Protokoll:
18127

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Metadaten
  • date_rangeWahlperiode: 18

  • date_rangeSitzungsnummer: 127

  • date_rangeDatum: 1. Oktober 2015

  • access_timeStartuhrzeit der Sitzung: 09:00 Uhr

  • av_timerEnduhrzeit der Sitzung: 21:04 Uhr

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  • tocInhaltsverzeichnis
    Plenarprotokoll 18/127 Deutscher Bundestag Stenografischer Bericht 127. Sitzung Berlin, Donnerstag, den 1. Oktober 2015 Inhalt Wahl der Abgeordneten Ingo Gädechens, Julia Obermeier, Dr. Karl-Heinz Brunner, Heidtrud Henn, Katrin Kunert und Doris Wagner als Mitglieder des Stiftungsrates der „Deutschen Härtefallstiftung“ . . . . . . . . . . . 12267 A Erweiterung und Abwicklung der Tages­ ordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12267 B Absetzung des Tagesordnungspunktes 20 . . . . 12267 D Tagesordnungspunkt 3: a) Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Ent­ wurfs eines Asylverfahrensbeschleuni- gungsgesetzes Drucksache 18/6185 . . . . . . . . . . . . . . . . . 12267 D b) Erste Beratung des von der Bundesregie­ rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- zes zur schnelleren Entlastung der Län- der und Kommunen bei der Aufnahme und Unterbringung von Asylbewerbern (Entlastungsbeschleunigungsgesetz) Drucksache 18/6172 . . . . . . . . . . . . . . . . . 12268 A c) Antrag der Abgeordneten Ulla Jelpke, Jan Korte, Sabine Zimmermann (Zwickau), weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Alle Flüchtlinge willkom- men heißen – Gegen eine Politik der Ausgrenzung und Diskriminierung Drucksache 18/6190 . . . . . . . . . . . . . . . . . 12268 A in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 2: Beratung des von der Bundesregierung ein­ gebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung eines Zweiten Nachtrags zum Bundeshaushaltsplan für das Haushalts- jahr 2015 (Zweites Nachtragshaushaltsge- setz 2015) Drucksache 18/6090 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12268 A Dr . Thomas de Maizière, Bundesminister BMI . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12268 B Dr . Gregor Gysi (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . 12270 D Christine Lambrecht (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . 12272 D Katrin Göring­Eckardt (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12274 B Peter Bleser (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . 12276 B Katrin Göring­Eckardt (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12276 D Thomas Strobl (Heilbronn) (CDU/CSU) . . . . 12277 C Ulla Jelpke (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . . 12279 A Boris Pistorius, Minister (Niedersachsen) . . . 12280 B Albert Weiler (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . 12281 D Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12282 B Stephan Mayer (Altötting) (CDU/CSU) . . . . . 12283 B Rüdiger Veit (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12285 A Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 127 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 1 . Oktober 2015II Eckhardt Rehberg (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . 12286 B Aydan Özoğuz, Staatsministerin BK . . . . . . . 12287 D Klaus­Dieter Gröhler (CDU/CSU) . . . . . . . . . 12288 D Kerstin Griese (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12290 A Johannes Kahrs (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12291 B Tagesordnungspunkt 4: a) Antrag der Abgeordneten Katharina Drö­ ge, Dr . Frithjof Schmidt, Bärbel Höhn, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Starke Schutzstandards – Ziel statt Zielscheibe moderner Handelspolitik Drucksache 18/6197 . . . . . . . . . . . . . . . . . 12292 C b) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Energie – zu dem Antrag der Abgeordneten Tho­ mas Nord, Klaus Ernst, Dr . Dietmar Bartsch, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Die Verhand- lungen zum EU-USA-Freihandelsab- kommen TTIP stoppen – zu dem Antrag der Abgeordneten Kat­ harina Dröge, Bärbel Höhn, Britta Ha­ ßelmann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜ­ NEN: Für ein starkes Primat der Po- litik – Für fairen Handel ohne Demo- kratie-Outsourcing – zu dem Antrag der Abgeordneten Katha­ rina Dröge, Kerstin Andreae, Dr . Tho­ mas Gambke, weiterer Abgeordne­ ter und der Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN: Stellungnahme im Rahmen des Konsultationsverfah- rens der Europäischen Kommission zum Investitionsschutzkapitel im ge- planten Transatlantischen Freihan- delsabkommen TTIP – zu dem Antrag der Abgeordneten Klaus Ernst, Thomas Nord, Wolfgang Gehr­ cke, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: CETA-Ver- handlungsergebnis ablehnen – zu dem Antrag der Abgeordneten Ka­ tharina Dröge, Bärbel Höhn, Renate Künast, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜ­ NEN: Keine Klageprivilegien für Konzerne – CETA-Vertragsentwurf ablehnen Drucksachen 18/1093, 18/1457, 18/1964, 18/4090, 18/2620, 18/4969 . . . . . . . . . . . . 12292 D Dr . Anton Hofreiter (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12293 A Dirk Wiese (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12294 A Dr . Michael Fuchs (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . 12295 D Klaus Ernst (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . 12297 C Dr . Martin Rosemann (SPD) . . . . . . . . . . . . 12298 D Dirk Wiese (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12299 D Harald Ebner (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12300 B Dr . Joachim Pfeiffer (CDU/CSU) . . . . . . . . . . 12302 A Klaus Ernst (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . 12303 A Dr . Nina Scheer (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . 12304 D Klaus Barthel (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12305 D Katharina Dröge (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12306 C Barbara Lanzinger (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . 12307 C Sigmar Gabriel, Bundesminister BMWi . . . . . 12309 B Dr . Diether Dehm (DIE LINKE) . . . . . . . . 12310 D Alexander Ulrich (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . 12312 C Andreas G . Lämmel (CDU/CSU) . . . . . . . . . . 12314 B Katharina Dröge (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12316 A Rainer Spiering (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12318 B Tagesordnungspunkt 5: Beschlussempfehlung und Bericht des Aus­ schusses für Menschenrechte und humanitäre Hilfe zu der Unterrichtung durch die Bundes­ regierung: Elfter Bericht der Bundesregie- rung über ihre Menschenrechtspolitik Drucksachen 18/3494, 18/6183 . . . . . . . . . . . 12319 C Frank Schwabe (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12319 D Inge Höger (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . . 12321 C Erika Steinbach (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . 12323 A Omid Nouripour (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12324 C Michael Brand (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . 12326 B Angelika Glöckner (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . 12328 B Dr . Bernd Fabritius (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . 12329 D Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 127 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 1 . Oktober 2015 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 127 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 1 . Oktober 2015 III Tagesordnungspunkt 23: a) Erste Beratung des von der Bundesregie­ rung eingebrachten Entwurfs eines Siebten Besoldungsänderungsgesetzes (7. BesÄndG) Drucksache 18/6156 . . . . . . . . . . . . . . . . . 12331 B b) Erste Beratung des von der Bundesregie­ rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- zes zu dem Abkommen vom 7. Mai 2015 zwischen der Regierung der Bundesre- publik Deutschland und der Regierung von Jersey über die Zusammenarbeit in Steuersachen und die Vermeidung der Doppelbesteuerung bei bestimmten Ein- künften Drucksache 18/6157 . . . . . . . . . . . . . . . . . 12331 C c) Erste Beratung des von der Bundes­ regierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Zusatzabkommen vom 31. März 2015 zum Abkommen vom 21. Juli 1959 zwischen der Bundesrepu- blik Deutschland und der Französischen Republik zur Vermeidung der Doppel- besteuerungen und über gegenseitige Amts- und Rechtshilfe auf dem Gebiete der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen sowie der Gewerbesteuern und der Grundsteuern Drucksache 18/6158 . . . . . . . . . . . . . . . . . 12331 C d) Erste Beratung des von der Bundes­ regierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Wirt- schaftsplans des ERP-Sondervermögens für das Jahr 2016 (ERP-Wirtschafts- plangesetz 2016) Drucksache 18/6159 . . . . . . . . . . . . . . . . . 12331 D e) Erste Beratung des von der Bundes­ regierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung agrar- marktrechtlicher Bestimmungen Drucksache 18/6160 . . . . . . . . . . . . . . . . . 12331 D f) Antrag der Abgeordneten Nicole Gohlke, Sigrid Hupach, Dr . Rosemarie Hein, wei­ terer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Wissenschaftsfreiheit und Wis- senschaftsverantwortung sicher stellen Drucksache 18/6191 . . . . . . . . . . . . . . . . . 12331 D g) Bericht des Ausschusses für Bildung, For­ schung und Technikfolgenabschätzung ge­ mäß § 56 a der Geschäftsordnung: Tech- nikfolgenabschätzung (TA): Technischer Fortschritt im Gesundheitswesen: Quel- le für Kostensteigerungen oder Chance für Kostensenkungen? Drucksache 18/4283 . . . . . . . . . . . . . . . . . 12332 A Zusatztagesordnungspunkt 3: Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurfs eines ... Gesetzes zur Änderung des Bundes- zentralregistergesetzes Drucksache 18/6186 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12267 C Tagesordnungspunkt 24: a) – Zweite Beratung und Schlussabstim­ mung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Protokoll vom 17. März 2014 zur Änderung des Abkommens vom 30. März 2010 zwischen der Bundes- republik Deutschland und dem Ver- einigten Königreich Großbritannien und Nordirland zur Vermeidung der Doppelbesteuerung und zur Verhin- derung der Steuerverkürzung auf dem Gebiet der Steuern vom Ein- kommen und vom Vermögen Drucksachen 18/5575, 18/6219 . . . . . . 12332 B – Zweite Beratung und Schlussabstim­ mung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 19. Oktober 2010 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Föderation St. Kitts und Nevis über die Unterstüt- zung in Steuer- und Steuerstrafsa- chen durch Informationsaustausch Drucksachen 18/5576, 18/6219 . . . . . . 12332 B – Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Ent­ wurfs eines Gesetzes zu dem Abkom- men vom 21. August 2014 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Staat Israel zur Vermei- dung der Doppelbesteuerung und der Steuerverkürzung auf dem Ge- biet der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen Drucksachen 18/5578, 18/6219 . . . . . . 12332 C b) Beschlussempfehlung und Bericht des Aus­ wärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Abgeordneten Omid Nouripour, Dr . Fran­ ziska Brantner, Agnieszka Brugger, weite­ rer Abgeordneter und der Fraktion BÜND­ NIS 90/DIE GRÜNEN: Richtlinien zum Schutz von Schulen und Hochschulen vor militärischer Nutzung in einem be- waffneten Konflikt umsetzen Drucksachen 18/4939, 18/5174 . . . . . . . . . 12333 A c) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit zu der Ver­ ordnung der Bundesregierung: Dritte Ver- Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 127 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 1 . Oktober 2015IV ordnung zur Änderung der Elektro- und Elektronikgeräte-Stoff-Verordnung Drucksachen 18/5902, 18/5976 Nr . 2 .2, 18/6101 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12333 B d)–k) Beratung der Beschlussempfehlungen des Petitionsausschusses: Sammelübersich- ten 224, 226, 227, 228, 229, 230, 231 und 232 zu Petitionen Drucksachen 18/5961 (neu), 18/6076, 18/6077, 18/6078, 18/6079, 18/6080, 18/6081, 18/6082 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12333 C Tagesordnungspunkt 6: – Beschlussempfehlung und Bericht des Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Bundesregierung: Beteiligung bewaff- neter deutscher Streitkräfte an der EU-Operation EUNAVFOR MED als ein Teil der Gesamtinitiative der EU zur Unterbindung des Geschäftsmodells der Menschenschmuggel- und Menschen- handelsnetzwerke im südlichen und zen- tralen Mittelmeer Drucksachen 18/6013, 18/6189 . . . . . . . . . – Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung Drucksache 18/6213 . . . . . . . . . . . . . . . . . Gabi Weber (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12334 C Dr . Alexander S . Neu (DIE LINKE) . . . . . . . . 12335 D Roderich Kiesewetter (CDU/CSU) . . . . . . . . . 12337 A Sevim Dağdelen (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . 12338 A Roderich Kiesewetter (CDU/CSU) . . . . . . . . . 12338 D Agnieszka Brugger (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12339 A Julia Obermeier (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . 12340 C Lars Klingbeil (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12341 C Michael Vietz (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . 12342 C Rüdiger Veit (SPD) (Erklärung nach § 31 GO) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12343 D Namentliche Abstimmung . . . . . . . . . . . . . . . 12344 B Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12346 A Tagesordnungspunkt 7: Beschlussempfehlung und Bericht des Aus­ schusses für Arbeit und Soziales – zu dem Antrag der Abgeordneten Katja Kipping, Sabine Zimmermann (Zwickau), Matthias W . Birkwald, weiterer Abge­ ordneter und der Fraktion DIE LINKE: Sanktionen bei Hartz IV und Leistungs- einschränkungen bei der Sozialhilfe ab- schaffen – zu dem Antrag der Abgeordneten Katja Kipping, Sabine Zimmermann (Zwickau), Klaus Ernst, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Gute Arbeit und eine sanktionsfreie Mindestsiche- rung statt Hartz IV – zu dem Antrag der Abgeordneten Dr . Wolfgang Strengmann­Kuhn, Beate Mül­ ler­Gemmeke, Markus Kurth, weiterer Ab­ geordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN: Existenzminimum und Teilhabe sicherstellen – Sanktionsmora- torium jetzt Drucksachen 18/1115, 18/3549, 18/1963, 18/6128 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12344 D Dagmar Schmidt (Wetzlar) (SPD) . . . . . . . . . 12345 A Katja Kipping (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . 12349 A Tino Sorge (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . 12350 B Jutta Eckenbach (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . 12351 A Katja Kipping (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . 12352 D Jutta Eckenbach (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . 12353 A Dr . Wolfgang Strengmann­Kuhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . 12353 A Matthäus Strebl (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . 12354 C Dr . Matthias Bartke (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . 12355 C Katja Kipping (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . 12356 D Dr . Matthias Bartke (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . 12357 A Namentliche Abstimmungen . . . . . . . . . . . . . . 12344 D Ergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12359 B Tagesordnungspunkt 10: Beschlussempfehlung und Bericht des Aus­ schusses für Kultur und Medien zu dem An­ trag der Abgeordneten Ute Bertram, Yvonne Magwas, Michael Kretschmer, wei terer Ab­ Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 127 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 1 . Oktober 2015 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 127 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 1 . Oktober 2015 V geordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Burkhard Blienert, Marco Bülow, Martin Dörmann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Zu- kunftsweisende Kulturpolitik im demogra- fischen Wandel – Stärkung der Kultur im ländlichen Raum Drucksachen 18/5091, 18/6167 . . . . . . . . . . . 12357 D Yvonne Magwas (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . 12357 D Sigrid Hupach (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . 12365 A Burkhard Blienert (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . 12366 A Ulle Schauws (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12367 B Dagmar G . Wöhrl (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . 12368 B Hiltrud Lotze (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12369 C Tagesordnungspunkt 9: Erste Beratung des von den Abgeordneten Katja Keul, Ulle Schauws, Renate Künast, weiteren Abgeordneten und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines … Gesetzes zur Änderung des Strafgesetzbuches zur Verbesserung des Schutzes vor sexueller Misshandlung und Vergewaltigung Drucksache 18/5384 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12370 C Katja Keul (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) . . 12370 C Alexander Hoffmann (CDU/CSU) . . . . . . . . . 12372 A Halina Wawzyniak (DIE LINKE) . . . . . . . . . . 12373 C Dirk Wiese (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12374 C Sylvia Pantel (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . 12376 A Christina Jantz (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12377 C Tagesordnungspunkt 12: Zweite und dritte Beratung des von der Bundes regierung eingebrachten Entwurfs ei­ nes Gesetzes zur Umsetzung der Transpa- renzrichtlinie-Änderungsrichtlinie Drucksachen 18/5010, 18/5272, 18/5458 Nr . 1, 18/6220 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12378 B Dr . Mathias Middelberg (CDU/CSU) . . . . . . . 12378 C Dr . Axel Troost (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . 12379 D Christian Petry (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12380 D Dr . Gerhard Schick (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12382 A Dr . Philipp Murmann (CDU/CSU) . . . . . . . . . 12383 A Dr . Johannes Fechner (SPD) . . . . . . . . . . . . . . 12384 B Dr . Heribert Hirte (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . 12384 D Dr . Jens Zimmermann (SPD) . . . . . . . . . . . . . 12385 D Tagesordnungspunkt 11: Beschlussempfehlung und Bericht des Aus­ schusses für Arbeit und Soziales zu dem An­ trag der Abgeordneten Katja Kipping, Sabine Zimmermann (Zwickau), Matthias W . Birk­ wald, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Armuts- und Reichtumsbe- richt qualifizieren und Armut bekämpfen Drucksachen 18/5109, 18/6218 . . . . . . . . . . . 12386 D Dagmar Schmidt (Wetzlar) (SPD) . . . . . . . . . 12386 D Matthias W . Birkwald (DIE LINKE) . . . . . . . 12388 A Dr . Matthias Zimmer (CDU/CSU) . . . . . . . . . 12389 A Dr . Wolfgang Strengmann­Kuhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . 12390 A Matthäus Strebl (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . 12391 A Markus Paschke (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12392 B Dr . Matthias Zimmer (CDU/CSU) . . . . . . . 12392 D Tagesordnungspunkt 14: a) Zweite Beratung und Schlussabstimmung des von der Bundesregierung eingebrach­ ten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Pro- tokoll vom 24. Juni 2010 zur Änderung des am 25. und 30. April 2007 unter- zeichneten Luftverkehrsabkommens zwi schen den Vereinigten Staaten von Amerika und der Europäischen Ge- meinschaft und ihren Mitgliedstaaten Drucksachen 18/5271, 18/6161 . . . . . . . . . 12393 B b) Zweite Beratung und Schlussabstimmung des von der Bundesregierung eingebrach­ ten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Luftverkehrsabkommen vom 16. und 21. Juni 2011 zwischen den Vereinigten Staaten von Amerika als erster Partei, der Europäischen Union und ihren Mit- gliedstaaten als zweiter Partei, Island als dritter Partei und dem Königreich Norwegen als vierter Partei und zu dem Zusatzabkommen vom 16. und 21. Juni 2011 zwischen der Europäischen Uni- Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 127 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 1 . Oktober 2015VI on und ihren Mitgliedstaaten als erster Partei, Island als zweiter Partei und dem Königreich Norwegen als dritter Partei, betreffend die Anwendung des Luftver- kehrsabkommens vom 16. und 21. Juni 2011 Drucksachen 18/5580, 18/6072 (neu) . . . . 12393 C Peter Wichtel (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . 12393 D Herbert Behrens (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . 12394 C Arno Klare (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12395 C Stephan Kühn (Dresden) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12397 A Thomas Jarzombek (CDU/CSU) . . . . . . . . . . 12397 D Tagesordnungspunkt 13: Antrag der Abgeordneten Brigitte Pothmer, Kerstin Andreae, Markus Kurth, weiterer Ab­ geordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN: Arbeitslosenversicherung gerechter gestalten und Zugänge verbessern Drucksache 18/5386 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12399 B Brigitte Pothmer (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12399 C Albert Weiler (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . 12400 C Jutta Krellmann (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . 12401 D Markus Paschke (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12402 C Dr . Astrid Freudenstein (CDU/CSU) . . . . . . . 12403 C Ralf Kapschack (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12404 C Tagesordnungspunkt 16: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Übereinkommen vom 29. Juni 2015 zur Gründung der Asiatischen Infrastruk- tur-Investitionsbank Drucksache 18/6163 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12405 C Dr . Michael Meister, Parl . Staatssekretär BMF . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12405 C Dr . Axel Troost (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . 12406 C Manfred Zöllmer (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . 12407 A Uwe Kekeritz (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12408 B Dr . Philipp Murmann (CDU/CSU) . . . . . . . . . 12409 B Tagesordnungspunkt 15: a) Antrag der Abgeordneten Katrin Kunert, Inge Höger, Andrej Hunko, weiterer Ab­ geordneter und der Fraktion DIE LINKE: Den deutschen Vorsitz in der Organisa- tion für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa im Jahr 2016 für Frieden und Abrüstung nutzen Drucksache 18/5108 . . . . . . . . . . . . . . . . . 12410 B b) Antrag der Abgeordneten Marieluise Beck (Bremen), Agnieszka Brugger, Annalena Baerbock, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Den deutschen OSZE-Vorsitz 2016 zur Stärkung der OSZE nutzen Drucksache 18/6199 . . . . . . . . . . . . . . . . . 12410 B Andrej Hunko (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . 12410 C Jürgen Klimke (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . 12411 B Agnieszka Brugger (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12412 A Doris Barnett (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12413 A Dr . Hans­Peter Uhl (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . 12414 C Nächste Sitzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12415 C Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten . . . . . . 12417 C Anlage 2 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordne­ ten Sevim Dağdelen, Heike Hänsel und Dr . Alexander S . Neu (alle DIE LINKE) zu der namentlichen Abstimmung über die Be­ schlussempfehlung des Auswärtigen Aus­ schusses zu dem Antrag der Bundesregierung: Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräf­ te an der EU­Operation EUNAVFOR MED als ein Teil der Gesamtinitiative der EU zur Unterbindung des Geschäftsmodells der Men­ schenschmuggel­ und Menschenhandelsnetz­ werke im südlichen und zentralen Mittelmeer (Tagesordnungspunkt 6) . . . . . . . . . . . . . . . . . 12417 D Anlage 3 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Dr . Nina Scheer (SPD) zu der namentlichen Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Auswärtigen Ausschusses zu dem An­ trag der Bundesregierung Beteiligung be­ waffneter deutscher Streitkräfte an der EU­ Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 127 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 1 . Oktober 2015 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 127 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 1 . Oktober 2015 VII Operation EUNAVFOR MED als ein Teil der Gesamtinitiative der EU zur Unterbin­ dung des Geschäftsmodells der Menschen­ schmuggel­ und Menschenhandelsnetzwer­ ke im südlichen und zentralen Mittelmeer (Tagesordnungspunkt 6) . . . . . . . . . . . . . . . . . 12418 B Anlage 4 Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten Marco Bülow (SPD) zu den Abstimmungen über die Beschlussempfehlungen des Aus­ schusses für Arbeit und Soziales – zu dem Antrag der Abgeordneten Katja Kipping, Sabine Zimmermann (Zwickau), Matthias W . Birkwald, weiterer Abge­ ordneter und der Fraktion DIE LINKE: Sanktionen bei Hartz IV und Leistungsein­ schränkungen bei der Sozialhilfe abschaf­ fen – zu dem Antrag der Abgeordneten Katja Kipping, Sabine Zimmermann (Zwickau), Klaus Ernst, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Gute Arbeit und eine sanktionsfreie Mindestsicherung statt Hartz IV – zu dem Antrag der Abgeordneten Dr . Wolf­ gang Strengmann­Kuhn, Beate Müller­ Gemmeke, Markus Kurth, weiterer Abge­ ordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN: Existenzminimum und Teilhabe sicherstellen – Sanktionsmorato­ rium jetzt (Tagesordnungspunkt 7) . . . . . . . . . . . . . . . . . 12419 A Anlage 5 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Katharina Dröge und Lisa Paus (beide BÜND­ NIS 90/DIE GRÜNEN) zu den namentlichen Abstimmungen über die Beschlussempfehlun­ gen des Ausschusses für Arbeit und Soziales – zu dem Antrag der Abgeordneten Katja Kipping, Sabine Zimmermann (Zwickau), Matthias W . Birkwald, weiterer Abge­ ordneter und der Fraktion DIE LINKE: Sanktionen bei Hartz IV und Leistungsein­ schränkungen bei der Sozialhilfe abschaf­ fen – zu dem Antrag der Abgeordneten Dr . Wolf­ gang Strengmann­Kuhn, Beate Müller­ Gemmeke, Markus Kurth, weiterer Abge­ ordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN: Existenzminimum und Tilhabe sicherstellen – Sanktionsmorato­ rium jetzt (Tagesordnungspunkt 7) . . . . . . . . . . . . . . . . . 12419 D Textrahmenoptionen: 30,5 mm Abstand oben (A) (C) (B) (D) Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 127 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 1 . Oktober 2015 12267 127. Sitzung Berlin, Donnerstag, den 1. Oktober 2015 Beginn: 9 .00 Uhr
  • folderAnlagen
    Dr. Hans-Peter Uhl (A) (C) (B) (D) Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 127 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 1 . Oktober 2015 12417 Anlagen zum Stenografischen Bericht Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Amtsberg, Luise BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 01 .10 .2015 Beck (Bremen), Marieluise BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 01 .10 .2015 Becker, Dirk SPD 01 .10 .2015 Beckmeyer, Uwe SPD 01 .10 .2015 Daldrup, Bernhard SPD 01 .10 .2015 Feiler, Uwe CDU/CSU 01 .10 .2015 Gabriel, Sigmar SPD 01 .10 .2015 Gehrcke, Wolfgang DIE LINKE 01 .10 .2015 Groth, Annette DIE LINKE 01 .10 .2015 Hartmann (Wackern­ heim), Michael SPD 01 .10 .2015 Hendricks, Dr . Barbara SPD 01 .10 .2015 Kiziltepe, Cansel SPD 01 .10 .2015 Kolbe, Daniela SPD 01 .10 .2015 Lange (Backnang), Christian SPD 01 .10 .2015 Lay, Caren DIE LINKE 01 .10 .2015 Lenkert, Ralph DIE LINKE 01 .10 .2015 Leyen, Dr . Ursula von der CDU/CSU 01 .10 .2015 Maizière, Dr . Thomas de CDU/CSU 01 .10 .2015 Mihalic, Irene BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 01 .10 .2015 Möhring, Cornelia DIE LINKE 01 .10 .2015 Nick, Dr . Andreas CDU/CSU 01 .10 .2015 Petzold (Havelland), Harald DIE LINKE 01 .10 .2015 Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Pfeiffer, Sibylle CDU/CSU 01 .10 .2015 Rawert, Mechthild SPD 01 .10 .2015 Röspel, René SPD 01 .10 .2015 Schlecht, Michael DIE LINKE 01 .10 .2015 Steinmeier, Dr . Frank­ Walter SPD 01 .10 .2015 Timmermann­Fechter, Astrid CDU/CSU 01 .10 .2015 Vogel (Kleinsaara), Volkmar CDU/CSU 01 .10 .2015 Vries, Kees de CDU/CSU 01 .10 .2015 Wicklein, Andrea SPD 01 .10 .2015 Wiese, Dirk SPD 01 .10 .2015 Zech, Tobias CDU/CSU 01 .10 .2015 Zimmermann, Pia DIE LINKE 01 .10 .2015 Anlage 2 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Sevim Dağdelen, Heike Hänsel und Dr. Alexander S. Neu (alle DIE LIN- KE) zu der namentlichen Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Auswärtigen Aus- schusses zu dem Antrag der Bundesregierung Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an der EU-Operation EUNAVFOR MED als ein Teil der Gesamtinitiative der EU zur Unter- bindung des Geschäftsmodells der Menschen- schmuggel- und Menschenhandelsnetzwerke im südlichen und zentralen Mittelmeer (Tagesordnungspunkt 6) Nein zum Bundeswehreinsatz EU­Operation EUNAVFOR MED: Fluchtursachen nicht Flüchtlinge bekämpfen: Wir stimmen gegen den Bundeswehreinsatz EU­Ope­ ration EUNAVFOR MEO . weil er statt Fluchtursachen lediglich Flüchtlinge bekämpft . Die Bundesregierung versucht zudem, die Öffentlichkeit hinters Licht zu füh­ Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 127 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 1 . Oktober 201512418 (A) (C) (B) (D) ren, im Mandat der Mission gebe es eine Festlegung auf eine Seenotrettung von Flüchtlingen . Wir lehnen diese Mission zudem ab, weil die Bundes regierung dem Bundestag den Beschluss für die Einleitung der zweiten Phase der Militärmission EUNAVFOR MED zur Bekämpfung von Flüchtlingen im Mittelmeer nicht ordnungsgemäß zugeleitet hat . Dazu wäre sie gesetzlich verpflichtet gewesen. Ja, man muss hier von einem offenen Rechtsbruch der Bundesregie­ rung gegen die Mitwirkungsrechte des Bundestages spre­ chen . Die Bundesregierung tritt die parlamentarischen Rechte des Bundestages mit Füßen . Den Operationsplan der EU­Militärmission hat die Bundesregierung lediglich einem Teil der Abgeordneten in der Geheimschutzstelle zur Verfügung gestellt . Die große Mehrheit der heute hier anwesenden Abgeordneten weiß deshalb nicht, worüber sie genau abstimmen werden . Sicher: Abgeordnete des Auswärtigen Ausschusses konnten den Operationsplan lesen . Allerdings hatten sie dazu jeweils in der Geheimschutzstelle nur jeweils eine halbe Stunde Zeit . Und dazu kommt, dass der Operati­ onsplan der Mission 600 Seiten in englischer Sprache umfasst . Wie Sie hier mit den Abgeordnetenrechten und der parlamentarischen Demokratie umgehen, ist wirklich ein starkes Stück . Sie führen die Öffentlichkeit hinters Licht . Warum aber? Niemand soll erfahren, dass im Man­ dat der Mission, anders als Sie es wahrheitswidrig immer wieder behaupten, keine ausdrückliche Verpflichtung zur Seenotrettung enthalten ist . Im Gegenteil: Unter dem Deckmantel der Schleuserbekämpfung geht es Ihnen um einen Kampf gegen die Flüchtlinge . Deshalb soll auch kein Abgeordneter und schon gar nicht die Öffentlichkeit erfahren, dass im geheimen Operationsplan steht, dass die Flüchtlinge, die die Mission aufgreift, zum nächsten Hafen gebracht werden sollen . lm Ausschuss hatten Sie zwar immer wieder betont, dass damit europäische Hafen gemeint sind . Allein, im geheimen Operationsplan steht davon nichts . Statt Fluchtursachsen zu bekämpfen, be­ kämpfen Sie Flüchtlinge . Und um dies zu verschleiern, versuchen Sie die Öffentlichkeit hinters Licht zu führen, und machen sich noch geradezu über die Abgeordneten und den Bundestag lustig mit Ihren 600 Seiten des Ope­ rationsplans der Militärmission die in einer halben Stun­ de zu lesen seien . Wer heute hier in diesem Haus sich ernst nimmt als Abgeordneter der kann nur, ja der muss mit Nein zur EUNAVFOR MEO Mission stimmen . Anlage 3 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Dr. Nina Scheer (SPD) zu der namentlichen Abstimmung über die Beschluss- empfehlung des Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Bundesregierung Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an der EU-Operation EUNAVFOR MED als ein Teil der Gesamtinitiative der EU zur Unter- bindung des Geschäftsmodells der Menschen- schmuggel- und Menschenhandelsnetzwerke im südlichen und zentralen Mittelmeer (Tagesordnungspunkt 6) Die Vereinten Nationen, die Europäische Union, aber auch jeder Staat der Europäischen Union für sich ge­ nommen tragen Verantwortung, Maßnahmen gegen die Ausnutzung von Menschen, die auf der Flucht vor Terror und Vertreibung sind, zu ergreifen . Dies erfordert von der Völkergemeinschaft insbesondere die Bekämpfung von Fluchtursachen, die häufig in Kriegs-bzw. Bürgerkriegs­ zuständen liegen . Die Völkergemeinschaft trägt damit auch die Verantwortung, Maßnahmen zu unterlassen, die Bürgerkriegszustände fördern . Sowohl der vergangene Irakkrieg als auch militärische Einsätze in Libyen zum Sturz des damaligen Machthabers Muammar al-Gaddafi förderten offensichtlich die für die heutigen Fluchtursa­ chen maßgeblichen Bürgerkriegszustände . Die Völkergemeinschaft ist zudem aufgerufen, auf mehr Teilhabe und Gerechtigkeit auch im Rahmen der weltweiten Handelsbeziehungen hinzuwirken und diese nach den Zielen Nachhaltiger Entwicklung auszugestal­ ten . Aber auch für Flüchtlinge, die heute in ihrer akuten Not Hilfe bei Schlepperbanden suchen, brauchen wir Antworten – solange Fluchtursachen nicht wirksam be­ seitigt wurden . Insbesondere müssen legale Fluchtwege geschaffen werden . Ein Kampf gegen Schlepperbanden muss gleichziehen mit dem Einsatz zur Schaffung legaler Fluchtwege . Andernfalls wird an anderen Orten als unse­ ren Grenzen unser Asylrecht ausgehöhlt . Schlepperbanden unterscheiden sich von Fluchthel­ fern, indem sie den Tod von Hilfe suchenden Menschen ausnutzen, Leib und Leben dieser Menschen riskieren oder gar ihren Tod einkalkulieren . Die Ausnutzung der Notlage von Menschen wird dabei zum Geschäftsmodell des Menschenhandels . Schlepperbanden auch mit militä­ rischen Mitteln zu begegnen, halte ich mit Blick auf un­ sere humanitäre Schutzpflicht gegenüber den flüchtenden Menschen somit prinzipiell für opportun und notwendig . auch unter Beteiligung der deutschen Bundeswehr . Ich begrüße es somit, wenn die Europäische Union Maßnahmen gegen Schlepperkriminalität ergreift und Menschenhandel sanktioniert . Ich begrüße es auch, wenn Schiffe . die für Menschenhandel eingesetzt werden, be­ schlagnahmt werden . Es ist aber auch unsere humanitäre Pflicht, mit den ergriffenen Maßnahmen zugleich den Menschen in Not Schutz zu gewähren . Der vorliegende Antrag sieht auch vor, im Rahmen der EU­Operation EUNAVFOR MED eine „Umleitung auf hoher See“ der betreffenden Boote zu ermöglichen . Solche Maßnahmen halte ich für nicht verantwortbar . Insofern enthalte ich meiner Stimme zur Abstimmung über den oben genannten Antrag . Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 127 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 1 . Oktober 2015 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 127 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 1 . Oktober 2015 12419 (A) (C) (B) (D) Anlage 4 Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten Marco Bülow (SPD) zu den Abstimmungen über die Beschlussempfehlun- gen des Ausschusses für Arbeit und Soziales – zu dem Antrag der Abgeordneten Katja Kipping, Sabine Zimmermann (Zwickau), Matthias W. Birkwald, weiterer Abgeordne- ter und der Fraktion DIE LINKE Sanktionen bei Hartz IV und Leistungsein- schränkungen bei der Sozialhilfe abschaffen – zu dem Antrag der Abgeordneten Katja Kipping, Sabine Zimmermann (Zwickau), Klaus Ernst, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Gute Arbeit und eine sanktionsfreie Mindest- sicherung statt Hartz IV – zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn, Beate Müller-Gemmeke, Markus Kurth, weite- rer Abgeordneter und der Fraktion BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN Existenzminimum und Teilhabe sicherstel- len – Sanktionsmoratorium jetzt (Tagesordnungspunkt 7) Die Sicherung eines menschenwürdigen Existenzmi­ nimums ist ein Grundrecht . Die Bekämpfung von Armut wird damit zu einer wichtigen Aufgabe des Staates . Die Regelung und Verhängung von Sanktionen bei Hartz IV muss die Rechte und Pflichten der Leistungsbe­ rechtigten auf der einen Seite und die Rechte und Pflich­ ten des Staates auf der anderen Seite in ein angemessenes und faires Verhältnis setzen . Dies ist aber derzeit nicht der Fall . Vor allem die Sanktionsregeln bei Hartz IV halte ich für zu hart . Sanktionen sind für die Leistungsberech­ tigten oft demütigend, unnötig und kontraproduktiv . Bei Hartz IV hat das Fordern die Oberhand über das Fördern gewonnen . So war das aber nicht konzipiert . Wir brauchen eine grundlegende Reform und müssen vor allem die Sanktionen entschärfen, insbesondere für Arbeitslose unter 25 Jahren . Gerade bei Jugendlichen könnten harte Sanktionen dazu führen, dass sie sich voll­ ständig zurückziehen und in die Kriminalität abtauchen, um sich das Lebensnotwendigste zu besorgen . Nach einer aktuellen Studie sind rund 20 000 junge Menschen kom­ plett aus der Betreuung von Jobcenter oder Jugendamt herausgefallen . Deshalb muss das geltende verschärfte Sanktionsinstrumentarium für Menschen unter 25 Jahren abgeschafft werden . Aus meiner Sicht müssen weitere Punkte diskutiert und ggf . geändert werden: – Die Gelder für die Unterkunft sollten im Sanktionsfall nicht gekürzt werden, damit die Hartz­IV­Empfänger nicht auch noch Ihre Wohnung verlieren und in die Obdachlosigkeit abrutschen . Das sehe ich genauso wie die Sozialverbände, Kommunen und die Bundesagen­ tur . – Der Grundbedarf sowie die Kosten der Unterkunft und Heizung sollten von Sanktionen ausgenommen wer­ den . – Sanktionen sollten auch nicht mehr verhängt werden, wenn Fähigkeiten, Wünschen und Vorschlägen der Einzelnen nicht Rechnung getragen wird und keine Wahl zwischen angemessenen Förderangeboten be­ steht . – Sanktionen sollten auch nicht mehr verhängt werden, wenn die Aufnahme von Arbeit verweigert wird, weil die unterhalb des maßgeblichen tariflichen oder – wenn keine tarifliche Regelung vorhanden ist – des ortsüblichen Entgelts entlohnt wird . – Fallmanager und Leistungsberechtigte sind Partner bei der Eingliederung und sollten kooperativ miteinander zusammenarbeiten . Nicht Sanktionen, bürokratische Zumutungen und Gängelung, sondern faire Spielre­ geln, Motivation und Bestärkung der Arbeitsuchenden müssen die Integrationsarbeit in den Jobcentern be­ stimmen . Von den Leistungsbeziehenden können und sollen wei­ terhin Pflichten zur Mitwirkung, vor allem bei der Ein­ gliederung in Erwerbsarbeit, erwartet werden . Es kann jedoch nicht sein, dass das Grundrecht auf die Gewähr­ leistung eines menschenwürdigen Existenzminimums in der Form durch Sanktionen infrage gestellt wird . Ich fordere vor allem die CSU und den Wirtschaftsflü­ gel der Union auf, Ihren Kurs zu verändern und Hartz IV grundlegend zu reformieren . Deshalb stimme ich für den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen . Anlage 5 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Katharina Dröge und Lisa Paus (beide BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) zu den namentlichen Abstimmungen über die Be- schlussempfehlungen des Ausschusses für Ar- beit und Soziales – zu dem Antrag der Abgeordneten Katja Kipping, Sabine Zimmermann (Zwickau), Matthias W. Birkwald, weiterer Abgeordne- ter und der Fraktion DIE LINKE Sanktionen bei Hartz IV und Leistungsein- schränkungen bei der Sozialhilfe abschaffen – zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn, Beate Müller-Gemmeke, Markus Kurth, weite- rer Abgeordneter und der Fraktion BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN Existenzminimum und Teilhabe sicherstellen – Sanktionsmoratorium jetzt (Tagesordnungspunkt 7) Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 127 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 1 . Oktober 201512420 (A) (C) (B) (D) Grüne stehen dafür, dass jeder Mensch unteilbare so­ ziale Grundrechte hat . Zur Teilhabe an der Gesellschaft gehört auch eine armutsfeste Grundsicherung . Sanktio­ nen bei Hartz IV höhlen dieses Grundrecht aus . Sie ge­ fährden ein menschenwürdiges Existenzminimum und den kooperativen Charakter des Fallmanagements von Arbeitslosen . Außerdem ist die Wirksamkeit von Sank­ tionsandrohungen nicht belegt . Die Verhinderung von Langzeitarbeitslosigkeit durch schärfere Sanktionen ist nicht nachgewiesen . Soziale Teilhabe ist ein Grundrecht, das man sich nicht erst verdienen muss . Deswegen sind wir gegen jede Art von Sanktionen bei Hartz IV . Die Grü­ ne Fraktion fordert in ihrem Antrag ,,Existenzminimum und Teilhabe sicherstellen – Sanktionsmoratorium jetzt“ ein Sanktionsmoratorium und langfristig eine stringente­ re Handhabung von Sanktionen . Das ist ein Anfang, doch das geht aus unserer Sicht nicht weit genug . Daher stimmen wir nicht nur dem Antrag unserer Fraktion zu, sondern auch dem der Linken, der eine kom­ plette Abschaffung der Sanktionen bei Hartz IV fordert, und sagen bei beiden Anträgen Nein zur Beschlussemp­ fehlung der Regierungsfraktionen . Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 127 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 1 . Oktober 2015 Satz: Satzweiss.com Print, Web, Software GmbH, Mainzer Straße 116, 66121 Saarbrücken, www.satzweiss.com Druck: Printsystem GmbH, Schafwäsche 1-3, 71296 Heimsheim, www.printsystem.de Vertrieb: Bundesanzeiger Verlag GmbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de 127. Sitzung Inhaltsverzeichnis TOP 3, ZP 2 Bewältigung der Flüchtlingskrise und Nachtragshaushalt TOP 4 Handelspolitik und Handelsabkommen TTIP und CETA TOP 5 Bericht der Regierung zurMenschenrechtspolitik TOP 23, ZP 3 Überweisungen im vereinfachten Verfahren TOP 24 Abschließende Beratungen ohne Aussprache TOP 6 Bundeswehreinsatz EU-Operation EUNAVFORMED TOP 7 Sanktionen bei Hartz IV und Sozialhilfe TOP 10 Stärkung der Kultur im ländlichen Raum TOP 9 Verbesserung des Schutzes vor sexueller Misshandlung TOP 12 Umsetzung der Änderung der Transparenzrichtlinie TOP 11 Armuts- und Reichtumsberichterstattung TOP 14 Internationale Luftverkehrsabkommen TOP 13 Umgestaltung der Arbeitslosenversicherung TOP 16 Asiatische Infrastruktur-Investitionsbank TOP 15 Deutscher Vorsitz 2016 in der OSZE Anlagen Anlage 1 Anlage 2 Anlage 3 Anlage 4 Anlage 5
Gesamtes Protokol
Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1812700000

Nehmen Sie bitte Platz . Die Sitzung ist eröffnet .

Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen und
liebe Gäste! Ich begrüße Sie herzlich zu unserer 127 . Ple­
narsitzung .

Ich möchte Sie gerne darauf aufmerksam machen,
dass wir vor Eintritt in unsere Tagesordnung noch die
Wahl von Mitgliedern des Stiftungsrates der Deutschen
Härtefallstiftung durchführen müssen .

Die CDU/CSU­Fraktion schlägt als Mitglieder
den Kollegen Ingo Gädechens und die Kollegin Ju-
lia Obermeier vor . Für die SPD­Fraktion sollen der
Kollege Dr. Karl-Heinz Brunner und die Kollegin
Heidtrud Henn berufen werden . Die Fraktion Die Lin­
ke benennt die Kollegin Katrin Kunert, und für die
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen soll die Kollegin Do-
ris Wagner im Stiftungsrat vertreten sein . Stimmen Sie
dem zu? – Das ist offensichtlich der Fall . Dann sind die
genannten Kolleginnen und Kollegen als Mitglieder des
Stiftungsrats gewählt .

Interfraktionell ist vereinbart worden, die Tagesord­
nung um die in der Zusatzpunktliste aufgeführten Punk­
te zu erweitern:

ZP 1 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion DIE
LINKE:

Haltung der Bundesregierung zur Stationie-
rung von 20 modernisierten Atombomben in
Rheinland-Pfalz

(siehe 126 . Sitzung)


ZP 2 Beratung des von der Bundesregierung einge­
brachten Entwurfs eines Gesetzes über die Fest-
stellung eines Zweiten Nachtrags zum Bundes-
haushaltsplan für das Haushaltsjahr 2015

(Zweites Nachtragshaushaltsgesetz 2015)


Drucksache 18/6090
Überweisungsvorschlag:
Haushaltsausschuss

ZP 3 Weitere Überweisung im vereinfachten Ver-
fahren

(Ergänzung zu TOP 23)


Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/
CSU und SPD eingebrachten Entwurfs eines
... Gesetzes zur Änderung des Bundeszentral-
registergesetzes

Drucksache 18/6186
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz (f)

Innenausschuss
Verteidigungsausschuss
Ausschuss Digitale Agenda

Von der Frist für den Beginn der Beratungen soll, so­
weit erforderlich, abgewichen werden .

Der Tagesordnungspunkt 20 – hier geht es um die ers­
te Beratung eines Gesetzentwurfs zum Datenschutz bei
der Zusammenarbeit in Strafsachen – wird abgesetzt und
an dessen Stelle der Tagesordnungspunkt 8 aufgerufen .
Die Tagesordnungspunkte 10, 12, 14 und 16 der Koali­
tionsfraktionen rücken dann entsprechend vor . Sind Sie
auch mit diesen Vereinbarungen einverstanden? – Das ist
der Fall . Dann haben wir das so beschlossen .

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 3 a bis 3 c sowie
den Zusatzpunkt 2 auf:

a) Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/
CSU und SPD eingebrachten Entwurfs eines
Asylverfahrensbeschleunigungsgesetzes

Drucksache 18/6185
Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss (f)

Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Energie
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicher-
heit
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenab-
schätzung
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Haushaltsausschuss mitberatend und gemäß § 96 der GO

b) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein­
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur schnel-






(A) (C)



(B) (D)


leren Entlastung der Länder und Kommunen
bei der Aufnahme und Unterbringung von

(Entlastungsbeschleunigungsgesetz)

Drucksache 18/6172
Überweisungsvorschlag:
Haushaltsausschuss (f)

Innenausschuss
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicher-
heit

c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Ulla

(Zwi­ ckau)

DIE LINKE

Alle Flüchtlinge willkommen heißen – Gegen
eine Politik der Ausgrenzung und Diskrimi-
nierung
Drucksache 18/6190
Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss (f)

Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe
Haushaltsausschuss

ZP 2 Beratung des von der Bundesregierung einge­
brachten Entwurfs eines Gesetzes über die Fest-
stellung eines Zweiten Nachtrags zum Bun-
deshaushaltsplan für das Haushaltsjahr 2015

(Zweites Nachtragshaushaltsgesetz 2015)

Drucksache 18/6090
Überweisungsvorschlag:
Haushaltsausschuss

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 96 Minuten vorgesehen . – Auch dazu
höre ich keinen Widerspruch .

Liebe Kolleginnen und Kollegen, am vergangenen
Wochenende hat unser Bundespräsident in seiner Main­
zer Rede die Bitte geäußert – ich zitiere –, „dass sich die
Besorgten und die Begeisterten nicht gegenseitig denun­
zieren und bekämpfen, sondern dass sie sich in einem
konstruktiven Dialog begegnen“ . Es wäre schön, wenn
unsere heutige Debatte einen Beitrag dazu leisten könnte .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Damit erteile ich dem Bundesinnenminister Dr . Tho­
mas de Maizière das Wort .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge­ ordneten der SPD)


Dr. Thomas de Maizière, Bundesminister des In­
nern:

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich
möchte mit dem Brief eines Bürgermeisters an seine Bür­
gerinnen und Bürger beginnen:

Einladung zu einer Informationsveranstaltung zum
Thema „Unterbringung von Flüchtlingen“ …

Gerne möchten wir Sie an diesem Abend über die
geplante Unterbringung von Flüchtlingen in unserer
Gemeinde informieren und mit Ihnen gemeinsam

in einen transparenten und offenen Dialog treten, in
dem Möglichkeiten zur Schaffung einer „Willkom­
menskultur“ und der damit einhergehenden Integ­
ration besprochen werden sollen, aber auch Platz
für Fragen und Bedenken aus der Bevölkerung sein
wird …

Wir freuen uns auf Ihr Kommen!

Gezeichnet: der Bürgermeister .

Diese und ähnliche Zeilen haben in den letzten Wo­
chen und Monaten Millionen Menschen in den Händen
gehalten . Sie wurden nicht mehrfach getwittert . Diese
Zeilen gingen nicht mit Facebook um die Welt . Aber sie
zeigen die Realität vor Ort: große Hilfsbereitschaft und
Sorge . Meine Damen und Herren, wo wären wir ohne die
Tüchtigen sowie die Bürgermeister und die Landräte in
diesem Land, die jeden Tag vor Ort Überzeugungsarbeit
leisten? Ich möchte meine Rede mit einem Dank begin­
nen .


(Beifall im ganzen Hause)


Diese Zeilen sind auch ein Zeichen dafür, dass wir
mit dem Begriff der Aufnahmefähigkeit unseres Landes
und den damit verbundenen Grenzen achtsam umgehen
müssen . Auf den Bürgerversammlungen in den Städten
und den Gemeinden wird viel diskutiert, mit Neugier, mit
Sorge und manchmal auch mit Ärger, aber immer noch
mit Zuversicht und Engagement . Das ist gut . Meine Da­
men und Herren, arbeiten wir alle dafür, dass es dabei
bleibt .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ich bringe heute den Entwurf eines Asylverfahrensbe­
schleunigungsgesetzes für die Bundesregierung ein . Er
ist Teil eines großen politischen Pakets, das Bund und
Länder in der vergangenen Woche gemeinsam beschlos­
sen haben . Der Gesetzentwurf und das Paket enthalten
fünf zentrale Botschaften: erstens zügige Ordnung und
Beschleunigung der Asylverfahren; zweitens Integration
der schutzbedürftigen Flüchtlinge durch Sprache, mit
Arbeit und in sozialem Zusammenhalt; drittens Abbau
von Fehlanreizen und konsequente Rückführung derje­
nigen, die kein Bleiberecht haben; viertens Abbau von
Rechtsregeln, die uns daran hindern, zügig und winter­
fest die Flüchtlinge unterzubringen, und fünftens Hilfen
des Bundes für Länder und Kommunen, um in Verant­
wortungsgemeinschaft diese große Herausforderung
stemmen zu können .

Mit dem Gesetzentwurf und auch mit dem Paket, das
Sachverhalte enthält, die nicht Teil des Gesetzes sind,
treffen wir dringend gebotene, aber auch harte Entschei­
dungen. Dazu zählt unter anderem die Verpflichtung
der Flüchtlinge zur Unterbringung in Erstaufnahmeein­
richtungen . Dazu zählen weniger Geldleistungen . Dazu
zählt, dass für diejenigen, die nicht ausreisen, die aber
vollziehbar ausreisepflichtig sind, kein Anspruch mehr
auf Asylbewerberleistungen besteht . Sie sollen, wenn sie

Präsident Dr. Norbert Lammert






(A) (C)



(B) (D)


nicht ausreisen, nur noch das unabdingbar Notwendige
erhalten .


(Ulla Jelpke [DIE LINKE]: Manche können nicht!)


Bund und Länder haben jeden Tag die ungeheuer schwie­
rige Aufgabe, Tausende Flüchtlinge auf die Länder und
in den Ländern zu verteilen, um eine faire Lastenteilung
und ein geordnetes Verfahren zu gewährleisten . Wir kön­
nen erwarten, dass sich jeder Flüchtling an diese Vertei­
lungsentscheidung hält . Flucht und Ankunft in Deutsch­
land bedeuten nicht eine freie Wahl des Wohnorts .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge­ ordneten der SPD)


Ich will allen Flüchtlingen sagen: Ja, manche Unterkunft
ist nicht angenehm; viele sind überfüllt . Aber bitte kei­
ne zu hohen Ansprüche! Alle geben sich verdammt viel
Mühe . Es geht im Moment nicht anders .

Ein zentraler, wichtiger Baustein dieses großen Pakets
ist die Beschleunigung der Asylverfahren . Ja, es gibt dort
großen Verbesserungsbedarf . Jetzt werden die Prozesse
in den Asylverfahren nochmals verbessert . Dafür haben
wir mit Herrn Weise einen hervorragenden Fachmann ge­
wonnen . Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge
bekommt nochmals deutlich mehr Stellen und Personal
sowie Mittel, die es zur Bewältigung dieser großen Auf­
gabe braucht . Auch mit der Nutzung der Ressourcen der
Bundesagentur für Arbeit werden wir schneller werden .
Ich füge genauso hinzu: Auch hierfür brauchen wir die
Mitarbeit der Länder . Schluss mit Schuldzuweisungen!
Schluss mit dem Schwarzer­Peter­Spiel! Alle handeln
gemeinsam in Verantwortungsgemeinschaft . Nur so geht
es .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Mit dem Gesetz werden jetzt auch Albanien, Kosovo
und Montenegro zu sicheren Herkunftsstaaten . Dort lie­
gen die Voraussetzungen für Asyl nur in wenigen Ein­
zelfällen vor . Diese Länder haben selbst darum gebeten .
Alle EU­Staaten sind dafür . Jetzt haben wir davon auch
die Bundesländer mit grüner Regierungsbeteiligung
überzeugt, jedenfalls die meisten . Dafür schaffen wir le­
gale Zuwanderungsmöglichkeiten für Menschen aus den
Balkanstaaten – unter bestimmten Voraussetzungen . Das
ist ein fairer Kompromiss .

Wir schaffen mit dem Gesetz auch die Voraussetzun­
gen für einen konsequenten Vollzug einer bestehenden
Ausreisepflicht. Wem in unserem Land ein Asylantrag
abgelehnt worden ist, der muss, wenn es sonst keinen
Grund für Duldung gibt, unser Land verlassen . Diese Re­
gel werden wir konsequent anwenden .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Von überragender Bedeutung in dem Gesetzespaket
sind die finanziellen Hilfen des Bundes. Vorweg aber
sei gesagt: Auch der Bund hat gewaltige finanzielle Las­
ten zu stemmen: Hilfe vor Ort in den Flüchtlingslagern,
Hartz IV, Kosten für das Bundesamt für Migration und
Flüchtlinge, Kosten für die Bundespolizei, Integrations­
kurse – viele Aufgaben, die auch der Bund zusätzlich zu
lösen hat . Und dennoch: Der Bund beteiligt sich dauer­

haft, strukturell und dynamisch an den Kosten, die durch
die Aufnahme von Asylbewerbern in Ländern und Kom­
munen entstehen .

Wir haben als Sofortmaßnahme beschlossen, die bis­
her vorgesehene Entlastung der Länder und Kommunen
bei der Flüchtlingsunterbringung in diesem Jahr, im lau­
fenden Jahr 2015, auf 2 Milliarden Euro zu verdoppeln .
Wir schaffen außerdem die Voraussetzung dafür, dass die
Bundesanstalt für Immobilienaufgaben den Ländern und
Kommunen die Kosten für die Herrichtung von Flücht­
lingsunterkünften auf ihren Liegenschaften erstatten
kann . Der Bund übernimmt vor allem für fünf Monate –
und noch ein bisschen mehr; das ist jetzt zu kompliziert
zu erklären – die Kosten der Länder nach dem Asylbe­
werberleistungsgesetz – pro Flüchtling . Längere Asyl­
verfahren gehen dann nicht mehr zulasten der Länder .
Die Finanzierungsmethode orientiert sich an der Dauer
der Verfahren .

Wir nehmen damit eine faire Risikoverteilung zwi­
schen Bund und Ländern vor . Bund und Länder stehen
damit klar zu ihrer Verantwortungsgemeinschaft . Wir
nehmen die Herausforderung gemeinsam an, und wir
handeln gemeinsam . Auch das ist ein wichtiges Zeichen
für die Bürgerinnen und Bürger in unserem Land .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Mit dem Gesetzespaket bekennen wir uns genauso
klar und deutlich zur Aufnahme und Integration derje­
nigen, die schutzwürdig sind und dauerhaft hier bleiben
werden . Das, meine Damen und Herren, werden viele
sein, sehr viele . Die Anerkennungsquoten, gerade was die
Anerkennung mit einem Flüchtlingsstatus betrifft, sind
hoch . Die Schutzbedürftigen, die bleiben werden, sollen
hier nicht nur irgendwie geduldet werden, im rechtlichen
und im immateriellen Sinne; sie sollen hier auch voll an­
genommen werden . Sie werden unsere Nachbarn und
Mitbürger sein .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Wir öffnen für sie sehr früh die Integrationskurse . Wir
erweitern das Angebot von Sprachkursen . Wir lockern
das Leiharbeitsverbot für Asylbewerber . Neben der Spra­
che ist Arbeit der Schlüssel zur Integration . Diejenigen
mit guter Bleibeperspektive sollen bereits frühzeitig
Leistungen der aktiven Arbeitsförderung erhalten, damit
sie schnell in den Arbeitsmarkt integriert werden können .

Liebe Kolleginnen und Kollegen, Integration hat zwei
Richtungen . Wenn wir mit unseren Bürgern über eine
Willkommenskultur sprechen, müssen wir von denen,
die zu uns kommen, auch eine Anerkennungskultur ein­
fordern .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Was meine ich damit? „Anerkennungskultur“ bedeutet,
dass die zu uns kommenden Menschen unsere Rechts­
und Werteordnung akzeptieren und einhalten . Dazu ge­
hört, dass man gegenüber Behörden seinen richtigen Na­
men sagt und zutreffend beschreibt, aus welchem Land
man kommt .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Bundesminister Dr. Thomas de Maizière






(A) (C)



(B) (D)


Dazu gehört, dass man sich nicht prügelt . Dazu gehört,
dass man Geduld hat . Dazu gehört, dass man andere
Menschen respektiert – unabhängig von Religion und
Geschlecht .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Genauso gilt: Jeder, der hierherkommt, hat das Recht,
friedlich, respektvoll und menschenwürdig behandelt zu
werden .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Den rechtsextremen Pöbeleien und der stark gestiegenen
Zahl von Straftaten bis hin zum Mordversuch treten wir
politisch und mit aller Härte des Rechtsstaats entgegen .


(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Viele der gerade beschriebenen Grundsätze gelten
auch für Europa . Wir haben eine gemeinsame humani­
täre Verpflichtung in Europa und eine Verpflichtung, das
von uns selbst gesetzte Recht anzuwenden . Der Rat der
europäischen Innenminister hat in der letzten Woche
beschlossen, 120 000 Flüchtlinge, vor allem aus Italien
und Griechenland, innerhalb der EU zu verteilen . Diese
Entscheidung, die gegen harten Widerstand durchgesetzt
werden konnte, zeigt: Europa ist und bleibt handlungs­
fähig . Sicher: Das war nur ein erster Schritt .


(Rüdiger Veit [SPD]: Genau!)


Aber damit senden wir auch eine Botschaft nach außen:
Wer nach Europa flüchtet, kann sich sein Zielland in
Europa nicht einfach aussuchen .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge­ ordneten der SPD)


Ich bin davon überzeugt: Wir brauchen ein einheitli­
ches EU­Asylrecht, auch bei Verfahren und Leistungs­
standards .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge­ ordneten der SPD)


Europa mag im Moment vielleicht auch Teil des Pro­
blems sein; aber nur Europa wird Teil der Lösung sein
können .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Nach meiner persönlichen Meinung müssen wir uns in
der Europäischen Union zu festen, großzügigen Kontin­
genten für die Aufnahme von Flüchtlingen verpflichten,
die dann auch eine Begrenzung der Aufnahmefähigkeit
bilden . Ich freue mich, dass darüber jetzt eine konstrukti­
ve Debatte stattfindet, sogar bei den Grünen im Europa­
parlament .

Wir brauchen aber nicht nur nationale und europäi­
sche Antworten . Wir werden keines der Probleme auf der
Welt lösen können, indem wir unbegrenzten Zuzug nach
Europa erlauben und diesen einfach nur besser organi­
sieren . Hier ist die Staatengemeinschaft insgesamt gefor­
dert . Wir müssen die Fluchtursachen angehen und dazu
beitragen, dass sich nicht noch mehr Menschen auf den

Weg machen . Die europäischen Staats­ und Regierungs­
chefs haben sich in der vergangenen Woche auf zusätz­
liche Hilfen in Höhe von rund 1 Milliarde Euro für diese
Aufgaben geeinigt .


(Rüdiger Veit [SPD]: Das reicht nicht!)


Die Transitländer brauchen mehr Unterstützung, sowohl
außerhalb als auch innerhalb Europas . Die EU wird neue
Wege gehen müssen, auch im Verhältnis zur Türkei; ich
kann und will das hier heute nicht vertiefen .

Meine Damen und Herren, was sollen wir tun, und
was können wir tun? Beide Fragen gehören zusammen .
Unser bisheriges System war nicht auf einen solchen
Andrang an Menschen ausgelegt . Im September sind so
viele Flüchtlinge nach Deutschland gekommen wie seit
Jahrzehnten nicht mehr in einem einzigen Monat . Wir
haben unsere Organisation und das Recht nun auf die ak­
tuelle Lage eingestellt . Ob das reicht, wird man sehen .
Es geht jetzt nicht um Formblätter und nicht um große
Scheindebatten, sondern um Handeln an vielen Stellen,
mit vielen Händen und auf allen Ebenen – nicht nur in
der Politik . In dieser Phase unserer Geschichte richtet
sich die Aufgabe an alle . Wir brauchen Menschen, die
mitmachen – überall in unserem Land . Wir brauchen Ein­
fühlungsvermögen für die, die zu uns kommen . Aber wir
müssen auch klare Erwartungen an sie richten . Wir müs­
sen die echten Sorgen ernst nehmen und diejenigen in die
Schranken weisen, die unser Land radikalisieren wollen .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wir werden Mut, Geduld und Ausdauer brauchen, und
wir brauchen eine Politik, die großzügige, vernünftige
und harte Entscheidungen treffen kann . Dieser Gesetz­
entwurf ist ein wichtiger Teil davon . Ich bitte um zügige
Beratung und Zustimmung .


(Anhaltender Beifall bei der CDU/CSU – Beifall bei der SPD)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1812700100

Das Wort erhält nun der Kollege Gregor Gysi für die

Fraktion Die Linke .


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. Gregor Gysi (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1812700200

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es stellt

sich wieder einmal heraus: Erst wenn Probleme gravie­
rend werden, sucht eine Regierung auch nach Lösungen
und geht Schritte, die zu einem großen Teil richtig und
wichtig sind, zumindest was die Richtung der Schritte
betrifft . Aber wir haben das schon seit Jahren beantragt –
ohne jede Reaktion .


(Lachen bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


– Ich werde es Ihnen gleich belegen . Wollen Sie ein Bei­
spiel hören? Herr Kahrs, da Sie ja nie etwas zur Kennt­
nis nehmen, nenne ich es Ihnen einmal: Wir haben seit
Jahren gefordert, 0,7 Prozent des Bruttoinlandprodukts,

Bundesminister Dr. Thomas de Maizière






(A) (C)



(B) (D)


wie es die UNO vor 45 Jahren beschlossen hat, endlich
für Entwicklungshilfe zur Verfügung zu stellen . Sie ha­
ben das immer abgelehnt . Wir sind bei 0,4 Prozent . Jetzt
sagt die Bundeskanzlerin vor der UNO: Wir gehen auf
0,7 Prozent . – Das hätten wir schon seit Jahren machen
können, Herr Kahrs, auch als Sie führend regiert haben .


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord­ neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Trotzdem – ich sage es noch einmal – ist das ein Schritt
in die richtige Richtung . Es gibt allerdings auch Schritte
in die falsche Richtung . Das ist wieder eine Mischung
gewesen, die Sie da mit den Länderministerpräsidenten
verabredet haben .

Woher kommen die Flüchtlinge? Sie kommen aus
nordafrikanischen Ländern und aus Ländern neben Nord­
afrika, vor allem Syrien, dem Irak und Afghanistan . Was
den Krieg in Afghanistan angeht, haben wir Ihnen gleich
gesagt, dass er falsch ist . Sie sind mit dieser Politik voll­
ständig gescheitert .


(Beifall bei der LINKEN)


Nichts in Afghanistan ist besser . Jetzt haben die Tali­
ban sogar Kunduz erobert . Jetzt soll es wieder zurück­
erobert werden . Das heißt, es hat sich auch an den Herr­
schaftsstrukturen so gut wie nichts geändert . Ich sage
es Ihnen ganz klar: Woran erinnert uns Kunduz? Auch
unsere Soldaten haben da Zivilisten getötet: Kinder und
Frauen .


(Zuruf von der CDU/CSU: Bitte? Unver­ schämt, Herr Gysi!)


Und auch unsere Soldaten wurden getötet, verletzt und
sind traumatisiert . Das ist das Ergebnis des Afghanistan­
Krieges . Genau das hätte man verhindern müssen – drin­
gend verhindern müssen .


(Beifall bei der LINKEN – Widerspruch bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


In Syrien herrscht seit 2011 Krieg . Es gibt einen Kon­
flikt zwischen den USA und Russland. Obama will Assad
stürzen, Putin will es nicht . Aber wer führt den Kampf
gegen den „Islamischen Staat“, die weltweit schlimms­
te Terrororganisation, eigentlich am Boden? Es sind die
Truppen von Assad und die Kurdinnen und Kurden . Aber
die Kurdinnen und Kurden werden von der Türkei bom­
bardiert . Das ist ein NATO­Partner . Sie aber sagen fast
nichts dagegen . Auch das ist nicht hinnehmbar .


(Beifall bei der LINKEN)


Wahr ist: Assad ist ein Tyrann . Trotzdem kann und
muss man mit ihm reden, wenn man Frieden in Syrien
will . Johannes Kahrs hat mich im Rahmen der Kanzler­
debatte, als ich vorschlug, mit Assad zu reden, wie ver­
rückt beschimpft – lautstark . Nun schlägt genau dies aber
auch ein Mitglied seiner Fraktion, Herr Steinmeier, vor .
Nun schlägt es auch die Bundeskanzlerin Merkel vor . Da
meckern Sie nicht, Herr Kahrs . Das heißt, Ihnen geht es
nicht um Inhalt, sondern um Personen; das ist damit be­
legt .


(Beifall bei der LINKEN)


Auch mit dem König von Saudi­Arabien wird geredet .
Was ist das für ein Mann? Er lässt auspeitschen . Dort gibt
es nicht nur die Todesstrafe an sich, was schon schlimm
genug ist, sondern sogar die Todesstrafe für Jugendli­
che . Ein 17­Jähriger ist gerade zum Tode verurteilt wor­
den . Außerdem steht Homosexualität unter Todesstrafe .
Saudi­Arabien führt Krieg gegen den Jemen; das ist üb­
rigens auch völkerrechtswidrig . Vor zwei oder drei Tagen
ist dort eine Hochzeitsgesellschaft bombardiert worden .
Es gab weit über 100 Tote; Kinder und Frauen waren
darunter . Was aber machen wir? Wir liefern Waffen an
Saudi­Arabien . Wann stellen Sie diese Verträge eigent­
lich endlich einmal ein?


(Beifall bei der LINKEN)


Ich sage Ihnen in Bezug auf die Flüchtlinge noch et­
was: Vor dem Krieg gegen Afghanistan hatten wir relativ
wenige Flüchtlinge aus Afghanistan . Jetzt haben wir sehr
viele . Im Augenblick haben wir noch wenige Flüchtlinge
aus dem Jemen . Aber wenn Saudi­Arabien weiter Krieg
gegen den Jemen führt, werden wir viele, Tausende,
Abertausende Flüchtlinge aus dem Jemen bekommen .
Daran wird doch eines deutlich: Man muss die Ursachen
der Flucht bekämpfen . Das ist das Entscheidende .


(Beifall bei der LINKEN)


Das heißt, dass wenigstens die Waffenexporte an
Saudi­Arabien, an Katar und in Krisengebiete – wenn
nicht sogar Waffenexporte generell – unterbunden wer­
den müssen .

Wir müssen aber auch etwas gegen Hunger, Not und
Armut tun . Ich will Ihnen sagen, wovon wir in Euro­
pa gelebt haben, auch wenn das viele nicht wahrhaben
wollen: Wir haben in Europa davon gelebt, dass man in
Afrika nicht wusste, wie wir leben . Wir haben alle die
Bedeutung der technischen Revolution durch die Digi­
talisierung des Lebens unterschätzt . Jetzt weiß man auch
in Afrika, wie wir leben . Da entstehen Fragen, und zwar
Fragen, die auch zur Flucht führen . Wenn wir Hunger,
Not und Armut also nicht wirksam bekämpfen, kann uns
das Ganze überfordern .

Ich nenne Ihnen ein Beispiel: Wir subventionieren
Lebensmittel . Das kann für uns hier in Deutschland und
Europa richtig sein . Aber subventionierte Lebensmittel
nach Afrika zu exportieren, ist eine Frechheit, weil wir
das Entstehen einer eigenen Landwirtschaft in Afrika da­
mit verhindern . Das kann nicht unsere Aufgabe sein .


(Beifall bei der LINKEN – Max Straubinger [CDU/CSU]: Stimmt doch gar nicht!)


Jetzt kommen viele Flüchtlinge aus den Lagern in
den verschiedenen Ländern . Vor einem Jahr habe ich die
Lager in Nordirak und in Syrien besucht . Ich verstehe,
warum sie kommen . Ich habe mir die Situation dort an­
gesehen . Es ist eine große Zahl . Wissen Sie, dass die Mit­
tel für diese Lager reduziert wurden? Pro Flüchtling gibt
es pro Tag 50 Cent . Auch Deutschland hat seine Hilfe
reduziert . Auch die Europäische Union hat die Mittel re­

Dr. Gregor Gysi






(A) (C)



(B) (D)


duziert . Jetzt haben sie sie aufgestockt . Das ist ein Schritt
in die richtige Richtung .


(Christine Lambrecht [SPD]: Wir haben nichts reduziert! – Johannes Kahrs [SPD]: Deutsch­ land hat nicht reduziert! Grober Unfug!)


Das muss verstetigt werden, sonst dürfen wir uns nicht
wundern, dass die Flüchtlinge auch von dort fliehen und
zu uns kommen . Die Zahl der Flüchtlinge ist sehr groß .
In diesem Jahr sind es über 800 000 . Ich danke allen Bür­
gerinnen und Bürgern, die dort eine sehr fleißige ehren­
amtliche Arbeit leisten .


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord­ neten der SPD)


Ich sage Ihnen auch: Wir dürfen das nicht überziehen .
Der Bund muss schnell Hilfe leisten, damit die Stim­
mung nicht kippt . Die Bundeswehr – das fällt mir auf –
hat doch so viele Kasernen. Ich finde, sie könnten doch
beim Bettenaufstellen, beim Aufstellen der Zelte, helfen .


(Zurufe von der CDU/CSU: Macht sie doch! – Christine Lambrecht [SPD]: Herzlich will­ kommen im Leben!)


– Ja, ich weiß . Da können sie mehr helfen . Das ist viel
nützlicher, als in Afghanistan Krieg zu führen, wenn ich
das einmal sagen darf, auch wenn Sie sich aufregen . Bei
der Registrierung dürfen sie nicht helfen, da das eine
hoheitliche Aufgabe ist . Da sind sie wieder falsch ein­
gesetzt .


(Zuruf von der CDU/CSU: Einmal Zeitung lesen!)


Die Kehrseite: Es gibt tatsächlich besorgte Bürgerin­
nen und Bürger .


(Christine Lambrecht [SPD]: Tatsächlich?)


Wir haben die Aufgabe, abstrakte Ängste abzubauen .
Es gibt aber vor allem Rechtsextremismus und Rechts­
populismus von AfD bis Nazis, die versuchen, Ängste
zu schüren, zu vereinnahmen und zu radikalisieren . Über
60 Anschläge auf Asylunterkünfte sind beschämend . Da­
gegen muss entschieden vorgegangen werden .


(Beifall bei der LINKEN)


Aber auch die offizielle Politik, vor allem die CSU
aus Bayern, betätigt sich als Stichwortgeberin . Ich habe
im Bayerischen Fernsehen erlebt, wie ein Iraner, der in
Bayern lebt, erklärte, dass er vor zwei Jahren einen Asyl­
antrag gestellt hat . Bis heute hat er keinen Bescheid .


(Max Straubinger [CDU/CSU]: Das hat aber mit Bayern nichts tun!)


Darum sollte sich Seehofer kümmern, nicht um Orban –
um das auch einmal ganz klar zu sagen .


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord­ neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Die Überlegungen von Orban und Seehofer, wie man
Flüchtlinge verhindert, ist nicht nur inhuman, sondern
sie geht auch nie auf . Flüchtlinge lassen sich von Zäunen
nicht aufhalten .

Seit Jahren fordern wir für die ärmeren Schichten
unserer Bevölkerung Dinge wie Wohnungsbau, eine an­
dere Arbeitsmarktpolitik, insbesondere die Überwindung
der prekären Beschäftigung und vieles mehr . Das gilt so­
wohl für die Flüchtlinge als auch für die armen Schich­
ten unserer Bevölkerung . Wir fordern das immer für alle .
Anders geht es nicht .


(Beifall bei der LINKEN)


Wir brauchen – das sagen wir auch seit Jahren – mehr
Lehrerinnen und Lehrer, mehr Erzieherinnen und Er­
zieher . Das Kooperationsverbot aus dem Grundgesetz
muss weg, damit der Bund sich darum kümmern kann,
und zwar sowohl für unsere Bevölkerung als auch für die
Flüchtlinge . Anders wird es nicht gehen .


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1812700300

Herr Kollege Gysi .


Dr. Gregor Gysi (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1812700400

Ich bin fast fertig . Ein Satz noch, Herr Bundestags­

präsident .


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Nein, fertig! In jeder Richtung!)


Die Kopfpauschale von 670 Euro pro Flüchtling ist
wichtig, aber es reicht nicht . Es muss eigentlich mehr
sein . Aber das ist nicht mein Hauptanliegen . Mein Haupt­
anliegen ist, dass zum Abschluss des Asylverfahrens die
Zahlung beendet wird . Was ist mit all den Geduldeten,
denen, die kein Asyl bekommen, aber auch nicht wegge­
schickt werden können? Das sollen die Kommunen und
Länder alleine bezahlen? Wie sollen sie das denn ma­
chen? Lassen Sie sich noch eins sagen: Es gibt Flüchtlin­
ge, die kann man nicht in gute und schlechte unterteilen .
Wir müssen in erster Linie die Fluchtursachen bekämp­
fen .


(Beifall bei der LINKEN – Ulli Nissen [SPD]: Das ist ja was völlig Neues!)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1812700500

Christine Lambrecht ist die nächste Rednerin für die

SPD­Fraktion .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Christine Lambrecht (SPD):
Rede ID: ID1812700600

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her­

ren! Ich kann gar nicht anders, als auf das kurz erwidern,
was Herr Gysi von sich gegeben hat .


(Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Nein! – Volker Kauder [CDU/CSU]: Nein, es lohnt nicht!)


Herr Gysi, in der ganzen Rede haben Sie nur über
Saudi­Arabien, über Afghanistan, über Homosexualität
in Saudi­Arabien, über Katar, über das 0,7­Prozent­Ent­
wicklungsziel gesprochen . Das alles sind wichtige The­

Dr. Gregor Gysi






(A) (C)



(B) (D)


men, über die man sicherlich reden könnte; auch in dieser
Form und in einer solchen Debatte .


(Matthias W . Birkwald [DIE LINKE]: Flucht­ ursachen!)


Aber Sie haben kaum ein Wort darüber gesagt, wie die
tatsächliche Situation in unserem Land momentan ist .


(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Diese Ignoranz von Ihnen kann ich überhaupt nicht mehr
in Worte fassen . Vielleicht wäre es ganz gut, wenn Sie
sich statt mit der großen Weltpolitik mit der Situation vor
Ort befassen würden, mit dem Bürgermeister reden oder
vielleicht mit Herrn Ramelow, Ihrem Ministerpräsiden­
ten in Thüringen . Wenn der heute hier gesprochen hätte,
hätte sich das sicherlich völlig anders angehört .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Meine Damen und Herren, seit Wochen erreichen uns
Bilder von Menschen, die aus ihren Heimatländern flie­
hen; Menschen, die großes Leid und Strapazen auf sich
nehmen, weil sie dort, wo sie lebten, nicht mehr leben
können; Menschen, die hoffen, in Europa eine Zuflucht
zu finden und eine Chance zu bekommen, hier ihr Leben
zu gestalten .

Abstrakt wissen wir, was diese Menschen auf sich
nehmen . Wenn man dann aber einem 17­jährigen jun­
gen Mann gegenübersteht, der erzählt, wie er auf seiner
Flucht aus Eritrea vor Gewalt und Verfolgung tagelang
ohne Wasser durch die Wüste geirrt ist, wie er von be­
trunkenen Schleppern verprügelt wurde und noch vieles
andere mehr erlebt hat, dann wird deutlich, welche Di­
mension dieses Leid wirklich hat .

Ich habe einen solchen Jungen in meinem Wahlkreis
in einer Intensivklasse kennengelernt . Dieser Junge ist
kein Einzelfall . Obwohl Abraham aus Eritrea erst kur­
ze Zeit in Deutschland lebt, hat er mir von seinen Er­
lebnissen auf Deutsch erzählen können . Er ist hochmo­
tiviert in einer Klasse mit 60 jungen Menschen, die mit
Begeisterung Deutsch lernen und die Chance ergreifen
wollen, hier ihre Ausbildung zu machen, um sich dann
irgendwann ihren Lebensunterhalt verdienen zu können .
Sie sind auf dem besten Weg dorthin . Abraham macht
mittlerweile eine Ausbildung bei einem Optiker .

Ich denke, wir sind uns alle darin einig, dass der von
mir angesprochene junge Mann stellvertretend für viele,
die ein ähnliches Schicksal erlitten haben, eine Perspek­
tive haben muss, hier bei uns zu bleiben; eine Perspekti­
ve, hier seine Ausbildung zu beenden; eine Perspektive,
hier einer Erwerbsarbeit nachzugehen, von der man le­
ben kann . An dieser Stelle sage ich zur Klarstellung noch
einmal ganz deutlich: Allen Forderungen nach einer Aus­
setzung des Mindestlohns für Flüchtlinge erteilen wir
Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten eine klare
Absage .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Wir werden nicht zulassen, dass in diesem Land Gering­
verdiener und Flüchtlinge gegeneinander ausgespielt
werden . Das wird es mit uns nicht geben .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Für die Perspektive eines selbstbestimmten Lebens ist
es wichtig, dass ein schnellerer Zugang zu Sprach­ und
Integrationskursen für Menschen mit einer guten Blei­
beperspektive beschlossen wird . Daran machen wir uns
jetzt . Wir regeln das mit diesem Gesetz; denn Sprach­
kenntnisse sind das A und O für eine gelungene Integ­
ration . Wir sorgen dafür, dass Menschen durch ein mög­
lichst kurzes Verfahren bald wissen, ob sie in ihre Heimat
zurückkehren müssen oder ob sie hier eine Perspektive
haben .

Dazu müssen wir Maßnahmen ergreifen, die das eine
oder andere Mal schwerfallen . Dazu gehört die Fest­
stellung, dass Länder, die sich bereits im Verfahren zur
Aufnahme in die Europäische Union befinden, sichere
Herkunftsstaaten sind, wie Albanien, Kosovo und Mon­
tenegro .


(Dr . Gregor Gysi [DIE LINKE]: Warum braucht man dann die Bundeswehr im Koso­ vo?)


Dazu gehört genauso, dass Menschen, die hier kein Blei­
berecht bekommen, rückgeführt werden und diese Rück­
führung konsequent durchgesetzt wird . Das muss man
klar ansprechen .

Es geht darum, die Balance zu halten: einerseits der
humanitären Verpflichtung nachzukommen, Menschen,
die aus Not geflohen sind, wie der junge Mann, den ich
beschrieben habe, hier eine Perspektive zu geben, ande­
rerseits aber all denen, die kein Bleiberecht haben, die
klare Ansage zu machen, dass sie nicht hierbleiben kön­
nen . Ich glaube, diese Balance haben wir in diesem Ge­
setzentwurf gut hinbekommen, mit dem einiges auf den
Weg gebracht wird .

Meine Damen und Herren, ja, wir nutzen Immobilien
des Bundes dafür, dass dort Flüchtlinge untergebracht
werden können, in Zukunft auch zu ganz geringen Mie­
ten oder sogar kostenfrei für die Kommunen . Wir unter­
stützen die Kommunen bei der Unterbringung; denn sie
leisten die Hauptaufgabe dieser Integrationsarbeit . Wir
unterstützen die Kommunen durch noch mehr Geld . Das
ist auch richtig so; denn vor Ort spielt die Musik, und
dort muss alles umgesetzt werden .

Ich will die Gelegenheit nutzen, Danke zu sagen . Ich
möchte ausdrücklich auch Ihnen, Herr Minister, dan­
ken, dass Sie am Montag all jenen THW­Helferinnen
und ­Helfern gedankt haben, die ehrenamtlich zum Bei­
spiel dafür sorgen, dass vor Ort, wo es darauf ankommt,
Unterkünfte entsprechend ausgestattet und Sprachkurse
angeboten werden .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Mich als Vizepräsidentin des THW freut das besonders .

Christine Lambrecht






(A) (C)



(B) (D)


Ich möchte aber auch all denjenigen Danke sagen, die
momentan im öffentlichen Dienst einen richtig guten Job
machen und nicht nur Dienst nach Vorschrift . Dafür ist
momentan nämlich nicht der richtige Zeitpunkt .

Mein ausdrücklicher Dank gilt auch all denjenigen,
die für die Polizei arbeiten, den Polizistinnen und Polizis­
ten, die momentan wirklich eine schwere Aufgabe haben .
Sie müssen neben ihrer normalen Arbeit auch noch dafür
sorgen, dass Schwierigkeiten und Auseinandersetzungen
in Flüchtlingsunterkünften geregelt werden . Sie müssen
sich gegen Anfeindungen und Gewalt von Rechten weh­
ren . All denen möchte ich ein herzliches Dankeschön für
ihr Engagement sagen .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU so­ wie bei Abgeordneten der LINKEN)


Meine Damen und Herren, mit diesem Gesetzentwurf
bekennen wir uns zu unserer humanitären Verpflichtung
gegenüber Menschen in Not, gegenüber Menschen auf
der Flucht, aber wir schaffen auch die Voraussetzungen
dafür, dass die konkrete Umsetzung des Gesetzes vor Ort
gelingen kann .

Herzliches Dankeschön .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge­ ordneten der SPD)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1812700700

Katrin Göring­Eckardt ist die nächste Rednerin für die

Fraktion Bündnis 90/Die Grünen .


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜ­ NEN)


Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das
Gesetzespaket, das uns heute hier vorliegt, ist in der Tat
ein großer Schritt für die Länder und für die Kommunen
in Deutschland . Monate­, ja jahrelang, muss man sagen,
hat sich die Bundesregierung vor dieser Verantwortung
gedrückt . Ich erinnere daran: Es waren nicht mehr als
10 Prozent, die der Bund für die Unterbringung gezahlt
hat . Es ist wirklich gut, dass sich das endlich ändert .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)


Dass wir, die Länder und natürlich vor allen Dingen die
Verhältnisse Sie dazu zwingen mussten – Schwamm
drüber! Aber ich finde, es muss auch klar sein: Das ist
hier jetzt eine gemeinsame Anstrengung, und es ist keine
Wohltat des Bundes für die Länder . Wenn man gemein­
sam Verantwortung übernimmt, dann heißt „gemeinsam“
eben auch „gemeinsame Finanzierung“ . Das wird jetzt
endlich nachgeholt . Vieles von dem, was wir an Chaos
und Schwierigkeiten haben, hätte vermieden werden
können, wenn es schon früher geschehen wäre .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Nach monatelanger Kritik am BAMF präsentieren
Sie uns jetzt mit Herrn Weise endlich einen Profi. Auch
das ist gut . Die Beschleunigung der Verfahren und der
Bearbeitung der unerledigten Fälle sind wirklich zent­

ral, wenn die Not in den Kommunen gelindert werden
soll . Dass Sie es wieder handwerklich vergeigt haben
und Herr Weise nun doch nicht Präsident werden kann,
ist eine weitere Perle in der langen Kette von Versagen,
Verdaddeln, Verpassen des BMI . Aber sei es drum! Die
Kommunen haben bisher den Preis bezahlt . Ich hoffe
sehr, dass Herr Weise jetzt flotte Fahrt macht und es ge­
lingt . Ich sage Ihnen aber auch: Wir werden sehr darauf
achten, ob das wirklich geschieht . Wir hätten Herrn Wei­
se und seine Mitarbeiter nämlich gerne um weitere Auf­
gaben erleichtert . Wir hätten ihn gerne um die Altfälle
erleichtert .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Wir hätten seine Mitarbeiter gerne um die Widerrufsver­
fahren erleichtert, die spätestens drei Jahre nach einer
Entscheidung durchgeführt werden müssen . Gar nicht
als Drohung, sondern nur als freundlich helfenden Hin­
weis – ich bin ja ein freundlicher Mensch – sage ich Ih­
nen: Das werden wir von den Grünen dem Bund und den
Ländern für den Fall, dass das mit der Beschleunigung
der Verfahren nicht klappt, wieder auf den Tisch legen;
denn daran hängt sehr viel .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Meine Kolleginnen und Kollegen, es ist gut, dass die
im Bundestag vertretenen Parteien und die von ihnen
geführten Landesregierungen einschließlich des thürin­
gischen und des bayerischen Ministerpräsidenten einen
Kompromiss erzielt haben . Ich glaube, das ist ein gutes
Signal an die Bevölkerung . Wer aber meint, dass man
Parteien am rechten Rand dadurch verhindern könnte,
dass man ihre Parolen übernimmt, der hält diese Parolen
nicht klein, sondern gibt ihnen Nahrung .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Falsche Toleranz hat Pegida in Sachsen erst stark ge­
macht . Appeasement auf dem Rücken der Flüchtlinge
funktioniert nicht, auch nicht in Bayern . Dass die AfD
dort jetzt in Umfragen bei 5 Prozent liegt, meine Damen
und Herren, ist kein Zufall . Wer die rechten Geister ruft,
der wird sie nicht los und bringt sie auch nicht wieder
zurück in die Flasche .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Und wer Ressentiments schürt, der gefährdet den in­
neren Frieden mutwillig . Das gilt für Herrn Seehofer; das
gilt aber leider in diesen Tagen auch für Julia Klöckner


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Widerspruch bei der CDU/CSU)


– ja! –, die versucht, mit ein paar markigen Sprüchen
gegen Muslime, und zwar pauschalster Art, Wahlkampf
in Rheinland­Pfalz zu machen . Das ist billig, das ist ge­

Christine Lambrecht






(A) (C)



(B) (D)


fährlich . Und ich sage Ihnen ehrlich: So wird man auch
kein Land regieren können .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Mi­ chael Grosse­Brömer [CDU/CSU]: Ihre Angst vor dem Wahlkampf wird deutlich!)


Recht und Werte einhalten, das ist selbstverständlich .
Aber – wie an diesem Pult schon gesagt – es wird viele
Konflikte geben. Es wird Konflikte geben, wenn es um
die Rolle der Frau geht . Es wird an vielen anderen Stellen
Konflikte geben, auch weil man Religion anders betrach­
tet, als die meisten von uns das tun. Aber die Konflikte
kann man nicht lösen, indem man Ressentiments schürt .
Der Innenminister hat eben von Einfühlungsvermögen
und von Klarheit gesprochen . Ich würde mir sehr wün­
schen, dass beides gilt, und zwar auch für Julia Klöckner .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)


Es gibt positive Punkte im vorliegenden Gesetzespa­
ket . Ich bin froh – das will ich ausdrücklich sagen –, dass
ein Beschäftigungskorridor für den Westbalkan vorgese­
hen ist . Das öffnet die Tür zu einem Einwanderungsge­
setz, jedenfalls ein kleines Stück . Sie können sich sicher
sein: Wir werden den Fuß in dieser Tür lassen . Endlich
können auch Menschen jenseits der Mangelberufe kom­
men . Aus diesem Einwanderungskorridor muss aber
dann endlich ein modernes Einwanderungsgesetz wer­
den . Es ist wirklich nur ein erster kleiner Schritt .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Man darf aber auch nicht drum herumreden . Sie
versuchen, das Asylrecht an verschiedenen Stellen zu
schwächen, und zwar auf Kosten der Flüchtlinge . Ich
will nicht auf den sicheren Herkunftsländern als Sym­
bol oder als Ideologie herumreiten . Aber wie sicher ist
denn der Kosovo, wenn im Rahmen des KFOR­Einsat­
zes 700 Bundeswehrsoldaten stationiert sind? Die Re­
solution 1244 des UN­Sicherheitsrates, die wir hier im
Bundestag beraten haben, spricht – ich zitiere – „von
einer ernsten humanitären Lage“ . Der Einsatz habe den
Zweck, für eine – ich zitiere – „sichere und freie Rück­
kehr aller Flüchtlinge und Vertriebenen in ihre Heimat zu
sorgen“ . Nach dieser Resolution hat sich die Lage im Ko­
sovo nicht verbessert – wie denn auch? –, sonst müssten
wir die Bundeswehrsoldaten ja abziehen .


(Thomas Oppermann [SPD]: Die machen Polizeiausbildung!)


Ich finde, Sie sollten sehr klar sagen, worum es geht. Ge­
rade beim Kosovo sollten Sie nicht einfach sagen: „Das
ist schon sicher“, wenn gleichzeitig die Bundeswehr dort
stationiert ist .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Meine Damen und Herren, Sie haben sehr viel Wert
darauf gelegt, dass Sachleistungen ausgegeben werden .
Ich halte das für einen Vorschlag aus der Mottenkiste . Ich
glaube nicht, dass die Menschen, die im September aus

Syrien, aus dem Nordirak und aus Afghanistan gekom­
men sind, wegen 4,70 Euro am Tag kommen .


(Claudia Roth DIE GRÜNEN]: Ja!)


Wem Sie es aber mit einer solchen Regelung schwer ma­
chen – das ärgert mich an diesem Vorschlag in besonde­
rer Weise –, das sind die Helfer vor Ort, die Sie hier die
ganze Zeit gelobt haben und bei denen Sie sich die ganze
Zeit bedankt haben . Die sollen jetzt neben Betten aufstel­
len, neben Essensversorgung und neben Streitschlichten
auch noch Deo und Zigaretten verteilen .


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Zigaretten sol­ len sie nicht verteilen!)


Ich glaube übrigens, dass die Ihnen sehr schnell sagen
werden, dass das überhaupt nicht geht . Ihr Vorschlag ist
sinnlos und gleichzeitig eine Schikane . Das wird die Pra­
xis deutlich machen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Genauso ist es mit den Leistungskürzungen . Vielleicht
wollten Sie ja uns ärgern; das können Sie auch machen,
das ist nicht so schlimm . Es ist aber Schikane denjenigen
gegenüber, die das betrifft . Sie sagen: Die Kürzungen
sind unabdingbar notwendig . Wie viel ist das eigentlich?
Soll das jetzt wieder Karlsruhe festlegen?


(Kathrin Vogler [DIE LINKE]: Ja! Karls­ ruhe!)


Ich halte auch das für keinen besonders sinnvollen Vor­
schlag .

Ich will eines zum verlängerten Verbleib in der Erst­
aufnahmeeinrichtung sagen . Herr de Maizière hat gesagt:
Das ist eine harte Maßnahme, die man jetzt durchführen
muss . – Ich bin sehr gespannt, wie das umgesetzt wird .
Ich finde, wir sollten in diesem Zusammenhang über das
reden, was uns in diesen Tagen immer vor Augen geführt
wird: vorgestern Calden, gestern Donaueschingen, dann
Hamburg . Klar: Genauso wenig, wie wir Gewalt von
Rechtsextremen vor Flüchtlingsheimen dulden, dulden
wir sie in Flüchtlingsheimen . Hier muss entsprechend
bestraft und gegebenenfalls auch ausgewiesen werden .


(Beifall des Abg . Johannes Kahrs [SPD])


Aber die Situation in den meisten Erstaufnahmen ist drü­
ckend, und Konflikte sind unvermeidlich. Jetzt sagen Sie:
Bitte noch mehr davon und noch länger . – Einmal abge­
sehen davon, dass das die Länder vor weitere Probleme
stellt: Es verhindert Integration, und es schafft zusätzli­
chen Stress .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Wir sind 630 Kolleginnen und Kollegen in diesem
Haus . Ich habe mir vorgestellt, wie das wäre, wenn wir
alle gemeinsam in einer Messehalle untergebracht wä­
ren – auf Feldbetten, Herr Kauder neben Frau Wagen­
knecht –,


(Heiterkeit)


Katrin Göring-Eckardt






(A) (C)



(B) (D)


und dann würde auch noch jemand sagen: Die Grünen
sind die kleinste Fraktion, die müssen zuerst an die Es­
sensausgabe . – Ich nehme an, es würde alles total fried­
lich und ohne Schreierei abgehen, meine Damen und
Herren .


(Heiterkeit – Volker Kauder [CDU/CSU]: Also, es gibt noch Schlimmeres, um das mal zu sagen!)


– Da bin ich sehr beruhigt . Wir können ja einen Test ma­
chen .


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1812700800

Frau Kollegin, achten Sie bitte auf die Redezeit .


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜ­ NEN)


Ich achte auf meine Redezeit . – Worauf es jetzt an­
kommt, ist in der Tat Integration . Dafür brauchen wir
eine große und eine neue Anstrengung . Das werden wir
alles nicht nebenbei schaffen . Das wird Geld brauchen,
das wird Zeit brauchen, das wird Personal brauchen .

Wir müssen bei den Ursachen ansetzen . Zuallererst
sage ich Ihnen: Ich finde es eine Schande, dass es für das
World Food Programme immer noch keine vollständige
Finanzierung gibt .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Wenn wir dafür nicht sehr schnell sorgen, dass sich das
ändert – die Menschen zum Beispiel in dem Lager in Zaa­
tari haben uns schon vor einem Jahr gesagt: wir wissen
noch nicht, wie wir morgen das Essen hier bezahlen sol­
len –, dann müssen wir uns gar nicht wundern, wenn die
Zahl derer, die zu uns kommen, noch viel größer wird .

Insofern ist diese Initiative neben all den innenpoli­
tischen Angelegenheiten vordringlich, absolut zentral .
Machen Sie international, aber auch mit einem deutschen
Beitrag und mit einer Vorleistung deutlich, dass Sie die­
ses Problem sehen, dass Sie das nicht wieder vergessen;
denn sonst wundert sich im nächsten halben Jahr wieder
jemand, dass das Essen nicht reicht und dass es in Lagern
wie diesem große Schwierigkeiten gibt .

Vielen Dank .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1812700900

Für eine Kurzintervention erhält der Kollege Peter

Bleser das Wort .


Peter Bleser (CDU):
Rede ID: ID1812701000

Vielen Dank, Herr Präsident . – Liebe Frau Göring­

Eckardt, ich weiß nicht, ob Sie schon zu Beginn der De­
batte hier anwesend waren


(Katrin Göring­Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja!)


und die Empfehlungen des Präsidenten zur Kenntnis ge­
nommen haben . Jedenfalls bedauere ich sehr, dass Sie
Ihren Auftritt genutzt haben, um Wahlkampf zu machen .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Lachen bei Abgeordneten des BÜNDNIS­ SES 90/DIE GRÜNEN – Zuruf von der LIN­ KEN: Lächerlich!)


Sie diskreditieren eine unserer herausragenden Politike­
rinnen, die sich sehr früh in Rheinland­Pfalz um die In­
tegration von Flüchtlingen gekümmert hat . Als Erste hat
sie einen Flüchtlings­ und Integrationsgipfel initiiert . Sie
hat die Kommunen zusammengeführt .


(Beifall bei der CDU/CSU – Bernd Rützel [SPD]: Wer macht denn hier Wahlkampf?)


Sie hat sich in vielen Besuchen um die Situation der zu
uns kommenden Menschen bemüht . Sie hat sich um sie
gekümmert, und sie hat sich bei Problemen um Abhilfe
bemüht .


(Ulli Nissen [SPD]: „Bemüht“! Wissen Sie, was „bemüht“ heißt?)


Wenn Sie ihr dann unterstellen, dass sie in eine rechte
Ecke rücke, dann ist das eine Unverschämtheit, die ich
mit aller Deutlichkeit zurückweise .


(Beifall bei der CDU/CSU – Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Peinlich!)


Ich möchte Sie dringend bitten, dass wir gerade in
dieser besonderen Situation, in der sich dieses Land jetzt
befindet, solche Unterstellungen unterlassen.


(Christine Buchholz [DIE LINKE]: Dann sollte Frau Klöckner überlegen, was sie sagt!)


Wir sollten zusammenhalten, um die Herausforderungen
im Sinne der zu uns Kommenden, aber auch im Sinne der
heimischen Bevölkerung zu bewältigen .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1812701100

Zur Erwiderung Frau Göring­Eckardt .


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜ­ NEN)


Also, niemals würde ich mich den Empfehlungen des
Präsidenten widersetzen .


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Na, dann blei­ ben Sie jetzt ruhig! – Johannes Kahrs [SPD]: Das war schon mal der erste Fehler!)


Das weiß er auch . Das entspricht überhaupt nicht mei­
nem politischen Umgang in diesem Haus .

Ich habe eigentlich auf genau das eingehen wollen,
was der Präsident am Anfang hier gesagt hat. Ich finde es
rührend, wie Sie hier über Julia Klöckner reden . Das ist
aus Ihrer Sicht sicherlich auch gerechtfertigt . Das müs­

Katrin Göring-Eckardt






(A) (C)



(B) (D)


sen Sie als Rheinland­Pfälzer auch machen . Das dürfen
Sie auch gerne .


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Es nutzt Frau Klöckner nur! Ihr Bekanntheitsgrad steigt noch mehr! Weiter, weiter!)


Aber ich will gerne darauf verweisen, dass ich nicht von
„rechter Ecke“ geredet habe, sehr bewusst nicht .


(Zurufe von der CDU/CSU: Doch, doch!)


– Nein . – Vielmehr habe ich gesagt: Es geht darum, dass
man keine Ressentiments schüren darf, schon gar nicht in
so einer Situation .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LIN­ KEN – Max Straubinger [CDU/CSU]: Das hat sie ja auch nicht! – Arnold Vaatz [CDU/CSU]: Übel! Es wird von Wort zu Wort schwächer! Sie müssen sofort abbrechen! Es wird immer schlimmer!)


Wenn man anfängt, Muslime – erst recht pauschal – zu
verurteilen,


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Das hat sie auch nicht!)


dann wird es gefährlich .


(Arnold Vaatz [CDU/CSU]: Es wird nicht besser!)


Ich habe ein Interview mit Julia Klöckner gehört . Da hat
sie davon geredet, dass das Problem sei, dass ein Imam,
der schon sehr lange hier in Deutschland ist, ihr nicht die
Hand gegeben hat und dass das nicht passieren dürfe .


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS­ SES 90/DIE GRÜNEN – Widerspruch bei der CDU/CSU – Volker Kauder [CDU/CSU]: Das ist aber was Frauenfeindliches!)


– Einen Moment! – Das hat aber mit den Flüchtlingen
nichts zu tun .


(Arnold Vaatz [CDU/CSU]: Meine Güte! – Weitere Zurufe von der CDU/CSU)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1812701200

Einen Augenblick!


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Jetzt muss auch Schluss sein!)



(BÜNDNIS 90/DIE GRÜ­ NEN)

– Ich bin gleich fertig, Herr Präsident . – Das hat etwas
damit zu tun, dass man jetzt versucht, auf dem Rücken
der Flüchtlinge, die hierherkommen, Ressentiments zu
schüren . Ich kann nur davor warnen, und ich warne auch
davor, das in Rheinland­Pfalz zu tun .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Zurufe von der CDU/CSU)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1812701300

Ich erteile das Wort nun dem Kollegen Thomas Strobl

für die CDU/CSU­Fraktion .

Im Übrigen erleichtert es die wechselseitige Verstän­
digung sehr, wenn nicht alle gleichzeitig reden wollen .
Das meiste davon kommt nicht einmal ins Protokoll . –
Thomas Strobl .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Dr . Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Kein Wahlkampf! – Gegenruf des Abg . Volker Kauder [CDU/CSU]: Mann, Mann, Mann, müsst ihr nervös sein! – Gegen­ ruf der Abg . Dr . Petra Sitte [DIE LINKE]: Jetzt redet Ihr Mann!)



Thomas Strobl (CDU):
Rede ID: ID1812701400

Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!

Wir beraten heute die bedeutendste Reform des deut­
schen Asylrechts seit den 1990er­Jahren .


(Dr . Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist aber kein Qualitätsmerk­ mal! – Ulla Jelpke [DIE LINKE]: Das war ein echter Schnellschuss!)


Einen so umfangreichen Gesetzentwurf in so kurzer Zeit
auf den Weg zu bringen, das ist eine gute Leistung, das
ist ein Erfolg .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Das ist eine Gemeinschaftsleistung . Ich bedanke mich
bei den Kolleginnen und Kollegen der SPD­Bundestags­
fraktion, die es nicht immer leicht hatten, für gute und
kluge Beratungen .


(Rüdiger Veit [SPD]: Das bleibt hoffentlich auch noch ein paar Tage so!)


Ich bedanke mich bei den Ländern, die im Bundesrat
zustimmen werden . Mein besonderer Dank gilt einem
Mann, der sich in den letzten Wochen – das möchte ich
wirklich so sagen – abgerackert hat: Herzlichen Dank
dem Bundesinnenminister Thomas de Maizière .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge­ ordneten der SPD)


Der Bundesinnenminister hat in seiner Rede auf zahl­
reiche Neuerungen, die mit diesem Gesetzespaket ver­
bunden sind, hingewiesen . Ich möchte einen Gedanken
herausgreifen, der sich wie ein roter Faden durch dieses
Gesetzespaket zieht: Wir unterscheiden in den Asylver­
fahren zum ersten Mal sehr genau und folgenreich zwi­
schen denen, die unseres Schutzes bedürfen, und denen,
die offensichtlich nicht schutzbedürftig sind . Es geht
nicht nur um die Tatsache, dass wir drei weitere sichere
Herkunftsländer hinzubekommen und damit den gesam­
ten Westbalkan zur sicheren Herkunftsregion erklären .
Das ist für sich genommen schon ein wichtiger Schritt;
wir haben in der Union lange für diesen Schritt gewor­
ben . Neu und richtungsweisend ist insbesondere, dass in
Zukunft eine ganze Reihe von Einschränkungen mit dem
Status „sicheres Herkunftsland“ verbunden sein werden .
Diese Einschränkungen sollen denen, die nicht schutzbe­

Katrin Göring-Eckardt






(A) (C)



(B) (D)


dürftig sind, den Anreiz nehmen, überhaupt einen Asyl­
antrag in Deutschland zu stellen .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wer aus einem sicheren Herkunftsland kommt, bleibt
jetzt in der Erstaufnahmeeinrichtung . Es soll dort kein
Bargeld mehr geben, und es gibt keine Gesundheits­
karte . Die Leistungen werden nach Abschluss des Asyl­
verfahrens deutlich gekürzt, und der Antragsteller wird
direkt aus der Erstaufnahmeeinrichtung in sein Heimat­
land zurückgeschickt . Damit senden wir ein eindeutiges
Signal: Wer keinen Anspruch auf Asyl hat und dennoch
in Deutschland einen Asylantrag stellt, der muss in seine
Heimat zurückgehen, und zwar rasch .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Das ist ein wichtiges Signal in Richtung Westbalkan:
Verkauft nicht euer Haus und euer Auto, um den Schlep­
per und den Schleuser bezahlen zu können .


(Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Wir werden euch schnell wieder zurückschicken . Ihr
werdet schnell wieder da sein, wo ihr hergekommen seid,
nur ihr werdet noch ärmer sein . Es macht keinen Sinn .
Für euch gibt es andere Möglichkeiten, nach Deutsch­
land zu kommen .


(Christine Buchholz [DIE LINKE]: Zyni­ ker! – Weiterer Zuruf von der LINKEN: Sag doch mal, welche!)


Diese Konsequenz muss im Übrigen auch für Flücht­
linge gelten, die sich in den Erstaufnahmeeinrichtungen –
ich werde immer häufiger darauf angesprochen – gewalt­
tätig verhalten. Mir ist nicht begreiflich, wie Menschen,
die vor Verfolgung aus Religionsgründen nach Deutsch­
land fliehen, hier aus denselben Gründen mit Gewalt auf­
einander losgehen können .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Die Integration der Flüchtlinge wird nur gelingen,
wenn wir als aufnehmende Gesellschaft eine klare Vor­
stellung davon haben, was wir brauchen und was wir
nicht brauchen, und wenn wir klare Ansagen machen .
Wir müssen gleich zu Beginn formulieren und konse­
quent durchsetzen, was unsere Gesellschaftsordnung
ausmacht: Das Grundgesetz steht über der Religion .
Frauen und Männer sind gleichberechtigt . Jeder kann le­
ben und lieben, wie er will,


(Zurufe von der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


glauben, was er will, oder auch nicht glauben und seine
Meinung frei äußern, solange er die Gesetze respektiert .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Diese Gesetze macht bei uns in Deutschland nicht der
Prophet, die macht bei uns in Deutschland das Parlament,
meine Damen und Herren .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Ich bitte uns alle, die Entscheidungen, die wir jetzt ge­
meinsam gefunden haben, auch gemeinsam zu vertreten .
Es kann nicht sein, dass ein Teil dieses Hauses allein für

das Mitgefühl und der andere Teil für die harten Maß­
nahmen zuständig ist .

Weil wir den Schutzbedürftigen heute und auch in
Zukunft helfen wollen, werden wir Tausende, vielleicht
Hunderttausende abweisen und zurückschicken müssen,
die nicht schutzbedürftig sind – nicht aus Hartherzigkeit,
sondern aus der Einsicht in die Grenzen unserer Mög­
lichkeiten . Nur wenn es bei uns funktioniert, dann kön­
nen wir auch in Zukunft Schutzbedürftigen helfen .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn wir dieses
Gesetzgebungsvorhaben zum Abschluss gebracht haben,
sollten wir die Menschen nicht in ihren Zweifeln und in
ihrem Unbehagen bestärken . Ja, es ist wahr: Wir stehen
vor einer großen Herausforderung . Aber große Heraus­
forderungen sind nichts Neues in unserer Geschichte .
Wir haben schon andere große Herausforderungen ge­
meistert: vor 25 Jahren die deutsche Einheit; zwei Jahr­
zehnte später drohte unsere Währung, der Euro, zu schei­
tern . Wir haben diese Herausforderungen angenommen,
und wir haben sie gemeistert .

Wir dürfen uns – lassen Sie es mich einmal so sagen –
in dieser Krise durchaus bei unserer patriotischen Ehre
packen lassen .


(Zurufe von der LINKEN: Oh!)


Wenn Deutschland sich in dieser humanitären Notsitua­
tion geschlagen gibt, muss jedes andere Land in Europa
das doch auch tun . Wenn Deutschland aufgäbe, was wür­
den dann die anderen Länder in Europa vermögen? Was
wollen wir anderen Ländern in Europa zumuten, wenn
wir uns selbst nichts zutrauen? Es kommt schon auf uns
an .

Es hat in der vergangenen Woche mit den Beschlüs­
sen der Bundeskanzlerin und der Ministerpräsidenten ein
beeindruckendes Zeichen nationaler Solidarität gegeben .
Jetzt brauchen wir einen weiteren Schritt: Wir brauchen
ein bemerkenswertes Zeichen europäischer Solidarität .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Scheitert Europa an der Flüchtlingsfrage, dann scheitert
Europa insgesamt .

Der heutige Schritt war ein richtiger Schritt . Weite­
re Schritte werden folgen müssen. Ich finde, wir sollten
nicht verzagen, nicht lamentieren und schon gar nicht
kapitulieren . Wir sollten das tun, wofür wir gewählt wor­
den sind: die Ärmel hochkrempeln und unsere Arbeit
machen .

Herzlichen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge­ ordneten der SPD)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1812701500

Ulla Jelpke ist die nächste Rednerin für die Fraktion

Die Linke .


(Beifall bei der LINKEN)


Thomas Strobl (Heilbronn)







(A) (C)



(B) (D)



Ulla Jelpke (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1812701600

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr

Strobl, nur einen Satz zu Ihrer Rede: Sie haben heute
wieder genau diese rassistischen Ressentiments bedient


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord­ neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Lachen bei der CDU/CSU)


mit Ihrer Rede von den richtigen und falschen Flüchtlin­
gen . Zwei Drittel aller Flüchtlinge, die gegenwärtig nach
Deutschland kommen, sind schutzbedürftige Flüchtlin­
ge, die aus Kriegsgebieten kommen . Alle anderen haben
nichtsdestotrotz ein individuelles Recht darauf, nach
unserem Grundgesetz jedenfalls immer noch, hier einen
Antrag auf Asyl zu stellen . Dieser Antrag muss auch in­
dividuell bearbeitet und behandelt werden .


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord­ neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Christine Lambrecht [SPD]: Das will auch niemand abschaffen! Daran will auch niemand was ändern!)


Zweifellos, das Gesetzespaket, das hier heute vorliegt,
hat einen positiven Aspekt: Endlich wird sich der Bund
an der Finanzierung, die die Länder und Kommunen
leisten, beteiligen . Aber wird dies nicht seit anderthalb
Jahren hier diskutiert und gefordert? Sie sind doch mit­
verantwortlich für das Chaos, das in den Kommunen und
in den Ländern entstanden ist, weil Sie diese finanziel­
le Beteiligung viel zu spät in Angriff genommen haben .
Deswegen haben Sie, wie gesagt, eine Mitschuld an der
aktuellen Situation .


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord­ neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ansonsten: Der Gesetzentwurf ist ein ganz gefähr­
licher Mix aus Gesetzesverschärfung, verfassungswid­
rigen Leistungseinschränkungen und Abschreckungs­
maßnahmen . Das ist genau das Gegenteil dessen, was
wir gegenwärtig brauchen. Hier sind häufig genug So­
lidarität, menschenwürdige Aufnahme und Versorgung
der Flüchtlinge eingeklagt worden . Das brauchen wir
jetzt . Alle Kraft muss dafür aufgebracht werden . Aber
was machen Sie stattdessen in diesem Gesetzentwurf?
Flüchtlinge sollen bis zu sechs Monate lang in Erstauf­
nahmelagern eingezwängt werden, einige sogar so lange,
bis sie abgeschoben werden können, und das, obwohl
wir wissen, dass dies zusätzliche Konflikte und übrigens
auch zusätzliche Kosten verursacht . Wir haben gerade
wieder etwas über die Auseinandersetzungen in Flücht­
lingslagern gehört .

Ich frage Sie hier: Warum versperren Sie sich der Mög­
lichkeit, Schutzsuchende einfach auch zu ihren Familien,
Bekannten, Freunden gehen zu lassen? Das betrifft zum
Beispiel viele Menschen, die aus Syrien kommen .


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord­ neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Sie würden dort auch Unterkunft finden. Aber nein, da
ist schon das nächste bürokratische Gesetz in Arbeit . Die
Menschen jedoch haben diesen Wunsch . Sie könnten

sich dann sprachlich besser verständigen und hätten die
Chance, sich leichter zu integrieren .

Völlig verfehlt ist natürlich auch das Vorhaben, be­
stimmten Gruppen das physische Existenzminimum
nicht mehr zu gewähren .


(Stephan Mayer Stimmt doch nicht!)


Das Bundesverfassungsgericht hat hier eindeutige Urtei­
le gefällt und gesagt: Menschenwürde ist nicht verhan­
delbar, auch nicht zum Zweck der Migrationspolitik .


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord­ neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Auch die Ausgabe von Sachleistungen statt Bargeld
ist reine Schikane . Ich würde es sogar bürokratischen
Irrsinn nennen . Es verursacht sogar Mehrkosten . Das ist
längst erwiesen . Der Stammtisch mag ja behaupten, das
Taschengeld von 140 Euro sei ein Anreiz für Flüchtlinge,
aber ich halte das für totalen Unsinn .


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord­ neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Die Menschen kommen, weil sie vor Terror und Bomben
fliehen. Die Menschen kommen vor allen Dingen auch,
weil immer noch Waffen aus Deutschland in diese Län­
der geliefert werden. Davor müssen sie fliehen.

Auch ich war im Irak und habe die Flüchtlingslager
gesehen .


(Zuruf des Abg . Volker Beck [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Es ist eine Katastrophe – auch hier reagieren wir viel zu
spät –, dass dort nur noch einmal am Tag eine Essens­
ration ausgegeben wird und keine gesundheitliche Ver­
sorgung, nicht einmal mehr für Kinder, stattfindet. Es ist
ein Skandal .


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord­ neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen,
Sie haben eine Presseerklärung herausgegeben, in der es
heißt, das, worüber wir hier heute diskutieren, sei eine
tragfähige Grundlage für das weitere Gesetzgebungsver­
fahren . Ich appelliere an Sie: Schauen Sie sich das Gesetz
wirklich genau an . Wenn Sie im Bundesrat zustimmen,
werden wir diese Abschreckungspolitik festigen . Am
schlimmsten finde ich: Es besteht die Gefahr, die Soli­
daritätsbewegung zu ersticken, an der auch Ihre Partei
so stark beteiligt ist. Das würde ich sehr schade finden.


(Beifall bei der LINKEN)


Zum Schluss möchte ich hier noch einmal ganz deut­
lich sagen: Jetzt kommt aus Bayern der Ruf, sogenannte
Transitzentren an den Grenzen einzurichten . Wenn Sie
das umsetzen, dann werden wir an den Grenzen Massen­
lager mit Hunderttausenden haben . Ich sage Ihnen: Diese
Orbanisierungspolitik dürfen wir nicht mitmachen .


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord­ neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)







(A) (C)



(B) (D)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1812701700

Frau Kollegin .


Ulla Jelpke (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1812701800

Ich komme zum letzten Satz . – Diese Flüchtlings­

politik wird den Hetzern von Pegida, AfD und NPD ent­
gegenkommen . Da können wir nur klare Kante zeigen
und unsere Solidarität mit den Flüchtlingen praktizieren .

Ich danke Ihnen .


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord­ neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1812701900

Frau Kollegin Jelpke, es mag sein, dass Sie sich an

einer Stelle versprochen haben . Nur um möglichen Miss­
verständnissen vorzubeugen: In dieser Debatte hat noch
niemand vorgeschlagen, Menschen, die hier leben, das
physische Existenzminimum nicht zu gewähren .


(Sabine Weiss tig! – Jan Korte [DIE LINKE]: Sie hat sich versprochen!)


– Ja; ich vermute ja, dass es so ist . Dann haben wir das
hiermit gleich klargestellt, ohne dass uns das weitere Zeit
kostet .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Nun erteile ich das Wort dem Minister für Inneres und
Sport des Landes Niedersachsen, Herrn Pistorius .


(Beifall bei der SPD)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1812702000

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Her­

ren! Wir haben derzeit mit den seit Generationen größten
Flüchtlingsbewegungen nach Europa und insbesondere
auch nach Deutschland zu tun . Unser Land lebt zu Recht
seit Jahrzehnten das Asylrecht als einen wesentlichen
Teil seiner Staatsräson . Es entspricht unserer histori­
schen Verantwortung, dass wir unser Möglichstes tun,
um Flüchtlingen Sicherheit vor politischer Verfolgung
und Krieg zu gewähren .

Seit Beginn des Jahres haben wir ununterbrochen an­
haltend hohe Flüchtlingszahlen, Zahlen, die mittlerwei­
le – ich wähle dieses Wort ganz bewusst – exponentiell
zunehmen . Bis vor kurzem konnten wir uns die Ankunft
von Menschen in der Größenordnung der letzten Wochen
nicht einmal annähernd vorstellen . Die Flüchtlingspoli­
tik in Deutschland wird dadurch eine enorme, vielleicht
sogar die Herausforderung der nächsten Jahrzehnte . Die
Flüchtlingspolitik in Deutschland ist zu einem Kristalli­
sationspunkt der Zukunft dieses Landes und damit auch
seiner Politik geworden, meine Damen und Herren .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN)


Ich habe immer wieder, auch auf Bundesebene, nach­
drücklich unterstrichen: Wir haben hier eine nationale,

eine gesamtstaatliche, eine gesamtgesellschaftliche Auf­
gabe zu bewältigen . Lassen Sie mich deshalb zunächst
feststellen: Viele Menschen, Haupt­ und Ehrenamtliche
auf allen Ebenen – in den Ländern, in den Kommunen,
im Bund –, leisten Großartiges .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der LINKEN und des BÜND­ NISSES 90/DIE GRÜNEN)


Und noch etwas: Unser Land hat bei der Bewältigung
dieser Aufgabe schon viel, viel mehr geleistet, als von
so manchem Berufspessimisten in diesem Land erwartet .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN)


Allerdings ist es Realismus und nicht Pessimismus,
wenn wir feststellen müssen: Wir sind an einem Punkt
angelangt, an dem wir uns ehrlich sagen müssen: Es gibt
Grenzen der Aufnahmegeschwindigkeit und der Auf­
nahmezahl, selbst trotz des großartigen Engagements in
unserem Land; und damit rede ich nicht der Parole das
Wort, das Boot sei voll . Wir haben eine rechtliche, eine
menschliche Verpflichtung, unser Asylsystem nach allen
Kräften des Staates und der Gesellschaft arbeitsfähig und
funktionsfähig zu halten . Wir müssen begreifen: Unser
Asylrecht kann nur dann effektiv wirken, wenn wir seine
Grenzen respektieren, Grenzen, die trotz aller mensch­
lich möglichen Anstrengungen erkennbar in Teilen er­
reicht und überschritten sind . Deswegen sage ich sehr
deutlich: Der Gesetzentwurf des Bundesinnenministers
schwächt nicht das Recht auf Asyl . Richtig umgesetzt
und richtig beraten kann das Gesetz einen Beitrag dazu
leisten, seine Gewährleistung zu sichern, meine Damen
und Herren .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Auch wenn wir uns verantwortungsethisch verhalten,
verhalten wir uns ethisch . Das sage ich allen, die lei­
der die Augen vor der Realität verschließen . Ein großer
Schritt, ein wichtiger Schritt, aber eben nur ein Schritt
von vielen notwendigen ist das heute hier vorliegende
Gesetzespaket . Ich bin allen Beteiligten, insbesonde­
re der Bundesregierung, den sie tragenden Fraktionen
und den Ministerpräsidenten der Länder, sehr dankbar,
dass sie sich beim Gipfel über Maßnahmen verständigen
konnten, die helfen können und müssen, die Flüchtlings­
politik zu ordnen und zu strukturieren und Länder und
Kommunen finanziell zu entlasten.

Ebenso wichtig wie die finanzielle Entlastung der
Länder und Kommunen ist die zumindest vorüberge­
hende Beseitigung bürokratischer Hindernisse, die die
zügige Inbetriebnahme dringend benötigter Unterkünfte
beinhaltet . Ich sage deshalb auch Danke dafür, dass die
niedersächsische Bundesratsinitiative bereits vor ihrer
Beschlussfassung Umsetzung erfahren hat . Auch das er­
lebt man nicht alle Tage .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Aber, meine Damen und Herren, wo es Licht gibt, da
gibt es auch Schatten . Die Länder müssen sich darauf






(A) (C)



(B) (D)


verlassen können, dass die Bundesregierung die Verab­
redungen des Gipfels umsetzt – nicht mehr und nicht we­
niger . Das heißt, wir müssen getroffenen Vereinbarungen
trauen können .


(Claudia Roth DIE GRÜNEN]: Ja!)


Ich will nur drei Stichpunkte nennen, über die wir wer­
den reden müssen: Ein Aspekt sind die nicht vereinbarten
Verschärfungen beim Zugang zur Härtefallkommission .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Von Bedeutung ist auch die Ermessensausübung, ob
Sachleistungen an die Stelle von Geldleistungen treten –
das ist nämlich keineswegs so, wie sich der eine oder an­
dere das vorstellen mag –; auch darüber wird zu reden
sein .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Der Dreh­ und Angelpunkt ist aber die – entschuldi­
gen Sie den Ausdruck – naive Annahme, man könnte
durch Gesetz beschließen, Menschen länger in Erstauf­
nahmeeinrichtungen zu lassen, weil sie aus sicheren Her­
kunftsstaaten kommen oder Asylfolgeantragsteller sind .
Letzteres ist übrigens ebenfalls nicht Gegenstand der
Vereinbarung von letzter Woche .

Ich sage Ihnen: Ein Blick in die Erstaufnahmeeinrich­
tungen wird Ihnen zeigen, dass sie auf Sicht nicht in der
Lage sind, die weiter hinzukommenden Menschen auf­
zunehmen, und sie sind erst recht nicht in der Lage, die
Menschen, die aus sicheren Herkunftsländern kommen,
bis zu ihrer Rückführung dann auch noch länger bei sich
zu lassen .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD, der LIN­ KEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜ­ NEN)


Das werden wir auf Sicht nicht leisten können, und das
muss allen klar sein .


(Thomas Strobl Noch nicht beschlossen!)


Die Kapazitäten sind erschöpft, und es ist illusorisch,
anzunehmen, dass die Probleme durch niedersächsi­
sche, hamburgische, bayerische oder sogar kommunale
Modelle gelöst werden können . Es ist auch illusorisch,
anzunehmen, dass wir die nächsten Wochen ohne eine
erneute große Kraftanstrengung aller staatlichen Ebenen
bewältigen können . An dieser Stelle übrigens Dank an
die Bundeswehr, die an vielen Standorten hervorragend
unterstützt und ohne die wir viele Dinge nicht mehr leis­
ten könnten .


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Bei Betrachtung dieses Gesetzespakets sage ich: Wir
sind nicht am Ende der Lösung und der Diskussionen,
sondern wir stehen am Anfang einer riesigen Aufgabe .
Deswegen brauchen wir auch das Bekenntnis, dass es

ebenso illusorisch wäre, zu glauben, die größtenteils eh­
renamtlich tätigen Angehörigen der Hilfsorganisationen
könnten noch Monate so weitermachen . Das können sie
nicht . Gleiches gilt für die Hauptamtlichen und für viele
andere mehr .

Es ist auch illusorisch, anzunehmen, dass die Flucht­
ursachen hinreichend bekämpft wären, dass die Unter­
stützung für die Flüchtlingslager im Nahen Osten und die
beschlossenen Maßnahmen der EU auch nur annähernd
ausreichend wären und dass die Verteilung der Flücht­
linge in der EU auch nur ansatzweise befriedigend gelöst
wäre .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Daneben ist es auch illusorisch, anzunehmen – damit
komme ich zum Schluss –, dass wir keinen europäischen
oder bundesdeutschen Plan B für den Fall brauchen, dass
die Zahl der Flüchtlinge weiter steigt und wir den Unter­
bringungsnotstand feststellen müssen .

Dieses Land und seine Menschen haben in dieser Si­
tuation bis jetzt schon Großartiges geleistet . Wir haben
mehr geschafft, als viele für möglich gehalten haben .
Um die tagtägliche und in diesem Fall äußerst sinnvolle
und menschlich wertvolle Sisyphusaufgabe zu meistern,
braucht unser Land weitere große und noch größere An­
strengungen, noch größere Taten der Länder und Kom­
munen und besonders deutlich auch operative Taten des
Bundes – auch bei der Flüchtlingsunterbringung und der
Steuerung der Ströme .

Meine Damen und Herren, es reicht nicht, zu sagen:
„Wir schaffen das“ . Die Menschen wollen von uns hören,
was genau und wie viel wir schaffen, und vor allen Din­
gen wollen sie wissen, wie wir es schaffen .

Vielen Dank .


(Anhaltender Beifall bei der SPD – Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜND­ NISSES 90/DIE GRÜNEN)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1812702100

Für eine Kurzintervention erhält der Kollege Weiler

das Wort .


Albert Weiler (CDU):
Rede ID: ID1812702200

Vielen Dank, Herr Präsident . – Beim Beitrag von

Herrn Gysi vorhin habe ich mich zu Wort gemeldet, aber
er ist so schnell geflüchtet, dass der Präsident die Wort­
meldung nicht mehr zulassen konnte .

Herr Gysi, nur ganz kurz: Falls Sie es noch nicht be­
merkt haben: Die Bundeswehr macht viele Einsätze bei
mir in Ohrdruf in Thüringen und darüber hinaus, und sie
holt Flüchtlinge aus dem Meer . Es ist also nicht nötig,
der Bundeswehr noch einen Auftrag zu geben, etwas zu
tun; denn sie tut das schon seit langer, seit geraumer Zeit,
und zwar gut .

Jetzt noch kurz zu Frau Jelpke: Es ist eine einfache
Sache, die Menschen, die eine andere Meinung als die
Linke haben – ob Frau Klöckner, Thomas Strobl oder ich

Boris Pistorius (Niedersachsen)







(A) (C)



(B) (D)


nachher –, in eine rechte Ecke zu stellen, aber das wird
der Sache nicht gerecht .

Wir haben in Thüringen einen linken Ministerpräsi­
denten, der Abschiebestopps durchführt


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)


und der der Ausweitung der sicheren Herkunftsländer
nicht zustimmt . Das regt die Menschen auf und berührt
sie . Ich bin seit elf Jahren Bürgermeister in einem Ort in
Thüringen – das bin ich immer noch – und merke ganz
genau, wie die Bevölkerung, meine Bürgerinnen und
Bürger,


(Dr . Kirsten Tackmann [DIE LINKE]: Das sind nicht Ihre! – Weitere Zurufe von der LIN­ KEN)


durch solch eine Politik nicht nur nervös, sondern ver­
ängstigt werden .

Und Sie wollen uns hier im Bund erklären, wie wir
Flüchtlingspolitik machen sollen! Das, was Frau Merkel
und Thomas de Maizière in harter Arbeit durchsetzen,
versuchen Sie, mit reiner Polemik schlechtzumachen .
Das ist nicht gut für Deutschland, und das ist für mich
staatsgefährdend .

Ich bitte Sie einfach, damit aufzuhören und ein biss­
chen mehr konstruktiv mitzuarbeiten und gute Vorschlä­
ge zu bringen . Dann wäre hier auch eine Zusammen­
arbeit möglich .

Vielen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1812702300

Nun hat Volker Beck für die Fraktion Bündnis 90/Die

Grünen das Wort .


Volker Beck (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1812702400

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich finde,

diese Debatte ist zu ernst für parteipolitisches Klein­
Klein .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Lachen bei der CDU/CSU – Max Straubinger [CDU/CSU]: Ja, wer hat denn angefangen, Herr Beck?)


– Dieser Beitrag war wirklich nicht hilfreich .


(Max Straubinger [CDU/CSU]: Das war Ihre Fraktionsvorsitzende!)


Es ist gut, dass wir durch den Gipfel von Bund und
Ländern eine dauerhafte Finanzierung der Flüchtlings­
aufnahme erreicht haben . Das war unabdingbar, damit
Länder und Kommunen ihre Aufgaben wahrnehmen
können .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Wir sind uns auch einig, Herr Minister, bei dem Ziel
der Verfahrensbeschleunigung . Wir brauchen schnellere
Entscheidungen, damit die Menschen wissen, ob ihnen
hier Schutz gewährt wird oder ob sie nicht dauerhaft

hierbleiben können . Aber zu diesem Thema enthält Ihr
Gesetzentwurf schlicht gesagt nicht eine einzige Bestim­
mung .


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS­ SES 90/DIE GRÜNEN)


Wir haben Ihnen dazu mehrere Vorschläge unterbrei­
tet – nichts davon haben Sie aufgegriffen –: pauschale
Anerkennung der Flüchtlinge aus Syrien, Eritrea, dem
Irak und Somalia, wo wir eine Anerkennungsquote von
fast 100 Prozent haben,


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


die Abarbeitung der Altfälle, Schluss mit der Wiederauf­
nahme von Verfahren von anerkannten Flüchtlingen . Das
hätte tatsächlich etwas gebracht .

Stattdessen setzen Sie nur auf eines – das hat der Mi­
nister gestern im Plenum auch gesagt –, auf Abschre­
ckung . Sie wollen signalisieren, dass es keinen Sinn hat,
hierherzukommen . Das kann man auch anders tun; das
haben wir im Kosovo gezeigt . Man kann den Menschen
die Rechtslage erklären, anstatt sie, wenn sie hier in
Deutschland sind, zu schikanieren .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Mit dem Fokussieren auf die Erstaufnahmeeinrich­
tungen, in die Sie alle Flüchtlinge sechs Monate und die
Menschen aus sicheren Herkunftsstaaten dauerhaft ste­
cken wollen, produzieren Sie sehenden Auges sozialen
Sprengstoff .


(Stephan Mayer stimmt doch nicht! Das ist nur die Maximal­ dauer!)


Menschen, die der Residenzpflicht, einem Arbeitsverbot
und dem Bezug von Sach­ statt Geldleistungen unterlie­
gen und denen die Leistungen gekürzt werden – das kon­
zentriert Armut, Elend, Benachteiligung und Ausgren­
zung an bestimmten Orten . Das konzentriert zu sehen,
wird unsere Bevölkerung schwer irritieren . Dort wird die
Stimmung kippen, weil die Helfer dort nicht helfen wol­
len, weil sie sich an dieser Veranstaltung nicht beteiligen
wollen . Deshalb ist es hochgefährlich, was Sie hier auf
den Weg bringen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Von der Sache hier ist die Einstufung des gesamten
Westbalkans als sichere Herkunftsstaaten einfach nicht
vertretbar . Ich war vor zwei Wochen in Serbien . War­
um sind die Roma aus dem Kosovo geflohen und leben
in Serbien immer noch als „unsichtbare Roma“ – ohne
Papiere, in wilden Siedlungen ohne jede Infrastruktur?
Weil es im Kosovo so sicher ist? Nein, weil ihre Dörfer
nicht mehr existieren, weil sie nicht sicher zurückkönnen .
Da können wir doch mit einer solchen rechtspolitischen
Entscheidung keinen Blankoscheck für diese Länder aus­
stellen; das ist zynisch und unverantwortlich .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Albert Weiler






(A) (C)



(B) (D)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1812702500

Herr Kollege .


Volker Beck (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1812702600

Die Civil Rights Defenders von Serbien haben für

dieses Jahr 24 Übergriffe auf Journalisten im „sicheren
Herkunftsland“ Serbien in ihrem Bericht festgestellt, den
sie kürzlich in Belgrad vorgestellt haben . Sicher? – Das
ist eine Chimäre .

Ich bin dafür, dass wir solche Entscheidungen mit Ver­
antwortungsgefühl für die Menschenrechte treffen .


(Thomas Strobl Deshalb stimmen Sie im Bundesrat ja auch zu!)


Deshalb kann ich diesen Vorschlägen nicht zustimmen,
zumal sie in der Sache nichts bringen .


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1812702700

Herr Kollege .


Volker Beck (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1812702800

In Serbien sind die Zahlen nicht gesunken, sondern

gestiegen . Der Kosovo war kein sicherer Herkunftsstaat .
Da sind die Zahlen durch eine Aufklärungskampagne ge­
sunken . Das zeigt: Die Einstufung als sichere Herkunfts­
staaten ist keine Remedur des Problems, richtet aber in
anderen Bereichen enormen Schaden an .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Volker Kauder [CDU/CSU]: Das wird den Ministerpräsidenten von Baden­Württemberg sehr freuen!)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1812702900

Ich muss alle Beteiligten noch einmal bitten, auch

wenn es bei diesem Thema besonders schwerfällt, sich
an die Redezeiten zu halten . Ich stelle ungerne dann das
Mikrofon aus . Aber es kann nicht jeder individuell ent­
scheiden, wie lange er am liebsten reden möchte . Das
wäre schön, aber es geht leider nicht .

Nächster Redner ist der Kollege Stephan Mayer .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Stephan Mayer (CSU):
Rede ID: ID1812703000

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr verehrte Kollegin­

nen! Sehr geehrte Kollegen! Was wir heute auf den parla­
mentarischen Weg bringen, ist die umfassendste Reform
unseres deutschen Asylrechts seit dem Asylkompromiss
in den 90er­Jahren . Dass wir dieses Gesetzgebungsver­
fahren sehr zügig bis Mitte Oktober durchführen wollen,
zeigt, wie schwierig die Situation und wie dringend der
Handlungsbedarf ist .

Ich möchte zu Beginn ausdrücklich und mit großer
Überzeugung all den unzähligen, all den Tausenden von
ehrenamtlichen und hauptamtlichen Helferinnen und
Helfern in ganz Deutschland danken, die sich tagein,
tagaus – teilweise bis zur Belastungsgrenze und manche

auch darüber hinaus – in der jetzigen Flüchtlingssituation
engagieren .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge­ ordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN)


Ich möchte all den Polizisten, den THW­Helfern, den
Feuerwehrleuten und den Mitarbeitern der karitativen
Einrichtungen und der Rettungsorganisationen ganz
herzlich danken . Es ist herausragend, was in Deutsch­
land derzeit passiert und wie viel Solidarität und Empa­
thie gegenüber den Flüchtlingen und Asylbewerbern an
den Tag gelegt wird .

Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich möchte
aber auch ausdrücklich dem Bundesinnenminister und
seinen hochmotivierten und versierten Mitarbeitern dan­
ken . Denn was jetzt unter hohem zeitlichen Druck und
auch mit großer Expertise erarbeitet wurde, verdient gro­
ßen Respekt und hohe Anerkennung .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge­ ordneten der SPD)


Die Flüchtlingssituation ist derzeit mit Sicherheit das
größte Problem unserer Zeit. Es befinden sich zur Stunde
über 60 Millionen Menschen auf unserem Globus auf der
Flucht . Das ist die höchste Zahl seit Ende des Zweiten
Weltkriegs .

Für Deutschland ist eine andere Zahl von entscheiden­
der Bedeutung . Jeden Tag kommen zwischen 5 000 und
10 000 Flüchtlinge in unser Land, die meisten über die
bayerisch­österreichische Grenze, und man kann nicht
umhin, klar zu konstatieren: Das ist insbesondere für die
südbayerischen Kommunen bzw . die Landkreise eine
enorme Belastung und eine riesige Herausforderung .


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Stimmt!)


Wir hatten allein im September mehr Flüchtlinge in
Deutschland zu verzeichnen als im gesamten letzten Jahr,
und schon im gesamten letzten Jahr war es die vierthöchs­
te Zahl der Flüchtlinge und Asylbewerber aller Zeiten .

Eines muss klar sein: Wenn die Zahlen weiterhin auf
diesem hohen Niveau bleiben, dann wird Deutschland
über kurz oder lang überfordert sein . Was die Registrie­
rung, Antragstellung und Antragsbearbeitung anbelangt,
ist dies eine riesige Herausforderung, und die Unterbrin­
gung sowie die Integration in unsere Gesellschaft und in
den Arbeitsmarkt sind auch für ein starkes und wohlha­
bendes Land wie Deutschland auch bei größter Anstren­
gung auf die Dauer nicht zu leisten, wenn die Zahlen auf
diesem hohen Niveau bleiben .

Meine sehr verehrten Damen und Herren, allein im
September sind mehrere zehntausend Flüchtlinge und
Asylbewerber nach Deutschland gekommen . Sie wurden
nicht registriert . Sie wurden nicht kontrolliert . Ich möch­
te in aller Deutlichkeit feststellen: Damit besteht auch ein
großes Sicherheitsrisiko .

Es ist deshalb das Gebot der Stunde, dass wir zur
Rechtsstaatlichkeit zurückkehren . Jeder Flüchtling und
jeder Asylbewerber muss schnellstmöglich, wenn er






(A) (C)



(B) (D)


deutschen Boden betritt, registriert und überprüft wer­
den . Das ist im deutschen Interesse .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge­ ordneten der SPD)


Für mich ist eines entscheidend: Deutschland und
Europa haben nicht nur Verpflichtungen gegenüber
schutzbedürftigen Menschen – dies haben wir sehr wohl
auch –, wir haben insbesondere auch eine Verpflichtung
gegenüber unserer heimischen Bevölkerung, ein funk­
tionierendes Gemeinwesen und sichere und soziale Le­
bensbedingungen zu gewährleisten . Es sind vor allem die
Menschen in unserem Land, denen wir verpflichtet sind.

Eines ist auch klar: Wenn Deutschland an Leistungs­
und Integrationskraft einbüßt, ist letzten Endes nieman­
dem geholfen .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Nur ein starkes Deutschland kann Flüchtlinge im In­
land unterstützen und dazu beitragen, dass Flüchtlinge
ihre Herkunftsregionen erst gar nicht verlassen müssen .
Deshalb ist nicht nur die Innenpolitik gefordert, sondern
zuvorderst auch die Außen­, Europa­ und Entwicklungs­
politik . Ich bin unserem Entwicklungshilfeminister Gerd
Müller sehr dankbar,


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge­ ordneten der SPD)


dass er sich nachdrücklich dafür einsetzt, die Bedingun­
gen vor Ort in den Anrainerstaaten deutlich zu verbes­
sern . Unser Bundesminister Gerd Müller weist immer
wieder darauf hin: Jeder Euro, der im Herkunftsland bzw .
im Anrainerland investiert wird, ist zehnmal so effektiv
investiert, als wenn er in Deutschland investiert würde .


(Widerspruch des Abg . Uwe Kekeritz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Deshalb ist es ein wichtiger Schritt, dass wir hier mehr
tun . Hier ist nicht nur Deutschland gefordert, sondern
hier ist die gesamte Europäische Union in der Verant­
wortung .

Wir geben mit diesem Gesetz zur Beschleunigung des
Asylverfahrens ein wichtiges Signal an all die Menschen,
die nicht schutzbedürftig sind, sich nicht nach Deutsch­
land aufzumachen . Ich möchte der insbesondere von­
seiten der Linken – leider auch in dieser Debatte – auf­
gestellten stereotypen Behauptung widersprechen, dass
wir zwischen schlechten und guten Flüchtlingen diffe­
renzierten . Das stimmt nicht . Jeder Mensch ist gleich
viel wert, und jeder Mensch hat natürlich Anerkennung
und Respekt verdient . Aber es kommt entscheidend da­
rauf an, ob jemandem der Flüchtlingsstatus zuerkannt
wird oder nicht . Es geht nicht um eine Differenzierung
in schlechte und gute Flüchtlinge, sondern darum, ob je­
mand überhaupt Flüchtling oder anerkannter Asylbewer­
ber ist oder ob er es nicht ist . Wenn er es nicht ist – das
gehört zur Ehrlichkeit dazu –, dann muss er Deutschland
wieder verlassen .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg . Burkhard Lischka [SPD])


Ich bin unserem Bundespräsidenten Joachim Gauck
sehr dankbar, dass er in seiner Rede am vergangenen
Sonntag in Mainz deutlich gesagt hat, dass wir es mit
einem epochalen Ereignis zu tun haben, „dessen Aus­
maß und Tragweite wir noch schwer erfassen können“,
und dass unsere Möglichkeiten endlich sind . Dieser Satz
ist keine Selbstverständlichkeit, aber er ist unbestreitbar
wahr . Nicht nur Juristen wissen: Unmögliches ist nie ge­
schuldet . – Ich möchte noch eines offen sagen: Wer mit
Ignoranz darauf reagiert, dass sich Ängste in der Bevöl­
kerung manifestieren, und wer die Probleme in der Be­
völkerung negiert, gefährdet letzten Endes den inneren
Frieden und auch unseren gesellschaftlichen Zusammen­
halt .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge­ ordneten der SPD)


Eines muss auch klar sein: Es gibt kein Recht – auch
nicht für anerkannte Flüchtlinge –, sich den Staat der
Schutzgewährung nach Günstigkeitserwägungen aus­
zusuchen. Der Schutz für Bürgerkriegsflüchtlinge ist in
allen Staaten der Europäischen Union, in allen Staaten
der Genfer Flüchtlingskonvention im Grundsatz mög­
lich und zumutbar . Es geht deshalb insbesondere in den
nächsten Wochen und Monaten darum, dass wir Rechts­
staatlichkeit in der gesamten Europäischen Union wie­
derherstellen, dass sich alle Mitgliedsländer der Europäi­
schen Union an die europäische Asylrechtsgesetzgebung
halten, an die Dublin­Verordnung, die Schengen­Verord­
nung und die Eurodac­Verordnung; auch das gehört dazu .

Das Gesetz dient insgesamt drei primären Zielen . Es
geht darum, die Asylverfahren zu beschleunigen, die
Unterbringung zu erleichtern und gleichzeitig die Ab­
schiebung abgelehnter Asylbewerber zu forcieren . Auch
hier werden wir als Bund darauf achten, wie die Länder
mit dieser Aufgabe umgehen; ich sage das hier in aller
Offenheit . Es wird in Zukunft verboten sein, Abschie­
bungen im Vorfeld anzukündigen . Sehr geehrter Herr
Minister Pistorius, wir werden einen intensiven Blick
insbesondere auf Niedersachsen werfen .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Sie haben mindestens zweimal Abschiebungen im Vor­
feld angekündigt und haben selbst vor wenigen Jahren
den Paradigmenwechsel beim Abschiebungsrecht ausge­
rufen . Es wird darauf ankommen, dass sich alle politi­
schen Ebenen, angefangen von der Kommune über die
Länder bis zum Bund, entsprechend konzertieren und zu­
sammenarbeiten .

In diesem Sinne bringen wir mit dem heutigen Gesetz­
entwurf ein sehr weitreichendes und wichtiges Gesetz­
gebungsverfahren im Deutschen Bundestag auf den Weg .
Ich möchte zum Abschluss nicht verhehlen: Es handelt
sich zwar um einen essenziellen Zwischenschritt . Aber es
wird uns nicht erspart bleiben, hier in diesem Haus sehr
schnell über weiter gehende Maßnahmen zu diskutieren
und sie dann auch zu verabschieden .

Danke .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg . Burkhard Lischka [SPD])


Stephan Mayer (Altötting)







(A) (C)



(B) (D)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1812703100

Für die SPD­Fraktion hat nun der Kollege Rüdiger

Veit das Wort .


(Beifall bei der SPD)



Rüdiger Veit (SPD):
Rede ID: ID1812703200

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Ich will zunächst am Anfang etwas machen, was meiner
Meinung nach bisher zu kurz gekommen ist . Ich möchte
der Bundeskanzlerin für ihre Entscheidung und ihre kla­
ren Worte am 5 . September danken .


(Beifall bei Abgeordneten im ganzen Hause)


Da sie nicht mehr anwesend ist, bitte ich, ihr das aus­
zurichten . Ich teile ihre Auffassung und kleide das nun
einmal in meine Worte: Ich möchte auch nicht in einem
Land leben, in dem kein Platz mehr für Mitgefühl gegen­
über geschundenen, verfolgten und vom Tode bedrohten
Menschen ist, egal woher sie kommen . Und ich möchte
auch nicht in einem Land leben, in dem kein Platz mehr
ist für Hilfsbereitschaft – Hilfsbereitschaft, egal ob letzt­
endlich christlich motiviert, aus sozialistischer Ideologie
heraus, einfach humanistisch motiviert oder weil man
schlicht und ergreifend, so mein Empfinden, ein anstän­
diger Mensch ist .


(Dr . Wolfgang Schäuble, Bundesminister: Das reicht ja auch!)


– Genau, Herr Dr. Schäuble; das reicht. – Ich finde, Frau
Dr . Merkel hat anständig gehandelt, und dafür dürfen wir
alle sie einmal loben und ihr sagen: Wir sind an Ihrer Sei­
te gewesen, auch in dieser Entscheidung und bei diesen
Ihren Worten .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU so­ wie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wir sind als SPD­Fraktion von der hier zur Debatte
stehenden Asylrechtsreform, zumindest in ihren flücht­
lingsrechtlichen Teilen, durchaus nicht nur begeistert;
das können Sie sich denken . Ich hoffe sehr, lieber Kolle­
ge Stephan Mayer, dass wir über ein paar Punkte, die so
auch gar nicht vereinbart sind, im Gesetzgebungsverfah­
ren noch einmal reden werden . Einen Punkt hat Minis­
ter Pistorius angesprochen; einen weiteren hast du eben
selbst angesprochen .

Eines muss aber klar sein – das muss auch in der De­
batte herausgestellt werden –: Wir können auf die gegen­
wärtige Situation nicht stets und ständig mit neuen ge­
setzlichen Vorschlägen antworten, schon gar nicht mit
solchen, die vielleicht populistisch gedacht sind, aber
überhaupt nicht realisierbar sind .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie der Abg . Claudia Roth NIS 90/DIE GRÜNEN])


Ich weiß nicht, ob Herr Kauder noch da ist . Ihm woll­
te ich ebenfalls ein Wort der Zustimmung zurufen . Herr
Kauder hat im Zusammenhang mit der Sitzung seiner
Fraktion am Dienstag ausgeführt, nachdem noch nicht
einmal die Tinte unter dem Beschluss der Ministerpräsi­

denten und der Bundeskanzlerin trocken sei, sei es ver­
fehlt – da bin ich ganz bei ihm –, sofort schon wieder
neue Vorschläge zu machen . Ich stimme ihm ausdrück­
lich zu . Das ist die zweite Neuigkeit, jedenfalls in der
Verhaltensweise, der ich mich hier heute, glaube ich,
befleißigen darf. Dazu gehört dann auch – da gucke ich
in den Süden der Republik, ein bisschen verstohlen viel­
leicht auch auf die Regierungsbank –, dass wir den Men­
schen nicht weiszumachen versuchen, etwas leisten zu
können, was wir in Wahrheit schon von der Realität her
gar nicht leisten können .

Bevor wir davon reden, dass wir die Grenzen effek­
tiver kontrollieren wollen, dass wir das Flughafenver­
fahren übertragen wollen, müssen wir uns doch einmal
klarmachen, was das heißt: Im Flughafen, wo niemand
die Transitzone verlassen kann, kann man ihn auch gegen
seinen Willen sozusagen einsperren . Aber wie wollen Sie
denn die deutschen Grenzen darüber hinaus noch kon­
trollieren? Sie können das vielleicht noch in den Zügen
machen, vielleicht noch stichprobenartig an den Auto­
bahnen, den Bundesstraßen, den Landstraßen, den Kreis­
straßen, aber Sie können es nicht mehr an der grünen
Grenze .

Die grüne Grenze Deutschlands, die Landgrenze, ist
ganze 3 621 Kilometer lang . Allein die Landgrenze zu
Österreich ist über 800 Kilometer lang . Was wollen Sie
denn da machen? Wollen Sie da Zäune errichten wie in
Ceuta, Melilla oder wie vielleicht in Ungarn oder in Grie­
chenland, wo wir es auch schon erlebt haben? Meine sehr
verehrten Damen und Herren, diese Zäune müssten Sie
im Ernstfall dann vielleicht auch noch durch die Bundes­
wehr oder wen auch immer gegen Flüchtlinge verteidi­
gen . Das ist ein völlig falscher Weg .

Wenn Sie jetzt von mir wissen wollen, was der rich­
tige Weg wäre, dann sage auch ich Ihnen, was erfreu­
licherweise schon von vielen in der heutigen Debatte
herausgearbeitet worden ist, und das geht über die na­
tionale Gesetzgebung hinaus: Wenn es uns nicht gelingt,
die Push­Faktoren – Herr Bundestagspräsident, die Ver­
treibungsfaktoren –


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1812703300

Geht doch!


Rüdiger Veit (SPD):
Rede ID: ID1812703400

– in der Nähe der Herkunftsländer zu verringern und da­
für zu sorgen, dass die Menschen dort wenigstens nicht
verhungern oder erfrieren, dann dürfen wir uns nicht
wundern, wenn die sich alle auf den Weg zu uns machen .
Da ist internationale Politik gefragt . Davon dürfen wir
nicht nur übereinstimmend reden; wir müssen da auch
handeln .

Und dann gibt es da auch die europäische Kompo­
nente: Es reicht eben nicht, Europa als ein bloßes Ver­
rechnungskonto zu begreifen und Solidarität nur dann zu
zeigen, wenn es darum geht, den Steiß – mit Verlaub –
griechischer Banken auch im Interesse internationaler
Gläubigerbanken zu retten, sondern es geht auch darum,
der humanistischen Idee Europas an dieser Stelle Gel­
tung zu verschaffen, und das heißt, dass wir uns verstärkt






(A) (C)



(B) (D)


für eine solidarische Flüchtlingspolitik auch auf europäi­
scher Ebene einsetzen müssen .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1812703500

Herr Kollege, Sie müssen bitte zum Schluss kommen .


Rüdiger Veit (SPD):
Rede ID: ID1812703600

Wenn die Bundesregierung, namentlich die Bundes­

kanzlerin, hier mit vergleichbarer Härte auftreten wür­
de, wie sie das im Zusammenhang mit der Bewältigung
oder – vielleicht ist sie ja noch nicht bewältigt – wenigs­
tens Bekämpfung der Griechenland­Finanzkrise gemacht
hat, dann hätte sie, glaube ich, unser aller Unterstützung .

Wir sagen noch einmal allen Mitgliedstaaten der
Europäischen Union: Europa ist keine Schönwetterver­
anstaltung, ist kein Verrechnungskonto, von dem man ab
und zu Geld abzweigen kann, wenn es einem gerade ge­
fällt, sondern wir haben auch gemeinsame Pflichten; wir
haben gemeinsame Werte . Dazu müssen wir stehen . Da­
für müssen wir alle gemeinsam kämpfen . Darum würde
ich Sie alle bitten .

Danke sehr .


(Beifall bei der SPD sowie der Abg . Claudia Roth NEN])



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1812703700

Eckhardt Rehberg ist der nächste Redner für die CDU/

CSU­Fraktion .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge­ ordneten der SPD)



Eckhardt Rehberg (CDU):
Rede ID: ID1812703800

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Kol­

lege Beck, lassen Sie mich eine Vorbemerkung machen:
Zu klären, ob es sich um Syrer handelt, ist nicht ganz so
einfach, wie Sie meinen . Wenn Sie sich einmal vor Ort
kundig machen, dann erfahren Sie: Ein hoher Prozent­
satz hat keinen Pass . Wenn Sie sich mit Dolmetschern
unterhalten, die die Anhörungen durchführen, dann sa­
gen diese Ihnen: Ein hoher Prozentsatz gibt vor, Syrer
zu sein, spricht aber nicht den Dialekt, der in den ent­
sprechenden Regionen in Syrien eigentlich heimisch ist .
Deswegen muss man, wenn jemand sagt: „Ich komme
aus Syrien“, schon prüfen, ob er auch wirklich aus Syrien
kommt . Auch das gehört zu einem geordneten Asylver­
fahren und zur Realität in diesem Land . Das muss auch
benannt werden .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge­ ordneten der SPD – Abg . Volker Beck [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] meldet sich zu einer Zwischenfrage)


Ja, Herr Pistorius, all das ist eine nationale, gesamt­
staatliche und gesamtgesellschaftliche Aufgabe . Ich
glaube, wir als Bund, also die Bundesregierung und der

Bundestag, stellen uns dieser Aufgabe und werden uns
dieser Aufgabe stellen . Wir werden das für dieses und
auch für das kommende Jahr leisten können, ohne neue
Schulden aufnehmen zu müssen . Der Grund dafür ist,
dass wir eine gute wirtschaftliche Entwicklung haben .
Deswegen können wir es uns auch leisten, in diesem Jahr
eine Rücklage in Höhe von 5 Milliarden Euro zu bilden .
Diese wird nicht nur aus den Erlösen der Digitalen Divi­
dende und Zinsminderausgaben gespeist, sondern sie ist
so strukturiert und konstruiert, dass auch zukünftig bei
Entlastungen des Bundeshaushaltes oder bei Minderaus­
gaben Geld dort hineinfließen kann.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, der Bund hat für
2015 eine finanzielle Entlastung der Länder um ins­
gesamt 2 Milliarden Euro zugesagt . Dieses Geld, Herr
Minister Pistorius, geht in diesem Jahr ungebunden und
unkonditioniert in die Länderhaushalte, wie auch die
3,67 Milliarden Euro im nächsten Jahr . Herr Minister
Pistorius, wenn Sie von einer nationalen, gesamtstaat­
lichen und gesamtgesellschaftlichen Aufgabe sprechen,
dann muss ich Ihnen dazu sagen: Es liegt jetzt in der Ver­
antwortung der Länder, dass das gesamte Geld, das der
Bund zur Verfügung stellt, bei den Kommunen ankommt .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Es ist jetzt Ihre Verantwortung und die Ihrer Kollegen in
den einzelnen Ländern, dafür zu sorgen, dass das nicht
zur Sanierung der Landeshaushalte verwendet wird, son­
dern bei den Kommunen ankommt .

Welche Situation haben wir in den Ländern? Bei den
drei Stadtstaaten Berlin, Bremen und Hamburg ist das
relativ unproblematisch . Dann gibt es drei Länder, die,
weil sie ihren Kommunen die vollen Kosten erstatten,
das Geld im Landeshaushalt vereinnahmen könnten: Das
sind der Freistaat Bayern, das Saarland und mein Hei­
matbundesland Mecklenburg­Vorpommern . Herr Kolle­
ge Pistorius, ich muss Ihnen sagen: Nach meinen Infor­
mationen bleiben die Kommunen in Niedersachsen auf
40 Prozent der Kosten sitzen .


(Thomas Strobl Hört! Hört! – Sabine Weiss CSU]: Ja! – Zurufe von der SPD: Stimmt nicht! – Falsch!)


Deswegen erwarte ich, dass in all den Bundesländern, die
den Kommunen nicht die vollen Kosten erstatten, dafür
gesorgt wird, dass dieses Geld des Bundes zukünftig bei
den Kommunen ankommt und damit eine Vollkostener­
stattung vorgenommen wird . Das muss man erwarten .


(Beifall bei der CDU/CSU – Zuruf des Abg . Rüdiger Veit [SPD])


Ich erwarte weiterhin von den Ländern, liebe Kolle­
ginnen und Kollegen, dass auch die 350 Millionen Euro,
die in diesem Betrag für unbegleitete Jugendliche ent­
halten sind, den unbegleiteten Jugendlichen zugutekom­
men . Ich erwarte weiter von den Ländern, dass auch die
339 Millionen Euro, die für die Kinderbetreuung unge­

Rüdiger Veit






(A) (C)



(B) (D)


bunden in die Länderhaushalte gehen, für die Kinderbe­
treuung in den Ländern ausgegeben werden .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge­ ordneten der SPD)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, Stichwort „sozia­
ler Wohnungsbau“: Wir als Bund stellen nicht nur miet­
zinsfrei Bundesimmobilien zur Verfügung, sondern wir
gehen noch einen Schritt weiter: Wir werden auch die
Herrichtungs­ und Erschließungskosten übernehmen,
und zwar rückwirkend zum 1 . Januar dieses Jahres . Und
hinsichtlich der 500 Millionen Euro, die wir noch zusätz­
lich zu den Kompensationsmitteln für den sozialen Woh­
nungsbau dazugeben, ist zu sagen: In den 2,5 Milliarden
Euro an Entflechtungsmitteln sind schon 518 Millionen
Euro für die Förderung von sozialem Wohnraum enthal­
ten . Das heißt, es handelt sich um 500 Millionen Euro
und 518 Millionen Euro, also insgesamt über 1 Milliarde
Euro für den sozialen Wohnungsbau vonseiten des Bun­
des . Aktuell verwendet aber keines der 16 Bundesländer
die in den Entflechtungsmitteln für die Förderung von so­
zialem Wohnraum vorgesehenen Mittel zweckgerichtet
und zweckentsprechend für den sozialen Wohnungsbau .


(Thomas Strobl Hört! Hört!)


Und an dieser Stelle, Herr Pistorius, müssen Sie sich von
mir anhören: Wir erwarten, dass die 78,3 Millionen Euro,
die Niedersachsen zustehen, für den sozialen Wohnungs­
bau verwendet werden und für nichts anderes .


(Beifall bei der CDU/CSU – Zuruf von der CDU/CSU: Höchste Zeit!)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben darüber
hinaus das Thema Regionalisierungsmittel abgeräumt .
Vorausgegangen war eine lange Debatte . Ich fand es al­
lerdings dreist, dass Ministerpräsident Kretschmann aus
Baden­Württemberg auf die Frage, warum das Thema
der Regionalisierungsmittel mitverhandelt wurde, geant­
wortet hat – Zitat –:

Wir müssen ja immer aufpassen, dass der Bund uns
die Gelder, die er uns an der einen Stelle zusätzlich
gibt, uns an anderer Stelle nicht wieder abzieht .

Das war am 26 . September 2015, also gerade einmal
48 Stunden nach dem Gipfel bei der Bundeskanzlerin .
Ich finde, so kann man nicht miteinander umgehen.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Dabei gibt es in Baden­Württemberg für die Kommunen
keine Vollkostenerstattung .


(Max Straubinger [CDU/CSU]: Ja, eben!)


Gerade einmal drei Viertel der Kosten werden erstattet .

Wir als Deutscher Bundestag sollten von daher die
Botschaft senden: Ja, der Weg dahin war nicht ganz ein­
fach, aber wir haben uns dieser Herausforderung gestellt
und überweisen die entsprechenden Mittel an die Län­
der . – Mir persönlich – das sage ich ganz ehrlich – wäre
eine Zweckgebundenheit lieber gewesen . Das ist nur mit
einer Grundgesetzänderung möglich, und ich gestehe zu,
dass das schwierig und kompliziert gewesen wäre .

Wir werden im Zuge der Haushaltsberatungen natür­
lich auch die Mittel in den Haushalt 2016 einstellen, die
der Bund zu tragen hat: Leistungen für den SGB­II­Auf­
wuchs, 4,5 Millionen Euro für das Auswärtige Amt, Per­
sonalmittel für 3 000 neue Stellen bei der Bundespolizei
und mehr Geld für Sprach­ und Integrationskurse . Dieser
Herausforderung werden wir uns stellen .

Ich glaube – das ist meine feste Überzeugung –, wenn
hier jeder, aber auch wirklich jeder, seine Zusagen ein­
hält, dann werden wir gesamtstaatlich der nationalen
Verantwortung gerecht . In den letzten Wochen und Mo­
naten haben die Länder gefordert, dass der Bund seiner
Verantwortung gerecht werden muss, und heute können
wir das Fazit ziehen, dass er seiner nationalen Aufgabe
gerecht geworden ist . Die Länder müssen dieser Aufgabe
aber in gleicher Art und Weise gerecht werden . Sie tragen
nach unserem föderalen System die Verantwortung für
ihre Kommunen und müssen jetzt hier und heute ihrer
gesamtstaatlichen, ihrer nationalen Aufgabe gerecht wer­
den . Ich bin davon überzeugt, dass wir so als Gesamtstaat
die Problematik und den Ausnahmezustand beim Thema
„Flüchtlinge und Asylbewerber“ bewältigen werden kön­
nen .

Herzlichen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1812703900

Ich will nur eine kurze technische Zwischenbemer­

kung machen: Da wir die vereinbarte Redezeit von
96 Minuten bereits erkennbar überschritten haben und
noch vier weitere angemeldete Redner zu Wort kommen,
werde ich jetzt weder Zwischenfragen noch Kurzinter­
ventionen zulassen . Mir ist schon klar, dass es noch sehr
viel weiteren Diskussionsbedarf gibt . Aber wir können
mit Blick auf die weitere Tagesordnung unsere selbst
festgelegten Redezeiten nicht beliebig sprengen .

Nächste Rednerin ist die Staatsministerin Özoğuz für
die Bundesregierung .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)


Aydan Özoğuz, Staatsministerin bei der Bundes­
kanzlerin:

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren!
Thomas de Maizière sagte am Anfang: Nur gemeinsam
geht es . – In Wahrheit verbirgt sich dahinter viel mehr,
als wir hier immer sonst so mit dem Überparteilichen
meinen. Ich finde, bei Herrn Rehberg ist das eben schon
ein Stück weit angeklungen . Es ging bei diesem Paket
natürlich auch um eine Vereinbarung zwischen Partei­
en, aber tatsächlich handelt es sich dabei in erster Linie
um eine Vereinbarung zwischen dem Bund, den Län­
dern und den Kommunen . Alle mussten an einen Tisch,
mehrfach . Wenn man das Ergebnis mit dem schlechten
Asylkompromiss von 1993, wenn ich das einmal sagen
darf, vergleicht, dann kann man feststellen: Wir haben in

Eckhardt Rehberg






(A) (C)



(B) (D)


der Asylpolitik jetzt einen riesigen Schritt gemacht, der
unser Land voranbringen wird .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU – Volker Beck NIS 90/DIE GRÜNEN]: Es ist die schlimmste Verschärfung seit 1993 im Asylrecht! Können Sie nicht lesen?)


– Das sehe ich nicht so .

Ich bin sehr froh, dass wir eine dauerhafte strukturelle
Finanzierung haben,


(Volker Beck GRÜNEN]: Sie sind die Beauftragte für das Thema! Sie müssen lesen können!)


dass wir davon weg sind, Herr Beck, dass wöchentlich
Menschen zusammenkommen müssen, um darüber zu
verhandeln, wie man es finanzieren kann, wenn so viele
Asylbewerber kommen, und wie wir solche Dinge wie
Sprachkurse von Anfang an auch für Asylbewerber zur
Selbstverständlichkeit machen . Wenn Menschen jetzt zu
uns kommen, können wir sagen, dass wir aus der Vergan­
genheit gelernt haben, indem wir dafür sorgen, dass sie
nicht monatelang und jahrelang nur herumsitzen müssen
und nichts tun, sondern Deutsch lernen und Zugänge zu
unserer Gesellschaft finden. Selbst dann, wenn sie eines
Tages wieder gehen sollten, weil zum Beispiel in ihrem
Land wieder Frieden herrscht, ist das für alle Beteiligten
eine sehr gute Sache .


(Dr . Karamba Diaby [SPD]: Richtig!)


Aber, wie Herr Mayer zu Recht sagte, wird nicht jeder
bleiben können . Das ist hier schon mehrfach angeklun­
gen . Das ist auch ein Teil der Wahrheit, der Ehrlichkeit .
Ich möchte nur eines dazusagen, weil mir das manchmal
in den Debatten aufstößt: Es ist aus einem deutschen
Wohnzimmer, wo man gemütlich sitzt, leicht, ein Wort
wie Wirtschaftsflüchtling in den Mund zu nehmen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU/ CSU und der LINKEN sowie des Abg . Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Wir sollten uns überlegen, welche wirtschaftliche Not
sich oftmals dahinter verbirgt, wenn Menschen alles auf­
geben, wenn sie ihre Kinder nehmen und sich auf den
Weg machen, auch wenn sie bei uns kein Asyl bekom­
men können . Deswegen ist es richtig, dass wir legale Zu­
gangsmöglichkeiten schaffen wollen und denjenigen, die
kommen, um zu arbeiten, um hier zu leben und um ein
Teil von uns zu werden, eine Möglichkeit dazu eröffnen .
Da wird das Ventil einmal aufgemacht und eine solche
Tür geöffnet . Das war, wie ich glaube, längst überfällig .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Ich glaube, es ist ganz wichtig, hier auch zu beto­
nen, dass sich Fremdheit nur durch Begegnung ändern
kann . Wenn ich jetzt in der Kürze der Zeit auf die vielen
Ängste und Sorgen in unserer Bevölkerung nicht mehr
Bezug nehmen kann, so ist mir doch besonders wichtig,
auf einen Punkt hinzuweisen: Wenn man das, was all die
Ehrenamtlichen und auch all die Hauptamtlichen leisten,
die wahrlich genug Überstunden machen – ich denke nur

an die Sozialarbeiter, die Extraschichten an den Wochen­
enden einlegen, damit immer jemand da ist und eine Ord­
nung und eine Struktur hineinkommen –, wirklich ernst
nehmen will, dann muss man auch auf das hören, was
sie sagen .

Beim ersten Ehrenamtsempfang im letzten Jahr, den
ich mit Ihrer aller Hilfe geben durfte – Sie haben ja die
Ehrenamtlichen vorgeschlagen –, haben wir von allen
Seiten gehört, dass Strukturen benötigt werden, dass
man jemanden braucht, den man fragen kann, bei dem
man auch einmal eine Information bekommen kann . Ich
freue mich, dass es jetzt gelungen ist, mit den Wohl­
fahrtsverbänden einen entsprechenden Anfang zu ma­
chen . Die Haushälter haben hier Gott sei Dank ein Auge
zugedrückt, sodass ich noch ein bisschen mehr Geld als
sonst ausgeben konnte, um Schulungen durchführen zu
können,


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


um Strukturen schaffen zu können, sodass auch Ehren­
amtliche entsprechende Anlaufstellen haben . Dabei hilft
uns übrigens sehr der deutsche Fußball . Die Sportvereine
beginnen jetzt damit . Überall dort, wo Menschen zusam­
menkommen, werden die Begegnungen ein Stück weit
unterstützt . Ich glaube, das hilft, Fremdheit abzubauen .

Herr Präsident, ich möchte nur noch einen Satz sagen,
der mir sehr wichtig ist, und bin dann gleich am Ende
meiner Redezeit . Viele Abgeordnete in diesem Haus, und
zwar aus allen Fraktionen, bekommen in diesen Tagen
viele Verleumdungsversuche übergestülpt . Das sind sehr
bösartige Verleumdungen. Ich weiß nicht, wie häufig
mittlerweile vorgeschlagen wurde, Strafanzeige zu stel­
len . Manchmal überlegt man sich, ob man sie noch unter­
schreiben soll. Wir sollten hier, wie ich finde, jedenfalls
auch einmal sagen: Gerade in einer solchen Zeit müs­
sen wir alle zusammenstehen, müssen gemeinsam gegen
Hetze und völkische Ideologien vorgehen und dürfen so
etwas überhaupt nicht in die Debatte hineintragen lassen,
auch wenn das leider oft versucht wird .


(Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Fragen Sie einmal Herrn Seehofer!)


Vielen Dank .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der LINKEN und des BÜND­ NISSES 90/DIE GRÜNEN)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1812704000

Klaus­Dieter Gröhler hat nun für die CDU/CSU­Frak­

tion das Wort .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Klaus-Dieter Gröhler (CDU):
Rede ID: ID1812704100

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Präsi­

dent, Sie haben vorhin von Besorgten und Begeisterten
gesprochen . Ich will mich, wie so oft, in der Mitte, also
dazwischen, einordnen, vielleicht mit einer ganz kleinen
Tendenz zum Besorgtsein. Ich glaube, da befinde ich
mich in ganz guter Gesellschaft, zumindest mit den Bür­
gerinnen und Bürgern meines Wahlkreises .

Staatsministerin Aydan Özoğuz






(A) (C)



(B) (D)


An dieser Stelle möchte ich Ihnen einmal die Zahlen
einer Umfrage aus Berlin präsentieren, die vor einigen
Tagen durchgeführt wurde . Sie hat folgendes Ergebnis
zutage gebracht: 7 Prozent aller Berlinerinnen und Berli­
ner würden aktiv dagegen vorgehen, wenn in ihrer Nach­
barschaft eine Flüchtlingsunterkunft entstehen würde . In
meinem Wahlkreis, Charlottenburg­Wilmersdorf – dar­
auf bin ich stolz –, war die Zahl am niedrigsten, nämlich
2 Prozent . Aber in einem Bezirk von Berlin haben 15 Pro­
zent aller Menschen gesagt, sie würden aktiv etwas gegen
Flüchtlinge in ihrer Nachbarschaft unternehmen . Da ist
der Wahlkreis Treptow­Köpenick . Leider kann Herr Gysi
nicht zuhören, weil er seit etwa 20 Minuten telefoniert .
Aber vielleicht sind die Genossen seiner Fraktion einmal
so gut, ihm zu sagen: Statt hier über Saudi­Arabien zu
schwadronieren, wäre es gut, in den Wahlkreis zu gehen,
mit den Menschen zu reden und ihnen zuzuhören . Das
würde mehr bringen .


(Beifall bei der CDU/CSU – Widerspruch bei der LINKEN)


Ich habe in den letzten Wochen wie sicherlich viele
andere Kollegen sehr aufmerksam zugehört . Ich habe
häufig die Frage gehört: Können wir das wirklich schaf­
fen? Und sagt uns doch bitte einmal: Wie werden wir
das schaffen? – Ich glaube, heute geht vom Gesetzent­
wurf der Bundesregierung und von der Mehrheit dieses
Bundestages ein Signal ins Land hinaus . Die Frage „Wie
können wir das schaffen?“ beantworten wir nämlich mit
diesem Gesetzespaket und senden deutliche Signale .

Wir senden Signale an diejenigen, die noch kom­
men wollen, und sagen ihnen: Wenn ihr in Deutschland
kein Bleiberecht bekommen könnt, dann überlegt wirk­
lich gut, ob ihr euch auf den Weg macht . Es ist nämlich
eigentlich falsch, zu kommen .

Wir sagen denen, die hier sind und kein Bleiberecht
bekommen können: Ihr habt die Verpflichtung, wieder
zurückzugehen. Wenn ihr diese Verpflichtung nicht er­
füllt, dann werden wir sie mit staatlichen Maßnahmen
durchsetzen . Das ist weder Rassismus, meine Damen und
Herren, noch ist es ungerecht oder unmenschlich, son­
dern das ist schlicht und ergreifend Rechtsstaatlichkeit,
das ist ein Stück Gerechtigkeit; denn derjenige, der ein
Recht hat, muss anders behandelt werden als derjenige,
der kein Recht hat . Dazu sollten wir uns an dieser Stelle
auch bekennen .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wir senden ein Signal an diejenigen, die bleiben kön­
nen . Wir senden das Signal: Wir werden alles dafür tun,
dass ihr in Deutschland vernünftig und würdevoll be­
handelt werdet . Wir senden das Signal: Wir wollen euch
integrieren . Aber wir erwarten auch, dass ihr euch in­
tegriert. – Wer in das Land des Grundgesetzes flüchtet,
der darf nicht nur die Vorteile dieses Grundgesetzes für
sich in Anspruch nehmen wollen, sondern er muss dieses
Grundgesetz auch leben . Wir sind es den Menschen, die
in diesem Land leben, seien sie Deutsche oder seien sie
Nichtdeutsche, schuldig, das durchzusetzen, meine Da­
men und Herren .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wir senden ein Signal an diejenigen, die sich ehren­
amtlich engagieren, die in den Behörden tätig sind, die
bei der Polizei, der Bundespolizei und der Bundeswehr
arbeiten .

Wir senden auch ein Signal an die Kommunen . Lei­
der ist die Länderbank inzwischen verwaist . Ich will die
Worte meines Kollegen Rehberg unterstreichen: Wenn
Herr Pistorius sagt, er erwarte, dass der Bund seine Ver­
pflichtungen erfüllt, dann erwarten wir von den Ländern
das ganz genauso . Ich kann die Kollegen in den Länder­
parlamenten und in den Kommunen nur auffordern: Bitte
überprüft sehr deutlich, was die Länder mit dem Geld des
Bundes tatsächlich machen, damit sie die Kommunen
hinterher nicht im Regen stehen lassen .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg . Ulli Nissen [SPD])


Es ist heute schon zahlreichen Mitgliedern der Bun­
desregierung gedankt worden . Ich will aber noch einmal
ein deutliches Dankeschön an Wolfgang Schäuble aus­
senden . Den Nachtragshaushalt, den er jetzt vorgelegt
hat, und die Vorsorge, die er für 2016 trifft, hätten wir gar
nicht auf den Weg bringen können, wenn er als Finanz­
minister in den letzten Jahren mit unseren Staatsfinanzen
nicht so verantwortungsvoll umgegangen wäre . Wenn
er das nicht gemacht hätte, wären wir zu den genannten
Maßnahmen heute nicht in der Lage .

Ich weiß, meine Damen und Herren, dass wir mit
dem Gesetzespaket einige Menschen in der Bevölkerung
möglicherweise nicht erreichen . Diese Menschen sagen:
Was interessiert uns das alles? Wir machen die Schotten
dicht . Wir geben kein Geld für andere in der Welt . Wa­
rum sollen die Probleme der anderen unsere Probleme
sein? Diesen Menschen rufe ich zu: Vergesst nicht, dass
auch Deutschland einmal Solidarität erfahren hat .


(Thomas Strobl Sehr richtig!)


Ich sage das ganz bewusst als Berliner und denke dabei
an die Zeit von 1948/49 . Ich erinnere auch an 25 Jahre
deutsche Wiedervereinigung . Wir haben die Solidari­
tät der anderen europäischen Länder bekommen, als die
DDR praktisch über Nacht der Bundesrepublik Deutsch­
land beitrat und damit auch Teil der Europäischen Union
wurde . Damals waren wir darauf angewiesen, dass uns
die anderen dabei unterstützen . Das sollten wir nicht ver­
gessen .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Wir wissen, meine Damen und Herren, dass die Ent­
wicklung im Moment äußerst dynamisch ist . Wir wissen,
dass dieses Gesetzespaket möglicherweise nicht die letz­
te Antwort sein kann . Es kann auch nur eine von vielen
Maßnahmen sein . Neben dem Bemühen, die Fluchtursa­
chen zu beseitigen, geht es auch darum, die Europäische
Union stärker in die Verantwortung zu nehmen, die Tür­
kei zu fördern und zu fordern und die Vereinten Nationen
an dieser Stelle verstärkt ins Boot zu holen .

Zwei Sätze der Kanzlerin sind für mich sehr wich­
tig, und an die halte ich mich . Erstens: „…wir können
nicht alle Probleme in Deutschland lösen …“ – das hat

Klaus-Dieter Gröhler






(A) (C)



(B) (D)


sie gestern gesagt . Der zweite Satz lautet: „Wir können
das schaffen …“ Beide Sätze zusammen, meine Damen
und Herren, sollten unsere Handlungsmaxime sein . Dann
sind wir in der Tat auf einem guten Weg .

Danke .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1812704200

Das Wort hat nun die Kollegin Kerstin Griese für die

SPD­Fraktion .


(Beifall bei der SPD sowie des Abg . Heiko Schmelzle [CDU/CSU])



Kerstin Griese (SPD):
Rede ID: ID1812704300

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die

Flüchtlinge, die zu uns kommen, haben in unserem Land
eine Seite geweckt, von der wir gar nicht wussten, dass
es sie gibt . Das Engagement und die Hilfsbereitschaft,
mit denen sich tagtäglich Zehntausende von Menschen
in Deutschland um Flüchtlinge kümmern, sind ungeahnt
groß und leidenschaftlich . Ohne diese tatkräftige Hil­
fe der vielen Freiwilligen wäre es gar nicht gelungen,
Flüchtlinge so gut willkommen zu heißen .


(Beifall bei der SPD)


Auch unsere Stadtverwaltungen, die Kitas, die Schulen –
ich habe großartige Schulklassen besucht, in denen die
Kinder Deutsch lernen –, die Hilfsorganisationen, Wohl­
fahrtsverbände und die Polizei leisten Großartiges, um
allen Geflüchteten ein Dach über dem Kopf und eine
erste Versorgung zu bieten . Deshalb als Allererstes ein
herzliches Dankeschön dafür .


(Beifall der Abg . Susann Rüthrich [SPD])


Jetzt kommt es darauf an, dass auch die staatlichen
Strukturen funktionieren, dass Unterkünfte und Versor­
gung bereitstehen, dass die Registrierung der Flüchtlinge
schneller erfolgt, dass die Verfahren beschleunigt wer­
den, damit die Menschen wissen, ob sie bleiben können
oder nicht, und damit diejenigen, die bleiben dürfen, so­
fort die deutsche Sprache lernen können und die Chance
haben, einen Arbeitsplatz zu finden. Auch dafür stellen
wir mit diesem Gesetzentwurf die Weichen .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie des Abg . Andreas Mattfeldt [CDU/CSU])


Wir nehmen die große Herausforderung an und wollen
jetzt Bedingungen schaffen, damit aus Flüchtlingen gute
Nachbarn und Kollegen werden .

Sprache und Arbeit, das sind die wichtigsten Schlüs­
sel für die Integration . Gute Sprachkenntnisse sind die
Voraussetzung dafür, dass jemand arbeiten kann, ein Ein­
kommen erzielen kann . Das ist auch für unsere Sozial­
systeme wichtig . Deshalb ist unser vordringlichstes An­
liegen, dass Flüchtlinge frühzeitig die deutsche Sprache
lernen können . Wir sorgen jetzt dafür, dass die Integra­
tionskurse auch für Menschen, die sich im Asylverfahren
befinden und eine gute Bleibeperspektive haben, sowie
für Geduldete geöffnet werden . Das heißt, es wird in Zu­
kunft möglich sein, viel früher Deutsch zu lernen . Die

Zahl der Sprachkurse wird erheblich erhöht . Die Mittel
dafür werden erhöht . Zusammen mit den berufsbezoge­
nen Deutschkursen wird ein Gesamtprogramm Sprache
entwickelt . Zusätzlich werden Mittel der Bundesagentur
für Arbeit bereitgestellt . All das ist wichtig . Wir müs­
sen schon jetzt dafür sorgen, dass die deutsche Sprache
schnell gelernt werden kann .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Sprache ist der erste Schritt in die Arbeitswelt . Darü­
ber hinaus brauchen wir mehr Vermittler in den Jobcen­
tern und Arbeitsagenturen, die sich um die Flüchtlinge
kümmern . Ich will ausdrücklich sagen, dass wir gleich­
zeitig nicht die Menschen aus den Augen verlieren, die
schon bei uns leben und Probleme auf dem Arbeitsmarkt
haben . Wir werden und wollen uns weiter intensiv um
Langzeitarbeitslose kümmern; denn wir wollen nicht,
dass Menschen gegeneinander ausgespielt werden .


(Beifall bei der SPD sowie des Abg . Heinz Wiese Deshalb ist es auch so wichtig – das ist ja völlig klar –, dass der gesetzliche Mindestlohn gilt – (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der LINKEN)


egal, ob jemand hier geboren ist oder zu uns geflohen
ist . Wer das infrage stellt, schürt Probleme, die es noch
gar nicht gibt . Erst letzte Woche sagte eine Betriebsrätin
zu mir, dass es gerade jetzt ein Segen ist, dass wir den
Mindestlohn haben .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Bundesagentur
für Arbeit wird mit diesem Gesetz schon viel früher den­
jenigen, die eine gute Bleibeperspektive haben, helfen
können, eine Arbeit zu finden. Das Programm „Early
Intervention“ wird flächendeckend ausgebaut zu einem
Programm, bei dem die Qualifikationen der Flüchtlinge
erfasst werden, um mit ihnen gemeinsam überlegen zu
können, wie sie sich weiterbilden und einen Arbeitsplatz
finden können.

Wenn wir all das schaffen, liegt eine große Chance in
den Flüchtlingen, die zu uns kommen . Wir erleben junge
Leute – 50 Prozent der Flüchtlinge sind unter 25 Jahren –,
die etwas lernen wollen, die unbedingt arbeiten wollen .
Wir erleben Kinder, die unglaublich schnell Deutsch ler­
nen und sich mit ihren Mitschülern anfreunden . Ich sage
ganz klar: Wenn wir das gut machen – und wir wollen
das gut hinkriegen –, dann ist das eine große Chance . Da
nimmt auch niemand einem anderen den Arbeitsplatz
weg; vielmehr brauchen wir mehr Menschen, die bei uns
leben und arbeiten wollen .

Ich will auf einen Punkt hinweisen, der auch in diesem
Gesetz geregelt wird und den noch keiner genannt hat; er
findet sich in der Änderung der Beschäftigungsverord­
nung . Wir wissen, dass Flüchtlinge aus den Ländern des
Westbalkans in den weitaus meisten Fällen kein Asyl be­
kommen, weil sie nicht verfolgt sind . Insofern brauchen
wir endlich für diejenigen aus dem Balkan, die hier arbei­

Klaus-Dieter Gröhler






(A) (C)



(B) (D)


ten wollen, eine legale Möglichkeit der Arbeitsmigration,
damit sie keine Asylanträge stellen . So kann die Menge
der Verfahren reduziert werden .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie der Abg . Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Ich bin sehr froh, dass wir eine entsprechende Re­
gelung gefunden haben . Wer künftig einen Arbeits­
oder Ausbildungsvertrag mit tarifvertraglichen Bedin­
gungen vorweisen kann und in den letzten beiden Jahren
nicht als Asylbewerber in Deutschland Leistungen erhal­
ten hat oder – und das ist wichtig; das ist eine wichtige
Botschaft an die Menschen in den Flüchtlingsunterkünf­
ten – wer in diesem Jahr gekommen ist – bis zur Ver­
abschiedung dieses Gesetzes –, der kann künftig mit
Zustimmung der Bundesagentur für Arbeit in Deutsch­
land arbeiten oder eine Ausbildung machen und dafür ein
Arbeitsvisum beantragen . Das ist gerade für die Men­
schen aus dem Westbalkan ein wichtiger Schritt zur lega­
len Arbeitsmigration .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wenn es uns gelingt, dass Asylverfahren deutlich
schneller entschieden werden, dass die deutsche Sprache
schnell erlernt werden kann, dass Qualifikationen erfasst
und Praktika und Ausbildung angeboten werden, dann
können wir diese Herausforderung meistern . Ich will
nicht verschweigen, dass das viel Anstrengung und auch
viel Geld kosten wird . Aber es ist gut angelegtes Geld in
die Zukunft unseres Landes . Und angesichts dessen, was
ich in Schulen und Flüchtlingsunterkünften mit den Eh­
renamtlichen und Verantwortlichen erlebt habe, bin ich
optimistisch, dass wir diese Herausforderung meistern
wollen und meistern können .

Vielen Dank .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1812704400

Vielen Dank, Frau Kollegin . – Einen schönen Tag von

meiner Seite aus und auch noch weiterhin einen schönen
Tag Ihnen und den Gästen auf der Tribüne!

Der letzte Redner in dieser Debatte ist Johannes Kahrs .


(Beifall bei der SPD)



Johannes Kahrs (SPD):
Rede ID: ID1812704500

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Wir haben heute hier viel Wahres gehört . Wir
haben als Koalition vieles angestoßen, das wir umsetzen
werden . Ich glaube, gemeinsam mit den Ländern und
Kommunen werden wir das schaffen .

Kollege Rehberg hat im Einzelnen erklärt, wie die
Leistungen für die Kommunen aussehen . Wir müssen nur
darauf achten, dass die Länder die Mittel an die Kom­
munen auch entsprechend weiterleiten – das ist einer der

wesentlichen Punkte –, und wir Haushälter werden unse­
ren Teil dazu beitragen .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)


Der Bundesinnenminister de Maizière – wenn ich das
noch kurz erwähnen darf – hat eine sehr gute Rede gehal­
ten . Ich möchte nur noch eine kurze Anmerkung machen .
Es ist nicht nur wichtig, dass wir 3 000 neue Stellen für
die Bundespolizei beschließen, sondern wir müssen auch
darauf achten, dass die Verwaltung der Bundespolizei
entsprechend ausgestattet wird und dass die Ausstattung
der Bundespolizei modernisiert wird . Die Unterkünfte
der Bundespolizei sind auch nicht immer so toll . Wir
müssen in den nächsten Jahren strukturell daran arbeiten,
dass hier etwas passiert . Wenn wir das gemeinschaftlich
hinkriegen, Kollege Rehberg, dann würde mich das sehr
freuen . Vielen Dank!


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Man muss es einfach sagen: Die Bundespolizei, ge­
nauso wie die Polizeien der Länder, leistet in diesen Ta­
gen Unendliches . Die Polizisten sind rund um die Uhr im
Einsatz, sie werden von einer Ecke der Republik in die
andere gefahren . Dass das geschieht, ohne dass es dabei
zu großen Verwerfungen kommt, ist wirklich unglaub­
lich . Deswegen gebührt ihnen nicht nur unser Dank und
unsere Anerkennung, sondern man muss sie auch ent­
sprechend ausstatten und bezahlen . Ich glaube, das ge­
hört zur Wahrheit dazu .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Das Gleiche gilt für die Hilfsorganisationen . Lassen
Sie mich exemplarisch das THW erwähnen . Das THW
macht sehr viel mit den Mitteln, die ihm zur Verfügung
stehen . Das THW ist personell sehr bescheiden aufge­
stellt . Es gibt circa 800 Hauptamtliche, der Rest sind Eh­
renamtliche .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wir werden dem THW Unterstützung angedeihen lassen
müssen . Das THW braucht unsere Hilfe . Wir haben das
im Haushaltsausschuss – der Kollege Rehberg war im­
mer tapfer dabei – in den letzten zwei Jahren gemacht .
Ich bin mir sicher: Das werden wir auch in diesem und
im nächsten Jahr schaffen, damit das THW weiterhin das
leisten kann, was es in den letzten Tagen und Wochen
geleistet hat .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Wir haben darüber hinaus weitere 500 Millionen Euro
für den sozialen Wohnungsbau bereitgestellt . Insgesamt
stellen wir also 1 Milliarde Euro zur Verfügung . Ich hof­
fe, dass die Länder dieses Geld in Zukunft für diesen
Zweck ausgeben werden . Aber ernsthafterweise muss
man zur Kenntnis nehmen, dass wir zurzeit damit be­
schäftigt sind, Flüchtlinge überhaupt unterzubringen . Sie
müssen raus aus den Zelten und in irgendeine Form von
Unterkunft für den Winter . Das wird in den nächsten Jah­
ren anders organisiert werden müssen . Wir können die
Flüchtlinge ja nicht alle in den provisorischen Unterkünf­

Kerstin Griese






(A) (C)



(B) (D)


ten lassen . Diejenigen, die hierbleiben, müssen anständig
untergebracht werden . Gleichzeitig ist die Wohnungssi­
tuation in vielen Städten schwierig . Deswegen wird der
soziale Wohnungsbau, und zwar über den dritten und den
ersten Förderweg, in den nächsten Jahren richtig ausge­
baut werden müssen .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Es bedarf einer großen Kraftanstrengung von Bund, Län­
dern und Kommunen, um das gemeinschaftlich hinzube­
kommen .

Es ist gut, dass wir Grundstücke von der BImA haben .
Sie allein werden aber nicht reichen . Wir werden in den
nächsten Jahren dafür sorgen müssen, dass alle, die in
diesem Land leben, anständige Wohnungen vorfinden.
Auch hier darf man keinen gegen den anderen ausspie­
len .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Lassen Sie mich abschließend sagen – Kollegin Grie­
se hat das dankenswerterweise ebenfalls gesagt –: Wenn
man keinen gegen einen anderen ausspielen will, heißt
das, dass wir, obwohl wir diese große Flüchtlingskrise
gemeinsam meistern werden und wir viel Geld investie­
ren, nicht vergessen dürfen, wofür wir auch gewählt wor­
den sind, zum Beispiel zur Bewältigung von Fragen des
Teilhabegesetzes,


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


von Fragen der Ordnung auf dem Arbeitsmarkt; und auch
andere Punkte müssen dringend angegangen werden .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ich hoffe, dass das Anfang nächsten Jahres passiert, dass
wir mit einzelnen Gesetzespaketen das Problem fehlen­
der Ordnung auf dem Arbeitsmarkt angehen und dass wir
im nächsten Jahr den Entwurf eines Bundesteilhabege­
setzes nicht nur vorstellen, sondern auch beschließen .

Vielen Dank .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1812704600

Vielen Dank, Johannes Kahrs . – Damit schließe ich

die Aussprache .

Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen
auf den Drucksachen 18/6185, 18/6172, 18/6190 und
18/6090 an die in der Tagesordnung aufgeführten Aus­
schüsse vorgeschlagen . Sind Sie damit einverstanden? –
Das ist der Fall . Dann sind die Überweisungen so be­
schlossen .

Ich rufe jetzt die Tagesordnungspunkte 4 a und 4 b auf:

a) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Katharina Dröge, Dr . Frithjof Schmidt, Bärbel
Höhn, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Starke Schutzstandards – Ziel statt Zielschei-
be moderner Handelspolitik

Drucksache 18/6197
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Energie (f)

Auswärtiger Ausschuss
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und
Reaktorsicherheit
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union

b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be­
richts des Ausschusses für Wirtschaft und Ener­
gie (9 . Ausschuss)


– zu dem Antrag der Abgeordneten Thomas
Nord, Klaus Ernst, Dr . Dietmar Bartsch,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE
LINKE

Die Verhandlungen zum EU-USA-Frei-
handelsabkommen TTIP stoppen

– zu dem Antrag der Abgeordneten Katharina
Dröge, Bärbel Höhn, Britta Haßelmann, wei­
terer Abgeordneter und der Fraktion BÜND­
NIS 90/DIE GRÜNEN

Für ein starkes Primat der Politik – Für
fairen Handel ohne Demokratie-Outsour-
cing

– zu dem Antrag der Abgeordneten Katharina
Dröge, Kerstin Andreae, Dr . Thomas
Gambke, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Stellungnahme im Rahmen des Konsulta-
tionsverfahrens der Europäischen Kom-
mission zum Investitionsschutzkapitel im
geplanten Transatlantischen Freihandels-
abkommen TTIP

– zu dem Antrag der Abgeordneten Klaus Ernst,
Thomas Nord, Wolfgang Gehrcke, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE

CETA-Verhandlungsergebnis ablehnen

– zu dem Antrag der Abgeordneten Katharina
Dröge, Bärbel Höhn, Renate Künast, weite­
rer Abgeordneter und der Fraktion BÜND­
NIS 90/DIE GRÜNEN

Keine Klageprivilegien für Konzerne –
CETA-Vertragsentwurf ablehnen

Drucksachen 18/1093, 18/1457, 18/1964,
18/4090, 18/2620, 18/4969

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 77 Minuten vorgesehen . – Ich höre und
sehe keinen Widerspruch . Dann ist das so beschlossen .


(Unruhe)


– Diejenigen, die sich an der Debatte nicht beteiligen
wollen, bitte ich, entweder still zu sein oder den Raum zu
verlassen oder beides zu tun .


(Beifall des Abg . Matthias W . Birkwald [DIE LINKE])


Johannes Kahrs






(A) (C)



(B) (D)


Ich eröffne die Debatte mit der Worterteilung für
Dr . Anton Hofreiter, Bündnis 90/Die Grünen .


Dr. Anton Hofreiter (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1812704700

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Die europäische Bürgerinitiative zum Thema
TTIP hat inzwischen fast 3 Millionen Unterschriften be­
kommen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN – Dr . Michael Fuchs [CDU/CSU]: Bei 500 Millionen europäischen Einwohnern ist das ja nicht so viel!)


Das ist die stärkste europäische Bürgerinitiative, die es
je gab .

Jetzt wird den Kritikern ja immer vorgeworfen, sie
hätten sich nicht ausreichend informiert . Gefordert wird,
besser zu informieren . Es ist sicher so, dass viele Men­
schen nicht sämtliche 500 Seiten des CETA­Vertrags und
die 1 500 Seiten Anhang, die noch dazu in juristischem
Englisch verfasst sind, gelesen haben . Aber die Men­
schen haben oft ein verdammt gutes Gespür dafür, dass
Dinge grundlegend schieflaufen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Ich kann Ihnen sagen: Bei TTIP läuft einiges grundle­
gend schief .


(Michael Grosse­Brömer [CDU/CSU]: TTIP ist richtig!)


Worum geht es bei TTIP im Kern? Im Kern geht es
darum: Was ist man für ein äußerst vages Wachstumsver­
sprechen aufzugeben bereit?


(Peter Beyer [CDU/CSU]: Haben Sie denn immer noch nicht verstanden, worum es geht? Das ist aber beschämend!)


Die Bundesregierung tut immer so, als wenn alle Stan­
dards erhalten bleiben würden . Die Bundesregierung
agiert so nach dem Prinzip Hoffnung . Aber ich würde Ih­
nen einfach mal empfehlen, nachzulesen, was der franzö­
sische Handelsminister sagt . Er hat nämlich Einblick in
die Unterlagen, und er hat sich dazu ganz klar geäußert .


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS­ SES 90/DIE GRÜNEN)


Schauen wir uns doch einfach einmal an, was bisher
geschah und was von dem, was bisher geschah, öffent­
lich wurde . Die europäische Seite hat versucht, die ame­
rikanische Seite unter Druck zu setzen, doch endlich ihre
strengeren Finanzmarktregulierungen zu senken . So viel
zu der Behauptung, dass keine Standards gesenkt werden
sollen . Die amerikanische Seite wiederum hat versucht,
die strengeren Lebensmittel­ und Agrarstandards, die
wir in Europa haben, zu senken . Beide Seiten haben ver­
sucht, Schiedsgerichte durchzusetzen, und beide Seiten
kämpfen darum, eine regulatorische Kooperation zustan­
de zu bringen .


(Peter Beyer [CDU/CSU]: Regulatorische Kooperationen sind etwas sehr Gutes!)


Ist es das, was Sie unter „Standards erhalten“ verste­
hen? Ist es das, was Sie unter „Transparenz“ verstehen?
Ist es das, was Sie unter einem „bürgerfreundlichen,
sinnvollen Vertrag“ verstehen?


(Michael Grosse­Brömer [CDU/CSU]: Vieles ist besser geworden!)


Was wir stattdessen brauchen, sind entsprechende Refor­
men der bereits bestehenden Schiedsgerichtsverfahren .
Da liegt vieles im Argen .


(Michael Grosse­Brömer [CDU/CSU]: Ganz im Gegenteil!)


Da anzusetzen, wäre besser, als dem alten Falschen noch
etwas neues Falsches hinzuzufügen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Bundeskanzlerin Merkel hat erst letzte Woche gesagt,
TTIP sei eine Riesenchance .


(Peter Beyer [CDU/CSU]: Recht hat sie!)


Aber welche Fakten hat sie, um das zu belegen?


(Barbara Lanzinger [CDU/CSU]: Welche Fakten haben Sie?)


Sie hat die schöne Aussage getätigt, dass das Wachstum
um 0,05 Prozent pro Jahr wachsen würde . – Das ist sta­
tistisches Rauschen . Das liegt im Bereich einer Messun­
genauigkeit, ist aber nun wirklich kein Faktum . 0,05 Pro­
zent mehr Wachstum – und dafür geben Sie Standards
auf? Das ist doch lächerlich . Seien Sie doch ehrlich .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜ­ NEN sowie bei Abgeordneten der LIN­ KEN – Michael Grosse­Brömer [CDU/CSU]: Jetzt fangen Sie mal mit den Fakten an! – Dr . Michael Fuchs [CDU/CSU]: Wo steht, dass Standards aufgegeben werden?)


Die Leute haben längst gemerkt, dass diese 0,05 Pro­
zent Wachstum ein total tönernes Versprechen sind . Des­
wegen lehnen sie es ab, und die Leute haben damit recht .
Darum lehnen auch wir das, was vorliegt, ab . Hören wir
doch einfach einmal auf eine große Mehrheit in der Be­
völkerung .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN – Michael Grosse­ Brömer [CDU/CSU]: Die Leute, die ich ken­ ne, lehnen das nicht ab!)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1812704800

Herr Kollege, erlauben Sie eine Zwischenfrage oder

­bemerkung vom Kollegen Wiese?


Dr. Anton Hofreiter (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1812704900

Ja . Warum nicht?


Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1812705000

Das war ein bayerisches Ja . Passt schon!


(Heiterkeit)


Vizepräsidentin Claudia Roth






(A) (C)



(B) (D)



Dr. Anton Hofreiter (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1812705100

Es sei ihm gestattet .


Dirk Wiese (SPD):
Rede ID: ID1812705200

Herr Kollege Hofreiter, vielen Dank dafür, dass Sie

die Zwischenfrage zulassen . Ich bin etwas irritiert von
Ihren Ausführungen .


(Michael Grosse­Brömer [CDU/CSU]: Sie sind nicht der Einzige!)


Vielleicht können Sie mir weiterhelfen im Hinblick auf
Ihre Position und die Position der Grünen .

Ich habe vorliegen die „Eckpunkte der Positionierung
der Landesregierung Baden­Württemberg“, herausge­
geben von Ministerpräsident Winfried Kretschmann . In
diesen Eckpunkten schreibt er unter Punkt eins: „Aus
Sicht der Landesregierung bietet die Freihandelszone
TTIP eine Riesenchance, um die Wirtschaft zu stärken .“

Weiter schreibt er im zweiten Punkt: „TTIP gibt die
Möglichkeit, globale Maßstäbe zu schaffen .“

Weiter führt er aus, unter Drittens: „Das ist eine Rie­
senchance für die exportorientierte Industrie in Baden­
Württemberg .“


(Peter Beyer [CDU/CSU]: Welcher Partei ge­ hört der eigentlich an?)


Ich zitiere weiter: „Der Abbau nichttarifärer Handels­
hemmnisse und Zölle“ ist „aus Sicht der Landesregie­
rung“ in Baden­Württemberg „richtig“ .


(Michael Grosse­Brömer [CDU/CSU]: Sehr gut!)


Weiter schreibt er, unter Viertens: „Die angestrebte
regulatorische Kooperation kann nach dem Dafürhalten
der Landesregierung“ dazu beitragen, zukünftige „Re­
gulierung besser zu koordinieren und gemeinsam zu ge­
stalten“ .


(Michael Grosse­Brömer [CDU/CSU]: Das sind die Fakten! – Peter Beyer [CDU/CSU]: So sieht das aus!)


Das widerspricht in allen Punkten dem, was Sie hier
gerade ausführen . Darum würde ich gerne einmal fragen:
Sprechen Sie hier für die Grünen, oder spricht Winfried
Kretschmann für die Grünen?


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Peter Beyer [CDU/CSU]: Sehr gut!)



Dr. Anton Hofreiter (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1812705300

Vielen Dank für Ihre Frage . Sie haben einige Punkte

aus der Stellungnahme der Landesregierung von Baden­
Württemberg aufmerksam gelesen . Schade, dass Sie sich
nicht die Mühe gemacht haben, die Stellungnahme kom­
plett zu lesen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dr . Michael Fuchs [CDU/CSU]: Jetzt mal dar­ auf antworten! Das können Sie nicht!)


Wenn Sie die Stellungnahme komplett gelesen hätten
und wenn Sie unser Positionspapier gelesen hätten, dann
wüssten Sie, dass wir der Meinung sind, dass TTIP so
nicht geht .


(Beifall der Abg . Britta Haßelmann [BÜND­ NIS 90/DIE GRÜNEN])


Wir haben überhaupt nichts dagegen, wenn – das ist
ein schönes Beispiel, das immer genannt wird – die Far­
be der Kabel in den Geräten angeglichen wird . Ich habe
vergessen, ob sie in deutschen Maschinen weiß und in
amerikanischen grün sind oder umgekehrt . Das können
Sie gerne angleichen . Damit hat kein Mensch ein Pro­
blem . Ein anderes Beispiel sind die berühmten Blinker .
Ich bin Verkehrspolitiker und kann Ihnen sagen: Mein
Gott, wenn das so wichtig ist, dann einigen wir uns halt
auf orange oder rote Blinker . Davon wird die Welt nicht
untergehen . Es war ein Vorschlag der italienischen Rats­
präsidentschaft, sich bei TTIP auf das zu konzentrieren,
was sinnvoll und notwendig ist, nämlich auf ein paar
wichtige Angleichungen bei den Industriestandards .


(Peter Beyer [CDU/CSU]: Zurück zur baden­ württembergischen Landesregierung!)


Damit hätte in diesem Haus wahrscheinlich überhaupt
niemand ein Problem .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Michael Grosse­Brömer [CDU/CSU]: Das ist aber Gegenstand von TTIP!)


Damit hätte wahrscheinlich auch kein einziger Bürger
ein Problem . Die Bürger haben aber zu Recht ein Pro­
blem damit, dass geheime Schiedsverfahren eingeführt
werden sollen,


(Christine Lambrecht [SPD]: Längst vom Tisch! – Peter Beyer [CDU/CSU]: Das Gegen­ teil ist doch die Wahrheit!)


die einen dazu verdonnern, Strafzahlungen in Millio­
nenhöhe zu leisten, wenn man bestimmte Gesetze ver­
abschiedet .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Peter Beyer [CDU/CSU]: Sie spielen mit den Ängsten der Menschen! Unmöglich!)


Sie haben ein Problem damit, dass Umweltstandards ge­
senkt werden, sie haben ein Problem damit, dass Agrar­
standards gesenkt werden, sie haben ein Problem damit,
dass das Transparenzniveau sinkt, und sie haben ein
großes Problem damit, dass auf Tausenden von Seiten
Regulierungen festgelegt werden, an die die Parlamente
nicht herankommen . Damit haben die Leute zu Recht ein
Problem, und damit hat auch Winfried Kretschmann ein
Problem .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Nebenbei: Nochmals vielen Dank für Ihre Frage, Herr
Wiese .


(Katrin Göring­Eckardt [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Zu Ende lesen hilft immer!)







(A) (C)



(B) (D)


Schauen wir uns einmal die bereits existierenden Do­
kumente zu CETA an . Was ist zum Beispiel nicht drin?
Das Vorsorgeprinzip ist nicht drin, obwohl das Vorsorge­
prinzip in unserer Umweltpolitik ganz entscheidend ist .
Wir haben doch bereits negative Erfahrungen mit Verträ­
gen gemacht, in denen das Vorsorgeprinzip nicht enthal­
ten ist . Kennen Sie den WTO­Vertrag? Der WTO­Vertrag
ist ganz spannend . Wir als Europäische Union haben be­
reits eine Verurteilung kassiert, weil wir Hormonfleisch
nicht importieren wollen . Wollen Sie noch mehr Ver­
urteilungen erhalten? Oder wollen Sie in Zukunft Hor­
monfleisch importieren? Sie müssen sich entscheiden:
Wollen Sie noch mehr Steuergelder zum Fenster hinaus­
schmeißen, oder wollen Sie Hormonfleisch importieren?
Eines von beiden geht nur . Oder lehnen Sie einfach die
Verträge in der Form ab .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Wenn wir uns das Ganze weiter anschauen, dann stel­
len wir fest, dass unsere amerikanischen Kollegen ziem­
lich gute Zugänge zu den Verträgen haben und hinein­
schauen können . Bei uns im Haus ist es sehr skurril . Von
den Abgeordneten ohne Regierungsamt hat ausgerechnet
ein CDU­Abgeordneter, nämlich Jürgen Hardt, Zugang .
Ich meine, skurriler geht es nicht .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Christine Lambrecht [SPD]: Das ist längst ge­ regelt!)


Wir beglückwünschen ihn, und wir wünschen ihm ein
spannendes Lesen .

Wir bedanken uns aber auch bei Herrn Lammert für
die klaren Worte . Wir erwarten von den Regierungsfrak­
tionen, dass sie dafür sorgen, dass alle Abgeordneten, die
das lesen wollen, Leserechte erhalten . So viel Stolz soll­
ten wir als Parlament haben .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Zur SPD mit ihren Schiedsgerichten. Da findet eine
wunderbare PR­Arbeit von Herrn Gabriel und Frau
Malmström statt: dass es jetzt angeblich einen öffentli­
chen Handelsgerichtshof geben soll, dass dabei ganz vie­
les verändert werden soll . Frau Malmström hat allerdings
auf eine Frage – wir können dabei auch einmal etwas zu­
gestehen – von Vertretern der Linken im Europäischen
Parlament, ob denn am CETA­Vertrag noch etwas geän­
dert werden solle, geantwortet: Nein, daran wird über­
haupt nichts mehr geändert .

Also, was stimmt jetzt, die Aussage von Frau Malm­
ström im Europäischen Parlament oder die Aussage von
Herrn Gabriel? Ich vermute, dass die Aussage von Frau
Malmström dazu stimmt . Sie ist näher dran und hat den
Daumen drauf . Also hören Sie auf mit Ihrer PR­Arbeit
und damit, auf Frau Malmström hereinzufallen . Lassen
Sie diese Form von PR­Arbeit sein! Geben Sie es einfach

zu: Sie stehen genauso zu Schiedsgerichten, und Ihre
Parteibeschlüsse sind Ihnen einfach nichts wert .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN – Ulli Nissen [SPD]: Das ist doch Unfug, was Sie erzählen!)


– Sie können so viel schreien, wie Sie wollen .


(Dr . Michael Fuchs [CDU/CSU]: Der Einzige, der hier schreit, sind Sie! – Weitere Zurufe von der CDU/CSU)


Deshalb bleibt es trotzdem bei den Aussagen auf euro­
päischer Ebene .


(Ulli Nissen [SPD]: Unfug!)


Dabei wäre es dringend notwendig, dass wir uns auf
eine stärkere Kooperation auf internationaler Ebene eini­
gen . In Paris wäre es dringend notwendig, dass wir einen
vernünftigen Vertrag finden, der entsprechende Klima­
schutzstandards setzt . Es wäre auch dringend notwendig,
dass wir uns auf internationale Verträge verständigen,
dass die großen Unternehmen wie Amazon, Google oder
Starbucks endlich Steuern zahlen . Erst in Addis Abeba
hat die Bundesregierung das Gegenteil gemacht .

Also: Es ist ganz klar, dass bei den großen Herausfor­
derungen von den Flüchtlingen über die Klimakrise bis
zur Veränderung der Konzernstrukturen und der Weige­
rung der Konzerne, Steuern zu zahlen, sowohl Deutsch­
land als auch die USA zu klein sind, ebenso wie auch
viele andere Länder zu klein sind, um solche Probleme in
den Griff zu bekommen .


Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1812705400

Redezeit!


Dr. Anton Hofreiter (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1812705500

Dabei sind Veränderungen nötig . Dazu sind entspre­

chende internationale Abkommen notwendig, aber Ab­
kommen, die an den Interessen der Bürger orientiert sind,
Abkommen, die die Standards heben, und nicht Abkom­
men, die die Standards senken .

Vielen Dank .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1812705600

Vielen Dank, Herr Kollege Hofreiter . – Nächster Red­

ner in der Debatte ist Dr . Michael Fuchs für die CDU/
CSU­Fraktion .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. Michael Fuchs (CDU):
Rede ID: ID1812705700

Verehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Wir haben gerade einmal wieder ein Para­
debeispiel gehört, wie die Grünen internationale Han­
delspolitik verteufeln . Sie wollen sie ja auch nicht . Sie
schreiben in ihrem Antrag den bemerkenswerten Satz:

Dr. Anton Hofreiter






(A) (C)



(B) (D)


Zudem ist zu befürchten, dass die Abkommen einen
zunehmenden Wettbewerbsdruck schaffen . . .

Meine Damen und Herren, Wettbewerb ist etwas
Schlechtes . Das lernen wir von den Grünen: Wir wol­
len keinen Wettbewerb, um Gottes willen . – Es soll alles
schön brav in der Kuschelecke der Grünen bleiben .

Wir wollen Wettbewerb . Wenn dieses Abkommen ein
Positives hat,


(Michael Grosse­Brömer [CDU/CSU]: Zum Wohl der Bürger!)


dann das, dass es Wettbewerb schaffen wird . Genau den
brauchen wir im Sinne der Verbraucherinnen und Ver­
braucher . Aber für Sie gilt das alles nicht, Sie interessiert
das nicht .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Es ist auch bemerkenswert, dass es auf einmal ein
Handelsabkommen gibt, an dem gewaltiges Interesse
herrscht . Es hat früher in diesem Hohen Hause kaum
einer zugehört, wenn wir über ein Handelsabkommen ge­
sprochen haben . Deutschland allein hat 134 verschiedene
Abkommen abgeschlossen . Deutschland hat über die EU
noch einmal mehr als 30 Abkommen abgeschlossen . In
130 Abkommen haben wir ISDS vereinbart . Wir haben
dies überall gehabt . Ich habe nie gehört, dass die Grünen
sich aufgeregt haben .

Aber ich weiß, warum Sie sich jetzt aufregen: Das ist
der Antiamerikanismus, der bei Ihnen vorhanden ist, und
nichts anderes .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Zurufe von der LINKEN und dem BÜND­ NIS 90/DIE GRÜNEN: Oh! – Katrin Göring­ Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist so peinlich! Das ist unter Ihrem Niveau! Eindeutig!)


Wo waren Sie denn, als wir das Korea­Abkommen ver­
handelt haben? Ich habe niemanden hier im Hohen Hau­
se gehört, der sich darüber aufgeregt hat . Wir haben ein
Handelsabkommen mit Korea abgeschlossen, und in die­
sem Abkommen haben wir Hunderte von verschiedenen
Standards vereinbart . All das war genau der richtige Weg .


(Zuruf von der LINKEN)


Wir müssen Standards angleichen .

Warum ist dieses Abkommen mit den Amerikanern so
wichtig? Weil wir damit globale Standards setzen kön­
nen . Mir wäre es ja recht – das ist das Einzige, wo ich
mit Herrn Hofreiter einig bin; aber das geht auch ganz
schnell zu Ende, keine Sorge –,


(Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU)


wenn wir über die WTO Weltstandards setzen könnten .
Aber wir müssen uns im Klaren sein, dass Doha seit et­
lichen Jahren keinen Zentimeter weiterkommt, dass es
niemandem gelungen ist, Doha in Bewegung zu bringen,


(Dr . Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und warum? Weil wir nicht auf Wünsche der ärmeren Länder eingehen! Weil man nur seine eigenen Wünsche durchdrücken will! Weil man kein Interesse hat an den Inter­ essen des globalen Südens! Das ist der Punkt!)


weil keine Interessen daran bestehen und weil es unheim­
lich schwierig ist, 156 Länder in ein Abkommen hinein­
zubekommen . Wir müssen leider erkennen, dass Doha in
den letzten Jahren keinen Zentimeter weitergekommen
ist .

Dem müssen wir auch insofern Rechnung tragen, dass
wir Free Trade Agreements mit anderen schließen . Wenn
es uns gelingt, ein vernünftiges TTIP­Abkommen auszu­
handeln, dann setzen wir für 800 Millionen Menschen
Standards . Diese Standards werden mit ziemlicher Si­
cherheit auch in andere Regionen der Welt übertragen .
Sie werden dann auch bei TPP, also auch in der Pazifikre­
gion, zur Anwendung kommen . Dies ist für uns wichtig .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Die Märchenstunde der Grünen, in der sie behaupten,
die Standards würden gesenkt und die amerikanischen
Standards seien des Teufels und so schlecht, ist doch
durch VW ziemlich intensiv beendet worden . Haben Sie
einmal geschaut, was bei VW los war? Die Amerikaner
haben wesentlich strengere Standards bei den Abgasen
von Dieselfahrzeugen als die Deutschen, als die Euro­
päer .


(Dr . Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist genau das, was ich gesagt habe!)


80 Milligramm NOX pro Kilometer darf ein Auto in
Deutschland ausstoßen; in den USA sind es etwas über
50 Milligramm pro Meile . Da ich manchmal das Gefühl
habe, dass der eine oder andere von Ihnen nicht richtig
rechnen kann, sage ich: Das sind 31 Milligramm pro
Kilometer . Das heißt, nicht einmal die Hälfte an Stick­
stoffmonoxid darf in den USA ausgeschieden werden .
Der Standard ist wesentlich strenger als bei uns . Wahr­
scheinlich ist das auch einer der Gründe, weswegen ge­
wisse Manipulationen – ich verurteile diese – von VW
vorgenommen wurden . Das muss man in aller Deutlich­
keit sagen . Die amerikanischen Standards sind in vielen
Bereichen deutlich strenger als die deutschen oder die
europäischen Standards . Diese sollen aneinander ange­
glichen werden . Dafür bin ich .

Ich möchte erreichen, dass dieses Abkommen vieles
ändert, wo wir jetzt aneinander vorbeilaufen . Sie haben
eben die Automobilindustrie erwähnt . Natürlich ist es
Blödsinn, dass in dem einen Land der Blinker rot und
in dem anderen Land gelb sein soll . Das kann man än­
dern . Es gibt jede Menge technische Standards, die man
angleichen kann . Beispielsweise müssen amerikanische
Armaturenbretter komplett anders ausgestattet sein als
deutsche . Wesentlich größere Airbagsysteme müssen
eingebaut werden . Das führt zu einer gewaltigen Ver­
teuerung für deutsche Automobilhersteller .


(Zuruf des Abg . Klaus Ernst [DIE LINKE])


Noch viel mehr brauchen die kleinen und mittleren
Unternehmen dieses Abkommen . Sie können sich nicht
wie VW oder andere große Unternehmen eine riesige

Dr. Michael Fuchs






(A) (C)



(B) (D)


Rechtsabteilung leisten, die sich mit den Standards in
den USA beschäftigt . Nein, sie werden schlicht und er­
greifend daran gehindert, in die USA zu exportieren .

Ich sage Ihnen eines: Jedes dieser Freihandelsabkom­
men hat gerade für Deutschland enorme Vorteile gehabt .
Nehmen wir einmal das Korea­Abkommen . Es ist vor
drei Jahren in Kraft getreten. Endratifiziert ist es, neben­
bei gesagt, immer noch nicht, weil einige Mitgliedslän­
der noch nicht zugestimmt haben; aber es ist zu großen
Teilen in Kraft, und es wird danach gehandelt . Im ersten
Halbjahr dieses Jahres, Herr Hofreiter, hat sich unser
Handel mit Korea um 50 Prozent gegenüber der Zeit vor
dem Korea­Abkommen verbessert . Die einzige Branche,
die erheblich Probleme befürchtete, war die Automobil­
industrie, weil man Angst hatte, dass dann zuhauf Hyun­
dais, Kias etc . auf deutschen Straßen herumfahren wür­
den . Das mag ja der Fall sein, aber es fahren mittlerweile
deutlich mehr Mercedes, Audi und BMW in Korea als
koreanische Autos hier .

Die deutsche Industrie war immer der Profiteur von
Außenhandel . Das sehen Sie auch daran, dass wir mitt­
lerweile einen Außenhandelsüberschuss, einen positiven
Saldo von über 200 Milliarden Euro haben .


(Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Zum Leid­ wesen der anderen europäischen Länder!)


Wenn wir das Abkommen nicht abschließen, was
passiert denn dann? Unser Export ist eine tragende Säu­
le der deutschen Wirtschaft . Es ist einfach Unfug, zu
glauben, wir könnten darauf verzichten . Wenn wir das
machen würden, dann können Sie davon ausgehen, dass
die deutsche Wirtschaft sehr schnell nicht mehr in der
Lage sein würde, die vielen Arbeitsplätze zu stellen, die
sie stellt . Gestern haben wir die tolle Zahl zur Kenntnis
bekommen, dass wir nur knapp 2,7 Millionen Arbeits­
lose haben . Das sind immer noch zu viele . Aber auf der
anderen Seite gab es seit der Wiedervereinigung noch nie
so wenige Arbeitslose . Das ist doch eine Erfolgsstory!
Darüber möchten Sie nicht reden; das kann ich durchaus
verstehen . Als Opposition gefällt es einem nicht, wenn
die Regierung etwas gut macht; dann ärgert einen das .


(Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Sie machen ja nichts gut!)


Aber ich möchte das hier schon erwähnen, und ich bin
stolz darauf, dass es so ist .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Nur: Das hängt natürlich auch mit einem funktionie­
renden Export zusammen . Wenn er nicht funktioniert,
dann sind rund 30 Prozent der Arbeitsplätze in Deutsch­
land nicht nur gefährdet, sondern sie fallen weg . Gerade
in der Situation, in der wir uns jetzt befinden, einer Situ­
ation, in der überall Flüchtlinge sind, brauchen wir die
Integrationskraft der deutschen Wirtschaft . Wir müssen
dafür sorgen, dass wir in der Lage sind, möglichst viele
dieser Flüchtlinge aufzunehmen .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Deswegen sollten wir gemeinsam dafür kämpfen, dass
das funktioniert . Wir sollten gemeinsam dafür kämpfen,
indem wir alle Schwierigkeiten für die Wirtschaft, die da

sind, jetzt aus dem Weg räumen . Das muss unsere Auf­
gabe sein, und diese werden wir auch erledigen . Ich weiß
genau, dass wir mit den Kollegen von der SPD auf dem
richtigen Weg sind .

Wir werden nicht zulassen, dass Abkommen wie TTIP
die ganze Zeit schlechtgeredet werden . TTIP ist eine gro­
ße Chance für uns, eine Chance für Europa, eine Chance
für Arbeitsplätze in Europa, eine Chance zur Sicherung
von Arbeitsplätzen in Europa und für eine bessere Zu­
sammenarbeit über den Atlantik hinweg . Daran arbeiten
wir weiter .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge­ ordneten der SPD)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1812705800

Vielen Dank, Kollege Dr . Fuchs . – Nächster Redner in

der Debatte: Klaus Ernst für die Linke .


(Beifall bei der LINKEN)



Klaus Ernst (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1812705900

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Präsidentin!

Herr Fuchs, Sie haben gerade eine Rede gehalten, die ich
insofern fantastisch finde,


(Dr . Michael Fuchs [CDU/CSU]: Sehr gut!)


als sie den besten Beweis geliefert hat, warum TTIP und
CETA nicht notwendig sind .


(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg . Dr . Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Die Bundesrepublik Deutschland ist Exportweltmeister
gewesen und hat aus Ihrer Sicht hervorragende Über­
schüsse; wir sehen sie problematisch . Das haben wir alles
ohne TTIP und ohne CETA hinbekommen .


(Michael Grosse­Brömer [CDU/CSU]: Ja, ja! Bloß nicht besser werden! – Dr . Michael Fuchs [CDU/CSU]: Muss denn immer alles so bleiben, wie es ist?)


Wir brauchen diese Abkommen nicht . Der Export funk­
tioniert auch ohne die Handelsabkommen, die Sie unbe­
dingt wollen .


(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg . Dr . Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Ich sehe am Glitzern in Ihren Augen, wie sehr Sie sich
über diese Debatte hier freuen; Sie hätten ja am liebsten,
dass das ganze Thema im stillen Kämmerlein behandelt
wird . Sie können sich übrigens noch viel mehr freuen,
Herr Fuchs und Herr Pfeiffer . Denn am 10 . Oktober die­
ses Jahres werden schätzungsweise mehrere 10 000 Men­
schen in Berlin gegen diese Abkommen demonstrieren .


(Peter Beyer [CDU/CSU]: Organisiert von der Protestmaschinerie!)


Dr. Michael Fuchs






(A) (C)



(B) (D)


Es freut uns, dass das so ist . Ich hoffe, dass sich die Bür­
gerinnen und Bürger mit ihrem Protest gegen Ihre Lob­
bypolitik für Teile der Industrie durchsetzen werden .


(Beifall bei der LINKEN)


Meine Damen und Herren, der Antrag der Grünen ist
richtig .


(Beifall beim BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN)


Ja, wir brauchen einen Neustart in der Handelspolitik .
Wir brauchen das Vorsorgeprinzip . Das bedeutet, dass
Produkte, die auf den Markt kommen, erwiesenermaßen
unschädlich sein müssen und nicht erst hinterher nachge­
schaut wird, ob es eine Schadenersatzklage gibt, wie zum
Beispiel in den USA . Wir brauchen die Setzung robuster
ökologischer und sozialer Standards . Das alles ist in die­
sem Antrag der Grünen beinhaltet . Wir haben dieselbe
Position .

Wir sagen auch: All die Standards, die gesetzt wur­
den, übrigens auch positiv in den USA – Herr Fuchs, Sie
haben hier richtige Beispiele genannt –, dürfen nicht der
Handelspolitik zum Opfer fallen . In den USA bestehen
dieselben Ängste wie bei uns hinsichtlich eines Abbaus
der Standards . Das gilt auch für das Finanzwesen, Herr
Fuchs; das wissen Sie ganz genau . Das wollen wir nicht,
meine Damen und Herren .


(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg . Dr . Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Die Zahl der Kritiker an den Handelsabkommen
nimmt immer mehr zu . Laut Wirtschaftswoche droht
Frankreich jetzt damit, die Verhandlungen platzen zu las­
sen . Ja, die Franzosen sind mutig .


(Michael Grosse­Brömer [CDU/CSU]: Sie müssen es ja wissen! Frankreich ist ja auch unglaublich erfolgreich in der Wirtschaftspoli­ tik! – Max Straubinger [CDU/CSU]: Das liegt bestimmt an der sozialistischen Wirtschafts­ weise!)


Und wie ist es bei uns? Ich möchte einmal Herrn Gabriel,
unseren Wirtschaftsminister, zitieren . Er sagte hier im
Plenum – Zitat –: Aber den Glauben, wir hätten es im
Kreuz, gegen den Rest Europas den Investitionsschutz
komplett wieder aus den Verhandlungen herauszuneh­
men, den habe ich nicht .

So viel Zaudern! Nun hat er doch ein breites Kreuz; er
könnte es in diesen Verhandlungen doch einmal zeigen,
statt sich immer bloß zu Glaubensfragen zu äußern . Ob
er daran glaubt oder nicht, ist nicht die Frage . Die Frage
ist, was er tut, um diese Positionen durchzusetzen, meine
Damen und Herren .


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord­ neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Der Widerstand wird immer größer: Österreich, Frank­
reich und Ungarn . Wir sind in dieser Frage mit unserer
Position jedenfalls nicht alleine .


(Max Straubinger [CDU/CSU]: Sehr alleine!)


Ich zitiere die Berliner Zeitung vom 11 . September
2015, die die Schiedsgerichte so beschrieben hat, Herr
Fuchs – das ist übrigens auch der Unterschied zu dem,
was früher in den Handelsabkommen enthalten war –:

Mittlerweile hat sich eine regelrechte Klage­
industrie entwickelt .

– Übrigens nicht Empörungsindustrie, Herr Pfeiffer, son­
dern Klageindustrie .


(Dr . Joachim Pfeiffer [CDU/CSU]: Darauf kommen wir nachher!)


Die Zahl der Klagen

– vor diesen Schiedsgerichten –

hat sich in den vergangenen 20 Jahren verfünf­
zigfacht, mit steigender Tendenz . . . . Ganz of­
fenbar dient der Investitionsschutz nicht mehr
in erster Linie dem ursprünglichen Zweck,
Unternehmen vor staatlicher Willkür zu schüt­
zen . Er ist selbst zum Geschäft geworden .

Vor allem für die Beteiligten! Das ist auch ein Grund da­
für, dass wir sagen: Diese Schiedsgerichte brauchen wir
nicht; sie müssen weg .


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord­ neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Jetzt haben wir so eine Position auch von der SPD;
ich verstehe sie nicht richtig . Es wird gesagt: Wir haben
mit dem internationalen Handelsgerichtshof jetzt doch
eine andere Position . – Kolleginnen und Kollegen, bitte
lest euch CETA durch! Da sind die Schiedsgerichte drin
und nicht ein internationaler Handelsgerichtshof . Von
Malmström bis Gabriel, alle sagen: Das kann nicht mehr
verändert werden . – Wenn Sie diese Schiedsgerichte bei
CETA akzeptieren, dann können 80 Prozent der amerika­
nischen Unternehmen über Kanada klagen, weil sie dort
einen Standort haben .


Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1812706000

Kollege Ernst, erlauben Sie eine Zwischenfrage des

Kollegen Rosemann von der SPD?


Klaus Ernst (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1812706100

Freilich .


Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1812706200

Herr Rosemann .


Dr. Martin Rosemann (SPD):
Rede ID: ID1812706300

Herr Kollege Ernst, weil Sie eben über das breite oder

nicht breite Kreuz von Herrn Vizekanzler und Bundes­
wirtschaftsminister Sigmar Gabriel gesprochen haben:


(Sigmar Gabriel, Bundesminister: Das ist ein­ deutig zu breit! – Dr . Joachim Pfeiffer [CDU/ CSU]: Ja, das ist unstrittig!)


Würden Sie vielleicht freundlicherweise zur Kenntnis
nehmen, dass die Europäische Kommission ihre Haltung
in der Frage der Schiedsgerichte massiv geändert hat,

Klaus Ernst






(A) (C)



(B) (D)


dass sie keine Schiedsgerichte mehr, sondern einen inter­
nationalen Handelsgerichtshof will und dass diese verän­
derte Haltung ganz maßgeblich auf zwei deutsche Sozial­
demokraten zurückgeht, nämlich auf Sigmar Gabriel und
auf den Berichterstatter und Vorsitzenden des Handels­
ausschusses im Europäischen Parlament, Bernd Lange?


(Beifall bei der SPD – Volker Kauder [CDU/CSU]: Nein!)



Klaus Ernst (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1812706400

Natürlich nehme ich das zur Kenntnis . – Ich habe aber

schon in der letzten Rede gesagt und will hier noch ein­
mal sagen: Da passiert etwas sehr Seltsames . Es wird
nämlich so getan, als würde man mit dieser Position die
privaten Schiedsgerichte tatsächlich verhindern . Das tut
man aber nicht, weil die privaten Schiedsgerichte – ich
habe gerade versucht, das auszuführen – in CETA, also in
dem Abkommen mit Kanada, enthalten sind . Da sind sie
drin, und da bleiben sie auch drin, weil das Abkommen
nicht verändert werden soll .

Da 80 Prozent der Unternehmen in den USA über
Kanada in Deutschland und in Europa klagen können,
weil CETA die Schiedsgerichte beinhaltet, nützt Ihnen
ein internationaler Handelsgerichtshof überhaupt nichts,
sondern wenn Sie CETA nicht ablehnen, dann akzeptie­
ren Sie letztendlich private Schiedsgerichte . Das ist der
Zusammenhang .


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜND­ NIS 90/DIE GRÜNEN – Michael Grosse­ Brömer [CDU/CSU]: Die gibt es doch jetzt in Deutschland auch schon! Meine Güte! Diese Argumentation tut ja weh!)


Ich komme zu meinem nächsten Punkt: Selbst wenn
Sie diesen internationalen Handelsgerichtshof hätten –
ich gehe davon aus, dass es eine gewisse Zeit dauern
wird, bis wir ihn kriegen –, hätten Sie folgendes Prob­
lem: Auch das ist eine Sondergerichtsbarkeit . Vor diesem
Gericht können nur die Unternehmen gegen die einzel­
nen Staaten klagen . Kein Bürger Europas hat die Mög­
lichkeit, vor diesem internationalen Handelsgerichtshof
zum Beispiel dagegen zu klagen, dass irgendein Konzern
aus Amerika, aus Kanada oder sonst woher die Umwelt
versaut und die Standards nicht einhält . Dafür müsste er
vor ein deutsches Gericht gehen, wenn er deutscher Bür­
ger ist . Für Franzosen und Italiener gilt das entsprechend .
Das ändern Sie mit diesem internationalen Handelsge­
richtshof überhaupt nicht .

Deshalb sage ich: Wir brauchen auch keinen interna­
tionalen Handelsgerichtshof; wir brauchen keine Son­
dergerichte . Die USA, Kanada, Frankreich, Italien und
Deutschland sind Rechtsstaaten . Wenn jemand klagen
will, dann soll er es da tun, wo er lebt, und damit hat
sich das .


(Beifall bei der LINKEN)


Meine Damen und Herren von der SPD, aufgrund
Ihrer Frage und Ihrer Einlassung vorhin muss ich na­
türlich fragen: Welche Position hat eigentlich die SPD?
Was will sie denn eigentlich mit diesem Schlingerkurs
gewinnen? Ich kenne doch die Debatte . In der SPD sind

langsam immer mehr Leute frustriert, weil sie nicht mehr
wissen, wohin Sie wollen .

Ich möchte den Vorsitzenden der IG Metall zitieren,
weil immer so getan wird, als würde durch CETA Wachs­
tum entstehen . Er hat gesagt: Da hat das Wetter mehr
Einfluss auf das Wachstum als das Handelsabkommen.

Die Gewerkschaften, Sigmar Gabriel, sind euch von
der Fahne gegangen . Sie demonstrieren mit uns am
10 . Oktober gegen diese Abkommen . Ich weiß nicht, wo
die Freunde noch sind, vielleicht bei Herrn Pfeiffer und
anderen . Eigentlich ist es doch so, dass das breite Mehr­
heiten in der Bevölkerung inzwischen sehr, sehr kritisch
sehen .

Meine Damen und Herren, wir wollen, dass es bei
den Schutzvorschriften bleibt, die wir haben . Wir wol­
len, dass es bei unseren Regulierungen bleibt . Wir wol­
len nicht, dass die Regulierungen künftig nicht mehr von
Parlamenten oder Regierungen ausgehen . Wir wollen
nicht, dass regulatorische Räte, die genauso geheim han­
deln und tagen werden, wie bisher dieser ganze Laden
gelaufen ist, letztendlich die Geschichte bestimmen .

Ich komme zum Schluss . Wenn man sich das ganze
Vertragswerk zu Kanada ansieht – und das wird die Blau­
pause für TTIP werden –, stellt man fest: Da sind auf
der einen Seite Dinge von der Liberalisierung ausgenom­
men, auf der anderen Seite sind sie wieder drin . Wenn
man das liest, hat man den Eindruck: Die Politik, die ge­
macht wird, läuft unter dem Motto: Wenn wir sie nicht
überzeugen können, dann verwirren wir sie halt . Man
kommt sozusagen nicht richtig an das Fleisch heran . Der
eigentliche Sinn wird verschleiert . – Ich bin gleich fertig,
Frau Präsidentin . – Es geht – und da hat Herr Hofrei­
ter vollkommen recht – nicht um die gelben oder roten
Blinklichter . Es geht noch nicht einmal um das Chlor­
hühnchen . Es geht darum, dass wir nicht wollen, dass
Standards abgesenkt werden, dass private Schiedsgerich­
te Rechtsstaaten aushebeln . Vielmehr wollen wir, dass
es dabei bleibt, dass die Parlamente entscheiden, welche
Regelungen wir haben .


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Deshalb unterstützen wir die heutigen Anträge der
Grünen, haben auch eigene vorgelegt und rufen alle
Bürgerinnen und Bürger auf, am 10 . Oktober mit uns ge­
meinsam gegen TTIP und CETA zu demonstrieren .

Ich danke fürs Zuhören .


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1812706500

Vielen Dank, Herr Kollege Ernst . – Nächster Redner:

Dirk Wiese für die SPD .


(Beifall bei der SPD)



Dirk Wiese (SPD):
Rede ID: ID1812706600

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Lassen Sie mich für die SPD­Bundestagsfrak­

Dr. Martin Rosemann






(A) (C)



(B) (D)


tion zunächst eines betonen: Ohne die vielen engagierten
NGOs hätten wir heute hier im Haus keine so bewegende
Debatte über das Für und Wider von Freihandelsabkom­
men .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Dr . Petra Sitte [DIE LINKE]: An Ihnen hat es nicht ge­ legen!)


Während sich früher nur eine Handvoll Spezialisten
für Themen der internationalen Handelspolitik inter­
essierte, so findet heute eine breite Diskussion darü­
ber statt, wie wir Globalisierung gestalten wollen, und
dies ist gut und richtig . Leider hat es dieses Interesse
aber bei den über 100 bereits ratifizierten Freihandels­
abkommen der Bundesrepublik Deutschland so nicht
gegeben . Doch jetzt wird debattiert, Argumente wer­
den ausgetauscht . Jede Diskussionsrunde hier in Berlin
oder vor Ort in den Wahlkreisen ist wichtig; das haben
mir viele Veranstaltungen und persönliche Gespräche in
den letzten Wochen eindrucksvoll gezeigt .


(Widerspruch beim BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Nur, liebe Kolleginnen und Kollegen, die Debatte
braucht keine Feindbilder, sondern Pro­ und Kontraar­
gumente . Eine einseitige Stigmatisierung des – in An­
führungszeichen – Westens greift aus meiner Sicht ins
Leere . Warum wird nicht auch über das Für und Wider
der Freihandelsabkommen der Europäischen Union mit
Vietnam, Singapur, Japan oder Indien diskutiert?


(Michael Grosse­Brömer [CDU/CSU]: Da sind die Amerikaner nicht dabei! Das interes­ siert keinen Ideologen!)


Was verbirgt sich hinter dem Investitionsschutzabkom­
men mit China? Wieso wird nicht öffentlich über das Pro
und Kontra einer Freihandelszone von Lissabon bis Wla­
diwostok diskutiert? Was tut sich in anderen Regionen
der Welt? Allein in der Asien-Pazifik-Region sind über
100 Freihandelsabkommen in Kraft, und 75 befinden
sich derzeit in Verhandlung . Dazu kommt ein Wettlauf
zwischen der Trans-Pacific Partnership und der Regional
Comprehensive Economic Partnership in Asien .


Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1812706700

Herr Wiese, erlauben Sie eine Zwischenfrage von

Herrn Ebner?


Dirk Wiese (SPD):
Rede ID: ID1812706800

Harald, klar, bitte .


Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1812706900

Harald, ja .


(Heiterkeit bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Harald Ebner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1812707000

Sehr geehrter Kollege Wiese, lieber Dirk, es kamen

gerade die weiteren Handelsabkommen mit China usw .
zur Sprache, all jene, die derzeit verhandelt werden bzw .

bereits verhandelt sind . Vorhin wurden die Punkte 1 bis
4 aus dem Kabinettsbeschluss der grün­roten Landesre­
gierung in Baden­Württemberg zitiert . Deshalb möchte
ich an dieser Stelle nachfragen, ob es sich nicht gelohnt
hätte, auch die Ziffern 5 bis 21 zu lesen, in denen auf
genau solche Dinge eingegangen wird, in denen auf In­
vestitionsschutz eingegangen und klargestellt wird: Die
Landesregierung Baden­Württemberg stellt sich gegen
solche Investitionsschutzabkommen und möchte sich
auch dafür einsetzen, in all diesen – auch vom Kolle­
gen Fuchs vorhin angeführten – bereits abgeschlossenen
Handelsabkommen diese aus unserer Sicht und aus Sicht
der Landesregierung Baden­Württemberg nicht tragba­
ren Investitionsschutzvorschriften mit den Schiedsge­
richtsverfahren, die intransparent ablaufen, aus der Welt
zu schaffen .

Ein Letztes noch: die Frage der Transparenz . Ist Ihnen
zum Beispiel bekannt, dass gestern zum ersten Mal der
von der Landesregierung aufgrund dieses Kabinettsbe­
schlusses eingesetzte öffentliche Beirat zu TTIP getagt
hat, in den gesellschaftliche Gruppen wie NGOs und Kir­
chen eingebunden sind?


(Klaus Barthel [SPD]: Das haben wir doch auf Bundesebene längst!)


Damit stellt man Transparenz her; sie ist notwendig . Da­
von könnte sich der Bund eine Scheibe abschneiden . Ich
glaube, dafür sollten wir uns einsetzen, auch was das Le­
serecht für Abgeordnete und all diese Dinge angeht .

Danke schön .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1812707100

Herr Wiese, bitte .


Dirk Wiese (SPD):
Rede ID: ID1812707200

Lieber Kollege Ebner, ich danke für die Zwischenfra­

ge und begrüße ausdrücklich, dass die Landesregierung
in Baden­Württemberg auf Initiative des Europaminis­
ters Peter Friedrich, SPD, den TTIP­Beirat ins Leben ge­
rufen hat . Das heißt doch: Sie haben sich Sigmar Gabriel
im Bundeswirtschaftsministerium als Vorbild genom­
men, der schon längst einen TTIP­Beirat eingerichtet hat .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Darum freuen wir uns, wenn wir auch Ministerpräsident
Kretschmann mal auf gute Ideen bringen .

Zu dem zweiten Punkt, den Sie angesprochen haben .
Ja, die Eckpunkte der baden­württembergischen Lan­
desregierung umfassen 21 Punkte . Ich war mir, ehrlich
gesagt, nur nicht sicher, ob ich alle 21 Punkte zitieren
soll . Denn ich bin mir nicht ganz sicher, wie lange gemäß
unserer Geschäftsordnung die Fragezeit ist, die man als
Abgeordneter hat .


Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1812707300

So lange nicht .

Dirk Wiese






(A) (C)



(B) (D)



Dirk Wiese (SPD):
Rede ID: ID1812707400

Die Präsidentin bestätigt es gerade: So lange ist die

Zeit nicht . Darum sehen Sie es bitte nach . Die Geschäfts­
ordnung ermöglicht es nicht, alle Punkte aufzuzählen .

Ich habe die Punkte 1, 2, 3 und 4 angesprochen . Aber
mir sind auch die Punkte bewusst, die deutlich machen,
dass das bestehende System der Schiedsgerichtsbarkeit
einer Reform bedarf. Das sehe ich definitiv so – darauf
gehe ich gleich noch ausführlich ein –, und darum ist es
gut, dass das auf den Weg gebracht worden ist .

In den Punkten wird aber auch betont, dass in solchen
Abkommen Chancen stecken . Allerdings müssen wir die
Position der baden­württembergischen Landesregierung
in Bezug auf die regulatorische Kooperation in Punkt 4,
die sie relativ unkritisch sieht, meiner Meinung nach
etwas genauer in den Blick nehmen . Aber dabei helfen
wir Ihnen als SPD immer gerne . Wenn die SPD mitre­
giert, ist es immer gut . Darum noch einmal Dank an Peter
Friedrich, dass er in Baden­Württemberg den Beirat in­
itiiert hat .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Ulli Nissen [SPD]: Zwei zu null!)


Man sieht also: Jedes dieser von mir genannten Ab­
kommen, die auch Kollege Harald Ebner eben ange­
sprochen hat, bedarf einer breiten Diskussion . Für die
SPD­Bundestagsfraktion ist aus meiner Sicht klar: Glo­
balisierung braucht keine Denkverbote, sondern Regeln,
und zwar ganz im Sinne von Willy Brandt: „Der beste
Weg, die Zukunft vorauszusagen, ist, sie zu gestalten .“

Wir wollen an den Regeln aktiv mitwirken und unsere
sozialdemokratischen Vorstellungen und Konzepte ein­
bringen . Nur aktive Gestaltung und engagierte Mitarbeit
ermöglichen Lösungen für unsere Bürgerinnen und Bür­
ger: für gute Arbeitsplätze vor Ort, für eine tatsächliche
Stärkung der ILO­Kernarbeitsnormen und für einen Weg
hin zu einem internationalen Handelsgerichtshof bei In­
vestitionsstreitigkeiten zwischen Rechtsstaaten, wie ihn
Sigmar Gabriel vorgeschlagen hat . Dazu gehört auch –
das möchte ich ausdrücklich betonen – eine umfassende
Reform der Schiedsgerichtsbarkeit bei nicht vergleichba­
ren Rechtsstaaten. Die Ratifizierung der Mauritius-Kon­
vention in diesem Jahr war ein wichtiger Schritt in diese
Richtung .

Aber wer sich nicht konstruktiv einbringt und auch
nicht am Verhandlungstisch sitzt, der redet auch nicht
mit .


(Katharina Dröge [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ­ NEN]: Sie sitzen auch nicht am Verhandlungs­ tisch!)


Einfach und verführerisch klingt deshalb der Ruf „Stoppt
TTIP!“ . Das wäre allerdings aus meiner Sicht ein Pyr­
rhussieg . Würden wir die Verhandlungen stoppen, dann
gestalten zukünftig andere die Globalisierung und set­
zen ihre Regeln und Standards, und die EU und ihre
Mitgliedstaaten würden ihren Gestaltungsanspruch auf­
geben . Diese Art demonstrativer Ablehnung zeigt keine
Stärke, sondern gibt einfach den Ball aus der Hand . Wir

müssen aber am Verhandlungstisch mit starker Stimme
präsent bleiben .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wie geht es eigentlich bei TTIP und CETA weiter?
Der heraufziehende US­Präsidentschaftswahlkampf be­
stimmt den Zeitplan . 10 von 27 Verhandlungsrunden
sind gelaufen . Bis zum Jahresende wird daher ein Me­
morandum of Understanding angestrebt . Darin sollen der
derzeitige Verhandlungsstand und etwaige Einigungen
festgehalten werden . Aber es soll auch erneut deutlich
gemacht werden, was nicht Gegenstand der Verhandlun­
gen ist . Das MoU ist sehr sinnvoll, da man damit einen
handfesten Zwischenstand für die Diskussionen hat, wo­
ran sich alle handfest abarbeiten können .

CETA wird derzeit noch juristisch geprüft . Im An­
schluss erfolgt die Übersetzung in die Amtssprachen der
Europäischen Union . Die Resolution des Europäischen
Parlaments vom Juli – noch einmal Dank an meinen
Kollegen Bernd Lange; mein Kollege Martin Rosemann
hat es bereits angesprochen – macht diesbezüglich klare
Vorgaben und erteilt dem alten Schiedssystem eine klare
Absage .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Die Reformvorschläge von Professor Dr . Krajewski
im Auftrag des Bundesministeriums für Wirtschaft zei­
gen zudem den sozialdemokratischen Gestaltungswillen
in der Debatte . Warten wir also die anstehenden Wahlen
in Kanada am 16 . Oktober in Ruhe ab .

Es freut mich ganz besonders – Harald Ebner hat
das angesprochen –, dass auch die grün­rote Landesre­
gierung von Baden­Württemberg einen TTIP­Beirat ins
Leben gerufen hat . Sie hat sich in ihren Eckpunkten klar
zu den Chancen bekannt, hat aber auch aufgezeigt, wo
Reformen und Änderungen in den laufenden Verhand­
lungen nötig sind, und dies ganz im Sinne von Sigmar
Gabriel . Ich freue mich sehr, dass Winfried Kretschmann
auf die Linie der SPD eingeschwenkt ist .


(Beifall bei der SPD – Lachen des Abg . Dr . Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Dies ist nicht erstaunlich, sondern richtig .

Lieber Kollege Hofreiter, ich würde mich freuen,
wenn Sie beim nächsten Mal meine Frage beantworten
und nicht darum herumreden würden .

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1812707500

Vielen Dank, Dirk Wiese . – Nächster Redner in der

Debatte: Dr . Joachim Pfeiffer für die CDU/CSU­Frak­
tion .


(Beifall bei der CDU/CSU)







(A) (C)



(B) (D)



Dr. Joachim Pfeiffer (CDU):
Rede ID: ID1812707600

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Wenn man die Kollegen Hofreiter, Ernst und Konsor­
ten reden hört, dann fragt man sich, worum es eigentlich
geht . In der Sache geht es darum, den größten Binnen­
markt der Welt zu schaffen, der 800 Millionen Menschen
umfasst, 500 Millionen aus Europa – wir haben 1992
einen vergleichbaren Binnenmarkt geschaffen, und zwar
mit sehr vielen positiven Wirkungen, die hier im Haus
mittlerweile von niemandem mehr bestritten werden,
nicht einmal von ganz links – und 300 Millionen Ame­
rikaner auf der anderen Seite des Atlantiks . Insgesamt
werden auf diesem Binnenmarkt mehr als 50 Prozent des
Weltsozialprodukts erwirtschaftet . Über ein Drittel des
Welthandels wird damit umfasst . Gerade für Deutsch­
land als globalisierte Nation par excellence, die wie kein
anderes Land in die Weltwirtschaft eingebunden ist, ist
von zentraler Bedeutung, dass wir Freihandel, freie Re­
geln, Marktzugang und einheitliche moderne Standards
schaffen . Es geht nicht darum, Standards abzusenken; es
geht darum, Standards und Regeln zu vereinbaren, die
weltweit Vorbildcharakter haben .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Was sind die Instrumente? Sie wurden teilweise schon
genannt . Es geht darum, den Marktzugang zu verbes­
sern und Zölle, sofern noch vorhanden, abzusenken . Es
geht nicht darum, Standards abzusenken, sondern dar­
um, gleich hohe und vergleichbare Standards dort, wo es
sinnvoll ist, gegenseitig anzuerkennen, genauso wie es
1992 auf dem Binnenmarkt der Europäischen Union der
Fall war . Es geht nicht um Demokratieabbau, wie Sie be­
haupten, sondern um Bürokratieabbau und Verbesserung
der Standards .


(Dr . Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es war schon klar, dass Sie Um­ weltschutzgesetzgebung für Bürokratie hal­ ten! Das passt zu Ihnen, Herr Pfeiffer!)


Es geht auch darum, einen Zugang – einen solchen
haben wir bisher nicht – zu den Beschaffungsmärkten
der öffentlichen Hand in den USA zu ermöglichen . Da­
rüber wird verhandelt, und zwar zwischen der EU und
den USA und nicht zwischen Deutschland und den USA,
Herr Hofreiter . Auch Sie haben zugestimmt, dass die EU
und nicht Deutschland das verhandelt . Erzählen Sie also
nichts Falsches! Sie haben vorhin gesagt, dass Sie kei­
nen Zugang zu den Unterlagen hätten . Es verhandelt die
Europäische Union mit den USA, und zwar transparent
wie nie und demokratisch legitimiert . Die EU­Kommis­
sion, die auf unserer Seite die Verhandlungen führt, wird
eng begleitet vom Europäischen Parlament, das genauso
demokratisch legitimiert ist wie der Deutsche Bundestag .

Ich frage Sie von der Linken und den Grünen: Wollen
Sie sich in die Verhandlungen einbringen? Wollen Sie
das beste Abkommen, das die besten Standards setzt und
das unsere Anliegen berücksichtigt, oder sind Sie in To­
talopposition und dagegen? Ich habe den Eindruck, dass
Letzteres zutrifft . Herr Hofreiter und Herr Ernst sprachen
von Bürgerinitiativen gegen TTIP . Mit Bürgerinitiativen
kennen sich sicherlich manch andere besser aus als ich .


Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1812707700

Das stimmt . Das ist aber auch leicht .


Dr. Joachim Pfeiffer (CDU):
Rede ID: ID1812707800

Ich jedenfalls denke, dass Bürgerinitiativen demokra­

tisch strukturiert, legitimiert und verfasst sind . Dort kom­
men Bürger zusammen, die gemeinsam für eine Sache
kämpfen .

Was steckt wirklich hinter diesen vermeintlichen Bür­
gerinitiativen, von denen Sie hier vorher gesprochen ha­
ben? Sie haben von Millionen Menschen gesprochen, die
sich angeblich in der Sache bürgerschaftlich engagieren .
Ich habe eher den Eindruck: Dort werden Ängste und
Emotionen geweckt, bewusst bedient .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Deshalb habe ich den Begriff der Empörungsindustrie
geprägt und hier auch schon mehrfach verwendet; ich
will ihn an dieser Stelle ausdrücklich wiederholen .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge­ ordneten der SPD)


Ich möchte das auch gern einmal mit ein paar Bei­
spielen belegen, und zwar mit Zitaten, wie andere Kol­
legen das vorher auch getan haben . Zufälligerweise ganz
aktuell, gestern, hat Cicero geschrieben, was sich hinter
dieser Empörungsindustrie, wie ich sie nenne, verbirgt:
„digitalen One­Klick­Aktivismus aus den USA nach
Deutschland“ geholt . – Ich rede jetzt von Campact .


(Zuruf des Abg . Dr . Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Das ist eine dieser Organisationen; andere sind Attac,
Foodwatch; ich weiß nicht, ob ich es schaffe, heute auf
alle einzugehen . Die kann man schön analysieren und
zerlegen . Allein bei Campact „erreicht jede Aktionsmail
fast 1,7 Millionen Protestwillige“ . Sie nennen das „Bür­
gerinitiativen“ . Cicero schreibt:

Von Aufklärung ist allerdings nicht viel zu sehen,
stattdessen setzt Campact auf den schnellen Protest .
An die Stelle von Argumenten treten Emotionen
und Angstkampagnen .


(Zurufe von der CDU/CSU: So ist das!)


Ich führe weiter aus:

Der Etat der Organisation umfasst für das Jahr 2015
rund 6,2 Millionen Euro . Tendenz steigend . . . .

Rund 40 Mitarbeiter sorgen dafür, dass die Empö­
rungsmaschine läuft . …


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Und Campact braucht einen Partner, denn das Cam­
pact­Prinzip heißt: Inhaltliche Details interessieren
uns nicht .


(Ulli Nissen [SPD]: Aber die Bürger interes­ siert es! – Gegenruf des Abg . Max Straubinger [CDU/CSU]: Die Bürger auch nicht!)


Der BUND, ver .di, die Diakonie und der Verkehrs­
club Deutschland – viele große NGOs haben schon






(A) (C)



(B) (D)


auf die Schlagkraft von Campact zurückgegriffen .
Im besten Fall ist es eine Win­win­Situation, der
eine liefert die Inhalte, der andere die Klick­Batail­
lone .


(Ulli Nissen [SPD]: Es gibt ganz viele Men­ schen, die Angst haben!)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1812707900

Herr Dr . Pfeiffer, erlauben Sie eine Zwischenfrage

von Klaus Ernst?


Dr. Joachim Pfeiffer (CDU):
Rede ID: ID1812708000

Selbstverständlich .


Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1812708100

Gut .


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Das war jetzt schade! – Weitere Zurufe von der CDU/CSU)



Dr. Joachim Pfeiffer (CDU):
Rede ID: ID1812708200

Ich habe ja noch Zeit .


Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1812708300

So lange nicht mehr .


(Heiterkeit)



Klaus Ernst (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1812708400

Herr Pfeiffer, ich wollte Ihre Redezeit tatsächlich ein

bisschen verlängern . Je länger Sie reden, desto mehr wer­
den Sie den Widerstand gegen diese Abkommen sicher
erhöhen .


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜND­ NIS 90/DIE GRÜNEN – Max Straubinger [CDU/CSU]: Warum unterbrechen Sie ihn dann?)


Aber zu dieser Empörungsindustrie, über die Sie sich
ja so trefflich auslassen: Sind Sie mit mir der Auffassung,
dass die Empörungsindustrie und die Menschen, die
bereit waren, sich mit dieser Empörungsindustrie dafür
einzusetzen, dass das öffentlich wird, was sich bis jetzt
hinter dem Rücken der Menschen vollzogen hat,


(Max Straubinger [CDU/CSU]: Das ist nicht wahr!)


eigentlich ein Erfolg der Demokratie sind? Sind Sie mit
mir der Auffassung, dass wir es diesen Initiativen zu ver­
danken haben, dass das eine oder andere öffentlich ge­
worden ist, das sonst nach wie vor nur in den Schränken
und Aktenkoffern von einigen in der Europäischen Union
und von einigen Vertretern großer Industrieunternehmen
gewesen wäre?

Herr Pfeiffer, weil Sie sich so vortrefflich für den Han­
del ausgesprochen haben: Ich glaube nicht, dass hier je­
mand sitzt, der gegen Handel ist .


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Aha!)


Was uns unterscheidet, ist, dass wir fairen Handel wol­
len – darin unterscheiden wir uns: fairen Handel .


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord­ neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wir haben den Eindruck, dass das, was mit den Han­
delsabkommen stattfinden soll, eben nicht fairer Handel
ist, sondern dass das dazu führen wird – das ist bereits
ausgeführt worden –, dass die Standards sich verschlech­
tern .

Zum Schluss, Herr Pfeiffer:


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Dr . Pfeiffer! – Weitere Zurufe von der CDU/CSU)


– Ich bin ja froh, wenn Sie länger reden .


Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1812708500

Ja, aber ich nicht, wenn Sie länger fragen .


(Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Klaus Ernst (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1812708600

Ich wünsche Herrn Pfeiffer, dass er auch einmal in sei­

ne eigene Basis hineinhört und nicht nur bei Campact .


(Michael Grosse­Brömer [CDU/CSU]: Jetzt empören Sie sich doch mal! – Volker Kauder [CDU/CSU]: Mehr Empörung!)


Wenn ich mit verschiedenen Leuten aus Ihrer Partei rede,
dann merke ich, dass es dort auch sehr große berechtigte
Vorbehalte gegen das gibt, was Sie hier vertreten .

Ich danke für die Möglichkeit, Ihnen eine Frage zu
stellen .


Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1812708700

Herr Dr . Pfeiffer, bitte .


Dr. Joachim Pfeiffer (CDU):
Rede ID: ID1812708800

Vielen Dank für die Bemerkungen und auch die Fra­

gen . – Ich teile Ihre Auffassung dezidiert nicht,


(Dr . Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Welche? Dass Sie uns unterstüt­ zen?)


weil ich nicht erkennen kann, dass sich hinter den Millio­
nen von Klick­Aktivisten, allein 1,7 Millionen bei Cam­
pact, wirkliche Bürgerinteressen verbergen, Interessen
von Bürgern, die auch informiert sind . Die sind vielleicht
eher etwas hinters Licht geführt worden . Das ist ja vorher
schon angeklungen . Ich habe hier gerade die aktuellen
Zahlen von der Europäischen Union . Es sind, wie gesagt,
1,3 Millionen, die sich in Deutschland beteiligt haben .
Ein großes Thema ist zum Beispiel die Frage, ob öffent­
liche Dienstleistungen bzw . die öffentliche Daseinsvor­
sorge privatisiert werden sollen oder nicht . Über die wird
ja gar nicht verhandelt . Die Dokumente von Malmström

Dr. Joachim Pfeiffer






(A) (C)



(B) (D)


und Froman wurden gerade einmal 149­mal auf Deutsch
abgerufen .


(Michael Grosse­Brömer [CDU/CSU]: Ein toller Schnitt!)


Das Konzeptpapier zum Investitionsschutz wurde seit
dem 1 . Januar 2015 601­mal abgerufen, das Infopapier
zu CETA, von dem vorhin auch gesprochen wurde,
899­mal, und, und, und . Das lässt sich fortsetzen . Ich
stelle da eine gewisse Diskrepanz fest: Sie klagen Trans­
parenz ein; diese ist aber schon vorhanden . Die Texte
sind verfügbar, zwar nicht immer sofort auf Deutsch,
aber die Transparenz ist da, ob man sich mit den Texten
auseinandersetzt oder ob man das nicht tut . Insofern fra­
ge ich Sie: Machen Sie sich gemein mit diesen Leuten?
Haben Sie Interesse an einem Abkommen, das das beste
Freihandelsabkommen ist, das wir jemals hatten, oder
haben Sie Interesse daran, hier mit Emotionen Angst zu
schüren, um Ihr parteipolitisches Süppchen zu kochen?
Das frage ich Sie . Ich habe jedenfalls diesen Eindruck .
Ich frage Sie auch: Machen Sie sich gemein mit Campact
und anderen wie Attac oder Foodwatch, die die Groß­
demonstration am 10 . Oktober organisieren?


(Zurufe von der LINKEN und dem BÜND­ NIS 90/DIE GRÜNEN: Ja! – Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Ja, wir machen uns ge­ mein! Jawohl!)


– Okay . Vielen Dank .

Dann führe ich weiter aus, um was es dort geht . Ich
zitiere weiter:


(Katharina Dröge [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ­ NEN]: Sie müssen das nicht im Ganzen vor­ lesen!)


… Campact braucht einen Partner …

Der Partner sind offensichtlich auch die Grünen und
die Linken . Es ist gut, dass wir das wissen und dass Sie
das auch hier für das Protokoll niedergelegt haben .


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord­ neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Sie sind ja immer für Demokratie . Sie sollten sich
vielleicht auch einmal mit der Struktur von Campact aus­
einandersetzen .

In dem Verein, der in seinen Kampagnen gerne die
Fahne der Bürgerbeteiligung schwingt,

– ich zitiere weiter –

herrscht vor allem Zentralismus . „Bürger machen
selber Politik“ heißt das Motto von Campact, doch
innerhalb der Organisation wird von oben nach
unten durchregiert . … Anders als beim amerikani­
schen Vorbild … dürfen die Campact­Unterstützer
bei der Auswahl der Kampagnen nicht mitentschei­
den .

Das wird sogar vom Vorsitzenden entsprechend kon­
zediert . Er sagt ja selbstverständlich: Wir legen das fest .
Er führt Campact wie ein „privates Protestunternehmen“ .


(Max Straubinger [CDU/CSU]: So ist es!)


Und er sagt:

TTIP ist unverhandelbar, da gibt es keinen Raum für
Kompromisse .

So sagen das auch die Linken .


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)


Bei den Grünen bin ich mir nicht ganz sicher . Man könn­
te auch sagen: Ein Kompromiss würde dem Geschäfts­
modell schaden .


(Beifall bei der CDU/CSU – Peter Beyer [CDU/CSU]: Entlarvend!)


So weit das Zitat zu Campact .

Ich könnte das fortführen mit Attac . Dafür würde die
Zeit nicht reichen . Lassen Sie mich noch etwas zu Food­
watch sagen; das ist auch so eine Spezialorganisation,
bei Campact ist es übrigens ähnlich . Aber jetzt nehmen
wir einmal Foodwatch . Die haben 30 000 Förderer, nicht
stimmberechtigte Fördermitglieder und Einmalspender,
also vor allem solche, die für die Aktivitäten dieses Unter­
nehmens zahlen . Über die Aufnahme stimmberechtigter
Mitglieder bestimmt der Aufsichtsrat . Der besteht aus
fünf Personen . Die Zahl der stimmberechtigten Mitglie­
der hat Thilo Bode, der da der Vorderaktivist ist, einmal
angesprochen – eine Veröffentlichung gibt es nicht –: Es
sind 80 . Mehr als 10 dürfen es nicht werden .


(Max Straubinger [CDU/CSU]: Was? So viele?)


Die bestimmen sich alle gegenseitig . Mit Demokratie hat
das, was diese Organisationen unternehmen, nichts, aber
auch gar nichts zu tun .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Jetzt frage ich mich: Lassen Sie sich vor deren Karren
spannen? Sind Sie so einfach strukturiert, Herr Hofreiter,
oder ist das Absicht?


(Peter Beyer [CDU/CSU]: Ich befürchte, ja! – Dr . Michael Fuchs [CDU/CSU]: Ja!)


Dann kann sich jeder sein Bild selber machen .


(Dr . Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Herr Pfeiffer, wir sind Ihnen sehr dankbar für Ihre Bemerkungen! Sie unterstüt­ zen uns, wo Sie können! – Katharina Dröge [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie sind unser bester Mann! – Max Straubinger [CDU/ CSU]: Undemokratische Organisationen!)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1812708900

Herr Dr . Pfeiffer, es gibt noch eine kurze Zwischen­

frage der Kollegin Scheer, wenn Sie das erlauben .


Dr. Nina Scheer (SPD):
Rede ID: ID1812709000

Herr Kollege Pfeiffer, meinen Sie im Ernst, dass wir

uns als Abgeordnete hier im Deutschen Bundestag auf
dieses Niveau begeben sollten,


(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Peter Beyer Dr. Joachim Pfeiffer [CDU/CSU]: Das ist das Niveau der Wahr­ heit! – Michael Grosse­Brömer [CDU/CSU]: Wahrheit ist immer wichtig!)





(A) (C)


(B) (D)


in einer Pauschalität Stimmen von Bürgern, die sich in
verschiedenster Weise in den von Ihnen genannten Or­
ganisationen äußern, als nicht demokratische Stimmen
wahrzunehmen?


(Mark Hauptmann [CDU/CSU]: Das sind doch nur Fakten!)


Sie haben die Organisation Campact als quasi nicht de­
mokratisch dargestellt .


(Peter Beyer [CDU/CSU]: Da wird sie ganz nervös!)


Sie haben damit die Legitimation der dahinterstehenden
Bürger infrage gestellt,


(Max Straubinger [CDU/CSU]: So ist es auch!)


sich überhaupt zu Wort zu melden, und haben das auch
auf andere Organisationen noch ausgeweitet .


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Genau!)


Ich finde das untragbar, so mit den Bürgerinnen und Bür­
gern unseres Landes umzugehen .


(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Peter Beyer [CDU/CSU]: Es geht doch gar nicht um die Bürger bei den Organisationen!)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1812709100

Frau Scheer, wenn Sie bitte stehen bleiben würden . –

Herr Pfeiffer, wenn es geht, dann bitte nur eine kurze Re­
plik .


Dr. Joachim Pfeiffer (CDU):
Rede ID: ID1812709200

Ich glaube, Sie haben etwas verwechselt . Ich habe

nicht die Bürger, die dahinter stehen


(Ulli Nissen [SPD]: Doch! Genau das haben Sie gemacht!)


– nein, das habe ich nicht –,


(Widerspruch bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


sondern die Strukturen und die Organisationen adressiert
und gesagt, wie sie funktionieren und wie sie offensicht­
lich Menschen, die leicht mit Ängsten oder Emotionen
zu bedienen sind, für ihren Zweck und ihr Geschäftsmo­
dell instrumentalisieren .


(Beifall bei der CDU/CSU – Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Jetzt noch nicht mal dazu stehen!)


Das hat mit demokratischer Legitimation überhaupt
nichts zu tun . Ich stelle in der Tat die demokratische Le­

gitimation von Campact, Attac, Foodwatch und den an­
deren Mitgliedern dieser Empörungsindustrie infrage,


(Beifall bei der CDU/CSU – Alexander Ulrich [DIE LINKE]: TTIP ist ein Angriff auf die De­ mokratie! – Weitere Zurufe von der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


und frage noch einmal – und darauf erwarte ich von Ih­
nen eine Antwort, entweder heute hier oder an anderer
Stelle –, ob Sie mit denen gemeinsame Sache machen


(Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Ja, wir ma­ chen gemeinsame Sache mit denen! – Weite­ rer Zuruf von der LINKEN)


und was Ihre Intention ist . Ich will wissen, ob Sie sich in
der Sache einbringen wollen,


(Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Wir schon!)


oder andere Dinge anführen . Ich glaube, Ihre Reaktion
zeigt, welch Geistes Kind Sie sind .


(Lachen bei Abgeordneten der LINKEN)


Bald werden Union und SPD über dieses so wichtige Ab­
kommen mit der demokratischen Legitimation, über die
sie verfügen, in Deutschland beschließen und die Euro­
päische Union bei diesem Vorhaben unterstützen .


(Beifall bei der CDU/CSU – Dr . Diether Dehm [DIE LINKE]: Weiterreden! – Matthias W . Birkwald [DIE LINKE]: Zugabe!)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1812709300

Danke, Dr . Pfeiffer . – Er hat seine Redezeit ausge­

schöpft, und es gibt keine Zugabe .


(Heiterkeit)


Der nächste Redner ist Klaus Barthel von der SPD .


(Beifall bei der SPD)



Klaus Barthel (SPD):
Rede ID: ID1812709400

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Wenn ich so viel Zeit hätte wie der Kollege Pfeiffer, dann
müsste man sich auch einmal über Kampagnen unter­
halten . Es gibt schließlich noch andere, zum Beispiel die
Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft,


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜND­ NIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordne­ ten der SPD)


in die jedes Jahr 10 Millionen Euro etwa von den Metall­
arbeitgeberverbänden fließen. Da müssten wir in der Tat
mehr Transparenz herstellen .

Die Frage ist doch: Warum sind Millionen Menschen
bereit, solche Kampagnen zu unterstützen?


(Max Straubinger [CDU/CSU]: Weil ihnen etwas Falsches vorgesagt wird!)


Selbst wenn die Bundesregierung und die Befürworter
von TTIP mit allem recht hätten, was sie sagen, müss­

Dr. Nina Scheer






(A) (C)



(B) (D)


te man sich doch fragen, warum offensichtlich so viele
Menschen Ängste und Bedenken haben .


(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ich glaube, mit dieser Frage müssen wir uns inhaltlich
ernsthaft auseinandersetzen .

Da wir schon über Kampagnen reden, komme ich auf
das Thema von vorhin zurück – das sollten wir vielleicht
nicht ganz ausblenden –: Wer über Fluchtursachen und
deren Bekämpfung reden will, der darf natürlich beim
Thema Handelspolitik nicht schweigen .


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜND­ NIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordne­ ten der SPD)


Vieles spricht in der Tat für eine Neuorientierung unserer
Außenwirtschafts­ und Handelspolitik, für einen multi­
lateralen Ansatz, für eine Nachbarschaftspolitik und für
faire Regeln statt Liberalisierung . Deswegen halte ich die
Teilnahme an der Demonstration am 10 . Oktober dieses
Jahres mit vielen Sozialdemokratinnen und Sozialdemo­
kraten sowie mit vielen Gewerkschafterinnen und Ge­
werkschaftern für sinnvoll .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD, der LIN­ KEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜ­ NEN)


Man muss aber schon lesen, was in dem Aufruf steht . Da­
rin steht wesentlich mehr und etwas ganz anderes als das,
was von den Grünen und den Linken vorgetragen wird .
Dort heißt es zum Beispiel: Wir treten für internationale
Abkommen ein, die die Umwelt­ und Sozialstandards er­
höhen, statt sie zu senken . Wir treten für Abkommen ein,
die Arbeitsstandards wie die Kernarbeitsnormen fest­
schreiben . Wir treten für eine Stärkung der Daseinsvor­
sorge, für kulturelle Vielfalt ein . Das heißt also: Wir sind
für eine Gestaltung durch Verträge und Abkommen; denn
wenn wir die nicht haben, dann bestimmen die Märkte,
was in dieser Welt passiert .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Dem werden die hier vorgelegten Anträge bei weitem
nicht gerecht; denn darin wimmelt es von Widersprüchen .
Um ein Beispiel zu geben, möchte ich aus dem neuen
Antrag der Grünen zitieren . Ich weiß nämlich nicht, ob
Sie das Zeug lesen, was Sie hier vorlegen .


Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1812709500

Bevor Sie zitieren: Erlauben Sie eine Zwischenfrage

von Frau Dröge?


Klaus Barthel (SPD):
Rede ID: ID1812709600

Ja .


Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1812709700

Gut .


Katharina Dröge (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1812709800

Herzlichen Dank, Herr Barthel, dass Sie die Zwischen­

frage zulassen . – Ich beginne mit dem Punkt, mit dem
Sie geendet haben, nämlich mit der Frage, ob wir „das
Zeug lesen“, was wir hier vorlegen . Sie haben gesagt,
wir Grüne würden uns entgegen dem, was im Aufruf zur
Demo am 10 . Oktober steht, nicht für gute Abkommen,
für internationale Regelungen, für hohe Umweltschutz­
standards, für ILO­Kernarbeitsnormen, für die ISO aus­
sprechen . Unter Ziffer 2 des Beschlussteils unseres An­
trags steht genau das . Ich gebe zu: Wir haben uns Mühe
gegeben, und der Antrag ist daher etwas lang;


(Barbara Lanzinger [CDU/CSU]: Ja!)


das ist leider so . Aber man muss diesen Antrag auch
einmal lesen, wenn man ihn berät . Wir haben in sechs
Punkten ausgeführt, wie man Handelspolitik vernünftig
gestalten könnte . Es sind konstruktive Vorschläge, wie
eine bessere Handelspolitik aussehen kann . Von Ihrer
Fraktion habe ich dazu noch keinen Antrag im Deut­
schen Bundestag gesehen . Deshalb meine Frage: Haben
Sie diesen Antrag überhaupt gelesen?


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN – Lachen bei Abgeord­ neten der SPD)



Klaus Barthel (SPD):
Rede ID: ID1812709900

Ich freue mich sehr, Kollegin Dröge, dass Sie es mir

ermöglichen, aus Ihrem Antrag zu zitieren, ohne dass
es auf meine Redezeit angerechnet wird . Das wollte ich
nämlich ohnehin machen, um die Widersprüche, von
denen ich geredet habe, aufzuzeigen .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Ulli Nissen [SPD]: 1 : 0!)


Das ist ein schönes Geschenk .

In ein und demselben Absatz heißt es dort einerseits,
Sie seien für „robuste ökologische und soziale Standard­
setzung“, und zwar auf höchstem Niveau . Zwei Sätze
weiter heißt es zum Thema „Exportchancen von Ent­
wicklungsländern“ andererseits – ich zitiere –:

Ihre wirtschaftliche Entwicklung könnte dadurch
gehemmt werden, dass zwischen Industriestaaten
Standards festgelegt werden, die ihre Teilnahme am
Markt enorm erschweren .

Das ist ein Widerspruch . Das fällt Ihnen aber gar nicht
auf, und Sie lösen das im Antragstext auch nicht auf .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Katharina Dröge [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ­ NEN]: Deswegen müssen wir die Abkommen entsprechend ausgestalten!)


Ich mache weiter, Frau Dröge . Sie lehnen Living Ag­
reements und regulatorische Kooperationen ab . Weiter
heißt es im Text:

Angesichts zukünftiger Herausforderungen dürfen
politische Handlungsspielräume für zusätzliche Re­
gulierungen nicht erschwert werden, um ein Über­
leben zukünftiger Generationen innerhalb der pla­
netaren Grenzen sicherzustellen .

Klaus Barthel






(A) (C)



(B) (D)


Der nächste Satz lautet dann:

Die Europäische Handelspolitik sollte sich stattdes­
sen die robuste Standardsetzung auf internationaler
Ebene zum Ziel setzen . . .

Okay . – Aber ich frage Sie: Wie soll das gehen ohne re­
gulatorische Kooperationen, ohne Living Agreements?


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Lösen wir die planetaren Probleme durch nationale Re­
gulierungen? Das frage ich Sie im Ernst .


(Katharina Dröge [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ­ NEN]: Sie haben das überhaupt nicht verstan­ den! – Abg . Katharina Dröge [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN] nimmt wieder Platz)


– Sie können stehen bleiben . – Auch hier lösen Sie den
Widerspruch nicht auf, indem Sie nach Wegen suchen,
zum Beispiel die regulatorische Kooperation demokra­
tisch auszugestalten und parlamentarische Beteiligung
sicherzustellen und die Regeln und Ziele zu definieren,
die mit der regulatorischen Kooperation erreicht werden
sollen .

So geht es weiter; Sie hätten stehen bleiben können .
Ihr Antrag trieft vor deutscher und europäischer Selbst­
gerechtigkeit, als hätte es nie Gammelfleisch, die baye­
rischen Eier, BSE, das Pferdefleisch und VW gegeben.
Überall geht es nur darum, unsere Standards zu behaup­
ten . Wäre es denn nicht besser, den jeweils höheren Stan­
dard zur gemeinsamen Norm zu machen, anstatt zweimal
wirkungslos zu kontrollieren, wie es sich jetzt bei VW
herausgestellt hat?


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Das Gleiche gilt leider auch für die Anträge der Lin­
ken . Vieles ist überholt . Die Reden, die hier manchmal
gehalten werden, hätte man vor einem Jahr hören können .
In puncto Streitbeilegung zum Beispiel hat sich die Zeit
geändert . Wenn ich zuerst lese, dass wir CETA ablehnen
sollen, und einige Zeilen weiter steht, dass wir möglichst
schnell eine deutsche Übersetzung auf den Tisch legen
sollen, dann frage ich mich: Warum soll man das Abkom­
men übersetzen lassen, wenn Sie es eh ablehnen?


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ähnlich ist es im Antrag der Grünen auf Drucksa­
che 18/2620 . Dort steht zuerst, dass wir CETA ablehnen
sollen, und anschließend, dass wir das ISDS herausneh­
men sollen . Was soll das eigentlich?


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Alles in allem gibt es keinen Gestaltungsansatz . Die
Anträge bleiben auch hinter dem zurück, was wir ge­
meinsam – die Sozialdemokraten, die Grünen und die
Christdemokraten – im Europäischen Parlament be­
schlossen haben. Daran aber sollten wir, wie ich finde,
im Sinne eines konstruktiven Ansatzes weiterarbeiten .

An unseren Koalitionspartner habe ich die Bitte: Sie
sagen ja, dass Sie sich für gute Standards einsetzen und
sie erhalten wollen . Aber dann nehmen Sie bitte nicht
jede Gelegenheit wahr, erreichte Standards und soziale

Leistungen wie zum Beispiel den Mindestlohn infrage zu
stellen .


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Das haben wir nicht!)


Ansonsten wird sich das Misstrauen weiter erhöhen .


(Beifall bei der SPD)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1812710000

Vielen Dank, Kollege Barthel . – Nächste Rednerin:

Barbara Lanzinger für die CDU/CSU­Fraktion .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Barbara Lanzinger (CSU):
Rede ID: ID1812710100

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolle­

ginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren!
Nicht erst seit Monaten, sondern seit mehreren Jahren
wird das geplante Freihandelsabkommen zwischen der
EU und den USA sehr kontrovers und sehr hitzig, wie
wir es gerade wieder erlebt haben, diskutiert – ein Ab­
kommen, mit dem wir – davon bin ich und sind sehr
viele überzeugt – eine der wichtigsten wirtschaftlichen
Entscheidungen der nächsten Jahre treffen und treffen
müssen . Es ist doch unbestreitbar, dass ein solches Ab­
kommen mit zwei technisch und wirtschaftlich hochent­
wickelten Industriestaaten mit Herausforderungen ver­
bunden ist . Hochentwickelte Strukturen führen zu einer
erhöhten Komplexität . Hochentwickelte Strukturen kön­
nen zusammengeführt werden und somit auch zu mehr
Synergien führen . Genau das ist unser gemeinsames Ziel .

Ein Stopp der Verhandlungen, wie es die Linke for­
dert, ist sicherlich der falsche Weg . Hochemotionale und
überhitzte Debatten bringen uns nicht weiter . Notwendig
sind sachliche und inhaltlich richtige Diskussionen . Wir
müssen klug abwägen und uns unserer ökonomischen,
politischen und auch gesellschaftlichen Verantwortung
bewusst sein .

Sachlich und inhaltlich richtig ist, dass der Kern die­
ses Abkommens die Abschaffung von Handelshemmnis­
sen ist, mit dem Ziel, unsere Wirtschaft international zu
stärken . Wie wichtig dies vor allem für die Gesellschaft
eines Landes ist, liegt bereits in unserer Geschichte be­
gründet; darauf gehe ich gerne ein . Freier Handel ist die
älteste Form des Wirtschaftens und seit Jahrhunderten
das wichtigste Instrument für mehr Wachstum, Bildung
und Beschäftigung . Handel ist auch der Ursprung für die
Rechtsregeln in unserem Geschäftsverkehr . Ohne Handel
würde es unseren heutigen Wohlstand so nicht geben .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Deshalb ist das Abkommen so wichtig für unsere Wirt­
schaft und für unseren gesamten Wirtschaftsraum .

Vor allem Deutschland hat einen unschlagbaren Vor­
teil im globalen Wettbewerb . Es hat Gott sei Dank immer
noch einen starken Mittelstand, im Ausland bewundert
und geschätzt . Nach wie vor gilt dieser Mittelstand als
Jobmotor Nummer eins, als Treiber für Innovationen
und schlicht als das Rezept für den Erfolg der deutschen
Wirtschaft . Daher ist es besonders wichtig, EU­weit

Klaus Barthel






(A) (C)



(B) (D)


nichttarifäre Handelshemmnisse abzubauen sowie regu­
latorische Vorschriften zu harmonisieren und gegenseitig
anzuerkennen . Das Ergebnis muss sein, die internationa­
len Aktivitäten unseres Mittelstandes weiter zu fördern
und auszubauen . Nur die Zölle abzuschaffen, reicht nicht
aus . Dadurch hätten vor allem unsere KMUs, die klei­
nen und mittelständischen Unternehmen, mit ihrer hohen
Qualität und Kompetenz so gut wie keine Vorteile oder
Wachstumseffekte .

Das DIN, das Deutsche Institut für Normung, hat es
einmal auf den Punkt gebracht: Normen sind die Spra­
che der Wirtschaft . – Wir sollten und müssen das Steuer
ergreifen und die europäischen Normen die Sprache der
Weltwirtschaft werden lassen . Das geht aber nicht im
Alleingang oder durch rein europäische Aktivitäten, son­
dern nur gemeinsam . Es ist eine Schwarzmalerei, ständig
von der Absenkung der Standards zu sprechen . Weder die
USA noch die EU haben dies nötig . Beide Industriege­
sellschaften zusammen erwirtschaften immerhin 50 Pro­
zent des gesamten internationalen Bruttoinlandsprodukts .

Handel, und zwar nicht nur regional, sondern auch
international, ist eines unserer wichtigsten Güter – ein
Gut, das leider seit TTIP und CETA – das sage ich ganz
bewusst – von einigen Gruppierungen, zu denen ich nicht
nur Verbände, sondern auch die Fraktionen der Linken
und der Grünen zähle, grundsätzlich infrage gestellt
wird . Allen, die Unheil und Geister heraufbeschwören,
sage ich ganz deutlich: Es geht um mehr als politische
und ideologische Diskussionen . Wir haben eine gesell­
schaftliche Verantwortung zu übernehmen, und zwar für
alle .


(Abg . Dr . Diether Dehm [DIE LINKE] mel­ det sich zu einer Zwischenfrage)


Gerade deshalb ist es wichtig, sorgfältig und differen­
ziert, vor allem sachgerecht zu diskutieren, statt Stim­
mungsmache zu betreiben und gezielt Desinformations­
kampagnen zu führen .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Das möchte ich an zwei Beispielen verdeutlichen:

Erstens . Das internationale Schiedsgerichtsverfahren
ist kein Verfahren, das neu zum Tragen kommt, sondern
wird bereits vielfach in internationalen und europäischen
Abkommen angewendet . Die EU­Mitgliedstaaten haben
1 400 Investitionsschutzabkommen vereinbart, die zu
95 Prozent einen Investorenschutz nach dem internatio­
nalen Schiedsgerichtsverfahren vorsehen, so zum Bei­
spiel beim 1994 unterzeichneten Energiecharta­Vertrag .


Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1812710200

Frau Lanzinger, erlauben Sie eine Zwischenfrage?


Barbara Lanzinger (CSU):
Rede ID: ID1812710300

Nein, ich erlaube keine Zwischenfrage . Da bringt mich
erstens inhaltlich nicht weiter, zweitens nicht politisch,
und drittens verlängert man damit nur Debattenzeit .


(Lachen des Abg . Dr . Diether Dehm [DIE LINKE])



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1812710400

Gut . Sie brauchen das überhaupt nicht zu begründen,

sondern müssen nur Ja oder Nein sagen .


Barbara Lanzinger (CSU):
Rede ID: ID1812710500

Ich sage Nein .


Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1812710600

Sie haben Nein gesagt . Gut .


Barbara Lanzinger (CSU):
Rede ID: ID1812710700

Dem Energiecharta­Vertrag gehören neben der Euro­

päischen Union auch Länder wie Japan, Russland oder
auch Australien an . Haben Sie da jemals Beschwerden
gehört? Haben Sie gehört, dass das Schiedsverfahren
Schwierigkeiten bereitet?


(Dr . Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, beim Atomausstieg zum Bei­ spiel! – Weitere Zurufe vom BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Nein, und das, obwohl es bei diesem Abkommen um ein
wesentliches Gut, die Energie, geht und das Verfahren
exakt das gleiche ist . – Erfunden hat das Investitions­
schutzabkommen im Übrigen Deutschland vor rund
50 Jahren, um das deutsche Kapital im Ausland zu schüt­
zen . Und es sind beileibe nicht die Amerikaner, die welt­
weit am meisten klagen, also die aktivsten Kläger sind;
die Klagen der USA machen gerade einmal 22 Prozent
aus . Vielmehr sind es die Europäer, die am meisten kla­
gen; auf sie entfallen 53 Prozent aller Klagen . In diesem
langen Zeitraum gab es außerdem nur drei Klagen gegen
Deutschland .

Man muss wirklich die Kirche im Dorf lassen . Ja, wir
müssen das Investitionsschutzrecht sicherlich moderni­
sieren – da gebe ich allen recht –; aber TTIP bietet eine
Chance, verschiedene Verbesserungen zu erreichen, zum
Beispiel klare Regeln für die Zusammensetzung und die
Funktionsweise der Schiedsgerichte .

Desinformationskampagne Nummer zwei: mangelnde
Transparenz . Die EU­Kommission informiert regelmä­
ßig das Parlament und die EU­Mitgliedstaaten; das wur­
de heute schon erwähnt . Zudem gibt es zahlreiche Infor­
mationsveranstaltungen und ­plattformen, darunter auch
eine der CDU, auf denen ausschließlich über die Inhalte
und den aktuellen Sachstand bei TTIP informiert wird .
Nennen Sie mir ein Abkommen, das transparenter ver­
handelt worden ist! Die Beschuldigungen, dass Verhand­
lungsergebnisse verschleiert werden und die Öffentlich­
keit nicht ausreichend eingebunden werde, sind falsch .

Wenn man die Pressemeldungen, die Informationen
der Medien und die Demonstrationen verfolgt, dann kann
man sicher sein, dass das Misstrauen gegenüber TTIP
durch – auch das sage ich ganz bewusst – antikapitalisti­
sche und antiamerikanische Gruppierungen hervorgeru­
fen und verbreitet wird .


(Zuruf von der LINKEN: Jawohl! – Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Oh!)


Barbara Lanzinger






(A) (C)



(B) (D)


Einigen professionellen Protestorganisationen scheint es
nicht um die Sache zu gehen, sondern einzig darum, das
Abkommen aus Prinzip zu verhindern .


(Dr . Diether Dehm [DIE LINKE]: Ja, ganz genau!)


Diesen Eindruck gewinnt man .

Ich finde es schon erstaunlich, dass das Handels­
abkommen der EU mit Vietnam, das kurz vor seinem
Abschluss steht, noch niemals Anlass für Anträge oder
Kampagnen war;


(Dr . Joachim Pfeiffer [CDU/CSU]: Ja, weil es sich dafür nicht eignet! Aber um die Sache geht‘s ja nicht!)


ich habe jedenfalls nichts davon gehört . Bei diesem Ab­
kommen mit einem südostasiatischen Land gibt es aber
hinsichtlich der Standards ein weitaus größeres Gefälle
zu überwinden als bei TTIP .

Freie Meinungsäußerung ist unser höchstes Gut . Das ist
tagtäglich hörbar und unübersehbar . Schlimm und abso­
lut nicht hinnehmbar – auch das ist mir wichtig zu er­
wähnen – ist für mich, wenn dieses hohe Gut dazu miss­
braucht wird, um bei den Menschen ganz gezielt Ängste
zu schüren . Unsere Aufgabe als Politiker – ich komme
zum Schluss – ist es vielmehr, zu erklären, aufzuklären
und die Befürchtungen der Bürgerinnen und Bürger, die
durchaus vorhanden sind, ernst zu nehmen . Wir müssen
mit allen Bürgerinnen und Bürgern einen vertrauensvol­
len und sachlichen Dialog führen und ihnen in persön­
lichen Gesprächen die vorhandenen Ängste und Sorgen
nehmen .

Für mich und für uns alle gilt: Wir müssen mit offenem
Visier kämpfen, dürfen uns nicht von der Stimmungsma­
che treiben lassen, müssen den Fakten ins Auge blicken
und diesem Abkommen, das mehr Vorteile als Nachteile
bietet, offen gegenüberstehen . Wir sollten dieses Abkom­
men beschließen, gemeinsam mit unseren Bürgerinnen
und Bürgern .

Vielen herzlichen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1812710800

Danke, Frau Kollegin . – Nächster Redner in der De­

batte ist für die Bundesregierung Sigmar Gabriel .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Sigmar Gabriel, Bundesminister für Wirtschaft und
Energie:

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Ich will mit der ersten Frage von Herrn Hofreiter begin­
nen, die rhetorisch gemeint war, aber trotzdem die wich­
tigste in der Debatte ist . Er hat gefragt: Was sind wir be­
reit für dieses Abkommen aufzugeben? – Meine Antwort
lautet: Gar nichts!


(Beifall bei der SPD)


Es geht nämlich nicht darum, etwas aufzugeben . Jeden­
falls werde ich keinem Abkommen im Handelsminis­
terrat zustimmen – mit Sicherheit auch das Parlament
nicht –, wenn dabei etwas aufgegeben wird .


(Zuruf des Abg . Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


– Herr Krischer, ich wäre da etwas aufmerksamer, da die
weit überwiegende Mehrheit Europas – und die verhan­
deln ja – in diesem Abkommen große Chancen sieht .


(Max Straubinger [CDU/CSU]: So ist es!)


Es ist erstaunlich – in dieser Frage wie manchmal
auch sonst –, dass manche glauben, dass nur wir Deut­
schen genau wüssten, was gut und richtig, was hilfreich
und gefährlich ist .


(Max Straubinger [CDU/CSU]: Genau! – Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ­ NEN]: Das ist ja falsch! Frankreich zum Bei­ spiel!)


– Nein, es gibt auch in Österreich Widerstand, ebenfalls
ein deutschsprachiges Land . In Frankreich gibt es ihn bei
weitem nicht in dem Maße . Mein Kollege Matthias Fekl
und ich haben gemeinschaftlich ein paar Dinge durch­
gesetzt, die Sie heute hier kritisiert haben . Herr Hofreiter
hat ihn vorhin gelobt; er hat aber vergessen, zu erwähnen,
dass Matthias Fekl ausgesprochen stolz darauf ist, dass
es im TTIP keine privaten Schiedsgerichte geben wird .


(Katharina Dröge [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ­ NEN]: Da wissen Sie mehr als wir! – Klaus Ernst [DIE LINKE]: Bei CETA sind sie drin!)


– Ich komme schon noch zu CETA, Klaus, keine Sor­
ge. – Ich finde nur, wir sollten aufpassen, dass wir nicht
so tun, als sei das alles völlig klar und nur wir Deutschen
wüssten, wie sich die Welt neu zu ordnen hat . Ich wäre
da vorsichtig .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Das macht das ganze Problem deutlich . Es geht gera­
de nicht um ein Freihandelsabkommen alter Art . Was ist
der große Unterschied? Es ist ganz interessant: Früher
waren die Produzenten gegen den Freihandel – sie waren
protektionistisch – und die Konsumenten für den Frei­
handel, weil das die Preise senkte . Wir führen jetzt eine
völlig andere Debatte: Die Produzenten sind dafür – die
amerikanischen wollen in die Agrarmärkte, unsere in die
öffentlichen Märkte –, aber die Konsumenten sind sehr
skeptisch . Das ist auch verständlich; denn die alten Zoll­
barrieren, die wir früher kannten, sind zu 80 Prozent weg .
Auch in diesem Freihandelsabkommen geht es um Zoll­
fragen; aber das macht nur einen kleinen Teil aus . Zum
großen Teil geht es um die Frage: Gibt es in den beiden
großen Wirtschaftsräumen Europa und USA eigentlich
vergleichbare Standards? Wenn ja: Können wir die beim
Verbraucherschutz gegenseitig anerkennen, oder können
wir das nicht? Ich prophezeie: Wenn das Abkommen je­
mals kommt, dann wird es in der Tat, wie es vorhin ge­
nannt wurde, ein Living Agreement sein . Das heißt, es
werden Strukturen festgelegt, innerhalb derer die Stan­
dards in den Bereichen Verbraucherschutz, Umwelt­
schutz, Sozialschutz und vieles andere überprüft werden .

Barbara Lanzinger






(A) (C)



(B) (D)


Es wird aber keine Entscheidung festgelegt . Ich frage
mich, wer eigentlich etwas dagegen haben kann . Es ist ja
keineswegs so, dass in den Vereinigten Staaten sämtliche
Standards schlechter sind als bei uns . In der amerikani­
schen Food and Drug Administration sind die Standards
offensichtlich viel höher .


(Max Straubinger [CDU/CSU]: So ist es!)


Bei der Chemikaliensicherheit sind unsere Standards viel
besser . Was spricht also dagegen, mit einem Abkommen
die Standards weiterzuentwickeln, und zwar nach oben?
Das muss doch unser Ziel sein .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Die Prognose der Linkspartei, der Grünen und vieler
Menschen, die sich – das muss ich schon zugeben – des
Unternehmens Campact bedienen – das ist ein Geschäfts­
modell; es ist etwas anderes als der BUND –, lautet: Es
wird niemals gelingen, die Standards nach oben anzupas­
sen; die Entwicklung wird immer nur nach unten gehen .
Ich sage: Versuchen wir doch einmal, das zu verhandeln .
Keiner von uns kann heute sagen, ob wir am Ende zu­
stimmen .

Hier im Parlament sitzen Abgeordnete, die auf
Demonstrationen „Stoppt Campact!“ fordern, weil sie
nicht glauben, dass bei den Verhandlungen etwas Ver­
nünftiges herauskommen kann .


(Dr . Michael Fuchs [CDU/CSU]: Zu der Demonstration gehen wir mit!)


– Habe ich Campact gesagt? Ich meine TTIP . Vorsicht,
sonst geht da noch jemand hin .


Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1812710900

Herr Pfeiffer zum Beispiel .

Sigmar Gabriel, Bundesminister für Wirtschaft und
Energie:

Also, ich meine eine Demonstration „Stoppt TTIP!“ . –
Was heißt das eigentlich für das Selbstbewusstsein des
Parlaments? Gleichzeitig wird hier gefordert – wie ich
finde, zu Recht –, dass das Parlament über dieses Han­
delsabkommen abstimmt .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wenn das so ist: Mit wie viel Minderwertigkeitsgefühl
geht eigentlich ein Teil des Parlaments in diese Verhand­
lungen?


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ich sage Ihnen einmal in aller Offenheit: Ich finde,
Europa hat richtig etwas anzubieten .


(Zurufe von der LINKEN)


– Hören Sie doch einmal eine Sekunde zu! Ich habe mir
das auch eben angetan .


(Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU – Britta Haßelmann [BÜND­ NIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist auch Ihre Aufgabe als Minister! – Matthias W . Birkwald [DIE LINKE]: Sie sitzen ja auch auf der Re­ gierungsbank!)


Wenn es neue Argumente gäbe, wäre das nicht schlecht .

Ich sage nur Folgendes, damit die Rede kürzer wird:
Ich gebe alles zu Protokoll, was ich zu Ihren Fragen hier
bereits beantwortet habe . Jetzt reden wir über neue Fra­
gen .

Was ist der Grund dafür, dass es für uns so bedeutsam
ist, diesen Versuch zu unternehmen und jetzt nicht die
Verhandlungen zu stoppen? Ein Grund ist, dass sich die
Welt ändert . Es wird hier doch so getan, als sei die Frage:
Gibt es eine Einigung mit den Vereinigten Staaten über
Standards, oder gibt es keine? Das ist doch Unsinn! Es
geht nur um die Frage: Wird es Europa sein, das diese
Standards beeinflusst, oder werden es China und Indien
sein? Das ist die einzige Frage .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Der Welthandel wächst . Übrigens werden China,
Asien und Lateinamerika mit Recht bedeutsamer . Dort
leben sehr viele Menschen, und die haben aufzuholen .
Wir können nicht eurozentristisch sagen: Wir sind die
Einzigen, die etwas zu sagen haben .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Also wird es Handelsabkommen und neue Standards ge­
ben . Die Frage ist nur: Können wir diese Standards selber
fortschrittlich bestimmen, oder werden wir uns ihnen an­
passen müssen? Das ist doch die einzige Frage .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1812711000

Herr Minister Gabriel, jetzt will Herr Dr . Dehm eine

Frage stellen . Erlauben Sie das?

Sigmar Gabriel, Bundesminister für Wirtschaft und
Energie:

Dass mir das noch passiert . Diether, dann man los .


Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1812711100

Ja oder nein?

Sigmar Gabriel, Bundesminister für Wirtschaft und
Energie:

Ja .


Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1812711200

Bitte, Herr Dehm, machen Sie es kurz .


Dr. Jörg-Diether Dehm-Desoi (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1812711300

Ich habe drei ganz kurze Fragen .

Erste Frage . Bei den Pestiziden hat die EU­Kommis­
sion jetzt schon Standards in die Verhandlungen einge­
bracht, die weit niedriger sind als die, die in Europa bis­
lang gelten . Wie verhältst du dich bzw . wie verhalten Sie
sich dazu?

Bundesminister Sigmar Gabriel






(A) (C)



(B) (D)


Zweite Frage . Vorhin haben wir in zwei CDU/CSU­
Reden ein Abwatschen der kritischen Öffentlichkeit ge­
hört. Welche Empfindungen haben dich bzw. Sie da auch
vor dem Hintergrund deiner bzw. Ihrer Biografie beschli­
chen?

Dritte Frage . Wenn der Entwicklungsminister Gerd
Müller sagt: „Wir wollen fairen Handel statt Freihandel“,
ist das dann die gemeinsame Position der Koalition? Wie
verhält sich das zu dem, was Herr Pfeiffer vorhin gesagt
hat?


(Beifall bei der LINKEN)


Sigmar Gabriel, Bundesminister für Wirtschaft und
Energie:

Antwort zu Frage eins: Die Handelskommissarin und
die Europäische Kommission haben mit exzellenten Ar­
gumenten die Behauptung, dort gebe es eine Standard­
absenkung, widerlegt .

Antwort zu Frage zwei: Mein Gefühl ist stets humor­
voll, was immer ich hier erlebe .


(Heiterkeit)


Antwort zu Frage drei: Freier und fairer Handel ge­
hören zusammen . Fairer Handel ohne freien Handel geht
nicht; freien Handel ohne Fairness gibt es . Aber fairen
Handel werden die Entwicklungsländer einklagen . Es
sind die Industrienationen, die den armen Ländern häufig
den Zugang zu ihren Märkten verweigern und deshalb
übrigens auch Fluchtbewegungen auslösen .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Freier Handel ist also die notwendige, aber nicht die hin­
reichende Bedingung . Hinreichend ist es, wenn er frei
und fair ist .

Es wird um die Frage gehen: Wer bestimmt diese
Standards? Es ist doch sehr wahrscheinlich, dass es bes­
ser wäre, wenn wir zu einem solchen Abkommen kämen,
als wenn man mit China zu einem solchen Abkommen
käme . Fairer wird es mit uns .


(Beifall bei der SPD)


Ein anderer Aspekt ist: Warum sind wir eigentlich so
wenig selbstbewusst? Warum gehen wir als Europäer
nicht selbstbewusster in solche Verhandlungen? Wir ha­
ben doch etwas anzubieten . Wir sind nicht gezwungen,
am Ende Ja zu sagen; aber erst einmal haben wir etwas
anzubieten .

Übrigens haben wir jetzt durchgesetzt, dass es in
dem amerikanisch­europäischen Freihandelsabkommen
garantiert nicht zu den alten Schiedsgerichten kommt .
Klammer auf: Ich finde es bemerkenswert, dass es in
Deutschland niemals eine Debatte über diese privaten
Schiedsgerichte gegeben hat, solange wir Deutschen da­
bei die Stärkeren waren . Jetzt, wo wir einen Partner auf
Augenhöhe kriegen, dem wir uns manchmal unterlegen
fühlen, ist das auf einmal ein Riesenproblem .


(Volker Kauder [CDU/CSU]: So ist es!)


Solange wir das den Entwicklungsländern aufdrücken
konnten, fanden wir das alles nicht einmal diskussions­
würdig . – Klammer zu .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)


Warum vertritt Frau Malmström jetzt eigentlich die
Position, dass man mit den Amerikanern über einen öf­
fentlich­rechtlichen Handelsgerichtshof redet? Ich sage
es Ihnen: Weil wir ihr mit sechs sozialdemokratischen
Handelsministern gesagt haben: Wenn du das nicht
machst, werden wir nicht zustimmen, dann gibt es kein
Abkommen . Es wird kein Abkommen geben, ohne dass
das da drinsteht, oder es gibt keine privaten Schiedsge­
richte da drin . Nur dann wird das funktionieren .

Toni Hofreiter hat mir vorhin vorgeworfen, ich würde
öffentlich erklären, dass es keine gibt . Als Beispiel dafür,
dass ich nicht die Wahrheit sage, haben Sie CETA an­
geführt . Meine Bitte: Immer nur das kritisieren, was ich
wirklich tue und sage . Ich habe hier im Haus auf Fragen
Ihrer Fraktion immer gesagt – ein bisschen zur Verärge­
rung meiner Fraktion –: Bei TTIP bin ich sicher, dass ich
es durchsetzen kann; bei CETA bin ich nicht sicher, dass
ich es durchsetzen kann . – Warum nicht? Weil das ein
fertig verhandeltes Abkommen ist . Trotzdem versucht
die Bundesregierung das . Das Wirtschaftsministerium
und das Kanzleramt versuchen das gemeinsam . Aber wir
können Ihnen nicht versprechen, dass das gelingt . Das
habe ich hier nie getan .


(Klaus Ernst [DIE LINKE]: Dann müssen wir es ablehnen!)


Lieber Toni Hofreiter, Fairness im Umgang zeichnet Sie
eigentlich aus . Seien Sie bitte auch in Zukunft bei dieser
Frage fair .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Klaus Ernst, ich komme zu der Frage: Warum braucht
man das eigentlich überhaupt? Die Antwort ist ganz
einfach: Weil es einem deutschen Mittelständler große
Schwierigkeiten bereiten würde, vor dem amerikani­
schen Gerichtshof in Alabama seine Interessen durchzu­
setzen, wenn der Richter kurz zuvor gewählt wurde,


(Max Straubinger [CDU/CSU]: So ist es!)


möglicherweise sogar gewählt wurde, weil er erklärt
hat, dass er „Buy American“ durchsetzen will . Das gilt
übrigens auch umgekehrt . Selbst für Deutschland ist es
manchmal schwierig, die Interessen deutscher Mittel­
ständler in einigen europäischen Mitgliedstaaten durch­
zusetzen,


(Dr . Michael Fuchs [CDU/CSU]: Eins zu eins!)


weil sich die Gesetzgebung dort gelegentlich überhaupt
nicht für europäisches Recht interessiert .


(Dr . Michael Fuchs [CDU/CSU]: Sigmar, das verstehen die nicht!)


Das ist der Grund, warum wir das machen .

Dr. Diether Dehm






(A) (C)



(B) (D)


Jetzt sagt Frau Malmström etwas – was wir von ihr
übrigens gefordert haben –, was für CETA ein interes­
santer Hinweis ist . Sie sagt: Wenn das mit den Ameri­
kanern verhandelt wird, will ich hinterher, dass dieser
öffentlich­rechtliche Handelsgerichtshof auch für alle
anderen Abkommen, die Europa oder die Mitgliedstaa­
ten geschlossen haben, zuständig ist . Mein Ziel geht über
den Aufbau eines öffentlich­rechtlichen Handelsgerichts­
hofs mit den USA hinaus . Mein Ziel ist ein multilateraler
Handelsgerichtshof . – Dazu habe ich gesagt: Alle Ach­
tung; das dauert ein paar Jahre . – Im Umkehrschluss ist
das für mich ein weiteres Argument, um das bei CETA
auch zu ändern .


(Beifall bei der SPD)


Deswegen versuchen wir das; aber ich kann Ihnen das
nicht versprechen .

Was ist die große Chance, die vor uns liegt? Die gro­
ße Chance – nicht die Sicherheit, aber die große Chan­
ce – ist, dass die beiden größten Handelsräume der Welt
ein Abkommen neuer Art schließen – fragen Sie einmal
den früheren Chef der Welthandelsorganisation, Pascal
Lamy, was er Ihnen dazu sagt; er ist nun wirklich un­
verdächtig –, mit dem wir die Standards Stück für Stück
anheben . Ein Abkommen alter Art hat solche Standards
gar nicht . Ein Abkommen alter Art, wie es China mit den
USA schließen würde, kennt keine sozialen Standards,
kennt keine ökologischen Standards, kennt keine Stan­
dards für Verbraucherschutz, Kulturschutz oder Kultur­
förderung . Die entscheidende Frage ist: Haben wir als
Europäer den Mut, das selber in die Hand zu nehmen?
Wollen wir mit den Amerikanern darüber reden und ver­
handeln, oder wollen wir schon vorher den Kopf in den
Sand stecken und uns auf Demonstrationen wohlfühlen?

Auf der Besuchertribüne sitzen junge Leute . Die wer­
den auszubaden haben, was wir hier entscheiden .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Katharina Dröge [BÜND­ NIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, genau! Das ist ja das Problem!)


– Sie von der Opposition haben diese Debatte doch ini­
tiiert, um die Öffentlichkeit auf die Demonstrationen in
der kommenden Woche aufmerksam zu machen .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Sie haben diese Diskussion ja nicht angestrebt, weil Sie
etwas Neues wissen wollen . – Die jungen Menschen dort
oben werden entweder in einer Welt leben, in der Euro­
pa Standards mitbestimmt, oder sie werden in einer Welt
leben, in der sich Europa den Standards anpassen muss .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Max Straubinger [CDU/CSU]: So ist das!)


Das ist die Debatte. Ich finde, alles, was Sie an Sorgen
vortragen, sind doch berechtigte Hinweise . Wir sind doch
alle durch die kritische öffentliche Debatte klüger gewor­
den, das ist doch gar nicht die Frage . Aber den Kopf in
den Sand stecken und nicht weiter verhandeln, wie Sie es
fordern, das ist falsch . Deshalb hat Herr Kretschmann die
bessere Position als die grüne Bundestagsfraktion . Sorry
to say that .

Vielen Dank .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1812711400

Vielen Dank, Sigmar Gabriel . – Es war jetzt ein biss­

chen überzogen, nein, es war nicht nur ein bisschen über­
zogen, sondern es war reichlich überzogen . Deshalb be­
kommen die anderen etwas mehr Redezeit .

Nächster Redner in der Debatte: Alexander Ulrich für
die Linke .


(Beifall bei der LINKEN)



Alexander Ulrich (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1812711500

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Der Wirtschaftsminister hat zwar reichlich überzogen,
ist aber nicht auf die Argumente derer eingegangen, die
dazu aufrufen, am 10 . Oktober hier in Berlin zu demons­
trieren . Das ist eine weitere Chance, die Sie vollkommen
verpasst haben .


(Beifall bei der LINKEN – Dirk Wiese [SPD]: Sie bringen seit zwei Jahre keine Argumente hier!)


Wir, die Linke im Bundestag, fordern den Bundestag
auf, den CETA­Vertrag abzulehnen . Wir fordern auch die
Bundesregierung auf, sich dafür einzusetzen, dass die
TTIP­Verhandlungen mit den USA abgebrochen wer­
den . Diese Verträge widersprechen in jeder Form unserer
politischen Idee . Sie sind auch ein Angriff auf die De­
mokratie, auch auf die Demokratie, für die wir hier im
Deutschen Bundestag streiten .

Herr Gabriel, wenn Sie sagen, diese jungen Menschen
müssen es ausbaden: Ja, diese jungen Menschen müssen
in ein paar Jahren ausbaden, wenn die Demokratie durch
solche Verträge ausgehöhlt wird . Diese Menschen müs­
sen es ausbaden, wenn Umwelt­ und Verbraucherschutz­
standards abgebaut werden, sie müssen es ausbaden,
wenn Arbeits­ und Sozialschutz abgebaut wird und wenn
die Demokratie bis hinunter zur Kommune ausgehöhlt
wird . Das müssen diese Menschen ausbaden, da haben
Sie recht .


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜND­ NIS 90/DIE GRÜNEN – Peter Beyer [CDU/ CSU]: Sie haben sich gar nicht weiterentwi­ ckelt!)


Man kommt nicht umhin, hier auch noch etwas zum
Herrn Pfeiffer zu sagen . Herr Pfeiffer, ich muss Ihnen sa­
gen, das Niveau in diesem Bundestag kann nicht mehr
unterboten werden, wenn Sie hier stehen .


(Beifall bei der LINKEN – Dagmar Ziegler [SPD]: Da haben Sie recht! Wenn Sie reden!)


Sie haben sich aufgeregt über eine Empörungsindust­
rie . Ich möchte einmal nennen, wer sich darin alles wie­
derfindet. Nahezu alle DGB-Gewerkschaften, BUND,
Paritätischer Wohlfahrtsverband, Campact – haben Sie
erwähnt –, Naturfreunde, Oxfam, Attac, Brot für die

Bundesminister Sigmar Gabriel






(A) (C)



(B) (D)


Welt, Foodwatch, NABU – alle diejenigen erklären Sie
hier zur Empörungsindustrie .


(Max Straubinger [CDU/CSU]: Hören Sie doch auf!)


Sie haben beklagt, dass zu wenige Bürgerinnen und Bür­
ger die Dokumente von der Europäischen Kommission
abrufen . Man würde sich wünschen, dass jeder Bürger in
diesem Land Ihre Rede abruft .


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Denn dann würden die sich wirklich empören . Dann wür­
de klar sein, was hier eigentlich gewollt ist . Was Sie hier
gemacht haben, ist tatsächlich eine pauschale Herabwür­
digung zivilgesellschaftlichen Engagements .


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord­ neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Politiker wie Sie sind mit daran schuld, dass sich im­
mer mehr Menschen von der Demokratie verabschieden .
Denn alle Gründe, die diese Menschen bewegen, die
diese Organisationen bewegen, am 10 . Oktober auf die
Straße zu gehen, werden von Ihnen und auch von Herrn
Gabriel überhaupt nicht wahrgenommen . Das können
wir nicht akzeptieren .


(Beifall bei der LINKEN)


Zu Campact . Vielleicht sollten Sie sich trotzdem ein­
mal die Mühe machen . Es gibt drei Vorsitzende . Die
Strukturen kann man alle auf der Webseite einsehen . Sie
finanzieren sich ausschließlich durch Spenden und För­
derbeiträge, also viel transparenter als teilweise die CDU .


(Beifall bei der LINKEN – Max Straubinger [CDU/CSU]: Das ist auch nur der einzige Zweck: Spenden zu akquirieren!)


Deshalb haben die, glaube ich, es nicht verdient, von Ih­
nen so angegriffen zu werden .

Dann haben Sie die Demokratie angesprochen . Ich
möchte Ihnen sagen: TTIP und CETA höhlen die Demo­
kratie aus . Ich möchte vier Beispiele nennen . Zum einen
der Investorenschutz: Mit dem Vorschlag für einen inter­
nationalen Handelsgerichtshof, wie von Herrn Gabriel
eben gesagt, soll zwar etwas Bewegung in die Sache hi­
neinkommen . Aber an dem Grundproblem, dass auslän­
dische Investoren durch besondere Tatbestände und ein
paralleles Justizsystem systematisch bevorteilt werden,
ändert das rein gar nichts . Zudem gelten diese Sachen für
CETA überhaupt nicht, und ob die USA überhaupt mit­
spielen und so etwas akzeptieren, was Malmström und
Gabriel vorschlagen, ist auch noch völlig unklar . Es wird
jetzt so dargestellt, als wäre das Thema bereinigt . Gar
nichts ist bereinigt . Von der US­Seite hört man ja, dass
sie überhaupt nicht bereit sind, darüber zu diskutieren .


(Zuruf von der SPD)


Zweites Beispiel: Die regulatorische Kooperation . An
die Stelle des bewährten Vorsorgeprinzips der EU soll
künftig das wenig bewährte US­Regulierungssystem tre­
ten . Dort ist das Regulieren so bürokratisiert, dass es am
Ende überhaupt nicht mehr stattfindet. Nicht einmal die

jahrzehntelangen Versuche, Asbest zu verbieten, waren
dort erfolgreich .

Drittens: Stillstand­ und Sperrklinkenklauseln . Die
Vertragsparteien sollen sich verpflichten, das gegebene
Liberalisierungsniveau nicht mehr anzuheben und künf­
tige Liberalisierungen in alle Ewigkeit festzuschreiben .
Damit würde eine politische Einbahnstraße geschaffen,
die alle künftigen Regierungen bindet . Das kann ein rie­
siges Problem werden, wenn zum Beispiel Privatisierun­
gen wieder rückgängig gemacht werden sollen . Derzeit
wollen viele Kommunen ihre Stromversorgung rekom­
munalisieren . Mit TTIP und CETA wäre das nicht mehr
ohne Weiteres möglich .


(Ulli Nissen [SPD]: Wo steht das?)


Viertens: die Aushöhlung der kommunalen Selbst­
verwaltung . Durch marktradikale Regeln bei der öf­
fentlichen Auftragsvergabe, Subventionierungsverbote,
Marktzugangsverpflichtungen etc. soll den Kommunen
jeglicher Gestaltungsspielraum genommen und ein mas­
siver Privatisierungsdruck vor Ort aufgebaut werden .
Allein in Deutschland haben sich schon fast 300 Kom­
munen gegen TTIP ausgesprochen . Auch viele CDU­ und
SPD­Kommunalpolitiker sind dabei .


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN sowie des Abg . Dr . Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN])


Auch der Städtetag, die kommunalen Spitzenverbände
und der Verband kommunaler Unternehmen haben TTIP
scharf kritisiert .

Das Beispiel passt hier ganz gut: Ich war bei einer Ver­
anstaltung, da haben sich sogar die deutschen Bierbrau­
er – Herr Kauder ist Botschafter des deutschen Bieres;
ich weiß nicht, ob er es immer noch ist – über TTIP und
CETA beschwert, weil sie Angst haben, dass das deut­
sche Reinheitsgebot durch Fracking gefährdet wäre .


(Beifall des Abg . Matthias W . Birkwald [DIE LINKE] – Max Straubinger [CDU/CSU]: Das stimmt ja gar nicht!)


Herr Kauder, wenn Sie nicht auf uns hören, auf die Em­
pörungsindustrie, dann hören Sie zumindest auf Ihre
Bierbrauer . Vielleicht wäre das ein guter Fortschritt .


(Beifall bei der LINKEN)


Herr Gabriel, ich möchte Ihnen dringend widerspre­
chen, wenn Sie sagen, dass das nur ein deutsches Prob­
lem ist . Wir haben jetzt fast 3 Millionen Unterschriften .
Die europäische Bürgerinitiative ist ein großer Erfolg .
Herzlichen Glückwunsch dafür! Macht noch weiter mit!
Es sind 3 Millionen .


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


In 23 von 28 Ländern sind die Länderquoren überschrit­
ten . Das ist also weit mehr als nur eine deutsche Protest­
bewegung . Es ist eine europäische .


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord­ neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Alexander Ulrich






(A) (C)



(B) (D)


In vielen Ländern, auch in Spanien, Frankreich, Öster­
reich und den Niederlanden, sind Kommunen, die sich
gegen TTIP aussprechen . Wenn Sie, Herr Gabriel, das al­
les ignorieren, dann ist das ein Sargnagel für die europäi­
sche Demokratie, für die europäische Sozialstaatlichkeit .
Machen Sie diesem Spuk endlich ein Ende! Ihre Partei
war schon einmal so weit, nur Sie nicht .


(Beifall bei der LINKEN – Dagmar Ziegler [SPD]: Jetzt ist aber genug!)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1812711600

Sie müssen Ihre Rede jetzt beenden .


Alexander Ulrich (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1812711700

Ja, ich komme zum Ende .

Die Forderungen der Empörungsindustrie, wie Herr
Pfeiffer es nennt, sind vollkommen gerechtfertigt . Wir
teilen sie uneingeschränkt . Ich rufe alle Bürgerinnen und
Bürger auf: Lesen Sie die Rede von Herrn Pfeiffer, lesen
Sie die Rede von Herrn Gabriel, und kommen Sie am
10 . Oktober um 12 Uhr an den Hauptbahnhof in Berlin!
Empört euch!


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord­ neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1812711800

Nächster Redner in der Debatte: Andreas Lämmel für

die CDU/CSU­Fraktion .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Andreas G. Lämmel (CDU):
Rede ID: ID1812711900

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und

Herren! Es läuft eigentlich wie immer, wenn wir in den
letzten Monaten über TTIP und CETA diskutiert haben .
Herr Ernst, ich habe Sie stark im Verdacht, dass Sie Ihre
Redemanuskripte sozusagen fünfmal nachnutzen . Das ist
zwar sehr effizient, aber es bringt hier kein einziges neu­
es Argument .


(Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Das war heute bei Herrn Hofreiter nicht anders als bei
Ihrer Rede, Herr Ernst .

Wenn man das auf die Politik ummünzt, müsste man
konstatieren: Wenn die Grünen und die Linken an der
Macht wären, gäbe es einen völligen Politikstillstand in
unserem Land .


(Widerspruch bei der LINKEN – Lachen beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Denn seit Jahren haben Sie zu diesem Thema nichts an­
deres zu sagen als das, was Sie auch heute gesagt haben .
Die Grünen wussten ja gestern im Ausschuss nicht ein­
mal so richtig, wo der Antrag abgeblieben war, über den
wir heute diskutieren . Offensichtlich ist Ihre Fraktion
nicht so gut organisiert . Wenn man sich den Antrag ein­
mal anschaut, Frau Dröge, dann sieht man, dass das ein

Sammelsurium von Unterstellungen ist . Dazu hat auch
der Minister Stellung genommen .

Wir dürfen doch nicht der Illusion aufsitzen – das
schüren vor allem die Grünen in diesen Diskussionen –,
dass Deutschland der Verhandlungsführer ist und dass
das, was wir in Deutschland an Systemen und Standards
haben, das ist, was die Welt braucht . Da sind viele sehr
gute Dinge dabei; da gibt es überhaupt keinen Zweifel .
Aber ignorieren Sie ganz einfach, dass auch in anderen
Ländern mitgedacht wird, dass sich auch andere Länder
Standards geben, dass sie sich Regelungen geben, die sie
für gut befinden, die aber nicht den deutschen entspre­
chen? Diese ignorante Politik betreiben Sie im Prinzip
seit Jahren . Sie sind der Auffassung: Am deutschen We­
sen soll die Welt genesen .


(Lachen bei der LINKEN)


Das setzen Sie bei diesen Verhandlungen natürlich ge­
nauso fort .


(Dr . Petra Sitte [DIE LINKE]: Das ist doch auch die Rede vom letzten Mal!)


Noch einmal zu dem Aufruf . Bei der letzten Rede ist
ja offensichtlich geworden, dass es heute nicht darum
geht, sachliche Argumente auszutauschen, sondern dass
Sie heute Ihren Demonstrationsaufruf verstärken wollen .


Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1812712000

Herr Lämmel, erlauben Sie eine Zwischenfrage von

Dr . Schmidt?


Andreas G. Lämmel (CDU):
Rede ID: ID1812712100

Nein, danke . Ich brauche jetzt keine Zwischenfrage .


(Zurufe von der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Oh!)


Kommen wir zu der Demonstration, die Sie am Wo­
chenende planen . Campact ist ein Unternehmen, das
gegen Geld Kampagnen organisiert; ganz einfach . Die
haben das Prinzip der Marktwirtschaft erkannt . Wer Geld
gibt, bekommt seine Kampagne organisiert . Das hat
überhaupt nichts damit zu tun, dass eine solche Vereini­
gung demokratisch legitimiert wäre, meine Damen und
Herren . Das muss man einmal deutlich sagen .

Ich meine, man muss sich natürlich auch die Frage
stellen, wieso sich eine so große mitgliederfinanzierte
Organisation wie der Deutsche Gewerkschaftsbund mit
seinen Mitgliedsorganisationen in das Bündnis „TTIP
und CETA stoppen!“ begibt .


(Max Straubinger [CDU/CSU]: Ja, aller­ dings! – Barbara Lanzinger [CDU/CSU]: Ge­ nau!)


Ich frage mich ganz ernsthaft, Herr Ernst, wieso eine sol­
che Organisation ohne demokratischen Beschluss ihrer
Mitglieder entscheidet,


(Klaus Barthel [SPD]: Müsst ihr einmal die Beschlüsse nachlesen!)


Alexander Ulrich






(A) (C)



(B) (D)


sich einem solchen Bündnis anzuschließen .


(Klaus Barthel [SPD]: Doch, gibt es! Es gibt Beschlüsse, Herr Lämmel! – Ulli Nissen [SPD]: Haben Sie denn eine Mitgliederbefra­ gung gemacht?)


Damit entzieht sich der Deutsche Gewerkschaftsbund
vollkommen einer unabhängigen Diskussion, weil er
sich einseitig festgelegt hat . Damit ist doch klar: Wenn
wir mit Vertretern des Deutschen Gewerkschaftsbundes
diskutieren, dann müssen wir nicht darüber reden, wie
bessere Regelungen aussehen könnten oder welche Be­
fürchtungen die Mitglieder haben . Vielmehr ist klar: Der
DGB ist gegen TTIP, und damit ist die Welt für sie zu
Ende .


(Klaus Barthel [SPD]: Quatsch!)


Genau das ist das Problem an der ganzen Sache .

Zu der Bürgerbewegung . Sie sprachen von 3 Millio­
nen Unterschriften . Aber auch Sie wissen, dass Europa
500 Millionen Einwohner hat . Dann können Sie ja ein­
mal rechnen . 3 Millionen, das ist zwar schon ganz gut .
Aber wir wissen auch, wie auf den Straßen Unterschrif­
ten gesammelt werden .


(Ulli Nissen [SPD]: Ach ja? Wie denn?)


Meine Damen und Herren, ich nehme bei verschie­
densten Gelegenheiten an Diskussionen über TTIP und
CETA teil . Eines fällt immer wieder auf: Wenn man ein­
mal die Chance hat, eine Stunde oder zwei Stunden über
TTIP und Freihandel zu diskutieren, dann kommen hin­
terher 80 Prozent der Leute zu mir und sagen: Ja, das
muss uns doch einmal jemand erklären . – Genau das ist
das Problem an Ihren Kampagnen: Sie verkürzen das
Thema auf fünf Hauptsätze und sagen dann: Hier bitte
unterschreiben . – Das ist Ihre Art, Unterschriften zu sam­
meln, und das ist Ihre Art, Kampagnen zu betreiben . Des­
wegen ist die Verunsicherung bei den Bürgerinnen und
Bürgern natürlich sehr groß .


(Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ­ NEN]: Können Sie auch inhaltlich mal etwas dazu sagen?)


Denn eines ist ganz klar: Zu versuchen, ein Freihandels­
abkommen mit fünf Kernsätzen zu beschreiben, kann
nicht gelingen .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Deswegen, meine Damen und Herren, sind Sie diejeni­
gen, die die große Verunsicherung in Deutschland ver­
breiten und nichts dazu beitragen, die Diskussion auf
ordentliche Füße zu stellen .

Ich meine, als sich Europa und die Vereinigten Staaten
auf den Weg gemacht haben, ein Freihandelsabkommen
zu schließen, wussten wir von vornherein, dass das ein
holpriger Weg ist . Dass es nicht leicht wird, wenn die
zwei größten Wirtschaftsräume der Welt versuchen, so
ein großes Abkommen auf den Weg zu bringen, war allen
klar . Sie sagen jetzt: Verhandlungen abbrechen! Keinen
Schritt weiter! – Aber Sie wissen doch selber, dass Ver­
handlungen dazu da sind, unterschiedliche Positionen
möglicherweise zu einer gemeinsamen Position zu brin­

gen . Sonst könnten wir ja überall in der Welt aufhören, zu
verhandeln . Wenn es nach Ihren Verhandlungsprinzipien
ginge, bräuchten wir auf europäischer Ebene über nichts
mehr zu verhandeln, und dann bräuchten wir letztendlich
auch in der WTO nicht weiter zu verhandeln .

Nun zu den Grünen und ihren Unterstellungen . Sie sa­
gen, Sie befürchten, dass wir das im Rahmen der EU nie
schaffen werden . Ja, auch ich denke, dass die Grünen nie
wieder an die Macht kommen .


(Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ich kann mich täuschen; aber ich denke das . Ich befürch­
te, dass Ihnen das angesichts dessen, was Sie so machen,
nicht mehr gelingt . Wieso versuchen Sie, die Leute für
dumm zu verkaufen,


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ­ NEN]: Wieso lassen Sie keine Zwischenfra­ gen zu?)


anstatt Ihre Positionen einzubringen und zu sagen: „Wir
möchten gerne, dass in diesem Abkommen die und die
Punkte berücksichtigt werden“?


(Dr . Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was Sie da sagen, ist wirklich völlig neben dem Thema!)


Der Minister hat deutlich gemacht: Die Einrichtung
eines Handelsgerichtshofes war ein Vorschlag, den Euro­
pa eingebracht hat . Wir müssen uns doch nicht verste­
cken! Sie suggerieren immer, die Amerikaner zögen uns
über den Tisch . Na ja, meine Damen und Herren von den
Linken und den Grünen, was denken Sie eigentlich, wie
blöd die Leute in Brüssel sind und wie blöd das deutsche
Parlament ist,


(Katharina Dröge [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Tja, das ist die Frage!)


das letztendlich über dieses Vorhaben abstimmen muss?


(Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Sie nicken doch alles ab, was die Amerikaner uns vorge­ ben!)


Das gesamte Verhandlungsergebnis wird in den Deut­
schen Bundestag kommen . Hier wird darüber diskutiert .
Letztendlich wird es dann eine Abstimmung geben, und
dann wird man sehen, ob es dafür eine Mehrheit gibt oder
nicht .

Herr Ernst, im Gegensatz zu Campact und solchen
Hilfsorganisationen, die nicht demokratisch legitimiert
sind, ist der Deutsche Bundestag das gewählte Gremium
des deutschen Volkes, in dem letztendlich diese Entschei­
dungen getroffen werden müssen .


(Beifall bei der CDU/CSU – Dr . Anton Hof­ reiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist ja gruselig!)


Insofern kann ich nur sagen: Ihre Stimmungsmache wird
letztlich nicht dazu führen, dass Sie erfolgreich sind .

Ich denke, wir sind auf einem guten Weg, aber wir
sind noch lange nicht am Ziel . Darin sind wir uns hier

Andreas G. Lämmel






(A) (C)



(B) (D)


im Hause auch völlig einig . Wir müssen noch viel in die
Verhandlungen einbringen, und es wird diejenigen, die
am Verhandlungstisch sitzen, sicherlich noch manche
Nerven kosten, bis sie zu einer Vereinbarung kommen .
Wir können nur hoffen, dass wir in einem absehbaren
Zeitraum zum Abschluss kommen können .

Vielen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg . Dagmar Ziegler [SPD] – Dr . Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist ja ein Grauen!)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1812712200

Vielen Dank, Herr Lämmel . – Nächste Rednerin in der

Debatte: Katharina Dröge für Bündnis 90/Die Grünen .


Katharina Dröge (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1812712300

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Sehr geehrter Herr Minister Gabriel, kennen
Sie eigentlich das Versteckspiel von kleinen Kindern?
Wenn kleine Kinder Verstecken spielen, dann halten sie
sich manchmal die Augen zu und glauben, niemand kön­
ne sie mehr sehen .


(Heiterkeit des Abg . Alexander Ulrich [DIE LINKE])


Ein bisschen erinnert mich das, was Sie hier in den letz­
ten zwei Stunden vorgetragen haben, und die Politik, die
die Bundesregierung in den letzten zwei Jahren gemacht
hat, auch an dieses Versteckspiel von kleinen Kindern .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Sie scheinen ernsthaft zu glauben, dass niemand die Pro­
bleme sieht, die es mit TTIP und CETA gibt, wenn Sie
sie nicht sehen, sodass Sie sie einfach wegignorieren
können .


(Dr . Joachim Pfeiffer [CDU/CSU]: Welche gibt es denn? – Norbert Schindler [CDU/ CSU]: Wo sind die Probleme!)


Schauen wir einmal auf die letzten zwei Jahre: Prob­
leme durch die Einführung von Schiedsgerichten, weil
Großkonzerne Staaten verklagen können, gab es für Sie
am Anfang nicht .


(Norbert Schindler [CDU/CSU]: Ist doch erledigt!)


Das gilt für beide Seiten . Die SPD ist hier mittlerweile ja
schon ein bisschen näher an der Realität, aber die CDU/
CSU verweigert die Realität weiterhin . Probleme bei der
Liberalisierung von Dienstleistungen durch Negativlis­
ten gab es in Ihrer Wahrnehmung am Anfang nicht . Ge­
fahren für den europäischen Verbraucher­ und Umwelt­
schutz durch die Schwächung des Vorsorgeprinzips gab
es für Sie am Anfang nicht .

Alles, was zumindest die Hälfte des Bundestages an
gemeinsamer Erkenntnis gewonnen hat, ist nicht auf
Ihren Mist gewachsen . Die Arbeit der Opposition und der
Nichtregierungsorganisationen, die von Herrn Pfeiffer

hier so schändlich bedacht wurden, hat zu diesem Er­
kenntnisgewinn geführt .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Dr . Joachim Pfeiffer [CDU/CSU]: Ach, komm!)


Herr Wiese, Sie haben sich hier ja wirklich sehr frag­
würdig hingestellt und so getan, als sei die SPD in der
Landesregierung Baden­Württemberg der Motor für
einen kritischen TTIP­Beschluss gewesen . Von Ihrer
Fraktion habe ich im Deutschen Bundestag – dafür sind
Sie verantwortlich – noch niemals einen einzigen An­
trag zu TTIP und CETA gesehen, mit dem Sie irgendeine
Position zu diesem Abkommen eingebracht haben .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Das wäre aber Ihre Pflicht als Abgeordnete gewesen,
wenn Sie sagen, dass Sie hier solche Erkenntnisse ge­
wonnen haben .

Jetzt komme ich zu den Kinderspielen zurück . Bei
kleinen Kindern finde ich das Blinde-Kuh-Spiel manch­
mal sogar niedlich. Bei Ihnen finde ich das aber nicht
wirklich niedlich . Angesichts der Tragweite dieser Ab­
kommen finde ich das sogar höchst unangemessen.

Ich möchte Ihnen nur ein neues Beispiel für das Blin­
de­Kuh­Spiel nennen, das Sie hier versuchen mit dem
Parlament zu spielen . Noch vor der Sommerpause habe
ich Sie gefragt, wie denn diese neuen Gremien, diese
Hauptausschüsse, in CETA ausgestaltet sein sollen . Ich
habe Sie gefragt: Welche Kompetenzen wird der Haupt­
ausschuss in CETA haben? Ist es richtig, dass dieser
Hauptausschuss die Kompetenz hat, verbindliche Ent­
scheidungen zu treffen, wie Annexe und Protokolle von
CETA zu verändern? Auf die schriftliche Frage von mir
und auf die schriftliche Frage von Frau Haßelmann ha­
ben Sie geantwortet: Das stimmt nicht .

Danach haben wir Ihnen in der Regierungsbefragung
noch einmal die Textstelle des CETA­Vertragsentwurfs
vorgehalten, in der steht, dass dieses Gremium die Kom­
petenz haben soll, die Anlagen zu verändern . Darauf
haben Sie geantwortet: Ja, okay, das stimmt; ihr habt
recht . – Das haben Sie zwar nicht so klar gesagt, aber
wenn man Sie richtig verstanden hat, dann war das genau
die Antwort .


(Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Es gibt nämlich noch das Legal Scrubbing, durch das
sich, so hoffen Sie, vielleicht noch etwas ändern wird .
Das Problem ist nur: Ich habe Sie vor der Sommerpau­
se auch gefragt, was Sie im Rahmen des Legal Scrub­
bing an CETA noch ändern wollen . Darauf haben Sie
geantwortet: Ein bisschen bei den Schiedsgerichten und
ein bisschen bei der kulturellen Vielfalt . – Das Thema
„Hauptausschuss in CETA“ kam in Ihrer Antwort über­
haupt nicht vor .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Noch viel wichtiger finde ich – die Kollegen von der
CDU haben ja immer gesagt, das Parlament ist der Ort

Andreas G. Lämmel






(A) (C)



(B) (D)


der Demokratie, und wir sind gewählt, um über diese Ab­
kommen zu entscheiden –: In CETA ist die Frage, was
nach der Ratifizierung des Abkommens passiert, nicht
geklärt .


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS­ SES 90/DIE GRÜNEN)


Wir haben die Bundesregierung gefragt: Ist sicher, ist
wirklich abschließend sicher, dass das Europäische Par­
lament und gegebenenfalls der Deutsche Bundestag nach
Abschluss des Abkommens noch beteiligt sein werden,
wenn der Hauptausschuss Veränderungen am Abkom­
men vornimmt?


(Klaus Barthel [SPD]: Das fordern Sie in Ihrem Antrag nicht einmal!)


Da hat die Bundesregierung immer nur gesagt: Ja, das re­
geln die innereuropäischen Verfahren . Wir haben mehr­
fach nachgefragt: Kennt die Bundesregierung denn die
innereuropäischen Verfahren? Meine Interpretation ist:
Sie weichen der Antwort darauf aus,


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


weil Sie ganz genau wissen, dass die Einbindung des
Europäischen Parlaments nicht explizit abgesichert ist .
Das ist ein Fehler . Der ist Ihnen nicht aufgefallen, er ist
Ihnen jetzt, durch unsere Nachfragen, erst bewusst ge­
worden, und das möchten Sie nicht zugeben .


(Klaus Barthel [SPD]: Komisch, dass Sie das nicht einfordern!)


– Doch, genau das fordern wir in unseren Anträgen ein .


(Klaus Barthel [SPD]: Eben nicht!)


Herr Barthel, ich muss Ihnen ja zugestehen: Sie sind
einer der wenigen in der Debatte, der diesen Antrag ge­
lesen hat . Die Redner der CDU/CSU haben das anschei­
nend nicht getan .


(Dirk Wiese [SPD]: Toni Hofreiter auch nicht!)


Aber zwischen Lesen und Verstehen gibt es noch einen
Unterschied .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN – Wiederspruch bei der CDU/CSU – Max Straubinger [CDU/CSU]: Da schau her!)


In unserem Antrag gibt es eine ganze Reihe konkreter
Vorschläge, die wir gemacht haben, wie eine bessere Han­
delspolitik in der Europäischen Union aussehen kann .
Wir haben dezidiert zu der Frage der Hauptausschüsse
Stellung genommen, haben gesagt: Es muss abgesichert
sein, dass das Europäische Parlament einbezogen ist . Wir
haben zu der Frage Stellung genommen: Wie kann man
die Standards in der Europäischen Union absichern? Wir
haben gesagt: Das europäische Vorsorgeprinzip muss
elementarer Bestandteil aller Handelsabkommen sein .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Das ist in CETA nicht abgesichert . Sie erzählen uns hier
immer wieder, es sei nicht wahr, dass durch CETA oder

TTIP Standards abgesenkt werden könnten . Immer wie­
der erzählen Sie dieselbe Leier .

In unserem Antrag haben wir dezidiert an verschiede­
nen Punkten auch schon für den CETA­Vertrag nachge­
wiesen, dass die Standards in Gefahr sind, weil nämlich
das europäische Vorsorgeprinzip, der zentrale Pfeiler, mit
dem wir hier unsere Verbraucher­ und Umweltschutzstan­
dards in Europa absichern wollen, in diesem Vertrags­
text nicht erwähnt ist . Den hätten Sie verankern müssen,
wenn Sie beispielsweise vor dem WTO­Staat­zu­Staat­
Schiedsverfahren diesen Grundsatz sichern wollen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg . Klaus Ernst [DIE LINKE])


Wir werden jetzt schon – das hat Anton Hofreiter ge­
sagt – vor dem WTO­Staat­zu­Staat­Schiedsverfahren
genau deshalb verurteilt, weil dieses Vorsorgeprinzip
nicht verankert ist . Dasselbe gilt für das Right to regula­
te, dasselbe gilt für die Absicherung des „hohen Schutz­
niveaus“ . All das steht in unserem Antrag .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Von der CDU/CSU habe ich keinen einzigen Satz zum
Inhalt dieses Antrags gehört, keinen einzigen Satz zur
Debatte, stattdessen nur Verfahrenskritik oder Beschimp­
fungen der Zivilgesellschaft .


(Peter Beyer [CDU/CSU]: Was sich nicht alles als Zivilgesellschaft bezeichnet!)


Ich muss ganz ehrlich sagen: Wenn wir unsere Aufga­
be als Parlament ernst nehmen, dann setzen wir uns ver­
nünftig mit diesen Abkommen auseinander . Dann führen
wir hier nicht immer eine solch polemische Debatte, in
der man sich gegenseitig beschimpft, wer jetzt hier falsch
argumentiert, und Stilnoten erteilt .


(Barbara Lanzinger [CDU/CSU]: Wer be­ schimpft hier wen?)


Das tun Sie die ganze Zeit, und das finde ich der Sache
nicht angemessen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Stattdessen können wir uns doch einfach einmal mit
den Inhalten der Vertragstexte beschäftigen . Das ist
viel – 500 Seiten Vertragstext CETA plus 1 000 Seiten
Anhänge –, aber da muss eine vernünftige Analyse her .
Das Problem ist: Am Ende, wenn die Abkommen ausver­
handelt sind, wenn sie dem Deutschen Bundestag vor­
gelegt werden, dann haben wir als Parlamentarier keine
Chance mehr, dann können wir nur noch Ja oder Nein
sagen .

Wenn wir aber in den Verhandlungsprozess hinein­
wollen, dann müssen wir jetzt unsere Beteiligung einfor­
dern . Dann müssen wir jetzt der Bundesregierung sagen,
welche Punkte wir akzeptieren würden und welche Punk­
te nicht . Deswegen sind Debatten hier im Bundestag so
zentral wichtig . Deswegen ist es auch wichtig, dass wir
Zugang zu den Verhandlungsdokumenten bekommen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Auch da vermisse ich jegliche Unterstützung der Bun­
desregierung . Herr Ramsauer und Herr Lammert sind die

Katharina Dröge






(A) (C)



(B) (D)


Einzigen hier aufseiten der Bundesregierung, die uns an
dieser Stelle unterstützt haben . Von der Bundesregierung
ging bis jetzt nur ein einziger Brief nach Brüssel; das ha­
ben Sie auf unsere entsprechende Frage geantwortet,


(Lachen bei der CDU/CSU)


was Sie tun, um uns zu unterstützen, damit wir hier Zu­
gang zu den Leseräumen bekommen . Da haben Sie ge­
sagt, Sie haben der Kommission einen Brief geschrieben .


Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1812712400

Frau Kollegin, die Redezeit .


Katharina Dröge (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1812712500

Ja, die Redezeit – das stimmt –, da achte ich jetzt auch

drauf .


(Heiterkeit beim BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Ich komme jetzt zum Ende meiner Rede .


Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1812712600

Da achte ich drauf . Bitte kommen Sie zum Schluss .


Katharina Dröge (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1812712700

Stimmt, das ist dein Job .


(Heiterkeit beim BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Deswegen komme ich jetzt zum Ende meiner Rede .
Ich kann Ihnen wirklich nur sagen: Lassen Sie uns die
Debatte etwas über die Inhalte führen . Wir haben hier
einen Antrag vorgelegt, von dem ich überzeugt bin, dass
er eine gute richtungsweisende Politik für Europa gestal­
ten könnte .


(Dirk Wiese [SPD]: Sie wollen es doch stop­ pen und nicht verhandeln!)


Wenn Sie sich dem nicht anschließen wollen, legen Sie
eigene Anträge vor, aber debattieren Sie endlich mit uns
über die Sache .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1812712800

Vielen Dank, Frau Kollegin . – Der letzte Redner in

dieser wirklich sehr lebhaften Debatte ist Rainer Spiering
für die SPD .


(Beifall bei der SPD)



Rainer Spiering (SPD):
Rede ID: ID1812712900

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kol­

legen! Vorab zu Herrn Ulrich: Der Deutsche Städtetag
und alle Wohlfahrtsverbände haben mit Wirtschaftsmi­
nister Sigmar Gabriel ein gemeinsames Papier zu TTIP
erarbeitet, das pro TTIP ist, und dafür die Bedingungen
festgelegt . Das kann man aber, glaube ich, nachlesen .

Die öffentliche Diskussion über Freihandelsabkom­
men ist gut, richtig und notwendig . Das erleben wir auch
heute . Voraussetzung dafür ist Transparenz .

Es ist heute schon mehrfach gesagt worden: Deutsch­
land hat bereits 138 Freihandelsabkommen ratifiziert.
Wenn ich mir die Debatte vergegenwärtige, stelle ich mir
die Frage: Welches davon hat uns geschadet? Welches
Abkommen hat uns geschadet, dass diese Emotionen
freigesetzt werden? Ich zumindest habe den Eindruck,
dass die Freihandelsabkommen, die wir in der Vergan­
genheit geschlossen haben, diesem Land ausgesprochen
gutgetan haben .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)


Ich glaube, das ist auch der Ansatz, dem wir folgen soll­
ten .

Eine Bemerkung möchte ich mir noch erlauben, weil
häufig angesprochen wurde, wie sich die SPD zu Sigmar
Gabriel verhält . Mein eigener Kreisverband hat das tief­
und raumgreifend debattiert . Dann haben wir darüber
abgestimmt . Dabei ist herausgekommen, dass die Linie
des Wirtschaftsministers zu nahezu 100 Prozent bestä­
tigt worden ist . So erlebe ich meine SPD auch im ganzen
Bundesgebiet . Wir sind rührig im Diskutieren, aber wir
wissen auch, wann der Punkt gekommen ist, der Sache
zuzustimmen und dem Verhandlungsmandat Raum zu
geben .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Sie erlauben vielleicht, dass ich mit einer gewissen re­
gionalen Betroffenheit argumentiere . Ich habe es gerade
noch schnell gegoogelt: Drei der weltweit größten Land­
maschinenhersteller mit circa 12 000 Mitarbeitern sind in
meiner Heimatregion .


(Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Das müssen Sie googeln?)


Das sind alles kleine und mittelständische Unternehmen,
die auf dem amerikanischen Markt sehr große Probleme
haben, wenn sie ihre Rechte durchsetzen wollen . Denn
aufgrund der „Buy America“­Gesetzgebung der Ameri­
kaner wird keiner von ihnen in den Vereinigten Staaten
von Amerika klagen . Ich sehe eine sehr große Chance,
das Mandat „Buy America“ über das Freihandelsabkom­
men aufzubrechen . Dann hätten wir völlig andere Markt­
bedingungen, und zwar Marktbedingungen, die wir ge­
stalten können, wobei wir uns einen ganz anderen Raum
geben könnten .

Nehmen Sie das zur Kenntnis! 12 000 Mitarbeiter in
einer Region in einer bestimmten Sparte sind eine richti­
ge Ansage. Ich finde, sie haben das Recht, eine Zukunft
zu haben und sich weiterzuentwickeln . Das ist die Auf­
gabe, die mit einem Freihandelsabkommen, das zu unse­
ren Bedingungen gestaltet wird, durchverhandelt werden
kann .

Gestatten Sie mir noch eine Bemerkung dazu: Wir er­
leben zurzeit eine gigantische Auseinandersetzung auf
dem Automobilsektor, was selbstfahrende Fahrzeuge
angeht . Google und Co . strecken ihre Finger aus, und
die deutsche Automobilindustrie hat große Probleme .

Katharina Dröge






(A) (C)



(B) (D)


Bei unserem Landmaschinensektor sieht das anders aus .
Die IT­Plattformen werden zurzeit noch in Deutschland
selber hergestellt: mit unseren Sicherheitsstandards . Pa­
rallel dazu sind in den Vereinigten Staaten von Amerika
Monsanto und Google unterwegs . Ich würde mir zum
Schutz unserer heimischen Industrie wünschen, dass wir
gemeinsame Standards erwirken können, die auch den
Datenschutz umfassen und unseren Herstellern eine faire
Chance geben, sich auch auf dem IT­Sektor zu behaup­
ten . Aber diese Chance bekommen Sie nur, wenn Sie ver­
handeln, Kolleginnen und Kollegen, statt ein Verhand­
lungsmandat abzulehnen .

Herzlichen Dank .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1812713000

Vielen Dank, Herr Kollege . – Liebe Kolleginnen und

Kollegen, damit schließe ich diese Aussprache .

Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 18/6197 an die in der Tagesordnung aufge­
führten Ausschüsse vorgeschlagen . Sind Sie damit ein­
verstanden? – Das ist der Fall . Dann ist die Überweisung
so beschlossen .

Ich komme zum Tagesordnungspunkt 4 b . Abstim­
mung über die Beschlussempfehlung des Ausschusses
für Wirtschaft und Energie auf Drucksache 18/4969 . Der
Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschluss­
empfehlung die Ablehnung des Antrags der Fraktion Die
Linke auf Drucksache 18/1093 mit dem Titel „Die Ver­
handlungen zum EU­USA­Freihandelsabkommen TTIP
stoppen“ . Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? –
Das ist die Koalition . Wer stimmt dagegen? – Die Frak­
tion Die Linke . Wer enthält sich? – Die Fraktion Bünd­
nis 90/Die Grünen . Damit ist diese Beschlussempfehlung
mit den Stimmen der Koalition angenommen worden .

Ich komme zu dem Buchstaben b der Beschlussemp­
fehlung. Unter Buchstabe b empfiehlt der Ausschuss die
Ablehnung des Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen auf Drucksache 18/1457 mit dem Titel „Für ein
starkes Primat der Politik – Für fairen Handel ohne De­
mokratie­Outsourcing“ . Wer stimmt für diese Beschluss­
empfehlung? – Die Koalition . Wer stimmt dagegen? –
Die Opposition . Gibt es Enthaltungen? – Das ist nicht
der Fall . Dann ist diese Beschlussempfehlung ebenfalls
mit den Stimmen der Koalition angenommen worden .

Weiterhin empfiehlt der Ausschuss unter Buchstabe c
seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des An­
trags der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksa­
che 18/1964 mit dem Titel „Stellungnahme im Rahmen
des Konsultationsverfahrens der Europäischen Kommis­
sion zum Investitionsschutzkapitel im geplanten Trans­
atlantischen Freihandelsabkommen TTIP“ . Wer stimmt
für diese Beschlussempfehlung? – Die Koalition . Wer
stimmt dagegen? – Die Opposition . Enthaltungen? –
Keine . Dann ist auch diese Beschlussempfehlung mit den
Stimmen der Koalition angenommen worden .

Wir kommen zu dem Buchstaben d der Beschlussvor­
lage des Ausschusses. Unter Buchstabe d empfiehlt der

Ausschuss die Ablehnung des Antrags der Fraktion Die
Linke auf Drucksache 18/4090 mit dem Titel „CETA­
Verhandlungsergebnis ablehnen“ . Wer stimmt für diese
Beschlussempfehlung? – Wiederum die Koalition . Wer
stimmt dagegen? – Die Opposition . Gibt es Enthaltun­
gen? – Das ist nicht der Fall . Dann ist die Beschlussemp­
fehlung mit den Stimmen der Koalition angenommen
worden .

Schließlich empfiehlt der Ausschuss unter Buchsta­
be e seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des
Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Druck­
sache 18/2620 mit dem Titel „Keine Klageprivilegien
für Konzerne – CETA­Vertragsentwurf ablehnen“ . Wer
stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Die Koalition .
Wer stimmt dagegen? – Die Opposition . Wer enthält
sich? – Niemand . Dann ist diese Beschlussempfehlung
ebenfalls mit den Stimmen der Koalition angenommen
worden .

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir kommen zum
Tagesordnungspunkt 5:

Beratung der Beschlussempfehlung und des Be­
richts des Ausschusses für Menschenrechte und
humanitäre Hilfe (17 . Ausschuss) zu der Unter­
richtung durch die Bundesregierung

Elfter Bericht der Bundesregierung über ihre
Menschenrechtspolitik

Drucksachen 18/3494, 18/6183

Hierzu liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion
Die Linke vor .

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 60 Minuten vorgesehen . – Dazu höre ich
keinen Widerspruch . Dann ist das so beschlossen .

Ich eröffne die Aussprache . Als erster Redner in der
Debatte hat Frank Schwabe von der SPD­Fraktion das
Wort .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Frank Schwabe (SPD):
Rede ID: ID1812713100

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Wir diskutieren heute über den elften Menschenrechts­
bericht der Bundesregierung . Interessanterweise ist
gleichzeitig der Menschenrechtskommissar des Euro­
parats in Berlin . Ich weiß nicht, ob das Zufall ist . Aber
es ist nicht schlecht, auch seinen Bericht zur Menschen­
rechtslage in Deutschland zur Kenntnis zu nehmen . Der
Menschenrechtsbericht der Bundesregierung betrachtet
gleichberechtigt die Menschenrechtslage im Inland wie
im Ausland . Das kann man schon an der Dicke und der
Seitenzahl erkennen . Es ist wichtig, den Blick ins Inland
zu wenden, zum einen weil es in der Tat viele Verletzun­
gen von Menschenrechten im Inland gibt – die Lage der
Menschenrechte in Deutschland ist vielleicht besser als
in manchen anderen Ländern, aber sie ist nicht perfekt –
und zum anderen weil der Blick ins Inland uns überhaupt
erst das Recht gibt, ins Ausland zu schauen und andere
Staaten für ihre Menschenrechtspolitik zu kritisieren .

Rainer Spiering






(A) (C)



(B) (D)


Ich will zur Flüchtlingsdebatte nicht so viel sagen,
weil darüber schon heute Morgen intensiv diskutiert
wurde . Aber ich will ein Zitat vortragen und zwei Bitten
äußern . Das Zitat lautet: „Die Menschlichkeit einer Ge­
sellschaft zeigt sich nicht zuletzt daran, wie sie mit den
schwächsten Mitgliedern umgeht .“ Das Zitat könnte von
vielen stammen . Es gibt viele ähnliche Zitate . Aber die­
ses Zitat stammt von Helmut Kohl aus dem Jahr 1998 .
Damit möchte ich zwei Bitten verbinden . Die erste Bitte
lautet: Ich bitte alle, die sich an der Debatte beteiligen,
auf die Sprache zu achten, auch wenn man unterschied­
licher Meinung ist .


(Beifall bei der SPD)


Man sollte darüber nachdenken, ob es zum Beispiel an­
gemessen ist, von Flut, Welle und Überschwemmung zu
sprechen, wenn es letztendlich um Menschen geht .


(Beifall im ganzen Hause)


Ich finde, dass – einige werden wissen, wem die folgen­
den Zitate zuzuordnen sind – Sprüche wie „Der Grieche
hat genug genervt“ oder „Die Gesetze macht bei uns
nicht der Prophet“ alles andere als hilfreich sind, wenn es
um die dringend notwendige Versachlichung der Debatte
geht .


(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Die zweite Bitte lautet – auch sie hat etwas mit Men­
schenrechten zu tun –, darüber nachzudenken, wie wir
mit Menschen umgehen, die zu uns kommen, und unter
welchen Bedingungen wir es Menschen ermöglichen
wollen, zu uns zu kommen . Das Bild des ertrunkenen
kleinen Jungen ging um die Welt; alle haben darüber ge­
redet . Ich habe den Eindruck, dass der eine oder andere
dieses Bild gerade vergisst .

Ich will zur Flüchtlingsdebatte nicht sehr viel sagen,
aber ich will sagen, dass wir versuchen müssen, den
Menschen die Chance zu geben, auf eine vernünftige Art
und Weise zu uns zu kommen, auch um Zuwanderung
steuern zu können . Ich werde nicht vergessen, mein gan­
zes Leben nicht, denke ich, dass ich vor ein paar Wochen
im Libanon in Flüchtlingslagern war und dort zwei Jungs
getroffen habe, die ganz gespannt auf mich waren, auf
den Besuch aus Deutschland, weil sie die Chance haben,
jetzt über Kontingente nach Deutschland zu kommen .
Ein paar Tage später war dann überall das Bild des Jun­
gen, der an der Küste angeschwemmt wurde .

Ich kann einfach nicht verstehen, warum die einen so­
zusagen die Chance haben, vernünftig nach Deutschland
zu kommen, zu überleben, und die anderen nicht . Deswe­
gen plädiere ich dafür, dass wir für vernünftige Kontin­
gentlösungen, für Resettlement­Programme sorgen . Wir
können nicht sagen, dass jeder kommen soll; wir können
aber eine Steuerung hinbekommen, indem wir zum Bei­
spiel sagen: Wir nehmen 200 000 pro Jahr in Europa auf .
Ihr könnt dieses Verfahren aber nur von dort aus betrei­
ben, wo ihr euch befindet. Macht euch nicht auf diesen
halsbrecherischen Weg, sondern versucht, das Verfahren

aus dem Land heraus zu betreiben, wo ihr seid . – Ich
glaube, das wäre zumindest eine Möglichkeit .


(Beifall bei der SPD sowie des Abg . Frank Heinrich Wenn wir über die Lage der Menschenrechte in Deutschland reden, reden wir über viele Mechanismen und Möglichkeiten, die Lage zu verbessern, über Auf­ klärung, über die Notwendigkeit von Strafgesetzen, zum Beispiel gegen Rassismus . Wir reden aber auch über Ins­ titutionen . Nils Muiznieks, der Menschenrechtskommis­ sar des Europarats, den ich gerade schon erwähnt habe, hat heute gesagt, die Menschenrechtsarchitektur könnte durch Verbesserungen gestärkt werden . Ich glaube, das ist eine zentrale Aufgabe, der wir uns in den nächsten Jahren weiter widmen müssen . Wir haben das Deutsche Institut für Menschenrechte gestärkt . Wir haben ein Gesetz geschaffen . Wir haben dem Institut neue Aufgaben gegeben . Wir haben es beim Bundestag aufgehängt; ich glaube, das kann man gar nicht wichtig genug nehmen . (Beifall des Abg . Christoph Strässer [SPD] – Michael Brand [CDU/CSU]: Angehängt!)


– Angegliedert . Wir sind zuständig, jedenfalls was den
Haushalt angeht . – Jetzt geht es aber darum – das sage
ich auch –, über die finanzielle Ausstattung zu reden.
Wenn man mehr Aufgaben hat, dann muss man auch gut
ausgestattet werden, um diese Aufgaben bewältigen zu
können .

Wir haben andere Institutionen wie zum Beispiel die
Antidiskriminierungsstelle des Bundes oder die Natio­
nale Stelle zur Verhütung von Folter . Auch da kann es
Verbesserungen geben; auch dort haben wir Verbesserun­
gen durchgesetzt . Es braucht am Ende eine vernünftige
Finanzausstattung, damit diese Institutionen ordentlich
wirken können .

Es gehört auch dazu, über die Performance und eine
verbesserte Finanzausstattung des Beauftragten der Bun­
desregierung für Menschenrechtspolitik und Humanitäre
Hilfe zu reden . Auch da ist noch der eine oder andere
Spielraum .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Wir führen wichtige Debatten zum Thema Flücht­
lingsaufnahme . Ich habe es gerade gesagt . Wir werden
das schaffen; da bin ich mir sicher . Ich glaube, wir wer­
den in dieser Gesellschaft auch daran wachsen . Aber es
ist eine große Herausforderung, ganz zweifellos, eine
Herausforderung im Inland; es ist aber auch eine Her­
ausforderung für uns, zu verstehen, dass das, was wir im
Inland tun und diskutieren, auch etwas mit dem zu tun
hat, was wir im Ausland tun und diskutieren . Es hat etwas
zu tun mit auswärtiger Politik, mit Menschenrechtspoli­
tik, mit Entwicklungspolitik . Deswegen reden wir über
Friedenspolitik, über Diplomatie, manchmal auch über
Gewalt, die wir einsetzen müssen, um Menschenleben zu
schützen, um Menschenrechte durchzusetzen .

Wir müssen auch über die humanitäre Hilfe und die
Entwicklungspolitik reden . Aber es kommt eine neue Di­
mension dazu – ich glaube, das muss man sich angesichts

Frank Schwabe






(A) (C)



(B) (D)


der Dramatik der Situation klarmachen –, eine neue Di­
mension von Entwicklungs­ und Menschenrechtspolitik .
Zu der bürgerlichen Dimension der Menschenrechte –
Unversehrtheit, Schutz des Lebens, gleiche Rechte vor
Gericht – kommen eine wirtschaftliche und eine soziale
Dimension der Menschenrechte . Sie geraten in den Fo­
kus, und ich finde, wir müssen die Debatte jetzt führen
und ernst nehmen .

Deswegen ist es gut, dass der Menschenrechtsaus­
schuss des Deutschen Bundestages in der nächsten
Woche in Mexiko und Peru sein wird, um sich über die
Auswirkungen von Handels­ und Rohstoffabkommen zu
informieren . Wir haben dazu gestern eine Anhörung im
Ausschuss gehabt . Es ist auch gut, dass im Auswärtigen
Amt ein Nationaler Aktionsplan „Wirtschaft und Men­
schenrechte“ erarbeitet wird – zusammen mit der Zivil­
gesellschaft . Ich bin dabei für ganz viel Dialog . Ich bin
für ganz viele Regeln, für Austausch darüber, wie man
das besser machen kann, wie man die Wirtschaft nutzen
kann, um Menschenrechte zu schützen .

Am Ende, liebe Kolleginnen und Kollegen, geht es
aber auch um die Frage der Verbindlichkeit und die Fra­
ge der verbindlichen Durchsetzung von Regeln . Dabei
reden wir darüber, dass es endlich dringend notwendig
ist, dass Deutschland das ILO­Übereinkommen 169 rati­
fiziert und ebenso das Fakultativprotokoll zum UN-So­
zialpakt .


(Beifall bei der SPD)


Wenn wir über die internationale Dimension der Men­
schenrechtspolitik reden – nun bleibt mir nicht mehr
ganz so viel Zeit –, will ich sagen, dass ich stolz darauf
bin, dass die Europäische Union und die 47 Mitgliedslän­
der des Europarats sich dazu bekennen, die Todesstrafe
nicht anzuwenden . Das ist immer wieder ein Thema; aber
man kann es hier leider nicht oft genug ansprechen, weil
es die Todesstrafe immer noch gibt und sie in vielen Län­
dern der Welt noch vollstreckt wird .

Die Todesstrafe ist nicht nur eine Barbarei, sondern
die, die sie vollstrecken, verstoßen sehr häufig gegen
UN­Abkommen, die sie selbst unterzeichnet haben . Bei­
spielhaft zu nennen ist hier der Fall von Ali Mohammed
al­Nimr, der zur schiitischen Minderheit Saudi­Arabiens
gehört und der bei einer Demonstration dabei war und
jetzt getötet werden soll – geköpft und gekreuzigt . Er war
17 Jahre alt, als er die Tat, derer er beschuldigt wird, be­
gangen haben soll . Ebenso zu nennen ist Abdul Basit aus
Pakistan . In Pakistan ist die Aussetzung der Todesstrafe
aufgehoben worden, angeblich um Terroristen zu strafen .
Am Ende straft man sozusagen aber Menschen, die we­
gen ganz anderer Verbrechen angeklagt sind . Bei Abdul
Basit ist es nicht nachvollziehbar, warum er überhaupt
verurteilt wurde . Tatsache ist: Er ist querschnittsgelähmt
und soll trotzdem hingerichtet werden . Hingerichtet wur­
de vor wenigen Stunden Kelly Gissendaner aus Georgia
in den USA. Ich finde, es ist besonders schmerzhaft, dass
wir die USA immer wieder in die Reihe dieser Staaten
einreihen müssen .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und des Abg . Michael Brand [CDU/CSU])


Zum Glück wenden viele Staaten die Todesstrafe nicht
mehr an . 95 Prozent der Vollstreckungen der Todesstrafe
finden in wenigen Ländern der Welt statt. Die USA sind
in schlechter Gesellschaft mit China, dem Iran, Saudi­
Arabien, dem Sudan und dem Jemen . Zum Glück sinkt
auch die Zustimmung in den Vereinigten Staaten . Des­
wegen, liebe Kolleginnen und Kollegen, finde ich, ist
immer wieder ein Appell an die Vereinigten Staaten, aber
auch an Japan nötig: Schafft die Todesstrafe ab . Begebt
euch nicht in die falsche Gesellschaft .

Vielen Dank .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1812713200

Vielen Dank . – Als nächste Rednerin hat Inge Höger

von der Fraktion Die Linke das Wort .


(Beifall bei der LINKEN)



Inge Höger-Neuling (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1812713300

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! „Gren­

zen überwinden“, so lautet das Motto zum diesjährigen
Tag der Deutschen Einheit . Es könnte auch ein gutes
Motto für die Menschenrechtspolitik der deutschen Bun­
desregierung sein . Nicht nur die Grenzen zwischen den
Ländern sind zu überwinden – obwohl dies aktuell von
größter Dringlichkeit ist –, sondern auch die Grenzen
zwischen Armut und Reichtum .


(Beifall bei der LINKEN)


Außerdem geht es auch darum, blinde Flecken zu er­
kennen und Mauern in den Köpfen zu überwinden . Für
die Überwindung von Grenzen ist der vorliegende Men­
schenrechtsbericht leider ein schlechtes Beispiel . Er ist
durchzogen von zwei gefährlichen Grundannahmen:
erstens, dass in Deutschland alles in Ordnung sei, und
zweitens, dass Deutschland und die EU für das Elend in
anderen Teilen der Welt keine oder nur eine geringe Ver­
antwortung tragen .


(Michael Brand [CDU/CSU]: Falsch ge­ lesen!)


Während führende Politikerinnen und Politiker hier
im Land gerne von Freiheit und Verantwortung reden,
bleiben die konkreten Schlussfolgerungen häufig weit
hinter dem Notwendigen zurück . Wir erleben zurzeit,
dass Menschen, die aus Not und Elend fliehen, Tag für
Tag Grenzen überwinden oder dies zumindest versu­
chen. Einige der Gründe für die Flucht finden wir im
Menschenrechtsbericht, doch wesentliche Aspekte der
Fluchtursachen bleiben ausgeblendet . Es wird Zeit, dass
sich die Bundesregierung der Verantwortung stellt, die
unser Land für Menschenrechtsverletzungen und Flucht­
ursachen hat .


(Beifall bei der LINKEN)


Es fehlt in dem Bericht vieles, wofür die Politik in
Deutschland mitverantwortlich war und ist: Der Kli­
mawandel wird durch die Industrienationen wesentlich
mitverursacht und führt zu neuen Fluchtursachen in der

Frank Schwabe






(A) (C)



(B) (D)


Welt . Die deutsche und europäische Außenhandels ­ und
Wirtschaftspolitik, die Liberalisierung von Handelsbe­
ziehungen, die Ressourcenausbeutung und der Export
von subventionierten Lebensmitteln gefährden die Men­
schenrechtslage in Drittstaaten . Deutsche Rüstungsex­
porte wirken wie Öl im Feuer zahlreicher Kriegs­ und
Krisennationen . Konsequente Menschenrechtspolitik
heißt deshalb auch: Freihandel beenden und Rüstungs­
exporte stoppen .


(Beifall bei der LINKEN)


Eine Politik, die sich am Schutz von Menschenrechten
ausrichtet, hätte weltweit einen positiven Effekt . Einen
Anfang könnte die Bundesregierung zum Beispiel mit
einer verbindlichen Menschenrechtsprüfung bei Investi­
tionen deutscher Firmen im Ausland machen .

Jahr für Jahr sterben 2,6 Millionen Kinder unter fünf Jah­
ren an Unterernährung, und weltweit haben etwa 800 Mil­
lionen Menschen nicht genügend zu essen . Wie können
Sie es da zulassen, dass deutsche und europäische Unter­
nehmen Kraftstoffe aus Biomasse importieren? Warum
beginnen Sie nicht umgehend damit, die Spekulationen
auf Nahrungsmittel an den Börsen zu verbieten?


(Beifall bei der LINKEN)


Das wäre wirkungsvolle und vorbildliche deutsche Men­
schenrechtspolitik .

In vielen Bereichen profitieren deutsche Unternehmen
und Banken von Menschenrechtsverletzungen und Not­
lagen auf der ganzen Welt . Warum hilft die Bundesregie­
rung dabei, international exklusive Rechte zur Verwer­
tung von Arzneimitteln durchzusetzen? Das führt dazu,
dass in ärmeren Regionen die adäquate Behandlung von
Infektionskrankheiten wie Malaria, Tuberkulose oder
Aids erschwert wird . Für die Linke stehen die Rechte der
Menschen über den Profitinteressen der Unternehmen.
Der Zugang zu angemessener medizinischer Versorgung
ist ein Menschenrecht .


(Beifall bei der LINKEN)


Für die Linke stehen Menschenrechte auch über
Bündnissolidarität . Wir werden nicht schweigen, wenn
Militärbasen in Deutschland von NATO­Verbündeten ge­
nutzt werden, um Drohneneinsätze durchzuführen . Kil­
lerdrohnen sind ein massiver Angriff auf das Menschen­
und Völkerrecht .


(Beifall bei der LINKEN)


Deswegen muss diese Technologie global geächtet wer­
den .


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)


Die Kriegs­ und Besatzungseinsätze der Bundeswehr
und ihrer Verbündeten tragen weltweit zur Destabili­
sierung und Zerstörung ganzer Gesellschaften bei . Sie
binden Ressourcen, die für eine friedliche Krisenbewäl­
tigung fehlen . Bitte erklären Sie jetzt nicht, der im An­
schluss an diese Debatte auf der Tagesordnung stehende
EU­Mittelmeereinsatz sei ein Beitrag zum Schutz der
Menschenrechte . Ich leugne nicht, dass zahlreiche Men­
schen von Militärschiffen im Mittelmeer gerettet wurden .
Ich bezweifle aber, dass es bei diesem Einsatz tatsächlich

um die Rettung von Flüchtlingen geht . Denn dann wäre
eine zivile Rettungsmission sehr viel sinnvoller .


(Beifall bei der LINKEN)


Noch besser wären sichere und legale Einreisemöglich­
keiten .

Sehr verräterisch in diesem Zusammenhang ist die
Tatsache, dass das Sterben im Mittelmeer im vorliegen­
den Bericht keine Rolle spielt . Dabei sind zwischenzeit­
lich Zehntausende von Ertrunkenen im Mittelmeer eine
direkte Folge der europäischen Abschottungspolitik .
Menschenrechtspolitik geht definitiv anders. Die Linke
fordert deswegen, dass in den künftigen Berichten die
europäische Flüchtlingspolitik und die Fluchtursachen in
einem eigenen Kapitel ehrlich aufgearbeitet werden .

Auch die Situation von Flüchtlingen in anderen
EU­Staaten ist kritisch zu betrachten . Mit Lagern wie
in Ungarn, neuen Grenzanlagen und ­zäunen quer durch
Europa dürfen wir uns nicht abfinden.


(Beifall bei der LINKEN)


Auch der Umgang mit Flüchtlingen hierzulande ist ge­
nau zu betrachten. Warum befinden sich im Widerspruch
zur UN­Kinderrechtskonvention immer noch Jugendli­
che im Alter von 16 bis 18 Jahren in Abschiebehaft? Wa­
rum helfen deutsche Bundespolizisten der ungarischen
Regierung bei deren Abschottungspolitik?


(Dr . Bernd Fabritius [CDU/CSU]: Weil es notwendig ist!)


Das muss aufhören .


(Beifall bei der LINKEN)


Neben der großen Hilfsbereitschaft gibt es in Deutsch­
land leider auch einen tief verankerten Rassismus in der
Bevölkerung und bei staatlichen Institutionen .


(Michael Brand [CDU/CSU]: Schlimm, was Sie hier sagen!)


Im Zuge der Aufarbeitung der NSU­Morde darf das The­
ma „Geheimdienste und Menschenrechtsverletzungen“
nicht vergessen werden . Wir dürfen rassistische und fa­
schistische Tendenzen in unserer Gesellschaft nie mehr
kleinreden .


(Beifall bei der LINKEN)


Wie kann es sein, dass es zwischenzeitlich etwa
70 Anschläge auf Flüchtlingsunterkünfte gegeben hat,
aber nur 10 Verdächtige ermittelt wurden? Wie kann es
sein, dass in diesem Land diejenigen, die anders aus­
sehen, besonders häufig in Polizeikontrollen geraten?
Dabei widersprechen Personenkontrollen aufgrund der
Hautfarbe dem Gleichbehandlungsgrundsatz .


(Beifall bei der LINKEN)


Die Linke kämpft für ein Land, in dem Menschenrechte
für alle gleichermaßen gelten, nicht nur auf dem Papier .

Zu Beginn meiner Rede habe ich das Motto „Grenzen
überwinden“ zitiert . Dies funktioniert nur mit Solidarität .
Dazu gehört, dass breite Schultern mehr tragen können
als schwache . Es ist deswegen absolut unverständlich,

Inge Höger






(A) (C)



(B) (D)


warum bei der Finanzierung der Kosten für die Integra­
tion von Flüchtlingen verschiedene Gruppen in prekären
Lebenslagen gegeneinander ausgespielt werden .


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)


Warum darf der Mehrbedarf durch Kürzungen in anderen
Etats finanziert werden, während es einen Haushaltsüber­
schuss gibt? Deutschland muss in den sozialen Frieden
investieren . Das bedeutet mehr Geld für den sozialen
Wohnungsbau, Kampf gegen Steuerflucht und nicht zu­
letzt, endlich die Superreichen in diesem Land ausrei­
chend zur Kasse zu bieten .


(Beifall bei der LINKEN – Zuruf von der CDU/CSU: Warum immer so einfach?)


Grenzen überwinden heißt Armut überwinden – in
Deutschland und weltweit .

Vielen Dank .


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1812713400

Vielen Dank . – Als nächste Rednerin hat Erika Stein­

bach von der CDU/CSU­ Fraktion das Wort .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Erika Steinbach-Hermann (Plos):
Rede ID: ID1812713500

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Der Elfte Menschenrechtsbericht der Bundesregierung
mit all seinen bedenkenswerten Facetten ist heute zu be­
raten . Es ist ein umfangreiches Paket, in dem viele The­
men und Dinge bezüglich der Menschenrechte dargelegt
werden .

Es gibt zurzeit ein Thema, das in Deutschland, in Euro­
pa und vor unserer Haustür im Nahen Osten alles überla­
gert: Die Völkerwanderung in Richtung Europa, hier ins­
besondere nach Deutschland, beschäftigt die Menschen
im Lande . Damit eng verbunden ist ein gravierendes
Menschenrechtsthema . Die aktuellen Migrantenströme
zeigen die Anziehungskraft unseres Landes . Hunderttau­
sende aus dem Nahen Osten und Afrika suchen in diesen
Tagen und Monaten das, was ihnen in der Heimat fehlt .
Sie suchen ein Leben in Sicherheit . Sie suchen ein Leben
in Freiheit und in Wohlstand . Illegitim ist das nicht .

Heute sind weltweit 60 Millionen Menschen auf der
Flucht oder auf der Wanderung und damit auf der Suche
nach einem anderen Ort für ihr neues Leben . Neu für uns
ist diese Erkenntnis nicht . Im Menschenrechtsausschuss
des Deutschen Bundestages beschäftigen wir uns seit
Jahren mit den zunehmenden Wanderungsströmen .

Bereits bei der Einbringung des Haushaltes im vori­
gen Jahr habe ich darauf hingewiesen, wenn Deutsch­
land, wenn Europa, wenn die demokratischen Staaten
dieser Welt nicht gemeinsam alles tun, um das massen­
hafte Elend am Entstehungsort zu lindern, dann werden
wir früher oder später in unserem Land die Folgen spü­
ren . Die pure Not hat Menschen hierher getrieben, weil
die Völkergemeinschaft nicht alles getan hat, um vor Ort
Linderung zu schaffen . Die meisten Menschen würden
doch gerne in der Heimat oder nahe der Heimat bleiben .

Dafür hat es in den letzten Jahren viel zu wenig Hilfe­
stellung gegeben, im Gegenteil . Was ist geschehen? Der
UNHCR, die Vereinten Nationen haben die Mittel für
Nahrung in den Flüchtlingscamps im Nahen Osten fast
halbiert, weil die anderen Länder das Geld nicht bezahlt
haben, das der UNHCR benötigt . Das ist eine Schande
für die Weltgemeinschaft; das muss man deutlich sagen .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Der Europäischen Union war das nicht unbekannt . Die
Europäische Union hat nicht alles getan . Sie hat die Au­
gen und Ohren vor dem verschlossen, was sich vor den
Toren Europas tut . Allein mit dem Retten von Menschen
im Meer ist es nicht behoben . Mehr noch: Die Europäi­
sche Union hat seit Jahren die katastrophale Flüchtlings­
lage in Griechenland und in Italien – wie oft haben wir
uns im Menschenrechtsausschuss mit dieser Thematik
auseinandergesetzt – fahrlässig, ja sträflich hingenom­
men und damit dazu beigetragen, dass sich die Karawa­
ne der Migranten heute in Richtung Europa, in Richtung
Deutschland bewegt .

Deutschland ist ein Land mit wirklich großer Hilfs­
bereitschaft . Es ist erfreulich, das zu sehen . Es ist er­
freulich, zu sehen, dass das Betreuen von Flüchtlingen
fast überwiegend mit ehrenamtlichen Kräften möglich
gemacht wird . Das ließ sich selten so erkennen wie bei
der Betreuung von Hunderttausenden Flüchtlingen in
den letzten Wochen, die innerhalb einer kurzen Zeit zu
uns gekommen sind . Jeder Mensch, der nach Deutsch­
land kommt, muss und soll menschenwürdig behandelt
werden – das ist unser Anspruch –, ob er hierbleiben darf
oder ob er zurückgeschickt werden muss .

Aber, meine lieben Kolleginnen und Kollegen, wer
Augen hat, um zu sehen, weiß, dass die Grenzen der Auf­
nahmefähigkeit hier im Lande erreicht sind . Sprechen
Sie mit den Bürgermeistern, mit den Landräten vor Ort .
Die Situation in den Lagern – anders kann man es nicht
nennen – wie Messehallen, Turnhallen, Zeltlager macht
es deutlich; noch so viel Hilfsbereitschaft kann nicht da­
rüber hinwegtäuschen .

Wenn wir auf der einen Seite Hilfsbereitschaft zeigen,
dann müssen wir auf der anderen Seite die Augen für das
offen halten, was es noch gibt: Die Zustände, die inzwi­
schen in den Masseneinrichtungen und in ihrem Umfeld
zu beobachten sind, müssen uns alarmieren . Wir dürfen
darüber nicht einfach den Mantel des Schweigens aus­
breiten . Es spricht sich trotzdem herum; also müssen wir
darüber reden .

Gewaltausbrüche zwischen Asylsuchenden sind nach
Angaben des Vorsitzenden der Deutschen Polizeige­
werkschaft, Herrn Wendt, seit Wochen zu beobachten .
Insider wissen das schon seit längerer Zeit . Religiöse und
ethnische Konflikte sind nach Deutschland importiert
worden . Es haben sich teilweise Clans herausgebildet,
die um die Vorherrschaft in den Lagern gewalttätig rin­
gen . Die Leidtragenden sind oftmals Frauen und Kinder .
Sie sind in diesen Einrichtungen immer wieder sexuellen
Übergriffen bis hin zur Vergewaltigung ausgesetzt . Auch
werden Frauen zur Verschleierung gezwungen . Unsere

Inge Höger






(A) (C)



(B) (D)


Polizei und die Ordnungskräfte, auch die nichtausgebil­
deten Ordnungskräfte, sind mit diesen Situationen oft­
mals überfordert .

Die ungeheure Zahl von Menschen, die mit einem
ganz anderen Wertefundament hierhergekommen sind,
hat mit dazu beigetragen, dass leider das Recht häufig
nicht mehr umgesetzt werden kann, weder in den Auf­
nahmeeinrichtungen noch in deren Umfeld . Darüber hi­
naus sind Hunderttausende abgetaucht und befinden sich
illegal im Lande .

Diese Situation muss Menschenrechtsengagierte hell­
hörig machen . Die Grenze dessen, was Deutschland an
Hilfe leisten kann, ist längst überschritten . An die Linke
gerichtet: Nur ein Narr gibt mehr, als er hat .


(Heike Hänsel [DIE LINKE]: Wir haben aber mehr! 10 Billionen Privatvermögen!)


Das Elend dieser Welt mit 60 Millionen flüchtenden
Menschen lässt sich weder in Deutschland noch in Euro­
pa heilen, beim allerbesten Willen nicht .


(Inge Höger [DIE LINKE]: Rüstungsexport­ stopp!)


Der gute Wille hier im Lande ist doch jeden Tag sichtbar .

Was ist zu tun?


(Heike Hänsel [DIE LINKE]: Sie wurden aus der Heimat vertrieben, Frau Steinbach!)


Was haben wir für Möglichkeiten? Es muss baldmög­
lichst gelingen, alle, die nicht hierbleiben dürfen, wieder
zurückzuschicken . Wenn man die einzelnen Schicksale
sieht, dreht es einem schon das Herz im Leib herum .
Aber wir haben eine Gesamtverantwortung . Wir alle, die
wir hier sitzen, sind für dieses Land verantwortlich . Aber
das wird nicht reichen .

Wir müssen den Zuwanderungsstrom so konsequent
wie möglich stoppen . Wir müssen dazu beitragen, in den
Herkunftsländern und in deren Anrainerstaaten, auch
mithilfe der Europäischen Union, die Versorgung der
Menschen mit den elementarsten Dingen zu sichern . Es
darf nicht sein, dass die Menschen in den Flüchtlings­
einrichtungen im Nahen Osten Hunger leiden, sie nicht
genug zu trinken bekommen und die Kinder nicht in die
Schule gehen können . Das, was wir leisten können, soll­
ten wir vor Ort, also heimatnah, zu implementieren ver­
suchen .


(Heike Hänsel [DIE LINKE]: Das weiß man seit zwei Jahren! Jetzt plötzlich kommen Sie damit! Zwei Jahre zu spät!)


Was Deutschland betrifft: Wenn wir nicht auf eine ka­
tastrophale Situation zusteuern wollen, müssen wir ein
Grenzregime implementieren, mit dessen Hilfe Nicht­
asylberechtigte sofort abgewiesen werden . Wenn wir
Menschenrechte ernst nehmen, dann ist das unverzicht­
bar, um hier unseren Menschenrechtsstatus zu erhalten
und ungute Strömungen nicht aufwachsen zu lassen . Wa­
rum sage ich das? Wir haben kaum noch Möglichkeiten,
noch mehr Menschen hier unterzubringen . Jeder möge in
seinem Wohnort nachsehen, wo es dort noch Möglich­
keiten gibt .

Für diejenigen, die das Recht haben, hierzubleiben,
wird es nicht reichen, unsere Sprache zu sprechen . Sie
müssen sich auch mit unseren Werten auseinandersetzen .
Diese müssen sie respektieren . Sie müssen auch gewisse
Gewohnheiten ablegen . Wenn ich in Frankfurt sehe, dass
eine Muslima drei Schritte hinter ihrem Mann läuft, dann
widerspricht das dem Menschenrechtsstatus der Gleich­
berechtigung von Mann und Frau .

Das bedeutet auch, dass wir die Grenzen im Zusam­
menleben aufzeigen müssen . Das heißt, Regeln und
Werte, die unser schönes Land ausmachen und die das
Miteinander so auskömmlich und erfreulich machen,
sollten wir offensiv vertreten . Wer Menschenrechte in
Deutschland tatsächlich ernst nimmt, der muss auf die
Einhaltung dieser Regeln dringen . Ich glaube, das ist der
einzige Weg, den wir gehen können .

Ich bedanke mich .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg . Christoph Strässer [SPD])



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1812713600

Vielen Dank . – Als nächster Redner hat Omid

Nouripour von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das
Wort .


(Beifall des Abg . Michael Brand [CDU/ CSU])



Omid Nouripour (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1812713700

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Frau

Kollegin Steinbach, was Sie beschrieben haben, ist völ­
lig richtig: Es gibt auch in den Aufnahmeeinrichtungen
große Probleme, Ausschreitungen und Gewaltanwen­
dungen . Davon muss man sprechen; da haben Sie völlig
recht . Zur Redlichkeit gehört aber auch, davon zu spre­
chen, wie die Zahl der Anschläge auf diese Einrichtun­
gen in den letzten Wochen und Monaten explodiert ist .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN sowie des Abg . Martin Patzelt [CDU/CSU] – Erika Steinbach [CDU/CSU]: Auch das ist richtig!)


Meine Damen und Herren, es ist gut, dass alle zwei
Jahre ein Menschenrechtsbericht vorgelegt wird . Es ist
gut, dass wir alle zwei Jahre die Möglichkeit haben, die­
sen hier zu diskutieren . Das gibt uns im Hohen Hause die
Möglichkeit, über die Lage der Menschenrechte im All­
gemeinen und über die Menschenrechtspolitik der Bun­
desregierung im Besonderen zu diskutieren .

An dieser Stelle möchte ich – ich glaube, nicht nur
in meinem eigenen Namen – einen herzlichen Dank an
Christoph Strässer aussprechen . Christoph, du machst
eine unglaubliche Arbeit unter widrigsten Umständen, du
bohrst sehr dicke Bretter . Herzlichen Dank dafür!


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU und der SPD)


Es ist gut, dass es hier einen Konsens gibt, dass die
Frage der Menschenrechte kein Thema der Innenpolitik
oder der Außenpolitik ist, sondern Thema von beiden .

Erika Steinbach






(A) (C)



(B) (D)


Der Bericht besteht zum Großteil aus einer Auflistung
von Einzelaktivitäten . Im Übrigen wurden alle 19 Hand­
lungsbereiche der Bundesregierung unverändert aus dem
alten Aktionsplan übernommen . Auch diesmal bleibt der
Bericht unscharf und asymmetrisch . Menschenrechtsver­
letzungen im Westen, wie zum Beispiel in Guantánamo,
werden kaum thematisiert; stattdessen liegt der Fokus auf
dem globalen Süden und dem Nahen Osten .

Der Bericht lässt offen, was das Ziel deutscher Men­
schenrechtspolitik ist . Sie soll eine „Querschnittsaufga­
be“ sein . Aber was heißt das? Was folgt daraus? Was will
die Bundesregierung mit ihrer Menschenrechtspolitik
bewirken? Und vor allem: Wo ist eigentlich die Selbst­
kritik? Haben wir wirklich alles perfekt gemacht? Die
Bundesregierung muss die Stellen nachvollziehen und
benennen, an denen ihre eigene Politik zu Menschen­
rechtsverletzungen beigetragen hat, damit das Thema
Menschenrechte nicht nur eine leere Floskel bleibt .

Meine Damen und Herren, 2014 war ein katastropha­
les Jahr für die Menschenrechte, 2015 ist noch schlim­
mer . Wir sehen jeden Tag, wie die Weltgemeinschaft bei
der Durchsetzung der Menschenrechte kläglich versagt .

Menschenrechtsverletzungen treffen die Schwächsten
und Unschuldigsten . Ob in der Zentralafrikanischen Re­
publik, im Irak, in Syrien, Palästina, Südsudan oder der
Ukraine – Gewalt gegen Kinder, in all ihren Ausprägun­
gen, erreichte im vergangenen Jahr ein unbegreifliches
Ausmaß . Das Grauen der Gewalt macht uns fassungs­
los und viel zu häufig auch sprachlos. Aber es ist unsere
Pflicht, darüber zu sprechen.

Sprechen wir über Folter an Kindern . Gerade in
Kriegsgebieten sind Kinder brutalster körperlicher und
geistiger Folter ausgesetzt . Ich empfehle niemandem,
Berichte über einzelne Fälle aus Syrien zu lesen, die Am­
nesty International vorgelegt hat . Aber wir müssen uns
mit dem Thema beschäftigen . Auch in Deutschland ist
die Umsetzung der Anti­Folter­Konvention noch nicht
vollständig gewährleistet . Man sieht ja, wie überfordert
viele sind, weil die Mittel für die Unterstützung trauma­
tisierter Flüchtlingskinder fehlen .

Sprechen wir über Kinder auf der Flucht . Etwa
30 Millionen minderjährige Menschen mussten ihre Hei­
mat verlassen . Die Zahl der alleine Fliehenden hat sich
2014 fast verdoppelt . Wir sehen: Unsere Kommunen sind
finanziell und auch personell damit überfordert, diese
jungen Menschen so zu versorgen, wie sie es brauchen .

Sprechen wir über Kinderarmut . Armut hat viele Ge­
sichter . Nicht nur in Nordkorea hungern derzeit Kinder .
Wir sehen, dass in Indien trotz konstitutioneller Auf­
hebung des Kastensystems nach wie vor die Praktiken
der Unberührbarkeit existieren. Häufig werden Dalit-
Kinder – das sind Kinder aus der untersten Kaste – in
Schulen gezielt ausgegrenzt: Sie müssen Toiletten put­
zen, beim Unterricht auf dem Boden sitzen oder werden
geschlagen, und das alles vor den Augen der anderen . So
wird die Saat der Diskriminierung immer weiter fortge­
pflanzt.

Sprechen wir über Kinderarbeit . Weltweit arbeiten
etwa 168 Millionen Kinder – sehr häufig als Sklaven –

auf Plantagen, auf Müllkippen, in Minen oder werden zur
Prostitution gezwungen . Diese Arbeit hinterlässt lebens­
lange physische und psychische Spuren . Im Bericht steht:

Die Bundesregierung engagiert sich fortan im welt­
weiten Kampf gegen Kinderarbeit .

Das ist gut, das ist begrüßenswert . Ich kann aber nur ap­
pellieren, endlich verbindliche Regeln auf den Weg zu
bringen,


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


etwa Regeln für die globale Lieferkette oder Standards
für die Kennzeichnung von Produkten .

Sprechen wir über Kindesmissbrauch . Es gibt Un­
mengen Fälle körperlicher, sexueller und seelischer
Misshandlungen im In­ und Ausland, und jeder einzelne
Fall muss schonungslos aufgeklärt werden . In den letz­
ten Monaten gab es einen Fall, der unsere Vorstellungs­
kraft gesprengt hat: Das war der Kindesmissbrauch durch
UN­Blauhelmsoldaten – die eigentlich für den Schutz der
Kinder da sind – im Kongo und in der Zentralafrikani­
schen Republik . Die Aufklärung verläuft nur schleppend .
Es wurde sogar versucht, die Anschuldigungen zu ver­
tuschen. Hier darf es auf keinen Fall Straflosigkeit geben.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Ab­ geordneten der LINKEN)


Sprechen wir über die Todesstrafe für Minderjähri­
ge . Gerade erst hat Pakistan einen Mann wegen Mordes
hingerichtet, der zur Tatzeit 15 Jahre alt war . Amnesty
International hat seit 1990 50 Hinrichtungen von Min­
derjährigen im Iran registriert . In Saudi­Arabien soll, wie
es ISIS Tag für Tag macht, nun ein 21­Jähriger, der zur
angeblichen Tatzeit 17 Jahre alt war, gekreuzigt werden .
Nicht bei allen angesprochenen Grausamkeiten kann die
deutsche Bundesregierung direkten Einfluss ausüben –
das ist richtig –; aber sie muss beobachten, sie muss auf­
decken, sie muss benennen, sie muss ansprechen, und sie
muss aussprechen . Es ist notwendig, Druck auf die Ver­
antwortlichen auszuüben . Wir müssen vor allem darüber
nachdenken, wo wir eine Mitschuld tragen . Man kann
nicht von einer menschenrechtsbasierten Außenpolitik
sprechen und gleichzeitig Saudi­Arabien als unseren
Partner bezeichnen und mit Waffen beliefern .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Sprechen wir über Kinder im Krieg . Es heißt immer:
Die Wahrheit ist das erste Opfer des Krieges . Das ist si­
cherlich nicht falsch, aber heutzutage sieht man: Die ers­
ten Opfer von Kriegen sind die Kinder . Sie verlieren ihre
Kindheit, ihr Leben, ihr soziales Umfeld . Die Zahl der
Gewaltexzesse gegen Kinder ist unglaublich . Um nur ein
einziges Beispiel zu nennen: 230 Millionen Kinder leben
zurzeit in Kriegs­ und Krisengebieten . Im Jemen werden
aufgrund von Bombenanschlägen der Saudis und ihrer
Alliierten Tag für Tag Kinder in Bombenbunkern gebo­
ren . Dennoch gibt es in Deutschland keinerlei Skrupel,
mit diesem Krieg auch noch Geld zu machen .

Omid Nouripour






(A) (C)



(B) (D)


Sprechen wir über Kindersoldaten . Sprechen wir über
die Firmen, die Handwaffen extra klein bauen, damit sie
in Kinderhände passen . Sprechen wir darüber, was wir
endlich dagegen tun können . Kinder sind keine Soldaten .

Kinder brauchen Zukunftsperspektiven, sie brauchen
Bildung . Unter der Leitung von Norwegen und Argen­
tinien gibt es bei den Vereinten Nationen die Initiative
„Safe Schools Declaration“ . Es geht darum, dass Schu­
len und Hochschulen aus militärischen Kampfhandlun­
gen herausgehalten werden . Mittlerweile sind 49 Staaten
Unterstützer dieser Erklärung . Wir haben bereits vor der
Sommerpause einen Antrag vorgelegt – nachher tun wir
es wieder –, in dem wir die Bundesregierung bitten, die­
se Erklärung zu unterschreiben . Es ist uns vollkommen
schleierhaft, warum das nicht passiert .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ich kann Sie nur anflehen: Wenn Sie unseren Antrag nicht
unterstützen, dann finden Sie einen anderen Weg, da­
mit die Bundesregierung diese Erklärung unterschreibt .
Denn schließlich ist die Frage der Kinderrechte und der
Menschenrechte keine Frage der richtigen Formulierung
in einem Bericht, sondern stets konkret .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Astrid Lindgren hat es in ihrer wunderbaren Rede
„Niemals Gewalt!“ anlässlich der Verleihung des Frie­
denspreises des Deutschen Buchhandels in der Frankfur­
ter Paulskirche auf den Punkt gebracht – ich zitiere –:

Die jetzt Kinder sind, werden ja einst die Geschäfte
unserer Welt übernehmen, sofern dann noch etwas
von ihr übrig ist . Sie sind es, die über Krieg und
Frieden bestimmen werden und darüber, in was für
einer Gesellschaft sie leben wollen . In einer, wo die
Gewalt nur ständig weiterwächst, oder in einer, wo
die Menschen in Frieden und Eintracht miteinander
leben wollen .

Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1812713800

Vielen Dank . – Als nächster Redner in der Debatte hat

Michael Brand von der CDU/CSU­Fraktion das Wort .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Michael Brand (CDU):
Rede ID: ID1812713900

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Weil die Lage außergewöhnlich ist, möchte ich heute
keine gewöhnliche Rede halten . Ich hoffe, die hier An­
wesenden vertragen sowohl grundlegenden Optimismus
als auch scharfe Kritik, auch an uns selber .

Selten hat eine Diskussion zum Thema Menschen­
rechte und humanitäre Hilfe vor einem solchen Hinter­
grund von Dynamik und Dramatik in unserem Land statt­
gefunden . All denjenigen, die sich Sorgen machen, ob
wir in Deutschland mit dieser Lage zurechtkommen, sei

gesagt: Ja, wir werden das schaffen, weil wir das können,
und auch, weil wir das wollen .


(Beifall der Abg . Kordula Schulz­Asche [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Von meinen Reisen vor Ort – ob in den Flüchtlings­
camps in Jordanien, im Libanon, in Ostafrika, in Dadaab
oder anderswo – habe ich erschütternde Eindrücke mit­
gebracht, und das seit vielen Jahren, wie viele andere
Kollegen auch .

Aber von dieser Stelle aus möchte ich denjenigen mit
den vielen Sorgen und auch manchen Kommentatoren,
die ernste Probleme viel zu rasch zur absoluten Katast­
rophe erklären, zurufen: Ja, wir haben das ein oder an­
dere auch sehr ernste Problem . Und ja, viele Menschen
hier bei uns machen sich angesichts der Größe dieser Di­
mension auch Sorgen . Aber wahr ist auch: Diese Sorgen
möchten die Menschen in Syrien, im Irak oder in den
Flüchtlingslagern einmal haben!

Wir leben – ich sage das bewusst – in dem Teil der
Welt, den man auch das christliche Abendland nennt .
Und man ist nicht weltfremd, wenn man dazu feststellt:
Gerade in Situationen mit Problemen gilt der christliche
Kompass . Gerade dann kommt es auf die helfende Hand
an .

Zu manchen überzogenen Beiträgen muss allerdings
auch klargestellt werden in Richtung Bürger wie auch
in Richtung Medien und natürlich auch in Richtung
sozialer Medien: Ein dreijähriger Junge, der im Mittel­
meer ertrinkt, stellte keine islamistische Gefahr dar . Ein
junger Mann, der mit 14 von den Eltern weggeschickt
wird, weil es für ihn kaum eine Chance auf Überleben
oder auf ein menschenwürdiges Leben gibt, der will nicht
die Islamisierung Europas, der will schlicht ein Leben in
Menschenwürde .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD so­ wie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Es ist uns doch allen völlig klar – und es ist wich­
tig, das auch anzusprechen –: Nicht alle, die kommen,
haben Anspruch auf Asyl, und nicht alle werden bleiben
können . Es gibt auch die berechtigten Ansprüche von
Eltern auf Unterricht ihrer Kinder, auf Turnhallen, auf
Schwimmbäder und auf vieles, was Kommunen für ihre
Bürger bereitstellen . Aber jeder, der sich ernsthaft fragt,
wird doch zur selben Antwort kommen: Wer aus solch
verzweifelter Lage zu uns kommt, wer an Leib und Le­
ben bedroht ist, hat zunächst einmal Anspruch auf eine
menschlich ordentliche Behandlung,


(Beifall bei Abgeordneten im ganzen Hause)


unabhängig von Herkunft, Religion und Hautfarbe – um
es klar und zweifelsfrei zu formulieren –, so wie dies in
den Grundsätzen unserer Verfassung niedergelegt ist .

Dabei zeigt die Erfahrung der letzten großen Flücht­
lingsbewegung nach Deutschland: Die allerwenigsten
von denen, die kommen, bleiben . Hunderttausende sind
in den 90er­Jahren auf den Balkan zurückgegangen .

Omid Nouripour






(A) (C)



(B) (D)


Es bleibt eine schwierige – auch das will ich sagen –,
aber dennoch richtige Entscheidung, dass im aktuellen
Asylkompromiss drei sichere Länder ohne politische
Verfolgung auch von uns als sichere Herkunftsländer ein­
gestuft werden . Es ist nichts anderes, als den Status quo
so zu beschreiben . Und es wäre zudem für diese Länder
und ihre Gesellschaften ein unverantwortliches Stigma,
wenn Deutschland sich weigerte, diesen Ländern zu at­
testieren, dass es dort eben keine politische Verfolgung
mehr gibt .

Wenn heute wieder Zehntausende vom Balkan hier­
herkommen, dann liegt das auch an einem: Deutschland
und auch die Europäische Union haben die Menschen
dort in den 90er­Jahren – jedenfalls zum Teil – vor Geno­
zid und Gewalt gerettet, und wir haben sie dann offenen
Auges und wider besseres Wissen mit dem Abkommen
von Dayton im Stich gelassen – mit organisierter Kri­
minalität, mit Korruption, die nicht entstanden ist, bevor
die internationale Gemeinschaft kam, sondern unter den
Augen der internationalen Gemeinschaft, mit der größ­
ten Mission, die die UN und die EU je auf den Weg ge­
bracht haben, und das in einem der kleinsten Länder mit
so wenigen tatsächlichen Ergebnissen . Dass dann Leute
sagen: „Wir haben hier keine Zukunftsperspektive, weil
die internationale Gemeinschaft mit den Falschen auch
gemeinsame Sache macht“, muss uns Anlass geben, eine
Analyse über eigene Fehler vorzunehmen .


(Beifall der Abg . Gabriela Heinrich [SPD])


Hier bei uns in Deutschland gilt: Wir sind ein Rechts­
staat . Der Rechtsstaat muss sein Recht anwenden, wenn
er sich selbst ernst nehmen will . Das gilt sowohl für die
Anwendung des Asylrechts als auch für die anderen
Rechtsnormen . Wer Straftaten begeht als eingesessener
Bürger oder als Neuankömmling, muss es selbstver­
ständlich mit dem deutschen Recht zu tun bekommen .
Das Recht gilt für alles und für alle – für Brandanschlä­
ge gegen Flüchtlingsunterkünfte, bei Gewaltanwendung,
für Vergewaltigungen in Flüchtlingsunterkünften und
auch für Volksverhetzung .

Wir alle wissen: Wenn wir die Ursache nicht bekämp­
fen, werden wir das Thema „Migration und Flüchtlinge“
nicht in den Griff bekommen . Wir wissen auch: Wenn
wir die Bekämpfung der Ursachen in dem Maße intensi­
vieren würden, wie es schon länger erforderlich ist, wür­
den wir dazu beitragen, dass Hunderttausende Flüchtlin­
ge sich eben nicht auf den Weg machen und dass wir die
Folgen dessen nicht hier mit Milliarden abfedern müss­
ten .

Entwicklungsminister Gerd Müller hat ja recht, wenn
er sagt: Wir können mit dem gleichen Geld im Libanon,
in Jordanien, in der Türkei oder in Griechenland das 10­
bis 20­Fache von dem ausrichten, was wir hier erreichen
können .

Wir diskutieren heute über den Bericht zur Lage der
Menschenrechte . Wenn wir über das Regime Assad re­
den, dann reden wir über einen der größten Menschen­
rechtsverbrecher auf diesem Globus . Dass wir neuer­
dings einen Kompromiss mit Assad suchen wollen und
dass wir das gemeinsam mit dem lupenreinen Menschen­
rechtsverletzer Putin tun, ist eine teilweise Bankrott­

erklärung unserer Menschenrechtspolitik . Es bleibt ein
teuflisches Unterfangen: Wir paktieren mit dem einen
Teufel, um den anderen Teufel in Schach zu halten . Ich
hoffe und bete, dass wir nicht alle miteinander am Ende
ein faustisches Erwachen erleben . Die aktuelle Entwick­
lung, der Alleingang Russlands, zeigt das ja sehr deut­
lich . Die Logik dieses taktischen Paktes mit dem Bösen
ist, die noch Böseren hoffentlich stoppen zu können .

Wir werden am Ende nicht nur hier in Deutschland,
sondern auch andernorts mehr Bereitschaft zum Han­
deln zeigen müssen, wenn wir noch mehr Opfer und
den Vormarsch des sogenannten Islamischen Staates
bis nach Europa verhindern wollen . Menschen und ihre
fundamentalen Rechte schützt man nicht allein mit Reso­
lutionen, auch nicht mit einem taktischen Pakt mit dem
Bösen . Und Deutschland und Europa schützt man nicht
vor ungebremster Zuwanderung, indem man Grenzen
verdichtet, eine harte Rhetorik auflegt und die Probleme
konsequent ignoriert .


(Beifall des Abg . Martin Patzelt [CDU/CSU])


Diese Flüchtlingsfrage ist eine der größten Fragen der
europäischen und deutschen Politik der nächsten Jah­
re . Das Problem ist an unserer Grenze gelandet und hat
sie bereits überschritten . Zur Wahrheit gehört, dass das
ein Dauerthema bleiben wird . Wenn wir nicht begrei­
fen, dass dies nicht allein mit Geld zu regeln ist, dass
das nicht allein durch Ressortabstimmungen zu regeln
ist, dass das nicht allein durch Kompromisse zwischen
Bund, Ländern und Kommunen zu regeln ist, dann wer­
den wir auf Jahre hinaus teils hohe Preise bezahlen, und
das sowohl politisch wie auch finanziell, im Dialog der
Religionen und der Regionen Europas, im Nahen Osten,
in Afrika und darüber hinaus . Deutschland und Europa
werden so lange ein Magnet sein, wie die Lage in den
Herkunftsländern nicht besser wird .

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich hätte viele ein­
zelne Themen ansprechen können, von der Menschen­
rechtslage in China und Tibet über die Religionsfreiheit
bis hin zu zahlreichen anderen wichtigen Themenfeldern
dieses Berichtes . Ich hätte auf die Gespräche mit Bun­
desaußenminister Steinmeier im Ausschuss hinweisen
können, auf den langen und intensiven Austausch mit
Entwicklungsminister Gerd Müller in der letzten Sit­
zungswoche oder die Runden mit der Bundeskanzlerin,
natürlich auch auf die Gespräche mit unserem Kollegen
Christoph Strässer, dem ich an dieser Stelle in besonderer
Weise danken möchte, für seinen Einsatz und für seine
Überzeugung bei diesem Thema .


(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Entscheidung
der Bundeskanzlerin zur Beendigung des Dramas am Bu­
dapester Bahnhof war richtig . Sie war eine starke Geste,
die im Übrigen mitnichten eine Flüchtlingswelle ausge­
löst hat: Die war doch längst unterwegs!


(Inge Höger [DIE LINKE]: Genau!)


Und selbst wenn die Bundeskanzlerin nicht so reagiert
hätte, würde das Thema uns heute beschäftigen . Ich glau­
be, im Gegenteil, mit der Geste wurde etwas getan, was

Michael Brand






(A) (C)



(B) (D)


andere hoffentlich zur Einsicht bringt und zum Mitanpa­
cken einlädt, und zwar in ganz Europa, aber auch in den
arabischen Ländern und in Afrika; daran arbeiten wir ja
gerade intensiv .

Und es ist gut, dass auf europäischer Ebene in der ver­
gangenen Woche endlich die ersten Trippelschritte in die
richtige Richtung beschlossen wurden . Auch unser Ge­
setzespaket, über das wir heute Morgen hier im Parla­
ment beraten haben, ist gut .

In diesen Zeiten über Symptome zu reden, ist falsch .
Wichtiger sind die einzelnen Themen . Wir brauchen auch
als Deutscher Bundestag jenseits des Krisenmechanis­
mus eine neue Sicht auf diese sich dynamisch verändern­
de Welt . Wer jetzt behauptet, er habe schon alle Antwor­
ten, der hat entweder null Ahnung oder null Respekt vor
der Wahrheit . Ich gestehe, dass ich viele Fragen habe zu
diesen sich abzeichnenden, großen Veränderungen, in
Deutschland und um uns herum . Und auf viele Fragen
keine Antwort . Eines aber weiß ich: Wir werden uns an­
ders um Antworten bemühen müssen, als wir dies bisher
tun . Vielleicht fangen wir hier im Deutschen Bundestag
damit an .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1812714000

Vielen Dank . – Als nächste Rednerin hat Angelika

Glöckner von der SPD­Fraktion das Wort .


(Beifall bei der SPD)



Angelika Glöckner (SPD):
Rede ID: ID1812714100

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Menschen, die den Flammen in einer Textilfa­
brik in Bangladesch zum Opfer fallen, steigende Selbst­
mordraten in einem weltweit führenden Elektronikkon­
zern, Schreckensherrschaft des IS und weltweite Krisen
sind – es wurde bereits mehrfach darauf hingewiesen –
Beispiele dafür, dass die Achtung von Menschenrechten
kein Selbstläufer ist .

Frau Höger, ich kann nicht verstehen, warum Sie die­
sen Bericht nicht für gut befinden. Ich will Ihnen sagen,
warum: Mit dem Elften Bericht zur Menschenrechts­
politik stellt die Bundesregierung ihre eigene Menschen­
rechtspolitik vor und bietet damit meines Erachtens einen
hervorragenden Ausgangspunkt für eine Debatte über
den Stellenwert der Menschenrechte in ihrem eigenen
politischen Handeln .

Der Bericht ermöglicht aber auch eine breite öffent­
liche, gesellschaftliche Debatte über die Bedeutung und
Umsetzung menschenrechtlicher Grundsätze . Es ist ge­
nerell wichtig, dass neben Experten und Wissenschaft­
lern auch breite Bevölkerungsschichten darüber diskutie­
ren können und diskutieren und sie dadurch die nötige
Sensibilisierung erhalten, ganz besonders vor dem Hin­
tergrund der aktuellen weltweiten Krisen und der Flücht­
lingssituation . Dieses Thema hat doch zunehmende Be­
deutung .


(Beifall des Abg . Frank Schwabe [SPD])


An dieser Stelle ist es mir wichtig, die vielen Ehren­
amtlichen zu erwähnen, die sich in den letzten Monaten
und Jahren – so kann man es sagen – mit immer größerem
Engagement eingesetzt haben . Darauf wurde bereits hin­
gewiesen . Es ist mir aber auch ein wichtiges Anliegen,
darauf hinzuweisen, dass auch die Beschäftigten im öf­
fentlichen Dienst, in den Verwaltungen und ganz beson­
ders die Kolleginnen und Kollegen in der Bundespolizei,
ihre Kraft mit großem Durchhaltevermögen daranset­
zen, das große Unterfangen des derzeitigen Flüchtlings­
zustroms Tag für Tag zu bewältigen . Ich wünsche allen
weiterhin viel Kraft und Durchhaltevermögen, nicht zu­
letzt den Flüchtlingen, den Menschen, die in besonderer
Weise betroffen sind .


(Beifall bei der SPD)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, täglich erreichen uns
Bilder aus Kriegs­ und Krisengebieten . Die Flüchtlings­
ströme treffen uns unmittelbar . Gerade in diesen Zeiten
wird einmal mehr deutlich, dass die Sicherung und Ach­
tung der Grund­ und Menschenrechte den elementaren
Grundstein bilden für ein friedvolles Zusammenleben,
für Glück, Sicherheit und Wohlstand . Folgerichtig stellt
die Bundesregierung in diesem Bericht ihre Menschen­
rechtspolitik sowohl nach innen als auch nach außen dar .
Sie verdeutlicht dabei auch, dass die Menschenrechte
zahlreichen wechselseitigen Abhängigkeiten unterliegen
und daher Grundlage eines kohärenten, ressortübergrei­
fenden Regierungshandelns sein müssen .

Vorrangig ist es staatliche Aufgabe, auf den Schutz und
die Achtung der Menschenrechte hinzuwirken . Dennoch,
so meine ich, hat auch die Wirtschaft einen entscheiden­
den Beitrag zur Verwirklichung der Menschenrechte zu
leisten . Im Rahmen zunehmender globaler Aktivitäten
wachsen auch die Anforderungen gerade an international
agierende Unternehmen, sich für die Achtung der Men­
schenrechte weltweit einzusetzen .


(Beifall bei der SPD)


Primär muss natürlich jedes Land selbst den gesetz­
lichen Handlungsrahmen für seine Unternehmen stecken
und trägt so die Hauptverantwortung für die Einhaltung
der Menschenrechte sowie für seine wirtschaftliche und
soziale Entwicklung . Immer mehr setzt sich jedoch die
Erkenntnis durch, dass transnational agierende Unter­
nehmen ebenfalls Verantwortung übernehmen müssen .
Insbesondere mit Blick auf die Arbeitsbedingungen und
nachhaltige Produktionsweisen können Unternehmen
erheblichen Einfluss auf die Verwirklichung der Men­
schenrechte nehmen bzw . auf deren Umsetzung hinwir­
ken . Hierbei darf man aber nicht nur auf die Selbstver­
pflichtung der Unternehmen hoffen, sondern muss durch
staatliches Handeln in Form gezielter Normensetzung
verbindlich darauf Einfluss nehmen.


(Beifall bei der SPD)


Richtige Ansätze dazu sind die nationale Umsetzung
der europäischen CSR­Richtlinie oder auch die Men­
schenrechtsklauseln in den gegenwärtig viel diskutierten
Handelsabkommen . Hierbei bedarf es aber Sanktionsme­
chanismen, die die konsequente Durchsetzung von Men­

Michael Brand






(A) (C)



(B) (D)


schenrechten sicherstellen . Sie müssen mehr wert sein
als das Papier, auf dem sie stehen .


(Beifall bei der SPD)


Schlussendlich müssen die Verbraucher in die Lage
versetzt werden, Liefer­ und Produktionsketten umfas­
send nachzuvollziehen . Das kann nicht nur in der Verant­
wortung der Unternehmen oder der Verbraucher liegen,
sondern es liegt nach meiner Überzeugung in der Ver­
antwortung staatlichen Handelns, durch verbindliche Re­
geln Transparenz zu schaffen . Hier gilt es für die Bundes­
republik Deutschland, Verantwortung zu übernehmen,
mit gutem Beispiel voranzugehen und positiv auf unsere
Partner in der internationalen Staatengemeinschaft ein­
zuwirken . Es muss klar sein, dass der Schutz von Men­
schenrechten weltweit ein unverzichtbarer, unverhandel­
barer Bestandteil unserer auswärtigen Beziehungen ist .

Ich möchte an dieser Stelle dem Kollegen Christoph
Strässer sehr für sein Engagement danken, das wirklich
wertvolle Früchte trägt .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU so­ wie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Dass sich die Bundesregierung ihrer Verantwortung
bewusst ist, zeigt die Tatsache, dass dem Elften Men­
schenrechtsbericht auch ein nationaler Aktionsplan an­
geschlossen ist, welcher die menschenrechtspolitischen
Ziele der Bundesregierung für die nächste Berichtsperio­
de zusammenfasst . Zu begrüßen ist hier die klare Her­
ausstellung und Benennung von menschenrechtspoliti­
schen Zielen sowohl im Inland als auch im Ausland und
dass die Bundesregierung auch schreibt, wie diese Ziele
multilateral und bilateral umgesetzt werden sollen . Hier
muss aber Ziel sein, dass die doch recht allgemein gehal­
tenen Formulierungen des Berichts in konkretes Handeln
umgesetzt werden .

An dieser Stelle bietet sich bezüglich der menschen­
rechtlichen Situation insbesondere bei Betrachtung der
Länderberichte einiges an Verbesserungspotenzial, aber
auch im Hinblick auf die menschenrechtliche Situation
in der EU, an den EU­Außengrenzen und innerhalb der
westlichen Wertegemeinschaft .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Gerade anhand der derzeitigen Flüchtlingssituation –
es wurde mehrfach angesprochen – in Deutschland und
Europa wird deutlich, was passiert, wenn Menschen nicht
sicher sind vor Tod, Folter, Vertreibung oder religiös und
politisch motivierter Verfolgung, wenn sie keinen Zu­
gang zu elementaren Lebensgrundlagen wie Nahrung,
Bildung, Kultur und wirtschaftlicher oder politischer
Teilhabe besitzen . Die Wander­ und Fluchtbewegungen –
sie wurden mehrfach angesprochen –, die Hunderttau­
sende über die Westbalkan­ und Zentralroute sowie über
das Mittelmeer zu uns führen, sind eben nicht nur der
Flucht vor dem Bürgerkrieg in Syrien geschuldet, nein,
sie sind auch ein tiefer Ausdruck dessen, dass Menschen­
rechte wie Meinungs­ und Religionsfreiheit nicht gelten
sowie die Grundlagen eines menschenwürdigen Lebens
in vielen der Herkunftsländer nicht annähernd sicherge­

stellt sind . Für viele dieser Menschen ist der lebensge­
fährliche Versuch, nach Europa zu gelangen, die einzige
Option für ein Leben in Sicherheit und in Freiheit .

Spätestens hier werden sich viele ihrer unmittelbaren
Verantwortung bewusst, gerade weil schlussendlich wir
Bürgerinnen und Bürger sowie die Kommunen und die
Bundesländer vor ganz enorme Herausforderungen ge­
stellt sind . Deutschland ist nicht losgelöst von den Le­
bensumständen der Menschen in unserer unmittelbaren
Nachbarschaft und der Welt zu sehen . Das muss und wird
auch weiterhin deutlich gemacht . Ich möchte nur ermun­
tern, dass dieser Prozess so fortgeführt wird .

Wir brauchen eine kohärente Menschenrechtspolitik,
die sich der Verbesserung der Lebensumstände der Men­
schen weltweit verschreibt . Das ist von vitaler Bedeutung
für unser Land . Der vorgelegte Menschenrechtsbericht
muss ein wichtiger Ausgangspunkt in der Diskussion
sein, um den Menschen in unserem Land die Bedeutung
menschenrechtsgeleiteter Außenpolitik zu verdeutlichen .


Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1812714200

Frau Kollegin, Sie müssen zum Schluss kommen .


Angelika Glöckner (SPD):
Rede ID: ID1812714300

Ich komme zum Schluss . – Die weltweite Umsetzung

von Menschenrechten ist ein Prozess, der nicht durch das
Umlegen eines Schalters abgeschlossen wird . Aber wir
müssen diesen Prozess vorantreiben . Denn wenn wir ab­
warten, sind die Menschenrechtsprobleme von heute die
Flüchtlingsströme von morgen .

Herzlichen Dank .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1812714400

Vielen Dank . – Als letzter Redner in der Debatte hat

Dr . Bernd Fabritius von der CDU/CSU­Fraktion das
Wort .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. Dr. h.c. Bernd Fabritius (CSU):
Rede ID: ID1812714500

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Der Blick auf die Menschenrechtssituation
weltweit und vieles von dem, was wir heute schon ge­
hört haben, gibt Anlass zu großer Sorge . Hunger, Vertrei­
bungen, Kriege sowie despotische Machthaber berauben
ganze Völker ihrer Grundrechte und ihrer Würde . In den
vergangenen Jahren mussten wir darüber hinaus beklem­
mende Rückschritte sogar in Weltregionen beobachten,
die eigentlich auf einem guten Weg zu sein schienen .

Vor allem im Vergleich dazu ist das Schutzniveau der
Menschenrechte bei uns in Deutschland erfreulich hoch .
Dafür sollten und können wir ausgesprochen dankbar
sein . Herr Kollege Schwabe, wir dürfen das auch an­
erkennen .

Dennoch gilt es, sich auf dem Erreichten nicht aus­
zuruhen, sondern weiter Verbesserungen vorzunehmen .

Angelika Glöckner






(A) (C)



(B) (D)


Genau das ist unser Ziel . Lassen Sie mich ein paar Bei­
spiele dafür nennen . Bereits vor einigen Jahren wurde
eine neue Strafvorschrift eingeführt, um die Opfer von
Zwangsheirat – meist sind es junge Frauen oder gar
Kinder – besser vor einer gegen ihren Willen erzwunge­
nen Eheschließung zu schützen . Auch gegen die weib­
liche Genitalverstümmelung haben wir einen eigenen
Straftatbestand geschaffen, der wegen der Schwere die­
ser Rechtsverletzung einen erhöhten Strafrahmen von
einem Jahr bis zu 15 Jahren Haft vorsieht . Natürlich ist
das eigentliche Problem nicht in Deutschland verortet,
sondern primär in afrikanischen Ländern zu finden. Die
Bundesregierung setzt daher auf einen breiten Strauß von
Maßnahmen, um dieser schweren Menschenrechtsverlet­
zung beizukommen . Ich bin ihr sehr dankbar dafür, dass
sie weibliche Genitalverstümmelung in ihrem Bericht als
Brennpunktthema ausweist und damit die hohe Priorität
dieses Themas unterstreicht .

Im Juni dieses Jahres haben wir das Deutsche Institut
für Menschenrechte auf eine stabile gesetzliche Grund­
lage gestellt . Der Unterausschuss für Akkreditierung
des ICC hat in seinem Bericht aus dem Jahr 2008 unter
anderem gerügt, dass unser Institut die von den Pariser
Prinzipien geforderte pluralistische Vertretung relevan­
ter gesellschaftlicher Kräfte in seinen Gremien nicht ge­
währleistet . Unser neues Gesetz trägt dem nun Rechnung
und stellt sicher, dass sich die gesamte Bandbreite der
Gesellschaft in den Gremien des Instituts widerspiegeln
kann . Ich muss schon sagen: Ich war verwundert, dass
gerade dieser Punkt in Teilen der Opposition lange Zeit
umstritten gewesen ist .

Ein weiterer wichtiger Punkt in Bezug auf das Insti­
tut ist seine neue Multiperspektivität . Die grundsätzliche
Intention der Vereinten Nationen ist, dass die nationalen
Menschenrechtsinstitute ihren Blick vor allem nach innen
richten; und das ist auch richtig so . Allerdings haben wir
gerade festgestellt – die Reden heute im Plenum haben
das belegt –, dass es um die Situation der Menschenrech­
te in vielen Ländern weltweit deutlich schlechter bestellt
ist als bei uns . In einer zunehmend globalisierten Welt hat
die Menschenrechtslage Auswirkungen weit über regio­
nale Grenzen hinweg, oft bis zu uns nach Deutschland .
Wo kämen wir denn da hin, wenn unser Institut Scheu­
klappen aufsetzen und auch für uns relevante Aspekte
außerhalb Deutschlands einfach ausblenden würde? Der
Blick in andere Länder darf schon alleine deshalb nicht
fehlen, um eine möglichst effektive, nach außen gerich­
tete Menschenrechts­ und Entwicklungspolitik gewähr­
leisten zu können .

Im Übrigen ist der Menschenrechtsbericht der Bun­
desregierung, den wir heute debattieren, genau dafür ein
gutes Beispiel . Auch er legt den Fokus auf die Situation
der Menschenrechte bei uns im eigenen Land . Gleich­
zeitig spart er die Probleme in anderen Teilen der Welt
nicht aus, spricht von Menschenrechten in der deutschen
Außen­ und Entwicklungspolitik und weltweit und ge­
währt so einen weiten Blick deutlich über den eigenen
Tellerrand hinaus .

Das aktuell drängendste Thema ist eine humanitäre
Katastrophe gigantischen Ausmaßes . Seit dem Zweiten
Weltkrieg waren nicht mehr so viele Menschen auf der

Flucht wie heute; vom Kleinreden werden es auch nicht
weniger .


(Beifall des Abg . Christoph Strässer [SPD])


Hier, meine Damen und Herren, leistet Deutschland Vor­
bildliches . Wenn da dauernd Kritik von der Opposition
kommt, darf ich den Flüchtlingskommissar der Vereinten
Nationen, António Guterres, zitieren, der Deutschland
für seine – so wörtlich – „führende Rolle beim Flücht­
lingsschutz“ explizit gelobt hat .

Ein Schritt in die richtige Richtung ist das Asylpaket,
das aktuell auf den Weg gebracht wird und das wir heu­
te Vormittag hier im Plenum bereits ausgiebig debattiert
haben . Nicht alles daran ist neu . Die Einstufung weiterer
Staaten als sichere Herkunftsstaaten beispielsweise hät­
ten wir gerne bereits vor einem Jahr umgesetzt . Es wird
höchste Zeit, dass auch die Grünen hier zur Vernunft
kommen und ihre Blockade im Bundesrat dazu aufgeben .

Neben europäischer Solidarität bei der Aufnahme von
Flüchtlingen sind vor allem entschlossene außenpoliti­
sche Ansätze gefordert, die eine spürbare Verbesserung
der Situation nicht nur in den Herkunftsländern, sondern
auch in den angrenzenden Schutzgebieten bringen und
damit das Problem der Sekundärmigration, für das unser
Asylrecht schon laut Definition nun überhaupt nicht ge­
dacht ist, endlich an der Wurzel angehen . Meine Damen
und Herren, 1 000 Kalorien pro Tag oder 14 Dollar pro
Monat und Flüchtling in diesen Gebieten sind absolut un­
zureichend,


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


ein Problem, das aber von der Staatengemeinschaft men­
schenrechtskonform dort vor Ort und nicht durch Sekun­
därmigration nach Deutschland zu lösen ist .

Ein weiterer Punkt, der mir am Herzen liegt, ist die
vielerorts schwierige Lage von Menschenrechtsverteidi­
gern . Sie sind in ihren Ländern oftmals die Letzten, die
sich noch aktiv für die Rechte ihrer gepeinigten Lands­
leute einsetzen. Häufig werden sie dafür selbst bedroht,
verfolgt, entführt oder gar ermordet . Ihre Arbeit ist von
unschätzbarem Wert und verdient unsere Hochachtung
und unsere Unterstützung .

Der Fall des Ukrainers Oleg Sentsov ist ein erschre­
ckendes Beispiel für die Willkür, die Menschenrechts­
aktivisten und ­verteidigern oftmals wiederfährt . Der
Filmregisseur hatte seine Popularität genutzt und sich
öffentlich gegen die völkerrechtswidrige Annexion der
Krim durch Russland ausgesprochen . Dafür wurde er
von russischen Behörden zuerst entführt, dann angeklagt .
Man dichtete ihm kurzerhand angebliche terroristische
Aktivitäten an . Kurz nach seiner Festnahme durch den
FSB wurde Sentsov unwiderlegten Angaben zufolge so­
gar gefoltert .

Im August – vor wenigen Wochen – wurde er dann in
einem Schauprozess zu sage und schreibe 20 Jahren Haft
verurteilt . Die in diesem eindeutig politisch motivierten
Verfahren gegen ihn verwendeten Zeugenaussagen sind
vermutlich ebenfalls durch Folter zustande gekommen .

Dr. Bernd Fabritius






(A) (C)



(B) (D)


Meine Damen und Herren, das ist eine vollständige
Preisgabe des Rechtsstaates zugunsten staatlicher Will­
kür mitten in Europa . Es ist ein Frontalangriff auf ele­
mentare Menschenrechte, den wir nicht akzeptieren kön­
nen .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie des Abg . Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Nicht nur der russische Staat entledigt sich auf die­
se Weise unbequemer Oppositioneller und Regimegeg­
ner . Deshalb ist es wichtig und richtig, dass der Schutz
von Menschenrechtsverteidigern seit langem zentraler
Bestandteil unserer Menschenrechtspolitik ist . Eine
Schwerpunktsetzung in diesem Bereich ist daher drin­
gend notwendig und zu unterstützen .

Lassen Sie uns daher auf dem Weg weitermachen,
der durch den Menschenrechtsbericht der Bundesregie­
rung skizziert wird . Herr Kollege Nouripour, er ist sicher
nicht nur eine leere Floskel, wie Sie gesagt haben . Lassen
Sie uns den Aktionsplan der Bundesregierung Punkt für
Punkt beherzt umsetzen . Das ist der richtige Weg .

Danke für die Aufmerksamkeit .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge­ ordneten der SPD)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1812714600

Vielen Dank . – Ich schließe die Aussprache .

Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Ausschusses
für Menschenrechte und humanitäre Hilfe auf Druck­
sache 18/6183 zu dem Elften Bericht der Bundesregie­
rung über ihre Menschenrechtspolitik . Der Ausschuss
empfiehlt, in Kenntnis der Unterrichtung auf Drucksa­
che 18/3494 eine Entschließung anzunehmen, die Teil
der Drucksache ist . Wer stimmt für diese Beschlussemp­
fehlung? – Die Koalition . Wer stimmt dagegen? – Die
Fraktion Die Linke . Wer enthält sich? – Die Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen . Damit ist die Beschlussempfeh­
lung mit den Stimmen der Koalition angenommen wor­
den .

Ich komme zur Abstimmung über den Entschließungs­
antrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/6193 .
Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? – Die Lin­
ke . Wer stimmt dagegen? – Die Koalition . Wer enthält
sich? – Bündnis 90/Die Grünen . Damit ist dieser Ent­
schließungsantrag mit den Stimmen der Koalition abge­
lehnt worden .

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 23 a bis 23 g sowie
den Zusatzpunkt 3 auf:

23 a) Erste Beratung des von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurfs eines Siebten Be-
soldungsänderungsgesetzes (7. BesÄndG)


Drucksache 18/6156
Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss (f)

Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Verteidigungsausschuss
Haushaltsausschuss mitberatend und gemäß § 96 der
GO

b) Erste Beratung des von der Bundesregie­
rung eingebrachten Entwurfs eines Geset-
zes zu dem Abkommen vom 7. Mai 2015
zwischen der Regierung der Bundesre-
publik Deutschland und der Regierung
von Jersey über die Zusammenarbeit in
Steuersachen und die Vermeidung der
Doppelbesteuerung bei bestimmten Ein-
künften

Drucksache 18/6157
Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss (f)

Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz

c) Erste Beratung des von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu
dem Zusatzabkommen vom 31. März
2015 zum Abkommen vom 21. Juli 1959
zwischen der Bundesrepublik Deutsch-
land und der Französischen Republik zur
Vermeidung der Doppelbesteuerungen
und über gegenseitige Amts- und Rechts-
hilfe auf dem Gebiete der Steuern vom
Einkommen und vom Vermögen sowie
der Gewerbesteuern und der Grund-
steuern

Drucksache 18/6158
Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss

d) Erste Beratung des von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über
die Feststellung des Wirtschaftsplans des
ERP-Sondervermögens für das Jahr 2016

(ERP-Wirtschaftsplangesetz 2016)


Drucksache 18/6159
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Energie (f)

Ausschuss für Tourismus
Haushaltsausschuss

e) Erste Beratung des von der Bundesregie­
rung eingebrachten Entwurfs eines Zwei-
ten Gesetzes zur Änderung agrarmarkt-
rechtlicher Bestimmungen

Drucksache 18/6160
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft (f)

Innenausschuss
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reak­
torsicherheit

f) Beratung des Antrags der Abgeord­
neten Nicole Gohlke, Sigrid Hupach,
Dr . Rosemarie Hein, weiterer Abgeordneter
und der Fraktion DIE LINKE

Wissenschaftsfreiheit und Wissenschafts-
verantwortung sicherstellen

Drucksache 18/6191
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgen­

Dr. Bernd Fabritius






(A) (C)



(B) (D)


abschätzung (f)

Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Finanzausschuss

g) Bericht des Ausschusses für Bildung, For­
schung und Technikfolgenabschätzung

(18 . Ausschuss) gemäß § 56a der Geschäfts­

ordnung

Technikfolgenabschätzung (TA)


Technischer Fortschritt im Gesundheits­
wesen:
Quelle für Kostensteigerungen oder Chance
für Kostensenkungen?

Drucksache 18/4283
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Gesundheit (f)

Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgen­
abschätzung

ZP 3 Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/
CSU und SPD eingebrachten Entwurfs eines
... Gesetzes zur Änderung des Bundeszentral-
registergesetzes

Drucksache 18/6186
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz (f)

Innenausschuss
Verteidigungsausschuss
Ausschuss Digitale Agenda

Dabei handelt es sich um Überweisungen im
vereinfachten Verfahren ohne Debatte.

Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen an
die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu
überweisen . Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der
Fall . Dann sind die Überweisungen so beschlossen .

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 24 a bis 24 k auf .
Hierbei handelt es sich um Beschlussfassungen zu Vor­
lagen, zu denen keine Aussprache vorgesehen ist .

Tagesordnungspunkt 24 a:

– Zweite Beratung und Schlussabstimmung des von
der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines
Gesetzes zu dem Protokoll vom 17. März 2014
zur Änderung des Abkommens vom 30. März
2010 zwischen der Bundesrepublik Deutsch-
land und dem Vereinigten Königreich Groß-
britannien und Nordirland zur Vermeidung der
Doppelbesteuerung und zur Verhinderung der
Steuerverkürzung auf dem Gebiet der Steuern
vom Einkommen und vom Vermögen

Drucksache 18/5575

– Zweite Beratung und Schlussabstimmung des von
der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines
Gesetzes zu dem Abkommen vom 19. Oktober
2010 zwischen der Bundesrepublik Deutschland
und der Föderation St. Kitts und Nevis über die
Unterstützung in Steuer- und Steuerstrafsachen
durch Informationsaustausch

Drucksache 18/5576

– Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre­
gierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu
dem Abkommen vom 21. August 2014 zwischen
der Bundesrepublik Deutschland und dem Staat
Israel zur Vermeidung der Doppelbesteuerung
und der Steuerverkürzung auf dem Gebiet der
Steuern vom Einkommen und vom Vermögen

Drucksache 18/5578

Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzaus­
schusses (7 . Ausschuss)


Drucksache 18/6219

Ich komme zunächst zur Abstimmung über den von der
Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zu dem
Protokoll zur Änderung des Abkommens mit dem Ver­
einigten Königreich Großbritannien und Nordirland zur
Vermeidung der Doppelbesteuerung und zur Verhinde­
rung der Steuerverkürzung auf dem Gebiet der Steuern
vom Einkommen und vom Vermögen . Der Finanzaus­
schuss empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussemp­
fehlung auf Drucksache 18/6219, den Gesetzentwurf der
Bundesregierung auf Drucksache 18/5575 anzunehmen .

Zweite Beratung

und Schlussabstimmung . Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben . –
Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist der
Gesetzentwurf angenommen worden .

Da es bei einigen gerade eine Irritation gegeben hat:
Es gibt hier nur eine zweite Lesung, da dies ein Vertrags­
gesetz ist . Deshalb sind wir unmittelbar zu der entschei­
denden Abstimmung gekommen .

Ich komme zur Abstimmung über den von der Bun­
desregierung eingebrachten Gesetzentwurf zu dem Ab­
kommen mit der Föderation St . Kitts und Nevis über die
Unterstützung in Steuer­ und Steuerstrafsachen durch
Informationsaustausch. Der Finanzausschuss empfiehlt
unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksache 18/6219, den Gesetzentwurf der Bundesre­
gierung auf Drucksache 18/5576 anzunehmen .

Zweite Beratung

und Schlussabstimmung . Ich bitte wiederum diejenigen,
die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erhe­
ben . – Das ist die Koalition . Wer stimmt dagegen? – Nie­
mand . Wer enthält sich? – Das ist die Opposition . Damit
ist der Gesetzentwurf mit den Stimmen der Koalition an­
genommen worden .

Ich komme zur Abstimmung über den von der Bun­
desregierung eingebrachten Gesetzentwurf zu dem
Abkommen mit dem Staat Israel zur Vermeidung der
Doppelbesteuerung und der Steuerverkürzung auf dem
Gebiet der Steuern vom Einkommen und vom Vermö­
gen. Der Finanzausschuss empfiehlt unter Buchstabe c
seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/6219,
den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksa­
che 18/5578 anzunehmen .

Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn






(A) (C)



(B) (D)


Dritte Beratung

und Schlussabstimmung . Ich bitte wiederum diejenigen,
die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erhe­
ben . – Die Koalition . Wer stimmt dagegen? – Niemand .
Wer enthält sich? – Die Opposition . Damit ist der Gesetz­
entwurf mit den Stimmen der Koalition angenommen
worden .

Ich komme zu Tagesordnungspunkt 24 b:

Beratung der Beschlussempfehlung und des

(3 . Aus­ schuss)

Nouripour, Dr . Franziska Brantner, Agnieszka
Brugger, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Richtlinien zum Schutz von Schulen und
Hochschulen vor militärischer Nutzung in
einem bewaffneten Konflikt umsetzen

Drucksachen 18/4939, 18/5174

Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfeh­
lung auf Drucksache 18/5174, den Antrag der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/4939 abzu­
lehnen .

Hierzu liegt ein Änderungsantrag der Fraktion Bünd­
nis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/6209 vor . Über
diesen Änderungsantrag stimmen wir zuerst ab . Wer
stimmt für den Änderungsantrag? – Die Fraktion Bünd­
nis 90/Die Grünen und die Fraktion Die Linke . Wer
stimmt dagegen? – Das ist die Koalition . Enthält sich
jemand? – Das ist nicht der Fall . Damit ist dieser Antrag
mit den Stimmen der Koalition abgelehnt worden .

Wer stimmt jetzt für die Beschlussempfehlung des
Ausschusses? – Die Koalition . Wer stimmt dagegen? –
Die Opposition . Enthaltungen? – Keine . Damit ist die
Beschlussempfehlung mit den Stimmen der Koalition
angenommen worden .

Ich komme zu Tagesordnungspunkt 24 c:

Beratung der Beschlussempfehlung und des Be­
richts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz,
Bau und Reaktorsicherheit (16 . Ausschuss) zu
der Verordnung der Bundesregierung

Dritte Verordnung zur Änderung der Elektro-
und Elektronikgeräte-Stoff-Verordnung

Drucksachen 18/5902, 18/5976 Nr. 2.2,
18/6101

Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussemp­
fehlung auf Drucksache 18/6101, der Verordnung auf
Drucksache 18/5902 zuzustimmen . Wer stimmt für diese
Beschlussempfehlung? – Die Koalition und die Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen . Wer stimmt dagegen? – Wer
enthält sich? – Das ist die Fraktion Die Linke . Damit ist
diese Beschlussempfehlung mit den Stimmen der Koali­
tion und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenom­
men worden .

Wir kommen zu den Beschlussempfehlungen des Pe­
titionsausschusses, Tagesordnungspunkte 24 d bis 24 k .

Tagesordnungspunkt 24 d:

Beratung der Beschlussempfehlung des Peti­
tionsausschusses (2 . Ausschuss)


Sammelübersicht 224 zu Petitionen

Drucksache 18/5961 (neu)


Wer stimmt dafür? – Die Koalition . Wer stimmt da­
gegen? – Bündnis 90/Die Grünen . Wer enthält sich? – Die
Fraktion Die Linke . Damit ist die Sammelübersicht 224
mit den Stimmen der Koalition angenommen worden .

Tagesordnungspunkt 24 e:

Beratung der Beschlussempfehlung des Peti­
tionsausschusses (2 . Ausschuss)


Sammelübersicht 226 zu Petitionen

Drucksache 18/6076

Wer stimmt für diese Sammelübersicht? – Alle .
Stimmt jemand dagegen? – Nein . Enthaltungen? – Das
ist auch nicht der Fall . Dann ist diese Sammelübersicht
einstimmig angenommen worden .

Tagesordnungspunkt 24 f:

Beratung der Beschlussempfehlung des Peti­
tionsausschusses (2 . Ausschuss)


Sammelübersicht 227 zu Petitionen

Drucksache 18/6077

Wer stimmt für diese Sammelübersicht? – Ebenfalls
alle . Stimmt jemand dagegen? – Das ist nicht der Fall .
Enthält sich jemand? – Das ist auch nicht der Fall . Dann
ist die Sammelübersicht 227 ebenfalls einstimmig ange­
nommen worden .

Tagesordnungspunkt 24 g:

Beratung der Beschlussempfehlung des Peti­
tionsausschusses (2 . Ausschuss)


Sammelübersicht 228 zu Petitionen

Drucksache 18/6078

Wer stimmt dafür? – Die Koalition . Stimmt jemand
dagegen? – Die Fraktion Die Linke . Wer enthält sich? –
Bündnis 90/Die Grünen . Dann ist die Sammelüber­
sicht 228 mit den Stimmen der Koalition angenommen
worden .

Tagesordnungspunkt 24 h:

Beratung der Beschlussempfehlung des Peti­
tionsausschusses (2 . Ausschuss)


Sammelübersicht 229 zu Petitionen

Drucksache 18/6079

Wer stimmt für diese Sammelübersicht? – Die Ko­
alition und die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen . Wer
stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Fraktion Die
Linke . Damit ist diese Sammelübersicht 229 mit den
Stimmen der Koalition und der Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen angenommen worden .

Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn






(A) (C)



(B) (D)


Tagesordnungspunkt 24 i:

Beratung der Beschlussempfehlung des Peti­
tionsausschusses (2 . Ausschuss)


Sammelübersicht 230 zu Petitionen

Drucksache 18/6080

Wer stimmt für diese Sammelübersicht? – Alle .
Stimmt jemand dagegen? – Nein . Enthält sich jemand? –
Das ist auch nicht der Fall . Damit ist diese Sammelüber­
sicht einstimmig angenommen worden .

Tagesordnungspunkt 24 j:

Beratung der Beschlussempfehlung des Peti­
tionsausschusses (2 . Ausschuss)


Sammelübersicht 231 zu Petitionen

Drucksache 18/6081

Wer stimmt dafür? – Die Koalition und Bündnis 90/
Die Grünen . Wer stimmt dagegen? – Die Fraktion Die
Linke . Enthaltungen gibt es keine . Damit ist diese Sam­
melübersicht mit den Stimmen der Koalition und der
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen worden .

Tagesordnungspunkt 24 k:

Beratung der Beschlussempfehlung des Peti­
tionsausschusses (2 . Ausschuss)


Sammelübersicht 232 zu Petitionen

Drucksache 18/6082

Wer stimmt dafür? – Die Koalition . Gibt es jemanden,
der dagegen stimmt? – Die Opposition . Gibt es jeman­
den, der sich enthält? – Das ist nicht der Fall . Damit ist
die Sammelübersicht 232 mit den Stimmen der Koalition
angenommen worden .

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 6 auf:

– Beratung der Beschlussempfehlung und des Be­
richts des Auswärtigen Ausschusses (3 . Ausschuss)

zu dem Antrag der Bundesregierung

Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte
an der EU-Operation EUNAVFOR MED als
ein Teil der Gesamtinitiative der EU zur Unter-
bindung des Geschäftsmodells der Menschen-
schmuggel- und Menschenhandelsnetzwerke im
südlichen und zentralen Mittelmeer

Drucksachen 18/6013, 18/6189

– Bericht des Haushaltsausschusses (8 . Ausschuss)

gemäß § 96 der Geschäftsordnung

Drucksache 18/6213

Hierzu liegt je ein Entschließungsantrag der Fraktion
Die Linke und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor .

Über die Beschlussempfehlungen werden wir später
namentlich abstimmen .

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 38 Minuten vorgesehen . – Dazu gibt es
keinen Widerspruch . Dann ist das so beschlossen .

Ich eröffne die Aussprache . Als erste Rednerin in die­
ser Debatte hat die Kollegin Gabi Weber von der SPD­
Fraktion das Wort .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Gabi Weber (SPD):
Rede ID: ID1812714700

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kollegin­

nen und Kollegen! Das Mittelmeer ist ein Grab gewor­
den . Das Bild des ertrunkenen Flüchtlingsjungen Aylan
hat viele Menschen aufgerüttelt . Aber warum erst jetzt?
Lampedusa ist doch schon längst eine bittere Mahnung .
Die UNO verzeichnete für 2014 rund 3 500 im Mittel­
meer ertrunkene Menschen; dieses Jahr sollen es bereits
2 000 sein . Die Menschen begeben sich in die Hände von
kriminellen Schleppern, die sie auf seeuntüchtigen Boo­
ten auf den Weg nach Europa schicken .

Es sind die Schrecken des syrischen Bürgerkrieges,
der Terror des selbsternannten IS­Kalifats, zerfallende
Staaten und wirtschaftliche Perspektivlosigkeit, die sie
verzweifeln lassen und zum Aufbruch bewegen . Die Not
der Menschen ist so groß, dass sie die lebensgefährliche
Überfahrt über das Mittelmeer antreten .

Wenn wir heute dem Bundeswehreinsatz im Rahmen
der Operation EUNAVFOR MED zustimmen, dann
genehmigen wir eine Operation, die das Geschäft der
Schleuser massiv behindern soll, diese in Italien vor Ge­
richt stellen lässt und aufgefundene Flüchtlinge sicher
nach Italien geleitet . Ja, diese Operation setzt bei den
Symptomen an, aber auch das ist neben der Ursachen­
bekämpfung notwendig .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich möchte an dieser
Stelle – und hier spreche ich sicher für alle in diesem
Hause – den beteiligten Soldatinnen und Soldaten Dank
und Anerkennung aussprechen . Sie leisten einen wichti­
gen Beitrag zur Rettung von Menschenleben .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Für die Rettung Schiffbrüchiger oder in Seenot gera­
tener Flüchtlinge gab es die effektive italienische Opera­
tion Mare Nostrum . Solch eine Mission muss durch die
EU neu aufgelegt werden; der kleinere Einsatz Triton
reicht nicht .


(Christoph Strässer [SPD]: Richtig!)


Gegen die Schleuser selbst vorzugehen, war bisher aller­
dings zu wenig im Fokus . Das ändern wir mit dem jetzt
vorgesehenen Mandat .

Flankierend müssen wir aber auch gegenüber Italien
europäische Solidarität leisten . Dieses Land schultert
einen Großteil der Flüchtlingswelle über das Mittel­
meer . Unsere Partner Italien und Griechenland können

Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn






(A) (C)



(B) (D)


das nicht alleine leisten . Es braucht mehr Union an dieser
Stelle, und zwar Europäische Union .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


In diesen Tagen wird von der Entwicklungspolitik ver­
langt, sie möge schnelle Lösungen der Flüchtlingsfrage
präsentieren . Ich sage es ganz deutlich: Diese Erwartung
kann sie nicht erfüllen . Fluchtursachen lassen sich nicht
von heute auf morgen bekämpfen . Dazu braucht es einen
langen Atem und einen großen Werkzeugkasten . Zu die­
sem Werkzeugkasten gehört zweifelsohne ein umfassen­
des Zuwanderungsgesetz, das Flüchtlingen legale Mög­
lichkeiten für einen Neustart in Deutschland bietet . Liebe
Kollegen von der Union, reichen Sie uns dazu die Hand .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Wir beschließen heute einen weiteren Einsatz im Mit­
telmeer und leisten bereits humanitäre Hilfe . Aber was
ist weiter zu tun? Erstens muss eine langfristige Entwick­
lungspolitik betrieben werden . Soeben wurden von der
UNO in New York 17 Entwicklungsziele verabschiedet,
die alle Staaten binden, auch uns. Sie verpflichten uns,
unsere Wirtschafts­, Handels­ und Klimapolitik so zu
ändern, dass sie Menschen in anderen Ländern nicht die
Lebensgrundlage rauben .


(Beifall bei der SPD sowie der Abg . Agnieszka Brugger [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Die EU­Wirtschaftsabkommen müssen wir daraufhin
kritisch überprüfen . Unsere Entwicklungspolitik muss
so ausgerichtet sein, dass sie Armut wirklich und nach­
weisbar bekämpft, Einkommen und Arbeit für die lokale
Bevölkerung schafft und insgesamt die lokale Teilhabe
aller ermöglicht .

Wir brauchen zweitens die Schaffung von Sicherheit
in fragilen oder zerfallenden Staaten . Vor diesem Hinter­
grund müssen wir internationale Polizeimissionen viel
stärker in den Blick nehmen . Diese haben die richtigen
Werkzeuge, um organisierter Kriminalität oder Korrup­
tion etwas entgegenzusetzen . Dann ist es nicht hilfreich,
dass im Haushalt genau dieser Mittelansatz gekürzt wird .

Wir brauchen drittens Steuergerechtigkeit . Entwick­
lungsländer haben oft eine erschreckend niedrige Steuer­
quote . Korruption, gesetzliche Lücken und Steueroasen
erlauben es den dortigen Eliten, sich ihrer Mitverantwor­
tung für ein gesundes Staatswesen zu entziehen, übrigens
genauso wie bei uns an der einen oder anderen Stelle .
Entwicklungspolitik muss hier einen Schwerpunkt set­
zen . Staaten, die über stabile Einnahmequellen verfügen,
besitzen mehr Möglichkeiten, ihrer Bevölkerung eine
Zukunft im eigenen Land zu bieten .

Wer denkt, ich würde mit dieser Auflistung von The­
men abweichen, irrt . Wer glaubt, mit einfachen Lösungen
dieser Krise Herr werden zu können, befindet sich auf
dem Holzweg . Man muss das eine tun – Bekämpfung
der Schleuser, humanitäre Soforthilfe und legale Ein­
wanderungswege – und darf das andere – Staatsaufbau,
Schaffung von Lebensperspektiven vor Ort und Gewähr­

leistung individueller Sicherheit – nicht lassen . Lassen
Sie uns für beides arbeiten .


(Beifall bei der SPD)


Aber die Durchsetzung dieses Anforderungskatalogs
wird Geld kosten . Im Übrigen bin ich der Meinung, dass
die deutsche ODA­Quote zügig und in klar messbaren
Zwischenschritten in Richtung 0,7 Prozent des Brutto­
sozialprodukts steigen muss . Ich möchte gerade jetzt an
Bundesfinanzminister Schäuble appellieren, nicht vom
Ziel einer zeitnahen Einführung der Finanztransaktion­
steuer Abstand zu nehmen .


(Beifall bei der SPD sowie des Abg . Uwe Kekeritz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Davon, dass die Einführung verschoben werden sollte,
war zu meiner Verwunderung unlängst zu lesen . Aber
schließlich war diese Steuer die Gegenleistung für die
Zustimmung meiner Fraktion zum Fiskalpakt . Wir brau­
chen die Finanztransaktionsteuer zügig, nicht irgend­
wann .

Ich schließe damit und bitte Sie um Zustimmung zu
dem vorliegenden Mandat .

Danke .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1812714800

Vielen Dank . – Als nächster Redner hat Dr . Alexander

Neu von der Fraktion Die Linke das Wort .


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. Alexander S. Neu (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1812714900

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen

und Herren! Ich finde, es ist vielsagend, wenn nur halb­
herzig über die Fluchtursachen gesprochen wird . Das
eine Mal hört man, das „Schleusertum“ sei eine Flucht­
ursache . Das andere Mal hört man, die unzureichende
Finanzierung der Flüchtlingslager sei ein Grund . Zu der
Vielzahl der Gründe, die genannt werden, gehört auch die
fragile Staatlichkeit . Aber die Gründe für die Fragilität
der Staatlichkeit einiger Staaten werden nicht genannt .
Es ist kein Zufall, dass die meisten Flüchtlinge, die der­
zeit nach Europa kommen, aus Syrien, Libyen, Afghanis­
tan, dem Kosovo oder dem Irak kommen . Das hat etwas
mit der westlichen Kriegsführung in diesen Ländern zu
tun, die dazu dient, die eigenen Interessen durchzusetzen .
Das schafft Fragilität .


(Beifall bei der LINKEN)


Wir hören auch von sogenannten Wirtschaftsflücht­
lingen. Ich würde eher sagen: Es sind Armutsflüchtlinge.
Die Ursache für deren Flucht liegt darin begründet, dass
es Handelsabkommen gibt, die Handelsliberalisierungen
vorsehen, die die Wirtschaft in deren Heimat – sei es die
Landwirtschaft, sei es die Industrie – vollends kaputt­
machen . Jüngst wurden EPA verabschiedet, sogenannte
neue Handelsabkommen mit Afrika, die erneut einen Ar­
mutsschub auf dem afrikanischen Kontinent hervorrufen
werden und weitere Flüchtlinge produzieren werden .

Gabi Weber






(A) (C)



(B) (D)


Deutschland ist Exportvizeweltmeister . Damit ex­
portiert Deutschland aber auch Armut . Die wirklichen
Fluchtursachen zu benennen, sehr geehrte Damen und
Herren, trauen Sie sich nicht; denn das würde bedeuten,
dass wir die Außenpolitik, die Sicherheitspolitik und die
Außenwirtschaftspolitik gründlich überdenken müssten .


(Beifall bei der LINKEN)


Die zur Beratung anstehende Mission EUNAVFOR­
MED ist keine Ursachenbekämpfung, noch nicht ein­
mal in Ansätzen . EUNAVFOR MED ist lediglich und
ausschließlich Symptombekämpfung . Man hat den Ein­
druck, sehr geehrte Damen und Herren, dass es unter
betriebswirtschaftlichen Gesichtspunkten günstiger ist,
eine Symptombekämpfung vorzunehmen, als das west­
liche Wirtschaftssystem, den Neoliberalismus, zu einem
solidarischen Wirtschaftssystem auf globaler Ebene um­
zubauen .


(Beifall bei der LINKEN)


Kommen wir ganz konkret zu EUNAVFOR MED .
Laut dem Schreiben des Auswärtigen Amtes und des
Verteidigungsministeriums vom 14 . September an den
Bundestag sind die Ziele: erstens Seenotrettung, zwei­
tens Bekämpfung der Schleusernetzwerke . In dem uns
nun vorliegenden Antrag der Bundesregierung steht nur
noch Schleuserbekämpfung .


(Gabi Weber [SPD]: Quatsch!)


Die Seenotrettung wird gewissermaßen abgetan mit dem
Hinweis: Das ist eine völkerrechtliche Verpflichtung; das
muss man nicht als Ziel formulieren . – Ich frage: Warum
denn nicht? Warum keine Aufwertung der Seenotrettung
als Ziel in dem Antrag? Damit würden zumindest durch
die Bundesregierung und dann durch den Bundestag das
Rückgrat und die Position der Soldatinnen und Soldaten
auf den deutschen Schiffen gestärkt . Aber genau das ma­
chen Sie nicht . Die Aussagen über Seenotrettung, die in
den letzten Wochen in den Vordergrund geschoben wur­
den, erscheinen vor diesem Hintergrund eher als Propa­
gandatrick .


(Beifall bei der LINKEN – Gabi Weber [SPD]: So ein Quatsch!)


Die Flüchtlingsrettung ist weder prioritäres Ziel noch
überhaupt ein Ziel von EUNAVFOR MED . Dies belegen
noch zwei weitere Punkte:

Der Kollege Nouripour hat in der letzten Woche dar­
auf hingewiesen, dass in dem Moment, als das nationale
Kommando auf das EU­Kommando übergegangen ist,
die Zahl der geretteten Flüchtlinge von 6 000 auf 2 500
gesunken ist . Um kein Missverständnis aufkommen zu
lassen: Es gab nicht weniger Flüchtlinge; es gab nur we­
niger Gerettete . Die Frage ist: Wo sind die Übrigen ge­
blieben? Sind sie ertrunken?

Der zweite Aspekt . Im Begründungsteil des Antrags
der Bundesregierung wird auch nicht auf die Seenotret­
tung verwiesen, sondern es heißt – ich zitiere –:

… Umleitung von Schleuserschiffen im südlichen
und zentralen Mittelmeer, seewärts der Küstenmee­
re der betroffenen Küstenstaaten …

Eine sehr verquaste Formulierung! Auch ich habe über­
legt: Was könnte das heißen? Für mich heißt das letzt­
endlich: Es geht darum, die Schiffe aufs offene Meer
Richtung Süden abzudrängen, Richtung afrikanischer
Kontinent . Sollte diese Interpretation zutreffen, dann
wäre das nicht nur ein Skandal, sondern ein Verbrechen
an den Menschen, die man auf diese Weise abschiebt .


(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg . Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Ich fasse zusammen:

Erstens . EUNAVFOR MED ist Symptombekämpfung
und kein Beitrag zur Ursachenbekämpfung . Die Flücht­
linge werden auf anderen Wegen nach Europa kommen,
wenn die Ursachen nicht bekämpft werden .

Zweitens . EUNAVFOR MED bedient sich einer hu­
manitären Rhetorik, um öffentliche Zustimmung zu ge­
winnen . Das tatsächliche Ziel ist es, Flüchtlinge davon
abzuhalten, nach Europa zu kommen; darin eingeschlos­
sen ist auch die Umleitung der Schiffe zurück in Rich­
tung Afrika .

Drittens . Die Mission EUNAVFOR MED soll in „So­
phia“ umbenannt werden . Sophia ist ein Mädchen, das
am 24 . August auf einer deutschen Fregatte im Mittel­
meer geboren wurde . Angesichts dessen, was der wirkli­
che Zweck dieser Mission ist, finde ich es wirklich pietät­
los, diese Mission in „Sophia“ umzubenennen .


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord­ neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ich möchte keine Zweifel aufkommen lassen: Ich kri­
tisiere nicht die Soldatinnen und Soldaten auf den deut­
schen Schiffen . Im Gegenteil: Ich bin überzeugt: Sie wol­
len helfen, und sie helfen .


(Niels Annen [SPD]: Hört! Hört!)


Aber ich habe ein Problem mit dem Zynismus der Poli­
tik der Bundesregierung und der Europäischen Union im
Umgang mit Flüchtlingen . Daher lehnen wir den Antrag
der Bundesregierung ab .

Zu dem Entschließungsantrag der Grünen enthalten
wir uns . Er zielt darauf ab, dass die Bundeswehr nicht
als Teil von EUNAVFOR MED agiert, sondern nationale
Flüchtlingsrettung betreibt . Das ist temporär in Ordnung,
aber dabei wird vergessen, dass wir zivile Seenotret­
tungskapazitäten aufbauen müssen .


(Beifall bei der LINKEN)


Das ist das, was wir fordern, um auf diese Weise die Bun­
deswehr aus dem Mittelmeer abzuziehen .

Danke .


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1812715000

Vielen Dank . – Als nächster Redner hat Roderich

Kiesewetter von der CDU/CSU­Fraktion das Wort .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge­ ordneten der SPD)


Dr. Alexander S. Neu






(A) (C)



(B) (D)



Roderich Kiesewetter (CDU):
Rede ID: ID1812715100

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir haben
im Parlament heute früh wie auch vorhin während der
Menschenrechtsdebatte beeindruckend erlebt, wie sich
unser Parlament die Frage der Flüchtlinge im Inland zu
Herzen nimmt . In der jetzigen Debatte geht es darum,
wie wir als Europäische Union mit der Flüchtlingslage an
den europäischen Grenzen umgehen . 22 Mitgliedstaaten
der Europäischen Union engagieren sich in der Mission
EUNAVFOR MED, diese stellen neun Schiffe und zwölf
Luftfahrzeuge zur Verfügung . Das ist ein Zeichen euro­
päischer Solidarität, aber es ist eben auch nur ein Teil der
notwendigen Strategie, die wir brauchen .

Herr Dr . Neu, ich weise eindeutig zurück, was Sie hier
angesprochen haben . Wenn Sie den Operationsplan ge­
nau lesen,


(Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Habe ich gelesen!)


dann werden Sie feststellen, dass eine Abweisung der
Schiffe nicht vorgesehen ist .


(Agnieszka Brugger [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist doch nicht wahr!)


Es kann aber sein, dass Sie den nötigen Annex nicht lesen
durften, weil Sie die notwendige Sicherheitsüberprüfung
nicht haben . Aber das möchte ich nicht unterstellen .


(Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Lachen bei Abgeordneten der LINKEN)


Ich möchte das trotzdem sehr ernsthaft aufgreifen . Im
Jahr 2003 hat die Europäische Union in ihrer Sicherheits­
strategie gefordert, dass wir in den nächsten Jahren – also
ausgehend von 2003 – alles daransetzen müssen, dass in
der südlichen Nachbarschaft der Europäischen Union ein
Ring gut regierter Staaten entsteht, die stabil sind und
mit denen wir vertrauensvoll zusammenarbeiten können .
Meine sehr verehrten Damen und Herren, das ist uns
nicht gelungen . Wir müssen deshalb unsere außen­ und
entwicklungspolitischen Strategien deutlich besser auf­
einander abstimmen .

Ein Ansatz ist die Mission EUNAVFOR MED, bei
der es in der ersten Phase um die Aufklärung der Schlep­
pernetzwerke ging, und bei der es jetzt darum geht, die
Schlepperboote und das Netzwerk der Beobachter der
Schlepper auf dem Mittelmeer auszuheben . Das kann
aber nur ein allererster Schritt sein . Wir müssen deshalb
alles daransetzen, zusammen mit dem Sonderbeauftrag­
ten der Vereinten Nationen León und auch mit seinem
Nachfolger als EU­Sonderbeauftragter zu erreichen, dass
in Libyen eine Einheitsregierung entsteht . Die Bundes­
republik Deutschland, aber auch Marokko haben wesent­
liche Verdienste daran, dass die beiden Parteien in Tri­
polis und in Bengasi bereits miteinander sprechen, und
wir hoffen, dass das Ziel bis zum Jahresende erreicht ist .

Das, was wir mit dem Festsetzen der Schlepperboote
machen, ist ja nur ein Tropfen auf den heißen Stein . Wir
müssen natürlich auch in den libyschen Hoheitsgewäs­
sern agieren können, und wir sollten das, was die Euro­

päische Union im Jahr 2013 begonnen hat, fortsetzen,
nämlich eine Grenzsicherungsmission nach dem Vorbild
der Mission EUBAM, also eine zivil organisierte Grenz­
sicherungsunterstützungsmission, etablieren, die die
Grenzen Libyens unterstützt . Warum ist das nötig? In Li­
byen sind etwa 1 Million Menschen in Flüchtlingslagern .
Es hilft uns wenig, wenn wir immer nur die Flüchtlin­
ge aufnehmen, die den harten Weg über das Mittelmeer
wagen . Wir müssen neben der Fluchtursachenbekämp­
fung – ich komme nachher darauf zurück – im nördlichen
Afrika Einrichtungen schaffen, in denen die Flüchtlinge
sichere Aufenthaltsorte bekommen .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Das bekommen wir eben nur hin, wenn wir das Mandat
der libyschen Regierung erhalten, auch an Land aktiv zu
werden . Ich denke, dass dies im Rahmen einer GASP­/
GSVP­Polizeimission durchaus leistbar ist .

Ich möchte dafür werben, dass wir alles daranset­
zen, auch unserer Öffentlichkeit zu erklären, dass wir
die Ursachenbekämpfung angehen, aber auch die ärgste
Not lindern müssen, indem wir die Flüchtlinge aus den
Schlepperbooten befreien und auf den Boden der Euro­
päischen Union bringen . Das steht auch eindeutig so im
Operationsplan .

Ein letzter Punkt, der mir am Herzen liegt, ist unser
Umgang mit Afrika . Wir werden im November wieder
einen gemeinsamen Gipfel der Europäischen Union mit
der Afrikanischen Union auf Malta haben . Kernpunkt
dieses Treffens werden folgende Fragen sein: Wie schaf­
fen wir in der Subsahara gute, sichere Zonen? Wie be­
kämpfen wir dort Flüchtlingsursachen? Und – das sollte
das Thema der Europäischen Union sein –: Wie befä­
higen wir die Afrikanische Union, auf ihrem Kontinent
Verantwortung wahrzunehmen, gute Regierungsführung
durchzusetzen und – mindestens genauso wichtig – für
die Flüchtlinge gute Lebensbedingungen in den jeweili­
gen Flüchtlingseinrichtungen zu schaffen? Denn dort –
das zu sagen, gehört zur Ehrlichkeit dazu – werden wir
uns wesentlich deutlicher engagieren müssen .

Es geht auch um die Unterbindung von Terrornetzwer­
ken, denen in Libyen Tür und Tor geöffnet wurde . Es
geht auch darum, dass wir die Ausbreitung von Waffen
und von Proliferation, aber auch von ausgebildeten Ter­
roristen eindämmen . Das bedeutet eben, dass wir neben
entwicklungspolitischer Zusammenarbeit und außenpoli­
tischen Strategien auch eine gewisse polizeiliche und mi­
litärische Begleitung brauchen .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Wir nehmen aber auch sehr ernst, was die Nachbarstaa­
ten sagen . Wir hatten gestern eine Delegation der tunesi­
schen Regierungspartei Nida Tunis zu Besuch bei uns .
Von deren Seite wurde die Sorge geäußert, dass sich der
Einsatz von EUNAVFOR MED möglicherweise, auch
unbeabsichtigt, gegen Fischerboote richten kann . Wir
müssen also auch die Betroffenheit der Nachbarländer
ernst nehmen . Wir wissen, dass in dem Operationsplan,
der letztlich vom Einsatzhauptquartier auf dem italieni­
schen Flaggschiff sowie vom Operationshauptquartier
in Rom aus umgesetzt wird, sehr sensibel auf diese Be­






(A) (C)



(B) (D)


dingungen eingegangen wird und die teilnehmenden Sol­
daten auch in diese Richtung sensibilisiert werden .

Lassen Sie mich abschließend sagen: Diese Mission
ist nur ein Tropfen auf den heißen Stein . Es ist aber ein
notwendiger Schritt, um das Schleppernetzwerk lahm­
zulegen . Viel wichtiger ist, dass wir eine gemeinsame
Afrikastrategie entwickeln und auch als Parlament ein
deutliches Zeichen der Unterstützung an die eingesetzten
Soldatinnen und Soldaten und an die Entwicklungshelfer
im nördlichen Afrika senden . Wir wollen einen ganzheit­
lichen Einsatz . Alle müssen zusammenarbeiten . Wir als
CDU/CSU­Fraktion unterstützen diese Mission deshalb .

Herzlichen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge­ ordneten der SPD)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1812715200

Vielen Dank . – Bevor Agnieszka Brugger vom Bünd­

nis 90/Die Grünen als nächste Rednerin das Wort hat,
habe ich eine Kurzintervention zugesagt . Herr Dr . Neu
hat die Möglichkeit zu einer Kurzintervention .


(Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Frau Dağdelen war es! – Dr. Rolf Mützenich [SPD]: Warum das denn? Warum denn Frau Dağdelen?)


– Okay, Frau Dağdelen.


Sevim Dağdelen (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1812715300

Danke, Frau Präsidentin . – Ich habe mich hier gemel­

det, weil ich mich auch angesprochen fühle


(Lachen bei Abgeordneten der SPD)


von den Ausführungen in der Rede des Kollegen
Kiesewetter zu den Möglichkeiten für Abgeordnete,
überhaupt Einsicht und Einblick in den Operationsplan
zu nehmen .


(Niels Annen [SPD]: Das ist ein Unterschied: Einsicht und Einblick!)


Es ist natürlich ein schlechter Witz, zu sagen, dass der
Abgeordnetenkollege Herr Neu nicht die notwendige
Sicherheitsüberprüfung bestanden hätte, um den Annex
dieses Operationsplans zu lesen .

Ich möchte hier zwei Punkte erwähnen, und ich glau­
be, ich spreche hier für viele Abgeordnete, die überhaupt
keinen Einblick in diesen Operationsplan haben:


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)


Erstens . Nur die Abgeordneten, die Mitglieder des
Auswärtigen Ausschusses und des Verteidigungsaus­
schusses sind, haben seit Freitag, faktisch aber erst seit
diesem Montag, Zugang zu dem Operationsplan, über
den hier heute der gesamte Bundestag entscheiden soll .


(Zuruf von der LINKEN: Skandal!)


Ich finde diesen Umgang unparlamentarisch.


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ich finde, die Bundesregierung tritt die parlamentari­
schen Rechte des Bundestages hier mit Füßen . Warum?
Weil dieser Operationsplan für die Mitglieder des Deut­
schen Bundestages seit Montag für nur maximal eine
halbe Stunde in der Geheimschutzstelle zum Lesen zur
Verfügung gestellt wird . Dieser Operationsplan umfasst
aber 677 Seiten in englischer Sprache, Frau Präsidentin .


(Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein, so etwas! In Englisch!)


– Nicht jeder Abgeordnete, Herr Trittin, kann fließend
Englisch sprechen und auch lesen . Das sollte man hier
schon ernst nehmen. – Ich finde, dieser Umgang ist nicht
akzeptabel, weil so die Mehrheit der Abgeordneten die­
ses Hauses keinen blassen Schimmer hat, über was er
oder sie hier gleich abstimmt und was Grundlage für die­
sen Bundeswehreinsatz ist .


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Zweitens . Tatsache ist auch, dass die Bundesregierung
einen offenen Rechtsbruch begangen hat, weil sie den Be­
schluss des EU­Rates zur Phase 2 dieser Militärmission
dem Bundestag – auch laut Referat PE 3 des Deutschen
Bundestages – nicht ordnungsgemäß zur Verfügung ge­
stellt und zugeleitet hat .

Ich finde, wer sich in diesem Hohen Haus als Abge­
ordneter ernst nimmt, kann diesem Mandat nicht zustim­
men, weil er überhaupt keine Ahnung hat, was in diesem
Operationsplan steht .


(Beifall bei der LINKEN – Dr . Rolf Mützenich [SPD]: Dann darf man aber auch nicht mit Nein stimmen!)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1812715400

Herr Kiesewetter, Sie haben die Möglichkeit zur Er­

widerung .


Roderich Kiesewetter (CDU):
Rede ID: ID1812715500

Vielen Dank, Frau Präsidentin . – Frau Kollegin

Dağdelen, nur einige kurze Anmerkungen.

Erstens . Die Globalisierung darf auch vor der Fraktion
Die Linke keinen Halt machen .


(Sevim Dağdelen [DIE LINKE]: Oh mein Gott!)


Ein bisschen polyglott zu sein, hilft .

Zweitens . Unparlamentarisch ist eher Ihr Antrag . Sie
zeigen keinerlei Alternativen auf, wie Sie mit den Flücht­
lingen und der Flüchtlingsnot umgehen wollen .


(Sevim Dağdelen [DIE LINKE]: Zur Sache!)


Sie sagen immer nur, was nicht geht . Sie hören jetzt nicht
einmal zu .

Letzter Punkt . Wir hatten Gelegenheit, in den Opera­
tionsplan zu schauen . Operationspläne sind, wie Sie wis­
sen, immer gleich aufgebaut. Sie finden immer an den
gleichen Stellen die notwendigen Punkte . Ich empfehle

Roderich Kiesewetter






(A) (C)



(B) (D)


Ihnen, sich künftig etwas mehr Zeit zu nehmen und eine
Übersetzung zu Hilfe zu nehmen .


(Zuruf von der LINKEN: Unverschämtheit!)


Ich finde es bedauerlich, dass Ihr Antrag – und das ist
ziemlich unparlamentarisch – keinerlei Alternativen auf­
zeigt im Gegensatz zu dem Antrag der Grünen oder dem
Antrag der Bundesregierung .

Herzlichen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge­ ordneten der SPD – Jürgen Trittin [BÜND­ NIS 90/DIE GRÜNEN]: Jetzt kommt Blau­ helm­Brugger!)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1812715600

Vielen Dank . – Jetzt hat die Rednerin Agnieszka

Brugger das Wort .


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜ­ NEN)


Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich wür­
de meine Rede gerne mit einem Zitat beginnen: „Die
Zerstörung von Booten ist nicht angemessen . Das ist kein
guter Ansatz“ . – Diese Aussage stammt nicht aus der letz­
ten Bundestagsdebatte von uns Grünen oder den Linken .
Wissen Sie, wer so die Pläne der Europäischen Union
zur militärischen Bekämpfung von Schleppern kritisiert
hat? Es war der Generalsekretär der Vereinten Nationen,
es war Ban Ki­moon . Und er hat recht mit seiner Kritik .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Das Mandat, das uns die Bundesregierung heute vor­
legt, ist nicht nur gefährlich, sondern auch eine völlig
falsche und zynische Antwort auf die Dramen im Mittel­
meer .


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)


Um es ganz klar vorab zu sagen – und kommen Sie ja
nicht auf die Idee, uns etwas anderes zu unterstellen –:
Wir sind den Soldatinnen und Soldaten der Deutschen
Marine zutiefst dankbar für jeden der über 7 000 Men­
schen, die in den vergangenen Monaten im Mittelmeer
gerettet wurden .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ebenso muss man hier aber auch den wertvollen Dienst
der zivilen Organisationen wie Ärzte ohne Grenzen oder
des Projektes Sea­Watch erwähnen, die dort eingesprun­
gen sind, wo die europäischen Mitgliedstaaten versagt
haben .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Meine Damen und Herren, die Zahlen zur Seenotret­
tung muss man sich aber wirklich genau anschauen; denn
dort gibt es einen Bruch . Als die Schiffe zunächst unter
nationalem Kommando unterwegs waren, haben sie in
kürzerer Zeit mehr als doppelt so viele Menschen geret­
tet als in einem längeren Zeitraum nach der Unterstellung

unter die europäische Mission . Das ist auch einfach zu
erklären: Hier wurden sie nämlich vor allem zu Aufklä­
rungszwecken eingesetzt . Gleichzeitig gibt es unter den
europäischen Mitgliedstaaten in Bezug auf die Mission
die Diskussion, dass man Flüchtlinge abschrecken müsse
und dass man nicht durch zu viel Rettung unerwünschte
Pull-Effekte, also falsche Anreize – ich finde ohnehin,
das ist ein schreckliches Wort in der Flüchtlingsdebat­
te –, erzeugen solle .

Wenn der Außenminister Frank­Walter Steinmeier
und die Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen in
ihren öffentlichen Statements für die Mission vor allem
mit der Seenotrettung werben, kann ich nur entgegnen:
Sie verschleiern die Realität und die Wahrheit; denn das
ist nicht Priorität dieser Mission . Man muss auch sagen,
Frau von der Leyen, Herr Steinmeier: Hören Sie mit die­
ser Augenwischerei auf, und sorgen Sie stattdessen dafür,
dass die Seenotrettung wieder die alleroberste Priorität
bekommt .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Meine Damen und Herren, dieser Militäreinsatz birgt
aber auch Risiken für die Flüchtlinge und die Soldatin­
nen und Soldaten . Heute geht es um die zweite Phase
dieser Mission, grob gesagt darum, dass man auch gegen
Widerstand in internationalen Gewässern an Bord von
Schiffen gehen kann, um Schlepper festzunehmen . Na­
türlich gibt es das Risiko der bewaffneten Auseinander­
setzung zwischen militärischen Kräften und Schleppern .
Und das gefährdet die Flüchtlinge .

Noch riskanter und gefährlicher ist aber die Phase 3,
die die Bundesregierung als nächsten Schritt plant und
mit Hochdruck vorantreibt . Sie wollen am libyschen
Festland und in libyschen Küstengewässern gezielt
gegen die Infrastruktur der Schlepper vorgehen . Das
wollen sie in einem Land machen, in dem die Lage völlig
unübersichtlich ist; klar ist da nur, dass die Schlepper kei­
ne Kleinkriminellen sind, sondern mit dschihadistischen
Gruppen verbunden sind und gut ausgerüstete Netzwerke
der organisierten Kriminalität darstellen . Wir können die
Bundesregierung an dieser Stelle nur auffordern, dieses
Spiel mit dem Feuer zu stoppen und die Phase 3 nicht in
Kraft treten zu lassen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg . Stefan Liebich [DIE LINKE])


Meine Damen und Herren, mit diesem Mandat wird
heute die Ermächtigung erteilt, dass die Mission Flücht­
lingsboote – Herr Kollege Kiesewetter, hier müssen Sie
gar nicht in den geheimen Operationsplan schauen, son­
dern in das Mandat der Bundesregierung – „seewärts der
Küstenmeere der betroffenen Küstenstaaten“ umleiten
kann und soll . Das heißt im Klartext: zurück an die afri­
kanische Küste .


(Dr . Alexander S . Neu [DIE LINKE]: Genau! Das ist der Punkt!)


Wir haben den Operationsplan gelesen . Ich muss sagen:
Entweder haben Sie ihn nicht gelesen, Herr Kollege

Roderich Kiesewetter






(A) (C)



(B) (D)


Kiesewetter, oder Sie behaupten hier mit Absicht die Un­
wahrheit .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Im Operationsplan findet sich keine Antwort darauf –
und die Bundesregierung hat auch keine –, mit welchen
Mitteln und unter welchen Umständen diese Umleitung
funktionieren kann, ohne dabei zentrale menschenrecht­
liche Standards zu verletzen; denn es ist verboten, Flücht­
linge auf hoher See zurückzudrängen . Meine Damen und
Herren, dieses Abdrängen von Flüchtlingsbooten lehnen
wir Grüne ganz klar ab .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Neben all diesen hochproblematischen Aspekten ha­
ben wir eine ganz fundamentale Kritik an Ihren Plänen
zur militärischen Flüchtlingsabwehr; so muss man dieses
Mandat ja bezeichnen . Ich möchte vorab betonen: Na­
türlich sind die Schlepper grausame Menschen, die ein
schlimmes Geschäft mit dem Leid der Flüchtlinge be­
treiben . Dagegen müssen wir etwas tun . Aber statt eine
Mission auf den Weg zu bringen, die einerseits riskant
ist, aber andererseits ihre Ziele nicht erreichen wird, gibt
es einen sicheren und effektiveren Weg, den Schleppern
die Geschäftsgrundlage zu entziehen, nämlich endlich
legale und sichere Einwanderungswege nach Europa zu
schaffen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Doch da tut die Bundesregierung nichts. Ich finde, auch
das spricht Bände .

Es ist doch eine Schande, dass die europäischen Mit­
gliedstaaten so viel Geld, so viel Personal und so viele
technische Kapazitäten für einen solch falschen Einsatz
auf den Weg bringen, aber dem Sterben im Mittelmeer
viel zu lange tatenlos zugeschaut haben und die Seenot­
rettungsmission Mare Nostrum eingestellt werden muss­
te, weil man nicht genug Geld dafür zur Verfügung ge­
stellt hatte .


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS­ SES 90/DIE GRÜNEN)


Meine Damen und Herren, wir Grüne werden dieses
Mandat, das am Ende vor allem eine Grenze um Euro­
pa im Mittelmeer hochzieht, ablehnen . Wir Grüne wol­
len den Schutz der Flüchtlinge . Wir wollen legale und
sichere Einwanderungswege und vor allem endlich eine
engagierte und effektive Seenotrettung .

Vielen Dank .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1812715700

Vielen Dank . – Als nächste Rednerin hat Julia

Obermeier von der CDU/CSU­Fraktion das Wort .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Julia Bartz (CSU):
Rede ID: ID1812715800

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Was macht den Wirtschaftsstandort Deutsch­
land attraktiv? Unternehmer antworten mir darauf: Man
kann sich in Deutschland darauf verlassen, dass von der
Müllabfuhr bis zum Rechtsstaat alles funktioniert . Recht
und Ordnung, meine Damen und Herren, sind der Rah­
men, aus dem unsere wirtschaftliche Leistungsfähigkeit
und unser Wohlstand entspringen . Entsprechend haben
wir überall dort in Europa Probleme, wo Recht und Ord­
nung untergraben werden, zum Beispiel in Griechenland
durch massenhafte Korruption und Steuerhinterziehung .

Unsere größte Herausforderung in Europa sind aber
nicht die Schulden, sondern der ungebremste Zustrom
von Migranten und Flüchtlingen . Am Münchener Haupt­
bahnhof haben wir gesehen, wie ob der schieren Masse
an Menschen Recht und Ordnung außer Kraft gesetzt
wurden .


(Zuruf des Abg . Norbert Müller [DIE LINKE])


Wenn jeden Tag 10 000 in Bayern ankommen, dann ist
das auf Dauer nicht mehr zu schaffen .


(Dr . Alexander S . Neu [DIE LINKE]: Das ist AfD­Slang!)


Hunderttausende Menschen, Migranten und Asylbewer­
ber, tingeln quer durch Europa,


(Corinna Rüffer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ­ NEN]: Ach so! Die „tingeln“ einfach herum!)


ohne dass eine Registrierung oder gar eine Sicherheits­
überprüfung stattgefunden hat . Allein in Deutschland
sind das 290 000 Personen . Meine Damen und Herren,
das ist ein Sicherheitsrisiko, das wir nicht länger hinneh­
men können .


(Dr . Alexander S . Neu [DIE LINKE]: Sie reden wie die NPD!)


Neben der Wiedereinführung der Grenzkontrollen und
dem umfassenden innenpolitischen Maßnahmenpaket,
das wir heute Morgen hier beraten haben, gilt es nun,
europäische Lösungen für dieses europäische Problem
zu finden.

Wie so oft sind wir uns in Europa nicht in allen Punk­
ten einig . Das haben wir diese Woche bei der Sitzung des
Europarates in Straßburg wieder deutlich gesehen . Worin
wir uns in der Europäischen Union aber sehr einig sind,
ist, dass wir in einer gemeinsamen Militärmission im
Mittelmeer für Recht und Ordnung sorgen wollen .


(Corinna Rüffer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Für Recht und Ordnung!)


Heute entscheiden kriminelle Schleuser, wer zu uns nach
Europa kommt . Das wollen, das müssen wir ändern .

Seit Januar 2015 sind eine halbe Million Migranten
und Flüchtlinge mithilfe von Schleuserbanden über das
Mittelmeer nach Europa gekommen . Pro Platz auf einem
Boot verlangen die Schleuser 600 bis 5 000 Euro . Auf
diesem Weg haben sie in den letzten 15 Jahren 16 Mil­

Agnieszka Brugger






(A) (C)



(B) (D)


liarden Euro eingenommen . Und sie betreiben ihr Ge­
schäft ohne Rücksicht auf Verluste .

Jene, die auf der Suche nach Frieden, Recht und Wohl­
stand den Weg nach Europa antreten, werden wie Vieh
in teils seeuntaugliche Boote geprügelt . Familien werden
dabei auseinandergerissen, und so manches Kind, das auf
der Überfahrt zu laut weinte, wurde von den Schleusern
einfach über Bord geworfen . Diese Schleuser sind also
keine heldenhaften Fluchthelfer, sondern skrupellose
Kriminelle .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge­ ordneten der SPD)


Dieses Jahr bezahlten bereits 3 000 Menschen ihre
Reise nach Europa mit dem Tod .


(Corinna Rüffer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ­ NEN]: Und die anderen „tingeln“ herum!)


Deshalb ist seit Mai 2015 die Bundeswehr im Mittel­
meer an der Seenotrettung beteiligt und hat dabei über
8 000 Menschen geholfen . Mein Dank gilt an dieser Stel­
le allen Einsatzkräften an Bord der Fregatte „Schleswig­
Holstein“ und des Tenders „Werra“ sowie zuvor der Fre­
gatte „Hessen“ und des Versorgers „Berlin“ .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


22 Mitgliedstaaten beteiligen sich an EUNAVFOR
MED . Italien ist hier als Rahmennation tätig, Deutsch­
land ist zweitgrößter Truppensteller . Bis zu 950 deutsche
Soldatinnen und Soldaten werden dort im Einsatz sein .
Sie werden nun aber nicht mehr nur Seenotrettung betrei­
ben, sondern wir gehen in dieser Phase der Mission den
nächsten Schritt: Wir werden den kriminellen Schleusern
das Handwerk legen .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Dazu wollen wir die Netzwerke der Schleuser aufde­
cken, auch auf hoher See Boote beschlagnahmen, bevor
sie zum Menschenhandel und Menschenschmuggel ein­
gesetzt werden, und wir wollen die ertappten Schleuser
auch strafrechtlich belangen .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Sehr geehrte Damen und Herren, ich bitte Sie um Ihre
Zustimmung zu diesem Mandat: Für Recht und Ordnung
auf dem Mittelmeer .

Danke .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge­ ordneten der SPD)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1812715900

Vielen Dank . – Liebe Kolleginnen und Kollegen,

wir haben jetzt noch zwei Redner in dieser Debatte . Ich
bin sicher, es wird Ihnen gelingen, Ihre Gespräche für
die Redezeit dieser zwei Redner zu unterbrechen . Dann,
wenn wir abstimmen, können Sie so laut miteinander re­
den, wie Sie wollen, und danach geht es dann bitte wie­
der leise weiter .

Jetzt hat Herr Lars Klingbeil von der SPD­Fraktion
das Wort .


(Beifall bei der SPD)



Lars Klingbeil (SPD):
Rede ID: ID1812716000

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Wenn man sich die Debatten des heutigen Tages an­
schaut, dann sieht man, wie schwer wir uns an vielen
Stellen tun, mit den Herausforderungen der Flüchtlings­
krise umzugehen . Das ist zweifelsohne eine schwere
Situation . Wenn die Kanzlerin sagt: „Wir schaffen das“,
dann haben wir als Parlament gemeinsam die Verantwor­
tung, den Menschen zu erklären, wie wir das schaffen
und welche Maßnahmen wir unternehmen wollen .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Die Politik muss Antworten geben, und wir sehen allein
an dieser Debatte, dass es nicht immer einfach ist, Ant­
worten zu geben . Ich glaube auch, dass viele Antworten
viel komplexer sind, als manche Debattenredner es hier
darstellen .

Ich will am Beginn meiner Rede auch den vielen Men­
schen danken, die sich in Deutschland hauptamtlich und
ehrenamtlich um Flüchtlinge kümmern .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)


Ich habe es selbst in meinem Wahlkreis erleben können,
als innerhalb weniger Stunden eine Notunterkunft für
1 400 Flüchtlinge aufgebaut werden musste . Dort waren
es DRK, DLRG, Johanniter, Feuerwehren, viele Ehren­
amtliche, aber auch die Bundeswehr, die gemeinsam da­
für gesorgt haben, dass Flüchtlinge in Niedersachsen ein
Zuhause bekommen haben .

Der Dank gilt ganz explizit der Bundeswehr, die jetzt
schon im Mittelmeer auf der Fregatte „Schleswig­Hol­
stein“ und dem Tender „Werra“ unterwegs ist und bei der
Seenotrettung schon über 8 000 Menschenleben gerettet
hat . Ich denke, den Soldatinnen und Soldaten gebührt ein
großer Dank aus diesem Haus .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne­ ten der CDU/CSU und der Abg . Agnieszka Brugger [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich finde, dass in der
heutigen Debatte Widersprüche aufgemacht werden, die
keine sind . Es geht nicht um die Frage, ob wir Seenot­
rettung oder Bekämpfung der Schlepperbanden wollen .


(Agnieszka Brugger [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau darum geht es!)


Wir wollen beides . Ich sage auch ganz klar: Das Mandat
beinhaltet beides . Es geht nicht darum, die Seenotrettung
einzugrenzen, zu beschränken oder abzuschaffen . Nein,
die Seenotrettung gehört zu diesem Mandat, und sie wird
weiter stattfinden. Dafür sind unsere Soldatinnen und
Soldaten im Einsatz im Mittelmeer, und sie werden sich
weiter darum kümmern .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Julia Obermeier






(A) (C)



(B) (D)


Es wird hier behauptet, es soll zukünftig darum gehen,
dass die Boote der Schlepper versenkt werden . Ich sage:
Das steht nicht in dem Mandat, über das wir heute ab­
stimmen. Es geht darum, dass die Netzwerke identifiziert
werden sollen. Es geht darum, dass Schlepper identifi­
ziert werden sollen, dass sie erkennungsdienstlich behan­
delt werden sollen, dass die Routen erkannt werden und
dass Boote beschlagnahmt werden können . Aber es geht
nicht darum, sie zu zerstören . Sie sollten schon deutlich
sagen, worum es bei diesem Mandat geht . Es geht darum,
ein Geschäftsmodell zu zerstören, liebe Kolleginnen und
Kollegen .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Weil es vorhin vom Kollegen Neu von der Linken an­
gesprochen wurde: Niemand hat behauptet, dass mit die­
sem Mandat die Fluchtursachen bekämpft werden sollen .
Darum geht es gar nicht . Wenn man sich anschaut, was
wir als Koalitionsfraktionen und die Bundesregierung
sonst noch unternehmen, dann finde ich es töricht, wenn
man behauptet, wir würden uns nicht um die Bekämp­
fung der Fluchtursachen kümmern . Ich will Ihnen das
deutlich sagen .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Schauen Sie sich allein an, was Außenminister
Steinmeier im Rahmen der G 7 erreicht hat: Die Mittel
für das Welternährungsprogramm und den UNHCR wer­
den um 1,6 Milliarden Euro erhöht . Das ist Fluchtursa­
chenbekämpfung . Darum kümmert sich unser Außenmi­
nister. Ich finde, wir alle können ihm an dieser Stelle für
das, was er erreicht hat, wirklich dankbar sein .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wir müssen uns darum kümmern, dass legale Wege
nach Deutschland ermöglicht werden . Ich sage hier ganz
klar: Meine Fraktion, die SPD, setzt sich dafür ein, dass
wir in Deutschland ein Einwanderungsgesetz bekom­
men, das den Menschen zeigt, wie sie nach Deutschland
kommen können . Ich würde mir wünschen, dass sich
auch andere Fraktionen hier im Parlament bewegen, da­
mit wir schnell ein solches wichtiges Einwanderungsge­
setz bekommen .


(Beifall bei der SPD)


Lassen Sie mich am Ende Folgendes sagen: Wenn ich
hier in der Debatte vonseiten der Linkspartei höre, wie
neoliberale Interessen unterstellt werden, wie skizziert
wird, dass man anscheinend mit Freude militärisch vor­
geht, dann kann ich nur sagen: Herr Kollege Dr . Neu, Sie
zeichnen ein Bild von Deutschland, das nicht der Realität
entspricht .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Dr . Alexander S . Neu [DIE LINKE]: Ach so?)


Gucken Sie sich doch einmal an, was die internationale
Presse schreibt .

Ich war vor wenigen Tagen in den USA und habe mich
dort mit Vertretern der größten muslimischen Gemeinde
unterhalten . Ich kann Ihnen sagen: Es ist Dankbarkeit zu
spüren, dass wir den Menschen den Weg nach Deutsch­
land ermöglichen, dass wir den Menschen Schutz geben
in Deutschland . Wenn Sie das nicht weiter ignorieren
würden, würde Ihr Deutschlandbild zurechtgerückt wer­
den . Sie zeichnen hier im Parlament ein falsches Bild von
Deutschland . Das hat nichts mit der Realität zu tun .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ich fasse zusammen: Wir werden dem Mandat zustim­
men . Ein Allheilmittel sehen wir darin nicht . Es wird vie­
le andere Aufgaben geben, die wir als Parlament bewälti­
gen müssen . Das Mandat, über das wir heute abstimmen,
ist ein wichtiges Mosaiksteinchen bei der Bekämpfung
der Flüchtlingskrise .

Vielen Dank .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1812716100

Das Wort hat der Kollege Michael Vietz für CDU/

CSU­Fraktion .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Michael Vietz (CDU):
Rede ID: ID1812716200

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Sehr geehrte Damen und Herren! Entgegen dem hier
manchmal gezeichneten Bild: Es ist weder den Koali­
tionsfraktionen noch der Bundesregierung egal, ob ein
Massensterben im Mittelmeer stattfindet. Ebenso ist es
uns nicht egal, ob ein Risiko für Leib und Leben von
Flüchtlingen besteht .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Das war einer der Auslöser für die Mission EUNAVFOR
MED als gemeinsame Operation der Europäischen
Union . Hier beobachten unsere Einsatzkräfte Tag für
Tag, wie skrupellose Schlepper ihrem Geschäft nachge­
hen und aus der Not ihrer Opfer Profit schlagen.

Ich danke an dieser Stelle allen beteiligten Kräften der
EUNAVFOR MED – seien es deutsche, seien es europäi­
sche – für ihren Einsatz . Seit Beginn der Mission konnten
wir bis vergangene Woche über 8 000 gerettete Seelen
zählen . Am letzten Wochenende hat allein unser Tender
„Werra“ weitere 140 Menschen aus Seenot gerettet .

Nüchterne Zahlen sind das eine . Hinter jeder Zahl
steht ein Schicksal . Ich erinnere – allerdings aus ande­
rem Anlass als Kollege Neu – hier ganz besonders an den
Stabsarzt und an den Heizer unserer Fregatte „Schles­
wig­Holstein“ . Sie waren am 24 . August im Einsatz und
halfen der kleinen Sophia an Bord eines Kriegsschiffes,
das Licht der Welt zu erblicken . Sophia steht in diesem
Kontext für Hoffnung und Leben, und auch dafür steht
EUNAVFOR MED .


(Heike Hänsel [DIE LINKE]: Oh Gott! – Dr . Alexander S . Neu [DIE LINKE]: Das ist zynisch!)


Lars Klingbeil






(A) (C)



(B) (D)


Ich begrüße daher ganz im Gegensatz zum Kollegen Neu
den Vorschlag von Federica Mogherini, die Mission in
„Sophia“ umzutaufen . Denn darum geht es auch: Wir ret­
ten Leben .

Phase 1 von EUNAVFOR MED beschränkte sich zu­
nächst auf die humanitäre Seenotrettung und die Auf­
klärung von Schleppernetzwerken im Mittelmeer . Der
Übergang zu Phase 2 i) bedeutet nun, nach der Informa­
tionsgewinnung gezielt gegen die Schlepper vorzugehen .
Schlepperboote können auf hoher See aufgebracht und
beschlagnahmt werden . Sie können mitnichten nach Af­
rika, sondern werden nach Italien gebracht werden, wo
aufgeklärt werden kann .

Selbstverständlich ist das im Wesentlichen die Be­
kämpfung von Symptomen des seit Jahren fließenden
Flüchtlingsstroms; es auch hat nie jemand etwas ande­
res behauptet . Aber auch diese Aufgabe muss erledigt
werden . Danach können wir weitere Schritte planen und
einen Übergang zu den weiteren Phasen in Betracht zie­
hen . Nur, darum geht es heute, hier und jetzt nicht .

Ich hoffe ausdrücklich, dass die positiven Signale aus
Libyen, dass eine Einheitsregierung gebildet werden
könnte, sich bestätigen . Für die Stabilität des Landes und
die Zukunft seiner Bürger ist dies wichtig . Es liegt auch
im Interesse der Flüchtlinge und von uns allen, damit die­
se lebensgefährlichen Schlepperfahrten ihre Ausgangs­
basis verlieren .

Die Flüchtlingskrise stellt uns vor innen­, europa­ und
außenpolitische Herausforderungen . Zum einen geht es
um die Bewältigung ihrer Auswirkungen hier bei uns,
zum anderen um die Bekämpfung der Fluchtursachen .
Daneben geht es aber auch – das sollten wir nicht verges­
sen – um die Situation in den Transitländern, und damit
geht es darum, wie wir den Schleppern ihre menschen­
verachtende Arbeit unmöglich machen .

Über die innenpolitischen Notwendigkeiten haben wir
heute Vormittag debattiert . Über die außenpolitischen
Notwendigkeiten, wie zum Beispiel unsere Unterstüt­
zung für UNHCR und das Welternährungsprogramm,
sprechen wir in den Haushaltsberatungen . Die Erhöhung
der Flüchtlingshilfe durch die G 7 und die Golfstaaten
ist hier schon ein positives Signal . Wir müssen den Men­
schen vor Ort Hoffnung und Perspektiven bieten, damit
sie sich nicht auf diesen lebensgefährlichen Weg machen .

Es geht dabei um eine vernetzte Gesamtstrategie, die
sowohl die Herkunfts­ und Nachbarländer als auch die
Schlepperorganisationen gezielt ins Visier nimmt . Wir
wollen den Schleppern ihr Millionengeschäft schlicht­
weg ausdrücklich vermiesen, und dafür dient auch
EUNAVFOR MED .

Phase 1 der Mission hat wesentliche Erkenntnisse dar­
über erbracht, wie unterschiedlich die Schlepper agieren .
Die gewonnenen Informationen bereiten nun den Weg
für die Phase 2 i) . Worüber wir also heute sprechen, ist:
die gewonnenen Erkenntnisse gezielt nutzen, konsequent
handeln . Es kann und darf nicht sein, dass zum Beispiel
Schlepper vor den Augen unserer Einsatzkräfte ihre Boo­

te wieder einsammeln, um sie erneut mit Flüchtlingen
vollzustopfen .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Dabei ist und bleibt die Seenotrettung selbstverständlich
Dreh­ und Angelpunkt der Mission .

Unsere Männer und Frauen der Marine kommen bei
diesen Einsätzen im Mittelmeer tagtäglich an ihre Belas­
tungsgrenzen . Sie verdienen nicht nur unseren Dank und
unsere Anerkennung; sie verdienen zudem, dass dieses
Hohe Haus geschlossen hinter ihnen steht . Daher bitte
ich um Zustimmung zu dem Antrag der Bundesregie­
rung: Stimmen Sie für EUNAVFOR MED! Stimmen Sie
für „Sophia“!

Danke .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge­ ordneten der SPD)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1812716300

Ich schließe die Aussprache .

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bitte Sie, erst
einmal Platz zu nehmen und auch den Geräuschpegel
so weit herunterzufahren, dass wir eine gleich folgende
Erklärung zur Abstimmung nach § 31 der Geschäftsord­
nung auch zur Kenntnis nehmen können .

Mir liegen schriftliche Erklärungen nach § 31 der Ge­
schäftsordnung der Kollegin Dr . Nina Scheer, der Kol­
legin Sevim Dağdelen, der Kollegin Heike Hänsel und
des Kollegen Alexander Neu vor . Entsprechend unseren
Regeln nehmen wir diese zu Protokoll .1)

Es liegt mir außerdem eine Meldung des Kollegen
Rüdiger Veit zu einer Erklärung zur Abstimmung vor . Ich
gebe ihm aber erst dann das Wort, wenn es im Plenum
auch die notwendige Aufmerksamkeit gibt . – Ich bitte
tatsächlich alle Kolleginnen und Kollegen, sich in den
Reihen ihrer Fraktion oder in den Reihen einer anderen
Fraktion, sollten sie dort Gastrecht genießen, einen Platz
zu suchen . Ich bitte vor allen Dingen, die lauten Gesprä­
che einzustellen .

Sollte es sich noch nicht herumgesprochen haben: Wir
kommen noch nicht zur Abstimmung .


(Zuruf von der LINKEN: Mein Gott, setzt euch doch mal dahinten!)


Vor allen Dingen bitte ich jetzt, den Geräuschpegel tat­
sächlich herunterzufahren . – Vielleicht können sowohl
die Kollegen der SPD als auch der Union ihren Kollegen
dort hinten einen Hinweis geben, die Gespräche einzu­
stellen oder nach draußen zu verlagern .

Zu einer Erklärung nach § 31 unserer Geschäftsord­
nung hat nun der Kollege Rüdiger Veit das Wort .


Rüdiger Veit (SPD):
Rede ID: ID1812716400

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Zunächst einmal herzlichen Dank, Frau Präsidentin, dass
Sie für das notwendige Maß an Aufmerksamkeit gesorgt

1) Anlagen 2 und 3

Michael Vietz






(A) (C)



(B) (D)


haben . Es wird – da kann ich alle beruhigen – sehr kurz
werden .

Mir persönlich – ich erkläre das zugleich im Namen
meines Kollegen Christoph Strässer – fehlt jede Zuver­
sicht – ja, uns fehlt sogar der Glaube –, dass die hier in
Rede stehende Maßnahme ein sinnvoller Beitrag zur Be­
kämpfung von Schleuserkriminalität sein kann .


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)


Aber da wir der Auffassung sind, dass nichts, buchstäb­
lich nichts unversucht gelassen werden sollte, um diesem
menschenverachtenden, verbrecherischen Treiben Ein­
halt zu gebieten, stimmen wir zu, um diese Chance nicht
zu verbauen . Das wollte ich hierzu erklärt haben .

Danke für die Aufmerksamkeit .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1812716500

Wir kommen nun zur Abstimmung über die Beschluss­

empfehlung des Auswärtigen Ausschusses zu dem An­
trag der Bundesregierung zur Beteiligung bewaffneter
deutscher Streitkräfte an der EU­Operation EUNAVFOR
MED als ein Teil der Gesamtinitiative der EU zur Unter­
bindung des Geschäftsmodells der Menschenschmug­
gel­ und Menschenhandelsnetzwerke im südlichen und
zentralen Mittelmeer. Der Ausschuss empfiehlt in seiner
Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/6189, den An­
trag der Bundesregierung auf Drucksache 18/6013 an­
zunehmen . Wir stimmen über die Beschlussempfehlung
namentlich ab .

Bevor ich die Abstimmung eröffne, möchte ich darauf
hinweisen, dass wir in circa 40 Minuten zwei weitere na­
mentliche Abstimmungen durchführen werden .

Sind alle Schriftführerinnen und Schriftführer am vor­
gesehenen Platz? – Ich eröffne die Abstimmung über die
Beschlussempfehlung .

Ist ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine Stim­
me noch nicht abgeben konnte? – Dann bitte ich, das jetzt
zu vollziehen . Im Übrigen mache ich darauf aufmerksam,
dass wir unter diesem Tagesordnungspunkt noch weitere
Abstimmungen vornehmen . Es wäre sicherlich hilfreich
für uns hier vorn, wenn diejenigen, die an den weiteren
Verhandlungen teilnehmen, Platz nehmen, sodass wir die
Abstimmungsergebnisse zweifelsfrei feststellen und zur
Kenntnis nehmen können .

Ist ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine Stim­
me noch nicht abgeben konnte? – Das ist nicht der Fall .

Ich schließe die Abstimmung und bitte die Schrift­
führerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu be­
ginnen . Das Ergebnis der Abstimmung wird Ihnen später
bekannt gegeben .1)

Ich wiederhole meine Bitte, dass all diejenigen, die
an den weiteren Verhandlungen und insbesondere an
den Abstimmungen, die jetzt noch anstehen, teilhaben
wollen, sich in die Reihen der Fraktionen begeben . Ich

1) Ergebnis Seite 12346

bitte die Mitglieder der Bundesregierung, gegebenenfalls
ihren Platz auf der Regierungsbank einzunehmen .

Wir kommen zur Abstimmung über die Entschlie­
ßungsanträge . Entschließungsantrag der Fraktion Die
Linke auf Drucksache 18/6207 . Wer stimmt für diesen
Entschließungsantrag? – Wer stimmt dagegen? – Wer
enthält sich der Stimme? – Der Entschließungsantrag
ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen der
Fraktion Die Linke abgelehnt worden .

Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen auf Drucksache 18/6208 . Wer stimmt für diesen
Entschließungsantrag? – Wer stimmt dagegen? – Wer
enthält sich der Stimme? – Der Entschließungsantrag
ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die
Stimmen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen bei Ent­
haltung der Fraktion Die Linke abgelehnt worden .

Ich rufe auf den Tagesordnungspunkt 7:

Beratung der Beschlussempfehlung und des Be­
richts des Ausschusses für Arbeit und Soziales

(11 . Ausschuss)


– zu dem Antrag der Abgeordneten Katja
Kipping, Sabine Zimmermann (Zwickau),
Matthias W . Birkwald, weiterer Abgeordneter
und der Fraktion DIE LINKE

Sanktionen bei Hartz IV und Leistungsein-
schränkungen bei der Sozialhilfe abschaf-
fen

– zu dem Antrag der Abgeordneten Katja
Kipping, Sabine Zimmermann (Zwickau),
Klaus Ernst, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion DIE LINKE

Gute Arbeit und eine sanktionsfreie Min-
destsicherung statt Hartz IV

– zu dem Antrag der Abgeordneten Dr . Wolfgang
Strengmann­Kuhn, Beate Müller­Gemmeke,
Markus Kurth, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Existenzminimum und Teilhabe sicherstel-
len – Sanktionsmoratorium jetzt

Drucksachen 18/1115, 18/3549, 18/1963,
18/6128

Zu der Beschlussempfehlung werden wir später zwei
namentliche Abstimmungen durchführen . Ich bitte, den
Kolleginnen und Kollegen, die rechts von mir noch im
Gang stehen, zu übermitteln, dass diese Abstimmungen
erst nach der Debatte durchgeführt werden . Sie müssen
also nicht hier in Bereitschaft stehen bleiben .

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 38 Minuten vorgesehen . – Ich höre kei­
nen Widerspruch . Dann ist das so beschlossen .

Ich eröffne die Aussprache . Das Wort hat die Kollegin
Dagmar Schmidt für die SPD­Fraktion .


(Beifall bei der SPD)


Rüdiger Veit






(A) (C)



(B) (D)



Dagmar Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1812716600

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen

und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe
Kolleginnen und Kollegen von der Linkspartei, ich bin
noch nicht lange dabei, aber ein Prinzip Ihrer Politik ist
auch für mich schon offensichtlich geworden: Sie neh­
men sich eine Gruppe heraus und betrachten ausschließ­
lich deren einzelne Interessen . Ich gebe zu, Ihre Gruppen
sind mir deutlich sympathischer als die, die sich die FDP
immer herausgesucht hat .


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)


Auch ich widme mich deutlich lieber den Interessen von
Langzeitarbeitslosen als denen von Hoteliers .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie des Abg . Matthias W . Birkwald [DIE LINKE])


Aber das Ergebnis ist in beiden Fällen ein sehr enger
Blick auf die Welt .


(Katja Kipping [DIE LINKE]: Kennen Sie die Stellungnahme vom DGB dazu?)


– Ich kenne auch die Stellungnahme vom DGB . Dazu
komme ich noch .

Sie erzählen Geschichten von Betroffenen; das ist auch
gut so . Viele dieser Geschichten müssen erzählt und auch
gehört werden . Aber die Geschichten, die Sie erzählen,
sind nicht die einzigen Geschichten, sie repräsentieren
nie das Ganze . Es gibt Geschichten, in denen Menschen
Unrecht widerfahren ist, und es gibt Erfolgsgeschichten,
in denen dank der Unterstützung durch unsere Jobcenter
und dem eigenen Engagement der Weg in gute Arbeit ge­
lungen ist . Es gibt auch diejenigen, deren Leben nicht
immer leicht ist, die Kinder versorgen oder sich um ihre
Eltern kümmern und trotzdem Vollzeit arbeiten, ohne da­
bei viel zu verdienen, für die es aber selbstverständlich
ist, ihren Lebensunterhalt selbst zu erwirtschaften, und
die es als gerecht empfinden, dass auch andere sich dafür
anstrengen müssen, die es als gerecht empfinden, dass
man eigenes Engagement einfordert .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie des Abg . Manfred Grund [CDU/CSU])


Es gibt auch diejenigen, die unter für uns inakzeptab­
len Bedingungen eine Ausbildung absolvieren und been­
den, weil es für sie inakzeptabel und unvorstellbar ist,
alles einfach hinzuschmeißen . Sie beißen sich durch und
erwarten dies auch von anderen .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Es steht außer Frage, dass wir Eltern und Pflegende
unterstützen; das tun wir . Ich erspare Ihnen, aufzuzählen,
was wir alles Gutes tun, schon getan haben und noch tun
werden . Es steht auch außer Frage, dass wir uns nicht nur
um die Quantität, sondern auch um die Qualität von Aus­
bildung kümmern müssen . Dieses Thema steht oftmals
bei der Frage von Ausbildungsfähigkeit und anderem
hintenan . Was ich damit sagen möchte, ist: Es gibt nicht
nur den einen Blickwinkel, aus dem Dinge als gerecht
oder ungerecht empfunden werden, sondern es gibt auch

die anderen . Es lohnt sich, auch diese Geschichten zu er­
zählen und zu hören .

Wenn es um Sanktionen geht, dann wollen wir, dann
will die SPD nicht, dass es so bleibt, wie es ist .


(Beifall bei der SPD)


Wir wollen einiges ändern . Wir wollen eine Anglei­
chung der Sanktionsregeln für unter 25­Jährige und
über 25­Jährige .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wir sehen keinen Grund dafür, junge Menschen härter zu
bestrafen oder zu sanktionieren . Wir sehen keinen Beleg
dafür, dass das dem Ziel der Ausbildungs­ oder Arbeits­
aufnahme zuträglich wäre . Im Gegenteil: Viel zu viele
verabschieden sich dann ganz aus dem System .

Wir wollen, dass die Kosten der Unterkunft und Hei­
zung nicht mehr von Sanktionen erfasst werden .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne­ ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Dr . Wolfgang Strengmann­Kuhn [BÜND­ NIS 90/DIE GRÜNEN]: Wo bleibt der Gesetzentwurf?)


Sanktionen sollen eine Erwartung an Mitwirkung zum
Ausdruck bringen . Sie sollen und dürfen Menschen nicht
in noch größere soziale Not oder Obdachlosigkeit treiben .
Aber wir wollen eben nicht auf die Mitwirkungspflicht
verzichten . Ich habe das schon in der letzten Debatte ge­
sagt: Keine Erwartung an Menschen zu haben, ist kein
Zeichen von Respekt . Ihnen Arbeit und die selbstständi­
ge Sicherung ihres Lebensunterhalts zuzutrauen und sie
dabei zu unterstützen, das ist ein Zeichen von Respekt .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN)


Die Möglichkeiten und Probleme von Arbeitslosen
sind unterschiedlich . Wenn wir mehr Gerechtigkeit wol­
len, müssen wir das stärker berücksichtigen als bisher .
Deswegen müssen wir dort ansetzen, wo wir ihre Rechte
stärken und das Fördern und Fordern in eine bessere Ba­
lance bringen . Wir brauchen individuelle Lösungen für
individuelle Problemlagen .

Zentrales Instrument hierfür ist aus unserer Sicht die
Eingliederungsvereinbarung . Dabei sind uns drei Dinge
wichtig .

Erstens . Die Eingliederungsvereinbarung muss sich
an den Kompetenzen, Interessen und Neigungen der oder
des Arbeitslosen orientieren . Daran sind auch die Instru­
mente und Angebote auszurichten . Diese sind konkret in
der Vereinbarung festzulegen .

Zweitens . Die Information muss stimmen . Arbeitslose
müssen besser über ihre Rechte und Pflichten aufgeklärt
werden, und zwar in einfacher und verständlicher Spra­
che . Lange juristische Rechtsbelehrungen sind nicht der
Sinn einer Eingliederungsvereinbarung .


(Beifall bei der SPD)







(A) (C)



(B) (D)


Drittens . Wir wollen in diesem Prozess die Rechte der
Arbeitslosen stärken . Wir wollen das Recht, einmal die
Betreuerin oder den Betreuer zu wechseln . Wir wollen
eine Obperson, die bei unterschiedlichen Auffassungen
über den Inhalt oder die Umsetzung der Eingliederungs­
vereinbarung als neutrale Instanz vermittelt . Wir wollen,
dass am Ende eine einvernehmlich geschlossene Verein­
barung steht . Denn aus unserer Sicht ist das der beste
Weg zum Erfolg .


(Beate Müller­Gemmeke [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Wann kommt der Gesetzent­ wurf?)


Wir sind aber auch der Ansicht, dass das, was von beiden
Seiten dort festgehalten wird, bei Nichteinhaltung sank­
tioniert werden kann, aber nur das . Sanktionen müssen
ihren Sinn erfüllen . Sie sind keine Strafe, und sie erset­
zen auch nicht die pädagogische Betreuung im Einglie­
derungsprozess . Sanktionen müssen letztendlich einen
Beitrag zum Erfolg des Eingliederungsprozesses leisten .

Wir fühlen uns in unserer Position durch die Anhörung
bestätigt: Wir wollen die Sanktionen nicht abschaffen, sie

aber ändern, die Regelungen für unter 25­Jährige an die
Regelungen für über 25­Jährige anpassen und die KdU
ausnehmen . Außerdem wollen wir Beratung, Information
und das Fördern verbessern und die Eingliederungsver­
einbarung zu einem echten, beidseitig akzeptierten Ver­
trag machen . Wir wollen Menschen in Arbeit bringen, sie
unabhängig von staatlichen Leistungen und stolz auf das
von ihnen Geleistete machen . Oder um es mit Voltaires
Wahlspruch zu sagen: Immer an die Arbeit!

In diesem Sinn: Glück auf!


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1812716700

Bevor wir in der Debatte fortfahren, gebe ich Ihnen das

von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte
Ergebnis der namentlichen Abstimmung bekannt: ab­
gegebene Stimmen 568 . Mit Ja haben 450 Kolleginnen
und Kollegen gestimmt, mit Nein 116, und 2 Kollegin­
nen oder Kollegen haben sich enthalten . Die Beschluss­
empfehlung ist damit angenommen .

Endgültiges Ergebnis

Abgegebene Stimmen: 567;
davon

ja: 449
nein: 116
enthalten: 2

Ja

CDU/CSU

Stephan Albani
Katrin Albsteiger
Artur Auernhammer
Thomas Bareiß
Norbert Barthle
Günter Baumann
Maik Beermann
Manfred Behrens (Börde)

Veronika Bellmann
Sybille Benning
Dr . Andre Berghegger
Dr . Christoph Bergner
Ute Bertram
Peter Beyer
Steffen Bilger
Clemens Binninger
Peter Bleser
Dr . Maria Böhmer
Wolfgang Bosbach
Norbert Brackmann
Klaus Brähmig
Michael Brand
Dr . Reinhard Brandl

Helmut Brandt
Dr . Ralf Brauksiepe
Dr . Helge Braun
Heike Brehmer
Ralph Brinkhaus
Cajus Caesar
Gitta Connemann
Alexandra Dinges­Dierig
Alexander Dobrindt
Michael Donth
Thomas Dörflinger
Marie­Luise Dött
Hansjörg Durz
Iris Eberl
Jutta Eckenbach
Dr . Bernd Fabritius
Hermann Färber
Enak Ferlemann
Ingrid Fischbach
Dirk Fischer (Hamburg)

Dr . Maria Flachsbarth
Thorsten Frei
Dr . Astrid Freudenstein
Dr . Hans­Peter Friedrich


(Hof)

Michael Frieser
Dr . Michael Fuchs
Hans­Joachim Fuchtel
Alexander Funk
Ingo Gädechens
Dr . Thomas Gebhart
Alois Gerig
Eberhard Gienger

Josef Göppel
Reinhard Grindel
Ursula Groden­Kranich
Hermann Gröhe
Klaus­Dieter Gröhler
Michael Grosse­Brömer
Astrid Grotelüschen
Markus Grübel
Manfred Grund
Oliver Grundmann
Monika Grütters
Dr . Herlind Gundelach
Fritz Güntzler
Olav Gutting
Christian Haase
Florian Hahn
Dr . Stephan Harbarth
Gerda Hasselfeldt
Matthias Hauer
Mark Hauptmann
Dr . Stefan Heck
Dr . Matthias Heider
Helmut Heiderich
Mechthild Heil
Frank Heinrich (Chemnitz)

Mark Helfrich
Uda Heller
Jörg Hellmuth
Rudolf Henke
Michael Hennrich
Ansgar Heveling
Peter Hintze
Dr . Heribert Hirte

Robert Hochbaum
Thorsten Hoffmann


(Dortmund)

Alexander Hoffmann
Karl Holmeier
Franz­Josef Holzenkamp
Dr . Hendrik Hoppenstedt
Margaret Horb
Bettina Hornhues
Charles M . Huber
Anette Hübinger
Hubert Hüppe
Erich Irlstorfer
Thomas Jarzombek
Sylvia Jörrißen
Andreas Jung
Dr . Franz Josef Jung
Xaver Jung
Dr . Egon Jüttner
Bartholomäus Kalb
Hans­Werner Kammer
Steffen Kampeter
Steffen Kanitz
Alois Karl
Anja Karliczek
Bernhard Kaster
Volker Kauder
Dr . Stefan Kaufmann
Roderich Kiesewetter
Dr . Georg Kippels
Volkmar Klein
Jürgen Klimke
Axel Knoerig

Dagmar Schmidt (Wetzlar)







(A) (C)



(B) (D)


Jens Koeppen
Markus Koob
Carsten Körber
Hartmut Koschyk
Kordula Kovac
Michael Kretschmer
Gunther Krichbaum
Dr . Günter Krings
Rüdiger Kruse
Bettina Kudla
Dr . Roy Kühne
Günter Lach
Uwe Lagosky
Dr . Karl A . Lamers
Andreas G . Lämmel
Dr . Norbert Lammert
Katharina Landgraf
Ulrich Lange
Barbara Lanzinger
Dr . Silke Launert
Paul Lehrieder
Dr . Katja Leikert
Dr . Philipp Lengsfeld
Dr . Andreas Lenz
Philipp Graf Lerchenfeld
Antje Lezius
Ingbert Liebing
Matthias Lietz
Andrea Lindholz
Dr . Carsten Linnemann
Patricia Lips
Wilfried Lorenz
Dr . Claudia Lücking­Michel
Dr . Jan­Marco Luczak
Daniela Ludwig
Karin Maag
Yvonne Magwas
Thomas Mahlberg
Gisela Manderla
Matern von Marschall
Hans­Georg von der Marwitz
Andreas Mattfeldt
Stephan Mayer (Altötting)

Reiner Meier
Dr . Michael Meister
Jan Metzler
Maria Michalk
Dr . h .c . Hans Michelbach
Dr . Mathias Middelberg
Dietrich Monstadt
Karsten Möring
Volker Mosblech
Elisabeth Motschmann
Dr . Gerd Müller

(Braun­ schweig)


Stefan Müller (Erlangen)

Dr . Philipp Murmann
Michaela Noll
Helmut Nowak
Dr . Georg Nüßlein
Julia Obermeier
Wilfried Oellers
Dr . Tim Ostermann
Henning Otte
Florian Oßner
Ingrid Pahlmann
Sylvia Pantel
Martin Patzelt
Dr . Martin Pätzold
Ulrich Petzold
Dr . Joachim Pfeiffer
Eckhard Pols
Thomas Rachel
Kerstin Radomski
Alexander Radwan
Alois Rainer
Dr . Peter Ramsauer
Eckhardt Rehberg
Lothar Riebsamen
Josef Rief
Dr . Heinz Riesenhuber
Johannes Röring
Erwin Rüddel
Albert Rupprecht
Anita Schäfer (Saalstadt)

Dr . Wolfgang Schäuble
Andreas Scheuer
Karl Schiewerling
Jana Schimke
Norbert Schindler
Tankred Schipanski
Heiko Schmelzle
Gabriele Schmidt (Ühlingen)

Ronja Schmitt
Patrick Schnieder
Nadine Schön (St . Wendel)

Dr . Ole Schröder
Dr . Kristina Schröder


(Wiesbaden)

Bernhard Schulte­Drüggelte
Dr . Klaus­Peter Schulze
Uwe Schummer

(Weil am Rhein)

Christina Schwarzer
Detlef Seif
Johannes Selle
Reinhold Sendker
Dr . Patrick Sensburg
Bernd Siebert
Thomas Silberhorn

Johannes Singhammer
Tino Sorge
Jens Spahn
Carola Stauche
Dr . Frank Steffel
Dr. Wolfgang Stefinger
Albert Stegemann
Peter Stein
Erika Steinbach
Sebastian Steineke
Johannes Steiniger
Christian Frhr . von Stetten
Dieter Stier
Rita Stockhofe
Gero Storjohann
Stephan Stracke
Max Straubinger
Matthäus Strebl
Thomas Stritzl
Thomas Strobl (Heilbronn)

Lena Strothmann
Michael Stübgen
Dr . Sabine Sütterlin­Waack
Dr . Peter Tauber
Antje Tillmann
Dr . Hans­Peter Uhl
Dr . Volker Ullrich
Arnold Vaatz
Oswin Veith
Thomas Viesehon
Michael Vietz
Sven Volmering
Christel Voßbeck­Kayser
Dr . Johann Wadephul
Marco Wanderwitz
Nina Warken
Kai Wegner
Albert Weiler
Marcus Weinberg (Hamburg)

Dr . Anja Weisgerber
Peter Weiß (Emmendingen)

Sabine Weiss (Wesel I)

Ingo Wellenreuther
Karl­Georg Wellmann
Marian Wendt
Waldemar Westermayer
Kai Whittaker
Peter Wichtel
Annette Widmann­Mauz
Heinz Wiese (Ehingen)

Elisabeth Winkelmeier­

Becker
Oliver Wittke
Dagmar G . Wöhrl
Barbara Woltmann
Heinrich Zertik

Emmi Zeulner
Dr . Matthias Zimmer
Gudrun Zollner

SPD

Niels Annen
Ingrid Arndt­Brauer
Rainer Arnold
Heike Baehrens
Ulrike Bahr
Heinz­Joachim Barchmann
Dr . Katarina Barley
Doris Barnett
Dr . Matthias Bartke
Sören Bartol
Bärbel Bas
Lothar Binding (Heidelberg)

Burkhard Blienert
Willi Brase
Dr . Karl­Heinz Brunner
Edelgard Bulmahn
Marco Bülow
Dr . Lars Castellucci
Petra Crone
Dr . Daniela De Ridder
Dr . Karamba Diaby
Sabine Dittmar
Elvira Drobinski­Weiß
Siegmund Ehrmann
Michaela Engelmeier
Dr . h .c . Gernot Erler
Petra Ernstberger
Saskia Esken
Karin Evers­Meyer
Dr . Johannes Fechner
Dr . Fritz Felgentreu
Elke Ferner
Christian Flisek
Gabriele Fograscher
Dr . Edgar Franke
Ulrich Freese
Dagmar Freitag
Michael Gerdes
Martin Gerster
Iris Gleicke
Angelika Glöckner
Ulrike Gottschalck
Kerstin Griese
Gabriele Groneberg
Michael Groß
Uli Grötsch
Wolfgang Gunkel
Bettina Hagedorn
Rita Hagl­Kehl
Metin Hakverdi

Vizepräsidentin Petra Pau






(A) (C)



(B) (D)


Ulrich Hampel
Sebastian Hartmann
Dirk Heidenblut
Gabriela Heinrich
Marcus Held
Wolfgang Hellmich
Heidtrud Henn
Gustav Herzog
Gabriele Hiller­Ohm
Thomas Hitschler
Dr . Eva Högl
Matthias Ilgen
Christina Jantz
Frank Junge
Thomas Jurk
Oliver Kaczmarek
Johannes Kahrs
Ralf Kapschack
Gabriele Katzmarek
Ulrich Kelber
Marina Kermer
Arno Klare
Lars Klingbeil
Dr. Bärbel Kofler
Birgit Kömpel
Anette Kramme
Dr . Hans­Ulrich Krüger
Helga Kühn­Mengel
Christine Lambrecht
Steffen­Claudio Lemme
Burkhard Lischka
Hiltrud Lotze
Kirsten Lühmann
Dr . Birgit Malecha­Nissen
Caren Marks
Katja Mast
Dr . Matthias Miersch
Klaus Mindrup
Susanne Mittag
Bettina Müller
Michelle Müntefering
Dr . Rolf Mützenich
Ulli Nissen
Mahmut Özdemir (Duisburg)

Aydan Özoguz
Thomas Oppermann
Markus Paschke
Christian Petry
Jeannine Pflugradt
Detlev Pilger
Sabine Poschmann
Achim Post (Minden)

Florian Post
Joachim Poß
Dr . Wilhelm Priesmeier
Florian Pronold

Dr . Sascha Raabe
Dr . Simone Raatz
Martin Rabanus
Stefan Rebmann
Gerold Reichenbach
Dr . Carola Reimann
Andreas Rimkus
Sönke Rix
Dennis Rohde
Dr . Martin Rosemann
Dr . Ernst Dieter Rossmann
Susann Rüthrich
Bernd Rützel
Sarah Ryglewski
Johann Saathoff
Annette Sawade
Dr . Hans­Joachim

Schabedoth
Axel Schäfer (Bochum)

Marianne Schieder
Udo Schiefner
Dr . Dorothee Schlegel
Ulla Schmidt (Aachen)

Matthias Schmidt (Berlin)

Dagmar Schmidt (Wetzlar)

Carsten Schneider (Erfurt)

Ursula Schulte
Swen Schulz (Spandau)

Ewald Schurer
Frank Schwabe
Stefan Schwartze
Andreas Schwarz
Rainer Spiering
Norbert Spinrath
Svenja Stadler
Martina Stamm­Fibich
Sonja Steffen
Peer Steinbrück
Christoph Strässer
Kerstin Tack
Claudia Tausend
Michael Thews
Dr . Karin Thissen
Franz Thönnes
Carsten Träger
Rüdiger Veit
Ute Vogt
Dirk Vöpel
Gabi Weber
Bernd Westphal
Dirk Wiese
Gülistan Yüksel
Dagmar Ziegler
Stefan Zierke
Dr . Jens Zimmermann
Manfred Zöllmer

Brigitte Zypries

Nein

SPD

Klaus Barthel
Dr . Ute Finckh­Krämer
Hilde Mattheis
Waltraud Wolff


(Wolmirstedt)


DIE LINKE

Jan van Aken
Dr . Dietmar Bartsch
Herbert Behrens
Karin Binder
Matthias W . Birkwald
Heidrun Bluhm
Christine Buchholz
Eva Bulling­Schröter
Roland Claus
Sevim Dagdelen
Dr . Diether Dehm
Klaus Ernst
Nicole Gohlke
Dr . Gregor Gysi
Dr . Andre Hahn
Heike Hänsel
Dr . Rosemarie Hein
Inge Höger
Andrej Hunko
Sigrid Hupach
Ulla Jelpke
Kerstin Kassner
Katja Kipping
Jan Korte
Jutta Krellmann
Katrin Kunert
Sabine Leidig
Michael Leutert
Stefan Liebich
Dr . Gesine Lötzsch
Thomas Lutze
Birgit Menz
Cornelia Möhring
Niema Movassat
Norbert Müller (Potsdam)

Dr . Alexander S . Neu
Thomas Nord
Petra Pau
Richard Pitterle
Martina Renner
Dr . Petra Sitte
Kersten Steinke
Dr . Kirsten Tackmann

Frank Tempel
Dr . Axel Troost
Alexander Ulrich
Kathrin Vogler
Dr . Sahra Wagenknecht
Halina Wawzyniak
Katrin Werner
Birgit Wöllert
Jörn Wunderlich
Hubertus Zdebel

BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN

Kerstin Andreae
Annalena Baerbock
Volker Beck (Köln)

Dr . Franziska Brantner
Agnieszka Brugger
Ekin Deligöz
Katja Dörner
Katharina Dröge
Harald Ebner
Dr . Thomas Gambke
Matthias Gastel
Kai Gehring
Katrin Göring­Eckardt
Anja Hajduk
Britta Haßelmann
Dr . Anton Hofreiter
Bärbel Höhn
Dieter Janecek
Uwe Kekeritz
Katja Keul
Sven­Christian Kindler
Maria Klein­Schmeink
Sylvia Kotting­Uhl
Oliver Krischer
Stephan Kühn (Dresden)

Christian Kühn (Tübingen)

Renate Künast
Markus Kurth
Monika Lazar
Steffi Lemke
Dr . Tobias Lindner
Nicole Maisch
Peter Meiwald
Beate Müller­Gemmeke
Özcan Mutlu
Dr . Konstantin von Notz
Omid Nouripour
Friedrich Ostendorff
Cem Özdemir
Lisa Paus
Brigitte Pothmer
Tabea Rößner

Vizepräsidentin Petra Pau






(A) (C)



(B) (D)


Claudia Roth (Augsburg)

Corinna Rüffer
Manuel Sarrazin
Elisabeth Scharfenberg
Ulle Schauws
Dr . Gerhard Schick

Dr . Frithjof Schmidt
Kordula Schulz­Asche
Dr . Wolfgang Strengmann­

Kuhn
Hans­Christian Ströbele
Dr . Harald Terpe

Markus Tressel
Jürgen Trittin
Dr . Julia Verlinden
Doris Wagner
Beate Walter­Rosenheimer
Dr . Valerie Wilms

Enthalten

SPD

Petra Hinz (Essen)

Dr . Nina Scheer

Wir kommen zurück zur Debatte zum Thema „Sank­
tionen bei Harz IV und Sozialhilfe“ . Das Wort hat die
Kollegin Katja Kipping für die Fraktion Die Linke .


(Beifall bei der LINKEN)



Katja Kipping (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1812716800

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Lin­

ke beantragt heute die Abschaffung der Hartz­IV­Sank­
tionen .


(Max Straubinger [CDU/CSU]: Mal wieder!)


Die Sanktionen besagen, dass der ohnehin niedrige
Regelsatz gekürzt wird – erst um 10 Prozent, dann um
30 Prozent, dann um 60 Prozent – und am Ende sogar
ganz gestrichen werden kann . Wir wollen mit dieser Re­
gelung Schluss machen . Denn wir sind überzeugt: Beim
soziokulturellen Existenzminimum handelt es sich um
ein Grundrecht .


(Beifall bei der LINKEN)


Ich bitte Sie, nicht gleich die Schotten dichtzumachen,
sondern sich einmal gegenüber der Idee der sozialen
Grundrechte zu öffnen . Ein Grundrecht steht jedem hier
lebenden Menschen zu, und das ganz unabhängig davon,
ob er Erfolg auf dem Erwerbsarbeitsmarkt hat, unabhän­
gig davon, wo er geboren wurde, und – ja – auch un­
abhängig davon, ob er sich in einer Behörde als braver
Untertan erwiesen hat oder eben nicht . Grundrechte muss
man sich nicht verdienen .


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord­ neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Das mag in Ihren Ohren ungewohnt klingen; aber so
neu ist das gar nicht . Denken wir nur an die Freiheits­
grundrechte wie beispielsweise das Recht auf Demons­
trationsfreiheit .


(Max Straubinger [CDU/CSU]: Aber Freiheit bedeutet auch Verantwortung!)


Dieses gilt für alle, ohne dass man es sich vorher ver­
dienen muss, ohne dass man vorher nachweisen muss,
so und so viele Artikel zu einem Thema gelesen und sich
eine fundierte Meinung gebildet zu haben . Ich meine,
keine Instanz hat das Recht, zu entscheiden, ob jemand
würdig ist, Grundrechte zu tragen, und das ist gut so .


(Beifall bei der LINKEN)


Die Praxis bei Hartz IV ist leider das komplette
Gegenteil . So führen die Sanktionen in der Praxis zu
existenzieller Not . Nun werden Sie sicherlich einwen­
den: Es ist ja nur ein kleiner Teil der Menschen, der wirk­

lich sanktioniert wird . – Fakt ist aber, dass deutlich mehr
davon bedroht sind .


(Dr . Wolfgang Strengmann­Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Alle!)


Allein die Tatsache, dass der Regelsatz gekürzt werden
kann, hängt wie ein Damoklesschwert über den Betrof­
fenen .


(Tino Sorge [CDU/CSU]: Ja, zu Recht! – Gegenrufe von der LINKEN: Wie bitte? – Was soll das denn heißen?)


– Ich finde, es muss unbedingt ins Protokoll aufgenom­
men werden, dass aus den Reihen der CDU/CSU gesagt
wird: Zu Recht hängt über Erwerbslosen ein Damokles­
schwert . – Das sagt sehr viel über Ihr Bild vom Men­
schen .


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Diese existenzielle Bedrohung mindert die Wehrhaf­
tigkeit, im Übrigen auch bei Bewerbungsgesprächen .
Versetzen Sie sich doch einmal in die Situation einer
Hartz­IV­Betroffenen, dem in einem Bewerbungsge­
spräch ein niedriger Lohn und schlechte Arbeitszeiten
angeboten werden . Wie sehr wird sie für familienfreund­
lichere Arbeitszeiten streiten können, wenn sie Angst
haben muss, dass solche Forderungen in der Behörden­
sprache fehlende Mitwirkung bedeuten und am Ende zu
einer Kürzung des Arbeitslosengeldes II führen können?
Das ist keine Theorie, sondern in der Praxis leider vor­
gekommen . Frau Schmidt, hier irren Sie: Die Sanktio­
nen betreffen eben nicht nur Langzeiterwerbslose . Sie
betreffen gleichermaßen die Erwerbsarbeitswirklichkeit .
Ja, Hartz­IV­Sanktionen sind auch ein Angriff auf gute
Arbeit und gute Löhne .


(Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Zu diesem Angriff sagen wir deutlich Nein!


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord­ neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Unsere Kritik an den Hartz­IV­Sanktionen wird von zu­
nehmend mehr Menschen und Gruppen geteilt . Denken
wir nur an die vielen Menschen, die sich in großer Sorge
um Ralph Boes an den Bundestag gewandt haben . Ralph
Boes, der infolge einer 100­Prozent­Sanktion kein Essen
mehr aufnimmt, verfolgt unsere Debatte heute von der
Tribüne aus – wie übrigens auch Inge Hannemann .


(Beifall bei der LINKEN sowie der Abg . Corinna Rüffer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ­ NEN])


Vizepräsidentin Petra Pau






(A) (C)



(B) (D)


Mit Blick auf die heutige Abstimmung haben sich
auch noch einmal verschiedene Organisationen, wie die
Diakonie und die Nationale Armutskonferenz, zu Wort
gemeldet und sich klar gegen Sanktionen ausgesprochen .
In der Stellungnahme der Diakonie heißt es – Zitat –:

Das Grundrecht auf ein soziokulturelles Existenz­
minimum darf nicht beschnitten werden .

Weiter schreibt die Diakonie:

Arbeitslose Menschen brauchen Hilfen, die an ihrer
persönlichen Not ansetzen . Wir sollten ihnen Brü­
cken in die Arbeitswelt bauen und nicht zusätzlich
Steine in den Weg legen .


(Beifall bei der LINKEN)


Nun behandeln wir heute auch einen Antrag der Grü­
nen . Dazu möchte ich einiges sagen:

Sie sprechen sich in diesem Antrag für ein Sank­
tionsmoratorium aus . Ich selber war Mitinitiatorin einer
Initiative dafür und hätte das Sanktionsmoratorium als
einen ersten wichtigen Schritt gerne unterstützt . Leider
fordern Sie in Ihrem Antrag auch – Zitat –:

. . . bei Kürzungen über 10 Prozent des Regelsatzes
sind antragslos entsprechende Sachleistungen zu er­
bringen . . .

Das heißt also, Ihrem Antrag zufolge sollen auch weiter­
hin Sanktionen von über 10 Prozent möglich sein . Aus
diesem Grund können wir uns bei Ihrem Antrag leider
nur enthalten .

Die Linke lehnt Sanktionen generell ab . Es gibt aber
zwei besonders grausame Formen der Sanktionen – das
haben Sie angesprochen, Frau Schmidt –: die Sank­
tionierung der Kosten der Unterkunft und die soforti­
ge 100­Prozent­Sanktion bei jungen Menschen unter
25 Jahren .

In der Vergangenheit hat sich Ihre Fraktion immer
wieder kritisch dazu geäußert – Sie jetzt auch –, und es
war schon einmal Konsens zwischen allen Bundeslän­
dern, dass man zumindest diese grausamen Formen ab­
schafft . Nur Bayern war dagegen .


Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1812716900

Kollegin Kipping, Sie haben die Chance, die Redezeit

nicht zu überziehen, wenn Sie eine Frage oder eine Be­
merkung zulassen .


Katja Kipping (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1812717000

Ja, gerne .


Tino Sorge (CDU):
Rede ID: ID1812717100

Vielen Dank, Frau Präsidentin . – Ich wollte keine Fra­

ge stellen, sondern lediglich etwas richtigstellen, weil die
Kollegin Kipping bei einem Zwischenruf, den ich getä­
tigt habe, meinte, ich bzw . meine Fraktion teile die Auf­
fassung, dass die Drohung, die Regelsätze zu kürzen, zu
Recht erfolge .


(Widerspruch bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ich möchte nur darauf hinweisen, dass Sie den Zwi­
schenruf offensichtlich nicht richtig verstanden oder be­
wusst missverstanden haben . Weil Sie darauf hinwiesen,
dass es Rechte gibt,


(Zuruf von der LINKEN: Steht im Protokoll!)


habe ich lediglich gesagt, dass zu Rechten auch Pflichten
gehören . Das wollte ich hier nur richtiggestellt haben .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Dr . Wolfgang Strengmann­Kuhn [BÜND­ NIS 90/DIE GRÜNEN]: Das war aber nicht der Zwischenruf! Das kann man im Protokoll nachlesen, wie der Zwischenruf war!)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1812717200

Es liegt jetzt in Ihrem Geschick – wenn der Kollege

auch noch eine oder auch nur eine halbe Minute stehen
bleibt –, die Antwort auf die Richtigstellung und das
Ende Ihrer Rede in dieser Zeit unterzubringen . – Ich bitte
also darum, auf die Zeit zu achten .


Katja Kipping (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1812717300

Ich freue mich sehr über Ihre nachdrückliche Korrek­

tur des Zwischenrufs und kann nur in Richtung SPD sa­
gen: Es besteht also noch die Chance, dass es selbst in der
CDU eine gewisse Lernfähigkeit gibt . – Vor diesem Hin­
tergrund bitte ich Sie: Lassen Sie sich von der CSU hier
nicht am Ring durch die Manege ziehen . Setzen Sie auch
gegenüber Herrn Seehofer durch, dass auf jeden Fall die­
se besonders grausamen Sanktionsformen abgeschafft
werden . Vielleicht wollen Sie dann ja auch zustimmen .


(Max Straubinger [CDU/CSU]: Es gibt kei­ ne grausamen Sanktionsformen! Es gibt nur rechtliche!)


Abschließend möchte ich sagen: Die Abschaffung der
Sanktionen kostet uns nicht viel . Wenn wir aber weiter
so fortfahren wie bisher, dann bezahlen die Betroffenen
mit existenzieller Not . Deswegen sage ich: Bei dieser
Abstimmung geht es nicht nur um Gesetze, sondern auch
um menschliche Schicksale .


(Max Straubinger [CDU/CSU]: Um die geht es immer!)


Also: Folgen Sie Ihrem Gewissen, und stimmen Sie
unserem Antrag zu!

Herzlichen Dank .


(Beifall bei der LINKEN)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1812717400

Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat der Kol­

lege Dr . Wolfgang Strengmann­Kuhn das Wort .


(Jutta Eckenbach [CDU/CSU]: Ich würde auch noch gerne reden!)


– Ich entschuldige mich . Bei mir hier vorne ist etwas
durcheinandergeraten . – Bevor die Fraktion Bündnis 90/
Die Grünen das Wort hat, hat natürlich eine Rednerin der

Katja Kipping






(A) (C)



(B) (D)


Koalitionsfraktionen das Wort, nämlich ganz konkret die
Kollegin Jutta Eckenbach für die CDU/CSU­Fraktion .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Jutta Eckenbach (CDU):
Rede ID: ID1812717500

Da habe ich ja noch mal Glück gehabt, Frau Präsiden­

tin, dass Sie jetzt in der richtigen Reihenfolge aufgerufen
haben .

Frau Präsidentin! Liebe Kollegen! Liebe Kolleginnen!
Die Arbeitsmarktreformen der letzten zehn Jahre wirken
und sorgen mit dafür, dass noch niemals so viele Men­
schen in Deutschland Arbeit hatten wie heute . Die Zah­
len sind ganz frisch: Wir haben 43 Millionen Erwerbs­
tätige, davon 30 Millionen sozialversicherungspflichtig.
Die Arbeitslosenzahlen sind weiter gesunken . Auch bei
den Langzeitarbeitslosen sind Fortschritte erkennbar .
Hier sind wir sicher auf dem richtigen Weg .


(Zuruf des Abg . Matthias W . Birkwald [DIE LINKE])


Die Nachfrage nach Arbeitskräften ist weiter sehr stark .
Das zeigt sich in den Unternehmensdienstleistungen, im
Bereich Pflege, Soziales und im Handel.


(Beate Müller­Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was hat das mit dem Thema zu tun?)


600 000 freie Stellen weist der Arbeitsmarkt auf . Diese
augenblickliche Situation kann uns den Rückhalt geben,
die kommenden Herausforderungen auf dem Arbeits­
markt mittelfristig zu meistern .

Sehr geehrte Damen und Herren, heute sprechen wir
nicht zum ersten Mal, sondern zum wiederholten Male
über die Abschaffung von Sanktionen . Vielleicht haben
die Antragsteller darauf spekuliert, wir wären genervt .
Dazu kann ich Ihnen heute nur sagen: Den Zeitpunkt hät­
ten Sie nicht besser wählen können, als heute darüber zu
reden . Denn gerade jetzt, in Anbetracht von 10 000 oder
100 000 Menschen, die im kommenden Jahr als neue –
zugewanderte – Leistungsempfänger ins SGB II kom­
men werden, ist es dringend geboten, über die Einhal­
tung von Regeln und somit auch über das Fördern und
Fordern hier im Bundestag zu sprechen .


(Dr . Wolfgang Strengmann­Kuhn [BÜND­ NIS 90/DIE GRÜNEN]: Was ist denn mit den Regelungen des Bundesverfassungsgerichts? Was ist denn mit dem Grundgesetz? Das ist die oberste Regel!)


Wir haben das Prinzip des Förderns und Forderns vor
Jahren eingeführt, um deutlich zu machen, dass Men­
schen geholfen wird und sie dabei eben auch mithelfen
müssen . Die Gemeinschaft hilft und darf zu Recht die
Mitwirkung und den Willen des Hilfesuchenden erwar­
ten . Diese grundlegende Einstellung spiegelt auch sozia­
les Denken wider .


(Beate Müller­Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau dieser Generalverdacht! Menschen, die noch nicht arbeitslos sind, sol­ len schon einbezogen werden!)


Damit wird sofort klar: Es geht nicht um Bestrafung oder
Sanktionen, sondern darum, den Betroffenen in die Lage
zu versetzen, die Notsituation auch schnell wieder ver­
lassen zu können .


(Zuruf der Abg . Katja Kipping [DIE LINKE])


Das Prinzip des Förderns und Forderns und somit die
Sanktionsregeln haben sich bewährt . In unserer öffent­
lichen Anhörung wurde das auch eindrucksvoll, Frau
Kipping, wiedergegeben und bestätigt .


(Katja Kipping [DIE LINKE]: Das stimmt überhaupt nicht! Wo waren Sie?)


Die Sachverständigen haben überwiegend analysiert,
dass sowohl der bis dato feststellbare Rückgang der
Arbeitslosigkeit insgesamt als auch der Abbau der Lang­
zeitarbeitslosigkeit neben der Konjunktur auch auf unse­
re Arbeitsmarktpolitik zurückzuführen ist .


(Beate Müller­Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was aber nicht an den Sanktionen liegt!)


Die Dosis des Förderns und Forderns ist das Entschei­
dende, und zwar in jedem Einzelfall . Das wird noch nicht
in allen Fällen erreicht; das will ich hier deutlich sagen,
aber es ist und bleibt unser Ziel .

Jedes Zusammenleben von Menschen fordert Regeln .
Es gibt gemeinsame Werte und Überzeugungen in unse­
rem Land, auf denen das gesellschaftliche Miteinander
fußt . Organisiert wird es über Regeln, die man nicht im­
mer gutheißen muss, die aber eben das Rückgrat bilden .

Wer am gesellschaftlichen Miteinander teilhaben will,
sollte die gemeinsamen Regeln beachten . Das gilt für alt­
eingesessene und für neue Bürger gleichermaßen, und
zwar umgehend und nicht erst, nachdem viele Regeln
bereits verletzt wurden .

Auch wenn die Regeln für alle gleichermaßen gelten,
ist es wichtig, die Menschen in ihrer Unterschiedlichkeit
wahrzunehmen und zu akzeptieren . Nicht jeder Jobcen­
ter­Kunde hat in seinem bisherigen Leben Zuverlässig­
keit erlebt oder gelernt . Das muss man hierbei berück­
sichtigen . Ich bin davon überzeugt, dass die Mitarbeiter
in den Jobcentern in der Regel mit Fingerspitzengefühl
und Erfahrung angemessen und im richtigen Tempo re­
agieren .


(Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ­ NEN]: Die haben überhaupt keinen Spiel­ raum!)


Klar sagen muss man aber auch: Sanktionen sind kei­
ne willkürliche Strafe, sondern sie sind eine Rechtsfolge .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg . Dr . Martin Rosemann [SPD])


Dennoch gibt es hier Verbesserungspotenzial; das se­
hen wir auch . Wir wollen dahin kommen, dass wir mehr
Kommunikation, mehr Transparenz und mehr Einfach­
heit, zum Beispiel in der Eingliederungsvereinbarung,
erreichen und dies gemeinsam mit den Betroffenen be­
sprochen wird . Dieses Ziel haben wir, und wir werden

Vizepräsidentin Petra Pau






(A) (C)



(B) (D)


es mit den SGB­II­Rechtsvereinfachungsverfahren auch
anpacken . Ich hoffe, der Koalitionspartner macht mit .


(Beate Müller­Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Darauf warten wir schon seit zwei Jahren!)


Und eines sage ich Ihnen heute auch: Wenn durch ge­
steuerte E­Mail­Aktionen die Leistungsempfänger auf­
gestachelt und gegeneinander ausgespielt werden, ist
das durchschaubar und leider auch erschütternd . Es wird
ein Bild von unserem Land gezeichnet, das falsch ist:
Hungernde Menschen und gequälte Bürger sind weder
Staatsziel, noch sind sie Alltag in Deutschland .

4,3 Millionen Menschen beziehen ALG II, also
Arbeitslosengeld II . Davon sind 1,9 Millionen Menschen
arbeitslos; die anderen arbeiten mindestens 15 Wochen­
stunden, betreuen Kinder oder sind noch in der Aus­
bildung . Von allen Leistungsempfängern verhalten sich
97 Prozent korrekt . Sie nehmen die Termine wahr und
melden sich rechtzeitig . Lediglich 3 Prozent werden
sanktioniert . Das sind immer noch 129 000 Menschen
zu viel . Davon sind 75 Prozent auf Meldeversäumnisse
zurückzuführen . Andersherum gesagt: 97 Prozent halten
sich an die Regeln und werden nicht sanktioniert . Durch­
schnittlich bewirken die Sanktionen eine zeitweise Kür­
zung um etwa 108 Euro im Monat .

Sie hingegen zeichnen ein Zerrbild . Sie ignorieren die
Realität und schüren Verunsicherung bei 97 Prozent der
Betroffenen .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Das heißt nicht, dass es keine Baustellen mehr gibt; das
will ich auch gar nicht sagen . Wir müssen noch weiter
hart daran arbeiten .

Wir haben aber auch Instrumente, die wir einsetzen
können, um den Menschen für ihren späteren Lebensweg
eine Befähigung mitzugeben . Es geht um einfache Tätig­
keiten mit Begleitung, die zu anspruchsvolleren Tätig­
keiten mit wachsender Verantwortung ausgebaut werden .

Unser Ziel ist eine wachsende, wiedererstarkte Kom­
petenz der Menschen für den Arbeitsmarkt . Zugleich
müssen wir bei anderen Gruppen, die jetzt zu uns kom­
men, etwa bei Flüchtlingen mit Bleibeperspektive, eben­
falls eine Kompetenzstärkung in den Fokus nehmen . Ich
bin daher froh, dass die Bundeskanzlerin, die Bundes­
regierung und die Regierungsfraktionen einig sind, dass
die Haushaltsmittel für die Arbeitsförderung angehoben
werden . Damit können wir sowohl die bisherigen Leis­
tungsempfänger als auch die Flüchtlinge gleichermaßen
angemessen fördern und – das darf ich Ihnen heute nicht
ersparen – auch fordern .

In diesen Zeiten mit all den Herausforderungen für die
Funktionsfähigkeit und Funktionsnotwendigkeit unse­
rer Gesellschaft und der von ihr erbrachten Leistungen
mittelfristig eine sanktionsfreie Mindestsicherung von
über 1 000 Euro plus Mehrbedarfe zu fordern, ist kontra­
produktiv und nahezu fahrlässig . Dann wäre es nur noch
ein Schritt bis zum bedingungslosen Grundeinkommen .
Auch diese Botschaft wäre derzeit fatal .

Eine kurzfristige Anhebung des Arbeitslosengeldes II
auf 500 Euro mindestens, wie Sie schreiben, widersprä­
che dem Aktivierungsanreiz und würde ebenfalls als
falsches Signal gewertet . Meine Damen und Herren von
den Grünen, wir plädieren für eine Anhebung der Re­
gelbedarfe, sobald es die Neuberechnung des Existenz­
miniums erforderlich macht, aber nicht vorher und auch
nicht willkürlich .


(Beifall des Abg . Wilfried Oellers [CDU/ CSU])


Eine Änderung der Sanktionsregeln für unter 25­Jäh­
rige hat durchaus prominente Fürsprecher, etwa die Ca­
ritas . Aber ich gebe zu bedenken, dass der überwiegende
Teil der Leistungsempfänger selbst die Sanktionsregeln
befürwortet, da sie den positiven Effekt auf ihre eigene
Disziplin erkennen . Gerade die jungen Menschen stehen
erst am Beginn ihres Berufslebens und profitieren von
den Anreizsystemen .

Eine gute Konjunktur und eine gute Auftragslage
in den Betrieben sind die Voraussetzung und die bes­
te Grundlage für die Schaffung neuer und beständiger
Arbeitsplätze . Aus diesen Gründen – mit neuen Instru­
menten, die wir angehen werden, und neuen Überlegun­
gen, ohne Sanktionen abzuschaffen – werden wir heute
die Anträge der Linken und der Grünen ablehnen, wie
wir das schon im Ausschuss getan haben .

Ich bedanke mich dafür, dass Sie mir zugehört haben .

Herzlichen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge­ ordneten der SPD)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1812717600

Zu einer Kurzintervention hat die Kollegin Kipping

das Wort .


(Zurufe von der CDU/CSU: Hat sie noch nicht genug geredet? – Einfach mal zuhören!)



Katja Kipping (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1812717700

Ich habe Ihnen zugehört, Frau Eckenbach . Sie haben

den Eindruck erweckt, dass in der öffentlichen Anhö­
rung des Ausschusses die jetzige Sanktionspraxis von
fast allen Seiten bestätigt wurde . Dem möchte ich wider­
sprechen . Zunächst einmal möchte ich noch einmal dar­
an erinnern – das wissen vielleicht nicht alle Zuhörer –,
dass die Zusammensetzung der Sachverständigen nach
Fraktionsproporz erfolgt, also Grüne und Linke jeweils
nur einen Sachverständigen benennen können . Der große
Rest wird von den Regierungsfraktionen benannt .

Vor diesem Hintergrund ist es umso bemerkenswer­
ter, dass sich viele Sachverständige, auch diejenigen, die
nicht hundertprozentig dem Antrag der Linken folgen,
sehr kritisch zur gegenwärtigen Sanktionspraxis geäußert
haben und hier deutlichen Verbesserungsbedarf sehen,
gerade wenn es um die Sanktionierung bei Kosten der
Unterkunft und bei jungen Leuten geht . Wer das überprü­
fen möchte, dem kann ich nur empfehlen, das Protokoll
der öffentlichen Anhörung zu lesen . Dort wird deutlich:
Die Front der Kritiker der jetzigen Sanktionspraxis ist

Jutta Eckenbach






(A) (C)



(B) (D)


sehr breit, insbesondere bei denjenigen, die in der Praxis
damit zu tun haben .


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1812717800

Die Kollegin Eckenbach hat das Wort zur Erwiderung .


Jutta Eckenbach (CDU):
Rede ID: ID1812717900

Da ich ebenfalls bei der Anhörung anwesend war, ist

mir aufgefallen, dass der überwiegende Teil der Sachver­
ständigen keine Abschaffung der Sanktionen gefordert
hat – es sei denn, wir hätten an verschiedenen Anhörun­
gen teilgenommen, Frau Kollegin .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1812718000

Nun hat der Kollege Dr . Wolfgang Strengmann­Kuhn

für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das Wort .


(BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Die Mehrheit der Sachverständigen in der Anhörung hat
sich für grundlegende Reformen der Sanktionen ausge­
sprochen,


(Matthias W . Birkwald [DIE LINKE]: So ist es!)


und zwar vonseiten der Wissenschaft, vom IAB, vom
ISG und insbesondere von den beiden christlichen Wohl­
fahrtsverbänden Diakonie und Caritas .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Sie sollten wirklich einmal über das C in Ihrem Parteina­
men nachdenken .


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Dafür brauchen wir Sie nicht!)


Frau Schmidt, in der heutigen Debatte geht es auch
nicht um eine kleine Teilgruppe, sondern um die grund­
sätzliche Frage, in welcher Gesellschaft wir leben wol­
len . Da hat sich bei der Rede von Frau Eckenbach und
noch deutlicher bei dem Zuruf vorhin gezeigt, dass sich
unsere Vorstellung von Gesellschaft fundamental von
Ihrer Vorstellung unterscheidet .


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS­ SES 90/DIE GRÜNEN)


Unsere Vorstellung von Gesellschaft ist: Niemand soll
ausgegrenzt werden . Wir wollen selbstbestimmte Teil­
habe für alle .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Letztlich geht es um Freiheit, und zwar um Freiheit für
alle . Voraussetzung für eine selbstbestimmte Teilhabe für
alle ist eine Grundsicherung ohne Existenzängste und
ohne soziale Ausgrenzung .


(Dr . Matthias Zimmer [CDU/CSU]: Das ist Freiheit ohne Verantwortung!)


Um es deutlich zu sagen: Hartz IV ist nicht die eman­
zipatorische Grundsicherung, wie wir sie uns vorstellen,
und muss deswegen grundlegend geändert und die Be­
strafungslogik der heutigen Sanktionen muss überwun­
den werden .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Die Hartz-IV-Sanktionen sind häufig demütigend, un­
nötig und kontraproduktiv . Deswegen fordern wir ein
Sanktionsmoratorium, also die sofortige Aussetzung al­
ler Sanktionen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Dr . Matthias Zimmer [CDU/CSU]: Mit wel­ chem Ziel denn?)


Im Fall von Ralph Boes, der oben auf der Zuschauertri­
büne sitzt, kann das sogar Menschenleben retten . Auch
das sollte Ihnen vielleicht nicht ganz egal sein .

Nach einer Aussetzung der Sanktionen brauchen wir
eine grundlegende, systematische Evaluation – eine sol­
che gibt es bislang nicht –, aber auch eine ehrliche De­
batte darüber, ob Sanktionen nötig sind und, wenn ja, wie
Sanktionen ausgestaltet sein sollen . Zentral ist, wie ge­
sagt, dass wir aus der Bestrafungslogik herauskommen
und dass das Existenzminimum immer sichergestellt ist .
Ich darf noch einmal daran erinnern, dass es das Bun­
desverfassungsgericht war – so viel zum Thema Regeln,
Frau Eckenbach –,


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)


das gesagt hat, dass aus dem Grundgesetz ein Grundrecht
und Menschenrecht auf Existenzsicherung folgt .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Eine Kürzung des Existenzminimums ist also eigent­
lich nicht mit dem Grundgesetz vereinbar . Deswegen
begrüße ich es sehr, dass die Sozialgerichte Gotha und
Dresden diese Frage an das Bundesverfassungsgericht
weitergegeben haben . Ich bin gespannt, wie das Urteil
ausgeht und ob das Bundesverfassungsgericht die Sank­
tionen ganz untersagt oder zumindest eine Grenze setzt .
Meine persönliche Meinung ist ja: Das Grundrecht auf
Existenzsicherung ist am einfachsten und besten dadurch
sichergestellt, dass das Minimum einfach an alle als
Grundeinkommen ausgezahlt wird .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Dr . Matthias Zimmer [CDU/CSU]: Auch an Millionäre?)


– Auch an Millionäre .


(Dr . Matthias Zimmer [CDU/CSU]: Danke!)


Innerhalb des Systems der Grundsicherung halte ich
aber eine Abschaffung der Sanktionen für schwierig .
Sanktionen sollten im jetzigen System aber auf Aus­
nahmefälle beschränkt sein . Wir Grüne fordern deshalb

Katja Kipping






(A) (C)



(B) (D)


in unserem Antrag eine grundlegende Reform . Es muss
ein Wunsch­ und Wahlrecht für die Arbeitslosen geben .
Sanktionen dürfen nicht verhängt werden, wenn Fähig­
keiten, Wünschen und Vorschlägen der Einzelnen nicht
Rechnung getragen wird . Es dürfen keine Sanktionen
verhängt werden, wenn die Aufnahme von Arbeit ver­
weigert wird, die unterhalb des tariflichen oder örtlichen
Entgelts entlohnt wird . Die heutigen Sanktionsregeln
sind zu starr. Wir finden: Es darf keinen Automatismus
mehr geben, und Sanktionen müssen bei einer Verhal­
tensänderung zurückgenommen werden können . Wich­
tig ist: Wenn sanktioniert wird, dann dürfen höchstens
10 Prozent des Regelsatzes gekürzt werden, damit der
Grundbedarf immer gesichert ist .

Das Mindeste aber ist, dass erstens keine Sanktionen
bei den Kosten der Unterkunft mehr stattfinden. Zwei­
tens . Die verschärften Sanktionen gegen unter 25­Jährige
sind erwiesenermaßen – das haben alle Experten in der
Ausschussanhörung gesagt – unsinnig und kontrapro­
duktiv . Sie gehören abgeschafft .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Bei diesen beiden zuletzt genannten Punkten sind
sich tatsächlich fast alle einig . Alle Experten, die SPD
und fast alle Länder – bis auf eines – sind sich da einig .
Nur die CSU blockiert hier – mal wieder . Ich frage mich
manchmal: Nach Betreuungsgeld, Maut, Griechenland­
Hilfe, Flüchtlingsabschreckung, Hofierung von Viktor
Orban, Blockade bei der Reform von Hartz IV – wann
schmeißen CDU und SPD endlich die CSU aus der Gro­
ßen Koalition raus?


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Ich finde, Seehofer hat lange genug genervt.

Die CSU blockiert damit aber nicht nur eine Reform
der Sanktionen . Seit zwei Jahren verspricht die Bundes­
regierung ein Gesetz zur Vereinfachung der passiven
Leistungen, also der Geldleistungen bei Hartz IV . Auch
wenn wir nicht alle der bisher bekanntgewordenen Vor­
schläge unterstützen und sinnvoll finden: Eine Verein­
fachung ist dringend erforderlich . Die Jobcenter warten
darauf .

Wir wollen eine Vereinfachung der Grundsicherung,
die dafür sorgt, dass sich die Jobcenter endlich auf das
konzentrieren können, wofür sie eigentlich da sind,
nämlich die Vermittlung in Arbeit, und wir wollen eine
Grundsicherung, die das Existenzminimum für alle si­
chert .

Vielen Dank .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1812718100

Für die CDU/CSU­Fraktion hat der Kollege Matthäus

Strebl das Wort .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge­ ordneten der SPD)



Matthäus Strebl (CSU):
Rede ID: ID1812718200

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen

und Kollegen! Deutschland galt Anfang dieses Jahr­
hunderts als der kranke Mann in Europa . Viele Refor­
men mussten gestemmt werden, damit die Wirtschaft in
Deutschland Aufschwung nehmen konnte . Die Hartz­IV­
Reformen haben das Sozialsystem gravierend verändert .
Sie haben sich rückwirkend betrachtet als erfolgreich
und notwendig erwiesen . Zu dem Konzept gehören so­
wohl die Unterstützung durch die Jobcenter als auch das
selbstständige Handeln der Kunden . Deshalb halte ich es
für dringend erforderlich, werte Kolleginnen und Kolle­
gen, dass an dem Konzept „Fördern und Fordern“ fest­
gehalten wird .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Dies beinhaltet auch das Festhalten an Konsequenzen
aufgrund fehlender Mitwirkung, nämlich Sanktionen .

Werte Kolleginnen und Kollegen, „Langzeitarbeitslo­
sigkeit“, „Reformierung von Arbeitsmarktinstrumenten“
und „SGB­II­Rechtsvereinfachung“ sind wichtige The­
men, die wir in unserem Ausschuss auch in Zukunft nicht
vernachlässigen sollten . Hier sollten und müssen wir gute
und zukunftssichere Lösungen finden. Die Bund-Länder-
Gruppe arbeitet weiterhin an Verbesserungen sowohl für
die Jobcenter als auch für die Leistungsberechtigten .


(Beate Müller­Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wann ist die denn fertig?)


Die Abschaffung von Sanktionen hingegen ist aus­
schließlich das Dauerthema der Fraktion Die Linke,


(Katja Kipping [DIE LINKE]: Und der Men­ schen, die davon betroffen sind!)


und das, obwohl die große Masse der Leistungsbezieher
nicht von Sanktionen betroffen ist .


(Zuruf des Abg . Matthias W . Birkwald [DIE LINKE])


Sie halten sich an die gesetzlichen Vorschriften und
sind in der Regel bemüht, den Leistungsbezug zu been­
den . Tatsächlich sind nach einer Studie des Instituts für
Arbeitsmarkt­ und Berufsforschung nur 5 Prozent aller
Kunden davon betroffen .

Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, na­
türlich können wir trotzdem alle bekannten Argumente
und Einwände erneut austauschen, wie wir es so oft getan
haben, auch in dieser Wahlperiode bereits mehrfach in
den Ausschüssen, in der Anhörung und im Plenum .


(Dr . Wolfgang Strengmann­Kuhn [BÜND­ NIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist das normale Verfahren bei Anträgen, dass man das in Aus­ schüssen und in Anhörungen behandelt!)


Nach einer im September dieses Jahres veröffentlich­
ten Statistik der Bundesagentur für Arbeit ist die Zahl
der verhängten Sanktionen in den letzten Jahren leicht
rückläufig. Über 70 Prozent aller Sanktionen werden

Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn






(A) (C)



(B) (D)


aufgrund von Meldeversäumnissen ausgesprochen . Das
Nichteinhalten eines Termins


(Beate Müller­Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Kann viele Ursachen haben!)


ohne berechtigten Grund hat Folgen . Das ist sowohl im
Arbeitsleben und im politischen Alltag als auch im priva­
ten Umgang für jeden nachvollziehbar .


(Dr . Wolfgang Strengmann­Kuhn [BÜND­ NIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann wird immer unter das Existenzminimum gekürzt?)


Warum sollte das anders sein, wenn man Leistungen nach
dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch erhält? Die Frak­
tion Die Linke nennt in ihrem Antrag Beispiele, dass Be­
troffene Meldetermine nicht wahrnehmen, weil sie sich
nicht trauen, die Briefe des Jobcenters zu öffnen . Dies
mag zwar in Ausnahmefällen vorliegen, dennoch stehen
sie nicht stellvertretend für alle sanktionierten Meldever­
säumnisse .

Natürlich bestreite ich nicht, dass jeder Mensch ein
menschenwürdiges Existenzminimum zur Verfügung ha­
ben muss . Jeder, der ohne eigenes Verschulden in Not
gerät, muss in einem Sozialstaat wie Deutschland unter­
stützt werden . Bezieher von Arbeitslosengeld II erhalten
neben dem Regelbedarf Unterstützung, insbesondere bei
den Kosten der Unterkunft, Hilfe bei der Suche nach
einer neuen Tätigkeit und im Bedarfsfall Weiterbildun­
gen oder Umschulungen . Eigentlich müsste es auch un­
bestritten sein, dass jeder Bürger seinen Beitrag, nämlich
Eigeninitiative, leisten muss, um für den Lebensunterhalt
für sich und seine Familie aufzukommen . Vergessen soll­
ten wir auch nicht, dass das Bundesverfassungsgericht
zu keinem Zeitpunkt Sanktionen für verfassungswidrig
erklärt hat – zumindest bisher . Vom Sozialgericht Go­
tha – Sie haben es gesagt, Herr Kollege – wurde diese
Frage dem Bundesverfassungsgericht vorgelegt . Ich bin
gespannt, wie dieses dann entscheiden wird .

Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen will ein qualifi­
ziertes, individuelles und umfassendes Fallmanagement .
Diese Unterstützung kann aber nur erfolgen, wenn Kun­
den die Termine im Jobcenter auch tatsächlich wahrneh­
men . Bereits heute müssen die Arbeitsvermittler, insbe­
sondere im Erstgespräch und nach jeder Weiterbildung,
die Stärken, die Fähigkeiten, aber auch die Vermittlungs­
hemmnisse ausführlich dokumentieren . Zweifelsfrei darf
diese Dokumentation nach dem ersten Erstellen nicht
vernachlässigt werden und muss regelmäßig aktualisiert
werden . Nur so können die Kunden durch das Jobcenter
erfolgreich vermittelt werden .

Unsere Aufgabe ist es, Lösungen zu finden, um die
Verfestigung von Langzeitarbeitslosigkeit über mehrere
Generationen in einer Familie zu vermeiden . Ganz aktu­
ell, erst am vergangenen Montag, wurde eine Studie des
Leibniz­Instituts für Wirtschaftsforschung veröffentlicht,
wonach Jugendliche mit einem arbeitslosen Vater mit
einer hohen Wahrscheinlichkeit später auch selbst von
Arbeitslosigkeit bedroht sind . Hier müssen wir mit aus­
gewählten Programmen gegensteuern . Erste Fortschritte
können wir bereits bundesweit mit den Jugendberufs­

agenturen verbuchen . Daran muss weiter gearbeitet wer­
den .

Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir von der
CDU/CSU­Fraktion halten an Sanktionen fest und wer­
den deshalb Ihre Anträge ablehnen .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge­ ordneten der SPD)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1812718300

Das Wort hat der Kollege Dr . Matthias Bartke für die

SPD­Fraktion .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. Matthias Bartke (SPD):
Rede ID: ID1812718400

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Von

Sanktionen waren bislang stets immer nur etwa 3 Pro­
zent aller SGB­II­Leistungsbezieher betroffen – nur
3 Prozent . Ich möchte das ganz prominent an erster Stelle
dieser Rede betonen . Ich betone das, weil in der Debatte
über Sanktionen und Leistungsmissbrauch oft ein völlig
falscher Eindruck erweckt wird, nämlich der Eindruck,
Hartz­IV­Empfänger würden sich allein ihrer Unlust und
Faulheit hingeben . Lassen Sie mich ganz klar sagen: Das
ist nicht so .


(Beifall bei der SPD)


Die überwältigende Mehrheit der Hartz­IV­Empfänger
will arbeiten und gibt ihr Bestes, dieses Ziel zu erreichen .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Die Zahl zeigt noch etwas anderes: Jobcenter sind kei­
ne Sanktionsämter . Statistisch muss noch nicht einmal
jeder 30 . Jobcenter­Kunde mit Sanktionen rechnen . Die
Idee des SGB II ist die des Förderns und Forderns; das
ist hier schon ausgeführt worden . Das ist eigentlich ein
sinnvolles Prinzip . Es ist aber zusehends in eine Schief­
lage geraten . Das gilt ganz besonders für die verschärften
Sanktionsregeln bei Jugendlichen, die drastischer sind
als bei Erwachsenen . Ich sage: Wir lehnen das ab .


(Beifall bei der SPD)


Das ist nicht Sozialpädagogik, das ist schwarze Pädago­
gik .

Genauso halten wir es für unverantwortlich, bei den
Kosten der Unterkunft zu kürzen . Ich komme aus Ham­
burg . Da gibt es einen großen Wohnungsmangel . Wenn
Sie da die Kosten der Unterkunft kürzen und die ALG­
II­Bezieher ihre Unterkunft verlieren, dann ist doch klar,
was dabei herauskommt: Obdachlosigkeit . Das kann man
doch nicht wirklich wollen .


(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Matthäus Strebl






(A) (C)



(B) (D)


Deswegen sagen wir Sozialdemokraten ganz klar: Wir
wollen keine Kürzung bei den Kosten der Unterkunft .


(Beate Müller­Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Machen! – Zuruf von der LIN­ KEN: Wer regiert hier eigentlich?)


Die Linkspartei fordert, sämtliche Sanktionen abzu­
schaffen . Grundsätzlich gilt offenbar Folgendes: Wenn
wir „Einführung einer Rente mit 63“ sagen, dann sagen
Sie: Einführung mit 60 . Wenn wir „8,50 Euro Mindest­
lohn“ sagen, dann sagen Sie: 10 Euro . Wenn wir „deut­
liche Überarbeitung des Sanktionsregimes und Abschaf­
fung diskriminierender und gefährlicher Regeln“ sagen,
dann sagen Sie: Abschaffung aller Sanktionen .


(Beifall bei der SPD)


Mit der Realität haben Ihre Forderungen nicht wirklich
viel zu tun . Aber zugegeben: Als Opposition kann man
so etwas natürlich fordern . Offenbar soll die Abschaf­
fung aller Sanktionen ein erster Schritt in Richtung be­
dingungslose Grundsicherung sein, und die wollen wir
ganz bestimmt nicht .


(Beifall bei der SPD)


Liebe Frau Kipping, lassen Sie mich etwas zu Ihrer
Kampagne zum Hungerstreik von Herrn Boes sagen . Ge­
linde gesagt, finde ich es schwierig, was Sie da machen.
Einerseits sagen Sie, dass Sie Herrn Boes von seinem
Hungerstreik abraten, andererseits bringen Sie genau
diesen Hungerstreik über alle medialen Kanäle in die Öf­
fentlichkeit . Natürlich bestärken Sie ihn damit in seinem
hochgefährlichen Tun .


(Katja Kipping [DIE LINKE]: Soll man das ignorieren?)


Und dann sagen Sie auch noch öffentlich, dass Ministerin
Andrea Nahles hier Verantwortung für ein Menschenle­
ben habe . Ich sage Ihnen: Da sind die Grenzen des guten
Geschmacks deutlich überschritten .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Zu­ ruf von der LINKEN: Das hat mit Geschmack nichts zu tun! – Weitere Zurufe von der LIN­ KEN)


Ich sage Ihnen: Hungerstreik darf kein Mittel der Politik
sein .

Bündnis 90/Die Grünen haben einen Antrag vorge­
legt, den ich deutlich gehaltvoller finde,


(Beate Müller­Gemmeke [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Zustimmen!)


gehaltvoller, aber auch zwiespältig . Einerseits halte ich
viele Ihrer Forderungen durchaus für zustimmungsfähig,
und sie sind auch klug hergeleitet .


(Beate Müller­Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir nehmen Sie beim Wort!)


Aber am Schluss fordern Sie dann, dass die Folgen der
Sanktionen umfassend evaluiert und bis zum Ende dieser
Evaluation alle Sanktionen außer Kraft gesetzt werden,


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS­ SES 90/DIE GRÜNEN – Dr . Wolfgang Strengmann­Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ­ NEN]: Das ist sehr sinnvoll!)


also eine völlige Sanktionsabschaffung mindestens für
die nächsten drei Jahre . Das verstehe, wer will .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Viele Sachverständige haben die Sanktionspraxis kriti­
siert; aber fast keiner wollte die Abschaffung, auch nicht
der DGB .

Meine Damen und Herren, die Bund­Länder­Arbeits­
gruppe „Rechtsvereinfachung im SGB II“ hat ihren Be­
richt bereits vor einem Jahr vorgelegt . Er hätte längst
umgesetzt werden können, ja müssen . Jeder weiß, dass
es die CSU ist, die das verhindert . Ministerpräsident
Seehofer hat damals der Bild am Sonntag gesagt:

Das Verwässern der Sanktionen bei Drückebergern
wird die CSU verhindern .


(Max Straubinger [CDU/CSU]: So ist es!)


Liebe Kolleginnen und Kollegen der CSU, mit Verlaub,
das ist Stammtisch, das ist keine verantwortliche Politik .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Sie sind Sozialpolitiker und wissen sehr wohl: Es gibt
Menschen, die ihr Leben nicht im Griff haben . Da hilft
Sozialarbeit, aber keine pauschale Verurteilung . Meine
Bitte ist daher: Überdenken Sie Ihre Position! Sie ist
nicht gut .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Meine Damen und Herren, wir Sozialdemokraten wollen
Ungerechtigkeiten bei den Sanktionsregeln abschaffen .
Wir wollen sie nicht verwässern, wir wollen sie verbes­
sern .

Ich danke Ihnen .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1812718500

Zu einer Kurzintervention hat die Kollegin Kipping

das Wort .


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Nicht schon wieder!)



Katja Kipping (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1812718600

Es tut mir leid . Aber Sie haben mich direkt angespro­

chen und mir Geschmacklosigkeit im Umgang mit dem
Sanktionshungern von Ralph Boes unterstellt .

Ich weiß, der Umgang damit ist nicht einfach, gera­
de wenn man möchte, dass niemand sein Leben riskiert .
Aber glauben Sie wirklich, dass der Demokratie und dem
Ansehen des Deutschen Bundestages geholfen wäre,
wenn die vielen Menschen, die das Schicksal von Ralph
Boes berührt hat, den Eindruck haben, dass die gesam­
te Politik mit Ignoranz reagiert, obwohl da jemand sein

Dr. Matthias Bartke






(A) (C)



(B) (D)


Leben gefährdet? Können Sie sich vorstellen, wie dieses
Signal bei den Menschen ankommt?


(Max Straubinger [CDU/CSU]: Begreifen Sie nicht, dass das Erpressung ist?)


Zu ignorieren, dass jemand sein Leben gefährdet, ist
auch nicht gerade der Gipfel des guten Geschmacks .
Deswegen finde ich es besser, darüber zu reden, als es zu
ignorieren; denn das Leiden geht weiter, auch wenn wir
die Augen davor verschließen .


(Beifall bei der LINKEN)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1812718700

Zur Erwiderung hat der Kollege Dr . Matthias Bartke

das Wort .


Dr. Matthias Bartke (SPD):
Rede ID: ID1812718800

Frau Kipping, ich habe mich im Vorfeld über Herrn

Boes schlau gemacht . Herr Boes ist im Jahr 2012 schon
einmal in einen Hungerstreik getreten; er macht es jetzt
wieder . Er isst öffentlich seine Essensgutscheine auf . Ich
finde, das ist kein angemessener Umgang mit einer solch
schwierigen Problematik .

Danke .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1812718900

Ich schließe die Aussprache .

Mir liegen drei Erklärungen nach § 31 unserer Ge­
schäftsordnung vor . Sie sind gezeichnet von den Kol­
legen Marco Bülow, Katharina Dröge und Lisa Paus .
Entsprechend unseren Regeln nehmen wir sie zu unserer
Aussprache zu Protokoll .1)

Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlus­
sempfehlung des Ausschusses für Arbeit und Soziales
auf Drucksache 18/6128 und beginnen mit der einfachen
Abstimmung . Anschließend führen wir zwei namentliche
Abstimmungen durch .

Unter Buchstabe b empfiehlt der Ausschuss die Ab­
lehnung des Antrags der Fraktion Die Linke auf Druck­
sache 18/3549 mit dem Titel „Gute Arbeit und eine sank­
tionsfreie Mindestsicherung statt Hartz IV“ . Wer stimmt
für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt da­
gegen? – Wer enthält sich? – Die Beschlussempfehlung
ist mit den Stimmen der CDU/CSU­Fraktion und der
SPD­Fraktion gegen die Fraktion Die Linke bei Enthal­
tung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen .

Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe a seiner
Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/6128 die Ab­
lehnung des Antrags der Fraktion Die Linke auf Druck­
sache 18/1115 mit dem Titel „Sanktionen bei Hartz IV
und Leistungseinschränkungen bei der Sozialhilfe ab­
schaffen“ . Wir stimmen nun über Buchstabe a der Be­
schlussempfehlung auf Verlangen der Fraktion Die Lin­

1) Anlagen 4 und 5

ke namentlich ab . Ich bitte die Schriftführerinnen und
Schriftführer, die vorgesehenen Plätze einzunehmen . –
Sind die Schriftführerinnen und Schriftführer an ihrem
Platz? – Es sind alle Abstimmungsplätze besetzt . Ich er­
öffne die Abstimmung über Buchstabe a der Beschluss­
empfehlung .

Ist ein Mitglied des Hauses anwesend, welches sei­
ne Stimme zur ersten namentlichen Abstimmung noch
nicht abgegeben hat? – Das ist nicht der Fall . Ich schlie­
ße die Abstimmung und bitte die Schriftführerinnen und
Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen .

Schließlich empfiehlt der Ausschuss unter Buchstabe c
seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/6128
die Ablehnung des Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen auf Drucksache 18/1963 mit dem Titel „Exis­
tenzminimum und Teilhabe sicherstellen – Sanktionsmo­
ratorium jetzt“ . Wir stimmen nun über Buchstabe c der
Beschlussempfehlung auf Verlangen der Fraktion Bünd­
nis 90/Die Grünen namentlich ab . Sind alle Schriftführe­
rinnen und Schriftführer am vorgesehenen Platz? – Das
ist der Fall . Ich eröffne die Abstimmung über Buchsta­
be c der Beschlussempfehlung .

Ist ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine Stim­
me bisher nicht abgegeben hat? – Das ist nicht der Fall .
Ich schließe die Abstimmung und bitte die Schriftführe­
rinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu begin­
nen .

Die Ergebnisse der beiden namentlichen Abstimmun­
gen werden Ihnen später bekannt gegeben .2)

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 10 auf:

Beratung der Beschlussempfehlung und des Be­
richts des Ausschusses für Kultur und Medien

(22 . Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten

Ute Bertram, Yvonne Magwas, Michael Kretsch­
mer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der
CDU/CSU sowie der Abgeordneten Burkhard
Blienert, Marco Bülow, Martin Dörmann, weite­
rer Abgeordneter und der Fraktion der SPD

Zukunftsweisende Kulturpolitik im demo-
grafischen Wandel – Stärkung der Kultur im
ländlichen Raum
Drucksachen 18/5091, 18/6167

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 38 Minuten vorgesehen . – Ich höre kei­
nen Widerspruch . Dann ist so beschlossen .

Ich eröffne die Aussprache . Das Wort hat die Kollegin
Yvonne Magwas für die CDU/CSU­Fraktion .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Yvonne Magwas (CDU):
Rede ID: ID1812719000

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Der demografische Wandel verändert seit Jahr
und Tag schleichend unsere Gesellschaft . Die Politik be­
fasst sich damit ebenfalls seit Jahren, wie nicht zuletzt
die Demografiegipfel der Bundesregierung zeigen. Bei

2) Ergebnisse Seite 12359 und Seite 12362

Katja Kipping






(A) (C)



(B) (D)


dem heute zu debattierenden Antrag ging es uns Koali­
tionsfraktionen darum, die Demografiepolitik um die
Facette der Kulturförderung zu erweitern; denn Kultur
ist der Kitt, der gesellschaftliche Veränderungen positiv
vorantreibt .


(Beifall der Abg . Dr . Eva Högl [SPD])


Was heißt es, wenn eine Stadt wie Dessau ein Theater
mit 1 000 Sitzplätzen, aber nur noch 84 000 Einwohner
hat? Wie wandelt sich das Kulturpublikum? Wie lässt
sich bei schrumpfenden kommunalen Etats das kulturelle
Angebot vor Ort noch finanzieren? Man gerät bei sol­
chen Fragen leicht in die Versuchung, über Kulturpolitik
als Ganzes zu debattieren . Allein die Vielfalt an existie­
renden Projekten, aber auch an Förderinstrumenten und
Kulturpreisen ist eindrucksvoll; aber es droht auch die
Gefahr, sich zu verzetteln . Daher kamen wir – in diesem
Zusammenhang danke ich recht herzlich meinen Mit­
berichterstattern Ute Bertram, Michael Kretschmer und
dem Kollegen Blienert – während der Erarbeitung unse­
res Antrages zu dem Schluss, uns auf das kulturelle Le­
ben im ländlichen Raum zu konzentrieren .

Ja, es stimmt: Der ländliche Raum ist nicht automatisch
mit Bevölkerungsabwanderung und ­alterung gleichzu­
setzen . In manchen Gegenden Süddeutschlands sind die
Immobilienpreise so hoch, dass es manchem Städter die
Tränen in die Augen treibt . Die Bodensee­Region oder
auch das bayerische Voralpenland brauchen das kultur­
politische Engagement des Bundes eher weniger . Es wird
hingegen dort benötigt, wo durch Bevölkerungsschwund
und eine alternde Bevölkerung die vorhandene kulturelle
Infrastruktur nicht mehr eins zu eins mit den dort leben­
den Menschen harmoniert .

Eines ist mir ganz besonders wichtig: Keiner Kom­
mune ist mit der Mentalität geholfen, dass der Letzte das
Licht ausmacht . Eine Verliererdiskussion, wie wir sie in
den letzten Jahren gelegentlich geführt haben, ist nicht
angemessen . Alle Kommunen sollten stärker ihre vielfäl­
tigen Erfolge herausstellen und würdigen . Voraussetzung
dafür ist aber, den immateriellen Wert der Kultur anzu­
erkennen . In Kindergärten, Schulen, Kirchen oder der
freiwilligen Feuerwehr wird exzellente Arbeit geleistet .
Mehr Selbstbewusstsein, positives Denken und der Wille
zum praktischen Handeln tun gut . – Dies war eines der
vielen wichtigen Ergebnisse eines Fachgespräches zu le­
bendigen Kulturräumen im demografischen Wandel, das
meine Fraktion mit Experten geführt hat .

Als Folge des demografischen Wandels brauchen wir
ein neues Denken auch im Kulturbereich . Teilweise sind
neue Strukturen erforderlich, um die anstehenden Aufga­
ben viel zielgerichteter erfüllen zu können . Die Akteure
aus dem Kulturbereich regen selbst an, Kooperationen
generell auszuweiten und zu stärken . Wir brauchen nicht
das eine große nationale Gesamtkonzept . Vielmehr hilft
es, die vor Ort jeweils vorhandenen Akteure – die Kom­
munalverwaltung, die Vereine, die Ehrenämtler, aber
auch die ansässigen Unternehmen – zusammenzubringen
und die Kräfte dort zu bündeln .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Meine Damen und Herren, wir müssen das Rad nicht
immer neu erfinden. Von gelingenden Lösungen in einer
Region kann anderswo gelernt und profitiert werden.
Modellhafte Projekte in Sachsen können zum Beispiel
auch in Mecklenburg­Vorpommern oder Rheinland­Pfalz
funktionieren . Deshalb setzen wir uns für die Schaffung
einer Plattform für Praxisbeispiele ein . Auch streben wir
eine Bündelung bereits vorhandener Förderdatenbanken
und eine Vereinfachung der Antragsverfahren für Förder­
gelder an .

Mir ist es wichtig, dass wir die jungen Leute ausbilden
und begeistern, mit Ideen und auch mit Schaffenskraft
für ihre Region Verantwortung zu übernehmen und ihre
Heimat mitzugestalten . Mir ist wichtig, unsere ländli­
chen Regionen zu beleben und zu zeigen, dass man auch
jenseits der urbanen Zentren mit hoher Lebensqualität
leben kann . Bürgerschaftliches Engagement im Kultur­
bereich trägt in besonderem Maße zu einer gesteigerten
Identifizierung mit der Heimat bei – bei denjenigen, die
sich engagieren, genauso wie bei denjenigen, die als Zu­
hörer oder Zuschauer von einem kulturellen Angebot
profitieren.

Menschen, die sich mit ihrer Heimat identifizieren,
können dies weitergeben und auch besser vermitteln . Da­
her liegt mir besonders die Breitenkultur am Herzen . Ich
bin fest davon überzeugt: Kultur stiftet Identität, Brei­
tenkultur stiftet Pluralität . Gerade in einer Zeit, die von
Schnelligkeit geprägt ist, wächst bei vielen Menschen
das Bedürfnis nach Bindung . Die Breitenkultur ist der
fruchtbare Boden, wo die Menschen Wurzeln schlagen,
persönliche Werte entfalten und soziale Beziehungen
aufbauen können .

Dieser Punkt beleuchtet aber noch ein anderes Spek­
trum: Kultur dient auch der Integration . Uns allen ist
bewusst, dass wir vor neuen sozialen Herausforderun­
gen stehen . Kultur kann gerade im ländlichen Raum zur
Integration von Flüchtlingen genutzt werden . Musik,
Tanz oder auch der Sportverein dienen als eine Brücke
zur Kontaktaufnahme mit Flüchtlingen, ohne dass man
gleich über die Sprachbarriere stolpert .

Meine Damen und Herren, ein Kulturbegriff, der nur
die Staatsoper oder die Nationalgalerie in den Blick
nimmt, ist längst nicht mehr zeitgemäß, so wichtig diese
Leuchttürme auch sind, und das aus zwei Gründen . Ers­
tens erreicht die Breitenkultur viel mehr Menschen als
die Hochkultur, und sie wird von den Menschen gelebt .
Die Menschen konsumieren Kultur nicht, sie erschaffen
sie selbst . Breitenkultur bedeutet Teilhabe der Bürger .
Zweitens ist sie besonders für den ländlichen Raum un­
verzichtbar . Wir brauchen also beides: die kulturellen
Spitzenleistungen, zum Beispiel von Gerhard Richter,
und die Musikschulen und die Heimatvereine im länd­
lichen Raum .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Das Engagement des Bundes für die Kulturland­
schaft in Deutschland ist schon jetzt stark und nimmt
immer mehr zu, obwohl Kulturförderung, wie wir alle
wissen, zunächst Aufgabe der Länder und Kommunen
ist . Beleg dafür sind die abermals gestiegenen Mittel im
BKM­Haushalt . Ich danke ausdrücklich Staatsministerin

Yvonne Magwas






(A) (C)



(B) (D)


Monika Grütters für ihren besonderen Einsatz für das
kulturelle Leben abseits der Metropolen .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg . Dr . Eva Högl [SPD])


In den Medien lesen wir viel über neue Museen oder
Schlösser in Berlin . Aber die bisherige Amtszeit der
Beauftragten für Kultur und Medien ist genauso durch
dezentrales Engagement für die Kultur geprägt . Beispiel­
haft zu nennen sind hier der erfolgreich gestartete Deut­
sche Buchhandlungspreis und der geplante Theaterpreis
für mittlere und kleinere Häuser . Sie wirken vor allem
in den Mittelzentren und in der Fläche . Auch das in der
letzten Legislaturperiode begonnene Förderprogramm
von Bund und Ländern zur Kinodigitalisierung, das In­
vest­Ost­Programm und die Fortführung der Denkmal­
schutzsonderprogramme gehören in diese eindrucksvolle
Reihe .

Meine Damen und Herren, mit unserem Antrag regen
wir nun ein Pilotprojekt der BKM zu den Herausforde­
rungen des demografischen Wandels für die kulturelle
Bildung an . Die Bedeutung der kulturellen Bildung darf
ja in keiner Sonntagsrede fehlen . Sie ist aber vom demo­
grafischen Wandel besonders betroffen. Das Publikum
von Kultur verändert sich, und in einer schrumpfenden
Bevölkerung muss es uns daran gelegen sein, alle Kinder
und Jugendlichen mit Kultur in Berührung zu bringen .
Kulturelle Bildung ist das entscheidende Fundament für
die Kultur der Zukunft .

Last but not least freue ich mich, dass es uns gelun­
gen ist, den Deutschen Musikinstrumentenpreis weiter
zu verstetigen . Mit dieser Auszeichnung führen wir der
Welt die große Bandbreite deutscher Musikinstrumen­

tenbaukunst vor Augen . Hier jedenfalls gilt die Marke
„made in Germany“ noch etwas . In meiner Heimat liegt
der vogtländische Musikwinkel, wo sich eine weltweit
einmalige Konzentration des Musikinstrumentenbaus
befindet. Diese 350 Jahre alte Tradition ist unter anderem
für meine Heimat identitätsstiftend und somit ein wei­
teres Beispiel für die sinnstiftende Wirkung von Kultur .

Ich komme zum Schluss. Der demografische Wandel
wirkt sich regional jeweils verschieden aus . Zwar tragen
wir mit dieser Debatte beileibe noch nicht zur kulturellen
Vielfalt bei; aber wir beschreiben die reiche kulturelle
Vielfalt, die wir in Deutschland haben und um die uns die
ganze Welt beneidet . Das kann man gar nicht oft genug
tun; denn die kulturelle Vielfalt gilt es überall, vor allem
auch im ländlichen Raum, zu bewahren .

Vielen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1812719100

Bevor wir in der Debatte fortfahren, gebe ich Ihnen

die von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermit­
telten Ergebnisse der beiden namentlichen Abstim-
mungen bekannt:

An der Abstimmung über die Beschlussempfehlung
des Ausschusses für Arbeit und Soziales zum Antrag
„Sanktionen bei Hartz IV und Leistungseinschränkungen
bei der Sozialhilfe abschaffen“ haben 559 Kolleginnen
und Kollegen teilgenommen . Mit Ja haben 451 gestimmt,
mit Nein 55, und 53 Kolleginnen und Kollegen haben
sich enthalten . Die Beschlussempfehlung ist angenom­
men .

Endgültiges Ergebnis

Abgegebene Stimmen: 559;
davon

ja: 451
nein: 55
enthalten: 53

Ja

CDU/CSU

Stephan Albani
Katrin Albsteiger
Artur Auernhammer
Thomas Bareiß
Norbert Barthle
Günter Baumann
Maik Beermann
Manfred Behrens (Börde)

Veronika Bellmann
Sybille Benning
Dr . Andre Berghegger
Dr . Christoph Bergner
Ute Bertram
Peter Beyer

Steffen Bilger
Clemens Binninger
Peter Bleser
Dr . Maria Böhmer
Norbert Brackmann
Klaus Brähmig
Michael Brand
Dr . Reinhard Brandl
Helmut Brandt
Dr . Ralf Brauksiepe
Dr . Helge Braun
Heike Brehmer
Ralph Brinkhaus
Cajus Caesar
Gitta Connemann
Alexandra Dinges­Dierig
Alexander Dobrindt
Michael Donth
Thomas Dörflinger
Marie­Luise Dött
Hansjörg Durz
Iris Eberl
Jutta Eckenbach
Dr . Bernd Fabritius

Hermann Färber
Enak Ferlemann
Ingrid Fischbach
Dirk Fischer (Hamburg)

Dr . Maria Flachsbarth
Thorsten Frei
Dr . Astrid Freudenstein
Dr . Hans­Peter Friedrich


(Hof)

Michael Frieser
Dr . Michael Fuchs
Hans­Joachim Fuchtel
Alexander Funk
Ingo Gädechens
Dr . Thomas Gebhart
Alois Gerig
Eberhard Gienger
Josef Göppel
Reinhard Grindel
Ursula Groden­Kranich
Hermann Gröhe
Klaus­Dieter Gröhler
Michael Grosse­Brömer
Astrid Grotelüschen

Markus Grübel
Manfred Grund
Oliver Grundmann
Monika Grütters
Dr . Herlind Gundelach
Fritz Güntzler
Olav Gutting
Christian Haase
Florian Hahn
Dr . Stephan Harbarth
Gerda Hasselfeldt
Matthias Hauer
Mark Hauptmann
Dr . Stefan Heck
Dr . Matthias Heider
Helmut Heiderich
Mechthild Heil
Frank Heinrich (Chemnitz)

Mark Helfrich
Uda Heller
Jörg Hellmuth
Rudolf Henke
Michael Hennrich
Ansgar Heveling

Yvonne Magwas






(A) (C)



(B) (D)


Peter Hintze
Dr . Heribert Hirte
Robert Hochbaum

(Dort­ mund)

Alexander Hoffmann
Karl Holmeier
Franz­Josef Holzenkamp
Dr . Hendrik Hoppenstedt
Margaret Horb
Bettina Hornhues
Charles M . Huber
Anette Hübinger
Hubert Hüppe
Erich Irlstorfer
Thomas Jarzombek
Sylvia Jörrißen
Andreas Jung
Xaver Jung
Dr . Egon Jüttner
Bartholomäus Kalb
Hans­Werner Kammer
Steffen Kampeter
Steffen Kanitz
Alois Karl
Anja Karliczek
Bernhard Kaster
Volker Kauder
Dr . Stefan Kaufmann
Roderich Kiesewetter
Dr . Georg Kippels
Volkmar Klein
Jürgen Klimke
Axel Knoerig
Jens Koeppen
Markus Koob
Carsten Körber
Hartmut Koschyk
Kordula Kovac
Michael Kretschmer
Gunther Krichbaum
Dr . Günter Krings
Rüdiger Kruse
Bettina Kudla
Dr . Roy Kühne
Günter Lach
Uwe Lagosky
Dr . Karl A . Lamers
Andreas G . Lämmel
Dr . Norbert Lammert
Katharina Landgraf
Ulrich Lange
Barbara Lanzinger
Dr . Silke Launert
Paul Lehrieder
Dr . Katja Leikert

Dr . Philipp Lengsfeld
Dr . Andreas Lenz
Philipp Graf Lerchenfeld
Antje Lezius
Ingbert Liebing
Matthias Lietz
Andrea Lindholz
Dr . Carsten Linnemann
Patricia Lips
Wilfried Lorenz
Dr . Claudia Lücking­Michel
Dr . Jan­Marco Luczak
Daniela Ludwig
Karin Maag
Yvonne Magwas
Thomas Mahlberg
Gisela Manderla
Matern von Marschall
Hans­Georg von der Marwitz
Andreas Mattfeldt
Stephan Mayer (Altötting)

Reiner Meier
Dr . Michael Meister
Jan Metzler
Maria Michalk
Dr . h .c . Hans Michelbach
Dr . Mathias Middelberg
Dietrich Monstadt
Karsten Möring
Marlene Mortler
Volker Mosblech
Elisabeth Motschmann
Dr . Gerd Müller

(Braun­ schweig)

Stefan Müller (Erlangen)

Dr . Philipp Murmann
Michaela Noll
Helmut Nowak
Dr . Georg Nüßlein
Julia Obermeier
Wilfried Oellers
Florian Oßner
Dr . Tim Ostermann
Henning Otte
Ingrid Pahlmann
Sylvia Pantel
Martin Patzelt
Dr . Martin Pätzold
Ulrich Petzold
Dr . Joachim Pfeiffer
Eckhard Pols
Thomas Rachel
Kerstin Radomski
Alexander Radwan
Alois Rainer

Dr . Peter Ramsauer
Eckhardt Rehberg
Lothar Riebsamen
Josef Rief
Dr . Heinz Riesenhuber
Johannes Röring
Erwin Rüddel
Albert Rupprecht
Anita Schäfer (Saalstadt)

Dr . Wolfgang Schäuble
Andreas Scheuer
Karl Schiewerling
Jana Schimke
Norbert Schindler
Tankred Schipanski
Heiko Schmelzle
Gabriele Schmidt (Ühlingen)

Ronja Schmitt
Patrick Schnieder
Nadine Schön (St . Wendel)

Dr . Ole Schröder

(Wies­ baden)

Bernhard Schulte­Drüggelte
Dr . Klaus­Peter Schulze
Uwe Schummer

(Weil am Rhein)

Christina Schwarzer
Detlef Seif
Johannes Selle
Reinhold Sendker
Dr . Patrick Sensburg
Bernd Siebert
Thomas Silberhorn
Johannes Singhammer
Tino Sorge
Jens Spahn
Carola Stauche
Dr . Frank Steffel
Dr. Wolfgang Stefinger
Albert Stegemann
Peter Stein
Erika Steinbach
Sebastian Steineke
Johannes Steiniger
Christian Frhr . von Stetten
Dieter Stier
Rita Stockhofe
Gero Storjohann
Stephan Stracke
Max Straubinger
Matthäus Strebl
Thomas Stritzl
Thomas Strobl (Heilbronn)

Michael Stübgen

Dr . Sabine Sütterlin­Waack
Antje Tillmann
Dr . Hans­Peter Uhl
Dr . Volker Ullrich
Arnold Vaatz
Oswin Veith
Thomas Viesehon
Michael Vietz
Sven Volmering
Christel Voßbeck­Kayser
Dr . Johann Wadephul
Marco Wanderwitz
Nina Warken
Kai Wegner
Albert Weiler
Marcus Weinberg (Hamburg)

Dr . Anja Weisgerber
Peter Weiß (Emmendingen)

Sabine Weiss (Wesel I)

Ingo Wellenreuther
Karl­Georg Wellmann
Marian Wendt
Waldemar Westermayer
Kai Whittaker
Peter Wichtel
Annette Widmann­Mauz
Heinz Wiese (Ehingen)

Elisabeth Winkelmeier­

Becker
Oliver Wittke
Dagmar G . Wöhrl
Barbara Woltmann
Heinrich Zertik
Emmi Zeulner
Dr . Matthias Zimmer
Gudrun Zollner

SPD

Niels Annen
Ingrid Arndt­Brauer
Rainer Arnold
Heike Baehrens
Ulrike Bahr
Heinz­Joachim Barchmann
Dr . Katarina Barley
Doris Barnett
Klaus Barthel
Dr . Matthias Bartke
Sören Bartol
Bärbel Bas
Lothar Binding (Heidelberg)

Burkhard Blienert
Willi Brase
Dr . Karl­Heinz Brunner
Edelgard Bulmahn

Vizepräsidentin Petra Pau






(A) (C)



(B) (D)


Marco Bülow
Martin Burkert
Dr . Lars Castellucci
Petra Crone
Dr . Daniela De Ridder
Dr . Karamba Diaby
Sabine Dittmar
Elvira Drobinski­Weiß
Siegmund Ehrmann
Michaela Engelmeier
Dr . h .c . Gernot Erler
Petra Ernstberger
Saskia Esken
Karin Evers­Meyer
Dr . Johannes Fechner
Dr . Fritz Felgentreu
Elke Ferner
Dr . Ute Finckh­Krämer
Christian Flisek
Gabriele Fograscher
Dr . Edgar Franke
Ulrich Freese
Dagmar Freitag
Michael Gerdes
Martin Gerster
Iris Gleicke
Angelika Glöckner
Ulrike Gottschalck
Kerstin Griese
Gabriele Groneberg
Michael Groß
Wolfgang Gunkel
Bettina Hagedorn
Rita Hagl­Kehl
Metin Hakverdi
Ulrich Hampel
Sebastian Hartmann
Dirk Heidenblut
Gabriela Heinrich
Marcus Held
Wolfgang Hellmich
Heidtrud Henn
Gustav Herzog
Gabriele Hiller­Ohm
Petra Hinz (Essen)

Thomas Hitschler
Dr . Eva Högl
Matthias Ilgen
Christina Jantz
Frank Junge
Thomas Jurk
Oliver Kaczmarek
Johannes Kahrs
Ralf Kapschack
Gabriele Katzmarek
Ulrich Kelber

Marina Kermer
Arno Klare
Lars Klingbeil
Dr. Bärbel Kofler
Anette Kramme
Dr . Hans­Ulrich Krüger
Birgit Kömpel
Helga Kühn­Mengel
Christine Lambrecht
Steffen­Claudio Lemme
Burkhard Lischka
Hiltrud Lotze
Kirsten Lühmann
Dr . Birgit Malecha­Nissen
Caren Marks
Katja Mast
Hilde Mattheis
Dr . Matthias Miersch
Klaus Mindrup
Susanne Mittag
Bettina Müller
Michelle Müntefering
Dr . Rolf Mützenich
Ulli Nissen
Mahmut Özdemir (Duisburg)

Aydan Özoguz
Thomas Oppermann
Markus Paschke
Christian Petry
Jeannine Pflugradt
Detlev Pilger
Sabine Poschmann
Achim Post (Minden)

Joachim Poß
Florian Post
Dr . Wilhelm Priesmeier
Florian Pronold
Dr . Sascha Raabe
Dr . Simone Raatz
Martin Rabanus
Stefan Rebmann
Gerold Reichenbach
Dr . Carola Reimann
Andreas Rimkus
Sönke Rix
Dr . Martin Rosemann
Dr . Ernst Dieter Rossmann
Susann Rüthrich
Bernd Rützel
Sarah Ryglewski
Johann Saathoff
Annette Sawade
Dr . Hans­Joachim

Schabedoth
Axel Schäfer (Bochum)

Dr . Nina Scheer

Marianne Schieder
Udo Schiefner
Dr . Dorothee Schlegel
Ulla Schmidt (Aachen)

Matthias Schmidt (Berlin)

Dagmar Schmidt (Wetzlar)

Carsten Schneider (Erfurt)

Ursula Schulte
Swen Schulz (Spandau)

Ewald Schurer
Frank Schwabe
Stefan Schwartze
Andreas Schwarz
Rainer Spiering
Norbert Spinrath
Svenja Stadler
Martina Stamm­Fibich
Sonja Steffen
Peer Steinbrück
Christoph Strässer
Kerstin Tack
Claudia Tausend
Michael Thews
Dr . Karin Thissen
Franz Thönnes
Carsten Träger
Rüdiger Veit
Ute Vogt
Dirk Vöpel
Gabi Weber
Bernd Westphal
Dirk Wiese

(Wolmir­ stedt)

Gülistan Yüksel
Dagmar Ziegler
Stefan Zierke
Dr . Jens Zimmermann
Manfred Zöllmer
Brigitte Zypries

Nein

DIE LINKE

Jan van Aken
Dr . Dietmar Bartsch
Herbert Behrens
Karin Binder
Matthias W . Birkwald
Heidrun Bluhm
Christine Buchholz
Eva Bulling­Schröter
Roland Claus
Sevim Dagdelen
Dr . Diether Dehm

Klaus Ernst

Nicole Gohlke

Dr . Andre Hahn

Heike Hänsel

Dr . Rosemarie Hein

Inge Höger

Andrej Hunko

Sigrid Hupach

Ulla Jelpke

Kerstin Kassner

Katja Kipping

Jan Korte

Jutta Krellmann

Katrin Kunert

Sabine Leidig

Michael Leutert

Stefan Liebich

Dr . Gesine Lötzsch

Thomas Lutze

Birgit Menz

Cornelia Möhring

Niema Movassat

Norbert Müller (Potsdam)


Dr . Alexander S . Neu

Thomas Nord

Petra Pau

Richard Pitterle

Martina Renner

Dr . Petra Sitte

Kersten Steinke

Dr . Kirsten Tackmann

Frank Tempel

Dr . Axel Troost

Alexander Ulrich

Kathrin Vogler

Dr . Sahra Wagenknecht

Halina Wawzyniak

Katrin Werner

Birgit Wöllert

Jörn Wunderlich

Hubertus Zdebel

BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN

Katharina Dröge

Lisa Paus

Hans­Christian Ströbele

Vizepräsidentin Petra Pau






(A) (C)



(B) (D)


Enthalten

BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN

Annalena Baerbock
Volker Beck (Köln)

Dr . Franziska Brantner
Agnieszka Brugger
Ekin Deligöz
Katja Dörner
Harald Ebner
Dr . Thomas Gambke
Matthias Gastel
Kai Gehring

Anja Hajduk
Britta Haßelmann
Dr . Anton Hofreiter
Bärbel Höhn
Dieter Janecek
Uwe Kekeritz
Katja Keul
Sven­Christian Kindler
Maria Klein­Schmeink
Sylvia Kotting­Uhl
Oliver Krischer
Stephan Kühn (Dresden)

Christian Kühn (Tübingen)

Renate Künast
Markus Kurth

Monika Lazar
Steffi Lemke
Dr . Tobias Lindner
Nicole Maisch
Peter Meiwald
Beate Müller­Gemmeke
Özcan Mutlu
Dr . Konstantin von Notz
Omid Nouripour
Friedrich Ostendorff
Brigitte Pothmer
Tabea Rößner
Claudia Roth (Augsburg)

Corinna Rüffer
Manuel Sarrazin

Elisabeth Scharfenberg
Ulle Schauws
Dr . Gerhard Schick
Dr . Frithjof Schmidt
Kordula Schulz­Asche
Dr . Wolfgang Streng­

mann­Kuhn
Dr . Harald Terpe
Markus Tressel
Jürgen Trittin
Dr . Julia Verlinden
Doris Wagner
Beate Walter­Rosenheimer
Dr . Valerie Wilms

An der Abstimmung über die Beschlussempfehlung
des Ausschusses für Arbeit und Soziales zum Antrag
„Existenzminimum und Teilhabe sicherstellen – Sankti­
onsmoratorium jetzt“ haben 556 Kolleginnen und Kol­

legen teilgenommen . Mit Ja stimmten 448 Kolleginnen
und Kollegen, mit Nein 57, und es gab 51 Enthaltungen .
Die Beschlussempfehlung ist angenommen .

Endgültiges Ergebnis

Abgegebene Stimmen: 556;
davon

ja: 448
nein: 57
enthalten: 51

Ja

CDU/CSU

Stephan Albani
Katrin Albsteiger
Artur Auernhammer
Thomas Bareiß
Norbert Barthle
Günter Baumann
Maik Beermann
Manfred Behrens (Börde)

Veronika Bellmann
Sybille Benning
Dr . Andre Berghegger
Dr . Christoph Bergner
Ute Bertram
Peter Beyer
Steffen Bilger
Clemens Binninger
Peter Bleser
Dr . Maria Böhmer
Norbert Brackmann
Klaus Brähmig
Michael Brand
Dr . Reinhard Brandl
Helmut Brandt
Dr . Ralf Brauksiepe
Dr . Helge Braun

Heike Brehmer
Ralph Brinkhaus
Cajus Caesar
Gitta Connemann
Alexandra Dinges­Dierig
Alexander Dobrindt
Michael Donth
Thomas Dörflinger
Marie­Luise Dött
Hansjörg Durz
Iris Eberl
Jutta Eckenbach
Dr . Bernd Fabritius
Hermann Färber
Enak Ferlemann
Ingrid Fischbach
Dirk Fischer (Hamburg)

Dr . Maria Flachsbarth
Thorsten Frei
Dr . Astrid Freudenstein
Dr . Hans­Peter Friedrich


(Hof)

Michael Frieser
Dr . Michael Fuchs
Hans­Joachim Fuchtel
Alexander Funk
Ingo Gädechens
Dr . Thomas Gebhart
Alois Gerig
Eberhard Gienger
Josef Göppel
Reinhard Grindel
Ursula Groden­Kranich
Hermann Gröhe
Klaus­Dieter Gröhler
Michael Grosse­Brömer

Astrid Grotelüschen
Markus Grübel
Manfred Grund
Oliver Grundmann
Monika Grütters
Dr . Herlind Gundelach
Fritz Güntzler
Olav Gutting
Christian Haase
Florian Hahn
Dr . Stephan Harbarth
Gerda Hasselfeldt
Matthias Hauer
Mark Hauptmann
Dr . Stefan Heck
Dr . Matthias Heider
Helmut Heiderich
Mechthild Heil
Frank Heinrich (Chemnitz)

Mark Helfrich
Uda Heller
Jörg Hellmuth
Rudolf Henke
Michael Hennrich
Ansgar Heveling
Peter Hintze
Dr . Heribert Hirte
Robert Hochbaum

(Dort­ mund)

Alexander Hoffmann
Karl Holmeier
Franz­Josef Holzenkamp
Dr . Hendrik Hoppenstedt
Margaret Horb
Bettina Hornhues

Charles M . Huber
Anette Hübinger
Hubert Hüppe
Erich Irlstorfer
Thomas Jarzombek
Sylvia Jörrißen
Andreas Jung
Xaver Jung
Dr . Egon Jüttner
Bartholomäus Kalb
Hans­Werner Kammer
Steffen Kampeter
Steffen Kanitz
Alois Karl
Anja Karliczek
Bernhard Kaster
Volker Kauder
Dr . Stefan Kaufmann
Roderich Kiesewetter
Dr . Georg Kippels
Volkmar Klein
Jürgen Klimke
Axel Knoerig
Jens Koeppen
Markus Koob
Carsten Körber
Hartmut Koschyk
Kordula Kovac
Michael Kretschmer
Gunther Krichbaum
Dr . Günter Krings
Rüdiger Kruse
Bettina Kudla
Dr . Roy Kühne
Günter Lach

Vizepräsidentin Petra Pau






(A) (C)



(B) (D)


Uwe Lagosky
Dr . Karl A . Lamers
Andreas G . Lämmel
Dr . Norbert Lammert
Katharina Landgraf
Ulrich Lange
Barbara Lanzinger
Dr . Silke Launert
Paul Lehrieder
Dr . Katja Leikert
Dr . Philipp Lengsfeld
Dr . Andreas Lenz
Philipp Graf Lerchenfeld
Antje Lezius
Ingbert Liebing
Matthias Lietz
Andrea Lindholz
Dr . Carsten Linnemann
Patricia Lips
Wilfried Lorenz
Dr . Claudia Lücking­Michel
Dr . Jan­Marco Luczak
Daniela Ludwig
Karin Maag
Yvonne Magwas
Thomas Mahlberg
Gisela Manderla
Matern von Marschall
Hans­Georg von der Marwitz
Andreas Mattfeldt
Stephan Mayer (Altötting)

Reiner Meier
Dr . Michael Meister
Jan Metzler
Maria Michalk
Dr . h .c . Hans Michelbach
Dr . Mathias Middelberg
Dietrich Monstadt
Karsten Möring
Marlene Mortler
Volker Mosblech
Elisabeth Motschmann
Dr . Gerd Müller

(Braun­ schweig)

Stefan Müller (Erlangen)

Dr . Philipp Murmann
Michaela Noll
Helmut Nowak
Dr . Georg Nüßlein
Julia Obermeier
Wilfried Oellers
Dr . Tim Ostermann
Henning Otte
Florian Oßner
Ingrid Pahlmann

Sylvia Pantel
Martin Patzelt
Dr . Martin Pätzold
Ulrich Petzold
Dr . Joachim Pfeiffer
Eckhard Pols
Thomas Rachel
Kerstin Radomski
Alexander Radwan
Alois Rainer
Dr . Peter Ramsauer
Eckhardt Rehberg
Lothar Riebsamen
Josef Rief
Dr . Heinz Riesenhuber
Johannes Röring
Erwin Rüddel
Albert Rupprecht
Anita Schäfer (Saalstadt)

Dr . Wolfgang Schäuble
Andreas Scheuer
Karl Schiewerling
Jana Schimke
Norbert Schindler
Tankred Schipanski
Heiko Schmelzle
Gabriele Schmidt (Ühlingen)

Ronja Schmitt
Patrick Schnieder
Nadine Schön (St . Wendel)

Dr . Ole Schröder
Dr . Kristina Schröder


(Wiesbaden)

Bernhard Schulte­Drüggelte
Dr . Klaus­Peter Schulze
Uwe Schummer

(Weil am Rhein)

Christina Schwarzer
Detlef Seif
Johannes Selle
Reinhold Sendker
Dr . Patrick Sensburg
Bernd Siebert
Thomas Silberhorn
Johannes Singhammer
Tino Sorge
Jens Spahn
Carola Stauche
Dr . Frank Steffel
Dr. Wolfgang Stefinger
Albert Stegemann
Peter Stein
Erika Steinbach
Sebastian Steineke
Johannes Steiniger

Christian Frhr . von Stetten
Dieter Stier
Rita Stockhofe
Gero Storjohann
Stephan Stracke
Max Straubinger
Matthäus Strebl
Thomas Stritzl
Thomas Strobl (Heilbronn)

Michael Stübgen
Dr . Sabine Sütterlin­Waack
Antje Tillmann
Dr . Volker Ullrich
Arnold Vaatz
Oswin Veith
Thomas Viesehon
Michael Vietz
Sven Volmering
Christel Voßbeck­Kayser
Dr . Johann Wadephul
Marco Wanderwitz
Nina Warken
Kai Wegner
Albert Weiler
Marcus Weinberg (Hamburg)

Dr . Anja Weisgerber
Peter Weiß (Emmendingen)

Sabine Weiss (Wesel I)

Ingo Wellenreuther
Karl­Georg Wellmann
Marian Wendt
Waldemar Westermayer
Kai Whittaker
Peter Wichtel
Annette Widmann­Mauz
Heinz Wiese (Ehingen)

Elisabeth Winkelmeier­

Becker
Oliver Wittke
Dagmar G . Wöhrl
Barbara Woltmann
Heinrich Zertik
Emmi Zeulner
Dr . Matthias Zimmer
Gudrun Zollner
SPD

Niels Annen
Ingrid Arndt­Brauer
Rainer Arnold
Heike Baehrens
Ulrike Bahr
Heinz­Joachim Barchmann
Dr . Katarina Barley
Doris Barnett
Klaus Barthel

Dr . Matthias Bartke
Sören Bartol
Bärbel Bas
Lothar Binding (Heidelberg)

Burkhard Blienert
Willi Brase
Dr . Karl­Heinz Brunner
Edelgard Bulmahn
Martin Burkert
Dr . Lars Castellucci
Petra Crone
Dr . Daniela De Ridder
Dr . Karamba Diaby
Sabine Dittmar
Elvira Drobinski­Weiß
Siegmund Ehrmann
Michaela Engelmeier
Dr . h .c . Gernot Erler
Petra Ernstberger
Saskia Esken
Karin Evers­Meyer
Dr . Johannes Fechner
Dr . Fritz Felgentreu
Elke Ferner
Dr . Ute Finckh­Krämer
Christian Flisek
Gabriele Fograscher
Dr . Edgar Franke
Ulrich Freese
Dagmar Freitag
Michael Gerdes
Martin Gerster
Iris Gleicke
Angelika Glöckner
Ulrike Gottschalck
Kerstin Griese
Gabriele Groneberg
Michael Groß
Wolfgang Gunkel
Bettina Hagedorn
Rita Hagl­Kehl
Metin Hakverdi
Ulrich Hampel
Sebastian Hartmann
Dirk Heidenblut
Gabriela Heinrich
Marcus Held
Wolfgang Hellmich
Heidtrud Henn
Gustav Herzog
Gabriele Hiller­Ohm
Petra Hinz (Essen)

Thomas Hitschler
Dr . Eva Högl
Matthias Ilgen
Christina Jantz

Vizepräsidentin Petra Pau






(A) (C)



(B) (D)


Frank Junge
Thomas Jurk
Oliver Kaczmarek
Johannes Kahrs
Ralf Kapschack
Gabriele Katzmarek
Ulrich Kelber
Marina Kermer
Arno Klare
Lars Klingbeil
Dr. Bärbel Kofler
Birgit Kömpel
Dr . Hans­Ulrich Krüger
Helga Kühn­Mengel
Christine Lambrecht
Steffen­Claudio Lemme
Burkhard Lischka
Hiltrud Lotze
Kirsten Lühmann
Dr . Birgit Malecha­Nissen
Caren Marks
Katja Mast
Hilde Mattheis
Dr . Matthias Miersch
Klaus Mindrup
Susanne Mittag
Bettina Müller
Michelle Müntefering
Dr . Rolf Mützenich
Ulli Nissen
Mahmut Özdemir (Duisburg)

Aydan Özoguz
Thomas Oppermann
Markus Paschke
Christian Petry
Jeannine Pflugradt
Detlev Pilger
Sabine Poschmann
Joachim Poß
Achim Post (Minden)

Florian Post
Dr . Wilhelm Priesmeier
Florian Pronold
Dr . Sascha Raabe
Dr . Simone Raatz
Martin Rabanus
Stefan Rebmann
Gerold Reichenbach
Dr . Carola Reimann
Andreas Rimkus
Sönke Rix
Dr . Martin Rosemann
Dr . Ernst Dieter Rossmann
Susann Rüthrich
Bernd Rützel
Sarah Ryglewski

Johann Saathoff
Annette Sawade
Dr . Hans­Joachim Schabe­

doth
Axel Schäfer (Bochum)

Dr . Nina Scheer
Marianne Schieder
Udo Schiefner
Dr . Dorothee Schlegel
Ulla Schmidt (Aachen)

Matthias Schmidt (Berlin)

Dagmar Schmidt (Wetzlar)

Carsten Schneider (Erfurt)

Ursula Schulte
Swen Schulz (Spandau)

Ewald Schurer
Frank Schwabe
Stefan Schwartze
Andreas Schwarz
Rainer Spiering
Norbert Spinrath
Svenja Stadler
Martina Stamm­Fibich
Sonja Steffen
Peer Steinbrück
Christoph Strässer
Kerstin Tack
Claudia Tausend
Michael Thews
Dr . Karin Thissen
Franz Thönnes
Carsten Träger
Rüdiger Veit
Ute Vogt
Dirk Vöpel
Gabi Weber
Bernd Westphal
Dirk Wiese
Waltraud Wolff (Wolmirstedt)

Gülistan Yüksel
Dagmar Ziegler
Stefan Zierke
Dr . Jens Zimmermann
Manfred Zöllmer
Brigitte Zypries

Nein

SPD

Marco Bülow

BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN

Annalena Baerbock
Volker Beck (Köln)


Dr . Franziska Brantner
Agnieszka Brugger
Ekin Deligöz
Katja Dörner
Katharina Dröge
Harald Ebner
Dr . Thomas Gambke
Matthias Gastel
Kai Gehring
Anja Hajduk
Britta Haßelmann
Dr . Anton Hofreiter
Bärbel Höhn
Dieter Janecek
Uwe Kekeritz
Katja Keul
Sven­Christian Kindler
Maria Klein­Schmeink
Sylvia Kotting­Uhl
Oliver Krischer
Stephan Kühn (Dresden)

Christian Kühn (Tübingen)

Renate Künast
Markus Kurth
Monika Lazar
Steffi Lemke
Dr . Tobias Lindner
Nicole Maisch
Peter Meiwald
Beate Müller­Gemmeke
Özcan Mutlu
Dr . Konstantin von Notz
Omid Nouripour
Friedrich Ostendorff
Lisa Paus
Brigitte Pothmer
Tabea Rößner
Claudia Roth (Augsburg)

Corinna Rüffer
Manuel Sarrazin
Elisabeth Scharfenberg
Ulle Schauws
Dr . Gerhard Schick
Dr . Frithjof Schmidt
Kordula Schulz­Asche
Dr . Wolfgang Strengmann­

Kuhn
Hans­Christian Ströbele
Dr . Harald Terpe
Markus Tressel
Jürgen Trittin
Dr . Julia Verlinden
Doris Wagner
Beate Walter­Rosenheimer
Dr . Valerie Wilms

Enthalten

DIE LINKE

Jan van Aken
Dr . Dietmar Bartsch
Herbert Behrens
Karin Binder
Matthias W . Birkwald
Christine Buchholz
Eva Bulling­Schröter
Roland Claus
Sevim Dagdelen
Dr . Diether Dehm
Klaus Ernst
Nicole Gohlke
Dr . Andre Hahn
Heike Hänsel
Dr . Rosemarie Hein
Inge Höger
Andrej Hunko
Sigrid Hupach
Ulla Jelpke
Kerstin Kassner
Katja Kipping
Jan Korte
Jutta Krellmann
Katrin Kunert
Sabine Leidig
Michael Leutert
Stefan Liebich
Dr . Gesine Lötzsch
Thomas Lutze
Birgit Menz
Cornelia Möhring
Niema Movassat
Norbert Müller (Potsdam)

Dr . Alexander S . Neu
Thomas Nord
Petra Pau
Richard Pitterle
Martina Renner
Dr . Petra Sitte
Kersten Steinke
Dr . Kirsten Tackmann
Frank Tempel
Dr . Axel Troost
Alexander Ulrich
Kathrin Vogler
Dr . Sahra Wagenknecht
Halina Wawzyniak
Katrin Werner
Birgit Wöllert
Jörn Wunderlich
Hubertus Zdebel

Vizepräsidentin Petra Pau






(A) (C)



(B) (D)


Wir kommen zurück zur Debatte zum Thema „Stär­
kung der Kultur im ländlichen Raum“ . Das Wort hat die
Kollegin Sigrid Hupach für die Fraktion Die Linke .


(Beifall bei der LINKEN)



Sigrid Hupach (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1812719200

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren!

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Titel Ihres Antrags,
„Zukunftsweisende Kulturpolitik im demografischen
Wandel – Stärkung der Kultur im ländlichen Raum“,
verspricht viel, hält aber wenig . Wir werden dem An­
trag auch nach der Debatte im Ausschuss deshalb nicht
zustimmen . Grund dafür ist keineswegs, dass wir nicht
für eine bessere Kulturpolitik in den ländlichen Räumen
sind . Im Gegenteil: Gerade weil wir überzeugt sind, dass
hierfür ein ressortübergreifendes Handlungskonzept nö­
tig ist, greift Ihr Antrag unseres Erachtens viel zu kurz .


(Beifall bei der LINKEN)


Eine zukunftsweisende Politik, wie Sie es formulie­
ren, muss grundsätzlich anders ansetzen . Ihre ausführ­
liche Beschreibung im Feststellungsteil liefert dafür so­
gar eine gute Begründung, auch für die Aufhebung des
Kooperationsverbotes und die Definition einer Gemein­
schaftsaufgabe „Kultur“ . Umso mehr ist es zu bedauern,
dass Sie dann nicht den Mut haben, eine nachhaltige
kulturpolitische Strategie zu entwickeln, und bei Ihren
Forderungen unkonkret und kleinteilig bleiben und alles
unter Haushaltsvorbehalt stellen .

Auf eine Ihrer Forderungen möchte ich hier einge­
hen. Sie erwarten im Rahmen der Demografiestrategie
konkrete Handlungsempfehlungen . Wirft man dazu aber
einen Blick in die grundlegenden Papiere der Bundes­
regierung, so findet man leider nichts, was unter kultur­
politischen Aspekten Mut macht . Der Innenminister hat
im Januar 2015 das Papier „Grundsätze und Schritte zur
Weiterentwicklung der Demografiepolitik der Bundesre­
gierung“ vorgelegt . Darin kommt Kultur nur im Zusam­
menhang mit einer Willkommens­ und Anerkennungs­
kultur vor . Das ist wichtig, ja, das Thema erschöpft sich
aber nicht in der Benutzung der Menschen als interna­
tionale Fachkräfte . Auch die Einteilung der Menschen,
die in Not sind und gegenwärtig bei uns Schutz suchen,
in solche, die für unseren Arbeitsmarkt qualifiziert sind,
und solche, die es nicht sind, ist in keiner Weise zu ak­
zeptieren .

Wir Linke sehen die Kulturpolitik in einer aktiven und
wichtigen Rolle bei der Gestaltung des gesellschaftlichen
Wandels und der aktuellen Herausforderungen . Wenn Ihr
Antrag in diesem Sinne zur Sensibilisierung im Kabinett
führt, dann wäre das ein erster Schritt .

Sie fordern in Ihrem Antrag die Prüfung von vielen
Dingen . Warum handeln Sie nicht einfach? Eine Platt­
form der Förderprogramme und erfolgreichen Projekte
einrichten und das Antragswesen vereinfachen – ja, das
kann man machen, vielleicht sollte man das auch an man­
chen Stellen machen . Besser aber wäre es, man würde
sich schon vor Auslobung des nächsten Programms und
vor Start eines weiteren Pilotprojektes ressortübergrei­

fend abstimmen und vor allem die Programme mit den
Akteuren gemeinsam erarbeiten .


(Beifall bei der LINKEN)


Das gilt erst recht für so komplizierte Angelegenhei­
ten wie die kulturelle Bildung . Genau bei diesem über­
greifenden Thema fordern Sie Initiativen innerhalb der
einzelnen Ressorts . Sie wissen, wir haben das Programm
„Kultur macht stark“ am Anfang mit sehr großer Skepsis
begleitet . Mittlerweile ist aber deutlich geworden, dass
dieses Programm im Bereich der kulturellen Bildung viel
bewegt hat . Das liegt maßgeblich auch an der Professio­
nalisierung der Beteiligten und der Begleitung durch die
Programmpartner; denn sie sind diejenigen, die wissen,
was gebraucht wird, wo der Schuh drückt und was viel­
leicht auch nicht funktioniert, gerade weil sie eng mit
den Akteuren vor Ort zusammenarbeiten und mit ihnen
verbunden sind . Warum wollen Sie diese Expertise nicht
nutzen, um ein bestehendes Programm weiterzuentwi­
ckeln, statt wieder ein neues zu testen?

Sie wollen die Kultur­ und Kreativwirtschaft in den
ländlichen Räumen verstärken . Nein, Sie wollen erst ein­
mal prüfen, ob das geht . Zeitgleich schaffen Sie ab dem
kommenden Jahr die Regionalbüros des Kompetenzzen­
trums ab .

Unter Punkt 10 nehmen Sie Bezug auf eine freie, zeit­
genössische und darstellende Kunst und Kultur vor dem
Hintergrund interkultureller Herausforderungen . Aber
auch hier braucht es eine verlässliche und langfristig ge­
sicherte Förderung struktureller Art . Ich hoffe sehr, dass
Ihre Prüfung zu einer Veränderung des aktuellen Haus­
haltstitels bei den Einzelprojekten im Bereich Tanz und
Theater führt . Hier stehen wir nämlich vor einer Kürzung
der Mittel um zwei Drittel .

Statt bestimmter Einzelprojekte brauchen die Men­
schen in den ländlichen Räumen ein übergreifendes,
zwischen den politischen Ebenen abgestimmtes, verläss­
liches und ehrlich gemeintes Konzept . Dieses muss die
Stärkung der kulturellen Infrastruktur ins Zentrum stel­
len . Nur dort kann dann die freie Szene andocken oder
das von Ihnen zu Recht gelobte ehrenamtliche Engage­
ment . Es ist aber ein Trugschluss, zu glauben, dass das
Ehrenamt die Lücken der öffentlichen Kulturförderung
schließen könnte . Die Hauptverantwortung für die kul­
turelle Infrastruktur tragen die Kommunen . Sie müssen
also entsprechend finanziell ausgestattet werden, dass sie
die Kultur auch schützen und fördern können, wie es sich
für einen Bereich der Daseinsvorsorge eigentlich gehört .
Das Verfassungsziel, gleichwertige Lebensverhältnisse
zu schaffen, sollte hierfür der Maßstab sein .


(Beifall bei der LINKEN)


Die Kommunen brauchen Anreize und Beratung bei der
Entwicklung von Kulturkonzepten und Entwicklungs­
plänen . Dabei hilft – das ist ein wichtiger Punkt in Ihrem
Antrag – ganz sicher auch eine verstärkte Kulturpolitik­
forschung .

Liebe Kolleginnen und Kollegen der Koalitionsfrak­
tionen, im Ziel sind wir uns einig und auch in Ihrer Ana­
lyse . Wir stimmen trotzdem Ihrem Antrag heute nicht zu,

Vizepräsidentin Petra Pau






(A) (C)



(B) (D)


weil wir ihn für zu oberflächlich und nicht zielführend
halten .

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit .


(Beifall bei der LINKEN)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1812719300

Für die SPD­Fraktion hat der Kollege Burkhard

Blienert das Wort .


(Beifall bei der SPD)



Burkhard Blienert (SPD):
Rede ID: ID1812719400

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe

Kolleginnen und Kollegen! Das Thema „Kulturpolitik
im ländlichen Raum unter demografischen Gesichts­
punkten“ braucht eine Herleitung, eine Ableitung, sonst
kann man den Kontext aus meiner Sicht nicht richtig ein­
ordnen .

Wir wissen – das sind fast Banalitäten –: Gesellschaften
müssen sich permanent verändern . Stillstand bedeutet
letztendlich Rückschritt . Status quo bedeutet Innova­
tionsträgheit . Gesellschaften verändern sich von alleine .
Die zurzeit größten Kräfte gesellschaftlicher Verände­
rung sind die Auswirkungen des demografischen Wan­
dels, der Digitalisierung und die Folgen einer immer
stärker zusammenwachsenden Weltengemeinschaft im
Zeichen der Globalisierung . All das erleben wir aktuell
in all seinen Facetten .

Politik muss diese Transformationsprozesse genau
benennen und diskutieren, um gesellschaftliche Wider­
sprüche und Zielkonflikte deutlich zu machen und nach
Lösungen zu suchen . Einen großen Anteil daran haben
eben Kunst, Kreativität und Kultur, haben die kulturellen
Akteure und haben die Orte kulturellen Lebens, insbe­
sondere im ländlichen Raum .

In diesem Antrag konzentrieren wir uns auf den de­
mografischen Aspekt und auf den ländlichen Raum. Der
demografische Wandel ist, gesellschaftlich gesehen, eine
Querschnittsaufgabe, bei der die verschiedensten The­
menfelder zusammenkommen und womit auch nahezu
alle Ausschüsse hier im Deutschen Bundestag befasst
sind. Ich finde, es ist uns gut gelungen, diesen komple­
xen Entwicklungsprozess aus kulturpolitischer Sicht zu
beleuchten . Der Antrag bietet daher eine gute Ausgangs­
basis für die Debatte .

Aus meiner Sicht werden die notwendigen Span­
nungsverhältnisse infolge des demografischen Wandels
beschrieben, die sich auf das kulturelle Leben auswirken,
Spannungsverhältnisse, die im Rahmen der Kulturpolitik
austariert werden müssen .

Dabei will ich nun noch einige Aspekte aus diesen
Blickwinkeln hervorheben . Zum einen geht es um das
Spannungsverhältnis zwischen Ehrenamt und staatli­
chen Aufgaben . Ehrenamtliches Engagement spielt bei
der Frage, wie wir den zukünftigen demografischen He­
rausforderungen im ländlichen Raum begegnen wollen,
eine zentrale Rolle . Ehrenamt kann und soll staatliche
Strukturen aber nicht ersetzen . Wenn ich unterwegs bin,
werde ich vielfach von den kulturell engagierten Men­

schen angesprochen, die sich oftmals auch alleingelassen
fühlen und denen häufig die notwendige Unterstützung
fehlt, gerade wenn es darum geht, bürokratische Hürden
zu überwinden . Für viele ist das Anlass, ihr Engagement
zurückzufahren, und viele hält es davon ab, sich über­
haupt einzusetzen . Damit bleibt ein großes Potenzial ins­
besondere auch im ländlichen Raum ungenutzt .

So gilt es nun, die richtige Balance zwischen Ehren­
amt und staatlichen Aufgaben zu finden und dabei Un­
gleichgewichte zu vermeiden . Wir dürfen nicht darin
nachlassen, die Rahmenbedingungen für ehrenamtliches
Engagement weiter zu verbessern . Neben der Vereinfa­
chung des Antragsverfahrens müssen wir den Ehrenamt­
lichen auch Hauptamtliche an die Seite stellen, die sie
mit Beratung und Professionalisierung unterstützen kön­
nen . Das ist einer der zentralen Punkte in dem Antrag .

Ein zweites Spannungsverhältnis, das im Antrag
dargestellt wird, bezieht sich auf die unterschiedlichen
räumlichen Schwerpunkte des demografischen Wandels.
Nicht überall findet alles gleichzeitig statt. Dabei ist es
uns wichtig, dass alle Regionen als attraktive Lebensräu­
me gestärkt werden müssen . Ein lebendiges kulturelles
Leben und kulturelle Teilhabe schaffen Lebensqualität
und Bindung . Sie sind für die meisten Menschen wichti­
ge Kriterien bei der Entscheidung über ihren Wohn­ und
Lebensmittelpunkt .

„Kultur schafft Willkommensräume“, so hat die kul­
turpolitische Gesellschaft es bezeichnet . Das muss Ziel
unserer Kulturpolitik sein, und das ist auch Ziel unseres
Antrags .

Liebe Kolleginnen und Kollegen, Schlüsselfaktor kul­
tureller Integration ist die kulturelle Bildung . Sie öffnet
den Zugang zu Kunst und Kultur und ermöglicht die Teil­
habe am gesellschaftlichen Leben . Sie bietet Gelegenheit
für interkulturellen Austausch, der das eigene kulturelle
Verständnis befruchten und bereichern kann . Deshalb
steht fest: Wenn wir die kulturelle Vielfalt unserer Ge­
sellschaft als Chance nutzen wollen, müssen wir die kul­
turelle Bildung fördern, in Zukunft noch viel konsequen­
ter und energischer als bisher .

Noch ein drittes Spannungsverhältnis wird in unserem
Antrag angesprochen . Das liegt in der Finanzierung der
Kultur begründet . Der Bund fördert Kultur auf vielen
Wegen . Diesen Förderaktivitäten des Bundes sind durch
den Kulturföderalismus jedoch enge Grenzen gesetzt .
Wir müssen dafür sorgen, dass Bund, Länder und Kom­
munen ihre Förderaktivitäten stärker miteinander abstim­
men . Ein stärker kooperativ orientierter Kulturföderalis­
mus könnte das kulturfördernde Engagement des Bundes
in der Fläche verstärken und beim Erhalt der kulturellen
Infrastruktur helfen .

Die wesentlichen Träger bleiben jedoch die Kommu­
nen . Dort wird in Zusammenarbeit mit den Ländern das
meiste Geld für die Förderung der Kultur akquiriert und
ausgegeben . Deshalb ist es auch wichtig, dass wir und
die Bundesregierung die Kommunen in diesem Jahr und
auch schon in den vergangenen Jahren finanziell spürbar
entlastet haben . Das ist der richtige Weg, der fortgesetzt
werden muss, damit kommunale Kulturetats Luft zum
Atmen haben .

Sigrid Hupach






(A) (C)



(B) (D)


Der Antrag bietet Ideen und zeigt konkrete Maßnah­
men auf, wie durch Konzentration auf die eigenen lo­
kalen Stärken und durch Vernetzungen, Partnerschaften
und Kooperationen Neues entstehen kann . Wissenstrans­
fer und Vernetzung sind dabei ein wichtiger Erfolgsfak­
tor . Der Antrag zeigt aber auch Möglichkeiten auf, wie
und wo der Bund bei der Kulturförderung mithelfen soll­
te, zum Beispiel bei der Entbürokratisierung von Förder­
instrumenten oder bei der notwendigen Kulturpolitikfor­
schung, die verstärkt werden muss .

Hier sind wir bei einem ganz entscheidenden Punkt,
nämlich bei der Frage, wie wir den demografischen Ver­
änderungen begegnen wollen . Es gibt zwei Möglichkei­
ten: Entweder erleben wir es als Krise und Bedrohung,
oder wir sehen die Chancen und Potenziale, gehen die
Herausforderungen an und fangen an, den Wandel aktiv
zu gestalten .

Ich denke, wir sind uns einig, dass der zweite Weg
auch vor dem Hintergrund der von mir beschriebenen
Spannungsverhältnisse der richtige ist, sodass wir dem
ländlichen Raum auch in Zeiten des demografischen
Wandels eine Zukunft geben können . Ich würde mich
über die Unterstützung unseres Antrags auch durch die
Grünen und die Linken sehr freuen .

Ich danke für die Aufmerksamkeit .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1812719500

Das Wort hat die Kollegin Ulle Schauws für die Frak­

tion Bündnis 90/Die Grünen .


Ulle Schauws (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1812719600

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Liebe Gäste auf den Tribünen! Die Sicherung
des kulturellen Angebots im ländlichen Raum ist ein
wichtiges Thema . Die Problembeschreibung im Antrag
der Koalition ist grundsätzlich richtig . Kulturinstitutio­
nen sind als Orte der Begegnung unverzichtbar und tra­
gen entscheidend zur sozialen Teilhabe und Identifika­
tion mit dem direkten Lebensumfeld bei .

Angesichts knapper Haushaltskassen wird aber oft
bei den freiwilligen Leistungen gespart . Darunter sind
leider viele kulturelle Angebote . Der Wegfall eines Bü­
cherbusses, ein geschlossenes Programmkino oder ein
weggekürztes soziokulturelles Zentrum bedeuten weni­
ger Bildung, weniger Information und einen Verlust von
gesellschaftlicher Teilhabe vor Ort . Um den Erhalt der
kulturellen und sozialen Infrastruktur nicht nur im länd­
lichen Raum langfristig zu sichern, braucht es zunächst
dauerhaft eine finanzielle Entlastung von strukturschwa­
chen Kommunen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Genau das fordern wir in unserem aktuellen Antrag
„Dauerhafte und strukturelle Entlastungen für Kommu­
nen in Not“ . Hier muss die Bundesregierung endlich tätig
werden .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Außerdem sind eine abgestimmte demografische Ge­
samtstrategie und nachhaltige Konzepte für den Erhalt
der kulturellen Infrastruktur gefragt . Denn viele ländli­
che Räume, beispielsweise im Nordosten Brandenburgs,
im Norden Sachsen­Anhalts oder in weiten Teilen Meck­
lenburg­Vorpommerns, stehen vor existenziellen Heraus­
forderungen beim Erhalt der sozialen und kulturellen Inf­
rastruktur vor Ort . Hier brauchen wir dringend Lösungen
unter Einbeziehung aller politischen Ebenen; denn um
beispielsweise den Zugang zu Kulturangeboten im länd­
lichen Raum dauerhaft zu sichern, sind gute Mobilitäts­
ansätze notwendig .

Erst letzte Woche hat die Bundesregierung im Rah­
men ihres Strategiekongresses Demografie allerdings er­
neut verpasst, dieses Problem endlich umfassend anzuge­
hen . Was macht sie stattdessen? Uninspiriert und wenig
engagiert verwaltet sie ihre sogenannte Demografiestra­
tegie . Warum sonst wurde aus dem ursprünglich für den
Sommer groß geplanten Demografiegipfel ein kleiner ge­
schrumpfter Strategiekongress im Herbst?

Ich sage Ihnen: Nicht zuletzt aufgrund der aktuellen
Zuwanderung von geflüchteten Menschen, von denen
viele bleiben werden, muss hier dringend viel mehr pas­
sieren, und zwar im positiven Sinne; denn es ist ja keines­
falls neu, dass Einwanderung neben Alterung und dem
Rückgang der Bevölkerung eine entscheidende Kompo­
nente für demografische Entwicklung ist. Bisher beschäf­
tigt sich aber lediglich eine von zehn Arbeitsgruppen des
Strategiekongresses Demografie mit Einwanderung. Das
reicht nicht . Das müsste auch Ihnen klar sein .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Auch das Potenzial von Kultur bei der Bewältigung
aktueller und zukünftiger demografischer Herausforde­
rungen spielt im Rahmen der Demografiestrategie der
Bundesregierung bisher fast gar keine Rolle . Einerseits
fordern Sie in Ihrem Antrag eine zukunftsweisende Kul­
turpolitik im demografischen Wandel, andererseits haben
Sie es leider verpasst, hierzu konkrete Forderungen zu
stellen . Außerdem fehlt mir ein nachhaltiges Konzept
zur Stärkung der kulturellen Infrastruktur im ländlichen
Raum . Eine Modellförderung hier oder ein Preis da, das
sind erste wichtige Schritte . Aber langfristige Antworten
sehen aus meiner Sicht anders aus. Da müssen Sie, finde
ich, schon den Mut aufbringen, sich an die grundsätzli­
chen Fragen heranzuwagen und etwas zu ändern .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Zwei Aspekte möchte ich konkret ansprechen . Es wäre
sinnvoll, zum einen wirklich ernsthaft über das Staatsziel
Kultur zu sprechen und zum anderen die Kulturförderung
des Bundes grundsätzlich zu überarbeiten und sie an die
neuen gesellschaftlichen Rahmenbedingungen anzupas­
sen. Hierzu finde ich in Ihrem Antrag nichts.

Noch ein wichtiger Punkt – er wurde schon mehrfach
genannt –: Die Forderung nach ehrenamtlichem Engage­
ment ist ein sinnvolles Vorhaben; das unterstützen auch
wir ganz grundsätzlich . Aber dies als wichtigsten Schritt
zur Stärkung der Kultur im ländlichen Raum zu bezeich­
nen, wie es die Kollegin Freudenstein in ihrer Rede bei
der ersten Lesung, die zu Protokoll gegeben wurde, getan

Burkhard Blienert






(A) (C)



(B) (D)


hat, kann es wirklich nicht sein . Wenn Sie den Leuten,
die im Ehrenamt tätig sind, sagen: „Macht ihr die Kultur­
politik im ländlichen Raum, wir als Politik ziehen uns
daraus zurück; ihr macht die Arbeit, aber wir stellen kei­
ne Finanzierung zur Verfügung“, dann ist das das falsche
Signal .


(Marco Wanderwitz [CDU/CSU]: Sie haben das Problem nicht verstanden!)


Dann können Sie nicht ernsthaft sagen, das sei der wich­
tigste Schritt zur Stärkung der Kultur im ländlichen
Raum . Da bin ich Burkhard Blienert dankbar, der sagt:
Hier brauchen wir eine Balance, einen Ausgleich . Das
darf nicht nur ein Signal an die Ehrenamtlerinnen und
Ehrenamtler sein .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Stattdessen möchte ich – darauf lege ich ganz be­
sonders großen Wert – für die Stärkung der Soziokul­
tur plädieren . Das ist ein Punkt, auf den Sie Ihren Blick
nicht richten. Tatsächlich ist es so, dass viele geflüchtete
Menschen auch im Kulturbereich nachhaltige Teilhabe­
möglichkeiten in soziokulturellen Zentren bekommen
können . Sie ermöglichen umfassende Partizipation für
Menschen jedes Alters, jeder Nationalität und jeder Her­
kunft . Sie alle sind in soziokulturellen Zentren richtig
aufgehoben . Hier steht eine große Bandbreite an künstle­
rischen Angeboten und Aktivitäten zur Verfügung, gera­
de auch im ländlichen Raum . Notwendig ist deshalb eine
nachhaltige Erhöhung und Sicherung der Mittel für die
Soziokultur, für die Stärkung gesellschaftlicher Teilhabe
durch Kulturangebote für alle .

Vielen Dank .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1812719700

Die Kollegin Dagmar Wöhrl hat für die CDU/CSU­

Fraktion das Wort .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge­ ordneten der SPD)



Dagmar G. Wöhrl (CSU):
Rede ID: ID1812719800

Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen!

Meine Damen und Herren! Deutschland, sagt man, ist
das Land der Dichter und Denker . Da fallen uns sehr
viele Vertreter ein, ob in der deutschen Literatur Johann
Wolfgang von Goethe, Koryphäen der klassischen Musik
wie Ludwig van Beethoven oder zeitgenössische Maler
wie Gerhard Richter . Aber daneben gibt es viele Kultur­
schaffende, deren Namen uns nicht bekannt sind, die in
den vielen kleinen Theatern, in den kleinen Kinos, auf
den kleinen Bühnen ihre Arbeit machen, die gestalten
und die Kultur mit weiterentwickeln .

Unsere Kultur ist vielfältig; darauf sind wir stolz . Sie
ist genauso vielfältig wie Deutschland und seine Regio­
nen, ob Malerei, Musik, Film oder darstellende Künste .
Sie ist beeindruckend . Das gilt nicht nur für die Kultur­
metropolen wie Berlin mit den großen Staatstheatern und
Opernhäusern, sondern auch für den ländlichen Raum .

Es ist von meinen Vorrednerinnen und Vorrednern an­
gesprochen worden: Wir haben einen demografischen
Wandel, Geburtenrückgänge – dieses Jahr ist die Zahl
der Geburten Gott sei Dank wieder ein bisschen höher –
und eine Abwanderung aus ländlichen Gegenden zu ver­
zeichnen, vor allem von jungen Menschen, die es immer
mehr in die Stadt zieht . Das heißt, es gibt ein Problem .
Die Flüchtlingsströme, die uns derzeit erreichen, sind
natürlich unumstritten die größte Herausforderung, die
wir in diesen Tagen, in diesen Wochen und auch in den
nächsten Monaten zu bewältigen haben . Auch hier gibt
es kulturpolitische Herausforderungen; denn kulturpoli­
tische Teilhabe ist gesellschaftliche Teilhabe und somit
auch ein ganz wichtiger Schlüssel zur Integration .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Menschen mit Migrationshintergrund prägen unse­
re Gesellschaft und unser kulturelles Leben und – das
dürfen wir nicht vergessen – bereichern es auch . Inte­
gration heißt auch, kulturelle Werte und Traditionen zu
vermitteln, und zwar in beide Richtungen: von uns auf
die Flüchtlinge und Migranten und von den Flüchtlingen
und Migranten auf uns . Tanz, Theater, Film und Musik
können hier einen wichtigen Beitrag leisten .

Kultur war schon immer ein verbindendes Element
über Grenzen hinweg . Das haben wir schon sehr oft er­
wähnt und wissen wir alle . Sie ist aber auch ein verbin­
dendes Element zwischen Land und Stadt und zwischen
Jung und Alt . Sie ist eine gemeinsame Sprache und stiftet
Identität, wie das vorhin auch schon zu Recht erwähnt
worden ist . Wir leben in Zeiten der Veränderungen . In
diesen bietet sie Halt und hilft sie uns, den gesellschaft­
lichen Wandel zu bewältigen .

Was bedeutet das alles aber für den ländlichen Raum?
Wie schon erwähnt, ist der ländliche Raum besonders
stark vom demografischen Wandel betroffen. Sicher
geht es auf dem Land vorrangig um Daseinsvorsorge,
also darum, dass etwa der Tante­Emma­Laden erhalten
bleibt und dass die ärztliche Versorgung weiterhin zur
Verfügung steht . Es geht aber auch um die Aufrecht­
erhaltung eines Kulturangebotes . Das ist eine Herausfor­
derung, und zwar auch deswegen, weil die Kommunen,
wie wir wissen, immer weniger Einnahmen und auf der
anderen Seite aufgrund der Flüchtlingsströme natürlich
mehr Ausgaben als früher haben . Und wo wird als Ers­
tes gespart? Das geschieht im Kulturbereich – das wissen
wir –, weil die Förderung der Kultur eine freiwillige Auf­
gabe der kommunalen Selbstverwaltung ist und man dort
am schnellsten Geld einsparen kann .

Mit der Veränderung der Bevölkerungsstruktur wan­
delt sich aber auch noch etwas anderes, nämlich das
Kulturinteresse des Publikums und das Publikum selbst .
Statt Opern und anderer Hochkultur sind zukünftig ande­
re Kulturangebote und Formate gefragt .

Das heißt, Kulturpolitik ist auch Standortpolitik . Wir
müssen in den ländlichen Gebieten Angebote schaffen,
mit denen wir Städter dazu bekommen, wieder aufs Land
zu ziehen . Dafür brauchen wir ein spezielles Kulturmar­
keting in diesem Bereich und andere Formen des kultu­
rellen Angebotes, wie zum Beispiel Festivals .

Ulle Schauws






(A) (C)



(B) (D)


Wir wissen, dass Regionen, die wirtschaftlich und kul­
turell aktiv sind, wachsen . Es wird immer unterschätzt,
welche Auswirkungen ein kulturelles Angebot hat . Wenn
man über den Fachkräftemangel spricht, sucht man im­
mer Kriterien zur Mitarbeiterbindung . Hier ist auch die
Kultur ein ganz wichtiger Punkt . Sie ist für viele ein
Grund, mit ihrer Familie in eine bestimmte Gegend zu
ziehen. Die Menschen identifizieren sich mit der Region,
in der sie leben. Sie finden in dieser Region Halt und füh­
len sich mit ihrer Heimat verbunden . Wenn sie wissen,
dass dort unter anderem auch ein kulturelles Angebot ge­
geben ist, dann bleiben sie auch dort . Das heißt, die Kul­
tur ist längst nicht mehr ein weicher Standortfaktor, wie
das früher vielleicht einmal der Fall gewesen ist .

Ich finde, in dem Antrag wird sehr gut herausgearbei­
tet, dass die Handlungsfelder natürlich neu beackert wer­
den müssen . Es geht dabei auch darum, neue Finanzie­
rungswege, neue Zielgruppen und neue Nutzer zu finden
und die kulturelle Bildung in diesem Bereich stärker in
den Fokus zu stellen .

Dabei müssen alle Altersgruppen berücksichtigt wer­
den . Durch die Jugendarbeit müssen die jungen Leute
sehr viel mehr begeistert werden . Sie müssen von An­
fang an in die kulturellen Planungen einbezogen werden .
Das fängt schon im Kindergarten an und gilt auch für die
Schulen . Eines darf man nämlich nie vergessen: Unsere
Kinder sind das Kulturpublikum und die Kulturschaffen­
den von morgen . Deswegen muss man das Interesse und
die Begeisterung früh wecken .

Natürlich müssen wir hier auch die Senioren sehr stark
in den Blick nehmen . Die Zahl der über 60­Jährigen in
den ländlichen Räumen in Deutschland nimmt von 2009
bis 2030 um über 50 Prozent zu . Das bedeutet, dass zum
Beispiel auch mobile Bücherbusse für immobile Nutzer
wie Senioren unter anderem ein Baustein für ein anderes
Kulturangebot in diesem Bereich sind . Es ist schon an­
gesprochen worden, dass das bürgerschaftliche Engage­
ment dabei eine ganz wichtige Stütze ist .

Eines müssen wir natürlich auch sehen: Jede Krise hat
natürlich auch eine Chance, nämlich die Chance, sich mit
dem Thema auseinanderzusetzen – so wie wir jetzt mit
diesem Antrag –, um neue, kreative Konzepte zu entwi­
ckeln, um über neue kulturelle Angebote – mobile Ki­
nos, Kreativzentren oder vieles andere mehr –, aber auch
über neue Finanzierungsmöglichkeiten nachzudenken .
Wir wissen, dass wir in diesem Zusammenhang immer
wieder auf das Thema Finanzierung zurückkommen und
es auch Kooperationen, Partnerschaften – Kirche, Schu­
le, Unternehmen, die dort vor Ort sind – gibt sowie die
Förderung des bürgerschaftlichen Engagements; das ist
vorhin auch erwähnt worden . Es sind gute Punkte an­
gesprochen worden, wie die Kooperationsmodelle, wie
die Kulturpolitikforschung, um Angebote zu schaffen,
die die Kulturakteure auch wirklich nutzen . Es geht hier
also darum, nicht am Menschen vorbei, sondern mit den
Menschen aktiv zu werden, und um Förderprogramme,
von denen sie profitieren.

Die Vereinfachung des Antrags­ und Vergabesystems
für die Kulturförderung ist angesprochen worden . Wir
haben gestern im Ausschuss auch die Initiative Kultur­

und Kreativwirtschaft der Bundesregierung debattiert .
Auch sie muss im ländlichen Raum stärker aktiv werden .

Wir haben ein Ziel . Unser Ziel ist es, die Kulturschaf­
fenden, die Initiativen vor Ort bestmöglich zu unterstüt­
zen, damit diejenigen, die im ländlichen Raum zu Hau­
se sind, auch zukünftig sagen: Bei uns ist die Kultur zu
Hause .

Vielen Dank für die Aufmerksamkeit .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1812719900

Das Wort hat die Kollegin Hiltrud Lotze für die SPD­

Fraktion .


(Beifall bei der SPD)



Hiltrud Lotze (SPD):
Rede ID: ID1812720000

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Verehrte Gäste auf den

Besuchertribünen! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der
ländliche Raum, auf den unser Antrag zur Stärkung der
Kultur abzielt, das sind manchmal auch solche Regio­
nen, in denen im schlechtesten Fall außer dem Schulbus
seit Jahren kein Bus mehr fährt, aus denen viele junge
Menschen längst in die nächste Stadt gezogen sind, in die
kaum noch jemand zieht, weil das letzte Kino, die letzte
Kneipe und der letzte Einkaufsladen zugemacht haben .
Die Demografie tut ein Übriges, dass sich ganze Land­
striche langsam entvölkern .

Dass sich manche Landkreise und Regionen trotz die­
ser Aussicht nicht mit ihrem Schicksal abfinden, das zeigt
beispielhaft der Landkreis Lüchow­Dannenberg in mei­
nem Wahlkreis . Lüchow­Dannenberg war Zonenrandge­
biet und an drei Seiten von der DDR eingegrenzt . Heute
leben dort noch 40 Einwohner pro Quadratkilometer . Das
Wendland und die Region dort haben zu Recht einen gu­
ten Ruf unter Naturliebhabern . Es gibt die wunderbare
Flusslandschaft Elbe, die einzigartigen Rundlingsdörfer
und andere schöne Dinge mehr . Aber fehlende Arbeits­
plätze, schwache Wirtschaftskraft und schlechte Anbin­
dung bewirken, dass die Menschen eher wegziehen als
zuziehen, und die, die dableiben, werden immer älter .

Dieser Trend ist dort zwar nicht gestoppt, aber die
Menschen haben den Kampf um ihre Region nicht auf­
gegeben . Das Wendland punktet mit einer vielfältigen
Kultur, die auf ehrenamtlicher Basis mit sehr viel Ehrgeiz
und Kreativität umgesetzt wird . Es würde meine Redezeit
deutlich überschreiten, wenn ich all die tollen Projekte
aufzählen würde . Herausragend dort ist die „Kulturelle
Landpartie“, das größte selbstorganisierte Kulturfestival
in Norddeutschland .


(Tabea Rößner [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Super!)


– Genau, ich höre hier schon: Das ist super . Ich habe auch
schon einige dort getroffen .

Zehntausende Besucher kommen jährlich für zwölf
Tage ins Wendland, um Kunst und Kultur, Theater, Mu­
sik, offene Werkstätten, traditionsreiches Handwerk zu
erkunden . Entstanden ist die Kulturelle Landpartie üb­

Dagmar G. Wöhrl






(A) (C)



(B) (D)


rigens aus dem Atomwiderstand, und dazu gibt es auch
vielfältige Angebote . Die Betonung liegt hier auf „selbst­
organisiert“, denn das kulturelle Angebot wird von den
Bürgerinnen und Bürgern vor Ort bestritten .

Natürlich – das ist hier mehrfach gesagt worden – darf
bürgerschaftliches Engagement nicht die Verantwortung
der öffentlichen Hand für Finanzierung und Ermögli­
chung von Kultur ersetzen . Genau dieses Spannungsfeld
lotet unser Antrag hervorragend aus .

Das Beispiel Wendland zeigt aber sehr deutlich, dass
die Politik in vielen ländlichen Regionen an tolle Eigen­
initiativen anknüpfen kann . Unsere Aufgabe ist es, die
Rahmenbedingungen zu schaffen, um das Engagement
vor Ort zu unterstützen und anzuerkennen . Wir müssen
es den Menschen noch einfacher machen, ihre Ideen vor
Ort umzusetzen .

Der Antrag zielt genau darauf ab, indem er fordert,
bürokratische Hürden abzubauen, Förderdatenbanken
übersichtlich zu bündeln und umfassende Beratung zu
gewährleisten, um die Kulturinitiativen vor Ort zu unter­
stützen . – Ich bin gleich fertig . – Das Beantragen von
Fördergeldern muss vereinfacht werden . Denn oftmals
scheitern Initiativen daran, dass die Antragstellung zu
zeitaufwendig und kompliziert ist .

Das alles muss verbessert werden; dann kann die Kul­
tur einen Beitrag dazu leisten, dass in den ländlichen Re­
gionen das Licht an bleibt und hell strahlt .

Die Kulturelle Landpartie – damit komme ich zum
Schluss – findet immer zwischen Himmelfahrt und
Pfingsten statt. Ich darf alle einladen, einmal daran teil­
zunehmen . Sie werden begeistert sein .

Vielen Dank .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1812720100

Vielen Dank, Frau Kollegin Lotze . Ehrlich gesagt,

wenn alle so pünktlich wären, was die Redezeit angeht,
dann hätten wir manche Probleme weniger . Das war
wirklich vorbildlich .

Frau Lotze war die letzte Rednerin zu diesem Tages­
ordnungspunkt . Damit beenden wir die Aussprache .

Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Ausschus­
ses für Kultur und Medien zu dem Antrag der Fraktionen
der CDU/CSU und SPD mit dem Titel „Zukunftswei­
sende Kulturpolitik im demografischen Wandel – Stär­
kung der Kultur im ländlichen Raum“ . Der Ausschuss
empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksa­
che 18/6167, den Antrag der Fraktionen der CDU/CSU
und SPD auf Drucksache 18/5091 anzunehmen . Wer
stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt
dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschlussempfeh­
lung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen
die Stimmen der Fraktion Die Linke bei Enthaltung der
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen .

Ich rufe Tagesordnungspunkt 9 auf:

Erste Beratung des von den Abgeordneten Katja
Keul, Ulle Schauws, Renate Künast, weiteren Ab­
geordneten und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines … Geset-
zes zur Änderung des Strafgesetzbuches zur Ver-
besserung des Schutzes vor sexueller Misshand-
lung und Vergewaltigung

Drucksache 18/5384
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz (f)

Innenausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 38 Minuten vorgesehen . – Ich sehe kei­
nen Widerspruch . Dann ist das so beschlossen .

Ich eröffne die Aussprache . Das Wort hat die Kollegin
Katja Keul, Bündnis 90/Die Grünen .


Katja Keul (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1812720200

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Mit unserem heutigen Vorschlag zur Reform
des § 177 Strafgesetzbuch zeigen wir einen Weg auf, wie
ein jahrzehntealtes Problem beim Straftatbestand der se­
xuellen Nötigung bzw . Vergewaltigung aus dem Weg ge­
räumt werden kann . Bis heute ist ein sexueller Übergriff
nur dann strafbar, wenn der Täter das Opfer nötigt, und
zwar mit Gewalt oder durch Drohung mit einer Gefahr
für Leib und Leben . In vielen Fällen müssen daher die
Verfahren nicht aus Beweisgründen eingestellt werden,
sondern weil der Sachverhalt schlicht nicht strafbar ist .

Ich will Ihnen einige Beispiele dafür aus der Praxis
nennen . Das sind zunächst die Fälle, in denen der zeit­
liche Zusammenhang zwischen der Gewalt und der se­
xuellen Handlung unterbrochen ist . So konnte ein Täter
nicht wegen Vergewaltigung verurteilt werden, der zuvor
den Freund seiner Exfrau in deren Anwesenheit erschoss,
diese mit vorgehaltener Pistole zwang, mit ihm zu kom­
men, und schließlich in einem Hotelzimmer den Sexual­
verkehr mit ihr durchführte, nachdem er seine Waffe
weggelegt hatte .

Nicht strafbar sind des Weiteren die sogenannten
Überraschungsfälle, in denen der Täter keine Nötigungs­
mittel einsetzen muss, weil das Opfer gar nicht mit einem
Übergriff rechnet, wie in dem Fall eines Aktmodels, das
vom Täter gebeten wurde, sich mit dem Rücken zu ihm
an die Wand zu stellen . Als dieser dann völlig unvermit­
telt in das Opfer eindrang, war dieses zu überrascht, um
den Angriff abzuwehren .

Da sind weiter Fälle, in denen das Opfer aus anderen
Gründen keinen Widerstand leistet, weil es entweder aus
Erfahrung weiß, dass der Täter gewalttätig wird, oder
weil das Opfer nicht will, dass die Kinder oder die Nach­
barn etwas von der Tat mitbekommen .

Auch die Einführung der dritten Tatbestandsalter­
native im Jahr 1997, wonach die Nötigung durch Aus­
nutzung der schutzlosen Lage strafbar wurde, hat für
die betreffenden Fälle keine Besserung gebracht . Im

Hiltrud Lotze






(A) (C)



(B) (D)


Zweifelsfall muss das Opfer nach wie vor erklären und
beweisen, warum es nicht weggelaufen ist, warum es
nicht geschrien hat, warum es sich nicht gewehrt hat . Die
deutsche Rechtslage entspricht damit nicht der Istanbul­
Konvention vom Mai 2011, wonach nicht einvernehm­
lich ausgeübte sexuelle Handlungen unter Strafe gestellt
werden müssen, unabhängig von der Frage der Wider­
standsleistung .

Wir schlagen Ihnen daher einen neuen § 177 Absatz 2
vor, der keine zusätzliche Nötigungshandlung des Täters
erfordert, wenn dieser die Arg­ oder Wehrlosigkeit des
Opfers ausnutzt oder der entgegenstehende Wille des Op­
fers erkennbar zum Ausdruck gebracht worden ist . Die
Erkennbarkeit des entgegenstehenden Willens ist selbst­
verständlich im Verfahren zu beweisen, wie dies bisher
bei allen Tatbestandsmerkmalen der Fall war . Die Be­
weislage wird dadurch nicht besser oder schlechter . Sie
ist bei Sexualdelikten häufig schwierig. Aber das ist kein
Grund, die Tat als solche nicht unter Strafe zu stellen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Es muss den Opfern künftig erspart werden, dass das
Verfahren trotz erwiesenem und erkennbar entgegenste­
hendem Willen eingestellt werden muss und den Tätern
damit noch nachträglich staatlicherseits attestiert wird,
dass sie das Recht auf ihrer Seite hatten . Wer erkannt
hat, dass der andere den Verkehr nicht will, macht sich
nach unserem Vorschlag strafbar, wenn er diesen trotz­
dem durchführt . Unser Gesetzentwurf stellt damit klar:
Nein heißt Nein .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Wir haben deshalb auch die sexuelle Nötigung im
geltenden § 240 Absatz 4 nicht nur aus systematischen
Gründen in § 177 Absatz 1 integriert, sondern auch dort
eine weitere Lücke geschlossen . Bei diesem Tatbestand
geht es um die einfache Nötigung mit einem empfind­
lichen Übel, also nicht um die qualifizierte Nötigung mit
einer Gefahr für Leib und Leben . Bislang macht sich
danach nur strafbar, wer zu einer sexuellen Handlung
nötigt, nicht aber zur Duldung einer solchen Handlung .
So musste ein Handballtrainer freigesprochen werden,
der einer Spielerin drohte, sie dürfe nicht bei dem ent­
scheidenden Wettkampf mitspielen, wenn sie den Ge­
schlechtsverkehr nicht dulde . Mit dem von uns vorge­
schlagenen § 177 Absatz 1 ist die sexuelle Nötigung nun
in beiden Varianten erfasst .

Seit Juli wissen wir, dass auch das Bundesjustizmi­
nisterium einen Vorschlag zur Behebung der dargelegten
Probleme erarbeitet hat . Leider hatten Sie dabei nicht den
Mut, § 177 selbst zu reformieren, sondern haben stattdes­
sen lediglich an § 179, dem sexuellen Missbrauch wider­
standsunfähiger Personen, Änderungen vorgenommen .
Dieser Tatbestand ist allerdings schon in seiner bisheri­
gen Form missglückt, da er unter anderem eine Sonder­
regel für Behinderte und damit eine Diskriminierung ent­
hält . Dieser Sondertatbestand ist nicht reformierbar . Er
gehört schlicht gestrichen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Nach unserem Vorschlag sind alle Personen – aus wel­
chen Gründen auch immer sie keinen Widerstand leis­
ten – vom neuen § 179 Absatz 2 geschützt . Da braucht es
keinen gesonderten Tatbestand mehr .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Außerdem sieht Ihr Entwurf noch immer vor, dass das
Opfer im Falle des Widerstands ein empfindliches Übel
befürchten muss . Ein offensichtlich entgegenstehender
Wille des Opfers ist nach Ihrem Entwurf kein strafbe­
wehrtes Hindernis, den Verkehr trotzdem zu vollziehen .
Das genügt weder uns noch den Anforderungen der Is­
tanbul­Konvention .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Immerhin haben Sie den Handlungsbedarf anerkannt .

Was uns wirklich irritiert hat, war der Bericht in der taz
vom 9 . September, wonach das Kanzleramt die Reform
des Vergewaltigungstatbestandes vorerst gestoppt hat .
Ich kann mich gar nicht daran erinnern, dass Vertreter
des Kanzleramtes in der Expertenanhörung am 13 . Ok­
tober 2014 anwesend waren . Dort wäre die Gelegenheit
gewesen, sich von der Unzulänglichkeit des deutschen
Strafrechts zu überzeugen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg . Lothar Binding [SPD])


Bis auf Herrn Fischer – ihn lassen wir einmal außen
vor – waren sich die Fachleute weitgehend einig und
haben die Kolleginnen und Kollegen der Koalitionsfrak­
tionen überzeugen können . Der Kollege Wiese von der
SPD wurde damit zitiert, dass ihn die Blockadehaltung
des Kanzleramtes völlig unverständlich sei . Die Kollegin
Winkelmeier­Becker hat zu Recht darauf hingewiesen,
dass die Fraktionen den Entwurf schließlich auch ohne
Zustimmung des Kanzleramtes in den Bundestag ein­
bringen können .


Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1812720300

Frau Kollegin, denken Sie an die Zeit .


Katja Keul (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1812720400

Ich komme zum Ende . – Das wäre sicherlich das Beste

im Sinne der Opfer sexueller Misshandlung . Wir sind uns
jedenfalls einig, was den Regelungsbedarf betrifft, auch
wenn wir unterschiedliche Vorschläge gemacht haben .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg . Halina Wawzyniak [DIE LIN­ KE])


Ich hoffe, dass ich Sie von den Vorzügen unseres Ent­
wurfs überzeugen konnte, und freue mich auf eine kon­
struktive Auseinandersetzung über die beste Lösung –
mit oder ohne Kanzleramt .

Vielen Dank .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Katja Keul






(A) (C)



(B) (D)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1812720500

Vielen Dank . – Nächster Redner ist Alexander

Hoffmann, CDU/CSU­Fraktion .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Alexander Hoffmann (CSU):
Rede ID: ID1812720600

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Geschätzte Kollegin­

nen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und
Herren auf den Besuchertribünen! Ich gebe zu, dass es
bisweilen für Sie als Besucher schwierig ist, rechtspoli­
tischen Debatten hier zu folgen . Sie gelten bisweilen als
langweilig . Aber wir haben heute ein Thema, das aus dem
Leben gegriffen ist, glaube ich, im wahrsten Sinne des
Wortes griffig, an mancher Stelle sicher schwere Kost.

Ich will Sie ein bisschen durch das Thema führen . Um
was geht es? In Deutschland sind sexuelle Handlungen
nur gegen den Willen des Opfers per se nicht strafbar .
Das Problem verorten wir in § 177 StGB . – Liebe Kolle­
gin Keul, ich bin sehr dankbar, dass Sie unmissverständ­
lich klargemacht haben, dass wir alle Handlungsbedarf
dort sehen . – Das führt in der Praxis bisweilen zu ko­
misch anmutenden Fällen; Sie hatten einige geschildert .

Meine Damen, meine Herren, stellen Sie sich vor:
Eine Frau ist mit einem Trinker verheiratet . Der kommt
eines Abends sturzbetrunken aus der Kneipe nach Hause,
will den Beischlaf mit ihr vollziehen . Sie will das nicht,
weist mehrmals darauf hin . Es kommt am Schluss doch
dazu, weil sie sich fügt, weinend und verkrampft, weil
sie Angst hat, dass die Kinder im Nachbarzimmer etwas
mitbekommen, dass die Nachbarn etwas mitbekommen
oder dass er wieder übergriffig wird, wie das schon ein­
mal der Fall gewesen ist . – Dieser Fall – das muss man
sich einmal vorstellen – ist nicht strafbar, selbst wenn der
Mann am nächsten Tag in die Kneipe geht und sich mit
dieser Tat brüstet .

Ein anderer Fall ist der von dem Model, den Sie vor­
hin angesprochen haben, wo das paralysierte Mädchen
so überrumpelt ist, dass es zu keiner Gegenwehr kommt .

Das Problem ist die Formulierung von § 177 StGB,
der im Moment drei Alternativen vorsieht: Die sexuel­
le Handlung muss entweder mit Gewalt vorgenommen
worden sein oder durch eine Drohung mit gegenwärtiger
Gefahr für Leib oder Leben oder unter Ausnutzung einer
Lage, in der das Opfer der Einwirkung des Täters schutz­
los ausgeliefert ist . Dabei hat der Gesetzgeber 1997 diese
dritte Alternative ins StGB aufgenommen, weil er gerade
Fälle erfassen wollte, in denen das Opfer keine Schutz­
und keine Verteidigungsmöglichkeiten hat .

Die obergerichtliche Rechtsprechung hat diese Alter­
native aber immer in einem Kontext gesehen, nämlich
dass es eine enge Verbindung zur Nötigung geben muss,
und hat sehr hohe, restriktive Anforderungen gestellt,
weil auch das Strafmaß verhältnismäßig hoch ist . Des­
wegen fordert der BGH wie bei § 240 StGB – Nötigung –
nicht nur die bloße Willensmissachtung; es muss vor dem
Nötigungserfolg noch eine Nötigungskomponente, und
zwar eine objektive Nötigungskomponente, eine objek­
tive Zwangslage vorliegen .

§ 177 Absatz 1 Nummer 3 ist also dahin gehend streng
auszulegen, dass objektiv gesehen keine Schutz­, Flucht­
oder Hilfsmöglichkeiten für das Opfer vorhanden sein
dürfen . Bei dieser objektiven Betrachtung ist die Sicht
des Opfers nicht entscheidend . Es genügt auch das bloße
Alleinsein nicht, und ebenso reicht es nicht aus, wenn
nur das Opfer das Gefühl hat: Ich befinde mich in einer
hilflosen Lage. – Deswegen sind die geschilderten Fälle
aktuell straflos.

Hinzu kommt – Sie haben es gesagt –, dass wir auf
europäischer Ebene dringenden Handlungsbedarf ange­
zeigt bekommen haben . Deutschland hat die Istanbul­
Konvention unterzeichnet . Das ist ein europäisches Re­
gelwerk . Darin ist in Artikel 36 Absatz 1 vereinbart, dass
die Mitgliedstaaten sicherzustellen haben, dass jedwede
sexuelle Handlung gegen den Willen des Opfers in ihrem
Hoheitsgebiet unter Strafe gestellt wird . Es gibt Frauen­
verbände, die uns auf den Handlungsbedarf hingewiesen
haben; auch der Deutsche Juristinnenbund hat das getan .

Ich bin sehr froh, dass die CDU/CSU­Bundestags­
fraktion im Frühsommer des letzten Jahres sehr früh ganz
klar Position bezogen und Handlungsbedarf signalisiert
hat . Wir waren damals schon der Meinung: Ein Nein ist
ein Nein, und wenn der Täter dieses Nein positiv kennt
oder es auch nur billigend in Kauf nimmt, ist es eine
strafwürdige Handlung .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD so­ wie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Das Ministerium – ich denke, das darf man an dieser
Stelle sagen – war zunächst etwas zögerlich . In einem
Referentenentwurf vom 7 . April des letzten Jahres wurde
noch kein Handlungsbedarf gesehen . Es kam aber dann
sehr schnell – auch durch die fruchtbare öffentliche De­
batte – Bewegung rein . Zunächst wurde bekundet: Wir
wollen das prüfen . – Am Schluss wurde nach einer Län­
derabfrage sehr deutlich gemacht: Wir müssen dort et­
was verändern . – Das Ergebnis ist jetzt ein Entwurf, der
noch nicht im offiziellen Verfahren ist. Er befindet sich
in der Ressortabstimmung . Da sage ich: Meine Damen,
meine Herren, das ist doch eine Entwicklung, mit der wir
gerechnet haben . Wir haben doch gewusst, wir kommen
irgendwann an einen Punkt, an dem es um einzelne For­
mulierungen geht, an dem es um Fragen geht wie: Wie
werden wir einzelne Dinge nachweisen können? Wie
praxistauglich ist eine Formulierung? Der Entwurf hat
nämlich meines Erachtens die positive Seite: Er versucht
sehr umfassend, Schutzlücken zu schließen . Aber er lo­
tet damit natürlich auch Grenzen aus, weil er die Grenze
ziehen muss zwischen dem, was strafbar ist, und dem,
was vielleicht nur moralisch zu missbilligen ist . Ich will
Ihnen dazu zwei Fälle nennen .

Es muss zweifelsohne strafbar sein, wenn ein Chef
oder eine Chefin sexuelle Handlungen einfordert und
nur bei dieser Gegenleistung eine Beförderung anbietet .
Aber es ist vielleicht nur moralisch zu missbilligen, wenn
eine Mitarbeiterin oder ein Mitarbeiter mit dem oder der
Vorgesetzten eine sexuelle Beziehung aufbaut in der
Hoffnung, dass sich das vielleicht später einmal positiv
auf die Karriere auswirkt . Der Unterschied ist, dass im






(A) (C)



(B) (D)


zweiten Fall kalkuliert und frei ein Wille gebildet werden
konnte .

Deswegen ist es, denke ich, ganz wichtig, dass jetzt
gerade in der Ressortabstimmung noch einmal ganz
trennscharf geschaut wird: Wie ist das im Einzelfall zu
diskutieren und zu formulieren? Denn wir alle sind uns
doch darüber im Klaren: Strafrecht ist Ultima Ratio . Es
ist niemandem gedient, wenn am Schluss ein Entwurf auf
dem Tisch liegt, der unter Umständen sozial adäquates
Verhalten unter Strafe stellt . Es ist ein Ringen um Formu­
lierungen . Das braucht Zeit . Da gebe ich zu, dass Ihr For­
mulierungsvorschlag in diesem Prozess durchaus einen
sinnvollen Beitrag leistet . Sie haben eine Formulierung
aufgegriffen, die auch schon in der Anhörung zur Spra­
che kam, nämlich eine Strafbarkeit dann zu etablieren,
wenn der Täter das Opfer durch eine Drohung mit einem
empfindlichen Übel zu sexuellen Handlungen nötigt,
wenn der Täter die Arg­ oder Wehrlosigkeit des Opfers
ausnutzt, wodurch auch die Fälle des schlafenden Opfers
erfasst wären, oder wenn der entgegenstehende Wille des
Opfers eindeutig zum Ausdruck kommt .

Aber der Teufel liegt natürlich im Detail . Auch die­
ser Entwurf begegnet am Ende denselben Schwierig­
keiten wie im Moment der Referentenentwurf . Denn die
Kunst wird natürlich dann in der Praxis sein, diesen ent­
gegenstehenden Willen auch tatsächlich nachweisen zu
können . Ich persönlich würde ohnehin empfehlen, nicht
§ 177 zu ändern, sondern eher § 179 zu reformieren, weil
§ 177 historisch immer an der Nötigung orientiert war
und wir natürlich auch dem Umstand vorbeugen müssen,
dass uns später wieder eine obergerichtliche Rechtspre­
chung einholt .

Ein weiterer Aspekt, der mir in diesem Zusammen­
hang wichtig ist, ist, dass ich schon glaube, dass es einen
Unterschied machen muss, ob der Täter eine vorgefunde­
ne Situation ausnutzt oder ob er mit eigenen Maßnahmen
eine Situation erzeugt, um den entgegenstehenden Willen
zu beugen . Das ist ein Unterschied im Unrechtsgehalt,
und das muss sich am Schluss auch in unterschiedlichem
Strafrahmen auswirken .

Ein letzter Punkt, der mir noch wichtig ist: Wenn wir
darangehen und sagen: „Wir wollen umfassend Lücken
schließen“, dann sollten wir uns auch Artikel 46 der Is­
tanbul­Konvention vornehmen . Dieser sieht nämlich vor,
dass sich die Mitgliedstaaten Gedanken darüber machen
müssen, ob es sich nicht sogar strafschärfend auswirken
muss, wenn die Tat an einer Person begangen wird, die
aus besonderen Gründen schutzbedürftig geworden ist .
Da denke ich vor allem an Menschen mit Behinderung .
Im Moment haben wir die Situation, dass in § 179 die
Mindeststrafe sogar niedriger ist, wir also eher über eine
Diskriminierung nachdenken müssen . Wir sollten das
zum Anlass nehmen, darüber nachzudenken, ob sich
die sexuelle Misshandlung oder die Vergewaltigung von
einem Menschen mit Behinderung nicht sogar strafschär­
fend auswirken muss .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge­ ordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN)


Ich freue mich auf die weitere Beratung . Wir werden
noch viel über dieses Thema diskutieren, aber ich denke,
sehr sachorientiert .

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge­ ordneten der SPD)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1812720700

Vielen Dank, Herr Kollege . – Nächste Rednerin ist

Halina Wawzyniak, Fraktion Die Linke .


(Beifall bei der LINKEN)



Halina Wawzyniak (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1812720800

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Kolleginnen

und Kollegen! Der Gesetzentwurf von Bündnis 90/Die
Grünen weist zu Recht darauf hin – das haben schon alle
gesagt –, dass die derzeitige Regelung zum Schutz vor
sexueller Misshandlung und Vergewaltigung nicht aus­
reichend ist . Ich gebe persönlich zu: Ich habe das in der
letzten Legislaturperiode noch nicht so gesehen . Mich
hat die Anhörung zur Istanbul­Konvention davon über­
zeugt, dass eine neue gesetzliche Regelung notwendig
ist . Manchmal bringen Anhörungen tatsächlich etwas .

Die Schutzlücke liegt meines Erachtens darin, dass
der bisherige § 177 StGB, auch wenn er anders gedacht
war, insbesondere mit der Formulierung in Absatz 1
Nummer 3 „Ausnutzung einer Lage, in der das Opfer der
Einwirkung des Täters schutzlos ausgeliefert ist“ immer
noch eine Nötigung voraussetzt . Eine Nötigung liegt vor,
wenn einer natürlichen Person ein bestimmtes Verhal­
ten aufgezwungen werden soll und das Nötigungsmittel
auf Willensbeugung oder Ausschaltung des Willens ge­
richtet ist, und das durch Anwendung unwiderstehlichen
Zwangs, namentlich durch Gewalt oder Drohung mit
einem empfindlichen Übel. Das ist das Grundproblem in
diesem Paragrafen . Das verhindert, dass der Grundsatz
„Ein Nein ist ein Nein“, den alle verankern wollen, auch
tatsächlich umgesetzt werden kann . Der Gesetzgeber
sollte sehr deutlich formulieren, dass ein Nein ein Nein
und zu akzeptieren ist . Punkt . Aus . Ende der Debatte . –
Ein Nein ist ein Nein .


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Bündnis 90/Die Grünen haben nun einen Versuch
unternommen, eine Neuregelung vorzuschlagen. Ich fin­
de das ausgesprochen verdienstvoll. Ich finde vor allen
Dingen verdienstvoll, dass mit dem Absatz 2 der Versuch
unternommen wird, von der „Nötigung“ Abstand zu neh­
men . Trotzdem überzeugt mich das nicht ganz, weil in
dem Gesetzentwurf insbesondere das Verhältnis von Ab­
satz 4 zu Absatz 5 für mich nicht ganz eindeutig ist . In
Absatz 4 wird auf Gewalt oder Drohung abgestellt; da ist
die Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr . Das ist okay .
Der Absatz 5 wiederum lässt aufgrund seiner Formulie­
rung und der Begründung offen, ob für einen besonders
schweren Fall Gewalt oder Drohung mit einem Übel
erforderlich sind oder nicht . Das können wir vielleicht
noch klären .

Alexander Hoffmann






(A) (C)



(B) (D)


Mein Grundeinwand bezieht sich auf den mir noch
nicht offiziell bekannten Änderungsvorschlag zum
§ 179 . Aus meiner Sicht können wir es weder mit einer
isolierten Lösung in § 177 noch mit einer in § 179 hin­
bekommen, den Schutz der sexuellen Selbstbestimmung
umfassend zu gewährleisten . Um das umfassend zu re­
geln, müssen wir das gesamte Sexualstrafrecht reformie­
ren, und zwar unter zwei Prämissen:

Erstens . Eine Strafbewehrung nicht einvernehmlicher
sexueller Handlungen verlangt eine klare Willensbekun­
dung, mit der sexuellen Handlung nicht einverstanden zu
sein . Wie diese klare Willensbekundung aussehen kann,
sage ich gleich .

Zweitens . Der Grundsatz „in dubio pro reo“ – das
müssen wir in dieser Debatte auch immer wieder sagen –
ist unverhandelbar . Erst in einem Strafverfahren kann ge­
klärt werden, ob jemand ein Straftäter ist oder nicht . Da
müssen entlastende und belastende Beweise gesammelt
werden .

Wir müssen deutlich machen – ich glaube, das ge­
hört zur Ehrlichkeit dazu –: Ja, wir wollen die gesetz­
liche Klarstellung „ein Nein ist ein Nein“ . Aber wir
müssen auch vor der Illusion warnen, dass es zu mehr
Verurteilungen kommt und dass es einfacher wird . Das
hat zwar in dieser Debatte keiner gesagt; das sage ich
sehr deutlich . Aber manche Reden werden später noch
einmal nachgelesen . Deswegen will ich auf diesen Fakt
hinweisen .

Aus meiner Sicht – dieser Punkt ist bei uns aber noch
umstritten; da müssen wir uns mit den Rechtspolitikern
aus den Ländern noch unterhalten – wäre es denkbar,
einen Grundtatbestand zu formulieren, der beinhaltet,
dass ein Nein ein Nein bedeutet und dass gegen den er­
klärten Willen einer anderen Person keine sexuellen
Handlungen vorgenommen werden dürfen . Der erklärte
Wille kann sowohl ein ausgesprochenes Nein als auch
eine Abwehrhandlung sein .

In der Folge müsste aus unserer Sicht das Sexualstraf­
recht umgestellt werden; ich habe das schon angedeutet .
Wenn man einen solchen Grundtatbestand formuliert,
dann kann man sich überlegen, ob der Qualifikationstat­
bestand entweder vorangestellt oder hintangestellt wird .
Man muss dann überlegen, wo man Missbrauchstatbe­
stände einsortiert, bei denen aus verschiedenen Gründen,
wie zum Beispiel Abhängigkeitsverhältnis, davon aus­
gegangen werden kann, dass kein freier Wille gebildet
werden kann .

Ich finde, die berechtigte Kritik zum § 179 StGB, die
genannt worden ist, spricht dafür, dass man sich noch
einmal umfassender anschauen sollte, ob es nicht sinn­
voll ist, einen Grundtatbestand des Verbots des sexuellen
Missbrauchs zu formulieren, ob man die Missbrauchstat­
bestände nicht an anderer Stelle behandelt und über Qua­
lifikationstatbestände nachdenkt. Deswegen würden wir
gerne das Ergebnis der Expertenkommission, die beim
Bundesministerium für Verbraucherschutz eingerichtet
ist, zur Reformierung des Sexualstrafrechtes abwarten

und dann handeln . Dass gehandelt werden soll, ist, glau­
be ich, unstreitig .


(Beifall bei der LINKEN)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1812720900

Vielen Dank . – Für die SPD­Fraktion erhält jetzt Dirk

Wiese das Wort .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Dirk Wiese (SPD):
Rede ID: ID1812721000

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Die Reform der Vergewaltigung und der se­
xuellen Nötigung ist eines der wichtigsten Reformvor­
haben im Rechtsbereich, die noch vor uns liegen . Es gilt,
Regelungslücken im Strafrecht zu schließen und durch
eine klare Normsetzung die Anzahl der Fehlurteile zu
senken . Deshalb muss hier sauber und ganz genau ge­
arbeitet werden . Ich erinnere mich hier an die 33 . Straf­
rechtsreform im Jahr 1997, bei der das leider nicht so
gewesen ist; denn sie hat zu einigen Regelungslücken
geführt, die wir heute zu beheben versuchen .

Darum, liebe Kolleginnen und Kollegen, möchte ich
im Folgenden auf den Gesetzentwurf der Grünen einge­
hen . Im Detail ist er aus meiner Sicht an der einen oder
anderen Stelle handwerklich nicht gelungen . Sie schaffen
es aus meiner Sicht in Ihrem Gesetzentwurf, nicht nur
Regelungslücken nicht zu schließen, sondern durch un­
bestimmte Rechtsbegriffe neue Regelungslücken zu eta­
blieren . So ist in § 177 Absatz 2 Ihres Gesetzentwurfes
eine Tatbegehungsvariante, dass der Täter die Arg­ oder
Wehrlosigkeit des Opfers ausnutzt . Ihr erklärtes Ziel ist
es, die überraschende Tatbegehung zu bestrafen, wie
es von Frau Keul geschildert wurde und wie es in der
Gesetzesbegründung als Beispielfall steht, in dem das
Opfer sich mit gespreizten Beinen mit dem Rücken zum
Täter stellt, um sich zeichnen zu lassen, der Täter sich
anschleicht und überraschend den Geschlechtsverkehr
ausführt . Hier soll sich nach Ihrem Gesetzentwurf der
Täter strafbar machen, weil er die Arglosigkeit des Op­
fers ausnutzt .


(Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau!)


Wenn Sie aber die Rechtsprechung zur Arg­ oder
Wehrlosigkeit vergleichen, möchte ich bezweifeln, ob
diese Fallkonstellation von Ihrem Gesetzentwurf abge­
deckt ist .


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ­ NEN]: Wir haben mit der Rechtsprechung ge­ redet, Herr Wiese!)


Zumindest bietet sie aber den Raum für breite Ausle­
gungsdebatten . Das ist das, was Sie angeblich mit Ihrem
Gesetzentwurf nicht wollen .

Ferner finde ich es höchst fraglich, wie Sie in Ihrem
Gesetzentwurf den Schutz für widerstandsunfähige Per­
sonen auflockern, indem sie den § 179 StGB streichen
und mögliche Opfergruppen unter dem Tatbestandsmerk­
mal „wehrlos“ subsumieren . Gerade Menschen mit geis­
tiger Erkrankung oder Behinderung sind oftmals nicht

Halina Wawzyniak






(A) (C)



(B) (D)


körperlich wehrlos und fallen deshalb nach Ihrer Defi­
nition möglicherweise aus dem Raster . Hier müssen wir
sehr genau hinschauen . Der Kollege Hoffmann hat schon
darauf hingewiesen .


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ­ NEN]: Wir haben mit der Rechtsprechung ge­ redet! Das ist nicht erfunden!)


Es gibt noch weitere Kritikpunkte, auf die ich aus
Zeitgründen leider nicht komplett eingehen kann . Nur
so viel: Gerade bei schwerwiegenden Taten, die Opfer
mitunter für ein ganzes Leben traumatisieren, muss der
Gesetzgeber den höchstmöglichen Schutz gewähren und
darf keinen breiten Raum für Rechtsinterpretationen las­
sen, wie es in Ihrem Gesetzentwurf an der einen oder an­
deren Stelle noch der Fall ist . Es bedarf aus meiner Sicht
einer Reform mit Augenmaß . Es bedarf eines Entwurfs,
wie ihn Bundesjustizminister Heiko Maas vorgelegt hat,
der in solider Vorarbeit und auch ordentlich bis ins Detail
gut vorbereitet wurde . So hat Bundesminister Maas die
Länder im September 2014 aufgefordert,


(Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Der ist ja kassiert!)


dem Ministerium mitzuteilen, ob Fallkonstellationen aus
der Praxis bei Anwendung von § 177 StGB bekannt sei­
en, die Rechtslücken nahelegen, um verlässliche Fallzah­
len zu bekommen . Die Rückmeldung aus der Praxis of­
fenbarte vor allem vier problematische Konstellationen .

Erstens – das habe ich bereits beschrieben – den Um­
stand, dass Fälle, in denen der Täter den Überraschungs­
moment ausnutzt, wegen des Erfordernisses der Nö­
tigung überhaupt nicht nach § 177 StGB strafrechtlich
erfasst sind .

Zweitens das Erfordernis des § 177 Absatz 1 Num­
mer 3 StGB an einer schutzlosen Lage . Hier reicht nach
aktueller Rechtsprechung nicht das Ausnutzen einer le­
diglich subjektiven schutzlosen Lage durch den Täter .
Das Opfer muss sich objektiv in einer schutzlosen Lage
befinden. In der Praxis führte dies in vielen Fällen zu
einem Tatbestandausschluss, in dem das Opfer sich nur
subjektiv in schutzloser Lage wähnte .

Drittens die Furcht vor Beeinträchtigung, die keine
Körperverletzungs­ oder Tötungsdelikte darstellen, also
in Fällen, in denen der Täter zwar weiß oder zumindest
billigend in Kauf nimmt, dass das Opfer lediglich wegen
des Vorliegens besonderer Umstände keine Gegenwehr
leistet, etwa wenn der Sporttrainer droht, eine Spielerin
beim Endspiel nicht aufzustellen .

Viertens die mangelnde Finalität zwischen Gewalt
oder Drohung und der sexuellen Handlung . Als Beispiel
sei hier der Fall genannt, in dem der Täter Gewalt ausübt,
indem er das Opfer in einem umschlossenen Raum ein­
schließt, das Abschließen jedoch nicht der Ermöglichung
der sexuellen Handlung, sondern nur dem Zwecke dient,
ungestört zu sein .

Dieser und anderer Fallkonstellationen hat sich das
BMJV angenommen, und es hat aus meiner Sicht einen

guten und fundierten Gesetzentwurf vorgelegt, der be­
stehende Regelungslücken in Kürze schließen wird .


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ­ NEN]: Wo ist er denn? Sie geben hier an wie ein Sack Flöhe, aber wo ist er denn? Der Mi­ nister ist nicht da, der Gesetzentwurf ist nicht da!)


– Frau Künast,


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ­ NEN]: Ja! Der Tonfall geht mir echt auf den Senkel!)


Sie müssen uns nachsehen, dass wir an der Stelle ver­
suchen, einen vernünftigen Gesetzentwurf vorzulegen .
Unser Ziel ist es nicht, vor Beginn einer Sitzungswoche
am Samstag in den Spiegel zu kommen und zitiert zu
werden .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Re­ nate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann können Sie mir mal die Pressearbeit Ihres Ministers erklären, der jedes Wochen­ ende abwechselnd die zwei gleichen Themen verkauft, und zwar seit zwei Jahren! Und er hat trotzdem nichts durchgesetzt!)


– Wir freuen uns, dass Sie verspätet zur Debatte gekom­
men sind .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)


Die SPD schreibt aus meiner Sicht Opferschutz groß .
Um es mit den Worten von Bundesjustizminister Heiko
Maas zu sagen:

Vorfahrt für Opferschutz: Keine Vergewaltigung
darf straflos bleiben.

Zuletzt möchte ich aber doch noch ein paar Worte an
unseren Koalitionspartner richten . Ich freue mich sehr,
dass die CDU/CSU­Fraktion – das ist gerade deutlich ge­
worden – den Gesetzentwurf unterstützt .


(Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ­ NEN]: Welchen denn? Der liegt doch gar nicht vor! Der ist doch einkassiert vom Kanzler­ amt!)


Ich hoffe allerdings auch – Frau Winkelmeier­Becker, ich
nehme Sie da beim Wort –, dass Sie zügig dafür sorgen
werden, dass das Bundeskanzleramt die Blockade auf­
gibt .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Der Kollege Hoffmann hat gerade gesagt, dass er an der
einen oder anderen Stelle im Detail ein paar Bedenken
hat . Ich hoffe, das können Sie beide aber intern klären .
Denn Sie haben gesagt, dass der Entwurf schon bera­
tungsfähig ist . Insofern hoffe ich, dass wir ihn schnellst­
möglich auf den Weg bringen, dass das Bundeskanzler­
amt die Blockade aufgibt und wir dann hier über einen

Dirk Wiese






(A) (C)



(B) (D)


guten und gelungenen Gesetzentwurf des BMJV disku­
tieren können .


(Ulle Schauws [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ­ NEN]: Jetzt haben Sie sich aber gerade wider­ sprochen!)


Vielen Dank für die Aufmerksamkeit .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne­ ten der CDU/CSU – Renate Künast [BÜND­ NIS 90/DIE GRÜNEN]: Es kommt darauf an, den Gesetzentwurf auch durchzukriegen und nicht nur in der Zeitung zu sein!)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1812721100

Vielen Dank . – Frau Kollegin Künast, können wir uns

jetzt darauf einigen, dass jetzt vor allen Dingen die Kol­
legin Sylvia Pantel für die CDU/CSU­Fraktion das Wort
hat?


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ­ NEN]: Sowieso! Das entscheiden ja Sie!)


Bitte schön .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Sylvia Pantel (CDU):
Rede ID: ID1812721200

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es
wäre für mich als Nichtjuristin jetzt etwas schwierig, auf
diese fachlichen Dispute einzugehen . Ich werde es gar
nicht erst versuchen .

Die Regeln des Strafgesetzbuches sind nicht bloße
Strafandrohungen, sondern sie versprechen Schutz: das
Gefühl für jeden von uns, dass uns schon niemand das,
was verboten ist, antun wird, Schutz vor Gewalt, Schutz
vor Übergriffen, Schutz, den uns der Staat dadurch ge­
währt, dass er diejenigen bestraft, die unsere Rechte ver­
letzen . Die Strafandrohung des Gesetzes dient also der
Abschreckung . Der 13 . Abschnitt des Strafgesetzbuches,
um den es hier heute im Wesentlichen geht, trägt die
Überschrift „Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestim­
mung“ . Ich glaube, hier ist niemand im Raum, der nicht
auch die Meinung vertritt, dass ein Nein ein Nein ist; da
sind wir alle uns völlig einig .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD so­ wie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


2014 wurden laut Polizeilicher Kriminalstatistik in
Deutschland 12 537 Straftaten gegen die sexuelle Selbst­
bestimmung unter Gewaltanwendung oder Ausnutzung
eines Abhängigkeitsverhältnisses erfasst . Das Sexual­
strafrecht wurde in den vergangenen Jahrzehnten erfreu­
licherweise immer mehr in Richtung Selbstbestimmung
der Frau geändert . „Mein Körper gehört mir!“ – schon
vor fast zwanzig Jahren engagierte ich mich in Düssel­
dorf für ein gleichnamiges Projekt an Schulen, für die
Frauenhäuser und für Angebote, die Frauen vor Gewalt
schützen . Daher kenne ich zu viele Schilderungen von
Gewalterfahrungen aus direkter Erzählung .

Die Normen zur Bestrafung von sexueller Nötigung
und Vergewaltigung setzen bei ebenjener Selbstbestim­
mung über den eigenen Körper an . Der Grundgedanke
hinter § 177 ff . StGB, auf die sich dieser Antrag hier
heute bezieht, war Schutz – Schutz davor, gegen den
eigenen Willen mit einem anderen Menschen Sex haben
zu müssen oder sexuell genötigt zu werden . In der Wirk­
lichkeit ist das aber oft schwer nachzuweisen . Damit ein
Vergewaltiger auch als solcher bestraft wird, muss sich
das Opfer deutlich sichtbar und körperlich gegen die Ver­
gewaltigung gewehrt haben . Lässt das Opfer die Tat über
sich ergehen, weil Schlimmeres befürchtet wird, kann es
durchaus sein, dass keine Vergewaltigung im tatbestand­
lichen Sinne vorliegt . Das Gesetz sorgt also auf den ers­
ten Blick dafür, dass nicht all das bestraft wird, was wir
unter Strafe stellen wollen . Dabei ist eben genau das die
Aufgabe des Rechts .

Das Recht muss jedem von uns genau und eindeutig
aufzeigen, wo die Grenze zwischen legal und illegal ver­
läuft . Ein Gesetz muss eindeutig sein, sagen, was erlaubt
und was verboten ist . Mit Artikel 36 des Übereinkom­
mens des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung
von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt, ge­
nannt Istanbul­Konvention, haben wir uns als Vertrags­
staat dazu verpflichtet, jede Form des nicht einvernehm­
lichen Geschlechtsverkehrs unter Strafe zu stellen .

Aber was genau ist denn nun einvernehmlicher Ge­
schlechtsverkehr? Das klingt zunächst einfach und offen­
sichtlich . Wir alle haben auf die eine oder andere Weise
ein Bild von zwei aufgeklärten Menschen im Kopf, die
sich einig sind, dass sie miteinander schlafen wollen . Wir
gehen also bisher grundsätzlich davon aus, dass zwei
Menschen, die miteinander Sex haben, dies einvernehm­
lich tun .

Die bisherige Regelung nahm an, dass einer der bei­
den deutlich und eindeutig gezeigt haben musste, keinen
Sex haben zu wollen, damit es strafrechtlich betrachtet
eine Vergewaltigung war . In der extremsten Ausprägung
der Veränderung könnte dieses Prinzip nun umgedreht
werden: Geschlechtsverkehr wäre so lange ein Verbre­
chen, wie nicht beide Seiten offensichtlich und eindeu­
tig bekundet haben, dass sie Sex haben wollen . Wie also
sollte diese Bekundung aussehen?

An amerikanischen Universitäten betreibt das „Affir­
mative Consent Project“ eine Kampagne, bei der Studen­
ten neben einem Kondom und wichtigen Aufklärungs­
hinweisen auch einen Vertragsvordruck bekommen, auf
dem sie beide schriftlich bestätigen, im Anschluss an die
Unterschrift miteinander Geschlechtsverkehr haben zu
wollen . Was aber würden wir machen, wenn einer Frau
nach der Unterschrift unter die Einwilligung Gewalt an­
getan würde? Das heißt: Wenn man unterschrieben hat,
könnte danach gemacht werden, was man wollte, auch
wenn die Frau Nein sagt? – Hätten wir da nicht ein noch
größeres Beweisproblem? Die Beweislage ist extrem
schwierig . Deshalb lassen wir uns mit dem Gesetz noch
ein bisschen Zeit, bevor wir irgendetwas machen, was
hinterher nicht klar und eindeutig ist .

Es wird für die Juristen eine große Herausforderung
sein, gesetzliche Regelungen zu schaffen, die die sexuel­

Dirk Wiese






(A) (C)



(B) (D)


le Selbstbestimmung der Menschen schützen und gleich­
zeitig auch noch lebensnah sind . Immer einen schrift­
lichen Sexvertrag auszufüllen, mit dieser Idee würden
wir nicht einmal bei meinem Berichterstatterthema, dem
Prostituiertenschutzgesetz, ernst genommen werden .


(Ulle Schauws [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ­ NEN]: Davon redet ja auch keiner! Quatsch!)


In der Praxis ist an solche Maßnahmen kaum zu denken .
Als Gesetzgeber wollen wir ja auch vermeiden, dass
die Anzeige wegen sexueller Nötigung leichtfertig und
unbegründet als Mittel genommen wird, um eventuell
einem ehemaligen Partner zu schaden .

Lassen Sie mich an dieser Stelle noch einen anderen
Punkt anbringen . Das Strafbedürfnis des Staates und die
Genugtuung des Opfers, wenn der Täter hinter Gittern
landet, sind nur die eine Seite der Medaille . Es muss
auch mehr für die Opfer selbst getan werden . Häusliche
Gewalt ist oft ein erster Schritt auf dem Weg zur Ver­
gewaltigung in den eigenen vier Wänden . Wenn wir als
Gesellschaft besser hinhören und hinschauen, wenn wir
aufpassen, wo Gewalt gegen Frauen passiert, und ein­
schreiten, dann können wir eventuell Vergewaltigungen
verhindern . Das Hilfetelefon bietet von Gewalt betroffe­
nen Frauen eine niederschwellige Anlaufstelle . Frauen­
häuser, Beratungsstellen und psychologische Betreuung
sind neben Polizei und Staatsanwaltschaft wichtige As­
pekte beim Opferschutz .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge­ ordneten der SPD)


Mit einer gesetzlichen Neuregelung des Sexualstraf­
rechts müssen wir zeigen, dass Vergewaltiger hart be­
straft werden . Umgekehrt darf das Gesetz keine Anreize
für Missbrauch und falsche Verdächtigungen setzen . Die
Koalitionsfraktionen legen daher Wert darauf, eine gute,
ausgewogene und lebensnahe Reform der Strafverfol­
gung von sexueller Nötigung vorzulegen .

Im Ziel sind wir uns alle einig: Bei dieser Reform
muss Lebensnähe vor Wortklauberei stehen, es muss
Qualität vor Geschwindigkeit stehen . Wir sind der An­
sicht, der von Ihnen vorgelegte Gesetzentwurf ist noch
nicht ausgereift genug . Ich hoffe, dass wir alle mitein­
ander am Ende der Beratungen einen wirklich guten Ge­
setzentwurf verabschieden können .

Herzlichen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – Ulle Schauws [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Der Schutz von Frauen muss ganz vorne stehen!)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1812721300

Herzlichen Dank . – Als letzte Rednerin zu diesem

Tagesordnungspunkt spricht jetzt Christina Jantz, SPD­
Fraktion .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Christina Jantz (SPD):
Rede ID: ID1812721400

Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kol­

legen! Sehr verehrte Gäste auf den Besuchertribünen!
Die fleißigen Krimizuschauer unter uns werden sich
vielleicht erinnern: Kopfgeld, das war der zweite Til­
Schweiger­Tatort im Frühjahr dieses Jahres, und er hat
genau diese Problematik angesprochen . Im Kern ging
es um eine angesehene Staatsanwältin, die vergewaltigt
wird und sich anschließend nicht traut, Anzeige zu erstat­
ten . Ihr Grund, verkürzt dargestellt: Das Opfer, also sie
selber, könnte im späteren Verfahren der Lüge bezichtigt
werden .

Nach der Ausstrahlung wandte sich die stellvertreten­
de Frauenbeauftragte von der Humboldt­Universität Ber­
lin natürlich auch an die Tatort­Redaktion und hinterfrag­
te die Motive; denn schließlich erzeuge auch ein solches
Szenario den Eindruck, dass Frauen keine Chance hätten,
gegen ihren Vergewaltiger vorzugehen . Zu Recht wurde
dadurch eine medial intensiv begleitete Debatte über eine
anzustrebende Reform des Strafgesetzbuches ausgelöst .
Das Thema wurde noch einmal öffentlich gemacht – und
das ist auch gut so, auch vor dem Hintergrund, dass die
Zahl der bei der Polizei angezeigten Straftaten gegen se­
xuelle Selbstbestimmung im Jahre 2014 gestiegen ist .

Als Gesetzgeber haben wir bereits einige Änderungen
im Bereich der sexuellen Nötigung und Vergewaltigung
vorgenommen, um Opfer besser zu schützen, aber auch,
um die Täter adäquat verurteilen zu können . Seit Janu­
ar 2002 werden auch Fälle der sexuellen Nötigung inner­
halb der Ehe erfasst . Bereits vor fast 20 Jahren wollte
dieses Haus die Strafbarkeitslücken schließen . In der
Praxis hatten sich nämlich Fälle gezeigt, in denen das
Opfer dem körperlich überlegenen Täter ausgeliefert war
und angesichts seiner hilflosen Lage eine Verteidigung
für sinnlos hielt . In der Rechtsprechung hat sich also die
Ausgestaltung der gesamten Vorschrift, insbesondere des
reformierten § 177 Absatz 1 Nummer 3 StGB, als zu eng
erwiesen .

Neben der zuvor genannten Lücke werden aus meiner
Sicht auch weitere als strafwürdig angesehene Handlun­
gen von den Straftatbeständen zum Schutz der sexuellen
Selbstbestimmung nicht oder nur unzureichend erfasst,
so etwa, wenn das Opfer aufgrund der überraschenden
Handlung des Täters keinen Widerstand leisten kann –
die Beispiele sind schon genannt worden – oder wenn
das Opfer nur aus Furcht keinen Widerstand leistet . Wir
als SPD­Bundestagsfraktion treten daher schon seit lan­
ger Zeit für eine Stärkung des Opferschutzes ein und dis­
kutieren dies nicht erst seit der bereits angesprochenen
Istanbul­Konvention .


(Beifall bei der SPD)


Beispielsweise leisten auch Terre des Femmes oder One
Billion Rising auf diesem Gebiet eine wertvolle Arbeit .

Der nun von Ihnen eingebrachte Gesetzentwurf, liebe
Grünen, greift ein wichtiges Thema auf; da sind wir uns
alle einig . Bei den erforderlichen Änderungen kommt es
aus meiner Sicht allerdings darauf an, rechtlich sauber
zu arbeiten . Eine Streichung des § 179 StGB erachte ich
hier als nicht zielführend; vielmehr sollte dieser eher

Sylvia Pantel






(A) (C)



(B) (D)


noch breiter ausgestaltet und um weitere Straftatbestände
erweitert werden .


(Ulle Schauws [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ­ NEN]: Aha!)


So hatte es auch der Sachverständige Professor Dr . Jörg
Eisele in der Sachverständigenanhörung des Rechtsaus­
schusses im Januar 2015 aufgezeigt .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Es freut mich daher sehr, dass unser Bundesjustizmi­
nister Heiko Maas einen eigenen Entwurf vorgelegt hat,
der die aus meiner Sicht bestehenden Lücken auch tat­
sächlich schließt .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Dieser Gesetzentwurf ist maßvoll und vernünftig . Ich
gehe davon aus, dass der Entwurf nunmehr auch zeitnah
weitergeleitet wird, liebes Bundeskanzleramt .

Darüber hinausgehende, immer wieder geforderte
Änderungen, insbesondere die Forderung, dass die Straf­
barkeit allein an das Fehlen eines Einverständnisses zur
sexuellen Handlung anzuknüpfen ist, müssten sehr gut
abgewogen werden . Ich teile hier die bislang geäußer­
ten verfassungsrechtlichen Bedenken, weil zum Beispiel
Formulierungen, die neben der sexuellen Handlung nur
die Worte „ohne Einverständnis“ enthielten, eine Abwei­
chung von der Unschuldsvermutung erwirken könnten .
Dies könnte zu einer Angreifbarkeit der Regelung füh­
ren, was sicherlich nicht in unser aller Interesse wäre .

Zusammenfassend möchte ich betonen, dass ich den
Gedanken des Gesetzentwurfs zwar lobenswert finde,
jedoch der Meinung bin, dass einige Punkte rechtlich an­
ders geregelt werden sollten . Ich freue mich daher auf die
weitere Diskussion hier im Hause .

Vielen Dank .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1812721500

Vielen Dank, Frau Kollegin . – Ich schließe die Aus­

sprache .

Interfraktionell wird die Überweisung des Gesetzent­
wurfs auf Drucksache 18/5384 an die in der Tagesord­
nung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen . Gibt es
dazu anderweitige Vorschläge? – Ich sehe keine . Dann
ist so beschlossen .

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 12 auf:

Zweite und dritte Beratung des von der Bundes­
regierung eingebrachten Entwurfs eines Geset-
zes zur Umsetzung der Transparenzrichtlinie-
Änderungsrichtlinie

Drucksachen 18/5010, 18/5272, 18/5458 Nr. 1

Beschlussempfehlung und Bericht des Finanz­
ausschusses (7 . Ausschuss)


Drucksache 18/6220

Hierzu liegt ein gemeinsamer Entschließungsantrag
der Fraktionen Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen
vor .

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 38 Minuten vorgesehen . – Ich sehe auch
hiergegen keine Einwände . Dann ist auch dies beschlos­
sen .

Ich bitte, jetzt zügig die Plätze einzunehmen .

Ich eröffne die Aussprache . Das Wort hat der Kollege
Dr . Mathias Middelberg, CDU/CSU­Fraktion .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg . Christian Petry [SPD])



Dr. Mathias Middelberg (CDU):
Rede ID: ID1812721600

Vielen Dank . – Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten

Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf erreichen wir we­
sentliche Verbesserungen der Situation am Kapitalmarkt .
Wir verbessern insbesondere die Situation für die An­
leger, auch für die Kleinanleger am Kapitalmarkt . Zwei
zentrale Teile dieses Gesetzgebungsverfahrens möchte
ich besonders ansprechen:

Das eine sind die Transparenzvorschriften . Viele von
uns können sich noch an folgende Übernahmekonstel­
lationen erinnern: Schaeffler und Conti sowie VW und
Porsche . Damals war es so, dass die Unternehmen, die
übernehmen wollten, nur wenige Aktien erworben ha­
ben . Sie blieben damit unterhalb der Schwelle, ab der an
die BaFin, also die Aufsichtsbehörde, zu melden war . Sie
hatten sich aber sehr viele Aktien, teilweise über 20 und
30 Prozent, durch verschiedene Optionsgeschäfte, die
damals nicht meldepflichtig waren, gesichert. Das hat zu
gravierenden Kursausschlägen geführt . Die VW­Aktie
hat, wie sich vielleicht einige erinnern, damals an einigen
Tagen über 1 000 Euro gekostet . Das war ungefähr das
Zehnfache des damals üblichen Wertes . Das hat natür­
lich zu einer erheblichen Schädigung des Vertrauens der
normalen Anleger, der Kleinanleger, in den Kapitalmarkt
geführt .

2011 haben wir die Situation bereinigt, indem wir die
Meldevorschriften in dem Bereich deutlich verschärft
haben; aber wir haben das noch nicht mit einem richti­
gen Sanktionssystem hinterlegt . Damals war es so und
bis jetzt ist es noch so, dass man, wenn man gegen die­
se Meldevorschriften verstößt, mit einer Geldbuße von
maximal 1 Million Euro zu rechnen hat . Das ist natür­
lich nicht ganz ausreichend . Wenn ich ein Milliardenge­
schäft im Blick habe, dann lasse ich mich nicht von einer
Geldbuße von 1 Million Euro abschrecken . Ich halte es
für ganz wichtig, dass wir jetzt den Schritt gehen, die
Geldbußen umsatzabhängig zu gestalten und überdies
die Möglichkeit des Stimmrechtsverlusts vorzusehen .
Das heißt, derjenige, der Papiere akquiriert, die melde­
pflichtig sind, aber nicht meldet, muss im Zweifel damit
rechnen, dass er das Stimmrecht für die entsprechenden
Aktien nicht ausüben kann . Das ist das wirksamste Mit­
tel, um im Kapitalverkehr für Klarheit und Transparenz
zu sorgen .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Christina Jantz






(A) (C)



(B) (D)


Die zweite Maßnahme, die ich hervorheben möchte,
ist die Neuregelung des Delisting . Der Bundesgerichts­
hof hat durch seine Rechtsprechung die bisherigen Rege­
lungen zur Makulatur gemacht . Es war eine Situation ent­
standen, in der die Anleger, wenn sich ein Unternehmen
von der Börse zurückzog, praktisch ohne Rechtsschutz
dastanden . Auch wenn in einigen Fällen die Kurse – zu­
mindest kann man das vermuten – vielleicht zielgerichtet
beeinflusst und heruntergetrieben wurden, bestand für die
Anleger im Grunde keine Entschädigungsmöglichkeit .
Es war eine Schutzlücke im Anlegerrecht entstanden .

Deswegen sind wir als Unionsfraktion tätig geworden
und haben eine Initiative gestartet .


(Dr . Johannes Fechner [SPD]: Das war schon unsere Initiative!)


Ich freue mich sehr, dass sich der Koalitionspartner dar­
an in sehr konstruktiver Form beteiligt hat und gute und
brauchbare Vorschläge eingebracht hat, die wir gemein­
sam, glaube ich, zu einem sehr brauchbaren, guten Ge­
setzentwurf geformt haben .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Jetzt haben einige Kritiker gesagt: Ihr müsst aber
eigentlich die alte Rechtssituation wiederherstellen, Ent­
schädigung zum Ertragswert, Spruchverfahren usw . –
Wir meinen, dass das nicht der Fall sein sollte . Denn
beim Delisting verliert man nicht den Anteilswert an
sich, sondern man verliert nur die Handelbarkeit dieses
Anteilswertes an der Börse . Das ist etwas anderes als
beim Squeeze­out, wenn man aus dem Unternehmen hi­
nausgedrückt wird . Dann muss man eine Entschädigung
zum Ertragswert erhalten, also zum eigentlichen Wert
des Anteils . Beim Delisting verliere ich nur den Wert der
Handelbarkeit der Aktie . Das ist etwas anderes . Deshalb
ist es angemessen, hierbei auf den Börsenkurs abzustel­
len. Das tun wir, und wir haben einen, finde ich, sehr
brauchbaren Zeitraum von sechs Monaten dafür gewählt .

Wir brauchen auch keinen Hauptversammlungsbe­
schluss für diese Maßnahme; denn es handelt sich beim
Rückzug von der Börse nicht um eine Strukturverände­
rung in der Gesellschaft . Auch beim Börsengang gibt es
keinen Hauptversammlungsbeschluss . Es geht um die
Handelbarkeit eines Anteils und nicht um eine struktu­
relle Veränderung in der Gesellschaftsstruktur . Das muss
man sauber auseinanderhalten .

Was den Rechtsschutz angeht, haben wir uns nicht für
das Spruchverfahren, sondern für das Kapitalanleger­
Musterverfahrensgesetz (KapMuG) ausgesprochen . Ich
halte auch das für die richtige Entscheidung, weil es da­
rum geht, effizienten Rechtsschutz zu erreichen. Das ist
nicht gegeben, wenn wir Verfahren mit einer Dauer von
mehr als zehn Jahren haben, wie das im Moment beim
Spruchverfahren der Fall ist .

Wir haben allerdings eine Ausnahmeregelung getrof­
fen, nämlich für den Fall, dass der Börsenkurs – ich sage
das einmal so – beeinflusst wird. Wenn wir Hinweise da­
rauf haben und es festgestellt worden ist, dass beispiels­
weise fehlerhafte Ad­hoc­Mitteilungen gemacht wurden,
wenn Tatsachen unterdrückt wurden, der Kapitalmarkt
nicht zutreffend informiert wurde, oder wenn wir sogar

Fälle von Kursmanipulation haben, dann ist es richtig,
in dieser manipulierten Situation, wenn der Börsenkurs
eben keine Aussagekraft hat, auf den Ertragswert zu
rekurrieren . Diese Sondertatbestände haben wir einge­
bracht und damit, glaube ich, sachgerecht gehandelt .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Insgesamt war es – es ist mir ein Anliegen, dies am
Ende festzustellen – wichtig, wirksame Regelungen für
einen wirksamen Anlegerschutz zu schaffen . Wir müssen
aber auf der anderen Seite bei diesen kapitalmarktrecht­
lichen Maßnahmen immer auch daran denken, dass die
Börse als Finanzierungsinstrument für unsere Unterneh­
men zur Verfügung stehen muss . Die Börse muss ein at­
traktives Ziel sein . Ein junges, innovatives Unternehmen
muss sich, sage ich einmal, freudig der Börse zuwenden
wollen . Es muss sehen, dass ein Börsengang mit vertret­
baren Mitteln und berechenbar zu realisieren ist .

Genauso muss das aber gelten, wenn es zu dem Sze­
nario kommt, dass ein Unternehmen, aus welchen Grün­
den auch immer, die Börse verlassen will; auch das muss
möglich und berechenbar sein .


(Beifall des Abg . Dr . Philipp Murmann [CDU/CSU])


Das erreichen wir, glaube ich, mit diesem Gesetz­
entwurf: vernünftigen, wirksamen Anlegerschutz und
gleichzeitig eine berechenbare, klare Situation an der
Börse .

Herzlichen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge­ ordneten der SPD)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1812721700

Vielen Dank . – Für die Fraktion Die Linke spricht jetzt

Dr . Axel Troost .


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. Axel Troost (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1812721800

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Wie unterschiedlich man Gesetzentwürfe doch interpre­
tieren kann . Ich habe meiner Kollegin eben gesagt, hier
gehe es auch um Entwicklungsländer und Entwicklungs­
politik . Sie hat mich ganz komisch angeschaut, weil das
alles gar nicht vorkam .

Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf zur Umsetzung
der Transparenzrichtlinie setzen wir europäische Vorga­
ben um. Es geht um die Meldepflicht von börsennotierten
Unternehmen . Dabei ist aus meiner Sicht besonders zu
würdigen, dass nun Rohstoff­ und Holzindustrie in ihren
Bilanzen stärker offenlegen müssen, was sie in einzelnen
Ländern betreiben . Das ist wichtig, weil diese Unterneh­
men in Entwicklungsländern oft nicht zum Nutzen der
Menschen agieren . Gerade in Ländern mit großen Roh­
stoffaufkommen wird die Bevölkerung häufig vom vor­
handenen Reichtum ausgeschlossen, während eine klei­
ne Minderheit sich bereichert . Oft wird die Bevölkerung
sogar noch durch Konflikte, mafiöse Seilschaften und
Umweltzerstörung ins Elend gestürzt . Da sind natürlich

Dr. Mathias Middelberg






(A) (C)



(B) (D)


auch westliche Konzerne in erheblichem Umfang mit
betroffen. Die neue Berichtspflicht sorgt nun dafür, dass
Zahlungen an Regierungen projekt­ und länderbezogen
offengelegt werden müssen .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Das bietet eine gute Grundlage, um Korruption und
Misswirtschaft zu bekämpfen .


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abge­ ordneten der CDU/CSU, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Die neue Regelung ist nicht vom Himmel gefallen,
sondern geht auf jahrelange Arbeit und das Wirken von
Nichtregierungsorganisationen zurück . Insbesondere in
den USA ist man hier aktiv geworden . Jetzt hat man in
Europa nachgezogen . Insofern geht mein Lob nicht so
sehr an die Bundesregierung und die Koalitionsfraktio­
nen,


(Lothar Binding schon auch!)


sondern an die Organisationen der Zivilgesellschaft, die
sich in diesem Punkt haben durchsetzen können . Das ist
ein gutes Signal .


(Beifall bei der LINKEN)


Aber das sollte nur der Anfang sein . Wir fordern zu­
sammen mit den Grünen, dass auch weitere Taten folgen .
Durch die erweiterte Berichtspflicht für Banken, die wir
vor zwei Jahren beschlossen haben, zeigen sich erste sehr
positive Ergebnisse. Die länderbezogene Berichtspflicht
sollte also dringend auch auf weitere Branchen ausge­
weitet werden . Ich nenne hier nur einmal exemplarisch
die Telekommunikation und die Bauwirtschaft; das sind
zwei Branchen, in denen besonders offene Flanken für
Missbrauch und für Korruption bestehen .

Die länderbezogene Rechnungslegung spielt natürlich
auch im Bereich der Steuer eine große Rolle, um Ge­
winnverlagerungen und Gewinnkürzungen zu bekämp­
fen . Deswegen sollten wir aus unserer Sicht nicht auf
halbem Wege stehen bleiben, sondern das in der Tat aus­
weiten . Insofern sollten Sie unserem Antrag zustimmen
und diese Ausweitung entsprechend vornehmen .


(Beifall bei der LINKEN)


Die Transparenzrichtlinie enthält aber natürlich mehr .
Jetzt komme ich noch einmal auf die vorher angespro­
chenen Punkte . In der Tat sind in den letzten Jahren
häufig durch ganz kurzfristige Ankündigungen Kursrut­
sche an der Börse ausgelöst worden, und Kleinanleger
konnten Aktien dann entweder gar nicht mehr oder nur
zu Spottpreisen verkaufen . Hier bestand sicherlich Hand­
lungsbedarf, und hier hat die Bundesregierung jetzt ent­
sprechende Maßnahmen vorgenommen . Die Frage ist
aus unserer Sicht, ob es richtig ist, dass die Abfindung
auf den Börsenkurs abstellt . Denn zum Teil systematisch
unterbewertete Aktien sind damit für Kleinanleger, aber
auch für Rentenkassen, Versicherungen und Minderheits­
aktionäre möglicherweise dennoch nicht zu vernünftigen
Werten zu verkaufen .

Es bleibt dabei – es ist eben auch angesprochen wor­
den –: Für uns ist nicht wirklich nachvollziehbar, warum
der Rückzug von der Börse nicht in der Hauptversamm­
lung beschlossen werden muss, sondern vom Vorstand
allein beschlossen werden kann . Die Tatsache, dass das
bei der Aktienausgabe so ist, muss keineswegs bedeuten,
dass das auch beim Rückzug von der Börse – davon sind
ja Leute betroffen – die richtige Maßnahme ist .

Ich will einen letzten Punkt ansprechen . 2013 sind so­
genannte Schiffserlöspools vorübergehend steuerbefreit
worden, um die deutsche Seeschifffahrt aus der Krise zu
holen . Jetzt wird mit diesem Gesetzentwurf diese zeit­
weilige Begünstigung permanent festgeschrieben . Das
lehnen wir eindeutig ab . Seit der Gründung des Mariti­
men Bündnisses haben die Reedereien schon eine halbe
Milliarde Euro an Subventionen bekommen, obwohl sie
keine ihrer Zusagen im Rahmen dieses Bündnisses ein­
gehalten haben . Von daher sollte auch für die Reedereien
gelten: Keine Leistung ohne Gegenleistung .

Wir werden uns bei der Abstimmung über den Gesetz­
entwurf enthalten . Wir halten Nachholbedarf an manchen
Stellen für zwingend erforderlich . Wir fordern Sie noch
einmal auf, unserem Entschließungsantrag, in dem eine
Ausweitung der Richtlinie vorgesehen ist, zuzustimmen .

Danke schön .


(Beifall bei der LINKEN)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1812721900

Vielen Dank . – Als Nächstes hat der Kollege Christian

Petry, SPD­Fraktion, das Wort .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Christian Petry (SPD):
Rede ID: ID1812722000

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Es ist heute ein besonderer Tag hier im Parla­
ment . Über was wir heute schon alles diskutiert haben:
über die Flüchtlingsproblematik, über Krieg, über Welt­
handel, über Menschenhandel . Und nun beraten wir den
Entwurf des Gesetzes zur Umsetzung der Transparenz­
richtlinie­Änderungsrichtlinie, an das drei weitere Geset­
ze angedockt sind .

Aber, meine Damen und Herren, auch das sollte man
in einem größeren Kontext sehen: Das, was wir heute
hier beraten und vorbereitet haben, trägt auch ein Stück
dazu bei, dass wir Europa transparenter machen, Europa
zu mehr Akzeptanz verhelfen und den Verbraucherschutz
stärken, sodass damit auch auf diesem Gebiet ein Beitrag
dazu geleistet wird, das Vertrauen der Bürgerinnen und
Bürger in Europa zu stärken .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)


Dieses Vertrauen brauchen wir . Wenn wir all die Politik­
felder beherrschen wollen, die die Debatte und den Alltag
aktuell überlagern, weil die anderen Probleme wesentlich
bedeutender und dringender zu lösen sind, müssen wir
im Hinblick auf den Finanzmarkt die Wege gehen, die
wir seit der Finanzkrise gegangen sind . Es geht um eine

Dr. Axel Troost






(A) (C)



(B) (D)


Stärkung des Finanzmarktes und die Schaffung von mehr
Transparenz . Dies bringt das Vertrauen zurück .

Wir müssen die Transparenzrichtlinie­Änderungs­
richtlinie in nationales Recht umsetzen . Drei weitere
Gesetzesvorhaben sind daran angedockt worden . Die
deutsche Seeschifffahrt ist genannt worden . Sie wird
davon profitieren, dass durch Änderungen im Versiche­
rungsteuergesetz Erlöspools auch zukünftig von der Ver­
sicherungsteuer befreit bleiben . Das stärkt die Konkur­
renzfähigkeit . Bei uns hat der Kollege Andreas Schwarz
dieses Thema bearbeitet . Ich glaube, die Einigung war
am Ende einvernehmlich . Hier hat sich die Schifffahrt
letztlich durchgesetzt – zwar nicht ganz diskussionsfrei,
aber ich glaube, diese Regelung ist von Vorteil .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Außerdem haben wir mit dem Begleitgesetz zur Ver­
ordnung über Interbankenentgelte für kartengebundene
Zahlungsvorgänge die Transaktionskosten bei Zahlun­
gen mit Debit­ und Kreditkarten gedeckelt; dazu wird
mein Kollege Jens Zimmermann reden . Auch hier geht
es um große Volumina . Das hört sich nach so wenig an,
aber wenn man es aufsummiert, stellt man fest, dass es
um mehrere Milliarden Euro geht . Durch die getroffe­
nen Regelungen soll letzten Endes der Verbraucher ge­
stärkt werden . Wir werden sehen, ob es so kommt . Jens
Zimmermann wird dazu Ausführungen machen .

Außerdem ist die gesetzliche Regelung zur Anleger­
entschädigung im Falle des Börsenrückzugs einer Ak­
tiengesellschaft, das sogenannte Delisting, zu nennen .
Die Initiative hierzu kam – das ist mein persönlicher Ein­
druck, Herr Dr . Middelberg – nicht von der CDU, son­
dern von der SPD;


(Beifall bei der SPD – Zuruf von der SPD: Ge­ nau! Das ist auch mein Eindruck! – Dr . Mathi­ as Middelberg [CDU/CSU]: Na, na, na!)


aber hier geht es nicht um das Urheberrecht . Herr Pro­
fessor Hirte hat dazu einige Vorschläge eingebracht, zum
Beispiel zu den Ad­hoc­Regelungen, die vom Kollegen
Johannes Fechner dargelegt werden . Herr Fechner hat
darüber hinaus die Missbrauchsmöglichkeiten angespro­
chen . Wir haben uns zusammengefunden; das war nicht
einfach . Ich danke Herrn Dr . Middelberg für die kon­
struktive Zusammenarbeit . Ich glaube, er hat in seiner
eigenen Fraktion einen schwierigeren Part gehabt als ich
in der SPD­Fraktion .


(Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD)


Insofern, finde ich, hat er das gut gemacht. Wir sind, wie
gesagt, zusammengekommen, und wir haben einen guten
Vorschlag vorgelegt . Jens Fechner wird ihn noch erläu­
tern .

Ich denke, dass das Gesetz zur Umsetzung der Trans­
parenzrichtlinie­Änderungsrichtlinie – sie ist der Kern –
den Anleger­ und Verbraucherschutz am Wertpapier­
markt nachhaltig stärken wird . Denn eine umfassende
Transparenz ist grundlegend für ein effizientes Marktge­
schehen; wir wissen das . Hier geht es nun um die Um­
setzung einer EU­Richtlinie .

Durch die frühzeitige Bekanntgabe von Informatio­
nen können beispielsweise Aktienhalter eine fundierte­
re Beurteilung von Geschäftsergebnissen vornehmen .
Der Verkauf und Erwerb von Aktien muss im Sinne der
Markttransparenz dokumentiert werden . Mit der Über­
arbeitung der Transparenzrichtlinie stellen wir klar, dass
der Schutz der Anlegerinnen und Anleger bei uns im Vor­
dergrund steht . Die Überarbeitung der Richtlinie führt
zu einer deutlichen Erhöhung des Sanktionsrahmens bei
Verstößen . Das war nicht ganz unumstritten, und daran
wurde vonseiten der Kreditwirtschaft Kritik geübt . Aber
wir halten das für notwendig; denn die bisherigen Rege­
lungen sahen keine effektive Strafe vor . Da ging es eher
um die Portokasse: 1 Million Euro . Das konnte man ein­
fach so machen .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Nun wird es umsatzabhängige Geldbußen geben . Ich
glaube, das ist ein Schritt nach vorne .

Verstöße gegen Meldepflichten eines Stimmberechtig­
ten führen in Zukunft automatisch zum Stimmrechtsver­
lust und zur Möglichkeit des Verlusts von Vermögens­
rechten . Auch dies ist natürlich eine sehr harte Strafe . Ich
glaube, sie wird greifen .

Die nationale Aufsichtsbehörde wird die BaFin sein .
Ich denke, durch die Veröffentlichung der Sanktionen auf
ihrer Internetseite wird die Transparenz gestärkt .

Die Auflistung von Zahlungen an Unternehmen im
Rohstoffsektor ist eben schon von Herrn Kollegen Troost
genannt worden . Dies ist eine Regelung, die nachhaltig
wirken soll, die man stärken sollte und die man auf an­
dere Bereiche ausweiten kann . Aber jetzt machen wir das
erst einmal für diesen Bereich . Ich glaube, das ist ein gu­
ter Schritt nach vorne .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1812722100

Das war jetzt auch ein gutes Ende, Herr Kollege Petry .


Christian Petry (SPD):
Rede ID: ID1812722200

Das Ende kommt jetzt mit dem Dank, wenn es noch

erlaubt ist, Frau Präsidentin .


Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1812722300

Ja .


Christian Petry (SPD):
Rede ID: ID1812722400

Ich möchte all denjenigen, die mitgearbeitet haben,

besonders Herrn Dr . Middelberg und den Kollegen des
Finanzministeriums und des Bundesministeriums der
Justiz und für Verbraucherschutz danken; denn dies ist
ein gutes und richtiges Signal im Jahr der Stärkung des
Verbraucherschutzes .

Glück auf!


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Christian Petry






(A) (C)



(B) (D)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1812722500

Vielen Dank . – Für Bündnis 90/Die Grünen spricht

jetzt Dr . Gerhard Schick .


Dr. Gerhard Schick (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1812722600

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Durch die Koalition wurde jetzt ein bisschen Transparenz
über das Zustandekommen der einzelnen Abschnitte des
Gesetzentwurfs hergestellt, aber darum geht es bei der
Transparenzrichtlinie nicht, sondern es geht um Trans­
parenz im unternehmerischen Bereich .

Dieser Gesetzentwurf enthält viele Regelungen . Ich
will mich auf drei Punkte konzentrieren:

Der erste ist das Thema Bußgelder, das schon ange­
sprochen worden ist . Wir halten es für richtig, dass hier
die Bußgelder erhöht werden und vor allem, dass sie sich
am Umsatz orientieren, weil dadurch eine richtige Re­
lation hergestellt wird . Eine Regelung, die als Abschre­
ckung einen festen Betrag vorsieht, während gleichzeitig
Umsatz und Gewinn des Unternehmens möglicherweise
sehr hoch sind, ist ja nur wenig sinnvoll .

Trotzdem muss man sagen, dass dies ein fragmen­
tarischer Ansatz bleibt . Sie gehen nur an Einzelpunkte
heran . Insgesamt müssen wir sagen, dass die Sanktions­
mechanismen bei einem Fehlverhalten von Unternehmen
in Deutschland auch nach der Verabschiedung dieses Ge­
setzentwurfs deutlich zu geringe Folgen haben werden .
Das werden wir auch im Zusammenhang mit VW noch
einmal diskutieren müssen . Es wird für die Unternehmen
auch nach der Verabschiedung dieses Gesetzentwurfs
einfach immer noch zu günstig sein, sich nicht an die Ge­
setze in Deutschland zu halten . Hier wollen wir weiter
gehen als Sie .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Der zweite Punkt ist das Thema Delisting . Es geht um
folgende Frage, die schon angesprochen worden ist: Was
passiert, wenn ein Unternehmen von der Börse genom­
men wird? – Sie haben jetzt ja den Anschein erweckt,
es gebe nun ein großartiges Verfahren . Man muss aber
sagen: Schon 2013 hat der Bundesgerichtshof in der so­
genannten Frosta­Entscheidung klargemacht, dass der
Gesetzgeber entscheiden muss . Dass Sie das jetzt kurz­
fristig noch in diesen Gesetzentwurf aufnehmen mussten,
ist nicht gerade ein Ausdruck großer Vorausschau eines
gesetzgebenden Organs, sondern das wurde schnell „da­
zugefrickelt“ .

Nun aber auch zur Kritik in der Sache: Wir meinen,
dass Ihr Vorgehen nicht richtig ist, sondern es wäre rich­
tig gewesen, sich an der früheren Rechtsprechung des
Bundesgerichtshofs zu orientieren und sie mit einigen
Modifikationen in den Gesetzentwurf zu übernehmen.

Die Angemessenheit des verpflichtenden Kaufange­
bots sollte daran gemessen werden, ob eine qualifizierte
Mehrheit der Aktionäre das Angebot annimmt . Daneben
muss natürlich auch eine gerichtliche Überprüfung der
Angebotshöhe ermöglicht werden . Wir meinen, dass das
ein fairer Ausgleich zwischen den Interessen der kleinen

Aktionäre und den Interessen der Unternehmensleitung
gewesen wäre .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dr . Heribert Hirte [CDU/CSU]: Genau das machen wir!)


Der dritte Punkt ist das Country­by­Country­Report­
ing . Es ist schon gesagt worden: Das ist in zwei Branchen
ein Fortschritt . Dadurch kommt dort mehr Transparenz
hinein . Die Frage ist aber, warum das eigentlich nur in
zwei Branchen geschieht .

In einer dritten Branche gibt es bereits ein entspre­
chendes Vorbild . Dort ist dies vom Europäischen Par­
lament schon durchgesetzt worden . Wir Grünen haben
uns damals sehr dafür eingesetzt . Ich spreche von den
Banken . Mit der Bankenrichtlinie haben wir das hinbe­
kommen, und seit dem 1 . Juli 2015 kann man sehen, was
das bringt . Ich glaube, es ist wichtig, sich das in diesem
Kontext einmal klarzumachen .

Die Fraktion der Grünen im Europäischen Parlament
hat dazu eine Studie erstellt, um eine erste Abschätzung
vornehmen zu können . Was können wir aus den Daten
lernen, wenn die Banken offenlegen müssen, wo sie wie
viel Steuern zahlen und wie dies im Verhältnis zum Um­
satz steht?

Man kann zum Beispiel sehen, dass jeder einzelne
Mitarbeiter der Deutschen Bank im Steuerparadies Malta
20,8 Millionen Euro zum Konzernergebnis beiträgt, wäh­
rend es bei einem Mitarbeiter in Deutschland nur 45 000
Euro sind . Hier besteht also eine riesige Diskrepanz,
die sich nicht damit erklären lässt, dass in Malta nur die
Supermitarbeiter und in Deutschland nur die nicht leis­
tungsfähigen Mitarbeiter tätig sind, sondern nur damit,
dass ein relevanter Teil der Erträge offensichtlich eher im
Steuerparadies versteuert wird als bei uns .


(Lothar Binding Zahlen kommen durch BEPS!)


Genau diese Offenheit brauchen wir, und hier hilft der
Verweis von Lothar Binding per Zwischenruf, dass die
Zahlen durch BEPS kommen, natürlich nicht .


(Lothar Binding Zahlen kommen genau daher!)


– Ja, Moment . Genau das ist ja das Problem: Es ist von
der Bundesregierung vorgesehen, dass nur die Steuerver­
waltungen diese Zahlen haben . Das geschieht also gerade
hinter verschlossenen Türen und ist nicht transparent .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg . Dr . Axel Troost [DIE LINKE])


Wenn man also Transparenz will, dann muss man dem
gemeinsamen Entschließungsantrag der Linksfraktion
und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zustimmen und
sagen: Wir wollen diese Transparenz in Zukunft für alle
Branchen,


(Lothar Binding nicht um den Pranger, sondern um Transpa­ renz!)







(A) (C)



(B) (D)


damit wir Fehlverhalten im Steuerbereich und im Be­
reich der Geldwäsche leichter aufdecken und damit einen
wichtigen Beitrag zu einer besseren Unternehmensfüh­
rung leisten können .

Vielen Dank .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1812722700

Vielen Dank . – Nächster Redner ist der Kollege

Dr . Philipp Murmann, CDU/CSU­Fraktion .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge­ ordneten der SPD)



Dr. Philipp Murmann (CDU):
Rede ID: ID1812722800

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und

Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Als Norddeut­
schem sei es mir gegönnt, noch etwas genauer auf das
Thema Schiffserlöspools einzugehen .


(Dr . Jens Zimmermann [SPD]: Hört! Hört!)


Die gute Nachricht gleich vorweg: Die Schiffserlöspools
bleiben von der Versicherungsteuer befreit . Das ist ein
wichtiges und gutes Signal an die Schifffahrt, das wir
hier eindeutig senden wollen, meine Damen und Herren .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge­ ordneten der SPD)


Lieber Herr Troost, normalerweise beschäftigen Sie
sich immer intensiv mit einer Sache, bevor Sie entspre­
chende Schlussfolgerungen ziehen, aber in dem Fall,
muss ich sagen, haben Sie sich vielleicht nicht ausrei­
chend damit beschäftigt . Immerhin hat es 88 Jahre ge­
dauert, bis ein Bundesfinanzbeamter auf die Idee gekom­
men ist, einen Schiffserlöspool mit Versicherungsteuer
zu belegen . Das Versicherungsteuergesetz ist von 1922 .


(Dr . Axel Troost [DIE LINKE]: Da gab es die Pools noch nicht!)


– Nun mag es solche Konstruktionen nicht von Anfang
an gegeben haben – das kann sein –, aber es gibt sie
schon relativ lange .

1 500 Schiffe sind in solchen Poolkonstruktionen zu­
sammengeschlossen . Meistens umfassen die Pools 20 bis
40 Schiffe . Warum macht man das? Weil viele Reeder
in Deutschland relativ klein sind: Immerhin ein Drit­
tel – 36 Prozent aller Reeder – hat nur ein Schiff . Weitere
36 Prozent der Reeder haben weniger als zehn Schiffe .
Auf einem globalen Markt ist es natürlich relativ schwer,
mit einem, zwei oder drei Schiffen tätig zu werden und
am Spotmarkt Transportaufträge zu bekommen . Deswe­
gen hat man sich schon vor relativ langer Zeit entschlos­
sen, solche Pools zu bilden, um entsprechende Aufträge
übernehmen zu können . Die Eigner geben die Erlöse so­
zusagen in einen Topf und verteilen sie dann nach einem
bestimmten Schlüssel . Wenn man das nicht täte, würden
die kleinen Reeder, die nur ein Schiff oder wenige Schif­
fe haben, komplett aus diesem Markt verdrängt . Deswe­
gen ist es nicht angemessen, wenn Sie hier sagen, wir
würden das irgendwie subventionieren .

Eine Versicherungsteuer auf solche Schiffserlöspools
hat es nie gegeben . Warum sollten wir jetzt, in dieser Si­
tuation eine solche Maßnahme einführen? Ich finde, das
macht keinen Sinn . Deswegen ist es richtig, dass wir da­
für gesorgt haben, dass das jetzt auch entfristet wird .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg . Christian Petry [SPD])


Um ein Beispiel zu bringen: Wenn ein solcher Pool
14 Schiffe umfasst und der Erlös sich auf etwa 6 Mil­
lionen Euro im Jahr beläuft, würde die Steuer – 19 Pro­
zent – immerhin etwa 1,2 Millionen Euro betragen, pro
Schiff 90 000 Euro . Das ist eine Größenordnung, die
für viele Reeder in der momentanen Situation kaum zu
stemmen ist . Wir wollen sie jedoch nicht verlieren . Des­
wegen – noch einmal – haben wir uns dazu entschlossen,
diese Versicherungsteuer nicht zu erheben .

Dem Fiskus hätte das wohl etwa 200 Millionen Euro
gebracht . In solchen Fällen reiben sich Vertreter des
Bundesfinanzministeriums und auch andere natürlich die
Hände und sagen: Da könnten wir noch 200 Millionen
Euro einnehmen . Aber einerseits entstehen auch Kosten,
und andererseits, denke ich, ist es unsere Aufgabe, immer
dafür zu sorgen, dass wir am Ende einen Ausgleich zwi­
schen dem, was volkswirtschaftlich sinnvoll, und dem,
was fiskalisch sinnvoll ist, finden. Deswegen bin ich der
Meinung: An dieser Stelle haben wir das so richtig ge­
macht . Ich danke auch dem Kollegen Schwarz ganz be­
sonders, der gerade abgetaucht ist oder zum Abendessen
musste,


(Zuruf von der CDU/CSU: Er ist auf hoher See! – Lothar Binding Auf Kreuzfahrt!)


der – wie auch die Mitarbeiter des Bundesfinanzministe­
riums – intensiv daran mitgearbeitet hat .


(Lothar Binding nicht zum Essen, sondern kümmert sich um Schiffe, weil klar ist, dass von 4 000 Schif­ fen nur 200 unter deutscher Flagge fahren! Die ganzen Vergünstigungen haben noch nicht dazu geführt, dass es mehr geworden wären!)


– Nein, wir stehen da in einem extremen Wettbewerb, in
einem Subventionswettbewerb mit verschiedenen Län­
dern . Deswegen ist vielleicht auch noch einmal wichtig –
weil Sie das sagen, Herr Binding –, zu betonen: Dass wir
dieses Gesetz heute verabschieden, ist ein besonderes
Signal . Die Schifffahrtsbranche – wir sind eine Schiff­
fahrtsnation, eine Handelsnation – trifft sich alle zwei
Jahre zur Nationalen Maritimen Konferenz, die netter­
weise von der Bundesregierung ausgerichtet wird, um da
alle Themen, die relevant sind, zu diskutieren .

Zum Glück haben wir dieses Mal das Thema „Ver­
sicherungsteuer auf Erlöspools“ nicht auf der Tagesord­
nung; wir können uns stattdessen konstruktiv um andere
Themen kümmern . In Deutschland arbeiten immerhin
noch 400 000 Mitarbeiter in dieser Industrie, und es
werden dort 30 Milliarden Euro umgesetzt, die auch in
Deutschland versteuert werden . Insofern ist das auch für

Dr. Gerhard Schick






(A) (C)



(B) (D)


uns eine relevante Größe, und ich bin dankbar, dass wir
das Gesetz nun gemeinsam auf den Weg gebracht haben .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Ich komme zum Schluss . Herr Gambke, Sie hatten
im Ausschuss gesagt, dass Sie das ordnungspolitisch für
schwierig halten . Ein Blick ins Versicherungsteuergesetz
zeigt, dass es dort jede Menge Ausnahmen gibt .


(Dr . Gerhard Schick [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das macht es nicht besser!)


Ich denke, das ist eine Ausnahme im Versicherungsteuer­
gesetz, an die erstens die Gründerväter damals wohl noch
gar nicht gedacht hatten – sie haben sicherlich nicht ge­
glaubt, dass so etwas jemals auftreten würde – und die
zweitens sinnvoll ist .

Wir sind eine Schifffahrtsnation, und wir wollen auch
eine Schifffahrtsnation bleiben . Dafür wollen wir uns
auch weiterhin einsetzen .

Vielen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge­ ordneten der SPD – Dr . Jens Zimmermann [SPD]: Ahoi!)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1812722900

Vielen Dank . – Für die SPD­Fraktion erhält jetzt

Dr . Johannes Fechner das Wort .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. Johannes Fechner (SPD):
Rede ID: ID1812723000

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Der Gesetzentwurf, den wir heute beraten, enthält eine
wichtige Regelung zum Delisting . Es geht dabei um die
Frage, welche Regelungen für Kleinaktionäre gelten soll­
ten, insbesondere wenn sich große Unternehmen von der
Börse zurückziehen . Ich bin sehr froh darüber, dass wir
hier zu einer Regelung gekommen sind, die große Vor­
teile für die Kleinaktionäre bringen wird .

Künftig wird es ein verbindliches Abfindungsangebot
an die Aktionäre geben, wenn sich ein Unternehmen von
der Börse zurückzieht . Denn bei einem solchen Rück­
zug werden die Aktien praktisch nicht mehr handelbar .
Deswegen hat in der Regel schon die Ankündigung eines
Delistings oft massive Kursrückgänge mit den entspre­
chenden Nachteilen zur Folge . Die SPD will, dass es
ein angemessenes und faires Abfindungsangebot an die
Aktionäre gibt . Es muss an der Börse gerecht und trans­
parent zugehen . Deswegen ist das eine ganz wichtige
Maßnahme .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Es ist kein Geheimnis: Wir in der SPD­Fraktion hätten
uns auch vorstellen können, dass wir uns an den Rege­
lungen orientieren, die gelten, wenn ein börsennotiertes
Unternehmen mit einem anderen, nicht börsennotierten
Unternehmen verschmolzen wird . Nach diesen Rege­
lungen müssen die Aktionäre dann zum Ertragswert und

damit zum vollen Wert des Aktieneigentums abgefunden
werden, und sie haben die Möglichkeit, die Höhe der Ab­
findung im Spruchverfahren überprüfen zu lassen. Das
hätten wir gerne gehabt, und auch der Deutsche Anwalt­
verein hat sich dahin gehend geäußert . Wir haben in der
Union leider außer Herrn Hirte, glaube ich, wenig Befür­
worter für eine solche Regelung gefunden .

Dennoch meine ich, dass wir einen vernünftigen Kom­
promiss gefunden haben . Generell gilt der Börsenwert
der letzten sechs Monate . Wenn es Manipulationen gibt,
wird allerdings auf das Ertragswertverfahren zurückge­
griffen werden, das dann auch gerichtlich überprüft wer­
den kann, sodass es einen Rechtsschutz gibt .

Die zweite Möglichkeit, wann auf diese Art und Wei­
se überprüft werden kann, ob ein angemessenes Abfin­
dungsangebot vorliegt, geht auf den Vorschlag von Herrn
Hirte zurück . Ich möchte ausdrücklich betonen, dass es
Ihr Vorschlag war, dass dann, wenn eine fehlerhafte Ad­
hoc­Mitteilung erfolgt oder es gar keine Ad­hoc­Mittei­
lung gibt, diese Regelung greift . Wir meinen: In den Fäl­
len, dass Kurse manipuliert werden, soll der Börsenkurs
nicht Maßstab sein, weil er eben gedrückt worden ist .

Wichtig war uns auch, dass der Ausgleich, dass eine
solche Abfindung in Geld statt in Aktien erfolgt. Nicht
in den Gesetzentwurf aufgenommen haben wir den Vor­
schlag, dass bei einem Übernahmeangebot, das von den
Aktionären nicht angenommen wird, ein Abfindungsan­
gebot nicht erteilt werden muss . Sonst käme es zu einer
regelrechten Erpressung, dass ein Aktionär auch ein noch
so schlechtes Übernahmeangebot annehmen muss, um
nicht in die Situation des Delistings zu kommen, mit der
Folge, dass er noch weniger für seine Aktien bekommt .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Sie sehen also: Wir haben sehr viele wichtige Rege­
lungen getroffen . Dabei möchte ich noch einen Punkt
hervorheben: Ich glaube nicht, dass jemand sich Sorgen
machen muss, dass dadurch Börsengänge weniger attrak­
tiv werden . Denn das Delisting ist getrennt von der Fra­
ge, ob es einen Aufschlag für den Aktienwert gibt . Der
Rückzug von der Börse kann nicht wegen eines Streits,
etwa eines längeren Rechtsstreits, darüber, in welchem
Umfang abgefunden werden muss, aufgehalten werden .

Sie sehen: Wir machen insbesondere für die Klein­
anleger ein wichtiges Gesetz . Deswegen kann man dem
Gesetzentwurf eigentlich nur zustimmen .

Vielen Dank .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1812723100

Vielen Dank . – Nächster Redner ist jetzt Professor

Heribert Hirte, CDU/CSU­Fraktion .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. Heribert Hirte (CDU):
Rede ID: ID1812723200

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Liebe Zuhörer! Wir haben gehört, welches der Hinter­
grund des Änderungsantrags ist, den wir als Koalitions­

Dr. Philipp Murmann






(A) (C)



(B) (D)


fraktionen zum Gesetzespaket noch eingebracht haben;
der Kollege Middelberg hat das ausführlich geschildert .
Bei uns in der Fraktion bestand schon sehr früh Konsens
darüber, dass hier – bei der Wiedereinführung einer Ab­
findung der Aktionäre im Falle eines Delistings – die
Notwendigkeit gesetzgeberischen Handelns besteht .
Wenn die SPD das nicht mitbekommen hat, ist das na­
türlich traurig . Aber sie war bei unseren internen Ge­
sprächen auch nicht dabei . Sagen wir es einfach so: Der
Erfolg hat viele Väter, und das ist gut so .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Konsens bestand dabei auch darüber, dass ein Haupt­
versammlungsbeschluss zu dieser Entscheidung nicht
mehr vorgesehen werden sollte, weil einerseits die Mehr­
heiten klar sind – Herr Kollege Schick schaut deshalb
jetzt vielleicht weg – und weil andererseits die mit dem
Hauptversammlungsbeschluss zu vermittelnden In­
formationen auf andere Weise, vielleicht sogar besser,
nämlich nun nach der Wertpapierübernahmegesetz­An­
gebotsverordnung, mit behördlicher Kontrolle und auch
billiger, bereitgestellt werden können .

Der entscheidende Punkt für uns ist aber gewesen:
Wie berechnet sich die Höhe der Abfindung? Hier haben
wir uns im Interesse der Verfahrensvereinfachung dafür
entschieden, zunächst einmal an den Börsenkurs in den
letzten sechs Monaten vor einem Delisting oder ein da­
vor erfolgtes Erwerbsangebot anzuknüpfen; denn insbe­
sondere der Börsenkurs ist leicht zu ermitteln und gibt
damit auch den Unternehmen die Freiheit, sich irgend­
wann von der Börse zurückzuziehen .

Natürlich haben wir auch intensiv darüber diskutiert,
ob man die Maßnahme nicht ähnlich einer Umwandlung
behandeln und die Abfindung nach dem Spruchverfah­
rensgesetz anhand einer Ertragswertberechnung ermit­
teln könnte . Ich selbst hatte – Herr Kollege Fechner hatte
darauf hingewiesen – einmal einen solchen Vorschlag
gemacht . Der große mit einem Spruchverfahren verbun­
dene Aufwand hat uns aber davon abgehalten, und die
überfällige Reform des Spruchverfahrensrechts konnten
wir nicht sozusagen im Vorbeigehen erledigen .

Deshalb haben wir uns die Frage gestellt, warum Bör­
senkurs und Unternehmenswert nach Ertragswertberech­
nung häufig auseinanderfallen, obwohl sie theoretisch
genau zum selben Ergebnis führen müssten . Es handelt
sich schließlich nicht um zwei unterschiedliche Werte,
sondern um zwei Methoden, um zum richtigen Unter­
nehmenswert zu kommen . Wir haben als entscheiden­
den Grund ausgemacht, dass die nicht vollständige oder
fehlerhafte Information des Kapitalmarkts der Punkt ist,
auf den die Differenz zurückzuführen ist . Das haben wir
dann – das ist schon mehrfach angeklungen – in einem
völlig neuen Rechtsbehelf adressiert und vorgesehen,
dass im Falle von fehlenden oder fehlerhaften Ad­hoc­
Meldungen oder in Fällen der Marktmanipulation doch
auf die Ertragswertmethode, also wie im Bereich des
Spruchverfahrens, zurückzugreifen ist .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Die Emittenten haben damit die Wahl . Ein Rückzug von
der Börse kann auf der Grundlage einer am Börsenkurs
orientierten Abfindung erfolgen, dann, aber auch nur
dann, wenn dieser Börsenkurs korrekt zustande gekom­
men ist . Das ist ein wichtiger Beitrag zum Anlegerschutz .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Fehler in der Informationspolitik haben dabei auch
dann noch Auswirkungen auf den Börsenkurs in den re­
levanten sechs Monaten vor einem Delisting, wenn der
ursprüngliche Fehler länger zurückliegt; denn die Ver­
öffentlichungs- bzw. Korrekturpflicht wirkt fort und er­
streckt sich in diesen Sechs­Monats­Zeitraum hinein . Im
Übrigen sei – nur der Vollständigkeit halber – darauf ver­
wiesen, dass allein schon durch den Verweis auf die Be­
rechnungsmethode anhand des Börsenkurses mancherlei
Manipulationen ausgeschlossen werden; denn dadurch
werden auch sogenannte Parallelerwerbe erfasst . Wer
jetzt sagt, der Börsenkurs sei ungeeignet, übersieht die­
sen sehr wichtigen Punkt .

Für die Durchsetzung des Abfindungsanspruchs haben
wir noch weitere anlegerfreundliche Weichenstellungen
vorgenommen . So haben wir vor allem das Kapitalanle­
ger­Musterverfahrensgesetz hier für anwendbar erklärt,
das auch unter Kostengesichtspunkten die Durchsetzung
von Abfindungsansprüchen gegenüber dem allgemeinen
Verfahrensrecht deutlich erleichtert . Es gibt also sehr
wohl eine gerichtliche Kontrolle, Kollege Schick . Im
Übrigen gehen wir davon aus, dass die Zivilgerichte das
Verfahren insbesondere hinsichtlich der Beweislastver­
teilung und der Kostentragung gemäß dem Parteivortrag
den Möglichkeiten und Grenzen der aus der Gesellschaft
ausscheidenden Anleger anpassen . Da wir nicht sicher
wissen, ob wir in allen Punkten recht haben, haben wir
schließlich – darauf sei hingewiesen – eine Evaluations­
klausel eingeführt . Wir schauen uns das alles in zwei Jah­
ren noch einmal an .

Aber auch aus meiner Sicht: Vielen Dank an die Kol­
legen Petry und Fechner für die produktive Zusammen­
arbeit!

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1812723300

Vielen Dank . – Nächster Redner ist Dr . Jens

Zimmermann, SPD­Fraktion .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. Jens Zimmermann (SPD):
Rede ID: ID1812723400

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe

Kolleginnen und Kollegen! Wer hätte nach dieser De­
batte gedacht, dass es in diesem Gesetz auch noch um
etwas ganz anderes geht? Es geht nämlich um etwas, das
die meisten draußen verstehen . Es geht um EC­Karten,
es geht um Kreditkarten, und es geht um die Frage: Was
kostet das eigentlich, und wer bezahlt es am Ende?

Wir haben an das Gesetz das Begleitgesetz zur EU­
Verordnung über Interbankenentgelte angehängt . Wenn

Dr. Heribert Hirte






(A) (C)



(B) (D)


man so etwas anhängt, ist es manchmal eine Herausfor­
derung, zu erreichen, dass es nicht komplett untergeht .
Was dort vonseiten der EU­Kommission gemacht wurde,
ist ein Beitrag zum Verbraucherschutz . Die Frage „Wie
hoch sind die Gebühren, die eine Händlerbank an die
Bank zahlen muss, die die Karte ausgibt?“ ist gar nicht
so ohne . Es ist vorhin vom Kollegen Petry angesprochen
worden: Die Schätzungen über die Auswirkungen die­
ser EU­Verordnung gehen dahin, dass 6 Milliarden Euro
vonseiten der Kreditkartenunternehmen an den Handel
fließen werden. Wir gehen natürlich davon aus, dass das
am Ende an die Verbraucherinnen und Verbraucher wei­
tergegeben wird, meine Damen und Herren .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Es ist ein Teil eines größeren Paketes . Wir werden
uns noch weiter über die zweite Zahlungsdiensterichtli­
nie unterhalten . Aber alles in allem haben wir hier bei
der Umsetzung im Deutschen Bundestag eine gute und
konstruktive Diskussion gehabt . Es gab die Möglichkeit,
verschiedene Optionen für den Übergang in Betracht zu
ziehen . Aber wir sind am Ende relativ schnell zu dem
Ergebnis gekommen, dass das keine Möglichkeiten sind,
die die Verbraucherinnen und Verbraucher in unserem
Land wirklich weiterbringen .

Ein Punkt ist mir an dieser Stelle sehr wichtig . Wir
müssen natürlich schauen: Wir haben das berühmte EC­
Karten­System – so sagt man ja – oder Girocard­System
in Deutschland, mit dem ganz viele ganz selbstverständ­
lich zahlen, weil das historisch gewachsen ist . Das gibt es
in dieser Form, glaube ich, in keinem anderen EU­Mit­
gliedstaat. Deswegen finde ich es richtig, dass wir uns
als Koalitionsfraktionen darauf geeinigt haben, genau zu
schauen, welche Auswirkungen das auf unser deutsches
System am Ende haben wird . Eines kann natürlich nicht
sein: dass es am Ende den gegenteiligen Effekt hat, den
man eigentlich nicht erreichen will, dass am Ende die
Verbraucherinnen und Verbraucher mehr zahlen müssen .
Das darf auf keinen Fall passieren, meine Damen und
Herren .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Alles in allem kann man zum Schluss der Debatte sa­
gen: Das ist ein richtiges Gesetz, an dem alle hart ge­
arbeitet haben . Hier ging es um die Sache . Hier ging es
um viele Details . Es ist eine ganz wichtige Sache, dass
wir genau aufpassen, dass wir keine Lücken lassen, die
wir nicht lassen wollen . Aber, ich glaube, das haben wir
gut geschafft .

Deswegen möchte ich mich bei allen bedanken, die
mitgeholfen haben . Ich glaube, wir haben im Finanzaus­
schuss – das kann man auch einmal sagen – in den letzten
Wochen ordentlich was geschafft für unser Geld, und das
ist auch gut so .

Vielen Dank .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1812723500

Vielen Dank . – Wie der Kollege Zimmermann schon

richtigerweise erwähnt hat, sind wir am Schluss der Aus­
sprache angekommen .

Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bun­
desregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur
Umsetzung der Transparenzrichtlinie­Änderungsrichtli­
nie. Der Finanzausschuss empfiehlt in seiner Beschluss­
empfehlung auf Drucksache 18/6220, den Gesetzentwurf
der Bundesregierung auf den Drucksachen 18/5010 und
18/5272 in der Ausschussfassung anzunehmen . Ich bitte
diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfas­
sung zustimmen wollen, um das Handzeichen . – Wer ist
dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist der Gesetzent­
wurf in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koali­
tionsfraktionen bei Enthaltung der Fraktion Die Linke
und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen .

Dritte Beratung

und Schlussabstimmung . Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben . –
Wer stimmt dagegen? – Keiner . Wer enthält sich? – Der
Gesetzentwurf ist mit dem gleichen Stimmenverhältnis
angenommen .

Abstimmung über den Entschließungsantrag der Frak­
tionen Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen auf Druck­
sache 18/6221 . Wer stimmt für diesen Entschließungs­
antrag? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der
Entschließungsantrag ist mit den Stimmen der Koali­
tionsfraktionen gegen die Stimmen der Opposition ab­
gelehnt .

Ich rufe Tagesordnungspunkt 11 auf:

Beratung der Beschlussempfehlung und des Be­
richts des Ausschusses für Arbeit und Soziales

(11 . Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten

Katja Kipping, Sabine Zimmermann (Zwickau),
Matthias W . Birkwald, weiterer Abgeordneter
und der Fraktion DIE LINKE

Armuts- und Reichtumsbericht qualifizieren
und Armut bekämpfen

Drucksachen 18/5109, 18/6218

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 25 Minuten vorgesehen . – Ich sehe, Sie
sind damit einverstanden . Dann ist so beschlossen .

Ich eröffne die Aussprache . Das Wort hat die Kollegin
Dagmar Schmidt, SPD­Fraktion .


(Beifall bei der SPD)



Dagmar Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1812723600

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen

und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zunächst
einmal möchte ich sagen, dass wir nicht nur der Ansicht
sind, dass das Bundesministerium für Arbeit und So­
ziales die Kompetenz und die Expertise dazu hat, den
Armuts­ und Reichtumsbericht zu verfassen, nein, aus
unserer Sicht hat es auch die Pflicht dazu. Dafür haben
wir uns lange eingesetzt, und wir sind froh, dass wir jetzt

Dr. Jens Zimmermann






(A) (C)



(B) (D)


eine regelmäßige Armuts­ und Reichtumsberichterstat­
tung haben .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN – Matthias W . Birkwald [DIE LINKE]: Funktioniert nur nicht richtig!)


Der Armuts­ und Reichtumsbericht wird ja nicht im
wissenschaftlich luftleeren Raum erstellt, und er ist
auch nicht das Einzige, was zu Fragen der Armuts­ und
Reichtumsforschung vorliegt . Es gibt den Bericht „Die
zerklüftete Republik“ des Deutschen Paritätischen Wohl­
fahrtsverbandes genauso wie Einzeluntersuchungen zu
wichtigen anderen Fragen . Wir haben zum Glück eine
freie Wissenschaft und qualifizierte Institutionen wie die
Hans­Böckler­Stiftung, wie Caritas, FES, Diakonie, IAB,
DGB usw ., die mit der Armutsforschung beschäftigt sind .

Es ist gerade wichtig, einen Bericht zu haben, der
in der Verantwortung der Bundesregierung liegt, weil
er dann eben auch von der Bundesregierung zu verant­
worten und zu verteidigen ist und weil er die konkrete
Grundlage für eine Politik der Armutsbekämpfung und
der Armutsprävention darstellt . Das Ministerium be­
schreibt das auf seiner Internetseite selbst wie folgt – ich
zitiere –:

Ziel des Berichts ist in letzter Konsequenz die Ent­
wicklung von … Handlungsoptionen zur Vermei­
dung und Bekämpfung von Armut und Ungleichheit .
Auch dient der Bericht mittelbar der Überprüfung
früher politischer Maßnahmen .

Der Bericht ist also ein Politikum, und genau das soll er
auch sein .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Es wird nie die eine mögliche objektive Interpretation
von Zahlen geben . Auch Sie geben Gutachten an den
einen und nicht an den anderen .

Was wir von einem Armuts­ und Reichtumsbericht der
Regierung erwarten können, ist Transparenz und Nach­
vollziehbarkeit . Ich glaube, das ist durch die Internetseite
vorbildlich gewährleistet .

Was wir noch erwarten können, ist eine ausgiebige
Diskussion . Diesmal wird gut und eng mit dem Berater­
kreis zusammengearbeitet . Auch von Armut direkt be­
troffene Menschen selbst werden gehört. Ich finde, auch
das ist ein wichtiger Punkt .

Was wir noch erwarten können, ist, dass sich nicht
immer die Gleichen das Gleiche erzählen, nur mit aktu­
alisierten Zahlen . Das ist dadurch gewährleistet, dass es
Schwerpunkte gibt, und dadurch, dass dem wissenschaft­
lichen Gutachtergremium sechs Nachwuchsschaftlerin­
nen und ­wissenschaftler angehören, die ihrerseits einen
kritischen Blick auf die Erstellung des Berichts werfen
sollen .

Das alles gewährleistet eine qualitativ hochwertige
Analyse und einen breit akzeptierten Bericht . Beim letz­
ten Armuts­ und Reichtumsbericht war das anders .


(Matthias W . Birkwald [DIE LINKE]: Aller­ dings!)


Die Zusammenarbeit mit dem Beraterkreis wurde auf
ein Minimum reduziert, von Transparenz keine Spur .
Auf Drängen der FDP wurden zahlreiche Passagen ge­
strichen,


(Zuruf von der SPD: Stimmt!)


so der Hinweis auf die sehr ungleiche Verteilung der Pri­
vatvermögen oder auf die 4 Millionen Menschen, die we­
niger als 7 Euro brutto pro Stunde verdienen .


(Matthias W . Birkwald [DIE LINKE]: Das stimmt! – Waltraud Wolff [SPD]: Können wir uns noch gut dran erin­ nern!)


Letzteres haben wir zum Glück ja ändern können .


(Beifall bei der SPD)


Das war politisch aussagekräftiger als alles, was die FDP
ansonsten in der Debatte vorbringen konnte . Was war das
politische Ergebnis? Wo ist die FDP heute?


(Heiterkeit bei der SPD sowie bei Abgeordne­ ten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN – Matthias W . Birkwald [DIE LINKE]: Wenn ihr davor Angst habt und des­ wegen einen guten Bericht vorlegt, soll es mir recht sein!)


Was ich damit sagen will: Es ist gut, wenn die Regierung
ihren Bericht verantworten und verteidigen muss .

Auch wenn es Deutschland insgesamt gut geht: Jedes
fünfte Kind lebt in Armut . Alleinerziehend und weiblich
zu sein, ist immer noch das größte Armutsrisiko . Die
oberen 10 Prozent besitzen 60 Prozent der Vermögen,
die unteren 50 Prozent gerade einmal 0,1 Prozent . Da­
rüber und über die vielen interessanten Fragen, die im
Bericht angelegt sind, muss geredet werden: über Armut
und Reichtum, über sozialen Zusammenhalt und über die
Verpflichtung des Eigentums in Deutschland.

Um es mit den Worten Wilhelm Buschs zu sagen:

Zu nehmen, zu behalten
Und gut für sich zu leben,
Fällt jedem selber ein .
Die Börse zu entfalten,
Den andern was zu geben,
Das will ermuntert sein .

Auch zu dieser Ermunterung sollte die Debatte beitragen .

Glück auf!


(Beifall bei der SPD)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1812723700

Vielen Dank . – Nächster Redner ist Matthias W .

Birkwald, Fraktion Die Linke .


(Beifall bei der LINKEN)


Dagmar Schmidt (Wetzlar)







(A) (C)



(B) (D)



Matthias W. Birkwald (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1812723800

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und

Herren!

Reicher Mann und armer Mann
standen da und sah’n sich an .
Und der Arme sagte bleich:
„Wär ich nicht arm, wärst du nicht reich .“

Ich sage, Frau Schmidt: Recht hat er, der Bertolt Brecht .


(Beifall bei der LINKEN)


Skandalös ist: In unserer Gesellschaft wird Armut im­
mer noch vererbt . Das Institut für Wirtschaftsforschung
Halle hat vorgestern festgestellt – ich zitiere –:

Für jedes Jahr Arbeitslosigkeit des Vaters erhöht
sich die Dauer der Arbeitslosigkeit des Sohnes im
Schnitt um zwei Wochen .

Fakt ist: Unser Sozialstaat schützt heute nicht mehr
vor Armut . Er schützt insbesondere Kinder nicht vor Ar­
mut, er schützt Erwerbslose nicht vor Armut, er schützt
Alleinerziehende nicht vor Armut, und er schützt Ältere
nicht vor Armut . Genau deshalb brauchen wir einen
schonungslosen, einen ehrlichen und einen unabhängi­
gen Armuts­ und Reichtumsbericht .


(Beifall bei der LINKEN)


Denn, Frau Schmidt, die Bundesregierung ist verant­
wortlich für die soziale Ungleichheit im Lande . Es heißt,
den Bock zum Gärtner zu machen, wenn die Bundes­
regierung weiterhin den Armuts­ und Reichtumsbericht
schreibt . Schönfärberei ist da vorprogrammiert . Sie ha­
ben es ja vorgetragen . Ich erinnere nur an die Schön­
färberei des damaligen FDP­Chefs Philipp Rösler beim
Vierten Armuts­ und Reichtumsbericht .


(Waltraud Wolff aber nicht üblich! Das war einmalig!)


Das wollen wir nicht mehr, und darum fordert die Linke
eine unabhängige Kommission .


(Beifall bei der LINKEN)


Regierungsunabhängige Kommissionen sind eine gän­
gige und bewährte Praxis . Der Gleichstellungsbericht
beispielsweise wird ebenfalls von einer unabhängigen
Kommission erarbeitet .

Meine Damen und Herren, Ministerin Andrea Nah­
les und die Union versuchen immer wieder, den in ganz
Europa gültigen Maßstab für Armut anzuzweifeln . Trotz
alledem: Es hat sich durchgesetzt, dass ein Mensch dann
als armutsgefährdet gilt, wenn sein laufendes monat­
liches Nettoeinkommen unterhalb von 60 Prozent des
durchschnittlichen Äquivalenzeinkommens liegt . Nach
dieser EU-weit etablierten Armutsdefinition ist man als
Alleinlebender in Deutschland aktuell bei einem monat­
lichen Nettoeinkommen von weniger als 979 Euro von
Armut bedroht .

Das Ergebnis: 16 Prozent der Bevölkerung müssen
von weniger als 979 Euro im Monat leben . 16,6 Prozent
der älteren Frauen, 38,8 Prozent der Alleinerziehenden
und sage und schreibe 69,3 Prozent der Erwerbslosen

müssen von weniger als 979 Euro im Monat leben . Das
ist die traurige Realität in unserem Land . Wenn wir das
ändern wollen und eine Kellnerin oder ein Postbote durch
Arbeit aus der Armutsfalle rauskommen soll, dann müss­
te sie oder er einen Bruttostundenlohn von 11,39 Euro
erhalten .

Auf Seite 1 des Armuts­ und Reichtumsberichts müss­
te dann stehen: 8,50 Euro Mindestlohn sind zu niedrig,
um vor Armut zu schützen .


(Beifall bei der LINKEN)


Und auf Seite 2 des Armuts­ und Reichtumsbericht wür­
de dann stehen, dass Beschäftigte 45 Jahre lang einen
Stundenlohn von 14,57 Euro erhalten müssten, wenn sie
im Alter eine Rente in Höhe von 979 Euro netto erhalten
wollten . 14,57 Euro und nicht 8,50 Euro, Frau Schmidt!
Diese bitteren Wahrheiten sollen im nächsten Armuts­
und Reichtumsbericht stehen .


(Beifall bei der LINKEN – Dr . Wolfgang Strengmann­Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ­ NEN]: Und wie soll der dann noch von einer unabhängigen Kommission erstellt werden?)


Es sollten auch die zwingenden Schlussfolgerungen
daraus gezogen werden . Darum fordern wir Linken in
unserem Antrag eine regierungsunabhängige Kommis­
sion und als Konsequenz aus dem Bericht ein Programm
gegen Armut und soziale Ausgrenzung .


(Beifall bei der LINKEN – Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wollen Sie den Armuts­ und Reichtumsbericht selber schreiben?)


Und wir wollen, dass auch qualitative Aspekte, die die
soziale Ausgrenzung jenseits des Geldes deutlich ma­
chen, eingezogen werden .

Wir wissen nämlich, dass sich jeder fünfte Haushalt in
Deutschland keine Woche Urlaub im Jahr leisten kann .
Wir wissen, dass jeder dritte Haushalt bei unerwarteten
einmaligen Ausgaben in Höhe von 952 Euro überfordert
ist . Wir wissen, dass 8,4 Prozent der Haushalte es nicht
schaffen, jeden zweiten Tag eine vollwertige Mahlzeit
auf den Tisch zu bringen . Und wir wissen auch, dass in
Deutschland 20 Prozent der Bevölkerung von Armut und
sozialer Ausgrenzung betroffen sind – mehr als 16 Mil­
lionen Menschen! Armut in einem reichen Land gehört
abgeschafft .

Danke schön .


(Beifall bei der LINKEN)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1812723900

Vielen Dank . – Für die CDU/CSU­Fraktion spricht

jetzt der Kollege Dr . Matthias Zimmer .


(Beifall bei der CDU/CSU)







(A) (C)



(B) (D)



Dr. Matthias Zimmer (CDU):
Rede ID: ID1812724000

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Kollegin

Schmidt hat Busch zitiert . Dann kam auch noch Bertolt
Brecht .


(Zuruf von der SPD: Wilhelm!)


– Wilhelm Brecht .


(Heiterkeit bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Jetzt haben Sie mich aber durcheinandergebracht .

Mir ist beim Zuhören, vor allen Dingen bei der Rede
des Kollegen Birkwald, ein Gedicht von Eugen Roth in
den Sinn gekommen .


(Matthias W . Birkwald [DIE LINKE]: Auch schön!)


Es lautet wie folgt:

Ein Mensch bemerkt mit bitterm Zorn,
daß keine Rose ohne Dorn .
Doch muß ihn noch viel mehr erbosen,
daß sehr viel Dornen ohne Rosen .

Meine Damen und Herren, Armut bekämpfen wir
nachhaltig am besten, indem wir Menschen befähigen,
indem wir ihnen Möglichkeiten eröffnen und Chancen
bieten, sich selbst zu helfen . Armut ist ein Mangel an
fundamentalen Verwirklichungschancen . Und hier wird
es dann auch grundsätzlich: Ein Mangel an Verwirkli­
chungschancen ist ein Mangel an Freiheit . Deswegen
sind wir auch davon überzeugt: Nur dort, wo der Mensch
und seine Fähigkeiten ertüchtigt werden, für sich selbst
Verantwortung zu übernehmen, hat das Soziale eine
Chance . Deswegen spricht der Nobelpreisträger Amartya
Sen auch von der Freiheit als einem sozialen Gebot .

Wir sind davon überzeugt, dass die Freiheit als sozia­
les Gebot in der sozialen Marktwirtschaft einen geeig­
neten Ordnungsrahmen gefunden hat . Innerhalb dieses
Ordnungsrahmens nehmen wir ein gewisses Maß an Un­
gleichheit hin . Ich glaube nicht, dass die These stimmt,
Glück sei eine Funktion von gesellschaftlicher Gleich­
heit; vielmehr bin ich der Überzeugung: Gleichheit führt
eher zu gesellschaftlichem Stillstand, zu einer Erstickung
von Innovation und Kreativität, zu einem Abwürgen al­
ler Entwicklung . Es muss gerecht zugehen in der Gesell­
schaft, was die Verteilung angeht, die Leistung, die Chan­
cen . Menschen haben die gleiche Würde, aber eben sehr
unterschiedliche Fähigkeiten und Begabungen . Wenn wir
Freiheit als soziales Gebot ernst nehmen, müssen wir die
Menschen ertüchtigen, ihre Fähigkeiten und Begabungen
zu entwickeln . Das führt notwendig zu einem gewissen
Maß an gesellschaftlicher Ungleichheit .

Nun ist auch richtig: Ein zu hohes Maß an Ungleich­
heit schränkt die Freiheit ein . Deswegen ist die Innen­
schau des Armuts­ und Reichtumsberichtes wichtig .

Es lohnt sich, einen Blick auf die langfristigen Trends
zu lenken . So hat Thomas Piketty herausgearbeitet, dass
die Ungleichheit der Einkommen und Vermögen vom
Ende des 19 . Jahrhunderts bis zum Anfang der 80er­Jahre
des 20 . Jahrhunderts deutlich abgenommen hat, um sich

seither moderat zu erhöhen . Der Befund der letzten
20 Jahre ist ebenfalls eindeutig, zumindest laut dem letz­
ten Armuts­ und Reichtumsbericht der Bundesregierung:
eine leichte Zunahme der Vermögensungleichheit und
bei der Einkommensungleichheit eine Zunahme der Un­
gleichheit in den Jahren 2000 bis 2005, dann eine Stag­
nation . Das hat sicherlich mit den Hartz­Gesetzen und
mit der Einführung des Niedriglohnsektors zu tun . Ich
bin deswegen gespannt, wie sich die Einführung des
Mindestlohns auf die Einkommensungleichheit auswirkt .
Und, weil das Thema in den letzten Tagen aufgekommen
ist: Wer glaubt, er könne beim Mindestlohn Migranten
gegen andere Arbeitnehmer ausspielen, ist ein sozialer
Brandstifter .


(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Ab­ geordneten der LINKEN)


Ich will noch einen Gedanken anfügen, auch mit Blick
auf das Thema Migration . Wir hatten in der letzten Legis­
laturperiode eine Enquete­Kommission, die sich mit der
Frage Wohlstand und Lebensqualität beschäftigte und
einen Wohlstandsindikator erarbeitet hat . Dabei ging es
auch um Armut und Reichtum, aber in einem sehr viel
breiteren Kontext, der auch ökonomische und ökologi­
sche Nachhaltigkeit zum Thema hatte . Wenn ich einen
Wunsch an die Bundesregierung habe, dann den: von
dem da erarbeiteten Wohlstandsindikator auch Gebrauch
zu machen .


(Matthias W . Birkwald [DIE LINKE]: Ja, das ist bisher im Papierkorb verschwunden!)


Augenblicklich ist die Landschaft in eine Vielzahl von
Berichten zersplittert: der Armuts­ und Reichtumsbericht,
die Jahreswirtschaftsberichte, die Berichte zum Umwelt­
schutz, zur Nachhaltigkeit und vieles mehr . Allerdings
sind die einzelnen Politikbereiche ja miteinander ver­
schränkt . Es nutzt eben nicht, nur die Einkommens­ und
Vermögensverteilung in den Blick zu nehmen, wenn da­
durch die ökologische Nachhaltigkeit aus dem Blick ge­
rät . Freiheit als soziales Gebot hat eine ökologische Di­
mension, nicht nur auf Wohlstand und Lebensqualität bei
uns bezogen, sondern als Imperativ der Vorsorge . Unsere
Lebensweise hat Auswirkungen auf andere Länder .

Um es überspitzt zu formulieren: Unseren wirtschaft­
lichen Reichtum, unseren Wohlstand, dürfen wir nicht
dadurch erkaufen, dass wir die Lebenschancen von Men­
schen in anderen Regionen der Welt schmälern .


(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Das geschieht aber durch den Klimawandel . Wenn wir
diesen nicht begrenzen, könnte dieses Jahrhundert im
Zeichen ökologisch motivierter Fluchtbewegungen ste­
hen . Im Zuge der Globalisierung sind auch die Scha­
densbeziehungen global geworden . Die Flüchtlingswelle
zeigt uns im Moment, wie schnell uns eine dadurch aus­
gelöste Wanderungswelle in die Verantwortung zwingt .

Meine Damen und Herren, für den nächsten Armuts­
und Reichtumsbericht ist es sicherlich noch zu früh; aber
es würde mich freuen, wenn sich die Bundesregierung
entschließen könnte, beim übernächsten Armuts­ und






(A) (C)



(B) (D)


Reichtumsbericht den klugen Indikatorensatz des Deut­
schen Bundestages zu Wohlstand und Lebensqualität
nachhaltig zu nutzen .


(Matthias W . Birkwald [DIE LINKE]: Dann nehmen wir unseren! Beim übernächsten re­ gieren wir!)


Herzlichen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1812724100

Vielen Dank . – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grü­

nen spricht jetzt Dr . Wolfgang Strengmann­Kuhn .


(Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Aber nur, wenn er mit einem Gedicht anfängt!)



(BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Matthias Zimmer, man muss wahrscheinlich nicht bis
zum nächsten Armuts­ und Reichtumsbericht warten,
weil wir von der grünen Fraktion da schon aktiv ge­
worden sind . Es ist ja bekannt: Wir haben damals in der
Enquete­Kommission ein anderes Indikatorenset vor­
geschlagen . Nächstes Jahr, wenn der Jahreswirtschafts­
bericht vorgestellt wird, werden wir einen alternativen
grünen Jahreswohlstandsbericht vorlegen, in dem die
vielfältigen Dimensionen von Wohlstand – ökologisch,
ökonomisch usw . – berücksichtigt werden . Dann be­
kommst du das, was du gerade von der Bundesregierung
eingefordert hast, schon mal von uns Grünen vorgelegt .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dr . Matthias Zimmer [CDU/CSU]: Der wird dann so unabhängig sein, wie Matthias Birkwald sich das wünscht!)


– Das ist schon an ein unabhängiges Institut vergeben
worden, an zwei Wissenschaftler, die auch an die En­
quete­Kommission angedockt waren .

Das ist jetzt zwar nicht das Hauptthema; aber wenn
es schon mal so grundsätzlich geworden ist und wir über
Wohlstand und Armut reden, will ich hier ein Zitat von
John Rawls einbringen; er hat sinngemäß gesagt, dass
sich der Wohlstand einer Gesellschaft daran bemisst, was
die schwächsten ihrer Glieder haben . Er hat für das Mi­
nimax­Prinzip plädiert, nach dem diejenigen, die am we­
nigsten haben, am meisten bekommen sollen . Er hat zu­
gegeben, dass dies nicht unbedingt Gleichheit bedeutet,
hat aber dafür plädiert, weil durch ungleiche Verteilung
der Wohlstand aller angehoben werden könne – ganz in
dem Sinne, wie es eben beschrieben worden ist . Das ist
also ein wichtiger Punkt . Und für uns Grüne bedeutet
das, dass wir vor allen Dingen die Freiheit derjenigen,
die am wenigsten frei sind, steigern wollen . Das heißt für
uns, dass wir zum Beispiel eine andere Grundsicherung
erreichen wollen, nämlich eine solche, die die Menschen
tatsächlich zur Freiheit befähigt .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Nun vielleicht doch noch zu dem Antrag .


(Matthias W . Birkwald [DIE LINKE]: Ah! Danke schön!)


Wir haben jetzt über vieles geredet . Viele Zahlen zum
Beispiel konnten wir nur deswegen hier so gut als objek­
tive Gegebenheiten diskutieren, weil es die Armuts­ und
Reichtumsberichterstattung gibt . Sie ist wirklich eine Er­
rungenschaft der damaligen rot­grünen Koalition .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


In der Tat ist es wichtig, dass die Bundesregierung
sagt, wie der Stand der Armut in Deutschland ist, weil sie
politisch verantwortlich ist . Auch die Bundesregierung
muss Vorschläge machen, wie man Armut bekämpfen
kann,


(Matthias W . Birkwald [DIE LINKE]: Ja, macht sie aber nicht! Macht sie überhaupt nicht! Passiert ja nichts!)


nicht nur eine unabhängige Kommission . Es ist zu ein­
fach, zu sagen: Wir geben das in eine Kommission, da
sitzen Wissenschaftler, und die geben uns dann eine
objektive Lösung, die wir dann umsetzen können . – So
funktionieren weder Wissenschaft noch Politik .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ­ NEN]: Genau! Muss man denen einmal er­ klären!)


Ich beobachte das Ganze ja schon länger: Bei den ers­
ten drei Armutsberichten war ich noch im Gutachtergre­
mium, bei den letzten beiden Armuts­ und Reichtumsbe­
richten habe ich es hier im Parlament verfolgt . Ich muss
sagen: Das Verfahren hat sich bewährt . Es gab zwar bei
den letzten beiden Armuts­ und Reichtumsberichten den
Versuch der Bundesregierung – beim vorletzten Bericht
war es Olaf Scholz, beim letzten Philipp Rösler –,


(Matthias W . Birkwald [DIE LINKE]: In welcher Partei ist Olaf Scholz?)


Einfluss auf den Text zu nehmen; aber es gab dann darü­
ber eine offene politische Debatte hier im Parlament; und
das war gut so .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Deswegen ist der Vorschlag, den die Linken machen, ab­
zulehnen .

Ich will noch auf zwei Punkte eingehen, die ich mir
für den nächsten Armuts­ und Reichtumsbericht wün­
schen würde .

Das eine ist: Die Vorgehensweise hat sich sehr be­
währt – das ist bei diesem Mal tatsächlich besser gelau­
fen als beim letzten Mal –, aber wer nicht eingebunden
war, das sind wir, das Parlament. Ich finde, das ist noch
ein Manko . Wir sollten zusehen, dass wir am Anfang der
Legislaturperiode – nicht jetzt, da wir schon in der Mitte
sind – eine Debatte darüber führen, was der Armuts­ und
Reichtumsbericht leisten soll, und der Bundesregierung
einen entsprechenden Auftrag erteilen . Das wäre meines

Dr. Matthias Zimmer






(A) (C)



(B) (D)


Erachtens eine wünschenswerte Weiterentwicklung des
Konzepts, wie wir es derzeit haben .

Einen zweiten Punkt möchte ich noch ansprechen .
Letzte Woche gab es einen Gipfel zu den SDGs, Sus­
tainable Development Goals . Der Unterschied zu den
MDGs ist, dass auch wir diese Ziele erfüllen müssen . Ein
Unterziel bei dem Oberziel der Armutsbekämpfung ist,
dass die Armut bis 2030 in den Ländern halbiert werden
soll, und zwar nach nationalen Definitionen. Ich würde
mir dazu ein Konzept oder wenigstens Vorschläge der
Bundesregierung wünschen,


(Matthias W . Birkwald [DIE LINKE]: Dazu muss die Union erst einmal sagen, was Armut ist! Die wissen das ja noch nicht einmal!)


damit es tatsächlich gelingt, die Armut bei uns zu hal­
bieren .

Vielen Dank .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1812724200

Vielen Dank . – Jetzt hat der Kollege Matthäus Strebl,

CDU/CSU­Fraktion, das Wort .


(Beifall bei der CDU/CSU – Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Ein Gedicht!)



Matthäus Strebl (CSU):
Rede ID: ID1812724300

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolle­

ginnen und Kollegen! Wenn es heißt, der Armuts­ und
Reichtumsbericht der Bundesregierung müsse „qualifi­
ziert“ werden, dann meinen die Antragsteller, die Frak­
tion Die Linke, natürlich Qualifizierung ausschließlich in
ihrem Sinn .

In dem Antrag ist gleich zu Beginn im Hinblick auf
die Bundesregierung die Rede davon – ich zitiere –:

Damit liegt die Zuständigkeit für die Beschreibung
und die Bewertung von Armut und Reichtum in den
Händen der Instanz, die die politische Verantwor­
tung für die soziale Spaltung trägt .

Werte Kolleginnen und Kollegen, bei einer solchen
Formulierung sind Zweifel angebracht, ob wirklich eine
sachliche Auseinandersetzung gewünscht wird . Ein wei­
teres Beispiel soll genügen, um diese Zweifel zu stärken:
Der Bundesregierung werden „Verschleierungsabsich­
ten“ unterstellt, und die bisherigen Berichte stellen dem­
nach „dem jeweiligen Regierungshandeln ein Armuts­
zeugnis aus“ .


(Matthias W . Birkwald [DIE LINKE]: Haben wir eben noch zweimal gehört!)


Wer den Antrag liest, muss sich fragen: In welchem
Land leben die Linken eigentlich? Sie behaupten, der flä­
chendeckende Mindestlohn sei gescheitert und „ein De­
saster für das Niedriglohnland Deutschland“ . An keiner
Stelle des Antrags wird die Situation in Deutschland auch
nur annährend so beschrieben, wie sie sich tatsächlich
darstellt . Dass ein solcher Antrag kurz vor dem 25 . Jah­
restag der Wiedervereinigung im Bundestag behandelt

werden muss, entbehrt im Übrigen nicht einer gewissen
Ironie .


(Matthias W . Birkwald [DIE LINKE]: Wieso?)


Es wird behauptet, die Große Koalition unternehme
nichts gegen Armut . Meine sehr verehrten Kolleginnen
und Kollegen, eine gute Arbeitsmarktpolitik ist doch
wohl das beste Mittel gegen Armut . Das behaupte ich
jedenfalls . Von 2013 bis zum September 2015 ist die
Arbeitslosenquote von 6,9 Prozent auf 6,2 Prozent zu­
rückgegangen . Laut Bundesagentur für Arbeit waren im
September 2,7 Millionen Menschen arbeitslos gegenüber
2,8 Millionen im Vergleichsmonat des Vorjahres . Insge­
samt haben wir 43 Millionen Erwerbstätige und 31 Mil­
lionen sozialversicherungspflichtig Beschäftigte, so viele
wie noch nie .


(Matthias W . Birkwald [DIE LINKE]: Davon haben die Armen nichts, da sie arm sind!)


Der schon genannte Mindestlohn wird ebenfalls dazu
beitragen, die Wohlstandsschere ein wenig zu schließen .
Er wird ja von einer Mindestlohnkommission entspre­
chend fortgeschrieben werden .

Werte Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie mich zu
einem anderen Aspekt des Antrags kommen . Es wird
suggeriert, dass der größte Teil der Menschen in Deutsch­
land in bitterer Armut lebt .


(Matthias W . Birkwald [DIE LINKE]: Nein! Wo steht denn das? Das ist doch Unsinn!)


– Es ist so herauszulesen .


(Matthias W . Birkwald [DIE LINKE]: Nein! Wer lesen kann, ist klar im Vorteil, Herr Kol­ lege!)


Die Antragsteller werfen der Bundesarbeitsministerin
vor, sie wolle mit ihrer Definition des Armutsbegriffs
Armut in Deutschland wegdefinieren. So der Vorwurf
gegenüber der Bundesarbeitsministerin . Hier muss die
Frage erlaubt sein, was unter Armut bzw . unter Reichtum
überhaupt zu verstehen ist . Der Hamburger Zukunftsfor­
scher Opaschowski hat beispielsweise erst kürzlich in der
Rheinischen Post gesagt – ich zitiere –:

Die Frage nach dem Reichtum wird immer wieder
reduziert auf eine Geldfrage .

Man macht es sich in der Tat zu einfach, wenn man nur
das Einkommen betrachtet und den Menschen sagt: „So,
Ihr seid arm“ oder: „Ihr seid reich“ .


(Matthias W . Birkwald [DIE LINKE]: Auch das Vermögen!)


Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen,
2014 lag die vom Statistischen Bundesamt errechne­
te Armutsgefährdungsschwelle für Alleinstehende in
Deutschland bei 917 Euro . Für Familien mit zwei Er­
wachsenen und zwei Kindern unter 14 Jahren betrug sie
1 926 Euro . Dabei gibt es regionale Unterschiede, wie
wir wissen . In Mecklenburg­Vorpommern zum Beispiel
gilt die genannte Familie mit 1 615 Euro im Monat als

Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn






(A) (C)



(B) (D)


armutsgefährdet, dagegen in Baden­Württemberg schon
bei 2 119 Euro im Monat .


(Dr . Wolfgang Strengmann­Kuhn [BÜND­ NIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist Quatsch! Das stimmt gar nicht!)


Der Antrag der Linken weist die bisherigen Armuts­
und Reichtumsberichte als „schönfärberisch“ zurück .
Allerdings ist jetzt, werte Kolleginnen und Kollegen von
der Linken, durch die Einbeziehung vieler gesellschaftli­
cher Gruppen sichergestellt, dass der Fünfte Armuts­ und
Reichtumsbericht frei von sprachlichen Tricks sein wird,
die die Situation beschönigen könnten . Es wird ein ehr­
liches Bild der Lage in Deutschland geben . Die von Ih­
nen verlangte unabhängige Kommission ist daher völlig
überflüssig. Man muss kein Prophet sein, um zu wissen,
dass Sie von der Fraktion Die Linke deren Ergebnisse
auch nicht anerkennen würden, wenn sie Ihren vorge­
fassten Meinungen nicht entsprächen .


(Matthias W . Birkwald [DIE LINKE]: Das ist echt unter Ihrem Niveau!)


Vielleicht werden Sie Ihren Antrag wieder und wieder
einbringen, wie wir es von Ihnen gewohnt sind . Zustim­
mungsfähig würde er dadurch auch nicht werden .

Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1812724400

Vielen Dank . – Als letzter Redner zu diesem Tages­

ordnungspunkt erhält jetzt der Kollege Markus Paschke,
SPD­Fraktion, das Wort .


(Beifall bei der SPD)



Markus Paschke (SPD):
Rede ID: ID1812724500

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich
halte einen qualifizierten Armuts- und Reichtumsbericht
genau wie Sie für wichtig . Er ist ein geeignetes Instru­
ment, um die soziale Wirklichkeit in Deutschland zu ana­
lysieren . Und zur Analyse der sozialen Wirklichkeit ge­
hört die Erkenntnis, dass die Schere zwischen Arm und
Reich in unserem Land weit auseinanderklafft .


(Matthias W . Birkwald [DIE LINKE]: So ist das! – Manfred Grund [CDU/CSU]: Was?)


Hier haben wir nach wie vor viel Arbeit vor uns,
Arbeit, die eben auch auf einem qualifizierten Bericht
beruhen muss . Allerdings unterscheidet sich mein Ver­
ständnis von „qualifiziert“ von Ihrem: Aus meiner Sicht
ist es richtig, dass die Verantwortung für den Bericht
beim Bundesministerium für Arbeit und Soziales liegt
und nicht bei einer externen Kommission . Beim Ministe­
rium liegen die Kompetenz und die Fachkenntnis,


(Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ­ NEN]: Bei der gesamten Bundesregierung liegt die Verantwortung!)


und dort werden auch entsprechende Folgerungen gezo­
gen, zum Beispiel aufstockende Leistungen im SGB II
oder beim Thema Altersarmut .

Insbesondere beim letzten Bericht wurde deutlich,
dass die Beschreibung des Zustandes in Deutschland
sehr politisch gefärbt ist . Die Änderungen am Vierten
Armuts­ und Reichtumsbericht und der offensichtliche
Versuch, die Wirklichkeit so in einem sanfteren Licht
erscheinen zu lassen, haben die politische Diskussion in
der Öffentlichkeit befördert und bei vielen das Problem­
bewusstsein erst geschärft .


(Matthias W . Birkwald [DIE LINKE]: Beim Kollegen Strebl war davon eben nichts zu merken!)


Umso wichtiger ist es, die Entstehung des Berichtes
von Anfang an transparent zu machen, und genau das tut
unsere Ministerin Andrea Nahles .


(Beifall bei der SPD)


Fragen wie: „Was wird untersucht?“, „Welche Daten flie­
ßen in den Bericht ein?“, „Wer arbeitet an dem Bericht?“,
werden für jedermann auf dem Internetportal www .ar­
muts­und­reichtumsbericht .de umfänglich beantwortet .
Mehr Transparenz geht nicht .

Hinzu kommt, dass der Fünfte Armuts­ und Reich­
tumsbericht gezielt um wichtige Schwerpunktthemen er­
weitert wird .


Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1812724600

Herr Kollege, Sie haben die Chance auf mehr Re­

dezeit, wenn Sie eine Zwischenfrage vom Kollegen
Zimmer zulassen .


Markus Paschke (SPD):
Rede ID: ID1812724700

Aber gerne .


Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1812724800

Ich hatte es vermutet .


(Heiterkeit)



Dr. Matthias Zimmer (CDU):
Rede ID: ID1812724900

Danke schön . – Herr Kollege Paschke, können Sie

ausschließen, dass der Armuts­ und Reichtumsbericht,
nachdem er von dem Ministerium mit der unterstellten
und mit Sicherheit auch vorhandenen Sorgfalt erstellt
wurde, auf dem Wege zur Kabinettsbefassung geändert
wird?


(Dagmar Schmidt wieso nicht!)



Markus Paschke (SPD):
Rede ID: ID1812725000

Nein . Aber das ist doch genau das, was wir politisch

zu bewerten haben . Wir haben darüber zu diskutieren,
ob und wann welche Änderungen vorgenommen werden
sollen . Das Recht muss das Parlament haben .


(Matthias W . Birkwald [DIE LINKE]: Nein, nicht das Parlament! Darum ging es ihm nicht! Matthäus Strebl Es ging ihm um die Regierung! – Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das Parlament kontrolliert die Regierung, theore­ tisch zumindest!)





(A) (C)


(B) (D)


– Das Parlament muss das Recht haben, darüber zu dis­
kutieren, ob Änderungen, die vorgenommen werden,
korrekt und akzeptabel sind .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Der Fünfte Armuts­ und Reichtumsbericht wird gezielt
um Schwerpunktthemen erweitert, die schon genannt
wurden . Zum ersten Mal werden auch die gesamtge­
sellschaftlichen Rahmenbedingungen ausführlich darge­
stellt . Im Vergleich zu den vorangegangenen Berichten
herrscht jetzt also ein Klima von Offenheit und Trans­
parenz. Ich finde, schon der letzte Bericht war ein wichti­
ger Anstoß für politische Initiativen und Veränderungen,
zum Beispiel für die Einführung des Mindestlohns und
die Verbesserungen bei der Erwerbsminderungsrente .


(Beifall bei der SPD)


Ich erwarte, dass auch der fünfte Bericht als Grundlage
dienen wird, um unsere Gesellschaft in Deutschland ge­
rechter zu gestalten .

Danke schön .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1812725100

Ich schließe die Aussprache .

Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Ausschus­
ses für Arbeit und Soziales zu dem Antrag der Fraktion
Die Linke mit dem Titel „Armuts­ und Reichtumsbericht
qualifizieren und Armut bekämpfen“. Der Ausschuss
empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Druck­
sache 18/6218, den Antrag der Fraktion Die Linke auf
Drucksache 18/5109 abzulehnen . Wer stimmt für die Be­
schlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent­
hält sich? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stim­
men der CDU/CSU­Fraktion, der SPD­Fraktion und der
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen der
Fraktion Die Linke angenommen .

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 14 a und 14 b auf:

a) Zweite Beratung und Schlussabstimmung des
von der Bundesregierung eingebrachten Ent­
wurfs eines Gesetzes zu dem Protokoll vom
24. Juni 2010 zur Änderung des am 25. und
30. April 2007 unterzeichneten Luftverkehrs-
abkommens zwischen den Vereinigten Staaten
von Amerika und der Europäischen Gemein-
schaft und ihren Mitgliedstaaten

Drucksache 18/5271

Beschlussempfehlung und Bericht des Aus­
schusses für Verkehr und digitale Infrastruktur

(15 . Ausschuss)


Drucksache 18/6161

b) Zweite Beratung und Schlussabstimmung des
von der Bundesregierung eingebrachten Ent­
wurfs eines Gesetzes zu dem Luftverkehrsab-
kommen vom 16. und 21. Juni 2011 zwischen
den Vereinigten Staaten von Amerika als ers-
ter Partei, der Europäischen Union und ihren
Mitgliedstaaten als zweiter Partei, Island als
dritter Partei und dem Königreich Norwegen
als vierter Partei und zu dem Zusatzabkom-
men vom 16. und 21. Juni 2011 zwischen der
Europäischen Union und ihren Mitgliedstaa-
ten als erster Partei, Island als zweiter Partei
und dem Königreich Norwegen als dritter
Partei, betreffend die Anwendung des Luft-
verkehrsabkommens vom 16. und 21. Juni
2011

Drucksache 18/5580

Beschlussempfehlung und Bericht des Aus­
schusses für Verkehr und digitale Infrastruktur

(15 . Ausschuss)


Drucksache 18/6072 (neu)


Zu dem Gesetzentwurf zu dem Protokoll zur Ände­
rung des Luftverkehrsabkommens liegt ein Entschlie­
ßungsantrag der Fraktion Die Linke vor .

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 25 Minuten vorgesehen . – Ich höre kei­
nen Widerspruch . Dann ist es so beschlossen .

Ich eröffne die Aussprache . Als erstem Redner ertei­
le ich das Wort dem Abgeordneten Peter Wichtel, CDU/
CSU­Fraktion .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Peter Wichtel (CDU):
Rede ID: ID1812725200

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Lie­

be Kollegen! Im März 2008, also vor sieben Jahren, hat
mit der Verabschiedung des sogenannten Open­ Skies­
Abkommens zwischen der Europäischen Union, den
Mitgliedstaaten der Europäischen Union und den USA
eine neue Ära der transatlantischen Luftfahrt begonnen .
Mit dem wegweisenden Luftverkehrsabkommen haben
zwei der größten Luftverkehrsmärkte der Welt verein­
bart, enger zusammenzuarbeiten . Sie haben alle bishe­
rigen Einschränkungen hinsichtlich Strecken, Tarif oder
der Anzahl von Flügen aufgehoben . Das bedeutete eine
Stärkung des Wettbewerbs am Himmel, mehr Passagie­
re, Kostenersparnisse für die Airlines und insbesondere
niedrige Ticketpreise für uns Verbraucher .

Heute befassen wir uns mit der Erweiterung des Luft­
verkehrsabkommens zwischen der Europäischen Union,
den Mitgliedstaaten der Europäischen Union und den
USA, mit der sogenannten zweiten Stufe . Die Vereinba­
rung darüber wurde im Jahr 2010 unterzeichnet und wird
seitdem vorläufig angewendet. Die Erweiterung bringt
spürbare Verbesserungen mit sich . So hat man sich neben
einer weiteren Stärkung des Wettbewerbs auf eine ver­
besserte Zusammenarbeit in Fragen des Umweltschut­
zes, des Lärmschutzes, der Flugsicherheit, der Gefahren­

Markus Paschke






(A) (C)



(B) (D)


abwehr, des Klimawandels und des Verbraucherschutzes
sowie in sozialen Fragen geeinigt .


(Stephan Kühn DIE GRÜNEN]: Auf dem Papier!)


Es gibt beispielsweise eine Arbeitsvereinbarung über
gegenseitige Flughafenbewertungen . Zudem wurde mit
dem Umweltschutzprojekt AIRE ein Vorhaben zur Ver­
minderung der umweltschädlichen Auswirkungen von
Transatlantikflügen gestartet.

Das ursprüngliche Abkommen aus dem Jahr 2008, das
die weitreichendsten Vereinbarungen enthielt, die jemals
im Luftverkehr ausgehandelt wurden, kann mit der uns
nun vorliegenden zweiten Stufe aus dem Jahr 2010 in
vielen Bereichen noch einmal verbessert werden .

Fester Bestandteil des Abkommens wird auch wei­
terhin der sogenannte Gemeinsame Ausschuss sein . In
diesem Gremium kommen mindestens einmal pro Jahr
Vertreter aller Vertragsparteien, also der Europäischen
Union, der europäischen Mitgliedstaaten und der USA,
zusammen, um Konsultationen zum Abkommen durch­
zuführen und dessen Anwendung zu prüfen . Deutschland
wird dabei durch das Bundesverkehrsministerium ver­
treten .


(Dr . Valerie Wilms [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Fehlt!)


Wichtig anzumerken ist, dass der Gemeinsame Aus­
schuss keine Gesetzgebungsgewalt hat und ein reines Be­
ratungsgremium ist . Zudem werden die Entscheidungen
einvernehmlich getroffen . Teilweise aufkommende Kri­
tik am Ausschuss, dieser würde es einzelnen Mitglied­
staaten oder der Europäischen Union oder den Ameri­
kanern ermöglichen, eigenmächtige Entscheidungen zu
treffen, ist somit falsch und vollkommen unbegründet .

Ähnlich verhält es sich mit der Kritik an den vermeint­
lich niedrigen Umweltstandards . So gibt es Stimmen, die
behaupten, dass mit dem Inkrafttreten des erweiterten
Abkommens die Umweltstandards alle nicht mehr einge­
halten werden müssen, sondern nur noch das Regelwerk
der internationalen Zivilluftfahrt, also der ICAO . Auch
dieser Vorwurf ist falsch und haltlos . Es ist vielmehr so,
dass die Standards erhalten bleiben,


(Christian Kühn DIE GRÜNEN]: Sind ja auch viel zu niedrig!)


dass die Gesetzgebungsverfahren nach wie vor von den
Nationalstaaten gemacht werden . Im Rahmen der Kom­
petenz und im Einklang mit höherem Recht kann dies
auch weiterhin getan werden . Die Umweltregeln, die wir
haben, bleiben erhalten .

Abschließend betrachtet bieten das Luftverkehrsab­
kommen und die uns vorliegenden Erweiterungen un­
schätzbare Vorteile für die Luftverkehrsunternehmen
und insbesondere für uns Passagiere . Die seitens der
EU­Kommission veröffentlichten Werte bestätigen dies
übrigens eindrucksvoll . So rechnet man langfristig da­
mit, dass 26 Millionen Passagiere zwischen Europa
und den USA mehr fliegen werden. Der wirtschaftliche
und volkswirtschaftliche Nutzen wird bei 12 Milliarden

Euro liegen . Außerdem schätzt man, dass bis zu 80 000
Arbeitsplätze entstehen können .

Kurzum: Das ursprüngliche Abkommen aus dem
Jahr 2008 und die europäische Erweiterung des Luftver­
kehrsabkommens werden nun mit dem Protokoll und der
zweiten Stufe nochmals verbessert . Deswegen werden
wir ihm zustimmen .

Vielen Dank für die Aufmerksamkeit .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge­ ordneten der SPD)



Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1812725300

Als nächstem Redner erteile ich das Wort dem Abge­

ordneten Herbert Behrens, Fraktion Die Linke .


Herbert Behrens (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1812725400

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der

internationale Luftverkehr braucht einheitliche Regeln .
Darin sind wir, glaube ich, einer Meinung . Doch was hier
unter dem sehr unverfänglichen Titel „Änderung zum
Luftverkehrsabkommen“ daherkommt, ist weit mehr . Es
geht hierin um knallharte Profitinteressen, die geregelt
werden sollen .

Erstens . Die wirtschaftlichen Belange der Fluggesell­
schaften sollen über die Interessen der Bürgerinnen und
Bürger gestellt werden,


(Gustav Herzog [SPD]: Wo steht das denn? Zitieren Sie!)


die auf saubere Luft und Schutz vor Fluglärm angewie­
sen sind .

Zweitens . Die Fluggesellschaften sollen über einen
Gemeinsamen Ausschuss Einfluss bekommen, um bei­
spielsweise über Nachtflugverbote und andere einschrän­
kende Maßnahmen zu entscheiden .

Drittens. Schiedsgerichte sollen im Konfliktfall darü­
ber richten, ob und zu welchem Preis ein Nachtflugverbot
bestehen kann oder auch nicht .


(Kirsten Lühmann [SPD]: Wo steht das denn?)


Das ist so etwas wie das Freihandelsabkommen TTIP
des Luftverkehrs


(Lachen bei der CDU/CSU)


einschließlich Investorenschutz und privater Schiedsge­
richte . Das ist für die Linke unannehmbar .


(Beifall bei der LINKEN)


Nun konkret, Sie haben danach gefragt . Umweltschutz
gibt es nicht mehr . Es heißt jetzt nur noch „Umwelt“ . Der
Schutz wurde vorsorglich gestrichen . Allerdings könnte
man auch von Investorenschutz sprechen . Dann trifft es
noch zu . Nun sollen Auswirkungen der internationalen
Luftfahrt auf die Umwelt lediglich „in wirtschaftlich an­
gemessener Art und Weise“, so heißt es, begrenzt oder

Peter Wichtel






(A) (C)



(B) (D)


verringert werden . Konsequenter Schutz der Menschen
in der Nähe von Flughäfen sieht anders aus .


(Kirsten Lühmann [SPD]: Darum haben wir es im nationalen Recht!)


Darüber hinaus wird den Luftverkehrsgesellschaften
ein direkter Zugang zu allen Entscheidungsprozessen
der Luftverkehrsbehörden verschafft, die zulasten der
Kapazitäten eines Flughafens gehen können . Die Luft­
verkehrsgesellschaften können dadurch direkt auf diesen
Prozess einwirken . Das ist weit mehr, als zum Beispiel
Umweltverbänden oder auch Lärmbetroffenen zusteht .
Selbst die – wenn auch aus unserer Sicht untauglichen –
Lärmpausen am Frankfurter Flughafen fallen unter diese
Regelung des Luftverkehrsabkommens


(Peter Wichtel [CDU/CSU]: Falsches wird durch Wiederholen nicht besser, Herr Kollege! Den Unsinn haben Sie im Ausschuss schon er­ zählt!)


wie übrigens auch lärmmindernde Flugrouten und An­
flugverfahren, bei deren Festlegung weder Bürger noch
Verbände beteiligt werden . Diesen Demokratieabbau
müssen wir stoppen .


(Beifall bei der LINKEN)


Wenn sich dann noch eine Luftverkehrsgesellschaft –
nicht nur US­amerikanische – in ihren Rechten beschnit­
ten fühlt, dann geht es in den Gemeinsamen Ausschuss .
Dieser Ausschuss soll kontinuierlich prüfen, an welchen
Stellen „widersprüchliche Regulierungsanforderungen“,
so heißt es, vorliegen und wie sie abgebaut werden kön­
nen . Der Gemeinsame Ausschuss erhält einen kontinuier­
lichen Prüfauftrag für Betriebsbeschränkungen wie zum
Beispiel Nachtflugverbote.

Konkret heißt das: Schränkt ein Nachtflugverbot,
das vor Ort beschlossen worden ist, die wirtschaftliche
Freiheit der Fluggesellschaften ein, kann es mit einem
einstimmigen Beschluss des Gemeinsamen Ausschus­
ses aufgehoben werden . Diesen Beschluss müsste die
Bundesregierung umsetzen . Wie das geht, haben wir am
Flughafen Köln/Bonn gesehen, wo das Bundesverkehrs­
ministerium im Februar dieses Jahres eine Entscheidung
des Landtags Nordrhein­Westfalen gekippt hat .


(Stephan Kühn DIE GRÜNEN]: So ist das!)


Natürlich wird im Gemeinsamen Ausschuss nicht im­
mer Einmütigkeit herrschen . Aber für diesen Fall ist vor­
gesorgt. Im Konfliktfall, Schritt drei, wird nämlich ein
Schiedsgericht angerufen . Worum es dabei geht, wissen
wir . Es geht dabei um Entschädigung für entgangenen
Profit. Kurzum: Auf der Basis dieses Protokolls zum
Luftverkehrsabkommen werden Nachtflugverbote, die
den Luftverkehrsgesellschaften nicht passen, entweder
ausgesetzt oder richtig teuer .

Wir sagen Nein zu diesem vorauseilenden Gehorsam
gegenüber der Luftverkehrswirtschaft . Wir sagen Nein zu
diesem garantierten Profit für Luftverkehrsunternehmen.


(Beifall bei der LINKEN)


Wer sich in diesem Hause nicht selbst entmündigen
und Umweltschutz dem Wachstum im Luftverkehr op­
fern will, muss diesen Gesetzentwurf ablehnen und unse­
rem Entschließungsantrag zustimmen .


(Beifall bei der LINKEN)



Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1812725500

Als nächstem Redner erteile ich das Wort dem Abge­

ordneten Arno Klare, SPD­Fraktion .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Arno Klare (SPD):
Rede ID: ID1812725600

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Her­

ren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Behrens, ich
fange mit dem Umweltschutz an, weil Sie gesagt haben,
das Wort „Umweltschutz“ käme in dem Vertragswerk gar
nicht vor .


(Herbert Behrens [DIE LINKE]: Die Über­ schrift ist geändert worden!)


Die Überschrift heißt „Umwelt“ . Dann geht es weiter:
„Die Vertragsparteien erkennen die Bedeutung des Um­
weltschutzes . . .“ usw . In dem ersten Absatz kommt das
Wort „Umweltschutz“ sogar zweimal vor . Aber wir müs­
sen jetzt nicht darüber reden; es ist einfach so, wie ich
es sage .


(Zuruf von der CDU/CSU: So weit ist der gar nicht gekommen! Er hat nur die Überschrift gelesen!)


Man muss, glaube ich, ein wenig tiefer in dieses Ver­
tragswerk auch im juristischen Sinne einsteigen, um es
einordnen zu können .


(Zuruf von der CDU/CSU: Zumindest einmal lesen!)


Welchen Hintergrund hat das? Das Ganze findet im
Rahmen des Vertrages, der 1944 geschlossen worden ist
und die Internationale Luftfahrtorganisation begründete,
statt; die Bundesrepublik Deutschland konnte natürlich
erst 1956 beitreten . Dieser ICAO­Vertrag enthält drei
Grundsätze, die sehr wichtig sind: einmal das Grundprin­
zip der Souveränität aller Staaten ausgedrückt in dem Be­
griff der Lufthoheit – hier ist ausdrücklich nicht die über
Stammtische gemeint –, zweitens die Chancengleichheit,
damit alle, die den Luftraum nutzen, die gleichen Regeln
haben, und drittens – das ist daraus abgeleitet – die soge­
nannte Diskriminierungsfreiheit . Das heißt, wenn ich in
einem Luftraum die Souveränität habe wie die Bundes­
republik Deutschland im Luftraum über dieser Republik,
dann müssen alle Fluggesellschaften, die Flughäfen in
unserem Lande anfliegen, die gleichen Rechte und Mög­
lichkeiten haben . Darum geht es im Kern .

Es gibt in dem Vertrag, von dem Herr Wichtel gerade
geredet hat und der schon seit 2007 existiert, eine Formu­
lierung, die man sich genau anschauen muss . Bitte genau
hinhören! In der vorherigen Debatte sind Dichter zitiert
worden; das ist jetzt allerdings juristische Prosa .


(Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD)


Herbert Behrens






(A) (C)



(B) (D)


In Artikel 7 unter der Überschrift „Anwendung von
Rechtsvorschriften“ – so einen Satz können nur Juristen
hinbekommen; ich hoffe, ich trage ihn jetzt korrekt vor –
heißt es:

Die Gesetze und sonstigen Rechtsvorschriften einer
Vertragspartei

– das sind wir –

betreffend den Einflug in ihr oder den Ausflug aus
ihrem Gebiet der im internationalen Luftverkehr
eingesetzten Luftfahrzeuge oder betreffend den Be­
trieb und den Verkehr dieser Luftfahrzeuge inner­
halb ihres Gebietes gelten für die Luftfahrzeuge,
die von den Luftfahrtunternehmen der anderen Ver­
tragspartei verwendet werden, und sind von diesen
Luftfahrzeugen beim Ein- oder Ausflug und inner­
halb des Gebietes der ersten Vertragspartei zu be­
folgen .

Ich weiß, dass man diesen Satz mit 0,5 Promille nicht
mehr vortragen kann .


(Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD)


Der Kern des Satzes lautet:

Die Gesetze und sonstigen Rechtsvorschriften einer
Vertragspartei . . .

– also von uns –

sind zu befolgen .

Das heißt, es gibt einen Bereich, in dem wir souverän
sind und in dem wir Gesetze erlassen können, die ein­
deutig zu befolgen sind . Sie stellen das gerade in Abrede
und erwecken den Eindruck, als könne das ausgehebelt
werden . Damit würde der Basisvertrag, nämlich der
ICAO­Vertrag, null und nichtig . Er ist aber der Rahmen,
der vorgegeben wird,


(Herbert Behrens [DIE LINKE]: Ja, der Rah­ men!)


und jedes Luftverkehrsabkommen, das abgeschlossen
wird, hat in seiner Eingangsformel eine Bezugnahme auf
diesen Vertrag . Jedes!


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Insofern stimmt das, was Sie sagen, nicht . Es gilt wei­
terhin die Lufthoheit, die Souveränität unseres Landes,
und bei Umweltschutzmaßnahmen der sogenannte aus­
gewogene Ansatz, der „balanced approach“ . Das bedeu­
tet, es gibt ein Kriterienviereck, nach dem man sich zu
richten hat . Alle Kriterien sind gleichermaßen wichtig .
Es ist manchmal schwer, sich das vorzustellen; aber es
ist so . Es geht um Flugsicherheit, um ökologische Zie­
le, um ökonomische Ziele und um flugbetriebliche Ziele.
Sie sind gleichermaßen bedeutend und haben bei der Ab­
wägung das gleiche Gewicht .

Außerdem gibt es eine Kaskade, wie zum Beispiel
ökologische Ziele wie Lärmminderung einzuhalten sind:

Am Anfang steht die Lärmreduktion an der Quelle .
Jeder Fluglärmaktivist, aber auch jeder Aktivist auf der
Gegenseite sagt genau das: Es muss an der Quelle be­
ginnen .

Dann gibt es lokale Maßnahmen wie die in einem Flä­
chennutzungsplan im Bereich der Raumordnung, aber
auch beim passiven Lärmschutz .

Lärmreduktion am Boden bedeutet, man muss andere
Flugverfahren und bei Flughäfen andere Anflugsysteme
haben . Auch das ist lärmreduzierend .

Als letzter Schritt, als Ultima Ratio sozusagen, wenn
man das Ziel mithilfe der ersten drei Kriterien nicht errei­
chen kann, kommen Betriebsbeschränkungen ins Spiel .

Das ist der „balanced approach“ . Er ist völkerrecht­
lich verbindlich und muss angewendet werden . Aber die
Maßnahmen, mit denen man das Ziel erreicht, unterlie­
gen dem nationalen Recht, das durch keinen anderen Ver­
trag ausgehebelt wird, auch nicht durch den, der hier in
Rede steht .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Zusammengefasst muss man sagen: Es gelten der „ba­
lanced approach“ und die Lufthoheit . Genau dies ermög­
licht uns, diese Regelungen zu treffen . Ihre Interpretation
ist juristisch schlicht falsch .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Herbert Behrens [DIE LINKE]: Aber politisch richtig! – Stephan Kühn NIS 90/DIE GRÜNEN]: Sagt ein Nichtjurist!)


Ich möchte noch auf eines hinweisen – es wäre viel­
leicht nicht ganz unwichtig gewesen, wenn Sie das er­
wähnt hätten; das hätte ich eigentlich erwartet –: Zum
ersten Mal überhaupt ist in einem Luftverkehrsabkom­
men eine soziale Dimensionierung vorgenommen wor­
den; das ist ein ganz wesentlicher Punkt . Es wird näm­
lich ein Artikel 17 a eingefügt, in dem auf die soziale
Dimension des Abkommens abgehoben wird . Eine ganz
wichtige Formulierung ist, dass offene Märkte, um die es
hier geht, und hohe arbeitsrechtliche Normen zusammen­
gehören . Das steht in dem Vertrag, über den wir heute zu
entscheiden haben, drin .

Von den Gewerkschaften, die im Luftverkehrsbereich
aktiv sind, weiß ich, dass sie das begrüßen und sagen:
Endlich ist die soziale Dimension wirklich einmal in
einem Vertrag formuliert worden . – Das gab es bisher
in keinem einzigen Luftverkehrsabkommen . Das gibt
es erst jetzt, nämlich in diesem Luftverkehrsabkommen
zwischen der Europäischen Union und den Vereinigten
Staaten von Amerika .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Insofern kann ich Ihnen nur empfehlen, diesem Vertrag
zuzustimmen .

Ich hatte zwei Aufgaben:

Erstens . Ich wollte Sie überzeugen, Herr Behrens . Ich
weiß, dass ich Sie nicht überzeugt habe . Sie werden nicht
zustimmen; das weiß ich . Aber vielleicht kann ich Sie ja
dazu bringen, dass Sie sich enthalten .

Meine zweite ganz schwere Aufgabe betrifft Herrn
Rimkus . Es gibt eine Art Running Gag zwischen uns . Ich

Arno Klare






(A) (C)



(B) (D)


habe mit Herrn Rimkus vereinbart, dass wir uns in unse­
ren Reden immer gegenseitig erwähnen . Das ist mir jetzt
gelungen .

Ich danke, dass Sie mir zugehört haben .


(Heiterkeit und Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1812725700

Zum Glück haben Sie das noch innerhalb Ihrer Rede­

zeit geschafft . Sonst wäre ich dazwischengegangen .

Als nächster Redner hat der Abgeordnete Stephan
Kühn, Bündnis 90/Die Grünen, das Wort . Bitte .

Stephan Kühn (Dresden) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ­
NEN):

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Wir haben uns im Deutschen Bundestag be­
reits mit zahlreichen Luftverkehrsabkommen befasst .
Das Luftverkehrsabkommen zwischen den Vereinigten
Staaten von Amerika, der Europäischen Gemeinschaft
und ihren Mitgliedstaaten hat eine besondere wirtschaft­
liche Bedeutung und weist relevante Besonderheiten auf .

Im uns vorliegenden Gesetzentwurf zum Protokoll
vom 24 . Juni 2010 zur Änderung des bereits 2007 unter­
zeichneten Luftverkehrsabkommens sind detaillierte Be­
stimmungen zu Betriebsbeschränkungen enthalten . Sie
machen aus unserer Sicht das Erlassen von Betriebsbe­
schränkungen, wie beispielsweise Nachtflugverboten,
zum Schutz der Bevölkerung vor gesundheitsgefährden­
dem Lärm an deutschen Flughäfen in Zukunft mindes­
tens schwerer .

Die hier verfassten Regeln zum Lärmschutz sind ins­
besondere deswegen relevant, weil – das wurde schon
erwähnt – im Luftverkehrsabkommen für Streitfälle die
Anrufung einer Schiedsgerichtsbarkeit vorgesehen ist . In
Artikel 19 des Gesetzes zu dem Luftverkehrsabkommen
vom 25 . und 30 . April 2007 steht Folgendes – ich zitie­
re –:

Einigen sich die Vertragsparteien nicht . . ., so wird
die Streitigkeit auf Ersuchen einer der Vertrags­
parteien in Übereinstimmung mit den nachstehend
aufgeführten Verfahren Gegenstand eines Schieds­
verfahrens .

Die Fragen des Lärmschutzes an Flughäfen sollen also
nicht mehr vor regulären deutschen Gerichten verhan­
delt, sondern von Schiedsgerichten entschieden werden .


(Dr . Valerie Wilms [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: So geht es nicht, genau!)


Wie für TTIP gilt auch hier: Wir wollen nicht, dass Unter­
nehmen jenseits der bestehenden Rechtssysteme in in­
transparenten Verfahren Sonderrechte erstreiten können .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Davon, dass Fluggesellschaften klagen würden, ist
auszugehen . Amerikanische Airlines haben in der Ver­
gangenheit wiederholt gegen die deutsche und die euro­
päische Umweltgesetzgebung geklagt . So hat eine US­

Fluggesellschaft vor dem Finanzgericht in Hessen gegen
die Luftverkehrsteuer geklagt, wenn auch erfolglos . Die
Richter haben festgestellt, dass die Luftverkehrsteuer
sehr wohl völkerrechts­ und verfassungskonform ist .


(Arno Klare [SPD]: Genau!)


In einem anderen, aber ähnlichen Fall haben einige
amerikanische und kanadische Luftverkehrsunterneh­
men gegen die Einbeziehung des Luftverkehrs in den
EU­Emissionshandel geklagt . Eine der Begründungen
dieser Klage war, dass der Emissionshandel gegen das
sogenannte Open­Skies­Agreement verstößt . Der Text,
über den wir hier beraten, ist eine Ergänzung zum Open­
Skies­Agreement . Das will ich an dieser Stelle auch er­
wähnen .

Die Airlines haben wieder verloren . Die Einbeziehung
internationaler Flüge in das Emissionshandelssystem war
rechtens . Diese Klage wurde vor dem Europäischen Ge­
richtshof und nicht vor einem Schiedsgericht verhandelt,
und dort gehören diese Verfahren auch hin .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Positiv kann man zu dem Vertragstext erwähnen, dass
darin tatsächlich eine Anti­Dumping­Klausel verankert
ist . Herr Klare hat es erwähnt .


(Zuruf von der SPD: So ist es!)


Hier wird endlich anerkannt, dass offene Märkte auch or­
dentliche arbeits­ und sozialrechtliche Normen brauchen .

Das amerikanische Verkehrsministerium hat der Bil­
ligfluggesellschaft Norwegian Air International mit Sitz
in Irland auf Basis von Artikel 17 a des vorliegenden Pro­
tokolls die Verkehrsrechte verweigert . Hintergrund war,
dass Norwegian Air International für Langstreckenflüge
Leiharbeiterinnen aus Singapur und Thailand zu den dor­
tigen schlechten Arbeitsrechtsstandards beschäftigt hatte .

Dieser Aspekt wiegt die eingangs beschriebenen
Nachteile des Abkommens aber nicht auf . Deshalb wer­
den wir heute gegen den Gesetzentwurf stimmen und uns
dem Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke an­
schließen .

Herzlichen Dank .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)



Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1812725800

Als letztem Redner in dieser Aussprache erteile ich

das Wort dem Abgeordneten Thomas Jarzombek, CDU/
CSU­Fraktion .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Thomas Jarzombek (CDU):
Rede ID: ID1812725900

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Dass die­

ses Luftverkehrsabkommen zu einem solchen politischen
Diskurs taugt, hätte man eigentlich nicht für möglich ge­
halten . Ich glaube, dass nicht nur der freie Handel etwas

Arno Klare






(A) (C)



(B) (D)


Gutes ist, sondern dass auch freie Flugbeziehungen et­
was Gutes sind .


(Stephan Kühn GRÜNEN]: Dagegen hat niemand was! – Dr . Valerie Wilms [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ­ NEN]: Wir wollen nur nicht die Schiedsge­ richte haben!)


Wir haben in den letzten Tagen viel über die Zukunft des
Automobils geredet . Das Automobil hat für viele jun­
ge Menschen zu großer Freiheit geführt . Heute bringen
günstige und einfache Flugverbindungen die Menschen
nicht nur in Europa, sondern in der ganzen Welt zusam­
men . Unsere jungen Leute heute wissen, wie es in ande­
ren Ländern aussieht . Das baut Ressentiments ab, bringt
Menschen zusammen und macht Europa erst komplett .

Das Luftverkehrsabkommen zwischen Europa und
den USA ist ein großer Erfolg in dieser Hinsicht, weil
man jetzt schlicht und ergreifend von allen Orten des
einen Kontinents zu allen Orten des anderen Kontinents
fliegen kann. Das klingt wie eine Selbstverständlichkeit,
ist aber keine . Es zeigt auch, wie die Perspektiven von
Freihandel sind . Wenn man zurückschaut, stellt man fest:
Es ist noch nicht viele Jahre her, und genau durch diese
Luftverkehrsabkommen werden Wettbewerbsbeschrän­
kungen innerhalb Europas, nämlich in Großbritannien,
aufgehoben .

Am Airport Heathrow hatten allein British Airways
und American Airways einen Marktanteil von 75 Pro­
zent . Nur vier Fluggesellschaften durften in London lan­
den . Das waren neben den beiden benannten noch Virgin
und United . Der Markt war fein sortiert . Genau durch
diese Abkommen hier hat man den Markt öffnen können,
und jetzt dürfen auch unsere deutschen Airlines – die
Lufthansa, Air Berlin – nach London fliegen. Das Ganze
bringt in der Tat einen sehr spürbaren Effekt . Wenn man
allein Air Berlin betrachtet, so sieht man, dass sich die
Anzahl der Flüge in die USA in dem Zeitraum von 2008
bis heute verdoppelt hat – sogar um 105 Prozent gestie­
gen ist – und sich auch die Anzahl der verkauften Sitze
verdoppelt hat . Das zeigt, dass hier in der Tat Wachstum
zu verzeichnen ist und auch unsere Anbieter in diesen
Markt gekommen sind, die es an dieser Stelle im Übrigen
auch dringend nötig haben .

Ich glaube, dass Wettbewerb und Effizienz auch zum
Umweltschutz beitragen; denn im besten Falle ist das
Flugzeug voll und nicht halbleer . Erst dann, wenn die
Anbieter gezwungen werden, so zusammenzuarbeiten,
dass sie die Sitze füllen, ist auch der Umwelt gedient .

Ich bin schon überrascht, dass das Ganze jetzt offen­
sichtlich auch noch zu einer Debatte über Schiedsgerich­
te, TTIP und Umweltstandards geworden ist .


(Dr . Valerie Wilms [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Lesen!)


Nun kann man in dieser Woche auch sagen, dass die
Antwort auf die Frage, wo denn die höchsten Umwelt­
standards gelten, nicht zwangsläufig „in Europa“ lauten
muss . Volkswagen hat gerade bitter zu spüren bekommen,
dass in Amerika verdammt hohe Verbraucherschutz­ und
Umweltstandards gelten .

Ich glaube, dass es etwas Gutes ist, wenn sich die bei­
den Kontinente mit den strengsten Standards zusammen­
tun und hier auch Freihandel ermöglichen .


(Dr . Valerie Wilms [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Volkswagen lässt grüßen!)


Vielleicht auch ein Wort zu den Schiedsgerichten,
die ja unentwegt von Ihnen diskreditiert werden: Die
Schiedsgerichte sind ja keine Erfindung der USA oder
von irgendwelchen merkwürdigen Wirtschaftsinteressen
geleitet gewesen .


(Stephan Kühn GRÜNEN]: Trifft das auch für Toll Collect zu?)


Die Schiedsgerichte sind etwas, was wir selber gern ha­
ben wollten, weil es eine Reihe von Ländern auf dieser
Welt gibt, die lieber vor einem Schiedsgericht verhan­
deln – ich will gar kein Land exemplarisch nennen – als
vor den entsprechenden Gerichten in Staaten unserer sehr
willkommenen Handelspartner .


(Dr . Valerie Wilms [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ­ NEN]: Zählen die USA mit dazu? Zählen wir dazu?)


Deshalb ist das etwas, was uns hilft, und nichts, was uns
schadet, meine Damen und Herren .


(Zuruf von der CDU/CSU: Sehr gut, ja!)


Und ganz ehrlich: Auch das Schiedsgericht von Toll Col­
lect wäre viel schneller zu einem Ergebnis gekommen,
wenn die rot­grüne Regierung damals nicht, – ich glau­
be, – 18 000 Seiten Vertragswerk fabriziert hätte,


(Stephan Kühn GRÜNEN]: Wie lange regieren Sie jetzt?)


wobei ich, ehrlich gesagt, fassungslos bin, wie man einen
so komplexen Vertrag aufsetzen kann . Man darf sich
dann nicht wundern, dass es schwierig ist, daraus am
Ende eine Rechtsmeinung zu bilden .


(Beifall bei der CDU/CSU – Zuruf von der CDU/CSU: Stolpe war der Verkehrsminister!)


Nicht zuletzt – Herr Kollege Kühn, da haben Sie eine
tolle Vorlage geliefert –: Ich glaube, es wäre vielleicht
ein eleganter Weg gewesen, wenn man über ein Gerichts­
verfahren aus der Luftverkehrsteuer herausgekommen
wäre . Denn ich glaube, da sind wir Verkehrspolitiker uns
alle einig: Das wäre ein guter Maßstab – auch für die
Wettbewerbsfähigkeit – gewesen . Das ist das, was wir
im Luftverkehr brauchen . Wenn wir sehen, was da in
der arabischen Welt entsteht, was in der Türkei entsteht,
erkennen wir, dass wir verdammt hart darum kämpfen
müssen, dass unsere Airlines hier konkurrenzfähig blei­
ben . Das ist eine wichtige Aufgabenstellung für uns .
Deshalb, glaube ich, ist dieses Abkommen, über das wir
hier heute beschließen, ein gutes . Ich würde mir ganz
klar wünschen, dass sich auch die arabischen Airlines in
dieses Abkommen einbringen; denn das hätte zur Folge,
dass hier – ohne Subventionen und Dumping – ein Wett­

Thomas Jarzombek






(A) (C)



(B) (D)


bewerb auf Augenhöhe stattfinden könnte. Das ist das,
was unsere Airlines brauchen .

Vielen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1812726000

Ich schließe die Aussprache .

Tagesordnungspunkt 14 a . Wir kommen zur Abstim­
mung über den von der Bundesregierung eingebrachten
Gesetzentwurf zu dem Protokoll zur Änderung des Luft­
verkehrsabkommens zwischen den Vereinigten Staaten
von Amerika und der Europäischen Gemeinschaft und
ihren Mitgliedstaaten . Der Ausschuss für Verkehr und
digitale Infrastruktur empfiehlt in seiner Beschlussemp­
fehlung auf Drucksache 18/6161, den Gesetzentwurf der
Bundesregierung auf Drucksache 18/5271 anzunehmen .
Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen
wollen, sich von ihren Plätzen zu erheben . – Wer stimmt
dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist der Gesetzent­
wurf mit den Stimmen der CDU/CSU­Fraktion und der
SPD­Fraktion gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke
und die Stimmen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen
angenommen .

Wir kommen nun zur Abstimmung über den Ent­
schließungsantrag der Fraktion Die Linke auf Drucksa­
che 18/6194 . Wer stimmt für den Entschließungsantrag
der Fraktion Die Linke? – Wer stimmt dagegen? – Wer
enthält sich? – Der Entschließungsantrag ist mit den
Stimmen von CDU/CSU und SPD gegen die Stimmen
der Fraktion Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen ab­
gelehnt .

Wir kommen zum Tagesordnungspunkt 14 b . Abstim­
mung über den von der Bundesregierung eingebrachten
Gesetzentwurf zu dem Luftverkehrsabkommen zwischen
den Vereinigten Staaten von Amerika, der Europäischen
Union, ihren Mitgliedstaaten und Island und Norwegen
und zu dem Zusatzabkommen betreffend die Anwendung
des Luftverkehrsabkommens . Der Ausschuss für Verkehr
und digitale Infrastruktur empfiehlt in seiner Beschluss­
empfehlung auf Drucksache 18/6072 (neu), den Gesetz­
entwurf der Bundesregierung auf Drucksache 18/5580
anzunehmen . Ich bitte diejenigen, die diesem Gesetz­
entwurf zustimmen wollen, sich von ihren Plätzen zu
erheben . – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? –
Damit ist der Gesetzentwurf mit den Stimmen der CDU/
CSU­Fraktion und der SPD­Fraktion gegen die Stimmen
der Fraktion Die Linke und der Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen angenommen .

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 13 auf:

Beratung des Antrags der Abgeordneten Bri­
gitte Pothmer, Kerstin Andreae, Markus Kurth,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜND­
NIS 90/DIE GRÜNEN

Arbeitslosenversicherung gerechter gestalten
und Zugänge verbessern

Drucksache 18/5386
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Soziales

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 25 Minuten vorgesehen . Gibt es dagegen
Widerspruch? – Das ist nicht der Fall . Dann ist das so
beschlossen .

Ich bitte jetzt alle Kolleginnen und Kollegen, die die­
sen Punkt nicht mehr mitberaten wollen, uns friedlich
und zügig zu verlassen, und die anderen, sich entspannt
hinzusetzen .

Ich gebe das Wort als erster Rednerin der Abgeordne­
ten Brigitte Pothmer, Bündnis 90/Die Grünen .


Brigitte Pothmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1812726100

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir kön­

nen es alle beobachten: Die Arbeitswelt ändert sich .
Teilzeitbeschäftigung, Befristungen, Projektarbeit und
Selbstständigkeit nehmen zu und sind schon für viele
Menschen in dieser Gesellschaft Wirklichkeit . Das ist
also kein Zukunftsszenario, das wir unter dem Label
„Arbeit 4 .0“ diskutieren sollten, sondern das ist Realität .

Was sich aber nicht verändert hat, sind die Regelun­
gen in der Arbeitslosenversicherung . Diese Versicherung
orientiert sich immer noch an dem alten Leitbild des
Normalarbeitsverhältnisses . Das führt dazu, dass insbe­
sondere flexibel Beschäftigte, Projektarbeiterinnen und
Projektarbeiter, diejenigen, die prekär beschäftigt sind,
zwar in diese Versicherung einzahlen, aber im Falle der
Arbeitslosigkeit keinen Cent herausbekommen .

Inzwischen landet etwa ein Viertel derjenigen, die in
die Arbeitslosenversicherung einzahlen, bei Arbeitslosig­
keit unmittelbar in Hartz IV . Das ist eine große Gerech­
tigkeitslücke, die sehr schnell geschlossen werden muss .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Aber, meine Damen und Herren, wenn sich das so wei­
terentwickelt, dann delegitimiert sich damit die Arbeits­
losenversicherung selbst . An diesem Delegitimierungs­
prozess hat die Sonderregelung, die die Große Koalition
beschlossen hat, nichts, aber auch gar nichts geändert .
Mit dieser Sonderregelung erreichen Sie 0,6 Prozent der
Gruppe, die Sie selber definiert haben. Ursprünglich soll­
ten das Künstlerinnen und Künstler und Kulturschaffen­
de sein .

Ich übertreibe also überhaupt nicht – das ist auch nicht
meine Art –, wenn ich sage, dass diese bürokratische Re­
gelung wirkungslos ist .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Zunehmend wirkungslos ist übrigens auch die freiwil­
lige Weiterversicherung der Selbstständigen . Wir haben
unter Rot­Grün diese Möglichkeit eröffnet . Sie hat sich
zu der Zeit einer großen Beliebtheit erfreut . Inzwischen
jedoch gehen die Versichertenzahlen immer weiter zu­
rück; denn diese Versicherung ist so teuer geworden,
dass sich kleinere Selbstständige und insbesondere Solo­
selbstständige sie nicht leisten können .

Thomas Jarzombek






(A) (C)



(B) (D)


Die Arbeitsministerin hat den Dialogprozess „Arbeit
4 .0“ in Gang gesetzt .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ich bin fern davon, das zu diskreditieren; darum geht es
hier gar nicht . Aber ich wünsche mir, dass sie nicht nur
Fragen stellt, sondern zumindest dort, wo die Verände­
rung der Arbeit nicht nur sichtbar, sondern auch in Prob­
lemen manifest ist, Antworten gibt; denn daran wird sie
am Ende gemessen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Liebe Kolleginnen und Kollegen von der GroKo, ich
mache Ihnen jetzt ein Angebot, das Sie nicht ablehnen
können . Ich stelle Ihnen unsere Vorschläge vor, und Sie
können sie dann in Ihren eigenen Gesetzentwurf über­
nehmen, ohne dass ich Ihnen Plagiatsvorwürfe mache; da
können Sie ganz sicher sein .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Also, lassen Sie uns Folgendes machen:

Erstens . Wir schaffen ein klares und unbürokratisches
System, das kurzfristig Beschäftigte wirklich absichert .
Wer in der bekannten Rahmenfrist vier Monate arbeitet,
bekommt, wenn er arbeitslos wird, zwei Monate Arbeits­
losengeld . Bei sechs Monaten sind es drei Monate . Das
Verhältnis zwei zu eins bleibt bestehen .

Zweitens . Wir machen die Arbeitslosenversicherung
für Selbstständige wieder erschwinglich und öffnen sie
auch für diejenigen, die sich zum Beispiel nach einem
Studium selbstständig machen wollen .

Drittens . Wir beseitigen die bestehenden Ungerech­
tigkeiten . Sie werden es mir nicht glauben, aber wer 20
Jahre Vollzeit gearbeitet hat, entsprechend eingezahlt hat,
dann arbeitslos wird und sich nur noch halbtags beschäf­
tigen lassen möchte, weil sich seine Familienverhältnisse
verändern, weil ein Kind kommt, bekommt Arbeitslosen­
geld nur noch mit Blick auf die zukünftige Halbtagsbe­
schäftigung . Umgekehrt gilt das nicht . Das erklären Sie
einmal Ihren Wählerinnen und Wählern! Diese Regelung
muss weg .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)



Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1812726200

Frau Kollegin .


Brigitte Pothmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1812726300

Ich komme zum Schluss .


Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1812726400

Dazu hätten Sie leider schon vor längerer Zeit kom­

men müssen . Wir hatten gedacht, dass Sie nur kurz die
Punkte sagen .


(Waltraud Wolff haben wir auch gedacht!)


Die Zeit war schon abgelaufen . Aber dann sind Sie so
lebendig in Fahrt geraten .


Brigitte Pothmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1812726500

Herr Präsident, dann können Sie mich doch nicht

ernsthaft unterbrechen .


(Heiterkeit)


Ich habe nur noch einen Punkt . Viertens . Wir öffnen
die Arbeitslosenversicherung auch für Menschen in be­
rufsbegleitender Qualifizierung.

Wenn wir alle vier Punkte durchsetzen, dann können
wir der Veränderung der Arbeitswelt etwas beruhigter
entgegensehen .

Ich danke Ihnen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1812726600

Nächster Redner ist der Abgeordnete Albert Weiler,

CDU/CSU­Fraktion .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Albert Weiler (CDU):
Rede ID: ID1812726700

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen

und Herren! Werte Kolleginnen und Kollegen! Frau
Pothmer, es wird nicht besser, wenn man so schreit . Es ist
dann sehr anstrengend, zuzuhören . Ich versuche einmal,
ein bisschen leiser zu reden . Mir geht das Wort „Plagiat“
nicht mehr aus dem Kopf . Sie haben ein Plagiat von sich
selbst gemacht; das muss man erst einmal schaffen . Ich
kenne Ihre Rede aus dem Jahr 2010 zum gleichen Tages­
ordnungspunkt bzw . zum gleichen Antrag . Diese haben
Sie eins zu eins aufgegriffen . Aber Ihre Rede enthielt ein
paar Fehler . Das möchte ich jetzt aufarbeiten .

Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Fraktion der
Grünen, es ist grundsätzlich lobenswert – ich muss auch
einmal loben –,


(Dr . Matthias Zimmer [CDU/CSU]: Übertreib es aber nicht!)


dass Sie sich für Deutschlands Selbstständige starkma­
chen wollen . Sie machen es einem aber sehr schwer, sich
Ihrem sicherlich gut gemeinten Antrag zu nähern, da
dort schon im dritten Satz behauptet wird, dass die Zahl
der Teilzeitbeschäftigungsformen sowie der befristeten
und unsicheren Beschäftigungsformen zunimmt . Das ist
schlichtweg falsch .


(Jutta Krellmann [DIE LINKE]: Das stimmt! Wo leben Sie denn! Also, das kann doch nicht wahr sein!)


Fehlern kann ich nicht bewusst meine Zustimmung ge­
ben .

Richtig ist: Es gibt immer mehr normale Arbeitsver­
hältnisse .


(Inge Höger [DIE LINKE]: Es gibt immer mehr prekäre Arbeitsverhältnisse!)


Brigitte Pothmer






(A) (C)



(B) (D)


Seit 2010 gab es eine Zunahme um 1,5 Millionen regu­
läre Arbeitsverhältnisse . Dagegen sind die Zahlen für be­
fristete und geringfügige Beschäftigung sowie Zeitarbeit
gesunken, und das wird von unserem Statistischen Bun­
desamt bestätigt .

Sie haben den Antrag von 2010, der die aktuellen Ver­
hältnisse nicht widerspiegelt, wohl blind kopiert .


(Jutta Krellmann [DIE LINKE]: Es hat sich nichts geändert!)


Auf unserem Arbeitsmarkt hat sich dank der CDU­gefüh­
rten Bundesregierung aber einiges getan . Es würde Sie
ehren, wenn Sie das ganz einfach eingestehen würden .
Deshalb müssen Sie ja nicht gleich in die CDU eintreten,
obwohl ich das sehr begrüßen würde .


(Heiterkeit – Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Manfred Grund [CDU/CSU]: Nein, lass mal!)


Sie wollen die Arbeitslosenversicherung gerechter
gestalten, und das halte ich prinzipiell für lobenswert .
Aber Gerechtigkeit muss für alle Versicherten gelten .
Mit Blick auf Ihre Ideen in Bezug auf die Besserstellung
von Selbstständigen bei der Arbeitslosenversicherung sei
Folgendes gesagt:

Die Arbeitslosenversicherung in Deutschland ist Teil
der Sozialversicherung und hauptsächlich als umfassen­
de Pflichtversicherung für alle abhängig Beschäftigten
organisiert .


(Dr . Wolfgang Strengmann­Kuhn [BÜND­ NIS 90/DIE GRÜNEN]: Das wollen wir viel­ leicht noch ändern!)


Sie wird anteilig finanziert durch die Beiträge der Arbeit­
nehmer und der Arbeitgeber .

Nun wurde Selbstständigen die Möglichkeit gegeben,
sich freiwillig zu versichern . Das meine ich mit „gut ge­
meint“ . Allerdings trägt hier kein Arbeitgeber einen Teil
mit, weil es für Selbstständige keinen Arbeitgeber gibt .
Selbstständige sind, wie das Wort sagt, für sich selbst
verantwortlich . Deshalb ist der Beitrag für den Einzelnen
natürlich auch höher .

Richtig ist, dass sich die Zahl der Selbstständigen in
der freiwilligen Arbeitslosenversicherung reduziert hat .
Sie meinen, dass das an den gestiegenen Beiträgen zur
freiwilligen Arbeitslosenversicherung liegt . Aber damit,
liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen, ma­
chen Sie es sich ein bisschen zu einfach .

Erstens . Die eingangs beschriebenen sehr guten
Arbeitsmarktzahlen seit 2010 hatten eine geringere An­
zahl von Gründungen aus der Arbeitslosigkeit zur Folge,
wie der DIHK­Gründerreport 2014 verdeutlich hat .

Zweitens . Ebenso sind die vielen osteuropäischen
Arbeitskräfte inzwischen nicht mehr in einer Ein­Mann­
Firma, sondern haben die Freizügigkeit erhalten und eine
abhängige Beschäftigung aufgenommen .

Unterschwellig suggeriert der Antrag, man wolle die
Gründungskultur in unserem Land voranbringen . Sie
schreiben in der Begründung Ihres Antrags, dass wir eine

Kultur brauchen, „die Gründungen befördert und Lust
auf Selbstständigkeit nicht im Keim erstickt“ .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ­ NEN]: Da waren wir doch diesmal gut!)


Sehr gut! An dieser Stelle noch mal mein Angebot: Wenn
Sie es wünschen, treten Sie der CDU bei! Ich werde ein
gutes Wort für Sie einlegen .


(Manfred Grund [CDU/CSU]: Das reicht aber nicht! – Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wollen Sie wirklich, dass ich bei Ihnen eintrete?)


Wir haben eine solche Kultur in unserem Land geschaf­
fen .

Führende amerikanische Investoren sehen die deut­
sche Förderpolitik für Gründer als eine der besten unse­
res Kontinents . Allein das Existenzgründungsportal des
Bundeswirtschaftsministeriums zeigt zahlreiche Unter­
stützungsmöglichkeiten auf, zeigt, wie Gründer massiv
unterstützt werden .

Dazu ein paar Beispiele: Gründungscoachings, Be­
ratungen und Weiterbildungen, Gründungszuschüsse,
günstige Gründungskredite, Bürgschaften und Garantien
und, und, und . Uns geht es sowohl um den Malermeister
als auch um den EDV­Spezialisten als Firmengründer .
Wenn man mal alles zusammenzählt, sprechen wir von
über 2 000 Förderprogrammen für Gründer und Selbst­
ständige . Wir denken Gründungen nicht vom Ende, son­
dern vom Anfang her .

Nichtsdestotrotz finden sich brauchbare Ansätze in
Ihrem Antrag . Dennoch begründen Sie diesen mit teils
falschen Annahmen, und somit können wir heute leider
nicht zustimmen .

Vielen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1812726800

Nächste Rednerin ist die Abgeordnete Jutta Krell­

mann, Fraktion Die Linke .


(Beifall bei der LINKEN)



Jutta Krellmann (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1812726900

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Die Reform der Arbeitslosenversicherung ist
zwingend notwendig; das sagen wir auch als Linke .


(Beifall bei der LINKEN)


Danke an die Grünen, dass sie diesen Punkt auf die Ta­
gesordnung gebracht haben . Über den Vorschlag der Re­
gierung hätten wir gar nicht reden dürfen .


(Albert Weiler [CDU/CSU]: Ist es den Linken verboten, über unsere Anträge zu diskutieren? Schade!)


Die Arbeitswelt hat sich in den letzten Jahren kom­
plett geändert, in vielen Punkten, aber die Regierung und
Herr Weiler tun so, als sei nichts passiert .

Albert Weiler






(A) (C)



(B) (D)


Die jetzige Arbeitslosenversicherung trägt den Ri­
siken der heutigen Arbeitswelt kaum Rechnung . Aller­
dings, liebe Grüne, hätte ich mir gewünscht, dass Sie
auch ein Wort dazu verlieren, dass weder prekäre Be­
schäftigungsverhältnisse noch die Lücke in der Arbeits­
losenversicherung einfach so vom Himmel gefallen sind .
Sie sind das Ergebnis falscher Politik und falscher politi­
scher Entscheidungen – und das leider mit Ihrem Zutun .
Wir müssen ehrlich sagen: Es sind maßgebliche Folgen
der Hartz­Gesetze, die einerseits die Beschäftigung un­
sicherer gemacht und andererseits viele Löcher in die
Arbeitslosenversicherung gerissen haben . Deshalb sind
für uns Linke zwei Dinge absolut wichtig: Zum einen
muss die Arbeitslosenversicherung reformiert und der
Zugang zu ihr verbessert werden . Zum anderen muss die
Arbeit selbst wieder sicherer gemacht werden .


(Beifall bei der LINKEN)


Da dies noch nicht passiert ist, ist die heutige Forde­
rung der Grünen, kurzzeitig Beschäftigten und Selbst­
ständigen den Zugang zur Arbeitslosenversicherung zu
erleichtern, doppelt wichtig . Oft sind genau diese Be­
schäftigungsgruppen nicht durch Arbeitslosengeld I
abgesichert . Sie rutschen bei Arbeitslosigkeit direkt in
Hartz IV . Bei den Selbstständigen sind wir allerdings
der Meinung, dass sich die zu zahlenden Beiträge zur
Arbeitslosenversicherung an den erzielten Einkommen
orientieren sollten . Was für alle anderen Beschäftigungs­
gruppen gilt, sollte auch für Selbstständige gelten . Das
heißt: Wer wenig verdient, zahlt wenig, und wer viel ver­
dient, zahlt auch viel .


(Dr . Matthias Zimmer [CDU/CSU]: Was soll das denn?)


Ein weiterer Punkt ist die Weiterbildung . Die Arbeits­
losenversicherung in eine Arbeitslosen­ und Weiterbil­
dungsversicherung umzubauen, finden wir einfach zu
pauschal . Ich frage mich, warum die Grünen nicht zu­
nächst im bestehenden System einen Rechtsanspruch
auf Weiterbildung fordern, damit endlich an dieser Stelle
auch etwas passiert. Wir als Linke finden diesen Punkt
absolut wichtig . Es wäre doch ein naheliegender Schritt,
bevor größere Vorhaben auf den Weg gebracht werden .
Aus unserer Sicht muss die Zeit der Qualifizierung drin­
gend finanziell besser abgesichert werden.


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Viele Erwerbslose können es sich schlichtweg nicht
leisten, über längere Zeit eine Weiterbildung zu absolvie­
ren . Das Arbeitslosengeld ist zu niedrig, um gleichzeitig
auch noch die Familie zu ernähren . Viele sind gezwun­
gen, zusätzlich Arbeiten für Niedrigqualifizierte anzu­
nehmen . Oft hängen sie so im Niedriglohnbereich fest
und kehren schnell in die Arbeitslosigkeit zurück . Früher
gab es bei der Teilnahme an Bildungsmaßnahmen Unter­
haltsgeld in Höhe von 73 Prozent des ehemaligen Netto­
einkommens . Die Weiterbildungsmaßnahme galt als An­
wartschaftszeit für Arbeitslosengeld, und Auszubildende
wurden nach der Ausbildung als Fachkräfte eingestuft .
Das war doch damals alles richtig so gewesen .


(Beifall bei der LINKEN)


Eine gute Qualifizierung bringt zwar nicht automatisch
einen guten Job, sie erhöht aber deutlich die Chancen auf
einen besseren Job .

Ich fasse zusammen: Liebe Grüne, Ihr Antrag geht aus
unserer Sicht in die absolut richtige Richtung . Von daher
wünsche ich mir, dass es uns gelingt, gemeinsam hart da­
ran zu arbeiten, dass sich endlich die Bedingungen für
die Menschen in der Arbeitslosigkeit verbessern .

Vielen Dank .


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord­ neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1812727000

Nächster Redner ist der Abgeordnete Markus Paschke,

SPD­Fraktion .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Markus Paschke (SPD):
Rede ID: ID1812727100

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren auf
der Tribüne!


(Dr . Matthias Zimmer [CDU/CSU]: Und am Fernsehen!)


– Und am Fernsehen . – Es gibt in unserem Land viel­
fältige prekäre und/oder flexible Beschäftigungsformen:
Leiharbeit, Befristung, Soloselbstständigkeit, um nur ei­
nige zu nennen . Diese Vielfalt spiegelt sich jedoch nicht
in den entsprechenden Zugängen zur Arbeitslosenversi­
cherung wider .


(Beifall des Abg . Dr . Martin Rosemann [SPD])


Dabei sind es gerade diese Menschen, die diese Absiche­
rung brauchen .


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Meine Haltung an dieser Stelle ist ganz klar: Ja, wir
müssen die Zugänge erleichtern und den heutigen flexib­
len Verhältnissen anpassen .

Dringenden Handlungsbedarf sehe ich insbesondere
beim Thema Rahmenfristen . Hier ist eine Verlängerung
auf drei Jahre dringend notwendig . Aber auch über die
Frage, wann erstmals Ansprüche erworben werden, müs­
sen wir reden. Ich finde, es ist doch frustrierend, wenn
man elf Monate gearbeitet hat, häufig in wechselnden
Arbeitsverhältnissen, und dann wieder im SGB II landet .

Mir fehlt an dieser Stelle, muss ich gestehen, auch das
Verständnis für das Zögern unseres Koalitionspartners .
Statt Trippelschritte brauchen wir jetzt endlich den gro­
ßen Sprung .


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Jutta Krellmann






(A) (C)



(B) (D)


Dafür werbe ich heute noch mal aktiv, natürlich insbe­
sondere bei unserem Lebensabschnittsbegleiter, dem
politischen .


(Heiterkeit – Dr . Matthias Zimmer [CDU/ CSU]: Ihr stellt doch die Ministerin! – Gegen­ ruf der Abg . Waltraud Wolff [SPD]: Ja, Matthias, da lachst du nicht mehr, was?)


Lassen Sie mich noch ein paar Worte zur freiwilligen
Arbeitslosenversicherung für Selbstständige sagen . Der
Schritt in die Selbstständigkeit ist ein mutiger Schritt,
mutig deshalb, weil auch das Risiko des Scheiterns be­
steht . Ich sage: Wer das Risiko auf sich nimmt, sollte die
Sicherheit haben können, dass ein Scheitern nicht zur
Gefährdung seiner gesamten Existenz führt .


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Wenn ein Selbstständiger freiwillig in die Arbeitslo­
senversicherung einzahlt, dann sollte sich die Höhe des
Arbeitslosengeldes zukünftig an der Höhe der gezahlten
Beiträge bemessen und nicht wie bisher an den Quali­
fikationsstufen ausgerichtet werden. Der Vorschlag ist
nicht ganz neu, übrigens ebenso wie die Zielsetzung, die
Arbeitslosenversicherung in eine Arbeitsversicherung
umzubauen, in der Qualifizierung und Weiterbildung bis
zum Ende des Arbeitslebens inklusiv sind .


(Beifall der Abg . Waltraud Wolff Die SPD hat diesen Vorschlag schon in der letzten Le­ gislaturperiode gemacht . Ich halte ihn nach wie vor für richtig und gerecht . Auch die Idee, Existenzgründern länger Zeit zu geben, um einen Antrag auf freiwillige Arbeitslosenversiche­ rung zu stellen, halte ich durchaus für sinnvoll . Etwas anders sieht es bei dem Vorschlag aus, allen Selbstständigen die Wahlmöglichkeit zwischen zwei Ta­ rifen zu lassen . Wenn wir die Höhe des Anspruchs an der Höhe der gezahlten Beiträge ausrichten, dann kann jeder selbst entscheiden, wie viel er für diese Absicherung leis­ ten will . Liebe Kolleginnen und Kollegen, beim Ziel, die Arbeitslosenversicherung gerechter zu gestalten und die Zugänge zu verbessern, herrscht – das habe ich heute so gespürt – große Einigkeit . Über Detailfragen müssen wir noch diskutieren . (Dr . Wolfgang Strengmann­Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: 2017!)


(Wolmirstedt) [SPD])


(Beifall bei der SPD)


(Beifall bei der SPD)


Wenn ich einen Wunsch frei hätte – Brigitte, er richtet
sich diesmal nicht an dich –, würde ich mir wünschen,
dass der Knoten in der Koalition endlich platzt


(Dr . Matthias Zimmer [CDU/CSU]: Dann blutet es aber, wenn der Knoten platzt!)


und wir da endlich eine gerechtere Lösung hinbekom­
men .


(Beifall bei der SPD)


Wir werden auf jeden Fall für eine moderne und ge­
rechte Arbeitsversicherung streiten .

Danke schön .


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1812727200

Dieser Wunsch war zwar außerhalb der Redezeit .

Aber er wird trotzdem im Protokoll erfasst; das ist ja klar .

Als nächster Rednerin erteile ich der Abgeordneten
Dr . Astrid Freudenstein, CDU/CSU­Fraktion, das Wort .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. Astrid Freudenstein (CSU):
Rede ID: ID1812727300

Vielen Dank, Herr Präsident . – Meine Damen und

Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grü­
nen, Sie wollen die Arbeitslosenversicherung gerechter
machen, schreiben Sie . Ich nehme Ihnen dieses Ziel auch
ab . Das Problem ist aber, dass Sie mit Ihren Vorschlägen
die Beitragszahler, also die Arbeitnehmer und die Arbeit­
geber, belasten . Und das wollen wir nicht, und das wollen
wir gerade jetzt nicht, wo wir am Arbeitsmarkt doch vor
großen Herausforderungen stehen .

Sie selbst wissen doch gut – Sie waren ja auch ein­
mal in Regierungsverantwortung –, dass bei Sozialver­
sicherungen nicht nur das Gerechtigkeitsempfinden des
Einzelnen zählt, sondern die Stabilität des Systems ins­
gesamt mindestens genauso wichtig ist .


(Dr . Wolfgang Strengmann­Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, eben!)


Nicht umsonst haben Sie selbst damals die Rahmenfrist
auf zwei Jahre gesenkt und die Anwartschaftszeit bei
zwölf Monaten belassen . Das hat Früchte getragen . Seit
mittlerweile fast fünf Jahren ist der Beitragssatz stabil
niedrig . So können Millionen deutscher Arbeitnehmer
trotz niedriger Beiträge auf die Arbeitslosenversicherung
setzen, falls sie ihre Arbeitsstelle verlieren .

Sie haben gesagt, dass Übertreibung nicht Ihre Art ist,
aber ein bisschen dick aufgetragen haben Sie schon . Es
ist ja nicht so, dass sich der Arbeitsmarkt in den vergan­
genen zehn Jahren so radikal verändert hätte, wie Sie es
dargestellt haben .


(Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Doch! Die prekäre Beschäftigung hat gravierend zuge­ nommen! – Jutta Krellmann [DIE LINKE]: Massenweise sachgrundlose Befristungen!)


Und von einer Delegitimierung der Arbeitslosenversi­
cherung kann nicht die Rede sein . Das beweisen im Üb­
rigen auch die Zahlen . Der Anteil der Empfänger von
Arbeitslosengeld I an der Gesamtzahl der Arbeitslosen
ist seit 2011 sogar gestiegen . Die Flexibilisierung der
Arbeitsverhältnisse, die es zweifelsohne gibt, verhindert
nicht, dass man innerhalb von 24 Monaten 12 Mona­

Markus Paschke






(A) (C)



(B) (D)


te Anwartschaft erwerben kann . Das ist auch möglich,
wenn man in Teilzeit arbeitet oder wenn man befristet
beschäftigt ist .

Es gibt also schlichtweg keinen zwingenden Grund,
die Anwartschaftszeit auf vier Monate zu senken . Es gibt
im Gegenteil einige gute Gründe, die dagegen sprechen .
Zwei will ich Ihnen nennen .

Erstens . Ihre Pläne würden allein für das Arbeitslo­
sengeld pro Jahr mehr als 1 Milliarde Euro verschlingen .
Das würde vor allem die Beitragszahler belasten . Arbeit­
nehmer hätten weniger Netto vom Brutto . Die Lohnne­
benkosten würden steigen und damit würde vermutlich
die Nachfrage nach Arbeitskräften abnehmen . Das wäre
ein fataler Effekt .

Zweitens . Die Senkung der Anwartschaftszeit auf vier
Monate würde die Möglichkeit eines ständigen Wechsels
von Kurzzeitbeschäftigung und ALG­I­Bezug eröffnen .
Es ist natürlich verlockend, wenn der Durchschnitts­
verdiener nach vier Monaten Arbeit und insgesamt rund
300 Euro Beitrag in den folgenden zwei Monaten zusam­
men mehr als 3 500 Euro ALG I bekommt . So, meine
Damen und Herren, kann eine Sozialversicherung sicher
nicht funktionieren .


(Beifall bei der CDU/CSU – Zuruf der Abg . Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ­ NEN])


Schauen Sie doch nach Frankreich! Dort gibt es die
niedrige Anwartschaftszeit von vier Monaten, und zwar
nur dort in der EU . Die Arbeitslosenversicherung häuft
dort Jahr für Jahr Milliardendefizite an und hat einen
doppelt so hohen Beitragssatz wie bei uns .


(Jutta Krellmann [DIE LINKE]: Sie haben alle möglichen Leute in Hartz IV gedrängt!)


Da wundert es uns nicht, dass die französischen Politi­
ker die deutschen Reformen durchaus als Vorbild für ihre
Arbeitslosenversicherung sehen . Warum sollten wir also
einen Schritt zurückgehen?

Die momentane Regelung liefert Anreize, um dauer­
hafte Beschäftigung zu erhöhen und den Missbrauch auf
Kosten der Beitragszahler so niedrig wie möglich zu hal­
ten . Die bestehenden Sonderreglungen, die Sie nur ganz
kurz erwähnen, machen durchaus dort Ausnahmen, wo
wir sie brauchen, etwa im Kulturbereich .


(Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ­ NEN]: 0,6 Prozent der Fälle, die Sie selbst definieren!)


Eine Sonderregelung für überwiegend kurzzeitig Be­
schäftigte soll dort speziellen Erwerbsbiografien Rech­
nung tragen, etwa bei Schauspielern, die immer wieder
nur kurze Engagements haben . Sie haben einen Anspruch
auf ALG I nach sechs statt der üblichen zwölf Monate
Anwartschaftszeit . Wir bleiben also dabei: Wir wollen
Ausnahmen dort, wo es strukturelle Nachteile auszuglei­
chen gilt, wollen aber nicht die arbeitsmarktpolitischen
Reformen, an denen Sie selbst mitgewirkt haben, gene­
rell zurückdrehen . Unser Arbeitsmarkt und unsere Sozi­
alversicherungen stehen derzeit gut da . Das wollen wir
nicht aufs Spiel setzen .

Danke schön für Ihre Aufmerksamkeit .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1812727400

Als letztem Redner in dieser Aussprache erteile ich das

Wort dem Abgeordneten Ralf Kapschack, SPD­Fraktion .


(Beifall bei der SPD)



Ralf Kapschack (SPD):
Rede ID: ID1812727500

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Verehrte Zuschauerinnen und Zuschauer! Ich möchte am
Ende der Debatte noch einen Punkt einbringen, der an­
getippt, aber noch nicht richtig beleuchtet worden ist . Die
allermeisten, die im Tatort, bei Rosamunde Pilcher oder
der aktuellen Fortsetzung der Serie Weißensee


(Dr . Astrid Freudenstein [CDU/CSU]: Was schauen Sie denn?)


vor oder hinter der Kamera agieren, haben eines gemein­
sam: Sie sind kurzfristig beschäftigt . Sie haben Probleme
beim Zugang zu Leistungen der Arbeitslosenversiche­
rung .

Zusammen mit meinem Kollegen Burkhard Blienert
habe ich vor ein paar Wochen mit Vertretern der Film­
und Fernsehbranche gesprochen . Es waren Schauspiele­
rinnen und Schauspieler, Kameraleute, Regisseure und
Maskenbildnerinnen dabei . Die allermeisten von ihnen
werden für ein konkretes Projekt engagiert: für einen
Film . Wenn der Film abgedreht ist, sind sie beschäfti­
gungslos, oft über viele Monate . Die meisten haben Bei­
träge in die Arbeitslosenversicherung gezahlt . Trotzdem
rutschen sie direkt auf Hartz IV. Das finden viele von ih­
nen ungerecht, und ich kann das gut verstehen .


(Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ­ NEN]: Und immer wieder zahlen sie ein, und immer wieder landen sie in Hartz IV!)


Die Engagements dauern zwischen fünf Tagen und drei­
einhalb Monaten . Ganz oft wird in dieser Zeit nonstop
gearbeitet . Viele Beschäftigte erreichen in der zweijäh­
rigen Rahmenfrist eine Anwartschaft von fünf bis acht
Monaten – zu viel für die geltende Regelung, zu wenig
für den normalen Zugang zum Arbeitslosengeld . Mit
ihrem Jahresverdienst müssen sie die Durststrecke zwi­
schen den Engagements überbrücken .

Nicht nur für diese Beschäftigten, aber vor allem für
sie, ist die Sonderregelung für den Zugang zum Arbeits­
losengeld I eingeführt worden als soziale Absicherung
kurzfristiger Beschäftigung . Die geltende Regelung er­
reicht allerdings viel zu wenige, und deshalb müssen wir
etwas tun . Da sind wir uns einig .


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Allein die Ausweitung der Rahmenfrist auf drei Jahre
wird das Problem aber nicht lösen .


(Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Das ist absolut richtig!)


Dr. Astrid Freudenstein






(A) (C)



(B) (D)


Das ist jedenfalls die Einschätzung der Betroffenen, und
ich finde sie auch plausibel.

Ich finde, wir müssen auch über die Frage reden, ob
die Beschäftigungszeiten und die Höhe des Arbeitsent­
gelts in der bisherigen Form Ausschlusskriterien sein
können . Man kann die Position vertreten, dass entspre­
chende Sonderregelungen nicht vertretbar sind, weil sie
bestimmte Gruppen von Arbeitnehmerinnen und Arbeit­
nehmern begünstigen, die damit verbundenen Kosten
am Ende aber von allen Versicherten getragen werden
müssen. Ich finde, solche Sonderregelungen sind ver­
tretbar und notwendig, bis wir eine grundsätzlich andere
Regelung, zum Beispiel im Rahmen einer Arbeitsversi­
cherung, haben . Es tut mir leid – bei aller Sympathie für
Ihre Vorschläge –: Das wird noch ein bisschen dauern .


(Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Das liegt aber nicht an uns!)


Ja, solche Sonderregelungen sind vertretbar; denn es
liegt in der Natur und in der Produktionsweise zum Bei­
spiel der Film­, Fernseh­ und Medienbranche, dass die
Beschäftigungsverhältnisse dort so sind, wie sie sind . Die
Beschäftigten haben darauf wenig Einfluss.

Wenn ich das richtig sehe, soll die geltende Regelung
für kurzfristig Beschäftigte noch einmal verlängert wer­
den .


(Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ­ NEN]: Noch einmal? Das glaube ich nicht!)


Ich hätte mir gewünscht, wir wären in der Koalition wei­
ter . Aber bis zum Beweis des Gegenteils gebe ich die
Hoffnung nicht auf, dass wir bis zum Ende der Legisla­
turperiode eine Regelung hinbekommen,


(Beifall der Abg . Waltraud Wolff die den kurzfristig Beschäftigten nicht nur, aber auch im Kultur­ und Medienbereich hilft . Liebe Kolleginnen und Kollegen, der Umgang mit Kultur misst sich auch daran, wie wir mit den Kultur­ schaffenden umgehen, wie wir sie sozial absichern, und zwar nicht nur in Sonn­ tagsreden, sondern ganz praktisch . Vielen Dank für die Aufmerksamkeit . (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


(Wolmirstedt) [SPD])


(Beifall bei der SPD)


(Beifall bei der SPD)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1812727600

Ich schließe die Aussprache .

Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 18/5386 an den Ausschuss für Arbeit und
Soziales vorgeschlagen . Sind Sie damit einverstanden? –
Das ist der Fall . Dann ist die Überweisung so beschlos­
sen .

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 16 auf:

Erste Beratung des von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem
Übereinkommen vom 29. Juni 2015 zur Grün-
dung der Asiatischen Infrastruktur-Investi-
tionsbank

Drucksache 18/6163
Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss (f)

Auswärtiger Ausschuss
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Haushaltsausschuss mitberatend und gemäß § 96 der GO

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 25 Minuten vorgesehen . – Ich höre kei­
nen Widerspruch . Dann ist so beschlossen .

Ich bitte, die notwendigen Umgruppierungen in den
Fraktionen zügig vorzunehmen . – Liebe Kollegen von
den Grünen, wir würden gern fortfahren .

Ich eröffne die Aussprache . Das Wort hat der Parla­
mentarische Staatssekretär Dr . Michael Meister .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Dr. Michael Meister, Parl . Staatssekretär beim Bun­
desminister der Finanzen:

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Wir haben im März in der Bundesregierung entschie­
den, der Asiatischen Infrastruktur­Investitionsbank bei­
zutreten . Ich glaube, das ist eine richtige Entscheidung .
Wir bitten Sie jetzt, dem Entwurf eines Gesetzes zu dem
Übereinkommen zur Gründung dieser Bank zuzustim­
men .

Die Asiatische Infrastruktur­Investitionsbank wird
von insgesamt 57 Ländern getragen, 17 davon aus Euro­
pa . Wir werden unter den nichtasiatischen Ländern der
größte Anteilseigner sein . Ich glaube, es ist richtig, die
Chancen, die mit diesem Projekt verbunden sind, zu nut­
zen und Risiken, die sich ergeben können, abzuwenden .

Was sind die Chancen? Wir haben die Chance, an
einer neuen regionalen, aber auf Weltniveau agierenden
Bank beteiligt zu sein . Diese Bank wird Bedeutung für
die Entwicklung von Infrastrukturprojekten in Asien ins­
gesamt haben . Sie wird zwar in großem Maße von der
Volksrepublik China geführt; aber sie ist für die gesamte
Region von entscheidender Bedeutung . Man muss sich
einmal klarmachen, welches Investitionsvolumen dort
in den nächsten fünf Jahren zu heben ist . Wir sprechen
dabei von bis zu 8 Billionen US­Dollar . Es geht an die­
ser Stelle aber nicht um Geld und Banking, sondern um
die Frage, ob wir die entsprechende infrastrukturellen
Grundlagen schaffen, um die Armut in asiatischen Staa­
ten zu bekämpfen .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge­ ordneten der SPD)


Ich denke hier an Kambodscha und an Myanmar . Wir
wollen einen Beitrag leisten, um Armut zu bekämpfen,
allerdings nicht, indem wir Geld geben, sondern indem
wir die entsprechende Infrastruktur schaffen .

Ralf Kapschack






(A) (C)



(B) (D)


Bei den Risiken geht es um die Frage, welche Um­
welt­ und Sozialstandards wir einbinden . Wenn wir
uns heraushalten, werden die Standards von anderen
definiert. Wir werben dafür, dass diese Bank bei ihren
Projekten, aber auch innerhalb der Regularien der Bank
höchste Umwelt- und Sozialstandards pflegt. Dafür sind
wir in den Vorverhandlungen eingetreten; das konn­
ten wir durchsetzen . Deshalb glauben wir, dass wir den
richtigen Weg gehen . Wir wollen höchste Umwelt­ und
Sozialstandards, um die Ärmsten dieser Welt zu fördern .
Dafür werben wir um Unterstützung .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Ich habe vergangenen Montag erleben können, dass
die siebte Verhandlungsrunde zur Gründung dieser Bank
in Frankfurt stattgefunden hat . Ich glaube, es ist Ausweis
der Hochachtung, die man uns entgegenbringt, dass die­
se Verhandlungsrunde nicht in Asien, sondern hier bei
uns in Deutschland stattgefunden hat . Ich muss sagen:
Ich war beeindruckt, in welch hoher Geschwindigkeit
ein so hochkomplexes Projekt fundiert und organisato­
risch sauber vorangebracht wird . Ich war auch beein­
druckt von der Anerkennung, die uns als Bundesrepublik
Deutschland in diesem Prozess von den anderen Teilneh­
merstaaten zuteilwird . Deshalb werbe ich dafür, dass wir
uns nicht nur an der Bank beteiligen, sondern auch inner­
halb der Bank Verantwortung übernehmen .

Die Bank soll zum 1 . Januar 2016 gegründet werden .
Wenn man sich engagieren will, wenn man dabei sein
will, dann wäre es ein gutes Zeichen, wenn wir die Ratifi­
kation vor dem 1 . Januar 2016 durchgeführt hätten; denn
als Nachläufer wird man nicht ernst genommen . Deshalb
werbe ich um Zustimmung vor dem 1 . Januar 2016 und
bitte Sie um die entsprechende Unterstützung .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Wir werden 4,5 Prozent der Anteile der Bank zeich­
nen . Das sind bei einem Gesamtkapital von 100 Mil­
liarden US­Dollar, das in Aussicht gestellt worden ist,
4,5 Milliarden US­Dollar . Wir werden 900 Millionen
US­Dollar davon als Bareinlage in die Bank einzahlen
und 3,6 Milliarden US­Dollar als Gewährleistung zur
Verfügung stellen . Wir schaffen ab dem Haushalt 2016
die haushalterischen Voraussetzungen, um diese Einlage
tätigen zu können . Sie sind also an zwei Stellen gefor­
dert: zum einen, das Gesetz zu dem Übereinkommen, das
wir heute auf der Tagesordnung haben, zu beschließen
und zum anderen, im Rahmen der Haushaltsberatungen
die entsprechenden Mittel bereitzustellen .

Wir senden das deutliche Signal aus, dass wir unse­
re Verantwortung für die Menschen in der Welt wahr­
nehmen . So können wir vielleicht die Grundlage dafür
schaffen, dass sich die Menschen für ein Leben in ihrem
Heimatland entscheiden und sich nicht zu einem anderen
Ort aufmachen und uns damit neue Probleme schaffen .
Wenn wir dort, wo die Menschen ihre Heimat haben,
einen Beitrag zur Lösung der Probleme liefern, dann tun
wir etwas für uns und für andere . In diesem Sinne werbe
ich um Zustimmung .

Herzlichen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1812727700

Der Kollege Dr . Axel Troost hat für die Fraktion Die

Linke das Wort .


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. Axel Troost (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1812727800

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Der frühere Chefökonom der Weltbank Joseph Stiglitz
schrieb vor einigen Monaten: Unsere Welt krankt an
einem – ich zitiere – „Finanzsystem, in dem Marktma­
nipulation, Spekulation und Insider­Handel zum Alltag
gehören, das aber bei seiner Hauptaufgabe versagt: der
Verteilung von Ersparnissen und Investitionen auf globa­
ler Ebene“ . – Dem ist zuzustimmen .

Derzeit mangelt es weder an Ersparnissen noch an
Investitionsmöglichkeiten . Insbesondere in den Entwi­
cklungs­ und Schwellenländern gibt es einen enormen
Bedarf an Infrastruktur . Doch weder die Finanzmärkte
noch die bestehenden Abkommen und Institutionen sind
willens oder in der Lage, die dazugehörige Finanzierung
zu stemmen . In diese Lücke soll nun die 100 Milliarden
Dollar schwere Asiatische Infrastruktur­Investitionsbank
springen . Zugleich ist die Gründung dieser Bank eine
Antwort auf das Versagen, internationale Organisationen
wie Weltbank, Asiatische Entwicklungsbank oder auch
IWF entsprechend zu reformieren . Aber das ist insgesamt
eine positive Entwicklung . Bei den jetzt zu fördernden
Infrastrukturprojekten wird es um Straßenbau gehen, um
Energieversorgung, Hafenbau und den Bau von Städten
für Millionen von Menschen und durchaus auch um den
Aufbau einer grünen Wirtschaft .

Wie wir gehört haben, geht zwar alles sehr schnell;
aber es gibt noch viele offene Fragen . Ungeklärt ist etwa,
mit welchen Sozial­ und Umweltrichtlinien die AIIB
dafür sorgen wird, dass die geplanten großen Infrastruk­
turprojekte keine Massenumsiedlungen und massiven
ökologischen Schäden anrichten . Wir werden die Prak­
tiken und Standards der AIIB noch im Detail diskutie­
ren müssen . Im Augenblick ist anders als bei anderen
Entwicklungsbanken bisher nicht festgelegt, dass zum
Beispiel die Finanzierung von Atomkraftwerken und die
Finanzierung von Kohleprojekten ausgeschlossen sind;
das muss noch angegangen werden . Selbst Vorhaben in
Naturschutzgebieten scheinen nicht ausgeschlossen zu

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1812727900
Schnel­
ligkeit ist auf der einen Seite gut; aber auf der anderen
Seite müssen eben auch Standards eingehalten werden .

Ich will hier kein plumpes China­Bashing betreiben;
aber es ist natürlich völlig klar, dass sich bei einer Bank,
bei der China mit weitem Abstand der größte Kapitalge­
ber ist, die chinesische Kultur in der Arbeitsweise nieder­
schlagen wird . Der Umgang der chinesischen Regierung
mit Minderheiten und kritischen Stimmen ist nicht so,
dass man davon ausgehen kann, dass es Bürgerbeteili­
gung und ausreichende Umweltprüfungen geben wird .
Insofern glaube ich, dass man bei allen Chancen – und
es ist sicherlich sinnvoll, in dieser Region eine solche
Bank zu gründen – eben auch schauen muss, dass die So­
zial­ und Umweltstandards in die Bedingungen der Bank
aufgenommen werden; sonst werden wir hier jeweils die

Parl. Staatssekretär Dr. Michael Meister






(A) (C)



(B) (D)


einzelnen Skandalprojekte diskutieren müssen . Von den
sozialen Bewegungen werden wir dann hören, was alles
nicht vernünftig läuft .

Insofern sind wir ein bisschen überrascht – wir haben
von der Eile gehört –, dass wir heute die erste Lesung
dieses Gesetzentwurfs haben und ihn bereits in der über­
nächsten Sitzungswoche – ursprünglich war schon die
nächste Sitzungswoche geplant; wir haben das um eine
Sitzungswoche verschoben – abschließend beraten sol­
len . Wir sind gespannt, welche Maßnahmen ergriffen
werden, um diesen Terminplan halten zu können . Uns
geht es nicht nur um Schnelligkeit . Vielmehr müssen
wir sicherstellen, dass in die Satzung dieser Bank aufge­
nommen wird, was wir an Standards weltweit festgelegt
haben .

Danke schön .


(Beifall bei der LINKEN)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1812728000

Da Wort hat der Kollege Manfred Zöllmer für die

SPD­Fraktion .


(Beifall bei der SPD)



Manfred Zöllmer (SPD):
Rede ID: ID1812728100

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Wenn wir uns heute in erster Lesung mit dem Entwurf
eines Gesetzes zur Gründung der Asiatischen Infrastruk­
tur­Investitionsbank, AIIB, beschäftigen, macht es einen
gewissen Sinn, einmal zurückzuschauen auf die Ge­
schichte und die Funktion supranationaler Förder­ und
Investitionsbanken und auf globale Zusammenhänge .

Schon während des Zweiten Weltkriegs arbeiteten die
Alliierten an einer Neuorganisation der institutionellen
Strukturen für die Zeit nach dem Krieg . Sie beschlossen
die Gründung der Internationale Bank für Wiederauf­
bau und Entwicklung, der Weltbank, und des IWF – das
sind die Bretton­Woods­Institutionen – bereits 1944 .
Die Weltbank hat dann 1946 die Arbeit aufgenommen,
ursprünglich mit dem Schwerpunkt auf der finanziellen
Förderung des Wiederaufbaus westeuropäischer Staaten
nach dem Zweiten Weltkrieg . Immerhin war Frankreich
1947 das erste Land, das einen Kredit bekam . Der IWF
hingegen hatte eine andere Aufgabe . Er sollte das inter­
nationale Währungssystem sichern und die Stabilität ge­
währleisten .

Im Laufe der Zeit und mit der Besserung der Lage in
Westeuropa hat sich der Fokus der Weltbank verschoben
hin in Richtung Entwicklungsförderung und Armuts­
bekämpfung in Entwicklungsländern . Aktivitäten einer
internationalen Investitionsbank verfolgen immer zwei
Ziele: wirtschaftliche Entwicklung und Wachstum in
einer Region und damit einhergehend Befriedung und
Stabilisierung .

Heute ist die Weltbank die wichtigste Organisation
multilateraler Entwicklungshilfe . Ich will mich an dem
Weltbank­Bashing nicht beteiligen . Ich glaube, sie trägt
in großem Maße zur Lösung globaler Probleme bei .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Schaut man sich die Struktur der Weltbank an, stellt man
fest: Es gibt den Gouverneursrat, das Exekutivkomitee
und den Präsidenten der Weltbank, und in der Tat haben
die USA und die Industrieländer einen beherrschenden
Einfluss in dieser Organisation.

Neben der Weltbank existieren noch einige regio­
nale Entwicklungsbanken . Ich will hier nur die Asiati­
sche Entwicklungsbank nennen, die Asian Development
Bank, gegründet 1966 . In dieser Bank haben Japan und
die USA einen sehr großen Einfluss.

Nun wird diese Asiatische Infrastruktur­Investitions­
bank gegründet . Das hat sehr viel damit zu tun, dass die
von mir angesprochenen Stimmenverhältnisse bei den
bestehenden Institutionen China nicht unbedingt gefallen
und die Amerikaner – das muss man auch sagen – eigent­
lich nicht willens oder politisch nicht fähig sind, die Re­
formen, die sowohl im IWF als auch in der Weltbank not­
wendig wären, durchzuführen . Deshalb ist es, glaube ich,
nachvollziehbar, dass China nun unabhängig vom Ein­
fluss der USA werden will. China ist immerhin auf dem
Weg, eine der stärksten Wirtschaftsmächte der Welt zu
werden . Ich denke, unter geopolitischen Gesichtspunkten
kann man ein gewisses Verständnis für diesen strategi­
schen Ansatz haben .

Ich glaube, es ist richtig, dass sich Deutschland an
dieser neuen internationalen Investitionsbank beteiligen
wird .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Der Herr Staatssekretär hat bereits deutlich gemacht,
welche Vorteile es hat, wenn wir uns beteiligen . Wir ha­
ben viel Know­how wirtschaftlicher Art, und wir sind ein
starker Player, gerade auch im Bereich von Infrastruktur­
projekten . Den BER lasse ich einmal außen vor; das ist
nicht unbedingt ein Vorzeigeprojekt .


(Lothar Binding wird noch! – Dr . Philipp Murmann [CDU/ CSU]: Das hätten wir vielleicht auch mit einer Entwicklungsbank machen sollen!)


– Ja, das wäre vielleicht noch eine Variante . Das müssen
wir einmal sehen . – Wir werden dann in der Lage sein,
entsprechend Einfluss zu nehmen und dafür zu sorgen,
dass die AIIB in der Tat das Ziel verfolgt, eine nachhal­
tige wirtschaftliche Entwicklung über die Finanzierung
von Infrastruktur in Asien zu fördern . Dabei müssen wir
Wert darauf legen, dass es eine ganz enge Zusammen­
arbeit mit den bestehenden bilateralen und multilateralen
Entwicklungs­ und Finanzinstitutionen gibt . Der Schwer­
punkt sollte auf der Förderung entwicklungsorientierter
öffentlicher und privater Infrastrukturinvestitionen ins­
besondere in Ländern liegen, die noch entwickelt wer­
den müssen, in Ländern mit hoher Armut . Wenn dieses
Ziel erreicht wird, steht die deutsche Beteiligung in der
Kontinuität eines erfolgreichen Engagements in interna­
tionalen Entwicklungs­ und Finanzinstitutionen . Auf der
anderen Seite macht es, denke ich, viel Sinn, China in
die Architektur der internationalen Finanzmärkte einzu­
binden; denn China ist ein Global Player .

Dr. Axel Troost






(A) (C)



(B) (D)


Das Gesamtkapital der AIIB – wir haben es gehört –
wird 100 Milliarden US­Dollar betragen . Deutschland
wird einen Kapitalanteil von 4,5 Milliarden US­Dollar
übernehmen und einen Stimmenanteil von 4,1 Prozent .
Da die AIIB ihre Geschäftstätigkeit im Januar 2016 auf­
nehmen will, macht es Sinn, Kollege Troost, hier im
Bundestag zügig eine Entscheidung zu treffen, damit
Deutschland von Anfang an dabei ist .

Warum ist das wichtig? Wir haben eben gehört, dass
es eine Diskussion über Umwelt­ und Sozialstandards
gibt, darüber, ob sie bei der Umsetzung von Projekten
tatsächlich eingehalten werden . Da gibt es noch Zweifel;
das muss man sehr deutlich sagen . Es bleibt eine Reihe
von offenen Fragen . Es bleibt offen, ob ein Verbot von
Kinderarbeit oder der Handel mit radioaktivem Material
unter die Geschäftsgrundsätze fallen .


(Dr . Axel Troost [DIE LINKE]: Genau!)


Wir sollten dafür sorgen, dass das der Fall ist . Deutsch­
land sollte sich nachdrücklich für die Verankerung um­
fassender sozialer und ökologischer Standards bei Infra­
strukturprojekten einsetzen .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des Abg . Dr . Axel Troost [DIE LINKE])


Darüber hinaus ist es wichtig, den Kampf gegen die
Korruption im Auge zu behalten und für transparentes
Geschäftsgebaren zu sorgen . Das sind wichtige Aktions­
felder .

Wir werden uns jetzt intensiv mit dem Gesetzentwurf
beschäftigen . Ich glaube, die Beteiligung Deutschlands
ist gut und richtig, wenn es uns gelingt, unseren Einfluss
zu nutzen, um die Weichen für eine nachhaltige soziale
und ökologische Entwicklung der Zielregionen zu stel­
len .

Vielen Dank .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1812728200

Der Kollege Uwe Kekeritz hat für die Fraktion Bünd­

nis 90/Die Grünen das Wort .


Uwe Kekeritz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1812728300

Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen!

Wir haben jetzt einen schönen geschichtlichen Rück­
blick bekommen . Recht herzlichen Dank, Herr Zöllmer!
Aber Sie hätten vielleicht auch etwas zur Entstehungsge­
schichte dieser asiatischen Bank beitragen können . Es ist
doch nicht zu leugnen, dass die Ursache für ihre Entste­
hung eigentlich in der maßlosen Arroganz der USA liegt,
die sich jahrelang geweigert haben, den Ländern des Sü­
dens eine faire Beteiligung an den Mitbestimmungsrech­
ten der Weltbank und des IWF einzuräumen . Folge sind
die Gründungen der BRICS­Bank und natürlich auch der
Asiatischen Infrastruktur­Investitionsbank . Nicht, dass
wir da dringend Kapital brauchen, von wegen . Nein, das
ist eine Reaktion und auch eine Kampfansage .

Nun stellt sich die Frage, ob wir Mitglied werden oder
nicht . Ein Argument lautet: Wir müssen Mitglied werden,
um positiven Einfluss auszuüben. – Das Argument ist per
se sehr gut . Wir müssen aber genau prüfen, ob Deutsch­
land eine solche Rolle tatsächlich wahrnehmen kann bei
einer Beteiligung von 4,5 Prozent gegenüber einer Be­
teiligung Chinas von mehr als 30 Prozent . Zudem ist die
Frage zu stellen, ob die Deutschen eigentlich immer die
Guten sind; aber das lassen wir einmal beiseite . Auch
über das Argument, Konkurrenz fördere das Geschäft,
müssen wir einmal nachdenken . Es gibt 19 multilaterale
internationale Finanzinstitute . Deshalb kann ich nicht se­
hen, dass es dafür großen Bedarf gibt .

Es sind Fragen zu klären . Erstens: Welche Standards
werden bei der Vergabe von Krediten angewendet? Wir
haben gerade vom Staatssekretär gehört, dass es die
höchsten Standards sind . Wie kommen Sie eigentlich zu
dieser Feststellung? Von diesen Standards möchte ich
schon einmal in Schriftform lesen . Was ich weiß, ist, dass
die Chinesen im Wesentlichen die Standards der Welt­
bank abgeschrieben haben . In einem Bereich sind sie
besser, nämlich was die Behandlung der Regenwälder
angeht. In anderen Bereichen sind sie definitiv schlech­
ter – das wurde bereits genannt –, zum Beispiel bei der
Förderung von Kohlekraftwerken und Atomkraftwerken .

Zweitens: Wie werden die Standards aktualisiert, ver­
ändert, weiterentwickelt? Drittens: Welche Evaluations­
mechanismen werden eingesetzt? Viertens: Gibt es Be­
schwerdeverfahren?

Fünftens . Wir wissen ganz genau, dass es Transparenz
ohne die Einbindung der Zivilgesellschaft nicht gibt . Wie
schaut es mit der Transparenz aus? Wie schaut es mit der
Einbindung der Zivilgesellschaft aus? Ich kann Ihnen
sagen: Das schaut ganz miserabel aus . Die Einbindung
der Zivilgesellschaft ist aber notwendig, damit aus die­
ser Bank eine demokratische Einrichtung werden kann,
die die Standards ökologischer und sozialer Art erfüllen
kann .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Wie ist die Bank strukturell organisiert? Wie laufen Ent­
scheidungsprozesse ab? Das ist alles völlig unklar . Wir
müssen uns doch darüber im Klaren sein: Wir haften
nicht nur für 4,5 Milliarden Dollar, sondern wir tragen
gerade in Zeiten von SDGs und Klimakonferenz eine
große politische Verantwortung . Wie wird sichergestellt,
dass die asiatische Bank nach diesen Prinzipien ausge­
richtet wird?

Herr Zöllmer, Sie haben die schlechten Erfahrungen
hinsichtlich der Weltbankprojekte angesprochen – das
kann ich nur bestätigen –: Zwangsumsiedlungen bei
Staudammprojekten, Missachtung der Rechte indigener
Völker, Transportkorridore in den Regenwäldern usw .
Das ist nur eine kleine Auswahl üblicher Verfehlungen
der Weltbank .

Stutzig macht mich auch, dass das Finanzministerium
die Federführung für diesen Bereich erhält . Will sich das
Finanzministerium tatsächlich um die Strukturen in Ma­
lawi kümmern? Warum nicht das BMZ? Damit kommen
wir weiter, aber zielgenau weg von der Kohärenz, die wir

Manfred Zöllmer






(A) (C)



(B) (D)


alle immer als sehr wichtig ansehen . Wir brauchen mehr
und nicht weniger Kohärenz .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg . Dr . Axel Troost [DIE LINKE])


Es droht, dass Deutschland demnächst wieder den Bau
von Atomkraftwerken und Kohlekraftwerken mitfinan­
ziert . Damit steht natürlich auch unsere Glaubwürdigkeit
auf dem Prüfstand . Das kann nicht sein . Das muss – wie
auch die anderen Fragen, die ich aufgezählt habe – vor
dem Beitritt geregelt werden


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg . Dr . Axel Troost [DIE LINKE])



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1812728400

Herr Kollege .


Uwe Kekeritz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1812728500

Ich bin sofort fertig . – Eines, Herr Staatssekretär, geht

gar nicht, würde die Kanzlerin sagen, nämlich dass sich
das Parlament vom Finanzministerium unter Zeitdruck
setzen lässt . Nein, wir sollten wirklich einmal die offe­
nen Fragen, die ich hier skizzenhaft dargestellt habe, klä­
ren . Die Mitgliedschaft in einer solchen Bank kann kein
Selbstzweck sein . Wir müssen globale Ziele verfolgen,
und es ist bei weitem noch nicht geklärt, wie .

Danke schön .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1812728600

Für die CDU/CSU­Fraktion hat der Kollege

Dr . Philipp Murmann das Wort .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge­ ordneten der SPD)



Dr. Philipp Murmann (CDU):
Rede ID: ID1812728700

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Meine Damen und Herren! Wir als CDU/CSU­Fraktion
unterstützen die Gründung der Asiatischen Infrastruktur­
Investitionsbank, auch wenn einige von uns am Anfang
sicherlich gefragt haben: Brauchen wir noch eine Ent­
wicklungsbank? Aber es wurde ja schon von verschie­
denen Seiten dargelegt, dass es viele Vorteile hat . Ich
denke, im Wesentlichen sprechen drei Gründe dafür, hier
mitzumachen .

Erstens . Die Ausrichtung einmal in Richtung Infra­
struktur, aber auch in Richtung Investitionen ist für eine
Bank sehr interessant .

Zweitens spielen Entwicklungsbanken eine positive
Rolle in all den Ländern, in denen sie tätig sind . Ich hatte
selber einmal das Glück, drei Jahre in Asien zu leben .
Die Asian Development Bank hat sicherlich viele Pro­
jekte angeschoben, die es in vielen Ländern heute sonst
nicht gäbe . Insofern, denke ich, kann auch diese Bank
eine Bereicherung darstellen .

Der dritte Grund aus meiner Sicht ist, dass Wettbe­
werb natürlich das Geschäft belebt . Das heißt, wenn sich
mehrere Banken um Projekte kümmern und überlegen,
wie sie innovativ vorangehen können, ist das sicherlich
gut .

Es wurde schon gesagt: Es ist wichtig, effiziente
Strukturen und natürlich wenig Bürokratie bei diesen
Projekten zu haben, aber gleichzeitig zielgenau und mit
einer hohen Dynamik zu arbeiten . Herr Kekeritz, jeder
Standard, den wir noch verbessern können, der vielleicht
niedriger wäre, wenn wir nicht dabei wären, ist natürlich
ein Gewinn und Erfolg . Auch deswegen, denke ich, lohnt
es sich, dabei zu sein .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Als Gründungsmitglied haben wir ganz besondere
Chancen . Sicherlich besteht jetzt etwas Zeitdruck . Aber
ich denke, es ist nicht zu schwierig, sich in einigen Stun­
den und mithilfe einiger Gespräche in das Thema ein­
zuarbeiten . Als Gründungsmitglied haben wir die Mög­
lichkeit, besser Einfluss zu nehmen. Die Bank hat ja eine
interessante Struktur . Es wurde schon gesagt, dass China
das größte Mitglied und der Treiber dieser Bank ist . Aber
zu immerhin 20 Prozent sind auch Europäer dabei . Wir
sind mit 4,5 Prozent das größte europäische Mitglied .
Aber auch Italien, Frankreich und Großbritannien sind
mit relativ großen Portionen dabei . Die anderen Spieler,
Russland und Indien, sind natürlich geopolitisch für uns
interessant . Die USA sind bisher nicht dabei . Ich habe
aber in den Gesprächen gehört, dass die Amerikaner da­
rüber nachdenken, mit einzusteigen . Es ist für sie sicher­
lich ungewohnt, eine kleinere Rolle zu haben; aber auch
da lohnen sich weitere Gespräche .

Die Gesamtstruktur ist sowohl politisch als auch öko­
nomisch für uns interessant . Politisch ist sie interessant,
um, wie schon gesagt, Standards durchzusetzen . Ich den­
ke, dass Sozialstandards eine ganz besondere Rolle spie­
len . Ökonomisch ist sie interessant, weil sich für die KfW
Möglichkeiten bieten, eine Kofinanzierung anzubieten.
Deutsche Kreditinstitute haben dadurch die Möglich­
keit, dort Projekte zu finanzieren. Natürlich haben auch
deutsche Unternehmen die Möglichkeit, Technologie mit
voranzutreiben, Know­how mit einzubringen und viele
Dinge mehr . Auch dafür, denke ich, lohnt es sich, da mit­
zumachen .

Herr Zöllmer hat zu Recht die Weltbank erwähnt .
Auch ich habe mir das, was 1944 geschah, noch einmal
angeschaut .


(Uwe Kekeritz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ­ NEN]: Oh, er hat auf Wikipedia gelesen! – Gegenruf des Abg . Lothar Binding [Heidel­ berg] [SPD]: Gutes Lexikon!)


– Nein, nicht nur Wikipedia; es gibt auch noch andere
Quellen . Aber da kann man sicherlich auch nachsehen . –
Auch unsere Region würde heute sicherlich anders aus­
sehen, wenn es diese Institution damals nicht gegeben
hätte . Man muss sagen: Infrastruktur ist eben die Basis
für die weitere Entwicklung gerade der Schwellenländer .
Straßen, Schulen, Krankenhäuser, Verkehrsinfrastruktur,
aber auch IT­Infrastruktur und Energie, das alles sind

Uwe Kekeritz






(A) (C)



(B) (D)


wichtige Elemente, die man in diesen Ländern voran­
bringen muss, um den Menschen dort ein besseres Leben
zu ermöglichen . Dafür lohnt es sich auf jeden Fall, da
mitzumachen .

Ich denke, auch für die Asian Development Bank,
die – so jedenfalls war meine Erfahrung in den Jahren –
eher als ein bisschen langsam und bürokratisch galt, ist
das vielleicht ein kleiner Schub, ohne den Damen und
Herren dort zu nahe zu treten . Insofern denke ich nach
wie vor, es ist gut, dass wir in der Region eine weite­
re Bank haben . Ich denke, die AIIB – die Abkürzung ist
vielleicht noch nicht ganz so elegant; daran muss man
noch arbeiten –


(Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Müssen wir noch ein bisschen üben, ja!)


ist eine große Chance . Ich würde mich freuen, wenn
möglichst viele von Ihnen dem Gesetzentwurf zustim­
men und wir dann gemeinsam mit den anderen Ländern
diese Region voranbringen .

Vielen herzlichen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1812728800

Ich schließe die Aussprache .

Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzent­
wurfs auf Drucksache 18/6163 an die in der Tagesord­
nung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen . Gibt es
dazu anderweitige Vorschläge? – Das ist nicht der Fall .
Dann ist die Überweisung so beschlossen .

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 15 a und 15 b auf:

a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Katrin
Kunert, Inge Höger, Andrej Hunko, weiterer Ab­
geordneter und der Fraktion DIE LINKE

Den deutschen Vorsitz in der Organisation für
Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa im
Jahr 2016 für Frieden und Abrüstung nutzen

Drucksache 18/5108
Überweisungsvorschlag:
Auswärtiger Ausschuss (f)

Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union

b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Marie­
luise Beck (Bremen), Agnieszka Brugger, Anna­
lena Baerbock, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Den deutschen OSZE-Vorsitz 2016 zur Stär-
kung der OSZE nutzen

Drucksache 18/6199
Überweisungsvorschlag:
Auswärtiger Ausschuss (f)

Verteidigungsausschuss
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 25 Minuten vorgesehen . – Ich höre kei­
nen Widerspruch . Dann ist es so beschlossen .

Ich eröffne die Aussprache . Das Wort hat der Kollege
Andrej Hunko für die Fraktion Die Linke .


(Beifall bei der LINKEN)



Andrej Hunko (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1812728900

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Sicher­

heit und Zusammenarbeit in Europa sind durch die Er­
eignisse der letzten Jahre in der Ukraine bedroht . Die Si­
cherheit ist bedroht durch Manöver, durch den Konflikt
in Donbass, auf der Krim, durch weitere Aufrüstung so­
wohl auf russischer Seite als auch in den NATO­Staaten .
Auch die Ankündigung, die Atomwaffen in Deutschland,
in Büchel, neu aufzurüsten, ist ein Teil dieser Bedrohung
der Sicherheit .


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Zusammenarbeit ist durch Sanktionen und Gegensank­
tionen zum Nachteil aller Beteiligten bedroht . Was wir
beabsichtigen, auch mit dieser Debatte und dem Antrag,
den wir eingebracht haben, ist, einen Ausweg aus dieser
Politik zu finden.

Die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit
in Europa ist der wichtigste institutionelle Rahmen, in
dem aus unserer Sicht ein Ausweg gefunden werden
kann, in dem eine Entspannung eingeleitet werden kann .
Deutschland hat, auch als Folge des KSZE­Prozesses,
der vor 40 Jahren in Helsinki begonnen wurde, durch die
Wiedervereinigung und auch in der Zeit danach am meis­
ten profitiert. Nächstes Jahr wird Deutschland den Vor­
sitz der OSZE übernehmen . Ich glaube, der Bundestag
sollte sich damit befassen, welche Vorschläge möglich
sind, um die OSZE wieder zu stärken und in Richtung
Deeskalation und Frieden wirken zu lassen .


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Die Linke hat einen Antrag mit sehr umfangreichen
Vorschlägen eingebracht . Es werden vielleicht nicht alle
umsetzbar sein; aber ich glaube, es ist wichtig, dass wir
diese Vorschläge machen . Ich will nur drei davon heraus­
greifen .

Als Erstes sollten die Verhandlungen über eine kon­
ventionelle Abrüstung wieder aufgenommen werden . Es
geht hier um den KSE­II­Prozess .

Ein zweiter Vorschlag ist die Absenkung der Schwel­
lenwerte für die Beobachtung von ungewöhnlichen mi­
litärischen Aktivitäten und Quotenerhöhungen für Ge­
bietsinspektionen und Überprüfungsmöglichkeiten von
militärischen Standorten zur Langzeitbeobachtung . Das
sind technische Dinge, die möglich sind, wenn der politi­
sche Wille dafür vorhanden ist .

Unser dritter Vorschlag ist, das OSZE-Konfliktverhü-
tungszentrum zu erweitern . Dazu gehören das Recht auf
ungehinderte Informationsbeschaffung und ein Initiativ­
und Durchführungsrecht für Dringlichkeitsmaßnahmen
zum Einsatz von zivilen Krisenpräventionsmitteln .

Wir glauben, dass es sehr wichtig ist, dass Deutsch­
land den Vorsitz im nächsten Jahr nutzt, um Initiativen

Dr. Philipp Murmann






(A) (C)



(B) (D)


zu starten, damit die OSZE aus der Defensive heraus­
kommt; denn wir müssen uns natürlich daran erinnern,
dass die aktuelle Konfliktsituation in der Ukraine auch
eine Folge der Schwäche der OSZE in der Vergangen­
heit ist und dass die Hoffnungen, die es 1990 gab, auch
mit dem Pariser Prozess nicht erfüllt wurden . Dieser Pro­
zess – das muss man auch erwähnen – wurde vor allen
Dingen von den USA blockiert .

Ich will mit einem Zitat des ehemaligen EU­Kommis­
sars Günter Verheugen schließen, der am Montag im
Spiegel gesagt hat – ich zitiere –:

Die Lehre aus der Entspannungspolitik und dem
KSZE­Prozess

– also dem Vorläufer der OSZE –

der Siebzigerjahre ist, dass Frieden nur möglich ist,
wenn keiner den anderen dominieren will und keiner
imperiale Ansprüche erhebt . Das gilt für Russland,
das gilt für die USA . Und auch die EU sollte größt­
möglichen Abstand zu solchen Gelüsten wahren .

Frieden in Europa ist nur mit Russland möglich, und
die OSZE ist der institutionelle Rahmen, in dem er or­
ganisiert werden kann, wenn der politische Wille dafür
da ist .

Vielen Dank .


(Beifall bei der LINKEN)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1812729000

Für die CDU/CSU spricht jetzt der Kollege Jürgen

Klimke .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Jürgen Klimke (CDU):
Rede ID: ID1812729100

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Meine Damen und Herren! 40 Jahre ist es mittlerweile
her, dass die Organisation für Sicherheit und Zusammen­
arbeit in Europa durch die Schlussakte von Helsinki 1975
zunächst als Konferenz über Sicherheit und Zusammen­
arbeit in Europa, KSZE, entstand . Nach dem Ende des
Kalten Krieges 1995 konstituierte sich dann die OSZE,
die heute aus 57 Teilnehmerstaaten besteht .

Obwohl nach dem Kalten Krieg die Frage im Raum
stand, ob wir die OSZE noch brauchen, wurde sie nicht
abgeschafft, gewann sogar neue Funktionen hinzu, wie
zum Beispiel die Wahlbeobachtungen und den Schutz
der Menschenrechte . Heute sind wir froh, dass wir die
OSZE haben und dass es einen regionalen multilateralen
Rahmen gibt, in dem die Sicherheitslage unter Einbezie­
hung aller Beteiligten diskutiert werden kann . Wir sind
auch froh, dass wir zum Beispiel Beobachter in Konflikt­
gebiete entsenden und die Legitimität von Wahlen vor
Ort überprüfen können .

Die Stärke der OSZE ist ihre Akzeptanz in den Mit­
gliedstaaten . Deshalb halte ich zum Beispiel gar nichts
davon, Russland aus Institutionen der OSZE auszuschlie­
ßen . Das hieße, diese Organisation falsch zu verstehen .
Der Ansatz der OSZE ist kooperativ und multilateral .
Das bedeutet aber auch, dass sich die Mitglieder der Kri­

tik stellen müssen, und es ist ja nicht so, dass diese Kritik
nicht geäußert wird und sich nicht in den Beschlüssen,
zum Beispiel denen der Parlamentarischen Versammlung
der OSZE, wiederfindet. Das Problem ist ein anderes. Es
liegt plötzlich ein ungeheurer Erwartungsdruck auf der
OSZE. Sie soll den Konflikt in der Ukraine und andere
Sicherheitsfragen quasi im Alleingang lösen, soll Ver­
trauen schaffen, Frieden wiederherstellen und den Waf­
fenstillstand überwachen .

Meine Damen und Herren, wir dürfen die OSZE nicht
mit überzogenen Erwartungen überfrachten, auch nicht,
wenn wir 2016 den Vorsitz haben . Die OSZE ist stark
als Vertrauensbildner, als Moderator, als Überwacher
von Fortschritten . Sie ist jedoch gegen Unwillige nicht
zur Einigung zu zwingen . Auch Deutschland wird den
OSZE­Vorsitz nicht dafür nutzen können . Gleichwohl er­
hoffen wir Impulse vom deutschen OSZE­Vorsitz, auch
in der Frage der Ukraine­Krise . Deutschland hat hier die
Möglichkeit, sein politisches Kapital einzubringen: das
Vertrauen, das wir auf beiden Seiten genießen .

Ich habe persönlich noch andere Erwartungen an den
OSZE­Vorsitz . Ziel muss es sein, die Organisation noch
fitter für die Zukunft zu machen; denn wir stehen – ich
sagte es eben – vor großen Herausforderungen . Schließ­
lich wurde die OSZE im Kalten Krieg gegründet, als man
es ausschließlich mit staatlichen Akteuren zu tun hatte .
Die heutigen Konflikte sind unübersichtlicher. Wir haben
Separatisten, Freischärler prägen die Situation . Das Han­
deln in Konflikten lässt sich nur noch schwer einzelnen
Akteuren zuordnen .

Die neuen Aufgaben der OSZE in Bezug auf Be­
obachtungsmissionen, aber auch auf die Stärkung der
Menschenrechte und die Wahlbeobachtungen machen
Reformen notwendig . Zudem müssen wir die Ziele prä­
zisieren, will man die neuerliche Spaltung Europas über­
winden oder primär die demokratische und rechtsstaat­
liche Entwicklung fördern . Fakt ist, dass die OSZE für
die gestiegenen Anforderungen eine bessere finanzielle
Ausstattung benötigt, dass die Strukturen an die unüber­
sichtliche Lage angepasst werden müssen .

Als stellvertretender Leiter der deutschen Delegation
in der Parlamentarischen Versammlung der OSZE wün­
sche ich mir im Übrigen auch, dass dieser Arm der Parla­
mentarischen Versammlung gestärkt wird .


(Andrej Hunko [DIE LINKE]: Steht auch im Antrag drin!)


Die Beschlüsse der Parlamentarischen Versammlung
müssen für das Handeln der OSZE­Mitglieder eine noch
größere Bedeutung bekommen .

Meine Damen und Herren, ich finde es richtig, dass
sich die Oppositionsparteien mit Initiativen für den deut­
schen Vorsitz beschäftigen . Das hat bei allen inhaltlichen
Differenzen auch einen positiven Grund, der anzumerken
ist: dass alle Fraktionen hier der OSZE eine wichtige Be­
deutung für die Zukunft zumessen . Das eint uns auch als
Bundestag .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Andrej Hunko






(A) (C)



(B) (D)


Es ist kein Geheimnis, dass zum deutschen OSZE­Vor­
sitz auch ein Antrag der Koalitionsfraktionen kommen
wird, den wir hier in Kürze beraten werden .

Lassen Sie uns deswegen gemeinsam daran arbeiten,
gemeinsam daran wirken, dass die OSZE ihre vielfäl­
tigen Aufgaben nachhaltig erfüllen kann! Stärken wir
die OSZE durch den deutschen Vorsitz! Stärken wir der
OSZE auch durch den Deutschen Bundestag den Rü­
cken; denn wir brauchen diese Organisation dringender
denn je!

Danke sehr .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1812729200

Nächste Rednerin ist die Kollegin Agnieszka Brugger

für BÜNDNIS 90/Die Grünen .


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜ­ NEN)


Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Orga­
nisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa ist
eine großartige und einzigartige Institution . Sie hat in der
Vergangenheit Unglaubliches geleistet und auch Unmög­
liches möglich gemacht . Seit ihrer Geburtsstunde mit der
Unterzeichnung der Schlussakte von Helsinki 1975 ist es
nicht nur gelungen, die Beziehungen zwischen Ost und
West zu verbessern, die Kriegsgefahr zu vermindern und
die Abrüstungsschritte der nächsten Jahre überhaupt erst
möglich zu machen, sondern sie hat auch mit ihren zahl­
reichen Instrumenten in den darauffolgenden Jahrzehn­
ten in den Bereichen Demokratie, Menschenrechte, zivi­
le Krisenprävention, Wahlbeobachtung Unverzichtbares
auf den Weg gebracht .

Die OSZE war ihrer Zeit weit voraus und dachte Si­
cherheit nicht nur als Sicherheit von Staaten, sondern als
Sicherheit von Menschen, was für uns heute selbstver­
ständlich ist . Dieser multinationale Sicherheitsbegriff,
der die politisch­militärische Dimension, wirtschaftliche
und ökologische Perspektiven vereint und mit den Men­
schenrechten verbindet, ist heute angesichts vieler Krisen
aktueller denn je .

Umso verwunderlicher ist es, dass in der Debatte um
die neue deutsche Verantwortung in der Außen­ und Si­
cherheitspolitik so viel über die NATO und die EU und
schon viel zu wenig über die Vereinten Nationen ge­
sprochen wird, aber über die OSZE geschwiegen wird .
Die OSZE gehört in den Mittelpunkt dieser Debatte . Der
deutsche Vorsitz nächstes Jahr bietet die Gelegenheit, das
in die Tat umzusetzen . Gleichzeitig liegen große Heraus­
forderungen vor der OSZE, aber auch für Deutschland
als vorsitzenden Staat . Nun gilt es, diese Herausforderun­
gen tatkräftig mit neuen Ideen anzugehen .

Meine Damen und Herren, die OSZE ist in der Kri­
se, weil eine Organisation immer nur so gut und so stark
ist, wie ihre Mitgliedstaaten das wollen und wie gut und
stark sie sich selber einbringen . Es gibt leider viel zu vie­
le Mitgliedstaaten, die nicht genug tun, und es gibt eini­
ge, die die OSZE boykottieren oder auch torpedieren . Ich
möchte jetzt gar nicht über Russland und die Ukraine­

Krise sprechen, sondern ein anderes Beispiel herausgrei­
fen . Aserbaidschan will die OSZE im Bereich Menschen­
rechte und Wahlbeobachtung zur Marionette der dortigen
Regierung machen. Ich finde es gut und richtig, dass die
OSZE zu so etwas klar Nein sagt .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Für den deutschen Vorsitz gibt es aus meiner Sicht
zwei zentrale Handlungsfelder . Das erste liegt im Bereich
Abrüstung und Rüstungskontrolle . Die OSZE hat die un­
heimlich wichtige Aufgabe, angesichts der verschlech­
terten Sicherheitslage in Europa, dem gegenseitigen
Aufrüsten auf beiden Seiten und dem verbalen Machtge­
habe, in dem auf einmal schlimmerweise Nuklearwaffen
wieder eine Rolle spielen, Vertrauen und Transparenz zu
schaffen . Dazu gehören die Modernisierung des Wiener
Dokuments und die Stärkung der gemeinen Überwa­
chungsflüge unter dem Open-Skies-Vertrag. Dazu gehört
aber vor allem auch mehr ehrlicher Austausch über Ma­
növer und Übungen . Denn die wahre Gefahr aktuell ist
doch nicht, wie es manchmal diskutiert wird, dass Russ­
land einen NATO­Mitgliedstaat angreift, sondern viel
wahrscheinlicher ist, dass bei den zahlreichen Übungen
und Manövern vielleicht einmal etwas unbeabsichtigt
passieren könnte .

Abrüstung und Rüstungskontrolle sind keine Schön­
wetterthemen . Sie sind gerade in solchen schwierigen
Zeiten wichtiger und relevanter denn je .


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS­ SES 90/DIE GRÜNEN)


Die zweite Herausforderung sehen wir in der Ukrai­
ne . Die OSZE hat die unheimlich wichtige und extrem
schwierige Aufgabe, die Umsetzung des Minsker Ab­
kommens und den Waffenstillstand zu überwachen . Sie
kann diese Aufgabe mit ihren zwei Missionen nicht er­
füllen . Das liegt daran, dass den Beobachterinnen und
Beobachtern immer wieder der Zutritt zu den entschei­
denden Gebieten in der Ostukraine versagt wird . Das ist
untragbar . Gleichzeitig setzen sich die Beobachterinnen
und Beobachter dieser Mission einem großen Risiko aus .
Es ist auch schon zu einigen Entführungen gekommen .

Der Generalsekretär der OSZE, aber auch eine Exper­
tengruppe haben hierzu Vorschläge vorgelegt, wie man
die Handlungsfähigkeit solcher Missionen stärken und
den Schutz der Menschen verbessern kann, die diese
Aufgabe übernehmen . Diese gilt es jetzt unideologisch
zu diskutieren, aber auch sehr sorgsam zu prüfen, wenn
es beispielsweise um die Frage von robusteren Schutz­
komponenten geht. Aber wir haben die Pflicht, dafür zu
sorgen, die Menschen, die diesen Auftrag übernehmen,
so zu befähigen, dass sie ihn erfüllen können, und sie gut
zu schützen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Meine Damen und Herren, die Aufgaben sind nicht
einfach, aber es lohnt sich, sie anzupacken . Herr Kollege
Klimke, ich freue mich und sehe es ganz genauso wie
Sie . Ich glaube, wir haben eine große Einigkeit von der
einen bis zur anderen Seite des Hauses . Vielleicht kön­
nen wir diese Debatte als Auftakt nutzen und aus den drei

Jürgen Klimke






(A) (C)



(B) (D)


Anträgen, die dann auf dem Tisch liegen, einen gemein­
samen Antrag machen, um so der Bundesregierung den
Rücken zu stärken, damit sie mit dem deutschen Vorsitz
die OSZE stärken kann .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1812729300

Die Kollegin Doris Barnett spricht jetzt für die SPD .


(Beifall bei der SPD)



Doris Barnett (SPD):
Rede ID: ID1812729400

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es

wurde schon gesagt: Als sich vor 40 Jahren nach zwei­
jähriger Verhandlungsphase in Helsinki die Staatschefs
von damals 35 Ländern zur feierlichen Verabschiedung
der KSZE­Schlussakte trafen, taten sie das in dem Wil­
len, im Interesse ihrer Völker die Beziehungen zu ihren
Nachbarstaaten zu verbessern und in dem damals noch
geteilten Europa nicht mehr die Muskeln spielen zu las­
sen, sondern zum Frieden, zur Sicherheit und Gerech­
tigkeit, zur Zusammenarbeit und damit zur Annäherung
zwischen ihnen und zu den anderen Staaten der Welt bei­
zutragen .

In der Geschichte unseres Kontinents gab es immer
wieder Zeitfenster, die sich öffneten für zum Teil radikale
Änderungen in der Politik . 1973 bis 1975 war so eines .
1989/1990 war wieder so eines . Es ist zu hoffen und zu
wünschen, dass sich 2015/2016 wieder ein solches Zeit­
fenster öffnet, was man allerdings erst im Nachhinein
wissen kann . Die Abkommen Minsk I und II sind mög­
licherweise Ausgangspunkte eines politischen Verände­
rungsprozesses .

Die OSZE wird als wichtiges politisches Instrument
dann wahrgenommen, wenn Krisen ausgebrochen sind,
es also eigentlich schon zu spät ist, wenn eben die ganzen
Mechanismen, die sowohl in der KSZE­Schlussakte als
auch in der Charta von Paris verabredet wurden, nicht ge­
griffen haben . So auch jetzt wieder, als bis zum Ausbruch
der Ukraine­Krise die OSZE kaum in Erscheinung trat .
Dass ich nicht falsch verstanden werde: Natürlich arbei­
tet die OSZE ständig, um ihre Ziele durchzusetzen . Zu
den wichtigsten gehören vor allem die Konfliktverhütung
und damit die Schaffung von Sicherheit, aber auch, wenn
es zum Konflikt gekommen ist, so einzugreifen, dass der
Konflikt beigelegt und befriedet wird. Dabei stehen dann
der Schutz der Menschenrechte und die Rechtsstaatlich­
keit ganz vorne an, weil ebendiese den Kern unseres ge­
meinsamen Wertesystems ausmachen: Freiheit in Sicher­
heit .

Das ist ein Bohren dicker Bretter . Dafür hat die Orga­
nisation drei unabhängige Organisationen, die die Ver­
pflichtungen der KSZE-Vereinbarungen überwachen. Da
ist das Büro für demokratische Institutionen und Men­
schenrechte – vielen auch unter der Abkürzung ODIHR
bekannt –, das unter anderem durch seine Wahlbeobach­
tungsmissionen für Aufmerksamkeit sorgt, so auch jetzt
wieder im Zusammenhang mit den anstehenden Wahlen

in Aserbaidschan . ODIHR wird die Wahlen nicht beob­
achten können, weil es nicht nach seinen allgemeinen
Standards, die es zum Beispiel selbst in Belarus prob­
lemlos anwendet, in Aserbaidschan arbeiten kann . Es ist
schade, dass sich hier die Abgeordneten der Parlamenta­
rischen Versammlungen des Europarates und der OSZE
auseinanderdividieren lassen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)


Während die PV des Europarates zu den Wahlen geht,
wird sich die OSZE PV – ebenso wie ODIHR – nicht an
einer durch die Vorgaben von Aserbaidschan massiv be­
schränkten Wahlbeobachtung beteiligen .

Neben ODIHR gibt es die Hohe Kommissarin für na­
tionale Minderheiten, die eigentlich immer in Konflik­
ten – siehe Ukraine – für die Fragen der Minderheiten
eingebunden werden sollte . 1990/1991, als die Sowjet­
union zerfiel, fanden sich praktisch über Nacht Millio­
nen von Russen in neuen Staaten wieder, deren Bürger
sie werden konnten – oder auch nicht . Zwar gibt es in
den ganzen Dokumenten Verpflichtungen zum Umgang
mit den Minderheiten, aber deren Einhaltung kann auch
die Hohe Kommissarin nicht gewährleisten . Genau hier
liegen dann die Wurzeln neuer Konflikte. Ein menschen­
würdiger Umgang mit ihren Minderheiten würde auch
heute helfen, dass viele Bürger europäischer Staaten in
ihrer Heimat blieben, statt als sogenannte Wirtschafts­
flüchtlinge zu versuchen, sich anderenorts ein neues Le­
ben aufzubauen .

Als dritte Institution arbeitet die OSZE­Beauftragte
für Medienfreiheit daran, dass nicht nur staatstragende
Medien zu Wort kommen, sondern auch Kritik geäußert
werden darf . Aber leider ist eine kritische Auseinander­
setzung mit der Regierungspolitik, wie wir sie hier als
selbstverständlich empfinden, in vielen der 57 OSZE-
Staaten Grund genug, Menschen oft jahrelang hinter
Gitter zu bringen, und das mit sehr fadenscheiniger Be­
gründung .

Im 40 . Jahr seit der Unterzeichnung der Schlussakte
kann man deshalb auch schon einmal kritisch fragen, ob
die Organisation das gebracht hat, was man sich bei ihrer
Gründung erhoffte .

Wenn Deutschland im kommenden Jahr den Vorsitz
der OSZE übernimmt, dann liegt nicht nur jede Menge
ungelöster Probleme auf dem Tisch . Mit dem deutschen
Vorsitz verbinden sich auch viele Hoffnungen . Aber die
Bundesregierung ist gut vorbereitet und hat bereits in
diesem Jahr sehr eng mit dem serbischen OSZE­Vorsitz
zusammengearbeitet . Schließlich hat Deutschland mit
der Anwendung des Normandie­Formats innerhalb der
OSZE bewiesen, dass Konfliktmanagement möglich ist.
Morgen werden die vier Staats­ und Regierungschefs er­
neut zusammenkommen, um die Umsetzung des Mins­
ker Abkommens voranzutreiben . Aber es gibt die Macht
des Faktischen . Sie überschreibt jedes Mal die Vertrags­
texte . Hieran etwas zu ändern, wird eine große Heraus­
forderung an den deutschen Vorsitz sein . Da erwarte ich
eigentlich, dass auch wir Abgeordnete, die wir Delegierte
der OSZE PV sind, unseren Teil dazu beitragen; denn in

Agnieszka Brugger






(A) (C)



(B) (D)


der Zwischenzeit konnten wir – auch durch meinen Ein­
satz – in Sachen parlamentarische Diplomatie achtbare
Fortschritte und Erfolge erreichen .

Die Erwartungen und auch die Forderungen der Op­
position an den deutschen OSZE­Vorsitz sind erheblich .
Natürlich geht es in allererster Linie ums Geld . Aber da
sind wir uns einig: Der Haushalt der OSZE – ohne PV –
ist mit rund 141 Millionen Euro unterfinanziert. Das er­
kennt man auch, wenn man sich die Aufgabenstellung,
die Anforderungen für die etwas über 300 Mitarbeiter
anschaut .

Allein die Special Monitoring Missions verschlin­
gen die Hälfte des Geldes . Von diesen erwarten manche
OSZE­Mitglieder, dass sie angesichts mancher autoritä­
ren Regierungen in den Reihen der OSZE auf Regime
Change drängen, also auf die Ablösung dieser Regierun­
gen, weil diese für sie der „Feind“ sind . Dabei soll die
OSZE Konflikte doch ausdrücklich durch Vertrauensbil­
dung, durch Verhandlungen entschärfen . Auch das wird
für uns eine große Herausforderung werden .

Dass die Opposition zur Finanzierung der OSZE ein­
fach die NATO­Gelder umlenken will, zeigt mir nur ein­
mal mehr das Unverständnis und auch den Unwillen der
Linken in Bezug auf das Atlantische Bündnis .

Dass wir die OSZE stärken wollen, insbesondere bei
der Durchsetzung der vereinbarten grundlegenden Prin­
zipien, ist auch richtig und bleibt ein Daueranliegen für
jeden Vorsitz . Denn bei 57 Mitgliedstaaten unterschiedli­
cher politischer Herkunft und Prägung wird es sowohl da­
rauf ankommen, die Latte nach oben zu verschieben, als
auch darauf, gleichzeitig alle an Bord zu halten . Wir erle­
ben doch gerade, wie OSZE­Feldmissionen geschlossen
werden müssen, weil man im Land keine Kritik duldet,
oder dass auch Beziehungen zum Europaparlament ge­
kappt werden, weil die Ansichten zu Menschenrechten,
Meinungs­ und Pressefreiheit zu weit auseinandergehen .

Dadurch, dass alle OSZE­Staaten einen gleichberech­
tigten Status haben, dass Entscheidungen im Konsens
gefällt werden und politischer Natur sind, allerdings
rechtlich nicht bindend, hat man gegenüber den Staaten,
die die eingegangenen Prinzipien nicht einhalten, nur ein
moralisches Schwert in der Hand . Die Kunst wird sein –
da hat sich der Außenminister ja schon als klug Han­
delnder erwiesen –, dennoch mit Verhandlungen, neuen
Formaten und auch mithilfe von uns Abgeordneten Kon­
flikte zu überwinden. Ich gebe zu: All diese Schritte wer­
den nicht mit Siebenmeilenstiefeln gegangen; aber wenn
sie Gewalt verhindern, wenn Menschenleben verschont
werden, ist mir die Schuhgröße egal .


Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1812729500

Frau Kollegin Barnett, denken Sie an die vereinbarte

Redezeit .


Doris Barnett (SPD):
Rede ID: ID1812729600

Das ist mein letzter Satz .

Dass sich die höchste politische Ebene für die Stär­
kung der OSZE einsetzt, ist für mich eine Selbstverständ­

lichkeit . Die Prinzipien und Werte der OSZE zu achten,
ist für jedermann das Gebot der Stunde .

Vielen Dank .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1812729700

Abschließender Redner zu diesem Tagesordnungs­

punkt und auch abschließender Redner an diesem Debat­
tentag ist der Kollege Dr . Hans­Peter Uhl für die CDU/
CSU .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. Hans-Peter Uhl (CSU):
Rede ID: ID1812729800

Herr Präsident! Meine verehrten Kolleginnen und

Kollegen!

Deutschland ist bereit, sich außenpolitisch stärker
zu engagieren .

An diesem Anspruch muss sich die deutsche Außenpoli­
tik gerade in Zeiten von Krisen und Ausnahmesituatio­
nen immer wieder messen lassen . Die Übernahme des
OSZE­Vorsitzes im nächsten Jahr führt mit dazu, dass
diesem Satz auch Taten folgen können .

In Zeiten außenpolitischer Anspannung und andau­
ernder militärischer Auseinandersetzungen kommt der
OSZE – da sind wir uns alle einig – eine ganz besonde­
re Rolle zu . Als politische Organisation vereint sie alle
europäischen Staaten, alle Nachfolgestaaten der Sowjet­
union und auch die USA und Kanada . Gleichzeitig fußt
ihr Konzept auf einem Sicherheitsbegriff, der sehr breit
angelegt ist . Zu den politisch­militärischen Aspekten
kommen die wirtschaftliche Zusammenarbeit und der
Korb 3: Menschenrechte, Rechtsstaatlichkeit, Demokra­
tie . Das macht die OSZE zu einem ganz wertvollen Dia­
logforum . Vor allem bietet sie eines der wenigen institu­
tionellen Formate, die wir dringend brauchen, in denen
wir strukturierte Gespräche mit Moskau, mit Russland
führen können .

Doch gerade die Russische Föderation – das kam in der
Rede der Linken etwas zu kurz – mit ihren ambivalenten
Interessen ist in der Vergangenheit gezielt immer wieder
als Störer aufgetreten . Einerseits wird von Ihrer Seite
offiziell eine Aufwertung der OSZE befürwortet, ande­
rerseits sind nicht alle Dimensionen des OSZE­Sicher­
heitsbegriffes attraktiv für die gegenwärtige russische
Führung . Gerade in Sachen der Rechtsstaatlichkeit und
der Demokratie hat Russland in letzter Zeit ja nun wirk­
lich keine großen Fortschritte gemacht – um es etwas
vorsichtig auszudrücken .

Der Vorsitz bietet Deutschland nun eine Chance, die
Reformierung der OSZE voranzutreiben . Vorhandene
Instrumente sind an die neue geopolitische Lage in Euro­
pa anzupassen . Die Europäische Union steht für Freiheit
und Demokratie . Gerade deswegen sind wir aufgeru­
fen, diesen „Dritten Korb“, die Menschenrechte und die
Rechtsstaatlichkeit, im Dialog aufzuwerten . Instrumente,
die europäische Grenzen sichern und auch robuste Maß­
nahmen einschließen, sind zu entwickeln . Problematisch

Doris Barnett






(A) (C)



(B) (D)


dabei ist, dass dies alles immer nur einstimmig erfolgen
kann, also auch mit der Stimme Russlands erfolgen muss .

Im Hinblick auf die aktuelle Lage in der Ukraine gilt
es, die beiden OSZE­Beobachtermissionen nicht aus
dem Auge zu verlieren . Die Umsetzung der Minsk­II­
Vereinbarungen muss wirkungsvoll überwacht werden .
Hier geht es darum, dafür zu sorgen, dass diese Beobach­
termissionen nicht an einem russischen Veto scheitern .
Einerseits unterstützt Russland diese Missionen, ande­
rerseits tut es alles, um technische Aufklärungsmittel für
diese Missionen zu verhindern, sodass keine wirklichen
Erkenntnisse gewonnen werden können . Das ist die Stra­
tegie, die durchaus erkennbar ist – die hätten Sie viel­
leicht auch einmal erwähnen können –, nämlich einer­
seits Zusammenarbeit zu suggerieren, andererseits aber
die Kooperation zu verweigern .

Ich hoffe, dass das Treffen der Präsidenten Russlands
und der Vereinigten Staaten zu einer Annäherung führen
kann und dass wir im Lichte dieser Annäherung auch im
kommenden Jahr zu Erfolgen kommen können . Die un­
nötigen Spitzen im Antrag der Linken gegen die USA
und vor allem gegen den notorischen Feind der Linken,
die NATO, werden es nicht möglich machen, einen ge­
meinsamen Antrag mit den Linken zu diesem Thema zu
formulieren . Im Gegenteil: Ich bin vollkommen einver­
standen, auch mit der Kollegin Barnett, dass es nur mit
einer starken NATO gelingt, in der OSZE Erfolge zu er­
zielen . Das eine gehört zum anderen, und beides ist un­
trennbar miteinander verbunden . Aus einer Position der
Schwäche werden wir in Moskau nichts erreichen .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Der Antrag der Grünen spricht zu Recht von einer Zeit
wachsender Unsicherheit in Europa . Das ist sicher rich­
tig . Ich hoffe aber, dass sich bis zum Beginn des deut­
schen OSZE­Vorsitzes die Zustände noch etwas verbes­
sert haben . Ich wünsche mir jedenfalls – wir Deutsche
wollen dazu beitragen –, im kommenden Jahr sagen zu
können: Deutschland hat das Glück, in einer Zeit neuen
Vertrauens neue Verantwortung übernehmen zu können .

Vielen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1812729900

Vielen Dank ebenso . – Damit schließe ich die Aus­

sprache .

Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlagen
auf den Drucksachen 18/5108 und 18/6199 an die in der
Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen .
Ich gehe davon aus, dass Sie alle damit einverstanden
sind und sich kein Widerspruch erhebt . – Dann sind diese
Überweisungen so beschlossen .

Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tages­
ordnung .

Ich wünsche Ihnen noch einen erholsamen Abend, da­
mit Sie morgen wieder ausgeruht hier im Plenum sein
können .

Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bun­
destages auf morgen, Freitag, den 2 . Oktober 2015,
9 .00 Uhr, ein .

Die Sitzung ist damit geschlossen .