, weil wir an die The-
men sehr gezielt herangehen . Ein Beispiel: Gerade bei
den besonders gesuchten Informatikerinnen und Infor-
matikern beträgt der Zuwachs sage und schreibe weit
über 60 Prozent . Das hat natürlich auch etwas damit zu
tun, dass wir Cyber und IT als Kommando aufstellen und
das Thema damit in der Bundeswehr sichtbar wird . Das
hat auch etwas damit zu tun, dass wir in diesen Fachrich-
tungen selber ganz gezielt werben, damit die Menschen
wissen, dass das bei uns ein Topthema ist und sie bei uns
eine Zukunft finden können.

Bei den Feldwebeln im Rettungsdienst freuen wir uns
über ein Plus von über 30 Prozent . Was mich und Sie
sicherlich auch alle besonders freut, ist, dass wir im No-
vember letzten Jahres zum allerersten Mal die Marke von
20 000 Soldatinnen überschritten haben .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Die Evaluierung der Soldatenarbeitszeitverordnung
läuft noch . Erste Verbesserungen sind erreicht, an an-
deren arbeiten wir intensiv . Sie haben recht, Herr Wehr-
beauftragter: Ich wünschte, man könnte Veränderungen
immer glatt umsetzen, aber so große Veränderungen
kommen immer holperig daher . Wahrscheinlich werden
wir gesetzliche Anpassungen brauchen .

Eine andere konkrete Gesetzesänderung, die wir der-
zeit mit dem BMI verhandeln, möchte ich ansprechen:
den Auslandsverwendungszuschlag . Sie wissen, dass er
derzeit nur Frauen und Männern gewährt wird, die in
mandatierten Einsätzen sind, und nicht denen in einsatz-
gleichen Verpflichtungen. Dabei handelt es sich beispiels-
weise um Soldatinnen und Soldaten in der Ägäis oder um
diejenigen, die  in Eurofightern  im Bereich Air Policing 
im Luftraum über dem Baltikum eingesetzt sind . Das be-
trifft jetzt unsere Truppe, die nach Litauen geht und die 
Vorne-Präsenz mit aufbaut . Meine Damen und Herren,
auch diese Soldatinnen und Soldaten sind Wochen und
Monate von zu Hause weg . Deshalb bin ich der festen
Überzeugung, dass alle Soldatinnen und Soldaten in ein-
satzgleichen Verpflichtungen den AVZ schnellstmöglich 
bekommen sollten . Das ist eine Frage der Gerechtigkeit .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Einige Themen muss ich noch anmerken .

Erstens . Das Thema Compliance-Kodex . Herr Wehr-
beauftragter, wenn ich mir die Bemerkung erlauben darf:
Ich weiß nicht, aus welchem Entwurf Sie zitiert haben;
denn das Ganze ist noch im Entwurfsstadium und in der
Abstimmung im Haus, insbesondere mit den Personal-
vertretungen . Deshalb kann ich zu dem Satz keine Stel-
lung nehmen . Ich weiß nicht, welchen Stand Sie eben
zitiert haben .

Zweitens . Nicht nur die Abstimmung im Haus läuft,
sondern auch Beratungen mit Transparency Internatio-
nal . Es ist uns wichtig, auch von außen Feedback zu be-
kommen. Das heißt, wir befinden uns in einem Prozess. 
Ich glaube, diesen Prozess sollten wir abwarten, bis er
zumindest innerhalb des Hauses abgeschlossen ist . Erst

dann werden wir mit dem Parlament das Ergebnis Wort
für Wort besprechen .

Drittens . Sie haben recht: Es gibt eine Unzahl von Re-
geln und Gesetzen in der Bundeswehr . Wir wollen nicht
darüber hinausgehen und keine neuen Regeln einführen .
Aber haben Sie einmal den Raummeter gesehen, der das
umfasst, was in den verschiedenen Gesetzen, Verord-
nungen und Erlassen alles geregelt ist? Ich glaube, es
ist nicht schlecht, uns noch einmal gemeinsam klarzu-
machen, dass Rechtssicherheit dadurch gewährleistet ist,
dass wir positiv formulieren, was wir gemeinsam verab-
redet haben .

Letztes Thema .


Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1821306500

Frau Bundesministerin, als Mitglied der Bundesregie-

rung dürfen Sie so lange reden, wie Sie wollen . Wenn
Sie jetzt als Abgeordnete reden würden, müsste ich Sie
unterbrechen . Ich muss Sie darauf aufmerksam machen:
Wenn Sie jetzt weiter reden, geht das zulasten Ihrer Frak-
tion .

Dr. Ursula von der Leyen, Bundesministerin der
Verteidigung:

Ja . – Ich bitte die Fraktion, dass ich ein mir wichti-
ges Thema noch ansprechen darf . Es geht um das The-
ma Chancengerechtigkeit und Offenheit für Vielfalt. Ich 
habe mich dieses Themas immer angenommen . Wenn
wir schlagkräftige, attraktive und moderne Streitkräfte
haben wollen, kommen wir um das Thema nicht herum .
Das Thema ist breit angelegt. Mir ist wichtig: Es betrifft 
nicht nur Männer und Frauen, sondern auch Herkunft,
Bildung, sexuelle Orientierung und Religion – um nur
einige Themen zu nennen .

Zwei Punkte: Erstens . Es geht bei der Bemühung um
Vielfalt nicht nur um Lippenbekenntnisse; sonst hätten
wir die gesamte Thematik der Attraktivität und Verein-
barkeit nicht einführen müssen . Wir werden deshalb
Ende Januar einen Kongress über den Umgang mit un-
terschiedlicher sexueller Orientierung veranstalten . Ich
halte  dieses  Thema  nicht  für  randständig.  Es  betrifft 
mehrere Tausend Soldatinnen und Soldaten und zivile
Beschäftigte in der Bundeswehr, genauso wie das Thema
Religion mehrere  Tausend  betrifft  und  wie  das  Thema 
Migrationshintergrund oder Behinderung, zum Beispiel
durch PTBS, eine zentrale Rolle in mehreren Hundert
oder Tausend Leben von Menschen in der Bundeswehr
spielt . Deshalb, meine Damen und Herren, ist mir wich-
tig, dass dieses Anliegen, das für diese Menschen zen-
tral ist, genauso ernst genommen wird wie viele andere
Anliegen, die uns beschäftigen . Es ist kein randständiges
Thema .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Zweitens . Diese Soldatinnen und Soldaten und zivilen
Beschäftigten tun ihren Dienst wie alle Kameradinnen
und Kameraden . Sie haben einen Eid geschworen, dieses
Land tapfer zu verteidigen . Sie sind bereit, im Einsatz ihr
Leben einzusetzen für unsere Freiheit. Ich finde deshalb, 

Bundesministerin Dr. Ursula von der Leyen






(A) (C)



(B) (D)


dass unsere Soldatinnen und Soldaten und die zivilen Be-
schäftigten, egal woher sie kommen, egal wen sie lieben,
egal an was oder wen sie glauben, nicht dem Spott ausge-
setzt werden dürfen, sondern unseren Respekt und unsere
Anerkennung verdienen .


(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1821306600

Nächste Rednerin für die Fraktion Die Linke ist die

Kollegin Christine Buchholz .


(Beifall bei der LINKEN)



Christine Buchholz (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1821306700

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen

und Herren! Herr Bartels! Liebe Mitarbeiterinnen und
Mitarbeiter des Wehrbeauftragten! Gerade heute Mor-
gen haben wir über die Fortsetzung und Ausweitung der
Bundeswehreinsätze im Nordirak und in Mali diskutiert .
Für diese Beschlüsse, die nächste Woche gefällt werden,
müssen Soldatinnen und Soldaten den Kopf hinhalten .
Die Folgen können einsatzbedingte Krankheiten sein .
Was sicher ist: Je mehr Auslandseinsätze von der Regie-
rung beschlossen werden, umso größer wird der Druck
auf die Soldatinnen und Soldaten und ihre Familien .

Wer Waffen  und  Soldaten  in  alle Welt  schickt,  be-
kommt die Folgen der Kriege zurück . Auch das ist ein
Grund, die Auslandseinsätze der Bundeswehr zu been-
den .


(Beifall bei der LINKEN)


Der Bericht des Wehrbeauftragten spiegelt diese Wirk-
lichkeit wider, und die vorliegende Antwort des Verteidi-
gungsministeriums auf den Bericht zeigt: Auf viele der
Probleme reagiert die Bundesregierung gar nicht, oder
sie reagiert zu langsam, zu bürokratisch . Eine Ausnahme
gibt es; das ist die aus unserer Sicht völlig verfehlte Kritik
des Wehrbeauftragten an der zu schlechten Ausrüstung
der Bundeswehr . Denn für die Aufrüstung hat die Große
Koalition für 2017 einen Rekordhaushalt beschlossen .
Doch wenn es um die menschlichen Folgen der Mili-
täreinsätze geht, etwa um die zügige Anerkennung von
Wehrdienstbeschädigung, dann ist nicht genug Geld da .
Konkret: Auf 5 000 Anträge kommen 30 Sachbearbeiter .
Das erklärt, warum die Bearbeitung von Anträgen auf
Wehrdienstbeschädigung durchschnittlich 15 Monate
dauert, oft auch über zwei Jahre . Der Wehrbeauftragte
hat das zu Recht bemängelt .

Die Reaktion des Ministeriums: neue Stellen – null .
Aber die Abläufe sollen optimiert werden . Das muss
doch in den Ohren der Betroffenen als absolut nicht ak-
zeptabel klingen .


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)


Aber die Probleme der einsatzgeschädigten Soldatin-
nen und Soldaten sind tiefer gehend . Wenn psychisch er-
krankte Soldaten sich um die Anerkennung einer Wehr-
dienstbeschädigung bemühen, dann müssen sie selbst
den konkreten Zusammenhang mit einem Auslandsein-

satz nachweisen. Das ist jedoch in der Praxis häufig kaum 
möglich und führt zu langen, belastenden Verfahren .

Ich sage: Wenn die Bundeswehr einen Soldaten als
psychisch gesund in einen Auslandseinsatz schickt und
später dieser Soldat oder diese Soldatin psychisch er-
krankt, dann ist im Streitfall die Bundeswehr in der Be-
weispflicht. Und die Fürsorgepflicht des Dienstherrn darf 
nicht mit dem Dienstverhältnis enden .


(Beifall bei der LINKEN – Henning Otte [CDU/CSU]: Einsatzversorgungs-Verbesserungsgesetz!)


Es ist ein Unding, dass die Bundesregierung nicht einmal
Statistiken darüber erhebt, wie viele ehemalige Soldaten
Selbstmord begehen . Auch hier muss sich dringend et-
was ändern .


(Beifall bei der LINKEN – Henning Otte [CDU/CSU]: Es gibt keine Statistik für Selbstmord! Unverschämtheit!)


Ein anderes Beispiel . Im Bericht bemängelt der Wehr-
beauftragte, dass – ich zitiere – für „die einsatzrelevante
Verbrennungsmedizin . . . seit Jahren nur noch eine sehr
eingeschränkte Versorgungskompetenz vorgehalten
wird“ . Wie dramatisch das sein kann, hat vor zwei Ta-
gen der verheerende Anschlag im malischen Gao gezeigt .
Über 70 malische Soldaten starben, über 110 überlebten
schwer verletzt . Der Anschlag hätte auch deutsche Solda-
ten treffen können. Das Lager der Bundeswehr liegt kei-
ne 2 Kilometer vom Anschlagsort entfernt . Wie reagiert
nun das Verteidigungsministerium auf die Forderung
nach besserer Versorgungskompetenz für einsatzrelevan-
te Verbrennungsmedizin? Antwort: Gar nicht . Alles, was
dem Verteidigungsministerium einfällt, ist der Verweis
auf zivile Krankenhäuser in Deutschland . Der Einsatz
kommt zuerst, die Behandlung der Folgen ist nachrangig,
und das finden wir zynisch.


(Beifall bei der LINKEN)


Ich verstehe, warum das Verteidigungsministerium,
auch die Koalition, das nicht gerne hört . Diese Realität
stört die Hochglanz-PR-Aktionen, mit denen Sie jungen
Menschen die Bundeswehr schmackhaft machen wollen .


(Abg . Henning Otte [CDU/CSU] meldet sich zu einer Zwischenfrage)


Pikant ist übrigens auch, dass die Ministerin – Sie
haben eben selbst dazu gesprochen – Angehörigen der
Bundeswehr strenge Verhaltensrichtlinien, einen Verhal-
tenskodex für den Umgang mit Parlament und Medien
verordnen will . Wir sind sehr gespannt, was Sie dazu in
Ihrem Hause erarbeiten . Meine Fragen und meine Kritik
schließen an das an, was der Wehrbeauftragte themati-
siert hat . Ich sage Ihnen: Wer die Wahrheit unterdrücken
will, der hat was zu verbergen . Ein Maulkorberlass ist
das Letzte, was Soldatinnen und Soldaten brauchen .


(Beifall bei der LINKEN)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1821306800

Frau Kollegin Buchholz, gestatten Sie noch eine Zwi-

schenfrage des Kollegen Otte?

Bundesministerin Dr. Ursula von der Leyen






(A) (C)



(B) (D)



Christine Buchholz (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1821306900

Das ist jetzt zwar keine Zwischenfrage mehr, aber ger-

ne .


(Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Das ist Auslegungssache!)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1821307000

Dann machen wir das jetzt einmal so . – Bitte schön .


Henning Otte (CDU):
Rede ID: ID1821307100

Frau Kollegin Buchholz, wir hatten zusammen mit

unserer Frau Bundesverteidigungsministerin Gelegen-
heit zu einem Besuch in Mali . Sie suggerieren jetzt in
Ihrer Rede – das ist mir vorhin schon aufgefallen –, dass
die Politik und das Ministerium ihren Soldatinnen und
Soldaten nicht genügend Fürsorge entgegenbrächten .
Sie stellen hier einfach Behauptungen in den Raum . Das
kann Ihre Taktik sein .

Meine Frage an Sie lautet: Warum haben Sie die of-
fenen Fragen, die Sie hier stellen, nicht beim Besuch in
Gao, in Bamako im Kreise der Fachleute, die dort vor
Ort waren, gestellt? Es drängt sich hier der Eindruck auf,
dass es Ihnen gar nicht um die Beantwortung von Fragen
geht, sondern um das Vorlesen der Argumente, die Ihnen
aufgeschrieben worden sind . Ich frage Sie, ob Sie nicht
fast ein schlechtes Gewissen haben, weil Sie hier Dinge
behaupten, die fernab jeglicher Realität sind .


(Beifall der Abg . Elisabeth Motschmann [CDU/CSU])



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1821307200

Frau Kollegin Buchholz .


Christine Buchholz (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1821307300

Lieber Kollege Otte, ich weiß nicht, ob Sie den Be-

such in Mali genutzt haben, um am Rande auch mit Sol-
datinnen und Soldaten zu sprechen . Ich führe sehr viele
Gespräche, die genau diese Fragen unterlegen, die den
Frust, den Unmut der Soldatinnen und Soldaten wider-
spiegeln, die sich eben nicht genügend berücksichtigt
finden.

Was die Frage des Einsatzes in Mali angeht: Gucken
Sie sich bitte die Realität an . Mein Gefühl ist, dass Sie
hier bestimmte Fragen an die von Ihnen beschlossenen
und zu beschließenden Einsätze nicht zulassen .


(Bernhard Kaster [CDU/CSU]: Es geht nicht um Gefühle, es geht um Realität!)


Die Realität können Sie den Gesprächen in Mali, aber
auch den Zeitungen und Berichten verschiedener Akteu-
re entnehmen . Von daher gebe ich diese Frage zurück .
Seien Sie ehrlich, und beantworten Sie sich ehrlich die
Fragen . Gucken Sie sich die Realität genau an . Vielleicht
kommen auch Sie dann irgendwann zu anderen Antwor-
ten .


(Beifall bei der LINKEN)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1821307400

Vielen Dank . – Jetzt hat die Kollegin Heidtrud Henn

für die SPD-Fraktion das Wort .


(Beifall bei der SPD sowie des Abg . Dr . Johann Wadephul [CDU/CSU])



Heidtrud Henn (SPD):
Rede ID: ID1821307500

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Frau Mi-

nisterin! Sehr geehrter Herr Wehrbeauftragter! Liebe Kol-
leginnen und Kollegen! Liebe Soldatinnen und Soldaten!
Am kommenden Dienstag wird Hans-Peter Bartels uns
seinen Bericht für das Jahr 2016 vorlegen . Wir sprechen
heute über seinen Bericht aus dem Jahr 2015 . Die Bun-
deswehr am Wendepunkt – so hat der Wehrbeauftragte
seinen ersten Bericht überschrieben . Die Überschrift des
neuen Berichts kenne ich noch nicht .

Ich glaube, dass es gut ist, das Wahre zu sagen, und ich
weiß aus meiner beruflichen und persönlichen Erfahrung, 
dass vor jeder Verbesserung der Mut zur Wahrheit steht .
Martin Luther, über den wir insbesondere in diesem Jahr
viel hören und lesen können, hat viel zur Wahrheit ge-
sagt . Vor 500 Jahren hat er seine 95 Thesen in Wittenberg
an die Tür der Schlosskirche geschlagen . Er hat hörbar
und lesbar gemacht, was falsch war, mit den Mitteln sei-
ner Zeit, in der er noch nicht die Möglichkeit zur Veröf-
fentlichung im Internet hatte . Dennoch waren seine Wor-
te durchschlagend, im wahrsten Sinne des Wortes . Das
zeigt uns, wie kraftvoll die Wahrheit ist . Sie braucht aber
immer jemanden, der sie ausspricht .

„Iss, was gar ist, trink, was klar ist, red, was wahr
ist!“ – das gibt uns Martin Luther mit auf den Weg . Ohne
die Soldatinnen und Soldaten, die die Zeit und manchmal
auch den Mut aufbringen, ihre Wahrheit an den Wehr-
beauftragten heranzutragen, wäre der Bericht des Wehr-
beauftragten nicht denkbar . Darum gilt mein Dank für
den Bericht des Wehrbeauftragten nicht nur Hans-Peter
Bartels und seinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern,
sondern auch allen, die sich im Berichtsjahr an den Wehr-
beauftragten gewandt haben .

Zu Beginn Ihrer Amtszeit haben Sie, sehr geehrte Frau
von der Leyen, und auch Frau Staatssekretärin Dr . Suder
zu Recht viel Applaus dafür bekommen, dass Sie eine
neue Fehlerkultur in Ihrem Haus gewünscht und sogar
eingefordert haben . Es sollte keine Angst vor einem Kar-
riereknick geben, wenn mündige Soldaten Probleme und
Missstände benennen . Auch uns Sozialdemokratinnen
und Sozialdemokraten hat das gefallen . Grund für die
Fehlerkulturoffensive waren die Probleme bei der Rüs-
tungsbeschaffung. Sie hatten aber auch gesehen, dass es 
nicht hilfreich ist, wenn Kritiker mit Kenntnis des Hau-
ses blockiert statt gehört werden . Durch Verschweigen
heilen keine Krankheiten . Eine Kultur des Schweigens
verhindert Veränderungen und Verbesserungen .


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)


In Ihrer Rede zum Bericht des Wehrbeauftragten am
28 . April letzten Jahres haben Sie, sehr geehrte Frau Mi-
nisterin, gesagt – ich zitiere –:

Ich  finde,  es  ist  ganz  entscheidend,  Transparenz 
über unsere Organisation herzustellen .






(A) (C)



(B) (D)


Ich stimme Ihnen da voll zu . Mit großer Sorge erfüllt
mich deshalb die Berichterstattung zu dem von Ihnen ge-
planten sogenannten Verhaltenskodex . Ich kenne hierzu
nur Presseberichte,  aber  es gibt  eine öffentliche Debat-
te, und gerade weil in diesem Zusammenhang über den
Wehrbeauftragten und seine besonderen Zugangsrechte
gesprochen wird, möchte ich das Thema auch hier an-
sprechen .

Ich nutze jede Gelegenheit, um mit Soldatinnen und
Soldaten ins Gespräch zu kommen, also mit der Basis .
Das ist auch immer mein Wunsch, wenn ich Standorte
besuche oder wenn ich in Einsatzgebieten bin . Mich inte-
ressiert, wie es den Menschen bei der Bundeswehr geht,
wie sie ticken, was sie umtreibt, aber auch, was sie be-
geistert . Der Mensch hat meine Aufmerksamkeit, nicht
der Dienstgrad; der steht an anderer Stelle . Bei all diesen
Gesprächen und Telefonaten mit den Menschen in der
Bundeswehr habe ich viel über die Bundeswehr gelernt .
Vor allem habe ich gelernt, wie loyal, professionell und
zugleich ehrlich die Soldatinnen und Soldaten im Ge-
spräch sind, ohne etwas oder jemanden zu verraten . Sie
kennen ihre Vorschriften bestens und handeln danach .

Angst und Misstrauen tun niemandem gut . Sie ma-
chen Seelen krank, und sie schaffen ein Klima, das ein 
kameradschaftliches Miteinander verhindert . Vertrauen
ist im Einsatz und im Grundbetrieb der Garant für die
Sicherheit der Soldatinnen und Soldaten, die für unsere
Sicherheit sorgen . In der Bundeswehr muss es um Zu-
sammenhalt gehen . In der freien Marktwirtschaft geht
es um Gewinnmaximierung und Macht . Diese Prinzipi-
en sind in meinen Augen nicht auf unsere Bundeswehr
übertragbar .

Anfang 2013 haben Sie, liebe Frau von der Leyen,
oft betont, dass der Mensch im Mittelpunkt steht . Das
hat mir gut gefallen, und das habe ich Ihnen auch gesagt .
Soldat sein ist eine Berufung . Wer dient, verdient Ver-
trauen . Wer dient, muss reden dürfen . Reden ist die Basis
für ein gutes Miteinander und Kommunikation .

Eine sachlich vorgetragene Kritik ist niemals ein An-
griff, und vor der Wahrheit sollte sich niemand fürchten. 
Auch vor uns Abgeordnete sollte niemand Angst haben .
Wenn uns jemand ein Anliegen vorträgt, wissen wir ganz
gut, wie wir damit umgehen und wie wir Kritik einzu-
ordnen haben . Eine Parlamentsarmee muss mit den Mit-
gliedern des Parlamentes reden dürfen – ohne Angst und
ohne Verbot .


(Beifall bei der SPD sowie der Abg . Christine Buchholz [DIE LINKE])


Dass der Mensch im Mittelpunkt der Bundeswehr
steht, hat die Verteidigungsministerin richtigerweise
immer wieder betont . Ich möchte, dass das so wird und
dann auch so bleibt; denn das ist schlicht und ergreifend
nicht bei allen Entscheidungen des Hauses der Fall .

Der Wehrbeauftragte ist bereits auf wesentliche Punk-
te seines Berichtes eingegangen, und ich denke, auch in
der Debatte zu seinem nächsten Bericht werden wir viel
über eine bessere Ausstattung sprechen . Unsere Haushäl-
ter  haben  hier  gute  Voraussetzungen  geschaffen. Auch 

für das kommende Jahr soll es genug finanzielle Mittel 
für die wachsenden Aufgaben der Bundeswehr geben .

Sie wissen, dass ich besonders genau hinsehe, wenn
es um Menschen und um ihr seelisches und gesundheit-
liches Wohl geht .

Der Sanitätsdienst leistet hier, im Ausland und auch
im zivilen Bereich gute Arbeit . Das Personal ist top, die
noch immer vorhandenen Papierdokumente sind ein
Flop . Wenn ich den Sanitätsdienst in den Standorten be-
suche, fühle ich mich in meine Kindheit zurückversetzt .
Damals haben die Arzthelferinnen auch alles mit dem
Bleistift auf Papier dokumentiert . Irgendwie widerspricht
sich das Ganze: Im Ausland ist unser Sanitätsdienst füh-
rend, und zu Hause sind wir, was die Dokumentation be-
trifft, noch immer in den 60er-Jahren.

Ich weiß, dass manche Menschen im Sanitätsdienst
Schnappatmung bekommen, wenn ich dieses Thema im-
mer wieder anspreche, und hoffe, dass eine truppenärzt-
liche Versorgung bald überall vor Ort gewährleistet ist .
Oftmals fehlt sie .

Lassen Sie mich noch zu den Lotsen kommen . Auch
der Wehrbeauftragte hat betont, dass sich das Angebot
der Lotsen bewährt hat . Sie erfüllen eine wichtige Aufga-
be für ihre Kameradinnen und Kameraden .

Auch hier geht es um Vertrauen . Man darf aber nicht
vergessen, welche Last Lotsen auf ihren Schultern tra-
gen . Als ehrenamtlicher Nebenjob funktioniert dies auf
Dauer nicht . Auf Dauer ist eine Freistellung für diese
Aufgabe notwendig und, um die Last von den Schultern
der Lotsen zu nehmen, eine regelmäßige Supervision .


(Beifall bei der SPD)


Im Hinblick auf die Infrastruktur möchte ich einfach
nur ein paar Stichworte nennen:

Alte Unterkünfte sollen abgerissen, neue gebaut wer-
den, was dauert . Betreuungseinrichtungen werden ge-
schlossen, und es gibt keinen Ersatz . Gebäude des Sa-
nitätsdienstes in Zweibrücken und Idar-Oberstein sollen
abgerissen und neu gebaut werden . Hier gibt es noch im-
mer keine Bewegung . Auf dem Klotzberg in Idar-Ober-
stein tut sich mittlerweile aber etwas . Die Container für
die Betreuungseinrichtung sollen in diesem Jahr wirklich
endlich stehen . Das hat dann von 2014 bis 2017 gedau-
ert . Bei der Sporthalle und der Küche in Zweibrücken
bewegt sich dagegen noch immer nichts .

Ich bin immer wieder fasziniert, mit welchen Mitteln
unsere Soldaten ihre Aufgaben meistern . „Aktiv . Attrak-
tiv . Anders .“: Sie sind sehr aktiv, an der Attraktivität
müssen wir noch arbeiten, und dem „Anders .“ stimme
ich voll zu .

Sehr geehrte Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und
Kollegen, lieber Herr Dr . Bartels, ich schließe mit diesem
Zitat von Martin Luther:

Für Heuchelei gibt’s Geld genug . Wahrheit geht bet-
teln .

Als Parlamentarier  haben wir  die Pflicht,  zu  prüfen, 
ob das, was wir entscheiden, auch so ankommt, wie wir
uns das gedacht haben . Was oben gut entschieden wor-

Heidtrud Henn






(A) (C)



(B) (D)


den ist, muss unten auch gut ankommen und darf nicht
in der Mitte hängen bleiben . Darum ist der Bericht des
Wehrbeauftragten so wichtig für unsere Arbeit, und es
ist wichtig, dass wir unseren Soldatinnen und Soldaten,
denen wir viel zumuten, auch Zutrauen entgegenbringen .
Dieses Zutrauen zeigen wir mit Vertrauen . Nicht verges-
sen: Der Mensch steht im Mittelpunkt!

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit und wün-
sche Ihnen Gottes Segen .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1821307600

Vielen Dank . – Als nächste Rednerin hat Doris Wagner

von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das Wort .


Doris Wagner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1821307700

Frau Präsidentin! Frau Ministerin! Lieber Hans-Peter

Bartels! Werte Kolleginnen und Kollegen! Begrüßen
möchte ich auch die Mitglieder unserer Streitkräfte:
Kommen Sie sicher und gesund durch das neue Jahr! Al-
les Gute für Sie!

Die Bundeswehr hat von allem zu wenig . Das war die
Kernbotschaft des Berichts, den der Wehrbeauftragte uns
vor ziemlich genau einem Jahr vorgelegt hat . Frau Mi-
nisterin, ich sehe, ehrlich gesagt, nicht, dass sich dieses
Grundproblem der Bundeswehr im Jahr 2016 wirklich
grundlegend geändert hat . Der Klarstand von Hubschrau-
bern und Kampfflugzeugen in der Bundeswehr ist noch 
immer erschreckend niedrig . Sieben von zehn Kampf-
hubschraubern waren im Oktober nicht einsatzfähig . Sie-
ben von zehn! Nach wie vor schafft es die Bundeswehr 
nicht, ihre 170 000 Dienstposten für Berufs- und Zeitsol-
daten tatsächlich zu besetzen . Ende November fehlten
über 2 000 Soldatinnen und Soldaten . Die Bundeswehr
gleicht auch 2017 einem Potemkinschen Dorf aus lauter
Pappfassaden .


(Ingo Gädechens [CDU/CSU]: Na, na!)


Was, meine Damen und Herren, tut die Ministerin hier?
Sie fügt den Fassaden, die wir schon haben, eifrig neue
hinzu .

Gleich zwei sogenannte Trendwenden hat Frau von
der Leyen in den letzten Monaten verkündet . Mit der
Trendwende „Material“ sollen bis 2030 zusätzlich
130 Milliarden Euro in die Rüstung fließen. Von diesem 
Geld soll die Bundeswehr nun eine aufgabenorientierte
Ausstattung erhalten . Doch schon bei der Frage, worin
denn die Aufgaben der Bundeswehr eigentlich bestehen,
muss die Bundesregierung passen; denn anstatt im Weiß-
buch ein klares Aufgabenprofil mit klaren Prioritäten zu 
skizzieren – auch bei der Ausrüstung –, meint Frau von
der Leyen, dass die Bundeswehr einfach alles können
soll . Deshalb investieren wir jetzt viele Milliarden Euro
in unnötige Kampfpanzer und in fragwürdige Korvetten .


(Ingo Gädechens [CDU/CSU]: Na, na! Die Korvetten sind nicht fragwürdig, die sind wichtig!)


Dabei hat die Bundeswehr weder das Personal, um alle
diese Rüstungsprojekte vernünftig zu managen, Kollege

Gädechens, noch das Personal, diese vielen neuen Gerät-
schaften vernünftig zu nutzen und zu warten .

Ja, ich bin einverstanden: Die Bundeswehr braucht
besseres Material, gar kein Zweifel . Doch, Frau Ministe-
rin, dieses Problem alleine durch neue Milliardeninves-
titionen in Rüstung zu beheben, halte ich für kurzsichtig
und allzu oberflächlich.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Ingo Gädechens [CDU/CSU]: Nicht nur mit mehr Geld! Aber ohne Geld können wir nichts anschaffen!)


Was die Bundeswehr vor allem braucht, sind ein klares
und mit unseren neuen europäischen Partnern abge-
stimmtes  Aufgabenprofil  und  ausreichendes  Personal, 
das das Material auch nutzen und warten kann .


(Ingo Gädechens [CDU/CSU]: Sehr gut!)


Damit sind wir bei der zweiten sogenannten Trend-
wende, nämlich bei der Trendwende „Personal“ . Um
7 000 Soldatinnen und Soldaten soll die Truppe bis 2023
aufgestockt werden . Genauso gut könnte Frau von der
Leyen verkünden, dass Wladimir Putin morgen seine
Truppen von der Krim abzieht . Solche Ankündigungen
sind noch keine Politik . Das ist doch reines Wunschden-
ken . Woher sollen denn diese vielen neuen Soldatinnen
und Soldaten kommen?


(Ingo Gädechens [CDU/CSU]: Durch unsere Werbekampagnen!)


Bei der Marine fehlen laut Bericht des Wehrbeauftrag-
ten Techniker . Ganze U-Boot-Besatzungen sind lahmge-
legt, weil es keine Techniker in ausreichender Zahl gibt .


(Ingo Gädechens [CDU/CSU]: Die sind nicht lahmgelegt!)


Im  Sanitätsbereich  klaffen  mittlerweile  solche  Lü-
cken, dass es fraglich ist, ob die Gesundheit der Sol-
datinnen und Soldaten im Einsatz überhaupt noch zu
schützen ist . Schauen wir uns den Einsatz in Mali an:
Da müssen wir doch – lassen Sie mich das etwas salopp
ausdrücken – das medizinische Personal an allen Ecken
zusammenkratzen .

In dieser Situation einmal so eben 7 000 zusätzliche
Soldatinnen und Soldaten zu verordnen, ist in meinen
Augen unredlich . Das verhöhnt auch die völlig überlaste-
te Truppe, meine Damen und Herren .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Ingo Gädechens [CDU/CSU]: Man muss sich doch Ziele setzen!)


Ihre Trendwenden, Frau Ministerin, sind in meinen
Augen nichts anderes als reine Symbolpolitik . Die Pro-
bleme der Bundeswehr lösen Sie damit nicht, genauso
wenig wie mit Ihren Werbeplakaten und der neuen Re-
krutenserie, die die Bundeswehr als eine Art Outdoor
Challenge verharmlost . Keine dieser teuren Werbemaß-
nahmen hat bisher den Schrumpfungsprozess der Streit-
kräfte verhindert . Ende November zählte die Truppe
knapp 7 500 Soldatinnen und Soldaten weniger als noch
2013 .

Heidtrud Henn






(A) (C)



(B) (D)


Die Menschen sind doch nicht dumm . Sie lesen Zei-
tung, hören Radio und schauen Nachrichten . Dort erfah-
ren sie dann, dass es bei der Bundeswehr oft gar nicht um
das Weiterkommen und die Karriere geht, wie zwei von
diesen Werbeplakaten vollmundig versprechen, sondern
um frustrierende Beurteilungen und Beförderungsstau .


(Ingo Gädechens [CDU/CSU]: Na, na!)


Bei der Bundeswehr erlebt man gerade keine Stärkung
des Selbstwertgefühls, sondern häufig genug herabwür-
digende Sprüche, omnipräsente Hierarchie und Bürokra-
tie, so weit das Auge reicht .


(Ingo Gädechens [CDU/CSU]: Jetzt machen Sie die Bundeswehr schlechter, als sie ist!)


– Sie bringen mich nicht aus dem Konzept, Herr Kolle-
ge . – Insbesondere die begehrten Cyberspezialisten, die
IT-Nerds, werden von dieser Organisationskultur doch
gerade abgeschreckt .

Deshalb, Frau Ministerin, hören Sie doch bitte mit Ih-
rer Politik der verordneten Trendwenden auf . Hören Sie
auf mit den falschen Versprechungen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Gehen Sie ran an die Organisationskultur . Setzen Sie die
Arbeitszeitverordnung vernünftig um . Entrümpeln Sie
den Grundbetrieb . Stellen Sie das Personalamt endlich
in den Dienst der Soldatinnen und Soldaten . Nur so – mit
ehrlichen Reformen – kann die Bundeswehr auf dem
Weg zu einer modernen Streitkraft wirklich vorankom-
men .

Vielen Dank .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1821307800

Vielen Dank . – Als nächste Rednerin hat die Kollegin

Gisela Manderla von der CDU/CSU-Fraktion das Wort .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Gisela Manderla (CDU):
Rede ID: ID1821307900

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kollegen und

Kolleginnen! Liebe Soldatinnen und Soldaten! Wer sich
heutzutage in dieser durchzivilisierten Gesellschaft für
den Dienst in der Bundeswehr entscheidet und damit für
die unterschiedlichen Strapazen und Belastungen, priva-
te und persönliche Entbehrungen, langer Zeiten der Tren-
nung von der Familie und vieles mehr, der hat – das hat
sich heute gezeigt – die umfassende Unterstützung nicht
nur des Verteidigungsausschusses, sondern des ganzen
Hauses verdient . Ja, die Soldaten und Soldatinnen haben
ein Anrecht darauf, liebe Kollegen und Kolleginnen . Da
geht es nicht um ein Gefühl . Auch geht es dabei nicht
darum, die Bundeswehr, das Ministerium sowie die Sol-
daten und Soldatinnen immer nur schlechtzureden .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Diese Unterstützung, dieses Anrecht muss meines Er-
achtens besonders für drei Bereiche gelten: erstens für
die materielle Unterstützung und Ausrüstung unserer
Soldatinnen und Soldaten, zweitens für eine tiefgreifen-

de Verankerung der Streitkräfte in der Mitte der Gesell-
schaft, und drittens geht es um den Schutz unserer Sol-
daten und Soldatinnen bzw . um die Gewährleistung ihrer
Grundrechte nach innen wie nach außen .

Insbesondere für den dritten Punkt, den Schutz, hat der
Deutsche Bundestag mit dem Amt des Wehrbeauftragten
eine  ganz  besondere  Institution  geschaffen, welche  die 
Fürsorgeverantwortung des Hauses für die Menschen in
unseren Streitkräften widerspiegelt . Ich möchte Ihnen,
Herr Dr . Bartels, sowie Ihren Mitarbeiterinnen und Mit-
arbeitern ganz herzlich für Ihre Arbeit danken .

Anregen möchte ich auch, dass wir den Bericht dem-
nächst zeitnah nach Ende des jeweiligen Jahres beraten
können . Jetzt über 2015 zu reden – das ist ja schon meh-
rere Male angesprochen worden –, ist nicht so sinnvoll .
Aber die Ministerin hat ja schon die anstehenden Dinge
genannt .

Angesichts der verschiedenen Entwicklungen in der
Bundeswehr und angesichts eines ganzen Bündels alter
und vor allen Dingen neuer Aufgaben fällt einem im Jah-
resbericht besonders eines auf: Die Eingabequote sinkt
zum dritten Mal in Folge . Auf jeweils 1 000 Soldaten
und Soldatinnen gab es genau 24 Eingaben . Natürlich
muss jede Eingabe ernst genommen werden . Manch eine
Eingabe deckt Missstände und Fehlentwicklungen auf,
denen der Dienstherr dann nachgehen kann . Insofern ist
dieser Jahresbericht ein ausgesprochen nützliches Doku-
ment, nämlich einerseits für die Soldatinnen und Solda-
ten, die sich außerhalb des regulären Dienstweges an eine
neutrale und objektive Instanz wenden können, und an-
dererseits für den Dienstherrn, der über den Jahresbericht
einen noch besseren Überblick über die innere Verfasst-
heit seines Personals bekommt .

Angesichts der Größe des Personalkörpers, der Gott
sei Dank aufwächst, läuft offenkundig eine Menge ganz 
gut und richtig in der Bundeswehr – und das, meine Da-
men und Herren, obwohl sich unsere Streitkräfte in ei-
nem tiefgreifenden Wandel befinden und sich umfassend 
neu ausrichten auf alte und neue Herausforderungen, de-
nen sich Deutschland gegenübersieht, liebe Kolleginnen
und Kollegen . Dies deckt sich auch mit Erfahrungen, die
ich in vielen Gesprächen mit den Soldatinnen und Solda-
ten im Inland, aber auch in den Einsatzgebieten geführt
habe . Deren hohe Leistungsbereitschaft, deren Willen,
sich einzubringen, müssen wir aktiv flankieren und un-
terstützen . Und das geschieht auch .

Besonders vor dem Hintergrund neuer Einsatzszenari-
en und eines Wandels der Rolle Deutschlands in der Welt
ist der Umbau der Bundeswehr von einer Wehrpflicht- zu 
einer Freiwilligenarmee eine besonders anspruchsvol-
le Aufgabe, die auch haushalterisch zu hinterlegen ist .
Wir haben begonnen, diesen Weg zu gehen, und haben
den Einzelplan 14 mit mehr Mitteln ausgestattet . Die-
sen Weg, liebe Kollegen und Kolleginnen, müssen wir
mit aller Entschlossenheit fortsetzen; denn – da hat die
Kollegin Wagner recht – nach 25 Jahren auf der Haus-
haltsbremse und der daraus resultierenden materiellen
wie personellen Auszehrung der Bundeswehr können die
Probleme nicht über Nacht gelöst werden und nicht mit

Doris Wagner






(A) (C)



(B) (D)


einer einmaligen Erhöhung des Etats . Da muss noch ei-
niges folgen .


Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1821308000

Frau Kollegin, Sie müssen zum Schluss kommen .


Gisela Manderla (CDU):
Rede ID: ID1821308100

Danke schön, Frau Präsidentin . – Meine sehr verehr-

ten Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen,
noch einmal herzlichen Dank an den Wehrbeauftragten
für seinen Bericht . Ich wünsche den Soldaten und Solda-
tinnen im Einsatz, dass sie gesund nach Hause kommen .
Wir als CDU/CSU-Fraktion werden uns weiterhin für
unsere Soldatinnen und Soldaten einsetzen .

Vielen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1821308200

Als letzter Redner hat der Kollege Reinhard Brandl

das Wort . – Ich habe die herzliche Bitte, die vereinbarte
Redezeit einzuhalten .


Dr. Reinhard Brandl (CSU):
Rede ID: ID1821308300

Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kolle-

gen! Einen Vorteil hat es schon, Frau Ministerin, wenn
wir jetzt den Bericht von 2015 diskutieren: Wir können
nämlich direkt vergleichen, was 2016 alles passiert ist .
Ihr Haus arbeitet da ja sehr transparent . Wir haben Mit-
te 2016 einen Bericht bekommen, was das BMVg alles
tun möchte, und wir haben Ende 2016 von Staatssekretär
Grübel einen Bericht bekommen, was es nach dem Be-
richt des Wehrbeauftragten 2015 bereits alles getan hat .


(Ingo Gädechens [CDU/CSU]: Sehr gut!)


Bei diesen Berichten wird eines deutlich: Die Ministe-
rin legt nicht die Hände in den Schoß,


(Ingo Gädechens [CDU/CSU]: Nein!)


und wir im Parlament ziehen nicht die Köpfe ein und
warten nicht darauf, dass das Unwetter in Form der Si-
cherheitslage vielleicht an uns vorüberzieht, sodass wir
bei schönem Wetter mit Sonnenschein und Frieden wie-
der aufwachen . Nein, vielmehr wird deutlich: Wir haben
gemeinsam gehandelt, die Bundeswehr für ihre Aufga-
ben heute besser auszurüsten .

Der Bundeshaushalt ist bereits angesprochen worden .
Ich möchte beispielhaft ein paar Elemente aus dem Be-
richt von Staatssekretär Grübel nennen .

Nehmen wir als Beispiel – es ist heute schon öfter an-
gesprochen worden – den Mangel an geschützten Fahr-
zeugen . Im letzten Jahr sind über 1 000 Pkws und Lkws
zugelaufen .

Nehmen wir als Beispiel die Kampfausrüstung – sie
wurde von den Soldaten immer wieder bemängelt –: Im
letzten Jahr sind 5 000 Sätze moderner Kampfbekleidung
und 5 500 Schutzwesten für die Soldaten zugelaufen .


(Beifall der Abg . Julia Obermeier [CDU/ CSU])


Nehmen wir als Beispiel das Personal . Ein Talentpool
wurde eingerichtet, Möglichkeiten der Onlinebewer-
bung wurden verbessert . Über viele Werbemaßnahmen
stolpern wir tatsächlich jeden Tag, wenn wir durch die
Straßen gehen . Sie mögen jetzt nicht jedem gefallen; aber
vielleicht gehört ja auch nicht jeder von uns der entspre-
chenden Zielgruppe an .


(Dr . Tobias Lindner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich kann YouTube bedienen! Keine Sorge!)


Nichtsdestotrotz geben die Zahlen der Ministerin recht:
Die Bewerberzahlen steigen, und der Frauenanteil inner-
halb der Bundeswehr steigt auch .

Meine Damen und Herren, es ist nicht alles gut und
schön bei der Bundeswehr; das will ich mit diesem State-
ment gar nicht zum Ausdruck bringen . Wir haben einige
Probleme, die strukturell bedingt sind . Die Sicherheits-
lage hat sich in den letzten Jahren massiv verändert . Das
Aufgabenspektrum hat sich massiv verändert . Vor drei
Jahren hat niemand hier eingeplant, dass die Bundeswehr
ein Bataillon nach Litauen verlegen wird . Sie tut es doch .
Sie tut es gut . Sie muss es tun, obwohl ihre Strukturen
nicht darauf ausgelegt sind . Das führt zu Engpässen beim
Personal . Das führt zu Engpässen beim Material .

Aber, meine Damen und Herren, nicht alles das, was
der Wehrbeauftragte des Bundestages aufgeschrieben
hat, hängt mit der veränderten Sicherheitslage zusam-
men . Wenn, wie wir in dem Bericht lesen, in einer Kaser-
ne die Wasserversorgung nicht richtig funktioniert und
ständig Legionellen auftreten, dann sind daran weder
Russland noch der IS schuld . Oder wenn – das können
wir da auch lesen – ein Vorgesetzter seinen Untergebe-
nen als „Wurst“ bezeichnet, dann ist das schlicht und ein-
fach Ausdruck fehlender Führungsverantwortung . Daran
muss die Bundeswehr arbeiten .

Wenn ich unter 2016 den Strich ziehe, dann kann ich
feststellen, dass die Bundeswehr 2016 jeden Tag besser
geworden ist .


(Ingo Gädechens [CDU/CSU]: Ja!)


Um diesen Prozess aber fortzusetzen, müssen Probleme
benannt werden . Das Ministerium tut das, wir alle hier
im Parlament tun das, und der Wehrbeauftragte tut das .
Insofern freue ich mich, meine Damen und Herren, auf
den Bericht, den er nächste Woche für 2016 vorlegen
wird . Es wird auch für unsere Arbeit wieder eine Menge
Ansatzpunkte geben . Aber dafür sind wir ja da .

In diesem Sinne: Herzlichen Dank für Ihre Aufmerk-
samkeit .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg . Gabi Weber [SPD])



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1821308400

Danke, auch dafür, dass Sie innerhalb der Redezeit

geblieben sind .

Damit, liebe Kolleginnen und Kollegen, schließe ich
die Aussprache .

Gisela Manderla






(A) (C)



(B) (D)


Wir kommen zu der Beschlussempfehlung des Ver-
teidigungsausschusses zu dem Jahresbericht 2015 des
Wehrbeauftragten; das sind die Drucksachen 18/7250
und 18/9768. Der Ausschuss empfiehlt, in Kenntnis der 
Unterrichtung eine Entschließung anzunehmen . Darüber
werden wir jetzt abstimmen . Wer stimmt für diese Be-
schlussempfehlung des Ausschusses? – Gibt es jeman-
den, der dagegenstimmt oder sich enthält? – Damit ist
diese Beschlussempfehlung einstimmig angenommen
worden, und ich schließe diesen Tagesordnungspunkt .

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 26 auf:

Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Bildung, Forschung
und Technikfolgenabschätzung (18 . Ausschuss)

zu dem Antrag der Fraktionen der CDU/CSU
und SPD

Dem Frieden verpflichtet – Friedens- und
Konfliktforschung stärken

Drucksachen 18/10239, 18/10849

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 38 Minuten vorgesehen . Gibt es dazu
Widerspruch? – Das ist nicht der Fall . Dann ist das so
beschlossen .

Ich kann die Aussprache eröffnen. Als erste Rednerin 
in der Aussprache hat Dr . Claudia Lücking-Michel das
Wort für die CDU/CSU-Fraktion .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Dr. Claudia Lücking-Michel (CDU):
Rede ID: ID1821308500

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Verehrte Gäste! Einen ganzen Morgen lang haben wir
jetzt schon über Bundeswehreinsätze und die Bundes-
wehr im Plenum gesprochen . Jetzt endlich rufen wir das
Thema  „Friedens-  und  Konfliktforschung“  auf.  Stoff 
genug haben wir offensichtlich. Trotzdem wird die Re-
levanz dieses Forschungsgebietes durchaus von einigen
Kollegen infrage gestellt . Aber unser Antrag zeigt, dass
wir das ganz anders sehen . Gleichzeitig zeigt er auch die
Komplexität des Themengebietes . Einige Anmerkungen
dazu:

Erstens. Friedens- und Konfliktforschung ist vor allen 
Dingen eines: interdisziplinär . Wenn sie auch traditionell
politikwissenschaftlich geprägt war, so umfasst sie jetzt
viele Fachgebiete: Jura, Geistes- und Sozialwissenschaf-
ten, Theologie, Ethnologie und natürlich auch die Na-
turwissenschaften . Denken Sie nur an die Rüstungskon-
trolle . Eine Vielzahl von Disziplinen ist gefragt und ihre
Expertise dringend nötig; denn die zahlreichen Konflikte 
überall auf der Welt haben niemals nur eine einzige Ursa-
che . Entsprechend kann man ihnen sinnvollerweise auch
nicht nur mit einem einzigen Ansatz begegnen .


(Ralph Lenkert [DIE LINKE]: Sehr wahr!)


Nur auf Militär zu setzen, geht nicht . Aber leider gilt
oft genug: Mit militärischen Mitteln muss man erst be-
waffnete Konflikte so weit beenden, dass die Vorausset-
zungen geschaffen  sind  für Verhandlungen und weitere 

Maßnahmen . Erst dann kann man sinnvoll an Aussöh-
nung arbeiten, rechtsstaatliche Strukturen aufbauen und
gute Regierungsführung ermöglichen . In diesen schwie-
rigen Situationen ist jedenfalls eines unbedingt nötig:
klare Analysen, um informierte und kluge politische Ent-
scheidungen treffen zu können.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Zweitens.  Friedens-  und  Konfliktforschung  befasst 
sich mit einem breiten Themenfeld; denn es hat wenig
Sinn, zwischen- und innerstaatliche Konflikte als einzel-
ne, isolierte thematische Blöcke zu untersuchen . In den
Blick nehmen muss man immer ganze Kontexte . Kon-
flikte sind etwa Ursache für Flucht und Vertreibung, und 
die Folgen von Flucht und Vertreibung sind oft genug
wieder Ursachen für neue Konflikte. 

Ein  Beispiel  will  ich  aufführen: Aktuell  fördert  das 
BMBF ein Verbundprojekt „Flucht: Forschung und
Transfer“, das Erkenntnisse über Gewaltmigration und
Fluchtursachen bündelt . Diese Fluchtforschung bezieht
explizit die Auswirkungen von Gewalterfahrungen mit
ein . Wir wissen es: Sie sind für die Radikalisierung
von Menschen oft von zentraler Bedeutung . Es geht in
dem Projekt aber auch um die spätere Reintegration von
Flüchtlingen . So wird analysiert, wie die Rückkehr von
Geflüchteten in ihre Herkunftsländer irgendwann einmal 
gelingen kann, ohne dass vor Ort gleich wieder neue
Konflikte  geschaffen werden, welche Bedingungen  da-
für in der Heimat geschaffen werden müssen, aber auch, 
welche in der Zwischenzeit in den Aufnahmeländern .

Zunehmend – das wird jetzt schon klar – geht es also
auch um Themen, die uns hier in Deutschland direkt
betreffen. Es geht um  innere Sicherheit und die Bedin-
gungen gesellschaftlichen Friedens hier bei uns . Hoch-
aktuell  ist  das  Projekt  zur  Erforschung  des  Salafismus 
in Deutschland, das von der Hessischen Stiftung Frie-
dens- und Konfliktforschung in den letzten zwei Jahren 
durchgeführt wurde . Es liefert einen Überblick über das
Wissen,  das wir  bei  uns  über  Salafismus  schon  haben, 
aber auch darüber, welche Daten und Erkenntnisse uns
noch fehlen, zum Beispiel über Anwerbepraktiken, um
daraus wirkungsvolle Maßnahmen zur Prävention ablei-
ten zu können .

Noch ein Drittes will ich sagen: Akteure der Friedens-
und  Konfliktforschung  sind  ebenso  vielfältig  wie  die 
Disziplinen und die Themen . Sie arbeiten aus sehr unter-
schiedlichen Perspektiven . Schauen wir einmal auf die
Akteure: Hier gibt es ein Spektrum von der Universität
der Bundeswehr über das Institut für Friedensforschung
und Sicherheitspolitik an der Uni Hamburg bis hin zum
Leibniz-Institut in Form der Hessischen Stiftung . Wir
fördern diese Träger in der ganzen Breite und sollten dies
bewusst auch in Zukunft tun, sei es über die sogenannten
Area Studies, die soziale, kulturelle und politische Ge-
gebenheiten für bestimmte Regionen untersuchen, sei es
über die Deutsche Stiftung Friedensforschung, die ihrer-
seits Förderangebote für Dritte ausschreibt .

In der Debatte über unseren Antrag im Forschungsaus-
schuss wurde schon deutlich, dass die Kollegen von der

Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn






(A) (C)



(B) (D)


Linken  der  deutschen  Friedens-  und Konfliktforschung 
gerne pauschal Regierungsnähe unterstellen .


(Heiterkeit der Abg . Dr . Ute Finckh-Krämer [SPD])


Umgekehrt halten einige CDU/CSU-Kollegen, also Kol-
legen von mir, die ganze Szene für links unterwandert .


(Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD)


Ich finde, wenn sich beide Seiten aufregen, ist das schon 
einmal kein schlechtes Zeichen .


(Beifall bei der SPD)


Denn mir ist eine plurale Trägerstruktur in diesem For-
schungsfeld besonders wichtig . Wir sollten als Politiker
nicht bestimmte Träger bevorzugen oder gar Ergebnisse
in Auftrag geben, sondern unsere Aufgabe sollte es sein,
einen Rahmen zu setzen, in dem die verschiedensten Ak-
teure unabhängig forschen können .

Wir haben aber durchaus auch einige sehr konkrete
Anliegen . So formuliert unser Antrag, dass wir in Zu-
kunft einen noch deutlich verstärkten Wissenstransfer
von der Forschung in Gesellschaft und Politik haben
wollen . Im besten Fall liefert die Forschung fundierte
Hintergrundinformationen für unsere politisch aktuel-
len Entscheidungen, liefert unabhängige Bewertungen
für die praktische Politik und zeigt neue Handlungsop-
tionen auf . Jetzt höre ich schon die Kritiker sagen: Aber
die Forschungsergebnisse kommen doch immer zu spät .
Schauen Sie doch einmal, wie viele Konflikte Sie nicht 
verhindern konnten . Und: Für die Suche nach Lösungen
sind sie nicht verwertbar . – Das stimmt so nicht .


(Beifall bei der SPD – Ralph Lenkert [DIE LINKE]: Genau!)


Vorab will ich sagen: Grundlagenforschung hat ihren
Sinn auch dann, wenn ihre Ergebnisse nicht direkt an-
gewendet werden können . Diese Binsenweisheit jeder
Wissenschafts- und Forschungspolitik gilt auch für die
Friedens- und Konfliktforschung. Doch dann gilt selbst-
verständlich auch: Es gibt Anwendungsnutzen . Das zeigt
allein schon die Tatsache, wie oft Expertise von den ver-
schiedenen Ministerien angefordert wird .


(Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Na ja! Und dann ignoriert wird! Ob man das Wissen auch nutzt, ist die Frage!)


Ein Beispiel will ich nennen . Das BMZ hat im letzten
Jahr erstmals eine Strategie zu Religion und Entwick-
lung vorgelegt und dazu auf Ergebnisse von Forschungs-
projekten  zurückgegriffen,  die  aus  dem  Hamburger 
GIGA-Institut kamen . In einem Projekt wird die Rolle
von Religionen in Konflikten untersucht. Wichtig ist: Da-
bei zeigt sich, dass Religion nicht nur etwa oft Ursache
für die gewaltsame Eskalation von Konflikten ist – wie 
ich es oft genug in öffentlichen Debatten höre –, sondern 
auch umgekehrt eine Rolle spielt, wenn es darum geht,
Konflikte zu befrieden oder einzudämmen. Ebenso wird 
dort untersucht, inwiefern Religion positiv nachhaltige
Entwicklung in einer Community befördern kann . Hier
findet  also Forschung begleitend zu Politikentwicklung 
statt .

Das gilt übrigens auch für das schon erwähnte Sala-
fismus-Projekt. Forschungsergebnisse wurden nicht nur 
den Fachpolitikern kommuniziert, sondern sie waren
auch Inhalt von Kurzfilmen und Blogs. Diese Kurzfilme 
gehören seit Mitte 2016 übrigens zum Standardlehrmate-
rial für die Aus- und Weiterbildung von Polizeibeamten
in Baden-Württemberg . Das nenne ich mal einen gelun-
genen Transfer .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


In anderen Punkten unseres Antrags machen wir je-
doch auch deutlich, wie wichtig es ist, dass es eine unvor-
eingenommene Evaluierung des gesamten Forschungs-
feldes – am besten durch den Wissenschaftsrat – gibt, um
Erkenntnisse darüber zu gewinnen, was man verbessern
kann . Ich bin überzeugt: Die Ergebnisse der Evaluierung
werden auch Hinweise für eine zukünftige auskömmli-
che Finanzierung dieses Forschungsfeldes geben .

Zum Schluss möchte ich noch kurz auf ein drittes An-
liegen in unserem Antrag eingehen . Ich nenne nur ein
Schlagwort: Es geht uns um internationale Vernetzung
und Austausch, auch und gerade für das hier adressierte
Feld .

Mit unserem Antrag wollen wir der Friedens- und
Konfliktforschung  die  dringend  nötigen  neuen  Impulse 
geben . Ich bitte Sie: Stimmen Sie dafür!

Danke schön .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1821308600

Vielen Dank . – Als nächster Redner hat Ralph Lenkert

für die Fraktion die Linke das Wort .


(Beifall bei der LINKEN)



Ralph Lenkert (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1821308700

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Geehrte Damen und

Herren! Wie sieht es in vielen arabischen Regionen aus?
Ein ausgetrocknetes Flussbett liegt in gleißender Sonne,
am Ufer stehen ein paar ärmliche Häuser mit abgestor-
benen Obstbäumen, und auf der staubigen Straße verab-
schiedet sich eine Familie von den Großeltern . Infolge
der Erderwärmung stieg die Temperatur, und seit vier
Jahren hat es nicht geregnet . Um zu überleben, muss die
Familie in die Großstadt ziehen . Ihr Ackerland verwaist .
Nur die Alten bleiben zurück .

Tausende Bauern und Hirten verloren wegen der
Dürre ihre Existenzgrundlage und zogen in die Städte .
Behörden, Infrastruktur, Sozialsysteme sind dem An-
sturm nicht gewachsen . Die Spannungen zwischen den
Menschen nehmen  in dem Maße zu, wie Binnenflucht, 
Armut, aber auch Reichtum wachsen . Auf beginnende
Proteste der Bevölkerung reagiert der autokratische Prä-
sident mit Repressalien . Religiöse Fanatiker und Natio-
nalisten wittern ihre Chance . Das Land steuert auf einen
Bürgerkrieg zu .

Genau dieses Szenario – Dürre, Landflucht, übervöl-
kerte Städte, innere Spannung, Bürgerkrieg – entstammt

Dr. Claudia Lücking-Michel






(A) (C)



(B) (D)


einer wissenschaftlichen Studie von 2012 . Diese Studie
schlägt auch Gegenmaßnahmen vor: Investitionen in
wirtschaftliche Entwicklung, zum Beispiel in erneuer-
bare Energien, damit Meerwasser preiswert entsalzt und
zur Bewässerung genutzt werden kann, in die Unterstüt-
zung der Landbevölkerung zur Bewältigung der neuen
klimatischen Bedingungen . Es geht also um eine lokale
wirtschaftliche Entwicklung, von der die Gesellschaft
vor Ort profitiert. 


(Beifall bei der LINKEN sowie der Abg . Dr . Daniela De Ridder [SPD] und Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Das hilft, Spannungen und Konflikte zu reduzieren. Wirt-
schaftskrisen und wachsende Einkommensunterschiede
dagegen verstärken die Probleme .

Die Studie ist eine beeindruckende Vorhersage für den
nordafrikanischen bzw . arabischen Raum und stammt
von einer regierungsnahen, einer von uns eigentlich nicht
so sehr geliebten Organisation, nämlich der Bundeswehr,


(René Röspel [SPD]: Schau an!)


dem Dezernat „Zukunftsanalysen“ des Planungsamtes
der Bundeswehr . Diese Studie sagt geradezu prophetisch
die Entwicklung des syrischen Bürgerkrieges voraus .
Kannten Sie, liebe Damen und Herren von der Koaliti-
on, diese Studie mit dem Titel „Umweltdimensionen von
Sicherheit“? Wenn nein, frage ich mich: Nehmen Sie die
Bundeswehr ernst? Und wenn ja, muss ich feststellen:
Sie ignorieren die Ergebnisse, die Ihnen nicht passen .


(Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: So ist das!)


Aber egal, ob ja oder nein: Angesichts dieses Umgangs
mit der Bundeswehrstudie frage ich Sie: Werden Sie
zukünftig die Ergebnisse der Friedens- und Konfliktfor-
schung, deren Stärkung Sie hier fordern, auch berück-
sichtigen?


(Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Nein, werden sie nicht machen! – Gegenruf von der CDU/CSU: Doch!)


Der Bürgerkrieg in Syrien hätte verhindert werden
können . In der rückblickenden Analyse zum Syrien-Kon-
flikt des Instituts für Friedensforschung und Sicherheits-
politik, Hamburg, werden neben dem Klimawandel wei-
tere Faktoren genannt, die innersyrische Spannungen
verschärften: einbrechende Einnahmen aus dem Ölex-
port, die vom Westen erzwungene Liberalisierung der
Wirtschaft, die fehlende soziale Verantwortung des Re-
gimes, ineffiziente Verwaltungsstrukturen, und dann kam 
die Dürre obendrauf . Jeder normal denkende Mensch
weiß: Wenn man in so eine Krisenregion Waffen liefert, 
wie es deutsche Firmen getan haben, dann legt man die
Zündschnur .


(Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Das Zauberwort ist „normal denkend“!)


Deshalb lehnt die Linke Waffenexporte strikt ab. Die 
Linke fordert fairen Handel statt Freihandel, mehr Gelder

für Entwicklung und die Unterstützung des Ausbaus der
erneuerbaren Energien .


(Beifall bei der LINKEN – Dr . Philipp Lengsfeld [CDU/CSU]: Und Freibier für alle!)


Hätte  man  2012  diese  Maßnahmen  ergriffen,  würden 
Hunderttausende Syrer vielleicht noch leben, wären Mil-
lionen nicht auf der Flucht . Aber der Prophet gilt im ei-
genen Hause bekanntlich nichts .


(Dagmar Ziegler [SPD]: Ich wusste gar nicht, dass die Linken Propheten sind!)


Wahrscheinlich ignorieren Sie deshalb seit Jahren unsere
Warnungen und Forderungen und sogar die Informatio-
nen der Bundeswehr .

Ich freue mich trotzdem über den Antrag der Koali-
tion und habe die Hoffnung, dass Sie vielleicht zukünf-
tig die Ergebnisse der Forschung übernehmen werden,
auch wenn in diesem Antrag sehr wenig Konkretes steht .
Die Linke wird alles unterstützen, was Kriege verhindert
oder beendet, Frieden sichert und Frieden schafft – ohne 
Waffen.

Vielen Dank .


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1821308800

Vielen Dank . – Als nächster Redner hat René Röspel

für die SPD-Fraktion das Wort .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



René Röspel (SPD):
Rede ID: ID1821308900

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Vielleicht ist es sogar bezeichnend, dass wir
an einem Mittag kurz vor dem Wochenende, nachdem
über die Militäreinsätze gesprochen und der Bericht des
Wehrbeauftragten gegeben worden ist, noch über Frie-
dens- und Konfliktforschung reden, sozusagen am Ende 
der Sitzungswoche .


(Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Hättet ihr ja drehen können!)


Ich kann mich noch gut an die Zeit erinnern, als ich in
dem Alter vieler der Zuhörer hier war: 1979 saß ich vor
dem Fernseher und betrachtete entsetzt die sowjetische
Armee, die in Afghanistan einmarschierte, und ich war
nicht sicher, was passieren würde . Ihr in der DDR werdet
das vielleicht anders gesehen und anders beurteilt haben .


(Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Ich bin Sachse mit Migrationshintergrund! – Zuruf des Abg . Dr . Philipp Lengsfeld [CDU/CSU])


Es gab ein paar Tage und Wochen Diskussionen, in denen
begründet wurde, warum das passiert, und dann ist das
Thema schnell wieder verschwunden, und man hat Jahre
nichts davon gehört .

Mir, wie vielen Millionen anderer Menschen, begeg-
nete das Thema Afghanistan erst wieder, als James Bond
in dem Kinofilm Der Hauch des Todes von den afgha-

Ralph Lenkert






(A) (C)



(B) (D)


nischen Mudschaheddin, den Glaubenskriegern, gerettet
wurde, und das waren dann offenbar die Guten. Das The-
ma ist dann wieder verschwunden, und im März 2001
ging ein Erschrecken durch die Weltbevölkerung, weil
die Taliban die Buddha-Statuen in Bamiyan, die zum
Weltkulturerbe gehörten, zerstörten . Die Welt war über
diesen Kulturfrevel entsetzt . Ein halbes Jahr später muss-
te dann der Bundestag hier entscheiden, ob er sich militä-
risch an einem Einsatz in Afghanistan beteiligt .

Viel differenzierter als der Krieg in Afghanistan sind 
in den 90er-Jahren die Golfkriege betrachtet worden . Sie
waren viel mobilisierender . Tausende von Menschen, da-
runter Kinder und Schüler, sind auf die Straße gegangen .
Damals war der Irak unter Saddam Hussein sozusagen
das Bollwerk des freien Westens gegen den Iran unter
dem Ajatollah Chomeini . Das ändert sich relativ schnell .
Irgendwann Jahre später wurde dann Saddam Hussein
der Gegner und der Böse in einer Auseinandersetzung,
bei der es um viel mehr ging als um Frieden in der Golf-
region, nämlich auch um wirtschaftliche Interessen .

Als  in Libyen die Gelegenheit bestand, Gaddafi  los-
zuwerden, waren viele Länder versucht – sie haben es
auch gemacht –, Gaddafi zu stürzen, nicht wissend, was 
eigentlich in dem Land und mit dem Land danach pas-
sieren wird .

Wenn man die fürchterlichen Bilder aus Syrien sieht –
so geht es mir jedenfalls –, weiß man nicht, wer bei dem
Konflikt gerade mit wem gegen wen wofür kämpft. Am 
Ende ist die Frage: Wer sind eigentlich die Guten und wer
die Bösen? Die Antwort darauf wird es so nie geben, weil
das ganze Feld sehr komplex ist .

Wer sind eigentlich diejenigen, die Kriege anfangen?
Wie entstehen Konflikte? Wo ist Konfliktpotenzial? Was 
sind die Ursachen von Kriegen? Ralph Lenkert hat ja
einige angesprochen . Was werden die neuen Herausfor-
derungen sein? Zum Beispiel der Klimawandel oder die
Tatsache, dass Menschen nicht mehr in ihrer Region le-
ben können, weil sie dort kein Wasser haben, keine Chan-
ce auf Arbeit, ihre Ernährung nicht sicherstellen können,
weil es dort unterschiedliche Ethnien gibt, die aufgrund
bestimmter Bedingungen als Land zusammengeschweißt
wurden – wie geht man mit solchen Fragen um?

Wenn es um die Antworten geht, braucht Politik im-
mer Hilfe und Beratung . Das Beste wäre, wenn man eine
Friedens-  und  Konfliktforschung  hätte,  die  eindeutige 
Antworten geben kann . Das ist im seltensten Fall so .
Aber es ist wichtig, dass es eine solche Friedens- und
Konfliktforschung gibt. Wir  sind  in Deutschland exzel-
lent aufgestellt . Ich habe in meiner vor einigen Wochen
zu Protokoll gegebenen Rede viele Institute aufgezählt,
auf die wir stolz sein können . Sie verrichten gute Arbeit .
Ihre Analysen und Äußerungen werden häufig nicht ge-
nug beachtet, aber sie geben wichtige Anhaltspunkte für
politische Entscheidungen .

Ein wichtiger Impuls, den wir als Koalition mit die-
sem Antrag setzen, ist, dass wir der Friedens- und Kon-
fliktforschung einen anderen Stellenwert geben und  für 
Kontinuität und Verlässlichkeit sorgen wollen . Auch das
ist ein wesentlicher Vorteil dieses Antrags: Wir reden

über dieses Thema, während die Opposition in dieser
Frage leider keinen Vorstoß gemacht hat .


(Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das kann bei allem anderen schon passieren!)


Ich finde sogar, dass Friedens- und Konfliktforschung so 
verlässlich  und  kontinuierlich  finanziert  werden  sollte, 
wie wir es beim Pakt für Forschung und Innovation ma-
chen, in dessen Rahmen wir technische Wissenschaften
und viele andere mit 3 Prozent jährlich fördern .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ausdrücklich will ich an dieser Stelle – meine Rede-
zeit ist kurz – Claudia Lücking-Michel für ihr Engage-
ment danken und dafür, dass der Antrag, über den wir
hier reden, überhaupt zustande gekommen ist . Das war
nicht ganz einfach . Wir haben bei dem gemeinsamen An-
trag  für  Friedens-  und Konfliktforschung  vieles  abspe-
cken müssen . Es ist auch dein Verdienst, dass es möglich
geworden  ist,  dass wir  diesen  Impuls  setzen.  Ich  finde 
es ausdrücklich schade, dass wir gerade aus den Reihen
der Verteidigungspolitiker der Union immer wieder auf-
gefordert wurden, das Ganze abzuspecken oder zu redu-
zieren .

Ich will an dieser Stelle sagen: Wir haben in diesem
Haushalt den Verteidigungsetat gegenüber dem letzten
Jahr um 2 700 Millionen Euro erhöht . Angesichts der
Krisen und Katastrophen, angesichts der Notwendig-
keit, mehr  darüber  zu wissen, wie Konflikte  entstehen, 
wie man sie vielleicht verhindern kann und wie man
Abrüstung und Rüstungskontrolle machen kann, müsste
es doch eigentlich ein paar Millionen mehr für Friedens-
und Konfliktforschung  geben,  um  an  den Ursachen  zu 
arbeiten .


(Beifall bei der SPD – Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und Herr Gabriel müsste anders entscheiden!)


Ganz herzlich bedanken möchte ich mich auch bei
den vielen in der Bevölkerung, die seit Jahrzehnten in
der Friedensbewegung immer wieder daran gearbeitet
haben, Ursachen differenziert zu betrachten und auf sie 
hinzuweisen . Sie erlauben mir, dass ich stellvertretend an
dieser Stelle ganz herzlich Günter Sauerbier danke, der
in einigen Minuten in Hagen einen Friedenspreis für sein
Lebenswerk, für seine Arbeit bei Pax Christi bekommen
wird . Menschen wie er sind es, die unsere Gesellschaft
besser machen; von diesen brauchen wir viel mehr . Ich
wünsche Ihnen viele gute Erkenntnisse und dass wir bei
der Friedens- und Konfliktforschung besser werden.

Vielen Dank .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1821309000

Vielen Dank . – Als nächster Redner hat Kai Gehring

für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das Wort .

René Röspel






(A) (C)



(B) (D)



Kai Gehring (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1821309100

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

An diesem Tag einer tiefen Zäsur in den USA diskutieren
wir über die Perspektiven der Friedens- und Konfliktfor-
schung  hierzulande.  Ich  finde  das  durchaus  passend. 
Denn  das Verstehen  von Konfliktursachen,  das Verhin-
dern von Konflikten und Kriegen, mehr Prävention, Rati-
onalität und Gedankenaustausch tun den internationalen
Beziehungen gut . Anders gesagt: Postfaktische Einfalt
darf die internationale Politik nicht bestimmen; denn es
geht letztlich um den Erhalt des friedlichen Zusammen-
lebens von uns allen . Die Politik ist auf wissenschaftlich
fundierte Informationen und Empfehlungen angewiesen .
Für uns Grüne ist deshalb klar: Wir müssen die Friedens-
forschung besser ausstatten und systematisch stärken .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg . Dr . Ute Finckh-Krämer [SPD])


Die Regierung hat die Expertise der Friedens- und
Konfliktforschung in den vergangenen Jahren zu wenig 
berücksichtigt . Das muss sich dringend ändern . Die Er-
gebnisse der Friedensforschung müssen endlich stärker
in der Regierungsarbeit auf allen Ebenen Leitschnur wer-
den .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Politische Tatkraft und Weisheit können dadurch nicht
ersetzt werden . Aber die Forschung kann uns Parlamen-
tariern und auch den Regierungsmitgliedern wichtige
Entscheidungshilfen in sehr unsicheren Zeiten geben .
Genannt seien die verschärften Herausforderungen des
internationalen Terrorismus und asymmetrischer Kriegs-
führung, Attacken auf unsere digitalen Infrastrukturen
und Verteilungskonflikte – Verteilungskonflikte aufgrund 
von Ressourcenmangel, von Klimakrise, aufgrund einer
unfairen Handelspolitik oder der wachsenden Kluft zwi-
schen Arm und Reich; Kollege Lenkert hat hierzu auch
schon ausgeführt .

Notwendig sind dafür mehr interdisziplinäre und
vernetzte Forschungsansätze, wie sie in dieser Woche
im Forschungsausschuss auch mit Blick auf Flucht und
Flüchtlinge diskutiert wurden .

In ihrem Antrag listet die Koalition die wichtigsten
Forschungsinstitute im Bereich Frieden und Konflikt auf. 
Das ist verdienstvoll . Wir vermissen allerdings konkrete
Aussagen zu strukturellen Verbesserungen und zu den
Zukunftsperspektiven dieser Institute und ihrer künftigen
Finanzierungsstruktur . Die Finanzierungslücken sind ek-
latant – vor allem, wenn renommierte Institute wie die
Deutsche Stiftung Friedensforschung auf Zinszahlungen
aus ihrem relativ kleinen Stiftungskapital angewiesen
sind . Das muss sich dringend bessern .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Denn die unsichere Finanzierung ist auch eine wichti-
ge Ursache dafür, dass der wissenschaftliche Nachwuchs
in diesem so wichtigen Forschungsfeld nur schwer Fuß
fassen kann . Die Friedensforschung ist leider ein Muster-
beispiel dafür, wie unsichere Beschäftigungsperspekti-
ven zur Abwanderung hochqualifizierter Nachwuchswis-

senschaftlerinnen und -wissenschaftler führen . Diesen
Verlust an Expertise dürfen wir uns nicht länger leisten .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Wir begrüßen, dass der Wissenschaftsrat mit der
Evaluation der Friedensforschungsstrukturen beauftragt
wurde . Aus den Ergebnissen müssen wir dann aber tat-
sächlich auch Konsequenzen ziehen, vor allem zur Stär-
kung der Friedensforschung in Deutschland .

Verbesserungsbedarf sehen wir auch bei der europä-
ischen und internationalen Vernetzung . Es ist gut, dass
die Deutsche Stiftung Friedensforschung zumindest klei-
ne Pilotprojekte im internationalen Raum startet . Mehr
ist momentan nicht drin, weil die Stiftung an ihrem Limit
arbeitet . Das hat sogar der Bundesrechnungshof festge-
stellt und bemängelt . Und das sollten Sie doch ernster
nehmen, meine Damen und Herren . Das hätten Sie mit
Ihrem Antrag doch ändern können .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Friedensförderung  und  Konfliktprävention  sind  für 
uns Querschnittsaufgaben . Es geht dabei auch um den
Ausbau der Friedenspädagogik, um zivile Krisenpräven-
tion etwa durch den Ausbau von Austauschprogrammen,
Freiwilligendiensten und interdisziplinären internationa-
len Studiengängen . Gerade bei Letzterem könnte sich das
BMBF auch deutlich mehr anstrengen .

Friedensforschung muss unabhängig sein . Friedens-
forschung muss auch immer unbequem sein . Gerade sie
kann Ursachen für Konflikte aufdecken, die andere nicht 
sehen können oder sehen wollen – beispielsweise den
Zusammenhang zwischen steigenden Rüstungsexporten
und Fluchtursachen .

Wir sollten dies als Parlament wertschätzen und be-
rücksichtigen . Dem Koalitionsantrag merkt man aber an
genau diesen Stellen an, dass sich die Autorinnen und
Autoren der Koalition hier nicht grün sind .


(Heiterkeit)


Uns als Grünen geht es nicht nur um die Methoden
der Friedensforschung, sondern es geht uns um Inhalte,
um bessere Strukturen und um höhere Finanzmittel . Ge-
rade zu diesen wichtigen Bereichen schweigen Sie sich
in dem Antrag weitestgehend aus .

Wegen dieser Unzulänglichkeiten und Unklarheiten
können wir Ihrem Antrag leider nicht zustimmen – so
verdienstvoll es ist, dass Sie sich dem Thema überhaupt
widmen; wahrscheinlich auch, um Kürzungswünschen
von Frau Wanka etwas entgegenzuhalten .

Gleichwohl freuen wir uns auf die gemeinsame Zu-
sammenarbeit an diesem so wichtigen Thema . Spätestens
wenn die Evaluationsergebnisse des Wissenschaftsrates
vorliegen, sollten wir zu substanzielleren Antworten für
den Ausbau der Friedensforschung in Deutschland kom-
men; denn in einer Welt, die immer stärker aus den Fugen
geraten  ist, braucht es Konflikt- und Friedensforschung 
mehr denn je .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)







(A) (C)



(B) (D)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1821309200

Vielen Dank . – Als nächster Redner hat Dr . Philipp

Lengsfeld von der CDU/CSU-Fraktion das Wort .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. Philipp Lengsfeld (CDU):
Rede ID: ID1821309300

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Meine Damen und Herren! Der vorliegende Antrag hat
meine Unterstützung, obwohl sich der Titel wie eine Pa-
role aus meiner Pionierzeit in der DDR anhört .


(Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD – René Röspel [SPD]: Oha!)


Es handelt sich tatsächlich um ein wichtiges Anliegen,
insbesondere natürlich auch vor dem Hintergrund unse-
rer deutschen Geschichte – das ist hier, glaube ich, noch
nicht erwähnt worden –, aber nicht nur wegen unserer
Verbrechen . Es gibt im Zusammenhang mit der Frie-
dens-  und Konfliktforschung  einen  sehr  positiven,  bei-
spielgebenden Prozess in unserem Land . Die Wende in
der DDR, der Einigungsprozess und der Zusammenbruch
einer hochgerüsteten Diktatur praktisch ohne Blutvergie-
ßen – ein Klassiker der modernen Friedens- und Kon-
fliktforschung.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Aber  Friedens-  und  Konfliktforschung  hat  natürlich 
auch einen ganz konkreten Bezug zur aktuellen deutschen
Politik – auch das ist schon mehrfach erwähnt worden –,
insbesondere da Deutschland zur verstärkten Übernahme
internationaler Verantwortung bereit ist, wie zum Bei-
spiel im Münchner Konsens vor zwei Jahren festgestellt
wurde . Damit sind auch wir als Deutscher Bundestag in
einer besonderen Verantwortung . Es ist also folgerichtig,
dass wir uns mit dem Feld der Friedens- und Konfliktfor-
schung mehr beschäftigen und es stärken .

Die wissenschaftliche Analyse von Konfliktursachen 
ist von herausragender Bedeutung, um Fehlentwick-
lungen frühzeitig zu erkennen, Strategien für friedliche
Lösungen zu entwickeln und fundierte Entscheidungen
zu treffen; auch das ist schon gesagt worden. Ich will an 
einem konkreten Beispiel illustrieren, dass die Thema-
tik durchaus nicht nur komplex, sondern teilweise auch
hochinteressant ist . Ich greife einen Nebenaspekt der
Konfliktforschung heraus: das Thema „Begleitende My-
then“; sie sind ja oft wesentlicher Teil einer Auseinan-
dersetzung .


(Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich bin für Begleitforschung!)


Ich nehme als konkretes Beispiel die Auseinanderset-
zung um die Krim, ein aktuelles, wenn auch nicht mehr
brandaktuelles Beispiel .


(Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Oh, oh!)


Wussten Sie zum Beispiel, liebe Kolleginnen und
Kollegen, dass die Annexion der Krim durch die Russi-

sche Föderation eigentlich ein russisch-deutsches Projekt
war oder ist?


(Martin Rabanus [SPD]: Na, jetzt wird es interessant!)


So wurde es jedenfalls einer sehr erstaunten Helm-
holtz-Delegation – ich war dabei – 2014 in Moskau
anlässlich des zehnjährigen Jubiläums des Moskauer
Helmholtz-Büros von einem hochrangingen russischen
Wissenschaftler erklärt .


(René Röspel [SPD]: Der gehörte aber nicht zur deutschen Helmholtz-Gemeinschaft! – Martin Rabanus [SPD]: Ja, ja! Das postfaktische Zeitalter!)


Ich glaube, er wollte uns eine Art Kompliment machen
und um mehr Verständnis auf deutscher Seite bitten .


(Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da hat er sich ja den Richtigen ausgesucht!)


Die Lösung ist natürlich ganz einfach: Die erste russi-
sche Annexion der Krim erfolgte unter Katharina der
Großen, die als geborene Sophie Auguste Friederike von
Anhalt-Zerbst natürlich Deutsche war . Sie können sich
vorstellen, dass die deutsche Delegation in Moskau et-
was gequält gelächelt hat .


(Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir quälen uns gerade auch!)


Viel interessanter finde ich in diesem Zusammenhang 
aber, dass die Annexion 1783 von Fürst Potemkin ange-
führt wurde – er war dafür zuständig –, der mit Blick
auf einen Besuch der siegreichen Zarin Katharina auf der
Krim ebenjene berühmten, aber falschen russischen Dör-
fer errichtet hat, um der Zarin die erfolgreiche Russifizie-
rung der Krim zu demonstrieren . „Potemkinsche Dörfer“
ist ein geflügeltes Wort, nicht nur im Deutschen. 


(Zuruf von der CDU/CSU: Auch im Bundestag!)


Mich persönlich hat die Sowjetzeit immer mehr inte-
ressiert . Diesen zweiten Punkt der Krim-Mythologie will
ich nicht unerwähnt lassen, weil er die ganzen Schwierig-
keiten und Sensibilitäten einer solchen Geschichte ziem-
lich gut deutlich macht . 1954 wurde die Krim nämlich
innerhalb der Sowjetunion administrativ umgehangen:
von der Russischen SFSR zur Ukrainischen SSR .


(Ralph Lenkert [DIE LINKE]: Das stimmt!)


Dieser Vorgang wird heute von russischer Seite gerne so
dargestellt, als habe der Ukrainer Chruschtschow – qua-
si in einer Wodkalaune, ohne echten Grund, unter Bruch
selbst sowjetischer Regeln – dieses Stück Land der Ukra-
ine  unrechtmäßig  zugeschanzt  –  eine  perfide  Legende, 
die wie alle guten Lügen natürlich auch einen Teil Wahr-
heit enthält .


(Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und jetzt zum Thema!)


Chruschtschows ursprüngliche Machtbasis war die
Ukraine . Es gab nach Stalins Tod 1953 einen heftigen
Machtkampf, und die Unterstützung der ukrainischen






(A) (C)



(B) (D)


Kommunisten brauchte er dabei dringend . Nicht richtig
ist aber, dass es für diese administrative Änderung nicht
gute Gründe gab . Die Versorgung der Krim lief vor allem
über die Ukraine; das ist übrigens heute noch eine He-
rausforderung in diesem Konflikt.

Was ich an der Legende aber besonders perfide finde – 
deshalb erzähle ich sie hier –, ist die subtile nationalis-
tische Unterstellung . Mit sehr, sehr großer Wahrschein-
lichkeit – ich habe das nachgeprüft; es ist gar nicht so
einfach herauszubekommen – ist Chruschtschow näm-
lich Russe:


(Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Reden Sie doch mal zum Thema! – Dr . Frithjof Schmidt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und Molotow ist ein Cocktail!)


nach Geburtsort, nach ethnischer Herkunft und auch for-
mal gemäß den damals gültigen sowjetischen Rechtsnor-
men . An diesem vermeintlich kleinen Beispiel erkennen
Sie die Dimension dieser Art von Problematiken .

Und deshalb muss die Arbeit in der Friedens- und
Konfliktforschung  sehr  verantwortungsbewusst  betrie-
ben werden . Interdisziplinäre und internationale Zusam-
menarbeit ist absolut essenziell .

Eine gute Qualitätssicherung ist sehr wichtig; denn
Konflikte werden auch gerne mithilfe von „wissenschaft-
lichen Erkenntnissen“ angeheizt . Eine gut geförderte
Forschungslandschaft in einem sehr politischen und vor
allem sehr dynamischen Umfeld in Deutschland kann
auch die Tendenz zum Wildwuchs zeigen . Deshalb ist
mir die im Antrag festgeschriebene externe Evaluierung
durch den Wissenschaftsrat ein wichtiges Anliegen . Ich
bin mir auch sicher, dass dies völlig im Interesse des
Hauses ist .

Es ist gut und richtig – das ist heute auch schon er-
wähnt worden –, dass sich die Forschung stets auch an
aktuellen Fragestellungen ausrichten muss . Ich begrüße
es deshalb ausdrücklich, dass es ein BMBF-gefördertes
Projekt  „Salafismus  in Deutschland“  gibt;  es  ist  schon 
erwähnt worden .

Zum Abschluss kann ich mir eine Bemerkung zu un-
serer Aktuellen Stunde am Mittwoch nicht ersparen . Im
erweiterten Zusammenhang mit dem Mörder Amri aus
Tunesien brachte Dietmar Bartsch, der Vorsitzende der
Linksfraktion, die linken Standardfloskeln von den Inter-
ventionskriegen und dem Klimawandel als den tieferen
Fluchtursachen ins Spiel . Das mag in der Theorie richtig
sein . Ich sage dazu ganz ausdrücklich in Richtung der
linken Seite: Bitte unterlassen Sie im konkreten Fall auch
nur den Versuch einer Legendenbildung . Die Geschichte
des Mörders und Terroristen aus Tunesien hat weder mit
einer Intervention noch dem Klimawandel zu tun .


(Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Herr Doktor, reden Sie zum Thema!)


Und ein Flüchtling war er auch nicht . Für diese Feststel-
lung brauche ich eigentlich keine Wissenschaftler, aber
wenn es gutgemachte Untersuchungen über die wahren
Ursachen des Islamismus in Deutschland gibt, wird es

vielleicht auch anderen leichter fallen, dieser Art von Le-
gendenbildung ein klares Stoppsignal zu zeigen .

Zusammengefasst:  Friedens-  und  Konfliktforschung 
in Deutschland dient der Beförderung von friedlichen
Konfliktlösungen,  von  demokratischen  Prozessen  und 
Lösungen unter dem Leitstern von Freiheit und Men-
schenrechten .

So unterstütze ich das Anliegen der Stärkung der Frie-
dens- und Konfliktforschung – auch unter dieser blumi-
gen Überschrift .

Vielen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1821309400

Als letzte Rednerin in dieser Aussprache hat Frau

Dr . De Ridder von der SPD-Fraktion das Wort .


(Beifall bei der SPD)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1821309500

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Sehr verehrte Damen und Herren! Mit einem
solchen Ritt in die Geschichte, wie ihn gerade Philipp
Lengsfeld präsentiert hat, kann ich nicht dienen .


(Heiterkeit – Dr . Frithjof Schmidt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Macht ja nichts! – Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Gott sei Dank! Danke! Danke!)


Meiner geht nicht so weit zurück und bezieht sich auf
Gustav Heinemann . Er sagte schon – das ist 50 Jahre
her –, dass der Friede der Ernstfall sei .

Wenn ich Länderbeispiele wie Syrien, die Ukraine
und – lieber Philipp Lengsfeld, wenn ich dein Ohr ge-
winnen könnte – gern auch die Krim nenne, sehr verehrte
Kolleginnen und Kollegen, läuft – das weiß ich – in Ih-
rem Hinterkopf ein Film ab . Das sind keine paradiesi-
schen Bilder, die dann hervorgerufen werden .

Gleiches  gilt  für  die  inneren  Konflikte,  wenn  ich 
nach Europa gucke . Ich habe eine belgische Staatsan-
gehörigkeit und trage heute eine Rosette, weil ich eben-
falls wie Michael Roth ausgezeichnet worden bin . Das
deutsch-belgische Verhältnis war aber lange ein kon-
fliktträchtiges. Das  kann  ich  auch mit Blick  auf meine 
eigene Geschichte sagen . Auch das gilt es intensiver zu
betrachten . Dafür muss man auf dem europäischen Kon-
tinent bleiben .

Aber am heutigen Nachmittag werden sich viele von
uns und von Ihnen – davon bin ich überzeugt – die Amts-
übergabe an Donald Trump anschauen .


(René Röspel [SPD]: Lieber Handball!)


Sie werden dabei noch einmal mit dem Thema der Cy-
berangriffe des sogenannten Cyberwar konfrontiert wer-
den; ich komme darauf gleich zurück .

Aber bleiben wir doch – im postfaktischen Zeitalter –
bei den Fakten. Friedens- und Konfliktforschung ist ein 

Dr. Philipp Lengsfeld






(A) (C)



(B) (D)


interdisziplinäres Wissenschaftsfeld . Wir tun gut daran,
es nicht darauf zu reduzieren, dass es um geistes- und
sozialwissenschaftliche Forschung geht . Es geht auch –
auch das ist schon angesprochen worden – um Natur- und
Ingenieurwissenschaften . Das muss man entsprechend
flankieren. Auch die Juristinnen und Juristen sind hierbei 
gefordert . Politik ist gut beraten, wenn sie auf die Befun-
de der Friedens- und Konfliktforschung schaut. 


(Beifall bei der SPD – Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und sie umsetzt!)


Ich bin im Übrigen Stefan Müller sehr dankbar, der
mich immer zu den Sitzungen der Deutschen Stiftung
Friedensforschung begleitet; er ist rege und intensiv da-
bei . Es ist richtig: Wir haben mitnichten das Programm so
gelassen, wie es war . Wir haben für eine Neuaufstellung
gesorgt . Die Deutsche Stiftung Friedensforschung hat die
Empfehlung, die wir ausgesprochen haben, sehr gern auf-
genommen, nämlich dort, wo es um den Wissenstransfer
und um die Öffentlichkeitsarbeit zu den bereits erzielten 
Befunden der Friedens- und Konfliktforschung geht. Lie-
ber Stefan Müller, Lob gibt es aber nicht umsonst . Die
Deutsche Stiftung Friedensforschung verlangt in der Tat
nach einer deutlich besseren Finanzierung, insbesonde-
re – auch dies wurde erwähnt – in Niedrigzinsphasen .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann legt doch was drauf! Wer regiert denn? Wer regiert eigentlich dieses Land?)


Ich will aber auch das Leibniz-Institut Hessische
Stiftung  Friedens-  und  Konfliktforschung  nicht  uner-
wähnt lassen . Ich will das Augenmerk ebenso auf das
Deutsch-Kolumbianische Friedensinstitut in Gießen len-
ken, weil wir auch den lateinamerikanischen Teil unserer
Welt nicht aus dem Blick verlieren dürfen . Denn auch
Kolumbien hat große Probleme; das wissen wir . Viele
waren entsetzt darüber, wie der Friedensverhandlungs-
prozess ausgegangen ist .

Lassen Sie mich noch einmal deutlich machen, was wir
in der Friedens- und Konfliktforschung brauchen. In der 
Tat muss diese Forschung besser und stärker alimentiert
werden . Aber dafür bietet uns der Antrag jetzt die Mög-
lichkeit . Es geht darum, europäische Forschungsverbün-
de zu schaffen, Wissenschaftsnetzwerke zu unterstützen, 
um damit deutlich zu machen, dass es möglicherweise
eine Aufgabe der Deutschen Stiftung Friedensforschung
ist, dies mit zu flankieren.

Wenn wir über Cyberwar, Cyberkrisen und Cyberatta-
cken im Netz reden, dann müssen wir auch über die For-
schung zur Cyberresilienz reden . Dies sind neue Themen
und Schwerpunkte, die es interdisziplinär anzugehen gilt .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wir müssen auch über den wissenschaftlichen Nach-
wuchs reden . Für viele jüngere Wissenschaftlerinnen und
Wissenschaftler ist das Thema der Friedens- und Kon-
fliktforschung offensichtlich nicht mehr  so brisant. Das 
sollten wir ändern, da müssen wir mehr tun .

Es bleibt bei der Schnittstellenforschung und beim
Wissenstransfer . Auch den Gender- und Diversity-As-
pekten sollten wir uns nähern, was die Unterstützung
angeht. Flucht und Frauen oder auch ethnische Konflikte 
sind ebenfalls ein riesiges Thema .

Lassen Sie mich enden, indem ich Ihnen in Erinne-
rung rufe, was einst Willy Brandt sagte: „Krieg“ – so das
Zitat – „ist nicht mehr die Ultima Ratio, sondern die Ul-
tima  Irratio.“  Friedens-  und Konfliktforschung  beweist 
dies jeden Tag .

Vielen Dank .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1821309600

Vielen Dank . – Liebe Kolleginnen und Kollegen, da-

mit schließe ich die Debatte .

Wir kommen zur Abstimmung über die Beschluss-
empfehlung des Ausschusses für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung zu dem Antrag der Fraktio-
nen der CDU/CSU und SPD mit dem Titel „Dem Frieden
verpflichtet – Friedens- und Konfliktforschung stärken“. 
Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung 
auf Drucksache 18/10849, den Antrag der Fraktionen der
CDU/CSU und SPD auf Drucksache 18/10239 anzuneh-
men . Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer
stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist diese
Beschlussempfehlung mit den Stimmen der Koalition
ohne Gegenstimmen bei Enthaltung der Opposition an-
genommen worden . – Damit schließe ich diesen Tages-
ordnungspunkt, liebe Kolleginnen und Kollegen .

Ich komme zum Tagesordnungspunkt 27:

Beratung des Antrags der Abgeordneten Beate
Müller-Gemmeke, Kerstin Andreae, Katja Keul,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN

Unternehmensmitbestimmung stärken –
Grauzonen schließen

Drucksache 18/10253
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Soziales (f)

Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Ausschuss für Wirtschaft und Energie

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 38 Minuten vorgesehen . – Ich höre dazu
keinen Widerspruch . Dann ist das so beschlossen .

Ich  eröffne  die  Aussprache.  Als  erste  Rednerin  hat 
Beate Müller-Gemmeke für die Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen das Wort .


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kollegin-
nen und Kollegen! Im letzten Jahr wurde unser Antrag
zur betrieblichen Mitbestimmung abgelehnt . Ich sagte
damals, wir bleiben dran an diesem Thema . Deshalb le-

Dr. Daniela De Ridder






(A) (C)



(B) (D)


gen wir heute einen Antrag zur Unternehmensmitbestim-
mung vor;


(Bernd Rützel [SPD]: Sehr gut!)


denn auch hier werden die weißen Flecken immer größer .
Auch die Unternehmensmitbestimmung ist in der Defen-
sive . Deshalb müssen wir auch hier gesetzlich nachbes-
sern und Schlupflöcher schließen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Der politische Wille ist eindeutig . Das Mitbestim-
mungsgesetz von 1976 und das Drittelbeteiligungsgesetz
formulieren klar: Die Beschäftigten sind demokratisch
an der Unternehmensspitze zu beteiligen . – Und doch
zeigen die Studien der Hans-Böckler-Stiftung ein ande-
res Bild . Mehr als 800 000 Beschäftigte werden durch
juristische Tricks von der Unternehmensmitbestimmung
ausgeschlossen . 2002 waren noch 767 Unternehmen
paritätisch mitbestimmt, heute sind es nur noch 635 .
Eine Stichprobe zur Drittelbeteiligung hat ergeben, dass
56 Prozent der Unternehmen diese Pflicht ganz einfach 
ignorieren . Zu viele Unternehmen vermeiden die Unter-
nehmensmitbestimmung durch die geschickte Wahl der
Rechtsform . Sie nutzen vorhandene Rechtslücken stra-
tegisch und bewusst, und das geht gar nicht . Die Flucht
aus der Mitbestimmung im Aufsichtsrat kann und muss
gestoppt werden .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg . Klaus Barthel [SPD])


Das war übrigens auch Thema bei einem Symposium
der Hans-Böckler-Stiftung im letzten Jahr . Zu Gast war
Ministerin Nahles . Sie sagte damals, die Unternehmens-
mitbestimmung habe Risse bekommen, und sie sprach
von Handlungsdruck . Aber schon zwei Wochen später
wusste das Bundesarbeitsministerium davon gar nichts
mehr . Ich hatte mit einer Kleinen Anfrage nach der Situ-
ation bei der Unternehmensmitbestimmung gefragt . Die
Antworten waren nichtssagend . Die Bundesregierung
weiß nichts; sie hat auch keine belastbaren Daten . Das
kann alles nachgelesen werden . Auch der besagte Hand-
lungsdruck wurde mit keinem Wort erwähnt . Vor diesem
Hintergrund sind die Aussagen von Ministerin Nahles
nichts anderes als eine Farce, und das ist nicht akzep-
tabel .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Weil der Bundesregierung jegliches Problembewusst-
sein fehlt, werden wir Grünen jetzt mit unserem Antrag
zur Unternehmensmitbestimmung aktiv . Zumindest vier
Forderungen möchte ich ganz kurz ansprechen:

Erstens . Aldi Nord und Süd werden durch zwei Fa-
milienstiftungen gesteuert . Darunter liegen Regionalge-
sellschaften, und zwar in der Form einer GmbH & Co .
KG . Weil weder bei Stiftungen die Mitbestimmung noch
bei Kommanditgesellschaften die Drittelbeteiligung
greift, werden 66 000 Aldi-Beschäftigte von der Mitbe-
stimmung in Aufsichtsräten ausgeschlossen . Das ist mit
nichts zu rechtfertigen . Deshalb wollen wir Stiftungen,
die Erwerbszwecke verfolgen, in die Unternehmensmit-
bestimmung einbeziehen .

Zweitens . Wir wollen auch Kommanditgesellschaf-
ten ins Drittelbeteiligungsgesetz aufnehmen, wenn der
Komplementär keine natürliche Person, sondern eine
Kapitalgesellschaft ist . Die Mitbestimmung muss an die
veränderte Unternehmenslandschaft angepasst werden;
denn die heutigen Ausnahmen sind nicht fair und schon
gar nicht gerecht .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Drittens wollen wir die Konzernzurechnung, die heute
nur für Unternehmen mit mehr als 2 000 Beschäftigten
gilt, auch im Drittelbeteiligungsgesetz verankern; denn
es gibt etliche Unternehmen mit mehr als 500 Beschäf-
tigten, die sich gezielt in kleine Einzelteile zerlegen, nur
um die Mitbestimmungsrechte der Beschäftigten zu um-
gehen . Auch damit muss Schluss sein .

Viertens . Es geht aber nicht nur um die Lücken bei
der Mitbestimmung . 56 Prozent der Unternehmen – ich
habe es schon gesagt – verstoßen gegen das Drittelbetei-
ligungsgesetz . Sie ignorieren rechtswidrig die Rechte der
Beschäftigten auf Mitbestimmung . So entstehen rechts-
freie Räume, und das ist nicht akzeptabel . Deshalb sind
Sanktionen notwendig; denn die Mitbestimmung muss
nicht nur konsistent, sondern auch rechtssicher ausge-
staltet werden .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des Abg . Klaus Barthel [SPD])


Sehr geehrte Regierungsfraktionen, die Mitbestim-
mung hat sich auf Unternehmensebene bewährt . Sie ist
ein wesentliches Element der sozialen Marktwirtschaft
und hat einen nicht unerheblichen Beitrag dazu geleistet,
dass Deutschland wirtschaftliche Krisen meistern konn-
te . – Jetzt könnten Sie eigentlich alle klatschen; denn das
war die einzige konkrete und richtige Antwort der Bun-
desregierung auf meine Kleine Anfrage .


(Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: So sind sie!)


Auch die Konsequenzen daraus müssten eigentlich klar
sein . Wenn Unternehmen die Mitbestimmung bewusst
umgehen, wenn sie die Mitbestimmung rechtswidrig ig-
norieren, dann müsste das doch aufschrecken und eigent-
lich zum Handeln bewegen .

Bei der Mitbestimmung müssen für alle Unterneh-
men die gleichen Rahmenbedingungen gelten und für
alle Beschäftigten die gleichen Mitbestimmungsrechte .
Vor allem gehört zu einer funktionierenden Demokratie
auch eine demokratische Teilhabe der Beschäftigten in
den Unternehmen . Um diese Teilhabe auch in Zukunft
sicherzustellen, müssen Sie, die Regierungsfraktionen,
endlich die Lücken bei der Mitbestimmung schließen .
Die schönen Reden, die wir jetzt gleich bestimmt wieder
hören, sind zu wenig; Handeln ist angesagt .


(Gabriele Schmidt [Ühlingen] [CDU/CSU]: Jetzt warten Sie es doch ab! – Waltraud Wolff  [Wolmirstedt] [SPD]: Die werden gut sein!)


Bekräftigen Sie den politischen Willen, und stärken Sie
die Unternehmensmitbestimmung! Noch haben Sie Zeit .

Beate Müller-Gemmeke






(A) (C)



(B) (D)


Vielen Dank .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1821309700

Vielen Dank . – Als nächster Redner hat Uwe Lagosky

von der CDU/CSU-Fraktion das Wort .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Uwe Lagosky (CDU):
Rede ID: ID1821309800

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen

und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Her-
ren! Mitbestimmung ist ein wesentlicher Faktor für den
betrieblichen Frieden und damit auch für die Produkti-
vität unserer Unternehmen . Als ehemaliger stellvertre-
tender Aufsichtsratsvorsitzender eines drittelparitätisch
mitbestimmten Unternehmens kann ich darüber einiges
erzählen . Für mich ist Mitbestimmung für das Gelingen
unserer sozialen Marktwirtschaft absolut erforderlich; sie
gehört dazu .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – Bernd Rützel [SPD]: Sehr gut! – Beate MüllerGemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau! Das fängt gut an!)


– Wenn Sie das mit „schönen Reden“ gemeint haben,
dann sage ich: Danke für den Applaus .

Durch die Unternehmensmitbestimmung spiegeln
sich im Aufsichtsrat nicht nur die Interessen der Anteils-
eigner, sondern auch die der Arbeitnehmer wider . Durch
das Drittelbeteiligungsgesetz – wir haben schon zum Teil
davon gehört – wird ab einer Unternehmensgröße von
500 Mitarbeitern ein Drittel des Aufsichtsrates durch Ar-
beitnehmer besetzt . Ab 2 000 Mitarbeitern kommt das
Mitbestimmungsgesetz von 1976 zur Geltung . Danach
besteht der Aufsichtsrat je zur Hälfte aus Arbeitgebern
und Arbeitnehmern . Dazu kommt noch das Montan-Mit-
bestimmungsgesetz von 1951, das unter einer unions-
geführten Bundesregierung – das darf ich an der Stelle
deutlich sagen – eingeführt wurde


(Dr . André Hahn [DIE LINKE]: Schon eine Weile her! – Klaus Barthel [SPD]: Weil die Leute auf der Straße standen! Weil es nicht anders ging! Das ist nicht freiwillig gewesen!)


und die Basis unserer Mitbestimmung ist . Diese Eini-
gung war nicht nur für Unternehmen der Montanindus-
trie – Bergbau-, Stahl- und Eisenindustrie – ein Meilen-
stein, sondern für die Mitbestimmung generell . Das kann
man hier, denke ich, auch so deutlich erwähnen .


(Beifall bei der CDU/CSU – Beate MüllerGemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber wir leben ja im Heute!)


– Natürlich leben wir im Heute; darauf komme ich jetzt
zu sprechen . – Nach wie vor gilt für diese Unternehmen
eine paritätische Mitbestimmung im Aufsichtsrat ab ei-
ner Betriebsgröße von 1 000 Mitarbeitern, beispielsweise
bei der Salzgitter AG in meinem Wahlkreis .

Lassen Sie mich einen Blick auf die Ursprünge der
aktuellen Gesetzgebung werfen . Der Abstimmung über
das Mitbestimmungsgesetz im Februar 1976 im Parla-
ment ging ein Diskussionsprozess von acht Jahren und
eine darauf folgende Phase von zwei Jahren, in der der
Ausschuss für Arbeit und Soziales über dieses Thema
diskutiert hat, voraus . Das war der gesellschaftlichen Be-
deutung dieses Themas angemessen und führte am Ende
des Dialoges dazu, dass das Mitbestimmungsgesetz mit
großer Mehrheit im Deutschen Bundestag verabschiedet
und eingeführt wurde .

Ziel muss es auch heute sein, einen solch nachhalti-
gen,  tragfähigen Kompromiss  zu  finden.  Das  kann  die 
Politik nicht allein, sondern nur mit Arbeitgebern und
Arbeitnehmern zusammen schaffen.

Dass es sinnvoll war, über das Thema Mitbestimmung
ausgiebig zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern zu
diskutieren, beweist die lange Lebensdauer der Vereinba-
rung: von 1976 bis heute . So etwas lässt sich eben nur mit
einem Kompromiss erreichen und nicht mit kurzweiligen
Mehrheiten .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Unter Bundeskanzler Schröder wurde die zweite Bie-
denkopf-Kommission ins Leben gerufen . Von Bundes-
kanzlerin Angela Merkel wurde sie nach der Wahl bestä-
tigt . Ihre Aufgabe war es, Vorschläge für eine moderne
und europataugliche Weiterentwicklung der deutschen
Unternehmensmitbestimmung zu erarbeiten . Damals, im
Jahr 2006, konnten sich Arbeitgeber und Arbeitnehmer
nicht einigen . Die Politik hat damals bewusst davon ab-
gesehen, über die Köpfe der Konfliktparteien hinweg zu 
entscheiden . So war es letztendlich gut, dass man so ver-
fahren ist; denn das Mitbestimmungsgesetz, das daraus
entstanden wäre, wäre möglicherweise auf einem Funda-
ment gebaut worden, das nicht allzu lange getragen hätte .

Die Gründe für das Scheitern der Kommission werden
von den Beteiligten je nach Perspektive ganz unterschied-
lich bewertet . BDI und BDA hatten sich vorgenommen,
die bisherige paritätische Mitbestimmung in den Auf-
sichtsräten zu beenden und den Anteil der Arbeitnehmer
auf ein Drittel herunterzufahren . Der Status quo seit 1976
war natürlich, dass die Arbeitnehmer in den Unterneh-
men ab 2 000 Beschäftigten paritätisch beteiligt wurden .
Ich kann durchaus verstehen, dass das Angebot, das die
Arbeitgeber damals unterbreitet haben, nicht auf Anhieb
überzeugt hat . Von daher war eigentlich von vornherein
klar, dass, wenn die Arbeitgeberseite auf ihren Extrem-
forderungen beharrt, kein Kompromiss gefunden werden
würde . Das betraf auch andere Verhandlungsbereiche
wie die Einordnung von Unternehmen mit ausländischer
Rechtsform . Leider muss man feststellen, dass die Arbeit
der Kommission ergebnislos blieb .

Zumindest die Professoren Kurt Biedenkopf, Hellmut
Wißmann und Wolfgang Streeck haben einen Bericht ab-
gegeben . In dem Bericht heißt es:

Allerdings erscheinen verschiedene Anpassungs-
maßnahmen geboten, um der gewachsenen Mobili-
tät der Unternehmen und ihrer Internationalisierung

Beate Müller-Gemmeke






(A) (C)



(B) (D)


sowie veränderten rechtlichen Rahmenbedingungen
auf europäischer Ebene gerecht zu werden .

Wohl gemerkt, das war 2006 . Diese Feststellung wurde
also vor gut zehn Jahren getroffen. 

Dass wir uns auf den bestehenden Regeln nicht ausru-
hen dürfen, zeigen auch die wirtschaftlichen Entwicklun-
gen der letzten Jahre, die nach Beendigung der Arbeit der
Kommission eingetreten sind . Im Zuge der weltweiten
Finanz- und Wirtschaftskrise hat sich einmal mehr ge-
zeigt, dass die Mitbestimmung in Unternehmen keinen
Nachteil im internationalen Wettbewerb darstellt . In un-
sicheren Zeiten ist die Phalanx aus Arbeitgebern und Be-
legschaft ein Garant für die Stabilität .


(Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau! Dann kann man sie doch ein bisschen stärken!)


– Ja, das ist auch wieder „schönes Reden“, keine Frage . –
Es ist nun mal so gewesen – das haben wir in der Fi-
nanz- und Wirtschaftskrise festgestellt –: Die Sozialpart-
nerschaft ist der entscheidende Baustein für die soziale
Marktwirtschaft und damit für den Erfolg Deutschlands .

Es bleiben natürlich die Herausforderungen rund um
die Internationalisierung und die Europäisierung von Un-
ternehmen bestehen . Unser Mitbestimmungsmodell muss
auch für Unternehmen mit ausländischer Rechtsform in
Deutschland  gelten. Aus meiner  Sicht  betrifft  dies  ins-
besondere die Mitbestimmung bei den europäischen Ak-
tiengesellschaften . Auch ich sehe hier Handlungsbedarf .


(Beifall der Abg . Albert Stegemann [CDU/ CSU] und René Röspel [SPD] – Beate MüllerGemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sehr schön!)


Die europäische Initiative zur Einpersonengesellschaft,
die auch Nachteile für die Mitbestimmung mit sich ge-
bracht hätte, konnten wir in dieser Legislaturperiode zu-
nächst aufhalten . Dankend weise ich auf den Entschlie-
ßungsantrag hin, den wir hier im Bundestag einstimmig
beschlossen haben .

Ihr vorliegender Antrag, liebe Grüne, macht allerdings
den zweiten vor dem ersten Schritt . Dass wir losgehen
müssen, darüber sind wir uns auf jeden Fall einig . Dafür
müssen wir Arbeitgeber und Arbeitnehmer allerdings an
einen Tisch bringen . Ich halte es für zielführender, wenn
eine Mitbestimmungskommission das Fundament für
eine politische Entscheidung schafft. Denn nur wenn die 
Sozialpartner einen Konsens erarbeiten, besteht die Ge-
währ, dass eine lang akzeptierte gesetzliche Regelung auf
den Weg gebracht wird .


(Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Na ja, der Gesetzgeber hat schon noch die Möglichkeit, Rahmenbedingungen zu setzen!)


Ich möchte auf einen weiteren Punkt eingehen, der im
ersten Moment vielleicht nicht gleich mit dem Thema
Mitbestimmung in Verbindung gebracht wird: Die Digi-
talisierung hat Auswirkungen auf fast alle Bereiche unse-
res Lebens und so auch auf den betrieblichen Alltag . Ein
Blick ins Silicon Valley und auf die Gründerszene hier

in Deutschland und in vielen anderen Ländern zeigt, was
für innovative Geschäftsmodelle dort ihren Anfang neh-
men und weltweit Verbreitung finden. Neue Geschäfts-
modelle haben erfahrungsgemäß enorme Auswirkungen
auf bestehende Strukturen . Damit sind für die Unterneh-
men erhebliche Chancen verbunden, gleichzeitig aber
auch Risiken .

Es wird deutlich, dass wir uns in einer Zeit befinden, 
in der sich unsere Arbeitswelt so schnell verändert wie
die Intelligenz der Rechnersysteme – damit auch unsere
Arbeit und unsere Arbeitswelt . Das hat auch etwas mit
unserer Unternehmensmitbestimmung zu tun . Nicht nur
in wirtschaftlichen Krisenzeiten, sondern auch bei star-
ken strukturellen Veränderungen kommen die Vorteile
der Mitbestimmung zur Geltung .


(Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau!)


Wenn sich ein Unternehmen fit für die Zukunft machen 
will, dann muss es seine Beschäftigten mitnehmen und
motivieren .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Arbeitgeber und Arbeitnehmer sind zwei Seiten der-
selben Medaille . Es braucht den Dialog, um Antworten
auf Herausforderungen zu geben, vor die uns die Digita-
lisierung und die Transformation von Unternehmen stel-
len . Es braucht den Konsens, um die Erfolgsgeschichte
der Mitbestimmung fortzuschreiben . Lassen Sie uns da-
ran arbeiten!

Vielen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das war eine „schöne Rede“!)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1821309900

Vielen Dank . – Als nächste Rednerin hat jetzt Jutta

Krellmann für die Linke das Wort .


(Beifall bei der LINKEN)



Jutta Krellmann (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1821310000

Vielen Dank . – Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen

und Kollegen! Es gibt immer zwei Möglichkeiten, mit
der Mitbestimmung umzugehen. Entweder man findet sie 
richtig gut, oder man findet sie richtig schlecht und sieht 
sie als einen Eingriff in die unternehmerische Selbstbe-
stimmung . Für mich als Gewerkschaftssekretärin ist ganz
klar: Ich stehe ausdrücklich auf der Seite der Befürwor-
ter der betrieblichen Mitbestimmung und der Mitbestim-
mung insgesamt .

Für mich als Linke gehört die Ausweitung der Mitbe-
stimmungsrechte von Arbeitnehmerinnen und Arbeitneh-
mern ganz oben auf die Agenda . Die Beschäftigten sollen
nicht nur über die Farbe der Gardinen in ihren Betrieben,
sondern auch über das Was, das Wie und das Wo der Pro-
duktion mitbestimmen .


(Beifall bei der LINKEN)


Uwe Lagosky






(A) (C)



(B) (D)


Mit anderen Worten: Sie müssen in die wirtschaft-
lichen Entscheidungen des Unternehmens einbezogen
werden . Die Beschäftigten haben keinen Bock darauf,
nur dann mitzubestimmen, wenn es um Lohnverzicht
und den Abbau ihrer Arbeitsplätze geht . Aus Erfahrung
weiß ich: Sie wollen auch mitentscheiden, ob Boni nur
an die Chefetagen verteilt und ausbezahlt werden und ob
Unternehmensgewinne zur Sicherung der Arbeitsplätze
reinvestiert werden .


(Beifall bei der LINKEN)


Die Linke steht ganz klar hinter diesem Anspruch . Wir
wollen die Mitbestimmung mit einem Gesamtkonzept
stärken und ausbauen – sowohl auf betrieblicher als auch
auf Unternehmensebene . Die Unternehmensmitbestim-
mung ist nur so gut wie die Gesetze, die sie tragen . Ge-
nau hier liegt im Moment der Hase im Pfeffer.

In dem Antrag der Grünen werden einige Bereiche
aufgegriffen, in denen sich in den letzten Jahren Lücken 
entwickelt haben. Nur ein Beispiel: Die Leiharbeitsfirma 
Adecco hat einfach eine ausländische Rechtsform ange-
nommen, und zack: Das war es mit der Unternehmens-
mitbestimmung . Das kann doch überhaupt nicht wahr
sein .

Allein durch diese Gesetzeslücke schlossen schon
2007 17 Unternehmen ihre Beschäftigten von der Mitbe-
stimmung im Aufsichtsrat aus . Drei Jahre später waren es
schon 37 Unternehmen, und fünf Jahre später, also 2015,
waren es allein über diesen Weg sogar 69 Unternehmen
mit insgesamt über 200 000 Beschäftigten . Das zeigt: Es
ist ein wachsendes Problem . Deswegen muss es durch
den Gesetzgeber gelöst werden . Auf was wollen wir denn
immer wieder neu warten?

Neu ist das alles auch nicht . Herr Lagosky, Sie haben
es selbst gesagt: Schon vor zehn Jahren hatte der dama-
lige Bundeskanzler Gerhard Schröder eine Kommission
zur Reformierung der Unternehmensmitbestimmung ein-
gesetzt . Das Problem war also schon damals, vor zehn
Jahren, bekannt . Leider ist die Kommission an der Un-
beweglichkeit der Arbeitgeberverbände gescheitert . Sie
hatten gar kein Interesse an einer Reform . Nein, sie woll-
ten die paritätische Besetzung in den Aufsichtsräten lie-
ber verhindern als ausbauen .

Die Kommission hat gezeigt: Wenn wir über Mitbe-
stimmung reden, dann müssen wir nicht von weniger
Mitbestimmungsrechten sprechen, sondern wir müssen
sie an dieser Stelle stärken .


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Unser Ziel ist eine Ausweitung der Mitbestimmung;
das ist ganz klar . Nur über diesen Weg ist für die Beschäf-
tigten die demokratische Teilhabe in den Unternehmen
möglich . Das haben einige Landesregierungen, wie die in
Niedersachsen oder die rot-rot-grüne Landesregierung in
Thüringen, auch verstanden . Deren Antrag „Mitbestim-
mung zukunftsfest gestalten“ im Bundesrat enthält eine
klare Ansage an die Bundesregierung: Kümmert euch um

den Erhalt und den Ausbau der gesetzlichen Mitbestim-
mung


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


und entwickelt sie europarechtlich weiter!

Wieso das Europarecht wichtig ist, zeigt sich gerade
jetzt, wo einige Urteile anstehen . Anstatt endlich ihr Ge-
wicht dafür einzusetzen, eine Richtlinie zur europäischen
Unternehmensmitbestimmung auf den Weg zu bringen,
wartet die Bundesregierung wieder einmal einfach ab .
Einfach nur warten und nichts tun, das kann doch wohl
nicht wahr sein . Es ist Ihre Aufgabe, sich zu bewegen,
wenn Sie Probleme erkannt haben . Warten Sie nicht auf
die Initiativen der Opposition . Wir brauchen ein Mehr
an Mitbestimmung in den Betrieben . Wir brauchen eine
Schließung der Schlupflöcher. Wir brauchen eine stärke-
re Beteiligung der Beschäftigten .


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Denn gute Arbeit  ist  für  die Linke unbefristet,  tariflich 
bezahlt und mitbestimmt .

Vielen Dank .


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1821310100

Vielen Dank . – Als nächster Redner hat Bernd Rützel

für die SPD-Fraktion das Wort .


(Beifall bei der SPD)



Bernd Rützel (SPD):
Rede ID: ID1821310200

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen!

Sehr geehrte Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Ich bin froh, dass wir wieder einmal über die Mitbestim-
mung sprechen; das ist dringend notwendig . In Ihrem
Antrag weisen Sie zu Recht darauf hin, dass Deutschland
die letzte Wirtschaftskrise dank der Mitbestimmung so
gut überstanden hat . Erstens stimmt das, und zweitens
rennen Sie mit diesem Thema offene Türen bei uns ein.


(Beifall bei der SPD)


Wann immer es hier um die Mitbestimmung geht,
weise ich darauf hin, dass seit Jahrzehnten die Mit-
bestimmung eine tragende Säule unserer Sozial- und
Wirtschaftspolitik ist . Sie sorgt für Ausgleich und sozi-
alen Frieden . Die Zeit titelt in ihrer gestrigen Ausgabe:
„Arbeitnehmer, die mitbestimmen, sind gut für die Wirt-
schaft“ . Hier hat also ein Umdenken stattgefunden .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


An der Mitbestimmung wird aber – Sie haben das zu
Recht beschrieben – geknabbert und genagt . Man kann
das auch als Erosionstendenzen bezeichnen . Mich ärgert
die Klage eines TUI-Aktionärs vor dem Europäischen
Gerichtshof . Am kommenden Dienstag wird darüber ver-
handelt, ob die Mitbestimmung gestärkt oder geschwächt
wird; denn der Kläger hält es für ungerechtfertigt, dass
nur die Beschäftigten innerhalb Deutschlands wählen

Jutta Krellmann






(A) (C)



(B) (D)


dürfen . Sollte er Recht bekommen, dann ist das eine
massive Gefährdung der Mitbestimmung in ihrer jetzi-
gen Form .


(Waltraud Wolff [Wolmirstedt] [SPD]: Das  geht gar nicht!)


– Richtig .

Tatsächlich haben die Beschäftigten, egal welcher
Nationalität, in einem Unternehmen in Deutschland ein
Wahlrecht, und das ist auch gut so . Selbstverständlich ha-
ben deutsche und nichtdeutsche Beschäftigte an Standor-
ten in anderen europäischen Ländern kein Wahlrecht wie
in Deutschland . Das ist keine Diskriminierung . Vielmehr
gilt das Territorialprinzip . Die Ansicht des Klägers ist
scheinheilig und sachlich falsch .

Gott sei Dank sieht der Europäische Gewerkschafts-
bund das genauso und hat noch einmal deutlich gemacht,
dass man sich nicht auseinanderdividieren lässt . Die
europäischen Gewerkschaften stehen zusammen . DGB-
Chef  Reiner  Hoffmann  und Arbeitgeberpräsident  Ingo 
Kramer haben sich gemeinsam zugunsten der Mitbestim-
mung positioniert und nennen den Vorwurf des Klägers
realitätsfremd . Sie schreiben:

Wer so etwas vorträgt, ist fern jeglicher Praxis in
den Unternehmen – sei es aus Sicht des Arbeitge-
bers, sei es aus Sicht des Arbeitnehmers .


(Beifall bei der SPD)


Ich hoffe, dass die Richterinnen und Richter des Europäi-
schen Gerichtshofs in Luxemburg in der nächsten Woche
die Mitbestimmung stärken und klarmachen, dass sie mit
dem Europarecht vereinbar ist .

Mich hat der Schulterschluss der Gewerkschaften mit
den Arbeitgebern erfreut . Das zeigt, dass die Mitbestim-
mung ein Standortvorteil ist . Es war ja lange Zeit so,
dass fast alle Arbeitgebervertreter die Mitbestimmung
oft verdammt haben . Wirtschaftswissenschaftler haben
versucht, zu beweisen, dass sie Innovationen hemmt .
Doch das Blatt hat sich gewendet . Die Wissenschaftler
revidieren ihre Meinung, und aktuelle Untersuchungen
heben hervor, dass mitbestimmte Unternehmen langfris-
tig orientiert sind, mehr investieren, eine höhere Ausbil-
dungsquote haben und mehr Menschen einstellen . Die
Arbeitnehmervertreter in diesen Unternehmen hängen an
ihrem Betrieb – sie sind oft länger im Unternehmen als
mancher Manager, der kurzfristig Erfolg erzielen will –,
und sie sorgen sich um ihren Arbeitsplatz .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen von den Grünen,
Sie  stoßen mit  Ihrem Antrag  bei  uns  auf  offene Ohren 
und treffen auf offene Türen.


(Dr . Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber dann machen Sie es doch! Wir brauchen Zustimmung!)


Es gibt viele Gründe, die Mitbestimmung zu stärken .
Die Wissenschaftler haben es erkannt . Arbeitgeber- und
Arbeitnehmervertreter sind hier gemeinsam unterwegs .
Deswegen  hoffe  ich,  dass  sich  auch  bei  unserem Koa-

litionspartner – also nicht nur bei Arbeitgeberverbän-
den und Ökonomen – die Sichtweise etwas verändern
möge . Denn die Mitbestimmung ist kein Hindernis für
den Standort Deutschland . Sie hat uns stark gemacht . Die
Verlässlichkeit wurde durch sie erhöht .

Man darf nicht ausgrenzen, man muss die Menschen
mitnehmen und integrieren . Deswegen ist es das Gebot
der Stunde, unsere Mitbestimmung zu stärken . Sollte das
in dieser Legislatur nicht möglich sein, dann wünsche ich
uns allen, dass uns das spätestens in der nächsten Wahl-
periode gelingt .

In diesem Sinne vielen Dank .


(Beifall bei der SPD – Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das war ja nicht nur eine schöne Rede, sondern eine wunderschöne Rede!)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1821310300

Vielen Dank . – Als nächster Redner hat Tobias Zech

für die CDU/CSU-Fraktion das Wort .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Tobias Zech (CSU):
Rede ID: ID1821310400

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Bun-

despräsident Gauck hat die deutsche Mitbestimmung als
Kulturgut bezeichnet, was, glaube ich, deutlich macht,
wie einzigartig sie ist . Die BDA und der DGB sprechen
von Eckpfeilern der deutschen Sozialordnung und von
einem Teil der deutschen Wirtschaftsordnung . Das alles
ist richtig .


(Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Wunderbar! – Dr . Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Hört sich gut an!)


Meine Damen und Herren, es ist unbestritten: Die
Mitbestimmung in deutschen Unternehmen ist eine
wichtige Säule der Unternehmenskultur und der sozialen
Marktwirtschaft, die wir in Deutschland haben . Sie wäre
ohne Mitbestimmung nicht möglich . Somit ist es richtig,
für die Mitbestimmung zu kämpfen, vor allem wenn man
weiß, wo die Mitbestimmung herkommt .


(Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Eine schöne Debatte!)


Wir sollten uns einmal überlegen – die Montangesetz-
gebung wurde vorhin schon erwähnt –, was das Ziel war .
Ziel war nämlich nicht das Erreichen von mehr Flexi-
bilität, die heute von jedem – das steht auch in Ihrem
Antrag – gelobt wird . Damit sind wir zwar gut über die
Finanzkrise hinweggekommen, aber das war nie das Ziel .
Das Ziel bei der Einführung der Mitbestimmung war,
die Kontrolle wieder in deutsche Hand zu bekommen .
Es bestand die Vorstellung, dass es einen scheinbar un-
auflösbaren Konflikt  zwischen Kapital  und Arbeit  gibt. 
Und was hat sich daraus ergeben? Das Gegenteil: Wir
haben  erlebt,  dass  es  da  keinen  unauflösbaren Konflikt 
gibt . Wir haben erlebt – wie die Kollegen vorhin ausge-
führt haben –, dass durch die Mitbestimmung Prosperität
erreicht wurde und dass wir durch sie viel flexibler auf 

Bernd Rützel






(A) (C)



(B) (D)


schwierige Situationen – sei es in Finanzkrisen, sei es in
Wirtschaftskrisen – reagieren können .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – Bernd Rützel [SPD]: Hervorragend!)


Man muss einmal darüber nachdenken, wo wir herkom-
men . Seit 1920, seit 1967 ist das alles schon gemacht
worden .

Nun haben wir die Mitbestimmung – nicht nur ge-
setzlich, sondern auch in den Unternehmen – weiterent-
wickelt . Wir erleben in der Mitbestimmung ein partner-
schaftliches Verhältnis und in der Regel auch ein gutes
Miteinander . Es gibt nur wenige Streiktage, und wir
haben während eines Streiks eigentlich immer noch die
Möglichkeit, miteinander zu sprechen . Die Fronten ver-
härten sich nicht . Somit können wir, glaube ich, ein Bei-
spiel geben, wie man vernünftige Mitbestimmung auch
im europäischen Kontext umsetzen kann . – So weit die
Zustimmung .


(Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann können wir ja gleich abstimmen heute!)


– Frau Müller-Gemmeke, dazu muss ich schon noch et-
was sagen . Ihr Antrag trägt einen guten Titel, hat damit
aber nichts zu tun .

Erstens widerspricht er sich inhaltlich .

Zweitens . Wenn Sie trotz dieses etwas langweiligen
bis uninspirierten Antrags wirklich daran interessiert
sind, etwas für die Menschen, für die Unternehmen und
für die Mitbestimmung zu tun, dann müssen Sie zur
Kenntnis nehmen: Es wird nicht funktionieren, Probleme
national zu lösen, sondern man muss, wie Sie in Punkt 7
richtigerweise sagen, eine europäische Lösung herbei-
führen .


(Steffi  Lemke  [BÜNDNIS  90/DIE  GRÜNEN]: Das ist ein schwaches Argument! Ist das alles?)


Wenn man sich aber nur rudimentär – nicht einmal
tief – mit diesem Thema beschäftigt, dann stellt man fest,
dass es in 14 Ländern in Europa überhaupt keine Unter-
nehmensmitbestimmung gibt; wenn überhaupt, gibt es
dort eine betriebliche Mitbestimmung .


(Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Schauen Sie sich Punkt 7 an! Das steht da!)


Alle Versuche, die Unternehmensmitbestimmung auf eu-
ropäischer Ebene zu harmonisieren, sind immer an der
sehr guten, aber doch starken Unternehmensmitbestim-
mung in Deutschland gescheitert .

Frau Müller-Gemmeke – ich spreche jetzt direkt mit
Ihnen –, Sie fordern in Punkt 7 Ihres Antrags, eine eu-
ropäische Harmonisierung herbeizuführen; in den Punk-
ten 1 bis 6 Ihres Antrags fordern Sie dagegen, die Mitbe-
stimmung auf nationaler Ebene auszuweiten . Angesichts
dessen Ihren Antrag als vernünftig zu bezeichnen, ist
schon grenzwertig . Ich wiederhole: In den Punkten 1 bis

6 Ihres Antrages fordern Sie eine nationale Ausweitung
der Mitbestimmung,


(Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Welche Ausweitung? Sie können mir das irgendwann in Ruhe erklären! Das hat jetzt niemand verstanden!)


und in Punkt 7 fordern Sie eine Einigung auf europäi-
scher Ebene . Das hat mit der Sachlage überhaupt nichts
zu tun . Die Umsetzung Ihrer Forderungen würde weder
der Unternehmensmitbestimmung in Deutschland noch
irgendjemandem dienen . Ich kann Ihnen nur sagen:
Wenn Sie wirklich etwas tun wollen, dann müssen Sie
diesen Antrag überarbeiten und sich mit diesem Thema
vorher beschäftigen . Wir werden diesen Antrag aus sach-
lichen Gründen – er ist inhaltlich und handwerklich ein-
fach schlecht – ablehnen .


(Beifall bei der CDU/CSU – Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Kann es sein, dass Sie da etwas missverstanden haben?)


Das hat aber nichts damit zu tun, wie wir die Mitbe-
stimmung ausgestalten . Natürlich müssen wir die Mit-
bestimmung verändern, weil sich die Zeit, die Arbeits-
verhältnisse, die Arbeitsmodalitäten ändern . Das liegt
einmal daran, dass die klare Trennung zwischen Arbeit-
nehmer und der Kapitalseite immer mehr aufweicht: Im-
mer mehr Arbeitnehmer sind auch Aktionäre . Das heißt,
sie beurteilen manches anders, als Arbeitnehmer dies
früher taten .


(Mechthild Rawert [SPD]: Das war eine gewagte Aussage! – Dr . Rolf Mützenich [SPD]: Wo?)


– Das ist keine gewagte Aussage . Ich habe das selber
erlebt . Ich komme aus der Metall- und Elektroindustrie .
Bei uns hat es ein Aktienpaket gegeben: Jedes Jahr er-
hielt jeder Mitarbeiter zehn Aktien . Das ist Realität . Sie
haben mit Ihrem Einwurf nur bewiesen, wie weit Sie von
den Menschen in diesem Land entfernt sind .


(Jutta Krellmann [DIE LINKE]: Das muss in Bayern anders als anderswo sein! – Waltraud Wolff [Wolmirstedt] [SPD]: Hallo?)


– Ich versuche gerade, Ihnen ein paar Lösungsvorschlä-
ge anzubieten, wie man Mitbestimmung handwerklich
besser ausgestalten kann und wie man damit nicht nur
plakativ umgeht .

Wir sollten uns einmal darüber unterhalten, wie wir
mit dem Recht zur Wahl der Aufsichtsräte umgehen . Es
gibt divergierende Möglichkeiten: Es gibt Delegierten-
wahlsysteme . Es gibt Wahlsysteme mit unmittelbarer Be-
teiligung . In anderen Bereichen gibt es die Beorderung
oder die Festlegung auf einen Gewerkschaftssekretär .

Ich glaube, die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer
in diesem Land wissen ganz genau, wer ihre Interessen
im Aufsichtsrat am besten vertritt . Lassen Sie uns doch
einmal darüber diskutieren, ob wir nicht eine Regelung
einführen, die dazu verpflichtet, alle Aufsichtsräte unmit-
telbar zu wählen . Lassen wir doch einmal die Arbeitneh-
mer über alles abstimmen . Das ist vielleicht besser, als

Tobias Zech






(A) (C)



(B) (D)


dass die von außen kommenden Gewerkschaftssekretäre
in die Kontrollorgane entsandt werden .

Ein weiterer Punkt: Wie können wir Aufsichtsratswah-
len im Jahr 2017 besser gestalten? Ich glaube, wir müs-
sen uns auch hier modernisieren, elektronische Wahlver-
fahren einführen, um mehr Partizipation der Belegschaft
an Aufsichtsratswahlen zu ermöglichen . Ich kann nur da-
für werben, dass wir die gute Mitbestimmung, die wir in
Deutschland haben, verteidigen . Außerdem werbe ich für
eine europäische Lösung . Schaufensteranträge wie den
heutigen sollten wir ablehnen . Damit tun wir Gutes für
die deutsche Wirtschaft und somit auch für die deutschen
Arbeitnehmer .

Herzlichen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg . Gabriele Hiller-Ohm [SPD])



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1821310500

Liebe Kolleginnen und Kollegen, Klaus Barthel

spricht als letzter Redner in dieser Aussprache für die
SPD-Fraktion .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie der Abg . Jutta Krellmann [DIE LINKE])



Klaus Barthel (SPD):
Rede ID: ID1821310600

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es wäre

natürlich schön, wenn ich in dieser Frage das letzte Wort
hätte; aber da darf man sich keine falschen Hoffnungen 
machen .

Kollege Zech, natürlich müssen wir uns erst einmal
über die Realität in Deutschland unterhalten . Sie tun
so, als wären wir, die Bundesrepublik, ein Land von
Kleinaktionären,


(Tobias Zech [CDU/CSU]: Das habe ich nicht gesagt!)


die alle an den Erträgen und der Führung der Unterneh-
men beteiligt wären . Wenn das so wäre, dann verliefe
diese Debatte wirklich anders . Aber Sie wissen auch,
dass man selbst dann, wenn man eine Aktie oder ein paar
Aktien hat, nicht wirklich über das Unternehmensge-
schehen mitbestimmen kann, sondern dass das eben nur
über Aufsichtsräte und Mitbestimmungsgremien geht .
Insofern ging ein großer Teil Ihrer Rede eigentlich an der
Sache bzw . dem Antrag vorbei .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Tobias Zech [CDU/CSU]: Es verschiebt sich, habe ich gesagt!)


Wir begrüßen diesen Antrag, weil es damit gelingt,
dieses Thema ein bisschen aus seinem Schattendasein zu
holen . Es ist ja immer gefährlich, wenn sich alle so wahn-
sinnig einig sind über die Mitbestimmung . Das könnte ja
einerseits heißen, wir würden in dieser Legislaturperiode
noch etwas hinkriegen, was ich hoffe. Dass der verbale 
Konsens so groß ist, kann aber andererseits auch heißen,
dass am Ende wieder gar nichts geht . Das werden wir
jetzt untersuchen müssen . Denn das Ganze ist, wie ge-

sagt, keine Funktionärsdebatte, sondern Kern unseres
Wirtschaftsmodells, Kulturgut, auf CSU-Deutsch: Teil
der Leitkultur .

Die Mitbestimmung funktioniert abseits des medialen
Spektakels geräuschlos, weil sie gut ist . Ich habe, ehr-
lich gesagt, in dem Antrag nichts Falsches gefunden . Er
übernimmt im Wesentlichen das, was der DGB in seiner
Mitbestimmungskampagne im Rahmen des Bundestags-
wahlkampfs vorhat . Ich würde mich sehr freuen, wenn
wir in diese Mitbestimmungskampagne Schub reinbrin-
gen würden .


(Beifall bei der SPD sowie der Abg . Jutta Krellmann [DIE LINKE])


Ich gehe davon aus, dass sich diese Inhalte in weiten Tei-
len auch im Regierungsprogramm der SPD wiederfinden 
werden .


(Dr . Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das muss in den nächsten Koalitionsvertrag!)


Ich möchte noch auf eines hinweisen: Der Antrag be-
fasst sich ja nur mit der Unternehmensmitbestimmung in
Aufsichtsräten . Was wir auch noch sehen müssen, ist die
Frage der Mitbestimmung in Betrieben mit Betriebs- und
Personalräten, Jugend- und Auszubildendenvertretungen
usw . Im Grunde haben wir da ja eine parallele Entwick-
lung .


(Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Der Antrag wurde schon abgelehnt von der SPD!)


Ich will das erwähnen, weil auch die betriebliche Mitbe-
stimmung ausgehöhlt wird und ein großer Teil der Be-
schäftigten – rund 60 Prozent – nicht mehr in Betrieben
arbeitet, in denen es einen Betriebsrat gibt .


(Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau!)


Das passt zu dieser ganzen Geschichte mit TUI . Trotz
aller verbalen Akzeptanz von Mitbestimmung gibt es of-
fensichtlich einen Teil von Anlegern, Unternehmern und
interessierten Kreisen, die dieser Mitbestimmung den
Krieg erklärt haben und die solche Klagen inszenieren,
um die Mitbestimmung sturmreif zu schießen . Das Pro-
blem  ist:  Sie  finden  damit  ja  auch Unterstützung,  zum 
Beispiel bei der EU-Kommission . Das ist ja nicht irgend-
etwas, was völlig abseitig ist; denn es gibt neben der
EU-Kommission Regierungen, die solche Initiativen un-
terstützen . Deswegen brauchen wir in der Tat auch eine
europäische Neuregelung .

Sie haben die Zahlen genannt . Die Unternehmensmit-
bestimmung wird ausgehöhlt . Wir stellen fest: Das ist
eindeutig gesetzwidrig .


(Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau!)


Deswegen müssen wir hier auch schauen, wie man die-
se Gesetzesverstöße mit Sanktionen belegen kann; denn

Tobias Zech






(A) (C)



(B) (D)


wenn die Tatsache, dass man Gesetze nicht einhält, keine
Folgen hat, dann kann man auf so etwas auch pfeifen .


(Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Stört ja niemand!)


Wenn wir uns die wirtschaftliche Entwicklung an-
schauen, dann stellen wir also fest: Es besteht die Ge-
fahr, dass die Unternehmensmitbestimmung zum Aus-
laufmodell wird . Da müssen wir gar nicht viel machen .
Das geschieht einfach durch die immer stärkere interna-
tionale  Verflechtung  der  Wertschöpfungsketten  in  den 
Unternehmen . Das geschieht durch die immer stärkere
Finanzmarktgetriebenheit der Unternehmen . Es gibt
eben immer weniger klassische Familienbetriebe mit
dem Pa triarchen, der vor Ort ansprechbar ist . Vielmehr
haben wir es immer mehr mit anonymen Investoren und
Anlegern zu tun, die ganz andere Strategien verfolgen
und die von Mitbestimmung noch nichts gehört haben .
Das hat zu tun mit dem Strukturwandel in den Betrieben,
Stichwort „Digitalisierung“, mit der Tertiarisierung – der
Dienstleistungsbereich, der immer mehr Beschäftigte
umfasst, ist in weiten Teilen eine mitbestimmungsfreie
Zone – und natürlich mit der Prekarisierung von Arbeits-
verhältnissen . Befristet Beschäftigte, zum Beispiel Leih-
arbeiterinnen und Leiharbeiter, werden wenig Kampfes-
willen entwickeln, wenn es um die unternehmerische
oder betriebliche Mitbestimmung geht .


(Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau!)


Das heißt also: Die Reden über die Chancen von Di-
gitalisierung und Arbeit 4 .0 kann man sich sparen, wenn
wir nicht bereit sind, auch die Ausweitung der Mitbe-
stimmungstatbestände zu diskutieren bei Fragen der
Unternehmensstrukturierung, in wirtschaftlichen Ange-
legenheiten, aber auch in Fragen der Weiterbildung usw .

usf . Das heißt, es geht nicht nur um die Schließung von
Lücken, sondern um eine umfassende Ertüchtigung . Wir
sind sehr gespannt, wie es in den nächsten Wochen in den
Ausschussberatungen laufen wird .


(Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir machen eine schöne Anhörung!)


Natürlich müssen wir dafür sorgen, dass bei der kom-
menden Bundestagswahl Mehrheiten entstehen – viel-
leicht mit den Grünen zusammen oder mit wem auch
immer –, die einer solchen Initiative, wie wir sie hier vor
uns haben, zum Erfolg verhelfen .


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg . Jutta Krellmann [DIE LINKE])



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1821310700

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sind damit am

Schluss dieses Tagesordnungspunktes . Ich schließe die
Aussprache .

Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 18/10253 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen . Sind Sie damit ein-
verstanden? – Das ist der Fall . Dann ist die Überweisung
so beschlossen .

Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tages-
ordnung .

Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundes-
tages auf Mittwoch, den 25 . Januar 2017, 13 Uhr, ein .

Die Sitzung ist geschlossen . Ich wünsche Ihnen ein
schönes Wochenende .