Protokoll:
18207

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Metadaten
  • date_rangeWahlperiode: 18

  • date_rangeSitzungsnummer: 207

  • date_rangeDatum: 2. Dezember 2016

  • access_timeStartuhrzeit der Sitzung: 09:00 Uhr

  • av_timerEnduhrzeit der Sitzung: 14:08 Uhr

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  • tocInhaltsverzeichnis
    Plenarprotokoll 18/207 Deutscher Bundestag Stenografischer Bericht 207. Sitzung Berlin, Freitag, den 2. Dezember 2016 Inhalt: Tagesordnungspunkt 30: a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Sechsten Gesetzes zur Änderung des Fernstraßenausbaugesetzes Drucksachen 18/9523, 18/9853, 18/10102 Nr. 3, 18/10524 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20697 B b) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Dritten Gesetzes zur Änderung des Bundesschienenwegeausbaugesetzes Drucksachen 18/9524, 18/9953, 18/10102 Nr. 15, 18/10513 (neu) . . . . . . . . . . . . . . . 20697 B c) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über den Ausbau der Bundeswasserstraßen und zur Ände- rung des Bundeswasserstraßengesetzes Drucksachen 18/9527, 18/9952, 18/10102 Nr. 14, 18/10516 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20697 B d) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr und digitale In- frastruktur zu dem Antrag der Abgeord- neten Sabine Leidig, Herbert Behrens, Caren Lay, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Bundesverkehrs- wegeplan 2030 zurückziehen – Klima- schutz- und sozialökologische Nachhal- tigkeitsziele umsetzen Drucksachen 18/8075, 18/10514 Buchsta- be a . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20697 C e) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr und digitale Infra- struktur zu dem Antrag der Abgeordneten Matthias Gastel, Stephan Kühn (Dresden), Markus Tressel, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN: Deutschland-Takt jetzt umsetzen – Weichen in der Bundesverkehrswege- planung richtig stellen Drucksachen 18/7554, 18/10515 . . . . . . . . 20697 D f) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr und digitale In- frastruktur zu dem Antrag der Abgeord- neten Dr. Valerie Wilms, Matthias Gastel, Stephan Kühn (Dresden), weiterer Abge- ordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN: Den Bundesverkehrswe- geplan zum Bundesnetzplan weiterent- wickeln Drucksachen 18/8083, 18/10514 Buchsta- be b . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20697 D Alexander Dobrindt, Bundesminister BMVI . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20698 A Sabine Leidig (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . 20700 D Sören Bartol (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20702 A Dr. Valerie Wilms (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20703 C Patrick Schnieder (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . 20705 B Herbert Behrens (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . 20707 B Christian Pegel, Minister (Mecklenburg- Vorpommern) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20708 B Matthias Gastel (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20710 A Ulrich Lange (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . 20710 D Gustav Herzog (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20712 A Arnold Vaatz (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . 20713 D Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 207. Sitzung. Berlin, Freitag, den 2. Dezember 2016II Tagesordnungspunkt 8: Antrag der Abgeordneten Katja Dörner, Kerstin Andreae, Dr. Franziska Brantner, wei- terer Abgeordneter und der Fraktion BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN: Familien stärken – Kinder fördern Drucksache 18/10473 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20716 C Dr. Franziska Brantner (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20716 D Martin Patzelt (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . 20717 B Marcus Weinberg (Hamburg) (CDU/CSU). . . 20718 C Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) . . . . . . . 20719 A Norbert Müller (Potsdam) (DIE LINKE) . . . . 20721 A Susann Rüthrich (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20723 A Markus Koob (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . 20724 B Jörn Wunderlich (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . 20726 D Gülistan Yüksel (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20728 A Lisa Paus (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) . . . 20729 A Paul Lehrieder (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . 20730 B Birgit Kömpel (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20732 B Ingrid Pahlmann (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . 20733 A Ulrike Bahr (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20734 D Sönke Rix (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20735 C Marcus Weinberg (Hamburg) (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20736 C Tagesordnungspunkt 11: Zweite Beratung und Schlussabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Ent- wurfs eines Gesetzes zu dem Protokoll vom 19. Mai 2016 zum Nordatlantikvertrag über den Beitritt Montenegros Drucksachen 18/9989, 18/10332 . . . . . . . . . . 20737 B Josip Juratovic (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20737 C Dr. Alexander S. Neu (DIE LINKE) . . . . . . . . 20738 C Peter Beyer (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . . 20739 C Dr. Tobias Lindner (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20740 C Julia Obermeier (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . 20741 C Tagesordnungspunkt 33: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Vierten Geset- zes zur Änderung des Gentechnikgesetzes Drucksache 18/10459 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20742 C Christian Schmidt, Bundesminister BMEL . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20742 D Karin Binder (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . 20744 A Elvira Drobinski-Weiß (SPD) . . . . . . . . . . . . . 20745 A Harald Ebner (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20746 A Kees de Vries (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . 20747 A Dr. Matthias Miersch (SPD) . . . . . . . . . . . . . . 20748 C Stephan Albani (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . 20749 D Tagesordnungspunkt 34: a) Antrag der Abgeordneten Cornelia Möhring, Katja Kipping, Sigrid Hupach, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Alleinerziehende entlas- ten – Umgangsmehrbedarf anerkennen Drucksache 18/10283 . . . . . . . . . . . . . . . . 20751 B b) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend zu dem Antrag der Abgeord- neten Jörn Wunderlich, Cornelia Möhring, Sigrid Hupach, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Lebenssituati- on von Alleinerziehenden deutlich ver- bessern Drucksachen 18/6651, 18/10106 . . . . . . . . 20751 B Jörn Wunderlich (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . 20751 B Gudrun Zollner (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . 20752 C Dr. Franziska Brantner (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20754 B Gabriele Hiller-Ohm (SPD) . . . . . . . . . . . . . . 20755 C Jutta Eckenbach (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . 20756 D Sigrid Hupach (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . 20758 B Dr. Fritz Felgentreu (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . 20759 C Nächste Sitzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20760 D Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten . . . . . . 20761 A Anlage 2 Erklärungen nach § 31 GO zu der Abstim- mung über den von der Bundesregierung ein- gebrachten Entwurf eines Sechsten Gesetzes zur Änderung des Fernstraßenausbaugesetzes (Tagesordnungspunkt 30 a) . . . . . . . . . . . . . . . 20762 A Heike Baehrens (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20762 A Michael Groß (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20762 B Dr . Hans-Ulrich Krüger (SPD) . . . . . . . . . . . . 20762 C Christian Lange (Backnang) (SPD) . . . . . . . . 20762 D Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 207. Sitzung. Berlin, Freitag, den 2. Dezember 2016 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 207. Sitzung. Berlin, Freitag, den 2. Dezember 2016 III Annette Sawade (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20763 A Dr . Dorothee Schlegel (SPD) . . . . . . . . . . . . . 20763 C Ute Vogt (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20763 D Anlage 3 Erklärungen nach § 31 GO zu der Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrach- ten Entwurf eines Dritten Gesetzes zur Ände- rung des Bundesschienenwegeausbaugesetzes (Tagesordnungspunkt 30 b) . . . . . . . . . . . . . . . 20764 B Maik Beermann (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . 20764 B Achim Post (Minden) (SPD) . . . . . . . . . . . . . . 20764 C Albert Rupprecht (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . 20765 A Anlage 4 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Heike Brehmer (CDU/CSU) zu den Abstim- mungen über – den von der Bundesregierung eingebrach- ten Entwurf eines Sechsten Gesetzes zur Änderung des Fernstraßenausbaugesetzes – den von der Bundesregierung eingebrach- ten Entwurf eines Dritten Gesetzes zur Än- derung des Bundesschienenwegeausbau- gesetzes – den von der Bundesregierung eingebrach- ten Entwurf eines Gesetzes über den Aus- bau der Bundeswasserstraßen und zur Än- derung des Bundeswasserstraßengesetzes – die Beschlussempfehlung des Ausschus- ses für Verkehr und digitale Infrastruktur zu dem Antrag der Abgeordneten Sabine Leidig, Herbert Behrens, Caren Lay, wei- terer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Bundesverkehrswegeplan 2030 zurückziehen – Klimaschutz- und sozial- ökologische Nachhaltigkeitsziele umset- zen – die Beschlussempfehlung des Ausschus- ses für Verkehr und digitale Infrastruktur zu dem Antrag der Abgeordneten Matthias Gastel, Stephan Kühn (Dresden), Markus Tressel, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Deutschland-Takt jetzt umsetzen – Wei- chen in der Bundesverkehrswegeplanung richtig stellen – die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Verkehr und digitale Infrastruktur zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Valerie Wilms, Matthias Gastel, Stephan Kühn (Dresden), weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Den Bundesverkehrswegeplan zum Bun- desnetzplan weiterentwickeln (Tagesordnungspunkte 30 a bis f) . . . . . . . . . . 20765 C Anlage 5 Amtliche Mitteilungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20766 C (A) (C) (B) (D) Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 207. Sitzung. Berlin, Freitag, den 2. Dezember 2016 20697 207. Sitzung Berlin, Freitag, den 2. Dezember 2016 Beginn: 9.00 Uhr
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    Dr. Fritz Felgentreu (A) (C) (B) (D) Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 207. Sitzung. Berlin, Freitag, den 2. Dezember 2016 20761 Anlagen zum Stenografischen Bericht Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Aken, Jan van DIE LINKE 02.12.2016 Barthle, Norbert CDU/CSU 02.12.2016 Beck (Bremen), Marieluise BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 02.12.2016 Beck (Köln), Volker BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 02.12.2016 Böhmer, Dr. Maria CDU/CSU 02.12.2016 Bülow, Marco SPD 02.12.2016 Dinges-Dierig, Alexandra CDU/CSU 02.12.2016 Dörner, Katja BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 02.12.2016 Ernstberger, Petra SPD 02.12.2016 Ferner, Elke SPD 02.12.2016 Gehring, Kai BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 02.12.2016 Gottschalck, Ulrike SPD 02.12.2016 Groth, Annette DIE LINKE 02.12.2016 Haßelmann, Britta BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 02.12.2016 Hendricks, Dr. Barbara SPD 02.12.2016 Kindler, Sven-Christian BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 02.12.2016 Kipping, Katja DIE LINKE 02.12.2016 Klein-Schmeink, Maria BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 02.12.2016 Kolbe, Daniela SPD 02.12.2016 Korte, Jan DIE LINKE 02.12.2016 Kühn-Mengel, Helga SPD 02.12.2016 Kunert, Katrin DIE LINKE 02.12.2016 Kurth, Markus BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 02.12.2016 Lerchenfeld, Philipp Graf CDU/CSU 02.12.2016 Leutert, Michael DIE LINKE 02.12.2016 Lühmann, Kirsten SPD 02.12.2016 Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Lutze, Thomas DIE LINKE 02.12.2016 Möhring, Cornelia DIE LINKE 02.12.2016 Müller, Dr. Gerd CDU/CSU 02.12.2016 Nahles, Andrea SPD 02.12.2016 Nouripour, Omid BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 02.12.2016 Pilger, Detlev SPD 02.12.2016 Ramsauer, Dr. Peter CDU/CSU 02.12.2016 Schlecht, Michael DIE LINKE 02.12.2016 Schmidt, Dr. Frithjof BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 02.12.2016 Schulte, Ursula SPD 02.12.2016 Schulz-Asche, Kordula BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 02.12.2016 Schulze, Dr. Klaus-Peter CDU/CSU 02.12.2016 Schwartze, Stefan SPD 02.12.2016 Steffen, Sonja SPD 02.12.2016 Steinbach, Erika CDU/CSU 02.12.2016 Steinmeier, Dr. Frank- Walter SPD 02.12.2016 Strebl, Matthäus CDU/CSU 02.12.2016 Strothmann, Lena CDU/CSU 02.12.2016 Tank, Azize DIE LINKE 02.12.2016 Thönnes, Franz SPD 02.12.2016 Ulrich, Alexander DIE LINKE 02.12.2016 Wawzyniak, Halina DIE LINKE 02.12.2016 Whittaker, Kai CDU/CSU 02.12.2016 Wöhrl, Dagmar G. CDU/CSU 02.12.2016 Wolff (Wolmirstedt), Waltraud SPD 02.12.2016 Zeulner, Emmi* CDU/CSU 02.12.2016 Zypries, Brigitte SPD 02.12.2016 *aufgrund gesetzlichen Mutterschutzes Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 207. Sitzung. Berlin, Freitag, den 2. Dezember 201620762 (A) (C) (B) (D) Anlage 2 Erklärungen nach § 31 GO zu der Abstimmung über den von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurf eines Sechsten Geset- zes zur Änderung des Fernstraßenausbaugesetzes (Tagesordnungspunkt 30 a) Heike Baehrens (SPD): Der parlamentarische Pro- zess, der zu den hier vorliegenden Ausbaugesetzen und Änderungsanträgen geführt hat, war lang und zum Teil schwierig. Umso mehr freut es mich, als Sozialdemokra- tin aus Baden-Württemberg und als Abgeordnete für den Landkreis Göppingen, dass der Ausbau der A 8 am Alb- aufstieg endlich als fest disponierte Maßnahme bestätigt wurde. Ebenso begrüße ich sehr, dass der Abschnitt Gin- gen-Ost nach Geislingen-Mitte nun zum Vordringlichen Bedarf zählt. Ich halte es jedoch für sachlich nicht richtig, dass der daran anschließende Bauabschnitt Geislingen-Mit- te bis Geislingen-Ost lediglich als Weiterer Bedarf mit Planungsrecht aufgenommen wurde. Diese Einstufung entspricht dem Status Bundesverkehrswegplan 2003 und stellt insofern keine Verbesserung dar. Ebenso wie der Abschnitt davor gehört dieser Bauabschnitt in den Vor- dringlichen Bedarf, um das Projekt bis 2030 realisieren zu können. Auf diese Weise könnten beide Bauabschnitte zusammen geplant und realisiert werden, um eine wei- tere Belastung der Wohnbevölkerung in Geislingen zu vermeiden und diese wichtige Bundesstraße ihrer Bedeu- tung entsprechend zu ertüchtigen. Trotzdem stimme ich dem Fernstraßenausbaugesetz in vorliegender Form zu. Es ist das Ergebnis mühevoller, detailreicher Fach- und Koalitionsarbeit. Eine Ableh- nung aufgrund eines einzelnen Projekts wäre nach sorg- fältiger Abwägung meiner Ansicht nach nicht vertretbar. Michael Groß (SPD): Alle guten Argumente und Gespräche haben nichts genützt. Die Verhandlungsfüh- rer von CDU und CSU zum Bundesverkehrswegeplan waren nicht bereit, die im Entwurf für ein Fernstraßen- ausbaugesetz gelistete Ortsumfahrung Alt-Marl mit ihrer 1,4 km langen Strecke aus dem Vordringlichen Bedarf zu nehmen. Weder der parteiübergreifend gefasste Be- schluss des Marler Stadtrates noch zahlreiche Einwen- dungen von mir in Zusammenarbeit mit der Landes- gruppe NRW der SPD-Bundestagsfraktion konnten den Koalitionspartner umstimmen. Ich bin sehr verärgert, dass man eine Straße, die so kein Mensch will, gegen die in der bestehenden Form die besten verkehrspolitischen und raumordnerischen Argumente vorgetragen wurden, verabschiedet wurde. Dies ist der erste Bundesverkehrswegeplan, der vor Verabschiedung im Parlament einen sechswöchigen Prozess der Bürgerbeteiligung durchlaufen musste. Das ist begrüßenswert. Auch viele Marler haben daran teil- genommen. Ich hatte als MdB aber keine Möglichkeit, die Einwendungen kennenzulernen. Ich frage mich al- lerdings: Was bringt die Beteiligung der Menschen vor Ort, wenn die Änderungsbegehren nicht aufgenommen werden? Diese Art der Bürgerbeteiligung wird ihrem ei- gentlichen Anspruch nicht gerecht. Weil mein Wahlkreis direkt betroffen ist und ich die fehlende Berücksichtigung der Bürgereinwände stark kritisiere, habe ich dem Gesetz über den Fernstraßenaus- bau heute nicht zugestimmt. Ich habe die Bürgerinitiative B 225 bereits zu einem weiteren Abstimmungstermin eingeladen. Darüber hi- naus führe ich bereits Gespräche mit dem NRW-Ver- kehrsminister und der Stadt Marl, um einen anderen Streckenverlauf zu finden. Klar ist: Wir brauchen in Marl eine Entlastung durch eine Ortsumfahrung. Diese muss aber wesentlich anders verlaufen. Jahrzehntealte Planun- gen helfen hier nicht weiter. Dr. Hans-Ulrich Krüger (SPD): Meine Zustimmung zum Bundesverkehrswegeplan 2030 verbinde ich – im Einklang mit dem Ratsbeschluss der Stadt Wesel vom 20. September 2016 – mit der Forderung, die Planungen in der vorliegenden Form nicht voranzutreiben. Die Plä- ne und die Trassenführung sind jahrzehntealt und berück- sichtigen weder die heutigen Siedlungsstrukturen noch sind sie mit den Belangen von Natur- und Umweltschutz zu vereinbaren. Auf Weseler Gebiet wird der Ortsteil Lippedorf zer- schnitten. Die veröffentliche Linie einer möglichen Tras- se geht ohne Rücksicht über Häuser und Grundstücke. Es ist den dort lebenden Menschen nicht vermittelbar, dass eine Trasse, deren Planung jahrzehntealt und völlig über- holt ist, nun realisiert werden soll. Der Ansatz einer sol- chen Planung ist meines Erachtens grundlegend falsch. Ich erwarte daher, die alte Trassenplanung nicht weiter voranzutreiben, sondern Lösungen auf bestehenden Stra- ßen zu erarbeiten. Eine sich anbietende Lösung wäre der sechsspurige Ausbau der A 3 bis Wesel. Eine weitere Lösung wäre eine vernünftige Anbindung der Südumge- hung an die L 396 (Frankfurter Straße) durch einen Brü- ckenneubau über die Lippe an gleicher Stelle, sowie auf der bestehenden B-8-Trasse durch eine optimierte Anbin- dung an die neue K 12n. Des Weiteren erwarte ich eine signifikante Verbesserung der Verkehrstrassen um Wesel, wenn die Südumgehung und die zusätzliche Auf- und Abfahrt an der A 3 in Brünen realisiert wird. Christian Lange (Backnang) (SPD): Der parlamen- tarische Prozess, der zu den hier vorliegenden Ausbau- gesetzen und Änderungsanträgen geführt hat, war lang und zum Teil schwierig. Umso mehr freut es mich, als Sozialdemokrat aus Baden-Württemberg, dass die Bera- tungen, trotz einiger Differenzen, konstruktiv verliefen. Das Gesamtpaket ist ein guter Kompromiss – deshalb stimme ich dem zu. Jedoch gibt es auch einzelne Vorhaben, die ich persön- lich und als Vertreter der baden-württembergischen SPD ablehne. So ist der Nordostring-Stuttgart weiterhin im Weiteren Bedarf mit Planungsrecht des Bundesverkehrs- wegeplans (BVWP) enthalten, obwohl ich mich stets für dessen Abstufung eingesetzt habe. Mit dem Koalitions- partner CDU/CSU war jedoch keine gemeinsame Linie zu erzielen. Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 207. Sitzung. Berlin, Freitag, den 2. Dezember 2016 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 207. Sitzung. Berlin, Freitag, den 2. Dezember 2016 20763 (A) (C) (B) (D) Dass der Nordostring-Stuttgart im BVWP enthalten ist, bedeutet jedoch nicht, dass es keine Gestaltungs- möglichkeiten gibt. Denn das sogenannte Nutzen-Kos- ten-Verhältnis (NKV) des Nordostrings, das jetzt beson- ders hoch ist, muss vor der konkreten Planungsaufnahme neu berechnet werden. Wenn aber wiederum der vom Land vorgeschlagene Ausbau des Autobahnzubringers L 1115 zwischen Backnang-West und Mundelsheim vor- ankommt, ist davon auszugehen, dass das NKV durch die neue Entlastungsstraße nach unten korrigiert wird. Trotzdem stimme ich dem Fernstraßenausbaugesetz in vorliegender Form zu. Es ist das Ergebnis mühevoller, detailreicher Fach- und Koalitionsarbeit. Eine Ableh- nung aufgrund eines einzelnen Projekts wäre, nach sorg- fältiger Abwägung, meiner Ansicht nach nicht vertretbar. Annette Sawade (SPD): Der parlamentarische Pro- zess, der zu den hier vorliegenden Ausbaugesetzen und Änderungsanträgen geführt hat, war lang und zum Teil schwierig. Umso mehr freut es mich, als Sozialdemo- kratin aus Baden-Württemberg und als Mitglied des Ver- kehrsausschusses, dass die Beratungen, trotz einiger Dif- ferenzen, konstruktiv verliefen. Das Gesamtpaket ist ein guter Kompromiss – deshalb stimme ich dem zu. Jedoch gibt es auch einzelne Vorhaben, die ich persön- lich und als Vertreterin der Baden-Württembergischen SPD ablehne. So ist der Nordostring-Stuttgart weiterhin im Weiteren Bedarf mit Planungsrecht des BVWP ent- halten, obwohl ich mich stets für dessen Abstufung ein- gesetzt habe. Mit dem Koalitionspartner CDU/CSU war jedoch keine gemeinsame Linie zu erzielen. Dass der Nordostring-Stuttgart im BVWP enthalten ist, bedeutet jedoch nicht, dass es keine Gestaltungs- möglichkeiten gibt. Denn das sogenannte Nutzen-Kos- ten-Verhältnis (NKV) des Nordostrings, das jetzt beson- ders hoch ist, muss vor der konkreten Planungsaufnahme neu berechnet werden. Wenn aber wiederum der vom Land vorgeschlagene Ausbau des Autobahnzubringers L 1115 zwischen Backnang-West und Mundelsheim vor- ankommt, ist davon auszugehen, dass das NKV durch die neue Entlastungsstraße nach unten korrigiert wird. Ein weiteres Straßenprojekt ist besonders umstritten: Dabei geht es um die B 29 neu Röttinger Höhe nach Nördlingen. Ich habe bei den Beratungen immer wieder die hohe Umweltproblematik der favorisierten Süd-Va- riante angesprochen, die schützenswerten Naturraum im Härtsfeld zerschneiden würde. Das BMVI sicherte zu, dass es noch keine Festlegung auf eine Trasse gebe. Dies gelte im Übrigen für alle Projekte im BVWP. Dies lässt mich also hoffen, dass dieses Projekt noch ergebnisoffen ist – auch wenn ich es persönlich im Weiteren Bedarf fa- vorisiert hätte. Aber auch hier war keine Einigung mit der Union möglich. Trotzdem stimme ich dem Fernstraßenausbaugesetz in vorliegender Form zu. Es ist das Ergebnis mühevoller, detailreicher Fach- und Koalitionsarbeit. Eine Ableh- nung aufgrund eines einzelnen Projekts wäre, nach sorg- fältiger Abwägung, meiner Ansicht nach nicht vertretbar. Dr. Dorothee Schlegel (SPD): Der parlamentarische Prozess, der zu den hier vorliegenden Ausbaugesetzen und Änderungsanträgen geführt hat, war lang und zum Teil schwierig. Umso mehr freut es mich, als Sozialde- mokratin aus Baden-Württemberg, dass die Beratungen, trotz einiger Differenzen, konstruktiv verliefen. Das Ge- samtpaket ist ein guter Kompromiss – deshalb stimme ich dem zu. Jedoch gibt es auch einzelne Vorhaben, die ich als Vertreterin der Baden-Württembergischen SPD ablehne. So ist der Nordostring-Stuttgart weiterhin im Weiteren Bedarf mit Planungsrecht des BVWP enthalten. Mit dem Koalitionspartner CDU/CSU war jedoch keine gemein- same Linie zu erzielen. Dass der Nordostring-Stuttgart im BVWP enthalten ist, bedeutet jedoch nicht, dass es keine Gestaltungs- möglichkeiten gibt. Denn das sogenannte Nutzen-Kos- ten-Verhältnis (NKV) des Nordostrings, das jetzt beson- ders hoch ist, muss vor der konkreten Planungsaufnahme neu berechnet werden. Wenn aber wiederum der vom Land vorgeschlagene Ausbau des Autobahnzubringers L 1115 zwischen Backnang-West und Mundelsheim vor- ankommt, ist davon auszugehen, dass das NKV durch die neue Entlastungsstraße nach unten korrigiert wird. Ein weiteres Straßenprojekt ist besonders umstritten: Dabei geht es um die B 29 neu Röttinger Höhe nach Nördlingen. Bei den Beratungen wurde immer wieder die hohe Umweltproblematik der favorisierten Süd-Va- riante angesprochen, die schützenswerten Naturraum im Härtsfeld zerschneiden würde. Das BMVI sicherte zu, dass es noch keine Festlegung auf eine Trasse gebe. Dies gelte im Übrigen für alle Projekte im BVWP. Dies lässt mich also hoffen, dass dieses Projekt noch ergebnisof- fen ist – auch wenn ich es im Weiteren Bedarf favorisiert hätte. Aber auch hier war keine Einigung mit der Union möglich. Trotzdem stimme ich dem Fernstraßenausbaugesetz in vorliegender Form zu. Es ist das Ergebnis mühevoller, detailreicher Fach- und Koalitionsarbeit. Eine Ableh- nung aufgrund eines einzelnen Projekts wäre, nach sorg- fältiger Abwägung, meiner Ansicht nach nicht vertretbar. Ute Vogt (SPD): Der Deutsche Bundestag beschließt heute das Fernstraßenausbaugesetz zur Umsetzung des Bundesverkehrswegeplans. Die darin enthaltene Aufnah- me des Vorhabens B 29 Nordostring Stuttgart in den wei- teren Bedarf mit Planungsrecht lehne ich entschieden ab. Der Nordostring ist eine unnötige und sehr umstritte- ne Maßnahme. Das Projekt trägt weder zur Entlastung der Stadt Stuttgart und ihrer Innenstadt bei noch löst es die Verkehrsprobleme in der Region. Eine zukunftsorientierte Verkehrspolitik sieht anders aus. Daher lehnt auch die SPD in Stuttgart und in der Region das Projekt ganz klar ab. Auch die hohen ökologischen Risiken sprechen ein- deutig gegen den Nordostring. Unverantwortbar ist das Vorhaben wegen der massiven Eingriffe in die Land- schaft und der negativen Auswirkungen auf die gesamte Region, so zum Beispiel beim Natur- und Artenschutz und in der Landwirtschaft. Das Projekt zerstört zudem Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 207. Sitzung. Berlin, Freitag, den 2. Dezember 201620764 (A) (C) (B) (D) den letzten großen Frei- und Erholungsraum im Nordos- ten von Stuttgart. Die Unterlagen und Daten, die der aktuellen Einstu- fung und Bewertung des Bundesministeriums für Ver- kehr und digitale Infrastruktur (BMVI) zugrunde liegen, sind teils veraltet bzw. nicht belastbar. Von daher ist die gesamtwirtschaftliche Bewertung des Projektes nicht nachvollziehbar. Die Art und Weise der Wiederaufnahme des Nord- ostrings in den Bundesverkehrswegeplan ist mehr als befremdlich. Das Land Baden-Württemberg hat seine Aufnahme nicht beantragt und lehnt das Projekt ab. Abgelehnt wird das Projekt auch von der Mehrheit der betroffenen Kommunen in der Region. Gemeinsam mit den Verkehrspolitikerinnen und Verkehrspolitikern der SPD-Bundestagfraktion habe ich mich gegen die Wiederaufnahme des Nordostrings in den Bundesverkehrswegeplan ausgesprochen. Allerdings hat das BMVI offenbar im Vorfeld nur Gespräche mit den wenigen Mandatsträgern und Vertretern der Region Stutt- gart geführt, die dieses Projekt unterstützen. Ein solches Projekt kann aber nicht gegen den Wider- stand der Betroffenen verwirklicht werden. Insofern habe ich kein Verständnis dafür, dass das Projekt auf Betrei- ben einiger weniger CDU-Abgeordneten aus Stuttgart und der Region wieder in den Bundesverkehrswegeplan aufgenommen wurde. Es ist mir wichtig, mit dieser persönlichen Erklärung nochmals zu unterstreichen, dass ich die Wiederaufnah- me des Nordostrings in den Bundesverkehrswegeplan ablehne. Die im Bundesverkehrswegeplan enthaltenen Maßnahmen werden entlang ihrer Priorität, ihres Verfah- rensstandes bei der Planung und anhand weiterer Faktoren zunächst in Fünfjahrespläne aufgenommen. Erst in den jährlichen Haushaltsberatungen werden nach Erlangung der planerischen Baureife die Finanzierung und damit die Baufreigabe erteilt. Ich werde mich daher weiterhin nach- drücklich gegen einen Bau des Vorhabens einsetzen. Eine Abstimmung über ein einzelnes Vorhaben ist im Rahmen der zweiten und dritten Lesung des Fernstraßen- ausbaugesetzes im Bundestag leider nicht möglich. Das Gesetz enthält zudem eine Vielzahl sinnvoller und wich- tiger Verkehrsprojekte, insbesondere in Bereichen des Erhalts und der Engpassbeseitigung, die vor Ort dringend benötigt werden. Daher werde ich dem Gesetz als Ganzes heute zustimmen. Anlage 3 Erklärungen nach § 31 GO zu der Abstimmung über den von der Bundesre- gierung eingebrachten Entwurf eines Dritten Ge- setzes zur Änderung des Bundesschienenwegeaus- baugesetzes (Tagesordnungspunkt 30 b) Maik Beermann (CDU/CSU): Dem Gesetzentwurf werde ich zustimmen und möchte nachfolgend meine Position zur Sache wie folgt erklären: Meine Notwendigkeit zur persönlichen Erklärung be- ruht auf der Maßnahme ABS/NBS Hannover–Bielefeld, die ich in der gefassten Form ablehne. Ich bin ein Befür- worter der trassennahen Ausbauvariante Löhne–Haste, statt einer Neubauvariante mit einem möglichen Tunnel durch den Jakobsberg und einer Streckenführung durch die Bückeburger Niederungen. Dies ist ebenso der ge- setzte Wille der Bevölkerung im Schaumburger Land, den ich an dieser Stelle vertrete. Neben diesem Projekt enthält das Bundesschienen- wegeausbaugesetz jedoch mehrheitlich Projekte, die ich befürworten kann und die in den Regionen von den Men- schen erwünscht sind und unser Land voranbringen. Ich hätte mit einem Nein ebenso gegen diese Projekte stimmen müssen und auch wenn mir das bisherige Er- gebnis der Diskussion des oben genannten Projektes für meinen Wahlkreis Nienburg II – Schaumburg nicht ge- fällt und es ein Zeichen hätte sein können, trotzdem mit Nein zu stimmen, wäre es aus demokratischen Gesichts- punkten und auch der bundespolitischen Verantwortung den Menschen im gesamten Land gegenüber unfair, auch deren Projekte pauschal mit abzulehnen. Achim Post (Minden) (SPD): Der vorliegende Ge- setzentwurf sieht im „Bedarfsplan für die Bundesschie- nenwege“ (Anlage 1 zu § 1 des BSWAG) als Maßnahme des Vordringlichen Bedarfs das Vorhaben Nr. 13 „ABS/ NBS Hannover–Bielefeld“ (ABS = Ausbaustrecke / NBS = Neubaustrecke) vor. Eine ergänzende Fußnote soll den Einwendungen, insbesondere aus der Region Ostwestfalen-Lippe, Rechnung tragen. Durch die For- mulierung „ohne Querung Seelze-Süd und ohne Tun- nel Jakobsberg unter der Maßgabe, dass die für einen Deutschland-Takt erforderliche Fahrzeitverkürzung von voraussichtlich acht Minuten erreicht wird“ sollen die Befürchtungen der Städte Minden und Porta Westfalica sowie der Kommunen entlang einer potenziellen Tunnel- strecke ausgeräumt werden. Die betroffenen Kommunen und Kreise in Nord- rhein-Westfalen und Niedersachsen sowie der Regional- rat Detmold sprechen sich schon seit Jahren übereinstim- mend für eine Engpassbeseitigung auf der Bahnstrecke Bielefeld–Hannover durch den Ausbau der vorhandenen zweigleisigen Schienentrasse auf vier Gleise im Stre- ckenabschnitt Lindhorst–Löhne aus. Auch die Verkehrs- ministerien Nordrhein-Westfalens und Niedersachsens haben sich im Verfahren zum Bundesverkehrswegeplan und zum Gesetzentwurf zur Änderung des Bundesschie- nenwegeausbaugesetzes (BSWAG) deutlich für den Aus- bau der bestehenden Strecke eingesetzt. Gleichwohl bliebe es trotz der Fußnote im neuen BSWAG möglich, die vorhandene Strecke nicht auszu- bauen und stattdessen eine Neubaustrecke zwischen der Landesgrenze Niedersachsen/NRW und Porta Westfalica umzusetzen. Eine Neubaustrecke ist aber meiner Mei- nung nach vor allem aus landschaftlichen, städtebau- lichen, verkehrs- und umweltpolitischen Gründen un- tragbar. Auch die bislang angesetzten Kosten von rund 1,885 Milliarden Euro sind aufgrund der massiven Ein- griffe in die Landschaft so hoch, dass der Ausbau statt Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 207. Sitzung. Berlin, Freitag, den 2. Dezember 2016 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 207. Sitzung. Berlin, Freitag, den 2. Dezember 2016 20765 (A) (C) (B) (D) eines Neubaus keine höheren Kosten erwarten lässt, son- dern eher zu einer Kostenverringerung führen wird. Allein eine geänderte Vorhabenbeschreibung als Vor- haben Nr. 13 „ABS/NBS Hannover–Lindhorst / ABS Lindhorst–Löhne“ hätte zwingende Bindungswirkung für die Bundesregierung und den Vorhabenträger Deut- sche Bahn. Auch wenn das Gesetz eines der wichtigsten verkehrs- politischen Projekte des Parlaments in dieser Legislatur- periode ist, ist es mir als Abgeordneter aus der Region Ostwestfalen-Lippe aus den zuvor genannten Gründen und nach Abwägung aller Aspekte nicht möglich, den zur Abstimmung stehenden Entwurf zu unterstützen. Deshalb stimme ich gegen diesen Gesetzentwurf. Albert Rupprecht (CDU/CSU): Zu dem Dritten Ge- setz zur Änderung des Bundesschienenwegeausbauge- setzes gebe ich folgende Erklärung ab: Ich stimme diesem Gesetz unter der Annahme zu, dass die im Bedarfsplan für die Bundesschienengesetze (Ab- schnitt 2, Unterabschnitt 1) genannte Einzelmaßnahme mit der laufenden Nummer 16 ABS Hof–Marktredwitz– Regensburg–Obertraubling (Ostkorridor Süd) Lärmvor- sorgemaßnahmen nach sich zieht. Der Lärmschutz für die Anlieger muss durch den im Gesetz geregelten Rechtsanspruch auf Lärmvorsorge oder eine für die betroffenen Anlieger adäquate Rechts- grundlage und entsprechende Lärmschutzmaßnahmen sichergestellt werden. Eine adäquate Rechtsgrundlage befindet sich im Beschluss des Deutschen Bundesta- ges vom 26. Januar 2016 – Drucksache 18/7365 – mit dem Titel „Menschen- und umweltgerechte Realisie- rung europäischer Schienennetze“. Darin beschloss der Deutsche Bundestag, „bei der Realisierung von Schie- nengütertrassen im Rahmen der Verkehrskorridore des TEN-Verkehr-Kernnetzes die rechtliche Gleichstellung von Ausbaustrecken an Neubaustrecken sicherzustellen“. Einen Rechtsanspruch auf Schutz vor Verkehrslärm gewährt das Bundes-Immissionsschutzgesetz (BIm- SchG) in Verbindung mit der Verkehrslärmschutzver- ordnung (16. BImSchV). Als sogenannte Lärmvorsorge ist beim Neubau oder bei einer wesentlichen baulichen Änderung eines Verkehrsweges Vorsorge gegen Ver- kehrslärm zu treffen, der als Folge der Baumaßnahme für die Zukunft prognostiziert ist. Die erwähnte Strecke ist Teil des TEN-Kernnetzes Güterverkehr. In der Conclusio ist somit festgestellt, dass der Aus- bau der TEN-Strecke Hof–Regensburg als Neubaustre- cke behandelt wird und somit die im Bundes-Immissi- onsschutzgesetz genannten, strengeren Grenzwerte der Lärmvorsorge eingehalten werden müssen. Darüber hinaus geht aus den TEN-Beschlüssen her- vor, dass hier über das gesetzlich festgelegte rechtliche Schutzniveau ein höheres Schutzniveau im Sinne der Lärmvorsorge gefordert wird. Ich gehe selbstverständlich davon aus, dass ein Be- schluss des Deutschen Bundestages bindend ist und der erwähnte Beschluss im zugrundeliegenden Regelwerk Anwendung findet – zum Beispiel Regularien zum Im- missionsschutz – und umgesetzt wird. Anlage 4 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Heike Brehmer (CDU/CSU) zu den Abstimmungen über – den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Sechsten Gesetzes zur Änderung des Fernstraßenausbaugesetzes – den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Dritten Gesetzes zur Änderung des Bundesschienenwegeausbaugesetzes – den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes über den Ausbau der Bundeswasserstraßen und zur Änderung des Bundeswasserstraßengesetzes – die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Verkehr und digitale Infrastruktur zu dem An- trag der Abgeordneten Sabine Leidig, Herbert Behrens, Caren Lay, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Bundesverkehrswegeplan 2030 zurückziehen – Klimaschutz- und sozialökologische Nachhal- tigkeitsziele umsetzen – die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Verkehr und digitale Infrastruktur zu dem Antrag der Abgeordneten Matthias Gastel, Stephan Kühn (Dresden), Markus Tressel, wei- terer Abgeordneter und der Fraktion BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN Deutschland-Takt jetzt umsetzen – Weichen in der Bundesverkehrswegeplanung richtig stellen – die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Verkehr und digitale Infrastruktur zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Valerie Wilms, Matthias Gastel, Stephan Kühn (Dresden), wei- terer Abgeordneter und der Fraktion BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN Den Bundesverkehrswegeplan zum Bundes- netzplan weiterentwickeln (Tagesordnungspunkte 30 a bis f) Der Bundesverkehrswegeplan 2030 ist mit einem Ge- samtvolumen von fast 270 Milliarden Euro das stärkste Investitionsprogramm in die Infrastruktur, das es je gege- ben hat. Von den rund 133 Milliarden Euro, die für Erhalt und Neubau des Straßennetzes zur Verfügung stehen, werden das Land Sachsen-Anhalt sowie die Landkreise Harz und Salzland in erheblichem Umfang profitieren. Aus diesen Gründen werde ich den von der Bundesre- gierung eingebrachten Entwürfen zur Änderung des Fernstraßenausbaugesetzes, des Bundesschienenwege- ausbaugesetzes und des Bundeswasserstraßengesetzes zustimmen. Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 207. Sitzung. Berlin, Freitag, den 2. Dezember 201620766 (A) (C) (B) (D) Für mich nicht zufriedenstellend ist, dass das Projekt B 81 Ortsumfahrung Blankenburg (B81-G10-ST / lau- fende Nr. 1210 im Bedarfsplan für die Bundesfernstraßen [Drucksache 18/9523]) trotz Neuberechnung im Zuge der Öffentlichkeitsbeteiligung nur in die Kategorie „Wei- terer Bedarf“ des Bundesverkehrswegeplans mit einem Nutzen-Kosten-Verhältnis (NKV) von 1,0 eingeordnet worden ist. Die schlechte Bewertung und die Einstufung in die Kategorie „Weiterer Bedarf“ sind für mich in keiner Weise fachlich nachvollziehbar. Die B 81 ist durch ihre zentrale Lage in Sachsen-Anhalt eine wichtige Ver- kehrsachse nach Thüringen und Niedersachsen. Eben- falls unverständlich ist die zur Berechnung des NKV zugrunde gelegte Verkehrsbelastung. Diese wurde in der Projektanmeldung des Landes Sachsen-Anhalt mit 15 563 Kfz/24 h (im Planfall 2030) angegeben. Das PRINS-System weist die zukünftige mittlere Verkehrsbe- lastung aber nur mit 5 000 Kfz/24 h aus. Eingereichte Unterlagen und fachliche Stellungnahmen seitens der Kommune, des Landkreises und von Trägern öffentlicher Belange wurden nicht berücksichtigt! Das Projekt TOU Hüttenrode (B27-G10-ST) wurde im Bundesverkehrswegeplan in die Kategorie „Weiterer Bedarf mit Planungsrecht“ eingestuft. Mit der möglichen Realisierung der B 27 TOU Hüttenrode sind jedoch auch die verkehrlichen Wirkungen dieses Vorhabens im um- liegenden Straßennetz zu berücksichtigen. Dies betrifft insbesondere die Auswirkungen auf den Streckenzug der B 81 nördlich des Knotenpunktes Almsfeld bis Blanken- burg. Aufgrund der vorhandenen netzstrukturellen Zu- sammenhänge ist davon auszugehen, dass der gesamte Verkehr auf der TOU Hüttenrode den benannten Stre- ckenabschnitt der B 81 in Richtung Blankenburg befah- ren wird. Gemäß den Angaben des BMVI-Projektdossiers für die B 27 TOU Hüttenrode ist hier im Planfall mit 2 000 Kfz/24 h zu rechnen (die projektspezifische Ver- kehrsuntersuchung im Rahmen der Entwurfsplanung weist hier etwa 4 000 Kfz/24 h aus). Demnach sind bei der Beurteilung des durch das Land Sachsen-Anhalt ebenfalls angemeldeten Vorhabens der B 81 OU Blan- kenburg zumindest die im Projektdossier für die B 27 TOU Hüttenrode ausgewiesenen Verkehrszahlen zusätz- lich zu berücksichtigen. Folglich ist die Verkehrsbelas- tung auf der B 81 OU Blankenburg (anstatt mit den im Projektdossier ausgewiesenen 5 000 Kfz/24 h) mit cir- ca 7 000 Kfz/24 h anzunehmen (die projektspezifische Verkehrsuntersuchung im Rahmen der Entwurfsplanung weist hier 9 760 Kfz/24 h aus). Die Korrektur der Verkehrsbelastungszahlen hat einen erheblichen Einfluss auf die Berechnung des Nutzens der Ortsumgehung, sodass eine Überprüfung und Neube- rechnung des Nutzen-Kosten-Verhältnisses für die Ent- scheidung der Einordnung in die Kategorien Vordring- licher Bedarf oder WB* aufgrund der beschriebenen Veränderungen der prognostizierten Verkehrsdaten für die Maßnahme B 81 OU Blankenburg zwingend geboten gewesen wäre! Die Unterlagen für das Projekt B 81 OU Blankenburg liegen dem Ministerium für Verkehr und digitale Infra- struktur bereits seit März 2015 für den „Gesehen-Ver- merk“ vor. Zumindest dieser Vermerk sollte erteilt wer- den, damit die Planungen fortgesetzt werden können und die bisher vom Land Sachsen-Anhalt geleisteten Pla- nungsinvestitionen in Höhe von 1,2 Millionen Euro nicht umsonst waren. Anlage 5 Amtliche Mitteilungen ohne Verlesung Der Bundesrat hat in seiner 951. Sitzung am 25. No- vember 2016 beschlossen, den nachstehenden Gesetzen zuzustimmen bzw. einen Antrag gemäß Artikel 77 Ab- satz 2 des Grundgesetzes nicht zu stellen: – Gesetz zur Änderung des Arbeitnehmerüberlas- sungsgesetzes und anderer Gesetze – Gesetz zur Flexibilisierung des Übergangs vom Er- werbsleben in den Ruhestand und zur Stärkung von Prävention und Rehabilitation im Erwerbsle- ben (Flexirentengesetz) Der Bundesrat hat ferner folgende Entschließung ge- fasst: Der Bundesrat bittet die Bundesregierung, eine dau- erhafte Regelung zu schaffen, nach der Aufwandsent- schädigungen, die ehrenamtlich Tätige erhalten, nicht als Hinzuverdienst bei vorgezogenen Altersrenten und Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit zu be- rücksichtigen sind. Aufwandsentschädigungen, die kommunale Eh- renbeamte und Ehrenbeamtinnen, ehrenamtlich in kommunalen Vertretungskörperschaften Tätige oder Mitglieder der Selbstverwaltungsorgane, Versicherte- nälteste oder Vertrauenspersonen der Sozialversiche- rungsträger erhalten, werden bisher auf Grund einer Übergangsregelung bis zum 30. September 2017 nicht als Hinzuverdienst bei einer vorzeitigen Altersrente und bei einer Rente wegen Erwerbsminderung berück- sichtigt, soweit kein konkreter Verdienstausfall ersetzt wird. Diese Regelung stellt keine befriedigende Lösung dar. Nach Ablauf der Übergangsfrist würde es wieder zu einer Einkommensanrechnung kommen und damit zu einer unzumutbaren Kürzung von vorzeitigen Alters- und Erwerbsminderungsrenten ehrenamtlich Tätiger. Aufgrund der besonderen Bedeutung des Ehrenamtes für die Gesellschaft muss eine dauerhafte Regelung geschaffen werden, um Aufwandsentschädigungen für ehrenamtlich Tätige von einer Hinzuverdienstanrech- nung auszunehmen. Bei einer Berücksichtigung von Aufwandsentschädigungen als Hinzuverdienst würde zukünftig die Bereitschaft, ein Ehrenamt zu überneh- men, zurückgehen. Im Interesse einer Gleichbehand- lung soll diese Regelung für alle ehrenamtlich Tätigen gelten. Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 207. Sitzung. Berlin, Freitag, den 2. Dezember 2016 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 207. Sitzung. Berlin, Freitag, den 2. Dezember 2016 20767 (A) (C) (B) (D) – Gesetz zur Durchführung unionsrechtlicher Vor- schriften über das Schulprogramm für Obst, Gemüse und Milch (Landwirtschaftserzeugnis- se-Schulprogrammgesetz – LwErzgSchulproG) – Gesetz zur Beendigung der Sonderzuständigkeit der Familienkassen des öffentlichen Dienstes im Bereich des Bundes – Gesetz zur Weiterentwicklung der Versorgung und der Vergütung für psychiatrische und psychosoma- tische Leistungen (PsychVVG) – Gesetz zur Neuregelung des Mikrozensus und zur Änderung weiterer Statistikgesetze – Gesetz zur Umsetzung der Richtlinie 2012/18/EU zur Beherrschung der Gefahren schwerer Unfälle mit gefährlichen Stoffen, zur Änderung und an- schließenden Aufhebung der Richtlinie 96/82/EG des Rates – Viertes Gesetz zur Änderung des Regionalisie- rungsgesetzes – Gesetz zur Änderung von Vorschriften zur Bevor- ratung von Erdöl, zur Erhebung von Mineralölda- ten und zur Umstellung auf hochkalorisches Erd- gas – Gesetz über die Feststellung des Wirtschaftsplans des ERP-Sondervermögens für das Jahr 2017 (ERP-Wirtschaftsplangesetz 2017) – Gesetz zu dem Übereinkommen des Europarats vom 16. Mai 2005 über Geldwäsche sowie Ermitt- lung, Beschlagnahme und Einziehung von Erträ- gen aus Straftaten und über die Finanzierung des Terrorismus – Gesetz zu dem Strafrechtsübereinkommen des Eu- roparats vom 27. Januar 1999 über Korruption und dem Zusatzprotokoll vom 15. Mai 2003 zum Strafrechtsübereinkommen des Europarats über Korruption – Gesetz zur Beteiligung des Bundes an den Kosten der Integration und zur weiteren Entlastung von Ländern und Kommunen Die folgenden Ausschüsse haben mitgeteilt, dass sie gemäß § 80 Absatz 3 Satz 2 der Geschäftsordnung von einer Berichterstattung zu den nachstehenden Vorlagen absehen: Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur – Unterrichtung durch die Bundesregierung Bundesverkehrswegeplan 2030 Drucksache 18/9350 Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reak- torsicherheit – Unterrichtung durch die Bundesregierung Umweltradioaktivität und Strahlenbelastung im Jahr 2014 Drucksachen 18/9600 (neu), 18/9733 Nr. 1.4 Die Vorsitzenden der folgenden Ausschüsse haben mitgeteilt, dass der Ausschuss die nachstehenden Uni- onsdokumente zur Kenntnis genommen oder von einer Beratung abgesehen hat. Auswärtiger Ausschuss Drucksache 18/10311 Nr. A.1 Ratsdokument 12384/16 Drucksache 18/10311 Nr. A.2 Ratsdokument 12386/16 Drucksache 18/10311 Nr. A.3 Ratsdokument 12899/16 Ausschuss für Gesundheit Drucksache 18/9605 Nr. A.56 Ratsdokument 11680/16 Ausschuss für Kultur und Medien Drucksache 18/9605 Nr. A.71 Ratsdokument 10082/16 Drucksache 18/9746 Nr. A.9 Ratsdokument 11856/16 Satz: Satzweiss.com Print, Web, Software GmbH, Mainzer Straße 116, 66121 Saarbrücken, www.satzweiss.com Druck: Printsystem GmbH, Schafwäsche 1-3, 71296 Heimsheim, www.printsystem.de Vertrieb: Bundesanzeiger Verlag GmbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de 207. Sitzung Inhaltsverzeichnis TOP 30 Verkehrswegepolitik TOP 8 Familienpolitik TOP 11 NATO-Beitritt Montenegros TOP 33 Änderung des Gentechnikgesetzes TOP 34 Entlastung Alleinerziehender Anlagen Anlage 1 Anlage 2 Anlage 3 Anlage 4 Anlage 5
Gesamtes Protokol
Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1820700000

Nehmen Sie bitte Platz. Die Sitzung ist eröffnet.

Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich
begrüße Sie alle herzlich zur letzten Plenarsitzung dieser
Sitzungswoche.

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 30 a bis 30 f auf:

a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundes-
regierung eingebrachten Entwurfs eines Sechs-
ten Gesetzes zur Änderung des Fernstraßen-
ausbaugesetzes

Drucksachen 18/9523, 18/9853, 18/10102 Nr. 3

Beschlussempfehlung und Bericht des Aus-
schusses für Verkehr und digitale Infrastruktur

(15. Ausschuss)


Drucksache 18/10524

b) Zweite und dritte Beratung des von der Bundes-
regierung eingebrachten Entwurfs eines Dritten
Gesetzes zur Änderung des Bundesschienen-
wegeausbaugesetzes

Drucksachen 18/9524, 18/9953, 18/10102
Nr. 15

Beschlussempfehlung und Bericht des Aus-
schusses für Verkehr und digitale Infrastruktur

(15. Ausschuss)


Drucksache 18/10513 (neu)


c) Zweite und dritte Beratung des von der Bundes-
regierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
über den Ausbau der Bundeswasserstraßen
und zur Änderung des Bundeswasserstraßen-
gesetzes

Drucksachen 18/9527, 18/9952, 18/10102
Nr. 14

Beschlussempfehlung und Bericht des Aus-
schusses für Verkehr und digitale Infrastruktur

(15. Ausschuss)


Drucksache 18/10516

d) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Verkehr und digitale
Infrastruktur (15. Ausschuss) zu dem Antrag der
Abgeordneten Sabine Leidig, Herbert Behrens,
Caren Lay, weiterer Abgeordneter und der Frak-
tion DIE LINKE

Bundesverkehrswegeplan 2030 zurückzie-
hen – Klimaschutz- und sozialökologische
Nachhaltigkeitsziele umsetzen

Drucksachen 18/8075, 18/10514 Buchstabe a

e) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Verkehr und digitale
Infrastruktur (15. Ausschuss) zu dem Antrag der
Abgeordneten Matthias Gastel, Stephan Kühn

(Dresden), Markus Tressel, weiterer Abgeord-

neter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN

Deutschland-Takt jetzt umsetzen – Weichen
in der Bundesverkehrswegeplanung richtig
stellen

Drucksachen 18/7554, 18/10515

f) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Verkehr und digita-
le Infrastruktur (15. Ausschuss) zu dem Antrag
der Abgeordneten Dr. Valerie Wilms, Matthias
Gastel, Stephan Kühn (Dresden), weiterer Ab-
geordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN

Den Bundesverkehrswegeplan zum Bundes-
netzplan weiterentwickeln

Drucksachen 18/8083, 18/10514 Buchstabe b

Zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Än-
derung des Fernstraßenausbaugesetzes liegen ein Ände-
rungsantrag der Fraktion Die Linke sowie ein Entschlie-
ßungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor.
Außerdem liegt zu dem Gesetzentwurf der Bundesregie-
rung zur Änderung des Bundesschienenwegeausbauge-
setzes ein Änderungsantrag der Fraktion Die Linke vor.

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 207. Sitzung. Berlin, Freitag, den 2. Dezember 201620698


(A) (C)



(B) (D)


Nach einer interfraktionellen Vereinbarung soll darü-
ber 77 Minuten debattiert werden. – Einwände dagegen
sind nicht zu erkennen. Also verfahren wir so.

Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort dem
Bundesminister Alexander Dobrindt.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Alexander Dobrindt, Bundesminister für Verkehr
und digitale Infrastruktur:

Verehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und
Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir starten
heute das größte Investitionsprogramm für die Infra-
struktur, das es je gegeben hat, mit dem Bundesverkehrs-
wegeplan 2030, mit über 270 Milliarden Euro, mit mehr
als 1 000 Projekten und erstmalig mit einer klaren Finan-
zierungsperspektive. Der neue Bundesverkehrswegeplan
stärkt das, was unser Land starkmacht: Infrastruktur und
Mobilität in Deutschland.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Deutschland ist hier Vorreiter in Europa. Daran wer-
den auch die einen oder anderen schrillen Zwischenrufe
der Verkehrspessimisten nichts ändern. Es ist eine Tatsa-
che, die alle Studien belegen. Beim Best Countries Ran-
king, vorgestellt beim Weltwirtschaftsforum in Davos,
ist Deutschland das beste Land der Welt mit zehn von
zehn Punkten für die Infrastruktur. Beim Logistics Per-
formance Index der Weltbank ist Deutschland Logistik-
weltmeister und erreicht weltweit den höchsten Wert bei
der Infrastruktur. Das ist die Grundlage für Wachstum,
Wohlstand und Arbeit, für Wirtschaftskraft, Lebensqua-
lität und Wertschöpfung.

Deswegen war es natürlich falsch, in der Vergangen-
heit zu wenig dafür getan zu haben, zu wenig in die Infra-
struktur investiert zu haben, zu wenig für den Erhalt auf-
gewendet zu haben. Besonders in den Millenniumsjahren
wurden dringend notwendige Investitionen verschleppt
und die Infrastruktur auf Verschleiß gefahren. Ich sage
klar: Dieser Fehler darf sich nicht wiederholen.

Deswegen haben wir zu Beginn unserer Wahlperiode
mit dem Investitionshochlauf die notwendige Grundla-
ge für ein umfassendes Infrastruktur-Upgrade gestartet.
Das, was wir jetzt mit dem Bundesverkehrswegeplan
umsetzen, ist die Realisierung dessen, was wir an finan-
ziellen Mitteln im Haushalt zur Verfügung gestellt haben.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Die vergangenen Tage übrigens waren auf diesem
Weg der Verwirklichung einer optimierten Infrastruktur
so etwas wie ein regelrechter Ziellauf, mit dem wir eine
ganze Reihe von historischen Meilensteinen erreicht ha-
ben.

Wir haben letzten Freitag den größten Investitions-
haushalt für die Infrastruktur gestartet, der jemals im
Deutschen Bundestag beschlossen worden ist, mit über
14 Milliarden Euro für 2017 und 2018 und mit einer In-
vestitionsquote im Haushalt des Bundesministeriums für
Verkehr und digitale Infrastruktur von über 60 Prozent.

Wir haben das Regionalisierungsgesetz abgeschlossen
und geben in den nächsten 15 Jahren eine Rekordsumme
von 150 Milliarden Euro für einen leistungsfähigen Re-
gionalverkehr auf der Schiene aus.

Wir haben gestern im Deutschen Bundestag die Aus-
weitung der Lkw-Maut auf allen Bundesstraßen be-
schlossen und damit auch den Systemwechsel zur Nut-
zerfinanzierung weiter vorangetrieben.

Wir haben uns außerdem mit der EU-Kommission ge-
einigt. Es steht fest: Auch die Pkw-Maut kommt. Damit
kann man zügig alle Voraussetzungen dafür schaffen,
dass Gerechtigkeit auf unseren Straßen herrscht und dass
der Grundsatz gilt: Wer nutzt, der zahlt auch. Aber keiner
zahlt doppelt, kein inländischer Autofahrer wird mehr
belastet, meine Damen und Herren.


(Beifall bei der CDU/CSU – Gustav Herzog [SPD]: Da müsst ihr schon allein klatschen!)


Wir erreichen damit in einer Wahlperiode 2 Milliarden
Euro an Mehreinnahmen.

Ich bin an dieser Stelle schon ein bisschen überrascht,
dass, wie man heute lesen kann, Geld und diese finanziel-
len Summen in der Diskussion offensichtlich keine Rolle
mehr spielen. Meine Damen und Herren, wir haben gan-
ze Wahlperioden damit bestritten, Kommissionen über
die Frage tagen zu lassen: Wie viel mehr Geld braucht
die Infrastruktur, und woher kann dieses Geld kommen?
Die Kommissionen haben getagt, getagt, getagt. Aber
kein Euro mehr kam in die Kasse. 100 Millionen Euro
wurden stückweise Haushalt um Haushalt zur Verfügung
gestellt, um vielleicht etwas Bewegung in die Investitio-
nen zu bekommen. Jetzt, da wir Milliardenbeträge mehr
an Einnahmen schaffen, wird darauf hingewiesen, dass
dies vielleicht nur ein kleiner Teil wäre, um die Infra-
struktur zu stärken.

Im Investitionshochlauf haben wir es geschafft, zu
sichern, dass die Lkw-Maut mit 4 Milliarden Euro wei-
ter zur Verfügung steht, dass sie durch die Ausweitung
auf alle Bundesstraßen 2 Milliarden Euro zusätzlich ein-
bringt und dass die Infrastrukturabgabe jährlich 4 Milli-
arden Euro zweckgebunden an Einnahmen bringt. Das
sind zusammen 10 Milliarden Euro für Investitionen in
die Straße, langfristig gesichert. Sie wären doch über
Jahre hinweg froh gewesen, wenn Sie nur einen Bruchteil
davon hätten schaffen können, was wir jetzt ermöglicht
haben.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Diese Rekordinvestitionen sind aber kein Selbst-
zweck, sondern sie müssen zielgerichtet eingesetzt wer-
den.


(Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Echt? Seit wann das?)


Mit dem Bundesverkehrswegeplan und seinen Aus-
baugesetzen für die Infrastruktur gelingt das. Mit den
270 Milliarden Euro und den über 1 000 Projekten ma-
chen wir die Infrastruktur in Deutschland fit für das glo-

Präsident Dr. Norbert Lammert

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 207. Sitzung. Berlin, Freitag, den 2. Dezember 2016 20699


(A) (C)



(B) (D)


bale digitale Zeitalter. Wir bringen übrigens zum ersten
Mal Ökonomie und Ökologie zusammen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Lachen beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da müssen Sie ja selber lachen!)


Ja, ich weiß, dass das für die Verkehrspessimisten von
den Grünen unglaublich schwer zu ertragen ist. Schau-
en Sie, wir haben einen eigenen Umweltbericht zu allen
Projekten des Bundesverkehrswegeplans erstellt.


(Lachen beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Matthias Gastel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Den haben Sie ja gar nicht eingehalten!)


Sie wollen natürlich nicht wahrhaben, dass ein großer
Bericht darüber gemacht worden ist,


(Matthias Gastel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie haben keinerlei umweltpolitische Ziele!)


weil Sie selber zu Ihrem Bundesverkehrswegeplan vor
15 Jahren einen Umweltbericht von nur mageren sechs
Seiten hatten. Das ist doch die Wahrheit.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Ihr Bundesverkehrswegeplan von 2003, liebe Kolle-
ginnen und Kollegen von den Grünen, fällt doch im Öko-
check gnadenlos durch. Was wir in der Großen Koalition
heute machen, ist in allen Bereichen deutlich besser als
das, was Sie damals auf den Weg gebracht haben.


(Matthias Gastel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie sind immer noch grottenschlecht! Grottenschlecht!)


Wir investieren einen Rekordanteil von 70 Prozent der
Mittel in den Erhalt und in die Modernisierung. Sie haben
damals nur 56 Prozent geschafft. Wir investieren über die
Hälfte der Mittel in die Schiene und die Wasserstraße.


(Matthias Gastel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Schienenprojekte sind noch nicht bewertet worden!)


Sie haben die Mehrheit der Mittel damals in die Straße
investiert. Wir investieren heute 112 Milliarden Euro in
die Schiene, mehr als doppelt so viel als das, was Sie
damals auf den Weg gebracht haben.


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Genau!)


Lesen Sie es einfach nach! Ihre Empörung ist pure Heu-
chelei, liebe Freunde von den Grünen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Zuruf des Abg. Matthias Gastel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] – Gegenruf des Abg. Volker Kauder [CDU/CSU]: Grottenschlecht wart ihr in eurer Regierungszeit! Grottenschlecht wart ihr!)


– Volker Kauder hat recht, ihr wart grottenschlecht, als
ihr regiert habt.


(Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und das rechtfertigt, dass Sie es noch schlechter machen?)


Wir haben zum ersten Mal mit diesen Rekordmitteln
eine klare und realistische Finanzierungsperspektive
gegeben. Auch das gab es in Ihrer Zeit nicht. Ich weiß,
dass natürlich auch die Tatsache, dass wir jetzt eine ech-
te Finanzierungsperspektive für die über 1 000 Projekte
haben, ist natürlich für die Grünen alles andere als eine
gute Nachricht. Sie wollen in Wahrheit überhaupt keine
Straßen bauen, Sie wollen die Mobilität verhindern. Sie
fordern doch bei jeder wiederkehrenden Bundestagswahl
einen Stopp des Straßenbaus.


(Matthias Gastel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie machen die Staus nur breiter! Das ist Ihr Problem!)


Jetzt sage ich Ihnen: Schon 1980 haben Sie darauf
hingewiesen, man dürfe die Autobahnen nicht weiter
ausbauen. Damals hatten wir 9 000 Kilometer, jetzt ha-
ben wir 13 000 Kilometer Autobahnen. Wir haben eine
Steigerung des Verkehrs auf den Straßen um 70 Prozent.


(Matthias Gastel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau dafür bauen Sie die Infrastruktur!)


Hätten wir damals auf Sie gehört, hätten Sie sich mit
Ihrer Politik damals durchgesetzt, dann wären wir bei
der Infrastruktur heute ein Dritte-Welt-Land. Das ist die
Wahrheit.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Das Schlimmste dabei ist übrigens, liebe Kolleginnen
und Kollegen von den Grünen, dass Sie sich in den letz-
ten 30 Jahren bei diesem Thema keinen Millimeter wei-
terentwickelt haben. Sie fordern jetzt noch – ich denke
an Ihre Kollegen Kindler und Kuhn – ein Neubaumora-
torium. Sie haben auf Ihrem Parteitag vor wenigen Wo-
chen beschlossen, man müsse aufhören, dem Wachstum
hinterherzubauen.


(Matthias Gastel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau!)


Sie sind heute die gleiche straßenfeindliche Entmobili-
sierungspartei wie noch vor 30 Jahren. Daran hat sich
nichts geändert.


(Beifall bei der CDU/CSU – Matthias Gastel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das funktioniert seit 50 Jahren nicht, was Sie machen!)


Die Menschen


(Matthias Gastel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Diese Politik ist seit 50 Jahren gescheitert!)


– Sie können so laut schreien, wie Sie wollen – gehen
Ihre strikte Investitionsverweigerung, was den Verkehr
betrifft, nicht mit. Die Menschen in unserem Land wol-
len mobil sein, sie wollen Investitionen in die Infrastruk-

Bundesminister Alexander Dobrindt

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 207. Sitzung. Berlin, Freitag, den 2. Dezember 201620700


(A) (C)



(B) (D)


tur. Sie wollen, dass Deutschland bei der Mobilität Spitze
bleibt. Der aktuelle ARD-Deutschlandtrend sagt das ein-
deutig. Da wurden die Menschen gefragt, wofür Mehr-
einnahmen des Staates verwendet werden sollen. Die
absolute Mehrheit, nämlich 60 Prozent, sagt ganz klar:
für Investitionen in die Infrastruktur. Das heißt, die Men-
schen vertrauen uns, die Menschen vertrauen der Großen
Koalition, dass das Geld gut investiert wird,


(Widerspruch beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


sie setzen auf den Erfolg unserer Verkehrspolitik und
sind gegen Ihre Entmobilisierungspolitik.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Sören Bartol [SPD] – Matthias Gastel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Oh!)


Wir beenden mit unseren Rekordinvestitionen in der
Tat auch einen jahrelangen Missstand in Deutschland.
Wir beenden das Schwarze-Peter-Spiel zwischen Län-
dern und Bund, bei dem immer wieder darauf hingewie-
sen wurde, dass die Länder in den Regionen gerne bauen
würden, aber es fehlten das Geld, die Perspektive und
die Zusage vom Bund. All das ist beendet. Das Nadelöhr
sind nicht mehr die Finanzen, sondern das Nadelöhr sind
die Planungen.

Meine Baufreigaberunde hat es auch dieses Jahr ge-
zeigt: Es gibt inzwischen sehr große Unterschiede zwi-
schen den Regionen in Deutschland, was die Möglichkeit
des Schaffens von Baurecht anbelangt. Das ist übrigens
auch ein Befund, den die Bodewig-Kommission II uns
mit auf den Weg gegeben hat. Sie hat deutlich formuliert:
Einige Länder haben Schwierigkeiten, baureife Projekte
anzumelden. – Das kann auf Dauer auch nicht so bleiben.
Wir müssen das dringend ändern. Da stehen auch wir in
der Verantwortung. Deswegen habe ich eine Kommis-
sion eingesetzt, mit der wir bis zum Frühjahr nächsten
Jahres eine klare Strategie zur Planungsbeschleunigung
erarbeiten. Auch dabei gibt es keine Denkverbote. Alle
Vorschläge kommen auf den Tisch.

Wir haben diesbezüglich schon drei Maßnahmen be-
schlossen: Mit dem Brückenmodernisierungsprogramm
haben wir dafür gesorgt, dass der Klageweg bei beson-
ders dringlichen Projekten auf eine Instanz konzen-
triert wird. Wir machen das digitale Planen und Bauen
bis 2020 zum Standard bei allen Verkehrsinfrastruktur-
projekten des Bundes; wir erproben digitale Methoden
bereits heute. Und mit der Gründung einer Autobahnge-
sellschaft sorgen wir dafür, dass die zwischen Bund und
Ländern geteilten Kompetenzen gebündelt werden und
in eine alleinige Verantwortung kommen.

All das ist jetzt notwendig, um den Investitionshoch-
lauf und den Bundesverkehrswegeplan mit seinen Pro-
jekten erfolgreich umzusetzen.

Meine Damen und Herren, der Bundesverkehrswege-
plan ist kein Plan, den man in jeder Wahlperiode macht.
Alle 15 Jahre wird ein neuer Bundesverkehrswegeplan
im Parlament beraten und umgesetzt. Viele von den Kol-
leginnen und Kollegen haben Verkehrswegepläne der
Vergangenheit mit erarbeitet, begleitet und auch deren
Auswirkungen verfolgt. Ich möchte mich bei all denen

bedanken, die beim Bundesverkehrswegeplan 2030 in
den letzten Monaten so aktiv mitgearbeitet haben, dass
ein großes Projekt entstanden ist. Allen voran möchte ich
mich bedanken bei den Kolleginnen und Kollegen des
Verkehrsausschusses des Deutschen Bundestages, bei
den Kollegen, die sich damit intensiv auseinanderge-
setzt haben, bei den Kollegen Bartol und Lange, bei Frau
Lühmann, bei Herrn Vaatz, bei Herrn Herzog und bei
Herrn Schnieder, die die Verantwortung dafür getragen
haben, dass dieser Bundesverkehrswegeplan erfolgreich
durch die Ausschussberatungen im Deutschen Bundestag
gekommen ist,


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


bei meinen Staatssekretären, bei der Kollegin Bär, bei
Herrn Ferlemann, bei Herrn Barthle und bei all denen,
die jetzt erfolgreich daran mitarbeiten, dass der Bun-
desverkehrswegeplan ein Garant dafür ist, dass die In-
frastruktur in Deutschland in gutem Zustand bleibt und
Wachstum, Wohlstand und Arbeit für die Zukunft sichert.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1820700100

Sabine Leidig ist die nächste Rednerin für die Fraktion

Die Linke.


(Beifall bei der LINKEN)



Sabine Leidig (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1820700200

Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Lie-

be Gäste! Dieser Bundesverkehrswegeplan


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Ist super!)


zielt auf noch mehr Verkehr und lässt umweltverträgliche
Alternativen auf der Strecke. Deshalb lehnt die Linke ihn
ab.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Minister Dobrindt behauptet, dass mehr Verkehr auch
mehr Wohlstand bringt. Aber das ist reine Propagan-
da, und das wissen Sie natürlich. Es gibt schon viel zu
viel Verkehr, zu viel Lärm, Abgase und Unfälle, zu viele
Lkws in den Ortschaften, zu viele stehende Autos in den
Städten, zu viel zerstörte Naturräume. Der Kampf um den
Treibstoff für diesen Verkehr ist der wichtigste Grund für
Kriege und Auseinandersetzungen im Nahen Osten. Öl-
konzerne und der Klimawandel zerstören Lebensräume
und treiben Millionen Menschen in die Flucht.

Wir brauchen endlich einen Einstieg in eine sozi-
al-ökologische Verkehrswende.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Sie wollen noch 15 Jahre vom zerstörerischen Weiter-so
und Mehr-davon, werte Kolleginnen und Kollegen von
der SPD und von der CDU/CSU, und haben noch zusätz-
liche Straßenbauprojekte für Hunderte Millionen Euro

Bundesminister Alexander Dobrindt

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 207. Sitzung. Berlin, Freitag, den 2. Dezember 2016 20701


(A) (C)



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in den Entwurf hineinverhandelt. So etwas machen wir
nicht mit.


(Beifall bei der LINKEN)


Wir wollen Mobilität für alle – ja! –, aber mit weni-
ger Verkehr. Niemand darf aufs eigene Auto angewiesen
sein. Dafür braucht es aber deutlich mehr öffentlichen
Nahverkehr, den Bahnausbau in der Fläche und überall
sichere Fahrradwege.


(Beifall bei der LINKEN)


Wir haben eine ganze Liste mit sinnvollen Eisenbahn-
projekten vorgeschlagen, die einem solchen Konzept fol-
gen. Die haben Sie – bis auf ein einziges, nämlich die
Gäubahn, die schon längst in der Debatte ist – alle ab-
gelehnt.


(Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: Unglaublich!)


Sie haben überhaupt alle Schienenprojekte abgelehnt, die
von regionaler Bedeutung sind. Warum?


(Sören Bartol [SPD]: Weil es ein Bundesverkehrswegeplan ist! Sie haben es immer noch nicht verstanden! Sie werden es auch nie verstehen!)


Ein Viertel aller beschlossen Straßen hat überhaupt keine
überregionale Bedeutung. – Sie brauchen hier gar nicht
so herumzutönen; Sie wissen ganz genau, dass das ein
eklatanter Widerspruch ist.


(Beifall bei der LINKEN – Gustav Herzog [SPD]: Er tönt nicht, er spricht Argumente aus!)


Der Kollege Herzog hat dann auch noch behauptet,
man könne gar nicht so viele Bahnprojekte durchführen,
weil gar nicht alle gleichzeitig gebaut werden könnten.
Ja, aber wollen, dass es passiert, planen und das Geld da-
für bereitstellen, wäre möglich. Das machen Sie bei den
1 300 Straßenbauprojekten, die Sie beschließen, ja auch.
Die hat das Ministerium übrigens alle akribisch und so
berechnet, dass sie sich angeblich alle lohnen.

Für die Bahn ist das bisher überhaupt nicht passiert.
Sie haben es abgelehnt, dass auf der Schienenstrecke
elektrifiziert wird. Sie haben nicht beschlossen, dass das
740-Meter-Netz realisiert wird, damit europaweit auf
langen Strecken lange Güterzüge fahren können. Alles
dies ist wirklich nichts, was in die richtige Richtung geht.

Ich will noch ein Thema ansprechen, das wirklich
brennt. Landauf, landab haben sich viele engagierte
Menschen im Rahmen Ihrer sogenannten Bürgerbeteili-
gung eingebracht. Sie reden ja immer davon, wie großar-
tig Sie das gemacht haben. Es sind Tausende Vorschläge
dazu gekommen, wie man unnütze Straßenbauprojekte
vermeiden und Geld sparen kann, wie sinnvollere Lö-
sungen gefunden werden können. Was ist passiert? Alle
diese Einwendungen sind in einer Blackbox gelandet,
und es ist nichts dabei herausgekommen. Nirgendwo ist
zu erkennen, dass die Einwände und Vorschläge der Bür-

gerinnen und Bürger irgendeine Wirkung gehabt hätten.
Das ist nicht akzeptabel!


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ich möchte ein Beispiel skizzieren, das zeigt, wie ver-
nünftig die Alternativvorschläge sind. Das Bürgerforum
Gladbeck fordert, dass auf den Bau der durchgehenden
A 52 verzichtet wird, der übrigens schon bei einem Rats-
bürgerentscheid 2012 mehrheitlich abgelehnt worden ist.


(Sören Bartol [SPD]: Das stimmt nicht! Falsch!)


Stattdessen schlagen sie sehr konkrete Maßnahmen vor,
um die Verkehrsprobleme auf der Nord-Süd-Verbindung
im Ruhrgebiet – Gladbeck–Bottrop–Essen – zu lösen und
die Situation der regionalen Unternehmen zu verbessern:
Umgestaltung der Bundesstraße, Verbesserung des Bahn-
verkehrs, bessere Radwege usw.


(Gustav Herzog [SPD]: Auf dem Radweg transportieren Sie dann die Container?)


bis hin zu geänderten Ampelphasen. Das ist doch viel
sinnvoller, als noch mehr Geld in noch mehr Asphalt zu
stecken.


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Sie haben sich bisher geweigert, Alternativen zu ak-
zeptieren oder auch nur zu prüfen.


(Matthias Gastel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: So ist es!)


Damit machen Sie Bürgerbeteiligung zur Farce, und das
ist wirklich beschämend.


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Meine Fraktion stellt heute noch einmal zur Abstim-
mung, dass mehr Demokratie in die Projektplanung
kommt. Bei den großen, umstrittenen Straßenprojek-
ten – das sind ganz konkret 50 – sollen, bevor wir hier
selbstherrlich beschließen: „So wird es gemacht“,


(Gustav Herzog [SPD]: Wir beschließen demokratisch, nicht selbstherrlich! Was haben Sie für ein Demokratieverständnis! Unglaublich! Das ist vielleicht der Zustand Ihrer Fraktion und Partei!)


vor Ort faire Dialogverfahren mit unabhängigen Gut-
achtern und neutraler Moderation stattfinden. So steht es
übrigens in diesem sogenannten Handbuch für Bürgerbe-
teiligung, das Herr Ramsauer in der letzten Legislatur als
Minister mit großem Brimborium öffentlich vorgestellt
hat.

Die Alternativen müssen unabhängig vom Verkehrs-
träger geprüft und bewertet werden. Danach kann das
Parlament entscheiden – das ist völlig in Ordnung. Aber
das ist das Mindeste, was Sie im Rahmen dieser abschlie-
ßenden Beratung noch besser machen können. Sorgen
Sie für ein Mindestmaß an politischer Korrektheit und

Sabine Leidig

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 207. Sitzung. Berlin, Freitag, den 2. Dezember 201620702


(A) (C)



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demokratischer Haltung in diesem Punkt! Nicht mehr
und nicht weniger fordern wir an dieser Stelle.


(Beifall bei der LINKEN – Sören Bartol [SPD]: Das ist Demokratie!)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1820700300

Das Wort erhält nun der Kollege Sören Bartol für die

SPD.


(Beifall bei der SPD)



Sören Bartol (SPD):
Rede ID: ID1820700400

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen

und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau
Leidig, wer Ihre Rede gehört hat, wird sagen: Sie sollten
erst einmal an Ihrem Demokratieverständnis arbeiten.
Wenn etwas Demokratie ist, dann die Beratung und die
Beschlussfassung in diesem Hohen Hause.


(Zurufe von der LINKEN)


So zu tun, als ob das nichts mit Demokratie zu tun hat,
das ist wirklich eine Unverschämtheit.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Deutschland braucht gute Straßen, Schienen- und
Wasserwege. Sie sichern unsere Mobilität. Sie sorgen
dafür, dass Mittelstand und Industrie wachsen können.
Sie sorgen für persönliche Freiheit und gute Arbeit in den
Unternehmen. Ein Land, das im Stau steht, bleibt zurück.
Ein Land, das baut, bleibt in Fahrt.


(Gustav Herzog [SPD]: Sehr gut!)


In dieser Woche treffen wir wichtige verkehrspoliti-
sche Entscheidungen. Gestern Abend haben wir bereits
die Ausdehnung der Lkw-Maut auf alle Bundesstraßen
beschlossen. Dadurch werden 2018 bis zu 2 Milliarden
Euro Mauteinnahmen erwirtschaftet, die wir wieder in
die Straßen investieren wollen. Heute werden wir darü-
ber entscheiden, in welchen Bereichen wir das Geld der
Steuer- und Mautzahler investieren wollen und welche
Prioritäten wir setzen. Wir werden für ganz Deutschland
festlegen, welche Ausbauprojekte in den kommenden
15 Jahren gebaut werden.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben gemein-
sam intensiv über die drei Ausbaugesetze für die Straße,
die Schiene und die Wasserstraße diskutiert. Zu keinem
Gesetz haben wir in dieser Legislaturperiode so viele
Fach expertinnen und Fachexperten gehört wie hierzu. Zu
keinem Gesetz haben in den letzten drei Jahren so viele
Sitzungen der Fachausschüsse stattgefunden wie hier-
zu. Dabei haben wir Kurs gehalten. Die Wünsche aller
einzelnen Wahlkreisabgeordneten waren groß. Aber die
Summe aller Wünsche macht in der Gesamtheit keinen
guten Plan. Wir haben uns an die Grundsätze gehalten,
die wir zuvor in der Koalition vereinbart hatten.


(Susanna Karawanskij [DIE LINKE]: Das sind die falschen!)


Wir investieren vorrangig in das bestehende Netz. Wir
werden über 70 Prozent aller Mittel in die bestehenden
Verkehrswege investieren und sie sanieren. Wir denken

Bedarf und Finanzierung zusammen. „Wünsch dir was“
gibt es nicht!


(Lachen bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Jedes Projekt, dessen Bedarf als prioritär festgelegt wor-
den ist, hat eine Chance, bis 2030 gebaut zu werden.

Wir setzen auf die überregionalen Projekte


(Matthias Gastel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Deswegen Hunderte von Umgehungsstraßen!)


und bauen dort, wo Pendlerinnen und Pendler tagtäglich
im Stau stehen. Das Bauen nach Himmelsrichtungen ge-
hört der Vergangenheit an.

Klar ist: Kein Gesetz geht so aus dem Bundestag he-
raus, wie es hineingekommen ist.


(Matthias Gastel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Geht schlecht rein und kommt noch schlechter raus!)


Nach den Diskussionen mit den Fachexpertinnen und
-experten hat der Verkehrsausschuss bei einzelnen Pro-
jekten die Prioritäten verändert. Anders, als es die Kom-
mentierung mancher in diesem Hause vermuten lässt,
sind bei nur 1 Prozent der Projekte Veränderungen vor-
genommen worden. Sie sind fachlich sinnvoll. Politisch
halten wir damit Maß und Mitte.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich will an dieser
Stelle auf einen Punkt eingehen, der oft negativ diskutiert
und kommentiert wird: den Bau von Ortsumgehungen.
Offensichtlich verstehen Abgeordnete mit einem kla-
ren Wahlkreisbezug besser, welche Bedeutung Ortsum-
gehungen haben. Sie sorgen dafür, dass die Anwohner
nicht mehr den Eindruck haben, dass die Lkw nachts
quer durch ihr Wohnzimmer fahren. Teilweise kommen
die Leute nachts vor Erschütterungen nicht mehr in den
Schlaf. Die Kaffeetassen vibrieren im Wohnzimmer-
schrank. Die Laster verpesten die Innenstädte und Dörfer
mit schlechter Luft. Häufig wohnen genau dort die Men-
schen, die sich woanders keine Wohnung leisten können.

Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen,
ignorieren die Bedürfnisse der Anwohnerinnen und An-
wohner vor Ort.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Matthias Gastel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie bauen doch Straßen, die vor Ort keiner wollte!)


Außerdem – ich muss das so sagen, auch wenn ich selbst
betroffen bin – ist Ihre Kritik doppelzüngig: Den alten
Bundesverkehrswegeplan haben wir als SPD und Grü-
ne gemeinsam verabschiedet. Damals waren es über
700 Ortsumgehungen. Jetzt haben wir die Anzahl auf 500
reduziert. Damit wird auch klar: Wir setzen neue Priori-
täten, ohne den Bedarf in den Regionen zu vernachläs-
sigen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn Deutschland
nicht im Stau stecken bleiben will, brauchen wir am

Sabine Leidig

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 207. Sitzung. Berlin, Freitag, den 2. Dezember 2016 20703


(A) (C)



(B) (D)


Ende mehr Verkehr auf der Schiene. Unser Ziel ist die
Verdopplung der Kapazität im Schienennetz bis 2030.
Wir haben erreicht, dass das Bundesverkehrsministerium
bis Ende 2017 für alle bisher nicht gerechneten Projekte
die Kosten-Nutzen-Rechnung vorlegen wird. Projekte,
bei denen der Nutzen am Ende größer als die Kosten ist,
werden wir entsprechend einstufen und bauen.


(Beifall bei der SPD)


Klar ist: Der Ausbau der Schiene wird nur mit einer
starken Bürgerbeteiligung und mehr Lärmschutz gehen.


(Beifall bei der SPD)


Daher wollen wir den Dialog, der mit der Erarbeitung des
Bundesverkehrswegeplans begonnen wurde, bei jedem
einzelnen Projekt fortführen. Alle Parlamentarierinnen
und Parlamentarier sollten sich an diesem Dialog beteili-
gen. Wir sollten uns dabei aber auch daran erinnern, dass
wir heute fraktionsübergreifend und einvernehmlich den
weiteren Ausbau der Schiene fordern. Denn – ich sage
das einmal deutlich – wir können nicht hier in Berlin
immer die Verkehrswende fordern und dann vor Ort zur
Speerspitze der Bürgerproteste werden.


(Beifall bei der SPD)


Unsere Aufgabe ist es, Kompromisse zwischen Aus-
baunotwendigkeit und Lärmschutz zu finden und dann
am Ende im Bundestag gemeinsam die Mehrkosten auch
für den Lärmschutz bereitzustellen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, gemeinsam haben
wir einen großen Konsens erreicht, der von vielen in
unserem Lande mitgetragen wird. Das war nur möglich,
weil wir seit über einem Jahr in der Koalition sehr ver-
trauensvoll an diesem wichtigsten verkehrspolitischen
Projekt in dieser Legislaturperiode gearbeitet haben.
Dies wurde vor allem auch durch Bundesverkehrsmi-
nister Alexander Dobrindt ermöglicht. Dafür herzlichen
Dank.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Entscheidend ist jedoch, was der Deutsche Bundestag am
Ende beschließt.

Ich möchte mich bei allen Kolleginnen und Kolle-
gen bedanken, die in den letzten Wochen sehr intensiv
an den Ausbaugesetzen gearbeitet haben. Dazu gehören
insbesondere die Kollegin Kirsten Lühmann, die Kolle-
gen Vaatz, Lange, Gustav Herzog und Patrick Schnieder.
Vielen Dank für die Mühe, die Sie sich gemacht haben.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Außerdem freue ich mich besonders, dass Landesver-
kehrsminister Christian Pegel aus Mecklenburg-Vorpom-
mern heute hier anwesend ist und auch zum Bundesver-
kehrswegeplan reden wird. Er hat uns als Vorsitzender
der Verkehrsministerkonferenz der Länder konstruktiv
begleitet, als wir gemeinsam den neuen und modernen
Bundesverkehrswegeplan erarbeitet haben. Vielen Dank
dafür.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, jetzt entscheiden
wir, welche Projekte bis 2030 gebaut werden sollen. Und
dann heißt es am Ende: planen, planen, planen. Lassen
Sie uns alle gemeinsam daran arbeiten, dass die Planun-
gen schnell, vielleicht auch ein bisschen schneller als bis-
her vorankommen, damit am Ende die Bauwirtschaft in
Deutschland ordentlich etwas zu tun hat.

Vielen Dank.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Matthias Gastel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und Sie beschließen das!)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1820700500

Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen erhält nun

die Kollegin Valerie Wilms das Wort.


Dr. Valerie Wilms (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1820700600

Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen!

Meine Damen und Herren! Ja, zum Schluss haben wir
gehört, was Sie wollen, Kollege Bartol:


(Sören Bartol [SPD]: Wir wollen bauen!)


Beton, Beton, Beton. Das steht im Vordergrund.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Insofern haben Sie sich richtig entpuppt.


(Sören Bartol [SPD]: Es gibt doch ganz moderne Materialien! Das haben Sie noch nicht mitgekriegt! Die Schiene wird auf Sand gebaut? Und im Wasserweg ist auch Beton?)


Jetzt wollen wir uns mit dem Bundesverkehrswege-
plan ernsthaft beschäftigen.


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Also statt Beton kommt jetzt die Strecke!)


Dieses Ding, genannt Bundesverkehrswegeplan, ist ge-
scheitert. So klar und eindeutig muss man das sagen. Er
ist schlecht für Umwelt und Klima. Er ist keine Antwort
für die Mobilität in der Zukunft – für die gestrige viel-
leicht, Herr Dobrindt. Er ist schlicht nicht bezahlbar. Es
gibt so etwas wie eine Schleppe, die das auf ewige Zeiten
verteilt. Jeder, der etwas anderes erzählt, macht den Men-
schen etwas vor,


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf von der CDU/CSU: Unsinn!)


der verspricht etwas, was nicht zu halten ist. Dieser Bun-
desverkehrswegeplan, Herr Dobrindt – auch wenn Sie
gerade aus Brüssel mit einem Lächeln zurückgekommen
sind –, ist ein Paradebeispiel für das Scheitern dieser
großen Stillstandskoalition an den wichtigen echten Zu-
kunftsfragen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf von der SPD: Das tut weh! – Zuruf von der CDU/CSU: Sie waren auch schon mal besser!)


Es ging der Koalition nicht darum, den Verkehr in der
Zukunft so umweltfreundlich wie möglich zu organisie-

Sören Bartol

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 207. Sitzung. Berlin, Freitag, den 2. Dezember 201620704


(A) (C)



(B) (D)


ren. Es ging nicht um ein stimmiges Netz aus Straßen-,
Schienen- und Wasserwegen.


(Willi Brase [SPD]: Doch!)


Auch beim Klimaschutz, Kolleginnen und Kollegen:
Fehlanzeige.


(Sören Bartol [SPD]: Wo fährt denn eigentlich das Elektroauto? Wo fährt das lang?)


Es ging vor allem darum, möglichst vielen aus dieser Ko-
alition ein Geschenk für den Wahlkreis zu machen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Sören Bartol [SPD]: Das ist so billig und so bitter und so peinlich!)


Viele Abgeordnete der Koalition werden sich feiern las-
sen, weil es irgendeine Ortsumgehung in ihrem Wahl-
kreis in den Plan geschafft hat. Aber jeder muss wissen:
Es bedeutet gar nichts, wenn man irgendetwas in den
Bundesverkehrswegeplan hineinschreibt.


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Wenn man keinen Wahlkreis hat, kann man so daherschwätzen!)


Mit dem Bundesverkehrswegeplan fließt noch kein ein-
ziger Euro.


(Beifall des Abg. Matthias Gastel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] – Zuruf von der SPD: Genau!)


Das kommt erst später. Der Bundesverkehrswegeplan ist
nur eine grobe Empfehlung. Was wirklich daraus wird,
kann keiner sagen;


(Max Straubinger [CDU/CSU]: Er ist aber die Grundlage, dass ein Euro fließt!)


denn es steht viel zu viel im Plan drin. Darum werden wir
in der nächsten Wahlperiode Schluss machen mit diesem
Unfug.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Man muss sich das einmal auf der Zunge zergehen
lassen: Allein für Straßen im Vordringlichen Bedarf wird
eine Fläche gebraucht, die etwa drei Vierteln der Größe
Münchens entspricht – um die lauten CSUler entspre-
chend einzunorden.


(Lachen bei der CDU/CSU – Ulli Nissen [SPD]: Einsüden!)


Das alles soll letztlich zubetoniert werden. Das ist völlig
gaga in einem modernen Land, das ein dichtes Verkehrs-
netz hat, Herr Dobrindt. Deutschland ist kein Entwick-
lungsland. Vielleicht wollen Sie es dazu machen; ich
weiß es nicht.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Zwangsläufig wird das Geld für eine ganze Reihe von
Projekten fehlen. Viele werden sich fragen, warum man-
ches gebaut wird und anderes hinten runterfällt.


(Gustav Herzog [SPD]: Sie haben eben gesagt, es wird nichts gebaut!)


Ich kann Ihnen sagen, worauf es nicht ankommt. Es ist
letztendlich bedeutungslos, in welcher Bedarfskategorie
ein Projekt steht. Es kommt nicht darauf an, ob beson-
ders viele Fahrzeuge unterwegs sind. Es kommt auch
nicht darauf an, ob damit ein Engpass im gesamten Netz
aufgelöst wird. All das spielt keine Rolle.


(Sören Bartol [SPD]: Das stimmt doch nicht! Ihr habt es immer noch nicht verstanden!)


Denn Bundesregierung und Koalition haben bewusst da-
rauf verzichtet, eindeutige und nachvollziehbare Kriteri-
en festzulegen.


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Reden Sie doch einmal über die Bahn!)


So bleibt selbst die umweltschädlichste Ortsumgehung
im Spiel. Erst hinter verschlossenen Türen wird ausge-
kungelt, wohin das Geld tatsächlich geht. Mauscheleien
statt klarer Fakten: Das ist die Wahrheit, Herr Minister.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf von der CDU/CSU: Frechheit! Frechheit!)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir hätten uns die
ganze Arbeit sparen können. Der Bundesverkehrswe-
geplan ist ein Instrument der Vergangenheit. Er war gut
für den Aufbau in Ost und West, aber er ist nicht mehr
brauchbar für ein modernes Land, das schon ein dichtes
Verkehrsnetz hat.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Die Antwort für die Zukunft heißt: kluge Vernetzung.
Wir müssen wirkliche Engpässe auflösen, und immer zu-
erst auf die Verbesserung vorhandener Wege setzen, statt
mit Neubauten einmalige Natur einfach zuzubetonieren.
Wir brauchen ein Netz, das Verkehr auf die umwelt-
freundlichen Verkehrsmittel Schiene und Wasserstraße
verlagert,


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Andreas Rimkus [SPD]: 60 zu 40, Schiene und Wasser!)


aber nur dort, wo die Wasserstraße wirklich vernünftig
anwendbar ist; wir brauchen keine goldenen Schleusen-
tore am Elbe-Lübeck-Kanal, über die sogar der entspre-
chende Wirtschaftsverband sagt: Das Ding brauchen wir
nicht.

Wir müssen die Projekte in eine echte Rangfolge brin-
gen und nach verfügbaren Mitteln abarbeiten. Es muss
Schluss sein mit der Willkür. Das Geld darf nicht dorthin
gehen, wo der Wahlkreisabgeordnete den besten Draht
ins Ministerium hat.


(Sören Bartol [SPD]: So ein Quatsch!)


Es muss darauf ankommen, die drängendsten Verkehrs-
probleme zu lösen und das Klima zu schützen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Wir müssen uns in der nächsten Wahlperiode von dem
Mammutprojekt Bundesverkehrswegeplan verabschie-
den. Wir müssen stattdessen ein Zielnetz entwickeln, das
wir in kurzen Abständen regelmäßig fortschreiben müs-

Dr. Valerie Wilms

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 207. Sitzung. Berlin, Freitag, den 2. Dezember 2016 20705


(A) (C)



(B) (D)


sen. Das haben uns auch die Fachleute in den Sachver-
ständigenanhörungen gesagt.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Mehrheit in
diesem Hause ist an einer wichtigen Zukunftsfrage ge-
scheitert. Meine Fraktion hat über 200 Änderungen vor-
geschlagen, die das Schlimmste verhindern sollten.


(Beifall des Abg. Matthias Gastel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] – Zuruf von der CDU/ CSU: Nur noch streichen! – Weiterer Zuruf von der CDU/CSU: Die Leute im Stau ersticken lassen! – Michael Donth [CDU/CSU]: Stau! Stau! Stau!)


Die Koalition hat jedoch alles wider besseres Wissen ab-
gelehnt.

Ich danke allen meinen Kolleginnen und Kollegen in
der Fraktion und ihren Mitarbeitern, die in vielen Über-
stunden wirkliche Alternativen zum Betonwahn entwi-
ckelt haben.


(Beifall der Abg. Anja Hajduk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Die Mehrheit wird heute anders entscheiden. Aber es ist
klar, dass das, was Sie heute verabschieden, keine Zu-
kunft hat. Dieser Bundesverkehrswegeplan ist eine ein-
zige Aufforderung, es besser zu machen. Dafür werden
wir Grüne kämpfen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Herr Präsident, gestatten Sie mir zum Schluss noch
eine Bemerkung. Ich hoffe, dass ich im Namen aller
Kolleginnen und Kollegen sprechen darf, wenn ich mei-
nen Dank an das Ausschusssekretariat richte. Sie haben
uns mit erheblichem persönlichem Zeitaufwand sou-
verän durch die Tiefen des Abstimmungsmarathons im
Verkehrsausschuss geführt und das Ergebnis zügig und
sauber dokumentiert. Dafür gilt Ihnen der Dank von uns
allen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Gustav Herzog [SPD]: Das war das Beste Ihrer ganzen Rede!)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1820700700

Der Kollege Patrick Schnieder ist der nächste Redner

für die CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Patrick Schnieder (CDU):
Rede ID: ID1820700800

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich sehe mich,
nach dem Beitrag der Kollegin Wilms und angesichts
dessen, was die Grünen in den letzten Wochen in der
Vorberichterstattung in der Zeitung platziert hatten, zu
einer Vorbemerkung veranlasst. Es geht um den Vorwurf,
hier würden sich Abgeordnete der Großen Koalition die
Projekte in den Wahlkreisen zuschanzen.


(Matthias Gastel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, so ist es ja auch!)


Ich will hier gar nicht groß darüber reden, dass das un-
haltbare Unterstellungen sind. Ich will auch gar nicht da-
rüber reden, dass Sie die Sache in den Berichterstattun-
gen völlig falsch dargestellt haben. Projekte, die gar nicht
im Vordringlichen Bedarf sind, haben Sie mit Hunderten
von Millionen dort angesetzt. Ich will Sie einmal ernst
nehmen und hinterfragen, was Sie sich dabei gedacht ha-
ben: Über 1 000 Projekte enthält dieser Bundesverkehrs-
wegeplan; betroffen sind 299 Wahlkreise. Da liegt es
doch auf der Hand, dass wir flächendeckend in Deutsch-
land, in allen Wahlkreisen Projekte haben.


(Sabine Leidig [DIE LINKE]: Aber nur Straßen!)


Sie, die Grünen, haben ein Problem; denn Sie haben nur
ein einziges Direktmandat gewonnen. Sie vertreten nicht
einmal 20 Prozent der Wahlkreise. Deshalb können Sie
bei der Frage überhaupt nicht mitreden. Das ist Ihr gro-
ßes Problem.


(Beifall bei der CDU/CSU – Matthias Gastel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es geht darum, dass Sie den Sinn dieser Straßen nicht nachweisen konnten!)


Wenn man Ihren Gedanken zu Ende denkt, dann wäre
ein guter Bundesverkehrswegeplan einer, der insbeson-
dere im Bereich Straße flächendeckend überhaupt keine
Projekte vorsieht.


(Matthias Gastel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Projekte müssen nachweisbar einen Sinn machen! Das ist die Voraussetzung!)


Das ist in der Tat entlarvend. Es ist gut, dass Sie das klar-
gemacht haben: Sie sind weiterhin die Dagegenpartei.
Sie wollen Mobilität verhindern. Wir wollen Mobilität
ermöglichen, und das tun wir mit diesem Bundesver-
kehrswegeplan.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie wissen ja nicht einmal, was Mobilität ist!)


Liebe Kolleginnen und liebe Kollegen, meine Regi-
onalzeitung, der Trierische Volksfreund, schreibt heu-
te in einer Vorberichterstattung, der heutige Tag sei ein
Feiertag für die Verkehrspolitiker, insbesondere für die
in der Region. Ich muss sagen: Genau so ist das. Heute
ist ein Feiertag, nicht nur für meinen Wahlkreis, für die
Region Trier mit dem A-1-Lückenschluss und dem Mo-
selaufstieg – das sind ganz wichtige Projekte für Rhein-
land-Pfalz –, sondern für ganz Deutschland, weil wir die
Weichen für eine vernünftige, für eine zukunftsgerichtete
Verkehrspolitik bis 2030 stellen,


(Matthias Gastel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Weichen stellen Sie schon mal gar nicht! Die Schiene kommt nicht vor!)


die uns Wohlstand, Wachstum, Mobilität und damit Ar-
beit in Deutschland gewährleistet.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Dr. Valerie Wilms

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 207. Sitzung. Berlin, Freitag, den 2. Dezember 201620706


(A) (C)



(B) (D)


Wir haben uns im Vorfeld ambitionierte Ziele gesetzt.
Wir haben uns nicht nur das Ziel gesetzt, auf die Umwelt
zu achten. Das haben wir getan.


(Sabine Leidig [DIE LINKE]: Was? Wo denn?)


Wir haben uns auch nicht nur das Ziel gesetzt, die Öf-
fentlichkeit zu beteiligen. Auch das haben wir in einer
beispielhaften Art und Weise getan.


(Sören Bartol [SPD]: So ist es! Das hat es noch nie gegeben! – Sabine Leidig [DIE LINKE]: Die ganzen Umweltkriterien sind überhaupt nicht dabei!)


Wir haben Prioritäten gesetzt. Am Anfang hat keiner ge-
glaubt, dass wir sie einhalten würden. Aber wir haben
uns an dem ausgerichtet, was wir vorher gesagt haben,
und wir lassen uns gerne daran messen. 70 Prozent der
Investitionen fließen in den Erhalt der Verkehrsinfra-
struktur. Das Prinzip „Erhalt vor Neubau“ haben wir also
eingehalten. Wir haben durchgehend priorisiert. Auch
das ist die Wahrheit. 75 Prozent der Projekte, die im Bun-
desverkehrswegeplan stehen, beziehen sich auf überregi-
onal bedeutsame Verbindungen. Sie haben von Anfang
an bezweifelt, dass wir das hinbekommen; wir haben es
aber hinbekommen.

Dabei vernachlässigen wir die ländlichen Räume
nicht. Deshalb sind auch die Ortsumgehungen wichtig.
Wenn wir über 75 Prozent, wenn wir über drei Viertel
in überregional bedeutsame Vorhaben stecken, dann ist
es richtig, dass wir die Anbindung der ländlichen Räume
an die Metropolen nicht vernachlässigen. Deshalb sind
Ortsumgehungen, deshalb sind die örtlich wichtigen Pro-
jekte, die auch Raumbedeutsamkeit für die jeweilige Re-
gion haben, außerordentlich wichtig. Ich bin stolz darauf,
dass wir es geschafft haben, diesen wichtigen Bereich
nicht auszuklammern, dass wir auch für diese Räume
Mobilität für die Zukunft schaffen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Schließlich haben wir es auch geschafft, den Bundes-
verkehrswegeplan hinsichtlich der Verteilung der Mittel
auf die Verkehrsträger ausgewogen und modern auszu-
gestalten.


(Sabine Leidig [DIE LINKE]: Schauen wir mal! Die Schiene ist ja noch gar nicht fertig!)


Sie bejammern immer, dass angeblich zu wenig in den
Bereich Schiene fließen würde.


(Matthias Gastel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ist ja auch so! Die meisten Projekte sind noch gar nicht bewertet!)


Das Gegenteil ist der Fall, Herr Gastel. Lassen Sie sich
doch an dem Bundesverkehrswegeplan messen, den Sie
2003 vorgelegt haben. Wir haben das Verhältnis ver-
bessert: Die Straße macht 49 Prozent aus, die Schiene
42 Prozent,


(Matthias Gastel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das heißt, Sie wollen es nicht besser machen!)


die Wasserstraße 9 Prozent. Dabei hat die Schiene nur
eine Transportleistung von nicht einmal 20 Prozent.


(Matthias Gastel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist ja das Problem! Mit Ihnen wird es auch nicht mehr!)


Wir stecken also im Verhältnis viel mehr in diesen Ver-
kehrsträger, als er an Transportleistung erbringt. Das ist
doch ein Nachweis, ein Zeichen dafür, dass wir das ernst
nehmen und für eine ausgewogene Mischung sorgen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Sabine Leidig [DIE LINKE]: Nein, eben nicht!)


Das hat übrigens auch etwas mit den Umweltauswir-
kungen dieses Planes zu tun. Es ist doch vollkommener
Humbug, zu sagen, damit würde man den Umweltzielen
nicht gerecht werden.


(Matthias Gastel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist doch Unsinn! Kompletter Unsinn!)


Schauen Sie sich die Bilanzen an: Wir sparen nachweis-
lich CO2 ein. Entscheidend ist doch, dass es hier um den
Bau von Infrastruktur geht. Die wirklichen CO2-Einspar-
potenziale hängen doch nicht mit der Schaffung einer In-
frastruktur zusammen, sondern mit modernen Antrieben.


(Matthias Gastel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Infrastruktur gehört dazu!)


Der Effekt liegt doch darin, dass wir Staus beseitigen,
dass die Lkw nicht mehr durch die Orte fahren. Das ist
ein komisches Umweltverständnis, das Sie an den Tag
legen, wenn Sie bemängeln, dass wir die Menschen in
den Städten und Gemeinden vor Emissionen, vor Lärm
und vor Staub, schützen. Ich glaube, dass wir da genau
die richtigen Schwerpunkte setzen. Wir haben den Um-
weltschutz als wichtiges Ziel erkannt.


(Matthias Gastel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie haben es verkannt!)


Wir werden dem, was wir uns vorgenommen haben, voll-
kommen gerecht.

Lassen Sie mich ein letztes Wort zur Öffentlichkeits-
beteiligung sagen. Wir hatten ja nicht nur eine Öffentlich-
keitsbeteiligung, sondern wir hatten zwei. Es gab schon
2013 bei der Aufstellung der Grundkonzeption eine Öf-
fentlichkeitsbeteiligung. Bei der Aufstellung des Bun-
desverkehrswegeplanes in diesem Jahr gab eine zweite
große Öffentlichkeitsbeteiligung. Fast 40 000 Eingaben
wurden gemacht.


(Christian Kühn [Tübingen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Ohne jede Folge!)


– Das war nicht ohne jede Folge. – Sie sind geprüft und
ernst genommen worden. Da muss ich fragen, welches
Verständnis von Öffentlichkeitsbeteiligung Sie haben. Es
kann doch nicht sein, dass jede Eingabe automatisch zu

Patrick Schnieder

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 207. Sitzung. Berlin, Freitag, den 2. Dezember 2016 20707


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dem Ergebnis führt, das gewünscht wird, sondern natür-
lich müssen wir es abwägen. Das haben wir getan.


(Sabine Leidig [DIE LINKE]: Wo denn? – Herbert Behrens [DIE LINKE]: Automatisch nicht, aber wenn es besser ist!)


Mein Büro hat Hunderte von Briefen von Bürgern und
von Organisationen beantwortet. Es hat einen regen Dia-
log gegeben. Auch das Ministerium hat sich dankenswer-
terweise damit befasst.


(Sabine Leidig [DIE LINKE]: Es ist alles beim Alten geblieben!)


Deshalb kann ich das folgende Fazit ziehen: Wir haben
hier wirklich ein tolles Werk vorliegen. Es ist ein großer
Wurf für die Infrastruktur in den nächsten 15 Jahren.


(Lachen bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Volker Kauder [CDU/CSU]: Sehr richtig!)


Das ist zukunftsfähige Politik. Damit schaffen wir wei-
terhin die Voraussetzungen für Wohlstand, für wirtschaft-
liche Prosperität, für Mobilität, für Arbeit in Deutschland.

Vielen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1820700900

Das Wort erhält der Kollege Herbert Behrens für die

Fraktion Die Linke.


(Beifall bei der LINKEN)



Herbert Behrens (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1820701000

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wer

heute über Verkehrspolitik spricht, der kann über den an-
geblichen Kompromiss bei der Pkw-Maut nicht schwei-
gen. Wir müssen feststellen, dass ein weiterer Vorhang
aufgegangen ist für die Fortsetzung einer unendlichen
Geschichte, einer ungeheuerlichen Geschichte. Sie hatte
ihren Anfang genommen, als der CSU-Stammtisch mein-
te, mit der österreichischen Pkw-Maut ein Ärgernis zu
haben, und sich deshalb überlegt hat, wie man es hinbe-
kommt, dass auch die Österreicher zahlen müssen. Das
hat der damalige Generalsekretär der CSU – Dobrindt
mit Namen – in ein parteipolitisches und wahlkampfpo-
litisches Konzept umgesetzt; dieses hat er in den Bun-
destag hineingetragen. Es wurde Bestandteil des Koa-
litionsvertrages von CDU, CSU und SPD. Es hat nach
einem über Jahre dauernden unsäglichen und quälenden
Prozess das Ergebnis, dass am Ende keiner zufrieden ist:
weder die, die es richtig wollten, noch die, die es schon
immer abgelehnt haben.

Wenn jetzt die Nachricht kommt, man habe sich in
Brüssel geeinigt, dann müssen wir sehr genau hinschau-
en, auf was man sich da wirklich geeinigt hat. Wir haben
gesehen, dass wir weiterhin ein Bürokratiemonster vor
uns haben. Dieses Bürokratiemonster wächst sogar noch.
Es wird künftig nicht nur drei Staffelungen bei der Maut
geben, sondern fünf. Es wird weiteren Bearbeitungsauf-
wand geben, um genau abwickeln zu können, wer eigent-

lich welche Vignette kaufen muss. Der Ertrag wird noch
kleiner.


(Gustav Herzog [SPD]: Ich dachte, Sie sind für Vielfalt!)


– Ja, die Vielfalt muss aber bewirken, dass die Leute mehr
davon haben und möglicherweise auch der Staat mehr
davon hat. – Wir haben nichts davon. Wir haben Belas-
tungen für die Bürger, und wir haben weniger Einnahmen
für den Staat. Wer in der Koalition kann eigentlich damit
zufrieden sein? Das ist mir völlig unverständlich.


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ein weiterer wichtiger Punkt ist, dass die Beziehung
zu unseren Nachbarstaaten in Europa schwer gefährdet
ist. Es hat großen Schaden angerichtet, so brachial vor-
zugehen. Das wird sicherlich noch Folgen haben, die wir
alle nicht wollen. Dieses Projekt muss sofort gestoppt
werden.


(Beifall bei der LINKEN)


Meine Forderung an die SPD lautet: Nehmen Sie sich
selber ernst, und tun Sie jetzt im Zuge dieses Verfahrens
wirklich etwas dafür, dass die Maut blockiert werden
kann, so wie es der Verkehrsminister in Niedersachsen
gefordert hat.


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wir sind dabei.

Zur Verkehrspolitik gehört Weitsicht. Die haben Sie
bei der Pkw-Maut nicht gezeigt. Sie haben sie beim Bun-
desverkehrswegeplan nicht gezeigt. Sie haben sie auch
bei den Ausbaugesetzen nicht gezeigt.


(Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Auch bei den übrigen nicht!)


Zur Weitsicht in der Verkehrspolitik gehört, dass wir uns
darüber klar sein müssen: Ein Bundesverkehrswegeplan
legt die Schwerpunkte für die nächsten 15 Jahre Ver-
kehrspolitik fest. Was heute dort hineingeschrieben wird,
wird uns, wird die Bürgerinnen und Bürger die nächsten
15 Jahre begleiten. Entweder sie bekommen verspro-
chen, dass eine Entlastung gebaut wird, oder sie haben
die Chance, dass es relativ schnell durchgesetzt wird.

Dieses Hinhängen an eine lange Frist – Leute, beruhigt
euch, wir kommen mit dem Projekt in dem einen oder
anderen Jahr zu euch – führt dazu, dass in der Zwischen-
zeit keine Alternative überlegt wird, nicht weiter geplant
werden darf, immer mit dem Hinweis: Aber es steht doch
im Bundesverkehrswegeplan, setzt euch wieder hin, wir
lösen das schon. – Das ist keine Politik mit Blick auf die
gegenwärtigen Probleme, und schon gar keine Verkehrs-
politik mit Weitsicht, in die Zukunft.


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Gustav Herzog [SPD]: Die Leute lassen sich nicht vertrösten! Die suchen nach Alternativen!)


– Die Leute lassen sich nicht vertrösten, sagt der Kolle-
ge Herzog – in der Tat. Darum sind sie vielfach in Bür-

Patrick Schnieder

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 207. Sitzung. Berlin, Freitag, den 2. Dezember 201620708


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gerinitiativen aktiv geworden. Sie haben eingefordert, in
diesen Verfahren beteiligt zu werden, und haben vor Ort
ihre Alternativen eingebracht. Das hat nicht nur etwas
mit Blockadepolitik zu tun, das hat etwas mit kreativen
verkehrspolitischen Vorstellungen zu tun, die wir an allen
Stellen gesehen haben.

Ich nenne das Beispiel A 39. Dort haben sich die Bür-
gerinnen und Bürger an verschiedenen Orten entlang der
Trasse über Jahre zusammengesetzt und Pläne für Alter-
nativen geschmiedet. Dabei kommt heraus: Die A 39 ist
verzichtbar


(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Das ist sie mit Sicherheit nicht!)


durch kleine Maßnahmen, durch Ausbaumaßnahmen und
teilweise durch Neubaumaßnahmen, wenn ein Ort drin-
gend umgangen werden muss.


(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Die A 39 ist dringend erforderlich!)


Das ist Planungsfantasie bei den Bürgerinnen und
Bürgern. Sie ist aber nicht im Bundesverkehrsministeri-
um zu finden. Das muss auf jeden Fall ein Ende haben.


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1820701100

Das Wort erhält nun der Herr Minister für Energie,

Infrastruktur und Digitalisierung des Landes Mecklen-
burg-Vorpommern.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



(Mecklenburg-Vorpommern)


Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen
und Herren Abgeordnete! Meine sehr geehrten Damen
und Herren! Zunächst darf ich mich aus Sicht eines
Landes und als derzeitiger Vorsitzender der Verkehrs-
ministerkonferenz auch ein Stück weit für diese herzlich
dafür bedanken, hier einen Blick auf den neuen Bundes-
verkehrswegeplan werfen zu dürfen. Ich nehme meinen
wichtigsten Eindruck vorweg, auch wenn er nicht allen
gefallen mag. Die Länder freuen sich, dass ein längerer
Diskussionsprozess jetzt auf der Zielgeraden ist und sie
damit Planungssicherheit für die kommenden 15 Jahre
bekommen. Wir Länder können – entgegen der Aussage
in dem letzten Vortrag hier – nicht auf ihn verzichten.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Wir haben uns in der Verkehrsministerkonferenz der
vergangenen sieben Jahre mehrfach mit den Planungen
und dem Prozess befasst. Das Urteil war über alle Län-
dergrenzen und über alle Parteifarben hinweg weitge-
hend identisch: Die Länder können dem eingeschlagenen
Weg gut folgen. Unbenommen des einen oder anderen
Einzelwunsches werden die Inhalte ausdrücklich geteilt.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Dies gilt umso mehr, als sich darin in wesentlichen
Punkten die Ergebnisse vor allem der ersten Bode-
wig-Kommission wiederfinden. Das Ziel „Erhalt vor
Neubau“ gehört ausdrücklich in den Zielkanon der Bo-
dewig-Kommission I.

Erlauben Sie mir einen spezifisch ostdeutschen Blick
darauf. Angesichts der erheblichen Investitionen in den
vergangenen 25 Jahren in Ostdeutschland gibt es bei uns
ein ganz dringendes Anliegen, nämlich Fehler im Osten
nicht zu wiederholen und die Infrastruktur rechtzeitig
und regelmäßig in ausreichendem Maße fit zu halten.
Deshalb gilt bei uns im Osten umso mehr der Schwer-
punkt „Erhalt vor Neubau“.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Auch die restriktive Haltung des Bundes, keine
Wünsch-dir-was-Enzyklopädie zu erstellen, sondern den
Plan realistischer zu gestalten, als das in der Vergangen-
heit zuweilen der Fall gewesen sein mag, wird auf Län-
derseite ausdrücklich geteilt, auch wenn das bei jedem
Einzelnen von uns in den Ländern hier oder da nicht un-
erheblichen Schmerz ausgelöst hat.


(Gustav Herzog [SPD]: Das ist ehrlich!)


Die Diskussion kenne ich bei mir daheim in Mecklen-
burg-Vorpommern sehr gut. In den Regionen mit den in
unserem landesinternen Vorauswahlprozess nicht weiter-
verfolgten Projekten – das waren bei uns ein Drittel, die
wir beim Bundesverkehrsministerium gar nicht für den
Bundesverkehrswegeplan angemeldet haben –


(Gustav Herzog [SPD]: Ich darf anmerken: Im Unterschied zu Bayern!)


werden Sie als Minister nicht mit Rosen empfangen, und
wenn Ihnen Rosen zugeworfen werden, hängt der Topf
leider meist noch dran.

Ich habe übrigens spannende Debatten erlebt, als wir
den Entwurf des Bundesverkehrswegeplans vorgelegt
haben. Tenor der Diskussion in unserem Land hier und
da war: Kriegen wir eigentlich prozentual, verglichen mit
anderen Regionen in Deutschland, genug ab oder doch
vielleicht zu wenig? Ich habe in diesen Debatten immer
dafür geworben, dass das nicht ernsthaft unser Weg sein
kann. Infrastrukturprojekte sind volkswirtschaftlich aus-
zuwählen. Proporz und Himmelsrichtung sind eben keine
volkswirtschaftlich sinnvollen Kategorien, meine Damen
und Herren.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ich will aber auch sagen: Ich bin dabei ausdrücklich
dafür dankbar, dass Sie trotz dieser richtigen und eben
genannten wichtigen Prämissen die Belange vor Ort
nicht aus dem Blick verloren haben. Natürlich gibt es
Ortsumgehungen, die weiterhin benötigt werden. Das
gilt – erlauben Sie mir bitte, auch hier einen spezifisch
ostdeutschen Blick in die Debatte einzubringen – insbe-
sondere in den fünf ostdeutschen Bundesländern. Wenn
solche Projekte mehrere Jahrzehnte nicht denkbar wa-
ren, wenn sie seit 1990 zum Teil durchgängig vor Ort
in Verkehrswegeplänen versprochen werden und wenn

Herbert Behrens

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 207. Sitzung. Berlin, Freitag, den 2. Dezember 2016 20709


(A) (C)



(B) (D)


an dieser Stelle die westdeutschen Nachbarländer – ich
bin geborener Hamburger – vier Jahrzehnte Vorsprung
haben und dort deshalb viele Gemeinden schon in den
vergangenen Jahrzehnten Durchgangsverkehrsbefreiun-
gen erhielten, dann brauchen wir für hochbelastete Orts-
lagen auch in den kommenden 15 Jahren weiterhin die
Möglichkeit, dringend benötigte Entlastung vor Ort zu
schaffen, meine Damen und Herren.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Arnold Vaatz Sehr gut!)


Wenn ich vor allen Dingen zu diesem Punkt Vor-
schlagslisten für beinahe orgiengleiche Streichkonzerte
gerade im Osten sehe, wäre ich dankbar, wenn Sie bei
Ihren Entscheidungen heute gerade diese besondere Situ-
ation des Ostens im Blick behalten. Ich darf nur das mir
sehr gut vertraute Beispiel der Ortsumgehung Wolgast
aufrufen.


(Beifall der Abg. Kerstin Kassner [DIE LINKE])


Dort quälen sich in der gesamten Sommersaison nahezu
alle Usedom-Urlauber, wenn sie nicht mit der Bahn an-
reisen, durch die historische Altstadt zu mehr als 5 Milli-
onen Übernachtungen. Wenn Sie dort die Umgehung für
wirkungslos erklären wollen, können Sie das den Men-
schen vor Ort, aber, wie ich glaube, auch den vielen Gäs-
ten, die dort im Sommer stau- und ampelentschleunigt
stehen, auf keinen Fall erklären.


(Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD)


Sie werden den Menschen das nicht vermitteln können.
Die Ideengeber für diese Streichung sollten im Übrigen
unbedingt den Eindruck vermeiden, dass sie im Ergebnis
bereit sind, dem wirtschaftlichen Aufholprozess im Os-
ten leichtfertig schweren Schaden zuzufügen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Die A 14 als neuer Nord-Süd-Korridor, der Häfen und
Magdeburg verbinden wird, ist ebenfalls ein Beispiel für
solche Projekte. Das Gleiche gilt für den B-96-Ausbau.
Ich werbe deutlich dafür, ihn nicht auf Streichlisten zu
setzen. Wenn Sie sich – um vorherige Beiträge aufzugrei-
fen – Karten mit dem deutschen Verkehrsnetz anschauen,
werden Sie an diesen Stellen richtiggehende Löcher im
Verkehrsnetz entdecken – keine Betonlöcher, sondern
Mobilitätslöcher, meine sehr geehrten Damen und Her-
ren.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Diese zu schließen, das ist die originäre Aufgabe eines
Bundesverkehrswegeplans. Die viel beschworene Netz-
funktion, die ja zitiert wurde, wird gerade hier exempla-
risch erfüllt. Dafür mein herzlicher Dank!


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Gerade diesem rationalisierten Verfahren haben sich
die Länder über alle Länder- und Parteigrenzen hin-
weg in den vergangenen Monaten und Jahren sehr be-

wusst angeschlossen. Ganz ohne Wermutstropfen sind
die Länder dabei allerdings nicht. Sorgen bereitet uns
weiterhin – zum Teil auch gemeinsam mit Ihnen – die
Bedarfsplanung für die Schiene. Die Vorarbeiten haben
leider an vielen Stellen eine mit Straßen und Wasserwe-
gen vergleichbare Bewertung nicht zugelassen. Der jetzt
beschrittene Weg einer Art Auffangkategorie ist daher –
wohlgemerkt: aus der Not geboren – ein besserer Weg,
als viele der darin vorgesehenen Projekte gar nicht in
den Plan aufzunehmen. Jetzt wird es darum gehen, sie
möglichst schnell zu qualifizieren und in die nächste Liga
aufsteigen zu lassen.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, die Länder
haben im Oktober dieses Jahres auf der Verkehrsminis-
terkonferenz in Stuttgart noch einmal um eine Prüfung
gebeten, wie wir im Nahverkehr Schienenwege finanzie-
ren wollen, wenn dieser Bereich aus Ihrer Sicht nicht in
den Bundesverkehrswegeplan hineingehört, weil er den
Schienennahverkehr betrifft. Ich selbst kenne zwei Bei-
spiele: die Karniner Brücke und den Schienenverkehr auf
dem Darß. Beides sind Dinge, die wir für die Menschen
in irgendeiner Weise wirtschaftlich abwägen müssen.


(Martin Burkert [SPD]: Stimmt!)


Dass See- und Schifffahrtswege für die Exportnation
Deutschland und den hiesigen Wirtschaftsstandort zen-
tral sind, bildet der Bundesverkehrswegeplan dankens-
werterweise ebenso ab. Denn der Wirtschaftsstandort
Deutschland lebt im Im- und Export von diesen Häfen
und dem dort stattfindenden Umschlag, der ein Stück
weit die Lebensader der deutschen Wirtschaft darstellt.
Auch diese Schwerpunktsetzung ist daher im Länder-
kreis ausdrücklich begrüßt worden. Wenn dabei jetzt im
Hinblick auf einige Projekte Sorgen und Bedenken ge-
äußert werden, bitte ich, folgenden Vergleich zu ziehen:
Ist – um unser Beispiel aus Mecklenburg-Vorpommern
zu nehmen – eine vertiefte Zufahrt zum Wismarer oder
Rostocker Hafen ökologisch wertloser oder aber der
Transport all dieser Güter auf Tausenden von Lkws um
die halbe Ostsee herum?


(Sören Bartol [SPD]: So ist es!)


Das ist nämlich die Alternative, über die wir reden.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Meine sehr geehrten Damen und Herren, dieser Bun-
desverkehrswegeplan ist gelebte Wirtschaftspolitik, für
viele staugeplagte Gemeinden ist er gelebter Gesund-
heitsschutz, und er bietet in der Perspektive eine voll-
kommen neue Lebensqualität. Er wird uns entscheidende
Schritte voranbringen. Dafür herzlichen Dank all denen,
die an dem Prozess mitgewirkt haben.

Ihnen herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. Viel
Erfolg!


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Minister Christian Pegel (Mecklenburg-Vorpommern)


Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 207. Sitzung. Berlin, Freitag, den 2. Dezember 201620710


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Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1820701200

Matthias Gastel ist der nächste Redner für die Fraktion

Bündnis 90/Die Grünen.


(Sören Bartol [SPD]: Und immer an die Stellungnahme von Winne Hermann denken!)



Matthias Gastel (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1820701300

Ich mache Bundespolitik, lieber Kollege.


(Sören Bartol [SPD]: Ich sag’s nur!)


Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Die Klimakatastrophe auf diesem Planeten
wird immer offensichtlicher, und es ist gut und richtig,
dass Deutschland sich zu Klimazielen bekannt und klar
gesagt hat, in welchem Ausmaß bis zu welchem Zeit-
punkt die Treibhausgase reduziert werden müssen.

Leider müssen wir aber feststellen, dass der Verkehrs-
sektor seinen Beitrag zum Klimaschutz bisher überhaupt
noch nicht geleistet hat. Der Anteil des Schienengüter-
verkehrs stagniert bei 17 Prozent. Im Schienenpersonen-
fernverkehr sieht es auch nicht nach einem Wachstum
von Verkehrsanteilen aus. Lkw und Auto sind die Markt-
führer.

Klimaziele sind aber nur dann erreichbar, wenn die
Schiene aufholt und Marktanteile gewinnt. Wir müssen
das Schienennetz modernisieren, wir müssen Engpässe
beseitigen, und wir müssen die Infrastruktur an Fahrplä-
nen ausrichten und nicht umgekehrt.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Der Bundesverkehrswegeplan und das Bundesschie-
nenwegeausbaugesetz leisten dazu aber leider keinen
Beitrag. Ganz im Gegenteil: Statt die Schiene aufs Über-
holgleis zu bringen, wird sie aufs Abstellgleis gesetzt.

Schon methodisch ist die Schiene im Bundesver-
kehrswegeplan benachteiligt. Alle angemeldeten Stra-
ßenprojekte sind bewertet und eingestuft worden. Bei der
Schiene sind gerade einmal 27 von 73 Projekten bewertet
worden. Das heißt, bei 63 Prozent der Schienenprojekte
ist noch unklar, ob und wie sie eingestuft werden.

Bei der Straße gibt es eine stundengenaue Engpass-
analyse. Bei der Schiene hat man längere Zeiträume ge-
mittelt analysiert. Das führt am Ende dazu, dass bei der
Straße ein höherer Ausbaubedarf ermittelt wurde als bei
der Schiene.


(Gustav Herzog [SPD]: Das ist Unfug!)


Bei der Straße sind Hunderte von Straßen hoch pri-
orisiert worden, die nur lokal bedeutsam sind. Bei der
Schiene stellen sich die Bundesregierung und die Große
Koalition auf den Standpunkt, dass sie für Schienenwe-
ge, die überwiegend lokale Verkehre abwickeln, nicht
zuständig sind – also ein Widerspruch zwischen den Sys-
temen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Die Schiene wird systematisch benachteiligt. Man
kann auch davon sprechen, dass hier Schienenmobbing
betrieben wird.


(Widerspruch bei Abgeordneten der CDU/ CSU und der SPD)


Zentrale Projekte fehlen in Ihrem Ausbaugesetz, bei-
spielsweise der Ausbau des 740-Meter-Netzes, der not-
wendig ist, um mehr Schienengüterverkehr zu organisie-
ren und wirtschaftlich gegenüber der Straße und dem Lkw
abwickeln zu können. Es fehlt der Deutschland-Takt, mit
dem die Fahrgäste attraktive Umsteigeverbindungen in
den Knotenbahnhöfen hätten bekommen können. Ob-
wohl diese Punkte hier im Hause unstrittig sind, haben
Sie unsere Anträge, beides hochzustufen, ohne jegliche
Begründung abgelehnt.


(Gustav Herzog [SPD]: Wir haben begründet!)


Stattdessen haben Sie kurzerhand noch einmal etwa
zwei Dutzend Straßenprojekte im Umfang von 1,4 Mil-
liarden Euro hochgestuft. Bei den Schienenprojekten ist
lediglich ein Projekt höhergestuft worden, nämlich die
Gäubahn,


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Volker Kauder [CDU/CSU]: Sehr gut!)


und das auch nur deshalb, weil das Land Baden-Würt-
temberg ein Gutachten vorgelegt und damit die Hausauf-
gaben erledigt hat, die die Große Koalition nicht gemacht
hat.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Im Ergebnis haben wir viele Straßen und wenig Schie-
ne. Bei den Straßen sind die Pläne völlig überzeichnet.
Bei der Schiene wird das meiste im Ungewissen gelas-
sen. Sie bauen dem wachsenden Auto- und vor allem
Lkw-Verkehr hinterher. Die Schiene ist ohne Chance,
ihr Potenzial auszuschöpfen. Sie stellen sich damit ein
Armutszeugnis aus. Das können wir nicht unterstützen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Sabine Leidig [DIE LINKE])



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1820701400

Das Wort erhält nun der Kollege Ulrich Lange für die

CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Willi Brase [SPD])



Ulrich Lange (CSU):
Rede ID: ID1820701500

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ja,

ein langandauernder, intensiver, aber sehr guter Abstim-
mungsprozess innerhalb der Koalition mit den Ländern
und mit den Behörden vor Ort geht zu Ende. Heute kön-
nen wir die drei Ausbaugesetze, deren Entwürfe auf dem
Tisch liegen, verabschieden. Ich möchte das Ganze wirk-
lich als einen großen Tag für die Verkehrspolitik und mit

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 207. Sitzung. Berlin, Freitag, den 2. Dezember 2016 20711


(A) (C)



(B) (D)


als einen der größten dieser Koalition bezeichnen. Liebe
Kolleginnen und Kollegen, herzlichen Dank!


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Ich schließe mich natürlich dem Dank an den Bun-
desminister an, aber insbesondere auch an die Mitarbei-
terinnen und Mitarbeiter im Haus, die uns auf jede Fra-
ge, auch wenn sie sich wiederholt hat, immer geduldig
Antwort gegeben und alles erklärt haben. Ich sage ein
Dankeschön auch den Berichterstattern, ebenso den Län-
derberichterstattern, die in jedem einzelnen Bundesland
dafür Sorge tragen mussten, dass man wirklich abschich-
tete. Und genau das, liebe Kolleginnen und Kollegen der
Grünen, haben wir getan. Wir haben uns nämlich Leitli-
nien und eine Grundkonzeption gegeben, die Sie einfach
ignorieren bzw. nicht wahrnehmen wollen, nämlich Er-
halt vor Neubau und Engpassbeseitigung; hierzu haben
wir noch die Kategorie „Vordringlicher Bedarf – Eng-
passbeseitigung“ eingeführt. Eine so klare Priorisierung
wie dieses Mal gab es noch nie.

Zum Netzzusammenhang, liebe Kollegin Wilms, von
Bundesstraßen gehören nun einmal auch Ortsumfahrun-
gen in Bundesländern. Sie werden das nicht glauben,
aber es ist so.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Detlef Müller [Chemnitz] [SPD] – Lachen bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wenn Sie irgendwo in Bayern mit Ihrem grünen Heli-
kopterblick einfliegen und mit einem kleinen Grüppchen
die Leute schalu machen, dann glauben Sie doch nicht
wirklich, dass Sie verstanden haben, was vor Ort los ist.
Genau das haben Sie nämlich nicht.


(Beifall bei der CDU/CSU – Zuruf der Abg. Dr. Valerie Wilms [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Dann haben wir natürlich das Kriterium der städtebau-
lichen Notwendigkeit und der Verkehrssicherheit. Genau
Ihre Bürgerinitiativen stehen nämlich an den Straßen in
den Städten und Gemeinden und fragen: Warum müssen
hier Tausende von Schwerlast-Lkws durch unsere Ge-
meinde donnern? Auf genau diese Menschen nehmen Sie
keine Rücksicht.

Zum Ausbau der Schiene, lieber Kollege Gastel, kann
ich Ihnen nur sagen: Wer im Glashaus sitzt, sollte nicht
mit Steinen werfen. Wir wollen beim Ausbau der Schiene
Taten sehen, aber vor Ort sind Sie dagegen, während Sie
hier große Reden halten. Das ist einfach unglaubwürdig
und unseriös.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – Ulli Nissen [SPD]: Völlig richtig gesagt! – Matthias Gastel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wie bitte? Was ist denn das für ein Quatsch, den Sie erzählen? So ein Unfug!)


Liebe Kollegen der Grünen – Sören Bartol hat es auch
schon gesagt –, dieser Verkehrswegeplan hat, weil er die-
ser strikten verkehrspolitischen Leitlinie folgt, insgesamt
fast 900 Straßenprojekte weniger als der, den Sie zur Zeit

der rot-grünen Bundesregierung mit zu verantworten
hatten. An Ihrer Stelle wäre ich einmal ganz ruhig, liebe
Beton-Valerie-Wilms.


(Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU – Heiterkeit bei der SPD)


Dafür, dass Sie keine Wahlkreise gewonnen haben,
können wir ja nichts.


(Beifall des Abg. Gustav Herzog [SPD])


Irgendwie kommen Sie bei den Wählerinnen und Wäh-
lern nicht so an, um Wahlkreise zu gewinnen. Aber das
Vertreten von Wahlkreisinteressen – das sage ich ganz
offen – erdet die Politik vor Ort. Das ist genau unser An-
spruch: Wir sind vor Ort greifbar und kommen nicht ir-
gendwie und von irgendwoher angeflogen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Detlef Müller [Chemnitz] [SPD] – Widerspruch der Abg. Susanna Karawanskij [DIE LINKE])


Wenn Sie dann im Stil eines amerikanischen Wahl-
kampfes auf der Grundlage von Halbwahrheiten Listen
ins Internet stellen,


(Matthias Gastel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Oje, oje, oje!)


wenn Sie Ortsumfahrungen benennen, die nicht einmal
in den Wahlkreisen der Kollegen liegen, wenn Sie das
NKV und die Verkehrszahlen verschweigen, dann sieht
man, auf welche Art und Weise und mit welcher Methode
Sie in das Wahljahr 2017 gehen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ist das der neue Geist einer so moralisierenden Partei?
Nein, Sie sorgen am Ende für eine Zweiklassenrepublik,
eine Aufteilung nämlich in diejenigen, denen Sie etwas
zukommen lassen wollen, und in diejenigen, die Sie ab-
hängen, weil Sie über Land keine Verkehre mehr organi-
siert haben wollen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie mich
noch einen Satz zum Schienenverkehr sagen. Ja, lieber
Kollege Gastel, wir haben Nahverkehrsprojekte nicht
aufgenommen.


(Matthias Gastel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber bei den Straßen!)


– Nein, eben nicht. Hier gibt es einen Netzzusammen-
hang. Sie können das noch fünfmal sagen; es wird nicht
richtiger, weil Sie es nicht kapieren oder nicht kapieren
wollen und deswegen weiterhin die Unwahrheit sagen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Bei den Schienenprojekten haben wir zwischen Fern-
verkehr und Nahverkehr unterschieden. Und es war die
Große Koalition, die in diesem Jahr die Regionalisie-
rungsmittel auf 8,2 Milliarden Euro erhöht hat – genau
für diesen Nahverkehr und für die entsprechende Vernet-
zung.


(Zurufe der Abg. Sabine Leidig [DIE LINKE])


Ulrich Lange

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 207. Sitzung. Berlin, Freitag, den 2. Dezember 201620712


(A) (C)



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Niemand anderes! Wir waren es!


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Wir haben unsere Hausaufgaben gemacht: Wir haben
einen guten Verkehrswegeplan. Wir haben sehr gute Aus-
baugesetze. Jetzt geht es darum, dass wir zur Umsetzung
kommen. Hier drehe ich mich schon auch in Richtung
Länderbank um; denn es liegen große Herausforderungen
bei den Bundesländern. Ich sage nur: „Planen, planen,
planen“, damit es für die von uns finanzierten Projekte
auch Baurecht gibt. Das Geld ist da. Der Investitions-
hochlauf steht. Wir stehen für Mobilität und Modernität.

Danke schön.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1820701600

Für die SPD-Fraktion ist der nächste Redner der Kol-

lege Gustav Herzog.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Gustav Herzog (SPD):
Rede ID: ID1820701700

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Lassen Sie mich mit einem Dank beginnen – ich wer-
de auch mit einem Dank enden –, und zwar an die Kol-
leginnen und Kollegen, die gestern Abend um 23 Uhr
dem Gesetzentwurf zur Ausdehnung der Lkw-Maut auf
die Bundesstraßen zugestimmt haben, weil wir damit in
den nächsten Jahren 2 Milliarden Euro pro Jahr mehr im
Pott haben werden, um das, was wir anschließend hier
beschließen, auch wirklich realisieren zu können. Vielen
Dank also an diejenigen, die auch auf der Einnahmensei-
te kräftig mithelfen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, ein Nachrichtenma-
gazin hat den Bundesverkehrswegeplan als das Hochamt
für Verkehrspolitiker bezeichnet. Mir fehlt diese Spiritu-
alität, aber es ist schon eine besondere Verantwortung, an
einem Werk mitzuarbeiten – und heute darüber zu ent-
scheiden –, das über die nächsten drei, vier Wahlperioden
hinaus die Arbeit des Deutschen Bundestages mitbestim-
men wird, wenn es darum geht, die Pläne zu realisieren.

Wir haben ja schon in der letzten Wahlperiode mit der
Grundkonzeption begonnen und einen Berg von wissen-
schaftlichen Studien in Auftrag gegeben und auch gele-
sen. Wir haben den riesigen Prozess aus Anmeldungen,
Bewertungen und Priorisierungen bewältigt und zu allem
eine öffentliche Erörterung durchgeführt. Das war eine
riesige Aufgabe.

Ich will in Bezug auf die Anmeldungen nur kurz ein-
mal in Richtung Grüne darauf hinweisen: Über die Hälfte
der von den Ländern angemeldeten Straßenbauprojek-
te – nicht alle Länder waren so diszipliniert wie Ihres,
Herr Landesminister Pegel – haben wir zurückgewiesen.
Sie sind nicht im Vordringlichen Bedarf des Bundesver-

kehrswegeplans gelandet, weil wir schon sehr sorgfältig
auf die Vorgaben geachtet haben.

All das geschah mit Öffentlichkeitsbeteiligung, und
ich will mich hier bei all denjenigen bedanken, die den
Kontakt mit uns gesucht und deren Kontakt wir gesucht
haben: den Verbänden, den Bürgern, den Vereinen und
auch den Lobbyisten. Ich sage mal: Es wird auch dann
eine gute Sitzungswoche, wenn ich am Mittwoch vor der
Ausschusssitzung nicht bei einem vom BUND ausge-
richteten Arbeitsfrühstück sein muss.

All das hat dazu beigetragen, dass wir als Arbeitspar-
lament unserer Verantwortung nachkommen konnten. In
fünf Ausschusssitzungen – zusammen waren es weit über
20 Stunden – haben wir viele Tausend Projekte beraten,
und es wurde auch eine öffentliche Anhörung durchge-
führt. Danach kam es zum Abstimmungsmarathon.

Ich sage hier für die SPD-Fraktion und, wie ich hof-
fe, auch für das ganze Parlament: Lieber Martin Burkert,
du hast als Ausschussvorsitzender in großer Souveränität
durch die Sitzungen geführt. Herzlichen Dank dafür und
auch ganz herzlichen Dank an das Sekretariat für die ge-
leistete Arbeit. Das war hervorragend.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN und der Abg. Sabine Leidig [DIE LINKE])


Es wurden einige Tausend Seiten produziert, die heute
zur Abstimmung stehen. Das alles war sehr transparent.
Da wurde nicht gemauschelt. Frau Kollegin Wilms, wir
gingen von einem Volumen von 270 Milliarden Euro aus;
jetzt sind es 1 bis 2 Milliarden Euro mehr geworden. Ich
sage Ihnen: Wenn ich mauschele, dann ist das wesentlich
effektiver, als nur Zehntel Prozente draufzusatteln.


(Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD)


Alles, was wir da gemacht haben, war transparent. Da hat
keiner seinen eigenen Wahlkreis bedient.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Warum, liebe Kolleginnen und Kollegen? Wir haben
uns an die Leitplanken, die wir uns gegeben haben, ge-
halten. Es ist einfach, fromme Wünsche zu äußern. Wir
aber halten uns an die Leitplanken. – Viel schwieriger ist
es in der Realität. Ich sage offen, dass ich manchmal den
Eindruck hatte, der unbeliebteste Abgeordnete meiner
Fraktion zu sein, weil ich vielen, die mit Wünschen zu
mir gekommen sind, sagen musste: Das geht nicht nach
den Kriterien, die wir uns selbst gegeben haben.

In dem Prozess, der nach der Kabinettsbefassung kam,
haben wir uns auch an die Verabredungen gehalten und
weiterhin ein klares Prä für die Schiene abgegeben. Es
wurde bereits mehrfach gesagt: Die Schiene bekommt
ein Mehrfaches dessen, was ihrer Verkehrsleistung bei
der Güter- und der Personenbeförderung entspricht.


(Zuruf des Abg. Matthias Gastel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Ulrich Lange

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 207. Sitzung. Berlin, Freitag, den 2. Dezember 2016 20713


(A) (C)



(B) (D)


Das ist unsere Politik. Wir machen nicht viele Worte,
sondern lassen Taten sprechen, liebe Kolleginnen und
Kollegen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


In Richtung Linke sage ich: Wo führen Sie denn den
Dialog vor Ort? Die Grünen haben mich im Zusammen-
hang mit drei Ortsumgehungen in meinem Wahlkreis
erwähnt. Ich habe Ihren linken Abgeordneten noch bei
keiner Diskussion um eine Ortsumgehung gesehen, bei
der er sich vor Ort den Bürgerinnen und Bürgern hätte
stellen können.


(Ralph Lenkert [DIE LINKE]: Weil Sie blind sind!)


Sie führen hier das große Wort, aber vor Ort schlagen Sie
sich in die Büsche. So kann man keine Politik machen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Zu den Ausschussberatungen kann ich nur sagen:
Wunsch und Wolke. Man muss sich nur vor Augen füh-
ren, wie viele Anträge zur Schiene Sie zur Hochstufung
aus dem Potenziellen Bedarf gestellt haben. Natürlich
wollen auch wir so viel wie möglich umsetzen; aber der
volkswirtschaftliche Nutzen muss zuerst nachgewiesen
werden. Sie jedoch wollten pauschal eine Reihe von Pro-
jekten in den Vordringlichen Bedarf hochstufen. Wissen
Sie, woran mich das erinnert hat? Dafür muss ich nun zur
rechten Seite dieses Hauses schauen: 2003 haben Union
und FDP ebenfalls in unverantwortlicher Weise Anträge
zum Bundesverkehrswegeplan gestellt, um möglichst
viele Projekte in den Vordinglichen Bedarf zu bringen.
Wissen Sie, warum der Plan dann trotzdem gut war? Weil
verantwortliche Sozialdemokraten – damals wie heute –
solche Wunschkataloge abgelehnt haben.


(Beifall bei der SPD – Lachen der Abg. Sabine Leidig [DIE LINKE])


Nun zu Ihrem Lippenbekenntnis, mehr Güter auf die
Wasserstraße zu verlagern. Mich als Rheinland-Pfäl-
zer treibt Folgendes um – das gilt sicherlich auch für
die Hessen, die Baden-Württemberger und die Nord-
rhein-Westfalen –: Wie man zur Fahrrinnenanpassung im
Mittelrheintal sagen kann, dass man das nicht wolle, wie
man sich bei einer der wichtigsten, wenn nicht sogar bei
der wichtigsten Wasserstraße in Deutschland verweigern
und Nein zu einer deutlichen Erhöhung der Verlässlich-
keit dieses Verkehrsträgers sagen kann, das will mir nicht
in den Kopf. Damit verleugnen Sie Ihre eigene Politik.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Ulli Nissen [SPD]: Gute Ansage!)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, es gab viele Dialoge
und Diskurse, auch heftige Debatten. Aber was ich am
Mittwoch in der Zeitung lesen musste, war wirklich der
traurige Höhepunkt von dem, was Sie geliefert haben.

Dort stand: Die Grünen sind empört. Die GroKo schiebt
sich Straßenbauprojekte zu.


(Matthias Gastel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: So ist es!)


Wir haben von Ihnen auch heute wieder nur wenige, dün-
ne Argumente gehört. Also greifen Sie einzelne Personen
an. Da schreiben Sie, dass dem Exminister Ramsauer,
dem Exminister Friedrich, dem Exminister Röttgen und
dem amtierenden Minister Steinmeier Projekte zugescho-
ben würden. Wissen Sie, wenn ich jemanden bedienen
will, dann halte ich nicht nach Exministern Ausschau,
sondern nach denen, die Zukunft haben und darüber ent-
scheiden, wie es weitergeht.


(Heiterkeit und Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ein Weiteres: Ich kenne jetzt nicht die Feinheiten
bei der CSU, aber ich bezweifle sehr, dass der Kollege
Dobrindt, auch wenn bald Weihnachten ist, dem Kol-
legen Ramsauer auch nur einen Quadratmeter Asphalt
mehr schenkt, als diesem zusteht.


(Heiterkeit und Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, das ist ein guter
Plan. Ich werbe um Zustimmung. Wir werden das alles in
dieser und in der nächsten Legislaturperiode umsetzen.

Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1820701800

Letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt ist der

Kollege Arnold Vaatz für die CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Arnold Vaatz (CDU):
Rede ID: ID1820701900

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Her-

ren! Als letzter Redner möchte ich das sagen, was mir
am meisten am Herzen liegt. Wir hätten den Bundes-
verkehrswegeplan, dieses große Werk, und die Ausbau-
gesetze niemals auf den Weg gebracht, wenn wir nicht
überparteilich zusammengearbeitet hätten und wenn
wir nicht hervorragende Kontakte insbesondere auf der
Mitarbeiterebene gehabt hätten. Demzufolge möchte ich
auch einmal den persönlichen Mitarbeitern der Abgeord-
neten, die sich hier ins Zeug gelegt haben, ganz herzlich
danken.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN)


Ohne sie wären wir oftmals aufgeschmissen gewesen. Da
dies noch nicht gesagt worden ist, ist es meines Erachtens
sehr wichtig, das zu tun.

Einen ganz persönlichen Dank möchte ich auch noch
in Richtung Alexander Dobrindt richten, und zwar aus
folgendem Grund: Alexander, du hast in dieser ganzen,
oftmals heftigen Auseinandersetzung eine bewunderns-
werte Ruhe und Übersicht bewahrt. Du hast mit Beharr-

Gustav Herzog

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 207. Sitzung. Berlin, Freitag, den 2. Dezember 201620714


(A) (C)



(B) (D)


lichkeit, Konzentration und Konsequenz mehr geschafft,
als viele am Anfang gedacht haben. Also ganz herzlichen
Dank dafür


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


und auch für die ständige Offenheit deines Ministeriums
und für die Bereitschaft, uns Informationen zu überlas-
sen. Ich danke dir auch dafür, dass du immer für die
Einwendungen und Vorschläge, die aus unseren Reihen
gekommen sind, offen warst. Das ist meines Erachtens
so, wie man sich das vorstellt. Vielen Dank!

Gleichzeitig möchte ich mich auch bei Wolfgang
Schäuble bedanken. Durch Wolfgang Schäubles überleg-
te und weitsichtige Finanzpolitik ist es möglich gewesen,
endlich aus diesem Schwitzkasten ständig mangelnder
finanzieller Mittel herauszukommen und schließlich eine
Perspektive vorzulegen, die auf lange Jahre gewährleis-
tet, dass die finanziellen Grundlagen für die Erfüllung
unserer Infrastrukturaufgaben gegeben sind. Das ist
ein ganz wichtiger Schritt nach vorne. Ganz herzlichen
Dank!


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


All das, was jetzt geschehen ist, wäre ohne eine be-
harrliche Vorarbeit, die hier stattgefunden hat, nicht
denkbar gewesen. An dieser Stelle muss ich an die lang-
jährige Arbeit von Karl-Heinz Daehre und Kurt Bodewig
erinnern,


(Gustav Herzog [SPD]: Sehr richtig!)


die es in einer zunächst nahezu vernagelt erscheinenden
Situation tatsächlich geschafft haben, sauber zu formu-
lieren und zu begründen, wie der wirkliche Finanzbe-
darf für unsere Infrastruktur ist, herauszuarbeiten, was
an Erneuerung und an Bestandspflege für die Zukunft
notwendig ist. Das war eine Kärrnerarbeit, die von der
Öffentlichkeit kaum wahrgenommen worden ist. Herz-
lichen Dank, Karl-Heinz Daehre, herzlichen Dank Kurt
Bodewig!


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich möchte
ein paar Sachen zu meinen Vorrednern sagen.

Frau Wilms, Sie haben gesagt, das, was wir uns vorge-
nommen hätten, sei zu viel.


(Matthias Gastel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Falsch!)


Ich muss Ihnen dann recht geben, wenn die zukünftige
Strategie von Ihnen weiterhin ist, alle möglichen Dinge
zu instrumentalisieren, um Infrastruktur zu verhindern.
Dann wird es in der Tat sehr schwer, das umzusetzen.
Aber ich habe die Hoffnung, dass es uns dieses Mal ge-
lingt, die Endlosschleifen, die Sie uns in den letzten Jah-
ren verordnet haben, mit Prozessen, die nicht zu Ende ge-
gangen sind, und Einspruchsverfahren, die nicht zu Ende
gegangen sind, zu überwinden und dass wir tatsächlich

ans Bauen kommen. Das erwarten die Menschen, und
das werden wir mit aller Kraft versuchen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Herr Minister Pegel, ich bin Ihnen sehr dankbar, dass
Sie das Ganze einmal aus der Sicht der ostdeutschen
Länder, insbesondere aus der Sicht des von starken Sai-
sonverkehren geplagten, infrastrukturell dafür noch nicht
ausgerüsteten Mecklenburg-Vorpommerns, beleuchtet
haben. Ich halte das für einen ganz wichtigen Hinweis.
Seien Sie sicher: Wir werden alles unternehmen, damit
sich die Situation bei Ihnen entschärft und dass es tat-
sächlich eine Mobilität gibt, die dem Land angemessen
ist. Das soll für ganz Ostdeutschland gelten. Sie haben
uns in dieser Frage hundertprozentig auf Ihrer Seite.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Zu den Streichorgien, von denen Sie gesprochen ha-
ben, muss man meines Erachtens noch etwas klarstellen.
Die Antragsteller für dieses mehr an Projekten waren
Linke und Grüne. Man muss einmal zur Kenntnis neh-
men: Das, was beide Parteien in den letzten Jahren hier
in Deutschland geboten haben, ist in der Tat ein Anschlag
auf die Mobilität.

Ich sage Ihnen, Frau Leidig und Herr Behrens: Wir
werden im nächsten Jahr im Wahlkampf stehen. In mei-
nem Wahlkreis und in ganz Ostdeutschland gibt es sehr
viele, die aus alter Verbundenheit links wählen. Sie ha-
ben mir heute sehr geholfen. Ich werde Ihre Reden nur
eins zu eins abdrucken und verteilen. Das genügt, meine
Damen und Herren.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Beifall der Abg. Sabine Leidig [DIE LINKE] – Gustav Herzog [SPD]: Es gibt ein Copyright!)


Dies wird dazu führen, dass viele von Ihren eingefleisch-
ten Anhängern zum Nachdenken kommen, worauf sie
sich einlassen,


(Sabine Leidig [DIE LINKE]: Täuschen Sie sich nicht!)


wenn Sie derartig destruktive Politikansätze noch för-
dern. Das kommt für die meisten nicht infrage. Die
meisten täuschen sich nur darüber, dass eigentlich Sie
die Feinde der Infrastruktur sind und nicht die Grünen.
Den Herrschaften kann geholfen werden. Ich glaube, wir
schaffen das.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Sabine Leidig [DIE LINKE]: Hoffen wir, dass Sie das so machen, dass Sie wirklich verbreiten, was ich gesagt habe, und nicht Propaganda machen! – Zuruf des Abg. Jörn Wunderlich [DIE LINKE])


Meine Damen und Herren, mit den heute zu verab-
schiedenden Ausbaugesetzen sind wir natürlich noch
nicht am Ziel. Immer noch ist es so, dass wir langwie-
rige Verfahren zur Erlangung des Baurechts haben und
dass wir teilweise in den Verwaltungen nicht die richtige

Arnold Vaatz

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 207. Sitzung. Berlin, Freitag, den 2. Dezember 2016 20715


(A) (C)



(B) (D)


Ressourcenkonfiguration haben, um die Dinge schnell
umzusetzen. Deshalb kann es mit den heute vorliegenden
Ausbaugesetzen nicht sein Bewenden haben. Wir müssen
in dieser Angelegenheit noch wesentlich mehr tun. Wir
müssen den Ausbaugesetzen auch ein Verkehrswegespla-
nungsbeschleunigungsgesetz oder etwas in diesem Sinne
beifügen,


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


damit wir in der Lage sind, tatsächlich zügig zu bauen.

Leider ist es so, dass wir im Augenblick gerade wieder
in die entgegengesetzte Richtung gehen. Ich nenne nur
das Umwelt-Rechtsbehelfsgesetz. Da soll zum Beispiel
die Präklusionsklausel gestrichen werden. Wenn das
stattfindet, dann können Einwendungen, die im Verfah-
ren bis zu dem Zeitpunkt nicht geäußert worden sind, zu
dem die Präklusionsfrist abgelaufen ist, im Zuge des wei-
teren Verfahrens wieder eingebracht werden und müssen
gar in die Abwägung einfließen. Das heißt, da deuten sich
wieder Endlosschleifen an. Das darf natürlich nicht sein.
Deshalb muss auch hier etwas passieren.

Ich glaube, wir müssen auch darüber nachdenken, was
wir gegen die fortwährende Instrumentalisierung von
Tierschutz zur Verhinderung von Infrastrukturprojekten
tun können. Das Schlimmste, was man dem Naturschutz
antun kann, ist, dass man ihn für sachfremde Zwecke in-
strumentalisiert und damit von den Menschen entfremdet.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Wer tatsächlich dafür ist, dass Natur und Umwelt ge-
schützt werden, der darf nicht fortwährend den Natur-
und Umweltschutz gegen Mobilität und gegen Bedürf-
nisse der Gesellschaft ausspielen. Wir müssen beides
zusammenführen, und das bedeutet: Wir brauchen Natur-
schutz, wir brauchen Umweltschutz, aber wir brauchen
auch eine vernünftige Infrastruktur. Wenn wir das nicht
haben, ist beides nicht mehr in Ordnung. Dann gibt es
keinen Naturschutz mehr, und es gibt auch keine wirt-
schaftliche Entwicklung mehr. Genau das wollen wir
nicht haben.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Wir brauchen einen Gang nach vorne und keinen Still-
stand. Dafür haben wir heute einen guten Anfang gesetzt.

Vielen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1820702000

Ich schließe die Aussprache.

Wir kommen nun zu den Abstimmungen über den
von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines
Sechsten Gesetzes zur Änderung des Fernstraßenausbau-
gesetzes.

Dazu liegen mir zahlreiche persönliche Erklärungen
zur Abstimmung vor, mit denen an der einen oder ande-
ren Stelle besondere Wünsche, die nicht berücksichtigt
werden konnten, oder Projekte, die realisiert werden,
obwohl man dafür keinen Bedarf sieht, noch einmal

ausdrücklich im Protokoll des Bundestages festgehalten
werden.1)

Der Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur
empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf der Druck-
sache 18/10524, den Gesetzentwurf der Bundesregierung
auf den Drucksachen 18/9523 und 18/9853 in der Aus-
schussfassung anzunehmen.

Hierzu gibt es einen Änderungsantrag der Fraktion
Die Linke auf der Drucksache 18/10534. Wer stimmt für
diesen Änderungsantrag? – Wer stimmt dagegen? – Wer
enthält sich? – Damit ist der Änderungsantrag mit den
Stimmen der Koalition abgelehnt.

Ich bitte nun diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der
Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzei-
chen. – Wer ist dagegen? – Wer enthält sich? – Damit
ist umgekehrt der Gesetzentwurf in zweiter Beratung mit
den Stimmen der Koalition angenommen.

Wir kommen zur

dritten Beratung

und Schlussabstimmung. Wer dem Gesetzentwurf zu-
stimmen möchte, bitte ich, sich von den Plätzen zu er-
heben. – Wer ist dagegen? – Möchte sich jemand der
Stimme enthalten? – Damit ist der Gesetzentwurf mit den
Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der Oppositi-
on bei einer Enthaltung angenommen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Wir stimmen nun über den Entschließungsantrag
der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf der Drucksa-
che 18/10535 ab. Wer stimmt für diesen Entschließungs-
antrag? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Da-
mit ist der Entschließungsantrag abgelehnt.

Tagesordnungspunkt 30 b. Abstimmung über den von
der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Geset-
zes zur Änderung des Bundesschienenwegeausbaugeset-
zes. Der Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur
empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf der Druck-
sache 18/10513 (neu), den Gesetzentwurf der Bundes-
regierung auf den Drucksachen 18/9524 und 18/9953 in
der Ausschussfassung anzunehmen.

Hierzu gibt es einen Änderungsantrag der Fraktion
Die Linke auf Drucksache 18/10536. Wer möchte diesem
Änderungsantrag zustimmen? – Wer stimmt dagegen? –
Wer enthält sich? – Damit ist der Änderungsantrag mehr-
heitlich bei Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grü-
nen abgelehnt.

Ich bitte nun diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der
Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzei-
chen. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Damit
ist der Gesetzentwurf in zweiter Beratung angenommen.

Wir kommen zur

dritten Beratung

und Schlussabstimmung. Diejenigen, die dem Gesetzent-
wurf zustimmen möchten, bitte ich, sich von den Plät-

1) Anlagen 2 bis 4

Arnold Vaatz

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 207. Sitzung. Berlin, Freitag, den 2. Dezember 201620716


(A) (C)



(B) (D)


zen zu erheben. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält
sich? – Damit ist der Gesetzentwurf gegen die Stimmen
von Bündnis 90/Die Grünen bei Stimmenthaltung der
Fraktion Die Linke angenommen.

Tagesordnungspunkt 30 c. Abstimmung über den von
der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Geset-
zes über den Ausbau der Bundeswasserstraßen und zur
Änderung des Bundeswasserstraßengesetzes. Der Aus-
schuss für Verkehr und digitale Infrastruktur empfiehlt in
seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/10516,
den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf den Druck-
sachen 18/9527 und 18/9952 in der Ausschussfassung
anzunehmen. Diejenigen, die diesem Gesetzentwurf in
dieser Fassung zustimmen wollen, bitte ich um das Hand-
zeichen. – Wer ist dagegen? – Wer enthält sich? – Damit
ist der Gesetzentwurf mit den Stimmen der Koalition in
zweiter Beratung angenommen.

Auch hier kommen wir jetzt zur

dritten Beratung

und Schlussabstimmung. Diejenigen, die dem Gesetz-
entwurf zustimmen wollen, erheben sich bitte. – Wer
möchte dagegenstimmen? – Enthaltungen? – Damit ist
der Gesetzentwurf mit den Stimmen der Koalition gegen
die Stimmen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und
bei Enthaltung der Fraktion Die Linke angenommen.

Tagesordnungspunkt 30 d. Abstimmung über die Be-
schlussempfehlung des Ausschusses für Verkehr und
digitale Infrastruktur auf der Drucksache 18/10514. Der
Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschluss-
empfehlung die Ablehnung eines Antrags der Fraktion
Die Linke auf der Drucksache 18/8075 mit dem Titel
„Bundesverkehrswegeplan 2030 zurückziehen – Kli-
maschutz- und sozialökologische Nachhaltigkeitsziele
umsetzen“. Wer stimmt dieser Beschlussempfehlung
zu? – Wer stimmt gegen diese Beschlussempfehlung? –
Wer enthält sich der Stimme? – Damit ist die Beschluss-
empfehlung mit den Stimmen der Koalition mehrheitlich
angenommen.

Tagesordnungspunkt 30 e. Abstimmung über die Be-
schlussempfehlung des Ausschusses für Verkehr und
digitale Infrastruktur zu dem Antrag der Fraktion Bünd-
nis 90/Die Grünen mit dem Titel „Deutschland-Takt
jetzt umsetzen – Weichen in der Bundesverkehrswege-
planung richtig stellen“. Der Ausschuss empfiehlt in
seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/10515,
den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf
Drucksache 18/7554 abzulehnen. Wer stimmt für diese
Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer
enthält sich? – Damit ist die Beschlussempfehlung mit
den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der Op-
position angenommen.

Tagesordnungspunkt 30 f. Wir kommen zurück zur
Beschlussempfehlung des Ausschusses für Verkehr und
digitale Infrastruktur auf Drucksache 18/10514. Un-
ter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung empfiehlt
der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen auf der Drucksache 18/8083
mit dem Titel „Den Bundesverkehrswegeplan zum Bun-
desnetzplan weiterentwickeln“. Wer stimmt dieser Be-

schlussempfehlung zu? – Wer stimmt dagegen? – Wer
enthält sich? – Auch diese Beschlussempfehlung ist mit
den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der Op-
position angenommen.

Damit haben wir dieses große Paket jedenfalls für heu-
te abgeschlossen. – Denjenigen, die alle übrigen Punkte
der Tagesordnung nicht annähernd so spannend finden,
wünsche ich noch eine gedeihliche Arbeit im Büro und
anschließend ein hoffentlich halbwegs ruhiges Advents-
wochenende.

Ich rufe jetzt Tagesordnungspunkt 8 auf:

Beratung des Antrags der Abgeordneten Katja
Dörner, Kerstin Andreae, Dr. Franziska Brantner,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN

Familien stärken – Kinder fördern

Drucksache 18/10473
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (f)

Finanzausschuss
Ausschuss für Arbeit und Soziales

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 77 Minuten vorgesehen. – Widerspruch
dagegen sehe ich nicht. Also verfahren wir so.

Ich eröffne die Aussprache und erteile der Kollegin
Franziska Brantner für die Antragsteller das Wort.


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen
und Herren! Sie haben den Titel unseres Antrags gera-
de vorgelesen: Wir wollen Familien stärken und Kinder
fördern. Familien brauchen unsere Unterstützung, und
Kinder gehören stärker gefördert.

Familie ist für uns klar dort, wo Menschen kontinu-
ierlich Verantwortung füreinander übernehmen. Familie
ist da, wo Kinder sind – egal, ob die Eltern verheiratet
oder getrennt sind, noch nie zusammen waren oder im
Regenbogen zusammenleben. Kinder machen Familie
aus. Deshalb muss sich auch die Förderung von Familie
daran orientieren, wo Kinder sind. Das ist unsere zentrale
Aussage.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Wir haben ein drängendes Problem in Deutschland:
Mehr als 2,5 Millionen Kinder wachsen in Deutschland
in einer Familie auf, die von Armut bedroht ist oder
SGB-II-Leistungen für sich und ihre Kinder bezieht. Das
sind fast 20 Prozent. Fast jedes fünfte Kind ist also be-
troffen.

Diese Kinder sind nicht dabei, wenn die Freundinnen
zusammen ins Kino gehen. Sie spüren die Blicke der an-
deren, wenn zu Beginn des neuen Schuljahres der Ranzen
noch der aus der ersten Klasse ist. Wir wissen aus Studi-
en, dass bei Kindern aus sozial benachteiligten Famili-
en ein größeres Risiko besteht, dass sie erkranken, dass
diese Kinder häufiger unter psychischen Auffälligkeiten
leiden oder Opfer von Gewalt werden. Armut grenzt aus

Präsident Dr. Norbert Lammert

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 207. Sitzung. Berlin, Freitag, den 2. Dezember 2016 20717


(A) (C)



(B) (D)


und tut weh; sie beeinflusst das Leben von Kindern und
auch ihr späteres Erwachsenenleben nachhaltig. Das
müssen wir ändern, liebe Kolleginnen und Kollegen, und
das können wir auch ändern. An diese Aufgabe müssen
wir uns endlich machen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Die Bekämpfung von Kinderarmut ist daher ein priori-
täres Ziel grüner Familien- und Sozialpolitik. Dabei geht
es uns um drei Bereiche: Kinder brauchen gute Bildung,
gute gesellschaftliche Teilhabe und auch genügend Geld.

Mit Blick auf den ersten Aspekt, die Bildung, kämp-
fen wir – das wissen Sie; das brauche ich hier nicht wei-
ter auszuführen – schon lange dafür, dass der Bund mehr
Geld zur Verfügung stellt, auch um die Qualität der Kitas
zu steigern.

Zum zweiten Aspekt, der gesellschaftlichen Teilhabe:
Wir alle wissen, dass das Bildungs- und Teilhabepaket
nicht bei den Kindern ankommt. Denn die Inanspruch-
nahme ist so gering: Die Möglichkeit der Nachhilfe
nehmen nur 9 Prozent der anspruchsberechtigten Kinder
wahr. Die Möglichkeit, ein Musikinstrument zu erlernen
oder in einen Verein zu gehen, nehmen nur 21 Prozent
der Kinder in Anspruch. Dieses Teilhabepaket kommt bei
den Kindern also nicht an. Wir können es uns in diesem
Land aber nicht leisten, dass diese Kinder ausgeschlos-
sen werden und nicht das bekommen, was ihnen eigent-
lich zusteht.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Wir wollen deswegen die Angebote dorthin bringen,
wo sich die Kinder aufhalten: in die Kitas und Schulen.
Die Debatten über das Kooperationsverbot bieten uns da
eigentlich eine ganz gute Chance.


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1820702100

Liebe Frau Brantner, darf der Kollege Patzelt eine

Zwischenfrage stellen?


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Gerne.


Martin Patzelt (CDU):
Rede ID: ID1820702200

Frau Dr. Brantner, danke schön, dass ich die Frage

stellen kann, auch wenn Sie im Text inzwischen schon
etwas weiter waren.

Ich war sehr verwirrt darüber, dass gerade Sie als Grü-
ne, die hier für die grüne Fraktion mit entscheidender
Stimme sprechen, materielle Statussymbole sozusagen
als Kriterium oder Maßstab für den Wert von Kindern
sehen. Die Sache mit dem Ranzen hat mich sehr erschüt-
tert. Ich habe meine Kinder so erzogen: Einen Ranzen,
der noch gut funktioniert, tragt ihr mit Selbstbewusst-
sein. – Sie sagen jetzt: Es wird zu einer Verunsicherung
der Kinder führen, wenn es keinen neuen Ranzen gibt. –
Könnten Sie sich dazu noch einmal äußern?


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Herr Patzelt, das erste Beispiel, das ich genannt habe,
war: zusammen ins Kino gehen. Das ist für mich kein
Statussymbol, sondern klassische Kultur. Das gehört ein-
deutig dazu.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Zum zweiten Beispiel, das Sie jetzt angesprochen
haben. Ja, es ist für Kinder eine entscheidende Frage,
wie sie in ihrem sozialen Umfeld auftreten können und
was sie haben. Wir wissen, dass Armut relativ ist. Es ist
eine tief gehende Debatte, die wir in diesem Land ha-
ben. Wir müssen anerkennen, dass sich ein Kind zurück-
gesetzt fühlen kann, auch wenn es nicht hungern muss.
Wir als Grüne sind zutiefst davon überzeugt, dass Armut
auch davon abhängt, was im jeweiligen sozialen Umfeld
möglich ist. Daran macht sich das fest. Armut ist relativ,
und deswegen sind solche Aspekte für Kinder in unserer
deutschen Gesellschaft eine Frage der Teilhabe und des
Dazugehörens.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Susann Rüthrich [SPD] – Martin Patzelt [CDU/CSU]: Danke für die Antwort! Ich merke, dass Sie, was materielle Nachhaltigkeit angeht, Kompromisse eingehen, die ich von Ihnen nicht erwartet habe!)


– Wir haben nie gesagt, dass Familien kein Geld brau-
chen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN und der Abg. Susann Rüthrich [SPD])


Von daher: Natürlich braucht man auch eine materielle
Absicherung. Wir wären die letzten, die das verneinen
würden.

Der dritte Aspekt – jetzt komme ich zum Geld, Herr
Patzelt –: Die beste Armutsbekämpfung besteht weiter-
hin in der Erwerbstätigkeit beider Eltern. Wenn ein aus-
reichendes Einkommen nicht möglich ist, weil die Eltern
keinen Job finden, weil sie trotz Vollzeitjob zu wenig
verdienen oder auch mit mehreren Jobs zu wenig haben
oder weil nur ein Elternteil für die Familie sorgen kann,
müssen wir dafür Sorge tragen, dass die Kinder nicht
die Leidtragenden sind. Wir wollen, dass diejenigen, die
heute zu wenig haben, endlich mehr bekommen, nämlich
das, was sie brauchen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Das bedeutet für uns zweierlei: dass erstens die Re-
gelsätze zu erhöhen sind und dass zweitens Familien mit
geringem Einkommen verlässlich unterstützt werden und
das Existenzminimum gesichert bekommen.

Erstens zu den Regelsätzen. Darüber haben wir in
dieser Woche schon eine Debatte geführt; mein Kollege
Wolfgang Strengmann-Kuhn hat dazu etwas ausgeführt.
Kinder brauchen ihre tatsächlichen Bedarfe gedeckt. Da
ist eben auch mal ein Eis im Sommer mit dabei. Dazu

Dr. Franziska Brantner

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 207. Sitzung. Berlin, Freitag, den 2. Dezember 201620718


(A) (C)



(B) (D)


gehören die Sachen, die andere Kinder in diesem Land
auch haben.

Zum zweiten Punkt. Viele Familien arbeiten – viel-
leicht nur Teilzeit, vielleicht auch Vollzeit –, und es
reicht nicht, dass sie nicht in Armut leben. Dafür gibt es
eigentlich den Kinderzuschlag. Aber wir alle wissen: Der
kommt nicht an. Nur ein Drittel der Berechtigten hat den
am Ende des Monats wirklich auf dem Konto. 70 Pro-
zent schaffen diese Hürde nicht. Sie leben de facto in
verdeckter Armut. Selbst der Kinderzuschlag deckt nicht
das sächliche Existenzminimum.

Sehr geehrte Damen und Herren, der Bund definiert
regelmäßig das Mindeste, was Kinder zum Leben brau-
chen. Das ist das Existenzminimum. Das ist im Steuer-
recht freigestellt, aber das bekommen diese Kinder nicht.
Warum ist es so, dass es bei den einen im Steuerrecht
freigestellt wird, es bei den anderen finanziell aber nicht
ankommt? Das ist eine große Ungerechtigkeit, und die
müssen wir endlich beenden.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Wir wollen deswegen, dass alle Kinder das bekom-
men, was sie brauchen, nämlich mindestens das Exis-
tenzminimum – das auch automatisch und ohne Antrag,
genauso wie es bei den Freibeträgen ist. Wir wollen für
jedes Kind, das in einem Alleinerziehendenhaushalt auf-
wächst und dessen Elternteil nicht genügend oder gar
keinen Unterhalt bekommt, erreichen, dass man nicht
mehr permanent von Amt zu Amt laufen muss, dass es
nicht mehr die zeitliche Begrenzung gibt, die keiner mehr
nachvollziehen kann. Deswegen wollen wir das umstel-
len, sodass dieses Kind und der Elternteil das Geld direkt
bekommen, ohne große Anträge, und dass die Einkom-
mensanrechnung beim unterhaltspflichtigen Elternteil
stattfindet.


(Marcus Weinberg [Hamburg] [CDU/CSU]: Das ist eine Sozialleistung!)


Das würde Alleinerziehende echt entlasten, sowohl wenn
es um das Materielle geht, als auch wenn es um die psy-
chische Belastung geht, um die Klagen, um den Streit.
Wir müssen da rauskommen und sagen: Wir sichern euch
eure Existenz, das gute Aufwachsen für eure Kinder. Das
ist die Verantwortung dieses Staates.


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1820702300


Frau Kollegin.


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Dann kommen wir endlich, hoffentlich, zu einer bes-
seren Bekämpfung der Kinderarmut. Das ist unser Ziel.
Lassen Sie es uns gemeinsam angehen. Ich freue mich
auf die Beratungen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1820702400

Das Wort erhält nun der Kollege Marcus Weinberg für

die CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Marcus Weinberg (CDU):
Rede ID: ID1820702500

Danke schön. – Herr Präsident! Liebe Kolleginnen

und Kollegen! Liebe Frau Brantner, es ist jetzt schon
beginnender Wahlkampf. Die Verkehrspolitiker haben
vorhin schon die ersten Vergleiche mit Weihnachten
gezogen. Das wäre auch hier passend. Ich sage einmal:
Im Dezember 2016 die ersten Anträge mit Blick auf den
Wahlkampf zu stellen, ist so wie mit den Lebkuchen im
Juni. Sie sehen an meiner Figur: Ich mag Lebkuchen im
Juni. Bei Ihrem Antrag bin ich allerdings nicht so eupho-
risch. Was das Verpacken angeht, wissen wir, dass auch
eine schöne Verpackung einen schlechten Inhalt haben
kann. Wir werden uns dennoch jetzt mit dem Thema be-
fassen, weil wir bei gewissen Positionen und Zielsetzun-
gen etwas Ähnliches definieren.

Natürlich ist das Thema „Kinderarmut in Deutsch-
land“ ein Thema, das uns alle bedrückt, fraktionsüber-
greifend. Deswegen arbeiten wir gemeinsam daran, die
Situation aller Kinder zu verbessern. Familienpolitik
muss sich nachhaltig alle Bereiche anschauen. Solange
nur ein Kind in Deutschland missbraucht, misshandelt
oder vernachlässigt wird, so lange haben wir einen klaren
Arbeitsauftrag. Solange Kinder in Armut leben, haben
wir als Familienpolitiker einen Arbeitsauftrag hier im
Plenum. Das soll ein Ziel sein, gegen die Kinderarmut
gemeinsam zu kämpfen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Aber die Wege sind durchaus unterschiedlich. Das
sieht man auch bei dem Antrag. Bekämpfung von Armut:
Was ist das Hauptziel bei der Bekämpfung von Armut?
Das Hauptziel muss doch sein, dass Eltern in die Lage
versetzt werden, ihr Leben eigenständig zu organisieren.
Das heißt, wir müssen Arbeitsplätze schaffen, und dazu
brauchen wir eine starke Wirtschaft. Das stärkt die Fami-
lien in diesem Land und damit auch die Kinder und sorgt
dafür, dass die Eltern ihre Kinder nicht nur materiell ver-
sorgen können, sondern auch psychologisch.

Sie haben das Beispiel mit dem Ranzen angesprochen.
Ja, es ist für ein Kind wichtig, dass es auch einmal einen
neuen Ranzen bekommt. Aber viel wichtiger ist für das
Kind, dass die Eltern in der Lage sind, diesen Ranzen
zu kaufen. Deswegen müssen wir gesamtwirtschaftlich
schauen, dass wir mit einer guten Wirtschafts- und Fi-
nanzpolitik die Voraussetzungen schaffen, um die Eltern
zu stärken.


(Beifall bei der CDU/CSU – Abg. Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] meldet sich zu einer Zwischenfrage)


– Darauf habe ich förmlich gewartet.


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1820702600

Na ja, das lässt mich natürlich eher zögern.


(Heiterkeit)


Dr. Franziska Brantner

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 207. Sitzung. Berlin, Freitag, den 2. Dezember 2016 20719


(A) (C)



(B) (D)


Aber wollen wir einmal nicht so sein. Bitte schön.


(BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Herr Kollege Weinberg, vielen Dank, dass Sie die
Frage zulassen. – Sie haben gesagt: Wir müssen in erster
Linie dafür sorgen, dass die Eltern ein existenzsicherndes
Einkommen haben. Können Sie zur Kenntnis nehmen,
dass bei einem großen Teil der armen Kinder die Eltern
durchaus ein ausreichendes Einkommen haben und die-
se Kinder trotzdem Hartz-IV-Leistungen beziehen und
in Armut leben? Dies ist doch das eigentliche Problem,
das wir angehen müssen. Wir müssen dafür sorgen, dass
diese Kinder, deren Eltern eigentlich genug Einkommen
haben, nicht in die Grundsicherung rutschen. Das müssen
wir doch im Auge behalten. Dafür ist unser Vorschlag die
richtige Antwort.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Marcus Weinberg (CDU):
Rede ID: ID1820702700

Das ist das Thema Kindergrundsicherung. Ich kom-

me gleich zu Ihrer Frage. – Nehmen Sie bitte zunächst
einmal zur Kenntnis, dass wir vor ungefähr zehn, elf
Jahren eine Situation in Deutschland hatten, in der fast
6 Millionen Menschen arbeitslos waren. Ich habe gestern
von dem wahrscheinlichen Kanzlerkandidaten der SPD –
vielleicht wird er es, man weiß es nicht – gehört, dass er
gesagt hat, es sei das wichtigste Ziel gewesen, dass wir
diese Menschen in den letzten Jahren wieder in Arbeit
gebracht haben. Mit einer Arbeitslosenzahl von 2,5 Mil-
lionen ist das deutlich besser geworden.

Damit komme ich zur Kindergrundsicherung, die ja
in Ihrem Antrag gefordert wird. Das wirft die Frage auf:
Ist sie sinnvoll, zielführend und sogar effizient? Ist sie
oberflächlich und etwas, was das Problem nur kaschiert,
oder ist sie tiefgehender, also etwas, was wir politisch
unterstützen sollten?

Wir sagen ganz klar: Es muss doch einen Grundsatz
in diesem Land geben. Die Lebenslage eines Kindes ist
untrennbar mit der Einkommenssituation der Eltern ver-
bunden. Wir sollten nicht die Situation von Eltern auf der
einen Seite und die von Kindern auf der anderen Seite
voneinander trennen. Deswegen glaube ich: Wenn wir
darauf achten, dass die finanzielle Situation der ganzen
Familie stabil ist, ist das zum Wohlsein des Kindes.

Eine solche Leistung nur für das Kind, wenn es den
Eltern gleichzeitig finanziell schlecht geht, ist schlicht
der falsche Weg. Noch einmal: Viele Kinder warten auf
einen neuen Ranzen, aber es ist wichtig, dass die Eltern
ihn auch bezahlen. Die Idee, durch die Einführung ei-
ner Kindergrundsicherung die Entwicklungschancen von
Kindern vom sozialen Status ihrer Eltern abzukoppeln,
ist eher trügerisch. Das werden wir nicht unterstützen.

Ein weiterer Punkt – hier stimmen wir Ihnen zu – ist
die Kernforderung, die Wirtschaft zu stärken; denn das
ist die Voraussetzung für die Stärkung von Kindern. Es
geht um den Zugang zu Bildung, zu Ausbildung sowie
um den Zugang zu soziokultureller Teilhabe. Bestehende
Kinderarmut verschärft sich langfristig dadurch – auch

das wissen wir –, dass Kinder zunehmend in bildungs-
schwachen Haushalten aufwachsen. Zur Bekämpfung
von Kinderarmut reicht es deshalb nicht aus, den Famili-
en nur mehr Geld in die Hand zu geben; vielmehr müssen
wir Bildungschancen eröffnen.

Lassen Sie mich einen Blick auf die Arbeit der Großen
Koalition in den letzten Jahren werfen. Was haben wir
denn gemacht?


(Lisa Paus [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Kinderarmut erhöht!)


Der Etat des Bildungsministeriums beträgt inzwischen
über 17,5 Milliarden Euro. Die Bereiche Familie und
Bildung sind finanziell gestärkt worden, der Etat ist auf-
gestockt worden. Das ist ein Ergebnis der Arbeit der Gro-
ßen Koalition.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Es gibt die Programme „Frühe Bildung: gleiche Chan-
cen“ und „Haus der kleinen Forscher“. Wir als Bund ha-
ben deutlich gesagt: Wir wollen, um die Bildungschancen
von Kindern gezielt zu erhöhen, diese Programme weiter
ausbauen. Wir als Bund haben Verantwortung übernom-
men, und wir sehen mit Blick auf den PISA-Schock von
2001, dass die Ergebnisse langsam besser geworden sind.
Daran haben auch die Länder und Kommunen gearbeitet,
auch wenn sie noch etwas mehr tun könnten. Wir müssen
in diesem Zusammenhang den Lehrern, den Erziehern
und all jenen, die im Bildungsbereich aktiv sind, danken.


(Lisa Paus [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Trotzdem hat sich die Kinderarmut erhöht!)


Insgesamt ist festzustellen: Die Situation in Deutschland
ist besser geworden, weil wir die Probleme vor vielen
Jahren erkannt haben.

Zum Thema Unterhaltsvorschuss und zur Frage, wann
die Ausweitung kommt. Dazu drei ganz klare Botschaf-
ten von der Union:

Erstens. Die Ausweitung, so wie im Koalitionsaus-
schuss und auf der Ministerpräsidentenkonferenz be-
schlossen – Frau Brantner, ich komme gleich darauf zu-
rück –, wird kommen.

Zweitens. Beim Unterhaltsvorschuss handelt es sich
um die zielgerichtetste Maßnahme im Bereich der Fami-
lienpolitik. Wir alle sind optimistisch, dass die Ministerin
Schwesig es schaffen wird, konkrete Finanzierungsver-
einbarungen mit den Ländern zu treffen.

Drittens. Ich bin weiterhin optimistisch, dass all die-
jenigen, die in den Ländern Verantwortung tragen, die
jeweiligen Ministerpräsidenten daran erinnern, dass sie
eine Zusage gegeben haben. Frau Brantner, Sie regieren
in zehn Ländern mit; Sie stellen sogar einen Minister-
präsidenten. Deswegen stelle ich Ihnen die Frage: Was
haben Sie innerhalb Ihrer grünen Fraktion dafür getan,
um dafür zu sorgen, dass sich Ihre Regierungsmitglieder
in den Ländern – von Hamburg bis in den Süden hinein –

Präsident Dr. Norbert Lammert

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 207. Sitzung. Berlin, Freitag, den 2. Dezember 201620720


(A) (C)



(B) (D)


bereit erklären, die Ausweitung des Unterhaltsvorschus-
ses zu unterstützen?


(Anja Hajduk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir arbeiten dran!)


Ich finde es etwas schwierig, wenn man sich hier hin-
stellt und sagt: „Das muss aber kommen“, und der Bun-
desregierung den Schwarzen Peter zuschiebt, aber selbst
Verantwortung in den Ländern trägt. Da sollten Sie etwas
mehr tun.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Wir haben immer gesagt – und das ist das Letzte, was
ich zu diesem Thema sagen möchte –: Die Voraussetzung
ist, dass die Finanzierung stimmt, und auch die Umset-
zung in den Kommunen muss stimmen. Frau Hajduk,
wir wissen beide aus Hamburg, wie viele Stellen das be-
deuten wird. Das muss geregelt werden; denn nichts ist
schlimmer, als wenn Politik etwas verspricht, aber dieses
Versprechen später nicht halten kann.

Richtig ist, dass wir uns überlegen müssen – und auch
da haben Sie uns an Ihrer Seite –, wie wir längerfristig
mit der Schnittstellenproblematik umgehen, um ineffizi-
ente Leistungen abzustellen. Wir müssen jeden Euro in-
vestieren, je früher desto besser. Wir müssen investieren,
statt später nur zu reparieren, gerade bei Kindern. Wir
müssen überlegen: Wie können Eltern gestärkt werden?
Was ist, wenn sie ein zusätzliches Einkommen haben?
Nimmt man ihnen das auf der anderen Seite gleich wie-
der weg? Jeder Mensch, der ein höheres Einkommen be-
zieht, muss dafür sorgen, dass das Geld auch bei den Kin-
dern ankommt. Deshalb wird man sich genau anschauen
müssen: Wo gibt es noch Schnittstellenproblematiken,
die wir im Sinne der Familien noch auflösen müssen, um
die Freiheit der Familien zu stärken?

Das Gleiche betrifft die ineffizienten Leistungen. Wir
wollen Familien mit Kindern stärken, und wir wollen
Kinder in Familien stärken. Da haben Sie uns an Ihrer
Seite. Darüber wird man die Debatte führen müssen, ins-
besondere mit Blick auf die nächsten fünf bis zehn Jahre.
Wie muss ich in den verschiedenen Systemen umsteu-
ern, damit ich ganz gezielt Kinder und Familien mit Kin-
dern stärke? In diesem Zusammenhang muss man über
steuerliche Leistungen debattieren. Man muss darüber
nachdenken: Wie können wir Veränderungen bei der Ein-
kommensteuer herbeiführen, sodass Kinder in Familien
gestärkt werden? Das machen wir. Wir befinden uns in
einem intensiven Diskurs, auch mit Blick auf den Wahl-
kampf, selbstverständlich.

Sie fordern allerdings, dass das Ehegattensplitting ab-
geschafft wird. Dazu sagen wir ganz deutlich: Das ist mit
der Union nicht zu machen.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Was wir überlegen, ist Folgendes: Wie können wir das
Ehegattensplitting von heute weiterentwickeln zu einem
Familienentlastungssplitting oder zu einem Familien-
splitting? Kernaufgabe muss es sein, Familien mit Kin-
dern zu stärken. Ich glaube, das wird in den nächsten Jah-
ren eines der Hauptthemen sein, und zwar mit Blick auf
die Einkommensteuer, mit Blick auf die Freibeträge und

auch mit Blick auf die Sozialversicherungsbeiträge. Ich
denke zum Beispiel an die Pflegeversicherung, bei der
schon jetzt diejenigen, die keine Kinder haben, 0,25 Pro-
zent mehr zahlen. Man wird schauen müssen, wie man
das Ziel „Stärkung von Familien mit Kindern“ erreichen
kann.

Man wird über viele Dinge diskutieren müssen – ich
will das nur kurz anreißen –, wenn es um die Frage geht,
wie wir Familien stärken können, wie wir sie vor Armut
schützen können. Armut drückt sich auch in den Le-
bensverhältnissen von Kindern aus, in den Wohnungen.
Wir wissen, welch hohe Mieten man gerade in urbanen
Gebieten zahlen muss. Wir müssen überlegen, wie wir
Familien in eine Situation versetzen können, dass sie Ei-
gentum, dass sie eine selbstgenutzte Immobilie erwerben
können. Eine heute 30-jährige Frau mit einem 32-jähri-
gen Mann kann momentan kaum eine Immobilie erwer-
ben. Wenn die Familien in der Lage wären, Eigentum zu
erwerben, wäre das gut für die Familien, übrigens auch
für die Alterssicherung; denn die selbstgenutzte Immo-
bilie, die nach 30 Jahren abbezahlt ist, kann eine Säule
der Alterssicherung sein. Ich glaube, hier haben wir noch
viel Potenzial, das wir in den nächsten Jahren heben soll-
ten. CDU/CSU und SPD diskutieren ja gerade sehr inten-
siv über ein Baukindergeld und Ähnliches. Da wird man
noch einiges machen.

Ein weiteres Thema wird sein, wie Familien ihre Zeit,
diese neue goldene Ressource, besser einteilen können.
Wir werden in Zukunft sehr viel über Geld reden, über
materielle Werte. Ich verweise immer darauf, dass es
auch ideelle Werte gibt, über die wir mit unseren Kindern
sprechen müssen und die sich nicht an gewissen Zahlen
festmachen lassen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Dabei geht es um die Einstellung zur Gesellschaft, zur
Demokratie, auch zu Themen wie Gleichberechtigung.
Vielleicht sollten wir auch im Deutschen Bundestag ein-
mal einen Diskurs darüber führen, was unsere gemeinsa-
men Werte sind und wie wir sie stärken können, statt, so
wichtig das auch sein mag, in erster Linie über das Geld
zu sprechen.


(Monika Lazar [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann schreiben Sie doch mal einen Antrag!)


Dann werden wir gemeinsam feststellen, dass wir die
Freiheiten der Familien stärken wollen. Die Freiheiten zu
stärken, heißt, Zeit zu bekommen, Zeit für Familie, aber
auch Zeit für Erwerbstätigkeit.

Fazit: Denken Sie bitte daran, dass bekanntermaßen
alles mit allem zusammenhängt. Es wird darauf ankom-
men, dass wir in diesem Land unsere wirtschaftliche
Stärke ausbauen; denn das ist die Voraussetzung für fa-
milienpolitische Leistungen. Wir brauchen wirtschaftli-
che Stärke; denn sie schafft finanziellen Spielraum.


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1820702800

Herr Kollege.

Marcus Weinberg (Hamburg)


Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 207. Sitzung. Berlin, Freitag, den 2. Dezember 2016 20721


(A) (C)



(B) (D)



Marcus Weinberg (CDU):
Rede ID: ID1820702900

Herr Präsident, ich komme gern zum Schluss.


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1820703000

Nein, nicht gerne, aber unvermeidlicherweise, nicht

wahr?


Marcus Weinberg (CDU):
Rede ID: ID1820703100

Finanzieller Spielraum schafft auch Möglichkeiten für

die Familienpolitik.

Deswegen sage ich – ich komme zu den Lebkuchen
zurück –: Für Ihren Antrag, Ihren Wahlkampfantrag, ist
es noch ein bisschen früh. Trotzdem eröffnen wir gerne
die Diskussion. Wir machen es wie mit den Lebkuchen
und beenden die Sache schnell.

Danke schön.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1820703200

Norbert Müller ist der nächste Redner für die Fraktion

Die Linke.


(Beifall bei der LINKEN)



Norbert Müller (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1820703300

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Franziska Brantner hat es gesagt: Arme Kin-
der werden diskriminiert, sie werden ausgeschlossen, sie
haben eine schlechtere Gesundheit, sie werden häufig
schlechter ernährt, sie haben schlechtere Bildungschan-
cen, sie haben weniger Zugang zu gesellschaftlicher Teil-
habe – das ist nicht nur der Kinobesuch –, und sie bleiben
oft lebenslang arm. Wer lebenslang arm bleibt, der stirbt
auch früher, der hat eine geringere Lebenserwartung, der
ist auch im Alter arm. Das haben die Grünen im Fest-
stellungsteil ihres Antrages alles sehr vorbildlich – wir
könnten das fast nicht besser – beschrieben. Ich finde die
Beschreibung völlig angemessen.

Ich weiß, dass das alles so ist. Die Grünen wissen,
dass das so ist. Sie wissen, dass das so ist. Die Bundes-
regierung weiß, dass das so ist. Das Bemerkenswerte an
dieser Debatte ist, dass wir über Kinderarmut nur reden,
wenn die Opposition das beantragt. Das zeigt, Herr Kol-
lege Weinberg, welchen Stellenwert das für die Bundes-
regierung hat. Im Koalitionsvertrag gibt es keine einzige
Bezugnahme auf dieses Problem, und in dieser Wahlperi-
ode fand nicht eine Debatte hier im Bundestag dazu statt,
bei der die Koalition eigene Vorschläge eingebracht hat,
wie sie Kinderarmut – das ist in erster Linie immer mate-
rielle Armut – beseitigen will.


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Nein, das haben Sie nicht getan. Über Kinderarmut reden
wir hier nur, wenn Grüne und Linke es beantragen.

Die Wahrheit ist – der Eindruck drängt sich doch
auf –: Ihnen ist Kinderarmut im Grunde egal.


(Michaela Noll [CDU/CSU]: Das ist Unsinn, kompletter Unsinn und eine Unterstellung!)


Warum ist Ihnen Kinderarmut im Grunde egal? Weil:
Wenn man über materielle Armut in den Familien reden
will, dann muss man am Ende auch über den unermess-
lichen Reichtum in diesem Lande, der in immer weniger
Händen konzentriert ist, reden.


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)


Wenn wir Armut beseitigen wollen, dann müssen wir
darüber reden, wie wir an die unermesslichen Reichtü-
mer von einigen wenigen rangehen. Auch das gehört zur
Wahrheit. Das heißt, wir müssen über eine Umverteilung
großer Vermögen reden, wenn wir Kinderarmut nachhal-
tig beseitigen wollen.


(Beifall bei der LINKEN)


Der Antrag der Grünen hat einen guten Feststel-
lungsteil. Er verbleibt bei den vier Beschlusspunkten
dann aber leider häufig auf der Überschriftenebene. Das
finde ich sehr bedauerlich. Ich habe ein bisschen den
Eindruck, dass Sie versuchen, sich möglichst wenig fest-
zulegen. Man weiß ja nicht, ob man im nächsten Jahr
möglicherweise neue Partner hat, die sich bei der Frage,
wie man Kinderarmut zurückdrängt, auch nicht festlegen
wollen.

Sie fordern: Regelsätze für Kinder und Erwachsene
in der Grundsicherung müssen so ermittelt werden, dass
sie das Existenzminimum tatsächlich decken. Dann ma-
chen Sie das doch an Zahlen fest! Dazu gibt es diverse
Vorschläge, unter anderem die Vorschläge der Diakonie.
Diese haben wir übernommen. Folgende Beträge werden
vorgeschlagen – ich möchte sie hier nennen –: Kinder bis
6 Jahre 326 Euro, zwischen 7 und 13 Jahren 366 Euro
und zwischen 14 und 18 Jahren 401 Euro. Das sind fast
100 Euro für jedes Kind mehr, und das würde unmittel-
bar helfen, aus der Armut herauszukommen. Ich fordere
Sie auf: Machen Sie Vorschläge, wie Sie das sächliche
Existenzminimum der Kinder verlässlich sichern wollen.


(Beifall bei der LINKEN)


Ihr zweiter Punkt. Sie wollen Familien mit niedrigem
Einkommen gezielt und bedarfsdeckend unterstützen.
Dafür haben wir mit dem Kinderzuschlag bereits ein gu-
tes Instrument,


(Sönke Rix [SPD]: Wer hat das denn eingeführt?)


das entbürokratisiert werden muss und deutlich ausge-
baut werden müsste. Kollege Rix, Sie haben völlig recht,
das haben Sie eingeführt. Aber es ist unzureichend.


(Dagmar Ziegler [SPD]: Genau! Irgendwas ist immer!)


Der Kinderzuschlag ist in den letzten Jahren erhöht wor-
den, aber viel, viel zu wenig. Wir wissen: Der Kinder-
zuschlag ist das zentrale Instrument, mit dem wir relativ
einfach Familien, die Einkommen aus eigener Arbeit
haben, vor Hartz IV bewahren. Ich will es noch einmal

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 207. Sitzung. Berlin, Freitag, den 2. Dezember 201620722


(A) (C)



(B) (D)


sagen: 900 000 Kinder in Deutschland leben in Familien,
in denen die Eltern aufstocken müssen. Sie gehen arbei-
ten – dadurch haben sie auch nicht so viel Zeit für ihre
Kinder, Kollege Weinberg –, aber sie müssen aufstocken.
Die Kinder sind deswegen arm.

Den vierten Punkt, liebe Kolleginnen und Kollegen
von den Grünen, verstehe ich nicht so ganz. Sie wollen
das Ehegattensplitting vielleicht ein bisschen abschaffen,
aber Sie wollen es für diejenigen offenhalten, die beson-
ders davon profitieren. Sie schlagen dann eine Kinder-
grundsicherung vor, die man wahlweise durch die alten
familienpolitischen Leistungen, durch das Ehegatten-
splitting, ersetzen kann. Das Absurde an dem Ehegatten-
splitting, das ja Ehen fördern soll, ist, dass es folgende
Wirkung hat: Je mehr Kinder in einer Ehe geboren wer-
den, desto geringer ist die steuerliche Entlastung aus dem
Ehegattensplitting. Das Ehegattensplitting ist ein zentra-
les Instrument, um zu verhindern, dass in Ehen Kinder
geboren werden.


(Lisa Paus [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Quatsch! Ich erkläre es Ihnen gerne noch einmal! – Kerstin Andreae [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie haben es nicht verstanden!)


Denn die steuerliche Entlastungswirkung wird geringer,
je mehr Kinder in Familien, deren Eltern verheiratet sind,
geboren werden.


(Kerstin Andreae [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist verkehrt!)


Das ist als familienpolitische Leistung doch völlig irre.
Auch ich bin dafür, dass wir das beseitigen und durch
eine sinnvolle Kindergrundsicherung ersetzen.


(Beifall bei der LINKEN – Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ich will zu den Forderungen der Linken kommen, weil
wir nicht nur meckern wollen, sondern auch Vorschlä-
ge unterbreiten, die wir für finanzierbar und für sinnvoll
halten.

Erstens. Die Grünen haben angesprochen – das finde
ich auch richtig –, dass die Leistungen für alle Kinder
gleich hoch sein sollen. Das heißt, die steuerliche Entlas-
tungswirkung für jemanden, der von Kinderfreibeträgen
profitiert, also wir zum Beispiel, die wir Kinder haben,
muss mindestens genauso deutlich ausfallen wie das Kin-
dergeld. Demnach ist ein Kindergeld von etwas mehr als
190 Euro für das erste Kind zu niedrig.


(Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Lisa Paus [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Ab 1. Januar 2017 würde das angesichts der aktuellen
Kinderfreibeträge 328 Euro Kindergeld bedeuten. Das
klingt nach fürchterlich viel mehr, aber das hilft unmit-
telbar allen Familien, die durchschnittliche und geringe
Einkommen haben. Selbst Familien mit etwas über-
durchschnittlichen Einkommen hilft dies deutlich.


(Beifall bei der LINKEN)


Zweitens. Wir müssen die Regelbedarfssätze sofort
und deutlich erhöhen. Die Zahlen habe ich Ihnen ge-

nannt. Vor allen Dingen muss Schluss sein mit den Mani-
pulationen bei den Regelbedarfssätzen.


(Sönke Rix [SPD]: Manipulationen?)


Es sind noch drei Wochen bis Weihnachten. Dass man
Kindern, die von Hartz IV leben, bei der Berechnung der
Regelbedarfssätze auch noch den Weihnachtsbaum her-
ausrechnet, ist keine besonders christliche Politik.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Diese Kritik müssen Sie sich gefallen lassen. Die Mani-
pulation der Kinderregelbedarfssätze muss aufhören. Es
kann nicht sein, dass man alle möglichen Punkte von den
Malstiften über das Eis im Sommer bis zum Weihnachts-
baum im Dezember herausrechnet.

Wir wollen den Unterhaltsvorschuss ausweiten. Das
will auch die Bundesregierung. Es scheitert an der CDU/
CSU-Fraktion. Wir wollen den Kinderzuschlag entbü-
rokratisieren, und wir wollen, dass Leistungen aus einer
Hand gewährt werden. Wir werden in der nächsten Sit-
zungswoche einen konkreten Vorschlag unterbreiten, wie
das praktisch aussehen kann. Denn es ist für die Familien
eine Zumutung, für das Kindergeld zu den Arbeitsämtern
zu gehen, für die Grundsicherung zu den Jobcentern zu
gehen und für Sonderbedarfe zu anderen Ämtern zu ge-
hen usw. usf. Das überfordert Familien, und das hilft am
Ende auch nicht.


(Beifall bei der LINKEN)


Ich komme zum Schluss. Ich will noch einen letzten
Gedanken ansprechen. Herr Kollege Patzelt, es hat mich
wirklich betroffen gemacht, wie Sie das Thema vorhin
angesprochen haben. Sie waren Oberbürgermeister von
Frankfurt/Oder. Das ist eine Stadt in Brandenburg, in
der unglaublich viele Menschen ziemlich arm sind, vor
allen Dingen Kinder. In Schleswig-Holstein – auch dort
gibt es solche Städte – wurde vor nicht allzu langer Zeit
eine Studie durchgeführt. Man hat geschaut, was Fami-
lien für den Schulbedarf ausgeben. Die durchschnittli-
che Summe, die eine durchschnittliche Familie für ein
Schuljahr ausgibt, lag bei 1 500 Euro. Eine Familie, die
von Hartz IV lebt, bekommt für ihr Kind 100 Euro für
den Schulbedarf als Sonderbedarf: 70 Euro zu Beginn
des Schuljahres und 30 Euro zum Halbjahr. Familien, die
ein etwas besseres Einkommen haben, geben aber durch-
schnittlich 1 500 Euro aus; denn es ist nötig. Das zeigt,
wie Bildungsungerechtigkeit funktioniert. In diesem Be-
reich können wir auf Bundesebene unmittelbar wirken.

Wir müssen auch nicht auf die Länder warten, um si-
cherzustellen, dass die Kinder, die in die Schule gehen,
für die die Schulpflicht gilt, gleichgestellt werden. Sie
sollten die gleichen Möglichkeiten haben, guten Unter-
richt zu erhalten, aber auch die Unterrichtsausstattung,
die sie von zu Hause mitbringen, muss gleich gut sein.

Vielen Dank.


(Beifall bei der LINKEN)


Norbert Müller (Potsdam)


Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 207. Sitzung. Berlin, Freitag, den 2. Dezember 2016 20723


(A) (C)



(B) (D)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1820703400

Als nächste Rednerin hat die Kollegin Susann Rüthrich

für die SPD-Fraktion das Wort.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Susann Rüthrich (SPD):
Rede ID: ID1820703500

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Wenn wir von Kindern und Familien sprechen,
haben wir meistens Bilder im Kopf, naheliegenderweise
der eigenen Familie. Wir alle, die wir hier sitzen, betrach-
ten Familien oft aus unserem Blickwinkel. Das ist der
Blickwinkel von Erwachsenen: von Eltern, von Großel-
tern, von Tanten und Onkeln – nicht der von Kindern.
Das ist das Grundproblem dabei, wenn es darum geht,
Kinder wirklich zu stärken: über Kinder sprechen, aber
nicht mit ihnen, von der eigenen Perspektive ausgehen
statt von der der Kinder, von Kindern nur als „unsere Zu-
kunft“ zu sprechen und dabei zu übersehen, dass sie jetzt
schon da sind und jetzt eigene Rechte und Bedürfnisse
haben.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, Kinder sind eigen-
ständige Persönlichkeiten. Wir wollen ihre Rechte end-
lich verbindlich und einklagbar festschreiben, und zwar
im Grundgesetz.


(Beifall der Abg. Sönke Rix [SPD] und Norbert Müller [Potsdam] [DIE LINKE])


Dafür hat sich die Justizministerkonferenz erst vor we-
nigen Tagen ausgesprochen. Lieber Herr Lehrieder,
ich freue mich sehr darüber, dass sich jetzt auch Herr
Seehofer – genau wie andere prominente Menschen aus
der Union – offen dafür zeigt; denn es liegt nur noch an
Ihrer Fraktion, die die Mehrheit dafür blockiert.

Sie sagen aber auch: Nur davon wird sich das Leben
der Kinder in Deutschland noch nicht ändern. – Stimmt.
Aber wir haben dann die Verpflichtung, die notwendigen
Veränderungen umzusetzen, die Perspektive zu wechseln
und so die Kinder selbst bei den Dingen, die sie betref-
fen, in den Mittelpunkt zu stellen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Der vorliegende Antrag geht auf einen Teilaspekt ein,
nämlich den der Kinderarmut. Blicken wir also einmal
nur auf die materielle Seite. Es gibt zweifelsohne viel zu
tun. Ein reiches Land, in dem Kinder arm sind, das ist –
um es deutlich zu sagen – peinlich. Es ist vor allem unnö-
tig. Doch auch in diesem Antrag steht nicht das Kind im
Zentrum, sondern es sind wiederum die Eltern. Das lese
ich aus Sätzen wie: „Das beste Mittel gegen Kinderarmut
bleibt nach wie vor die Erwerbstätigkeit beider Eltern.“
Das klingt logischer, als es ist.

Wenn wir Kinderarmut wirklich abschaffen wollen,
gilt es, die vielen Stellschrauben in den Blick zu neh-
men. Sie sind alle benannt worden. Jede Verbesserung
in jedem der Bereiche freut uns. Mein Problem dabei ist
folgendes: Nach all den mühsam erkämpften Verbesse-
rungen im Einzelnen sind die meisten der armen Kinder
immer noch arm – und deren Familien auch. Um es ganz

offen zu sagen: 2 Euro Kindergelderhöhung kosten eine
ganze Menge Geld, aber die armen Kinder sind danach
immer noch arm. Ich finde, kein Kind in Deutschland
darf arm sein, und keine Familie darf durch ihre Kinder
arm werden.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und der Abg. Dr. Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Genau hier setzt das Konzept der Kindergrundsiche-
rung an.


(Lisa Paus [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau!)


Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Grünen-
fraktion, nennen den Begriff, meinen damit aber nur die
finanziellen Leistungen, die dann anders an Familien
ausgereicht werden. Das ist zu kurz gesprungen.


(Lisa Paus [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ein guter Anfang!)


Die SPD Sachsen, aus der ich komme, hat sich für den
Ansatz ausgesprochen, wie er von vielen Verbänden im
Bündnis Kindergrundsicherung vorgeschlagen wird.


(Lisa Paus [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aus guten Gründen!)


Kurz gefasst: Jedes Kind bekommt die Leistungen, die
es automatisch über die Armutsschwelle hebt. Die Situa-
tion der Eltern zu verbessern, Mindestlohn, Vereinbarkeit
von Familie und Beruf, Elterngeld – all das ist weiter nö-
tig. Aber alles, was das Kind selbst braucht, um nicht in
Armut zu leben, bekommt es auch.

Der derzeitige Wert der Armutsschwelle liegt bei et-
was unter 800 Euro. Das ist das Mindestniveau der Kin-
dergrundsicherung. Der Clou daran ist: Das Geld wird
zur einen Hälfte als Einkommen an die Familien gegeben
und fließt zur anderen Hälfte in Strukturen, die ein Kind
braucht, um gut aufzuwachsen. Das hilft jedem Kind und
jeder Familie – jeder.

Die Einkommensseite hilft vor allem den Einkom-
mensschwachen mehr, da sie durch weniger Steuern
mehr oder alles behalten. Die strukturelle Seite würde
bedeuten: Kein Kind ist darauf angewiesen, dass seine
Eltern etwas beantragen und Behörden dies bewilligen,
sondern ein Kind geht zum Mittagessen in die Schule,
nutzt den Bus, geht in den Sportverein, nimmt Nachhilfe
in Anspruch – alles das können sich bedürftige Familien
auch jetzt einzeln fördern lassen, dann aber rechnet der
Anbieter die erbrachte Leistung ab –, fertig. So weit die
Idee.

Ich höre schon die Einwände. Es fängt beim Begriff
an: „Grundsicherung“ klingt wie „Grundeinkommen“. –
Nein, das heißt es für mich nicht. Der Unterschied ist:
Kinder können eben nicht selbst aus ihrer Armut heraus-
kommen. Deren Armut kann nie durch eigene Leistung
behoben werden. Das ist für mich der zentrale Aspekt,
wenn es darum geht, wirklich vom Kind aus zu denken.


(Lisa Paus [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da geht etwas verloren!)


Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 207. Sitzung. Berlin, Freitag, den 2. Dezember 201620724


(A) (C)



(B) (D)


Ein weiterer Einwand lautet: Ja, aber was soll denn
das kosten? – Stimmt, das müsste man einmal durchrech-
nen, aber bitte unter Beachtung dessen, dass auch Kin-
derarmut kostet: die Kinder Lebenschancen und die Fa-
milien Kraft und Zeit. Die Folgen dessen schultern wir
dann alle.

Ja, das wäre ein Systemwechsel. So etwas geht nie
von heute auf morgen. Er könnte aber jetzt anfangen, und
zwar mit einem anderen Verständnis davon, was wir Kin-
derarmut nennen und wie wir sie bekämpfen, nämlich bei
den Kindern direkt. Wir können bereits jetzt in Struktu-
ren investieren und diese jedem – wirklich jedem – Kind
zur Verfügung stellen. Wir können schon jetzt ein gestaf-
feltes – und damit für die Ärmsten ein höheres – Kinder-
geld einführen.


(Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann machen Sie das doch!)


Dann ist der Sprung, das System der Leistungen für die
Kinder umzustellen, gar nicht mehr so groß. Ob es dann
„Kindergrundsicherung“ oder anders heißt, soll mir egal
sein. Hauptsache, kein Kind in Deutschland ist mehr arm.

Vielen Dank.


(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Paul Lehrieder [CDU/CSU])



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1820703600

Als nächster Redner hat Markus Koob für die CDU/

CSU-Fraktion das Wort.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Markus Koob (CDU):
Rede ID: ID1820703700

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Liebe Bürgerinnen und Bürger! „Familien stärken – Kin-
der fördern“, das ist eine Aussage, die sicherlich jeder
hier in diesem Haus gerne unterschreibt.


(Lisa Paus [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ach!)


Dennoch hätte es aus unserer Sicht, aus Sicht der Uni-
on, dieses Antrags nicht bedurft. Ich möchte Ihnen auch
gerne inhaltlich sagen, warum wir dieser Meinung sind.

Auch ohne die Grünen wurde der Etat des Bundesmi-
nisteriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend seit
dem Amtsantritt unserer Bundeskanzlerin im Jahr 2005
um knapp 100 Prozent erhöht, also nahezu verdoppelt.


(Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Kinderarmut steigt trotzdem! – Norbert Müller [Potsdam] [DIE LINKE]: Wegen des Elterngeldes!)


Er beläuft sich dank der unionsgeführten Bundesregie-
rung auf mittlerweile 9,5 Milliarden Euro.


(Lisa Paus [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was ist denn das für ein Text?)


Diese beeindruckende Steigerung beruht wesentlich da-
rauf, dass wir neue Leistungen für die Familien in unse-

rem Land eingeführt haben, die sich großer Beliebtheit
erfreuen.


(Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Kinderarmut steigt trotzdem!)


Die Einführung des Elterngeldes und des Elterngel-
des Plus hilft den Eltern, intensiver und vor allem abge-
sicherter als zuvor die ersten Lebensmonate ihrer Kinder
aktiv mitzuerleben. Die stetig steigenden Mittel – im
kommenden Haushalt belaufen sie sich auf 6,4 Milliar-
den Euro – zeigen die Beliebtheit des Elterngeldes und
vor allem, dass die bestehenden Familienleistungen wir-
ken. Die Familien werden entlastet.


(Norbert Müller [Potsdam] [DIE LINKE]: Und was hat das mit der Kinderarmut zu tun? – Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Kinderarmut steigt trotzdem!)


In Deutschland kommen wieder mehr Kinder zur
Welt. Durch die Partnerschaftsmonate lassen sich suk-
zessive auch mehr Männer in die Pflicht nehmen, das
eigene Familienleben genießen zu dürfen. Das ist ein ab-
soluter Erfolg und eine große Entlastung für die Familien
in unserem Land. Dafür hat die Koalition gerne die Ver-
antwortung getragen.


(Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Kinderarmut steigt trotzdem! – Norbert Müller [Potsdam] [DIE LINKE]: Und jetzt noch was zum Thema!)


Darüber hinaus gibt es weitere Verbesserungen, die
wir als Familienpolitikerinnen und Familienpolitiker in
dieser Legislaturperiode auf den Weg gebracht haben und
die explizit auch Familien mit niedrigem Einkommen zu-
gutekommen. So haben wir bereits vor einigen Wochen
den Entlastungsbetrag für Alleinerziehende deutlich, um
ein Drittel, auf 1 908 Euro erhöht.


(Lisa Paus [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das war letztes Jahr, und bislang haben Sie ihn nicht erhöht! – Dr. Wolfgang StrengmannKuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was hat das mit der Kinderarmut zu tun?)


Dieser Umstand kommt auf keiner der sieben Seiten Ih-
res Antrages auch nur mit einer Silbe vor. Ihre Aussage:
„Doch seit Jahren tut sich nichts“, ist deshalb schlicht
falsch. Sie stimmt aber auch in anderen Bereichen nicht.

Erst gestern haben wir das Kindergeld, den Kinderzu-
schlag und den Kinderfreibetrag erneut angepasst.


(Lisa Paus [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau! Aber nicht den Entlastungsbetrag für Alleinerziehende!)


Niemand in diesem Haus wird dabei eine Erhöhung des
Kindergeldes um 2 Euro – isoliert betrachtet – als einen
großen Wurf ansehen; auch wir in der AG Familie sehen
hier deutlich Luft nach oben. Aber das ist ja auch nur
eine der Leistungen, die wir erhöht haben. Gemeinsam
mit dem Ausgleich der kalten Progression haben wir die

Susann Rüthrich

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 207. Sitzung. Berlin, Freitag, den 2. Dezember 2016 20725


(A) (C)



(B) (D)


Familien in Deutschland in dieser Wahlperiode um fast
25 Milliarden Euro bis zum Jahr 2018 entlastet.


(Lisa Paus [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, aber nach dem Matthäus-Prinzip: Wer hat, dem gibt man noch mehr!)


Der Unterhaltsvorschuss wird in dieser Legislatur eben-
falls ausgebaut werden, wenn auch die Länder mit grüner
Regierungsbeteiligung – ich habe hier die Zahl elf ste-
hen; Markus Weinberg sprach von zehn –


(Marcus Weinberg [Hamburg] [CDU/CSU]: Ich schaue schon mal voraus! – Gegenruf von der SPD: Das fängt ja gut an bei euch!)


– da müssen wir vielleicht noch einmal nachzählen – zu
ihrer finanziellen Verantwortung stehen. Denn es liegt
nicht, wie von Ihnen behauptet, an der Bundesregierung,
die die Finanzierung nicht geklärt hätte, sondern an den
Bundesländern, die sich plötzlich nicht mehr an ihre Zu-
sagen erinnern können oder wollen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Anders als in Ihrem Antrag behauptet, liegt dieses
Vorhaben meiner Bundestagsfraktion sehr am Herzen.


(Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Ach!)


Wir wissen um die bemerkenswerte Leistung von Allein-
erziehenden. Auch ich habe in meinem Freundes- und Be-
kanntenkreis eine ganze Reihe alleinerziehender Mütter,
vor denen ich meinen Hut ziehe. Alleinerziehende sind
in vielfacher Hinsicht Leistungsträger in unserer Gesell-
schaft. Neben Kindererziehung und Haushalt gehen sie
häufig noch einer zeitintensiven Erwerbsbeschäftigung
nach und versuchen, die eigene Familie damit selbst zu
versorgen. Das ist eine alltägliche Höchstleistung. Des-
halb werden wir den Unterhaltsvorschuss ausbauen,
wenn alle Beteiligten die Verantwortung für ihren Anteil
übernehmen. Der Bund steht zu seiner Zusage.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Sönke Rix [SPD])


Die von mir genannten familienstärkenden Maßnah-
men alleine sind nicht die einzig relevanten. Ich gebe Ih-
nen recht, wenn Sie eine konsequentere und intensivere
Auseinandersetzung mit der Evaluation der ehe- und fa-
milienpolitischen Leistungen fordern. Aber eine Forde-
rung daraus wurde sehr konsequent in politisches Han-
deln umgesetzt: der Ausbau der Kinderbetreuung.

Die Unterstützung der Länder beim Ausbau der Kin-
derbetreuungseinrichtungen hat den Bund trotz eigent-
licher Länderkompetenz ein Vermögen gekostet; es ist
zwar sehr gut angelegt, aber es ist dennoch ein Vermö-
gen. Der Bund hat sich mit knapp 6 Milliarden Euro am
Ausbau beteiligt. Ab 2017 beteiligt er sich zudem mit
knapp 1 Milliarde Euro an den Betriebskosten dieser
Kindertageseinrichtungen. Davon profitieren nicht nur
die Kinder erwerbstätiger Eltern, sondern auch Kinder
erwerbsloser Eltern.

Sie kreieren daher in Ihrem Antrag meiner Meinung
nach ein vollkommen falsches und darüber hinaus düste-
res Bild der deutschen Familienpolitik und tragen damit
auch zur Verunsicherung in unseren deutschen Familien

bei. Hören Sie auf, Errungenschaften, die es durch die
Union in den vergangenen elf Jahren in der deutschen
Familienpolitik gegeben hat, kleinzureden und Reformen
als überfällig zu brandmarken! Noch nie wurde so viel
Geld in Familien investiert wie heute.


(Dr. Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Völlig richtig! Die Frage ist, wie!)


Das sollten Sie zunächst einmal anerkennen, bevor Sie
nach immer mehr rufen.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Sicher gibt es Stellschrauben, an denen gedreht wer-
den kann. Die Notwendigkeit milliardenträchtiger Refor-
men zu sehen, ist grundsätzlich legitim. Aber dann müs-
sen Sie auch sagen, wer diese Milliarden finanzieren soll.
Das tun Sie an keiner Stelle. Das ist nicht seriös und trägt
nicht zur Umsetzung einer bedarfsorientierten Familien-
politik bei.

Auch insgesamt war nicht jede Debatte, die in der
Vergangenheit dazu geführt wurde, der Sache dienlich.
Es hilft weder, die Probleme von Armut und Armutsge-
fährdung zu verneinen – denn es gibt sie –, noch hilft es,
vorhandene Maßnahmen zu deren Vermeidung zu ver-
schweigen.


Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1820703800

Herr Koob, lassen Sie eine Zwischenfrage von Herrn

Müller zu?


Markus Koob (CDU):
Rede ID: ID1820703900

Nein. – Wenn Sie in Ihrem Antrag von einem alten

Schulranzen oder nicht finanzierbaren Malstiften schrei-
ben, dann verschweigen Sie, dass es genau hierfür das
Bildungs- und Teilhabepaket gibt.


(Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie haben keine Ahnung!)


Über die Frage, ob wir es besser und weniger bürokra-
tisch gestalten können, können wir gerne reden. Da rei-
che ich Ihnen die Hand. Sie aber bringen das Kunststück
fertig, es in Ihrem Antrag mit keinem Wort zu erwähnen.
Deswegen ist es gut, dass Sie es wenigstens in Ihrer Rede
erwähnt haben.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wir haben in dieser Woche auch viel über das Exis-
tenzminimum und dessen Berechnung im Deutschen
Bundestag debattiert, vor allem in der gestrigen Debatte
zur Berechnung der Regelsätze. Die Einschätzung von
Bündnis 90/Die Grünen und den Linken dazu kann man
teilen; man muss es aber nicht.

Überhaupt werden viele sehr real bestehende Un-
gleichheiten in unserem Land durch eine Umverteilung
mindestens verringert. So vergessen Sie zu erwähnen,
dass Deutschland unter den G-20-Staaten die geringste
gesellschaftliche Ungleichheit hat. Denn bereits heute
sorgen zahlreiche sozialpolitische Maßnahmen dafür,
dass Ungleichheit durch monetäre Umverteilung stark

Markus Koob

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 207. Sitzung. Berlin, Freitag, den 2. Dezember 201620726


(A) (C)



(B) (D)


reduziert wird. Das ist ein Erfolg, und es ist auch not-
wendig.

Wenn wir über die Förderung von Familien und Kin-
dern reden, dann dürfen wir aber nicht nur über die fi-
nanzielle Förderung reden. In Ihrem Antrag, liebe Kolle-
ginnen und Kollegen von Bündnis 90/Die Grünen, gehen
Sie nur kurz, aber völlig zu Recht auch auf die Bildungs-
chancen von Kindern und Jugendlichen ein. Sie sprechen
von den nicht ausreichenden, aber sichtbaren Verbesse-
rungen seit der PISA-Studie im Jahr 2000.

Tatsächlich sind bessere Bildungschancen für Kinder
und Jugendliche gerade aus einem sozial schwierigen
Umfeld eine Aufgabe für uns alle, an der wir arbeiten
müssen. Ich hoffe daher auch, dass Sie die richtigen
Schlüsse daraus ziehen, dass der grünen Bildungspoli-
tik in Baden-Württemberg, Ihrem Stammland, jüngst ein
desaströses Zeugnis ausgestellt worden ist. Vom – im
wahrsten Sinne des Wortes – Musterschüler Deutsch-
lands ist nach wenigen Jahren nicht mehr viel übrig.

Aber ich bin mir sicher, dass dieser Trend nun ge-
meinsam mit der baden-württembergischen CDU wieder
umgekehrt werden kann. Ich sage das ohne Häme; denn
ich komme selbst aus einem Bundesland, in dem CDU
und Grüne sehr erfolgreich regieren, und ich glaube, das
ist wirklich eine Aufgabe, der wir uns gemeinsam stellen
müssen.


(Beifall bei der CDU/CSU – Kerstin Andreae [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da werden wir aber genau hinschauen!)


Auch auf einem anderen Feld wollen wir als Union
in den nächsten Jahren Familien stärken. Vor allem kin-
derreiche Familien haben zunehmend Schwierigkeiten,
geeigneten Wohnraum zu finden. Gleichzeitig haben
wir in Deutschland eine sehr viel niedrigere Quote von
Wohneigentümern als andere europäische Länder. Wir
wollen beide Aspekte zum Anlass nehmen, um Familien
den Erwerb von Eigentum zu erleichtern, um damit auch
einen wichtigen Beitrag zu einer breit aufgestellten Al-
tersvorsorge zu leisten.

Wir haben daher in der AG Familie beschlossen, dass
wir uns für ein Baukindergeld einsetzen werden, um Fa-
milien mit einer starken finanziellen Unterstützung sei-
tens des Staates die Chance zu eröffnen, Wohneigentum
zu erwerben.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Liebe Kolleginnen und Kollegen von Bündnis 90/
Die Grünen, ich weiß, dass Sie es in Ihrem Antrag mit
den Kindern, den Eltern und den ganzen Familien in
Deutschland gut meinen. Das wäre auch vonseiten der
Unionsfraktion durchaus unterstützenswert, wäre da
nicht der Haken, dass Sie mit keiner Silbe erwähnen, wer
für die Verwirklichung Ihrer Wünsche zahlen muss.

Man kann dieser Koalition aus Oppositionssicht viel-
leicht so einiges vorhalten, aber ihr vorzuwerfen, dass sie
bei der Unterstützung von Familien und der Förderung
von Kindern untätig geblieben wäre, ist nicht fair:


(Zurufe von der LINKEN: Oh!)


Kinderfreibetrag, Kinderzuschlag, Kindergeld, Entlas-
tungsbetrag für Alleinerziehende, Kitaausbau, Unter-
haltsvorschuss – das sind nur einige Maßnahmen. All
diese kosten sehr viele Milliarden Euro, von denen wir
der Meinung sind, dass sie notwendig sind und dass sie
wirken.

Vielleicht sind das für Sie noch nicht genügend Mil-
liarden Euro. Es ist durchaus legitim, dass Sie fordern,
hier mehr Geld einzusetzen. Dann müssen Sie aber auch
sagen, woher es kommen soll.


(Norbert Müller [Potsdam] [DIE LINKE]: Kein Problem!)


Wir würden mit Zitronen handeln, wenn wir den Kin-
dern und Jugendlichen von heute in der Zukunft höhere
Zahlungen aufbürden würden. Das wäre aber der Fall,
wenn wir keine gemeinsame Lösung fänden, um das zu
finanzieren.

Ich glaube, das wäre für Familien in keiner Weise
nachhaltig. Das ist aber der Ansatz, den wir als Union
verfolgen. Deshalb können wir als Union den Weg, den
Sie in Ihrem Antrag aufzeigen, nicht mitgehen. Ich freue
mich aber dennoch auf die Beratungen im Ausschuss;
denn viele Punkte sind durchaus diskussionswürdig und
auch von unserer Seite zu unterstützen.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1820704000

Jörn Wunderlich für die Fraktion Die Linke hat als

Nächster das Wort.


(Beifall bei der LINKEN)



Jörn Wunderlich (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1820704100

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Ja, der vorliegende Antrag ist im Grunde erforderlich.
Das heißt, eigentlich brauchen wir den Antrag nicht, aber
auf der anderen Seite muss man sagen: Wir brauchen
solche Anträge, um das Thema auf die Tagesordnung zu
setzen, weil es hier sonst nicht debattiert wird.


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Das ist der erste Punkt.

Der zweite Punkt. Ich hab mir den Antrag durchgele-
sen und gedacht: Der Feststellungsteil ist sehr schön –
Frau Brantner, auch Sie haben es hier dargestellt –, etwa
die Sache mit dem Schulranzen, dem Kinobesuch und
der Darstellung der Situation im Land.


(Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das hat ja Ihr Kollege Müller auch schon wortwörtlich so gesagt!)


– Mein Gott, hören Sie doch einmal zu. Sie müssen nicht
immer gleich reingrätschen.


(Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie müssen doch nicht alles wort Markus Koob Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 207. Sitzung. Berlin, Freitag, den 2. Dezember 2016 20727 wörtlich so wiederholen! Das ist doch langweilig!)


(A) (C)


(B) (D)


Aber was ist mit den Forderungen? Sie sind nicht kon-
kret. Den Teil mit den Forderungen könnte man in einem
Satz zusammenfassen: Wir wollen die Teilhabe von allen
Kindern und ihren Eltern sicherstellen.


(Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Warum lesen Sie die Rede von Herrn Müller noch mal vor? – Lisa Paus [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist Punkt eins! Es gibt drei weitere!)


Sie sollen das bekommen, was sie brauchen. – Dabei be-
nennen Sie keine konkreten Lösungen, die wir brauchen.
Herr Müller hat schon richtig gesagt: Das ist alles ein
bisschen schwammig. Das gilt besonders im Hinblick auf
mögliche Koalitionen, die bisher aber noch nicht konkret
sind.


(Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist ja wirklich wortwörtlich!)


Herr Weinberg, Sie sagen: Kinderarmut muss gemein-
sam bekämpft werden, und wir müssen für ein gutes Ein-
kommen der Eltern sorgen. – Es ist richtig: Kinderarmut
hängt mit der Armut der Eltern zusammen. Aber warum
macht die Regierung dann nichts in dieser Richtung?


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Der Mindestlohn ist nach wie vor zu gering. Es heißt
bei Ihnen immer: Wir haben die Zahl der sozialversiche-
rungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisse gesteigert.


(Markus Koob [CDU/CSU]: Sehr gut!)


– „Sehr gut“, da kommt es schon wieder. – Aber Sie be-
greifen das nicht. In manchen Familien hat der eine El-
ternteil zwei oder drei Jobs, weil die Familie mit dem
Einkommen von einem Job nicht über die Runden käme;
denn die Zahl der Lohnleistungen im Land ist nicht ge-
stiegen.

Schauen wir uns das an: Seit 2005 regiert die CDU. Es
heißt ja immer: die CDU-geführte Koalition. Seit 2005 –
CDU-geführte Koalition! – ist die Zahl der armen Kinder
nicht gesunken. Jetzt sagen Sie – Herr Koob, auch Sie
haben hier eine wunderbare Liste vorgelesen –, was Sie
alles geleistet und gemacht haben, um Kinderarmut zu
bekämpfen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Norbert Müller [Potsdam] [DIE LINKE], an die CDU/CSU gewandt: Da habt ihr nichts gemacht!)


Da kann man nur sagen: Wenn die Regierung in elf Jah-
ren so viel leistet, aber die Zahl der armen Kinder steigt,
statt zu sinken, dann ist das absolutes Regierungsversa-
gen. Das, was Sie gemacht haben, ist völlig in die Hose
gegangen.


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


900 000 Kinder in Deutschland leben in Familien,
die aufstockende Leistungen beziehen: 900 000 Kinder.

Es ist schon gesagt worden: Der Kinderzuschlag ist ein
wichtiges Mittel. Das muss ausgebaut werden, das kann
effektiver gestaltet werden, das muss vereinfacht werden.


(Dr. Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das steht ja so auch im Antrag drin! – Lisa Paus [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Steht im Antrag!)


Nur ein Drittel der Berechtigten macht ihre Ansprüche
geltend. Die Beantragung muss viel einfacher geregelt
werden.


(Lisa Paus [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Automatisieren und erhöhen!)


Dann heißt es von Ihnen: Wir, die CDU-geführte Ko-
alition, haben die Mittel im Bildungsetat erhöht. – Toll!
Das ist ein Forschungsetat. Das hat mit Kinderarmut
weiß Gott nichts zu tun.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Widerspruch bei Abgeordneten der CDU/ CSU)


Ein Wort zur Reform des Unterhaltsvorschussgeset-
zes. In diesem Zusammenhang werden schwere Vorwür-
fe gegenüber der Regierung erhoben, weil das Verfahren
mit den Ländern nicht abgesprochen sei. Auf das The-
ma Unterhaltsvorschuss kommen wir noch im Laufe des
Tages zu sprechen, aber hier ist zu sagen: Der Vorwurf
ist nicht an die Regierung zu richten. Nein, er ist an die
Koalition zu richten, an die CDU-geführte Koalition, und
zwar ausschließlich an den CDU-Teil, der das Ganze aus-
bremst.


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Das wäre gerade im Hinblick auf die 900 000 Kinder, die
in Familien leben, die aufstockende Leistungen beziehen,
ein wichtiges Instrument, um sie aus dieser Hartz-IV-Fal-
le wieder herauszuholen; dazu sage ich nachher noch et-
was. Aber daran sieht man wieder einmal, wie wichtig
Ihnen das Thema ist.

Jetzt kann Herr Weinberg wieder „Eierkopp“ wie das
letzte Mal rufen. Das ist mir egal. Herr Weinberg, solche
Zwischenrufe ändern nichts an den Fakten und Tatsa-
chen, auch wenn Sie postfaktisch leben wollen.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Widerspruch bei Abgeordneten der CDU/ CSU)


Seit 2005 hat sich an der Kinderarmut hier in diesem
Land nichts verbessert. Darauf kann die CDU-geführte
Regierung – egal ob mit SPD oder FDP – nicht stolz sein.

Im Koalitionsvertrag mit der FDP stand damals noch:
„Wir werden“ den Unterhaltsvorschuss ausbauen, und
zwar auf 14 Jahre. – Dort steht also nicht: „Wir wollen“,
oder: „Wir möchten“.


(Paul Lehrieder [CDU/CSU]: Machen wir doch jetzt!)


Jörn Wunderlich

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 207. Sitzung. Berlin, Freitag, den 2. Dezember 201620728


(A) (C)



(B) (D)


– Sie bremsen im Moment doch nur! Hören Sie doch auf!


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN – Marcus Weinberg [Hamburg] [CDU/CSU]: Wir sind doch dabei!)


Damals haben Sie nichts umgesetzt. Wir werden? Wir
wollen? Wir möchten noch nicht einmal: Das ist doch
Tatsache!

Danke für die Aufmerksamkeit.


(Heiterkeit und Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Marcus Weinberg [Hamburg] [CDU/CSU]: Nicht gut, aber lustig!)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1820704200

Gülistan Yüksel hat als nächste Sprecherin für die

SPD-Fraktion das Wort.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Gülistan Yüksel (SPD):
Rede ID: ID1820704300

Danke schön. – Sehr geehrte Frau Präsidentin! Lie-

be Kolleginnen und Kollegen! Sehr verehrte Damen und
Herren auf den Tribünen! Eine glückliche Kindheit ist ei-
nes der schönsten Geschenke, die wir zu vergeben haben.


(Michaela Noll [CDU/CSU]: Also, früher war Herr Wunderlich irgendwie gemäßigter! – Gegenruf des Abg. Paul Lehrieder [CDU/CSU]: Das ist seine Form der Nettigkeit!)


– Es wäre schön, wenn Sie mir auch zuhören würden,
Herr Lehrieder. Danke. – Damit Eltern ihren Kindern
dieses Geschenk machen können, müssen Staat und Ge-
sellschaft auf ihre Bedürfnisse eingehen.

Familien brauchen Zeit: Zeit für sich, ihre Kinder,
aber auch für ihren Beruf oder die Pflege von Angehö-
rigen. Familien brauchen auch Angebote. Sie brauchen
eine gut funktionierende, verlässliche und flexible Infra-
struktur an Bildungs- und Betreuungsangeboten,


(Michaela Noll [CDU/CSU]: Tja!)


die ihren individuellen Bedürfnissen gerecht wird. Fa-
milien brauchen finanzielle Absicherung, Stabilität und
Sicherheit.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, es gibt immer et-
was zu tun. Wir sind nie fertig mit unserer Arbeit für ein
besseres und gerechteres Leben in unserem Land, für ein
solidarisches und gleichberechtigtes Miteinander, für ein
gutes Aufwachsen und gesellschaftliche Teilhabe, für
Chancengleichheit bei der Bildung.

Wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten wol-
len die Familien in ihrem Alltag unterstützen und ihnen
die Freiheit ermöglichen, ihr Leben nach ihren eigenen
Vorstellungen zu gestalten.


(Beifall bei der SPD)


Das ist das Ziel unserer modernen Familienpolitik.

Wir haben in den letzten Jahren bereits viel für die
Familien und ihre Kinder in unserem Land auf den Weg
gebracht. Wir bieten Zeit, zum Beispiel mit der Famili-
enpflegezeit, die eine bessere Vereinbarkeit von Familie
und Beruf fördert und zudem ermöglicht, sich mehr um
pflegebedürftige Angehörige zu kümmern, oder mit dem
Elterngeld Plus, welches es Eltern erlaubt, sich partner-
schaftlich um Haushalt, Kinder und Beruf zu kümmern.

Wir machen Angebote, indem wir mehr in den Aus-
bau und die Qualität der Kinderbetreuung investieren.
So setzen wir als Bund 2017 und 2018 rund 2,5 Milliar-
den Euro ein, zum Beispiel für Investitionsprogramme,
Programme wie „KitaPlus“ und „Sprach-Kitas“. Damit
schaffen wir gute Startbedingungen und befördern wir
Chancengleichheit von Beginn an.


(Beifall bei der SPD)


Wir sorgen dafür, dass kein Kind zurückgelassen wird.

Wir unterstützen finanziell: mit Elterngeld, Kindergeld
und Kinderzuschlag – Geld, das direkt bei den Familien
und den Kindern ankommt. Trotzdem können Notlagen
entstehen.

Wenn der Partner oder die Partnerin keinen Unterhalt
zahlt, reicht das Einkommen für die Familie oft nicht
aus. Genau hier muss der Staat besondere Unterstützung
leisten. Deshalb weiten wir den Unterhaltsvorschuss aus.
Die bisherige Höchstbezugsdauer wird aufgehoben, und
der Vorschuss wird nun bis zur Volljährigkeit gezahlt.


(Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Darüber reden wir nachher noch!)


Dafür haben wir uns lange eingesetzt; denn gerade Al-
leinerziehende sind oft – Sie haben es ja erwähnt – von
Armut betroffen.

Nun sind wir auf der Zielgeraden. Bei der Umsetzung
dürfen wir jetzt nicht vor administrativen oder finanziel-
len Hürden kapitulieren.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)


Ich finde, Hürden, die einem guten Familienleben im
Weg stehen, müssen aus dem Weg geräumt werden.
Wichtig ist, dass wir alle an einem Strang ziehen – für
die Familien und die Kinder.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sind auf einem
guten Weg, aber dieser Weg ist noch lange nicht zu Ende.
Wir als SPD werden uns auch weiterhin für die Fami-
lienarbeitszeit einsetzen. Mütter und Väter sollen sich
Familien- und Erwerbsarbeit besser als bisher partner-
schaftlich aufteilen können. Wir wollen eine gerechte-
re Besteuerung von Familien. Steuerliche Entlastungen
sollten weniger einen Trauschein, sondern vielmehr das
Zusammenleben mit Kindern berücksichtigen.

Was wir neben all den Leistungen und Angeboten
brauchen, ist eine familien- und kinderfreundliche Ge-
sellschaft, eine Gesellschaft, in der Familie und Kinder
nicht als zeitliches Problem oder Störfaktor, sondern
immer als eine Bereicherung für unsere gesamte Ge-
sellschaft wahrgenommen werden. Lassen Sie uns nicht

Jörn Wunderlich

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 207. Sitzung. Berlin, Freitag, den 2. Dezember 2016 20729


(A) (C)



(B) (D)


vergessen: Glückliche Kinder sind eines der schönsten
Geschenke für die Eltern und für die Gesellschaft.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1820704400

Als nächste Rednerin hat Lisa Paus für die Fraktion

Bündnis 90/Die Grünen das Wort.


Lisa Paus (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1820704500

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Lie-

be Bürgerinnen und Bürger! Ich bin heute Morgen wie
immer mit meinem Sohn – er ist sieben Jahre alt – zur
Kiezschule gelaufen. Wir haben über den Tag gequatscht,
seine Freunde, darüber, was sie gerade spielen und was
sie sich zu Weihnachten wünschen. Stellen Sie sich vor:
Alle Jungen und Lucy spielen gerne Fußball – was für
eine Überraschung –, und alle Kinder wünschen sich et-
was von Lego. Vom Staat haben sich die Kinder nichts
gewünscht. Aber ich bin mir ganz sicher: Sie wünschen
sich vom Staat genau das Gleiche wie von der Lehrerin,
nämlich dass sie gleich und fair behandelt werden.


(Beifall des Abg. Norbert Müller [Potsdam] [DIE LINKE])


Wenn die Kinder wüssten, was wir gestern Abend hier
im Bundestag beschlossen haben – und zwar gegen die
Stimmen der Grünen –, dann würden sie protestieren; da
bin ich mir ganz sicher.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Norbert Müller [Potsdam] [DIE LINKE])


Was wurde beschlossen? Die Koalition hat gestern
beschlossen, dass die Mutter des Freundes meines Soh-
nes – sie ist Ausbilderin in der Pflege – ab Januar nächs-
ten Jahres 192 Euro und damit 2 Euro mehr Kindergeld
im Monat bekommt. So weit, so gut. Aber Sie haben auch
beschlossen, dass ich, obwohl ich als Bundestagsabge-
ordnete mehr verdiene als sie, ab Januar 2017 das Dop-
pelte bekomme, nämlich 4 Euro mehr pro Monat. Das
fänden die Kinder schon sehr ungerecht. Wenn sie aber
dann noch wüssten, dass ich schon jetzt für meinen Sohn
jeden Monat fast 100 Euro mehr bekomme als die Mut-
ter seines Freundes – nämlich 291 Euro statt 192 Euro –,
weil ich bei meiner Einkommensteuer vom Kinderfrei-
betrag profitiere, dann würden die Kinder – da bin ich
mir sicher – lauthals protestieren, wie ich finde, zu Recht.
Das kann man keinem Kind und auch sonst niemandem
erklären.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Die Behandlung der Familien in diesem Land nach
dem Matthäus-Prinzip – wer hat, dem wird gegeben –
muss endlich aufhören. Jedes Kind ist gleich viel wert.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Deshalb fordern seit Jahren zahlreiche Organisationen
wie der Kinderschutzbund, die Arbeiterwohlfahrt, Pro

Familia oder die Diakonie eine Kindergrundsicherung,
die unabhängig vom Einkommen der Eltern den Grund-
bedarf jedes Kindes deckt. Das Hauptargument dagegen
ist wie immer – das wurde schon genannt – das Geld.
Eine Kindergrundsicherung sei zu teuer. Deutschland
gebe schon sehr viel für die Familienförderung aus. Das
ist auch nicht ganz falsch. Allein 20 Milliarden Euro jähr-
lich gehen zum Beispiel in das Ehegattensplitting. Das
kommt zweifellos vielen Familien zugute. Aber leider
lässt es auch immer mehr Familien außen vor: die Fa-
milien ohne Trauschein, die Patchworkfamilien, die Al-
leinerziehenden. In Berlin, meinem Wahlkreis, sind die
Verheirateten inzwischen in der Minderheit. Das heißt,
eine zentrale familienpolitische Leistung geht damit an
der Mehrheit der Familien in dieser Stadt vorbei. Das ist
nicht in Ordnung.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Hinzu kommt: Das Ehegattensplitting verstärkt noch
die Ungerechtigkeit in der staatlichen Kinderförderung,
die ich eben geschildert habe; denn am stärksten profi-
tiert davon die Alleinverdienerehe mit einem hohen Ein-
kommen, und zwar auch, wenn die Ehe kinderlos ist. Das
Ehegattensplitting fördert dagegen die ärmsten Familien,
die Alleinerziehenden, überhaupt nicht. Das Ehegatten-
splitting verteilt von unten nach oben und auch von Ost
nach West. Es ist schlicht so: Diese Familienförderung
aus den 50er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts passt
einfach nicht mehr zur Realität der Familienvielfalt in
Deutschland im Jahr 2016.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie des Abg. Sönke Rix [SPD])


Wir brauchen eine einkommensunabhängige Förderung,
die jedes Kind direkt erreicht. Sie ist angesichts der Fa-
milienvielfalt von heute die beste Form der finanziellen
Familienförderung. Sie entlastet insbesondere Familien
mit kleinen und mittleren Einkommen unbürokratisch.

Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, ich glaube,
dass eigentlich alle von Ihnen innerlich dem Satz zustim-
men: Jedes Kind ist gleich viel wert. – Aber ich kenne
Ihre Bedenken: Das Ehegattensplitting mit Kinderfrei-
betrag und Kindergeld ist doch das eingeführte System;
Eheleute haben sich darauf eingestellt; Sie misstrauen
einem Wechsel zu einem ganz neuen System wie der
Kindergrundsicherung. Das stimmt. Deswegen möchte
ich Ihnen sagen: Niemand muss wechseln. Wir garantie-
ren Ihnen einen umfassenden Bestandsschutz; den stellen
wir sicher. Das heißt, für bereits Verheiratete und Ver-
partnerte wird sich nichts ändern. Niemand wird schlech-
tergestellt.

Wir wollen in Zukunft wieder alle Familien erreichen.
Wir wollen damit auch viele Familien finanziell besser-
stellen als heute. Dafür brauchen wir in Zukunft einen
Systemwechsel durch die Einführung einer Kindergrund-
sicherung mit Wahlrecht.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Was ist die Idee dieser Kindergrundsicherung? Unver-
heiratete Familien, Alleinerziehende und zukünftig heira-

Gülistan Yüksel

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 207. Sitzung. Berlin, Freitag, den 2. Dezember 201620730


(A) (C)



(B) (D)


tende Paare mit Kindern bekommen die Kindergrundsi-
cherung und werden individuell mit einem übertragbaren
Grundfreibetrag besteuert. Familien, bei denen die Eltern
bereits verheiratet sind, dürfen das Ehegattensplitting mit
Kindergeld und Kinderfreibetrag behalten. Sie haben ei-
nen ganz klaren Bestandsschutz. Aber wenn sie wollen,
können sie zur Kindergrundsicherung wechseln, wenn
sie sich zum Beispiel dadurch besserstellen. Das Finanz-
amt macht für jeden eine Günstigerprüfung, stellt also
fest, was steuerlich für sie persönlich günstiger ist, das
alte Recht oder das neue mit Kindergrundsicherung.

Bei einem Betrag von über 300 Euro pro Kind würden
viele Familien gegenüber heute bessergestellt. Das wäre
eine zielgenaue Entlastung von Familien in Milliarden-
höhe, teilweise durch den Wegfall des Splittingvorteils
gegenfinanziert.

Diese einkommensunabhängige Kindergrundsiche-
rung wäre außerdem ein Beitrag zum Bürokratieabbau;
denn sie würde Kinderregelsatz, Kindergeld und Kinder-
freibetrag zu einer Leistung zusammenführen. Das, ver-
ehrte Kolleginnen und Kollegen, verehrte Bürgerinnen
und Bürger, kann ich dann auch wieder meinem Sohn
und seinen Freunden erklären.


Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1820704600

Frau Kollegin, Sie müssen zum Schluss kommen.


Lisa Paus (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1820704700

Wir hatten schon einen Bundespräsidenten, der mit

seiner Patchworkfamilie im Schloss Bellevue einzog.
Wir haben derzeit einen Bundespräsidenten, der in wilder
Ehe dort residiert.


(Michaela Noll [CDU/CSU]: Wie das klingt!)


Lassen Sie uns endlich auch eine Familienförderung be-
schließen, die quer durch alle Einkommensschichten zu
der Familienvielfalt im Jahr 2016 passt.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1820704800

Paul Lehrieder hat als nächster Redner für die CDU/

CSU-Fraktion das Wort.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Paul Lehrieder (CSU):
Rede ID: ID1820704900

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen,

liebe Kollegen, insbesondere liebe Kolleginnen und Kol-
legen von den Grünen! Beim Durchblättern des blauen
Planes dieser Woche habe ich mich über den von Ihnen
eingebrachten Antrag mit der Überschrift „Familien stär-
ken – Kinder fördern“ ganz besonders gefreut; denn über
dieses wichtige Thema – hierauf haben schon einige Kol-
leginnen und Kollegen hingewiesen – kann man meiner
Meinung nach gar nicht genug sprechen.

Die Debatten der letzten Wochen und Monate haben
gezeigt, dass auch das öffentliche Interesse am Thema
„Familienpolitik und Familienförderung“ ungebrochen
ist. Sie brauchen nicht nur mit Ihrem Sohn oder mit sei-

nen Kumpels im Kindergarten darüber zu sprechen; denn
es ist ein großes, ein breites gesellschaftliches Thema:
Wie erreichen wir die Familien richtig? Wie erreichen
wir das, was die Familien aus unterschiedlichen gesell-
schaftlichen Ansätzen heraus benötigen?

Hierbei beschränkt sich die Diskussion nicht nur auf
familienpolitische Leistungen im Allgemeinen, sondern
sie rückt auch eine bestmögliche Vereinbarkeit von Fa-
milie und Beruf in den Fokus. Die Vorredner haben be-
reits zum Teil darauf hingewiesen.

Allen jenen Maßnahmen, die die Vereinbarkeit von
Familie und Erwerbstätigkeit verbessern, kommt die
größte Bedeutung zu. Sie tragen nicht nur zur wirtschaft-
lichen Absicherung von Familien bei, sondern sie fördern
auch andere familienpolitische Ziele. Die Vereinbarkeit
von Familie und Beruf steht daher im Mittelpunkt der
Familienpolitik. All das wissen Sie.

In den vergangenen Jahren sind die diesbezüglichen
Leistungen und Maßnahmen von uns stets weiterentwi-
ckelt und differenziert worden, um auf gesellschaftliche
Veränderungen und Bedürfnisse von Familien zu reagie-
ren.

Familien wachsen, wo Menschen Vertrauen in die
eigene Zukunft besitzen und die persönliche und
gesellschaftliche Umgebung Familien und Kindern
mit Wertschätzung begegnet.

So heißt es in dem Bericht der Kommission „Familie und
demographischer Wandel“.

Das oberste Ziel unserer Familienpolitik ist daher,
Rahmenbedingungen zu schaffen, die eine Entscheidung
für das Leben mit Kindern in der Familie erleichtern. Die
Entwicklung familienfreundlicher Lebens- und Arbeits-
bedingungen steht dabei im Vordergrund.

Zu dem umfangreichen Maßnahmenpaket gehört bei-
spielsweise – auch hierauf haben die Vorredner bereits
hingewiesen – der Ausbau der Kinderbetreuungseinrich-
tungen für unter Dreijährige. Seit drei Jahren gibt es ei-
nen Rechtsanspruch auf einen Kitaplatz für Kinder im
Alter von einem Jahr. Auch das hat es früher nicht gege-
ben. Das heißt, man kann sich darauf einstellen – wenn
man sich dafür entscheidet –, wieder berufstätig, zumin-
dest in Teilzeit berufstätig zu sein, wenn das Kind ein
Jahr alt ist. All dies ist neu.

Wir haben die Flexibilisierung der Elternzeit, das
Elterngeld Plus und einen Partnerschaftsbonus für alle
Eltern, die zusätzlich zur Erziehung der Kinder 25 bis
30 Wochenstunden arbeiten. Ein weiterer Fokus unserer
Familienpolitik liegt auf der besonderen Unterstützung
Alleinerziehender und der Verankerung familienfreund-
licher Bedingungen in Wirtschaft und Gesellschaft. Frau
Kollegin Rüthrich hat darauf hingewiesen, dass die Mög-
lichkeit der Erwerbstätigkeit für beide Eltern eine we-
sentliche Entscheidung dafür ist, Kinder zu bekommen.

Frau Kollegin Yüksel hat die glücklichen Kinder in
ihrem Schlusswort angesprochen. Ja, glückliche Kinder
definieren sich aber nicht nur über den Ranzen und den

Lisa Paus

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 207. Sitzung. Berlin, Freitag, den 2. Dezember 2016 20731


(A) (C)



(B) (D)


Kinobesuch, sondern glückliche Kinder definieren sich
auch über das Verhältnis zu ihren Eltern.


(Gülistan Yüksel [SPD]: Das habe ich auch gesagt!)


Bei der Diskussion über Armut bei Kindern möchte
ich ganz bewusst darauf hinweisen, dass wir eine Gruppe
von Kindern in unserer Gesellschaft haben, die eigentlich
keine Lobby hat. Im Zusammenhang mit der Diskussion
über Kinderarmut sollte man gelegentlich auch über sie
sprechen. Das sind Kinder in Familien mit psychischen
Belastungen. Wir müssen schon hinschauen, wie wir die-
sen Kindern helfen können.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wir schätzen, dass zwischen 2,4 Millionen und
3,8 Millionen Kinder in einer derartigen Situation sind.
Ich würde es begrüßen – ich weiß, dass bei Ihnen Frau
Kollegin Walter-Rosenheimer sich sehr für dieses Thema
engagiert; ich weiß, dass bei uns Marcus Weinberg und
Eckhard Pols sich leidenschaftlich damit beschäftigen –,
dass wir diese in den Fokus rücken und uns fragen, wie
wir diesen Kindern helfen können, die nicht durch ihre
Eltern vertreten werden können, weil die Eltern selber als
Anwalt der Kinder in vielen Bereichen leider ausfallen.
Vielleicht können wir uns in den nächsten Monaten da-
rüber verständigen.

Die Wertschätzung für Familien in unserem Lande
spiegelt sich auch im neuen Bundeshaushalt wider, den
wir dieser Tage verabschiedet haben. Meine Vorrednerin-
nen und Vorredner haben bereits bilanziert, dass bei den
Verhandlungen rund um den Einzelplan 17 wichtige Im-
pulse gesetzt worden sind. Dem Etat des Bundesfamili-
enministeriums stehen im neuen Jahr 9,5 Milliarden Euro
zur Verfügung. Das sind über 2 Milliarden Euro mehr als
zu Beginn dieser Legislaturperiode.

Somit wird es künftig auch deutlich mehr Geld für
Familien geben. So werden die Familien in unserem
Land mit unzähligen familienpolitischen Leistungen un-
terstützt, die Eltern ein solides Auskommen sichern und
Kinderarmut bekämpfen.

Ja, es ist auch richtig, dass Familien mit Kindern bei
der Schaffung von Wohneigentum unterstützt werden
sollen. Was jetzt der Familie hilft, ein sicheres Nest, ein
sicheres Heim zu bauen, wird später, in 30, 40 Jahren,
die Altersarmut bekämpfen können. Da sollten wir ge-
meinsam hinschauen. Ich bin froh, dass die Frau Woh-
nungsbauministerin gesagt hat: Jawohl, wir wollen in
Ballungsgebieten Wohneigentum fördern. – Ich bin der
Meinung, wir sollten Familienwohneigentum landauf,
landab fördern.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Es gibt hierzu einen kreativen, richtungsweisenden
Vorschlag, natürlich aus Bayern: 1 200 Euro Wohnbau-
prämie pro Jahr für Familien. Ich bin auch der Auffas-
sung, dass wir überlegen müssen, ob wir einer Familie
mit zu wenig Eigenkapital zu Beginn des Hausbaus oder
des Erwerbs einer Wohnung eine gewisse Eigenkapital-
absicherung über ein Bürgschaftsprogramm der KfW an-
bieten können. Wir sollten überlegen, wie es eine Familie

schaffen kann, tatsächlich in den eigenen vier Wänden zu
wohnen; denn der Verzicht auf Mietzinszahlungen eröff-
net den Eltern finanzielle Spielräume, die diese als liebe-
volle Eltern in fast allen Fällen ausschließlich zugunsten
der Kinder nutzen. So hängt alles mit allem zusammen.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Das Baukindergeld habe ich angesprochen. Der
Kinderzuschlag unterstützt die Eltern im Niedrigein-
kommensbereich, die im ergänzenden ALG-II-Bezug
überdurchschnittlich oft vertreten sind. Besonders Fami-
lien mit mehreren Kindern können trotz einer Vollzeit-
erwerbstätigkeit nur mit großer Anstrengung ein Ein-
kommen erzielen, das oberhalb des existenzsichernden
Arbeitslosengeld-II-Bedarfs der ganzen Familie liegt.

Durch den Kinderzuschlag – auch hierauf wurde be-
reits von Vorrednern hingewiesen – kann der Bezug von
Arbeitslosengeld II vermieden werden. Der Kinderzu-
schlag wurde bereits in diesem Jahr um 20 Euro erhöht.
Auch das, Herr Kollege Müller, gehört zur Wahrheit. Er
wird zum 1. Januar 2017 auf maximal 170 Euro erhöht.
Damit sind wir von Ihrer Kindergrundsicherung in Höhe
von 300 Euro entfernt, aber zumindest haben wir da deut-
lich nachgelegt, überdurchschnittlich im Übrigen.

Im kommenden Jahr werden wir das neue Elterngeld
Plus und das klassische Elterngeld mit 6,4 Milliarden
Euro im Haushalt etatisieren. Diese Summe hängt auch
mit der erhöhten Geburtenrate zusammen. Darüber sind
wir sehr froh. Der Mut zum Kind in unserer Gesellschaft
ist gewachsen. Ich glaube, auch das muss in einer sol-
chen Diskussion gesagt werden. Im vergangenen Jahr
sind erfreulicherweise so viele Kinder zur Welt gekom-
men wie seit den letzten 15 Jahren nicht mehr, insgesamt
738 000. Jetzt will ich nicht sagen, dass das ausschließ-
lich die Leistung der Großen Koalition ist – jetzt habe
ich Applaus erwartet –, aber zumindest geben die Rah-
menbedingungen der Familienpolitik, die in den letzten
zehn Jahre geschaffen worden sind, den Familien wieder
mehr Mut.


(Zuruf des Abg. Jörn Wunderlich [DIE LINKE])


– Bitte? Stell eine Zwischenfrage, Jörn, dann habe ich
mehr Zeit.

Für das Sondervermögen „Kinderbetreuungsausbau“
stehen im nächsten Jahr insgesamt 446 Millionen Euro
zur Verfügung. Eine qualitativ hochwertige Betreuung
verhilft den Kindern zu einer guten frühkindlichen Bil-
dung und legt den Grundstein für die späteren Chancen
auf dem Arbeitsmarkt.

Den wichtigsten Beitrag zu einer modernen Familien-
politik leisten daher auch weiterhin der weitere Ausbau
der Kindertagesbetreuung und die notwendigen Rege-
lungen der Qualität dieser Betreuungseinrichtungen. Ich
glaube, man sollte in diesem Zusammenhang auf eine be-
stimmte Gruppe hinweisen – auf die Tagesmütter –, die
neben der institutionalisierten Betreuung wie durch Kitas
ein ergänzendes Leistungsspektrum anbieten. Auch die-
se Gruppe sollten wir einmal mit ihren wirtschaftlichen

Paul Lehrieder

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 207. Sitzung. Berlin, Freitag, den 2. Dezember 201620732


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Problemen und ihren Arbeitsbedingungen in den Fokus
rücken.


(Beifall der Abg. Birgit Kömpel [SPD] – Dr. Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann machen Sie es doch! Da hindert Sie keiner dran!)


Gerade in dieser Zeit, in der wir sehr viele neu zu-
gezogene Kinder aus Asylbewerberfamilien in den Kitas
unterbringen müssen, sind wir froh über die engagierten,
tatkräftigen Tagesmütter, die sicherstellen, dass wir für
jede Nachfrage ein angemessenes Angebot an Kinderta-
gesbetreuung herstellen können. Dafür an dieser Stelle
einmal ein herzliches Wort des Dankes.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Auch dies führt dazu, dass gut betreute, gut ausgebildete,
motivierte Kinder später in der Schule und im Beruf bes-
sere Chancen haben und, prophylaktisch gesehen, in 10
oder 20 Jahren weitaus weniger Gefahr laufen, in Armut
zu geraten.

Ich bedanke mich für den Antrag. Ich freue mich auf
die Beratungen des Antrags im Ausschuss.

Ich wünsche Ihnen ein schönes Wochenende.

Danke schön.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1820705000

Als nächste Rednerin hat Birgit Kömpel das Wort für

die SPD-Fraktion.


(Beifall bei der SPD)



Birgit Kömpel (SPD):
Rede ID: ID1820705100

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Zum Thema
Kinderarmut wurden bereits viele Dinge gesagt, denen
ich hier und jetzt gar nicht widersprechen möchte und
kann.

Ich möchte den Fokus auf unsere Familien und ein
Stück weit auch auf unsere Frauen richten; denn Kin-
derarmut ist in erster Linie Familien- und Frauenarmut.
Ja – da haben die Grünen recht –, Erwerbstätigkeit beider
Elternteile ist der beste Schutz vor Kinderarmut.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)


Gemeinsame Erwerbstätigkeit setzt aber Partnerschaft-
lichkeit voraus, also das Aufteilen von Arbeit und Kin-
dererziehung zwischen Mutter und Vater.

Seien wir doch einmal ehrlich: Noch immer sind es
die berufstätigen Frauen, die sich hauptsächlich um die
Hausarbeit und die Kindererziehung kümmern. Aber wir
stellen Gott sei Dank fest: In unserer Gesellschaft ändert

sich etwas. Immer mehr junge Väter wünschen sich mehr
Zeit für ihre Kinder, und das ist sehr gut so.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU sowie des Abg. Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Hier haben wir bereits in den Koalitionsverhandlun-
gen angesetzt und die Belange von unseren Familien und
Kindern ganz oben auf die Agenda gesetzt. Die Voraus-
setzungen für gelebte Partnerschaftlichkeit haben sich
daher in dieser Legislatur fortlaufend verbessert. Ich
möchte als Beispiel nur das Elterngeld Plus und den wei-
teren Betreuungsausbau nennen. Daneben haben wir mit
dem gesetzlichen Mindestlohn endlich die Grundlage für
gute Löhne geschaffen. Auch damit sind wir einen ent-
scheidenden Schritt in der Bekämpfung der Kinderarmut
gegangen.

In puncto Frauenförderung werden wir auch nicht
nachlassen; denn auch sie hat ein großes Potenzial, um
Kinderarmut in Deutschland zu verringern. Rund 20 Pro-
zent der Kinder in Deutschland wachsen mit nur einem
Elternteil auf, und rund 90 Prozent der Alleinerziehenden
sind Frauen. Diese Frauen brauchen unsere Unterstüt-
zung, wenn wir Kinderarmut eindämmen wollen.

Alleinerziehende Erwerbstätige sind nun einmal dop-
pelt belastet. Sie arbeiten aufgrund ihrer Kinder in der
Regel eben nicht Vollzeit. Und sagt dann der Vater zwar
A, aber zahlt keine Alimente, ist Kinderarmut einfach
vorprogrammiert. Hier ist es ganz wichtig, dass wir – es
wurde schon mehrfach erwähnt – vor allem die Regelun-
gen zum Unterhaltsvorschuss reformieren. Unterhalt für
volle 18 Jahre fordern wir als SPD, und wir kämpfen mit
Hochdruck dafür.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Paul Lehrieder [CDU/CSU]: Wir auch!)


– Na ja.


(Widerspruch bei der CDU/CSU)


Mit dem Gesetz zur gleichberechtigten Teilhabe von
Männern und Frauen in Führungspositionen haben wir
Präsenzkultur und männlich dominierte Netzwerke infra-
ge gestellt und auf die strukturelle Benachteiligung von
Frauen aufmerksam gemacht. Meine Damen und Herren,
wir müssen weg von der Präsenzkultur und hin zu einer
Ergebniskultur. Wenn Mütter nämlich auch in Teilzeit
Führungspositionen ausüben können, dann schützt das
viele Kinder wirksam vor Armut.

Ich wünsche mir auch ein gesellschaftliches Umden-
ken. Menschen mit Kindern verfügen über viele wertvol-
le Fähigkeiten im Bereich der sogenannten Soft Skills,
die jedem Team und jedem Unternehmen guttun. Wir
von der SPD gehen sogar noch weiter: Wir möchten,
dass Frauenberufe besser bezahlt werden und Frauen
durch das Lohngerechtigkeitsgesetz endlich das bekom-
men, was sie schon lange verdienen, meine Damen und
Herren.


(Beifall bei der SPD)


Paul Lehrieder

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 207. Sitzung. Berlin, Freitag, den 2. Dezember 2016 20733


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Unsere Unternehmen sollten im Kampf um die besten
Köpfe darauf achten, ihre Arbeitszeiten den Bedürfnis-
sen von Familien anzupassen. Ich bin überzeugt: Nur ein
Bündel aufeinander abgestimmter Maßnahmen wird hel-
fen, die Kinderarmut in Deutschland zu verringern.

Ich freue mich auf die Beratungen und bedanke mich
für Ihre Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1820705200

Als nächste Rednerin hat Ingrid Pahlmann für die

CDU/CSU-Fraktion das Wort.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Ingrid Pahlmann (CDU):
Rede ID: ID1820705300

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kollegen! Liebe

Kolleginnen! Meine Damen und Herren! Der uns vorlie-
gende Antrag ruft ein absolut wichtiges Thema auf die
Tagesordnung. Da sind wir uns – davon gehe ich ganz
fest aus – nicht nur hier im Hohen Hause einig. Es muss
uns gemeinsam gelingen, Kinder vor Armut zu beschüt-
zen. Wir als Regierungsfraktionen nehmen dieses Thema
ernst; das wurde bereits von meinen Vorrednern deutlich
gemacht.

Wir haben viel Geld in die Hand genommen, sowohl
für direkte Förderung von Kindern und Familien als auch
für die Förderung von Infrastruktur. Die Schlagworte
sind und bleiben: die Erhöhung des Kindergeldes, die Er-
höhung des Kinderzuschlages, die Erhöhung des Kinder-
freibetrags, die Einführung von Elterngeld Plus, weitere
Milliarden für den Ausbau der Kinderbetreuung und vor
allem auch die Steigerung der Qualität in Kitas.

Aber eins muss uns auch klar sein: Mit Geld allein
werden wir unsere Kinder nicht stark machen und vor
Armut schützen. Einmal Hand aufs Herz: Wenn Sie in
Ihrem Antrag von den Blicken sprechen, die ein Kind
zu spüren hat, wenn der Ranzen zu Beginn eines neuen
Schuljahres noch der alte vom Vorjahr ist, dann sprechen
Sie nicht von zu wenig finanziellen Mittel, sondern von
ganz anderen Herausforderungen, die wohl eher in unse-
rem menschlichen Wertesystem zu suchen sind.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Aber zurück zu Ihrem Antrag mit der scheinbar simp-
len Gleichung: mehr Geld gleich mehr Gerechtigkeit und
starke Familien. So einfach ist es aber nun einmal leider
nicht. Es ist vielmehr auch eine gesellschaftliche Haltung
notwendig, die klar zeigt: Ja, wir wollen Kinder! Ja, wir
wollen Familien dabei unterstützen, ihren Nachwuchs
gut ins Leben zu bringen! Man kann an der Stelle immer
wieder das afrikanische Sprichwort „Um ein Kind groß-
zuziehen, braucht es ein ganzes Dorf“ zitieren. Wir brau-
chen eine Gesellschaft, die hinschaut, die sich einmischt,
die Kinder und Familien unterstützt.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Nicht nur bei mir im Wahlkreis haben sich in den
vergangenen Jahren engagierte Bürgerinnen und Bür-

ger, Unternehmen, die ihre soziale Verantwortung ernst
nehmen, Kirchen und Wohlfahrtsverbände zusammen-
geschlossen, um ganz gezielt für mehr Gerechtigkeit für
unsere Kinder zu sorgen.

Im Jahr 2008 hat sich in meiner Heimatstadt Gifhorn
eine Initiative unter dem Motto „Kleine Kinder immer
satt“ gebildet. Ihr Ziel war es damals, allen Kindern in
den Kindertagesstätten und Ganztagsschulen ein warmes
Mittagessen zu ermöglichen. Und richtig, ich sagte: Es
war ihr Ziel. – Mittlerweile wurde dieses Ziel auch durch
das von Ihnen, liebe Opposition, gerne kritisierte Bil-
dungs- und Teilhabepaket erreicht.

Natürlich kann man sagen: Es ist eine Schande, dass
wir in unserem Land überhaupt engagierte Menschen
benötigen, um allen Kindern ein warmes Mittagessen
ermöglichen. Und ich sage Ihnen als Berichterstatterin
meiner Fraktion für bürgerschaftliches Engagement auch,
dass wir in unserem Land natürlich nicht jedes Problem
über freiwilliges Engagement lösen können und es auch
die eine oder andere Tendenz diesbezüglich einzufangen
gilt. Doch wir müssen uns auf der anderen Seite auch
klarmachen: Der Staat alleine kann nicht alles richten,
und er hat auch nicht immer für alles die beste Lösung.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Die Geschichte des Gifhorner Kinderfonds geht näm-
lich noch weiter. Man hat sich immer neue Ziele gesteckt.
Mittlerweile unterstützt man beispielsweise auch den Be-
such kultureller Veranstaltungen, ist man in die Hausauf-
gabenhilfe eingestiegen, bietet man Sportprogramme in
Kooperation mit örtlichen Sportvereinen an, setzt man
Projekte zur Gewaltprävention und Selbstbewusstseins-
förderung der Kinder und vieles mehr um. Kurzum: Aus
„Kleine Kinder immer satt“ wurde: Kleine Kinder immer
satt hinsichtlich Ernährung, Bildung, Bewegung und so-
zialer Teilhabe.

Noch viel wichtiger ist: Der Fokus hat sich erweitert.
Es profitieren – anders als es nach Ihrem Antrag sein
würde – nicht mehr ausschließlich benachteiligte Kinder,
sondern alle Kinder völlig unabhängig von ihrer Her-
kunft, ihrem sozialen oder finanziellen Hintergrund. Es
werden mit dem Projekt alle Kinder gestärkt und nicht
mehr einzelne stigmatisiert.

Eine starke Zivilgesellschaft kann mehr leisten, als wir
mit jedem neuen Gesetz schaffen können. Vor allem ist
sie in der Lage, zielsichere Lösungen zu entwickeln. Al-
lein in meiner Heimat, dem Landkreis Gifhorn, liegt der
Anteil von Kindern in SGB-II-Bezug je nach Gemeinde
zwischen unter 1 Prozent und über 15 Prozent. Dass pau-
schale Lösungen hier nicht die besten sind, denke ich,
liegt absolut auf der Hand. Eine starke Zivilgesellschaft
mit engagierten Bürgerinnen und Bürgern erzeugt verän-
derte Blickwinkel, sieht, wo etwas fehlt, setzt neue An-
reize und kann Probleme vor Ort anders angehen als wir
mit unserer doch immer etwas weit entfernten Sicht der
Berliner Politik.

Sie können mir glauben: Ein Austausch mit diesen
engagierten Menschen, deren Arbeit ich wirklich sehr
schätze, ist immer wieder eine Herausforderung, und, am

Birgit Kömpel

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 207. Sitzung. Berlin, Freitag, den 2. Dezember 201620734


(A) (C)



(B) (D)


Rande, kann manchmal ziemlich anstrengend sein. Den-
noch profitieren alle von diesen Gesprächen.

Die Mitglieder des Kinderfonds sind zu starken Ver-
tretern der Kinder geworden. Sie fordern beispielswei-
se – in den ersten Jahren war das wohl auch nicht ganz zu
Unrecht – weitere Vereinfachungen bei der Beantragung,
Bewilligung und Auszahlung der Leistungen für Bildung
und Teilhabe.


(Dr. Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, genau!)


Da hat sich aber in den letzten Jahren einiges verbessert;
Klammer auf: auch weil die zuständigen Kommunen
mittlerweile ausreichend Zeit hatten und sich gut auf ihre
neuen Aufgaben einstellen konnten; Klammer zu.


(Dr. Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wollen Sie es den Kommunen nicht einfacher machen?)


Es gibt selbstverständlich auch bei anderen Program-
men immer wieder Möglichkeiten für eine bessere Hand-
habung der bürokratischen Anforderungen. Darauf müs-
sen wir natürlich achten.

Anders als das in Ihrem Antrag der Fall ist, fordern die
Menschen, die sich tagtäglich mit dem Thema auseinan-
dersetzen, nicht ein Mehr an pauschalen Geldleistungen
an die Eltern, sondern ein Mehr an Direktzahlungen zum
Wohl der Kinder – ohne den Umweg über das Konto der
Eltern.


(Dr. Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das wollen wir beim Bildungsund Teilhabepaket auch!)


Ganz sicher gibt es noch vieles zu verbessern. Gerade
bei Alleinerziehenden müssen wir noch mehr tun, um ihr
meist unverschuldetes Armutsrisiko zu senken. Der Aus-
bau der Kinderbetreuung ist hier ein wichtiger Beitrag,
ebenso das „KitaPlus“-Programm; wir haben es schon
gehört.

Wie ich in meiner Rede vor ziemlich genau einem
Jahr bereits gesagt habe, sind auch Unternehmen in der
Pflicht; darauf müssen wir immer wieder hinweisen. Sie
müssen Alleinerziehenden flexiblere Arbeitszeitmodelle
anbieten. Dafür möchte ich allerdings keine staatlichen
Zwangsmaßnahmen. Ich bin der Überzeugung, dass es
beim sich abzeichnenden Fachkräftemangel auch im
Interesse der Unternehmen ist, Alleinerziehenden gute
Rahmenbedingungen und Verdienstmöglichkeiten zu
bieten. Damit wäre der Wirtschaft, den Alleinerziehen-
den, aber vor allen den Kindern geholfen.

Grundsätzlich möchte ich an dieser Stelle einmal ganz
klar sagen: Ich finde das Thema zu wichtig, um es par-
teipolitisch auszureizen. Sie wissen doch ganz genau –
anders als Sie es in Ihrem Antrag schreiben –, dass die
Unionsfraktion hinter der wichtigen Ausweitung des Un-
terhaltsvorschusses steht und das Vorhaben in den letzten
Monaten auch vorangetrieben hat.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Sie wissen aber auch ganz genau, dass eine überstürzte
und vor allem schlecht geregelte Umsetzung des Vorha-

bens unsere Kommunen vor große Probleme stellt, dass
die Bundesländer in der Finanzierung mitzureden ha-
ben – die stehen zum Teil auf der Bremse – und dass
am Ende schlichtweg niemandem geholfen ist und Frust
aufgebaut wird, wenn sich die Auszahlung durch diese
Probleme womöglich verzögert.


(Jörn Wunderlich [DIE LINKE]:Deshalb lieber gar nichts machen! Super!)


– Reden Sie nicht immer alles schlecht – das möchte ich
vor allen Dingen an die linke Ecke des Hauses richten –,
was wir in diesem Hause anpacken! Sicherlich kann und
muss man alles weiterentwickeln; aber das, was wir ge-
schafft haben, darf man auch einmal benennen und als
gut anerkennen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Denn das Aufreißen neuer Gräben stärkt nicht die linke
Seite dieses Hauses, sondern wird dafür sorgen, dass auf
der rechten Seite etwas Einzug hält, was uns allen hier
im Haus nicht gefallen wird und was die Schwächsten in
unserem Land weiter schwächen würde.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Abschließend bleibt mir noch zu sagen: Wir brauchen
kluge, durchdachte Konzepte, um unsere Familien und
Kinder wirklich zu stärken. Die finde ich trotz vieler
Worte in Ihrem Antrag leider nicht. Deshalb kann ich
dem Antrag trotz des guten Ansinnens nicht zustimmen.


(Dr. Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Müssen Sie heute auch nicht!)


Aber ich freue mich wie viele meiner Kollegen auf gute
weitere Beratungen. Dann werden wir auch zu Lösungen
kommen.

Danke schön.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1820705400

Als nächste Rednerin spricht Ulrike Bahr für die

SPD-Fraktion.


(Beifall bei der SPD)



Ulrike Bahr (SPD):
Rede ID: ID1820705500

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Kein Kind darf verloren gehen. – Das ist un-
ser sozialdemokratisches Leitbild. Dazu gehört natürlich
auch die wirtschaftliche Absicherung von Familien, und
zwar von allen Familien. Dazu gehören auch Alleiner-
ziehende, Patchworkfamilien und alle, die Sie genannt
haben. Aber aus meiner beruflichen Erfahrung heraus
weiß ich, dass die Investition in direkte Unterstützungs-
leistungen nicht ausreicht und nicht immer der beste Weg
ist, um Kinder zu fördern, um ihnen Bildung und echte
Teilhabe zu eröffnen. Teilhabe braucht zweifellos Geld,
aber darüber hinaus noch viel mehr. Wir brauchen Geld,
Zeit und Infrastruktur und müssen immer vom Kind aus
denken, egal wie es im Geldbeutel der Eltern aussieht.


(Beifall bei der SPD)


Ingrid Pahlmann

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 207. Sitzung. Berlin, Freitag, den 2. Dezember 2016 20735


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Neben direkten finanziellen Hilfen müssen wir struk-
turell ansetzen, um Armutskarrieren zu durchbrechen
und die soziale Spaltung der Gesellschaft nicht weiter
voranzutreiben. Die Armut in zweiter, dritter und vierter
Generation ist es, die in allen Berichten über Familien-
armut vom Deutschen Paritätischen Wohlfahrtsverband
bis hin zur Bertelsmann-Stiftung besonders alarmierend
wirkt. Gegen solche über Generationen hinweg verfestig-
te Armut brauchen wir an allererster Stelle nach meiner
Überzeugung von klein an gute und kostenfreie Angebo-
te für Bildung, Kultur und Sport.


(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Paul Lehrieder [CDU/CSU])


Die SPD-Bundestagsfraktion hat sich in ihrem Zu-
kunftsprojekt für beitragsfreie Ganztagskitas ausge-
sprochen. Dies fördert und integriert Kinder und entlas-
tet gleichzeitig Eltern und besonders Alleinerziehende
enorm, weil sie dann auch Zeit für Arbeit oder Aus- und
Weiterbildung haben, und zwar ohne entwürdigende An-
tragstellung und Bedürftigkeitsprüfung. Einige sozialde-
mokratisch geführte Bundesländer wie Rheinland-Pfalz
oder Berlin gehen hier mit gutem Beispiel voran. In mei-
nem Heimatland Bayern ist man davon leider noch weit
entfernt.

In dieser Wahlperiode haben wir eine ganze Reihe von
Anstrengungen unternommen, um in der frühen Bildung
auch qualitativ gute Angebote zu schaffen, zum Beispiel,
wie erwähnt, mit dem Ausbau der erfolgreichen Sprach-
kitas, in denen Kinder mit Schwierigkeiten in der Schlüs-
selkompetenz Sprache die nötige Unterstützung erhalten,
ohne dass die Eltern etwas beantragen müssen; denn
Sprache ist der Schlüssel zu jeder Form von Bildung und
damit zur Selbstermächtigung, neudeutsch: „Empower-
ment“.


(Beifall bei der SPD)


Zur Stärkung von Kindern und ihren Eltern gehört in
jedem Fall eine gute niedrigschwellige Beratung über
Unterstützungsansprüche wie zum Beispiel den Kinder-
zuschlag, aber auch über die Bildungs- und Unterstüt-
zungsangebote vor Ort. Die Zivilgesellschaft engagiert
sich hier zahlreich in Initiativen, die wir unterstützen
sollten. Auch viele Mehrgenerationenhäuser leisten in
der Beratung und in der Vernetzung von Familienan-
geboten eine hervorragende Arbeit. Auch sie haben wir
mit unseren letzten Haushaltsbeschlüssen gestärkt. Denn
gerade Familien mit wenig Geld, Eltern wie Kinder, pro-
fitieren besonders von kostenfreien Treffpunkten, Vernet-
zung, Tauschbörsen, offenen Angeboten und den damit
verbundenen Kontakten.

Zur Stärkung von Familien gehört es auch, wenn
Kinder, Jugendliche und Eltern einen Anspruch auf gute
und einfache Lösungen bei Konflikten haben. In unserer
geplanten SGB-VIII-Reform müssen wir deshalb auch
unabhängige Ombudsstellen verankern. Sie unterstützen
Kinder, Jugendliche und ihre Familien dabei, Probleme
mit den Jugendämtern und Trägern zu klären und aus-
zuräumen.

Und schließlich: Zum Anspruch „Kein Kind zurück-
lassen!“ gehören auch Teilhabeangebote und Unterstüt-

zung für Kinder, die bisher vollkommen durchs Raster
fallen und die, wie ich finde, Helden des Alltags sind.
Betroffen sind geschätzt 2 bis 3 Millionen. Ich meine,
wie schon erwähnt, Kinder psychisch kranker Eltern oder
Kinder, deren Eltern im Strafvollzug sitzen. Hier haben
wir noch viel Arbeit und sollten uns möglichst pragma-
tisch und fraktionsübergreifend auf die Suche nach trag-
fähigen Lösungen mit aufsuchenden Beratungsstruktu-
ren und vernetzten Hilfen machen. Unsere Kinder haben
einen Anspruch darauf.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Paul Lehrieder [CDU/CSU]: Mit Ausnahme der Passage über Bayern war es passabel!)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1820705600

Sönke Rix hat als letzter Redner in dieser Aussprache

das Wort.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Sönke Rix (SPD):
Rede ID: ID1820705700

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Meine Damen und Herren! Natürlich haben wir in dieser
Großen Koalition viel erreicht, um Familien zu entlasten
und zu fördern. Natürlich dürfen die Fraktionen der Op-
position auch kritisieren und mehr fordern. Das gehört
zu ihrer Aufgabe. Aber ich will gleich eine Sache vor-
wegnehmen: Es kommt immer darauf an, wie wir diese
zusätzlichen Förderungen, diese zusätzlichen Mittel und
diese zusätzlichen Forderungen finanzieren. Das kommt
bei dem vorliegenden Antrag – auch wenn ich weiß: es
gibt parallel dazu andere Finanzierungsvorstellungen –
leider zu kurz.

Aber wir dürfen auch stolz darauf sein, was wir in un-
serer Koalitionszeit für Familien erreicht haben.


(Zuruf des Abg. Jörn Wunderlich [DIE LINKE])


– Doch, das darf man durchaus machen. Denn wir haben
Dinge angestoßen, die auch Sie fordern und die auch die
Grünen fordern.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Vielleicht nicht in dem geforderten großen Maße, aber
wir machen es.

Wir haben zum Beispiel den Kinderzuschlag erweitert
und ausgebaut.


(Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Wir wissen ja, wo bei euch die Bremser sitzen!)


Das sind Forderungen, die von Grünen und von Linken
kommen. Man kann mehr machen, gar keine Frage – es
ist immer die Frage, wie viel Geld Herr Schäuble zur Ver-
fügung stellt –, aber wir haben es getan. Ich finde, das
kann man durchaus lobend erwähnen.

Sie führen immer an, wenn es um Familienarmut geht,
dass eine gute und vernünftige Bezahlung für die Men-
schen notwendig ist. Sie sagen, dass der Mindestlohn,
der eingeführt worden ist, als Grundlage viel zu niedrig

Ulrike Bahr

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 207. Sitzung. Berlin, Freitag, den 2. Dezember 201620736


(A) (C)



(B) (D)


ist. Aber wir haben ihn immerhin eingeführt, liebe Kolle-
ginnen und Kollegen, und damit einen großen und wich-
tigen Schritt gemacht, um Familien zu entlasten und um
Kinderarmut zu bekämpfen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Das Gleiche gilt für die Entlastung von Alleinerzie-
henden. Jahrelang ist dieses Thema nicht angefasst wor-
den. Wir haben in der Großen Koalition für eine Erhö-
hung des Freibetrags für Alleinerziehende gesorgt und so
Familien entlastet. Das hilft auch gegen Kinderarmut.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Natürlich kann man weitergehen. Koalitionen stellen
immer auch – das wissen Sie aus Hessen, das wissen Sie
aus rot-grünen Koalitionen, das wissen Sie aus Bran-
denburg; Sie werden es auch in Berlin erfahren und in
Thüringen – Kompromisse dar, und man freut sich, wenn
man nach Wahlen andere Mehrheiten bekommt oder
wenn man Koalitionspartner auch mal überzeugen kann.
Das ist durchaus der Fall. – Wir als Sozialdemokraten
sind bei Ihnen und sagen: Das Ehegattensplitting ist eine
ungerechte Maßnahme. Auch wir wollen das Ehegatten-
splitting Schritt für Schritt abschaffen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Im Moment kommen wir da mit unserem Koalitionspart-
ner nicht zusammen,


(Gunther Krichbaum [CDU/CSU]: Gut erkannt!)


aber als eigenständige Fraktion darf man das durchaus
sagen.


(Beifall der Abg. Birgit Kömpel [SPD])


Das Gleiche gilt übrigens für das, was meine Kollegin
Uli Bahr gerade zum Schluss angesprochen hat. Armuts-
bekämpfung bedeutet, Menschen, insbesondere Kinder,
in die Lage zu versetzen, teilhaben zu können. Das fängt
damit an, dass wir sagen: Bildung und Betreuung müssen
vom ersten Lebensjahr an beitragsfrei sein.


(Beifall bei der SPD)


Und es sind sozialdemokratische Bundesländer, die ge-
meinsam mit Grünen, beispielsweise in Rheinland-Pfalz
oder auch in Hamburg, genau diese Beitragsfreiheit
Schritt für Schritt einführen.


(Marcus Weinberg [Hamburg] [CDU/CSU]: Oh! Oh! Oh!)


Das ist eine vernünftige und richtige Entlastung, die den
Familien zugutekommt. Schleswig-Holstein wird sich
diesem guten Beispiel im Übrigen anschließen.


Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1820705800

Herr Rix, der Kollege Weinberg wünscht eine Zwi-

schenfrage.


Sönke Rix (SPD):
Rede ID: ID1820705900

Aber jetzt keine Koalitionsverhandlungen, lieber

Marcus.


(Norbert Müller [Potsdam] [DIE LINKE]: Doch! Doch! Macht mal so weiter wie Mittwoch im Ausschuss! Dann haben wir alle was davon!)



Marcus Weinberg (CDU):
Rede ID: ID1820706000

Danke schön. – Lieber Sönke Rix, keine Angst, ich

habe nur eine kurze Zwischenfrage; wenn du Hamburg
erwähnst, dann muss ich mich einfach zu Wort melden.

Ich will nur daran erinnern, dass in Hamburg die El-
tern für die fünfstündige Betreuung ihres Kindes von den
Gebühren freigestellt sind. Vielen Dank, davon profitiere
ich persönlich, auch mit meinem Einkommen. Ich will
aber auch daran erinnern: Hamburg hat den mit Abstand
schlechtesten Betreuungsschlüssel, was die Relation von
Erzieherinnen und Kindern angeht, in Westdeutschland.
Wäre es nicht sinnvoller gewesen, das Geld in Qualitäts-
steigerung zu investieren,


(Dr. Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Absolut!)


damit die Kinder endlich vernünftig betreut werden, statt
den Eltern, die ohnehin viel Geld verdienen, noch eine
Entlastung zu schenken?


(Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. Dr. Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] – Norbert Müller [Potsdam] [DIE LINKE]: Es gibt nicht nur reiche Hamburger!)



Sönke Rix (SPD):
Rede ID: ID1820706100

Wenn ich dieser Begründung folge: Dann bist du, lie-

ber Marcus Weinberg, wahrscheinlich auch dafür, dass
du für deine schulpflichtigen Kinder irgendwann Gebüh-
ren zahlen musst, weil man nicht genügend Mittel für die
Verbesserung der Infrastruktur in den Schulen zur Ver-
fügung hat.


(Beifall der Abg. Susann Rüthrich [SPD])


Nein, es bleibt bei dem Grundsatz: Gebührenfreiheit
für Bildung und Betreuung von Anfang an. Ich warne
davor, die Entlastungen von Familien gegen Infrastruk-
turausbau und gegen Beitragsfreiheit auszuspielen, lieber
Kollege Marcus Weinberg.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Meine Damen und Herren, es ist zum Schluss der De-
batte richtigerweise angesprochen worden, dass wir eine
starke Zivilgesellschaft brauchen. Die Zivilgesellschaft
wird im Übrigen immer sehr stark von Kommunen un-
terstützt, und somit ist jede kommunale Entlastung, die
wir vornehmen, eine Entlastung zugunsten von Familien.
Das betrifft unter anderem das Thema Beitragsfreiheit,
aber auch das sehr gute Beispiel, das Sie vorhin, Frau
Pahlmann, in Ihrer Rede angesprochen haben.

Natürlich ist Zivilgesellschaft wichtig, und alles, was
Zivilgesellschaft selbst erreichen kann, ist wichtig. Aber

Sönke Rix

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 207. Sitzung. Berlin, Freitag, den 2. Dezember 2016 20737


(A) (C)



(B) (D)


wenn wir die Infrastruktur von Zivilgesellschaft nicht un-
terstützen – was wir im Übrigen jetzt im Bundeshaushalt
viel besser tun als vorher –, dann werden aus guten Pro-
jekten keine wirklich guten Projekte. Deshalb ist es rich-
tig und notwendig, die Zivilgesellschaft zu unterstützen,
damit auch die Zivilgesellschaft Familienarmut bekämp-
fen und Familien fördern kann.


(Beifall bei der SPD)


Ich will einen allerletzten Punkt ansprechen, weil es
zu Beginn der Debatte um gute Bezahlung ging, insbe-
sondere um die Frage, ab wann eine Familie in der Lage
ist, für sich selbst zu sorgen. Ein Kollege hat vorhin in
einer Zwischenfrage gesagt, dass es viele Eltern gibt, die
eigentlich ein auskömmliches Einkommen haben, auf-
grund ihrer familiären Situation aber trotzdem Hartz IV
beziehen bzw. deren Kinder Hartz IV beziehen. Ich finde,
dann haben sie kein ausreichendes Einkommen, lieber
Kollege.


(Beifall der Abg. Birgit Kömpel [SPD])


Für mich ist es so: Ein ausreichendes und gutes Einkom-
men muss dazu beitragen, dass sich eine Familie, auch
unabhängig von staatlicher Förderung, eine Existenz si-
chern kann. Daran müssen wir arbeiten: dass durch eine
entsprechende Lohnentwicklung dieses Problem beho-
ben wird.


(Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was hat die SPD dazu vor?)


Ich danke Ihnen für den Antrag, auch weil er zu dieser
Debatte geführt hat; denn wir müssen immer mal wieder
über Familien- und Kinderarmut sprechen. Ich freue mich
auf die Debatte im Ausschuss und weitere Vorschläge.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1820706200

Damit schließe ich die Aussprache.

Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage
auf Drucksache 18/10473 an die in der Tagesordnung
aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit
einverstanden? – Das ist der Fall. Dann ist das so be-
schlossen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 11 auf:

Zweite Beratung und Schlussabstimmung des
von der Bundesregierung eingebrachten Ent-
wurfs eines Gesetzes zu dem Protokoll vom
19. Mai 2016 zum Nordatlantikvertrag über
den Beitritt Montenegros

Drucksache 18/9989

Beschlussempfehlung und Bericht des Auswärti-
gen Ausschusses (3. Ausschuss)


Drucksache 18/10332

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 25 Minuten vorgesehen. Gibt es dazu

Widerspruch? – Das ist nicht der Fall. Dann ist das so
beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache. Als erster Redner in die-
ser Debatte hat Josip Juratovic für die SPD-Fraktion das
Wort.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Josip Juratovic (SPD):
Rede ID: ID1820706300


Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ges-
tern früh kam die parlamentarische Freundschaftsgruppe
für Südosteuropa zusammen. Zu Gast waren Forscher
und Aktivisten aus dem Bereich der Pressefreiheit. Unser
Thema war die Freiheit der Medien auf dem Westbalkan.
Das Urteil der Experten fiel sehr schlecht aus. Das ist
kein gutes Zeichen.

Gestern Nachmittag saß ich im Gesprächskreis Süd-
osteuropa. Der Direktor der Friedrich-Ebert-Stiftung in
Pristina und ein Wissenschaftler aus dem Kosovo berich-
teten über den zunehmenden Einfluss der Türkei auf dem
Westbalkan. Das ist ebenfalls kein gutes Zeichen.

Dieser Tage durfte ich auch mit oppositionellen Abge-
ordneten aus Podgorica sprechen. Dabei musste ich fest-
stellen, dass die Bedeutung der repräsentativen Demo-
kratie und der Respekt vor der parlamentarischen Arbeit
dort von unserem Verständnis leider um einiges entfernt
sind. Auch dies ist für mich kein gutes Zeichen.

Vor einer Stunde kamen wir mit dem montenegrini-
schen Staatssekretär für Europa zusammen. Seine Visi-
on – eine Annäherung an die EU – wird in der Praxis
leider nicht so umgesetzt, wie wir uns das wünschen wür-
den. Ein viertes Mal muss ich sagen: Kein gutes Zeichen.

Kolleginnen und Kollegen, der Deutsche Bundestag
wird heute darüber entscheiden, ob wir unsere europäi-
schen Nachbarn aus Montenegro in die nordatlantische
Gemeinschaft der NATO aufnehmen wollen. Die soeben
beschriebenen Gespräche hinterlassen bei mir eine ge-
mischte Gefühlslage. Ich frage mich: Ist es wirklich rich-
tig, Montenegro angesichts der immer noch vorhandenen
Herausforderungen in die NATO aufzunehmen?

Warum werben wir für die Mitgliedschaft eines nicht
immer einfachen Partners in einem Bündnis, das selbst
bei nicht allen von uns unumstritten ist? Jenen, die sich
hierbei angesprochen fühlen, möchte ich drei Antwor-
ten mit auf den Weg geben: Es geht um uns. Genauer
gesagt, es geht um unsere guten sicherheitspolitischen
Erfahrungen mit dem Bündnis NATO, um die strategi-
schen Interessen unseres Landes und vor allem um die
Werte der deutschen Außenpolitik. Kolleginnen und Kol-
legen, unsere Erfahrung zeigt uns: Deutschland und die
anderen NATO-Mitglieder profitieren seit über einem
halben Jahrhundert vom gegenseitigen Beistand. Die
NATO ist eine jener Organisationen, die uns neben der
EU seit 70 Jahren Frieden sichert, genau jenen Frieden,

Sönke Rix

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 207. Sitzung. Berlin, Freitag, den 2. Dezember 201620738


(A) (C)



(B) (D)


den Deutschland und Europa davor über Generationen
nicht hatten.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)


Die NATO hat das Leben ihrer aktuell 920 Millionen
Einwohner sicherer gemacht. Sicherheit im Frieden ist
das wichtigste Gut, das wir haben.

Wenn wir Montenegro in die NATO aufnehmen, ist
dies ein Weg, unsere ureigenen Interessen zu verfolgen.
Zu unseren Interessen gehört zunächst die eben beschrie-
bene Sicherheit. Zu unseren Interessen gehört aber auch
ein zusammenhängendes Bündnisgebiet. Wir wollen
Partner einbinden, die sich sonst womöglich für andere
Wege entscheiden. Um es deutlich zu sagen: Der West-
balkan ist bereits Spielball unterschiedlicher globaler
und regionaler Mächte – auf einem Spielfeld direkt vor
unserer Tür. Wir wollen jene Staaten in unsere sicher-
heitspolitischen Bündnisse einbeziehen, die sich ohnehin
auf den Weg Richtung EU gemacht haben.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Denn zu unseren Interessen gehört auch ein starkes
Europa. Wenn wir ein Europa haben möchten, das auf
globaler Ebene auf Augenhöhe agieren kann, müssen
wir geschlossen sein. Wenn wir geschlossen sein wollen,
können wir uns keine Insel der Instabilität mitten in Eu-
ropa leisten. Instabilität macht Europa angreifbar. In der
Gesetzesbegründung heißt es:

Die Bundesregierung ist davon überzeugt, dass der
NATO-Beitritt Montenegros einen Beitrag zu Si-
cherheit und Stabilität im euro-atlantischen Raum
leisten wird.

Genau diese Überzeugung teilen wir Sozialdemokraten.

Bei allen Zwängen und sicherheitspolitischen Not-
wendigkeiten basiert unsere Außenpolitik vor allem auf
Werten. Dabei ist das Nordatlantische Bündnis einerseits
Wert an sich, weil es für Kooperation steht. Darüber hi-
naus geht es um die großen demokratischen Werte. Es ist
richtig: Gewaltenteilung, aber auch Pressefreiheit sind in
Montenegro noch sehr ausbaufähig. Doch Montenegro ist
bereits im Prozess des Beitritts zur EU. Die dazugehörige
Demokratisierung kann sich in Montenegro umso besser
entwickeln, wenn sich das Land der schwarzen Berge im
Rahmen der NATO sicher fühlen kann. Das gemeinsa-
me Sicherheitssystem erleichtert Demokratisierung und
EU-Annäherung. Es stimmt: Montenegro ist kein lupen-
reiner demokratischer Staat. Aber um es mit den Worten
eines großen Sozialdemokraten zu sagen: Wir wollen den
Wandel durch Annäherung.


(Beifall bei der SPD)


Wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten se-
hen auf dem Westbalkan die Chance, in unserer Nach-
barschaft Frieden und Stabilität zu bewahren. Das ist im
Interesse der Menschen vor Ort und in unserem eigenen
Interesse. Wichtig ist auch: Wir sind 25 Jahre nach dem
Zerfall Jugoslawiens. Irgendwann – am besten so bald
wie möglich – müssen die geschundenen Völker des
Westbalkans ihre Ruhe bekommen. Sie sollen sich zuge-
hörig fühlen. Keine gute Entwicklung wäre es, weiterhin

ohne feste Perspektive zwischen unterschiedlichen glo-
balen und regionalen Einflüssen hin- und hergerissen zu
sein.

Der Westbalkan gehört in die NATO, weil der West-
balkan zu Europa gehört. Der Beitritt Montenegros zur
NATO ist ein weiterer Schritt bei der Heranführung des
Westbalkans an Europa. Daher bitte ich um Ihre Zustim-
mung.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1820706400

Als nächster Redner hat Dr. Alexander Neu für die

Fraktion Die Linke das Wort.


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. Alexander S. Neu (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1820706500

Sehr geehrte Damen und Herren! Sehr geehrte Frau

Präsidentin! Montenegro soll also der NATO beitreten.
Damit wird die NATO ein weiteres Mal ihren Einfluss-
und Kontrollbereich erweitern, hier um ein Balkanland.
Die NATO-Erweiterung insgesamt ist einem politischen
Ansatz geschuldet, der davon ausgeht, dass Sicherheit in
Europa ohne Russland oder vielleicht auch gegen Russ-
land möglich und wünschenswert ist. Es ist ein konfron-
tatives Sicherheitskonzept.

Es geht aber auch anders, und zwar mit einem koope-
rativen Sicherheitskonzept, das vorsieht, Sicherheit in
Europa mit Russland herzustellen. Das ist nachhaltiger.


(Karl-Heinz Wange [CDU/CSU]: Ukraine!)


Nach den Verlautbarungen der CDU oder der SPD,
also der Regierungsparteien, favorisieren sie sogar das
kooperative Sicherheitskonzept,


(Karl-Heinz Wange [CDU/CSU]: Das sieht man an der Ukraine!)


zumindest verbal.

So heißt es beispielsweise in dem außenpolitischen
Positionspapier der SPD-Bundestagsfraktion vom
Juli 2016 – ich zitiere –: „Stärke zeigen allein genügt
nicht“. – Was für eine Einsicht! – „Für eine glaubwür-
dige und kooperative Sicherheits- und Friedenspolitik in
und für Europa“.

Auch Kanzlerin Merkel steht dem nicht hinterher.
In ihrer Regierungserklärung vor dem NATO-Gipfel in
Warschau sagte sie – ich zitiere –:

Wir als NATO-Partner sind uns einig, dass dauer-
hafte Sicherheit in Europa nur mit und nicht gegen
Russland zu erreichen ist.

Schöne Worte.

Die Wirklichkeit sieht anders aus, sehr geehrte Damen
und Herren. Da tun Sie genau das Gegenteil. Statt einer
friedensichernden, statt einer sicherheitspolitischen Ko-
operation bauen Sie den NATO-Einflussraum aus, zum
Beispiel mit Hilfe der NATO-Osterweiterung. Sehr ge-

Josip Juratovic

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 207. Sitzung. Berlin, Freitag, den 2. Dezember 2016 20739


(A) (C)



(B) (D)


ehrte Damen und Herren, das ist nichts anderes als primi-
tive Geo- und Machtpolitik, die Sie hier betreiben.


(Beifall bei der LINKEN – Karl-Heinz Wange [CDU/CSU]: Warum überlassen Sie die Entscheidung nicht einfach Montenegro? Das ist ein souveräner Staat!)


– Hören Sie einfach einmal zu! – Montenegro ist ein
Staat mit der Einwohnerzahl von Düsseldorf. Ich bin
im Sommer dieses Jahres mit der Kollegin Höger nach
Montenegro geflogen. Wir haben uns dort mit politischen
Parteien und Vertretern der Zivilgesellschaft getroffen.

Ergebnis: Montenegro ist ein zutiefst zerrissenes Land
zwischen NATO-Gegnern und NATO-Befürwortern.
Die Oppositionsparteien und auch zivilgesellschaftliche
Gruppen haben uns erklärt, dass die Mehrheit der Men-
schen gegen einen NATO-Beitritt und für die Neutrali-
tät Montenegros sei. Aber einen Volksentscheid darüber
lehnt das autoritäre Djukanovic-Regime ab – er ist zwar
jetzt nicht mehr Ministerpräsident, aber das Regime ist
nach wie vor an der Macht –, wohl wissend, dass dieses
Referendum in einer Niederlage enden würde und ein
NATO-Beitritt passé wäre.

Die parlamentarische und die außerparlamentarische
Opposition gegen den NATO-Beitritt sind Repressio-
nen ausgesetzt. Der Sprecher der NGO „Nicht in die
NATO“ – so heißt diese Organisation – wurde von der
Polizei misshandelt. Andere werden willkürlich verhaf-
tet. Was sagt der Westen? Was sagt Berlin dazu? Man
drückt wieder einmal alle Augen zu.

Die „Bewegung für Neutralität“ Montenegros – auch
eine NGO – verfügt über Informationen von WikiLeaks,


(Niels Annen [SPD]: WikiLeaks: Das ist sehr seriös!)


nach denen klare Anweisungen aus Washington, Brüs-
sel und Berlin kommen, wie eine effektive Öffentlich-
keitsarbeit gemacht werden kann, um die Stimmung in
Montenegro zugunsten der NATO umzudrehen. So soll
die Bevölkerung, die noch vor 17 Jahren von der NATO
bombardiert wurde, jetzt dazu gebracht werden, die
NATO lieb zu haben. Das ist unfassbar, sehr geehrte Da-
men und Herren.


(Beifall bei der LINKEN)


Unser Fazit ist: Die Äußerungen der CDU und der
SPD zur kooperativen Sicherheitspolitik bleiben Lip-
penbekenntnisse; denn die NATO-Osterweiterung ist ein
geo- und sicherpolitisches Konfrontationsprojekt, das
weiter vorangetrieben wird. Montenegro fehlt als letzter
Staat der europäischen Mittelmeeranrainer, um das nörd-
liche Mittelmeer zum NATO-Meer zu machen. Dafür
schaut man auch großzügig über die Verletzung westli-
cher Werte hinweg – wie so häufig, wenn es um Interes-
sen und Machtpolitik geht, siehe Türkei.

Wir als Linke fordern ein Umdenken. Beenden Sie
die NATO-Osterweiterung, und fangen Sie endlich mit
einem Kurswechsel an! Beginnen Sie mit einer ehrlichen
sicherheitspolitischen Kooperation für den gesamten eu-
ropäischen Kontinent!

Danke.


(Beifall bei der LINKEN – Karl-Heinz Wange [CDU/CSU]: Die Rede wäre besser zu Protokoll gegangen!)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1820706600

Als nächster Redner spricht Peter Beyer für die CDU/

CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Peter Beyer (CDU):
Rede ID: ID1820706700

Verehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren!
Das Debattenthema jetzt lautet: NATO-Mitgliedschaft
Montenegros. Das ist das wichtigste außenpolitische
Ziel dieses Landes in den vergangenen Jahrzehnten, so
muss man es sagen. Es ist nun erreicht. Es ist ein langer
Weg, an dessen Ende aus ehemaligen Feinden Verbün-
dete werden. Insgesamt ist dieser Prozess in die Westan-
näherung des Landes eingebettet. Dabei stehen auch die
EU-Beitrittsverhandlungen im Zentrum.

Bei allen Herausforderungen, die das Land noch zu
bestreiten hat, ist Montenegro auf einem richtigen Weg
und auf einem guten Kurs hin zur Vollmitgliedschaft in
der Europäischen Union. Man kann sich durchaus die
Frage stellen: Was kann ein sehr kleines Land wie Mon-
tenegro – wir haben es gerade gehört: ich habe es nicht
nachgezählt, mit der Einwohnerzahl Düsseldorfs; – zum
Bündnis, zur NATO beitragen? Wir müssen uns vor Au-
gen halten, dass Montenegro bereits dabei ist, beizutra-
gen, ohne NATO-Mitglied zu sein, und zwar beim Af-
ghanistan-Einsatz ISAF und bei der Nachfolgemission
Resolute Support Mission.

Darüber hinaus hat Montenegro angekündigt, sich im
Rahmen des KFOR-Einsatzes zu beteiligen. Das zeigt,
dass Montenegro bereit ist, seine sicherheitspolitische
Verantwortung mit großer Ernsthaftigkeit wahrzuneh-
men. Es ist natürlich auch klar, dass für das Bündnis, für
die NATO selbst, die Aufnahme von Montenegro sym-
bolischen Charakter hat. Die NATO gibt damit aber auch
ein Statement ab. Zum Beispiel unterstreicht die NATO
damit die Relevanz des Balkans für den Westen, und sie
bekennt sich zur Politik der offenen Tür.

Man muss sich auch vor Augen halten, dass der östli-
che Teil der Adriaküste mit der Aufnahme Montenegros
und der schon im Jahre 2009 erfolgten Aufnahme Al-
baniens und Kroatiens geschlossenes NATO-Gebiet ist.
Herr Kollege Neu, es mag Sie erzürnen, dass Montene-
gro – aus meiner Sicht: richtigerweise – das Ansinnen der
russischen Regierung abgelehnt hat, die Bucht von Ko-
tor für die russische Marine zu nutzen. Dass sie jetzt ge-
schlossen ist, ist, glaube ich, eine richtige Entscheidung.

Es ist in diesem Zusammenhang auch wichtig, zu sa-
gen, dass es darum geht, Stabilität zu schaffen und die
Staaten des ehemaligen Jugoslawiens bei ihrer Westan-
bindung zu unterstützen. Es geht darüber hinaus um die
Zugehörigkeit zur transatlantischen Wertegemeinschaft,
zu der sich Montenegro – übrigens nicht gezwungener-

Dr. Alexander S. Neu

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 207. Sitzung. Berlin, Freitag, den 2. Dezember 201620740


(A) (C)



(B) (D)


maßen, sondern in freier Selbstbestimmung – bekannt
hat.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Es ist ein gutes, wichtiges, aber auch notwendiges
Zeichen, dass sich auch die neue, gerade frisch ins Amt
gekommene Regierung Montenegros zu dieser Wertege-
meinschaft bekannt und zum Ausdruck gebracht hat, dass
das Land dazugehören will, dass es weiterhin den Weg
der Reformen beschreiten will, wie es namentlich durch
den Premierminister Dusko Markovic geschehen ist.

Es ist aber auch richtig, dass wir in unserem Appell
nicht nachlassen dürfen, die Regierung in Montenegro
dabei zu bestärken, dass man den einmal beschrittenen
Weg der Reformen nicht verlassen darf und dass es jetzt
darauf ankommt, dabei nicht nachzulassen. Es müssen
über den Zeitpunkt der Aufnahme in die NATO hinaus –
sie kommt ja erst noch, vielleicht im Frühjahr nächsten
Jahres – alle Anstrengungen unternommen werden, den
Weg von Reformen und Stabilität beherzt und ernsthaft
weiter zu beschreiten.

Vielleicht sogar wichtiger als der Beitritt zur NATO
war letztlich der Vorbereitungsprozess. Denn er hat zum
Beispiel dazu geführt, dass deutliche Schritte unternom-
men wurden, um politisch unbelastete Nachrichtendiens-
te zu schaffen. Dies war – neben der Schaffung von
demokratischen Strukturen und von Rechtsstaatlichkeit –
eine der zentralen Forderungen und Voraussetzungen für
die NATO-Mitgliedschaft. Durch die jetzt umgesetzten
Reformen hat Montenegro seine Bündnisfähigkeit unter
Beweis gestellt. Die vollständige Anpassung der eigenen
Strukturen an NATO-Standards braucht aber noch Zeit,
übrigens auch, was die Schließung von durchaus noch
vorhandenen Fähigkeitslücken anbelangt.

Eine Regierung kann keine Politik an der eigenen
Bevölkerung vorbei machen. Deswegen ist es wichtig,
dass die neue Regierung nicht nachlässt, die eigene Be-
völkerung mit guten Argumenten zu überzeugen – Herr
Kollege Neu hat es beschrieben: in dem Punkt gibt es
eine Spaltung in der Gesellschaft –, dass es richtig war,
den Weg in die NATO und damit zur Stabilität weiter zu
beschreiten.

Meine Damen und Herren, ich möchte mit einem
Punkt, der vorhin schon angeklungen ist, schließen. So-
wohl in der letzten Wahlperiode als auch und gerade in
der neuen Wahlperiode des montenegrinischen Parla-
ments zeigte sich, dass die Opposition, zumindest weite
Teile der Opposition, die Plenarsitzungen boykottiert. Ich
würde mir wünschen – dies vielleicht als Appell von Par-
lamentarier zu Parlamentarier –, dass die Kollegen der
Opposition in Montenegro den politischen Diskurs dort-
hin verlagern, wo er hingehört, nämlich in einen solchen
Saal, ins Parlament. Denn dort findet der demokratische
und parlamentarische Wettstreit der Ideen und der poli-
tischen Überzeugungen statt, und nicht auf der Straße.
Ich glaube, dann kann man konstruktiv zum Wohle des
Landes beitragen.

Vielen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1820706800

Als nächster Redner hat Dr. Tobias Lindner für die

Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das Wort.


Dr. Tobias Lindner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1820706900

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und

Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mit Montene-
gro nehmen wir ein Land in die NATO auf, das kleiner ist
als Schleswig-Holstein. Die Armee von Montenegro ist
gerade einmal 2 000 Soldaten stark. Wenn sich die NATO
dadurch gestärkt fühlen würde, dann wäre das genauso
albern, als würde sich Russland dadurch bedroht fühlen.


(Niels Annen [SPD]: Das stimmt!)


Genauso albern ist es, Herr Kollege Neu, wenn Sie hier
sagen, das würde die Sicherheitsarchitektur in Europa si-
gnifikant verändern.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU und der SPD – Dr. Alexander S. Neu [DIE LINKE]: Applaus von der CDU!)


Es geht bei diesem Beitritt natürlich um Symbolik. Es
geht auch darum – da hätten Sie vielleicht auf Ihren Ge-
nossen Michail Sergejewitsch Gorbatschow hören sollen,
als er von freier Bündniswahl gesprochen hat –, dass wir
uns die Beitrittsbedingungen nicht diktieren lassen. Jedes
Land in Europa hat das Recht auf freie Bündniswahl,


(Jürgen Hardt [CDU/CSU]: Pariser Verträge!)


und jedes Bündnis entscheidet souverän darüber, wer bei
ihm Mitglied sein darf und wer nicht.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN, der CDU/CSU und der SPD)


Montenegro hat sich für die NATO entschieden, und
heute stimmen wir darüber ab, Montenegro in die NATO
aufzunehmen. Aber gerade weil Montenegro dann
NATO-Mitglied sein wird, müssen wir genau hinschauen
und dürfen nicht schweigen.

Wir mussten in diesen Tagen schmerzlich erfahren:
Eine NATO-Mitgliedschaft ist keine Garantie für Demo-
kratie und Rechtsstaatlichkeit.


(Zuruf von der SPD: Das stimmt!)


Wer gedacht hatte, dass die Zeiten einer Militärdiktatur
in Griechenland oder des Franquismus in Spanien vorü-
ber sind und unter den NATO-Mitgliedern nur Demokra-
tien sind, der wird in diesen Tagen von Herrn Erdogan
eines Schlechteren belehrt. Wenn die NATO es ernst da-
mit meint, eine Wertegemeinschaft zu sein, dann darf sie
nicht so leisetreterisch auftreten wie ihr Generalsekretär
kürzlich in Istanbul.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ein NATO-Generalsekretär, der dazu schweigt, dass die
Türkei zurzeit im Nordirak das Völkerrecht bricht, der
dazu schweigt, dass die Türkei Soldaten des NATO-Part-
ners USA militärisch attackiert, der dazu schweigt, dass
türkische NATO-Offiziere so verfolgt werden, dass sie
in anderen NATO-Ländern – auch in Deutschland – um

Peter Beyer

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 207. Sitzung. Berlin, Freitag, den 2. Dezember 2016 20741


(A) (C)



(B) (D)


Asyl bitten müssen, der macht nicht seinen Job, liebe
Kolleginnen und Kollegen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Wer die Wertegemeinschaft NATO ernst nimmt, der darf
an dieser Stelle nicht schweigen.

Man muss sagen: Montenegro ist nicht die Türkei.
Aber mit seinem Beitritt sind wir natürlich nicht aus der
Verantwortung entlassen. In Montenegro herrscht – das
wurde angesprochen – massive Korruption. Die Straf-
verfolgung ist ineffektiv. Auf dem Pressefreiheitsindex
von Reporter ohne Grenzen nimmt das Land den un-
rühmlichen Rang 106 von 180 ein. Im letzten Jahr gab es
19 Übergriffe auf Journalisten. Auch der Mord an Dusko
Jovanovic, dem Eigentümer der größten regimekritischen
Zeitung, im Jahr 2004 ist bis heute nicht aufgeklärt. Es
kann nicht sein, dass wir von der Idee ausgehen: Was im
Bündnis passiert, bleibt im Bündnis. – Im Gegenteil: Wir
müssen Missstände klar und deutlich ansprechen und
Montenegro dabei unterstützen, Korruption zu bekämp-
fen und die Rechtsstaatlichkeit im Land zu verbessern.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN, der CDU/CSU und der SPD)


Lassen Sie mich zum Schluss noch drei Bemerkungen
machen:

Erstens. Wenn es Russland ernsthaft an einer ver-
nünftigen Sicherheitspartnerschaft in Europa gelegen
ist, dann sollte Herr Putin hier keinen Pappkameraden
aufstellen. Sein Land ist durch diesen Beitritt in keiner
Weise bedroht.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Zweitens muss man sagen: Dieser Beitritt ist kein Prä-
judiz für die Länder Georgien und die Ukraine. Deren
Beitritt steht kurz- und mittelfristig nicht auf der Agenda.
Man kann aus dem Beitritt Montenegros nichts ableiten.

Drittens – das ist der letzte Punkt, liebe Kolleginnen
und Kollegen –: Das alles befreit die NATO nicht aus
der Verantwortung, wenn sie von Abschreckung und Di-
alog spricht, den Dialog ernst zu nehmen. Wir müssen
weitere Anstrengungen zeigen, was beispielsweise den
NATO-Russland-Rat und Instrumente der Rüstungskon-
trolle anbetrifft. Da ist die NATO meiner Meinung nach
in der Bringschuld, jede Mühe an den Tag zu legen, um
Russland zu Gesprächen darüber zu zwingen.

Herzlichen Dank.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU und der SPD – Dr. Alexander S. Neu [DIE LINKE]: Das war eine Hoffnungsrede!)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1820707000

Als letzte Rednerin in dieser Aussprache hat Julia

Obermeier für die CDU/CSU-Fraktion das Wort.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Julia Bartz (CSU):
Rede ID: ID1820707100

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! 1949 haben sich zwölf Staaten zur Nordat-
lantischen Allianz zusammengeschlossen. Sie eint nach
wie vor der Wunsch, gemeinsam eine friedliche, freie
und sichere Welt zu gestalten. Zudem versichern sie sich
gegenseitigen Beistand. Das Bündnis verstand und ver-
steht sich auch als Wertegemeinschaft der freien demo-
kratischen Staaten. Die NATO ist als Werte- und Vertei-
digungsgemeinschaft so attraktiv, dass sich mittlerweile
14 weitere Staaten souverän und aus freien Stücken dem
Bündnis angeschlossen haben.


(Dr. Alexander S. Neu [DIE LINKE]: Gegen den Volkswillen!)


So war es auch bei den zwölf Staaten aus Osteuropa.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Sie alle haben ihre Freiheit der Bündniswahl in Anspruch
genommen. Das tut nun auch Montenegro, das im Mai
dieses Jahres das NATO-Beitrittsprotokoll unterzeichnet
hat.

Warum nimmt die NATO Montenegro auf? Militä-
risch hat das kleine Land mit etwa 620 000 Einwohnern
nur überschaubare Fähigkeiten und Ressourcen. Die Ar-
mee, bestehend aus Heer, Marine und Luftwaffe, umfasst
etwa 2 000 Soldaten, verfügt über 16 Transportpanzer,
15 Mehrzweckhubschrauber und 5 Patrouillenboote.
Der Verteidigungsetat beträgt 42 Millionen Euro. Auch
kämpft Montenegro mit wirtschaftlichen Problemen, mit
Korruption und organisierter Kriminalität. Allerdings ist
das Land ein wichtiger Stabilitätsfaktor in der Region.
Montenegro bekräftigt mit dem NATO-Beitritt, dass es
zur Gemeinschaft der rechtsstaatlichen und pluralisti-
schen Demokratien des Westens gehört.


(Dr. Alexander S. Neu [DIE LINKE]: Gott, was für eine Selbstglorifizierung! Widerlich!)


Dieser Kurs wurde durch die Parlamentswahl in Mon-
tenegro im Oktober dieses Jahres bestätigt. Die Demo-
kratische Partei der Sozialisten des prowestlichen Regie-
rungschefs Milo Djukanovic hat mit 41 Prozent zwar die
absolute Mehrheit verfehlt, ist aber als eindeutiger Sieger
aus der Wahl hervorgegangen.


(Dr. Alexander S. Neu [DIE LINKE]: Seit 25 Jahren!)


Die größte Oppositionspartei, die prorussische Demokra-
tische Front, kam auf lediglich 20 Prozent.

Gerade angesichts der langwierigen Annäherung des
Westbalkans an die EU ist die Aufnahme Montenegros in
die NATO ein wichtiges politisches Signal. Wir machen
damit deutlich: „Wer sich zu unseren Werten bekennt,

Dr. Tobias Lindner

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 207. Sitzung. Berlin, Freitag, den 2. Dezember 201620742


(A) (C)



(B) (D)


kann Teil der Gemeinschaft werden“ und „Der Westbal-
kan gehört zur euro-atlantischen Gemeinschaft“.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Josip Juratovic [SPD] – Dr. Alexander S. Neu [DIE LINKE]: Das ist aber traurig! Idealismus pur!)


Dieses Signal schwächt zugleich auch ein Stück weit den
langen Arm Putins, der sich mehr und mehr nach den ver-
meintlichen Bruderstaaten des Westbalkans auszustre-
cken versucht. Insgesamt bedroht die aggressive Politik
Russlands durchaus die europäische Friedensordnung.
Die dramatischen Entwicklungen im Nahen Osten und
in Nordafrika zeigen die massiven sicherheitspolitischen
Veränderungen. Die Bedrohungen haben insgesamt zu-
genommen.

Meine Damen und Herren, gerade in diesen Zeiten
ist die Stärke der NATO gefordert – nach außen, aber
auch nach innen. Die NATO ist, wie ich eingangs sag-
te, auch eine Wertegemeinschaft. Die Grundlagen für die
NATO-Mitgliedschaft sind der Respekt vor der Verfas-
sung, dem Rechtsstaat und den Grundfreiheiten. Wir als
Parlamentarier des Deutschen Bundestages werden nicht
müde, daran immer wieder zu erinnern, auch aktuell ge-
genüber der Türkei, wie wir dies vor zwei Wochen auf
der NATO-Tagung in Istanbul deutlich getan haben.


(Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Alexander S. Neu [DIE LINKE]: War beeindruckend! Sehr beeindruckend!)


– Sie waren ja nicht dabei.

Kommende Woche tagt das NATO-Parlament in Wa-
shington. Aber unabhängig vom Ausgang der Präsident-
schaftswahlen in den USA müssen wir uns in Europa
unserer internationalen Verantwortung stellen und bereit
sein, mehr Lasten zu übernehmen. Wir müssen hier nicht
nur mehr Geld investieren, sondern unsere Mittel auch
wirksamer einsetzen, als wir das bisher getan haben.

Die Europäische Sicherheits- und Verteidigungspoli-
tik steht keinesfalls im Widerspruch, sondern in Ergän-
zung zur NATO. Angesichts der vielen internationalen
Krisen und Konflikte brauchen wir ein starkes Europa
und eine starke NATO.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Josip Juratovic [SPD])


Mit Montenegro erhält die NATO ihr 29. Mitglied. Dass
die NATO wächst und ihre Tür offenbleibt, stärkt die
NATO und stärkt auch die Werte, auf denen die NATO
aufbaut. Das fördert Friede, Freiheit und Sicherheit in
unserer Welt. Deshalb bitte ich Sie um Ihre Zustimmung
zum Gesetzentwurf der Bundesregierung.

Vielen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1820707200

Liebe Kolleginnen und Kollegen, damit schließe ich

die Aussprache.

Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bun-
desregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zu
dem Protokoll vom 19. Mai 2016 zum Nordatlantik-
vertrag über den Beitritt Montenegros. Der Auswärtige
Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksache 18/10332, den Gesetzentwurf der Bundesre-
gierung auf Drucksache 18/9989 anzunehmen. Ich weise
darauf hin, dass es sich hier um ein Vertragsgesetz han-
delt. Deshalb gibt es nur eine zweite Lesung, also keine
dritte.

Zweite Beratung

und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Wer
stimmt dagegen? – Enthält sich jemand? – Das ist nicht
der Fall. Dann ist der Gesetzentwurf mit den Stimmen
der Koalition und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen
gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke angenommen
worden.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 33 auf:

Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Vierten Gesetzes zur
Änderung des Gentechnikgesetzes

Drucksache 18/10459
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft (f)

Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicher-
heit
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenab-
schätzung

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. Gibt es dazu
Widerspruch? – Das ist nicht der Fall. Dann ist das so
beschlossen.

Wenn die Kolleginnen und Kollegen ihre Plätze einge-
nommen haben, beginnen wir mit der Aussprache.

Ich eröffne die Aussprache. Als erster Redner hat der
Bundesminister Christian Schmidt für die Bundesregie-
rung das Wort.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Christian Schmidt, Bundesminister für Ernährung
und Landwirtschaft:

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kollegin-
nen und Kollegen! Die große Mehrheit der Bürgerinnen
und Bürger in unserem Land lehnt den Anbau gentech-
nisch veränderter Pflanzen ab. Deshalb haben wir in un-
sere Koalitionsvereinbarung geschrieben – ich zitiere –:

Wir erkennen die Vorbehalte des Großteils der Be-
völkerung gegenüber der grünen Gentechnik an.

Die Konsequenz, die ich als Bundeslandwirtschafts-
minister aus dem Auftrag der Koalitionsvereinbarung
ziehe, lautet: Ich will und werde den kommerziellen An-
bau Grüner Gentechnik auf unseren Äckern rechtsstaat-
lich organisiert und rechtsstaatlich strukturiert unterbin-
den; ich will keinen kommerziellen Anbau. Schon heute
bauen deutsche Landwirte keine gentechnisch veränder-

Julia Obermeier

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 207. Sitzung. Berlin, Freitag, den 2. Dezember 2016 20743


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ten Pflanzen an, und das ist nach meiner Kenntnis auch
nicht geplant. Ich will, dass das so bleibt. – Dazu nutze
ich die Verbotsmöglichkeiten, die uns nunmehr die so-
genannte Opt-out-Regelung auf europäischer Ebene er-
öffnet. Insofern freue ich mich, heute den Entwurf eines
Gesetzes zur Änderung des Gentechnikgesetzes in die
Beratungen des Hohen Hauses einzubringen. Denn nur
damit können wir den Anbau von gentechnisch veränder-
ten Pflanzen in Deutschland rechtssicher und flächende-
ckend untersagen – jenseits der Frage, wie der Einzelne
zu diesen Vorstellungen steht.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, eines voran: Es
handelt sich um schwierige Rechtsfragen, weil wir bei
dieser Problematik auf verschiedenen Ebenen, die inei-
nander verknüpft sind, arbeiten, handeln und entscheiden
müssen. Aber wenn wir Rechtssicherheit haben wollen,
dann müssen wir eine nationale Regelung treffen, die
vor Gericht auch standhält. Genau deshalb müssen Bund
und Länder beim Anbauverbot für Grüne Gentechnik
gemeinsam Verantwortung tragen. Wir nehmen unsere
Verantwortung für den Bund auch wahr, weil wir den
Ländern helfen wollen, die bei Fehlen einer Bundesre-
gelung das Anbauverbot alleine umsetzen müssten; die
rechtsstaatliche Möglichkeit dazu haben sie. Dieses Prin-
zip der gemeinsamen politischen Verantwortung ist das
zentrale Element des Gesetzentwurfs, und es ist auch die
gemeinsame Linie der Länder und sogar der Umweltmi-
nister- und Agrarministerkonferenz.

Wie genau sieht das Bund-Länder-Zusammenspiel
nach meinem Gesetzentwurf aus? Grundsätzlich soll
der Bund die Anbauverbote flächendeckend für ganz
Deutschland verhängen. Die zwingenden Gründe, die
hierfür nach europäischer Verordnung angeführt werden
müssen, werden von Bund und Ländern gemeinsam zu-
sammengetragen, weil sie regional unterschiedlich be-
wertet und gewichtet werden können. Wir haben kein
einheitliches Land, was die Ökologie und die Topografie
betrifft.


(Karin Binder [DIE LINKE]: Und woran liegt das?)


– Ja, so ist es. Flach ist es mehr bei euch im Norden, wäh-
rend es bei anderen eher bergig ist. Diese Unterschiede
bedingen auch andere Arten.


(Beifall des Abg. Ingo Gädechens [CDU/ CSU])


Wenn man Ökologiepolitik betreiben will, muss man sich
schon die Mühe machen, auf die Details zu schauen, und
darf keinen großen Überflug machen.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Ich freue mich – darin bin ich mir auch sicher –, dass die
Länder gerne mithelfen. Die Länder müssen im eigenen
Interesse eine gemeinsame Regelung erarbeiten.

Das Gesetz gibt dem Bund in allen Verfahrensstufen
eine klare Richtung vor. Sofern alle gesetzlichen Vo-
raussetzungen erfüllt sind, soll der Bund tätig werden,
wenn sich die Länder mehrheitlich dafür aussprechen.
Die Voraussetzungen sind unter anderem zwingende
Verbotsgründe für das gesamte Bundesgebiet sowie ein

Verbot im Einklang mit dem EU-Recht und dem WTO-
Recht, und zwar begründet, verhältnismäßig und nicht
diskriminierend, also so, wie Gesetze bei uns gemacht
werden müssen. Von dieser vorgegebenen Entscheidung
für ein Handeln des Bundes kann nur in Ausnahmefällen
abgewichen werden. Mit den sogenannten Sollvorschrif-
ten geht der Entwurf sogar noch über die Eckpunkte der
Bund-Länder-Arbeitsgruppe, die ich angeregt hatte und
die getagt hat, hinaus, die auch eine Kannregelung zuge-
lassen hätte. Doch das wichtigste Argument für den hier
vorgelegten Entwurf ist: Wir schaffen dadurch Rechts-
sicherheit, dass wir die Verbotsgründe sorgfältig zusam-
mentragen und nicht darauf warten, dass ein Gericht uns
das Verbot aus den Händen schlägt.

Noch ein Wort zu einem aktuellen Thema, den Mais-
sorten, weil ich spüre, dass die eine oder andere Diskus-
sion kommt, die nicht immer von vertiefter Sachkenntnis
geprägt ist, wie ich aufgrund meiner Erfahrungen leider
vermuten muss. Sie werden ab und zu sicherlich eben-
falls Anfragen zu den drei bekannten Maislinien 1507,
Bt 11 und MON 810, die in diesem Haus sehr gut be-
kannt sind, bekommen. Wie Sie wissen, hat Ilse Aigner
den Anbau der Maissorte MON 810 gestoppt. Wenn es
um rechtssichere Anbauverbote geht, sind wir sehr auf-
merksam. Deswegen habe ich in der ersten Phase der
Opt-out-Regelung erreicht, dass zu den bereits gestopp-
ten Sorten kein erneuter Antrag gestellt werden kann.
Das heißt, aktuell besteht – Gott sei Dank – keine Not-
wendigkeit, sozusagen ein Krisengentechnikverbot zu
erlassen. Wir haben nämlich Vorsorge getroffen, sodass
heutzutage faktisch kein gentechnisch veränderter Mais
angebaut werden kann.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Weil ein weiterer Punkt immer wieder von Kritikern
vorgetragen wird, möchte ich auch dazu Stellung neh-
men. Es geht um den Anbau von genveränderten Or-
ganismen zu Forschungszwecken. Wir haben den For-
schungsanbau von der auf den kommerziellen Anbau
ausgerichteten Opt-out-Regelung ausgenommen.


(Elvira Drobinski-Weiß [SPD]: Genau!)


Das ist aber kein Einfallstor für die Gentechnik, sondern
gerade das Gegenteil; denn der Forschungsanbau ist zen-
tral, um uns die Kompetenz für eine eigene Bewertung
von Chancen und Risiken gentechnisch veränderter Or-
ganismen in Deutschland zu erhalten. Vor zwei Jahren,
als in Brüssel noch über die Opt-out-Richtlinie verhan-
delt wurde, hat der Deutsche Bundestag in einem An-
trag die Bundesregierung aufgefordert – ich zitiere mit
Genehmigung der Präsidentin –, „Möglichkeiten zum
nationalen Ausstieg aus dem GVO-Anbau rechtssicher
zu verankern“. Dieser sehr berechtigten und fundierten
Forderung des Parlaments kommen wir mit diesem Ge-
setzentwurf nach. Das Ergebnis liegt Ihnen vor. Wir müs-
sen den Begriff der Rechtssicherheit im Blick behalten.
Deklamation ist das eine, Dauerhaftigkeit das andere.
Dauerhaftigkeit muss hier Vorrang haben.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Bundesminister Christian Schmidt

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 207. Sitzung. Berlin, Freitag, den 2. Dezember 201620744


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Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1820707300

Als nächste Rednerin hat Karin Binder für die Frakti-

on Die Linke das Wort.


(Beifall bei der LINKEN)



Karin Binder (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1820707400

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe

Kolleginnen und Kollegen! Worüber reden wir heute?
Wir reden über ein gefährliches Bürokratiemonster. Mit
einem Eingriff in die DNA der Verwaltung von Bund und
Ländern schafft Minister Schmidt dieses Monstrum, das
er dann das Vierte Gesetz zur Änderung des Gentechnik-
gesetzes nennt. Nach meinem Dafürhalten versucht er,
mit allen Mitteln Gentechnik in der deutschen Landwirt-
schaft durchzusetzen.


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Damit stellt er sich gegen den ausdrücklichen Wunsch
der Bundesländer, die ein Anbauverbot von Gentech-
nik mit einer einfachen, unbürokratischen Regelung
flächendeckend bundesweit haben wollten. Herr Minis-
ter Schmidt stellt sich gegen die Verbraucherinnen und
Verbraucher. Eine überwiegende Mehrheit der Menschen
lehnt, wie Sie es gesagt haben, Gentechnik auf dem Feld,
im Stall und auf ihrem Teller ab.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Er sieht sich offensichtlich in einer Zwickmühle. Der
Gesetzentwurf soll eine EU-Richtlinie umsetzen und re-
geln, wie Deutschland als EU-Mitgliedstaat den Anbau
von genmanipulierten Pflanzen einschränken oder ver-
bieten kann. Da das Bundeslandwirtschaftsministerium
die Umsetzung von EU-Recht nicht verweigern und ver-
hindern kann, hat man sich folgende absurde Regelungen
ausgedacht:

Erstens. Sechs Bundesministerien müssen in kürzester
Zeit nach dem Antrag eines Saatgutkonzerns im Einver-
nehmen entscheiden, ob der Anbau einer Genpflanze in
Deutschland zugelassen werden soll.

Zweitens. In derselben Zeit soll die Mehrheit der Bun-
desländer zwingende Gründe benennen, um ein Anbau-
verbot durchzusetzen.

Drittens. Alle Beteiligten müssen sich innerhalb von
knapp sechs Wochen einigen – wie das gehen soll, ist mir
absolut unklar –:


(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


das Bundesministerium für Ernährung und Landwirt-
schaft im Einvernehmen mit Bildung und Forschung, mit
Wirtschaft und Energie, mit Arbeit und Soziales, mit Ge-
sundheit und letztendlich auch mit Umwelt, Naturschutz
und Bauen. Ich weiß nicht, wie das gehen soll. Wenn in
dieser Zeit keine Einigung erzielt wird – was man mit
hoher Wahrscheinlichkeit annehmen kann –, müsste je-
des der 16 Bundesländer selbst ein Anbauverbot erlas-
sen. Das alles gilt für jeden einzelnen Antrag und für jede
neue Gentech-Pflanze der Konzerne. Das ist ein absurdes

Arbeitsbeschaffungsprogramm, nicht nur für die Land-
wirtschafts- und Umweltministerinnen und -minister der
Länder.

Die Folgen sind gravierend: Deutschland wird zu ei-
nem Gentech-Flickenteppich. Einzelne Bundesländer
erlassen ein Anbauverbot, andere möglicherweise nicht.
Das Problem ist: Wind und Bienen interessiert das nicht.
Sie tragen die manipulierten Pollen trotzdem über die
Ländergrenzen hinweg. Ein gentechnikfreier Anbau wird
damit unmöglich. Eine saubere Ernte ist nicht mehr ge-
währleistet. Der ökologische Landbau, bei dem Gentech-
nik ausgeschlossen bzw. verboten ist, kann nicht mehr
für saubere Erzeugnisse garantieren. Die Kennzeichnung
„Ohne Gentechnik“ ist damit für die Katz’. Hier wird
Verbraucherinnen und Verbrauchern der Genuss von
Gentechnik über bürokratische Winkelzüge aufgezwun-
gen. Das macht die Linke nicht mit, Herr Schmidt.


(Beifall bei der LINKEN)


Herr Minister, wenn Sie die Grüne Gentechnik unbe-
dingt haben wollen, dann sagen Sie es auch. Sagen Sie es
vor allem Ihren Bauern in Bayern. Ich kenne kein Bun-
desland, in dem es schon seit vielen Jahren so viele gen-
technikfreie Regionen gibt wie im schönen Bayern.


(Christian Schmidt, Bundesminister: Es gibt nur gentechnikfreie Regionen! Sagen Sie die Wahrheit!)


Aus gutem Grund: Die Menschen wissen um die Gefah-
ren, die mit solchen Eingriffen in die Natur verbunden
sind.

Nur zur Erinnerung: Gentechnik in der Landwirtschaft
schafft Probleme; sie löst sie nicht. Gentechnik lohnt sich
nur auf großen Anbauflächen. Monokulturen werden ge-
fördert. Das führt erfahrungsgemäß zu einem höheren
Einsatz von Pestiziden. Das krebsverdächtige Glyphosat
gefährdet nicht nur Mensch und Umwelt; auch die Viel-
falt von Insekten und Kleinstlebewesen geht zurück. We-
nige gentechnisch hochgezüchtete Pflanzen verdrängen
viele alte robuste Sorten. Dadurch wird die Vielfalt der
Nutzpflanzen reduziert. Das gefährdet auch langfristig
die Ernährungs- und Versorgungssicherheit der Bevölke-
rung.

Nach wie vor sind die Risiken der Grünen Gentechnik
nicht abschließend und ausreichend erforscht. Letztend-
lich geraten Bauern durch diese patentierten Genpflanzen
in die Abhängigkeit von Agrarkonzernen, die mit Kne-
belverträgen die Existenzen kleinbäuerlicher Landwirte
gefährden. Dass Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von
der SPD, so etwas mitmachen, ist für mich nicht nach-
vollziehbar. Wir fordern deshalb, dass die einfache Mehr-
heit der Bundesländer für ein deutschlandweites Anbau-
verbot gentechnisch manipulierter Pflanzen ausreicht.
Ziehen Sie diesen Gesetzentwurf zurück!

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 207. Sitzung. Berlin, Freitag, den 2. Dezember 2016 20745


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Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1820707500

Elvira Drobinski-Weiß hat als nächste Rednerin für

die SPD-Fraktion das Wort.


(Beifall bei der SPD)



Elvira Drobinski-Weiß (SPD):
Rede ID: ID1820707600

Frau Präsidentin! Sehr verehrte Kolleginnen und Kol-

legen! Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer auf der Tribüne!
Vor etwas mehr als einem Monat habe ich hier das letzte
Mal zum Thema Gentechnik gesprochen. Damals habe
ich gesagt: Wir werden den Gesetzentwurf genau prü-
fen. – Inzwischen haben wir genau geprüft. Eines kann
ich ganz sicher sagen: So wie das Gesetz jetzt aussieht,
wird es mit uns nicht durchgehen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie der Abg. Karin Binder [DIE LINKE])


Wir – das gilt bestimmt auch für den Minister und den
Koalitionspartner – wollen ein rechtssicheres bundeswei-
tes Verbot von Gentechnik auf den Weg bringen.


(Beifall bei der SPD)


Was wir nicht wollen, ist ein Flickenteppich, in dem eini-
ge Bundesländer Anbauverbote erlassen und andere eben
nicht, sei es aus politischen Gründen, weil der Prozess
zu kompliziert ist, sei es, weil die Behörden mit Klagen
von Gentechnikkonzernen überzogen werden, denen sie
nicht standhalten können; denn Pollen machen schließ-
lich nicht an der Landesgrenze halt.

Herr Minister Schmidt, Sie haben immer wieder und
auch gerade zu Beginn Ihrer Rede betont, dass Sie das
Gesetz für die Länder und mit den Ländern machen wol-
len. Gegen diesen Entwurf aber laufen die Länder Sturm.
Sie werden die zahllosen Änderungsanträge aus dem
Bundesrat wohl kennen. Ein Gesetz, das so sehr auf die
Mitwirkung der Länder baut, muss deren Bedenken be-
rücksichtigen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Bedenken Nummer eins: In Phase 1, in der das BMEL
die Saatgutkonzerne bitten soll, Deutschland von An-
bauanträgen auszunehmen, müssen sechs Ministerien
ein Einvernehmen herstellen. Das ist kompliziert, das
ist zeitaufwendig und störanfällig. Keines der Bundes-
länder, egal in welcher Regierungskoalition, will diese
Regelung. Das Landwirtschafts- und das Umweltminis-
terium daran zu beteiligen, das reicht völlig.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Warum um Himmels willen soll zum Beispiel das
Forschungsministerium eingebunden werden? Die For-
schung ist doch vom Verbot überhaupt nicht betroffen.
Im Gegenteil: Sie ist ausdrücklich ausgenommen. Ich
finde es reichlich befremdlich, wenn so getan wird, als
bedeute ein Verbot des kommerziellen Anbaus für gen-
technisch verändertes Saatgut auf freiem Feld, das die
Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger in diesem Land
will, das Ende des Forschungsstandorts Deutschland.

Das ist einfach Unfug. Wer so argumentiert und gleich-
zeitig immens hohe Hürden für Anbauverbote ins Gesetz
schreibt, ist offenbar gar nicht wirklich bemüht, für gen-
technikfreie Äcker zu sorgen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Wenn in der Kabinettssitzung dem Vorsorgeprinzip
dann noch mal eben ein Innovationsprinzip in der Geset-
zesbegründung an die Seite gestellt wird, etwas, was sich
unter anderem die großen Chemie- und Saatgutkonzerne
ausgedacht haben, dann frage ich mich schon, wohin das
Landwirtschaftsministerium bzw. das Forschungsminis-
terium eigentlich will.


(Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wo es seine Texte herbekommt!)


Geht es hin zu einer Aufweichung des Vorsorgeprinzips?
Das kann wohl nicht allen Ernstes das Ziel sein.

Für die SPD gilt: Der Schutz der Umwelt, der Ökosys-
teme und der Gesundheit der Menschen und Tiere hat
oberste Priorität. Sie, Herr Minister, haben selbst immer
betont, Phase 1 solle der Regelfall sein; denn sie bietet
hohe Rechtssicherheit. Ich sehe es deshalb als unsere
Pflicht an, Phase 1 so praktikabel zu machen, dass sie
überhaupt angewendet werden kann. Wir brauchen eine
schlanke, eine unbürokratische, eine klare und eine
schnell umsetzbare Regelung.


(Beifall bei der SPD)


Das zweite große Problem in diesem Entwurf ist die
Aufgabenverteilung bei der Formulierung der Begrün-
dungen für die Anbauverbote. Die Länder sagen ganz
klar, dass sie damit überfordert sind. Ja, kein Wunder, in
den Landesministerien ist in der Regel ein einziger Refe-
rent dafür zuständig, der meist auch noch andere Aufga-
ben hat. Der soll dann im Zweifelsfall gegen Monsanto
oder Bayer antreten und darlegen, warum die Begrün-
dung nicht wasserdicht ist. Das Bundesministerium und
die Bundesbehörden haben einen großen Personalstab
und ganz andere Ressourcen. Deshalb muss im Gesetzes-
text unmissverständlich klargestellt werden: Die Länder
müssen nur die wesentlichen Punkte ihrer Entscheidung
zuliefern, und in Phase 2, dem gesetzlichen Verbotsver-
fahren, trägt der Bund die Verantwortung für die Begrün-
dung. Die Länder werden vom Bund unterstützt. Das,
denke ich, ist doch in unser aller Interesse, wenn wir
tatsächlich gentechnikfreie Äcker in Deutschland haben
wollen.

Ich hoffe sehr, dass wir gemeinsam noch zu einer gu-
ten Lösung kommen, liebe Kolleginnen und Kollegen
von der CDU/CSU. Ich möchte an das erinnern, was im
Koalitionsvertrag steht – auch der Minister hat vorhin da-
ran erinnert –: Wir nehmen die Bedenken der Menschen
gegenüber der Grünen Gentechnik ernst.


(Beifall bei der SPD)


Wenn wir es wirklich ernst meinen, müssen wir jetzt
auch liefern. Dazu braucht es noch ein paar Änderungen,
über die wir sicher konstruktiv sprechen werden. Wie hat
es unser Kollege Peter Struck früher so treffend formu-

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 207. Sitzung. Berlin, Freitag, den 2. Dezember 201620746


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liert: Kein Gesetz verlässt den Bundestag so, wie es ein-
gebracht worden ist.

In diesem Sinne: Vielen Dank.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1820707700

Das Wort hat der Kollege Harald Ebner für die Frakti-

on Bündnis 90/Die Grünen.


Harald Ebner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1820707800

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und

Kollegen! Herr Minister Schmidt, das Loblied, das Sie
gerade auf Ihr Gesetz gesungen haben, hat sich schön an-
gehört. Es freut uns auch, dass Sie sich heute so freuen –
aber es gibt dazu leider keinen Anlass. Denn gut findet
dieses Gesetz außer Ihnen wirklich niemand –


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


wir nicht – das wundert Sie nicht –, auch die SPD angeb-
lich nicht – wo war eigentlich Ministerin Hendricks beim
Kabinettsbeschluss? –, die Bundesländer genauso wenig
wie die Umwelt- und Bioverbände und sogar der Deut-
sche Bauernverband nicht. Niemand hält dieses Gesetz
also für gelungen, Herr Minister.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Das stimmt allerdings nicht ganz; denn die Indus-
trie freut sich. Von der haben Sie sich ja – wir haben es
schon gehört – ganz neue Begriffe ins Gesetz diktieren
lassen. Auf deren ausdrücklichen Wunsch wollen Sie mit
einem nicht definierten „Innovationsprinzip“ das Vorsor-
geprinzip abschießen. In einer Nacht-und-Nebel-Aktion
haben Sie einen Abschnitt zur neuen Gentechnik in letz-
ter Minute vor der Kabinettsabstimmung in das Gesetz
geschmuggelt. Die Nadel, mit der das gestrickt wurde,
war so heiß, dass Sie dann auch noch den falschen Text
an den Bundesrat übermittelt haben. Das ist ja wirklich
oberpeinlich.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Was steht in dem Abschnitt, den auch die Verbände
und Ihr Koalitionspartner offenbar lieber nicht zu Ge-
sicht bekommen sollten? Sie wollen tatsächlich neue
Gentechnikverfahren nicht wie Gentechnik behandeln.
Sie wollen tatsächlich neue Gentechnikpflanzen unkon-
trolliert auf unsere Äcker und Teller lassen. Aber auch
neue Gentechnik ist Gentechnik; da gibt es kein Vertun.
Das haben juristische Gutachten auch im Auftrag der
Bundesregierung schon längst klargestellt. Und wo Gen-
technik drin ist, muss auch „Gentechnik“ draufstehen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Dass Bayer und Monsanto das nicht wollen, konnten
wir diese Woche in einem großen taz-Interview mit Bay-
er-Vorstand Condon lesen. Die wollen Gentechnik ohne
Regulierung und Auflagen anwenden, und Sie, Herr Mi-
nister, machen das mit und schreiben es gleich dienstbe-
flissen in Ihr Gesetz.

Aber auch ohne diesen Coup ist Ihr Gesetz schlicht
untauglich. Ein derart vorsätzlich dysfunktionales Gesetz
ist eine Zumutung für jeden Gesetzgeber. Sie haben die
Eckpunkte aus den Verhandlungen mit den Ländern eben
nicht berücksichtigt. Das hat auch der Ausschuss für
Agrarpolitik und Verbraucherschutz des Bundesrates am
Montag eindrucksvoll klargestellt. Sie haben Schikanen
ins Gesetz eingebaut, die Anbauverbote effektiv verhin-
dern, und stattdessen die Einfallstore für Gentechnik weit
geöffnet. Sage und schreibe sechs Bundesministerien
müssen sich in kurzer Frist über Gründe für Anbauver-
bote einigen, und da schaffen Sie ein explizites Vetorecht
für einzelne Ministerien, obwohl ein Handeln der Bun-
desregierung reichen würde. Wie soll das denn klappen,
wenn man sich schon über Einzelregelungen für dieses
Gesetz über ein Jahr nicht einigen kann?


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Karin Binder [DIE LINKE])


Außerdem wollen Sie den Bundesländern die ganze
Last der juristischen Begründung aufbürden. In Phase 1,
wo das nach EU-Recht überhaupt nicht erforderlich ist,
satteln Sie ohne Not auf EU-Recht drauf und erschwe-
ren das Verfahren. Aber zum Ausstieg aus dem Ausstieg
reicht schon ein einzelnes Bundesland, und schwups
wird ein bestehendes nationales Anbauverbot wieder
aufgehoben. Dieses Verbot wurde zunächst mühsam auf
den Weg gebracht, einer schert aus, und ein Land kippt
das ganze Verbot. Das ist kein Anbauverbot. Das ist doch
ein Pseudogesetz.

Verbot geht nimmer, Anbau immer. Da hilft es auch
nicht, dass aktuell drei Genmaissorten bereits in Pha-
se 1 vom Anbau in Deutschland ausgenommen sind. Der
Gentechnik-Flickenteppich ist damit vorprogrammiert.
Das kritisiert auch der Deutsche Bauernverband.


(Christian Schmidt, Bundesminister: Hören Sie doch auf mit dem Quatsch!)


Herr Schmidt, Sie wollten doch von Anfang an nicht,
dass es rechtssichere, flächendeckende Anbauverbote
auf Bundesebene gibt. Ihr Credo ist doch ohnehin: Soll
doch jeder machen, was er will! Außerhalb Bayerns die
Sintflut!

Die Anbauverbote sollen ja – das hat die SPD gerade
schon gesagt – ganz offensichtlich nicht funktionieren.
Mit den Worten „mehr Murks als Kompromiss“ oder
„Angst vor Konzernen“ haben die Medien Ihr Gesetz
kommentiert. Diesen Murks braucht außer Bayern, Bay-
er und Monsanto wirklich niemand.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, Ihr
Koalitionspartner kämpft ganz offensichtlich für Gen-
technikanbau in Deutschland.


(Zuruf von der CDU/CSU: Unverschämte Aussage!)


Befreien Sie sich spätestens jetzt aus der großen Gentech-
nik-Koalition. Besser gar kein Gesetz als dieses schlech-
te Gesetz. Dieses Gesetz darf – frei nach Struck – den
Bundestag gar nicht erst verlassen. Die bessere Alterna-

Elvira Drobinski-Weiß

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 207. Sitzung. Berlin, Freitag, den 2. Dezember 2016 20747


(A) (C)



(B) (D)


tive gibt es ja schon. Es gibt den Gesetzentwurf des Bun-
desrates. Den haben Sie einfach liegen lassen. Beenden
Sie doch endlich diesen Affront gegenüber den Bundes-
ländern! Lassen Sie uns zusammen diesen vernünftigen
und im Übrigen funktionsfähigen Gesetzentwurf für dau-
erhaft gentechnikfreie Äcker in Deutschland umsetzen,
und schreddern Sie Ihr verschwurbeltes Machwerk, Herr
Minister!

Danke schön.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1820707900

Das Wort hat der Kollege de Vries für die Fraktion der

CDU/CSU.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Kees de Vries (CDU):
Rede ID: ID1820708000

Frau Präsidentin! Liebe Zuhörer auf den Tribünen!

Meine sehr verehrten Kollegen und Kolleginnen! Ich
habe hier einen wunderbaren Vortrag liegen, den ich jetzt
in die Tonne kloppen kann. Ich habe mich einfach geirrt.
Ich habe gedacht, dass man, wenn eine Koalition einen
Gesetzentwurf beschlossen hat, darauf vertrauen kann.
Offenbar ist das nicht der Fall.


(Widerspruch bei der SPD – Elvira DrobinskiWeiß [SPD]: Wir sind das Parlament!)


– Natürlich sind wir das Parlament. Aber ich kann doch
davon ausgehen, dass auch die SPD in Abstimmung mit
ihrem Minister ist. Aber anscheinend ist das nicht der
Fall.


(Zuruf von der SPD: Das ist ja nicht unser Minister! – Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie können ja gleich die Koalition aufkündigen! – Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es spricht der Parlamentsvertreter der chemischen Industrie!)


Frau Binder hat gefragt, worüber wir hier eigentlich
reden. Ich will mal versuchen, klarzustellen, worüber wir
hier eigentlich reden. Wir reden hier über ein Verbot, das
fachlich eigentlich nicht zu begründen ist. Ich hätte das
hier in einem anderen Zusammenhang nennen wollen,
aber auch Sie alle haben diesen Prospekt bekommen. Da
steht: „Eine Blockade der Gentechnik ist ein Verbrechen
gegen die Menschlichkeit.“


(Zurufe von der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Unterschrieben, meine sehr verehrten Damen und Her-
ren, ist das inzwischen von mehr als 140 Nobelpreisträ-
gern. Darin gipfelt diese Problematik jetzt. Zum Glück
gibt es in Europa noch vernünftige Leute. Das, was wir
eigentlich wollten, nämlich ein Totalverbot in Europa, ist
nicht zu handhaben. Da haben wir es.


(Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Also Sie wollen die Gentechnik ha ben?)


– Ja, Herr Ebner, ich sehe die Gentechnik nicht als dieses
gefährliche Schreckgespenst, das Sie immer an die Wand
malen und womit Sie offenbar auch Erfolg haben. – So-
gar die SPD hat sich irreführen lassen.


(Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber was ist mit Ihrem Minister?)


Was soll das hier eigentlich?

Frau Drobinski-Weiß, nehmen Sie es mir nicht übel,
aber: Wenn Sie Ihren Verstand und Ihre Vernunft, die Sie,
glaube ich, doch haben, genutzt hätten, dann hätten Sie
hier heute etwas anderes vorgetragen. Wir müssen an-
scheinend damit leben, dass wir diese Diskussion heute
noch nicht abschließen können. Das wollte ich eigentlich
vortragen.


(Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja! Tun Sie das!)


Wir werden wahrscheinlich noch einmal über etwas
diskutieren müssen, was nach wie vor fachlich eigentlich
nicht zu begründen ist. Aber wir haben der Opt-out-Re-
gelung zusammen zugestimmt. Lassen Sie mich das auch
klar sagen: Wir haben das hier beschlossen, und zwar
nicht aus fachlichen Gründen. Wir haben nur gesagt:
Wenn 88 Prozent unserer Bevölkerung dagegen ist, dann
müssen wir darauf eingehen. Das ist keine fachliche Be-
gründung. Jetzt sind wir in der Verlegenheit, einen Be-
schluss, den wir nicht fachlich begründen können,


(Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie vielleicht nicht, wir schon!)


fachlich begründen zu müssen. Da kommt es. Da hat
unser Minister einen sehr vernünftigen Kompromiss
gefunden. Er sagt: Okay, wir übernehmen jetzt die Ver-
antwortung. Aber ich sehe das Problem, dass wir die
Begründung nicht liefern können. Liebe Länder – ich
wiederhole: 88 Prozent der Bevölkerung sind dagegen –,
wir müssen das aber territorial begründen. Also gebe ich
Ihnen die Chance, das noch zu machen.


(Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die beschweren sich!)


Herr Ebner, Sie sagen: Affront gegen die Länder.
Gleichzeitig sagen Sie: Wir bekommen die Einheitlich-
keit in den Ländern nicht hin. – Was ist denn eigentlich
mit den Ländern? Sind die nun für oder gegen Gentech-
nik?

Wenn 88 Prozent gegen Gentechnik sind, wo liegt
dann das Problem mit dieser Gesetzgebung? Ich verstehe
das nicht. Wenn das einmal kippt – das ist wahrscheinlich
das, wovor Sie Angst haben, nämlich dass die Menschen
irgendwann einmal zur Vernunft kommen und anders
nachzudenken anfangen –, dann wäre es angebracht,
noch einmal neu zu diskutieren.


(Mechthild Rawert [SPD]: Nichts gegen meine Berlinerinnen und Berliner!)


Wo liegt das Problem?


(Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Einer reicht! – Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Warum machen Sie Harald Ebner Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 207. Sitzung. Berlin, Freitag, den 2. Dezember 201620748 dann keinen großflächigen Versuchsanbau in Sachsen-Anhalt?)


(A) (C)


(B) (D)


Ich habe Ihnen immer wieder gesagt: Ich bin nicht für
die Herbizidresistenz. Ich sehe zurzeit kein GVO-Pro-
dukt, das ich als Landwirt anbauen will. Aber ich sage
auch: Diese Grüne Gentechnik bietet uns Chancen.
Irgendwo in meinem Vortrag sage ich auch immer:
Deutschland war immer führend. Über Jahrhunderte war
Deutschland bei der Entwicklung moderner Landwirt-
schaft führend.


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Alles altmodische Landwirtschaft aus dem letzten Jahrhundert!)


Dazu haben unter anderem Gregor Mendel und Justus
von Liebig wesentlich beigetragen. Jetzt wollen Sie diese
Position, diese Ausnahmeposition Deutschlands einfach
hinwegfegen.


(Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Technologiegläubig!)


Ich habe gedacht, dass wir diese eigentlich schon
überholte Diskussion hier nicht mehr führen. Die kon-
ventionelle Grüne Gentechnik – so nenne ich sie jetzt
einmal – ist eigentlich schon vorbei. Wir reden eigent-
lich schon über die neue Gentechnik und über die neuen
Züchtungstechniken.


(Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau! Da haben Sie ja was ins Gesetz geschmuggelt!)


– Genau. CRISPR/Cas9, ohne Artensprung, Herr Ebner!
Aber auch das wollen Sie schon verbieten. Ich verstehe
die Welt hier nicht mehr.


(Mechthild Rawert [SPD]: Das passiert manchmal!)


Wir leben immer noch in einer Demokratie.


(Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist gut so, und das soll auch so bleiben!)


Wenn es dann notwendig ist, dass wir noch einmal dis-
kutieren, dann soll es eben so sein. Meine Aussage ist:
Das von unserem Minister vorgelegte Gesetz ist ausge-
wogen und sicher. Es ist das Resultat eines demokrati-
schen Prozesses, wie er zu führen ist, wenn in diesem
Hohen Hause unterschiedliche Meinungen herrschen.
Ich dachte: Wir haben einen Beschluss. – Ich stehe zu
diesem Beschluss.


(Dagmar Ziegler [SPD]: Es ist ein Entwurf!)


Ich bitte hier immer noch um Zustimmung zu diesem Be-
schluss. Alles andere muss ich jetzt abwarten.

Vielen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU – Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann müssen wir fast auch noch applaudieren! Das war so schön klar pro Gentechnik!)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1820708100

Das Wort hat der Kollege Matthias Miersch für die

SPD-Fraktion.


(Beifall bei der SPD)



Dr. Matthias Miersch (SPD):
Rede ID: ID1820708200

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Das ist doch wieder eine Sternstunde der Demokratie.
Die Zuschauerinnen und Zuschauer können sehen, wie
unterschiedlich die Meinungen sind. Nur, Herr De Vries,
für Ihre vielen Kolleginnen und Kollegen der CDU/CSU
will ich in Anspruch nehmen: Es sind ganz wenige, die
über Grüne Gentechnik so denken wie Sie. Viele, glaube
ich, die in diesem Raum sitzen, haben genau die gleiche
Kritik, die wir hier auf dem linken Spektrum geäußert
haben.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ganz viele in diesem Haus haben ein großes Selbst-
bewusstsein und sagen: Wenn die Regierung einen Ge-
setzentwurf vorlegt, dann fängt die Arbeit des Parlaments
erst an. Wir sind hier doch nicht ein Abnickverein, son-
dern wir beschäftigen uns mit Gesetzen; das ist unsere
Aufgabe.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

NIS 90/DIE GRÜNEN]: Das wäre doch mal
schön!)

Um Ihnen noch ein bisschen Orientierungsmöglich-
keit zu geben – Sie haben von Spickzetteln gesprochen –:
Einen Spickzettel sollten Sie sich immer vornehmen, und
zwar ganz am Anfang einer Legislaturperiode, und das
ist der Koalitionsvertrag.


(Sybille Benning [CDU/CSU]: Genau!)


In diesem Koalitionsvertrag steht eindeutig, dass wir die
Sorgen und Ängste ernst nehmen. Insofern passt Ihre
Rede überhaupt nicht zu dem, was wir am Anfang dieser
Legislaturperiode miteinander vereinbart haben, Herr De
Vries.


(Beifall bei der SPD)


Nun zu dem Gesetzentwurf. Elvira Drobinski-Weiß
hat das Notwendige in Sachen Durchsetzungsfähigkeit
bereits gesagt. Herr Schmidt, als Kollege von Ihnen,
als Jurist, sage ich Ihnen: Ich werde immer ein biss-
chen misstrauisch, wenn das Argument kommt: Es muss
rechtssicher sein.


(Christian Schmidt, Bundesminister: Ach so?)


Rechtssicherheit würde ich mir in der Form wünschen,
dass Sie zum Beispiel da, wo Sie feststellen können, dass
die Bundesrepublik Deutschland gegen Gesetze verstößt,
aus Ihrem Hause heraus ganz schnell Abhilfe schaffen.
Warum machen wir nichts gegen das Vertragsverlet-

Kees de Vries

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 207. Sitzung. Berlin, Freitag, den 2. Dezember 2016 20749


(A) (C)



(B) (D)


zungsverfahren, bei dem es um die Nitratbelastung des
Grundwassers geht?


(Beifall bei der SPD und der LINKEN sowie des Abg. Peter Meiwald [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Wenn man dem Recht anhängt, müsste man als Minister
doch ganz schnell tätig werden, oder nicht?

Insofern glaube ich: Wir müssen schon ein bisschen
Mumm haben miteinander; denn hier – da haben Sie
vollkommen recht – betreten wir teilweise juristisches
Neuland. Aber warum, Herr Minister Schmidt, machen
Sie sich so klein? Es fehlt irgendwie nur noch, dass Sie
auch die Verteidigungsministerin noch fragen, wenn Sie
ein Anbauverbot durchsetzen wollen.


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Pollen fliegen über Grenzen! Gute Idee!)


Eine Einvernehmensregelung mit sechs Ministerien! Wa-
rum haben Sie nicht den Mumm und sagen: „Wir sind
das federführende Ministerium. Wir wollen Landwirte
vor Kontaminationen schützen. Deswegen machen wir
das selbst“? Wir brauchen doch kein Einvernehmen.
Dann fragen Sie vielleicht auch noch den Verkehrsmi-
nister, weil Sie Rapspflanzen an den entsprechenden
Grün flächen feststellen können. Das kann doch kein wir-
kungsvoller Vorschlag sein, Herr Minister Schmidt.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Zuruf des Abg. Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


– Harald Ebner, jetzt lass mich doch erst einmal reden.
Wenn du eine Frage hast, dann frage.


(Heiterkeit bei der SPD)


Ich beantworte sie dir auch, ich brauche noch ein paar
Minuten.


(Heiterkeit bei der SPD)


Aber eine Sache, Herr Minister Schmidt, müssen wir
miteinander sehr genau besprechen. Der Kollege Ebner
hat in der Tat recht. Es ist in einer, soweit ich recherchiert
habe, Nacht-und-Nebel-Aktion eine Begrifflichkeit in
den Begründungstext gekommen,


(Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja!)


die lautet, dass wir neben dem Vorsorgegrundsatz plötz-
lich das sogenannte Innovationsprinzip berücksichtigen
sollen. Hier, liebe Kolleginnen und Kollegen, muss ich
sagen, gehen alle Alarmglocken an. Dann sehen wir uns
einmal an, was das eigentlich soll. Wir haben gerade im
Rahmen der Debatten um Freihandelsabkommen immer
wieder rauf und runter betont, wie wichtig das Vorsor-
geprinzip der Bundesrepublik Deutschland ist. Das Bun-
desverfassungsgericht hat ein hervorragendes Urteil in
Sachen Grüne Gentechnik gefällt, wo es vor allem mit
dem Vorsorgeprinzip, also mit dem Einschätzungsspiel-

raum des Gesetzgebers, operiert. Wie kommt es nun zu
dem „Innovationsprinzip“?


(Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das wüssten wir auch gerne!)


Elvira Drobinski-Weiß und ich haben den Wissen-
schaftlichen Diensten einen Auftrag gegeben. Das Ergeb-
nis ist sehr spannend zu lesen.


(Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich habe die Quelle! VCI!)


Es fängt offenkundig mit einem Brief der Wirtschaft vom
24. Oktober 2013 an die EU-Institution an, wo man sagt,
es muss so etwas wie ein Innovationsprinzip neben das
Vorsorgeprinzip gestellt werden, um Innovationen wal-
ten zu lassen. Da haben sie auf Granit gebissen. Dann
haben sie am 4. November 2014 einen weiteren Brief ge-
schrieben. Dann gibt es ein sogenanntes European Risk
Forum. Auch dort wird immer wieder lobbyiert. Bis jetzt
habe ich keine gesetzliche Grundlage gefunden, die das
im Rahmen der EU aufgreift.


(Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Gibt es auch nicht!)


Das deutsche Bundeslandwirtschaftsministerium macht
als Erstes überhaupt – wir werden das erforschen; ich
habe erst gestern das Gutachten bekommen – den Ver-
such, indem sie in diesem Gentechnikgesetz neben dem
verfassungsrechtlich verbrieften Vorsorgegrundsatz das
„Innovationsprinzip“ benennt.

Herr Minister Schmidt, wir werden viel miteinander
aufzuklären haben, was Sie damit machen.


(Beifall bei der SPD – Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Da ist eine Erklärung nötig!)


Ich sage Ihnen allerdings, die SPD-Bundestagsfraktion
wird Ihnen das nicht durchgehen lassen. Der Vorsorge-
grundsatz ist für uns unverrückbar.

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sehr schön! Dann klatschen wir doch auch einmal! Die Opposition in der Großen Koalition!)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1820708300

Der Kollege Stephan Albani hat für die CDU/

CSU-Fraktion das Wort.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Stephan Albani (CDU):
Rede ID: ID1820708400

Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kol-

legen! Meine Damen und Herren! Ein Forschungspoliti-
ker verirrt sich unter die Landwirte.


(Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir ahnen schon, was kommt!)


Dr. Matthias Miersch

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 207. Sitzung. Berlin, Freitag, den 2. Dezember 201620750


(A) (C)



(B) (D)


– Alles gut. – Den Forschern ist zu eigen, dass sie zwar
genauso leidenschaftlich, aber in der Regel wesentlich
ruhiger sind.


(Beifall bei der CDU/CSU – Zurufe von der SPD: Oh!)


Ich möchte an dieser Stelle und zu diesem Zeitpunkt
im Jahr einen Vorschlag für zwei Unworte machen. Das
eine ist „postantibiotisch“, und das andere ist „postfak-
tisch“.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Um es einmal deutlich zu machen: Wer diese Worte
führt, verniedlicht zwei Dinge, die uns große Angst ma-
chen sollten. „Postantibiotisch“ bedeutet, dass wir an die-
ser Stelle keine Antibiotika, keine Möglichkeiten mehr
haben. Wir kapitulieren vor den Resistenzen. Das darf
nicht sein.


(Beifall der Abg. Kordula Kovac [CDU/ CSU])


Das heißt, an dieser Stelle müssen wir vonseiten der
Forschung in Zukunft neue Wirkstoffe entwickeln. Wir
haben mit diesem Haushalt erste Schritte in die richtige
Richtung gemacht.

Das zweite Wort macht mir viel größere Sorge. „Post-
faktisch“ bedeutet, dass wir uns mehr von Emotionen,
mehr von Sorgen und Ängsten leiten lassen als von den
Fakten, die wir in aller Gemütsruhe bewerten.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Den Gesetzentwurf, der hier vorliegt, fasse ich so zu-
sammen, dass er auf der einen Seite die Gentechnikskep-
sis innerhalb der Bevölkerung bewertet und berücksich-
tigt, auf der anderen Seite aber die föderale Zuständigkeit
in Deutschland weiterhin wahrt und zu guter Letzt die
breiten Ressortkompetenzen der Bundesregierung vom
Bundesministerium für Ernährung für Landwirtschaft bis
hin zum BMBF mit in die Entscheidung einfließen lässt.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Barbara Lanzinger [CDU/CSU]: Das ist wichtig!)


Ob das dann sechs sein müssen oder nicht, darüber kann
man diskutieren, aber mir ist es insbesondere wichtig,
dass die Forschung mit ihrer Kompetenz in diesem Zu-
sammenhang gewahrt bleibt. Das ist wichtig, und das ist
richtig so.


(Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es geht um kommerziellen Anbau und nicht um Forschung!)


Wir wollen auch über die Zukunft der Landwirtschaft
und der Pflanzenzüchtung reden. Anders als Rote und
Weiße Gentechnik hat die Grüne Gentechnik ein erheb-
liches Problem; das wissen wir alle nur zu gut. Früher
war es bei Innovationen in der Roten Gentechnik ähnlich.

Ein Beispiel aus der Geschichte zeigt ein typisch deut-
sches Problem: Synthetisch hergestelltes Insulin war in
den 1980er- und 1990er-Jahren eine Biotech-Innovation.
Frankfurter Forscher entwickelten 1982 die massenpro-
duktionstaugliche Insulinsynthese mit Mikroorganismen.

Damals gab es Ressentiments, und zwei Jahre später
verbot das hessische Umweltministerium den Betrieb
einer ersten Versuchsanlage. Erst 1999 kam das neue
Humaninsulin schließlich zum Patienten, allerdings zu-
nächst aus den USA. – Chance verpasst, könnte man an
dieser Stelle sagen.

Heute genießt das synthetische Humaninsulin breite
Akzeptanz in der Bevölkerung. Kaum ein Patient würde
es ablehnen und auf Rinder- und Schweineinsulin beste-
hen. Warum? Weil es einen gewaltigen Nutzen hat: Kein
Tier muss für die Herstellung sterben, es kommt zu kei-
nen Versorgungsengpässen, es ist verträglicher und bio-
identisch zum natürlichen Humaninsulin. Genau darum
geht es: GVO-Produkte müssen einen klaren Mehrwert
für die Endverbraucher haben.


(Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein, es geht nicht um Insulin, es geht um Pflanzen!)


– Das habe ich doch gerade gesagt; hätten Sie einmal den
nächsten Satz abgewartet.


(Nicole Maisch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Entweder Sie haben es gesagt oder nicht!)


Das ist das große Defizit, das wir momentan bei
GVO-Innovationen im Bereich der Landwirtschaft ha-
ben.

Gentechnik aus Menschenhand als Eingriff in die
DNA von Pflanzen und damit von Nahrungsmitteln und
Ähnlichem ist nicht prinzipiell ein Eingriff in den gött-
lichen Bauplan, der etwas Dramatisches darstellt. Pflan-
zenzüchtungen beruhen auf der Tatsache, dass man spon-
tane Mutationen abwartet, selektiert und beobachtet: Was
ist nützlich, was ist risikoarm usw. usf.? Wir provozieren
diese Mutationen mit Chemie und mit Strahlung, um auf
diese Art und Weise schneller voranzukommen. Und was
wir jetzt mit CRISPR/Cas9 und anderen Methoden haben
ist gezielt und keine Genomlotterie mehr. Wir können
Genome direkt ändern, das heißt aber nicht, dass wir die
Risiken an dieser Stelle, wie wir sie im Medikationsbe-
reich und in anderen Bereichen genau im Fokus haben,
nicht berücksichtigen müssen. Das ist eine elementare
Grundvoraussetzung! Denn: Man sollte es nur tun, wenn
wir wissen, was wir tun. Und es ist notwendig, dass wir
Forschung dabei berücksichtigen.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Ich schließe mich, wie bereits einer meiner Vorredner,
der Meinung von 113 Nobelpreisträgern an – bei mir sind
es 113, vielleicht sind es jetzt mehr geworden –, die sa-
gen, dass eine Blockade der Gentechnik auf Dauer nicht
sinnvoll ist und die Menschlichkeit an dieser Stelle dahin
gehend gewahrt bleiben muss, dass wir die Chancen, die
diese Techniken bieten, auch in der Zukunft wahrnehmen
können. Es ist unsere Verantwortung, das Verhältnis zwi-
schen Chancen und Risiken, Forschung und Folgenab-
schätzung, Hoffnung und Sorgen wieder ins Lot zu brin-
gen – auf der Basis von Fakten.

Bei einem Expertengespräch in dieser Woche brachte
es Herr Dr. Rehberger vom Forum Grüne Vernunft auf

Stephan Albani

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 207. Sitzung. Berlin, Freitag, den 2. Dezember 2016 20751


(A) (C)



(B) (D)


den Punkt, als er die Motivation für sein Engagement für
die Gentechnik erläuterte. Er sagte: Nicht für mich als
78-Jährigen wird dies noch Nutzen bringen, aber für die
zukünftigen Generationen ist es eine Verpflichtung.

Dieser Verantwortung und dem notwendigen Gleich-
gewicht wird der Entwurf des Vierten Gentechnikände-
rungsgesetzes aus meiner Sicht gerecht. Er ermöglicht
die Anwendungsforschung, aber auch Anbauverbote,
wenn die Risiken zu groß erscheinen oder nicht absehbar
sind.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU – Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das war jetzt Vernebelungstaktik!)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1820708500

Ich schließe die Aussprache.

Interfraktionell wird die Überweisung des Gesetzent-
wurfs auf Drucksache 18/10459 an die in der Tagesord-
nung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es
dazu anderweitige Vorschläge? – Das ist nicht der Fall.
Dann ist die Überweisung so beschlossen.

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 34 a und 34 b auf:

a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Cornelia
Möhring, Katja Kipping, Sigrid Hupach, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE

Alleinerziehende entlasten – Umgangsmehr-
bedarf anerkennen

Drucksache 18/10283
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Soziales (f)

Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend

b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Familie, Senioren,
Frauen und Jugend (13. Ausschuss) zu dem An-
trag der Abgeordneten Jörn Wunderlich, Cornelia
Möhring, Sigrid Hupach, weiterer Abgeordneter
und der Fraktion DIE LINKE

Lebenssituation von Alleinerziehenden deut-
lich verbessern

Drucksachen 18/6651, 18/10106

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Ich höre kei-
nen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.

Das Wort hat der Kollege Jörn Wunderlich für die
Fraktion Die Linke.


(Beifall bei der LINKEN)



Jörn Wunderlich (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1820708600

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Wir bereden heute zwei Anträge. Zu dem Antrag zum
Mehrbedarf beim Umgang wird nachher meine Genossin
Hupach sprechen. Ich rede zu der Beschlussempfehlung

des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Ju-
gend zu unserem Antrag.

Dieser Antrag ist ein bunter Strauß von familienpoliti-
schen Maßnahmen.


(Paul Lehrieder [CDU/CSU]: Ein wohlduftender Strauß!)


– „Ein wohlduftender bunter Strauß“, vielen Dank, Herr
Vorsitzender des Familienausschusses. – Dieser Antrag
ist schon über ein Jahr alt. Wir wollten der Bundesregie-
rung Gelegenheit geben, zu zeigen, dass sie Vorschläge
umsetzen kann, dass sie unsere Anregungen aufnimmt
und umsetzt. Das hat sie partiell auch getan: Beim
Kitaausbau ist die Bundesregierung zumindest partiell in
die Spur gekommen, und die Kürzungen im Bereich Ju-
gendhilfe sind zurückgenommen worden; dahin gehend
hat sich der Antrag sogar erledigt.

In dem Antrag geht es auch um das Gender Pay Gap,
also darum, Lohnlücken zu schließen. Es geht ferner um
Rahmenbedingungen für die berufliche Orientierung und
die Verbesserung der Qualifikation von Alleinerziehen-
den.


(Unruhe bei der CDU/CSU)


– Die Union quatscht wieder. Sie scheint das nicht zu in-
teressieren; aber das wundert mich nicht. Darauf komme
ich gleich zurück.


(Paul Lehrieder [CDU/CSU]: Doch, ich lausche!)


Außerdem geht es darum, das Elterngeld nicht auf Trans-
ferleistungen anzurechnen, und um den Unterhaltsvor-
schuss.

Aufgrund der Kürze meiner Redezeit will ich mich
auf ein Thema fokussieren, nämlich auf das Unterhalts-
vorschussgesetz. In der letzten Woche haben wir in der
Haushaltsdebatte hier im Haus über dieses Thema ge-
sprochen. Die Debatte, die hier dazu stattgefunden hat,
ist mir nicht aus dem Kopf gegangen. Mir ging immer
wieder durch den Kopf, was dazu gesagt worden ist – das
wurde auch heute gesagt –: Alle wollen das ändern.

Als ich vor elf Jahren frisch vom Familiengericht als
Familienrichter hier in den Bundestag kam, lautete mein
allererster Antrag, das Unterhaltsvorschussgesetz zu än-
dern, die Altersgrenze auf 18 Jahre heraufzusetzen und
die Bezugsdauer zu entfristen. Seit elf Jahren wird das
permanent abgelehnt.

Die Grünen wollen das, auch die CDU will das. Letz-
te Woche hat Herr Weinberg gesagt, das sei schon lange
Programm bei der CDU.


(Marcus Weinberg [Hamburg] [CDU/CSU]: Ja!)


Frau Pahlmann von der CDU hat heute Mittag gesagt:
Das haben wir in den letzten acht Monaten vorangetrie-
ben.


(Paul Lehrieder [CDU/CSU]: Wo sie recht hat, hat sie recht! – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Jetzt muss die Ministerin liefern, und dann machen wir das!)


Stephan Albani

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 207. Sitzung. Berlin, Freitag, den 2. Dezember 201620752


(A) (C)



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Die SPD hat einen Gesetzentwurf erarbeitet. Der Ko-
alitionsausschuss hat sich darauf verständigt, und die
Ministerpräsidenten aller Länder haben das im Rahmen
der Neugestaltung der Bund-Länder-Finanzausgleichsre-
gelungen einstimmig beschlossen.


(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Die wollen es nur nicht zahlen! Aber das kommt noch!)


Dann brachte Frau Schwesig den Gesetzentwurf dazu
im Kabinett ein. Man kann sagen: Das Kindergeld wird
noch immer voll angerechnet, das ist ein Mangel; aber
das ist auch der einzige Mangel. – Im Kabinett wurde der
Gesetzentwurf beschlossen. Dann sollte er hier auf die
Tagesordnung, doch er wurde wieder zurückgenommen.
Und warum? Weil die CDU blockt.


(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Nein! Falsch!)


Die CDU blockt. Kauder sagt: Ich bringe den Gesetz-
entwurf nicht ein, solange die Finanzierung nicht steht.


(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Ja! So ist es!)


Auf der anderen Seite sagt die CDU: Seit acht Mona-
ten treiben wir das voran. – Jetzt steht die Finanzierung
nicht, die Länder sagen: Wir haben dafür nicht das Perso-
nal. Wer soll das bezahlen? – Schäuble zieht sich aus der
Verantwortung zurück.


(Ingrid Pahlmann [CDU/CSU]: Und wo ist die Verantwortung der Länder, bitte schön? Das ist doch eine Frechheit!)


Er hat zwar 18 Milliarden Euro Überschuss, sagt aber:
Ach Gottchen, dafür haben wir kein Geld. – Vorher hat er
gesagt: Wir haben Spielraum.


(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Eigentlich sind die Länder und Kommunen zuständig!)


– Die Länder und Kommunen, ja, natürlich.

Aber wissen Sie, das ist ein Argument, das vor fünf
Jahren – blöd, dass ich mich so gut erinnern kann – nicht
galt. Da wurde die Zahl der Amtsmündel auf 50 reduziert
und eine Garantie der Amtsvormünder für das gedeihli-
che Fortkommen ihrer Mündel eingeführt. Damals habe
ich gesagt, als das sofort umgesetzt werden sollte: Dafür
haben die Jugendämter überhaupt nicht das Personal. –
Da hieß es: Wir müssen das jetzt machen; denn wenn
wir so ein Gesetz nicht haben, dann machen die Länder
nichts.


(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Es muss nur finanziert werden!)


Das scheint ja auch so zu sein. Es wurde gesagt, dass der
Gesetzentwurf zum Unterhaltsvorschuss seit acht Mona-
ten vorangetrieben wird. Aber in den Ländern ist nichts
passiert. Also brauchen wir dieses Gesetz, damit in den
Ländern endlich was passiert.


(Beifall bei der LINKEN)


Am 8. Dezember, also in sechs Tagen


(Paul Lehrieder [CDU/CSU]: Deine Redezeit!)


– ja, ich bin sofort fertig – trifft sich Finanzminister
Schäuble wieder mit den Ländervertretern. Ich hoffe,
dass ihr von der CDU ihm einen ordentlichen Schubs
gebt, damit er nicht wie Gollum auf seinem Geldberg
sitzt, sondern endlich sein Portemonnaie aufmacht und
das finanziert –


(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Ihr müsst den Ländern einen Schubs geben! Die Länder brauchen einen Schubs! Zahlt Thüringen mit?)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1820708700

Kollege Wunderlich.


Jörn Wunderlich (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1820708800

– im Interesse der betroffenen Kinder.


Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1820708900

Das Wort hat die Kollegin Gudrun Zollner für die

CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Gudrun Zollner (CSU):
Rede ID: ID1820709000

Sehr verehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen

und Kollegen! Die vorliegenden Anträge der Fraktion
Die Linke vom November 2015 und November 2016
geben mir heute die Gelegenheit, aufzuzeigen, dass die
Bundesregierung bei der Unterstützung und Entlastung
von Alleinerziehenden keineswegs versagt hat, wie Sie
in Ihren Anträgen unterstellen.


(Norbert Müller [Potsdam] [DIE LINKE]: Doch!)


Vielmehr schafft die Regierung im Rahmen einer moder-
nen und zukunftsweisenden Familienpolitik kontinuier-
lich Bedingungen, um den sorgenden Eltern die nötige
Anerkennung zukommen zu lassen und ihnen eine Per-
spektive für die eigenständige Gestaltung ihres Lebens
zu geben.

Wir investieren massiv in unsere Familien. Ich nenne
hier nur den Ausbau der Kinderbetreuung für unter Drei-
jährige sowie das Programm „KitaPlus“ für erweiterte
Öffnungszeiten. Wir haben den Entlastungsbetrag für
Alleinerziehende erhöht. Gleiches gilt für den Kinderzu-
schlag, den wir 2017 nochmals aufstocken werden. Ins-
gesamt macht der Familienetat im nächsten Jahr 9,5 Mil-
liarden Euro aus


(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: So ist das!)


und liegt damit vor den Etats des Bundesinnenministeri-
ums, des Wirtschafts- und des Finanzministeriums.


(Beifall bei der CDU/CSU – Michael GrosseBrömer [CDU/CSU]: Wer da auf die Idee Jörn Wunderlich Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 207. Sitzung. Berlin, Freitag, den 2. Dezember 2016 20753 kommt, wir würden zu wenig zahlen, hat die Zahlen nicht im Kopf!)


(A) (C)


(B) (D)


Sie sprechen in Ihrem Antrag auch die Vereinbarkeit
von Familie und Beruf an. Natürlich haben die Alleiner-
ziehenden besondere Bedürfnisse. Dabei profitieren alle
Familien von der verbesserten Betreuungsinfrastruktur.
Da die Unternehmen sehr wohl wissen, was sie an gut
ausgebildeten Frauen haben, bieten sie längst eine flexi-
ble Arbeitszeitgestaltung an, was im Übrigen auch den
Vätern zugutekommt. Die von Ihnen geforderte Teil-
zeitausbildung gibt es längst, und die bestehende Lohnlü-
cke wird durch das Entgeltgleichheitsgesetz geschlossen,
wenn Familienministerin Schwesig ihren Gesetzentwurf
vorlegt.


(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Genau!)


Am Anfang dieser Wahlperiode wurde der gesetzliche
Mindestlohn eingeführt. Auch das ist eine Verbesserung
für Alleinerziehende. Ihre Forderung, den gesetzlichen
Mindestlohn unverzüglich auf 10 Euro anzuheben, soll-
ten Sie besser in einem anderen Antrag stellen.


(Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Dann kommen Hunderttausende Kinder möglicherweise aus Hartz IV heraus!)


Da ich bei jeder familienpolitischen Debatte hören
muss, dass die Union angeblich den Unterhaltsvorschuss
blockiert, möchte ich hier klarstellen: Im Juli 2016 ha-
ben wir Familienpolitiker der CDU/CSU uns schriftlich
an den Bundesfinanzminister gewandt, um die Erhöhung
des Bezugsalters von 12 auf 18 Jahre sowie den Wegfall
der Bezugsdauer von 72 Monaten voranzutreiben. Auch
ich benutze jetzt dieses Wort.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Ja! So sind wir!)


Danach hat auch das Familienministerium unsere For-
derung unterstützt. Keine andere Maßnahme kommt den
Alleinerziehenden so zugute wie diese.

Es ist mir völlig unverständlich – das ist auch nicht
hinnehmbar –, dass sich 50 Prozent aller Unterhalts-
pflichtigen der finanziellen Unterstützung ihrer Kinder
entziehen und gar nichts zahlen und weitere 25 Prozent
nur unregelmäßig und nicht in voller Höhe zahlen. Das
müssen wir ändern, und das werden wir ändern.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Dazu gibt es einen Kabinettsbeschluss. Bei der Kon-
ferenz der Regierungschefs von Bund und Ländern im
Oktober dieses Jahres wurde das bei der Neuregelung
des bundesstaatlichen Finanzausgleichssystems auch so
beschlossen.

Aber eines muss uns auch klar sein: Wir können nicht
im Dezember ein Gesetz verabschieden, das bereits im
Januar umgesetzt werden soll. Damit würden wir die

Kommunen administrativ überfordern. Wir von der Uni-
on nehmen die Anliegen der Kommunen ernst.


(Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Habt ihr vor fünf Jahren nicht gemacht!)


Diese müssten erheblich mehr Personal einstellen, um
die steigende Anzahl an Anträgen bearbeiten zu können.


(Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Habt ihr genau andersrum gemacht!)


Meine Kollegin Christina Schwarzer hat vergangene Wo-
che an dieser Stelle die Zahlen ihrer Kommune Neukölln
vorgerechnet, wonach sich die Mitarbeiterzahl verdop-
peln würde.

Verdoppeln und erhöhen sollten die Länder auch die
Rückholquoten. Bayern liegt mit 36 Prozent weit an der
Spitze,


(Paul Lehrieder [CDU/CSU]: Das war klar!)


wogegen zum Beispiel Bremen mit nur 11 Prozent dauer-
haft das Schlusslicht bildet.

Dabei bleibt aber immer noch das Hauptproblem.
Sie wissen so gut wie ich, dass der Bund nicht alleine
in Vorleistung geht. Der Bund zahlt nur ein Drittel der
Kosten, die Länder zahlen zwei Drittel. Bei den Ländern
regt sich Unmut über die Finanzierung. Familienminis-
terin Schwesig konnte hier leider noch keine Einigung
erzielen. Deshalb bitte ich Sie, wehrte Kolleginnen und
Kollegen, einmal ein Wörtchen mit ihren Vertretern im
Bundesrat zu reden.


(Beifall bei der CDU/CSU)


In elf Bundesländern sind die Grünen, in drei Bundes-
ländern die Linke an der Regierung beteiligt, beide Par-
teien stellen je einen Ministerpräsidenten. Warum stellen
Sie Ihre Forderungen nicht einmal nachdrücklich an Ihre
Landesvertreter?


(Beifall bei der CDU/CSU)


Noch einmal: Nicht die CDU/CSU blockiert hier, son-
dern die Verantwortlichen der anderen Parteien. Be-
schließen und Ankündigen allein reicht nicht. Man muss
schon dafür sorgen, dass die Umsetzung und die Finan-
zierung gesichert sind. Das ist mein Verständnis von ver-
antwortungsvoller Politik.


(Beifall bei der CDU/CSU – Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Geht es Ihnen darum, Frau Schwesig zu beschädigen?)


Deshalb ist es vernünftig, wenn das Gesetz zur Aus-
weitung des Unterhaltsvorschusses zum 1. April oder
1. Juli mit Rückwirkung zum 1. Januar beschlossen wird.

Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen der Oppositi-
on, für vieles, was von Ihnen gefordert wird, ist der Bund
nicht zuständig. Dort, wo Sie in Verantwortung sind, hin-
dert Sie niemand daran, Ihre Forderungen umzusetzen.
Deshalb lehnen wir, wie aus der Beschlussempfehlung
ersichtlich ist, Ihren Antrag ab.

Gudrun Zollner

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 207. Sitzung. Berlin, Freitag, den 2. Dezember 201620754


(A) (C)



(B) (D)


Sie schreiben immer wieder Anträge, ohne die Finan-
zierung mit einem Wort zu erläutern.


(Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Alles durchfinanziert!)


Im Gegensatz dazu bringen wir Unionspolitiker Gesetze
ein, die umgesetzt werden und – wichtig – finanzierbar
sind. Wir reden nicht nur, wir handeln.


(Beifall bei der CDU/CSU – Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Seit elf Jahren ist die Kinderarmut nicht gesunken! Ergebnis eures CDU-Handelns!)


Weil wir Familienpolitiker der CSU nicht nur an die
Alleinerziehenden von heute denken, sondern auch an
die, die vor 1992 Kinder zur Welt gebracht haben, for-
dern wir die Gleichstellung aller Mütter bei der Rente.


(Beifall des Abg. Paul Lehrieder [CDU/ CSU])


Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, was alleiner-
ziehende Mütter und Väter im Alltag an Herausforderun-
gen bewältigen, um neben allem anderen für ihre Kinder
da zu sein und sie bestmöglich zu unterstützen, weiß ich
aus eigener Erfahrung. Deshalb sehe ich es als meinen
größten Arbeitsauftrag hier im Deutschen Bundestag, so
viel wie möglich für die Einelternfamilien zu ermögli-
chen. Seien Sie versichert: Dafür werde ich mich auch
künftig voll und ganz einsetzen.

Ich wünsche Ihnen allen noch einen gesegneten zwei-
ten Advent und bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1820709100

Das Wort hat die Kollegin Dr. Franziska Brantner für

die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen
und Herren! Liebe Bürgerinnen und Bürger! Alleiner-
ziehende sind die am schnellsten wachsende Familien-
form, aber leider auch die ärmste. Viele Alleinerziehende
rutschen in die Armut, da drei Viertel von ihnen keinen
oder keinen ausreichenden Kindesunterhalt vom ande-
ren Elternteil bekommen. Hier springt der Staat mit dem
Unterhaltsvorschuss ein – wir haben es heute gehört –,
bisher für maximal sechs Jahre und nur bis zum zwölf-
ten Lebensjahr des Kindes. Diese Absurdität wurde zum
Glück mittlerweile von allen erkannt. Seit dem Sommer
haben wir ein Zickzack, ein Hin und Her.

Erst wurde von der Ministerin verkündet, das Alter
werde auf 14 angehoben, ein paar Wochen später, auf
16. Dann mischte sich Herr Gabriel ein und sagte: auf
18. Dann sagte Frau Schwesig: Ach, doch, auch auf 18.
Irgendwann kündigte Frau Schwesig auch noch an, man
würde den säumigen Vätern den Führerschein entzie-
hen. – Das war Teil dieser ganzen Debatte.

Dann kam das Versprechen: Ab dem 1. Januar 2017
fallen alle Beschränkungen. Dann kam es ins Kabinett –
wir haben es gehört –, aber ohne eine finanzielle Einigung
mit den Ländern. Sehr geehrte Damen und Herren, das
nennt man klassischerweise einen ungedeckten Scheck.
Es ist ein leeres Versprechen, wenn das Geld dafür nicht
gesichert ist.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abgg. Dr. Matthias Zimmer [CDU/ CSU])


Jetzt haben wir die Situation, dass sich CDU und
SPD gegenseitig den Schwarzen Peter zuschieben. Frau
Schwesig sagt: Es sind die Länder. Das machen Teile von
Ihnen auch und sagen: Er war’s, er war’s, sie war’s, sie
war’s! – Das ist doch kein konstruktives Politikmachen
und Regieren, sondern ein verantwortungsloses Handeln
auf dem Rücken der Alleinerziehenden.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Es bleibt festzuhalten: Frau Schwesig hat spät agiert
und zweifelhafte Zahlen für die Länder vorgelegt. Diese
haben gesagt, die stimmten nicht. Die Vereinbarungen
wurden nicht genügend schriftlich festgehalten. Jetzt ha-
ben wir das Chaos.

Wir wollen keine Engel der Alleinerziehenden, son-
dern gutes Regieren. Das können wir von Ihnen erwar-
ten. Das haben wir in diesem Fall leider nicht gesehen.


(Mechthild Rawert [SPD]: Ei, ei, ei!)


Jetzt gibt es in diesem Chaos weitere Vorschläge aus
den Ländern, zum Beispiel: Einsparungen durch die Ab-
schaffung der Vorrangigkeit des Unterhaltsvorschusses.
Das ist die aktuelle Debatte. Man sagt: Wir sparen das
Geld bei Kommunen und Ländern, indem der Bund das
alles einfach aus dem SGB II zahlt. – Unserer Meinung
nach ist das ein falsches Signal. Den Unterhaltsvorschuss
bekommen Alleinerziehende nämlich nicht, weil sie arm
sind, sondern weil sich der andere Elternteil nicht an
der Existenzsicherung des Kindes beteiligt. Das ist ein
großer Unterschied. An ihm sollten wir auch weiterhin
festhalten.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Sigrid Hupach [DIE LINKE])


Außerdem: Wer prüft denn dann wirklich, ob der Unter-
haltsvorschuss nicht reicht, um aus dem SGB-II-Bezug
herauszukommen? Das muss doch unser Ziel sein. Dafür
braucht es diese Prüfungen.

Wenn wir über die Rückholquote sprechen, muss ich
sagen: Wir alle wissen, dass es da falsche Anreize gibt.
Die Kommunen machen sozusagen die Arbeit vor Ort,
müssen dafür Gelder zur Verfügung stellen und haben ei-
gentlich nichts davon. Jedes Jugendamt sagt: Dann gehe
ich lieber direkt in die Arbeit mit den Kindern und Ju-
gendlichen. – Das ist vor Ort nachvollziehbar. Wenn wir
jetzt noch sagen: „Das Geld kommt eh aus dem SGB-II-
Topf“, welche Kommune wird denn dann noch in die
Rückholung investieren? Keine Kommune! Das Signal
an die Elternteile, die nicht zahlen, wäre: Macht euch
keine Sorgen, liebe Damen und Herren, ihr braucht nicht
zu zahlen. Der Staat zahlt schon. Es gibt ja das SGB II. –

Gudrun Zollner

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 207. Sitzung. Berlin, Freitag, den 2. Dezember 2016 20755


(A) (C)



(B) (D)


Das ist unserer Meinung nach ein komplett falsches Si-
gnal.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Es sei denn, sie dürften das Geld behalten! Dann hätten sie einen Anreiz!)


Es gibt Vorschläge, zu sagen: Statt „zwei Drittel, ein
Drittel“ machen wir „fifty-fifty“. – Solche Vorschläge
halten wir für besser. Wir sind da auch in Verhandlungen
mit den Bundesländern; denn ich glaube, das geht uns
alle an. Das ist jetzt kein Appell an eine bestimmte Partei,
sondern an uns alle: Wir müssen dafür kämpfen, dass die-
se Leistung nicht einfach ins SGB II abgeschoben wird,
sondern eine eigenständige Leistung bleibt. Dafür sollten
wir gemeinsam kämpfen. Ich finde, das wäre ein gutes
Ziel.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des Abg. Dr. Fritz Felgentreu [SPD])


Ein weiterer Punkt, den ich ansprechen möchte, ist der
Umgangsmehrbedarf. Wir haben dieses Jahr schon viele
Debatten darüber geführt: Was bedeutet es, wenn Eltern
getrennt leben und vielleicht sogar beide das Elternsein
leben und ihre Zeit gemeinsam mit ihren Kindern ver-
bringen wollen? Wie geht der Staat damit um? Gibt es
dafür eher Anreize, oder wird das sogar noch bestraft,
indem dann zum Beispiel das Sozialgeld aufgeteilt wird?
Wir waren uns hier eigentlich alle einig: Das soll nicht
bestraft werden. Es gab hier im Haus sogar eine Zeit –
ich erinnere mich an die Debatten –, in der wir gesagt
haben: Das soll belohnt werden; das ist ja eigentlich im
Sinne des Kindes. – Dann hat die SPD richtigerweise
den Vorschlag zum Umgangsmehrbedarf vorangetrieben.
Jetzt hören wir: An 60 Millionen Euro scheitert es. – Das
kann doch wirklich nicht sein. Es muss doch möglich
sein, hier die richtigen Anreize zu setzen, damit sich El-
tern gemeinsam um ihre Kinder kümmern können. Diese
60 Millionen Euro müssen drin sein.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Dr. Matthias Zimmer [CDU/CSU]: Das ist ein falscher Anreiz!)


Ich fände es sehr wichtig, dass wir gemeinsam das Si-
gnal an Herrn Schäuble senden: 60 Millionen Euro für
Eltern, die ihre Kinder gemeinsam erziehen wollen, müs-
sen möglich sein. Existenzsicherung geht vor.

Ich danke Ihnen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1820709200

Das Wort hat die Kollegin Hiller-Ohm für die

SPD-Fraktion.


(Beifall bei der SPD)



Gabriele Hiller-Ohm (SPD):
Rede ID: ID1820709300

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und

Herren auf den Zuschauertribünen! Liebe Kolleginnen
und Kollegen! Ja, alleinerziehende Eltern müssen entlas-
tet werden; denn sie sind ohne Wenn und Aber die Hel-
dinnen und Helden des Alltags.


(Beifall bei der SPD)


Glauben Sie mir: Ich weiß, wovon ich rede.

Die Linke fordert in beiden vorliegenden Anträgen
weitere Verbesserungen für Alleinerziehende. Ich wer-
de mich auf den Antrag zum Umgangsmehrbedarf be-
schränken. Es ist gut, liebe Kolleginnen und Kollegen
der Linken, dass Sie sich mit diesem Thema befassen. Es
ist richtig, dass wir hier im Bundestagsplenum darüber
debattieren. Es ist ganz wichtig, dass wir uns für Allein-
erziehende und deren Kinder starkmachen; denn sie sind
in ihren Lebenschancen immer noch stark benachteiligt.


(Birgit Kömpel [SPD]: Richtig!)


Das, liebe Kolleginnen und Kollegen, müssen wir än-
dern. Wir wollen eine Gesellschaft, in der Eltern – Müt-
ter, Väter – und Kinder gut leben können.


(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Paul Lehrieder [CDU/CSU])


Uns Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten ist
ganz wichtig, dass sich Eltern die Verantwortung für ihre
Kinder teilen, egal ob sie als Paar oder getrennt leben.


(Birgit Kömpel [SPD]: Ja!)


Das muss für alle möglich sein und natürlich auch für
Eltern gelten, die Sozialleistungen erhalten, also auch für
arme Eltern. Alleinerziehende Eltern müssen finanziell
so ausgestattet sein, dass die Kinder bei beiden Eltern
leben und bei ihnen zu Besuch sein können. Es ist ganz
wichtig, dass das für die Kinder möglich ist. Ich finde,
das ist eine Selbstverständlichkeit, und das darf nicht am
Geld scheitern.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, der Antrag der
Linken zum Umgangsmehrbedarf geht in die richtige
Richtung. Auch wir Sozialdemokratinnen und Sozial-
demokraten wünschen uns einen finanziellen Ausgleich
für den Mehrbedarf, der bei alleinerziehenden Eltern, die
Hartz IV beziehen, durch die wechselseitige Betreuung
der Kinder anfällt.


(Dr. Matthias Zimmer [CDU/CSU]: Die haben doch sowieso schon mehr Geld!)


Derzeit ist es so, dass die Sozialleistungen für die Kin-
der genau abgerechnet und dem Elternteil zugeschlagen
werden, bei dem sich das Kind gerade aufhält. Wenn das
Kind also normalerweise bei der Mutter lebt und nur am
Wochenende beim Vater ist, wird der Mutter das Geld
für die Wochenendtage von den Hartz-IV-Leistungen ab-
gezogen. Das ist eine wirklich schlechte Lösung; denn
die Mutter hat weiterhin Kosten für das Kind, auch dann,
wenn es beim Vater zu Besuch ist.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Dr. Franziska Brantner

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 207. Sitzung. Berlin, Freitag, den 2. Dezember 201620756


(A) (C)



(B) (D)


Diese Regelung ist ungerecht und verhindert oft sogar
den Kontakt der Kinder zu beiden Elternteilen. Das fin-
den wir schlecht. Hier brauchen wir also eine Lösung, die
gut für die Eltern und gut für die Kinder ist. eine Lösung,
die obendrein den Amtsschimmel entlastet, den die der-
zeitige bürokratische Last der tage- und stundenweisen
Abrechnungen schon jetzt fast zusammenbrechen lässt.


(Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sehr richtig!)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, leider haben wir bei
dieser wichtigen Forderung unseren Koalitionspartner
nicht – ich möchte sagen: noch nicht – an unserer Seite.
Das ist wirklich schade; denn hier könnten wir gemein-
sam mehr Gerechtigkeit für Menschen schaffen, die ganz
dringend auf unsere Unterstützung angewiesen sind.


(Beifall bei der SPD)


Wir werden aber nicht lockerlassen, und vielleicht ge-
lingt es uns, in diesem Punkt noch etwas auf die Beine
zu stellen.


(Dr. Matthias Zimmer [CDU/CSU]: Nein! – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Gerechtigkeit ist so eine Sache!)


Dass dies nicht unmöglich ist, zeigen die letzten drei ge-
meinsamen Regierungsjahre.


(Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die zeigen eher das Gegenteil!)


Mit der CDU/CSU haben wir als treibende Kraft viel
auf die Beine gestellt.


(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Die SPD ist wieder erfolgreich!)


So haben wir erreicht, dass berufstätige alleinerziehen-
de Eltern steuerlich deutlich entlastet werden. Wir haben
durchgesetzt, dass der Kinderzuschlag für Alleinerzie-
hende um 20 Euro auf 160 Euro angehoben wurde und
damit viele Mütter aus Hartz IV herauskommen.


(Dr. Matthias Zimmer [CDU/CSU]: Da haben wir doch Alleinerziehende bessergestellt!)


Wir investieren weiter in den Ausbau von Kitas. Mit
dem Bundesprogramm „KitaPlus“ haben wir ein Förder-
programm entwickelt, mit dem Kitas längere Öffnungs-
zeiten in den Morgen- und Abendstunden sowie an den
Wochenenden anbieten können. Ich wäre froh gewesen,
wenn es das schon vor 20 Jahren gegeben hätte. Denn
ich bin selber alleinerziehende Mutter, und es war wirk-
lich ein Spagat, bei den damaligen Öffnungszeiten der
Kindertagesstätten die Berufstätigkeit mit guter Kinder-
betreuung zu vereinbaren. Da gibt es dringenden Hand-
lungsbedarf, und ich finde es gut, dass wir dieses Pro-
gramm auf den Weg gebracht haben.


(Beifall bei der SPD)


Denken Sie zum Beispiel an eine alleinerziehende
Kellnerin. Sie ist auf erweiterte Öffnungszeiten angewie-
sen, um überhaupt berufstätig sein zu können. Deshalb
müssen wir hier flexible Möglichkeiten schaffen.

Mit dem geplanten Unterhaltsvorschussgesetz wollen
wir eine weitere wichtige Verbesserung für Alleinerzie-
hende durchsetzen. Ich hoffe, dass uns das gelingen wird.

Ganz wichtig ist uns auch, dass wir in dieser Regie-
rungszeit noch hinbekommen, dass Eltern bessere Mög-
lichkeiten und Rechte haben, wenn sie Teilzeit oder
Vollzeit arbeiten wollen. Dafür wollen wir einen Rechts-
anspruch auf befristete Teilzeit schaffen, die ein Recht
auf Rückkehr in Vollzeit bzw. in die frühere Arbeitszeit
für die betroffenen Frauen beinhaltet.


(Beifall bei der SPD)


Ein großer Erfolg wäre es, wenn wir endlich auch
ein Lohngerechtigkeitsgesetz auf den Weg bringen, um
die Lohnlücke und damit die Ungerechtigkeit zwischen
Männer- und Frauenlöhnen zu beseitigen.


(Beifall bei der SPD)


Wir haben es im Koalitionsvertrag vereinbart. Ich hof-
fe, wir können das noch auf die Beine stellen. Das wäre
wirklich prima.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, Sie sehen, wir ha-
ben viel auf den Weg gebracht, und das ist gut. Aber wir
haben immer noch großen Handlungsbedarf. Deshalb
müssen wir an diesem Thema weiter arbeiten, um die Be-
nachteiligung vor allem von alleinerziehenden Müttern
in diesem Land endlich zu beseitigen.


(Beifall bei der SPD)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1820709400

Das Wort hat die Kollegin Jutta Eckenbach für die

CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Jutta Eckenbach (CDU):
Rede ID: ID1820709500

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Allein-

erziehend in Deutschland zu sein, ist nicht mit einem
prekären Schicksal am wirtschaftlichen Ende der Gesell-
schaft gleichzusetzen.


(Dagmar Ziegler [SPD]: Finde ich schon!)


Es ist zwar richtig, dass Alleinerziehende bestimmte Aus-
gaben im Zusammenhang mit der Versorgung eines Kindes
oder mehrerer Kinder allein zu tragen haben; das liegt nun
einmal in der Natur der Sache. Aber man kann doch nicht
sagen, dass alle Alleinerziehenden vom SGB-II-Bezug le-
ben. Ich bin sehr froh, dass ein großer Teil der Alleinerzie-
henden in Vollzeit oder in Teilzeit ihren Lebensunterhalt
bestreiten kann und nicht auf Sozialhilfe angewiesen ist.
Auch an sie sollten wir einmal denken.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Die Förderung von Alleinerziehenden, die Leistungen
nach dem SGB II beziehen, erfolgt im Wesentlichen an
drei Stellen; das ist gerade schon genannt worden. Es
gibt erst einmal den grundsätzlichen Mehrbedarf. Darü-
ber hinaus werden die Alleinerziehenden im Rahmen der
sogenannten temporären Bedarfsgemeinschaft entlastet.
Auch werden die angemessenen Kosten für Unterkunft
und Heizung ermittelt und gegebenenfalls erstattet.

Gabriele Hiller-Ohm

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 207. Sitzung. Berlin, Freitag, den 2. Dezember 2016 20757


(A) (C)



(B) (D)


Letztendlich bedeutet das, dass Alleinerziehende, die
Leistungen nach dem SGB II erhalten, 50 Prozent mehr
als Paare bekommen. Wir fördern sie also schon heute.
Insofern verstehe ich vieles von dem, was gesagt worden
ist, nicht. Es ist nicht so, als würden wir dieses Problem
in dieser Legislaturperiode nicht angehen. Wir haben hier
einen guten Ansatz, den wir auch bezahlen können.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Sönke Rix [SPD])


Eines ist fragwürdig in der Diskussion, die wir füh-
ren – darüber haben wir noch nicht debattiert –: Diese
50 Prozent mehr an Leistungen gehen an die Eltern, die
getrennt leben. Bei einem Familienverbund oder bei Le-
bensgemeinschaften werden diese 50 Prozent an Mehr-
bedarfskosten nicht gezahlt.


(Dr. Matthias Zimmer [CDU/CSU]: Eben! – Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die haben diesen Mehrbedarf auch nicht!)


Wir sollten uns darüber Gedanken machen, dass wir an
dieser Stelle eine Ungleichgewichtung haben. Ich wäre
eher für die Förderung von Gemeinschaften, als nur auf
die Unterstützung von Menschen zu setzen, die eine ge-
wisse Mitverantwortung für ihre Situation tragen, wenn
ihre Lebensplanung nicht funktioniert hat.


(Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann muss man dafür Anreize schaffen!)


Diese Verantwortung kann nicht auf den Staat abgewälzt
werden. Auch hier werden wir darauf verweisen können,
was wir alles schon gemacht haben.


(Dr. Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber darunter dürfen die Kinder doch nicht leiden! – Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Dafür können doch die Kinder nichts! Die Kinder sollen darunter leiden? Was ist das denn für eine Lebensphilosophie?)


Es ist heute von mehreren Rednern schon ausgeführt
worden, dass Alleinerziehende im SGB-II-Bezug einen
zusätzlichen Anspruch bei Einrichtungsgegenständen für
das Kind bei einem temporären Aufenthalt haben. Wir er-
statten die zusätzlichen, durch das Umgangsrecht beding-
ten Fahrtkosten. Wir erstatten höhere Aufwendungen für
Unterkunft und Heizung, wenn das Kind zu Besuch ist,
plus andere Bedarfe, je nach Besonderheit des Einzelfalls.

Meine Damen und Herren, wir sollten uns vergegen-
wärtigen, was der Sinn und Zweck des SGB II ist. Zu un-
terscheiden ist davon der allgemeine Unterhaltsanspruch
aus dem Familienrecht. Es kann nicht Aufgabe des Staa-
tes sein – darauf habe ich schon einmal hingewiesen –,
mit einer zusätzlichen Leistung den Streit der Eltern zu
befrieden. Das kann nicht unser Anspruch sein.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Gegenwärtig drehen wir uns hier im Kreis, wenn wir
immer nur von der Bedürftigkeitssicht der Eltern ausge-
hen. Mit der Berechnung von Pauschalen, so wie es die
Linke fordert, schaffen wir Ungerechtigkeiten gegen-

über anderen Bedarfsgemeinschaften mit Kindern. Eine
auf den Tag genaue Abrechnung des Regelsatzes für ein
Kind führt schon heute zu einem riesigen Verwaltungs-
aufwand für die Jobcenter vor Ort.


(Sigrid Hupach [DIE LINKE]: Den wollen wir ja gerade abschaffen! – Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau! Deswegen müssen wir weg davon!)


Nicht nur die Mehrkosten für die Berechnung sind un-
verhältnismäßig, auch die Personalbindung innerhalb der
Jobcenter ist enorm.


(Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau! Deswegen müssen wir weg davon! – Dr. Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Deshalb wollen wir das ändern!)


Deswegen haben wir bereits im Rahmen der Beratun-
gen zum 9. SGB-II-Änderungsgesetz einen Vorschlag sei-
tens des BMAS für eine Vereinfachung der Aufteilung des
Kinderregelbedarfes diskutiert. Dabei ging es ganz und
gar nicht um eine Verringerung des Regelbedarfes, wie es
in der Öffentlichkeit fälschlicherweise behauptet worden
ist. Das führte schließlich dazu, dass das Bundesministe-
rium einen neuen Regulierungsvorschlag erarbeiten muss-
te. Dieser Regulierungsvorschlag stellte aber im Ergebnis
eine erneute finanzielle Bevorteilung für getrennt lebende
Eltern dar. Ergebnis: Die bisherige Rechtslage blieb beste-
hen. Nach meiner persönlichen Ansicht wäre es durchaus
wichtig, die Bedarfe für Kinder auch aus deren Sicht zu se-
hen. Ich denke, das wäre etwas, worüber wir uns wirklich
noch einmal unterhalten sollten.

Ansätze, wie sich eine veränderte Sicht auswirken
kann, zeigen die Regelungen beim Bildungs- und Teil-
habepaket. Allerdings bin ich der Meinung, dass wir hier
auch noch einmal über das Bildungs- und Teilhabepaket
reden müssen,


(Sigrid Hupach [DIE LINKE]: Abschaffen!)


damit es noch verbessert werden kann. Aber es folgt dem
Ansatz, vom Kind aus zu denken. Ich denke, das ist ein
vernünftiger Ansatz, den wir weiter verfolgen sollten.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Meine Damen und Herren, wie eingangs gesagt, sehe
ich auch die Notwendigkeit, Alleinerziehende noch mehr
zu entlasten, hier aber nicht nur Alleinerziehende im
Leistungsbezug. Wichtig sind für mich vor allem die Vä-
ter und Mütter, die morgens allein ihr Kind versorgen, es
zur Kita oder zur Schule bringen, dann zur Arbeit hech-
ten, um rechtzeitig fertig zu sein, damit sie wieder fürs
Kind da sind, wenn die Kita schließt oder die Schule aus
ist. Dabei habe ich noch nicht genannt, dass es auch noch
zu pflegende Angehörige geben kann, dass das bisschen
Haushalt erledigt werden muss und der eigene Freundes-
kreis aufrechterhalten werden möchte.

Schwerpunkt unserer politischen Arbeit wird daher
weiterhin sein, die Vereinbarkeit von Familie und Beruf
zu stärken. Ich werde auch nicht müde, immer wieder an
die Wirtschaft und an die Unternehmen zu appellieren,

Jutta Eckenbach

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 207. Sitzung. Berlin, Freitag, den 2. Dezember 201620758


(A) (C)



(B) (D)


dass sie uns dabei unterstützen müssen. Aus meinem ei-
genen Wahlkreis, aus Essen, weiß ich, dass Evonik hier
ganz viel macht und ganz flexibel ist, dass es also auch
schon Arbeitgeber gibt, die sich auf diesem Wege befin-
den. Aber es wird nicht gehen, dass wir Alleinerziehende
nur im SGB-II-Bezug unterstützen, sondern wir müssen
sie aus der Sozialhilfe herausholen. Wir müssen ganz vie-
le Wege finden, damit uns das gelingt.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wir als Parlament sollten diese Ansätze unterstützen.
So kann ein guter beruflicher Werdegang trotz der Fülle
an Aufgaben im Privaten auch für Alleinerziehende er-
möglicht werden. Das sollte letztendlich unser Ziel sein,
nicht die Spaltung der Gesellschaft, so wie es die Linke
mit ihrem Antrag offensichtlich vorhat. Dem können und
wollen wir heute nicht zustimmen.


(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Machen wir auch nicht!)


Ich darf Ihnen 1 Minute und 40 Sekunden von meiner
Redezeit schenken, einen schönen zweiten Advent wün-
schen und mich für Ihre Aufmerksamkeit bedanken.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Es war ja auch schon alles Wichtige gesagt! – Paul Lehrieder [CDU/CSU]: So sind wir!)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1820709600

Das Wort hat die Kollegin Sigrid Hupach für die Frak-

tion Die Linke.


(Beifall bei der LINKEN)



Sigrid Hupach (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1820709700

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren!

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben in der De-
batte nun schon einiges darüber gehört, wie die Lebenssi-
tuation von Alleinerziehenden aussieht und wie schwie-
rig diese ist. Mit unserem Antrag „Alleinerziehende
entlasten – Umgangsmehrbedarf anerkennen“ sprechen
wir eine ganz konkrete Baustelle an und machen einen
Lösungsvorschlag, der eine erhebliche Verbesserung für
die Betroffenen bringt.

In Deutschland leben inzwischen 2,2 Millionen Kin-
der in den 1,7 Millionen Familien mit einem Elternteil.
Alleinerziehend zu sein, gehört noch immer zu einem der
größten Armutsrisiken in Deutschland. 39 Prozent der
Alleinerziehenden mit minderjährigen Kindern beziehen
Leistungen nach dem SBG II. Diese Menschen haben
es – und das wissen wir alle – schon schwer genug, den
Lebensalltag zu bewältigen. Und gerade jene, die versu-
chen, dem Kind auch einen Umgang mit dem anderen
Elternteil zu ermöglichen, werden in vielen Fällen von
den Jobcentern bestraft.

Zu Recht haben umgangsberechtigte Elternteile, die
im SGB-Il-Bezug stehen, einen Mehrbedarf für ihr Kind
geltend gemacht. Dies darf aber doch nicht dazu führen,
dass genau dieser Anteil bei dem anderen Elternteil abge-

zogen wird, bei dem sich das Kind hauptsächlich aufhält.
Wie lebensfremd ist das denn?


(Beifall bei der LINKEN)


Jeder weiß doch, dass Fixkosten so heißen, weil sie eben
fix, fest, konstant, also unveränderlich, sind. Die Miete
fürs Kinderzimmer muss man schließlich auch bezahlen,


(Jutta Eckenbach [CDU/CSU]: Wird auch bezahlt!)


wenn sich das Kind jedes zweite Wochenende beim an-
deren Elternteil aufhält.


(Dr. Matthias Zimmer [CDU/CSU]: Das ist doch im Regelbedarfssatz 1! Was ist denn das? Das ist doch Quatsch! – Jutta Eckenbach [CDU/CSU]: Wollte ich doch gerade sagen! Ist doch drin!)


– Es geht darum, dass ihnen nichts abgezogen wird.


(Dr. Matthias Zimmer [CDU/CSU]: Das ist doch was anderes! Das ist doch ein anderes Portemonnaie!)


Jobcenter ziehen den Anteil ab, wenn der andere Eltern-
teil einen Mehrbedarf geltend macht. Das wird prakti-
ziert.


(Dr. Matthias Zimmer [CDU/CSU]: Die kriegen doch sowieso schon mehr!)


Der Mitgliedsbeitrag für den Sportverein, die Musik-
schule und Ähnliches – all das bleibt konstant und redu-
ziert sich leider nicht entsprechend, nur weil das Kind
am Wochenende mal gerade beim anderen Elternteil ist.

Zum Glück wurde im Frühjahr dank einer Petition
von Anna-Maria Petri-Satter und des großen öffentlichen
Protestes auf die geplante Gesetzesänderung verzichtet,
die den Regelsatz strikt nach den einzelnen Aufenthalts-
tagen aufteilen sollte. Das war richtig.


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)


Aber die damalige Debatte hat dazu geführt, dass manche
Jobcenter jetzt erst recht die unklare Gesetzeslage aus-
nutzen und dass sich die Situation für alleinerziehende
Hartz-IV-Empfängerinnen oder -Empfänger sogar noch
verschärft hat. Leider geht dieses Feilschen immer zulas-
ten der Kinder.

Wir sollten doch eigentlich alles unterstützen, was
Kindern ermöglicht, in regelmäßigem Kontakt mit bei-
den Elternteilen aufzuwachsen, auch wenn die Eltern ge-
trennt leben.


(Dr. Matthias Zimmer [CDU/CSU]: Das Versagen der Eltern ist für Sie eine Entschuldigung, dass wir mehr Geld ausgeben! Unglaublich!)


Deswegen brauchen wir hier eine klare gesetzliche Re-
gelung, damit kein Elternteil finanzielle Einbußen be-
fürchten muss, wenn sich das Kind einige Tage woanders
aufhält.

Wir schlagen mit unserem Antrag eine klare Lösung
vor: voller Regelsatz für den Elternteil, in dessen Haus-

Jutta Eckenbach

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 207. Sitzung. Berlin, Freitag, den 2. Dezember 2016 20759


(A) (C)



(B) (D)


halt das Kind überwiegend lebt, und halber Regelsatz für
den Elternteil, der umgangsberechtigt ist. Zugleich muss
dies auch bei den Kosten der Unterkunft und der Heizung
entsprechend berücksichtigt werden.


(Dr. Matthias Zimmer [CDU/CSU]: Das werden sie doch!)


Dies bringt nicht nur Rechtssicherheit für die Alleiner-
ziehenden wie für die umgangsberechtigten Elternteile,
sondern entlastet auch entscheidend die Bürokratie und
vor allem: Es hilft den Kindern.

Die Zahl der Alleinerziehenden wird weiter wachsen,
einfach weil die Lebensformen anders sind als früher,
und sie werden sich auch weiterhin ändern.


(Dr. Matthias Zimmer [CDU/CSU]: Und der Staat bezahlt dafür!)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1820709800

Kollegin Hupach, auch wenn es ein Zeitgeschenk aus

der Unionsfraktion gegeben hat, müssen Sie jetzt zum
Schluss kommen.


(Paul Lehrieder [CDU/CSU]: Das war nicht für Sie gedacht, Frau Hupach!)



Sigrid Hupach (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1820709900

Dem müssen wir auch in Zukunft gerecht werden und

zum Beispiel auch die Tatsache berücksichtigen, dass
sich Menschen bewusst entscheiden, allein zu erziehen.
Alle diese Lebensformen müssen wir endlich auch in der
Politik akzeptieren und deren Realität in den gesetzlichen
Rahmenbedingungen berücksichtigen.


(Dr. Matthias Zimmer [CDU/CSU]: Und die Kohle dafür soll der Staat bereitstellen! So sieht es aus!)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1820710000

Ich bitte Sie jetzt wirklich, zum Schluss zu kommen.


(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Jetzt ist auch gut!)



Sigrid Hupach (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1820710100

Ich höre auf, Frau Präsidentin. – Eigentlich brau-

chen wir dafür einen Systemwechsel, nämlich weg von
Hartz IV.


(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Ja, nächste Rede! – Paul Lehrieder [CDU/CSU]: Nächste Wahlperiode!)


Wir machen Ihnen hier den Vorschlag, wenigstens eine
Baustelle zu erledigen.

Vielen Dank.


(Beifall bei der LINKEN)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1820710200

Der Kollege Dr. Fritz Felgentreu hat für die SPD-Frak-

tion das Wort.


(Beifall bei der SPD)



Dr. Fritz Felgentreu (SPD):
Rede ID: ID1820710300

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Alle

Fraktionen des Bundestages – wir haben es gemerkt –
sind sich einig: Wir wollen nicht hinnehmen, dass Allein-
erziehende und ihre Kinder ein höheres Risiko tragen, in
Armut zu leben.

Für die Koalition ist die Verbesserung der Lebensbe-
dingungen für solche Familien ein zentrales Thema. Und
das beste Mittel gegen Armut ist Arbeit. Deshalb war es
uns besonders wichtig, die Bedingungen zu verbessern,
damit Alleinerziehende die Betreuung ihrer Kinder mit
einer Berufstätigkeit vereinbaren können. Wir haben den
Ländern und Kommunen zusätzliche Milliarden zur Ver-
fügung gestellt, damit sie mehr Kitas und Horte bauen
und sie besser ausstatten. Mehr und bessere Betreuung
für Kinder hilft allen Eltern, aber den Alleinerziehenden
natürlich am meisten.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wir haben den Anspruch auf Teilzeitarbeit gestärkt und
erweitert, und wir haben das Elterngeld Plus eingeführt.
Wir haben den Mindestlohn eingeführt und den Kinder-
zuschlag erhöht, damit Eltern mit niedrigem Einkommen
nicht als Aufstocker zum Jobcenter gehen müssen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Die Liste ließe sich fortsetzen, liebe Kolleginnen und
Kollegen. Aber ich möchte Sie nicht mit Dingen lang-
weilen, die Sie alle kennen. Ein bisschen Anerkennung
für die vielen Fortschritte in den letzten drei Jahren stün-
de aber auch der Opposition einmal ganz gut zu Gesicht.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Nicht geschimpft ist schon genug gelobt!)


Die Linksfraktion, lieber Herr Wunderlich, hat jetzt
ein Sammelsurium von weiteren Verbesserungsvorschlä-
gen vorgelegt. All das lässt sich so nicht umsetzen, schon
gar nicht sofort. Aber es sind durchaus Denkanstöße da-
bei, über die wir weiter diskutieren können.

Ich möchte mich nun auf den Punkt konzentrieren,
bei dem wir einen Durchbruch erreicht haben, den Un-
terhaltsvorschuss. Einen Unterhaltsvorschuss zahlt der
Staat Alleinerziehenden – in der Regel alleinerziehenden
Müttern – dann aus, wenn in der Regel die Väter aus wel-
chen Gründen auch immer nicht zahlen, wozu sie ver-
pflichtet sind. Der Vorschuss ist überall eine große Hilfe.
Allein in meinem Wahlkreis Berlin-Neukölln profitieren
davon 2 300 Kinder.

In den Fällen, in denen die Mütter ein niedriges Ar-
beitseinkommen haben, kann der Vorschuss der Grund
sein, warum es ihnen erspart bleibt, als Aufstocker Ar-
beitslosengeld II zu beantragen. Deswegen wollen wir
auch nicht, dass diese Leistung in das SGB II kommt.


(Beifall der Abg. Dr. Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Das Geld ist nicht geschenkt, sondern der Staat versucht,
sich den Vorschuss von den Vätern zurückzuholen. Im

Sigrid Hupach

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 207. Sitzung. Berlin, Freitag, den 2. Dezember 201620760


(A) (C)



(B) (D)


Schnitt können aber nur etwa ein Viertel der Kosten
eingetrieben werden. Deshalb kostet der Unterhaltsvor-
schuss Geld, das zu einem Drittel vom Bund und zu zwei
Dritteln von den Ländern kommt.


(Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann sollten wir darüber neu nachdenken!)


Fachleute und Politik kritisieren schon lange, dass der
Unterhaltsvorschuss bisher nur maximal sechs Jahre lang
und nur bis zum zwölften Lebensjahr gezahlt wird; denn
Kinder kosten nun einmal länger als sechs Jahre etwas,
und Jugendliche kosten in der Regel mehr als kleine Kin-
der.


(Beifall bei der SPD)


Aber bisher sind sich Bund und Länder über die sinnvol-
le und notwendige Ausweitung nie einig geworden. Der
Grund dafür: das Geld.

Umso größer die Freude, dass am 14. Oktober zusam-
men mit der Neuregelung der Finanzbeziehungen zwi-
schen Bund und Ländern auch entschieden wurde, vom
1. Januar an ohne zeitliche Befristung bis zur Volljährig-
keit Unterhaltsvorschuss zu zahlen.


(Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Da haben wir uns alle gefreut!)


Mit diesem gemeinsamen Beschluss von Bund und Län-
dern ist aus unserer Sicht die Entscheidung gefallen.
Aber sie muss jetzt auch umgesetzt werden.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Eine Formulierungshilfe des Familienministeriums liegt
vor. Wir können das Gesetz also unverzüglich beschlie-
ßen.

Meine Damen und Herren, lieber Herr Wunderlich,
ich wundere mich, dass es in dieser Situation noch Bun-
desländer gibt – ich sage offen: auch SPD-geführte Bun-
desländer –, die jetzt die Gesetzgebung verzögern,


(Zuruf von der CDU/CSU: Genau!)


weil Finanzierungs- und Verwaltungsfragen noch geklärt
werden müssen.


(Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Wundert mich auch!)


Alle Beteiligten wussten schon am 14. Oktober, als sie
die Beschlüsse gefasst haben, dass der Unterhaltsvor-
schuss Geld kostet und Arbeit macht.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der LINKEN und der Abg. Dr. Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Damals hätten die Bedenken vorgetragen werden müs-
sen, nicht jetzt, da Tausende Familien die dringend benö-
tigte und zugesagte Unterstützung erwarten.

Vor diesem Hintergrund habe ich noch weniger Ver-
ständnis für die Haltung der Unionsfraktion,


(Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Genau!)


die auch hier im Bundestag die Gesetzgebung blockiert.


(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Das wird durch Wiederholen nicht richtiger! – Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Genau!)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, uns steht doch nichts
im Wege, das umzusetzen, was in größter Eindeutigkeit
verabredet worden ist.


(Beifall bei der SPD und der LINKEN sowie des Abg. Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Wir haben den Alleinerziehenden in Deutschland ge-
meinsam ein Versprechen gegeben. Helfen Sie mit, dass
wir es auch halten!

Vielen Dank.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1820710400

Ich schließe die Aussprache.

Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 18/10283 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein-
verstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung
so beschlossen.

Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Ausschus-
ses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend zu dem
Antrag der Fraktion Die Linke mit dem Titel „Lebenssi-
tuation von Alleinerziehenden deutlich verbessern“. Der
Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung


(Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Ganz schlechte Beschlussempfehlung!)


auf Drucksache 18/10106, den Antrag der Fraktion Die
Linke auf Drucksache 18/6651 abzulehnen.


(Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Jetzt könnt ihr es korrigieren!)


Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer
stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschluss-
empfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktio-
nen gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke und der
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sind damit am
Schluss unserer heutigen Tagesordnung.

Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundes-
tages auf Mittwoch, den 14. Dezember 2016, 13 Uhr, ein.

Ich wünsche Ihnen ein schönes Wochenende und für
alle, die ihn feiern, natürlich einen gesegneten zweiten
Advent.


(Beifall bei Abgeordneten im ganzen Hause – Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Das wünschen wir auch, Frau Präsidentin!)


Die Sitzung ist geschlossen.