Protokoll:
18194

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Metadaten
  • date_rangeWahlperiode: 18

  • date_rangeSitzungsnummer: 194

  • date_rangeDatum: 30. September 2016

  • access_timeStartuhrzeit der Sitzung: 09:01 Uhr

  • av_timerEnduhrzeit der Sitzung: 13:37 Uhr

  • account_circleMdBs dieser Rede
  • tocInhaltsverzeichnis
    Plenarprotokoll 18/194 Deutscher Bundestag Stenografischer Bericht 194. Sitzung Berlin, Freitag, den 30. September 2016 Inhalt: Zusätzliche Ausschussüberweisung . . . . . . . . 19311 A Tagesordnungspunkt 22: Unterrichtung durch die Bundesregierung: Jahresbericht der Bundesregierung zum Stand der Deutschen Einheit 2016 Drucksache 18/9700 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19311 B Iris Gleicke, Parl . Staatssekretärin BMWi . . . 19311 C Susanna Karawanskij (DIE LINKE) . . . . . . . . 19313 A Mark Hauptmann (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . 19314 D Frank Tempel (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . 19316 A Katrin Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19317 B Sabine Poschmann (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . 19318 C Monika Lazar (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19319 A Eckhardt Rehberg (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . 19319 D Stefan Zierke (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19321 D Arnold Vaatz (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . 19322 D Waltraud Wolff (Wolmirstedt) (SPD) . . . . . 19323 B Tagesordnungspunkt 23: Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD: Antibiotika-Resistenzen vermindern – Erfolgreichen Weg bei Antibiotikamini- mierung in der Human- und Tiermedizin gemeinsam weitergehen Drucksache 18/9789 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19325 A in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 4: Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- schusses für Ernährung und Landwirtschaft zu dem Antrag der Abgeordneten Friedrich Ostendorff, Kordula Schulz-Asche, Harald Ebner, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Wirksamkeit von Antibiotika erhalten – Einsatz in der Tierhaltung auf vernünftiges Maß reduzie- ren Drucksachen 18/3152, 18/4704 . . . . . . . . . . . 19325 B Christian Schmidt, Bundesminister BMEL . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19325 B Karin Binder (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . 19326 C Dr . Wilhelm Priesmeier (SPD) . . . . . . . . . . . . 19327 C Kordula Schulz-Asche (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19328 C Hermann Gröhe, Bundesminister BMG . . . . . 19330 A Kordula Schulz-Asche (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19330 C Kathrin Vogler (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . 19331 C Martina Stamm-Fibich (SPD) . . . . . . . . . . . . . 19332 C Friedrich Ostendorff (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19333 C Gitta Connemann (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . 19334 C Dr . Karin Thissen (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . 19336 B Rudolf Henke (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . 19338 A Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 194 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 30 . September 2016II Tagesordnungspunkt 24: Antrag der Abgeordneten Nicole Maisch, Friedrich Ostendorff, Harald Ebner, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN: Missstände und Stillstand beim Tierschutz beenden – Gesellschaftli- chen Konsens umsetzen Drucksache 18/9798 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19339 B Nicole Maisch (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19339 C Johannes Röring (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . 19340 A Dieter Stier (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . . 19340 C Nicole Maisch (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19341 A Birgit Menz (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . 19342 B Christina Jantz-Herrmann (SPD) . . . . . . . . . . 19343 A Waldemar Westermayer (CDU/CSU) . . . . . . . 19344 C Friedrich Ostendorff (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19345 B Dr . Karin Thissen (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . 19346 A Artur Auernhammer (CDU/CSU) . . . . . . . . . . 19346 D Tagesordnungspunkt 25: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Geset- zes zur Änderung des Vereinsgesetzes Drucksache 18/9758 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19347 D Dr . Ole Schröder, Parl . Staatssekretär BMI . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19348 A Ulla Jelpke (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . . 19348 C Uli Grötsch (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19349 B Irene Mihalic (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19350 B Oswin Veith (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . 19351 A Susanne Mittag (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19352 A Andrea Lindholz (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . 19353 A Tagesordnungspunkt 26: a) Antrag der Abgeordneten Harald Weinberg, Sabine Zimmermann (Zwickau), Matthias W . Birkwald, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Gerechte Kran- kenkassenbeiträge für Selbstständige in der gesetzlichen Krankenversicherung Drucksache 18/9711 . . . . . . . . . . . . . . . . . 19354 A b) Antrag der Abgeordneten Harald Weinberg, Sabine Zimmermann (Zwickau), Matthias W . Birkwald, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Gerechte Kran- kenkassenbeiträge für freiwillig in der gesetzlichen Krankenversicherung Ver- sicherte Drucksache 18/9712 . . . . . . . . . . . . . . . . . 19354 A Sabine Zimmermann (Zwickau) (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19354 B Tino Sorge (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . . 19355 A Kathrin Vogler (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . 19356 B Maria Klein-Schmeink (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19357 A Heike Baehrens (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19358 A Dietrich Monstadt (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . 19359 A Marina Kermer (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19360 B Michael Hennrich (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . 19361 B Nächste Sitzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19362 D Berichtigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19363 C Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten . . . . . . 19365 A Anlage 2 Amtliche Mitteilungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19366 A (A) (C) (B) (D) Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 194 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 30 . September 2016 19311 194. Sitzung Berlin, Freitag, den 30. September 2016 Beginn: 9 .01 Uhr
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    Michael Hennrich Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 194 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 30 . September 2016 19363 (A) (C) (B) (D) Berichtigung 193 . Sitzung, Seite 19177 D, fünfter Absatz, ist wie folgt zu lesen: „Ergebnis der Abstimmung über den Antrag mit dem Titel „Mieterinnen und Mieter besser schützen – Zwei- te Mietrechtsnovelle vorlegen“: abgegebene Stimmen 580 . Mit Ja haben gestimmt 466, mit Nein haben gestimmt 114 . Damit ist die Beschlussempfehlung angenommen .“ 193 . Sitzung, Seite 19180 A, zweiter Absatz, ist wie folgt zu lesen: „Ergebnis der Abstimmung über den An- trag „Privatisierung von Bundesliegenschaften stoppen – Liegenschaftspolitik des Bundes nachhaltig reformieren“: abgegebene Stimmen 581 . Mit Ja haben gestimmt 467, mit Nein haben gestimmt 57, Enthaltungen 57 . Damit ist die Beschlussempfehlung angenommen .“ (A) (C) (B) (D) Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 194 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 30 . September 2016 19365 Anlagen zum Stenografischen Bericht Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Amtsberg, Luise BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 30 .09 .2016 Annen, Niels SPD 30 .09 .2016 Baerbock, Annalena BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 30 .09 .2016 Bär, Dorothee CDU/CSU 30 .09 .2016 Bas, Bärbel SPD 30 .09 .2016 Beck (Bremen), Marieluise BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 30 .09 .2016 Birkwald, Matthias W . DIE LINKE 30 .09 .2016 Dörner, Katja BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 30 .09 .2016 Ferner, Elke SPD 30 .09 .2016 Freudenstein, Dr . Astrid CDU/CS 30 .09 .2016 Fuchs, Dr . Michael CDU/CSU 30 .09 .2016 Gabriel, Sigmar SPD 30 .09 .2016 Griese, Kerstin SPD 30 .09 .2016 Groth, Annette DIE LINKE 30 .09 .2016 Hellmich, Wolfgang SPD 30 .09 .2016 Hendricks, Dr . Barbara SPD 30 .09 .2016 Hintze, Peter CDU/CSU 30 .09 .2016 Hirte, Dr . Heribert CDU/CSU 30 .09 .2016 Högl, Dr . Eva SPD 30 .09 .2016 Ilgen, Matthias SPD 30 .09 .2016 Jüttner, Dr . Egon CDU/CSU 30 .09 .2016 Kaufmann, Dr . Stefan CDU/CSU 30 .09 .2016 Kühn (Tübingen), Christian BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 30 .09 .2016 Lach, Günter CDU/CSU 30 .09 .2016 Lay, Caren DIE LINKE 30 .09 .2016 Leidig, Sabine DIE LINKE 30 .09 .2016 Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Leikert, Dr . Katja CDU/CSU 30 .09 .2016 Lerchenfeld, Philipp Graf CDU/CSU 30 .09 .2016 Möhring, Cornelia DIE LINKE 30 .09 .2016 Movassat, Niema DIE LINKE 30 .09 .2016 Müller, Bettina SPD 30 .09 .2016 Müntefering, Michelle SPD 30 .09 .2016 Nahles, Andrea SPD 30 .09 .2016 Nietan, Dietmar SPD 30 .09 .2016 Özoğuz, Aydan SPD 30 .09 .2016 Raabe, Dr . Sascha SPD 30 .09 .2016 Rüffer, Corinna BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 30 .09 .2016 Schlecht, Michael DIE LINKE 30 .09 .2016 Schmidt (Wetzlar), Dagmar SPD 30 .09 .2016 Steinbach, Erika CDU/CSU 30 .09 .2016 Steinmeier, Dr . Frank- Walter SPD 30 .09 .2016 Ullrich, Dr . Volker CDU/CSU 30 .09 .2016 Verlinden, Dr . Julia BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 30 .09 .2016 Vogel (Kleinsaara), Volkmar CDU/CSU 30 .09 .2016 Wagenknecht, Dr . Sahra DIE LINKE 30 .09 .2016 Weber, Gabi SPD 30 .09 .2016 Wegner, Kai CDU/CSU 30 .09 .2016 Weinberg (Hamburg), Marcus CDU/CSU 30 .09 .2016 Weinberg, Harald DIE LINKE 30 .09 .2016 Willsch, Klaus-Peter CDU/CSU 30 .09 .2016 Zech, Tobias CDU/CSU 30 .09 .2016 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 194 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 30 . September 201619366 (A) (C) (B) (D) Anlage 2 Amtliche Mitteilungen ohne Verlesung Der Bundesrat hat in seiner 948 . Sitzung am 23 . Sep- tember 2016 beschlossen, den nachstehenden Gesetzen zuzustimmen bzw . einen Antrag gemäß Artikel 77 Ab- satz 2 des Grundgesetzes nicht zu stellen: – Sechstes Gesetz zur Änderung des Vierten Bu- ches Sozialgesetzbuch und anderer Gesetze (6. SGB IV-Änderungsgesetz – 6. SGB IV-ÄndG) – Viertes Gesetz zur Änderung des GAK-Gesetzes – Erstes Gesetz zur Änderung des Bundesjagdgeset- zes Der Bundesrat hat ferner folgende Entschließung ge- fasst: 1 . Der Bundesrat nimmt mit Sorge zur Kenntnis, dass über die Umsetzung zwingender EU-Vorgaben hi- naus keine weiteren Änderungen jagdrechtlicher Vor- schriften bis auf weiteres erfolgen . 2 . Der Bundesrat sieht die dringende Notwendigkeit, durch Änderung des Bundesjagdgesetzes bundesein- heitlich folgende Regelungen zu treffen: a) Zur Vereinheitlichung der Prüfungsvorausset- zungen für die Falkner- und Jägerprüfung bittet der Bundesrat um die Aufnahme einheitlicher Mindeststandards in das Bundesjagdgesetz . In der Praxis haben sich deutliche Unterschiede zwischen den Ländern bei der Falkner- und Jä- gerprüfung herausgebildet . Insbesondere sind bei der Jägerprüfung praxisorientiere Mindest- standards bei der Schießprüfung zu bestimmen und in Fachgebieten wie beispielsweise der Fleischhygiene die notwendige fachliche Quali- fikation sicherzustellen. b) Der Bundesrat ist der Auffassung, dass wegen der besonderen Bedeutung von Querungshilfen (Wildunterführungen und Grünbrücken) für die Vernetzung der Lebensräume allgemein und den genetischen Austausch bei wandernden Tierarten im Besonderen sowie der hohen Empfindlich- keit im Querungsbereich gegenüber Beunru- higungen eine grundsätzliche Untersagung der Jagdausübung gerechtfertigt ist . Der Bundesrat spricht sich daher für ein Verbot der Jagdaus- übung und des Errichtens von Jagdeinrichtungen für die Ansitzjagd im Umkreis von 300 Metern von der Mitte von Wildquerungshilfen, mit Aus- nahme der Nachsuche, aus . Das Verbot zielt auf eine wirksame Vernetzung von Lebensräumen an Querungshilfen, deren Zielarten bezüglich einer Jagdausübung störungsempfindlich sind, d . h . Wildunterführungen und Grünbrücken, die zum Zwecke der Wildquerung angelegt wurden . Andere Durchlässe wie Betonröhren unter der Straße oder Querungshilfen für Fledermäuse sind nicht von der Regelung erfasst . Die auch finanziell aufwendigen Grünbrücken und Wildunterführungen sind so zu gestalten, dass sie vom Wild und sonstigen Zielarten ange- nommen werden . Eine wirksame Vernetzung der Lebensräume kann nur mit einem gleichzeitigen Jagdverbot erreicht werden . Gemäß § 19 Absatz 2 des Bundesjagdgesetzes können die Länder das Verbot einschränken, Ausnahmen der Jagdbehörden beispielswei- se bei übermäßigen Wildschäden an landwirt- schaftlichen Kulturen im 300 m-Radius sind nach Landesrecht möglich . Gleiches gilt für die Genehmigung einzelner Bewegungsjagden, bei- spielsweise auf Schwarzwild . Damit ruht zwar die Jagd im Grundsatz, es kann jedoch im Einzel- fall auf Sondersituationen reagiert werden . c) Zur Beseitigung etwaiger Rechtsunsicherheiten sollte durch eine ausdrückliche Regelung im Bundesjagdgesetz klargestellt werden, dass das persönliche Erscheinen des Bewerbers bei der Erteilung des Jagdscheins erforderlich ist . In Anbetracht der hohen Anforderungen an die Zuverlässigkeit (§ 17 Absatz 4 Nummer 4 Bun- desjagdgesetz) und körperliche Eignung (§ 17 Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 Bundesjagdgesetz) der Jagdscheininhaber spricht sich der Bundesrat für eine persönliche Vorstellung bei der zuständi- gen Behörde aus . Nur durch eine persönliche Vorstellung der An- tragstellerin oder des Antragstellers kann die Be- hörde einen unmittelbaren Eindruck über die kör- perliche Eignung gewinnen . Zur Absicherung der Entscheidung kann die Behörde die Vorlage eines amts- oder fachärztlichen Gutachtens auferlegen . Oftmals offenbart das Verhalten des Antragstel- lers, dass er nicht die für einen Waffenbesitzer und Jäger erforderliche körperliche Eignung be- sitzt . In der Regel handelt es sich um offensicht- liche geriatrische Erkrankungen, die in der Be- hörde auffallen, da die Person verwirrt erscheint oder keine Unterschrift leisten kann . Aber auch Alkoholismus, Behinderungen (insbesondere Geh- und Sehbehinderungen) sowie andere Er- krankungen wie Parkinson wurden durch o . g . Verwaltungsverfahren behördenbekannt . Ein nicht rechtskräftiges Urteil des Verwal- tungsgerichts Köln vom 17 .12 .2005 (Az .: 8 K 3009/15) stellt darauf ab, dass es für die Behörde keine Berechtigung gibt, die persönliche Vorstel- lung zu verlangen . Diese ergebe sich auch nicht aus § 17 des Bundesjagdgesetzes . Zum gleichen Ergebnis kam das VG Hamburg mit Urteil vom 16 .02 .2016 (Az .: 4 K 2351/2016) . 3 . Der Bundesrat spricht sich für eine Ergänzung des Bundesjagdgesetzes um eine Regelung zur Büchsen- munition aus . Der Bundesrat vertritt die Auffassung, dass ein Verbot, bei der Jagd Büchsenmunition mit bleihaltigen Geschossen sowie bleihaltige Flinten- laufgeschosse zu verwenden, dringend erforderlich ist . Der Bleieintrag in die Umwelt und in das Wild- bret durch bleihaltige Jagdmunition wird durch ein Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 194 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 30 . September 2016 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 194 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 30 . September 2016 19367 (A) (C) (B) (D) solches Verbot reduziert . Blei gehört zu den Umwelt- schadstoffen, für die keine unschädliche untere Gren- ze gefunden wurde, es gilt daher der Grundsatz, dass der Bleieintrag auf das Minimum beschränkt wird . – Erstes Gesetz zur Änderung des Direktzahlun- gen-Durchführungsgesetzes – Gesetz zur Regulierung des Prostitutionsgewerbes sowie zum Schutz von in der Prostitution tätigen Personen – Gesetz zur Umsetzung der Richtlinie (EU) 2015/566 und (EU) 2015/565 zur Einfuhr und zur Kodierung menschlicher Gewebe und Gewebezu- bereitungen – Gesetz zur Errichtung eines Transplantationsre- gisters und zur Änderung weiterer Gesetze – Gesetz zur besseren Vereinbarkeit von Vereinbar- keit von Familie, Pflege und Beruf für Beamtinnen und Beamte des Bundes und Soldatinnen und Sol- daten sowie zur Änderung weiterer dienstrechtli- cher Vorschriften – Erstes Gesetz zur Änderung des Bundesmeldege- setzes und weiter Vorschriften – Gesetz über die Errichtung einer Bundeskanz- ler-Helmut-Schmidt-Stiftung – … Gesetz zur Änderung des Strafgesetzbuches – Verbesserung des Schutzes der sexuellen Selbstbe- stimmung – Gesetz zur Verbesserung der Bekämpfung des Menschenhandels und zur Änderung des Bundes- zentralregistergesetzes sowie des Achten Buches Sozialgesetzbuch – Gesetz zur Änderung des Sachverständigen- rechts und zur weiteren Änderung des Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit sowie zur Änderung des Sozialgerichtsgesetzes, der Verwaltungsgerichtsordnung, der Finanzgerichts- ordnung und des Gerichtskostengesetzes – Gesetz zur Erleichterung des Ausbaus digitaler Hochgeschwindigkeitsnetze (DigiNetzG) – Sechstes Gesetz zur Änderung des Straßenver- kehrsgesetzes und anderer Gesetze – Gesetz zu dem Abkommen vom 12. November 2015 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Australien zur Beseitigung der Doppelbesteu- erung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkom- men und vom Vermögen sowie zur Verhinderung der Steuerverkürzung und -umgehung – Gesetz zu dem Übereinkommen von Paris vom 12. Dezember 2015 Die folgenden Ausschüsse haben mitgeteilt, dass sie gemäß § 80 Absatz 3 Satz 2 der Geschäftsordnung von einer Berichterstattung zu den nachstehenden Vorlagen absehen: Ausschuss für Wirtschaft und Energie – Unterrichtung durch die Bundesregierung Bericht über die Programme zur Innovations- und Technologieförderung im Mittelstand, in der lau- fenden Legislaturperiode, insbesondere über die Entwicklung des Zentralen Innovationsprogramms Mittelstand (ZIM) für das Jahr 2015 Drucksachen 18/8600, 18/8767 Nr. 1.2 Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur – Unterrichtung durch die Bundesregierung Verkehrsinvestitionsbericht für das Berichts- jahr 2014 Drucksachen 18/8800, 18/8934 Nr. 1.2 Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfol- genabschätzung – Unterrichtung durch die Bundesregierung Gutachten zu Forschung, Innovation und technolo- gischer Leistungsfähigkeit Deutschlands 2015 Drucksache 18/4310 – Unterrichtung durch die Bundesregierung Gutachten zu Forschung, Innovation und technolo- gischer Leistungsfähigkeit Deutschlands 2015 Drucksache 18/4310 hier: Stellungnahme der Bundesregierung Drucksache 18/6830 – Unterrichtung durch die Bundesregierung Gutachten zu Forschung, Innovation und technolo- gischer Leistungsfähigkeit Deutschlands 2016 Drucksache 18/7620 – Unterrichtung durch die Bundesregierung Mikroelektronik aus Deutschland – Innovations- treiber der Digitalisierung Rahmenprogramm der Bundesregierung für For- schung und Innovation 2016 bis 2020 Drucksache 18/7729 – Unterrichtung durch die Bundesregierung Bundesbericht Forschung und Innovation 2016 Drucksache 18/8550 – Unterrichtung durch die Bundesregierung Bericht der Bundesregierung zum Deutschlandsti- pendium über die Ergebnisse der Evaluation nach § 15 des Stipendienprogramm-Gesetzes und der Begleitforschung Drucksache 18/7890 hier: Stellungnahme des Beirats Deutschlandsti- pendium Drucksachen 18/8989, 18/9129 Nr. 1.3 Satz: Satzweiss.com Print, Web, Software GmbH, Mainzer Straße 116, 66121 Saarbrücken, www.satzweiss.com Druck: Printsystem GmbH, Schafwäsche 1-3, 71296 Heimsheim, www.printsystem.de Vertrieb: Bundesanzeiger Verlag GmbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de Die Vorsitzenden der folgenden Ausschüsse haben mitgeteilt, dass der Ausschuss die nachstehenden Uni- onsdokumente zur Kenntnis genommen oder von einer Beratung abgesehen hat . Auswärtiger Ausschuss Drucksache 18/9141 Nr . A .1 Ratsdokument 10023/16 Drucksache 18/9141 Nr . A .2 Ratsdokument 10715/16 Drucksache 18/9605 Nr . A .1 Ratsdokument 10594/16 Drucksache 18/9605 Nr . A .2 Ratsdokument 11037/16 Drucksache 18/9605 Nr . A .3 Ratsdokument 11047/16 Drucksache 18/9605 Nr . A .5 Ratsdokument 11490/16 Innenausschuss Drucksache 18/5982 Nr . A .10 Ratsdokument 11416/15 Drucksache 18/7286 Nr . A .4 Ratsdokument 14706/15 Drucksache 18/7612 Nr . A .4 Ratsdokument 5239/16 Drucksache 18/7612 Nr . A .14 Ratsdokument 15429/15 Drucksache 18/7733 Nr . A .2 Ratsdokument 5590/16 Drucksache 18/7733 Nr . A .3 Ratsdokument 5591/16 Drucksache 18/7733 Nr . A .4 Ratsdokument 5592/16 Drucksache 18/7733 Nr . A .5 Ratsdokument 5593/16 Drucksache 18/7733 Nr . A .6 Ratsdokument 5594/16 Drucksache 18/7733 Nr . A .7 Ratsdokument 5731/16 Drucksache 18/7934 Nr . A .2 Ratsdokument 5037/16 Drucksache 18/7934 Nr . A .3 Ratsdokument 5595/16 Drucksache 18/8140 Nr . A .5 Ratsdokument 6873/16 Drucksache 18/8668 Nr . A .15 Ratsdokument 8671/16 Drucksache 18/9141 Nr . A .5 Ratsdokument 10413/16 Ausschuss für Wirtschaft und Energie Drucksache 18/7934 Nr . A .14 Ratsdokument 6223/16 Drucksache 18/9141 Nr . A .12 Ratsdokument 9915/16 Drucksache 18/9141 Nr . A .15 Ratsdokument 10327/16 Drucksache 18/9141 Nr . A .16 Ratsdokument 10329/16 Drucksache 18/9605 Nr . A .48 EP P8_TA-PROV(2016)0292 Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur Drucksache 18/9141 Nr . A .23 Ratsdokument 9953/16 Drucksache 18/9141 Nr . A .24 Ratsdokument 10118/16 Drucksache 18/9141 Nr . A .25 Ratsdokument 10119/16 Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit Drucksache 18/8668 Nr . A .23 Ratsdokument 8408/16 Drucksache 18/9141 Nr . A .26 Ratsdokument 9704/16 Drucksache 18/9141 Nr . A .27 Ratsdokument 10179/16 Drucksache 18/9141 Nr . A .28 Ratsdokument 10442/16 Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung Drucksache 18/7612 Nr . A .33 Ratsdokument 5475/16 194. Sitzung Inhaltsverzeichnis TOP 22 Jahresbericht zumStand derDeutschen Einheit 2016 TOP 23, ZP 4 Antibiotikaminimierung in der Medizin TOP 24 Tierschutz TOP 25 Änderung des Vereinsgesetzes TOP 26 Krankenkassenbeiträge für Selbständige Anlagen Anlage 1 Anlage 2
Gesamtes Protokol
Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1819400000

Nehmen Sie bitte Platz . Die Sitzung ist eröffnet .

Einen wunderschönen guten Morgen wünsche ich Ih-
nen allen, liebe Kolleginnen und Kollegen .

Es gibt nur eine kleine zusätzliche Mitteilung bzw . die
Notwendigkeit, etwas zu vereinbaren, bevor wir in die
Tagesordnung einsteigen . Es gibt eine Vereinbarung der
Fraktionen, den Entwurf eines Gesetzes zur Flexibilisie-
rung des Übergangs vom Erwerbsleben in den Ruhestand
und zur Stärkung von Prävention und Rehabilitation im
Erwerbsleben auf der Drucksache 18/9787 auch an den
Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft zur Mit-
beratung zu überweisen . – Das leuchtet offenkundig fast
allen sofort ein . Dann können wir das so beschließen .
Dann wird so verfahren .

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 22 auf:

Beratung der Unterrichtung durch die Bundesre-
gierung

Jahresbericht der Bundesregierung zum
Stand der Deutschen Einheit 2016

Drucksache 18/9700

Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Energie (f)

Sportausschuss
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Finanzausschuss
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicher-
heit
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenab-
schätzung
Ausschuss für Tourismus
Ausschuss für Kultur und Medien
Ausschuss Digitale Agenda
Haushaltsausschuss

Hierzu liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion
Die Linke vor .

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung soll die
Aussprache 60 Minuten dauern . – Auch das ist unstreitig .
Dann verfahren wir so .

Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort der
Parlamentarischen Staatssekretärin Iris Gleicke .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


I
Iris Gleicke (SPD):
Rede ID: ID1819400100


Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Drei Themen waren uns in diesem Jahr beim Bericht der
Bundesregierung zum Stand der Deutschen Einheit be-
sonders wichtig: erstens die wirtschaftliche Entwicklung,
zweitens der dramatische Anstieg rechtsextremistischer
und fremdenfeindlicher Gewalt und drittens die Renten-
angleichung .

Über die in dem Bericht zum Ausdruck gebrachte
Sorge über die Zunahme rechtsextremistischer und frem-
denfeindlicher Gewalttaten und deren Auswirkungen auf
die gesellschaftliche und wirtschaftliche Entwicklung
gab es eine breite Berichterstattung . Unter den verschie-
denen Kommentaren, auch von politischer Seite, gab es
eine Menge Kommentare mit dem Tenor, eine so klare
Benennung der Gefahren, die vom Anstieg des Rechtsex-
tremismus ausgehen, tue dem Osten insgesamt nicht gut .
Da war sogar von einem angeblich neuen Osthass und
dergleichen mehr die Rede .

Meine Damen und Herren, ich möchte an dieser Stel-
le einmal etwas zu meinem Amtsverständnis sagen . Ich
betrachte es als meine Aufgabe, die Probleme, die der
Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse entgegen-
stehen, klar und deutlich zu benennen .


(Beifall bei der SPD und der LINKEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ja, natürlich sind das Erstarken von Rechtsextremismus,
Rassismus und Fremdenfeindlichkeit ein gesamtdeut-
sches Phänomen und ein gesamtdeutsches Problem; aber
die Zahlen sind eindeutig . Es gibt nichts daran zu beschö-
nigen, dass es in Ostdeutschland erstens eine massive






(A) (C)



(B) (D)


Zunahme dieser Gewalttaten im Vergleich zum Vorjahr
gibt und dass zweitens laut Verfassungsschutzbericht für
2015 die Zahl der rechtsextremistischen Gewalttaten be-
zogen auf 1 Million Einwohner in jedem ostdeutschen
Bundesland deutlich über dem Durchschnitt der west-
deutschen Länder liegt . Sollen wir vielleicht so tun, als
gäbe es diesen Befund nicht?

Nach Einschätzung des BKA ist für das Jahr 2015
vom höchsten Stand der politisch motivierten Krimina-
lität seit der Einführung dieses Definitionssystems im
Jahre 2001 auszugehen . Sollen wir das auch ignorieren?
Sollen wir darüber hinweggehen, in der Hoffnung, dass
sich das alles irgendwie von selbst erledigt? Sollen wir
darüber schweigen? Sollen wir es tatsächlich so machen
wie die drei Affen, die nichts sehen, nichts hören und
nichts sagen?

Wir leben in einem Land, in unserem Land, wo Flücht-
lingsheime angezündet und Menschen über die Straße
gejagt werden, weil sie eine andere Hautfarbe haben .
Diese Vorkommnisse haben auch weltweit für Aufmerk-
samkeit und Entsetzen gesorgt . Wenn das kein Grund ist,
Alarm zu schlagen! Wann soll man das bitte schön denn
eigentlich tun,


(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


wann, wenn nicht jetzt? Und wer sollte es denn tun, wer,
wenn nicht wir?

Ich habe es in der vergangenen Woche gesagt, und ich
wiederhole es hier: Rechtsextremismus, Fremdenfeind-
lichkeit und Intoleranz stellen eine sehr ernste Bedrohung
für die gesellschaftliche und wirtschaftliche Entwicklung
der neuen Länder dar . Ein entschlossenes Handeln der
Bundesregierung, der Länder, der Kommunen und der
Zivilgesellschaft ist notwendig, um den gesellschaftli-
chen Frieden in Ostdeutschland zu sichern .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Meine Damen und Herren, ich betone hier nochmals
ausdrücklich: Die ganz überwältigende Mehrheit der
Ostdeutschen ist nicht fremdenfeindlich oder rechtsex-
trem . Aber diese überwältigende Mehrheit ist leider im
Moment noch eine zum Teil schweigende Mehrheit . Es
sind aber alle gefordert, dem braunen Spuk noch ent-
schiedener, noch lauter, noch deutlicher entgegenzutre-
ten und diejenigen zu unterstützen, die das schon seit
vielen Jahren tun .


(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Diese Menschen und die zivilgesellschaftlichen Orga-
nisationen, die sich gegen Extremismus und für Demokra-
tie und Toleranz einsetzen, brauchen Planungssicherheit .
Das empfiehlt der Bericht des NSU-Untersuchungsaus-
schusses, und das ist im Koalitionsvertrag festgelegt .
Auf dieser Grundlage hat Bundesministerin Manuela
Schwesig einen Entwurf für ein Demokratiefördergesetz
erarbeitet, um von der Förderung einzelner Modellpro-

jekte hin zu einer bundesweiten, mit den Ländern abge-
stimmten Förderung der Präventionsarbeit zu gelangen .
Ich finde, das ist ein wichtiger und ein richtiger Schritt.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, es gibt das gute
Wort vom Aufstand der Anständigen; es steht viel auf
dem Spiel . Das ist wichtig für unsere moralische Inte-
grität, und das ist auch deshalb wichtig, weil der wirt-
schaftliche Aufholprozess Ostdeutschlands, freundlich
formuliert, äußerst verhalten verläuft .

Ja, in 26 Jahren deutscher Einheit ist sehr viel erreicht
worden, wirtschaftlich und sozial . Wir sind im Osten
Deutschlands fast bei der wirtschaftlichen Stärke des
EU-Durchschnitts angekommen . Darauf können wir mit
Recht stolz sein; ich bin es jedenfalls .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Aber der Abstand zur Wirtschaftskraft Westdeutschlands
lässt sich nicht leugnen und nicht schönreden; dazu bin
ich jedenfalls auch nicht bereit .

Mir ist schon klar: Das sind alles ziemlich unbequeme
Wahrheiten . Manche Leute in diesem Land sind offenbar
der Meinung, dass man den Ostdeutschen diese Wahrhei-
ten nicht zumuten dürfte . Deshalb macht man lieber ein
bisschen Schönfärberei hier und ein bisschen Propagan-
da da . Dann wundert man sich hinterher darüber, dass
so viele Leute AfD wählen, weil sie den etablierten Par-
teien kein Wort mehr glauben . Die Ostdeutschen halten
die Wahrheit sehr wohl aus . Sie haben schon ganz andere
Dinge ausgehalten . Sie haben einer ganzen Reihe von
widrigen Umständen zum Trotz Großartiges geleistet und
unglaublich viel erreicht . Was die Ostdeutschen wirklich
nicht mehr ertragen, ist die Unwahrheit . Ich kann deshalb
nur dringend davor warnen, bei der im Koalitionsvertrag
klar und eindeutig vereinbarten Rentenangleichung er-
neut Glaubwürdigkeit zu verspielen .


(Beifall bei der SPD und der LINKEN)


Ministerin Nahles hat einen Gesetzentwurf vorgelegt,
der die vollständige Angleichung bis zum Jahr 2020 vor-
sieht . Ich vertraue bei der Umsetzung auf die Unterstüt-
zung von Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen . Ich
vertraue da selbstverständlich auch auf unsere Bundes-
kanzlerin, die vor zwei Jahren in einem Interview gesagt
hat, dass die Renteneinheit 2020 erreicht sein soll und
dass sie bis 2017 ein Gesetz anstrebt, das den Fahrplan
zur vollständigen Angleichung der Rentenwerte in Ost
und West festschreibt .

Ich vertraue darauf, dass wir sagen, was wir tun, und
dass wir tun, was wir sagen .

Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der Abg . Monika Lazar [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Parl. Staatssekretärin Iris Gleicke






(A) (C)



(B) (D)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1819400200

Das Wort erhält nun die Kollegin Susanna Karawanskij

für die Fraktion Die Linke .


(Beifall bei der LINKEN)



Susanna Karawanskij (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1819400300

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Liebe Gäste! Wenn du etwas werden willst,
musst du in den Westen gehen . – Das hat nicht jemand
in den 90er-Jahren gesagt, sondern das habe ich letzte
Woche in meinem Wahlkreis in Oschatz zu hören bekom-
men . Dass das nach 26 Jahren immer noch in den Köpfen
drin ist und auch ein Teil der Wahrheit ist, ist irgendwie
schlimm .


(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Dann würde ich mal anfangen, zu arbeiten!)


Das erklärte Ziel, die Gleichwertigkeit der Lebensver-
hältnisse in Ost und West herzustellen, ist nach einer Ge-
neration noch nicht erreicht . Da frage ich mich, wie lange
der Versuch noch dauern soll . Noch eine weitere Genera-
tion, 50 Jahre? Wann wird das Ziel endlich erreicht? Das
ist doch eine Bankrotterklärung Ihrer Regierungspolitik .
Sie haben es über ein Vierteljahrhundert nicht geschafft,
dieses Ziel zu verwirklichen .


(Beifall bei der LINKEN)


Neben der treffenden Analyse, dass vor allem der
ländliche Osten ganz schön abgehängt ist, liefern Sie
kein Zukunftsprogramm, keinen Entwurf, was man da-
gegen tun kann und welche Maßnahmen man ergreifen
sollte . Sie lassen die Menschen im Regen stehen . Ja, die
Menschen sind enttäuscht . Sie sind zum Teil wütend . Sie
sind auch besorgt, und manchmal haben sie resigniert .
Sie sind schlicht und ergreifend machtlos . Sie müssen
immer wieder diesen Kampf aufnehmen, immer wieder
darauf pochen, dass sie nicht wie Degradierte behandelt
werden . Das geschieht nicht durch offene Anfeindungen,
das geschieht auch nicht durch eine Ohrfeige, sondern
das geschieht ganz still, zum Beispiel auf dem Lohnzet-
tel, auf dem Rentenbescheid und im Portemonnaie . Der
Kfz-Mechaniker bekommt immer noch durchschnittlich
500 Euro weniger, obwohl er dieselbe Ausbildung genos-
sen hat, vielleicht sogar beim selben Ausbilder . Das ist
nicht hinnehmbar . Das ist nicht mehr erklärbar .

Der Osten wird älter . Auch das stellen Sie in Ihrem
Bericht fest, und zwar nicht zum ersten Mal . Über ein
Viertel der Pflegebedürftigen lebt im Osten. Aber auch
die Pflegekräfte bekommen im Osten durchschnittlich
500 Euro weniger . Dieses Missverhältnis wird nicht von
allein verschwinden . Es ist unglaublich, dass diese Ein-
kommensschere immer noch vorhanden ist . Es ist eine
politische Aufgabe, dieses Gleichgewicht herzustellen .
Da kann man nicht mit einem Fingerzeig sagen, dass ir-
gendjemand diese soziale Gerechtigkeit herstellen soll .
Es ist unsere Aufgabe, es ist die Aufgabe des Staates, die-
se soziale Gerechtigkeit herzustellen .


(Beifall bei der LINKEN)


Es ist schon krass, wenn man sich die Tabellen zur
Altersarmut anschaut . Unter den Menschen, die in Ren-

te gehen oder in 20 Jahren in Rente gehen werden, ist
das Risiko, als Rentner arm zu sein, im Osten doppelt so
hoch wie im Westen . Warum eigentlich? Das muss doch
nicht so sein; das ist änderbar . Es ist jemandem, der die
DDR nur noch aus Geschichtsbüchern kennt, doch nicht
mehr erklärbar, warum er erstens weniger verdient und
zweitens auch noch weniger Rentenpunkte sammelt . Wir
wollen die steuerfinanzierte Angleichung des Rentenwer-
tes Ost an die allgemeinen Rentenwerte unter Beibehal-
tung des Umrechnungsfaktors der ostdeutschen Entgelte .
Ich kann es auch einfacher sagen: Wir wollen Augenhöhe
und Gleichheit .


(Beifall bei der LINKEN – Mark Hauptmann [CDU/CSU]: Wachen Sie doch mal auf, Frau Kollegin!)


Denn die Menschen arbeiten hart – auch das zeigt der
Bericht –, sie bringen sich ein und rackern . Und wozu?
Um zu erkennen und erzählt zu bekommen, dass sie im-
mer noch anders bewertet werden als die Menschen in
den alten Ländern, dass ihre Arbeit weniger wert ist, dass
der Torgauer, Wermsdorfer oder Schkeuditzer weniger
leistet oder weniger produktiv ist?

Sie erkennen in Ihrem Bericht an, dass trotz der
Kleinteiligkeit der Wirtschaft das Wirtschaftswachstum
im Osten steigt, dass es im Vergleich zum Westen aber
stagniert, und das Ganze bei 67 Prozent . Bei der Ver-
mögensverteilung ist es noch düsterer: 44 Prozent des
Westniveaus! Wir sehen an dieser Stelle eine Spaltung .
Wir sehen sie auch bei den Kommunen . Natürlich gibt es
auch im Westen ländliche Regionen und Kommunen, die
strukturell benachteiligt sind . Das Problem ist allerdings,
dass dies im Osten den Normalfall darstellt, im Westen
nicht . Natürlich gibt es Kommunen wie Gelsenkirchen
oder Bremen . Doch im Vergleich ist der ganze Osten Gel-
senkirchen; das macht den Unterschied aus .


(Beifall bei der LINKEN – Zuruf von der SPD: Das ist doch Quatsch hoch drei!)


Die Kommunen müssen wieder handlungsfähig, über-
lebensfähig und zukunftsfähig gemacht werden . Da ist es
nicht sonderlich attraktiv, wenn die öffentliche Daseins-
vorsorge abgebaut wird . Die Abwärtsspirale von niedri-
gen Einnahmen, verhältnismäßig hohen Sozialabgaben
und der lächerlichen Höhe der Investitionen – wir haben
immer noch einen Investitionsstau von über 130 Milli-
arden Euro – kann man nicht mit Kleckerbeträgen und
auch nicht mit finanziellen Probierportionen stoppen.
Es muss über eine umfassende Gemeindefinanzreform
nachgedacht werden . Wir Linke haben dazu Vorschläge
eingebracht .


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1819400400


Frau Karawanskij, würden Sie eine Zwischenfrage
des Kollegen Wendt zulassen?






(A) (C)



(B) (D)



Susanna Karawanskij (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1819400500


Nein, ich bin gerade in Fahrt .


(Heiterkeit bei Abgeordneten im ganzen Hause)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1819400600


Das merken wir .


(Mark Hauptmann [CDU/CSU]: Ja, nur in die falsche Richtung!)



Susanna Karawanskij (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1819400700


Wir wollen die Gewerbesteuer zu einer Gemeinde-
wirtschaftsteuer weiterentwickeln . Wir haben einen Vor-
schlag unterbreitet, wie wir die Bund-Länder-Finanzbe-
ziehungen tatsächlich solidarisch gestalten können . Wir
wollen auch eine langfristige Förderung von struktur-
schwachen Regionen in Ost und West durch einen So-
lidarpakt III . Wenn Sie wirklich an der Herstellung der
Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse in Ost und West
interessiert sind, dann setzen Sie sich doch damit ein-
mal auseinander, anstatt die Anträge der Linken immer
nur reflexartig abzulehnen, nur weil Ihnen der Absender
nicht passt .


(Beifall bei der LINKEN)


Der Osten ist alt, der Osten ist arm – er wird sogar
noch ärmer –, und der Osten ist rechts . Frau Gleicke, Sie
haben gerade gesagt: Mit Erschrecken stellt die Bundes-
regierung fest, dass die Zahl der fremdenfeindlichen und
rechtsextremistischen Übergriffe im Osten zugenom-
men hat . – Das ist tatsächlich schlimm . Das ist vor allen
Dingen für die Menschen schlimm, die sich tagtäglich
engagieren, trotzdem den Mund aufmachen und Flagge
zeigen . Doch der Befund ist nicht neu, und er ist auch
nicht überraschend . Es ist seit Jahren erforscht und nach-
gewiesen, dass wir ein Problem mit Rassismus und rech-
ten Einstellungen haben . Die Frage ist doch: Was folgt
daraus? Abgesehen davon, dass der Bericht dies konsta-
tiert, geht er nicht auf die vielfältigen Ursachen ein . Es
fehlt an einer Zukunftsperspektive . Was wollen Sie denn
unternehmen, um das zu ändern? Ich muss sagen: Da ha-
ben Sie in der Vergangenheit wirklich gepennt oder das
Problem nicht ernst genommen .


(Mark Hauptmann [CDU/CSU]: Ach was! Es ist eine Frechheit, das von Ihnen hören zu müssen!)


Seit über 15 Jahren wissen wir, dass wir im Osten
manifeste rechte Strukturen haben . Anstatt langfristig
geeignete Institutionen zu fördern, haben Sie jahrelang
Programme mit einer Dauer von zwei bis drei Jahren
aufgelegt . Man konnte sich mit Projekten bewerben und
musste beschreiben, wie sie zur Demokratieförderung
beitragen . Das Ganze war meistens zeitlich begrenzt
und prekär . Dann wurde evaluiert, und es wurden Best
Practices gesammelt, aber sie wurden institutionell nicht
weiter fortgeführt . Was ist denn dagegen einzuwenden,

das Bekenntnis abzugeben, dass antirassistische Bil-
dungsarbeit Grundkonsens ist,


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Grundkonsens bei der Ausbildung der Lehrerinnen
und Lehrer, beim Studium, im Kindergarten und in der
Grundschule? Das ist doch gar kein Problem .

Mir geht es nicht darum, hier eine Kluft zwischen Ost
und West aufzumachen und zu sagen, was besser oder
schlechter ist .


(Stefan Zierke [SPD]: Zu spät! – Weitere Zurufe von der CDU/CSU: Ha, ha! – Nein, natürlich nicht!)


Der Osten ist zum Teil anders . Wenn man sich zum Bei-
spiel die Erwerbsquoten von Frauen anschaut und sieht,
dass alleinerziehende Frauen im Osten fast immer selbst-
bewusst Vollzeit arbeiten,


(Mark Hauptmann [CDU/CSU]: Ich dachte, wir kämpfen für Vollzeitarbeit!)


dann lässt sich schon feststellen, dass sich die biedere,
vielleicht altbackene Form des Hausfrauendaseins doch
ein bisschen gewandelt hat . Daran kann man doch an-
knüpfen . Das sind die Ansatzpunkte für ein fortschritt-
liches und zukunftsorientiertes Bild, das dann auch für
Gesamtdeutschland gelten kann .

Meine Damen und Herren, ich, meine Generation und
auch meine Fraktion, die Linke, haben keine Lust mehr,
möglicherweise noch einmal ein Vierteljahrhundert zu
warten, bis Sie die deutsche Einheit hergestellt haben .


(Lachen bei der CDU/CSU)


Wachen Sie auf! Tun Sie etwas! Geben Sie den Men-
schen Zukunftsperspektive, Zuversicht und Vertrauen in
die Zukunft .

Vielen Dank .


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1819400800

Für die CDU/CSU-Fraktion erhält der Kollege Mark

Hauptmann das Wort .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Mark Hauptmann (CDU):
Rede ID: ID1819400900

Sehr geehrter Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen

und Kollegen! Geschätzte Zuschauer! Ich freue mich,
dass wir in dieser Stunde der Debatte über den Jahres-
bericht wieder einen besonderen Gast unter unseren
Zuschauern haben . Ich freue mich, einen Thüringer
Landsmann begrüßen zu können, nämlich den Bundes-
beauftragten für die Stasiunterlagen . Lieber Roland Jahn,
herzlich willkommen zu dieser Debatte .


(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)







(A) (C)



(B) (D)


Es freut uns, dass Sie uns mit Ihrer Anwesenheit zei-
gen, dass wir uns schätzen . Ich glaube, es spricht für Sie,
aber auch für uns, dass wir beide sagen können: Es ist
gut, dass in diesen Jahresbericht nicht nur das Thema
„Aufarbeitung der DDR-Diktatur“ aufgenommen wur-
de, welches aus der Perspektive der letzten 25 Jahre be-
leuchtet wird, sondern dass darin vor allem auch über den
zukünftigen Umgang mit den Stasiunterlagen Aussagen
getroffen wurden . Deswegen ein herzlicher Dank auch an
die Staatssekretärin und ihr Haus .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Sehr geehrte Damen und Herren, bevor ich auf we-
sentliche Punkte dieses Jahresberichtes eingehe, erlau-
ben Sie mir bitte einen kurzen Hinweis an die geschätzte
Kollegin der Linken und eine Bemerkung zum Thema
Rente .

Zur Rente ist das Zitat der Bundeskanzlerin schon ge-
nannt worden: Es gibt einen klaren Fahrplan in diesem
Land, und der besagt: Angleichung 2020 . Was wir nicht
brauchen, ist eine populistische Debatte der Linken, die
sagt: Wir wollen die Höherbewertung der Ostlöhne bei-
behalten, gleichzeitig sollen sich die Ost- und Westren-
ten aber auf demselben Niveau befinden. Fragen Sie doch
einmal jemanden aus Gelsenkirchen, Delmenhorst oder
Trier-Saarburg, was die sagen! Wo bleibt deren Lohnaus-
gleich? Wo bleibt deren Hochstufung?

Wir wollen in Deutschland ein generationengerechtes
Rentenmodell für das gesamte Land . Deswegen verab-
schieden Sie sich bitte von Ihren Wunschvorstellungen!


(Beifall bei der CDU/CSU)


Sehr geehrte Damen und Herren, ich kann diese Jam-
merei der Linken nicht mehr hören .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Ich bin stolz auf dieses Land und darauf, was wir in die-
sem Land in den letzten 26 Jahren erreicht haben . Bei
Ihnen ist der Jammerton zum Kammerton geworden .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Das, was wir erreicht haben, ist übrigens einmalig in
dieser Welt . Kein anderes Land weltweit hat in den ver-
gangenen 26 Jahren eine solche Leistung vollbracht . Das
sollten wir in den Vordergrund stellen .

Natürlich ist noch nicht alles hundertprozentig er-
reicht . Sie sprechen aber immer vom halbleeren Glas .
Dabei ist das Glas längst mehr als dreiviertel gefüllt .
Hier müssen wir aufwachen und sagen, was wir in diesen
26 Jahren Umbruchzeit erlebt haben .

Wo einst rigide Planwirtschaft herrschte, florieren
jetzt innovative Start-ups und ein innovativer Mittel-
stand . Wo einst die Natur unter staatlicher Aufsicht der
DDR verseucht wurde, wandern jetzt Touristen durch
Naturschutzgebiete .


(Dr . Thomas Feist [CDU/CSU]: Ja! So ist es!)


Wo einst Menschen sechs Jahre früher gestorben sind,
haben wir jetzt eine höhere Lebenserwartung . Das haben
wir in 26 Jahren deutsche Einheit erreicht .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Wenn wir uns in diesem Land einmal von Rostock
bis Sonneberg und von Frankfurt/Oder bis Eisenach
umschauen, dann erleben wir Betriebe, die internatio-
nal wettbewerbsfähig sind, und einen Anteil der Indus-
trie an der Bruttowertschöpfung, der heute höher als im
EU-Durchschnitt liegt . Das alles sind Entwicklungen,
auf die wir letztendlich stolz sein dürfen .

Was richtig ist – ich glaube, hier zeigt auch der Jah-
resbericht kein verzerrtes Bild –, ist, dass wir, wie viele
andere Länder auch, noch Herausforderungen zu bewäl-
tigen haben . Diese Herausforderungen müssen wir mit
aller Tatkraft angehen . Wir haben in den neuen Ländern
eine höhere Arbeitslosenquote, eine niedrigere Produk-
tivität und geringere Steuereinnahmen . Aber die Wirt-
schaftskraft hat sich in den letzten Jahren extrem entwi-
ckelt . Hier müssen wir mithelfen, diese Lücke weiter zu
verringern .

Ich möchte, weil wir derzeit den Gesamthaushalt für
das Jahr 2017 debattieren, sagen: Hier setzen wir nicht
auf das Gießkannenprinzip, sondern hier machen wir eine
Förderung auf den Punkt . Egal ob das bei INNO-KOM
oder bei ZIM ist, einem Programm für unseren Mittel-
stand: Wir fördern gezielt innovative Ideen . Wir fördern
gezielt eine mittelständische Struktur .

Eines ist in den neuen Ländern ganz klar zu sehen:
Dort ist die Wirtschaftsstruktur anders als im Westen .
Wir haben keine Supertanker im Sinne von vielen gro-
ßen DAX-Firmen . Aber wir haben sehr viele mittelgroße
Unternehmen, unsere Schnellboote . Diese Unternehmen
müssen wir für den internationalen Markt und die Glo-
balisierung fit machen. Hier haben wir seitens der Bun-
desregierung und auch mit Blick auf den Haushalt 2017
bereits Maßnahmen getroffen .


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1819401000

Herr Kollege Hauptmann, ich habe den Eindruck, Sie

sind nicht ganz so in Fahrt .


(Heiterkeit)


Könnten Sie sich vorstellen, eine Zwischenfrage des
Kollegen Tempel zuzulassen?


Mark Hauptmann (CDU):
Rede ID: ID1819401100

Ist das eine Aufforderung, noch weiter in Fahrt zu

kommen, Herr Präsident?


(Heiterkeit – Kerstin Andreae [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Ja!)


Aber ich lasse die Zwischenfrage gerne zu .


(Monika Lazar [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Jetzt kommt der Landsmann aus Thüringen!)


Mark Hauptmann






(A) (C)



(B) (D)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1819401200

Bitte .


Frank Tempel (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1819401300

Danke schön . – Herr Hauptmann, einmal unter Thü-

ringern: In meinem Landkreis, dem Altenburger Land –
das liegt von Ihnen aus gesehen auf der anderen Seite
von Thüringen –, muss sich gegenwärtig die Hälfte aller
Vollzeitbeschäftigten aufgrund der Löhne, die sie be-
kommen, und aufgrund des bestehenden Rentensystems
auf Altersarmut einstellen .


(Eckhardt Rehberg [CDU/CSU]: Schwachsinn!)


Jeder Dritte bei uns muss in den Westen fahren, um den
Lebensunterhalt für seine Familie zu verdienen, weil die
Löhne bei uns nicht ausreichen . Würden Sie auch das als
Gejammere bezeichnen? Diese Klagen nehmen wir mit
in dieses Haus . Das sind Thüringer, Leute aus dem Osten,
die bitte schön hier vertreten werden wollen .


Mark Hauptmann (CDU):
Rede ID: ID1819401400

Erstens . Geschätzter Herr Kollege, wenn ich mich

über das Altenburger Land informieren will, dann ver-
traue ich den Aussagen des direkt gewählten Abgeordne-
ten des Altenburger Landes . Er sitzt in meiner Fraktion .
Zweitens . Das Bild, das Sie von Thüringen und den neu-
en Bundesländern zeichnen, ist doch im Jahr 2016 nicht
mehr zutreffend .


(Frank Tempel [DIE LINKE]: Das sind Zahlen! Fakten!)


Schauen Sie sich doch bitte an, was passiert ist . Wir
haben in Thüringen die niedrigste Arbeitslosigkeit seit
26 Jahren . Wir haben die niedrigste Jugendarbeitslosig-
keit in der Geschichte unseres Landes . Es gibt in meinem
Wahlkreis mehr Einpendler aus Franken als Auspendler,
das heißt aus der Thüringer Region ins benachbarte Bun-
desland . Das sind Beispiele dafür, dass das Programm,
der Aufbau Ost, in den letzten 25 Jahren gewirkt hat .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Sehr geehrte Damen und Herren, ich habe davon ge-
sprochen, dass wir weiter daran arbeiten müssen, die
Infrastruktur und die Wirtschaft voranzubringen . Damit
bin ich beim Thema Infrastruktur . Man vergisst immer
so leicht, wie es früher war . Früher sind wir auf der Fahrt
von Leipzig nach Berlin über Betonplatten gepoltert .


(Dagmar Ziegler [SPD]: Wenn man ein Auto hatte!)


Heute haben wir eine moderne Infrastruktur, in die seit
1991, Herr Kollege, 94 Milliarden Euro investiert wur-
den . Für jedermann ist der Vorteil dieser Infrastruktur
sichtbar .


(Dr . Petra Sitte [DIE LINKE]: Heute stehen wir im Stau! Das ist viel besser!)


Eine Fahrtdauer von einer Stunde und 45 Minuten von
Berlin nach Erfurt mit dem Schnellzug hat es noch nie
zuvor gegeben . Diese Verbesserungen in der Verkehrs-

infrastruktur, die wir zu Wasser, auf der Straße und auf
der Schiene sehen, setzen wir jetzt fort, indem wir uns
auf die digitale Infrastruktur konzentrieren . Das Thema
Breitbandausbau im ländlichen Raum betrifft vor allem
den Osten dieser Republik, wo wir an dieser Infrastruk-
tur weiter arbeiten und die Lebensbedingungen der Men-
schen verbessern .

Wir dürfen – das ist das Weltbild der Union in die-
ser Regierungskoalition – die Menschen in den Städten
und im ländlichen Raum nicht gegeneinander ausspielen;
denn für uns ist jeder Mensch, egal wo er in Deutschland
lebt, ein Individuum, das wir fördern wollen und müs-
sen und in den Mittelpunkt unserer Gesellschaft rücken
müssen .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Deswegen brauchen wir aktive ländliche Räume .
Deswegen fördern wir sie seitens der Bundesregierung
über die GRW-Politik und über verschiedene Maßnah-
men . Aber was natürlich nicht hilft – da bin ich schnell
wieder beim Kollegen der Linken –, ist eine Thüringer
Linksregierung, die das einreißt, was wir als Bund mit
Fördermitteln aufgebaut haben . Ich meine die Gebietsre-
form, bei der den Menschen vor Ort Infrastruktur wieder
weggenommen wird: das Landratsamt, die Kreissparkas-
se, verschiedene Dinge, mit denen man den ländlichen
Raum bewusst ausdünnt .

In diesen Räumen haben die Menschen das Gefühl,
zurückgelassen zu werden, Bürger zweiter Klasse zu
sein . Das schafft natürlich auch Räume für Extremismus
und Populismus und somit auch die Voraussetzung für
den Aufstieg Ihrer Partei und der AfD .


(Zuruf von der SPD: Sie haben da doch lange genug regiert!)


Das müssen wir verhindern, sehr geehrte Damen und
Herren! Deswegen brauchen wir eine Stärkung des länd-
lichen Raumes und kein Ausdünnen und kein Zurückzie-
hen aus diesem Bereich .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Ich habe bereits angesprochen, was wir im infrastruk-
turellen Bereich und in der Wirtschaft erreicht haben .
Wichtig ist auch, was wir im sozialen Bereich erreicht
haben . Die Kollegin hat vorhin angesprochen, wel-
che Unterschiede es noch zwischen Ost und West beim
Lohngefüge gibt . Man darf dabei nicht vergessen, dass
wir die Arbeitslosenzahl massiv verringert haben . Dass
97 Prozent der tariflichen Entgelte in Ostdeutschland das
Westniveau erreicht haben, zeigt doch, dass der Prozess,
den wir in den letzten 26 Jahren in Gang gesetzt haben,
erfolgreich ist .


(Susanna Karawanskij [DIE LINKE]: Den Bericht haben Sie nicht wirklich gelesen?)


All dies widerspricht völlig dem Vorgehen, den Men-
schen einzureden, dass alles schlecht und mies sei . Indem
Sie alles nur kaputtreden, erzielen Sie höchstens partiku-
lär politische Erfolge für Ihre Seite .






(A) (C)



(B) (D)


Meine sehr geehrten Damen und Herren, wir haben in
den letzten 26 Jahren viel erreicht . Der Osten Deutsch-
lands hat zweifelsohne – das bestätigt auch jeder Jah-
resbericht – von der deutschen Einheit überproportio-
nal profitiert. Wir müssen jetzt weitergehen und auf der
Grundlage der derzeitigen Ausgangslage die nächsten
Schritte einleiten . Sie bestehen darin, zu sagen: Wir brau-
chen maßgeschneiderte Programme für den Mittelstand .
Wir müssen ihn automatisieren, digitalisieren, internatio-
nalisieren und fit für die Weltmärkte und die Globalisie-
rung machen .

Wenn ich in meinem Wahlkreis unterwegs bin, sehe
ich, dass man da unheimlich gut aufgestellt ist, dass wir
eine hohe Exportquote haben, dass wir innovative Ide-
en haben, die ihresgleichen suchen, und dass wir Hidden
Champions auch im ostdeutschen Mittelstand haben . Das
macht mich letztendlich stolz .


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1819401500

Herr Kollege .


Mark Hauptmann (CDU):
Rede ID: ID1819401600

Ich komme zum Schluss . – Ich bin stolz auf unser ver-

eintes Deutschland und das, was wir geleistet haben . Ich
freue mich – genauso wie hoffentlich viele von Ihnen –
auf den Tag der Deutschen Einheit am 3 . Oktober .

Herzlichen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1819401700

Katrin Göring-Eckardt spricht nun für die Fraktion

Bündnis 90/Die Grünen .


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Sehr ge-
ehrter Herr Hauptmann, ich finde es sehr schön, dass
Sie so stolz sind und sich so wohl fühlen . So schlimm
wie manch anderem in Ihrer Fraktion und aus Thürin-
gen scheint Ihnen die rot-rot-grüne Regierung in unserem
Bundesland nicht zu bekommen .


(Mark Hauptmann [CDU/CSU]: Doch!)


Darüber freue ich mich sehr .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Meine Damen und Herren, wir verstehen den Bericht
zum Stand der Deutschen Einheit hier im Haus gern als
eine Art jährliches Ritual und als Pulsmesser für die Ent-
wicklung der fünf noch immer neuen Länder . Das Inte-
resse ist, nun ja, unterschiedlich . Es muss mehr sein als
das – zumindest wenn man das ernst nimmt, was man
meint, wenn man von der deutschen Einheit spricht,
wenn man mehr meint als die Aufholjagd des Ostens bei
den Wirtschafts- und Lebensverhältnissen mit dem Ziel
der Angleichung an den Westen . „An welchen Westen
eigentlich?“, fragt man sich da . Geht es um die Anglei-

chung an das Ruhrgebiet, an Baden, an die Eifel, an Hol-
stein? Manche Regionen im Westen haben heute mehr
Aufholbedarf . Manchen Regionen im Osten geht es rich-
tig gut . Frau Karawanskij, ich nehme es Ihnen, ehrlich
gesagt, übel, dass Sie das nicht akzeptieren, dass Sie das
nicht ansprechen können .


(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Ideologisch verblendet!)


Denn auch daraus entsteht Identität, auch daraus ent-
steht der Anspruch auf mehr, auch daraus entsteht, dass
es nicht allen Regionen in Ostdeutschland schlecht geht,
dass es manche geschafft haben und manche eben nicht .
Deswegen geht es nicht dem ganzen Osten schlecht . Das
ist Quatsch .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Es muss bei der Debatte über diesen Bericht um unser
ganzes Land gehen . Nichtsdestotrotz beschreibt der Be-
richt in diesem Jahr – und das ist richtig – alarmierend
die Zunahme der Fremdenfeindlichkeit . Er wird noch
von der Realität eingeholt . In Dresden fanden in dieser
Woche feige, abscheuliche Sprengstoffanschläge auf ein
Gotteshaus und ein Kongresszentrum statt, all das we-
nige Tage vor den offiziellen Einheitsfeierlichkeiten. Es
sollte eigentlich vor allem eine Feier der Wiederverei-
nigung zu einem weltoffenen, freiheitlichen, toleranten
Deutschland sein . Ein Zeichen sollte gesetzt werden, ge-
gen Fremdenfeindlichkeit in Bautzen, in Freital, in Hei-
denau, gegen die Ausschreitungen, die nicht ein Angriff
auf Fremde waren, sondern ein Angriff auf unsere Frei-
heit und unsere Demokratie .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der Abg . Halina Wawzyniak [DIE LINKE])


Stattdessen bestimmen Sprengstoffanschläge das Bild
des Jahrestages .

Noch wissen wir zu wenig über die Täter . Dennoch:
Die Polizei vermutet einen fremdenfeindlichen Hinter-
grund . 2016 – das sagt der Bericht aus – hatten wir in
Deutschland insgesamt bisher doppelt so viele fremden-
feindliche Straftaten wie im ganzen Jahr 2015 . Inzwi-
schen sind es 1 800 . 1 800! Das ist in der Tat besorg-
niserregend . Und diejenigen, die den Anschlag auf die
Moschee verübt haben, haben bewusst in Kauf genom-
men, dass dort Menschen verletzt werden . Sie haben
signalisiert: Ihr gehört nicht hierher, ihr gehört nicht zu
uns . – Nein, das ist nicht deutsche Einheit, wie ich sie mir
vorstelle, meine Damen und Herren .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Im Jahresbericht finden sich jetzt starke Worte. Von
Radikalisierungstendenzen bis in die Mitte der Gesell-
schaft ist die Rede – richtig . Die Ausschreitungen in
Sachsen, die davor waren, werden benannt – richtig .
Es ist davon die Rede – auch richtig –, dass wir in Ost-
deutschland den niedrigsten Ausländeranteil und die
höchste Fremdenfeindlichkeit haben . Fremdenfeindlich-

Mark Hauptmann






(A) (C)



(B) (D)


keit ohne Fremde, das muss man erst einmal hinkriegen,
meine Damen und Herren .

Es geht aber eben auch – deswegen ist es gut, dass
Roland Jahn hier sitzt; ich freue mich darüber – immer
um die Frage: Was ist eigentlich innerhalb der DDR-Zeit
an Aufarbeitung des Nationalsozialismus passiert? Ha-
ben wir nicht einfach nur festgestellt, dass wir auf der
richtigen Seite der Geschichte stehen? Haben wir nicht
zu wenig aufgearbeitet, was das eigentlich auch für die-
sen Teil des Landes bedeutet hat?

Meine Damen und Herren, noch vor einigen Jahren
standen wir selbst in Ost und West uns fremd gegenüber .
Obwohl wir alle Deutsche sind, schien uns manchmal
mehr zu trennen, als uns verbunden hat . 40 Jahre Sozi-
alismus und 26 Jahre Mauer hinterlassen tiefe Spuren,
Unsicherheit, Verunsicherung . Und ja, wir hatten Jam-
merossis und Besserwessis . Trotzdem kann man sagen:
Wir sind aufeinander zugegangen, wir haben voneinan-
der gelernt, und wir haben angefangen, unser Land ge-
meinsam zu gestalten .

Ja, es gibt sie, die Fremdenfeinde, die Ausländerfein-
de . Trotzdem ist es so, dass wir andere, die wir für De-
mokratie, Offenheit und Toleranz in unserer Gesellschaft
stehen, mehr sind .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Deswegen bleibe ich dabei: Wir, sie brauchen eine Stim-
me . – Das heißt nicht, dass der Alarm im Bericht falsch
wäre . Das heißt, wir sollten uns darauf besinnen, auch
zu sagen, was jetzt nach vorne hin geschehen muss . Das
heißt eben, dass man kein Integrationsgesetz machen
sollte, was mehr ein Integrationsverhinderungsgesetz ist
und was einen Stein nach dem anderen in den Weg legt .
Dann kriegt man nicht Einheit, sondern dann gibt man
auch noch denen Recht, die mit fremdenfeindlichen Pa-
rolen durchs Land laufen, meine Damen und Herren .

Deswegen meine große Bitte: Wenn wir deutsche Ein-
heit ernst meinen, dann geht es um mehr als um Ost oder
West . Wenn wir deutsche Einheit ernst meinen, dann geht
es um das Zusammenleben und den Zusammenhalt in
unserem Land . Wenn wir deutsche Einheit ernst meinen,
dann geht es auch um diejenigen, die erst kurze Zeit in
diesem Land sind . Dann geht es darum, mit ihnen ge-
meinsam Demokratie zu bauen und auszubauen, gegen
Fremdenfeinde zu agieren und deutlich zu machen: Das
ist unser Land, das ist unsere Demokratie . Wir werden sie
verteidigen und gemeinsam, auch mit den jetzt Dazuge-
kommenen, gestalten . Darum geht es . Dafür braucht es
Leidenschaft und gerne auch Streit .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1819401800

Ich erteile das Wort der Kollegin Sabine Poschmann

für die SPD .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Sabine Poschmann (SPD):
Rede ID: ID1819401900

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Im Ruhrgebiet sagt man: In alte Gräben soll
man nicht noch Spundwände einziehen . Ich glaube, auch
das sollten wir hier im Parlament vermeiden und gemein-
sam versuchen, alte Gräben zu überwinden .

Rechtsextremismus kennt keine Himmelsrichtungen
und auch keine Ländergrenzen . Es gibt ihn im Osten wie
im Westen, wenn auch in unterschiedlicher Ausprägung .
Rechtsextreme Gesinnung ist eine zentrale Herausfor-
derung für unsere Demokratie geworden . Das muss uns
allen klar sein . Aber wir werden uns auch von Wirrköp-
fen und Straftätern nicht vom Weg abbringen lassen und
weiter daran arbeiten, für alle Menschen in Deutschland
gleichwertige Bedingungen zu schaffen .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ein Schlüssel ist die Wirtschaftspolitik . Was wir benö-
tigen, ist ein gesamtdeutsches Fördersystem, das struk-
turschwachen Regionen in Ost und West gleichermaßen
auf die Beine hilft, und zwar auch nach 2019, wenn der
Solidarpakt II ausläuft .

An den ersten Stellschrauben der aktuellen Förderar-
chitektur haben wir bereits gedreht . Wir haben auf den
Osten beschränkte Förderprogramme für alle Länder ge-
öffnet . Das wird aber nicht reichen . Wir müssen vor al-
len Dingen die Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der
regionalen Wirtschaftsstruktur“ auf neue Füße stellen .
Sie ist neben anderen Programmen das wichtigste Instru-
ment, um strukturschwachen Regionen unter die Arme
zu greifen . Wir brauchen ein Fördersystem, das Geld in
die Regionen schickt, die es auch wirklich nötig haben .
Und wir müssen die betroffenen Regionen bzw . Kom-
munen in die Lage versetzen, dass sie die Kofinanzie-
rung stemmen können, insbesondere aber auch, dass sie
personell die Projekte einstielen und nach vorne bringen
können, um die Fördergelder überhaupt abzuschöpfen .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Eine gute Wirtschaftspolitik, liebe Kolleginnen und
Kollegen, wird aber nur Erfolg haben, wenn sie auch von
einer guten Arbeitsmarktpolitik flankiert wird. Wir müs-
sen uns intensiver um jene Menschen kümmern, die sich
bereits jetzt von jeglichem Fortschritt abgekoppelt fühlen
und für sich keine Perspektive mehr sehen . Wir müssen
dauerhaft für diejenigen Beschäftigung organisieren, de-
nen der Weg zur Teilhabe am Berufsleben versperrt ge-
blieben ist . Das funktioniert meiner Meinung nach am
besten mit einem neuen sozialen Arbeitsmarkt, wie er zu
Recht von vielen gefordert wird .

Die Konjunktur läuft gut, die Auftragsbücher von Un-
ternehmen vieler Branchen sind voll. Trotzdem finden
Langzeitarbeitslose nach wie vor nur selten einen Job,
im Osten wie im Westen . In Sachsen-Anhalt sind 40 Pro-
zent aller Langzeitarbeitslosen zwei bis fünf Jahre ohne
Job, 13 Prozent sogar länger . In anderen Regionen Ost-
deutschlands sieht das ganz ähnlich aus . Und im Westen?
Sie werden Städte und Kreise finden, in denen der An-
teil der Langzeitarbeitslosen über 50 Prozent liegt . Wir
sollten uns ehrlich machen und eingestehen: So sinnvoll

Katrin Göring-Eckardt






(A) (C)



(B) (D)


unsere bisherigen Instrumente sind, den harten Kern der
Langzeitarbeitslosen erreichen wir nicht . Wir brauchen
einen sozialen Arbeitsmarkt, der dauerhaft ausfinanziert
ist und feste, sozialversicherungspflichtige Beschäfti-
gung garantiert .


(Beifall bei der SPD sowie der Abg . Dr . Petra Sitte [DIE LINKE])


Ich bin mir ganz sicher: Wenn es uns gelingt, Men-
schen durch Arbeit und Teilhabe die Tür zu einem neuen,
besseren Leben zu öffnen, liebe Kolleginnen und Kolle-
gen, dann wird es uns auch gelingen, das Vertrauen dieser
Menschen zurückzugewinnen .

Herzlichen Dank .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1819402000

Monika Lazar ist die nächste Rednerin für die Frakti-

on Bündnis 90/Die Grünen .


Monika Lazar (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1819402100

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Rassismus und Rechtsextremismus sind ein Problem im
ganzen Land, deren Bekämpfung die Politik aller Ebenen
als gesamtgesellschaftliche Aufgabe wahrnehmen muss .
Aber man muss auch benennen, dass es in Ostdeutsch-
land, bezogen auf die Einwohnerzahl, im letzten Jahr
fünfmal mehr rassistische Übergriffe gab . Deshalb ist es
gut, dass im diesjährigen Bericht zum Stand der Deut-
schen Einheit der Rechtsextremismus als eines von drei
zentralen Problemfeldern genannt wird .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)


Ja, wir haben ein Rassismusproblem im Osten . Das
sage ich gerade auch als sächsische Abgeordnete . Die
Einschätzung im Bericht, Ostdeutschland werde nur als
weltoffene Region Entwicklungschancen haben, wird
am Beispiel von Dresden eindrucksvoll belegt: Der von
Pegida angerichtete Imageschaden hat Tourismus und
Wirtschaft beeinträchtigt, und die Zahl der Studierenden
ist gesunken . Aber ganz unabhängig vom wirtschaftli-
chen Schaden ist entscheidend, dass das Problem „rechte
Gewalt“ überall endlich ernst genommen wird .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Überall in unserem Land hat es 2015 einen dramati-
schen Anstieg von rechtsmotivierter Gewalt gegeben,
aber besonders die Namen einiger sächsischer Orte sind
nun bundesweit bekannt: In Heidenau, Freital, Meißen,
Bautzen, Clausnitz und an anderen Orten ist die Situation
eskaliert . Rassistinnen und Rassisten haben sich von ver-
balen Drohungen zu realen, teils lebensbedrohlichen Ta-
ten aufgemacht . Es scheint, als ob Teile der Gesellschaft
besonders in Ostdeutschland Gewalt gegen Geflüchtete
tolerieren und als ob Anschläge auf Unterkünfte als legi-

times Ziel der politischen Auseinandersetzung akzeptiert
werden . Das dürfen wir nicht hinnehmen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Es nützt eben nichts, die Probleme zu ignorieren und
diejenigen, die sich auch in schwierigen Gegenden für
unsere Demokratie engagieren, als Nestbeschmutzer zu
verunglimpfen, wie es leider immer noch passiert . Die
Probleme müssen offen benannt werden, und die Enga-
gierten müssen auch von der lokalen Politik ernst genom-
men und unterstützt werden .

Die Verrohung und auch die immer niedrigere Hemm-
schwelle für Beleidigungen zeigen, wie tief die Gräben in
unserer Gesellschaft geworden sind . Als Demokratinnen
und Demokraten ist es unsere Aufgabe, für unsere Demo-
kratie zusammenzustehen, statt nach rechts zu blinken;
denn es bringt nichts, sich Rassistinnen und Rassisten
anzubiedern . Die Wählerinnen und Wähler entscheiden
sich zum Schluss ja doch für das Original .

Gerade angesichts unserer eigenen Geschichte ist es
unverständlich, dass es offenbar schwerfällt, Menschen,
die in Not zu uns kommen, einen sicheren Platz zum Le-
ben zu bieten .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Ich hoffe, dass auch dieser Bericht ein Anlass ist, um das
zu ändern .

Auch der Feiertag am nächsten Montag wäre eine gute
Gelegenheit, dass wir uns bewusst machen, dass Demo-
kratie kein Automatismus ist – die Ostdeutschen unter
uns wissen, wovon wir reden –, sondern dass wir uns alle
täglich für unsere Gesellschaft engagieren und unsere
freiheitlichen Errungenschaften verteidigen müssen .

Vielen Dank .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie der Abg . Daniela Kolbe [SPD])



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1819402200

Das Wort erhält nun der Kollege Eckhardt Rehberg für

die CDU/CSU-Fraktion .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Eckhardt Rehberg (CDU):
Rede ID: ID1819402300

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Frau Karawanskij, „Wer etwas werden möchte,
muss in den Westen gehen“, so hieß es . Ich habe zwei
Söhne; auch die wollten in den Westen . Ich habe sie
überzeugt, nach dem Abitur in Wismar zu studieren . Sie
haben heute beide einen guten Job in Rostock und Um-
gebung . Sie wollten in den Westen gehen, aber ich habe
ihnen klar gemacht: Bleibt hier, weil ihr hier alle Chan-
cen in der Zukunft habt . Wenn Sie sagen: „Der Osten ist
arm“, dann entgegne ich Ihnen: Diese Region hat in den
letzten 25 Jahren die positivste Entwicklung einer Regi-
on in Europa und sogar auf der Welt genommen, die es je

Sabine Poschmann






(A) (C)



(B) (D)


gegeben hat – durch das Engagement der Ostdeutschen
und durch die Solidarität der Westdeutschen .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und der Abg . Kersten Steinke [DIE LINKE])


Deswegen ist der Osten nicht arm .

Der Osten ist auch nicht alt . Junge Menschen haben
dort alle Chancen . Wer so redet wie Sie, der wird nicht
dafür sorgen, dass sich mancher, der vor 10, 15 oder
20 Jahren in die alten Länder gegangen ist, womöglich
gehen musste, weil zu Hause kein Arbeitsplatz für ihn
war, entschließt, wieder zurückzukommen . Ich kann Ih-
nen für mein Heimatland sagen: In Rostock, in Wismar,
in Stralsund werden Arbeitskräfte, Fachkräfte gesucht .
Junge Menschen, die zurückkommen, Mann oder Frau,
Familien haben dort alle Chancen: Ein Studium ist mög-
lich, Kitaplätze und vernünftige Schulen sind vorhan-
den . – Wer so redet wie Sie, der trägt zur Vergreisung
Ostdeutschlands bei .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Zum Dritten hieß es: Der Osten ist rechts . – Sie stig-
matisieren mit diesem Ausspruch 16 Millionen Men-
schen .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg . Detlef Müller [Chemnitz] [SPD] – Monika Lazar [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das steht ja so nicht im Bericht!)


Die Überschrift einer Presseerklärung von Staatssekre-
tärin Gleicke lautete: „Rechtsextremismus ist ernste
Bedrohung für die gesellschaftliche und wirtschaftliche
Entwicklung der neuen Länder“ .


(Dr . Petra Sitte [DIE LINKE]: Ja! – Matthias Schmidt [Berlin] [SPD]: Das stimmt auch! – Daniela Kolbe [SPD]: Das steht im Bericht der Bundesregierung, nicht wahr?)


Wissen Sie, was mir am Wochenende passiert ist? Schul-
kolleginnen und -kollegen kamen in einem Baumarkt auf
mich zu und sagten: Ecki, ich bin aber kein Nazi . – Sie
fühlten sich stigmatisiert . Wer heute bei der Debatte über
den Jahresbericht der Bundesregierung zum Stand der
Deutschen Einheit 2016 seine Äußerungen auf das The-
ma Rechtsextremismus verengt,


(Dr . Petra Sitte [DIE LINKE]: Tut doch niemand!)


dem kann ich nur sagen: Thema an dieser Stelle schlicht-
weg verfehlt!


(Beifall bei der CDU/CSU – Widerspruch bei der LINKEN)


Nun noch zu ein paar Fakten . Sie behaupten, dass die
Altersarmut im Osten mit Wucht zunehmen werde . Tat-
sächlich verhält es sich völlig anders .


(Dr . Petra Sitte [DIE LINKE]: Überhaupt nicht wahr!)


Heute sind 3,1 Prozent der Rentnerinnen und Rentner in
den alten Bundesländern in der Grundsicherung . Im Os-
ten sind es 1,7 Prozent .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Daniela Kolbe [SPD]: Das wird sich ja ändern!)


Es gibt eine Studie der Uni Rostock, in Auftrag gegeben
vom Landtag Mecklenburg-Vorpommern, die auch für
das nächste Jahrzehnt keine wesentliche Zunahme erken-
nen lässt . Ich will Ihnen auch sagen, warum .

Ich verweise auf Seite 44 des Berichts, Punkt 4 .4 „Al-
terssicherung und Rentenangleichung“ . Wenn man da im
letzten Absatz von der Rentenangleichung schreibt, muss
man aber auch sagen, Frau Staatssekretärin Gleicke – Sie
haben ja von Glaubwürdigkeit gesprochen –, dass dann
6 Millionen Ostdeutsche zukünftig weniger Rente be-
kommen werden, weil politisch und rechtlich die Höher-
wertung der Löhne um aktuell 15 Prozent zwangsläufig
wegfallen muss .


(Beifall bei der CDU/CSU – Zuruf von der SPD: Stimmt doch gar nicht!)


Das muss man dann aber bitte auch sagen . Wenn man
dies nicht sagt, Frau Gleicke, dann werden irgendwann
6 Millionen Ostdeutsche auf ihrem Rentenbescheid mit-
bekommen, dass sie zukünftig weniger Rente erhalten
werden . Die eine Wahrheit gehört zur anderen dazu . Ich
kann nicht durch die politische Landschaft laufen und
den Rentnern suggerieren, dass sie die Rentenanglei-
chung bekommen, ohne den 6 Millionen ostdeutschen
Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern zu sagen, dass
sie dann einen Nachteil haben werden .


(Beifall des Abg . Andreas G . Lämmel [CDU/ CSU])


Wer das gemacht hat, war die Bundesarbeitsministerin
Frau Nahles . An der sollte sich so mancher ostdeutsche
Ministerpräsident ein Beispiel nehmen .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, es gab zu dem Be-
richt einen ganz spannenden Artikel in der Zeit mit dem
Titel „Mut zur guten Laune“, in dem die Meinung ver-
treten wird, dass dieser Bericht, so wie er abgefasst ist,
schlechte Laune verbreitet .


(Dr . Karamba Diaby [SPD]: Das ist doch Quatsch!)


Es kommt natürlich immer darauf an, welche Vergleiche
man bei der wirtschaftlichen Entwicklung zieht . Natür-
lich kann man immer Ost und West vergleichen . Aber
wenn man zum Beispiel Holstein oder die Pfalz ständig
mit München oder Hamburg vergleichen würde, dann
würde man für erstere auch eine unterdurchschnittliche
Wirtschaftskraft feststellen . Da sollten wir alle uns ge-
legentlich überlegen – das ist für mich auch Sinn die-
ser Debatte zum Bericht zum Stand der Deutschen Ein-

Eckhardt Rehberg






(A) (C)



(B) (D)


heit –: Wo standen wir vor 25 Jahren, wo standen wir vor
20 Jahren, und wo stehen wir heute?


(Beifall bei der CDU/CSU – Dr . Petra Sitte [DIE LINKE]: Rehberg, der Gute-Laune-Bär!)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, am beeindruckend-
sten finde ich die Entwicklung im Behindertenbereich.


(Dr . Franz Josef Jung [CDU/CSU]: Das ist wahr!)


Waren Sie 1990 mal in einer Behinderteneinrichtung?
Gehen Sie doch heute einmal hin! Es gibt einen alten
Grundsatz: Du erkennst die Gesellschaft daran, wie sie
mit ihren Schwächsten umgeht . – Wie der real existieren-
de Sozialismus in der DDR mit Behinderten, mit Alten,
mit Kranken, mit Pflegebedürftigen umgegangen ist, das
war menschenunwürdig .


(Beifall bei der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg . Sonja Steffen [SPD] und Halina Wawzyniak [DIE LINKE])


Denken Sie an moderne Krankenhäuser, moderne Uni-
versitäten, moderne Hochschulen! Kollege Hauptmann
hat auf die Infrastruktur hingewiesen. Ich finde es heraus-
ragend, dass Alexander Dobrindt und Wolfgang Schäuble
vereinbart haben, 4 Milliarden Euro für den Breitband-
ausbau zur Verfügung zu stellen . In mein Heimatland
fließen 700 Millionen Euro Fördermittel. Die Landesre-
gierung wird das mit 300 Millionen Euro komplettieren .
Das ist Zukunft . In meinem Heimatland kann ich jungen
Menschen sagen, dass sie in zwei bis drei Jahren überall
50 Megabit haben werden .


(Susanna Karawanskij [DIE LINKE]: Bei mir leider nicht!)


Breitbandausbau ist für mich Zukunft, und das ist auch
Zukunft für die ländlichen Räume, liebe Kolleginnen und
Kollegen .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Ich habe noch einmal beim Wirtschaftsministerium
nachgefragt: Gab es in Mecklenburg-Vorpommern in den
letzten zehn Jahren wegen der NPD – sie ist 2006 in den
Landtag eingezogen – irgendeine Absage, oder ist ein
Tourist weniger gekommen? Ich kann Ihnen nur sagen:
Wir werden in diesem Jahr wahrscheinlich die 30-Mil-
lionen-Marke bei der Touristenzahl knacken . Das ist die
höchste Zahl, die es je gegeben hat . Und das Wirtschafts-
ministerium hat mir geantwortet: Nein, ganz im Gegen-
teil . Eine malaysische Investorengruppe hat drei Werften
gekauft; die Beschäftigtenzahl soll verdoppelt werden .
Auf Rügen ist die Ansiedlung eines türkischen Unterneh-
mens, Großrohrleitungsbau, zu verzeichnen . Schweizer
Medizinfirmen kommen. – Ich könnte die Liste endlos
fortführen .

Ja, es sind kleine Unternehmen, 20, 30, 40, 50 Ar-
beitsplätze, aber es sind hochwertige Arbeitsplätze, die
da kommen . Es sind keine Arbeitsplätze im Dienstleis-
tungsbereich – ganz im Gegenteil . Deswegen sollten wir
uns auch vorsehen, ehe wir davon sprechen, dass der

Rechtsextremismus eine ernstzunehmende Gefahr für
die wirtschaftliche Entwicklung sei . Wer so etwas in den
Vordergrund rückt, bringt natürlich andere zum Nach-
denken, ob es sich lohnt und ob es interessant ist, in den
neuen Bundesländern zu investieren .


(Kathrin Vogler [DIE LINKE]: Unglaublich! – Zurufe von der SPD)


Für Mecklenburg-Vorpommern kann ich sagen: Der
Rechtsextremismus ist keine Gefahr gewesen .


(Beifall bei der CDU/CSU – Zurufe von der SPD und der LINKEN)


Lassen Sie mich noch einen letzten Punkt anspre-
chen – ich habe ihn schon einmal vor gut zehn Jahren
hier im Bundestag angesprochen; ich glaube, es war mei-
ne erste Rede –: Wir hatten in dieser Woche ein Gespräch
mit Stiftungen . Unisono waren alle Stiftungen der Mei-
nung, dass wir bei der politischen Bildung in der Schule
erheblichen Nachholbedarf haben . In keinem deutschen
Bundesland wird bis zur zehnten Klasse ausführlich auf
die beiden Diktaturen in Deutschland, auf die braune und
auf die rote Diktatur, eingegangen .


(Dr . André Hahn [DIE LINKE]: In Sachsen kann man Geschichte abwählen!)


Es ist einfach keine Zeit . Deswegen mein Vorschlag:
Lieber etwas weniger die Antike, das Römische Reich,
das Mittelalter behandeln . Es muss doch in der neunten
und zehnten Klasse Zeit und Gelegenheit sein, 16- und
17-Jährige mit der Geschichte und Politik des 19 . und
20 . Jahrhunderts bekannt zu machen . Ich glaube, wer die-
se Diktaturen bzw . Unrechtsstaaten nicht im Geschichts-
unterricht nahegebracht bekommt, der wird nicht den
Wert von Freiheit, Demokratie und Rechtsstaat heute
einschätzen können .

Herzlichen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg . Daniela Kolbe [SPD])



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1819402400

Stefan Zierke für die SPD-Fraktion .


(Beifall bei der SPD)



Stefan Zierke (SPD):
Rede ID: ID1819402500

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kollegin-

nen und Kollegen! Herr Rehberg, das ist ein Bericht der
Bundesregierung, der vom Kabinett beschlossen wurde .
Von daher sollten wir uns doch alle diesem Bericht stel-
len, und zwar ehrlich . Ich danke Iris Gleicke ausdrück-
lich, dass dieser Bericht ehrlich ist . Nur wer Ehrlichkeit
lebt, kann auch ehrlich weiterarbeiten .


(Beifall bei der SPD)


Wenn wir etwas verschweigen, dann können wir die
Ursache nicht finden und nicht die entsprechenden Instru-
mente anwenden . Iris Gleicke hier jetzt einen Vorwurf zu
machen, ist dem eigentlich nicht angemessen . Iris ist eine

Eckhardt Rehberg






(A) (C)



(B) (D)


der Kolleginnen, die ich als Ostdeutscher schätze, weil
sie wirklich die ostdeutschen Interessen durchsetzt,


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


und zwar gegen viele andere, die noch nicht in der ver-
einten Bundesrepublik angekommen sind .

Ich möchte hier im Bundestag aber auch noch einmal
die Wertschätzung für die Ostdeutschen zum Ausdruck
bringen . Was die Ostdeutschen seit der Wende geleistet
haben, ist wirklich enorm . Sie haben mit Umbrüchen ge-
kämpft . Sie haben auch damit gekämpft, dass auf ein-
mal Naturräume, die früher zum Wirtschaften da waren,
komplett zu geschützten Kernzonen wurden . Auf all das
mussten sie sich neu einstellen . Der Tourismus wurde in
diesem Zusammenhang schon benannt .

Ich möchte für uns als SPD-Fraktion auch etwas zu
den Linken sagen .


(Dr . Petra Sitte [DIE LINKE]: Wir haben gar nichts gesagt!)


Sie taten so, als würde die Bundesregierung gar nichts
machen,


(Mark Hauptmann [CDU/CSU]: So ist es!)


als würden wir gar nichts für die Wertschätzung der Ost-
deutschen tun . Wir haben, was Sie nie geglaubt haben,
den Mindestlohn durchgesetzt .


(Beifall des Abg . Willi Brase [SPD])


Der Mindestlohn verhilft 1 Million Ostdeutschen zu ei-
ner besseren Situation . Das ist etwas Gutes; das kann
man ruhig sagen .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Das hat diese Bundesregierung gemacht . Wir haben im
letzten Jahr gegen den Widerstand des Finanzministe-
riums dafür gesorgt, dass die Regionalisierungsmittel
auskömmlich neu verhandelt wurden . Mit 200 Millionen
Euro mehr im Jahr hat die SPD erreicht,


(Sebastian Steineke [CDU/CSU]: Hohoho!)


dass auch wieder Regionalzüge im ländlichen Raum fah-
ren können .


(Dr . Petra Sitte [DIE LINKE]: Nachdem die ostdeutschen Länder beinahe abgeschmiert wären! – Eckhardt Rehberg [CDU/CSU]: Jetzt ist aber gut! Soll ich jetzt mal aus dem Nähkästchen plaudern? – Gegenruf der Abg . Dr . Petra Sitte [DIE LINKE]: Das wissen wir doch, Herr Rehberg!)


Was hat die SPD noch gemacht? Dieser Bericht ent-
hält etwas, was viele sagen: Die innere Sicherheit ist ein
Problem . – Wir haben dafür gesorgt, dass 3 000 Bundes-
polizisten mehr eingestellt werden sollen . Es sollen noch
mehr kommen, bis zu 20 000 fordern wir . Das ist auch
ein Beitrag, den wir dafür leisten .

Aber nun noch einmal zu den Unterschieden zwischen
Ost und West . Da muss ich auf das eingehen, was Herr
Rehberg zu den Renten gesagt hat . Die Angleichung der
Renten ist das, worauf die Ostdeutschen warten, Herr

Rehberg . Die Rentenpunkte haben nicht unbedingt etwas
damit zu tun .


(Eckhardt Rehberg [CDU/CSU]: Was hat nichts miteinander zu tun? – Dr . Karamba Diaby [SPD]: Lassen Sie ihn doch erst einmal ausreden! – Dagmar Ziegler [SPD]: Erst mal zuhören! Kopf einschalten! Nachdenken! Dann reden!)


Das hat etwas mit den Löhnen zu tun . Und wenn wir für
gleiche Löhne in Ostdeutschland kämpfen, dann geht es
dabei auch um das gleiche Rentenniveau derjenigen, die
heute arbeiten . Das dürfen Sie nicht verschweigen .


(Beifall bei der SPD und der LINKEN – Widerspruch bei der CDU/CSU)


Das, was Sie sagen, stimmt einfach nicht . Kämpfen wir
dafür, dass es in Ostdeutschland gleiche Löhne gibt, dann
gibt es auch gleiche Renten! Das ist Fakt .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Max Straubinger [CDU/CSU]: Gleiche Löhne gibt es doch nirgends!)


Eines noch: Sie fragen immer, wieso die Wirtschaft
nicht in Gang kommt . Dazu kann ich Ihnen aus meiner
Region ein gutes Beispiel bringen . Die Stromkosten in
Ostdeutschland sind die höchsten der ganzen Republik –
für die Haushalte, für den Mittelstand und das Indus-
triegewerbe . Das kann man bei der Bundesnetzagentur
sehr gut nachschauen . Das ist ein Standortnachteil für
ostdeutsche Unternehmen und Haushalte . Lassen Sie
uns doch jetzt daran arbeiten, diesen Standortnachteil für
Ostdeutsche zu beseitigen .


(Beifall bei der SPD und der LINKEN)


Dann, glaube ich, nehmen uns die Ostdeutschen auch
wieder wahr und sagen: Ja, die machen was für Ost-
deutschland .

Vielen Dank .


(Beifall bei der SPD)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1819402600

Arnold Vaatz ist der nächste Redner in dieser Debatte

für die CDU/CSU-Fraktion .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Arnold Vaatz (CDU):
Rede ID: ID1819402700

Lieber Herr Zierke, ich muss erst mal auf Ihren letzten

Satz eingehen . Was Sie da über die Renten erzählt haben,
das verwirrt ja mehr, als es klarstellt . Es ist doch ganz
einfach: Selbstverständlich sind die Renten von den Löh-
nen abhängig . Und selbstverständlich werden die Renten
höher, wenn die Löhne steigen .


(Stefan Zierke [SPD]: Richtig!)


Aber in dem Moment, in dem sich die Löhne angleichen,
gleichen sich nach der jetzigen Formel auch die Renten
automatisch an . Deshalb brauchen wir eigentlich über-
haupt nichts daran zu ändern . Das ist der Punkt .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Stefan Zierke






(A) (C)



(B) (D)


Selbstverständlich hatte Eckhardt Rehberg völlig
recht: Wenn Sie über höhere Renten sprechen, dann dür-
fen Sie das nicht nur denen gegenüber anpreisen, die da-
durch Vorteile haben, sondern Sie müssen auch diejeni-
gen ehrlich ansprechen, die Nachteile davon haben . Und
Sie müssen die Nachteile quantifizieren.


(Stefan Zierke [SPD]: Kämpfen für gleiche Löhne!)


Und wenn Sie das nicht machen, dann ist das nur die hal-
be Wahrheit, und die halbe Wahrheit ist gleichzeitig eine
halbe Lüge, meine Damen und Herren .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Frau Karawanskij, ich muss mich auch mit Ihnen
noch kurz auseinandersetzen . Sie waren im Jahr 1989
neun Jahre alt, wie ich dem Kürschner entnommen habe .
Deshalb können Sie nichts für den Zustand, in dem die
DDR gewesen ist, als sie in die Wiedervereinigung rein-
geschlittert ist .


(Dagmar Ziegler [SPD]: Reingeschlittert? Aus Versehen?)


Deshalb wäre es vielleicht ganz gut, wenn Sie mal mit
den Altvorderen Ihrer Partei reden und die mal fragen
würden, weshalb sie eigentlich, nachdem sie die Wirt-
schaft vom Markt gefegt haben, darüber jammern, dass
die Wirtschaft weg ist . So haben wir das damals vorge-
funden . Wenn diese „großartige“ Leistung Ihrer Altvor-
deren nicht gewesen wäre, dann hätten wir uns mit der
deutschen Wiedervereinigung gar nicht weiter befassen
müssen . Denn der Unterschied, über den wir klagen, ist
durch die Politik zustande gekommen, die die Partei, der
die Altvorderen damals angehört haben, dort gemacht
hat .


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1819402800

Herr Kollege Vaatz, darf Ihnen die Kollegin Wolff

eine Zwischenfrage stellen?


Arnold Vaatz (CDU):
Rede ID: ID1819402900

Ja, na klar . Selbstverständlich .


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1819403000

Frau Wolff, bitte .


Waltraud Wolff (SPD):
Rede ID: ID1819403100

Sehr geehrter Herr Vaatz, vielen Dank, dass ich die-

se Zwischenfrage stellen darf . – Ich möchte ein Stück in
Ihrer Rede zurückgehen . Sie haben vorhin gesagt: Wenn
es um die Rentenangleichung Ost/West geht, dann gehört
zur ganzen Wahrheit dazu, den jetzt berufstätigen Men-
schen zu sagen, dass es auch Nachteile gibt und Verlierer
geben wird .


(Eckhardt Rehberg [CDU/CSU]: Das ist doch wahr!)


Sie haben gleichzeitig behauptet: Wer diese ganze
Wahrheit nicht sagt, der erzählt eine halbe Lüge . – Das
möchte ich nicht so im Raum stehen lassen . Sind Sie be-
reit, Herr Vaatz, anzuerkennen, dass die Bundesministe-

rin für Arbeit und Soziales, Frau Nahles, genau auf diese
Punkte hingewiesen hat und sehr wohl gesagt hat,


(Eckhardt Rehberg [CDU/CSU]: Das war aber auch die Einzige! – Weitere Zurufe von der CDU/CSU)


dass es Schwierigkeiten und Nachteile gibt und dass
wir genau an der Stelle ansetzen müssen, dass wir beim
Lohngefüge etwas tun und gemeinsam dafür arbeiten
müssen, damit Löhne in den neuen Bundesländern in der
Zukunft anders aussehen und dementsprechend auch die
Renten anders ausfallen werden?


(Beifall bei der SPD)



Arnold Vaatz (CDU):
Rede ID: ID1819403200

Frau Wolff, ich antworte Ihnen gerne . Es dürfte Ih-

nen nicht entgangen sein, dass ich nicht die verehrte Frau
Sozialministerin Nahles angesprochen habe, sondern den
frei gewählten und nur seinem Gewissen verantwortli-
chen Abgeordneten Zierke . Es ging um das, was er ge-
sagt hat, und nicht um das, was die Ministerin gesagt hat .
Was die Ministerin gesagt hat, hat mein Kollege Eckhardt
Rehberg vorher überzeugend herausgearbeitet .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich möch-
te heute in dieser Debatte auf keinen Fall versäumen,
etwas zu sagen, was meines Erachtens dringend erfor-
derlich ist . Ich möchte der Bevölkerung der Bundesre-
publik Deutschland West meinen Dank aussprechen für
die enorme Solidarleistung, die sie zustande gebracht hat,
damit der Aufbau in Ostdeutschland zur größten Erfolgs-
geschichte in Europa und in der Welt werden konnte .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Im Augenblick führen wir eine Diskussion über den
aufkeimenden Rechtsradikalismus in Deutschland .


(Monika Lazar [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Er keimt nicht auf! Er ist schon lange da!)


Ich kann nur sagen: Dieser Rechtsradikalismus hat tiefe
Wurzeln . Wer sich damit genauer befasst hat, weiß: Er
stammt schon aus der Zeit der DDR .


(Dr . Petra Sitte [DIE LINKE]: Dann ist es aber auch wirklich kein Aufkeimen!)


– Dann sagen wir eben „um sich greifen“ . Entschuldi-
gung, wenn ich das falsche Wort verwendet habe; aber
Sie wissen, was ich meine . – Die Skinheads gab es da-
mals schon .

Diese Entwicklung hat enorm an Umfang gewonnen,
und es ist tatsächlich eine Angelegenheit, die uns belas-
tet, besonders uns aus Dresden . Uns belastet Pegida, und
uns belastet die Tatsache, dass die Demonstrationen nicht
aufhören .


(Monika Lazar [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was machen Sie denn dagegen?)


Deshalb muss man sich umso mehr fragen, ob wir durch
unsere Diskussion hier tatsächlich dazu beitragen, die-

Arnold Vaatz






(A) (C)



(B) (D)


ser Entwicklung entgegenzutreten . Ich bin der Meinung,
dass das bei uns irgendwie suboptimal verläuft . Wir wä-
ren wesentlich glaubwürdiger, wenn zum Beispiel ein
einziges Wort über die Ereignisse in Connewitz, einem
Stadteil von Leipzig, fallen würde . Es gibt nämlich auch
Linksradikale, die mit Pflastersteinen Polizeistationen
angreifen; aber darüber fiel hier in der ganzen Debatte
bisher kein Wort . Ich halte es für selbstverständlich, dass
wir auch darüber reden, wenn wir glaubwürdig sein wol-
len .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Wir sollten auch darüber reden, wie die Hemmschwel-
len für Gewalt abgebaut wurden . Was war denn in West-
deutschland der 60er- und 70er-Jahre los? Die Gewalt
gegen Sachen, der Terrorismus, die Mörderbanden und
die klammheimliche Sympathie auch von politischen
Kräften gegenüber dem Extremismus – all das hat um
sich gegriffen . Das war bedauerlich, dem musste man
entgegentreten . Aber es gab leider auch einen Abbau der
Hemmschwellen für Gewalt im Osten .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wir reden viel über Respekt . Ich will Ihnen ein Bei-
spiel für Respekt nennen und erläutern, wie das in Ost-
deutschland gewirkt hat . Allen, die damals dabei waren –
dazu zähle ich und meine Generation –, hat sich dieses
Bild eingeprägt, und wir werden uns daran erinnern, bis
wir gestorben sind .

Können Sie sich noch an den 18 . März 1990 erinnern?


(Zurufe von der CDU/CSU: Ja! Ja!)


Es fanden die ersten – und die einzigen – freien Volks-
kammerwahlen in Ostdeutschland statt . Wissen Sie, was
am Abend los war, nachdem die Allianz für Deutschland,
die unser Freund Franz Josef Jung damals mitgegründet
hat, die Wahlen gewonnen hatte? Am Wahlabend wur-
de vor laufenden TV-Kameras ein Bild gezeigt, auf dem
der damalige grüne Politiker, später SPD-Politiker Schily
zu sehen war . Er hielt eine Banane in der Hand, womit
er symbolisieren wollte: Das ist der Grund, warum die
Ostdeutschen die Wiedervereinigung wollen: Sie wollen
mal Bananen essen . – Wer auf diese Art und Weise den
Freiheitswillen, den Mut und die Bereitschaft zum Risiko
in Ostdeutschland bis zum Gehtnichtmehr herabwürdigt,
der muss sich nicht wundern,


(Dr . Thomas Feist [CDU/CSU]: Sehr richtig!)


wenn es eine Gegenreaktion auf eine solche Arroganz
und Herabwürdigung gibt, meine Damen und Herren .


(Beifall bei der CDU/CSU – Monika Lazar [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Jetzt wird es billig!)


Kommen wir zur nächsten Behauptung, der Osten sei
rechts . Schauen Sie sich einmal die AfD, die als rechte
Partei gilt, an . Wer sind denn die Führer der AfD? Frau
Petry kommt aus dem Westen, Herr Höcke kommt aus
dem Westen, Frau von Storch kommt aus dem Westen,
und auch Herr Gauland kommt aus dem Westen . Wun-

derbar, der Osten ist rechts! Ich glaube, mehr braucht
man dazu nicht zu sagen .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Eine kurze Bemerkung zum Thema Westen . Ich glau-
be, das Vertrauen in die intellektuelle Qualität des öffent-
lichen Urteils im Westen hat von Anfang an gelitten . Wer
sich noch daran erinnert, dass in den 70er- und 80er-Jah-
ren im Westen niemand mehr Beachtung gefunden hat,
der das Thema deutsche Einheit in den Mund genommen
hat, und dass später die ganze westdeutsche Gesellschaft
nicht bemerkt hat, welchem kollektiven Irrtum sie unter-
legen ist, muss sich doch nicht wundern, wenn man in
Ostdeutschland jetzt sagt: Im Westen sagen sie, die Erde
ist rund, also ist die Erde eckig .


(Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Das ist ein Glaubwürdigkeitsproblem .

Zum Schluss will ich zum Thema deutsche Einheit
noch eine zusätzliche wichtige Bemerkung machen . Seit
langem beobachten wir, dass der Westen auf dem Weg in
den Osten ist – geistig . Dafür gibt es jetzt ein leuchtendes
Beispiel . Ich wollte gestern eigentlich einen Brief an den
Oberbürgermeister von Trier schreiben; ich habe es aber
unterlassen . Dort entsteht gerade eine Karl-Marx-Statue,
von China bezahlt, 6,50 Meter hoch .


(Heiterkeit bei der CDU/CSU)


Tolle Sache! Eigentlich wollte ich dem Oberbürgermeis-
ter dazu gratulieren und ihm den Vorschlag machen, dass
die Stadt Trier, weil ja durch die Wiedervereinigung der
Name „Karl-Marx-Stadt“ frei geworden ist,


(Heiterkeit bei der CDU/CSU)


den Antrag stellt, sich in „Karl-Marx-Stadt“ umzubenen-
nen .


(Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU – Stefan Zierke [SPD]: Mann, Mann, Mann!)


Vielleicht ist ja bei Frau Grütters auch noch ein biss-
chen Geld übrig . Dann könnte man ein Programm für
den Ankauf von alten Lenin-Statuen machen . Die Polen
sind froh, wenn sie sie loswerden . In mancher polnischen
Scheune ist vielleicht auch noch eine alte Stalin-Statue
unter Stroh und unter Säcken versteckt .


(Unruhe bei der SPD – Stefan Zierke [SPD]: Kabarett!)


Die könnte man aufkaufen und dann ein fantastisches
Panorama in Karl-Marx-Stadt, früher Trier, errichten –
Karl Marx im Kreise seiner Schüler . Meine sehr verehr-
ten Damen und Herren, damit hätten Sie einen großen
Beitrag zur deutschen Wiedervereinigung geleistet und
gleichzeitig gezeigt, wie sich die Entwicklung im Westen
vollzogen hat .

Vielen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1819403300

Ich schließe die Aussprache .

Arnold Vaatz






(A) (C)



(B) (D)


Interfraktionell wird Überweisung des Berichts der
Bundesregierung auf der Drucksache 18/9700 an die in
der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschla-
gen . Der Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke
auf der Drucksache 18/9847 soll an dieselben Ausschüs-
se überwiesen werden . – Das ist offensichtlich unstreitig .
Also sind die Überweisungen so beschlossen .

Dann rufe ich den Tagesordnungspunkt 23 und den
Zusatzpunkt 4 auf:

23 . Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/
CSU und SPD

Antibiotika-Resistenzen vermindern – Er-
folgreichen Weg bei Antibiotikaminimierung
in der Human- und Tiermedizin gemeinsam
weitergehen

Drucksache 18/9789

Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft (f)

Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenab-
schätzung

ZP 4 Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Ernährung und Land-
wirtschaft (10 . Ausschuss) zu dem Antrag der
Abgeordneten Friedrich Ostendorff, Kordula
Schulz-Asche, Harald Ebner, weiterer Abgeord-
neter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN

Wirksamkeit von Antibiotika erhalten – Ein-
satz in der Tierhaltung auf vernünftiges Maß
reduzieren

Drucksachen 18/3152, 18/4704

Auch diese Aussprache soll 60 Minuten dauern . –
Dazu gibt es offenkundig Einvernehmen . Dann verfahren
wir so .

Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort zu-
nächst dem Bundesminister Christian Schmidt .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Christian Schmidt, Bundesminister für Ernährung
und Landwirtschaft:

Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kol-
legen! In der Tat ist die Antibiotikaminimierungsstrate-
gie eine schwierige Angelegenheit . Sie ist deswegen be-
sonders wichtig, weil sie ein Thema anspricht, das uns
nicht nur in der Landwirtschaft, in der Tierproduktion,
sondern auch und insbesondere im Gesundheitswesen
betrifft . Daher besteht die sicherlich etwas außergewöhn-
liche Situation, dass zu dem Antrag von zwei Fraktionen
des Deutschen Bundestages gleich zwei Bundesminister
sprechen: zunächst ich als Landwirtschaftsminister und
anschließend mein Kollege Hermann Gröhe als Gesund-
heitsminister .

Wir unterstreichen damit auch, dass wir über die Zei-
ten des Gegenseitig-auf-sich-Zeigens hinweggekommen
sind,


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


dass wir nicht mehr die Schlichter zwischen Tierärzten
und Humanmedizinern sind, sondern erfreulicherweise
beide Seiten sowie die anderen Betroffenen auf einem
Weg zusammenführen, und zwar mit unserem – Herr
Präsident, ich bitte um Entschuldigung, dass ich einen
Anglizismus verwenden muss; auch die Bundesregierung
ist davor nicht hundertprozentig gefeit – One-Health-An-
satz, man könnte auch sagen: Ein-Gesundheit-Ansatz .


Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1819403400

Wenn Sie diese Bitte auch noch an die Frau Präsiden-

tin richten, dann wäre das ganz wunderbar . Dann verzei-
he ich Ihnen auch den Anglizismus .

Christian Schmidt, Bundesminister für Ernährung
und Landwirtschaft:

Im Hinblick auf die Vielfältigkeit der Themen wird
sich, Frau Präsidentin, sicherlich jeder hier im Hause an-
gesprochen fühlen .

Was liegt an? Was ist wichtig? Wir müssen uns ge-
meinsam anstrengen, um den Kampf gegen Antibiotika-
resistenzen zu gewinnen . Ich bin deswegen sehr dankbar
für den Antrag der Koalitionsfraktionen mit dem Titel
„Antibiotika-Resistenzen vermindern“ . Er gibt sehr viele
wichtige Einzelaspekte wieder und positioniert sich . Er
ist damit eine gute Ergänzung und Fortführung der Agen-
da der Bundesregierung und wird in diese Arbeit Eingang
finden. Der Antrag ist eine Unterstützung der Deutschen
Antibiotika-Resistenzstrategie, DART 2020, und des
Grundgedankens „Eine Gesundheit“ .

Wir alle wissen, Antibiotikaresistenzen haben mul-
tikausale Ursachen, auch wenn in der öffentlichen De-
batte teilweise ein einseitiges Bild gezeichnet wird, das
zulasten der Nutztierhaltung geht . Die Vorsichtsmaßnah-
men und die Reduzierung des Einsatzes von Antibiotika
werden wohl überall ein Thema sein . Jeder, der in der
jetzt beginnenden kalten Jahreszeit vorschnell mit Breit-
bandantibiotika vermeintliche grippale Infekte bekämpft,
wird sich die Frage nach der Notwendigkeit dieses Ein-
satzes genauso stellen müssen wie der Tierarzt, der die
Behandlung von kranken Tieren vornimmt .

Ich weiß aus vielen Gesprächen mit Vertretern des
landwirtschaftlichen Berufsstandes, dass sich unsere
Landwirte insgesamt ihrer besonderen Verantwortung
für Mensch und Tier bewusst sind . Ich sage das ganz be-
wusst heute, in dieser Woche, in der wir uns in verschie-
denen Diskussionen befinden. Die Landwirte stellen sich
ihrer Verantwortung, und es ist ein Gebot des Tierschut-
zes, kranke Tiere zu behandeln . Eines ist aber ganz klar:
Es geht nur darum, kranke Tiere zu behandeln . Das heißt,
wenn Tiere krank sind, werden sie behandelt, sie werden
aber nicht mit Antibiotika vollgestopft, damit sie schnel-
ler wachsen .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Präsident Dr. Norbert Lammert






(A) (C)



(B) (D)


Diese klare Grenze darf nicht eingerissen werden; hier
sind wir uns einig . Das wird auch – ich sage das sehr
deutlich – bei internationalen Vereinbarungen und Rege-
lungen immer die Grundlage unserer Position sein und
bleiben .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Auf dem Weg der Minimierung des Antibiotikaeinsat-
zes in der Tierhaltung sind wir bereits ein gutes Stück
vorangekommen . Der letzte Deutsche Bundestag hat mit
dem 16 . Gesetz zur Änderung des Arzneimittelgesetzes
ein Antibiotikaminimierungskonzept etabliert, das staat-
liche Kontrollen vorsieht . Wir haben das umgesetzt, und
die entsprechenden Verordnungen sind erlassen worden .
Ich freue mich sehr, dass wir feststellen können, dass sich
der Antibiotikaeinsatz im Tierbereich von 2011 bis 2016
deutlich reduziert, ja sogar halbiert hat . Seit dem letzten
Jahr, seit wir den in der Minimierungsstrategie vorgese-
henen Meldepflichten nachkommen, werden 35 Prozent
der Antibiotikaeinsätze als nicht mehr notwendig, als
überflüssig betrachtet. Das ist auch ein Hinweis an die
Veterinäre und an diejenigen, die Tiere halten, dass wir
auf dem richtigen Weg sind .

Fragen der Prävention und der Haltungsbedingungen
gehören natürlich dazu . Deswegen werden wir uns die
Haltungsbedingungen anschauen und werden sie, wenn
notwendig, regeln . Ich habe da ein klares Ziel . Wir sind
auf dem Weg, aber noch nicht am Ende der Möglichkei-
ten . Meine Initiative „Eine Frage der Haltung – Neue
Wege für mehr Tierwohl“ setzt vor allem bei der Tier-
haltung an . Wir können mit Dankbarkeit feststellen, dass
sich die Dinge verbessern .

Lassen Sie mich zu zwei weiteren Punkten etwas sa-
gen:

Erstens . Impfstoffe sind Prävention . Wir sind in Eu-
ropa gerade möglicherweise von einer Gefahr betroffen,
die von der Knötchenkrankeit der Rinder ausgeht, die bei
uns bisher nicht bekannt ist . Wir müssen überlegen, wie
wir verhindern können, dass Tiere krank werden . Das ist
eine Aufgabe, der sich die Europäische Kommission mit
meiner Unterstützung stellt .

Zweitens stellt sich die Frage, was mit den Antibiotika
passiert, die für die Behandlung von Mensch und Tier in
besonders kritischen Fällen verfügbar und wirksam sein
müssen und nicht durch Resistenzen in ihrer Wirkung
blockiert sein dürfen . Manche sagen Reserveantibiotika
dazu .

Ich stelle fest, dass wir diese Antibiotika, wie auch im-
mer wir sie bezeichnen, auf jeden Fall weg von der all-
gemeinen Nutzung auf eine höhere Stufe der Wahrneh-
mung, Betrachtung und Entscheidung bringen müssen .
Deswegen werde ich meinen Entwurf zur Änderung der
Verordnung über tierärztliche Hausapotheken in Kürze
vorlegen . Wir werden in dieser Hausapothekenverord-
nung – darüber diskutieren wir gerade mit den Fachkrei-
sen – auch die Frage von Antibiogrammen diskutieren –
Sie haben das in Ihrem Antrag angesprochen –, ob vorher
zu klären ist, ob ein Antibiotikum tatsächlich wirksam
ist oder ob es nicht eher zu Resistenzbildungen beiträgt .

Hierbei ist auch wichtig, dass wir international tätig
werden . Die deutsche G-7- und die G-20-Präsidentschaft
unseres Landes im nächsten Jahr werden einen Schwer-
punkt darauf setzen, die Antibiotikaresistenzbildung bei
Mensch und Tier weltweit zu reduzieren; denn in der
globalen Welt gibt es nicht nur die eine Gesundheit von
Mensch und Tier, sondern eine globale Gesundheit .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1819403500

Vielen Dank . – Als nächste Rednerin hat Karin Binder

von der Fraktion Die Linke das Wort .


(Beifall bei der LINKEN)



Karin Binder (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1819403600

Vielen Dank, Frau Präsidentin . – Liebe Kolleginnen

und Kollegen! Meine Damen und Herren! Die deutsche
Landwirtschaft steckt in einer Krise . Das sehen wir am
Preisverfall von Fleisch und Milch; das sehen wir aber
auch anhand von Bildern über unzumutbare Verhältnisse
in deutschen Ställen – damit verbunden sind Qualen für
die Tiere –, und das sehen wir an der zunehmenden Un-
wirksamkeit von Antibiotika, die in unserer heutigen Me-
dizin ein ganz wichtiger Bestandteil bei der Behandlung
von Infektionen und Krankheiten sind . Dazu wird meine
Kollegin Kathrin Vogler nachher noch mehr vortragen .

Antibiotikaresistenzen haben zwei fatale Wirkungen:
Erstens sind gefährliche bakterielle Erkrankungen von
Menschen und Tieren immer schwieriger zu bekämpfen
und zu heilen, und zweitens kosten die Folgen, die nicht
mehr wirksame Antibiotika verursachen, die Kranken-
kassen und die Steuerzahler jährlich Milliarden Euro .

Die Union und die SPD fordern nun mit ihrem Antrag
in einer langen Liste mehr Vorsorge, bessere Überwa-
chung, mehr Aufklärung und mehr Forschung, um den
Einsatz von Antibiotika in der Tierhaltung zu verringern .
Das ist alles richtig; die Frage ist nur: Warum weigert
sich die Regierungskoalition, die eigentlichen Ursachen
der hohen Erkrankungszahlen in den Tierställen wirksam
zu bekämpfen?

Herr Minister, Sie haben es gerade angesprochen: Wir
müssen uns auch der Vorsorge zuwenden . Ich behaupte
eines: Wenn Sie sich zuallererst und mit wirklicher Pri-
orität der Vorsorge zuwenden, dann können Sie damit
vieles von dem vermeiden, was man als Folgewirkung
zu bekämpfen hat .


(Beifall bei der LINKEN)


Die krankmachende Intensivtierhaltung ist unser Pro-
blem; da müssen wir ran . Wenn wir die Gefahren ernst
nehmen und der zunehmenden Antibiotikaresistenz ent-
gegentreten wollen, müssen wir die Haltungsbedingun-
gen von Schweinen, von Rindern, von Geflügel ändern.


(Beifall bei der LINKEN)


Je größer die Ställe und je dichter der Tierbestand an ei-
nem Standort, umso größer ist der Stress der Tiere, umso
größer die Gefahr, dass die Tiere krank werden, und

Bundesminister Christian Schmidt






(A) (C)



(B) (D)


umso größer ist die Gefahr von Ansteckung und einer
Ausbreitung der Krankheiten . Der massive Einsatz von
Antibiotika ist damit vorprogrammiert, weil nämlich vor-
sorglich der ganze Bestand medikamentiert wird .

Deshalb hilft uns mehr Monitoring, helfen uns mehr
Forschungsgelder und mehr Info-Flyer nur am Rande .
Das Problem werden wir so nicht in den Griff bekom-
men . Das Problem ist nur zu lösen, wenn wir erstens end-
lich Bestandsobergrenzen für den Standort und die Regi-
on definieren und wenn wir zweitens die Bestandsdichte
verringern .


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Artgerechte Haltungsformen in kleineren Gruppen mit
ausreichend Platz, mit Auslauf und mit frischer Luft
müssen zur Regel werden,


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wer behauptet, die Verwirklichung des Grundsatzes
„Vorsorge statt Antibiotika“ koste zu viel Geld, liegt
falsch . Tierhaltung, die auf das Wohl der Tiere und die
Umwelt keine Rücksicht nimmt, kommt die Gesellschaft
durch Umweltbelastung, durch belastetes Trinkwasser
und durch hohe Kosten im Gesundheitswesen teuer zu
stehen. Tierhaltung muss verpflichtend so ausgerichtet
werden, dass ein denkbar geringer Einsatz von Medika-
menten ausreicht .

Ich möchte hier auch noch auf einen Brief hinweisen,
den verschiedene Tierärzteorganisationen Anfang Sep-
tember an das Ministerium und an das Bundesamt für
Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit geschickt
haben . Ich kann mich den Fragen der Tierärzte anschlie-
ßen . Ich möchte sie hier ganz kurz vortragen:

Welche Änderungen der Kriterien zur Erfassung der
Antibiotika-Abgaben an Tierärzte und Tierärztinnen
werden Sie veranlassen?

Welche Maßnahmen werden Sie ergreifen, um den
Einsatz von Antibiotika in der Massen-Tierhaltung
generell und insbesondere der „Reserve-Antibioti-
ka“ nachhaltig zu reduzieren?

Werden Sie sich für ein Verbot der Verwendung von
„Reserve-Antibiotika“ in der Massen-Tierhaltung
einsetzen?

Ich denke, es gibt noch viel zu beraten . Das werden
wir im Ausschuss und auch in einer weiteren Debatte tun .
Ich hoffe, dass wir noch ein paar Ergänzungen im Antrag
der Koalition vornehmen können .

Danke schön für Ihre Aufmerksamkeit .


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1819403700

Vielen Dank . – Als nächster Redner spricht

Dr . Wilhelm Priesmeier für die SPD-Fraktion .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. Wilhelm Priesmeier (SPD):
Rede ID: ID1819403800

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Als Tierarzt
und auch als Abgeordneter habe ich mich Zeit meines
Berufslebens immer mit Antibiotika auseinandersetzen
und beschäftigen müssen . Während meiner Dissertation
und besonders in der Praxis hat das angefangen . Ich glau-
be, es gibt niemanden in diesem Hause, der mehr Anti-
biotika verordnet und abgegeben hat, als mich . Aus dem
Grunde, glaube ich, bin ich kompetent, zu diesem Thema
vorzutragen und Vorschläge zu machen .

Als ich als Berufspraktiker angefangen habe, war das
Verhältnis des Berufsstandes und auch der Landwirte zu
dem Einsatz von Antibiotika wesentlich anders als heute .
Damals hat man Antibiotika noch häufig als Produktions-
mittel betrachtet . Es gab Einstallungsprophylaxe, links
gab es Stresnil, rechts gab es CTP, und sieben Tage lang
gab es eine Arzneimittelvormischung, die eingemischt
wurde . Das hat dann in der Folge zu den Entwicklungen
von Resistenzen geführt, wie wir sie heute beobachten .
Denn Resistenzen, die sich einmal entwickelt haben, ver-
schwinden nicht über Nacht wieder .

Als ich in den Bundestag gekommen bin, hatten wir
gerade die 11 . AMG-Novelle in einer Frist von sieben
Tagen umzusetzen . Hintergrund war damals der große
Arzneimittelskandal in Bayern . Es war zum Rücktritt der
damaligen stellvertretenden Ministerpräsidentin und Ge-
sundheitsministerin gekommen, die Hinweise mehr als
zwei Jahre lang in ihrer Schublade aufbewahrt und nicht
verfolgt hatte . Das hat schon damals gezeigt, wie groß
der Handlungsdruck war . Dieser Handlungsdruck hat nie
nachgelassen .

Heute verschreiben wir Antibiotika nicht mehr so
sorglos . Ein Umdenken hat eingesetzt . Die Zusammen-
hänge zwischen Betriebsmanagement und Stallhygiene
und auch den betrieblichen Managementvoraussetzun-
gen sind heute jedem Landwirt klar . Er kann an und für
sich wirtschaftlich nur überleben, wenn er das berück-
sichtigt . Die Zeit der Schuldzuweisungen in der Debatte
um Resistenzen ist Gott sei Dank hoffentlich vorbei .

Das Stichwort „One Health“ ist gerade schon erwähnt
worden . An dieser Stelle möchte ich mich noch einmal
bei Gitta Connemann bedanken, die in ganz besonderer
Weise dazu beigetragen hat, dass der Antrag gemeinsam
mit den Kollegen aus dem Gesundheitsbereich zustande
gekommen ist . Ich glaube, das macht deutlich, dass wir
an dieser Stelle auch für unser politisches Handeln hier
im Bundestag einen neuen Ansatz hinsichtlich der Um-
setzung der notwendigen Vorgaben finden wollen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


G 7 und OECD haben die Folgekosten hochgerechnet .
Wenn wir nichts tun würden, würden die Kosten bis 2050
auf 2,9 Billionen Dollar ansteigen . Das ist eine Größen-
ordnung, die bestimmte Wohlstandsentwicklungen in un-
seren Ländern im Grundsatz infrage stellen dürfte . Sie
sehen daran, wie groß der Handlungsdruck ist .


(Beifall der Abg . Gitta Connemann [CDU/ CSU])


Karin Binder






(A) (C)



(B) (D)


Die Forderung, die Abgabemenge von Antibiotika in
einem kurzen Zeitraum zu halbieren, gibt es . Wir sind
auf einem guten Wege, aber noch nicht am Ziel . Die Zah-
len sind hier eben schon erwähnt worden; ich möchte
sie nicht wiederholen . Beunruhigend angesichts all der
Zahlen ist natürlich der Anstieg des Einsatzes von Reser-
veantibiotika . Das lässt sich nicht aus einer reinen Men-
genbetrachtung heraus beurteilen . Auf Reserveantibioti-
ka, zumindest auf die Wirkstoffgruppen Cephalosporine
und Fluorchinolone, werden wir in der Veterinärbehand-
lung und in der Veterinärpraxis nicht ohne Weiteres ver-
zichten können . Aber ihr Einsatz muss entsprechenden
Regelungen und Beschränkungen unterworfen werden .

An sich haben wir schon mit der 16 . AMG-Novelle die
Voraussetzungen dafür geschaffen . Im Rahmen der Ver-
ordnung über tierärztliche Hausapotheken, die die ord-
nungsgemäße Behandlung regelt, hätten wir damit schon
beginnen können . Der Prozess ist zwar fortgeschritten;
aber irgendwie scheint mir die Umsetzung zwischen den
Bundesländern und dem Bund festgefahren zu sein . Des-
halb kann ich nur appellieren, dieses Vorhaben schleu-
nigst anzugehen und umzusetzen, um weiteren Schaden
im Hinblick auf die Resistenzentwicklung zu vermeiden .

Wir stärken mit unserem Antrag auch die Position des
Tierarztes .


(Beifall des Abg . Willi Brase [SPD])


Wir möchten regeln, dass jeder Bestand nur noch einen
einzigen Bestandstierarzt hat, der ausschließlich autori-
siert ist, Medikamente zu verschreiben und abzugeben,
und der sich hinterher auch vom Behandlungserfolg über-
zeugen muss . Dazu ist es notwendig, dass wir die noch
bestehenden Defizite in der Antibiotikadatenbank besei-
tigen und für alle Nutztierarten und alle Haltungsformen
eine verpflichtende Regelung treffen. Gleichzeitig muss
es unsere Aufgabe sein, Impfungen als Präventionsmaß-
nahme grundsätzlich dann vorzuschreiben, wenn durch
sie der Einsatz von Antibiotika vermieden werden kann .


(Beifall der Abg . Gitta Connemann [CDU/ CSU])


Wir wollen die Rabattierung von Antibiotika unter-
binden und den Internethandel am besten ganz verbieten .
Die Entscheidungen auf europäischer Ebene sind noch
im Fluss . Aber ich hoffe, dass durch den Einsatz der deut-
schen Europaabgeordneten und durch unseren dortigen
Einfluss einiges zu bewirken ist. Damit sind die Instru-
mente des Arzneimittelrechts allerdings schon erschöpft .

Wenn wir weitergehen wollen, brauchen wir das, was
wir in den Koalitionsvertrag geschrieben haben: einen
einheitlichen Rechtsrahmen .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Die Ursachen des Problems sind der Tiergesundheitssta-
tus, die Produktionshygiene, Hygiene und Infektionspro-
phylaxe, angepasste Tierzucht und im Besonderen das ei-
genverantwortliche Betriebsmanagement des jeweiligen
Tierhalters . Wenn wir weiter vorankommen und über die
Instrumente des Arzneimittelrechts hinausgehen wollen,
dann müssen wir diesen Rechtsrahmen konsequent fort-

entwickeln . Wir sollten diesen Versuch noch in der lau-
fenden Legislatur unternehmen . Ich glaube, das ist eine
ganz wesentliche Voraussetzung, wenn wir hier Fort-
schritte erzielen wollen .

Die Abgabe und Anwendung von Antibiotika mit res-
triktiven Vorgaben zu versehen, ist die eine Seite . Die
Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass die Tiere erst
gar nicht krank werden, ist die andere Seite . Ich glau-
be, hier haben wir noch viel zu tun . Beratung und eine
risikoorientierte Überwachung durch eine Tiergesund-
heitsdatenbank, in der wir alle Befunde, die wir schon
jetzt verbindlich erfassen müssen, zusammenführen, sind
weitere Grundlagen . Die wichtigsten Aspekte für alle Be-
teiligten, auch in den Betrieben, sind allerdings Vertrauen
und Transparenz . Damit gewinnen wir letztendlich auch
das Vertrauen der Bevölkerung und der Konsumenten zu-
rück, wenn es, wie ich es zum gegenwärtigen Zeitpunkt
beurteile, infrage gestellt ist .

Vielen Dank .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1819403900

Vielen Dank . – Als nächste Rednerin hat Kordula

Schulz-Asche für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen
das Wort .


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich stim-
me mit all meinen Vorrednern überein, dass Antibiotika-
resistenzen weltweit zu einer ernsten Bedrohung für die
Menschen geworden sind . Ein Grund für diese Bedro-
hung ist der leichtfertige Einsatz von Antibiotika auch in
der Tierhaltung, vor allem in der Massentierhaltung .

Ich habe Ihnen genau zugehört, Herr Minister
Schmidt . Sie haben im Hinblick auf die Maßnahmen,
die Sie bei den Reserveantibiotika planen, von erhöhter
Wahrnehmung gesprochen . Ich fordere Sie auf, endlich
dafür zu sorgen, dass Reserveantibiotika kranken, armen,
alten Menschen, die keine Widerstandskräfte haben, vor-
behalten bleiben und ihr Einsatz in der Tierzucht endlich
verboten wird .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Die Weltgesundheitsorganisation spricht von der Ge-
fahr eines postantibiotischen Zeitalters . Wir laufen Ge-
fahr, in die Zeit vor Entdeckung des Penicillins zurückzu-
fallen . Das heißt, dass Menschen in Zukunft – vielleicht
schon bald, in naher Zukunft – sogar an leichten Infek-
tionen sterben werden . Das dürfen wir nicht zulassen .
Deswegen müssen jetzt endlich Maßnahmen ergriffen
werden, die zu einer tatsächlichen Reduzierung führen .
Das ist in dem Antrag, den Sie uns vorgelegt haben, lei-
der nicht enthalten .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg . Kathrin Vogler [DIE LINKE])


Wir haben glücklicherweise inzwischen auf internati-
onaler Ebene – ich nenne zum Beispiel die G 7 – Maß-

Dr. Wilhelm Priesmeier






(A) (C)



(B) (D)


nahmen vereinbart . Auch in der Deutschen Antibioti-
ka-Resistenzstrategie sind zunehmend Verbesserungen
zu sehen . Letztendlich sehen wir aber auch an Ihrem
Antrag, dass dieser ganze Bereich in Deutschland nach
wie vor unvollständig und ungenau geregelt und unter-
finanziert ist. Das muss sich ändern. Sonst kommen wir
bei diesem Thema nicht voran .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Lassen Sie mich das an einem ganz kleinen, aber sehr
wesentlichen Beispiel deutlich machen: Wenn wir von
einer Minimierung des Einsatzes sprechen, dann müssen
wir doch auch über die Reduktionsziele sprechen, die er-
reicht werden sollen . Leider kann ich in Ihrem Antrag
nichts darüber finden. Es wäre doch das Mindeste, zu sa-
gen, bis wohin man kommen möchte, wenn man gemein-
same Anstrengungen unternimmt .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Das wird in der Rede, die mein Kollege Ostendorff dazu
halten wird, auch noch einmal Thema sein .

Was ist jetzt eigentlich zu tun? Wir brauchen eine ver-
besserte Aufklärung der Bevölkerung . Umfragen zeigen,
dass die Hälfte der Bevölkerung gar nicht weiß, gegen
welche Erreger Antibiotika helfen . In Frankreich ist es
mit einer Massenkampagne über einen längeren Zeit-
raum gelungen, den Antibiotikaeinsatz um ein Drittel zu
reduzieren . Warum steht das nicht in Ihrem Antrag und
in Ihrer Strategie? Warum vernachlässigen Sie diesen
Bereich?


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Die meisten Verschreibungen in der Humanmedizin
erfolgen in den ärztlichen Praxen . 80 Prozent der Anti-
biotika werden in Praxen verschrieben . Wir wissen zum
Beispiel nicht genau, warum es regionale Unterschiede
gibt, aber wir wissen, dass es an Diagnostik und an ei-
nem Feedback zur Verschreibungspraxis unter den Ärz-
ten fehlt . Aus anderen europäischen Ländern wissen wir,
dass ein Feedback zur Verschreibungspraxis unter den
Ärzten dazu führen kann, dass die Antibiotikaverschrei-
bung um bis zu 50 Prozent reduziert werden kann . Wa-
rum steht das nicht in Ihrer Strategie, die Sie uns hier
heute vorlegen?


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Meine Damen und Herren, viele Menschen, die ins
Krankenhaus oder Heim kommen, haben Angst vor einer
Übertragung von multiresistenten Keimen . Wir haben
das Problem, dass in Krankenhäusern und Heimen kein
vernünftiges Screening bei der Aufnahme oder davor
stattfindet. Daneben haben wir das weitere Problem, dass
natürlich vor allem die Belastung des Pflegepersonals in
diesen Einrichtungen wesentlich dazu beiträgt, dass die-
se multiresistenten Keime übertragen werden . Deswegen
brauchen wir endlich Personalbemessungsinstrumente,
die sicherstellen, dass genug Zeit für die Pflege von Pati-
enten zur Verfügung steht und dass die Belastung nicht so
hoch ist, dass hier besondere Risiken entstehen .

Darüber hinaus brauchen wir sofort Mindeststan-
dards für bestimmte Stationen, nämlich für Intensivsta-
tionen und für die Kinderintensivmedizin, weil dort die
schwächsten Patienten liegen, die am meisten von diesen
Infektionen bedroht sind . Wenn Sie sich ansehen, dass
das Verhältnis zwischen Pflegepersonen und Patienten
auf Intensivstationen in den Niederlanden eins zu eins,
während es in Deutschland eins zu vier beträgt, dann se-
hen Sie doch den Handlungsbedarf, den wir hier haben .
Wir brauchen sofort Mindeststandards für die Intensiv-
und die Kinderintensivmedizin .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Seit den 70er-Jahren ist im Bereich „Forschung und
Entwicklung von Antibiotika“ nicht viel passiert . Das ist
sicher einer der Gründe dafür, dass es so viele Antibioti-
karesistenzen gibt . Es gab sehr viele Antibiotika auf dem
Markt, bei denen der Patentschutz abgelaufen war, und
Reserveantibiotika, die in der Regel zurückgehalten wer-
den sollen, um bei einer Resistenzentwicklung eingesetzt
werden zu können . Deren Einsatz hat dazu geführt, dass
wir im Moment nur noch wenige Reserveantibiotika ha-
ben – eigentlich ist es nur noch eines, das wirklich gegen
alle Keime hilft –, und es wurden noch keine neuen Wege
gefunden, wie wir in Zukunft mit Infektionen umgehen
können . – Das ist der Forschungszustand heute .

Ich finde, dass sich sowohl die Pharmaindustrie als
auch die öffentliche Forschung so starkmachen müssen,
dass wir auf internationaler Ebene zusammenarbeiten
können; denn wir brauchen neue Antibiotika und neue
Stoffe, die gegen diese Erreger helfen . Deswegen müssen
wir alle zusammenarbeiten . Aus diesem Grund schlagen
wir vor, einen internationalen sehr transparenten Fonds
einzurichten, in dem die öffentlichen und privaten Mittel
für die Forschung zusammengefasst werden . Natürlich
muss auch Deutschland hier einen Beitrag leisten .

All diese Punkte kommen bei Ihnen einfach nicht rich-
tig vor, und sie sind nicht richtig finanziert. Das müssen
wir ganz schnell ändern .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Meine Damen und Herren, ich komme zum Schluss .
Für mich heißt das Zauberwort „Zusammenarbeit zwi-
schen den Gesundheitsberufen“: von der internationalen
Ebene bis runter auf die lokale Ebene des Rettungsdiens-
tes und des Gesundheitsamtes . Wir dürfen bei dem The-
ma Antibiotikaresistenzen nicht mehr kleckern, sondern
wir müssen klotzen .

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1819404000

Vielen Dank . – Als nächster Redner hat Herr Bundes-

minister Hermann Gröhe für die Bundesregierung das
Wort .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Kordula Schulz-Asche






(A) (C)



(B) (D)



Hermann Gröhe (CDU):
Rede ID: ID1819404100

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kolle-

gen! Als im Juni des letzten Jahres beim G-7-Gipfel in
Elmau die deutsche Präsidentschaft das Thema Antibio-
tikaresistenzen auf die Tagesordnung gesetzt hat, da hat
mancher in den Medien und auch in der Politik zunächst
einmal gefragt: Antibiotika- – was? Kümmern sich die
G-7-Staats- und Regierungschefs nicht um die ganz
wichtigen Fragen wie Frieden, Wirtschaftswachstum,
Gerechtigkeit, Klimawandel? Ja, und dazu gehören eben
auch Antibiotikaresistenzen . Es ist eine Frage, die genau
in diese Dimension gehört . Deutschland ist hier Schritt-
macher, und zwar nicht nur deshalb, weil wir dieses The-
ma auf die Tagesordnung der G 7 gesetzt haben, sondern
weil wir auch konsequent handeln im nationalen wie im
internationalen Rahmen .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Kollegin Schulz-Asche hat es ja angesprochen: Ein
Rückfall in das Vor-Penicillin-Zeitalter wäre eine Kata-
strophe für die Medizin . Seit dem Zweiten Weltkrieg sind
Antibiotika ein herausragendes Instrument zur Bekämp-
fung von Infektionskrankheiten . Viele medizinische Ein-
griffe, vom Hüftgelenkersatz bis zur Transplantation,
wären ohne vorbeugende Antibiotikabehandlungen nicht
möglich .

Jedes Jahr sterben weltweit 700 000 Menschen an
resistenten Keimen . Wenn die Kommission von Jim
O’Neill im Auftrag der britischen Regierung sagt: „Diese
Zahl kann bis 2050 auf 10 Millionen steigen, wenn wir
nicht gegensteuern“ – das hieße mehr Tote durch multi-
resistente Keime als infolge von Krebserkrankungen –,
dann macht das deutlich, wie ernst die Bedrohung ist .
Ähnlich wie beim Klimawandel ist es so, dass sich die
Entwicklung schleichend und weithin unsichtbar voll-
zieht . Deswegen ist es wichtig, hier gegenzuhalten .

Es geht um – es ist richtig, was Sie gesagt haben – die
lokale, die nationale und die internationale Ebene, also
um alle Ebenen . Ich will mich auf den Bereich der Me-
dizin konzentrieren . Gleichzeitig danke ich dem Kolle-
gen Schmidt herzlich für die gute Zusammenarbeit mit
seinem Hause und dafür, dass wir vor Ort informieren
und diskutieren . Frau Kollegin, Sie haben Kampagnen
angemahnt . Ich lade alle dazu ein, die guten Materialien
der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung zu
nutzen .

Ich war vor einigen Wochen mit Apothekerinnen und
Apothekern meiner Heimatstadt mit diesen Materialien
in der Fußgängerzone . Wir haben Eltern angesprochen
und darauf hingewiesen, dass es falsch ist, ohne eine
anständige Diagnostik vorschnell auf den Einsatz von
Antibiotika zu drängen und die Behandlung nach einer
vermeintlichen Besserung vorschnell abzubrechen . Auch
damit werden Resistenzen gefördert . Natürlich betreiben
wir öffentliche Aufklärung . Natürlich gibt es auch ver-
besserte Weiterbildungsangebote an die Ärzteschaft . Das
Antibiotic-Stewardship-Programm mit der Universität
Freiburg als Ankerorganisation bietet diese Weiterbil-
dungen an . Natürlich gehört die Fülle der Maßnahmen

vor Ort, die wir im Bereich Krankenhaushygiene ergrei-
fen, auch dazu .


Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1819404200

Herr Bundesminister, lassen Sie eine Zwischenfrage

zu? Ich habe die ganze Zeit auf eine Redepause gewartet .
Ich musste Sie jetzt aber unterbrechen .


Hermann Gröhe (CDU):
Rede ID: ID1819404300

Gerne .


Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1819404400

Frau Schulz-Asche .


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Herr Minister Gröhe, herzlichen Dank, dass Sie
konkret auf meinen Vorschlag mit der Aufklärung ein-
gegangen sind . – Wir haben die Bundeszentrale für ge-
sundheitliche Aufklärung . Ich möchte Sie fragen, ob Sie
beabsichtigen, nach dem Vorbild von Frankreich eine
über Jahre dauernde, sehr breit angelegte und sehr inten-
sive Informationskampagne zu machen und nicht nur auf
die Broschüren der BZgA zu setzen?


Hermann Gröhe (CDU):
Rede ID: ID1819404500

Wir bauen diesen Bereich aus . Nicht nur die Bundes-

zentrale für gesundheitliche Aufklärung gibt Materiali-
en heraus, sondern auch die örtlichen Gesundheitsämter
und die Landesregierungen . Ja, wir werden sowohl im
Bereich der Information seitens der öffentlichen Verwal-
tungen beharrlich und verstärkt arbeiten müssen – das ist
nicht mit der einmaligen Ausgabe von Materialien ge-
tan –, als auch die Apotheken, die Ärzteschaft und die
anderen Gesundheitsberufe mit einbeziehen müssen .

Natürlich müssen diese Arbeiten fortgesetzt und auch
verstärkt werden; das steht übrigens im Antrag der Koa-
litionsfraktionen . Es gibt regionale Netzwerke für diese
Arbeit, die beispielsweise durch das Robert-Koch-In-
stitut unterstützt werden . Ja, all das gehört ausdrücklich
dazu .


(Beifall bei der CDU/CSU – Kordula SchulzAsche [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Also nein!)


– Doch . Ich habe ausdrücklich gesagt, dass wir diese
Maßnahmen nachhaltig und verstärkt durchführen . Ich
lade dazu ein, sie vielleicht erst einmal alle zur Kenntnis
zu nehmen und selber auch einzusetzen . Das lohnt sich .

Wir haben im Bereich der Krankenhaushygiene nach
den Verschärfungen des Infektionsschutzgesetzes zuletzt
die Meldepflichten verschärft, damit bereits ein erstes
Auftreten von Keimen rechtzeitig die entsprechenden
Reaktionen auslösen kann . Wir führen seit 2014 eine
Verbrauchs-Surveillance in Krankenhäusern durch, und
zwar zusammen mit dem Robert-Koch-Institut und der
Charité; über 200 Krankenhäuser machen bereits mit .
Auch daraus gewinnen wir wertvolle Informationen für
einen bestmöglichen Einsatz .






(A) (C)



(B) (D)


Wir arbeiten intensiv zusammen – neben Kollege
Schmidt war Kollegin Wanka an der Erarbeitung der
Deutschen Antibiotika-Resistenzstrategie beteiligt –,
wenn es um die Forschung geht . Eine gute Forschung,
die international zusammenarbeitet, wurde angemahnt .
Ich kann Ihnen sagen: Genau das geschieht . Das Deut-
sche Zentrum für Infektionsforschung, das zur Helm-
holtz-Familie gehört und vom Bund nachhaltig gefördert
wird, ist eine der herausragenden Forschungseinrichtun-
gen . Gerade vor wenigen Tagen hat das in Braunschweig
beheimatete Netzwerk zusammen mit acht anderen Spit-
zenorganisationen in der Welt eine Allianz gegründet, um
das Erreichen der Ziele der UN-Resolution wissenschaft-
lich zu begleiten und anzumahnen . Die deutsche For-
schung ist also an der Gründung dieser Allianz beteiligt .
Die Bundesregierung hat zusammen mit anderen im Rah-
men der WHO dafür geworben, noch in diesem Monat
dieses Thema auf die Tagesordnung nicht nur der WHO,
sondern auch der Vereinten Nationen zu setzen und dazu
High-Level-Meetings und Beratungen durchzuführen .

Damit komme ich auf das zu sprechen, was wir im
Rahmen von G 7 und in der EU – hier vor allen Dingen
zusammen mit Großbritannien und den Niederlanden,
aber auch mit anderen Staaten aus der Völkergemein-
schaft – tun . Bereits im nächsten Monat wird – initiiert
im Rahmen des G-7-Prozesses – ein Treffen internati-
onaler Experten in Berlin stattfinden. Über 100 renom-
mierte Experten werden über Forschungsanreize, den
Zusammenhang von Tier- und Humanmedizin und über
den klugen Einsatz von Antibiotika, aber auch über die
Durchsetzung einer weltweiten Verschreibungspflicht
diskutieren; auch Jim O’Neill wird daran teilnehmen .
Wir haben uns entschlossen, im Mai nächsten Jahres
erstmalig zu einer Konferenz der G-20-Gesundheitsmi-
nister einzuladen; denn wir sind der Überzeugung, dass
wir bei Fragen betreffend die Antibiotikaresistenz eine
Zusammenarbeit der forschungs- und wirtschaftsstarken
G-7-Staaten und der großen – auch großagrarisch täti-
gen – Länder Lateinamerikas und Asiens brauchen .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Ich bin ausgesprochen dankbar, dass die japanische
G-7-Präsidentschaft unser Thema vorangetrieben hat und
im April Indien, China und weitere asiatische Staaten ein-
geladen hatte, um sie für unsere Sache zu gewinnen . Un-
sere Anstrengungen, in denen wir nicht nur nicht nach-
lassen dürfen, sondern die wir auch verstärken müssen,
werden nur Erfolg haben, wenn wir es schaffen, andere
Staaten auf internationaler Ebene einzubinden . Im Ge-
gensatz zu dem Eindruck, der gerade erzeugt wurde, wird
Deutschland – fragen Sie in der WHO und der UNO – als
Schritt- und Tempomacher und aufgrund seiner Strategie
als Vorbild gesehen .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Ich bin davon überzeugt, dass es uns gelingen wird,
die Katastrophe, die eintreten kann – zu diesem Schluss
kommt man, wenn man den Report von O’Neill und die
Berichte der Weltbank über die dramatischen wirtschaft-
lichen Schäden liest –, zu verhindern, wenn wir alle zu-
sammenarbeiten und handeln . Wir werden in Kürze über

die Ergebnisse des Pharmadialogs reden . Hier wird es um
mehr Anreize für eine bessere Diagnostik, die Entwick-
lung neuer Antibiotika und auch um die Frage gehen, wie
wir den nachlassenden Nutzen von Generika fair bewer-
ten .

Also: Global und vor Ort handeln, das zeichnet uns
aus . Der Antrag der Koalitionsfraktionen enthält dafür
wichtige Punkte . Er macht Tempo und mahnt, am Ball
zu bleiben . Ich begrüße dies sehr und freue mich auf die
weiteren Beratungen .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1819404600

Vielen Dank . – Als nächste Rednerin spricht Kathrin

Vogler für die Fraktion Die Linke .


(Beifall bei der LINKEN)



Kathrin Vogler (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1819404700

Vielen Dank, Frau Präsidentin . – Sehr geehrte Damen
und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die heute
zur Diskussion stehenden Antibiotikaresistenzen sind ein
wichtiges Thema . Herr Gröhe, ich nehme Ihnen ab, dass
Sie tatsächlich etwas dagegen unternehmen wollen . Bak-
terien sind faszinierende Lebensformen . Sie sind quasi
überall zu finden und trotzen den widrigsten Umwelt-
bedingungen . Die meisten sind zum Glück ungefährlich
oder sogar nützlich . Einige von Ihnen können aber eben
auch schwere Krankheiten verursachen . An Tuberkulose
etwa sterben weltweit 1,5 Millionen Menschen in jedem
Jahr . Und auch Keime, die gesunde Menschen problemlos
abwehren können – wie Staphylokokkus Aureus oder be-
stimmte Darmkeime –, können bei immungeschwächten
bzw . kranken Patientinnen und Patienten ganz schlimme
Folgen haben . Sie können lebensgefährlich sein .

Deswegen war die Entwicklung von Antibiotika ein
unglaublicher Erfolg der Medizin im Kampf gegen bak-
terielle Erkrankungen . Doch dieser Erfolg droht jetzt um-
zukippen; denn das biologische Erfolgsmodell Bakteri-
um beruht auf einer unglaublichen Anpassungsfähigkeit .
Wenn nur wenige Exemplare den Angriff beispielsweise
eines Antibiotikums überleben, dann führt das dazu, dass
sich diese umso schneller vermehren . So entstehen Re-
sistenzen . Dabei droht das scharfe Schwert der Antibioti-
ka stumpf zu werden .

Jetzt gehen Experten davon aus, dass in Deutschland
inzwischen bis zu 25 000 Menschen jährlich durch In-
fektionen mit multiresistenten Erregern sterben . Hun-
derttausende erleben schweres Leid . Sie müssen länger
im Krankenhaus bleiben . Oder sie erleiden schlimme
Folgen, wenn zum Beispiel Gliedmaßen, die nicht mehr
gerettet werden können, amputiert werden müssen . Das
dürfen wir nicht akzeptieren . Damit dürfen wir uns nicht
abfinden.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Es ist absolut richtig, dass die Koalitionsfraktionen
in ihrem Antrag mehr Anstrengungen gegen die Aus-

Bundesminister Hermann Gröhe






(A) (C)



(B) (D)


breitung multiresistenter Keime verlangen und dass sie
die Entwicklung neuer Antibiotika vorantreiben wollen .
Richtig ist auch, dass das eine grenzüberschreitende Auf-
gabe ist, weil die Erreger auch nicht an Grenzen haltma-
chen . Was mich aber schon ein bisschen – nein, mehr
als ein bisschen – aufregt ist, dass Sie das, was hier in
Deutschland das wichtigste Mittel wäre, schlichtweg ig-
norieren .

Das wichtigste Mittel gegen die Ausbreitung antibio-
tikaresistenter Keime in Krankenhäusern wäre schlicht-
weg mehr Personal, und zwar deutlich mehr Personal . In
der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung vom letz-
ten Sonntag berichtet – ich zitiere – eine anonym blei-
bende OP-Schwester:

Wir gefährden jeden Tag Patienten, und zwar be-
wusst .

Sie erzählt von schweren Hygienemängeln, von schlecht
geschulten Reinigungskräften und vom ständigen Ar-
beitsdruck in der Pflege, der eine sorgsame Händedesin-
fektion unmöglich macht . Sie rechnet vor, dass Ärzte und
Schwestern sich eigentlich etwa 150-mal am Tag – je-
weils 30 Sekunden lang – die Hände desinfizieren müss-
ten . Das ergibt 75 Minuten pro Arbeitstag . Das ist aber
bei den derzeitigen Verhältnissen in Krankenhäusern ein-
fach illusorisch .

Viele Beschäftigte leiden psychisch darunter, dass sie
zwar genau wissen, was sie zu tun hätten, dass sie diese
Zeit aber nicht aus ihrem dichtgepressten Arbeitsalltag
herausschneiden können . Arbeitsverdichtung und Stress
in der Pflege gefährden jeden Tag Menschenleben. Dage-
gen müssen wir doch etwas tun .


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Im Gesundheitsausschuss haben uns Sachverständige
bei einer Anhörung vorgerechnet, dass akut 100 000 Pfle-
gekräfte in den Kliniken fehlen . Und da feiern Sie sich in
diesem Antrag für gerade einmal 6 000 zusätzliche Stel-
len in drei Jahren, die Sie mit dem Krankenhausstruktur-
gesetz geschaffen haben . Entschuldigung, das ist einfach
lächerlich!

Zum Thema Forschung . Wenn wir bei der Entwick-
lung neuer Antibiotika gemeinsam substanziell voran-
kommen wollen, dann sollten Sie unserem Änderungsan-
trag zum Haushalt zustimmen, in dem wir 500 Millionen
Euro für nichtkommerzielle öffentliche Arzneimittelfor-
schung fordern . Denn wir sehen doch, dass das Interesse
der Industrie an der Entwicklung neuer Antibiotika nicht
nur für unsere Region denkbar gering ist . Das gilt auch
für die Entwicklung solcher Antibiotika, die gegen Tu-
berkulose eingesetzt werden könnten . Da müssen wir öf-
fentlich investieren . Das sind wirksame Ansätze, um un-
ser Schwert gegen Infektionskrankheiten wieder scharf
zu machen und Menschenleben zu retten . Ich würde mich
freuen, wenn Sie das in der Beratung unterstützen wür-
den .


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1819404800

Vielen Dank . – Jetzt hat Martina Stamm-Fibich von

der SPD das Wort .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Martina Stamm-Fibich (SPD):
Rede ID: ID1819404900

Verehrte Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und

Kollegen! Verehrte Zuhörer! „Das Problem ist so ernst,
dass es die Errungenschaften der modernen Medizin be-
droht .“ – So heißt es im Bericht der WHO vom Som-
mer 2014 . Die Gefahr ist real, und sie ist groß .

Tagtäglich sterben auch in deutschen Krankenhäusern
Menschen an den Folgen einer Infektion mit multiresis-
tenten Bakterien . Meist sind es ältere, multimorbide Pati-
enten, deren Immunsystem bereits stark geschwächt war .
Doch es ist denkbar, dass in Kürze auch jüngere Men-
schen an multiresistenten Erregern sterben . Wir müssen
sämtliche Anstrengungen bündeln, um ein solches Sze-
nario zu verhindern .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Kathrin Vogler [DIE LINKE]: Es ist nicht weniger schlimm, wenn die Menschen alt sind!)


Wie kaum ein anderes Problem ist das Problem der
Antibiotikaresistenzen zum Teil hausgemacht; denn über
Jahrzehnte hinweg hat die Gesellschaft Antibiotika im
Glauben an deren unerschöpfliche Allmacht nicht ratio-
nal eingesetzt . Die meisten Patienten holen sich ein Re-
zept für ein Antibiotikum bei einem Arzt ihres Vertrauens .
So stellen Hausärzte und hausärztlich tätige Internisten
zwei Drittel der Antibiotikarezepte aus, die insgesamt
im ambulanten Bereich vergeben werden . Erschreckend
finde ich: Laut einer Umfrage des Robert-Koch-Instituts
ist vielen Ärzten nicht bewusst, was sie mit den Verord-
nungen anrichten . Etwa 64 Prozent der niedergelassenen
Mediziner glauben, dass das, was sie täglich verordnen,
keinen Einfluss auf die Anzahl und Sorte resistenter Erre-
ger in ihrer Gegend hat . Das gibt schon zu denken .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der LINKEN)


Außerdem spielt auch das Anspruchsdenken mancher
Patienten im medizinischen Alltag eine große Rolle . Wel-
cher Hausarzt kennt nicht die Situation, in der ein erkäl-
teter Patient in seine Praxis kommt und um ein Antibio-
tikum bittet . Ob es sich dabei um eine bakterielle oder
virale Infektion handelt, ist häufig auf die Schnelle nicht
festzustellen . Daher verordnen Ärzte Antibiotika auf
Verdacht . Hinzu kommt die fehlende Compliance vieler
Patienten; sie setzen den verordneten Wirkstoff vorzeitig
ab, weil sie sich einfach besser fühlen . Liebe Kollegin-
nen und Kollegen, schauen Sie doch einmal zu Hause in
Ihren Medikamentenschrank . Neben den Halspastillen
und den halbleeren Hustensaftflaschen findet sich be-
stimmt auch ein Antibiotikum, dessen Haltbarkeitsdatum
abgelaufen ist . Einige Tabletten sind weg, aber eben nicht
alle .

Besonders gefährlich ist die Situation in den Kran-
kenhäusern; denn hier liegen kranke Menschen dicht an

Kathrin Vogler






(A) (C)



(B) (D)


dicht, sodass die multiresistenten Erreger schnell den
Wirt wechseln können . Die Deutsche Gesellschaft für
Krankenhaushygiene schätzt die jährliche Zahl an Kran-
kenhausinfektionen auf rund 90 000 . Das bedeutet, dass
sich jeder 20. bei uns stationär behandelte Patient infi-
ziert . Eine kompromisslose Reinigung und Desinfektion
können die Krankenhauskeime abtöten, doch viele Kli-
niken stehen unter enormem Druck . Deshalb können sie
die Empfehlungen nicht immer einhalten .

Als Politik haben wir aber reagiert und mit verschie-
denen Gesetzen in den vergangenen Jahren versucht, den
Einsatz von Antibiotika in der Tierzucht einzudämmen
und mehr Hygienebeauftragte in die Kliniken zu bringen .
Außerdem hat das BMG neben der Aktualisierung der
Deutschen Antibiotika-Resistenzstrategie einen Zehn-
Punkte-Plan zur Bekämpfung multiresistenter Keime
erarbeitet .

Auch im Pharmadialog der Bundesregierung hat das
Thema eine große Rolle gespielt . Im Abschlussdoku-
ment des Pharmadialogs wurde unter anderem festgehal-
ten, dass das BMG die Regelungen zur Erstattung von
diagnostischen Verfahren für einen zielgenauen Einsatz
von Antibiotika verbessern soll . Zudem wurde eine Re-
gelung auf den Weg gebracht, mit der die jeweils spe-
zifische Resistenzsituation bei der Nutzenbewertung im
AMNOG-Verfahren durch den G-BA besser berücksich-
tigt werden kann . Diese beiden Punkte haben wir in die-
sem Antrag, den wir heute vorgelegt haben, aufgegriffen .
Ich hoffe, dass sie zum Ziel führen .

Ein weiteres Problem ist aber auch das geringe Interes-
se der Pharmaindustrie an der Forschung in diesem Be-
reich; denn obwohl Antibiotika die häufigste Wirkstoff-
gruppe unter den verschriebenen Medikamenten sind,
ist mit ihnen vergleichsweise wenig Geld zu verdienen .
Mir ist bewusst, dass Arzneimittelforschung kostspielig
ist, aber wir sind auf die Entwicklung neuer, potenter
Antibiotika angewiesen . Gut 1 bis 1,5 Milliarden Euro
muss ein Unternehmen in der Regel von der Entwicklung
bis zur Marktreife investieren . Das ist ein Prozess, der
mindestens zehn Jahre dauert . Doch anders als bei Me-
dikamenten gegen chronische Leiden wie Diabetes und
Bluthochdruck, die ein Leben lang eingenommen werden
müssen, sind die Ertragsaussichten bei Antibiotika deut-
lich geringer,


(Kathrin Vogler [DIE LINKE]: Genau! Deshalb muss öffentlich investiert werden!)


insbesondere wenn es um die Entwicklung von Reser-
veantibiotika geht, die naturgemäß nur dann zum Einsatz
kommen sollen, wenn Standardarzneien versagen . Ich
appelliere daher an dieser Stelle an die soziale Verant-
wortung, der sich auch Pharmaunternehmen nicht entzie-
hen dürfen .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Lassen Sie uns gemeinsam Antibiotikaresistenzen
bekämpfen . Nur wenn wir gemeinsam an einem Strang
ziehen, kann dieses Mammutprojekt gelingen .

Herzlichen Dank .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1819405000

Vielen Dank . – Als nächster Redner hat Friedrich

Ostendorff für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das
Wort .


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen
und Kollegen! Erst seit 2011 muss erfasst werden, wie
viel Antibiotika an Tierärzte abgegeben wird . Minister
Schmidt, es war nicht das ureigene Interesse und Bestre-
ben Ihres Hauses, dass die Mengen erfasst und reduziert
werden . Die Novelle zum AMG war keine freiwillige
Verbesserung der Bundesregierung, ganz und gar nicht .
Die Bedrohung durch multiresistente Keime aus den
Viehställen war der Grund . Es war ein harter und zäher
Kampf, dieses Monitoring gegen Ihre ewige Schönfärbe-
rei durchzusetzen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Der Rückgang der Abgabemenge zeigt doch, dass un-
ser grünes Drängen richtig war, wobei die Verlässlichkeit
der Zahlen infrage steht; zu groß erscheinen die Unter-
schiede zwischen den einzelnen Daten, also den QS-Da-
ten und den BVL-Daten . Hier gibt es noch viele Fragen
zu klären .

Liebe Kolleginnen und Kollegen, so viel Lob muss
aber sein: Der nun vorliegende Antrag beinhaltet durch-
aus Positives . Es ist nämlich unbedingt erforderlich, dass
der Antibiotikaeinsatz nicht nur in der Mast, sondern
auch in der Aufzucht der Tiere und der Elterntierhaltung
dokumentiert wird . Von der Geburt bis zum Tod muss
dokumentiert werden, und die Dokumentation darf nicht
irgendwann einsetzen . Bis Ferkel und Kälber abgesetzt
sind, ist beim Antibiotikaeinsatz nämlich eine Menge
passiert .

Endlich wollen auch Sie gegen die ökonomischen
Fehlanreize beim Verkauf von Antibiotika vorgehen und
die Rabattgewährung – immerhin – überprüfen . Da hät-
ten Sie doch aber auch einfach unserem grünen Antrag
von 2014 folgen können . Diese Problematik ist doch
schon seit langem bekannt . Da ist es aber wieder, das
Abwarten des Ministers Schmidt: Abwarten, Verzögern,
Aufschieben; macht ihr erst einmal; ich schaue es mir
dann vielleicht einmal an . – Heute sagte der Minister in
seiner unnachahmlichen Weise: Ich habe das Ziel, dass
wir auf dem Weg sind .


(Heiterkeit beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Apropos Aufschieben: Wo bleibt eigentlich die Liste
der Reserveantibiotika, die so lange angemahnte, die Ge-
genstand von Anwendungsbeschränkungen sein soll? Es
wurden 2015 immer noch 14,2 Tonnen Reserveantibioti-
ka abgegeben, 2,4 Tonnen Reserveantibiotika mehr als in
2011 . Also: Immer schön die Kirche im Dorf lassen, liebe

Martina Stamm-Fibich






(A) (C)



(B) (D)


Kolleginnen und Kollegen der CDU/CSU, bevor Sie zu
viel Lobhudelei betreiben .

Herr Minister, nicht das, was Sie heute sagten – das
Problem sollte auf eine höhere Stufe der Wahrnehmung
gehoben werden –, ist entscheidend, sondern: Reservean-
tibiotika müssen aus den Tierställen heraus . Das hat mei-
ne Kollegin Ihnen doch eindeutig klargemacht .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Hören Sie doch auf den Fachverstand derjenigen, die es
beurteilen können .

Im vorliegenden Antrag fehlen uns mindestens drei
Punkte .

Erstens . Statt auf mehr Hygiene zu setzen, sollten Sie
den Tieren einfach mehr Platz für ein artgerechtes Leben
bieten . Das hat doch auch die Kollegin der Linken sehr
klargemacht .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Sie sehen aber nach wie vor keine Notwendigkeit, die
Haltungsvorschriften für Schweine zu ändern .

Zweitens . Relevante Reserveantibiotika müssen klar
erfasst und ihr Einsatz muss natürlich bis auf wenige gut
begründete Ausnahmen im Stall verboten werden .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Da ist das Verbot der Umwidmung einmal mehr doch nur
Schönfärberei . Übrigens, Herr Minister, da Sie sich so
ausgebreitet über Antibiogramme ausließen: Nur bei der
Umwidmung soll ein Antibiogramm erstellt werden und
nicht grundsätzlich . Dass das bisher nicht so ist, ist nach
wie vor stark zu kritisieren .

Drittens . Die tierärztliche Bestandsbetreuung muss
endlich verstärkt werden – darüber philosophieren wir
nun schon seit zehn Jahren –, damit die Tierärzte mit ih-
rem Wissen ihren Lebensunterhalt verdienen können und
nicht durch den Verkauf von Antibiotika im Familien-
pack . Dafür brauchen wir einheitliche Abgabepreise . Wir
brauchen eine Aufhebung der Rabattgewährung .

Eines sei zum Abschluss noch gesagt . Auch wenn es
leider absolut Standard ist, 40 000 Hähnchen mit Anti-
biotika im Trinkwasser zu behandeln: Nur weil etwas
gemacht wird, liebe Kolleginnen und Kollegen von der
CDU/CSU, ist es noch lange nicht in Ordnung .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Prophylaxe ist und bleibt verboten .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg . Karin Binder [DIE LINKE])



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1819405100

Vielen Dank . – Als nächste Rednerin spricht Gitta

Connemann für die CDU/CSU-Fraktion .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Gitta Connemann (CDU):
Rede ID: ID1819405200

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe

Minister Schmidt und Gröhe! Multiresistente Keime als
größte Gefahr der Menschheit – so warnen Wissenschaft-
ler weltweit . Liebe Zuschauerinnen und Zuschauer auf
den Rängen, das ist kein Horrorszenario, sondern heute
schon globale Realität .

Menschen sterben an bakteriellen Infektionen, weil
kein Antibiotikum mehr anschlägt . Die Blasenentzün-
dung kann zum Todesurteil werden . Bakterien sind
schlau . Sie passen sich an . Das wusste übrigens schon
der Entdecker des Penicillins, Alexander Fleming . Er
wies bereits 1945 auf die Gefahren des unkontrollierten
Gebrauchs von Penicillin hin . Zu oft, zu kurz, bei fal-
scher Diagnose – bei Mensch und Tier –, so entstehen
multiresistente Keime . Ohne Zweifel – diese Erkenntnis
eint uns in diesem Hause –: Antibiotikaresistenzen sind
tickende Zeitbomben .

Deutschland hat darauf reagiert . 2008 wurde die erste
nationale Strategie gegen Antibiotikaresistenzen vorge-
legt . Unsere Bundeskanzlerin brachte es auf die Agen-
da der G 7; denn Bakterien kennen keine Grenzen . Sie
machen übrigens auch keinen Unterschied zwischen
Mensch und Tier . Human- und Tiermedizin müssen
deshalb gemeinsam Lösungen entwickeln . Dafür ste-
hen heute persönlich und beispielhaft Bundesminister

Hermann Gröhe (CDU):
Rede ID: ID1819405300

Es geht nur gemeinsam .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Gegenseitige Schuldzuweisungen helfen niemandem .
Dieses Wissen würde ich mir von so manchen Kollegen
in diesem Hause wünschen,


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


die immer wieder nur mit dem Finger auf die Landwirt-
schaft und übrigens auch auf die Tierärzte zeigen . Da
nenne ich beispielhaft den Kollegen Hofreiter; er ist heu-
te leider nicht da .


(Friedrich Ostendorff [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich dachte, ich! Jetzt bin ich aber enttäuscht, Gitta!)


Er verstieg sich vor kurzem zu der Aussage, dass – ich
zitiere – viele Tiere „systematisch mit Antibiotika voll-
gepumpt werden“ .


(Kordula Schulz-Asche [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Das ist ja so! – Friedrich Ostendorff [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wenn es so ist!)


Wenn der Kollege Hofreiter da wäre, könnte ich ihm sa-
gen: Sie ignorieren dabei eines: die Fakten .

Erstens . Die prophylaktische Behandlung mit Antibio-
tika ist seit 2006 in diesem Land verboten .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg . Dr . Wilhelm Priesmeier [SPD])


Friedrich Ostendorff






(A) (C)



(B) (D)


Zweitens . Der Einsatz von Antibiotika in der Tierhal-
tung ist seit 2011 um 53 Prozent zurückgegangen . Um
53 Prozent!


(Beifall bei der CDU/CSU – Friedrich Ostendorff [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ins Trinkwasser gemischt, wo ist denn die Einzelbehandlung des Tiers?)


Auch der Einsatz von Reserveantibiotika sinkt stetig .


(Kordula Schulz-Asche [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was?)


Ihm sind diese Fakten egal . Damit stellt er übrigens
den Berufsstand der Landwirte und den der Tierärzte in
toto an den Pranger und verunsichert zu Unrecht die Ver-
braucher .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Das ist nicht unsere Art, Politik zu machen; denn
wir wissen: Wir können die immensen Herausforderun-
gen nur gemeinsam bewältigen . Da stehen wir alle in
der Verantwortung: Ärzte, Tierärzte, Patienten übrigens
auch, Wissenschaft, Bildung, Umwelt, aber auch die Po-
litik . Deshalb legt Ihnen die Große Koalition heute einen
bereichsübergreifenden Katalog mit 26 Punkten vor: für
die Gesundheitspolitik, für die Agrarpolitik . Es ist das
erste Mal, dass ein solcher Antrag übergreifend vorgelegt
wird. Ich persönlich finde: Das ist auch eine Sternstunde
in der Debattenkultur dieses Hauses .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg . Dr . Karin Thissen [SPD])


Vorausgegangen ist ein Jahr härtester Arbeit: ein Kon-
gress der CDU/CSU-Bundestagsfraktion zu diesem The-
ma, viele Gespräche zwischen Gesundheitsexperten und
Tiermedizinern, in der SPD, in der CDU/CSU – und am
Ende ein gemeinsamer Antrag . Dafür sage ich an dieser
Stelle auch vielen Dank an Frau Keinhorst . Unsere zen-
trale Forderung lautet: Wir brauchen mehr Prävention
und Hygiene bei Mensch und Tier, im Krankenhaus und
im Stall . Das wird kosten – ohne Frage –, aber es sind In-
vestitionen, die Leben retten, und da ist kein Euro zu viel .

Information, Aufklärung, Impfungen, Hygiene- und
andere Präventionsmaßnahmen sind das A und O . Nur so
können Infektionen verhindert werden und damit über-
flüssige Behandlungen, übrigens auch bei Mensch und
Tier .

Für den Veterinärbereich – Herr Dr . Henke wird auf
den Bereich der Humanmedizin eingehen – fordern
wir deshalb – das ist eine Kernforderung; der Kollege
Priesmeier hat es schon angesprochen – einen einheitli-
chen Rechtsrahmen für ein umfassendes Hygiene-, Ge-
sundheits- und Haltungsmanagement .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Im Sommer habe ich Rinderbetriebe in Bayern be-
sucht . Dort habe ich gesehen, wie effektiv ein gutes
Stallmanagement und eine Topumgebung für jedes Tier

sind . Es ist übrigens mit Platz allein nicht getan, lieber
Friedrich Ostendorff .


(Friedrich Ostendorff [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist aber eine gute Voraussetzung!)


Vielmehr geht es um Hygiene, um sehr gut ausgestatte-
te Fressliegeboxen und um modernste Mischtechnik für
individuelle Fütterung nach Bedarf . Ich habe dort auch
gesehen, wie erfolgreich eine vertrauensvolle Zusam-
menarbeit von Tierärzten und Landwirten ist . Allerdings
müsste diese tierärztliche Arbeit dann auch entsprechend
bezahlt werden. Das findet heute noch nicht statt. Hier
liegt der wirkliche Schlüssel zur Antibiotikaminimie-
rung .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Das ist übrigens auch die Antwort auf die Standardfor-
derung nach starren Reduktionszielen . Ich sage zu diesen
Zielen: Diese sind inhaltsleer und willkürlich .


(Beifall bei der CDU/CSU – Friedrich Ostendorff [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber erfolgreich!)


Diese leiden darunter, dass sie keine Antwort auf das
Wie geben können . Diese beschreiben nur ein Ob . Hier
setzen wir an . Wir müssen uns an dieser Stelle natürlich
darauf verlassen können, dass das Erfassungssystem, das
wir im Rahmen der AMG-Novelle 2011 auf den Weg ge-
bracht hatten, funktioniert .

Lieber Friedrich Ostendorff, zur Wahrheit gehört dazu,
dass wir nicht gezwungen worden sind . Wir haben diese
Novelle 2011 aus eigener Kraft auf den Weg gebracht .


(Beifall bei der CDU/CSU – Friedrich Ostendorff [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir haben euch getrieben! Der Druck war so hoch, dass ihr handeln musstet! Ihr habt alles verhindert!)


Eines sage ich deshalb an dieser Stelle auch: Wenn
jemand keine Ahnung hat und so etwas sagt, ist das
schlimm; aber wenn jemand Ahnung hat – du hast sie –
und so etwas sagt, dann grenzt das wirklich an Unwahr-
heit .


(Beifall bei der CDU/CSU Friedrich Ostendorff [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nee, nee, nee!)


Wir müssen das Ganze sicherlich noch schärfen . Das
heißt für uns: Auch der Nichteinsatz von Antibiotika
muss zukünftig gemeldet werden, die jetzige Bewertung
von Kombinationspräparaten muss überprüft werden,
Mortalitätsraten müssen auch in die Erfassung einbezo-
gen werden . Die stete Forderung, die wir auch in dieser
Debatte wieder gehört haben, dass Reserveantibiotika
aus den Tierställen verbannt werden müssen,


(Friedrich Ostendorff [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist unsere Forderung!)


Gitta Connemann






(A) (C)



(B) (D)


zeigt eindeutig, dass Sie eines nicht verstanden haben:
Auch Tiere haben ein Recht auf Behandlung . Alles ande-
re wäre Tierquälerei .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Deshalb muss der Einsatz möglich bleiben – natürlich
nur in begründeten Fällen und nur nach Erstellung eines
Antibiogramms .


(Beifall des Abg . Dr . Wilhelm Priesmeier [SPD])


Die Liste ließe sich fortführen, auch was das Dispen-
sierrecht angeht . Es hat sich aus Sicht unserer Fraktion
grundsätzlich bewährt . Aber wir wissen auch: Es gibt
wirtschaftliche Fehlanreize . Diese Fehlanreize müssen
abgeschafft werden . Wir fordern deshalb auch, dass sei-
tens der Hersteller von antimikrobiell wirksamen Mitteln
die Rabattgewährung überprüft und die Preisgestaltung
überarbeitet wird .

Vor uns liegt noch ein längerer Weg, aber wir haben
schon große Erfolge erzielt . Wenn wir bereit sind, auch
unbequeme Wahrheiten zu benennen, wie wir es heute
tun, –


Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1819405400

Frau Kollegin, Sie müssen zum Schluss kommen .


Gitta Connemann (CDU):
Rede ID: ID1819405500

– dann bin ich ganz sicher: Wir werden unser Ziel er-

reichen . Wir brauchen in Zukunft gemeinsam wirksame
Antibiotika . Das muss unser Ziel sein, und dafür setzen
wir uns ein – gemeinsam .

Vielen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1819405600

Vielen Dank . – Als nächste Rednerin hat Dr . Karin

Thissen für die SPD-Fraktion das Wort .


(Beifall bei der SPD)



Dr. Karin Thissen (SPD):
Rede ID: ID1819405700

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Meine Damen und Herren! Unser gemeinsa-
mer Antrag „Antibiotika-Resistenzen vermindern“ ist
vor allem deswegen ein gemeinsamer Antrag, weil er von
Agrarpolitikern und Gesundheitspolitikern beider Frakti-
onen ausformuliert wurde .


(Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wurde auch mal Zeit!)


An dieser Stelle noch einmal ein herzliches Dankeschön
an die Fachkolleginnen und -kollegen aus dem Gesund-
heitsausschuss .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Um Antibiotikaresistenzen zu vermindern – verhin-
dern kann man sie nicht; aber man kann sie vermin-

dern –, ist es erforderlich, Antibiotika so selten wie
möglich einzusetzen, und zwar in der Human- und in
der Veterinärmedizin . Deshalb freut es mich, dass wir
uns auf die Einrichtung eines ständigen veterinär- und
humanmedizinischen Fachgremiums als Schnittstelle ei-
nigen konnten, das regelmäßig die Resistenzlage bei An-
tibiotika evaluieren soll . Lieber Friedrich Ostendorff, du
hast den Antrag gelesen, aber vielleicht nicht verstanden;
denn genau da kann ja die Liste der Reserveantibiotika
erarbeitet werden .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU -Kordula Schulz-Asche [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Echt schwach!)


Die Zusammenarbeit zwischen Human- und Tierme-
dizinern kann allerdings nur erfolgreich werden, wenn
jede Seite Verständnis für die jeweils andere Seite hat
und jede Seite Verantwortung für den und im eigenen Be-
rufsstand übernimmt . Will damit sagen: Ein jeder kehre
vor seiner eigenen Haustür, statt mit dem Finger auf den
jeweils anderen Berufsstand zu zeigen .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Auch Veterinäre sind in erster Linie für die Gesund-
heit der Menschen verantwortlich . Tierärzte sind verant-
wortlich dafür, dass unsere Tierbestände gesund bleiben .
Denn nur gesunde Tiere liefern gesunde Lebensmittel,
und gesunde Tiere übertragen keine Krankheiten auf
Menschen . Deswegen ist es unsinnig, ein Verbot von Re-
serveantibiotika in der Veterinärmedizin zu fordern . Wir
wissen jetzt noch nicht, an welchen Krankheiten Tierbe-
stände in Zukunft leiden könnten, und es wäre ja gerade-
zu unsinnig, zu sagen: Die Tiere müssen krank bleiben;
wir warten darauf, dass die Infektion auf die Menschen
überschwappt, und erst wenn die erkrankt sind, behan-
deln wir die Tiere .

Wie sagte eine von den Grünen vorhin so schön: Hö-
ren Sie doch auf diejenigen, die Fachverstand haben und
das beurteilen können! – Ich bin eine davon .


(Beifall bei der SPD – Kordula Schulz-Asche [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist peinlich!)


Allerdings ist es auch richtig, dass sich die Tierärz-
te bei der täglichen Arbeit viel zu oft im Spannungsfeld
zwischen den Vorgaben der Landwirtschaft und den An-
sprüchen der Gesellschaft an die Tierhaltung befinden.
Wie sieht es zum Beispiel mit der vielbeschworenen
Therapiefreiheit des Tierarztes – in der Realität, nicht auf
dem Papier – aus? Wenn der Tierarzt im Stall tätig wird,
dann wird er am Ende vom Landwirt bezahlt . Und wer
bezahlt, bestimmt . Und wer bestimmt, bestimmt auch
darüber, ob die immer wiederkehrenden Gesundheits-
probleme im Stall nachhaltig gelöst oder durch immer
wiederkehrende Medikamentenverabreichung kaschiert
werden .

Was kann Politik tun, und wie können wir helfen? Ich
sage es Ihnen: Die Rolle des Tierarztes muss gestärkt
werden .


(Beifall des Abg . Dr . Wilhelm Priesmeier [SPD])


Gitta Connemann






(A) (C)



(B) (D)


Die tierärztliche Funktion für die Gesellschaft kann der
Tierarzt nur aus einer starken Position heraus wahrneh-
men .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)


Dafür werden wir einen einheitlichen Rechtsrahmen
schaffen, und dieser Antrag ist ein erster Schritt in diese
Richtung .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und bei der Abg . Gitta Connemann [CDU/CSU])


Ich will an dieser Stelle auch nicht verheimlichen,
dass es ein steiniger Weg mit den Kollegen der CDU/
CSU-Fraktion aus dem Agrarausschuss war . Mit den
Kollegen der CDU/CSU-Fraktion aus dem Gesundheits-
ausschuss war die Zusammenarbeit deutlich einfacher .
Dafür noch mal danke!


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Zum Glück für diese Koalition verfügt die SPD-Frak-
tion über geballten tiermedizinischen Sachverstand, den
Wilhelm Priesmeier und ich in den Antrag einfließen las-
sen konnten . Deswegen konnten wesentliche Kernanlie-
gen der SPD berücksichtigt werden .


(Gitta Connemann [CDU/CSU]: Wir schauen gerade auf Frau Dr . Flachsbarth! Sie ist auch Tierärztin!)


– Ja, aber Frau Dr . Flachsbarth ist ja nicht in der SPD .


(Gitta Connemann [CDU/CSU]: Ja, genau! Das ist der Punkt! Wir haben auch Sachverstand!)


– Ach so, sorry . Die Frau Dr . Flachsbarth hat aber nicht
so viel – –


(Franz-Josef Holzenkamp [CDU/CSU]: Das ist unverschämt und unsäglich!)


– Es ist aber so .

Karin Binder, ich will dir an zwei Beispielen zeigen,
warum dieser Antrag eben doch für mehr Tiergesundheit
sorgen wird .


(Franz-Josef Holzenkamp [CDU/CSU]: Es gibt Menschen, die meinen, die Weisheit mit der Schippe gefressen zu haben!)


– Nö . Aber ich verfüge über tierärztlichen Sachverstand,
Sie nicht .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – FranzJosef Holzenkamp [CDU/CSU]: Das hat damit nichts zu tun!)


– Doch, das hat damit sehr viel zu tun .

Erstens . Wir stehen für die Abschaffung ökonomi-
scher Fehlanreize bei Tierarzneimitteln . Ganz besonders
wollen wir die Rabatte, die die Pharmaunternehmen
beim Verkauf von Antibiotika gewähren, abschaffen .
Denn von dieser Rabattgewährung profitieren in erster
Linie die Pharmaunternehmen, weil dadurch ihr Umsatz
steigt. Die Tierärzte profitieren nicht davon; das wird
zwar immer unterstellt, aber dem ist nicht so . Denn die

Tierärzte waren und sind verpflichtet, diese Rabatte an
die Landwirte weiterzugeben .

Antibiotika zum Dumpingpreis schaffen falsche An-
reize für die Landwirtinnen und Landwirte; denn das
schnelle Medikament ist günstiger, als die vorbeugende
Impfung oder die erforderlichen Hygienemaßnahmen
zu veranlassen, damit die Tiere gar nicht erst erkranken .
Und für die Gesellschaft rentiert sich dieses Rabattsys-
tem erst recht nicht, weil es dazu führt, dass Antibiotika
unnötigerweise eingesetzt werden müssen . Denn die Tie-
re erkranken, weil man vorher keine Prophylaxemaßnah-
men ergriffen hat .

Das Dispensierrecht darf der Tierarzt ruhig behalten .
Dieses Recht der Tierärzte, quasi Arzt und Apotheker in
einem zu sein, ist nämlich nicht das eigentliche Problem
bei der Entstehung von Antibiotikaresistenzen .

Die zweite sehr wichtige Maßnahme, die auch zu
mehr Tiergesundheit führen wird, ist, dass wir die Rolle
des Tierarztes stärken werden, indem wir eine bestands-
gebundene tierärztliche Betreuung in der landwirtschaft-
lichen Nutztierhaltung auf nationaler Ebene zeitnah ver-
bindlich vorgeben werden . Wir warten eben nicht ab, bis
uns die EU das vorschreibt, sondern machen das selbst .
Damit unterbinden wir das Ausspielen der Tierärzte ge-
geneinander und machen die Betreuung von Tierbestän-
den klarer und transparenter . Der bestandsbetreuende
Tierarzt behält den Überblick über den Gesundheitszu-
stand und die Behandlung der Tiere . Wir unterbinden
damit auch, dass ein Tierbestand von zwei oder mehr
Tierärzten behandelt wird, die voneinander nichts wis-
sen; das ist zurzeit nämlich möglich .

Die Probleme und Missstände in der Nutztierhaltung
und die daraus resultierenden zu häufigen Antibioti-
kagaben sind unter Tierärzten ein offenes Geheimnis .
Nichtsdestotrotz wird diese Tatsache von Ewiggestrigen
in der Tierärzteschaft öffentlich gern negiert . Man zeigt
mit dem Finger auf die Humanmedizin und propagiert
für den eigenen Berufsstand eine Verflechtung mit der
Landwirtschaft, die, zum Nachteil des Verbrauchers, in
Kumpanei und Klüngelei mündet .

Mit unserem Antrag „Antibiotika-Resistenzen ver-
mindern“ fördern wir das Vertrauensverhältnis zwischen
Landwirten und ihren Tierärzten, indem der Tierarzt
seine Therapiefreiheit wiedererlangt und seine Rolle im
Verbraucherschutz und im Tierschutz ausfüllen kann .
Das kommt am Ende den Tieren zugute und der gesam-
ten Gesellschaft .

Ich danke fürs Zuhören .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1819405800

Vielen Dank . – Als letzter Redner in dieser Ausspra-

che hat Rudolf Henke für die CDU/CSU-Fraktion das
Wort .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg . Dr . Wilhelm Priesmeier [SPD])


Dr. Karin Thissen






(A) (C)



(B) (D)



Rudolf Henke (CDU):
Rede ID: ID1819405900

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Zunächst möchte ich eine Gemeinsamkeit mit allen mei-
nen Vorrednern herausstellen . Mein Dank gilt den Ar-
beitsgruppen für die gute und lehrreiche Kooperation . Ich
schließe in meinen Dank besonders Lothar Riebsamen
und Tino Sorge aus unserer Arbeitsgruppe „Gesundheit“,
die kräftig mitgearbeitet haben, ein und auch meinen Bü-
roleiter Herrn Böckler, der mir sehr viel geholfen hat .

Lassen Sie mich auf eine kleine Differenz hinweisen:
Ich bin kein Tierarzt, und deswegen kann ich nicht mit
tiermedizinischer Kompetenz sprechen . Aber ich glaube,
es gibt für die Tierheilkunde wie für die Humanheilkunde
einen klaren Grundsatz für den Einsatz von Antibiotika .
Er lautet: So oft wie notwendig, aber so selten wie irgend
möglich .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Mit dieser Debatte haben wir die Chance, diese Botschaft
nach draußen zu transportieren . Wenn ich mir im Bereich
der Medizin eines wünschen dürfte, dann wäre es, dass
wir mithilfe dieser Debatte der gesamten Bevölkerung
klarmachen: Antibiotika helfen nicht gegen Viren!


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Antibiotika helfen gegen Bakterien . Aber Viren und Bak-
terien sind etwas Unterschiedliches . Eine Grippe ohne
Superinfektion, also ohne zusätzliche bakterielle Infekti-
on, ist eine Viruskrankheit . So gerne man auch mit einem
Antibiotikum nach Hause möchte: Wenn der Arzt sagt,
das hilft nicht gegen Viren, dann ist das ein Grund, ihm
stärker zu vertrauen und nicht etwa zu sagen: Der hilft
mir nicht genug .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie der Abg . Kathrin Vogler [DIE LINKE] und Kordula Schulz-Asche [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Viren sind keine Indikation für Antibiotika . Wenn es
eine Zusatzinfektion mit Bakterien gibt, dann wird man
natürlich Antibiotika einsetzen . Warum ist das so wich-
tig? Das ist so wichtig, weil Antibiotika zu den größ-
ten Errungenschaften der Medizin, zu unseren größten
Schätzen überhaupt gehören . Seit der Entdeckung des
Penicillins und seit seinem Einsatz als Medikament –
1941 erstmals eingesetzt – ist es eines der wirksamsten
Instrumente, und das droht uns verloren zu gehen . Das
Weltwirtschaftsforum zählt Antibiotikaresistenzen zu
den größten Risiken der Weltwirtschaft .

Es wird eine Debatte darüber geführt, was uns die
neue Entwicklung kostet . Wir haben in unserem Antrag
zum Beispiel für den Bereich der Krankenhäuser – Mi-
nister Hermann Gröhe hat darauf hingewiesen – die
Antibiotic-Stewardship-Programme in den Mittelpunkt
gestellt . Man darf sich nun nicht vorstellen, dass diese
Antibiotic-Stewardship-Programme keine Folgen in Be-
zug auf den Einsatz hätten . Es gibt ein paar Kernkom-
ponenten in diesen Programmen, die für jedes einzelne
Krankenhaus maßgeschneidert werden müssen . Kern-

komponenten sind zum Beispiel die Etablierung eines
multidisziplinären Teams für Antibiotic Stewardship,
die Einrichtung der Funktion eines beauftragten Arztes
oder eines infektiologischen Konsiliardienstes, die Fort-
bildung des Klinikpersonals, die Durchführung von Sur-
veillance-Aktivitäten, spezifische Maßnahmen, zum Bei-
spiel die Bereitstellung von lokalen Therapieleitlinien,
die Erstellung einer hauseigenen Antiinfektiva-Liste, die
Durchführung einer Verordnungsanalyse .

Es reicht nicht alleine, mit Stolz und mit Recht fest-
zustellen, dass wir in der Tierheilkunde seit 2011, seit es
die neue gesetzliche Grundlage gibt, einen Rückgang der
Antibiotikaverordnungen um 53 Prozent haben und dass
wir die Antibiotikaverordnungen in der Humanmedizin
abgesenkt haben; beispielsweise sind Antibiotika auf der
Liste der verordnungsstärksten Arzneimittel von Platz
zwei im Jahr 2013 auf Platz fünf im Jahr 2014 abge-
rutscht, übrigens auch unter Minderung der Verordnun-
gen von Cephalosporinen und Fluorchinolonen, die als
Reserveantibiotika betrachtet werden .

Das sind Erfolge; aber sie alleine reichen nicht aus .
Man muss sich klar sein, welches Risiko hier besteht . Die
EU rechnet heute schon mit Kosten aufgrund von Anti-
biotikaresistenzen in der EU in Höhe von 1,5 Milliarden
Euro pro Jahr . Die OECD – ich schenke den Zahlen der
OECD ja nicht immer Glauben, aber in diesem Fall sind
sie sehr beeindruckend, selbst wenn es am Ende 30 Pro-
zent Abweichung gäbe – rechnet bis 2050 mit Kosten in
Höhe von 2,9 Billionen US-Dollar, wenn nicht gegenge-
steuert wird, und das nur in den OECD-Staaten . Das sind
die Staaten mit den kleineren Problemen . Überall sonst
in der Welt – in Staaten, in denen es zum Teil einen völ-
lig freien Zugang zu Antibiotika gibt und dafür gar keine
Rezepte ausgestellt werden, weil man einfach in einen
Laden gehen und sich Antibiotika kaufen kann – sind die
Probleme noch größer .

Insofern glaube ich: Ja, man braucht in der Tat auch
zusätzliches Personal . Und ja, ich glaube, dass die hohe
Arbeitsdichte das größte Risiko im Hinblick auf noso-
komiale Infektionen im Krankenhaus darstellt . Aber ge-
messen an den Kosten von 2,9 Billionen US-Dollar, die
dort drohen, ist doch jeder Euro, den wir da reinstecken,
gut investiertes Geld . Ich glaube, das ist in der Debatte,
in der Diskussion ein ganz wichtiger Punkt .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und der Abg . Kordula Schulz-Asche [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich möchte ger-
ne damit schließen, dass ich noch einmal sage, welche
Punkte von ganz besonders hoher Bedeutung sind: Wir
müssen die Wirksamkeit der vorhandenen Antibiotika er-
halten . Wir müssen Infektionen durch Prävention, durch
Einhaltung allgemeiner Hygienestandards, auch durch
Steigerung der Impfquoten entgegentreten . Wir müssen
grundsätzlich für das Thema der Resistenzen sensibili-
sieren . Wir brauchen bessere Informationen für die Ärzte
und Tierärzte, aber vor allem auch für die Bevölkerung
und die Patienten darüber, was es mit Antibiotika, ihrem
Einsatz in der Therapie und ihrer Wirksamkeit auf sich






(A) (C)



(B) (D)


hat . Wir brauchen auch eine bessere Ausgestaltung des
öffentlichen Gesundheitsdienstes,


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


der helfen kann und vor Ort handlungsfähig sein muss; er
braucht auch von den Landesregierungen Unterstützung,
damit er weiß, was er in konkreten Situationen tun soll .
Und wir brauchen ein besseres betriebliches Gesund-
heits- und Hygienemanagement . Ich sage jetzt mal als
Arzt: Auch in der Nutztierhaltung brauchen wir das; wir
brauchen den Einsatz schneller diagnostischer Tests mit
hoher Spezifität und Sensitivität.


(Beifall der Abg . Kordula Schulz-Asche [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Ich schließe damit, dass ich sage: Ja, Antibiotikaein-
satz ist gut, aber nur, wenn er so oft wie notwendig und
so selten wie möglich passiert .

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1819406000

Vielen Dank . – Liebe Kolleginnen und Kollegen, da-

mit schließe ich die Aussprache .

Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 18/9789 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen . Sind Sie damit ein-
verstanden? – Das ist der Fall . Dann ist die Überweisung
so beschlossen .

Wir kommen zur Abstimmung über die Beschluss-
empfehlung des Ausschusses für Ernährung und Land-
wirtschaft zu dem Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen mit dem Titel „Wirksamkeit von Antibiotika
erhalten – Einsatz in der Tierhaltung auf vernünftiges
Maß reduzieren“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner
Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/4704, den
Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Druck-
sache 18/3152 abzulehnen . Wer stimmt für diese Be-
schlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent-
hält sich? – Damit ist diese Beschlussempfehlung mit
den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der Op-
position angenommen worden .

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 24 auf:

Beratung des Antrags der Abgeordneten Nicole
Maisch, Friedrich Ostendorff, Harald Ebner,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN

Missstände und Stillstand beim Tierschutz be-
enden – Gesellschaftlichen Konsens umsetzen
Drucksache 18/9798
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 38 Minuten vorgesehen . Gibt es dazu
Widerspruch? – Das ist nicht der Fall . Dann ist das so
beschlossen .

Ich eröffne die Aussprache . Als erste Rednerin hat
Nicole Maisch für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen
das Wort .


Nicole Maisch (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1819406100

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! In dieser

Woche diskutieren wir jetzt zum wiederholten Male über
das Thema Tierschutz . Lassen Sie mich zu den scheuß-
lichen Bildern aus den Ställen hochrangiger Agrar-
lobbyisten und -funktionäre, die wir in den vergangenen
Tagen im Fernsehen sehen mussten, nur eines sagen:
Ich finde es ganz erstaunlich, dass die Union nicht diese
Tierschutzverstöße für den Skandal hält, sondern dass die
Presse darüber berichtet .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, schlechte Nachrichten
werden nicht dadurch besser, dass man den Überbringer
verdrischt . Es müsste jetzt darum gehen, politische Kon-
sequenzen zu ziehen, aus der Wagenburg herauszukom-
men und mehr Tierschutz in diesem Land durchzusetzen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Wenn es stimmt, was Herr Priesmeier gesagt hat, nämlich
dass Sie noch nicht am Ende sind, dann müssen Sie jetzt
die Konsequenz ziehen . Dann müssen Sie 91 Prozent der
Deutschen folgen und klare und bessere Regeln für mehr
Tierschutz in diesem Land durchsetzen .

Es ist ja nicht so, dass es keinen parteiübergreifenden
Konsens dazu gibt . Die Bundesländer, der Bundesrat,
die VSMK und die Agrarministerkonferenz haben in
den verschiedenen Farbzusammensetzungen, die sich
dort finden, eine ganze Reihe von Tierschutzinitiativen
im Konsens beschlossen: Vom schwarz-grünen Hessen
bis zum rot-roten Brandenburg fordert man ein Verbot
von Wildtieren im Zirkus; man fordert, dass Nerze nicht
mehr in Pelztierfarmen gequält werden; man fordert,
dass es endlich wirksam verboten wird, trächtige Tiere
zu schlachten; man fordert ein Verbot der ganzjährigen
Anbindehaltung von Kühen . Gitta Connemann hat ge-
sagt, sie sei in einem wunderbaren bayerischen Kuhstall
gewesen . Wenn es für die Milchkühe überall wunderbar
sein soll, dann nehmen Sie diese Tiere doch in die Tier-
schutz-Nutztierhaltungsverordnung auf . Lange Rede,
kurzer Sinn: Die Bundesländer haben Ihnen den Ball vor
das Tor gelegt, Sie müssen ihn nur noch reinmachen . Ich
finde, hier ist der Minister in der Verantwortung.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Schon 2011 hat der Bundesrat in all seiner Vielfalt
gefordert, die Tierheime zu entlasten und die unsägliche
rechtliche Unterscheidung zwischen herrenlosen Tieren
und Fundtieren, die dazu führt, dass die Tierheime in den
Kommunen chronisch unterfinanziert sind, endlich auf-
zuheben . Das können nicht die Kommunen machen, das
können auch nicht die Länder machen; hier ist der Bund
gefordert. Deshalb finde ich, dass der Minister nicht nur
einen runden Tisch zum Thema Tierheime veranstalten
sollte, sondern er sollte auch das Recht so ausgestalten,

Rudolf Henke






(A) (C)



(B) (D)


dass die Tierheime das bekommen, was sie wirklich
brauchen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1819406200

Frau Kollegin Maisch, lassen Sie eine Zwischenfrage

des Kollegen Röring zu?


Nicole Maisch (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1819406300

Ja .


Johannes Röring (CDU):
Rede ID: ID1819406400

Frau Maisch, Sie haben die Rolle der Presse in Be-

zug auf den Tierschutz angesprochen . Meine Frage lau-
tet: Wie beurteilen Sie die Rolle der Presse, die sich in
diesem Fall mehrmals auf Bilder und Berichte von Men-
schen, die in Ställe eingebrochen sind, gestützt hat? Die
Presse hat die Fotos, die nächtlich illegal in den Ställen
gemacht wurden, in die Öffentlichkeit getragen . Wie be-
urteilen Sie die Rolle der Presse und des öffentlich-recht-
lichen Fernsehens? Man stützt sich auf Menschen, die
Eigentum verletzen,


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist unglaublich! – Gegenruf des Abg . Dieter Stier [CDU/CSU]: Das ist eine berechtigte Frage!)


in Ställe einbrechen, Türen aufbrechen und ganze Fami-
lien in Gefahr bringen, sodass einige ihr Eigentum nachts
nicht mehr betreten wollen, weil sie schlicht Angst ha-
ben . Ist das Ihr Verständnis von Presse?


Nicole Maisch (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1819406500

Mein Verständnis von Presse: Erst einmal ist es eine

freie Presse . Auch wenn Bilder in die Öffentlichkeit
kommen, die Ihnen und der Union nicht gefallen: Es
muss darüber berichtet werden .


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN – Kordula Kovac [CDU/CSU]: Anderthalb Jahre später!)


Wenn es zu Hausfriedensbruch gekommen ist, dann wer-
den die Gerichte darüber entscheiden . Das ist die Aufga-
be der Gerichte in diesem Land .


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN)


Herr Stier hat am Mittwoch ausgiebig Gerichts bashing
betrieben .


(Dieter Stier [CDU/CSU]: Das haben Sie falsch verstanden, Frau Kollegin! Das haben Sie falsch interpretiert!)


Ich finde, wir müssen die Gewaltenteilung beachten. Da
ist es ganz klar: Die Presse berichtet, und Gerichte ent-
scheiden darüber, ob es zu Rechtsübertretungen gekom-
men ist .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN – Zuruf der Abg . Kordula Kovac [CDU/CSU])


Meine Damen und Herren, die Legislaturperiode neigt
sich ja jetzt dem Ende zu . Ich weiß, dass man von großen
Koalitionen oft keine großen Lösungen erwarten kann .
Aber das, was ich Ihnen vorgetragen habe, liegt so klar
auf der Hand – dass man keine trächtigen Tiere schlach-
tet, dass man Nerze nicht in Farmen quält, dass man
etwas für die Tierheime tun muss, die von herrenlosen
Katzen und Hunden überquellen –, dass Sie zumindest
diese kleinen Punkte, auf die sich der Bundesrat schon
lange geeinigt hat, in die Tat umsetzen müssen . Einiges
davon hat der Minister auch schon in der Öffentlichkeit
versprochen; er hat es an die Medien gespielt . Da müssen
Sie jetzt aufhören, ihn auszubremsen, und Sie müssen
endlich für verlässlich mehr Tierschutz in diesem Land
sorgen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1819406600

Vielen Dank . – Als nächster Redner hat Dieter Stier

für die CDU/CSU-Fraktion das Wort .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dieter Stier (CDU):
Rede ID: ID1819406700

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Meine sehr geehrten Damen und Herren auf der Besu-
chertribüne! Wir beraten heute über einen Antrag der
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen mit dem Titel „Miss-
stände und Stillstand beim Tierschutz beenden – Gesell-
schaftlichen Konsens umsetzen“ .

Mit Verlaub, liebe Frau Maisch, er gehört auch wieder
zu den Anträgen jener Art, die wir hier im Plenum schon
oft erleben durften, ohne dass er eine breite und über-
zeugte Anhängerschaft gefunden hätte .


(Friedrich Ostendorff [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Na!)


Auf die Frage: „Was steht denn drin?“ reicht eine kurze
Antwort:


(Nicole Maisch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Für was sind Sie denn? Sind Sie für die Schlachtung trächtiger Kühe, für die ganzjährige Anbindehaltung?)


Es sind stetig wiederkehrende, alte Forderungen aus den
zurückliegenden Legislaturperioden, diesmal in einer an-
deren Reihenfolge zusammengeschrieben, viele Verbote,
Kritik an der Regierungskoalition – das steht der Opposi-
tion zu –, und dies alles, so meine ich, losgelöst von den
Erfolgen unserer aktuellen Tierwohlpolitik .


Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1819406800

Herr Kollege Stier, lassen Sie eine Zwischenfrage der

Kollegin Maisch zu?

Nicole Maisch






(A) (C)



(B) (D)



Dieter Stier (CDU):
Rede ID: ID1819406900

Aber selbstverständlich . – Ich habe ja noch gar nicht

alles gesagt, was ich sagen wollte, aber wenn Frau Maisch
jetzt schon Fragen hat, will ich sie gerne beantworten .


Nicole Maisch (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1819407000

Herr Stier, vielen Dank, dass Sie meine Frage zulas-

sen . – Sie sagen: Das sind alles Punkte, bei denen man
keine Einigkeit erreichen kann . – Deshalb möchte ich Sie
fragen, ob Sie dafür sind, dass man Nerze in Pelztierfar-
men hält, und ob Sie dafür sind, dass man Kühe ganzjäh-
rig in der Anbindehaltung hält, und ob Sie dagegen sind,
dass man überprüft, ob es okay ist, Sauen in Kastenstän-
den zu halten, und ob Sie dagegen sind, dass man die
Betäubungsmethoden bei der Schweineschlachtung ver-
bessert, ob das alles Punkte sind, bei denen Sie glauben,
dass wir nicht zusammenkommen .


Dieter Stier (CDU):
Rede ID: ID1819407100

Liebe Frau Kollegin Maisch, wenn Sie mich noch ein

wenig länger ausführen lassen, werde ich auf einiges von
dem, was Sie gerade konkret gefragt haben, eingehen
und Ihnen dazu sicherlich etwas sagen . Ich sage Ihnen
jetzt aber auch eines: Wenn Sie nur Fragen beantwortet
haben wollen, die mit „Sind Sie dafür?“ oder mit „Sind
Sie dagegen?“ beginnen, dann werden wir beide nie ei-
nig . Wir sind für Lösungen; das ist meine Antwort an Sie .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Um es auch klar zu sagen und weiter auszuführen: Es
sind für mich immer wieder aufgewärmte Forderungen
von gestern, die wir zum Beispiel mit dem Start unserer
Tierwohlinitiative längst hinter uns gelassen haben .

Unser Tierschutzansatz blickt hingegen schon seit
langem nach vorn . Das heißt auch: Praxisnahe Lösungen
bestimmen bereits seit langem die Agenda . Zu mehr Tier-
wohl kann man selbstverständlich auf unterschiedlichen
Pfaden gelangen . Fatal ist nur, wenn man aneinander vor-
beiläuft . Sie laufen mit der von Ihnen immer wieder her-
ausgeholten Verbotskeule in die Vergangenheit; wir hin-
gegen, meine Damen und Herren, laufen mit den Bauern
und den Landwirtschaftsbetrieben in die Zukunft dieses
Landes .


(Nicole Maisch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Gegen die Wand laufen Sie!)


Es wird Sie deshalb auch kaum verwundern: Ich tei-
le Ihren im Antrag beschriebenen Dauerpessimismus
auch heute wieder nicht; denn mein Blick auf unsere
Zwischenbilanz ist positiv, und er richtet sich auch nach
vorn . Seit Beginn dieser Legislaturperiode arbeiten wir
beständig, überlegt und auch planvoll die Festlegungen
aus dem Koalitionsvertrag ab . Das machen wir Stück für
Stück; das machen wir völlig unaufgeregt, Frau Maisch,
und das machen wir vor allem auch systematisch . So geht
es Ziel für Ziel voran .

Ich kann verstehen, dass diese Arbeitsweise nicht
jedem gefällt; aber sie ist, so glaube ich, von Vernunft
geprägt . Gesetzentwürfe mit realitätsfernen Inhalten zu
konstruieren, nur um den schnellen Applaus von rabiaten

Aktivisten zu erhaschen, damit ist seriösem Tierschutz
nicht gedient .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Seriöser Tierschutz, wie ich ihn verstehe, verbindet
das Wohlergehen der Tiere mit praktikablen Lösungen
für die Tierhalter . Den Fortschrittsrahmen bildet die Tier-
wohlinitiative von Bundesminister Christian Schmidt .
Lieber Herr Minister, wir werden daran auch weiter ge-
meinsam arbeiten .

Einiges ist erreicht . Ich verweise auf die laufenden
Haushaltsberatungen . Beträchtliche Mittel – das dürfte
Ihnen nicht entgangen sein – sind für die Verbesserung
des Tierwohls von der Koalition für die auch Ihnen be-
kannten Maßnahmen auf den Weg gebracht worden . Ich
will die Beispiele noch einmal nennen .

Forschungsförderung: Ich erinnere an die Entwick-
lung des Verfahrens zur Geschlechterbestimmung im Ei .
Ich erinnere an die Unterstützung von Modell- und De-
monstrationsvorhaben bei der Erprobung von Maßnah-
men zum künftigen Verzicht auf nicht kurative Eingriffe .
Ich erinnere Sie auch an die Verbesserung bei der priva-
ten Tierhaltung . Eine Studie zur Haltung exotischer Tiere
und Wildtiere in Privathand ist in Auftrag . Wir haben am
7 . Juli – zu nächtlicher Stunde und ohne Debatte – einen
Antrag zum Wildtierschutz im Plenum verabschiedet . Ich
erinnere an den Aufbau des Deutschen Zentrums zum
Schutz von Versuchstieren beim Bundesinstitut für Risi-
kobewertung . Über die Fortschritte bei der Reduzierung
des Antibiotikaverbrauchs haben wir gerade diskutiert .
Bitte nehmen Sie das doch einfach einmal zur Kenntnis .

Weitere gesteckte Ziele werden in Angriff genom-
men . Wir sind zum Beispiel im Gespräch, wie wir bei
Qualzuchten Verbesserungen erreichen können . Doch die
Notwendigkeit von Regelungsbedarf bedeutet nicht im-
mer automatisch, Verbote auszusprechen oder Gesetzes-
änderungen vorzunehmen . Ich sehe bei der Verbesserung
des Vollzugs weiterhin große Möglichkeiten . Hier kön-
nen sich auch die Bundesländer nicht entziehen . Bei die-
sem Thema ist auch einiges über Verordnungen möglich .
Hier muss die geeignetste Lösung ausgelotet werden;
denn eine kurzsichtige Politik können wir uns heutzutage
nicht mehr leisten .

Manchmal – da stimme ich Ihnen allerdings zu – wer-
den wir auch mit Ordnungsrecht agieren . Das ist immer
dann der Fall, wenn gewichtige Gründe dafür sprechen .
Ich denke hier an eine viel diskutierte Problematik, näm-
lich die Schlachtung trächtiger Rinder . Für mich steht
fest, dass wir das weitestgehend unterbinden wollen .
Auch hier arbeiten wir an einer Lösung .


(Nicole Maisch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wie lange denn noch!)


Wir blicken beim Tierschutz auch über unsere Lan-
desgrenzen hinaus. Ende Oktober findet die Jahrestagung
der Internationalen Walfangkommission statt . Hier muss
nicht nur der Erhalt, sondern auch eine Stärkung des
Moratoriums erreicht werden . Auch hier werden wir uns
einmischen und mit einem Antrag klarmachen, dass das
Töten von Walen vollkommen inakzeptabel ist .






(A) (C)



(B) (D)


Im Tierschutz setzen wir auf Geradlinigkeit .


(Friedrich Ostendorff [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und machen nichts!)


Wir verbreiten keine falschen Illusionen . Das unterschei-
det uns von der Opposition . Ja, wir machen eine Tier-
schutzpolitik, die den Tierhalter in diesem Land nicht
außen vor lässt .

Einige Ihrer Forderungen lehnen wir aber auch wei-
terhin grundsätzlich ab . Ich denke da zum Beispiel an
die von Ihnen abermals geforderte Ausdehnung von
Verbandsklagerechten . Ich meine, sie sind für mehr Tier-
wohl nicht zielführend . Schon die bestehenden behindern
nachhaltig eine positive Entwicklung .


(Beifall bei der CDU/CSU – Friedrich Ostendorff [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wo denn?)


Jeder Stallneubau bedeutet mehr Tierwohl . Gerade des-
halb ist er zügig zu genehmigen und nicht durch weitere
Möglichkeiten des Ausbremsens durch Nichtbetroffene
zu erschweren .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Liebe Kolleginnen und Kollegen von Bündnis 90/Die
Grünen, in Ihrem Autorenpapier „Pakt für faire Tierhal-
tung“ haben Sie selbst eingeräumt, dass mehr Tierwohl
nicht mit der Brechstange zu erreichen ist . Was hier heute
vorliegt, ist das Gegenteil dieser Erkenntnis . Wenn ich
lese, dass Sie – das hat jetzt mit diesem Thema nichts zu
tun – nun auch das Verbot von Verbrennungsmotoren for-
dern, dann kann ich nur feststellen: Sie haben aus Ihrem
Vorschlag zum Veggieday nichts gelernt . Sie bleiben die
Verbotspartei . Wir hingegen verbessern das Tierwohl mit
den Betroffenen . Ich kann Sie nur herzlich bitten, uns da-
bei zu unterstützen . Ich wünsche Ihnen schon heute einen
besinnlichen Tag der Deutschen Einheit, an dem Sie in
dieser Republik einmal dankbar sein sollten .

Vielen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1819407200

Vielen Dank . – Als nächste Rednerin hat Birgit Menz

von der Fraktion Die Linke das Wort .


(Beifall bei der LINKEN)



Birgit Menz (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1819407300

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und

Kollegen! Liebe Gäste! Als ich letzten Freitag las, dass
heute der Tagesordnungspunkt Tierschutz aufgesetzt ist,
hatte ich kurz die Illusion, dass dieser Punkt von der Ko-
alition kommt, damit sie in dieser Legislaturperiode doch
noch etwas für den Tierschutz tun kann . Dem ist leider
nicht so . Und doch hoffe und wünsche ich, dass der An-
trag, der heute eingebracht wurde, nach den Beratungen
in den Ausschüssen nicht nur von der Opposition verab-
schiedet wird .

Auch wenn der Tierschutz seit 2002 als Staatsziel im
Grundgesetz verankert ist, sieht es in Deutschland dies-

bezüglich schlecht aus . Selbst die Ziele, die sich die Gro-
ße Koalition in den Koalitionsvertrag geschrieben hat,
wurden kaum angegangen, geschweige denn umgesetzt .
Ich zitiere:

Wir verbessern den Wildtierschutz und gehen gegen
Wilderei sowie den illegalen Wildtierhandel und de-
ren Produkte vor; Handel mit und private Haltung
von exotischen und Wildtieren wird bundeseinheit-
lich geregelt . Importe von Wildfängen in die EU
sollen grundsätzlich verboten und gewerbliche Tier-
börsen für exotische Tiere untersagt werden .

Die derzeitige Tierschutzpolitik vernachlässigt den
Tierschutz und ist vielmehr am wirtschaftlichen Mehr-
wert der Tiere interessiert . Deutlich wird dies nicht nur
in der Landwirtschaft – darüber haben wir am Mittwoch
gesprochen –, sondern auch im Heimtierbereich . Auf ge-
werblichen Tierbörsen floriert das Geschäft insbesondere
mit exotischen Tierarten . In Deutschland werden jährlich
unzählige Tiere auf diesen Börsen angeboten . Oftmals
werden sie in engen Behältern zur Schau gestellt und
sind unterschiedlichsten Stressfaktoren ausgesetzt .

Heutzutage gilt es als angesagt, im Privaten exoti-
sche Tiere zu halten . Viele Tierhalterinnen und Tierhalter
unterschätzen jedoch die privat schwer zu erfüllenden,
extrem hohen Ansprüche an die Haltung der Tiere und
sind aufgrund fehlender Fachkunde folglich überfordert .
Bei vielen auf Tierbörsen angebotenen Exoten handelt es
sich zumeist nicht um Zuchttiere, sondern um sogenann-
te Wildfänge . Somit bedroht der Fang von Wildtieren für
den Heimtiermarkt auch das Überleben von Wildbestän-
den in den Herkunftsländern, und ferner geht das einher
mit hoher Sterblichkeit bei Fang, Transport und in Ge-
fangenschaft . Wir fordern daher schon lange ein Verbot
des Handels mit Wildfängen und die Einführung einer
Positivliste für Arten, die in Privathaushalten tiergerecht
gehalten werden können .


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Auch die Haltung von Wildtieren in Zirkussen und
von exotischen Tieren in Privathaushalten muss strenger
reguliert bzw . verboten werden; denn in beiden Fällen
können artgerechte Haltungsbedingungen kaum geschaf-
fen werden . Weder Transportwaggons noch Wohnzim-
mer sind Freilaufgehege . Gleiches gilt für die Haltung
von Tieren zur Produktion von zum Beispiel Pelzen . Es
darf nicht sein, dass Tiere allein zur Herstellung von Lu-
xusgütern gehalten und getötet werden .


(Beifall bei der LINKEN)


Die Linke fordert ebenso die Einführung des Ver-
bandsklagerechts für anerkannte Tierschutzvereine auf
Bundesebene . Tiere sollen besser vor Gesetzesverstößen
geschützt werden . Wenn sich Behörden und Betriebe
über das Tierschutzrecht hinwegsetzen, müssen aner-
kannte Tierschutzverbände die Möglichkeit haben, stell-
vertretend für die Tiere zu reden und zu klagen .

Eine der Folgen des bisher unzureichenden staatlichen
Tierschutzes ist die Ursache dafür, dass die Tierheime,
die einen großen Teil der gesellschaftlichen Aufgaben
für den Tierschutz erfüllen, in eine sehr schwierige Lage

Dieter Stier






(A) (C)



(B) (D)


geraten sind . Immer mehr Tiere und Tierarten werden ab-
gegeben, und auch die Verweildauer steigt . Es wird eng
in den Tierheimen, und die Kosten für Futter und veteri-
närmedizinische Leistungen steigen . Für exotische Tiere
müssen extra Auffangstationen eingerichtet werden . Wir
sehen hier Bund, Länder und Kommunen gemeinsam in
der Pflicht, Finanzmittel für notwendige Investitionen
bereitzustellen, Wege zu ebnen, damit die außerordent-
lich wichtige Arbeit der Tierheime ausreichend gewür-
digt und eine gute Versorgung der Tiere auch zukünftig
gewährleistet werden kann, zum Beispiel durch die Auf-
hebung der Unterscheidung zwischen Fundtieren und
herrenlosen Tieren; denn nur so können die laufenden
Kosten in Zukunft gedeckt werden .

Ein wirksamer Tierschutz kann nur gelingen, wenn
die Bedürfnisse der Tiere in jedem Fall höher bewertet
werden als ihr wirtschaftlicher Nutzen . Tiere sind und
bleiben Lebewesen und keine Sachen .

Danke .


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1819407400

Vielen Dank . – Als nächste Rednerin spricht Christina

Jantz-Herrmann für die SPD-Fraktion .


(Beifall bei der SPD)



Christina Jantz (SPD):
Rede ID: ID1819407500

Frau Präsidentin! Mehr sehr geehrten Damen und

Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich sage es ge-
radeheraus, liebe Kolleginnen und Kollegen von Bünd-
nis 90/Die Grünen: In vielen Punkten kann ich Ihren An-
trag deutlich unterstützen . In ihm wird ausführlich aus
unserem Koalitionsvertrag zitiert, und in vielen Punkten
wurden darin SPD-Positionen niedergeschrieben . Der
Antrag enthält ein buntes Potpourri von Forderungen zu
verschiedenen Tierschutzthemen . Genau das ist leider
auch sein Manko, weil der Antrag den Eindruck vermit-
telt, dass man mit ihm die ganze Welt retten könnte .

Unser Koalitionspartner hingegen meint, dass wir
schon die besten Tierschutzregeln der Welt haben, und er
sieht auch keinen weiteren Gestaltungsanspruch . In der
Regierungskoalition – das ist sicherlich kein Geheim-
nis – ist die SPD die treibende Kraft in Sachen Tierschutz .


(Beifall bei der SPD – Alois Gerig [CDU/ CSU]: Der war gut!)


Immer wieder aufs Neue leisten wir – auch gerne – Über-
zeugungsarbeit . Teilweise ist das natürlich ein mühseli-
ger Prozess, wie Sie mir glauben können .

So stemmen wir uns gerade aktuell gegen die Aufhe-
bung des Verbotes, Fett an Wiederkäuer zu verfüttern .
Tiere, die selbst niemals tierische Fette essen würden,
sollen mit tierischen Fetten gefüttert werden, nur damit
sie schneller und besser gemästet werden können . Ich
finde das nicht nur unethisch, sondern gar widerwärtig.


(Beifall bei der SPD sowie der Abg . Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Auch ziehen – das klang in dieser Woche leider auch
schon an – Minister Schmidt und seine Fraktionskolle-
gen nicht immer an einem Strang . Wenn der Minister die
Initiative ergreift, lässt ihn seine eigene Fraktion leider
manchmal hängen . Genau das – dieses Beispiel klang
heute auch schon an – ist bei den Pelztieren und auch
beim Verbot des Tötens trächtiger Tiere der Fall .

Einige Stellen des Koalitionsvertrages zum Tierschutz
werden sicher nur behäbig im Ministerium umgesetzt .
Lassen Sie mich hier ein Beispiel nennen: Wir haben im
Koalitionsvertrag niedergeschrieben, dass wir die Sach-
kunde fördern möchten . Der Minister hat Anfang des
Jahres angekündigt, dass sein Ministerium genau das,
einen Sachkundenachweis, prüfe . Bisher liegt uns leider
noch kein Ergebnis vor .

Von Stillstand beim Tierschutz zu sprechen, ist trotz-
dem deplatziert: Der runde Tisch zur Lage der Tierheime
hat in dieser Woche erstmals getagt . Damit ist es dem
Minister gelungen, das erste Mal seit Jahren wieder alle
Ebenen an einen Tisch zu holen: Bund, Länder und Kom-
munen . Ihnen allen obliegt die Aufgabe, die Lage der
Tierheime zu verbessern. Aktuell befindet sich die Prüf-
und Zulassungsverordnung für Tierhaltungssysteme im
Verfahren .

Zudem prangern Sie, liebe Kolleginnen und Kolle-
gen der Grünen, im Antrag an – auch Frau Menz hat das
vorhin gesagt –, dass beim Wildtierschutz nichts getan
wurde . Auch das ist falsch; denn wir haben vor der Som-
merpause einen umfassenden Antrag zum Wildtierschutz
verabschiedet . Sicherlich mussten hier Abstriche ge-
macht werden, aber Sie wissen: Kompromisse gehören
zum Leben, und Kompromisse gehören auch zum Regie-
ren .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie der Abg . Katharina Landgraf [CDU/CSU])


Am Beispiel der Wildtiere lässt sich übrigens ein
grundsätzliches Problem der Tierschutzpolitik aufzeigen:
Bei den Beratungen mussten wir zur Kenntnis nehmen,
dass sich gerade das von Ihnen angesprochene Verbot
der gewerblichen Tierbörsen, Frau Menz, voraussicht-
lich nicht verfassungsgemäß umsetzen ließe . Von daher
haben wir in unserem Antrag auch einen Prüfauftrag an
die Bundesregierung formuliert, der genau dieses Verbot
zum Ziel haben soll .

Leider ignorieren Sie, die Grünen, genau diese verfas-
sungsrechtlichen Bedenken auch in Ihrem aktuellen An-
trag . Glauben Sie mir: Ich wäre natürlich sofort für ein
solches Verbot, aber es muss vor Gericht Bestand haben .

In dem Wildtier-Antrag wurde ein weiteres wichtiges
Thema ausgeklammert, nämlich das Verbot von Wildtie-
ren im Zirkus . In unserer Fraktion ist die Haltung klar .
Hier blockiert leider immer noch die Union, obwohl je-
dem, der mit Herz und Verstand bei der Sache ist, eigent-
lich klar sein müsste, dass Wildtiere nicht artgerecht in
einem Zirkus gehalten werden können .

Meine Damen und Herren, lassen Sie mich die un-
terschiedlichen Positionen im Tierschutz auf den Punkt
bringen:

Birgit Menz






(A) (C)



(B) (D)


Wir erleben auf der einen Seite eine schwarze Ideolo-
gie, die eher blockiert und sich damit auch Verbesserun-
gen in den Weg stellt, und wir erleben auf der anderen
Seite eine grüne Ideologie, die häufig leider über das Ziel
hinausschießt .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Das sind zwei Haltungen, die sich absolut konträr ge-
genüberstehen und der Situation in Deutschland nicht
gerecht werden .

Liebe Kolleginnen und Kollegen von Bündnis 90/Die
Grünen, versuchen Sie doch einmal, auf die konventio-
nelle Landwirtschaft zuzugehen und sie mitzunehmen,
anstatt ihr immer nur frontal zu begegnen, und liebe Kol-
leginnen und Kollegen von der Union, stellen Sie sich
doch bitte endlich den Herausforderungen, und öffnen
Sie sich für eine zukunftsfähige Landwirtschaft .

Die SPD steht für eine Tierschutzpolitik mit dem
Willen zur Verbesserung, aber auch für eine Politik mit
Augenmaß . Wir stehen für Transparenz, und deswegen
ist uns auch ein mehrstufiges staatliches Tierschutzlabel
wichtig . Es wäre ein Instrument für die Landwirte, deren
Tiere gut gehalten werden, um diese guten Haltungsbe-
dingungen zu dokumentieren . Es wäre das Instrument
für die Verbraucher, die auf dieser Grundlage ihre Kauf-
entscheidung verlässlich treffen können, sodass sie sich
nicht nur am Preis orientieren .


(Beifall bei der SPD)


Genau dieses Label hat Minister Schmidt nun endlich
angekündigt . Ich sage Ihnen ganz ehrlich: Wir begrüßen
das ausdrücklich . Aber erlauben Sie mir an dieser Stelle
eine kleine Spitze: Wir wollen die Hoffnung nicht aufge-
ben, dass dieser Ankündigung auch Taten folgen .


(Beifall bei der SPD)


Viele Debatten in der Vergangenheit haben gezeigt,
dass wir zudem eine Novellierung des Tierschutzgesetzes
benötigen . Auch hier hoffe ich weiter auf den Erkenntnis-
gewinn und den Mut meiner Unionskollegen und seitens
des Ministers .

Einen Punkt möchte ich in diesem Zusammenhang
nennen: die Qualzucht . Meine Damen und Herren, Sie
alle kennen sicherlich die kleinen Hunde, die Möpse, de-
ren Nasen entweder so weit zurückgezüchtet sind, dass
sie kaum noch Luft bekommen, oder deren Augen schon
aus den Augenhöhlen hervortreten . Das ist ein Punkt, an
dem wir dringend etwas tun müssen . Hier bin ich eini-
germaßen optimistisch, dass wir gemeinsam auch mit un-
serem Koalitionspartner einen guten Schritt weiterkom-
men . Liebe Unionskollegen, bitte enttäuschen Sie mich
an dieser Stelle nicht .

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit .


(Beifall bei der SPD)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1819407600

Vielen Dank . – Als nächster Redner hat Waldemar

Westermayer für die CDU/CSU-Fraktion das Wort .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Waldemar Westermayer (CDU):
Rede ID: ID1819407700

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe

Kolleginnen und Kollegen! Wir diskutieren heute auf
Antrag der Grünen den Tierschutz in Deutschland . Das
ist – so weit sind wir uns wohl alle einig – ein wichtiges
Thema . Keiner will leidende Tiere in Deutschland und in
Europa. Ich bezweifle allerdings, ob Ihr Antrag tatsäch-
lich einen Beitrag dazu leistet, das Tierwohl und die Tier-
gesundheit in Deutschland zu verbessern .

Sie fordern zum Beispiel ein Verbandsklagerecht für
Tierschutzorganisationen . Davon geht es leider keinem
einzigen Tier besser .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Dadurch wird nur mehr Bürokratie geschaffen . Die
Landratsämter haben bereits alle Hebel in der Hand, um
Fehlentwicklungen im Tierschutz zu verhindern .

Als Landwirtschaftsmeister habe ich in der Ausbil-
dung Sachkunde erlernt . Ich habe 40 Jahre selbst Rinder
im Allgäu gehalten . Ich weiß also, wovon ich rede . Für
mich war dabei immer wichtig, dass es den Tieren gut
geht und dass sie gesund sind . Meiner Erfahrung nach
hängt der nachhaltige Erfolg eines Betriebs nämlich ent-
scheidend davon ab, dass das Wohl des Tieres gewähr-
leistet ist .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Das Thema Tierwohl ist dabei hochkomplex . Deswe-
gen bin ich dagegen, die Anbindehaltung bei Rindern
pauschal zu verteufeln . Anbindehaltung mit Weide und/
oder Laufhof kann eine gute Alternative zu Laufställen
sein . Bei mir im Stall hatte jedes Rind seinen Platz oder
war auf der Weide .


(Nicole Maisch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir schreiben ja „ganzjährige Anbindehaltung“!)


– Ich habe das schon gelesen . – Das gefährdet aus mei-
ner Sicht nicht das Tierwohl . Vielmehr sind die Rinder
froh, ihren eigenen Bereich zu haben und vor dominanten
Tieren geschützt zu sein . Sie müssen auch nicht enthornt
werden: Alle meine Tiere haben noch ihre Hörner .


(Beifall des Abg . Dr . Wilhelm Priesmeier [SPD])


Beim Thema Kennzeichnung hingegen bin auch ich
der Auffassung, dass sie durchaus Sinn machen kann .
Mit den QS- und QM-Standards haben wir bereits gute
Erfahrungen gemacht . Klar ist dann aber auch, dass die
Kennzeichnungspflicht nicht nur Produkte aus Deutsch-
land erfassen darf, sondern auch importierte Fleisch- und
Milchprodukte erfassen muss . Ich denke darüber hinaus,
dass wir langfristig ein Umdenken in der Tierzucht sehen
müssen: weg von kurzfristigen Leistungssteigerungen in
der Zucht, hin zu einer konstanten und insgesamt länge-
ren Lebensleistung der Tiere .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg . Dr . Wilhelm Priesmeier [SPD])


Sie beklagen schließlich einen angeblichen Stillstand
im Bereich Tierschutz . Das ist schlichtweg falsch . Die

Christina Jantz-Herrmann






(A) (C)



(B) (D)


Cross-Compliance-Regelungen in der GAP werden fort-
laufend verschärft . Viele gute und wichtige Projekte sind
außerdem auf den Weg gebracht worden . Es gibt zahlrei-
che Forschungsprogramme, welche die Verbesserung des
Tierwohls und der Tierzucht zum Ziel haben . So wurden
seit 2006 in der Bundesrepublik Deutschland 117 Pro-
jekte im Bereich der Nutztierhaltung mit über 80 Millio-
nen Euro gefördert, die das Tierwohl und die Tiergesund-
heit noch weiter verbessern sollen .

Aktuell wird unter anderem die Entwicklung neuer
Tierwohlindikatoren und neuer Haltungssysteme geför-
dert . Neben diesem wichtigen Forschungsansatz wirken
wir auf der Regelungsebene auf Verbesserungen hin .
Auf europäischer Ebene setzen wir uns für tierspezifi-
sche Richtlinien in Bezug auf die Haltung ein, welche
einzelne Besonderheiten bestimmter Gattungen besser
erfassen können . Außerdem wollen wir das europäische
Tierrecht weiterentwickeln, indem wir unter anderem die
Tierschutztransportverordnung und die Richtlinie zum
Tierschutz bei der Schweinehaltung ändern . Dieser ganz-
heitliche und auf ganz Europa zentrierte Ansatz ist aus
meiner Sicht das einzig Richtige .

Tierschutz darf nicht an der Grenze aufhören . Wir
gelangen nur dann zu wirklichen Verbesserungen, wenn
diese in der gesamten Europäischen Union Bestand ha-
ben . Ansonsten schaffen wir Wettbewerbsnachteile für
deutsche Betriebe, die letztlich nur zu einer Verlagerung
der Nahrungsmittelproduktion ins Ausland führen; ich
erinnere nur an das Verbot der Käfighaltung. Das kann
nicht Ziel einer nachhaltigen Tierschutzpolitik sein .
Schließlich müssen die bereits bestehenden Regeln
durchgesetzt werden . Beim Vollzug sind nun einmal vor
allem die Bundesländer, insbesondere die von den Grü-
nen mitregierten, gefordert . Hier darf man es sich nicht
einfach machen und die Verantwortung einseitig auf den
Bund schieben . Das gehört zur Wahrheit dazu .

Abschließend möchte ich noch klar sagen, dass es vie-
le Betriebe gibt, die trotz massiven Preisdrucks hervorra-
gend arbeiten und alle Standards einhalten . Das ist nicht
einfach . Wir sollten unseren Bauern und Bäuerinnen des-
halb nicht nur zwei Tage vor dem Erntedankfest danken,
sondern das ganze Jahr anerkennen, mit welch hochwer-
tigen Lebensmitteln sie die Verbraucherinnen und Ver-
braucher in der Bundesrepublik Deutschland versorgen .

Herzlichen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1819407800

Das Wort hat der Kollege Friedrich Ostendorff für die

Fraktion Bündnis 90/Die Grünen .


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolle-
ginnen und Kollegen! „Den Tieren muss es am Ende der
Legislaturperiode besser gehen als heute .“ Das versprach
2014 Minister Schmidt . Nichts, aber auch gar nichts au-
ßer großen Ankündigungen ist passiert . Wir debattieren

nicht etwa wegen eines aktionistischen Agrarministers,
sondern trotz eines nichts tuenden Agrarministers, der
jegliche Verantwortung von sich weist und Verbesserun-
gen in der Tierhaltung einzig der Branche überlässt, und
das Ganze immer freiwillig . Unzählige Aufforderungen
vonseiten der Wissenschaft, der Opposition, der Agrar-
ministerkonferenz und der Gesellschaft stehen auf der
Tagesordnung, die Lebensbedingungen für Nutztiere in
Deutschland endlich zu verbessern . Im Koalitionsvertrag
wurde versprochen, deutlich höhere Tierschutzstandards
durchzusetzen . Doch Papier ist bekanntlich geduldig .
Das Ministerium und Sie, Kolleginnen und Kollegen von
der CDU/CSU, verweigern jeglichen Fortschritt und zie-
hen stattdessen die Mauern der Wagenburg immer höher .


(Dieter Stier [CDU/CSU]: Sie haben vorhin nicht zugehört!)


Wir fragen uns wirklich: Wie lange wollen Sie das noch
fortsetzen?


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Die ganzjährige Anbindehaltung von Rindern, die
Haltung von Sauen in Kastenständen, das Kükenschred-
dern, die Missstände in der Putenhaltung, das Schlachten
hochträchtiger Tiere, das Amputieren von Gliedmaßen
usw ., die Liste der dringend verbesserungsbedürftigen
Bereiche ließe sich leider noch sehr lange fortsetzen .
Nichts, aber auch gar nichts ist passiert . Noch 2014
hielten Sie es, Herr Minister, für nicht sinnvoll, das Ku-
pieren von Schweineschwänzen zu verbieten, wenn die
Tiere gleichzeitig eng beieinander leben . Da können wir
als Grüne Ihnen nur zustimmen . Das geht in der heute
üblichen Haltung in der Tat nicht; da sind wir gleicher
Meinung . Aber, Herr Minister, das Kupieren der Schwei-
neschwänze muss beendet werden . Das ist die gesell-
schaftliche Forderung, die Forderung der Menschen, die
kritisch eingestellt sind . Sie von der CDU/CSU können
nicht so weitermachen und 100 Kilogramm schwere
Schweine auf einer Vollspaltenfläche von 0,75 Quadrat-
meter einsperren . Solange Sie das nicht ändern, werden
immer wieder Bilder wie in der letzten Woche in Pano-
rama zu sehen sein . Das kann Sie doch nicht gleichgültig
lassen . Sie führen doch ein C in Ihrem Parteinamen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg . Dr . Karin Thissen [SPD] und Eva Bulling-Schröter [DIE LINKE])


Empfindsame, fühlende Lebewesen so leiden zu sehen,
nur weil Sie ihnen nicht ein bisschen mehr Platz, ein biss-
chen mehr Stroh und ein bisschen mehr Auslauf gönnen
wollen – das muss beendet werden .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg . Ralph Lenkert [DIE LINKE])


Wir Grüne müssen Sie leider immer wieder dazu
zwingen, hier im Bundestag über Tierschutz zu sprechen .
Wir wissen, dass Ihr tierschutzpolitischer Sprecher bei
unseren Anträgen Schnappatmung kriegt, weil er immer
wieder gezwungen ist, zu bekennen, dass im Tierschutz
nichts gemacht wird . Und er muss sich so ausdrücken,
dass das draußen vielleicht noch irgendeiner versteht .
Wir werden Sie – da können Sie gewiss sein – immer
an Ihre Ankündigungen und Versprechen erinnern . Das

Waldemar Westermayer






(A) (C)



(B) (D)


werden wir so lange machen, bis Sie endlich beginnen,
Ihre Verantwortung wahrzunehmen, die Bedingungen für
die Tiere zu verbessern und eine zukunftsfähige nationale
Nutztierstrategie für eine artgerechte Tierhaltung vorzu-
legen . Das ist die Forderung der Zeit .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg . Eva Bulling-Schröter [DIE LINKE])



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1819407900

Das Wort hat die Kollegin Dr . Karin Thissen für die

SPD-Fraktion .


(Beifall bei der SPD)



Dr. Karin Thissen (SPD):
Rede ID: ID1819408000

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Meine Damen und Herren! Ich schon wieder! Für die
Kolleginnen und Kollegen von Bündnis 90/Die Grünen
möchte ich kurz erklären, warum ich den Antrag als
solchen eigentlich ganz gut finde, ihn aber trotzdem ab-
lehnen werde: Um den Bundesminister zu unterstützen,
dass es den Tieren am Ende der Legislaturperiode besser
geht als heute, brauchen wir eine handlungswillige CDU/
CSU-Fraktion, keine grünen Anträge .


(Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD)


Um systemimmanente Probleme zu lösen, brauchen wir
echte Kontrollen und echte Sanktionen von Verstößen
sowie ein Umdenken in der Landwirtschaft und in der
Tierärzteschaft .


(Kordula Kovac [CDU/CSU]: Manchmal sind Sie unverschämt! Was haben Sie als SPD gemacht?)


Die SPD blockiert keine Gesetzentwürfe; die SPD
steht bereit .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Dr . Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Für wen oder was?)


– Ja, dann hören Sie zu! – Wenn wir Missstände und
Stillstand beim Tierschutz beenden wollen, dann ist es
wichtig, dass wir die Einhaltung schon bestehender Ge-
setze kontrollieren und Verstöße dagegen sanktionieren .
Da wäre es zum Beispiel eine sehr gute Möglichkeit,
die Flaschenhalsfunktion Schlachthof zu nutzen . Jedes
landwirtschaftliche Nutztier kommt ja irgendwann zum
Schlachthof . An jedem Schlachthof sind zwei amtliche
Tierärzte: einer an der Schlachtlinie und einer bei der
Anlieferung . Der Tierarzt bei der Anlieferung schaut auf
die Tiere, weil er die Erlaubnis zur Schlachtung erteilen
muss . Nur gesunde Tiere dürfen geschlachtet werden . Er
sieht natürlich, in welchem Zustand die Tiere ankommen .
Aufgrund des Zustandes, den er dokumentiert, kann er
Rückschlüsse ziehen, wie die Tiere gehalten wurden .
Da bestünde eine ganz einfache Möglichkeit, zu doku-
mentieren und das Dokumentierte an die Behörde wei-
terzugeben . Gegebenenfalls könnte dann die Tierhaltung
überprüft und könnten Verstöße sanktioniert werden . Das
würde auch kein Geld kosten; denn man müsste nicht ex-
tra Strukturen schaffen .

Man könnte sich fragen: Warum wird das nicht schon
genutzt? Meine Redezeit würde nicht reichen, das jetzt
zu erklären . Sie können aber auf meine Homepage ge-
hen . Panorama und WISO haben sich schon im April
dieses Themas angenommen und das in Fernsehbeiträ-
gen gebracht . Ich habe das kommentiert und erklärt . Das
kann man da einsehen .

Ich möchte meine Redezeit nutzen, um mich ganz ge-
zielt an die Tierärzteschaft zu wenden; denn kein anderer
Berufsstand ist aufgrund seiner Ausbildung geeigneter,
sich für Tierschutz einzusetzen und ihn umzusetzen . Im-
mer wenn ich mich über Vollzugsdefizite am Schlacht-
hof – die Themen sind in der Tierärzteschaft bekannt; das
ist ein offenes Geheimnis – öffentlich äußere, bekomme
ich hinterher Briefe, E-Mails und Anrufe aus meinem
Berufsstand . Darunter sind viele, die sagen: Prima, end-
lich thematisiert es jemand . Weiter so! Das muss aufhö-
ren . – Je höher aber die Tierärzte in der Hierarchie ste-
hen – Amtsleiter, aber auch solche, die hohe Posten in
Berufsverbänden oder der Tierärztekammer bekleiden –,
desto mehr kritisieren sie die Tatsache, dass ich das the-
matisiere . Sie kritisieren nicht die Missstände . Auch wer-
fen sie mir keine Übertreibung vor, sondern sie kritisie-
ren, dass ich es thematisiere . Den Gipfel stellt dann dar,
dass diejenigen, die mit mir noch nicht einmal eine Dis-
kussion führen wollen, mich in öffentlichen Kammerver-
sammlungen diskreditieren und diffamieren . All diesen
honorigen Herren möchte ich an dieser Stelle sagen: Ich
lasse mir den Mund nicht verbieten .

Ich danke Ihnen fürs Zuhören .


(Beifall bei der SPD)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1819408100

Das Wort hat der Kollege Artur Auernhammer für die

CDU/CSU-Fraktion .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg . Christina Jantz-Herrmann [SPD])



Artur Auernhammer (CSU):
Rede ID: ID1819408200

Verehrte Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und

Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Er-
lauben Sie mir, dass ich zu Beginn der Debatte auch die
Menschen grüße, die für den Tierschutz mitverantwort-
lich sind, alle Tierhalter in unserem Land, die mit ihrer
täglichen Arbeit dafür sorgen, dass es den Tieren in un-
serem Land sehr gut geht . Diese Menschen sollen heute
gegrüßt sein .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Frau Kollegin Menz, wenn Sie mir kurz Ihre Auf-
merksamkeit schenken: Es ist in meinem politischen
Umfeld nicht üblich, dass man Sie lobt; aber ich bin Ih-
nen dankbar für Ihre Ausführungen über die Haltung von
Heimtieren, die Haltung von Tieren, die nicht in unsere
Breitengrade gehören . Darauf sollten wir etwas mehr den
Fokus legen . Viele Tiere in unserem Land werden von
Menschen gehalten, die nicht die Sachkunde haben wie

Friedrich Ostendorff






(A) (C)



(B) (D)


zum Beispiel eine Bäuerin oder ein Bauer . Darauf müs-
sen wir in Zukunft besser achten .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


In den letzten Tagen ist sehr viel über Tierschutz ge-
redet worden, auch in den Medien . Was ich da teilweise
vermisst habe, waren der nötige Sachverstand und die
nötige Fairness gegenüber den Menschen, die mit den
Tieren arbeiten . Ich denke dabei gerade an unsere Bau-
ernfamilien auf dem Land, die wirklich keine einfache
Zeit haben . Wir haben hier schon über die Milchpreise,
über die Erzeugerpreise diskutiert . Wenn die Bauernfa-
milien diese Bilder sehen und die Diskussion in der Öf-
fentlichkeit verfolgen, dann machen sie sich Sorgen und
fragen sich: Was passiert mit unserem Berufsstand? Wie
wird mit unserem Berufsstand umgegangen? Warum
werden wir von einzelnen Parteien instrumentalisiert, die
aus unserer Situation politisches Kapital schlagen?


(Beifall bei der CDU/CSU)


Die ehrliche Arbeit unserer Bäuerinnen und Bauern
verdient höchste Anerkennung und höchsten Respekt .
Da geht es nicht nur um das Thema Tierschutz . In meiner
Heimat stehen sechs Maishäcksler, Maiserntemaschinen
in den Werkstätten, die von Aktivisten – ich muss sagen:
von kranken Menschen – durch Metallteile dermaßen
demoliert worden sind, dass sie den Fahrer gefährdet ha-
ben . Diese Aktivisten haben hohe wirtschaftliche Schä-
den verursacht . Meine sehr verehrten Damen und Herren,
das sind die Auswüchse von Diskussionen, die wir hier in
diesem Hause teilweise sehr emotional führen .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Ich möchte sagen: Wir sollten die Emotionen etwas he-
runterfahren und wieder auf eine sachliche Ebene in der
Diskussion kommen .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Meine lieben Freunde von den Grünen, ich habe Ih-
ren Antrag gelesen und auch Ihr Lieblingsthema, die
Anbindehaltung, zur Kenntnis genommen . Kollege
Westermayer hat es schon erklärt: Wenn wir einen Blick
auf die deutsche Landwirtschaft werfen, dann stellen wir
fest, dass circa 50 Prozent der bayerischen Milchviehhal-
ter ihre Tiere noch in Anbindehaltung halten .


(Nicole Maisch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber doch nicht das ganze Jahr über!)


Es gibt viele Betriebe im Allgäu und in Oberbayern – ich
habe hier Freunde aus Österreich gesehen, wo das auch
gilt –, wo die Tiere auf die Weide gebracht werden kön-
nen . Aber wir haben auch Regionen in unserem Land –
das ist nicht nur in Franken, sondern auch in Mittel-
deutschland so –, wo wir enge Dorflagen haben und alte
Betriebsleiter sagen: Ich möchte meine Tiere noch in den
nächsten 10 bis 15 Jahre halten; aber verbietet mir bitte
nicht die Anbindehaltung . Wenn ihr sie verbietet sind,
dann muss ich meinen Betrieb zusperren . – Es sind gera-
de die kleinbäuerlichen Betriebe, die Sie mit dem Verbot

der Anbindehaltung zur Aufgabe zwingen . Das darf doch
nicht sein .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Wenn man über Tierschutz redet, dann muss man wis-
sen, dass Tierschutz auch etwas mit der Wertschätzung
für unsere Lebensmittel zu tun hat, für die Wertschätzung
dessen, was wir täglich essen und trinken . Da haben wir
einen Partner, den wir stärker in die Pflicht nehmen müs-
sen . Das ist der Lebensmitteleinzelhandel . Ich begrüße
es, dass die landwirtschaftliche Branche Initiativen ge-
startet hat, um gemeinsam nach besseren Lösungen zu
suchen . Ich begrüße, dass es vorangeht . Aber ich möchte
auch die deutschen Verbraucher und Verbraucherinnen in
die Pflicht nehmen. Wer glaubt, er könne ein Schweine-
schnitzel für einen Cent-Betrag im Supermarkt kaufen,
der gibt sein Recht auf, über Tierschutz mitreden zu kön-
nen . Das muss man ganz klar hier betonen .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir stehen
wenige Tage vor dem Erntedankfest . Es ist nicht selbst-
verständlich, dass wir in Deutschland mit so guten, her-
vorragenden Lebensmitteln versorgt sind . Wir sollten
dieses Erntedankfest nutzen, dankbar zu sein für die po-
litische Arbeit, die hier geleistet wird für unsere Bäuerin-
nen und Bauern, dankbar zu sein auch für die Arbeit un-
seres Bundesministers, dankbar zu sein für die angeregte
Diskussion, die wir hier führen, und besonders dankbar
zu sein für die Arbeit unserer Bäuerinnen und Bauern .
Sie haben es wirklich verdient .

Vielen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1819408300

Ich schließe die Aussprache .

Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 18/9798 an den in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschuss vorgeschlagen . Sind Sie damit einver-
standen? – Das ist der Fall . Dann ist die Überweisung so
beschlossen .

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 25 auf:

Erste Beratung des von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes
zur Änderung des Vereinsgesetzes

Drucksache 18/9758
Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss (f)

Sportausschuss
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 38 Minuten vorgesehen . – Ich höre kei-
nen Widerspruch . Dann ist so beschlossen .

Ich eröffne die Aussprache . Das Wort hat der Parla-
mentarische Staatssekretär Dr . Ole Schröder .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Artur Auernhammer






(A) (C)



(B) (D)


D
Dr. Ole Schröder (CDU):
Rede ID: ID1819408400


Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Kriminelle Rockergruppierungen sind im Be-
reich der schweren und organisierten Kriminalität tätig .
Die polizeilichen Lagebilder zeigen uns, dass sie Drogen
verkaufen, Bordelle betreiben und Geld waschen . Ein
wirksames Instrument gegen die kriminellen Rocker-
gruppierungen sind Vereinsverbote nach dem Vereinsge-
setz . Der Bundesinnenminister und die Landesinnenmi-
nister haben eine erhebliche Anzahl von Verboten gegen
verschiedene Rockergruppen ausgesprochen . Dieser
Weg soll auch künftig weiter beschritten werden .

Rockergruppierungen treten in der Öffentlichkeit
aggressiv und bedrohlich auf . Ihr Verhalten wirkt au-
ßerordentlich einschüchternd . Das löst bei den Bürgern
zu Recht Ängste und Besorgnisse aus . Es ist dringend
erforderlich, auch gegen die Selbstdarstellung kriminel-
ler Rockergruppen vorzugehen . Nahezu alle kriminellen
Rockergruppen tragen die sogenannten Kutten . Die Wes-
ten mit den speziellen Aufnähern sind Grundlage ihrer
Gruppenidentität .

Mit der Verschärfung des Vereinsgesetzes wollen wir
gegen diese Selbstdarstellung krimineller Rockergruppen
vorgehen . Mit dem Tragen von Kennzeichen verbotener
Vereinigungen zeigt man öffentlich, dass man mit diesen
Gruppen sympathisiert . Das Tragen ihrer Kennzeichen
ist immer auch eine Art Werbung für diese kriminellen
Gruppen . Wir verbieten also auch eine Form der Sympa-
thiewerbung .

Der Gesetzentwurf sieht vor, dass Kennzeichen ver-
botener Vereinigungen von anderen Gruppierungen im
Bundesgebiet nicht mehr genutzt werden dürfen . Glei-
ches gilt für solche Kennzeichen, die mit denen bereits
verbotener Vereine im Zusammenhang stehen . Das ent-
spricht dem Auftrag aus dem Koalitionsvertrag . Mit der
Verschärfung des Kennzeichenverbots ist gleichzeitig
eine Strafschärfung verbunden . Außerdem wird eine
Strafbarkeitslücke geschlossen . Der Bundesgerichtshof
hatte diese mit Blick auf das Verbot, Rockerkutten zu tra-
gen, festgestellt . Um unsere Ziele zu erreichen, werden
wir folgende Änderungen im Vereinsgesetz vornehmen:

Erstens . Das Kennzeichenverbot wird so ausgestaltet,
dass die Polizei anhand objektiver Kriterien feststellen
kann, ob ein Kennzeichen „in im Wesentlichen glei-
cher Form“ verwendet wird . Dazu wird das subjektive
Merkmal des „Teilens der Zielrichtung“ des verbotenen
Vereins gestrichen . Zusätzlich wird erläutert, wann ein
Kennzeichen „in im Wesentlichen gleicher Form“ ver-
wendet wird .

Zweitens . Das Verwenden von Kennzeichen verbote-
ner Vereine wird explizit unter Strafe gestellt .

Die Polizeien in Bund und Ländern können damit
künftig bundesweit einheitlich vorgehen . So wird ins-
besondere die sogenannte Kutte leichter beschlagnahmt
werden können . Außerdem kann eine Freiheitsstrafe von
bis zu einem Jahr oder eine Geldstrafe verhängt werden .

Abschließend möchte ich noch zwei Aspekte betonen:
Es handelt sich hier erstens nicht um eine Lex Rocker .

Das Kennzeichnungsverbot gilt selbstverständlich auch
für alle verbotenen terroristischen und extremistischen
Vereinigungen . Die Bundesregierung ist sich zweitens
bewusst, dass es sich hier nur um eine punktuelle Ände-
rung des Vereinsgesetzes handelt . Wir verschließen uns
damit nicht der Bitte des Bundesrats, das öffentliche Ver-
einsrecht auf weitere Bedürfnisse der Praxis zu prüfen
und gegebenenfalls zügig fortzuentwickeln .

Vielen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1819408500

Das Wort hat die Kollegin Ulla Jelpke für die Fraktion

Die Linke .


(Beifall bei der LINKEN)



Ulla Jelpke (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1819408600

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! In der

Tat stehen manche Motorradklubs heute leider nicht
nur für die Freiheit auf zwei Rädern oder für die Easy-
Rider-Romantik . Einige bekannte international agie-
rende Rockerklubs dienen auch als Deckmantel für die
organisierte Kriminalität . Ein Teil ihrer Mitglieder sind
in Schutzgelderpressung, Drogenhandel, Zuhälterei, ja
sogar in Menschenhandel verstrickt . Immer wieder gibt
es Tote bei Bandenkämpfen . Deswegen ist die Linke sehr
dafür, diesem Teil der Rockerszene den Kampf anzusa-
gen .


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Doch Verbote von Symbolen oder Kennzeichen greifen
oft ins Leere,


(Susanne Mittag [SPD]: Das ist ein Irrtum!)


weil die kriminellen Rocker sich schnell unter anderem
Namen neu formieren und sich einfach die Kutte eines
Nachbarklubs überstreifen . Notwendig und legitim wäre
es, gegen einen Rockerklub, wenn er denn als Deckman-
tel für schwere Kriminalität dient, mit den Mitteln des
Straf- und Vereinsrechts vorzugehen .

Die Bundesregierung aber will es sich einfach ma-
chen . Sie will selbst dann, wenn nur eine einzelne Orts-
gruppe eines Vereins verboten wird, deren Symbole
gleich bundesweit für alle Mitglieder unter Strafe stellen .
Das ist eine völlig unverhältnismäßige Maßnahme, die
noch dazu mit dem föderalen Prinzip meines Erachtens
nicht vereinbar zu sein scheint .


(Beifall bei der LINKEN)


Es geht hier nicht nur um kriminelle Rockergruppie-
rungen, wie uns der Gesetzestext fälschlicherweise sug-
geriert; denn diese werden nur als ein Beispiel genannt .
Man muss sagen, dass eigentlich jedes Mal, wenn wir
über Gesetzesverschärfungen im Bereich der inneren
Sicherheit diskutieren, eine Gruppierung als Begrün-
dung angeführt wird . Wir sind uns hier aber sicherlich
alle einig, dass Nazis, Dschihadisten, Kinderpornoringe
und natürlich auch kriminelle Rocker bekämpft werden
müssen . Doch in der Praxis trifft eine Gesetzesverschär-






(A) (C)



(B) (D)


fung jedes Mal auch ganz andere Gruppierungen als die
ursprünglich zur Rechtfertigung der Verschärfung an-
geführten . Nehmen wir einmal an, eine Hooligan- oder
Ultragruppe wird verboten, weil sie regelmäßig Gewalt-
taten verübt . Sollen nun auch andere, friedliche Fan-
gruppen von Fußballvereinen in Sippenhaft genommen
werden, nur weil sie die gleichen Logos und Farben wie
die verbotene Ultragruppe verwenden? Auch einige Bei-
spiele aus dem politischen Bereich, von links bis rechts,
würden mir hier einfallen . Diese Unbestimmtheit des
Gesetzes eröffnet der Behördenwillkür einmal mehr Tür
und Tor, und deswegen können wir diesem Gesetz nicht
zustimmen .

Meine Damen und Herren, seien wir mal realistisch!
Kriminelle Rockerbanden werden ihre Straftaten doch
nicht deswegen einstellen, weil sie ihre Kutte nicht mehr
tragen dürfen . Soweit sie überhaupt eines äußeren Erken-
nungszeichens bedürfen, werden sie auf unverfängliche
Symbole ausweichen . Die meisten Verbrecher agieren
gänzlich ohne verräterische äußere Kennzeichnung, da
diese einer kriminellen Aktivität ja in der Regel eher ab-
träglich erscheint .

Der Kern des Problems mit den kriminellen Rocker-
banden ist ein anderer . Es ist ein offenes Geheimnis, dass
manche der in organisierte Kriminalität verwickelten Ro-
ckergruppen gute Kontakte zur Politik, zur Polizei, aber
auch zum Justizapparat pflegen. Ich nenne hier nur als
Beispiel Hannover; aus zeitlichen Gründen kann ich das
leider nicht ausführen . Ermittlungen gegen diese Banden
verlaufen also oft im Sande, weil diese zum Beispiel von
der Polizei vor einer Razzia gewarnt worden sind . Ich
finde, diesen Saustall muss man ausmisten. Man muss
etwas Vernünftiges tun, damit das nicht mehr passiert .
Doch dazu braucht es den nötigen politischen Willen,
und den vermissen wir hier .

Dieser Gesetzentwurf ist zum einen untauglich, weil er
sich auf Symbolpolitik beschränkt . Zum anderen schießt
er über das Ziel hinaus, weil durch das großzügige Ver-
bot von Vereinswappen und Ähnlichem auch viele Un-
schuldige betroffen sind . Insofern denken wir, dass wir
noch einmal im Ausschuss darüber beraten sollten . Es ist
jedenfalls keine effektive Bekämpfung von organisierter
Kriminalität, wenn man Symbole bekämpft .

Danke .


(Beifall bei der LINKEN)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1819408700

Das Wort hat der Kollege Uli Grötsch für die

SPD-Fraktion .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Uli Grötsch (SPD):
Rede ID: ID1819408800

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Manchmal merkt man geradezu, dass es mit den objek-
tiven Argumenten eng wird, wenn es darum geht, einen
Antrag der Regierungskoalition abzulehnen .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Ich will nicht verhehlen, dass uns das manchmal anders-
herum genauso geht, liebe Kollegin Ulla Jelpke . Aber bei
diesem Gesetzentwurf geht es ja nicht um eine Gruppe,
sondern um ein Phänomen, auf das ich im Folgenden ein-
gehen will .

Es geht hier um die Hells Angels, die Bandidos, die
Outlaws, die Mongols . Bei diesen Rockergruppierungen
geht es doch nicht mehr ums Motorradfahren, um Tattoos
oder Machotum, sondern um organisierte Kriminalität .
Es geht um Drogengeschäfte, um Schutzgelderpressung
und um Menschenhandel . Weil die Mitgliedschaft in so
einer Rockergruppe offenbar so lukrativ ist, gründen die
besagten Rockerklubs immer neue Ortsvereine, soge-
nannte Chapter oder Charter, die mancherorts wie Pilze
aus dem Boden schießen . Bundesweit gibt es inzwischen
mehr als 9 300 solcher Rocker in mehr als 600 örtlichen
Chaptern . Diesen Kriminellen sagen wir mit diesem Ge-
setz den Kampf an, liebe Kolleginnen und Kollegen .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Auch wenn das auf den ersten Blick etwas ambitio-
niert klingen mag: Mit diesem Gesetz werden wir einen
wesentlichen Beitrag dazu leisten, diesen Strukturen
das Handwerk zu legen . Wir beraten heute in erster Le-
sung eine notwendige Anpassung, eine Verschärfung des
Vereinsgesetzes . Bislang ist es so, dass zwar einzelne
Ortsvereine verboten wurden, die Rockerklubs aber das
generelle Vereinssymbol mit einer anderen Ortsbezeich-
nung weiterverwenden konnten . Letztes Jahr musste der
Bundesgerichtshof in einem einschlägigen, die Rocker-
gruppierung Bandidos betreffenden Fall entscheiden,
dass das Tragen einer Kutte mit den von allen Chaptern
der Bandidos benutzten Kennzeichen, nämlich dem Wort
„Bandidos“ und dem sogenannten Fat Mexican, zusam-
men mit dem Ortszusatz eines nicht verbotenen Chapters
nach derzeitiger Rechtslage nicht strafbar ist .

Wenn wir dieses Gesetz verabschieden, wird es so et-
was in Zukunft nicht mehr geben .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Kennzeichen verbotener Vereinigungen können dann
nicht mehr von anderen Gruppierungen im Bundesgebiet
genutzt werden . Verbotene Chapter können dann nicht
im nächsten Ort einen neuen Ortsverein gründen, um das
Vereinsverbot zu umgehen . Das könnte im besten Fall
das Ende des Mythos um Hells Angels oder Bandidos
bedeuten, weil sie dann kein gemeinsames, öffentlich
sichtbares, verbindendes Vereinssymbol mehr haben,
liebe Kolleginnen und Kollegen . Das vereinfacht auch
die Arbeit der Polizeien, die künftig ganz einfach und
objektiv feststellen können, ob ein Verein ein Kennzei-
chen in im Wesentlichen gleicher Form verwendet wie
ein verbotener Schwesterverein . Damit zeigen wir: Wir
lassen uns nicht auf der Nase herumtanzen, wenn es um
verbrecherische Parallelstrukturen im Rockermilieu oder
gar um verfassungsfeindliche Tendenzen geht .


(Beifall bei der SPD)


Apropos verfassungsfeindlich: Was mir nicht zuletzt
Sorgen im Zusammenhang mit dem Rockermilieu macht,
ist seine Verflechtung mit der rechtsextremen Szene.
Nach Erkenntnissen des Bundeskriminalamtes und des

Ulla Jelpke






(A) (C)



(B) (D)


Bundesamtes für Verfassungsschutz gibt es zunehmend
Neonazis in den Rockerklubs . Über 500 einschlägig
bekannte Neonazis gehören zu Rockergruppen wie den
Hells Angels oder dem Gremium MC, aber auch zu den
Bandidos und den Outlaws MC. Neonazikonzerte finden
in den Klubhäusern der Rocker statt, die dann teilweise
noch von Rockern als Securities bewacht werden .

Während es vor einigen Jahren noch hieß, dass kein
Rockerklub in Gänze als rechtsextrem gelte, weil Ro-
ckerklubs ja per Satzung unpolitisch seien, zeigt uns
etwa der Fall des inzwischen verbotenen Rockerklubs
Schwarze Schar MC Wismar aus Mecklenburg-Vorpom-
mern das Gegenteil . Hier haben einschlägige Neonazis
den Klub gegründet, um ihre kriminellen Machenschaf-
ten zu organisieren . Beim Gremium MC sind auch bereits
Durchmischungen mit Nazis bekannt geworden; zumin-
dest haben sie Ordnerpersonal für ein Neonazikonzert in
Thüringen gestellt .

Diese Verflechtung – leider ganz speziell in den ost-
deutschen Bundesländern, aber natürlich auch anderswo
in Deutschland – halte ich für hochgradig besorgniser-
regend .

Ich komme zum Schluss . Ich bin froh, dass der Bun-
desrat uns bei unserem Anliegen, das Vereinsgesetz zu
verschärfen, unterstützt, Ich bitte auch die Oppositions-
parteien, hier im Sinne der Sache mit uns gemeinsam die-
se Erweiterung des Kennzeichenverbots zu tragen .

Vielen Dank .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1819408900

Das Wort hat die Kollegin Irene Mihalic für die Frak-

tion Bündnis 90/Die Grünen .


Dr. Irene Mihalic (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1819409000

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen!

Liebe Kollegen! Sie haben es vorhin schon angespro-
chen: Wir beraten zwar jetzt das Vereinsgesetz, aber
im Kern geht es natürlich um organisierte Kriminalität .
Denn wenn kriminelle Organisationen in vereinsrechtli-
chen Strukturen aufgehen, dann liegt natürlich im Ver-
einsrecht ein möglicher Hebel, um anzusetzen .

Rauschgiftkriminalität, Menschenhandel, Schutz-
gelderpressung durch sogenannte Rockerbanden sind
Formen schwerster Kriminalität, die wir auf jeden Fall
ernst nehmen müssen . Ihre Verbrechen und ihre Struktu-
ren sind in jedem Fall auch der organisierten Kriminali-
tät zuzurechnen . Ich glaube, es ist unbestritten, wenn ich
sage, dass wir es hier wirklich mit großen Herausforde-
rungen für die Polizeien in Bund und Ländern zu tun ha-
ben . Wir müssen auch davon ausgehen, dass sich dieses
Problem weiter sehr dynamisch entwickeln wird . Des-
wegen ist es natürlich richtig, dass sich der Rechtsstaat
auf solche Entwicklungen einstellt . Dazu gehört auch die
Frage, wie solche Rockerbanden als Vereine verboten
werden können .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Deswegen finde ich den Hinweis des Bundesrates
richtig, dass auf jeden Fall geklärt werden muss, welche
Behörde im Einzelfall für ein Vereinsverbot zuständig
ist . Dasselbe gilt natürlich auch für das Verbot, Kenn-
zeichen eines verbotenen Vereins öffentlich zu tragen .
Auch darum geht es in dieser Debatte; denn die bisherige
Regelung hat nicht in jedem Fall dazu geführt, dass ver-
botene Kennzeichen, wie zum Beispiel die Kutten von
Rockerbanden, nicht mehr getragen werden durften .

Nur darf man sich natürlich auch nichts vormachen:
Auch wenn Rockerbanden oder solche Vereine verboten
werden und das Tragen solcher Abzeichen künftig um-
fassender verboten werden kann, heißt das nicht, dass
solche Banden dann nicht mehr da sind .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Uli Grötsch [SPD]: Sehr richtig!)


Natürlich können wir es nicht hinnehmen, dass Mitglie-
der von Rockerbanden oder entsprechender Vereinigun-
gen durch ihr Auftreten mit solchen Abzeichen und Sym-
bolen, mit ihren Kutten in der Öffentlichkeit Angst und
Schrecken verbreiten . Schließlich ist es nicht zuletzt eine
Lehre aus der deutschen Geschichte, dass wir einschüch-
ternde Uniformierungen und Abzeichen ernst nehmen
und aufs Schärfste ablehnen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg . Wolfgang Gunkel [SPD])


Wir müssen uns – darauf habe ich vorhin schon hinge-
wiesen – auf jeden Fall darüber im Klaren sein, dass die
Gefahren, die von solchen Gruppen und ihren Mitglie-
dern ausgehen, durch das vorliegende Gesetz leider nicht
geringer werden . Deswegen liegt in einem möglichen Er-
folg eines Verbotes solcher Abzeichen vielleicht auch die
größte Gefahr: nämlich dass wir, weil wir sie nicht mehr
sehen können, vergessen, dass sie da sind . Diese Gefahr
scheint mir nicht allzu klein zu sein, wenn man bedenkt,
wie lange es gedauert hat, bis der Rechtsterrorismus als
das erkannt wurde, was er ist, und wie groß die Zahl der
Opfer ist . Wir alle wissen, wie viel Kraft der Kampf ge-
gen die Verdrängung dieser schlimmen Wahrheit braucht
und welche Aufklärungsdefizite und Wissenslücken
damit bis heute verbunden sind . Denn viele Menschen
glauben, nur weil sie keine Männer mehr mit Glatzen
und Springerstiefeln auf den Straßen sehen, dass es kaum
noch Neonazis gibt . Aber das ist ein Trugschluss .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Auch im Bereich der organisierten Kriminalität be-
stehen sehr große Wissenslücken . Ich persönlich habe
den Eindruck, dass diesem Thema nicht genug Aufmerk-
samkeit gewidmet wird bzw . dass wir uns damit nicht
ernsthaft genug auseinandersetzen . Wir müssen meines
Erachtens dringend die nötigen Rahmenbedingungen
schaffen, damit dieser wichtige Teil der Polizeiarbeit ent-
sprechend gestärkt wird .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Kollege Grötsch, Sie haben darauf hingewiesen: Ei-
gentlich wissen wir noch viel zu wenig über Interakti-
onen zwischen Rockerbanden und der international

Uli Grötsch






(A) (C)



(B) (D)


organisierten Kriminalität oder der rechten Szene . Das
ist ja auch eine Frage, mit der wir uns im NSU-Untersu-
chungsausschuss auseinandersetzen: Welche Bezüge gibt
es eigentlich? Das könnte zum Beispiel auch den illega-
len Waffenhandel betreffen .

Es gibt viele offene Fragen in diesem Bereich, zum
Beispiel die Frage: Rüsten Rockerbanden auf? Gibt es
Verbindungen in andere Szenen hinein? Wie sind ei-
gentlich die internationalen Zusammenhänge? Gibt es
Überschneidungen mit rechtsextremistischen Struktu-
ren? Es wäre gut, wenn die Bundesregierung, wenn das
Bundesinnenministerium die Öffentlichkeit und uns hier
im Parlament über solche Entwicklungen umfassender
informieren würde, damit wir sehen, welche Handlungs-
bedarfe es über Symbolverbote hinaus noch gibt .

Herzlichen Dank .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg . Wolfgang Gunkel [SPD])



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1819409100

Das Wort hat der Kollege Oswin Veith für die CDU/

CSU-Fraktion .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Oswin Veith (CDU):
Rede ID: ID1819409200

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Wenn wir heute schon über Vereine sprechen, dann will
ich ein bisschen ausholen und damit beginnen, dass wir
Deutsche, und zwar nicht nur bei unseren europäischen
Nachbarn, durchaus als Vereinsmeier gelten . Rein sta-
tistisch gesehen ist jeder Deutsche in mindestens einem
Verein, so auch viele von uns, ich auch .

Wir wissen, wie es mit der Entstehung der Vereine
losging . In der frühen ersten Hälfte des 19 . Jahrhunderts
gab es aufgrund der bürgerlichen Bewegungen die ersten
Vereinsgründungen .

Hier möchte ich einen kleinen eigenen Werbeblock
einschieben . Neun Jahre lang hatte ich die Ehre, Bür-
germeister der Hessentagsstadt Butzbach sein zu dür-
fen, einer Stadt mit damals 204 Vereinen . Die erste Ver-
einsgründung gab es bei uns 1839 . Die Stadt Butzbach
ist die Stadt von Dr . Friedrich Ludwig Weidig, einem der
engsten Weggefährten von Georg Büchner . Zusammen
verfassten sie den Hessischen Landboten mit dem Auf-
ruf: „Friede den Hütten! Krieg den Palästen!“ Beide sind
1837 gestorben, Weidig in der Haftanstalt in Darmstadt .
Allein über das Thema Vormärz und die Demokratiebe-
strebungen könnte man abendfüllend reden .

Über Vereine wie Gesangsvereine, Sportvereine,
Turnvereine und Musikvereine reden wir jedoch nicht .
Verfassungsrechtlich ist das, worüber wir heute reden, in
Artikel 9 unseres Grundgesetzes freilich besonders ge-
schützt . Die restlichen Regelungen, was unsere Vereine
betrifft, stehen alle im Bürgerlichen Gesetzbuch .

Das Vereinsgesetz, über das wir heute reden, ist dafür
gedacht, die Voraussetzungen zu schaffen, um bestimmte
Vereine verbieten zu können . Gelten Vereine zwar ge-
meinhin als friedliche Freizeitbetätigung, so sind man-

che Gruppierungen trotz vorhandener Vereinsstrukturen
jedoch als gefährlich einzuordnen; wir haben es gerade
ausführlich gehört .

Wird ein Verein begründbar verboten, gilt dies auch
für die öffentliche Zurschaustellung der Vereinskenn-
zeichen . Mitglieder eines Vereins bringen oft und aus
Überzeugung ihre Zugehörigkeit mittels Kennzeichen
in Form von bestimmten Vereinsfarben, Symbolen und
Vereinskleidung zum Ausdruck . Man bekennt sich öf-
fentlich zu einem Verein und zu dessen Werten . Han-
delt es sich um etwas Harmloses wie einen Sport-, Ge-
sangs- oder Musikverein, ist dies auch völlig legitim und
in Ordnung . Meist dient das Tragen von Vereinsfarben
und -kleidung auch der Mitgliederwerbung . Was ist aber,
wenn bestimmte Vereinssymbole und Kleidungsstücke
mit Werten und Strukturen in Verbindung gebracht wer-
den, hinter denen manchmal erhebliche kriminelle Ener-
gie steckt?

2014 hatte Nordrhein-Westfalen daher das öffentliche
Zeigen von Rockersymbolen vielerorts untersagt . Mit-
glieder von Rockergruppierungen werden mit Gewalt,
Straftaten und rechtsstaatswidrigem Verhalten in Ver-
bindung gebracht . Das damals erlassene Verbot umfasste
nicht nur das Zeigen bereits verbotener Abzeichen, un-
tersagt wurde auch das Tragen von Emblemen mit Bezug
auf sogenannte Schwestervereine, also Teilgruppen, die
an einem Ort bereits verboten waren .

Mit dem Hinweis, dass dieses umfassende Verbot
nicht mit der derzeitigen Rechtslage in Einklang zu brin-
gen war, hatte der Bundesgerichtshof diesem Verbot eine
deutliche Absage erteilt . Um nun auch dem sympathiebe-
kennenden Tragen von bestimmten Vereinszeichen einen
Riegel vorzuschieben, verschärfen wir im Vereinsgesetz
den § 9 zum sogenannten Kennzeichenverbot und passen
ebenfalls die entsprechende Strafvorschrift in § 20 an .

Natürlich ist nicht jede Vereinigung von Menschen,
die sich dem Motorradfahren verschreiben, eine Verbin-
dung von Kriminellen . Wird aber gegen bestimmte Grup-
pierungen ein Verbot erlassen, eben weil sie kriminelle
Strukturen aufweisen, dann muss auch die Zurschau-
stellung von Symbolen und Kleidungsstücken, die diese
kriminellen Vereinigungen verherrlichen, unterbunden
werden . Menschen, die die freiheitliche Grundordnung
unseres Landes offensichtlich ablehnen, auch wenn sie
sich in Form eines Vereins zusammentun, dürfen ihre
Vereinszeichen und die ihrer Schwestervereinigungen,
die auch nichts Besseres im Schilde führen, nicht unge-
straft zur Schau stellen . Das wollen wir nicht, und des-
halb wollen wir es heute verbieten .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Klar ist, dass man nicht alles verbieten kann, was man
nicht mag – um den Bundesinnenminister an dieser Stel-
le ebenfalls zu zitieren . Aber bei organisierter Krimina-
lität hört für mich und für uns der Spaß auf . Organisierte
Kriminelle sind eine Bedrohung für die innere Sicherheit
unseres Landes .

Genauso wie wir unser Land vor Gefahren für die in-
nere Sicherheit von außerhalb, wie Terrorgefahr, schüt-
zen, schützen wir unser Land vor den Gefahren, die vom

Irene Mihalic






(A) (C)



(B) (D)


Inneren ausgehen . Gerade im Bereich innerer Sicherheit
haben wir vieles vorangebracht . Ein großer Teil dieser
Maßnahmen geht auf die Initiative der Union zurück . So
sind die heutigen Änderungen im Vereinsgesetz zwar nur
ein kleiner Schritt; aber wir meinen, er ist völlig richtig,
um den kriminellen Strukturen das Wasser abzugraben
und klar für unsere freiheitlichen und rechtsstaatlichen
Werte einzustehen . Deshalb würde ich mir wünschen,
dass dieser Ansatz, dieses Gesetz eine breite Basis findet.

Danke schön .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1819409300

Das Wort hat die Kollegin Susanne Mittag für die

SPD-Fraktion .


(Beifall bei der SPD)



Susanne Mittag (SPD):
Rede ID: ID1819409400

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Wenn man sich die Liste der verbotenen Mo-
torradklubs der vergangenen Jahre ansieht, dann fühlt
man sich leicht an den Geografieunterricht erinnert. Hier
nur ein kleiner Auszug: 2012 Hells Angels MC Cologne,
2012 Hells Angels MC Berlin City, 2013 Hells Angels
Bremen, 2016 Hells Angels MC Bonn . Es ginge beliebig
so weiter . In den vergangenen 15 Jahren haben Landes-
innenminister insgesamt zwölf sogenannte Charter der
Hells Angels verboten . Und das sind nur die Fälle der
Hells Angels . Es gibt noch ein paar andere; Bandidos,
Gremium MC, Mongols MC, Satudarah MC habe ich
noch nicht einmal erwähnt . Da gibt es jede Menge .

Was auffällt, ist, dass der anscheinend größte Unter-
schied zwischen den nun verbotenen Gruppierungen al-
lenfalls der angehängte Ort ist . Ansonsten sind sie sich
ähnlich . Aber Hells Angels nennen sich viele; die Struk-
turen sind identisch . Genau das ist das Problem, dem
wir mit dem nun vorliegenden Entwurf eines Zweiten
Gesetzes zur Änderung des Vereinsgesetzes begegnen
wollen . Bisher musste gemäß höchstrichterlicher Recht-
sprechung die Polizei im Bund und in den Ländern nach-
weisen, dass zum Beispiel die Bonner Hells Angels die
gleiche Zielrichtung verfolgten wie die Rocker des be-
reits verbotenen Hells-Angels-Charter in Berlin . Das war
für die Behörden äußerst schwierig und für die Rocker
äußerst günstig .

Wir dürfen uns hier nicht von den Namen der Mo-
torradklubs täuschen lassen . Das hat nichts mit Freiheit
und Abenteuer zu tun . Das sind einfach nur knallharte
Strukturen der organisierten Kriminalität . Ob Rotlicht,
Drogen, Waffen oder Schutzgeld – es ist schon erwähnt
worden –, überall sind diese kriminellen Vereinigungen
dabei, und das seit Jahrzehnten . Einige der Mitglieder
der angeblichen Motorradklubs haben nicht einmal einen
Führerschein oder ein Motorrad – aber das nur nebenbei .
Das macht sie nicht weniger gefährlich, zeigt aber deut-
lich auf, dass das Motorradfahren nicht im Fokus dieser
vermeintlichen Vereine steht . Das angeblich so coole
Image, das diesen Vereinen oft in der Öffentlichkeit zu-
geschrieben wird, trifft nicht einmal ansatzweise zu .

Im Jahr 2015 hat Innenminister de Maizière dem
aus den Niederlanden stammenden Satudarah MC jede
Tätigkeit in Deutschland untersagt und die deutschen
Teilorganisationen des Vereins komplett verboten . Das
war das erste Mal, dass ein Rockerklub als Ganzes in
Deutschland verboten wurde . Das war ein sehr guter und
wichtiger Schritt; denn Satudarah agierte nicht im luft-
leeren Raum, sondern versuchte ganz massiv, andere Re-
viere zu übernehmen . Daraus resultierten zum Teil sehr
gewalttätige Auseinandersetzungen zwischen den rivali-
sierenden Gruppen, teilweise mit Todesfällen, aber das
ist auch bei anderen Rockergruppen der Fall .

Die Leidtragenden – das möchte ich noch einmal er-
wähnen – sind oftmals die Polizisten, die zu diesen Aus-
einandersetzungen gerufen werden und sich dann dazwi-
schenwerfen dürfen . Das führt oftmals zu sehr schwer
Verletzten . Aber auch unbeteiligte Menschen, die zufäl-
lig getroffen werden, und Menschen im Umfeld dieser
angeblichen Vereine, die das kriminelle Verhalten ertra-
gen müssen, gehören zu den Leidtragenden . Das wird
völlig unterschätzt . Das wollen wir nicht mehr .

Wir nehmen gerne die Anregungen des Bundesrates
in unsere Beratungen auf . Wir werden prüfen, inwieweit
wir den Gesetzentwurf mit Blick auf den Fall, dass ein
Verein in Organisation und Tätigkeit über Bundeslän-
dergrenzen hinaus in Erscheinung tritt, noch konkreter
ausgestalten können .

Auch wenn Verbote dieser Klubs nach Vereinsrecht
wichtig und richtig sind, lösen sie natürlich nur die wahr-
nehmbaren Probleme . Man sieht den Schutzgelderpres-
sern, Türstehern und Waffenschiebern dann natürlich
nicht mehr an, dass sie von einem bestimmten Rocker-
verein kommen. Die Machtdemonstration findet dann
nicht länger derart öffentlich statt, aber die Kriminellen
verschwinden natürlich nicht einfach und ihre Netzwerke
lösen sich auch nicht automatisch auf . Straftaten werden
weiter begangen – das wissen wir –, aber eben nicht in
Kutte, sondern in normaler Kleidung . Ein Allheilmit-
tel ist das Verbot nicht, aber ein wichtiger und richtiger
Schritt zur Bekämpfung der organisierten Kriminalität .
Da muss es mehrere Maßnahmen geben .

Gerade die Zahl der Straftaten in diesem Deliktsfeld
der organisierten Kriminalität steigt seit Jahren an . Es ist
richtig, dass wir die Sicherheitsbehörden im vergangenen
Jahr mit einem deutlichen Stellenaufwuchs zur Bekämp-
fung des internationalen Terrorismus versehen haben .
Wir haben Bundespolizei, BKA und die Nachrichten-
dienste gestärkt und werden das auch im Haushalt für das
kommende Jahr tun . Leider bleibt dabei die Bekämpfung
der organisierten Kriminalität immer ein klein wenig auf
der Strecke, vor allem die Bekämpfung der sogenannten
Alltags-OK, die es schon seit Jahren gibt . Dabei geht
es um genau die Kriminalitätsfelder, in denen die Ro-
ckergruppen Straftaten begehen . Ich wünsche mir – das
hat die Bundestagsfraktion der SPD im Innenausschuss
schon sehr deutlich gesagt –, dass wir die Zahl der Stel-
len im BKA zur Bekämpfung dieser Alltags-OK endlich
deutlich anheben .


(Beifall bei der SPD)


Oswin Veith






(A) (C)



(B) (D)


– Das ist nett . – Die Koordinierungsstelle OK braucht
mehr Personal- und Sachmittel . Das muss ein ganz mas-
siver Aufwuchs sein . Ich hoffe auf die Unterstützung .

Wir müssen und wollen das BKA in seiner Koordinie-
rungsfunktion stärken, um in Zusammenarbeit mit den
Ländern, die wir dann unterstützen können, gegen diese
kriminellen Strukturen vorzugehen . Nur so schaffen wir
es zum Beispiel in Flensburg, Kiel, Köln, Berlin, Bre-
men, Frankfurt, Bonn und sehr vielen anderen Städten
in Deutschland, der organisierten Kriminalität entgegen-
zutreten .

Herzlichen Dank .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1819409500

Die Kollegin Andrea Lindholz hat für die CDU/

CSU-Fraktion das Wort .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Andrea Lindholz (CSU):
Rede ID: ID1819409600

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten

Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Wir beraten heute eine kleine, aber weitreichende Än-
derung im Vereinsgesetz . Die Bundesregierung will mit
dem Gesetzentwurf das Kennzeichenverbot in § 9 des
Vereinsgesetzes praxistauglicher ausgestalten und eine
Schwachstelle in unserem Vereinsgesetz beheben . Die
Polizei soll damit gleichzeitig ein neues Instrument für
den Kampf gegen die organisierte Kriminalität erhalten .

Ein Verein kann verboten werden, wenn ihm eine
schwerwiegende Gefährdung der Allgemeinheit und ent-
sprechende Straftaten nachgewiesen wurden . Mit dem
Verbot wird dann auch das Tragen des Abzeichens dieses
Vereins strafbar . Wenn der verbotene Verein allerdings
lediglich eine Ortsgruppe einer größeren Dachorganisati-
on ist, dann gilt das nicht gleichermaßen auch für die ge-
samte Organisation, und auch das Tragen gemeinsamer
Abzeichen – das sind zum Beispiel Fahnen, Uniformstü-
cke und andere Abzeichen dieses Dachverbandes – ist
dann nach geltendem Recht nicht strafbar, auch dann
nicht, wenn mehrere Unterorganisationen als kriminelle
Vereinigung verboten wurden . Der Koalitionsvertrag sah
daher bereits eine Änderung in diesem Bereich vor, und
der Bundesgerichtshof hat auch erst im Juli letzten Jahres
auf diese Strafbarkeitslücke hingewiesen . Es ging dabei
um das Tragen von Rockerkutten, die verschiedene Orts-
bezeichnungen, aber das gleiche Kennzeichen hatten .

Diese Lücke wollen wir jetzt schließen . Dies ist si-
cherlich kein Allheilmittel, aber es ist absolut richtig,
es ist wichtig und ein weiterer Beitrag im Kampf gegen
organisierte Kriminalität . Das Vereinsgesetz soll künftig
objektive und klar definierte Kriterien enthalten, anhand
derer die Polizei feststellen kann, ob ein im Wesentli-
chen gleiches Kennzeichen verwendet wird, das bereits
verboten wurde . Subjektive Merkmale wie die Ausle-
gung, ob es vielleicht die gleiche Zielrichtung ist, wer-
den gestrichen – subjektive Merkmale sind in der Regel

auch wenig praxistauglich –, sodass diese Änderung ein
wichtiges Instrument für unsere Behörden ist . Die ent-
sprechende Strafnorm in § 20 des Vereinsgesetzes soll
angepasst werden, indem sie ausdrücklich auf das Kenn-
zeichenverbot in § 9 des Vereinsgesetzes verweist .

Warum brauchen wir diese Verschärfung? Sie kann
vor allem im Kampf gegen Rockergruppen helfen . Sie
nennen sich selbst verharmlosend „Motorradclub“; tat-
sächlich sind es aber Klubs, die für schwerste Verbrechen
wie Drogen- und Menschenhandel, für Erpressung und
brutale Gewalttaten bis hin zu Mord verantwortlich sind .
8,4 Prozent aller Verfahren im Zusammenhang mit der
organisierten Kriminalität in Deutschland entfallen auf
diese Gruppierungen . Das Bundeskriminalamt hat in sei-
nem letzten Lagebild zur organisierten Kriminalität auch
von einem deutlichen Anstieg der Verfahren gegen diese
Rockergruppierungen berichtet .

Trotz Verboten werden ständig neue Ortsgruppen
gegründet . Zuletzt war die Presse auch wieder voll von
Gewaltexzessen in diesem Rockermilieu . Die Mitglie-
der glauben, dass sie sich in ihrer Gemeinschaft vor dem
Gesetz verstecken können . Mit dem Kennzeichenverbot,
mit der Verschärfung im Vereinsgesetz, können wir dem
zumindest ein Stück weit entgegenwirken . Sie haben es
gesagt, Frau Kollegin Mihalic: Deshalb sind sie nicht
gleich von der Bildfläche verschwunden. Aber ich halte
es für ein wichtiges Zeichen, auch seitens des Rechts-
staats, dass man dieses gemeinsame Kennzeichen in die-
sen schweren Fällen der organisierten Kriminalität auch
für alle, die damit irgendwo im Zusammenhang stehen,
verbieten sollte . Ich halte das für den richtigen Schritt .

Liebe Frau Kollegin Jelpke, nicht nachvollziehen kann
ich, wie man dem nicht zustimmen kann und das Ganze
mit Fußballvereinen vergleicht . Es geht hier um das Tra-
gen eines gemeinsamen Kennzeichens, eines bestimmten
Symbols, das auch für organisierte Kriminalität steht, für
schwerste Verbrechen, die dort begangen worden sind .
Ich kann deshalb nicht nachvollziehen, wie man einer
solchen Änderung nicht zustimmen kann .

Unsere Polizei steht heute vor großen Herausforde-
rungen . Islamistische Terroristen, gewaltbereiter Links-
und Rechtsextremismus und organisierte Kriminalität,
die wir allesamt mit ganzem Einsatz verhindern und be-
kämpfen müssen, fordern von unserer Polizei Höchstleis-
tungen . Mit diesem kleinen Beitrag können wir unseren
Sicherheitsbehörden auch effektivere Mittel an die Hand
geben . Deshalb bitte ich, die Beratungen konstruktiv zu
begleiten . Vielleicht können wir am Ende des Verfahrens
doch allesamt dieser Änderung zustimmen .

Vielen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1819409700

Ich schließe nun die Aussprache .

Interfraktionell wird die Überweisung des Gesetzent-
wurfs auf Drucksache 18/9758 an die in der Tagesord-
nung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen . Gibt es
dazu anderweitige Vorschläge? – Das ist nicht der Fall .
Dann ist die Überweisung so beschlossen .

Susanne Mittag






(A) (C)



(B) (D)


Ich rufe die Tagesordnungspunkte 26 a und 26 b auf:

a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Harald
Weinberg, Sabine Zimmermann (Zwickau),
Matthias W . Birkwald, weiterer Abgeordneter
und der Fraktion DIE LINKE

Gerechte Krankenkassenbeiträge für Selbst-
ständige in der gesetzlichen Krankenversiche-
rung

Drucksache 18/9711
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Gesundheit (f)

Ausschuss für Arbeit und Soziales

b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Harald
Weinberg, Sabine Zimmermann (Zwickau),
Matthias W . Birkwald, weiterer Abgeordneter
und der Fraktion DIE LINKE

Gerechte Krankenkassenbeiträge für freiwil-
lig in der gesetzlichen Krankenversicherung
Versicherte

Drucksache 18/9712
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Gesundheit (f)

Ausschuss für Arbeit und Soziales

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 38 Minuten vorgesehen . – Ich höre kei-
nen Widerspruch . Dann ist so beschlossen .

Ich eröffne die Aussprache . Das Wort hat die Kollegin
Sabine Zimmermann für die Fraktion Die Linke .


(Beifall bei der LINKEN)



Sabine Zimmermann (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1819409800

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen

und Herren! Der konservative Teil der Koalition rühmt
sich ja gerne, etwas für die Selbstständigen zu tun . Tat-
sächlich haben aber viele der Selbstständigen das Gefühl,
von der Bundesregierung gerade hinsichtlich ihrer sozia-
len Absicherung im Stich gelassen zu werden . Über viele
Jahre höre ich jetzt schon die Klagen, aber verbessert hat
sich an der Situation nichts . Im Hinblick auf Ihre angebli-
che Vertretung der Interessen von Selbstständigen ist das
schon einigermaßen dürftig . Für die Linke ist das völlig
inakzeptabel .


(Beifall bei der LINKEN)


Ein Problem, das bei vielen Selbstständigen für
schlaflose Nächte sorgt, sind die hohen Beiträge zur ge-
setzlichen Krankenversicherung; hier werden sie benach-
teiligt . Meine Damen und Herren der Koalition, nehmen
Sie bitte einmal zur Kenntnis, dass hier etwas getan wer-
den muss .


(Beifall bei der LINKEN)


Die Bundesregierung geht offensichtlich davon aus, dass
Selbstständige und Kleinunternehmer zu den Gutverdie-
nern gehören . Das ist aber mitnichten der Fall . Dies zeigt
auch die hohe Zahl der Selbstständigen, die ergänzend
Hartz-IV-Leistungen bekommen . Im Jahre 2015 waren
es 117 000 .

Besonders prekär ist die Situation oft für Solo-Selbst-
ständige . In vielen Fällen verlagern Unternehmen Auf-
gaben und das gesamte Risiko auf alleinarbeitende
Selbstständige . Der Weg in die Selbstständigkeit ist für
viele ein Weg in die prekäre Tätigkeit, von der man seine
Familie einfach nicht ernähren kann . Solo-Selbstständi-
ge verfügen nun einmal über ein unterdurchschnittliches
Einkommen . Ich glaube, da sind wir uns auch in diesem
Hause einig . Insbesondere bei Solo-Selbstständigen ist
die Selbstständigkeit auch Ausdruck zu weniger sozial-
versicherungspflichtiger Arbeitsplätze oder auch einer
Outsourcing-Mentalität der Unternehmen .

Oft war die Entscheidung zur Selbstständigkeit keine
freiwillige . Durch die Einführung der Förderung als so-
genannte Ich-AG im Zuge der Hartz-Gesetze wurden die
Solo-Selbstständigen als Allzweckwaffe gegen Erwerbs-
losigkeit auserkoren; dies endete aber für viele in einer
Sackgasse . Zudem führte es zu Wettbewerbsverzerrun-
gen und sorgte für einen ruinösen Wettbewerb . Doch das
war der Bundesregierung damals egal und ist es ihr auch
heute noch . Viele Selbstständige fühlen sich mit ihren
Problemen alleingelassen und zu wenig gefördert . Ins-
besondere für Kleinselbstständige müssen bessere Rah-
menbedingungen geschaffen werden . Dies betrifft vor
allem auch die Verbesserung der Einkommenssituation .

Mit unserem Antrag wollen wir einen wichtigen
Beitrag zu mehr Gerechtigkeit leisten . Derzeit wird bei
Selbstständigen ein Krankenkassenbeitrag erhoben, der
ein Einkommen von über 4 000 Euro annimmt . Erst bei
Nachweis niedrigerer Einnahmen wird die Beitragsbe-
messung auf 2 178 Euro gesenkt, sodass rund 400 Euro
Beitrag zu leisten sind . Nur in wenigen Ausnahmefällen
kann der Beitrag darunterliegen .

Ein Beispiel: Wenn Sie als Selbstständiger ein Ein-
kommen von 800 Euro haben, zahlen Sie die Hälfte als
Beitrag für die Krankenversicherung, also einen Bei-
tragssatz von 50 Prozent. Ich finde, das ist nicht gerecht.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ich weiß nicht, wie Sie es finden würden, wenn Sie die
Hälfte Ihrer Diäten als Beitrag zur Krankenkasse zahlen
müssten . Wir möchten einen realistischen und fairen Bei-
trag zur Krankenversicherung für Selbstständige, der be-
zahlbar und leistbar ist . Auch Sie werden sicherlich mit
vielen Selbstständigen reden . Daher wissen Sie, dass das
schon lange ein Problem in dieser Gesellschaft darstellt .


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wir fordern, dass sich der Mindestbeitrag an der Ge-
ringfügigkeitsgrenze von 450 Euro orientiert . Das wäre
ein Beitrag von rund 70 Euro zur Krankenversicherung
und 12 Euro zur Pflegeversicherung. Oberhalb davon soll
wie bei den Angestellten entsprechend dem Einkommen
gezahlt werden . Das ist aus unserer Sicht eine Frage der
Gerechtigkeit .

Eine weitere Gerechtigkeitslücke muss geschlossen
werden . Für freiwillig Versicherte mit geringem Einkom-
men, etwa freiwillig versicherte Rentnerinnen und Rent-
ner, Studierende mit über 14 Semestern oder über 29 Jah-

Vizepräsidentin Petra Pau






(A) (C)



(B) (D)


re alt und auch Promovierende, ist der Mindestbeitrag
von derzeit rund 177 Euro einfach zu hoch und entbehrt
jeder Grundlage . Auch hier wollen wir den Mindestbei-
trag auf rund 70 Euro senken .

Die beiden vorliegenden Anträge sind ein weiterer
Baustein für mehr soziale Gerechtigkeit in diesem Land .
Vielleicht entdecken Sie, meine Damen und Herren von
der Union, Ihr Herz für die Selbstständigen wieder – nicht
nur für die, die überdurchschnittlich verdienen, sondern
auch für die, die unterdurchschnittlich verdienen –, und
vielleicht entdecken Sie, meine Damen und Herren der
Sozialdemokratie, die soziale Gerechtigkeit wieder . Ich
fürchte aber, dass Sie alle davon nichts wissen wollen
und Ihre Politik weiter so fortsetzen . Meine Damen und
Herren, ich sage Ihnen: Sozial geht anders, und das geht
nur mit der Linken .

Danke schön .


(Beifall bei der LINKEN sowie der Abg . Kordula Schulz-Asche [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1819409900

Das Wort hat der Kollege Tino Sorge für die CDU/

CSU-Fraktion .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Tino Sorge (CDU):
Rede ID: ID1819410000

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Beide debattierten Anträge der Fraktion Die Linke laufen
unter der Überschrift „Gerechte Krankenkassenbeiträge
für Selbstständige und freiwillig gesetzlich Versicher-
te“ . Da drängt sich natürlich die Vermutung auf, dass die
Linke entgegen der Klassenkampfrhethorik, die Sie hier
gerade wieder vom Stapel gelassen haben,


(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Immer dasselbe!)


wirklich ein Interesse an den unternehmerisch Tätigen
hat . Das überrascht schon, weil Sie hier im Haus bisher
nicht als diejenigen bekannt waren, die Sachwalter der
Interessen der Selbstständigen und der Freiberufler sind.


(Sabine Zimmermann [Zwickau] [DIE LINKE]: Doch, natürlich! – Weiterer Zuruf von der LINKEN: Eine völlig falsche Einschätzung!)


Ich finde es sehr gut, dass Sie die Bedeutung der
selbstständig Tätigen offenkundig erkannt haben .


(Sabine Zimmermann [Zwickau] [DIE LINKE]: Schon lange!)


Aber nehmen Sie auch einmal zur Kenntnis, dass nicht
nur die Selbstständigen wichtig sind, sondern dass wir
mittlerweile auch insgesamt eine Beschäftigung haben –
über 41 Millionen Menschen sind in Deutschland in Be-
schäftigung –, die in dieser Höhe bisher noch nie dage-
wesen ist . Was Sie hier getan haben, ist, wieder einmal

zu versuchen, uns alten Wein in neuen Schläuchen zu
verkaufen .


(Dietrich Monstadt [CDU/CSU]: Nicht mal in neuen Schläuchen! – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Alter Wein in alten Schläuchen!)


Meine Kollegen von der CSU würden angesichts des Ok-
toberfestes sagen: Das ist eine abgestandene, schale Dis-
kussion . Es geht Ihnen nur um die Abschaffung der PKV
und die Einführung der Bürgerversicherung .


(Beifall der Abg . Mechthild Rawert [SPD] – Mechthild Rawert [SPD]: Die finde ich gut! – Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Haben Sie die Anträge eigentlich gelesen, Herr Sorge? Das steht da nämlich alles gar nicht drin!)


Sie sprachen von vermeintlicher Solidarität und von
einer solidarischen Gesundheitsversicherung, wie Sie sie
nennen . Wie sie aussehen soll, haben Sie gesagt; das steht
ja auch in Ihrem Antrag . Sie wollen, dass die Solidarge-
meinschaft über die Krankenversicherung beispielsweise
Langzeitstudierende alimentiert . Wenn es Ihre Vorstel-
lung von Solidarität ist, zu sagen: „Der Auszubildende,
der Handwerksmeister, die Kassiererin, der Frisör sollen
durch ihre Beiträge dafür sorgen, dass die Langzeitstu-
denten geringere Beiträge zahlen müssen“, dann, finde
ich, ist das echt ein Armutszeugnis .


(Beifall bei der CDU/CSU – Sabine Zimmermann [Zwickau] [DIE LINKE]: Und die Rentnerinnen und Rentner, die freiwillig versichert sind?)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, Sie suggerieren
wieder einmal, die Bürgerversicherung sei die eierlegen-
de Wollmilchsau zur Lösung aller Probleme . Da kann ich
Ihnen gleich zu Beginn sagen: Dafür werden Sie von uns
keine Zustimmung bekommen .


(Sabine Zimmermann [Zwickau] [DIE LINKE]: Sie haben unseren Antrag nicht gelesen!)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich gebe zu: Auch
mich treibt das Problem um, dass Existenzgründer und
Solo-Selbstständige mit geringem Einkommen durch
starre Beitragsbemessungsgrenzen über Gebühr belastet
werden . Mich treibt auch das Problem um, dass gerade
Existenzgründer und Selbstständige, deren Laden noch
nicht so brummt, vom Einkommen her betrachtet prozen-
tual überdurchschnittlich hohe Krankenkassenbeiträge
zahlen sollen .


(Dr . André Hahn [DIE LINKE]: Das ist doch schon mal gut! – Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist doch schon mal was! – Sabine Zimmermann [Zwickau] [DIE LINKE]: Aber? Was machen Sie?)


Aber ich bin dafür, dass wir genau hinschauen und auch
genau prüfen . Genau das haben wir in der Vergangenheit
getan .


(Sabine Zimmermann [Zwickau] [DIE LINKE]: Ach ja? Sie haben nichts gemacht!)


Sabine Zimmermann (Zwickau)







(A) (C)



(B) (D)


Schauen Sie sich einmal die aktuelle Rechtslage an .
Derzeit ist es so, dass die beitragspflichtigen Einnahmen
im Regelfall auf Grundlage des aktuell vorliegenden Ein-
kommensteuerbescheids ermittelt werden; da sind wir
uns ja einig . Rückwirkende Änderungen der Beitragsfest-
setzung sind nur in absoluten Ausnahmefällen möglich .
Das ist unbefriedigend; das gebe ich zu . Allerdings hat
der GKV-Spitzenverband in seinen Beitragsverfahrens-
grundsätzen für Selbstzahler, die seit dem 1 . Januar 2009
für alle Krankenkassen verbindlich gelten, auch Ausnah-
men zugelassen, zum Beispiel für Existenzgründer und
bei Vorliegen einer unverhältnismäßigen Belastung . Sie
liegt beispielsweise dann vor, wenn ein Gewinneinbruch
um mindestens 25 Prozent erfolgt ist, wenn also der
vorliegende Einkommensteuerbescheid und die tatsäch-
lichen Einnahmen um über 25 Prozent voneinander ab-
weichen . Wir haben also schon Härtefallregelungen . Es
besteht beispielsweise auch die Möglichkeit, in dem Jahr,
in dem der Gewinn eingebrochen ist, eine rückwirkende
Nachberechnung der zu zahlenden Beiträge vorzuneh-
men . Insofern gab es da schon eine Reaktion .

Meine lieben Kolleginnen und Kollegen von der Lin-
ken, bei dieser Thematik, die die Bereiche Gesundheit,
Wirtschaft und Steuerrecht betrifft, müssen wir sagen:
Flexibilität ja, aber keine Schnellschüsse . Dann können
wir beispielsweise auch die Frage stellen, ob die auf
60 Prozent reduzierte Beitragsbemessungsgrenze noch
zeitgemäß ist . Wir müssen dann aber auch darüber reden,
dass die Absenkung auf die einheitliche Mindestbemes-
sungsgrundlage, die Sie ja wollen, mindestens 1 Milli-
arde Euro Beitragsmindereinnahmen zur Folge haben
würde . Darüber müssen wir eben auch sprechen, und das
tun Sie nicht .


(Sabine Zimmermann [Zwickau] [DIE LINKE]: Das stimmt nicht!)


Man kann ebenso die Frage stellen, ob das Berech-
nungsverfahren schnell genug ist, um gerade durch die
Digitalisierung herausgeforderte Unternehmen adäquat
zu unterstützen .


Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1819410100

Kollege Sorge, gestatten Sie eine Frage oder Bemer-

kung der Kollegin Vogler?


Tino Sorge (CDU):
Rede ID: ID1819410200

Ja, sehr gerne .


Kathrin Vogler (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1819410300

Vielen Dank, Herr Sorge, dass Sie meine Zwischen-

bemerkung zulassen . – Sie rechnen hier mit angeblichen
Verlusten für die Krankenkassen . Ich möchte auf der
einen Seite schon noch einmal darauf hinweisen, dass
dieses Geld den Menschen, die davon betroffen sind,
natürlich konkret im Geldbeutel fehlt, um ihre Lebens-
haltungskosten zu decken und sich vielleicht auch eine
reguläre Alterssicherung aufzubauen . Sie sind ja immer
große Freunde davon, sich auch privat für das Alter ab-
zusichern . Viele junge Selbstständige schaffen das nicht .

Auf der anderen Seite möchte ich auch noch einmal
darauf hinweisen, dass gerade ein abgesenkter Mindest-
beitrag für junge Selbstständige, die gerade damit anfan-
gen, selbstständig zu werden, dazu beitragen könnte, sie
dafür zu gewinnen, in das solidarische System der ge-
setzlichen Krankenversicherung einzutreten und eben
nicht den Lockvogelangeboten der PKV auf den Leim zu
gehen, die für den Anfang, wenn man jung und gesund
ist, mit niedrigen Beiträgen werben, während das später
den Betroffenen möglicherweise auf den Fuß fällt – sei es
in Form von eingeschränkten Leistungen, weil man eben
nicht genau ins Kleingedruckte geguckt hat, oder sei es
auch in Form von im Alter massiv steigenden Beiträgen,
wie sie die PKV jetzt ja auch zum 1 . Januar nächsten Jah-
res für viele Menschen wieder angekündigt hat .


(Dietrich Monstadt [CDU/CSU]: Frage jetzt!)


Vielleicht wäre das ja auch eine Möglichkeit, wieder
mehr Geld ins solidarisch finanzierte Umlagesystem zu
bekommen .


Tino Sorge (CDU):
Rede ID: ID1819410400

Sie behaupten immer, mit Ihrer solidarischen Gesund-

heitsversicherung würde jedes Problem gelöst sein . Wir
müssen aber auch einmal darüber reden, dass wir im Be-
reich der Unternehmen natürlich gerade auch diejenigen
ein bisschen vor sich selbst schützen müssen, deren Un-
ternehmung auch nach einer gewissen Anlaufphase nicht
zum Erfolg führt . Deshalb habe ich ja das Beispiel der
Existenzgründer gebracht . Ich habe gesagt, es besteht
die Möglichkeit, diesen Beitrag herabzusetzen, wenn die
tatsächlichen Umstände noch nicht so gut sind, wie sie
sein sollten . Wir können aber natürlich nicht, wie Sie das
wollen, über die Solidargemeinschaft und die Beiträge
der anderen Versicherten irgendwelche Liebhabereien,
Hobbys oder unternehmerische Aktivitäten, die nicht zu
einem Erfolg führen, dauerhaft subventionieren, und das
ist genau das, was Sie möchten .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Sabine Zimmermann [Zwickau] [DIE LINKE]: Dreist!)


Lassen Sie uns diese Thematik doch in Ruhe und mit
Besonnenheit anschauen . Ich habe ein paar Beispiele ge-
nannt, über die wir sprechen könnten – auch, inwieweit
wir gegebenenfalls bei der angemessenen Berücksichti-
gung der Beiträge weitere Komponenten berücksichti-
gen könnten . Was man aber nicht machen sollte, ist das,
was Sie immer machen, nämlich verschiedene Aspekte
zu vermischen . Sie kochen einen linken Eintopf, würzen
ihn mit Ideologie, und zum Schluss haben Sie eine Dau-
ersubventionierung auf Kosten der Solidargemeinschaft .
Das wird mit uns nicht passieren .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Weil wir immer von Solidarität – Sie ja besonders –
und von Ehrlichkeit reden, müssen wir uns auch einmal
ehrlich machen . Das heißt – wie ich es gesagt habe –, wer
nach dieser gewissen Zeit so geringe Einkünfte hat, dass
er seinen Lebensunterhalt – und wir reden hier nicht über
den gesamten Lebensunterhalt, sondern über die Kran-
kenversicherungsbeiträge – nicht finanzieren kann, der

Tino Sorge






(A) (C)



(B) (D)


muss sich auch einmal fragen und hinterfragen lassen, ob
das Geschäftsmodell, mit dem er tätig ist, das richtige am
Markt ist . Wir wollen keine Vortäuschung selbstständiger
Aktivität . Wir wollen Qualität bei Selbstständigen, siche-
re Einkünfte, langfristige Geschäftsmodelle und keine
Schnellschüsse .

Ich sage es deshalb zum Schluss noch einmal ganz
klar: Angesichts der Komplexität wollen wir alle Kom-
ponenten beachten . Wir wollen auch interessante Ansät-
ze, wie gegebenenfalls eine zeitliche Staffelung von Bei-
trägen für Gründer, in Betracht ziehen, und wir können
über die Beschleunigung von Berechnungsverfahren,
über eine gewisse Flexibilität und darüber sprechen, in-
wieweit bestimmte Komponenten bei der angemessenen
Berechnung zusätzlich berücksichtigt werden können .
Wir wollen die Diskussion aber sachgerecht, zielgrup-
penorientiert und vor allen Dingen ideologiefrei führen –
gerne mit Ihnen, wenn Sie das wollen .

Insofern: Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg . Dagmar Ziegler [SPD])



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1819410500

Das Wort hat die Kollegin Maria Klein-Schmeink für

die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen .


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Sehr geehrte Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kol-
legen! Anders als Kollege Sorge gerade geäußert hat,
finden wir, dass das Problem, das in den Anträgen der
Linken aufgeworfen wird, ein gravierendes und bedeut-
sames Problem ist, dem wir uns mit aller Sorgfalt stellen
sollten .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN – Tino Sorge [CDU/ CSU]: Das habe ich auch nicht bestritten!)


Sie haben eigentlich mehr Problemabwehr und Ideo-
logie in den Raum gestellt .


(Tino Sorge [CDU/CSU]: Ich habe Vorschläge in den Raum gestellt, wie man das Problem lösen kann!)


Genau darum geht es nicht . Ein Blick auf den Antrag
zeigt: Er ist sehr sachgerecht und sachlich und zeigt die
Problemlinien auf . Streiten kann man vielleicht darüber,
wie wir die Problemlösungen angehen wollen . Das ist
eine andere Sache .

Grundsätzlich muss man sagen: Es ist tatsächlich so,
dass wir eine Schräglage haben bei den vielen Selbststän-
digen mit geringem Einkommen, die eben nicht mehr
die klassischen Unternehmer sind . Vielmehr gibt es bei
Selbstständigen vielfältige Formen am Arbeitsmarkt .
Diese führen oft dazu, dass es Zeiten selbstständiger
Arbeit gibt, dass dann wieder als Angestellter gearbeitet
wird, vielleicht auch ein kleiner Laden aufgemacht wird,
der dann doch nicht oder nur sehr schleppend läuft . Viel-

leicht ist man Sprachkursleiterin oder Sprachkursleiter in
einem der Kurse des BAMF und wird schlecht bezahlt .


(Mechthild Rawert [SPD]: 30 Euro mindestens! Haben wir ja erhöht!)


Vielleicht ist man auch Schneiderin oder Schneider und
hat ganz unterschiedliche Auftragslagen und muss damit
klarkommen . Da muss man ganz klar sagen: Unser So-
zialsystem wird diesen unterschiedlichen sozialen Lagen
nicht gerecht . Da müssen wir besser werden .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Es ist richtig, dass die wirklich grundlegende Lösung
mit einer Bürgerversicherung als gemeinsames System
gefunden werden könnte, weil man dann nicht mehr un-
terscheiden muss, ob jemand angestellt oder selbststän-
dig arbeitet . Aber dieser Schritt würde länger brauchen .
Wir brauchen aber jetzt eine Lösung für die vielen Selbst-
ständigen mit geringem Einkommen in der Kreativwirt-
schaft und in vielen anderen Bereichen . Angesichts der
Beitragsschulden in der Krankenversicherung, die sich
mittlerweile auf 5,4 Milliarden Euro belaufen, sehen wir,
dass es für viele Selbstständige ein ernsthaftes Problem
ist, die hohen Beiträge zu zahlen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Da müssen wir etwas tun . Diese hohen Beitragssätze
haben damit zu tun, dass die Krankenversicherung ein
Einkommen unterstellt, das die meisten Selbstständigen
tatsächlich gar nicht haben . Wenn für die Berechnung des
Beitragssatzes davon ausgegangen wird, dass ein Selbst-
ständiger mindestens 4 236 Euro verdient, dann ist das
heute nicht mehr adäquat, weil viele das nicht schaffen,
wie alle Statistiken zeigen . Deshalb müssen wir da etwas
tun .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Das Mindeste, was jemand selbst mit Nachweis einer
Notlage erreichen kann, ist, dass ihm gesagt wird: Zur
Berechnung deines Beitragssatzes legen wir ein Einkom-
men von 2 148 Euro zugrunde . – Auch das haben ganz
viele nicht . Dieser Tatsache müssen wir gerecht werden .
Dafür brauchen wir eine Lösung .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Ob die Lösung, die die Linke vorgeschlagen hat, dass
sich die Beitragsbemessung an der Geringfügigkeits-
grenze orientiert, geeignet ist, müssen wir überprüfen .
Ich habe da durchaus Zweifel .


(Beifall des Abg . Rudolf Henke [CDU/CSU])


Das Kernproblem ist: Wir vergleichen bei der Verbeitra-
gung Nettoeinkommen und Bruttoeinkommen . Arbeit-
nehmer zahlen ihre Beiträge auf ihr Bruttoeinkommen,
Selbstständige auf das versteuerte Einkommen und damit
auf das Nettoeinkommen . Da müssen wir eine Regelung
finden. Das wird nicht ganz so einfach sein.


(Dr . André Hahn [DIE LINKE]: Ja!)


Tino Sorge






(A) (C)



(B) (D)


Aber dafür, Herr Sorge, sind die Anhörungen sehr hilf-
reich, die wir durchführen werden . Dann ist es Zeit, sich
festzulegen und zu sagen: Okay, die Lösung sieht so oder
auch anders aus .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Aber das Mindeste, was ich hier erwarte, ist das Si-
gnal, dass man sich an die Problemlösung macht .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN – Tino Sorge [CDU/ CSU]: Sie haben mir nicht zugehört!)


Ich meine, das sollte hier selbstverständlich sein . Die
Zahlen sprechen eine deutliche Sprache .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1819410600

Das Wort hat die Kollegin Heike Baehrens für die

SPD .


(Beifall bei der SPD)



Heike Baehrens (SPD):
Rede ID: ID1819410700

Verehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und

Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Lin-
ken! Frau Klein-Schmeink! Mit den beiden hier vorlie-
genden Anträgen formulieren Sie tatsächlich ein berech-
tigtes Anliegen . Gerechte Krankenkassenbeiträge für
freiwillig Versicherte und Selbstständige in der gesetz-
lichen Krankenversicherung: Das wollen wir ebenso wie
Sie . Das muss man allerdings nach oben wie nach unten
in den Blick nehmen .

Solidarität als Grundprinzip unserer gesetzlichen
Krankenversicherung heißt: Jede und jeder Versicherte
zahlt seinen Beitrag entsprechend seiner wirtschaftlichen
Leistungsfähigkeit. Punktuelle Schieflagen und Unge-
rechtigkeiten in einem solch riesigen System sind für uns
permanente Herausforderung, nachzujustieren und An-
passungen vorzunehmen . Aber eigentlich geht es hier um
noch viel mehr; denn das Gesundheitswesen zählt zum
Kernbereich der öffentlichen Daseinsvorsorge .


(Beifall bei der SPD)


Deshalb muss unser gemeinsamer Anspruch als Bundes-
tag sein, mutige Schritte zu gehen, um solche strukturel-
len Ungerechtigkeiten auszumerzen .


(Beifall bei der SPD)


Als SPD haben wir hierfür längst die notwendigen
Reformoptionen erarbeitet und setzen für die Zukunft
auf eine solidarische Bürgerversicherung; denn wir ha-
ben seit langem einen Wandel in der Arbeitswelt zu ver-
zeichnen . Er wurde eben beschrieben . Die Formen der
Erwerbstätigkeit verändern sich . Insbesondere die Zahl
der Solo-Selbstständigen nimmt zu . Die Einkommens-
unterschiede innerhalb dieser Gruppe sind allerdings
sehr groß . Es gibt Einzelne, die sehr schnell reich wer-
den, und es gibt viele, die so wenig verdienen, dass sie
nicht die finanzielle Möglichkeit haben, ihre Lebensri-
siken abzusichern und Vorsorge zu betreiben . Trotz der

bereits bestehenden Möglichkeiten, sich im gesetzlichen
System der Krankenversicherung versichern zu lassen,
sehen sich viele Solo-Selbstständige finanziell überfor-
dert . Hierfür – da haben Sie recht – brauchen wir eine
tragfähige Antwort, eine Antwort, die dauerhaft zu mehr
Gerechtigkeit führt .


(Beifall bei der SPD)


Wir plädieren für den Einstieg in eine Bürgerversiche-
rung; denn eine solche Krankenversicherung für alle
bezieht selbstverständlich auch alle Selbstständigen ein .
Das tatsächliche Einkommen aus selbstständiger Ar-
beit würde in die Bemessungsgrundlage einfließen. Die
Bemessung des Mindestbeitrags würde auf das Niveau
oberhalb der Geringfügigkeitsgrenze abgesenkt . Gleich-
zeitig werden dann gut verdienende Selbstständige ent-
sprechend ihrer Leistungsfähigkeit einen angemessenen
Beitrag zu zahlen haben .

Wir sind davon überzeugt: Die Zeit ist reif für eine Zu-
sammenführung von gesetzlicher und privater Kranken-
versicherung . Darin werden wir gerade durch die aktuel-
le Berichterstattung und die Krisensignale der privaten
Versicherer nachdrücklich bestärkt .


(Mechthild Rawert [SPD]: Jawohl!)


Die Beiträge vieler Privatversicherter werden im kom-
menden Jahr gehörig steigen, weil auf dem Kapitalmarkt
keine Gewinne mehr zu erwirtschaften sind . Wir alle
müssen aufpassen, dass die gesetzliche Krankenversi-
cherung nicht zum Ausfallbürgen wird für ein privatwirt-
schaftliches Versicherungsmodell,


(Beifall der Abg . Mechthild Rawert [SPD])


das nicht mehr allen seinen Versicherten eine gute Ge-
sundheitsversorgung zu bezahlbaren Beiträgen bieten
kann . Ja, die Zeit ist reif für den Übergang zu einer so-
lidarisch, von allen finanzierten Bürgerversicherung.
Mit ihr wollen wir als SPD fortsetzen, was wir schon in
dieser Legislaturperiode auf den Weg gebracht haben .
Mit ihr wollen wir die GKV zukunftsfest machen und
in die richtige Richtung weiterentwickeln, zugunsten
einer wohnortnahen Versorgung, zugunsten einer hohen
medizinischen Versorgungsqualität, für einen höheren
Stellenwert von Gesundheitsprävention und nicht zuletzt
für eine weitere Aufwertung der Pflege. Im Unterschied
zu den heutigen Antragstellern haben wir aber auch im
Blick, dass dieses Versorgungsniveau zukunftsfest finan-
ziert werden muss . Es gilt, die richtige Balance aus guter
Qualität und nachhaltiger Finanzierbarkeit herzustellen,
damit auch unsere Enkelkinder noch in gleicher Weise
versorgt werden können .

Wir hätten uns eine Lösung der angesprochenen Fra-
gen in der laufenden Legislaturperiode durchaus vor-
stellen können . Aber ich bin überzeugt: Die Zeit dafür
wird kommen . Unser Konzept für eine solidarische Bür-
gerversicherung als Weiterentwicklung der gesetzlichen
Krankenversicherung wird in nicht allzu ferner Zukunft
eine Mehrheit in diesem Hause finden. Wir als SPD, wer-
den den Weg dafür bereiten .

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit .


(Beifall bei der SPD)


Maria Klein-Schmeink






(A) (C)



(B) (D)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1819410800

Das Wort hat der Kollege Dietrich Monstadt für die

CDU/CSU-Fraktion .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dietrich Monstadt (CDU):
Rede ID: ID1819410900

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen

und Kollegen! Meine Damen! Meine Herren! Als ich die
beiden Anträge, die wir heute diskutieren, gelesen habe,
habe ich mich gefragt: Was soll das? Erst ganz am Ende
wird klar, worum es geht . Den Antragstellern geht es
doch gar nicht um die Selbstständigen oder die freiwillig
Versicherten . Sie wollen mit uns zum wiederholten Male
die Bürgerversicherung diskutieren . Und das machen wir
auch immer gerne mit Ihnen – im Übrigen auch mit Ih-
nen, Frau Baehrens .


(Beifall der Abg . Mechthild Rawert [SPD])


Mich wundert allerdings, dass Sie noch immer nicht re-
alisiert haben, dass eine Bürgerversicherung mit einer
unionsgeführten Bundesregierung nicht kommen wird –


(Dr . André Hahn [DIE LINKE]: Deshalb müssen wir das ja ändern!)


schon aus verfassungsrechtlichen Gründen nicht kom-
men kann .


(Beifall bei der CDU/CSU)


– Wünsche darf man haben .

Verehrte Kolleginnen und Kollegen der Opposition,
legen Sie doch endlich einmal ein tragfähiges Konzept
vor, das den Bürgerinnen und Bürgern erklärt, wie Sie die
verfassungsrechtlichen Probleme lösen wollen . Was ist
mit der Eigentumsgarantie des Artikel 14 Grundgesetz?
Wie wollen Sie zum Beispiel mit den Altersrückstellun-
gen in der PKV umgehen? Wollen Sie diese den Versi-
cherten wegnehmen? Hierauf wollen die Bürgerinnen
und Bürger Antworten, keine Ideologien, die Sie nicht
einmal schlüssig erklären können .


(Mechthild Rawert [SPD]: Es gab ein aufwachsendes Modell!)


Antworten auf das Wie sind Sie uns über Jahre hinweg
schuldig geblieben .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Bis jetzt haben Sie vor diesem Hintergrund rein gar
nichts vorgestellt, mit dem man sich auch nur ansatzwei-
se sachgerecht auseinandersetzen könnte .


(Mechthild Rawert [SPD]: Das stimmt nicht!)


Hieran sollten Sie arbeiten .

Meine Damen und Herren, wir sind davon überzeugt,
dass sich das Konzept eines dualen Gesundheitssystems
mit GKV und PKV bewährt hat .


(Beifall der Abg . Maria Michalk [CDU/ CSU])


Mit diesem Wettbewerb können wir Effizienzreserven
im Gesundheitswesen heben . Darüber hinaus stehen wir
als CDU/CSU-Bundestagsfraktion für ein freiheitliches

Gesundheitswesen . Wir wollen Vielfalt und Wahlmög-
lichkeiten im Sinne der Versicherten sicherstellen und
den Menschen nicht vorschreiben, wie und wo sie sich
zu versichern haben .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Also lassen Sie uns bitte daran konstruktiv weiterarbei-
ten, und ersparen Sie uns Ihre Schaufensteranträge .

Meine Damen und Herren, seit längerer Zeit disku-
tieren wir darüber, die Mindestbemessungsgrundlage
für Selbstständige abzusenken oder gar abzuschaffen .
Mindestbeiträge sind sinnvoll und notwendig, weil nied-
rige Beiträge nicht kostendeckend sein können . Auch
freiwillig Versicherte haben für den umfassenden Ver-
sicherungsschutz in der GKV angemessene Beiträge
zu zahlen . Dies gilt bei Selbstständigen umso mehr, da
das Steuerrecht den Selbstständigen anders als Arbeit-
nehmern eine gewisse Gestaltbarkeit des Einkommens
erlaubt . Sie, Frau Kollegin Klein-Schmeink, haben dan-
kenswerterweise darauf hingewiesen . Selbstständige
können zum Beispiel ihre Betriebsausgaben abziehen .
Es werden also lediglich die Nettoeinkommen herange-
zogen, während die anderen freiwillig Versicherten Bei-
träge auf der Grundlage ihres Bruttoeinkommens zahlen
müssen . Diese steuerrechtlichen Möglichkeiten dürfen
sich nicht in Form ungerechtfertigt niedriger Beiträge auf
die GKV auswirken .

Es diene der Beitragsgerechtigkeit, wenn dieser steu-
erliche Vorteil für Selbstständige durch eine besonde-
re Mindestbemessungsgrenze ausgeglichen werde . So
urteilte das Bundesverfassungsgericht schon im Jah-
re 2001 . Und es sei rechtmäßig, das Unternehmerrisiko
eines Selbstständigen nicht über die Beitragsbemessung
auf die Solidargemeinschaft der gesetzlichen Kranken-
versicherung abzuwälzen . So das Bundesverfassungsge-
richt weiter .

Meine Damen und Herren, das Beitragsrecht der ge-
setzlichen Krankenversicherung beruht auf dem Soli-
darausgleich zwischen sozial schwächeren und sozial
stärkeren Mitgliedern . Mit diesen Anträgen wollen Sie
freiwillig versicherte Selbstständige mit anderen frei-
willigen Mitgliedern beitragsrechtlich gleichstellen . Sie
wollen sie mit denjenigen gleichstellen, die tatsächlich
über geringe Einkünfte verfügen, wie etwa freiwillig ver-
sicherte Studenten oder Rentner . Das ist Ihre Gerechtig-
keit . Mit uns geht das nicht .


(Beifall bei der CDU/CSU – Maria KleinSchmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nicht mal gelesen!)


Gerade aus Gerechtigkeitsgründen können wir nicht
zulassen, dass freiwillig Versicherte, die der gesetzlichen
Krankenversicherung nach eigener Entscheidung ange-
hören, sich zu unangemessen niedrigen Beiträgen – zu-
lasten der anderen in der GKV Versicherten – versichern
können . Dennoch ist es eine Tatsache, dass es Selbst-
ständige gibt, die noch nicht oder nicht mehr über eine
wirtschaftliche Stabilität verfügen und dementsprechend
ihren Lebensunterhalt auch nicht bestreiten können . Da-
rauf haben wir bereits reagiert . Im Übrigen haben wir mit
dem GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz des Jahres 2007






(A) (C)



(B) (D)


die Möglichkeit einer verringerten Mindestbemessungs-
grundlage geschaffen . Für Existenzgründer, die zudem
auch einen Anspruch auf den monatlichen Gründungszu-
schuss nach SGB III haben, sowie für geringverdienende
Selbstständige gilt eine verringerte Mindestbemessungs-
grundlage, wenn Bedürftigkeit vorliegt .

Aufgrund der gesellschaftlichen Entwicklung steht
auch bei uns die Verbeitragung von freiwillig und selbst-
ständig in der GKV Versicherten auf dem Prüfstand .
Auch wir meinen: Sie muss weiterentwickelt werden .
Der Kollege Sorge hat dies bereits ausgeführt . Dabei
müssen mögliche Kosten und Auswirkungen auf die So-
lidargemeinschaft der Beitragszahler sehr genau geprüft,
bewertet und berücksichtigt werden . Auch hier gilt: Erst
die Situation bewerten, dann denken und dann komple-
xe Lösungsansätze entwickeln, die wirklich das ganze
Problem in all seinen Facetten angehen . Dies, liebe Kol-
leginnen und Kollegen von den Linken, lassen Ihre An-
träge nicht erkennen . Deshalb werden wir beide Anträge
ablehnen .

Vielen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU – Sabine Zimmermann [Zwickau] [DIE LINKE]: Problem nicht erkannt! Sie haben es nicht erkannt! Ignoriert!)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1819411000

Für die SPD-Fraktion hat nun die Kollegin Marina

Kermer das Wort .


(Beifall bei der SPD)



Marina Kermer (SPD):
Rede ID: ID1819411100

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen

und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In der
heutigen Debatte diskutieren wir zwei Anträge, die in-
haltlich den SPD-Beschlüssen des Bundesparteitags 2011
entsprechen .


(Sabine Zimmermann [Zwickau] [DIE LINKE]: Genau!)


Ich darf feststellen: Schön, dass Sie sich unserer Mei-
nung angeschlossen haben . Das ist gut .


(Sabine Zimmermann [Zwickau] [DIE LINKE]: Schon lange in dem Punkt!)


Der Situation geschuldet, werden wir dennoch Ihre An-
träge am Ende der Beratungen wohl ablehnen müssen .
Warum? Das möchte ich gern an dieser Stelle erläutern .


(Dr . André Hahn [DIE LINKE]: Wir können doch mal Rot-Rot-Grün probieren! – Gegenruf des Abg . Tino Sorge [CDU/CSU]: Herr Hahn, Sie dürfen jetzt träumen!)


Als Koalitionspartner haben wir zu Beginn der Legis-
laturperiode einen Vertrag geschlossen, der die Ziele und
Formen unserer Zusammenarbeit vereinbart . Wir waren
und sind bereit, Kompromisse zu schließen, um keine
politische Starre zuzulassen, sondern um unsere Gesell-
schaft zukunftssicher zu gestalten . Das heißt auch, dass
wir Koalitionsfraktionen im Bundestag einheitlich ab-

stimmen, wie unter Punkt 8 im Koalitionsvertrag zu den
Arbeitsweisen der Koalition festgelegt ist . Das bedeutet,
wir können nicht zustimmen, es sei denn, Sie, liebe Kol-
leginnen und Kollegen der Union, überdenken Ihre Auf-
fassung bis dahin .


(Beifall bei der SPD – Mechthild Rawert [SPD]: Das ist eine gute Idee! – Maria KleinSchmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist eine sehr gute Idee!)


So möchte ich heute die Gelegenheit nutzen, um un-
sere Positionen im Gesamtzusammenhang darzustellen .
Was Sie in Ihren Anträgen vorschlagen, sollte unserer
Meinung nach tatsächlich Teil einer grundsätzlichen
Neuaufstellung der Finanzierungsgrundlage der Gesund-
heitsversorgung werden .

Eine immer älter werdende Gesellschaft ist eine Ent-
wicklung, auf die wir gerade in der Gesundheitspolitik
bewusst hingearbeitet haben . Unsere Sozialversiche-
rungssysteme sind beispielhaft .


(Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber auch noch entwicklungsfähig! Deshalb brauchen wir die Bürgerversicherung!)


Damit sie zukünftig den Anforderungen standhalten, ha-
ben wir in dieser Legislaturperiode einiges auf den Weg
gebracht . Gerade als Berichterstatterin für die Kranken-
hausstrukturreform ist mir bewusst, dass die beschlos-
senen Maßnahmen Kosten verursachen . Wir sind uns
mehrheitlich einig, dass diese Investitionen der maßgeb-
lichen Verbesserung der Qualität der Versorgung dienen
und die Patientinnen- und Patientenrechte stärken .


(Beifall bei der SPD)


Mit den drei Pflegestärkungsgesetzen werden wir
die Versorgung im Alter verbessern und sichern . Alle
beschlossenen Maßnahmen sind wichtig und richtig,
um unser Gesundheitssystem auf die Herausforderun-
gen unserer älter werdenden Gesellschaft vorzubereiten .
Um die Standards zu sichern, werden wir vermutlich die
Ausgaben nicht absehbar senken können . Das heißt, wir
müssen sozial gerechte und verträgliche Lösungen fin-
den, um die Einnahmeseite zu sichern . Da stellt sich die
Frage: Wie? Ich bin überzeugt, dass das am besten mit
einer Bürgerversicherung gelingen kann .


(Beifall bei der SPD sowie der Abg . Dr . Petra Sitte [DIE LINKE])


Als erste Partei haben wir 2003 die Entscheidung zur
Einführung einer solidarischen Bürgerversicherung ge-
troffen . Zwischenzeitlich haben sich auch andere mit
dem Gedanken beschäftigt und teilen unser Konzept .
Liebe Frau Klein-Schmeink, vielen Dank für Ihren Bei-
trag dazu .

Was ist der Kerngedanke? Alle gesetzlich Versicher-
ten werden zu Mitgliedern einer Bürgerversicherung,


(Tino Sorge [CDU/CSU]: Diskutieren wir den Antrag oder die Bürgerversicherung? Voll am Thema vorbei!)


Dietrich Monstadt






(A) (C)



(B) (D)


auch Beamte und Selbstständige, genau wie Studieren-
de, Herr Sorge . Gemeinsam sollen hohe und niedrige
Einkommen von einem solidarischen Sicherungssystem
profitieren. Übergangsregelungen sollten gelten, Herr
Monstadt, sodass privat Versicherte wählen können, ob
sie der Bürgerversicherung beitreten oder in der privaten
Versicherung bleiben wollen . Für viele Private würde das
allerdings auch eine Chance eröffnen, im Alter aus einer
Privatversicherung herauszukommen, wenn sie in Tarif-
strukturen mit hohen Beitragssätzen festsitzen .

Außerdem wollen wir die paritätische Beitragsfinan-
zierung .


(Beifall bei der SPD – Sabine Zimmermann [Zwickau] [DIE LINKE]: „Wir wollen“! Aber was ist jetzt?)


Arbeitgeber und Arbeitnehmer müssen zu gleichen Tei-
len an den Gesundheitskosten beteiligt werden, so wie in
der Debatte gestern ausführlich erklärt .


(Sabine Zimmermann [Zwickau] [DIE LINKE]: Was machen wir denn nun mit den Selbstständigen?)


Denn eine sichere und solidarische Finanzierungsgrund-
lage ist die Voraussetzung für eine gerechte Gesundheits-
versorgung .

Gestatten Sie noch einen Gedanken: Der Zugang zu
guter medizinischer Versorgung für alle ist eine Grund-
voraussetzung für Chancengleichheit im Leben . Ein ge-
sunder Start ins Leben ist die Voraussetzung für ein er-
folgreiches und selbstbestimmtes Leben . Das ist das Ziel,
um das es eigentlich geht . Gesundheit ist deshalb nicht
nur das Gegenteil von Krankheit, sondern maßgeblich in
allen Lebensbereichen . Wir brauchen ressortübergreifen-
de Zusammenarbeit; dann können wir es schaffen, dass
Gesundheit und ein gutes Leben unabhängig von Her-
kunft und Einkommen sein werden .

Vielen Dank .


(Beifall bei der SPD – Sabine Zimmermann [Zwickau] [DIE LINKE]: Schön! Und was machen wir jetzt mit den Selbstständigen, den vielen Hunderttausenden?)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1819411200

Das Wort hat der Kollege Michael Hennrich für die

CDU/CSU-Fraktion .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Michael Hennrich (CDU):
Rede ID: ID1819411300

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir beraten
heute zwei Anträge zum Thema „Krankenkassenbeiträge
für freiwillig in der gesetzlichen Krankenversicherung
Versicherte“ .


(Dr . André Hahn [DIE LINKE]: Zwei gute Anträge!)


Es geht um Selbstständige, und es geht um Menschen,
die nicht pflichtversichert sind und keinen anderweitigen

Anspruch auf Krankenversicherung haben . Beiden Grup-
pen ist gemeinsam – Sie sprachen es an –, dass es um
Menschen mit niedrigem Einkommen geht .

Frau Klein-Schmeink, dieses Thema ist viel zu ernst,
als dass man es wieder für Schaufensterreden oder sonst
etwas benutzen darf; vielmehr sollte man sich der eigent-
lichen Thematik nähern .


(Tabea Rößner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das war doch keine Schaufensterrede!)


– Stopp, lassen Sie mich doch ausreden . – Es geht um die
Frage der individuellen Bezahlbarkeit; es geht aber auch
um die Frage, wie wir das Gesundheitssystem insgesamt
bezahlbar halten, also um die Frage der gerechten Finan-
zierbarkeit eines solchen Systems .


(Sabine Zimmermann [Zwickau] [DIE LINKE]: Genau!)


Beides – individuelle Bezahlbarkeit und gerechte Finan-
zierbarkeit – ist eng miteinander verknüpft, und wir su-
chen alle nach vernünftigen und praktikablen Lösungen .

Was ich am Antrag der Linken schade finde, ist – ich
sage es ganz offen –, dass die Linken sich auf das Thema
„niedrige Einkommen“ beschränkt haben und dass sie
nicht dargelegt haben, wie ein fairer Interessensausgleich
stattfinden kann,


(Sabine Zimmermann [Zwickau] [DIE LINKE]: Steht drin!)


weil zu hohe Krankenversicherungsbeiträge Menschen
mit niedrigem Einkommen, aber mittlerweile auch Men-
schen mit höherem Einkommen extrem belasten können .
Frau Baehrens, Sie haben es vollkommen zu Recht an-
gesprochen: Auch in der privaten Krankenversicherung
gibt es solche Fälle, denen wir uns stellen müssen .


(Sabine Zimmermann [Zwickau] [DIE LINKE]: Richtig!)


Die Frage ist: Kann die Bürgerversicherung das Allheil-
mittel sein?


(Mechthild Rawert [SPD]: Auf jeden Fall eine sehr gute Medizin!)


– Stopp! – Ich glaube – das sage ich ganz offen –, dass
wir bisher eine gute Lösung hatten .


(Sabine Zimmermann [Zwickau] [DIE LINKE]: Nein! Sie haben gar keine Lösung!)


Wir haben für die Privatversicherten eine Lösung,
wir haben für die gesetzlich Versicherten eine Lösung,
die vom Bundesverfassungsgericht übrigens abgesegnet
wurde; über sie wurde verlautbart, dass sie richtig ist . Es
wurde ja heute schon im Einzelnen dargelegt, wie die
Mechanismen funktionieren, wie die Mindestbemessung
bei schlechter Einkommenssituation auf 265 Euro bzw .
177 Euro reduziert wird .


(Kathrin Vogler [DIE LINKE]: Nicht alles, was nicht verfassungswidrig ist, ist auch richtig, Herr Kollege!)


– Stopp! Jetzt lassen Sie mich doch ausreden .

Marina Kermer






(A) (C)



(B) (D)


In § 240 SGB V ist geregelt, wie die Bemessung des
Beitrags freiwillig versicherter Mitglieder erfolgt und
wie er gegebenenfalls abgestaffelt wird . Wir haben da be-
rücksichtigt, dass der zur sozialen Sicherung vorgesehene
Teil des Gründungszuschusses nicht angerechnet werden
darf. Wir haben berücksichtigt, dass das an eine Pflege-
person weitergereichte Pflegegeld nicht herangezogen
werden soll . Aber – das sage auch ich noch einmal – es
geht auch darum, dass wir die, die dieses System heute
mit ihren hohen Beiträgen stützen, nicht überfordern und
dass wir auch da einen fairen Ausgleich schaffen .

Ich möchte einmal ein ganz spezielles Thema auf-
greifen . Wenn wir Ihrem Antrag folgen würden, den
Mindestbeitrag für freiwillig Versicherte auf 70 Euro zu
reduzieren –


(Sabine Zimmermann [Zwickau] [DIE LINKE]: Erst einmal!)


– 70 Euro; das steht in Ihrem Antrag –, dann haben wir
dergestalt ein Problem, dass wir in einem gewissen Wer-
tungswiderspruch stehen, da die Zuweisung des Bundes
pro Arbeitslosengeld-II-Empfänger und pro Flüchtling
90 Euro monatlich beträgt . Wir Gesundheitspolitiker
haben momentan alle ein Interesse daran, dass der Steu-
erzuschuss an die gesetzliche Krankenversicherung für
Arbeitslosengeld-II-Empfänger und Flüchtlinge erhöht
wird . Wie soll ich das rechtfertigen, wenn dann der Ei-
genbeitrag bei 70 Euro für Solo-Selbstständige, für Rent-
nerinnen und Rentner – –


(Sabine Zimmermann [Zwickau] [DIE LINKE]: Völliger Blödsinn!)


– Das ist nicht völliger Blödsinn .


(Sabine Zimmermann [Zwickau] [DIE LINKE]: Natürlich ist das völliger Blödsinn!)


Setzen Sie sich doch einmal ernsthaft mit dem Thema
auseinander . Diese Frage bekommen Sie an diesem
Punkt nicht gelöst .


(Sabine Zimmermann [Zwickau] [DIE LINKE]: Sie können auch 90 Euro nehmen! Aber jetzt ist es mehr!)


Im Kern geht es darum, dass wir das nur über Steuern
lösen können . Wir müssen vernünftig schauen, dass wir
das nicht nur sozusagen über das Krankenversicherungs-
system regeln . Das steht für mich für solidarischen Aus-
gleich zwischen Gesund und Krank . Der Ausgleich zwi-
schen Einkommensstarken und Einkommensschwachen
findet im Steuersystem statt. Deswegen wäre eigentlich
der richtige Ansatz – das haben Sie in Ihrem Antrag über-
haupt nicht berücksichtigt –, dass wir schauen: Wie krie-
gen wir das über die Steuer vernünftig geregelt?

Ich möchte einen Punkt zum Schluss erwähnen, und
zwar noch einmal zum Thema Bürgerversicherung . Mir
kommen da die Worte der Bundeskanzlerin von vor, ich
glaube, zehn Tagen in Erinnerung . Sie hat im Zusammen-
hang mit dem Satz „Wir schaffen das“ von einer Leerfor-
mel gesprochen . Beim Stichwort „Bürgerversicherung“


(Zuruf der Abg . Mechthild Rawert [SPD])


– den Eindruck habe ich – arbeiten und hantieren wir
auch nur noch mit einer Leerformel .


(Beifall bei der CDU/CSU – Heike Baehrens [SPD]: Wir schicken Ihnen das Konzept!)


Der Punkt, den ich erwähnen möchte, ist: Gestern
wurde ein Gutachten vom Wissenschaftlichen Beirat
des Bundeswirtschaftsministeriums – ein SPD-geführtes
Haus – veröffentlicht, und dieses hat nicht eine Bürger-
versicherung favorisiert,


(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Hört! Hört!)


sondern eine Prämie mit Steuerausgleich .


(Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist schon vor Jahren gescheitert und vor allem abgewählt worden!)


Vielleicht wäre es an der Zeit, dass wir uns einfach mal
von diesen Floskeln wegbewegen würden und versu-
chen, uns den Themen inhaltlich zu nähern .

Herzlichen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU – Mechthild Rawert [SPD]: Wir schicken Ihnen ein Konzept! – Zuruf der Abg . Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1819411400

Ich schließe die Aussprache .

Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf
den Drucksachen 18/9711 und 18/9712 an die in der
Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen .
Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall . Dann
sind die Überweisungen so beschlossen .

Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tages-
ordnung .

Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundes-
tages auf Mittwoch, den 19 . Oktober 2016, 13 Uhr, ein .
Ich wünsche Ihnen bis dahin alles Gute .

Die Sitzung ist geschlossen .