Protokoll:
18091

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Metadaten
  • date_rangeWahlperiode: 18

  • date_rangeSitzungsnummer: 91

  • date_rangeDatum: 5. März 2015

  • access_timeStartuhrzeit der Sitzung: 09:00 Uhr

  • av_timerEnduhrzeit der Sitzung: 21:44 Uhr

  • account_circleMdBs dieser Rede
  • tocInhaltsverzeichnis
    Plenarprotokoll 18/91 Deutscher Bundestag Stenografischer Bericht 91. Sitzung Berlin, Donnerstag, den 5. März 2015 I n h a l t : Wahl des Abgeordneten Florian Post als stellvertretendes Mitglied des Beirats bei der Bundesnetzagentur für Elektrizität, Gas, Telekommunikation, Post und Eisenbah- nen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8579 A Wahl der Abgeordneten Ronja Schmitt (Alt- hengstett) als Schriftführerin . . . . . . . . . . . . 8579 B Erweiterung und Abwicklung der Tagesord- nung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8579 B Nachträgliche Ausschussüberweisung . . . . . . 8579 D Tagesordnungspunkt 3: a) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Ge- setzes zur Stärkung der Versorgung in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-Versorgungsstärkungsgesetz – GKV-VSG) Drucksache 18/4095 . . . . . . . . . . . . . . . . . 8580 A b) Antrag der Abgeordneten Harald Weinberg, Birgit Wöllert, Sabine Zimmermann (Zwickau), weiterer Abge- ordneter und der Fraktion DIE LINKE: Private Krankenversicherung als Voll- versicherung abschaffen – Hochwertige und effiziente Versorgung für alle Drucksache 18/4099 . . . . . . . . . . . . . . . . . 8580 A c) Antrag der Abgeordneten Birgit Wöllert, Sabine Zimmermann (Zwickau), Matthias W. Birkwald, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Wohnortnahe Gesundheitsversorgung durch bedarfs- orientierte Planung sichern Drucksache 18/4187 . . . . . . . . . . . . . . . . . 8580 A d) Antrag der Abgeordneten Dr. Harald Terpe, Maria Klein-Schmeink, Kordula Schulz-Asche, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN: Gesundheitsversorgung umfas- send verbessern – Patienten und Kommunen stärken, Strukturdefizite beheben, Qualitätsanreize ausbauen Drucksache 18/4153 . . . . . . . . . . . . . . . . . 8580 B Annette Widmann-Mauz, Parl. Staatssekretärin BMG . . . . . . . . . . . . 8580 C Harald Weinberg (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . 8582 A Dr. Karl Lauterbach (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . 8583 A Dr. Harald Terpe (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8584 B Dr. Georg Nüßlein (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . 8585 D Maria Klein-Schmeink (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8587 A Birgit Wöllert (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . 8588 A Sabine Dittmar (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8588 D Jens Spahn (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . . 8590 A Hilde Mattheis (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8591 D Karin Maag (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . 8593 A Tagesordnungspunkt 4: a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Dämpfung des Mietanstiegs auf angespannten Woh- nungsmärkten und zur Stärkung des Bestellerprinzips bei der Wohnungsver- mittlung (Mietrechtsnovellierungsge- setz – MietNovG) Drucksachen 18/3121, 18/3250, 18/4220 . 8594 B Inhaltsverzeichnis II Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 91. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. März 2015 b) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit zu dem Antrag der Abgeordneten Heidrun Bluhm, Caren Lay, Halina Wawzyniak, weiterer Abge- ordneter und der Fraktion DIE LINKE: Mietenanstieg stoppen, soziale Woh- nungswirtschaft entwickeln und dauer- haft sichern Drucksachen 18/504, 18/4219 . . . . . . . . . 8594 B Sören Bartol (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8594 C Caren Lay (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . . 8595 D Dr. Jan-Marco Luczak (CDU/CSU) . . . . . . . . 8597 A Renate Künast (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8598 D Heiko Maas, Bundesminister BMJV. . . . . . . . 8600 A Halina Wawzyniak (DIE LINKE) . . . . . . . . . 8601 C Elisabeth Winkelmeier-Becker (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8602 C Christian Kühn (Tübingen) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8604 B Dennis Rohde (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8605 B Dr. Anja Weisgerber (CDU/CSU) . . . . . . . . . 8606 B Metin Hakverdi (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8607 D Yvonne Magwas (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . 8608 B Namentliche Abstimmungen . . . . . . . . . . . . . 8609 C Ergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8609 D, 8612 C Tagesordnungspunkt 5: Antrag der Abgeordneten Klaus Ernst, Jutta Krellmann, Susanna Karawanskij, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Mindestlohn sichern – Umgehungen ver- hindern Drucksache 18/4183 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8615 A Klaus Ernst (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . 8615 B Dr. Matthias Zimmer (CDU/CSU) . . . . . . . . . 8616 B Brigitte Pothmer (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8618 A Katja Mast (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8619 A Christel Voßbeck-Kayser (CDU/CSU) . . . . . . 8620 C Klaus Ernst (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . 8622 A Jutta Krellmann (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . 8622 C Markus Paschke (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8623 B Beate Müller-Gemmeke (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8624 C Albert Stegemann (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . 8625 B Kerstin Griese (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8627 A Stephan Stracke (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . 8628 B Tagesordnungspunkt 6: a) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Ge- setzes zur Tarifeinheit (Tarifeinheitsge- setz) Drucksache 18/4062 . . . . . . . . . . . . . . . . . 8629 C b) Antrag der Abgeordneten Jutta Krellmann, Klaus Ernst, Ulla Jelpke, wei- terer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Tarifautonomie stärken – Streikrecht verteidigen Drucksache 18/4184 . . . . . . . . . . . . . . . . . 8629 C Andrea Nahles, Bundesministerin BMAS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8629 D Klaus Ernst (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . 8631 A Karl Schiewerling (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . 8632 B Michael Schlecht (DIE LINKE) . . . . . . . . . . 8634 A Karl Schiewerling (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . 8634 C Beate Müller-Gemmeke (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8635 A Bernd Rützel (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8636 A Klaus Ernst (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . 8636 C Katja Keul (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8637 D Wilfried Oellers (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . 8638 C Beate Müller-Gemmeke (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8639 A Klaus Ernst (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . 8640 A Jutta Krellmann (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . 8640 C Ralf Kapschack (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8641 C Rudolf Henke (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . 8642 C Ralf Kapschack (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8643 A Stephan Stracke (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . 8643 C Peter Weiß (Emmendingen) (CDU/CSU) . . . 8644 D Tagesordnungspunkt 23: a) Zweite Beratung und Schlussabstimmung des von der Bundesregierung eingebrach- ten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Übereinkommen vom 11. April 2014 über die Beteiligung der Republik Kroatien am Europäischen Wirtschafts- raum Drucksachen 18/4052, 18/4221 . . . . . . . . 8646 A Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 91. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. März 2015 III b)–g) Beratung der Beschlussempfehlungen des Petitionsausschusses: Sammelübersich- ten 151, 152, 153, 154, 155 und 156 zu Petitionen Drucksachen 18/4101, 18/4102, 18/4103, 18/4104, 18/4105, 18/4106 . . . . . . . . . . . . 8646 B Tagesordnungspunkt 17: Beschlussempfehlung und Bericht des Haus- haltsausschusses: zu dem Bericht der Kom- mission an den Rat und das Europäische Parlament – Die angestrebte Umsetzung harmonisierter Rechnungsführungsgrund- sätze für den öffentlichen Sektor in den Mitgliedstaaten – Die Eignung der IPSAS für die Mitgliedstaaten – KOM(2013)114 endg.; Ratsdok. 7677/13 – hier: Stellung- nahme gegenüber der Bundesregierung ge- mäß Artikel 23 Absatz 2 des Grundgesetzes Drucksachen 18/3618 Nr. C.1, 18/4182, 18/4198 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8646 D Zusatztagesordnungspunkt 2: Beratung der Beschlussempfehlung des Aus- schusses für Wahlprüfung, Immunität und Ge- schäftsordnung: Antrag auf Genehmigung zur Durchführung eines Strafverfahrens Drucksache 18/4181 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8647 A Jan van Aken (DIE LINKE) (Erklärung nach § 31 GO) . . . . . . . . . . . . . 8647 A Volker Kauder (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . 8648 A Dr. Gregor Gysi (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . 8648 C Dr. Johann Wadephul (CDU/CSU) . . . . . . . . . 8648 D Britta Haßelmann (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8649 A Tagesordnungspunkt 7: Wahl eines Mitglieds des Vertrauensgre- miums gemäß § 10 a Absatz 2 der Bundes- haushaltsordnung Drucksache 18/4166 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8649 D Wahl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8650 A Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8658 D Tagesordnungspunkt 8: Wahl eines Mitglieds des Sondergremiums gemäß § 3 Absatz 3 des Stabilisierungs- mechanismusgesetzes Drucksache 18/4167 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8650 B Wahl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8650 C Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8658 D Zusatztagesordnungspunkt 3: Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion DIE LINKE: Beschäftigungssituation von Frauen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8650 C Sabine Zimmermann (Zwickau) (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8650 D Dr. Astrid Freudenstein (CDU/CSU) . . . . . . . 8651 D Ulle Schauws (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8653 A Elke Ferner (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8654 B Ursula Groden-Kranich (CDU/CSU) . . . . . . . 8655 B Cornelia Möhring (DIE LINKE) . . . . . . . . . . 8656 B Kerstin Griese (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8657 B Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) . . . . . . . . 8659 A Antje Lezius (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . 8660 A Michelle Müntefering (SPD) . . . . . . . . . . . . . 8661 A Sylvia Pantel (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . 8662 C Uwe Lagosky (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . 8663 C Tagesordnungspunkt 9: Antrag der Fraktionen CDU/CSU, SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Bildung für nachhaltige Entwicklung – Mit dem Welt- aktionsprogramm in die Zukunft Drucksache 18/4188 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8664 B Sybille Benning (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . 8664 C Dr. Rosemarie Hein (DIE LINKE) . . . . . . . . 8665 D Saskia Esken (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8666 D Beate Walter-Rosenheimer (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8668 A Kerstin Radomski (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . 8669 A Carsten Träger (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8670 A Dr. Claudia Lücking-Michel (CDU/CSU) . . . 8671 B Tagesordnungspunkt 10: Antrag der Abgeordneten Brigitte Pothmer, Markus Kurth, Beate Müller-Gemmeke, wei- terer Abgeordneter und der Fraktion BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN: Arbeitsförderung neu ausrichten – Nachhaltige Integration und Teilhabe statt Ausgrenzung Drucksache 18/3918 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8672 A IV Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 91. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. März 2015 Brigitte Pothmer (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8672 B Dr. Matthias Zimmer (CDU/CSU) . . . . . . . . . 8673 C Sabine Zimmermann (Zwickau) (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8674 C Dr. Matthias Bartke (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . 8675 C Kai Whittaker (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . 8677 A Markus Kurth (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8678 C Kai Whittaker (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . 8678 D Dr. Martin Rosemann (SPD) . . . . . . . . . . . . . 8679 B Brigitte Pothmer (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8679 C Dr. Astrid Freudenstein (CDU/CSU) . . . . . . . 8680 D Sabine Zimmermann (Zwickau) (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8681 B Tagesordnungspunkt 11: a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Bevorrechtigung der Verwendung elektrisch betriebener Fahrzeuge (Elektromobilitätsgesetz – EmoG) Drucksachen 18/3418, 18/4174 . . . . . . . . 8682 A b) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr und digitale In- frastruktur zu dem Antrag der Abgeordne- ten Stephan Kühn (Dresden), Lisa Paus, Matthias Gastel, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Elektromobilität entschlos- sen fördern – Chance für eine zukunfts- fähige Mobilität nutzen Drucksachen 18/3912, 18/4229 . . . . . . . . 8682 A Norbert Barthle, Parl. Staatssekretär BMVI . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8682 B Thomas Lutze (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . 8683 D Andreas Rimkus (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . 8684 D Stephan Kühn (Dresden) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8685 D Sabine Leidig (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . 8686 C Steffen Bilger (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . 8687 C Sabine Leidig (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . 8688 A Rita Schwarzelühr-Sutter, Parl. Staatssekretärin BMUB . . . . . . . . . . . 8689 C Carsten Müller (Braunschweig) (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8690 A Detlev Pilger (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8691 C Tagesordnungspunkt 12: Erste Beratung des von den Abgeordneten Matthias W. Birkwald, Sabine Zimmermann (Zwickau), Klaus Ernst, weiteren Abgeordne- ten und der Fraktion DIE LINKE eingebrach- ten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch – Anrechnung von Zeiten des Mutterschut- zes Drucksache 18/4107 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8692 C Matthias W. Birkwald (DIE LINKE) . . . . . . . 8692 D Peter Weiß (Emmendingen) (CDU/CSU) . . . 8694 A Matthias W. Birkwald (DIE LINKE) . . . . . 8695 A Markus Kurth (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8696 B Dagmar Schmidt (Wetzlar) (SPD) . . . . . . . . . 8697 B Matthäus Strebl (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . 8698 C Dr. Martin Rosemann (SPD) . . . . . . . . . . . . . 8699 C Tagesordnungspunkt 13: – Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Dritten Gesetzes zur Änderung des Regionalisierungsgesetzes Drucksachen 18/3785, 18/3993, 18/4164 . 8701 A – Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung Drucksache 18/4189 . . . . . . . . . . . . . . . . . 8701 A Enak Ferlemann, Parl. Staatssekretär BMVI . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8701 B Sabine Leidig (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . 8702 C Sebastian Hartmann (SPD) . . . . . . . . . . . . . . 8703 B Sabine Leidig (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . 8704 B Stephan Kühn (Dresden) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8705 D Ulrich Lange (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . 8707 B Tagesordnungspunkt 14: Erste Beratung des von den Abgeordneten Katja Keul, Hans-Christian Ströbele, Luise Amtsberg, weiteren Abgeordneten und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN einge- brachten Entwurfs eines Siebten Gesetzes zur Änderung der Verwaltungsgerichts- ordnung zum besseren Rechtsschutz bei behördlich geheim gehaltenen Informatio- nen Drucksache 18/3921 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8708 B Katja Keul (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8708 C Dietrich Monstadt (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . 8709 C Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 91. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. März 2015 V Ulla Jelpke (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . . 8710 C Christina Jantz (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8711 B Alexander Hoffmann (CDU/CSU) . . . . . . . . . 8712 C Tagesordnungspunkt 15: Zweite und dritte Beratung des von der Bun- desregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 19. Sep- tember 2014 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Philippinen über Soziale Sicherheit Drucksachen 18/4048, 18/4216 . . . . . . . . . . . 8713 C Tagesordnungspunkt 16: Antrag der Abgeordneten Norbert Müller (Potsdam), Ulla Jelpke, Sigrid Hupach, weite- rer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Unbegleitete minderjährige Flüchtlinge mit einer starken Jugendhilfe aufnehmen Drucksache 18/4185 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8713 D Norbert Müller (Potsdam) (DIE LINKE) . . . . 8714 A Marcus Weinberg (Hamburg) (CDU/CSU) . . 8715 A Norbert Müller (Potsdam) (DIE LINKE) . 8715 C Beate Walter-Rosenheimer (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8716 C Gülistan Yüksel (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8717 C Andrea Lindholz (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . 8719 A Tagesordnungspunkt 18: Antrag der Abgeordneten Dr. Julia Verlinden, Oliver Krischer, Christian Kühn (Tübingen), weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Novelle des Kraft-Wärme-Kopplungsgesetzes unver- züglich vorlegen Drucksache 18/3919 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8720 B Dr. Julia Verlinden (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8720 C Dr. Herlind Gundelach (CDU/CSU) . . . . . . . 8721 C Eva Bulling-Schröter (DIE LINKE) . . . . . . . . 8723 C Florian Post (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8724 C Oliver Krischer (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8725 A Nächste Sitzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8726 C Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten . . . . . 8727 A Anlage 2 Namensverzeichnis der Mitglieder des Deut- schen Bundestages, die an der Wahl eines Mitglieds des Vertrauensgremiums gemäß § 10 a Absatz 2 der Bundeshaushaltsordnung teilgenommen haben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8727 B Anlage 3 Namensverzeichnis der Mitglieder des Deut- schen Bundestages, die an der Wahl eines Mitglieds des Sondergremiums gemäß § 3 Absatz 3 des Stabilisierungsmechanismusge- setzes teilgenommen haben . . . . . . . . . . . . . . 8730 A Anlage 4 Erklärungen nach § 31 GO zur Abstimmung über den von der Bundesregierung einge- brachten Entwurf eines Gesetzes zur Dämp- fung des Mietanstiegs auf angespannten Wohnungsmärkten und zur Stärkung des Be- stellerprinzips bei der Wohnungsvermittlung (Mietrechtsnovellierungsgesetz – MietNovG) (Tagesordnungspunkt 4 a) . . . . . . . . . . . . . . . 8732 B Thomas Dörflinger (CDU/CSU) . . . . . . . . . 8732 B Dr. Philipp Murmann (CDU/CSU) . . . . . . . 8732 D Tankred Schipanski (CDU/CSU) . . . . . . . . . 8733 B Dr. Patrick Sensburg (CDU/CSU) . . . . . . . . 8733 B Anlage 5 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkom- men vom 19. September 2014 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Repu- blik Philippinen über Soziale Sicherheit (Ta- gesordnungspunkt 15) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8733 C Dr. Martin Pätzold (CDU/CSU) . . . . . . . . . 8733 C Tobias Zech (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . 8734 B Waltraud Wolff (Wolmirstedt) (SPD) . . . . . . 8735 A Matthias W. Birkwald (DIE LINKE) . . . . . . 8735 C Markus Kurth (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8736 C Gabriele Lösekrug-Möller, Parl. Staatssekretärin BMAS . . . . . . . . . . 8736 D Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 91. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. März 2015 8579 (A) (C) (D)(B) 91. Sitzung Berlin, Donnerstag, den 5. März 2015 Beginn: 9.00 Uhr
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    (D) Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 91. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. März 2015 8727 (A) (C) (B) Anlagen zum Stenografischen Bericht Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten (D) Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Bareiß, Thomas CDU/CSU 05.03.2015 Beck (Bremen), Marieluise BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 05.03.2015 Binder, Karin DIE LINKE 05.03.2015 Bluhm, Heidrun DIE LINKE 05.03.2015 Dr. Böhmer, Maria CDU/CSU 05.03.2015 Dr. Brandl, Reinhard CDU/CSU 05.03.2015 Dağdelen, Sevim DIE LINKE 05.03.2015 Dinges-Dierig, Alexandra CDU/CSU 05.03.2015 Drobinski-Weiß, Elvira SPD 05.03.2015 Gabriel, Sigmar SPD 05.03.2015 Dr. Gauweiler, Peter CDU/CSU 05.03.2015 Gohlke, Nicole DIE LINKE 05.03.2015 Gottschalck, Ulrike SPD 05.03.2015 Gröhe, Hermann CDU/CSU 05.03.2015 Hajduk, Anja BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 05.03.2015 Hartmann (Wackernheim), Michael SPD 05.03.2015 Hiller-Ohm, Gabriele SPD 05.03.2015 Dr. Malecha-Nissen, Birgit SPD 05.03.2015 Mißfelder, Philipp CDU/CSU 05.03.2015 Obermeier, Julia CDU/CSU 05.03.2015 Roth (Augsburg), Claudia BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 05.03.2015 Sarrazin, Manuel BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 05.03.2015 Scharfenberg, Elisabeth BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 05.03.2015 Dr. Schick, Gerhard BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 05.03.2015 Schimke, Jana CDU/CSU 05.03.2015 Dr. Schlegel, Dorothee SPD 05.03.2015 Spinrath, Norbert SPD 05.03.2015 Steinbach, Erika CDU/CSU 05.03.2015 Tank, Azize DIE LINKE 05.03.2015 Weiss (Wesel I), Sabine CDU/CSU 05.03.2015 Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Anlage 2 Namensverzeichnis der Mitglieder des Deutschen Bundestages, die an der Wahl eines Mitglieds des Vertrauensgemiums gemäß § 10 a Absatz 2 der Bundeshaushaltsordnung teilgenommen haben CDU/CSU Stephan Albani Katrin Albsteiger Peter Altmaier Artur Auernhammer Dorothee Bär Norbert Barthle Günter Baumann Maik Beermann Manfred Behrens (Börde) Veronika Bellmann Sybille Benning Dr. André Berghegger Dr. Christoph Bergner Ute Bertram Peter Beyer Steffen Bilger Clemens Binninger Peter Bleser Wolfgang Bosbach Norbert Brackmann Klaus Brähmig Michael Brand Helmut Brandt Dr. Ralf Brauksiepe Dr. Helge Braun Heike Brehmer Ralph Brinkhaus Cajus Caesar Gitta Connemann Alexander Dobrindt Michael Donth Anlagen 8728 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 91. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. März 2015 (A) (C) (D)(B) Thomas Dörflinger Marie-Luise Dött Hansjörg Durz Jutta Eckenbach Dr. Bernd Fabritius Hermann Färber Uwe Feiler Dr. Thomas Feist Enak Ferlemann Ingrid Fischbach Dirk Fischer (Hamburg) Dr. Maria Flachsbarth Klaus-Peter Flosbach Thorsten Frei Dr. Astrid Freudenstein Dr. Hans-Peter Friedrich (Hof) Michael Frieser Dr. Michael Fuchs Hans-Joachim Fuchtel Alexander Funk Ingo Gädechens Dr. Thomas Gebhart Alois Gerig Eberhard Gienger Cemile Giousouf Josef Göppel Reinhard Grindel Ursula Groden-Kranich Klaus-Dieter Gröhler Michael Grosse-Brömer Astrid Grotelüschen Markus Grübel Manfred Grund Oliver Grundmann Monika Grütters Dr. Herlind Gundelach Fritz Güntzler Olav Gutting Christian Haase Florian Hahn Dr. Stephan Harbarth Jürgen Hardt Gerda Hasselfeldt Matthias Hauer Mark Hauptmann Dr. Stefan Heck Dr. Matthias Heider Helmut Heiderich Mechthild Heil Frank Heinrich (Chemnitz) Mark Helfrich Uda Heller Jörg Hellmuth Rudolf Henke Michael Hennrich Ansgar Heveling Peter Hintze Christian Hirte Dr. Heribert Hirte Robert Hochbaum Alexander Hoffmann Thorsten Hoffmann (Dortmund) Karl Holmeier Franz-Josef Holzenkamp Dr. Hendrik Hoppenstedt Margaret Horb Bettina Hornhues Charles M. Huber Anette Hübinger Hubert Hüppe Erich Irlstorfer Thomas Jarzombek Sylvia Jörrißen Dr. Franz Josef Jung Xaver Jung Andreas Jung Dr. Egon Jüttner Bartholomäus Kalb Hans-Werner Kammer Steffen Kanitz Alois Karl Anja Karliczek Bernhard Kaster Volker Kauder Dr. Stefan Kaufmann Roderich Kiesewetter Dr. Georg Kippels Volkmar Klein Jürgen Klimke Axel Knoerig Jens Koeppen Markus Koob Carsten Körber Kordula Kovac Michael Kretschmer Gunther Krichbaum Dr. Günter Krings Rüdiger Kruse Bettina Kudla Dr. Roy Kühne Günter Lach Uwe Lagosky Dr. Karl A. Lamers Andreas G. Lämmel Dr. Norbert Lammert Katharina Landgraf Ulrich Lange Barbara Lanzinger Dr. Silke Launert Paul Lehrieder Dr. Katja Leikert Dr. Philipp Lengsfeld Dr. Andreas Lenz Philipp Graf Lerchenfeld Dr. Ursula von der Leyen Antje Lezius Ingbert Liebing Matthias Lietz Andrea Lindholz Dr. Carsten Linnemann Patricia Lips Wilfried Lorenz Dr. Claudia Lücking-Michel Dr. Jan-Marco Luczak Daniela Ludwig Karin Maag Yvonne Magwas Thomas Mahlberg Dr. Thomas de Maizière Gisela Manderla Matern von Marschall Hans-Georg von der Marwitz Andreas Mattfeldt Stephan Mayer (Altötting) Reiner Meier Dr. Michael Meister Dr. Angela Merkel Jan Metzler Maria Michalk Dr. h. c. Hans Michelbach Dr. Mathias Middelberg Dietrich Monstadt Karsten Möring Marlene Mortler Elisabeth Motschmann Dr. Gerd Müller Carsten Müller (Braunschweig) Stefan Müller (Erlangen) Dr. Philipp Murmann Dr. Andreas Nick Michaela Noll Helmut Nowak Dr. Georg Nüßlein Wilfried Oellers Florian Oßner Dr. Tim Ostermann Henning Otte Ingrid Pahlmann Sylvia Pantel Martin Patzelt Dr. Martin Pätzold Ulrich Petzold Sibylle Pfeiffer Eckhard Pols Thomas Rachel Kerstin Radomski Alexander Radwan Alois Rainer Dr. Peter Ramsauer Eckhardt Rehberg Katherina Reiche (Potsdam) Lothar Riebsamen Josef Rief Dr. Heinz Riesenhuber Johannes Röring Dr. Norbert Röttgen Erwin Rüddel Albert Rupprecht Anita Schäfer (Saalstadt) Dr. Wolfgang Schäuble Karl Schiewerling Norbert Schindler Tankred Schipanski Heiko Schmelzle Christian Schmidt (Fürth) Gabriele Schmidt (Ühlingen) Ronja Schmitt (Althengstett) Patrick Schnieder Nadine Schön (St. Wendel) Dr. Ole Schröder Dr. Kristina Schröder (Wiesbaden) Bernhard Schulte-Drüggelte Dr. Klaus-Peter Schulze Uwe Schummer Armin Schuster (Weil am Rhein) Christina Schwarzer Detlef Seif Johannes Selle Reinhold Sendker Dr. Patrick Sensburg Bernd Siebert Thomas Silberhorn Johannes Singhammer Tino Sorge Jens Spahn Carola Stauche Dr. Frank Steffel Dr. Wolfgang Stefinger Albert Stegemann Peter Stein Sebastian Steineke Johannes Steiniger Christian Freiherr von Stetten Dieter Stier Rita Stockhofe Gero Storjohann Stephan Stracke Max Straubinger Matthäus Strebl Karin Strenz Thomas Stritzl Thomas Strobl (Heilbronn) Lena Strothmann Michael Stübgen Dr. Sabine Sütterlin-Waack Antje Tillmann Astrid Timmermann-Fechter Dr. Hans-Peter Uhl Dr. Volker Ullrich Arnold Vaatz Oswin Veith Thomas Viesehon Michael Vietz Volkmar Vogel (Kleinsaara) Sven Volmering Christel Voßbeck-Kayser Kees de Vries Dr. Johann Wadephul Marco Wanderwitz Nina Warken Kai Wegner Albert Weiler Marcus Weinberg (Hamburg) Dr. Anja Weisgerber Peter Weiß (Emmendingen) Ingo Wellenreuther Karl-Georg Wellmann Marian Wendt Waldemar Westermayer Kai Whittaker Peter Wichtel Annette Widmann-Mauz Heinz Wiese (Ehingen) Klaus-Peter Willsch Elisabeth Winkelmeier- Becker Oliver Wittke Dagmar G. Wöhrl Barbara Woltmann Tobias Zech Heinrich Zertik Emmi Zeulner Dr. Matthias Zimmer Gudrun Zollner Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 91. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. März 2015 8729 (A) (C) (D)(B) SPD Niels Annen Ingrid Arndt-Brauer Rainer Arnold Heike Baehrens Ulrike Bahr Heinz-Joachim Barchmann Dr. Katarina Barley Dr. Hans-Peter Bartels Klaus Barthel Dr. Matthias Bartke Sören Bartol Bärbel Bas Dirk Becker Uwe Beckmeyer Lothar Binding (Heidelberg) Burkhard Blienert Willi Brase Dr. Karl-Heinz Brunner Edelgard Bulmahn Marco Bülow Martin Burkert Dr. Lars Castellucci Petra Crone Bernhard Daldrup Dr. Daniela De Ridder Dr. Karamba Diaby Sabine Dittmar Martin Dörmann Siegmund Ehrmann Michaela Engelmeier Dr. h. c. Gernot Erler Petra Ernstberger Saskia Esken Karin Evers-Meyer Dr. Johannes Fechner Dr. Fritz Felgentreu Elke Ferner Dr. Ute Finckh-Krämer Christian Flisek Gabriele Fograscher Dr. Edgar Franke Ulrich Freese Dagmar Freitag Michael Gerdes Martin Gerster Angelika Glöckner Kerstin Griese Gabriele Groneberg Michael Groß Uli Grötsch Wolfgang Gunkel Bettina Hagedorn Rita Hagl-Kehl Metin Hakverdi Ulrich Hampel Sebastian Hartmann Dirk Heidenblut Hubertus Heil (Peine) Gabriela Heinrich Marcus Held Wolfgang Hellmich Dr. Barbara Hendricks Heidtrud Henn Gustav Herzog Petra Hinz (Essen) Thomas Hitschler Dr. Eva Högl Matthias Ilgen Christina Jantz Frank Junge Josip Juratovic Thomas Jurk Oliver Kaczmarek Johannes Kahrs Christina Kampmann Ralf Kapschack Gabriele Katzmarek Ulrich Kelber Marina Kermer Cansel Kiziltepe Arno Klare Lars Klingbeil Dr. Bärbel Kofler Daniela Kolbe Birgit Kömpel Anette Kramme Dr. Hans-Ulrich Krüger Helga Kühn-Mengel Christine Lambrecht Christian Lange (Backnang) Dr. Karl Lauterbach Steffen-Claudio Lemme Burkhard Lischka Gabriele Lösekrug-Möller Hiltrud Lotze Kirsten Lühmann Dr. Birgit Malecha-Nissen Caren Marks Katja Mast Hilde Mattheis Dr. Matthias Miersch Klaus Mindrup Susanne Mittag Bettina Müller Detlef Müller (Chemnitz) Michelle Müntefering Dr. Rolf Mützenich Andrea Nahles Dietmar Nietan Ulli Nissen Thomas Oppermann Mahmut Özdemir (Duisburg) Aydan Özoğuz Markus Paschke Christian Petry Jeannine Pflugradt Detlev Pilger Sabine Poschmann Joachim Poß Florian Post Achim Post (Minden) Dr. Wilhelm Priesmeier Florian Pronold Dr. Sascha Raabe Dr. Simone Raatz Martin Rabanus Mechthild Rawert Stefan Rebmann Gerold Reichenbach Dr. Carola Reimann Andreas Rimkus Sönke Rix Dennis Rohde Dr. Martin Rosemann René Röspel Dr. Ernst Dieter Rossmann Michael Roth (Heringen) Susann Rüthrich Bernd Rützel Johann Saathoff Annette Sawade Dr. Hans-Joachim Schabedoth Axel Schäfer (Bochum) Dr. Nina Scheer Marianne Schieder Udo Schiefner Ulla Schmidt (Aachen) Matthias Schmidt (Berlin) Dagmar Schmidt (Wetzlar) Carsten Schneider (Erfurt) Ursula Schulte Swen Schulz (Spandau) Ewald Schurer Frank Schwabe Stefan Schwartze Andreas Schwarz Rita Schwarzelühr-Sutter Dr. Carsten Sieling Rainer Spiering Svenja Stadler Martina Stamm-Fibich Sonja Steffen Peer Steinbrück Christoph Strässer Kerstin Tack Claudia Tausend Michael Thews Franz Thönnes Carsten Träger Rüdiger Veit Ute Vogt Dirk Vöpel Gabi Weber Bernd Westphal Andrea Wicklein Waltraud Wolff (Wolmirstedt) Gülistan Yüksel Dagmar Ziegler Stefan Zierke Dr. Jens Zimmermann Manfred Zöllmer Brigitte Zypries DIE LINKE Jan van Aken Dr. Dietmar Bartsch Herbert Behrens Matthias W. Birkwald Christine Buchholz Eva Bulling-Schröter Roland Claus Dr. Diether Dehm Klaus Ernst Wolfgang Gehrcke Nicole Gohlke Annette Groth Dr. Gregor Gysi Dr. André Hahn Heike Hänsel Dr. Rosemarie Hein Inge Höger Andrej Hunko Sigrid Hupach Ulla Jelpke Susanna Karawanskij Jan Korte Jutta Krellmann Katrin Kunert Caren Lay Sabine Leidig Ralph Lenkert Michael Leutert Stefan Liebich Dr. Gesine Lötzsch Thomas Lutze Cornelia Möhring Niema Movassat Norbert Müller (Potsdam) Dr. Alexander S. Neu Thomas Nord Petra Pau Harald Petzold (Havelland) Richard Pitterle Martina Renner Michael Schlecht Dr. Petra Sitte Kersten Steinke Dr. Kirsten Tackmann Frank Tempel Dr. Axel Troost Alexander Ulrich Kathrin Vogler Dr. Sahra Wagenknecht Halina Wawzyniak Harald Weinberg Katrin Werner Birgit Wöllert Jörn Wunderlich Hubertus Zdebel Pia Zimmermann Sabine Zimmermann (Zwickau) BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Luise Amtsberg Kerstin Andreae Annalena Baerbock Volker Beck (Köln) Dr. Franziska Brantner Agnieszka Brugger Ekin Deligöz Katja Dörner Katharina Dröge Harald Ebner Dr. Thomas Gambke Matthias Gastel Kai Gehring Katrin Göring-Eckardt Britta Haßelmann Dr. Anton Hofreiter Bärbel Höhn Dieter Janecek Uwe Kekeritz Katja Keul Sven-Christian Kindler Maria Klein-Schmeink Tom Koenigs Sylvia Kotting-Uhl 8730 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 91. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. März 2015 (A) (C) (B) Oliver Krischer Stephan Kühn (Dresden) Christian Kühn (Tübingen) Renate Künast Markus Kurth Monika Lazar Steffi Lemke Dr. Tobias Lindner Nicole Maisch Peter Meiwald Irene Mihalic Beate Müller-Gemmeke Özcan Mutlu Dr. Konstantin von Notz Omid Nouripour Friedrich Ostendorff Cem Özdemir Lisa Paus Brigitte Pothmer Tabea Rößner Corinna Rüffer Ulle Schauws Dr. Frithjof Schmidt Kordula Schulz-Asche Dr. Wolfgang Strengmann- Kuhn Hans-Christian Ströbele Dr. Harald Terpe Markus Tressel Jürgen Trittin Dr. Julia Verlinden Beate Walter-Rosenheimer Dr. Valerie Wilms Anlage 3 Namensverzeichnis der Mitglieder des Deutschen Bundestages, die an der Wahl eines Mitglieds des Sondergremiums gemäß § 3 Absatz 3 des Stabilisierungsmechanismusgesetzes teilgenommen haben (D) CDU/CSU Stephan Albani Katrin Albsteiger Peter Altmaier Artur Auernhammer Dorothee Bär Norbert Barthle Günter Baumann Maik Beermann Manfred Behrens (Börde) Veronika Bellmann Sybille Benning Dr. André Berghegger Dr. Christoph Bergner Ute Bertram Peter Beyer Steffen Bilger Clemens Binninger Peter Bleser Wolfgang Bosbach Norbert Brackmann Klaus Brähmig Michael Brand Helmut Brandt Dr. Ralf Brauksiepe Dr. Helge Braun Heike Brehmer Ralph Brinkhaus Cajus Caesar Gitta Connemann Alexander Dobrindt Michael Donth Thomas Dörflinger Marie-Luise Dött Hansjörg Durz Jutta Eckenbach Dr. Bernd Fabritius Hermann Färber Uwe Feiler Dr. Thomas Feist Enak Ferlemann Ingrid Fischbach Dirk Fischer (Hamburg) Dr. Maria Flachsbarth Klaus-Peter Flosbach Thorsten Frei Dr. Astrid Freudenstein Dr. Hans-Peter Friedrich (Hof) Michael Frieser Dr. Michael Fuchs Hans-Joachim Fuchtel Alexander Funk Ingo Gädechens Dr. Thomas Gebhart Alois Gerig Eberhard Gienger Cemile Giousouf Josef Göppel Reinhard Grindel Ursula Groden-Kranich Klaus-Dieter Gröhler Michael Grosse-Brömer Astrid Grotelüschen Markus Grübel Manfred Grund Oliver Grundmann Monika Grütters Dr. Herlind Gundelach Fritz Güntzler Olav Gutting Christian Haase Florian Hahn Dr. Stephan Harbarth Jürgen Hardt Gerda Hasselfeldt Matthias Hauer Mark Hauptmann Dr. Stefan Heck Dr. Matthias Heider Helmut Heiderich Mechthild Heil Frank Heinrich (Chemnitz) Mark Helfrich Uda Heller Jörg Hellmuth Rudolf Henke Michael Hennrich Ansgar Heveling Peter Hintze Christian Hirte Dr. Heribert Hirte Robert Hochbaum Alexander Hoffmann Thorsten Hoffmann (Dortmund) Karl Holmeier Franz-Josef Holzenkamp Dr. Hendrik Hoppenstedt Margaret Horb Bettina Hornhues Charles M. Huber Anette Hübinger Hubert Hüppe Erich Irlstorfer Thomas Jarzombek Sylvia Jörrißen Dr. Franz Josef Jung Xaver Jung Andreas Jung Dr. Egon Jüttner Bartholomäus Kalb Hans-Werner Kammer Steffen Kanitz Alois Karl Anja Karliczek Bernhard Kaster Volker Kauder Dr. Stefan Kaufmann Roderich Kiesewetter Dr. Georg Kippels Volkmar Klein Jürgen Klimke Axel Knoerig Jens Koeppen Markus Koob Carsten Körber Kordula Kovac Michael Kretschmer Gunther Krichbaum Dr. Günter Krings Rüdiger Kruse Bettina Kudla Dr. Roy Kühne Günter Lach Uwe Lagosky Dr. Karl A. Lamers Andreas G. Lämmel Dr. Norbert Lammert Katharina Landgraf Ulrich Lange Barbara Lanzinger Dr. Silke Launert Paul Lehrieder Dr. Katja Leikert Dr. Philipp Lengsfeld Dr. Andreas Lenz Philipp Graf Lerchenfeld Dr. Ursula von der Leyen Antje Lezius Ingbert Liebing Matthias Lietz Andrea Lindholz Dr. Carsten Linnemann Patricia Lips Wilfried Lorenz Dr. Claudia Lücking-Michel Dr. Jan-Marco Luczak Daniela Ludwig Karin Maag Yvonne Magwas Thomas Mahlberg Dr. Thomas de Maizière Gisela Manderla Matern von Marschall Hans-Georg von der Marwitz Andreas Mattfeldt Stephan Mayer (Altötting) Reiner Meier Dr. Michael Meister Dr. Angela Merkel Jan Metzler Maria Michalk Dr. h. c. Hans Michelbach Dr. Mathias Middelberg Dietrich Monstadt Karsten Möring Marlene Mortler Elisabeth Motschmann Dr. Gerd Müller Carsten Müller (Braunschweig) Stefan Müller (Erlangen) Dr. Philipp Murmann Dr. Andreas Nick Michaela Noll Helmut Nowak Dr. Georg Nüßlein Wilfried Oellers Florian Oßner Dr. Tim Ostermann Henning Otte Ingrid Pahlmann Sylvia Pantel Martin Patzelt Dr. Martin Pätzold Ulrich Petzold Sibylle Pfeiffer Eckhard Pols Thomas Rachel Kerstin Radomski Alexander Radwan Alois Rainer Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 91. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. März 2015 8731 (A) (C) (D)(B) Dr. Peter Ramsauer Eckhardt Rehberg Katherina Reiche (Potsdam) Lothar Riebsamen Josef Rief Dr. Heinz Riesenhuber Johannes Röring Dr. Norbert Röttgen Erwin Rüddel Albert Rupprecht Anita Schäfer (Saalstadt) Dr. Wolfgang Schäuble Karl Schiewerling Norbert Schindler Tankred Schipanski Heiko Schmelzle Christian Schmidt (Fürth) Gabriele Schmidt (Ühlingen) Ronja Schmitt (Althengstett) Patrick Schnieder Nadine Schön (St. Wendel) Dr. Ole Schröder Dr. Kristina Schröder (Wiesbaden) Bernhard Schulte-Drüggelte Dr. Klaus-Peter Schulze Uwe Schummer Armin Schuster (Weil am Rhein) Christina Schwarzer Detlef Seif Johannes Selle Reinhold Sendker Dr. Patrick Sensburg Bernd Siebert Thomas Silberhorn Johannes Singhammer Tino Sorge Jens Spahn Carola Stauche Dr. Frank Steffel Dr. Wolfgang Stefinger Albert Stegemann Peter Stein Sebastian Steineke Johannes Steiniger Christian Freiherr von Stetten Dieter Stier Rita Stockhofe Gero Storjohann Stephan Stracke Max Straubinger Matthäus Strebl Karin Strenz Thomas Stritzl Thomas Strobl (Heilbronn) Lena Strothmann Michael Stübgen Dr. Sabine Sütterlin-Waack Dr. Peter Tauber Antje Tillmann Astrid Timmermann-Fechter Dr. Hans-Peter Uhl Dr. Volker Ullrich Arnold Vaatz Oswin Veith Thomas Viesehon Michael Vietz Volkmar Vogel (Kleinsaara) Sven Volmering Christel Voßbeck-Kayser Kees de Vries Dr. Johann Wadephul Marco Wanderwitz Nina Warken Kai Wegner Albert Weiler Marcus Weinberg (Hamburg) Dr. Anja Weisgerber Peter Weiß (Emmendingen) Ingo Wellenreuther Karl-Georg Wellmann Marian Wendt Waldemar Westermayer Kai Whittaker Peter Wichtel Annette Widmann-Mauz Heinz Wiese (Ehingen) Klaus-Peter Willsch Elisabeth Winkelmeier- Becker Oliver Wittke Dagmar G. Wöhrl Barbara Woltmann Tobias Zech Heinrich Zertik Emmi Zeulner Dr. Matthias Zimmer Gudrun Zollner SPD Niels Annen Ingrid Arndt-Brauer Rainer Arnold Heike Baehrens Ulrike Bahr Heinz-Joachim Barchmann Dr. Katarina Barley Dr. Hans-Peter Bartels Klaus Barthel Dr. Matthias Bartke Sören Bartol Bärbel Bas Dirk Becker Uwe Beckmeyer Lothar Binding (Heidelberg) Burkhard Blienert Willi Brase Dr. Karl-Heinz Brunner Edelgard Bulmahn Marco Bülow Martin Burkert Dr. Lars Castellucci Petra Crone Bernhard Daldrup Dr. Daniela De Ridder Dr. Karamba Diaby Sabine Dittmar Martin Dörmann Siegmund Ehrmann Michaela Engelmeier Dr. h. c. Gernot Erler Petra Ernstberger Saskia Esken Karin Evers-Meyer Dr. Johannes Fechner Dr. Fritz Felgentreu Elke Ferner Dr. Ute Finckh-Krämer Christian Flisek Gabriele Fograscher Dr. Edgar Franke Ulrich Freese Dagmar Freitag Michael Gerdes Martin Gerster Angelika Glöckner Kerstin Griese Gabriele Groneberg Michael Groß Uli Grötsch Wolfgang Gunkel Bettina Hagedorn Rita Hagl-Kehl Metin Hakverdi Ulrich Hampel Sebastian Hartmann Dirk Heidenblut Hubertus Heil (Peine) Gabriela Heinrich Marcus Held Wolfgang Hellmich Dr. Barbara Hendricks Heidtrud Henn Gustav Herzog Petra Hinz (Essen) Thomas Hitschler Dr. Eva Högl Matthias Ilgen Christina Jantz Frank Junge Josip Juratovic Thomas Jurk Oliver Kaczmarek Johannes Kahrs Christina Kampmann Ralf Kapschack Gabriele Katzmarek Ulrich Kelber Marina Kermer Cansel Kiziltepe Arno Klare Lars Klingbeil Dr. Bärbel Kofler Daniela Kolbe Birgit Kömpel Anette Kramme Dr. Hans-Ulrich Krüger Helga Kühn-Mengel Christine Lambrecht Christian Lange (Backnang) Dr. Karl Lauterbach Steffen-Claudio Lemme Burkhard Lischka Gabriele Lösekrug-Möller Hiltrud Lotze Kirsten Lühmann Dr. Birgit Malecha-Nissen Caren Marks Katja Mast Hilde Mattheis Dr. Matthias Miersch Klaus Mindrup Susanne Mittag Bettina Müller Detlef Müller (Chemnitz) Michelle Müntefering Dr. Rolf Mützenich Andrea Nahles Dietmar Nietan Ulli Nissen Thomas Oppermann Mahmut Özdemir (Duisburg) Aydan Özoğuz Markus Paschke Christian Petry Jeannine Pflugradt Detlev Pilger Sabine Poschmann Joachim Poß Florian Post Achim Post (Minden) Dr. Wilhelm Priesmeier Florian Pronold Dr. Sascha Raabe Dr. Simone Raatz Martin Rabanus Mechthild Rawert Stefan Rebmann Gerold Reichenbach Dr. Carola Reimann Andreas Rimkus Sönke Rix Dennis Rohde Dr. Martin Rosemann René Röspel Dr. Ernst Dieter Rossmann Michael Roth (Heringen) Susann Rüthrich Bernd Rützel Johann Saathoff Annette Sawade Dr. Hans-Joachim Schabedoth Axel Schäfer (Bochum) Dr. Nina Scheer Marianne Schieder Udo Schiefner Ulla Schmidt (Aachen) Matthias Schmidt (Berlin) Dagmar Schmidt (Wetzlar) Carsten Schneider (Erfurt) Ursula Schulte Swen Schulz (Spandau) Ewald Schurer Frank Schwabe Stefan Schwartze Andreas Schwarz Rita Schwarzelühr-Sutter Dr. Carsten Sieling Rainer Spiering Svenja Stadler Martina Stamm-Fibich Sonja Steffen Peer Steinbrück Christoph Strässer Kerstin Tack Claudia Tausend Michael Thews Franz Thönnes Carsten Träger Rüdiger Veit 8732 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 91. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. März 2015 (A) (C) (B) Ute Vogt Dirk Vöpel Gabi Weber Bernd Westphal Andrea Wicklein Waltraud Wolff (Wolmirstedt) Gülistan Yüksel Dagmar Ziegler Stefan Zierke Dr. Jens Zimmermann Manfred Zöllmer Brigitte Zypries DIE LINKE Jan van Aken Dr. Dietmar Bartsch Herbert Behrens Matthias W. Birkwald Christine Buchholz Eva Bulling-Schröter Roland Claus Dr. Diether Dehm Klaus Ernst Wolfgang Gehrcke Nicole Gohlke Annette Groth Dr. Gregor Gysi Dr. André Hahn Heike Hänsel Dr. Rosemarie Hein Inge Höger Andrej Hunko Sigrid Hupach Ulla Jelpke Susanna Karawanskij Jan Korte Jutta Krellmann Katrin Kunert Caren Lay Sabine Leidig Ralph Lenkert Michael Leutert Stefan Liebich Dr. Gesine Lötzsch Thomas Lutze Cornelia Möhring Niema Movassat Norbert Müller (Potsdam) Dr. Alexander S. Neu Thomas Nord Petra Pau Harald Petzold (Havelland) Richard Pitterle Martina Renner Michael Schlecht Dr. Petra Sitte Kersten Steinke Dr. Kirsten Tackmann Frank Tempel Dr. Axel Troost Alexander Ulrich Kathrin Vogler Dr. Sahra Wagenknecht Halina Wawzyniak Harald Weinberg Katrin Werner Birgit Wöllert Jörn Wunderlich Hubertus Zdebel Pia Zimmermann Sabine Zimmermann (Zwickau) BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Luise Amtsberg Kerstin Andreae Annalena Baerbock Volker Beck (Köln) Dr. Franziska Brantner Agnieszka Brugger Ekin Deligöz Katja Dörner Katharina Dröge Harald Ebner Dr. Thomas Gambke Matthias Gastel Kai Gehring Katrin Göring-Eckardt Britta Haßelmann Dr. Anton Hofreiter Bärbel Höhn Dieter Janecek Uwe Kekeritz Katja Keul Sven-Christian Kindler Maria Klein-Schmeink Tom Koenigs Sylvia Kotting-Uhl Oliver Krischer Stephan Kühn (Dresden) Christian Kühn (Tübingen) Renate Künast Markus Kurth Monika Lazar Steffi Lemke Dr. Tobias Lindner Nicole Maisch Peter Meiwald Irene Mihalic Beate Müller-Gemmeke Özcan Mutlu Dr. Konstantin von Notz Omid Nouripour Friedrich Ostendorff Cem Özdemir Lisa Paus Brigitte Pothmer Tabea Rößner Corinna Rüffer Ulle Schauws Dr. Frithjof Schmidt Kordula Schulz-Asche Dr. Wolfgang Strengmann- Kuhn Hans-Christian Ströbele Dr. Harald Terpe Markus Tressel Jürgen Trittin Dr. Julia Verlinden Beate Walter-Rosenheimer Dr. Valerie Wilms (D) Anlage 4 Erklärungen nach § 31 GO zur Abstimmung über den von der Bundes- regierung eingebrachten Entwurf eines Geset- zes zur Dämpfung des Mietanstiegs auf ange- spannten Wohnungsmärkten und zur Stärkung des Bestellerprinzips bei der Wohnungsvermitt- lung (Mietrechtsnovellierungsgesetz – MietNovG) (Tagesordnungspunkt 4 a) Thomas Dörflinger (CDU/CSU): Ich werde dem ge- nannten Gesetzentwurf heute zustimmen, da das Vorha- ben zwischen den Koalitionsfraktionen von CDU/CSU und SPD im Koalitionsvertrag fest vereinbart wurde. In- haltlich überzeugt mich die sogenannte Mietpreisbremse nicht, da sie mir weder wohnungsbaupolitisch sinnvoll noch ordnungspolitisch angezeigt erscheint. In einem ökonomischen System wie dem der sozialen Marktwirtschaft wird der Preis grundsätzlich über Ange- bot und Nachfrage bestimmt. Wo also zum Beispiel auf dem Wohnungsmarkt ein Engpass entsteht, ist offenkun- dig die Nachfrage höher als das Angebot, was den Preis steigen lässt. Der Gesetzgeber wäre folglich gefordert, über Anreizsysteme Impulse für mehr Wohnungsbau zu setzen, damit sich das Angebot auf das Niveau des Bedarfes einpendelt und hierdurch der Preis sinkt. Die Bundesländer müssen sich in diesem Zusammenhang fragen lassen, ob sie den vom Bund jährlich für sozialen Wohnungsbau zur Verfügung gestellten Betrag zielge- richtet verwendet haben. Stattdessen verändert der Gesetzgeber durch die in Rede stehende Initiative weder etwas am Angebot noch am Bedarf, sondern er greift in die Preisgestaltung ein. Der gewünschte Effekt sinkender Preise wird vermutlich temporär eintreten, aber an den Ursachen ändert sich nichts. Damit besteht nicht nur das Missverhältnis zwi- schen Angebot und Nachfrage fort, sondern die Attrakti- vität der Investition in Wohnungsbau sinkt. Am Ende des Tages steht eine Verschärfung des Status quo, nicht eine Verbesserung. Dr. Philipp Murmann (CDU/CSU): In wenigen Bal- lungszentren liegen die Marktmieten in Teilen deutlich über den Bestandsmieten. Es ist nachvollziehbar, wenn sich Mieter bei einem notwendigen Wohnungswechsel darüber ärgern und gegebenenfalls gezwungen sind, eine Wohnung außerhalb ihres sozialen oder beruflichen Um- felds zu suchen. Es ist klar, dass die Mietpreisbremse in diesen wenigen angespannten Wohnlagen nur eine kurzfristige Linderung bringen kann. Sie ist aber nicht das entscheidende Mittel gegen hohe Mieten. Hier gilt es, das Angebot entspre- chend zu vergrößern. Deshalb ist es wichtig, dass unter Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 91. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. März 2015 8733 (A) (C) (D)(B) anderem die Vermietung neu errichteter und moderni- sierter Wohnungen von der Mietpreisbremse ausgenom- men wird. Die Einführung des Bestellerprinzips soll dazu die- nen, Mieter in angespannten Wohnlagen finanziell zu entlasten. Dies mag im Einzelfall durchaus begrüßens- wert sein. Hierbei werden aber grundsätzliche Fragen aufgeworfen, die mit diesem Gesetz noch nicht zur Zu- friedenheit gelöst sind. Das Bestellerprinzip wird nicht konsequent angewendet; denn bei einer parallelen Be- auftragung eines Maklers durch Vermieter und poten- ziellen Mieter müsste eigentlich die Courtage zwischen beiden geteilt werden. Im vorliegenden Entwurf ist dies nicht vorgesehen. Bei einer parallel stattfindenden Beauftragung kann ein Makler darüber hinaus einem Wohnungssuchenden gar nicht seinen gesamten Bestand anbieten, weil er in einem Interessenskonflikt zwischen beiden Parteien steht. Dies schränkt das Angebot insbesondere für poten- zielle Mieter erheblich ein. Schließlich führt die Mietpreisbremse dazu, dass da- durch der einzig wirkliche Marktbezug – mit den ortsüb- lichen Vergleichsmieten – verschwindet. Aus ordnungs- politischer Sicht ist dies abzulehnen. Die Zustimmung zu diesem Gesetzespaket fällt daher schwer. Dennoch habe ich mich nach Abwägung aller Umstände dazu entschieden, die Mehrheitsentscheidung unserer Fraktion mitzutragen. Tankred Schipanski (CDU/CSU): Ich stimme dem Gesetzentwurf zu, da dieser mit Blick auf die Dämpfung des Mietanstiegs auf angespannten Wohnungsmärkten – die sogenannte Mietpreisbremse – eine ausgewogene Regelung darstellt. Der Gesetzentwurf beinhaltet aber auch die Stärkung des sogenannten Bestellerprinzips. Hierzu wurden im Gesetzgebungsverfahren viele Beden- ken vorgetragen, denen im vorliegenden Entwurf nicht ausreichend Rechnung getragen wird. Sollte sich heraus- stellen, dass diese Regelung zu praktischen Schwierig- keiten führt, bedarf es einer zeitnahen Novellierung. Da beide Vorhaben nur gekoppelt zur Abstimmung gestellt werden, habe ich mich dazu entschlossen, dem Gesetzentwurf zugunsten der sogenannten Mietpreis- bremse zuzustimmen. Dr. Patrick Sensburg (CDU/CSU): Ich werde dem Gesetzentwurf zustimmen, möchte aber Folgendes er- klären: Die gesetzliche Ausgestaltung der Mietpreisbremse weist Probleme bei der Angemessenheit auf, da sie den Interessen der betroffenen Eigentümer nicht ausreichend Rechnung trägt und die Eigentumsgarantie des Grund- gesetzes zu weit reduziert. Besonderen verfassungs- rechtlichen Schutz genießt das Eigentum dort, wo es der individuellen, eigenverantwortlichen Lebensgestaltung im vermögensrechtlichen Bereich unmittelbar dient. Dies hat das Bundesverfassungsgericht in ständiger Rechtsprechung auch betont. Die spezielle Situation pri- vater Vermieter, welche die Vermietung zur Sicherung ihrer Lebensgrundlage oder zur politisch gewollten pri- vaten Altersvorsorge betreiben, hätte aus meiner Sicht im Gesetzgebungsverfahren stärker berücksichtigt wer- den sollen. Sollte dies noch einmal in die Diskussion kommen, wäre auf diesen Aspekt noch einmal ein be- sonderes Augenmerk zu richten. Anlage 5 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 19. September 2014 zwi- schen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Philippinen über Soziale Sicherheit (Tagesordnungspunkt 15) Dr. Martin Pätzold (CDU/CSU): Die sozialen Stan- dards in der Bundesrepublik Deutschland sind wesentli- che Errungenschaften, für die unser Land in der ganzen Welt respektiert wird, Vorbild und Vorreiter ist. Durch diese Standards sind wir ein verlässlicher Handelspart- ner. Mit dem Gesetz zum Abkommen vom 19. Septem- ber 2014 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Philippinen über die Soziale Sicherheit, durch die wir eine Doppelversicherung und damit eine doppelte Beitragsbelastung der entsandten Arbeitnehmer vermeiden, stärken wir unsere Handelsbeziehungen zu einer partnerschaftlichen Wirtschaftsvernetzung. Die Philippinen sind ein Land mit mehr Einwohnern als die Bundesrepublik Deutschland und mit hohen Wachstumszahlen in den letzten drei Jahren. Dort leben fast 100 Millionen Einwohner. Seit dem Jahr 2012 haben die Philippinen ein wirtschaftliches Wachstum des Brut- toinlandsproduktes von über sechs Prozent. Das unter- streicht, dass die Philippinen ein aufstrebendes Land sind. Gute Wirtschaftszahlen wirken sich natürlich auch auf den Außenhandel aus. Ein- und Ausfuhren erhöhen sich stetig. Auch die Bundesrepublik Deutschland profi- tiert davon: Allein 2014 konnten die deutschen Einfuh- ren um über 18 Prozent, die deutschen Ausfuhren um über 17 Prozent gesteigert werden. Auch wenn die Phi- lippinen für viele von uns sehr weit entfernt scheinen, so belegen diese Zahlen, dass wir wirtschaftlich immer mehr zusammenwachsen. Unser bilaterales Handelsvolumen ist von 3,81 Mil- liarden Euro im Jahr 2012 auf 4,08 Milliarden Euro im Jahr 2013 gestiegen. Das bedeutet, dass jeweils mehr als die Hälfte der Ein- und Ausfuhren der Handelsbeziehun- gen der Europäischen Union mit den Philippinen durch die Bundesrepublik Deutschland verzeichnet werden. Maßgebend dabei sind wie so oft unsere hochtechnologi- schen Exportgüter „Made in Germany“, wie beispiels- weise Elektronikprodukte, Baumaschinen, Luftfahr- zeuge, sowie chemische und pharmazeutische Erzeugnisse. Traditionell ist es natürlich die Logistikbranche, die von einem solchen Aufschwung profitiert. Doch auch das steigende Interesse an der industriellen Fertigung ist 8734 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 91. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. März 2015 (A) (C) (D)(B) bemerkbar. Es sind vor allem die deutschen Traditions- unternehmen Siemens, Daimler, Deutsche Bank, Bosch und Henkel, die einen großen Anteil der Neuinvesti- tionen im Bereich der IT-gestützten Dienstleistungen tra- gen. Daher ist es nur fair gegenüber den Arbeitnehmern, die für diese guten Handelsbeziehungen maßgeblich ver- antwortlich sind, klare Rahmenbedingungen und damit Rechtssicherheit zu schaffen. Gestärkt werden mit diesem Gesetz zum Abkommen vom 19. September 2014 vor allem die Rechte der Ar- beitnehmer hinsichtlich der gesetzlichen Renten. Es geht im Wesentlichen um die Befreiung der Rentenbeitrags- pflicht vor Ort mit gleichzeitigem Erhalt der Rentenver- sicherungspflicht im Herkunftsland, ohne dabei das Ar- beitsrecht anzugreifen, das nach wie vor das Recht des Arbeitsortes bleibt. Damit können wir eine praktikable Lösung vorlegen, die kostenintensive Bürokratie abbaut, und dabei den Kreis der betroffenen Arbeitnehmer, die im jeweils an- deren Land bis zu 48 Monate entsandt und eingesetzt werden, im jeweiligen sozialen Sicherheitssystem des Herkunftslandes belassen. Weiterhin können durch die Zusammenrechnung der in beiden Ländern zurückgeleg- ten Versicherungszeiten die Voraussetzungen für einen Rentenanspruch erfüllt werden. Nach dem Abschluss des Abkommens zur Vermei- dung von Doppelbesteuerung im Jahr 1983, der traditio- nell guten entwicklungspolitischen Zusammenarbeit so- wie der Gründung einer mittlerweile fest etablierten deutsch-philippinischen Handelskammer ist dieses So- zialabkommen ein weiterer richtiger Schritt unserer ge- meinsamen Partnerschaft mit den Philippinen. Mit diesem Gesetz wird die Bundesregierung dazu er- mächtigt, die nötigen Rechtsverordnungen zu erlassen und Durchführungsvereinbarungen mit den Philippinen umzusetzen. Das ist sinnvoll und begrüßenswert. Des- wegen unterstützt die CDU/CSU-Bundestagsfraktion dieses Anliegen. Tobias Zech (CDU/CSU): Vor fast einem Jahr durfte ich bereits hier stehen und das Sozialversicherungs- abkommen zwischen Uruguay und Deutschland begrü- ßen. Daher freue ich mich, dass wir heute mit einem weiteren Land – mit mehr als 100 Millionen Einwohnern dem zwölftgrößten Land der Welt – eine neue Partner- schaft besiegeln können. Jedes weitere Sozialversicherungsabkommen unter- streicht die Internationalität und Weltoffenheit Deutsch- lands und ist auch unter dem Aspekt des deutschen Fachkräftemangels nicht zu verkennen. Denn Sozialver- sicherungsabkommen regeln nicht nur Rechtsbeziehun- gen, sondern fördern diese Beziehungen auch. Es geht also um das Signal, zum einen unseren Staatsbürgern eine Berufstätigkeit auf den Philippinen zu ermöglichen, zum anderen die Willkommenskultur Deutschlands an die Filipinos zu unterstreichen. 20 Sozialversicherungsabkommen bestehen bereits, mit weiteren Ländern wie beispielsweise Vietnam wird gerade verhandelt. In Deutschland leben zurzeit 10 000 sozialversicherungspflichtig beschäftigte Filipinos – das zeigt die Attraktivität Deutschlands für ausländische Fachkräfte. Ihnen können wir nun die Einwanderung um einen weiteren Schritt erleichtern. Wie man sieht, braucht man dazu kein neues Gesetz, liebe Kollegen der SPD, vor allem keines nach kanadischem Vorbild. Denn dort richtet sich die Einwanderung nach den Arbeitge- bern. Sie bekommen einen großen Topf qualifizierte Einwanderer zur Verfügung, und wer nicht genommen wird, landet im Sozialsystem. Das kanadische System begrenzt die Zuwanderung in Mangelberufe auf eine ma- ximal aufzunehmende Zahl; eine Begrenzung wollen wir aber gerade nicht. Deutschland braucht bedarfsgerechte Zuwanderung und keine Zuwanderung auf Vorrat. Deutschland hat sich bewusst für ein nachfrageorien- tiertes System entschieden und gegen ein Punktesystem, das einen angebotsorientierten Ansatz verfolgt. Das bringt Angebot und Nachfrage nicht zusammen. Lohndumping ist die Konsequenz, wenn Arbeitskräfte ins Land geholt werden, ohne dass es einen konkreten Job für diese Arbeitskräfte gibt. Daher sollten wir vor- handene Instrumente nutzen, zum Beispiel den Ausbau von weiteren Sozialversicherungsabkommen. Sozialer Schutz soll auf der Grundlage von Gegenseitigkeit und Gleichbehandlung auch als Anreiz und Erleichterung für eine berufliche Tätigkeit verstanden werden. Daher soll- ten wir aus der Politik diesen Beitrag für einen aktiven Austausch und eine bessere Völkerverständigung leis- ten. Die Philippinen haben in den letzten Jahren eine ra- sante wirtschaftliche Entwicklung durchlebt. Einst ein Entwicklungsland, sind sie heute eine der am schnellsten wachsenden Volkswirtschaften in Asien. Exportgüter sind vor allem Elektronik, Maschinen und Transportmit- tel. Dienstleistungszweige sind Buchhaltung und Soft- wareentwicklung. Die philippinische Wirtschaft ist in den vergangenen Jahren um durchschnittlich sechs Prozent jährlich ge- wachsen, 2012 waren es sogar 6,6 Prozent. Von den EU- Staaten ist Deutschland der wichtigste Handelspartner der Philippinen. Die Bevölkerung hat allein in den letzten 10 Jahren um 10 Millionen Einwohner zugenommen. Von den 100 Millionen Einwohnern waren 2011 allein 4 Millio- nen Auswanderer zu verzeichnen. Für diese in Deutschland Niedergelassenen können wir nun extreme Erleichterungen schaffen: Das Sozial- versicherungsabkommen vermeidet, dass auf ein und dieselbe Beschäftigung sowohl die deutschen als auch die ausländischen Rechtsvorschriften über die Versiche- rungspflicht anzuwenden sind und damit eine doppelte Beitragslast für Arbeitgeber und Arbeitnehmer entsteht. Es unterstützt im höchsten Maße den regen Austausch deutscher und philippinischer Arbeitnehmer. Durch dieses Abkommen wird der soziale Schutz der Staatsangehörigen beider Länder innerhalb der jeweili- Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 91. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. März 2015 8735 (A) (C) (D)(B) gen Rentenversicherungssysteme sichergestellt und koordiniert. Arbeitnehmer, die bis zu 48 Monate auf den Philippinen bzw. in Deutschland eingesetzt werden, kön- nen im Rentensystem ihres Heimatlandes verbleiben. Eine Doppelversicherung und Lücken im Rentenverlauf werden somit verhindert. Darüber hinaus sieht das Abkommen die uneingeschränkte Zahlung von Renten in den anderen Staat vor. Folgt eine weitere Entsendung nach 12 Monaten mit einem anderen Arbeitgeber, gelten diese 48 Monate erneut. Dies ist für einen aktiven Wechsel der Arbeitnehmer unerlässlich, von dem sowohl Deutschland als auch die Philippinen im höchsten Maße profitieren. Mit diesem Sozialversicherungsabkommen konnten wir bürokrati- sche Hindernisse abbauen und einen Übergang in einen neuen, philippinischen Arbeitsvertrag vereinfachen. Die gegenseitigen Beziehungen mögen noch nicht so ausgeprägt wie zu anderen Staaten sein – doch sehe ich dieses Sozialversicherungsabkommen als einen wichti- gen Schritt für einen weiteren Ausbau einer guten und dauerhaften Partnerschaft. Neben dem Blick nach China und Amerika darf der Blick auf die scheinbar kleineren Partner nicht verloren gehen – umso erfreulicher finde ich es, dass dieses Abkommen nunmehr seinen gesetzli- chen Rahmen findet. Waltraud Wolff (Wolmirstedt) (SPD): Die Zahl der Menschen, die im Ausland leben und arbeiten, steigt. Viele wollen für eine beschränkte Zeit Erfahrungen im Ausland sammeln. Immer mehr wandern aus persönli- chen und beruflichen Gründen aus. Das Leben vieler Menschen findet nicht mehr innerhalb von Nationalstaa- ten statt. An die Nationalstaaten gebunden ist aber oft deren soziale Absicherung. Gerade bei der Rente ist dies ein Problem. Für die Menschen, die ihr Arbeitsleben in verschiede- nen Ländern verbringen, sind Sozialabkommen von gro- ßer Bedeutung. Sie stellen klar, wer in welchem Land rentenversichert ist. Sie vermeiden doppelte Versiche- rungspflichten. Und sie sorgen dafür, dass Versiche- rungszeiten gegenseitig anerkannt werden. Es gibt Sozialabkommen mit einer Reihe von Staaten, heute kommt das mit den Philippinen dazu. 2009 – das sind die aktuellsten Zahlen, die ich gefun- den habe – lebten 19 000 ursprünglich philippinische Staatsbürger in Deutschland. Viele kamen als angewor- bene Krankenschwestern oder arbeiteten auf deutschen Schiffen. 82 Prozent davon sind Frauen, 45 Prozent mit Deutschen verheiratet. Der Export von Arbeitskräften ist für die Philippinen ein wichtiger Wirtschaftsfaktor. Mehr als 2 Millionen philippinische Staatsbürger arbeiten als Arbeitsmigran- ten oder Vertragsarbeiter im Ausland. Allein aus Deutschland wurden 2009 433 Millionen Dollar zurück in die Heimat überwiesen, insgesamt waren es 2013 21,4 Milliarden Dollar. Auf den Philippinen selbst wird diskutiert, ob dies ein guter Weg sei. Es wird kritisiert, die sozialen Kosten seien zu hoch. Ziel müsste es sein, die Perspektiven für die Menschen auf den Philippinen zu verbessern. Dies ist ein wichtiger Aspekt, den wir dis- kutieren müssen, wenn wir über Arbeitsmigration spre- chen. Das sollten wir uns auf den Merkzettel für weitere Diskussionen schreiben. Der heute wichtige Aspekt ist: Das Sozialabkommen mit den Philippinen hilft beiden: den Deutschen, die auf den Philippinen leben und arbeiten, und denen, die von den Philippinen zu uns kommen. Matthias W. Birkwald (DIE LINKE): Am 19. Sep- tember vergangenen Jahres wurde das Abkommen über Soziale Sicherheit mit den Philippinen unterzeichnet. Heute schaffen wir mit dem Gesetzentwurf die Grundla- gen dafür, dass dieses Abkommen auch umgesetzt wer- den kann. Die Linke begrüßt es grundsätzlich, dass wirtschaftli- chen Freiheiten soziale Rechte an die Seite gestellt wer- den, gerade im Austausch mit sogenannten Schwellen- ländern. Bisher haben wir erst zwanzig entsprechende Sozialversicherungsabkommen. Es bleibt also noch viel zu tun. Gegenwärtig arbeiten circa 10 000 Philippinerinnen und Philippiner in Deutschland und – wir kennen die ge- naue Zahl nicht – einige Tausend Deutsche auf den Phi- lippinen. Diesen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern wird es zukünftig ermöglicht, ihre Rentenversicherungs- zeiten, die sie in beiden Staaten erworben haben, zusam- menzurechnen und damit unter Umständen Wartezeiten und natürlich auch Rentenansprüche zu begründen. Jeder Staat zahlt dann am Ende nur die Rente für die nach seinem Recht zurückgelegten Zeiten, aber eben auch in das andere Land. Bei kurzfristig entsandten Arbeitskräften wird zwei- tens auf eine Rentenversicherungspflicht im Zielland verzichtet. Sie bleiben für 48 Monate im Herkunftsland rentenversichert. Das ist ein erstaunlich langer Zeitraum, der auf Wunsch der philippinischen Seite vereinbart wurde. So werden für entsandte Arbeitskräfte doppelte Versicherungen und doppelte Beitragszahlungen und viel komplizierte Bürokratie vermieden. Die Deutsche Rentenversicherung geht von jährlichen Mehrausgaben in Höhe einer Million Euro aus. Hinter all diesen konkreten Erleichterungen steht auch ein grundsätzliches Prinzip: Vom Abkommen er- fasste Personen – also Arbeitsmigrantinnen und Arbeits- migranten – werden rentenrechtlich in Deutschland und in den Philippinen mit den jeweiligen Staatsangehörigen gleichgestellt und damit auch gleichbehandelt. Das ist ein wichtiges und richtiges Prinzip, aber der Hinweis sei erlaubt, dass wir von einer Gleichbehand- lung bei Flüchtlingen und auch bei Arbeitsmigrantinnen und -migranten aus vielen anderen Ländern noch weit entfernt sind. Deshalb sollten wir das Sozialabkommen mit den Philippinen grundsätzlich zum Anlass nehmen, über globale soziale Menschenrechte nachzudenken. Denn soziale Menschenrechte sollten nicht nur für Men- schen aus Ländern gelten, von denen wir uns wirtschaft- liche Vorteile versprechen. 8736 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 91. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. März 2015 (A) (C) (D)(B) Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales hatte in seiner Presseerklärung vom 19. September 2014 mei- nes Erachtens erstaunlich ehrlich darauf hingewiesen: Die wirtschaftliche Dynamik im südostasiatischen Raum lässt das Interesse der deutschen Wirtschaft an dieser Region steigen. Deutschland zählt bereits jetzt zu den größten ausländischen Investoren auf den Philippinen. Die Philippinen werden zu den „Next-Eleven“ gezählt, den Schwellenländern, in denen sich in den kommenden Jahrzehnten ein ähn- licher wirtschaftlicher Aufschwung wie in den BRIC-Staaten ergeben könnte. Um genau nicht diesem Verdacht ausgesetzt zu sein, dass die Gewährung sozialer Rechte an Nützlichkeitser- wägungen geknüpft wird, erinnere ich deshalb am Ende noch einmal an drei offene Baustellen in diesem Be- reich: Erstens. Der Europäische Ausschuss für soziale Rechte des Europarats dokumentiert in regelmäßigen Berichten, in welchen Aspekten Deutschland seine völ- kerrechtlichen Verpflichtungen aus der Europäischen Sozialcharta nicht erfüllt, die wir 1965 ratifiziert haben. In Deutschland wird demnach auch das Recht auf soziale Sicherheit aus Artikel 12 Absatz 4 nicht voll umgesetzt, das eine Gleichbehandlung der Staatsangehörigen ande- rer Vertragsparteien hinsichtlich des Zugangs zur Sozial- versicherung und zu vollständiger sozialer und medizini- scher Versorgung vorsieht (Conclusions XX-2 (2013), Seite 24 vom November 2014). Das darf so nicht stehen bleiben. Hier muss die Bundesregierung handeln! Zweitens. Im Jahre 2007 hat die Bundesregierung – auch damals eine schwarz-rote, eine Große Koalition – die revidierte Europäische Sozialcharta, die etwas wei- tergeht – sie beinhaltet auch das Recht auf eine Woh- nung und den besonderen Schutz älterer Menschen –, unterzeichnet. 33 europäische Länder haben sie ratifi- ziert, Deutschland nicht. Das ist keine Glanzleistung, meine Damen und Herren von der Koalition. Was hin- dert die Bundesregierung denn daran, die revidierte Eu- ropäische Sozialcharta endlich zu ratifizieren? Drittens und letztens sei die Frage erlaubt: Wie steht es um die lang versprochene Zeichnung und Ratifikation des Fakultativprotokolls zum UN-Sozialpakt? Das Fakultativprotokoll ermöglicht unter anderem ein Verfahren, mit dem Einzelpersonen beim zuständigen UN-Ausschuss für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte Beschwerde einlegen können, wenn sie ihre im UN-Sozialpakt garantierten Rechte verletzt sehen. Wä- ren das nicht Maßnahmen, um die Glaubwürdigkeit von einzelnen bilateralen Sozialversicherungsabkommen zu erhöhen und uns nicht dem Verdacht auszusetzen, wir würden soziale Rechte nur nach Nützlichkeitskriterien vergeben? Trotz all dieser offenen Fragen. Dem Sozialversiche- rungsabkommen mit den Philippinen stimmt Die Linke zu. Ein besserer sozialer Schutz für Beschäftigte in bei- den Ländern ist eine gute Sache. Markus Kurth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Der Sozialschutz muss mit der Dynamik der wirtschaftlichen Globalisierung Schritt halten. Aus diesem Grund wird das vorliegende Sozialversicherungsabkommen mit der Republik Philippinen von uns begrüßt. Die Wirtschafts- beziehungen zur Republik Philippinen werden immer enger. So erreichte etwa das bilaterale Handelsvolumen zwischen Deutschland und den Philippinnen nach 3,81 Milliarden Euro im Jahr 2012 bereits 4,08 Milliar- den Euro im Jahr 2013. Diese Entwicklung wird ange- sichts stabiler makroökonomischer Daten auch in der Zukunft anhalten. Nach Auskunft des Auswärtigen Amts erfolgen deutsche Neuinvestitionen im Bereich IT-ge- stützter Dienstleistungen. Unternehmen wie Siemens, Daimler, Deutsche Bank, Bosch, Henkel und Bertels- mann haben in den letzten Jahren interne Geschäftspro- zesse in die Republik Philippinen verlagert. Auch Fir- men im maritimen und im Transportsektor sehen dieses Land als Zukunftsmarkt. Deutschland zählt schon heute zu den größten ausländischen Investoren im Land. Das hier vorliegende Abkommen folgt diesen Ent- wicklungen und regelt die Beziehungen der beiden Staa- ten im Bereich der gesetzlichen Rentenversicherung. Werden etwa in Deutschland beschäftigte Arbeitneh- merinnen und Arbeitnehmer auf die Philippinen ent- sandt, werden sie mit diesem Abkommen von der dorti- gen Rentenversicherungspflicht befreit. Dies gilt selbstverständlich auch für den spiegelbildlichen Fall. Kostenintensive Doppelversicherungspflichten werden fortan vermieden, und der Schutz der Rentenver- sicherung im jeweiligen Herkunftsland bleibt somit be- stehen. Das Abkommen hat bereits mehrere Vorgänger. So hat Deutschland mit einer Reihe von Ländern zweisei- tige Sozialversicherungsabkommen geschlossen. Dazu gehören Staaten wie die USA und Brasilien, aber auch kleinere Länder wie Montenegro und Mazedonien. Im Grundsatz geht es bei allen Abkommen um den Erwerb von Rentenansprüchen und die Zahlung von Renten in den jeweiligen Staaten. Es geht also um die Vorsorge für das Alter. Wer zeitlich begrenzt im Ausland arbeitet, aus welchen Gründen auch immer, soll später, wenn es um seine Rente geht, keine Nachteile erleiden. Gabriele Lösekrug-Möller, Parl. Staatssekretärin bei der Bundesministerin für Arbeit und Soziales: Das Abkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Philippinen reiht sich in die Sozialver- sicherungsabkommen ein, die wir bereits mit zahlrei- chen anderen Ländern geschlossen haben. Wir schaffen Rechtsicherheit und sorgen in Zeiten von Globalisierung und erhöhter Arbeitsmobilität auch im Bereich der So- zialversicherung für mehr Rechtsklarheit. Das bringt für die Menschen, die im jeweils anderen Land leben und arbeiten, ein Stück mehr Sicherheit und Verlässlichkeit. Genauso rasch wie die Verhandlungen mit zwei Run- den abgeschlossen werden konnten, wurden die parla- mentarischen Beratungen aufgenommen. Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 91. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. März 2015 8737 (A) (C) (D)(B) Lassen Sie mich einige Punkte näher ausführen: Das Abkommen begründet – unter Wahrung des Grundsatzes der Gegenseitigkeit – Rechte und Pflichten von Einwohnerinnen und Einwohnern beider Staaten. Gleichzeitig sieht es die Gleichbehandlung der jewei- ligen Staatsangehörigen und die uneingeschränkte Ren- tenzahlung auch bei Aufenthalt im anderen Vertragsstaat vor. Die Voraussetzungen für einen Rentenanspruch kön- nen durch Zusammenrechnung der in beiden Staaten zu- rückgelegten Versicherungszeiten erfüllt werden. Dabei zahlt jeder Staat aber nur die Rente für die nach seinem Recht zurückgelegten Versicherungszeiten. Ferner wird durch das Abkommen der soziale Schutz im Bereich der jeweiligen Rentenversicherungssysteme koordiniert, insbesondere für den Fall, dass sich Versi- cherte im jeweils anderen Vertragsstaat aufhalten. Das Abkommen bestimmt, dass für Arbeitnehmerin- nen und Arbeitnehmer und deren Arbeitgeber grundsätz- lich die Rechtsvorschriften desjenigen Staates gelten, in dem die Beschäftigung tatsächlich ausgeübt wird. Auch für diejenigen, die lediglich vorübergehend im anderen Staat einer Arbeit nachgehen, enthält das Ab- kommen speziell zugeschnittene Lösungen. Sie stellen sicher, dass diese Menschen im sozialen Sicherungssys- tem ihres bisherigen Beschäftigungsstaates integriert bleiben können. Diese Personen werden künftig also grundsätzlich in dem ihnen vertrauten System bleiben können. Der Entsendezeitraum kann hierbei bis zu 48 Kalendermonate betragen. Durch die Zusammenrechnung der zurückgelegten Versicherungszeiten mit denen ihres Heimatlandes kön- nen künftig Deutsche aus philippinischen Versicherungs- zeiten und philippinische Versicherte aus deutschen Versicherungszeiten Rentenansprüche erwerben. Diese Rentenansprüche werden vollständig in das jeweils an- dere Land gezahlt. Das philippinische umlagefinanzierte Sozialversiche- rungssystem mit seiner beitragsbezogenen Renten- berechnung ist mit dem deutschen System ohne Pro- bleme koordinierbar. Aufgrund der hohen Anzahl im Ausland arbeitender Philippiner ist die dortige Regie- rung bestrebt, Sozialversicherungsabkommen mit wich- tigen Auswandererländern abzuschließen. Dazu hat sie bereits Abkommen mit anderen europäi- schen Ländern geschlossen, umgekehrt hat Deutschland bereits mit philippinischen Nachbarstaaten entspre- chende Sozialversicherungsabkommen unterzeichnet. Das Abkommen schließt also in beiden Staaten eine Lücke. Das Sozialversicherungsabkommen zwischen Deutsch- land und den Philippinen bringt mehr Rechte für Arbeit- nehmerinnen und Arbeitnehmer. Und es liegt im gegen- seitigen Interesse unserer beiden Staaten, weil es unsere wirtschaftlichen Beziehungen vertieft und damit dazu beitragen kann, Arbeitsplätze zu schaffen. Ich freue mich deshalb sehr, dass der vorliegende Ge- setzentwurf die Unterstützung des ganzen Hauses erfah- ren hat. Vertrieb: Bundesanzeiger Verlag GmbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de 91. Sitzung Inhaltsverzeichnis TOP 3 Gesundheitsversorgung TOP 4 Dämpfung des Mietanstiegs TOP 5 Mindestlohn TOP 6 Gesetz zur Tarifeinheit TOP 23,17, ZP 2 Abschließende Beratungen ohne Aussprache TOP 7 Wahl eines Mitglieds des Vertrauensgremiums TOP 8 Wahl eines Mitglieds des Sondergremiums ZP 3 Aktuelle Stunde zur Beschäftigungssituation von Frauen TOP 9 Bildung für nachhaltige Entwicklung TOP 10 Förderung und Integration von Arbeitslosen TOP 11 Elektromobilität TOP 12 Rentenrechtliche Anrechnung von Mutterschutzzeiten TOP 13 Regionalisierungsgesetz TOP 14 Rechtsschutz bei geheimen behördlichen Informationen TOP 15 Abkommen über Soziale Sicherheit mit den Philippinen TOP 16 Unbegleitete minderjährige Flüchtlinge TOP 18 Kraft-Wärme-Kopplung Anlagen
Gesamtes Protokol
Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1809100000

Nehmen Sie bitte Platz. Die Sitzung ist eröffnet.

Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen; ich
begrüße Sie herzlich.

Bevor wir in unsere Tagesordnung eintreten, müssen
wir noch zwei Wahlen durchführen.

Die SPD-Fraktion schlägt vor, den Kollegen Florian
Post als Nachfolger des ausgeschiedenen Kollegen
Wolfgang Tiefensee als persönliches stellvertretendes
Mitglied in den Beirat der Bundesnetzagentur für
Elektrizität, Gas, Telekommunikation, Post und Ei-
senbahnen zu wählen. Können Sie dem zustimmen? –
Das ist offensichtlich der Fall. Dann ist der Kollege Post
als stellvertretendes Mitglied in diesen Beirat gewählt.

Darüber hinaus müssen wir noch eine Schriftführer-
wahl durchführen. Die CDU/CSU-Fraktion schlägt vor,
die Kollegin Ronja Schmitt (Althengstett) als Nachfol-
gerin für die Kollegin Nina Warken als Schriftführerin
zu wählen. – Auch dazu sehe ich keinen Widerspruch.
Dann ist das so vereinbart und die Kollegin Ronja
Schmitt als Schriftführerin gewählt.

Es gibt eine interfraktionelle Vereinbarung, die Ta-
gesordnung um die in der Zusatzpunktliste aufgeführten
Punkte zu erweitern.

ZP 1 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktionen
der CDU/CSU und SPD:

Auswirkung der Ermordung des russischen
Politikers Boris Nemzow auf die Politik Russ-
lands

(siehe 90. Sitzung)


ZP 2 Weitere abschließende Beratung ohne Aus-
sprache

(Ergänzung zu TOP 23)


Beratung der Beschlussempfehlung des Aus-
schusses für Wahlprüfung, Immunität und Ge-
schäftsordnung (1. Ausschuss)

Antrag auf Genehmigung zur Durchführung
eines Strafverfahrens

Drucksache 18/4181

ZP 3 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion
DIE LINKE:

Beschäftigungssituation von Frauen

ZP 4 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN:

Perspektiven für Klimaschutz und Energieef-
fizienz nach Absage der Bundesregierung an
einen Steuerbonus für eine energetische Ge-
bäudesanierung

Dabei soll wie üblich von der Frist für den Beginn der
Beratung, soweit erforderlich, abgewichen werden.

Der Tagesordnungspunkt 17 – hier geht es um die
Stellungnahme gemäß Artikel 23 Grundgesetz zur Eig-
nung des internationalen Regelungswerkes IPSAS für
die Rechnungslegung in den Mitgliedstaaten der Euro-
päischen Union – soll ohne Debatte zusammen mit dem
Tagesordnungspunkt 23 aufgerufen werden.

Schließlich mache ich noch auf eine nachträgliche
Ausschussüberweisung im Anhang zur Zusatzpunktliste
aufmerksam:

Der am 26. Februar 2015 (88. Sitzung) überwiesene
nachfolgende Gesetzentwurf soll zusätzlich dem Aus-
schuss für Wirtschaft und Energie (9. Ausschuss) zur
Mitberatung überwiesen werden:

Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Zweiten Verkehr-
steueränderungsgesetzes (VerkehrStÄndG 2)


Drucksache 18/3991
Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss (f)

Ausschuss für Wirtschaft und Energie
Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur
Haushaltsausschuss mitberatend und gemäß § 96 der GO

Sind Sie mit diesen Vereinbarungen einverstanden? –
Das ist der Fall. Dann haben wir das so beschlossen.





Präsident Dr. Norbert Lammert


(A) (C)



(D)(B)

Ich rufe nun unsere Tagesordnungspunkte 3 a bis 3 d
auf:

a) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Stär-
kung der Versorgung in der gesetzlichen

(GKV-Versorgungsstärkungsgesetz – GKV-VSG)


Drucksache 18/4095
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Gesundheit (f)

Innenausschuss
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Haushaltsausschuss mitberatend und gemäß § 96 der GO

b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Harald
Weinberg, Birgit Wöllert, Sabine Zimmermann

(Zwickau), weiterer Abgeordneter und der Frak-

tion DIE LINKE

Private Krankenversicherung als Vollversi-
cherung abschaffen – Hochwertige und effi-
ziente Versorgung für alle

Drucksache 18/4099
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Gesundheit (f)

Ausschuss für Arbeit und Soziales

c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Birgit
Wöllert, Sabine Zimmermann (Zwickau), Matthias
W. Birkwald, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion DIE LINKE

Wohnortnahe Gesundheitsversorgung durch
bedarfsorientierte Planung sichern

Drucksache 18/4187
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Gesundheit (f)

Innenausschuss

d) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Harald
Terpe, Maria Klein-Schmeink, Kordula Schulz-
Asche, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Gesundheitsversorgung umfassend verbes-
sern – Patienten und Kommunen stärken,
Strukturdefizite beheben, Qualitätsanreize
ausbauen

Drucksache 18/4153
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Gesundheit (f)

Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 60 Minuten vorgesehen. – Ich höre kei-
nen Widerspruch. Dann können wir so verfahren.

Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort der
Parlamentarischen Staatssekretärin Widmann-Mauz.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)

A
Annette Widmann-Mauz (CDU):
Rede ID: ID1809100100


Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Gerade wenn eine Grippewelle unser Land in
Atem hält, spüren wir – und das oft sogar am eigenen
Leib –, wie notwendig und hilfreich eine gute und wohn-
ortnahe medizinische Versorgung ist. Auch Bundesge-
sundheitsminister Hermann Gröhe macht aktuell diese
Erfahrung; deshalb kann er heute nicht hier sein. Ich
wünsche ihm von dieser Stelle aus gute Besserung und
baldige Genesung.


(Beifall)


Die Bundesregierung und die Große Koalition haben
das gemeinsame Ziel, die gute medizinische Versorgung
in diesem Land auch weiterhin sicherzustellen: gut er-
reichbar in der Stadt und auf dem Land, qualitativ hoch-
wertig in der einzelnen Praxis, im Krankenhaus, beim
Haus- und beim Facharzt. Das unterstelle ich übrigens
auch der niedergelassenen Ärzteschaft in Deutschland
und, an ihrer organisierten Spitze, der Kassenärztlichen
Bundesvereinigung. Insoweit bringt es die KBV in die-
sen Tagen auf den Punkt, wenn sie in ihren Zeitungsan-
zeigen schreibt:

Stellen Sie sich vor, Sie gehen zum Arzt und er ist
nicht mehr da.

Genau das, meine Damen und Herren, ist das Problem,
und das gehen wir mit diesem GKV-Versorgungsstär-
kungsgesetz an. Unbestritten: Wir verfügen in unserem
Land über eine breite medizinische Versorgung auf ho-
hem Niveau. Aber wir müssen jetzt handeln, damit das
auch in Zukunft so bleibt.

Die demografische Entwicklung, die unterschiedliche
Situation bei der Versorgung in Ballungszentren, in
strukturschwachen und in ländlichen Regionen und die
Möglichkeiten der Behandlung stellen uns vor neue He-
rausforderungen. Wir haben das ehrgeizige Ziel, die me-
dizinische Versorgung in Deutschland zukunftsfest zu
machen. Nähe, meine Damen und Herren, soll dabei zu
keinem Fremdwort werden. Das setzt voraus, dass wir
genügend niedergelassene Ärzte haben und dass sie dort
praktizieren, wo sie auch gebraucht werden. Das erfor-
dert eine passgenaue Verteilung.

In ländlichen Räumen bereitet uns vielerorts nicht erst
die Facharzt-, sondern schon die Hausarztversorgung
Sorgen. Nicht wenige ältere Hausärzte haben Mühe, eine
Praxisnachfolge zu finden. Ich sage ganz deutlich: Wir
können hier nicht zusehen und weiter abwarten, sondern
hier muss gehandelt werden, und zwar schon bevor eine
Unterversorgung eingetreten ist.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Wir wollen deshalb die Anreize für Ärztinnen und
Ärzte zur Niederlassung verstärken und weiter ver-
bessern, indem wir zukünftig den Kassenärztlichen
Vereinigungen die Möglichkeit geben, mit vielfältigen
Maßnahmen vom Stipendium über die Weiterbildungsfi-
nanzierung bis hin zur Niederlassungshilfe einen Beitrag
dazu zu leisten, dass Unterversorgung erst gar nicht ent-
steht und auch im ländlichen Raum gute, angemessene





Parl. Staatssekretärin Annette Widmann-Mauz


(A) (C)



(D)(B)

Verhältnisse im Hinblick auf die Niederlassung geschaf-
fen und gestärkt werden. Dazu können sie zukünftig mit-
hilfe von zusätzlichen Mitteln der Kassen in eigener Re-
gie in ihrer Region Strukturfonds einrichten. Außerdem
können sie Ärzten Zuschläge für ganz konkrete Leistun-
gen bezahlen, etwa für Hausbesuche.

Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, der niedergelas-
sene freiberufliche Arzt ist das Rückgrat unserer ambu-
lanten Versorgung.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Hausärzte und Fachärzte sind wichtige Lebensbegleiter
ganzer Familien, nicht selten über Generationen hinweg.
Aber eine gute Versorgung gerade im ländlichen Raum
und die sich ändernden Krankheitsbilder in einer älter
werdenden Gesellschaft verlangen, dass ambulante und
stationäre Versorgung besser miteinander verzahnt sind.
Gute Rahmenbedingungen für die Einzelpraxis müssen
auch einhergehen mit einer verbesserten Möglichkeit ge-
meinschaftlicher Berufsausübung, der verstärkten För-
derung von Praxisnetzen und erweiterten Möglichkeiten
von medizinischen Versorgungszentren. Das ist keine
Abkehr von der niedergelassenen Praxis, keine „Medi-
zinindustrie“ oder gar eine Absage an den freien Arztbe-
ruf. Im Gegenteil: Das entspricht in immer stärkerem
Maße den Wünschen junger Mediziner und vor allem
junger Medizinerinnen an die Berufsausübung. Das ist
für die Versorgung der Patienten oftmals sehr hilfreich,
weil Wege gespart und Befunde schneller abgeklärt wer-
den.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Meine Damen, meine Herren, ich weiß, dass solche
Gedanken in bestimmten ärztlichen Kreisen Sorgen aus-
lösen und bei manchem Funktionär zu reflexartigen Re-
aktionen führen. Aber nicht hohe Hürden zwischen den
Berufsgruppen und den Sektoren, sondern die gemein-
same Verantwortung für die Patienten sollte doch im
Mittelpunkt der Debatte stehen. Deshalb dürfen wir die
Augen auch nicht vor der Tatsache existierender Über-
versorgung verschließen. Es ist ja gerade die paradoxe
Situation, dass es auch die zuhauf gibt. Manche Kassen-
ärztliche Vereinigung hat uns vorgezählt, wie viele Pra-
xen durch das neue Gesetz angeblich dichtmachen müss-
ten; 25 000 nennt die KBV für ganz Deutschland. Das ist
blanker Unsinn.


(Beifall des Abg. Harald Weinberg [DIE LINKE])


Denn es geht nicht um die Schließung von Arztpraxen,
sondern es geht darum, ob ein Kassenarztsitz nachbe-
setzt wird, wenn der bisherige Praxisinhaber zum Bei-
spiel aus Altersgründen ausscheidet. Auch in überver-
sorgten Gebieten wird es dann aber immer von der
konkreten Versorgungs- und Bewerberlage abhängen, ob
eine Praxis nachbesetzt wird oder nicht.

Konkret heißt das: Wenn es zum Beispiel in einem
Gebiet in der gesamten Arztgruppe der Fachinternisten
eine Überversorgung gibt, darunter nur zwei mit
Schwerpunkt Rheumabehandlung, und einer dieser bei-
den aus Altersgründen ausscheidet, dann muss diese Pra-
xis für die Versorgung der Patienten natürlich nachbe-
setzt werden. Wenn aber zum Beispiel in einer großen
deutschen Stadt in bester Lage fußläufig acht bis zehn
Kardiologen ihre Praxis haben und einer aus Altersgrün-
den ausscheidet, dann mag das Bild durchaus ein ande-
res sein. Aber darüber muss vor Ort entschieden werden,
und das, liebe Kassenärztliche Vereinigungen, liegt in
Ihrer Verantwortung; denn die Ärzte selbst legen zusam-
men mit den Kassen in den Zulassungsausschüssen vor
Ort fest, wann eine Praxis nachbesetzt wird und wann
nicht.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Wenn es nicht nur ein PR-Gag sein soll, dass sie „für Ihr
Leben gern“ arbeiten, dann bedeutet das auch, dass sie
zumindest dort arbeiten, wo die Patienten leben.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, Ähnliches gilt für
die Einrichtung der Terminservicestellen zur Vergabe
von Facharztterminen. Bereits nach geltendem Recht
sind die Kassenärztlichen Vereinigungen verpflichtet,
eine angemessene und zeitnahe fachärztliche Versorgung
zu gewährleisten. Trotzdem berichten gesetzlich versi-
cherte Patienten leider immer wieder über teilweise
lange Wartezeiten auf einen Facharzttermin. Künftig sol-
len sich Versicherte darauf verlassen können, dass sie
nach Überweisung durch den Hausarzt die fachärztliche
Behandlung innerhalb von vier Wochen erhalten, sei es
beim niedergelassenen Facharzt oder schließlich in einem
Krankenhaus. Damit auch hier keine Legenden entstehen:
Die Regelung gilt nicht bei planbaren oder verschiebba-
ren Routineuntersuchungen oder gar bei Bagatellerkran-
kungen, und es bleibt bei der freien Arztwahl. Denn es
geht darum, dass jeder, der eine ärztliche Untersuchung
bzw. Behandlung wirklich braucht, diese auch schnell
bekommt. Die Terminservicestelle vermittelt einen
Facharzt in zumutbarer Entfernung, kann aber nicht den
Termin beim Wunscharzt garantieren. Doch in Fällen, in
denen eine diagnostische Abklärung oder Behandlung
dringend erforderlich ist, überwiegt meist der Wunsch,
überhaupt einen Arzt zu sehen. Unter Wahlfreiheit ver-
stehen wir auch, dass der Patient diese Möglichkeit hat.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, es gibt viele
weitere wichtige Aspekte in diesem GKV-Versorgungs-
stärkungsgesetz, unter anderem einen Innovationsfonds,
bei dem wir viel Geld in die Hand nehmen, damit das zu-
kunftsfähige Gesundheitswesen in unserem Land auch
weiterhin Bestand hat.


(Beifall des Abg. Thomas Stritzl [CDU/CSU])


Wie in der Wirtschaft gilt auch im Gesundheitswesen:
Das Bessere ist der Feind des Guten. Wir wollen, dass
dieses Gesundheitswesen zukunftsfest bleibt. Dabei
bauen wir auf Ihre Unterstützung, und wir freuen uns auf
die parlamentarische Diskussion zu diesem wichtigen
Gesetz für die Patienten in unserem Land.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)







(A) (C)



(D)(B)


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1809100200

Für die Fraktion Die Linke erhält nun der Kollege

Harald Weinberg das Wort.


(Beifall bei der LINKEN)



Harald Weinberg (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1809100300

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Meine Damen und Herren! 280 Seiten Versorgungsstär-
kungsgesetz mit sehr vielen Vorschlägen: Ich kann in
vier Minuten mit Sicherheit nicht alle würdigen. Ich
halte mich da eher an den Tagesspiegel, der vorgestern
schrieb:

Es ist auch seine

– Minister Gröhes –

Antwort auf zwei der drängendsten Systempro-
bleme: den immer bedenklicher werdenden Ärz-
temangel in strukturschwachen Regionen und die
Benachteiligung von gesetzlich Versicherten gegen-
über Privatpatienten, die sich in überlangen Warte-
zeiten manifestiert.

Mit diesem Gesetzentwurf ist die Koalition also ange-
treten, die Zweiklassenmedizin in den Wartezimmern zu
beseitigen. Ich wäre froh, wenn ich Sie heute kritisieren
könnte, dass Sie hierbei auf halber Strecke stehen geblie-
ben sind. Bei der Hälfte des Weges sind Sie aber längst
nicht angekommen; denn Sie beschäftigen sich in dem
Gesetzentwurf ausschließlich mit den gesetzlich Versi-
cherten. Die Hauptursache für die Zweiklassenmedizin
ist aber die Privatversicherung. Mit der beschäftigt sich
der Gesetzentwurf aber überhaupt nicht.


(Thomas Stritzl [CDU/CSU]: Mannomann, man könnte es besser!)


Minister Gröhe, dem auch ich von hier aus noch gute
Besserung wünschen möchte, sagt selbst – sehr zur Be-
ruhigung der privaten Versicherungswirtschaft –:

Ich gehe nicht davon aus, dass die Verbesserungen
für Kassenpatienten zu Lasten der Privatversicher-
ten gehen.

Die Terminservicestellen sind ja eine nette Idee, aber
sie werden nicht das Problem lösen, das sie vorgeben lö-
sen zu wollen. Solange die Ärzteschaft für dieselbe Leis-
tung bei Privatversicherten doppelt und dreimal so viel
abrechnen kann wie bei gesetzlich Versicherten, so lange
wird es eine Zweiklassenbehandlung in der Arztpraxis
geben. Das ist klar, und das sagen auch die Ärztinnen
und Ärzte. Wer die Wartezeiten für gesetzlich Versi-
cherte verringern will, muss die Zweiklassenmedizin be-
seitigen und an die private Krankenversicherung heran.


(Beifall bei der LINKEN)


Es heißt dann, das ginge nicht, weil in der Großen
Koalition das Thema Bürgerversicherung im Koalitions-
vertrag ausgeklammert werden musste. Das sehe ich an-
ders. Wenn man es sozusagen zurückverfolgt, sieht man:
Herr Spahn hat seine Bedenken gegen die Geschäfts-
praktiken der PKV ja schon 2012 öffentlich zum Aus-
druck gebracht und die Branche ermahnt, sich selber zu
reformieren, wozu sie allerdings nicht in der Lage ist.
Bei der SPD, den Grünen und bei der Linken gibt es in
dieser Frage zwar im Detail Unterschiede, aber ansons-
ten eine gemeinsame ablehnende Haltung. Die einzige
hundertprozentige Lobbyorganisation der PKV, die FDP,
ist nicht mehr im Bundestag vertreten.


(Beifall bei der LINKEN)


Gleichzeitig nimmt die Akzeptanz und Attraktivität
der privaten Krankenversicherung in der Bevölkerung
offensichtlich ab. 2013 wanderten rund 37 000 Personen
mehr in die gesetzliche ab als umgekehrt von der gesetz-
lichen in die private. Immer mehr Versicherte wissen,
dass die in jungen Jahren oft geringen Beiträge in der
PKV mit hohen Beitragssteigerungen im Alter erkauft
werden. Ebenso hat es sich herumgesprochen, dass es
auch Lücken in den Leistungsversprechen der privaten
Krankenversicherung gibt und dass man im Falle von
Einkommensverlusten mit der Privatversicherung sehr
schlecht dasteht. Viele Beamte und kleine Selbstständige
sind mehr oder weniger unfreiwillig in der privaten
Krankenversicherung und verfügen über keine hohen
Einkommen. Sie drückt die Beitragsentwicklung beson-
ders. Kurz: Es hat sich herumgesprochen, dass die Pri-
vatversicherung nicht die erste Wahl ist. Dies ist eigent-
lich ein günstiges Umfeld, diese Frage wieder auf die
Tagesordnung zu setzen und damit tatsächlich einen gro-
ßen Schritt gegen eine Mehrklassenmedizin zu tun.


(Beifall bei der LINKEN)


Nun kommt immer wieder das Argument, das sei ver-
fassungsrechtlich gar nicht möglich und entsprechend
ausgestaltbar.


(Jens Spahn [CDU/CSU]: Es geht um Versorgung!)


Da empfehle ich Ihnen: Lesen Sie unseren Antrag ein-
mal genau! Wir gehen auf diese Bedenken durchaus ein.
Im Übrigen sind diese Bedenken hinsichtlich der verfas-
sungsrechtlichen Problematik nicht ganz nachvollzieh-
bar, wenn Sie bei anderen Gesetzesvorhaben dieses
Risiko der Verfassungstauglichkeit ziemlich vorsätzlich
ignorieren.


(Heiterkeit bei Abgeordneten der LINKEN)


Heute Mittag beraten wir beispielsweise über das Gesetz
zur Tarifeinheit, das ein sehr schönes Beispiel dafür ist.
Es gibt zwei Gutachten, die sehr starke verfassungs-
rechtliche Bedenken formulieren. Es gibt auch Unions-
abgeordnete, die in einer anderen Eigenschaft dagegen
klagen werden. Ich erinnere auch an das Bundeswahlge-
setz und die Hartz-IV-Regelsätze. Beides wurde gegen
Bedenken durchgesetzt und vom Bundesverfassungsge-
richt kassiert. Das geht mehrmals im Jahr so.


(Jens Spahn [CDU/CSU]: Können wir einmal etwas zum Thema hören?)


Ich nehme Ihnen also nicht ab, Sie würden Anträge
deshalb nicht unterstützen, weil verfassungsrechtliche
Bedenken bestehen; denn da haben Sie wenig Skrupel.
Wenn es Ihnen also nicht um Lobbyinteressen für die
private Krankenversicherung geht, dann sollten wir jetzt





Harald Weinberg


(A) (C)



(D)(B)

die Chance nutzen, dieses international einmalige und
absurde Nebeneinander von zwei Krankenversiche-
rungssystemen zu beenden.


(Beifall bei der LINKEN – Maria Michalk [CDU/CSU]: Das ist doch nicht absurd!)


Das ginge auch unterhalb oder außerhalb eines Modells
einer Bürgerversicherung. Dazu haben wir den Antrag
vorgelegt. Wir freuen uns auf die weiteren Beratungen.


(Beifall bei der LINKEN – Michael GrosseBrömer [CDU/CSU]: Ich würde mich noch einmal ins Thema einarbeiten!)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1809100400

Karl Lauterbach erhält nun das Wort für die SPD-

Fraktion.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. Karl Lauterbach (SPD):
Rede ID: ID1809100500

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Zunächst einmal darf ich auch im Namen unse-
rer Fraktion Minister Gröhe eine gute Besserung wün-
schen.


(Beifall)


Ich hoffe, dass er sich rasch erholt. Ich kann bezeugen,
dass er schon stark kränkelnd noch bis Dienstagmorgen
an diesem Gesetzentwurf gearbeitet hat. Er hat sozusa-
gen seine letzte gesunde Sitzung mit uns verbracht. Da-
für an dieser Stelle vielen Dank.

Wir werden bei diesem GKV-Versorgungsstärkungs-
gesetz folgende Philosophie beachten: Das deutsche Ge-
sundheitssystem hat sehr viele Stärken. Sehr vieles hat
sich bewährt. Wir wollen das Bewährte besser machen.
Wir wollen nicht die Grundsätze des Systems infrage
stellen. Von daher ist es ein System, welches ständig re-
formiert wird, welches wächst, welches international be-
achtet wird und mittlerweile ein Vorbild für die Refor-
men von Gesundheitssystemen in aller Welt geworden
ist. Aber wir haben in diesem System Probleme. Wir
wollen diese Probleme pragmatisch, unbürokratisch und
konkret angehen. Das ist der Grund, weshalb ich glaube,
dass dieses Gesetz seinen Namen verdient. Es ist ein
echtes GKV-Versorgungsstärkungsgesetz.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Die drei Probleme, auf die wir eingehen, sind wie
folgt zu beschreiben:

Erstens. Wir haben in Deutschland im Vergleich zur
Zahl der Fachärzte relativ wenige Hausärzte. Die Zahl
der Fachärzte steigt, die Zahl der Hausärzte sinkt etwas.
Das erste Problem ist also eine Fehlverteilung zwischen
Hausärzten und Fachärzten.

Das zweite Problem ist: Wir haben eine ausgespro-
chen ungleiche Arztverteilung. Die Ärzte sind oft dort
geballt zu finden, wo die Lebensqualität aus der Sicht
von Patienten und Ärzten als höher empfunden wird: in
den Großstädten, insbesondere in den wohlhabenden
Teilen der Großstädte. Wir haben eine zunehmende Un-
terversorgung in ländlichen Gebieten und in den Vor-
städten. Wir haben eine im europäischen Vergleich be-
sonders hohe Arztdichte – es gibt nur ein europäisches
Land, das eine noch höhere Arztdichte hat als Deutsch-
land –, gleichzeitig aber eine Unterversorgung in ländli-
chen Gebieten und in den Vorstädten. Das ist das zweite
Problem, welches wir angehen.

Das dritte Problem ist: Wir haben an der Schnittstelle
zwischen ambulanter und stationärer Versorgung sehr
viele Übergangsprobleme.

Diese drei Probleme wollen wir mit über 20 konkre-
ten Maßnahmen angehen. Wegen der Kürze der Zeit
konzentriere ich mich nur auf ein paar wichtige, um das
System zu illustrieren.

Ich fange mit der Kritik von Herrn Weinberg an. Herr
Weinberg sagte, das Hauptproblem sei die große Zahl
von Privatversicherten in Deutschland, die im Alter
mehr bezahlen müssten, als erwartet worden sei. Das ist
nicht ganz falsch. Aber falsch ist, dass wir dagegen
nichts tun. Derzeit ist es so, dass viele Arztsitze in über-
versorgten Gebieten dort nur wegen der hohen Zahl von
Privatpatienten weiterverkauft werden; denn mit weni-
gen Privatpatienten kann man in einer überversorgten
Region in kürzerer Arbeitszeit zum Teil mehr Gewinn
machen als in einer Versorgerpraxis in der Vorstadt. Was
tun wir dagegen? Wir sorgen dafür, dass ein solcher
Arztsitz demnächst von den Kassenärztlichen Vereini-
gungen zurückgekauft werden muss, um dann in der
Vorstadt eröffnet zu werden. Das ist schon eine Lösung
dieses Problems. Es ist dann unmöglich, sich dort nie-
derzulassen, wo es – auch weil es dort viele Privatpatien-
ten gibt – schon zu viele Ärzte gibt. Ein solcher Arztsitz
wird dann in eine unterversorgte Region in der Vorstadt
oder auf dem Land verlagert. Das ist doch eine sinnvolle
Maßnahme, meine sehr verehrten Damen und Herren.
Das ist der einzige Weg, die Ärzte unbürokratisch und
kurzfristig besser im Land zu verteilen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Eine weitere Maßnahme ist die Einrichtung der Ter-
minservicestellen. Jeder in Deutschland hat demnächst
die Möglichkeit, innerhalb von vier Wochen einen Fach-
arzttermin zu bekommen. Es gibt eine Nummer, die man
anruft. Dort wird dann ein Termin bei einem niedergelas-
senen Facharzt vermittelt. Kann ein solcher Termin nicht
vermittelt werden, dann bekommt man einen Termin in
einer Klinik und kann dort in die Ambulanz gehen. Man
hat somit die Sicherheit, innerhalb von vier Wochen ei-
nen Facharzttermin zu bekommen. Das ist etwas, was
wir benötigen. Das ist etwas, was wir angesichts der ho-
hen Facharztdichte, die wir in Deutschland in den Klini-
ken und bei den niedergelassenen Ärzten haben, darstel-
len können. Wir sorgen also für eine unbürokratische
Verbesserung des Zugangs der Patienten, die einen Fach-
arzttermin benötigen, und zwar innerhalb von vier Wo-
chen.


(Beifall bei der SPD)






Dr. Karl Lauterbach


(A) (C)



(D)(B)

Eine weitere sehr wichtige Maßnahme, die wir durch-
führen, ist: Wir verbessern den Zugang zu unseren
Hochschulkliniken. Wir haben in Deutschland sehr leis-
tungsfähige Hochschulkliniken. Sie versorgen einen gro-
ßen Teil der ambulanten Fälle, insbesondere der komple-
xen, der komplizierten Fälle. Sie werden dafür aber
unterbezahlt. Sie machen mit jedem dieser Patienten im
Durchschnitt einen Verlust; das ist natürlich nicht hinzu-
nehmen. Dieser Verlust wird durch die stationären Ein-
nahmen kompensiert. Wir vergüten die Hochschulklini-
ken jetzt in einer Art und Weise, dass sie kostendeckend
arbeiten. Wir vereinfachen auch dort den Zugang. Wir
vereinfachen die Ermächtigungen dieser Kliniken. Wir
vereinfachen im Prinzip die Nutzung unserer Hochschul-
medizin, und zwar bei Qualität und Quantität. Auch das
ist für viele Patienten eine deutliche Verbesserung des
Angebotes. Das, was wir hier gemacht haben, war über-
fällig und wird von den Patienten, aber auch von den
Ärzten gewünscht.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Wir werden die Organisation im Hinblick auf chro-
nisch Kranke, die an Depressionen oder Rückenleiden
erkrankt sind, was zu massiven Beeinträchtigungen der
Lebensqualität und zu hohen volkswirtschaftlichen Ver-
lusten führt, verbessern. Für sie führen wir die bewähr-
ten Chronikerprogramme, die wir schon für Zucker-
kranke und für Herzkranke anbieten, ein. Auch das ist
eine unbürokratische Verbesserung der Versorgung. Wir
werden ferner die Regelungen für qualitätsorientierte Se-
lektivverträge verbessern.

Ich komme zum Schluss. Zusammengefasst ist das
eine Reform nicht gegen Ärzte, sondern das ist eine Re-
form für Ärzte und für Patienten.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wir verbessern die Möglichkeiten für Ärzte, sich dort
niederzulassen und dort zu arbeiten, wo sie unter den
heutigen Bedingungen gerne arbeiten und wo ihre Ar-
beitszeiten ihren Lebensvorstellungen angepasst werden
können. Außerdem verbessern wir den Zugang zu Quali-
tät und zur Erreichbarkeit in unserem System. Insofern
ist das aus meiner Sicht ein Gesetz, das seinen Namen
verdient: eine GKV-Versorgungsstärkung.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1809100600

Harald Terpe ist der nächste Redner für die Fraktion

Bündnis 90/Die Grünen.


Dr. Harald Terpe (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1809100700

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen

und Kollegen! Ich schließe mich natürlich den guten
Wünschen für den Minister an, obwohl ich das nicht als
„kränkeln“ bezeichnen würde, Karl, denn „kränkeln“ ist
ein Begriff, der fast nichtmedizinisch ist.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich denke, dass die
Koalition mit ihrem Gesetzentwurf den zentralen He-
rausforderungen des Gesundheitssystems der kommen-
den Jahre ausweicht. Es liegt ein seitenstarker Gesetz-
entwurf voller kleinteiliger ministerialer Routine vor.
Der Gesetzentwurf spiegelt aber auch den kleinmütigen
gesundheitspolitischen Gestaltungsanspruch der Großen
Koalition wider.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Hier und da werden kleine Verbesserungen vorge-
schlagen, die zu begrüßen sind. Ich werde darauf einge-
hen. Hier und da werden aber auch unzulängliche Kor-
rekturen vergangener eigener Fehler vorgenommen.
Auch darauf werde ich eingehen. Die notwendigen Re-
formen der Versorgungsstruktur werden insgesamt je-
doch auf die lange Bank geschoben.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


So fehlen dringend benötigte Regelungen zu einer breit
getragenen regionalen Verantwortung zur Stärkung der
Versorgung, insbesondere in ländlichen Räumen und in
sozial benachteiligten Stadtteilen. An dieser Stelle sei
mir eine kurze Anmerkung gegönnt. Es gibt den Sicher-
stellungsauftrag der KBV. Das genannte Problem ist
aber nie gelöst worden. Ich glaube, wir lösen das Pro-
blem nur, wenn wir die Verantwortung regional breiter
aufstellen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Das Gleiche gilt für das prekäre fortgesetzte Scheitern
bei der Reform der Bedarfsplanung. Im Falle der Arzt-
sitze zum Beispiel werden damit sogar Ihre eigenen
Ziele torpediert. Kollege Lauterbach hat schon etwas zur
Arztsitzverteilung gesagt. Es ist nun einmal so, dass die
Bedarfsplanung auf völlig veralteten Zahlen und nicht
auf der realen Krankenlast beruht. Dies führt zu Un-
gleichgewichten bei der Arztsitzverteilung.

Ich glaube, es ist vielleicht doch zu positiv gedacht,
dass man einfach sagt: Wir vertrauen wieder auf die glei-
che KBV, die den Sicherstellungsauftrag hat, die aber
der Bedarfsplanung nicht nachgekommen ist, um diese
ungleiche Arztverteilung zu beseitigen.

Nun aber zu den sinnvollen Regelungen. Ich will ein
paar Beispiele nennen. Natürlich werden wir Grüne ei-
ner Nutzenbewertung beispielsweise von Medizinpro-
dukten der hohen Risikoklassen zustimmen. Das ist im
Übrigen eine Sache, die in den vergangenen Jahren ins-
besondere von der Union immer wieder torpediert wor-
den ist. Wir haben in der vergangenen Legislaturperiode
Vorschläge hierzu gemacht. Insofern freue ich mich,
dass wir das jetzt gemeinsam durchsetzen können. Na-
türlich ist die Förderung der Weiterbildung für Hausärzte
eine wichtige Sache. Die Aufstockung auf 7 500 Stellen
begrüßen wir ausdrücklich. Es wird Zeit, dass wir bei der
Weiterbildung der Hausärzte vorankommen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Sie haben Ihre zentralen Projekte genannt. Sie haben
zum Beispiel auf den Innovationsfonds abgehoben. Das
ist auch nur die Korrektur eines vergangenen Fehlers.
Bis 2008 gab es in Bezug auf die Anschubfinanzierung
für die integrierte Versorgung nämlich Vergleichbares.
Sie legen jetzt einen Innovationsfonds auf, der mit we-





Dr. Harald Terpe


(A) (C)



(D)(B)

sentlich geringeren Mitteln ausgestattet ist und wiede-
rum nicht die Evaluation der ehemaligen integrierten
Versorgung berücksichtigt. Damit sorgen Sie wieder für
die gleiche Situation: Es können Anträge gestellt
werden. Aber das, was eigentlich nötig wäre, dass man
beispielsweise Modellregionen für eine populations-
orientierte integrierte Versorgung schafft, auch für be-
nachteiligte Gruppen, lassen Sie vermissen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Nun zu der Frage, wer hier Antragsteller sein darf. Ich
denke, in Zukunft sollten Regionen und Kommunen An-
tragsteller sein; das ist eine Herausforderung. Aber
gerade das wird vernachlässigt. Stattdessen gibt es Hin-
weise darauf, dass Pharmaunternehmen und Medizin-
produktunternehmen Anträge stellen können. Das deutet
darauf hin, dass es in Ihrem Gesetzentwurf zwar auch
um Innovationen geht, aber nicht um die Innovationen,
die man für eine vernünftige Versorgungsstruktur
braucht.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ein paar kurze Ausführungen zum Zweitmeinungs-
verfahren. Sie sehen hier eine Regelung vor, die sich
vordergründig an ökonomischen Kriterien orientiert. Wir
sagen: Man muss überdenken, ob das ethisch so vertret-
bar ist. Bei Zweitmeinungsverfahren muss es nämlich
primär um die Frage gehen: Was ist gut für den Patien-
ten?


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Deshalb muss man das als allgemeinen Anspruch bzw.
Patientenrecht gestalten. Das macht auch Sinn im Hin-
blick auf die ökonomische Gestaltung der Versorgungs-
struktur. Darüber können wir uns in der parlamentari-
schen Diskussion gerne auseinandersetzen.

Zur Versorgung von Menschen mit Behinderung. Sie
machen hier einige Vorschläge, die sinnvoll sind. Als
Beispiele nenne ich die Mitaufnahme in Hausarztver-
träge, die Barrierefreiheit von Krankenhäusern und Re-
gelungen zur Zahnprophylaxe. Es fehlt hier aber ein um-
fassender Ansatz. Ich erinnere an das Trauerspiel in der
parlamentarischen Diskussion, als es um unseren Antrag
ging, und denke hier insbesondere an die Kollegen der
Unionsfraktion. Ich denke, wir sollten in der parlamenta-
rischen Anhörung zu unserem Antrag versuchen, Vor-
schläge zu finden, die wir in dem Entwurf eines Versor-
gungsstrukturgesetz berücksichtigen können.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Zur Wartezeitenregelung. Es ist völlig richtig, dass
der Anlass für die Diskussion um Wartezeiten nicht die
Frage war, ob Kassenpatienten hier und da lange warten,
sondern die Tatsache, dass sie im Durchschnitt länger
warten als die Privatpatienten. Dieses Problem wird mit
der Wartezeitenregelung überhaupt nicht gelöst.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ich glaube, auch ansonsten haben Sie zu viel Hoffnung;
denn Sie gehen den Ursachen dieser Wartezeiten nicht
auf den Grund. Hier haben wir noch einen erheblichen
Nachholbedarf.

Damit bin ich wieder bei dem, was Sie mit diesem
Versorgungsstrukturgesetz überhaupt nicht erreichen,
nämlich eine Verbesserung bzw. Reform der Bedarfspla-
nung.


(Maria Michalk [CDU/CSU]: Das haben wir doch geregelt! Man muss es nur umsetzen! – Gegenruf der Abg. Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist nicht geregelt!)


Natürlich gibt es bei bestimmten Facharztprofessionen
Engpässe, und Sie werden mit keiner Serviceterminstelle
dagegen ankommen. Ich frage mich in Bezug auf die
Serviceterminstellen auch: Werden diejenigen, die sich
am besten artikulieren können, einen Termin zulasten
derer bekommen, die sich nicht so gut artikulieren kön-
nen? Das ist eine Frage, die wir zumindest stellen müs-
sen und die auch beantwortet werden muss.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Wir legen Ihnen zu diesem Gesetzentwurf einen eige-
nen Antrag vor. In diesem konzentrieren wir uns auf die
wesentlichen Punkte. Einige habe ich schon genannt: die
Reform der Bedarfsplanung – das ist sehr wichtig –, die
Organisation der sektorenübergreifenden Versorgung
und Verbesserungen bei dem von Ihnen richtigerweise
vorgeschlagenen Innovationsfonds. Das, was Sie hier
leisten, kann noch nicht alles sein. In diesem Sinne freue
ich mich auf die parlamentarische Diskussion und hoffe,
dass wir noch eine ganze Reihe Verbesserungsvor-
schläge unterbringen können.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1809100800

Nächster Redner ist der Kollege Georg Nüßlein für

die CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. Georg Nüßlein (CSU):
Rede ID: ID1809100900

Herr Präsident! Meine Damen! Meine Herren! Wenn

der Redner der größten Oppositionsfraktion hier nichts
anderes macht, als die alte Kampflinie zwischen privater
und gesetzlicher Krankenversicherung erneut zu ziehen,
also gar nicht zum Thema spricht,


(Harald Weinberg [DIE LINKE]: Es gibt einen Antrag dazu! Den haben Sie nur nicht zur Kenntnis genommen! Das ist das Problem!)


lässt das nur einen Schluss zu: Der vorliegende Gesetz-
entwurf muss gut sein.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Sie haben auch etwas Richtiges gesagt, Herr
Weinberg, nämlich dass wir uns in einer bemerkenswert
guten Finanzsituation befinden. Die Finanzreserven im
Gesundheitsfonds betragen 12 Milliarden Euro und die
Reserven der Krankenkassen etwa 16 Milliarden Euro.





Dr. Georg Nüßlein


(A) (C)



(D)(B)

Der Unterschied zwischen Ihnen und uns ist: Sie würde
das veranlassen, die Ausgabendisziplin aufzukündigen.
Wir nutzen die Chance, über Verbesserungen der Versor-
gung zu diskutieren und dazu etwas auf den Tisch zu le-
gen.

Nun hat Herr Terpe die Kleinteiligkeit in diesem Ge-
setzentwurf gerügt. Er hat diesen Entwurf erfreulicher-
weise aber auch gelobt. Natürlich wird mit diesem Ge-
setzentwurf an vielen Stellen eingegriffen. Der Kollege
Lauterbach hat recht, wenn er sagt: Wir haben eine aus-
gesprochen gute Versorgung. Wer das nicht glaubt, kann
das an der sicheren Rückführung aus dem Ausland im
Krankheitsfall ablesen. Denn wenn jemand im Ausland
krank wird, hat er nur noch einen Gedanken: Wie
komme ich zurück nach Deutschland?


(Harald Weinberg [DIE LINKE]: Das kommt doch jedes Mal! Vielleicht will man einfach zurück zur Mutter!)


– Schreien Sie doch nicht so laut! Hören Sie zu; das
wäre nicht falsch. Vielleicht lernen Sie tatsächlich noch
etwas.


(Harald Weinberg [DIE LINKE]: Das ist wie Bullshit-Bingo! Diese Geschichte höre ich zum zehnten Mal!)


– Sie ist aber wahr. – Es geht darum, dafür Sorge zu tra-
gen, dass es auf dem Land wieder mehr Ärzte gibt und
dass Kinderärzte dahin kommen, wo die Versorgung
nicht ganz so gut ist. Dazu haben wir einen umfassenden
Katalog von Anreizen und finanzieller Unterstützung
entwickelt.

Anders als momentan in der Öffentlichkeit der Ein-
druck erweckt wird, geht es uns um die Stärkung der
freiberuflich tätigen, niedergelassenen Ärzte. Dieses
Modell hat sich seit vielen Jahrzehnten bewährt und hat
dazu beigetragen, dass die Patienten in Deutschland freie
Arztwahl und freien Zugang zur ambulanten medizini-
schen Versorgung haben. Es gibt überhaupt keinen An-
lass, dies aufzugeben und etwa die ambulante fachärztli-
che Versorgung in die Krankenhäuser zu verlagern; das
möchte ich ganz ausdrücklich sagen, damit hier nicht et-
was anderes behauptet wird.

Gleichwohl müssen wir zur Kenntnis nehmen, dass
die Bereitschaft der jungen Ärzte, sich niederzulassen,
zurückgeht, weil sie eine andere Vorstellung von dem
haben, was man Work-Life-Balance nennt. Da hat sich
etwas getan. Auch das berücksichtigen wir in diesem
Gesetzentwurf. Wir haben schon vorher die Errichtung
Medizinischer Versorgungszentren oder von Einrichtun-
gen der Kassenärztlichen Vereinigungen erleichtert. Jetzt
gehen wir weiter und geben auch den Kommunen die
Chance, Ärzte anzustellen. Wir sind nämlich der festen
Überzeugung, dass die Kommunalpolitiker vor Ort die
Versorgungsprobleme am besten kennen und die größte
Motivation haben, die Probleme zu lösen. Deswegen
werden wir ihnen dazu die Möglichkeit geben.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Dr. Harald Terpe [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Das löst das Problem allerdings nur dann, wenn auch ein
Arzt gefunden wird, der hier mitmacht. Deshalb versu-
chen wir, junge Ärzte für bestimmte Bereiche, in denen
Unterversorgung besteht, zu gewinnen.

Es gibt aber – auch das muss man zugeben – einiges,
was man nicht gesetzlich regeln kann, zum Beispiel die
Einstellung gegenüber einer Arbeit auf dem Land und
die verbreitete falsche Erwartung, dass die Stadt angeb-
lich mehr an Lebensqualität zu bieten hätte. Das kann
man nicht gesetzlich regeln. Aber wir können die Vo-
raussetzungen für eine Arbeit auf dem Land verbessern
und dafür sorgen, dass eine ärztliche Tätigkeit im ländli-
chen Raum auch ökonomisch wieder interessant wird.
Wir haben das ganz zu Beginn der Legislaturperiode da-
durch gemacht, dass wir die gesetzlichen Grundlagen für
die Hausarztverträge neu geregelt haben, damit der
Hausarztberuf für den potenziellen Nachwuchs wieder
attraktiv wird, und das wirkt auch tatsächlich.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Nun geht es darum, die Hausarztversorgung wohnort-
nah zu sichern. Der ärztliche Versorgungsbedarf lässt
sich aber nicht alleine mit Verhältniszahlen messen, son-
dern er hängt auch von den Bedürfnissen und der Wahr-
nehmung der Patienten ab.


(Dr. Harald Terpe [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist sehr richtig, aber da macht ihr nichts!)


Dabei spielen Aspekte wie die Erreichbarkeit unter an-
derem mit öffentlichen Verkehrsmitteln und Wartezeiten
bei bestimmten Arztterminen eine entscheidende Rolle.

Die derzeit geltende Bedarfsplanung ist in Teilen zu
schematisch und berücksichtigt die regionalen Anforde-
rungen nur unzureichend.


(Dr. Harald Terpe [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist seit langem bekannt, und ihr macht nichts!)


– Freuen Sie sich doch, wenn ich Ihnen recht gebe, Herr
Terpe. –


(Dr. Harald Terpe [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, ich sage: Guter Gedanke, aber ihr müsst etwas machen!)


Deswegen müssen wir uns im Fortgang unserer Politik
noch einmal damit befassen, wie wir damit umgehen.

Auch die Kritik, die wir bei der Regelung zum Auf-
kauf von Arztpraxen erfahren haben, hängt damit zu-
sammen. Aber wir haben keine Mussbestimmung ge-
schaffen, wie der Kollege Lauterbach behauptet hat,
sondern es ist eine Sollregelung. Das hängt also auch
von der Zustimmung der Ärzteschaft ab; daran wollen
wir nichts ändern.

Wir werden im parlamentarischen Verfahren noch
einmal darüber diskutieren müssen, ab wann ein Gebiet
überversorgt ist.


(Beifall bei der CDU/CSU)






Dr. Georg Nüßlein


(A) (C)



(D)(B)

Das müssen wir noch einmal entsprechend debattieren,
und ich glaube, dass wir zu den richtigen Lösungen
kommen werden.


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1809101000

Herr Kollege Nüßlein, lassen Sie kurz vor Schluss Ih-

rer Rede noch eine Zwischenfrage oder -bemerkung zu?


Dr. Georg Nüßlein (CSU):
Rede ID: ID1809101100

Von wem denn?


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1809101200

Von Frau Klein-Schmeink.


Dr. Georg Nüßlein (CSU):
Rede ID: ID1809101300

Okay.


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1809101400

Bitte schön.


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Danke schön. – Herr Nüßlein, Sie haben auf die Pro-
blematik der Versorgungsplanung hingewiesen. Sie ha-
ben in Ihrem Gesetzentwurf eine sehr deutliche Rege-
lung vorgesehen, nämlich dass Praxissitze nicht wieder
besetzt werden können, wenn die Unterversorgungsfest-
stellung überschritten wird.

Sie haben die Probleme schon angeführt. Es liegen in
der Tat keine wissenschaftlichen Studien dazu vor, wie
sich die Versorgung in den Regionen abbildet. Wir haben
vielmehr einen historischen Aushandlungsstand. Das
wird beispielsweise im Bereich der Psychotherapeuten
sehr deutlich, wo man einfach die Versorgung an einem
bestimmten Stichtag als Hundertprozentversorgung defi-
niert und das danach nicht weiterverfolgt hat.

Wie wollen Sie jetzt damit umgehen – Sie haben eine
Diskussion darüber angekündigt, um zu einer sachge-
rechteren Lösung zu kommen –, wenn Sie sich gar nicht
darum bemühen, ein anderes Kriterium für die Versor-
gungsplanung auf den Weg zu bringen? Davon ist in Ih-
rem Gesetzentwurf nämlich nicht die Rede; Sie haben
vielmehr eine Sollregelung geschaffen, nach der Praxis-
sitze nicht wieder besetzt werden können. Sie haben aber
keine Regelung vorgesehen, derzufolge Sie sich um bes-
sere Versorgungswerte bemühen, indem Sie die Krank-
heitslast in einer Region erfassen und die demografi-
schen Anforderungen berücksichtigen.

Haben Sie vor, das in dem Gesetz zu regeln? Das
würde uns freuen. Es würde uns auch sehr freuen, wenn
Sie insbesondere die Frage der psychotherapeutischen
Versorgung aus diesem Kontext ausklammern würden.
Denn das, was derzeit dazu im Gesetzentwurf vorgese-
hen ist, ist geradezu aberwitzig.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Dr. Georg Nüßlein (CSU):
Rede ID: ID1809101500

Frau Kollegin, zum einen eröffnen wir heute das par-

lamentarische Verfahren. Das heißt, es wird genau diese
Diskussion geben, die Sie angesprochen haben. Zum an-
deren sind wir nun an dem Punkt, an dem wir regeln
können, dass nicht 110 Prozent Überversorgung als
Maßstab zugrunde gelegt werden, sondern dass wir,
wenn die Basis nicht ganz exakt ist, das meinetwegen
auf 150 Prozent ausweiten.


(Zuruf von der SPD: Bloß nicht!)


– Das ist nur ein Beispiel. – Wir können es auf 150 Pro-
zent ausweiten, um einen entsprechenden Abstand zu
haben.


(Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Haben Sie es gemerkt? Der Koalitionspartner geht nicht mehr mit Ihnen mit! – Weiterer Zuruf der Abg. Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


– Ich verstehe Sie nicht.

Ich möchte noch einmal betonen: Es handelt sich um
eine Einzelfallregelung, die genau die Aspekte berück-
sichtigt, die Sie gerade angesprochen haben. Wir gehen
davon aus, dass die damals angenommenen 100 Prozent
nicht mehr zutreffen, wenn beispielsweise Patienten aus
dem Nachbarlandkreis in eine Praxis kommen. Solche
Faktoren wird man selbstverständlich berücksichtigen.
Insofern meine ich, dass das Vorhaben zwar gut ausge-
staltet ist, dass wir aber insbesondere dieses Problem
kurzfristig dadurch lösen können, dass wir die Überver-
sorgung anders definieren als bisher im Gesetzentwurf.


(Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das muss aber noch diskutiert werden!)


Diese Vorschläge jedenfalls werden wir prüfen.

Was die Terminservicestellen angeht, möchte ich
deutlich unterstreichen, dass diese das Thema sind, das
die Leute draußen am meisten bewegt. Da werden wir
am Erfolg gemessen. Deshalb sollten wir alles daranset-
zen, dass diese tatsächlich Wirkung entfalten. Aber wir
sollten uns im parlamentarischen Verfahren noch einmal
Gedanken machen, wie man in dieses System das ein-
baut, was in verschiedenen Regionen inzwischen schon
funktioniert.

Ich glaube, dass wir beim Innovationsfonds mittler-
weile eine gute Lösung gefunden haben. Wir werden das
so austarieren, dass wir nicht nur jährlich 300 Millionen
Euro zur Verfügung stellen, sondern dass am Schluss
auch etwas dabei herauskommt, dass die Projekte richtig
ausgewählt werden und dass ein Expertengremium ein-
gesetzt wird, das das Notwendige tut. Wir sind auch da
auf einem guten Weg. Ich freue mich auf die Beratungen
über ein ausgesprochen gutes Gesetz, das die Versor-
gung in Deutschland ein ganzes Stück voranbringen
wird.

Vielen herzlichen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)







(A) (C)



(D)(B)


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1809101600

Das Wort erhält nun die Kollegin Birgit Wöllert für

die Fraktion Die Linke.


(Beifall bei der LINKEN)



Birgit Wöllert (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1809101700

Sehr geehrter Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen

und Kollegen! Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer, liebe
Zuschauerinnen und Zuschauer, ich denke vor allem für
Sie – so habe ich die Frau Staatssekretärin verstanden –
und für Ihre bessere Versorgung sollte dieses Gesetz ge-
macht werden. Bei Ihrer Rede, Kollege Nüßlein, habe
ich angefangen, daran zu zweifeln. Denn Sie haben fast
wörtlich gesagt: Worum es uns bei diesem Gesetz geht,
ist die Stärkung der freiberuflich niedergelassenen Ärzte. –
Ich glaube, Ihre Betonung lag da noch auf dem Wort
„niedergelassen“; denn das Wort „freiberuflich“ – das
sollte man noch einmal sagen; das wird immer so kriti-
siert – meint auch die Diagnose- und Therapiefreiheit.
Die gewähren auch angestellte Ärzte. Das sollten wir
vielleicht ganz deutlich machen.


(Beifall bei der LINKEN)


Auch von mir noch einmal gute Wünsche an den Ge-
sundheitsminister und gute Besserung. Für diesen Ge-
setzentwurf wünsche ich mir auf dem Weg zum Gesetz
noch viele Verbesserungen; sie sind einfach dringend
notwendig.


(Beifall bei der LINKEN)


Zunächst einige Schlagzeilen der letzten Wochen. Am
18. Februar 2015 schreibt die Ärztezeitung:

Ärztemangel erreicht die Städte. Die Stadt Wolfs-
burg lockt mit 50 000 Euro für neue ärztliche Nie-
derlassungen. Ein großes Hindernis: Es gibt doch
dort fast nur noch gesetzlich Versicherte.

Am 10. Februar 2015 meldet die Frankfurter Rund-
schau für Darmstadt-Dieburg: 35 Medizinerinnen und
Mediziner hören in diesem Jahr auf; schon jetzt fehlen
14 Hausärztinnen und Hausärzte. Der dortige Landrat
hat ein Konzept entwickelt: Alle Aufgaben – Haus- und
Fachärztemangel, defizitäre Kliniken im Wettbewerb
und die sich wandelnde Pflege im Alter – sollen mitei-
nander verknüpft betrachtet werden. – Vorbildlich! Das
wäre ein Beispiel für die Bundesregierung.


(Beifall bei der LINKEN)


Am 15. Februar 2015 schreibt die Zeitung Am Sonn-
tag:

Horror-Szenario Ärztemangel.

Der durchschnittliche Hausarzt in Bayern ist …
54,3 Jahre alt und männlich. Im Raum Pocking und
Vilshofen liegt der Schnitt sogar bei ziemlich genau
59 Jahren.

Warum nenne ich diese Beispiele? Nicht aus Panik-
mache, sondern weil das Problem schon längst nicht
mehr nur ein ostdeutsches ist. Es hat sogar die reichen
Länder Bayern, Hessen und auch Niedersachsen er-
reicht.
Bei mir in Brandenburg ist dieses Thema seit neun
Jahren spruchreif. Seit dieser Zeit reden wir darüber. In
meinem Bundesland Brandenburg sind von den 46 Mit-
telbereichen – das ist die Planungsgröße für die Haus-
ärzte – 13 Bereiche bereits von Unterversorgung betrof-
fen oder bedroht. Es gibt insgesamt 30 Bereiche, die
offene Stellen für Hausärztinnen und Hausärzte haben.
In meinem Landkreis Spree-Neiße ist es noch prekärer.
Da gibt es überhaupt keinen Bereich mehr mit einer 100-
prozentigen Versorgung. Ähnlich sieht es bei den Fach-
ärztinnen und Fachärzten aus. Ich nenne als Beispiel die
Augenheilkunde. Nach der regionalen Planungskennzif-
fer ist ein Augenarzt für 20 349 Einwohner vorgesehen.
Vorgeschrieben sind sieben Fachärzte für Augenheil-
kunde, um eine 100-prozentige Versorgung zu gewähr-
leisten; fünf haben wir nur. Nun wissen Sie, wo die Pro-
bleme liegen.

Der Landrat in Hessen, den ich vorhin zitierte, hat
also ein mutiges Konzept entwickelt. Das würde ich der
Bundesregierung sehr gerne noch einmal ans Herz legen.
Denn 2012 wurde zwar das Landärztegesetz verabschie-
det, dies hat uns aber nicht mehr Landärzte beschert.
Deshalb brauchen wir jetzt auch kein Versorgungsstär-
kungsgesetz, das uns keine tatsächliche Stärkung der
Versorgung bringt. Da haben wir einfach noch viel zu
tun.

Es gibt ein paar Dinge, die auszubauen sind. Ich hoffe
sehr, dass der Fonds, den wir dann haben, tatsächlich für
Versorgungsforschung genutzt wird. Ich glaube, wir ha-
ben in unserem Antrag zur Bedarfsplanung gute Vor-
schläge gemacht. Es gibt genauso gute Vorschläge im
Antrag der Grünen. Sollte das alles in unsere Diskussion
einfließen und dann am Ende auch noch mit Ergebnissen
verziert werden, könnte doch noch ein gutes Versor-
gungsstärkungsgesetz zustande kommen.

Danke schön.


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1809101800

Für die SPD-Fraktion hat nun die Kollegin Sabine

Dittmar das Wort.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Sabine Dittmar (SPD):
Rede ID: ID1809101900

Sehr geehrter Herr Präsident! Kolleginnen und Kolle-

gen! Das Gesetz, dessen Entwurf vorliegt, hat zum Ziel,
die medizinische Versorgung auf hohem Niveau zu si-
chern. Dabei sind mir drei grundsätzliche Aspekte be-
sonders wichtig:

Erstens. Die medizinische Versorgung in Deutschland
muss flächendeckend, bedarfsgerecht und gut erreichbar
sein. Das gestaltet sich in ländlichen Regionen immer
schwerer.

Zweitens. Die medizinische Versorgung muss quali-
tätsorientiert, evidenzbasiert und leitliniengerecht sein.
Die Patientinnen und Patienten müssen sich darauf ver-
lassen können, dass Diagnostik und Therapie nur dem





Sabine Dittmar


(A) (C)



(D)(B)

gesundheitlichen Wohl dienen und nicht ökonomisch be-
gründet sind.

Drittens. Wir müssen dem Wunsch der Patienten nach
einer vernetzten, nach einer koordinierten Behandlung
ohne Versorgungsbrüche gerecht werden. Auch das wird
angesichts des spezialisierten Behandlungsangebotes
immer schwieriger.

Deshalb ist es legitim und auch notwendig, wenn wir
uns der bedarfsgerechten Verteilung der Ärztinnen und
Ärzte annehmen. Wenn ich in meine Heimatregion
schaue, dann muss ich feststellen, dass es der Kassen-
ärztlichen Vereinigung immer schwerer fällt, dem Gan-
zen gerecht zu werden; das haben uns schon Vorredner
bestätigt. Bei mir zu Hause, in Schweinfurt-Nord, gibt es
seit über einem Jahr eine dokumentierte anhaltende Un-
terversorgung; zehn Hausarztsitze sind nicht besetzt, ste-
hen also zur Verfügung. Nebenan, im Planungsbereich
Schweinfurt-Süd, gibt es nicht nur eine Regelversor-
gung, sondern sogar eine Überversorgung. Deshalb,
denke ich, ist es notwendig, dass wir uns mit einer
gleichmäßigen Verteilung beschäftigen, dass wir uns der
Unterversorgung und der Überversorgung widmen.

Gegen die Unterversorgung haben wir in der Vergan-
genheit schon einiges getan. Ich nenne hier folgende
Punkte: Flexibilisierung der vertragsärztlichen Tätigkeit,
Einrichtung eines Strukturfonds, Aufhebung der Resi-
denzpflicht, Aufhebung von Budgetgrenzen. Auch durch
die Verabschiedung des vorgelegten Gesetzentwurfs
werden die Einsatzmöglichkeiten erweitert. Das geht
von einer Erweiterung des Strukturfonds bis hin zur De-
legation. Wir geben den Kassenärztlichen Vereinigungen
also Werkzeuge an die Hand. Aber wir erwarten von die-
sen auch, dass sie diese Werkzeuge zum gezielten Abbau
von Überversorgung einsetzen. Aus diesem Grund wer-
den wir sie in die Verantwortung nehmen.

Wir werden darauf Wert legen, dass man sich in Pla-
nungsbereichen, die zu über 110 Prozent versorgt sind,
bei einer Nachbesetzung intensiv mit der Versorgungs-
situation vor Ort auseinandersetzt, dass man genau
hinschaut, welchen Versorgungsauftrag eine Praxis
wahrnimmt, wie die Patientenströme aus anderen Pla-
nungsbereichen sind, welche spezielle Qualifikation
man braucht; die Staatssekretärin hat die Rheumatologen
schon angesprochen. Danach wird entschieden. Braucht
man eine Praxis aus Versorgungsgründen, dann wird sie
nachbesetzt. Braucht man eine Praxis aus Versorgungs-
gründen nicht, dann wird sie aufgekauft. Das ist kein
Automatismus, das ist auch keine Rasenmähermethode,
die bei einem Versorgungsgrad von 110 Prozent die ärzt-
liche Versorgung plattmacht, sondern das ist die Über-
nahme von Verantwortung zur Gewährleistung eines ge-
rechten Zugangs zur ärztlichen Versorgung.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des Abg. Harald Weinberg [DIE LINKE])


Deshalb verstehe ich – lassen Sie mich das in aller
Deutlichkeit sagen – den kollektiven Aufschrei aus der
verfassten Ärzteschaft nicht. Ich halte ihn für nicht ange-
bracht. Er verunsichert Patienten und Ärzte gleicherma-
ßen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Die Debatte um Über- und Unterversorgung hat ge-
zeigt, dass die Bedarfsplanungsrichtlinie nicht den
tatsächlichen Versorgungsbedarf widerspiegelt. Ich
schließe mich da dem Sachverständigenrat an, der eine
empirische Studie zur Bedarfsermittlung einfordert, da-
mit wir neben Demografie Morbidität, sozioökonomi-
sche Faktoren, Infrastruktur sowie konkrete Versor-
gungsleistungen berücksichtigen können.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Ich muss hier sagen, dass ich dem Bundesrat für sei-
nen Antrag zur Weiterentwicklung der Bedarfsplanung
dankbar bin. Auch begrüße ich es, dass die Bundesregie-
rung zugesagt hat, diesen zu prüfen. Die Aussagen des
Kollegen Nüßlein hier am Pult geben mir ein bisschen
Hoffnung, dass wir vielleicht auch ohne Vereinbarung
im Koalitionsvertrag bei diesem Punkt weiterkommen
werden.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Die ganze Planung bringt uns aber nichts, wenn es
uns nicht gelingt, auch die jungen Mediziner für die am-
bulante Tätigkeit zu begeistern. Die klassische Einzel-
kämpferpraxis hat an Attraktivität verloren. Die jungen
Kolleginnen und Kollegen möchten im Team arbeiten.
Sie möchten geregelte Arbeitszeiten, und sie achten auf
ihre Work-Life-Balance. Genau deshalb werden wir
nicht nur neue, innovative, sektorenübergreifende Ver-
sorgungsformen fördern, sondern auch kooperative Ver-
sorgungsformen wie MVZ, Medizinische Versorgungs-
zentren, sowie Ärztenetze entbürokratisieren und
flexibilisieren.

Lassen Sie mich auf einen weiteren wichtigen
Schwerpunkt dieses Gesetzes eingehen, nämlich auf die
Förderung der Allgemeinmedizin. Wir gestalten sie nicht
nur verlässlicher, rechtssicherer, sondern wir entwickeln
sie weiter. Es ist schon erwähnt worden, dass wir die
Zahl der zu fördernden Stellen auf 7 500 erhöhen wer-
den. Auch werden wir festlegen, dass die Vergütung des
Weiterbildungsassistenten einer tarifvertraglichen Ver-
gütung im Krankenhaus zu entsprechen hat. Auch das ist
eine wichtige Maßnahme. Ich möchte hier aber in aller
Deutlichkeit sagen: Es muss uns dann auch gelingen,
diese 7 500 Stellen mit weiterbildungswilligen Medizi-
nern zu besetzen. Das Interesse an Weiterbildung wird
bereits im Studium geweckt. Deshalb sehe ich hier dem
Start der Arbeitsgruppe „Masterplan Medizinstudium
2020“ mit einer gewissen Ungeduld entgegen.


(Beifall bei der SPD sowie bei der CDU/CSU)


Das Gesetz regelt noch eine ganze Menge mehr, zum
Beispiel den Zugang zur Versorgung und die Leistungs-
ausweitung. Darauf wird meine Kollegin Hilde Mattheis
anschließend noch eingehen.





Sabine Dittmar


(A) (C)



(D)(B)

Abschließend stelle ich fest: Wir haben einen Gesetz-
entwurf vorgelegt, welcher der Dynamik, der Verbesse-
rung und der Stärkung der Versorgung gerecht wird. In
der parlamentarischen Debatte wird sicherlich an der ei-
nen oder anderen Stelle noch zu diskutieren sein, wie
man manches praxistauglicher oder auch bürokratieär-
mer gestalten kann. Auf diese Debatte freue ich mich.

Danke für die Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1809102000

Jens Spahn erhält nun das Wort für die CDU/CSU-

Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Jens Spahn (CDU):
Rede ID: ID1809102100

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das

Versorgungsstärkungsgesetz, über dessen Entwurf wir
heute in erster Lesung beraten, fügt sich in eine Reihe
von gesetzlichen Veränderungen ein, die wir in den letz-
ten Jahren begonnen haben, um die ärztliche bzw. die
medizinische Versorgung insgesamt im ländlichen Raum
und in anderen Gebieten – durchaus auch in bestimmten
Stadtteilen; es ist nicht nur ein Problem des ländlichen
Raums – zu verbessern und dafür zu sorgen, dass sie in
Zukunft auf hohem Niveau bleibt.

Dabei müssen wir feststellen, dass Geld allein – man
könnte sagen: dann zahlt doch mehr auf dem Land – das
Problem nicht löst. Ein Hausarzt zum Beispiel in Meck-
lenburg-Vorpommern kann heute in ländlichen Regionen
richtig gut verdienen. Trotzdem ist es schwierig, jeman-
den zu finden, der sagt: Ich will deine Arztpraxis über-
nehmen. – Warum? Weil es offensichtlich nicht nur da-
rum geht, viel Geld zu verdienen, sondern auch darum,
unter welchen Bedingungen Geld verdient wird: Wie oft
habe ich am Wochenende Notdienst? Wie weit muss ich
fahren, wenn ein Hausbesuch ansteht? Sind es 30 oder
40 Kilometer? Bin ich der einzige Arzt weit und breit,
der praktisch rund um die Uhr im Einsatz ist? – Deswe-
gen reicht es nicht, nur über Geld zu reden, sondern wir
brauchen ein Bündel von Maßnahmen. Es gibt nicht den
einen Hebel, mit dem das Problem behoben werden
kann. Genau da gehen wir mit diesem Gesetz heran.

Herr Weinberg und Herr Terpe, Sie werfen uns vor,
dass das Gesetz ein Bündel an Maßnahmen beinhaltet.
Dazu muss ich sagen: Wenn das ein Vorwurf sein soll,
dann haben Sie das Problem nicht verstanden. Es gibt
nicht die eine Lösung, sondern wir brauchen breit ange-
legt viele verschiedene Maßnahmen, um die Tätigkeit im
ländlichen Raum wieder attraktiv zu machen. Wenn Sie
uns das vorwerfen, haben Sie schlicht und ergreifend das
Problem nicht verstanden.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Wir gehen eine ganze Reihe von Themen an:
Die Notdienste: Wir wollen durch klarere Absprachen
eine bessere Kooperation mit den Notfallambulanzen der
Krankenhäuser und dem Apothekennotdienst erreichen.

Die Hausbesuche: Wir wollen es möglich machen,
dass nicht nur in unterversorgten Regionen, sondern in
allen Regionen entsprechend ausgebildete Pflegekräfte
zu Routinehausbesuchen geschickt werden, zum Bei-
spiel wenn es um die Messung von Blutdruckwerten
oder das Wechseln eines Verbandes geht.

Wir machen es möglich, auch in anderen Bereichen
angestellt tätig zu sein; denn viele der jungen Ärztinnen
und Ärzte wollen nicht auch in betriebswirtschaftlicher
Hinsicht selbstständig und für die Praxis verantwortlich
sein. Deswegen erleichtern wir den Kommunen das Be-
treiben von Medizinischen Versorgungszentren, obwohl
– auch das will ich an dieser Stelle sagen – es für uns ei-
nen hohen Wert hat, dass es selbstständig tätige Haus-
wie Fachärzte gibt. Das ist ein Beleg für die Qualität
und das Engagement im Bereich der ambulanten Versor-
gung. Das ist ein Qualitätsmerkmal der Versorgung in
Deutschland.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Herr Weinberg, die Menschen beschäftigt dieses
Thema. Ich komme aus einem Dorf mit 3 700 Einwoh-
nern. Dort gibt es den Arzt, den Apotheker, den Pastor,
den Kaufmann und den Lehrer, die das gesellschaftliche
Leben und die Infrastruktur im Dorf mitbestimmen.


(Steffen-Claudio Lemme [SPD]: Den Bundestagsabgeordneten! – Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD)


– Sie können darüber Witze machen; aber damit zeigen
Sie nur, dass Sie das dörfliche Leben nicht kennen. Ob
man im Dorf zum Hausarzt gehen kann, ob man vor Ort
die Dinge des täglichen Lebens einkaufen kann und ob
es eine Grundschule gibt, das sind Fragen, die die Men-
schen beschäftigen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. Sabine Dittmar [SPD])


Sie haben nicht ein Wort dazu gesagt. Sie haben hier
minutenlang über die Tagesordnung des heutigen Tages,
über Hartz IV und über das Verfassungsgericht geredet.
Aber zu der Versorgung im ländlichen Raum, zu dem
Thema, das die Menschen beschäftigt, haben Sie kein
Wort gesagt.


(Harald Weinberg [DIE LINKE]: Haben Sie bei Frau Wöllert nicht zugehört?)


Das zeigt einmal mehr, dass Sie danebenliegen, wenn es
um die wirklichen Probleme geht.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Das gilt auch für Ihre Äußerungen zur privaten Kran-
kenversicherung. Dabei ist wieder Ihre Vorstellung von
Gleichheit deutlich geworden.


(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Feindbilder!)






Jens Spahn


(A) (C)



(D)(B)

Das ist Sozialismus: Wenn alle gleich lang warten und
gleich wenig da ist, dann ist es am besten und am ge-
rechtesten. Das entspricht nicht unserer Vorstellung von
guter Versorgung. Wir wollen nicht, dass es überall
gleich schlecht ist.


(Beifall bei der CDU/CSU – Zurufe von der LINKEN)


Sie glauben doch nicht ernsthaft, dass wir in manchen
Bereichen lange Wartezeiten für gesetzlich Versicherte
haben, weil 10 Prozent der Bevölkerung privat versi-
chert sind! Glauben Sie ernsthaft, dass das das eigentli-
che Problem ist?


(Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]: Aber nur in Deutschland! Andere Länder haben dann schon den Sozialismus!)


Das zeigt doch nur, dass Sie in ideologischen Schubla-
den denken.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Wir müssen am Ende schauen: Wie können wir die
Situation für gesetzlich Versicherte verbessern? Wo liegt
das Problem? In bestimmten Regionen ist das Problem,
dass es in manchen Bereichen objektiv zu wenige Fach-
ärzte gibt. Bei uns im Münsterland fehlen zum Beispiel
Neurologen. Da hilft es nichts, wenn man die Bürgerver-
sicherung einführt. Da hilft es, wenn man Krankenhäu-
ser, die angestellte Neurologen haben, öffnet, sodass
diese Neurologen die Patienten behandeln können. Die
Patienten wollen einen Arzt sehen. Ihnen ist es egal, ob
er beim Krankenhaus angestellt ist oder in einer Praxis
tätig ist. Solche Instrumente müssen wir in den Blick
nehmen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Wir gehen auch das größte Aufregerthema im deut-
schen Gesundheitswesen an. Es geht um die Frage: Wie
lange warte ich auf einen Facharzttermin? Natürlich
weiß ich, dass Sie einem Deutschen dazu sagen können:
Wenn du in Schweden oder in den Niederlanden leben
würdest, müsstest du deutlich länger warten; dort wür-
dest du fünf oder sechs Monate warten. Darauf antwortet
derjenige aber: Ich vergleiche mich nicht mit den Men-
schen in Schweden oder in den Niederlanden, sondern
mit meinem Nachbarn; der ist Beamter und hat übermor-
gen einen Termin. – Und damit hat er recht.


(Beifall der Abg. Margaret Horb [CDU/CSU])


Das Problem lösen Sie aber nicht, indem Sie den Be-
amten auch vier Wochen warten lassen.


(Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]: Haben wir gar nicht gesagt! Alle gleich gut, nicht alle gleich schlecht!)


Das Problem lösen Sie, indem Sie dem gesetzlich Versi-
cherten helfen, schneller einen Termin zu bekommen.
Deswegen richten wir Terminservicestellen ein, an die
man sich wenden kann.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]: Unterstelle deinem Kontrahenten Dummheit und argumentiere dagegen an!)


Hier müssen die Kassenärztlichen Vereinigungen mithel-
fen, damit man zeitnah einen Termin in der Region be-
kommt. Wir sorgen außerdem für eine größere Flexibili-
tät zwischen dem niedergelassenen und dem stationären
Bereich.

Abschließend möchte ich auf einen Punkt eingehen,
den die Kollegin Dittmar gerade angesprochen hat. Ich
glaube, in dem ganzen Bündel von Maßnahmen, die wir
in den letzten Jahren auf den Weg gebracht haben und in
Zukunft noch auf den Weg bringen werden, fehlt bisher
ein entscheidender Punkt. Dabei geht es um das Stu-
dium: Wer studiert mit welchem Ziel Medizin? Ich finde,
bei dem teuersten Studium, das wir auf Steuerzahlerkos-
ten finanzieren – das ist das Medizinstudium –, können
wir fragen: Kommt am Ende das heraus, was diese Ge-
sellschaft braucht?


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Wir müssen gemeinsam mit den Wissenschaftsminis-
tern der Länder – weil wir als Bund das nicht alleine re-
geln können – darüber reden, ob die Abiturnote das allei-
nige Kriterium für das Studieren sein kann. Wir finden:
Nein, wir müssen auch schauen, ob jemand vorher bei-
spielsweise in einem Pflegeberuf oder als Rettungssani-
täter gezeigt hat, dass er sich um Menschen kümmern
möchte. Es geht um die Frage: Wie viel Praxisbezug gibt
es während des Studiums? Sieht man während des Stu-
diums oder während der Weiterbildung etwas anderes als
die Uniklinik? Kann man aktiv erleben, dass die Arbeit
als Hausarzt oder in einer kleinen Klinik etwas Gutes, et-
was Erfüllendes ist? Das Thema Studium ist also noch
ein entscheidender Punkt; da fehlt noch etwas. Deswe-
gen ist es gut, dass wir uns mit den Ländern darauf geei-
nigt haben, in diesem Jahr auch darüber zu reden.

Sie sehen also: Während Sie hier große ideologische
Reden halten, gehen wir die Themen an, die die Men-
schen beschäftigen. Das tun wir genau mit diesem Ge-
setz.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – Harald Weinberg [DIE LINKE]: Wirtschaftsflügel der Union!)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1809102200

Nächste Rednerin ist die Kollegin Hilde Mattheis für

die SPD-Fraktion.


(Beifall bei der SPD)



Hilde Mattheis (SPD):
Rede ID: ID1809102300

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ja,

wir machen dieses Gesetz für Patientinnen und Patien-
ten. Wir machen es für die Menschen, die Angst haben,
im Alter nicht ordentlich versorgt zu sein, die Angst ha-
ben, die Versorgungsstrukturen nicht ordentlich in An-
spruch nehmen zu können, weil sie in einem kleineren
Dorf leben und der Bus unregelmäßig oder überhaupt
nicht mehr fährt. Das ist ein wichtiger Baustein unseres
Versorgungsstärkungsgesetzes.





Hilde Mattheis


(A) (C)



(D)(B)

Wenn Sie den Koalitionsvertrag gelesen haben – ich
bin überzeugt, dass ihn alle gelesen und auswendig ge-
lernt haben –, dann wissen Sie: Wir gehen nicht nur die
Reform des Medizinstudiums an; wir werden auch be-
züglich der Krankenhausfinanzierung einiges regeln,
was wichtig ist und diese Versorgungsstrukturen sichert
und ausbaut.


(Kathrin Vogler [DIE LINKE]: Das kommt aber für viele Häuser in der Fläche schon zu spät, viel zu spät!)


All das soll dazu führen, dass wir nicht nur den Zu-
gang zur Versorgung, sondern auch die Erreichbarkeit
der Versorgung, die weitergehende Flexibilität der Ange-
bote und natürlich auch die Verteilung der Versorgungs-
kapazitäten neu regeln. Die Menschen bekommen haut-
nah mit, dass wir all das sicherstellen; denn neben dem
Bereich „Arbeit und Beschäftigung“ ist die Zukunftsangst,
dass wir die Gesundheitsversorgung in einem Zwei- oder
Dreiklassensystem manifestieren. Das werden wir nicht
zulassen.


(Beifall bei der SPD)


Wir wollen, egal wo jemand wohnt, welchen Alters er
oder sie ist und zu welcher Einkommenskategorie je-
mand gehört, alle Zugänge möglichst barrierefrei. Wir
gehen dieses Ziel in diesem Versorgungsstärkungsgesetz
mit wichtigen Punkten an. Ich will auf einiges eingehen,
was meine Vorrednerinnen und Vorredner schon genannt
haben, zum Beispiel die sektorenübergreifenden Dinge:
MVZ, Praxisnetze, Ausbau von Praxiskliniken, Öffnung
der Krankenhäuser für ambulante Versorgung, der Inno-
vationsfonds, den wir als SPD entfristen wollen, weil es
wichtig ist. Innovation darf nicht zeitlich limitiert sein,
sondern es muss klar sein: Wir wollen mit diesem Ver-
sorgungskonzept die klare Botschaft setzen, dass wir mit
unserem Innovationsfonds auch die Möglichkeit der Ent-
wicklung geben. Alles das ist ein wichtiger Anreiz.

Lassen Sie mich auf einige Punkte, die meine Kolle-
gin Sabine Dittmar angekündigt hat, eingehen. Ja, wir
werden auch die Erstversorgung psychisch Kranker an-
gehen. Der G-BA bekommt den Auftrag zur Überarbei-
tung der Psychotherapie-Richtlinie. Wir wollen die
Zugänge zur psychotherapeutischen Behandlung für Pa-
tientinnen und Patienten vor allen Dingen bei der Erst-
versorgung verbessern. Ist denn das gar nichts? Das war
in der letzten Zeit immer ein Kritikpunkt. In der Großen
Koalition werden wir dieses angehen. Weitere Maßnah-
men folgen.

Wir werden als Zweites flächendeckend die Möglich-
keit der Delegation ärztlicher Leistung beschließen. Ja,
„Schwester AGnES“ ist ein Erfolgsmodell.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Zurufe)


– Ja. – Wir wollen diesen Einsatz flächendeckend er-
möglichen, nicht gebunden an irgendwelche Bedingun-
gen. Das wertet auch nichtärztliche Gesundheitsberufe
auf. Das ist ein wichtiger Baustein.

Wir wollen drittens – das habe ich gerade schon ge-
sagt – die Öffnung der Krankenhäuser für die ambulante
Versorgung. Dazu gehören auch der Ausbau und die
Stärkung der Hochschulambulanzen. Auch das ist ein
Punkt in unserem Gesetzentwurf.

Ich will überhaupt nicht die pflegerische Übergangs-
versorgung vergessen – ein wichtiger Punkt. Die pflege-
rische Übergangsversorgung konnten wir zwar nicht im
Koalitionsvertrag verankern, aber uns als SPD ist das ein
ganz wichtiges Anliegen. Es ist klar, dass wir da keine
Versorgungslücke akzeptieren wollen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Das ist im Interesse der Patientinnen und Patienten.

Ein nächster Punkt. Wir wollen natürlich das Entlass-
management der Krankenhäuser optimieren. Es kann
doch nicht sein, dass jemand, der freitags entlassen wird,
über das Wochenende, über die Tage danach nicht or-
dentlich versorgt ist, sondern Probleme hat, ein Rezept
einzulösen oder Heilmittel und Hilfsmittel zu organisie-
ren. Das geht nicht; das wollen wir jetzt verbessern.

Es ist schon angesprochen worden – wir haben es
letzte Woche angekündigt –: die Verbesserung der Ver-
sorgung von Menschen mit Behinderungen. Ja, es wird
einen Ausbau der Versorgungszentren nach dem Prinzip
der Versorgung von Kindern mit Behinderungen geben.
Ich finde, das ist ein wichtiger Baustein zur besseren
Versorgung von Menschen mit Behinderungen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich könnte diese
Beispiele fortsetzen. Einer der Oppositionskollegen hat
gesagt, der Gesetzentwurf sei „kleinteilig“. Ich muss Ih-
nen sagen: Wenn diese Kleinteiligkeit dafür sorgt, dass
sich Menschen in diesem Land besser versorgt fühlen,
egal woher sie kommen, egal wie alt, egal welchen Ge-
schlechts sie sind, dann haben wir viel erreicht. Sie soll-
ten uns dabei unterstützen.


(Beifall bei der SPD)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1809102400

Frau Kollegin, achten Sie bitte auf Ihre Redezeit.


Hilde Mattheis (SPD):
Rede ID: ID1809102500

Ich will nicht verhehlen, dass wir als SPD die Verant-

wortung haben, zu sagen: Ja, wir wollen, dass die Mehr-
ausgaben, zu denen es kommt, solidarisch und paritä-
tisch finanziert werden.


(Beifall bei der SPD)


Das ist und bleibt unser Ziel.

Vielen Dank.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1809102600

Karin Maag ist die letzte Rednerin zu diesem Tages-

ordnungspunkt für die CDU/CSU-Fraktion.





Präsident Dr. Norbert Lammert


(A) (C)



(D)(B)


(Beifall bei der CDU/CSU)



Karin Maag (CDU):
Rede ID: ID1809102700

Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Herr Präsident!

Meine Damen und Herren! Es wurde jetzt schon viel
Richtiges zu diesem Gesetz gesagt. Vor allem geht es
uns darum, den Versorgungsalltag der Patientinnen und
Patienten zu verbessern. Kollegin Mattheis hat exempla-
risch auf das Entlassmanagement im Krankenhaus hin-
gewiesen. Selbstverständlich soll niemand mehr freitag-
mittags ohne seine Medikamente nach Hause gehen. Das
werden wir ebenso in Angriff nehmen wie zum Beispiel
– das liegt mir persönlich sehr am Herzen – die Verbes-
serungen für pflegebedürftige Menschen sowie Men-
schen mit Behinderungen und eingeschränkter Alltags-
kompetenz. Kinder und Jugendliche werden bereits
heute in den sozialpädiatrischen Zentren behandelt. Wir
gewähren jetzt den Erwachsenen einen vernünftigen An-
schluss.


(Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist mehr als überfällig!)


Da gibt es eine Vielzahl an vernünftigen, guten Maßnah-
men. Es wurde schon gesagt: Es ist ein Paket; nur die
eine zentrale Maßnahme zu ergreifen, wäre sicher zu
kurz gesprungen.

Ich will mich an dieser Stelle auf die ärztliche Versor-
gung konzentrieren. Wir haben eine zunehmende Be-
handlungsintensität in einer alternden Gesellschaft, den
medizinischen Fortschritt – das wissen Sie –, eine zu-
nehmende Spezialisierung, aber auch eine Besinnung
der Ärztinnen und Ärzte auf die eigene Work-Life-Ba-
lance. Den Mediziner, der 16 Stunden am Tag behandelt,
den Landarzt wird es künftig nicht mehr geben. Deswe-
gen sind wir auf den Nachwuchs angewiesen. Es wurde
vorhin schon davon gesprochen: Gute Versorgung darf
keine Frage des Wohnorts sein; wir müssen sie überall in
Deutschland gewährleisten.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. Sabine Dittmar [SPD])


Beim Versorgungsstärkungsgesetz geht es uns jetzt
vor allem auch darum, an das anzuknüpfen, was wir be-
reits 2012 geregelt haben, also die Rahmenbedingungen
für die Ärzte weiter zu flexibilisieren und dafür zu sor-
gen, dass eine flächendeckende Versorgung möglich ist.
Wenn wir die Situation der Patientinnen und Patienten
tatsächlich verbessern wollen – das ist mir ganz wichtig –,
dann brauchen wir vor allem motivierte Ärzte. Ich bin
mir sicher – das ist jetzt die Conclusio –, dass wir mit
unserem Paket die Lebenswirklichkeit der Ärzte, insbe-
sondere der jüngeren Ärztinnen und Ärzte und der nicht
verfassten Ärzteschaft, deutlich besser widerspiegeln als
bisher.

Wir fördern zum Beispiel die Allgemeinmedizin. Die
jungen Ärztinnen und Ärzte sollen sich in der Praxis vor
Ort ein Bild machen können. Deswegen erhöhen wir
nicht nur die Zahl der geförderten Stellen von 5 000 auf
7 500 – das sind 50 Prozent mehr –, sondern wir streben
auch eine höhere Vergütung für den Praxisassistenten an.
Er muss sich also nicht überlegen: Wenn ich meine Wei-
terbildung im Krankenhaus mache, dann werde ich bes-
ser bezahlt und habe somit mehr Geld zur Verfügung,
um meine Miete zu zahlen. – Wir setzen auf die Praxis.

Mit dem Strukturfonds erhalten die KVen zusätzliche
Mittel, um den Ärzten die Niederlassung auf dem Land
durch eine höhere Vergütung schmackhaft zu machen.

Die Angst vor Regressen – das Thema hat uns in den
letzten Jahren heftig beschäftigt – hält sich hartnäckig,
obwohl zum Beispiel bei mir in Baden-Württemberg in
den letzten Jahren lediglich 0,2 Prozent der Ärzte in Re-
gress genommen worden sind. Eine solche unbegründete
Angst verhindert, dass junge Menschen den Beruf des
niedergelassenen Arztes wählen. Deswegen heben wir
die bundeseinheitlichen Vorgaben für die Wirtschaftlich-
keitsprüfung von ärztlich verordneten Leistungen auf
und ersetzen diese durch regionale Vereinbarungen. Das
ist ein ganz zentraler Punkt.

Wir gehen sogar noch weiter. Wir müssen auch nicht-
ärztliche Leistungen, also delegierte Leistungen, vergü-
ten. Das betrifft nicht nur die unterversorgten Gebiete
und nicht nur die häusliche Versorgung von Patienten.
Wir ermöglichen es, dass die Fachassistentin, der Fachas-
sistent in der niedergelassenen Praxis Leistungen erbrin-
gen kann, die der Arzt nachher abrechnen kann.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, einer fehlerhaften
Ressourcenallokation kann man mit Anreizen begegnen.
Wenn das nicht funktioniert, dann muss eine Regulie-
rung erfolgen. Mit der Bedarfsplanungs-Richtlinie 2013
des G-BA wird der tatsächliche Bedarf bei der regiona-
len ärztlichen Versorgung zumindest deutlich besser als
zuvor abgebildet, Frau Klein-Schmeink.


(Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Völlig absurd!)


Jetzt haben die KVen tatsächlich Maßnahmen gegen
die drohende Unterversorgung ergriffen; Maßnahmen
gegen Überversorgung – und das ärgert mich – spielen
bislang aber keine Rolle. Wir wollen eine Umsteuerung
– ärztliche Ressourcen weg von Gebieten, die ohnehin
überversorgt sind, hin zu Gebieten, die unterversorgt
sind –, und das braucht Zeit. Da bisher nicht die nötigen
Schritte eingeleitet wurden, sind wir als Gesetzgeber
zum Eingreifen gezwungen. Das heißt, dort, wo tatsäch-
lich Überversorgung herrscht und – ganz wichtig – wo
Ärzte ihre Praxen aus eigenem Entschluss aufgeben wol-
len – wir nehmen niemandem irgendetwas weg –, soll
nicht mehr nachbesetzt werden. In diesem Zusammen-
hang sind uns drei Dinge wichtig. Erstens. Keine beste-
hende Praxis wird vom Netz genommen. Zweitens. Bei
besonderem Versorgungsbedarf wird nachbesetzt. Drit-
tens. Das letzte Wort hat der Zulassungsausschuss, also
auch die Ärzte.

Die Kritik an den von mir genannten Maßnahmen ist
schrill. An die KBV gerichtet sage ich: Sie müssen auf-
passen, dass Sie – ähnlich wie beim Thema Regress –
nicht noch den letzten gutwilligen jungen Arzt, der über-
legt, ob er in die Niederlassung geht, abschrecken.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)






Karin Maag


(A) (C)



(D)(B)

Es ist die ureigene Aufgabe der KVen, die Versorgung
sicherzustellen. Wenn sich nun der Vorsitzende der KBV,
gefragt nach eigenen Ideen, die er vielleicht haben
könnte,


(Zuruf von der SPD: Da kommt nichts!)


zitieren lässt mit den Worten: „Alle sollten sich ‚einge-
stehen, dass nicht mehr jedes Dorf seinen Hausarzt ha-
ben wird‘“, dann ist das eine standespolitische Geister-
fahrt. Das ist eine persönliche Bankrotterklärung. Damit
hat er sich als Ansprechpartner, für mich jedenfalls, völ-
lig disqualifiziert.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Ich finde das deshalb schade, weil wir uns mit vielen
Landes-KVen und vielen Verbänden in guten Gesprä-
chen darüber befinden, wie wir den Versorgungsbedarf
vielleicht noch sachgerechter abbilden können und wie
wir eine zeitnahe Terminvergabe gemeinsam mit den
Ärzten besser hinbekommen können. Es gibt hierzu auf
regionaler Ebene viele gute Ideen.


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1809102800

Frau Kollegin.


Karin Maag (CDU):
Rede ID: ID1809102900

Ich bin auch schon am Ende, Herr Präsident. – Ich

freue mich auf die Anhörung. Wir haben heute vieles
von Ihnen gehört. Wir können aus dem vorliegenden Ge-
setzentwurf sicher ein noch runderes Werk basteln.

Danke schön.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1809103000

Ich schließe die Aussprache.

Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlagen
auf den Drucksachen 18/4095, 18/4099, 18/4187 und
18/4153 an die in der Tagesordnung aufgeführten Aus-
schüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? –
Das ist offensichtlich der Fall. Dann haben wir die Über-
weisungen so beschlossen.

Wir kommen nun zu den Tagesordnungspunkten 4 a
und 4 b:

a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre-
gierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Dämpfung des Mietanstiegs auf ange-
spannten Wohnungsmärkten und zur Stär-
kung des Bestellerprinzips bei der Wohnungs-

(Mietrechtsnovellierungsgesetz – MietNovG)


Drucksachen 18/3121, 18/3250

Beschlussempfehlung und Bericht des Aus-
schusses für Recht und Verbraucherschutz

(6. Ausschuss)


Drucksache 18/4220

b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz,
Bau und Reaktorsicherheit (16. Ausschuss) zu
dem Antrag der Abgeordneten Heidrun Bluhm,
Caren Lay, Halina Wawzyniak, weiterer Abge-
ordneter und der Fraktion DIE LINKE

Mietenanstieg stoppen, soziale Wohnungs-
wirtschaft entwickeln und dauerhaft sichern

Drucksachen 18/504, 18/4219

Zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung liegen
ein Änderungsantrag der Fraktion Die Linke sowie zwei
Änderungsanträge und ein Entschließungsantrag der
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor. Über die beiden
Änderungsanträge der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen
werden wir später namentlich abstimmen.

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 60 Minuten vorgesehen. – Auch dazu
höre ich keinen Widerspruch; also können wir so verfah-
ren.

Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort dem
Kollegen Sören Bartol für die SPD-Fraktion.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Sören Bartol (SPD):
Rede ID: ID1809103100

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Die Mietpreisbremse, die wir heute hier be-
schließen, ist ein zentrales Vorhaben dieser Koalition.
Wir haben sie im Koalitionsvertrag vereinbart.


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das wurde schon hundertmal gesagt! – Gegenruf von der SPD: Das stimmt ja auch!)


Heute setzen wir den Gesetzentwurf von Heiko Maas
ohne Abstriche um.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Christian Kühn [Tübingen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und was ist mit dem Neubau? – Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Keine Abstriche? Neubau!)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, das ist heute ein gu-
ter Tag für Mieterinnen und Mieter; denn bisher gibt es
bei neuen Mietverträgen keine wirksame Grenze nach
oben. Vermieter können verlangen, was der Markt her-
gibt: 30 bis 40 Prozent Aufschlag sind in boomenden
Städten an der Tagesordnung – und das allzu oft ohne
jegliche Verbesserung an der Wohnung.

In Zukunft verhindern wir solche exzessiven Miet-
steigerungen: Die neue Miete darf in angespannten
Wohnungsmärkten nicht mehr als 10 Prozent über der
ortsüblichen Vergleichsmiete liegen; das gilt ohne Ein-
schränkungen auch für Staffelmietverträge.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Bisher zahlen die Mieter in der Regel eine Courtage
von bis zu zwei Monatsmieten, auch dann, wenn der
Wohnungseigentümer den Makler beauftragt hat. In Zu-





Sören Bartol


(A) (C)



(D)(B)

kunft gilt ausnahmslos das klare marktwirtschaftliche
Prinzip „Wer bestellt, der bezahlt“.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der LINKEN)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, schon jetzt gilt in
vielen Bundesländern die abgesenkte Kappungsgrenze
für bestehende Mietverträge. Die Länder wissen, wo der
Druck auf dem Wohnungsmarkt am größten ist. Deswe-
gen bin ich sicher, dass sie die Mietpreisbremse schnell
und zielgerichtet dort umsetzen werden.


(Christian Kühn [Tübingen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Das können sie gar nicht!)


Klar ist aber auch: Wachsende Städte brauchen Neu-
bau. Deswegen haben wir Neubauten und die erste Ver-
mietung grundlegend modernisierter Wohnungen von
der Mietpreisbremse ausgenommen. Liebe Kolleginnen
und Kollegen von der Linken, wir wollen nicht wie Sie
den Mietwohnungsmarkt außer Kraft setzen und nur
noch einen Inflationsausgleich zulassen. Den notwendi-
gen Neubau und einen energieeffizienten, altersgerech-
ten Umbau der Bestände gibt es nur, wenn private Woh-
nungswirtschaft, öffentliche und genossenschaftliche
Wohnungsunternehmen zu Investitionen bereit sind und
Bund, Länder und Kommunen gute Rahmenbedingun-
gen und auch Anreize für den Neubau von Mietwohnun-
gen und sozial gebundenen Wohnungen schaffen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wenn Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von den
Grünen, uns gleich wieder die Urheberschaft für die
Mietpreisbremse


(Christian Kühn [Tübingen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Endlich haben Sie es kapiert! – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Ich glaube, die Ersten, das war die CSU!)


streitig machen und uns erklären wollen, wie überhaupt
alles besser geht, dann sage ich Ihnen: Die SPD war es,
die die Mietpreisbremse gefordert hat,


(Beifall bei der SPD)


und wir sind es, die dafür sorgen, dass sie in dieser Ko-
alition auch umgesetzt wird.


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das hat nur keiner gemerkt! – Gegenruf der Abg. Dr. Eva Högl [SPD]: Das haben viele gemerkt!)


Klar ist auch: Die Mietpreisbremse ist kein Allheil-
mittel gegen den Wohnungsmangel – wir haben das auch
nie behauptet –; sie ist ein kurzfristig wirksames Instru-
ment zum Schutz der Mieterinnen und Mieter, nicht
mehr, aber auch nicht weniger. Die Mietpreisbremse ist
Teil unseres Gesamtpaketes „Gutes und bezahlbares
Wohnen“, das wir jetzt Schritt für Schritt umsetzen.
Dazu gehört die Erhöhung der Mittel für die Städte-
bauförderung mit dem Leitprogramm „Soziale Stadt“
genauso wie die Wohngeldnovelle, die – vorbereitet von
Barbara Hendricks – in den nächsten Monaten in die par-
lamentarische Beratung gehen wird.

Dazu gehört aber auch das zweite Paket der Miet-
rechtsreform, das wir jetzt angehen. Wir wollen klarstel-
len, dass bei der Berechnung von Miete und Nebenkos-
ten die tatsächliche Wohnfläche zugrunde gelegt werden
muss. Wir wollen die Belastung der Mieter durch Mo-
dernisierungskosten begrenzen. Wir wollen gemeinsam
den Mietspiegel auf eine breitere Basis stellen.


(Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Da fehlt noch einiges!)


Die Kolleginnen und Kollegen aus der Unionsfrak-
tion haben während der Beratungen zur Mietpreisbremse
zu Recht darauf hingewiesen, dass qualifizierte Miet-
spiegel für Mieter und Vermieter die größte Transparenz
bieten.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Wir wollen deshalb dafür sorgen, dass mehr Städte als
bisher einen qualifizierten Mietspiegel erstellen, der in
Zukunft möglichst auch zum Beispiel die energetische
Qualität von Wohnungen berücksichtigt.

Unser Ziel sind sozial ausgewogene Städte, in denen
qualitativ gutes Wohnen für alle bezahlbar ist. Wenn wir
heute die Mietpreisbremse und das Bestellerprinzip be-
schließen, dann sind das entscheidende Schritte dahin.

Vielen Dank.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1809103200

Caren Lay ist die nächste Rednerin für die Fraktion

Die Linke.


(Beifall bei der LINKEN – Swen Schulz [Spandau] [SPD]: Nun mal ein Lob von der Linken!)



Caren Lay (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1809103300

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Herr Kollege Bartol, ich muss sagen: Es hätte
heute ein guter Tag für die Mieterinnen und Mieter wer-
den können.


(Thomas Oppermann [SPD]: Wenn Sie jetzt nicht geredet hätten! – Weitere Zurufe von der SPD)


Stattdessen erleben wir heute wieder einen Tag der ver-
passten Chancen. Das ist doch die Wahrheit.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Eine Mietpreisbremse ist eine gute Idee, die wir als
Linke natürlich unterstützen. Aber dieser Gesetzentwurf
ist nun einmal ausgehöhlt wie ein Schweizer Käse und
wird am Ende kaum eine Wirkung entfalten.


(Dr. Anja Weisgerber [CDU/CSU]: So ein Quatsch!)






Caren Lay


(A) (C)



(D)(B)

Es wimmelt in diesem Gesetzentwurf von Bedingungen
und Ausnahmen, sodass von einer wirkungsvollen Miet-
preisbremse leider keine Rede mehr sein kann.

Beispielsweise ist sie begrenzt auf Gebiete mit ange-
spanntem Wohnungsmarkt.


(Sören Bartol [SPD]: Ja logo!)


Ich fürchte, dass die meisten Mieterinnen und Mieter au-
ßerhalb dieser Gebiete wohnen.


(Sören Bartol [SPD]: Wieso? – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Dann haben wir das Problem auch nicht!)


Deswegen sagen wir Linke: Die Mietpreisbremse wirkt
nur dann, wenn sie auch flächendeckend gilt.


(Beifall bei der LINKEN – Ulli Nissen [SPD]: Auf dem Acker, oder was!)


Ich finde es schlimm genug, dass wir über die Miet-
preisbremse nun schon seit mehreren Jahren diskutieren.
Aber warum räumen wir jetzt, wo die Mietpreisbremse
endlich kommt, den Ländern zumindest theoretisch so
viele Jahre für deren Umsetzung ein? Fünf Jahre lang ha-
ben die Länder prinzipiell Zeit, diesen Gesetzentwurf
umzusetzen. Das heißt übersetzt, liebe Mieterinnen und
Mieter: Freuen Sie sich nicht zu früh auf die schnelle
Wirkung dieser Mietpreisbremse! Die Koalition räumt
Ihrem Vermieter noch fünf Jahre ein, die Mieten so weit
zu erhöhen, wie es nur irgendwie geht. – Wir sagen: Es
ist doch völlig absurd und kontraproduktiv, so viel Zeit
für die Umsetzung zu lassen.


(Beifall bei der LINKEN)


Ist die Mietpreisbremse dann endlich eingeführt, dann
soll sie nach fünf Jahren auch schon wieder außer Kraft
treten. Damit rühmt sich ja die CDU/CSU; das ist einer
der Punkte, den sie durchgesetzt hat.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Das heißt für die Mieter im Klartext: Kaum setzt die
Wirkung der Mietpreisbremse ein, wird sie auch schon
wieder abgeschafft.


(Sören Bartol [SPD]: So ein Quatsch!)


Da hatten Sie ja wohl Angst vor der eigenen Courage,
genau nach dem Motto: Wir hatten vier, fünf gute Jahre
in zukünftig bester Lage.


(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Lesen Sie mal etwas über Privatautonomie!)


Eine Mietpreisbremse, die ihren Namen verdient, muss
auch dauerhaft gelten.


(Beifall bei der LINKEN)


Das Schlimmste ist, dass die Vermieter, die jetzt noch
schnell die Miete erhöhen, am Ende vom Gesetzgeber
dafür auch noch belohnt werden; denn wenn die Vor-
miete schon höher war, wenn das Gesetz in dem jeweili-
gen Bundesland endlich in Kraft tritt, dann darf sie auch
so hoch bleiben.

(Dr. Jan-Marco Luczak [CDU/CSU]: Das nennt sich Bestandsschutz, Frau Kollegin!)


Das ist doch wirklich völlig absurd.


(Beifall bei der LINKEN)


Meine Damen und Herren, einen Deckel von 10 Pro-
zent über der ortsüblichen Vergleichsmiete sehen wir da-
rüber hinaus als nicht wirkungsvoll an. Im Gegenteil:
Damit werden überdurchschnittliche Mieten auch noch
gesetzlich festgelegt. Ein wirkungsvoller Mietpreisde-
ckel muss anders aussehen.


(Beifall bei der LINKEN)


Es gibt viele weitere Ausnahmen, die die Wirkung der
Mietpreisbremse deutlich minimieren. Nehmen wir bei-
spielsweise den Vorschlag, der heute auf dem Tisch liegt,
dass die Mietpreisbremse dann nicht zur Wirkung kom-
men soll, wenn die Wohnung modernisiert wird. Ich
meine, Luxusmodernisierungen sind doch schon jetzt
eine der Hauptursachen dafür, dass die Mieterinnen und
Mieter aus ihren Wohnungen, aus ihren Stadtteilen ver-
trieben werden.


(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Es gibt doch nicht nur Luxusmodernisierungen! – Dr. Anja Weisgerber [CDU/CSU]: Es gibt auch energetische Modernisierung!)


Deswegen müssen wir schnellstmöglich an die Moderni-
sierungsumlage heran, wenn wir hier von einer wir-
kungsvollen Mietpreisbremse reden wollen.


(Beifall bei der LINKEN)


Die nächste Ausnahme betrifft die Neubauten.


(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Sehr gut!)


Die Mietpreisbremse setzt hier nicht nur einen Anreiz
für den Neubau von teuren Wohnungen, sondern führt
nach der jetzigen Berechnung im Ergebnis auch dazu,
dass die Mieten im Umfeld ansteigen werden, was sich
wiederum auf den Mietspiegel auswirkt. Das ist keine
Mietpreisbremse, sondern eine Einladung zur Luxusmo-
dernisierung und zum Bau von neuen Lofthouses.


(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Sie verstehen Marktwirtschaft einfach nicht! – Dr. Anja Weisgerber [CDU/CSU]: Das ist das Problem! Genau!)


Das lehnen wir in dieser Konsequenz ab. Das können
wir so nicht unterstützen.


(Beifall bei der LINKEN)


Liebe Mieterinnen und Mieter, Sie hören richtig: Die
Wahrscheinlichkeit, dass Sie von dieser Mietpreisbremse
profitieren, ist ziemlich gering. Der Deutsche Mieter-
bund schätzt, dass gerade einmal 2,5 Prozent aller Mie-
terinnen und Mieter überhaupt von dieser Mietpreis-
bremse profitieren würden.


(Dr. Johannes Fechner [SPD]: 400 000 pro Jahr!)






Caren Lay


(A) (C)



(D)(B)

Deswegen sagen wir: Mietpreisbremse ist eine irrefüh-
rende Bezeichnung für diesen Gesetzentwurf; denn he-
rausgekommen ist gerade einmal eine kleine Hand-
bremse.


(Beifall bei der LINKEN)


Ich komme zum Schluss. Die SPD kann einem heute
wirklich leidtun. Sie haben es ja gut gemeint, aber leider
hat Ihr Koalitionspartner alles darangesetzt, diesen Ge-
setzentwurf im Interesse der Vermieter und der Immobi-
lienlobby auszuhöhlen.


(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Ja! Ja!)


Mietpreisbremschen, Frauenquötchen: Jede noch so
kleine Pflanze des sozialen Fortschritts wird von dieser
Union auf ein Bonsaiformat zurückgestutzt. Das finden
wir ganz schön schade.


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1809103400

Das Wort erhält nun der Kollege Jan-Marco Luczak

für die CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Dr. Jan-Marco Luczak (CDU):
Rede ID: ID1809103500

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen

und Kollegen! Die Mietpreisbremse kommt. Frau Lay,
ich kann Ihnen nur sagen: Ihre Kritik daran ist völlig un-
angebracht. Wir haben hier ein Gesetz vorgelegt, das
Wirkung entfalten wird. Das werden die Menschen in
unserem Land auch merken.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Ich will hier noch einmal betonen: Die Union hält da-
mit Wort. Wir haben bereits im Wahlkampf gesagt, dass
wir nicht wollen, dass Menschen – gerade junge Fami-
lien – aus ihren angestammten Wohnvierteln verdrängt
werden, weil sie sich die dortigen Mieten nicht mehr
leisten können. Die Union hat deshalb ganz glasklar zu
den Koalitionsvereinbarungen gestanden. Die Mietpreis-
bremse hat in bestimmten Gebieten, da, wo es wirklich
Wohnungsknappheit gibt, natürlich ihre Berechtigung,
weil den Menschen damit kurzfristig geholfen werden
kann. Das war, wenn ich das sagen darf, gerade mir als
Berliner ganz besonders wichtig, da wir hier ebenfalls
eine solche Situation haben.

Aber – deswegen hat das Gesetzgebungsverfahren et-
was länger gedauert – für uns als Union war immer
wichtig, dass wir nicht nur an den Symptomen herum-
doktern, sondern dass wir auch die Ursachen der steigen-
den Mieten nachhaltig bekämpfen. In diesem Zusam-
menhang gilt ganz klar der Satz: Das beste Mittel gegen
steigende Mieten ist immer noch der Bau von neuen
Wohnungen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

Vor diesem Hintergrund haben wir immer ganz klar
den Satz formuliert: Diese Mietpreisbremse darf keine
Investitionsbremse werden. Deswegen war es für uns
ganz wichtig, in den Beratungen, die wir gemeinsam ge-
habt haben, bestimmte Punkte durchzusetzen. Wir haben
gegenüber dem Referentenentwurf sehr viele fundamen-
tale Änderungen und, wie ich finde, auch Verbesserun-
gen durchgesetzt. Das betrifft natürlich die Ausnahme
der Neubauten. Das ist ein ganz wichtiges Signal für
mehr Neubau. Für all diejenigen, die Geld in die Hand
nehmen wollen, die in neue Wohnungen investieren wol-
len, ist es ganz wichtig, dass sich das hinterher auch
wirtschaftlich trägt, dass sich der Wohnungsneubau ren-
tiert. Insofern ist es wichtig, dass wir die Neubauten aus-
genommen haben.


(Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ganz falsch!)


Das Gleiche gilt auch für die Ausnahmen bei umfas-
senden Modernisierungen. Es geht uns ja nicht nur da-
rum, Neubau zu fördern, sondern es geht natürlich auch
um den Bestand. Wir leben in einer älter werdenden Ge-
sellschaft. Die Bundesregierung hat sich ehrgeizige Kli-
maschutzziele gesetzt. Vor diesem Hintergrund ist es
ganz wichtig, dass wir Anreize setzen, den Bestand ener-
getisch zu modernisieren und altersgerecht umzubauen.
Das macht jemand aber nur, wenn sich das wirtschaftlich
trägt und er das hinterher refinanzieren kann. Es war uns
wichtig, bei der umfassenden Modernisierung auch Aus-
nahmen zuzulassen, weil sonst beim Bestand überhaupt
nichts mehr passiert wäre.


(Beifall bei der CDU/CSU – Christian Kühn [Tübingen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie hätten es inhaltlich beschränken sollen!)


Für uns war es an dieser Stelle auch wichtig, die Län-
der ein Stück weit in die Pflicht zu nehmen, damit sie
nicht mehr ganz freihändig entscheiden können, wo die
Mietpreisbremse denn gelten soll. Deswegen haben wir
in den Gesetzentwurf objektive Kriterien hineinverhan-
delt, wann denn tatsächlich eine solche Wohnungs-
knappheit vorliegt. Ich glaube, man muss sehen, dass das
auch mit Blick auf die Rechte der Eigentümer wichtig
war. Das ist ein starker Eingriff in Artikel 14 des Grund-
gesetzes und in die Vertragsfreiheit. Deswegen muss
man prüfen, ob ein solcher Eingriff verfassungsrechtlich
gerechtfertigt ist. Er ist gerechtfertigt in den Gebieten, in
denen Wohnungsknappheit herrscht; aber das muss dann
eben auch verfassungsrechtlich sauber begründet wer-
den. Insofern ist es gut, dass diese objektiven Kriterien
jetzt im Gesetzentwurf stehen.

Ein weiterer Punkt, der für uns wichtig war, ist die
klare zeitliche Befristung. Denn – noch einmal –: Die
Planungs- und Investitionssicherheit ist das entschei-
dende Kriterium, das wir brauchen, wenn wir privates
Kapital generieren wollen, das dann in Wohnungsneubau
und in die Modernisierung von Wohnungen fließt. Das
können wir als Staat nicht alleine leisten. Wir können gar
nicht so viele Programme auflegen, wie dafür notwendig
wären. Wir brauchen privates Kapital. Das bekommen
wir nur, wenn wir an dieser Stelle Planungs- und Investi-
tionssicherheit haben.





Dr. Jan-Marco Luczak


(A) (C)



(D)(B)

Wir haben die Länder an einer weiteren Stelle in die
Pflicht genommen; damit komme ich wieder zum Thema
Neubau. Es geht nicht nur darum, dass die Länder inten-
siv begründen, in welchen Gebieten Wohnungsknappheit
herrscht, sondern sie müssen zukünftig auch sagen, was
sie tun wollen, um gegen die Wohnungsknappheit vorzu-
gehen. Sie müssen einen Maßnahmenplan vorlegen. Wir
haben die Pflicht für eine qualifizierte Begründung ins
Gesetz geschrieben. Wenn sie per Rechtsverordnung die
Gebiete bestimmen, in denen die Mietpreisbremse gelten
soll, dann müssen sie auch ganz genau sagen, was sie tun
wollen, beispielsweise wie sie ihre Liegenschaftspolitik
ändern wollen, wie sie ihre bauordnungsrechtlichen Vor-
schriften anpassen wollen und viele Dinge mehr. Das ist
notwendig. Die Länder dürfen sich an dieser Stelle nicht
ihrer Pflicht entziehen. Sie tragen auch die Verantwor-
tung dafür, dass mehr im Bereich des Neubaus ge-
schieht, indem sie den rechtlichen Rahmen entsprechend
anpassen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Sören Bartol [SPD])


Ich habe jetzt viel Licht dargestellt. Bei einem sol-
chen Gesetzentwurf gibt es natürlich auch ein paar
Punkte, bei denen man sich als Fachpolitiker noch Ände-
rungen im Detail gewünscht hätte. Wir haben hier im
Deutschen Bundestag eine Expertenanhörung durchge-
führt. Es gab viele gute Punkte,


(Christian Kühn [Tübingen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Die Sie ignoriert haben!)


bei denen ich sage: Darüber hätte man in der Tat nach-
denken können. Ich denke zum Beispiel an die Praxis-
tauglichkeit dieser Mietpreisbremse. Ich denke an die
Frage – der Kollege Sören Bartol hat es eben schon an-
gesprochen –, wie wir eigentlich mit qualifizierten Miet-
spiegeln umgehen. Auf ihnen basiert die Bestimmung
der ortsüblichen Vergleichsmiete, und sie bilden für
beide Parteien, für Vermieter wie auch für Mieter, die
rechtssichere Grundlage. Das müssen wir uns genau an-
schauen. Auch der Deutsche Mieterbund sagt ja, dass
wir mehr qualifizierte Mietspiegel brauchen.

Wir müssen jetzt schauen, wie sich das in der Praxis
auswirkt, ob es da große Rechtsunsicherheiten gibt. Das
müssen wir dann bei der weiteren Diskussion beachten.
Wir werden noch über weitere Punkte im Mietrecht mit-
einander sprechen. Man kann dann überlegen, ob man
den Kommunen ab einer bestimmten Größenordnung die
Aufgabe gibt, solche qualifizierten Mietspiegel zu erstel-
len. Viele von den Punkten hätten wir damit abgeräumt.

Ein weiterer Punkt, den ich noch ansprechen möchte,
ist das Bestellerprinzip, über das sehr intensiv debattiert
worden ist. Ich möchte ganz klar sagen: Wir haben im
Koalitionsvertrag vereinbart, dass wir das Bestellerprin-
zip wollen, weil es ein marktwirtschaftliches Prinzip ist.
Wer bestellt, der zahlt. Für uns war immer ganz wichtig,
dass wir Umgehungen dabei ausschließen. Es war in der
Tat in den Verhandlungen schwierig, eine Regelung zu
finden, um Umgehungen auszuschließen. Der Bundesrat
hat sich dazu geäußert und viele Kritikpunkte angespro-
chen. Es war dann letztlich in den Verhandlungen nicht
mehr möglich, es wirklich in Gesetzesform zu gießen.
Das ist manchmal so.

Mir ist an dieser Stelle ein Punkt wichtig: Wir müssen
etwas tun, damit die schwarzen Schafe, die es unter den
Maklern gibt, aus dem Markt gedrängt werden.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wir müssen mehr für Qualität und Verbraucherschutz
auf diesem Markt tun. Deswegen ist ein zentrales
Thema, mit dem wir uns jetzt auseinandersetzen müssen,
der Sach- und Fachkundenachweis für Makler. Dafür
sind nicht die Rechtspolitiker zuständig, sondern das
Bundeswirtschaftsministerium. Ich würde mich sehr
freuen, wenn wir bald einen Vorschlag haben, um auf
dem Gebiet der Makler mehr für den Verbraucherschutz
zu erreichen.

Über all diese Details haben wir innerhalb der Koali-
tion intensiv diskutiert. Wir haben darum gerungen,
manchmal haben wir auch gestritten. Lieber Herr Minis-
ter, Herr Staatssekretär Kelber, meine Kolleginnen und
Kollegen von der SPD, ich finde, dieses zähe Ringen,
das für beide Seiten nicht immer einfach war, hat sich
gelohnt. Wir haben jetzt einen Gesetzentwurf vorliegen,
der sich nicht gegen vermietende Eigentümer richtet, der
nicht allein nur den Mieter in den Blick nimmt, sondern
unter dem Strich ausgewogen ist. Den Mietern wird mit
dieser Mietpreisbremse kurzfristig geholfen. Die Rechte
von Eigentümern werden gewahrt, und Investitionen
werden nicht abgewürgt. Insofern finde ich, dass es ein
Gesetzentwurf ist, dem wir mit großer Mehrheit und
auch mit gutem Gewissen zustimmen können.

Vielen Dank, meine Damen und Herren.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1809103600

Nächste Rednerin ist die Kollegen Renate Künast,

Bündnis 90/Die Grünen.


Renate Künast (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1809103700

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das war

jetzt wohl die Märchenstunde der Großen Koalition.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zurufe von der CDU/CSU und der SPD: Oh!)


– Ja, ich kann wahrscheinlich sagen, was ich will, es
kommt immer ein „Oh!“, ein Aufstöhnen. Machen Sie
das ruhig. – Ich muss wirklich sagen: Was hier erzählt
wurde, entspricht nicht dem Gesetzentwurf, der vorliegt.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Herr Luczak zum Beispiel hat gestern im Ausschuss
und auch hier eigentlich nur über Investitionssicherheit
und über das Kapital geredet, um sich dann fast in den
Satz zu versteigen, das sei jetzt ein guter Tag für die
Mieterinnen und Mieter.


(Zuruf von der CDU/CSU: Ist er auch!)






Renate Künast


(A) (C)



(D)(B)

Sie haben außerdem erzählt, nur durch Neubau könne
das Problem gelöst werden.


(Alexander Hoffmann [CDU/CSU]: Oh, Sie haben ja zugehört! Wahnsinn!)


– Ja, natürlich. Ich höre Ihnen immer zu,


(Thomas Strobl [Heilbronn] [CDU/CSU]: Sehr gut! Richtig so!)


damit ich das, was Sie sagen, hinterher bewerten kann.

Ich sage Ihnen Folgendes: Neubau ist ein wichtiger
Faktor, wenn es darum geht, für bezahlbaren Wohnraum
zu sorgen. Dieser Wohnraum ist allerdings so zu gestal-
ten, dass Otto Normalverbraucher die Mieten nachher
bezahlen kann.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Wie Sie das gewährleisten wollen, haben Sie hier nicht
dargelegt. Wo sind denn Ihre Vorgaben und die entspre-
chenden Kriterien, zum Beispiel beim Verkauf der
BImA-Häuser in der Großgörschenstraße und der Katz-
lerstraße?


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Hier hat sich der Berliner Senat erst in die Büsche ge-
schlagen, und dann ist er zu spät aufgestanden. Wollen
Sie die BImA vielleicht noch auffordern, die Mieten zu
erhöhen, bevor verkauft wird? Nein, irgendwann müssen
Sie sagen, wie Sie das, was Sie hier erzählen, umsetzen
wollen, meine Damen und Herren.


(Zuruf von der CDU/CSU: Das haben wir doch gemacht! Sie müssen schon zuhören!)


Ich sage Ihnen: Verglichen mit einem Schweizer Käse ist
dieses Gesetz mehr Loch als Käse.


(Heiterkeit und Beifall beim BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Deshalb spreche ich lieber von der sogenannten Miet-
preisbremse.

Was kritisiere ich? Der gesamte Vorgang und die von
Ihnen als produktiv bezeichneten Diskussionen haben
viel zu lange gedauert. Zwar hat diese Koalition von Be-
ginn an gesagt – man dachte, es gilt schon –, man wolle
für bezahlbare Mieten sorgen, ab sofort, demnächst oder
in 100 Tagen. Aber bis heute gilt diese Regelung noch
immer nicht.

Was ist passiert? Viele Vermieter haben die Mieten
nach bisherigem Recht sicherheitshalber schon einmal
kräftig erhöht. Zu Ihrer sogenannten Mietpreisbremse
sagen der Deutsche Mieterbund und die Mietervereine
erstens, dass Sie damit aufgrund des Zeitverlusts das Ge-
genteil erreicht haben, und zweitens, dass diese soge-
nannte Bremse kaum eine Wirkung hat; manchmal hieß
es in der Anhörung im Ausschuss sogar, sie habe gar
keine Wirkung. Auf die Veränderungsvorschläge dieser
Verbände sind Sie überhaupt nicht eingegangen. Sie ha-
ben immer nur pro Kapital argumentiert, meine Damen
und Herren. Aber unser Grundgesetz besteht nicht allein
aus Artikel 14. Zu unserem Grundgesetz gehören auch
alle anderen Artikel, zum Beispiel das Sozialstaatsprin-
zip. Zwischen den verschiedenen Zielen ist nicht hinrei-
chend abgewogen worden.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Ich muss der Koalition sagen: Sie haben keine robuste
Mietpreisbremse vorgelegt. Ich denke, die Befristung
sollte, damit sie eine Wirkung entfaltet, für mindestens
zehn Jahre gelten. Sie wollen, dass die Mietpreisbremse
für Wohnungen, in denen umfassende Modernisierungs-
arbeiten durchgeführt werden, deren Kosten 30 Prozent
vergleichbarer Neubaukosten betragen, nicht gilt. Ange-
sichts all der Tricks, die Vermieter bei der Modernisie-
rung anwenden können – einschließlich des Vermischens
und des Hin- und Herschiebens von Sanierungs- und In-
standsetzungskosten –,


(Dr. Jan-Marco Luczak [CDU/CSU]: Ja, ja! Immer die bösen Vermieter! Meine Güte!)


sage ich Ihnen: Diese Regelung wird einige Mieter hart
treffen.

Erstvermietete Neubauwohnungen haben Sie grund-
sätzlich ausgenommen,


(Dr. Jan-Marco Luczak [CDU/CSU]: Zu Recht!)


statt für sie eine Detailregelung zu treffen. Außerdem
haben Sie Kriterien zur Einführung von Mietpreisbrem-
sen in den Ländern entwickelt. Ich sage Ihnen: Was die
qualifizierte Begründungspflicht angeht, sollten Sie sich
einmal fragen, wie denn Ihre qualifizierte Begründung
lautet, warum sich zum Beispiel bei der BImA nichts än-
dert.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Der BImA könnten Sie andere Regeln auferlegen, und
zwar solche, durch die sich der Umgang mit Stadtent-
wicklung und sozialen Fragen verändert. Herr Luczak,
schönen Dank, dass Sie immer wieder Briefe schreiben
und Ankündigungen machen. Aber geliefert haben Sie
an dieser Stelle noch nie.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Ich sage Ihnen: Ihre sogenannte Mietpreisbremse ist
allenfalls ein Bremschen. Sie haben nicht einmal ein Pa-
ket geschnürt, das auch Regelungen zum qualifizierten
Mietspiegel, zum sozialen Wohnungsbau und zu einem
BImA-Gesetz enthält. Außerdem würden wir es be-
grüßen, wenn die Modernisierungsumlage nur 9 statt
11 Prozent betragen würde; auch die IHK meint, das
würde für Investoren reichen. Sie haben noch nicht ein-
mal die Einschränkung eingeführt, dass Modernisierun-
gen nur dann zu dulden sind, wenn sie der Barrierefrei-
heit und der Energieeffizienz zugutekommen.





Renate Künast


(A) (C)



(D)(B)


(Dr. Jan-Marco Luczak [CDU/CSU]: Darüber haben wir bei diesem Gesetzentwurf doch noch gar nicht gesprochen! Das kommt doch alles noch!)


Meine Damen und Herren, ich habe die Freude, zwi-
schen Herrn Luczak und Herrn Maas zu reden. Ich weiß,
beide werden dieses Gesetz gutreden; das ist ihre Strate-
gie.


(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: So wie Sie es gerade schlechtreden! – Dr. Jan-Marco Luczak [CDU/CSU]: Es ist ja auch ein gutes Gesetz! Deswegen kann man auch gut darüber reden!)


Aber aus Verbrauchersicht sage ich Ihnen: Was drauf-
steht, muss auch drin sein. Dieses Gesetz ist eine Mogel-
packung; denn es beinhaltet keine wirkliche Bremse,
sondern allenfalls ein Bremschen. Insgesamt haben Sie
Ihre Hausaufgaben nicht gemacht. Darauf warten wir.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1809103800

Das Wort erhält nun der Bundesminister Heiko Maas.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Heiko Maas, Bundesminister der Justiz und für Ver-
braucherschutz:

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten
Damen und Herren! Ich habe die Debatte sehr aufmerk-
sam verfolgt, vor allen Dingen die Beiträge der Redne-
rinnen der Opposition. Ich muss Ihnen ehrlich sagen,
dass ich mich dabei an meine eigene Zeit als Parlamenta-
rier in der Opposition erinnert habe.


(Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Oh!)


Das Frustrierendste in dieser Zeit war, wenn man zu Ge-
setzentwürfen der Regierung lediglich noch die Bemer-
kungen beitragen konnte, man hätte das früher machen
können, man hätte noch mehr machen können und der
Gesetzentwurf beinhalte zu viele Ausnahmen. Tief in
seinem Inneren weiß man aber, dass man es selbst nicht
viel anders gemacht hätte. Genau in dieser Situation be-
finden Sie sich.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Tief in Ihrem Inneren ist eigentlich das, was Sie nicht geschafft haben!)


Das wird auch deutlich an den Dingen, die Sie hier
kritisieren. Sie kritisieren zum Beispiel, dass die Miet-
preisbremse nur in Ballungsgebieten gilt. Ja, aber nur da
braucht man sie auch.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Ich brauche keine Mietpreisbremse in Landstrichen, in
denen das Problem nicht die davongaloppierenden Miet-
preise sind, sondern in denen das Problem ist, dass Ver-
mieter keine Mieter mehr finden. Deshalb ist es richtig,
die Regelung auf die Bereiche zu begrenzen, in denen
das notwendig ist.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Sie haben zum wiederholten Mal kritisiert, dass Neu-
bauten von der Mietpreisbremse ausgenommen sind. Es
ist schon darauf hingewiesen worden: Wenn man den
Neubau fördern will, dann muss man denjenigen, die
Geld investieren, auch die Möglichkeit geben, einen
Überschuss zu erwirtschaften.


(Caren Lay [DIE LINKE]: Sozialer Wohnungsbau!)


Vielleicht hilft es ja, wenn ich Ihnen folgende Zahlen
nenne: Wir haben in Deutschland etwa 20 Millionen Be-
standswohnungen. Jedes Jahr kommen etwa 200 000 neue
Wohnungen hinzu. Davon wird etwa die Hälfte vermietet.
Das heißt, die Ausnahmeregelung für Neubauten betrifft
0,5 Prozent der Wohnungen, über die wir insgesamt re-
den. Wir gehen davon aus, dass die Mietpreisbremse in
Deutschland für 5 Millionen Wohnungen greifen kann
und über 400 000 Mieterinnen und Mieter pro Jahr in
den Genuss der Mietpreisbremse kommen können. Ich
finde, das ist ein großer Fortschritt. Deshalb ist der heu-
tige Tag ein verdammt guter Tag für Mieterinnen und
Mieter in Deutschland.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Das wirklich schrägste Argument, das ich immer wie-
der höre, ist – ganz besonders schräg ist es, wenn es von
Parlamentariern in den Raum gestellt wird –, dass man
die Mietpreisbremse ja umgehen könne. Liebe Parla-
mentarierinnen und Parlamentarier, wenn ich das Argu-
ment in Gänze gelten lasse, dann kann ich auch das kom-
plette Steuerrecht oder auch das Strafrecht abschaffen;
denn geklaut wird immer.

Meine Damen und Herren, mit dem vorliegenden Ge-
setzentwurf räumen wir den Mieterinnen und Mietern
Rechte ein, die sie durchsetzen können, wie zum Bei-
spiel Auskunftsrechte. Es werden Ordnungsgelder ver-
hängt, wenn gegen das Gesetz verstoßen wird. Deshalb
hilft die Mietpreisbremse nicht nur bei einem Problem,
das wir haben. Vielmehr ist das Recht, das wir schaffen,
auch durchsetzbar für die Mieterinnen und Mieter. Auch
das wird mit diesem Gesetz gewährleistet.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Meine Damen und Herren, wir reden immer über Ber-
lin, Hamburg, München, Düsseldorf, Köln und viele an-
dere Städte. Es gibt aber auch Städte, die nicht so groß
sind, aber zu Ballungsräumen gehören, beispielsweise
Städte im Rhein-Main-Gebiet. In Regensburg zum Bei-
spiel gibt es bei Wiedervermietung mittlerweile Miet-
preissteigerungen von 33 Prozent. In Frankfurt sind es
20 Prozent, und in München sind es 25 Prozent.





Bundesminister Heiko Maas


(A) (C)



(D)(B)

Wenn wir in das Gesetz hineinschreiben, dass genau
in diesen Regionen die Mietpreisbremse anwendbar sein
wird, dann wird das dazu führen, dass junge Paare, die
Kinder bekommen und daher mehr Platz brauchen, nicht
mit einer Mietpreiserhöhung von 33 Prozent konfrontiert
werden, wenn sie eine neue Wohnung in ihrem Quartier
suchen. Die Miete für die neue und größere Wohnung
liegt nur in einem vertretbaren Rahmen höher.

Das hat positive Auswirkungen auf die Stadtentwick-
lung. Wir wollen nicht, dass noch mehr, als das ohnehin
schon der Fall ist, gilt, dass nur Wohlhabende in der
Stadtmitte wohnen, während diejenigen, die nicht so viel
Geld haben, und die Normalverdiener, um die es hier
auch geht, immer weiter an den Stadtrand verdrängt wer-
den. Das ist nämlich ganz schlecht für die Stadtentwick-
lung. Die Mietpreisbremse trägt dazu bei, diese fehler-
hafte Entwicklung zu korrigieren.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Meine Damen und Herren, die Mietpreisbremse und
das Bestellerprinzip werden den Mieterinnen und Mie-
tern helfen. Zudem wird es möglich sein, dass diese ihre
Rechte durchsetzen können.

Zum Wohnungsbau: Wir gehen davon aus – auch da-
rauf ist hingewiesen worden –, dass es beim Wohnungs-
neubau in diesem Jahr ein Plus von 3 Prozent geben
wird. Das alles sind doch positive Rahmendaten. Wenn
die Mietpreisbremse wirkt und die Mieten nicht mehr so
davongaloppieren, dann wird sich das natürlich auch auf
den Mietspiegel auswirken. Das wird im Ergebnis allen
Mieterinnen und Mietern zugutekommen – auch denje-
nigen, die die Mietpreisbremse für sich gar nicht in An-
spruch nehmen müssten oder können.

Deshalb ist das heute wirklich ein guter Tag für die
Mieterinnen und Mieter. Wir legen heute einen Gesetz-
entwurf vor, der vor allen Dingen etwas ganz Grundsätz-
liches zum Kern hat: Wir wollen, dass in die Wohnungs-
wirtschaft investiert wird, aber wir wollen auch, dass
diejenigen, die in die Wohnungswirtschaft investieren,
nicht glauben, dass sie solche Renditen wie früher auf
den Finanzmärkten erwirtschaften können. Wir sind
nämlich der Auffassung: Wohnungen sind keine Ware,
sondern das Zuhause von Menschen.


(Beifall der Abg. Mechthild Rawert [SPD])


Deshalb sollten Wohnungen nicht wie Aktien an der
Börse gehandelt werden. Auch dazu trägt dieser Gesetz-
entwurf bei.

Schönen Dank.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1809103900

Die Kollegin Halina Wawzyniak von der Fraktion Die

Linke ist die nächste Rednerin.


(Beifall bei der LINKEN)


Halina Wawzyniak (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1809104000

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Kolleginnen und

Kollegen! Ja, die Mietpreisbremse – oder das, was Sie so
nennen – ist besser als nichts. Wenn man sich aber mit
„Besser als nichts“ zufriedengibt, dann kann man eigent-
lich auch nach Hause gehen.


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Hier ist noch Luft nach oben. Das Problem ist: Die
Union hat sich den Titel „Bremserin“ an dieser Stelle
redlich verdient.


(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Das sehen wir anders!)


Das ist kein Ruhmesblatt.

Was besser gewesen wäre, steht in unserem Ände-
rungsantrag. Ich will hier nur einmal einen Punkt heraus-
greifen: Sie haben § 5 Wirtschaftsstrafgesetzbuch ein-
fach nicht geändert. Unangemessen hohe Entgelte, die
strafbar sind, sollten normalerweise alle Entgelte sein,
die über der Mietpreisbremse liegen, und nicht nur da-
rüber hinausgehende Aufschläge um einige Prozent. Das
ist ein Umgehungstatbestand. Hier hätten Sie tätig wer-
den können.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ich will Ihnen hier im Detail einmal ein paar Vor-
schläge für das zweite Paket machen. Wir alle gemein-
sam müssen nämlich dafür sorgen, dass es nicht zu einer
Verdrängung von Mieterinnen und Mietern kommt.

Ich fange einmal mit einem ganz einfachen Punkt an,
nämlich mit dem Mindestlohn. Hier geht auch noch viel
mehr. Der Mindestlohn muss bei den Leuten ankommen.
Sorgen Sie also dafür, dass die Arbeitgeberinnen und Ar-
beitgeber keine Tricks mehr für die Umgehung des Min-
destlohns anwenden können.


(Dr. Jan-Marco Luczak [CDU/CSU]: Was hat der Mindestlohn mit der Mietpreisbremse zu tun?)


Der zweite Punkt, bei dem wir aktiv werden müssen:
Die Kosten der Unterkunft für Transferleistungsempfan-
gende, zum Beispiel Hartz-IV-Empfangende, müssen
der Realität angepasst werden. Ich weiß, das ist Länder-
sache, aber wir alle sind in Ländern aktiv. Lassen Sie uns
doch dafür sorgen, dass die Kosten der Unterkunft für
Hartz-IV-Empfangende tatsächlich der Realität entspre-
chen und nicht permanent Umzüge stattfinden müssen.


(Beifall bei der LINKEN)


Frau Künast hat es angesprochen: Der Verkauf bun-
deseigener Immobilien durch die BImA zum Höchstge-
bot muss endlich aufhören. Hier müssen den Worten
endlich auch Taten folgen.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Die ortsübliche Vergleichsmiete wird derzeit anhand
der Mieten der vergangenen vier Jahre gebildet. Ich





Halina Wawzyniak


(A) (C)



(D)(B)

glaube, die SPD hat einmal neun Jahre gefordert. Das
wäre ein Anfang. Wir sind bereit, mit Ihnen darüber zu
reden. An diesen Punkt müssen wir ran. Darüber müssen
wir jetzt reden.


(Dr. Jan-Marco Luczak [CDU/CSU]: Grober Unverstand!)


Wir müssen aber auch über Eigenbedarfskündigungen
und Kündigungen wegen Hinderung der angemessenen
wirtschaftlichen Verwertung reden. Es ist aus meiner
Sicht zwingend erforderlich, dass eine Kündigung we-
gen beabsichtigter wirtschaftlicher Verwertung ausge-
schlossen wird, wenn diese für die Mieterinnen und Mie-
ter eine unzumutbare soziale Härte bedeuten würde.


(Beifall bei der LINKEN)


Wir haben derzeit nämlich das Problem, dass mit einer
Kündigung wegen wirtschaftlicher Verwertung gedroht
wird und damit die Mieterinnen und Mieter zur Zahlung
höherer Mietpreise erpresst werden. Hier müssen wir
ran.


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)


Wir müssen auch an die konkreten Anforderungen an
eine Eigenbedarfskündigung ran. Diese müssen genauer
formuliert werden. Der BGH hat kürzlich entschieden,
dass eine Eigenbedarfskündigung für die Tochter eines
Wohnungseigentümers, die ein berufsbegleitendes Stu-
dium in Mannheim aufnehmen will, rechtmäßig ist, ob-
wohl der Arbeitsplatz in Frankfurt am Main ist und der
Mieter noch keine zwei Jahre in der Wohnung wohnt.


(Dr. Jan-Marco Luczak [CDU/CSU]: Das ist familienfreundlich!)


Das ist doch alles absurdes Zeug!

Der Kündigungsschutz nach Umwandlung in Eigen-
tumswohnungen muss bundesgesetzlich angepasst wer-
den. Hier gibt es nach dem BGB eine Frist von drei Jah-
ren. In einigen Ländern ist das mehr. Ich glaube, auch
hier müssen wir ran, weil Artikel 14 Grundgesetz auch
noch einen Absatz 2 hat, in dem steht:

Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich
dem Wohle der Allgemeinheit dienen.


(Beifall bei der LINKEN – Dr. Jan-Marco Luczak [CDU/CSU]: Damit kennen Sie sich aus!)


Auch an die fristlose Kündigung wegen Zahlungs-
rückstand müssen wir ran. Der BGH hat gerade entschie-
den – das ist wirklich absurd –, dass eine fristlose Kündi-
gung auch dann möglich ist, wenn ein Mieter, der auf
Sozialleistung angewiesen ist, die Miete nicht bezahlen
kann, weil diese Leistung zu spät kommt, obwohl er sie
rechtzeitig beantragt hat. Auch da kann fristlos gekün-
digt werden. Das ist absurd. Da müssen wir gesetzliche
Vorkehrungen treffen.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Letzter Punkt. Den in der letzten Legislatur geschaf-
fenen Unsinn der Räumung im einstweiligen Verfahren
nach § 940 a ZPO, wenn also ein Mieter eine Sicher-
heitsleistung nicht hinterlegen kann, müssen wir bitte
schnellstmöglich wieder abschaffen.


(Dr. Jan-Marco Luczak [CDU/CSU]: Das haben wir erst eingeführt, zu Recht!)


Ich glaube, das sind total konstruktive Vorschläge für
eine weitere Debatte zum Mietrecht. Sie können einmal
darüber nachdenken. Vielleicht nehmen Sie von der
Union dann den Fuß von der Bremse und benutzen statt-
dessen das Gaspedal.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1809104100

Die Kollegin Elisabeth Winkelmeier-Becker ist die

nächste Rednerin für die CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Elisabeth Winkelmeier-Becker (CDU):
Rede ID: ID1809104200

Liebes Präsidium! Liebe Kollegen! Meine sehr ver-

ehrten Damen und Herren! Wir bringen heute endlich
die Mietpreisbremse unter Dach und Fach, ein Projekt,
das von beiden Seiten der Großen Koalition in den je-
weiligen Wahlprogrammen angekündigt wurde, das im
Koalitionsvertrag stand und das wir jetzt umsetzen, um
damit dieses Versprechen zu erfüllen.


(Christian Kühn [Tübingen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nach 500 Tagen Blockade!)


Die Mietpreisbremse soll galoppierende Mieten, wie
wir sie in einigen Regionen, vor allem in den Großstäd-
ten und Ballungsräumen, vorfinden, stoppen, und das
kann sie auch. Entweder haben wir das Problem, dass
Mieten um 30 Prozent steigen, oder wir haben es nicht.
Aber da, wo das bisher der Fall ist, geben wir das Mittel
an die Hand, diese Erhöhung der Mieten auf 10 Prozent
über der ortsüblichen Vergleichsmiete zu begrenzen.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Der Befund – das ist hier schon ausgeführt worden –
ist, dass wir eine sehr unterschiedliche, differenzierte Si-
tuation in Deutschland haben – auch in meinem Wahl-
kreis ist das so –: von den ländlichen Regionen bis hin
zu den Ballungszentren. In attraktiven Ballungszentren,
in die viele Menschen ziehen, wo Hochschulen gegrün-
det werden und Studenten eine Wohnung suchen, wo ein
bisher normales Viertel plötzlich zum Szeneviertel wird,
gibt es die Entwicklung, dass Mieten exzessiv erhöht
werden, ohne dass der Eigentümer diese Erhöhung
rechtfertigen kann. Das stellt dann diejenigen, die aus
beruflichen oder aus privaten Gründen eine neue Woh-
nung suchen, vor Probleme.

Genau da setzt die Mietpreisbremse wirkungsvoll an:
Für die Dauer von fünf Jahren kann bei neuen Mietver-
trägen durch eine Verordnung des Landes die neue Miete
auf eine Höhe von 10 Prozent über der ortsüblichen Ver-





Elisabeth Winkelmeier-Becker


(A) (C)



(D)(B)

gleichsmiete begrenzt werden. Das ist deshalb gut, weil
die Wohnung kein Renditeobjekt ist, sondern weil sie
der Lebensmittelpunkt der Menschen ist, der Ausgangs-
punkt für ihre Kontakte, für ihre Freundschaften, für ihr
soziales Umfeld. Die Wohnung ist ganz einfach ein Zu-
hause; das dürfen wir bei der ganzen Diskussion ums
Mietrecht nicht vergessen.

Die Länder müssen nun tätig werden und Rechtsver-
ordnungen in Kraft setzen. Dabei sind sie nicht völlig
frei. Das ergibt sich aus der Verfassung; denn die Miet-
preisbremse ist ein Eingriff in das Eigentum. Deshalb ist
die Umsetzung an gewisse Hürden gebunden. Wir haben
dafür gesorgt, dass diese Hürden unter bestimmten Vo-
raussetzungen genommen werden können. Aber das
muss begründet und genauer untersucht werden.

Wir wissen auch, dass die Mietpreisbremse nur die
Symptome kuriert. Letztendlich kann man weder Schul-
den abwählen, noch durch eine Mietpreisbremse den
Marktmechanismus aushebeln. Deshalb kann sie nur
eine begrenzte Wirkung haben; das ist uns bewusst. Aber
sie wird diese begrenzte Wirkung entfalten. Gleichzeitig
darf sie die Ursachen nicht verschlimmern. Es ist bereits
ausgeführt worden: Das, was den Mietern letztendlich
wirklich hilft, ist ein breiteres Angebot an Wohnungen.
Dann haben sie die Möglichkeit, zu wählen, und dann
sind sie angesichts einer angedrohten Mieterhöhung sei-
tens des Vermieters nicht erpressbar.

Deshalb war es so wichtig, dass wir die Mietpreis-
bremse nicht als Investitionsbremse ausgestaltet haben.
Das haben wir durch die Aufnahme einer Ausnahmere-
gelung für Neubauten und durch die Aufnahme einer
weitgehenden Ausnahmeregelung bei umfassenden Re-
novierungen geschafft. An diesen Stellen haben wir die
ursprünglichen Vorschläge aus dem Justizministerium
entscheidend verbessert.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Auch an anderer Stellen haben wir Verbesserungen
erzielt, unter anderem bei dem schon angesprochenen
§ 5 Wirtschaftsstrafgesetz, den der Justizminister aus
dem Gesetzbuch streichen wollte. Unserer Meinung
nach war es nicht Sinn der Sache, eine begrenzte Miet-
preisbremse einzuführen und gleichzeitig den allgemein
und unabhängig von weiteren Vorgaben geltenden § 5
Wirtschaftsstrafgesetz zu streichen. Das war einer der
Punkte, die wir von Anfang an vertreten haben, und das
hat sich im Gesetzentwurf entsprechend niedergeschla-
gen.

Es ist jetzt Sache der Länder – am besten zusammen
mit den Kommunen –, zu überlegen, wie sie die im Ge-
setzentwurf vorgesehenen fünf Jahre nutzen können, um
die Situation für die Mieter zu verbessern. Dabei geht es
um Maßnahmen wie die Erleichterung von Stellplatzan-
forderungen, die Erhöhung der Wohnungsbauförderung,
die verstärkte Ausweisung von Bauland und teilweise
auch die Förderung des öffentlichen Nahverkehrs, damit
eventuell auch weiter außerhalb liegende Wohngebiete
an Attraktivität gewinnen und dadurch die Ballungs-
räume entlastet werden.
Der Gesetzentwurf ist aber wie jedes Gesetzesvorha-
ben in einer Großen Koalition ein Kompromiss. Uns tut
es leid, dass die Mietpreisbremse nicht genutzt wurde,
um Mietspiegel verbindlich vorzuschreiben. Gerade auf
angespannten Wohnungsmärkten wäre das ein großer
Vorteil. Denn wir stellen jetzt in jedem Fall eines neuen
Mietvertrages Mieter und Vermieter vor die Frage, wie
hoch die ortsübliche Vergleichsmiete ist, auf die maxi-
mal 10 Prozent aufgeschlagen werden dürfen. Das kann
extrem streitanfällig sein, und es treibt die Menschen in
teure Gerichtsprozesse. Ich habe selber als Richterin
Mietprozesse geführt und weiß von daher, wie schwierig
es ist, dabei zu einer verlässlichen Vergleichsgrundlage
zu kommen.

Deshalb hätte es uns am Herzen gelegen, zu verbind-
lichen Mietspiegeln zu kommen. Wir wären auch zu den
notwendigen Übergangsfristen bereit gewesen. Hier ist
eine Chance vertan worden. Trotzdem appelliere ich an
die Kommunen, sich dort, wo es möglich ist, um aktuelle
Mietspiegel zu bemühen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU sowie des Abg. Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir haben
noch einige weitere Vorhaben im Mietrecht im Koali-
tionsvertrag vereinbart. Insofern ist mein nachdrückli-
cher Appell, dass wir das im Blick behalten und die
Investitionsanreize erhalten. Wer eigenes Geld in den
Wohnungsneubau oder die Sanierung des alten Bestan-
des investieren soll, der hat ein legitimes Interesse daran,
dass dieses Geld irgendwann eine Rendite abwirft. Es
gibt noch genügend andere Möglichkeiten, sein Geld zu
investieren. Es gibt dabei eine Korrelation: Bei hohen
Renditen nimmt man ein höheres Risiko in Kauf; bei
niedrigen Renditen nimmt man ungern ein Risiko in
Kauf. Wenn das dann auch noch mit einem hohen Auf-
wand verbunden ist, ist das nicht gut. Eine besonders un-
günstige Kombination ist, wenn ein hoher Aufwand und
ein hohes Risiko auf eine niedrige Rendite treffen. Des-
wegen müssen wir darauf achten, dass genau das beim
Wohnungsmarkt nicht der Fall ist.


(Christian Kühn [Tübingen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Haben Sie sich mal die Zinsentwicklung angeschaut?)


Wenn wir die weiteren Vorhaben im Koalitionsvertrag
angehen, dann müssen wir das vermeiden. Ich denke
zum Beispiel an die Amortisationsgrenze bei der energe-
tischen Sanierung. Wir fordern die Menschen auf, in die-
sen Bereich zu investieren, aber verdienen sollen sie
nicht daran. Ich weiß nicht, ob das funktioniert. Damit
sollten wir uns vielleicht noch einmal befassen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ich komme noch kurz zum Bestellerprinzip. Wir sor-
gen damit für mehr Fairness in dem Dreipersonenver-
hältnis von Vermieter, Mieter und Makler. Wir alle ken-
nen die Situation – wer sie nicht selbst erlebt hat, kennt
sie vielleicht aus der Werbung –: Eine Wohnung wird als
Ringeltäubchen angeboten. 20 bis 30 Interessenten ste-
hen Schlange, aber derjenige, der das große Los gezogen





Elisabeth Winkelmeier-Becker


(A) (C)



(D)(B)

hat, kriegt die Wohnung nur dann, wenn er mit dem
Makler, den er vorher noch nie gesehen hat, einen Ver-
trag abschließt. Das wollen wir ändern, und das schaffen
wir auch mit der Neuregelung des Bestellerprinzips.

Ein bisschen schade ist, dass das auch dann gilt, wenn
die Lage nicht so eindeutig ist, und dort kann es eine
hemmende Wirkung haben. Wir hätten die berechtigten
und einstimmigen Hinweise des Bundesrates dazu auf-
greifen und uns um eine kreative Lösung bemühen sol-
len. Leider gab es in diesem Punkt auch beim Koali-
tionspartner wenig Bewegung.


Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1809104300

Stichwort „kreativ“: ein kurzer Blick auf die Uhr,

bitte.


Elisabeth Winkelmeier-Becker (CDU):
Rede ID: ID1809104400

Deshalb schließen wir mit der Mietpreisbremse heute

ein Projekt ab, das das soziale Mietrecht stärkt, ohne
Investitionsbremse zu sein. Wir schaffen damit den Rah-
men. Die Länder müssen das jetzt mit Augenmaß und
Vernunft umsetzen.

Ich danke Ihnen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1809104500

Als nächstem Redner erteile ich das Wort dem Abge-

ordneten Christian Kühn, Bündnis 90/Die Grünen.

Christian Kühn (Tübingen) (BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN):

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren auf der Tri-
büne! Als ich diesen Referentenentwurf vor über einem
Jahr zu Gesicht bekommen habe, hätte ich mir niemals
vorstellen können, dass er so lange im Verfahren steckt,
so lange blockiert wird. Es sind mehr als 500 Tage ver-
gangen, seit Angela Merkel die Mietpreisbremse ver-
sprochen hat. Diese Mietpreisbremse hätte nach dem
Koalitionsvertrag ein Sofortprogramm in den ersten 100
Tagen sein sollen. Ich finde, diese Mietpreisbremse ist
das langsamste Sofortprogramm, das dieser Bundestag
seit langer Zeit gesehen hat. Die Große Koalition bewegt
sich in der Wohnungspolitik im Schneckentempo.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dr. Jan-Marco Luczak [CDU/CSU]: Gut Ding will Weile haben!)


Sie bringen heute ein Gesetz auf den Weg, aber es
kommt viel zu spät. Die Mieten sind in den letzten
500 Tagen – das haben wir Grüne in einer Studie nach-
gewiesen – rasant gestiegen, und gleichzeitig haben Sie
die Mietpreisbremse im Deutschen Bundestag verzögert
und blockiert. Das ist ein Skandal. Am Ende zahlen für
diese absurde Geschichte die Mieterinnen und Mieter in
Deutschland, egal ob in Berlin, Tübingen oder München,
die Zeche.
Aber es geht noch viel weiter; denn es wird dauern,
bis die Mietpreisbremse vor Ort wirklich Wirkung ent-
faltet. Sie haben sehr viele Hürden in dieses Gesetz ein-
gebaut. Ich glaube, dass jetzt die Länder und die Kom-
munen Ihre Hausaufgaben machen sollen. Das ist
irgendwie absurd. Ich glaube, dass mindestens ein bis
zwei Jahre benötigt werden, um dieses Gesetz, diese
Mietpreisbremse vor Ort umzusetzen.


(Dr. Jan-Marco Luczak [CDU/CSU]: Die ersten Landesregierungen haben schon die Verordnung in der Tasche!)


Ich sage Ihnen: Eine Mietpreisbremse, die nur im Ge-
setzblatt steht, wirkt vor Ort noch nicht. Sie von der
Union haben viel dafür getan, dass diese Mietpreis-
bremse nicht schnell umgesetzt werden kann.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Die Mietpreisbremse kommt zu spät, sie ist aber auch
verdammt schlecht gemacht. Sie enthält Hürden, und
– das ist schon beschrieben worden – sie ist löchrig wie
ein Sieb. Ich möchte ein paar Löcher benennen, die diese
Mietpreisbremse hat, also Möglichkeiten, die es erlau-
ben, dass die Mitpreisbremse umgangen wird.

Erstens. Herr Maas, Sie haben von einem guten Tag
für die Mieterinnen und Mieter und von einem Schritt in
Richtung mehr Mieterfreundlichkeit gesprochen. Die
Rügepflicht ist dem Mietrecht bis jetzt fremd. Das wis-
sen auch Sie als Justizminister. Ich kann nicht verstehen,
dass Sie diese Rechtskonstruktion in das Mietrecht hi-
neinschreiben. Das ist mieterinnen- und mieterfeindlich.
Das ist nichts anderes als eine Strategie zur Umgehung
der Mietpreisbremse.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Zweitens. Die umfassende Modernisierung, die Sie
als Ausnahme im Gesetz stehen haben, ist am Ende
nichts anderes als ein Anreiz für hochpreisige Moderni-
sierung. Hochpreisige Modernisierung heißt Luxusmo-
dernisierung, ist also eine Strategie zur Umgehung der
Mietpreisbremse. Ich finde, dass Berlin, Frankfurt, Stutt-
gart oder München nicht mehr Luxuswohnungen brau-
chen, sondern mehr bezahlbaren Wohnraum.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Liebe Kolleginnen und Kollegen der Union, wir
Grüne kennen uns mit Blockieren aus. Wir haben Sym-
pathie für Blockaden, zum Beispiel in Dresden gegen
Nazis. Aber dass Sie die Mietpreisbremse und soziales
Mietrecht nun über viele Tage hier im parlamentarischen
Verfahren blockiert haben, halten wir für falsch. Da kann
ich Ihnen nur sagen: Hören Sie damit auf, und beenden
Sie endlich Ihren Sitzstreik in Sachen soziales Mietrecht.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dr. Jan-Marco Luczak [CDU/CSU]: In zehn Minuten stimmen wir ab!)


Ich kann Ihnen sagen, wozu dieser Sitzstreik führen
wird. Er wird dazu führen, dass Sie Wahlergebnisse von
16 Prozent wie in Hamburg bekommen. Das zeigt ganz
klar: Sie haben keine Antworten auf die Probleme der





Christian Kühn (Tübingen)



(A) (C)



(D)(B)

Menschen in den Großstädten und Ballungsräumen.
Deswegen haben Sie dort zu Recht eine Klatsche be-
kommen. Sie verstehen die Großstädte nicht, aber auch
die Großstädte verstehen Sie nicht mehr – und das zu
Recht.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dr. Jan-Marco Luczak [CDU/CSU]: Das warten wir mal ab!)


Zum Schluss, liebe Kolleginnen und Kollegen: Nach
der Mietpreisbremse ist vor der Mietrechtsreform; das
haben Sie hier ja auch ausgeführt. Sie haben angekün-
digt, jetzt noch eine große Mietrechtsreform durchzufüh-
ren. Wann soll der Mietspiegel denn reformiert werden?
Wann soll das „Heraussanieren“ von Menschen aus ih-
ren Wohnungen beendet werden? Wenn Sie dafür ge-
nauso lange wie für die Mietpreisbremse brauchen, wer-
den wir diese Reform in dieser Legislaturperiode nicht
mehr erleben; denn dann ist Wahlkampf, und dann geht
politisch eben nichts mehr. Ich habe den Eindruck: Bei
Ihnen in der Großen Koalition, da geht schon eine Weile
nichts mehr.

Danke.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)



Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1809104600

Als nächstem Redner erteile ich das Wort dem Abge-

ordneten Dennis Rohde, SPD-Fraktion.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dennis Rohde (SPD):
Rede ID: ID1809104700

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Allen Unkenrufen zum Trotz: Heute ist ein
guter Tag für die Mieterinnen und Mieter in diesem
Land.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Nach Schätzungen des Justizministeriums werden die
Mieter in diesem Land durch das Bestellerprinzip und
durch die Mietpreisbremse jährlich um 850 Millionen
Euro entlastet. Ich finde, das kann man nicht kleinreden.
Das ist ein Erfolg der Großen Koalition.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ich sage auch ganz selbstbewusst: Die Verabschie-
dung dieses Gesetzentwurfs heute ist auch ein Erfolg der
SPD. Das gilt gerade, wenn man weiß, welche Forderun-
gen auf uns eingeprasselt sind.


(Beifall bei der SPD)


Da sollten pauschal alle Städte ohne Mietspiegel von der
Mietpreisbremse ausgenommen werden. Da sollte der
Anwendungsbereich nicht nur örtlich beschränkt wer-
den; vielmehr sollten innerhalb der örtlichen Beschrän-
kung auch noch sachliche Beschränkungen, zum Bei-
spiel auf kleine Ein- und Zweizimmerwohnungen,
vorgenommen werden. Da sollten umfassende Moderni-
sierungen dauerhaft ausgenommen werden. Da sollte das
Bestellerprinzip derart aufgeweicht werden, dass der
Umgehung Tür und Tor geöffnet worden wäre. Ich sage:
Es ist gut, dass das alles es nicht in den Gesetzentwurf
geschafft hat.


(Beifall bei der SPD)


Denn wir brauchen dieses Gesetz. Es ist nicht unser
Anspruch an eine moderne Wohnungspolitik, denjeni-
gen, die in Innenstädten wohnen und sich das Wohnen
dort nicht mehr leisten können, zu sagen: Wenn du es dir
nicht leisten kannst, dann zieh doch aufs Land, dann zieh
doch an den Stadtrand. – Das kann doch nicht unser An-
spruch sein. Natürlich wissen wir: Es gibt kein gesetzli-
ches Recht darauf, in der Innenstadt zu leben.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Aber ich sage: Innenstädte dürfen nicht zu Luxuswohn-
gebieten für die finanzielle Elite in diesem Land werden.
Unsere Städte leben davon, dass sie bunt sind.


(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Dr. JanMarco Luczak [CDU/CSU])


Unsere Städte leben von ihrer Vielfältigkeit. Unsere
Städte leben davon, dass verschiedenste Menschen Tür
an Tür wohnen. Diese Vielfalt sicherzustellen, das ist
und das bleibt ein gesellschaftlicher Mehrwert, und das
ist und das bleibt eine politische Herausforderung.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Uns ist vollkommen bewusst, dass wir dafür auch in
den Markt werden eingreifen müssen. Ich möchte all
denjenigen zurufen, die in den letzten Tagen, Wochen
und Monaten immer wieder mit der Eigentumsfreiheit
argumentiert haben, die immer wieder Artikel 14 Grund-
gesetz hochgehalten haben. Lesen Sie doch auch einmal
Absatz 2 dieses Artikels.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)


Da steht – ich zitiere –:

Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich
dem Wohle der Allgemeinheit dienen.

Meine Damen und Herren, wir leben in einer sozialen
Marktwirtschaft und nicht, wie der eine oder andere es
gerne hätte, in einer radikalen Marktwirtschaft.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Daher kündige ich an: Wir werden uns auch in Zukunft
das Recht herausnehmen, ordnungspolitische Eingriffe
vorzunehmen im Sinne der Mehrheit der Menschen in
unserem Land.

Auch ein Wort in Richtung Opposition. Sie haben uns
in Ihren Redebeiträgen zaghaft kritisiert.


(Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Vorschläge gemacht!)






Dennis Rohde


(A) (C)



(D)(B)

Ich möchte Ihnen an dieser Stelle sagen: Vorsicht an der
Bahnsteigkante! Heute können Sie uns kritisieren; aber
morgen müssen Sie zeigen, wie ernst es Ihnen wirklich
mit dem Schutz der Mieterinnen und Mieter ist.


(Christian Kühn [Tübingen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Ist es schon so weit?)


Ich sage Ihnen: Wir werden ganz genau darauf achten,
was Sie dort mit der Mietpreisbremse machen, wo Sie
regieren.


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ihr regiert ja auch noch hier und da!)


Wir werden zum Beispiel ganz genau darauf achten, was
Schwarz-Grün in Hessen mit der Mietpreisbremse
macht. Achten Sie lieber darauf, dass Ihre Kritik von
heute Morgen nicht zum Bumerang wird.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Caren Lay [DIE LINKE]: Das können wir zusammen: Rot-Rot!)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, heute ist ein guter
Tag für die Mieterinnen und Mieter in Deutschland. Ab
morgen beginnt die Arbeit am zweiten Mietpaket; es
wurde angekündigt. Ab morgen arbeiten wir an der Um-
setzung des zweiten Paketes im Sinne des Koalitionsver-
trages. Ab morgen arbeiten wir an einem zweiten guten
Tag für die Mieterinnen und Mieter in diesem Land.

Vielen Dank.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Christian Kühn [Tübingen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Weiß das auch die Union?)



Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1809104800

Als nächster Rednerin erteile ich das Wort der Abge-

ordneten Dr. Anja Weisgerber, CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)



Dr. Anja Weisgerber (CSU):
Rede ID: ID1809104900

Sehr geehrter Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen

und Kollegen! Das, worüber wir heute abstimmen, ist
ein gutes Ergebnis für die Mieterinnen und Mieter in
Deutschland;


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Christian Kühn [Tübingen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Kommt halt viel zu spät!)


denn mit der Mietpreisbremse dämpfen wir stark stei-
gende Mieten in angespannten Wohnungsmärkten und
Universitätsstädten.

Wir haben die Mietpreisbremse klug ausgestaltet. Sie
ist keine Investitionsbremse – Neubauten sind ausge-
nommen –, und sie greift gezielt dort, wo sie wirklich
gebraucht wird. Mit diesem Gesamtpaket setzen wir als
CDU/CSU unser Wahlversprechen um. Wir wollen die
Mietpreisbremse; denn Menschen sollen in ihren ange-
stammten Wohnvierteln wohnen bleiben können und
nicht verdrängt werden – egal ob sie auf dem Dorf in
Franken oder im Münchener Stadtteil Schwabing leben
wollen. Außerdem wollen wir, dass Studierende in den
Universitätsstädten bezahlbaren Wohnraum finden.

Die Wohnungsmärkte in Deutschland funktionieren in
weiten Teilen, in manchen aber eben auch nicht. Gerade
in Groß- und Universitätsstädten sind die Wohnungs-
märkte angespannt. Die Studierendenzahlen steigen an.
Teilweise werden Höchstwerte verzeichnet. Des Weite-
ren nimmt die Anzahl der Singlehaushalte zu. Fast
40 Prozent aller Haushalte sind derzeit Singlehaushalte.

Durch diese und andere Entwicklungen ist das
Gleichgewicht der Wohnungsmärkte aus den Fugen ge-
raten. Ich möchte Ihnen ein Beispiel erzählen: Eine Stu-
dentin aus Bamberg hat mir vor kurzem erzählt, dass sie
für eine 24-Quadratmeter-Wohnung knapp 400 Euro be-
zahlt. Das kann nicht sein! Wir bremsen mit dem heuti-
gen Beschluss den weiteren Anstieg der Mieten für die
Zukunft aus. Und das ist gut so, meine Damen und Her-
ren!


(Beifall bei der CDU/CSU – Caren Lay [DIE LINKE]: Schön wäre es!)


Die Mietpreisbremse greift aber gezielt genau dort
räumlich und zeitlich begrenzt, wo sie notwendig ist.
Würde es so kommen, wie es die Fraktion Die Linke
will, würden keine neuen Wohnungen mehr gebaut.


(Caren Lay [DIE LINKE]: Wer will denn den sozialen Wohnungsbau ankurbeln, wir oder Sie?)


Was will die Linke? Eine flächendeckende und unbefris-
tete Mietpreisbremse in ganz Deutschland? Mieterhö-
hungen nur noch in Höhe des Inflationsausgleichs? –
Wer würde da noch investieren, wenn das so käme?


(Caren Lay [DIE LINKE]: Dann würden die Mieter profitieren!)


Dann würde die Ursache des Problems – der mangelnde
Wohnraum – nicht behoben. Das wäre dann großer Käse,
verehrte Frau Lay und Frau Künast!


(Beifall bei der CDU/CSU)


Das beste Mittel gegen steigende Mieten ist doch,
ausreichend Wohnraum zu schaffen. Ein größeres Ange-
bot dämpft letztendlich automatisch die steigenden Miet-
preise. Wir alle kennen das volkswirtschaftliche Prinzip
gut, nach dem Angebot und Nachfrage den Preis regeln.
Bei der Linken und bei dem, was Frau Künast vorhin ge-
sagt hat, wäre ich mir da allerdings nicht so sicher,
meine Damen und Herren.


(Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Und Sie kennen den Artikel 2 nicht!)


Damit neuer Wohnraum geschaffen wird, müssen
auch wir aufseiten der Politik die richtigen Anreize bzw.
die richtigen Rahmenbedingungen setzen.


(Caren Lay [DIE LINKE]: Ankurbelung sozialen Wohnungsbaus!)






Dr. Anja Weisgerber


(A) (C)



(D)(B)

Mit diesem Gesetz sorgen wir dafür, dass auch die Ursa-
chen angegangen werden. Deshalb ist es richtig, dass die
Neubauten ausgenommen sind. Damit bleibt der Anreiz
erhalten, neue Wohnungen zu bauen. Das haben wir in
den Verhandlungen erfolgreich durchgesetzt, und darauf
sind wir auch stolz.


(Beifall bei der CDU/CSU – Christian Kühn [Tübingen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Warum der Neubau bis in alle Ewigkeiten ausgenommen ist, verstehe ich nicht!)


Es ist auch richtig, verehrter Herr Kühn, dass umfas-
send modernisierte Wohnungen bei Erstvermietungen
ausgenommen sind. Ich möchte nicht verschweigen,
dass ich mir die komplette Ausnahme auch bei weiteren
Vermietungen gewünscht hätte, und zwar auch aus Kli-
maschutzgründen. Wir brauchen einen Anreiz für die
Durchführung von Modernisierungsmaßnahmen, auch
von energetischen Sanierungen. Wir als Klimapolitiker
wissen, dass im Gebäudebereich ein erhebliches Ein-
sparpotenzial vorhanden ist. Das müssen wir nutzen, um
unsere Klimaziele zu erreichen. Deswegen ist es auch
richtig, dass die umfassend modernisierten Wohnungen
von der Mietpreisbremse ausgenommen sind, meine Da-
men und Herren.


(Beifall bei der CDU/CSU – Christian Kühn [Tübingen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Warum haben Sie es nicht auf energetische Modernisierung beschränkt?)


Die genaue Ausgestaltung, ab wann und wo die Miet-
preisbremse wirklich greift, obliegt jetzt nicht dem
Bund, sondern den Ländern. Das ist auch richtig so;
denn dort muss jetzt vor Ort gezielt etwas passieren. Die
Länder müssen zunächst die Gebiete bestimmen, in de-
nen die Mietpreisbremse greifen soll. Sie können ein-
zelne Städte und Gemeinden oder auch nur bestimmte
Stadtteile zu „angespannten Wohnungsmärkten“ erklä-
ren. Es ist auch wichtig und richtig, dass die Länder für
diese Gebiete jetzt konkrete Maßnahmenpläne vorlegen,
wie sie den Wohnungsmangel gezielt bekämpfen und er-
reichen wollen, dass dort auch wieder Wohnungen ge-
baut werden. Durch die Mietpreisbremse allein entste-
hen nämlich keine neuen Wohnungen. Wir müssen auch
die Ursachen und nicht nur die Symptome bekämpfen.


(Beifall bei der CDU/CSU – Christian Kühn [Tübingen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das verzögert die Mietpreisbremse weiter!)


– So, wie das ausgestaltet wurde, verzögert das die Miet-
preisbremse nicht. Das ist richtig ausgestaltet worden,
und die Länder werden das in diesem Sinne umsetzen.

Auch die soziale Wohnraumförderung kann helfen,
vor Ort mehr bezahlbaren Wohnraum zu schaffen. Daher
appelliere ich heute erneut an alle Länder, die halbe Mil-
liarde Euro, mit der der Bund sie jährlich unterstützt,
endlich konsequent und zielgerichtet für den sozialen
Wohnungsbau zu verwenden. Dass das gelingen kann,
zeigt Bayern. In Berlin ist das unter Rot-Rot nicht gelun-
gen, Frau Lay.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Caren Lay [DIE LINKE]: Sprechen Sie doch einmal mit Ihrem Koalitionspartner! SPD heißt das Problem in Berlin!)


Die Mietpreisbremse ist nur ein Bestandteil unserer
Wohnungsbaupolitik. Wir wollen in ganz Deutschland
bezahlbaren Wohnraum schaffen. Wir übernehmen Ver-
antwortung für die gesamte Wohnungspolitik. Im Rah-
men des Bündnisses für bezahlbares Wohnen und Bauen
diskutieren Vertreter von Bund, Ländern, Kommunen
und anderen gesellschaftlich relevanten Akteuren, wie
wir das gemeinsame Ziel, die wohnungspolitischen
Herausforderungen zu meistern, erreichen können. Im
Rahmen dieses Bündnisses untersucht die Bausenkungs-
kommission auch, wie kostentreibende Vorschriften im
Bauwesen verringert werden können, welche Vereinfa-
chungsmöglichkeiten bestehen.

Mit diesem Gesamtpaket, mit dem Bündnis für be-
zahlbares Wohnen und Bauen und der Mietpreisbremse,
sind wir auf dem richtigen Weg. Wir unternehmen heute
einen wichtigen Schritt, indem wir die Mietpreisbremse
in der uns vorliegenden Form verabschieden.

Vielen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1809105000

Als nächstem Redner erteile ich das Wort dem Abge-

ordneten Metin Hakverdi, SPD-Fraktion.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Metin Hakverdi (SPD):
Rede ID: ID1809105100

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Kolleginnen und

Kollegen! Heute ist ein guter Tag für Millionen Miete-
rinnen und Mieter in Deutschland. Menschen in Bal-
lungsgebieten wie Hamburg, München, Berlin, aber
auch Düsseldorf und Frankfurt können heute aufatmen:
Die Mietpreisbremse kommt, und sie kommt ohne Ab-
striche. Sie kommt mit dem Bestellerprinzip bei der
Maklercourtage. Sie kommt, wie die SPD sie im Koali-
tionsvertrag durchgesetzt hat.

Für uns Sozialdemokraten gehört die Mietpreis-
bremse neben dem Mindestlohn zu den wichtigsten ord-
nungspolitischen Interventionen, die wir durch unsere
Regierungsbeteiligung erreicht haben. In den beiden
wichtigen Lebensbereichen Wohnen und Arbeit darf die
Entwicklung der Lebensverhältnisse nicht marktradika-
len Anschauungen überlassen werden.


(Beifall bei der SPD)


Der Anstieg der Mietpreise hat Ursachen. Menschen
ziehen wieder vermehrt in die Ballungsgebiete. Das hat
damit zu tun, dass die Ballungsgebiete oft über eine bes-
sere Infrastruktur verfügen als die ländlichen Räume.
Ältere Menschen ziehen in die Städte, weil sie dort eine
bessere medizinische Versorgung vorfinden. Familien
bleiben eher in den Städten, weil sie dort eine gute Ver-
sorgung mit Hort, Kindertagesstätten und Schulen vor-





Metin Hakverdi


(A) (C)



(D)(B)

finden. Auf diese Entwicklung haben sowohl die Politik
als auch der freie Markt nicht reagiert. Dies ist ein Fall
von Marktversagen. Es wurden nicht genug Wohnungen
angeboten; denn es wurden nicht genug Wohnungen ge-
baut. Die Mietpreise stiegen an. Die Menschen in Ham-
burg, zum Beispiel die Menschen in meinem Wahlkreis,
in Bergedorf, Harburg und Wilhelmsburg, beobachten
diese Entwicklung mit Sorge. Sie fragen sich, ob sie
auch in Zukunft noch in ihrem Quartier leben können.
Sie fragen sich, ob sie auch im Alter die Miete in ihrem
Quartier bezahlen können. Deshalb ist die Mietpreis-
bremse eine richtige und wichtige ordnungspolitische
Maßnahme.

Machen wir uns aber nichts vor: Allein mit der Miet-
preisbremse werden wir das Problem nicht gelöst be-
kommen. Es bedarf eines umfassenderen Ansatzes.


(Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Sehr richtig!)


Neben der Mietpreisbremse wird es auch darauf ankom-
men, bezahlbaren Wohnraum neu zu schaffen. Dafür
muss aber aktiv Wohnungsbau betrieben werden. Ham-
burg hat mit unserem Ersten Bürgermeister Olaf Scholz
vorgemacht, wie man das Ruder herumreißen kann.


(Beifall bei der SPD)


Jedes Jahr wurde der Neubau von über 6 000 Wohnein-
heiten genehmigt. Das ist eine wichtige wohnungsbau-
politische Maßnahme, und allmählich greift diese auch.
Der Anstieg der Mieten in Hamburg flacht langsam ab.

Die Politik muss helfen, bezahlbaren Wohnraum zu
schaffen. Auch in Zukunft gilt für uns Sozialdemokra-
ten, dass Wohnen und Arbeiten wichtig sind: Erstens.
Von Arbeit muss man leben können. Zweitens. Wohn-
raum muss bezahlbar sein.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1809105200

Als nächster Rednerin erteile ich das Wort der Abge-

ordneten Yvonne Magwas, CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Sören Bartol [SPD])



Yvonne Magwas (CDU):
Rede ID: ID1809105300

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Kolleginnen und

Kollegen! Ich möchte den Vorrednern aus meiner Frak-
tion danken, die bereits das Wesentliche herausgearbeitet
haben. Heute setzen wir wieder eines unserer Vorhaben
aus dem Koalitionsvertrag um. Ich begrüße es sehr, dass
es uns gelungen ist, einen stimmigen und ausgewogenen
Gesetzentwurf vorzulegen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU sowie des Abg. Sören Bartol [SPD])


Wie man weiß, gab es anfangs einige Unklarheiten
über die Reichweite der Vereinbarung im Koalitionsver-
trag. Ich sehe daher mit Zufriedenheit, dass wir als CDU/
CSU-Bundestagsfraktion die Lösungsfindung mit unse-
rem Eckpunktepapier bereits in einem frühen Stadium
unterstützen und umsetzen konnten.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Der heute zu beschließende Gesetzentwurf vereint da-
her auch zwei wesentliche wohnungspolitische Grund-
sätze. Zum einen geht es darum, die Bezahlbarkeit des
Wohnens zu sichern und eine Antwort zu geben auf
überzogene Mieten in angespannten Wohnungsmärkten.
Zum anderen wissen wir aber auch, dass das wirksamste
Mittel gegen hohe Mieten der Wohnungsneubau ist. In
Anbetracht dessen und auch vor dem Hintergrund des
Artikels 14 Grundgesetz ist es richtig, eine zeitliche Be-
fristung vorzunehmen, aber auch eine definierte räumli-
che Begrenzung.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Ebenso ist es richtig, die Mietpreisbremse an konkrete
Maßnahmen zur Behebung der Wohnungsnot zu kop-
peln; denn die Lösung des Kernproblems heißt: bauen,
bauen, bauen.


(Beifall bei der CDU/CSU – Caren Lay [DIE LINKE]: Bezahlbare Wohnungen!)


Die Mietpreisbremse verschafft uns nun die notwen-
dige Zeit, um den partiellen Wohnungsmangel zielfüh-
rend anzugehen. Hierfür soll das Bündnis für bezahlba-
res Wohnen und Bauen ein zentraler Baustein sein. Die
Zeit drängt. Somit ist es wichtig, dass wir den Zeitplan
einhalten und die Ergebnisse des Bündnisses einfordern.

Meine Damen und Herren, meine Heimat, das Vogt-
land, gehört zu den Gebieten, in denen die Mietpreis-
bremse keine große Bedeutung hat. Dennoch verknüpfen
auch die Menschen dort Hoffnungen mit dem Bündnis
für bezahlbares Wohnen und Bauen. Das Stichwort hier
heißt „demografischer Wandel“; denn die Bevölkerung
schrumpft, und die Menschen werden immer älter. Bei-
des hat Auswirkungen auf die Lebensqualität im ländli-
chen Raum. Notwendig sind hier Gesundschrumpfungs-
prozesse von kleinen Städten und Gemeinden, ohne
natürlich die Attraktivität außer Acht zu lassen. Und es
werden zunehmend Wohnräume benötigt, die barriere-
frei und energieeffizient sind. Jetzt schon müssen wir
uns darauf einstellen, dass der Bedarf diesbezüglich
massiv ansteigen wird. Wir halten auch deshalb an der
vereinbarten steuerlichen Förderung fest und freuen uns
über die Aussagen der KfW, die Zuschüsse für die ener-
getische Sanierung und den altersgerechten Umbau zu
erhöhen.

Meine Damen und Herren, bezahlbares Wohnen wird
auch durch sozialen Wohnungsbau sichergestellt. Leider
werden die Mittel, die der Bund dafür an die Länder
gibt, nicht von allen Ländern dazu genutzt. Das Negativ-
beispiel Brandenburg habe ich bereits in der letzten De-
batte angeführt. Ich plädiere dafür, dass sich die Länder
verbindlich verpflichten, die Bundesmittel fortan zweck-
gebunden für den sozialen Wohnungsbau zu verwenden


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


und vor allem aussagekräftig darüber zu informieren.





Yvonne Magwas


(A) (C)



(D)(B)

Wie gesagt, die Länder sind nun gefordert, die Miet-
preisbremse umzusetzen und den Wohnungsneubau an-
zuschieben. Das scheinen aber nicht alle zu wollen. Die
linke Infrastrukturministerin aus Thüringen hat bereits in
der Thüringer Allgemeinen Zeitung vom 26. Februar an-
gekündigt, nicht an eine schnelle Einführung einer Miet-
preisbremse zu denken, sondern lieber abzuwarten.


(Thomas Oppermann [SPD]: Unerhört!)


Dabei sieht der Thüringer Mieterbund gerade in den Bal-
lungsräumen Erfurt, Weimar und Jena großen Bedarf.
Thüringen scheint also wieder einmal eine Chance zu
verpassen.

Abschließend bleibt zu hoffen, dass Thüringen eine
Ausnahme bleibt. Wir werden die Mietpreisbremse
heute beschließen und setzen damit auf bezahlbares
Wohnen und vor allem auf Bauen, Bauen, Bauen.

Vielen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1809105400

Ich schließe die Aussprache.

Wir kommen zur Abstimmung über den von der
Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Miet-
rechtsnovellierungsgesetzes. Der Ausschuss für Recht
und Verbraucherschutz empfiehlt in seiner Beschluss-
empfehlung auf Drucksache 18/4220, den Gesetzent-
wurf der Bundesregierung auf Drucksachen 18/3121 und
18/3250 anzunehmen. Hierzu liegen drei Änderungsan-
träge vor, über die wir zuerst abstimmen: ein Änderungs-
antrag der Fraktion Die Linke und zwei Änderungsan-
träge der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Die beiden
Änderungsanträge der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen
werden wir in namentlicher Abstimmung behandeln.
Danach müssen wir die Sitzung unterbrechen, um das
Ergebnis der Abstimmungen über die Änderungsanträge
auszuzählen.

Anschließend kommen wir zur dritten Lesung. Zum
Schluss werden wir über einen Entschließungsantrag der
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen abstimmen. – Das sind
also die Abstimmungen, vor denen wir jetzt stehen.

Bevor wir zu den namentlichen Abstimmungen kom-
men, stimmen wir über den Änderungsantrag der Frak-
tion Die Linke auf Drucksache 18/4223 ab. Wer für den
Änderungsantrag der Fraktion Die Linke auf Drucksa-
che 18/4223 stimmt, den bitte ich um sein Handzei-
chen. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der
Änderungsantrag ist mit den Stimmen der CDU/CSU-
Fraktion und der SPD-Fraktion bei Enthaltung der Frak-
tion Bündnis 90/Die Grünen und Zustimmung der Frak-
tion Die Linke abgelehnt.

Nun stimmen wir über zwei Änderungsanträge der
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen ab, zu denen namentli-
che Abstimmung verlangt wurde.

Abstimmung über den Änderungsantrag von Bünd-
nis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/4224. Ich bitte die
Schriftführerinnen und Schriftführer, die vorgesehenen
Plätze an den Abstimmungsurnen einzunehmen. – Sind
jetzt alle Urnen ordnungsgemäß besetzt? – Das ist der
Fall. Ich eröffne die namentliche Abstimmung über den
Änderungsantrag auf Drucksache 18/4224.

Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine
Stimme nicht abgegeben hat? – Das ist nicht der Fall. Ich
schließe die Abstimmung und bitte die Schriftführerin-
nen und Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen.

Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den Ände-
rungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf
Drucksache 18/4225. Ich bitte die Schriftführerinnen
und Schriftführer, wieder die Plätze an den Urnen ein-
zunehmen. – Ich eröffne die zweite namentliche Ab-
stimmung über den Änderungsantrag auf Drucksache
18/4225.

Gibt es noch ein Mitglied des Hauses, das seine
Stimme jetzt bei der zweiten namentlichen Abstimmung
noch nicht abgegeben hat? – Das ist nicht der Fall.

Ich schließe die Abstimmung und bitte die Schriftfüh-
rerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu begin-
nen. Bis zum Vorliegen des Ergebnisses der namentli-
chen Abstimmungen unterbreche ich die Sitzung.


(Unterbrechung von 11.40 bis 11.47 Uhr)



Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1809105500

Die Sitzung ist wieder eröffnet. Ich bitte die Kollegin-

nen und Kollegen, ihre Plätze einzunehmen.

Protokoll des von den Schriftführerinnen und Schrift-
führern ermittelten Ergebnisses der namentlichen Ab-
stimmung über den Änderungsantrag der Abgeordneten
Renate Künast, Christian Kühn, Luise Amtsberg sowie
weiterer Abgeordneter der Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen zu der zweiten Beratung des Gesetzentwurfs der
Bundesregierung zur Dämpfung des Mietanstiegs auf
angespannten Wohnungsmärkten und zur Stärkung des
Bestellerprinzips bei der Wohnungsvermittlung – Miet-
rechtsnovellierungsgesetz –, Drucksachen 18/3121,
18/3250, 18/4220 und 18/4224: abgegebene Stimmen
587. Mit Ja haben gestimmt 113, mit Nein haben ge-
stimmt 474, kein Kollege und keine Kollegin haben sich
enthalten. Der Änderungsantrag ist damit abgelehnt.
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 587;
davon

ja: 113
nein: 474
Ja

DIE LINKE

Jan van Aken
Dr. Dietmar Bartsch
Herbert Behrens
Matthias W. Birkwald
Christine Buchholz
Eva Bulling-Schröter
Roland Claus
Dr. Diether Dehm
Klaus Ernst
Wolfgang Gehrcke
Nicole Gohlke
Annette Groth
Dr. Gregor Gysi
Dr. André Hahn





Vizepräsident Peter Hintze


(A) (C)



(D)(B)

Heike Hänsel
Dr. Rosemarie Hein
Inge Höger
Andrej Hunko
Sigrid Hupach
Ulla Jelpke
Susanna Karawanskij
Kerstin Kassner
Katja Kipping
Jan Korte
Jutta Krellmann
Katrin Kunert
Caren Lay
Sabine Leidig
Ralph Lenkert
Michael Leutert
Stefan Liebich
Dr. Gesine Lötzsch
Thomas Lutze
Cornelia Möhring
Niema Movassat
Norbert Müller (Potsdam)

Dr. Alexander S. Neu
Thomas Nord
Harald Petzold (Havelland)

Richard Pitterle
Martina Renner
Michael Schlecht
Dr. Petra Sitte
Kersten Steinke
Dr. Kirsten Tackmann
Frank Tempel
Dr. Axel Troost
Alexander Ulrich
Kathrin Vogler
Dr. Sahra Wagenknecht
Halina Wawzyniak
Harald Weinberg
Katrin Werner
Birgit Wöllert
Jörn Wunderlich
Hubertus Zdebel
Pia Zimmermann
Sabine Zimmermann


(Zwickau)


BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN

Luise Amtsberg
Kerstin Andreae
Annalena Baerbock
Volker Beck (Köln)

Dr. Franziska Brantner
Agnieszka Brugger
Ekin Deligöz
Katja Dörner
Katharina Dröge
Harald Ebner
Dr. Thomas Gambke
Matthias Gastel
Kai Gehring
Katrin Göring-Eckardt
Britta Haßelmann
Dr. Anton Hofreiter
Bärbel Höhn
Dieter Janecek
Uwe Kekeritz
Katja Keul
Sven-Christian Kindler
Tom Koenigs
Sylvia Kotting-Uhl
Oliver Krischer
Stephan Kühn (Dresden)

Christian Kühn (Tübingen)

Renate Künast
Markus Kurth
Monika Lazar
Steffi Lemke
Dr. Tobias Lindner
Nicole Maisch
Peter Meiwald
Irene Mihalic
Beate Müller-Gemmeke
Özcan Mutlu
Dr. Konstantin von Notz
Omid Nouripour
Friedrich Ostendorff
Cem Özdemir
Lisa Paus
Brigitte Pothmer
Tabea Rößner
Corinna Rüffer
Ulle Schauws
Dr. Frithjof Schmidt
Kordula Schulz-Asche
Dr. Wolfgang Strengmann-

Kuhn
Hans-Christian Ströbele
Dr. Harald Terpe
Markus Tressel
Jürgen Trittin
Dr. Julia Verlinden
Beate Walter-Rosenheimer
Dr. Valerie Wilms

Nein

CDU/CSU

Stephan Albani
Katrin Albsteiger
Peter Altmaier
Artur Auernhammer
Dorothee Bär
Norbert Barthle
Günter Baumann
Maik Beermann
Manfred Behrens (Börde)

Veronika Bellmann
Sybille Benning
Dr. André Berghegger
Dr. Christoph Bergner
Ute Bertram
Peter Beyer
Steffen Bilger
Clemens Binninger
Peter Bleser
Wolfgang Bosbach
Norbert Brackmann
Klaus Brähmig
Michael Brand
Helmut Brandt
Dr. Ralf Brauksiepe
Dr. Helge Braun
Ralph Brinkhaus
Cajus Caesar
Gitta Connemann
Alexander Dobrindt
Michael Donth
Thomas Dörflinger
Marie-Luise Dött
Hansjörg Durz
Jutta Eckenbach
Dr. Bernd Fabritius
Hermann Färber
Uwe Feiler
Dr. Thomas Feist
Enak Ferlemann
Ingrid Fischbach
Dirk Fischer (Hamburg)

Dr. Maria Flachsbarth
Klaus-Peter Flosbach
Thorsten Frei
Dr. Astrid Freudenstein
Dr. Hans-Peter Friedrich


(Hof)

Michael Frieser
Dr. Michael Fuchs
Hans-Joachim Fuchtel
Alexander Funk
Ingo Gädechens
Dr. Thomas Gebhart
Alois Gerig
Eberhard Gienger
Cemile Giousouf
Josef Göppel
Reinhard Grindel
Ursula Groden-Kranich
Klaus-Dieter Gröhler
Michael Grosse-Brömer
Astrid Grotelüschen
Markus Grübel
Manfred Grund
Oliver Grundmann
Monika Grütters
Dr. Herlind Gundelach
Fritz Güntzler
Olav Gutting
Christian Haase
Florian Hahn
Dr. Stephan Harbarth
Jürgen Hardt
Gerda Hasselfeldt
Matthias Hauer
Mark Hauptmann
Dr. Stefan Heck
Dr. Matthias Heider
Helmut Heiderich
Mechthild Heil
Frank Heinrich (Chemnitz)

Mark Helfrich
Uda Heller
Jörg Hellmuth
Rudolf Henke
Michael Hennrich
Ansgar Heveling
Peter Hintze
Christian Hirte
Dr. Heribert Hirte
Robert Hochbaum
Alexander Hoffmann
Thorsten Hoffmann


(Dortmund)

Karl Holmeier
Franz-Josef Holzenkamp
Dr. Hendrik Hoppenstedt
Margaret Horb
Bettina Hornhues
Charles M. Huber
Anette Hübinger
Hubert Hüppe
Erich Irlstorfer
Thomas Jarzombek
Sylvia Jörrißen
Andreas Jung
Dr. Franz Josef Jung
Xaver Jung
Dr. Egon Jüttner
Bartholomäus Kalb
Hans-Werner Kammer
Steffen Kampeter
Steffen Kanitz
Alois Karl
Anja Karliczek
Bernhard Kaster
Volker Kauder
Dr. Stefan Kaufmann
Roderich Kiesewetter
Dr. Georg Kippels
Volkmar Klein
Jürgen Klimke
Axel Knoerig
Jens Koeppen
Markus Koob
Carsten Körber
Kordula Kovac
Michael Kretschmer
Gunther Krichbaum
Dr. Günter Krings
Rüdiger Kruse
Bettina Kudla
Dr. Roy Kühne
Günter Lach
Uwe Lagosky
Dr. Karl A. Lamers
Andreas G. Lämmel
Dr. Norbert Lammert
Katharina Landgraf
Ulrich Lange
Barbara Lanzinger
Dr. Silke Launert
Paul Lehrieder
Dr. Katja Leikert
Dr. Philipp Lengsfeld
Dr. Andreas Lenz
Philipp Graf Lerchenfeld
Dr. Ursula von der Leyen
Antje Lezius
Ingbert Liebing
Matthias Lietz
Andrea Lindholz
Dr. Carsten Linnemann
Patricia Lips
Wilfried Lorenz
Dr. Claudia Lücking-Michel
Dr. Jan-Marco Luczak
Daniela Ludwig
Karin Maag
Yvonne Magwas
Thomas Mahlberg
Dr. Thomas de Maizière
Gisela Manderla
Matern von Marschall





Vizepräsident Peter Hintze


(A) (C)



(D)(B)

Hans-Georg von der Marwitz
Andreas Mattfeldt
Stephan Mayer (Altötting)

Reiner Meier
Dr. Michael Meister
Dr. Angela Merkel
Jan Metzler
Maria Michalk
Dr. h. c. Hans Michelbach
Dr. Mathias Middelberg
Dietrich Monstadt
Karsten Möring
Marlene Mortler
Elisabeth Motschmann
Dr. Gerd Müller
Carsten Müller


(Braunschweig)

Stefan Müller (Erlangen)

Dr. Philipp Murmann
Dr. Andreas Nick
Michaela Noll
Helmut Nowak
Dr. Georg Nüßlein
Wilfried Oellers
Florian Oßner
Dr. Tim Ostermann
Henning Otte
Ingrid Pahlmann
Sylvia Pantel
Martin Patzelt
Dr. Martin Pätzold
Ulrich Petzold
Dr. Joachim Pfeiffer
Sibylle Pfeiffer
Eckhard Pols
Thomas Rachel
Kerstin Radomski
Alexander Radwan
Alois Rainer
Dr. Peter Ramsauer
Eckhardt Rehberg
Katherina Reiche (Potsdam)

Lothar Riebsamen
Josef Rief
Dr. Heinz Riesenhuber
Johannes Röring
Dr. Norbert Röttgen
Erwin Rüddel
Albert Rupprecht
Anita Schäfer (Saalstadt)

Dr. Wolfgang Schäuble
Karl Schiewerling
Norbert Schindler
Tankred Schipanski
Heiko Schmelzle
Christian Schmidt (Fürth)

Gabriele Schmidt (Ühlingen)

Ronja Schmitt (Althengstett)

Patrick Schnieder
Nadine Schön (St. Wendel)

Dr. Ole Schröder
Dr. Kristina Schröder


(Wiesbaden)

Bernhard Schulte-Drüggelte
Dr. Klaus-Peter Schulze
Uwe Schummer

(Weil am Rhein)

Christina Schwarzer
Detlef Seif
Johannes Selle
Reinhold Sendker
Dr. Patrick Sensburg
Bernd Siebert
Thomas Silberhorn
Johannes Singhammer
Tino Sorge
Jens Spahn
Carola Stauche
Dr. Frank Steffel
Dr. Wolfgang Stefinger
Albert Stegemann
Peter Stein
Sebastian Steineke
Johannes Steiniger
Christian Freiherr von Stetten
Dieter Stier
Rita Stockhofe
Gero Storjohann
Stephan Stracke
Max Straubinger
Matthäus Strebl
Karin Strenz
Thomas Stritzl
Thomas Strobl (Heilbronn)

Lena Strothmann
Michael Stübgen
Dr. Sabine Sütterlin-Waack
Dr. Peter Tauber
Antje Tillmann
Astrid Timmermann-Fechter
Dr. Hans-Peter Uhl
Dr. Volker Ullrich
Arnold Vaatz
Oswin Veith
Thomas Viesehon
Michael Vietz
Volkmar Vogel (Kleinsaara)

Sven Volmering
Christel Voßbeck-Kayser
Kees de Vries
Dr. Johann Wadephul
Marco Wanderwitz
Nina Warken
Kai Wegner
Albert Weiler
Marcus Weinberg (Hamburg)

Dr. Anja Weisgerber
Peter Weiß (Emmendingen)

Ingo Wellenreuther
Karl-Georg Wellmann
Marian Wendt
Waldemar Westermayer
Kai Whittaker
Peter Wichtel
Annette Widmann-Mauz
Heinz Wiese (Ehingen)

Elisabeth Winkelmeier-

Becker
Oliver Wittke
Dagmar G. Wöhrl
Barbara Woltmann
Tobias Zech
Heinrich Zertik
Emmi Zeulner
Dr. Matthias Zimmer
Gudrun Zollner

SPD

Niels Annen
Ingrid Arndt-Brauer
Rainer Arnold
Heike Baehrens
Ulrike Bahr
Heinz-Joachim Barchmann
Dr. Katarina Barley
Doris Barnett
Klaus Barthel
Dr. Matthias Bartke
Sören Bartol
Bärbel Bas
Dirk Becker
Uwe Beckmeyer
Lothar Binding (Heidelberg)

Burkhard Blienert
Willi Brase
Dr. Karl-Heinz Brunner
Edelgard Bulmahn
Marco Bülow
Martin Burkert
Dr. Lars Castellucci
Petra Crone
Bernhard Daldrup
Dr. Daniela De Ridder
Dr. Karamba Diaby
Sabine Dittmar
Martin Dörmann
Siegmund Ehrmann
Michaela Engelmeier
Dr. h. c. Gernot Erler
Petra Ernstberger
Saskia Esken
Karin Evers-Meyer
Dr. Johannes Fechner
Dr. Fritz Felgentreu
Elke Ferner
Dr. Ute Finckh-Krämer
Christian Flisek
Gabriele Fograscher
Dr. Edgar Franke
Ulrich Freese
Dagmar Freitag
Michael Gerdes
Martin Gerster
Angelika Glöckner
Kerstin Griese
Gabriele Groneberg
Michael Groß
Uli Grötsch
Wolfgang Gunkel
Bettina Hagedorn
Rita Hagl-Kehl
Metin Hakverdi
Ulrich Hampel
Sebastian Hartmann
Dirk Heidenblut
Hubertus Heil (Peine)

Gabriela Heinrich
Marcus Held
Wolfgang Hellmich
Dr. Barbara Hendricks
Heidtrud Henn
Gustav Herzog
Petra Hinz (Essen)

Thomas Hitschler
Dr. Eva Högl
Matthias Ilgen
Christina Jantz
Frank Junge
Josip Juratovic
Thomas Jurk
Oliver Kaczmarek
Johannes Kahrs
Christina Kampmann
Ralf Kapschack
Gabriele Katzmarek
Ulrich Kelber
Marina Kermer
Cansel Kiziltepe
Arno Klare
Lars Klingbeil
Dr. Bärbel Kofler
Daniela Kolbe
Birgit Kömpel
Anette Kramme
Helga Kühn-Mengel
Christine Lambrecht
Christian Lange (Backnang)

Dr. Karl Lauterbach
Steffen-Claudio Lemme
Burkhard Lischka
Gabriele Lösekrug-Möller
Hiltrud Lotze
Kirsten Lühmann
Dr. Birgit Malecha-Nissen
Caren Marks
Katja Mast
Hilde Mattheis
Dr. Matthias Miersch
Klaus Mindrup
Susanne Mittag
Bettina Müller
Detlef Müller (Chemnitz)

Michelle Müntefering
Dr. Rolf Mützenich
Dietmar Nietan
Ulli Nissen
Thomas Oppermann
Mahmut Özdemir (Duisburg)

Aydan Özoğuz
Markus Paschke
Christian Petry
Jeannine Pflugradt
Detlev Pilger
Sabine Poschmann
Joachim Poß
Florian Post
Achim Post (Minden)

Dr. Wilhelm Priesmeier
Florian Pronold
Dr. Sascha Raabe
Dr. Simone Raatz
Martin Rabanus
Mechthild Rawert
Stefan Rebmann
Gerold Reichenbach
Dr. Carola Reimann
Andreas Rimkus
Sönke Rix
Dennis Rohde
Dr. Martin Rosemann
René Röspel





Vizepräsident Peter Hintze


(A) (C)



(B)

Dr. Ernst Dieter Rossmann
Michael Roth (Heringen)

Susann Rüthrich
Bernd Rützel
Johann Saathoff
Annette Sawade
Dr. Hans-Joachim

Schabedoth
Axel Schäfer (Bochum)

Dr. Nina Scheer
Marianne Schieder
Udo Schiefner
Ulla Schmidt (Aachen)

Matthias Schmidt (Berlin)

Dagmar Schmidt (Wetzlar)

Carsten Schneider (Erfurt)

Ursula Schulte
Swen Schulz (Spandau)

Ewald Schurer
Frank Schwabe
Stefan Schwartze
Andreas Schwarz
Rita Schwarzelühr-Sutter
Dr. Carsten Sieling
Svenja Stadler
Martina Stamm-Fibich
Sonja Steffen
Peer Steinbrück
Christoph Strässer
Kerstin Tack
Claudia Tausend
Michael Thews
Franz Thönnes
Carsten Träger
Rüdiger Veit
Ute Vogt
Dirk Vöpel
Gabi Weber
Bernd Westphal
Andrea Wicklein
Waltraud Wolff


(Wolmirstedt)

Gülistan Yüksel
Dagmar Ziegler
Stefan Zierke
Dr. Jens Zimmermann
Manfred Zöllmer
Brigitte Zypries
Wir kommen nun zu dem von den Schriftführerinnen
und Schriftführern ermittelten Ergebnis der zweiten
namentlichen Abstimmung, Drucksachen 18/3121,
18/3250, 18/4220 und 18/4225, ebenfalls das Miet-
rechtsnovellierungsgesetz betreffend: abgegebene Stim-
men 583. Mit Ja haben gestimmt 114, mit Nein haben
gestimmt 469, Enthaltungen keine. Der Änderungsan-
trag ist damit abgelehnt.

(D)

Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 582;
davon

ja: 113
nein: 469

Ja

DIE LINKE

Jan van Aken
Dr. Dietmar Bartsch
Herbert Behrens
Matthias W. Birkwald
Christine Buchholz
Eva Bulling-Schröter
Roland Claus
Dr. Diether Dehm
Klaus Ernst
Wolfgang Gehrcke
Nicole Gohlke
Annette Groth
Dr. Gregor Gysi
Dr. André Hahn
Heike Hänsel
Dr. Rosemarie Hein
Inge Höger
Andrej Hunko
Sigrid Hupach
Ulla Jelpke
Susanna Karawanskij
Kerstin Kassner
Katja Kipping
Jan Korte
Jutta Krellmann
Katrin Kunert
Caren Lay
Sabine Leidig
Ralph Lenkert
Michael Leutert
Stefan Liebich
Dr. Gesine Lötzsch
Thomas Lutze
Cornelia Möhring
Niema Movassat
Norbert Müller (Potsdam)

Dr. Alexander S. Neu
Thomas Nord
Harald Petzold (Havelland)

Richard Pitterle
Martina Renner
Michael Schlecht
Dr. Petra Sitte
Kersten Steinke
Dr. Kirsten Tackmann
Frank Tempel
Dr. Axel Troost
Alexander Ulrich
Kathrin Vogler
Dr. Sahra Wagenknecht
Halina Wawzyniak
Harald Weinberg
Katrin Werner
Birgit Wöllert
Jörn Wunderlich
Hubertus Zdebel
Pia Zimmermann
Sabine Zimmermann


(Zwickau)


BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN

Luise Amtsberg
Kerstin Andreae
Annalena Baerbock
Volker Beck (Köln)

Dr. Franziska Brantner
Agnieszka Brugger
Ekin Deligöz
Katja Dörner
Katharina Dröge
Harald Ebner
Dr. Thomas Gambke
Matthias Gastel
Kai Gehring
Katrin Göring-Eckardt
Britta Haßelmann
Dr. Anton Hofreiter
Bärbel Höhn
Dieter Janecek
Uwe Kekeritz
Katja Keul
Sven-Christian Kindler
Maria Klein-Schmeink
Tom Koenigs
Sylvia Kotting-Uhl
Oliver Krischer
Stephan Kühn (Dresden)

Christian Kühn (Tübingen)

Renate Künast
Markus Kurth
Monika Lazar
Steffi Lemke
Dr. Tobias Lindner
Nicole Maisch
Peter Meiwald
Irene Mihalic
Beate Müller-Gemmeke
Özcan Mutlu
Dr. Konstantin von Notz
Omid Nouripour
Friedrich Ostendorff
Cem Özdemir
Lisa Paus
Brigitte Pothmer
Tabea Rößner
Corinna Rüffer
Ulle Schauws
Dr. Frithjof Schmidt
Kordula Schulz-Asche
Dr. Wolfgang Strengmann-

Kuhn
Hans-Christian Ströbele
Dr. Harald Terpe
Markus Tressel
Jürgen Trittin
Dr. Julia Verlinden
Dr. Valerie Wilms
Nein

CDU/CSU

Stephan Albani
Katrin Albsteiger
Peter Altmaier
Artur Auernhammer
Dorothee Bär
Norbert Barthle
Günter Baumann
Maik Beermann
Manfred Behrens (Börde)

Veronika Bellmann
Sybille Benning
Dr. André Berghegger
Dr. Christoph Bergner
Ute Bertram
Peter Beyer
Steffen Bilger
Clemens Binninger
Peter Bleser
Wolfgang Bosbach
Norbert Brackmann
Klaus Brähmig
Michael Brand
Helmut Brandt
Dr. Ralf Brauksiepe
Dr. Helge Braun
Ralph Brinkhaus
Cajus Caesar
Gitta Connemann
Alexander Dobrindt
Michael Donth
Thomas Dörflinger
Marie-Luise Dött
Hansjörg Durz
Jutta Eckenbach
Dr. Bernd Fabritius
Hermann Färber
Uwe Feiler
Dr. Thomas Feist
Enak Ferlemann
Ingrid Fischbach





Vizepräsident Peter Hintze


(A) (C)



(D)(B)

Dirk Fischer (Hamburg)

Dr. Maria Flachsbarth
Klaus-Peter Flosbach
Thorsten Frei
Dr. Astrid Freudenstein
Dr. Hans-Peter Friedrich


(Hof)

Michael Frieser
Dr. Michael Fuchs
Hans-Joachim Fuchtel
Alexander Funk
Ingo Gädechens
Dr. Thomas Gebhart
Alois Gerig
Eberhard Gienger
Cemile Giousouf
Josef Göppel
Reinhard Grindel
Ursula Groden-Kranich
Klaus-Dieter Gröhler
Michael Grosse-Brömer
Astrid Grotelüschen
Markus Grübel
Manfred Grund
Oliver Grundmann
Monika Grütters
Dr. Herlind Gundelach
Fritz Güntzler
Olav Gutting
Christian Haase
Florian Hahn
Dr. Stephan Harbarth
Jürgen Hardt
Gerda Hasselfeldt
Matthias Hauer
Mark Hauptmann
Dr. Stefan Heck
Dr. Matthias Heider
Helmut Heiderich
Mechthild Heil
Frank Heinrich (Chemnitz)

Mark Helfrich
Uda Heller
Jörg Hellmuth
Rudolf Henke
Michael Hennrich
Ansgar Heveling
Peter Hintze
Christian Hirte
Dr. Heribert Hirte
Robert Hochbaum
Alexander Hoffmann
Thorsten Hoffmann


(Dortmund)

Karl Holmeier
Franz-Josef Holzenkamp
Dr. Hendrik Hoppenstedt
Margaret Horb
Bettina Hornhues
Charles M. Huber
Anette Hübinger
Hubert Hüppe
Erich Irlstorfer
Thomas Jarzombek
Sylvia Jörrißen
Andreas Jung
Dr. Franz Josef Jung
Xaver Jung
Dr. Egon Jüttner
Bartholomäus Kalb
Hans-Werner Kammer
Steffen Kampeter
Steffen Kanitz
Alois Karl
Anja Karliczek
Bernhard Kaster
Dr. Stefan Kaufmann
Roderich Kiesewetter
Dr. Georg Kippels
Volkmar Klein
Jürgen Klimke
Axel Knoerig
Jens Koeppen
Markus Koob
Carsten Körber
Kordula Kovac
Michael Kretschmer
Gunther Krichbaum
Dr. Günter Krings
Rüdiger Kruse
Bettina Kudla
Dr. Roy Kühne
Günter Lach
Uwe Lagosky
Dr. Karl A. Lamers
Andreas G. Lämmel
Dr. Norbert Lammert
Katharina Landgraf
Ulrich Lange
Barbara Lanzinger
Dr. Silke Launert
Paul Lehrieder
Dr. Katja Leikert
Dr. Philipp Lengsfeld
Dr. Andreas Lenz
Philipp Graf Lerchenfeld
Dr. Ursula von der Leyen
Antje Lezius
Ingbert Liebing
Matthias Lietz
Andrea Lindholz
Dr. Carsten Linnemann
Patricia Lips
Wilfried Lorenz
Dr. Claudia Lücking-Michel
Dr. Jan-Marco Luczak
Daniela Ludwig
Karin Maag
Yvonne Magwas
Thomas Mahlberg
Dr. Thomas de Maizière
Matern von Marschall
Hans-Georg von der Marwitz
Andreas Mattfeldt
Stephan Mayer (Altötting)

Reiner Meier
Dr. Michael Meister
Dr. Angela Merkel
Jan Metzler
Maria Michalk
Dr. h. c. Hans Michelbach
Dr. Mathias Middelberg
Dietrich Monstadt
Karsten Möring
Marlene Mortler
Elisabeth Motschmann
Dr. Gerd Müller
Carsten Müller


(Braunschweig)

Stefan Müller (Erlangen)

Dr. Philipp Murmann
Dr. Andreas Nick
Michaela Noll
Helmut Nowak
Dr. Georg Nüßlein
Wilfried Oellers
Florian Oßner
Dr. Tim Ostermann
Henning Otte
Ingrid Pahlmann
Martin Patzelt
Dr. Martin Pätzold
Ulrich Petzold
Dr. Joachim Pfeiffer
Sibylle Pfeiffer
Eckhard Pols
Thomas Rachel
Kerstin Radomski
Alexander Radwan
Alois Rainer
Dr. Peter Ramsauer
Eckhardt Rehberg
Katherina Reiche (Potsdam)

Lothar Riebsamen
Josef Rief
Dr. Heinz Riesenhuber
Johannes Röring
Dr. Norbert Röttgen
Erwin Rüddel
Albert Rupprecht
Anita Schäfer (Saalstadt)

Dr. Wolfgang Schäuble
Karl Schiewerling
Norbert Schindler
Tankred Schipanski
Heiko Schmelzle
Christian Schmidt (Fürth)

Gabriele Schmidt (Ühlingen)

Ronja Schmitt (Althengstett)

Patrick Schnieder
Nadine Schön (St. Wendel)

Dr. Ole Schröder
Dr. Kristina Schröder


(Wiesbaden)

Bernhard Schulte-Drüggelte
Dr. Klaus-Peter Schulze
Uwe Schummer

(Weil am Rhein)

Christina Schwarzer
Detlef Seif
Johannes Selle
Reinhold Sendker
Dr. Patrick Sensburg
Bernd Siebert
Thomas Silberhorn
Johannes Singhammer
Tino Sorge
Jens Spahn
Carola Stauche
Dr. Frank Steffel
Dr. Wolfgang Stefinger
Albert Stegemann
Peter Stein
Sebastian Steineke
Johannes Steiniger
Christian Freiherr von Stetten
Dieter Stier
Rita Stockhofe
Gero Storjohann
Stephan Stracke
Max Straubinger
Matthäus Strebl
Karin Strenz
Thomas Stritzl
Thomas Strobl (Heilbronn)

Lena Strothmann
Michael Stübgen
Dr. Sabine Sütterlin-Waack
Dr. Peter Tauber
Antje Tillmann
Astrid Timmermann-Fechter
Dr. Hans-Peter Uhl
Dr. Volker Ullrich
Arnold Vaatz
Oswin Veith
Thomas Viesehon
Michael Vietz
Volkmar Vogel (Kleinsaara)

Sven Volmering
Christel Voßbeck-Kayser
Kees de Vries
Dr. Johann Wadephul
Marco Wanderwitz
Nina Warken
Kai Wegner
Albert Weiler
Marcus Weinberg (Hamburg)

Dr. Anja Weisgerber
Peter Weiß (Emmendingen)

Ingo Wellenreuther
Karl-Georg Wellmann
Marian Wendt
Waldemar Westermayer
Kai Whittaker
Peter Wichtel
Annette Widmann-Mauz
Heinz Wiese (Ehingen)

Elisabeth Winkelmeier-

Becker
Oliver Wittke
Dagmar G. Wöhrl
Barbara Woltmann
Tobias Zech
Heinrich Zertik
Emmi Zeulner
Dr. Matthias Zimmer
Gudrun Zollner

SPD

Niels Annen
Ingrid Arndt-Brauer
Rainer Arnold
Heike Baehrens
Ulrike Bahr
Heinz-Joachim Barchmann
Dr. Katarina Barley
Doris Barnett
Klaus Barthel
Dr. Matthias Bartke
Sören Bartol
Bärbel Bas





Vizepräsident Peter Hintze


(A) (C)



(D)(B)

Dirk Becker
Uwe Beckmeyer
Lothar Binding (Heidelberg)

Burkhard Blienert
Willi Brase
Dr. Karl-Heinz Brunner
Edelgard Bulmahn
Marco Bülow
Martin Burkert
Dr. Lars Castellucci
Petra Crone
Bernhard Daldrup
Dr. Daniela De Ridder
Dr. Karamba Diaby
Sabine Dittmar
Martin Dörmann
Siegmund Ehrmann
Michaela Engelmeier
Dr. h. c. Gernot Erler
Petra Ernstberger
Saskia Esken
Karin Evers-Meyer
Dr. Johannes Fechner
Dr. Fritz Felgentreu
Elke Ferner
Dr. Ute Finckh-Krämer
Christian Flisek
Gabriele Fograscher
Dr. Edgar Franke
Ulrich Freese
Dagmar Freitag
Michael Gerdes
Martin Gerster
Angelika Glöckner
Kerstin Griese
Gabriele Groneberg
Michael Groß
Uli Grötsch
Wolfgang Gunkel
Bettina Hagedorn
Rita Hagl-Kehl
Metin Hakverdi
Ulrich Hampel
Sebastian Hartmann
Dirk Heidenblut
Hubertus Heil (Peine)

Gabriela Heinrich
Marcus Held
Wolfgang Hellmich
Dr. Barbara Hendricks
Heidtrud Henn
Gustav Herzog
Petra Hinz (Essen)

Thomas Hitschler
Dr. Eva Högl
Matthias Ilgen
Christina Jantz
Frank Junge
Josip Juratovic
Thomas Jurk
Oliver Kaczmarek
Johannes Kahrs
Christina Kampmann
Ralf Kapschack
Gabriele Katzmarek
Ulrich Kelber
Marina Kermer
Cansel Kiziltepe
Arno Klare
Lars Klingbeil
Dr. Bärbel Kofler
Daniela Kolbe
Birgit Kömpel
Anette Kramme
Helga Kühn-Mengel
Christine Lambrecht
Christian Lange (Backnang)

Dr. Karl Lauterbach
Steffen-Claudio Lemme
Burkhard Lischka
Hiltrud Lotze
Kirsten Lühmann
Dr. Birgit Malecha-Nissen
Caren Marks
Katja Mast
Hilde Mattheis
Dr. Matthias Miersch
Klaus Mindrup
Susanne Mittag
Bettina Müller
Detlef Müller (Chemnitz)

Michelle Müntefering
Dr. Rolf Mützenich
Dietmar Nietan
Ulli Nissen
Thomas Oppermann
Mahmut Özdemir (Duisburg)

Aydan Özoğuz
Markus Paschke
Christian Petry
Jeannine Pflugradt
Detlev Pilger
Sabine Poschmann
Joachim Poß
Florian Post
Achim Post (Minden)

Dr. Wilhelm Priesmeier
Florian Pronold
Dr. Sascha Raabe
Dr. Simone Raatz
Martin Rabanus
Mechthild Rawert
Stefan Rebmann
Dr. Carola Reimann
Andreas Rimkus
Sönke Rix
Dennis Rohde
Dr. Martin Rosemann
René Röspel
Dr. Ernst Dieter Rossmann
Michael Roth (Heringen)

Susann Rüthrich
Bernd Rützel
Johann Saathoff
Annette Sawade
Dr. Hans-Joachim
Schabedoth

Axel Schäfer (Bochum)

Dr. Nina Scheer
Marianne Schieder
Udo Schiefner
Ulla Schmidt (Aachen)

Matthias Schmidt (Berlin)

Dagmar Schmidt (Wetzlar)

Carsten Schneider (Erfurt)

Ursula Schulte
Swen Schulz (Spandau)

Ewald Schurer
Frank Schwabe
Stefan Schwartze
Andreas Schwarz
Rita Schwarzelühr-Sutter
Dr. Carsten Sieling
Svenja Stadler
Martina Stamm-Fibich
Sonja Steffen
Peer Steinbrück
Christoph Strässer
Kerstin Tack
Claudia Tausend
Michael Thews
Franz Thönnes
Carsten Träger
Rüdiger Veit
Ute Vogt
Dirk Vöpel
Gabi Weber
Bernd Westphal
Andrea Wicklein
Waltraud Wolff


(Wolmirstedt)

Gülistan Yüksel
Dagmar Ziegler
Stefan Zierke
Dr. Jens Zimmermann
Manfred Zöllmer
Brigitte Zypries
Ich darf darauf hinweisen, dass vier Erklärungen zur
Abstimmung nach § 31 unserer Geschäftsordnung vor-
liegen.1)

Ich bitte nun diejenigen, die dem Gesetzentwurf der
Bundesregierung auf den Drucksachen 18/3121 und
18/3250 zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Wer
stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Dann ist der Ge-
setzentwurf mit den Stimmen der CDU/CSU-Fraktion
und der SPD-Fraktion bei Enthaltung der Fraktion Bünd-
nis 90/Die Grünen und der Fraktion Die Linke mit Ge-
genstimme eines Abgeordneten aus der CDU/CSU-Frak-
tion in zweiter Beratung so angenommen.

Dritte Beratung

und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich von ihren Plätzen
zu erheben. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? –
Der Gesetzentwurf ist in dritter Lesung mit den Stimmen

1) Anlage 4
der CDU/CSU-Fraktion und der SPD-Fraktion bei Ent-
haltung der Fraktionen Die Linke und Bündnis 90/Die
Grünen sowie einer Gegenstimme aus der CDU/CSU-
Fraktion angenommen worden.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Wir kommen nun zur Abstimmung über den Ent-
schließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen
auf Drucksache 18/4226. Wer stimmt für diesen Ent-
schließungsantrag von Bündnis 90/Die Grünen? – Wer
stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Entschlie-
ßungsantrag ist mit den Stimmen der CDU/CSU-Frak-
tion und der SPD-Fraktion bei Enthaltung der Fraktion
Die Linke und Zustimmung der Fraktion Bündnis 90/
Die Grünen abgelehnt.

Wir kommen nun zum Tagesordnungspunkt 4 b. Be-
schlussempfehlung des Ausschusses für Umwelt, Natur-
schutz, Bau und Reaktorsicherheit zu dem Antrag der
Fraktion Die Linke mit dem Titel „Mietenanstieg stop-
pen, soziale Wohnungswirtschaft entwickeln und dauer-
haft sichern“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Be-





Vizepräsident Peter Hintze


(A) (C)



(D)(B)

schlussempfehlung auf Drucksache 18/4219, den Antrag
der Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/504 abzuleh-
nen. Wer stimmt für die Beschlussempfehlung? – Wer
stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschluss-
empfehlung ist mit den Stimmen der CDU/CSU-Frak-
tion und der SPD-Fraktion bei Enthaltung der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen und Gegenstimmen der Fraktion
Die Linke angenommen.

Ich rufe nun den Tagesordnungspunkt 5 auf:

Beratung des Antrags der Abgeordneten Klaus
Ernst, Jutta Krellmann, Susanna Karawanskij,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE
LINKE

Mindestlohn sichern – Umgehungen verhin-
dern
Drucksache 18/4183
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Soziales (f)

Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Energie

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 60 Minuten vorgesehen. Gibt es dazu
Widerspruch? – Ich sehe keinen Widerspruch. Dann ist
so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache. Als erstem Redner erteile
ich das Wort dem Abgeordneten Klaus Ernst, Fraktion
Die Linke.


(Beifall bei der LINKEN)



Klaus Ernst (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1809105600

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Dass sich gerade einige von der CDU vom
Acker machen, ist symptomatisch für dieses Thema. Ich
habe den Eindruck: Das gilt auch für das, was Sie selbst
im Parlament beschlossen haben. Es war ein unheimli-
ches Gewürge, bis dieser Mindestlohn zustande kam. Es
hat fast ein Jahrzehnt gedauert, ein Jahrzehnt, in dem Sie
für die niedrigsten Löhne in dieser Republik mitverant-
wortlich waren. Jetzt haben Sie ein Gesetz gemacht. Ich
sage Ihnen: Getraut habe ich Ihnen bei diesem Thema
nie. Aber was wir jetzt erleben, ist schon ein seltener
Vorgang. Sie haben all dem zugestimmt, was jetzt Ge-
setz ist, sabotieren aber nun den Mindestlohn und de-
montieren die Ministerin, die dafür verantwortlich ist.
Das ist ein unglaublicher Vorgang.


(Beifall bei der LINKEN)

Mit Ihnen als Koalitionspartner braucht man wirklich

keine Feinde mehr. Sie behaupten, das sei ein bürokrati-
sches Monster, weil Arbeitszeiten erfasst werden müs-
sen. Das muss man sich auf der Zunge zergehen lassen:
Weil Arbeitszeiten erfasst werden, handelt es sich hier-
bei um ein bürokratisches Monster. Wie soll denn eine
Abrechnung auf Stundenlohnbasis überhaupt sinnvoll
stattfinden, wenn die Arbeitszeit nicht erfasst wird? Wie
soll das gehen? Wenn die Aufzeichnungspflicht im Zu-
sammenhang mit Arbeitszeiten nicht eingehalten wird,
ist ein Mindestlohn nicht kontrollierbar. Offensichtlich
ist das Ihr Interesse. Das soll natürlich nur bei Löhnen
gelten.
Stellen Sie sich einmal vor, Sie fahren mit dem Auto
zur Tankstelle, aber es wird nicht erfasst, wie viele Liter
Sie in den Tank hineinschütten. Jeder wird sagen: Das ist
blanker Unsinn. – Zu meinen bayerischen Freunden:
Wenn Sie im Biergarten ein paar Maß Bier trinken, aber
die Kellnerin nicht erfasst, wie viel Bier Sie getrunken
haben, ist eine Abrechnung nicht möglich.


(Beifall bei der LINKEN, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ich habe den Eindruck: Ihre Kampagne gegen den Min-
destlohn haben Sie nach fünf Maß Bier gemacht, so ein
Unfug ist das.


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Zum Thema Bürokratiemonster: Die Deutsche Zoll-
und Finanzgewerkschaft – ich weiß nicht, ob Sie wissen,
wer das ist; das sind die, die kontrollieren sollen, was
wir hier an Gesetzen machen – sagt: Ausnahmeregelun-
gen erzeugen die Bürokratie. – Ich möchte gleich noch
aus dem Magazin dieser Gewerkschaft zitieren. Ihr Vor-
sitzender Dewes hatte bei der Anhörung zum Mindest-
lohn im Jahre 2014 gesagt, je mehr Ausnahmen das Min-
destlohngesetz vorsehe, desto aufwendiger werde die
Kontrolle. Wenn Sie jetzt bürokratischen Unfug kritisie-
ren, dann müssten Sie Ihre Ausnahmeregelungen kriti-
sieren. Sie sind für die schwierige Kontrolle bei diesem
Thema verantwortlich.


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Für die Kontrolleure sind die Ausnahmeregelungen
nicht nachvollziehbar. Ich möchte aus dem Magazin des
BDZ zitieren:

Für den BDZ war und ist es dabei nicht nachvoll-
ziehbar, warum für mobile Tätigkeiten ohne sachli-
che Begründung Ausnahmetatbestände geschaffen
wurden. Besonders in den für Schwarzarbeit anfäl-
ligen Branchen wie dem Transport- oder Taxige-
werbe ist es für wirksame Kontrollen entscheidend,
Beginn, Ende und Dauer der täglichen Arbeitszeit
festzuhalten.

So weit die Kontrolleure.

Wenn Sie diese Dokumentationspflichten aufweichen
wollen, dann stellen Sie sich vor diejenigen, die an die-
sem Gesetz nicht interessiert sind und sich auch nicht um
die Einhaltung dieses Gesetzes kümmern. Sie stellen
sich vor diejenigen, die in dieser Frage ein höchstes Maß
an krimineller Energie haben.


(Beifall bei der LINKEN)


Im Übrigen wissen Sie selber, dass eine Reihe dessen,
was Sie kritisieren, schon lange gilt. Arbeitszeiten müs-
sen in vielen Bereichen schon immer erfasst werden.
Wie wollen Sie überhaupt Überstunden erfassen, wenn
Sie nicht wissen, was die Regelarbeitszeit ist? Wie wol-
len Sie das machen? Das ist vollkommener Unsinn.

Der zweite Akt der Sabotage ist das, was Sie mit dem
Personal machen. Die Zuständigen sagen: Wir brauchen





Klaus Ernst


(A) (C)



(D)(B)

2 500 zusätzliche Personalstellen. – Sie machen in dieser
Frage viel zu wenig. Wir wissen, dass in diesem Bereich
viel Personal fehlt. Am deutlichsten wird Ihre Haltung
am Beispiel des sehr geschätzten Michael Fuchs; er ist
leider heute nicht da. Es tut mir wirklich leid, dass er
jetzt nicht mitkriegt, wie ich zitiere, was er selber gesagt
hat. Wissen Sie, was Herr Fuchs gesagt hat? Ich habe es
kaum glauben können. Er hat gesagt:

Überall fehlen Polizisten. Aber wir stellen jetzt
1 600 Zöllner ein, um den Unternehmen … auf die
Finger zu schauen. Das versteht doch kein Mensch!

Was glauben Sie eigentlich, was die in der Finanzkon-
trolle Schwarzarbeit Tätigen über so etwas denken? Das
ist ihre Arbeit. Sie haben doch den Eindruck, dass die
Politik überhaupt nicht daran interessiert ist, dass kon-
trolliert wird, wenn solche Aussagen von einem stellver-
tretenden Vorsitzenden der CDU/CSU-Fraktion kom-
men. Er sollte sich schämen und sich bei den Damen und
Herren für den Unsinn, den er erzählt hat, entschuldigen.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Es geht hier nicht um ein Bürokratiemonster, sondern
es geht um die Existenzgrundlage von Menschen, die
von diesem Lohn leben müssen. Notwendig sind nicht
weniger Kontrollen, sondern mehr Überprüfung und we-
niger Ausnahmeregelungen, so wie wir es in unserem
Antrag fordern.

Ich danke Ihnen fürs Zuhören.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Bernd Rützel [SPD])



Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1809105700

Als nächstem Redner erteile ich das Wort dem Abge-

ordneten Professor Dr. Matthias Zimmer, CDU/CSU-
Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Dr. Matthias Zimmer (CDU):
Rede ID: ID1809105800

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Hoff-

nung des letzten Sommers, dass wir uns parlamentarisch
zum letzten Mal mit dem Mindestlohn beschäftigen
müssen, hat offensichtlich getrogen.


(Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das liegt an Ihnen!)


Zumindest kann man den Antrag der Linken jetzt zum
Anlass nehmen, auf das eine oder andere hinzuweisen,
das in der Debatte der letzten Wochen und Monate eine
Rolle gespielt hat. Ich will das in zehn Punkten tun.

Erster Punkt. Der Mindestlohn gilt seit dem 1. Januar
2015. Das ist auch gut so. Wir hören gleichzeitig, dass
sich der positive Trend auf dem Arbeitsmarkt weiter
fortsetzt.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Das hatten einige Ökonomen anders vorhergesagt und
von bis zu 1,2 Millionen mehr Arbeitslosen gesprochen.
Ich weiß nicht, ob das schlechte Ökonomie oder nur be-
sonderes Pech beim Nachdenken war.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das war Voodoo-Ökonomie!)


Aber es fällt schon auf: Das kommt immer aus der glei-
chen Ecke.

Zweiter Punkt. Es hat in den letzten Wochen einige
Debatten über die Verordnung der Ministerin gegeben.
Das eine oder andere kann man an dieser Stelle vielleicht
richtigstellen. Der Mindestlohn ist ja mit überwältigend
großer Mehrheit hier im Deutschen Bundestag angenom-
men worden.


(Kerstin Griese [SPD]: Nur von euch nicht!)


Die Verordnung der Ministerin schränkt den Geltungsbe-
reich des Mindestlohns ein, sie weitet ihn nicht aus;


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


ich finde, das kann man an dieser Stelle richtigstellen.
Man kann die Verordnung streichen. Aber dann würde
sich die Überprüfung als problematisch erweisen, weil
sehr viel mehr Arbeitsverhältnisse von einer Überprü-
fung betroffen wären. Wir wollen aber die Problemberei-
che in den Fokus nehmen. Das leistet zunächst einmal
die Verordnung der Ministerin.

Dritter Punkt. Man hört, das Mindestlohngesetz sei
ein Bürokratiemonster.


(Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, von wem hört man das denn? Können Sie nicht mal Ross und Reiter nennen?)


Richtig ist: Beginn, Ende und Dauer der täglichen Ar-
beitszeit müssen erfasst werden. Das ist pragmatisch,
schnell und unproblematisch.


(Kerstin Griese [SPD]: Ja, genau!)


Monster, meine Damen und Herren, sehen anders aus.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)


Oder – um es deutlich zu sagen –: Um ein solches Mons-
ter zu erlegen, braucht man keinen Wolf Biermann. Es
reicht schon der kleine Bruder des heiligen Georg.


(Beifall der Abg. Daniela Kolbe [SPD])


Ich glaube, durch die permanente Verwendung von Su-
perlativen verdirbt man sich die Preise.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Karl Schiewerling [CDU/CSU])






Dr. Matthias Zimmer


(A) (C)



(D)(B)

Vierter Punkt. Ich höre, es ist die Summe der Vor-
schriften, die die Wirtschaft belastet. Das mag sein. Der
Chef der Arbeitsagentur Weise hat darauf hingewiesen
– ich zitiere –:

Bürokratisch heißt auch rechtsstaatlich. …


(Klaus Ernst [DIE LINKE]: Richtig!)


Es ist für die Wettbewerbsfähigkeit von Unterneh-
men sehr wichtig, dass man klare Regeln hat.

Ich glaube, im Wettbewerb ist ein zusätzliches Stück Be-
rechenbarkeit entstanden. Das finde ich in Ordnung.

Fünfter Punkt. Wir wissen um die Befindlichkeit von
kleinen und mittelständischen Unternehmen. Sie sind
auch durch die dauernden Mahnungen des DGB, dass
bis zu 500 000 Euro Bußgeld verhängt werden können,
aufgeschreckt worden. Das ist bei groben Verstößen
durchaus gerechtfertigt. Aber man muss auch deutlich
sagen: Die Unternehmen sind weder zu doof noch zu kri-
minell.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Peter Weiß [Emmendingen] [CDU/CSU]: Genau! Das sind ja keine Gauner!)


Ich glaube, viele sind durch unterschiedliche, zum Teil
dubiose Auskünfte von berufener oder unberufener Seite
eher verunsichert. Deswegen ist es gut, dass sich der Zoll
zunächst einmal auch als Unterstützer dieser Unterneh-
men versteht, dass er diese Unternehmen berät und wir
nicht sofort mit der Keule der Strafe vorgehen, wenn
noch Rechtsunsicherheit herrscht. Ich glaube, das ist
auch im Sinne dieses Gesetzes.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Sechster Punkt. Wir haben immer gesagt, der Min-
destlohn soll praxistauglich sein. Er soll auch zielscharf
sein. Ich begrüße ausdrücklich die Initiative des Parla-
mentskreises Mittelstand – wir haben sie übernommen –,
dass man durchaus noch einmal darüber nachdenken
sollte, ob man die Dokumentation der täglichen Arbeits-
zeiten – das ist der einzige Punkt, in dem ich Ihnen wirk-
lich recht gebe, Herr Kollege Ernst; er ist natürlich wich-
tig – nicht anders leisten kann, und zwar entweder
dadurch, dass sie vertraglich festgelegt sind und man le-
diglich Abweichungen notiert, wie es heute schon üblich
ist, oder dadurch, dass es Einsatzpläne gibt, aus denen
ganz genau hervorgeht, wie die Arbeitszeit gestaltet ist.
Ich glaube, für die Kontrollzwecke des Zolls reicht das
völlig aus. Daher sollte es auch für unsere Zwecke im
Hinblick auf den Mindestlohn genügen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Siebter Punkt. An der einen oder anderen Stelle gibt
es sicherlich Abgrenzungsprobleme. Wir haben im Aus-
schussbericht festgehalten: Wir wollen, dass der Min-
destlohn für Sport und Ehrenamt nicht gilt, nämlich dort,
wo nicht der Gelderwerb im Mittelpunkt steht, sondern
das Ehrenamt. Ich begrüße ausdrücklich, dass die Minis-
terin an dieser Stelle mit dem Deutschen Fußballbund
und dem Deutschen Olympischen Sportbund zu einer
Regelung gekommen ist. Ich glaube, wir müssen an der
einen oder anderen Stelle noch einmal überlegen, wie
wir eine trennscharfe Abgrenzung zum Ehrenamt hinbe-
kommen können. Denn eines wollen wir ja nicht: Wir
wollen mit dem Mindestlohn nicht das Ehrenamt kaputt-
machen. Ich glaube, das liegt in niemandes Interesse.

Achter Punkt. Wir wollen bei alldem natürlich Acht
geben, dass der Mindestlohn und die zugrundeliegende
Intention nicht unterlaufen werden. Wir wollen einen ro-
busten Mindestlohn. Wir wollen auch einen Mindest-
lohn, der den wirtschaftlichen Gepflogenheiten und der
wirtschaftlichen Realität Rechnung trägt.

Deswegen hat es mich, ehrlich gesagt, schon ein biss-
chen erstaunt, dass der Vorsitzende der Mindestlohn-
kommission gesagt hat: Den Mindestlohn legen wir
nachlaufend zu Tarifentwicklungen fest. – Das haben
wir ausdrücklich so nicht gewollt. Ich denke, darauf
muss man Herrn Voscherau in aller Deutlichkeit hinwei-
sen.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Neunter Punkt. Heribert Prantl hat gesagt, der Min-
destlohn zähle zu den größten sozialpolitischen Errun-
genschaften in der Nachkriegszeit. Eine so große Münze
würde ich vielleicht nicht nehmen.


(Zuruf von der LINKEN: Oh doch! – Zurufe von der SPD: Doch! – Heiterkeit bei der SPD)


– Ich finde es schön, dass Sie sich damit schon zufrieden
geben.


(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Nein, nein, nein! 10 Euro!)


Ich könnte einige größere sozialpolitische Errungen-
schaften nennen, die alle von der Union initiiert wurden.
Aber gut.

Der Mindestlohn ist ein lernendes System. Wir haben
nie gesagt, dass all das, was wir jetzt in das Gesetz
hineingeschrieben haben, in Stein gemeißelt ist, oder
dass die Verordnung in Stein gemeißelt ist und die Rege-
lungen somit für alle Ewigkeiten gelten.


(Jutta Krellmann [DIE LINKE]: Mit der heißen Nadel gestrickt!)


Deswegen ist es gut, dass wir uns das eine oder andere
nach Ostern noch einmal genauer anschauen und auf die
Praxistauglichkeit hin untersuchen.

Damit komme ich zum zehnten Punkt. Wenn wir sa-
gen, dass wir das auf die Praxistauglichkeit hin untersu-
chen wollen, ist damit der Grund angegeben, lieber Kol-
lege Ernst, warum wir Ihren Antrag ablehnen wollen und
werden. Ihr Antrag entwirft nämlich ein Bild von einem
rigiden, starren und wenig praktikablen Mindestlohn. Ich
bin froh, dass diese Koalition das nicht so gemacht hat,
sich stattdessen an den Lebensumständen orientiert und
die Prinzipien nicht über die Lebenswirklichkeit stellt.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)







(A) (C)



(D)(B)


Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1809105900

Als nächster Rednerin erteile ich das Wort der Abge-

ordneten Brigitte Pothmer, Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen.


Brigitte Pothmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1809106000

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lieber

Herr Zimmer, das war jetzt eine Rede an Ihre eigene
Fraktion.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


In den letzten Wochen habe ich nicht den Eindruck ge-
wonnen, dass Ihre Kollegen, die vor den Mikrofonen
auftreten, mit Argumenten zu überzeugen sind. Dabei
geht es in dieser Auseinandersetzung doch gar nicht um
die Frage, ob man bei einem Projekt dieser Größenord-
nung vielleicht an der einen oder anderen Stelle auch
nachbessern muss. Nur, ich kann Ihnen sagen: Ihr Ar-
beitgeberflügel hat die Rolle des ehrlichen Sachwalters
bei dieser Aufgabe vollkommen verspielt.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Wer sich mit Schlag Neujahr, noch bevor das Silves-
terfeuerwerk verdampft ist, hinstellt und schon sagt, die
Aufzeichnungspflicht sei ein bürokratisches Monster
und müsse weg, der ist nicht seriös.

Dann frage ich im Übrigen auch: Wie kommt das ei-
gentlich? Sie haben das doch selbst beschlossen. Das
Regelwerk zu diesem Mindestlohn ist Ihr Regelwerk,
und zwar inklusive der Dokumentationspflicht.

Ich will Ihnen mal was sagen: Das, was Sie hier auf-
führen, ist wirklich ein durchsichtiges Schmierentheater.
Hier im Parlament reden die weichgespülten Sozialpoli-
tiker, und vor den Mikrofonen treten die Falken auf und
vertreten ihre Position. Warum spricht heute nicht Herr
Linnemann? Herr Linnemann, melden Sie sich zu Wort!


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Wo ist Herr von Stetten? Wo ist Herr Fuchs? Kämp-
fen Sie doch einmal mit offenem Visier, und lesen nicht
nebenbei den Pressespiegel, während hier die Auseinan-
dersetzung läuft!


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Ihnen geht es um etwas ganz anderes: Sie instrumen-
talisieren die Dokumentationspflicht, um den Mindest-
lohn auszuhebeln. Sie gehen vor nach dem Motto: Wenn
wir schon einen Stundenlohn von 8,50 Euro akzeptieren
mussten, dann werden wir bestimmen, wie lange eine
Stunde dauert. – Nur, dann ist das kein Mindestlohn
mehr. So geht das gar nicht.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Der Versuch, die Minijobs komplett aus der Doku-
mentationspflicht herauszunehmen, führt tatsächlich
dazu, dass Sie die Minijobs zur mindestlohnfreien Zone
machen. Das ist genau der Bereich, von dem wir genau
wissen, dass dort ganz schön „gechincht“ wird und Ar-
beitnehmerrechte nicht durchgesetzt werden.


(Dr. Matthias Zimmer [CDU/CSU]: Was? – Weiterer Zuruf von der CDU/CSU: „Gechincht“? – Katja Mast [SPD]: Was ist „gechincht“?)


Wenn Sie die Minijobs von der Dokumentationspflicht
ausnehmen, dann können Sie den Mindestlohn in diesem
Bereich gleich einkassieren.

Ich will es hier ganz deutlich sagen: Ich will gar nicht
alle Arbeitgeber unter Generalverdacht stellen,


(Zuruf von der CDU/CSU: Gott sei Dank!)


aber Sie müssen schon einmal zugeben, dass die Fanta-
sie der Arbeitgeber in Sachen Umgehung des Mindest-
lohns wirklich kaum Grenzen findet.

Es ist schon so weit gekommen, dass Mitarbeiter in
der Fleischindustrie Messergeld zahlen müssen, dass
Mitarbeiterinnen in Sonnenstudios so viele Gutscheine
als Lohnersatzleistung bekommen, dass das auf keine
Kuhhaut mehr geht, und dass die Zeitvorgaben sehr un-
realistisch sind. Dadurch wird der Mindestlohn ausgehe-
belt. Herr Linnemann, wieso sprechen Sie nicht einmal
mit diesen Arbeitgebern und kümmern sich darum?


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Im Übrigen überzeugen die Argumente, die Sie vor-
tragen, offensichtlich nicht einmal Ihre eigenen Leute,
und ich spreche jetzt übrigens nicht von Herrn Zimmer,
sondern von den Arbeitsministerinnen und Arbeitsminis-
tern der Länder – auch der Union und auch in Bayern.
Die haben in ihren Forderungen nämlich ein weit um-
fänglicheres Kontrollvorhaben vorgesehen. Sie wollen
eine Dokumentationspflicht für alle Tätigkeiten und von
allen Arbeitgebern und gehen deutlich weiter als das Ge-
setz und das Regelungsinstrument der Bundesregierung.
Ich schlage vor: Sprechen Sie einfach mal mit Ihren ei-
genen Experten. Oder fürchten Sie, dass Ihre ideologi-
schen Vorurteile dem nicht standhalten?


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Noch mal: Ein Gesetz in dieser Größenordnung
braucht Korrekturen. Aber bevor wir für Korrekturen
sorgen, brauchen wir eine seriöse Analyse. Das, was Sie
wollen, ist die Durchlöcherung des Mindestlohns: Die
Aufzeichnungspflicht soll weg. Die Kontrollen sollen
weg. Die Generalunternehmerhaftung soll weg. Ich sage
Ihnen: Wenn Sie so weitermachen, kassieren Sie den
Mindestlohn in der Praxis ein.

Der Mindestlohn ist nur dann ein wirklicher sozial-
politischer Fortschritt, wenn er bei allen Arbeitneh-
merinnen und Arbeitnehmern ankommt. Dafür braucht
es Regeln und Kontrollen. Ansonsten haben nämlich
auch die ehrlichen Unternehmen das Nachsehen, und das





Brigitte Pothmer


(A) (C)



(D)(B)

könnte eigentlich auch der Arbeitgeberflügel der Union
nicht wollen.

Ich danke Ihnen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)



Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1809106100

Als nächster Rednerin erteile ich das Wort der Abge-

ordneten Katja Mast, SPD-Fraktion.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Katja Mast (SPD):
Rede ID: ID1809106200

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen

und Kollegen! Liebe Kollegin Pothmer, ich kann Ihnen
eines versichern: Weichgespült sind die Sozialpolitiker
der Union nicht. Es waren nämlich harte Verhandlungen
um den Mindestlohn.


(Beifall des Abg. Dr. Matthias Zimmer [CDU/ CSU] – Peter Weiß [Emmendingen] [CDU/ CSU]: Danke schön!)


Das will ich für meine Kolleginnen und Kollegen zu-
rückweisen.

Heribert Prantl hat gesagt:

Der Mindestlohn gehört zu den größten sozialpoliti-
schen Errungenschaften der Nachkriegszeit.


(Beifall der Abg. Kerstin Griese [SPD] – Dr. Matthias Zimmer [CDU/CSU]: Wir haben das Gleiche gesehen!)


Er hat von einer „Großtat“ gesprochen, und ich finde, er
hat recht.


(Beifall bei der SPD)


Das Mindestlohngesetz ist heute seit 64 Tagen gültig.
Um es in Monaten und Tagen zu sagen: Es ist seit zwei
Monaten und fünf Tagen in Kraft. Aus meiner Sicht ist
es noch etwas früh, um Bilanz zu ziehen. Die Bilanz ei-
nes Gesetzes nach so kurzer Zeit zu ziehen, ist ungefähr
so, als ob man heiratet und sich am Tag nach der Hoch-
zeit überlegt, ob man sich wieder scheiden lässt.


(Michaela Noll [CDU/CSU]: Manche tun das!)


In der Regel überlegt man vorher und nicht hinterher, ob
man heiratet,


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


und man stellt die Frage nach dem Sinn meistens auch
erst im verflixten siebten Jahr und nicht nach zwei Mo-
naten und fünf Tagen. Ich glaube deshalb, es ist wichtig,
dass wir uns in der öffentlichen Debatte noch einmal an-
schauen: Was ist Aufregung, und was ist sachlicher In-
halt?

Ich finde es richtig, dass wir über die Mindestlohnge-
setzgebung diskutieren, weil ich und die SPD-Fraktion
ein fundamentales Interesse daran haben, dass der Min-
destlohn für fast 4 Millionen Beschäftigte gilt und bei ih-
nen auch ankommt. Wenn der Mindestlohn nicht wirkt
und bei den Menschen nicht ankommt, dann ist er nichts
wert. Wir machen keine Gesetze, um Gesetze zu ma-
chen, sondern wir machen Gesetze, damit die Bürgerin-
nen und Bürger davon profitieren.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Der Deutsche Gewerkschaftsbund hat diese Woche
eine Studie veröffentlicht. In einer repräsentativen Um-
frage wurde die Frage gestellt: Haben Sie Erfahrungen
damit gemacht, dass Arbeitgeber beim Mindestlohn
tricksen wollen? Fast jeder Fünfte hat gesagt: Ja, diese
Erfahrung habe ich gemacht. – Das zeigt: Wir müssen
hier darüber diskutieren, was da los ist. Deshalb ist es
gut, dass wir heute diskutieren können.

Wir hören von Umgehungsstrategien von Arbeitge-
bern, zum Beispiel indem das Trinkgeld beim Bedienen
einbehalten und auf den Lohn angerechnet wird, indem
Metzgern und Fleischern Messergeld auf den Mindest-
lohn angerechnet wird, indem bei Zeitungsausträgern die
vereinbarten Arbeitszeiten nicht ausreichen, die Zeitun-
gen auszutragen, indem Bereitschaftszeiten nicht auf die
Arbeitszeiten angerechnet werden, indem Lkw-Fahrern
gesagt wird: „Solange du fährst, arbeitest du. Aber wenn
du deinen Lkw be- und entlädst, arbeitest du nicht“ und
noch viele weitere Dinge. Alles, was ich gerade aufge-
zählt habe, ist Missbrauch. Das ist alles nicht in Ord-
nung. Letztendlich ist das Betrug bzw. Beihilfe zum Be-
trug, wenn man dabei mitmacht. Dafür braucht es keine
rechtlichen und sachlichen Klarstellungen. Es ist mir
wichtig, das an dieser Stelle zu sagen.


(Beifall bei der SPD)


Wer nicht genau weiß, ob ein gegebener Sachverhalt
richtig oder falsch ist, dem oder der empfehle ich die
Homepage des Zolls. Nach der Eingabe von „Zoll“ und
„Mindestlohn“ in irgendeine Suchmaschine im Internet
kommt man sehr schnell auf die Seite des Zolls mit der
Überschrift: „Mindestlohn nach dem Mindestlohnge-
setz“ mit einer sehr guten Ausführung darüber, was auf
Arbeitszeiten legal angerechnet werden kann und was
nicht. Diese Debatte dient auch dazu, sachliche Argu-
mente von Aufregung zu trennen. Insofern ist es gut,
wenn wir solche Themen einbringen.

Jedem Bürger, der mit Tricksereien beim Mindestlohn
in Berührung kommt – das sagt ja jeder Fünfte –, emp-
fehle ich: Rufen Sie bei der Mindestlohn-Hotline des
Bundesarbeitsministeriums an. Dort können Sie auch an-
onym Punkte ansprechen; denn oft ist es ja so, dass die
Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer Angst um ihr Be-
schäftigungsverhältnis haben. Auch anonymen Hinwei-
sen wird dort nachgegangen. Auch der Deutsche Ge-
werkschaftsbund hat eine Hotline zum Mindestlohn mit
300 bis 400 Anrufen pro Tag. Das zeigt: Es gibt einen
großen Beratungsbedarf.

Ich habe gesagt: Wir müssen Aufregung von sachli-
chen Inhalten trennen. Angesichts der intensiven Dis-
kussion darüber, ob man Arbeitszeiten dokumentieren
muss oder nicht, ist es mir wichtig, zu sagen: Natürlich





Katja Mast


(A) (C)



(D)(B)

werden Arbeitszeiten dokumentiert. Die meisten Arbeit-
nehmerinnen und Arbeitnehmer machen das übrigens je-
den Tag. Die müssen also nichts zusätzlich machen, son-
dern haben das auch vorher schon gemacht. Aber für all
diejenigen, die das noch nicht tun, habe ich einen Stun-
denzettel mitgebracht. Das ist der Stundenzettel des Ar-
beitsministeriums, der auf der Homepage „www.der-
mindestlohn-gilt“ eingestellt ist.


(Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es gibt ganz tolle elektronische! – Dr. Matthias Bartke [SPD]: Das ist ein „Bürokratiemonster“!)


Er ist ganz einfach auszufüllen. Wenn Sie ihn nicht fin-
den, können Sie auch ein weißes Blatt Papier nehmen.
Darauf müssen Sie nur Datum, Beginn und Ende und
Dauer der Arbeitszeit eintragen. Dafür braucht man
30 Sekunden pro Tag. Das ist auf jeden Fall die Zeit, die
meine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter brauchen. Das
ist kein bürokratisches Monster, und das ist kein über-
bordender bürokratischer Aufwand.


(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Dr. Matthias Zimmer [CDU/CSU])


Damit wird nicht nur dafür gesorgt, dass Arbeitneh-
merinnen und Arbeitnehmer den Lohn bekommen, für
den sie arbeiten, sondern damit wird vor allen Dingen
auch dafür gesorgt, dass am Ende ehrliche Arbeitgeber
nicht die Dummen sind.


(Beifall bei der SPD)


Wir haben mit dem Mindestlohngesetz auch den Dum-
pingwettbewerb beendet. Wir schützen die Arbeitgeber
übrigens auch davor, dass Mitarbeiter nach einem Jahr
oder auch nach zwei oder drei Jahren sagen: Du hast mir
gar keinen Lohn bezahlt. – Bei einer Dokumentation der
Arbeitszeit lässt sich alles belegen. Das ist mir ein wich-
tiger Punkt.

Durch die Umfrage des Deutschen Gewerkschafts-
bundes wurde noch mehr herausgefunden. Dadurch
wurde auch herausgefunden, dass die Zustimmung zum
Mindestlohn in der Bevölkerung nach wie vor bei
86 Prozent liegt. Das Gesetz genießt also eine hohe Ak-
zeptanz. Wer für den Mindestlohn ist, sagt auch: Für
mich ist es in Ordnung, dass die Einführung des Min-
destlohns mit Teuerungen verbunden ist und dass an der
einen oder anderen Stelle die Preise steigen. – Sie hat
auch herausgefunden, dass 77 Prozent der Bevölkerung
es gut finden, dass für viele Beschäftigte, die Vollzeit ar-
beiten, endlich Schluss ist mit der Aufstockung ihres
Einkommens.


Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1809106300

Frau Kollegin, „Schluss“ ist das Stichwort. Die Rede-

zeit ist schon ziemlich dramatisch überzogen.


Katja Mast (SPD):
Rede ID: ID1809106400

Ich sage noch einen Satz; dann bin ich fertig, Herr

Präsident. – Ich bin dem Deutschen Gewerkschaftsbund
dafür dankbar.

Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1809106500

Der DGB ist aber für die Zeitüberziehung nicht ver-

antwortlich. Das muss ich kurz klarstellen.


(Heiterkeit)



Katja Mast (SPD):
Rede ID: ID1809106600

Das stimmt, Herr Präsident. – Ich danke Ihnen für die

Debatte, die wir heute führen. Diese Debatte werden wir
auch in Zukunft führen. Vergessen Sie nicht: Der Min-
destlohn gilt, und er soll für alle 4 Millionen Beschäf-
tigte gelten.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1809106700

Als nächster Rednerin erteile ich das Wort der Abge-

ordneten Christel Voßbeck-Kayser, CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Christel Voßbeck-Kayser (CDU):
Rede ID: ID1809106800

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ge-

rade einmal acht Wochen – ich habe es nicht so genau
nachgerechnet wie die Kollegin Mast – ist der Mindest-
lohn in Kraft, und schon liegt uns ein Antrag von Ihnen,
Kollegen der Fraktion Die Linke, vor, der allen Arbeit-
gebern in unserem Land per se unterstellt, Lücken zu su-
chen, um den Mindestlohn zu umgehen. Sie stellen da-
mit jeden Arbeitgeber unter Generalverdacht. Gegen
solche Äußerungen verwahre ich mich auch im Namen
unserer vielen familiengeführten Unternehmen und
Handwerksbetriebe aufs Schärfste.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Das Mindestlohngesetz verstehe ich wie jedes Gesetz,
das hier verabschiedet wird, als lernendes System, bei
welchem man dort, wo die Praxis es erfordert, nachbes-
sert.


(Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber nach acht Wochen schon?)


Wenn das Mindestlohngesetz mit seinen Dokumenta-
tionspflichten in der Praxis nachweislich Hemmnisse
schafft, dann sind wir Fachpolitiker gefordert, Abhilfe
zu schaffen.


(Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Welche Hemmnisse denn?)


Nichts anderes ist im Bereich Sport/Ehrenamt gesche-
hen. Deshalb empfinde ich den in Ihrem Antrag gemach-
ten Vorwurf von Verwerfungen im Ehrenamt als unver-
schämt und als wirklichkeitsfremde Unterstellung. Sie
diskreditieren damit jeden, der freiwillig bereit ist, sich
unentgeltlich für unsere Gesellschaft einzubringen und
damit etwas für unsere Gesellschaft zu leisten.


(Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]: Sie zerschießen das und machen uns einen Vorwurf! Das ist nicht zu fassen!)


Sie unterstellen diesen Menschen, eine ehrenamtliche
Tätigkeit aufzunehmen – so ist es doch in Ihrem Antrag





Christel Voßbeck-Kayser


(A) (C)



(D)(B)

formuliert –, bloß damit der Arbeitgeber seinen Reibach
machen kann und sich den Mindestlohn spart. Was ist
das für eine abstruse Aussage? Dies ist einfach empö-
rend. Die vielen Ehrenamtlichen in unserem Land, ob im
Sport oder im kulturellen Bereich und auch in den vielen
sozialen Hilfsorganisationen, wissen jetzt, wie Sie, die
Fraktion Die Linke, über das Ehrenamt und über ehren-
amtliches Engagement denken.


(Beifall bei der CDU/CSU – Beate MüllerGemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: So ein Quatsch!)


Allein die Begriffe „Missbrauch“ und „Ehrenamt“ in
einem Atemzug zu nennen, ist ein Schlag in das Gesicht
der vielen ehrenamtlich Tätigen, die zum Zusammenhalt
in unserer Gesellschaft beitragen. Ich finde, so eine Aus-
sage gehört sich nicht.


(Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]: Scheinheilig! – Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN], an die Fraktion Die Linke gewandt: Warum meldet ihr euch nicht mal?)


Zu Ihrer Aussage „Bürokratie-Debatte ist Sabotage
am Mindestlohn“, Herr Ernst – auch wenn Sie das nicht
gerne hören –: Wir in der CDU/CSU werden im Inte-
resse der Betroffenen diese Debatte führen. Das gehört
zu unserem demokratischen Verständnis.


(Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]: Na toll!)



Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1809106900

Frau Kollegin, würden Sie eine Zwischenfrage des

Kollegen Ernst zulassen, oder mögen Sie weiterspre-
chen?


Christel Voßbeck-Kayser (CDU):
Rede ID: ID1809107000

Ich möchte gerne weitersprechen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Zurufe von der LINKEN: Oh!)


– Hören Sie sich doch erst einmal an, was ich zu sagen
habe!


(Klaus Ernst [DIE LINKE]: Das machen wir ja!)


Ich habe Ihnen ja auch zugehört.

Mein Fraktionsvorsitzender sagt immer treffend: Poli-
tik beginnt mit der Betrachtung der Wirklichkeit.


(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Da kennen Sie sich aus!)


Die Wirklichkeit sieht so aus: Ich habe keinen einzi-
gen Brief und keine einzige E-Mail von Unternehmern
aus dem Mittelstand aus meinem Wahlkreis bekommen,
die Beschwerden über die Zahlung des Mindestlohnes
enthielten, sondern es ging immer um die damit verbun-
denen Dokumentations- und Aufbewahrungspflichten.
Man ist bemüht, dem nachzukommen und die Pflichten
zu erfüllen. Denn Mittelständler kennen keine Probleme;
sie sprechen immer von Herausforderungen.

(Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]: Ach! Poesiealbum!)


Aber es ist doch wohl auch unsere Aufgabe, auf die
Verhältnismäßigkeit zu achten, und darauf, dass wir
nicht zu viel Bürokratie aufbauen. Was in den Schreiben
und in den Anfragen auch immer wieder deutlich wurde:
Es besteht noch Rechtsunsicherheit bei den Arbeitgebern
oder auch bei Auftraggebern. Hierauf müssen wir einge-
hen. Es ist unsere Aufgabe, Antworten auf immer wie-
derkehrende Fragen zur Anwendung des Gesetzes zu ge-
ben.

Die Kollegin Mast hat es gesagt: Es gibt auf der Inter-
netseite des BMAS eine Rubrik zu Fragen und Antwor-
ten zum Mindestlohn. Diese Seite wird ständig aktuali-
siert. Sie ist in einer verständlichen Sprache gehalten,
und sie wird in Anspruch genommen. Dies alles macht
doch deutlich, dass diese Fragen wahrlich nichts damit
zu tun haben, dass der Mindestlohn nicht gezahlt werden
soll. Deshalb sind auch Ihre immer wiederkehrende Aus-
sage über Verwerfungen und Ihre Einstellung, Unterneh-
mer unter Generalverdacht zu stellen, nicht haltbar.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Wir leben in einem demokratischen Rechtsstaat, in
dem Recht und Gesetz gelten. Einzelne schwarze Schafe
in gewissen Branchen sind in der Vergangenheit iden-
tifiziert worden und werden auch in der Zukunft iden-
tifiziert. Was, glauben Sie, hat die Finanzkontrolle
Schwarzarbeit beim Zoll in den letzten Jahren getan? Es
ist so wie bei jedem Gesetz: Wenn es Verstöße gibt, hat
man die Möglichkeit in unserem Rechtsstaat, diese zu
melden; diese werden geahndet, entweder mit Auflagen
oder mit Strafen. Die Mindestlohnhotline hat die Kolle-
gin Mast schon angesprochen. Auch beim Zoll gibt es
eine solche Auskunftsstelle. Diese Stellen werden in An-
spruch genommen.

Wenn es Lücken geben sollte, dann müssen wir
schauen, dass wir diese identifizieren und unter Beach-
tung der Verhältnismäßigkeit schließen. Deshalb ist
unser Weg in dieser Diskussion, eine Bestandsaufnahme
aller Probleme bei den Mindestlohnregelungen zu erstel-
len, diese zu bewerten und festzuhalten, an welchen Stel-
len es möglicherweise noch Nachbesserungsbedarf gibt.
Hier werden selbstverständlich auch die gewonnenen Er-
kenntnisse der Finanzkontrolle Schwarzarbeit beim Zoll
einfließen. Wir haben jetzt März, es ist der erste Prüfmo-
nat. Ein bisschen Zeit braucht man schon, bis man sieht,
wie das Gesetz wirkt.


(Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Eben!)


Ich finde, es ist unsere Aufgabe als gewählte Volks-
vertreter, die Anliegen der Bürger aus den Bereichen des
Lebens aufzunehmen, die mit dem Mindestlohngesetz zu
tun haben. So erledigen wir in unserer Fraktion als ge-
wählte Volksvertreter konstruktiv politische Arbeit, nicht
mit Generalverdächtigungen. Deshalb lehnen wir Ihren
Antrag heute ab.


(Beifall bei der CDU/CSU)







(A) (C)



(D)(B)


Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1809107100

Zu einer Kurzintervention erteile ich dem Abgeordne-

ten Klaus Ernst das Wort.


Klaus Ernst (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1809107200

Danke für die Möglichkeit einer Kurzintervention. –

Erstens. Ich möchte Folgendes klar zurückweisen: Wir
stellen niemanden unter Generalverdacht, im Gegenteil.


(Peter Weiß [Emmendingen] [CDU/CSU]: Ihr verdächtigt alle!)


Mit dieser Argumentation müssten Sie auch sämtliche
Alkoholkontrollen von Autofahrern verbieten, weil Sie
auch diese unter Generalverdacht stellen, wenn es Kon-
trollen gibt.


(Dr. Matthias Zimmer [CDU/CSU]: Frau Leutheusser-Schnarrenberger!)


Sie würden im Übrigen auch alle Steuerzahler unter den
Generalverdacht der Steuerhinterziehung stellen, weil
wir Kontrolleure haben – Gott sei Dank; allerdings viel
zu wenige –, die die Steuerzahlungen auf Richtigkeit
überprüfen. Ich würde mir überlegen, ob das das richtige
Argument ist.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Zweitens. Wie bewerten Sie denn die Aussagen derer,
die die Kontrollen durchführen müssen? Ich will Sie mit
zwei dieser Aussagen konfrontieren:

Die Dokumentationspflicht von Arbeitszeiten ist
die Grundlage für wirksame Kontrollen, da pau-
schale Arbeitszeitangaben weder effektiv kontrol-
liert noch nachgewiesen werden können.

Das ist keine Aussage der Linken, sondern derer, die
kontrollieren. Wie bewerten Sie diese Aussage? Haben
die recht, haben die unrecht?

Eine weitere Aussage, die ich Sie zu bewerten bitte,
auch von Mitgliedern der Zollgewerkschaft, die zustän-
dig für die Kontrollen sind:

Mit derart geringen Personalzuwächsen lässt sich
eine effektive Kontrolle des Mindestlohns nur zu
Lasten von anderen Aufgaben erledigen.

Das ist der Zustand. Das ist das, was wir bemängeln.

Drittens. Ich möchte Ihnen einen eindeutigen Hinweis
geben. Wir haben diese Debatte nicht begonnen. Die
kam aus den Reihen des Bundesverbands der Deutschen
Industrie, die kam aus dem Unternehmerlager Ihrer Par-
tei. Nicht wir sind auf die Idee gekommen, einen Tag
nach Inkrafttreten dieses Gesetzes eine solche Debatte
vom Zaun zu brechen; das waren nicht wir, das waren
andere.

Ich möchte Sie bitten, in Ihrer Partei dafür zu sorgen,
dass dieser Unfug und diese Sabotage des Gesetzes un-
terbleiben. Dann können wir uns solche Debatten sparen.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1809107300

Dann erteile ich als nächster Rednerin das Wort der

Abgeordneten Jutta Krellmann, Fraktion Die Linke.


(Beifall bei der LINKEN)



Jutta Krellmann (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1809107400

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Ich hätte niemals geglaubt, dass ich in die Si-
tuation komme, als Linke das Gesetz zum Mindestlohn
verteidigen zu müssen.


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN und der SPD – Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Ja, was hast du denn geglaubt? Wo lebst du denn?)


Klar ist: Der Mindestlohn ist eingeführt. Basta! Man hat
den Eindruck, dass das so manchem Vertreter der Wirt-
schaft und des Handwerks, aber insbesondere auch man-
chem Abgeordneten von CDU/CSU erst jetzt so richtig
klar wird. Der Mindestlohn ist ein Meilenstein. Obwohl
er zu niedrig ist, ist er eine echte Verbesserung für viele
Menschen in diesem Land.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Eigentlich, liebe Kolleginnen und Kollegen von den
Koalitionsfraktionen, müsste jetzt Party sein. Sie müss-
ten die Stimmung nach vorne bringen. Sie müssten sa-
gen: Klasse, was wir da gemacht haben. – Und, was ist?
Nichts ist passiert. Ständig hört man vonseiten der Bun-
desregierung nur Jammern und Klagen. Jeden Tag wird
eine neue Sau durchs Dorf getrieben, aber, Frau
Voßbeck-Kayser, nicht von uns. Nicht wir sind die Mie-
sepeter, sondern Sie sind die Miesepeter in diesem Zu-
sammenhang.


(Beifall bei der LINKEN)


Daran sind Sie selbst schuld. Die Koalitionsfraktio-
nen haben es sich von Anfang an richtig schwer ge-
macht. Bei den Koalitionsgesprächen hat die SPD das Ja
zur CDU von der Einführung des Mindestlohns abhän-
gig gemacht. Okay! Dafür musste sie die gesetzliche Ta-
rifeinheit mittragen und sich dazu bekennen. Dass der
wichtige Mindestlohn für ein so faules Tauschgeschäft
herhalten musste, ist mir unbegreiflich. Leider hat die
SPD dann zugelassen, dass der Mindestlohn nicht für
alle gilt. Die Zahl der Menschen, die vom Mindestlohn
profitieren, wurde Stück für Stück kleiner. Jugendliche
unter 18 – raus, Praktikanten – raus, Langzeitarbeits-
lose – raus, von anfangs 5 Millionen Menschen, die da-
von profitieren sollten, sind jetzt noch 3,7 Millionen
Menschen übrig geblieben. Das darf nicht so bleiben.
Das war ein echter Fehler.


(Beifall bei der LINKEN)


Die Debatte über die festgelegte Pflicht zur Doku-
mentation der Arbeitszeit setzt dem Ganzen noch die
Krone auf. Arbeitgeberverbände, die teilweise nieman-
den im Mindestlohn beschäftigt haben und bei denen das
überhaupt kein Problem ist, weil sie das schon über





Jutta Krellmann


(A) (C)



(D)(B)

Jahre hinweg gemacht haben, schreien jetzt Zeter und
Mordio und reden die Sache schlecht. Wieder ist es die
CDU, die dieses Gezeter aufgreift und Änderungen am
Mindestlohngesetz einfordert. Keine zehn Wochen ist es
her, dass dieses Gesetz in Kraft getreten ist. Das ist kein
ideologischer Reflex mehr; das hat Methode.


(Beifall bei der LINKEN)


Meine Damen und Herren von der CDU/CSU, seien
Sie einmal ehrlich: Man bekommt den Eindruck, Sie
wollten den Mindestlohn eigentlich gar nicht. Meine Da-
men und Herren von der SPD, es bringt Ihnen keinen
Prozentpunkt in den Umfragen mehr, wenn Sie bei einer
so wichtigen Sache wie dem Mindestlohn einknicken.
Den Menschen draußen nutzt ein schlecht gemachter
Mindestlohn nichts. Die Beschäftigten brauchen ein Ge-
setz, das Rechtssicherheit schafft und sie bei der Durch-
setzung ihrer Ansprüche unterstützt. Der Mindestlohn ist
viel zu wichtig, um immer wieder als Verhandlungs-
masse herzuhalten.

Die guten Vorschläge der Linken sind: eine klare De-
finition, was zum Mindestlohn gehört und was nicht
– das ist superwichtig –; Mindestlohn ist Stundenlohn
ohne Zuschläge; keine Verrechnung von Urlaubs- und
Weihnachtsgeld, keine Verrechnung von Sachleistungen,
Provisionen, Boni oder Ähnlichem;


(Beifall bei der LINKEN)


klare Definition von ehrenamtlicher Tätigkeit; denn auch
das könnte ein Einfallstor sein.

Das hat sich die Linke zur Aufgabe gemacht, und da-
ran werden wir weiterarbeiten – und wenn wir noch
zehnmal hierüber reden müssen.

Vielen Dank.


(Beifall bei der LINKEN)



Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1809107500

Als nächstem Redner erteile ich das Wort dem Abge-

ordneten Markus Paschke, SPD-Fraktion.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Markus Paschke (SPD):
Rede ID: ID1809107600

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren!
„Mindestlohn sichern – Umgehungen verhindern“ – das
ist ein guter Titel, kann ich nur sagen. Genau dieses Ziel
verfolgen wir als Sozialdemokraten.


(Beifall bei der SPD – Dr. Matthias Zimmer [CDU/CSU]: Wir aber auch! – Gegenrufe der Abg. Katja Mast [SPD] und Klaus Ernst [DIE LINKE]: Nicht alle! – Gegenruf des Abg. Dr. Matthias Zimmer [CDU/CSU]: Wir alle!)


– Natürlich auch große Teile der CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Mich ärgert, ehrlich gesagt, was wir in den letzten
Wochen erlebt haben. Die Lobbyisten sind, was die Um-
gehung des Mindestlohnes anbelangt, äußerst aktiv. Das
Gesetz ist heute auf den Tag genau 64 Tage in Kraft.
Vom ersten Tag an wurden Änderungen und Ausnahmen
gefordert – ohne verlässliche Erfahrungswerte, ohne
fundierte Prüfung und ohne die Absicht, sich überhaupt
ernsthaft auf den Mindestlohn einzulassen.

Wenn es Fragen oder Unklarheiten gibt, werden wir
diese klären; das gehört zu einem großen Gesetzespaket.
Dafür haben wir immer ein offenes Ohr. In diesem Zu-
sammenhang muss ich Andrea Nahles und ihrem Minis-
terium ein ganz besonderes Lob aussprechen, die sich
wirklich um jeden Einzelfall kümmern.


(Beifall bei der SPD)


Wir werden aber nicht denjenigen die Tür öffnen, die
den Mindestlohn aushebeln wollen.


(Beifall bei der SPD)


Manchmal ist es hilfreich, die Realität zur Kenntnis zu
nehmen. Es geht hier nicht um einen Generalverdacht,
sondern darum, die schwarzen Schafe auszusortieren,
die nicht nur ihre Beschäftigten bescheißen, sondern
auch ihren Konkurrenten schaden.


(Beifall und Heiterkeit bei der SPD – Dr. Matthias Zimmer [CDU/CSU]: Richtig! – Michaela Noll [CDU/CSU]: Bitte?)


– Manchmal muss man auch ein deutliches Wort finden.


(Dr. Matthias Bartke [SPD]: Klartext! Sehr gut!)


Jeder verantwortungsvolle Arbeitgeber hat bereits vor
Einführung des gesetzlichen Mindestlohns die Arbeits-
stunden seiner Mitarbeiter aufgezeichnet, um den Lohn
abzurechnen oder ein Arbeitszeitkonto zu führen. Viele
waren nach dem Arbeitszeitgesetz schon lange dazu ver-
pflichtet. Warum war das in der Vergangenheit kein Pro-
blem? Warum aber ist es mit Einführung des Mindest-
lohnes von 8,50 Euro plötzlich nicht mehr leistbar? Oder
haben diejenigen, die heute am lautesten rufen, sich bis-
her nicht an die Gesetze gehalten?


(Klaus Ernst [DIE LINKE]: So ist es!)


Haben Sie in letzter Zeit einmal einen Handwerker im
Haus gehabt? Schauen Sie einmal auf die Rechnung. Da
wird fast minutengenau abgerechnet. Wie gesagt, jeder
ordentliche Arbeitgeber zeichnete schon bisher auf. Für
die ändert sich da nicht viel. Um es einmal ganz klar zu
sagen: Die tägliche Aufzeichnung in den neun Branchen
nach dem Schwarzarbeiterbekämpfungsgesetz sowie bei
den Minijobbern über Beginn, Ende und Dauer der Ar-
beitszeit geht schneller als das Auspacken eines Butter-
brotes in der Mittagspause, meine Damen und Herren.


(Beifall bei der SPD und der LINKEN)


Ich kann das aus eigener Erfahrung beurteilen. Auch
ich beschäftige eine Mitarbeiterin auf 450-Euro-Basis,
allerdings zu einem deutlich höheren Stundenlohn. Sie
schickt mir nach jeder Arbeitswoche ihren Stundenzet-
tel. Der wird gegengezeichnet – und gut ist es. Wer das
als Bürokratie bezeichnet, will in Wirklichkeit verhin-
dern, dass Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ihre





Markus Paschke


(A) (C)



(D)(B)

Rechte auf wenigstens 8,50 Euro pro Stunde geltend ma-
chen können. Ich sage ganz klar: Derjenige, der das tut,
macht sich mit denen gemein, die das Gesetz umgehen
und ihre Beschäftigten betrügen wollen.


(Beifall bei der SPD und der LINKEN)


Die Fantasie bei diesen Umgehungsversuchen kennt
wahrlich keine Grenzen. Nehmen wir das Beispiel Ein-
zelhandel. In einigen Geschäften werden nur die Zeiten
bezahlt, in denen der Laden geöffnet ist. Das heißt, dass
die vorbereitenden Arbeiten wie Kasse vorbereiten oder
Präsentationsständer vor die Tür stellen, aber auch die
nachbereitenden Arbeiten wie Abrechnen, Aufräumen
etc. nicht bezahlt werden. Ich frage Sie: Ist das keine Ar-
beit? Warum sollen diese Arbeiten unbezahlt erledigt
werden?

Viele Minijobber erhielten in der Vergangenheit we-
der bezahlten Urlaub noch Lohnfortzahlung im Kranken-
fall. Beides ist gesetzlich seit Jahrzehnten vorgeschrieben.
Mich wundert es nicht, dass jetzt die Arbeitgeber auf-
schreien, die das bisher nicht gezahlt haben. Sie haben
berechtigterweise Angst vor Entdeckung, und das finde
ich gut so.


(Beifall bei der SPD)


Weitere Umgehungsversuche stelle ich bei der An-
rechnung von Lohnersatzleistungen fest. Ich habe in den
letzten Wochen mit Erstaunen registriert, was nach An-
sicht mancher Arbeitgeber zum Lohn eines Angestellten
hinzugerechnet werden darf, um die magische Grenze
von 8,50 Euro zu erreichen. Da werden Leih- oder Ab-
nutzungsgebühren für Arbeitsgeräte, die das Unterneh-
men zu stellen hat, erhoben. Es gibt Essens-, Getränke-
oder Saunagutscheine, oder das Trinkgeld soll auf den
Stundenlohn angerechnet werden. Dazu will ich Folgen-
des ganz klar sagen: Wenn ich in einer Gaststätte Trink-
geld gebe, dann bekommen das von mir die Beschäftig-
ten für die gute Arbeit, die sie geleistet haben, und nicht
der Arbeitgeber.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Es ist nicht zulässig, das Trinkgeld anzurechnen. Das ist
ganz klar.

Zusammenfassend möchte ich ein paar Dinge klar-
stellen.


Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1809107700

Herr Kollege, „anrechnen“ ist ein gutes Stichwort.

Wenn Sie bitte einen kurzen Blick auf die Uhr im Red-
nerpult werfen würden. Heute schaut aufgrund der Be-
geisterung für die Sache keiner so richtig auf diese Uhr.


(Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Dr. Matthias Zimmer [CDU/ CSU]: Weil wir nicht nach Stunden bezahlt werden!)

Ihre Redezeit ist bereits abgelaufen. Deswegen wäre
es schön, wenn Sie nur noch einen Schlussgedanken for-
mulieren würden.


Markus Paschke (SPD):
Rede ID: ID1809107800

Ich komme sofort zum Ende. – Ich möchte zusam-

menfassend klarstellen: Popcorn ist keine Entlohnung
für Arbeitsleistung – damit das klar ist –, und Arbeitneh-
mer arbeiten auch nicht ehrenamtlich im Unternehmen.


(Beifall bei der SPD sowie der Abg. Dr. Matthias Zimmer [CDU/CSU] und Dr. Petra Sitte [DIE LINKE])


Meine Damen und Herren, Sie können sicher sein:
Die SPD wird nicht zulassen, dass das Gesetz für mehr
Gerechtigkeit zu einem zahnlosen Papiertiger wird.


(Dr. Matthias Zimmer [CDU/CSU]: Wir auch nicht!)


Vielen Dank.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1809107900

Als nächster Rednerin erteile ich das Wort der Abge-

ordneten Beate Müller-Gemmeke, Fraktion Bündnis 90/
Die Grünen.


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kollegin-
nen und Kollegen! Langsam verstehe ich, warum insbe-
sondere die CSU die Dokumentationspflichten immer so
heftig kritisiert. Inzwischen ist die Diskussion ja auch
auf der Münchner Wiesn angekommen. Die Wirte bekla-
gen sich heftig und warnen: Jetzt wird das Bier teurer.


(Dr. Matthias Zimmer [CDU/CSU]: Das wird jedes Jahr teurer!)


Ihnen wird das Bierchen doch wohl nicht so wichtig
sein, dass Sie darüber die gerechten Löhne vergessen. –
Aber ernsthaft: Wer sich dagegen wehrt, dass Arbeitszei-
ten dokumentiert werden, begünstigt Missbrauch und
niedrige Löhne.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Dr. Matthias Bartke [SPD])


Es reicht nicht, dass der Mindestlohn auf dem Papier
steht. Er muss auch richtig umgesetzt werden, und dafür
brauchen wir eine durchsetzungsstarke Finanzkontrolle
Schwarzarbeit, die über mehr Personal verfügt. Die
1 600 neuen Stellen müssen definitiv her, und zwar
schnell. Besser wären sogar noch ein paar Stellen mehr.

Notwendig sind natürlich auch die Dokumentations-
pflichten. Ich war vorletzte Woche zusammen mit der Fi-
nanzkontrolle Schwarzarbeit unterwegs; ich würde das
jedem Abgeordneten der CDU/CSU empfehlen. Ein Bei-
spiel: Auf einer Baustelle wurden die Stundenzettel kon-
trolliert. Dabei sind relativ lange Pausenzeiten aufgefal-
len. Parallel wurden die Beschäftigten befragt, und die





Beate Müller-Gemmeke


(A) (C)



(D)(B)

haben andere Pausenzeiten angegeben. Das ist ein Indiz
dafür, dass zu wenig Stunden bezahlt werden. Die FKS
wird jetzt weiter recherchieren, beispielsweise wann
Material oder Beton angeliefert wurde. Diese Zeiten ver-
gleichen sie dann wiederum mit den Stundenzetteln. Das
ist akribische Arbeit. Diese Kontrolle ist aber nur mög-
lich, wenn die Arbeitszeiten dokumentiert werden. Neh-
men Sie das endlich zur Kenntnis!


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des Abg. Dr. Matthias Bartke [SPD])


Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, die aktuelle
Diskussion über den Mindestlohn wird wirklich nicht
ehrlich geführt:

Erstens. Die Dokumentation der Arbeitszeiten ist
wahrlich kein Hexenwerk. In den meisten Betrieben ist
es üblich, dass die Arbeitszeit erfasst wird. Außerdem
haben die Arbeitgeber doch selbst ein Interesse daran.
Die Stechuhr wurde ja nicht vom Gesetzgeber erfunden.

Zweitens. Es geht auch gar nicht um die Dokumenta-
tion, sondern schlichtweg um das Arbeitszeitgesetz.
Wenn Beschäftigte mehr als die erlaubten zehn Stunden
pro Tag arbeiten, dann wird das durch die Zeiterfassung
jetzt sichtbar. Das Problem mit der Arbeitszeit haben
doch auch die Arbeits- und Sozialminister der Länder
erkannt; meine Kollegin Pothmer hat das schon ange-
sprochen. Die Minister wollen – ich zitiere – „die Ar-
beitgeber wieder zur generellen Aufzeichnung der Ar-
beitszeiten … verpflichten“. Das ist der Beschluss, und
der war einstimmig. Bayern war mit dabei.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Gleichzeitig kritisiert die Union hier im Bundestag die
Dokumentationspflichten als Bürokratiemonster. Das
geht gar nicht. Hören Sie endlich auf, zu quengeln und
zu streiten! Sie haben den gesetzlichen Mindestlohn ver-
abschiedet. Jetzt stehen Sie gefälligst zu Ihrem Wort.

Vielen Dank.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)



Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1809108000

Als nächstem Redner erteile ich das Wort dem Abge-

ordneten Albert Stegemann, CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Albert Stegemann (CDU):
Rede ID: ID1809108100

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen!

Liebe Kollegen! Sehr verehrte Damen und Herren! Als
der Antrag der Linken zur Umsetzung des Mindestlohn-
gesetzes gestern bei mir eintraf, habe ich mir, ehrlich ge-
sagt, die Augen gerieben. Ich habe mir die banale Frage
gestellt: Was wollen Sie eigentlich? Noch nicht einmal
zwei Monate in Kraft, wird schon seitens der Linken
versucht, die erreichten Kompromisse im Mindestlohn-
gesetz infrage zu stellen.

(Lachen bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Dabei haben die Mindestlohnkommission und der Zoll
mit seiner Abteilung Finanzkontrolle Schwarzarbeit erst
in der letzten Woche ihre Arbeit aufgenommen. An die-
ser Stelle sei erwähnt, dass es die CDU war, die sich seit
Jahren auf zig Kreis-, Landes- und Bundesparteitagen
für eine Lohnuntergrenze eingesetzt hat,


(Beifall bei der CDU/CSU – Lachen bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN – Katja Mast [SPD]: Hört! Hört! Flächendeckend und gesetzlich! – Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]: Die CDU hat die Gewerkschaften gedrängt! Alles klar!)


und zwar eine, die nicht vom Parlament, sondern von
den Tarifparteien festgelegt wird. Deshalb können Sie
die Bemerkungen in Ihrem Antrag, mit denen Sie unter-
stellen, die CDU habe den Mindestlohn nicht verwun-
den, ruhigen Gewissens streichen. Schließlich sind wir
in der Regierungsverantwortung, und deshalb haben wir
zusammen mit den Kollegen der SPD-Fraktion dieses
Gesetz beschlossen und setzen es jetzt auch nach und
nach um.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Aber machen wir uns nichts vor: Es wird an der einen
oder anderen Stelle Anlaufschwierigkeiten beim Min-
destlohngesetz geben. Schließlich ist der Mindestlohn
eines der Projekte der Koalitionsfraktionen und eine der
größten sozialen Errungenschaften in dieser Legislatur-
periode. Dass es bezüglich der Dokumentationspflichten
zu Befürchtungen seitens der Wirtschaft kommt, sollte
einen genauso wenig verwundern wie die Befürchtung,
dass der Mindestlohn nicht korrekt ausbezahlt wird.
Schließlich ist der Mindestlohn sowohl für die Arbeitge-
ber als auch für die Arbeitnehmer in einem neuen Gesetz
festgelegt,


(Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]: Quatsch! Es gibt einen Haufen Branchen, wo er längst gilt!)


das die Bezahlung – es geht schließlich um das liebe
Geld – regelt und deshalb mit so viel Aufmerksamkeit
verfolgt wird.

Nun aber bereits von Missbrauch und Umgehungstat-
beständen, die landauf, landab grassieren, zu sprechen,
halte ich doch sehr stark für politisch interpretiert. Ich
kann nicht ausschließen, dass es einzelne Arbeitgeber
gibt, die versuchen, den Mindestlohn zu umgehen. Aber
warten wir doch erst einmal die Ergebnisse der Finanz-
kontrolle Schwarzarbeit ab.


(Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, aber warum erheben Sie denn jetzt die Forderung nach Aussetzung der Kontrollen?)


Dennoch wehre ich mich zutiefst dagegen, welches Bild
in Ihrem Antrag von Unternehmern in unserem Land
versucht wird zu zeichnen, nach dem Motto: Jeder ver-
sucht nur, zu tricksen. – Sicherlich: Ohne Kontrolle, kein





Albert Stegemann


(A) (C)



(D)(B)

Gesetz. Das heißt im Umkehrschluss aber nicht, dass das
Gesetz umso besser wird, je totaler man kontrolliert.

Nicht ohne Grund hat sich über Jahrzehnte das Prin-
zip der Vertrauensarbeitszeit in Deutschland bewährt.


(Zuruf von der LINKEN: Um Gottes willen!)


Deswegen bin ich zutiefst davon überzeugt – und ich
weiß es auch aus eigener Erfahrung –, dass das Verhält-
nis zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern in
Deutschland in der ganz überwiegenden Zahl sehr gut
funktioniert. Mit solchen Anträgen und Forderungen
nach immer strengeren Kontrollen nun einen Keil in
diese gewachsenen Strukturen treiben zu wollen, halte
ich für höchst destruktiv und kontraproduktiv. Sie setzen
damit ein fatales Zeichen der Politik an diejenigen Men-
schen in unserem Land, die es erst mit ihrem persönli-
chen Risiko und ihrem ganzen Einsatz ermöglichen, dass
Menschen Arbeit haben und unser Land über den Wohl-
stand und den sozialen Frieden verfügt, den wir heute
haben.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen von der Linken,
wissen Sie, was Robert Bosch gesagt hat? Er sagte:

Ich zahle nicht gute Löhne, weil ich viel Geld habe,
sondern ich habe viel Geld, weil ich gute Löhne be-
zahle.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und der LINKEN – Katja Mast [SPD]: Der kommt aus Baden-Württemberg! Der hat recht, der Kerl!)


Mit diesem Antrag zeigen Sie erneut Ihr mangelndes
Verständnis vom Zusammenspiel von Wirtschaft und
Gesellschaft.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Lachen bei Abgeordneten der LINKEN – Jutta Krellmann [DIE LINKE]: Da stehen einem die Haare zu Berge!)


Welch ein Menschenbild, welch ein Weltbild Sie haben!
Die Wirtschaft ist kein zerstörerisches Element unserer
Gemeinschaft, welches bekämpft werden muss.


(Klaus Ernst [DIE LINKE]: Mein Gott, es geht doch um ganz was anderes! Thema verfehlt, setzen! Bei Bosch könnte das nicht passieren! Da sind die Löhne viel höher!)


Eine wettbewerbsfähige Wirtschaft ist Grundvorausset-
zung für eine Gesellschaft, in der die Menschen nicht
nur Arbeit, sondern auch eine Aufgabe, einen Sinn ha-
ben. Nur so sind ein selbstbestimmtes Leben und sozia-
ler Ausgleich möglich. Nur mit Auflagen, Verboten und
Einschränkungen, wie sie in Ihrem Wahlprogramm zur
letzten Bundestagswahl zu lesen waren, werden wir im
internationalen Wettbewerb nicht bestehen können. Das
ist eine Tatsache. Sie müssen auch einsehen, dass das
Ideal des ehrbaren Kaufmannes für die meisten Unter-
nehmer in unserem Land auch im 21. Jahrhundert noch
Bestand hat.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Da können Sie noch so oft schreiben, dass die Markt-
wirtschaft ein auf Profitmaximierung ausgerichtetes Sys-
tem ist.


(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Ist das nicht so?)


Zugleich geht mit Ihrem Antrag ein falsches Ver-
ständnis der Arbeit des Zolls einher. Die zusätzlichen
1 600 Beschäftigten stellen die ordentliche Abführung
der Sozialabgaben sicher und schützen Arbeitnehmer so-
wie die Wirtschaft vor unfairem Wettbewerb. Allerdings
– das möchte ich ausdrücklich betonen – haben diese
Überprüfungen einen stark präventiven Charakter. Es
geht hierbei nicht um die totale Kontrolle, sondern ganz
bewusst um Risikoanalyse mit abschreckender Wirkung.
In vielen Gesprächen mit den Verantwortlichen der Zoll-
verwaltung habe ich hiervon einen sehr guten Eindruck
bekommen. Die Beamten kennen darüber hinaus ihre
Pappenheimer. In Ihrem Antrag fordern Sie nun, dreimal
so viele Kontrolleure einzustellen, wie es die Bundesre-
gierung tun wird. Das Motto „Kontrolle gut, alles gut!“
wird ganz sicher nicht in den Hafen der arbeitsmarkt-
politischen Glückseligkeit führen.


(Norbert Müller [Potsdam] [DIE LINKE]: „Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser“, heißt das!)


Für die Koalitionsfraktionen ist eines ganz klar: Jeder
Arbeitnehmer, der Anspruch auf den Mindestlohn hat,
soll ihn auch bekommen. Im Bereich des Sportes oder
des Ehrenamtes werden wir noch einmal schauen, wie
sich die Situation in der Praxis gestaltet und ob wir hier
überhaupt von Arbeit sprechen können. Ein Verbands-
klagerecht für Gewerkschaften, wie Sie es fordern, wäre
dagegen wohl eher ein Konjunkturprogramm für Ar-
beitsrechtler als ein konstruktiver Beitrag zu unserer Ta-
riflandschaft.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Katja Mast [SPD]: Die brauchen auch Jobs!)


Wir werden in den kommenden Wochen mit kühlem
Kopf schauen, was funktioniert und wo es hakt. Das
möchte ich auch Ihnen, sehr verehrte Kolleginnen und
Kollegen von der Linken, empfehlen. Auch wenn es
nicht Ihrer parlamentarischen Aufgabe entspricht, emp-
fehle ich Ihnen, mit etwas Geduld und einem gesunden
Vertrauen in die Koalitionsfraktionen abzuwarten. Sie
werden sehen: Am Ende wird alles gut.

Vielen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1809108200

Als nächster Rednerin erteile ich das Wort der Abge-

ordneten Kerstin Griese, SPD-Fraktion.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)







(A) (C)



(D)(B)


Kerstin Griese (SPD):
Rede ID: ID1809108300

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Schön, dass wir heute über das gute Thema Mindestlohn
diskutieren können. Auch diese Debatte zeigt: Der Min-
destlohn ist eine Erfolgsgeschichte; er wirkt. Etwa
3,7 Millionen Menschen haben jetzt schon etwas davon.
2017 werden es etwa 5 Millionen Menschen sein, die
von dieser größten Sozial- und Arbeitsrechtsreform in
Deutschland profitieren. Sie ist gut gestartet, und sie
wirkt positiv.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Allen Unkenrufen zum Trotz: Der Mindestlohn kostet
keine Arbeitsplätze. Im Gegenteil: Er kurbelt die Wirt-
schaft und den privaten Konsum an. Wer hat da nicht al-
les vorher geunkt und vor Millionen Jobverlusten ge-
warnt!


(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Wohl wahr!)


Wir erinnern uns an die Worte von Herrn Sinn vom ifo-
Institut. Und wie sieht es heute aus? Die Bundesagentur
für Arbeit meldet, dass 600 000 mehr Menschen in Be-
schäftigung sind als im Vorjahr. Es kommt zu Einsparun-
gen von etwa 1 Milliarde Euro, weil durch den Mindest-
lohn weniger Menschen aufstocken müssen. Der Focus
meldet: „Mindestlohn verhilft Einzelhändlern zu großem
Umsatzplus.“

Der Mindestlohn ist eine Erfolgsgeschichte


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer insbeson-
dere in den nichttarifgebundenen Bereichen, die jetzt
endlich eine untere Haltelinie beim Lohn haben, aber
auch für die fairen und ehrlichen Arbeitgeber, die an-
ständig zahlen, und zwar für jede Stunde mindestens
8,50 Euro und nicht für anderthalb oder zwei Stunden.


(Beifall bei der SPD)


Die große Mehrheit der Arbeitgeber weiß das zu schät-
zen. Sie sind auf qualifiziertes und zuverlässiges Perso-
nal angewiesen. Deshalb sage ich es noch einmal: Der
Mindestlohn nützt den Arbeitnehmern und den fairen
Arbeitgebern; denn die Dumpinglohnkonkurrenz wird
bestraft. Auch das ist die Erfolgsgeschichte Mindest-
lohn.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des Abg. Matthias W. Birkwald [DIE LINKE])


Ich kann Ihnen allen, auch den Antragstellern, versi-
chern: Wir werden alles tun, damit der Mindestlohn
seine volle Wirkung entfalten kann. Wir werden keine
Umgehung und keine Schlupflöcher zulassen. Wir sind
allerdings der Ansicht, dass es nicht nötig ist, dafür das
Gesetz zu ändern, so wie Sie es fordern. Sowohl die Kri-
tik, die in dem vorliegenden Antrag geäußert wird, als
auch einige Vorwürfe – wir haben über das „Bürokratie-
monster Stundenzettel“ gesprochen –, die im Raum ste-
hen, sind haltlos. Der Mindestlohn ist gerade erst in
Kraft getreten und – nahezu alle Rednerinnen und Red-
ner haben das gesagt – die Kontrollen können erst ab
März ernsthaft durchgeführt werden. Deshalb verwun-
dern mich Interventionen, man müsse das Gesetz jetzt
ändern. Das ist nicht sinnvoll.


(Beifall bei der SPD)


Was jedoch sinnvoll und nötig ist, ist, auf alle auf-
kommenden Fragen einzugehen. Darum kümmern wir
uns auch. Ich halte das für ein ganz normales Verfahren.
Das Ministerium hat einen intensiven Dialog mit allen
Branchen, die Probleme mit dem Mindestlohn hatten,
gestartet, und dieser Branchendialog wird fortgesetzt.
Wir, sowohl die Regierung als auch die Abgeordneten,
befinden uns in einem ständigen Dialog mit den Vertre-
tern der jeweiligen Branchen.

Das Mindestlohngesetz wurde im Übrigen – das habe
ich selten so erlebt – sehr intensiv von allen Beteiligten
begleitet. Es ist ein richtig guter Prozess der gemeinsa-
men Entwicklung gewesen. Durch diesen Prozess wurde
gewährleistet, dass wir den Mindestlohn gut, praktikabel
und erfolgreich umsetzen können.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ich bin Ministerin Andrea Nahles dankbar, dass sie
insbesondere die Fragen rund um Ehrenamt und Sport
geklärt hat. Ich darf mit Erlaubnis des Herrn Präsidenten
kurz aus dem Bericht des Ausschusses für Arbeit und
Soziales, Bundestagsdrucksache 18/2010 (neu), Seite 15,
zitieren:

Die Koalitionsfraktionen seien mit dem Bundes-
ministerium für Arbeit und Soziales darin einig,
dass ehrenamtliche Übungsleiter und andere ehren-
amtlich tätige Mitarbeiter in Sportvereinen nicht
unter dieses Gesetz fielen. Von einer „ehrenamtli-
chen Tätigkeit“ im Sinne des § 22 Absatz 3 MiLoG
sei immer dann auszugehen, wenn sie nicht von der
Erwartung einer adäquaten finanziellen Gegenleis-
tung, sondern von dem Willen geprägt sei, sich für
das Gemeinwohl einzusetzen.

Sie sehen: Das steht schon klar im Gesetz. Es muss in
Bezug auf diese Bereiche also nicht geändert werden.
Wir haben schon eine gute Regelung.


(Beifall bei der SPD)


Der Mindestlohn schafft ein Stück Ordnung auf ei-
nem Arbeitsmarkt, der in den letzten Jahren zunehmend
durch prekäre Arbeitsverhältnisse und an manchen Stel-
len auch durch die Ausnutzung von Mitarbeiterinnen
und Mitarbeitern geprägt war. Es ist nötig, über all diese
Aspekte zu diskutieren. Aber nicht alle sich jetzt erge-
benden Probleme haben ihre Ursache im Mindestlohnge-
setz. Im Gegenteil: Unverhältnismäßige Arbeitszeiten,
bei denen mehr Arbeit in weniger Zeit erfüllt werden
musste, gab es schon vorher. Nun treten sie zutage, und
es ist gut, dass wir dagegen vorgehen können.

Es ist auch dem Mindestlohngesetz zu verdanken,
dass wir jetzt eine gesellschaftliche Debatte über den
Wert der Arbeit führen können. Jetzt wird genau hinge-





Kerstin Griese


(A) (C)



(D)(B)

guckt. Jetzt wird deutlich, wer sich bisher schon nicht an
die Regeln gehalten hat, die wir für einen funktionieren-
den, gerechten und guten Arbeitsmarkt in der sozialen
Marktwirtschaft vereinbart haben. Es wird auch deutlich,
dass zu guter Arbeit ein anständiger Lohn gehört. Das
muss dokumentiert werden, damit deutlich wird: Der
Mindestlohn wirkt.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, der Mindestlohn hat
viele Mütter und Väter; das wurde in der Debatte deut-
lich. Ich darf anmerken, dass die SPD den flächende-
ckenden gesetzlichen Mindestlohn schon vor vielen Jah-
ren beschlossen hat. Ich darf noch einmal betonen, dass
wir den Gewerkschaften sehr dankbar sind, dass sie sich
so früh für den Mindestlohn eingesetzt haben


(Klaus Ernst [DIE LINKE]: Wir auch!)


und dass wir ihn gemeinsam hier erkämpfen konnten.
Hier im Deutschen Bundestag haben CDU/CSU, SPD
und Grüne dem Mindestlohngesetz zugestimmt, Sie,
Herr Ernst, leider nicht. Sie haben sich als Opposition
kraftvoll enthalten.


(Peter Weiß [Emmendingen] [CDU/CSU]: Eine mutige Entscheidung, sich zu enthalten! – Klaus Ernst [DIE LINKE]: Wir waren schon dafür, da seid ihr noch weggelaufen!)


Aber jetzt, da der Mindestlohn eine Erfolgsgeschichte
ist, machen sie alle mit.

Vielen Dank.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1809108400

Als nächstem Redner erteile ich das Wort dem Abge-

ordneten Stephan Stracke, CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Stephan Stracke (CSU):
Rede ID: ID1809108500

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Wir stehen zum Mindestlohn. Der Mindestlohn
braucht Kontrolle. Wir lehnen Missbrauch und eine ent-
sprechende Umgehung des Mindestlohns ab. Allerdings
ist auch klar: Alle damit zusammenhängenden Maßnah-
men müssen in der Umsetzung praktikabel sein. Deswe-
gen halte ich nichts davon, dass wir ein ideologisch ver-
zerrtes Unternehmerbild prägen, so wie das die Linke in
ihrem Antrag macht. Herr Ernst, Sie schreiben in Ihrem
Antrag – Zitat –:

Die Behauptung einer vermeintlich überbordenden
Bürokratie hat einzig den Zweck, den Mindestlohn
zu unterlaufen.


(Klaus Ernst [DIE LINKE]: So ist es!)


Das Bild von Unternehmern, das Sie hier zeichnen,
ist, dass ein Unternehmer im Ergebnis darauf aus sei,
seine Arbeitnehmer möglichst schlecht zu bezahlen.


(Klaus Ernst [DIE LINKE]: Heißt es überhaupt nicht!)

– Genau das heißt es, Herr Ernst. Das ist eine Unterstel-
lung,


(Klaus Ernst [DIE LINKE]: Es heißt, dass wir es kontrollieren müssen!)


die ich für die Unternehmerschaft auf das Schärfste zu-
rückweise.


(Beifall bei der CDU/CSU – Klaus Ernst [DIE LINKE]: Schaffen Sie Verkehrskontrollen ab!)


Sie diffamieren damit all diejenigen Unternehmer, die
ihren Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern bereits vor
dem Mindestlohngesetz anständige Löhne gezahlt ha-
ben. Sie diffamieren mit der Behauptung, die Sie hier
aufstellen, auch diejenigen, die sich an das jetzt geltende
Recht halten. Ich glaube, es wäre an der Zeit, dass Sie
dieser Klassenkampfrhetorik endlich einmal ein Ende
machen. Unternehmer eignen sich nicht als Feindbild –
sie sorgen dafür, dass es uns gut geht. Deswegen sollten
wir das Unternehmertum nicht bekämpfen, sondern
dankbar sein – dankbar sein! –, dass wir unseren Mittel-
stand haben; das ist das Entscheidende.


(Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Beschäftigten aber auch! – Klaus Ernst [DIE LINKE]: Wir schützen die fairen Unternehmer! Das machen Sie nicht! Das ist der Unterschied!)


Wir haben uns im Gesetzgebungsverfahren darauf
verständigt, dem berechtigten Anliegen der Arbeitgeber,
dass der durch den gesetzlichen Mindestlohn entste-
hende administrative Aufwand begrenzt wird, zu ent-
sprechen. Deswegen haben wir eine Vielzahl von
Rechtsverordnungsmöglichkeiten geschaffen. Die des
BMF werden derzeit, wenn ich das richtig sehe, nicht
kritisiert, sondern es geht ausschließlich um die Verord-
nung, die Ministerin Nahles auf den Weg gebracht hat.
Sie ist bei der Grenze, bis zu welcher Einkommenshöhe
eine Pflicht zur Dokumentation der Arbeitszeit gelten
soll, bei 4 500 Euro gestartet. Jetzt soll diese Grenze bei
2 958 Euro liegen. Doch auch dieser Schwellenwert ent-
spricht nicht der Lebenswirklichkeit.


(Kerstin Griese [SPD]: Er entspricht der Höchstarbeitszeit!)


Er entspricht auch nicht dem, was beispielweise der Zoll,
der hier so oft zitiert wurde, in den Blick nimmt. Wenn
der Zoll selber seinen Fokus vor allem auf Beschäfti-
gungsverhältnisse mit einem Einkommen zwischen
1 000 und 2 000 Euro richtet, dann zeigt dies, dass diese
Verordnung hier nicht der Lebenswirklichkeit entspricht
und entsprechend angepasst werden muss.

Genau deswegen hat sich der Koalitionsausschuss in
der letzten Woche darauf verständigt, beim Mindestlohn-
gesetz bis Ostern eine Bestandsaufnahme vorzunehmen
und vor allem Probleme aus der Praxis entsprechend zu
sammeln und diese dann gemeinsam zu bewerten. Wir
nehmen diesen Auftrag des Koalitionsausschusses sehr
ernst. An uns werden viele Dinge herangetragen, viele
Unsicherheiten, viele Fragestellungen, zum Teil auch
Unverständnis über das, was da geregelt ist. Klar ist: Wir
müssen hier vor allem für Rechtssicherheit sorgen – da





Stephan Stracke


(A) (C)



(D)(B)

ist mir das Mindestlohngesetz sicherlich nicht sakro-
sankt –, weil Fragestellungen aufkommen, warum denn
Minijobs der Dokumentationspflicht unterliegen.


(Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Warum wohl?)


Rechte und Pflichten sind bei Minijobs genau wie bei je-
dem anderen Arbeitsverhältnis, ohne dass für Letztere
derzeit flächendeckende Aufzeichnungspflichten gelten
würden.


(Klaus Ernst [DIE LINKE]: Weil man oft weniger Geld kriegt und dafür länger arbeiten muss! Das ist der Grund! Das wissen Sie auch! Das wollen Sie offensichtlich!)


Deswegen wird dem mit sehr viel Unverständnis begeg-
net.

Es geht auch um eine saubere Abgrenzung zwischen
Ehrenamt und gewerblicher Beschäftigung. Mich treibt
um, dass in dem Antrag der Linken wieder sofort der
Missbrauch thematisiert wird, anstatt dass man sich zu-
nächst einmal überlegt: Wie können wir das gesell-
schaftliche Engagement in der Breite und in der Vielfalt,
die wir haben, unterstützen und stärken?


(Jutta Krellmann [DIE LINKE]: Das ist doch Geschwätz!)


Hier brauchen wir sicherlich entsprechende Ansätze.
Dazu dient auch die Abgrenzung zwischen Ehrenamt
und Mindestlohn.


(Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Vielleicht gehen Sie wirklich einmal zusammen mit der Finanzkontrolle Schwarzarbeit auf Baustellen! – Jutta Krellmann [DIE LINKE]: Die Leute verlieren Geld, und Sie machen nichts!)


Hier hat die Ministerin einen guten Aufschlag gemacht,
gerade was das Thema „Vertragsamateure im Fußball“
angeht. Ich denke, dieses Argumentationsmuster ist jetzt
insgesamt auszuweiten auf den gesamten Bereich des
Ehrenamts. Wir müssen auch prüfen, inwieweit wir hier
gesetzliche Regelungen tatsächlich brauchen.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Dass wir hier nicht gegeneinander agieren, sondern
miteinander, zeigt beispielsweise die Pflegearbeitsbedin-
gungenverordnung, wo wir vonseiten der Bundesregie-
rung eine differenzierte Behandlung haben, was die Ver-
gütung von Vollarbeitszeit und Bereitschaftsdienst
angeht. Darauf sollten wir aufsetzen. Lassen Sie uns für
gute Ergebnisse sorgen!

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1809108600

Vielen Dank. – Liebe Kolleginnen und Kollegen, da-

mit schließe ich die Debatte.

Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 18/4183 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein-
verstanden? – Das ist der Fall. Damit ist die Überwei-
sung so beschlossen.

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 6 a und 6 b auf:

a) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ta-
rifeinheit (Tarifeinheitsgesetz)


Drucksache 18/4062
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Soziales (f)

Innenausschuss
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Ausschuss für Wirtschaft und Energie
Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur
Ausschuss für Kultur und Medien

b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Jutta
Krellmann, Klaus Ernst, Ulla Jelpke, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE

Tarifautonomie stärken – Streikrecht vertei-
digen

Drucksache 18/4184
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Soziales (f)

Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Ausschuss für Wirtschaft und Energie

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 60 Minuten vorgesehen. Gibt es dazu
Widerspruch? – Das ist nicht der Fall. Dann ist das so
beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache. Als erste Rednerin erhält
die Bundesministerin Andrea Nahles für die Bundesre-
gierung das Wort. – Frau Bundesministerin, bitte.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Andrea Nahles, Bundesministerin für Arbeit und
Soziales:

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Kolleginnen
und Kollegen! Mit dem hier vorliegenden Entwurf eines
Gesetzes zur Tarifeinheit vervollständigen wir unsere
Bemühungen, die Tarifautonomie in unserem Land zu
stärken. Das Haus der Sozialpartnerschaft steht damit
auf einem guten Fundament: Mit der Öffnung des Ar-
beitnehmer-Entsendegesetzes für alle Branchen, mit der
verbesserten Möglichkeit, Tarifverträge allgemeinver-
bindlich zu erklären, und mit dem Mindestlohn, den wir
für die Zukunft in der Mindestlohn-Kommission wieder
in die Hände der Sozialpartner gelegt haben, gibt es be-
reits drei Bausteine. Der vierte Baustein, die Tarifein-
heit, folgt nun.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Die Tarifeinheit hat in Deutschland als fester Be-
standteil der Tarifautonomie eine sehr lange Tradition.
Viele Jahrzehnte galt in der Bundesrepublik Deutschland
der klare Grundsatz: „Ein Betrieb – ein Tarifvertrag“.
Erst vor wenigen Jahren, nämlich im Jahre 2010, hat das
Bundesarbeitsgericht seine ständige Rechtsprechung
dazu geändert. Es waren damals, 2010, Arbeitgeber und





Bundesministerin Andrea Nahles


(A) (C)



(D)(B)

Gewerkschaften gemeinsam, die uns als Politik aufge-
fordert haben, die Tarifeinheit gesetzlich zu regeln und
damit die Funktionsfähigkeit der Tarifautonomie zu si-
chern, und sie haben diese Aufforderung 2013 während
der Koalitionsverhandlungen wiederum gemeinsam er-
neuert. Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf, der auch
nach intensiver Anhörung und Beteiligung der Sozial-
partner entstanden ist, kommen wir dieser wiederholten
und dringlichen Aufforderung nach.

Verehrte Kolleginnen und Kollegen, mancher hat nun
Sorge, es würden Rechte der Arbeitnehmer, der Gewerk-
schaften beschnitten. Mancher hofft auch – heimlich
oder öffentlich –, es würden Streiks kleiner Gewerk-
schaften verboten, weil sie den Bahn- oder Flugverkehr
stören oder die Gesundheitsversorgung treffen. Fakt ist:
All das tut dieses Gesetz nicht.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Es geht vielmehr darum, das Funktionieren der im
Grundgesetz verankerten und unsere Wirtschafts- wie
Gesellschaftsordnung prägenden Tarifautonomie zu er-
möglichen. Nach dem Grundgesetz sind die Sozialpart-
ner zur Regelung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingun-
gen berufen. Mit dieser Aufgabe geht auch eine große
Verantwortung einher. Ich erwarte, dass die Sozialpart-
ner diese auch annehmen. Streikrecht und Koalitionsfrei-
heit tasten wir nicht an. Das sind Grundrechte, für die
lange gekämpft wurde. Ich stehe zu diesen Rechten. Mit
diesem Gesetz werden wir daran nicht rütteln.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Aber das Koalitionsrecht ist nicht allein ein Freiheits-
recht. Es so eng zu führen, entspricht nicht unserer Ver-
fassungsordnung: Den Koalitionen kommt die im öffent-
lichen Interesse liegende Aufgabe zu, innerhalb ihres
Bereichs das Arbeitsleben sinnvoll zu ordnen und zu be-
frieden, so hat es das Bundesverfassungsgericht festge-
halten.


(Peter Weiß [Emmendingen] [CDU/CSU]: Richtig!)


Die Tarifautonomie darf in ihrer zentralen wirtschaftli-
chen und gesellschaftlichen Funktion nicht bedroht oder
beeinträchtigt werden. Es ist Aufgabe des Staates, einen
Rahmen zu schaffen, der das Funktionieren der Tarifau-
tonomie sichert. Daher brauchen wir auch eine Regelung
zur Tarifeinheit.

Wir sind überzeugt: Unser Vorschlag ist verfassungs-
gemäß. Klar ist: Bei juristischen Fragen gibt es immer
auch andere, abweichende Meinungen, und es gibt keine
absolute Sicherheit.


(Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Eine eigenwillige Auffassung!)


Das weiß jeder hier, auch ich. Aber unser Gesetzentwurf
ist so solide erarbeitet und sehr, sehr sorgfältig geprüft,
auch mit den Verfassungsressorts zusammen, sodass
nach allem Ermessen den Maßgaben unserer Verfassung
voll Genüge getan wird.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Klaus Ernst [DIE LINKE]: Das glauben Sie selber nicht!)


Denn wir setzen bei den verfassungsgemäßen Rechten
und Pflichten an. Es ist und bleibt grundsätzlich in der
Verantwortung der Tarifvertragsparteien, durch eigene,
autonome Entscheidungen Tarifkollisionen zu vermei-
den. Nur nachrangig, als Ultima Ratio, wirkt das Gesetz.

Was ist nun unter solch einer Tarifkollision zu verste-
hen? Sie entsteht, wenn verschiedene Gewerkschaften
für dieselbe Beschäftigtengruppe eines Betriebes unter-
schiedliche Regelungen mit der Arbeitgeberseite verein-
baren. Auch dann allerdings greift nicht automatisch das
Gesetz, sondern es gibt eine ganze Fülle von Möglich-
keiten, dieses Problem auf der Ebene zu lösen, auf der es
auftritt: Die Gewerkschaften können untereinander Zu-
ständigkeiten abstimmen und so dafür sorgen, dass ihre
Tarifverträge nicht kollidieren. Oder sie können überein-
kommen, dass der Tarifvertrag einer Gewerkschaft durch
den einer anderen Gewerkschaft ergänzt werden kann,
etwa durch zusätzliche Regelungen für eine bestimmte
Arbeitnehmergruppe. Die Gewerkschaften können sich
auch abstimmen, ihre Forderungen in einer sogenannten
Tarifgemeinschaft gemeinsam aufzustellen. Das ist sehr
häufig im öffentlichen Dienst der Fall. Sie können auch
inhaltsgleiche Tarifverträge abschließen. Schließlich gibt
es immer auch die Möglichkeit, Konflikte untereinander
zu lösen, etwa innerhalb eines gemeinsamen Dachver-
bandes.

All diese Formen sind bekannt, weil es ja bis 2010 die
Tarifeinheit gab. Unterm Strich bedeutet das mehr Ko-
operation;


(Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und Konkurrenz!)


denn all diese Möglichkeiten gehen vor. Unser Gesetz-
entwurf entfaltet eben nur im äußersten Fall seine Wir-
kung. Dafür haben wir ein klares Kriterium geschaffen:


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Im Fall einer Tarifkollision gilt der Tarifvertrag der Ge-
werkschaft, die im Betrieb die meisten Mitglieder hat.


(Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da geht es schon los! Wie will man das denn feststellen?)


Welcher Tarifvertrag gilt, entscheiden also die Beschäf-
tigten selbst. Die gemeinsame Leistung aller soll wichti-
ger sein als eine bestimmte Machtposition im Betriebs-
ablauf, die sich bisher für die Durchsetzung von
Einzelinteressen nutzen lässt.


(Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das steht in unserer Verfassung aber anders!)


Ich höre jetzt schrille Töne: Von der Vernichtung klei-
ner Gewerkschaften ist die Rede. Ich sage da ganz klar:
So wie es vor 2010 und zwischen 2010 und 2015 kleine





Bundesministerin Andrea Nahles


(A) (C)



(D)(B)

Gewerkschaften gegeben hat, wird es sie auch in Zu-
kunft geben; und das ist auch gut so.


(Beifall bei der SPD)


Tarifautonomie und Sozialpartnerschaft sind konstitu-
tiv für unser Gesellschafts-, Wirtschafts- und Sozial-
staatsmodell. Wir sorgen für einen Rahmen, in dem sie
wirken und sich entfalten können. Am Ende können aber
für eine funktionierende Sozialpartnerschaft nur Arbeit-
geber und Arbeitnehmer selbst sorgen, gerade indem sie
sich in Verbänden und Gewerkschaften engagieren. Ver-
antwortung für das Ganze übernehmen, den Zusammen-
halt stärken und mit am künftigen Erfolg unseres Landes
und unserer Wirtschaft bauen: Darum geht es. Das wol-
len wir mit dem vorliegenden Gesetzentwurf fördern.

Vielen Dank.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1809108700

Vielen Dank. – Als nächster Redner hat Klaus Ernst

von der Fraktion Die Linke das Wort.


(Beifall bei der LINKEN)



Klaus Ernst (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1809108800

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Frau

Nahles, Sie legen hier ein Gesetz vor, das eigentlich kei-
ner mehr will. Ich habe den Eindruck, Ihnen wäre es am
liebsten, Sie müssten es nicht mehr wollen.


(Dr. Matthias Zimmer [CDU/CSU]: Die IG Metall schon!)


– Im Übrigen auch die IG Metall nicht mehr. Schauen
Sie sich einmal die Basis an und nicht nur die Aussage
von zwei Personen.

Überflüssig wie ein Kropf: Warum?


(Peter Weiß [Emmendingen] [CDU/CSU]: Der Ernst sucht sich aus, was ihm passt!)


Ich kann es Ihnen sagen: überflüssig, weil die bundesre-
publikanischen Arbeitnehmer sowieso so gut wie kaum
streiken. Ich sage immer gern: Es gibt nur noch zwei
Länder, die noch seltener streiken als wir: die Schweiz
und der Vatikanstaat. Wir haben kein Problem mit zu
vielen Streiks.


(Beifall bei der LINKEN)


Es besteht damit im Übrigen auch keine Notwendigkeit,
sie einzuschränken.

Darauf sind Sie kaum eingegangen, Frau Nahles.
Streik ist ein Grundrecht, das durch Artikel 9 des Grund-
gesetzes garantiert wird; ich will jetzt nicht daraus zitie-
ren. Sie machen die Aussage, Sie greifen nicht in dieses
Grundrecht ein. Das ist nun wirklich – ich kann es nicht
anders sagen – eine totale Augenwischerei. Auch das
wissen Sie selber. Natürlich greifen Sie in das Streik-
recht ein, nämlich dann, wenn zwei Tarifverträge in ei-
nem Betrieb zur Anwendung kommen – übrigens nicht
bei derselben Personengruppe, weil Tarifverträge nach
dem Tarifvertragsgesetz ja immer nur für die Mitglieder
der tarifvertragschließenden Partei gelten und nicht für
andere.

Jetzt sagen Sie: Es gilt nur noch der Tarifvertrag der
Gewerkschaft, die die größere ist. – Dann soll die andere
Gewerkschaft nicht davon betroffen sein? Natürlich ist
das ein Eingriff in das Streikrecht; denn die andere Ge-
werkschaft kann keinen Streik mehr führen. Ein Streik
wäre sinnlos, weil der Tarifvertrag nicht mehr gelten
würde. Eine größere Einschränkung des Streikrechts
kann es eigentlich nicht geben, da könnten Sie nur noch
die Gewerkschaften verbieten, Frau Nahles.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Das ist die Wahrheit. Das sagen nicht nur wir, sondern
auch andere.

Ich will es einmal in ein Bild kleiden. Sie sind bei ei-
nem Formel-1-Rennen. Sie sagen keinem Fahrer, egal ob
er klein oder groß ist, dass er nicht mehr mitfahren darf.
Aber wenn ein kleiner Fahrer dann die Ziellinie erreicht,
wird seine Leistung nicht gewertet, weil in einem ande-
ren Auto jemand sitzt, der größer ist. Macht es da noch
Sinn, dass er bei dem Autorennen mitfährt?


(Peter Weiß [Emmendingen] [CDU/CSU]: So ein dummer Vergleich!)


Nein, es macht keinen Sinn mehr. Genauso wenig macht
es für eine Gewerkschaft Sinn, zu streiken, wenn sie
weiß, dass das Ziel dieses Streiks, der Tarifvertrag,
schlichtweg nicht mehr gilt.

Im Übrigen, Frau Nahles – auch das wissen Sie; ich
werfe Ihnen vor, dass Sie es bewusst nicht erzählen –,
wissen Sie genau, dass ein Streik vor jedem Gericht für
unzulässig erklärt werden kann, wenn er nicht der Erzie-
lung eines Tarifvertrags gilt. Das ist die Rechtsprechung.
Jetzt planen Sie hier eine Regelung, die dazu führt, dass
eine kleine Gewerkschaft nicht mehr streiken kann bzw.
jeder Streik für illegal erklärt werden kann, weil ein
Streik bei einer kleinen Gewerkschaften ja nicht mehr
der Erzielung eines Tarifvertrags dient. Sie greifen in das
Streikrecht ein. Ich sage Ihnen, Frau Nahles: Sie machen
das Streikrecht für die kleinen Gewerkschaften kaputt
und damit auch die kleinen Gewerkschaften. Das ist die
Wahrheit.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Das sehen nicht nur wir so. Sie haben inzwischen im-
mer weniger Freunde. Professor Däubler, ein Arbeits-
rechtler, kommt zu dem Ergebnis – ich zitiere –:

Der faktische Entzug des Rechts, Tarifverträge ab-
zuschließen und dafür einen Arbeitskampf zu füh-
ren, stellt einen denkbar weitreichenden Eingriff
dar, der nur noch durch ein Gewerkschaftsverbot
übertroffen werden könnte.

So weit Herr Professor Däubler. – Zu demselben Ergeb-
nis kommt der Wissenschaftliche Dienst des Bundesta-
ges.





Klaus Ernst


(A) (C)



(D)(B)

Frau Nahles, schauen wir einmal zu Ihrem Koalitions-
partner. Herr Professor Dr. Zimmer, ich muss wirklich
sagen, ich habe einen Heidenrespekt vor Ihnen und Ihrer
Klarheit. Sie haben gesagt, es könne nicht Aufgabe des
Deutschen Bundestages sein, erhebliche verfassungs-
rechtliche Bedenken nicht zur Kenntnis zu nehmen oder
wissentlich ein verfassungsrechtlich defizitäres Gesetz
aus politischen Gründen zu verabschieden. Da haben Sie
recht. Da haben Sie unsere volle Zustimmung, Herr
Zimmer.


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ebenfalls liegt mir ein Schreiben des Marburger
Bunds und der Vereinigung Cockpit vor. Der Vorsit-
zende des Marburger Bunds, Rudolf Henke, ist ebenfalls
Mitglied der CDU/CSU-Bundestagsfraktion. Er kann
dieses Gesetz wohl auch nicht befürworten, weil er der
Auffassung ist, dass es Unsinn ist. Ähnlich sieht es Herr
Matthäus Strebl. Mir liegt ein Brief vor, den er als Vor-
sitzender einer Gewerkschaft an die Abgeordneten ge-
schrieben hat. In dem Brief steht, dass er das Gesetz ab-
lehnt. Frau Nahles, Sie haben keine Freunde mehr in
dieser Frage.

Ich möchte mit einem Hinweis schließen, den uns der
von mir sehr geschätzte Herr Augstein auf Spiegel On-
line gegeben hat. Er hat geschrieben: Wem das Streik-
recht nicht passt, der soll überlegen, möglicherweise
nach China zu ziehen. – Das ist das Problem, das wir
hier haben. Dort sind Streiks verboten, jedenfalls sind sie
nicht zulässig. In einer Demokratie müssen sie erlaubt
sein und gehören gestärkt und nicht geschliffen.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Peter Weiß [Emmendingen] [CDU/CSU]: Wo ist das Problem?)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1809108900

Als nächster Redner hat Karl Schiewerling von der

CDU/CSU-Fraktion das Wort.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Karl Schiewerling (CDU):
Rede ID: ID1809109000

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe

Kolleginnen und Kollegen! Um es sofort vorwegzusa-
gen: Im Gesetzentwurf steht nichts zur Streikregelung.
Ich komme gleich darauf zurück.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber in der Begründung!)


Es geht bei diesem Gesetz um Tarifeinheit, aber auch
um Tariffreiheit. Da, wo es um Freiheit geht, geht es
auch immer um Verantwortung. Die Bundesrepublik
Deutschland ist ein wirtschaftlich starkes Land: exzel-
lente Produkte, hohe Innovationskraft, Weltmarktführer
in vielen Bereichen, hohe Beschäftigungsrate, höchster
Stand an sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung
seit 1990, niedrige Arbeitslosigkeit. Das hat viele Ursa-
chen. Eine Ursache ist eine verantwortungsvolle, funk-
tionierende Sozialpartnerschaft.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Meine Damen und Herren, die Grundlage dieser So-
zialpartnerschaft ist in der Verfassung, in Artikel 9 Ab-
satz 3 des Grundgesetzes, gesichert. Dort findet sich für
Betriebe, Branchen und Berufsgruppen die Freiheit, Ge-
werkschaften und Arbeitgeberverbände zu gründen.
Diese Sozialpartnerschaft hat sich vor allem in Notzeiten
bewährt. Das gilt in den schweren Anfängen in den 50er-
und 60er-Jahren, das gilt in der jüngsten Zeit, in der Fi-
nanz- und Wirtschaftskrise. Diese Sozialpartnerschaft
wird von vielen beschworen und gelobt.

1954 reichte der einfache Satz: „Ein Betrieb – ein Ta-
rifvertrag“ des damaligen Präsidenten des Bundesar-
beitsgerichtes, Nipperdey, aus, um die Tarifeinheit zu re-
geln. Er hat 56 Jahre gegolten. Die diesbezüglichen
Gerichtsprozesse, die danach geführt wurden, sind an ei-
ner Hand abzuzählen, auch wenn dieser Grundsatz in der
Rechtswissenschaft offensichtlich immer wieder um-
stritten war. Die Konsequenzen sind ein großer Betriebs-
frieden, die weltweit niedrigste Zahl von Streiks und
demzufolge wirtschaftliche Stärke und Wohlstand.


(Beifall bei der CDU/CSU – Beate MüllerGemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aha! Und wo sind jetzt die Probleme?)


Meine Damen und Herren, diese Rechtsprechung hat
das Bundesarbeitsgericht 2010 aufgegeben. Vor diesem
Hintergrund wurde befürchtet, dass, wenn das Prinzip
der Tarifeinheit durch die Rechtsprechung aufgegeben
wird, wir in bestimmten Betrieben neue Entwicklungen
bekommen könnten und einige wenige ihre Interessen
gegen den Willen der Mehrheit, der großen Mehrheit,
durchsetzen könnten. Deswegen haben der Arbeitgeber-
verband und der DGB, also die Sozialpartner, die Regie-
rung damals aufgefordert, gesetzliche Grundlagen zu
schaffen, und Vorschläge erarbeitet, wie die Tarifeinheit
gestaltet werden kann.


(Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das war ja auch eine große Koalition!)


Im Koalitionsvertrag haben wir vereinbart, die Ta-
rifeinheit nach dem tarifbezogenen Mehrheitsprinzip ge-
setzlich zu regeln und den Verfahrensregeln der Verfas-
sung – Artikel 9 Absatz 3 – Rechnung zu tragen. Die
Bundesregierung hat auf dieser Grundlage nun dem Par-
lament einen Gesetzentwurf zugeleitet. Wir beraten ihn
heute in erster Lesung.

Wir erleben eine heftige Diskussion über die Verfas-
sungskonformität dieses Gesetzentwurfes. Meine Da-
men und Herren, ich sage Ihnen in aller Deutlichkeit:
Wenn uns die Bundesregierung als Verfassungsorgan,
getragen von den Verfassungsabteilungen des Innen-,
des Justiz- und des Arbeitsministeriums einschließlich
des Bundeskanzleramtes, einen Gesetzentwurf auf den
Tisch legt, dann unterstelle ich zunächst einmal – bei al-
len Gegenpositionen, die aus der Wissenschaft kommen
oder andere vortragen mögen –, dass er verfassungskon-





Karl Schiewerling


(A) (C)



(D)(B)

form ist. Ich hege daran vor diesem Hintergrund keinen
Zweifel.


(Klaus Ernst [DIE LINKE]: Das war aber schon oft anders! – Dr. Wolfgang StrengmannKuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das wäre aber auch nicht das erste Gesetz einer Bundesregierung, das nicht verfassungskonform ist!)


Ich darf daran erinnern, dass dieser Gesetzentwurf vor-
her bereits im Bundesrat war und auch dort kein Bundes-
land Bedenken dagegen erhoben hat.


(Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, ist doch klar! Weil überall entweder die Union oder die SPD regiert! – Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Na, das ist doch wohl logisch! – Gegenruf der Abg. Katja Mast [SPD]: Ihr regiert da aber auch mit!)


Auch der Bundesrat ist ein Verfassungsorgan.

Meine Damen und Herren, dieser Gesetzentwurf
bringt den eindeutigen Willen des Gesetzgebers zum
Ausdruck, dass es in einem Betrieb um Konsens geht.
Dieser Gesetzentwurf hat nicht die Regelung von Diffe-
renzen in den Mittelpunkt gestellt, sondern die Frage,
welche Regelungsmechanismen beim Tätigwerden von
Gewerkschaften in einem Betrieb oder für eine Berufs-
gruppe – wobei es immer klug ist, die Dinge vernünftig
voneinander zu trennen – gewährleisten können, dass
Konflikte vermieden werden. Dafür kann man zum Bei-
spiel sorgen, indem akzeptiert wird, dass eine Gewerk-
schaft nur für eine bestimmte Berufsgruppe zuständig ist
oder indem man sich vorher gemeinsam verständigt und
vorher gemeinsam verhandelt. Es gibt im Gesetzentwurf
zahlreiche Hinweise, wie das geregelt werden kann.


(Klaus Ernst [DIE LINKE]: Ja, dazu braucht man kein Gesetz!)


Ich sage Ihnen allerdings: Vielleicht muss man diesen
politischen Willen des Gesetzgebers im Gesetz noch ein-
mal verstärken, um deutlich zu machen, dass am Ende
der Tage, wenn es denn heißt, dass sich die Gewerk-
schaft durchsetzen soll, die die größere Mitgliederzahl
hat, in Kenntnis dessen, dass sie die größere Mitglieder-
zahl hat, nicht von Anfang an den vom Gesetzgeber ge-
wollten Willen zum Konsens unterläuft und sagt: Am
Ende der Tage haben wir eh die Mehrheit. Also brauchen
wir keine ernsthaften Gespräche zu führen.


(Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wie wollen Sie das denn machen?)


Ich glaube, es ist notwendig, noch einmal zu überle-
gen, wie dieser politische Wille des Gesetzgebers, dass
es um Konsens im Betrieb geht, gesetzlich oder an wel-
cher Stelle auch immer noch einmal formuliert und deut-
lich gemacht wird, damit es zu fairen Bedingungen bei
den Auseinandersetzungen auch innerhalb des Betriebes
kommt.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Meine Damen und Herren, das Mehrheitsprinzip, wie
es jetzt im Gesetz steht, bezieht sich auf den Betrieb. Es
nimmt Bezug auf die Frage, was nach Betriebsverfas-
sungsgesetz ein Betrieb ist. In Deutschland gibt es keine
klare Definition, was ein Betrieb ist. Deswegen hat man
darauf Bezug genommen, weil es auch um die Solidar-
gemeinschaft in diesem Betrieb geht und weil dafür Ta-
rifverträge gelten.

Ich kann nur heftig dafür werben, dass alles getan
wird, um die Auseinandersetzungen, die wir in manchen
Betrieben haben, zu vermeiden und zu fairen Verhand-
lungen untereinander zu kommen.

Ich will allerdings an dieser Stelle auch sehr deutlich
sagen: Die Streiks, die Auseinandersetzungen in Deutsch-
land, die sich aufgrund von Tarifkonflikten in einem Be-
trieb in der Vergangenheit abgespielt haben, halten sich
sehr in Grenzen.


(Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau!)


Die kleine Gewerkschaft, die einmal versucht hat, den
ganzen Frankfurter Flughafen lahmzulegen, ist von den
übrigen Belegschaften heftig abgestraft worden.


(Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die ist auch gerichtlich gestoppt worden!)


Ich glaube, dass keine kleine Gewerkschaft, nur weil sie
unterlegen ist, gegen den Willen der Übrigen in der Be-
legschaft einen Kampf führen kann. Sie wird diesen
Kampf nicht nur im Lichte der Kollegialität, sondern
auch der Öffentlichkeit ganz sicher nicht bestehen.


(Jutta Krellmann [DIE LINKE]: Dann brauchen wir aber kein Gesetz dafür!)


Ich glaube, dass wir mit dem vorliegenden Gesetzent-
wurf als Gesetzgeber einen Weg aufgezeigt haben, wie
wir uns unter fairen Bedingungen Tarifeinheit vorstellen
und wie das vor Ort weitergeführt werden kann. Die Ma-
laise liegt nicht beim Gesetzgeber. Sie liegt darin, dass
das, was 56 Jahre lang gegolten hat, jetzt auf einmal
in der Rechtsprechung aufgegeben wurde. Das, was
56 Jahre lang der Bundesrepublik gutgetan hat, nämlich
die Tarifeinheit de facto zu haben, müssen wir in einer
Form wieder erreichen, damit die wirtschaftliche Zu-
kunft unseres Landes gesichert bleibt. Das ist das, was
eigentlich hinter diesem Gesetz steht.

Hinter diesem Gesetz steht nicht, kleinen Gewerk-
schaften den Streik zu verbieten. Ich rate auch dringend
dazu, die im Gesetz stehende Formulierung, dass ein
Streik dann verhältnismäßig ist, wenn die kleinere Ge-
werkschaft der größeren unterliegt, noch einmal dahin
gehend zu überdenken, dass dies nicht die einzige Be-
gründung ist. Wenn eine große Gewerkschaft, die mehr
Mitglieder als eine andere Gewerkschaft hat, sich nicht
ernsthaft mit der kleineren Gewerkschaft um den Be-
triebsfrieden und um Tarifeinheit im Vorstadium der
Konsensbildung kümmert, dann kann am Ende der Tage
der kleineren Gewerkschaft der Streik nicht verboten
werden, weil Bedingung ist, dass man vorher alles unter-
nommen hat, um miteinander zu einem Konsens zu





Karl Schiewerling


(A) (C)



(D)(B)

kommen. Das setzt den ernsten Verhandlungswillen aller
Beteiligten voraus.


(Klaus Ernst [DIE LINKE]: Das entscheiden doch dann Gerichte! – Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nachher gilt der Tarifvertrag eh nicht!)


Meine Damen und Herren, ich glaube, der vorlie-
gende Gesetzentwurf ist eine gute Grundlage, die Dinge
weiter zu diskutieren. Wir werden das miteinander tun.
Wir werden nach einer Lösung suchen, sofern noch wei-
tere Schritte notwendig sind. Ich bin sicher, dass wir ge-
meinsam das Ziel verfolgen, für Betriebsfrieden zu sor-
gen, um wirtschaftliche Prosperität und Wohlstand für
alle zu sichern.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1809109100

Vielen Dank. – Jetzt hat Michael Schlecht von der

Fraktion Die Linke das Wort für eine Kurzintervention.


Michael Schlecht (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1809109200

Herr Schiewerling, Sie und auch die Ministerin haben

den Eindruck erweckt, dass dieser Gesetzentwurf von
den Gewerkschaften gefordert und unterstützt wird.


(Peter Weiß [Emmendingen] [CDU/CSU]: So ist das!)


Hier muss man Einspruch erheben, weil das so nicht
stimmt.


(Peter Weiß [Emmendingen] [CDU/CSU]: Doch!)


Die Gewerkschaft, die am stärksten von dieser Regelung
betroffen ist, weil sie am ehesten kleine Konkurrenzen
hat, ist die Gewerkschaft Verdi. Die Gewerkschaft Verdi
hat zwar im Jahre 2010 gemeinsam mit der BDA und
dem DGB die erste Initiative begründet – das ist richtig –,
aber danach hat es gerade bei Verdi eine sehr intensive
Diskussion darüber gegeben. Nach kurzer Zeit kam es zu
einer Positionsverschiebung. Verdi erklärte, sie sei gegen
eine gesetzliche Regelung der Tarifeinheit, und die Ini-
tiative mit der BDA und dem DGB von 2010 sei für sie
hinfällig. Die Geschäftsgrundlage sei für sie entfallen.
Es hat dort also eine sehr intensive Diskussion gegeben –
gerade vor dem Hintergrund der mittelbar drohenden
Einschränkung des Tarifrechtes.

Sie eiern hier jetzt formaljuristisch herum und erklä-
ren, das alle gebe es nicht. Natürlich ist aber jedem Kol-
legen und jeder Kollegin bei Verdi vollkommen klar
– sehr viele haben das in den letzten Jahren diskutiert –,
dass dieser Gesetzentwurf in genau diese Richtung zielt.
Es kann aus gewerkschaftlicher Sicht – aus Sicht von
Verdi – nicht angehen, dass der Gesetzgeber mittelbar in
das Streikrecht eingreift, sondern das Streikrecht muss
verteidigt werden. Wir brauchen eher eine Initiative da-
für, dass das Streikrecht ausgeweitet wird, dass zum Bei-
spiel die Möglichkeit geschaffen wird, dass es einen Ge-
neralstreik in Deutschland gibt. Das wäre eine dringend
notwendige Klarstellung, aber das ist hier ja nicht das
Thema.


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)


Das musste Ihnen aber zumindest entgegengehalten wer-
den.

Danke schön.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1809109300

Herr Schiewerling.


Karl Schiewerling (CDU):
Rede ID: ID1809109400

Herr Kollege Schlecht, mir sei wenigstens ein kurzer

Hinweis gestattet. Das erste Papier, das vorgelegt wurde,
nachdem die Tarifeinheit 2010 vom Bundesarbeits-
gericht nicht mehr als Bestandteil der Rechtsprechung
angesehen wurde, kam gemeinsam von der BDA und
dem DGB.


(Beifall der Abg. Kerstin Griese [SPD] – Michael Schlecht [DIE LINKE]: Ja, das habe ich ja gesagt!)


Das war also ein gemeinsames Papier. Danach forderten
sie eine entsprechende gesetzliche Grundlage, die mög-
lichst schnell geschaffen werden sollte. Daraufhin hat es
längere Diskussionen gegeben.

Ich gestehe zu, dass auch nach meiner Kenntnis of-
fensichtlich nicht alle Mitgliedsgewerkschaften inner-
halb des DGB positiv dazu stehen. Aber der DGB als
Dachverband und auch zahlreiche Einzelgewerkschaften
stehen dazu. Ich muss das zumindest einmal zur Kennt-
nis nehmen.

Wenn wir von Sozialpartnern reden, dann reden wir
vom DGB als Dachverband für Einzelgewerkschaften
und von der BDA als Dachverband für die Arbeitgeber.
Diese haben die Tarifeinheit bisher offensichtlich ge-
meinsam als Sozialpartner gefordert und den vorliegen-
den Gesetzentwurf ausdrücklich begrüßt. Das kann ich
zur Kenntnis nehmen.

Daran, dass Ihnen das nicht passt, zweifle ich keine
Sekunde, zumindest deshalb nicht, weil Sie durch die
Tarifeinheit vom bundesdeutschen Generalstreik noch
weiter entfernt wären. Ich kann Ihnen aber sagen, dass
wir uns daran gehalten haben. Sollten sie sich eines an-
deren besinnen, weil sie sich als Tarifpartner in einer
schwierigen Situation befinden, dann werden wir uns
diesem Erkenntnisgewinn ganz sicher nicht verschlie-
ßen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1809109500

Vielen Dank. – Jetzt hat die Kollegin Beate Müller-

Gemmeke von Bündnis 90/Die Grünen das Wort.






(A) (C)



(D)(B)


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Frau
Ministerin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen!
Heute geht es um die Koalitionsfreiheit. Jedermann und
jeder Beruf – so steht es in unserer Verfassung – hat das
Recht, sich in Gewerkschaften zu organisieren und Tarif-
verträge zu verhandeln. Dazu gehört auch das Streik-
recht. Jetzt soll genau dieses Grundrecht per SPD-Gesetz
eingeschränkt werden. Das machen wir Grüne nicht
mit;


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


denn dafür gibt es keinen wirklich nachvollziehbaren
Grund, und vor allem ist die gesetzliche Tarifeinheit ein
Eingriff in die Koalitionsfreiheit und ein Angriff auf das
Streikrecht. Deshalb lehnen wir das Gesetz strikt ab.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Der Gesetzentwurf wirft viele Fragen auf. Diese Fra-
gen habe ich zusammengefasst und sie der Bundesregie-
rung in einer Kleinen Anfrage gestellt. Die Antworten
liegen jetzt vor. Ich kann nur sagen: Die Antworten sind
unsäglich. In der Regel wird nur aus dem Gesetzentwurf
zitiert, oder es wird überhaupt nicht geantwortet. Gehalt-
volle und juristische Begründungen, Erläuterungen oder
Beispiele fehlen. Für das Bundesverfassungsgericht je-
denfalls werden solche Antworten nicht reichen. Das
wird Karlsruhe nicht durchgehen lassen. Warum das
Ministerium dafür eine Fristverlängerung benötigte und
insgesamt sechs Wochen gebraucht hat, kann ich absolut
nicht nachvollziehen. Überzeugende Antworten sehen
anders aus.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das kennt man leider!)


In ihrer Antwort schreibt die Bundesregierung bei-
spielsweise – wieder ohne Begründung –, das Tarifein-
heitsgesetz sei lediglich eine Ausgestaltung der Koali-
tionsfreiheit. Mit dieser Auffassung steht sie ziemlich
alleine da. Es wurde schon gesagt: Namhafte Rechtsex-
perten wie Di Fabio, Dieterich, Gerhart Baum, Däubler,
der Deutsche Anwaltverein und insbesondere der Wis-
senschaftliche Dienst, alle interpretieren den Gesetzent-
wurf als Eingriff in die Koalitionsfreiheit. Die Bundes-
regierung hat keine verfassungsrechtlichen Bedenken,
fast alle anderen aber schon. Das ist ignorant. So leicht-
fertig sollte man mit der Koalitionsfreiheit nicht umge-
hen; denn sie gehört immerhin zu den Grundprinzipien
unserer Demokratie.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Klaus Ernst [DIE LINKE])


Auch beim Streikrecht bleibt die Bundesregierung mit
ihren Antworten äußerst sparsam. Das zeigt: Bundesar-
beitsministerin Nahles drückt sich beim Streikrecht und
schiebt die Verantwortung zu den Gerichten. So sieht das
übrigens auch der Deutsche Anwaltverein. Ich zitiere
aus der Stellungnahme:

Will der Gesetzgeber verbindlich etwas zur Verhält-
nismäßigkeit von Arbeitskämpfen sagen, sollte
er … Kraft und Mut haben, so etwas im Gesetzes-
text zu regeln.

Recht hat er. Ich ergänze: Hände weg vom Streikrecht!


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Die gesetzliche Tarifeinheit stärkt auch nicht die Soli-
darität. Im Gegenteil: Sie verschärft die Konkurrenz
zwischen den Gewerkschaften. Natürlich werden die
kleinen Gewerkschaften dafür kämpfen, größer und
mächtiger zu werden. Immerhin bekommt der Gewinner
am Ende alles, vor allem einen gültigen Tarifvertrag.
Auch das ignoriert die Bundesregierung. Wenn sich etwa
der Marburger Bund für die Pflegekräfte öffnete, wäre
das laut Ministerium kein Problem. Aber genau so ent-
steht doch Konkurrenz. Genau so entsteht der Kampf um
die Mitglieder, zum Beispiel in jedem Krankenhaus.
Diese Konkurrenz entsteht auch, wenn Flächentarifver-
träge aufgrund der Mehrheitsverhältnisse in manchen
Betrieben verdrängt werden. Durch die Tarifeinheit ent-
steht nicht Solidarität, sondern Häuserkampf. Frau
Ministerin, Sie wissen anscheinend nicht, was Sie tun.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Ich habe in der Kleinen Anfrage natürlich ein paar
Daten abgefragt: die Zahl der kollidierenden Tarifver-
träge und auch, wie viele davon durch Kooperationen
aufgelöst wurden, die Streikhäufigkeit oder neue Berufs-
gewerkschaften. Die Antworten waren: keine Informa-
tionen, keine Angaben, keine Erkenntnisse. – Die Bun-
desregierung plant also ein verfassungswidriges Gesetz
und weiß nicht einmal, warum.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Klaus Ernst [DIE LINKE] – Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Geisterfahrer! Blindflug!)


Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, wir wissen
alle: Die Tarifpolitik der Gewerkschaften lebt von Soli-
darität. Tarifpluralität erfordert deshalb Kooperationen
zwischen den Gewerkschaften. Solidarität lässt sich aber
nicht verordnen und schon gar nicht gesetzlich erzwin-
gen. Das ist im Übrigen auch nicht Aufgabe der Politik,
sondern Aufgabe der Gewerkschaften.

Wir Grüne stehen bei diesem Thema weder auf der
Seite der DGB-Gewerkschaften noch auf der Seite der
Berufsgewerkschaften, sondern ausschließlich auf der
Seite der Verfassung. Genau das erwarten wir von Ihnen
von den Regierungsfraktionen. Stoppen Sie also dieses
verfassungswidrige Gesetz. Noch haben Sie dafür Zeit.

Vielen Dank.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der LINKEN)







(A) (C)



(D)(B)


Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1809109600

Als nächster Redner spricht Bernd Rützel von der

SPD-Fraktion.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Bernd Rützel (SPD):
Rede ID: ID1809109700

Liebe Frau Müller-Gemmeke, ich glaube, jeder in die-

sem Hause wie auch in den Länderparlamenten, Stadt-
räten und Gemeinderäten steht immer auf der Seite der
Verfassung.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das werden wir sehen!)


Sehr verehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen
und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Lo-
sung „Ein Betrieb – ein Tarifvertrag“ ist fast so alt wie
die Gewerkschaften selber. Dies ist seit jeher eine ele-
mentare Forderung der Arbeitnehmerseite gewesen. Es
geht darum, für gleiche Arbeit im Betrieb gleiche Bezah-
lung und auch gleiche Bedingungen zu gewährleisten.
Es geht um die Solidarität der Beschäftigten untereinan-
der. Worum es jetzt geht und wofür wir Politiker sorgen
müssen, ist, die Zuständigkeiten zu klären. Für mich ist
entscheidend, dass dies nicht auf Kosten der Arbeitneh-
mervertretungen geschieht.

Lieber Klaus Ernst, Ihr Vortrag war, wie so oft, emo-
tional, und Sie haben wie mancher andere gesagt: Es
wird ins Streikrecht eingegriffen.


(Klaus Ernst [DIE LINKE]: Ja! Selbstverständlich!)


Das trifft nicht zu.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Es wird nicht ins Streikrecht eingegriffen.


(Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das wissen Sie doch heute überhaupt nicht! Das wird vor Gericht entschieden!)


Sie haben kurz darauf gesagt, dass es in der Verant-
wortung der Arbeitsgerichte liegt, die Verhältnismäßig-
keit eines Streiks zu beurteilen. Das war und ist der Fall,
und das wird auch in Zukunft so bleiben.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Als Jugendvertreter habe ich seinerzeit die Interessen
der Auszubildenden im Betrieb vertreten. Später wurde
ich freigestellter Betriebsrat. Deshalb weiß ich um die
Bedeutung der Tarifautonomie und darum, was wir ihr
zu verdanken haben. Was den vorliegenden Gesetzent-
wurf angeht, hat Bundesministerin Andrea Nahles die-
sen Weg sehr schön und deutlich skizziert.

Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1809109800

Herr Kollege Rützel, lassen Sie eine Zwischenfrage

zu?


Bernd Rützel (SPD):
Rede ID: ID1809109900

Ja.


Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1809110000

Herr Ernst.


(Dr. Matthias Zimmer [CDU/CSU]: Erst fragen, von wem!)



Klaus Ernst (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1809110100

Lieber Bernd Rützel, die Frage, ob in das Streikrecht

eingegriffen wird, ist die Kernfrage bei dem Gesetzent-
wurf.


(Peter Weiß [Emmendingen] [CDU/CSU]: Nein! Weil da nichts geregelt wird!)


Würdest du mir zustimmen, dass dann, wenn eine Ge-
werkschaft nicht mehr durch Streik einen Tarifvertrag
erreichen kann, ein Eingriff in das Streikrecht gegeben
ist, auch wenn nicht ausdrücklich von einem Verbot des
Streikrechts die Rede ist?

Würdest du mir zustimmen, dass die derzeitige Recht-
sprechung, nach der ein Streik nur dann zulässig ist,
wenn er der Erzielung eines Tarifvertrags dient, dann
nicht mehr möglich wäre aufgrund der Tatsache, dass
eine kleinere Gewerkschaft keinen Tarifvertrag mehr
erreichen kann, weil der Tarifvertrag der größeren Ge-
werkschaft gilt?

Würdest du mir zustimmen, dass dieser Umstand
dazu führt, dass diese kleinere Gewerkschaft faktisch
nicht mehr streiken kann und wird? Sie wird nicht mehr
streiken, weil sich die einzelnen Mitglieder sicherlich
fragen werden, warum sie streiken sollen, wenn das, was
sie erreichen wollen, ohnehin nicht dabei herauskommen
wird und vor allem auch nicht mehr herauskommen
kann. Denn ein solcher Streik würde selbstverständlich
von jedem Arbeitsgericht untersagt, weil er nicht den
rechtlichen Rahmenbedingungen der Republik ent-
spricht, und es könnten auch Schadensersatzklagen der
Arbeitgeber drohen, die dazu führen, dass diese Gewerk-
schaft sozusagen gekillt wird.

Würdest du mir zustimmen, dass das in dem Gesetz-
entwurf so geregelt ist, wie ich es gerade dargelegt habe?


Bernd Rützel (SPD):
Rede ID: ID1809110200

Da wurde mit vielen Konjunktiven beschrieben, was

alles passieren würde und könnte. Ich möchte den Weg
des Gesetzes aufzeigen, den auch Andrea Nahles klarge-
stellt hat. Wenn es letztlich zu einer Tarifkollision
kommt, wenn sich also zwei Gewerkschaften auf einer
Wiese tummeln, sich um die gleiche Arbeitnehmer-
gruppe kümmern und unterschiedliche Tarifverträge ab-
schließen wollen, muss es möglich sein, festzustellen,
wessen Tarifvertrag gilt. Sonst bleibt es nicht beim Streit
zwischen Gewerkschaften und Arbeitgeber, was die So-
zialpartnerschaft in Deutschland jahrzehntelang stark ge-





Bernd Rützel


(A) (C)



(D)(B)

macht hat, sondern dann kommt es verstärkt zum Streit
zwischen einzelnen Gewerkschaften.


(Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das gibt es doch auch mit dem Gesetz!)


Aber bis es so weit kommt, sind in diesem Gesetz ganz
viele Sachen vorgeschaltet. Ich kann Tarifgemeinschaf-
ten bilden,


(Rudolf Henke [CDU/CSU]: Dafür brauche ich kein Gesetz! Das kann ich jetzt auch!)


ich kann mich zusammenschließen, ich kann einen Tarif-
vertrag abschließen, und der Nächste kann Teile ergän-
zen. Ich kann meine Zuständigkeiten abstimmen und sa-
gen: Du bist für das zuständig, ich für jenes. – Die
kleinere Gewerkschaft kann den Tarifvertrag auch nach-
zeichnen. Es gibt also ganz viele Möglichkeiten für die
kleineren Gewerkschaften, zu ihrem Tarifvertrag zu
kommen. Das haben wir bis heute in Deutschland über
Jahrzehnte praktiziert.

Die Frage, ob jetzt eine kleine Gewerkschaft streiken
darf, wird auch von diesem Gesetz, wenn es denn verab-
schiedet wird, nicht entschieden. Die Gewerkschaft kann
natürlich streiken, wenn sie sich für zuständig hält und
glaubt, die Mehrheit zu haben. Dann muss natürlich fest-
gestellt werden, ob sie wirklich die Mehrheit der Mit-
glieder hat. Wir haben jetzt auch bei der Bahn gesehen,
wie die Diskussion ist.


(Beifall bei der SPD)


Der Weg, den wir mit diesem Gesetz hin zur Tarifplu-
ralität gehen, ist richtig. Das ist auch ein ganz wichtiger
Befriedungsfaktor. Das Gesetz hat also eine Befrie-
dungsfunktion. Es festigt gleichzeitig den Anspruch auf
Tarifautonomie, weil es zahlreiche Möglichkeiten
schafft, wie zwei Gewerkschaften eine Tarifkollision im
Betrieb aus eigener Kraft aufheben können. Ich finde es
richtig, wenn die Gewerkschaften interne Verteilungsfra-
gen zunächst einmal untereinander lösen, bevor sie mit
gemeinsamen Forderungen und einer gemeinsamen Stra-
tegie in die Verhandlungen mit dem Arbeitgeber gehen.


(Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Warum soll sich eine große Gewerkschaft darauf einlassen, wenn sie die Mehrheit hat?)


Das ist nicht nur meine Einschätzung; ich bin froh, dass
das auch die Einschätzung des Deutschen Gewerk-
schaftsbundes und ihres Vorsitzenden Reiner Hoffmann
ist, der immer wieder betont, wie wichtig die Geschlos-
senheit der Arbeitnehmervertretung ist. Deswegen ist
auch die Behauptung, die vorhin in der Zwischenfrage
geäußert wurde, die Gewerkschaften stünden nicht zu
dem Gesetz, falsch. Der Deutsche Gewerkschaftsbund
hat sich klar dazu positioniert. Auch ich weiß, dass es
die eine oder andere Gewerkschaft gibt, die das nicht so
gut findet.

Tarifautonomie und eine gute Sozialpartnerschaft sind
wichtige Eck- und Grundpfeiler der sozialen Marktwirt-
schaft. Sie haben wesentlich zum wirtschaftlichen Erfolg
Deutschlands beigetragen. Es ist gut und richtig, dass
man sich streitet, dass man kämpft, sich die Köpfe ein-
schlägt,


(Heiterkeit)


– das ist in Tarifverhandlungen so –, aber dann muss
man das Ganze befrieden. Man muss zu einem guten
Konsens kommen, damit wieder Frieden herrscht und
die Betriebe ihre Geschäfte machen können.


(Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das heizt den Streit an! Das befriedet nicht! Das ist Konkurrenz um die meisten Mitglieder!)


Konkurrierende Gewerkschaften schwächen das solida-
rische Miteinander und zersplittern Arbeitnehmervertre-
tungen. Gewerkschaften sind dann erfolgreich, wenn der
Stärkere auch für den Schwächeren kämpft. Wenn man
genau hinschaut, dann sieht man auch, dass der ver-
meintlich Stärkere, der vielleicht jetzt die dicken Ellen-
bogen hat, nicht ohne den vermeintlich Schwächeren
durchkommt und ohne ihn nichts erreichen kann. Solida-
rität ist auch ein Gedanke dieses Gesetzes.

Danke.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1809110300

Als nächste Rednerin hat die Kollegin Katja Keul das

Wort.


Katja Keul (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1809110400

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Es ist schon wirklich kurios: Da entscheidet
das Bundesarbeitsgericht im Juli 2010, dass der Zwang
zur Tarifeinheit mit Artikel 9 des Grundgesetzes nicht
vereinbar ist. Und was machen Sie von der Bundesregie-
rung? Sie legen uns einen Gesetzentwurf vor, in dem ge-
nau das steht, was das Grundgesetz nicht zulässt.


(Klaus Ernst [DIE LINKE]: Genau so ist es!)


Gleichzeitig behaupten Sie, Koalitionsfreiheit und
Streikrecht nicht zu beschneiden. Aber genau das
machen Sie, Frau Ministerin, mit Ihrer verordneten Ta-
rifeinheit.

Das Bundesarbeitsgericht hat schlüssig argumentiert.
Die kollektive Koalitionsfreiheit dürfe nicht dadurch
entwertet werden, dass man einen geschlossenen Tarif-
vertrag der Minderheitsgewerkschaft seiner Wirkung be-
raube. Das Bundesarbeitsgericht hat recht.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Nur die große Koalition, diesmal aus Arbeitgeberver-
bänden und großen Gewerkschaften, will das nicht
wahrhaben und ihre Interessen auf dem Rücken der klei-
nen Gewerkschaften durchsetzen.

Artikel 9 Grundgesetz gewährleistet das Vereini-
gungsrecht der Berufe vorbehaltlos und ohne Bezug auf
Mehrheitsberufe oder Ähnliches. Und jetzt kommen Sie





Katja Keul


(A) (C)



(D)(B)

und wollen uns erklären, die Minderheitsgewerkschaften
hätten ja Anhörungsrechte, und außerdem erlaubten Sie
ihnen ein Nachzeichnungsrecht, das es ermöglicht, an
dem Tarifabschluss der Mehrheitsgewerkschaft zu parti-
zipieren, wenn ihr bereits abgeschlossener Tarifvertrag
durch den neuen § 4 a Tarifvertragsgesetz – leider, lei-
der – verdrängt worden sei. Da werden die Arbeitnehmer
bestimmt sehr dankbar sein, dass sie sich nun dem – für
sie möglicherweise nachteiligen – Tarif der anderen Ge-
werkschaft unterordnen dürfen. Das ändert aber nichts
daran, dass Sie der Minderheitsgewerkschaft ihre Exis-
tenzberechtigung absprechen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der LINKEN)


Wer wird denn so irre sein und Beiträge an eine Gewerk-
schaft zahlen, die gar nicht wirksam verhandeln kann?
Die Arbeitnehmer werden so quasi gezwungen, die Ge-
werkschaft zu wechseln, wenn sie noch in irgendeiner
Weise Einfluss auf ihre Interessenvertretung haben wol-
len. Wenn das kein Eingriff in die individuelle Koali-
tionsfreiheit sein soll, was dann?


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Eine verfassungsrechtliche Rechtfertigung für einen
solchen Eingriff ist weit und breit nicht zu sehen. Es
droht weder eine Vervielfachung der Arbeitskämpfe
noch der Funktionsverlust der Friedenspflicht. Auch der
Betriebsfrieden wird nicht gefördert. Im Gegenteil: Die
Gewerkschaften müssen nun wesentlich härter Mitglie-
der anderer Gewerkschaften abwerben, um zu überleben,
nach dem Motto „The winner takes it all“.

Eine Gewerkschaft, die aufgrund des neuen § 4 a Ta-
rifvertragsgesetz keinen wirksamen Tarifvertrag aushan-
deln kann, wird zur Durchsetzung von Verhandlungen
auch keinen Streik führen können, da der ja nicht geeig-
net ist, das gewünschte Ziel zu erreichen. Eine solche
Gewerkschaft ist ihres Wesenskerns beraubt; sie ist nicht
mehr geeignet, die Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen
zu wahren und zu fördern, und ist damit keine Vereini-
gung mehr im Sinne des Grundgesetzes. Sie kann viel-
leicht noch Doppelkopfturniere oder gesellige Betriebs-
feste organisieren;


(Heiterkeit des Abg. Klaus Ernst [DIE LINKE])


das ist aber nicht das, was unser Grundgesetz mit „För-
derung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen“ ge-
meint hat.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie des Abg. Rudolf Henke [CDU/CSU])


Erfolgreiche Tarifverhandlungen kann nur derjenige
führen, dessen Tarif hinterher auch Anwendung findet.
Da Sie hier nicht zur Vernunft kommen, bleibt wieder
einmal nur das Verfassungsgericht.

Noch ein letztes Wort. Frau Nahles, die Tarifeinheit,
wie das Bundesarbeitsgericht sie vor 2010 gehandhabt
hat, war eine andere als die, die Sie verordnen. Damals
galt nämlich der Spezialitätsgrundsatz, und jetzt gilt der
Mehrheitsgrundsatz. Deswegen ist Ihr Vorgehen erst
recht verfassungswidrig.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie der Abg. Rudolf Henke [CDU/CSU] und Matthäus Strebl [CDU/CSU])



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1809110500

Als nächster Redner hat der Kollege Wilfried Oellers

das Wort.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Wilfried Oellers (CDU):
Rede ID: ID1809110600

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kollegin-

nen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Her-
ren! Im Jahre 2010 nahm das Bundesarbeitsgericht Ab-
stand von seiner bis dato geltenden Rechtsprechung zur
Tarifeinheit. Galten für einen Betrieb mehrere Tarifver-
träge, so wurde die Tarifkollision nach dem Grundsatz
der Spezialität gelöst. Die Regel lautete: Ein Betrieb –
ein Tarifvertrag. Dies gilt seit 2010 nun nicht mehr. We-
der das Gesetz noch die Rechtsprechung lösen derzeit
die Situation von Tarifkollisionen. Dies soll nun durch
das Tarifeinheitsgesetz geschehen.

Hierbei sind zwei wesentliche Grundsätze zu berück-
sichtigen und zu beachten: zum einen das Grundrecht
der Koalitionsfreiheit nach Artikel 9 Absatz 3 des
Grundgesetzes und zum anderen das hohe Gut des Be-
triebsfriedens. Beide Grundsätze sind es, die Deutsch-
land zu Wohlstand und wirtschaftlichem Erfolg verhol-
fen haben.

Der Gesetzentwurf sieht vor, Tarifkollisionen nach
dem Grundsatz des betrieblichen Mehrheitsprinzips zu
lösen. Dabei liegt eine Kollision nur dann vor, wenn sich
die Geltungsbereiche nicht inhaltsgleicher Tarifverträge
verschiedener Gewerkschaften überschneiden. Das
heißt, dass Vereinbarungen der betroffenen Gewerk-
schaften einer Lösung der Kollision nach dem Mehr-
heitsprinzip immer vorgehen. So können Gewerkschaf-
ten zum Beispiel ihre Zuständigkeiten untereinander
abstimmen und ihre Tarifverträge im Rahmen einer ge-
willkürten Tarifpluralität regeln und abklären.


(Klaus Ernst [DIE LINKE]: Das können sie jetzt auch schon!)


Gewerkschaften können in Tarifgemeinschaften Tarif-
verträge aushandeln oder inhaltsgleiche Tarifverträge
abschließen, ohne in einer Tarifgemeinschaft verbunden
zu sein. Sie können auch den Tarifvertrag einer anderen
Gewerkschaft im Rahmen eines Anschlusstarifvertrags
nachzeichnen, oder sie können verbandsinterne Kon-
fliktlösungsverfahren nutzen.


Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1809110700

Herr Oellers, lassen Sie eine Zwischenfrage der Kol-

legin Müller-Gemmeke zu?






(A) (C)



(B)


Wilfried Oellers (CDU):
Rede ID: ID1809110800

Ja, gerne.


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Vielen Dank, Herr Kollege, dass ich die Frage stellen
darf. – Es geht die ganze Zeit darum, was das Gesetz
überhaupt bewirkt bzw. warum das Gesetz gemacht
wird. Als Grund werden die vielen Kollisionen von
Tarifverträgen genannt. Sie haben eben all die Möglich-
keiten aufgezählt, die Gewerkschaften haben, sich zu ei-
nigen. Das ist Realität; dafür braucht man kein Gesetz.

Ich möchte nachfragen: Wie viele Tarifkollisionen
gibt es eigentlich, die dazu führten, dass das Gesetz ge-
macht wird? Vorhin habe ich gesagt, dass ich dazu auf
die Kleine Anfrage keine Antwort bekommen habe. Ich
kenne genau zwei Kollisionen. Die Piloten haben keine
Kollision; denn sie haben keine Konkurrenz. Bei den
Ärzten gibt es eine Tarifkollision. Da gibt es aber mo-
mentan keine Probleme, sondern da werden einfach die
unterschiedlichen Tarifverträge angewandt. Wenn das
Tarifeinheitsgesetz kommt, werden dort die Probleme
erst richtig anfangen. Momentan gibt es jedoch eine
echte Kollision, und zwar bei der Bahn. Früher haben
sich EVG und GDL besprochen und einen Rahmenver-
trag abgeschlossen. Dieser wurde dann aufgelöst. Ich
glaube, wenn es das Gesetz nicht geben würde, hätten
wir auch in diesem Bereich weniger Probleme.

Meine Frage lautet: Wie viele tatsächliche Kollisio-
nen kennen Sie? Warum wird das Gesetz gemacht? Kann
es sein, dass das Gesetz nur wegen der Bahn gemacht
wird?


(Beifall der Abg. Klaus Ernst [DIE LINKE] und Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])



Wilfried Oellers (CDU):
Rede ID: ID1809110900

Das Gesetz wird sicherlich nicht nur wegen der Bahn

gemacht. Der aktuelle Streik ist auch ein Zuständigkeits-
streit, auf den ich gleich eingehen werde. Der Gesetzge-
ber hat aber vor allem dann vorsorglich zu handeln,
wenn – wie dargelegt – die Tarifpartner eine entspre-
chende Bitte an den Gesetzgeber herantragen. Es sind
die Gewerkschaften unter dem Dach des DGB genannt
worden, die damit nicht einverstanden sind. Insgesamt
aber liegt es an den Tarifpartnern, ob ein solcher Tarif-
vertrag gewünscht wird.


(Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wie viele Kollisionen gibt es denn jetzt?)


Es gilt sicherlich, bestimmte Fälle vorsorglich zu regeln.


(Klaus Ernst [DIE LINKE]: Wie viele Fälle kennen Sie? – Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie haben die Frage nicht beantwortet!)


– Wenn Sie das so sehen, müssen Sie das so zur Kennt-
nis nehmen.

Ich will aber fortfahren. Von Herrn Ernst wurde ein-
geworfen, dass es all die Möglichkeiten, die ich aufge-
zählt habe, schon gibt. Ich will betonen, dass gerade
diese Möglichkeiten den Gewerkschaften weiterhin zur
Verfügung stehen. Nur in einem Konfliktfall, der nicht
gelöst werden kann, greift erst einmal subsidiär die Kol-
lisionsregel der Tarifeinheit nach dem Mehrheitsprinzip.
Diese Regelung führt dazu, dass die Solidarität der Be-
legschaft untereinander gestärkt wird.


(Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein, das Gegenteil ist der Fall! Der Streik der GDL ist eine Folge davon!)


Schlüsselpositionen im Betriebsablauf, die ein höheres
Druckpotenzial im Hinblick auf den Arbeitgeber darstel-
len, können somit nicht lediglich zum eigenen Vorteil
und damit zulasten der anderen Kolleginnen und Kolle-
gen genutzt werden. Dies dient dem Schutz der Schwä-
cheren, verhindert innerbetriebliche Verteilungskämpfe
und dient dem hohen Gut des Betriebsfriedens.

Das Arbeitskampfrecht wird entgegen anderer Auf-
fassung hier im Haus durch diese Regelung nicht geän-
dert. Die Entscheidung, ob ein Arbeitskampf rechtmäßig
ist oder nicht, liegt nach wie vor bei den Arbeitsgerich-
ten, die die Verhältnismäßigkeit und damit auch die
Rechtmäßigkeit eines Streiks in jedem Einzelfall zu prü-
fen haben. Im Rahmen dieser Verhältnismäßigkeitsprü-
fung sind sämtliche Umstände zu berücksichtigen, neben
dem Grundsatz der Tarifeinheit Strukturen des Arbeitge-
bers sowie die Reichweite von Tarifverträgen. Nur in
den seltensten Fällen haben die Arbeitsgerichte in der
Vergangenheit einen Streik für unverhältnismäßig er-
klärt. Selbst beim Streik der Vorfeldbeschäftigten am
Frankfurter Flughafen im Jahr 2012 sah das Arbeitsge-
richt weniger Probleme bei der Verhältnismäßigkeit.
Vielmehr lag hier ein Verstoß gegen die Friedenspflicht
vor, da noch ein gültiger Tarifvertrag bestand.


(Klaus Ernst [DIE LINKE]: Eine Frage, ganz kurz! Ein Satz!)


Für verhältnismäßig hielt das Arbeitsgericht Berlin im
Jahr 2013 gar einen Streik von angestellten Lehrern an
einem Tag, an dem Abiturprüfungen für einen Leis-
tungskurs stattfanden. An diesen Beispielen sieht man
deutlich, welche Maßstäbe die Rechtsprechung bei der
Verhältnismäßigkeit setzt.

Über die Frage der Verfassungsmäßigkeit wird inten-
siv diskutiert. Die Verfassungsressorts sowie die Juristen
des Kanzleramts und des Arbeitsministeriums haben den
Gesetzentwurf für verfassungsgemäß gehalten; er ist
verabschiedet worden. Ebenfalls – auch das sei er-
wähnt – hat der Bundesrat in seiner ersten Lesung keine
Einwendungen gegen den Gesetzentwurf erhoben. Es sei
deutlich betont, dass alle in diesem Hause vertretenen
Parteien auch im Bundesrat vertreten sind.


Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1809111000

Herr Oellers, lassen Sie eine weitere Zwischenfrage

– eine Frage, einen Satz – vom Kollegen Ernst zu?


Wilfried Oellers (CDU):
Rede ID: ID1809111100

Gerne.

(D)







(A) (C)



(D)(B)


Klaus Ernst (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1809111200

Ich mache es wirklich ganz kurz. – Sie stellen den Be-

triebsfrieden mit dem Koalitionsrecht gleich; das Koali-
tionsrecht ist in Artikel 9 des Grundgesetzes geregelt.
Wo finden wir im Grundgesetz den Betriebsfrieden?


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Das war wirklich ein Satz, Frau Präsidentin! – Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das kann man mit einem Satz beantworten! – Peter Weiß [Emmendingen] [CDU/ CSU]: Das steht im Verfassungsgerichtsurteil! – Karl Schiewerling [CDU/CSU]: In der Verfassung steht kein Kulturgut, aber das ist eines!)



Wilfried Oellers (CDU):
Rede ID: ID1809111300

Herr Ernst, das war nur eine Frage, ein Satz. Vielen

Dank. – Diese Frage haben wir schon im Rahmen der
letzten Diskussion über dieses Thema in diesem Hause
beantwortet. Sicherlich ist die Koalitionsfreiheit in der
Verfassung geregelt. Das hohe Gut des Betriebsfriedens
hat sich aus der Tarifpolitik an sich herausgebildet und
ist hier sicherlich auch zu berücksichtigen.


(Beifall des Abg. Karl Schiewerling [CDU/ CSU] – Klaus Ernst [DIE LINKE]: Also nicht in der Verfassung! Sie kennen keinen Artikel in der Verfassung, wo das drinsteht?)


– Ich habe Ihre Frage gerade beantwortet.


(Klaus Ernst [DIE LINKE]: Okay! Damit ist das beantwortet, oder?)


Sicherlich gibt es in der derzeitigen Diskussion auch
kritische Stimmen zu dem Gesetzentwurf. In der Litera-
tur gibt es aber auch befürwortende Stimmen zu diesem
Gesetzentwurf. Diese Diskussion zeigt vor allen Dingen,
dass Juristen bei derartigen Fragen nicht immer einer
Meinung sind. Der Gesetzentwurf stellt eine Ausgestal-
tung der Tarifautonomie dar und keinen Eingriff in die-
selbige. Die Sicherstellung der Funktionsfähigkeit der
Tarifautonomie ist das legitime Ziel dieses Gesetzes.
Dies wird vor allen Dingen dadurch deutlich, dass die
Regelung der Tarifeinheit subsidiär greift und den Ge-
werkschaften alle Lösungen ermöglicht, die ich bereits
ausgeführt habe. Darüber hinaus steht den Minderheits-
gewerkschaften im Falle einer Kollisionslösung durch
den Grundsatz der Tarifeinheit ein Anhörungs- und ein
Nachzeichnungsrecht zu.

Mit diesem Gesetzentwurf werden Zuständigkeitsfra-
gen geregelt und damit Kollisionssituationen geklärt.


(Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was es in vielfältiger Weise gibt!)


Dies dient insbesondere der Solidarität innerhalb der Be-
legschaft und der Sicherstellung der Funktionsfähigkeit
der Tarifautonomie. Auseinandersetzungen über Zustän-
digkeitsfragen sind vor allem für die Bürgerinnen und
Bürger nicht nachvollziehbar. Deswegen wollen die
Menschen, dass diese Fragen beantwortet werden. Vor
2010 hat das mit der damaligen Rechtsprechung funktio-
niert,


(Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das war ein anderes Prinzip! Ist doch logisch, dass das funktioniert!)


wenn auch gewiss unter anderen Voraussetzungen. Doch
eines bleibt in jeder Konstellation gleich: Die beste Lö-
sung bei einer Streitfrage bzw. einer Kollision ist, sich zu
einigen, auch wenn der Weg dorthin schwer sein kann.
Hierzu leistet das Gesetz seinen Beitrag.

Vielen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1809111400

Als nächste Rednerin hat Jutta Krellmann von der

Fraktion Die Linke das Wort.


(Beifall bei der LINKEN)



Jutta Krellmann (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1809111500

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen

und Kollegen! Zur Verfassungswidrigkeit hat Professor
Däubler im Auftrag unserer Fraktion ein Gutachten er-
stellt; mein Kollege Klaus Ernst hat das eben bereits er-
wähnt. Wie Professor Däubler warnt eine große Zahl von
Arbeitsrechtlern und anderen Juristen ausdrücklich vor
diesem Gesetz. Aber diese Bundesregierung ist in die-
sem Zusammenhang echt beratungsresistent.


(Kerstin Griese [SPD]: Unglaublich, was Sie sagen! – Karl Schiewerling [CDU/CSU]: Nur gegenüber Gutachten, die von der Linken kommen!)


Dass Sie politisch nicht auf uns hören, kann ich ja ver-
stehen. Geschenkt! Dass Sie aber eine ganze Menge an-
derer Juristen und Arbeitsrechtler ignorieren, kann ich
im Grunde nicht verstehen.


(Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Aber wundern tut es einen nicht!)


An dieser Stelle herrscht kollektive Ignoranz.


(Beifall bei der LINKEN)


Zukünftig wird Gewerkschaftsarbeit, insbesondere
die der kleineren Gewerkschaften, erschwert. Deswegen
laufen diese Gewerkschaften gerade Sturm, teilweise vor
Ihren Parteizentralen, wie ich mitbekommen habe. An
der Basis der Industriegewerkschaften wurde dieses Ge-
setz nie wirklich diskutiert: weder in Tarifkommissionen
noch in Bezirken noch auf einer Betriebsversammlung
vor Ort mit den Beschäftigten.


(Dr. Martin Rosemann [SPD]: Bei Verdi auch nicht!)


Die Leute, die ich in den Betrieben treffe, wollen sich
und anderen das Streikrecht nicht nehmen lassen.


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN – Dr. Martin Rosemann [SPD]: Die Mitglieder Jutta Krellmann fragen! – Gegenruf des Abg. Klaus Ernst [DIE LINKE]: Die können wir fragen!)





(A) (C)


(D)(B)


Ich kann das wirklich nicht verstehen, Frau Nahles.
Sie sind doch angetreten, um die Tarifautonomie zu stär-
ken und um den Betriebsfrieden wiederherzustellen. Mit
diesem Gesetzentwurf erreichen Sie genau das Gegen-
teil, und zwar zum Nachteil der Beschäftigten.


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)


Die Tarifautonomie muss ohne einen Eingriff in das
Streikrecht gestärkt werden. Das ist beispielsweise durch
die Ausweitung betrieblicher Mitbestimmung möglich.
Im Gesetzentwurf steht davon nichts.


(Bernd Rützel [SPD]: Er ist doch gut!)


Neben einem Mitbestimmungsrecht der Betriebsräte bei
Leiharbeit und Werkverträgen ist ein erweitertes Mitbe-
stimmungsrecht bei wirtschaftlichen Angelegenheiten,
zum Beispiel beim Outsourcing, absolut notwendig.


(Beifall bei der LINKEN)


Das wäre einmal ein Lösungsansatz, der nach vorne ge-
richtet ist und die Beschäftigten beteiligt, statt sie auszu-
schließen.

Eine weitere Möglichkeit setzt direkt bei den Arbeit-
gebern an. Sie sollten sich in ihren Verbänden organisie-
ren. Aber dann muss es auch so weit gehen, dass gesetz-
lich dafür gesorgt wird, dass geltende Tarifverträge
angewandt werden. Ich meine, bei einer echten Erleich-
terung der Allgemeinverbindlichkeitserklärung von Ta-
rifverträgen ist noch ganz viel Luft nach oben. Da
müsste noch viel gemacht werden. Schluss mit OT-Mit-
gliedschaften!


(Beifall bei der LINKEN)


Ziel von Tarifverträgen ist es seit jeher, Konkurrenz auf
der Basis von Löhnen auszuschließen. Dazu brauchen
wir ein Streikrecht. Das gerät immer mehr aus dem
Blick. Im Grunde ist es die Aufgabe des Gesetzgebers,
die politischen Rahmenbedingungen zu stärken, damit
die Beschäftigten selbst – gemeinsam mit ihren Gewerk-
schaften – die Tarifeinheit durchsetzen.

Frau Nahles, das sind zwei wirksame Vorschläge zur
Stärkung der Tarifautonomie. Meine Liste ist noch lang.
Was auf dieser Liste an keiner Stelle steht, ist ein Gesetz
zur Herstellung der Tarifeinheit. Ihr Gesetz schwächt
langfristig alle Gewerkschaften. Davon bin ich felsenfest
überzeugt. Gerade deswegen sind Arbeitgeber so dahin-
terher, dass es zu einem solchen Gesetzentwurf kommt.

Ich kann die SPD nur warnen: Lassen Sie die Finger
weg! Hände weg vom Streikrecht!


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Kommen Sie endlich zur Vernunft, und stoppen Sie die-
ses Gesetz, damit es gar nicht erst so weit kommt, dass
wir darüber abstimmen müssen!

Vielen Dank.


(Beifall bei der LINKEN)


Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1809111600

Als nächster Redner hat Ralf Kapschack von der

SPD-Fraktion das Wort.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Ralf Kapschack (SPD):
Rede ID: ID1809111700

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Liebe Zuschauer! Liebe Zuhörer! „Ein Arbeitnehmer ist
auf die Mitgliedschaft in der Gewerkschaft angewiesen,
wenn er im sozialen Bereich angemessen und schlag-
kräftig repräsentiert sein will.“ Das stammt nicht aus
dem Grundsatzprogramm der SPD oder einer Broschüre
des Deutschen Gewerkschaftsbundes, sondern aus einer
Urteilsbegründung des Bundesgerichtshofs von 1984.
Daran wird deutlich, welch hohen Stellenwert Gewerk-
schaften in unserem Land haben. Deshalb genießen sie
auch einen besonderen Schutz.


(Beifall bei der SPD)


Gewerkschaften haben aber auch eine besondere Ver-
antwortung. Es ist für mich selbstverständlich, dass Ge-
werkschaften für höhere Löhne, für kürzere Arbeitszei-
ten, für bessere Arbeitsbedingungen streiken können
– ich bin ja schließlich auch seit meinem ersten Arbeits-
tag Gewerkschaftsmitglied –; das steht für mich völlig
außer Frage. Aber es geht nicht, dass eine Spartengewerk-
schaft – wie in den vergangenen Wochen und Monaten –
versucht, ihren Einflussbereich in Konkurrenz zu ande-
ren Gewerkschaften auf Kosten Hunderttausender unbe-
teiligter Fahrgäste auszuweiten – koste es, was es wolle.


(Beifall bei der SPD)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Auseinanderset-
zung bei der Bahn ist wahrlich keine Katastrophe; aber
sie ist aus meiner Sicht ein Hinweis darauf, dass da eini-
ges im Argen liegt.


(Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Also geht es doch ums Streikrecht!)


Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf werden die Spiel-
regeln für Tarifauseinandersetzungen präzisiert.


(Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es geht ums Streikrecht!)


Ich bin mir sicher, dass gerade bei diesem sensiblen
Thema die Bundesregierung die Verfassungsmäßigkeit
ihres Gesetzentwurfs sehr sorgfältig geprüft hat. Ich
glaube auch nicht, dass es verfassungswidrig ist, wenn
wir verhindern wollen, dass Arbeitnehmerinnen und Ar-
beitnehmer in den Betrieben gegeneinander in Wettbe-
werb treten, dass sie im Kampf um bessere Arbeitszeiten
oder bessere Löhne gegeneinander ausgespielt werden.


(Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das verändert das Gesetz aber nicht!)


Das ist die Grundbotschaft dieses Gesetzes: „Ein Betrieb –
ein Tarifvertrag“. Konkurrierende Tarifverträge werden
nach dem Mehrheitsprinzip behandelt. So ist sicherge-





Ralf Kapschack


(A) (C)



(D)(B)

stellt, dass zwei Personen für die gleiche Arbeit nicht un-
terschiedlich entlohnt werden, nur weil sie unterschiedli-
chen Gewerkschaften angehören.


(Klaus Ernst [DIE LINKE]: Oder gar keiner!)


Es wird auch in Zukunft problemlos möglich sein, dass
Gewerkschaften ihre jeweilige Zuständigkeit abstimmen
oder gemeinsam in einer Tarifgemeinschaft einen Tarif-
vertrag verhandeln.

Mit dem Argument der Verfassungswidrigkeit ist in
dieser Debatte schon viel gearbeitet worden; damit ist
man schnell bei der Hand. Es gibt für diese Position auch
prominente Zeugen. Aber es gibt genauso prominente
Zeugen dafür, dass der vorliegende Entwurf natürlich
mit dem Grundgesetz vereinbar ist. Ich nenne zum Bei-
spiel den ehemaligen Präsidenten des nordrhein-westfä-
lischen Verfassungsgerichtshofs Michael Bertrams. Er
argumentiert, das Mehrheitsprinzip sei ein überragendes
Prinzip unserer Verfassung, das es dem Gesetzgeber er-
laube, diesem Prinzip auch im Tarifrecht Geltung zu ver-
schaffen, gerade auch was die oft angesprochene Aus-
wirkung auf das Streikrecht angeht. Also wäre ich
vorsichtig, pauschal mit dem Argument der Verfassungs-
widrigkeit zu arbeiten.

Der Marburger Bund hat angekündigt, dass er gegen
das Gesetz, sollte es verabschiedet werden – so sieht es
aus –, beim Bundesverfassungsgericht Klage einreichen
wird. Das ist sein gutes Recht – völlig klar! Das Verfas-
sungsgericht stellt im Zweifel verbindlich fest, ob Ge-
setze mit der Verfassung vereinbar sind oder nicht, aber
niemand sonst – weder Sie noch der Marburger Bund
noch ich. Dafür haben wir ein geregeltes Verfahren beim
Bundesverfassungsgericht. Ich bin da guter Dinge.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU – Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber wir dürfen schon selber denken und reden?)


– Ja. Ich stelle das Nachdenken ja auch nicht ein; das
mache ich doch gar nicht.


(Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Okay, gut!)


Ich bin trotzdem guter Dinge, weil ich fest davon über-
zeugt bin, dass das Ministerium zusammen mit den Ver-
fassungsressorts sehr sorgfältig gearbeitet hat.

Zum Schluss ein kurzer Hinweis zu dem Satz – das ist
immer angesprochen worden –, das neue Gesetz würde
die Gewerkschaften schwächen: Das sieht zumindest die
Mehrheit der deutschen Gewerkschaften ganz anders.


(Beifall bei der SPD – Zuruf des Abg. Klaus Ernst [DIE LINKE])


– Wie das manchmal so ist im Leben, Klaus: Ich bin für
dieses Gesetz, meine Gewerkschaft Verdi ist dagegen.
Du bist in der IG Metall, bist gegen dieses Gesetz, aber
deine Gewerkschaft ist dafür.


(Klaus Ernst [DIE LINKE]: Nur die zwei Vorsitzenden, nicht die Gewerkschaft!)


Manchmal ist das Leben bunt und kompliziert.

(Beifall bei der SPD)


Auch der DGB hat den Gesetzentwurf begrüßt und ei-
nige konstruktive Änderungsvorschläge gemacht, über
die im Laufe der Beratungen sicherlich noch zu reden
sein wird.

Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1809111800

Der Abgeordnete Henke hat das Wort zu einer Kurz-

intervention.


Rudolf Henke (CDU):
Rede ID: ID1809111900

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Meine Damen und Herren! Ich würde, weil jetzt so viel
von der Verfassungsproblematik die Rede war, gerne den
Blick auf das lenken, was Frau Ministerin Nahles in der
Debatte eingangs hervorgehoben hat, nämlich dass es
sich bei der Koalitionsfreiheit um ein Grundrecht han-
delt. Sie hat dann dazugesagt: Es ist nicht nur ein Frei-
heitsrecht. – Ich würde sagen: Kein Recht ist nur ein
Freiheitsrecht, sondern jedes Recht muss immer in Ver-
antwortung – das heißt auch: in Verantwortung vor ande-
ren – ausgeübt werden. Aber es ist eben auch ein Frei-
heitsrecht.

Ich will den Wortlaut von Artikel 9 Absatz 3 Grund-
gesetz noch einmal in Erinnerung rufen:

Das Recht, zur Wahrung und Förderung der Ar-
beits- und Wirtschaftsbedingungen Vereinigungen
zu bilden, ist für jedermann und für alle Berufe ge-
währleistet. Abreden, die dieses Recht einschrän-
ken oder zu behindern suchen, sind nichtig, hierauf
gerichtete Maßnahmen sind rechtswidrig.


(Beifall bei der LINKEN)


Auch in Artikel 19 Absatz 2 Grundgesetz heißt es:

In keinem Falle darf ein Grundrecht in seinem We-
sensgehalt angetastet werden.


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Wesensgehalt!)


Die Frage ist jetzt, ob ein Beruf, der im Betrieb natür-
lich immer eine Minderheit darstellt, nicht genau den
Wesensgehalt der Zusage aus Artikel 9 Absatz 3 Grund-
gesetz einbüßt, wenn man sagt: Wir machen das Grund-
recht der Koalitionsfreiheit von der Bedingung des Vor-
liegens einer betrieblichen Mehrheit abhängig.


(Klaus Ernst [DIE LINKE]: Genau!)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Tatsache, dass
das ein Grundrecht ist, hebt die Koalitionsfreiheit und
damit das Regelungsrecht der Arbeits- und Wirtschafts-
bedingungen auf das gleiche Niveau wie die Freiheit der
Meinung, der Kunst und der Wissenschaft, wie die Glau-
bens- und Gewissensfreiheit, wie die Versammlungsfrei-
heit, wie das Recht der Freizügigkeit, wie die Berufsfrei-
heit und wie das Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnis.
Wenn man die Koalitionsfreiheit zur Disposition einer
Mehrheit stellt, dann wird dieses Recht im Kern so ver-





Rudolf Henke


(A) (C)



(D)(B)

letzt, dass sich der Bundestag zurückhalten sollte, dies
zu tun.

Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1809112000

Herr Kollege Kapschack.


Ralf Kapschack (SPD):
Rede ID: ID1809112100

Das war die Rede des Chefs des Marburger Bundes.


(Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, und? Das gibt es doch gar nicht!)


Das ist ja auch völlig in Ordnung.


(Michael Schlecht [DIE LINKE]: Er hat das Grundgesetz vorgelesen! Das vergessen manche hier! – Gegenruf des Abg. Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Herr Schlecht, dass Sie sich zum Grundgesetz melden, das ist eine Frechheit! – Weitere Zurufe)


– Darf ich zu Ende reden?


Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1809112200

Ich darf die Kollegen um Ruhe bitten. Der Kollege

Kapschack hat jetzt das Wort als Reaktion auf die Inter-
vention vom Kollegen Henke.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Volker Kauder [CDU/CSU]: Jetzt spricht Verdi!)



Ralf Kapschack (SPD):
Rede ID: ID1809112300

So. – Ich bin bei Verdi, Sie sind beim Marburger

Bund; alles ist in Ordnung.


(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Damit ist alles gesagt! – Zuruf der Abg. Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


– Doch, ich bleibe dabei.

Ich kann nur das wiederholen, was ich eben gesagt
habe: Ich bin der Meinung, dass wir die Koalitionsfrei-
heit nicht antasten. Wir regeln die tarifliche Auseinan-
dersetzung neu, aber wir greifen nicht in Grundrechte
ein; da sind wir unterschiedlicher Meinung. Ich vermute,
dass diese Frage letztendlich vom Bundesverfassungsge-
richt geklärt werden wird.

Das, was Sie zitiert haben, ist völlig in Ordnung. Ich
muss ja nicht das Grundgesetz interpretieren oder Ihr Zi-
tat werten. Wir als Koalition handeln. Auch Sie sind Teil
dieser Koalition, und aus Ihrer Fraktion gab es den be-
sonders starken Wunsch, Regelungen in dieser Art und
Weise vorzunehmen. Es wäre vielleicht sinnvoll, in die
eigene Fraktion zu wirken.

(Rudolf Henke [CDU/CSU]: Habe ich doch gerade! Alle haben zugehört!)


Was Ihre Kritik angeht: Ich habe meine Position dar-
gelegt. Ich halte den vorliegenden Gesetzentwurf für
verfassungsgemäß. Ob das so ist, darüber wird, wie ge-
sagt, möglicherweise das Verfassungsgericht entschei-
den. Dafür gibt es Regeln.


(Beifall bei der SPD)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1809112400

Wir fahren in der Debatte fort. Als nächster Redner

hat Stephan Stracke von der CDU/CSU-Fraktion das
Wort.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Stephan Stracke (CSU):
Rede ID: ID1809112500

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Koalitionsfreiheit und Tarifautonomie sind ein
hohes Gut, konstitutiv für die soziale Marktwirtschaft,
unverzichtbar für die Wirtschaftsordnung in Deutsch-
land.

Kollege Henke hat eben das Grundgesetz zitiert. Ich
kann nur sagen: Es ist immer gut, im Grundgesetz nach-
zulesen. Die entscheidende Frage ist: Wird der Wesens-
gehalt des Grundrechtes, das Sie eben zitiert haben, an-
getastet? Wir haben es hier mit einem auslegungs- und
ausgestaltungsfähigen Sachverhalt zu tun. Genau darum
geht es bei den Fragestellungen, die wir klären müssen.

Wir wollen den Tarifpluralismus entsprechend mit
Leitplanken versehen, und zwar indem wir die Tarifein-
heit im Betrieb wiederherstellen. Das ist das, was vor
2010 entsprechend galt, allerdings modifiziert in der
Form, dass das Mehrheitsprinzip gelten wird. Wir sind
uns, glaube ich, darin einig, dass das ein sehr komplexes,
durchaus anspruchsvolles Unterfangen ist, weil hier eine
Vielfalt von Rechtsfragen berührt ist, insbesondere auch
verfassungsrechtlicher Art. Deswegen gilt es, hier drei
Dinge zu beachten:

Zum Ersten: Der Grundsatz der Tarifeinheit gilt nur
subsidiär. Das heißt, die Kollision von Tarifverträgen,
die von konkurrierenden Gewerkschaften gemacht wer-
den können, ist vermeidbar. Das erhöht letztlich den Ei-
nigungsdruck im Vorfeld des Streiks. Genau das ist ein
Ziel dessen, was wir uns vornehmen.

Zum Zweiten: Es gilt dann das betriebsbezogene
Mehrheitsprinzip, es gilt der Tarifvertrag, der in der Be-
legschaft die größte Akzeptanz hat – und das nach dem
Prinzip der Mehrheit. Der Vorsitzende der Gewerkschaft
IG Bergbau, Chemie, Energie, Michael Vassiliadis, hat
erklärt – ich zitiere aus einer Nachricht von heute –:

Wir wollen das Mehrheitsprinzip als Grundlage der
Entscheidung, welcher Tarifvertrag die Arbeits-
und Entlohnungsbedingungen in einem Betrieb re-
gelt. Das ist Demokratie pur.


(Michael Gerdes [SPD]: Guter Mann!)


Das zeigt: Das Mehrheitsprinzip ist eine Maßeinheit,
die im Grundgesetz und vielen anderen Dingen auch ent-





Stephan Stracke


(A) (C)



(D)(B)

sprechend angelegt ist. Wir machen das Ganze betriebs-
bezogen; genau darauf hat das BAG in ständiger Recht-
sprechung in dem Zeitraum bis 2010 Wert gelegt. Das ist
auch die schonendere Regelung gegenüber allen anderen
Überlegungen, beispielsweise wenn es um die Unterneh-
mensbezogenheit geht. Das eröffnet gerade kleineren
Gewerkschaften die Möglichkeit, in entsprechenden Be-
trieben häufiger die Mehrheit zu stellen.

Zum Dritten: Es gibt keinen Eingriff in das Streik-
recht, das Arbeitskampfrecht wird nicht geändert. Ge-
rade das Arbeitskampfrecht ist ja Mittel zur Sicherung
der Tarifautonomie. Hier wollen wir das Prinzip der Ein-
zelfallbetrachtung entsprechend weiterhin gelten lassen.


(Beifall des Abg. Karl Schiewerling [CDU/ CSU])


Wir wissen, die Bundesregierung hat hier die Sozial-
partner im Vorfeld sehr eng eingebunden; das haben wir
auch im Koalitionsvertrag so verabredet gehabt. Die
BDA unterstützt das Vorhaben. Beim DGB haben wir
kein einheitliches Bild mehr. Es kommt natürlich Kritik
vonseiten der Sparten- und Berufsgewerkschaften. Wen
soll es wundern? Klar, es geht um die Existenz, es geht
um den Einfluss. Allerdings nehmen wir ihnen nicht die
Tariffähigkeit.

Richtig ist: Es gibt – vielfach vorgetragen – verfas-
sungsrechtliche Bedenken. Diese Einwände waren aller-
dings vorhersehbar. Deswegen haben sich ja auch die
beiden Verfassungsressorts Bundesinnenministerium
und Bundesjustizministerium zusammengetan mit dem
BMAS und geprüft, ob die vorgesehenen gesetzlichen
Regelungen in Einklang mit Artikel 9 Absatz 3 des
Grundgesetzes stehen. Am Ende haben sie diese Frage
mit Ja beantwortet. Der Vorsitzende der Gewerkschaft
IG Bergbau, Chemie, Energie, Michael Vassiliadis, hat
auch zu diesem Thema heute etwas gesagt – ich zitiere
aus der gleichen Nachricht –:

Nur Nein zu sagen, besorgt zu sein und das Lied der
Klientelgewerkschaften zu pfeifen, das ist absolut
zu wenig.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Recht hat er.


(Klaus Ernst [DIE LINKE]: Es geht um ein Grundrecht!)


Am Ende müssen wir natürlich auch den Befund zur
Kenntnis nehmen, zu dem das BMAS gemeinsam mit
den Verfassungsressorts gekommen ist: kein Eingriff,
der verfassungswidrig wäre. Diesen Befund muss man
natürlich nicht teilen, aber auf jeden Fall entsprechend
zur Kenntnis nehmen. Wir haben hier durchaus grund-
rechtsschonende Lösungen gefunden. Das Thema der
Verfassungsgemäßheit wird sicherlich auch die weiteren
Beratungen maßgeblich prägen und tragen.

Dabei wird für mich auch klar sein: Dieses Gesetz hat
vor allem einen Präemptivcharakter, ist vorbeugend. Es
geht vor allem darum, zu verhindern, dass einige we-
nige, die eine Schlüsselposition haben, einen Vorteil da-
raus ziehen und sich diese Schlüsselposition entspre-
chend prämieren lassen. Wir sollten darauf achten, dass
wir nicht erst warten, bis das Haus, bis der Betrieb lich-
terloh brennt, sondern tatsächlich frühzeitig die Feuer-
wehr rufen. Genau das tun wir mit diesem Gesetz. Ich
freue mich auf die Beratungen.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1809112600

Vielen Dank.


(Unruhe)


– Bevor wir in der Debatte fortfahren, möchte ich die
Kolleginnen und Kollegen bitten, sich zu setzen. Wir
werden noch mehrere Abstimmungen haben, bevor wir
überhaupt zur Wahl des Mitglieds des Vertrauensgremi-
ums kommen. Da es also noch etwas dauert, setzen Sie
sich bitte.

Ich habe auch noch die Bitte an Sie, dass Sie die Ge-
spräche miteinander beenden bzw. auf jeden Fall den
Lärmpegel senken. So etwas ist den Rednerinnen und
Rednern gegenüber einfach unkollegial.


(Beifall)


Herr Weiß, Sie haben das Wort.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Peter Weiß (CDU):
Rede ID: ID1809112700

Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kolle-

gen! Was kommt mit diesem Gesetzentwurf der Bundes-
regierung wirklich auf uns zu?


(Klaus Ernst [DIE LINKE]: Genau!)


Erstens. In Deutschland gibt es große Gewerkschaf-
ten, und es gibt kleine Gewerkschaften. Auch in Zukunft
wird es in Deutschland große Gewerkschaften und
kleine Gewerkschaften geben; denn jeder von uns, jede
Bürgerin und jeder Bürger, darf der Organisation beitre-
ten, der er beitreten will. Das gilt übrigens auch für jeden
Arbeitgeber. Jeder Arbeitgeber darf der Arbeitgeberor-
ganisation beitreten, der er beitreten will. Daran ändert
dieses Gesetz nichts. Es bestätigt die Koalitionsfreiheit,
die in Deutschland herrscht und grundgesetzlich ge-
schützt ist.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Zweitens. Es wird hier in dieser Debatte in Sachen
Streikrecht ein Popanz aufgebaut. Nein, dieses Gesetz
enthält keine neuen Regelungen zum Streikrecht. Es
kann auch in Zukunft gestreikt werden. Das Einzige ist
– dabei bleibt es –: Ich kann vor ein Arbeitsgericht zie-
hen und die Verhältnismäßigkeit eines Streiks überprü-
fen lassen. Das war in der Vergangenheit so und wird
auch in Zukunft so sein. Daran ändert unser Gesetzent-
wurf nichts.





Peter Weiß (Emmendingen)



(A) (C)



(D)(B)


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Rudolf Henke [CDU/CSU]: Dafür braucht man ihn nicht! – Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Dann brauchen wir ihn nicht! Dann lassen Sie es!)


Drittens. Es findet eine heftige Debatte über die Ver-
fassungsmäßigkeit statt. Kluge Juristinnen und Juristen
äußern sich dazu. Ich bin schon ein bisschen erstaunt da-
rüber, wie viele Kolleginnen und Kollegen hier selber
gerne Bundesverfassungsrichter spielen möchten. Um
die Debatte etwas zu erweitern, will ich vortragen, was
der ehemalige Präsident des Bundesverfassungsge-
richts, Professor Papier, heute in einem bemerkenswer-
ten Beitrag in der Welt gesagt hat: Gesetzliche Regelun-
gen – wie wir sie planen –, die der Vermeidung von
Tarifkollisionen dienen, sind keine Regelungen, die in
das Koalitionsrecht eingreifen, sondern solche, die viel-
mehr die Tarifautonomie sichern. Er sagt wörtlich:

Solche Regelungen zur Tarifeinheit stellen daher
eine Ausgestaltung des Tarifvertragssystems und
keinen Eingriff in die Koalitionsfreiheit im verfas-
sungsrechtlichen Sinne dar.

Bemerkenswert, was doch ein ehemaliger Präsident des
Verfassungsgerichts uns da sagt: Jawohl, genau so kann
man es machen. – Klar, es gibt auch Gegenmeinungen.

Verehrte Kolleginnen und Kollegen, es war das Ver-
fassungsgericht selbst, das in einer Entscheidung Fol-
gendes formuliert hat: Es ist eben Aufgabe der Koalitio-
nen, dass sie das Arbeitsleben sinnvoll gestalten, dass sie
das Arbeitsleben befrieden. – Gestalten und Befrieden
sind also Aufträge, die uns das Verfassungsgericht aus-
drücklich gegeben hat. Dann kann es nicht falsch sein,
dass wir als Koalition einen solchen Gesetzentwurf vor-
legen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Verehrte Kolleginnen und Kollegen, was wird in der
Realität denn passieren? Werden tatsächlich kleinere Ge-
werkschaften unterdrückt werden? Es geht ja nicht um
Groß und Klein im Ganzen, sondern es geht um die
Frage: Wie sieht es konkret in einem Betrieb aus, in dem
zwei Gewerkschaften um die gleiche Beschäftigten-
gruppe – auch das noch! – konkurrieren?

Der große Bahnkonzern besteht aus über 300 einzel-
nen Betrieben. Nur in etwa 60 Betrieben überhaupt gibt
es eine solche Kollision, in den anderen überhaupt nicht.
Wenn man ungefähr abschätzt, wenn man abzählt, dann
kommt man darauf, dass in etwa 40 dieser 60 Betriebe
die große Gewerkschaft EVG eine Mehrheit haben
würde, aber in 20 Betrieben die kleinere Gewerkschaft
GDL.


(Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Woher wissen Sie das? Durch eine Kristallkugel?)


Oder nehmen wir die großen Krankenhäuser in unse-
rem Land. In vielen Krankenhäusern wird, wie man nach
dem Abzählen feststellen würde, wahrscheinlich Verdi
die meisten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter organisiert
haben.


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Das ist aber schlimm!)


Aber angesichts des hohen Organisationsgrades der an-
gestellten Ärztinnen und Ärzte beim Marburger Bund
wird es auch Krankenhäuser geben, in denen, wie man
nach dem Abzählen feststellen würde, der Marburger
Bund die Mehrheit hat. Das heißt, die Behauptung, klei-
nere Gewerkschaften würden gänzlich verschwinden,
stimmt gar nicht. Große wie kleine Gewerkschaften wer-
den sich sehr wohl überlegen, ob sie es auf das Abzählen
ankommen lassen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Es gibt bewährte Methoden, Tarifkollisionen aufzulö-
sen. Eine, die sich zwischen Verdi und dem Deutschen
Beamtenbund im öffentlichen Dienst bewährt hat, ist,
eine Tarifgemeinschaft zu bilden und gemeinsam zu ver-
handeln. Es gibt die Methode, in getrennten Räumen und
an getrennten Orten parallel Tarifverträge zu verhandeln
mit dem Ziel, zu einem gleichen Abschluss zu kommen.
Es gibt die ebenfalls bewährte Methode, dass man sich
die Aufgaben teilt und sagt: Die eine Gewerkschaft ist
für die eine Beschäftigtengruppe im Betrieb zuständig
und schließt einen Tarifvertrag, die andere Gewerkschaft
ist für die andere Beschäftigtengruppe zuständig. – Ge-
nau das sind doch Methoden, die in der Vergangenheit
dazu geführt haben, dass bei uns Arbeitnehmerinteressen
stärker und besser durchgesetzt wurden als anderswo.


(Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und warum braucht es dann das Gesetz?)


In Wahrheit geht es darum, mit dem Gesetzentwurf
das zu stärken, was uns in Deutschland stark gemacht
hat: gelebte und funktionierende Sozialpartnerschaft, ge-
lebte und funktionierende Tarifautonomie. Das war es,
was den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern in
Deutschland gute Löhne und den Unternehmen in unse-
rem Land großen wirtschaftlichen Erfolg gebracht hat.
Wir wollen Sozialpartnerschaft und Tarifautonomie stär-
ken. Das ist der eigentliche Inhalt dieses Gesetzes.

Vielen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1809112800

Vielen Dank. – Liebe Kolleginnen und Kollegen, da-

mit schließe ich die Aussprache.

Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
den Drucksachen 18/4062 und 18/4184 an die in der Ta-
gesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen.
Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann
sind die Überweisungen so beschlossen.

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 23 a bis 23 g und
17 sowie Zusatzpunkt 2 auf. Hierbei handelt es sich um





Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn


(A) (C)



(D)(B)

die Beschlussfassung zu Vorlagen, zu denen keine Aus-
sprache vorgesehen ist.

Ich rufe zunächst den Tagesordnungspunkt 23 a auf:

Zweite Beratung und Schlussabstimmung des
von der Bundesregierung eingebrachten Ent-
wurfs eines Gesetzes zu dem Übereinkommen
vom 11. April 2014 über die Beteiligung der
Republik Kroatien am Europäischen Wirt-
schaftsraum

Drucksache 18/4052

Beschlussempfehlung und Bericht des Aus-

(9. Ausschuss)


Drucksache 18/4221

Der Ausschuss für Wirtschaft und Energie empfiehlt
in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/4221,
den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksa-
che 18/4052 anzunehmen.

Zweite Beratung

und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. –
Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist
dieser Gesetzentwurf einstimmig angenommen worden.

Wir kommen zu den Tagesordnungspunkten 23 b bis
23 g. Es handelt sich um Beschlussempfehlungen des
Petitionsausschusses.

Tagesordnungspunkt 23 b:

Beratung der Beschlussempfehlung des Peti-
tionsausschusses (2. Ausschuss)


Sammelübersicht 151 zu Petitionen

Drucksache 18/4101

Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthält
sich jemand? – Das ist nicht der Fall. Dann ist diese
Sammelübersicht einstimmig angenommen worden.

Tagesordnungspunkt 23 c:

Beratung der Beschlussempfehlung des Peti-
tionsausschusses (2. Ausschuss)


Sammelübersicht 152 zu Petitionen

Drucksache 18/4102

Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent-
hält sich? – Damit ist diese Sammelübersicht mit den
Stimmen der Koalition und der Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen bei Enthaltung der Fraktion Die Linke angenom-
men worden.

Tagesordnungspunkt 23 d:

Beratung der Beschlussempfehlung des Peti-
tionsausschusses (2. Ausschuss)


Sammelübersicht 153 zu Petitionen

Drucksache 18/4103
Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent-
hält sich? – Damit ist diese Sammelübersicht ebenfalls
einstimmig angenommen worden.

Tagesordnungspunkt 23 e:

Beratung der Beschlussempfehlung des Peti-
tionsausschusses (2. Ausschuss)


Sammelübersicht 154 zu Petitionen

Drucksache 18/4104

Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent-
hält sich? – Damit ist diese Sammelübersicht mit den
Stimmen der Koalition und der Fraktion Die Linke ge-
gen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen angenom-
men worden.

Tagesordnungspunkt 23 f:

Beratung der Beschlussempfehlung des Peti-
tionsausschusses (2. Ausschuss)


Sammelübersicht 155 zu Petitionen

Drucksache 18/4105

Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent-
hält sich? – Damit ist diese Sammelübersicht angenom-
men worden mit den Stimmen der Koalition und der
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen bei Gegenstimmen der
Fraktion Die Linke.

Tagesordnungspunkt 23 g:

Beratung der Beschlussempfehlung des Peti-
tionsausschusses (2. Ausschuss)


Sammelübersicht 156 zu Petitionen

Drucksache 18/4106

Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent-
hält sich? – Damit ist diese Sammelübersicht angenom-
men worden mit den Stimmen der Koalition gegen die
Stimmen der Opposition.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 17 auf:

Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Haushaltsausschusses (8. Ausschuss)


zu dem Bericht der Kommission an den Rat
und das Europäische Parlament

Die angestrebte Umsetzung harmonisierter
Rechnungsführungsgrundsätze für den öf-
fentlichen Sektor in den Mitgliedstaaten

Die Eignung der IPSAS für die Mitgliedstaa-
ten

KOM(2013)114 endg.; Ratsdok. 7677/13

hier: Stellungnahme gegenüber der Bundesre-
gierung gemäß Artikel 23 Absatz 2 des
Grundgesetzes

Drucksachen 18/3618 Nr. C.1, 18/4182, 18/4198

Der Haushaltsausschuss empfiehlt in seiner Beschluss-
empfehlung auf Drucksachen 18/4182 und 18/4198, in
Kenntnis der Unterrichtung eine Entschließung nach Ar-





Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn


(A) (C)



(D)(B)

tikel 23 Absatz 2 des Grundgesetzes anzunehmen. Wer
stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt
dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist diese Be-
schlussempfehlung einstimmig angenommen worden.

Ich rufe jetzt Zusatzpunkt 2 auf:

Beratung der Beschlussempfehlung des Aus-
schusses für Wahlprüfung, Immunität und Ge-
schäftsordnung (1. Ausschuss)


Antrag auf Genehmigung zur Durchführung
eines Strafverfahrens

Drucksache 18/4181

Mir liegt eine Wortmeldung für eine Erklärung nach
§ 31 der Geschäftsordnung vor. Das Wort hat zunächst
der Kollege van Aken.


(Beifall bei der LINKEN)



Jan van Aken (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1809112900

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich

möchte ganz kurz begründen, warum wir gegen Ihren
Antrag stimmen werden. Sie wollen gleich die Immuni-
tät der Abgeordneten Nicole Gohlke von den Linken
aufheben, weil sie auf einer Demonstration in München
eine Fahne der kurdischen PKK hochgehalten haben
soll. Ich muss Ihnen ganz ehrlich sagen: Ich verstehe das
überhaupt nicht.


(Beifall bei der LINKEN)


Seit einem Dreivierteljahr wird in allen Fraktionen,
auch bei Ihnen in der CDU/CSU-Fraktion, darüber dis-
kutiert, dass wir das Verhältnis zur PKK neu klären soll-
ten, weil die PKK im Moment einen so wichtigen Bei-
trag im Kampf gegen den „Islamischen Staat“ leistet und
weil – auch das wissen Sie – die PKK seit Jahren in der
Türkei einen Waffenstillstand ausgerufen und befolgt
hat. Sogar die türkische Regierung verhandelt im Mo-
ment über eine Friedenslösung mit dem PKK-Führer
Abdullah Öcalan. Deswegen finde ich diesen Antrag
ziemlich absurd.


(Beifall bei der LINKEN)


Um einmal klarzumachen, worum es geht – ich habe
lange gesucht und bin dann im Verfassungsschutzbericht
fündig geworden –: Das ist die Fahne, um die es geht,
die Fahne der verbotenen PKK.


(Der Redner hält eine Abbildung hoch)


Das ist die Fahne, unter der im August letzten Jahres
mehrere Zehntausend Jesidinnen und Jesiden freige-
kämpft worden sind.


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN – Zurufe von der CDU/CSU)


Das ist die Fahne, unter der Kobane befreit worden ist.


Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1809113000

Herr van Aken, bitte unterlassen Sie das.


Jan van Aken (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1809113100

Ich würde gerne meine Rede zu Ende führen.

(Beifall bei der LINKEN)


Das ist die Fahne, unter der Kobane befreit worden
ist. Sie selbst von der CDU/CSU und der SPD haben da-
für gestimmt, die Peschmerga mit Waffen zu beliefern.
Es waren die Amerikaner, die den Kampf unter dieser
Fahne in Kobane mit Luftschlägen unterstützt haben. In
dieser Situation wollen Sie hier Menschen strafrechtlich
verfolgen, weil sie so eine Fahne zeigen? Ich kann das
überhaupt nicht nachvollziehen.


(Beifall bei der LINKEN)


Herr Kauder, Sie regen sich hier gerade so auf. Nach
dieser Logik müsste heute auch Ihre Immunität aufgeho-
ben werden. Denn Sie haben im letzten Jahr Waffenliefe-
rungen an die PKK in die Diskussion gebracht.


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)


Nach dieser Logik müssten auch Sie mit einem Strafver-
fahren wegen Unterstützung einer terroristischen Verei-
nigung belegt werden.


(Beifall bei der LINKEN)


Ich will das nicht.


(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Lassen Sie das lieber die Staatsanwaltschaft entscheiden! Das entscheiden Sie doch nicht!)


Sie wollen das bestimmt auch nicht. Aber wenn Sie das
nicht wollen, dann dürfen Sie heute auch nicht die Im-
munität der Abgeordneten Nicole Gohlke aufheben.


(Beifall bei der LINKEN)


Um eines noch zum Schluss klarzumachen: Es geht
hier nicht um Sonderrechte für Abgeordnete.


(Zurufe von der CDU/CSU und der SPD: Doch!)


Denn Volker Kauder und Nicole Gohlke sind nicht al-
lein.


(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Lassen Sie erst mal die Staatsanwaltschaft entscheiden! Haben Sie schon etwas von Gewaltenteilung gehört?)


Es gibt viele Hunderttausend Menschen hier in Deutsch-
land, die ständig bedroht sind, kriminalisiert zu werden,
weil sie sich offen und öffentlich zur PKK bekennen
wollen. Ich finde, sie sollen das tun dürfen. Deswegen
werde ich diesen Antrag ablehnen.

Im Übrigen bin ich der Meinung, dass Deutschland
keine Waffen mehr exportieren sollte.


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1809113200

Herr van Aken, ich erteile Ihnen hiermit offiziell ei-

nen Ordnungsruf. Es ist nicht zulässig, dass Sie hier
Symbole verbotener Organisationen zeigen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – Widerspruch bei der LINKEN)






Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn


(A) (C)



(D)(B)

Herr Kauder, Sie haben das Wort.


(Zuruf von der CDU/CSU: Jetzt mach mal eine klare Ansage!)



Volker Kauder (CDU):
Rede ID: ID1809113300

Was wir hier gerade erlebt haben, ist ein unglaubli-

cher, zumindest ein unkollegialer Vorgang, den es im
Deutschen Bundestag so noch nicht gegeben hat, seit ich
dem Bundestag angehöre.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Sie wissen ganz genau, dass nicht der Immunitätsaus-
schuss und auch nicht der Deutsche Bundestag darüber
entscheiden, ob sich eine Kollegin oder ein Kollege in ir-
gendeiner Form strafbar gemacht hat.


(Dagmar Ziegler [SPD]: So ist es!)


Wir haben in diesem Rechtsstaat Gott sei Dank eine
klare Trennung zwischen Legislative, Exekutive und Ju-
dikative.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Aber Sie – ich weiß nicht, was in Ihrem Kopf vorgeht


(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Mehr als in Ihrem! Das ist ganz klar!)


und über was in Ihrer Gruppe alles diskutiert wird – wol-
len Judikative und Legislative offenbar vermischen


(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Quatsch!)


und selbst entscheiden, ob eine Staatsanwaltschaft ein
Ermittlungsverfahren gegen jemanden einleitet oder
nicht.


(Dagmar Ziegler [SPD]: So ist es!)


Wir entscheiden nur auf Antrag einer Staatsanwalt-
schaft, die ein Ermittlungsverfahren durchführen will, ob
wir die Genehmigung dazu erteilen oder nicht. Sie haben
hier etwas ganz anderes getan. Es war zumindest ein
sehr unkollegialer Vorgang, dass Sie in diesem Zusam-
menhang mich genannt haben. Gegen mich ist kein Er-
mittlungsverfahren angestrengt.


(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Gut so! Für die Kollegin sollte das aber auch gelten!)


So etwas habe ich noch nicht erlebt. Da kann ich nur sa-
gen: Es ist ganz übel von Ihnen, eine solche persönliche
Attacke zu reiten!


(Anhaltender Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1809113400

Jetzt wünscht der Fraktionsvorsitzende der Linken

das Wort. – Herr Gysi, bitte.


(Beifall bei der LINKEN – Michael GrosseBrömer [CDU/CSU]: Wieso das denn? Der ist doch gar nicht betroffen! – Volker Kauder [CDU/CSU]: Wieso denn der?)



Dr. Gregor Gysi (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1809113500

Lieber Herr Kauder, ich habe Ihnen zugehört. Sie ha-

ben das Verhalten als unkollegial bezeichnet. Ich sehe
das umgekehrte Verhalten als unkollegial an; ich will das
auch begründen.


(Beifall bei der LINKEN – Michael GrosseBrömer [CDU/CSU]: Mit welcher Berechtigung redet der jetzt eigentlich? – Volker Kauder [CDU/CSU]: Das ist ja ein Präsidium da oben!)


Sie haben in Bezug auf die Trennung von Legislative,
Exekutive und Judikatur völlig recht; da stimme ich Ih-
nen vollinhaltlich zu. Aber das Immunitätsrecht ist ja aus
einem bestimmten Grund in die Verfassung aufgenom-
men worden. Das Wichtige, wenn die Immunität nicht
aufgehoben werden würde, wäre ein Signal an die Ge-
sellschaft, dass wir damit Schluss machen wollen, auch
im Hinblick auf die anderen Bürgerinnen und Bürger.
Das ist kein Privileg, sondern ein wichtiges Signal.


(Beifall bei der LINKEN – Michael GrosseBrömer [CDU/CSU]: Damit jeder eine PKKFahne tragen kann, oder was?)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1809113600

Jetzt hat Herr Wadephul das Wort. – Herr Wadephul,

kommen Sie doch nach vorne.


Dr. Johann Wadephul (CDU):
Rede ID: ID1809113700

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Die beiden Wortmeldungen aus den Reihen der
Linksfraktion veranlassen mich, in dieser Debatte als
Vorsitzender des zuständigen Ausschusses und mögli-
cherweise auch namens der Mehrheit des Ausschusses
ganz kurz das Wort zu ergreifen.

Wir können in einer innenpolitischen Debatte oder,
Herr Kollege van Aken, auch in einer außenpolitischen
Debatte gerne kontrovers über die Frage „Wie gehen wir
mit den Kurden um?“ diskutieren.


(Sonja Steffen [SPD]: Das tun wir auch!)


Dieser Ausschuss wahrt aber das Immunitätsrecht, das
grundgesetzlich gewährt wird für die Mitglieder dieses
Hohen Hauses. Ich glaube, es diskreditiert dieses Grund-
recht und es diskreditiert die Arbeit dieses Ausschusses
und damit auch die Arbeit des Hohen Hauses, wenn es
auf diese Art und Weise von Ihnen politisiert wird, wie
wir es gerade eben von Ihnen erlebt haben.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Das Immunitätsrecht des Bundestages, welches sich
auf das Grundgesetz stützt – Herr Kollege Gysi, von Ju-
rist zu Jurist –, gewährleistet nach einhelliger Kommen-
tierung und nach der Rechtsprechung des Bundesverfas-
sungsgerichts die Funktionsfähigkeit des Bundestages aus





Dr. Johann Wadephul


(A) (C)



(D)(B)

bitterer historischer Erfahrung der Weimarer Zeit. Es soll
aber gerade nicht – und das ist das, was Sie hier von uns
verlangt haben – den Abgeordneten von der individuel-
len Strafverfolgung befreien und somit gegenüber dem
normalen Bürger, auf den Sie in diesem Hause häufig
großen Wert legen, in irgendeiner Weise privilegieren.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wir sind nicht besser gestellt als die Bürgerinnen und
Bürger dieses Landes, sondern wir sind vor dem Gesetz
alle gleich.


(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1809113800

Jetzt erhält die Kollegin Haßelmann das Wort.


Britta Haßelmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1809113900

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Sehr geehrte Zuhörerinnen und Zuhörer! Das
Immunitätsrecht eignet sich in keiner Weise für einen
politischen Schlagabtausch, um das einmal in aller Deut-
lichkeit zu sagen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Ich finde es bedauerlich, dass heute zum wiederholten
Mal eine Immunitätsentscheidung dazu benutzt wird,
eine politische Auseinandersetzung und Debatte zu ei-
nem sehr politischen und sehr notwendig zu diskutieren-
den Thema auf diese Weise zu platzieren, Herr van
Aken.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU und der SPD)


Ich habe damit ein Problem, und zwar nicht in der Sa-
che, um das ganz deutlich zu sagen.

Wir haben am vergangenen Freitag über das politi-
sche Thema PKK-Verbot diskutiert. Man kann sehr wohl
über die Frage diskutieren, ob es richtig ist, dass das
PKK-Verbot bei uns gilt. Darüber kann man streiten.
Man kann das auch neu bewerten. Man kann das abwä-
gen und die Frage stellen: Wie nehmen wir die Organisa-
tion der PKK und ihre Tätigkeit im Inland wahr? Wie
nehmen wir das im Ausland wahr? Das haben wir letzten
Freitag in einer politischen Debatte getan.

Zum wiederholten Mal ist es aber so, dass Sie die
politische Auseinandersetzung mit einer immunitäts-
rechtlichen Entscheidung vermischen und das coram pu-
blico gerne diskutiert hätten. Ich halte das für falsch.

Trotzdem will ich an dieser Stelle noch einige Sätze
zum Abstimmungsverhalten meiner Fraktion sagen. Wir
werden uns heute der Stimme enthalten.


(Zurufe von der CDU/CSU: Oh!)


– Bleiben Sie ganz ruhig. Die Kollegen Ihrer Fraktion,
die Mitglied im Immunitätsausschuss sind, haben meine
Argumente dafür sehr deutlich gehört. Leider können
Sie sich kein ausführliches Bild darüber machen, weil
der Immunitätsausschuss des Deutschen Bundestages
aus guten Gründen nicht mit 631 Abgeordneten tagt,
sondern ein vertrauliches, nichtöffentlich tagendes Gre-
mium ist. Deshalb sage ich heute auch etwas dazu.

Ich kann die Argumentation des Ausschussvorsitzen-
den zum Immunitätsrecht nur unterstreichen, und ich
teile sie. Unsere Fraktion wird sich heute auch nicht des-
halb enthalten, weil wir die Frage eines politischen
PKK-Verbotes hier grundsätzlich diskutieren. Wir wer-
den auch nicht über das Strafmaß urteilen; denn ich bitte
Sie: Wo sind wir denn hier? Das steht uns im Deutschen
Bundestag, im Parlament, überhaupt nicht zu.

Der einzige Grund, der mich veranlasst hatte, mich im
Immunitätsausschuss anders als die Kollegen zu verhal-
ten, war, dass die Kollegin noch Verfahrensfragen hatte,
denen ich stattgegeben hätte. Das ist der einzige Grund.
Es geht hier also nicht um eine politische Bewertung des
PKK-Verbotes und deren Aktualität, und es geht auch
nicht um eine Bewertung der Bemessung des Strafma-
ßes.

Wir bringen durch unsere Enthaltung einzig und al-
lein das Argument „Ich habe noch Fragen zum Verfah-
ren“ zum Ausdruck – nicht mehr und nicht weniger.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1809114000

Damit kommen wir jetzt zur Abstimmung über den

Antrag auf Genehmigung zur Durchführung eines Straf-
verfahrens.

Der Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und Ge-
schäftsordnung empfiehlt in seiner Beschlussempfeh-
lung auf Drucksache 18/4181, die Genehmigung zur
Durchführung eines Strafverfahrens zu erteilen. Wer
stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt
dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist diese Be-
schlussempfehlung mit den Stimmen der Koalition ge-
gen die Stimmen der Fraktion Die Linke bei Enthaltung
der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben jetzt zwei
Wahlen nacheinander durchzuführen, für die Sie Ihren
blauen und Ihren gelben Wahlausweis benötigen. Die
Wahlausweise können Sie, soweit noch nicht geschehen,
Ihrem Stimmkartenfach in der Lobby entnehmen. Bitte
achten Sie darauf, dass die Wahlausweise auch Ihren Na-
men tragen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 7 auf:

Wahl eines Mitglieds des Vertrauensgremi-
ums gemäß § 10 a Absatz 2 der Bundeshaus-
haltsordnung

Drucksache 18/4166

Die Fraktion der CDU/CSU schlägt auf Drucksa-
che 18/4166 den Abgeordneten Eckhardt Rehberg vor.

Bevor wir zur Wahl kommen, bitte ich um Ihre Auf-
merksamkeit für einige Hinweise zum Wahlverfahren:





Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn


(A) (C)



(D)(B)

Laut Gesetz ist gewählt, wer die Stimmen der Mehr-
heit der Mitglieder des Bundestages auf sich vereint, das
heißt, wer mindestens 316 Stimmen erhält. Diese Wahl
erfolgt mit Stimmkarte und Wahlausweis in der Farbe
Blau. Die Stimmkarten werden im Plenarsaal verteilt.
Sollten Sie noch keine Stimmkarte haben, dann besteht
jetzt noch die Möglichkeit, diese von den Plenarassisten-
ten zu erhalten. Gültig sind nur Stimmkarten mit einem
Kreuz bei „ja“, „nein“ oder „enthalte mich“. Ungültig
sind demzufolge Stimmkarten, die kein Kreuz oder mehr
als ein Kreuz, andere Namen oder Zusätze enthalten.
Das alles gilt im Übrigen auch später für die weitere
Wahl.

Diese Wahl findet offen statt. Sie können Ihre Stimm-
karte also an Ihrem Platz ankreuzen. Das haben Sie
größtenteils schon getan. Bevor Sie die Stimmkarte in
eine der Wahlurnen werfen, übergeben Sie bitte den
Schriftführerinnen und Schriftführern an den Wahlurnen
Ihren blauen Wahlausweis. Der Nachweis der Teilnahme
an der Wahl kann nur durch die Abgabe des Wahlaus-
weises erbracht werden.

Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die
vorgesehenen Plätze einzunehmen. Sind alle Urnen be-
setzt? – Das ist der Fall. Dann eröffne ich die Wahl.

Gibt es ein Mitglied des Hauses, das seine Stimme
noch nicht abgegeben hat? – Das ist nicht der Fall. Dann
schließe ich jetzt die Wahl. Ich möchte die Schriftführe-
rinnen und Schriftführer bitten, mit der Auszählung zu
beginnen. Das Ergebnis der Wahl wird Ihnen später be-
kannt gegeben.1)

Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 8 auf:

Wahl eines Mitglieds des Sondergremiums ge-
mäß § 3 Absatz 3 des Stabilisierungsmecha-
nismusgesetzes

Drucksache 18/4167

Die Fraktion der CDU/CSU schlägt auf Druck-
sache 18/4167 den Abgeordneten Volkmar Klein vor.
Bevor wir zur Wahl kommen, bitte ich erneut um Ihre
Aufmerksamkeit für einige Hinweise zum Wahlverfah-
ren.

Diese Wahl ist geheim, meine sehr geehrten Kollegin-
nen und Kollegen. Zur Wahl sind die Stimmen der Mehr-
heit der Mitglieder des Bundestages, das heißt mindes-
tens 316 Stimmen, erforderlich.

Sie benötigen jetzt Ihren gelben Wahlausweis sowie
einen Stimmzettel mit Wahlumschlag. Den gelben
Stimmzettel mit Umschlag erhalten Sie an den Ausgabe-
tischen neben den Wahlkabinen. Da die Wahl geheim ist,
dürfen Sie Ihren Stimmzettel nur in einer der Wahlkabi-
nen ankreuzen und müssen ihn dort in den Wahlum-
schlag legen. Die Schriftführerinnen und Schriftführer
sind verpflichtet, jeden zurückzuweisen, der seinen
Stimmzettel außerhalb der Wahlkabine angekreuzt oder
in den Umschlag gelegt hat. Die Wahl kann in diesem
Fall jedoch vorschriftsmäßig wiederholt werden.

1) Ergebnis Seite 8658 D
Die Regelungen zur Gültigkeit der Stimmzettel sind
Ihnen bekannt. Bevor Sie den Stimmzettel in eine der
aufgestellten Wahlurnen werfen, übergeben Sie bitte
Ihren gelben Wahlausweis einem der Schriftführer an
der Wahlurne.

Ich möchte jetzt die Schriftführerinnen und Schrift-
führer bitten, die vorgesehenen Plätze einzunehmen. –
Das ist, soweit ich sehe, der Fall. Damit eröffne ich auch
diese Wahl.


Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1809114100

Haben alle Mitglieder des Hauses – auch die Schrift-

führerinnen und Schriftführer – ihre Stimmzettel ab-
gegeben? Gibt es hier noch jemanden, der an der Wahl
teilnehmen möchte, dies auch kann, bisher seinen
Stimmzettel aber nicht abgegeben hat? – Ich sehe, das ist
nicht der Fall. Alle haben ihre Stimmzettel abgegeben.
Dann schließe ich hiermit die Wahl und bitte die Schrift-
führerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu
beginnen. Das Ergebnis der Wahl wird Ihnen später be-
kannt gegeben.2)

Ich rufe jetzt den Zusatzpunkt 3 auf:

Aktuelle Stunde
auf Verlangen der Fraktion DIE LINKE

Beschäftigungssituation von Frauen

Ich eröffne die Aussprache. Als erste Rednerin hat
das Wort die Kollegin Sabine Zimmermann von der
Fraktion Die Linke.


(Beifall bei der LINKEN)



Sabine Zimmermann (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1809114200

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Den Internationalen Frauentag am Sonntag
werden viele Frauen nicht feiern können. Sie werden in
Läden stehen und hinter den Kassen sitzen; denn der
8. März ist vielerorts ein verkaufsoffener Sonntag.


(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Unglaublich!)


Von Feierlichkeit bleibt da wenig übrig – genauso wie
beim Blick auf den Arbeitsmarkt für Frauen. Auch wenn
die Bundesregierung sich wieder für die Entwicklung am
Arbeitsmarkt bejubeln wird, gibt es für viele Frauen kei-
nen Grund zur Freude.

Ja, Sie haben recht: Immer mehr Frauen sind erwerbs-
tätig und gut ausgebildet; und das ist gut so.


(Beifall bei der LINKEN)


Sie arbeiten aber viel zu oft zu niedrigen Löhnen, in un-
freiwilliger Teilzeit, befristet und in Minijobs. Ich sage
Ihnen: Es ist eine Frechheit, dass Frauen für die gleiche
Arbeit immer noch so viel weniger Geld bekommen als
die Männer.

2) Ergebnis Seite 8658 D





Sabine Zimmermann (Zwickau)



(A) (C)



(D)(B)


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ganze 22 Prozent werden ihnen vorenthalten. Das kann
doch wirklich nicht wahr sein!

Der Skandal geht aber weiter: 31 Prozent der Frauen
arbeiten für Niedriglöhne. Weshalb müssen Frauen häu-
figer als Männer ihren Lohn ergänzend mit Hartz IV auf-
stocken, obwohl sie die Minderheit der Beschäftigten
ausmachen? Über 700 000 Frauen müssen sich zusätz-
lich Geld vom Amt holen, weil sie von ihrem Lohn nicht
leben können.

Was hat das noch mit dem Gleichheitsgebot des
Grundgesetzes zu tun, wenn Frauen trotz Arbeit so viel
häufiger von Armut bedroht sind? 9 Prozent waren es in
2013. Das heißt, jede elfte Frau ist trotz Arbeit arm. Das,
meine Damen und Herren, ist ein Armutszeugnis. Hier
wird Altersarmut ganz bewusst von der Regierung vor-
programmiert. Und das ist eine Sauerei!


(Beifall bei der LINKEN)


Viele Frauen sind wegen zu niedriger Verdienste arm.
Zusätzlich steigt die Armutsgefährdung stark mit der zu-
nehmenden Teilzeitbeschäftigung.

Hören Sie gut zu, meine Damen und Herren, das sind
die Fakten. Ich weiß, diese Fakten gefallen gerade Ihnen
von der CDU/CSU nicht, denn sie passen nicht in Ihr
Bild von einer schönen Arbeitswelt: Zwischen 2001 und
2014 ist die Zahl der vollzeitbeschäftigten Frauen um
925 000 auf 7,5 Millionen zurückgegangen. Gleichzeitig
stieg die Zahl der teilzeitbeschäftigten Frauen um
2,5 Millionen auf 6,3 Millionen. Hinzu kommen noch
3,4 Millionen Frauen, die ausschließlich einen Minijob
haben.

Ich weiß, gerade die Kollegen von CDU und CSU
werden mir gleich erklären, dass die meisten Frauen frei-
willig auf Vollzeit verzichten. Das ist blanker Unsinn.
Wie soll denn eine alleinerziehende Mutter angesichts
schlechter Kinderbetreuungsmöglichkeiten regelmäßig
in den Abendstunden oder am Wochenende in der Kran-
ken- oder Altenpflege arbeiten? Wenn in frauentypi-
schen Berufen mit einem hohen Anteil an Teilzeit-
beschäftigung wie zum Beispiel im Einzelhandel, in der
Gastronomie oder aber auch in der Pflege kaum Chancen
auf eine Vollzeitbeschäftigung bestehen, wird angesichts
der Realitäten der Wunsch nicht mehr ausgesprochen.

Für viel zu viele Frauen ist es ein täglicher Kampf,
mit ihrem Lohn über die Runden zu kommen. Keine
Bundesregierung hat bislang wirklich etwas dafür getan,
dass Frauen bessere Chancen auf existenzsichernde Be-
schäftigung bekommen. Die Linke sagt: Das ist beschä-
mend.


(Beifall bei der LINKEN)


Die Probleme werden von Ihnen kleingeredet und re-
lativiert. Es wird beschwichtigt, und als Krönung wird
auch noch behauptet, die Frauen seien selbst schuld, weil
sie sich bei der Berufswahl für einen typischen Frauen-
beruf entschieden haben. Dieser Schwachsinn muss end-
lich ein Ende haben.


(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Meine Damen hier in diesem Hause, es ist an der Zeit,
dass wir fraktionsübergreifend gegen die Diskriminie-
rung von Frauen in der Arbeitswelt vorgehen. Wir brau-
chen endlich eine verbindliche Entgeltgleichheit in den
Unternehmen.

Frau Ministerin Schwesig, die heute leider nicht an-
wesend sein kann, kann ich nur sagen: Nehmen Sie alle
Arbeitgeber in die Pflicht. Appelle und bloße Informa-
tionspflichten reichen nicht aus. Gesetzliche Verpflich-
tungen müssen her.


(Beifall bei der LINKEN)


Wir brauchen bessere Kinderbetreuungsmöglichkeiten.
Minijobs müssen in sozialversicherungspflichtige Be-
schäftigung überführt werden. 45 Jahre Minijob ergeben
einen Rentenanspruch von höchstens 198 Euro. Das
kann doch nicht wirklich ihr Ernst sein.


(Beifall bei der LINKEN)


Wundert es wirklich irgendjemanden in diesem Hause,
dass die Renten von Frauen fast 60 Prozent unter denen
der Männer liegen?

Zum Schluss will ich der Großen Koalition sagen:
Die Zeit der Versprechungen und der Ausflüchte ist vor-
bei. Mir hat gestern eine Kollegin aus Zwickau gesagt:
Es muss etwas passieren, es reicht uns jetzt.

Danke.


(Beifall bei der LINKEN)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1809114300

Für die CDU/CSU spricht jetzt die Kollegin

Dr. Astrid Freudenstein.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. Astrid Freudenstein (CSU):
Rede ID: ID1809114400

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe

Kolleginnen! Liebe Kollegen! Wir brauchen gar nicht
drum herumzureden: Wenn Frauen für genau die gleiche
Arbeit, für eine gleichwertige Arbeit weniger Geld be-
kommen als Männer, dann ist das ungerecht, und wenn
Frauen in unserem Land überproportional häufig von
Armut und Altersarmut betroffen sind, kann uns das
nicht in Ruhe lassen.

Frauen verdienen im Schnitt 22 Prozent weniger als
Männer. Dieses sogenannte Gender Pay Gap lässt sich
allerdings aufteilen: 15 Prozent Unterschied lassen sich
erklären – ich werde Ihnen das tatsächlich wieder erklä-
ren –, 7 Prozent lassen sich aber tatsächlich durch nichts
so recht erklären. Diese 7 Prozent sind die eigentliche
Ungerechtigkeit. Das ist Diskriminierung von Frauen,
die schlicht und ergreifend schon jetzt verboten ist.


(Beifall bei der CDU/CSU)






Dr. Astrid Freudenstein


(A) (C)



(D)(B)

Ich will jetzt aber auch über diese 15 Prozent spre-
chen, die Sie vielleicht als Skandal betrachten, ich aber
nicht. Punkt eins: Frauen kriegen Kinder. Punkt zwei:
Frauen wählen nach wie vor Berufe, die nicht besonders
gut bezahlt sind,


(Elke Ferner [SPD]: Dafür kriege ich doch keine schlechtere Bezahlung!)


und sie erreichen seltener gut bezahlte Führungspositio-
nen. Punkt drei: Viele Frauen arbeiten Teilzeit, und es
werden immer mehr.


(Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist kein Grund, dass sie einen geringeren Stundenlohn bekommen!)


Zu allen drei Punkten will ich etwas sagen.

Erstens: zur Teilzeit. Wenn wir uns die Zahlen des
Statistischen Bundesamtes anschauen, stellen wir fest:
Inzwischen sind drei von vier Frauen erwerbstätig. Das
ist so viel wie nie zuvor. Das ist eine ausgesprochen gute
Nachricht.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


In Bayern ist im Übrigen die Erwerbsquote von
Frauen in Westdeutschland am höchsten und mit am
höchsten in Deutschland. Die Zahl der vollzeitbeschäf-
tigten Frauen geht aber gleichzeitig zurück. Von den
Frauen, die erwerbstätig sind, arbeitet inzwischen nicht
einmal mehr jede zweite Vollzeit. Trotzdem sind es in
der Gesamtheit so viele wie nie zuvor.

Warum, meinen Sie, ist das so? Es gibt Frauen, die
einfach keine Vollzeitstelle bekommen, obwohl sie eine
wollen. Dies ist gerade im Osten der Fall. Dies sind al-
lerdings nur 14 Prozent. Die allermeisten erwerbstätigen
Frauen arbeiten Teilzeit, weil sie Teilzeit arbeiten wol-
len. Warum wollen sie Teilzeit arbeiten?

Das führt mich zum zweiten Punkt: Frauen bekom-
men Kinder. Es gibt viele Frauen, die sich allein um die
Kinder kümmern müssen. Es gibt aber auch sehr viele
Frauen, die sich ausgesprochen gerne um ihre Kinder
kümmern.


(Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Männer gibt es auch!)


Sie wollen Zeit mit ihren Kindern verbringen. Sie wollen
daheim sein, wenn das Kind aus der Schule kommt.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Sie wollen daheim sein, wenn die ersten Zähne wachsen.
Sie wollen daheim sein, wenn die Zähne wieder heraus-
fallen.


(Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Wir Männer auch!)


Ich kann das gut verstehen. Manche wollen auch dann
noch daheim sein, wenn das Kind den ersten Liebeskum-
mer hat. Ich kann das verstehen. Für all das braucht man
Zeit. Diese Zeit nehmen sich Frauen. Sie wollen sehr
häufig eine Teilzeitstelle. Sie nehmen sie, wenn sie An-
spruch darauf haben oder wenn sie es sich leisten kön-
nen.

Drittens. Frauen sind viel häufiger als Männer in
Branchen beschäftigt, in denen schlecht bezahlt wird.
Sie erreichen dort auch seltener gut bezahlte Führungs-
positionen. An der Berufswahl von Frauen können wir
nur in sehr begrenztem Maße etwas ändern. Wir können
aufklären und Frauen und Mädchen auf Berufe hinwei-
sen, die bisher als typisch männlich erachtet wurden.
Aber Fakt ist auch: Frauen gehen trotz all unserer Ap-
pelle und aller Aufklärung lieber ins Büro als in die Au-
tofabrik, auch wenn sie wissen, dass in der Metall- und
Elektroindustrie ganz ordentlich bezahlt werden würde.
Frauen studieren trotz unserer Appelle lieber Medien-
wissenschaften als Maschinenbau, obwohl sie wissen,
dass sie als Pressesprecherin oder Journalistin nicht reich
werden.

Ich halte es auch nicht für eine weibliche Schwäche,
wenn Frauen bei der Berufswahl nicht in erster Linie an
das Geld denken.


(Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und Mädchen spielen immer mit Puppen, oder wie?)


Tatsache ist auch, dass wenige Frauen in Führungsposi-
tionen sind. Aber eine Führungsposition verlangt eben
auch vollen Einsatz: am Abend und auch am Wochen-
ende. Es werden Umzüge und Dienstreisen verlangt.


(Zurufe von der LINKEN)


Damit wären wir wieder beim Punkt Familie angekom-
men. Viele Frauen wollen das nicht. Sie wollen sich
nicht ganz für den Beruf opfern. Sie fühlen sich dann am
glücklichsten, wenn sie Familie und Beruf unter einen
Hut bringen können.


(Beifall bei der CDU/CSU – Zurufe von der SPD und der LINKEN)


Deshalb sollten wir uns in dieser Debatte zu Recht
fragen, was wir mit dem Appell „Mehr Frauen in mehr
Arbeit“ meinen. Wollen wir damit den Fachkräftemangel
bekämpfen? Das wäre legitim. Wollen wir unsere Sozial-
systeme stabilisieren? Das fände ich auch legitim. Oder
meinen Sie vielleicht tatsächlich, dass Frauen nur durch
Erwerbsarbeit emanzipiert sein können? Dem würde ich
widersprechen.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Wenn sich Frauen für einen Beruf entscheiden, wenn
sie Kinder bekommen, wenn sie beruflich kürzertreten,
dann tun sie das in aller Regel, ohne sich um Fachkräfte-
mangel, Stabilisierung von Sozialsystemen und emanzi-
patorische Ideologien zu kümmern. Ich finde das auch in
Ordnung. Sie tun es aus freiem Willen. Wir müssen
respektieren, dass Frauen heute ihr Leben so leben, wie
sie es leben wollen.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU – Elke Ferner [SPD]: Können sie aber nicht!)







(A) (C)



(D)(B)


Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1809114500

Für Bündnis 90/Die Grünen spricht jetzt die Kollegin

Ulle Schauws.


Ulle Schauws (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1809114600

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Her-

ren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Am Sonntag ist
der Internationale Frauentag. Es ist ein Anlass, einen
Blick darauf zu werfen, was sich in Sachen Gleichstel-
lung getan hat und was sich hoffentlich noch verbessern
wird.

Frau Kollegin, zu den „emanzipatorischen Ideolo-
gien“: Hier muss sich zwingend noch einiges verbessern,
vor allen Dingen auf der rechten Seite des Hauses.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Dass sich Frauen und Männer gerne um Kinder küm-
mern, steht außer Frage. Aber darum geht es hier nicht.
Es zeigt, dass Sie diese Debatte immer noch nicht ver-
standen haben.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Auf dem Arbeitsmarkt sieht es ja tatsächlich erst ein-
mal nicht schlecht aus: 18 Millionen Frauen sind er-
werbstätig; ihr Erwerbsanteil ist nach den Zahlen des
DIW auf 46 Prozent, auf einen neuen Höchststand, ge-
klettert. Aber heißt das tatsächlich, dass die wirtschaftli-
che Unabhängigkeit der Frauen, die Möglichkeit zur ei-
genständigen Existenzsicherung, gestiegen ist? Nein, das
heißt es eben nicht; da trügt der Schein. Zwar stimmt,
dass die Zahl der Frauen, die in Teilzeit arbeiten, eben-
falls gestiegen ist, von 2,5 Millionen im Jahr 2001 auf
6,3 Millionen im Jahr 2014; das ist eindeutig zu begrü-
ßen. Aber es ist alarmierend – darum geht es hier –, dass
trotz der höheren Zahl der beschäftigten Frauen der An-
teil des von ihnen geleisteten Arbeitsvolumens seit 1991
nur um gut 4 Prozentpunkte gestiegen ist. Das heißt,
dass zwar mehr Frauen arbeiten, aber weniger Stunden.
Hieran, meine Damen und Herren, zeigt sich eines ganz
klar: Es besteht weiterhin eine Unwucht im System, und
zwar zuungunsten von Frauen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)


Frauen arbeiten Teilzeit, aber nicht immer weil sie
sich das so ausgesucht haben, sondern weil sie sonst Fa-
milie und Beruf nicht vereinbaren können. Sie sind im-
mer noch diejenigen, die das Mehr an Familienarbeit
leisten. Sie bezahlen dafür mit beruflichen und finanziel-
len Nachteilen bis hin zur Altersarmut. Auf der anderen
Seite wollen inzwischen eben auch Männer beruflich
kürzertreten und sich um die Familie kümmern; aber es
gibt für die Männer kaum Möglichkeiten, das zu tun.
Das Modell einer partnerschaftlichen Aufteilung leben
in der Tat nur sehr wenige Paare.

Wir Grüne wünschen uns eine Gesellschaft, in der wir
allen Eltern ermöglichen, sich um ihre Kinder zu küm-
mern und gleichzeitig ihrem Beruf nachzugehen, ohne
existenzielle Nachteile – also echte Wahlfreiheit und
Selbstbestimmung.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Hier würde Frauen genauso wie Männern ein Recht auf
Rückkehr in Vollzeit entscheidend helfen.


(Kerstin Griese [SPD]: Deshalb machen wir es!)


Dann müssten die Männer nicht mehr befürchten, in der
Teilzeitfalle hängen zu bleiben, die Frauen ebenso we-
nig.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, Teilzeit hat eben
auch Nebenwirkungen. Kurzfristig ermöglicht sie viel-
leicht eine bessere Vereinbarkeit von Beruf und Familie;
langfristig allerdings können wir sehen, dass damit die
Lohnschere auseinandergeht. Denn Teilzeit heißt: lang-
fristig schlechtere Bezahlung, fast keine Aufstiegschan-
cen und wenig Rente. Die Statistiken zeigen auch: Teil-
zeit wird schnell zur Sackgasse für Frauen, insbesondere
bei den üblichen Modellen wie halben Stellen oder Mini-
jobs. Eigenständige Existenzsicherung ist für Frauen so
jedenfalls nicht möglich, insbesondere nicht für alleiner-
ziehende. Deshalb sage ich: Es braucht mehr vollzeit-
nahe Teilzeit, orientiert an plus/minus 30 Stunden. Das
wäre für Frauen und Männer attraktiv und eine echte Op-
tion.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Zum Problem der Teilzeit kommt noch eines hinzu –
die Kollegin hat es gerade schon genannt –, nämlich das
Problem der schlechteren Bezahlung. Das Gender Pay
Gap von 22 Prozent ist für Frauen in Deutschland immer
noch Realität, und das ist und bleibt schlicht ein Skan-
dal.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN und der Abg. Elke Ferner [SPD])


Der Unterschied ist insbesondere deshalb so groß,
weil die sogenannten Frauenberufe besonders schlecht
bezahlt werden. Wer jetzt argumentiert, dass Frauen in
den falschen Branchen wie dem Gesundheits- oder dem
Sozialwesen arbeiten, dem sage ich: Gerade die Be-
schäftigung in diesen Branchen ist wichtig. Sie sollte an-
gemessener bezahlt werden,


(Beifall der Abg. Katja Dörner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] und Kerstin Griese [SPD])


und das nicht zuletzt, damit die sogenannten Frauenbe-
rufe für Männer attraktiver werden. Dann brauchen wir
auch nicht über eine Männerquote zu reden.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, das DIW rechnet in
Zukunft mit einer steigenden Erwerbsbeteiligung von





Ulle Schauws


(A) (C)



(D)(B)

Frauen; das ist gut. Es ist auch gut, das als Frauenpoliti-
kerin zu hören. Aber wir müssen dafür sorgen, dass
Frauen von ihrer Arbeit leben können, eine ausreichende
Rente im Alter erhalten. Von der Bundesregierung er-
warte ich deswegen Vorschläge für andere Arbeitszeit-
modelle –


(Kerstin Griese [SPD]: Das machen wir doch!)


flexibler, familienfreundlicher und vollzeitnah. Küm-
mern Sie sich endlich um den Abbau der Erwerbshinder-
nisse wie des Ehegattensplittings! Kümmern Sie sich um
einen ambitionierten Ausbau der Kinderbetreuung und
eine stärkere Unterstützung der Alleinerziehenden! Wir
erwarten von Ihnen Lösungen und kein elendes Gezerre
um eine Kindergelderhöhung um 6 oder 10 Euro.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Uns Grünen kommt es auf die Rahmenbedingungen an,
darauf, dass Wahlfreiheit und Selbstbestimmung hin-
sichtlich der Lebens- und Arbeitsform für alle, für
Frauen wie Männer, eine Selbstverständlichkeit werden.

Vielen Dank.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1809114700

Für die SPD spricht jetzt die Kollegin Elke Ferner.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Elke Ferner (SPD):
Rede ID: ID1809114800

Herr Präsident! Liebe Kollegen und Kolleginnen! Die

Arbeitsmarktzahlen sind der beste Indikator dafür, wie
es um die Gleichstellung von Frauen und Männern in un-
serer Gesellschaft bestellt ist. Die Zahlen sind, ehrlich
gesagt, ernüchternd. Ich finde nicht – das möchte ich
ausdrücklich sagen –, dass das irgendwie alleine Sache
der Frauen ist, weil sie so viel Teilzeit arbeiten wollen;
denn die Situation hat strukturelle Ursachen, und an
diese Ursachen müssen wir ran.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Mittlerweile liegt der Teilzeitanteil bei den erwerbstä-
tigen Frauen bei über 50 Prozent, das heißt, mehr als die
Hälfte aller erwerbstätigen Frauen hat meist kein eigen-
ständiges, existenzsicherndes Einkommen. Häufig sind
sie auf das Zusatzeinkommen des Partners angewiesen.
Das hat zur Folge, dass Lohnersatzleistungen in der Re-
gel nicht existenzsichernd sind, und das hat vor allen
Dingen zur Folge, dass im Alter die eigene Rente nicht
zum Leben ausreicht. Das darf man nicht einfach so
hinnehmen. Wir müssen diese Spaltung auf dem Arbeits-
markt überwinden. Wir müssen den Wunsch der Be-
schäftigten und die Wirklichkeit zusammenführen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Es ist mitnichten so, Frau Kollegin Freudenstein, dass
Frauen, die in Teilzeit arbeiten, genau die Arbeitszeit ha-
ben, die sie wollen. Aus den Zeitstudien und aus anderen
Untersuchungen wissen wir, dass die teilzeitbeschäftig-
ten Frauen ihre Arbeitszeit eigentlich Richtung vollzeit-
nahe Erwerbstätigkeit aufstocken wollen, also 30 Stun-
den plus ein bisschen und nicht 20 Stunden und ein
bisschen weniger.

Wir wissen, dass auch die jungen Väter ihre Arbeits-
zeit reduzieren wollen. 60 Prozent der jungen Paare
möchten gerne partnerschaftlich für die Familie, für Kin-
der und für pflegebedürftige Angehörige, da sein.
Gleichzeitig möchten sie nicht darauf verzichten, ihrem
Job nachzugehen und Karriere zu machen. Aber dieser
Wunsch geht mit der Wirklichkeit nicht zusammen. Des-
halb ist es ein bisschen billig, zu sagen: Die Frauen wol-
len das. Ich sage: Nein, die meisten Frauen wollen das
eben nicht!


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wir brauchen Verbesserungen in diesem Bereich.
Deshalb haben wir bereits in dieser Wahlperiode Verbes-
serungen eingeleitet. Mit dem Elterngeld Plus haben wir
das Elterngeld um Partnerschaftlichkeitskomponenten
erweitert. Wir haben bei der Familienpflegezeit und bei
der Pflegezeit deutliche Verbesserungen für die Verein-
barkeit von Familie und Pflege getroffen.

Was jetzt noch fehlt, das sind weitere Schritte hin zu
einer echten Familienarbeitszeit.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Als Manuela Schwesig diesen Vorschlag letztes Jahr in
die Debatte eingebracht hat, ist er in Teilen belächelt
worden, aber mittlerweile sind Arbeitgeberverbände,
Gewerkschaften usw. an ihrer Seite. Wir als SPD-Frak-
tion werden weiter für eine Familienarbeitszeit kämpfen,
die es Männern wie Frauen ermöglicht, ihre Arbeitszeit
aufgrund familiärer Verpflichtungen zu reduzieren und
gleichzeitig ihrem Job nachgehen zu können und keine
Karriereeinbußen und keine finanziellen Einbußen hin-
nehmen zu müssen, nur weil man – oder besser gesagt:
„frau“ – Teilzeit arbeitet.


(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Damit bin ich beim zweiten Thema, nämlich beim
Thema „Gleicher Lohn für gleiche und gleichwertige
Arbeit“. Nein, es ist nicht so, dass die Frauen einfach nur
die falschen Berufe wählen. Wenn es so viele Frauen
gibt, die als Journalistinnen arbeiten: Warum gibt es
dann so wenig Chefredakteurinnen bei den Rundfunkan-
stalten, bei den Zeitungen, bei den Wochenzeitungen?
Warum werden Journalistinnen schlechter bezahlt als
Journalisten?


(Ulle Schauws [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sehr gut!)






Elke Ferner


(A) (C)



(D)(B)

Warum wird das Heben von Steinen eigentlich besser
bewertet als das Heben von Menschen in Pflegeeinrich-
tungen?


(Ulle Schauws [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau!)


Warum wird derjenige, der unsere Waschmaschine repa-
riert, besser bezahlt als diejenige, die unsere Kinder er-
zieht?


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Das sind die Diskussionen, die wir führen müssen, wenn
es um das Thema „Gleicher Lohn für gleiche und gleich-
wertige Arbeit“ geht.

Ich will ausdrücklich widersprechen – auch wenn das
Statistische Bundesamt der Auffassung ist, dass aus dem
bereinigten Gender Pay Gap bestimmte Komponenten
herausgerechnet werden müssen –: Es ist für meine Be-
griffe nicht statthaft, dass Teilzeitbeschäftigung heraus-
gerechnet wird.


(Beifall bei der SPD)


Wir wissen, dass Teilzeitbeschäftigte bei gleicher Arbeit
schlechter bezahlt werden. Das ist schon heute nach dem
Teilzeit- und Befristungsgesetz nicht erlaubt, aber es
passiert trotzdem.

Eben bei der Debatte über das Thema Mindestlohn
haben wir gehört, dass von Arbeitgebern teilweise ver-
sucht wird, bestehende Regelungen, die sie jahrelang
nicht eingehalten haben, auch in Zukunft nicht einhalten
zu müssen. Es darf nicht alleine auf den Schultern der
einzelnen Beschäftigten lasten, dafür zu sorgen, dass er
oder sie zu seinem oder ihrem Recht kommt. Dafür brau-
chen wir ein Gesetz für mehr Lohngerechtigkeit, und das
werden wir in dieser Wahlperiode auch angehen – das
steht im Koalitionsvertrag –; denn es geht darum, dass
gleiche Arbeit bzw. gleichwertige Arbeit auch gleich be-
zahlt wird, dass es mehr Lohngerechtigkeit gibt. Ich
würde mir wünschen, dass wir hier es alle noch erleben
werden, dass der Equal Pay Day auf den 1. Januar fällt;
dann nämlich werden Frauen und Männer für die gleiche
Arbeit auch das gleiche Geld bekommen.

Schönen Dank.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1809114900

Für die CDU/CSU spricht jetzt die Kollegin Ursula

Groden-Kranich.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Ursula Groden-Kranich (CDU):
Rede ID: ID1809115000

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Meine Damen und Herren! Eben habe ich mich kurz ge-
fragt, ob die Überschrift eine andere ist als „Aktuelle
Stunde zur Beschäftigungssituation von Frauen“. Ich
denke, dem Thema Equal Pay werden wir uns in aller
Ausführlichkeit noch in den nächsten Wochen nähern.


(Zuruf von der LINKEN: Bezahlung hat nichts mit Beschäftigung zu tun!)


Der Hintergrund dieser Aktuellen Stunde und zahlrei-
cher Gesetze und Initiativen der letzten Jahre ist der
Wunsch, mehr Frauen in Beschäftigungsverhältnisse zu
bringen, und zwar möglichst in qualitativ hochwertige
Beschäftigung, keine Minijobs, und möglichst oft in
Vollzeitbeschäftigung. Die Zahlen des Statistischen Bun-
desamtes zeigen, dass die Entwicklung genau in diese
Richtung voranschreitet. Ich selbst kann diese Anstren-
gungen nur begrüßen und unterstütze sie in mehrfacher
Hinsicht: als Frau, die seit mehr als 30 Jahren berufstätig
ist und immer großen Wert darauf gelegt hat, finanziell
auf eigenen Beinen stehen zu können; als Mutter einer
Tochter, die später ihren Wunschberuf erlernen und auch
ausüben können soll; als CDU-Politikerin, die immer
auch die Wirtschaft im Blick hat und das nicht nur unter
dem Stichwort Fachkräftemangel; und als Berichterstat-
terin meiner AG für das Thema Entgeltgleichheit. Wir
müssen über die Zahlen heute nicht noch einmal disku-
tieren; ich glaube, Frau Dr. Freudenstein hat sehr klar
zum Ausdruck gebracht, wie dieser Gap entsteht und wie
er sich differenziert.

Wenn mehr Frauen in größerem Umfang und vor al-
lem zu höheren Gehältern arbeiten, ist das ein Gewinn
für alle. „Arbeiten für gleichen Lohn“ ist nicht mehr al-
lein die Diskussion – für Frauen, die ihre Familien er-
nähren möchten, die in der Wirtschaft klar ihre Position
zum Ausdruck bringen wollen, aber sehr wohl. Wenn sie
fair bezahlt werden, ist das ein Gewinn für die Gesell-
schaft insgesamt. Um diese positive Entwicklung weiter
voranzutreiben, müssen aber, neben anderen, zwei wich-
tige Voraussetzungen erfüllt sein:

Erstens müssen wir alle noch stärker daran arbeiten,
dass alle jungen Frauen einen Schulabschluss machen
und eine Ausbildung oder ein Studium beenden, damit
ihnen überhaupt die Wege in die Berufswelt und die fi-
nanzielle Eigenständigkeit offenstehen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Zweitens muss jungen Frauen klar sein, und zwar be-
vor sie Familien- und Erziehungsauszeiten planen, was
diese Auszeiten für sie finanziell und karrieretechnisch
bedeuten – nicht nur während der Elternzeit, sondern
insbesondere danach –, damit sie eben nicht in die Falle
von Altersarmut tappen. Die finanziellen Nachteile aus
bewusst geplanten Familienauszeiten verschärfen sich
im schlechtesten Fall noch, wenn das dem eigenen
Wunsch entsprechende Familienmodell scheitert; auch
darauf muss man hinweisen. Die Wichtigkeit einer ei-
genständigen finanziellen Absicherung durch Erwerbstä-
tigkeit kann also nicht oft und nicht nachdrücklich genug
betont werden. Überall, von Kindesbeinen an, in der Fa-
milie und in der Schule, müssen wir unsere Töchter auf
diesem Weg fördern und ermutigen.


(Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Männer müssen dies ebenfalls tun!)






Ursula Groden-Kranich


(A) (C)



(D)(B)

Wenn sich – wenn alle diese Voraussetzungen erfüllt
sind – dennoch Frauen freiwillig für eine Teilzeitbe-
schäftigung oder längere Berufspausen entscheiden,
müssen wir dies als Politiker und als Gesellschaft akzep-
tieren. Ich selbst akzeptiere das gerne. Die Wahlfreiheit
der Einzelnen muss auch beim Berufs- und Familienle-
ben weiterhin gewährleistet sein. Ich selbst bin nicht nur
vollzeitberufstätige Mutter, sondern auch Arbeitgeberin
von zwei Müttern: Beide Frauen arbeiten in Teilzeit.
Beide haben einen Hochschulabschluss, hatten schon
vor der Mutterschaft Berufserfahrung und wollten auch
danach unbedingt am Ball bleiben. Beide wollen dies
aber im Moment nicht in Vollzeit tun – obwohl ich sie
immer wieder dazu ermutige –, in ein paar Jahren wahr-
scheinlich schon. Ich finde es grundfalsch und, ehrlich
gesagt, auch anmaßend, diesen und vielen anderen
Frauen pauschal ein Leben in der Teilzeitfalle zu unter-
stellen.


(Beifall bei der CDU/CSU – Ulle Schauws [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist Verdrehung der Tatsachen!)


Auch Teilzeitmodelle wurden von Frauen erkämpft
und juristisch durchgefochten.


(Ulle Schauws [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Darum geht es doch nicht!)


Ich verweise nur auf die Lex Peschel. Selbstverständlich
müssen wir auch weiterhin alles dafür tun, um Frauen
den Weg in sozialversicherungspflichtige Beschäftigung
zu ebnen und den Wiedereinstieg nach den Pausen zu er-
leichtern. Die Vereinbarkeit von Beruf und Familie
bleibt hier Dreh- und Angelpunkt der Diskussion.

Die Erhöhung der Erwerbstätigkeit von Frauen kann
auf Dauer aber nur dann gelingen, wenn die Familien-
arbeitszeit in den Familien anders verteilt wird. Dies ist
nicht nur Sache von Frauen, sondern eine Aufgabe, die
nur gemeinsam von Frauen und Männern bewältigt wer-
den kann.

Danke schön.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1809115100

Vielen Dank. – Die Kollegin Cornelia Möhring

spricht jetzt für die Fraktion Die Linke.


(Beifall bei der LINKEN)



Cornelia Möhring (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1809115200

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Vorab, Frau Groden-Kranich: Auf die Idee, dass die Be-
zahlung nichts mit der Beschäftigungssituation von
Frauen zu tun hat, kann man doch eigentlich nur dann
kommen, wenn man denkt, dass Frauen nur für Luft und
Liebe arbeiten wollen. Diese Verbindung ist, wie ich
finde, eindeutig.

Das Thema, das wir heute in der Aktuellen Stunde be-
handeln, ist so aktuell, wie es leider auch ein Dauerbren-
ner ist. Schon die ersten Forderungen zum Frauentag zu
Beginn des 20. Jahrhunderts waren in diese Richtung
formuliert.

Wir haben gehört: Der Anteil von Frauen mit Vollzeit-
erwerbstätigkeit ist gesunken, der mit Teilzeitarbeit ist
gestiegen. Diese Frauen hängen – das ist das Problem –
in der Teilzeitfalle fest, und damit steigt auch erheblich
deren Armutsrisiko. Aber das bedeutet nicht, dass
Frauen weniger arbeiten. Frauen stemmen eben einen
Großteil genau jener Tätigkeiten, die unsere Gesellschaft
erhalten. Das Problem ist: Sie werden dafür entweder
nicht oder nur schlecht entlohnt, nicht mit Geld, aber
auch nicht mit Zeit für sich selbst. Die Folge ist eine
Doppel- und Dreifachbelastung. Das bedeutet dann
schlicht: Überforderung, Krankheit und Armut. Eigent-
lich ist es an der Zeit für einen Aufschrei. Aber ich be-
fürchte, dass selbst dafür die Mehrheit genau dieser
Frauen viel zu kaputt ist und ihr dafür die Zeit fehlt.

Der Teilzeittrend von Frauen ist nicht unbedingt frei-
willig und wird in der Regel auch nicht aus Liebe ge-
wählt. 2 Millionen Frauen geben an, wegen der Kinder-
betreuung in Teilzeit zu gehen, weitere 2 Millionen
wegen sonstiger familiärer Verpflichtungen. Die Arbeit
im Haushalt, die Pflege von Familienangehörigen, die
Erziehung von Kindern wird noch immer hauptsächlich
von Frauen übernommen. Bei Männern haben diesen
Antrieb übrigens nur schlappe 4 Prozent. Bei Männern
ist der meistgenannte Grund, um in Teilzeit zu gehen, die
Teilnahme an Aus- und Weiterbildungen. Tja, ich frage
Sie: Wer macht denn den Haushalt, wenn sich die Män-
ner fortbilden? Wer kümmert sich um die Kinder, wenn
sie dann Karriere machen? Und wer ist angeschmiert,
wenn die Beziehung zerbricht? Das, liebe Kolleginnen
und Kollegen, ist eben keine Frage, die nur in Beziehun-
gen auszuhandeln wäre; hier geht es um eine gesamt-
gesellschaftliche Aufgabe, und sie gehört viel stärker in
den Blick dieses Parlaments und viel stärker in den Blick
der Bundesregierung.


(Beifall bei der LINKEN)


Außerdem ändern sich die Lebensmodelle, auch wenn
das einige von Ihnen nicht wahrhaben wollen. Es gibt
immer mehr Frauen, die lieber alleinerziehend leben und
kein Interesse an einer Ehe oder an einer Vater-Mutter-
Kind-Beziehung haben. Sie wollen etwas anderes, als es
das konservative Familienmodell der Regierung hergibt.


(Beifall bei der LINKEN)


Viele der Frauen in Teilzeit sind alleinerziehend.
Wenn diese dann auch noch auf Hartz IV angewiesen
sind, wird der Teufelskreis verstärkt. Risikomerkmale
für Armut rechnen sich hoch. Frauen sind davon beson-
ders betroffen und – was noch viel schlimmer ist – im-
mer stärker betroffen. Bei Männern stieg die Armuts-
quote seit 2006 um 8 Prozent, bei Frauen um satte 12,5
Prozent. Immer weniger Frauen davon sind erwerbslos,
aber immer mehr sind im Niedriglohnsektor und in pre-
kären Beschäftigungsverhältnissen beschäftigt, sind also
arm trotz Arbeit. Das, liebe Kolleginnen und Kollegen,
ist beschämend.


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)






Cornelia Möhring


(A) (C)



(D)(B)

Alleinerziehende, ob in Teilzeit oder Vollzeit, arbeiten
nicht gesund, sondern sie arbeiten sich krank. Und damit
sind wir wieder am Anfang: Stress, Überforderung, Ar-
mut. Kurzum: Frauen geraten in die Abwärtsspirale,
nein, Frauen werden in die Abwärtsspirale gedrängt.
Doch was macht die Bundesregierung angesichts dieser
bestürzenden Fakten? Ich finde, viel zu wenig oder auch
das Falsche.

Ein Mindestlohn mit Löchern, ein Festhalten an Mini-
jobs, die Armut gleich mitliefern und in biografische
Sackgassen führen, die unsägliche Bedarfsgemeinschaft
bei Hartz IV und unwürdige Sanktionen erschweren den
Frauen und Kindern täglich das Leben. Für Alleinerzie-
hende gibt es nur unzureichende Kinderbetreuungsmög-
lichkeiten und keine ausreichende Steuerentlastung.
Stattdessen möchte Minister Schäuble jetzt das Kinder-
geld um lachhafte 6 Euro erhöhen. Ich finde, das kann
man schon als echte Provokation bezeichnen, erst recht
deshalb, weil diese Erhöhung bei denen, die sie eigent-
lich bräuchten, gar nicht ankommt.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Sylvia Pantel [CDU/CSU]: Und wenn wir es nicht gemacht hätten, wäre es auch nicht recht!)


Die Schwerpunktsetzung geht doch in eine klare
Richtung: Da wird mehr Geld für neue Panzer bereitge-
stellt, anstatt Investitionen in Beschäftigung und Familie
zu stärken. Diese Koalition ist nicht in der Lage, eine
Politik für Frauen im Interesse der Allgemeinheit zu ma-
chen. Liebe SPD, vielleicht merken Sie irgendwann
wirklich, auf was Sie sich da eingelassen haben. Gegen
dieses konservative Frauen- und Familienbild der CDU/
CSU ist doch wirklich kein Kraut gewachsen.


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Wenn wir in einem Jahr rund um den Internationalen
Frauentag wieder über die Situation von Frauen reden,
dann glaube ich zwar nicht, dass mehr als warme Worte
von der Bundesregierung kommen – dafür sind Sie sich
viel zu uneinig –, aber ich kann Ihnen versichern: Die
Linke wird diese Themen immer wieder auf die Tages-
ordnung setzen, damit wir irgendwann den Frauentag
auch wirklich einmal feiern können.

Vielen Dank.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1809115300

Nächste Rednerin ist die Kollegin Kerstin Griese,

SPD.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Kerstin Griese (SPD):
Rede ID: ID1809115400

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Vielen Dank, Frau Kollegin Zimmermann, für
die Initiative der Linksfraktion, dieses wichtige Thema
passend zum Internationalen Frauentag am Sonntag auf
die Tagesordnung zu setzen. Erwerbsarbeit von Frauen
ist ein zentrales Thema für die Gleichberechtigung; denn
sie bedeutet ja immer auch Selbstständigkeit und eine ei-
genständige Alterssicherung. Sie haben eine Kleine An-
frage gestellt und eine Antwort mit vielen Zahlen be-
kommen. Wenn wir die Beschäftigungssituation von
Frauen betrachten, sehen wir viel Licht, aber wir sehen
auch einige Schatten. Wir sehen erfreuliche Entwicklun-
gen wie die Zunahme der Erwerbstätigkeit von Frauen
allgemein. Wir sehen aber auch – das muss man deutlich
sagen – einen wirklich deprimierenden Stillstand beim
Gender Pay Gap. Seit 2006 hat sich nichts geändert. Der
Lohnunterschied liegt immer noch bei 22 Prozent, und
wir sehen – das wird hier sicherlich unterschiedlich be-
wertet – eine starke Zunahme der Teilzeitbeschäftigung
bei Frauen, die uns natürlich wegen ihrer Wirkung auf
die sozialen Sicherungssysteme nicht zufrieden machen
kann.

Die wichtigsten Zahlen aus der Antwort auf Ihre An-
frage sind sicherlich diese: Aktuell sind 46 Prozent aller
Beschäftigten in Deutschland Frauen. Sie profitieren
vom allgemeinen Beschäftigungszuwachs überdurch-
schnittlich. Ihr Anteil an der Zahl der Beschäftigten hat
sich seit dem Jahr 2000 um fast 14 Prozent erhöht; das
ist die gute Nachricht. Frauen sind also vor allem in
Westdeutschland deutlich häufiger als noch vor 15 oder
20 Jahren erwerbstätig, aber – jetzt kommt das Aber –
sie arbeiten in großer Zahl in Teilzeitarbeitsverhältnis-
sen. Das ist dann auch immer eine Teilzeitfalle. Ich will
sagen, warum; denn dazu gehören immer die üblichen
Nachteile, die diese Beschäftigungsform mit sich bringt:
weniger Gehalt, weniger Aufstiegschancen, seltener
hochqualifizierte Arbeit. Eine aktuelle Studie des DIW
hat festgestellt, dass 2014 doppelt so viele Frauen wie
1991 in Teilzeit gearbeitet haben, nämlich 11 Millionen.

Natürlich beinhaltet Teilzeitarbeit ein weites Spek-
trum von Beschäftigung. Da gibt es die Lehrerin, die 18
statt 24 Stunden unterrichtet, aber auch die Minijobbe-
rin, die im Supermarkt Regale einräumt. Deshalb müs-
sen wir differenziert betrachten, was Teilzeit heißt. Für
manche Frauen ist die freiwillige Reduzierung ihrer Ar-
beitszeit ein Zugewinn an Lebensqualität, für andere ist
sie aber ein schlecht bezahlter, prekärer Teilzeitjob und
oft das Einzige, was sie bekommen konnten. Deshalb
meine ich: Für viele Frauen – auch für Männer; auf die
komme ich noch – ist Teilzeitarbeit sicherlich in der Fa-
milienphase wichtig, um Kinderbetreuung und Arbeit
unter einen Hut zu bringen. Aber wir erleben auch im-
mer wieder, dass sich für Frauen nach Jahren der famili-
enbedingten Teilzeitarbeit zeigt, dass der Wunsch auf
Rückkehr in Vollzeit vom Arbeitgeber nicht erfüllt wird
und sie dann eben in dieser Teilzeitfalle stecken. Des-
halb wollen wir da etwas tun. Wir haben im Koalitions-
vertrag vereinbart, das Rückkehrrecht von zeitlich be-
fristeter Teilzeit zur früheren Arbeitszeit, zur Vollzeit,
umzusetzen. Das ist ein ganz wichtiger Schritt, um aus
dieser Teilzeitfalle herauszukommen.


(Beifall bei der SPD)


Das wird für viele Frauen eine deutliche Verbesse-
rung sein; denn es bedeutet, dass sie Sicherheit und Fle-
xibilität genau da haben, wo sie nötig sind. Keine Frau





Kerstin Griese


(A) (C)



(D)(B)

muss dann mehr dauerhaft und gegen ihren Wunsch in
Teilzeit bleiben, wenn sie wieder voll arbeiten will, und
keine Frau muss aus Angst, nicht wieder voll arbeiten zu
können, auf Teilzeitarbeit verzichten und sich so großen
Stress machen.


(Beifall bei der SPD)


Nicht zuletzt bedeutet dieses Rückkehrrecht von Teilzeit
auf Vollzeit auch einen echten Schutz vor Altersarmut.
Denn ein Erwerbsleben in Teilzeit führt zu einer geringe-
ren Rente. Das wollen wir verhindern.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Nicht nur aktuelle Studien, sondern, ich denke, auch
unser aller Lebenserfahrung zeigen, dass junge Men-
schen eine andere Work-Life-Balance, wie es immer so
schön heißt, anstreben, also dass Frauen und Männer
gleichermaßen Beruf und Familie vereinbaren wollen.
Darum geht es. Wir als Politik müssen diese Wünsche
ernst nehmen. Mit der Idee zu einer neuen Familienar-
beitszeit, in der Männer und Frauen zwischen verschie-
denen Arbeitszeitmodellen wählen können, können wir
den Wünschen von jungen Frauen und Männern entge-
genkommen. Die Wahl zwischen 25, 30, 32 oder 40
Stunden ist sehr viel realitätsgerechter als nur die Wahl
– hier öffnet sich sozusagen eine Schere – zwischen
Vollzeit und Teilzeit, also einer halben Stelle, meistens
in einem niedriger qualifizierten Job. Mit einer Art klei-
ner Vollzeit von 30, 32 oder 35 Stunden kommt man au-
ßerdem auf ein viel besseres Einkommen, was auch für
die eigenständige Alterssicherung wichtig ist. Wir Sozi-
aldemokratinnen und Sozialdemokraten – meine Kolle-
gin Ferner hat es schon angekündigt – arbeiten an einem
Modell für eine Familienarbeitszeit. Wir wollen die
Wünsche und Bedürfnisse junger Menschen besser er-
füllen.


(Beifall bei der SPD)


Dazu gehört auch der weitere Ausbau der Kinderbe-
treuung. Ich will noch einmal deutlich sagen: Deutsch-
land hat im Vergleich zu anderen europäischen Ländern
sehr spät und zögerlich auf die veränderten Wünsche der
Generation vor uns und der jetzigen Generation reagiert.
Aber in den letzten 15 Jahren haben wir Sozialdemokra-
tinnen und Sozialdemokraten die Weichen in die richtige
Richtung gestellt. Der Rechtsanspruch auf einen Kinder-
betreuungsplatz hat vielen Frauen besonders in West-
deutschland einen schnelleren Wiedereinstieg in den Be-
ruf ermöglicht. Der Ausbau von der Krippe bis zur
Ganztagsschule hat dem Ganzen einen riesigen Schub
gegeben. Das ist ein guter Schritt, um Beruf und Familie
besser zu vereinbaren. Es ist auch ein wichtiger Schritt
zu mehr Gleichberechtigung und zu besseren Bildungs-
chancen für alle Kinder.

Ich will heute nicht vergessen, auch zu sagen: Der
Mindestlohn hat geholfen, dass viele Frauen jetzt mehr
verdienen.


(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Denn noch immer arbeiten überproportional viele
Frauen in den schlechter bezahlten Minijobs. Diese wer-
den jetzt anständig kontrolliert und unterliegen wie alle
Jobs dem Mindestlohn. Diese Frauen profitieren in be-
sonderem Maße vom Mindestlohn. Uns liegen Zahlen
vor, dass Frauen bisher doppelt so häufig wie Männer in
Jobs waren, in denen weniger als 8,50 Euro pro Stunde
gezahlt wurden. Das hat sich dank des Mindestlohns seit
Januar geändert. Das ist ein großer Erfolg.


(Beifall bei der SPD)


Wir wollen gleiche Bezahlung für gleiche und gleich-
wertige Arbeit. Wir wollen eine ausgewogenere Arbeits-
teilung zwischen Frauen und Männern.


Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1809115500

Liebe Kollegin Griese, der letzte Satz wäre ein guter

Schlusssatz gewesen.


Kerstin Griese (SPD):
Rede ID: ID1809115600

Sie sind mit der Zeitaufzeichnung hier wirklich büro-

kratisch.


(Heiterkeit bei der SPD)


Das passt, da ich gerade beim Thema Mindestlohn war. –
Ich komme Ihrem Vorschlag gerne nach, Herr Präsident.

Wir wollen Frauen nicht bevormunden, sondern ihnen
ermöglichen, frei und selbstbestimmt über ihr Leben und
ihre Arbeitszeit zu entscheiden. Dafür muss die Politik
die Rahmenbedingungen schaffen.

Vielen Dank.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1809115700

Bevor gleich der Kollege Dr. Strengmann-Kuhn das

Wort erhält, darf ich die Wahlergebnisse bekannt geben.

Zunächst das von den Schriftführerinnen und Schrift-
führern ermittelte Ergebnis der Wahl eines Mitglieds
des Vertrauensgremiums gemäß § 10 a Absatz 2 der
Bundeshaushaltsordnung: abgegebene Stimmen 589,
gültige Stimmen 589. Mit Ja haben gestimmt 527, mit
Nein 45, Enthaltungen 17. Der Abgeordnete Eckhardt
Rehberg hat 527 Stimmen erhalten. Die erforderliche
Mehrheit wurde damit erreicht.1)


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Dann das von den Schriftführerinnen und Schriftfüh-
rern ermittelte Ergebnis der Wahl eines Mitglieds des
Sondergremiums gemäß § 3 Absatz 3 des Stabilisie-
rungsmechanismusgesetzes: abgegebene Stimmen eben-
falls 589, gültige Stimmen 589. Mit Ja haben gestimmt
519, mit Nein 35, Enthaltungen 35. Der Abgeordnete
Volkmar Klein hat damit 519 Stimmen erhalten und da-
mit auch die erforderliche Mehrheit erreicht.2)

1) Anlage 2
2) Anlage 3





Vizepräsident Johannes Singhammer


(A) (C)



(D)(B)


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Wir fahren jetzt in der Aktuellen Stunde fort. Ich er-
teile das Wort dem Kollegen Dr. Wolfgang Strengmann-
Kuhn für Bündnis 90/Die Grünen.


(BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Je-
des Jahr im März diskutieren wir hier aus Anlass des
Frauentages und aus Anlass des Equal Pay Day, der lei-
der immer noch im März und nicht früher stattfindet,
über Gleichstellungspolitik. Aber wenn man sich die
wirklichen Probleme ansieht, stellt man leider fest: Es
hat sich über die Jahre und Jahrzehnte nicht viel verän-
dert; wir reden jedes Jahr über die gleichen Probleme.
Das muss uns alle nachdenklich machen, da müssen wir
uns alle an die eigene Nase fassen, und das müssen wir
ändern.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Elke Ferner [SPD])


Es ist wichtig, einmal genau zu erklären: Was ist ei-
gentlich das Problem? Das Problem ist nicht, dass viele
Frauen Teilzeit arbeiten, auch nicht die Teilzeitarbeit an
sich. Es ist schon gesagt worden: Viele Frauen wollen
Teilzeit arbeiten. Aber in der Regel wollen sie mehr ar-
beiten, also nicht kurze, sondern lange Teilzeit; das gilt
insbesondere für Mütter. Frau Freudenstein, auch Män-
ner würden gerne Teilzeit arbeiten.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)


Das tun sie in der Regel aber nicht. Es hat auch Gründe,
warum das so ist.

Ich sehe drei Probleme:

Das erste Problem sind die Minijobs, die zu einer
Minijobfalle geworden sind. Diese Falle müssen wir
endlich beseitigen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Das zweite Problem ist die fehlende soziale Absiche-
rung bei Teilzeittätigkeit. Der Mindestlohn ist eingeführt
worden; das ist sicherlich ein wichtiger Schritt zur
Gleichstellung zwischen Männern und Frauen. Aber bei
Teilzeit reicht auch ein Mindestlohn in der Regel nicht
aus, um die Existenz zu sichern. Da müssen wir mit wei-
teren Maßnahmen insbesondere für Alleinerziehende da-
für sorgen, dass sie, wenn sie erwerbstätig und in einer
langen Phase der Erwerbsteilzeit sind, ein existenz-
sicherndes Einkommen erzielen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Da reichen in der Tat die 6 Euro Kindergelderhöhung bei
weitem nicht aus. Das geht an dem Problem eher vorbei.

Auch Altersarmut ist ein Thema, das diese Große Ko-
alition überhaupt nicht anpackt. Es gab den Vorschlag ei-
ner Lebensleistungsrente, den schon Frau von der Leyen
immer vor sich hergetragen hat; er ist wieder in der Ver-
senkung verschwunden. Wir schlagen schon seit ewiger
Zeit eine echte Garantierente vor, die Frauen – auch die-
jenigen, die länger in Teilzeit gearbeitet haben – vor Al-
tersarmut schützt. Das ist eine weitere wichtige Bau-
stelle.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Aber wir müssen vor allen Dingen an die Ursachen
herangehen. Die Ursachen liegen darin, dass Teilzeit-
arbeit eine Frauendomäne ist, dass also überwiegend
Frauen Teilzeit arbeiten und nicht etwa Männer und
Frauen gleichermaßen teilzeiterwerbstätig sind. Eine
echte Gleichstellung ist erst dann erreicht, wenn die Teil-
zeitquote von Männern genauso hoch ist wie die Teil-
zeitquote von Frauen.

Dass dem so ist, hat strukturelle Gründe, die im Steu-
ersystem und im Sozialversicherungssystem liegen. Da
müssen wir ran. Wir müssen auch an das Ehegattensplit-
ting ran. Nach wie vor ist unser Ziel als Grüne, dass wir
das Ehegattensplitting abschaffen, weil es massive An-
reize zu geschlechtsspezifischer Arbeitsteilung setzt.
Wir wollen weg von der Subventionierung und hin zu
echter Wahlfreiheit.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie des Abg. Sönke Rix [SPD])


Es gibt weitere Regelungen: Die kostenlose Mitversi-
cherung in der Krankenversicherung ist für viele Frauen
eine echte Hürde, wenn es darum geht, in den Arbeits-
markt einzusteigen. Auch diese Hürde müssen wir end-
lich beseitigen.


(Stephan Stracke [CDU/CSU]: Das wird aber erst mal teurer!)


Im Rahmen der Bürgerversicherung, wie wir sie vor-
schlagen, wollen wir die beitragsfreie Mitversicherung
durch ein Beitragssplitting ersetzen.


(Zuruf von der CDU/CSU: Aha, interessant!)


Dann wäre diese Hürde weg. Dadurch würde man auch
an dieser Stelle eine Brücke in den Arbeitsmarkt bauen,
insbesondere für Frauen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Beim dritten Punkt bin ich wieder bei den Minijobs.
Wenn man sich die Evaluierung der familienpolitischen
Leistungen, aber auch den Gleichstellungsbericht der
Bundesregierung ansieht – ich glaube, beides sollte sich
die Große Koalition einmal zu Herzen nehmen –, stellt
man fest: Da stehen viele wichtige Sachen drin. Ein zen-
traler Punkt: Die Minijobs müssen wir so ausgestalten,
dass sie wieder voll sozialversicherungspflichtig wer-
den. Denn sie sind tatsächlich eine Falle, in der Millio-
nen von Frauen hängen bleiben, die dann von Armut, Al-
tersarmut und Diskriminierung bedroht sind.

Die wesentliche Ursache dafür, dass Frauen so wenig
verdienen, ist die geschlechtsspezifische Arbeitsteilung,
insbesondere bei der Kindererziehung. Es ist nämlich





Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn


(A) (C)



(D)(B)

nicht biologisch bedingt, dass sich Frauen um Kinder
kümmern; vielmehr können Männer Kinder, abgesehen
von der Stillzeit und den ersten Lebenswochen, im Prin-
zip genauso gut betreuen wie Frauen. Das muss das zen-
trale Ziel sein: Gleichstellung sowohl bei der Familiener-
ziehung als auch auf dem Arbeitsmarkt. Nur das schafft
wirkliche Gerechtigkeit und wirkliche Freiheit.

Vielen Dank.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1809115800

Nächste Rednerin ist die Kollegin Antje Lezius für

die CDU/CSU.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Antje Lezius (CDU):
Rede ID: ID1809115900

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen

und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die
Kleine Anfrage der Linkenfraktion, die wir hier bespre-
chen, beginnt mit dem Hinweis auf den 105. Frauentag.
Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Linken, dieses
Datum liegt Ihnen besonders am Herzen, war es doch
eine sehr starke Frau, Clara Zetkin, die als Erste Agita-
tion für die Einführung des Frauenwahlrechts betrieb.

Dies ist lange verwirklicht. Heute geben Sie uns da-
mit als Regierungskoalition die Gelegenheit, Ihnen aus-
zuführen, was wir als Große Koalition für die Gleichstel-
lung von Frauen und Männern geleistet haben und
leisten. Das nehmen wir wie jedes Jahr gerne an.

Das Thema Frauenerwerbstätigkeit ist von besonderer
Bedeutung. So ist nicht nur die Mehrheit der Bevölke-
rung weiblich, nämlich 41 Millionen zu 39 Millionen.
Auch aus demografischen Gründen können wir es uns
gar nicht erlauben, die Frauen dieses Landes zu vernach-
lässigen. Hinzu kommt, dass Frauen eine höhere Lebens-
erwartung haben.

Daraus ergibt sich die Frage, wie die Versorgung im
Alter aussieht – das wurde heute schon angesprochen –
und wie wir zum Beispiel dem Problem der Altersarmut
begegnen, von der häufig genug Frauen betroffen sind.

Im Hinblick auf den Arbeitsmarkt unterstützen wir es,
wenn mehr Frauen erwerbstätig sind und gleichwertig
bezahlt werden. Erwerbsarbeit ist die beste Möglichkeit
für Frauen, selbst etwas gegen Armut zu unternehmen
und für das Alter vorzusorgen.

In meinem Wahlkreis war ich letzte Woche zu Gast
bei einer jugendpolitischen Diskussion. Es ging dort
auch um dieses Thema. Es ist bekannt, dass sich Mäd-
chen gerne für klassische sogenannte Mädchenberufe
wie Friseurin, Einzelhandelskauffrau oder Erzieherin
entscheiden. Das sind ohne Frage wichtige und ehren-
volle Berufe. Aber: Ich fragte die jungen Frauen, wes-
halb sie sich aus einem Katalog von immerhin 350 Aus-
bildungsberufen auf einen kleinen Kreis von circa
20 Berufen beschränkten. Daraufhin herrschte betretenes
Schweigen.
An diesem Punkt müssen wir ansetzen. Hier können
wir viel tun. Die Bundesregierung will mit Initiativen
wie der „Perspektive MINT“, integrierten Projekten wie
dem Wettbewerb „Jugend forscht“ und dem „Bundes-
wettbewerb Informatik“ junge Leute, insbesondere aber
Mädchen für die Berufe interessieren, die diese noch
nicht im Blick haben, die aber wesentlich besser bezahlt
werden.

Gerade für Frauen ist die Welt aber vielfältiger. Sie
sind nicht nur Arbeitnehmerinnen, sondern auch Mütter,
Töchter und Ehefrauen. Die Teilhabe von Frauen am Ar-
beitsmarkt ist deswegen nicht zwangsläufig erfolgreich,
wenn möglichst viele von ihnen Vollzeit arbeiten.

Wir vergessen in der wichtigen Debatte um die
Gleichstellung von Mann und Frau häufig, dass vieles,
was als Missstand kritisiert wird, für die Betroffenen
nicht automatisch auch ein Missstand ist.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Jeder Mensch hat die verfassungsrechtlich geschützte
Freiheit, sich seinen Beruf auszusuchen. Er oder sie hat
aber auch die Freiheit, die Arbeitszeit frei zu wählen.
Viele – sowohl Frauen als auch Männer – können oder
wollen aus den verschiedensten Gründen nicht mehr als
Teilzeit arbeiten. Das müssen wir akzeptieren. Das habe
ich selbst in meinem Unternehmen mit über 20 weibli-
chen Arbeitnehmern erlebt, die aus verschiedensten
Gründen in Teilzeit arbeiten wollten.

Politik soll nicht per Gesetz für Gleichmacherei sor-
gen.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Unsere Verpflichtung ist, dort einzugreifen, wo die
Wahlfreiheit gefährdet ist.

Aus diesem Grund unterstützen wir Familien mit dem
Betreuungsgeld. Aus diesem Grund hat diese Bundes-
regierung zahlreiche Gesetzesvorhaben umgesetzt, um
die Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu gewährleis-
ten.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Diese reichen vom Familienpflegezeitgesetz bis hin zum
Elterngeld Plus und – wir haben es schon angesprochen –
dem Mindestlohn. Auch das im Moment diskutierte Ge-
setz zur Frauenquote in Führungspositionen soll Chan-
cengleichheit schaffen, wo es diese nicht gibt. Das ist der
Weg in die richtige Richtung.

Die Mütterrente schließlich hilft insbesondere Frauen,
die Kinder erzogen haben und deswegen eben nicht be-
rufstätig waren. Wir erkennen damit Lebensleistungen
und individuelle Entscheidungen an.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Das Beste, was wir für Frauen und Mädchen im Hin-
blick auf die Berufstätigkeit tun können, ist eine gute
Vorbereitung auf die Berufswelt. Hierfür sorgen sowohl
ein Wertewandel in den Elternhäusern als auch eine gute
und vielseitig orientierte Bildung und Ausbildung und
die Stärkung der Frauen darin, für ihre Rechte einzuste-
hen. Das ist mir, das ist der Union wichtig.





Antje Lezius


(A) (C)



(D)(B)

Danke schön.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1809116000

Nächste Rednerin ist die Kollegin Michelle

Müntefering für die SPD.


(Beifall bei der SPD sowie der Abg. Ursula Groden-Kranich [CDU/CSU])



Michelle Müntefering (SPD):
Rede ID: ID1809116100

Sehr geehrter Herr Präsident! Damen und Herren!

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich sage mal, wie es
ist:


(Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Frauen wissen alles, und Frauen können alles,


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


alles, was man für Berufe braucht. Sie müssen aber auch
dürfen. Dafür braucht es eben auch das Recht, das Recht
auf gleichen Lohn für gleiche Arbeit, und Berufe, in de-
nen besonders viele Frauen arbeiten, brauchen auch die
gleiche Wertschätzung.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der LINKEN und der Abg. Ulle Schauws [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


In den Jahren meiner praktischen Ausbildung im Kin-
dergarten habe ich mir oft gewünscht, dass die Kinder-
gärtnerinnen mal so auf die Straße gehen, wie die Che-
mie- und Metallfacharbeiter das ab und zu tun,


(Beifall der Abg. Daniela Kolbe [SPD])


um deutlich zu machen, was für uns selbstverständlich
ist: Es sind die Frauen in den sozialen Berufen, die sich
um alte Menschen in den Senioreneinrichtungen und um
Kinder in den Kitas und in den Grundschulen kümmern.
Es gibt mittlerweile Gegenden in Deutschland, in denen
es sich Kindergärtnerinnen gar nicht mehr leisten kön-
nen, da zu wohnen, wo sie arbeiten.


(Elke Ferner [SPD]: Ja!)


Sie nehmen deshalb weite Anfahrtswege in Kauf.

Altenpflegeschülerinnen und -schüler müssen ihre
Ausbildung teilweise selbst finanzieren. Ein anderes
Beispiel sind demgegenüber die Lehrlinge in der Metall-
und Elektroindustrie, die in NRW 867 Euro im ersten
Lehrjahr verdienen. So steht es im Tarifarchiv der Hans-
Böckler-Stiftung. Und auch die Aufstiegschancen sind
im Seniorenheim und im metallverarbeitenden Gewerbe
– kurz gesagt – sehr unterschiedlich.


(Maik Beermann [CDU/CSU]: Dafür ist die Landesregierung zuständig! – Gegenruf der Abg. Ulle Schauws [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist ja ein tolles Argument! Ganz coole Debatte!)

IHKen, Gewerkschaften, Eltern und Migrantenver-
bände sind hier gefragt, und die gesamte Gesellschaft ist
gefragt, das nicht länger hinzunehmen.


(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Harald Petzold [Havelland] [DIE LINKE])


Das ist auch angesichts dessen wichtig, was wir schon
heute wissen: Wir werden zukünftig viel mehr Alten-
pflegerinnen und Altenpfleger brauchen.

Wen wollen wir für diese Berufe eigentlich noch be-
geistern? Es ist Zeit, diesen Frauen und Männern auch
einmal Danke zu sagen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ich sage das auch als Abgeordnete aus dem Ruhrge-
biet. Die Chancen einer Region steigen, wenn sie junge
Frauen fördert und ihnen eine Chance gibt; denn dort ge-
hen die Frauen hin. Wo die Frauen hingehen, da sind die
Männer auch nicht weit,


(Heiterkeit bei der Abg. Elke Ferner [SPD])


und das biologische kleine Einmaleins besagt: Da gibt es
auch Kinder und wieder Arbeit.

Mein Opa war noch stolz darauf, dass er sagen
konnte: „Meine Frau muss nicht arbeiten“, weil er genug
verdient hat. So war das bei vielen – auch bei den Berg-
arbeitern im Ruhrgebiet. Meine Oma aber erzählte zeit-
lebens gern aus der Zeit, als sie noch im Schuhgeschäft
gearbeitet hat, bevor der Krieg begonnen wurde und die
jüdischen Besitzer dieses Schuhgeschäfts in Gladbeck
fliehen mussten. Meine Oma hatte danach noch viel Ar-
beit, aber nie wieder ein Beschäftigungsverhältnis.

Seit ich mich politisch engagiere, hat sich vieles ver-
ändert. 1998 war es die rot-grüne Koalition, die die Fa-
milienpolitik in Deutschland entscheidend verändert hat.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Ich erinnere an Christine Bergmann, an Edelgard
Bulmahn, an Renate Schmidt und an den Ausbau der
Ganztagsgrundschulen, den ich als Kommunalpolitike-
rin im Rat meiner Heimatstadt miterleben und mitgestal-
ten durfte.

Aber es gibt in unserem Denken immer noch einen al-
ten Webfehler, und der besagt: Papa ernährt die Familie,
Mama verdient was hinzu: Taschengeld für Taschengeld
extra und Urlaub, wenn es denn reicht. Fast die Hälfte al-
ler Partnerschaften mit Kindern entscheidet sich für die-
ses Modell der Zuverdiener: Die Frau arbeitet in Teilzeit,
der Mann in Vollzeit. Nur bei einem Viertel sind die Ar-
beitszeiten paritätisch verteilt.

Gleiche Chancen sind immer noch nicht gegeben. Da,
wo die Frauen immer noch weniger verdienen – übrigens
auch in vergleichbarer Beschäftigung –,


(Elke Ferner [SPD]: Genau!)


entstehen keine Gerechtigkeit und eben auch keine glei-
chen Ansprüche – etwa bei der Rente.





Michelle Müntefering


(C)



(D)(B)

Deswegen ist Manuela Schwesig auf dem richtigen Weg
und handelt klug, wenn sie von Zukunftsmodellen der
Familienarbeitszeit spricht.


(Beifall bei der SPD)


Es geht darum, von diesem einseitigen Modell der Auf-
gabenverteilung bei Männern und Frauen wegzukom-
men.

Meine Heimat ist genauso wie das ganze Land von
Zuwanderung geprägt; das haben wir mittlerweile ge-
lernt. Das prägt auch die Anforderungen auf dem Ar-
beitsmarkt. Auch hier ist die Berufstätigkeit der Frauen
bzw. der Migrantinnen entscheidend. Sie haben all die
Probleme der Frauen am Arbeitsmarkt, aber davon noch
mehr. Nur knapp über die Hälfte ist überhaupt erwerbs-
tätig. Bei den Müttern ohne Migrationshintergrund sind
es immerhin über 70 Prozent, wenn auch oft in Teilzeit.
Aber deswegen ist es wichtig, dass wir die Migrantinnen
mit Programmen vor Ort begleiten, so wie Manuela
Schwesig das aktuell mit dem Programm „Stark im Be-
ruf – Mütter mit Migrationshintergrund steigen ein“
macht.


(Beifall bei der SPD)


Noch ein Hinweis. Mir ist in Vorbereitung auf den
heutigen Tag aufgefallen: Ein genauerer Blick auf die
Zuwanderungsgruppen zeigt, dass es hier Unterschiede
gibt. Laut Mikrozensus 2012 ist das überraschende Er-
gebnis: Nur 23 Prozent der Türkinnen und lediglich
20 Prozent der Frauen vom afrikanischen Kontinent sind
erwerbstätig. Das ist umso dramatischer, weil mittler-
weile fast jedes dritte Kind in Deutschland in einer Fa-
milie lebt, in der mindestens ein Elternteil selbst einge-
wandert ist oder eine ausländische Staatsbürgerschaft
besitzt. Wir sprechen hier von 4 Millionen Kindern.


Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1809116200

Frau Kollegin, darf ich auch Sie darauf hinweisen,

dass wir eine Redezeit für alle vereinbart haben?


Michelle Müntefering (SPD):
Rede ID: ID1809116300

Sie dürfen mich darauf hinweisen, Herr Präsident. –

Ich komme zum Schluss. Ich sage es einmal so:
„Damlaya damlaya göl olur“. Da wir viele Türkinnen in
diesem Land haben, müssen wir auch sie berücksichti-
gen. Das, was ich gesagt habe, heißt auf Deutsch: Viele
Tropfen machen einen See. Oder: Steter Tropfen höhlt
den Stein. Herr Präsident, wir Sozialdemokratinnen ma-
chen das so, schon immer, und das machen wir auch im-
mer weiter.

Glück auf!


(Beifall bei der SPD)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1809116400

Für die CDU/CSU spricht jetzt die Kollegin Sylvia

Pantel.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Sylvia Pantel (CDU):
Rede ID: ID1809116500

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten

Damen und Herren! Es ist erklärtes Ziel dieser Regie-
rung, Frauen zu fördern und die strukturellen Nachteile
zu bekämpfen, denen Frauen auf dem Arbeitsmarkt noch
immer ausgesetzt sind. Frauen zu fördern, heißt in erster
Linie, Chancengleichheit zu schaffen. Die vielen Maß-
nahmen, die wir seit Beginn dieser Legislaturperiode
umgesetzt haben, helfen den Frauen dabei.

Unsere politischen Initiativen decken ein breites
Spektrum ab: von der Mütterrente und dem Betreuungs-
geld über den Ausbau von Kitaplätzen bis hin zum El-
terngeld Plus, von der Frauenquote über die Mädchen-
förderung in Ingenieur- und Naturwissenschaften bis hin
zu Förderprogrammen aller Art. Bildung ist der Schlüs-
sel zur wirklichen Freiheit. Wenn wir schon über die Be-
schäftigungssituation der Frauen sprechen, dann dürfen
wir nicht nur auf die absoluten Zahlen von entgeltlicher
Erwerbstätigkeit schauen.

Die Kolleginnen und Kollegen der Fraktion Die
Linke haben für heute diese Aktuelle Stunde beantragt.
Als Familienpolitikerin freut es mich immer, wenn wir
hier im Hohen Haus über Frauenpolitik sprechen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Aber bei dieser Aktuellen Stunde muss man sich jedoch
erst einmal fragen, was Sie von der Linken überhaupt
mit dem Begriff „Beschäftigungssituation von Frauen“
meinen. Wenn die Linke danach fragt, meint sie vermut-
lich die Zahl der Frauen, die in Vollzeit in einem sozial-
versicherungspflichtigen Angestelltenverhältnis stehen,
vielleicht sogar die Zahl der Beamtinnen. Bei der Zahl
der Unternehmerinnen dagegen bin ich mir schon nicht
mehr so sicher.


(Sabine Zimmermann [Zwickau] [DIE LINKE]: Na toll! Dann haben Sie mir nicht zugehört!)


Wie steht es um die Frauen, die sich bewusst dafür
entschieden haben, ihre Kinder zu Hause zu betreuen
oder einen Angehörigen zu pflegen? Sie gehen nämlich
ebenso einer Beschäftigung nach, auch wenn sie so in
kaum einer Statistik auftauchen und keine normalen Ge-
hälter für ihre Arbeit gezahlt bekommen.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Leider ist das größte Hindernis für Frauen noch immer
die teilweise Unvereinbarkeit von Beruf, Karriere und
Familie. Frauen schaffen einen Mehrwert. Sie leisten et-
was für ihre Familien und unsere Gesellschaft. Das tun
sie in ganz unterschiedlichen Berufen und auch Berufun-
gen.

Am Anfang jeder Debatte um die beruflichen Per-
spektiven von Frauen steht für mich die Wahlfreiheit.
Jede Frau in unserem Land muss die Chance haben, sich
beruflich und familiär so zu verwirklichen, wie es ihren
Fähigkeiten und ihrem persönlichen Lebensglück ent-
spricht.


(Beifall bei der CDU/CSU)


(A)






Sylvia Pantel


(A) (C)



(D)(B)

Die bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf ist
in erster Linie ein Mittel, um Frauen Wahlmöglichkeiten
zu eröffnen, wovon im Ergebnis Männer und Frauen
profitieren. Diese Wahlmöglichkeit kann in einem mehr-
fachen Wechsel zwischen Vollerwerbstätigkeit und häus-
licher Tätigkeit bestehen. Das können aber auch genauso
ganz unterschiedliche Teilzeitmodelle sein. Die Wahl zu
haben, heißt eben auch, sich bewusst dafür zu entschei-
den, etwas nicht zu tun.

Der wichtigste Punkt, wenn es um die Situation der
Frauen in der Arbeitswelt geht, ist aber die Anerken-
nung, und zwar gesellschaftliche und finanzielle Aner-
kennung. Frauen, die sich entscheiden, ihre Kinder in
Vollzeit zu betreuen oder einen Familienangehörigen zu
Hause zu pflegen, müssen endlich mehr gesellschaftli-
che Wertschätzung erfahren.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Wenn ein junger Mann in einem Café hier in Berlin
erzählt, er kümmere sich in Vollzeit um seine beiden
kleinen Kinder, dann sagen die Menschen um ihn herum
voller Bewunderung, was er für ein moderner Mann ist.
Wenn aber eine Frau in der gleichen Situation sagt, sie
kümmere sich in Vollzeit um ihre Kinder, dann wird sie
als rückständig bezeichnet. Was läuft da eigentlich, bitte,
falsch?

Frauen die Wahl zu geben, heißt im Gegenzug auch,
ihre Entscheidung zu respektieren.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Deshalb gebührt der Entscheidung für die Familie immer
genauso Respekt und Anerkennung. Wenn eine Frau
wieder ins Berufsleben einsteigen will, muss sie Zugang
zum Arbeitsmarkt finden können, und ihre zusätzlichen
Erfahrungen müssen als wertvolle Qualifikationen ge-
wertet und anerkannt werden.


(Beifall bei der CDU/CSU – Ulle Schauws [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau hier liegt das Problem!)


Dabei geht es nicht nur um gesellschaftliche Anerken-
nung, sondern es geht zum Beispiel auch um Renten-
ansprüche, wie wir sie durch die Mütterrente gesichert
haben. Wir reden also nicht nur, sondern wir tun auch et-
was.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Drei Viertel der Jugendlichen sind nach der letzten
Shell-Studie davon überzeugt, dass sie eine Familie
brauchen, um glücklich zu sein. Von über 1 000 von
forsa im Jahr 2013 befragten Vätern gab fast die Hälfte
an, sie würden gerne weniger arbeiten und mehr Zeit mit
ihren Familien verbringen.


(Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau! Was tut die Bundesregierung dafür? Das sind doch alles nur schöne Sonntagsreden!)


Die Familien in den Mittelpunkt zu stellen, bedeutet für
uns, Frauen endlich die volle gesellschaftliche und vor
allem auch finanzielle Anerkennung zuzugestehen, die
sie verdient haben.

Vielen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1809116600

Abschließender Redner in dieser Aktuellen Stunde ist

der Kollege Uwe Lagosky von der CDU/CSU.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Uwe Lagosky (CDU):
Rede ID: ID1809116700

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! 1977 erkannte die Generalversammlung der
Vereinten Nationen den 8. März als Internationalen
Frauentag an. Seine Wurzeln reichen bis an den Anfang
des letzten Jahrhunderts. Zu den Erfolgen in Deutsch-
land zählt das 1918 beschlossene Wahlrecht für Frauen,
das bei den Wahlen 1919 umgesetzt wurde. Darauf geht
auch die heutige politische Beteiligung der Frauen zu-
rück.

Zurück ins Hier und Jetzt: Kommendes Wochenende
gibt es einen weiteren Internationalen Frauentag. Er ist
immer noch notwendig, da wir weiterhin weltweit keine
Gleichberechtigung von Frauen und Männern haben. In
Deutschland haben wir definitiv schon viel erreicht. Al-
lerdings geht da noch mehr.

Mit Blick auf die Beschäftigungssituation von Frauen
fällt auf, dass sie, wie schon gesagt wurde, im Jahresver-
gleich 22 Prozent weniger verdienen als Männer – da-
rauf gehe ich noch ein –, ein Rentenniveau von 60 Pro-
zent ihrer männlichen Kollegen haben und 24,6 Prozent
der Aufsichtsräte der DAX-Unternehmen stellen. Das
werden wir morgen ändern.

Ein Teil der Entgeltunterschiede ist laut Statistischem
Bundesamt damit erklärbar, dass deutlich mehr Männer
in besser bezahlten Industriebereichen sowie in Füh-
rungspositionen arbeiten und seltener Babypausen einle-
gen oder teilzeitbeschäftigt sind. Wünschenswert ist
also, dass Betriebe Frauen darin unterstützen, Unter-
schiede in der Erwerbsbiografie auszugleichen, etwa
durch gezielte Fördermaßnahmen, die die in den Baby-
pausen und Erziehungszeiten erworbene soziale Kompe-
tenz berücksichtigen. Das gilt natürlich gleichermaßen
für Männer, wenn sie die Erziehung der Kinder überneh-
men. Gerade vor dem Hintergrund eines regionalen und
branchenspezifischen Fachkräftemangels erscheint es
mir ohnehin im unternehmerischen Interesse, die Verein-
barkeit von Familie und Beruf weiter zu verbessern.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Um Frauen eine gleichberechtigte Teilhabe an Füh-
rungspositionen in der Privatwirtschaft und im öffent-
lichen Dienst zu ermöglichen, erarbeitete die Bundes-
regierung ein Gesetz. Morgen werden wir dieses Gesetz
verabschieden, durch das unter anderem ab 2016 min-
destens 30 Prozent Frauen in Aufsichtsräten börsenno-
tierter und voll mitbestimmungspflichtiger Unternehmen
sitzen werden.





Uwe Lagosky


(A) (C)



(D)(B)

Für ebenso wichtig wie vernünftig halte ich die Be-
mühungen, Frauen gezielt zu beraten, auch Berufe in den
sogenannten Männerdomänen zu ergreifen. Allerdings
bleibt es bei der Freiheit, seinen Beruf auszuwählen.
Man kann nicht zu einem bestimmten Beruf gezwungen
werden. Frauen sind nun einmal in erster Linie auf so-
ziale Berufe fixiert. Im Moment zumindest ist das so in
unserer Gesellschaft.


(Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Man muss die sozialen Berufe besser entlohnen! Das ist der Punkt!)


Solange wir die sozialen Berufe im Hinblick auf die
Bezahlung nicht aufwerten – da bin ich durchaus bei Ih-
nen –, wird sich an dieser Differenz in der Bezahlung
nichts ändern.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – Ulle Schauws [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wer ist denn an der Regierung?)


In weiser Voraussicht hat das Statistische Bundesamt
noch weitere Anstrengungen im Hinblick auf solche Ar-
gumente unternommen. Es stellt ausschließlich ver-
gleichbare Qualifikationen und Stellen gegenüber. Dabei
entsteht folgendes Bild: Es ist ein Lohnunterschied von
7 Prozent vorhanden, nicht von 22 Prozent. Das ergibt
sich, wenn man gleiche Stellen und Qualifikationen ver-
gleicht. Genau an dieser Stelle setzen die Koalitionsfrak-
tionen an. Wir leisten unseren Beitrag, um das Prinzip
„Gleicher Lohn für gleiche und gleichwertige Arbeit“ zu
stärken. Unternehmen ab 500 Beschäftigte sollen in ih-
ren Lageberichten nach dem Handelsgesetzbuch auf die
Frauenförderung und die Entgeltgleichheit eingehen.
Zugleich ist geplant, Arbeitnehmern darauf aufbauend
einen Auskunftsanspruch zu geben, wenn sie sich bei der
Bezahlung gegenüber ihren Kollegen benachteiligt füh-
len.

Jenseits dieses Gesetzesvorhabens sind die Unterneh-
men und die öffentlichen Arbeitgeber in Zusammen-
arbeit mit den Betriebs- und Personalräten aufgefordert,
die Entgeltungleichheit in den Betrieben zu beseitigen.
Stichwort „Betriebsräte“: Laut „Trendreport Betriebs-
rätewahlen 2014“ der Hans-Böckler-Stiftung beträgt der
Frauenanteil in den Betriebsräten 27,5 Prozent. Aus ei-
gener Erfahrung kann ich sagen: Gerade hier bieten sich
beste Möglichkeiten für den Kampf um Gleichberechti-
gung.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1809116800

Damit schließe ich die Aktuelle Stunde.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 9 auf:

Beratung des Antrags der Fraktionen CDU/CSU,
SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Bildung für nachhaltige Entwicklung – Mit
dem Weltaktionsprogramm in die Zukunft

Drucksache 18/4188
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Weil ich kei-
nen Widerspruch höre, gehe ich davon aus, dass Sie alle
damit einverstanden sind.

Ich eröffne die Aussprache. Erste Rednerin zu diesem
Tagesordnungspunkt ist die Kollegin Sybille Benning,
CDU/CSU, der ich hiermit das Wort erteile.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Sybille Benning (CDU):
Rede ID: ID1809116900

Sehr verehrter Herr Präsident! Meine Damen und

Herren! Die UN-Dekade „Bildung für nachhaltige Ent-
wicklung“ hat uns vorangebracht. In der Bonner Erklä-
rung, dem Abschlussdokument, heißt es sogar: „erheb-
lich vorangebracht“. Die beteiligten Bildungsexperten
unterstreichen, dass im Dekadezeitraum, 2005 bis 2014,
das gesellschaftliche Bewusstsein für die Bedeutung von
Nachhaltigkeit national und international deutliche Fort-
schritte gemacht hat. Das ist ein Erfolg.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


National zeigt sich der Erfolg zum Beispiel im ehren-
amtlichen Engagement vieler Bürgerinnen und Bürger,
in unzähligen Projekten, von denen mehr als 1 900 aus-
gezeichnet worden sind. Zugleich wurden 48 UN-De-
kade-Maßnahmen prämiert. Am Schiller-Gymnasium
meiner Heimatstadt Münster gibt es ein gutes Beispiel:
Der Verein The Global Experience wurde für seine Maß-
nahme „International Reporters“ ausgezeichnet. Dazu
kann ich viel erzählen, aber das später. – Anders als Pro-
jekte müssen Maßnahmen nämlich einen strukturellen
Beitrag zur Verankerung der Bildung für nachhaltige
Entwicklung im Bildungswesen leisten. Um genau diese
Verstetigung geht es uns schließlich: Die hervorragende
Arbeit der entstandenen Ansätze während der UN-De-
kade soll eine festere Verankerung in allen Bereichen un-
seres vielschichtigen Bildungssystems finden.

Ziel ist es, ein Bewusstsein dafür zu schaffen, dass ein
Leben auf Kosten der nächsten Generation keine Option
ist. Wir wollen wirtschaftlichen Fortschritt im Sinne ei-
ner Green Economy, einer nachhaltigen Wirtschaft.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Finanz- und Ernährungskrisen, Klimawandel, Ressour-
cenknappheit, Umweltverschmutzung, Krankheiten und
Epidemien führen uns täglich vor Augen, dass Men-
schen jeden Alters auf der ganzen Welt Wissen und
Kompetenzen brauchen, um diese Herausforderungen zu
meistern. Bildung für nachhaltige Entwicklung ist eine
Voraussetzung, notwendige Antworten auf die drängen-
den Zeitfragen zu finden, getreu unserer Überzeugung,
Menschen zu eigenverantwortlichem Handeln zu befähi-
gen und zu ermutigen.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Dies beginnt im Kopf. Es beginnt mit der Fähigkeit, kri-
tisch und selbstkritisch zu denken. Früher sagte man: Iss
deinen Teller leer; anderswo müssen die Kinder hun-





Sybille Benning


(A) (C)



(D)(B)

gern. – Das ist zu kurz gesprungen. Heute wissen wir:
Im Sinne eines klugen Umgangs mit Ressourcen kommt
es darauf an, den Teller von vornherein erst gar nicht so
voll zu machen.

„Wir wollen ,Bildung zur Nachhaltigen Entwicklung‘
in allen Bildungsbereichen stärker verankern.“ – Das ha-
ben wir in unseren Koalitionsvertrag geschrieben. In
diese Aufgaben sind alle mit einbezogen: Gesellschaft,
Politik, Wirtschaft, Kultur und Wissenschaft; denn das
kann und soll nicht von staatlicher Seite aufoktroyiert
werden. Und doch ist entscheidend, dass die Bundesre-
gierung mit gutem Beispiel vorangeht und deutlich
macht, dass Nachhaltigkeit das Leitprinzip unserer Poli-
tik ist.

Seit 2002 haben wir in Deutschland eine nationale
Nachhaltigkeitsstrategie. Regelmäßig berichtet die Bun-
desregierung von Fortschritten. In ihrem letzten Fort-
schrittsbericht 2012 bekennt sie sich zur Bildung für
nachhaltige Entwicklung im Sinne eines wichtigen In-
struments zur Stärkung und Befähigung der Zivilgesell-
schaft. Wir hoffen, dass in der nächsten Fortschreibung
der Nachhaltigkeitsstrategie, 2016, der Bildung für nach-
haltige Entwicklung mehr Gewicht gegeben wird.

Meine Damen und Herren, liebe Zuhörer, seit der
letzten Legislaturperiode werden alle Gesetzesvor-
schläge der Bundesregierung verpflichtend auf ihre
nachhaltige Wirkung hin überprüft, eine Aufgabe, die
meine Kollegen und ich im Parlamentarischen Beirat für
nachhaltige Entwicklung so gewissenhaft, wie es diesem
Gremium möglich ist, wahrnehmen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wozu das gut ist? Es ist ein Mittel, um gegen kurzfristi-
ges Denken und Handeln anzukämpfen und die Folgen
unseres Handelns über den Horizont der Wahlperiode hi-
naus in den Blick zu nehmen. Die Nachhaltigkeitsprü-
fung ist damit letztendlich eine Prioritätenabwägung.

Liebe Zuhörer, auf das Ende der Dekade folgt jetzt
das UNESCO-Weltaktionsprogramm, das sich auf die
nächsten fünf Jahre erstreckt. Die bislang gewachsenen
Netzwerke werden sich bewähren. Sie bilden nun das
Fundament für die Umsetzung des Weltaktionspro-
gramms. Dessen Schwerpunkte sind: die weitere For-
schung zur Verankerung der Bildung für nachhaltige
Entwicklung, die Förderung lokaler Bildungsnetzwerke
und der Ausbau der Bildung für nachhaltige Entwick-
lung an Hochschulen. Federführend für die Begleitung
und Umsetzung des Weltaktionsprogramms ist das Bun-
desministerium für Bildung und Forschung.

Im BMBF wird in diesem Jahr auch das neue Rah-
menprogramm „Forschung für Nachhaltige Entwicklun-
gen“ – kurz FONA genannt – in seiner dritten Neuauf-
lage veröffentlicht. In diesem Programm stellt das
BMBF jährlich 400 Millionen Euro bereit.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD])

Genau wie bei der Bildung für nachhaltige Entwicklung
blickt man auch bei der Forschung für nachhaltige Ent-
wicklung auf zehn Jahre Erfahrung zurück. Die Schnitt-
stellen liegen auf der Hand. Durch Bildung auf der einen
Seite und Forschung auf der anderen Seite soll die Ent-
wicklung zu einer nachhaltigeren Welt befördert werden.
Die aus der Forschung gewonnenen Erkenntnisse – zum
Beispiel über Ursachen des Klimawandels – fließen in
die Bildung für nachhaltige Entwicklung ein. Sie ist die
notwendige Grundlage, um den Wandel in den Köpfen
und schließlich im eigenen Verhalten zu erzielen. Im
kommenden Rahmenprogramm FONA 3 sollen darum
die Bereiche Bildung für Nachhaltigkeit und Forschung
für Nachhaltigkeit explizit verknüpft werden. Die bis-
lang erzielten Ergebnisse werden zusammengeführt, in-
haltliche Bezüge werden gezielter genutzt, und Akteure
werden miteinander in Beziehung gesetzt. Auf diese
Weise werden möglichst viele Synergien erzeugt.

Wenn wir bei unserem Ziel der Förderung von Nach-
haltigkeit weiter an einem Strang ziehen, dann wird –
das wissen gerade wir in Deutschland – eine Wende
möglich sein.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Übrigens: Heute ist Donnerstag. Das war keine Sonn-
tagsrede!

Vielen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1809117000

Danke schön. – Für die Fraktion Die Linke spricht

jetzt die Kollegin Dr. Rosemarie Hein.


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. Rosemarie Hein (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1809117100

Vielen Dank. – Herr Präsident! Liebe Kolleginnen

und Kollegen! Ja, das ist ein wichtiges Thema; da sind
wir uns einig. Die UN-Dekade „Bildung für nachhaltige
Entwicklung“ ist zu Ende gegangen. Ein Weltaktions-
programm wurde beschlossen. Es wurde eine Bonner Er-
klärung verabschiedet, bei der ich übrigens jeden Satz
unterschreiben könnte. All das ist schick. Aber schauen
wir uns Ihren Antrag an.

Zunächst einmal möchte ich sagen, dass Nachhaltig-
keit drei Dimensionen hat: eine ökologische, eine soziale
und eine ökonomische. Doch nur im Zusammenhang al-
ler drei Dimensionen entsteht überhaupt Nachhaltigkeit.
Nun hat Frau Benning eben erklärt, dass es jetzt darauf
ankomme, das Ganze zu verstetigen. Das ist richtig; das
wird auch in der Bonner Erklärung gefordert. Wir wür-
den das auch unterstützen, nur finden wir es in dem An-
trag nicht. Es wäre schön gewesen, wenn Sie einmal ge-
sagt hätten, wie denn eine solche Verstetigung aussehen
könnte. Im Antrag finde ich dazu keine Idee. Vielmehr
scheint es so, als ob Sie damit fortfahren wollen, mit vie-
len Projekten zu punkten. Wir brauchen aber nicht
Masse, sondern Dauerhaftigkeit und Systematik.


(Beifall bei der LINKEN)






Dr. Rosemarie Hein


(A) (C)



(D)(B)

Ich will mit drei Beispielen versuchen zu beschreiben,
was wir erwartet hätten, was aber leider im Antrag nicht
zu finden ist.

Erstes Beispiel. Noch im Bericht von 2013 wurde
eine bessere Verankerung des Themas in den Bildungs-
plänen der Schulen gefordert. Bei Ihnen fehlt dieses
Thema nahezu vollständig. Na klar, die Zuständigkeit!
Wir hätten aber mindestens die Kultusministerkonferenz
auffordern müssen, die eigenen Beschlüsse zur Bildung
für nachhaltige Entwicklung zu überprüfen und zu er-
neuern. Die stammen nämlich ebenso wie der Orientie-
rungsrahmen zu globaler Entwicklung aus dem Jahr
2007.

Bildung muss sich verändern; da sind wir uns sicher-
lich einig. Es ist sinnvoll, bei komplexen Themen der
Nachhaltigkeit auch komplex zu arbeiten. Ich gebe ein
Beispiel dafür. Ein Ziel könnte sein, dass Kinder und Ju-
gendliche verstehen, dass die billigen T-Shirts vom
Wühltisch im Kaufhaus und bei Discountern oft unter
dramatisch schlechten Arbeitsbedingungen hergestellt
wurden oder dass die heute noch in den südlichen Län-
dern massenhaft produzierten Bananen mit einer erhebli-
chen Naturzerstörung einhergehen, dass wir hier in Eu-
ropa eine Verantwortung dafür haben, was im Süden
oder im Osten geschieht. Diese Themen könnte man
zeitgleich und abgestimmt in Fächern wie Geografie,
Geschichte, Mathematik, Chemie, Sozialkunde und
Deutsch behandeln. Das könnte zu nachhaltigen Lernef-
fekten führen. Zur ökonomischen Bildung, die wir
immer wieder einfordern, gehört dann aber bitte auch,
aufzuzeigen, wer an den Klamotten bzw. den Billigpro-
dukten wie viel verdient. Das könnte nachhaltig sein.


(Beifall bei der LINKEN)


Zweites Beispiel. Wer entscheidet eigentlich, welche
Projekte für nachhaltige Entwicklung wertvoll sind? Sie
wollen eine Nachhaltigkeitsprüfung. Der Sparkassen-
Schulservice wurde von der Deutschen UNESCO-Kom-
mission als offizielle Maßnahme in den Nationalen Ak-
tionsplan für nachhaltige Entwicklung aufgenommen.
So geadelt wird er leicht den Weg in die Schulen finden,
ganz an den für die Zulassung von Lehr- und Lernmit-
teln zuständigen Kultusministerien vorbei. Das machen
zahlreiche Unternehmen so. Bei der Suche nach solchen
Beispielen bin ich auf diesen Schulservice gestoßen, der
unter anderem monatliche Foliensätze bietet: zwölf The-
men in einem Jahr, zwei zum Thema Nachhaltigkeit, in
den anderen geht es um die Sicht der Wirtschaft auf The-
men wie Gerechtigkeit oder Mindestlohn. Da sollten Sie
einmal hinschauen; Ihnen wird nicht gefallen, was dort
steht. Didaktisch gut aufbereitet sind die Arbeitsblätter
zum Thema Mobilität; wegen der Inhalte sträubten sich
mir allerdings die Nackenhaare. Kundenwerbung wird
nebenbei betrieben. So erfährt man unter dem Mäntel-
chen der finanziellen Bildung etwas über Onlinebanking
und natürlich auch, wie man Depots anlegt. Ich halte die-
ses Verfahren, das viele Unternehmen betreiben, vor al-
lem die großen, für überhaupt nicht nachhaltig. Das ist
nicht das, was wir anstreben sollten, aber es wurde ge-
adelt von der UNESO-Kommission.
Letztes Beispiel. In der Bonner Erklärung wird das
Mitspracherecht von Jugendlichen in diesem ganzen
Prozess gefordert, und zwar bis in die höchsten Gremien
hinein, gegebenenfalls mit einem eigenen Budget. Ich
finde das hervorragend. In Ihrem Antrag fehlt das leider,
und das ist schade. Ich finde, wenn wir über die jüngere
Generation reden, dann müssen wir sie auch einbezie-
hen.


(Beifall bei der LINKEN)


Es ist schade, dass Sie das alles mit Ihrem Antrag
nicht leisten. Das gute Anliegen, die Bildung für nach-
haltige Entwicklung voranzubringen, wird so leider
nicht umgesetzt. Vielmehr droht es unter der Formulie-
rung BNE, die ich in Ihrem Antrag gefunden habe, zu ei-
ner Floskel zu verkommen, was ich bedenklich finde.
Die Bildung für nachhaltige Entwicklung würde dadurch
sehr schnell inhaltsleer, und das dürfen wir nicht zulas-
sen.

Weil wir diese Kritik an Ihrem Antrag haben, werden
wir ihn zwar nicht ablehnen, uns aber der Stimme ent-
halten.

Vielen Dank.


(Beifall bei der LINKEN)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1809117200

Als Nächstes spricht die Kollegin Saskia Esken für

die SPD.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Saskia Esken (SPD):
Rede ID: ID1809117300

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Sehr verehrte Damen und Herren! Seit uns der
Bericht des Club of Rome in den 70er-Jahren zu den
Grenzen des Wachstums die Augen geöffnet hat und die
Brundtland-Kommission der UN in den 80ern den Be-
ginn einer internationalen Politik für Umwelt und Ent-
wicklung definierte, hat der Begriff der Nachhaltigkeit
eine ziemliche Konjunktur, aber auch eine stetige Wei-
terentwicklung erfahren.

In den Anfängen wurde Nachhaltigkeit hauptsächlich
ökologisch definiert, im Sinne von Umweltschutz und
Ressourcenschonung. Heute denken wir den Begriff der
Nachhaltigkeit viel weiter, zum Beispiel im Sinne einer
sozialen oder gesellschaftlichen Nachhaltigkeit. Dabei
geht es um Entwicklungen wie den demografischen
Wandel oder den sozialen Zusammenhalt einer Gesell-
schaft. Die nachhaltige Entwicklung als Grundprinzip
unseres Handelns, auch unseres politischen Handelns, ist
aber leider ein sehr flüchtiger Gedanke, flüchtig wie al-
les, was sich so sehr auf die Zukunft bezieht. Der rich-
tige Weg, einen so flüchtigen Gedanken in den Köpfen
heutiger und künftiger Generationen nachhaltig zu ver-
ankern, ist natürlich Bildung, Bildung für nachhaltige
Entwicklung.

Wegen der internationalen Zielsetzung, durch Bil-
dung weltweit für eine nachhaltige Entwicklung zu sor-
gen, haben die Vereinten Nationen im Jahr 2005 eine





Saskia Esken


(A) (C)



(D)(B)

Weltdekade ausgerufen. Diese Dekade ist im Jahr 2014
zu Ende gegangen. Wir wollen mit unserem fraktions-
übergreifenden Antrag die Bundesregierung in der Ziel-
setzung bestärken, das Konzept der nachhaltigen Ent-
wicklung in allen Bildungsbereichen in Deutschland
weiter zu verankern und die internationalen Bemühun-
gen darum weiterhin zu unterstützen.


(Beifall des Abg. Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD])


In aller Welt sind in dieser Dekade Strukturen und
Partnerschaften gewachsen. Die Initiative für Nachhal-
tigkeit in der Hochschulbildung beispielsweise, die von
über 250 Hochschulen aus aller Welt getragen wird,
wurde im Jahr 2012 bei der Konferenz von Rio verab-
schiedet. Ziel der Initiative ist es, weitere Hochschulen
zu freiwilligen Zusagen zu einer nachhaltigen Ausrich-
tung von Management, Lehre und Forschung zu moti-
vieren, sodass wir diesbezüglich Wachstum erwarten
dürfen.

In Deutschland hat die Dekade bisher vor allem im
Bereich der vorschulischen und der schulischen Bildung
Früchte getragen. Eine große Vielfalt lokaler und überre-
gionaler Projekte und Initiativen wurde umgesetzt, und
insgesamt 2 000 herausragende Projekte wurden von der
Deutschen UNESCO-Kommission ausgezeichnet. Es ist
jetzt notwendig, dass wir diese großartige Arbeit verstär-
ken und verstetigen, um damit auch nachhaltig zu wir-
ken. Deshalb treten wir im Rahmen dieses Antrags mit
der Forderung an die Bundesregierung heran, die Mittel
für diese wichtige Zielsetzung zu erhöhen. Erste Signale
aus dem Bundesministerium zeigen, dass man hier am
gleichen Strang zieht.


(Beifall des Abg. Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD])


Die Erfolge des allgemeinbildenden Schulsystems in
der Verankerung des Nachhaltigkeitsgedankens sollten
jetzt auch im beruflichen Bildungswesen und an den
Hochschulen in Deutschland ermöglicht werden. Gerade
im Zusammenspiel zwischen beruflicher Schulbildung
und praktischer Erfahrung im dualen System können
Kompetenzen für nachhaltiges Arbeiten und Wirtschaf-
ten gefördert werden, um so ökonomische, soziale und
ökologische Verantwortung in bestmöglichen Einklang
zu bringen. Schülerinnen und Schüler werden vertraut
mit der Idee eines nachhaltigen Leitgedankens und er-
halten in der beruflichen Bildung wichtige theoretische
und praktische Handlungs- und Gestaltungskompeten-
zen. Wir empfehlen deshalb, den Förderschwerpunkt
„Berufliche Bildung für eine nachhaltige Entwicklung“
der UN-Dekade, der bisher als Modellversuch nur punk-
tuelle Wirkung entfalten konnte, auf alle Bereiche der
beruflichen Bildung auszuweiten.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]: Sehr richtig!)


Im Jahr 2010 haben die Deutsche UNESCO-Kom-
mission und die Hochschulrektorenkonferenz außerdem
eine Empfehlung für „Hochschulen für nachhaltige Ent-
wicklung“ ausgesprochen. Hier geht es auch um nach-
haltiges Management, um Lernen und Forschen, aber
auch um die Verankerung des Nachhaltigkeitsgedankens
in den Studienordnungen. An den Hochschulen soll
Nachhaltigkeit ebenfalls zu einem selbstverständlichen
Teilaspekt der Wissenschaft werden.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, als Bil-
dungspolitikerin ist es mir wichtig, Sie noch einmal auf
den Gedanken der nachhaltigen Bildung aufmerksam zu
machen. Immer noch wird bei der Bildung zu sehr an die
Vermittlung eines Wissenskanons gedacht und zu wenig
an die Menschwerdung sowie an die Ermöglichung von
souveräner gesellschaftlicher Teilhabe. Auch angesichts
einer Wissensgesellschaft im Wandel ist es notwendig,
dass junge Menschen zukunftsfähige Kompetenzen ent-
wickeln und dazu befähigt und motiviert werden, ein Le-
ben lang weiter zu lernen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Nachhaltige Bildung bedeutet aber auch, die Zahl der
Schulabgänger ohne Abschluss und die der Ausbil-
dungs- und Studienabbrüche so weit wie möglich zu re-
duzieren. Junge Menschen benötigen im Vorfeld der
Ausbildungs- oder Studienwahl Information und Orien-
tierung, die die Eltern wegen des Wandels bei Ausbil-
dungsberufen und Studienfächern oft nicht leisten kön-
nen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)


Insbesondere Erststudierende, für deren Familien akade-
mische Bildungsgänge Neuland sind, aber auch die vie-
len immer jüngeren Studienanfänger benötigen vor und
auch während des Studiums eine gute Begleitung und
Betreuung, damit bei auftretenden Schwierigkeiten nicht
gleich die Flinte ins Korn geworfen wird. Mit der not-
wendigen Unterstützung kann das Misserfolgserleben
und können die Umwege eines Ausbildungs- oder Stu-
dienabbruchs vermieden werden und kommen die jun-
gen Menschen erfolgreich zu ihrem gewünschten Ab-
schluss.

Planst Du für ein Jahr, so säe Korn,
planst Du für ein Jahrzehnt, so pflanze Bäume,
planst Du für ein Leben, so bilde Menschen.

So machte schon im 4. Jahrhundert vor Beginn unserer
Zeitrechnung der chinesische Philosoph Kuan Chung
Tzu deutlich: Bildung und Nachhaltigkeit gehören un-
trennbar zusammen.

Mit Bildung für nachhaltige Entwicklung nehmen wir
uns vor, für die Dauer eines ganzen Lebens und darüber
hinaus zu planen. Wer Verantwortung für die Zukunft
übernehmen will, muss Nachhaltigkeit zur obersten Ma-
xime machen. Bildung für Nachhaltigkeit ist der Weg
dazu.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ich freue mich, dass wir hierzu einen interfraktionellen
Antrag erarbeitet haben, der fast über alle Fraktionen
Zustimmung findet.





Saskia Esken


(A) (C)



(D)(B)


(Zuruf von der CDU/CSU: Von allen wichtigen Fraktionen!)


Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1809117400

Nächste Rednerin ist die Kollegin Beate Walter-

Rosenheimer, Bündnis 90/Die Grünen.


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Vielen Dank, Herr Präsident. – Sehr geehrte Kollegin-
nen und Kollegen! Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer!
Gehen Sie zur Abwechslung in Gedanken in Ihre Wohn-
zimmer zu Hause und stellen Sie sich vor, Sie haben ein
besonders schönes und wertvolles Geschenk bekommen.
Wo würden Sie es hinstellen? Sicher nicht in die Abstell-
kammer, sondern in einen Ihrer Lieblingsräume, wo Sie
es sehen können, wo es Ihnen besonders gut gefällt. Ei-
nen solchen Platz braucht auch das schöne Stück „Bil-
dung für nachhaltige Entwicklung“, auch wenn es einen
etwas sperrigen Namen hat, weshalb ich es fortan BNE
nennen werde.


(Dr. Thomas Feist [CDU/CSU]: Nicht BND!)


– Sie müssen aber auch immer scherzen.


(Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Das geht aber nicht von meiner Zeit ab, wenn Sie hier so
lustig sind. – Auf jeden Fall muss BNE raus aus den Ab-
stellkammern und rein in die gute Stube. Sie braucht ei-
nen Platz mitten in unserer Gesellschaft. Nachhaltigkeit
berührt nämlich alle Bereiche des Alltags. Umwelt,
Wirtschaft und Gesellschaft beeinflussen sich gegensei-
tig. Es hängt also alles mit allem zusammen. Dieser Ge-
danke gefällt mir an diesem Konzept besonders gut.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des Abg. Dr. Karamba Diaby [SPD])


BNE beschreibt einen Weg, um die Welt im Gleichge-
wicht zu halten. Sie hilft Kindern und Jugendlichen,
Kompetenzen zu entwickeln und ihre Zukunft nachhaltig
gestalten zu lernen. So gesehen ist es ein ganz wunder-
bares Konzept. Vor allem geht es uns alle an, auch wenn
das vielleicht – wenn ich mich hier umschaue – noch
nicht alle erkannt haben.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Deshalb freue ich mich sehr, dass wir einen interfraktio-
nellen Antrag hinbekommen haben, auch wenn die
Linke jetzt nicht daran beteiligt ist.


(Dr. Thomas Feist [CDU/CSU]: Die sind immer noch bockig! – Dr. Rosemarie Hein [DIE LINKE]: Mit uns wäre er besser geworden! – Gegenruf des Abg. Dr. Thomas Feist [CDU/ CSU]: Nee!)

Lassen Sie mich zunächst die Entwicklung darstellen.
Wir haben schon gehört, dass die Vereinten Nationen in
den vergangenen zehn Jahren versucht haben, das
Thema weltweit zu verankern. 2014 ist das Programm
ausgelaufen. Es gab zahlreiche Aktionen und Projekte
– fast 2 000 ausgezeichnete Projekte –, zahlreiche Kom-
munen, die sich engagiert haben, und – das finde ich
sehr wichtig – viel zivilgesellschaftliches Engagement.
Viele Menschen waren ehrenamtlich im Einsatz. Vor ih-
nen ziehen wir wirklich unseren Hut; denn sie haben das
Ganze getragen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Aber leider ist der Begriff nach wie vor nur einer
Fachöffentlichkeit bekannt. Es gibt ganz viele Lehrer
und Lehrerinnen, die nicht einmal diesen Begriff ken-
nen. Das sollte nach zehn Jahren eigentlich nicht mehr
so sein. Dagegen wollen wir angehen.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


BNE ist noch lange kein Selbstläufer. Genau darüber
machen wir uns Sorgen. Wir sorgen uns darum, wie es
weitergeht. Im November 2014 wurde das Weltaktions-
programm der Vereinten Nationen ausgerufen. Es soll
fünf Jahre lang darum gehen, BNE in allen Ländern der
Welt bekannt zu machen. Wie gesagt, das Thema soll
raus aus dem Kämmerchen.

In unserem Antrag fordern wir nun verschiedene, wie
ich finde, sehr konkrete Maßnahmen, um BNE endlich
systematisch zu implementieren und flächendeckend zu
verankern. Ich finde, das ist gar nicht so ein Wischiwa-
schi, wie Sie behaupten.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Ich nenne nur einige Punkte, die mir sehr am Herzen lie-
gen. Wir wollen, dass die Bundesressorts BNE in ihren
Strategien verankern. Wir wollen dazu eine interministe-
rielle Arbeitsgruppe einrichten. Das finde ich schon ein-
mal sehr wichtig. Wir wollen, dass die Bundesregierung
weiterhin regelmäßig Bericht darüber erstattet, was im
Rahmen des Weltaktionsprogramms erreicht wurde, so-
dass wir Einfluss nehmen können. Wir möchten gerne,
dass die Bundesregierung mit den Ländern auf allen
Ebenen für eine systematische Verankerung sorgt und
der Gedanke der BNE in alle Bildungseinrichtungen ge-
tragen wird, von der Kita bis zur Uni. Das schreiben wir
sehr wohl.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des Abg. Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD])


BNE muss endlich in alle Köpfe. Deshalb muss die
Bundesregierung mehr Anstrengungen als bisher unter-
nehmen; auch das fordern wir. Wir sind uns in den Frak-
tionen einig, dass wir das Eisen schmieden müssen, so-
lange es heiß ist und bevor die Akteure vor Ort, die
Lehrkräfte, die Ehrenamtlichen das Interesse, die Ener-





Beate Walter-Rosenheimer


(A) (C)



(D)(B)

gie und auch die Lust verlieren. Wir haben von Professor
de Haan im Beirat gehört, dass sehr viel Unsicherheit da-
rüber besteht, wie es weitergehen kann. Deswegen
möchten wir da Klarheit und klare Strukturen.


(Beifall des Abg. Kai Gehring [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN])


Unser gemeinsamer Antrag, unsere Einigkeit über
Fraktionsgrenzen hinweg, gibt mir die Hoffnung, dass
wir nun größere Brötchen backen und in fünf Jahren auf
einem ganz anderen Level sind als jetzt. Denn, liebe
Kolleginnen und Kollegen, es gilt, was schon Albert
Camus gesagt hat: „Wer etwas will, findet Wege, wer
nicht, findet Gründe.“


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1809117500

Als Nächste spricht die Kollegin Kerstin Radomski

für die CDU/CSU.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Kerstin Radomski (CDU):
Rede ID: ID1809117600

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Der Begriff „Nachhaltigkeit“ erfreut sich
schier unbegrenzter Beliebtheit. Das 21. Jahrhundert
könnte man als das Jahrhundert der Nachhaltigkeit be-
zeichnen – so oft wird dieser Begriff in den unterschied-
lichsten Zusammenhängen bedient und manchmal auch
strapaziert. Dabei hat nachhaltiges Handeln seine Wur-
zeln in allen Kulturen; es ist sozusagen eine grundle-
gende Überlebensstrategie für uns Menschen. Es ist das
Bewusstsein einer Generation, nicht nur die eigenen Be-
dürfnisse verfolgen zu können, sondern auch auf die Be-
dürfnisse nachfolgender Generationen Rücksicht neh-
men zu müssen. Nachhaltige Entwicklung zu fördern,
bedeutet, die Chancen auf ein Leben in Wohlstand und
Würde für alle Menschen zu ermöglichen.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Heute wirkt nachhaltige Entwicklung in die verschie-
densten Bereiche hinein: Ressourcennutzung, Demogra-
fie, Städtebau, Gesundheitswesen, Konsum und Klima.
Uns allen fallen bestimmt noch mehr Dinge ein. Nach-
haltiges Denken ist für jeden Menschen wichtig; denn es
geht um unsere Zukunft.

Wir haben im Parlamentarischen Beirat für nachhal-
tige Entwicklung das Thema „Bildung für nachhaltige
Entwicklung“ ganz oben auf die Agenda gesetzt, da das
Lernen für Nachhaltigkeit die Lebensweise aller Genera-
tionen bestimmt. Bildung für nachhaltige Entwicklung
soll die Menschen dazu bewegen, verantwortungsvolle
und generationengerechte Lösungen in ihrem Umfeld zu
finden.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

Das Konzept ist interdisziplinär und bildungsbereichs-
übergreifend angelegt. Das heißt: Von der Kita bis zur
Erwachsenenbildung stehen uns Möglichkeiten offen,
Bildung für eine nachhaltige Entwicklung zu vertiefen.

In den letzten Jahren haben wir viel erreicht. Deutsch-
land nahm an der Weltdekade „Bildung für nachhaltige
Entwicklung“ der Vereinten Nationen von 2005 bis 2014
teil. In diesem Zeitraum konnten wir Bildung für eine
nachhaltige Entwicklung national weiter verankern. Das
Konzept wurde in Lehr- und Bildungsplänen immer häu-
figer berücksichtigt. So wurden rund 2 000 Dekadepro-
jekte und 21 Kommunen zu diesem Thema ausgezeich-
net.

Ich möchte Ihnen als Erstes ein von der UN-Dekade
ausgezeichnetes Beispiel aus meiner Heimatstadt Kre-
feld nennen. Der Kern ist eine nachhaltige Berufsbil-
dung in der Ernährungsbranche. Die Schülerinnen und
Schüler im Gastronomiebereich lernen, regionale Le-
bensmittel und saisonale Produkte in das Getränke- und
Speiseangebot zu integrieren. Ein paar Kilometer weiter
haben Schüler und Lehrer am Pascal-Gymnasium in
Grevenbroich eine Internet-AG zum Thema Nachhaltig-
keit eingerichtet. Das Projekt verfolgt das Ziel, die Anre-
gungen der UN-Dekade im Unterricht zu implementie-
ren. Zur praktischen Vertiefung wurde zeitgleich ein
kleines Waldgrundstück angelegt und wurden Neubau-
ten auf dem Schulgelände energieeffizient geplant. Diese
Beispiele zeigen – ich kann nicht alle nennen, in NRW
sind es über 300 ausgezeichnete Beispiele – die Ideen
und Möglichkeiten, die darin stecken.


(Beifall des Abg. Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD])


Sie zeigen, dass es wichtig ist, eine Verbindung zwi-
schen dem eigenen Handeln und globaler Gerechtigkeit
herzustellen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Angesichts des Auslaufens der UN-Dekade im ver-
gangenen Jahr ist es von enormer Bedeutung, die Errun-
genschaften und Erkenntnisse langfristig zu nutzen. Wir
möchten eine weiterführende flächendeckende nationale
Konsolidierung dieses Nachhaltigkeitsgedankens errei-
chen. Unser Ziel ist es, allen Menschen eine qualitative
Bildung zugänglich zu machen, unabhängig von ihrem
sozioökonomischen Hintergrund oder ihrem Geschlecht.
Dazu zählt die Bildung zur nachhaltigen Entwicklung
und deren Bedeutung für unsere Zukunft. Kinder wie Er-
wachsene erfahren, wie sie durch ihr eigenes Handeln
andere Menschen motivieren können, Gleiches zu tun,
und wie der Erhalt der Schöpfung durch nachhaltiges
Handeln unterstützt wird.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Es gilt, die Akteure aus Politik, Wissenschaft, Wirtschaft
und Zivilbevölkerung in die Prozesse des Nachfolgepro-
gramms einzubinden und ihr Engagement weiter zu för-
dern.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich erachte es als
wichtig, dass wir kontinuierlich zeigen, dass unsere Le-





Kerstin Radomski


(A) (C)



(D)(B)

bensbedingungen für nachfolgende Generationen zu er-
halten sind. Nachhaltigkeit geht uns alle an, und wir alle
können dazu beitragen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Als Mutter und langjährige Lehrerin liegt es mir beson-
ders am Herzen, Bildungskonzepte weiter auszubauen,
die nachhaltig und generationengerecht in die Zukunft
weisen. Den Nachhaltigkeitsgedanken in der jungen Ge-
neration zu verankern, ist an sich schon nachhaltiges
Handeln. Schon der altgriechische Philosoph Diogenes
stellte fest:

Die Grundlage eines jeden Staates ist die Ausbil-
dung seiner Jugend.

In diesem Sinne betone ich noch einmal: Die Welt
von morgen können und müssen wir heute gestalten.

Vielen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1809117700

Vielen Dank. – Nächster Redner für die SPD-Fraktion

ist der Kollege Carsten Träger.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Carsten Träger (SPD):
Rede ID: ID1809117800

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! 2015 wird ein entscheidendes Jahr für das
Megathema Nachhaltigkeit. Es herrscht Hochbetrieb an
vielen Baustellen der Nachhaltigkeit, viele Akteure ar-
beiten auf vielen verschiedenen Ebenen mit vielen
Schwerpunkten.

Hier in Deutschland ist ein ganz wesentlicher
Schwerpunkt die Weiterentwicklung der nationalen
Nachhaltigkeitsstrategie. Wir werden die Indikatoren an-
passen und sie weiterentwickeln. Wir wollen unsere
ehrgeizigen Ziele beim Umweltschutz, beim sozialen
Zusammenleben und bei der wirtschaftlichen Entwick-
lung erreichen.

Auf internationaler Ebene werfen gleich zwei große
UN-Konferenzen ihre Schatten voraus; sie werden ent-
scheidend sein für die nachhaltige Entwicklung unseres
Planeten. Jedem von uns ist bewusst, welche Bedeutung
die Konferenz von Paris für die Bewahrung unseres Kli-
mas haben wird.


(Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]: Hoffentlich!)


Leider wesentlich weniger bekannt ist die UN-Konfe-
renz, die im September in New York stattfinden wird.
Dort wird es um die Festschreibung der Sustainable
Development Goals gehen. Minister Müller hat davon
gesprochen, dass dort der „Weltzukunftsvertrag“ verhan-
delt werden wird. Ich finde diese Formulierung absolut
treffend;


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

denn es geht dort um Nachhaltigkeitsziele für alle Staa-
ten – sowohl für Industrieländer als auch für Schwellen-
länder als auch für sich entwickelnde Staaten – und,
ganz wichtig, auch um deren Durchsetzung.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Die Bedeutung dieser Konferenz ist nicht hoch genug
einzuschätzen, trotzdem weiß kaum jemand davon.

Da sind wir mitten im Thema: Wenn wir das Leben
auf unserem Planeten wirklich nachhaltig – im besten
Sinne des Wortes „nachhaltig“ – verändern wollen zu ei-
ner Lebensweise, die auch noch unseren Kindern eine
lebenswerte Umwelt hinterlässt, dann dürfen wir uns
nicht darauf beschränken, rechtliche Rahmenbedingun-
gen zu setzen für dieses oder jenes Problem. Die sind na-
türlich auch wichtig; das wird aber nicht reichen. Wir
müssen die Köpfe und die Herzen der Menschen errei-
chen, wir müssen jeden Einzelnen überzeugen. Das geht
nur mit nachhaltiger Bildung.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wir wissen das – zumindest alle, die hier an dieser De-
batte teilnehmen –, und die Verhandelnden von New
York wissen das auch; denn das vierte von den 17 Zielen
im Vertragsentwurf heißt:

Inklusive, gerechte und hochwertige Bildung ge-
währleisten und Möglichkeiten des lebenslangen
Lernens für alle fördern.


(Dr. Valerie Wilms [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Klar! Richtiges Ziel!)


Wie nötig die Stärkung der Bildung für eine nachhal-
tige Entwicklung ist, wurde mir diese Woche im Um-
weltausschuss am Beispiel der Nationalen Strategie zur
biologischen Vielfalt bewusst. Der Indikatorenbericht,
den wir besprochen haben, beschreibt die Fortschritte
hin zu mehr biologischer Vielfalt in Deutschland. Unter
anderem misst er das gesellschaftliche Bewusstsein.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, gerade einmal
25 Prozent der erwachsenen Bevölkerung in Deutsch-
land haben ein ausreichendes Wissen zur biologischen
Vielfalt und sind auch bereit, ihr Verhalten entsprechend
anzupassen.


(Dr. Valerie Wilms [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das müssen wir deutlich verbessern!)


Da gibt es minimale Verbesserungen im Vergleich zu
früheren Jahren; aber von dem Zielwert, dem wir uns
alle hier verpflichtet haben, sind wir weit entfernt, und
das, obwohl der Zeitraum von 2011 bis 2020 zur UN-
Dekade der biologischen Vielfalt ausgerufen wurde. Wir
brauchen hier dringend eine Verbesserung beim Indika-
tor „gesellschaftliches Bewusstsein“.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Da sind mehr und bessere Bildung gefragt und auch eine
bessere, zielgruppengerechtere Ansprache. Wir brauchen
Bildung für nachhaltige Entwicklung in Kindergärten, in





Carsten Träger


(A) (C)



(D)(B)

Kitas, in Schulen, in der beruflichen Bildung und an den
Hochschulen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Da wird vor Ort schon hervorragende Arbeit geleistet.
Ich habe in meinem Wahlkreis neulich eine Kita besucht,
die den Kleinen kindgerecht nachhaltiges Leben nahe-
bringen will: bei der Ernährung, beim Spielzeug oder
dem Umgang mit der Natur. Natürlich gibt es ganz viele
weitere positive Beispiele. Aber können wir es uns
leisten, dass solch vorbildliche Arbeit vom Engagement
einzelner Erzieherinnen bzw. Einrichtungen abhängt?
Ich glaube, nicht. Wir müssen die Bildung für Nachhal-
tigkeit weiter stärken. Die Idee der Nachhaltigkeit muss
rein in die Herzen der Menschen. Es reicht nicht, dass
Nachhaltigkeit ein Thema hier bei uns im Parlament ist.
Sie muss auch ein Thema in den Wohnzimmern sein.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Der Weg dorthin, liebe Kolleginnen und Kollegen,
führt über die Klassenzimmer; hier kann die Politik mit-
gestalten. Also: Das Thema Nachhaltigkeit muss in die
Lehrpläne aufgenommen werden. Mathematik, Physik
und Geschichte sind wichtig – ganz klar –; aber die Zu-
kunft unseres Planeten ist es eben auch.

Vielen Dank.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1809117900

Vielen Dank. – Letzte Rednerin zu diesem Tagesord-

nungspunkt ist die Kollegin Dr. Claudia Lücking-
Michel, CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. Claudia Lücking-Michel (CDU):
Rede ID: ID1809118000

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe

Kolleginnen und Kollegen! Im September haben wir auf
die Dekade für Bildung für nachhaltige Entwicklung zu-
rückgeblickt. Heute schauen wir mit unserem Antrag für
das Weltaktionsprogramm nach vorne in die Zukunft.
Viel haben wir schon in dieser Debatte gehört, von mir
an dieser Stelle vielleicht noch fünf Gedanken.

Erstens. Bevor wir uns in der Vielfalt der Themen und
Aufgaben verlieren, die alle unter das Thema nachhal-
tige Entwicklung fallen: Es geht um Bildung, die Men-
schen zu einem gesellschaftlichen Wandel befähigt. Der
Wissenschaftliche Beirat der Bundesregierung Globale
Umweltveränderungen formuliert es so: Für ein zu-
kunftsfähiges gesellschaftliches Entwicklungsmodell
brauchen wir einen Wandel vom fossilen ökonomischen
System zu einer nachhaltigen Gesellschaft. – Diese
„Große Transformation“, wie er es nennt, von einem
System ins andere kann nur erreicht werden, wenn es
uns gelingt, einen wissensbasierten gesellschaftlichen
Suchprozess zu initiieren, einen Prozess, der ergebnisof-
fen sein muss, aber unbedingt auf eine breite Beteiligung
aufsetzen muss.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Wir können gesellschaftlichen Wandel nicht politisch
verordnen, wir brauchen dazu aufgeklärte Bürgerinnen
und Bürger, die diesen Wandel mittragen können und
wollen. Bildung für nachhaltige Entwicklung schafft da-
für die notwendigen Voraussetzungen.

Zweitens. Wir sind gerade mitten auf dem Weg von
den Millenniumszielen zu den nachhaltigen Entwick-
lungszielen der Post-2015-Agenda. Dabei wird deutlich:
Die planetarischen Grenzen werden schon heute an vie-
len Stellen vollkommen überdehnt. Die ökologische
Frage ist heute vor allen Dingen zu einer Gerechtigkeits-
frage geworden. Bildung für nachhaltige Entwicklung ist
deshalb zu Recht im Entwurf der Vereinten Nationen für
die Post-2015-Agenda als ein Unterziel vereinbart wor-
den.

Drittens. Im Rahmen des ganzen Post-2015-Prozesses
wird immer wieder eingefordert, dass dessen Ziele nicht
nur für die Entwicklungs- und Schwellenländer gelten,
sondern gerade auch für die Industrieländer. Da ist es nur
folgerichtig, noch einmal zu betonen: Auch Bildung für
nachhaltige Entwicklung ist dann eben nicht nur ein
Thema für den Süden, sondern gerade und besonders für
uns im Norden.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Für uns Industrieländer heißt das: Wir müssen unsere
Ressourcen effizienter einsetzen. Wir müssen unseren
ökologischen Fußabdruck reduzieren. Es bedarf techni-
scher, technologischer und ökonomischer Innovationen.
Es bedarf aber auch kultureller und sozialer Innovatio-
nen, um den Wandel unserer Gesellschaften zu errei-
chen.

Viertens. Transformation ist damit eine gesamtgesell-
schaftliche Lern- und Bildungsaufgabe; von dieser He-
rausforderung haben wir heute schon an vielen Stellen
gehört. Ich möchte betonen: Wir müssen uns besonders
an die „Agenten des Wandels“ richten. Ich meine damit
die Erzieherinnen und Erzieher, die Lehrerinnen und
Lehrer. Wir müssen natürlich die Jugend stärker einbin-
den und die Hochschulen, wo wir dieses Thema stärker
verankern wollen.

Fünftens. Bildung für nachhaltige Entwicklung sollte
niemals nur in den formalen Bildungsprozessen veran-
kert sein und nur das kognitive Lernen erfassen, wichtig
ist, dass Nachhaltigkeit auch gelebt wird. Zukunftsfähi-
ges Wirtschaften darf dann nicht nur auf dem Lehrplan,
im Curriculum stehen, sondern muss auch erfahrbar wer-
den, zum Beispiel durch die ökologischen und sozialen
Standards der eigenen Beschaffungspolitik einer Schule
oder Institution.

Damit komme ich auch zum Schluss. Es ist gut, dass
wir Parlamentarier heute mit diesem Antrag den Start
des Weltaktionsprogramms bekräftigen. Es wird aber
auch Zeit, dass die Bundesregierung das Weltaktionspro-
gramm konkret auf die Schiene setzt. Bei allen struktu-





Dr. Claudia Lücking-Michel


(A) (C)



(D)(B)

rellen Veränderungen, die offensichtlich geplant sind
– die UNESCO wird ja nicht mehr federführend sein –,
muss das Ziel doch dasselbe bleiben: Es geht darum, das
Bewusstsein zu schaffen, dass wir alle Bürgerinnen und
Bürger einer Welt sind, dass der Wandel unserer Lebens-
und Wirtschaftsweise auch in unserem Interesse liegt
und dass wir es sind, die diesen Wandel gestalten müs-
sen. Deshalb bitte ich Sie um Zustimmung zu unserem
Antrag und sage vielen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1809118100

Vielen Dank. – Ich schließe die Aussprache.

Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der
Fraktionen der CDU/CSU, SPD und Bündnis 90/Die
Grünen auf Drucksache 18/4188 mit dem Titel „Bildung
für nachhaltige Entwicklung – Mit dem Weltaktionspro-
gramm in die Zukunft“. Wer stimmt für diesen Antrag? –
Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Antrag
ist mit den Stimmen von CDU/CSU, SPD und Bünd-
nis 90/Die Grünen bei Enthaltung der Fraktion Die
Linke angenommen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 10 auf:

Beratung des Antrags der Abgeordneten Brigitte
Pothmer, Markus Kurth, Beate Müller-Gem-
meke, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Arbeitsförderung neu ausrichten – Nachhal-
tige Integration und Teilhabe statt Ausgren-
zung

Drucksache 18/3918
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Soziales

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Ich höre kei-
nen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Kolle-
gin Brigitte Pothmer, Bündnis 90/Die Grünen.


Brigitte Pothmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1809118200

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die

Zahl der Beschäftigten wächst, die Zahl der offenen Stel-
len steigt, und die Arbeitslosen gehen leer aus. Selbst im
Krisenjahr 2009 haben 160 000 Arbeitslose mehr einen
Job gefunden als jetzt, im Wachstumsjahr 2014. Die Ent-
wicklung der Arbeitslosigkeit hat sich fast vollständig
von der Entwicklung des Arbeitsmarktes abgekoppelt.
Darin kann man nichts anderes erkennen als das Versa-
gen der Arbeitsmarktpolitik. Es wäre nämlich die Auf-
gabe der Arbeitsmarktpolitik, das zu ändern.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Sabine Zimmermann [Zwickau] [DIE LINKE])


Daraus müssen wir endlich Schlüsse ziehen. Ich sage
Ihnen: Die Strategie „Hauptsache, Arbeit“ und die Stra-
tegie der schnellen Vermittlung in Arbeit sind geschei-
tert, und zwar qualitativ und quantitativ. Wir haben trotz
dieser Strategien nur eine Vermittlungsquote von mage-
ren 13 Prozent. Von diesen 13 Prozent werden noch
30 Prozent in Leiharbeit vermittelt, und die, die vermit-
telt werden, stehen ziemlich schnell wieder vor den Tü-
ren der Jobcenter. Der Drehtüreffekt ist wirklich nicht zu
übersehen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Das hat natürlich auch Gründe: Der deutsche Arbeits-
markt ist ein Fachkräftemarkt. Aber fast die Hälfte aller
Arbeitslosen haben entweder gar keine Ausbildung oder
eine veraltete Ausbildung. Deswegen können sie nicht
einfach in den Arbeitsmarkt vermittelt werden. Trotz
dieser Tatsache – sie haben keine Qualifikation – gilt für
sie der Vermittlungsvorrang. Das müssen wir dringend
ändern.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Dafür brauchen wir einen Paradigmenwechsel in der
Arbeitsförderung. Wir müssen weg vom Vermittlungs-
vorrang hin zu einer individuellen und passgenauen
Qualifizierung und Förderung.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Jetzt stellt sich die Frage: Was ist eigentlich passiert,
seitdem Frau Nahles Arbeitsministerin ist?


(Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nichts! Die Regierungsbank ist auch leer!)


– Nicht nur der Anteil der Regierungsmitglieder auf der
Bank ist zurückgegangen, sondern auch die Aktivie-
rungsquote. Die Teilnehmerzahl ist nicht nur auf der Re-
gierungsbank, sondern auch bei der Arbeitsförderung
zurückgegangen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN – Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Nicht einmal der Parlamentarische Staatssekretär ist da!)


Es gibt nicht mehr, sondern es gibt immer weniger
Förderung. Ja, ich finde es gut, dass Frau Nahles, wenn
auch nicht heute, angesprochen hat, dass die Langzeitar-
beitslosen von der konjunkturellen Entwicklung nicht
profitieren. Aber das hilft den Arbeitslosen nicht. Den
Worten müssen auch Taten folgen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Eines kann ich Ihnen sagen: Das Programm zur Be-
kämpfung der Langzeitarbeitslosigkeit, das Frau Nahles
im November vorgestellt hat, wird diesen Anforderun-
gen wirklich nicht gerecht. Das Programm-Hopping
bleibt. Früher gab es 33 000 Bürgerarbeiterinnen und
Bürgerarbeiter, jetzt sollen es 33 000 Arbeitslose im
ESF-Programm werden. Jede Ministerin hat ihr Profilie-
rungsprogramm, aber für die Arbeitslosen kommt kein
einziger zusätzlicher Arbeitsplatz dabei heraus.


(Sabine Zimmermann [Zwickau] [DIE LINKE]: So ist es!)






Brigitte Pothmer


(A) (C)



(D)(B)

Das Programm „Chancen eröffnen – soziale Teilhabe
sichern“ ist wirklich von gestern: kein Passiv-Aktiv-
Transfer, die Kriterien Zusätzlichkeit, Wettbewerbsneu-
tralität und öffentliches Interesse kommen wieder zur
Geltung. Damit schaffen Sie Arbeitsplätze ohne Sinn
und Verstand.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Damit bauen Sie Scheinarbeitswelten auf, die sicher
nicht dazu führen werden, dass Sie die Arbeitslosen nä-
her an den Arbeitsmarkt heranführen. Sie fallen hinter
alle Erkenntnisse zurück, die wir in den letzten Jahren
gewonnen haben.

Deswegen legen wir Ihnen heute mit unserem Antrag
einen Vorschlag vor, der diese Erfahrungen und Erkennt-
nisse aufnimmt und die Arbeitsförderung vollständig
neu ausrichtet: weg von der schnellen Vermittlung, hin
zu einer punktgenauen Qualifizierung, weg von dem
Programm-Hopping, hin zu einer verlässlichen Arbeits-
förderung und für die Abgehängten, für die besonders
schwer Vermittelbaren einen verlässlichen sozialen Ar-
beitsmarkt mit Passiv-Aktiv-Transfer.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Ja, es stimmt: Dafür brauchen wir Geld. Wir können
uns jetzt entscheiden, ob wir in die Arbeitslosen inves-
tieren oder ob wir sie ein Leben lang alimentieren. Letz-
teres ist erstens volkswirtschaftlich deutlich teurer und
zweitens ein Drama für die Betroffenen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Jetzt sagen Sie mir bitte nicht: Dafür haben wir kein
Geld. Das ist ausschließlich eine Frage der Prioritäten-
setzung. Diese Regierung, diese Arbeitsministerin hat
leider andere Prioritäten gesetzt: für die Rentnerinnen
und Rentner ein Programm von 160 Milliarden Euro,
aber nichts für die Arbeitslosen.


(Max Straubinger [CDU/CSU]: Haben Sie etwas gegen die Rentner? – Dr. Martin Rosemann [SPD]: Jetzt spielen Sie doch nicht Rentner gegen Arbeitslose aus! Das ist doch das Allerletzte hier!)


Ich habe wirklich die Befürchtung, dies ist eine Ministe-
rin für die Arbeitsplatzbesitzer und Arbeitsplatzbesitze-
rinnen. Die Arbeitslosen gehen bei ihr leer aus. Schade
eigentlich.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Widerspruch bei der SPD)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1809118300

Vielen Dank. – Nächster Redner ist der Kollege

Dr. Matthias Zimmer, CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU – Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Erklären Sie doch einmal, wo die Regierung bleibt! Es ist immer noch keiner da! Unmöglich! – Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Zeig mal, dass du IG-Metaller bist!)



Dr. Matthias Zimmer (CDU):
Rede ID: ID1809118400

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich

glaube, eines kann man so nicht stehen lassen, nämlich
dass die Arbeitslosen bei dieser Regierung leer ausge-
hen. Das ist eine Unterstellung, die ich schärfstens zu-
rückweisen muss.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Das ist schon so!)


Vor ungefähr drei Jahren trat die letzte Reform der ar-
beitsmarktpolitischen Instrumente in Kraft. Das war eine
Reform, um die wir im Jahre 2011 sehr intensiv gerun-
gen haben, mit dem Ziel, die arbeitsmarktpolitischen In-
strumente passgenau zu schärfen und die Übergänge in
die reguläre Erwerbsarbeit zu stärken. Das ist bei den ar-
beitsmarktnahen Langzeitarbeitslosen auch gelungen.
Doch müssen wir feststellen: Die Reform war bei Men-
schen mit schweren Vermittlungshemmnissen weniger
durchschlagend. Insofern, Frau Pothmer, will ich Ihnen
da durchaus recht geben. Hier können wir nicht zufrie-
den sein. Daher müssen wir ein besonderes Augenmerk
auf diejenigen legen, die nur mit massiver Unterstützung
Teilhabe und Integration am Arbeitsmarkt finden kön-
nen.

Ich will aus meiner Sicht vor allen Dingen sechs
Punkte hervorheben und die strittige Frage des Passiv-
Aktiv-Transfers außen vor lassen, weil das auch aus fi-
nanzpolitischen Erwägungen, glaube ich, eine schwie-
rige Sache ist. Es sind, wie gesagt, sechs Punkte, die mir
bei der Neuorientierung der Langzeitarbeitslosenhilfe
besonders wichtig sind:

Der erste Punkt betrifft die sozialpädagogische Be-
treuung. Die Heranführung gerade der langzeitarbeitslo-
sen Menschen mit mehrfachen und schweren Vermitt-
lungshemmnissen braucht Unterstützung in Form von
Begleitung und Anleitung. Das gilt natürlich in erster Li-
nie für die betroffenen Menschen selbst. Aber wir geben
damit auch den Betrieben eine gewisse Sicherheit, damit
diese im Konfliktfall professionelle Unterstützung ha-
ben.


(Beifall bei der SPD)


Ich halte es daher für richtig, die sozialpädagogische Be-
gleitung bei der Förderung von sozialversicherungs-
pflichtigen Arbeitsverhältnissen gesetzlich zu verankern.

Ein zweiter Punkt betrifft die Möglichkeit der länger-
fristigen Förderung. Im Zug der letzten Instrumentenre-
form haben wir die Fördermaßnahmen zeitlich befristet,
auf maximal 24 Monate in fünf Jahren. Diese Befristung
hat sich aus meiner Sicht nicht bewährt. Wir hören aus
der Praxis, dass viele Geförderte durch diese Regelung
ein paar Monate zu früh aus der Förderung genommen
werden und schließlich wieder in die Langzeitarbeitslo-
sigkeit fallen. Daher sollten wir den zeitlichen Rahmen
der Fördermaßnahmen praxistauglicher ausgestalten. Ich
meine, wir sollten den Jobcentern die Möglichkeit ge-





Dr. Matthias Zimmer


(A) (C)



(D)(B)

ben, nach einem Prinzip des Aufstiegs und Ausstiegs
nach zwei Jahren die Fördervoraussetzungen und die Er-
forderlichkeit einer Förderung jährlich zu überprüfen
und bei Bedarf auch zu verlängern.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Ein dritter Punkt betrifft die Einsatzfelder von Maß-
nahmen. Fördermaßnahmen sollen auch in geschützten
Bereichen möglich sein. Aber sie sollen keine Beschäfti-
gungstherapien sein, sondern so marktnah wie möglich
stattfinden, um das Vermittlungshemmnis Arbeitsmarkt-
ferne – das ist tatsächlich auch ein Vermittlungshemmnis –
aufbrechen zu können.

Ein vierter Punkt betrifft die Arbeitsgelegenheiten.
Gerade sie stehen häufig im Verdacht, lediglich Beschäf-
tigungstherapien zu sein, die keinen Integrationseffekt
mit sich bringen. An dieser Stelle sollten wir noch ein-
mal über die Aufhebung der Kriterien Wettbewerbsneut-
ralität und Zusätzlichkeit diskutieren.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie der Abg. Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Statt die Kriterien sollten wir die lokalen Akteure vor
Ort stärken. Sie sollten in den örtlichen Beiräten der Job-
center entlang der Erfordernisse der Zielgruppen und der
lokalen Erfordernisse Arbeitsmarkt- und Integrations-
programme entsprechend abstimmen.


(Beifall der Abg. Daniela Kolbe [SPD])


Das können und sollten wir als Bundesgesetzgeber den
lokalen Akteuren nicht abnehmen.

Der fünfte Punkt betrifft eine praktikablere Ausgestal-
tung der freien Förderung; diesen Punkt haben ja auch
die Grünen in ihrem Antrag. Ich könnte mir beispiels-
weise vorstellen, dass wir die freie Förderung durch eine
Lockerung des Aufstockungs- und Umgehungsverbotes
gangbarer machen.

Der sechste Punkt betrifft ein soziales Vergaberecht.
Bei der Vergabe von Arbeitsmarktdienstleistungen darf
nicht nur der Preis entscheidend sein, sondern wir müs-
sen auch das Kriterium Qualität stärken, indem wir bei-
spielsweise die Erfahrung und Eignung der Anbieter als
Ausschreibekriterien stärker gewichten bzw. gewichten
können.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Meine Damen und Herren, wenn wir über die Förde-
rung langzeitarbeitsloser Menschen reden, dann geht es
nicht um die Integration in Arbeit um der Arbeit willen.
Arbeit ist für uns kein Selbstzweck, sondern unserem
christlich-sozialen Menschenbild entsprechend verbin-
den wir mit Arbeit Identität und Anerkennung, aber auch
soziale Kontakte und Teilhabe; vieles davon finde ich
auch in Ihrem Antrag wieder. Gute Arbeit wirkt sich po-
sitiv auf das gesundheitliche und soziale Befinden der
Menschen aus. Sie führt zu einer Verbesserung der per-
sönlichen Situation und des Wohlbefindens. Darum geht
es uns bei der Integration von Langzeitarbeitslosen in
den Arbeitsmarkt. Diese Werte sollten wir auch in den
Diskussionen über die Finanzierung von Arbeitsmarkt-
politik im Blick behalten.

Danke schön.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1809118500

Vielen Dank. – Das Wort hat jetzt die Kollegin Sabine

Zimmermann, Fraktion Die Linke.


(Beifall bei der LINKEN)



Sabine Zimmermann (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1809118600

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Erst einmal ein Dankeschön an die Kollegin-
nen und Kollegen der Grünen, dass sie diesen Antrag
heute vorgelegt haben und uns allen in diesem Hause die
Möglichkeit geben, noch einmal über das Thema Ar-
beitsmarkt zu reden. Es ist erschreckend, wie sich die
Bundesregierung weigert, die realen Fakten auf dem Ar-
beitsmarkt zur Kenntnis zu nehmen. Jeden Monat klop-
fen Sie sich stolz auf die Schulter, wie toll doch der Ar-
beitsmarkt bei uns in Deutschland funktioniert.

Es ist aber, ehrlich gesagt, nur die halbe Wahrheit, wenn
Sie im Februar eine Arbeitslosigkeit von 3 Millionen Men-
schen verkünden. Rechnen wir die 1-Euro-Jobber, die Er-
werbslosen in Weiterbildung, die Erwerbslosen über 58
Jahren und die arbeitsunfähigen erkrankten Erwerbslo-
sen hinzu, sind wir schon bei 3,8 Millionen. Rechnen wir
dann auch noch die sogenannte stille Reserve hinzu, also
vor allem diejenigen, die resigniert haben und sich gar
nicht mehr bei der Arbeitsagentur melden, sind wir sogar
schon bei 4 Millionen Menschen.

4 Millionen erwerbslose Menschen hier in Deutsch-
land: Ich weiß nicht, an Ihrer Stelle würde ich nachts gar
nicht mehr schlafen können, wenn ich Monat für Monat
immer die falschen Zahlen verkünden würde.


(Beifall bei der LINKEN – Max Straubinger [CDU/CSU]: Ihre Zählweise ist bekannt aus der Vergangenheit!)


– Hören Sie mir zu. Dann kann ich Ihnen das weiter er-
klären, lieber Kollege.

Frau Nahles sagt Monat für Monat ebenfalls nicht,
dass der bejubelte Beschäftigungsaufbau an Langzeiter-
werbslosen, Älteren und Menschen mit Behinderung
vorbeigeht. Sie sagt natürlich auch nicht, dass viele der
neuen Jobs mit Niedriglöhnen, in Teilzeit oder nur be-
fristet angeboten werden. Kaum in den Arbeitsmarkt in-
tegriert – Kollegin Pothmer hat es schon gesagt –, sind
gerade diese Menschen gleich wieder arbeitslos bzw.
bleiben trotz Arbeit im Hartz-IV-Bezug.

Genau deshalb finden wir es gut, dass die Grünen
heute einen Antrag für eine bessere Arbeitsförderung
vorlegen. Nur, Kollegin Pothmer, leider muss ich sagen,
dass dieser Antrag natürlich deutlich hinter unserem
Fünf-Punkte-Programm zur Bekämpfung der Langzeit-
arbeitslosigkeit zurückbleibt.


(Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein! Der ist bes Sabine Zimmermann ser! – Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ihr seid einfach nicht zu toppen!)





(A) (C)


(D)(B)


Immerhin fordern die Grünen aber auch, dass das ver-
sprochene Fördern bei Hartz IV endlich einzulösen ist.
Die Bundesregierung scheint stattdessen zu glauben,
dass sie mit dem Mindestlohn – man kann auch sagen:
Modell Schweizer Käse –, ihre Hausaufgaben bereits er-
ledigt hätte.


(Dr. Martin Rosemann [SPD]: Heute Morgen haben Sie sie noch gelobt!)


Ich sage Ihnen: Der Mindestlohn kann nur ein Anfang
sein, aber auch nur dann, wenn er richtig gemacht ist,
Kollege Rosemann. Also weg mit den Ausnahmen, auch
für die langzeiterwerbslosen Menschen.


(Beifall bei der LINKEN)


Die Regierung muss auch aufhören, vom Fordern und
Fördern zu schwadronieren, solange sie das Fordern im-
mer besser und das Fördern immer weniger versteht. Es
macht doch einfach keinen Sinn, Druck auf Erwerbslose
auszuüben, wenn man weiß, dass gar nicht genug Ar-
beitsplätze vorhanden sind. Noch immer kommen bun-
desweit mehr als drei Erwerbslose auf eine offene Stelle.

Entscheidend ist nun einmal in den meisten Fällen
– ich glaube, da sind wir beide uns einig – die Qualifika-
tion. Je weniger qualifiziert, desto schlechter sind die
Chancen auf dem Arbeitsmarkt. Mit Sanktionen verän-
dern Sie an dieser Situation überhaupt nichts. Deshalb
fordert die Linke: Weg mit den Sanktionen!


(Beifall bei der LINKEN)


Gerade für den Personenkreis mit den geringsten Per-
spektiven auf dem Arbeitsmarkt fordert die Linke eine
Initiative für eine gute öffentlich geförderte Beschäfti-
gung im Umfang von 200 000 Stellen. Die SPD hat den
sozialen Arbeitsmarkt vergessen. Abgesehen von den
Grünen und uns redet niemand mehr darüber. Schade.


(Beifall bei der LINKEN)


Wir brauchen dringend einen Ausbau der Weiterbil-
dung und Qualifizierung. Ohne einen guten Berufsab-
schluss ist auf dem Arbeitsmarkt einfach nichts zu errei-
chen. Es ist fatal, dass mit den Hartz-Gesetzen die
Weiterbildung immer weiter eingebrochen ist. Immer
wieder melden sich bei mir Erwerbslose, die gern wei-
tergebildet werden möchten, die eine Weiterbildung ma-
chen wollen, diese aber nicht genehmigt bekommen.
Deshalb sagen wir: Hier muss es einen Rechtsanspruch
für die Betroffenen geben.


(Beifall bei der LINKEN)


Wer wirklich eine andere Arbeitsmarktpolitik will,
muss auch Geld in die Hand nehmen. Das betrifft nicht
nur die Mittel für die Weiterbildung, sondern auch aus-
reichend und gut qualifiziertes Personal in den Jobcen-
tern und Arbeitsagenturen. Stattdessen sind die Mittel
für die aktive Arbeitsmarktpolitik in den letzten Jahren
massiv gekürzt worden, nämlich um 40 Prozent, obwohl
die Arbeitslosigkeit nur um 5,7 Prozent zurückgegangen
ist.

(Zuruf der Abg. Kerstin Griese [SPD])


– Frau Giese, es ist leider so. Sie haben in diesem Be-
reich seit 2010 eine Einsparung um 40 Prozent vorge-
nommen. Das widerspricht sich.

Meine Damen und Herren der Großen Koalition, es
ist offensichtlich: Diese Regierung hat andere Schwer-
punkte als die Bekämpfung der Langzeitarbeitslosigkeit.
Dann sagen Sie aber auch ehrlich, dass die langzeiter-
werbslosen Menschen abgeschrieben sind, und klagen
Sie nicht über einen angeblichen Fachkräftemangel,
wenn Sie hier die enormen Potenziale nicht nutzen wol-
len.

Danke schön.


(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1809118700

Vielen Dank. – Für die SPD-Fraktion erhält jetzt

Dr. Matthias Bartke das Wort.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. Matthias Bartke (SPD):
Rede ID: ID1809118800

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und

Herren! Liebe Frau Zimmermann, es ist gerade eine Wo-
che her, dass die Bundesagentur für Arbeit die geringste
Arbeitslosigkeit in einem Februar seit 1991 meldete.


(Sabine Zimmermann [Zwickau] [DIE LINKE]: Es geht um die Langzeitarbeitslosigkeit!)


Ich finde, das muss man sich auch einmal vergegenwär-
tigen. Normalerweise steigen die Arbeitslosenzahlen im
Februar an. In diesem Jahr gab es sogar einen Rückgang
im Vergleich zum Vormonat Januar.

Zeitgleich wächst die Zahl der Beschäftigten deutlich.
Fast 600 000 Menschen mehr als im vergangenen Jahr
hatten einen sozialversicherungspflichtigen Job – und
das vor dem Hintergrund der Unkenrufe, dass der Min-
destlohn eine Massenarbeitslosigkeit produzieren würde.


(Beifall bei der SPD sowie der Abg. Sabine Zimmermann [Zwickau] [DIE LINKE])


Ich sage Ihnen: Der Arbeitsmarkt entwickelt sich derzeit
hervorragend.

Es ist aber natürlich auch richtig, dass wir bei aller
Freude darüber unsere eigentlichen Hausaufgaben als
Arbeitsmarktpolitiker nicht vergessen dürfen. Wir müs-
sen auch an diejenigen denken, die von den positiven
Arbeitsmarktentwicklungen bislang noch nicht profitie-
ren, und das sind natürlich vor allem die Langzeitarbeits-
losen. Sie stehen ganz oben auf unserer Agenda. Dazu
hätte es des Antrags der Grünen wahrlich nicht bedurft.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Oh nein!)






Dr. Matthias Bartke


(A) (C)



(D)(B)

Arbeitsministerin Andrea Nahles hat bereits im letzten
Jahr ihr Konzept zur Bekämpfung der Langzeitarbeitslo-
sigkeit vorgestellt, und das war keine Eintagsfliege. Vor-
gestern hat es zu diesem Konzept eine Fachtagung im
Bundesarbeitsministerium gegeben.


(Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, Sie waren nicht da!)


Mit dabei waren Vertreter der Bundesländer, der Wohl-
fahrts- und Sozialverbände, der Sozialpartner und ande-
rer Einrichtungen. Man sieht: Es sind all diejenigen be-
teiligt, die einen täglichen Einblick in die Materie haben.
Gemeinsam werden wir so einen effektiveren Ansatz
entwickeln, um Langzeitarbeitslose in den Arbeitsmarkt
und in die Gesellschaft zu integrieren.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Meine Damen und Herren von den Grünen, ich sage
es Ihnen ganz offen: Ihr Antrag liest sich in vielen Teilen
durchaus gut.


(Kerstin Andreae [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Er ist gut!)


Das liegt natürlich vor allem daran, dass er sich von un-
serem Konzept nicht wesentlich unterscheidet.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU – Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Schön wäre es!)


Sie fordern in mancher Hinsicht „ein bisschen mehr“,
„ein bisschen länger“, „ein bisschen umfangreicher“.
Das gehört sich als Opposition auch so.


(Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was ist denn bei Ihnen mit dem PassivAktiv-Transfer?)


Dazu, dass Sie schreiben, unser arbeitsmarktpoliti-
sches Konzept sei eine Fortsetzung der gescheiterten
Politik der Vorgängerregierung, kann ich aber nur sagen:
Unfug!


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Die Politik von Schwarz-Gelb war gekennzeichnet von
Kürzungen im Bereich der aktiven Arbeitsmarktpolitik.
Nichts anderes war nach dem damaligen Koalitionsver-
trag auch zu erwarten. Ich zitiere die sehr kurze Passage
zur Langzeitarbeitslosigkeit im damaligen Koalitions-
vertrag:

Die Koalition wird … die Voraussetzungen dafür
schaffen, dass neue Lösungsansätze des „Förderns
und Forderns“ in größeren Kommunen erprobt wer-
den können. Das Prinzip wird konsequent und für
die öffentliche Hand kostenneutral umgesetzt.

Kostenneutral! Das war die Handschrift der verbliche-
nen FDP.


(Beifall bei der SPD)


Die Passage zur Langzeitarbeitslosigkeit in unserem
aktuellen Koalitionsvertrag kann ich Ihnen nicht vortra-
gen, da das meine Redezeit sprengen würde. Allein das
ist doch schon ein Zeichen, und Sie wissen: Der Koali-
tionsvertrag wird umgesetzt. Ich zitiere hier nur den zen-
tralen Satz:

Deshalb wollen wir … Langzeitarbeitslose ver-
stärkt in existenzsichernde Arbeit vermitteln, sie
passgenau qualifizieren und begleiten sowie bei Be-
darf auch nachgehend betreuen und dafür die not-
wendigen Rahmenbedingungen schaffen.


(Beifall bei der SPD)


Genau das tun wir, und genau das spiegelt sich auch im
vorgelegten Konzept zum Abbau der Langzeitarbeitslo-
sigkeit wider.

Was wir tatsächlich nicht realisieren werden, Sie aber
fordern, ist der Passiv-Aktiv-Transfer. Ich finde, hier ist
Ihre Kritik wirklich berechtigt. Wenn Sie das SPD-Wahl-
programm gelesen haben,


(Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist meine Bettlektüre!)


dann wissen Sie auch, dass wir das ebenfalls wollten.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Aber so ist das nun einmal in Koalitionen: Man muss
Abstriche machen. Wenn der Finanzminister Nein sagt,
dann gilt das – zumindest bis auf Weiteres.


(Daniela Kolbe [SPD]: Aber vielleicht sagt er ja noch Ja!)


Eines ist klar: Wir werden das Thema wieder auf die
Agenda setzen, wenn sich die Möglichkeit dafür bietet.


(Beifall bei der SPD)


Bei allem Ärger darüber ist die öffentlich geförderte
Beschäftigung dennoch Teil unseres Konzepts.


(Beifall der Abg. Ulli Nissen [SPD])


Dazu tragen sowohl das ESF-Programm als auch das
Bundesprogramm zur sozialen Teilhabe am Arbeits-
markt bei. Weiter wird es eine bessere Betreuung in den
Aktivierungszentren geben. Das Stichwort ist hier: ganz-
heitliche, maßgeschneiderte Herangehensweise. Das gilt
beschäftigungsvorbereitend und beschäftigungsbeglei-
tend. Es ist also auch an eine Nachbetreuung gedacht.

Sie thematisieren die zum Teil wenig nachhaltige Ver-
mittlung. Ich stimme zu: Auch ich kann es nur befürwor-
ten, wenn Vermittlung keinen zwingenden Vorrang vor
Weiterbildung hat. Aber ich sage Ihnen: Das ist auch
jetzt schon nicht der Fall. In § 4 SGB III ist ausdrücklich
geregelt, dass der Vermittlungsvorrang dann nicht gilt,
wenn aktive Arbeitsförderungsmaßnahmen für eine dau-
erhafte Eingliederung notwendig sind.


(Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das wird aber nicht angewandt!)


Eine konsequente Umsetzung dieses Grundsatzes ist da-
her viel sinnvoller, als eine Rechtsänderung zu fabrizie-
ren, die es ohnehin schon gibt. Ähnlich ist es übrigens
auch im SGB II geregelt.





Dr. Matthias Bartke


(A) (C)



(D)(B)

Richtig ist auch, dass Bildungsprämien und Teilzeit-
qualifizierung in unserem Konzept nicht explizit genannt
sind. Aber im Koalitionsvertrag haben wir festgeschrie-
ben, dass das Programm „Die 2. Chance“ weitergeführt
wird und die entsprechenden finanziellen Rahmenbedin-
gungen für die Teilnehmer verbessert werden. Das wer-
den wir auch machen.


(Beifall bei der SPD – Ulli Nissen [SPD]: Das ist ganz wichtig!)


– Genau. – Ich rate Ihnen: Unterstützen Sie das Konzept
unserer Arbeitsministerin Andrea Nahles. Konzentrieren
Sie sich nicht darauf, es nur schlechtzureden; das hilft
nicht. Tragen Sie es mit. Ich sage Ihnen: Es lohnt sich.

Vielen Dank.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1809118900

Vielen Dank. – Nächster Redner ist der Kollege Kai

Whittaker, CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Kai Whittaker (CDU):
Rede ID: ID1809119000

Frau Präsidentin! Werte Kollegen! Im Gegensatz zu

Anträgen von manch anderer Oppositionsfraktion macht
es mir heute wirklich Freude, mich mit dem Antrag der
Grünen-Fraktion auseinanderzusetzen.


(Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dafür habe ich ihn eigentlich nicht geschrieben!)


Da ist wenigstens Fleisch am Knochen. Sie sprechen in
der Tat – das kann man einmal lobend erwähnen – einige
wichtige Punkte an. Wenn man sich aber diesen Kno-
chen genau anschaut, dann merkt man, dass daran kein
Fleisch ist, sondern eher Tofu. Damit setzen Sie ihre For-
derung nach einem fleischfreien Donnerstag tatsächlich
um.

Sie behaupten in Ihrem Antrag, dass die Politik für
die Langzeitarbeitslosen gescheitert sei. Diese Behaup-
tung ist schlicht falsch. Vor zehn Jahren gab es laut IAB
1,7 Millionen Langzeitarbeitslose in Deutschland. Heute
sind es circa 1 Million Menschen. Da können Sie sich
doch nicht ernsthaft hierhinstellen und sagen, es sei in
den letzten Jahren nichts passiert. Zugegeben: Wir sind
jetzt an einem Punkt angekommen, an dem es wirklich
um die ganz harten Fälle geht; das zeigt uns auch jede
Studie.

Nur, liebe Kollegen der Grünen, anstatt mich nur auf
die Aktenlage zu verlassen, bin ich jemand, der sich die
Faktenlage gerne vor Ort anschaut.


(Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist aber ein Alleinstellungsmerkmal!)


Im vergangenen Jahr hatte ich die Möglichkeit, für drei
Tage bei einem Langzeitarbeitslosen zu wohnen, mit
ihm einkaufen zu gehen, mit ihm zu essen und ihn zu
seiner Beschäftigungsgesellschaft zu begleiten. Das hat
mir das Exposure- und Dialogprogramm im Erzbistum
Trier ermöglicht.

Was habe ich gelernt? Ich habe gelernt, dass die be-
stehenden Beschäftigungsgelegenheiten den Betroffenen
überhaupt nicht helfen. Sie lernen keine Fähigkeiten für
den ersten Arbeitsmarkt. Das Schlimme ist: Auch die
Langzeitarbeitslosen wissen das. Sie sehen in ihrer Tä-
tigkeit überhaupt keine Perspektive oder irgendeinen
Sinn. Das hat mich schon sehr nachdenklich gemacht.


(Ulli Nissen [SPD]: Gut, dass Sie das gemacht haben!)


Was habe ich noch gelernt? Ich habe gelernt, dass die
meisten Betroffenen mit ihren Problemen komplett al-
leinegelassen werden, egal ob es um Sucht, Schulden
oder familiäre Probleme geht. Wir Politiker nennen das
ganz technisch Vermittlungshemmnisse. Aber diese
Hemmnisse sind sehr individuell: Sie haben oft mit psy-
chischen und physischen Einschränkungen zu tun. Wir
tun noch viel zu wenig, um den Menschen bei ihren Pro-
blemen zu helfen.


(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Eine wichtige Sache habe ich auch noch gelernt. Viele
verschiedene Akteure kümmern sich um Langzeitar-
beitslose. Da weiß die rechte Hand oft nicht, was die
linke tut. An dieser Stelle wünsche ich mir mehr Zusam-
menarbeit und eine bessere Abstimmung der Akteure.

Mein Fraktionsvorsitzender sagt immer: Politik be-
ginnt mit dem Betrachten der Wirklichkeit. – Die span-
nende Frage ist jetzt: Welche Lösungen bietet Ihr Antrag
für die Probleme dieser Wirklichkeit an? Sie bieten
nichts anderes als das alte Konzept des sozialen Arbeits-
markts. Ich persönlich bin kein Freund des Begriffs „so-
zialer Arbeitsmarkt“. Denn mit dieser Idee machen Sie
ganz klar, dass die Menschen für den ersten Arbeits-
markt nicht mehr zu gebrauchen sind, und als Trostpflas-
ter bekommen sie dafür noch staatliche Betreuung. Da-
mit schreiben Sie über 400 000 Menschen in diesem
Land schlicht und ergreifend ab.


(Beifall des Abg. Dr. Matthias Zimmer [CDU/ CSU])


Deshalb frage ich Sie, liebe Kollegen: Was für ein Men-
schenbild haben Sie eigentlich? Wollen Sie wirklich die
Menschen nur beschäftigen, damit sie aus der Statistik
herausfallen? Das ist nicht unsere Politik in der Union.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1809119100

Herr Kollege Whittaker, gestatten Sie eine Zwischen-

frage oder -bemerkung des Kollegen Kurth?


Kai Whittaker (CDU):
Rede ID: ID1809119200

Ich würde gerne mit meiner Rede fortfahren.






(A) (C)



(D)(B)


Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1809119300

Okay, akzeptiert.


(Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und dabei ist es doch jetzt gerade spannend!)



Kai Whittaker (CDU):
Rede ID: ID1809119400

Dieses Signal zu senden, meine Damen und Herren,

wäre verheerend. Wir dürfen Langzeitarbeitslose nicht
einfach beschäftigen, sondern wir müssen ihnen die
Möglichkeit geben, sinnvollen Aufgaben nachzugehen.
Nur so gewinnen sie, glaube ich, auch Selbstvertrauen
und Selbstachtung. Auf einem sozialen Arbeitsmarkt
hingegen fühlen sich die Menschen auf ein Abstellgleis
abgeschoben. Dazu hätte ich in der Tat etwas mehr von
Ihnen erwartet, liebe Grüne.

Es gibt ohne Frage auch gute Ansätze – das wurde
schon angesprochen –, zum Beispiel das Coaching-Mo-
dell. Aber, Frau Kollegin Pothmer – Sie kommen aus
Niedersachsen; da haben Sie mit Fasching nicht so viel
zu tun –, bei uns im Badischen sagt man: Da kommen
Sie wie die alte Fasnacht hinterher. Denn genau diesen
Ansatz hat die Bundesregierung im November bereits
vorgestellt. In dem Fünf-Punkte-Programm sind diese
Komponenten ganz klar enthalten. Dafür möchte ich der
Bundesregierung ganz herzlich danken.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD – Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Ist die jetzt da?)


Aber bei Ihrer Forderung nach Coaching sind für mich
wichtige Fragen noch nicht geklärt: Was bringt uns denn
eine bessere Begleitung, wenn wir die daraus gewonne-
nen Erkenntnisse nicht nutzen können? Wie soll denn
ein Coaching-Modell funktionieren, wenn die betreuen-
den Einrichtungen ihre jeweiligen Informationen nicht
austauschen dürfen? Jede Einrichtung arbeitet vor sich
hin, und keiner weiß, was der andere tut. An dieser Stelle
müssen wir ansetzen und Wissen bündeln. Aber in Ihrem
Antrag findet sich davon gar nichts. Ich habe den Ein-
druck: Sie scheuen den Konflikt mit Ihren lieben Vertre-
tern in den Landesregierungen oder auch mit dem Daten-
schutz. Denn dieser wäre in der Tat davon berührt.

Liebe Kollegen von den Grünen, was hätte ich mir
von Ihrem Antrag sonst noch gewünscht? Ich hätte mir
gewünscht, dass Sie Möglichkeiten aufzeigen, wie man
Langzeitarbeitslose näher an den ersten Arbeitsmarkt he-
ranführt. Ein Blick in das SGB zeigt, welche sinnvollen
Instrumente es schon gibt. Ich finde, dass das SGB IX
mit den Integrationsfirmen für behinderte Menschen
durchaus eine Möglichkeit bietet. In der Stadt Gaggenau
in meinem Wahlkreis gibt es die Lebenshilfe, die für
Daimler und Bosch Produkte herstellt. Das ist in der Tat
ein unternehmerischer Ansatz, den man vielleicht aus-
weiten könnte. Ich wäre dazu bereit.

Wenn wir die Langzeitarbeitslosen in Deutschland
wirklich wieder in den Arbeitsmarkt integrieren wollen,
dann müssen wir uns Folgendes klarmachen: Nicht die
Integration durch Beschäftigung, sondern die Integration
durch Arbeit hilft. Wir als Union möchten Dauerarbeits-
lose nicht auf einem Placebo-Arbeitsmarkt festhalten,
sondern ihnen eine echte Chance auf dem ersten Arbeits-
markt geben. Dafür setzen wir uns ein.

Vielen Dank.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1809119500

Vielen Dank. – Das Wort zu einer Kurzintervention

erhält jetzt der Kollege Markus Kurth.


Markus Kurth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1809119600

Herr Whittaker, Sie haben am Ende Ihrer Rede noch

einmal gesagt, wir würden den Langzeitarbeitslosen nur
einen Placebo-Arbeitsmarkt anbieten und 400 000 Men-
schen vom ersten Arbeitsmarkt fernhalten. Wenn Sie
schon erwähnen, dass Politik mit dem Betrachten der
Wirklichkeit beginnt, dann nehmen Sie doch auch zur
Kenntnis, dass in der Bundesagentur für Arbeit, in den
Jobcentern vor Ort und bei den Wohlfahrtsverbänden
seit Jahren weithin bekannt ist, dass es eine Gruppe von
150 000 bis 450 000 Personen gibt, die in ihrer gegen-
wärtigen Verfassung, egal was sie machen, ungefördert
keine Chance auf dem ersten Arbeitsmarkt, so wie er ist,
haben.

Wenn absehbar ist, dass sowieso auf Jahre hinaus Ar-
beitslosengeld II gezahlt werden muss und – Sie haben
es selbst angesprochen – Arbeitsgelegenheiten in diesen
Fällen nicht funktionieren, ist es dann nicht sinnvoller,
dieses Geld als personenbezogene Unterstützung bzw.
als Nachteilsausgleich, als Ausgleich für Wettbewerbs-
nachteile, einzusetzen und diesen Menschen beispiels-
weise in einem Integrationsbetrieb oder in anderen spe-
ziellen Betriebsformen Arbeit – keine Beschäftigung –
und Verdienst zu ermöglichen?

Das ist der sogenannte Passiv-Aktiv-Transfer, der in-
zwischen in allen Fraktionen, wenn auch nicht überall
mehrheitlich, Anhängerinnen und Anhänger hat und in
mehreren Bundesländern ausprobiert wird. Das ist das
Modell, das wir von den Integrationsbetrieben für Men-
schen mit Behinderung vom Grundsatz her kennen, das
wir auch als Budget für Arbeit kennen. Es handelt sich
hier mitnichten um ein Placebo, sondern um einen quali-
tativ neuen Ansatz. Ich wünsche mir so sehr, dass uns
endlich der Durchbruch gelingt, dass wir von der Sozial-
politik auf die Finanz- und Haushaltspolitiker einwirken,
damit dieser Passiv-Aktiv-Transfer endlich ermöglicht
wird. Das wird viele gesellschaftliche Folgekosten und
auch Haushaltskosten, beispielsweise im Gesundheitsbe-
reich, sparen und den Menschen eine Menge bringen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1809119700

Vielen Dank. – Möchten Sie darauf antworten, Herr

Kollege Whittaker?


Kai Whittaker (CDU):
Rede ID: ID1809119800

Ja.






(A) (C)



(D)(B)


Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1809119900

Bitte schön.


Kai Whittaker (CDU):
Rede ID: ID1809120000

Herr Kollege Kurth, Sie sind Rheinländer, und als

Rheinländer ist man durchaus etwas katholischer als an-
dere.


(Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dortmund!)


– Gut, Dortmund.


(Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich bin katholisch und gebürtiger Rheinländer!)


– Das wollte ich doch sagen; Sie sind gebürtiger Rhein-
länder. – Sie sind katholischer als manch anderer, aber
Sie sollten vielleicht nicht jede Monstranz, die Ihnen die
Verbände in die Hand drücken, vor sich hertragen. Der
PAT ist tatsächlich eine solche Monstranz. Das ist ein
Mittel zum Zweck. Wir können darüber streiten, ob wir
ihn ausprobieren wollen, aber er wird die Probleme nicht
sofort lösen, wie Sie glauben.

Sie haben ein anderes Verständnis. Sie schreiben
– das ist die Schlussfolgerung aus Ihrem Antrag –
200 000 bis 400 000 Menschen einfach ab, weil Sie sa-
gen, dass sie nichts können.


(Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein, das steht nicht drin!)


– Das steht definitiv in Ihrem Antrag. – Wir haben ein
unterschiedliches Menschenbild. Wir sollten versuchen,
diese Menschen Schritt für Schritt wieder zu aktivieren
und an den ersten Arbeitsmarkt heranzuführen. Wir müs-
sen die Probleme, die sie individuell haben, lösen, und
dann müssen wir die Menschen in arbeitsmarktnahe Be-
schäftigung bringen. Wir dürfen sie aber nicht dauerhaft
subventionieren; denn damit ist niemandem geholfen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie haben ein Missverständnis! Das müssen wir noch mal klären!)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1809120100

Vielen Dank. – Nächster Redner in der Debatte ist

jetzt der Kollege Dr. Martin Rosemann, SPD-Fraktion.


(Beifall bei der SPD)



Dr. Martin Rosemann (SPD):
Rede ID: ID1809120200

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Insgesamt überwiegen derzeit die guten Nachrichten auf
dem Arbeitsmarkt. Die Entwicklung auf dem Arbeits-
markt bleibt positiv. Mit 30,5 Millionen Menschen
haben wir den höchsten Stand an sozialversicherungs-
pflichtiger Beschäftigung. Im Dezember 2014 hat diese
um noch einmal knapp 600 000 gegenüber dem Vorjahr
zugenommen. Auch Arbeitslosigkeit und Unterbeschäf-
tigung sind im Vergleich zum Vorjahr merklich gesun-
ken.
Noch deutlicher wird das bei einem langfristigen Ver-
gleich. Wir haben seit 2005 einen stetigen Anstieg der
sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung um über
4 Millionen. Die Arbeitslosenquote ist seit 2005 deutlich
gesunken, und zwar von fast 12 Prozent auf knapp
7 Prozent. Auch die Langzeitarbeitslosigkeit ist von
4 Prozent im Jahr 2007 auf heute ungefähr 2,5 Prozent
gesunken. Vor allem die Entwicklung, die wir früher hat-
ten, nämlich dass von Konjunkturzyklus zu Konjunktur-
zyklus die Sockelarbeitslosigkeit in Deutschland immer
zugenommen hat, haben wir durchbrochen. Das zeigt
den Erfolg der Arbeitsmarktreformen, die Rot und Grün
gemeinsam durchgesetzt haben. Dazu hätten Sie in Ih-
rem Antrag auch etwas schreiben können.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1809120300

Herr Kollege Rosemann, gestatten Sie eine Zwischen-

frage der Kollegin Pothmer?


Dr. Martin Rosemann (SPD):
Rede ID: ID1809120400

Ja.


Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1809120500

Bitte schön, Frau Kollegin Pothmer.


Brigitte Pothmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1809120600

Herr Rosemann, Sie haben gerade darauf hingewie-

sen, dass die Langzeitarbeitslosigkeit zurückgegangen
ist. Haben Sie in Ihre Berechnung auch einbezogen, dass
die Gruppe der Älteren nach § 53 a SGB II dann, wenn
sie ein Jahr kein Beschäftigungsangebot erhält, aus der
Statistik ausgesteuert wird? Wenn Sie diese Gruppe ein-
beziehen, dann ist die Langzeitarbeitslosigkeit in den
letzten Jahren um 0,6 Prozent zurückgegangen, während
die Mittel für die Förderung der Arbeitslosen um 40 Pro-
zent zurückgegangen sind.


Dr. Martin Rosemann (SPD):
Rede ID: ID1809120700

Frau Kollegin Pothmer, ich will nicht verschweigen,

dass es nicht in allen Gruppen so eine positive Entwick-
lung gibt. Aber Sie müssen dazusagen, dass wir gleich-
zeitig mit den Arbeitsmarktreformen auch an anderer
Stelle Reformen durchgeführt haben, dass Frühverren-
tungsmöglichkeiten abgeschafft worden sind und dass
damit sehr viel mehr ältere Menschen als vorher auf dem
Arbeitsmarkt sind. Auch deswegen hat die Zahl der Be-
schäftigten zugenommen. Gleichzeitig sind damit natür-
lich – diesem Problem muss sich auch die Politik stellen –
mehr Ältere von Arbeitslosigkeit betroffen. Das hat et-
was damit zu tun, dass wir damals gemeinsam und, wie
ich finde, gerechterweise Möglichkeiten der Frühverren-
tung beseitigt haben.


(Beifall bei der SPD)


Ich will ausdrücklich feststellen, dass der Rückgang
der Langzeitarbeitslosigkeit stagniert. Viele langzeitar-
beitslose Menschen profitieren eben nicht von der guten
wirtschaftlichen Entwicklung und finden den Weg in den
Arbeitsmarkt eben nicht zurück. Die Vermittler und Fall-





Dr. Martin Rosemann


(A) (C)



(D)(B)

manager im Wirkungskreis des SGB II sehen sich einer
Kundengruppe mit zunehmend komplexen und verfes-
tigten Problemlagen gegenüber. Natürlich ist es unser
Ziel, diesen Menschen wieder eine Perspektive auf dem
Arbeitsmarkt zu geben. Dabei ist aber klar: Es gibt eben
nicht den typischen Langzeitarbeitslosen. So werden wir
eben auch nicht die eine Maßnahme finden, die allen
Langzeitarbeitslosen gerecht wird und alle wieder in den
Arbeitsmarkt bringt. Vielmehr brauchen wir individuelle
und passgenaue Förderung.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Die alleinerziehende Mutter ohne Ausbildung, die Pro-
bleme mit der Kinderbetreuung hat, braucht eben andere
Angebote als der ältere langzeitarbeitslose Bauarbeiter
mit gesundheitlichen Einschränkungen. Gerade hier gilt
es, unser Förderversprechen, das wir mit dem SGB II ge-
geben haben, umzusetzen. Hierfür brauchen wir bessere
Rahmenbedingungen für Beratung und Betreuung in den
Jobcentern und flexible, passgenaue Antworten.

Liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen,
wie Sie sehen, liegen Ihre Problemanalyse und meine
Problemanalyse nicht so weit auseinander. Unsere Bun-
desarbeitsministerin, Andrea Nahles, hat im Gegensatz
zu dem, was Sie hier darstellen, genau dieses Problem
erkannt


(Beifall bei der SPD)


und setzt mit ihrem Konzept zur Bekämpfung der Lang-
zeitarbeitslosigkeit genau dort an. Das vorgelegte Kon-
zept unterstützt die Jobcenter dabei, auf die vielfältigen
Problemlagen ihrer Kundinnen und Kunden individuell
und passgenau zu reagieren. Wir verbessern die Rah-
menbedingungen für die Arbeit in den Jobcentern durch
bessere personelle Ausstattung. Ich erinnere nur an die
1 000 Stellen, die bisher beim auslaufenden Programm
„Perspektive 50plus“ angesiedelt waren und die für die
Aktivierungszentren, die eingerichtet werden, zur Verfü-
gung stehen. Wir stabilisieren das Personal. Wir setzen
auf Personalentwicklung und Qualifizierung. Wir wer-
den das Vergaberecht weiterentwickeln, damit Qualität
bei den Vergaben eine größere Rolle spielt.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Wir statten die Jobcenter finanziell besser aus; das ist
schon angesprochen worden. Unter Schwarz-Gelb wur-
den Eingliederungstitel und Verwaltungstitel immer wei-
ter gekürzt. Das haben wir umgekehrt.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Für 2015 stehen wie bereits für 2014 350 Millionen
Euro Restmittel zur Verfügung. Die Pro-Kopf-Ausga-
ben für Eingliederung und Verwaltung erreichen im
Jahr 2015, übrigens erstmals seit 2010, wieder mehr als
2 000 Euro.

Außerdem ermöglichen wir passgenaue Lösungen
durch engere Verzahnungen von Arbeitsförderung und
Gesundheitsförderung, durch gezielte Akquise von Stel-
len für Langzeitarbeitslose mit begleitendem Coaching
und Nachbetreuung und durch das schon mehrfach ange-
sprochene Programm zur sozialen Teilhabe von Men-
schen, die keine direkte Chance auf dem ersten Arbeits-
markt haben.

Richtig ist, meine Damen und Herren: Mehr als die
Hälfte der arbeitslosen SGB-II-Empfänger hat keine
Ausbildung. Natürlich sind hier Weiterbildung und Qua-
lifizierung wichtige Stellschrauben. Ich will aber darauf
hinweisen, dass wir den Paradigmenwechsel schon ein-
geleitet haben. Das zeigen beispielsweise die Programm-
initiative „Spätstarter gesucht“ – da machen wir weiter –,
und das zeigt auch, dass Themen, die Sie in Ihrem
Antrag zu Recht angesprochen haben, wie die Weiter-
bildungsprämie, auf der Tagesordnung dieser Großen
Koalition stehen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Liebe Frau Pothmer,


(Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Lieber Herr Rosemann!)


Sie ähneln wieder einmal dem Hasen in dem Märchen
Der Hase und der Igel. Ich muss Ihnen sagen: Da, wo
Sie hinlaufen, sind wir schon.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1809120800

Vielen Dank. – Für die CDU/CSU-Fraktion hat jetzt

das Wort Dr. Astrid Freudenstein.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. Astrid Freudenstein (CSU):
Rede ID: ID1809120900

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Meine Damen und Herren! Wer die Debatte
verfolgt hat, weiß, dass wir uns hier im Parlament ziem-
lich einig in der Diagnose sind: In unserem Land leben
zu viele Menschen, die nur eine geringe Chance haben,
auf dem Arbeitsmarkt Fuß zu fassen. Wir teilen auch ge-
meinsam die Sorge um diese Menschen, und wir sehen
auch alle gemeinsam einen Handlungsbedarf. Wir als
Große Koalition haben deshalb im Koalitionsvertrag ei-
nen Schwerpunkt auf ebendiese Personengruppe gelegt.
Auch die Bundesregierung hat in ihrem ersten Jahr die
Bekämpfung der Langzeitarbeitslosigkeit zu einem ihrer
obersten Ziele ernannt. So einig wir uns aber in der Dia-
gnose sind: Unsere Vorstellungen darüber, wie man die-
ses Problem lösen kann, sind doch nicht ganz gleich.

Durch den Beschluss der Hartz-Gesetze durch die
SPD und die Grünen – das erkennen wir durchaus an –
gab es den notwendigen Impuls für einen Wandel der
Arbeitsmarktpolitik. Ein effizienteres Verwaltungssys-
tem und ein gesundes Verhältnis zwischen Fördern und
Fordern hielten Einzug. Für die Erfolge dieser Gesetze
werden wir noch heute in weiten Teilen Europas bewun-
dert.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Wie schon festgestellt, braucht es für einen bestimm-
ten Personenkreis mit mehreren bzw. multiplen Vermitt-





Dr. Astrid Freudenstein


(A) (C)



(D)(B)

lungshemmnissen etwas mehr Förderung. Denn während
die Zahl der Arbeitslosen insgesamt seit 2005 stark ge-
sunken ist, blieb die Zahl der Langzeitarbeitslosen seit
2010 fast auf einem Niveau. Daran wollen wir natürlich
etwas ändern.

Wir sind das Problem schon angegangen. Mit der Initia-
tive gegen Langzeitarbeitslosigkeit sollen die Chancen
für diesen speziellen Personenkreis deutlich verbessert
werden, und ihre soziale Teilhabe soll gesichert werden.
Es gibt zum einen das ESF-Programm zur Eingliederung
Langzeitarbeitsloser, das mit fast 900 Millionen Euro
ausgestattet ist. Damit werden besonders jene unter-
stützt, die keinen verwertbaren Berufsabschluss haben.

In diesem Zusammenhang muss auch auf die Pro-
gramme der Berufseinstiegsbegleitung und der assistier-
ten Ausbildung hingewiesen werden. Mit ihnen soll dort
geholfen werden, wo der Schulabschluss oder die Be-
rufsausbildung in Gefahr sind. Beides sind Fundamente
eines Jobs auf dem ersten Arbeitsmarkt. Hier setzen wir
also auf Vorbeugung bzw. Prävention, damit junge Men-
schen erst gar nicht in die Langzeitarbeitslosigkeit fal-
len.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1809121000

Frau Kollegin Freudenstein, gestatten Sie eine Zwi-

schenfrage der Kollegin Zimmermann?


Dr. Astrid Freudenstein (CSU):
Rede ID: ID1809121100

Ja, bitte.


Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1809121200

Bitte schön, Frau Zimmermann.


Sabine Zimmermann (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1809121300

Vielen Dank, Frau Dr. Freudenstein, dass Sie diese

Frage zulassen. – Sie sprachen davon, dass Sie ein Pro-
gramm auf den Weg gebracht haben. Es gibt 1 Million
langzeiterwerbslose Menschen. Die zwei Programme,
die jetzt von Frau Nahles vorgestellt worden sind, betref-
fen 43 000 Menschen. Was machen wir denn mit den an-
deren Menschen, die auch langzeiterwerbslos sind?


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. Astrid Freudenstein (CSU):
Rede ID: ID1809121400

Wir werden in unserem Kampf gegen die Langzeit-

arbeitslosigkeit nicht aufgeben. Ihr Versuch, uns hier
so etwas zu unterstellen, geht ins Leere, Kollegin
Zimmermann. Ich werde noch ausführen, was wir tun
können.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Tolle Antwort!)


– Ja, das ist so. Sie unterstellen uns hier etwas, was nicht
der Fall ist.

Es ist, glaube ich, auch in der bisherigen Debatte sehr
deutlich geworden, dass uns das Thema Langzeitarbeits-
losigkeit in der Koalition sehr umtreibt. Wir brauchen,
glaube ich, keinen Hinweis auf dieses Problem.

All diese Instrumente eint, dass sie auf eine intensi-
vere Beratung und Betreuung setzen, dass sie auf die in-
dividuelle Lebenssituation der arbeitslosen und leis-
tungsschwachen Jugendlichen eingehen und diese dabei
unterstützen, einen Arbeitsplatz auf dem ersten Arbeits-
markt zu finden und zu behalten.

In Ihrem Antrag schlagen Sie nun vor, die öffentlich
geförderte Beschäftigung deutlich auszubauen. Dabei ist
mir wichtig, zu beachten: Eine öffentlich geförderte Be-
schäftigung kann einem regulären Arbeitsverhältnis
nicht gleichgesetzt werden. Öffentlich geförderte Arbeit
birgt auch immer die Gefahr, in dieser Situation zu
verharren. Die Prüfung der Abwicklung des Bundespro-
gramms „Bürgerarbeit“ durch den Bundesrechnungshof
hat gezeigt, dass sich Jobcenter, Arbeitgeber und Teil-
nehmer häufig in dieser Bürgerarbeit sozusagen einge-
richtet haben. Jedenfalls sind die Chancen der Teilneh-
mer, auf dem ersten Arbeitsmarkt unterzukommen, nicht
wirklich gestiegen.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Ihr Ansatz birgt die Gefahr, dass er nicht mehr ist als
eine Kulisse. Diese sieht zwar von vorne ganz gut aus,
und auf diese geht man auch gerne zu. Am Ende aber ist
das Ganze eben doch ein recht instabiles Gebilde. Es
fehlt die stabile Brücke in den ersten Arbeitsmarkt.
400 000 arbeitslose Menschen in Deutschland sozusagen
pauschal abzuschreiben, das halte ich ebenso wie meine
Vorredner für falsch.

Öffentlich geförderte Beschäftigung soll die Aus-
nahme bleiben. Es soll sie nur für einen kleinen Perso-
nenkreis geben. Der erste Arbeitsmarkt muss das Ziel je-
der Maßnahme bleiben.

Ich möchte auf ein Modellprojekt verweisen, dass es
bei uns in Bayern, in Amberg, in der Oberpfalz, gibt. Ich
finde dieses Projekt, bei dem es um Alleinerziehende
ging, sehr schön. Es wurde ein ganzheitlicher Ansatz
verfolgt mit dem Ziel, die Hilfebedürftigkeit der gesam-
ten Familie zu beenden. Das ganze soziale Umfeld
wurde einbezogen: durch Unterstützung bei der Suche
nach Kinderbetreuung zum Beispiel, bei der Akquise
von Ausbildungsplätzen oder bei der Integration in den
Arbeitsmarkt. Durch ein sehr intensives Coaching konn-
ten – mit Unterstützung des bayerischen Arbeitsministe-
riums – drei Viertel der teilnehmenden Alleinerziehen-
den auf dem ersten Arbeitsmarkt Fuß fassen. Dieses
Erfolgsprojekt zeigt, wie viel mit individuellen Integra-
tionsstrategien erreicht werden kann. Ich meine, dass wir
auf diesem Weg weitergehen sollten.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1809121500

Vielen Dank. – Ich schließe die Aussprache.

Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 18/3918 an den Ausschuss für Arbeit und





Vizepräsidentin Ulla Schmidt


(A) (C)



(D)(B)

Soziales vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? –
Ich sehe, das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so
beschlossen.

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 11 a und 11 b auf:

a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundes-
regierung eingebrachten Entwurfs eines Geset-
zes zur Bevorrechtigung der Verwendung

(Elektromobilitätsgesetz – EmoG)


Drucksache 18/3418

Beschlussempfehlung und Bericht des Aus-
schusses für Verkehr und digitale Infrastruktur

(15. Ausschuss)


Drucksache 18/4174

b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Verkehr und digitale
Infrastruktur (15. Ausschuss) zu dem Antrag der
Abgeordneten Stephan Kühn (Dresden), Lisa
Paus, Matthias Gastel, weiterer Abgeordneter
und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Elektromobilität entschlossen fördern – Chance
für eine zukunftsfähige Mobilität nutzen

Drucksachen 18/3912, 18/4229

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 38 Minuten vorgesehen.


(Stephan Kühn [Dresden] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Viel zu wenig!)


Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache. Das Wort für die Bundes-
regierung hat der Parlamentarische Staatssekretär Nobert
Barthle.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


N
Norbert Barthle (CDU):
Rede ID: ID1809121600


Verehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Vor
einem Jahr haben wir uns dafür entschieden, ein Elektro-
mobilitätsgesetz auf den Weg zu bringen, um damit
neuen Schwung in dieses Thema und auf Deutschlands
Straßen zu bringen. Heute haben Sie, liebe Kolleginnen
und Kollegen, die Gelegenheit, in der zweiten und drit-
ten Lesung mit einer kraftvollen Zustimmung zu diesem
Gesetzentwurf dafür zu sorgen, dass dieser Schwung
auch zustande kommt.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – Matthias Gastel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir warten auf ein kraftvolles Gesetz zur Förderung der Elektromobilität!)


Ende des Jahres 2014 haben wir die Marktvorberei-
tungsphase abgeschlossen und Bilanz gezogen. Der
zweite Fortschrittsbericht der Nationalen Plattform Elek-
tromobilität hat uns bescheinigt, dass diese erste Phase
durchaus erfolgreich verlaufen ist. Jetzt befinden wir uns
in einer ganz wichtigen Zeitspanne – es steht eine Art
Zäsur an –; denn jetzt beginnt die Markthochlaufphase.
Das ist die entscheidende Herausforderung. Wir müssen
alles tun, um die Dynamik, die in diesem Markt besteht,
zu erhalten und zu verstärken. Wir haben derzeit immer-
hin einen Gesamtbestand von rund 24 000 rein elektrisch
oder extern aufladbaren Elektro-Pkw auf unseren Stra-
ßen. Allein im Jahr 2014 wurden 9 500 neu zugelassen.


(Stephan Kühn [Dresden] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Bei 3 Millionen Gesamtzulassungen!)


Damit hat der Gesamtbestand um 70 Prozent zugenom-
men. Das ist eine Erfolgsbilanz, die sich sehen lassen
kann.


(Beifall bei der CDU/CSU – Stephan Kühn [Dresden] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist alles relativ!)


– Doch. Darüber sind sich auch die Fachleute einig.

Die deutschen Automobilhersteller haben inzwischen
17 Modelle auf den Markt gebracht. Allein in diesem
Jahr sollen 12 weitere hinzukommen. Ich will durchaus
eingestehen, dass es in einzelnen Marktsegmenten noch
Nachholbedarf gibt.


(Stephan Kühn [Dresden] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: In einzelnen Marktsegmenten? Hallo?!)


Das ist etwas einseitig ausgerichtet, aber dieses Thema
muss die Wirtschaft regeln. Wir werden dafür sorgen,
dass dieser Markthochlauf mit aller Kraft unterstützt
wird. Dieses Elektromobilitätsgesetz schafft dafür die
notwendigen Rahmenbedingungen.


(Matthias Gastel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dafür ist das Gesetz leider nicht geeignet!)


Wir steigern die Attraktivität für die Nutzer, und wir
schaffen Privilegien im allgemeinen Straßenverkehr. Es
gibt für die Länder und Kommunen bezüglich der Be-
vorrechtigungen entsprechende Handlungsspielräume.
Wir schaffen damit neue Chancen. Wir wollen keine
Pflichten, Regeln oder Vorschriften einführen, sondern
Chancen eröffnen,


(Matthias Gastel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es sind winzige Chancen, sehr winzige Chancen!)


um auf der Ebene der Städte und Gemeinden vor Ort ge-
zielt die Regelungen zu treffen, die ganz konkret die
Elektromobilität begünstigen und damit einen Schub er-
zeugen. Wir schaffen die Rechtsgrundlage für eine klare
und eindeutige Kennzeichnung dieser Fahrzeuge. Wir
schaffen Rechtsgrundlagen, die wir später mit Verord-
nungen näher ausgestalten werden. Wir legen großen
Wert darauf, dass diese Verordnungen rasch vorliegen,
möglichst noch vor der Sommerpause in Kraft treten, da-
mit alles entsprechend umgesetzt werden kann.





Parl. Staatssekretär Norbert Barthle


(A) (C)



(D)(B)

Mit diesem Gesetzentwurf definieren wir auch, wel-
che Fahrzeuge bevorrechtigt werden können: reine Bat-
terieelektrofahrzeuge, Brennstoffzellenfahrzeuge. Aber
auch die sogenannten Plug-in-Hybride werden entspre-
chend behandelt. Wir wollen gleichzeitig sicherstellen,
dass damit entsprechende Umweltvorteile verbunden
sind; denn das ist der eigentliche Grund der Bevorrechti-
gung. Deshalb hat man für die aufladbaren Hybridfahr-
zeuge bestimmte Umweltkriterien eingeführt. Sie dürfen
nur dann die Privilegien nutzen, wenn ihr CO2-Ausstoß
höchstens 50 Gramm pro Kilometer beträgt oder wenn
sie mindestens eine elektrische Reichweite von 40 Kilo-
metern vorweisen können. Bis 2018 haben wir eine
Übergangszeit mit einer Mindestreichweite von 30 Kilo-
metern. Ich glaube, das sind Regelungen, die praktikabel
und nachvollziehbar sind.

Der Entwurf der Verordnung sieht vor, dass die Kenn-
zeichnung mittels E-Kennzeichen erfolgt. Damit ist auf
den ersten Blick klar erkennbar, welche Fahrzeuge die
Privilegien nutzen dürfen. Ausländische Fahrzeuge ha-
ben dann die Möglichkeit, eine Plakette zu erwerben, um
die Privilegien ebenfalls in Anspruch nehmen zu kön-
nen. Das dürften, meine Damen und Herren, relativ we-
nige sein.

Mit dem Elektromobilitätsgesetz wird die Möglich-
keit geschaffen, die Parkraumbewirtschaftung auf kom-
munaler Ebene entsprechend zu gestalten, sei es mit
Preisermäßigungen oder besonderen Zufahrtsberechti-
gungen dort, wo aus Lärmschutzgründen Zufahrtsbe-
schränkungen eingeführt wurden. Ich erinnere an zahl-
reiche Luftkurorte, Erholungsgebiete, Wohngebiete und
Ähnliches mehr, wo wir solche Regelungen haben. Wir
haben damit die Möglichkeit geschaffen, kommunal das
Richtige zu tun – bis hin zur Freigabe der Busspuren für
Elektrofahrzeuge. Damit hat übrigens Norwegen sehr
gute Erfahrungen gemacht. Wenn die Busspuren zu sehr
in Anspruch genommen werden, können die Kommunen
reagieren und es entsprechend regeln.

Wenn von den Grünen vorgetragen wird, dass sie
keine Porsche Cayenne auf diesen Spuren sehen wollen,
dann kann ich nur anmerken: Es gibt in ganz Deutsch-
land gerade mal 100 hybride Porsche Cayenne. Einen
solchen auf einer Busspur zu finden, ist schon fast ein
Sechser im Lotto. Insofern sieht man an dieser Stelle,
wie weltfremd teilweise die Argumente von Ihrer Seite
sind.


(Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wie viele gibt es denn insgesamt? Sagen Sie mal die Gesamtzahl der Hybride! Das wäre doch mal spannend! Sie wollen doch die Zahl nach oben treiben, dann können Sie nicht mit dem Status quo argumentieren! – Gegenruf von der CDU/CSU: Habt ihr etwas gegen Hybride?)


Während der Beratungen haben die Koalitionäre noch
einige Veränderungen eingebracht. Darüber werde ich
jetzt nichts sagen. Das überlasse ich meinem Kollegen
Steffen Bilger. Er wird Ihnen erläutern, was im parla-
mentarischen Verfahren noch geändert worden ist.
Ich kann nur sagen: Diesem ersten Schritt, dem Elek-
tromobilitätsgesetz, werden weitere Schritte folgen. Wir
werden weitere bestehende Hemmnisse abbauen. Ich will
nur erwähnen, dass das BMVI gemeinsam mit Tank & Rast
beabsichtigt, Schnellladestationen an rund 430 bewirt-
schafteten Raststätten an Bundesautobahnen zu errichten.
Das wird dafür sorgen, dass entsprechende Ladekapazitä-
ten vorhanden sind; denn die begrenzte Reichweite ist
nach wie vor ein Problem.

Es gibt noch weitere Hemmnisse. Ich habe es am ei-
genen Leib verspürt: Wenn ich mich nach einem
Dienstfahrzeug mit Elektroantrieb erkundige, dann
wird mir erklärt, dass die kleinen E-Fahrzeuge eine
mehrfach höhere Leasingrate haben als große Premium-
modelle der Oberklasse. Auch hier stimmt etwas nicht.
Da muss man bestehende Hemmnisse beseitigen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Ich bin zuversichtlich, dass uns das gelingen wird.

Danke.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1809121700

Vielen Dank. – Das Wort hat jetzt der Kollege

Andreas Rimkus, SPD-Fraktion.


(Martin Burkert [SPD]: Die Linke ist doch da!)


– Entschuldigung. – Thomas Lutze.


(Beifall bei der LINKEN)



Thomas Lutze (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1809121800

Frau Präsidentin, ich dachte schon, ich hätte gerade

etwas falsch gemacht, als ich aufgestanden bin; aber es
war ausnahmsweise nicht so.


(Heiterkeit)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1809121900

Nein. Entschuldigung! Sie waren hier schon ausge-

strichen.


(Heiterkeit)



Thomas Lutze (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1809122000

Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen

und Kollegen! Frau Präsidentin! Auch auf die Gefahr
hin, hier jetzt der Spielverderber zu sein: Sie fordern
– auch die Grünen in ihrem Antrag –, Elektromobilität
künftig stärker zu fördern. Medial betrachtet ist es natür-
lich so: Die von Ihnen vorgesehene Freigabe der Bus-
spuren und die Einräumung der Möglichkeit des kosten-
losen Parkens für Elektroautos in Innenstädten sind
wesentliche Punkte, die gerade in der Öffentlichkeit dis-
kutiert werden. In der Ausschussanhörung waren viele
Fachleute, auch aus den Kommunen. Sie sagten uns: Es
gibt gerade einmal zwölf Städte in Deutschland, die
ernsthaft prüfen, das Gesetz, das wir heute verabschie-
den wollen, umzusetzen. Dass zwölf Städte es prüfen,
heißt noch lange nicht, dass es nachher auch zwölf





Thomas Lutze


(A) (C)



(D)(B)

Städte umsetzen – sie prüfen nur. Alle anderen Städte ha-
ben abgewunken, zum Beispiel auch Berlin. Wir machen
also ein Gesetz, liebe Kolleginnen und Kollegen, das
draußen so gut wie niemand braucht. Da frage ich mal
ganz vorsichtig: Wozu eigentlich?


(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Matthias Gastel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Wenn Sie schon nicht auf die Linke hören – das kann
ich ja verstehen –, dann hören Sie wenigstens auf den
Verband Deutscher Verkehrsunternehmen, der ganz
deutlich davor gewarnt hat, Busspuren freizugeben.
Schon heute sind auf Busspuren neben Bussen auch Ret-
tungsfahrzeuge, Taxis, Fahrradfahrer und einige andere
Verkehrsteilnehmer unterwegs – und das aus gutem
Grund. Wenn jetzt auch noch Elektrofahrzeuge hinzu-
kommen, dann hat die Busspur den eigentlichen Sinn,
den sie mal hatte, ein Stück weit verloren.

Ein wichtiger Knackpunkt ist für uns Linke – Sie ha-
ben das gerade bildlich mit dem Porsche Cayenne darge-
stellt –, dass auch Hybridfahrzeuge die Möglichkeit be-
kommen sollen, die Busspuren zu nutzen. Da machen
wir natürlich ein großes Fragezeichen dran. Es gibt das
Beispiel des Porsches; es gibt das Beispiel des Hybrid-
fahrzeugs von BMW mit 350 PS und einem CO2-Aus-
stoß von knapp 160 Gramm pro Kilometer. Ich sage
ganz deutlich: Selbst wenn man es auf sparsamere Hy-
bridautos beschränken würde: Man kann es nachher im
Straßenverkehr kaum noch auseinanderhalten, selbst
wenn man eigene Kennzeichen einführt.

Für mich stellt sich auch die Frage der Gerechtigkeit.
Was erzählen Sie denn zum Beispiel jemandem, der sich
vor kurzem ein Erdgasauto oder ein Autogasfahrzeug
zugelegt hat? Er hat das sicherlich aus Geldgründen ge-
macht, aber eben auch, um ein Fahrzeug zu nutzen, das
tatsächlich etwas umweltfreundlicher ist. Diese Fahr-
zeuge bleiben jetzt einfach außen vor. Warum sind die
Hybridfahrzeuge drin, die Erdgasfahrzeuge aber nicht?
Ich kann Ihnen die Frage nicht beantworten; aber viel-
leicht kann das ein Redner der Koalition nach mir tun.

Was passiert mit den Fahrgästen im öffentlichen Per-
sonennahverkehr, wenn die Hybridautos auf der Busspur
fahren? Da fährt vielleicht hinter solch einem Hybrid-
auto ein Bus, in dem 50 Leute sitzen; das Hybridauto
will von der Busspur nach rechts abbiegen, kann es aber
nicht, weil Fußgänger und Radfahrer die Fahrbahn kreu-
zen. Dann müssen die 50 Fahrgäste des Stadtbusses war-
ten, bis das Hybridauto oder das Elektroauto die Busspur
verlässt. Nein, liebe Kolleginnen und Kollegen, das ist
keine ökologische Verkehrswende, sondern das genaue
Gegenteil. Es behindert nämlich die Ökologie im Ver-
kehr.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Hier im Deutschen Bundestag war heute bei der De-
batte um den Mindestlohn immer wieder das Stichwort
„Bürokratieabbau“ zu hören. Da sage ich Ihnen, den
Kollegen von der Koalition, gerade von der Union, mit
aller Deutlichkeit: Wenn Bürokratieabbau für Sie ein
Thema ist, dann stimmen Sie heute besser gegen Ihren
eigenen Entwurf.


(Ulli Nissen [SPD]: Das glauben Sie doch wohl selber nicht!)


Man braucht neue Kennzeichen an den Autos – das ist
gerade angekündigt worden – und neue Verkehrsschil-
der. Man muss die Verkehrsschilder austauschen. Man
muss den ganzen Quatsch, den Sie hier beschließen,
nachher auch noch kontrollieren. Wenn es dann Leute
gibt, die sich nicht an die Regeln halten, muss man das
auch noch sanktionieren. Das alles hat überhaupt nichts
mit Bürokratieabbau zu tun.

Man muss aber auch die Frage stellen dürfen: Woher
kommt bei der Elektromobilität eigentlich der Strom?


(Martin Burkert [SPD]: Aus der Steckdose!)


– Klar, aus der Steckdose. Keine Frage! – Aber davon,
dass nach wie vor rund 25 Prozent des Stroms, der in
Deutschland in die Netze eingespeist wird, aus Atom-
kraftwerken ist, redet hier komischerweise niemand; ein
großer Anteil des Stroms kommt aus Kohlekraftwerken.
Ob das unbedingt etwas mit Umweltschutz zu tun hat,
versehe ich auch mit einem großen Fragezeichen.

Wenn Sie ernsthaft etwas tun wollen, dann hätten wir
zwei Vorschläge:

Erstens. Fördern Sie die echte Elektromobilität, näm-
lich den ÖPNV! Ganz nebenbei zwei Zahlen: 1838 gab
es die erste Elektrolokomotive, 1881 die erste elektri-
sche Straßenbahn. Zu dieser Zeit gab es noch gar keine
Autos. Das, was ein bisschen so aussah wie ein Auto,
hatte vorne zwei Pferde. Ich weiß nicht, ob das damals
modern war. Die Elektromobilität gibt es also, wie ge-
sagt, schon länger. Aber Spaß beiseite!

Zweitens. Wenn sie wirklich die Elektromobilität för-
dern wollen, dann fördern Sie endlich Forschung, Wis-
senschaft und Technik, damit Batterien leichter und leis-
tungsfähiger werden.

Wenn Sie das hinbekommen, wenn Sie Geld für die
Forschung in die Hand nehmen, dann – da gebe ich Ih-
nen recht – werden vielleicht auch Elektroautos irgend-
wann eine reale Zukunft auf dem Markt haben.

Vielen Dank.


(Beifall bei der LINKEN)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1809122100

Vielen Dank. – Jetzt hat Andreas Rimkus, SPD-Frak-

tion, das Wort.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Andreas Rimkus (SPD):
Rede ID: ID1809122200

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Kolleginnen

und Kollegen! Liebe Zuhörerinnen! Liebe Zuhörer! Ja,
Herr Lutze, es ist in der Tat sehr lange her: Als in Berlin
1881 die erste Straßenbahn fuhr, fuhr in Paris das erste
lautlose E-Mobil, ein Dreirad, übrigens mit einem Sie-
mens-Motor. Dass wir uns nach 134 Jahren auf den Weg
machen, ein Elektromobilitätsgesetz zu erarbeiten, das





Andreas Rimkus


(A) (C)



(D)(B)

ist doch eine gute Sache; denn eins ist klar: Die Dinge
brauchen manchmal ihre Zeit, und jetzt ist die Zeit reif,
ein entsprechendes Gesetz vorzulegen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Was damals in Paris mit einem Experiment begann,
ist heute eine sehr erfolgversprechende Idee, wie wir
Emissionen reduzieren können und so unseren ökologi-
schen Zielen auch wirklich näher kommen. Dazu muss
auch der Verkehrsbereich seinen Beitrag leisten.

Mit dem Elektromobilitätsgesetz I, das wir heute in
zweiter und dritter Lesung beschließen, machen wir ei-
nen wichtigen Aufschlag. Die Einigung auf eine Defini-
tion der Fahrzeuge war ein zentraler Schritt. Gut ist, dass
wir technologieoffen geblieben sind. Wir haben sowohl
die Akkumobilität als auch die Brennstoffzellentechno-
logie berücksichtigt. Beide Technologien bergen näm-
lich ein hohes Innovationspotenzial. Im Rahmen der
Mobilitäts- und Kraftstoffstrategie finden dann im Übri-
gen weitere Technologien wie Power-to-Gas ihren Platz.

Lassen Sie uns schauen, wo die Reise hingeht. Lassen
Sie uns überlegen, welche Türen wir offenhalten kön-
nen, und nicht, welche wir schließen. In der Welt der
Innovationen sind Prognosen, wie wir wissen, nicht be-
sonders zuverlässig. Daher ist es folgerichtig gewesen,
dass wir mit dem von Union und SPD im Ausschuss ge-
stellten Änderungsantrag die Evaluation des Gesetzes,
insbesondere in Bezug auf die Reichweite von Hybrid-
fahrzeugen, in den Gesetzestext aufgenommen haben.
Für 2018 haben wir die erste Evaluation angesetzt.

Der Bundesrat hat uns gebeten, die Geltungsdauer des
Gesetzes zu verkürzen. Dies wurde in der Expertenanhö-
rung noch einmal unterstrichen. Auch wir halten es für
sachgerecht, das Gesetz auf Ende 2026 zu begrenzen.

Ich möchte mich an dieser Stelle bei der Union für die
konstruktive Zusammenarbeit bedanken. Ich denke, wir
haben dem Struck’schen Gesetz Genüge getan und ge-
meinsam sinnvolle Änderungen am Gesetzentwurf vor-
genommen. Schönen Dank dafür.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


In Bezug auf die so intensiv diskutierten Privilegien
ist es wichtig, dass jede einzelne Kommune selbst ent-
scheiden kann und soll, ob und für wie lange sie diese
Bevorrechtigungen schaffen möchte oder eben nicht.
Das gilt für Sonderflächen zum Parken und Laden, für
Durch- und Einfahrtsverbote und auch für Busspuren.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, es braucht aber mehr.
Ich begrüße sehr die Überlegungen hinsichtlich einer
Sonderabschreibung für Elektrofahrzeuge, die im Rah-
men des Nationalen Aktionsplans Energieeffizienz,
kurz: NAPE, aus dem Haus von Sigmar Gabriel und des
„Aktionsprogramms Klimaschutz 2020“ aus dem Hause
von Barbara Hendricks Erwähnung finden. In beiden Pa-
pieren werden im Übrigen auch Beschaffungsinitiativen
für den öffentlichen Dienst angeregt, was aus meiner
Sicht ein richtiger Schritt wäre.


(Stephan Kühn [Dresden] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wo bleiben die denn?)

Für private Nutzer könnte ein KfW-Zuschussprogramm
ein besonderer Anreiz sein, sich ein Elektrofahrzeug zu
kaufen.

Doch unser Blick muss deutlich weiter gehen. Wir
dürfen die Elektromobilität nicht isoliert betrachten, son-
dern wir müssen sie einbetten in eine große Politik, die
das Ganze mitdenkt. Richtig vorwärts kommen wir mit
Strom und Wasserstoff in Tank und Batterie – aus Wind-
und Sonnenenergie. Das Elektromobil als Speicher kann
hier Unregelmäßigkeiten bei Sonnen- und Windstrom
ausgleichen. Natürlich brauchen wir einen bedarfsge-
rechten Ausbau der Tank- und Ladeinfrastruktur; das ist
übrigens ein Schwerpunkt der EU-Kommission, wie wir
gestern von Verkehrskommissarin Bulc erfahren haben.
Mit der Clean-Power-for-Transport-Richtlinie sind uns
von dort klare Hausaufgaben mitgegeben worden.

Ohne all dies mitzudenken, werden wir unsere Klima-
ziele nicht erreichen. Leider ist in dem Antrag von
Bündnis 90/Die Grünen davon wenig zu lesen. Deswe-
gen werden wir ihm nicht zustimmen.


(Matthias Gastel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann haben Sie den nicht richtig gelesen! Da ist mehr drin als in Ihrem Gesetzentwurf, deutlich mehr!)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich weiß, die Skep-
sis gegenüber der Idee, dass wir irgendwann vollkom-
men selbstverständlich mit Elektromobilen durch unsere
Straßen fahren, ist noch groß. Doch all den Skeptikern
möchte ich sagen: Als der britische Unterhausabgeord-
nete Edward Alderson 1825 über den Eisenbahnvisionär
George Stephenson sagte – ich zitiere –: „Stephensons
Plan ist die absurdeste Idee, die jemals in einem Men-
schenhirn entstanden ist“, da ahnten vermutlich nur we-
nige, welche Erfolgsgeschichte die Eisenbahn und damit
Stephensons Plans schreiben würde. Wir alle kennen den
Ausgang der Geschichte. Freuen wir uns auf den Aus-
gang der Geschichte bei der Elektromobilität!

Schönen Dank.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Carsten Müller [Braunschweig] [CDU/CSU]: War der Stephenson bei den Grünen oder bei den Linken?)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1809122300

Vielen Dank. – Für Bündnis 90/Die Grünen hat jetzt

Stephan Kühn das Wort.

Stephan Kühn (Dresden) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN):

Sehr geehrte Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kol-
legen! Soll sich die Elektromobilität durchsetzen und tat-
sächlich einen Beitrag zum Klimaschutz leisten, reicht
es nicht, den Verbrennungsmotor des Autos einfach
durch einen Elektromotor zu ersetzen. Die Elektromobi-
lität bietet Chancen für eine zukunftsfähige Mobilität,
aber eben nur, wenn wir auch den Einsatz beispielsweise
von Elektrobussen, von elektrisch angetriebenen Nutz-
fahrzeugen, von Elektrofahrrädern stärker unterstützen
und wenn der Strom aus erneuerbaren Energien kommt.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)






Stephan Kühn (Dresden)



(A) (C)



(D)(B)

In unserem Antrag, lieber Kollege Rimkus, haben wir
dazu zahlreiche Vorschläge gemacht; insofern fand ich
Ihren Ablehnungsgrund schon etwas merkwürdig.


(Matthias Gastel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: In der Tat!)


Gemessen an allen im letzten Jahr in Deutschland neu
zugelassenen Fahrzeugen lag der Anteil der Elektroautos
bei 0,2 Prozent. Deutschland ist damit meilenweit davon
entfernt, Leitmarkt für Elektromobilität zu werden,
Deutschland hinkt bei der Nachfrage nach Elektroautos
schlichtweg hinterher.


(Dr. Thomas Feist [CDU/CSU]: Hat er gerade gesagt!)


Der Bundesrat hat in seiner Stellungnahme zum Ent-
wurf des Elektromobilitätsgesetzes zutreffend festge-
stellt, dass das Ziel,

im Jahr 2020 eine Million Elektrofahrzeuge auf
Deutschlands Straßen zu bringen … mit den bislang
vorgelegten Programmen und Gesetzen kaum zu re-
alisieren sein wird.

Elektroautos sind schlichtweg zu teuer. Für Private
betragen die Mehrkosten für ein Elektroauto – über die
gesamte Nutzungszeit betrachtet – im Vergleich zu ei-
nem konventionellen Auto zwischen 5 000 und 8 000 Euro.
Dazu kommen die begrenzte Reichweite und die feh-
lende Ladeinfrastruktur, die weitere Hemmnisse darstel-
len.

Wir glauben, eine Verstärkung der Nachfrage nach
Elektroautos kann nur mit einem Marktanreiz für den
Kauf von Elektroautos gelingen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


In Frankreich ist der Marktanteil von Elektroautos vier-
mal so hoch wie in Deutschland, in den Niederlanden
und in Norwegen sogar zwanzigmal so hoch. All diese
Länder zahlen in verschiedenen Varianten eine Kaufprä-
mie für emissionsarme Fahrzeuge. Dass man mit einem
Elektroauto in Zukunft kostenlos parken darf, wie im
Elektromobilitätsgesetz vorgesehen, wird die Absatzzah-
len von Elektroautos wohl kaum ankurbeln. Wir müssen
deshalb Elektroautos – zumindest zeitlich begrenzt – mit
einem Kaufzuschuss in Höhe von 5 000 Euro fördern.
Dies wollen wir gegenfinanzieren über eine Umlage bei
der Kfz-Steuer, und zwar für Autos, deren CO2-Ausstoß
oberhalb der europäischen CO2-Grenzwerte liegt.

In der Koalition gibt es, wie wir gerade gehört haben,
mehr Fans einer Sonder-AfA für gewerbliche Fahrzeuge.
Leider haben dann Private nichts davon. Auch im öffent-
lichen Bereich lässt sich damit schwerlich eine Beschaf-
fungsoffensive ankurbeln.


(Andreas Rimkus [SPD]: Zuschussprogramm KfW!)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1809122400

Herr Kollege Kühn, gestatten Sie eine Zwischenfrage

der Kollegin Leidig?
Stephan Kühn (Dresden) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN):

Gerne.


Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1809122500

Bitte schön.


Sabine Leidig (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1809122600

Kollege Kühn, ich wollte einfach mal die Frage stel-

len, wie es sich mit einer solchen Belohnungsprämie
verhält mit Blick auf Menschen, die ganz auf ein Auto
verzichten und sich stattdessen ein Jahresticket für den
ÖPNV oder eine BahnCard 100 kaufen; da wäre eine
Prämie von 4 000 oder 5 000 Euro schon ein Pfund, um
eine solche Entscheidung zu unterstützen.


(Carsten Müller [Braunschweig] [CDU/CSU]: Und das wird dann bedingungslos ausgezahlt!)


Ich frage mich, wie sich der Einsatz für die ökologische
Verkehrswende verträgt mit einer Kaufprämie für Autos.

Stephan Kühn (Dresden) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN):

Das kann ich Ihnen gerne erklären. – Wir haben in un-
serem Antrag zahlreiche Vorschläge gemacht, wie wir
andere Verkehrsträger stärker unterstützen wollen. Zum
Beispiel ist es ja so, dass die Umstellung von allen Loks
auf Ökostrom viermal so viel CO2 einsparen würde wie
1 Million Elektroautos. Ich könnte Ihre Kritik verstehen,
wenn es so wäre, dass der Steuerzahler bzw. derjenige,
der nur Bus und Bahn oder Fahrrad fährt, eine solche
Kaufprämie für Elektroautos finanzieren müsste. Diesen
Vorschlag haben wir aber bewusst nicht gemacht, son-
dern wir sehen – das habe ich erklärt – eine Umlagefi-
nanzierung vor. Das heißt, derjenige, der ein Elektroauto
kauft mit einem Ausstoß von unter 50 Gramm CO2 pro
Kilometer, bekommt einen Kaufzuschuss; bei einem rei-
nen Elektroauto beträgt dieser 5 000 Euro. Das wird fi-
nanziert von denjenigen, die sich Autos kaufen mit ei-
nem deutlich höheren CO2-Ausstoß, die Spritschlucker
also. Das Ganze ist aufkommensneutral. Das bedeutet,
kein Nutzer des ÖPNV, kein Fahrradfahrer zahlt für die
Kaufprämie. Darauf haben wir geachtet; das war uns
wichtig. Insofern kann ich Ihre Kritik ehrlich gesagt
nicht verstehen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Sabine Leidig [DIE LINKE]: Das war gar nicht meine Frage!)


Zurück zur Sonder-AfA, über die seit einem Jahr in
den Debatten immer wieder diskutiert wird. Ich habe ex-
tra noch einmal nachgefragt, wie es mit der Sonder-AfA
aussieht, schließlich steht sie bereits im Aktionspro-
gramm Klimaschutz der Bundesregierung.


(Andreas Rimkus [SPD]: Auch im NAPE!)


Ich zitiere die Antwort der Bundesregierung auf meine
Frage in der gestrigen Fragestunde:

Ob und wann ein entsprechender Gesetzentwurf
vorliegen wird, ist … noch nicht abzusehen.





Stephan Kühn (Dresden)



(A) (C)



(B)

Meine Damen und Herren von der Koalition, Sie stehen
bei der Förderung von Elektromobilität schlichtweg mit
leeren Händen da.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Durch die EU-Richtlinie zum Aufbau der Ladeinfra-
struktur ist Deutschland verpflichtet, einen Rahmenplan
für den systematischen Aufbau der Ladeinfrastruktur zu
erarbeiten. Das ist aus meiner Sicht dringend erforder-
lich. Bisher ist kein Konzept erkennbar.

Aus unserer Sicht muss die Ladeinfrastruktur diskri-
minierungsfrei zur Verfügung stehen. Im Moment ist ge-
nau das Gegenteil der Fall. Mit Steuergeldern gefördert,
werden entlang der A 9 Schnellladesäulen errichtet, an
denen Elektroautos ausländischer Hersteller mit dem so-
genannten CHAdeMO-Stecker nicht schnell laden kön-
nen – das betrifft beispielsweise Nissan Leaf, Mitsubishi
Electric Vehicle, Citroen Berlingo Electric –, Elektroau-
tos von deutschen Herstellern aber schon. Auch beim
Forschungsprojekt SLAM sind nur maximal ein Drittel
der Ladesäulen für Fahrzeuge ausländischer Hersteller
nutzbar, wenn überhaupt.

Die wenigen Pioniere, die bereits ein Elektroauto fah-
ren, werden damit ausgebremst. Etwa die Hälfte der in
Deutschland zugelassenen E-Autos ist davon betroffen.
Die Bundesregierung behindert also den Durchbruch der
Elektromobilität, anstatt ihn zu fördern. Verkehrsminis-
ter Dobrindt und Wirtschaftsminister Gabriel betreiben
damit, wie ich finde, eine sehr bemerkenswerte Form der
Industriepolitik, die dazu führt, dass den deutschen Her-
stellern die lästige Konkurrenz aus dem Ausland fernge-
halten wird. Ich finde es unglaublich, was da mit öffent-
lichem Geld, mit Steuergeld passiert.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Thomas Lutze [DIE LINKE])


Wir brauchen stattdessen ein Investitionsprogramm
für die Elektromobilität, mit dem der Aufbau einer öf-
fentlich und diskriminierungsfrei zugänglichen Ladein-
frastruktur, die auf erneuerbarem Strom basiert und ein
nutzerfreundliches E-Roaming beinhaltet, gefördert
wird. Das wäre notwendig. Das ist im Moment nicht zu
erkennen.

Lassen Sie mich zum Schluss noch etwas zum Thema
„Freigabe der Busspuren für E-Autos“ sagen. Ich habe
mir auch hier die Arbeit gemacht, die Bundesregierung
zu fragen, ob sie denn Städte kenne, die beabsichtigten,
Busspuren für E-Autos freizugeben. Die Bundesregie-
rung konnte mir keine einzige Stadt nennen, die davon
Gebrauch machen will.

Wenn Sie Elektromobilität fördern wollen, meine Da-
men und Herren, dann sollten Sie lieber die Umstellung
der Busflotten, die noch zu 90 Prozent mit Diesel unter-
wegs sind, auf Elektrobusse finanziell fördern. Das wäre
ein Beitrag zur Förderung der Elektromobilität.


(Beifall des Abg. Matthias Gastel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Ihr Gesetzentwurf ist es nicht. Wir brauchen einen be-
herzten Vorschlag. Ein solcher ist von Ihnen heute nicht
geliefert worden.

Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Matthias Gastel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1809122700

Vielen Dank. – Für die CDU/CSU-Fraktion spricht

jetzt Steffen Bilger.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Steffen Bilger (CDU):
Rede ID: ID1809122800

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Vor einer Woche haben wir in einer durchaus hitzigen
Debatte über die Pkw-Maut diskutiert. Ich habe bereits
damals darauf hingewiesen, dass die Bundesregierung,
unterstützt vom Deutschen Bundestag, an allen Ecken
und Enden an der Förderung und am Erfolg der Elektro-
mobilität arbeitet. Das vorliegende Gesetz ist ein Beleg
dafür und ein weiterer Schritt in die richtige Richtung.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Matthias Gastel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ein winziger Schritt, wenn überhaupt ein Schritt!)


Zuerst freue ich mich aber, dass sich, anders als bei
der Pkw-Maut, ein Großteil des Hauses durchaus darin
einig ist, dass die Elektromobilität im Individualverkehr
vorangebracht werden sollte.Nur Teile der Linken – Kol-
lege Lutze, Sie haben gerade den Bezug zum Schienen-
verkehr angesprochen – haben immer noch nicht ver-
standen, dass Elektromobilität eben nicht auf die
Schiene begrenzt ist.

Bei der Elektromobilität geht es für uns in Deutsch-
land darum, Leitmarkt und Leitanbieter für elektrisch
betriebene Autos zu sein. Nicht nur für Deutschland,
sondern für ganz Europa ist die Entwicklung der Elek-
tromobilität eine der bedeutenden Zukunftsfragen. Die
EU-Verkehrskommissarin hat es gestern noch einmal
verdeutlicht: Es geht um Umweltaspekte, um weniger
Abhängigkeit vom Öl, um Arbeitsplätze und um die Zu-
kunft unserer Automobilindustrie.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Eine der häufig genannten Fragen, wenn wir über
Elektromobilität sprechen – gerade wurde es schon er-
wähnt – ist ja die nach der Herkunft des Stroms für die
Elektroautos. Darüber haben wir kürzlich auch im Ver-
kehrsausschuss diskutiert. Natürlich wollen wir alle re-
generativen Strom für Elektrofahrzeuge. Ich glaube, wir
können sagen: Das ist Konsens in Deutschland. Aber für
viele ist die Frage nach der Herkunft des Stroms gar
nicht die entscheidende. Wenn wir an Stadtbewohner
denken, die unter Lärm und Abgasen leiden, dann dürf-
ten Aspekte wie mehr Ruhe oder weniger Emissionen
entscheidender sein als die Frage nach der Herkunft des
Stroms. Daher: Wer auch immer solche Bedenken in den

(D)






Steffen Bilger


(A) (C)



(D)(B)

Vordergrund stellt, hat nicht verstanden, worauf es wirk-
lich ankommt.


(Beifall des Abg. Andreas Rimkus [SPD])



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1809122900

Herr Kollege Bilger, gestatten Sie eine Zwischenfrage

der Kollegin Leidig?


Steffen Bilger (CDU):
Rede ID: ID1809123000

Sehr gerne.


Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1809123100

Bitte schön, Frau Kollegin.


(Zuruf von der CDU/CSU: Jetzt kommt Stuttgart 21!)



Sabine Leidig (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1809123200

Sie haben die Lärm- und Schmutzbelastung der Ein-

wohnerinnen und Einwohner der Städte angesprochen
und suggeriert, dass sich durch Ihr Elektromobilitätsge-
setz daran etwas ändern würde. Ich erinnere mich, dass
es in der letzten Wahlperiode das Ziel des damaligen
Verkehrsministers Ramsauer war, bis zum Jahr 2020 den
Anteil der elektrischen Autos in Deutschland auf 2 Pro-
zent zu erhöhen. Zugleich sind die Verkehrsprognosen
davon ausgegangen, dass die Zahl der Automobile um
3 Prozent steigt. Nun habe ich keinerlei Information da-
rüber, dass sich daran etwas ändern soll. Gehen Sie
ernsthaft davon aus, dass ein Anteil solcher leisen Autos
von 2 Prozent – im besten Falle – die Situation der Be-
wohnerinnen und Bewohner in einer vielbefahrenen
Straße nachhaltig erleichtert, wenn gleichzeitig der An-
teil herkömmlicher Fahrzeuge unverändert bei 98 Pro-
zent liegt?


Steffen Bilger (CDU):
Rede ID: ID1809123300

Frau Kollegin Leidig, genau das stört mich an der Art

und Weise, wie Sie über solche Themen diskutieren: im-
mer das Negative in den Mittelpunkt stellen, immer das
Haar in der Suppe suchen, anstatt, wie ich es gerade ge-
sagt habe, einmal die Chancen zu sehen. Es geht um die
Zukunft der Mobilität, und die Zukunft der Mobilität
wird ganz entscheidend von der Elektromobilität abhän-
gen. Da geht es eben sehr wohl um weniger Lärm und
um weniger Abgase in unseren Städten. Das sollten Sie
endlich einmal zur Kenntnis nehmen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und des Abg. Matthias Gastel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] – Jutta Krellmann [DIE LINKE]: Was ist das für eine Antwort?)


Ich habe es gerade schon gesagt: Es drängt sich der
Eindruck auf, dass viele immer das Haar in der Suppe
suchen. Es kann nicht sein, dass wir jeder Zukunftstech-
nologie nur mit Skepsis begegnen, immer die – vielleicht
bestehenden – Nachteile und Risiken überhöhen und die
Vorteile und Chancen nicht sehen. Umso mehr bin ich
dankbar für konstruktive Beiträge, wozu ich ausdrück-
lich den Antrag der Grünen zähle.

(Zurufe von der SPD: Oh!)


Denn bei vielem sind wir uns einig. So brauchen wir in
der Tat eine Elektroautobeschaffungsoffensive der Bun-
desregierung und anderer staatlicher Ebenen. Auch bei
den innerstädtischen Lieferverkehren müssen wir weiter-
kommen. Das alles unterstützen wir ausdrücklich.


(Beifall des Abg. Matthias Gastel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Wir brauchen außerdem mehr öffentliche Ladeinfra-
struktur. Die Erkenntnisse der vergangenen Jahre zeigen,
dass hier noch viel Potenzial für die Umsetzung innova-
tiver Ideen vorhanden ist, weshalb es nicht richtig wäre,
sich beim Ausbau der Ladeinfrastruktur schon heute für
die eine Lösung zu entscheiden. Klar ist aber: Wir brau-
chen ein flächendeckendes Ladenetz in ganz Deutsch-
land.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Dass wir von Kaufanreizen für Elektroautos, die
vorhin ja schon angesprochen wurden, nicht viel halten,
haben wir in den letzten Jahren hinreichend deutlich
gemacht. Diese Forderung der Grünen lehnen wir ab.

Unser Weg war – wenn wir jetzt Zwischenbilanz zie-
hen – richtig. Wir setzen auf Unterstützung bei For-
schung und Entwicklung sowie bei der Anwendung der
Elektromobilität. Kaufanreize sind unseres Erachtens in
anderen Ländern eher verpufft. Wichtiger sind zum ge-
genwärtigen Zeitpunkt andere Maßnahmen. In diesem
Zusammenhang muss ich die Grünen erneut kritisieren.
Ich verstehe nicht, weshalb sie Sonderabschreibungen
mit der Begründung ablehnen, dass diese den Privatleu-
ten nicht nutzen würden. Das ist natürlich einerseits rich-
tig, andererseits erwarten wir den Anstieg bei der Elek-
tromobilität jetzt noch nicht so sehr bei den Privatleuten,
sondern im Wesentlichen bei den Flotten, seien es Taxis,
Pflegedienste oder Lieferwagen.


(Stephan Kühn [Dresden] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir haben es nicht abgelehnt, sondern wir warten darauf, dass es kommt!)


– Abgelehnt haben Sie es sehr wohl, nämlich bei unserer
Diskussion im Verkehrsausschuss. Das hat mich etwas
verwundert.

Es geht ja in der Tat nicht nur um die Flotten, sondern
auch um die Privatleute. Auch in diesem Bereich können
wir etwas tun. Im Koalitionsvertrag ist es nieder-
geschrieben: Wir wollen ein KfW-Programm zur
Anschaffung besonders umweltfreundlicher Fahrzeuge
auflegen. – Also, beide Gruppen, Privatleute wie Dienst-
wagenkäufer, profitieren von unseren Maßnahmen zur
Förderung der Elektromobilität.

In den Medien und in der Öffentlichkeit – es wurde
gerade auch schon in mehreren Redebeiträgen erwähnt –
ist ja viel über die Nutzung von Busspuren – dies wird
durch das Elektromobilitätsgesetz ermöglicht, wenn sich
die Kommunen dafür entscheiden – diskutiert worden.
Der Antrag der Grünen spricht sich dagegen aus. Ich
muss, wie auch schon im Ausschuss, noch einmal deut-





Steffen Bilger


(A) (C)



(D)(B)

lich sagen: Ich kann die ganze Aufregung nicht verste-
hen. In der Tat entscheidet jede Kommune vor Ort selbst.
Natürlich gibt es jetzt viele negative Stellungnahmen
von den Kommunen. Aber ich setze auf einen Wett-
bewerb der innovativen Kommunen. Dann werden wir
sehen, wie es sich im Laufe der Jahre entwickelt. Die
Kommunen haben die Möglichkeit, sich für die Förde-
rung der Elektromobilität und, wenn es Sinn macht, auch
für die Nutzung von Busspuren durch Elektrofahrzeuge
zu entscheiden.

Andreas Rimkus hat es gesagt: Das Gesetz wird auf
Anregung des Bundesrates nur bis 2026 Bestand haben.
Das ist ein relativ kurzer Zeitraum, aber bei der Elektro-
mobilität wird sich in diesem Zeitraum sicher viel tun.
Andere Punkte, die im Elektromobilitätsgesetz geregelt
sind, hat Norbert Barthle bereits angesprochen. Wir ha-
ben hier erste wichtige Maßnahmen unternommen.

Ich komme zum Schluss. Einen Punkt will ich noch
besonders hervorheben: Elektroautos sind, wie bereits
gesagt, gerade in städtischen Bereichen die perfekten
Lieferfahrzeuge. Deswegen war es auch richtig, zu er-
möglichen, dass Kleinlaster, die durch schwere Batterien
über die sonst zulässigen 3,5 Tonnen kommen, trotzdem
mit dem normalen Führerschein der Klasse B gefahren
werden dürfen. Ich will an dieser Stelle dem Bundes-
verkehrsministerium, der EU-Kommission und den Kol-
legen im Bundestag, die sich hierfür eingesetzt haben,
ausdrücklich danken. Diese Regelung wird helfen, mehr
Elektromobilität im Bereich der Lieferverkehre zu be-
kommen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1809123400

Herr Kollege, Sie hatten versprochen, zum Schluss zu

kommen.


Steffen Bilger (CDU):
Rede ID: ID1809123500

Das will ich gerade tun.


Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1809123600

Danke.


Steffen Bilger (CDU):
Rede ID: ID1809123700

Ich bitte Sie um Zustimmung zu unserem Gesetzent-

wurf. Die Öffentlichkeit bitte ich darum, unser Elektro-
mobilitätsgesetz positiv zu begleiten. Die Bedenkenträ-
ger sollten unsere gemeinsamen Ziele nicht aus dem
Blick verlieren und die Chancen in den Mittelpunkt stel-
len.

Herzlichen Dank an alle, die auch im Parlamentskreis
Elektromobilität gemeinsam an der Förderung der Elek-
tromobilität arbeiten.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1809123800

Vielen Dank. – Für die Bundesregierung spricht

jetzt die Parlamentarische Staatssekretärin Rita
Schwarzelühr-Sutter.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ri
Rita Schwarzelühr-Sutter (SPD):
Rede ID: ID1809123900


Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen
und Herren! Für das Umweltministerium ist es wichtig,
dass der Verkehrssektor mehr und mehr elektrifiziert
wird. Denn der Verkehrssektor ist verantwortlich für
circa ein Fünftel der Treibhausgasemissionen. Das ist
auch, wenn man den Trend betrachtet, der Sektor, in dem
die Treibhausgasemissionen kaum abgenommen haben.
Hier besteht also Handlungsbedarf. Daneben haben wir
natürlich auch eine hohe Feinstaubbelastung, und auch
der Lärm in den Städten trägt nicht unbedingt zur Le-
bensqualität der Menschen bei.

Die Bundesregierung fördert Elektromobilität. Herr
Lutze, Sie haben das Gasauto angesprochen. Sie haben
vergessen, dass das Gas bis 2018 steuerbegünstigt ist. Es
wird auch darüber hinaus steuerlich gefördert, bzw. wir
diskutieren darüber, wie die Förderung nach 2018 ausse-
hen wird.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Sie sind auch nicht ganz auf dem aktuellen Stand, was
den Energiebereich anbelangt. Der Anteil der erneuerba-
ren Energien beträgt fast 28 Prozent, während der Anteil
der Atomkraft bei ungefähr 15 bis 16 Prozent liegt.
Heute ist sowieso ein guter Tag, weil die erneuerbaren
Energien die Braunkohle überholt haben.

Außerdem fördert die Bundesregierung neben den
Maßnahmen im Rahmen des guten Elektromobilitätsge-
setzes Elektrobusse mit einem reinen Elektroantrieb und
solche mit einem Plug-in-Hybrid-Antrieb, und zwar mit
einem Investitionskostenzuschuss von bis zu 35 Prozent.
Das heißt, wir setzen nicht nur auf individuelle Mobili-
tät, sondern wir setzen insgesamt auf Elektromobilität;
denn das ist für unser Klima wichtig. Die Kommunen
vor Ort können entscheiden, wie sie dies intelligent mit-
einander verknüpfen. Die Städte, die besonders durch
Feinstaub belastet sind, sollten sich gut überlegen, für
welchen Mix sie sich entscheiden, welche Busse in ihren
Städten fahren sollen und wie sie die Mobilität tatsäch-
lich organisieren.

Es ist wichtig, dass wir für die Verbraucher einen zu-
sätzlichen Nutzen schaffen und die Elektromobilität at-
traktiver machen. Dazu gehören natürlich auch Plug-in-
Hybridfahrzeuge, also von außen aufladbare Autos mit
einem Elektro- und einem herkömmlichen Antrieb. Ich
komme vom Land; da ist das nicht so ganz einfach. Da
gibt es keine S-Bahn und keine U-Bahn, sondern da
muss man mit dem Auto mehrere Kilometer bis zum
nächsten Ort fahren. 80 Prozent der Tage im Jahr fahren
die Autonutzer übrigens nur 40 Kilometer. Vor diesem
Hintergrund bieten gerade Plug-in-Hybridfahrzeuge eine
gewisse Sicherheit: Man weiß, dass man nicht liegen
bleibt. Insofern ist es gerechtfertigt, das Elektromobili-





Parl. Staatssekretärin Rita Schwarzelühr-Sutter


(A) (C)



(D)(B)

tätsgesetz so auszugestalten, dass Elektromobilität für
die Autofahrerinnen und Autofahrer attraktiver wird.

Alltagstauglichkeit und Umweltnutzen sind für uns
bei diesem Gesetz Kernanliegen. Es geht darum, einen
zusätzlichen Anreiz für Elektromobilität zu setzen. Zu-
sammen mit Elektrobussen und in Zukunft vielleicht
auch Hybridlokomotiven ist dieses Gesetz ein sinnvoller
Beitrag zum Klimaschutz, zum Aktionsprogramm
Klimaschutz und auf dem Weg nach Paris.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1809124000

Vielen Dank. – Nächster Redner ist Carsten Müller,

CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Carsten Müller (CDU):
Rede ID: ID1809124100

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und

Herren! Die Frau Staatssekretärin hat den aus meiner
Sicht zentralen Dreiklang eben schon betont: Klima-
schutz, Energiewende, Elektromobilität. Unter dieser
Überschrift diskutieren wir heute. Ich finde, es ist außer-
gewöhnlich begrüßenswert, dass wir heute mit dem
E-Mobilitätsgesetz vernünftige und verlässliche Anreize
setzen und geeignete Rahmenbedingungen schaffen. Die
Umsetzung geschieht dann durch die konkrete Politik
vor Ort.


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, wo denn?)


Herr Krischer, ich will Ihnen eines sagen – das finde
ich bei den Grünen richtig schade; das ist mir allerdings
auch bei Herrn Lutze aufgefallen –: Wir reden hier über
ein großes Thema.


(Beifall des Abg. Andreas Rimkus [SPD] – Matthias Gastel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, aber über einen kleinen Gesetzentwurf!)


Aber die Grünen und die Linken kommen leider über
Beiträge, die in kleinteiligster Kritik und in Gemäkel en-
den, nicht hinaus. Das ist wirklich schade.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Menschenskinder, machen Sie mal ein bisschen konst-
ruktiv mit!


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es steht in dem Gesetzentwurf doch nichts drin! Dann machen Sie mal konkrete Vorschläge!)


– Melden Sie sich doch. Dann bekomme ich wenigstens
ein bisschen mehr Redezeit und kann Ihnen das erklären.


(Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Von wegen!)


– Sie scheinen es noch nicht verstanden zu haben. Ich
würde es Ihnen gerne erklären.
Das EmoG ist genau der richtige Weg in genau der
richtigen Dosierung und genau der richtigen Schritt-
größe.


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist eine Lachnummer!)


Aber es ist eben nur einer von vielen Schritten, den die
Bundesregierung macht, um E-Mobilität zu unterstützen.
Ich will gleich einige zentrale Vorhaben nennen, aller-
dings auch auf den Antrag der Grünen rekurrieren; da
bin ich bei der Bewertung nämlich ein bisschen zurück-
haltender als mein Freund und Fraktionskollege Steffen
Bilger.

Ganz ehrlich: Wenn man sich Ihren Forderungskata-
log anschaut, dann muss man sagen: Der Spaß hört im
Grunde schon beim ersten Punkt auf. Wie einfallslos ist
es denn, dieses große Thema mit dummem Geld, mit
einfachen Ankaufszuschüssen angehen zu wollen?


(Matthias Gastel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es wirkt! Das ist aber das, was wirken würde!)


Das ist doch über alle Maßen kurz gesprungen. Ich emp-
fehle Ihnen, Herr Kollege, sich die Zahlen aus anderen
Ländern geben zu lassen; sie zahlen zum Teil abenteuer-
lich hohe Ankaufsprämien. Schauen Sie sich bitte auch
einmal das Preisgefüge bei E-Mobilen an. Bei E-Mobi-
len liegen die Verkaufspreise in genau den Ländern, die
diese Prämie zahlen, nämlich in Frankreich, in Nor-
wegen, in den Niederlanden und in Festlandchina, signi-
fikant über den Preisen, die in Deutschland gefordert
werden. Das zeigt, dass Sie mit Ihrer Idee schlechter-
dings deutlich zu kurz springen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Ich will durchaus sagen: Es gibt auch einige nicht
vollkommen unvernünftige Ideen.


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aha!)


Sie können sich sicher sein, dass wir sie weiterverfolgen.


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Oh! War das ein Lob?)


Ein öffentliches Beschaffungsprogramm für E-Mobile
ist eine wichtige Sache, die vorangetrieben werden
muss; das gilt übrigens nicht nur für die Bundesministe-
rien, sondern auch für die nachgeordneten Behörden. Ich
finde, es ist auch eine vernünftige Idee, darüber nachzu-
denken, inwieweit man mit klugen Programmen dazu
beitragen kann, dass auch andere staatliche Ebenen, also
Länder und Kommunen, E-Mobile in viel größerem Um-
fang beschaffen, auch dann, wenn sie nicht in den
Schaufensterregionen zu finden sind.

Meine Damen und Herren, ich will ein weiteres
Thema aufgreifen. Ich betrachte das Thema EmoG, wie
gesagt, als einen Schritt, der in eine Vielzahl von Maß-
nahmen zur Förderung der E-Mobilität eingebettet ist.
Frau Staatssekretärin Schwarzelühr-Sutter hat vorhin ge-
sagt, die Bundesregierung habe im Grunde genommen





Carsten Müller (Braunschweig)



(A) (C)



(D)(B)

Ihre Forderungen bereits antizipiert. Sie fördert – wir ha-
ben das jüngst besprochen – die Beschaffung von hy-
bridangetriebenen Bussen und von Plug-in-Bussen. Sie
fördert im Übrigen auch die Anschaffung von vollelek-
trisch angetriebenen Bussen.

Es gibt ein besonders interessantes Vorhaben, bei dem
vollelektrisch angetriebene Busse mit einer meines Er-
achtens sehr klugen Erweiterung ausgestattet werden,
nämlich mit der Möglichkeit, sie induktiv zu laden. Das
finde ich außergewöhnlich interessant. Das geht auch,
was die Frage der Aufladung angeht, deutlich über das
hinaus, was Sie mit Ihrem Antrag fordern.

Meine Damen und Herren, schauen wir uns einmal
verschiedene technische Neuerungen an. Ich greife ein-
mal so banale Dinge wie ein ferngesteuertes Spielzeug-
auto, eine Fernsehfernbedienung und ein Telefon heraus.
Da ging man zunächst zu einer remote-möglichen Bedie-
nung über, und im nächsten Schritt war das Kabel weg.
Deswegen bin ich davon überzeugt, dass – deswegen
warne ich auch vor einem zu euphorischen und unüber-
legten Ausbau der Ladesäulen – wir künftig die Fahr-
zeuge viel mehr induktiv aufladen werden. Das wird das
E-Mobil dann wirklich interessant machen.

Das Thema Sonder-AfA ist angesprochen worden.
Das halte ich deswegen für ein kluges Instrument,


(Beifall des Abg. Andreas Rimkus [SPD])


weil wir damit auch die Zweitverwendung in den Blick
nehmen, also die private Verwendung. Das haben Sie of-
fensichtlich noch gar nicht bedacht.

Ich will noch einen letzten, mir sehr wichtigen Ge-
sichtspunkt anführen. Wir beschließen heute das EmoG.
Das ist ein großer und richtiger Schritt.


(Matthias Gastel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ein winziger Schritt!)


Wir müssen uns aber auch noch um andere wichtige
Themen kümmern. Wenn wir bedenken, dass etwa 30 bis
40 Prozent der Wertschöpfung bei einem E-Mobil auf
die Infrastruktur des Fahrzeugs, wie beispielsweise auf
Batterien, entfallen, dann müssen wir uns in Deutschland
sehr bald Gedanken darüber machen, wie wir es schaffen
können, die Batteriezellfertigung wieder in Deutschland
anzusiedeln und qualitativ hochwertige, ökologisch ver-
tretbare und kompetitive Produkte im Bereich der Batte-
riezellen zu fertigen. Hierfür sind erhebliche Anstren-
gungen erforderlich. Da ist das Geld wesentlich besser
eingesetzt als bei den von Ihnen vorgeschlagenen Kauf-
anreizen.

Wir machen heute einen ersten Schritt. Weitere wer-
den folgen.

Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1809124200

Vielen Dank. – Der Kollege Detlev Pilger darf die

Debatte für heute mit einem kurzen Redebeitrag ab-
schließen.

(Beifall bei der SPD)



Detlev Pilger (SPD):
Rede ID: ID1809124300

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Gäste!

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Im Jahr 2014 wurden
circa 3 Millionen Neuwagen hergestellt. Etwa 9 000 elek-
trobetriebene stehen dem gegenüber. Gleichzeitig stieg
in den meisten Städten die CO2-Belastung. Es besteht
also dringender Handlungsbedarf im Emissionsbereich,
wenn wir unsere ambitionierten Ziele erreichen wollen.


(Beifall bei der SPD)


Liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen,
auch wenn Sie es noch so schlechtreden: Ein wesentli-
cher Baustein ist das Elektromobilitätsgesetz, das wir
heute beschließen. Das ist noch nicht der letzte Schritt,
aber ein Schritt in die richtige Richtung.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Insgesamt aber – da gebe ich den Kolleginnen und
Kollegen, die das vorhin schon benannt haben, durchaus
recht – müssen größere Anreize geschaffen werden, da-
mit die Elektromobilität mehr Marktanteile erhält.


(Beifall bei der SPD sowie der Abg. Steffen Bilger [CDU/CSU] und Stephan Kühn [Dresden] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Klar ist auch – auch das wurde vorhin angespro-
chen –: Die Elektroautos müssen preiswerter werden,
damit sich Durchschnittsverdiener diese Modelle leisten
können. An dieser Stelle ist eindeutig die Automobil-
industrie gefordert. Bisher bieten die deutschen Herstel-
ler weitgehend sehr teure Modelle an.

Ein weiteres großes Problem – auch das wurde be-
nannt – sind die Speicherkapazitäten, die deutlich erhöht
werden müssen. Eine Reichweite von 30 bis 40 Kilome-
tern findet beim Käufer zurzeit noch wenig Akzeptanz.
Vor allem aber – und das ist ein Kernpunkt – muss es
eine gute Ladeinfrastruktur geben. Denn wer von uns ist
schon bereit, sich ein Auto zu kaufen, das er nicht wohn-
ortnah und flächendeckend betanken bzw. aufladen
kann?

Beim Antrag der Grünen ist es wie bei der Henne und
dem Ei: Was brauchen wir zuerst? Wir sagen eindeutig:
Bevor wir die Autos verstärkt auf den Markt bringen,
brauchen wir zunächst ausreichend Ladestationen. Eine
gute Ladeinfrastruktur ist Voraussetzung dafür, dass sich
der Markt belebt.


(Beifall bei der SPD)


Somit kommt der Vorschlag der Grünen zu früh,
Elektroautos mit einer Summe von 5 000 Euro zu bezu-
schussen. Lieber Herr Krischer, wir wollen auch nicht
unbedingt den Porsche Cayenne bezuschussen, den Sie
vorhin erwähnt haben,


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir auch nicht!)






Detlev Pilger


(A) (C)



(D)(B)

weil sich die Besitzer ihn auch ohne Zuschuss leisten
können. Aus dieser Perspektive gesehen, kommt Ihr Vor-
schlag an dieser Stelle viel zu früh.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)


Ohne eine wirksame Ladeinfrastruktur sind die Bürge-
rinnen und Bürger sicherlich nicht zu überzeugen.

Im Antrag der Grünen findet man jedoch, wenn man
will, natürlich auch einige gute Ideen und Ansätze.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Zuruf von der CDU/ CSU: Leider zu wenige!)


Ich finde es einen guten Vorschlag, die Kommunen und
die Verkehrsgesellschaften im Hinblick auf emissions-
arme Antriebe für den ÖPNV stärker zu unterstützen.
Das hätte auch eine Öffentlichkeitswirkung. Die öffentli-
che Hand wäre Vorbild, und das wäre ein wichtiger
Schritt in Richtung emissionsärmere Mobilität.

Leider ist dies zu wenig, um Ihrem Antrag zuzustim-
men. Von daher müssen wir ihn leider ablehnen.

Vielen Dank.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1809124400

Vielen Dank. – Ich schließe die Aussprache.

Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bun-
desregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Bevor-
rechtigung der Verwendung elektrisch betriebener Fahr-
zeuge.

Der Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur
empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksa-
che 18/4174, den Gesetzentwurf der Bundesregierung
auf Drucksache 18/3418 in der Ausschussfassung anzu-
nehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in
der Ausschussfassung zustimmen wollen, um ein Hand-
zeichen. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? –
Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den
Stimmen von CDU/CSU- und SPD-Fraktion gegen die
Stimmen der Fraktion Die Linke bei Enthaltung der
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen.

Dritte Beratung

und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. –
Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetz-
entwurf ist in der dritten Beratung mit dem gleichen
Stimmenverhältnis angenommen.

Tagesordnungspunkt 11 b. Wir kommen zur Be-
schlussempfehlung des Ausschusses für Verkehr und di-
gitale Infrastruktur zu dem Antrag der Fraktion Bünd-
nis 90/Die Grünen mit dem Titel „Elektromobilität
entschlossen fördern – Chance für eine zukunftsfähige
Mobilität nutzen“.

Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfeh-
lung auf Drucksache 18/4229, den Antrag der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/3912 abzu-
lehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? –
Wer stimmt dagegen? – Die Beschlussempfehlung ist
mit den Stimmen von CDU/CSU, SPD und Linken ge-
gen die Stimmen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen
angenommen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 12 auf:

Erste Beratung des von den Abgeordneten
Matthias W. Birkwald, Sabine Zimmermann

(Zwickau), Klaus Ernst, weiteren Abgeordneten

und der Fraktion DIE LINKE eingebrachten Ent-
wurfs eines Gesetzes zur Änderung des Sechs-
ten Buches Sozialgesetzbuch – Anrechnung
von Zeiten des Mutterschutzes

Drucksache 18/4107
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Soziales (f)

Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Ich höre kei-
nen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege
Matthias W. Birkwald, Fraktion Die Linke.


(Beifall bei der LINKEN)



Matthias W. Birkwald (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1809124500

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und

Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Rente ab
63 war von Anfang an eine Mogelpackung. Warum? Ers-
tens, weil die Rente ab 63 für die nach 1964 Geborenen
nur eine Rente ab 65 sein wird, und zweitens, weil Men-
schen bestraft werden, die längere Zeit nicht arbeiten
durften; denn Hartz-IV-Zeiten zählen nicht zur Warte-
zeit. Für die Linke ist und bleibt das skandalös.


(Beifall bei der LINKEN)


Drittens war und ist die Rente ab 63 bzw. 65 eine Mogel-
packung, weil auch Arbeitslosengeld-I-Zeiten in den
letzten beiden Jahren vor Rentenbeginn nicht zu den
45 Jahren Wartezeit zählen; 45 Jahre, die nötig sind, um
die abschlagsfreie Rente ab 63 Jahren überhaupt beantra-
gen zu können. Aber es bleibt die Hoffnung, dass Sie mit
diesem irrsinnigen sogenannten rollierenden Stichtag am
Bundesverfassungsgericht scheitern werden. Der DGB
jedenfalls bereitet gerade entsprechende Klagen vor. Da-
für wünscht die Linke den Betroffenen und dem DGB
viel Erfolg.


(Beifall bei der LINKEN)


Nun zur Gerechtigkeitslücke, mit der Ihr Gesetz aus-
gerechnet Mütter diskriminiert – Mütter, liebe Kollegin-
nen und Kollegen von der CSU/CDU, Herr Kollege
Straubinger. Ich frage Sie: Was sagen wir denn der Mut-
ter, die sich mit einer Petition an den Bundestag wandte
und uns sinngemäß sagte:


(Max Straubinger [CDU/CSU]: Wir haben die Mütterrente geschaffen, und Sie haben dagegen gestimmt!)






Matthias W. Birkwald


(A) (C)



(D)(B)

„Ich sehe die lange Liste, was alles als Beitragszeit ange-
rechnet wird, aber mir fehlen genau vier Wochen“? Es
zählen Zeiten mit Pflichtbeiträgen aus Erwerbstätigkeit
und aus selbstständiger Tätigkeit. Es zählen Zeiten des
Wehr- und Zivildienstes, die Zeit der Pflege von Ange-
hörigen, Krankengeldzeiten, Übergangsgeldzeiten, Kurz-
arbeitergeld-, Schlechtwettergeld- und Winterausfall-
geldzeiten, Insolvenzgeldzeiten. Es zählen Zeiten der
Kindererziehung bis zum zehnten Lebensjahr des Kin-
des. Aber ausgerechnet vier der sechs Wochen, die ich
als werdende Mutter vor der Geburt meines Kindes im
Mutterschutz war, zählen nicht zur Wartezeit für meine
Rente ab 63, kritisiert die Petentin.

Bei zwei Kindern macht das zwei Monate usw.


(Peter Weiß [Emmendingen] [CDU/CSU]: Nein, das kann es gar nicht geben!)


Diesen Zustand wollen wir mit unserem Gesetzentwurf
beenden.


(Beifall bei der LINKEN)


Die Zeiten des Beschäftigungsverbotes nach dem Mut-
terschutzgesetz


(Max Straubinger [CDU/CSU]: Beschäftigungsverbote gibt es gar nicht!)


sind bei der Anrechnung auf die Wartezeit von 45 Jahren
voll und ganz zu berücksichtigen.


(Beifall bei der LINKEN)


Wie, liebe Kolleginnen und Kollegen von der CSU,
wollen Sie sonst Ihren Müttern und den Müttern in Ihren
Wahlkreisen Folgendes erklären


(Max Straubinger [CDU/CSU]: Wir tun etwas für sie, Herr Kollege Birkwald!)


– hören Sie doch erst einmal zu, Kollege Straubinger –:
Einem Mann, der sich beim Skifahren in den schönen
Bayerischen Alpen das Bein bricht, wird die Kranken-
geldzeit auf die 45 Beitragsjahre angerechnet. Einer
Frau, die wegen der bevorstehenden Geburt ihres Kindes
zu Hause bleibt, werden die vier Wochen Mutterschutz
nicht angerechnet. Ich sage: Das ist ungerecht, mütter-
feindlich, frauendiskriminierend, und das können Sie
niemandem, wirklich niemandem plausibel erklären.


(Beifall bei der LINKEN)


Meine Damen und Herren, in Artikel 3 unseres
Grundgesetzes heißt es: „Männer und Frauen sind
gleichberechtigt.“ Niemand dürfe wegen seines Ge-
schlechtes benachteiligt werden. – Das ist aber hier ein-
deutig der Fall. Männer können nun einmal keine Kinder
bekommen – bisher jedenfalls nicht. Nur Frauen kann es
passieren, dass der Mutterschutz nicht angerechnet wird
und sie darum möglicherweise nicht in die Rente ab 63
gehen können. Das verstößt gegen das Gleichheitsgebot
des Grundgesetzes. Darum muss das Rentenpaket hier
dringend zugunsten der Mütter geändert werden.


(Beifall bei der LINKEN)

Liebe Bundesregierung, wie ernst nehmen Sie eigent-
lich Ihre eigenen Aussagen, Frau Staatssekretärin
Kramme? Denn auf die entsprechende Petition hatte das
Ministerium am 11. August 2014 geantwortet: Schwie-
rig, schwierig, aber die Bundesregierung werde prüfen,
ob eine Änderung des geltenden Rechtes unter Wahrung
des Versicherungsprinzips möglich sei. – Ich nahm die
Petition und die Antwort der Bundesregierung ernst. Ich
hatte gedacht: Okay, lassen wir das Ministerium einen
Monat oder zwei Monate prüfen.

Dann habe ich nachgehakt. Am 14. Oktober 2014 er-
hielt ich von Frau Staatssekretärin Lösekrug-Möller fol-
gende Antwort – ich zitiere –:

Der Regelungsintention widerspricht es, beitrags-
freie Zeiten auf die 45-jährige Wartezeit anzu-
rechnen. Wegen des engen Zusammenhangs von
Mutterschutz und Kindererziehung wird die Bun-
desregierung dennoch prüfen, ob eine Änderung
des geltenden Rechts angezeigt sei.

Das war im Oktober 2014, vor mehr als vier Monaten.
Ich finde, das ist Zeit genug zum Prüfen. Wir sind nun
alle sehr gespannt, was Sie uns gleich als Ergebnis Ihrer
intensiven Prüfung kundtun werden.


(Beifall bei der LINKEN)


Ich befürchte allerdings, dass Sie immer noch prüfen
und prüfen und prüfen.

Meine Damen und Herren von der Regierungsbank
und den Koalitionsfraktionen, Sie haben es echt gut. Wa-
rum? Sie haben eine Opposition, die nicht nur meckert
und Sie kritisiert. Im Interesse der älteren Mütter helfen
wir Linken Ihnen gerne und legen Ihnen heute einen kur-
zen, präzisen und einfachen Gesetzentwurf vor.


(Dr. Matthias Bartke [SPD]: Danke!)


Mit diesem Gesetzentwurf kann die frauenfeindliche
Ungerechtigkeit bei der Rente ab 63 bzw. 65 sofort be-
seitigt werden.


(Beifall bei der LINKEN)


Liebe Kolleginnen und Kollegen von Union und SPD,
die Zahl der betroffenen Mütter ist überschaubar. Darum
sind auch die finanziellen Kosten für ein Stück mehr so-
ziale Gerechtigkeit übersichtlich: ein Grund weniger,
weiter zu prüfen, und ein Grund mehr, zu handeln. Ich
fordere Sie auf: Beseitigen Sie diese offenkundige Ge-
rechtigkeitslücke, und rechnen Sie den Mutterschutz auf
die Wartezeit an! Das ist doch nicht zu viel verlangt, und
die betroffenen Mütter werden es Ihnen danken.

Danke schön.


(Beifall bei der LINKEN)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1809124600

Für die CDU/CSU-Fraktion hat der Kollege Peter

Weiß das Wort.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)







(A) (C)



(D)(B)


Peter Weiß (CDU):
Rede ID: ID1809124700

Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kolle-

gen! Der Status des sogenannten besonders langjährig
Versicherten – mit 45 Beitragsjahren –, der zum Beispiel
nach der Neuregelung eine abschlagsfreie Rente mit 63
beantragen kann, war und ist für denjenigen gedacht, der
wirklich lange gearbeitet


(Sigrid Hupach [DIE LINKE]: Ist Kindererziehung keine Arbeit?)


und mit Steuern und Sozialversicherungsbeiträgen unse-
ren Staat und unsere Sozialsysteme stabilisiert hat, als
ein Dankeschön für lebenslange Arbeitsleistung. Das
war der allererste Grund, warum wir das gemacht haben.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Bei diesen 45 Jahren sind selbstverständlich auch die
drei Jahre berücksichtigt, die für jedes Kind als Kinder-
erziehungszeit bei der Rente angerechnet werden, und
die insgesamt zehn Jahre Kinderberücksichtigungszeit,
also Zeiten, in denen weder gearbeitet werden muss
noch Beiträge gezahlt werden müssen.


(Sigrid Hupach [DIE LINKE]: Das ist ja heftig heute!)


Zehn Jahre zusätzlich schenken wir den Müttern bei der
Berechnung der 45 Jahre.


(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Dann kommt es doch auf die vier Wochen nicht an, Herr Kollege Weiß!)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir, diese Koali-
tion, haben die Mütterrente verbessert, indem wir für vor
1992 geborene Kinder die Kindererziehungszeiten ver-
doppelt haben.


(Beifall des Abg. Dr. Matthias Bartke [SPD])


Wir haben dafür gesorgt, dass auf die 45 Jahre, die not-
wendig sind, um den Status des besonders langjährig
Versicherten zu erreichen, zehn Jahre Kinderberücksich-
tigungszeit angerechnet werden. Mehr als diese Große
Koalition hat bisher niemand in Deutschland für die
Rente der Mütter getan.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Dann nehmen Sie doch die vier Wochen dazu!)


Angesichts dieser Tatsachen ist es infam und lächerlich,
was die Linken hier abziehen.

Verehrte Kolleginnen und Kollegen, die Linke rech-
net immer damit, dass nicht jeder die genauen Regelun-
gen des Rentenrechts kennt und ihre Parolen sich deswe-
gen irgendwo verfangen können.


(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Das ist eine böswillige Unterstellung! Das wissen Sie!)


Wenn eine Frau heute oder morgen, also mitten im
März, in Mutterschutz geht, dann zählt der gesamte
März als Beitragszeit.

(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Aha! – Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das haben Sie persönlich der Frau geschenkt?)


– Langsam. – Wenn das Kind im April auf die Welt
kommt, dann zählt der gesamte April für das erste Jahr
Kinderberücksichtigungszeit, sprich: null Lücke in der
Rentenbiografie. Das ist die bestehende gesetzliche Re-
gelung.


(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Das stimmt nicht!)


Wenn in den kommenden Jahren ein zweites oder
drittes Kind geboren wird, dann ist das in den seltensten
Fällen zwölf Jahre nach dem ersten Kind der Fall. Die
Frau ist also noch mitten in der Kinderberücksichti-
gungszeit, die dann neu berechnet wird. Das heißt, der
von Herrn Birkwald geschilderte Fall, dass bei mehreren
Kindern mehrere Lücken entstehen können, trifft nicht
zu.


(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Es gibt keine Kinder, die elf Monate auseinander sind, oder was?)


In der Regel gibt es eine geschlossene Rentenbiografie
aller Mütter, die Kinder gebären, was die Berechnung
der 45 Jahre anbelangt.


(Kathrin Vogler [DIE LINKE]: Er hat es einfach nicht verstanden!)


Nun habe ich das Bundesministerium für Arbeit und
Soziales gefragt: Ist dem Ministerium zumindest ein ein-
ziger Fall bekannt, in dem zwischen Eintritt der Mutter-
schutzfrist und der Geburt des Kindes zwei Monats-
wechsel liegen


(Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sechs Wochen! – Kathrin Vogler [DIE LINKE]: In 50 Prozent der Fälle trifft das zu, außer bei Frühgeburten!)


und aus diesem Grund bei der Berechnung von 45 Bei-
tragsjahren zum Bezug einer abschlagsfreien Rente tat-
sächlich vier Wochen fehlen könnten? Das Bundes-
ministerium für Arbeit und Soziales hat mir am 2. März
geantwortet: Dem Ministerium ist kein einziger solcher
konkreter Fall bekannt. – Es ist doch bemerkenswert,
dass, obwohl es gar keinen bekannten Fall gibt, in dem
jemandem wirklich diese Zeit fehlt, die Linken einen
solchen Antrag einbringen.


(Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Gesetzentwurf! – Susanna Karawanskij [DIE LINKE]: Warum gibt es dann eine Petition dazu? Das verstehe ich nicht!)


Verehrte Kolleginnen und Kollegen, die Bürgerinnen
und Bürger in unserem Land gehen wirklich davon aus,
dass es um 45 Beitragsjahre geht, in denen man sich
durch harte Arbeit seine Rente verdient hat.






(A) (C)



(D)(B)


Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1809124800

Kollege Weiß, gestatten Sie eine Frage oder Bemer-

kung des Kollegen Birkwald?


Peter Weiß (CDU):
Rede ID: ID1809124900

Bitte.


Matthias W. Birkwald (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1809125000

Vielen Dank, Frau Präsidentin, vielen Dank, Herr

Kollege Weiß. – Wenn das alles so wäre, wie Sie sagen,
dann gäbe es keinen Grund, dass es a) eine Petition dazu
gibt und b) das Ministerium darauf antwortet. Ich habe
hier noch eine, die die schöne Nummer 51802 hat. Sie ist
relativ kurz. Heute rief in meinem Büro eine Kollegin
vom Deutschlandfunk an und bezog sich auf diese Ge-
rechtigkeitslücke. Es gibt sie also sehr wohl.

Ich habe eben in meiner Rede gesagt, dass es nicht
viele Fälle gibt und dass deshalb auch der Finanzbedarf
nicht so groß ist. Hier geht es aber um das Prinzip. Es ist
richtig, was Sie gesagt haben: In dem Monat, in dem das
Kind geboren wird, gilt der Schutz schon; aber in dem
Zeitraum davor nicht. Das sind bis zu vier Wochen. Ver-
mutlich werden es nicht so viele Fälle sein. Die Erfah-
rung können wir noch gar nicht haben, weil das Gesetz
erst seit kurzem gilt. Wir wissen aber, dass es bisher
232 000 Anträge gibt, 77 333 ungefähr von Frauen. Die
Mütter müssen Sie aus diesen herausfiltern. Diese Zahl
kann das Ministerium bisher gar nicht vorlegen.

Regeln Sie diese Zeit. Fügen Sie in den § 51 Absatz
3 a SGB VI die entsprechende Passage ein. Es kostet Sie
nicht viel, außer ein bisschen Goodwill. Dann kann kei-
ner Mutter mehr etwas passieren.


(Beifall bei der LINKEN)



Peter Weiß (CDU):
Rede ID: ID1809125100

Verehrter Herr Kollege Birkwald, ich habe auch nach-

gefragt, ob den Petitionen, die eingereicht worden sind
und die Sie zitieren, jeweils seitens der Petenten ein kon-
kreter Fall zugrunde liegt, in dem wegen Nichtanrech-
nung von Mutterschutzzeiten exakt aus diesem Grund
die 45 Jahre nicht erreicht werden. Die Antwort ist: In
keiner der eingereichten Petitionen gibt es einen solchen
Fall.

Das heißt, weder dem Bundesministerium für Arbeit
und Soziales ist so etwas bekannt noch der Deutschen
Rentenversicherung, noch liegt den Petitionen, die bei
uns eingereicht worden sind, diese Fallkonstellation zu-
grunde. Sprich: Sie haben einen Antrag zu einer Sache
gestellt, zu der es überhaupt keinen konkreten Fall eines
Menschen gibt, der irgendeinen Nachteil hat. Das ist der
Punkt.


(Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist so ähnlich wie mit der Tarifeinheit! – Dr. Kirsten Tackmann [DIE LINKE]: Das Problem ist, dass es von uns kommt!)


Verehrte Kolleginnen und Kollegen, ich glaube, die
wesentliche Aussage ist, dass wir in der Tat bei der Be-
rechnung der 45 Beitragsjahre eine ausgesprochen
frauen- und mütterfreundliche Konstellation gewählt ha-
ben. Vielen Mitbürgerinnen und Mitbürgern ist das In-
strument der Kinderberücksichtigungszeiten nicht be-
kannt, nämlich dass ab der Geburt des letzten Kindes
zehn Jahre mit berücksichtigt werden, auch wenn in die-
sen zehn Jahren nicht gearbeitet wurde und keine Bei-
träge gezahlt worden sind.


(Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es wird immer gearbeitet! – Sigrid Hupach [DIE LINKE]: Kindererziehung ist auch Arbeit!)


Die Anerkennung von Kindererziehungs- bzw. -berück-
sichtigungszeiten bei der Berechnung der 45 Jahre ist so-
zusagen der wichtigste Beitrag, den wir zur Mütterrente
geleistet haben.

Ich bin gerne bereit, zu sagen: Ja, wir wollen uns das
im Detail noch einmal anschauen. Aber dass die Refor-
men, die wir zugunsten der Frauen und Mütter in unse-
rem Land durchgeführt haben, jetzt in einer Bundestags-
debatte mit Beispielen, die an den Haaren herbeigezogen
sind und für die es bisher keinen einzigen konkreten Be-
leg gibt, schlechtgeredet werden, zeigt, wie die Linke ar-
beitet: Sie hetzt die Leute auf und verunsichert sie, wäh-
rend sie die Wahrheit, die Fakten über unser Rentenrecht
verschweigt. Das lassen wir ihr nicht durchgehen; das ist
der Punkt.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Susanna Karawanskij [DIE LINKE]: Die Leute denken sich doch so etwas nicht aus! Sie nehmen den Einzelnen nicht ernst!)


Ihrem Gesetzentwurf können wir schon deswegen
nicht zustimmen, weil das, was Sie zur Geburt eines oder
mehrerer Kindern aussagen, auf jeden Fall grundlegend
falsch ist. Einem Gesetzentwurf, der falsche Behauptun-
gen beinhaltet, werden wir erst recht nicht zustimmen.
Auch das ist klar.

Ich will wiederholen, was bei 45 Beitragsjahren ange-
rechnet wird – das ist doch ganz beachtlich –: selbstver-
ständlich Pflichtbeiträge aus Beschäftigung. Neu mit
aufgenommen haben wir Zeiten aus selbstständiger Tä-
tigkeit, wenn zuvor 18 Jahre Pflichtbeiträge gezahlt wor-
den sind. Auch das ist eine Neuerung. Wir haben Zeiten
des Wehr- und Zivildienstes integriert. Wir haben Zeiten
der Kindererziehung bis zum zehnten Lebensjahr des
Kindes aufgenommen, die sogenannten Kinderberück-
sichtigungszeiten, die ich schon erwähnt habe. Es wer-
den Zeiten berücksichtigt, in denen Arbeitslosengeld,
Teilarbeitslosengeld, Leistung bei Krankheit oder Über-
gangsgeld bezogen worden sind. Wir haben Zeiten des
Bezugs von Kurzarbeitergeld, Schlechtwettergeld,
Winterausfallgeld, von Insolvenzgeld und Konkursaus-
fallgeld mit eingerechnet. Hinzu kommen zu Recht Er-
satzzeiten, wie zum Beispiel die politische Haft in der
ehemaligen DDR. Das alles zählt bei 45 Beitragsjahren
mit. Ich finde, das ist beachtlich.


(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Dann könnt ihr die vier Wochen noch mit aufnehmen!)






Peter Weiß (Emmendingen)



(A) (C)



(D)(B)

In der Tat zählen sogenannte Anrechnungszeiten nicht
mit, zum Beispiel Zeiten eines Schulbesuchs, eines
Fachschulbesuchs oder eines Hochschulbesuchs, Zeiten
des Bezugs von Arbeitslosenhilfe oder des Bezugs von
Arbeitslosengeld II, Zurechnungszeiten und zusätzliche
Wartezeitmonate aufgrund eines Versorgungsausgleichs
oder eines Rentensplittings. Ich finde, das, was wir bei
den 45 Jahren mitrechnen, ist mehr als das, was die aller-
meisten Bürgerinnen und Bürger in unserem Land ver-
muten.

Das, was wir mit dem Rentenpaket beschlossen haben
und zum 1. Juli vergangenen Jahres in Kraft gesetzt ha-
ben, kann sich sehen lassen. Sehen lassen kann sich auch
das, was wir für die Mütter getan haben, nämlich die
Verdoppelung der Anrechnung von Kindererziehungs-
zeiten für vor 1992 geborene Kinder und die Einrech-
nung der Kinderberücksichtigungszeiten, also die Zeiten
der Kindererziehung bis zum zehnten Lebensjahr des
Kindes, in die 45 Jahre.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, ja, das Ren-
tenpaket ist ein Rentenpaket, mit dem wir uns klar dazu
bekennen: Die Erziehung von Kindern ist ein Beitrag zur
Stabilisierung unseres sozialen Sicherungssystems. Die
Erziehung von Kindern ist eine wichtige Voraussetzung,
eine Basis dafür, dass unsere Gesellschaft auch in Zu-
kunft lebendig und leistungsfähig bleibt. Was Eltern leis-
ten, ist eine großartige Leistung, die man nicht allein
durch Geld und Rentenpunkte anerkennen kann, die aber
zu Recht auch durch Geld und Rentenpunkte mit aner-
kannt werden soll. Ich finde, mit den Berücksichtigungs-
zeiten für Kindererziehung in unserem Rentenrecht kön-
nen wir uns sehen lassen. Wir brauchen dazu keinen
Linken-Antrag.

Vielen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1809125200

Der Kollege Markus Kurth hat für die Fraktion Bünd-

nis 90/Die Grünen das Wort.


Markus Kurth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1809125300

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Als ich gerade den detaillierten Ausführungen von Herrn
Weiß zugehört habe und dann an die nicht mehr so vie-
len Zuschauerinnen und Zuschauer auf der Tribüne
dachte, beschlich mich der Gedanke: Vielleicht ist es
gut, dass manche Debatten erst am Abend geführt wer-
den;


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Peter Weiß [Emmendingen] [CDU/CSU]: In der Tat!)


denn das alles ist doch nicht so einfach nachzuvollzie-
hen.

Mich beschleicht auch der Gedanke, Matthias
Birkwald, dass da vielleicht tatsächlich etwas aufge-
spießt ist – eine vierwöchige Lücke in der Anrechnung
von Beitragszeiten, die entstehen kann –, dass diese Lü-
cke im wirklichen Leben aber mutmaßlich so gut wie gar
keine Rolle spielen wird.


(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Ein Grund mehr, es zu tun!)


Gut, man erlebt im Parlament manchmal solche Ge-
schichten. Wir haben heute hier ja auch die Tarifeinheit
beraten. Auch da haben wir festgestellt, dass das Ta-
rifeinheitsgesetz ein Gesetz ist, das die gesellschaftliche
Wirklichkeit nicht benötigt.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Insofern kennt sich die Regierung ebenfalls in dieser Art
von Gesetzesarbeit aus.

Meine Damen und Herren, gleichwohl gibt diese De-
batte noch einmal die Gelegenheit, grundsätzlich auf
zwei oder drei Dinge bezüglich der sogenannten Rente
mit 63 – oder besser: abschlagsfreien Rente nach 45 Bei-
tragsjahren – einzugehen. Herr Weiß, Sie haben das jetzt
wieder sehr stark gelobt. Tatsache ist doch – niemand
will denen, die 45 Jahre lang Beiträge gezahlt haben,
dies streitig machen –, dass das an den großen Heraus-
forderungen, vor denen die gesetzliche Rente steht, vor-
beigeht und nicht diejenigen trifft, die es wirklich brau-
chen.


(Beifall der Abg. Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Es trifft zum Beispiel nicht denjenigen in der Holz- und
Kunststoffverarbeitung, der durchschnittlich mit 59 Jah-
ren aus dem Erwerbsleben ausscheidet. Auch trifft es
nicht den Maurer, der durchschnittlich mit 61 Jahren aus
dem Erwerbsleben austritt. All diese zahlen aber die
Rente mit 63 mit, und zwar gleich mehrmals. Sie bezah-
len sie nämlich perspektivisch über höhere Beitrags-
sätze, über ein niedrigeres Rentenniveau und dann noch
einmal über den Steuerzuschuss mit ihren Steuern. Das
sind Ungerechtigkeiten, die überhaupt erst durch Ihre
Politik ausgelöst worden sind.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Während die einen nach 45 Beitragsjahren in Rente
gehen können, obwohl sie vielleicht noch arbeiten könn-
ten, werden voll erwerbsgeminderte Personen mit Ab-
schlägen bestraft, obwohl sie aus gesundheitlichen
Gründen den Zeitpunkt ihres Renteneintritts gar nicht
frei wählen können – und dies, obwohl einige von ihnen
vielleicht noch ganz gerne weitergearbeitet hätten. Auf
all diese Ungerechtigkeiten gibt die Rente mit 63 keine
Antworten. Da bietet der Gesetzentwurf der Linken eine
Gelegenheit, noch einmal über verschiedene Themen zu
diskutieren.

Die abschlagsfreie Rente nach 45 Beitragsjahren ist
auch mit erheblichen geschlechterpolitischen Effekten
verbunden. Wir stellen jetzt fest – das hatten Sie auch
angenommen –, dass drei Viertel der Antragsteller und
Bezieher Männer sind. Herr Birkwald, Sie selber haben
die Zahlen genannt.


(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Zwei Drittel!)






Markus Kurth


(A) (C)



(D)(B)

– Gut, zwei Drittel bis drei Viertel. Warten wir bis fest-
steht, wie die Antragszahlen sind. Jedenfalls sind es ganz
überwiegend Männer und eben nicht Frauen. Sie waren
ja gezwungen, die Berücksichtigungszeit wegen Kinder-
erziehung auf zehn Jahre auszudehnen. Sonst hätte es
noch schlechter ausgesehen.

Ganz absurd finde ich das, was sich jetzt im Zusam-
menhang mit dem sogenannten rollierenden Stichtag
zeigt. Man sieht das jetzt in meiner Nachbarstadt Bo-
chum: Diejenigen Opelaner, die nach der Werks-
schließung arbeitslos werden, zwei Jahre arbeitslos sind
und dann möglicherweise die Voraussetzungen erfüllen
könnten, wenn die Arbeitslosigkeit am Ende des Er-
werbslebens anerkannt würde, werden die abschlagsfreie
Rente nicht bekommen. Sie sind unfreiwillig in die Ar-
beitslosigkeit gegangen, aber sie bekommen das nicht
anerkannt; denn es handelt sich um eine Standortverla-
gerung und -schließung im Rahmen der Konzernstrate-
gie, aber nicht um eine Betriebsinsolvenz. Derjenige Be-
schäftigte aber, der bei einem Zulieferer für Opel
gearbeitet hat und seinen Arbeitsplatz verliert, weil sein
Arbeitgeber aufgrund einer Werksschließung in Insol-
venz gegangen ist, wird diese letzten beiden Jahre Ar-
beitslosigkeit noch angerechnet bekommen. Er wird die
Voraussetzungen für die Rente nach 45 Jahren Erwerbs-
tätigkeit erfüllen. Das ist nicht nur eklatant ungerecht,
sondern verstößt auch gegen den Gleichheitsgrundsatz in
der Verfassung. Darum wünschen wir – wie der Kollege
Birkwald – dem DGB und den Klägern in dieser Hin-
sicht sehr viel Erfolg.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie der Abg. Daniela Kolbe [SPD])


Ich glaube, dass nach einiger Zeit – vielleicht nach
dem Sommer – die Notwendigkeit besteht und sich die
Gelegenheit ergibt, sich noch einmal mit all diesen sozu-
sagen eingeschleppten Ungerechtigkeiten im Rahmen
des Rentenpakets zu beschäftigen.

Vielen Dank.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1809125400

Für die SPD-Fraktion hat die Kollegin Dagmar

Schmidt das Wort.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dagmar Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1809125500

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Zu-

schauerinnen und Zuschauer! Liebe Kolleginnen und
Kollegen, vor allem liebe Kolleginnen und Kollegen von
der Partei Die Linke! Ja, es handelt sich bei der Frage
der Anerkennung von Zeiten des Mutterschutzes bei der
Altersrente für besonders langjährig Versicherte um eine
Ungerechtigkeit – theoretisch. Denn um was geht es?
Herr Kurth, ich versuche, es trotz der Komplexität noch
einmal darzustellen.
Zeiten des Mutterschutzes – also sechs Wochen vor
dem Geburtstermin und acht Wochen nach der Entbin-
dung – werden bei der Altersrente für besonders langjäh-
rig Versicherte nicht anerkannt. Das ist nicht neu. Es war
auch damals bei der Einführung der Altersrente mit 65
für langjährig Versicherte schon so. Aber das ist natür-
lich insofern ungerecht, als dass nur Frauen davon be-
troffen sein können.

Wie groß ist das Problem, mit dem Sie uns beschäfti-
gen? Jeder Monat, in dem die Frau auch nur einen Tag
arbeitet und Beiträge zahlt, wird bei den 45 Jahren voll
mitgerechnet.


(Peter Weiß [Emmendingen] [CDU/CSU]: So ist es!)


Die Monate ab dem Zeitpunkt der Geburt werden als
Kinderberücksichtigungszeiten auch mitgerechnet. Von
den 14 oder, wenn der kleine Schatz sich noch ein biss-
chen Zeit lässt, 16 Wochen bleibt also im Höchstfall, bei
einem ungünstigen Geburtstermin, ein Monat übrig.


(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Und?)


Da ab Geburt eines Kindes zehn Jahre als Kindererzie-
hungszeiten berücksichtigt werden, gilt dies nur dann,
wenn dieser Monat nicht in die Kindererziehungszeit
eines Geschwisterkindes fällt. Die theoretische Unge-
rechtigkeit ist praktisch also keine. Aber sollte es diesen
theoretischen Fall einmal praktisch geben, dann wäre die
Konsequenz, dass die Frau nicht an ihrem 63. Geburtstag
abschlagsfrei in Rente gehen könnte, sondern noch vier
Wochen weiterarbeiten müsste und dann abschlagsfrei in
Rente gehen könnte, wie alle anderen auch. Halten wir
also fest: Sie machen hier einen großen Bahnhof für ein
sehr kleines, theoretisches Problem.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Nur wenn sie Jahrgang 1952 ist! Danach wird es sowieso schlechter!)


Es gibt allerdings reale und große Probleme für
Frauen. Das wird deutlich, wenn man ihre Rentensitua-
tion betrachtet. Durchschnittlich ist die Rente von Män-
nern fast doppelt so hoch wie die von Frauen. In West-
deutschland ist der Abstand noch größer. Ein Problem ist
auch die Altersarmut von Frauen; denn Frauen erhalten
anderthalbmal so oft Grundsicherung im Alter wie Män-
ner. Besonders dramatisch wird die Situation für Allein-
erziehende.

Die mit Abstand negativste Auswirkung auf die Rente
von Frauen hat die vergleichsweise kürzere Versiche-
rungsbiografie, sprich: Frauen haben deutlich weniger
Beitragszeiten, die sich positiv auf die Rentenhöhe aus-
wirken. Hinzu kommt die Lohndiskriminierung von
Frauen: Immer noch verdienen Frauen 22 Prozent weni-
ger als Männer. Der Equal Pay Day zeigt es alljährlich.
Männer können jedes Jahr theoretisch bis zum 20. März
die Füße hochlegen, um am Ende des Jahres das gleiche
Einkommen zu erhalten wie Frauen, die vom 1. Januar
an gearbeitet haben.

Diese echten, realen und großen Ungerechtigkeiten
lassen sich nicht allein über das Rentenrecht lösen. Dazu





Dagmar Schmidt (Wetzlar)



(A) (C)



(D)(B)

muss man den Arbeitsmarkt ins Visier nehmen, und dazu
muss man die Rechte und die Unterstützung von Frauen
stärken. Das haben wir getan, und das werden wir auch
weiterhin tun.


(Beifall bei der SPD sowie der Abg. Antje Lezius [CDU/CSU])


Vom Mindestlohn profitieren seit dem 1. Januar 2015
3,7 Millionen Beschäftigte. Über 60 Prozent davon sind
Frauen. Gehen wir von einer Lohnerhöhung einer Fri-
seurin von 4,50 Euro auf 8,50 Euro aus, dann würde das
– in einer Modellrechnung –, über zehn Jahre gerechnet,
eine Rentenerhöhung um circa 64 Euro bedeuten.

Aber das allein reicht natürlich noch nicht. Wir wis-
sen, dass Männer weniger arbeiten und mehr Zeit für die
Familie haben wollen und dass Frauen mehr arbeiten
und eine partnerschaftliche Aufteilung der Familienar-
beit wünschen. Mit dem Elterngeld Plus ermöglichen
und unterstützen wir genau das: Teilzeitarbeitsphasen
mit positiven Effekten für die Rente statt reiner Kinder-
erziehungszeiten.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Mit dem Rückkehrrecht in Vollzeit, das wir noch die-
ses Jahr auf den Weg bringen, werden wir eine selbstbe-
stimmte Erhöhung der Arbeitszeit ermöglichen, was eine
positive Wirkung für die Rente haben wird.

Für Verbesserungen im Bereich Kinderbetreuung ha-
ben wir unter anderem das Sondervermögen „Kinderbe-
treuungsausbau“ auf 1 Milliarde Euro aufgestockt.

Eines unserer wichtigsten politischen Ziele bleibt es,
die Einkommenslücke zwischen Frauen und Männern
bei gleichwertiger Arbeit zu schließen. Dazu gehört zum
einen eine bessere Bezahlung in den sogenannten typi-
schen Frauenberufen, zum Beispiel in den Bereichen
Pflege und Erziehung – die Weichen haben wir gestellt –,
und zum anderen eine Entgeltgleichheit bei gleichwerti-
ger Arbeit, die wir mit dem Entgeltgleichheitsgesetz
über Transparenz und Anpassungsdruck peu à peu
durchsetzen werden.

Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Partei Die
Linke, das finden Sie doch auch alles toll.


(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Ja! Finden wir gut, wenn das wirklich so kommt! – Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Sie könnten uns doch, anstatt uns populistisch mit
Scheinproblemen zu beschäftigen, für das loben,


(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Bisher war es gut!)


was wir bisher Gutes auf den Weg gebracht haben, und
feststellen, dass wir die realen Probleme anpacken und
die Geschlechtergerechtigkeit Stück für Stück voranbrin-
gen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Heute Morgen, beim Thema Mindestlohn, ging das ja
auch. In diesem Sinne: Glück auf!


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1809125600

Der Kollege Matthäus Strebl hat für die CDU/CSU-

Fraktion das Wort.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Matthäus Strebl (CSU):
Rede ID: ID1809125700

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten

Kolleginnen und Kollegen! In dem Entwurf des Geset-
zes zur Änderung des Sechsten Buches Sozialgesetz-
buch – Anrechnung von Zeiten des Mutterschutzes, den
die Fraktion Die Linke vorgelegt hat, wird festgestellt
– ich zitiere –:

… nur Frauen können von einem Beschäftigungs-
verbot aufgrund des Mutterschutzgesetzes betroffen
sein.

Allerdings kann ich den Schlussfolgerungen der An-
tragsteller, nämlich Mutterschutzzeiten bei der Rente mit
63 anzurechnen, nicht folgen und will dies im Folgenden
auch begründen.

Dazu ist zunächst erforderlich, einen kurzen Blick auf
Mutterschutzfristen und die damit verbundenen Beschäf-
tigungsverbote zu werfen. Werdende Mütter dürfen be-
kannterweise in den letzten sechs Wochen vor der Ent-
bindung und bis zum Ablauf von acht Wochen – Frau
Kollegin Schmidt, Sie haben es gerade ausgeführt –, bei
Früh- und Mehrlingsgeburten bis zum Ablauf von zwölf
Wochen nach der Entbindung nicht beschäftigt werden.
Um Mütter in dieser Zeit vor finanziellen Nachteilen zu
schützen, regelt das Mutterschutzgesetz verschiedene
Mutterschaftsleistungen, und die lassen sich sehen. Dazu
gehören beispielsweise das Mutterschaftsgeld, der Ar-
beitgeberzuschuss zum Mutterschaftsgeld während der
Mutterschutzfristen, das Arbeitsentgelt bei Beschäfti-
gungsverboten außerhalb der Mutterschutzfristen, also
der sogenannte Mutterschutzlohn, Urlaubsanspruch so-
wie ein weitreichender Kündigungsschutz. Diese Leis-
tungen, meine sehr verehrten Damen und Herren, kön-
nen sich sehen lassen.

Diesem Maßnahmenbündel für Mütter scheint jedoch
entgegenzustehen, dass die genannten Beschäftigungs-
verbote bei der Rente mit 63 nicht auf die Wartezeit von
45 Jahren angerechnet werden. Ich darf daran erinnern,
dass dieses kein Novum ist, zumal es die Altersrente für
besonders langjährig Versicherte schon seit Anfang 2012
gibt. Danach sind Versicherte, die die Wartezeit von
45 Jahren erfüllen, von der stufenweisen Anhebung der
Regelaltersgrenze auf 67 Jahre ausgenommen. Ferner
haben wir im vergangenen Jahr hier in diesem Hohen
Hause die abschlagsfreie Rente mit 63 Jahren beschlos-
sen. Um ihre konkrete Ausgestaltung geht es heute.

Wie bei dem Rentenversicherungs-Altersgrenzenan-
passungsgesetz von 2012 sind auch für die Gewährung





Matthäus Strebl


(A) (C)



(D)(B)

der abschlagsfreien Rente mit 63 ebenfalls 45 Beitrags-
jahre Voraussetzung.

Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, der
Antragsteller kritisiert, dass hierbei die Zeiten des Mut-
terschutzes nicht einfließen. Sie wollen mit Ihrem An-
trag der Diskriminierung von Frauen aufgrund ihres Ge-
schlechtes vorbeugen, doch von Diskriminierung kann
überhaupt keine Rede sein.

Ich möchte an dieser Stelle eine aktuelle Antwort der
Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage – hier bemühe
ich die Kolleginnen und Kollegen der Fraktion Bünd-
nis 90/Die Grünen – vom 7. Januar zitieren. Wörtlich
heißt es dort:

Das geltende Recht sieht keine Berücksichtigung
von Anrechnungszeiten wegen Schwangerschaft
oder Mutterschutz bei der 45-jährigen Wartezeit für
die abschlagsfreie Altersrente für besonders lang-
jährig Versicherte vor.

Und weiter heißt es:

Regelungsintention dieser bereits seit 2012 einge-
führten Rentenart ist es, denjenigen einen früheren,
abschlagsfreien Rentenbeginn zu ermöglichen, die
durch jahrzehntelange Beschäftigung, selbständige
Tätigkeit oder Pflegearbeit sowie Kindererziehung
ihren Beitrag zur Stabilisierung der gesetzlichen
Rentenversicherung geleistet haben. Dieser Rege-
lungsintention widerspräche es, beitragsfreie Zeiten
auf die 45-jährige Wartezeit anzurechnen.

Nach Auffassung der Bundesregierung, meine sehr
verehrten Kolleginnen und Kollegen, widerspricht es
also dem Sinn der Rente ab 63, auch beitragsfreie Zeiten
zu berücksichtigen. Auch der Vorwurf der Diskriminie-
rung ist nicht stichhaltig; denn in der Bundestagsdruck-
sache 18/909 ist bereits schlüssig dargelegt worden, dass
die jetzige Regelung gleichstellungspolitisch ausgewo-
gen ist. Dieser Auffassung schließe ich mich vollinhalt-
lich an.

Einen weiteren Aspekt möchte ich noch erwähnen.
Die Antragsteller räumen ein, dass die Zahl der betroffe-
nen Frauen gerade einmal im Promillebereich liegen
wird. Das ist dem Antrag der Linken zu entnehmen.
2013 gab es demnach unter 650 000 neu bewilligten Al-
tersrenten gerade einmal 2 441 Frauen, die möglicher-
weise von der Anrechnung der Mutterschutzzeiten profi-
tiert hätten. Eher dürften es noch weniger sein. Eine
exakte Zahl liegt nicht vor. Entsprechend heißt es auch
im Gesetzentwurf, dass „die Kosten als gering einzu-
schätzen“ sind. Für mich sind diese eher geringen Kos-
ten kein Argument für oder gegen die Annahme des Ge-
setzentwurfes. Wenn er begründet wäre und damit
Ungerechtigkeit beseitigt würde, dann dürfte der Kos-
tenaspekt gar keine Rolle spielen.


Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1809125800

Kollege Strebl, gestatten Sie eine Frage oder Bemer-

kung der Kollegin Keul?

Matthäus Strebl (CSU):
Rede ID: ID1809125900

Frau Präsidentin, ich bin fast am Ende meiner Rede

und möchte sie zu Ende führen. Vielen Dank.

Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, man
findet schwerlich Länder, in denen für Mütter so viel ge-
tan wird wie bei uns. Ich verweise in diesem Zusammen-
hang vor allem auch auf die Mütterrente, die wir im ver-
gangenen Jahr beschlossen haben. Damit haben wir zum
wiederholten Mal bewiesen, dass wir uns im Rahmen
des Möglichen für Mütter einsetzen. Der vorliegende
Gesetzentwurf widerspricht aber den Intentionen der
Rente mit 63 und der ordnungspolitischen Systematik.
Deswegen lehnen wir diesen Gesetzentwurf ab.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1809126000

Der Kollege Dr. Martin Rosemann hat für die SPD-

Fraktion das Wort.


(Beifall bei der SPD)



Dr. Martin Rosemann (SPD):
Rede ID: ID1809126100

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Meine Damen und Herren! Lieber Kollege Matthias
Birkwald, ich muss sagen: herzlichen Glückwunsch! Sie
haben es wirklich geschafft, aus einer Mücke einen me-
dialen Elefanten zu machen. Viel Lärm um nichts!
Meine Kollegin Dagmar Schmidt hat es schon ausge-
führt: Es geht um maximal einen Monat, und bisher ist
kein einziger Fall bekannt, in dem wegen dieses einen
Monats ein vorzeitiger Rentenzugang für besonders
langjährig Versicherte nicht möglich war.

Ich will an dieser Stelle deutlich machen: Wir lassen
uns die Leistungsverbesserungen des Rentenpakets nicht
kaputtreden. Das gilt für die Mütterrente, das gilt für die
Verbesserungen bei der Erwerbsminderungsrente, und
das gilt auch für den vorzeitigen Rentenzugang für be-
sonders langjährig Versicherte. Wir wissen, dass viele
Menschen in Deutschland davon profitieren und uns da-
für dankbar sind.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)


Im Übrigen möchte ich vorschlagen, dass wir uns,
was die Alterssicherung von Frauen angeht, den wesent-
lichen Problemen zuwenden. Die Armutsgefährdungs-
quote von Frauen im Alter ist deutlich höher als die von
Männern.


(Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da haben Sie überhaupt nichts gemacht! Da hätten Sie was machen müssen!)


Frauen erzielen im Durchschnitt nur etwa 60 Prozent der
Rentenansprüche der Männer. Dies ist die Folge unter-
schiedlicher Erwerbsbiografien.


(Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau! Und da belohnen Sie die guten!)






Dr. Martin Rosemann


(A) (C)



(D)(B)

Es geht auf eine zu geringe Erwerbsbeteiligung von
Frauen vor allem in sozialversicherungspflichtiger Voll-
zeitbeschäftigung bzw. in vollzeitnaher Teilzeitbeschäf-
tigung zurück. Zwar ist die Erwerbsbeteiligung von
Frauen in den vergangenen Jahren gestiegen, aber wir
liegen immer noch hinter Ländern wie Schweden und
Norwegen zurück.

Zudem arbeiten zu viele Frauen in Teilzeit, häufig mit
geringer Stundenzahl. Dabei handelt es sich zu häufig
um ungewollte Teilzeit: Fast jede fünfte teilzeitbeschäf-
tigte Frau arbeitet in Teilzeit, weil sie keine Vollzeitstelle
findet.

Daneben sind geringere Löhne und Einkommen für
die geringeren Rentenansprüche von Frauen verantwort-
lich: Frauen bekommen in der Stunde im Durchschnitt
immer noch 22 Prozent weniger als Männer. 7 Prozent-
punkte gehen auf direkte Lohndiskriminierung zurück,
das heißt auf die Fälle, in denen Frauen für die gleiche
Arbeit im gleichen Betrieb weniger bekommen als Män-
ner. Frauen bekommen aber auch deshalb geringere
Löhne, weil sie häufiger in sozialen Berufen arbeiten
und weniger in Führungspositionen vertreten sind.

All das sind potenzielle Hindernisse für eine aus-
kömmliche Rente. Deshalb sind dies zentrale Ziele der
Politik:

Erstens: bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf
und eine andere Aufteilung der Erwerbsarbeit zwischen
Frauen und Männern,


(Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das nützt den Rentnerinnen überhaupt nichts! Das nützt allen nichts, die in der nächsten Zeit in Rente gehen!)


damit mehr Frauen in sozialversicherungspflichtigen
Vollzeit- oder vollzeitnahen Teilzeitbeschäftigungsver-
hältnissen arbeiten können. Zweitens: gleiche Bezahlung
für gleiche Arbeit. Drittens: die Aufwertung sozialer Be-
rufe. Viertens: mehr Frauen in Führungspositionen.


(Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das sind Sonntagsreden! – Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das hilft in 30 oder 40 Jahren, aber wir haben doch jetzt das Problem!)


Genau hier setzen wir an. Genau dafür hat die SPD in
der Großen Koalition Maßnahmen zur Förderung der
Gleichstellung von Frauen und Männern im Erwerbsle-
ben durchgesetzt.


(Beifall bei der SPD)


Wir haben das Elterngeld Plus beschlossen. Wir ha-
ben den Partnerschaftsbonus im Elterngeld eingeführt,
damit Arbeit und Familie besser vereinbart werden kön-
nen und damit eine bessere Aufteilung der Erwerbs- und
Familienarbeit zwischen Männern und Frauen gewähr-
leistet werden kann.


(Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das war das Thema in der Aktuellen Stunde!)

Wir unterstützen Länder und Kommunen beim Aus-
bau der Kinderbetreuung. Wir entlasten in dieser Legis-
laturperiode – wie noch keine Bundesregierung zuvor –
Länder und Kommunen massiv. Damit ermöglichen wir
den Kommunen, die Erzieherinnen und Erzieher endlich
besser zu bezahlen, damit dieser Beruf entsprechend ho-
noriert wird.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber das alles sind keine Maßnahmen gegen Altersarmut!)


Die Aufwertung sozialer Berufe gilt übrigens nicht
nur für die Kinderbetreuung, sondern auch für die
Pflege. Mit dem ersten Pflegestärkungsgesetz hat die
SPD durchgesetzt, dass Pflegeeinrichtungen, die Tarif-
lohn zahlen, zukünftig besser dastehen; denn Tariflohn-
steigerungen können bei den Pflegesatzverhandlungen in
Zukunft nicht mehr als unwirtschaftlich abgelehnt wer-
den können.

Wir bereiten ein Pflegeberufegesetz vor, durch das
wir für eine Attraktivitätssteigerung in den Pflegeberu-
fen sorgen wollen.


(Beifall bei der SPD)


Außerdem – das hat die Frau Kollegin Schmidt schon
angesprochen – sorgen wir für gerechtere Bezahlung;
denn vom Mindestlohn profitieren vor allem Frauen. Wir
schaffen ein Entgeltgleichheitsgesetz. Wir wollen zudem
den Anteil weiblicher Führungskräfte in Deutschland er-
höhen. Deshalb werden wir morgen hier in diesem Haus
die gesetzliche Frauenquote beschließen, liebe Kollegin-
nen und Kollegen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Dr. Wolfgang StrengmannKuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: 108 Aufsichtsräte!)


Damit erhöhen wir die Chancen der vielen hochqualifi-
zierten Frauen, in die Chefetage aufzurücken.

Das alles sind Maßnahmen, die die Gleichstellung
von Frauen und Männern im Erwerbsleben wirklich för-
dern.


(Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, aber das war vorher Thema in der Aktuellen Stunde! Sie haben sich mit den Reden vertan!)


Damit tragen wir dazu bei, dass sich die Einkommenssi-
tuationen der Frauen im Alter verbessern werden.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1809126200

Ich schließe die Aussprache.

Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzent-
wurfs auf Drucksache 18/4107 an die in der Tagesord-
nung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es





Vizepräsidentin Petra Pau


(A) (C)



(D)(B)

dazu anderweitige Vorschläge? – Das ist nicht der Fall.
Dann ist die Überweisung so beschlossen.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 13 auf:

– Zweite und dritte Beratung des von der Bundes-
regierung eingebrachten Entwurfs eines Dritten
Gesetzes zur Änderung des Regionalisie-
rungsgesetzes

Drucksachen 18/3785, 18/3993

Beschlussempfehlung und Bericht des Aus-
schusses für Verkehr und digitale Infrastruktur

(15. Ausschuss)


Drucksache 18/4164

– Bericht des Haushaltsausschusses (8. Ausschuss)

gemäß § 96 der Geschäftsordnung

Drucksache 18/4189

Hierzu liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen vor.

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 25 Minuten vorgesehen. – Ich höre kei-
nen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.

Sobald sich die Fraktionen geordnet haben, können
wir mit der Aussprache beginnen. – Ich eröffne die Aus-
sprache. Das Wort hat der Parlamentarische Staatssekre-
tär Enak Ferlemann.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


E
Enak Ferlemann (CDU):
Rede ID: ID1809126300


Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Vor fünf Wochen hat die Bundesregierung ih-
ren Gesetzentwurf zur Änderung des Regionalisierungs-
gesetzes in den Deutschen Bundestag eingebracht. Vor
zehn Tagen wurde eine Anhörung zu diesem Thema
durchgeführt, an der zahlreiche Experten teilgenommen
haben. Heute wird, so denke ich, der Deutsche Bundes-
tag die Änderungen im Regionalisierungsgesetz mit gro-
ßer Mehrheit beschließen. Das bedeutet die Verlänge-
rung der bisherigen Finanzierungsusancen um ein
weiteres Jahr. Das bedeutet auch, dass die Mittel in die-
sem Jahr linear um 1,5 Prozent steigen werden, wie das
in den vergangenen Jahren auch der Fall war.

Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf wird die Er-
folgsgeschichte der Regionalisierung für ein weiteres
Jahr fortgeschrieben. Sie ist der wohl größte Erfolg der
Eisenbahnreform. In diesem Sinne ist es wichtig, dass
auch der Bund zur Finanzierung dieses so wichtigen
Teils der Eisenbahnpolitik beiträgt. Der Nahverkehr
wird dichter und dichter, wird von immer mehr Bürge-
rinnen und Bürgern genutzt. Das ist das, was wir wollen.
Allerdings kann man sicherlich fragen: Warum macht ihr
die Regelung nur für ein Jahr, warum macht ihr sie nicht
für länger?


(Stephan Kühn [Dresden] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ganz genau!)

– Ich weiß ja, wie Sie denken; da will ich das gleich mal
aufnehmen.


(Stephan Kühn [Dresden] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich weiß nicht, was Sie denken!)


Wir brauchen ja eine gewisse Verlässlichkeit.


(Matthias Gastel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Planungssicherheit fehlt jetzt!)


Nahverkehrsverträge werden schließlich über lange
Jahre abgeschlossen, die Investitionen sind hoch und die
Eisenbahninfrastrukturbetreiber müssen wissen, mit
welchen Verkehren sie auf der Infrastruktur zu rechnen
haben, die die Besteller – in dem Fall: die Länder und
die Nahverkehrsgesellschaften – dann veranlassen. Inso-
fern ist es sicherlich richtig, dass man über längerfristige
Dinge nachdenkt.

Allerdings muss es Finanzvereinbarungen zwischen
Bund und Ländern geben, und wir haben schon bei der
Eingangsdebatte – auch bei der Debatte im Ausschuss –
erlebt, dass ein wesentliches Problem darin besteht, dass
wir als Bund eigentlich gar nichts zu sagen haben. Wir
reichen das Geld an die Länder, und die Länder können
völlig frei entscheiden, was sie mit dem Geld machen.
Wir haben keinen Einfluss darauf, was sie damit ma-
chen. Wir haben nicht einmal – bis zuletzt – eine genaue
Kenntnis dessen, was sie damit eigentlich gemacht ha-
ben.

Von daher gesehen stellt sich in einer Situation, in der
Bund und Länder über Finanzvereinbarungen sprechen
und sich über Bund-Länder-Finanzierungsfragen inten-
siv Gedanken machen, natürlich schon die Frage, ob
man nicht etwas weiter denken sollte. Ich bin dem Bun-
desfinanzminister und auch seinen Staatssekretären au-
ßerordentlich dankbar dafür, dass sie den Schritt etwas
weiter denken, nicht kleines Karo denken, sondern mal
die größeren Linien andenken. Wenn denn der Bund so-
wieso keinen Einfluss hat, wenn denn der Bund sowieso
nur Geld an die Länder verteilt, warum sollen wir uns es
nicht einfacher machen – nach dem Motto „Sparen wir
doch mal ein bisschen Bürokratie in Deutschland ein; da-
von haben wir sowieso viel zu viel“ – und sagen: „Dann
kriegen die Länder einen Punkt Mehrwertsteuer mehr;
dafür können sie die Regionalisierungsmittel selber ver-
walten, ohne dass wir als Bund irgendetwas damit zu tun
haben“? Und weil die Länder natürlich belastet sind – so
sagt der Finanzminister, so sagt der Bundesrechnungs-
hof –, kann man darüber nachdenken, die Auftragsver-
waltung bei den Straßen vielleicht besser auf den Bund
zu ziehen.


(Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Oh!)


Auch das ist ein Reformvorschlag, über den sich nachzu-
denken lohnt.

Deswegen glaube ich, es ist richtig, wenn der Deut-
sche Bundestag heute sagt: Wir beschließen ein Gesetz
für ein Jahr, um uns die Zeit zu geben, diese Reform-
überlegungen vielleicht zu einem für Deutschland insge-
samt guten Ende in der Bund-Länder-Beziehung zu füh-
ren: weniger Bürokratie, schlankere Verfahren, einfaches





Parl. Staatssekretär Enak Ferlemann


(A) (C)



(D)(B)

Handling, so wie wir das in unseren Sonntagsreden ei-
gentlich immer vorhaben.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Matthias Gastel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann muss das Geld aber auch ausreichen!)


Deswegen plädiere ich dafür, dass wir uns in diesem Jahr
diesem Thema deutlich mehr widmen. Ich plädiere auch
an den Bundesrat, von dem ich ja höre, dass er dieses
Gesetz vielleicht in ein Vermittlungsverfahren bringen
will.


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Hoffentlich!)


Da wünsche ich ja viel Spaß!


(Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Er hat es doch jetzt vorgelegt!)


– Ich weiß ja, wie ihr Grünen in den Ländern denkt: ver-
antwortungslos. Ihr müsst mal an die Nutzer denken, an
die Kunden!


(Matthias Gastel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau, wir sind es, die an die Kunden denken! – Sie riskieren die Abbestellung von Nahverkehr! Das ist doch das Problem!)


Für die seid ihr verantwortlich. Und die Reisenden lei-
den darunter, wenn Leute wie Sie so eine Politik in den
Ländern betreiben, wie Sie sie betreiben.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Von daher gesehen wäre es sehr viel klüger, dieses Ge-
setz durchlaufen zu lassen, die Diskussion über die Re-
formbestrebungen, wie ich sie geschildert habe, wie sie
der kluge Finanzminister


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: „Der kluge“! Das führt nur dazu, dass der ÖPNV kaputtgemacht wird!)


vorbereitet und der kluge Bundesrechnungshof vor-
schlägt, fortzuführen und vielleicht mal ein bisschen
mehr nachzudenken.

Ich erhoffe mir, dass wir mit diesem Gesetz heute gro-
ßen Erfolg haben werden,


(Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Besteht aus einem Satz, dieses Gesetz! Das ist auch eine Meisterleistung!)


nicht nur hier im Parlament, sondern auch im Bundesrat,
und bedanke mich für die gute Beratung und die Be-
schlussfassung.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1809126400

Für die Fraktion Die Linke hat die Kollegin Sabine

Leidig das Wort.


(Beifall bei der LINKEN)


Sabine Leidig (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1809126500

Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen!

Verehrte Gäste! Verantwortungslos ist die Bundesregie-
rung;


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


denn sie lässt zu, dass in den Ländern völlige Unsicher-
heit darüber besteht, wie es mit der Finanzierung im
Nahverkehr weitergeht. In meiner Region, beim Rhein-
Main-Verkehrsverbund, ist die Situation ziemlich dra-
matisch. Die Fahrgastzahlen wachsen beständig. Es gibt
Ausbaupläne; die sind jedoch gestoppt, auf Eis gelegt. In
der Frankfurter Allgemeinen Zeitung ist zu lesen: Zum
ersten Mal seit der Gründung des Verkehrsverbundes im
Mai 1995, also seit 20 Jahren, ist offen, mit wie viel
Geld der RMV für das Folgejahr rechnen kann. Dieses
Problem betrifft die Verkehrsträger im Nahverkehr ins-
gesamt. Im Odenwaldkreis beispielsweise wird über Ab-
bestellungen von Nahverkehrsverbindungen nachge-
dacht, die notwendig werden, wenn nicht eine
entsprechende dauerhafte Finanzierung gelingt.

Hier muss der Bund tätig werden. Es steht seit langem
fest, dass das den Nahverkehr betreffende Regionalisie-
rungsgesetz ausläuft und man ein Anschlussgesetz
braucht; das ist nichts Neues. Wenn Sie Kritik an den
Ländern anführen, dann muss ich Ihnen sagen: Sie hat-
ten genug Zeit, um diese Themen zu diskutieren und
eine Einigung zu finden.


(Matthias Gastel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist wohl wahr!)


Das haben Sie nicht gemacht. Sie haben die Länder hin-
gehalten, haben eine schlechte Zwischenlösung vorge-
legt und haben die wirklichen Probleme, zum Beispiel,
dass die Trassenpreise, die die Deutsche Bahn AG ver-
langt, über den Erhöhungsbetrag permanent steigen und
damit immer weniger für Nahverkehrszüge und für Fahr-
gäste übrig bleibt, überhaupt nicht in Angriff genom-
men. Dabei liegt es eigentlich auf der Hand, was zu tun
ist.


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Wir haben in der Expertenanhörung sowohl mit dem
Gutachter des Bundes als auch mit dem Gutachter der
Länder gesprochen. Beide waren der Meinung, es sei
überhaupt kein Problem, gemeinsam eine Lösung auf
den Tisch zu legen. Aber – das ist die wirklich interes-
sante Stelle, die die Verantwortungslosigkeit zeigt – da-
rum geht es dem Bund nicht. Wir haben oft nachgefragt,
was eigentlich dahintersteckt, warum man so hingehal-
ten wird und warum die Argumente nicht auf den Tisch
gelegt werden. Natürlich könnte der Bund bei der Aus-
gestaltung des Nahverkehrs steuernd eingreifen. Durch
das Regionalisierungsgesetz können nicht nur die Geld-
flüsse geregelt werden, sondern zum Beispiel auch die
Qualität des Nahverkehrsangebotes, die Frage der Ar-
beitsbedingungen usw. Das könnte man alles in einem
Regionalisierungsgesetz regeln. Aber das wollen Sie gar
nicht.





Sabine Leidig


(A) (C)



(D)(B)

Der Punkt ist – das hat Herr Ferlemann in der letzten
Sitzung des Verkehrsausschusses zum ersten Mal ausge-
packt; da hat er die Katze aus dem Sack gelassen –: Der
Bund will den Ländern den Nahverkehr sozusagen hin-
schmeißen und dafür – das ist das Interessante – den Stra-
ßenbau, die Auftragsverwaltung der Straßen komplett
auf Bundesebene ziehen. Warum? Es ist mit der Privati-
sierung des Straßenbaus eine große Nummer geplant;
Sie haben es gerade gesagt, Herr Ferlemann. Finanz-
minister Schäuble bereitet etwas vor und will – das ist
völlig klar –, dass die Straßen in einer bundeseigenen
Gesellschaft organisiert werden. Wirtschaftsminister
Gabriel will einen großen Privatisierungs-, einen großen
Investitionsfonds auflegen und den Versicherungskon-
zernen und den Banken günstige Anlagemöglichkeiten
verschaffen. Verkehrsminister Dobrindt redet landauf,
landab von öffentlich-privaten Partnerschaften im Stra-
ßenbau. So wird ein Schuh aus dieser Nummer.

Ich finde es absolut verantwortungslos, dass Sie, um
den Versicherungskonzernen und Banken im Bereich der
Straßen sozusagen Anlagemöglichkeiten mit öffentlicher
Gewinngarantie zusagen zu können, auf der anderen
Seite den Nahverkehr schleifen lassen und diese Privati-
sierungsnummer fahren. Das führt in den Ländern und in
den Kommunen zu Panik; die Verkehrsverbünde und die
Fahrgäste wissen nicht, wie es weitergehen soll. Sie zo-
cken mit der Infrastruktur und machen genau das Gegen-
teil von dem, was notwendig wäre. Notwendig wären
eine auskömmliche Finanzierung mit einer dauerhaften
Perspektive, mit guten Qualitätskriterien für den ÖPNV,
eine vernünftige Straßenbauverwaltung. Nötig ist aber
keine Privatisierungsnummer, die auf Kosten der Öffent-
lichkeit einigen wenigen die Taschen noch praller macht.

Vielen Dank.


(Beifall bei der LINKEN)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1809126600

Der Kollege Sebastian Hartmann hat für die SPD-

Fraktion das Wort.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Sebastian Hartmann (SPD):
Rede ID: ID1809126700

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen

und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Auch
wenn das eine sehr dramatische Beschreibung war, Frau
Kollegin Leidig, wir debattieren heute über die Regiona-
lisierungsmittel und die auskömmliche Finanzierung des
Nahverkehrs.


(Sabine Leidig [DIE LINKE]: Aber Herr Ferlemann hat das in der letzten Ausschusssitzung so gesagt!)


Das Wort „Regionalisierungsmittel“ ist ein sperriges
Wort.


(Sabine Leidig [DIE LINKE]: Eben nicht!)


– Sie müssen jetzt zuhören. – Es geht im Kern um die
Mittel, die den Bundesländern zustehen, um ihre Auf-
gabe, die sachgerechte Finanzierung des Nahverkehrs,
sicherzustellen, um nicht mehr und nicht weniger.


(Sabine Leidig [DIE LINKE]: Das sagt Herr Ferlemann anders! Es geht um viel mehr!)


Gleichzeitig – da gebe ich Herrn Staatssekretär
Ferlemann recht – blicken wir auf eine erfolgreiche
Bahnreform zurück mit einer Aufgabenzuweisung an die
Länder, was den Nahverkehr angeht, und einer Aufga-
benzuweisung an den Bund, was den Fernverkehr
angeht. Zugleich haben wir als Bund tatsächlich die Ver-
antwortung, wenn wir an das Eisenbahnverkehrsunter-
nehmen und das Eisenbahninfrastrukturunternehmen
Bahn AG denken. Das ist unsere Verantwortung.


(Sabine Leidig [DIE LINKE]: Da bin ich gespannt!)


Insofern: Es geht heute Abend um eine zentrale Unter-
scheidung, um zwei grundsätzlich voneinander zu tren-
nende Sachverhalte. Das eine ist das kurzfristige Nachho-
len einer ausgebliebenen Dynamisierung, die auf breite
Kritik gestoßen ist. Sie wird heute Abend durch die Ver-
abschiedung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung
nachgeholt – 1,5 Prozent mehr Geld für den Nahverkehr
in Deutschland; knapp 110 Millionen Euro –,


(Stephan Kühn [Dresden] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das reicht doch hinten und vorne nicht!)


damit diese Aufgabe in den Ländern erfüllt werden
kann.


(Matthias Gastel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Kosten steigen noch viel stärker!)


Das andere, was dringend geboten und davon wirklich
zu trennen ist, ist eine grundlegende Revision der Regio-
nalisierungsmittel, um dauerhaft und zukunftsfähig die
Aufgaben im Nahverkehr zu finanzieren.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Sie können es drehen und wenden, wie Sie wollen.
Das eine ist vom anderen zu trennen; denn wir müssen
uns ausreichend Zeit nehmen,


(Stephan Kühn [Dresden] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Zeit hattet ihr!)


um zu einer dauerhaften Lösung bei der Revision der
Regionalisierungsmittel für die nächsten 15 Jahre zu
kommen. Sie können gerne versuchen, das zu vermi-
schen. Sie können versuchen, den Menschen etwas ande-
res einzureden. Aber darum geht es heute Abend nicht.
Wir holen jetzt diese Dynamisierung nach. Aus Sicht der
SPD – das sage ich Ihnen auch in aller Klarheit – ist es
unerlässlich, dass wir bis Mitte des Jahres 2015 zu einer
dauerhaften Lösung, was die Frage der Regionalisie-
rungsmittel und ihrer Zukunft angeht, kommen, um
diese Aufgabe auch in den nächsten Jahren ausreichend
zu finanzieren. Das ist die Planungssicherheit, die die
Bundesländer und die Verkehrsträger brauchen, um das
gute Niveau, das Millionen von Nutzerinnen und Nut-
zern vom Nahverkehr in unserem Land erwarten, sicher-





Sebastian Hartmann


(A) (C)



(D)(B)

zustellen, und die wir brauchen, damit wir ausreichend
Zeit für die Lösung dieser Frage haben. Darum geht es.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Stephan Kühn [Dresden] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Zeit hattet ihr! – Zuruf der Abg. Sabine Leidig [DIE LINKE])


– Jetzt machen Sie es nicht schlimmer, als es ist, Frau
Kollegin Leidig. Wer als Opposition im Ausschuss ver-
sucht, diesen Gesetzentwurf, den wir heute Abend be-
schließen werden und der vorsieht, den Ländern über
110 Millionen Euro mehr an Nahverkehrsmitteln zu
überweisen, von der Ausschusstagesordnung abzuset-
zen und dann noch gegen den Antrag der Bundesregie-
rung stimmt, will den Bundesländern die Zahlung von
insgesamt 110 Millionen Euro vorenthalten, die wir hier
jetzt zur Verfügung stellen wollen. So ist es.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Matthias Gastel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber den Gesetzentwurf der Länder haben Sie von der Tagesordnung genommen! Die GroKo war das!)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1809126800

Kollege Hartmann, gestatten Sie eine Frage oder Be-

merkung der Kollegin Leidig?


Sebastian Hartmann (SPD):
Rede ID: ID1809126900

Ja, selbstverständlich, Frau Kollegin Leidig.


(Gustav Herzog [SPD]: Hartmann, muss das sein?)


– Das sagt Herr Kauder manchmal.


Sabine Leidig (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1809127000

Kollege Hartmann, ich finde, dass Sie hier in völlig

unredlicher Weise die Debatte verzerren. Fakt ist, dass
die Länder gemeinsam einen Gesetzentwurf vorgelegt
haben, der ganz anders aussieht als der des Bundes.


(Matthias Gastel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und der wurde von der Tagesordnung genommen!)


Unsere Auffassung ist nach wie vor, dass wir diesen Vor-
schlag der Länder thematisieren, behandeln und auch be-
schließen sollten, weil die Länder viel gründlicher mit
den Problemen vertraut sind, weil sie viel nachvollzieh-
barer dargelegt haben, warum sie dauerhaft eine Lösung
brauchen und nicht nur eine Zwischenlösung für ein
Jahr, nachdem ja völlig offen ist, wie es weitergeht, weil
sie Anschlussverträge für auslaufende Verkehrsverträge
aushandeln müssen, und zwar nicht für ein Jahr, sondern
für die nächsten 15 Jahre. Das ist unser Anliegen als Op-
position gewesen. Ich kann überhaupt nicht begreifen,
warum Sie sich gegen Ihre eigenen Ministerpräsidenten
stellen.


(Thomas Viesehon [CDU/CSU]: Das ist doch keine Rede! Nur eine Frage!)


Sebastian Hartmann (SPD):
Rede ID: ID1809127100

Wo ist die Frage, Frau Kollegin?


(Sabine Leidig [DIE LINKE]: Ich habe eine Intervention gemacht!)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1809127200

Die Kollegin hatte das Wort zu einer Frage oder Be-

merkung. Das habe ich Sie auch gefragt. Das gibt die
Geschäftsordnung her. Ihnen steht es jetzt frei, auf diese
Bemerkung zu antworten.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Sebastian Hartmann (SPD):
Rede ID: ID1809127300

Das möchte ich tun.


Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1809127400

Dazu müssen Sie stehen bleiben, Frau Leidig.


Sebastian Hartmann (SPD):
Rede ID: ID1809127500

Ich werde jetzt auf Ihre Intervention antworten. Das

entspricht ja auch dem Gebot des parlamentarischen
Miteinanders. – Sie stimmen mir sicherlich zu, Frau Kol-
legin, dass Ihre Fraktion im Ausschuss in der vergange-
nen Woche dafür gestimmt hat, den Tagesordnungspunkt
„Beratung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung“
von der Tagesordnung abzusetzen. Als Sie damit keinen
Erfolg hatten, haben Sie sogar gegen diesen Entwurf ge-
stimmt. In diesem Entwurf sind 109,5 Millionen Euro
mehr für den Nahverkehr vorgesehen. Das entspricht ei-
ner Dynamisierung um 1,5 Prozent.


(Matthias Gastel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Kosten steigen weiter!)


Das sind insgesamt 109,5 Millionen Euro mehr Mittel,
die wir den Ländern zur Verfügung stellen, damit sie den
Nahverkehr ausreichend finanzieren können. Ich nehme
Ihre Wortwahl auf. Sie haben zu Recht gesagt, dass es
sich um eine Zwischenlösung handelt. Das ist ein gutes
Stichwort. Sie erkennen, dass es um eine Zwischenlö-
sung geht. Diese brauchen wir, um zu einer dauerhaften
Revision der Regionalisierungsmittel zu kommen. Um
nicht mehr und nicht weniger geht es uns.

Wenn ich dann den Punkt aus Ihrer Frage aufnehme
– das müssen Sie jetzt auch zulassen –, dass es tatsäch-
lich einen Entschließungsantrag der Grünen gibt, in dem
vorgesehen ist, einerseits die entsprechenden Zahlen des
Bundesgutachtens in Höhe von 7,65 Milliarden Euro zur
Grundlage für das Haushaltsjahr 2015 zu machen, muss
ich sagen: Das ist in sich nicht schlüssig. Wenn Sie ei-
nerseits die 7,65 Milliarden Euro


(Stephan Kühn [Dresden] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Mindestens!)


aus dem Gutachten des Bundes als auskömmlich anse-
hen und auf der anderen Seite auf der Grundlage eines
anderen Gutachtens verhandeln wollen, dann, liebe Kol-
leginnen und Kollegen von den Grünen, müssen Sie sich
schon entscheiden: Gilt das Gutachten des Bundes, oder
gilt das Gutachten der Länder von KCW? Das ist der
Punkt.





Sebastian Hartmann


(A) (C)



(D)(B)

Sie sehen, dass der Teufel im Detail steckt. Wir brau-
chen ausreichend Zeit für die Aufgabe, zwischen dem
Bund und den Ländern eine Einigung hinsichtlich der
Finanzierung des Nahverkehrs zu erzielen. Dazu müssen
wir kommen. Das ist das Ziel, das wir verfolgen. Deswe-
gen brauchen wir die kurzfristige Dynamisierung. Ich
danke Ihnen, Frau Leidig, dass Sie mir die Gelegenheit
gegeben haben, das darzustellen.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Wir haben in der Tat eine aufschlussreiche Anhörung
durchgeführt. In dieser aufschlussreichen Anhörung
ging es nicht nur um die finanzielle Erhöhung der Mittel,
sondern wir haben auch Hinweise bekommen, wie wir
ein zukünftiges Regulierungsregime gestalten können.
Stations- und Trassenpreise sind das Stichwort. Natür-
lich wollen wir nicht mehr in eine Situation kommen wie
in der Vergangenheit, dass die gezahlten Mittel nicht mit
der tatsächlichen Kostenentwicklung im Eisenbahnsek-
tor übereinstimmen.


(Matthias Gastel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau das riskieren Sie dann!)


Wir wollen nicht, dass es zu Abbestellungen im Nahver-
kehr kommt. Deswegen brauchen wir ausreichend Zeit,
um diese Gutachten und die Erkenntnisse bewerten zu
können, nicht nur in finanzieller Hinsicht, sondern auch
inhaltlich. Sie können sich darauf verlassen, dass die
Große Koalition das tun wird.

Ich habe etwas dazu gesagt, wie Sie im Ausschuss
vorgegangen sind. Vermischen Sie bitte hier im Plenum
nicht die kurzfristige Nachholung der Dynamisierung,
also die Zurverfügungstellung von mehr Mitteln – auch
wir hatten die zunächst ausgebliebene Dynamisierung
kritisiert – mit der dauerhaften Lösung für die Zukunft
der Regionalisierungsmittel. Da haben wir einiges an
Diskussionsbedarf. Die Ergebnisse der Gutachten sind
zu plausibilisieren, die Hinweise sind aufzunehmen, und
über das Regulierungsregime haben wir auch auf Bun-
desebene zu diskutieren.

Ich sage auch: Anerkennung an die Länder. Ja, die Län-
der haben sich auch auf den Weg gemacht. Die Länder ha-
ben nicht nur über die Höhe der Mittel entschieden, son-
dern sie haben darüber hinaus mit dem sogenannten
Kieler Schlüssel auch zu einer anderen Verteilung der
Mittel gefunden, um abzubilden, dass sich Verkehre,
Einwohnerentwicklung und bestellte Zugkilometer tat-
sächlich auseinanderentwickelt haben. Doch es ist un-
sere Aufgabe, das auf Bundesebene zusammenzufassen
und damit den Nahverkehr und den Fernverkehr als ge-
meinsame Verantwortung von Bund und Ländern zu be-
greifen.

Wir brauchen dafür Zeit. Denn auf der Bundesebene
verantworten wir Finanzierungskreisläufe wie die nun
getroffene Leistungs- und Finanzierungsvereinbarung II,
auf der Bundesebene tragen wir auch die Regulierungs-
verantwortung, zum Beispiel durch den Eisenbahninfra-
strukturbeirat, und setzen damit den europäischen
Rechtsrahmen. Das ist eine gemeinsame Aufgabe. Es
wird nicht ausreichen, zwei Zahlen aus zwei Gutachten
abzuschreiben. Vielmehr müssen wir diese wichtige
Aufgabe für die nächsten 15 Jahre sicherstellen.

Noch kurz etwas zum Stichwort „Transparenznach-
weise“. Hier sind die Bundesländer angesprochen. Ja,
wir als Bund werden 7,41 Milliarden Euro überweisen,
wenn wir heute Abend den Gesetzentwurf so verabschie-
den, wie ihn die Bundesregierung vorgelegt hat. Darüber
hinaus wurden allein in 2014 insgesamt über 10,2 Mil-
liarden Euro für den Nahverkehr aufgebracht. Wer die
Länder auf der einen Seite kritisiert, indem er sagt, dass
er mehr Transparenznachweise braucht, muss auf der an-
deren Seite aber auch anerkennen, dass weitere Mittel in
diesem Finanzierungskreislauf Nahverkehr investiert
werden.

Deswegen wollen wir die Aufgabe stärker machen.
Wir wollen sie besser machen. Wir wollen die inhaltli-
chen Hinweise, die wir bekommen haben, aufnehmen.
Dafür müssen wir uns als Große Koalition entsprechend
Zeit nehmen. Eine Einigung setzt die Zustimmung bei-
der Seiten voraus. Wir wollen die Aufgabe nicht infrage
stellen. Denn zukünftig müssen wir die Mittel nicht nur
zweckbinden, sondern wir müssen die Mittel in dieser
Höhe auch sichern, und wir müssen den zukünftigen
Finanzbedarf entsprechend abbilden.

Ich glaube, dass wir mit dem heutigen Schritt Zeit ge-
winnen, um zu einer dauerhaften Lösung der Frage, zu
einer grundlegenden Revision der Regionalisierungsmit-
tel zu kommen. Deswegen: weniger Kritik, sondern
mehr Auseinandersetzung mit den Gutachten, wenn man
sie denn gelesen hat. Wir machen uns gemeinsam auf ei-
nen guten Weg. Denn ich hatte nicht den Eindruck, dass
Sie, liebe Kollegen von den Grünen oder von den Lin-
ken, den Nahverkehr als Erfolgsmodell in diesem Land
infrage stellen wollen.

Vielen Dank.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Stephan Kühn [Dresden] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir tun es nicht!)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1809127600

Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat der Kol-

lege Stephan Kühn das Wort.

Stephan Kühn (Dresden) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN):

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Wir stellen den Erfolg der Regionalisierung in
keiner Weise infrage. Im Gegenteil: Das tun gerade Sie
mit Ihrer Politik.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Man muss klar sagen: Die Regionalisierung im Zuge
der Bahnreform war eine richtige Entscheidung. Heute
nutzen mehr Menschen das Fahrangebot. Es ist ein at-
traktiveres Angebot. Wir haben moderne neue Züge. Es
ist also eine Erfolgsgeschichte. Dabei geht es nicht nur
um die Frage der Daseinsvorsorge, sondern auch darum,
dass der Regionalverkehr auf der Schiene insbesondere





Stephan Kühn (Dresden)



(A) (C)



(D)(B)

den Wirtschaftsstandort Deutschland stützt, weil täglich
Millionen Pendlerinnen und Pendler sicher zur Arbeit
gelangen.

Trotz all dieser Erfolge ist es aus meiner Sicht völlig
unerklärlich, dass derzeit dieses unwürdige Feilschen
der Bundesregierung mit den Ländern über die Regiona-
lisierungsmittel stattfindet.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Sie tragen den Finanzpoker auf dem Rücken von 7 Mil-
lionen Fahrgästen, die täglich auf einen attraktiven Nah-
verkehr angewiesen sind, aus. Wenn man jetzt sagt, die
Fortschreibung der Dynamisierung sei ein Erfolg, erin-
nere ich daran, dass wir bereits in der Haushaltsberatung
im November letzten Jahres beantragt haben, die Dyna-
misierung für 2015 fortzuschreiben; dabei ging es um
ebendiese 109 Millionen Euro.


(Susanna Karawanskij [DIE LINKE]: Richtig!)


Das haben Sie abgelehnt. Wir hätten schon längst Pla-
nungssicherheit haben und ein Signal an die Aufgaben-
träger geben können, meine Damen und Herren.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN – Zuruf von der CDU/ CSU: Sie müssen nur zustimmen!)


Diese Debatte – das finde ich so schade, gerade wenn
wir unter Verkehrspolitikern diskutieren – dreht sich fast
nur um die Frage, wie viel Geld der Bund den Ländern
gibt, aber viel zu wenig darum, was wir dafür bekom-
men, welches die verkehrspolitischen Ziele sind und wie
wir sie erreichen können. Ohne einen leistungsfähigen
Nahverkehr auf der Schiene erreichen wir unsere Klima-
schutzziele nicht. Das war vermutlich auch die Erkennt-
nis, die dahinter stand, die auskömmliche Finanzierung
der Regionalisierungsmittel in den Klimaschutz-
Aktionsplan aufzunehmen haben. Offensichtlich ist der
schon wieder Makulatur; denn an dieser Stelle passiert
ja, wie gesagt, nichts.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Überraschenderweise gab es von Verkehrsminister
Dobrindt dann doch eine Wortmeldung zum Thema
Regionalisierung. Er hat nämlich WLAN in Regionalzü-
gen gefordert. Das ist interessant. Er hat sich nämlich an
keiner Stelle für eine auskömmliche Mittelfinanzierung
eingesetzt; ich habe von ihm kein Wort dazu gehört. Er
ist völlig abgetaucht und hat offensichtlich kein Interesse
an diesem Thema.


(Sabine Leidig [DIE LINKE]: Genau!)


Offensichtlich reicht der verkehrspolitische Horizont des
Herrn Minister gerade einmal bis zur Ausländermaut,
und das war es dann auch.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Von einem engagierten Verkehrsminister hätte ich erwar-
tet, dass er Vorkämpfer für eine bedarfsgerechte Finan-
zierung des Nahverkehrs ist. Stattdessen trägt er die Ver-
antwortung dafür, dass derzeit eine Hängepartie zulasten
der Bürgerinnen und Bürger, die auf einen attraktiven
Nahverkehr angewiesen sind, stattfindet.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Wir bewegen uns – das finde ich schon skandalös – in
einem quasi gesetzesfreien Raum. Die Zahlungen nach
dem Regionalisierungsgesetz sind zum 31. Dezember
letzten Jahres ausgelaufen. Die Länder und Aufgabenträ-
ger fahren praktisch auf Sicht und erhalten die Mittel un-
ter Vorbehalt. Ich finde, das ist ein untragbarer Zustand.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Das Bundesverkehrsministerium hat eigens ein Gut-
achten in Auftrag gegeben und ermitteln lassen, wie
hoch der Finanzbedarf für den Nahverkehr auf der
Schiene ist. In diesem Jahr liegt er mit 250 Millionen
Euro über dem, was jetzt im Gesetzentwurf steht. Entwe-
der traut der Minister dem Gutachter nicht oder hat es
nicht genau gelesen.

Herr Staatssekretär Ferlemann, Sie haben gesagt, Sie
wüssten gar nicht, wie die Mittel verwendet werden. Ich
finde, dann sollten Sie sich beide Gutachten einmal ge-
nau ansehen. Auch im Gutachten der Länder wurden
nicht irgendwelche Fantasiezahlen aufgeschrieben,
sondern es wurde zusammengestellt, welche Beträge an-
gesichts der bestellten Nahverkehrsleistungen fließen.
Welche Nahverkehrsleistungen wurden landauf, landab
für die Bürgerinnen und Bürger bestellt? Das wurde auf-
geschrieben und ist da nachzulesen. Insofern ist völlig
klar, wo das Geld hinfließt. Sich hinzustellen und an die-
ser Stelle zu sagen, man wisse das alles nicht, ist doch
sehr merkwürdig.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Im Frühjahr dieses Jahres, also noch bis April, müs-
sen die Verkehrsverbünde die Angebotsplanung für 2016
abschließen. Sie haben dabei keinerlei Planungssicher-
heit. Bleibt es bei den finanziellen Rahmenbedingungen
– es sieht ja danach aus –, drohen zum Jahresende Ange-
botskürzungen und Streckenstilllegungen. Angesichts
vieler voller Nahverkehrszüge in den Ballungsräumen
brauchen wir genau das Gegenteil!


Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1809127700

Kollege Kühn, achten Sie bitte auf die Zeit.

Stephan Kühn (Dresden) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN):

Ich komme zum Schluss. – Ich finde es schon bemer-
kenswert, wie die Frage der Regionalisierungsmittel, die
im Zuge der Bahnreform beschlossen wurden, und die
Bund-Länder-Finanzbeziehungen durcheinandergebracht
werden. Offensichtlich sollen die Regionalisierungsmittel
wie auf einem arabischen Basar mit anderen Fragen der
Bund-Länder-Finanzbeziehungen Verhandlungsmasse sein.
Ich finde das untragbar. Sie lassen die Fahrgäste damit
im Regen stehen.





Stephan Kühn (Dresden)



(A) (C)



(D)(B)


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Zum Abschluss möchte ich noch etwas sagen.


Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1809127800

Kollege Kühn, das funktioniert jetzt nicht mehr. Das

Minuszeichen zeigt tatsächlich schon die Differenz an.


(Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Sie müssen jetzt einen Punkt setzen.

Stephan Kühn (Dresden) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN):

Lassen Sie mich einen letzten Satz sagen: Ich halte es
für richtig, dass wir über Transparenz bei der Mittelver-
gabe sowie über Benchmarks mit Blick auf die Aufga-
benträger und die Länder reden, damit wir sicherstellen
können, dass die verkehrspolitischen Ziele erreicht wer-
den. Das müssen wir einfordern. Da sind wir gemeinsam
an der Sache dran.

Vielen Dank.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1809127900

Für die CDU/CSU-Fraktion hat der Kollege Ulrich

Lange das Wort.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Ulrich Lange (CSU):
Rede ID: ID1809128000

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Lieber Kollege Kühn, „skandalös“, „Horrorszenario“,
„abbestellen“, „Streckenstilllegungen“ – seien Sie doch
einmal ganz ehrlich, und das haben Sie auch selbst ge-
sagt: Regionalisierungsmittel für den Schienenpersonen-
nahverkehr, über die wir hier reden, sind das Erfolgsmo-
dell der Bahnreform von vor 20 Jahren.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – Matthias Gastel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das Sie seit Jahren gefährden!)


– Das gefährden wir nicht, sondern das stabilisieren wir,
und das bauen wir in aller Ruhe aus, und zwar ohne gro-
ßes Getöse und ohne Skandale. Das möchte ich in aller
Deutlichkeit gleich zu Beginn sagen.

Bringen wir es doch einmal auf den Punkt. Wovon
konnten denn die Länder ausgehen für 2015? Sie konn-
ten von nicht mehr ausgehen als von einer Dynamisie-
rung um 1,5 Prozent, das heißt um 109 Millionen Euro.
Wer das als Spatzendreck oder Kleinsumme bezeichnet
oder sagt, das helfe nicht weiter, dem kann ich nur sa-
gen: Das ist überheblich.

Ich meine nicht, dass es seriös ist, zu verhandeln, in-
dem man sich in Kiel zusammensetzt und einen Vertrag
zulasten Dritter, nämlich zulasten des Bundes, schließt
und sagt: 8,5 Milliarden Euro. Obendrauf packen wir
noch die komplette Risikoübernahme in der Dynamisie-
rung. – So einfach funktioniert das Ganze nicht.

(Matthias Gastel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie bleiben noch hinter der Gutachterempfehlung zurück!)


Klar ist: Im Vorfeld wurde viel diskutiert. Wir haben
jetzt – ich sage das als Verkehrspolitiker ausdrücklich –
temporär für 2015 die Dynamisierung auf den Weg ge-
bracht, weil wir wissen – wir sind Verkehrspolitiker –,
dass wir den Ländern natürlich Planungssicherheit geben
müssen, wobei die Planungssicherheit für 2015 nicht in
mehr bestehen konnte als in den zusätzlichen 109 Mil-
lionen Euro. Auch das gehört einfach zur Wahrheit.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Matthias Gastel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ihr eigener Gutachter hat mehr empfohlen!)


Wir müssen – da sind wir uns in der Großen Koalition
einig – in den Bund-Länder-Verhandlungen zügig zu ei-
nem Ergebnis kommen. Ich hoffe, dass wir das bis zum
Sommer erreichen werden, damit ab 2016 Planungssi-
cherheit für einen längeren Zeitraum besteht. Dabei lasse
ich einmal völlig offen, wie das Modell ausgestaltet ist,
ob es so sein wird wie das, was Staatssekretär Ferlemann
hier in den Raum gestellt hat.

Eines ist auf jeden Fall klar, lieber Kollege Kühn: Wir
verhandeln seriös und nicht auf einem türkischen Basar.


(Stephan Kühn [Dresden] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich habe „arabischer“ gesagt!)


Ich verwahre mich gegen diese Form, hier Dinge in den
Raum zu stellen.

Die Länder wissen das ganz genau. Das zeigt auch
das Gutachten des Bundes, das den Finger ganz klar in
die Wunde gelegt hat. Wir brauchen Transparenz bei der
Mittelverwendung; denn jedes Land geht dabei anders
vor. Da muss man zunächst einmal die Darstellungswei-
sen anpassen. Da muss man erst einmal plausibilisieren
und harmonisieren.


(Stephan Kühn [Dresden] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da könnte Bayern jetzt mal vorangehen!)


Da muss man schauen, ob in den einzelnen Ländern
Fahrzeuginvestitionen hineingerechnet worden sind oder
nicht enthalten sind. Da gibt es also ganz viele Punkte,
die man als Verkehrspolitiker ganz seriös und ganz un-
aufgeregt in diesem Zusammenhang diskutieren sollte
und muss. Genau das werden wir tun.


(Dr. Valerie Wilms [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Bis zum Sankt-Nimmerleins-Tag!)


Das bedeutet: Wenn wir als Bund jährlich mehr als
7 Milliarden Euro an die Länder zahlen, brauchen wir
völlige Transparenz, eine einheitliche Systematik, ein
einheitliches Berichtswesen und die Vergleichbarkeit
von Standards.


(Stephan Kühn [Dresden] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Finde ich alles im Gesetzentwurf nicht!)






Ulrich Lange


(A) (C)



(D)(B)

Nur so können wir sicherstellen, dass die Mittel
zweckgerichtet beim Schienenpersonennahverkehr an-
kommen. Das wollen wir. Wir konzentrieren uns auf
eine langfristige Lösung und auf ein tragfähiges Zu-
kunftsmodell für die Regionalisierungsmittel.

Der Gesetzentwurf, den wir jetzt, 2015, verabschie-
den, ist temporär gedacht. Damit konnten und durften
die Länder rechnen. Dies bedeutet Planungssicherheit im
Jahre 2015.


(Matthias Gastel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Planungsunsicherheit!)


Eine neue Planungssicherheit für die Jahre 2016 und fol-
gende wollen und werden wir in diesem Jahr herstellen,
und zwar in aller Ruhe und unter Gewährleistung der
notwendigen Transparenz für den Bund.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Matthias Gastel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die GroKo ist so groß, dass sie nichts tut!)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1809128100

Ich schließe die Aussprache.

Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bun-
desregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Ände-
rung des Regionalisierungsgesetzes.

Der Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur
empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksa-
che 18/4164, den Gesetzentwurf der Bundesregierung
auf den Drucksachen 18/3785 und 18/3993 anzunehmen.
Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen
wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? –
Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist damit in zwei-
ter Beratung durch die Fraktionen der CDU/CSU und
der SPD gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke und
der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen.

Dritte Beratung

und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. –
Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetz-
entwurf ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen
gegen die Stimmen der Oppositionsfraktionen angenom-
men.

Wir kommen zur Abstimmung über den Entschlie-
ßungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf
Drucksache 18/4205. Wer stimmt für diesen Entschlie-
ßungsantrag? – Wer stimmt dagegen? – Der Entschlie-
ßungsantrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktio-
nen gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke und der
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen abgelehnt.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 14 auf:

Erste Beratung des von den Abgeordneten Katja
Keul, Hans-Christian Ströbele, Luise Amtsberg,
weiteren Abgeordneten und der Fraktion BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs
eines Siebten Gesetzes zur Änderung der
Verwaltungsgerichtsordnung zum besseren
Rechtsschutz bei behördlich geheim gehalte-
nen Informationen

Drucksache 18/3921
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz (f)

Innenausschuss

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 25 Minuten vorgesehen. – Ich höre kei-
nen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.


(Unruhe)


– Offensichtlich gibt es hier einen größeren Schicht-
wechsel in den Fraktionen und Unruhe auf der Regie-
rungsbank – das wird hier richtig angemerkt –, und zwar
nicht in der zweiten Reihe. Herr Staatssekretär, es ist im-
mer die Frage, in welcher Lautstärke und an welcher
Stelle sich der Humor Bahn bricht.


(Beifall des Abg. Harald Petzold [Havelland] [DIE LINKE])


Da nun alle Kolleginnen und Kollegen, die an dieser
Debatte teilhaben wollen, ihren Platz gefunden haben,
eröffne ich die Aussprache. Das Wort hat die Kollegin
Katja Keul für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.


Katja Keul (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1809128200

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Wir legen Ihnen heute einen Gesetzentwurf
zur Änderung der Verwaltungsgerichtsordnung vor, der
sich – ich gebe es zu – sehr rechtstechnisch liest, aber ein
spannendes rechtsstaatliches Problem behandelt. Mein
Anliegen ist, Ihnen das jetzt in vier Minuten zu vermit-
teln.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Die Verwaltungsgerichtbarkeit ist das Markenzei-
chen eines demokratischen Rechtsstaates. Warum? Weil
in einem Rechtsstaat jeder staatliche Eingriff in die
Rechte des Einzelnen nicht nur eine Rechtsgrundlage
braucht, sondern auch gerichtlich überprüfbar sein muss.
Vor den Verwaltungsgerichten suchen die Bürgerinnen
und Bürger also Rechtsschutz gegenüber Maßnahmen
des Staates.

Damit die Gerichte richtige Entscheidungen treffen,
sind die Behörden nach § 99 Absatz 1 Verwaltungs-
gerichtsordnung verpflichtet, dem Gericht relevante Ur-
kunden und Akten vorzulegen. Das Gericht muss die
Akten der Behörden kennen, um zu beurteilen, ob der
Rechtsuchende in seinen Rechten verletzt worden ist.
Eine von den Betroffenen akzeptierte Sachentscheidung
ist ohne Sachverhaltsaufklärung des Gerichtes undenk-
bar – sollte man zumindest meinen.

Diese Selbstverständlichkeit wird durch Satz 2 in
§ 99 Absatz 1 VwGO allerdings schon wieder infrage
gestellt. Demnach kann die Behörde die Herausgabe ver-
weigern, wenn es sich um geheimhaltungsbedürftige In-
formationen handelt und das Staatswohl oder die Rechte
Dritter durch das Bekanntwerden gefährdet sein könn-
ten. In diesem Fall bleiben die in Rede stehenden Akten





Katja Keul


(A) (C)



(D)(B)

dem Verfahren und der Kenntnis des Gerichts der Haupt-
sache entzogen.

Um zu klären, ob die Zurückhaltung der Unterlagen
wirklich gerechtfertigt ist, gibt es die Möglichkeit eines
Zwischenverfahrens nach § 99 Absatz 2 VwGO vor dem
nächsthöheren Gericht, also dem Oberverwaltungsge-
richt oder dem Bundesverwaltungsgericht. In diesem
nichtöffentlichen Zwischenverfahren wird lediglich ge-
prüft, ob die infragestehenden Akten tatsächlich geheim-
haltungsbedürftig sind. Wird dies bejaht, weiß man also
immer noch nicht, ob die Behörde rechtmäßig gehandelt
hat.

Trotzdem muss das Gericht der Hauptsache irgend-
eine Entscheidung treffen, ohne dass es die entschei-
dungsrelevanten Unterlagen dazu jemals zu Gesicht be-
kommen hat. Wie aber soll ein Verwaltungsgericht
beurteilen, ob zum Beispiel eine Überwachungsmaß-
nahme durch den Verfassungsschutz rechtmäßig ist,
wenn ihm die Informationen dazu vorenthalten werden?
Das ist eine kaum zu ertragende Einschränkung des
Grundrechts auf effektiven Rechtsschutz.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Bisher wird dieser Zustand rechtspolitisch damit ge-
rechtfertigt, dass man dem Kläger sonst rechtliches Ge-
hör gewähren müsste – das hätte ich jetzt auch gerne
vom Staatssekretär –


(Irene Mihalic [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und von der Union!)


und dies wiederum nicht mit der Geheimhaltung in Ein-
klang gebracht werden könne. Es überzeugt mich aber
wenig, wenn zwei Bürgerrechte so gegeneinander ausge-
spielt werden, dass dem Rechtsuchenden am Ende beide
Rechte verwehrt werden.

Wir sollten es Klägern künftig ermöglichen, auf ihren
Antrag hin auch geheime Akten von den Gerichten der
Hauptsache überprüfen zu lassen. Wegen des Geheim-
schutzes würde dann zwar immer noch kein vollständi-
ges rechtliches Gehör gewährt, aber in bestimmten Kon-
stellationen kann dies für die Kläger die einzige
Möglichkeit sein, effektiven Rechtsschutz zu erlangen.
Wir schlagen daher in unserem Gesetzentwurf vor, dass
dasselbe Gericht, das in der Hauptsache über das Anlie-
gen des Bürgers entscheidet, auch die als geheim einge-
stuften Unterlagen prüft und auf Wunsch des Klägers bei
der Entscheidung berücksichtigt.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ein solches In-camera-Verfahren vor den Gerichten
der Hauptsache soll dem Kläger jedoch nicht aufge-
zwungen werden. Er soll vielmehr entscheiden können,
ob das Gericht die geheimen Informationen berücksich-
tigen soll oder ob es eine reine Beweislastentscheidung
treffen soll, wie es heute zwangsläufig der Fall ist.

Letztlich ist klar: Treffen staatliche oder private Ge-
heimhaltungsinteressen auf das Rechtsschutzinteresse
eines Betroffenen, wird man den Interessenkonflikt nie
völlig auflösen können. Man kann aber das Verfahren so
gestalten, dass beide Seiten möglichst ausgewogen be-
rücksichtigt werden. Die bisherige Lösung belastet den
Rechtsuchenden mehr als erforderlich, indem sie ihm
nicht nur rechtliches Gehör, sondern gleich auch noch
effektiven Rechtsschutz verweigert und das Gericht zu
einer Beweislastentscheidung zwingt.

Diesen unbefriedigenden Zustand wollen wir mit un-
serem Vorschlag beenden. Ich hoffe auf eine sachliche
und spannende Ausschussberatung.

Vielen Dank.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Harald Petzold [Havelland] [DIE LINKE])



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1809128300

Der Kollege Dietrich Monstadt hat für die Fraktion

der CDU/CSU das Wort.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dietrich Monstadt (CDU):
Rede ID: ID1809128400

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kollegin-

nen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Wir de-
battieren heute in erster Lesung über einen von den
Bündnisgrünen eingebrachten Entwurf eines Gesetzes
zur Änderung der Verwaltungsgerichtsordnung; Frau
Keul, Sie haben den Gesetzentwurf vorgestellt. Hiermit
soll angeblich eine Verbesserung des Rechtsschutzes bei
behördlich geheim gehaltenen Informationen erreicht
werden.

Ausnahmsweise geht es den Antragstellern also nicht
um neue Verbote für Bürgerinnen und Bürger, sondern
um eines ihrer weiteren Lieblingsthemen, nämlich den
allmächtigen Staat, vor dem man die Bürgerinnen und
Bürger besser schützen müsse. Frau Keul, eigentlich
müssten Sie es doch besser wissen.

Schauen wir uns die Fakten an. Bereits im Jahre 1999
hat das Bundesverfassungsgericht den damaligen Ge-
setzgebern aufgegeben, die Regelungen zur behördli-
chen Aktenvorlage neu zu fassen. Dabei rügte das Bun-
desverfassungsgericht vor allem die Einschränkung des
Grundrechts auf effektiven Rechtsschutz aus Artikel 19
Absatz 4 Grundgesetz. Bis dato genügte für die Aus-
kunftsverweigerung seitens einer Behörde bereits eine
Glaubhaftmachung der in § 99 Absatz 1 Satz 1 VwGO
enthaltenen Voraussetzungen.

Angemahnt wurde in diesem Zusammenhang die Ein-
führung eines gerichtlichen Verfahrens. In diesem sollte
die Geheimhaltungsbedürftigkeit ohne Kenntnisnahme
durch die Beteiligten oder die Öffentlichkeit bewertet
werden. Dies wurde schließlich im Jahre 2001 gesetzge-
berisch umgesetzt. Zentrales Element war die Neufas-
sung des § 99 VwGO und die darin geregelte Einführung
des sogenannten In-camera-Verfahrens; Sie haben es an-
gesprochen. Auch wurde damals vorgesehen, dass das
Verfahren bei spezialisierten Fachsenaten an den OVGs
bzw. beim Bundesverwaltungsgericht angesiedelt wer-
den musste.





Dietrich Monstadt


(A) (C)



(D)(B)

Wie wir alle wissen, waren damals die Bündnisgrü-
nen selbst in Regierungsverantwortung und somit ent-
sprechend in die Neufassung des § 99 VwGO eingebun-
den.


(Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es geht noch besser!)


Jetzt, in der Opposition, sollen die damaligen Abwägun-
gen auf einmal nichts mehr wert sein.


(Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das habe ich nicht gesagt!)


Im Grunde sagen Sie aber selbst, dass Ihr Gesetzentwurf
überflüssig ist.


(Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was?)


Tatsächlich fordern Sie als Alternative in Ihrer Vor-
lage – ich darf zitieren – die „Beibehaltung des derzeiti-
gen Zustands bis zu einer verfassungsgerichtlichen Klar-
stellung“. Von daher sei es mir erlaubt, auf die
Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom
14. März 2006 hinzuweisen. Auch wenn es die Anwen-
dung der neuen Regelung mit bestimmten Maßgaben
versehen hat, wurde die Vereinbarkeit mit dem Grundge-
setz aber im Ergebnis bestätigt. Das bedeutet, meine Da-
men und Herren Antragsteller: Selbst nach Ihrer eigenen
Argumentation ist keine Änderung erforderlich.

Darüber hinaus ist grundsätzlich festzuhalten, dass
sich das Verfahren seit nunmehr 14 Jahren auch im Rah-
men der praktischen Konkordanz bewährt hat. Das heißt,
es findet ein angemessener Ausgleich kollidierender ver-
fassungsrechtlich relevanter Schutzgüter statt. Dies wird
zumindest mit Blick auf die bipolaren Streitfälle sogar
explizit im vorliegenden Gesetzentwurf herausgearbeitet
und bestätigt.

Die Rechtsschutzabwägung bei multipolaren Konstel-
lationen ist naturgemäß etwas komplexer. Völlig zu
Recht stellt Artikel 19 Absatz 4 Grundgesetz hohe An-
forderungen an einen effektiven Rechtsschutz. Wenn
man diese Abwägung, wie Sie es fordern, ins Hauptsa-
cheverfahren verlagert, dann muss man auch die dadurch
entstehenden Nachteile betrachten.

Erstens wird dies massive Einschränkungen der Be-
teiligungsrechte zum Beispiel bei der Akteneinsicht be-
deuten müssen. Zweitens wird es die Richter im Haupt-
verfahren in arge Bedrängnis bringen. Sie müssten
immer und stets die volle Verantwortung dafür tragen,
dass von ihnen als geheim eingestufte Informationen auf
keinen Fall nach außen dringen. Dies schließt unter Um-
ständen die Ausgestaltung der Urteilsbegründung sowie
die Entscheidung als solche mit ein.

Letztlich kann drittens bei einer derartigen Gestaltung
nicht sichergestellt werden, dass es gerade bei komplex
ausgestalteten Beteiligungs- und Einsichtsrechten nicht
doch zu einer Offenlegung geheim zu haltender Informa-
tionen kommt. Dies könnte potenziell auch Haftungsan-
sprüche begründen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

Wie Sie sehen, meine Damen und Herren, würden
deutlich mehr Probleme geschaffen und eben keine Ver-
besserungen erreicht. Darüber hinaus wissen wir auch
aus der Praxis, dass sich die Richter im Zwischenverfah-
ren ihre Arbeit alles andere als leicht machen. Auch das
darf ich an dieser Stelle ausdrücklich betonen.

Das bedeutet im Ergebnis, dass die Hürden für das
Zurückhalten potenziell relevanter Informationen oder
Akten stets hoch sind. Nicht zuletzt stehen dafür auch
die Regelungen im Informationsfreiheitsgesetz. Das
führt letztlich dazu, dass wir keinen praktischen Mehr-
wert erkennen können und Ihren Gesetzentwurf ableh-
nen werden.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1809128500

Die Kollegin Ulla Jelpke hat für die Fraktion Die

Linke das Wort.


(Beifall bei der LINKEN)



Ulla Jelpke (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1809128600

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es ist in

der Tat ein unverzichtbarer Grundsatz eines Rechtsstaa-
tes, dass jede Bürgerin und jeder Bürger Anspruch auf
effektiven Rechtsschutz hat. Dieser Grundsatz wird ganz
offensichtlich durch Behördenentscheidungen verletzt,
denen geheime Informationen zugrunde liegen, die nicht
einmal ein Gericht einsehen darf. Wir haben hier also ein
rechtsstaatliches Problem, und die Linke begrüßt diese
Debatte und jeden Versuch, dieses Problem zu lösen.


(Beifall bei der LINKEN)


Die Frage ist – das muss man weiter diskutieren –, ob
der Ansatz der Grünen der richtige ist.

Gerichtsentscheidungen müssen nachvollziehbar und
transparent sein. Das ist klar. Es muss für alle Beteiligten
deutlich sein, aufgrund welcher Information ein Gericht
zu seiner Entscheidung kam. Diese Informationen müs-
sen auch den Klägern vorliegen. Das ist in der Praxis lei-
der nicht immer der Fall. Ich will das gerne einmal an
meiner eigenen Person deutlich machen.

Die Behörde – der Verfassungsschutz – hat mich frü-
her bespitzelt, wie viele Abgeordnete meiner Fraktion.
Aber sie hat weder mir noch dem Verwaltungsgericht
Köln, bei dem ich Klage eingereicht habe, sämtliche Un-
terlagen zur Verfügung gestellt.


(Reinhard Grindel [CDU/CSU]: Da waren Sie noch nicht bei den Linken! Damals waren Sie beim Arbeiterkampf!)


– Hören Sie erst einmal zu, Herr Kollege. – Stattdessen
wurde ein sogenanntes In-camera-Verfahren eingeführt;
das heißt, ein anderes Gericht hat darüber befunden, wel-
che Informationen an das Verwaltungsgericht gehen.
Weder ich noch mein Anwalt noch das Verwaltungsge-
richt konnten diese Entscheidung im Detail nachvollzie-





Ulla Jelpke


(A) (C)



(D)(B)

hen. Das ist meines Erachtens ganz klar ein Mangel, der
abgestellt gehört.


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Aus unserer Sicht darf für behördliche Geheimniskräme-
rei in einer Demokratie kein Platz sein.


(Beifall bei der LINKEN)


Etwas anders verhält es sich unter Umständen, wenn
Berufs- oder Geschäftsgeheimnisse einzelner Bürger
oder Bürgerinnen in ein Gerichtsverfahren eingebracht
und damit öffentlich gemacht werden. Das ist nicht un-
bedingt in jedem Einzelfall angemessen. Hier kann ein
In-camera-Verfahren ein Instrument sein, um die Beein-
trächtigung rechtsstaatlicher Grundsätze zumindest im
vertretbaren Rahmen zu halten.

Was ich aber überhaupt nicht für eine gute Idee halte,
ist folgender Vorschlag der Grünen: Auf Wunsch der
Kläger sollen künftig die angerufenen Gerichte selbst die
geheimen Dokumente einsehen können. Das Gericht soll
sie aber weiterhin den Prozessbeteiligten vorenthalten.
Es soll dann auf dieser Grundlage ein Urteil fällen, in
dem es jeden Hinweis auf den Inhalt der fraglichen Do-
kumente unterlässt. Das läuft darauf hinaus, einen
rechtsstaatlichen Makel durch die Einführung eines an-
deren Makels abzumildern, oder – drastischer gesagt –:
Kläger können zwischen Pest und Cholera entscheiden.

Denn mit dem Anspruch auf Transparenz der gericht-
lichen Entscheidungen ist der Grünen-Vorschlag hierzu
überhaupt nicht vereinbar. Man wüsste am Ende immer
noch nicht, wie das Gericht zu seiner Entscheidung ge-
kommen ist. Beweisaufnahme und Urteilsbegründung
werden so zur Blackbox. Deswegen sagen wir ganz klar:
Lassen Sie uns diese Debatte im Ausschuss führen. Das
Problem ist von den Grünen zu Recht angesprochen
worden. Ob die Lösung die richtige ist, darüber werden
wir gerne weiter diskutieren.

Ich danke.


(Beifall bei der LINKEN)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1809128700

Das Wort hat die Kollegin Christina Jantz für die

SPD-Fraktion.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Christina Jantz (SPD):
Rede ID: ID1809128800

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und

Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Fast 20 Jahre
ist es her, dass dieses Haus durch das Sechste Gesetz zur
Änderung der Verwaltungsgerichtsordnung und anderer
Gesetze eine erhebliche Entlastung der Oberverwal-
tungsgerichte herbeiführen konnte. 1999 hat das Bun-
desverfassungsgericht dann verfassungsrechtliche Be-
denken hinsichtlich von Teilen des damaligen § 99 der
Verwaltungsgerichtsordnung ausgesprochen; mein Kol-
lege Herr Monstadt hat dies angesprochen. Denn, so das
Bundesverfassungsgericht in seiner Begründung, ein
effektiver Rechtsschutz könne nicht gewährleistet wer-
den, wenn eine Aktenvorlage in den Fällen generell aus-
geschlossen werde, in denen die Kenntnis der Verwal-
tungsvorgänge von maßgeblicher Bedeutung für das
Verfahren sei.

Dies nahm die damalige rot-grüne Regierung zum
Anlass – auch das ist angesprochen worden –, zu han-
deln. Unter maßgeblichem Einsatz des Rechtsausschus-
ses mit meinem Genossen, dem ehemaligen Abgeordne-
ten Alfred Hartenbach, aber auch mit dem Kollegen
Volker Beck von den Grünen wurde daher die nun gel-
tende Grundlage für eine verfassungskonforme Verwal-
tungsgerichtsordnung gelegt.

Durch das daraufhin eingeführte sogenannte In-ca-
mera-Verfahren, um das es heute maßgeblich geht,
konnte seitdem in einem Zwischenverfahren die Über-
prüfung der Entscheidung, ob und in welchem Maße
vorher durch Behörden als geheimhaltungsbedürftig ein-
gestufte Unterlagen in das Hauptsacheverfahren einbe-
zogen werden können, herbeigeführt werden. Dazu wur-
den eigene Spruchkammern eingerichtet.

Auch in seinen letzten Entscheidungen hat das Bun-
desverfassungsgericht § 99 der Verwaltungsgerichtsord-
nung nicht beanstandet. Dennoch heißt es im vorliegen-
den Gesetzentwurf, dass diese Regelung rechtsstaatlich
bedenklich sei. Auch wenn Sie einräumen, unter den jet-
zigen Bedingungen könnten bipolare Streitverhältnisse
in Prozessen von Bürgern gegen den Staat zwar rechts-
staatlich hinnehmbare Ergebnisse zustande bringen,
käme es bei mehrpoligen Verfahren zu Konflikten.
Grund hierfür soll aus Ihrer Sicht sein, dass in bestimm-
ten Konstellationen keine zufriedenstellende Lösung
herbeigeführt werden könne, wie es insgesamt schwam-
mig formuliert wird.

Die von Ihnen im Gesetzentwurf angesprochene Son-
derregelung des Telekommunikationsgesetzes ist auf die
Bewältigung multipolarer Rechtsgüterkonflikte zuge-
schnitten, wie sie sich bei der Entgeltkontrolle im Tele-
kommunikationsrecht ergeben, und zudem europarecht-
lich beeinflusst. Eine Verallgemeinerung dieser
Regelung, insbesondere ihre Anwendung auf bipolare
Konfliktlagen, kommt meines Erachtens daher nicht in
Betracht.

Sofern als Hintergrund der vorgeschlagenen Geset-
zesänderung von Datenspeicherungen Betroffene im ge-
richtlichen Verfahren bessergestellt werden sollen, finde
ich den vor einiger Zeit durch das Land Niedersachsen
angestoßenen Reformvorschlag deutlich zielführender.
Hier wird vorgeschlagen, dass im Zwischenverfahren
auch die Frage der Rechtmäßigkeit gespeicherter Daten
geprüft werden kann. Dadurch könnte aus meiner Sicht
das dann gewünschte Ziel eher erreicht werden.

Meine Damen und Herren, mit dem Gesetzentwurf
soll § 99 Verwaltungsgerichtsordnung geändert werden,
der, wie bereits ausgeführt – dennoch möchte ich das an
dieser Stelle noch einmal deutlich machen –, wiederholt
das Bundesverfassungsgericht beschäftigt hat und nicht
beanstandet wurde.





Christina Jantz


(A) (C)



(D)(B)

Ich möchte darauf hinweisen, dass die Regelungsma-
terie, mit der wir es hier zu tun haben, äußerst sensibel
ist, da zwischen Geheimhaltungsschutz auf der einen
Seite und den grundgesetzlichen Garantien des effekti-
ven Rechtsschutzes sowie des rechtlichen Gehörs auf der
anderen Seite ein Spannungsverhältnis besteht. Bei einer
solchen Ausgangslage sollten wir Gesetzesänderungen
nur in Betracht ziehen, wenn dafür nachweisbar ein Be-
dürfnis besteht.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)


Ihr Papier führt diesen Nachweis nicht. Auch sind mir
aktuell keine Probleme aus der Praxis bekannt.


(Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Mir schon!)


Dennoch zurück zu Ihrem Antrag. Besonders proble-
matisch erscheint mir, dass die Durchführung eines In-
camera-Hauptsacheverfahrens nur durch den Kläger,
nicht aber durch andere Beteiligte beantragt werden
kann. Diese einseitige Ausgestaltung dürfte dann sach-
lich nicht gerechtfertigt sein, wenn die geheimhaltungs-
bedürftigen Vorgänge beispielsweise nicht der beklagten
Behörde zugeordnet werden können.

Bedenklich ist außerdem die vorgesehene Verwertung
der geheimhaltungsbedürftigen Vorgänge durch das Ge-
richt der Hauptsache bei gleichzeitigem Ausschluss des
Akteneinsichtsrechts und bei Einschränkung der Be-
gründungspflicht sowie des rechtlichen Gehörs. Diese
beantragten Maßnahmen führen dazu, dass sich die Be-
teiligten am Ende des Verfahrens mit einer Entscheidung
des Gerichts konfrontiert sehen, die unschlüssig bzw.
nicht nachvollziehbar ist; das wurde hier schon ange-
sprochen. Damit würde natürlich keineswegs die Akzep-
tanz der Entscheidung gefördert werden, wie Sie es hin-
gegen behaupten.

Die als Ausgleich geforderte Einführung eines neuen
Berufungszulassungsgrundes ist nicht geeignet, hier für
die nötige Abhilfe zu sorgen; denn logischerweise muss
auch die nächste Instanz aus Gründen des Geheimhal-
tungsschutzes bei einem für die Beteiligten geheimen
und intransparenten Verfahren bleiben. Auch hier würde
das Urteil zu voraussichtlich maßgeblichen Fragen keine
Begründung liefern können.

Zudem möchte ich deutlich machen, dass ich die bis-
herige Zuständigkeit der Oberverwaltungsgerichte bzw.
des Bundesverwaltungsgerichts aus sicherheitsrechtli-
chen Gesichtspunkten als kluge Entscheidung des Ge-
setzgebers betrachte


(Beifall des Abg. Dr. Stephan Harbarth [CDU/ CSU])


und sie für verfassungsrechtlich mindestens sinnvoll
halte.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)


Auch scheint fraglich, ob die Verwaltungsgerichte in
gleichem Maße wie die nach geltendem Recht zuständi-
gen Fachsenate der OVGs, der VGHs und des Bundes-
verwaltungsgerichts die Einhaltung der Anforderungen
des materiellen und personellen Geheimschutzes ge-
währleisten könnten.

Ich denke, ich habe die Fragen, die Problemstellun-
gen und die Kritik im Hinblick auf Ihren Gesetzentwurf
hinreichend deutlich gemacht, den wir aus den genann-
ten Gründen ablehnen müssen.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1809128900

Für die CDU/CSU-Fraktion hat der Kollege

Alexander Hoffmann das Wort.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Alexander Hoffmann (CSU):
Rede ID: ID1809129000

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Geschätzte Kollegin-

nen und Kollegen! Besserer Rechtsschutz bei behördlich
geheim gehaltenen Informationen – so ist Ihr Gesetzent-
wurf überschrieben. Damit klingt er gut. Ich darf vorweg
sagen: Diese Zielrichtung eint uns, denke ich, alle; denn
wer von uns will keinen guten Rechtsschutz für unsere
Bürgerinnen und Bürger.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Die entscheidende Frage ist aber, ob der Gesetzentwurf
im Vergleich zur aktuellen Situation tatsächlich eine Ver-
besserung bringt. Um das entscheiden zu können,
möchte ich mich kurz mit der aktuellen Rechtslage und
der aktuellen Praxis – ich denke, das ist ganz wichtig –
bei den Gerichten auseinandersetzen.

Der Grundsatz – das ist vorhin schon angesprochen
worden – ist in § 99 Absatz 1 Satz 1 VwGO geregelt.
Danach haben Behörden in verwaltungsgerichtlichen
Verfahren eine umfassende Vorlagepflicht für Unterla-
gen und Akten sowie auch eine umfassende Auskunfts-
pflicht. Die Ausnahme ist in Satz 2 geregelt. Die Be-
hörde darf die Vorlage verweigern, wenn es durch diese
zu Nachteilen für den Bund oder ein Land kommt oder
wenn Informationen von Gesetzes wegen oder ihrem
Wesen nach geheim zu halten sind. Die Rechtsfolge
– auch das ist, denke ich, wichtig – ist, dass die oberste
Aufsichtsbehörde dann die Vorlage verweigern kann. Es
ist also eine Ermessensentscheidung, keine gebundene
Entscheidung. Früher genügte hier die Glaubhaftma-
chung dieser Umstände. Nach einer Bundesverfassungs-
gerichtsentscheidung aus dem Jahr 1999 musste eine
Rechtsänderung vollzogen werden; das ist angesprochen
worden. Heute ist diese Entscheidung der obersten Auf-
sichtsbehörde mit dem sogenannten In-camera-Verfah-
ren überprüfbar. Das ist also ein externer Spruchkörper,
angesiedelt bei den Oberverwaltungsgerichten oder beim
Bundesverwaltungsgericht. Diese Gerichte entscheiden,
ob die Gründe für die Verweigerung der Vorlage tragfä-
hig gewesen sind. Das Ziel ist relativ offensichtlich. Es
soll vermieden werden, dass geheim zu haltende Infor-





Alexander Hoffmann


(A) (C)



(D)(B)

mationen so in das Hauptsacheverfahren eingetragen
werden.

Aber zurück zum Maßstab. Die Vorlage kann verwei-
gert werden, wenn die Offenlegung Nachteile für den
Bund oder ein Land bedeuten würde oder wenn die In-
formationen von Gesetzes wegen oder ihrem Wesen
nach geheim zu halten sind. Ob das der Fall ist, meine
Damen und Herren – das ist vorhin beim Kollegen
Monstadt schon angeklungen –, wird im Wege der ver-
fassungskonformen Auslegung heute über die praktische
Konkordanz entschieden. Es werden also die widerstrei-
tenden Interessen – das Informationsinteresse der Betei-
ligten, des Klägers und der Beklagten – sowie das Auf-
klärungsinteresse bzw. das Geheimhaltungsinteresse der
dritten Person – vielleicht auch eines Privaten – gegen-
übergestellt. Dann müssen diese widerstreitenden Inte-
ressen zu einem verfassungskonformen Ausgleich ge-
bracht werden.

In der Praxis bedeutet dies: Je höher die Bedeutung
der Information für den Prozess, auch für die Entschei-
dung und die Aufklärung ist, desto höher sind die Anfor-
derungen an die Verweigerung. Das heißt also, wenn die
Einholung der verweigerten Information für die vollstän-
dige Beweiswürdigung im Verfahren quasi unverzicht-
bar ist, muss es schon gravierende Gründe geben, die ge-
gen eine Offenlegung sprechen. Es muss sich um
Rechtsgüter von erheblichem Rang handeln. Damit,
liebe Kolleginnen und Kollegen, ist eines sichergestellt:
Es wird auch die Frage berücksichtigt, ob es andere aus-
reichende Beweismittel statt dieser Information gibt. Da-
mit ist in der Praxis dem Grunde nach der effektive
Rechtsschutz gewährleistet. Der Kollege Monstadt und
ich haben recherchiert. Uns ist nicht ein einziger Fall in
der Praxis bekannt, wo das Gericht nicht richtig oder
sachgerecht hat entscheiden können, weil bestimmte In-
formationen aus Geheimhaltungsgründen nicht vorge-
legt werden konnten.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. Christina Jantz [SPD] – Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Hätten Sie mich mal gefragt! Dann hätten Sie was gekriegt!)


– Kollegin Keul, Sie hatten vorhin von Beweislastent-
scheidungen gesprochen. Auch das hat mich nicht über-
zeugt, weil beim Verwaltungsgericht bzw. im Verwal-
tungsverfahren der Amtsermittlungsgrundsatz gilt. Das
heißt, es wird eben nicht nach Beweislast entschieden,
sondern das Gericht muss entscheiden, ob die Sachlage
so ausreichend ermittelt ist bzw. die Informationen so
zusammengetragen sind, dass ein sachgerechtes Urteil
gefällt werden kann.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Am Ende noch eine Anmerkung: Ihre Idee – dabei
geht es um dieses In-camera-Hauptsacheverfahren; so
will ich es einmal nennen – würde in der Konsequenz
dazu führen, dass der Richter die geheime Information
im Hinterkopf hat.

Das würde quasi bedeuten – schließlich ist der Richter
auch nur ein Mensch –, dass die Information in das Ver-
fahren getragen wird. Der Richter würde die Entschei-
dung bzw. das Urteil unter Umständen in dem Wissen
über diese Information fällen. Dann hätten wir tatsäch-
lich ein verfassungsrechtliches Problem hinsichtlich des
Anspruchs auf rechtliches Gehör und effektiven Rechts-
schutz, weil weder der Kläger noch der Beklagte zu die-
sen Informationen etwas sagen könnten, geschweige
denn wüssten, um welche Informationen es sich handelt.
Deswegen können wir dem Gesetzentwurf nicht zustim-
men.

Vielen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1809129100

Ich schließe die Aussprache.

Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzent-
wurfs auf Drucksache 18/3921 an die in der Tagesord-
nung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es
dazu anderweitige Vorschläge? – Das ist nicht der Fall.
Dann ist die Überweisung so beschlossen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 15 auf:

Zweite und dritte Beratung des von der Bundes-
regierung eingebrachten Entwurfs eines Geset-
zes zu dem Abkommen vom 19. September
2014 zwischen der Bundesrepublik Deutsch-
land und der Republik Philippinen über So-
ziale Sicherheit

Drucksache 18/4048

Beschlussempfehlung und Bericht des Aus-
schusses für Arbeit und Soziales (11. Ausschuss)


Drucksache 18/4216

Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden.1) –
Ich sehe, Sie sind damit einverstanden.

Wir kommen zur Abstimmung. Der Ausschuss für
Arbeit und Soziales empfiehlt in seiner Beschlussemp-
fehlung auf Drucksache 18/4216, den Gesetzentwurf der
Bundesregierung auf Drucksache 18/4048 anzunehmen.
Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen
wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? –
Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist damit in zwei-
ter Beratung angenommen.

Dritte Beratung

und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetz zustimmen wollen, sich zu erheben. – Wer
stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzent-
wurf ist auch in dritter Beratung mit den Stimmen des
gesamten Hauses angenommen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 16 auf:

Beratung des Antrags der Abgeordneten Norbert
Müller (Potsdam), Ulla Jelpke, Sigrid Hupach,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE
LINKE

1) Anlage 5





Vizepräsidentin Petra Pau


(A) (C)



(D)(B)

Unbegleitete minderjährige Flüchtlinge mit
einer starken Jugendhilfe aufnehmen

Drucksache 18/4185
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (f)

Innenausschuss
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 25 Minuten vorgesehen. – Ich höre kei-
nen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege
Norbert Müller für die Fraktion Die Linke.


(Beifall bei der LINKEN)



Norbert Müller (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1809129200

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen, die Sie zu so später Stunde hier sind! Ich
glaube, wir sollten zunächst dem Bundesrat dafür dan-
ken, dass er im Oktober 2014 die Debatte über die Frage,
wie wir mit unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen,
deren Zahl deutlich zunimmt, umgehen wollen – diese
Debatte wurde in der Fachöffentlichkeit damals längst
geführt –, aufgegriffen und in die breite Öffentlichkeit
gebracht hat. Für uns sollten aber die Verteilung der
Flüchtlinge nach festen Quoten und die finanziellen As-
pekte, die dahinterstehen, nicht entscheidend sein. Für
uns sollte vielmehr die Frage entscheidend sein, wie wir
mit diesen jungen Menschen umgehen wollen.


(Beifall bei der LINKEN)


Wir stellen fest, dass wir schätzungsweise 14 000 un-
begleitete minderjährige Flüchtlinge haben und eine un-
bekannte Zahl von Flüchtlingen, die unbegleitete min-
derjährige Flüchtlinge sein könnten, die aber durch die
Altersfeststellung künstlich älter gemacht werden – mit
steigender Tendenz. Von dieser Feststellung sollten wir
die zentrale Frage ableiten: Reden wir hier über Kosten,
oder reden wir hier über Menschen? Weil wir über junge
Menschen reden, für die sowohl die UN-Kinderrechts-
konvention als auch das Grundgesetz gelten, hat das
Kindeswohl Vorrang. Der deutsche Begriff „Kindes-
wohl“ wird in der UN-Kinderrechtskonvention definiert
als „best interests of the child“.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Die Sicherung der Würde der betroffenen Kinder und Ju-
gendlichen und ihre körperliche Unversehrtheit sollten
wir ebenfalls in den Mittelpunkt unserer Betrachtungen
rücken.

Das Spiel, das gerade in der Bundesregierung gespielt
wird, lässt erahnen, dass uns Böses bevorsteht, wenn ein
Umverteilungsgesetz auf den Weg gebracht wird. Wir
kennen die Ausführungen von Ministerin Schwesig und
die Ausführungen ihrer Parlamentarischen Staatssekretä-
rin Caren Marks, die jetzt leider nicht anwesend ist, aus
dem Ausschuss. Sie haben deutlich gemacht, welche
Differenzen es diesbezüglich in der Bundesregierung
gibt. Wenn wir den Ausführungen seitens der SPD-Frak-
tion, ihrer Ministerin und Caren Marks Glauben schen-
ken dürfen, hätten wir im Haus eine deutliche Mehrheit
von SPD, Grünen und Linken, die den Gedanken des
Kindeswohls an die zentrale Stelle setzten. Ich möchte
das anhand von fünf Punkten aus unserem Antrag aus-
führen, damit Sie mir folgen können.

Erstens. Ich glaube, wir könnten uns darauf einigen
– das habe ich bereits gesagt –, dass das Kindeswohl
Vorrang vor allen weiteren Entscheidungen hat.


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)


Zweitens. Ich glaube – hier sind wir uns einig, auch
wenn ich die Debatte in der Kinderkommission aus die-
ser Woche reflektiere –, dass wir deutschlandweit stan-
dardisierte Clearingverfahren und eine flexible Aufnah-
mephase brauchen, in der geklärt wird, was mit dem
Kind, mit dem Jugendlichen passieren soll, und dass wir
eine frühzeitige Vormundschaftsbestellung benötigen,
damit es einen Rechtsansprechpartner gibt und die stre-
ckenweise sehr wüsten Verfahren einer Ordnung zuge-
führt werden.


(Beifall bei der LINKEN)


Drittens. Wir wollen die abenteuerlichen Zustände bei
der Altersfeststellung beenden. Es gab gerade eine Do-
kumentation in der ARD dazu. In Hamburg werden al-
lein zwei Drittel der Kinder und Jugendlichen, die sich
als minderjährig zu erkennen geben, durch Altersfest-
stellungsverfahren – häufig medizinische Altersfeststel-
lungsverfahren – künstlich älter gemacht. Wir können
vielleicht später in der Debatte darauf eingehen, was das
konkret bedeutet.

Viertens. Wir wollen die Unterbringung von unbeglei-
teten minderjährigen Flüchtlingen in Einrichtungen der
Kinder- und Jugendhilfe, nicht in irgendwelchen Heimen
und nicht in den Gemeinschaftsunterkünften für Asylbe-
werber.

Fünftens. Wir wollen keine Verteilung nach starren
Quoten, weil dies letzten Endes gegen das Kindeswohl
spricht.


(Beifall bei der LINKEN)


Stattdessen – hier sind wir mit dem Bundesrat einer
Meinung – fordern wir die Stärkung der Kinder- und Ju-
gendhilfe auch aus Bundesmitteln. Wir fordern eine stär-
kere Beteiligung des Bundes, eine Entlastung der Kom-
munen und der Länder. Das hat übrigens das Bundesland
Bayern, das den Beschluss des Bundesrates hierüber be-
antragt hat, genauso gesehen. Herr Lehrieder, Sie sehen
so aufmerksam aus. Frau Staatsministerin Müller aus
Bayern hat im Bundesrat – das ist der einhellige Be-
schluss – ein bundesweites Verteilungsverfahren bean-
tragt. Der Beschluss hat zwei Komponenten – ich zitiere –:
„die finanzielle Unterstützung der Kommunen und der
Länder durch den Bund“. Genau das wollen wir auch.


(Beifall bei der LINKEN)


Wir wollen eine Umverteilung der Kosten zwischen
den Ländern, eine Beteiligung des Bundes an den Kos-
ten für die Unterbringung von unbegleiteten minderjäh-
rigen Flüchtlingen, einen Lastenausgleich, bevor es zu
starren Verteilungen kommt. In diesem Punkt sind wir





Norbert Müller (Potsdam)



(A) (C)



(D)(B)

uns einig. Ich hoffe, dass wir in diesem Hause eine poli-
tische Mehrheit dafür finden.

Vielen Dank.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1809129300

Das Wort hat der Kollege Marcus Weinberg für die

CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Marcus Weinberg (CDU):
Rede ID: ID1809129400

Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen

und Kollegen! Herr Müller, zwei Vorbemerkungen: Ers-
tens. Machen Sie sich mal keine Sorgen! Diese Bundes-
regierung und die sie tragenden Fraktionen werden ge-
meinsam in den nächsten Wochen und Monaten
Lösungen erarbeiten, um diese Herausforderungen zu
meistern.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Zweitens. Sie haben viele Dinge angesprochen, über
die wir tatsächlich diskutieren können. Sie haben aber
auch vieles angesprochen, was Rechtslage ist. Natürlich
steht das Kindeswohl an erster Stelle – das ist unbestrit-
ten –, weil es Rechtslage ist. Deswegen sollten wir da-
rüber diskutieren, wie wir konkret Handelsoptionen auf-
zeigen, um dieser besonderen Situation Herr zu werden.

Mit den Kriegen in Syrien und im Irak erkennen wir
in dramatischer Form, welche Folgewirkungen die hu-
manitären Katastrophen auch für uns in Deutschland ha-
ben, weil der Zuzug von Flüchtlingen massiv zugenom-
men hat. Ich erinnere daran, dass wir im Jahr 2013 mit
Blick auf die Inobhutnahmen sechsmal so viele junge
unbegleitete Flüchtlinge hatten wie im Jahr 2008. Das
sind junge Menschen, die in ihrem Heimatland Schreck-
liches erlebt haben. Sie kommen verstört nach Deutsch-
land; sie brauchen Vertrauen, Hilfe und Perspektive. Lei-
der ist es so, dass die massiv steigende Zahl von
unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen einige Kom-
munen vor große Herausforderungen stellt.

An dieser Stelle möchte ich sagen – jeder kann das für
seine eigene Kommune bewerten und hat dies sicher
auch schon anschaulich wahrgenommen –, dass die Mit-
arbeiterinnen und Mitarbeiter in den Jugendämtern, die
Mitarbeiter der Träger und auch diejenigen, die sich hier
freiwillig engagieren, eine hohe Motivation haben, das
Problem zu lösen. Wir sollten diesen Mitarbeiterinnen
und Mitarbeitern ein herzliches Dankeschön sagen; nur
sie wissen, welche Schwierigkeiten sie momentan erle-
ben.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Es gilt natürlich der Grundsatz, dass wir Flüchtlinge
aufnehmen, gerade Jugendliche und Kinder. Aber es
muss gesagt werden, dass wir – ich komme aus Ham-
burg; aber auch Berliner und Münchener können das in
ähnlicher Form berichten – große Probleme und auch
Verwerfungen haben. Die Motivation vieler ehrenamt-
lich Engagierter geht teilweise zurück, weil sich die Pro-
bleme so ballen, dass Handlungsoptionen angezeigt sind.
Wir müssen diese Situation trotz der Schwierigkeiten
schnellstmöglich politisch meistern.

Erster Punkt: Handlungsbedarf. Unbestritten ist, dass
sich die Frage stellt – da komme ich zu Ihrem Kernpunkt
zurück –, wie wir die „Lasten“ – in Anführungszeichen –
verteilen können; ich habe immer ein Problem damit, bei
Kindern und Jugendlichen von „Lasten“ zu sprechen.
Tatsache ist, dass Metropolen eine gewisse Anziehungs-
kraft haben. Tatsache ist übrigens auch, dass wir uns da-
rüber Gedanken machen müssen, wie wir damit umge-
hen, dass nicht nur Menschen, die vor Krieg flüchten,
nach Deutschland kommen, sondern auch die Zahl der
Zuwanderer vom Balkan oder aus ähnlichen Gebieten
zunimmt.


Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1809129500

Herr Kollege Weinberg, gestatten Sie eine Frage oder

Bemerkung des Kollegen Müller?


Marcus Weinberg (CDU):
Rede ID: ID1809129600

Ja.


Norbert Müller (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1809129700

Herr Weinberg, vielen Dank, dass Sie die Frage ge-

statten. – Sind Sie mit mir der Meinung, dass es beson-
ders auffällig ist, dass gerade in der Hansestadt Ham-
burg, die besonders viele unbegleitete minderjährige
Flüchtlinge aufnimmt – da gebe ich Ihnen recht –, zwei
Drittel der betreffenden Personen abgelehnt werden,
nachdem sie als volljährig eingeschätzt wurden – über-
wiegend auf Grundlage eines medizinischen Einschät-
zungsverfahrens –, und dass dies möglicherweise vor
dem politischen Hintergrund geschieht, dass die Freie
und Hansestadt Hamburg dadurch, dass sie schlichtweg
größere Zahlen für volljährig erklärt, die Zahl der unbe-
gleiteten minderjährigen Flüchtlinge reduzieren will?


Marcus Weinberg (CDU):
Rede ID: ID1809129800

Ihre Annahme ist eine politische Unterstellung, die

ich nicht teile. Das sage ich ganz offen.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Ich glaube nicht, dass diejenigen, die von Behördenseite
dafür verantwortlich sind, eine politische Vorgehens-
weise haben. Ich traue allen zu, dass sie ihren Aufgaben
nachkommen. Ich wäre mit solchen Unterstellungen sehr
vorsichtig, weil sie im Hinblick auf die Frage, wie man
mit Flüchtlingen umgeht, leicht falsch verstanden wer-
den können.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Aber Sie haben es angesprochen: Ist es eigentlich Zufall,
dass so viele junge Menschen nach Hamburg oder Ber-
lin, also in die Metropolen kommen? Darüber muss man
sich Gedanken machen.





Marcus Weinberg (Hamburg)



(A) (C)



(D)(B)

Ich will das Thema Fluchtbiografie aufgreifen. Es ist
unsere Aufgabe – das ist der Kern der rechtsstaatlichen
Asylpolitik –, diesen Kindern Schutz zu gewähren und
ihre Situation insgesamt zu verbessern.

Jetzt komme ich noch einmal zur Frage der Vertei-
lung, zu den sogenannten Quoten. Ja, es gibt Länder wie
Hamburg oder auch Nordrhein-Westfalen, die momentan
sehr intensiv gefordert sind. Ich finde es richtig, sich da-
rüber Gedanken zu machen, wie man mit Blick auf den
berühmten Königsteiner Schlüssel dazu kommt, auch die
Verteilung minderjähriger unbegleiteter Flüchtlinge zu
verändern. Es muss nicht eins zu eins der Königsteiner
Schlüssel sein; aber ich könnte mir vorstellen, dass man
sich an ihm orientiert. Dort, wo gewisse Strukturen der
Jugendhilfe bereits eine besondere Stärke haben, könnte
man möglicherweise – das müssen die Länder für sich
entscheiden und miteinander besprechen – mehr jugend-
liche Flüchtlinge aufnehmen, während Länder, bei denen
die Jugendhilfestrukturen noch nicht so weit sind – alle
Länder haben jedoch gewisse Strukturen; auch das muss
man deutlich sagen –, möglicherweise etwas stärker ent-
lastet werden könnten.

Eines sage ich aber auch ganz klar: Die Verteilung auf
die Kommunen obliegt ausschließlich den Ländern. Wir
wissen, dass es viele Regionen gibt – ich kann das für
mein Bundesland Hamburg sagen –, in denen eigentlich
alle Kommunen gleich gut aufgestellt sind. Aber es gibt
auch Bundesländer, in denen es Kommunen gibt, die
sich bereits intensiv mit dem Thema der Jugendhilfe-
strukturen beschäftigt haben, und auch andere, in denen
das noch nicht der Fall ist. Wir sagen ganz deutlich: Ja,
über den Verteilungsschlüssel muss diskutiert werden,
müssen die Länder diskutieren.

Zweitens. Selbstverständlich – das habe ich vorhin
schon gesagt – ist das Kindeswohl entscheidend. Das ist
eine rechtliche Vorgabe, und das muss eingehalten wer-
den, auch bei der Frage der Unterbringung etc. Natürlich
wollen wir nicht, dass hochverstörte junge Menschen
und Kinder in den großen Unterkünften untergebracht
werden. Momentan geschieht dies leider, weil die Zu-
nahme der Zahl der Flüchtlinge in Teilen so extrem ist,
dass man nicht mehr in geeigneter Form darauf reagieren
kann. Das heißt, wir müssen die Kommunen auch bei
Fortbildungen, Qualifizierungen und ähnlichen Dingen
unterstützen.

Ein weiterer Punkt. Im Sinne der Kinder muss es
klare Verfahrensstandards geben. Es darf keine langen
Wartezeiten geben. Weil die Kinder in einer besonderen
Fluchtsituation sind, müssen die familiären und freund-
schaftlichen Beziehungen berücksichtigt werden. Eine
Stabilisierung der jungen Menschen im Bereich der Fa-
milie ist ganz wichtig.

Wir werden uns auch um – Frau Präsidentin, ich
komme langsam zum Schluss – die Verankerung eines
Bleiberechtes während der Ausbildung kümmern. Wir
wollen den jungen Menschen über Bildung und Ausbil-
dung eine Chance bieten. Deswegen müssen sie und
auch die Unternehmen, die sie ausbilden, eine Sicherheit
haben, dass sie in der Zeit der Ausbildung nicht abgescho-
ben werden. Die Länder haben bereits die Möglichkeit,
dies sicherzustellen. Wir sollten darüber nachdenken, ob
wir das unterstreichen, indem wir eine bundesgesetzli-
che Regelung implementieren. Ich will aber noch einmal
deutlich machen: Das ist bereits möglich, auch eine spä-
tere Übernahme in eine Beschäftigung als Fachkraft. Ich
glaube, wir täten gut daran, hier einen Akzent zu setzen,
weil man darüber die Wirtschaft, insbesondere Unter-
nehmen des Mittelstands, mobilisieren kann, sodass sie
bereit sind, die jungen Menschen auszubilden und ihnen
eine Chance zu bieten.

Die konsequente Anwendung des Kinder- und Ju-
gendhilfegesetzes ist eine Selbstverständlichkeit. Das
Thema ist nicht nur erkannt, sondern auch aufgegriffen
worden. Wir erwarten in den nächsten Wochen und Mo-
naten einen Gesetzentwurf, der die entsprechenden As-
pekte berücksichtigt. Ich bin guter Dinge, dass wir in der
Großen Koalition diese sehr wichtige und auch schwie-
rige Aufgabe meistern werden. Warten wir also ab, bis
die Bundesregierung entsprechende Entwürfe vorlegt.

Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1809129900

Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat die Kol-

legin Beate Walter-Rosenheimer das Wort.


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Sehr geehrte Kolle-
ginnen und Kollegen! Sehr geehrte Zuhörerinnen und
Zuhörer, Sie sind auch noch da. Schön, dass Sie sich
heute noch Zeit genommen haben. – 239 Fragen und
keine Antworten, das fällt mir spontan zum Thema „un-
begleitete minderjährige Flüchtlinge“ ein. 239 Fragen zu
diesem Thema haben wir Grüne vergangenen Herbst,
Anfang November, in einer Großen Anfrage an die Bun-
desregierung gestellt, und bis heute haben wir keine Ant-
wort erhalten. Die Bundesregierung hat um neun Monate
Zeit für die Beantwortung gebeten. Wir finden, das ist
eine Menge Zeit; während dieser neun Monate kriegen
wir Grüne ganz viele Kinder.


(Heiterkeit und Beifall beim BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Wir hoffen, dass die Antworten dann auch Hand und Fuß
haben.

Wir wollen von der Bundesregierung Auskunft über
die unterschiedlichsten Themenkomplexe, zum Beispiel
zur Einreise und Identifizierung, zum Flughafenverfah-
ren, zur Inobhutnahme und zur Vormundschaft. Da sind
viele Fragen offen, und in der Praxis läuft vieles nicht
gut. Zu all diesen relevanten Themenfeldern haben wir
ausführlich recherchiert, was im Argen liegt, um heraus-
zufiltern, welche Änderungen und schnellen Maßnah-
men wir für dringend notwendig halten. Wir brauchen
allerdings nicht nur schnelle Maßnahmen und Ände-
rungsankündigungen, sondern auch Taten.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)






Beate Walter-Rosenheimer


(A) (C)



(D)(B)

Dazu haben wir landauf, landab nicht nur viele Einrich-
tungen, Erstaufnahmen und Asylunterkünfte besucht,
sondern auch mit vielen relevanten Organisationen, Ver-
bänden und Menschen gesprochen, die uns bei unseren
Bemühungen unterstützt haben. Ihnen gebührt an dieser
Stelle unser herzlicher Dank.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Gerade weil die Bundesregierung sich wirklich viel
Zeit lässt – ich glaube, das kann man schon so sagen –,
und das, obwohl das Thema nicht nur topaktuell, son-
dern auch hochbrisant ist, finde ich es sehr schön, dass
Sie von den Linken heute den vorliegenden Antrag ein-
gebracht haben; denn so wird das Thema im Plenum de-
battiert und in die Öffentlichkeit gerückt. Sehr viel von
dem, was Sie in Ihrem Antrag fordern, kann ich auch un-
terstützen, zum Beispiel die Verankerung des Vorrangs
des Kindeswohls in den Asylverfahren – das ist sehr
wichtig –, das umgehende Heraufsetzen des Alters für
die Verfahrensmündigkeit auf 18 Jahre – damit sollten
wir nicht mehr warten – oder die Standardisierung und
Harmonisierung der Clearingverfahren in den Ländern
auf hohem Niveau. Das sind ganz wichtige Punkte, die
Sie nennen.

Es ist wirklich schlimm, Herr Weinberg, dass die
Bundesrepublik Deutschland immer noch gegen die UN-
Kinderrechtskonvention verstößt. Wir werden immer
wieder ermahnt. Das ist unsäglich.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Vor der Kinderkommission – Herr Müller, Sie waren da;
Frau Rüthrich, Sie haben ihn eingeladen – hat ein junger
Flüchtling aus Afghanistan sehr beeindruckend, aber
auch sehr erschütternd über seine Flucht, die Trennung
von seinen Brüdern und seine langen Zwischenaufent-
halte berichtet.

Immer wenn wir mit betroffenen Menschen reden,
hören wir ähnliche Geschichten. Dieser Zustand ist uner-
träglich; das ist ganz klar. Wenn die jungen Menschen
hier ankommen, sind sie gezeichnet von einem langen
Leidensweg. Oft sind sie traumatisiert. Natürlich brau-
chen sie als Erstes Sicherheit, Ruhe und Grundversor-
gung. Aber das ist natürlich nicht genug. Darüber hinaus
brauchen sie auf längere Sicht Sozialpädagogen und
Psychologen, die sich um sie kümmern. Hier haben wir
ein großes Problem, und zwar aus vielerlei Gründen. Die
Jugendämter fühlen sich überlastet, und das durchaus zu
Recht; wir haben von der Problematik gehört. Therapie-
plätze für Kinder und Jugendliche gibt es in Deutschland
ohnehin schon zu wenig. Wenn ein Kind sechs Monate
auf einen Platz wartet, dann ist das sehr kurz. Das ist für
so junge Menschen aber eine lange Zeit. Bei jungen
Flüchtlingen sieht es noch wesentlich schlimmer aus. In
diesen Fällen haben wir auch noch das Problem, dass wir
keine Dolmetscher haben oder keine Therapeuten, die
die Sprache der Flüchtlinge sprechen. Das ist wirklich
ein riesiges Problem, das wir angehen sollten.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)

Wenn alles so bleibt, wie es jetzt ist, dann geht das Elend
der jungen Menschen in unserem Land – das muss man
leider sagen – immer weiter. Genau deshalb fordern wir
Grüne in jeder Haushaltsberatung immer wieder mehr
Geld für die Jugendhilfe und mehr Personal.

Ich möchte zum Schluss noch etwas zur Umvertei-
lung sagen; denn das ist ein sehr kritischer Punkt. Ich
komme aus Bayern, ich kenne das Problem: München,
Passau, Rosenheim, da kommen ganz viele Flüchtlinge
an. Die Kommunen sind irgendwie am Rand dessen, was
sie leisten können. Da wird auch sehr viel getan. Aber
ich möchte Sie wirklich daran erinnern: Wir sprechen
hier von 14 000 jungen Menschen, die noch Kinder und
Jugendliche sind. Ich möchte an Sie appellieren, dafür zu
sorgen, dass wirklich das Kindeswohl an erster Stelle
steht und die Veränderungen nicht nach Quoten vorge-
nommen werden, sondern eben kindgerecht.

Vielen Dank.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1809130000

Die Kollegin Gülistan Yüksel hat für die SPD-Frak-

tion das Wort.


(Beifall bei der SPD)



Gülistan Yüksel (SPD):
Rede ID: ID1809130100

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen

und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zu Be-
ginn möchte ich betonen, dass das Thema, über das wir
reden, zu wichtig ist, als dass wir uns in parteipoliti-
schem Klein-Klein verlieren dürften. Wir müssen hier
alle an einem Strang ziehen. Unser Ziel als Abgeordnete
im Deutschen Bundestag und insbesondere als Mitglie-
der des Familienausschusses muss es sein, das Wohl der
Kinder in Deutschland zu gewährleisten,


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


das Wohl aller Kinder in Deutschland, egal ob sie hier
geboren wurden, zugewandert sind oder auf der Flucht
vor Krieg und Armut zu uns gekommen sind. Ich denke,
ich kann hier für alle Anwesenden sprechen, wenn ich
sage, dass wir diesen Kindern helfen müssen.

Besonders schutzbedürftig sind die unbegleiteten
minderjährigen Flüchtlinge, sie kommen in großer Not
zu uns. Diese Kinder sind nicht freiwillig hier, sie sind
geflohen vor Krieg, Gewalt, Unterdrückung und Verfol-
gung. Manche wurden vertrieben, manche sind von ihren
Eltern in der Hoffnung geschickt worden, dass den Kin-
dern in Deutschland eine bessere Perspektive für die Zu-
kunft geboten wird. Eltern und Kinder trennen sich dabei
niemals freiwillig; das muss uns immer bewusst sein.
Viele sind von Krieg und Terror traumatisiert und finden
sich nun allein in einem fremden Land wieder, wo sie
weder Kultur noch Sprache verstehen. Manche haben
Schlafstörungen, geraten bei lauten Geräuschen in Panik
oder sind sogar suizidgefährdet. Sie hier aufnehmen, sie





Gülistan Yüksel


(A) (C)



(D)(B)

schützen und zur Ruhe kommen lassen, dies ist eine ge-
samtgesellschaftliche Aufgabe. Egal wie viele kommen,
ob es hundert oder tausend sind: Es sind Kinder, die un-
sere Hilfe benötigen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Liebe Kolleginnen und Kollegen von den Linken, in
Ihrem Antrag erwähnen Sie genau die Punkte, die uns
auch wichtig sind und die wir bereits unterstrichen ha-
ben: Bestehende Missstände müssen beseitigt werden.
Das Kindeswohl hat den absoluten Vorrang in allem,
was wir unternehmen. Die besonders belasteten Kom-
munen und Jugendämter müssen entlastet werden.

In Abstimmung mit den Ländern sind wir nun ge-
meinsam gefordert, einen Gesetzentwurf vorzulegen, der
den stetig steigenden Belastungen der Kommunen durch
eine bessere Verteilung der Flüchtlinge entgegenwirkt.
Auch ich bin mir der Bedenken gegenüber einer Umver-
teilung durchaus bewusst; aber die jetzige Situation ist
bei dem hohen Zustrom so nicht tragbar. Es entspricht
nicht dem Kindeswohl, wenn Kinder und Jugendliche
ohne ausreichendes pädagogisches Personal in überfüll-
ten Unterkünften auf engstem Raum zusammenleben.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wir dürfen die betroffenen Kommunen und Jugendämter
mit diesen Herausforderungen nicht alleinlassen. Des-
halb würde ich mir persönlich wünschen, dass auch der
Bund finanzielle Verantwortung übernimmt.


(Beifall bei der SPD und der LINKEN)


Die Versorgung, Betreuung, Unterstützung und Un-
terbringung muss bedarfsgerecht nach dem Jugendhilfe-
recht geschehen. An der Primärzuständigkeit der Ju-
gendämter wird hierbei festgehalten; denn hier sitzen die
Experten. Es gilt ganz klar, dass die Kinder und Jugend-
lichen nur an fachgerecht ausgestattete und auf die Be-
dürfnisse der Flüchtlingskinder angepasste Jugendämter
übergeben werden. Eine Umverteilung geschieht nur un-
ter Berücksichtigung des Kindeswohls.

Ich finde es gut, dass Sie in Ihrem Antrag fordern,
dass das Alter für die Verfahrensmündigkeit in aufent-
halts- und asylrechtlichen Angelegenheiten auf 18 Jahre
angehoben wird. Auch wir in der SPD haben bereits
klargestellt, dass die bisherige Regelung, nach der Ju-
gendliche rechtlich schon mit 16 Jahren als verfahrens-
mündig gelten, nicht richtig ist. Darum haben wir einen
entsprechenden Passus im Koalitionsvertrag festge-
schrieben. So wird es auch umgesetzt.


(Beifall bei der SPD)


Verstärkt soll auch auf eine gemeinsame Verteilung
und Unterbringung geachtet werden. Dabei sollen nicht
nur familiäre, sondern auch persönliche Beziehungen
berücksichtigt werden. Kinder und Jugendliche, die sich
auf ihrer Flucht kennengelernt und gemeinsam den
schweren Weg nach Deutschland zurückgelegt haben,
sollten nicht getrennt werden. Sie haben Vertrauen und
Beziehungen zueinander aufgebaut. Sie bei einer Um-
verteilung wieder auseinanderzureißen, wäre unverant-
wortlich.


(Beifall bei der SPD)


Der Königsteiner Schlüssel soll also nicht rigoros ange-
wendet werden, sondern soll modifiziert werden. Das
Kindeswohl hat immer Vorrang. Es darf keine Verteilung
bei Kindeswohlgefährdung geben.

Mir ist es ganz wichtig, die Menschen mitzunehmen.
Wir dürfen nicht über die Kinder und Jugendlichen hin-
weg entscheiden, sondern sie müssen an dem Entschei-
dungsprozess beteiligt werden. Ihre Bedürfnisse und
Wünsche müssen ernst genommen und auch berücksich-
tigt werden. Das Thema der weiter gehenden Schaffung
von Beschwerde- und Beteiligungsmechanismen über
das Bundeskinderschutzgesetz hinaus ist Gegenstand der
Beratungen der Bund-Länder-AG zur Weiterentwick-
lung der Hilfen zur Erziehung.

Auch der Zugang zu Ausbildung und Sprachkursen
muss verbessert werden. Wir dürfen die Kinder und Ju-
gendlichen mit der Bewältigung ihres Alltags nicht al-
leinlassen. Sie brauchen Sicherheit und Perspektiven so-
wie die Möglichkeit, ihre Potenziale zu erkennen und zu
entwickeln. Laut UN-Kinderrechtskonvention hat jedes
Kind das Recht auf Bildung. Wir müssen daher darüber
diskutieren, den Aufenthalt bis zum Abschluss der Aus-
bildung zu gewährleisten und eine Übergangsregelung
zur anschließenden Arbeitssuche zu finden.


(Beifall bei der SPD)


Darüber hinaus brauchen wir aussagekräftige Daten.
Wir benötigen eine verlässliche Auskunft darüber, wie
viele unbegleitete minderjährige Flüchtlinge hier an-
kommen, wo sie herkommen, welche Transitstrecken sie
gewählt haben. Diese Daten sind notwendig, damit wir
effektiv helfen können. Sie sind wichtig, um die indivi-
duellen Bedürfnisse der Kinder und Jugendlichen besser
zu verstehen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wie eingangs er-
wähnt: Wir haben alle das gleiche Ziel; wir müssen alle
am selben Strang ziehen. Auch die Kinderkommission
– das ist eben erwähnt worden – hat die Situation der un-
begleiteten minderjährigen Flüchtlinge im Blick; dafür
auch von hier aus unseren herzlichen Dank. Lassen Sie
uns den Gesetzentwurf abwarten und gemeinsam das
Wohl der Kinder in den Vordergrund stellen.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1809130200

Abschließende Rednerin in dieser Debatte ist die Kol-

legin Andrea Lindholz, CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU)







(A) (C)



(D)(B)


Andrea Lindholz (CSU):
Rede ID: ID1809130300

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten

Damen und Herren! Die Tatsache, dass die Linke ihren
Antrag so kurzfristig vorgelegt hat, macht für mich eines
deutlich: Es geht nicht um eine ernsthafte, konstruktive
Diskussion über unbegleitete minderjährige Flüchtlinge,


(Monika Lazar [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wenn Sie keine anderen Argumente haben! Traurig! – Dr. André Hahn [DIE LINKE]: Das ist doch Unsinn!)


sondern es geht um reine Effekthascherei.


(Beifall bei der CDU/CSU – Norbert Müller [Potsdam] [DIE LINKE]: Kurzfristige Anträge sind Ihnen fremd!)


Auch die pauschale Forderung, der Bund solle einfach
mal mehr Kosten übernehmen, geht doch an der Realität
vorbei.


(Monika Lazar [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie können es doch einfach umsetzen!)


Bayern hat bereits Mitte 2014 auf den dringenden Hand-
lungsbedarf hingewiesen und einen Gesetzentwurf im
Bundesrat eingebracht, mit dem die Verteilung von min-
derjährigen Flüchtlingen auf das Bundesgebiet ermög-
licht werden soll.


(Beifall bei der CDU/CSU – Norbert Müller [Potsdam] [DIE LINKE]: Und eine Beteiligung des Bundes an den Kosten! Das verschweigen Sie immer!)


Die Verteilung soll sich nach dem Königsteiner Schlüs-
sel richten, der üblicherweise bei der Flüchtlingsvertei-
lung angewendet wird.

Wie bei allen Kindern steht natürlich gerade bei min-
derjährigen Flüchtlingen das Kindeswohl an erster Stelle.
Für sie ist primär die Jugendhilfe zuständig, die die Ju-
gendlichen gemäß § 42 SGB VIII in Obhut nehmen
muss. Dort ist im Übrigen – ein Blick ins Gesetz erleich-
tert die Rechtsfindung – auch das Kindeswohl ausdrück-
lich verankert. Der Vorrang des Kindeswohls steht doch
damit überhaupt nicht ernsthaft zur Debatte.


(Beifall bei der CDU/CSU)


In § 39 SGB VIII gibt es bereits grundsätzlich ein
Verfahren, wie die Kosten der Inobhutnahme zwischen
den Ländern verteilt werden. Das zentrale Problem ist
vielmehr, dass bisher die Kommune, in deren Gebiet der
minderjährige Flüchtling aufgegriffen wurde, während
der Erstklärungsphase und oft auch darüber hinaus für
das Kind zuständig bleibt. Die Inobhutnahmen konzen-
trieren sich damit vor allem auf bestimmte Kommunen,
die an den Hauptflüchtlingsrouten liegen. Für Bayern ist
es hier zum Beispiel das Jugendamt in Rosenheim, das
innerhalb eines Jahres 450 teilweise schwer traumati-
sierte Flüchtlingskinder aufgegriffen hat und rund 300
davon dauerhaft in Obhut nehmen musste. Obwohl sich
die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter vor Ort aufopfern
und alles daransetzen, gerät allein aufgrund der Fallzah-
len das Kindeswohl in Gefahr, weil man mit diesen Ka-
pazitäten schlicht nicht zurechtkommen kann. Die größ-
ten Kapazitäten sind irgendwann erschöpft. Wenn dann
traumatisierte Kinder in Pensionen oder in Turnhallen
untergebracht werden müssen, weil nicht mehr Platz
vorhanden ist, dann ist es im ureigenen Interesse der
Kinder, dass wir auch die Jugendämter in den Bundes-
ländern in die Verantwortung nehmen, die weniger be-
lastet sind.


(Beifall bei der CDU/CSU – Norbert Müller [Potsdam] [DIE LINKE]: Und keinerlei Erfahrung damit haben!)


Das Problem ist auch nicht eine strukturelle Unter-
finanzierung der Jugendhilfe, wie es der Antrag sugge-
riert, sondern es sind schlicht die extrem angestiegenen
Fallzahlen. Bayern hat allein im letzten Jahr 3 400 Inob-
hutnahmen registriert. Diese Zahl wird auch für 2015 er-
wartet. Damit hat sich die Zahl im Vergleich von 2013
zu 2014 versechsfacht. Bayern hat auf den Anstieg re-
agiert und zumindest die älteren Jugendlichen bayern-
weit verteilt. Aber auch die Jugendämter in Bayern gera-
ten aufgrund der hohen Fallzahlen an die Grenzen ihrer
Leistungsfähigkeit. Mit der Forderung, mehr Geld aus-
zugeben oder neue Strukturen einzurichten, wo doch im
gesamten Bundesgebiet schon Strukturen vorhanden
sind, lösen wir das Problem gerade nicht. Das Augsbur-
ger Jugendamt hat erst kürzlich berichtet, dass es bei der
Besetzung von sechs neuen Stellen schlicht Probleme
hat, Personal zu finden. Auch diese Problemstellung
wird in Ihrem Antrag vollkommen ignoriert.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Warum? Gerade die Bundesländer, in denen die Lin-
ken an der Regierung beteiligt sind, nehmen nur sehr
wenige Fälle auf. Laut Statistischem Bundesamt haben
Thüringen, Brandenburg und Mecklenburg-Vorpom-
mern im Jahr 2013 zusammen 56 Schutzmaßnahmen für
unbegleitete minderjährige Ausländer gemeldet.


(Bettina Hornhues [CDU/CSU]: Das ist ja ein Witz!)


Bayern meldete im selben Zeitraum 575 Inobhutnah-
men. Deren Zahl ist bei uns im letzten Jahr um das
Sechsfache angestiegen.


(Norbert Müller [Potsdam] [DIE LINKE]: Es sind dreimal so viel Einwohner! Das ist doch Unsinn!)


Daran sieht man: Wenn wir all diese Fälle gleichmäßig
auf alle Länder verteilen würden, hätten wir weitaus we-
niger Probleme. Wir müssten keine neuen Strukturen
schaffen, und wir müssten auch nicht zwingend mehr
Geld ausgeben.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Wenn Ihnen also wirklich etwas am Wohl der Kinder
liegt, dann plädieren Sie doch erst einmal dafür, dass wir
eine gerechte Verteilung innerhalb Deutschlands vorneh-
men. Warum haben sich denn die meisten Bundesländer
dem Vorschlag Bayerns angeschlossen und wollen das
jetzt auch umsetzen?


(Beifall der Abg. Bettina Hornhues [CDU/ CSU])






Andrea Lindholz


(A) (C)



(D)(B)

Aus genau diesem Grund: weil man damit erst einmal
den Druck herausnimmt. Das wird im Laufe dieses Jah-
res erfolgen. Es muss dann auch die Kostenverteilung in-
nerhalb der Länder neu geregelt werden. Aber auch hier
– da bin ich mir sicher – wird man kurzfristig Lösungen
finden. Es kann auf keinen Fall angehen, dass man diese
schwierigen Fälle auf einige wenige Kommunen in
Deutschland konzentriert. Das ist den Kommunen, den
Mitarbeitern, aber auch den Kindern und Jugendlichen
gegenüber verantwortungslos.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Wenn ich wie gerade höre, es sei nicht möglich, dass
Jugendliche zum Zwecke der Ausbildung einen Aufent-
haltstitel bei uns bekommen, dann muss ich sagen:
Schauen Sie auch hier ins Gesetz! Natürlich geht das
jetzt schon. Ich kann zum Zwecke der Ausbildung bei
uns einen dauerhaften Aufenthaltstitel erhalten. Das
muss dann aber auch von den Ländern mit einer entspre-
chenden Anweisung umgesetzt werden. Es gibt Länder,
die das besser machen, und Länder, die das weniger gut
machen. Aber auch für diesen Fall gibt es Gesetze. Es
liegt ausschließlich am Vollzug. Natürlich kann ein gut
ausgebildeter Jugendlicher, der eine entsprechende Fach-
kraft ist, auch im Anschluss an seine Ausbildung bei uns
bleiben und einen entsprechenden Aufenthaltstitel erhal-
ten. Morgen wird der Bundesinnenminister den Entwurf
eines Gesetzes zur Neubestimmung des Bleiberechts und
der Aufenthaltsbeendigung einbringen. Darin ist unter
anderem geregelt, dass gut integrierte Jugendliche unter
bestimmten Voraussetzungen bereits nach vier Jahren
eine Aufenthaltsberechtigung erhalten sollen.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Mit diesen Maßnahmen schaffen wir für jugendliche
Flüchtlinge, die sich gut integrieren, echte Perspektiven
in Deutschland. Solche – ich sage es einmal aus meiner
Sicht – Schaufensteranträge wie der heutige, die in kei-
ner Weise zur Lösung des Problems beitragen und nichts
anderes enthalten als ein Nein gegen eine gerechte Ver-
teilung, lösen das Problem weder kurzfristig noch mittel-
fristig.

Vielen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU – Norbert Müller [Potsdam] [DIE LINKE]: Das war kein Beitrag!)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1809130400

Damit sind wir am Ende der Rednerliste.

Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 18/4185 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein-
verstanden? – Da ich keinen Widerspruch höre, ist das
somit beschlossen.

Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 18 – den letz-
ten am heutigen Tage – auf:

Beratung des Antrags der Abgeordneten
Dr. Julia Verlinden, Oliver Krischer, Christian
Kühn (Tübingen), weiterer Abgeordneter und
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Novelle des Kraft-Wärme-Kopplungsgesetzes
unverzüglich vorlegen

Drucksache 18/3919
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Energie (f)

Innenausschuss
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und
Reaktorsicherheit

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
diese Aussprache 25 Minuten vorgesehen. – Ich höre
keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.

Damit eröffne ich zugleich die Aussprache. Erste
Rednerin ist die Kollegin Dr. Julia Verlinden von Bünd-
nis 90/Die Grünen, der ich hiermit das Wort erteile.


Dr. Julia Verlinden (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1809130500

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten

Damen und Herren! Viele Kraft-Wärme-Kopplungsanla-
gen sind von Abschaltung bedroht oder stehen bereits
still. Durch die sinkenden Börsenpreise für Strom sind
die KWK-Anlagen nämlich nicht mehr wirtschaftlich zu
betreiben. Insbesondere der vergleichsweise klima-
freundlichen Erdgas-Kraft-Wärme-Kopplung droht das
Aus. Gleichzeitig verstopft immer mehr dreckiger Koh-
lestrom das Netz. Das ist energiewirtschaftlich und kli-
mapolitisch völlig widersinnig.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Denn was wir benötigen, sind CO2-arme, flexible und ef-
fiziente Kraftwerke, die die Stromerzeugung aus Wind-
und Sonnenstrom gut ergänzen können. Deshalb brau-
chen wir die KWK, und deshalb besteht dringender
Handlungsbedarf.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Doch Sie von der Bundesregierung schieben das
Thema auf die lange Bank. Während bei den Betreibern
vieler KWK-Anlagen tagtäglich Verluste anfallen, dis-
kutieren Sie in der Bundesregierung über Strommarktde-
sign und Kapazitätsmärkte. Ihr langer Weg vom Grün-
buch zum Weißbuch droht jetzt zum Schwarzbuch für
die Kraft-Wärme-Kopplung zu werden. Das lassen wir
Ihnen nicht durchgehen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Trotz mehrfacher Ankündigungen hat die Bundesre-
gierung bis heute keinen Gesetzentwurf für die Neufas-
sung des KWK-Gesetzes und der Förderung vorgelegt.
Damit geraten nicht nur die Klimaschutzziele, sondern
auch Investitionen in Milliardenhöhe in Gefahr. Diese
Milliardeninvestitionen brauchen wir aber für einen fle-
xiblen Kraftwerkspark und für ein modernes Energiesys-
tem.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)






Dr. Julia Verlinden


(A) (C)



(D)(B)

Was ist eigentlich mit dem Ausbauziel? Im geltenden
Gesetz steht: 25 Prozent KWK-Anteil an der Stromer-
zeugung bis zum Jahr 2020. Das steht auch im Koali-
tionsvertrag. Aber jetzt? Kein Wort mehr davon, im Ge-
genteil. Sie haben sich bereits vom Ausbauziel für eine
klimafreundliche und effiziente Technologie verabschie-
det. Das ist grob fahrlässig.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Dirk Becker [SPD]: Stimmt nicht!)


Die Experten, die Sie beauftragt haben, die Evaluierung
des KWK-Gesetzes vorzunehmen, haben Ihnen im Mo-
nitoringbericht ins Stammbuch geschrieben, dass dieses
Ziel deutlich verfehlt werden wird, wenn Sie so weiter-
machen. Das scheinen Sie im Ministerium einfach ach-
selzuckend zur Kenntnis zu nehmen.

Auch der Rest Ihrer Effizienzpolitik findet sich bisher
lediglich als Ankündigungen in Hochglanzbroschüren.
Dass man sich auf die Hochglanzbroschüren nicht ver-
lassen darf, haben wir ja nun gelernt. Mit dem Nationa-
len Aktionsplan Energieeffizienz haben Sie Versprechen
abgegeben, aber einlösen wollen Sie diese jetzt nicht.
Das hat das Beispiel Steuerbonus für energetische Ge-
bäudesanierung gerade wieder einmal erschreckend
deutlich gemacht.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Also: Von bloßen Ankündigungen können sich die
Betreiber der KWK-Anlagen nichts kaufen. Ich frage
Sie, Herr Minister Gabriel: Wann geben Sie den Stadt-
werken und Kommunen, die auf KWK setzen, endlich
Planungssicherheit?


(Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ist nicht da!)


Das müsste doch insbesondere den Kolleginnen und
Kollegen von den Sozialdemokraten ein Herzensanlie-
gen sein.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Florian Post [SPD]: Ist es auch! Wir kümmern uns darum!)


– Das werden wir ja gleich hören. – Was Ihnen vermut-
lich weniger am Herzen liegt, ist uns Grünen dafür umso
wichtiger: Sorgen Sie dafür, dass das neue KWK-Gesetz
nicht zu einem neuen Fördertopf für Kohlekraftwerke
wird; denn Kohle und Klimaschutz vertragen sich nun
einmal nicht.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Wir Grüne haben nun einen ganz konkreten Vorschlag
für die Zukunft der KWK auf den Tisch gelegt. Wir le-
gen dabei auf insbesondere drei Dinge Wert: erstens auf
einen Beitrag zum Klimaschutz, zweitens auf einen ho-
hen Wirkungsgrad, also Effizienz, und drittens auf Flexi-
bilität für das Energiesystem.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Deswegen wollen wir KWK-Anlagen, die mit Erdgas
oder erneuerbaren Energien betrieben werden, besser
fördern als bisher. Ebenso wollen wir Wärmenetze und
Wärmespeicher stärker ausbauen; denn beides nützt
beim Umstieg auf 100 Prozent erneuerbare Energien.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, novellieren Sie das
Fördergesetz für die KWK unverzüglich in diesem
Sinne, und tun Sie endlich konkret etwas für Energieeffi-
zienz und Klimaschutz!

Vielen Dank.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1809130600

Für die CDU/CSU spricht jetzt die Kollegin

Dr. Herlind Gundelach.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Dr. Herlind Gundelach (CDU):
Rede ID: ID1809130700

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Um

es gleich vorweg klar zu sagen: Auch für uns ist die
KWK ein elementarer Baustein „unserer“ Energie-
wende. Schon heute liegt der Anteil der Kraft-Wärme-
Kopplung an der Stromerzeugung bei rund 16,2 Prozent.
Das sind immerhin 96 Terawattstunden Strom. Der An-
teil am Wärmemarkt liegt mit rund 200 Terawattstunden
bei immerhin 20 Prozent. Damit ist die KWK eine tra-
gende Säule unserer Energieversorgung.

KWK-Anlagen in allen Größenordnungen liefern kli-
maschonend – da stimme ich Ihnen absolut zu, Frau
Verlinden – und effizient Wärme für Strom für indus-
trielle und auch für private Verbraucher. KWK ist für uns
ein intelligenter Weg, effizient mit Energiequellen um-
zugehen. KWK hat nämlich einen sehr hohen Wirkungs-
grad. Während in konventionellen Kraftwerken zwi-
schen 45 und 70 Prozent der Energie, die für die
Stromerzeugung eingesetzt werden, als Abwärme verlo-
ren gehen, haben moderne KWK-Technologien immer-
hin Wirkungsgrade von bis zu 90 Prozent. Deswegen
trägt KWK auch entscheidend zur Einsparung von CO2
und zur Erreichung unserer ehrgeizigen Klimaziele auf
nationaler und europäischer Ebene bei. Gegenüber der
ungekoppelten Strom- und Wärmeerzeugung werden
rund 56 Millionen Tonnen CO2 eingespart. Das zeigt
auch der Evaluierungsbericht im Auftrag des Bundes-
wirtschaftsministeriums ganz deutlich.

Die Betrachtung der CO2-Vermeidungskosten von
KWK zeigt, dass diese deutlich unter denen anderer Er-
zeugungsformen, zum Teil auch manch erneuerbarer
Energieträger, liegen. Das ist gerade vor dem Hinter-
grund einer effizienten und wirtschaftlichen CO2-Ein-
sparung, die im Sinne des Verbrauchers übrigens immer
hohe Priorität haben muss, von großer Bedeutung.

Auch bieten KWK-Anlagen in verschiedenen Größen
interessante Ansätze, einen Beitrag zur Netz- und Sys-
temstabilität zu leisten. So kann durch dezentrale KWK
dort Energie bereitgestellt werden, wo sie benötigt wird.
Durch den Eigenverbrauch des KWK-Stroms wird das
bestehende Stromversorgungssystem entlastet. Ausbau-





Dr. Herlind Gundelach


(A) (C)



(D)(B)

bedarf und Leistungsverluste können so verringert wer-
den.

Meine Damen und Herren, eine Novelle des Kraft-
Wärme-Kopplungsgesetzes muss jedoch gut durchdacht
sein


(Lachen der Abg. Dr. Julia Verlinden [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


und im Einklang mit dem Strommarkt erfolgen,


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ach! Gab es bei Ihnen denn auch schon mal durchdachte Gesetze?)


kurz: Sie muss in das künftige Strommarktdesign pas-
sen. Denn es gibt Effekte und Entwicklungen – das ist
auch bei Ihnen gerade schon angeklungen –, die für den
künftigen Betrieb der KWK im Energie- und Strom-
markt von großer Bedeutung sind.

Wir haben uns im Koalitionsvertrag auf das Ziel ver-
ständigt, bis 2020 einen KWK-Anteil von 25 Prozent zu
erreichen. Das bedeutet aber, dass bis dahin erhebliche
neue Erzeugungskapazitäten entstehen würden, die zu-
sätzlich etwa 50 Terawattstunden Strom erzeugen. Dabei
ist bei allen Beteiligten – von der Energiewirtschaft bis
hin zur Wissenschaft – unbestritten, dass wir im Strom-
markt eigentlich erst einmal dringend Überkapazitäten
abbauen müssten, damit der Strommarkt wieder in ein
Gleichgewicht kommt.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD – Dr. Julia Verlinden [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Ja, bitte sehr! – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sehr gerne! Wir sind dabei! Wir sind aber leider nicht die Bundesregierung!)


Genau deshalb muss im Rahmen der KWK-Novelle die
Frage geklärt werden, welchen Bedarf an neuen KWK-
Anlagen der Strommarkt hat.

Eine weitere Herausforderung ist der steigende Anteil
der fluktuierenden erneuerbaren Energien. Deren Anteil
ist in den letzten fünf Jahren um 10 Prozent auf heute
immerhin 27 Prozent gestiegen. Das ist ein Erfolg der
Energiewende,


(Christian Kühn [Tübingen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Nein, der Grünen! – Heiterkeit bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN)


hat aber teils erhebliche Auswirkungen auf den Strom-
markt. Die Solarenergie hat die ertragreiche Mittags-
spitze geglättet. Der Börsenstrompreis hat sich in den
vergangenen vier Jahren fast halbiert. Auch der CO2-
Preis hat leider nicht die gewünschte Wirkung zugunsten
der KWK entfaltet.


(Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, warum denn? – Dr. Julia Verlinden [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und was machen wir jetzt?)

– Darauf komme ich noch. – Unter diesen Rahmenbe-
dingungen ist die KWK zunehmend unwirtschaftlicher
geworden.

Hinzu kommt, dass durch den steigenden Anteil der
erneuerbaren Energien künftig vor allem flexible kon-
ventionelle Anlagen gebraucht werden, die die fluktuie-
renden Anlagen ergänzen. Dabei stehen wärmegeführte
KWK-Anlagen ohne Speicher ebenfalls vor einer großen
Herausforderung.

Auch der Rückgang des Wärmebedarfs ist für die
KWK eine Herausforderung, die gerade auch auf lange
Sicht Auswirkungen haben wird; denn durch ein Mehr
an energetischer Gebäudesanierung wird die Nachfrage
nach Wärme sinken. Gerade für den Fernwärmebereich
wird der Rückgang des Wärmebedarfs langfristig auch
eine große Herausforderung darstellen.

Allerdings – und dabei gibt es eine Einschränkung –
wird aus meiner Sicht in den Großstädten mit einem ho-
hen Anteil an Altbauten und einem hohen Anteil an
Mietwohnungen der Wärmebedarf nur langsam sinken.
Deswegen bleibt die KWK in Ballungsräumen auch in
Zukunft eine effiziente und klimaschonende Form der
Energieversorgung.

Meine Damen und Herren, all diese Herausforderun-
gen sind teilweise nicht neu, aber sie haben die wirt-
schaftliche Situation der KWK ganz erheblich verschärft.
Unter den zuvor beschriebenen Marktbedingungen und
einem unveränderten Förderregime läuft die KWK-
Stromerzeugung Gefahr, zu stagnieren. Auch das haben
Sie schon erwähnt, Frau Verlinden. Die Branche, unter-
füttert von wissenschaftlichen Gutachten, befürchtet so-
gar einen deutlichen Rückgang.

Oft reichen bei KWK-Anlagen die Wärmeerlöse nicht
mehr aus, um das Defizit bei der Stromerzeugung zu de-
cken. Wir müssen also über eine Kompensation für die
gefallenen Spotmarktpreise wie auch für die zusätzli-
chen Belastungen der Eigenerzeugung reden.

Derzeit wird die KWK, wie bekannt, mit einem För-
dervolumen von 500 Millionen Euro gefördert. Der
KWK-Deckel liegt bei 750 Millionen Euro. Um den
Neubau und die Modernisierung zu ermöglichen, müss-
ten die Fördersätze um den Faktor 2 und 3 erhöht wer-
den. Das wären Mehrkosten von 2 Milliarden bis
2,5 Milliarden Euro, die jeder Verbraucher über die
KWK-Umlage mitbezahlen müsste. Hier müssen wir in-
tensiv beraten, wie der Fördermechanismus weiterentwi-
ckelt werden soll und ob der Deckel von 750 Millionen
Euro erhöht werden muss.

Es geht also nicht darum, dass wir, wie Sie behaupten,
die KWKG-Novelle hintanstellen, sondern wir wollen
die KWK sinnvoll in den Strommarkt der Zukunft inte-
grieren; denn alles andere ist teuer und ineffizient.


(Dr. Julia Verlinden [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Bis dahin sind die Unternehmen pleite!)


– Das denke ich nicht.





Dr. Herlind Gundelach


(A) (C)



(D)(B)

Weil die KWK großes Potenzial hat, ist klar, dass wir
zeitnah eine KWKG-Novelle auf den Weg bringen wer-
den.


(Dr. Julia Verlinden [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was heißt „zeitnah“? – Dr. André Hahn [DIE LINKE]: 2018!)


Ziel wird sein, verlässliche Rahmenbedingungen für Be-
stand und Neubau zu schaffen und die Flexibilisierung
der Anlagen weiter voranzutreiben. Gerne möchte ich
kurz einige wenige Handlungspunkte erläutern.

Erstens. Die Grünen schlagen in ihrem Antrag vor,
dass zukünftig kohlebefeuerte KWK-Anlagen keine För-
derung mehr erhalten sollen.


(Dr. Julia Verlinden [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau!)


Dazu muss ich Ihnen sagen: Das lehne ich ab. Man kann
nicht, wie es die Grünen tun, immer mehr KWK fordern,
zeitgleich aber die kostengünstigste KWK aus dem
Markt drängen.


(Dr. Julia Verlinden [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was ist mit Ihren Klimazielen?)


Auch die Kohle-KWK trägt entscheidend zu einer effi-
zienten und klimaschonenden Strom- und Wärmeversor-
gung bei; denn die Effizienz erwächst aus dem gekop-
pelten Prozess, nicht so sehr aus dem Einsatz des
Brennstoffs.

Zweitens. Im Rahmen der EEG-Novelle 2014 haben
wir erstmals eigenverbrauchten Strom mit der EEG-Um-
lage belastet. Neue Anlagen müssen schrittweise 40 Pro-
zent der EEG-Umlage auf eigenverbrauchten Strom zah-
len. Um den Ausbau der industriellen KWK nicht zu
verhindern, war Bestandteil der EEG-Novelle auch eine
Verordnungsermächtigung zur Anpassung der KWK-Zu-
schläge als Kompensation der Eigenverbrauchsbelastun-
gen. Aus meiner Sicht ist es elementar, dass wir von die-
ser Verordnungsermächtigung im Rahmen der KWKG-
Novelle tatsächlich Gebrauch machen. Ein Drittel der
KWK-Nettostromerzeugung stammt aus industriellen
KWK-Anlagen. Es ist im Interesse des Klimaschutzes
und des Industriestandortes Deutschland, dass sich die
Industrie auch zukünftig effizient mit Prozesswärme und
Strom versorgen kann.

Drittens. Die Flexibilisierung der KWK-Anlagen
macht die KWK energiewendetauglich. Deshalb haben
wir schon vor drei Jahren, damals noch mit einer
schwarz-gelben Regierung, die Flexibilisierung der An-
lagen und der Förderung vorangetrieben. Diesen Weg
werden wir auch künftig konsequent weitergehen und
den Ausbau der Wärmespeicher und anderer Flexibili-
sierungsinstrumente weiter fördern. Anlagen sollten
dann eine erhöhte Förderung bekommen, wenn sie Fle-
xibilität erbringen können. Nur so können KWK-Anla-
gen künftig besser die fluktuierenden erneuerbaren Ener-
gien ergänzen.


(Dr. Julia Verlinden [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das steht ja hier drin!)

– Ich zeige Ihnen auf, in welchen Bereichen wir darüber
nachdenken.

Meine Damen und Herren, KWK wird sich aber auch
– das sage ich ganz deutlich – wie alle anderen Energie-
erzeugungstechnologien dem Transformationsprozess
des Energiesystems stellen müssen. Unser Ziel ist es,
dass die KWK dabei auch künftig einen wesentlichen
Beitrag zu einer effizienten Strom- und Wärmeversor-
gung leistet.

Wir dürfen jedoch das Gesamtsystem nicht aus den
Augen verlieren. Deshalb ist es gut, wenn erst eine
Grundsatzentscheidung zum Strommarkt getroffen und
dann die KWK-Novelle zügig auf den Weg gebracht
wird.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1809130800

Nächste Rednerin ist für die Fraktion Die Linke die

Kollegin Eva Bulling-Schröter.

(Beifall bei der LINKEN)



Eva-Maria Bulling-Schröter (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1809130900

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die

Kraft-Wärme-Kopplung ist eine Brückentechnologie,
die diesen Namen tatsächlich verdient. Die Abwärme
heizt nicht mehr Flüsse oder die Umwelt, sondern Ge-
bäude und Industrieprozesse. Der Wirkungsgrad von
Anlagen kann somit auf bis zu 90 Prozent erhöht wer-
den. Das ist mehr als doppelt so viel wie bei normalen
Kraftwerken. Weil jede nicht verbrauchte Kilowatt-
stunde die preiswerteste ist, muss die KWK ausgebaut
werden. Das war auch lange das Anliegen der Bundesre-
gierung – jedenfalls auf dem Papier. Bereits seit Jahren
steht das Ziel fest, dass wir bis 2020 einen KWK-Anteil
an der Stromerzeugung von 25 Prozent erreichen wollen.
Erreicht haben wir bisher nur 16 Prozent. Der Ausbau
stagniert, und Anlagen werden teilweise sogar stillge-
legt.

Im Grünbuch zum Strommarkt haben wir leider ver-
geblich nach einem Bekenntnis zum weiteren Ausbau
gesucht. Die dürren Sätze dazu lassen eher vermuten,
dass das Ziel infrage gestellt wird. Das halten wir für ein
verheerendes Signal.


(Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Dr. Julia Verlinden [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Somit werden wir weiter vor uns hindümpeln.

(Dirk Becker [SPD]: Wir nicht, Sie vielleicht!)


Die KWK steht wirtschaftlich unter Druck, lieber Kol-
lege Florian. Da die Braunkohleförderung nicht zurück-
gefahren wird, gibt es angesichts steigender Ökostrom-
mengen einfach zu viel Strom. Der Preisverfall an den
Strombörsen mindert die Einnahmen aus dem Elektrizi-
tätsanteil an der KWK-Leistung. Dieser Preisdruck fegt
aber dummerweise die Falschen aus dem Markt, nämlich
Gaskraftwerke und eben die KWK-Anlagen. Darum
sage ich jetzt an die Adresse der Union: Wer Gaskraft-





Eva Bulling-Schröter


(A) (C)



(D)(B)

werke erhalten will, der sollte nicht in erster Linie nach
milliardenschweren Kapazitätszahlungen rufen, sondern
sich zuallererst für Instrumente starkmachen, die die
Kohleverstromung eindämmen.


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Es kann aber dauern, bis hier etwas passiert; das ken-
nen wir ja. Deshalb müssen wir schnellstens die Vergü-
tungen nach dem KWK-Gesetz anpassen. Passiert das
nicht, werden wir weder den Bestand sichern können
noch einen Ausbau vorantreiben. Das wollen wir aber
alle miteinander – zumindest habe ich das gehört. Auch
deshalb ist es unverständlich, dass sich die Bundesregie-
rung so unendlich viel Zeit mit der KWK-Novelle lässt.

Es geht aber nicht nur um den aktuellen Druck. Kleine
bürgernahe KWK-Anlagen wie Blockheizkraftwerke
rechnen sich seit ewigen Zeiten nur durch den Eigenver-
brauch, wenn überhaupt. Das ist ein zweischneidiges
Schwert; denn die in diesem Modus wegfallenden Zah-
lungen für die EEG-Umlage, die Netzentgelte, die
Stromsteuer und weitere Umlagen sind auch ein Anreiz
für große Unternehmen, bestehende KWK-Fernwärme-
netze zu verlassen. Die Unternehmen bauen dann ver-
meintlich billig eine eigene Strom- und Wärmeversor-
gung im Unternehmen auf. Das ist nur vermeintlich
billig, weil die Stadtwerke durch die Kanibalisierung
von Wärmenetzen Großabnehmer verlieren und auf fi-
xen Kosten sitzen bleiben und weil die Kosten der Ener-
giewende und der Netze schlicht bei anderen Stromkun-
den abgeladen werden. Sinnvoll wäre es deshalb, den
Eigenverbrauch angemessen zu belasten und im Gegen-
zug die KWK-Zahlungen entsprechend zu erhöhen.


(Beifall bei der LINKEN)


Das würde Unternehmen aller Größenklassen, die diese
Technologie anwenden, nutzen.

Wollen wir die KWK wirklich ausbauen, dann ist es
wichtig, überall dort Wärmekonzepte zu erarbeiten, wo
neue Gaskraftwerke oder Biogasanlagen gebaut werden.
Das tun andere Staaten wie Dänemark oder die Nieder-
lande. Dort liegt der KWK-Anteil an der Stromerzeu-
gung bei 40 Prozent bzw. 38 Prozent. Das nenne ich
Effizienzpolitik!

Zudem können sogenannte Schwarmstromkonzepte
die Zusammenschaltung regeln. Dazu gibt es mehrere
Vorschläge. Diese sind auch praktikabel. Ich denke, dass
diese Technologie eine preiswerte Option ist, um den
Energieverbrauch im Gebäudebestand zu senken. Das
spart auch Mieterinnen und Mietern Kosten.

Es gibt also sehr viele Gründe für die KWK. Packen
Sie es jetzt endlich an. Reden Sie nicht rum. Handeln Sie
jetzt. Packen wir’s!


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1809131000

Abschließender Redner zu diesem Tagesordnungs-

punkt und letzter Redner am heutigen Tage ist der Kol-
lege Florian Post, dem ich hiermit das Wort erteile.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Dr. Matthias Heider [CDU/ CSU]: Herr Post, das können Sie besser!)



Florian Post (SPD):
Rede ID: ID1809131100

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Liebe Kolleginnen und Kollegen von den
Grünen, Sie haben in Ihrem Antrag sehr viel Richtiges
geschrieben. Die KWK ist hocheffizient. Sie ist klima-
und ressourcenschonend. Hier herrscht also Überein-
stimmung. Sie passt wegen der Ungleichzeitigkeit der
Einspeisemaxima von Photovoltaik und Wind auf der ei-
nen Seite und dem Wärmebedarf auf der anderen Seite
perfekt zur Energiewende. Wenn zusätzlich Speicher
zum Einsatz kommen, ist sie perfekt einsetzbar. Man
kann sich das hier in Berlin anschauen. Kollege Fritz
Felgentreu – er ist leider nicht mehr hier im Saal – hat
mir gesagt, dass in Neukölln Berlins größter Speicher
steht. Die KWK ist also eine sehr interessante und hoch-
effiziente Technologie.

Natürlich ist es so – auch das haben Sie richtig er-
kannt –, dass viele KWK-Anlagen in Not sind. Gerade in
der öffentlichen Versorgung und bei gasbefeuerten Anla-
gen haben wir in der Tat ein großes Problem. Auch sind
wir momentan mit 16 Prozent erzeugtem Strom aus
KWK-Anlagen weit vom Ausbauziel von 25 Prozent
entfernt, das im Koalitionsvertrag verankert ist; das gebe
ich hier gerne zu. Aber wir arbeiten daran, dieses Pro-
blem zu lösen. Wir sind uns jedoch darin einig, dass es
volkswirtschaftlich kompletter Unsinn wäre, das künf-
tige Förderregime von KWK-Anlagen dahin gehend zu
gestalten, dass bereits geförderte Anlagen vom Netz ge-
hen. Daher möchte ich dafür plädieren, dass wir als ei-
nen Schwerpunkt zunächst etwas im Bestand tun und
den Fokus auf die öffentliche Versorgung legen.

Natürlich wäre es zu schön, wenn wir uns nur einig
wären. Es gibt in Ihrem Antrag in der Tat ein paar
Punkte, denen ich hier nicht uneingeschränkt zustimmen
kann. Natürlich können wir die Novellierung des
KWKG nicht losgelöst von der Diskussion über das
Strommarktdesign betrachten. Hier sind eine ganzheitli-
che Betrachtung und auch eine Analyse notwendig, wo-
her die Probleme bei der KWK eigentlich kommen. Mo-
mentan haben Gaskraftwerke kaum eine Chance, nicht
zuletzt wegen des daniederliegenden CO2-Zertifika-
tehandels. Durch die kohlebefeuerten KWK-Anlagen
werden diese Kraftwerke natürlich noch unwirtschaftli-
cher. In der Folge laufen die gasbetriebenen Anlagen zu
wenig, um wirtschaftlich zu sein.

Die Bundesregierung arbeitet gerade – das ist be-
kannt – im Rahmen des Grün- und Weißbuchprozesses
an der Novellierung des Strommarktdesigns. Dabei gilt
für uns, ganzheitlich betrachtet, natürlich das Ziel, auf
dem Energiemarkt Versorgungssicherheit herzustellen,
die Energie bezahlbar zu halten und die klimaschonende
Erzeugung von Energie zu sichern.


(Zuruf der Abg. Eva Bulling-Schröter [DIE LINKE])


Wir fordern eine Einhaltung des Zeitplans und ganz ent-
schieden die Vorlage eines entsprechenden Gesetzent-
wurfs. Hier machen wir als AG Wirtschaft und Energie





Florian Post


(A) (C)



(D)(B)

der SPD-Fraktion Druck, noch vor der Sommerpause ei-
nen Entwurf vorzulegen. Hier geht es uns um die kon-
krete Reihenfolge. Wir warten also zunächst die Grund-
satzentscheidung ab und klären die Fragen betreffend die
Kapazitätsmärkte, Stichwort „Energy-only-Markt 2.0“,
oder wie auch immer das Kind heißen mag. Dann wer-
den wir uns sofort an die Novellierung des KWK-Geset-
zes machen.


Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1809131200

Kollege Post, gestatten Sie eine Zwischenfrage des

Kollegen Krischer?


(Zurufe von der CDU/CSU: Nein! Nein! – Dr. Matthias Heider [CDU/CSU]: Nichts, was wir schon wissen!)



Florian Post (SPD):
Rede ID: ID1809131300

Selbstverständlich.


Oliver Krischer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1809131400

Liebe Kollegen von der Union, Sie kommen gleich zu

Ihrem Feierabendbier, keine Sorge. – Herr Kollege Post,
herzlichen Dank, dass Sie die Zwischenfrage zulassen.

Sie haben gerade sehr deutlich dafür plädiert, dass wir
eine KWK-Novelle brauchen. Sie haben auch klar die
Bundesregierung aufgefordert, hier zu handeln. Ange-
sichts der Papiere und der Aussagen der Bundesregie-
rung scheint mir nicht richtig klar zu sein, ob es über-
haupt eine KWK-Novelle geben soll, erst recht nicht,
wann genau diese kommen soll. Ich habe die anderen
Redner so verstanden, dass es hier fraktionsübergreifend
eine große Bereitschaft gibt, sich schnell des Themas
KWK anzunehmen. Meine Frage an Sie: Wäre die SPD-
Bundestagsfraktion bereit, wenn aus dem Bundeswirt-
schaftsministerium in Sachen KWK kurzfristig nichts
käme, aus dem Parlament heraus eine KWK-Novelle an-
zupacken?


Florian Post (SPD):
Rede ID: ID1809131500

Zunächst einmal wird es eine KWKG-Novelle geben.

Das ist also nicht fraglich. Sie wird kommen. Unsere
Forderung ist – ich habe das gerade schon in meiner
Rede klargemacht –, den Gesetzentwurf noch vor der
Sommerpause vorzulegen. Sollte das, wie Sie es vermu-
ten, aus irgendwelchen Gründen eventuell nicht erfolgen
können, behalten wir uns als SPD-AG Wirtschaft und
Energie selbstverständlich das Recht vor – dann auch
gerne mit Ihnen zusammen; in Ihrem Antrag sind sehr
viele Punkte enthalten, die ich gut finde –, im Parlament
einen eigenen Gesetzentwurf einzubringen, um im Sinne
der Kraft-Wärme-Kopplung sinnvoll fortzufahren und
diese zu erhalten.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Dr. André Hahn [DIE LINKE]: Was sagt denn da die CDU/CSU?)


Sie haben Ihre Zwischenfrage vor der nächsten Pas-
sage meiner Rede gestellt. Ich hatte mir nämlich auch
vorgenommen, zu sagen: Wir werden es als SPD-Bun-
destagsfraktion bzw. als AG Wirtschaft und Energie der
SPD nicht zulassen, dass durch zeitliche Verzögerung
die Kraft-Wärme-Kopplung torpediert wird. Aber wir
sagen ganz klar: Der Schwerpunkt liegt in der öffentli-
chen Versorgung und in der Bestandssicherung sowie in
der Modernisierung der Netze. Dabei ist für uns klar,
dass der Deckel der KWK-Förderung von 750 Millionen
Euro, wie er derzeit bemessen ist, diskutiert werden
muss.

Ein weiterer Kritikpunkt in Ihrem Antrag ist die For-
derung, dass KWK auf Basis von Braun- oder Stein-
kohle künftig nicht mehr gefördert werden soll. Das
kann ich so nicht teilen. Denn wenn ich Ihren Antrag
richtig verstehe, dann gilt dies sowohl für Neubau als
auch für die von Ihnen geforderte Bestandssicherung.
Darin erkenne ich einen gewissen Widerspruch. Eine
Einschränkung der KWK-Kohleförderung wäre meines
Erachtens mit der Gefahr verbunden, dass man dadurch
die noch wirtschaftlichen oder gerade so mit positiven
Deckungsbeiträgen arbeitenden Kohle-KWK-Anlagen
in die Unwirtschaftlichkeit treibt, aber damit nicht zwin-
gend erreicht, dass die bisher unwirtschaftlichen gasbe-
feuerten KWK-Anlagen wirtschaftlich werden. Hier
wäre in der Tat der KWK in Gänze kein Dienst getan.

Ich plädiere nicht dafür, undifferenziert nach dem
Gießkannenprinzip vorzugehen. Selbstverständlich kön-
nen wir bei der Ausgestaltung des Gesetzentwurfs da-
rüber sprechen, wie wir bei den unterschiedlichen
Brennstoffarten mit der Förderhöhe vorgehen. Aber ich
plädiere dafür, dass wir diskriminierungsfrei an diese Sa-
che herangehen, statt a priori eine bestimmte Brenn-
stoffart zu diskriminieren.

Das 25-Prozent-Ziel, das Sie gut finden und an dem
Sie auch festhalten, nur mit Gas-, Biogas- und Bio-
masse-KWK zu erreichen, würde bedeuten, dass die
Kraft-Wärme-Kopplung insgesamt teurer würde, was
letztendlich über die KWK-Umlage der Stromverbrau-
cher zu zahlen hätte. Das wollen wir nach Möglichkeit
verhindern.

Ich möchte noch kurz die Eigenverbrauchsregelung
ansprechen. Sie fordern, die Belastung von eigenver-
brauchtem Strom mit Teilen der EEG-Umlage zurückzu-
nehmen. In diesem Zusammenhang möchte ich für die
AG Wirtschaft und Energie der SPD noch einmal beto-
nen, dass für uns KWK nicht gleich KWK ist. Mein
Schwerpunkt liegt, wie gesagt, in der öffentlichen Ver-
sorgung.

In der Tat muss man auch sogenannte Renditemodelle
gerade im Bereich von Mini-BHKW-Anlagen betrach-
ten, die teilweise in Gastronomie- und Hotelbetrieben
eingesetzt werden und mit denen hohe zweistellige Ren-
diten erzielt werden. Hier kann man die Axt anlegen,
weil eine weitergehende Förderung nicht unbedingt im
Sinne des Erfinders ist, noch dazu, wenn solche Anlagen
in Gebieten errichtet werden, wo Fernwärmenetze beste-
hen und dadurch die öffentliche Versorgung kannibali-
siert wird.

Ich denke, dass wir in der Summe nicht sehr weit aus-
einanderliegen. Wir sind uns einig, dass wir die Kraft-
Wärme-Kopplung erhalten und weiter ausbauen wollen.





Florian Post


(A) (C)



(B)

Wenn der Gesetzentwurf vorliegt – ich bin sehr optimis-
tisch, dass er noch vor der Sommerpause vorliegen
wird –, freue ich mich auf weitere Diskussionen mit Ih-
nen im Ausschuss und im Plenum des Parlaments.

Danke für die Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1809131600

Damit schließe ich die Aussprache.

Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 18/3919 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein-
verstanden? – Das ist der Fall, weil ich keinen Wider-
spruch sehe. Dann ist das somit beschlossen.

Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tages-
ordnung angelangt. Ich wünsche Ihnen noch einen fried-
vollen Abend.

Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bun-
destages auf morgen, Freitag, den 6. März 2015, 9 Uhr
ein.

Die Sitzung ist geschlossen.