Gesamtes Protokol
Die Sitzung ist eröffnet. Nehmen Sie bitte Platz.Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ichbegrüße Sie zu unserer Plenarsitzung.Ich habe Ihnen einige Mitteilungen zu machen. VorEintritt in die Tagesordnung müssen wir noch zweiWahlen durchführen.Für die neue Amtszeit der Vergabekommission derFilmförderungsanstalt schlägt die SPD-Fraktion vor,die Kollegin Angelika Krüger-Leißner als ordentlichesMitglied zu berufen, und die CDU/CSU-Fraktion be-nennt in ihrem Vorschlag den Kollegen MarcoWanderwitz als stellvertretendes Mitglied. Sind Sie mitdiesen Vorschlägen einverstanden? – Das ist offensicht-lich der Fall. Dann sind die beiden Kollegen hiermit ge-wählt.Der Kollege Manuel Sarrazin hat auf seinen Sitz inder Parlamentarischen Versammlung des Europa-rates verzichtet. Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünenschlägt deshalb vor, den Kollegen Jerzy Montag alsNachfolger zu berufen. Sind Sie auch damit einverstan-den? – Das ist der Fall. Dann ist der Kollege JerzyMontag als Mitglied der Parlamentarischen Versamm-Zlung des Europarates gewählt.Interfraktionell ist vereinbart worden, die verbundeneTagesordnung um die in der Zusatzpunktliste aufge-führten Punkte zu erweitern:ZP 2 Aktuelle Stunde auf Verlangen der FraktionBÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN gemäß Anlage 5Nr. 1 Buchstabe b GO-BTzu den Antworten der Bundesregierung aufdie Fragen 1 und 2 auf Drucksache 17/8323
ZP 3 Beratung des Antrags der Abgeordneten GarreltDuin, Hubertus Heil , Doris Barnett, wei-terer Abgeordneter und der Fraktion der SPD
CSU und FDP eingebrachten Entwurfs einesZwanzigsten Gesetzes zur Änderung des Bun-deswahlgesetzes– Drucksache 17/8350 –
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18142 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 152. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. Januar 2012
Präsident Dr. Norbert Lammert
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Überweisungsvorschlag:Innenausschuss
Rechtsausschussb) Beratung des Antrags der Abgeordneten SigmarGabriel, Ute Vogt, Heinz-Joachim Barchmann,weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPDRückholung der Atommüllfässer aus derAsse II beschleunigen– Drucksache 17/8351 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und ReaktorsicherheitZP 6 Weitere abschließende Beratungen ohne Aus-spracheErgänzung zu TOP 28a) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-richts des Rechtsausschusses
zu dem Streitverfahren vor dem Bundesver-fassungsgericht 2 BvE 9/11– Drucksache 17/8361 –b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-richts des Rechtsausschusses
zu dem Streitverfahren vor dem Bundesver-fassungsgericht 2 BvF 3/11– Drucksache 17/8362 –c) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-richts des Rechtsausschusses
zu dem Streitverfahren vor dem Bundesver-fassungsgericht 2 BvR 2670/11– Drucksache 17/8363 –ZP 1 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktionender CDU/CSU und FDP:Solidarität von LINKEN-Abgeordneten mitdem syrischen Präsidenten AssadVon der Frist für den Beginn der Beratungen soll, so-weit erforderlich, abgewichen werden.Die Tagesordnungspunkte 12 a und 27 d werden ab-gesetzt. Der Tagesordnungspunkt 17 wird nach dem Ta-gesordnungspunkt 11 und der Tagesordnungspunkt 12 bim Zusammenhang mit dem Tagesordnungspunkt 27aufgerufen. Können Sie sich auch damit einverstandenerklären? – Das ist offensichtlich der Fall. Dann habenwir das so beschlossen.Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen undKollegen, in der kommenden Woche und im ganzen Jahr2012 wird aus gegebenem Anlass an einen großen preu-ßischen Monarchen erinnert werden. Heute möchte ichvor Eintritt in unsere Tagesordnung einer großen Abge-ordnetenpersönlichkeit gedenken, die wie kaum eine an-dere die deutsche Parlamentstradition verkörpert.Am 17. Januar 1812, also fast auf den Tag genau vor200 Jahren, wurde Ludwig Windthorst im kleinen OrtOstercappeln bei Osnabrück im Emsland geboren, demer zeit seines Lebens verbunden blieb. Als führender Re-ppleMlateKremNR2rufrznuPbndntehPdwMudsabmvMKDdeKrendDwnlighd
Ludwig Windthorst gehörte zu den Wegbereitern desemokratischen Rechtsstaats. Im Spannungsfeld zwi-chen Staat und Kirche, Politik und Religion hat er es nien persönlicher Unabhängigkeit und an eigener Urteils-ildung fehlen lassen. Mit einem unbändigen Elan undit einer souveränen Sturheit verteidigte er die Wahrungon Menschenrechten und insbesondere die Rechte voninderheiten. „Ich werde das Recht, welches ich für dieatholiken und für die katholische Kirche und dereniener in Anspruch nehme, jederzeit vertreten, auch fürie Protestanten und nicht minder für die Juden. Ich willben das Recht für alle“, sagte er 1880. Im preußischenulturkampf vertrat er ganz selbstverständlich die Inte-ssen der Kirche gegenüber dem Staat, und er hat ge-auso wenig gezögert, mit den Sozialdemokraten gegenas Sozialistengesetz zu stimmen.Ludwig Windthorst wurde vor 200 Jahren in eineutschland hineingeboren, das mit dem Land, in demir heute leben – von der Geografie einmal abgesehen –,icht viele Ähnlichkeiten hatte. Dass daraus der freiheit-che demokratische Rechtsstaat wurde, dass daraus eineefestigte parlamentarische Demokratie wurde, die wireute längst als schiere Selbstverständlichkeit ansehen,as verdanken wir Persönlichkeiten vom Format eines
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 152. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. Januar 2012 18143
Präsident Dr. Norbert Lammert
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Ludwig Windthorst. Ihnen gebührt unsere dankbare Er-innerung und unsere Hochachtung.
Nun rufe ich den Tagesordnungspunkt 3 a und b so-wie die Zusatzpunkte 3 und 4 auf:3 a) Abgabe einer Regierungserklärung durch denBundesminister für Wirtschaft und TechnologiezumJahreswirtschaftsbericht 2012Vertrauen stärken – Chancen eröffnen – mitEuropa stetig wachsenb) Beratung der Unterrichtung durch die Bundes-regierungJahreswirtschaftsbericht 2012 der Bundes-regierung– Drucksache 17/8359 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
FinanzausschussAusschuss für Ernährung, Landwirtschaft undVerbraucherschutzAusschuss für Arbeit und SozialesAusschuss für Familie, Senioren, Frauen und JugendAusschuss für GesundheitAusschuss für Verkehr, Bau und StadtentwicklungAusschuss für Umwelt, Naturschutz und ReaktorsicherheitAusschuss für Bildung, Forschung undTechnikfolgenabschätzungAusschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit undEntwicklungAusschuss für TourismusHaushaltsausschussZP 3 Beratung des Antrags der Abgeordneten GarreltDuin, Hubertus Heil , Doris Barnett, wei-terer Abgeordneter und der Fraktion der SPDChancen nutzen – Vorsorgende Wirtschafts-politik jetzt einleiten– Drucksache 17/8346 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
FinanzausschussAusschuss für Ernährung, Landwirtschaft undVerbraucherschutzAusschuss für Arbeit und SozialesAusschuss für Familie, Senioren, Frauen und JugendAusschuss für GesundheitAusschuss für Verkehr, Bau und StadtentwicklungAusschuss für Umwelt, Naturschutz und ReaktorsicherheitAusschuss für Bildung, Forschung undTechnikfolgenabschätzungAusschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit undEntwicklungAusschuss für TourismusAusschuss für die Angelegenheiten der Europäischen UnionHaushaltsausschussZP 4 Beratung der Unterrichtung durch die Bundes-regierungJahresgutachten 2011/12 des Sachverständi-genrates zur Begutachtung der gesamtwirt-schaftlichen Entwicklung– Drucksache 17/7710 –drukdPuDwWZsRsnfüd2bsgtituturümGfeeDstevRBleZbsb
ekordbeschäftigungszahlen, die niedrigste Arbeitslo-igkeit seit mehr als 20 Jahren, also seit der Wiederverei-igung, steigende Renten, sinkende Beiträge, mehr ver-gbares Einkommen für die Menschen. Das erklärt,ass 76 Prozent der Deutschen optimistisch in das Jahr012 hineingehen. Das können sie auch tun; denn sie ha-en sich dieses Wachstum selber erarbeitet. Die Men-chen haben sich den Wohlstand in Deutschland selbereschaffen. Und sicher ist: Für diese Regierungskoali-on aus CDU, CSU und FDP war, ist und bleibt Wachs-m das erklärte Ziel ihres Handelns.
Auch 2012 wird die deutsche Wirtschaft auf Wachs-mskurs bleiben; allerdings wird sich das Tempo vo-bergehend verlangsamen. Wir rechnen für dieses Jahrit einem Wirtschaftswachstum von 0,7 Prozent. Dieründe liegen vor allem im außenwirtschaftlichen Um-ld. Die Weltwirtschaft expandiert langsamer durchine schwache Erholung in den USA und nachlassendeynamik in den Schwellenländern. Auch die Staats-chuldenkrise in einigen Ländern des Euro-Raums belas-t die deutsche Konjunktur. Wir erwarten aber nur eineorübergehende Wachstumsdelle, ausdrücklich keineezession. Wir erwarten mehr als 220 000 zusätzlicheeschäftigte auch im Jahre 2012. Dieser Erfolg wider-gt all die selbsternannten Wirtschaftspropheten undukunftsforscher, die noch vor kurzem das Ende der Ar-eit ausgerufen haben. Die deutsche Wirtschaft hat dieseelbsternannten Propheten mit ihrem Beschäftigungs-oom Lügen gestraft.
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18144 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 152. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. Januar 2012
Bundesminister Dr. Philipp Rösler
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Ich sage Ihnen: Wer das Ende der Arbeit beschwörtund herbeiredet, der kann doch niemals für mehr Ar-beitsplätze sorgen. Das ist definitiv nicht unser Weg. DieGrünen sehen das offensichtlich anders. All das, was wirerleben, ist das Ergebnis guter Wirtschaftspolitik in denletzten beiden Jahren. Wörtlich heißt es in einem Papiervon Herrn Trittin und Frau Künast – sie ist nicht anwe-send –:
Wir halten den Abbau des Wachstumszwangs auchaus ökologischen Gründen für erforderlich.Mit Verlaub, das ist Unsinn. Wir jedenfalls gehen ei-nen anderen Weg. Wir setzen auf Wirtschaft, Wachstumund Arbeit.
Damit setzen wir uns als Regierungskoalition sehr wohl-tuend von den Pessimisten, Fortschrittsverweigerern undNeinsagern in Deutschland ab. Wir sind das gelebte Ge-genmodell zu roten,
grünen und linken Pessimisten in Deutschland.
Trotzdem verlieren wir nicht den Blick für die Risi-ken. Die weitere wirtschaftliche Entwicklung bei unshängt wesentlich von der Entwicklung in Europa ab. Esist jetzt 60 Jahre her, dass der Bundestag den Vertrag zurGründung der Montanunion ratifiziert hat, übrigens ge-gen die Stimmen der SPD. Seitdem hat uns die europäi-sche Integration Frieden und Wohlstand gebracht. DieBundesregierung will und wird diese Erfolge bewahrenund weiterführen.
Wir gestalten die notwendigen Schritte zu mehr Stabili-tät und Wachstum in Europa aktiv und mit wirtschafts-politischer Vernunft.Die SPD hingegen will anscheinend ihre europakriti-sche Haltung in der Vergangenheit kompensieren. HerrGabriel – auch nicht da –
möchte Europa jetzt zu einer Föderation umbauen. BeiLicht betrachtet sind die Vorschläge der Sozialdemokra-ten aber keine Vorschläge für eine Föderation, sondernfür eine Förderunion. Anstatt die Ursache der Krise, dieStaatsschulden, zu bekämpfen, wollen Sie mit Konjunk-turpaketen und teuren staatlichen Wachstumsprogram-men die Probleme noch verschärfen. Mit Ihren Program-men wächst weder die Wirtschaft in Griechenland oderin Italien noch die Wirtschaft in Deutschland, sondern eswächst so immer nur der Staat. Wir lassen nicht zu, dasseEEsreSSUswvSDbtedimksWUraWdWMAD–db–isOVdsEwv
ie reden unsere Außenhandelsbilanzüberschüsse schlecht.ie Grünen haben sich dem angeschlossen und kürzlicheschlossen, Außenhandelsbilanzüberschüsse zu verbie-n, ja sogar zu bestrafen. Ich bleibe dabei: Außenhan-elsbilanzüberschüsse sind kein Nachteil, sondern, ganz Gegenteil, ein Zeichen unserer Wettbewerbsfähig-eit. Sie sind die Stärke unserer Volkswirtschaft. Strafenind hier fehl am Platz.
Angesichts der Schuldenkrise in Europa haben wir dieachstumserwartungen zurückgeschraubt; das stimmt.mso mehr müssen wir jetzt über Wachstum reden, ge-de wenn das Umfeld schwieriger wird. Jetzt gilt es, dieachstumskräfte zu stärken. Bemerkenswert ist, dass iniesem Jahr ausschließlich die Binnenwirtschaft unserachstum trägt. Dahinter steht die Nachfrage vielerenschen, die gerade in diesem Jahr bei Steuern undbgaben entlastet werden. Das bedeutet für jeden imurchschnitt 413 Euro mehr im Jahr.
Ja. Die SPD behauptet, so Frau Nahles, dass die voner Koalition auf den Weg gebrachte Entlastung nichtsringt.
Meine Damen und Herren von der SPD, das Problemt nicht meine Aussprache. Das Problem liegt an Ihrenhren, vielleicht auch dazwischen. –
ielleicht ist das für Sie kein großer Beitrag. Aber fürie Menschen aus der Mitte unserer Gesellschaft
ind 413 Euro viel Geld. Wenn Sie jetzt sagen, dass diesentlastung nichts bringt, dann beweist das in Wahrheit,ie weit sich die Sozialdemokraten in der heutigen Zeiton der Mitte unserer Gesellschaft entfernt haben.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 152. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. Januar 2012 18145
Bundesminister Dr. Philipp Rösler
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Wir werden die deutsche Wirtschaft stärken. Es gehtdabei um Fachkräftesicherung und Rohstoffversorgung.Es geht natürlich auch um Energie. Es geht um neueMärkte und neue Chancen. All das können wir durchInnovationen erringen.
Was die Fachkräfte betrifft, sind wir sehr erfolgreich.Wenn Sie sich die Arbeitslosenzahlen ansehen, werdenSie feststellen, dass nicht nur der bloße Rückgang der Ar-beitslosigkeit ein Erfolg ist, sondern auch die strukturel-len Veränderungen. Heute gibt es deutlich weniger Lang-zeitarbeitslose, die niedrigste Jugendarbeitslosigkeit, diewir je hatten, und immer mehr ältere Arbeitnehmerinnenund Arbeitnehmer auf dem Arbeitsmarkt. All das sindErfolgsmeldungen. Meine Damen und Herren, wer ange-sichts solcher Zahlen jetzt versucht, eigene Reformen zu-rückzudrehen – ich nenne nur die Rente mit 67 –, der hatdas Problem auf dem Arbeitsmarkt in Wahrheit definitivnicht verstanden.
Wir werden nicht nur daran arbeiten, das inländischeFachkräftepotenzial zu nutzen, sondern es geht auch umZuwanderung. Wir waren gerade im letzten Jahr sehr er-folgreich. Erstmals gibt es ein gesteuertes System derqualifizierten Zuwanderung in den deutschen Arbeits-markt: gestaffelt nach Berufen, Qualifikationen und ab-gesenkten Gehaltsschwellen. Ausländische Fachkräftesind ein wesentliches Thema, wenn es darum geht, auchin Deutschland das Wachstum zu verstetigen. CDU,CSU und FDP haben den Einstieg in die gesteuerte Zu-wanderung geschafft. Wir werden die WachstumsbremseFachkräftemangel gemeinsam lösen. Wir, meine Damenund Herren, stehen gemeinsam für Fachkräftesicherungin Deutschland.
Die Unternehmen klagen nicht nur über fehlendeFachkräfte, sondern auch über steigende Rohstoff- undEnergiepreise. Beides ist heute von zentraler Bedeutung,wenn wir das Wachstum in Deutschland verstetigen wol-len. Oft sind die Kosten für Rohstoffe und Energie höherals die Personalkosten.
Das zeigt doch: Ein erfolgreicher Wirtschaftsstandortist nicht nur auf eine umweltfreundliche, sondern auchauf eine zuverlässige Rohstoff- und Energieversorgungangewiesen. Deswegen ist es richtig, dass diese Bundes-regierung eine Rohstoffstrategie hat und wir gemeinsamund partnerschaftlich mit anderen Staaten über den Ab-bau von Rohstoffen diskutieren. Die Bundeskanzlerinhat gerade eine Rohstoffpartnerschaft mit der MongoleiusEdnzsAruudRdasEDCwkvIngaEdtibSSh
enn andere Staaten machen dies längst. Wir müssenuch hier versuchen, den Wettbewerbsvorteil der deut-chen Wirtschaft zu erhalten.
Das aktuell wichtigste Thema ist unbestritten dienergiepolitik.
er Umbau der Energieversorgung ist eine großehance, aber auch eine große Herausforderung. Wirerden sie meistern. Wir brauchen Umweltverträglich-eit, Versorgungssicherheit und natürlich Bezahlbarkeiton Energie. Wir werden diesen Dreiklang nur mit denstrumenten der sozialen Marktwirtschaft in der richti-en Balance halten können.
Wir werden gemeinsam mit der Wirtschaft die Netzeusbauen und neue Kraftwerke bauen. Wir werden dasrneuerbare-Energien-Gesetz effizienter gestalten undie Energieeffizienz sowie die Forschung und Innova-on gerade im Bereich der Energietechnologien fördern.
Ich erinnere daran: Als Sie damals den Atomausstiegeschlossen haben, haben Sie nichts gemacht.
ie saßen ungefähr so da wie jetzt:
ie haben die Hände in den Schoß gelegt. Wir hingegenaben gehandelt: Wir haben das NABEG, die Novelle
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18146 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 152. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. Januar 2012
Bundesminister Dr. Philipp Rösler
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zum Energiewirtschaftsgesetz, die Anreizregulierungs-verordnung und die KWK-Novelle auf den Weg ge-bracht, und wir werden einen Bundesnetzbedarfsplandem Deutschen Bundestag vorlegen.
Wir werden die Offshoreanbindung verbessern. Und wirwerden auch dafür sorgen, dass dieser Energieumbau-prozess durch eine Monitoringkommission vernünftigbegleitet wird. Von Ihnen lassen wir uns nicht vorwer-fen, es sei nichts passiert. All diese Leistungen zeigen:Ihre Vorwürfe sind absurd.
An die Bremser hier im Hause: Sie blockieren imBundesrat doch gerade das CCS-Gesetz, das der Deut-sche Bundestag beschlossen hat.
Sie schaden damit den Kommunen und den kleinen undmittelständischen Energieversorgern und bremsen denUmbau der Energieversorgung.
Als Sie damals den Ausstieg beschlossen haben, ha-ben Sie gefordert, man müsse die kleinen kommunalenVersorger unterstützen. Wenn es dann aber darum geht,sind Sie die Blockierer vor dem Herrn.
Gleiches gilt für die energetische Gebäudesanierung. Sieschaden damit der Energieeffizienz, aber auch dem mit-telständischen Handwerk in Deutschland.Ich frage Sie: Wo ist denn Ihr Engagement für mehrForschung, zum Beispiel in der Energiepolitik? SobaldSie das Wort „Forschung“ hören, bekommen Sie dochHautjucken. Es gibt doch kaum technologiefeindlicherePolitiker als hier bei den Grünen.
Es muss Ihnen doch eine Warnung sein, dass große deut-sche Unternehmen ganze Technologiesparten wie dieBiotechnologie ins Ausland verlagern, weil sie Angstvor Ihrer Technologiefeindlichkeit haben. So werden Siedie Probleme in Deutschland nicht lösen können.AgtusWwbgemraFzee–liWEssUtatehda
Wir werden diese Aufgaben meistern:
usbau der Netze – über 4 000 Kilometer neue Leitun-en –, Investitionen in neue Kraftwerke mit einer Leis-ng von 17 Gigawatt allein bis zum Jahre 2020.Wir werden auch gemeinsam über Preise reden müs-en. Es geht um die Bezahlbarkeit von Energie.
enn Sie öfter mal in die Zeitung schauen würden, dannürden Sie feststellen, dass das ein aktuelles Thema ist.Ich halte es ausdrücklich für richtig, dass wir erneuer-are Energien fördern. Es war schließlich eine schwarz-elbe Regierungskoalition, die die Förderung der erneu-rbaren Energien mit dem Stromeinspeisungsgesetz da-als auf den Weg gebracht hat. Das war richtig, und da-uf können wir auch gemeinsam stolz sein, liebereundinnen und Freunde.
Es wird aber Zeit, gemeinsam auch über eine effi-iente Förderung nachzudenken. Vielleicht werden Sies nicht verstehen: Es gibt einen Unterschied zwischenffektiv und effizient.
Schön, dass Sie sich so aufregen. Das richtet sich näm-ch gerade an Sie. –
ir wollen gemeinsam den Ausbau der erneuerbarennergien, aber nicht zu den Kosten bzw. Preisen, die Sieich an dieser Stelle vorstellen; denn es geht auch we-entlich effizienter.
Es kann doch nicht sein, dass die Hälfte der EEG-mlage, mehr als 6 Milliarden Euro, für die Photovol-ik ausgegeben wird, mit der nur 3 Prozent der gesam-n Energie produziert werden. Mit Wirtschaftlichkeitat das nichts zu tun. Hier müssen wir ran. Es geht umie Wettbewerbsfähigkeit deutscher Unternehmen unduch um die Preise für die Menschen in unserem Lande.
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Bundesminister Dr. Philipp Rösler
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Wir brauchen auch den Zugang zu neuen Märkten. Inder Außenwirtschaftspolitik werden wir nicht nur auf dieklassischen Partnerländer USA und Japan und auf dieneuen Partnerstaaten Brasilien, Russland, Indien oderChina setzen, sondern auch auf weitere Staaten, die ge-rade wesentlich stärker werden als viele andere, weil sieein enormes Wachstum vorzuweisen haben: Malaysia,Mexiko, Vietnam. Die Märkte all dieser Staaten werdenvon uns neu erschlossen werden. Das sind neue Märktefür die deutsche Wirtschaft. Wenn es darum geht, dasWachstum im Inland zu stärken, werden wir uns umneue Märkte bemühen müssen. Wir kämpfen dabei auchgegen den zunehmenden Protektionismus in der Welt. Invielen Schwellenländern steigt das Selbstbewusstsein,aber leider nehmen auch die nichttarifären Handels-hemmnisse zu.
Gerade wir, Deutschland, als Exportnation müssen einInteresse daran haben, dass das Grundprinzip von Au-ßenwirtschaft erhalten bleibt. Offene Märkte, freier Han-del und fairer Wettbewerb, das sind die Grundlagen einerguten Außen- und Wirtschaftspolitik. Das sind dieGrundlagen unserer Politik in dieser Regierungskoali-tion.
Wir setzen weiter auf Innovationen. Allein im Ener-giebereich stellen wir in den nächsten vier Jahren3,5 Milliarden Euro zusätzlich für Forschung und Inno-vation zur Verfügung, zum Beispiel im Bereich der Spei-chertechnologie. In dieser Legislaturperiode investierenwir 12 Milliarden Euro in Bildung, Forschung und Inno-vationen und auch in viele andere Bereiche.Wir sind davon überzeugt, dass man in Deutschlandnur mit Fortschrittsoptimismus weiterkommen kann unddass Wachstum nur mit Fortschrittsoptimismus über-haupt erst möglich wird. Sie werden nicht weiterkom-men, wenn Sie glauben, dass man Probleme, die durchdie Anwendung und Nutzung von Technologien entste-hen, allein durch Verbote wird beseitigen können. Viel-mehr wird es nur durch bessere technologische Lösun-gen und eben durch Innovationen gelingen, solcheProbleme von vornherein zu vermeiden. Deutschlandwird nicht umweltfreundlicher, indem man Plastiktütenund Autos verbietet,
sondern indem man Katalysatoren erfindet oder Innova-tionen im Bereich der Elektromobilität entwickelt. Des-wegen setzen wir auf Forschung, Technologie und Inno-vationen, und wir grenzen uns damit von Ihnen ab.
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ie wollen in Wahrheit nicht den Ausbau der Energie-ersorgung; schließlich versuchen Sie in vielen Berei-hen, ihn zu behindern und auszubremsen. Sie wollenicht die Stabilisierung der Europäischen Union, weilie selber an Ihrer Vergangenheit noch zu knabbern ha-en. Ich sage Ihnen: Wir stehen gerade im Jahre 2012or nicht ganz einfachen Herausforderungen.
enau deswegen haben wir uns vorgenommen, gemein-am daran zu arbeiten, Europa zu stabilisieren, dieachstumskräfte im Inland durch Fachkräftesicherung,icherung der Rohstoffversorgung, gute Energiepolitik,eue Märkte, neue Chancen, Innovationen, Forschungnd Technologie freizusetzen.Die Menschen werden sich darauf verlassen können,ass wir alles dafür tun, dass Deutschland auch in Zu-unft auf Wachstumskurs bleiben kann. Das, was Sieier eben vorgeführt haben, zeigt doch in Wahrheit nurines: Sie dürfen dieses Land gar nicht regieren. Sonstird es niemals gelingen, Deutschland auf Wachstums-urs zu halten.Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Ich eröffne die Aussprache.
Das Wort erhält der Kollege Hubertus Heil für die
PD-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-n! Der Ausblick auf die wirtschaftliche Entwicklung ineutschland verlangt vor allen Dingen eines: einen rea-stischen Blick. Deshalb, Herr Bundeswirtschaftsminis-r, sagen wir als Opposition: Es ist nicht die Zeit fürlarmismus; denn Deutschland hat in den letzten Jahrenurchaus Stärken an den Tag gelegt, die wir brauchenönnen und weiter brauchen. Es ist aber auch nicht dieeit für Schönfärberei.Herr Rösler, eines muss ich Ihnen sagen:
ngesichts dessen, was Sie hier eben geboten haben,ache ich mir ernsthaft Sorgen über die Form von Reali-tsverweigerung, die Sie hier an den Tag legen.
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Hubertus Heil
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Ich glaube, Herr Rösler, dass das vor dem HintergrundIhrer Funktion als FDP-Vorsitzender vielleicht nachvoll-ziehbar ist. Wenn man bei 2 Prozent steht, dann mussman ein bisschen die Realität ausblenden; sonst kommtman gar nicht mehr durch den Tag. So schwierig ist das.Das ist aber Ihr Problem.Für Deutschland wird es ein Problem, wenn ein Bun-desminister für Wirtschaft die Realität der wirtschaft-lichen Entwicklung in diesem Land und in Europa aus-blendet.
Wie oberflächlich Sie sich als Bundeswirtschaftsminis-ter mit den tatsächlichen ökonomischen Fragen dieserZeit auseinandersetzen, sieht man an der Art und Weise,wie Sie versucht haben, zum Beispiel gegenüber Bünd-nis 90/Die Grünen Pappkameraden aufzubauen. Ich habeFrau Merkels Gesicht gesehen: Es sah noch trauriger ausals sonst.
Herr Rösler, man kann mit dem, was Sie hier bieten, fastnur noch Mitleid haben.
Kommen wir zur Sache, zum Jahreswirtschaftsbe-richt.
– Ich muss ja irgendwann einmal darüber reden. Wennder Wirtschaftsminister nicht über Wirtschaftspolitik re-det, dann muss es wenigstens die Opposition tun, meineDamen und Herren.
Tatsache ist: Deutschland ist besser durch die vergan-genen Jahre der Krise gekommen als andere Volkswirt-schaften in Europa. Ich finde, wir sollten jetzt aufhören,zu versuchen, uns wechselseitig selbst auf die Schulterzu klopfen. Jeder hat eine unterschiedliche Wahrneh-mung, wer einen Beitrag geleistet hat.Eine wesentliche Ursache ist, dass Deutschland imGegensatz zu anderen Volkswirtschaften nach wie vorein breites und starkes industrielles Rückgrat hat. Vonder Grundstoffindustrie bis zu den Hightechschmiedenhaben wir eine Wertschöpfungskette, die andere Länder– ob Großbritannien, Irland, Griechenland oder andere –so nicht haben. Das hat dazu geführt, dass wir in denletzten Jahren als exportstarkes und wettbewerbsfähigesLand mit den besten Produkten, Verfahren und Güternauf den Märkten der Welt und auch in Europa erfolg-reich waren.mPsSfoWddhFwvEsdvd4zpnNDDtusDnBDIngmLbmimdaL
ie haben uns damals geraten, dem irischen Beispiel zulgen und allein auf Finanzdienstleistungen zu setzen.ir wissen, wo das geendet hat.
Deshalb ist die Lehre aus dieser Krise, dass nicht nurer unverantwortliche Umgang mit öffentlichen Gel-ern, den es auch gab, die Länder ins Defizit gebrachtat, sondern vor allen Dingen auch eine ökonomischeehlentwicklung, eine Entwicklung, die sich von real-irtschaftlichem Handeln und industrieller Produktionerabschiedet hat. Denn das haben die Defizitländer inuropa alle gemeinsam.Deshalb muss man in dieser Zeit zum Jahreswirt-chaftsbericht leider feststellen, Herr Rösler, dass sichie Stärke der deutschen Wirtschaft dauerhaft auch zurerwundbaren Stelle entwickeln kann. Weil 60 Prozenter Exporte Deutschlands in die Europäische Union,0 Prozent in die Euro-Zone und derzeit lediglich 6 Pro-ent nach China gehen, wissen wir: Wir können als Ex-ortnation, wenn es dem Rest Europas schlecht geht,icht dauerhaft wirtschaftlich erfolgreich sein, weil dieachfrage nach deutschen Produkten, Verfahren undienstleistungen wegbricht.
ie Antwort darauf bleiben Sie schuldig.Neben Realitätssinn fehlt Ihnen die Tatkraft, das zun, was jetzt notwendig ist. Wir brauchen eine Doppel-trategie, um dieser Herausforderung zu begegnen.
azu gehört erstens, dass wir in Deutschland mithelfen,icht nur konjunkturell, sondern auch strukturell dieinnennachfrage und die Kräfte im Inland zu stärken.azu gehören Investitionen in Bildung, Forschung undfrastruktur, aber an der richtigen Stelle, Herr Rösler; eseht nicht darum, ein Betreuungsgeld als Fernhalteprä-ie vom Arbeitsmarkt für Frauen einzuführen.
Dazu gehört zweitens aber auch eine angemesseneohnentwicklung. Im Hinblick auf den Arbeitsmarkt ha-en Sie etwas verschwiegen. Tatsache ist: Es ist gut, dassehr Menschen in Beschäftigung sind als früher, auch sozialversicherungspflichtigen Bereich. Wer möchteas bestreiten, und wer sollte das schlechtreden? Es istber schlecht, dass immer mehr Menschen in diesemand zwar Vollzeit arbeiten, aber nicht mehr von der Ar-
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Hubertus Heil
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beit leben können, weil sie mit Armuts- und Hungerlöh-nen abgespeist werden.
– Das ist kein Zerrbild. Wenn mittlerweile 25 Prozentder Arbeitnehmer, die arbeitslos werden, direkt in dieGrundsicherung, in das Arbeitslosengeld II herunterras-seln und aus der Arbeitslosenversicherung herausfallen,
dann hat das mit der Lohn- und Gehaltsentwicklung indiesem Land zu tun. Es hat damit zu tun, dass es einenMissbrauch von Zeit- und Leiharbeit gibt und dass es imGegensatz zu anderen Ländern in Deutschland leiderGottes keinen gesetzlichen Mindestlohn gibt.
Wir brauchen – da sind die Tarifvertragsparteien zu-vörderst gefragt – angemessene Lohnabschlüsse, um dieKaufkraft zu stärken. Wir brauchen private und öffent-liche Investitionen in diesem Land. Und: Wir müssenmithelfen, dass sich Deutschland so entwickelt, dass eswettbewerbsfähig bleibt. Aber dafür brauchen wir Staa-ten und Märkte, die in der Lage sind, unsere Produkte,Verfahren und Dienstleistungen abzunehmen.Deshalb, Herr Rösler, finde ich Ihre Betrachtung derKrise in der Euro-Zone und den Defizitländern sehroberflächlich. Wer weiterhin glaubt, dass die betroffenenLänder alleine mit kurzfristigen Hilfskrediten undgleichzeitig mit massiven Sparauflagen ökonomischwieder auf die Beine kommen, der hat nicht begriffen,dass die wirtschaftliche Dynamik in diesen Ländern be-stimmte Strukturen, beispielsweise eine bestimmte Infra-struktur, aber auch eine industrielle Struktur, braucht.Aber dazu haben Sie nichts gesagt. Wer einem Staat wieGriechenland mit einer Verschuldung von mindestens180 Prozent, gemessen am Bruttoinlandsprodukt, nurkurzfristig Hilfskredite hinterherwirft und gleichzeitigdie dortige Wirtschaft mit kurzfristigen Sparprogram-men und -auflagen abwürgt, der tut nichts dafür, dassdieses Land auf lange Sicht ökonomisch wieder auf eige-nen Beinen steht.
– Herr Döring, ich habe vor kurzem in der Zeitung gele-sen, dass Sie als Patrick Lindner bezeichnet wurden. Ichglaube aber, dass Sie Döring heißen.
– Herr Döring, stellen Sie eine Zwischenfrage, oder hal-ten Sie die Klappe!dbiseaddgsuaBsWSuwsmwinsaHtetrSseIcSwssddhm
Ich sage Ihnen etwas zur Sache. Wir wollen das nichturch eine höhere Staatsverschuldung finanzieren. Wirrauchen nicht nur einen Fiskalpakt mit Auflagen – dert in Europa sicherlich notwendig –, sondern auch einuropäisches Wachstumsprogramm. Ich sage Ihnenuch, wie wir es finanzieren wollen:
urch das Aufkommen einer Finanztransaktionsteuer iner Euro-Zone, deren Einführung Sie blockieren wollen.
Herr Rösler, das bringt mich wirklich dazu, mir Sor-en zu machen. Man könnte sich mit Blick auf den Zu-tand dieser 2-Prozent-Partei FDP getrost zurücklehnennd Witze über die FDP machen. Das reicht aber nichtus, weil Sie selbst mittlerweile durch Ihr Handeln in derundesregierung zu einem Standortrisiko gewordenind.
enn die Bundeskanzlerin auf europäischer Ebene inachen Finanztransaktionsteuer entschlossen auftretennd im Kreis ihrer Kollegen Überzeugungsarbeit leistenill, dann können diejenigen, die die Einführung einerolchen Steuer skeptisch sehen oder dagegen sind, im-er wieder mit Blick auf die FDP die Frage stellen: Wieill sich eine Kanzlerin in Europa durchsetzen, die sich Deutschland noch nicht einmal gegenüber ihremchwächelnden Koalitionspartner in Sachen Finanztrans-ktionsteuer durchsetzen kann?
Jetzt will ich etwas zu Ihrer Argumentation sagen,err Rösler. Sie müssen sich entscheiden. Sie haben ges-rn in der Bundespressekonferenz zum Thema Finanz-ansaktionsteuer zwei Antworten gegeben. Zuerst habenie gesagt, warum Sie eine solche Steuer grundsätzlichchlecht finden. Dann haben Sie gesagt: Wenn man sieinführt, dann nur in der Europäischen Union.
h sage Ihnen dazu Folgendes: Wenn man eine solcheteuer einführt, dann wäre es ganz toll, wenn man eseltweit machen würde. Das wäre das Beste. Ich wün-che mir, dass das zumindest in der gesamten Europäi-chen Union möglich wäre. Aber Sie wissen ganz genau,ass das mit einer britischen Regierung, die so sehr voner City of London abhängig ist, nie möglich ist. Des-alb sind Sie in dieser Frage nicht ganz ehrlich. Sie argu-entieren in Sachen Finanztransaktionsteuer nach dem
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Motto: Dafür, weil Ablehnung durch Briten gesichert. –Das ist keine ehrliche Position. Dann sagen Sie doch,dass Sie diese Steuer nicht wollen.
Ich sage Ihnen, warum wir diese Steuer brauchen, undzwar aus zwei Gründen: Zum einen ist sie eine effektiveBremse gegen kurzfristige, volkswirtschaftlich schäd-liche Spekulationen beispielsweise im Bereich desHochfrequenzhandels. Zum anderen brauchen wir sieschlicht und ergreifend, weil wir das Aufkommen dieserSteuer in Europa brauchen, weil wir die Staaten nicht inneue Schulden stürzen dürfen und weil wir den Steuer-zahlern nicht die Kosten dessen aufhucken dürfen, wasjetzt notwendig ist, nämlich ein wirtschaftliches Aufbau-programm. Das wird sicherlich lange dauern. Aber icherinnere daran, dass wir in der Bundesrepublik Deutsch-land nach dem Zweiten Weltkrieg ohne ein solches wirt-schaftliches Aufbauprogramm – es hieß damalsMarshallplan – nicht auf die Beine gekommen wären.Was Sie betreiben, ist Voodoo-Ökonomie. Zu glauben,dass man mit Sparauflagen und Hilfskrediten die betrof-fenen Länder ökonomisch wieder flottmachen könne,hat mit ökonomischem Sachverstand nichts zu tun.
Zum Thema Energiepolitik. Herr Rösler, war dasnicht die Rede eines Bundeswirtschaftministers, derauch für Energiepolitik zuständig ist?
Das war die Rede eines hilflosen Hilfsreferenten: Manmüsste mal, man sollte mal, man könnte mal. Die deut-sche Wirtschaft schreibt Ihnen ins Stammbuch, dass dieArt und Weise, wie Sie sich bei der Umsetzung der Ener-giewende mit Herrn Röttgen verhakeln, dass das Fehleneines Masterplans – er ist notwendig, um die Netze aus-zubauen, die Erneuerbaren tatsächlich zu integrieren,Planungs- und Investitionssicherheit zu schaffen undEnergieeffizienz voranzubringen –, dass dieser Zick-zackkurs und diese Unsicherheit mittlerweile zum Pro-blem werden können für die Verbraucher, was die Preis-entwicklung betrifft, und für die energieintensivenUnternehmen in diesem Land. Sie sind durch diese Formvon Energiepolitik ein Standortrisiko. Das müssen Siesich zurechnen lassen.
Herr Rösler, zum Thema Fachkräftesicherung undPersonalentwicklung. Abgesehen davon, dass Sie das zueinem wichtigen Thema erklärt haben, ist der einzigeBeitrag, der im Bereich Personalentwicklung im Mo-ment geleistet wird – ob das Fachkräftesicherung ist,weiß ich nicht –, das, was Ihr Kollege Niebel im Ent-wicklungsministerium an Personalpolitik macht. Er hatwahrscheinlich Entwicklungspolitik mit Personalent-wicklung verwechselt.AkbmsmLehkedMZEaagDDndVimbuSK
ber es gibt in der Sache keine Fachkräfteallianz undeine Strategie in Deutschland, die die Spaltung des Ar-eitsmarktes überwindet.Wir erleben, dass demografiegetrieben die Arbeits-arktsituation in diesem Jahr stabil bleibt. 150 000 Men-chen weniger als im letzten Jahr stehen dem Arbeits-arkt zur Verfügung. Das ist nicht nur eine politischeeistung; das ist schlicht und ergreifend Demografie.
Herr Kollege.
Deshalb ist die Fachkräftesicherung Thema Nummer
ins. Kümmern Sie sich einmal darum, und bauen Sie
ier keine Pappkameraden auf! Sie sind eine Nummer zu
lein für das Amt, Herr Rösler; das kann ich Ihnen nicht
rsparen.
Nächster Redner ist der Kollege Michael Fuchs für
ie CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen!eine sehr geehrten Damen und Herren! Wenn man dieahlen von Herrn Heil verfolgt, dann muss man sagen:s macht eigentlich überhaupt keinen Sinn, darauf zuntworten, und deswegen erspare ich Ihnen und mir das.
Herr Heil versucht, uns beizubringen, dass das Glasllenfalls halb leer ist. Es ist aber mehr als halb voll. Esibt kein Land in Europa, dem es so gut geht wieeutschland.
arauf können wir stolz sein. Wir lassen uns das voniemandem aus der Opposition schlechtreden.Die Situation in Deutschland ist viel besser als in je-em anderen Land. Ich habe vor kurzem Gespräche mitertretern anderer Länder geführt. Das Einzige, was ichmer wieder gesagt bekommen habe, war: Eure Pro-leme möchten wir haben. – Genau so ist die Situation,nd dies sollten wir auch erfreut zur Kenntnis nehmen.o gut wie Deutschland ist kein anderes Land aus dieserrise herausgekommen.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 152. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. Januar 2012 18151
Dr. Michael Fuchs
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)Es ist die Politik, es sind aber auch die Unternehmensowie die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, dieDeutschland standortsicher gemacht haben, die dafür ge-sorgt haben, dass wir innovative Produkte haben unddass wir unsere Produkte weltweit vernünftig absetzenkönnen. Die Wettbewerbsfähigkeit in Deutschlandwurde in den letzten Jahren gewaltig gesteigert. Deswe-gen geht es uns so gut.
Wenn Sie sich die Zahlen aus Europa angucken, dannsehen Sie: Es gibt kaum ein Land, das sagen kann, seineWirtschaft werde in diesem Jahr um mindestens 0,7 Pro-zent wachsen. Das ist nicht viel in Relation zu dem, waswir in den letzten Jahren hatten, nämlich 3,7 Prozent und3,0 Prozent. Aber es ist Wachstum, und es ist konserva-tiv gerechnet; denn ich bin davon überzeugt, dass derExport besser laufen wird, als wir dies im Jahreswirt-schaftsbericht angenommen haben. Meiner Meinungnach wird der Export schon deswegen besser laufen,weil wir durch den schwachen bzw. schwächeren Euronatürlich auch gewisse Windfall Profits haben. Schwachist der Euro wahrlich nicht. Ich erinnere daran, dass er inRelation zum US-Dollar einmal bei 85 Cent gestandenhat; jetzt steht er bei 1,27 bzw. 1,28 Euro. Das ist wahr-lich nicht dramatisch und zeigt im Prinzip die nach wievor vorhandene innere Stärke des Euro.Der Arbeitsmarkt profitiert davon am allermeisten.Wir werden in diesem Jahr laut Projektion voraussicht-lich 41,3 Millionen Erwerbstätige haben. Wir haben über29 Millionen sozialversicherungspflichtig Beschäftigte.Das führt dazu, dass unsere Sozialsysteme sicherer ge-worden sind. Es führt dazu, dass wir im nächsten Jahrden Rentenversicherungsbeitrag wahrscheinlich erneutsenken können, ja sogar müssen, weil wir über die Re-serve von 1,5 Monatsausgaben hinauswachsen werden.All dies sind Erfolgsstories.Aber ein Punkt ist mir am allerwichtigsten – dafürhabe ich mich persönlich auch als Unternehmer immereingesetzt –: Die Jugendarbeitslosigkeit in Deutschlandist so niedrig wie in keinem einzigen anderen LandEuropas. Das sollten wir auch einmal zur Kenntnis neh-men. Das könnte sogar die Opposition erfreut zur Kennt-nis nehmen.
Es gibt für mich kein größeres gesellschaftspoli-tisches Problem, als sich darum zu kümmern, dass jungeMenschen eine Perspektive haben, eine Chance, in denArbeitsmarkt hineinzukommen, damit sie eine Lebens-perspektive entwickeln können. Genau dies haben wirerreicht. In meinem Wahlkreis gibt es keinen einzigenjungen Menschen mehr, der noch keinen Ausbildungs-platz gefunden hat, aber 327 offene Stellen.
Bei diesem Punkt müssen wir darüber nachdenken:Wie bekommen wir es hin, die Jugendlichen, die nochnicht ausbildungsfähig sind, möglichst schnell in Ausbil-dung zu bringen? Das ist aber eine wesentliche AufgabedgMgkgteteRwwsgdMGreHdsaQmmsgdJtrCAhwzRksGwPhsad
Die Situation ist also alles andere als schlecht, undir lassen sie uns auch von der Opposition nichtchlechtreden.
Wichtig ist aber, dass wir wissen, warum es uns so guteht. Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, uns geht eseswegen so gut, weil wir eine funktionierende sozialearktwirtschaft haben. Diese Marktwirtschaft ist derrund, warum es bei uns besser läuft als in vielen ande-n Ländern. Es ist unsere Aufgabe, hier im Hohenause darauf zu achten, dass wir weiter auf dem Weger Marktwirtschaft gehen und diese nicht immer infragetellen. Das tun viele. Der Marktwirtschaft wird häufiguch noch Raubtierkapitalismus vorgeworfen. Völligeruatsch! Wer von Marktwirtschaft spricht, der meint da-it bewusst auch Ordnung und Staat. Das gehört zusam-en. Aber der Staat ist nicht der bessere Banker undchon gar nicht der bessere Unternehmer. Er hat die Re-eln zu setzen, aber sich aus der Marktwirtschaft, ausem Markt herauszuhalten. Dort haben wir in den letztenahren das eine oder andere durchaus falsch gemacht.Der Marktanteil privater Banken in Deutschland be-ägt gerade einmal 26,9 Prozent, und dabei habe ich dieommerzbank dazugerechnet.
ber wenn der Staat die Sperrminorität bei einer Bankat, kann man nicht wirklich von privat sprechen. Wennir diese Bank nicht dazurechnen, sind wir bei 19 Pro-ent. Das ist mit 15 Prozent die Deutsche Bank, und derest sind das Bankhaus Metzler und einige andereleine. Dann davon zu sprechen, dass all diese schuldeien, ist sehr fragwürdig.
Meiner Meinung nach wäre es besser – der Kollegeysi hat das ja immer in seinen Redeschleifen –, wennir einmal darüber nachdenken würden, wie wir mehrrivate in den Bankensektor hineinbekommen; denn sieaben weniger Probleme als die ganzen staatlich organi-ierten Banken, angefangen bei allen Landesbanken, vorllem denjenigen in sozialdemokratisch geführten Län-ern.
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18152 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 152. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. Januar 2012
Dr. Michael Fuchs
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Lassen Sie mich – Sie warten wahrscheinlich schondarauf – noch einige Worte zum Energiemarkt sagen.Auch dort ist es so, dass das Ganze mit Markt nicht mehrallzu viel zu tun hat. Wir haben nur noch 34 ProzentMarkt; 66 Prozent sind staatlich organisiert. Das ist dergesamte Bereich der staatlichen Lasten; das sind 42 Pro-zent. Hinzu kommen die regulierten Netzentgelte miteinem Anteil von 24 Prozent. Also sind nur noch 34 Pro-zent des gesamten Strompreises privat oder marktwirt-schaftlich organisiert. Das zeigt, dass wir da in eine Fallelaufen, die immer problematischer wird. Denn je mehrerneuerbare Energien wir einsetzen – und wenn wir die-sen Bereich so organisieren, dass dieser Markt komplettreguliert ist –, desto mehr wird aus der privatwirtschaft-lichen Organisation herausgenommen.Ich warne davor; denn das kann zu Verteuerungenführen, die wir uns nicht leisten können. Die können wiruns deswegen nicht leisten, weil ich nicht möchte, dassIndustrieunternehmen aus Deutschland abwandern müs-sen, weil sie nicht in der Lage sind, die Strompreise zubezahlen bzw. ihre Produkte wettbewerbsfähig inDeutschland herzustellen.
Es kann nicht sein, dass wir die Fehler, die wir beimEEG gemacht haben, auch in Zukunft nicht beseitigen.Produce and forget – das ist die Methode, die das EEGvorgibt: Ich stelle den Strom her; ob den irgendeiner be-nötigt und wo der gebraucht wird, ist mir völlig egal. Ichsage Ihnen eines: Als Unternehmer hätte ich es sehrgerne gesehen, wenn ich die von mir hergestellten Pro-dukte einfach auf den Hof hätte stellen und sagen kön-nen: Mich interessiert der Vertrieb nicht. Das ist eineVorgehensart, die ich nicht als Unternehmertum bezeich-nen möchte.
Der Vertrieb des Stroms muss von denjenigen, die ihnproduzieren, mitorganisiert werden. Wir werden eineentsprechende Änderung im EEG vornehmen müssen;denn ansonsten wird es einen gewaltigen Zubau geben,den aber keiner gebrauchen kann. Keiner kann dannnämlich den produzierten Strom abnehmen, weil er garnicht dahin transportiert werden kann, wo er gebrauchtwird. An dieser Stelle muss es Veränderungen geben.
Wir müssen auch darüber nachdenken, ob die unwirt-schaftlichste Methode, Strom zu produzieren, nämlichdie Photovoltaik, so wie bisher weiter gefördert werdenkann. Im letzten Jahr wurden 7 500 Megawatt zugebaut,allein im Monat Dezember über 3 000 Megawatt.
Dies wird so nicht weitergehen können. Das zeigt zu-gleich, dass die Kostensenkungen bei den Paneelen weithtudkeddgmsdhisdBdonaPmddJosedinlasdVucsewRdeKm
Es handelt sich auch um eine Umverteilung von Nordach Süd. Es ist sozusagen ein Länderfinanzausgleichuf umgekehrtem Wege. Die Bayern sind die größtenrofiteure, während die Länder im Norden und NRW ameisten dafür zahlen. Das kann so nicht weitergehen;as ist ungerecht, das sehe ich so nicht ein. Wir müssenas gemeinsam angehen. Wir werden das EEG in diesemahr umbauen müssen, sodass es marktwirtschaftlicherrganisiert ist, dass Elemente hineinkommen, die dafürorgen, dass die Strompreise durch die Erzeugung vonrneuerbaren Energien nicht zu stark steigen und somitie Bürgerinnen und Bürger, aber auch die Unternehmen Deutschland nicht zu sehr belastet werden. Deutsch-nd ist ein Industrieland, ein Industriestandort; das musso bleiben. Wir werden uns dafür einsetzen.
Das Wort erhält nun der Kollege Michael Schlecht für
ie Fraktion Die Linke.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Im letztenierteljahr ist die wirtschaftliche Entwicklung bereitsm 0,25 Prozent zurückgegangen; sie ist quasi eingebro-hen. Wir liegen also bereits im Minus. Spätestens ange-ichts dessen stellt sich doch die hochbrisante Frage, obine Rezession droht. In solch einer Situation erlebenir hier einen Wirtschaftsminister, der sich schlicht inealitätsverweigerung übt. Ich halte es schon für skan-alös, wie hier operiert wird.
Was sagt der Wirtschaftsminister? Er sagt: Wir habenine leichte Wachstumsdelle. Das wird am Rande zurenntnis genommen; dabei ist es, wie gesagt, schonehr als eine Wachstumsdelle. Dann wird anhand
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Michael Schlecht
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irgendwelcher wunderlicher Gründe, die nicht näher be-legt werden, behauptet, dass es ab nächsten Sommerwieder aufwärtsgehen wird. Das sind schlicht haltloseFantastereien, mit denen wir hier konfrontiert werden.
Wir haben im letzten Jahr und auch in den Jahren zu-vor erlebt, dass von deutscher Seite den anderen Ländernin der EU ein massives Kürzungs- und Strangulierungs-programm aufgeherrscht worden ist. In den anderenLändern wird die deutsche Kanzlerin mittlerweile fastschon als selbsternannte, selbstgekrönte Kaiserin überEuropa empfunden. 600 Milliarden Euro beträgt dieSumme, die in den nächsten zwei bis drei Jahren in Eu-ropa auf deutschen Druck eingespart wird. Hier läuftmomentan ein atemberaubendes Strangulierungspro-gramm. Das ist das Gegenteil von Konjunkturunterstüt-zung.Auch das und die damit verbundenen Risiken werdenvon dieser Regierung und von diesem Wirtschaftsminis-ter überhaupt nicht zur Kenntnis genommen. Wir wissendoch, dass 60 Prozent der deutschen Exporte in die EUgehen. Es ist vollkommen klar, dass dieses Strangulie-rungsprogramm auch auf Deutschland zurückschlägt,sodass wir auch hier in Deutschland in höchster Gefahrsind. Das muss man anerkennen, das muss man sehen,und darauf muss man Antworten geben.
Die Grundantwort darauf heißt: Eine Rezession inDeutschland kann sehr wohl verhindert werden. Sie istnicht gottgegeben. Die Verhinderung einer Rezession inDeutschland setzt aber voraus, dass wir unverzüglich aufeine deutliche Stärkung der Binnenwirtschaft inDeutschland umsteuern müssen.
Dazu gehören zum einen Zukunftsinvestitionspro-gramme und Konjunkturprogramme. Wir müssen vielmehr Geld für dringend zu lösende Aufgaben ausgeben,für Infrastruktur, Bildung usw. Der zweite ganz wichtigePunkt ist aber: Wir brauchen richtig knackige Lohnerhö-hungen, um es einmal so klar zu formulieren. Lohnerhö-hungen sind die Parole der Stunde.
Es muss endlich Schluss sein mit dem, was wir seitzehn Jahren erleben, nämlich ein atemberaubendesLohndumping. Die Reallöhne sind in den letzten zehnJahren um 4,5 Prozent gesunken. Daran ändert auch dieTatsache nichts, dass es in den letzten ein, zwei Jahrengeringfügige Verbesserungen und Korrekturen gegebenhat. Dieses Lohndumping in Deutschland muss endlichbeendet werden.
Es muss Schluss sein damit, dass auf der einen Seitedie Gewinne in den Himmel fliegen und die Einkommender Beschäftigten mit den niedrigsten Löhnen auf der an-deren Seite noch um 20 Prozent gekürzt werden, sodasssThömdtebfeSAsdeliwnderugdfrswWdpnFDdptenmessdleF
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18154 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 152. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. Januar 2012
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Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen undHerren! Ich kann mich nicht daran erinnern, währendmeiner langjährigen Mitgliedschaft im Deutschen Bun-destag – ich bin seit gut 30 Jahren Mitglied – schon ein-mal in einer schwierigen Zeit und in einem schwierigenUmfeld einen so positiven Jahreswirtschaftsbericht ge-hört zu haben. Das möchte ich hier betonen.
Das ist schon herausragend. Zu diesem Ergebniskommen Sie, wenn Sie sich das Umfeld in Europa undweltweit anschauen. Deswegen gilt unser Dank der Bun-desregierung dafür, dass sie dazu beigetragen hat, dassdieser positive Bericht abgegeben werden konnte. Einbesonderer Dank gilt natürlich dem Wirtschaftsminister,der in erster Linie die Verantwortung dafür trägt.
Deutschland ist heute eine Insel der Stabilität, eine In-sel der sozialen Sicherheit und zugleich eine Insel desWachstums und des Fortschritts. Alle anderen Länderum uns herum wären froh und glücklich, wenn sie in un-serer Lage wären. Aber einige, insbesondere die Politi-ker der Opposition, mäkeln daran herum. Warum sagenSie nicht stolz: „Wir haben mit der Agenda 2010 auchunseren Anteil an diesem Erfolg“?
Stattdessen verleugnen Sie die Vaterschaft für diese Tatund versuchen jetzt, sie zu bekämpfen. Das ist dochkurios. Damit werden Sie keine Wahlen gewinnen. Dassage ich Ihnen voraus.
Die positive Entwicklung zeigt sich insbesondere aufdem Arbeitsmarkt. Damit verbunden ist auch eine posi-tive Entwicklung der sozialen Situation; denn die Men-schen können wieder aus eigener Kraft ihren Lebensun-terhalt verdienen und sind nicht mehr auf staatlicheTransfers angewiesen.Zu dem Kollegen Schlecht möchte ich sagen: Nomenest omen. Es war ziemlich schlecht, was Sie gesagt ha-ben. Die Lohnsteigerungen – Sie haben beklagt, dass essie nicht geben würde – sind jetzt faktisch da. Das habenwir erreicht. Ich will noch dazu sagen, dass dies ökono-misch gesehen eine hochinteressante Entwicklung ist;denn hier treten zwei Phänomene zugleich ein, die sichdie Ökonomen seit langem gewünscht und geforderthaben:Erstens. Die Exportkonjunktur, die uns aus der Kriseherausgeführt hat, geht jetzt in eine Binnenkonjunkturüber. Wir sind nicht mehr so stark vom Export abhängig,wie wir es in der Zeit davor waren. Die Binnenkonjunk-tur ist angesprungen. Das liegt insbesondere an der Be-schäftigungsentwicklung und dem damit verbundenenEffekt, weil die Menschen durch mehr Beschäftigungund durch Lohnerhöhungen mehr Kaufkraft haben unddpgbuHgWdddzgKuzKnofüDcdsawvsmddwvjesOpwimdfäwedgSb
er einzige Weg, die Krise zu bekämpfen, ist, die Ursa-he der Krise zu bekämpfen. Das ist die Verschuldunger Staaten, und diese muss zurückgeführt werden. Dasetzen wir durch.
Das zweite Risiko liegt in der Entwicklung der Preiseuf dem Energiemarkt. Die Energiepreise sind heute das,as früher die Brot- oder Milchpreise waren. Sie sindon fundamentaler Bedeutung. Der sehr schnelle Um-tieg in der Energiepolitik birgt erhebliche Risiken. Esuss klar sein: Die Belastung der Volkswirtschaft durchie Energiepreise muss beherrschbar bleiben. Das heißt,ie EEG-Umlage darf den Wert von 3,5 Cent pro Kilo-attstunde nicht überschreiten. Deswegen muss die Sub-entionierung im EEG zurückgeführt werden. Ich willtzt nicht über die Technik sprechen, aber es muss klarein und wir müssen gemeinsam daran arbeiten, dass diebergrenze für die EEG-Umlage in Höhe von 3,5 Centro Kilowattstunde eingehalten wird und die Preise nichteiter steigen. Das würde unsere Wettbewerbsfähigkeit internationalen Wettbewerb erheblich erschweren.
Das dritte Risiko liegt in der Steuerpolitik. Ich willie Grusel- und Schockvorschläge der Grünen, die viel-ltige Steuererhöhungen beschlossen haben, hier nichtiederholen. Die SPD ist etwas zurückhaltender, aberbenfalls auf dem falschen Weg. Es zeigt sich doch jetzt,ass eine maßvolle Steuerbelastung positive Auswirkun-en auf die Wirtschaft und die privaten Haushalte hat.ie führt dazu, dass Investitionskapital in Deutschlandleibt und vom Ausland nach Deutschland gebracht
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Dr. Hermann Otto Solms
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wird. Das wiederum ist die Voraussetzung für Wachs-tum. Also: Lasst diesen Unsinn mit diesen vielen Steuer-erhöhungen, sondern schließt euch uns an.
Maßvolle Steuerpolitik ist die Voraussetzung für Wohl-stand und Wachstum, und dabei muss es bleiben.
Es bleibt das Thema Finanztransaktionsteuer. Ich willjetzt gar kein Tabu aufstellen. Ich will nur sagen: Dieje-nigen, die das fordern, müssen erst einmal den Nachweiserbringen, dass die volkswirtschaftlichen Nachteile, diedamit verbunden sind, geringer sind als die volkswirt-schaftlichen Vorteile.
Die Finanztransaktionsteuer ist mittlerweile einereine Wundertüte: Sie soll die Märkte beruhigen. Sie solldie Spekulationen eindämmen. Sie soll die Finanzindus-trie bestrafen. Sie soll für mehr steuerliche Gerechtigkeitsorgen. Sie soll im Übrigen Geld in die Kasse spülen. –Das ist natürlich alles schön und gut. Aber: Geht das?Kann sie das? Das ist doch die Frage.
Es gibt einen einzigen praktischen Versuch. Der ist inSchweden durchgeführt worden. Der ist total in dieHose gegangen. Die Schweden haben in den 80er-Jah-ren die Börsenumsatzsteuer eingeführt. 80 bis 90 Pro-zent der Umsätze sind sofort nach London abgewandert.Sie haben gehofft, 1,5 Milliarden Euro an zusätzlichenSteuereinnahmen zu bekommen. Hereingekommen sind50 Millionen Euro. Wer ist zum Schluss besteuert wor-den? Nur noch die kleinen Unternehmen, die allein ander schwedischen Börse notiert waren. Bei allen anderenUnternehmen, die auch international notiert waren, sinddie Umsätze abgewandert. Das droht auch hier.Die Kommission hat erkannt, dass es so nicht funktio-nieren kann, weil es zu Abwanderungen führt. Deshalbsoll das Wohnsitzprinzip gelten. Aber auch das Wohn-sitzprinzip haben sie nicht durchgehalten; denn bis jetztgibt es beispielsweise keine Vereinbarung in den jewei-ligen Doppelbesteuerungsabkommen über einen entspre-chenden Datenaustausch. Wie wollen Sie denn die Be-hörden in Singapur zwingen, die Namen derjenigen, dieTransaktionen veranlasst haben, bekannt zu geben? Dasist doch gar nicht machbar. Auch die Behörden in Lon-don tun es nicht.
Deswegen kann ich Ihnen nur sagen: Bevor diese techni-schen Fragen nicht geklärt sind, können wir die Diskus-sion über die Finanztransaktionsteuer beenden.
htemnAunzBleWFDFwbhedNewdddgzruegblaLdtrmDW
nd dass die kleinen Unternehmen in Deutschland, dieur an der deutschen Börse notiert sind, diese Steuer be-ahlen müssen und die großen Unternehmen zu anderenörsenplätzen abwandern. Das kann keiner von uns wol-n.
ir brauchen in Deutschland einen funktionierendeninanzplatz zur Finanzierung der realen Wirtschaft.arüber müssen wir uns alle einig sein.Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
Das Wort erhält nun der Kollege Fritz Kuhn für die
raktion Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ichar schon gestern bei der Lektüre des Jahreswirtschafts-erichts enttäuscht; aber bei Ihrer Rede, Herr Rösler,atte ich irgendwie das Gefühl, Sie nehmen es gar nichtrnst, worüber wir in Deutschland und in Europa geradeiskutieren.Ich halte es für eine Beschönigung, wenn Sie sagen:a ja, wir gehen um 2,3 Prozent herunter; das ist dannben eine „Delle“. – Jedoch wissen alle, die den Jahres-irtschaftsbericht gelesen haben, dass die Grundlage fürie Annahme, dass es sich nur um eine „Delle“ handelt,arin besteht, dass wir im Jahr 2012 die Euro-Krise inen Griff bekommen und somit die europäische Kriseelöst werden kann. Diese Annahme liegt Ihren Zahlenugrunde.Ich sage: Angesichts der Krisenpolitik dieser Regie-ng, die auch den Namen von Frau Merkel trägt, bin ichbenso wie viele Experten im Zweifel, ob es wirklichelingen wird, diese Krise im Jahr 2012 in den Griff zuekommen.
Sie haben vieles falsch gemacht. Sie haben zuerstnge gezögert, und zwar zum großen Schaden für vieleänder in Europa. Dann haben Sie eine Politik gemacht,ie sich ganz auf eine Sparpolitik der Staaten konzen-iert, die aber keine Möglichkeiten und Spielräumeehr für Investitionen lässt.
as ist völlig falsch. Wir müssen sparen und investieren.er nur spart und sich dann wundert, dass die anderen
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18156 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 152. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. Januar 2012
Fritz Kuhn
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nicht investieren können, der ist ökonomisch zu kurz ge-sprungen. Das sind Sie in Ihrer Rede und in dem, wasSie in Ihrem Bericht verfasst haben.
Herr Rösler, ich will Ihnen am Rande sagen: Sie per-sönlich kommen in der Europapolitik sowieso nicht vor.
Die ganze EU-Debatte ist spurlos an Ihnen vorüberge-gangen, obwohl Sie als Wirtschaftsminister dafür ele-mentar zuständig wären. Darüber sollten Sie sich einmalGedanken machen. Sie treten lediglich an einer Stelleauf, nämlich als Bremser bei der Finanztransaktion-steuer.Es ist doch geradezu lächerlich, dass Sie jetzt denkleinen Mann entdecken, wir aber bei der Finanztransak-tionsteuer über Steuersätze von 0,1 Prozent auf Aktienund 0,01 Prozent auf Derivate reden. Dass Sie nun plötz-lich das Herz des kleinen Mannes entdecken, ist dochirgendwie fadenscheinig. Ihnen geht es um die Großban-ken.
Sie glauben, dass diese Ihnen über die 5-Prozent-Hürdehelfen. Aber auch das wird sich als Illusion erweisen.Ein Punkt stört mich in ökonomischer Hinsicht: Frü-her war das Wirtschaftsministerium immer auch ein Ortder ökonomischen Theorie. In Ihrem Bericht jedoch sa-gen Sie: Die Ungleichgewichte in Europa und die Leis-tungsbilanzunterschiede sind ein Problem. – Für Siebesteht ein Problem nur dann, wenn ein Land Leistungs-bilanzdefizite hat. Dass es aber auch einen Zusammen-hang gibt zwischen Defiziten und Überschüssen unddass man dieses Problem durch gemeinsame Wirt-schaftspolitik in Europa angehen muss, das kommt imgesamten Jahreswirtschaftsbericht nicht vor.
Davon haben Sie noch nichts gehört. Der Debatte wollenSie sich offensichtlich nicht stellen.Dann kommen Sie mit dem Wachstum. Das will icham Beispiel der Energie deutlich machen. Ich werfeIhnen für meine Fraktion konkret vor, dass Sie bei derEnergiewende so auf der Bremse stehen, wie man nurauf der Bremse stehen kann.
Sie haben die Energiewende zwar beschlossen, wennauch wider Willen, aber jetzt tun Sie nichts.
Sie haben nichts im Zusammenhang mit der Energie-effizienz getan. Sie haben den EU-Vorschlag blockiert,dEDmlaDsnimluKsNDatewGVfüleddreSnbggWuddmWlaS
as nennen Sie Planwirtschaft – und beim EEG kom-en Sie mit dem depperten Quotenmodell, das in Eng-nd schon in Bausch und Bogen gescheitert ist.
as ist doch keine Ordnungspolitik, das ist reine Interes-enpolitik. Für Sie bedeutet die Energiewende lediglich,eue Kohlekraftwerke zu bauen. Wir haben doch Augen Kopf.Der Strom wird teurer, weil Sie die Netzentgeltrege-ng für Großkunden eingeführt haben, um sie von denosten zu befreien. Das ist ordnungspolitisch übrigensehr interessant: Wer sehr viel Strom braucht, zahlt keinetzentgelt, und wer wenig braucht, der muss zahlen.as ist eine ganz tolle Ordnungspolitik, mit der Sie hierufwarten.
Und was machen Sie bei der EEG-Umlage? Die Kos-nbefreiung wird von den bisher 600 Betrieben auf sehrahrscheinlich 6 000 Betriebe ausgeweitet. Das ist derrund für die Kostenbelastungen – weil Sie immer dieorstellung haben, es sei gut, den Großen zu helfen, da-r aber nicht in die Infrastruktur investieren.Ich sage Ihnen, Herr Rösler: Wenn Sie eine Sonnenal-rgie haben, dann müssen Sie zum Arzt gehen; aberann müssen Sie hier nicht mit allen Tricks versuchen,ie Photovoltaikentwicklung in Deutschland zu sabotie-n. Das ist nicht der richtige Weg.
ie haben, seit der Atomausstiegsbeschluss gefallen ist,ichts Nennenswertes getan, was uns wirklich voran-ringt. Es sind verlorene Jahre für eine vernünftige Ener-iepolitik.Übrigens bringt eine solche Politik Wachstum: Mitrünen Ideen können Sie schwarze Zahlen schreiben.ir könnten in dem Sektor neue Arbeitsplätze schaffen,m uns unabhängiger von Energieimporten zu machen,ie gefährlich, teuer und riskant sind. Wer da aber aufer Bremse steht, der kann einfach keine gute Politikachen.Von Wachstum brauchen Sie uns nichts zu erzählen.ir freuen uns, wenn die Wirtschaft wächst; aber wir er-uben uns den Luxus, zu fragen, ob sie an den richtigentellen wächst.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 152. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. Januar 2012 18157
Fritz Kuhn
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Wir erlauben uns politisch den Luxus, zu fragen: Waspassiert eigentlich, wenn die Wirtschaft einmal nichtmehr wächst? Geht der Staat dann baden, oder haben wirfür eine solche Situation vorgesorgt? Diese Fragen erlau-ben wir uns. Ihre Jubelarie „Wachstum, Wachstum überalles“ ist einfach peinlich. Im Bericht steht jetzt sogar,dass Sie ein „breites Wachstum“ ermöglichen wollen. Esist ein solcher Hirnriss, dass das Wachstum jetzt auchnoch breit sein soll; da kann ich doch nur lachen.Wir müssen im Jahr 2012 schauen, dass die richtigenBereiche wachsen; das ist die staatliche Aufgabe. Darumkümmern sich die Grünen, und Sie, Herr Rösler, habensich verdrückt.
Ernst Hinsken ist der nächste Redner für die CDU/
CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!Alle Jahre wieder steht der Jahreswirtschaftsbericht aufder Tagesordnung. Es ist gesetzlich festgeschrieben, dasser abgegeben wird. In keinem Jahr zuvor kann man trotzWirtschaftskrise auf so viel Positives verweisen wieheute. Mit 3 Prozent Wachstum im Jahr 2011 istDeutschland zur wichtigsten Wachstumslokomotive aufdem ganzen Kontinent geworden. Verehrte Kolleginnenund Kollegen, wir stehen heute besser da, als wir vor derWirtschafts- und Finanzkrise dastanden. Das sollte ein-mal gewürdigt werden.
Wir Deutsche sind wirtschaftlich spitze. Ich möchtenur einige Bereiche benennen: Ob Export, Tourismus,niedrige Arbeitslosigkeit oder erneuerbare Energien,überall sind wir vorne dran. Und dann kommen Sie, ver-ehrter Herr Kuhn, hierher und versuchen, das Ganzeschlechtzureden, als würden Sie von der Realität nichtsverstehen.
Sie waren in den Ausschüssen sonst immer mit dabeiund haben sich konstruktiv eingebracht; aber was Sieheute hier abgeliefert haben, war unter „ferner liefen“.Da möchte ich Ihnen jetzt, wo Sie hinausgehen wollen,ein Wort des Bedauerns mit auf den Weg geben.Ich habe auch nicht verstanden, dass sich gerade Kol-lege Heil bei dieser Debatte nicht dessen bewusst war,dass er vor dem Plenum des Deutschen Bundestages undnicht auf dem SPD-Parteitag spricht. Die Ausfälle, dieSie geliefert haben, spotten jeder Beschreibung.whdGreuzfrdsUtiluwedehsdbdEmaJruSsbmAnWDnFwUbZbrefo
Verehrte Kolleginnen und Kollegen, wenn ich dieirtschaftliche Entwicklung, wie ich es vorhin getanabe, so positiv hervorhebe, so auch deshalb, weil sichie Arbeitslosigkeit in der Bundesrepublik Deutschlandott sei Dank halbiert hat, weil wir in den letzten 20 Jah-n bei der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungnd der Arbeitslosigkeit noch nie so gut dran waren wieurzeit. Wir müssen uns gerade auch bei dieser Debatteagen: Was sind denn die Gründe dafür, dass wir soastehen? Wir haben fleißige und gut ausgebildete Men-chen, kreative, leistungsstarke und exporterprobtenternehmen sowie gezielte Innovationen und Investi-onen in die Zukunft, vor allen Dingen richtige Rege-ngen am Arbeitsmarkt und einen entschiedenen Spar-illen.Hinzu kommen die richtigen Entscheidungen in deruropäischen Verschuldungskrise. Verehrte Frau Bun-eskanzlerin, Sie hatten gerade auf diesem Gebiet immerine glückliche Hand. Es soll uns alle freuen, dass wirier in der Europäischen Gemeinschaft und im weltwirt-chaftlichen Konzert nach vorne marschieren, dass an-ere versuchen, uns nachzuahmen, dass andere uns lo-en. Stattdessen kommt die Opposition und versucht,as alles niederzumachen bzw. schlechtzureden.
s war vor allen Dingen der Dreiklang aus Abwrackprä-ie, Konjunkturprogramm I und II und auch die Kurz-rbeiterregelung, der uns so erfolgreich machte.
Natürlich müssen wir zur Kenntnis nehmen, dass derahreswirtschaftsbericht aufzeigt, dass die Bundesregie-ng aufgrund der Unwägbarkeiten der europäischentaatsschuldenkrise 2012 mit deutlich weniger Wirt-chaftsdynamik rechnen kann als in den hervorragendeneiden letzten Jahren. Dieser Entwicklung wollen undüssen wir entgegenwirken.Es gibt aber trotz des schwierigen Umfelds keinerleinzeichen für Stagnation oder gar Rezession, sondernur für eine Abschwächung der Konjunktur. Warum?eil wir auf intakte Wachstumskräfte bauen können.azu heißt es im Jahreswirtschaftsbericht, dass die Bin-enwirtschaft mehr und mehr zur tragenden Säule wird.ür vernünftige Rahmenbedingungen müssen allerdingsir, die Politik insgesamt gesehen, sorgen.
nsere Mitbürger profitieren davon: durch mehr Ar-eitsplätze, durch höhere Einkommen und durch bessereukunftschancen. Lassen Sie es mich auf einen Nennerringen: Unser wirtschaftspolitischer Kurs ist erfolg-ich und erweist sich als goldrichtig, und er wird daherrtgesetzt.
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18158 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 152. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. Januar 2012
Ernst Hinsken
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Arbeitnehmerfleiß, Unternehmergeist und vernünf-tige Rahmenbedingungen der Politik sind die Zauber-worte für Erfolg; denn es läuft nicht alles von selbst.Schauen wir doch in die Nachbarstaaten. Hier stellen wireinen gegenteiligen Trend fest. In Frankreich wird dieArbeitslosenquote in diesem Jahr von 9,9 Prozent auf10,6 Prozent steigen, in Italien von 8,3 Prozent auf9 Prozent und in Spanien sogar von 21,9 Prozent auf23 Prozent. Bei uns sinkt sie! Darauf sollten wir alle ge-meinsam stolz sein und die Entwicklung nicht schlecht-reden.
Dieses und vieles andere, wie die Beitragssatzsenkungder gesetzlichen Rentenversicherung, ist bürgernahe, er-folgsorientierte Politik.Ich würde gerne noch vieles zur Energiepolitik sagen,aber der zeitliche Rahmen lässt das nicht zu. Grundsätz-liches haben mein Kollege Dr. Fuchs und Sie, verehrterHerr Wirtschaftsminister Dr. Rösler, bereits ausgeführt.Das kann ich inhaltlich voll teilen. Das ist der richtigeWeg in eine vernünftige Zukunft; denn gerade die Ener-giepreise sind der Wettbewerbsfaktor Nummer eins inder Bundesrepublik Deutschland. Wir wollen wirtschaft-lich bestehen. Darum brauchen wir Energiepreise, dieauch für den Einzelnen – sei es Großindustrie oder sei esder kleine Mann, der nur eine kleine Wohnung hat – be-zahlbar bleiben. Darum sind wir bemüht.
Am Ende darf ich darauf hinweisen, dass der Mittel-stand und das Handwerk unter der enormen Belastungdurch die Bürokratie am meisten leiden. Die jetzt vorge-legten Eckpunkte für einen weiteren Bürokratieabbausind ein ganz großer Wurf.
Jetzt wird das Ziel erreicht. Die Kosten, die der Wirt-schaft durch Bürokratie entstehen, werden im Vergleichzum Jahr 2006 um sage und schreibe 25 Prozent redu-ziert.Bürokratie ist die Geißel der Wirtschaft.
Deshalb ist Bürokratieabbau ein Wachstumsprogrammzum Nulltarif, es stärkt den Wirtschaftsstandort Deutsch-land und macht ihn zukunftsfähig.
Jahrelang wurde zum Beispiel die vorgesehene Reduzie-rung der Aufbewahrungsfristen von Rechnungen, Be-scheiden und anderen Belegen auf fünf Jahre gefordert.Jetzt wurde das Ganze auf den Weg gebracht. VerehrteFrau Bundeskanzlerin, Sie haben das jüngst im Kabinettberaten. Verehrter Herr Bundesminister Dr. Rösler, Siehaben gesagt: Jetzt wird geliefert. Das zeigt sich jetzt.
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nen gebührt alle Anerkennung. Das gilt ebenso für deninanzminister Dr. Schäuble, der die Verantwortung da-r trägt, dass das Ganze umgesetzt werden kann. Ichetze in gewisser Hinsicht auch darauf, dass Sie auf dieundesländer einwirken, hier nicht zu blockieren, son-ern den Weg der Entbürokratisierung mitzugehen.enn das braucht die Wirtschaft dringend.
Herr Kollege Hinsken, Sie hatten schon vor geraumer
eit –
Ich weiß.
– die Beendigung der Rede in Aussicht gestellt.
Jawohl. Deshalb nur ein Satz:
h meine, dass gerade die Erfolge für uns ein Ansporn
ein sollten, auch 2012 den Bürokratiedschungel zu lich-
n,
as Notwendige an Maßnahmen zu ergreifen und der
irtschaft zu sagen und zu zeigen: Wir sind für die Wirt-
chaft da. Wir sind bereit, das Notwendige zu machen,
amit sie sich im weltweiten Konzert auch weiterhin zu
ehaupten vermag.
Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.
Der Kollege Garrelt Duin ist für die SPD-Fraktion der
ächste Redner in dieser Debatte.
Lieber Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damennd Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr ge-hrter Herr Minister, Sie sind ja gelernter Mediziner, unduch aufgrund des Fachbereichs, in dem Sie unterwegsind, müssten Sie doch wissen, dass es einen großen Un-rschied zwischen Kurzsichtigkeit und Weitsichtigkeitibt und dass es einen großen Unterschied gibt, ob Sieorsorge treffen und präventiv tätig werden oder ob Siemer nur dann handeln, wenn das Kind schon längst inen Brunnen gefallen ist.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 152. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. Januar 2012 18159
Garrelt Duin
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Ihre Politik – und damit meine ich nicht nur Ihren Jah-reswirtschaftsbericht, sondern auch Ihre 20-minütigeRede hier heute Morgen – macht allerdings deutlich,dass Sie nichts von Vorsorge verstehen. Ihre Politik istkurzsichtig. Das haben Sie heute Morgen hier bewiesen.
Ich will das an dem großen Beispiel, über das wir unsalle doch so intensiv den Kopf zerbrechen, deutlich ma-chen. Die Stärke der deutschen Wirtschaft – und dies giltgerade für die letzten zwei Jahre – ist elementar abhän-gig von unseren Nachbarn, von den Mitgliedstaaten derEuropäischen Union. Dadurch, dass sie Produkte ausDeutschland gekauft und Dienstleistungen aus Deutsch-land in Anspruch genommen haben, waren sie Triebfe-der zur Erlangung unserer starken wirtschaftlichen Posi-tion.
Durch die Politik, die Sie gemeinsam mit der Bundes-kanzlerin und mit vielen anderen in Europa diesen Län-dern aufoktroyieren, sägen Sie doch an dem Ast, aufdem wir alle sitzen. Die Schwächen dieser Länder müs-sen doch beseitigt werden, aber das erreicht man nichtallein durch Sparprogramme.
Vielmehr müssen wir Investitionen auslösen, damit dieseLänder wieder auf die Beine kommen, und das hilft dannauch der deutschen Wirtschaft. Dieser Zusammenhangmüsste Ihnen doch einleuchten.
Ich bin fest davon überzeugt – und auch die SPD-Bundestagsfraktion ist dies –, dass wir sechs Punkte inden Blick nehmen müssen, um die positive Entwicklung,die wir in den letzten Jahren vollziehen konnten, zu ver-stetigen und um Sicherheit, Planbarkeit und eine deut-lich positive Perspektive für dieses Land und die Teil-nehmer auf diesem Markt zu kreieren.Das Erste ist, dass wir ein Investitionsklima brauchen.Herr Minister und auch Herr „Generalsekretär im Wer-den“, ein Investitionsklima ist notwendig, um die über-fälligen Investitionen in die Infrastruktur – ob es dieVerkehrsnetze, die Energienetze oder die Telekommuni-kationsnetze sind – auszulösen. Dann reicht es abernicht, Herr Minister, sich hier hinzustellen und Ankündi-gungen zu machen. Das ist übrigens das Einzige, was Sievon Herrn Brüderle übernommen haben. Ansonsten un-terscheidet Sie vieles, aber auch Herr Brüderle hat sichsehr oft hier hingestellt und nur Ankündigungen ge-macht.Was wir jetzt tatsächlich brauchen, ist zum Beispielein Energiewirtschaftsgesetz mit einer vernünftigen An-reizregulierung, die die Investitionen in die Netze tat-sächlich auslöst. Dies meine ich nicht nur bezogen aufdie Übertragungsnetze, sondern auch bezogen auf dieVEddsbwintrjePdLtiWrasmtigdatasmwicsssjudfetesstibdluwhMdCaDv
Für Investitionen in Deutschland – und das wissenir nicht nur wegen dieses einen Infrastrukturprojektes Baden-Württemberg – ist Akzeptanz eine ganz zen-ale Voraussetzung. Die Akzeptanz für Infrastrukturpro-kte kommt aber nicht von alleine. Vielmehr muss dieolitik klare Linien aufzeigen und sagen, wofür wiriese Infrastrukturprojekte brauchen. Warum müsseneitungen gebaut werden? Warum brauchen wir Investi-onen auch in Kraftwerke und in viele andere Bereiche?enn Sie schon ein Wegmoderierer sind, wie Ihr Gene-l gesagt hat, dann sind doch gerade Sie gefordert, die-en Prozess in der Bevölkerung, in der Gesellschaft zuoderieren. Ich habe zu einer solchen Infrastrukturini-ative von Ihnen bisher nichts gehört, auch heute Mor-en nicht.
Das Zweite, das wir brauchen, ist die Bekämpfunges Fachkräftemangels. Sie haben dies heute zu Rechtls wichtiges Thema beschrieben. Aber Sie haben so ge-n, als hätten Sie das Problem im Griff. Im Handelsblatttand letzte Woche folgende Überschrift: „Ingenieur-angel erreicht Rekordhoch“. Das Problem ist also beieitem nicht im Griff.Noch etwas gehört zum Thema Fachkräfte; dazu habeh heute von Ihnen in der Debatte über den Jahreswirt-chaftsbericht kein Wort gehört. Wir in Deutschland sindtolz auf die duale Berufsausbildung und auf die Per-pektive, die wir jungen Menschen damit bieten. Fürnge Männer, für junge Frauen in Deutschland ist dieuale Berufsausbildung ein Pfund, an dem wir unbedingtsthalten müssen. Aber wir müssen über alle Par-igrenzen hinweg – wir hier im Deutschen Bundestagind uns da hoffentlich alle einig; wir müssen das mit un-eren Kolleginnen und Kollegen in den Ländern disku-eren – für die gleiche Anerkennung des Abiturs und dereruflichen Ausbildung sorgen. Die Diskussionen überen Qualifikationsrahmen müssen eine Gleichbehand-ng und keinen Unterschied zum Ziel haben; so stellenir uns das vor. Das möchte ich deutlich sagen.
Der dritte Punkt: die gute Arbeit. Mein Kollege Heilat schon darauf hingewiesen, dass fast 7 Millionenenschen in Deutschland jeden Tag hart arbeiten, ohneass sie davon leben können, weil Sie nach wie vor – dieDU ist zumindest gedanklich dabei, sich damit ausein-nderzusetzen – die Einführung eines Mindestlohns ineutschland verhindern; dieser ist längst überfällig. Sieerhindern auch – das führt zur Verunsicherung in der
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18160 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 152. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. Januar 2012
Garrelt Duin
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Bevölkerung –, dass wir den Missbrauch bei der Leihar-beit endlich in den Griff bekommen und dass gleicherLohn für gleiche Arbeit gezahlt wird. Wir müssen esendlich schaffen, gleiche Bezahlung nicht nur im Hin-blick auf Festangestellte und Leiharbeitnehmer, sondernvor allen Dingen auch im Hinblick auf Männer undFrauen in Deutschland durchzusetzen.
Dieser Punkt wird von Ihnen überhaupt nicht in Angriffgenommen.Der vierte Punkt betrifft die Energie- und Rohstoff-versorgung. Wo ist der von allen Beteiligten eingefor-derte Masterplan zur Bewältigung der Energiewende?Sie verlieren sich mit dem Umweltminister in einemkleinlichen Streit über Energieeffizienzrichtlinien undandere Dinge. Es war Herr Töpfer, der, glaube ich, letzteWoche gesagt hat: Für die Energiewende ist nicht alleinMinister Röttgen zuständig, sondern auch der Bundes-wirtschaftsminister muss diese Energiewende im Sinnedes Standortes Deutschland gestalten.Sie sprechen zu Recht über die Bezahlbarkeit. Sie sa-gen, dass Sie das EEG irgendwann abschaffen und eineAnschlussregelung finden wollen. Sie fabulieren überQuoten. Das Modell mit den Quoten ist in anderen Län-dern – nicht nur in Europa, sondern weltweit – auspro-biert worden und mehrfach gescheitert. Das EEG undder Ansatz dahinter sind wesentlich erfolgreicher, je-denfalls wenn Sie den Ausbau der erneuerbaren Ener-gien wirklich vorantreiben wollen. Noch viel schlimmerist – das haben Ihnen diese Woche die Verbraucherschüt-zer noch einmal ins Stammbuch geschrieben –: WennSie eine solche Quotenregelung einführen würden, dannwürde sich der Preis immer an dem am teuersten produ-zierten Strom, beispielsweise offshore, orientieren. Siemachen das Problem mit dieser Lösung also größer undnicht kleiner, wie Sie es hier angekündigt haben.
Der fünfte Punkt, der notwendig ist, ist der Ausbau dertechnologischen Leistungsfähigkeit. Wir fordern – wirbieten Ihnen hier Zusammenarbeit an – eine Initiative zuTechnikfreundlichkeit und Technikoffenheit in Deutsch-land. Das können wir über alle Grenzen hinweg machen.Sie können hier aber nicht das Abwandern eines Unter-nehmens aus Deutschland in die USA beklagen und da-für der Opposition die Verantwortung geben. Sie sind es,die in Deutschland regieren, während ein solches Unter-nehmen Deutschland verlässt.
Das Gleiche gilt für CCS; das haben Sie hier als Bei-spiel genannt. Herr Rösler, wer hat denn schon in derletzten Wahlperiode eine Einigung bei diesem Themaverhindert?
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Was wir bei Ihnen ebenfalls vermissen, ist ein klaresekenntnis zum Forschungsstandort Deutschland. Sieündigen seit Jahren an – Sie haben es auch in die Koali-onsvereinbarung geschrieben –, dass wir in Deutsch-nd eine steuerliche Forschungsförderung bekommen.ber Sie geben Geld für lächerliche Steuersenkungspro-ramme und für ein gesellschaftspolitisch katastrophalesetreuungsgeld aus, anstatt das für den Standorteutschland so wichtige Instrument der steuerlichenorschungsförderung endlich Realität werden zu lassen.assen Sie Ihren Worten doch endlich einmal Taten fol-en, meine Damen und Herren!
Lieber Herr Rösler, abschließend der sechste Punkt.s ist wichtig, dass ein Bundeswirtschaftsminister aufer europäischen Ebene für die Interessen der hiesigenirtschaft und der hiesigen Industrie kämpft. Wo warenie, als es dort um die Handelsabkommen gegangen ist?o sind Sie, wenn es um den Emissionshandel und dieefreiung von zusätzlichen Kosten geht? All das sindunkte, die auf der Tagesordnung stehen. Sie sind abericht wahrzunehmen, wenn es auf der europäischenbene um diese Themen geht, weil Sie keine Zeit haben.ie müssen sich nämlich mit der FDP beschäftigen. Sieüssen irgendwie versuchen, klar Schiff zu machen. Sieüssen sich mit Herrn Schäffler oder anderen, zum Bei-piel ganzen Kreisverbänden, die austreten, herum-rgern. Dort werden Sie für Deutschland aber nicht ge-raucht. Ob die FDP überlebt oder nicht, kann uns allengal sein. Aber ob Deutschland in Europa in wirtschafts-olitischer Hinsicht mit starker Stimme spricht odericht, ist uns nicht egal. Dort wären Sie gefordert.Vielen Dank.
Das Wort hat nun der Kollege Martin Lindner für die
DP-Fraktion.
Herr Präsident! Verehrte Damen! Meine Herren!enn man diesen Jahreswirtschaftsbericht liest und sichor allen Dingen die Zahlen vergegenwärtigt, kann manirklich stolz sein, dieser Koalition anzugehören.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 152. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. Januar 2012 18161
Dr. Martin Lindner
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Wir sind stolz darauf, Ihnen heute diese Zahlen vorlegenzu können.
Dieses Land ist wirtschaftspolitisch in einem exzel-lenten Zustand. Das wird deutlich, wenn man die Situa-tion in Deutschland mit der Situation im Ausland undmit dem europäischen Durchschnitt vergleicht. In kei-nem anderen Land der entwickelten Welt hat es solchhohe Zuwachsraten gegeben, wie wir sie in Deutschlanderlebt haben. In keinem anderen Land gibt es so niedrigeArbeitslosenzahlen. Wir sind stolz darauf, dass wir dabeihelfen, die Leute in Lohn und Brot zu bringen statt vordie Arbeitsagenturen, wo Sie sie gerne sehen würden,meine Damen und Herren.
Es war spannend, gerade dem Vertreter der Grünenzuzuhören, der wie immer seine Rede gehalten und sichdann aus dem Plenum verabschiedet hat. Der KollegeKuhn hat gesagt: Ich erlaube mir einmal den Luxus, zufragen, wo Deutschland wächst. Wir erlauben uns denLuxus, immer wieder zu kritisieren, dass Wachstum angenau dieser Stelle nicht erwünscht ist. – Sie sind eineLuxuspartei. Sie muss man sich erst einmal leisten kön-nen. So stabil und so robust, dass sich dieses Land dieseLuxuspartei leisten kann, kann kein Wachstum sein.
Wir haben – auch darauf sind wir stolz – einen we-sentlichen Beitrag dazu geleistet, dass Europa zu einerKultur der Stabilität zurückkehrt, die unter Ihrer Verant-wortung verlassen wurde. Sie haben dafür gesorgt, dassdie Stabilitätskriterien aufgeweicht wurden. Unter IhrerVerantwortung wurde Griechenland in die EU aufge-nommen. Jetzt versuchen Sie, Euro-Bonds und andereFormen der Vergemeinschaftung von Schulden als ein-zige Antwort und als Rezept darzustellen. Sie wollenden Deutschen wieder an die Kasse, wieder ans Porte-monnaie. Sie verraten die Interessen der ganz normalenBürger in diesem Lande. Auch dies werden wir deutlichmachen. Auch dies wird diese Koalition bekämpfen.
Wer soll die Konjunkturprogramme, die Sie vorschla-gen, eigentlich finanzieren, mein lieber Herr Heil? Werbringt denn das Geld für die Investitionsprogramme inGriechenland auf?
– Nein, wir verlangen, dass die Griechen ihre Hausauf-gaben erst einmal selber machen. Es ist genug Geld da.DRdgDwkcIhSbwhmmDfütrwzskSssFVDaruteg–ebD2li
Jetzt kommen wir zum Thema Einkommen. Sie spre-hen wieder von Ihrem Mindestlohn. Liebe Leute, mitrem Vorschlag eines Mindestlohns von 8,50 Euro, wieie ihn gestern im Wirtschaftsausschuss vorgestellt ha-en – eine Kommissionslösung –, erreichen Sie doch dieesentlichen Teile des verarbeitenden Gewerbes über-aupt nicht. Da wird doch deutlich mehr verdient.
Rechnen Sie sich das einmal aus! Wenn eine Familieit zwei Kindern 8,50 Euro pro Stunde verdient, dannuss sie doch auch wieder zur Arbeitsagentur gehen.as sind doch keine Lösungen – vor allen Dingen nichtr die Menschen, die in Ostdeutschland in kleinen Be-ieben im Dienstleistungsgewerbe arbeiten und deshalbieder zur Arbeitsagentur gehen müssen.
Lassen Sie uns gerne über branchen- und regionalbe-ogene Ansätze diskutieren, aber einen einheitlichen ge-etzlichen Mindestlohn, festgestellt durch eine Lohn-ommission, lehnen wir ab. Das sage ich Ihnen an diesertelle auch ganz klar.
Mein lieber Kollege Schlecht, Sie müssen mir einmalagen, wie man es schafft, angesichts dieser Daten eineolche Rede zu halten. Was muss man eigentlich zumrühstück eingenommen haben, um zu einer solchenerzerrung der Wahrheit zu kommen?
as müssen Sie mir einmal sagen. Vielleicht wirkt das jauch umgekehrt.Spannend ist, dass Sie von diesem Pult hier dazu auf-fen, der öffentliche Dienst müsse tapfer voranschrei-n. Sie haben von „richtig aus der Pulle“, „noch kräfti-er“ und „noch stärker trinken“ gesprochen.
„Sehr gut“; ja, das habe ich mir richtig gemerkt.
Herr Gewerkschaftssekretär, ich lese Ihnen einmaline Pressemitteilung von Verdi vor. Verdi hat am 9. Fe-ruar 2010 zum Streik gegen eine Landesregierung ineutschland aufgerufen – Zitat –: „1,2 % ab Oktober010 – zu wenig und zu spät“. – Man muss dazu natür-ch sagen: 2010 standen wir mit 3,7 Prozent Wirtschafts-
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Dr. Martin Lindner
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wachstum auf dem Gipfel des Wachstums. Welche Lan-desregierung war das, Herr Gewerkschaftssekretär? –Rot-Rot in Berlin! Sie reden hier von einem kräftigenSchluck aus der Pulle, aber da, wo Sie regieren, bietenSie 1,2 Prozent an.
Das ist lächerlich. Sparen Sie sich solche Büttenredenjetzt vor dem Karneval und verschonen Sie uns mit einersolchen von der Wirklichkeit entkoppelten Phrasen-drescherei, wie Sie sie hier abgeliefert haben.
Damit sind wir natürlich auch beim Thema Fach-kräfte. Wir haben die Gehaltsgrenze von 66 000 Euro auf48 000 Euro abgesenkt. Ihre Antwort bei einem Mangelan Fachkräften in Deutschland ist, dass Sie das, was Sieeinmal richtigerweise eingeführt haben, nämlich dieRente mit 67, nun wieder bekämpfen.Herr Duin, ich fand es auch ganz spannend, wie Siehier gerade von einer Gleichstellung von Abitur undFachkräfteabschluss gesprochen haben. Ich teile hierausdrücklich Ihre Meinung. Aber ist es nicht Ihre Parteigewesen, die seit den 70er-Jahren gewerbliche Ab-schlüsse und das duale System miesgemacht und gesagthat, das Einzige, was zähle, sei das Abitur, sodass Siedort, wo Sie regiert haben, die Leistungsanforderungenabgesenkt haben, nach dem Motto: Jeder soll ein Abiturhaben?
Sie haben doch das duale System miesgemacht und mitZwangsabgaben für die Wirtschaft gedroht.
Sie sind doch der Feind der dualen Ausbildung. Dasmuss man auch sagen.
Herr Heil, an der Stelle auf Herrn Niebel anzuspielen,ist lächerlich. Ich kann Ihnen ganz ehrlich sagen: ImH
Rede von: Unbekanntinfo_outline
„In diesem Haus wird SPD gewählt“. Es gibt keine
nepotistischere Partei als die SPD, keine Partei, die sich
den Staat mehr zur Beute gemacht hat als Ihre Partei.
Das lassen Sie sich an dieser Stelle auch einmal sagen.
In meinem letzten Punkt möchte ich kurz zum Thema
Export etwas sagen.
Das muss jetzt aber schnell gehen, Herr Kollege.
Das ist auch sehr spannend. Sie reden – auch hier –
immer wieder davon, die Leistungsbilanzunterschiede
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agen Sie einmal, wo Sie den Export noch mehr besteu-
rn wollen. Sagen Sie mir einmal ganz genau – und sa-
en Sie es vor allen Dingen den Menschen, die im verar-
eitenden Gewerbe beschäftigt sind –, wie Sie die
ortigen Arbeitsplätze gefährden wollen. In der wehr-
chnischen Industrie, in der sonstigen Industrie: Überall
ind Sie mit dabei, wenn es darum geht, es dem deut-
chen Export schwer zu machen. Auch dies werden wir
erhindern.
Wir werden dafür sorgen, dass Deutschland weiter auf
achstumskurs ist,
ass wir expandieren und dass wir auch einen leistungs-
higen Export haben. Dafür steht diese Koalition; dafür
teht meine Fraktion.
Herzlichen Dank.
Das Wort erhält die Kollegin Ulla Lötzer, Fraktion
ie Linke.
Herr Präsident! Kolleginnen! Kollegen! Herr Rösler,err Lindner, Ihre Prognose von Deutschland als Inseler Glückseligkeit in der Brandung der europäischenirtschaft ist wirklich Schönfärberei der krassesten Art.
Kommen wir zur Wirklichkeit, Herr Lindner. Sie er-lären, die verfügbaren Einkommen der privaten Haus-alte sollten um 3 Prozent steigen. Gleichzeitig habenie, Herr Rösler, gestern in der Pressekonferenz aus-rücklich gegen Lohnerhöhungen Stellung genommennd sich für Lohnzurückhaltung ausgesprochen.
ie sollen da die Einkommen steigen?Sie sagten heute Morgen in Ihrer Rede, Wachstum seiei allen Menschen angekommen. Die OECD stellt fest: keiner anderen Industrienation trifft die RedensartDie Armen werden immer ärmer, die Reichen immericher“ mehr zu als in Deutschland. 1,2 Millionen Men-chen werden mit Stundenlöhnen unter 5 Euro abge-peist. Das ist ein Armutssektor. Da ist bei ganz vielenenschen in Deutschland nicht Wachstum, sondern)
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Ulla Lötzer
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Armut angekommen. Dafür tragen Sie die Verantwor-tung.
Das gilt nicht nur in Deutschland, sondern europa-weit. Ihre Forderung heißt jetzt nicht mehr nur Kürzender öffentlichen Mittel, sondern auch Stärkung der Wett-bewerbsfähigkeit in den anderen europäischen Staaten.Neben Sparen bei den Armen in den öffentlichen Haus-halten heißt das – ausdrücklich formulieren Sie es auchso –: Senkung der Lohnstückkosten und der Löhne euro-paweit. Das setzt eine neue Spirale des Kampfes umNiedriglöhne und eine Auseinandersetzung darüber,Wettbewerbsfähigkeit herzustellen, in Gang. Dieser Wegführt nicht zum Aufschwung, sondern zum Gegenteil,Herr Rösler.Kommen wir zu Ihrer Erfolgsgeschichte am Arbeits-markt. Ja, es stimmt: Inzwischen haben über 41 Millio-nen Menschen Arbeit. Aber die Zahl der geleisteten Ar-beitsstunden ist von 2010 auf 2011 gesunken. DasStatistische Bundesamt stellt fest: 8,4 Millionen Men-schen in Deutschland sind unterbeschäftigt. Dazu zählen2,9 Millionen Erwerbslose; 1,2 Millionen Menschen inder stillen Reserve sowie 2,2 Millionen Menschen, diegern ihre Teilzeit aufstocken würden.Was Sie auch verschweigen, ist, dass dieser Auf-schwung bei der Beschäftigung eben auch der Auf-schwung der Leiharbeit, der befristeten Beschäftigungund der Minijobs mit niedrigeren Löhnen, schlechterenArbeitsbedingungen und weniger Rechten am Arbeits-platz ist. Dafür sollen dann die Menschen „Danke,Deutschland!“ sagen? Das ist wirklich eine Verhöhnung.
Deshalb auch von mir: Handeln Sie! Beenden Siediese unwürdigen Arbeitsverhältnisse! Führen Sie einengesetzlichen Mindestlohn ein! Gleicher Lohn für gleicheArbeit und gleiche Rechte und Bedingungen am Arbeits-platz, das wäre eine Anerkennung der Leistung und derWürde der Menschen. Das wäre ein Beitrag zur Steige-rung der Binnennachfrage.
Sie versagen bei der Bekämpfung der Armut. Sie ver-sagen erst recht, wenn es darum geht, die Wirtschaft fürdie Anforderungen der Zukunft umzubauen. Wir wartenauf eine moderne, ökologische Industriepolitik undDienstleistungspolitik! Sie stellen sich hier hin und grei-fen die Opposition als Fortschrittsverweigerer an. DerFortschrittsverweigerer sitzt auf der Regierungsbank:Das sind Sie, Herr Rösler!
Klimawandel, technologische Innovation und Knapp-heit von Rohstoffen führen zu tiefgreifenden Verände-rungen. Für die Bewältigung der industriellen Erneue-rung braucht es motivierte und kompetenteMitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Lohndumping undPrekarisierung gefährden auch hier die Erneuerungs-fähigkeit. Es braucht eine aktive Industriepolitik, dieUznPnnDctinIhtrnliQausaMwdgewbdIhWmfü–szHdwuu
Wir brauchen eine Wirtschaftspolitik, die Struktur-andel aktiv gestaltet, statt nur die übliche Klientel zuedienen, und nicht auf alte Zöpfe setzt, sondern sichen sozialen und ökologischen Anforderungen stellt.rem vorliegenden Bericht zufolge bedeutet das eineirtschaftspolitik, für die die FDP keine Verantwortungehr trägt.Danke.
Nächster Redner ist der Kollege Heinz Riesenhuber
r die CDU/CSU-Fraktion.
Er hat dennoch eine begrenzte Redezeit, was ich
icherlich nicht eigens vortragen muss.
Vielen Dank für die Mahnung. Ich komme daraufurück.Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen underren! In dieser zuversichtlichen Debatte sind uns ausen Reihen der kompetenten Oppositionsredner zweiesentliche Vorwürfe gemacht worden. Herr Kuhn, derns zu unserer Freude wieder heimgesucht hat und unterns weilt, sagte: Wir haben uns ganz auf die Sparpolitik
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18164 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 152. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. Januar 2012
Dr. Heinz Riesenhuber
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konzentriert. Hubertus Heil sagte: Wir brauchen Investi-tionen in Bildung und Forschung.
Das ist eine tolle Position.Unsere Politik zeigt: Wir haben in der Tat mit Energieund Entschlossenheit die Haushalte konsolidiert.
Wolfgang Schäuble ist gerade nicht anwesend. Dass wirauch in einer Zeit, in der die Steuereinnahmen geflossensind, mit Entschlossenheit vorgegangen sind, zeigt diesensationell niedrige Neuverschuldung.
Vor dem Hintergrund haben wir aber auch gleichzei-tig Wachstum in den Bereichen erzielt, in denen es nötigist. Herr Rösler schreibt in seinem Jahreswirtschafts-bericht, dass Deutschland Stabilitätsanker und Wachs-tumsmotor in Europa ist. Das ist kein Anspruch auf all-gemeine Bewunderung, sondern ein Anspruch an unsselber. Wenn wir die Stabilität nicht herbeiführen undnicht entschlossen konsolidieren, dann werden wir mitdiesen Argumenten niemanden in Europa gewinnen.Wenn Europa nicht gemeinsam in einer neuen Zusam-menarbeit konsolidiert und Verlässlichkeit schafft, dannwerden wir auf den Weltmärkten nicht stark sein.
Wir haben aber mit großer Entschlossenheit Wachs-tum angelegt und folgen damit den Vorschlägen vonHubertus Heil.
Sie wollen in Forschung und Bildung investieren, HerrHeil. Ältere Leute erinnern sich noch, dass HerrSchröder 1998 gesagt hat, er wolle die Ausgaben fürForschung im Bundeshaushalt in fünf Jahren verdop-peln. In sieben Jahren hat er 20 Prozent geschafft. In derGroßen Koalition haben wir ein Plus von 6 MilliardenEuro in einer Wahlperiode erreicht. Wir danken für dieherzliche Brüderlichkeit, die Sie im Sinne der Vernunftgezeigt haben.
Unsere jetzige Koalition hat 12 Milliarden Euro ausBundesmitteln für Bildung und Forschung draufgelegt.Das heißt, dort, wo Wachstum gefördert werden kann,wo wir in die Zukunft aufbrechen und wo die ChancenDeutschlands liegen, Wachstum aufgrund von Intelli-genz zu erzielen, dort investieren wir massiv. Das ist dieGrundlage für den künftigen Wohlstand.
Es gibt hier eine differenzierte Landschaft. Eine Dis-kussion über den Jahreswirtschaftsbericht umfasst nichtnur die Begeisterung über die vergangenen erfolgreichenThdHndwtemedwddmenngBssGleBBDtiBfüusWmanbEhBDraazdtinLBtogsssus
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 152. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. Januar 2012 18165
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auf den Märkten zu bewegen. Wir dürfen nicht nur großeBundesprogramme wie EXIST, High-Tech Gründer-fonds II – prima, dass Sie ihn wieder aufgelegt haben,Herr Rösler –, ERP-Startfonds usw. auflegen, sondernmüssen auch die Privaten einbeziehen, die für eigenesGeld kämpfen; denn nur wenn jemand für sein eigenesGeld mit den besten Ideen, die er hat, kämpft, bekom-men wir den Schwung hinein, der in einer freien Gesell-schaft und auf offenen Weltmärkten erfolgversprechendist.
Wir werden handwerklich noch nachlegen müssen.Wir werden die AIFM-Richtlinie umsetzen. Wenn wirdas richtig machen, dann können wir großen Schwungentwickeln. Wenn wir das falsch machen, dann kommenwir in die gleiche Falle wie beim MoRaKG zum Wagnis-kapital – damit sind wir in der Großen Koalition auf dieSchnauze gefallen – und beim Unternehmensteuer-reformgesetz. Aber diese christlich-liberale Koalitionund diese exzellente Regierung mit ihrer überlegenenintellektuellen Kompetenz
und ihrer Begeisterung für die Notwendigkeiten der Zu-kunft werden nicht in diese Falle tappen.
Herr Riesenhuber, bevor das größere Ausmaße an-
nimmt – –
Entschuldigen Sie, ich wusste nicht, dass Sie Präsi-
dentin sind.
Deswegen habe ich die Aufgabe, Ihnen zu sagen, dass
Ihre Redezeit zu Ende ist.
Ja, ich bin gerade richtig in Fahrt. – Ich darf den Satz
noch sagen?
Den einen.
Diese Regierung mit ihrer Kompetenz, mit ihrer Dy-
namik, mit ihrer visionären Kraft, mit ihrer Entschlos-
senheit,
das ganze Parlament mitzureißen auf dem Weg in eine
kraftvolle Zukunft, schafft das auch. Das haben wir be-
schlossen, und so machen wir es.
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Das Wort hat die Kollegin Kerstin Andreae für die
raktion Bündnis 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen underren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herriesenhuber, auch die Hände gen Himmel können an dertelle nicht mehr helfen. Von „kraftvoll“, „visionär“,Esprit“ und „Elan“ haben wir in Ihrer Rede gehört, aberh muss Ihnen ehrlich sagen: Die intellektuelle Kompe-nz, die Sie hier der Koalition und dem Minister zuge-prochen haben, haben wir zumindest in den letzten an-erthalb Stunden nicht gehört.
Was so dramatisch ist – den Eindruck haben wir –:ie reden hier aus einem Tunnelblick heraus. Der Jahres-irtschaftsbericht ist ein Bericht über die Nationeutschland, über die Frage, wie es der Wirtschaft hiereht – das ist richtig –, aber Sie können es nicht lösenon der Frage Europa; ich komme im Einzelnen daraufu sprechen. Wenn Sie hier hoffen, dass sich in diesemahr die Euro-Krise löst, und wenn Sie hier ein Schön-etterszenario entwerfen, dann frage ich Sie: Wo istenn Ihre Initiative, die Euro-Krise zu bekämpfen?Sie sagen selber – Herr Rösler, bitte hören Sie zu;anke schön –: Das Risiko liegt in der Weltwirtschaft.as waren Ihre Worte gestern und jetzt hier. Aber in dereltwirtschaft und in Europa droht eine massive Rezes-ion, drohen soziale Verwerfungen. Die Menschen neh-en Europa als Bedrohung wahr. Ich sage Ihnen eines:enn Europa nicht mehr akzeptiert wird, wenn derrundgedanke eines zusammenwachsenden Europas ab-elehnt und als Bedrohung empfunden wird, dann ist dasas größte Risiko, das wir haben. Darauf müssen Sie ein-ehen.
Mit anderen Worten heißt das – das ist das, was dererr Kollege Kuhn mit „sparen und investieren“ ge-eint hat, Herr Riesenhuber –: Nur Schuldenbremsen zuerschreiben, reicht nicht aus. Das ist eine kurzsichtigeolitik.
a dürfen wir von einem Wirtschaftsminister deutlichehr verlangen. Dem Sparen muss ein Investieren an dieeite gestellt werden: Investitionen in ökologisch sinn-olle Maßnahmen.
Metadaten/Kopzeile:
18166 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 152. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. Januar 2012
Kerstin Andreae
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Aber vor allem bei einem haben wir und auch SPDund die Linke wirklich fassungslos dagesessen: WennSie das Problem der wirtschaftlichen Ungleichgewichteund die Frage der Leistungsbilanzen, sowohl der Leis-tungsbilanzüberschüsse als auch der Leistungsbilanzde-fizite, derartig negieren und nicht auf das Problem einge-hen, dass wir unterschiedliche Wettbewerbsfähigkeit inEuropa haben, dass wir, wenn wir so weitermachen, Eu-ropa insgesamt an die Wand fahren und es uns dann garnichts nützt, wenn wir hier in Deutschland singulär stabilsind, haben Sie als Wirtschaftsminister an der Stellekomplett versagt. Sie müssen das Problem der Leis-tungsbilanzen in den Blick nehmen.
Finanztransaktionsteuer. Es geht nicht mehr um dasOb; es geht nur noch um das Wie. Bei dem Wie könnenSie mitgestalten, anstatt immer nur zu sagen: Nein, nein,nein. Der Chef des Instituts der deutschen Wirtschaft,Michael Hüther – wahrlich kein Grüner –, hat gestern ineinem Interview gesagt:Es muss der Politik gelingen, neue Schocks an denFinanzmärkten mit aller Macht zu verhindern.Mit aller Macht, Herr Rösler! Das heißt, kraftvoll undengagiert und nicht mit dieser einlullenden Schönfärbe-rei! Das müssen Sie tun. Das wäre der richtige Weg.
Nun soll der Jahreswirtschaftsbericht ja Perspektivegeben, auch für die deutsche Wirtschaft hier. Was in die-sem Jahreswirtschaftsbericht völlig fehlt, ist der ganzeBereich grüne Technologien, ökologische Modernisie-rung. Umwelt taucht immer auf im Zusammenhang mit:Die Energieversorgung muss aber bezahlbar sein. – Aberdass die Zukunft, der Kern der Ökonomie in der Beant-wortung der ökologischen Frage liegt, das ignorieren Sievöllig.Es kommt noch schlimmer. Das merkt man, wennman sich Ihre Rede auf dem Dreikönigstreffen anhört,wo Sie vermutlich als Letzter begriffen haben, dass derBegriff der Nachhaltigkeit aus der Forstwirtschaftkommt.
Ich habe mir diese Rede angehört. Da ging es immer um:Wachstum, Wachstum, Wachstum.
– Ich habe sie mir sogar angehört; ich habe es mir wirk-lich angetan – wie Sie ja auch.
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Soll ich antworten oder das Plenum? – Wenn ich
ürfte, würde ich gern antworten. Mein Sohn ist jetzt in
er 6. Klasse und lernt dort gerade deutsche Grammatik.
s ist immer ganz wichtig, sich den Satzbau anzu-
chauen und zu überlegen, ob dort Bedingungen formu-
ert werden. Was Herr Untersteller sagt, ist: Wenn es
ns nicht gelingt, jetzt die Energiewende forciert voran-
utreiben und diesen Umbau wirklich hinzubekommen,
ann stehen wir 2050 vor der Situation, dass wir nicht
issen – –
2015, ja, aber Sie müssen es jetzt angehen. Das ist es,
as er sagt. Er wirft Ihnen und auch dem Wirtschafts-
inister vor, dass die Energiewende nicht kraftvoll an-
enommen wird.
Jetzt möchte ich meinen Gedanken fortführen.
Es gibt noch eine Zwischenfrage, Frau Andreae.öchten Sie diese zulassen?
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 152. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. Januar 2012 18167
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Aber immer.
– Gerne, wenn die Frage besser ist. – Was sie sein wird.
Frau Kollegin, kann es sein, dass der Kollege Fuchs
möglicherweise Teil des Problems ist, das angesprochen
wurde, nämlich dass der Umweltminister von Baden-
Württemberg andeutet, wenn es jetzt nicht gelingt, die
Energiewende umzusetzen, neue Kraftwerkskapazitäten
zu bauen, erneuerbare Energien zu integrieren und Spei-
cher zu bauen, sodass sich 2015 Leute wie Herr Fuchs
hinstellen und sagen: „Nun müssen wir aber die Rest-
laufzeit der Kernkraftwerke verlängern“? Kann es sein,
dass das gemeint war?
Das würde ich unterstützen, zumal wir die Position
von Herrn Fuchs kennen, der sich als einer der wenigen
dazu äußert und die Energiewende eigentlich nicht un-
terstützt.
Ich nehme an, dass es in Ihren Fraktionen viele gibt,
die das heimlich tun. Ich meine es wirklich ernst – neh-
men wir einmal die Polemik und alles heraus –: Sie müs-
sen es schaffen, diese Energiewende umzusetzen. Sie ha-
ben mit Minister Röttgen einen Minister, der ein hohes
Interesse daran hat, die Energiewende auch mit uns ge-
meinsam zu schaffen. Sie haben mit Minister Rösler je-
manden, der diese Energiewende blockiert, wo auch im-
mer er kann – in der EU und in Deutschland.
Schaffen Sie es endlich, in Ihren Köpfen umzudenken
und diese Energiewende umzusetzen!
Weitere Zwischenfragen möchte Frau Andreae nicht
zulassen.
Ich möchte nun, bevor Sie sich festbeißen, mit mei-
nem Gedanken zum Dreikönigstreffen zum Ende kom-
men, weil mir das neben der Energiewende wirklich
wichtig ist.
Auf diesem Dreikönigstreffen hat der Minister Rösler
einen Wachstumsfetischismus formuliert, wie wir ihn in
den letzten 30 Jahren nicht mehr gehört haben.
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h dachte, ehrlich gesagt: Wir waren weiter bei der
rage, darüber tatsächlich ernsthaft nachzudenken, wie
s hier weitergehen soll.
Ich nenne Ihnen zwei Nachrichten, die an einem Wo-
henende gemeldet wurden: Der siebenmilliardste Er-
enbürger ist geboren worden. Gleichzeitig kam die
achricht, dass wir im Jahr 2010 trotz aller Bemühun-
en die höchsten CO2-Emissionen überhaupt hatten.
enn Sie diese beiden Nachrichten zusammen denken,
rkennen Sie: Es führt kein Weg an einer ökologischen
ende vorbei, die ernst gemeint ist.
Das, mein lieber Herr Lindner, ist überhaupt keine Lu-
usdiskussion, sondern es ist zwingende Notwendigkeit,
iese Diskussion zu führen. Darüber denkt im Übrigen
uch der Finanzminister nach. Ich weiß nicht, ob man
urz vor Weihnachten ganz besonders in sich geht und
achdenkt; aber Ihr Finanzminister, der auf dem Dreikö-
igstreffen auf eine Art abgekanzelt wurde, die Ihres-
leichen sucht, sagt nicht nur: „Wir müssen über das
irtschaftswachstum in den hoch entwickelten Industrie-
ationen nachdenken“, nein, er geht sogar weiter.
Frau Kollegin.
Er sagt: Wir müssen es begrenzen. – Diese Diskus-
ion sollten Sie einmal intern führen: –
Frau Kollegin.
– Wie gehen Sie nachdenklich, klug und ernsthaft mit
er Frage um, dass wir so nicht weitermachen können
nd eine ökologische Wende brauchen?
Ich komme leider zum Schluss.
Frau Kollegin, Sie hätten zum Schluss gekommen
ein müssen. Sonst toppen Sie noch Herrn Riesenhuber.
Herrn Riesenhuber? Immer, ganz klar. Ich darf jetzt
lso noch eine Zwischenfrage zulassen?
Nein.
Schade. Hätte ich gerne.
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18168 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 152. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. Januar 2012
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Definitiv nicht.
Ich hätte wirklich gerne Ihre Frage zugelassen. – Ich
hoffe, Sie können über das eine oder andere nachdenken –
Frau Kollegin, Sie müssen bitte zum Ende kommen.
– und sind dazu intellektuell in der Lage. Dann freue
ich mich über die weiteren Diskussionen.
Vielen Dank.
Der Kollege Uwe Schummer hat jetzt das Wort für die
CDU/CSU-Fraktion.
Verehrtes Präsidium! Meine lieben Damen! MeineHerren! Der Wirtschaftsbericht am Ende dieser Weltfi-nanz- und -wirtschaftskrise zeigt auf der einen Seite,dass es der Großen Koalition gut gelungen ist, sie zumeistern: mit einem bewussten Investieren gegen dieKrise, dem Schaffen bleibender Werte und dem Finan-zieren von Arbeit statt Arbeitslosigkeit. Er zeigt auf deranderen Seite aber auch, dass es der christlich-liberalenKoalition gelungen ist, nicht nur zu reagieren, sondernauch gut zu regieren. Das hat sie getan, indem sie gesagthat: Bildung ist der Schlüssel zur Lösung wirtschaftli-cher und sozialer Probleme, die wir heute haben. – Diechristlich-liberale Koalition hat gemeinsam das Projekteiner Bildungsrepublik ausgerufen. Seit 1949 hat keineBundesregierung mehr in Bildung und Forschung inves-tiert – 13 Milliarden Euro in diesem Haushaltsjahr – alsdie jetzige christlich-liberale Bundesregierung.
All das hat bewirkt, dass anders als 2005, als Rot-Grün noch regierte, nicht jeden Tag 2 400 Arbeitsplätzeabgebaut werden, sondern dass wir im letzten Jahr im-merhin 1 583 Arbeitsplätze jeden Tag netto, nach Abzugder Arbeitsplatzverluste, geschaffen haben.
Auch in diesem Jahr wird der Stellenzuwachs täglich beiüber 600 Arbeitsplätzen liegen. Dadurch sorgen wir da-für, dass Menschen und Familien wieder eine Zukunfthaben, ein frei verfügbares Einkommen erhalten und soihr Leben vernünftig gestalten können. Von der christ-lich-liberalen Koalition wurde also geradezu eine Ar-beitsmarktoffensive aufgelegt.BliScaznAtetecgaaddPdDwdndzskmnkBLgweDdFvGdauvdisd
Wir erleben am Arbeitsmarkt und in der Wirtschaft ei-en Paradigmenwechsel: Arbeit ist wieder etwas wert.rbeit wird wieder nachgefragt. Arbeit ist nicht nur Kos-nfaktor, sondern auch Innovationsfaktor und Aktivpos-n im Unternehmen. Das ist die neue Denke, die diehristlich-liberale Koalition hervorgerufen hat.
Das zeigt sich auch an der Zahl der Patentanmeldun-en. Wir sind das Land in Europa, das die meisten Patent-nmeldungen hat. Jedes Jahr werden über 60 000 Patentengemeldet. Über 80 Prozent dieser Patente werden vonen Beschäftigten in den Unternehmen entwickelt und inen Unternehmen zur Umsetzung gebracht. Diesesotenzial in den Unternehmen müssen wir zusammen miten Unternehmern und Beschäftigten weiterentwickeln.azu brauchen wir Bildung, Forschung und Innovation.
Der Jahreswirtschaftsbericht mahnt aber auch, dassir alle Potenziale ausschöpfen müssen. Es ist gut, dassie Bundesregierung die Kraft hat, endlich ein Anerken-ungsgesetz für die 300 000 Menschen in unserem Land,ie ausländische Berufsabschlüsse haben, auf den Wegu bringen. Es wird nun überprüft, wie diese Berufsab-chlüsse und die dabei erworbenen Kompetenzen aner-annt werden können und mit welchen Weiterbildungs-aßnahmen ein vollwertiger Berufsabschluss, wenn ericht ohnehin schon vorhanden ist, erreicht werdenann. Hier gilt es, das Potenzial der Fachkräfte vor derürotür zu entwickeln und auch diesen Menschen imand eine bessere Chance als in der Vergangenheit zueben. Wir wissen: Jeder Euro, der in Bildung investiertird, spart perspektivisch 3 bis 4 Euro an Sozialkostenin. Wer sparen will, der muss in Bildung investieren.as ist die Botschaft auch dieser Bundesregierung. Vonaher erklärt sich der hohe Haushalt für Bildung undorschung.
Das Flaggschiff dieser Bildungslandschaft – das istollkommen richtig – ist die duale Berufsausbildung.estern fand im Ausschuss für Bildung und Forschungazu eine Anhörung statt. Es ist ganz klar Position überlle Fraktionsgrenzen hinweg, dass Berufsausbildungnd Abitur gleichwertig sind. Es kann nicht sein, dasson europäischer Seite beispielsweise gefordert wird,ass das Abitur Voraussetzung für eine Pflegeausbildungt und dass somit eine Abwertung der dualen Ausbil-ung stattfindet.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 152. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. Januar 2012 18169
Uwe Schummer
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Wir werden dafür sorgen, dass der Bachelor demMeister und die duale Ausbildung dem Abitur gleichge-stellt werden. Wir wissen, dass Lernen in der Praxis fürdie Praxis eine starke Integrationskraft hat. Das zeigendie guten Zahlen sowohl auf dem Arbeitsmarkt als auchauf dem Ausbildungsmarkt. Wir wissen, dass die Wirt-schaft über 30 Milliarden Euro in die duale Ausbildunginvestiert, für Ausbildungsvergütungen, für Ausbil-dungswerkstätten und für Ausbilder, die ja finanziertwerden müssen.Wir, die christlich-liberale Koalition, haben gemein-sam zwei große Ziele, die wir miteinander auch errei-chen werden. Das eine Ziel ist: Arbeit für alle; Vollbe-schäftigung ist wieder möglich. Zum anderen wollen wir2014 auf Bundesebene einen Haushalt verabschieden,der ohne Nettoneuverschuldung auskommt. Das wäreerstmals seit 1969 wieder der Fall. Nach meiner Über-zeugung werden wir für dieses Ziel eine Finanztrans-aktionsteuer brauchen. Herr Solms, ich teile Ihre Auffas-sung, dass wir diese Steuer weder in ihrer positiven nochin ihrer negativen Auswirkung überhöhen dürfen. Wirmüssen sie objektiv und sachlich prüfen. Erst dann kön-nen wir richtig entscheiden. Diese Steuer sollte Bestand-teil einer solchen gemeinsamen Politik sein.Alles wird gut!
Rita Pawelski hat jetzt das Wort für die CDU/CSU-
Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! LiebeKolleginnen und Kollegen! Unserem Land geht es gut.
Die deutsche Wirtschaft wächst. Die Zahl der Erwerbstä-tigen steigt. Und – das ist besonders erfreulich –: Auchdie Einkommen legen wieder zu. Deutschland – damittrifft der Jahreswirtschaftsbericht den Nagel auf denKopf – ist der Stabilitätsanker und WachstumsmotorEuropas. Das ist wahrlich kein Naturgesetz, sondern dasErgebnis harter und intensiver Arbeit, der Arbeit der tat-kräftigen Unternehmer und ihrer fleißigen Mitarbeiterin-nen und Mitarbeiter, aber auch – das muss man deutlichsagen – der Arbeit der christlich-liberalen Koalition un-ter Bundeskanzlerin Angela Merkel.
Die aktuelle gute und robuste Lage ist für uns aberkein Ruhekissen, sondern ein Ansporn, um das Wachs-tum zu verstetigen. Eine wesentliche Herausforderung,vielleicht sogar die wesentlichste Herausforderung derZ–slegmsebglafüFgaBz7numwdbinbvsli6psasAfastisgzfeQuteMszMbbgjo
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18170 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 152. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. Januar 2012
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(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-neten der FDP und der Abg. Kerstin Andreae[BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])Bei den Betreuungsangeboten sind wir auf gutemWeg. Bis 2013 wird es einen Rechtsanspruch für die Be-treuung der unter Dreijährigen geben. Für die Drei- bisSechsjährigen gibt es bereits seit vielen Jahren einenRechtsanspruch, aber in der Regel nur für vier Stundenund in manchen Ländern für sechs Stunden. Bei Berück-sichtigung der Zeiten für An- und Abfahrten reicht dasfür die Aufnahme einer Beschäftigung nicht aus.Die christlich-liberale Koalition kennt nicht nur dieProbleme, wir arbeiten auch sehr intensiv daran, sie zulösen. Wir verbessern die Rahmenbedingungen so, dassmehr Frauen, vor allem mehr Mütter, dem Arbeitsmarktzur Verfügung stehen.Eine Ungerechtigkeit müssen wir allerdings noch be-seitigen, und zwar den Lohnunterschied zwischen denGeschlechtern. Frauen verdienen durchschnittlich23 Prozent weniger als ihre männlichen Kollegen. Dasgeht nicht. Ich weiß, dass jetzt die Kritiker sagen, dieseZahl sei undifferenziert und man müsse schließlich dieQualifikation, die Berufserfahrung, die Größe des Unter-nehmens sowie den beruflichen Status berücksichtigen.Ja, das will ich nicht abstreiten. Aber selbst wenn manall diese Komponenten herausrechnet, verdienen Frauenimmer noch 13 Prozent weniger als ihre männlichenKollegen; das ist das Ergebnis einer Studie des Institutesder deutschen Wirtschaft. 13 Prozent weniger, obwohlFrauen in der Regel besser qualifiziert und ausgebildetsind als ihre männlichen Kollegen.
Das geht nicht, und das werden wir auch nicht hinneh-men.
Der demografische Wandel wird die wirtschaftlicheEntwicklung in den nächsten Jahrzehnten maßgeblichbeeinflussen. Es liegt an uns allen, an unserer Gesell-schaft, die Rahmenbedingungen in der Politik, in derWirtschaft, bei den Gewerkschaften – im Grunde überall –so zu gestalten, dass die Auswirkungen möglichst geringsind. Ich verspreche Ihnen: Diese Regierung ist dabei,dieses Problem zu lösen. Wir bleiben dran.Vielen Dank.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf
den Drucksachen 17/8359, 17/8346 und 17/7710 an die
Ausschüsse vorgeschlagen, die in der Tagesordnung auf-
geführt sind. – Sie sind damit einverstanden. Dann sind
die Überweisungen so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 4 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Markus
Kurth, Fritz Kuhn, Birgitt Bender, weiterer Abge-
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 152. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. Januar 2012 18171
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gen zumindest bei einzelnen Sozialbehörden zur Ge-schäftspolitik gehört. Natürlich kann man nicht nurSchwarz-Weiß-Malerei betreiben, und es gibt auch guteBeispiele, wo die Rechtsverwirklichung gelingt. Dochdie drastischen negativen Beobachtungen sind in ihrerHäufung alarmierend. Ein Richter vom Bundessozialge-richt sprach im Mai 2011 in der schriftlichen Urteilsbe-gründung vom „Krieg einer gegen den anderen innerhalbdes Staatswesens“ mit Blick auf den Zustand unsererSysteme der sozialen Sicherung. Das ist zwar drastisch,trifft aber den Nagel auf den Kopf.
Wir, Bündnis 90/Die Grünen, wollen mit unseremheute eingebrachten Antrag „Soziale Bürgerrechte ga-rantieren“ die Verfahrensrechte, die Mitwirkungsrechte,die Durchsetzungsrechte der Nutzerinnen und Nutzer so-zialer Leistungen stärken. Wir wollen dies um der Be-troffenen willen tun, aber auch um der Effektivität, Effi-zienz und um der Legitimationsbasis der Systeme dersozialen Sicherung willen.
Denn welchen Sinn macht es gesamtstaatlich, wennJobcenter überforderte psychisch kranke Menschensanktionieren und sie sehenden Auges in die Wohnungs-losigkeit schicken? Welcher wirtschaftlichen Logik folgtdenn die Ablehnung eines berufsbedingt notwendigenHilfsmittels durch die Krankenkasse, wenn durch dieVerzögerung Arbeitslosigkeit entsteht? Und was denkensich eigentlich Jugendämter, die Angebote der Jugend-sozialarbeit abbauen, auf angeblich vorrangige Leistun-gen der Jobcenter verweisen, wenn sie genau wissen,dass die Zielsetzungen der Jugendhilfe – Entwicklungs-förderung – mit den Zielsetzungen der Jobcenter – Leis-tungsreduzierung – überhaupt nicht übereinstimmen?Für die betroffenen jungen Menschen hat die Leistungs-verweigerung der Jugendhilfe unter Umständen wegender drastischen Konsequenzen bei Sanktionen fatale, jaexistenzbedrohende Konsequenzen, und die Zunahmeder Obdachlosigkeit unter Jugendlichen und jungen Er-wachsenen ist ebenfalls ein alarmierendes frühes Zei-chen.
In jedem dieser skizzierten Fälle übersteigen die lang-fristigen gesamtgesellschaftlichen Folgekosten den ver-meintlichen Einsparnutzen bei einem einzelnen Sozial-leistungsträger bei weitem. Auch die weiteren Folgen inden Behörden – Paternalismus, Abwehrhaltung gegen-über Ansprüchen – sind dramatisch. Die Folgen für dieBürgerinnen und Bürger sind nicht zu unterschätzen.Diese werden in die Rolle von Bittstellerinnen und Bitt-stellern gedrängt. Sie machen die Erfahrung der Ent-mündigung, des Ausgeliefertseins. Besonders übel ist esin den Bereichen, wo es eine besondere Schwächung derRechtsstellung gibt, insbesondere beim Sozialgesetz-buch II oder bei Hartz IV, wo zum Beispiel ein Wider-spruch, anders als in anderen Sozialsystemen, keine auf-schiebende Wirkung hat und sich der BetroffeneürinsVeSSuliSVmUdDfeghPtrvtivesvwsbesmwdDEBwbuEhmfüg
Wir wollen, dass weiterhin Menschen mit geringeminkommen die Möglichkeit haben, sich juristischeneistand zu leisten und Prozesskostenhilfe zu erhalten,enn dies notwendig ist. Ein niedrigschwelliger und ge-ührenfreier Zugang zu den Sozialgerichten ist hierbeinverzichtbar.
s kann wirklich nicht sein, dass, wie in der Vergangen-eit, Vorstöße aus Ländern wie Bayern kommen, woan auf die Misere mit der Einführung von Gebührenr Sozialgerichte reagiert hat. Damit werden für diejeni-en die Zugangshürden zum Rechtsstaat erhöht, die so-
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18172 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 152. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. Januar 2012
Markus Kurth
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wieso schon große Vorbehalte und Hemmnisse haben,vor Gericht zu ziehen.
Wir wollen die Rechte für anerkannte Verbändedurch ein Verbandsklagerecht stärken. Diese Verbändesollen – ähnlich wie heute bereits im Umwelt- oder Ver-braucherschutz – selbstständig eine Klage erheben kön-nen.Besondere Aufmerksamkeit haben wir noch einmaldem SGB II gewidmet. Dort gibt es bekanntermaßen diegrößten Probleme, alleine von der schieren Zahl der Be-troffenen her. Die jüngsten Änderungen nicht nur seitensder schwarz-gelben Koalition, sondern – das kann ichIhnen nicht ersparen, liebe Kolleginnen und Kollegenvon den Sozialdemokraten – auch von der Großen Koali-tion haben zu einer Verschlechterung der Rechtsstellungder Hartz-IV-Beziehenden geführt. Wir wollen, dassauch in diesem Bereich Wünsche ernst genommen wer-den. Wir wollen die aufschiebende Wirkung von Wider-sprüchen wieder einführen.Grüne Sozialpolitik hat das Ziel, allen Menschen einegleichberechtigte und selbstbestimmte Teilhabe zu er-möglichen.
Wir wollen die Menschen mit ihren Potenzialen und mitihren Fähigkeiten ernst nehmen. Eine solcherart verstan-dene Sozialpolitik hat neben dem Selbstzweck einerhumanen und inklusiven Gesellschaft auch den Vorteil,politisch stabilisierend und sogar volkswirtschaftlichstimulierend zu wirken. Selbstbestimmung statt Fremd-bestimmung, Abwehrrechte gegen übermächtige Kol-lektive, Gestaltungsrechte, Stärkung der eigenen Selbst-hilfepotenziale – das ist unsere soziale Idee. Sieverbindet materielle Garantien und Infrastrukturen zurBefähigung von Menschen mit Wunsch- und Wahlrech-ten und schafft so erst die Voraussetzungen, dass Men-schen, die Unterstützung brauchen, diese Freiheit wahr-nehmen können. Freiheit braucht Voraussetzungen, undFreiheit braucht auch soziale Bürgerrechte.Vielen Dank.
Das Wort hat der Kollege Dr. Johann Wadephul für
die CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen undHerren! In dieser Sitzungswoche finden zwei größeresozialpolitische Debatten statt, morgen eine zum ThemaMindestlohn. Da gibt es, jedenfalls aus Sicht der CDU,den einen oder anderen Anlass, auch Positives zu derVorlage der Grünen zu sagen. Heute müssen wir aller-dSEnddDGtadRTdkrahdkIhaRdrensbpdshadinkWfäsbssSK
s dokumentiert eher eine gewisse Themennot der Grü-en,
ass Sie jetzt versuchen, in diesem Bereich das Haar iner Suppe zu finden.Der Antrag fängt ganz gut an, und zwar mit dem Satz:Die Bundesrepublik Deutschland ist ein sozialerRechtsstaat.as stimmt; das steht schon seit vielen Jahrzehnten imrundgesetz. Man muss das hier im Deutschen Bundes-g nicht noch einmal beschließen. Man muss es nur inie Wirklichkeit umsetzen.Wir sind auch bei Ihnen, wenn Sie sagen: Der sozialeechtsstaat muss gesichert werden; Partizipation bzw.eilhabe in selbstbestimmter Weise muss gesichert wer-en. Wir sind uns sicherlich auch darüber einig, dassein Regularium der Welt, auch nicht die fast 3 000 Pa-grafen des Sozialgesetzbuches, in der Lage sein wird,ier eine wasserdichte Regelung zu schaffen, die in je-em Einzelfall hundertprozentige Gerechtigkeit sichernann; das ist vollkommen klar.Jedoch muss derjenige, der von einer – ich zitiere ausrem Antrag – „nicht durchgängig auf Partizipationusgerichteten Sozialgesetzgebung“, einer „restriktivenechtsumsetzung“ und einer „mangelnden Kooperationer Sozialleistungsträger“ spricht, Beweise dafür anfüh-n. Beweise, lieber Herr Kollege Kurth, sind übrigensicht Überzeichnungen wie jene in Ihrem Antrag. Sochreiben Sie, es komme „immer wieder vor, dass Ar-eitsuchende bei Fragen an das Jobcenter eine kosten-flichtige Telefonhotline anrufen müssen,
ass älteren Menschen bei der Suche nach und Antrag-tellung von assistierenden Diensten nicht adäquat ge-olfen wird und dass Patienten durch eine zögerliche Be-rbeitung des Antrages auf eine Anschlussbehandlungie gesundheitliche Verschlechterung droht“. Niemand diesem Hause wird bestreiten, dass so etwas vor-ommt.
ogegen wir uns wehren, ist, dass Sie aus diesen Einzel-llen eine Verallgemeinerung herleiten. Das ist nichteriös. Wir weisen es zurück, dass Sie hier allen Sozial-ehörden, die übrigens, wie Sie in Art. 20 des Grundge-etzes nachlesen können, an Recht und Gesetz gebundenind, also der Bundesagentur, den Jobcentern und denozialversicherungsträgern – in Rentenversicherung,rankenversicherung und Pflegeversicherung –, pau-
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 152. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. Januar 2012 18173
Dr. Johann Wadephul
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schal vorwerfen, es gebe eine – ich zitiere, was Sie ge-rade gesagt haben – „systematische Verweigerung“.
Das ist eine Verunglimpfung aller Mitarbeiterinnen undMitarbeiter, all derjenigen, die ehrenamtlich in den Gre-mien arbeiten. Meine sehr geehrten Damen und Herren,das stimmt nicht; Sie zeichnen hier ein Zerrbild. Das istfalsch.
Wenn Sie über soziale Rechte reden, sollten Sie wis-sen, dass das Sozialgesetzbuch schon sehr viel vorsieht:§ 13 SGB I – Sie sollten vielleicht einmal einen Blickhineinwerfen – verpflichtet die Leistungsträger im Rah-men ihrer Zuständigkeit zur Aufklärung, zur Belehrungüber Pflichten und Rechte nach dem Gesetzbuch. § 14sieht sogar einen Anspruch des einzelnen Leistungsemp-fängers oder Versicherten auf Beratung vor. Das wirdauch umgesetzt.
Meldet sich beispielsweise eine Witwe wegen der Hin-terbliebenenrente und beantragt sie für sich, vergisstaber – um ein einfaches Beispiel zu nennen –, sie auchfür die Kinder zu beantragen, so muss der Rentenver-sicherungsträger darüber aufklären, dass auch Waisenentsprechende Ansprüche haben. Wird dies verabsäumt,Herr Kurth, und stellt sich dies erst mehrere Jahre späterheraus, dann ist da nichts verfristet, präkludiert oder aus-geschlossen. Vielmehr hat das Bundessozialgerichteinen sozialrechtlichen Herstellungsanspruch normiert.Bei einem derartigen Pflichtenverstoß muss der Betragim Nachhinein erstattet werden.Weil Sie auf Europa Bezug nehmen, frage ich Sie: Woin der Welt, wo in Europa gibt es eine derart sozialeRechtsprechung, eine derartige Gesetzgebung, wie wirsie haben? Wir sollten stolz auf das sein, was wir haben,und es umsetzen, anstatt zu beklagen, dass es in Einzel-fällen Probleme gibt.
Herr Kollege, es ergibt sich praktischerweise, dass Ih-
nen Herr Kurth gerne eine Zwischenfrage stellen würde.
Ja, bitte schön.
Bitte schön.
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Doch, Sie kehren es um, Herr Kurth, und das finde ichrgerlich an Ihrem Vorwurf. Sie sagen: Im Zweifel han-elt die Behörde oder der Sozialversicherungsträgericht im Sinne des Leistungsempfängers bzw. des Versi-herten. Das stimmt nicht. Das ist nicht meine Erfah-ng, und das ist auch nicht die soziale Wirklichkeit ineutschland.
Ich will Sie darauf hinweisen, dass wir uns nicht nurier im Parlament und in den Petitionsausschüssen mit
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18174 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 152. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. Januar 2012
Dr. Johann Wadephul
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diesem Thema beschäftigen. In meinem HeimatlandSchleswig-Holstein gibt es Bürgerbeauftragte, die dieBürgerinnen und Bürger mit großem Erfolg beraten undunterstützen. Ich will Sie auch darauf hinweisen, dass je-der Bürger die Möglichkeit hat, an deutschen Arbeits-und Sozialgerichten – auch an unzuständigen Gerichten –selber eine Klage zu erheben. Dort liegen Formulare aus,die er nur auszufüllen braucht. Wenn er damit nicht klar-kommt, gibt es ausgebildete Rechtspfleger, die sich stun-denlang Zeit nehmen, um mit den einzelnen Betroffenendie Klage anzufertigen. Die werden sich nicht darauf be-rufen, dass sie nicht zuständig sind; das dürfen sie garnicht. Sie helfen dabei, dass man Erfolg hat.Herr Kurth, Sie haben auf Europa Bezug genommen.Ich wiederhole es: Wo in Europa gibt es so etwas? Wel-cher europäische Mitgliedstaat – ich bin wirklich Pro-europäer und möchte andere Mitgliedstaaten nicht pau-schal verdächtigen, ein schlechtes soziales Niveau zuhaben – hat ein derart dichtes soziales Netz, wie wir eshaben? Diesen Beweis bleiben Sie schuldig. Deswegensage ich: Es ist die bare Not, die Sie dazu gebracht hat,diesen Antrag zu stellen. Sie überzeichnen die Situationinsgesamt ganz deutlich.
Als Anwalt könnte ich ein bisschen traurig darübersein, dass Sie das anwaltliche Gebührenrecht nicht er-wähnen. Es geht an dieser Stelle nicht um Reichtümer.Aber die Kollegen, die auf dem Gebiet des Sozialrechtstätig sind, arbeiten für Betragsrahmengebühren – fragenSie einmal Frau Kramme –, für die man einen Sozial-rechtsfall wirtschaftlich gesehen überhaupt nicht bear-beiten kann. Sie sollten die Justizministerin, FrauLeutheusser-Schnarrenberger, die einen entsprechendenEntwurf unterbreitet hat, unterstützen, damit diese Ge-bühren etwas angehoben werden.
Der Vorschlag, die SGB-II-Verfahren gebührenpflich-tig zu machen, ist mir vollkommen unverständlich.
– Doch, das haben Sie gemacht, selbstverständlich. Le-sen Sie einmal Ihren eigenen Antrag!
Sie wollen unter Ziffer 9 Pauschalgebühren einführen.
– Für die Jobcenter. Meinen Sie denn im Ernst, ein Job-center werde einen Widerspruchsbescheid zulasten einesLeistungsempfängers nicht aussprechen, nur weil dasJobcenter fürchtet, Gerichtsgebühren zahlen zu müssen?Oder umgekehrt: Wollen Sie, dass Jobcenter gegen dieecnzzmnswWEfitekArewdtemeDredleGslaetiKliWegEgSdM
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 152. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. Januar 2012 18175
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Wünsche mit der Welt des Machbaren kollidiert. Man-cher Beamte würde bestimmt gerne Leistungen gewäh-ren, wenn ein Härtefall vorliegt oder wenn ihm ein Bür-ger bzw. eine Bürgerin sympathisch erscheint. Es gibtjedoch die Vorgabe rechtskonformen Verhaltens, und diePolitik setzt die rechtlichen Maßstäbe.Herr Kurth, an dieser Stelle finde ich Ihre Kritik über-spitzt. Natürlich gibt es in der Bundesrepublik Deutsch-land auch schwarze Schafe, aber diese sind nicht der Re-gelfall. Sie vernachlässigen die vielen HunderttausendFälle, die in der Bundesrepublik Deutschland Jahr fürJahr völlig reibungslos ablaufen.
Unstreitig ist allerdings, dass es innerhalb der Bundesre-publik Deutschland Verbesserungsbedarf gibt. Hier gehtes, denke ich, insbesondere um sechs Punkte.Erstens brauchen wir in mehr Fällen eine übergrei-fende Beratung, weil das Sozialrecht verheerend kompli-ziert ist. Ich finde, die Pflegestützpunkte, die wir mitdem Pflege-Weiterentwicklungsgesetz eingeführt ha-ben, sind ein gutes Beispiel dafür.
Es geht zweitens darum, dass Bearbeitungszeiten vonBehörden und Gerichten kurz bleiben. Dies ist aber invielen Fällen eine Kostenabwägung, und in vielen Fällenstehen wir in einem Dissens mit den Ländern.Es geht drittens darum, dass wir jeweils eine genaueAbwägung vorzunehmen haben, ob wir einem Bürgerbzw. einer Bürgerin einen Rechtsanspruch oder einenAnspruch gewähren, der nur im Ermessen der Behördesteht. Hier ist es leider beispielsweise im SGB II oder imSGB III zu verheerenden Entwicklungen gekommen, beidenen es nur darum ging, Kostenreduzierungen vorzu-nehmen. So werden natürlich die Weiterbildungsmög-lichkeiten von Bürgerinnen und Bürgern in letzter Kon-sequenz beschnitten.Es geht viertens darum, mehr Partizipation in den So-zialgesetzbüchern zu verankern. Ich bin allerdings derMeinung – darin sind wir uns einig –, dass diesbezüglichgute Entwicklungen stattgefunden haben. Ich verweisebeispielhaft auf das SGB IX.
Fünftens geht es darum, die Schnittstellen zwischenverschiedenen Rechtsgebieten aufzulösen, damit nichtjede Behörde Leistungen ablehnen kann und der Bürgerletztlich zwischen allen Stühlen sitzt. Die Zusammenle-gung der Agenturen für Arbeit und der Sozialhilfebehör-den ist hierfür ein hervorragendes Beispiel.Letztens geht es darum, einen kostenfreien und einfa-chen Zugang zur Gerichtsbarkeit zu haben.Lassen Sie mich auf einige Punkte eingehen und diesenäher thematisieren.Sie rennen bei uns offene Türen ein, wenn es um denErhalt der Sozialgerichtsbarkeit geht. Seit Jahren be-obachten wir leider immer wieder Anstrengungen mitdriMuRewnNsaRgeStemAlipecBwdSnPdnKhdATknDwmKEhhimtuafüPnUegA
Lassen Sie mich abschließend auf ein Thema einge-en, das Herr Wadephul angesprochen hat. Ich finde, erat damit recht. Es geht um die Vergütung der Anwälte Bereich des Sozialrechts. In vielen Fällen wird Bera-ngshilfe in Anspruch genommen. Der Vergütungs-nspruch für solch eine Beratung beträgt 30 Euro bzw.r die gesamte außergerichtliche Tätigkeit 70 Euro. Dasroblem ist, dass oft Menschen betroffen sind, die sichicht selber helfen können, die mit Wäschekörben vollernterlagen zum Anwalt kommen, der diese Unterlagenrst einmal sortieren muss. Dadurch sind diese Angele-enheiten extrem arbeitsaufwendig. Leider gibt es vielenwälte, die dem Sozialstaatsauftrag nicht Rechnung
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Anette Kramme
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tragen und einfach sagen, sie könnten erst in sechs Wo-chen einen Termin anbieten oder sie seien in der Materiefachlich nicht kompetent, obwohl sie das Problem sehrwohl lösen könnten. Ich denke, wir brauchen entwederein anderes Vergütungssystem oder zumindest für denBereich des Sozialrechts öffentliche Rechtsberatung;dies gibt es bereits in einigen Bundesländern.
Lassen Sie mich abschließend Folgendes sagen: Ichfinde, Sie haben einen interessanten Aufschlag gemacht;aber den hohen Ansprüchen wird dieser Antrag nicht ge-recht. Wir müssen die Materie in den nächsten Jahrengemeinsam angehen und jedes einzelne Sozialgesetz-buch durchschauen, um herauszufinden, wo es Schnitt-stellenproblematik gibt, wo wir verbesserte Beratung an-bieten können etc.In diesem Sinne herzlichen Dank.
Der Kollege Pascal Kober hat jetzt für die FDP-Frak-
tion das Wort.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Liebe Kolleginnen und Kollegen von Bündnis 90/DieGrünen, aus Anlass Ihres Antrags möchte ich auf zweigrundsätzliche Aspekte des Sozialstaates hinweisen.Ich bin schon bei der Überschrift Ihres Antrags stut-zig geworden. Da sprechen Sie einerseits von sozialenBürgerrechten und andererseits von Nutzerinnen undNutzern sozialer Leistungen. Man kann, liebe Kollegin-nen und Kollegen von Bündnis 90/Die Grünen, einenComputer, eine Eisenbahn oder eine Zahnbürste nutzen.Ich glaube, wir alle spüren: Wenn es um den Begriff„nutzen“ geht, dann geht es auch um Wahlfreiheit. Aberwenn man von sozialen Rechten oder gar von sozialenBürgerrechten spricht, dann sollte man nicht von Nutze-rinnen und Nutzern sprechen. Wir gehen in unserem So-zialstaat davon aus, dass diejenigen, die Leistungen desSozialstaates beziehen, dies tun, weil sie gerade keineandere Wahl haben.
Deshalb sollten Sie über die Formulierung der Über-schrift Ihres Antrags noch einmal nachdenken.Sie sollten auch über einen zweiten Aspekt des So-zialstaates nachdenken – darauf hat mein Kollege HerrDr. Wadephul schon hingewiesen –: Wer erwirtschafteteigentlich die Leistungen, die der Sozialstaat zu Rechtverteilt? Der Sozialstaat besteht nicht nur aus Leistungs-berechtigten einerseits und institutionellen Sozialleis-tungserbringern andererseits,sHzDkDUpzbGDdLlewgwsredInSSzhämmreLFsassZvdlidtubih
ondern auch aus der Masse von Menschen, die mit ihrerände und Köpfe Arbeit das Geld, das wir in Form so-ialer Leistungen verteilen können, erwirtschaftet.
iese Seite des Sozialstaates findet in Ihrem Antrag miteiner Silbe Erwähnung.
as ist insofern bedauerlich, lieber Herr Kurth, als dermstand, den Sie in Ihrem Antrag zum Teil zu Rechtroblematisieren, seine Ursache darin hat, dass die So-ialleistungsträger gehalten sind, die dem Sozialstaat nuregrenzt zur Verfügung stehenden Mittel nach denrundsätzen der Sparsamkeit und Effizienz einzusetzen.
arauf müssen sich die Menschen verlassen können:iejenigen, die mit ihrer Hände und Köpfe Arbeit dieeistungen des Sozialstaates erwirtschaften, aber vor al-m diejenigen, die auf Hilfe und Unterstützung ange-iesen sind.Eines ist klar: Wir können jeden Euro nur einmal aus-eben. Wenn wir zum Beispiel Geld für eine Leistungie die Grundsicherung für Arbeitsuchende ausgeben,teht entsprechend weniger Geld für andere Leistungsbe-chtigte, beispielsweise für schwerstmehrfachbehin-erte Menschen, zur Verfügung. Deshalb ist es auch imteresse der Schwächsten, dass die jeweils wenigerchwachen das ihnen Mögliche zur Überwindung ihrerituation beitragen und dass der Sozialstaat seine finan-iellen Ressourcen sorgfältig abwägend einsetzt. Dass esierbei in zahlreichen Einzelfällen zu für die Betroffenenrgerlichen und teils problematischen Situationen kom-en kann, will ich gar nicht leugnen. Aber zunächst ein-al muss man die Ursache dieser Probleme identifizie-n. Es geht um den sorgsamen Umgang mit deneistungen des Sozialstaates. Deshalb stellt sich dierage, wie wir angemessen auf diese Situation reagierenollten.Für meine Fraktion stellen sich die Prioritäten, ganzllgemein gesprochen, wie folgt dar: Erstens. Wir müs-en so viele Menschen wie möglich dabei unterstützen,ich aus der Abhängigkeit vom Sozialstaat zu befreien.weitens. Wir müssen die Leistungsberechtigten zu soiel Eigenverantwortung wie nur möglich ermächtigen;ies kann man vielfach zum Beispiel durch die Pauscha-erung von Leistungen erreichen. Drittens. Wir müssenie Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Sozialleis-ngsträger noch besser als bisher durch eine gute Aus-ildung und motivierende berufliche Perspektiven beirer Arbeit unterstützen. Dieser Dreiklang ist der rich-
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Pascal Kober
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tige Weg. Ihr Weg, liebe Kolleginnen und Kollegen vonBündnis 90/Die Grünen, ist zu einseitig.Nun möchte ich mich noch mit einzelnen konkretenForderungen, die Sie in Ihrem Antrag gestellt haben,auseinandersetzen. Da Sie eine ganze Reihe von Forde-rungen formuliert haben, beschränke ich mich auf zwei.So fordern Sie zum Beispiel, die geltenden Sanktionsre-gelungen zu flexibilisieren und ein Sanktionsmoratoriumzu erlassen, bis die Rechte der Arbeitsuchenden gestärktworden sind. Zudem soll es keine verschärften Sank-tionsmechanismen im Hinblick auf Menschen unter25 Jahren geben.
Liebe Kolleginnen und Kollegen von Bündnis 90/DieGrünen, natürlich gibt es empirische Belege dafür, dassSanktionen positive Wirkungen entfalten.
Aber es geht eigentlich um etwas anderes: Ohne Sank-tionen gäbe es keine Unterscheidung mehr zwischendenjenigen, die sich bemühen – unabhängig davon, obdie Bemühungen erfolgreich sind –, und denjenigen, diekeinerlei Anstrengung unternehmen. Wir müssen unsimmer auch die Frage stellen, welche Akzeptanz Sozial-leistungen wie die Grundsicherung für Arbeitsuchendebei den Erwerbstätigen noch hätten, wenn es keinerleiNotwendigkeit zur Eigeninitiative gäbe.
Insofern wirken Sanktionsmechanismen nicht nur inner-halb des Systems stabilisierend, sondern sie tragen auchzur Glaubwürdigkeit und zur Akzeptanz des Systemsnach außen bei. Deshalb sind sie unverzichtbar.
Des Weiteren fordern Sie in Ihrem Antrag die Schaf-fung der Möglichkeit zur Einrichtung von Ombudsstel-len bei allen Trägern des SGB II. Es gibt ja heute schondiese Möglichkeit. Jedes Jobcenter kann eine Ombuds-stelle einrichten. Wir müssen uns aber auch fragen, waseigentlich die Aufgabe der Ombudsstellen ist. Schonheute zeigt sich in der Praxis, dass sie sich nur bei spe-ziellen Fallkonstellationen eignen, nämlich dann, wennes um einen Beurteilungsspielraum geht. In diesen Fäl-len kann die Rolle einer Ombudsperson als Vermittler inder Tat sehr sinnvoll sein. In allen anderen Fällen ist dasaber nicht der Fall.Obwohl es durchaus Optimierungsbedarf bei der Um-setzung des SGB II gibt, können wir aber auch festhal-ten, dass im Jahr 2011 die Anzahl der Klagen erstmalsseit Einführung des Arbeitslosengeldes II zurückgegan-gen ist. Die schwarz-gelbe Bundesregierung lässt es abernicht dabei beruhen. So wird die teils zu lange Bearbei-tuezateebbbwreFdHzWmbindlepElensbririznsbMkd
ir wollen, dass auch Hartz-IV-Betroffene, Menschenit Behinderung, Kranke und Pflegebedürftige ein Le-en in Würde führen können.Ein würdevolles Leben kann der Mensch jedoch nur Freiheit führen. Die Freiheit, die wir meinen, ist je-och nicht die Freiheit der Märkte und der Marktradika-n; denn wir wollen nicht, dass die einen im Cham-agner baden und die anderen gezwungen sind, ihrssen aus den Mülltonnen zu holen.
In einer menschlichen Gesellschaft, die es mit sozia-n Rechten ernst meint, darf das Recht des Stärkerenicht gelten. Wir Linken meinen eine Freiheit, die vortaatlicher Willkür schützt, dabei aber nicht stehenleibt; denn die Freiheit der Armen, sich als Bittstelle-nnen und Bittsteller an den Staat oder an die Mitbürge-nnen und Mitbürger zu wenden, wenn das Geld nichtum Leben reicht, ist eine würdelose Freiheit. Das ist ei-er der zentralen Gründe, warum wir Linken niemals un-eren Frieden mit Hartz IV machen werden.
Würde braucht Freiheit, aber ohne soziale Rechteleiben Freiheit und Würde für einen großen Teil derenschen nur eine Möglichkeit, die sie sich nicht leistenönnen. Deswegen ist die Linke die Partei der Freiheit,er Würde und der Solidarität.
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Matthias W. Birkwald
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Liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen, Siehaben Ihren Antrag mit „Soziale Bürgerrechte garantie-ren“ überschrieben. Diese wichtige Forderung teilt dieLinke ausdrücklich. Mit den vielen EinzelforderungenIhres Antrages haben Sie unter dem Strich ein Ziel: DieBürgerinnen und Bürger dürfen vom Staat und von derVerwaltung nicht als Bittstellerinnen und Bittsteller be-handelt werden. Das sehen wir Linken ganz genauso.
Es geht um soziale Rechte und nicht um Almosen.Das muss selbstverständlich für alle gelten, die hier le-ben, also zum Beispiel auch für Flüchtlinge, für Asylbe-werberinnen und Asylbewerber und für alle Menschenohne deutschen Pass. Dazu, liebe Kolleginnen und Kol-legen von den Grünen, sagen Sie in Ihrem Antrag leiderkein Wort, und das ist schwach.
Sie reden über soziale Rechte, beschränken sich aberallein auf das Verhältnis der Bürgerinnen und Bürger zurSozialverwaltung. Die sozialen Bürgerrechte umfassenaber auch die Rechte der Arbeitnehmerinnen und Arbeit-nehmer. Sie müssen deshalb sowohl in den Amtsstubender Sozialverwaltung als auch an den Werkbänken inden Fabriken und an den Schreibtischen in den Bürosgelten. Wenn Sie in Ihrem Antrag also von sozialenRechten sprechen, dann dürfen Sie von einem gesetzli-chen Mindestlohn, von gleichem Lohn für gleiche Arbeitund von gesunden, sicheren und menschenwürdigen Ar-beitsbedingungen nicht schweigen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Linke teilt vieleEinzelforderungen des vorliegenden Antrags. Auch wirsehen zum Beispiel, dass es nicht reicht, nur von einemRecht auf Beratung zu sprechen. Die Linke fordert schonlange, dass Pflegebedürftige und ihre Angehörigen,Menschen mit Behinderung und Hartz-IV-Beziehendeprofessionell, unabhängig und vor allem wohnortnahund kostenlos
beraten werden. Eine gute und vor allem auch eine gutund barrierefrei erreichbare Beratung ist dafür unver-zichtbar.
Soziale Rechte und Ansprüche muss jede und jederohne Spezialausbildung oder ein langjähriges Studiumverstehen und wahrnehmen können. Genau deshalbmüssen die Gewerkschaften, der ErwerbslosenverbandDeutschland oder Sozialverbände, wie zum Beispiel dieVolkssolidarität, ein eigenständiges Verbandsklagerechterhalten.
Damit würden die Rechte der Nutzerinnen und Nutzersozialer Leistungen auch unabhängig von konkreten Ein-zelfällen deutlich gestärkt werden. Das ist notwendig.Das ist machbar. Das ist längst überfällig.inDreeBhbadnsdzdmKDnaKfawraNGbmSRAdfübdJsDtubZ
Wenn wir des Morgens zum Bäcker gehen, finden wir der Regel eine reichhaltige Auswahl an Brötchen vor.ie Bäckerin würde aus wohlverstandenem Eigeninte-sse nicht im Traum auf die Idee kommen, ihr Angebotinzuschränken oder uns zum Kauf eines bestimmtenrötchens zu nötigen; denn wir würden uns entweder ve-ement beschweren oder sofort den Laden verlassen undeim nächsten Mal nicht wiederkommen. Wir würdenlso protestieren, uns beschweren und im besten Falleamit die Qualität der Bäckerei verbessern. Falls dasichts hülfe, könnten wir künftig unsere Brötchenchlicht woanders kaufen.Ich lege hier jetzt einigen Wert darauf, festzuhalten,ass die Sozialverwaltungen keine Bäckereien und So-ialleistungen keine Brötchen sind. Aber wie hieß esoch so schön im Zuge der Einführung der Hartz-Refor-en? Die Arbeitsagenturen sollten die Menschen alsundinnen und Kunden behandeln, so wie beim Bäcker.as ist doch nun wirklich hanebüchener Unsinn.
Haben Sie schon einmal einen Bäcker erlebt, der Ih-en mit Strafen droht, wenn Sie ihm nicht das Brötchenbnehmen, das er für Sie vorgesehen hat? Ich frage Sie:önnen denn Langzeiterwerbslose wie beim Bäcker ein-ch das Geschäft wechseln und ihre Grundsicherungoanders holen, wenn sie sich im Jobcenter schlecht be-ten, mies vermittelt oder zu Unrecht bestraft fühlen?ein, das können sie eben nicht.
enau deshalb ist es umso wichtiger, dass die Leistungs-erechtigten in den Jobcentern darauf pochen können,itzuentscheiden, welche Weiterbildung, welcherchulbesuch oder welche sonstige Maßnahme für sie dieichtige ist.
Im Unterschied zu den Grünen sagen wir Linken: Dierbeitslosen müssen beispielsweise auch frei wählenürfen, welcher Fallmanager oder welche Fallmanagerinr sie zuständig ist; denn auch Hartz-IV-Betroffene ha-en ein Recht auf Selbstbestimmung. Das darf nicht aner Tür des Jobcenters enden.
Hartz-IV-Betroffene haben nicht die Möglichkeit, dasobcenter zu wechseln wie ihre Bäckerei. Sie könnenich nur beschweren, Widerspruch einlegen oder klagen.as heißt: Erstens. Widersprüche der Hartz-IV-Leis-ngsberechtigten müssen eine aufschiebende Wirkungekommen. Zweitens. Ihnen darf der Klageweg auch inukunft nicht durch Kosten versperrt werden.
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Matthias W. Birkwald
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Die Sozialgerichtsprozesse müssen für die Betroffenengrundsätzlich kostenfrei bleiben.
Dieses grundlegende soziale Recht darf nicht geopfertwerden, weil es, Herr Kollege Kober, nach wie vor eineanhaltende Klageflut bei Hartz IV gibt. Es gibt jetzt ge-rade mal einen leichten Rückgang. 2011 ist das Jahr mitder zweithöchsten Zahl an Prozessen gewesen. Für dieKlageflut ist nämlich nicht die Kostenfreiheit verant-wortlich, sondern das handwerklich schlecht gemachteHartz-IV-Gesetz, oder, wie es Martin Kühl, Richter undPressesprecher des Landesarbeitsgerichts Essen, vorneh-mer ausdrückte, die „sehr komplexe Rechtslage“.Kein Wunder, dass wegen des viel zu kompliziertenGesetzes fast die Hälfte aller Verfahren zugunsten derklagenden Hartz-IV-Betroffenen entschieden wird, sozum Beispiel auch am Kölner Sozialgericht. Mich wun-dert es auch nicht, dass die Berliner Präsidentin desgrößten Sozialgerichts in Deutschland, Frau SabineSchudoma, fordert, dass nicht die Betroffenen, sonderndie Jobcenter wieder mit einer Pauschgebühr an den Ge-richtskosten beteiligt werden müssten; denn dann hättendie Jobcenter einen Grund, stärker auf die Betroffenenzuzugehen. Damit könnten Klagen vermieden werden,ohne die Rechte der Betroffenen einzuschränken. Kurzund gut: Ein sehr guter Vorschlag!
Liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen, ichhalte fest: In den Punkten Kostenfreiheit für die Betrof-fenen und Pauschgebühren für die Jobcenter sind wir unsvöllig einig. Aber im Unterschied zu Ihnen war dieLinke nicht daran beteiligt, Hartz IV zu erfinden und dieErwerbslosen damit nun schon seit Jahren zu drangsalie-ren.
Wir wollen kein Hartz-IV-Gesetz, mit dem den Betroffe-nen an jeder Ecke Kürzungen drohen. Die Linke willHartz IV abschaffen und durch eine sanktionsfreie so-ziale Mindestsicherung ersetzen, die die sozialen Rechteder Menschen achtet.
Wir wollen uns nicht darauf beschränken, Hartz IVhier und da zu verbessern. Dennoch gilt: Die besondersharten Strafmaßnahmen, die in Hartz IV gegen unter25-Jährige verhängt werden können, müssen sofort ab-geschafft werden.
Denn es ist unwürdig, dass jungen Erwachsenen der Re-gelsatz und sogar die Leistungen für Wohn- und Heiz-kosten vollständig gekürzt werden können. Es ist unwür-dig, dass junge Menschen bis 25, die auf Hartz IVangewiesen sind, den Staat um Erlaubnis fragen müssen,wFdSHtebnuag5wdWuddZRngsHasDfü–vmsd
Auch für die Erwachsenen in Hartz IV bringen dieanktionen und die Schnüffelpraxis der unsäglichenausbesuche mit ihrer ausdrücklichen Missbrauchsun-rstellung keinen Arbeitsplatz mit guter Arbeit. Sieringen weniger statt mehr Würde, und sie bringen we-iger statt mehr Freiheit. Darum müssen alle Sanktionennd Strafmaßnahmen sofort ausgesetzt werden.
Im Unterschied zu den Grünen wollen wir Linkenber, dass die Sanktionen umgehend und vollständig ab-eschafft werden und der Hartz-IV-Regelsatz auf00 Euro erhöht wird. Denn es bleibt dabei: Sozial ist,as Würde schafft.Herzlichen Dank.
Das Wort hat der Kollege Dr. Carsten Linnemann für
ie CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!enn man den zehnseitigen Antrag liest, Herr Kurth,nd vor allen Dingen wenn man Herrn Birkwald zuhört,ann muss man erstens den Eindruck bekommen, dassiejenigen, die in Deutschland wohnen, arm dran sind.weitens muss man den Eindruck bekommen, dass derechtsschutz für bedürftige Menschen in Deutschlandicht großzügig ausgeprägt ist.Ich habe mir gestern die Mühe gemacht und die Zeitenommen, in Ruhe mit einem Sozialrichter am Bundes-ozialgericht zu sprechen, der mir bestätigt hat, was aucherr Wadephul gesagt hat, nämlich dass in kaum einemnderen Lande der Rechtsschutz für bedürftige Men-chen so großzügig ausgeprägt ist wie in Deutschland.
as ist erst einmal eine gute Nachricht für Deutschland,r den Sozialstaat und für den Rechtsschutz.
Damit findet man sich nicht ab, Herr Kurth. Sie habenöllig recht, aber Sie müssen eines beachten: Dass je-and das Instrument Widerspruch und Klage in An-pruch nimmt, ist zunächst einmal ein Zeichen dafür,ass unser Rechtsstaat funktioniert.
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Dr. Carsten Linnemann
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Das ist zunächst der entscheidende Punkt. Sie haben na-türlich recht, auch mit Ihrem Antrag: Die Zahl der Wi-dersprüche und Klagen ist zu hoch. Trotzdem sollte mannicht alles schlechtreden, Herr Birkwald.Wir haben gestern vom Arbeitsministerium die ak-tuellen Zahlen zu den Widersprüchen bekommen. Siegehen zum ersten Mal seit Inkrafttreten der Hartz-IV-Gesetzgebung im Jahr 2005 zurück, und zwar meinerMeinung nach signifikant. Ich will nicht von einer gro-ßen Trendwende reden, aber wir sollten das zur Kenntnisnehmen.Ich habe die aktuellen Zahlen bekommen; sie bezie-hen sich auf das dritte Quartal 2011. Im Vergleich zumdritten Quartal 2010 ist die Zahl der Widersprüche von200 000 auf 170 000 zurückgegangen. Das ist signifi-kant.
– Ja, Herr Birkwald, das ist so. Sie sind doch von Hausaus Volkswirtschaftler.
– Ja, das ist völlig richtig, Herr Kurth: im SGB II. Wirsollten aber beide Interesse daran haben, dass diese Zahlweiter zurückgeht. Wir sollten über Konzepte sprechen.Sie sprechen ein paar Konzepte an. Zum Beispielwollen Sie mit Ombudsstellen erreichen, dass es erst garnicht zum Rechtsstreit kommt. Über solche Instrumentesollten wir im Ausschuss reden.Aber ich bitte, zur Kenntnis zu nehmen, dass wir seitJahren versuchen – das begann in der Großen Koalition,und jetzt machen wir es erst recht; die entsprechendengesetzlichen Regelungen sind in Kraft getreten –, beiden Widersprüchen, die vor allen Dingen bei den Ein-gliederungsvereinbarungen und den Kosten der Unter-kunft auftreten, gegenzusteuern. Ich nenne Ihnen zweiBeispiele. Wir haben im letzten Jahr den Kommunen beiden Kosten der Unterkunft die Möglichkeit eröffnet,Pauschalen festzulegen. Zuerst gab es einen großen Auf-schrei. Trotzdem erhoffen wir uns – die Kommunenmüssen dies auch in Anspruch nehmen – wenigerRechtsstreitigkeiten und weniger Klagen, weil es nunRechtssicherheit gibt. Die Opposition sagt nun: DieHartz-IV-Empfänger leiden darunter. – Das ist nicht so.Erstens werden die Pauschalen vom jeweiligen Landes-sozialgericht überprüft. Zweitens kann ein SGB-II-Emp-fänger, wenn ihm die Kommune zum Beispiel 350 Eurozugesteht und er eine Wohnung für 250 Euro anmietet,die Differenz von 100 Euro behalten. Die oft monierteHärtefallregelung gilt weiterhin, auch bei Pauschalen. Ineinem bekannten, renommierten Urteil wurde festge-stellt, dass es sich bei einer Familie mit vier Kindern, diewohnortnah zur Schule gehen, und die in der Nachbar-straße einen Angehörigen hat, der gepflegt werden muss,offenkundig um einen Härtefall handelt. Das gilt auch inZugragnnrusÜzHszdgwRztiPwndhzgszfävgvCsluCcpdugdti
Zu den Eingliederungsvereinbarungen. Ich muss zu-eben, dass ich in der gestrigen Ausschusssitzung über-scht war, dass die Zahl so positiv ist. Ich kann die Zahlleich nennen, weil sie öffentlich ist. Seit Juni 2010 wirdach einem Vier-Phasen-Modell gearbeitet. Danach kön-en die Vermittler vor Ort die Eingliederungsvereinba-ng individueller ausgestalten. Dadurch kommt eseltener zu Rechtsstreitigkeiten. Nach einer internenberprüfung der Bundesagentur für Arbeit sind 88 Pro-ent der Eingliederungsvereinbarungen individueller,err Kurth. Dadurch erhoffen wir uns weniger Klagen.Wie Sie sehen, setzt sich das gesamte System aus ver-chiedenen Bausteinen zusammen. Es gibt immer etwasu optimieren. Es gibt immer Schieflagen. Es ist richtig,ass wir versuchen müssen, die Schieflagen zu beseiti-en und den Rechtsschutz sicherzustellen. Aber genausoichtig ist es – lieber Pascal Kober, das hast du eben zuecht angesprochen –, die Eigeninitiative des Einzelnenu stärken. Auch darauf heben Sie im Antrag Ihrer Frak-on ab, Herr Kurth. Aber ich würde mich freuen, Frauothmer, wenn Sie dann, wenn es konkret wird, nichtegliefen, sondern uns unterstützten. Sie sollten nichtur auf die hehren Ziele hinweisen.
Ich nenne Ihnen als Beispiel den Bundesfreiwilligen-ienst. Wir haben den Freibetrag von 60 auf 175 Euro er-öht, weil wir der Meinung sind, dass 60 Euro für Lang-eitarbeitslose, die bereit sind, 30 Stunden in der Wocheeschätzte und sinnstiftende Tätigkeiten für die Gesell-chaft zum Beispiel im Umweltschutz zu übernehmen,u wenig sind. Sie haben damals gesagt: Hartz-IV-Emp-nger sind keine Lückenbüßer für die wegfallenden Zi-ildienststellen. – Nun haben wir das umgesetzt, und esibt – soweit ich das mitbekomme – keine Kritik, wederon den karitativen Trägern und Verbänden wie deraritas noch von den Betroffenen selbst. Viele meldenich per E-Mail und schreiben: „Das ist eine gute Rege-ng.“ Gerade ältere Arbeitslose bekommen damit einehance auf Teilhabe in dieser Gesellschaft. Das sind si-herlich kleine Bausteine. Aber die Arbeits- und Sozial-olitik erlaubt es nicht, einen großen Schlag zu tun, so-ass dann alles funktioniert. Es handelt sich nun einmalm ein lernendes System. Wir werden weiterhin mit denenannten Bausteinen arbeiten. Ich denke, wir machenas höchst erfolgreich.Herzlichen Dank.
Silvia Schmidt hat jetzt das Wort für die SPD-Frak-on.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 152. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. Januar 2012 18181
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Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen undHerren! Lieber Kollege Kurth, der Antrag Ihrer Fraktionenthält durchaus richtige Feststellungen. Aber wir müs-sen eines bedenken: Wir haben das beste Sozialsystemweltweit. Wir werden um dieses Sozialsystem beneidet.Das ist einfach so.
Natürlich haben wir auch die große Verantwortung, die-ses historisch gewachsene Sozialsystem weiterzuentwi-ckeln.Die Entwicklung von Sozialrecht ist ein Prozess, dermit den gesellschaftlichen Verhältnissen einhergeht. Esdarf nicht der Eindruck entstehen, wie in diesem Antrag,dass dieses hohe Gut der sozialen Rechte, das auch er-kämpft worden ist, nicht genug geschätzt wird. GlaubenSie mir: Ich weiß, wovon ich rede. Die ehemalige DDRhatte auch sogenannte soziale Rechte. Da waren Klagenabsolut unerwünscht. Es war nicht so, dass man da etwasbekommen hat.Meine Fraktion weiß, dass das zergliederte Sozialsys-tem ein großes Problem darstellt, nicht nur für Menschenmit Behinderung. Wir alle haben hier gemeinsam 2001mit dem Sozialgesetzbuch IX ein deutliches Zeichen ge-setzt, um dieser Zergliederung zu begegnen.Man kann auch nicht pauschal die Leistungsträgerverurteilen und sagen, sie sähen das alles nur unter Kos-tenaspekten. Sie haben natürlich auch die Pflicht, verant-wortlich mit den Steuer- und Beitragsmitteln umzuge-hen. Das ist so.
In den letzten Jahren sind die Haushalte deutlich ge-schrumpft, gerade in den Kommunen. Da gibt es Pro-bleme. Wir haben die Kostenexplosion in der Eingliede-rungshilfe.Hier wollen wir als SPD neue Wege gehen. Wir habensie Ihnen vorgestellt. Wir haben in unserem Positionspa-pier zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonven-tion gefordert, ein Teilhabegesetz für Menschen mitBehinderung als gesamtgesellschaftliche Aufgabe aufzu-nehmen. Wir haben vorgeschlagen, zu prüfen, ob mandie Leistung der Eingliederungshilfe als Leistungsbe-standteil in das SGB IX aufnimmt. Wir haben den Ge-danken „Leistungen aus einer Hand“ in unserem Posi-tionspapier noch einmal deutlich festgeschrieben. Wirwollen natürlich auch ein Teilhabegeld.Wir können deutlich sehen, dass viele Schnittstellen-probleme auftreten, gerade im Bereich der Behinderten-politik. Ich möchte ein Thema nur anreißen, und das istdie Frühförderung. Seit zehn Jahren existiert sie, und wirhaben noch keine endgültige Lösung. Ich hoffe, dass dasRundschreiben von BMAS und BMG jetzt auch Früchteträgt und die Eltern endlich zu ihrer Komplexleistung, sowie im SGB IX festgeschrieben, kommen. Die Elternwarten darauf. Wir müssen die Verschiebebahnhöfe unddie Kleinstaaterei der Träger beenden; wir müssen sieeinfach aufheben.dkPWdAfüdwdpgsBrundsgdLddgzvFeEBMsvBBdgdazcMSmHTe
Wir wollen klare Kompetenzen im SGB IX schaffen,ie Rechte der Betroffenen stärken und in der Praxisonsequent umsetzen. Auch das haben wir in unseremositionspapier deutlich gemacht. Das ist der richtigeeg; hier sind wir uns alle einig.Natürlich gibt es den Beratungsanspruch gegenüberen Leistungsträgern; das ist schon erwähnt worden.ber es gibt Tausende von Beratungsstellen. Jede ver-gt über ein bestimmtes Teilwissen. Die Menschen wer-en auch weiterhin von Pontius zu Pilatus geschickt. Wirollten das mit unserem Konzept der Servicestellen än-ern. Auch Ulla Schmidt hat das mit den Pflegestütz-unkten deutlich gemacht.Die Akzeptanz der Beratungsstellen ist mitunter sehrering. Sie werden in den Ländern auch sehr unter-chiedlich bewertet. Die Menschen, besonders ältereürger und Bürgerinnen sowie Menschen mit Behinde-ng, brauchen eine trägerunabhängige und wohnort-ahe Beratungsstelle. Sie brauchen, wie wir immer wie-er einfordern, Beratung aus einer Hand.Meine sehr verehrten Damen und Herren, die SPDtimmt Ihnen zu: Beratung und Zugang zu Sozialleistun-en müssen barrierefrei sein. Hier geht es nicht nur umen barrierefreien Zugang zu Behörden oder zu deneistungsträgern, sondern auch um eine einfache undeutliche Verständigung. Es sind nicht nur die Gebär-ensprache und der Bescheid in Brailleschrift gefragt. Esibt 7,5 Millionen funktionale Analphabeten, die So-ialleistungen nicht erreichen können, weil sie es nichterstehen und nicht begreifen. Das sind nicht wenige.rau Schavan hat in diesem Zusammenhang schon mitinem Förderprogramm im Umfang von 20 Millionenuro reagiert.Wir vergessen auch nicht, dass es im Sinne der UN-ehindertenrechtskonvention verpflichtend ist, dassenschen mit Lernbehinderung ihre Informationen inchriftlicher oder mündlicher Form in einfacher Spracheon der Behörde erhalten. Wir alle kennen den Ausdruckehördendeutsch. Manchmal haben auch wir in unsererürgersprechstunde Probleme, einen Bescheid zu lesen;as wissen wir alle.Seitdem es den Rechtsanspruch auf das trägerüber-reifende Persönliche Budget, seit 2008, gibt, ist beson-ers deutlich geworden: Wir haben das festgeschrieben,ber es läuft schleppend. Wir könnten hier Beispiele auf-ählen. Wir wissen durchaus, dass dieses Budget blo-kiert wird.
enschen müssen vor Gericht ziehen – und das täglich.ie kämpfen. Die Bürger und Bürgerinnen werden im-er noch so behandelt, als wären sie Bittsteller.Die meisten Budgets gibt es im Sozialhilfebereich.ierzu muss man feststellen, dass die Kooperation derräger untereinander nicht funktioniert und man hierfürinfach Gesetzesänderungen braucht.
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18182 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 152. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. Januar 2012
Silvia Schmidt
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Das SGB IX sollte gerade hier neue Grundsätze defi-nieren und trägerübergreifende Leistungen aus einerHand überhaupt ermöglichen. Das ist nicht erreicht wor-den. Es gibt in diesem Land offenbar noch immer So-zialleistungsträger, die die gesetzlichen Vorgaben undvor allem den Willen dieses Hohen Hauses ignorieren.Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich gebe Ih-nen recht: Ein einheitliches Planverfahren in allen So-zialgesetzbüchern ist sinnvoll. Das SGB IX bietet hierfürOr
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Die Hilfeplanung ist out, das Denken muss sich an
Teilhabe orientieren. …
Das Von-oben-Herab … der alten Verwaltungspra-
xis hat seine Wurzeln in der öffentlichen Fürsorge.
… Die … Sachbearbeiter brauchen Qualifizierung,
um an die neue Praxis herangeführt zu werden. Der
Hilfeempfänger soll nach SGB IX Teilhabeberech-
tigter sein. Der Paradigmenwechsel vollzieht sich
in der Alltagsform.
Der Teilhabeberechtigte muss in diesem Verfahren
mit seinen Interessen beachtet werden. … Die Fest-
stellung des Bedarfs an Unterstützung zur Teilhabe
kann nicht eine Stelle allein treffen. Es müssen alle
beteiligt werden, … Die Kostenträger haben Ge-
wohnheiten entwickelt. Noch immer ist es für den
Sachbearbeiter beruhigend, jemanden gut unterge-
bracht zu wissen.
Das neue Denken, gefordert in der Teilhabekonfe-
renz, muss erst erlernt werden. Die Entscheidung
darf im Teilhabeverfahren nicht übergestülpt wer-
den. Es ist eine gemeinsame Suche nach der richti-
gen Entscheidung.
Das heißt, dieses Planverfahren sollte für alle Sozial-
gesetzbücher gelten. Ich hoffe, wir werden im Ausschuss
intensiv darüber diskutieren. Es ist der richtige Vor-
schlag. Wir haben ihn in unseren Positionspapieren und
in anderen Anträgen bereits deutlich gemacht.
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
Der Kollege Heinz Golombeck hat nun das Wort für
die FDP-Fraktion.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen undKollegen! Unsere Politik ist vom Respekt vor den Bür-gerrechten geprägt. Ziel ist es, diese Rechte so zu gestal-ten, dass alle Bürgerinnen und Bürger ihre Potenzialeund Möglichkeiten in unserem sozialen Rechtsstaat nut-zen können und für den Einzelnen neue Chancen eröff-net werden. Eine aktivierende Arbeitsmarktpolitik undTsisuinvmregfrAtuwKBssZledhstrLBAjekkZmsfrDcJhBwkDVkVged
Wir sind auf einem guten Weg, all die Bürgerinnennd Bürger, die soziale Leistungen in Anspruch nehmen, ihren Teilhabe- und Leistungsrechten zu stärken. Her-orheben möchte ich die Leistungsrechte für Menschenit Behinderung. Grundvoraussetzung für die gleichbe-chtigte Teilhabe von Menschen mit Behinderung amesellschaftlichen Leben ist eine umfassende Barriere-eiheit. Das Sozialgesetzbuch I sieht bereits in § 17bs. 1 Nrn. 3 und 4 vor, dass der Zugang zu Sozialleis-ngen möglichst einfach zu gestalten ist und die Ver-altungs- und Dienstgebäude frei von Zugangs- undommunikationsbarrieren sein sollen. Art. 9 der UN-ehindertenrechtskonvention verpflichtet die Vertrags-taaten, geeignete Maßnahmen zu treffen, um für Men-chen mit Behinderung gleichberechtigt mit anderen denugang zu Information und Kommunikation zu gewähr-isten.Mit § 4 Behindertengleichstellungsgesetz wurde füren Bund ein umfassendes Verständnis von Barrierefrei-eit entwickelt. Handlungsbedarf besteht sicherlich hin-ichtlich einer Forderung aus dem hier vorliegenden An-ag, die sogenannte leichte Sprache für Menschen miternschwierigkeiten ausdrücklich als Anforderung anarrierefreiheit zu definieren.
Um die sogenannte leichte Sprache ausdrücklich alsnforderung an Barrierefreiheit zu definieren, fehlt esdoch noch an einer hinreichenden Festigung der Er-enntnis zu „leichter Sprache“. Daher wird eine kon-rete Regelung in den Sozialgesetzbüchern zum jetzigeneitpunkt noch abgelehnt. Damit aber aus diesen Kom-unikationsschwierigkeiten nicht ein Fehlverhalten re-ultiert, wurde Ende letzten Jahres eine neue Barriere-eie Informationstechnik-Verordnung in Kraft gesetzt.iese Verordnung hat die Regelung einer „leichten Spra-he“ aufgenommen. Deren Umsetzung wird nach dreiahren evaluiert.Damit unterstützen wir die Feststellung der UN-Be-indertenrechtskonvention, dass die Herstellung vonarrierefreiheit ein dynamischer Prozess ist, der schritt-eise und unter Berücksichtigung des Verhältnismäßig-eitsgrundsatzes zu vollziehen ist.
ie UN-Behindertenrechtskonvention verlangt von allenertragsstaaten und auf allen Ebenen, die in ihr veran-erten Rechte planmäßig in der Politik zu verfolgen.iele Inhalte der Konvention haben wir, wie gerade auf-ezeigt, schon durch Einzelgesetze geregelt.Die FDP hat sich jedoch seit jeher dafür eingesetzt,ine ausufernde Gesetzeslage, besonders in der Behin-ertenpolitik, zu lichten. Ziel der Leistungsgesetze für
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Heinz Golombeck
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behinderte Menschen muss deshalb sein, bisher beste-hende Regelungen weiter zusammenzufassen, zu verein-fachen und somit noch transparenter und zugänglicherzu machen.
Die Inanspruchnahme von sozialen Leistungen soll da-bei auf die Bedürfnisse der anspruchsberechtigten Perso-nen ausgerichtet sein. Einbeziehung statt Ausgrenzungist sozialpolitisch dringend geboten.Eine zentrale Staatsaufgabe ist die Sicherung vonChancen- und Leistungsgerechtigkeit für alle Menschen.Allen Bürgern muss ein selbstbestimmtes und eigenver-antwortliches Handeln ermöglicht werden.Vielen Dank.
Der Kollege Dr. Matthias Zimmer hat jetzt das Wort
für die CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der ei-gentümlichste Moment in dieser Debatte war, als vorwenigen Minuten der Kollege Birkwald das Hohelied,die Hohe Messe von Freiheit und Würde zelebriert hat,
ganz so, als hätten es die Linken erfunden.
Man muss in solchen Momenten immer wieder sagen,meine Damen und Herren: Über der Partei der Linkenliegt der lange Schatten des real existierenden Sozialis-mus, in dem Freiheit und Würde der Menschen mit Fü-ßen getreten worden sind.
Ich wäre an Ihrer Stelle angesichts der vielen Opfer einwenig demütiger, wenn ich über Freiheit und Würdespräche.
Wir reden über den Antrag der Grünen „Soziale Bür-gerrechte garantieren – Rechtsposition der Nutzerinnenund Nutzer sozialer Leistungen stärken“. Es handelt sichum einen sehr ausführlichen Antrag.
DredKtünEunetuwmruGeSzvreuwMenVBFdliimdintebddtrVliszhmdzBbslästid
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Menschen. Sehr häufig betonen Sie in Ihrem Antrag Par-tizipationsrechte; auch wollen Sie die Eigeninitiative derMenschen fördern. Das kommt unserem Menschenbildsehr nahe: Der Mensch ist mündig, vernunftbegabt undfrei, über seine Bindungen selbst zu entscheiden. Er ge-staltet sein Leben selbst. Gleichzeitig wollen Sie dieFreiheit und Selbstverantwortung gewissermaßen risiko-frei stellen. Die Belehrung über Rechtsfolgen beispiels-weise soll grundsätzlich schriftlich erfolgen, auch wenndie Rechtsfolgen bekannt sind. Sie wollen die Präklu-sionsklausel einer Evaluation unterziehen, und auch hierspürt man die Absicht: Sie wollen damit die Tür für eineweitere staatliche Sicherungsleine für den betreutenMenschen öffnen. Dahinter steht: Wenn der Menschnicht selbst das für sich Beste tut, muss es der Staat tun.Die Grünen trauen Menschen, die auf soziale Leistungenangewiesen sind, nicht zu, sich selbst aus dieser Situa-tion zu befreien. Jeder Schritt muss vorgegeben werden.Das ist nicht das Verständnis der Union vom Menschenund vom gesellschaftlichen Zusammenhalt. Ich willnicht unterstellen, Sie wollten die Menschen zwangsbe-glücken. Doch ein wenig fällt diese Diskrepanz zwi-schen dem Leitbild des selbstständigen und dem des be-treuten Menschen in Ihrem Antrag schon auf.
Wäre ich zynischer Marxist, würde ich sagen: KeinWunder, das Sein bestimmt das Bewusstsein. Schließlichlebt ein Großteil der Grünen auf die eine oder andereWeise von Staatsknete und kennt die Risiken einesselbstverantwortlichen Lebens etwa in freien Berufennur aus Erzählungen anderer.
Es ist schon kuschelig unter der warmen Decke staatli-cher Zuwendungen.
Dies, meine Damen und Herren, würde ich in der Tat nurdann sagen, wenn ich ein zynischer Marxist wäre.Ernster scheint mir bei Ihnen das ungeklärte Verhält-nis zwischen Rechten und Pflichten. Schon in anderenDebatten ist dies deutlich geworden; einiges wiederholtsich hier. Es betrifft vor allem die Regelungen desSGB II. Sie wollen die geltenden Sanktionsregelungenflexibilisieren, den Grundbedarf nicht mehr sanktionie-ren und ein Sanktionsmoratorium erlassen. Ich meinehingegen: Gerade in diesem Bereich gibt es nicht nurRechte, sondern auch Mitwirkungspflichten. Wer gegendiese Pflichten verstößt, muss mit Sanktionen rechnen.Das sind wir schon alleine denjenigen schuldig, die dieganzen Leistungen finanzieren.Aber auch rechtstechnisch kann meines Erachtens einVersäumnis, seine Pflichten zu erfüllen, durchaus alsVerzicht auf Leistungen interpretiert werden. HerrKurth, ich erkenne an, dass Sie nicht die umstandsloseAbschaffung aller Sanktionen fordern, wie es eine an-dere Fraktion in diesem Haus tun. Mir scheint aber doch,dass gerade dann, wenn man von dem mündigen undsstismindWdZESddHnheDmmihoWMdmacIhlilatrpueabSSveG
ie haben das damals vehement kritisiert, ganz so, als seier umstandslose Hedonismus Ihre Leitvorstellung fürie erneute Integration in den Arbeitsmarkt.Wir hingegen meinen: Es ist Aufgabe des Staates,ilfe zur Selbsthilfe zu geben. Nach unserem Verständ-is ist es die Aufgabe eines jeden Einzelnen, der dazu fä-ig und in der Lage ist, sein Leben so zu gestalten, dassr Zufriedenheit und Glück finden kann.
ie Legitimation unseres Gemeinwesens hängt sehr vielehr davon ab, dass wir den Menschen diese Freiheit er-öglichen. Der Kern unserer politischen Ordnung undrer Legitimität ist die Tatsache, dass sie eine Freiheits-rdnung ist, und nicht, dass sie möglichst viele und hoheohltaten verteilt.
Gerade dann, wenn wir dies tun, nehmen wir denenschen als Subjekt ernst. Sie beklagen, dass der Staaten Menschen bisweilen zum bloßen Objekt mache. Dasag an der einen oder anderen Stelle, die Sie im Antragufgeführt haben und die auch in der Debatte zur Spra-he kam, durchaus so sein. Aber noch viel mehr machtr politischer Ansatz den Menschen zum Objekt, näm-ch zum Experimentierfeld fürsorglicher staatlicher Be-gerung, zum Projekt sozialstaatlicher Planung, zum be-euten Menschen eben.
Sie haben einen paternalistischen Zugang zur Sozial-olitik. Wir hingegen nehmen den Menschen als Subjektnd als selbstverantwortlichen und freien Menschenrnst und sehen sozialstaatliche Hilfe im Wesentlichenls Hilfe zur Selbsthilfe. Sie sehen den Staat als Selbst-edienungsladen für soziale Ansprüche. Wir sehen dentaat als Gemeinschaftsaufgabe, die alle finanzieren.
ie interpretieren die Gesellschaft vom Rande her, alsoon den unterschiedlichen Interessengruppen her, wie esine Klientelpartei nun einmal tut. Wir interpretieren dieesellschaft aus der Mitte heraus und zur Mitte hin, wie
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Dr. Matthias Zimmer
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dies Volksparteien – bei dem Plural zögere ich etwas –gewöhnlich tun.Ihr Antrag gab Anlass, über diese Unterschiede ein-mal im Hohen Haus nachzudenken. Zumindest dafürdarf ich mich bei Ihnen herzlich bedanken.
Das Wort hat Gabriele Lösekrug-Möller für die SPD-
Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir ha-ben eine ziemlich lange Debatte zu einem sehr ausführli-chen Antrag der Grünen. Ich finde es richtig, dass wir indieser Zeit über dieses wichtige Thema reden. Selbstver-ständlich wird auch in der Sozialdemokratie intensivüber dieses Themenfeld diskutiert.Wir sprechen über die zwölf Bücher, die das Sozial-gesetzbuch insgesamt beinhaltet. Es gibt wirklich Grund,das eine oder andere in diesen Büchern auf den Prüf-stand zu stellen. Das müssen wir kontinuierlich tun;denn wir wissen: Keines dieser zwölf Bücher ist in Steingemeißelt.Am Anfang des SGB I werden die Aufgaben des So-zialgesetzbuchs beschrieben. In § 1 Abs. 1 heißt es, dieAufgabe sei,ein menschenwürdiges Dasein zu sichern, gleicheVoraussetzungen für die freie Entfaltung der Per-sönlichkeit, insbesondere auch für junge Menschen,zu schaffen, die Familie zu schützen und zu för-dern, den Erwerb des Lebensunterhalts durch einefrei gewählte Tätigkeit zu ermöglichen und beson-dere Belastungen des Lebens, auch durch Hilfe zurSelbsthilfe, abzuwenden oder auszugleichen.Es stellt sich jetzt nicht mehr die Frage, ob wir uns dasleisten können; denn wir haben diesen Anspruch, ange-fangen beim SGB I bis hin zum SGB XII, zu erfüllen.
Wenn ich den Antrag der Grünen genauer betrachte,dann muss ich sagen, dass sich die Ergebnisse IhrerFachkonferenz, die im Mai letzten Jahres stattgefundenhat, in Ihrem Antrag, über den wir jetzt im Plenum de-battieren, niedergeschlagen haben. Das ist ein normalerVorgang; das finde ich völlig in Ordnung.Es gibt aber einen Punkt in diesem Antrag, den ichbeklage. Herr Kurth, da spreche ich Sie jetzt an, weil Siein diese Debatte eingeführt haben. Sie malen ein meinesErachtens viel zu düsteres Bild.
Da sind Ihnen ein paar leuchtende Farben abhanden ge-kommen. Vielleicht standen sie Ihnen auch nicht zurVerfügung. Ich hätte mir gewünscht, dass Sie in IhremuhwBzauzaAhswdkseKdsdnsRPfrntiMsresEVsuhginbBDafelusaeepS
Gleichwohl haben wir in diesem Haus öfter Anlass,u streiten, weil etwas nicht so funktioniert, wie wir dasus jeweils unterschiedlichen Perspektiven gerne hätten.uch das haben wir heute erlebt. Wir haben Reden ge-ört, die eher den Gutmenschen in den Mittelpunkt ge-tellt haben. Andere Redner haben gesagt, dass all das,as man in einem sozialen Rechtsstaat organisieren will,er wichtigen Frage unterliegt, ob wir uns das leistenönnen.Ich möchte allen in diesem Haus sagen: Wir könnentolz auf den sozialen Rechtsstaat sein, den wir weiterntwickeln wollen. Hier sind wir an Ihrer Seite, liebeolleginnen und Kollegen von den Grünen. Wenn wiras unter dem Vorbehalt der Kassenlage machen, müs-en wir uns fragen, ob wir dem eben zitierten Anspruches § 1 Abs. 1 SGB I gerecht werden. Das ist das Span-ungsfeld, in dem wir Politik entwickeln müssen. Datelle ich Folgendes fest: Wenn es Vorschläge gibt, unserecht zu ändern, dann müssen wir uns fragen, ob dierobleme, mit denen viele Bürgerinnen und Bürger kon-ontiert werden, wirklich aus der Rechtslage oder ob sieicht viel häufiger aus der Umsetzung des Rechts resul-eren.
Meines Erachtens ist das Zweite viel öfter der Fall.eine Kollegin Silvia Schmidt hat das sehr deutlich ge-agt. Auch Frau Kramme hat das in den Mittelpunkt ih-r Rede gestellt. Ich denke, was die unzureichende Um-etzung angeht, gibt es eine Menge zu tun. Meinesrachtens können wir hinsichtlich der Umsetzung vielerorschriften der Bücher des SGB besser werden als wirind. Dazu brauchen wir die umsetzenden Behörden annserer Seite. Wir brauchen selbstverständlich auch Be-örden, die die Haltung einnehmen: Wir haben denjeni-en gegenüber, die zu uns kommen und ihr gutes Recht Anspruch nehmen wollen, eine Dienstleistung zu er-ringen. – Manchmal, glaube ich, ist der Alltag in vielenehörden ein anderer. Er wäre so nicht zu beschreiben.eshalb sage ich: Bevor wir allen Forderungen, die Sieufstellen, entsprechen, sollten wir zunächst einmal prü-n, wo wir Umsetzungsprobleme haben und wo Hand-ngsbedarf besteht, der rechtfertigt, dass wir unsere Ge-etze ändern. Dies ist zum Teil angesprochen worden,uch von Frau Kramme.Im Blick auf das große Thema Inklusion haben wirine Menge rechtlichen Änderungsbedarf, wenn wirrnst nehmen, wozu wir uns, das gesamte Haus, ver-flichtet haben. Meines Erachtens haben wir in dieseminne sehr viel – ich benutze mit Absicht das Wort – zu
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Gabriele Lösekrug-Möller
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liefern, weil Menschen erwarten, dass wir den vollmun-digen Bekundungen jetzt auch Taten folgen lassen.Da meine Redezeit bald zu Ende ist, will ich einenPunkt ansprechen, der hier mehrfach genannt wurde. Esgeht um die Frage: Wie gehen wir mit Bitten und Be-schwerden um? Wir haben die Bestellung eines Om-budsmanns oder einer Ombudsfrau erörtert. Das istsicher ein möglicher Weg. Wir haben schon heute Peti-tionen, in denen sich zahlreiche Bürger – Zigtausendekann man sagen – mit Beschwerden über die Umsetzungder SGB-Normen an den Bundestag wenden. Ich nenneeine Beschwerde, die deutlich macht, wo meines Erach-tens ein großes Problem liegt. Uns hat eine Frau ge-schrieben, dass sie nicht versteht, warum Kinder ausBedarfsgemeinschaften gegen Sanktionsandrohung zuGruppengesprächen eingeladen werden, wenn sie kurzvor dem 15. Lebensjahr sind, weil sie sich beraten lassenmüssen, wie es mit Bildung und Ausbildung weiterge-hen soll. Sie fragt: Warum steckt diese Pflicht dahinter?Die Kinder können nichts dafür, dass ich von meinerHände Arbeit weder selbst leben noch meine Kinderfinanzieren kann. – Das ist in der Tat diskriminierend. Esist ein Beispiel für eine kleine Regelung, die vielleichtgut gemeint ist, aber schlecht umgesetzt wird.Wir haben eine Fülle solcher berechtigter Kritik-punkte. Wir haben jede Menge zu tun. Wir können denAntrag der Grünen zum Anlass nehmen, hier besser zuwerden. Es wäre wunderbar, wenn bei der Debatte unddem Ringen um gute Lösungen nicht jene unter dieRäder kommen, die hohe Erwartungen an uns als Ge-setzgeber haben. Sie nehmen nämlich unseren sozialenRechtsstaat ernst. Sie wollen, dass die Rechte, die sie ha-ben, respektiert werden, und zwar sowohl vom Gesetz-geber als auch von den Behörden, die ihren Zuwen-dungsbescheid erteilen.Vielen Dank.
Sebastian Blumenthal kommt jetzt zu Wort für die
FDP-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! HerrKollege Kurth, Sie hatten vorhin versucht, sich mit derFraktion Bündnis 90/Die Grünen als Vorkämpfer der in-dividuellen Freiheit in Szene zu setzen.
Das nenne ich politische Kühnheit. Ihre programmati-schen Leitlinien folgen gewöhnlich dem Dreiklang Res-triktion, Regulierung und Verbote.
Das hat mit Freiheit wirklich wenig zu tun, dafür umsomehr mit Fremdbestimmung und Bevormundung.AvtrgemmsbVmBWnvGZPsktedhbvmSpliJwgbkwggFdfrURdmefrm
Angesichts dieser Situation sehen wir, dass auf jedenall noch Reformbedarf besteht. Diesen Punkt – einerer wenigen positiven – haben Sie in Ihrem Antrag er-eulicherweise herausgestellt. Der Kollege von dernion hatte vorhin bereits dargestellt, dass es hierzueformvorschläge geben wird. Den Antrag kann man iniesem Punkt zur Grundlage nehmen, hier gestalterischitzuwirken. Wir werden seitens der FDP-Fraktionigene Vorschläge und Beiträge einbringen. Insoferneue ich mich auf die weiteren Beratungen im parla-entarischen Verfahren.Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
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Der Kollege Paul Lehrieder hat jetzt das Wort für die
CDU/CSU-Fraktion.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Kolleginnenund Kollegen! Liebe Freunde von den Grünen,
mit Ihrem Antrag „Soziale Bürgerrechte garantieren –Rechtsposition der Nutzerinnen und Nutzer sozialerLeistungen stärken“ und Ihrer damit verbundenen Forde-rung nach einer Stärkung der Verfahrens-, Leistungs-und Partizipationsrechte der Nutzer sozialer Leistungenglänzen Sie einmal mehr mit einem weder zielführendennoch notwendigen Antrag.Lieber Kollege Kurth, es wurde bereits einiges ausge-führt. Hätten Sie sich in Ihrem Antrag auf die Ziffer II.16beschränkt, dann hätten wir dem Antrag noch einigesPositive abgewinnen können. Alles andere indiziert aberoffensichtlich, dass Sie mit Ihrem Antrag so tun, als obSie jetzt soziale Beteiligungsrechte einführen wollen, diees noch nicht gibt.Von Frau Kollegin Lösekrug-Möller wurde bereits § 1des SGB I zitiert. Die Juristen unter uns wissen, dass dasSGB I quasi die Klammer sämtlicher Sozialgesetze dar-stellt. Die Vorschriften im SGB I gelten für alle Sozial-gesetze. Im SGB I ist unter anderem der Beratungs-anspruch in § 14 geregelt, und in § 15 ist derAuskunftsanspruch normiert. Ich darf mit Erlaubnis dergeschätzten Frau Präsidentin zitieren:
Die nach Landesrecht zuständigen Stellen, die
Träger der gesetzlichen Krankenversicherung undder sozialen Pflegeversicherung sind verpflichtet,über alle sozialen Angelegenheiten nach diesemGesetzbuch Auskünfte zu erteilen.
Die Auskunftspflicht erstreckt sich auf die Be-
nennung der für die Sozialleistungen zuständigenLeistungsträger sowie auf alle Sach- und Rechtsfra-gen, die für die Auskunftsuchenden von Bedeutungsein können und zu deren Beantwortung die Aus-kunftsstelle imstande ist.
Die Auskunftsstellen sind verpflichtet, unter-
einander– auch da tun Sie so, als ob ein Kleinkrieg zwischen denjeweiligen Sozialleistungsträgern herrschte –und mit den anderen Leistungsträgern mit dem Zielzusammenzuarbeiten, eine möglichst umfassendeAuskunftserteilung durch eine Stelle sicherzustel-len.Sie müssten einfach einmal ins Gesetz schauen. EinBlick ins Gesetz erleichtert das Verständnis des beste-henden Rechts.
m–Sb–mrudddsnIhghedgfiRKsmzdzdNnrureSwhhtuwAeu
Die Leistungsträger sind verpflichtet, darauf
Es nützt aber nichts, eben schnell ein neues Gesetz zuachen. Dann lassen Sie uns an den Stellen auf Ände-ngen hinwirken, an denen nichts geregelt ist. Ich teilea die Auffassung der meisten Vorredner. Sie haben beien bisherigen Wortbeiträgen feststellen können, dasser Antrag mit großer Wahrscheinlichkeit keine Aus-icht auf Erfolg hat, weil sich fast alle Redner – mit Aus-ahme der Kollegen von der Linken – skeptisch zurem Antrag äußern.Sie tun so, als ob es hier um ein Massenphänomeninge. Ja, es gibt Missstände; die Vorredner haben daraufingewiesen. Auf Einzelfälle müssen wir eingehen. Abers ist schon sehr weit hergeholt, hier pauschal zu sagen,ie Sozialstaatlichkeit in Deutschland sei noch nicht um-esetzt. Ihrer Ansicht nach sollen die Effektivität, die Ef-zienz sowie die Legitimationsbasis des sozialenechtsstaats gesteigert werden. Liebe Kolleginnen undollegen von den Grünen, Sie verkennen jedochchlichtweg, dass, wie ich bereits ausgeführt habe, dieeisten der von Ihnen geforderten Maßnahmen wederielführend noch notwendig sind.Unsere sozialen Sicherungssysteme gehören – aucharauf wurde von den Vorrednern bereits hingewiesen –u den leistungsfähigsten der ganzen Welt und bietenen Menschen einen verlässlichen Schutz, wenn sie inot geraten. Nennen Sie mir ein Land der Welt, das sichicht bemühen würde, ein vergleichbares soziales Siche-ngssystem, wie es in Deutschland besteht, zu installie-n, wenn es finanziell machbar wäre! Das Recht desozialgesetzbuchs trägt durch Sozialleistungen zur Ver-irklichung sozialer Gerechtigkeit und sozialer Sicher-eit bei und gestaltet sie zudem durch soziale und erzie-erische Hilfen mit.Vorhin wurde hier, ebenso im Antrag, die Befürch-ng einer Abschaffung der Sozialgerichte geäußert. Dasar bereits in der letzten Legislaturperiode ein Thema.ufgrund der Spezifität der Sozialgerichtsbarkeit machts Sinn – darauf wurde bereits hingewiesen –, sie nichtnter die Verwaltungsgerichtsbarkeit zu subsumieren,
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Paul Lehrieder
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sondern sie als eigenständigen Gerichtszweig zu erhal-ten. Ich gehe davon aus, dass es auch in Zukunft dabeibleiben wird. Ich kenne zumindest zum aktuellen Zeit-punkt keine diesbezügliche Diskussion. Es besteht keineNotwendigkeit, die Leute, auch die Beschäftigten undMitarbeiter im Sozialgerichtsbereich, zu verunsichern;denn eine solche Diskussion wird nicht geführt.Im Übrigen hat bereits heute nach dem Sozialgesetz-buch jeder einen umfassenden Anspruch auf Beratung;dieser wird durch weitere Formulierungen zu den Bera-tungsangeboten in den jeweiligen Sozialgesetzbüchernkonkretisiert. Ich habe bereits auf § 16 SGB I hingewie-sen. Darüber hinaus möchte ich kurz den Pflegebera-tungsanspruch nach § 7 a SGB IX ansprechen – die Pfle-gestützpunkte wurden von Vorrednern angesprochen; beiuns in Würzburg wurde der Pflegestützpunkt im Dezem-ber 2011 offiziell in Betrieb genommen –, ebenso dieSicherung der Beratung behinderter Menschen nach § 61SGB IX – die gemeinsamen Servicestellen wurden hierbereits thematisiert –, die Beratung und Unterstützungnach § 11 SGB XII und § 22 SGB IX und die Beratungnach §§ 29 bis 34 SGB III. Sie sehen, meine Damen undHerren, dass folglich mitnichten von einem Mangel anBeratungsansprüchen gegenüber den Leistungsträgerngesprochen werden kann.Des Weiteren gewährt Art. 19 Abs. 4 Grundgesetzden Bürgerinnen und Bürgern das Grundrecht auf effek-tiven Rechtsschutz durch die unabhängigen Gerichte unddamit die Möglichkeit zur Durchsetzung ihrer Rechtegegenüber der öffentlichen Verwaltung. Die sozialeSicherung und der Rechtsschutz durch die Sozialge-richtsbarkeit gehen Hand in Hand. Die Sozialgerichts-barkeit stellt sicher, dass jeder seine sozialrechtlichenAnsprüche notfalls gerichtlich überprüfen und durchset-zen lassen kann. Für Versicherte, Leistungsempfängerund Behinderte ist das Verfahren vor den Gerichten derSozialgerichtsbarkeit kostenfrei und bleibt es auch.Jedoch sehen sich gerade die Träger der Sozialleistun-gen nach SGB II, SGB III und SGB XII einer Flut vonKlagen und Widersprüchen ausgesetzt. KollegeLinnemann hat bereits darauf hingewiesen, dass die Zahlder Widersprüche im letzten Jahr etwas gesunken ist. Imvorhin erwähnten Teilabschnitt Ihres Antrages haben Siedie Ombudsstellen angesprochen. Hierzu darf ich ver-sichern: Aufgrund der Komplexität der Materie desSGB II, übrigens auch des Bildungs- und Teilhabepake-tes, macht es sicherlich Sinn, mögliche Kommunika-tionsirritationen zwischen dem Betroffenen und demFallmanager im Jobcenter in einem Vorklärungsverfah-ren auszuräumen.Es gibt in § 380 StPO ein vergleichbares Instrument,das sogenannte Sühneversuchsverfahren. Es muss beikleineren Delikten vorgeschaltet werden, wenn beideKontrahenten den Wohnort in derselben Gemeinde ha-ben. Bereits hier kann man eine Vielzahl der ansonstenerforderlichen Strafanzeigen im Vorfeld abhandeln. Wirkönnen also überlegen, ob es Sinn macht, in den Jobcen-tern eine Vorklärungsstelle einzurichten – man könnteeinen Ombudsmann heranziehen oder nach dem soge-nannten Pirmasenser Modell verfahren –, um a) die Be-sbatitrnmeggadvKinbwa–lesDfüvdu
onsschwierigkeiten, die gelegentlich zwischen den Be-offenen und den Fallmanagern bestehen, in einem klei-en Gremium auszuräumen. So kann geklärt werden, oböglicherweise ein Fehler passiert ist.Ich teile Ihre Auffassung, dass es nicht sein kann, dassin Großteil der Sozialgerichtsbarkeit durch SGB-II-Kla-en, die zum großen Teil sogar zum Erfolg führen, bela-ert wird. Als Gesprächspartner haben Sie mich da ganzuf Ihrer Seite. Alles andere, Herr Kurth, können wir lei-er nicht mittragen.Der Antrag ist in Teilen gut gemeint, aber insgesamtiel zu pessimistisch; ich teile die Auffassung von Frauollegin Lösekrug-Möller. Sie haben die bunten Farben Ihrem Antrag vergessen. Deutschland ist keine Repu-lik, in der schwarz in schwarz Sozialpolitik betriebenird. Das ist gut so, und das bleibt bei dieser Koalitionuch so.Herzlichen Dank.
Rot-rote Farbe brauchen wir nicht.
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ände-rung des Gesetzes über die elektromagnetischeVerträglichkeit von Betriebsmitteln, des Ge-setzes über Funkanlagen und Telekommuni-kationsendeinrichtungen sowie des Luftver-kehrsgesetzes– Drucksache 17/8234 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
RechtsausschussAusschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklungb) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-gebrachten Entwurfs eines Neunten Gesetzeszur Änderung des Gemeindefinanzreformge-setzes– Drucksache 17/8235 –
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Vizepräsident Eduard Oswald
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Überweisungsvorschlag:Finanzausschuss
InnenausschussAusschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugendc) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Ab-kommen vom 18. Oktober 2011 zwischen derRegierung der Bundesrepublik Deutschlandund der Europäischen Aufsichtsbehörde fürdas Versicherungswesen und die betrieblicheAltersversorgung über den Sitz der Europäi-schen Aufsichtsbehörde für das Versiche-rungswesen und die betriebliche Altersversor-gung– Drucksache 17/8236 –Überweisungsvorschlag:Finanzausschuss
RechtsausschussAusschuss für Arbeit und SozialesAusschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Unione) Beratung des Antrags der Abgeordneten JürgenKlimke, Erika Steinbach, Arnold Vaatz, weitererAbgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU so-wie der Abgeordneten Marina Schuster, SerkanTören, Pascal Kober, weiterer Abgeordneter undder Fraktion der FDPTourismus als Chance für die Einhaltung derMenschenrechte nutzen– Drucksache 17/8347 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
Auswärtiger AusschussAusschuss für Wirtschaft und TechnologieAusschuss für Arbeit und SozialesAusschuss für Umwelt, Naturschutz und ReaktorsicherheitAusschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit undEntwicklungAusschuss für Tourismusf) Beratung des Antrags der AbgeordnetenDr. Kirsten Tackmann, Dr. Dietmar Bartsch,Herbert Behrens, weiterer Abgeordneter und derFraktion DIE LINKEEinsatz von Antibiotika in der Tierhaltung re-duzieren– Drucksache 17/8348 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft undVerbraucherschutz
Ausschuss für Gesundheitg) Beratung des Antrags der Abgeordneten UllaLötzer, Dr. Barbara Höll, Sahra Wagenknecht,weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIELINKEDuisburger Hafen AG in öffentlichem Eigen-tum erhalten– Drucksache 17/8349 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
Ausschuss für Wirtschaft und TechnologieAusschuss für Arbeit und SozialesAusschuss für Umwelt, Naturschutz und ReaktorsicherheitHaushaltsausschuss
Koczy, Volker Beck , Uwe Kekeritz, weite-rer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNENTransparenz im Rohstoffsektor – EU-Vor-schläge umfassend umsetzen– Drucksache 17/8354 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit undEntwicklung
Auswärtiger AusschussRechtsausschussFinanzausschussAusschuss für Wirtschaft und TechnologieAusschuss für Menschenrechte und Humanitäre HilfeAusschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Unioni) Beratung des Antrags der Abgeordneten ClaudiaRoth , Tabea Rößner, Markus Kurth,weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜND-NIS 90/DIE GRÜNENSofortprogramm zur Ausweitung des barrie-refreien Filmangebots auflegen– Drucksache 17/8355 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Kultur und Medien
Ausschuss für Arbeit und SozialesHaushaltsausschussj) Beratung des Berichts des Ausschusses für Bil-dung, Forschung und Technikfolgenabschätzung
gemäß § 56 a der Geschäftsord-
nungTechnikfolgenabschätzung
Chancen und Herausforderungen neuer Ener-giepflanzen– Drucksache 17/3891 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft undVerbraucherschutz
Ausschuss für Wirtschaft und TechnologieAusschuss für Umwelt, Naturschutz und ReaktorsicherheitAusschuss für Bildung, Forschung undTechnikfolgenabschätzungAusschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit undEntwicklungAusschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Unionk) Beratung des Berichts des Ausschusses für Bil-dung, Forschung und Technikfolgenabschätzung
gemäß § 56 a der Geschäftsord-
nungTechnikfolgenabschätzung
InnovationsreportWettbewerbsfähigkeit der europäischen Wirt-schaft im Hinblick auf die EU-Beihilfepolitik –am Beispiel der Nanoelektronik– Drucksache 17/4982 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
FinanzausschussAusschuss für Bildung, Forschung undTechnikfolgenabschätzungAusschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
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Vizepräsident Eduard Oswald
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12 b) Beratung des Antrags der Abgeordneten KaiGehring, Ekin Deligöz, Katja Dörner, weitererAbgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNENDeutschen Qualifikationsrahmen zum Erfolgführen – Gleichwertigkeit von Abitur und Be-rufsabschlüssen sicherstellen– Drucksache 17/8352 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Bildung, Forschung undTechnikfolgenabschätzung
Ausschuss für Wirtschaft und TechnologieAusschuss für Arbeit und SozialesAusschuss für Familie, Senioren, Frauen und JugendAusschuss für die Angelegenheiten der Europäischen UnionZP 5 a)Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und FDP eingebrachten Entwurfs einesZwanzigsten Gesetzes zur Änderung des Bun-deswahlgesetzes– Drucksache 17/8350 –Überweisungsvorschlag:Innenausschuss
Rechtsausschussb) Beratung des Antrags der Abgeordneten SigmarGabriel, Ute Vogt, Heinz-Joachim Barchmann,weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPDRückholung der Atommüllfässer aus derAsse II beschleunigen– Drucksache 17/8351 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und ReaktorsicherheitEs handelt sich um Überweisungen im vereinfach-ten Verfahren ohne Debatte.Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen andie in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zuüberweisen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist derFall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.Ich rufe den Tagesordnungspunkt 28 a und b sowiedie den Zusatzpunkt 6 a bis c auf. Es handelt sich um Be-schlussfassungen zu Vorlagen, zu denen keine Aus-sprachen vorgesehen sind.Tagesordnungspunkt 28 a:Zweite Beratung und Schlussabstimmung desvon der Bundesregierung eingebrachten Entwurfseines Gesetzes zu dem Protokoll vom 17. Mai2011 zur Änderung des Abkommens vom3. Mai 2006 zwischen der BundesrepublikDeutschland und der Republik Slowenien zurVermeidung der Doppelbesteuerung auf demGebiet der Steuern vom Einkommen und vomVermögen– Drucksache 17/7917 –Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzaus-schusses
– Drucksache 17/8204 –ufi1Ddb–DlurifütifrnaeuSWtiSseu
– Drucksachen 17/6985 Nr. A.31, 17/8181 –Berichterstattung:Abgeordnete Nadine Schön
Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfeh-ng auf Drucksache 17/8181, in Kenntnis der Unter-chtung eine Entschließung anzunehmen. Wer stimmtr diese Beschlussempfehlung? – Das sind die Koali-onsfraktionen, die Sozialdemokraten und die Links-aktion. Gegenprobe! – Keine. Enthaltungen? – Bünd-is 90/Die Grünen. Die Beschlussempfehlung istngenommen.Zusatzpunkt 6 a:Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-richts des Rechtsausschusses
zu dem Streitverfahren vor dem Bundesver-fassungsgericht 2 BvE 9/11– Drucksache 17/8361 –Der Rechtsausschuss empfiehlt in seiner Beschluss-mpfehlung, zum Streitverfahren Stellung zu nehmennd den Präsidenten zu bitten, Professor Dr. Frankchorkopf als Prozessbevollmächtigten zu bestellen.er stimmt dafür? – Koalitionsfraktionen, Linksfrak-on. Wer stimmt dagegen? – Niemand. Enthaltungen? –ozialdemokraten und Bündnis 90/Die Grünen. Die Be-chlussempfehlung ist angenommen.Zusatzpunkt 6 b:Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-richts des Rechtsausschusses
zu dem Streitverfahren vor dem Bundesver-fassungsgericht 2 BvF 3/11– Drucksache 17/8362 –Der Rechtsausschuss empfiehlt in seiner Beschluss-mpfehlung, in dem Streitverfahren Stellung zu nehmennd den Präsidenten zu bitten, Professor Dr. Bernd
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 152. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. Januar 2012 18191
Vizepräsident Eduard Oswald
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Grzeszick als Prozessbevollmächtigten zu bestellen. Werstimmt dafür? – Die Koalitionsfraktionen und die Links-fraktion. Wer stimmt dagegen? – Niemand. Stimment-haltungen? – Sozialdemokraten und Bündnis 90/DieGrünen. Die Beschlussempfehlung ist angenommen.Zusatzpunkt 6 c:Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-richts des Rechtsausschusses
zu dem Streitverfahren vor dem Bundesver-fassungsgericht 2 BvR 2670/11– Drucksache 17/8363 –Der Rechtsausschuss empfiehlt in seiner Beschluss-empfehlung, in dem Streitverfahren Stellung zu nehmenund den Präsidenten zu bitten, Professor Dr. FrankSchorkopf als Prozessbevollmächtigten zu bestellen.Wer stimmt dafür? – Das sind die Koalitionsfraktionen unddie Linksfraktion. Wer stimmt dagegen? – Niemand.Stimmenthaltungen? – Sozialdemokraten und Bündnis 90/Die Grünen. Die Beschlussempfehlung ist angenommen.Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich rufe jetzt denZusatzpunkt 1 auf:Aktuelle Stundeauf Verlangen der Fraktionen der CDU/CSU undFDPSolidarität von LINKEN-Abgeordneten mitdem syrischen Präsidenten AssadErster Redner in unserer Aktuellen Stunde ist für dieFraktion der CDU/CSU unser Kollege Dr. AndreasSchockenhoff. Bitte schön, Kollege Dr. AndreasSchockenhoff.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wirbeobachten weiter mit großer Sorge die Entwicklungenin Syrien. Präsident Assad führt einen brutalen Unter-drückungskrieg gegen das syrische Volk. Nach Angabender Vereinten Nationen sind bisher mindestens5 000 Menschen von den Schergen Assads getötet wor-den. Zehntausende wurden in Gefängnisse geworfen undgefoltert. Die CDU/CSU steht an der Seite des unter-drückten syrischen Volkes.Das Assad-Regime ist in der arabischen Welt bereitsisoliert. Die Mitgliedschaft in der Arabischen Ligawurde suspendiert, Sanktionen wurden verhängt. Nunmuss endlich die Weltgemeinschaft handeln. Im UN-Si-cherheitsrat setzt sich Deutschland seit Beginn des Auf-stands in Syrien mit Nachdruck dafür ein, das Töten desAssad-Regimes zu stoppen. Leider ist man bislang amVeto Chinas und Russlands gescheitert. Wir appellierenan Moskau und Peking, endlich eine entsprechende Re-solution zu unterstützen.
ZWzMaVSnsSssDtuisvddadznkEMmreDgdDEeDin
tattdessen beten Sie
ur die Propaganda Assads nach, die von einer Ver-chwörung ausländischer Kräfte redet.
ie nehmen nicht zur Kenntnis, dass das syrische Volkehr wohl seine politische und gesellschaftliche Ordnungelbst bestimmen will, und die hat nichts mehr mit demiktator Assad, sondern mit Freiheit und Demokratie zun. Ihre Solidarität mit dem Mörder-Regime
t Ihnen offensichtlich wichtiger, und das ist menschen-erachtend.
Sie nehmen nicht zur Kenntnis, dass es keineswegser Westen ist, der ein militärisches Eingreifen fordert;er NATO-Generalsekretär hat dies bereits vor Monatenusgeschlossen. Vielmehr sind es führende Stimmen auser syrischen Opposition, die dies fordern, ebenso wieuletzt hochrangige Vertreter der Arabischen Liga. Sieehmen auch nicht zur Kenntnis, dass die UN-Hoch-ommissarin für Menschenrechte in ihrem Bericht vonnde November eindeutig Verbrechen gegen dieenschlichkeit in Syrien festgestellt hat.Sonst schwadroniert die Linke gerne darüber, dassit militärischen Interventionen angeblich Rohstoffinte-ssen gesichert werden sollen.
ie Sanktionspolitik sowohl gegen Syrien als auch ge-en den Iran will doch die Ölausfuhren unterbinden, umie Regime zum Einlenken zu bewegen.
ies geschieht, auch wenn es für einige Länder in derU schmerzhaft ist. Einen besseren Beweis dafür, dasss uns um die Freiheit der Menschen geht, gibt es nicht.ie Tatsachen blenden Sie aber lieber aus, weil sie nicht Ihre abstrusen Verschwörungstheorien passen.
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18192 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 152. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. Januar 2012
Dr. Andreas Schockenhoff
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Es ist noch schlimmer: Erneut beweist die Linke, dasssie nichts aus unserer Geschichte gelernt hat. Sie machensich wieder einmal gemein mit Diktatoren, die den Welt-frieden gefährden.
Über die brutale Unterdrückung der darunter leidendenVölker sehen Sie hinweg. Ja, ich kann Ihnen das nichtersparen: Sie billigen einen Schießbefehl auf Zivilisten –
wie Sie es aus Ihrer eigenen Geschichte gut kennen –,den laut Berichten von Human Rights Watch syrische Si-cherheitskräfte auf explizite Anweisung des Regimes er-halten haben. Das ist die Wahrheit.
Sie leugnen, dass der Iran mit seinem AtomprogrammNuklearwaffen produzieren will. Herr van Aken – ichdarf nicht darüber reden, was Sie im Auswärtigen Aus-schuss gesagt haben; aber Sie haben das auch außerhalbdieses Ausschusses immer wieder gesagt –, Sie leugnendie Berichte der IAEO über das Nuklearprogramm desIran. Sie leugnen, dass der Iran der Auslöschung Israelsdas Wort redet. Herr Gehrcke, Sie haben das wiederholtgetan. Dies ist vor dem Hintergrund der antisemitischenGeisteshaltung mancher in Ihrer Fraktion für uns nichtweiter verwunderlich. Es ist – das bleibt leider festzuhal-ten – erschreckend, dass die Linke nichts, aber rein garnichts aus unserer Geschichte gelernt hat.Vielen Dank.
Nächster Redner in unserer Aktuellen Stunde ist für
die Fraktion der Sozialdemokraten unser Kollege Günter
Gloser. Bitte schön, Kollege Günter Gloser.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen undKollegen! Natürlich ist Syrien ein wichtiges Thema; des-halb steht es in diesem Parlament morgen auf der Tages-ordnung.
Ich habe nicht geglaubt, dass wir eine AktuelleStunde zu einem solchen Thema brauchen. Ich muss sa-gen: Welch ein Zynismus, welch eine Geschichtsklitte-rung! Als ich durch Presseberichte von dem Aufruf er-fuhr, über den wir hier heute diskutieren, war icherschüttert, und ich bin es immer noch. Was besagt die-ser Text, der von sechs Mitgliedern der Bundestagsfrak-tidjaGusCAgruuddminoMmRugsdUaHKdRsdhnFubuAAaIcw
Noch schlimmer wiegt: In den letzten Wochen undonaten gab es in Syrien mehr als 5 000 Tote, nochehr Verletzte und Zehntausende Verhaftete. Was ist dieeaktion der sechs Abgeordneten der Linken darauf? Sienterschreiben diesen makabren Aufruf und verschwei-en im Fall Syrien – wie im Fall Libyen – den Volksauf-tand, der vor den Augen der Welt der blutigen Gewaltes syrischen Staates trotzt.Wer hat denn einen Angriff gestartet? Die NATO, dieSA, die EU? Es war Präsident Assad, der einen Angriffuf seine eigene Bevölkerung begonnen hat.
aben Sie jemals gelesen, was die Sicherheitskräfteindern und Jugendlichen in der Stadt Daraa im Südenes Landes angetan haben? Ist Ihnen bewusst, dass dieebellion der Syrerinnen und Syrer trotz aller Gewaltchon zehn Monate andauert? Das sind die Tatsachen,ie Sie ignorieren. Nichts, aber auch gar nichts ist zu se-en von den durch Sie ins Spiel gebrachten kriegslüster-en Imperialisten. Wo sind denn Ihre Verschwörer?Noch ein Wort zum Iran. Es steht für mich außerrage, dass wir alle friedlichen Mittel einsetzen müssen,m den Iran daran zu hindern, eine Atombombe zuauen. Darin sind sich übrigens Deutschland, die EUnd die USA mit Russland und China völlig einig. Nurbgeordnete der Linken scheinen Despoten wie Herrnhmadinedschad und Herrn Assad eher zu unterstützen
ls Menschen, die sich gegen diese Despoten erheben.h merke an: Ich habe linke Politik eigentlich immer et-as anders verstanden.
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Günter Gloser
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Ich weiß – ich sage das ganz offen –, dass es in IhrerFraktion auch viele andere Stimmen gibt; ich will jetztnicht einzelne nennen. Ich finde – das haben auch Sie zuBeginn der arabischen Rebellion angesprochen –, dasses zu Recht um die Würde der Menschen geht.
Das sage ich ganz bewusst und auch selbstkritisch. Ichfrage mich, was Sie in diesem Bereich gemacht haben.Wo ist eigentlich die Fraktionsführung, wo ist eigentlichdie Parteiführung, die einem solchen Unsinn wider-spricht, meine sehr verehrten Damen und Herren?
Es bleibt dabei: Das ist ein Zeugnis des blanken Zy-nismus gegenüber den Opfern, gegenüber einem großenTeil der syrischen Bevölkerung
und gegenüber der Weltgemeinschaft, die sich unter gro-ßen Schwierigkeiten bemüht, im Hinblick auf zwei sehrkomplexe, aber auch sehr drängende Krisenherde eineLösung zu finden, eine Lösung, die die Gewalt beendet,ohne neue Gewalt zu provozieren, die den Menschen zuHilfe kommt, ohne neues Leid zu erzeugen, und die aucheine Einigung mit Mächten wie Russland und Chinasucht, um Fehler, die in der Vergangenheit gemacht wor-den sind, nicht zu wiederholen.Dieser Politik bleiben wir Sozialdemokraten ver-pflichtet. Wir werden uns auch weiterhin laut und deut-lich von denen abgrenzen, die den Menschen in Notdurch irrwitzige Verschwörungstheorien Hohn sprechenund den Blick auf die notwendigen Lösungen im Rah-men der internationalen Organisationen und des interna-tionalen Rechts versperren.Vielen Dank.
Nächste Rednerin in unserer Aktuellen Stunde ist für
die Fraktion der FDP unsere Kollegin Birgit Homburger.
Bitte schön, Kollegin Birgit Homburger.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! DieLage in Syrien gibt Anlass zur Besorgnis. Seit Syrien am19. Dezember des letzten Jahres das Protokoll der Be-obachtermission der Arabischen Liga unterschriebenhat, geht die Gewalt weiter. Die Militäroperationen ge-hen weiter, und Verhaftungen und Hausdurchsuchungenfinden unvermindert statt. Seit dem Eintreffen der Be-obachtermission der Arabischen Liga sind über 400 Zi-vilisten getötet worden. Trotz der Beobachtermissionfinden weiterhin militärische Operationen und landes-wtrrelahriuRUtiutesSdasbSAravsasnnLwmgteAadvriavz
Seit dem letzten September gibt es den Syrischen Na-onalrat, der eine politische Plattform für die Inlands-nd die Auslandsopposition bietet. Bundesaußenminis-r Westerwelle hat im November letzten Jahres in Brüs-el dessen Vorsitzenden empfangen und damit ein klaresignal des Beistands an die syrische Opposition gesen-et. Ich bin dankbar für diese klare Haltung des Bundes-ußenministers, der Bundesregierung und der Europäi-chen Union. Ich finde, die Haltung der Linken isteschämend.
Ende November 2011 hat die Arabische Liga erstmalsanktionen gegen eines ihrer Mitgliedsländer verhängt.m 1. Dezember 2011 wurden vom EU-Außenminister-t weitere Sanktionen verhängt und bestehende damiterschärft. Am 19. Dezember 2011 hat die Generalver-ammlung der Vereinten Nationen eine Resolution ver-bschiedet, die die fortgesetzten schweren und systemati-chen Menschenrechtsverletzungen in Syrien verurteilt.Wir wünschen uns, dass es eine glasklare Stellung-ahme der Vereinten Nationen gibt. Diese gibt es bishericht. Aber ich finde, dass die Weltgemeinschaft dieage in Syrien so eindeutig wie selten beurteilt. Sourde die entsprechende UN-Resolution mit 133 Stim-en bei nur 11 Gegenstimmen und weiteren Enthaltun-en – leider haben sich auch China und Russland enthal-n – angenommen. Vor diesem Hintergrund tauchte derufruf, den Sie von den Linken unterzeichnet haben,uf. Die Solidarisierung mit einem Regime,
as ohne Einsicht mit Brutalität gegen das eigene Volkorgeht, ist ein Schlag ins Gesicht der Menschen in Sy-en, die für Menschenrechte und gegen Unterdrückunguf die Straße gehen.
Sie werfen in Ihrem Aufruf den USA und der NATOor, Krieg gegen Libyen geführt zu haben, um das Landu kolonialisieren und seinen Reichtum auszuplündern.
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Birgit Homburger
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Aus dem gleichen Grunde werde jetzt, so der Aufruf,von der westlichen Welt inklusive Deutschland ein Krieggegen Syrien und den Iran vorbereitet. Das ist an Reali-tätsverweigerung nicht mehr zu überbieten. Selten habenso viele Länder der Welt gemeinsam die Lage in einemLand so eindeutig kritisiert und gleichzeitig mit Klarheitund Augenmaß reagiert.
Es geht eben nicht um militärische Intervention, sondernum die Unterstützung eines demokratischen Transforma-tionsprozesses.
Wir stehen an der Seite des syrischen Volkes. Diejeni-gen, die ihr Leben aufs Spiel setzen, um Menschenrechteeinzufordern, haben unsere Solidarität und Unterstüt-zung.
Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen vonden Linken, ich will Ihnen sagen: Sie können Ihr Pro-gramm getrost bereinigen und alle Stellen streichen, andenen Sie je über Menschenrechte gesprochen haben.Wer sich so dreist an die Seite eines solchen Regimesstellt, hat jegliche Berechtigung, sich über Menschen-rechte zu äußern, verloren.
Und kommen Sie mir bitte nicht mit dem Argument,es sei kein Beschluss. Vier Ihrer führenden Kollegen, diefür Sie die internationale Politik verantworten, haben da-ran mitgewirkt. Alle sind nach wie vor in ihren Ämtern.Das heißt, die Linke unterstützt diesen Aufruf komplett.Ich muss Ihnen sagen: Die Verschwörungstheorien,die Sie hier verbreiten, sind nicht nachvollziehbar. Essind syrische Panzer, die im ganzen Land rollen. Sie vonden Linken agieren deshalb nicht nur politisch blind,ideologisch und ignorant, sondern Sie machen sich mitIhrem Verhalten auch zu Mittätern.
Wer den von Ihnen unterzeichneten Aufruf liest, dersieht, dass das eine ideologisch begründete Verdrehungder Realitäten ist. Sie ignorieren den Tod von mehr als5 000 Zivilisten in einem Jahr. Sie behaupten in IhremAufruf, dass es dem syrischen Volk unter diesem Re-gime möglich ist, die politische und gesellschaftlicheOrdnung des Landes allein und souverän zu gestalten.Aber wer verhindert denn die politische Partizipation dessyrischen Volkes? Es sind genau diejenigen, mit denenSie sich solidarisieren.Bei einem Regime, das schon heute ankündigt, denBericht der Beobachtermission der Arabischen Liga, derübrigens heute vorgelegt und abgegeben werden soll,nicht anzuerkennen, ist eine klare Haltung der internatio-nmeaRuhwRgdBrelüWV–JAnSdvnk
Nächster Redner in unserer Aktuellen Stunde ist für
ie Fraktion Die Linke unser Kollege Ulrich Maurer.
itte schön, Kollege Ulrich Maurer.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-n! Ich habe gelernt, dass es im Parlament erlaubt ist, zugen. Das haben Sie ausgiebig getan.
as ich hier gehört habe, waren viele Lügen und vieleerleumdungen.
Ich werde Ihnen das jetzt belegen. – Wenn jemand seitahren an der Seite des syrischen Widerstands gegenssad steht, dann sind es die Linken in Deutschland. Sieicht!
ie haben eine lange Tradition der Kollaboration mitem Regime Assad.
Es war nicht gut, dass in diesem Aufruf, den sechson uns unterzeichnet haben, die Brutalität des Regimesicht angesprochen wurde. Ich zitiere hier aus einer Er-lärung der ärztlichen Friedensorganisation IPPNW:Keiner der Unterzeichner des Aufrufs verteidigt diebrutale Gewalt des syrischen Präsidenten gegensein eigenes Volk. Ziel des Aufrufs ist allein, vorder drohenden Kriegsgefahr für die Bürger in Sy-rien und im Iran durch eine Eskalation der Kon-flikte aufgrund der Embargopolitik und permanen-ter Kriegsdrohungen zu warnen.
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Ulrich Maurer
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– Ja, Sie lesen auch viel ab; aber ich lese wenigstenswahrheitsgemäß ab.
Diese internationale Ärzteorganisation hat den Vor-wurf also zurückgewiesen.Ich sage es noch einmal: Es war nicht gut, dass in demAufruf, den sechs von uns unterschrieben haben, nichtsvon der Brutalität des Regimes stand. Aber jetzt kom-men wir zur Wahrheit und zum Kern des Problems.Ich zitiere Frau Kollegin Steinbach aus Ihren Reihen,die in der Rheinischen Post sagte:Wenn am Ende überall der islamische Fundamenta-lismus obsiege, werde man „vielleicht sagen müs-sen, dass für Christen die Regime von Mubarak &Co. das kleinere Übel waren …“
Fangen Sie mit den Klärungsprozessen in diesem Punktalso einmal bei sich an. Fangen Sie damit an!
Ich zitiere aus Parlamentsdokumenten, dass Sie aufAnfrage der Fraktion Die Linke eingeräumt haben, dassnoch 2011 166 Menschen aus Deutschland nach Syrienabgeschoben werden sollten,
darunter Deserteure, die sich gegen Assad gewandt ha-ben. Wir verteidigen diese Menschen, und Sie sagen, abnach Ungarn zu den Parteifreunden! Von ihnen weißman ja, dass sie diese Deserteure direkt an die syrischenFolterer weitergeben. Das ist Ihre Praxis in Deutschland.
Deswegen ist das, was Sie hier betreiben, verlogen undheuchlerisch.
Bei einem Treffen des syrischen Widerstands vor we-nigen Wochen waren mein Kollege Gehrcke und ein Be-obachter der SPD anwesend. Von Ihnen wurde niemandgesehen. An der Erklärung des syrischen Widerstandshat unser außenpolitischer Sprecher als Autor maßgeb-lich mitgearbeitet.Und weiter zu Ihren Traditionen. Noch 2009 ist Ihrdamaliger Wirtschaftsminister Guttenberg auf der Ta-gung „Gastland Syrien“ in Berlin zum Zweck der Ex-portförderung herumstolziert. Dabei ging es um Ge-schäfte. In einer Panorama-Sendung aus dem Jahre2011, die ich Ihnen empfehle, ist ein hochrangiger Ent-wicklungsexperte der GIZ mit den Worten zu hören: Na-türlich habe ich mich nie mit der syrischen Oppositiongetroffen; das wäre für meine Mission schädlich gewe-sen.Im Deutschen Bundestag gab es einen Antrag derLinken mit dem Titel „Solidarität mit den Demokratie-bewegungen in den arabischen Ländern – Beendigungder deutschen Unterstützung von Diktatoren“, in demSmvFdePfouswAS–genJruhdHwhvtiBHIrBd
Um es auf den äußersten Punkt zu bringen: Sie habens sogar geschafft – ich zitiere aus dem entsprechendenrotokoll –, im Jahre 2011 einen Antrag der Linken mitlgendem Titel abzulehnen: „Exporte von Kriegswaffennd sonstigen Rüstungsgütern nach Syrien endgültigtoppen“. Dieser Antrag wurde in der Sitzung des Aus-ärtigen Ausschusses am 29. Juni 2011 beraten. In derbstimmung im Bundestag ist dieser Antrag mit dentimmen der Fraktionen der CDU/CSU und der FDPauf deren Verlangen die heutige Debatte stattfindet –egen die Stimmen der Fraktion Die Linke bei Stimm-nthaltung der Fraktion der SPD und der Fraktion Bünd-is 90/Die Grünen abgelehnt worden. Sie schaffen es, imuni 2011 einen Antrag der Linken gegen Waffenliefe-ngen an Assad abzulehnen. Dann stellen Sie sich hier-in, blasen sich auf und verbreiten Lügen und Verleum-ungen gegen unsere Partei.
Ich zitiere aus einer Anfrage meiner Kollegin Ingeöger:Ist die Bundesregierung angesichts der andauern-den Gewalt in Syrien und des fatalen Signals an sy-rische Deserteure und Verweigerer, das durch diedrohende Abschiebung von syrischen Deserteurenaus der bayrischen Abschiebehaft nach Ungarn undvon dort nach Syrien gegeben wird, bereit, die bis-herige Praxis der Rückführung in angeblich sichereDrittstaaten aufzugeben und zukünftig allen Men-schen, die sich dem Militärdienst in Syrien und da-mit der gewaltsamen Unterdrückung von Aufstän-dischen verweigern, in Deutschland Asyl zu bieten?Wissen Sie, wie die Antwort der Bundesregierungar? Sie ist dazu nicht bereit. Das, was Sie hier offenbartaben, sind Abgründe von Verleumdung und vor allemon Heuchelei.
Nächster Redner in unserer Debatte ist für die Frak-
on Bündnis 90/Die Grünen unser Kollege Volker Beck.
itte schön, Kollege Volker Beck.
Vielen Dank. – Herr Präsident! Meine Damen underren! Die Menschenrechtssituation in Syrien und iman ist dramatisch. In den letzten Tagen seit Beginn dereobachtermission der Arabischen Liga in Syrien wur-en allein 400 Menschen vom syrischen Regime umge-
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Volker Beck
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bracht. Es gab 5 400 Tote seit Beginn der Demokratiebe-wegung. Die Opposition spricht sogar von über6 000 Toten. 10 000 Menschen wurden seit Beginn derProteste willkürlich festgenommen. Tausende sind ausSyrien in die Türkei, den Libanon und nach Jordaniengeflüchtet. Letzten Freitag gab es Demonstrationen vonfast 2 Millionen Menschen auf den syrischen Straßen.Es gäbe in diesem Zusammenhang viel, was es sichim Hohen Hause zu diskutieren lohnt. Ich finde den Titelund den Gegenstand der heutigen Debatte unangemessenangesichts der Probleme, die wir in diesem Zusammen-hang haben, angesichts der Situation der Menschen inSyrien und der außenpolitischen Fragen, die sich unsstellen.Wie können wir auf ein Ende der Gewalt durch dasAssad-Regime drängen?
Um Reformen geht es dort längst nicht mehr, FrauHomburger. Es geht um ein Ende des brutalen Terror-regimes.Wie erreichen wir, dass China und Russland den Wegzu einer eindeutigen Sicherheitsratsresolution frei-machen? Und, Frau Steinbach: Wie sieht die Politik derOpposition gegenüber Kurden, Aleviten und Christenaus, wenn es zu einer Beteiligung oder Übernahme derHerrschaft in Syrien durch die Opposition kommensollte?Das sind Fragen, mit denen wir uns beschäftigen müs-sen. Dazu gehört auch, wie wir darauf konkret Einflussnehmen können. Deshalb finde ich es unwürdig für dasHohe Haus, dass wir heute dieses politische Klein-Kleinveranstalten, obwohl wir morgen, von unserer Fraktionbeantragt, eine Debatte zu einem Antrag von KerstinMüller führen werden, in dem es um genau diese Fragengeht.
Diese Fragen hätte man zuerst diskutieren können. Dannhätte man sich nebenbei mit dem albernen Aufruf vonsechs Kolleginnen und Kollegen aus der Linksfraktionbeschäftigen können; denn das ist nicht das eigentlicheProblem, das wir zu lösen haben.
Wenn Sie von Solidarität mit dem Assad-Regimesprechen, dann will ich einen Punkt ansprechen, der dieKumpanei der Bundesregierung mit dem Assad-Regimebetrifft. Im Jahre 2009 hat Deutschland nach jahrelangenVerhandlungen mit Syrien ein Abkommen zur Rück-übernahme von Flüchtlingen abgeschlossen. Dieses Ab-kommen ist nicht ausgesetzt. Es gibt noch nicht einmaleinen Runderlass, der einen Abschiebestopp nach Syrienverhängt. Es gibt lediglich ein Schreiben, dass es gegen-wärtig nicht „ratsam“ sei, abzuschieben. Dennoch gibt esnoch Abschiebefälle. Noch im November, als der Auf-sdsFdsuAspasHndrizPdWeDkSwAsdJNAüMaeind
Ich will aber das Thema der Debatte nicht verfehlen,uch wenn es mir nicht gefällt. Nun zu Ihnen und die-em komischen Aufruf. Ich meine, es geht nicht an, dasserr Gysi und Sie, Herr Maurer, ihn als Fehler bezeich-en – die Kollegin Enkelmann hat sich ähnlich geäußert –,ass aber gleichzeitig die Unterzeichnerin und Spreche-n für internationale Politik sagt, das sei zu hundert Pro-ent Programm der Linken. Was ist denn dann hundertrozent Programm der Linken?Der Vorwurf der Solidarität ist Quatsch. Das habenie Kolleginnen und Kollegen auch zurückgewiesen.as in dem Text steht, ist schlimm genug. Darin heißts:Das iranische und syrische Volk haben das Recht,über die Gestaltung ihrer politischen und gesell-schaftlichen Ordnung allein und souverän zu ent-scheiden.er Satz ist richtig. Aber in diesem Zusammenhanglingt das so, als ob das aktuelle Regime im Iran und inyrien Ausdruck dieses freien und souveränen Willensäre.
ls nächster Satz folgt:Die Erhaltung des Friedens verlangt es, dass dasPrinzip der Nichteinmischung in die inneren Ange-legenheiten anderer Staaten konsequent eingehaltenwird.Sagen Sie mal, wo leben Sie denn? Als ich das gele-en habe, habe ich gedacht, dass ich auf einen Knopf ge-rückt habe und mich auf einer Zeitreise in die 80er-ahre zur Zeit der alten Sowjetdoktrin der Politik derichteinmischung befinde.
ber das haben wir im Rahmen des OSZE-Prozessesberwunden.Wenn man sich für die Einhaltung der Erklärung derenschenrechte, die völkerrechtlich verbindlich ist unduch von den betreffenden Staaten unterzeichnet wurde,insetzt, dann handelt es sich nicht um eine Einmischung innere Angelegenheiten. Die Staaten haben vielmehrie Pflicht, die Menschenrechte ihrer Bürgerinnen und
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Volker Beck
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Bürger zu achten und zu wahren. Offensichtlich ist dievölkerrechtliche Diskussion über die Responsibility toProtect an Ihnen, meine Damen und Herren von der Lin-ken, spurlos vorbeigegangen. Wenn ein Staat massenhaftMenschenrechtsverletzungen begeht und beispielsweiseethnische Säuberungen durchführt oder die Bevölkerungnicht entsprechend davor schützt, dann geht gemäß derResolution, die die Vollversammlung der VereintenNationen 2005 einstimmig angenommen hat, die Pflichtzum Schutz der Bevölkerung – das ist eigentlich diePflicht eines jeden Staates – an die Völkergemeinschaftüber. Sie hat dann zu versuchen, mit angemessenen Mit-teln die Rechte der Menschen durchzusetzen und zuschützen.
Ich darf Sie bitten, zum Schluss zu kommen.
Dazu findet sich in Ihrem komischen Aufruf kein
Wort.
Sie schweigen auch zu einer ganzen Reihe anderer
Punkte. Sie erwähnen nicht, dass es sich bei diesem
Konflikt in der Region auch um einen Konflikt zwischen
sunnitischen und schiitischen Gläubigen, zwischen dem
Iran und Saudi-Arabien über die Vormachtstellung am
Golf handelt. In Ihrem Aufruf ist nur von israelischen
und US-amerikanische Interessen an der Vorbereitung
eines Krieges die Rede. Das ist antiamerikanisch und
antiisraelisch und politisch reichlich unterkomplex. Herr
Dehm, Sie als Kundschafter des Friedens stehen für
diese Unterkomplexität in außenpolitischen Zusammen-
hängen.
Vor diesem Hintergrund ist es kein Wunder, dass der
ehemalige Botschafter der Deutschen Demokratischen
Republik, der im Jahre 1989 seinen Dienst in der Volks-
republik China versah und im Jahre 2008 zu den Schüs-
sen auf dem Platz des Himmlischen Friedens gesagt hat:
„Es blieb dann nur diese Möglichkeit, es mit bewaffne-
ten Kräften zu beenden“, einer der Mitunterzeichner
Ihres Aufrufs ist.
In diese Gesellschaft begibt man sich, wenn man solche
unterkomplexen Aufrufe schreibt bzw. unterschreibt.
Ich kann Ihnen nur sagen: Stellen Sie sich der inter-
nen Auseinandersetzung! Ansonsten sind Sie für nie-
manden politisch anschlussfähig, weil Sie in einem an-
deren Orbit leben.
Sie können nicht die Menschenrechte verteidigen, wenn
Sie solche Positionen in Ihrer Partei dulden und es zulas-
sen, dass einige Ihrer Leute in Anspruch nehmen, dies
sei hundert Prozent Programm der Linken.
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hristen verfolgt oder heimlich Atombomben baut.Man kann sich darüber wundern, aber man kann aucharüber erschrocken sein, auch darüber, dass Bundes-gsabgeordnete der Linken diesen Aufruf mitunter-eichnet haben. Ein solcher Vorgang ist nicht neu. Icharf an den Brief der Linken anlässlich des 85. Geburts-gs Fidel Castros erinnern, in dem die Errungenschaftenes sozialistischen Kuba mit seiner beispielgebendenirkung für so viele Völker der Welt gerühmt wurden.h erinnere an die Probleme, die die Linke mit dem An-semitismus in den eigenen Reihen hat. Wenn die Par-iführung Resolutionen gegen den Antisemitismus be-chließt, müssen Abgeordnete den Raum verlassen,amit Einstimmigkeit erzielt wird.
Das Existenzrecht Israels wird von den Politikern derinken nicht anerkannt.
as zeigt zum Beispiel die Teilnahme von führendeninken an der sogenannten Gaza-Flottille oder das Sit-enbleiben der Linken-Abgeordneten am Holocaust-edenktag bei der Begrüßung des israelischen Präsiden-n Shimon Peres.Diese Liste ließe sich noch sehr lange weiterführen –is hin zum Plakat an der Tür der Abgeordneten Ploetz,
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Jürgen Klimke
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das unsere Bundeswehrsoldaten in Afghanistan alsSchweine verhöhnt, oder der Abgeordneten Hänsel, dieden Mördern und Entführern von der kolumbianischenFARC Unterstützung angedeihen lässt.
Meine Damen und Herren, soll man sich wundern,soll man darüber erschrocken sein? Ich wundere michnicht mehr; ich erschrecke mich eigentlich sehr darüber.Leider bleibt es aus meiner Sicht bis auf Weiteres so,dass sich im Deutschen Bundestag drei Bereiche wieder-finden: die Regierungsfraktionen, die demokratischeOpposition, bestehend aus SPD und Grünen, und eineFraktion, bei der man Zweifel haben muss, ob sie wirk-lich auf dem Boden unserer freiheitlichen demokrati-schen Grundordnung steht.
Deswegen halten es viele auch für richtig, liebe Kolle-ginnen und Kollegen, dass die Partei Die Linke weiter-hin vom Verfassungsschutz beobachtet wird.
Dabei ist es aus meiner Sicht immerhin ein kleinerTrost, dass es auch vonseiten einiger Politiker der Lin-ken andere Meinungen gibt: andere Meinungen zuIsrael, andere Meinungen zu Kuba und andere Meinun-gen zu den USA.Auch der Aufruf zu Syrien und zum Iran ist innerhalbIhrer Partei nicht unwidersprochen hingenommen wor-den. Das macht ein bisschen Hoffnung. Man kann ei-gentlich nur diese Kräfte unterstützen, allerdings nur einwenig, wenn man bedenkt, dass die innerparteilichenKritiker des Aufrufs von den Hardlinern als Nest-beschmutzer bezeichnet wurden.Die Aktion macht eines klar: Die Linke weiß nicht,wohin sie will. Die Linke weiß nicht, was sie will. Willsie eine parlamentarische Opposition sein?
Will sie eine koalitionsfähige Alternative im linken Par-teienspektrum werden? Ist sie eine ideologische Funda-mentalopposition, die im Grunde die Abschaffung derdemokratischen Grundordnung zum Ziel hat? Die Aus-tragung dieses Konflikts wird aus meiner Sicht darüberentscheiden, ob die Linke in diesem Hause in Deutsch-land noch Zukunft hat.Im Übrigen: Im Konflikt befindet sich offensichtlichauch die Kollegin Sevim Dağdelen, nach deren Meinungder Aufruf zu Syrien und zum Iran zu hundert Prozentdas Parteiprogramm der Linken widerspiegelt.
DsumLDssdJHddumSzvAdsIndomdfaDSAuWwmAJsemAtiz1
iebe Kolleginnen und Kollegen, Sie sehen hier Sevimağdelen in ihrer heikelsten antiimperialistischen Mis-ion – wie immer sehr kämpferisch und sehr entschlos-en.Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Nächster Redner in unserer Aktuellen Stunde ist für
ie Fraktion der Sozialdemokraten unser Kollege
ohannes Pflug. Bitte schön, Kollege Johannes Pflug.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen underren! Ende letzten Jahres hatte sich der Deutsche Bun-estag aus aktuellem Anlass wiederholt mit den Beson-erheiten linker Außenpolitik befasst. Einmal ging esm den Antrag der Linken, jedes militärische Engage-ent in Afghanistan sofort zu beenden.
o weit, so gut.Einige Wochen zuvor hatte es eine Aktuelle Stundeum Thema Antisemitismus gegeben, allerdings nichton Ihnen beantragt. Bereits bei der Debatte Ihresfghanistan-Antrags hatte ich darauf hingewiesen, dassieser Antrag und der geforderte Abzug Musterbeispieleind für den Widerspruch zwischen dem proklamiertenternationalismus und der Verpflichtung zum Schutzer Menschen einerseits sowie der Nichteinmischungder dem – ich sage das einmal so – Schaufenster-Anti-ilitarismus andererseits.Heute gibt es erneut Grund, uns mit dem Verständniser Linkspartei von internationaler Verantwortung zu be-ssen. So ist es bemerkenswert, dass es für die Kolleginağdelen oder den Kollegen Dehm offenbar ein Akt derolidarität und der Völkerfreundschaft ist, sich an einemufruf zu beteiligen, der die Unterdrückung der Iranernd Syrer durch ihre diktatorischen Regime mit keinemort erwähnt, geschweige denn verurteilt. Stattdessenird auch noch die Propaganda der Diktatoren übernom-en, die ja Aufruhr stets als Ergebnis ausländischergenten und Sabotage brandmarkt. Christian Bommarius,ournalist unter anderem für die Frankfurter Rundschau,chrieb dazu erst kürzlich sehr treffend, für die Linke seis stets „offenbar der Westen, der die in glücklicher Har-onie mit ihren Unterdrückern lebenden Völker in denufstand hetzt“. Dem ist eigentlich nichts hinzuzufügen.Diejenigen Mitglieder der Linken-Bundestagsfrak-on, die den Internetaufruf unterzeichnet haben, habenunächst noch vollmundig erklärt, dieser decke sich zu00 Prozent mit dem Programm der Partei. Mittlerweile
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Johannes Pflug
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haben sie den Aufruf aber schon wieder relativiert we-gen der starken öffentlichen Kritik und Empörung, undich füge hinzu: Gott sei Dank auch aus den Reihen dereigenen Partei, zum Beispiel des Kollegen Bartsch undder Kollegin Enkelmann.Die Unterzeichner erklärten daraufhin wieder einmal,sie seien bewusst falsch interpretiert und missverstandenworden. Hierzu kann ich mit Blick auf die Vergangen-heit nur sagen: Es muss auch an Ihnen liegen, dass Siesich so häufig missverstanden oder falsch interpretiertfühlen. Ob es um die erklärte Solidarität einiger Partei-mitglieder mit der Hamas ging, um das Gezerre um einegemeinsame Erklärung gegen Antisemitismus hier imHause oder um undifferenzierten Aktionismus gegen Is-rael, stets waren die Aussagen eigentlich eindeutig.
Teile der Linkspartei vertreten offen einen radikalenAnti-Israel-Kurs. Dies geht sogar so weit, dass sich Mit-glieder Ihrer Fraktion weigern, sich bei einer Veranstal-tung am Holocaust-Gedenktag für den israelischen Prä-sidenten Peres zu erheben.
Darüber hinaus scheinen Teile der Linkspartei einengewissen Hang zu Exoten und Diktatoren zu besitzen.
Egal ob Fidel Castro oder Hugo Chávez – und neuer-dings auch Assad und die Mullahs im Iran –, egal wieverbrecherisch das Regime: Solange es einen dumpfenAntiamerikanismus bedient, gibt es auch Freunde in Ih-rer Partei.
Dies nimmt dann so groteske Züge an wie in derjüngsten Vergangenheit, als sich die Kollegin Dağdelenund andere zu den letzten Verbündeten Assads und sei-nes Terrors gemacht haben, offensichtlich weil das Be-dürfnis nach Antiamerikanismus und Anti-Israel-Politikbedient wurde. Möglicherweise ist es genau das, was Ihrdemnächst neuer Spitzenkandidat Lafontaine mit den Ei-gentorschützen in der eigenen Partei meinte. In solchenFällen sagt man: Der Trainer sollte sie nicht wieder auf-stellen. Aber die Frage ist: Wer ist bei Ihnen eigentlichder Trainer?Vielen Dank.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, bevor ich den
nächsten Redner aufrufe, muss ich Ihnen mitteilen, dass
mir der Wunsch nach persönlichen Erklärungen vorliegt.
Dies ist nach unserer Geschäftsordnung auch bei Aktuel-
len Stunden möglich. Ein Mitglied des Bundestages
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Kollege Beck, Sie haben meinen angeblichen Hangu unterkomplexen Aufrufen angesprochen. Sie habenwar auch viel zur Differenzierung der Diskussion bei-etragen, aber da ging der Gaul wieder mit Ihnen durch.
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Dr. Diether Dehm
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Ich will Ihnen nur noch einmal ganz deutlich das sa-gen, was ich auch im Interview mit der taz gesagt habe:Keiner der Unterzeichner von uns hat irgendeinen Hauchvon Sympathie mit den Staatsterroristen Assad undAhmadinedschad.
Wir wissen nämlich, dass Linke, dass Kommunisten,dass Sozialisten von diesen Schlächtern verfolgt und ge-foltert werden.
Linke sind es, unsere Freunde, die im Iran und in Syrienhingerichtet werden. Das will ich Ihnen zunächst sagen.Das haben wir auch schon mehrfach gesagt. Sie wissendas auch; Sie haben das auch in dem Teil Ihrer Ausfüh-rungen gesagt, in dem Sie Differenzierungen vorgenom-men haben.Darüber hinaus will ich sagen: Wir haben in dem Auf-ruf davor gewarnt, dass Kriegsvorbereitungen getroffenwerden. Diese Kriegsvorbereitungen laufen – das ist un-sere feste Überzeugung – gegen den Iran; sie laufen,möglicherweise gedämpfter, gegen Syrien. Im Hinblickauf den Iran wird es ein Atomkrieg werden.
Hier besteht, Herr Kollege Beck – das will ich Ihnenganz deutlich sagen –, die Differenz zwischen uns. Wirsind jetzt an jenem Punkt, wo damals gegen Außen-minister Westerwelle eine unauffällig scheinende Flug-verbotszone von der SPD und, wie ich glaube, auch vonden Grünen entschieden gefordert wurde. Wie vor demJugoslawien-Krieg wurde hier ja von Rot-Grün immergefordert, an der Durchsetzung einer unauffälligen Flug-verbotszone gegen Libyen mitzuwirken. Doch dies hatzu einem Krieg mit über 40 000 Toten geführt, zu einemBombardement der Städte dort. Dabei ist auch der mo-dernste Sozialstaat Nordafrikas zerbombt worden.
– Genau das ist Libyen gewesen – das ist unbestreitbar –,der modernste, entwickeltste Sozialstaat Nordafrikas, woÖlprofite in sozialstaatliche Investitionen geleitet wur-den.
Angesichts dessen und der Tatsache, dass das Wirt-schaftsembargo gegen den Irak, das Tausende von Kin-dern das Leben gekostet hat, zugleich ein unauffälligerEinstieg in das Bombardement Iraks war,
werden wir jetzt umso hellhöriger.hIrkicsDGgaresPvAbahnDamfüegslaFnbalagtiDhIhGu
Bitte schön, Kollege Patrick Kurth.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-n! Alle Wochen wieder: Die Linke glänzt durch gesell-chaftspolitische oder in diesem Falle außenpolitischeeinlichkeiten. Außenpolitische Fragen, die schon bisheron Ihnen sehr peinlich behandelt wurden, betreffenfghanistan, Kuba und den Nahen Osten. Worüber ha-en wir hier alles geredet? Über die Gaza-Flottille, überntisemitische Auswüchse, über Castro-Verehrung. Sieatten damals in der Aktuellen Stunde zum deutsch-pol-ischen Verhältnis vor allem das Verhältnis zwischen derDR und Polen unter der SED gelobt. Dabei haben Sieber völlig unterschlagen, dass es die SED war, die erst-als nach dem Zweiten Weltkrieg deutsche Streitkräfter den Einmarsch in Polen mobilisierte. Sie haben mitiner Staatspartei sympathisiert – sie ist ja auch Ihre Vor-ängerpartei –, was für uns insgesamt in der außenpoliti-chen Darstellung nicht gut war. Sie können sich im In-nd benehmen, wie Sie wollen. Da werden Sie auf jedenall auf unseren Widerstand stoßen. Das ist in erster Li-ie Ihr Problem. Wenn Sie sich aber außenpolitisch soenehmen, wie Sie das tun, dann wird es ein Problem fürlle Deutschen. Das geht nicht. Sie haben auch im Aus-nd eine Verantwortung.
Seit fast einem Jahr – die dpa schrieb es gestern –eht das Regime in Syrien mit Gewalt gegen die Opposi-on vor. 5 500 Menschen starben. 5 500 Menschen!ann kommt diese Solidarisierung, ein vorläufiger Hö-epunkt der außenpolitischen Geisterfahrten. Ich mussnen sagen: Gerade wir Deutsche haben in der jüngereneschichte eine ganz wunderbare Erfahrung gemachtnd ein ganz großes Glück gehabt.
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Patrick Kurth
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Wir hatten in diesem Land eine friedliche Revolution. Indiesem Land wurde niemand erschossen. Das war einganz großes Glück für unser Land. Dass dieses Glückkeine Selbstverständlichkeit ist, das zeigt Syrien. Des-halb verbietet es sich, mit diesen Staatsterroristen in ir-gendeiner Weise zu sympathisieren.
Meine Damen und Herren, unsere Erfahrungen, un-sere Geschichte, unser Glück, aber eben auch die Gewaltdieser Diktatoren, der Kampf gegen Demonstrantenmüssen uns als Abgeordnete in diesem Hause Verant-wortung, Auftrag und Mahnung zugleich sein. Geradewir Deutsche haben deshalb eine gewisse Vorbildstel-lung. Wir haben eine immense Verantwortung. Für dasAußenbild tragen wir alle, die wir Mitglieder diesesHauses sind, Verantwortung. Herr Maurer, Sie habenhier wunderbar gesprochen.
Im Sinne der leninistischen Propagandarede war das her-vorragend.
Ich nehme den Spieß und drehe ihn um. Aber was dennnun? Butter bei die Fische! Dafür oder dagegen? Hoppoder top? Sie haben keine Antwort geliefert. Sind Sienun dafür, oder sind Sie dagegen?
Distanzieren Sie sich von diesem Pamphlet, oder sindSie doch dafür? Gibt es irgendwelche Konsequenzen? IstIhre menschenrechtspolitische Sprecherin, die diesesMachwerk unterzeichnet hat, noch im Amt, oder ist sienicht mehr im Amt? Was sind denn Ihre Konsequenzen?Sie verunklaren Ihr Bild. Sie bleiben völlig unklar, in derHoffnung darauf, dass die einen ganz links in irgendei-ner Weise befriedigt werden und die anderen, die ein bis-schen mehr in der Mitte sind, relativ friedfertig bleiben.Ich kann Ihnen nur sagen: Das lassen wir Ihnen nichtdurchgehen.
Nehmen Sie einmal Ihr Pamphlet, und ersetzen Sie denBegriff „Syrien“ oder auch „Iran“ durch „DDR“. Tau-schen Sie das einmal aus. Da wird Ihnen übel.Es kann einem auch übel werden, wenn man sich dieUnterzeichnerliste anguckt. Ich weiß es nicht: Haben Siedas einmal gemacht? Wissen Sie, mit wem Sie in einemBoot sitzen? Haben Sie sich das einmal angeschaut? Werunterzeichnet im Zusammenhang mit Abgeordneten desDeutschen Bundestages, mit Volksvertretern, diesenAufruf? Es wimmelt nur so von Verschwörungsideolo-gen, Esoterikern und – das ist besonders interessant –Rechtspopulisten. Ich habe mir die Namen aufgeschrie-bnDzs–dssnJsdsasRsemdstaßfüleKsskGzSrüWenwa
ie einen versteigen sich zu Verschwörungstheorien be-üglich Iran. Sie verharmlosen die Hetzreden des irani-chen Staatspräsidenten. Es gibt auf dieser Liste Leutedie befinden sich in Ihrer Gesellschaft –, die erklären,ass das Erdbeben in Japan künstlich erzeugt wordenei, um Japan zu schaden.
Dann gibt es andere, die sagen, dass die Terroran-chläge vom 11. September von den USA selbst insze-iert wurden. Das sagen Ihre Mitunterzeichner. Dieudenverfolgung wird verharmlost. Das ist Ihre Gesell-chaft! Einer sagt, Aids gebe es nicht, es sei eine Erfin-ung der – Achtung! – Pharmaindustrie. Dann kommtogar ein Bündnis – das ist ganz interessant im Hinblickuf die Linke; ich wusste gar nicht, in welcher Gesell-chaft Sie sich befinden –, welches erklärt, das deutscheeich gebe es noch, die Bundesrepublik gebe es nicht,ie sei nicht rechtmäßig. In diese Liste reihen Sie sichin. Uns fällt es wirklich schwer, zur Kenntnis zu neh-en, dass es sich um Abgeordnete handelt, die sich iniese Gesellschaft begeben.Wenigstens die Führung der Linken – sie hat sich jachon öfter verbogen – muss sich von diesem Aufruf dis-nzieren. Geschieht das nicht, hat sich diese Partei au-enpolitisch erneut diskreditiert.Herzlichen Dank.
Nächster Redner ist unser Kollege Christoph Strässer
r die Fraktion der Sozialdemokraten. Bitte schön, Kol-
ge Christoph Strässer.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebeolleginnen und Kollegen! Ich will zwei Punkte aus die-er Aktuellen Stunde aufgreifen. Wenn ich die Quintes-enz aus allen Redebeiträgen zusammenfasse, dannomme ich zu zwei Erkenntnissen.Erste Erkenntnis. Wir müssen uns alle gemeinsamedanken darüber machen, wie die Geschichte der Be-iehungen Deutschlands, Europas und der Vereinigtentaaten zu bestimmten Diktaturen in der Welt ist. Da-ber müssen wir reden.
ir müssen auch aus Fehlern lernen. Der Umstand, dassin Land in einer Region für Stabilität sorgt, rechtfertigtiemals, dass in dieser Region Menschenrechte verletzterden. Ohne die Gewährung von Menschenrechtenber ist in diesen Regionen keine Stabilität möglich.
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Christoph Strässer
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Diese Erkenntnis sollten wir aus dieser Debatte mitneh-men.
– Ja.Zweite Erkenntnis. Wenn das, was über den arabi-schen Frühling und über Syrien gesagt worden ist, ernstgemeint ist, dann erwarte ich Initiativen von Ihrer Partei,die im Moment versucht, sich wieder als Bürgerrechts-partei zu profilieren. Wir sollten in den nächsten Wochenim Deutschen Bundestag Klarheit darüber schaffen undentsprechende politische Willenserklärungen abgeben,dass Abschiebungen nach Syrien auch über den UmwegUngarn ab sofort nicht mehr möglich sein dürfen.
Die Aktuelle Stunde zwingt uns natürlich dazu, zudem Aufruf, der von einigen unterschrieben worden ist,Stellung zu nehmen. Man konnte die ganze Zeit – ichhabe direkt daneben gesessen – Zurufe wie „Heuchler“und „Lügner“ hören. Ich möchte jetzt etwas zitieren undhoffe, dass es dabei solche Zurufe nicht gibt. Unter derÜberschrift „Gegen linke Solidarität mit den Schlächternvon Syrien und Iran!“ heißt es:Die Souveränität Syriens und Irans liegt nicht beiden Regimen von Assad und den Ayatollahs, son-dern bei den Menschen. Sie sind es, die ihre Rechteeinfordern.Entgegen der Einschätzung des Appells sind esnicht die NATO, die USA oder Israel, die einenBürgerkrieg in Syrien anfachen, sondern das syri-sche und iranische Regime, die auf diese Weise mitaller Brutalität versuchen, einen Keil zwischen dieAufständischen zu treiben. Beide Regime gehen da-bei mit unglaublicher Brutalität gegen die eigeneZivilbevölkerung vor, z. B. mit gezielten Tötungendurch Scharfschützen, die sogenannte „Abschuss-quoten“ zu erfüllen haben.Ende des Zitates; der Aufruf geht aber noch weiter.Veröffentlicht worden ist dies von dem Bundes-arbeitskreis Shalom der Linksjugend Solid, die sich aufsSchärfste von dem Syrien-Appell abgrenzt. Liebe Kolle-ginnen und Kollegen, rufen Sie bitte nicht „Heuchler“und auch nicht „Lügner“, sondern solidarisieren Sie sichmit Ihrer Jugendorganisation und distanzieren Sie sichvon dem Syrien-Aufruf, der unerträglich ist.
Ich möchte auch aus einem anderen Blickwinkel – derKollege Beck hat schon darauf hingewiesen – zu diesemAufruf Stellung nehmen und insbesondere auf die Fest-stellung eingehen, dass das konsequente Einhalten desNichteinmischungsgebots das Gebot der Stunde seinsoll. Ich will mich gar nicht darauf kaprizieren, zu fra-gen, was das mit der Responsibility to Protect und mitdem Verhältnis Menschenrecht zu Völkerrecht zu tunhsteneNSggdvdhureIcwgdiss–rasuEgfüWsliadFnnsBn
Ich will noch eine weitere Bemerkung machen undarlegen, was mir ebenfalls gegen den Strich geht. Ichabe in meiner politischen Vergangenheit viele Aufrufend Appelle unterschrieben. Ich war mir immer im Kla-n darüber, wie Aufrufe interpretiert werden können.h würde mir wünschen, dass auch Sie sich dies be-usst machen. Denn Sie sind doch nicht so naiv, zulauben, dass es in der Öffentlichkeit keine Rolle spielt,ass das, was Sie nicht wollen, im Aufruf nicht enthaltent.Aber ich will eines zum Prinzip der Nichteinmi-chung und zum Prinzip der linken Solidarität sagendas meine ich wirklich ernst –: Sie verkaufen und ver-ten Ihre eigene Geschichte. Das will ich ganz deutlichagen. Wir haben gemeinsam auf der Straße gestandennd gefordert, dass unsere Regierungen boykottieren,mbargos ausüben gegen Südafrika, waren gemeinsamegen das faschistische Regime in Chile, gegen anderer uns unerträgliche politische Systeme.
enn Sie sich hier hinstellen und sagen: „Nichteinmi-chung ist des Teufels“, dann verraten Sie Ihre eigenennken solidarischen Ideale. Damit sollten Sie einfachufhören. Das ist unsinnig.
Nächster Redner in unserer Aktuellen Stunde ist für
ie Fraktion der CDU/CSU unser Kollege Dr. Thomas
eist. Bitte schön, Kollege Dr. Thomas Feist.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine lieben Kollegin-en und Kollegen! Das zeitgeschichtliche Forum in mei-er Heimatstadt Leipzig wirbt mit dem Motto: „Ge-chichte kann zu Einsichten führen und verursachtewusstsein“. Weder Einsicht noch Bewusstsein ist ge-au das, was den Geist dieses Aufrufes im Internet kenn-
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Dr. Thomas Feist
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zeichnet, den sechs Abgeordnete der Linkspartei unter-schrieben haben. Ich muss ganz ehrlich sagen, HerrKollege Maurer, Ihre Rhetorik des Kalten Krieges, mitder Sie versucht haben, eine Pro-Assad-Unterzeichnungins Gegenteil zu verkehren, ist entweder verquaste Dia-lektik oder schlicht und einfach verlogen.
Historisch betrachtet ist das Mittel, dass man Initiato-ren von Volksbewegungen, Freiheitsbewegungen derVerschwörung bezichtigt, immer ein gutes Mittel gewe-sen, um diese Bewegung zu diskreditieren. Das siehtman natürlich nicht nur an den Ländern des ehemaligenOstblocks, sondern das sieht man ganz genau und deut-lich auch an unserer eigenen deutschen Geschichte. In-sofern, lieber Herr Kollege Beck, hätte ich mirgewünscht, dass Sie in Ihrer Ansprache darauf eingegan-gen wären, dass Sie heute immer noch nur „Die Grünen“wären, wenn die Lügen, die die SED und ihre Parteifüh-rung damals über Bündnisleute verbreitet haben, zuge-troffen hätten. Wenn das durchgegangen wäre, wären Sieheute immer noch „Die Grünen“. Ich denke, Sie sindsehr froh, dass Sie heute „Bündnis 90/Die Grünen“ sind.
– Das ist doch wunderbar.
– Das muss der Präsident machen.Zurück zu dem Aufruf. Manchmal fühlt man sich umJahrzehnte zurückversetzt, wenn man liest, dass dieFeinde diejenigen sind, die dies schon immer waren. Dassind die imperialistischen Aggressoren, hier namentlichUSA und Israel.
In dieser Aufzählung fehlen eigentlich nur noch die Bon-ner Ultras. Dann würde man erkennen, was dieser Auf-ruf eigentlich ist: Er ist eine Blaupause aus der AbteilungAgitation und Propaganda beim ZK der SED.
Als Leipziger, der von Anfang an auch an den Frie-densgebeten und Montagsdemonstrationen in Leipzigteilgenommen hat, kann ich Ihnen aus eigener Erfahrungsagen, wie schlimm und verheerend es ist, wenn ständigunterstellt wird, man sei ein Agent eines feindlichenStaates. Es ist unerträglich, dass man mit Sabotage inVerbindung gebracht wird. Man kann sich gegen diesenVorwurf nicht wehren. Ich bin sehr froh, dass wir es ge-rade durch die westlichen Massenmedien geschafft ha-ben, einen Rückhalt zu bekommen, um diesen abstrusenVerschwörungstheorien ein für allemal einen Riegel vor-zuschieben.SApgjeGgßDty5uedddhjeduindDhkTihKtäSNpeW
Ich habe heute in einen Artikel der jungen Welt vomeptember 1989 geschaut. Das war die Zeit der großenusreisewelle. Viele Menschen haben versucht, das re-ressive System der DDR zu verlassen. In dieser Zeitungab es einen Leserbrief, der suggerieren wollte, dass die-nigen, die im Westen waren, mit K.-o.-Tropfen außerefecht gesetzt wurden. Das war die normale Propa-anda, die erzählt worden ist. Die Einmischung von Au-en war letztendlich für alles Übel verantwortlich.Ich muss Ihnen eines sagen – das sage ich vor alleningen auch zur Führung der Linken –: Wenn man einrannisches System unterstützt, das nicht nur für über000 Tote verantwortlich ist, sondern auch für Folternd Repression, und sich als Parteiführung nicht gegenin paar Spinner wehrt, die das unterzeichnen, dann istas nicht nur fahrlässig, sondern zynisch und ein Skan-al.
Ich fand es sehr interessant, dass auch diesmal wiederie üblichen Verdächtigen diesen Aufruf unterschriebenaben; denn ich habe mich entsonnen, dass es genau die-nigen waren, die damals als Friedensaktivisten überas Mittelmeer gesegelt sind,
nd zwar unter dem fröhlichen Abspielen von Liedern, denen zu Massakrierungen an Juden aufgerufen wor-en ist.
as muss man sich wieder ins Bewusstsein rufen. Esandelt sich um genau dieselben Edelkommunisten – ichann es nicht anders sagen –, die mir damals auf ihrerransitreise von Westdeutschland nach Westberlin mitrem Westgeld in der Tasche erzählt haben, wie toll derommunismus ist. Das hat mit Realität oder mit Reali-tssinn nichts zu tun.
Abschließend will ich noch auf Folgendes hinweisen:ie haben ja im Zusammenhang mit Syrien und Iranichteinmischung und den eigenen Weg der Staaten pro-agiert. Mir hat in dieser Auflistung eigentlich nur nochin Staat gefehlt, der am konsequentesten seinen eigeneneg geht – und das ist Nordkorea.
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Dr. Thomas Feist
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Ich bitte Sie, mit der Kim-Il-Sungisierung der Links-partei aufzuhören. Nehmen Sie sich einmal den Kom-mentar der heutigen SZ zu Herzen. Darin steht, dass dieLinken in ihrem Fraktionssaal ein Schild anbringen soll-ten: „Parteien haften für ihre Spinner“.Vielen Dank.
Letzter Redner in unserer Aktuellen Stunde ist für die
Fraktion der CDU/CSU unser Kollege Dr. Wolfgang
Götzer. Bitte schön, Kollege Dr. Wolfgang Götzer.
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!Die jüngsten Solidaritätsbekundungen von Abgeordne-ten der Linken mit den menschenverachtenden Regimenin Syrien und im Iran zeigen einmal mehr, wes GeistesKind sie sind.
Unverhohlene Sympathien mit Diktaturen und das altbe-kannte Feindbild, nämlich Amerika und die NATO, prä-gen ihr Weltbild.Die sechs Abgeordneten der Linken, die den strittigenInternetaufruf unterzeichnet haben, haben damit nichtnur ihre ganze Fraktion ins außenpolitische Abseits ge-stellt, sondern sie haben all die Menschen, die in ihrenLändern für Freiheit, Demokratie und Menschenrechtekämpfen, verhöhnt.
Dass zu den Unterzeichnern des am 3. Januar diesesJahres veröffentlichten Textes auch die Sprecherin derLinken für internationale Beziehungen gehört, zeigt, wietief dieses Denken in der Partei verhaftet ist, die sichheute Die Linke nennt, die aber die alte SED ist.
In dem Punkt, Herr Kollege Kurth, muss ich Sie korri-gieren: Hier sitzt nicht die Nachfolgepartei der SED,sondern das ist ein und dieselbe Partei geblieben, diesich nur mehrmals umbenannt hat. Das sollte wieder ein-mal angesprochen werden.
Frau Dağdelen und die anderen fünf Abgeordnetender Linken – Eva Bulling-Schröter, Dieter Dehm, HeikeHänsel, Annette Groth und Ulla Jelpke –hdgIrWKnfüsAruShnMDwKdngvnzfüasAAdwmwAUdliSevK
an stelle sich das bloß einmal vor – oder lieber nicht –:er Iran droht mit der Verletzung der Freiheit der See-ege, was laut Einschätzung nicht nur der USA einerriegserklärung gleich käme, und Deutschland belohntiese Androhung eines völkerrechtswidrigen Akts auchoch mit der Aufhebung von Sanktionen.Ein ähnliches Szenario gibt es in Syrien: Wie vor eini-en Tagen die jüngste Ansprache von Assad in der Uni-ersität von Damaskus gezeigt hat, schreckt er vor kei-er noch so ungeheuerlichen Lüge und Verdrehungurück. In dieser Rede streitet er jegliche Verantwortungr die bürgerkriegsähnlichen Zustände in seinem Landb, die laut UN-Angaben mittlerweile circa 5 000 Men-chen das Leben gekostet haben, und bezeichnet dieufständischen als Terroristen, die ihn durch ihre vomusland geförderten Terrorakte davon abhalten würden,as Land zu reformieren. Das ist an Ungeheuerlichkeitirklich nicht zu überbieten.Auch in der arabischen Welt ist das Assad-Regimeittlerweile isoliert. Nur die Linke sympathisiert nachie vor offen mit diesem Unrechtsregime.
ber, meine verehrten Kolleginnen und Kollegen, mitnrechtsregimen haben diejenigen in der Linkspartei,ie eine SED-Vergangenheit haben, ja ganz offensicht-ch keine Probleme.
chließlich war Syrien – daran möchte ich erinnern –inmal ein sozialistisches Bruderland der DDR. Schonergessen?
Die Solidaritätsbekundungen der Linken sind, wieollege Gröhe zu Recht gesagt hat, ein Schlag ins Ge-
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Dr. Wolfgang Götzer
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sicht aller, die im arabischen Frühling ihr Leben für Frei-heit und Demokratie riskieren.
Zynischer und menschenverachtender – die beiden Be-griffe kommen in dem Aufruf vor; ich verwende sie jetztganz bewusst, und zwar gegen die Unterzeichner – gehtes wahrlich nicht mehr. Wie lange will die Linksparteieigentlich noch Schießbefehle verteidigen?
Sie haben aus Ihrer SED-Vergangenheit nichts gelernt.
– Frau Kollegin, Sie haben völlig recht: Das macht esnoch schlimmer.Wenn jetzt einige Unterzeichner zurückrudern undbehaupten, sie hätten mit diesem Aufruf nicht die men-schenverachtenden Regime, sondern die notleidendenBevölkerungen Syriens und Irans unterstützen wollen,möchte ich dazu ganz klar sagen: Das nimmt Ihnen kei-ner ab.
Wir verlangen deshalb, auch im Hinblick auf die Tau-senden Opfer syrischer Gewaltherrschaft, eine klare Dis-tanzierung der linken Führungsspitze von diesem Auf-ruf. An die Adresse der sechs Unterzeichner sage ich:Sie sollten sich schämen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Aktuelle Stunde
ist beendet.
Wenn wir wieder die notwendige Ruhe im Hause ha-
ben, rufe ich den nächsten Tagesordnungspunkt auf.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 5 auf:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Verkehr, Bau und
Stadtentwicklung
– zu dem Antrag der Abgeordneten Gero
Storjohann, Dirk Fischer , Arnold
Vaatz, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
der CDU/CSU
sowie der Abgeordneten Oliver Luksic, Patrick
Döring, Werner Simmling, weiterer Abgeord-
neter und der Fraktion der FDP
Die Verkehrssicherheit in Deutschland wei-
ter verbessern
– zu dem Antrag der Abgeordneten Kirsten
Lühmann, Uwe Beckmeyer, Martin Burkert,
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ie ist Teil des neuen Verkehrssicherheitsprogramms derundesregierung. Diese Kampagne richtet sich an Fahr-nfängerinnen und Fahranfänger im Straßenverkehr bisum Alter von 24 Jahren. Thematisiert werden insbeson-ere die Risiken von Landstraßenfahrten.
enn sechs von zehn Personen, die im Straßenverkehru Tode kommen, sterben bei Unfällen auf Landstraßen.Um die jugendlichen Fahrer zu erreichen, werdenzenarien thematisiert, mit denen sich die junge Ziel-ruppe besonders gut identifizieren kann. Am Beispieler Heimfahrt von einem Diskothekenbesuch wird sonter anderem auf die Gefahren von Alkohol am Steuernd einer überhöhten Geschwindigkeit bei nächtlichenberlandfahrten hingewiesen. Gleichzeitig nutzt diese
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Gero Storjohann
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Aktion verstärkt das Internet, etwa Facebook und You-Tube, um so die Zielgruppe zu erreichen. Diese Kampagneist modern, sie ist notwendig. Ich finde es gut, dass wirhier neue Wege beschreiten; denn diese Wege sind zeit-gemäß, und wir müssen Aufmerksamkeit erreichen, umFortschritte in der Verkehrssicherheitsarbeit zu erzielen.Mit dem vorliegenden Antrag der Koalitionfraktio-nen, die Verkehrssicherheit in Deutschland weiter zuverbessern, beschließen wir heute ein ambitioniertesProgramm, um die Verkehrssicherheitsarbeit stetig zuoptimieren und auch an neue Entwicklungen anzupas-sen. Wir sprechen uns aus für die Akzeptanz von Stra-ßenverkehrsregelungen. Diese Akzeptanz muss erhöhtwerden. Wir sprechen uns aus für das freiwillige Tragenvon Fahrradhelmen, und wir sprechen uns aus für diefreiwillige Gesundheitsüberprüfung für ältere Verkehrs-teilnehmer. Arnold Vaatz guckt ungläubig. Wir sind unsnoch nicht einig, ab welchem Alter man zu den älterenVerkehrsteilnehmern zählt.
Wir bekennen uns zum Aus- und Neubau von Verkehrs-infrastruktur. Auch Ortsumgehungen sind ein Beitrag fürdie Verkehrssicherheit. Das ist für die CDU/CSU ein be-sonders wichtiger Punkt.Die Verkehrssicherheit in Deutschland ist in den ver-gangenen Jahrzehnten stetig besser geworden. Von 2000bis 2010 ist die Zahl der jährlichen Verkehrstoten umüber die Hälfte auf 3 657 gesunken. Im Vergleich zumNachwendejahr 1991 ist das ein Rückgang um 68 Pro-zent. Wir müssen aber auch feststellen, dass diese Zah-len erstmals seit 2011 wieder leicht angestiegen sind. Eszeigt sich: Wir haben ein hohes Niveau bei der Verkehrs-sicherheitsarbeit, aber das ist nicht selbstverständlich,und auch eine Verbesserung ist nicht leicht zu erzielen.Deutschland verzeichnet im EU-weiten Vergleich ge-messen an seiner Bevölkerungszahl den viertbesten Wertan Verkehrstoten. 1991 lagen wir noch auf Rang 13.Wir stoßen natürlich an Grenzen, wenn wir neue Kon-zepte umsetzen wollen; denn der Fortschritt lässt sichnur noch Schritt für Schritt erzielen. Deshalb wollen wirdie bisherige bewährte Arbeit fortsetzen, aber auch er-gänzen. Vielleicht können wir von unseren Nachbarlän-dern lernen. Ich möchte hierzu zwei Beispiele geben.In Österreich wird sehr erfolgreich ein Mehrphasen-modell bei der Fahrausbildung erprobt und angewandt.Dort ist es so, dass die Fahranfänger nach einigen Mona-ten selbstständigen Fahrens weitere Lerneinheiten absol-vieren müssen. Bei sogenannten Feedbackfahrten unterAnleitung eines Fahrlehrers können Fehler, die sich inden ersten Monaten selbstverständlich einschleichen, re-gistriert, besprochen und abgestellt werden.
Außerdem ist die Teilnahme an einem Fahrsicherheits-training und einem verkehrspsychologischen Gruppen-gespräch verpflichtend. Ich selbst habe an einem solchenGleLndtrvunnnrualouIcSlotrfeWndMdadVFwlewgmsa7VkekduefüK
h stelle fest: Auch in finnischen und französischenchulbussen erfolgt der Einsatz bereits. Was sind Alco-cks? Das sind handygroße Geräte, die Sie vor Fahrtan-itt bedienen müssen. Wenn ein erhöhter Alkoholwertstgestellt wird, lässt sich das Fahrzeug nicht starten.ir meinen, dass die Alcolocks dafür Sorge tragen kön-en, dass Alkoholiker im Straßenverkehr keine Gefähr-ung mehr darstellen. Das halten wir für eine wichtigeaßnahme.
Das sind nur einige Beispiele für wichtige Impulseer zukünftigen Verkehrssicherheitsarbeit, die diese Ko-lition setzen will. Wir fordern die Bundesregierung auf,as ambitionierte Ziel von 40 Prozent weniger jährlichenerkehrstoten bis 2020 anzugehen. Gleichzeitig soll derokus nicht nur auf die Verkehrstoten gerichtet werden,ir müssen auch die Zahl der Schwer- und Schwerstver-tzten reduzieren. Wir brauchen dafür einheitliche Be-ertungsmaßstäbe innerhalb Europas, damit wir ver-leichbare Zahlen miteinander vergleichen können. Wirüssen einen Fokus auf die besonders gefährdeten Per-onen richten; das sind Kinder unter 15 Jahren, Fahr-nfänger zwischen 17 und 24 Jahren und Personen über5 Jahren.Meine Damen und Herren, die Unfallforscher derersicherer kommen zu dem Ergebnis, dass die Ver-ehrssicherheit in Deutschland anders beurteilt wird, alss die Statistik aussagt. Man sagt, dass das Verkehrs-lima rauer geworden ist. Das zeigt uns sehr deutlich: Iner Verkehrssicherheitsarbeit ist weiterhin viel zu tun,nd mit unserem Antrag – so glauben wir – machen wirinen wichtigen Schritt nach vorne.
Vielen Dank, Kollege Gero Storjohann. – Jetzt sprichtr die Fraktion der Sozialdemokraten unsere Kolleginirsten Lühmann. Bitte schön, Frau Kollegin Lühmann.
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Herr Präsident! Sehr geehrte Kollegen und Kollegin-nen! Verehrte Gäste! Seit 20 Jahren sinkt die Zahl derTodesopfer bei Verkehrsunfällen, obwohl die Zahl derVerkehrsteilnehmer in dieser Zeit deutlich gestiegen ist.2011 – mein Vorredner hat es erwähnt – ist sie zum ers-ten Mal wieder gestiegen. Natürlich stellen wir uns alsVerkehrspolitiker die Frage, was wir verkehrt gemachthaben. Ich denke, wir haben nichts verkehrt gemacht.Das sagen uns auch die Experten.Diese Zahl muss uns aber eine Mahnung sein – eineMahnung, dass die Verkehrssicherheitsarbeit niemals zuEnde sein wird. Dem trägt auch der vorliegende Antragder SPD Rechnung. Wir fordern eine ambitionierte, mo-derne Verkehrssicherheitsarbeit für Deutschland. DiesesThema ist augenscheinlich auch von anderen Fraktionenaufgegriffen worden. Schließlich liegen uns auch An-träge der Grünen und der Koalitionsfraktionen vor.Etwas verwundert bin ich allerdings darüber, dass dasKonzept, über das wir heute diskutieren, vom Verkehrs-minister schon vorgelegt wurde. Herr Ferlemann, dassMinister Ramsauer die 40 Empfehlungen des von ihmdazu beauftragten Beirats zum großen Teil ignoriert,wundert mich nur mäßig. Dass aber auch die Beratungendieses Parlaments so wenig Aufmerksamkeit in IhremHause finden, dass Sie das Konzept einfach früher vorle-gen, finde ich doch bedenkenswert, zumal noch nichteinmal alle Ideen Ihrer eigenen Fraktion in dieses Ver-kehrssicherheitskonzept eingeflossen sind.Die SPD fordert in ihrem Antrag die Bundesregierungauf, konkrete Ziele für die Verkehrssicherheitsarbeit zudefinieren und neue Wege auszuprobieren, um die guteArbeit der vergangenen Jahre fortzuführen.Ich erinnere an das Thema Fahranfänger. Der KollegeStorjohann hat es ausgeführt: Diese sind eine besondersgefährdete Gruppe mit einer traurigen Steigerungsrate anVerkehrsunfalltoten. Wir schlagen vor, Maßnahmen zuentwickeln, um eine Lernzeitverlängerung zu erreichen.Das heißt, auch nach dem Erwerb der Fahrerlaubnismüssen Fahranfängern Maßnahmen angeboten werden.Der Koalitionsantrag – wir haben es gehört – erkenntdieses Thema zumindest an. Allerdings ist im Regie-rungsprogramm Fehlanzeige. Das wichtige Thema„Mehrphasenmodell in der Fahrausbildung“ kommt indiesem Programm schlicht nicht vor.Also, Herr Ferlemann, sollte nur einer der heute dis-kutierten Anträge angenommen werden, heißt das fürSie: Nachsitzen! Hausaufgaben machen!
Wenn das Verkehrssicherheitsprogramm also auf-grund der Vorschläge unserer Fachleute sowieso überar-beitet werden muss, dann können wir es auch gleich aufstabile Füße stellen. Denn was bisher vorliegt, ist einenette Sammlung lang bekannter Maßnahmen, die über-sichtlich und sorgfältig zusammengestellt sind. Weit undbreit finden wir aber keine neuen Impulse. Vorausschau-eHTütörümgnsndBkgdliadeicDsleVrefowFdDeMTwVDcVfrerehAucwKsferu
Für die Überwachung ist die Polizei zuständig. Inem Antrag der SPD fordern wir, die Kontrolldichte zurhöhen. In der Diskussion im Verkehrsausschuss habeh von den Kollegen der Koalitionsfraktionen gehört:afür sind wir als Bundesbehörden doch gar nicht zu-tändig. Richtig, Polizeiarbeit ist Ländersache. Das wol-n wir auch nicht ändern. Aber selbst in Ihrem eigenenerkehrssicherheitsprogramm stellen Sie fest, dass zahl-iche der von Ihnen genannten Maßnahmen keinen Er-lg haben werden, wenn die Einhaltung nicht über-acht, also die Kontrolldichte nicht erhöht wird. Welcheolgerungen, Herr Ferlemann, zieht Ihr Minister ausem, was ich eben gesagt habe? Augenscheinlich keine.as ist sicherlich die einfachste Lösung, aber ich haberhebliche Zweifel daran, ob es die sachgerechteste ist.Letzte Woche war ich an der Hochschule der Polizei inünster und habe vor angehenden Führungskräften dashema Verkehrssicherheit angesprochen und dargelegt,elche Wünsche wir als Parlament an die Polizei bei dererkehrssicherheitsarbeit haben. In der anschließendeniskussion haben mir die Teilnehmenden dargelegt, wel-he Rolle sie sich hierbei wünschen. Als Fachleute, dieerkehrsunfälle aufnehmen, Ursachen ermitteln undühzeitig Trends darlegen können, möchten sie gerne inine Arbeit, die sie direkt betrifft und deren Erfolg von ih-r eigenen Leistung abhängt, eingebunden werden. Sieaben recht damit.Unsere Fraktion hält es für unabdingbar, dass sich allekteure verstärkt austauschen und zusammenarbeiten,m das bestmögliche Ergebnis, die Vision Zero, zu errei-hen. Wir sind der Meinung, dass man dieses Themaeiter ausbauen sollte. Man könnte zum Beispiel eineoordinierungsstelle als Bindeglied zwischen der ent-prechenden Unterarbeitsgruppe der Innenministerkon-renz und unserem Verkehrsministerium einrichten.Das Verkehrssicherheitsprogramm der Bundesregie-ng ist überarbeitungsbedürftig; das hat Kollege
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Kirsten Lühmann
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Storjohann dargelegt. Stimmen Sie also auch dem An-trag der SPD zu. Dann können wir mit den Vorschlägen,die auch von den Experten in der Anhörung als notwen-dig erachtet wurden, gemeinsam ein Verkehrssicher-heitsprogramm gestalten, das besser geeignet ist, sichden neuen Herausforderungen moderner Mobilität zustellen – zum Wohle der Menschen in unserem Lande.Herzlichen Dank.
Vielen Dank, Frau Kollegin Lühmann. – Nächster
Redner für die Fraktion der FDP ist unser Kollege Oliver
Luksic. Bitte schön, Herr Kollege.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ichfreue mich, dass unsere umfangreichen Beratungen zurVerkehrssicherheit heute zu einem, denke ich, guten Endekommen. Wir wissen – das wurde zu Recht betont – umdie großen Erfolge der Vergangenheit, die wir alle ge-meinsam erzielt haben. Dennoch ist richtig: 2011 gab eszum ersten Mal wieder einen kleinen Anstieg der Zahlder im Straßenverkehr Getöteten. Das sollte uns in derTat mahnen, uns nicht auf erreichten Erfolgen auszuru-hen.Das, was Kollegin Lühmann eben gesagt hat, kannich voll und ganz unterstreichen: Wir haben in Deutsch-land zahlreiche Verbände sowie ehrenamtliche Helfer,die sich beispielsweise als Schülerlotsen engagieren undbei Kampagnen der Verkehrswacht mitarbeiten. Sie allemachen Deutschland jeden Tag ein Stück weit sicherer.Dafür ist, glaube ich, der Dank aller Fraktionen im Deut-schen Bundestag besonders wichtig und richtig.
Das Thema Verkehrssicherheit geht alle an. Deswe-gen ist es gut und richtig, dass wir uns in der Anhörungso intensiv damit befasst haben. Ich glaube, trotz allerDiskussionen, die geführt werden müssen, haben wir beidiesen Themen sehr viel Gemeinsames entdeckt. Es wareine konstruktive Anhörung. Es ist gut und richtig, dasswir dieses große Fachwissen nutzen.Ich glaube, Einigkeit besteht – das wurde eben ange-sprochen – beim Thema „Verbesserung der Fahrausbil-dung“. Dies muss bald angegangen werden. Die soge-nannte zweite Stufe, also die Betreuung nach der erstenAusbildung, liegt uns als FDP sehr am Herzen. Ich hättemir dazu ein klareres Bekenntnis im Verkehrssicher-heitsprogramm gewünscht. Sie wissen, dass die BASt,die Bundesanstalt für Straßenwesen, aktuell Empfehlun-gen zur Verbesserung der Fahrausbildung ausarbeitet.Ich bin sehr hoffnungsfroh, dass dieser Gedanke dortaufgenommen wird und wir dieses Thema weiter verfol-gen können. Es bietet nämlich großes Potenzial für dieVMwdBhRgSdTWM„pdDlicdisMkimafüdhdtussddglilatizdwFmrumliosbfeä
Von Fahrerassistenzsystemen erwarten wir und erhof-n wir uns besonders viel für die wichtige Gruppe derlteren Fahrer. Da die demografische Entwicklung so ist,
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Oliver Luksic
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wie sie ist, und da wir uns die Unfallzahlen genau an-schauen müssen, ist es wichtig, im Hinblick auf Fah-rerassistenzsysteme mehr zu tun. Das bringt unsererMeinung nach mehr als Drohungen wie der Führerschein-entzug oder eine Pflichtprüfung alle zehn Jahre, wie esdie Grünen in ihrem Antrag fordern. Die Koalitionsfrak-tionen sind der Meinung, dass wir kein Beschäftigungs-programm für bestimmte Berufsgruppen brauchen. Wirwollen die Mobilität erhalten, gerade die der älteren Fah-rer, die wir nicht ausgrenzen wollen. Das ist, glaube ich,ein ganz wichtiger Punkt, den wir festhalten müssen.
Strittig sind immer wieder die Promillegrenzen; daswaren sie auch in den Ausschüssen. Ich glaube, einThema, das wir wirklich angehen müssen – hier wirdwahrscheinlich Konsens bestehen –, ist die Promille-grenze für Radfahrer. Mit 1,6 Promille kann man keinFahrzeug mehr steuern, auch kein Fahrrad. Darüber wirdgerade auch in der einen oder anderen Universitätsstadtheftig diskutiert.
Eine allgemeine 0,0-Promille-Grenze im Straßenver-kehr lehnen wir als unverhältnismäßig ab. Das Problemsind unserer Meinung nach die Fahrer, die 1 Promille Al-kohol und mehr im Blut haben. In der Anhörung hieß eszu Recht, dass es eher um fahrende Trinker als um trin-kende Fahrer geht. Dieses Thema müssen wir angehen,statt diejenigen, die zum Essen ein Bier trinken, zu gän-geln. Das ist unserer Meinung nach falsch.Falsch ist auch die Forderung nach Tempolimits. Esgibt schon heute genug Möglichkeiten, auch innerorts,wie es die Oppositionsfraktionen anregen, überallTempo 30 einzuführen, wenn dies im Hinblick auf dieVerkehrssicherheit notwendig ist. Wir meinen, dass eineumfangreiche Verbotskultur, wie wir sie Ihren Anträgenentnehmen, in die falsche Richtung führen würde.Klar ist – das ist ein weiteres wichtiges Thema, beidem, glaube ich, Konsens besteht –: Wir sollten den Fo-kus mehr auf die Landstraßen richten und die Idee vonder selbsterklärenden und Fehler verzeihenden Land-straße verfolgen. Wir können auch hier über Sicherheits-audits vor möglichen Aus- und Umbaumaßnahmennachdenken, um Unfallschwerpunkte zu entschärfen.Klar ist: Wir müssen gemeinsam an diesem Thema ar-beiten. Zehn Tote pro Tag sind noch immer zu viel. Un-ser Ziel muss eine lebenslange und sichere Mobilitätsein. Dafür stehen die Koalitionsfraktionen.
Vielen Dank, Kollege Oliver Luksic. – Jetzt spricht
für die Fraktion Die Linke unser Kollege Herbert
Behrens. Bitte schön, Kollege Herbert Behrens.
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gelakzeptanz der Bürgerinnen und Bürger geht das nicht.D’accord; das ist richtig.Ohne Geld für Verkehrssicherheitsprogramme geht esaber eben auch nicht. Deshalb haben die Linken undauch die Fachverbände in der Anhörung gefordert, denEtat im Bundeshaushalt für diesen Bereich von 10 auf14 Millionen Euro maßvoll, wie wir denken, zu erhöhen.Sie waren dagegen.Bündnis 90/Die Grünen fordern in ihrem Antrag ei-nen Masterplan. Viele Forderungen stehen darin. Wirsind zwar nicht mit allen Punkten einverstanden, aberdie Richtung stimmt. Vision Zero als oberstes Ziel, Tem-polimits und die Halbierung der Zahl der Verkehrstotenbis 2020 sind die Kernforderungen, die auch wir unter-stützen.Im Antrag der SPD-Fraktion stehen auch viele wich-tige Forderungen, die wir unterstützen können, aber ander entscheidenden Stelle bleiben Sie doch wieder ein-mal zaghaft, und Sie bleiben auch hinter der ForderungIhrer Partei zurück. 2007 beschlossen Sie auf Ihrem Par-teitag, doch Tempo 130 auf den Autobahnen zu fordern.Sie argumentierten mit der Sicherheit und der Umwelt.In Ihrem heutigen Antrag tasten Sie sich jetzt langsamwieder an das Vernünftige und Notwendige heran undfordern ein Tempolimit zunächst für Kleinlaster. Auchbei der Frage von Tempolimits in geschlossenen Ort-schaften wollen Sie nur prüfen, ob Tempo 30 sinnvollist. Ich denke, es wird Zeit zum Handeln.Das Verkehrssicherheitskonzept für die Straßen, dasuns hier von CDU/CSU und FDP vorgelegt wird, bleibthinter dem zurück, was möglich und was notwendig ist.Wir alle wollen doch erreichen, dass niemand mehr imStraßenverkehr zu Schaden kommt. Wir alle wollendoch mehr Sicherheit und Lebensqualität und akzeptie-ren nicht, dass 30 Milliarden Euro volkswirtschaftlicherSchaden nur durch Verkehrsunfälle entsteht. Bei so vielÜbereinstimmung sollte es eigentlich möglich sein, zumehr Gemeinsamkeit zu kommen. Die Regierungsfrakti-onen sind dagegen; das verstehe, wer will.Die Linke will eine solidarische und ökologische Ver-kehrspolitik. Das bedeutet an manchen Stellen Grenzenfür die Starken und aktiven Schutz für die Schwachen.Nur so können wir aber ein faires Miteinander erreichenund die Zahl der Verkehrstoten konsequent verringern.Vielen Dank.
Vielen Dank, Kollege Behrens. – Jetzt für die Frak-
tion Bündnis 90/Die Grünen unser Kollege Stephan
Kühn. Bitte schön, Kollege Stephan Kühn.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mit demVerkehrssicherheitsprogramm der Bundesregierung istdie große Chance verpasst worden, ein ambitioniertesGesamtkonzept für das Thema Verkehrssicherheit vorzu-legen. Die Vision Zero, das heißt, die Zahl der Verkehrs-toUgridtoßgzdVzAmdDdsnMvAssbfaApsDgsaszwgdisNBligA
Dazu zählen die Einführung eines Tempolimits aufutobahnen, die Einführung von Tempo 30 als Regelge-chwindigkeit, Herr Kollege Luksic, innerhalb von Ort-chaften – das hat auch das Europäische Parlament soeschlossen – sowie ein striktes Alkoholverbot für Auto-hrer. Symbolpolitik ersetzt keine Ordnungspolitik.
nstatt Klaviermusik-CDs wie „Adagio im Auto“ zuroduzieren, sollte sich der Verkehrsminister an die Um-etzung dieser Maßnahmen machen.
ie Versuche zum Thema Alkoholverbot für Fahranfän-er wurden doch erfolgreich durchgeführt und habenich bewährt. Warum gilt dieses Verbot dann nicht fürlle? Der Deutsche Verkehrssicherheitsrat fordert daseit Jahren.Die Zahl der getöteten Fußgänger ist im Vergleichum Jahr 2010 um dramatische 25 Prozent gestiegen. Ichill kurz beschreiben, welchen Unterscheid Tempo 30egenüber Tempo 50 macht. Auf trockener Fahrbahn ister Bremsweg bei Tempo 30 12 Meter lang, bei Tempo 50t er 26 Meter lang.
ach 12 Metern ist man immer noch 45 km/h schnell.ei dieser Geschwindigkeit ist die Gefahr lebensbedroh-cher Verletzungen sehr hoch. Darum besteht hier drin-ender Handlungsbedarf.Von Minister Ramsauer hören wir im Wesentlichenppelle zur Verhaltensänderung an die ungeschützten
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Stephan Kühn
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Verkehrsteilnehmer, wie beispielsweise der Hinweis anRadfahrer, Helme zu tragen, oder an Schulkinder, Warn-westen überzuziehen. Es geht offenbar nicht darum, denVerkehr für die ungeschützten Verkehrsteilnehmer siche-rer zu machen und den Verkehr entsprechend anzupas-sen. Vielmehr entsteht der Eindruck, dass die Bundes-regierung den Schwerpunkt eher auf die Vermeidungvon Unfallfolgen anstatt auf die Vermeidung von Ver-kehrsunfällen legt.Gerade beim Radverkehr zeigt sich deutlich, dass dieFahrradinfrastruktur nicht auf dem Stand der Technik ist.Die Konsequenz der Bundesregierung: Die Ausgabenfür den Bau von Radwegeanlagen entlang von Bundes-straßen wurden von 100 Millionen Euro im Jahr 2010auf 60 Millionen Euro im Jahr 2012, also um 40 Prozent,gekürzt.Bekleidungsvorschriften, meine Damen und Herrenvon der Koalition, für Fahrradfahrerinnen und Fahrrad-fahrer verhindern keine Unfälle, Sicherheitstechnik inFahrzeugen allerdings schon. Dazu zählen beispiels-weise Abbiege- und Bremsassistenten für Lkw, Türöff-nerwarnung und dergleichen mehr. Diese Systeme sindaber alle nicht verpflichtend. Entsprechend gering ist dieMarktdurchdringung, gerade auch bei den Pkw.Unfälle und deren Folgen verursachen jährlich volks-wirtschaftliche Kosten in Höhe von über 30 MilliardenEuro. Mehr Verkehrssicherheit erspart nicht nur Leid,sondern sie spart auch Geld. Dafür ist es notwendig, klugin die Verkehrsinfrastruktur und auch in die Aufklä-rungsarbeit zu investieren. Für mich ist daher unver-ständlich, warum der Haushaltsansatz für die Verkehrs-erziehungsmaßnahmen seit Jahren stagniert. Es ist eineindirekte Kürzung, wenn der Haushaltsansatz nicht auf-wächst.Im Übrigen wird überall von lebenslangem Lernengesprochen, nur in der Mobilitätserziehung nicht. Es gibteine Konzentration auf den vorschulischen Bereich unddie Grundschule. Dann bricht es massiv ab. Auch hierwürde ich mir eine Initiative der Bundesregierung wün-schen, die ich aber nicht erkennen kann.
Kommen wir zur Verkehrsinfrastruktur. Es gibt keineEinführung systematischer Sicherheitsaudits, obwohl dieuns viel Geld sparen würden. Es ist nämlich teurer, dieInfrastruktur erst nach Unfällen umzubauen. Wir habenauch kein durchgängiges Prinzip bei Straßenplanung undBau, das „selbsterklärende Straße“ heißt. Wir versuchendamit, den Straßenraum so zu gestalten, dass dem Ver-kehrsteilnehmer de facto das richtige Verhalten vorgege-ben wird.Sichere Verkehrsanlagen wären durch sichere Ge-schwindigkeit möglich. Auch das spart Geld. Es ist einUnterschied, ob eine Autobahn für Tempo 120 oder eineVerkehrsanlage ohne Geschwindigkeitsbegrenzung ge-plant wird. Man kann Platz sparen, und man kann auchimretuDawds6lealibdkHdddcswtisMGd
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man es nicht oft genug sagen. Denn es geht um vermie-denes menschliches Leid. Es geht um Gesundheit undum Sachwerte, die erhalten bleiben.Trotzdem will ich mich in meinen Ausführungenkurzfassen und nur auf einige aus meiner Sicht wichtigeFaktoren hinweisen. Zusammengefasst sind es drei Fak-toren, die maßgeblich zum Erfolg beitragen, aber natür-lich auch zum Misserfolg führen können, nämlich derMensch, unsere Infrastruktur und die Technik. Es ist derMensch, der vorsichtig fährt, Gefahrensituationen trai-niert hat, gut informiert ist, aber auch durch Radarblitzoder Bußgeld belehrt wird. Auch das gehört dazu. Essind aber auch die Menschen, die ehrenamtlich für dieVerkehrssicherheit arbeiten und die bei der Verkehrs-wacht und beim Verkehrssicherheitsrat, in den Automo-bilclubs, beim THW, der Feuerwehr oder in den Hilfs-organisationen Verkehrsteilnehmer schulen, mit ihnenüben, ihnen helfen und ihnen das Leben retten. Ihnen giltunser Dank.Mit den Investitionen in die Straßeninfrastruktur sor-gen wir immer auch ein Stück weit für mehr Verkehrs-sicherheit, sei es, wenn es um die Kreuzungsgestaltung,die einen Fehler verzeiht, um die Entschärfung gefährli-cher Kurven oder um Ortsumgehungen geht. Ortsumge-hungen sind in erster Linie für die Menschen gedacht.Für mich steht das Schutzgut Mensch noch immer anerster Stelle, gefolgt von Flora, Fauna und Habitat.
Neben den Straßen ist es die Technik der Fahrzeuge,die das Fahren sicherer gemacht hat. Knautschzone, Si-cherheitsgurt, ABS und ESP tragen maßgeblich dazubei. Man könnte sagen: alles auf gutem Weg, alles imgrünen Bereich. Trotzdem will sich die christlich-libe-rale Koalition mit dem Erreichten nicht zufriedengeben.Wir haben frühzeitig unsere Konzepte in einem Antragformuliert. Die anderen Fraktionen sind dem gefolgt.Der Mensch steht für uns weiterhin im Mittelpunkt. Des-wegen ist es für uns wichtig, bewährte Programme zuInformation und Ausbildung fortzusetzen. Die Mittel-ausstattung für die Verkehrswacht und den Verkehrs-sicherheitsrat ist gewährleistet, natürlich immer mitBlick auf die gesamte Haushaltslage.Ordnungsrecht hilft nicht immer. Eine Verschärfungvon Vorschriften allein, Einschränkungen oder gar Ver-bote für zum Beispiel jüngere oder ältere Fahrer sindkeine Lösung. Immer neue Maßregeln führen sehrschnell dazu, dass die Akzeptanz bei den Bürgern sinktund wir am Ende das Gegenteil erreichen. Ständige Ver-bote helfen nicht wirklich. Außerdem handelt der weitgrößte Teil verantwortungsvoll. Die Menschen haben einRecht auf weitreichende, selbstbestimmte Mobilität. Un-ser Ziel ist nicht, noch mehr Vorschriften zu erlassen.
Das gilt auch im Hinblick auf die jungen Fahranfänger.Sie rechtzeitig auf Gefahren hinzuweisen und ihnen zuhelfen, ist besser, als mit Verboten schützen zu wollen.Das begleitete Fahren mit 17 ist ein gelungenes Beispieldafür. Wir sollten die Modellversuche, die das Moped-fahren mit 15 ermöglichen, konstruktiv begleiten.mmhvshhewSrabliuhwnmMgEwRHgKddhkWDsgkaVremtee2toskL
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Wir brauchen Bewertungskriterien. Herr Storjohann, Siehaben, glaube ich, angesprochen, dass wir zu einer Ver-gleichbarkeit kommen müssen. Das alles ist Technik.Wir müssen die Zahl der Verkehrstoten, die Zahl der Un-fälle an sich reduzieren.
Die Untersuchungen des Wissenschaftlichen Beiratsbeim Bundesverkehrsminister, aber auch die Empfehlun-gen, die von der Deutschen Verkehrswacht und vomDeutschen Verkehrssicherheitsrat aufgrund von Erfah-rungen gegeben worden sind, stellen besondere Risiko-gruppen und Gefahrenbereiche in den Mittelpunkt derBetrachtung. Die schwächeren Verkehrsteilnehmer – dassind Kinder, ältere Menschen, aber auch Jugendlichezwischen 15 und 17 Jahren, die keine Erfahrung haben –müssen weiterhin im Fokus bleiben, ebenso Kraftradfüh-rer. Die Zahl der getöteten Motorradfahrer wird voraus-sichtlich um 13 Prozent steigen. Um diese Gruppen müs-sen wir uns in der Präventionsarbeit noch stärkerkümmern.Die meisten Verkehrsunfälle – das ist eine Tatsache –ereignen sich auf Landstraßen. Wir haben dort ungefähr60 Prozent der Verkehrstoten zu beklagen. Ich will damitjedoch nicht sagen, dass wir im Deutschen Bundestagoder im Bereich der Verkehrssicherheitsarbeit jetzt eineDiskussion über Alleen in Deutschland führen sollten;denn nicht die Alleen sind Ursache von Verkehrsunfällen,sondern Ursache ist die unangepasste Verhaltensweise imVerkehr, nämlich von risikobereiten oder – sagen wir eseinmal richtig – verantwortungslosen Verkehrsteilneh-mern. Das müssen wir, denke ich, in der Diskussion überPräventionsmaßnahmen, über Präventionsarbeit in denMittelpunkt stellen.Wir müssen sagen, worum es geht. Es geht um Alko-holgenuss, es geht um unangepasste Geschwindigkeit,und es geht um riskante Überholmanöver. Das sind dieUrsachen von Verkehrsunfällen; Ursache ist nicht dieAllee und auch nicht der Straßenbaum.Die Unfälle wären weitestgehend vermeidbar, wennwir alle – ich sage ganz bewusst: wir alle – uns an dieGrundregeln der Straßenverkehrsordnung halten wür-den, wie sie in § 1 definiert sind: Vorsicht und gegensei-tige Rücksichtnahme; Gefahrenminimierung.
Das ist der zentrale Appell, der auch aus dieser Diskus-sion hinausgehen muss und der von den Ehrenamtlern inGesprächen mit Verkehrsteilnehmern immer wieder inden Vordergrund gestellt wird.Hier ist heute schon über Geld gesprochen worden;ich will das auch noch einmal tun. Liebe Kolleginnenund Kollegen von der Koalition, Sie haben wider besse-res Wissen gegen eine moderate Erhöhung der Verkehrs-sicherheitsmittel gestimmt. Die SPD-Bundestagsfraktionhat Anträge im Verkehrsausschuss und im Haushaltsaus-schuss gestellt. Wir haben damit auch Forderungen derDeutschen Verkehrswacht und des Deutschen Verkehrs-shngwPhrülecBnupFeksPdzPasdAMMhUle
Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kol-gen! Den Letzten beißen bekanntlich die Hunde.
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Daniela Ludwig
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Fast alle guten Vorschläge sind von der einen oder ande-ren Seite schon unterbreitet worden. Ich möchte aberschon noch eines sagen, da ich öfter hörte, die Unions-fraktion wagt es, in ihrem Antrag über das aktuelle Ver-kehrssicherheitsprogramm ihres eigenen Ministers hi-nauszugehen: Es ist wohl der Sinn des Parlamentarismus,dass wir nicht nur unserer Regierung blind hinterherhop-peln,
sondern dass wir auch eigenständig Vorschläge machenund in der Lage sind, diese schriftlich zu formulierenund einen Antrag vorzulegen.
Da wir unseren geschätzten Minister gut kennen, wis-sen wir, dass er selbstverständlich alle diese Vorschlägewohlwollend in sein Programm aufnehmen wird.Es ist bereits häufiger die Statistik genannt worden.Einerseits ist bis einschließlich 2010 die Zahl der Ver-kehrstoten deutlich zurückgegangen, andererseits hatwohl 2011, begünstigt durch das sehr milde Klima imFrühjahr und damit durch eine früh beginnende Motor-radsaison, die Zahl der Verkehrstoten zugenommen. Dasist dramatisch, und wir sollten uns nicht wegducken; dasist völlig klar. Ich schließe mich aber all jenen Vorred-nern an, die sagten – ich würde es in einem Satz zusam-menfassen –: Technik und Theorie ersetzen nicht die Ei-genverantwortung im Verkehr. Herr Kollege Hacker, Siehaben mir dabei wirklich aus der Seele gesprochen, undauch mein Kollege Vogel sprach es an. Wenn wir unsalle im Verkehr nicht verantwortlich verhalten – dabeigenügen wirklich einige wenige Prinzipien, an die mansich zu halten hat –, dann helfen alle guten Appelle,wünschenswerten Maßnahmen sowie technischen Ein-richtungen in Pkw und Lkw relativ wenig. Die Fahrermüssen damit klarkommen, was ihnen die Technik vor-gibt. Dies muss für uns alle das Leitbild sein, wenn wirüber Verkehrssicherheit sprechen.Es gab in den letzten Jahren gute Kampagnen, dierichtig waren. Sie alle kennen die Plakate „Runter vomGas!“ mit markanten Fotos, die uns, denke ich, alleschon an den unterschiedlichsten Stellen dieser Republikerschüttert haben.Wir alle haben uns über den Erfolg des begleitetenFahrens ab 17 gefreut. Aus einem Modellversuch ist nuneine dauerhafte Einrichtung geworden. Dies haben wirsowohl unseren beiden Regierungsfraktionen als auchdem Verkehrsministerium zu verdanken. Wie gesagt, dasbegleitete Fahren ist ein sehr wichtiger Punkt in dieserLegislaturperiode. Es hatte schon vorher große ErfolgeaggtenShdFteteLgwterebevsbguleVwPpruMicnshHddkQzWrüdsbESs
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 152. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. Januar 2012 18215
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Wir kommen zur Abstimmung über die Beschluss-empfehlung des Ausschusses für Verkehr, Bau undStadtentwicklung auf Drucksache 17/8341.Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe a seinerBeschlussempfehlung die Annahme des Antrags derFraktionen der CDU/CSU und FDP auf Drucksache17/5530 mit dem Titel „Die Verkehrssicherheit inDeutschland weiter verbessern“. Wer stimmt für dieseBeschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Werenthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist mit denStimmen der Unionsfraktion und der FDP-Fraktion beiEnthaltung der SPD-Fraktion, der Fraktion Die Linkeund der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen.Unter Buchstabe b empfiehlt der Ausschuss dieAblehnung des Antrags der Fraktion der SPD aufDrucksache 17/5772 mit dem Titel „Sicher durch denStraßenverkehr – Für eine ambitionierte Verkehrssicher-heitsarbeit in Deutschland“. Wer stimmt für diese Be-schlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent-hält sich? – Die Beschlussempfehlung ist mit denStimmen der Unionsfraktion und der FDP-Fraktion ge-gen die Stimmen der SPD-Fraktion und der FraktionBündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung der Fraktion DieLinke angenommen.Schließlich empfiehlt der Ausschuss unter Buch-stabe c seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung desAntrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Druck-sache 17/7466 mit dem Titel „Masterplan Straßenver-kehrssicherheit – Ambitioniertes Nationales Verkehrssi-cherheitsprogramm 2011–2020 vorlegen“. Wer stimmt fürdiese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? –Wer enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist mit denStimmen der Unionsfraktion und der FDP-Fraktion ge-gen die Stimmen der Fraktion Die Linke und der Frak-tion Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung der SPD-Fraktion angenommen.Ich rufe Tagesordnungspunkt 6 auf:Beratung des Antrags der Abgeordneten KerstinTack, Dr. Carsten Sieling, Willi Brase, weitererAbgeordneter und der Fraktion der SPDVerbraucherschutz stärken – Honorarbera-tung etablieren– Drucksache 17/8182 –Überweisungsvorschlag:Finanzausschuss
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft undVerbraucherschutz
RechtsausschussAusschuss für Wirtschaft und TechnologieAusschuss für Arbeit und SozialesFederführung strittigNach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für dieAussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. – Ichhöre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Kolle-gin Kerstin Tack für die SPD-Fraktion.
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18216 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 152. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. Januar 2012
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darf es keiner Provision, auch nicht einer, die an denKunden fließt. Wir brauchen daher als Grundvorausset-zung der Honorarberatung Nettotarife für die Produkte.Wir möchten, dass die Anbieter auch dazu verpflichtetwerden. Damit die Honorarberatung funktioniert und diePalette der Angebote groß ist, brauchen wir eine stärkereAusweitung der Nettotarife. Das müssen wir regeln.Ein weiterer Grundpfeiler zur Herstellung des nötigenVertrauens in die Honorarberatung wird auch sein, dassdie Honorarberaterinnen und Honorarberater in allen Be-reichen des Finanzmarktes inhaltlich beraten können undentsprechend qualifiziert sind. Ob ein Versicherungs-oder ein Kapitalanlageprodukt besser geeignet ist, istebenso zu bewerten wie die realistische Möglichkeit ei-ner Darlehensaufnahme. Deshalb fordern wir für denHonorarberater die Kenntnisse in allen Teilbereichen.Expertenwissen ist gut und richtig, aber man muss auchandere Produkte mit abwägen, wenn man den Verbrau-cher oder die Verbraucherin adäquat beraten will.Besonders wichtig zur Regelung der Honorarberatungist der Schutz vor schwarzen Schafen durch klare Wohl-verhaltensregeln und eine geeignete Fachaufsicht. DieBeaufsichtigung der Honorarberater in fachlicher Hin-sicht kann aus unserer Sicht ausschließlich durch dieBaFin erfolgen.
Die Zersplitterung der Aufsicht zwischen den Gewer-beämtern auf der einen Seite und der BaFin auf der ande-ren Seite, wie wir sie in den letzten Monaten erlebt ha-ben, ist aus unserer Sicht – das haben wir häufig genuggesagt – die falsche Konsequenz aus der Finanzmarkt-krise. Deshalb fordern wir ganz klar eine Zentralisierungder Aufsicht bei der BaFin.Aus unserer Sicht sind die Einheitlichkeit des Finanz-vertriebes, eine einheitliche Aufsicht und einheitlichePflichten wichtig. Das soll unabhängig von der Fragesein, wer die Aufsicht durchführt und um welches Pro-dukt es sich handelt. Daneben gilt – auch das habe ichschon gesagt; da befinden wir uns in Übereinstimmungmit dem MiFID-Entwurf –: Wir wollen eine vollständigeBefreiung von Provisionszahlungen für die Honorarbe-ratung. Das ist konsequent.
Ich komme zum Schluss. Dass die Regierungskoali-tion heute der Verbraucherministerin die Zuständigkeitfür dieses Thema wegnehmen will, ist hoffentlich demWillen geschuldet, dass man es tatsächlich rasch regelnwill. Denn wir wissen: Die Verbraucherministerinkommt in der Regel über den Status einer Ankündigungnicht hinaus.
Wir halten die Anbindung an den Verbraucherschutzfür wichtig, weil dieses Thema Teil des Anlegerschutzesist. Ich möchte Sie daher dringend bitten, der Verbrau-cherministerin lieber eine deutliche Ansage zu machen,hzUwdKraSbAbsefübdasdehBtusgrasdGgraagpIhpZisw
Das Wort hat der Kollege Ralph Brinkhaus für die
nionsfraktion.
Liebe Kollegin Tack, wir müssen niemandem etwasegnehmen. Wir haben nur gute Minister. Darin liegter Unterschied zwischen dieser Koalition und anderenoalitionen.
Wir beschäftigen uns natürlich mit dem Thema Hono-rberatung. Sie haben es gerade schon erläutert: Wennie in Deutschland ein Finanzprodukt kaufen, wenn Sieeraten werden oder eine Vermittlungsdienstleistung innspruch nehmen, dann wird der Dienstleister dadurchezahlt, dass er eine Provision bekommt. Das hat sicheit Jahrzehnten so entwickelt. Die Marktanteile sindntsprechend.Jetzt mag man auf die Idee kommen: Wenn jemandr Produktvermittlung oder -beratung eine Provisionekommt, dann hat er vielleicht ein Interesse daran, Pro-ukte, die stärker provisioniert sind, mehr zu verkaufenls die Produkte, die für den Kunden vielleicht das Besteind. Schlaue Menschen haben dies erkannt und sind aufie Idee gekommen, eine Beratung zu organisieren, dieben nicht von der Provisionierung eines Produktes ab-ängt, sondern deren Vergütung an den Zeitaufwand deseraters gekoppelt ist. Man kauft sich sozusagen Bera-ngszeit. Das nennt man Honorarberatung.Die Honorarberatung ist bereits am Markt, übrigenschon lange. Steuerberater machen Vermögensplanun-en. Banken und Freiberufler führen entsprechende Be-tungen durch. Das heißt, es ist nichts Neues. Aber an-cheinend hat sich dieses Produkt noch nicht richtigurchgesetzt. Das mag mehrere Gründe haben. Einrund dafür ist, dass schlichtweg die Rahmenbedingun-en für das Berufsbild und für das Handeln des Hono-rberaters fehlen. Genau das hat die von Ihnen ebenngesprochene Verbraucherministerin, Frau Aigner, auf-egriffen und hat im Sommer des letzten Jahres ein Eck-unktepapier vorgelegt. Da viele Punkte, die auch Sie inrem Antrag adressiert haben, in diesem Eckpunkte-apier bereits behandelt worden sind, möchte ich mir dieeit nehmen, kurz darauf einzugehen.Die erste Frage, mit der wir uns beschäftigen müssen,t: Wie sieht denn eigentlich das Berufsbild aus? Wollenir einen Finanzberater, der allumfassend berät? Wollen
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Ralph Brinkhaus
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wir eine Aufteilung machen, sodass wir Anlageberater,Versicherungsberater, die es im Übrigen schon gibt, undDarlehensberater haben? Diese Fragen müssen wir klä-ren. Denn wir wollen ein Qualitätsprodukt haben, unddementsprechend müssen wir uns Gedanken machen.Die zweite Frage, die ebenfalls mit der Qualität derProdukte zu tun hat, betrifft die Qualifikation. Wir müs-sen eine möglichst gute Qualifikation für diese Beraterorganisieren. Im Übrigen müssen wir – auch das ist imEckpunktepapier von Frau Aigner enthalten –
durch eine laufende Fortbildung sicherstellen, dass dieseQualifikation erhalten bleibt. Ich denke, das ist gut undrichtig.Die nächste Frage, die zu beachten ist, ist, wie dieseBeratung stattfinden soll. Wir finden im Wertpapierhan-delsgesetz Wohlverhaltenspflichten. Das heißt, es wirdfestgelegt, wie eine Beratung ablaufen soll und was do-kumentiert werden soll. Auch das wollen wir haben.Frau Aigner hat diesen Punkt ebenfalls angesprochen.Ein weiterer Punkt ist die Vergütung. Wollen wir eineGebührenordnung wie bei Rechtsanwälten und Steuer-beratern, oder soll die Vergütung frei vereinbart werdenkönnen? Wie hoch sind die Stundenhonorare? Auch dasmuss geklärt werden, und auch das ist adressiert.Wir müssen die Schnittmenge zwischen Vermittlungund Beratung organisieren. Wenn jemand zu einem Be-rater geht und dieser das Produkt der Bank X empfiehlt,dann wird der Kunde nicht unbedingt zur Bank X gehenund sagen, dass ihm sein Berater dieses Produkt empfoh-len hat und er nun dieses Produkt bei der Bank kauft.Der Kunde wird vielmehr erwarten, dass der Berater ei-nen Kauf vermittelt. Auch das muss organisiert werden.Wir brauchen die Unabhängigkeit der Berater. Das istein ganz wichtiger Punkt. Was machen wir, wenn ein Be-rater für ein Bankhaus arbeitet? Ist er dann unabhängigoder nicht? Gibt es da Chinese Walls oder ähnlicheDinge? Wir müssen uns mit der Frage beschäftigen, wiedie Aufsicht über diese Berater organisiert wird. Machenwir es analog zu den Versicherungsberatern und -ver-mittlern in der Gewerbeordnung? Oder machen wir esüber die BaFin wie bei den Bankberatern?Wir müssen uns mit einem ganz wichtigen Thema be-schäftigen. Versicherungsprodukte gibt es in der Regelnur mit Provision. Wollen wir Nettoprodukte anbieten?Wollen wir die Provision durchleiten? Hier kommen wirvielleicht zu etwas anderen Schlüssen als Sie.Ein weiteres wichtiges Thema ist: Wir brauchen eineÜberleitung für diejenigen, die heute als provisionsge-triebene Berater tätig sind und dies dann auf Honorarba-sis machen wollen.Das Letzte ist – auch das hat Frau Aigner adressiert –:Wir brauchen eine steuerliche Gleichbehandlung derProvisionsberatung und der Honorarberatung.Wenn Sie in dem einen oder anderen Punkt zu ande-ren Schlussfolgerungen und Ergebnissen gekommensind – es findet sich vieles von dem, was Frau AignervddDDlitigDdzWnwsmcKgnsnsewasEVomshtedMDÜhEdptusimvIhIhE
ie Frage haben Sie eben schon beantwortet. Sie sagen:as geht alles nicht schnell genug. Wir wollen das amebsten sofort haben. – Es ist das Privileg der Opposi-on, zu sagen: Es ist alles ganz einfach. Wir wollen allesanz schnell.
ie Regierung arbeitet nicht schnell genug. – Es ist aberie Aufgabe der Regierung, vor den Mühen der Ebeneu warnen und entsprechende Detailregelungen auf deneg zu bringen. Genau das möchte ich jetzt tun.Ich habe als letzten Punkt des Eckpunktepapieres ge-annt, dass wir eine steuerliche Gleichstellung habenollen. Wenn Sie heute eine Krankenversicherung ab-chließen, können Sie die Provision teilweise im Rah-en Ihrer Vorsorgeaufwendungen steuerlich geltend ma-hen. Bei einer Honorarberatung würde zu fragen sein:ann man das Beratungshonorar für eine ganze Stundeeltend machen? Oder muss man eine Aufteilung vor-ehmen, wie lange man vielleicht für eine Krankenver-icherung, für eine Haftpflichtversicherung oder für ei-en Aktienfonds beraten wurde? Das alles wirdteuerlich unterschiedlich behandelt. Dadurch ergibt sichine sehr große Komplexität. Darauf möchte ich nur hin-eisen.Wenn wir über Steuern sprechen, müssen wir unsuch die Frage stellen: Wie sieht es mit dem Steuersub-trat aus? Verlieren wir Steuern? Gewinnen wir Steuern?in kleiner Hinweis: Auf welcher Grundlage wird dieersicherungsteuer berechnet? Nur auf den Nettobetragder auf den Nettobetrag und die Provision? Auch dasuss geklärt werden; denn wir wollen kein Steuersub-trat verlieren. Das ist ein weiterer komplexer Sachver-alt. Das könnte man vielleicht noch gut lösen.Wir haben aber noch eine andere Frage zu beantwor-n. Frau Kollegin, auch Sie haben darauf hingewiesen,ass auf europäischer Ebene bei der Überarbeitung deriFID über unabhängige Beratung nachgedacht wird.arüber hat man sich Gedanken gemacht. Das wird imbrigen noch in Ratsarbeitsgruppen besprochen. Daseißt, dass die Ergebnisse noch nicht feststehen. Diesenindruck haben Sie aber erweckt. Es geht nicht nur umie Überarbeitung der MiFID, sondern auch um die Hy-othekardarlehensrichtlinie, die bei der Darlehensbera-ng eine Rolle spielen wird und bei der wir noch nichtehr weit gekommen sind. Wir haben auch die Absicht, Bereich der Versicherungsvermittler Änderungenorzunehmen. Auch das muss beachtet werden.Jetzt könnten Sie sagen: Liebe Koalitionsfraktionen,r seid doch an vielen anderen Stellen vorangegangen.r habt zum Beispiel bei den Leerverkäufen nicht aufuropa gewartet. Bei der Bankenrestrukturierung habt
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ihr nicht auf Europa gewartet. Auch an vielen anderenStellen wart ihr Avantgarde. Da sind euch andere ge-folgt. – Das ist richtig; nur, in diesem Bereich haben wireine etwas andere Situation. Wenn wir jetzt das Berufs-bild eines Honorarberaters entwerfen, Menschen sichdarauf einstellen, Menschen sich weiterbilden und wir,nachdem die Regelung vielleicht ein halbes Jahr in Kraftist – je nachdem, wie schnell die Überarbeitung vonMiFID vonstatten geht –, sagen müssen: „Ätsch! Daswar alles nicht richtig; du musst dich ein weiteres Malumstellen“, dann haben wir eine Menge Vertrauen ver-spielt. Deswegen müssen wir genau beachten, wie wirdiesen Spagat schaffen: Auf der einen Seite ist das derWille, etwas schnell auf den Weg zu bringen, auf der an-deren Seite die Absicht, bei der ganzen Sache im euro-päischen Geleitzug, also im europäischen Kontext, zuverbleiben. Darauf haben Sie keine Antwort gegeben. Esgefällt mir nicht, dass Sie in Ihrem Antrag dargestellt ha-ben: Es ist doch alles ganz einfach; alles liegt auf demTisch. – Sie haben die Komplexität ausgeblendet, undSie haben vor allen Dingen die europäische Dimensionausgeblendet.Ein kleiner Exkurs zu Europa. Unabhängig davon,wie schnell wir mit unserem Gesetz vorankommen – wirsollten tunlichst daran arbeiten, eine Position zu formu-lieren, aus der hervorgeht, wie wir uns europäische Re-gelungen vorstellen. Hier haben wir meines Erachtensnoch Nachholbedarf, den es zu beheben gilt.Mir gefällt an Ihrem Antrag nicht nur nicht, dass Siesagen: Das ist alles ganz einfach. Warum macht ihr dasnicht? Das müsste ja alles viel schneller gehen. – So istes ja in der Tat auch nicht. Ebenso gefällt mir nicht, dassSie ein Schwarz-Weiß-Bild zeichnen: auf der einen Seitedie böse Provisionsberatung, die provisionsgetriebeneVermittlung, und auf der anderen Seite die gute Honorar-beratung.
Provisionsberatung ist nicht zwangsläufig böse oderschlecht.
Sie ist in vielen Bereichen sehr erfolgreich und wird invielen Fällen, gerade bei kleineren Investitionssummenund bei Kunden, die nicht über die Mittel verfügen, hö-here Beratungshonorare zu zahlen, der Sache sehr ge-recht. Wir haben sehr stark daran gearbeitet, dass dieprovisionsgetriebene Beratung und Vermittlung besserwird, im Bereich der Banken und auch im Bereich derfreien Vermittler. Sie haben es angesprochen. Diese Bun-desregierung hat mit den Koalitionsfraktionen schonsehr viel auf den Weg gebracht.Ebenso wenig gefällt mir – da bin ich immer nochsehr stark Marktwirtschaftler –, wenn Sie sagen: Nach-dem wir alles entsprechend organisiert haben, müssenwir Aufklärungskampagnen durchführen usw. – das sinddie Punkte 11 und 12 in Ihrem Papier –, um dieses Pro-dukt so richtig zu pushen.
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Zusammenfassend kann man Folgendes sagen: Dietoßrichtung Ihres Antrags ist richtig; das deckt sichuch mit dem Papier von Frau Aigner. Wir sind sehr da-n interessiert, in Deutschland eine vernünftige Hono-rberatung auf den Weg zu bringen, weil wir meinen,ass das eine gute Alternative zur Provisionsberatungt. Dafür müssen wir ein Regelwerk und einen Rahmenchaffen. Dabei muss es aber bleiben; denn das Produktuss sich, wie gesagt, selber durchsetzen. Dabei müssenir im europäischen Kontext bleiben. Wir müssen alsorüfen, ob wir auf die europäischen Entwicklungen zu-arten müssen oder ob wir diesen Prozess eher schaffen.Letzter Punkt. Wenn wir diese Rahmenbedingungenut gesetzt haben, dann liegt es am Markt und an denerbraucherinnen und Verbrauchern, die Entscheidungu treffen, welches Produkt – Honorarberatung oder pro-isionsgetriebene Beratung – für sie besser ist. Ich ver-aue den Menschen in diesem Land, dass sie die richtigentscheidung treffen.Danke schön.
Das Wort hat die Kollegin Caren Lay für die Fraktion
ie Linke.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen underren! Es gibt genügend Beispiele für schlechte Fi-anzberatung. Da werden alten Menschen Lebensversi-herungen mit 30-jähriger Laufzeit angedreht, garniertit dem Hinweis, das sei dann noch gut für die Erben.der denken wir an die Lehman-Zertifikate: Ohne dieohen Provisionen für die Finanzberater wären dieseertifikate kaum in die Hände von so vielen Kleinanle-erinnen und Kleinanlegern gelangt. Doch so habenahlreiche Menschen ihre Ersparnisse verloren.Das alles ist nur die Spitze des Eisbergs. Jährlich ver-eren Verbraucherinnen und Verbraucher 20 bis 30 Mil-arden Euro allein durch Falschberatung; das sind dieahlen der Bundesregierung. Deswegen bin ich der An-icht: Solange Finanzprodukte gegen Provision verkaufterden, so lange kann die Beratung nicht unabhängigein. Denn nach dieser Logik ist es ganz selbstverständ-
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Caren Lay
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lich, dass das verkauft wird, was Provision bringt. Je hö-her der Verkaufswert, desto besser ist es natürlich fürden Verkäufer. Meist handelt es sich dabei genau um dieFinanzprodukte, die besonders riskant sind oder die einebesonders hohe Laufzeit haben. Das geht zulasten derVerbraucherinnen und Verbraucher. Deswegen sagen wirals Linke: Die provisionsgetriebene Beratung muss per-spektivisch überwunden werden.
Es handelt sich nicht um Einzelfälle. In sehr vielenFinanzinstituten gibt es Vertriebsvorgaben für dieFinanzberater. Darunter leiden auch die Beschäftigten.Inzwischen beschäftigen sich auch die Gewerkschaftenmit diesem Problem.Im Laufe der Zeit ist über dieses Thema schon mehr-fach diskutiert worden; das zeigt, wie dringlich es ist.Herr Kollege, ich darf daran erinnern, dass es die Minis-terin Aigner war, die bereits im Jahr 2009 angekündigthat, dass die Honorarberatung gestärkt werden müsseund im Jahr 2010 ein entsprechender Gesetzentwurf vor-gelegt werde. Nach meinem Kalender schreiben wir jetztdas Jahr 2012; aber es liegt noch immer kein Gesetzent-wurf oder ein Antrag der Koalition oder der Bundesre-gierung vor.
Das kostet die Verbraucherinnen und Verbraucher zigMilliarden Euro. Das muss endlich ein Ende haben. DieBundesregierung muss in dieser Frage endlich handeln.Die Linke hat bereits am Anfang dieser Legislatur-periode einen umfassenden Antrag vorgelegt, in demsehr viele Themen angerissen wurden, die helfen sollen,den Nachholbedarf beim Thema finanzieller Verbrau-cherschutz zu decken. In dem Zusammenhang haben wirdie Bundesregierung bereits damals aufgefordert, die un-abhängige Finanzberatung zu stärken und die Provi-sionsberatung perspektivisch zu überwinden. Passiert istseitdem außer Eckpunktepapieren nichts.Meine Damen und Herren, in Deutschland ist eine un-abhängige Beratung leider häufig das Privileg für Ver-mögende; denn Honorarberatung wird oft erst bei hohenMindestanlagesummen angeboten, und das Angebot derVerbraucherzentralen reicht bei weitem nicht aus. Eswürde nach wie vor etwa 30 Jahre dauern, bis jederHaushalt eine unabhängige Finanzberatung von einerVerbraucherzentrale erhalten hätte. Ich finde, das darf imvierten Jahr nach dem Zusammenbruch der Lehman-Bank wirklich nicht wahr sein.
Das Grundproblem der provisionsgetriebenen Bera-tung ist, dass die bisherige Praxis geradezu einen Anreizschafft, Verbraucherinnen und Verbrauchern teure Pro-dukte aufzuschwatzen, egal ob sie sie brauchen odernicht, ob sie angemessen sind oder nicht. Das muss sichendlich ändern; die Politik muss hier handeln.
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uf der einen Seite führen Sie hier aus, dass Sie die Ver-raucherzentralen ausbauen wollen, sodass sie im Rah-en einer Art Sozialpolitik Beratungen anbieten können.uf der anderen Seite sollen die Verbraucherzentralendas haben Sie das letzte Mal gesagt – zu Marktwächternusgebaut werden. Da frage ich mich: Sollen sich die Ver-raucherzentralen dann selbst kontrollieren? Ich glaube,a laufen einige Sachen ins Leere.Meine Damen und Herren, wir sind der Meinung,ass die Honorarberatung für viele der Königsweg ist,m Falschberatungen zu vermeiden; denn Provisions-ahlungen und Vertriebsdruck werden als Ursachenangelhafter Anlageberatungen durch Banken ausge-acht. Der Honorarberater soll, anders als der Verkäu-
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Dr. Erik Schweickert
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fer, eine unabhängige Beratung zum Wohle des Verbrau-chers garantieren.Die Europäische Kommission hat inzwischen einenVorschlag zur Neufassung der EU-FinanzmarktrichtlinieMiFID ins Spiel gebracht, die Einschränkungen solcherProvisionszahlungen bei Anlageberatungen vorsieht, undden Weg der Etablierung von Honorarberatungen einge-schlagen. Auch wir von der christlich-liberalen Koalitionsehen in der Honorarberatung eine sinnvolle Ergänzungzur bisherigen Provisionsberatung.In diesem Zusammenhang möchte ich deutlich sagen:Leider hat noch nicht jede Bank verstanden, was sie ih-ren Kunden in der Vergangenheit angetan hat. Denn so-lange Banken unverhohlen von AA-Kunden sprechen– das steht für „alt und ahnungslos“ – oder 80-jährigenRentnern Altersvorsorgekonten oder langfristige Schiffs-zertifikate aufschwätzen, so lange wird es weiterhinHandlungsbedarf geben, für mehr Transparenz und An-legerschutz zu sorgen. Die Stiftung Warentest hat hiermehrfach den Finger in die Wunde gelegt und deutlicheMängel bei der Beratung durch die Banken festgestellt.Für uns von der christlich-liberalen Koalition stehtfest: Wir wollen den Anleger besser schützen. Deshalbhaben wir bereits wichtige Schritte unternommen. Mitdem Gesetz zur Stärkung des Anlegerschutzes und Ver-besserung der Funktionsfähigkeit des Kapitalmarkts,dem Anlegerschutz- und Funktionsverbesserungsgesetz,haben wir zum einen Beratungsprotokolle und Produkt-informationsblätter zur Pflicht gemacht und zum ande-ren die Regelungen zu Sanktionen bei Falschberatungenverschärft,
und das nicht nur für Banken, sondern auch für den Be-reich der freien Vermittler und des Grauen Kapital-markts. Wir haben das Verbot ungedeckter Leerverkäufeumgesetzt und damit hochspekulative Anlageformenvom Markt genommen. Ministerin Aigner hat bereitslange vor Ihrem Antrag, meine Damen und Herren vonder SPD, ein Eckpunktepapier zur Honorarberatung vor-gelegt.
Der Verbraucher soll die Möglichkeit haben, zwischenverschiedenen Beratungsformen die Beratung zu wählen,die für seine Zwecke am besten geeignet ist. Sie sollenentscheiden können, ob sie lieber einen kostenfreien Ver-käufer aufsuchen wollen oder einen unabhängigen Hono-rarberater. Eines ist klar: Auch bei McDonald’s wird Ih-nen der Verkäufer nicht empfehlen, wegen der Pommeszu Burger King zu gehen, nur weil sie ihm dort besserschmecken. – So läuft das auch beim Verkäufer in einerBank.Es wundert mich allerdings, dass die SPD so tut, alshätte sie den Königsweg Honorarberatung bereits seitlängerer Zeit gepachtet; denn in Ihrer Regierungszeit ha-ben Sie in diesem Bereich außer markigen Sprüchennichts unternommen.IcdWluÜdwFRbIhbuwlehAnBTBwswddnAmMbkhdzssHssBhru
h wünschte mir, dass auch Herr Schäuble mehr Elan inieser Sache walten lassen würde.
ir werden nicht lockerlassen und weiter an einer Rege-ng zur Honorarberatung arbeiten; denn nach meinerberzeugung brauchen wir eine gesetzliche Regelung,a wir sonst über kurz oder lang unregulierten Wild-uchs haben werden. Wohin dies führt, das hat uns dieinanzkrise deutlich gezeigt.Honorarberatung braucht also einen gesetzlichenahmen. Dieser Rahmen wurde von Ministerin Aignerereits dargelegt. Er deckt sich in vielen Bereichen mitrem Antrag. Dazu gehören die Definition des Berufs-ildes, die Festlegung der Qualifikationserfordernissend auch die Anforderungen an einen Sachkundenach-eis. Für uns gehört dazu auch – wie bei freien Vermitt-rn – die Verpflichtung zum Abschluss einer Berufs-aftpflichtversicherung, damit im Schadensfall einebsicherung für den Kunden existiert.
Es muss klargestellt werden, dass ein Honorarberatericht noch zusätzlich Provision erhält.
ei der Vergütung muss für die Verbraucher unbedingteransparenz bestehen. Der Verbraucher muss vor dereratung wissen, was er tut. Frau Tack, ich bin schon et-as irritiert, wenn Sie sagen, die Durchleitung der Provi-ion werde von Ihnen nicht akzeptiert; denn es kann sehrohl sein, dass für einen Kunden ein Provisionsproduktas bessere Produkt ist. Als Kunde will ich, dass mir daser Honorarberater auch anbieten darf. Er darf daran nurichts verdienen.
podiktisch vorzugehen, ist der falsche Weg.
Man kann einigen Punkten in Ihrem Antrag zustim-en; aber bei Ihrer Forderung nach einem zusätzlichenarktwächter für Honorarberatung hört es dann auf. Ne-en einer effizienten staatlichen Aufsicht benötigen wireine weiteren Institutionen, keinen Marktwächter alsalbstaatlichen Hilfssheriff. Wir finden es viel wichtiger,ie bestehenden Aufsichtssysteme zu stärken und effi-ienter zu gestalten, als neue Nebenschauplätze zuchaffen, die am Ende nur gefühlten Schutz ohne tat-ächliche Effizienz bringen. Aus meiner Sicht sollte dieonorarberaterbranche darüber nachdenken, ob sie nichtelbst eine Anlaufstelle für Verbraucherbeschwerdenchafft, eine Ombudsstelle, vergleichbar mit der derank- und Versicherungswirtschaft, die wir heute schonaben; denn sie hat sich meines Erachtens bewährt.Wir brauchen übrigens auch keine staatlichen Aufklä-ngskampagnen zum Wohle der Honorarberater. Das
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Dr. Erik Schweickert
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sollen diese schon selbst organisieren. Der Staat solltesich davor hüten, mit einer eindeutigen Werbekampagneeine Beratungsform zu bevorteilen und die Honorarbera-tung zu hofieren,
und zwar auch, weil es nicht angebracht ist, die Honorar-beratung durch die rosarote Brille zu sehen und als All-heilmittel zur Lösung der Problematik der Falschbera-tung ins Feld zu führen.
Das suggeriert mir Ihr Antrag – sie schreiben von einer„echten Alternative“ – an vielen Stellen zu sehr. Die Be-zahlung – das sollte man der Fairness halber sagen – istkeine Gewähr für eine gute Beratung. Ich kann auch vielbezahlen und schlecht beraten werden. Das muss man sooffen sagen.
Manchmal wollen die Kunden – man hört vielleicht,dass ich aus Baden-Württemberg komme – eine Erstbe-ratung oder eine Einschätzung und nichts dafür bezah-len. Danach entscheiden sie, ob sie ihr Geld anlegenwollen oder nicht. Ich möchte den Menschen die Mög-lichkeit, sich zu entscheiden, offenlassen. Ich sehe dieHonorarberatung als Ergänzung und nicht als Alterna-tive; denn ich bin davon überzeugt, dass wir auf diesemMarkt sowohl das eine als auch das andere brauchen.
Beim Honorarberater – das sollte man hinzufügen – wirdbereits die unverbindliche Einschätzung, egal ob sie gutoder schlecht ist, kostenpflichtig sein.Alles in allem kann die Honorarberatung den Wettbe-werb zwischen den Beratern und den Beratungsformenbeleben und dadurch für die Anleger sehr wohl von Vor-teil sein. Zum effizienten Verbraucherschutz braucht esaber einen sinnvollen Rechtsrahmen ebenso wie die Ein-sicht, dass auch ein Honorarberater kein Allwissenderist.Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat nun die
Kollegin Nicole Maisch das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es istunstrittig – das ist aus den Debattenbeiträgen hervorge-gangen –, dass Verbraucherinnen und Verbraucher eineAlternative zur provisionsgetriebenen Beratung brau-chen. Aber Markttransparenz und Wettbewerb um mehrQualität in der Finanzberatung wird es nur geben, wenndie Honorarberatung als Alternative rechtlich geregeltist. Wenn es weiter Wildwuchs bleibt, dann wird daskeine echte Alternative sein.DdreinashteduAsFwrurasdsdnddsdbhgzzmrüCVgH–b2wvfüsVFglidenin
eshalb brauchen wir eine klare rechtliche Definitiones Berufsbildes, die Mischmodelle, welche das Kassie-n sowohl von Provisionen als auch von Honoraren be-halten, ausschließt und ambitionierte Anforderungenn Ausbildung und Weiterbildung stellt.Es war sehr interessant, in der Debatte zu sehen, wieich sowohl SPD als auch CDU/CSU und FDP bemühtaben, die Unterschiede zwischen ihren beiden Konzep-n herauszustellen. Die SPD konstruiert die Provisions-urchleitung zum großen Konflikt mit der CDU/CSU,nd FDP und CDU/CSU freuen sich darüber, dass sie imntrag die Aufklärungskampagne gefunden haben; denno können sie gegen das SPD-Konzept in Gänze sein.
akt ist: Sie sind sich in weiten Teilen einig, und auchir teilen Ihre Auffassung zur Berufshaftpflichtversiche-ng und zur Definition eines Berufsbildes „Honorarbe-ter“.
Der SPD-Antrag und die Eckpunkte von Frau Aignertellen eine gute Grundlage dar. Es ist deutlich gewor-en, dass sie in weiten Teilen deckungsgleich sind. Wirchlagen Ihnen allerdings vor, noch weiter zu gehen;enn die Regulierung der Honorarberatung ist natürlichur der eine Teil. Wenn man fairen Wettbewerb will,ann darf man nicht nur eine Seite regulieren, sondernann muss man auch für diejenigen Regulierungen vor-ehen, die Provisionen annehmen. Dazu gehört natürlichas Thema Nettotarife. Die Verbraucherinnen und Ver-raucher müssen die Kosten vergleichen können. Des-alb muss es auch Kostentransparenz bei den Produkteneben, für deren Vermittlung weiterhin Provisionen ge-ahlt werden. Wir schlagen standardisierte Kostenkenn-ahlen vor. „Reduction in Yield“ oder „Reduction in Pay-ent“ sind Modelle, die wir uns vorstellen können. Da-ber hinaus schlagen wir vor, die Kosten in Euro undent und nicht nur in Prozenten auszuweisen, damit dieerbraucherinnen und Verbraucher noch einfacher ver-leichen können.Frau Aigner, Ihre Ministerin, weiß, wie notwendig dieonorarberatung ist. Das hat sie in vielen Interviewsich möchte jetzt nicht alle zitieren – ausgeführt. Sie hatereits 2008 angefangen, dies anzukündigen. Sie hat009 mit zehn Thesen zur Finanzberatung nachgelegt; esurde also wieder angekündigt. Auch 2010 wurden inielen Medien fairer Wettbewerb und Rechtssicherheitr die Honorarberater gefordert. Aber weder beim Ge-etz zur Novellierung des Finanzanlagenvermittler- undermögensanlagenrechts noch beim Anlegerschutz- undunktionsverbesserungsgesetz haben all diese Ankündi-ungen Niederschlag gefunden, und das finde ich ziem-ch schwach. Man muss sich im Kabinett auch einmalurchsetzen und darf nicht nur im Vorblatt eines Gesetz-ntwurfes hinterlegen, dass man irgendwann einmal zeit-ah die Honorarberatung regeln will. Wenn Sie zeitnah diesem Tempo weitermachen, dann ist die Legislatur-
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Nicole Maisch
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periode vorbei, bevor wir hier einen Gesetzentwurf gese-hen haben.
Da helfen auch die zehn Eckpunkte nichts, mit denen Sieuns nach den zehn Thesen beglückt haben.Wir sind der Meinung: Es reicht jetzt mit den zehnThesen und den zehn Eckpunkten und den zehn Inter-views. Jetzt ist ein Gesetzentwurf angebracht. Schließ-lich könnte die Situation nicht günstiger sein. Sie habenquasi die gesamte Opposition hinter sich, und es hörtsich auch in der Koalition so an, als wären Sie sich eini-germaßen einig. Die konzeptionelle Vorarbeit ist geleis-tet. Es gibt den SPD-Antrag. Es gibt die Eckpunkte. Esgibt die Thesenpapiere und die zehn Eckpunkte zum An-legerschutz. Es gibt grüne Positionspapiere, welche Ih-nen selbstverständlich auch zur Verfügung stehen. Breitegesellschaftliche Gruppen wie Gewerkschaften und Ver-braucherschutzverbände würden Sie in diesem Vorhabenunterstützen. Alles, was Sie machen müssen, ist, einenGesetzentwurf zu schreiben.
Vielleicht noch ein Einschub: Die MiFID wird ja seitvielen Jahren immer wieder gerne angeführt, wenn manbeim Anlegerschutz nichts tun will. Von Zeit zu Zeit gibtes auch eine neue MiFID. Wenn wir sagen, dass wir war-ten, bis die Umsetzung der MiFID abgeschlossen ist undsich die Mitgliedstaaten der EU einig sind, dann könnenwir bis zum Sankt-Nimmerleins-Tag warten. Ich finde,dass die MiFID als Entschuldigung fürs Nichtstun lang-sam ausgedient hat.Frau Aigner hat auf der BMELV-Homepage im Be-reich „Finanzen und Versicherungen“ geschrieben:Es darf nicht sein, dass wegen einer falschen Bera-tung die sicher geglaubte Altersversorgung plötz-lich nichts mehr wert ist.Es darf nicht sein, aber es ist so. Die Anleger verlierenjedes Jahr Milliarden durch falsche Beratung, und zwarauch deswegen, weil Sie die Umsetzung der Lösungsan-sätze, die auf dem Tisch liegen, verschlafen. Deshalbfordern wir Sie anlässlich der Grünen Woche – das istfür die Mitglieder des Ausschusses für Ernährung, Land-wirtschaft und Verbraucherschutz eine sehr wichtigeWoche – dazu auf, mehr Slow Food zu konsumieren undweniger Slow Government zu praktizieren.
Das fänden wir schön, und das würde auch den Anlegernguttun.
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Dr. Carsten Sieling [SPD]: Sie brauchen Lot-sen!)Unser Ziel ist definiert; aber welcher Weg zum Zielführt, ist zwischen uns strittig. Der Teufel steckt wie im-mer im Detail. Wir wollen ein neues Berufsbild etablie-ren. Für Versicherungen existiert bereits der Versiche-rungsberater. Für Geldanlagen soll das Berufsbild desAnlageberaters neu geschaffen werden. Für Darlehensollen neben den Darlehensvermittler der Darlehensbe-rater gestellt werden. Drei ganz unterschiedliche The-men werden von drei unterschiedlichen Fachleuten bear-beitet. Der SPD reicht ein Fachmann. Einer allein sollüber die entsprechenden Kenntnisse verfügen und in al-len drei Bereichen beraten. Der Versicherungsmakler istdann gleichzeitig auch Fachmann für das Derivatege-schäft. Klasse! Ihr Modell eines finanzpolitischen Uni-versalgelehrten ist schlicht utopisch und in der Praxiszum Scheitern verurteilt.
Kommen wir zu einem weiteren strittigen Punkt. Unsist wichtig, dass der Honorarberater in seinen Entschei-dungen von den Produktanbietern unabhängig ist. EinHonorarberater darf in keinem Fall Provisionen odersonstige wirtschaftliche Vorteile von Produktanbieternfür sich behalten. In unserem Eckpunktepapier werdenausdrücklich zwei mögliche Wege aufgezeigt, dies um-zusetzen: Erstens. Man kann dies mithilfe von Nettopro-dukten tun. Das sind Produkte, aus denen die Provisionherausgerechnet ist, also Finanzprodukte ohne Provi-sion. Dies ist ein kostenintensiver und vom Aufwand herhochschwelliger Ansatz.
Zweitens. Die Provision wird an den Kunden weiterge-geben. Dies ist ein niederschwelliger Ansatz, der weitge-hend kostenneutral und ohne Bürokratieaufwand umge-setzt werden kann.Die SPD legt sich auf den ersten, den teuren Weg derNettoprodukte fest.
Das Durchreichen der Provision lehnen Sie ab.
Die Konsequenz ist, dass ein Teil der gehandelten Fi-nanzprodukte in Deutschland nicht mehr angeboten wer-den kann.
Der Kunde geht leer aus. Das lehnen wir ab. Der Marktmuss weltoffen und handelbar bleiben. Wir wollen eineProvisionsdurchleitung ermöglichen. Da, wo es keineNettoprodukte gibt, soll die Provision dem Kunden gut-geschrieben werden. Das hilft der Honorarberatung inder Übergangszeit, sich im Markt zu etablieren. Hono-rarüsParautetuteHscSrusnWnnKSUzsDe–Z
Ein weiterer Punkt: die Vergütung der Honorarbera-r. Wir wollen, dass der Kunde vor Abschluss des Bera-ngsvertrages über die Höhe der anfallenden Kosten un-rrichtet wird – Ende, nicht mehr und nicht weniger. Dieöhe des Honorars ist Sache zwischen dem Kunden undeinem Berater. Die SPD will die Vergütung verstaatli-hen.
ie will ihre Höhe vom Staat vorschreiben lassen. Wa-m? Aus reiner Regelungswut und aus reiner Lust auftaatliche Bevormundung.
Wir wollen einen funktionierenden Markt für die Ho-orarberatung.
ir wollen einen möglichst niedrigschwelligen und mi-imalen gesetzlichen Eingriff. Wir wollen, dass die Fi-anzbranche transparenter wird, zum Nutzen der vielenunden, der Verbraucherinnen und Verbraucher.Vielen Dank.
Das Wort hat der Kollege Dr. Carsten Sieling für die
PD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!m in dieser Debatte einen versöhnlichen Schlusspunktu setzen, will ich sagen: Es gibt eine breite Überein-timmung, dass wir die provisionsgetriebene Beratung ineutschland zurückdrängen und eine Honorarberatungrmöglichen müssen.
Ja, wir brauchen eine klare und starke Alternative. –umindest ich habe bisher gedacht, dass hier Konsens
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Dr. Carsten Sieling
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besteht. Allerdings gibt es deutliche Unterschiede, wennes um die Frage geht, welchen Weg wir einschlagen.Ich will Ihnen sehr deutlich sagen, welchen Weg wireinschlagen. Wir sagen erstens: Wir haben keine Zeit zuverlieren. – Deshalb verstehe ich nicht, dass die Koali-tion ihre Verbraucherschutzministerin hängenlässt, dasssie sie nur Eckpunkte vorschlagen lässt und dass nichtsie hier im Plenum einen Vorschlag macht, sondern dasswir die Ersten sind, die hierzu einen Vorschlag machen.
Dies ist die erste wichtige Feststellung, die die Herange-hensweise an dieses Thema betrifft. Wir als Oppositionsagen zumindest: Wir sind nicht nur bereit, sondern na-türlich auch fähig, Maßnahmen umzusetzen. Das schaf-fen Sie als Regierung nicht.Zweitens. Wenn wir die Regularien verändern, danndürfen wir nicht als Tiger starten und als Bettvorlegerlanden. Bei Ihrem Modell würde das geschehen. Siewerden nämlich Vorschläge vorlegen, die nicht zur Stär-kung der Honorarberatung und zur Zurückdrängung derprovisionsgetriebenen Beratung führen. Das ist ein we-sentlicher Punkt.Ich will deutlich machen: Wer sich für die Honorarbe-ratung ausspricht und gleichzeitig sagt: „Aber das provi-sionsgetriebene Modell wollen wir so beibehalten“, derredet falsch Zeugnis.
– Ja, natürlich. – Es ist doch völlig klar: Eines geht nur.Faktisch bzw. im Ergebnis funktioniert das nicht.Es kommt darauf an, im Zusammenhang mit den Be-ratungsprodukten auch zu berücksichtigen, dass in derVergangenheit viele Fehlberatungen erfolgt sind undFehlanreize gesetzt wurden. Natürlich – das ist in dieserDebatte gesagt worden – gibt es keinen allwissendenHonorarberater. Es gibt aber auch keinen allwissendenBerater bzw. Vermittler auf Provisionsbasis. Allerdingsgibt es Vermittler auf Provisionsbasis, die die Absichthaben, mit dem einen Produkt eine höhere Provision zuverdienen als mit dem anderen Produkt. Das ist ein Fehl-anreiz. So können wir nicht dafür sorgen, dass die Men-schen eine ordentliche Versicherung bekommen, ihrGeld ordentlich anlegen können usw. Darum muss dieHonorarberatung gestärkt werden, meine Damen undHerren. Das ist der Kern.
Ich will auch gleich an dieser Stelle etwas zum PunktProvisionsdurchleitung sagen. Auch das ist eine Markt-verzerrung.
– Hören Sie mir bitte wenigstens zu. – Wir wollen, dassdas gekaufte Produkt wirklich das ist, was gewollt ist,und dass keine Verlockungen bestehen, weil der eineAnbieter eine höhere Provision vorsieht als der andere,weil er sozusagen die Berater locken will. Dann gibt esnukd1mbMeASZKdbudKbukaziswsmPdaes
Das führt dann nach Ihrem Durchleitungsvorschlagazu, dass man, wenn man Produkt A kauft, vielleicht500 Euro in die Hand gedrückt bekommt, währendan bei Produkt B nur 500 Euro in die Hand gedrücktekommt. Ich möchte diese fehlerhafte Verführung derenschen nicht, sondern ich möchte Transparenz undinen klaren Markt auf gleicher Ebene und von gleicherrt.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen
chweickert?
Ja, eine Zwischenfrage lasse ich gerne zu.
Bitte.
Herr Kollege, vielen Dank für die Ermöglichung einer
wischenfrage.
Herr Kollege Sieling, können Sie, wenn man vom
unden her denkt, ausschließen, dass es für einen Kun-
en sehr wohl vorteilhaft sein kann, wenn ein Honorar-
erater zu ihm sagt: Das eine Produkt, das ich dir anbiete
nd für das es nun einmal eine Provision gibt, ist für
ich, bei deinen Lebensumständen, das beste Produkt?
önnen Sie so etwas ausschließen? Wenn nicht, dann
in ich der Meinung, dass man vom Kunden her denken
nd das Ganze sehr wohl ermöglichen muss.
Ich bedanke mich sehr für die Zwischenfrage undann natürlich sagen, dass das nicht ausgeschlossen ist,ber ich sage Ihnen ganz deutlich, dass das für uns dasentrale Argument für Nettotarife und für Transparenzt,
eil dadurch jeder Berater unabhängig von dem Provi-ionssatz das Gleiche vorlegt.Der Unterschied zwischen dem Berater und dem Ver-ittler auf Provisionsbasis ist, dass der Vermittler aufrovisionsbasis den schlichten Antrieb hat, dass er mitem einen Produkt vielleicht mehr verdient als mit demnderen. Beim Berater ist das alles gleich. Hier gibt esinen Markt, auf dem die Akteure die gleiche Anbieter-truktur aufweisen. Darum ist das fairer für die Anlege-
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Dr. Carsten Sieling
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rinnen und Anleger, für die Bürgerinnen und Bürger, unddarum sind wir für die Stärkung der Honorarberatung.Vielen Dank für die Frage. Das ist einer der zentralenPunkte.
Zum Schluss will ich hier noch einmal sehr daraufhinweisen: Wenn Sie die Fachdebatte um unseren An-trag in den letzten Tagen verfolgt haben, dann wissenSie, dass alle einschlägigen Akteure, die auf diesem Ge-biet kompetent sind, angefangen beim Verbraucherzen-trale Bundesverband bis hin zu verschiedenen Verbän-den und Organisationen, aufgrund dieser Argumentedeutlich gesagt haben: Unter anderem wegen diesesPunkts ist der SPD-Antrag dem Konzept von MinisterinAigner überlegen. Diese Überlegenheit sollte sich auchin Gesetzen wiederfinden.
Ich will diese Überlegenheit auch noch einmal an derAufsicht deutlich machen. Die Verbraucherschutzminis-terin hatte ursprünglich ja die einheitliche Aufsicht. Sieist insbesondere durch das Vorgehen der FDP, die sichbeim Vermögensanlagengesetz durchgesetzt hat, aus denPuschen geschlagen bzw. geschossen worden, sodass esin Deutschland eine gesplittete Aufsicht gibt. Ich sage:Es kann nicht ordentlich sein, dass 7 000 unterschiedli-che Gewerbeämter 80 000 Vermittler kontrollieren. Dasist ein löchriger Käse. Das muss man an dieser Stelleauch verändern. Man braucht eine einheitliche Aufsicht,übrigens auch für die Honorarberaterinnen und Honorar-berater.
Weil das auch ein wichtiger Bestandteil unseres An-trages ist, will ich zuallerletzt noch einmal sagen: Wirsprechen uns sehr dafür aus, dass es neben dieser ordent-lichen Aufsicht auch einen Marktwächter aus der Gesell-schaft heraus gibt.
Darum sind wir sehr dafür, dass die Verbraucherzentra-len diese Marktwächterfunktion erhalten. Wir wollennicht warten, bis die MiFID umgesetzt wird und Sie end-lich irgendwelche Gesetzentwürfe vorlegen. Das kannman den Menschen in Deutschland nicht mehr zumuten.Wir müssen jetzt wissen, was Sie wollen – übrigens auchin der europäischen Debatte.Darum: Folgen Sie unserem Antrag, und legen Sieendlich einmal ein paar eigene Vorschläge vor, die Sieauch wirklich in dieses Haus einbringen.Vielen Dank.
Ich schließe die Aussprache.
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– Drucksache 17/8343 –
Überweisungsvorschlag:
Haushaltsausschuss
Rechtsausschuss
Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
ussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. – Ich
öre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Parla-
entarische Staatssekretär Steffen Kampeter.
S
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen underren! Was haben wir eigentlich im Blick, wenn wireute über Finanzmarktstabilisierung diskutieren undazu einen Gesetzentwurf einbringen? Für die Bundesre-ierung und die sie tragende Koalition geht es beispiels-eise um die Sparerinnen und Sparer, die ihre Spar-uthaben unkompliziert und sicher in einemnktionsfähigen Finanzmarkt verwalten wollen. Es gehtber auch um die Beschäftigten in Deutschland, die ihrerivaten Geschäfte vom Lohnerhalt bis hin zu Konsum-usgaben mit Banken und Sparkassen tätigen wollen, dieie als vertrauensvolle und verlässliche Partnerinnen undartner einschätzen.
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Parl. Staatssekretär Steffen Kampeter
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Es geht um die Unternehmerinnen und Unternehmerin Deutschland. Deutschland wäre nicht Exportwelt-meister und hätte keinen starken Binnenkonsum, wennes nicht auf einen funktionsfähigen und leistungsfähigenFinanzmarkt blicken könnte. Es geht aber auch um dieInteressen der Anlegerinnen und Anleger, die für ihreAltersvorsorge über das gesetzliche Maß hinaus etwastun wollen. All diesen dient die Finanzmarktstabilität.Sie steht im Fokus dieses Gesetzentwurfs, dessen InhaltIhnen die Koalitionsfraktionen gemeinsam mit der Bun-desregierung heute vortragen.Finanzmarktstabilität ist ein gemeinwohlorientiertesAnliegen, für das es sich einzutreten lohnt. Deswegenmuss klar gesagt werden: Wir haben nicht nur diesenGesetzentwurf erarbeitet. Wir haben auch eine Reihevon anderen Schlussfolgerungen aus der Finanzkrise ge-zogen. Ich nenne beispielsweise die Bankenabgabe, diezu einer solidarischeren Verteilung der Lasten führensoll, oder die Initiativen, die dem Anleger- und Verbrau-cherschutz im Finanzmarkt dienen sollen, in dem wir inden vergangenen zwei Jahren Erhebliches vorangebrachthaben.Ich erinnere mich noch gut daran, als das erste Fi-nanzmarktstabilisierungsgesetz hier im Oktober im Jahr2008 beraten worden ist.
Das war eine Aktion, bei der der deutsche Parlamentaris-mus innerhalb einer Woche seine Leistungsfähigkeit undHandlungsfähigkeit belegt hat, weil uns die Krise eiskalterwischt hat und wir handeln mussten und Verantwor-tung übernommen haben.Das ist allerdings kein Idealfall von Gesetzgebung.Deswegen beobachten wir als Regierung, aber auch alsKoalition seit Herbst intensiv die Entwicklung auf denFinanzmärkten. Rasch wurde uns klar, dass ein zweitesFinanzmarktstabilisierungsgesetz nach dem Auslaufender bisherigen Maßnahmen durchaus im Bereich desMöglichen war.Der Befund ist klar und deutlich: Eine hohe Staatsver-schuldung, anders als in der Bankenkrise, ist die Ursachevon Verwerfungen auf den Finanzmärkten. Ein Vertrau-ensverlust in die Solvenz und Liquidität einzelner Staa-ten, nicht immer begründet, aber teilweise von denMärkten so empfunden, führt zu Verwerfungen im Fi-nanzmarkt. Wir haben einen erheblichen Abschreibungs-bedarf in den Bilanzen und damit verringert sich auchder Risikopuffer im Finanzmarktsystem. Es besteht einMisstrauen zwischen den einzelnen Akteuren des Fi-nanzmarktes, das sich daran ablesen lässt, dass das Geldnicht anderen Banken geliehen oder anderswo investiertwird, sondern zu schlechten Konditionen über Nacht beider Europäischen Zentralbank geparkt wird.Es wäre verantwortungslos, die Entwicklung abzu-warten, bis das Kind in den Brunnen fällt. Mit dem MitteDezember vom Bundeskabinett beschlossenen und jetztvon den Koalitionsfraktionen eingebrachten Entwurfhandeln wir diesmal präventiv. Wir wollen Verantwor-tung zeigen, bevor es zu krisenhaften VeränderungenkMggPDmBbgAuRmAnEvdgrosZbdtimpDmdhbvKDFruMakbmPGmdm
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schärfen die Schuldenbremse mit den Vorschriften die-ses Bereichs, weil wir sagen: Auch hier gilt das, wasnotwendig und richtig ist.
Schließlich schärfen wir die Aufsicht über die Kredit-institute. Bisher hat die Aufsicht erst bei Bestandsge-fährdung eine Eingriffsmöglichkeit. Wir wollen jetzteine Risikoeinschätzung zugrunde legen, weil wir ge-merkt haben, dass in Abstimmung mit unseren europäi-schen Partnern die Aufsicht bisher zu spät eingegriffenhat, um Finanzmarktstabilität zu garantieren. Das kannim Einzelfall mehr Eigenkapital bedeuten. Das kannauch Rekapitalisierung durch den Soffin bedeuten. Wennsich Institute weigern, eigenverantwortlich ihren Beitragzur Finanzmarktstabilität zu leisten, kann das auch dieEinsetzung eines Sonderbeauftragten bedeuten.Ich will allerdings auch in aller Klarheit sagen: DieVerhältnismäßigkeit und die Berücksichtigung des Wett-bewerbsgedankens sind neben der Erreichung von Fi-nanzmarktstabilität ein wichtiges Anliegen der Bundes-regierung. Es muss sich keiner vor diesem Instrumentfürchten. Maß und Mitte bleiben auch in dem neuen Ge-setz wichtig.
Herr Staatssekretär, Sie können mein Signal weiter
ignorieren, kein Problem. Das hat dann aber Konsequen-
zen für weitere Redner.
S
Dass es schon vor dem Inkrafttreten wirkt, zeigt sich
daran, dass schon die ersten Institute gesagt haben: Wir
schaffen mehr Kapital vom Markt. Ein Gesetz, das schon
vor der ersten Lesung im Deutschen Bundestag Wirkung
entfaltet, muss ein gutes Gesetz werden. Wir werden in
der Anhörung am Montag und dann in den weiteren par-
lamentarischen Beratungen schauen, ob es noch besser
werden kann. Ich werbe für die Bundesregierung um Zu-
stimmung zu diesem Gesetzentwurf.
Das Wort hat die Kollegin Bettina Hagedorn für die
SPD-Fraktion.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen!Liebe Kollegen! Der Herr Kollege Kampeter hat schonauf das sogenannte Soffin-I-Gesetz hingewiesen. Dashaben wir, die Große Koalition, in atemberaubender Ge-schwindigkeit innerhalb einer Woche – das ist nicht be-neidens- und nachahmenswert – im Oktober 2008 verab-schiedet. Dieses Gesetz hat – ich glaube, darüber sindwir uns einig – gute Dienste geleistet, zur Beruhigungder Märkte beigetragen und vor allen Dingen der Sicher-heit der Bürgerinnen und Bürger gedient. Sie haben zuRecht darauf hingewiesen – ich will mich dem für dieSfehaginimIngkruseIhb2KderügsCEtikgmDWmefrEVlereWZtrghbBgüaVinred
Ich will darauf hinweisen, dass wir uns in der Großenoalition 2008 grundsätzlich einig waren. Aber schonamals gab es einen Punkt, über den wir uns nicht ganzinig waren – das ist auch so geblieben –, nämlich da-ber, wer eigentlich die Kosten der Rettungsaktion tra-en soll. Wir stellen heute mit Befriedigung fest, dassich offensichtlich wenigstens bei den Kollegen derDU/CSU, der Kanzlerin und dem Finanzminister dierkenntnis durchgesetzt hat, dass eine Finanztransak-onsteuer eine wesentliche Rolle spielen kann. Die An-ündigung, eine solche Steuer einzuführen, hören wirerne. Aber Ankündigungen gab es schon diverse. Jetztüssen Sie es nur noch gegen die FDP durchsetzen.ann sind wir auch an dieser Stelle auf dem richtigeneg.
Zu Ihrem Gesetz, dessen Entwurf nun vorliegt, kannan sagen: besser spät als gar nicht. Der Stresstest hatrgeben, dass die Banken in Europa 115 Milliarden Euroisches Geld brauchen werden. 13 bis 14 Milliardenuro davon benötigen einige Institute in Deutschland.or diesem Hintergrund brauchen wir dieses Gesetz. Al-rdings hat sich die Welt in den letzten dreieinhalb Jah-n weitergedreht. Wir mussten im Herbst 2008 ins kalteasser springen. Wir hatten damals nur eine Wocheeit. Dafür war sehr viel Mut erforderlich. Wir habenotz der Kürze der Zeit offensichtlich manches richtigemacht. Allerdings muss man an dieser Stelle daraufinweisen, dass sich seitdem einige Dinge geändert ha-en. So wurde die Schuldenbremse im Grundgesetz derundesrepublik Deutschland verankert. Dank herausra-ender Verfassungsgerichtsurteile diskutieren wir heuteber die Beteiligung des Parlaments – aus gutem Grund –uf einem ganz anderen Niveau als damals.
or diesem Hintergrund sind wir als Abgeordnete gerade der Anhörung mit 13 Sachverständigen im federfüh-nden Haushaltsausschuss am kommenden Montag iner Verantwortung, diese beiden Aspekte besonders zu
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Bettina Hagedorn
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beleuchten und zu überprüfen, ob das Gesetz den An-sprüchen genügt.An dieser Stelle will ich konkret werden und daraufabstellen, dass der Soffin bisher ein reines Informations-gremium ist. Anders als das Neunergremium, über das inden letzten Wochen vielfach geredet wurde, ist er nichtmit Entscheidungsbefugnis ausgestattet.Das Finanzministerium will künftig auch befugt sein– so sieht es der jetzt vorliegende Entwurf zum Soffin IIvor –, alle Anordnungen zu treffen, die die zweckmäßigeWahrnehmung der Aufgaben der Anstalt sicherstellenund überprüfen. Das mag ein wichtiger Schritt sein. EineStärkung des Aufsichtsinstrumentariums ist konsequen-terweise angelegt. Auch die Stärkung der Rechts- undFachaufsicht des Ministeriums ist angelegt. Ohne Zwei-fel muss der federführende Haushaltausschuss bei seinerBeratung dieser gewünschten Stärkung der Exekutivezwingend eine Stärkung der Kontrolle und Mitsprachedurch den Bundestag an die Seite stellen.
Gerade für die Grundsatzentscheidungen, die bishernicht der Leitungsausschuss des Soffin trifft, sondern derLenkungsausschuss, der aus den Ministerien gebildetwird, muss mehr parlamentarische Mitwirkung sicherge-stellt werden; denn diese Entscheidungen sind in allerRegel nicht eilig. Beispielsweise ist die Frage, welcheKapitalbeteiligung der Bund im Falle einer Kapitalzu-führung an eine Bank übernimmt, eine grundsätzlicheund wichtige Weichenstellung. Ich unterstelle daher,dass wir uns hier über diese grundsätzliche Ausrichtungfraktionsübergreifend einig sind.Ich will ergänzend einige offene Fragen aus der Sichtder SPD ansprechen. Dabei ist vor allen Dingen zu nen-nen, dass wir uns stets für direkte Beteiligung ausgespro-chen haben, zum Beispiel in Form von Stammaktien,und sie übrigen Instrumenten vorziehen nach demMotto: Wer rettet und zahlt, muss an Kurssteigerungenmitverdienen können und mitreden dürfen.Die Bundesregierung ist zwar nicht der bessere Ban-ker, aber über den Aufsichtsrat sehr wohl in der Lage,die grundsätzliche Geschäftsausrichtung eines Institutskonstruktiv und im öffentlichen Interesse zu begleiten;denn im öffentlichen Interesse ist, dass Steuergelder imInteresse aller eingesetzt werden.Auf die Frage „Wie viel Zwang und wie viel Freiwil-ligkeit brauchen wir?“ wird nachher mein KollegeCarsten Sieling eingehen; denn ich muss jetzt zumSchluss kommen. Ich will noch sagen, dass bei uns alleninzwischen die Telefone heißlaufen, und zwar deshalb,weil es natürlich Banken gibt, die wegen der Debattezum Zwang sehr wohl ihre Sorgen haben.Ich hoffe, dass wir es schaffen, die Beratung im Parla-ment miteinander ohne Anwürfe von Lobbyisten zu füh-ren, und dass wir in erster Linie nicht deren Interessenberücksichtigen, sondern die der Bürgerinnen und Bür-ger, die von uns vertreten werden.Vielen Dank.
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war, nämlich dass man besonders stark von der Krise be-troffene Banken stabilisiert hat, um schlimmeren Scha-den zu vermeiden. Das erklärt, Frau Kollegin Hagedorn,den Unterschied zwischen dem damaligen und dem heu-tigen Gesetzgebungsvorhaben, und es erklärt auch, dassman das, was wir heute tun, insgesamt etwas anders ein-ordnen muss. Es ist nicht die schiere Wiederholung des-sen, was vor drei Jahren passiert ist, sondern es ist einsehr stark präventiv wirkendes Instrument.
– Nein, aber Sie sagten, Sie hätten kritisiert, dass mandas alte Finanzmarktstabilisierungsgesetz hat auslaufenlassen. Dafür haben wir auch ein neues Instrument ge-schaffen, für die Fälle, in denen wirklich kein tragfähi-ges Geschäftsmodell vorhanden ist. Für die Fälle, in de-nen eine Bank derartig krank ist, dass es nicht sinnvollist, dort Steuergelder hineinzugeben, haben wir das Re-strukturierungsgesetz – es ist eine Art geordnetes Insol-venzrecht für Banken –, das genau dazu da ist, die wirk-lich problematischen Fälle geordnet in den Griff zubekommen und vom Markt zu bekommen.Soffin II ist etwas ganz anderes als die Situation desRestrukturierungsgesetzes. Es ist Vorbeugung und ver-hindert gewissermaßen, dass der ganze Finanzsektorkrank wird. Es ist nicht dafür da, dass wir Banken ohneGeschäftsmodell mit Steuergeldern unterstützen, und dasist schon etwas anderes als das Konzept, das vor dreiJahren in der Not und unter großem Zeitdruck beschlos-sen worden ist.
Wir geben bei unserem Ansatz der unternehmerischenEigenverantwortung Vorrang. Es geht darum, dass wirsehen: Je stärker der Staat an Privatunternehmen betei-ligt ist, umso weniger kann er seiner Rolle als neutralerWächter fairer Regeln, als Aufseher genauso wie als Ge-setzgeber, der sich um faire und angemessene Regeln be-müht, nachkommen. Je stärker der Staat wirtschaftlicheEigeninteressen verfolgt, umso stärker ist seine Rolle alsordnender Faktor gefährdet, der faire Regeln, fairenWettbewerb, auch einen nachhaltigen Wettbewerb umdas beste Geschäftsmodell, um stabile Geschäftsmodelleunterstützen kann.Deshalb ist unser Ansatz gerade nicht, zu sagen: Zielist, dass wir möglichst viel staatliches Geld in möglichstviele Banken hineinpumpen und dadurch möglichst vielEinfluss auf möglichst viele Banken bekommen. Wir se-hen auch aus den Erfahrungen der Vergangenheit, dassdie Banken, die staatlich beeinflusst gesteuert sind, nichtdie besseren Geschäftsmodelle hatten, sondern diese diegrößeren Verlustbringer für die Steuerzahler waren, weilAnpassungsprozesse, Veränderungen, Reformen und Sa-nierungen eher verschleppt und verzögert worden sind,Stichwort „Landesbanken“. Diesen Fehler sollten wirmit Geld des Steuerzahlers keinesfalls wiederholen, son-dern sagen: Vorrang hat, dass die Banken selbst ihre Pro-bleme mit den Instrumenten, die sie für richtig halten, inden Griff bekommen. Das verlangen wir, die Zielvor-gabe legen wir fest, aber wir drängen Geld nicht dort auf,wtudmBneGfütebuePetrWsgdpnnledmwAhimatrfuliNbudWdisleSsRvraeueisd
Aber wir müssen – das ist der Sinn des heutigen Ge-etzes – darauf vorbereitet sein, dass es Marktsituationeneben kann, auch unberechenbare Situationen im Zugeer Schuldenkrise, in denen es vielleicht nicht hundert-rozentig und jedem gelingt, es selber zu schaffen. Ge-au dafür stellen wir die Instrumente zur Verfügung, dieun, für ein Jahr befristet, wieder eingesetzt werden sol-n. Das ist eine Vorsorgemaßnahme. Wir wollen nicht,ass sie eingesetzt werden, aber wir wissen, dass sieöglicherweise gebraucht werden, wenn es die Privat-irtschaft nicht in jedem Einzelfall schafft, alle ihreufgaben bis zum 30. Juni 2012 unter einem durchausohen Zeitdruck zu erfüllen.Wir werden dafür sorgen, dass das, was nötig ist, auch Bereich der staatlichen Finanzmarktstabilisierung sobläuft, dass der Wettbewerb möglichst wenig beein-ächtigt wird und nicht die Banken, die eigentlich einnktionierendes Geschäftsmodell haben und kein staat-ches Geld brauchen und es auch nie gebraucht haben,achteile dadurch haben, dass sie kein staatliches Geldekommen haben. Der faire und geordnete Wettbewerbm das beste, das tragfähigste Geschäftsmodell darfurch solche Interventionen nicht beeinträchtigt werden.ir werden durch die Gesetzgebung und die Anwen-ung der Gesetze dafür sorgen, dass das gewährleistett.Natürlich gilt auch hier: Wir schonen die Steuerzah-rinteressen. Wer im Zuge dieses Gesetzes Geld vomtaat bekommt, falls dies überhaupt notwendig werdenollte, der muss dafür Gegenleistungen erbringen, in deregel zum Beispiel Garantien verzinsen, Eigenkapitalerzinsen. Es wird nichts geschenkt. Der Staat wird da-uf achten, dass die Banken, bei denen sein Eingreifenrforderlich wird, ordentliche Geschäftsmodelle habennd keine unverantwortlichen Geschäftsmodelle, soferns diese überhaupt noch gibt, weitergeführt werden. Dast Teil dieses Gesetzes, und das ist auch das, was wiren Steuerzahlern schuldig sind.
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18230 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 152. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. Januar 2012
Florian Toncar
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Eine letzte Bemerkung, Frau Kollegin Hagedorn, zumThema Parlamentsbeteiligung.
Achten Sie bitte auf das Signal. Das müsste Ihr letzter
Satz sein.
Das war ja der Versuch, meinen letzten Satz einzulei-
ten, Frau Präsidentin. – Wir werden in jedem Fall auch
über das Thema, wie man die parlamentarische Beglei-
tung dieses Prozesses effektiver gestalten und noch ver-
bessern kann, in den nächsten Tagen sprechen. Ich
denke, da ergeben sich für alle tragfähige Lösungen. Das
ist jedenfalls das Angebot. Damit möchte ich meine
Rede auch beenden.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Das Wort hat der Kollege Roland Claus für die Frak-
tion Die Linke.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Verehr-ter Kollege Toncar, wenn Sie Ihren Traum von der priva-ten Verantwortung weiterträumen, müssten Sie beimAufwachen zu dem Schluss kommen, dass Sie diesesGesetz, das gerade von der Koalition eingebracht wurde,nicht wirklich brauchen.
Wir müssen darüber reden, worum es hier geht. Vorüber drei Jahren wurden gigantische staatliche Hilfen fürin Not geratene deutsche Banken beschlossen: 500 Mil-liarden Euro an Garantien und Kapitalanteilen – das allesin einer Woche. Aus heutiger Sicht hat sich all das an-geblich bewährt. Aber die Wahrheit ist doch, dass durchdie höheren Anforderungen, die die europäische Ban-kenaufsicht an die Banken stellt, ein höherer Anteil vonKernkapital notwendig ist.
Hierzu ist der Öffentlichkeit zu erklären, dass es über-haupt keine Bank gibt, die so viel Geld in ihrem Bestandhat, wie sie verleiht. Indem das Kernkapital gestärktwird, soll nun für mehr Sicherheit gesorgt werden. Dasist eine vernünftige Angelegenheit. Aber was fälltSchwarz-Gelb dazu ein? Dafür sollen nicht die Bankenselber sorgen, sondern das soll mit Staatshilfe gesche-hen.
Das muss man sich in der Tat einmal auf der Zungezergehen lassen. Von CDU und FDP werden hier gigan-tische Staatshilfen als Vorschlag eingebracht. Noch inder Großen Koalition hat Steffen Kampeter, damalsSprecher der CDU/CSU-Fraktion, gegen dieses Teufels-zeug gewettert, als die SPD entsprechende VorschlägegdnmwceuzIcfüImdMKRWDfüsszrusSAzduawtekRssRkissteN
ls die Zeit gekommen war, wo sie hätte Gebühren be-ahlen müssen, hat sie den Staat ausgetrickst und sicher Verantwortung entzogen.
Wir haben die Sparkassen mehr belastet, als es gutnd richtig war. Jetzt wollen Sie damit wieder von vornenfangen und das auf neuer Grundlage tun. Dazu sagenir Ihnen: Nicht mit uns!
Damit die Bemühungen, die in diesem Bereich geleis-t werden, nicht diskreditiert werden, will ich hier eineslarstellen: Die Akteure aus den Landesbanken in derettungsbehörde, die den schönen Namen Finanzmarkt-tabilisierungsanstalt trägt, verdienen durchaus den Re-pekt, auch den der Linken.Ich sage das ausdrücklich für die Chefs Johannesehm und Christopher Pleister und ihre Mitarbeiter. Sieönnen nichts für die schlechten Gesetze.Jetzt kommt aber der Skandal. Von Bettina Hagedornt schon auf die große Verantwortung des Lenkungsaus-chusses, des politischen Steuerungsgremiums, einer in-rministeriellen Arbeitsgruppe, hingewiesen worden.un können wir nachfragen, wie dieser Ausschuss gear-
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 152. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. Januar 2012 18231
Roland Claus
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beitet hat. Die Bundesregierung hat die Akteure bei derFinanzmarktstabilisierung im Regen stehen lassen. DerLenkungsausschuss hat nämlich von September bis De-zember des vergangenen Jahres überhaupt nicht getagt,nicht ein einziges Mal. Wie will man so lenken und Auf-sicht führen? Das ist ein glatter Skandal.
Zudem haben Sie nicht die Chance genutzt, Ihre Be-schwörungen von 2008, man müsse jetzt regulieren, inWirklichkeit umzusetzen. Stattdessen schreiben Sie inIhrem Gesetzentwurf selbst, man müsse jetzt das Ver-trauen der Märkte und der Bürger wiedererlangen. DieSprache ist verräterisch. In dieser Reihenfolge will manüberzeugen: erst die Märkte und dann vielleicht auch dieBürger. Solange der Staat Diener der Banken bleibt, wirdder demokratische Zusammenhalt der Gesellschaft nichtgewahrt, sondern zerstört.
Allmählich geht es um einen bankeneigenen Staat undnicht mehr um staatseigene Banken.Es ginge auch alles anders. Die Krise von 2008 und2009 hat uns gezeigt, dass kollektives Handeln unab-dingbar ist, dass der Staat gestaltend und regelnd ein-greifen muss. Diese Worte stammen nicht etwa vonLötzsch oder Gysi, sondern von Nobelpreisträger JosephStiglitz. Nötig und möglich wäre es, schrittweise diesesKasino zu schließen und die Finanztransaktionsteuereinzuführen. Nun ist das schon ein großer Schritt, vondem wir jetzt gehört haben. Wir werden sehen, ob dasWirklichkeit wird. Wir könnten uns dazu durchringen,ein Verbot von Spekulationen mit Nahrungsgütern undRohstoffen auf den Weg zu bringen. Wir brauchen end-lich das Verbot von Schattenbanken, Hedgefonds undLeerverkäufen. Statt der Knebelung und der unendlichenSparprogramme brauchten wir Konjunkturprogrammeund eine Bank für öffentliche Anleihen. Wir müsstenendlich höchste Einkommen solidarisch besteuern. Wirdürfen Volkswirtschaften nicht kaputtsparen, sondernwir müssen Wachstum auf den Weg bringen.
All diese Probleme werden auch mit diesem Gesetzent-wurf nicht gelöst. Deshalb wird er unsere Zustimmungnicht finden.
Kollege Claus, achten Sie bitte auf die Zeit.
Wir müssen endlich unser Wertesystem in den Blick
nehmen. Schluss mit dem Sieg des Ellenbogens! Dafür:
Einer trage des anderen Last!
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Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!h möchte zunächst einmal einen Blick zurück auf dierste Bankenrettung werfen, weil sie teilweise schon inergessenheit geraten ist. Zur Commerzbank: Die EU-ommission musste dem deutschen Bundesfinanzminis-r in den Arm fallen, damit er nicht zu gute Konditionenstlegt, die den Steuerzahler geschädigt und die Bank-ktionäre gutgestellt hätten. Das ist ein Teil der Bilanzer Bankenrettung in Deutschland.
Wir dürfen nicht meinen, es wäre danach besser wei-rgegangen. Es gab ein Gutachten, das vor längerer Zeit Auftrag gegeben und im Januar 2011, also vor etwainem Jahr, veröffentlicht worden ist. An der Spitze derutachter stand Professor Zimmer. Darin wurde der Vor-chlag gemacht, dass man systematisch an den Ausstiegerangehen und auf eine vollständige Abwicklung derypo Real Estate setzen soll. Das Gutachten ist in derchublade verschwunden. Die Bundesregierung setztun weiter auf wenig wahrscheinliche Privatisierungs-rlöse, was den Steuerzahler möglicherweise noch teueru stehen kommt.Ein Drittes möchte ich im Rückblick kritisch sagen.ine Aufarbeitung der Frage, warum eigentlich die ver-chiedenen Banken Hilfe vom Steuerzahler gebrauchtaben, hat in Deutschland anders als in anderen Staatenicht stattgefunden. Das geht nicht; denn immer dann,enn der Steuerzahler zahlen muss, muss begründeterden, warum es so weit gekommen ist. Wir müssenus diesen Fehlern lernen. Das ist nicht der Wille derundesregierung gewesen. Da gilt es nachzusteuern.
Konkret zu dem Gesetzentwurf: Ich bin Kollegenoncar dankbar dafür, dass er angesprochen hat, dass wirns noch einmal darüber unterhalten, welche Rolle unserremium spielt, welche Kontrollmöglichkeiten wir ha-en und welche Kontrollmöglichkeiten vor allem aucher Bundestag hat. Für uns Grüne ist es nicht in Ord-ung, dass ohne die Zustimmung des Parlaments gehan-elt werden kann. Wir wollen auch, dass das Parlamentei der Benennung der Personen, die an der Spitze desonds stehen, mitreden kann; denn das sind ganz wich-ge Personalentscheidungen. Wir brauchen natürlichuch dann, wenn es um Personalentscheidungen im Zu-ammenhang mit der Besetzung von Aufsichtsräteneht, die Möglichkeit zur Rückkopplung mit dem Sou-erän. Sonst ist keine entsprechende Vertretung möglich.Ich möchte aber auch auf den Punkt Gehaltsdecke-ng zu sprechen kommen. Es gab an dieser Stelle im-er wieder Probleme. Es ist von der Bundesregierungtzt angekündigt worden, dass in diesem Bereich etwasassieren soll. Es bleibt aber bei einer völlig weichenegelung für die Banken, die Garantieleistungen erhal-n.
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Dr. Gerhard Schick
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Mit einem weiteren Punkt sind wir Grüne – HerrKampeter hat es vorhin angesprochen – nicht zufrieden:Dass das Gremium geheim tagt, darf nicht zum Vorwanddafür dienen, dass Informationen, die die Öffentlichkeiterreichen müssen, nicht rechtzeitig auf dem vorgesehe-nen Weg bekannt gemacht werden.
Die Information über die Fehlbuchung bei der HypoReal Estate war keine Information für ein geheimes Gre-mium. Dafür ist der Haushaltausschuss zuständig, unddie Öffentlichkeit muss dementsprechend informiertwerden. Das Bundesverfassungsgericht hat uns ganzklare Vorgaben gemacht. Ein Sondergremium darf nichtzur Folge haben, dass die Abgeordneten dieses Hausesweniger Informationen erhalten, als sie sonst bekommenwürden. An dieser Stelle besteht Korrekturbedarf.
Weil das Volumen der Gelder, die mittels dieses Ge-setzes ausgereicht werden, wahrscheinlich – so die Hoff-nung – eher begrenzt sein wird, will ich den Blick überden vorliegenden Gesetzentwurf hinaus auf folgendenPunkt lenken: Die Bankenrettung, die jetzt in Europawirklich stattfindet, hat eine ganz andere Dimension. Diezweite große Bankenrettung in Europa findet im Augen-blick über die Europäische Zentralbank statt.
Diese stellt seit dem 8. Dezember den Banken, befristetauf drei Jahre, Geld in dem gigantischen Volumen von489 Milliarden Euro zu Billigstkonditionen, nämlich zueinem Zinssatz von 1 Prozent, zur Verfügung. Viele Ban-ken, insbesondere in Italien, aber auch in anderen Län-dern, die Probleme haben, können nur deswegen dieseRefinanzierung nutzen, weil sie von ihren Staaten Ga-rantien bekommen und dann Bankanleihen einreichenkönnen. Damit können sie die Renditedifferenz zwi-schen Staatsanleihen und dem, was sie an die EZB zah-len, nutzen. Das ist die eigentliche Bankenrettung, diegerade in unbekannter Milliardenhöhe stattfindet. Dochbei dieser Bankenrettung gibt es keine Kontrolle, mit derfestgestellt werden kann, ob Boni ausgeschüttet werden.Dort gibt es keine Deckelung der Gehälter. Dort gibt eskeine Transparenz. Die privaten Bankaktionäre werdennicht an den Kosten der Rettung beteiligt.Diese zweite Bankenrettung ist der eigentliche Skan-dal. Denn sie führt zu einer völlig schiefen Verteilungder Lasten. Damit müssen wir uns beschäftigen. Die Ver-antwortung dafür trägt diese Bundesregierung, die diebesseren Varianten für eine Stabilisierung des Finanz-marktes in Europa bisher konsequent abgelehnt hat. Wirbrauchen dringend und zügig Alternativen. Das ist nochwichtiger als die Verbesserung dieses Gesetzes. DieserAufgabe müssen wir uns ganz dringend widmen.Danke schön.
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Mit der Wiederinkraftsetzung des Finanzmarktstabili-ierungsgesetzes greifen wir auf ein bewährtes Instru-ent zurück; das ist bereits ausgeführt worden. Wir ha-en damit sehr gute Erfahrungen gemacht. Es ist unsamit gelungen, in der größten Krise den Bankensektor Deutschland zu stabilisieren. Wir werden dieses Ge-etz aufgrund der Erfahrungen, die wir gemacht haben,twas modifizieren. Aber im Kern werden wir es inweiter und dritter Lesung – da bin ich mir sicher – imeutschen Bundestag beschließen. Dieses Gesetz hatich bewährt; es hat in der Krise gute Dienste geleistet.iele, die die Möglichkeiten dieses Gesetzes in An-pruch genommen haben, werden heute sagen können:s war gut, dass es dieses Instrument gegeben hat. Esar auch gut, dass man auf diese Möglichkeiten mutignd rechtzeitig zurückgegriffen hat.Wir bleiben dabei, dass sowohl der Garantierahmenls auch das Volumen für die Kapitalisierung in der be-annten Größenordnung vorgehalten werden. Es gehtor allen Dingen darum – der Herr Staatssekretär hat da-uf hingewiesen –, dass wir einer krisenhaften Entwick-ng vorausschauend und vorbeugend entgegentretenollen. Ich bin überzeugt, dass dies auch gelingen wird.s geht darum – auch das wird im Rahmen des Gesetz-ebungspaketes der Fall sein –, dass wir entsprechendeankenaufsichtliche Vorkehrungen treffen. Ich will da-uf hinweisen, dass es wichtig ist, nicht alle Instituteber einen Leisten zu schlagen. Wir haben höchst unter-chiedliche Banken und Kreditinstitute mit höchst unter-chiedlicher Ausrichtung. Auch darauf muss Rücksichtenommen werden. Wir dürfen auch nicht den Versuchnternehmen oder zulassen, dass das deutsche Banken-ystem, bestehend aus privaten Banken, Sparkassen undenossenschaftsbanken, nivelliert wird.Der Kollege Claus hat den Einwand gebracht, dassier zuerst die Frage gestellt wird, wie Banken unter-inander wieder mehr Vertrauen bekommen können. Erat kritisiert, dass das Bürgervertrauen nicht im Vorder-rund steht. Ich will andersherum argumentieren: Es istekannt – und in den letzten Tagen sind dazu Zahlen ver-ffentlicht worden –, dass 400 Milliarden bis 500 Mil-arden Euro über Nacht bei der EZB geparkt werden.as ist mehr als in der tiefsten Krise 2008. Das ist einusdruck dafür, dass zu wenig Vertrauen im Bankensek-r vorhanden ist.
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Bartholomäus Kalb
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Wir müssen alles tun, damit die Banken wieder einandervertrauen. Nur dann, wenn die Banken wieder dauerhafteinander vertrauen, können auch die Bürger uneinge-schränkt Vertrauen zu ihren Instituten haben. Deswegenist das eine von dem anderen nicht zu trennen.Wir müssen dafür sorgen, dass wir bei allen Maßnah-men, die ergriffen werden – ich habe das bereits vorhinangesprochen –, nichts nivellieren, und wir dürfen nichtzulassen, dass die Axt an das bewährte deutsche Drei-Säulen-System gelegt wird.Ich gebe es offen zu: Meine Sympathie für die euro-päische Bankenaufsicht und meine Euphorie halten sichin Grenzen. Manches Problem hätten wir nicht, wennsich die EBA stärker der Gesamtverantwortung gestellthätte. Auch wenn man sich auf die Unabhängigkeit beru-fen kann, auch wenn man sich möglicherweise auf denGipfelbeschluss vom Oktober berufen kann – keine In-stitution in Europa ist frei von Verantwortung für dasGanze. Man hat aus guten Gründen im Rahmen von Ba-sel III – hier rufe ich ausdrücklich die deutschen Ver-handlungsführer in Erinnerung – Übergangsfristen fest-gelegt, wonach die erhöhten Kapitalanforderungenschrittweise in Kraft treten, damit die Anforderungenauch erfüllt werden können. Wenn man diese aber ver-kürzt, dann muss es zu Problemen kommen. Auch des-wegen müssen wir tätig werden. Wir sollten diesen Herr-schaften immer wieder in Erinnerung rufen, dass sieVerantwortung für das Ganze haben und Basel III nichtauf den Kopf stellen können.Zum Abschluss noch ein Wort, weil das in der Dis-kussion, die wir bisher geführt haben, schon eine Rollegespielt hat. Wir werden auch die notwendigen Vorkeh-rungen treffen, damit die Schuldenbremse in Deutsch-land, die wir im Grundgesetz verankert haben, entspre-chend beachtet und eingehalten werden kann. Auch daswerden wir – darin sind wir uns einig – in der parlamen-tarischen Beratung noch weiter verfolgen.Herzlichen Dank.
Das Wort hat der Kollege Dr. Carsten Sieling für die
SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Es handelt sich hier in der Tat um eine Neuauflage desFinanzmarktstabilisierungsgesetzes I. An der Stelle willich auch sagen: Es ist nicht wahr, dass das Bankenre-strukturierungsgesetz, welches verabschiedet worden ist,diesen Weg erspart, weshalb es im Übrigen auch falschwar, das erste Gesetz damals auslaufen zu lassen. Hierliegt ein Gesetz vor, das Garantien in dem gigantischenVolumen von 400 Milliarden Euro und Kreditermächti-gmtinbnSkawdHudnauGEdiszwwdZHTsbkzdliadkdREggraneaisshhsmk
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18234 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 152. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. Januar 2012
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chen dann jedenfalls die Zustimmung des DeutschenBundestages; das schreibt das Grundgesetz vor. Die ent-sprechenden Gerichtsbeschlüsse sind hier eindeutig. Wirals SPD werden darauf beharren, dass dieses Prozedereeingehalten wird.
Ich erwarte auch eine Erklärung – denn das ist nur ge-setzt und nicht erklärt, das will ich nur anmerken – derTatsache, dass dieses Gesetz streng befristet ist. Sie le-gen uns ein 480-Milliarden-Gesetz mit einer Zehnmonats-laufzeit vor. Dieses Zehnmonatsgesetz soll bereits am31. Dezember 2012 auslaufen. Natürlich geht es um den30. Juni, also die Frage der Anforderungen der Rekapita-lisierung. Man muss uns aber einmal erklären, warumman denn jetzt schon weiß, dass das Gesetz danach nichtmehr benötigt wird. Diese Setzung bedarf der Erklärung.Mein letzter Punkt – Herr Kollege Toncar, ich nehmeSie gern beim Wort: Wir müssen die parlamentarischenRechte, die Durchgriffsmöglichkeiten erweitern und ver-bessern. Ich hoffe, dass das jetzt nicht nur eine Ankündi-gung war, dass wir darüber reden, sondern dass sich amEnde wirklich etwas verändert. Das jedenfalls wollenwir als Sozialdemokraten.Vielen Dank.
Das Präsidium würdigt ausdrücklich, dass das der
erste Redner in dieser Debatte war, der sich an die Rede-
zeit gehalten hat.
Das Wort hat der Kollege Ralph Brinkhaus für die
Unionsfraktion.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Viel-leicht liegt das Einhalten der Redezeit auch daran, dasssubstanziell nichts mehr zum Thema beizutragen war;denn wenn ich die Einlassungen der Opposition höre,dann finde ich, dass das Gesetz so schlecht nicht seinkann. Die Kritik, die geübt wurde, ist auch ein wenig be-müht. Es wundert mich aber auch nicht, dass die Einlas-sungen entsprechend ausfallen, weil die Leute, die jetztin der Opposition sitzen, teilweise sehr stark am Finanz-marktstabilisierungspaket I mitgewirkt haben. Das istmein erster Punkt.Zweiter Punkt. Als Erwiderung zum Kollegen Clausmöchte ich sagen: Wir können es Ihnen wahrscheinlichnur recht machen, wenn wir den Bolschewismus wiedereinführen.
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iese Systemstabilität hat ein Gesicht: Es ist nicht dervestor aus Asien oder Amerika, sondern der Sparer,er sein Geld zur Bank bringt, der Arbeitnehmer, dereine Lebensversicherungsbeiträge einzahlt, der mittel-tändische Unternehmer, der einen Kredit haben will, dieleine Volksbank, Sparkasse oder auch Privatbank vorrt sowie, nicht zuletzt, der Steuerzahler. Deswegen ists richtig, dass wir das System stabilisieren.
Sie haben angesprochen, dass wir mit dem Zweiteninanzmarktstabilierungsgesetz gegenüber dem Ersteninanzmarktstabilisierungsgesetz nur wenig ändern.etzt muss ich doch noch auf den Kollegen Sieling ein-ehen, der sich das Gesetz, glaube ich, nicht ganz durch-elesen hat, zumindest nicht Art. 2. Herr Sieling, Sie ha-en über die Zwangskapitalisierung räsoniert. Natürlichieht das Gesetz keine Zwangskapitalisierung vor, so wieie sie sich wünschen; aber wir haben der BaFin mit dernderung des § 10 Abs. 1 b KWG ein scharfes Schwert die Hand gegeben: Eigenmittelanforderungen könnenhne Vorgaben durch Verordnungen durchaus massiv er-öht werden. Wenn Sie sich die Stellungnahmen, dieorliegen, durchgelesen haben, dann erkennen Sie: Dasird in der Branche sehr stark kritisiert. Insofern müssenir darauf achten, dass die BaFin mit diesem Instrumentehr vorsichtig und behutsam umgeht; denn es greift sehrtark in die unternehmerischen Freiheiten ein. Dasanze ist verfassungsrechtlich sehr kritisch. So viel zumhema Zwangskapitalisierung: Sie ist nicht der richtigeeg; wir machen das etwas eleganter. Insofern ist auchas Problem gelöst.Ich komme zum nächsten Punkt, der kritisiert wordent. Man fragt: Warum habt ihr denn das Ganze zum 31. De-ember 2010 auslaufen lassen? Ja, warum? Darauf gibts eine Antwort: weil die Finanzmarktstabilisierungach unserem Verständnis – da spreche ich auch für dieiberalen – nicht der Regelfall sein kann; sie kann nurine Ausnahme sein. Im Regelfall gilt immer noch dasestrukturierungsgesetz, ein Gesetz, das – ich werdeicht müde, es zu betonen – Maßstäbe in Europa undeltweit gesetzt hat,
in Gesetz, das wirklich Avantgarde war. Auf dieses Ge-etz können wir zurückgreifen.Wir sind aber momentan in einer Situation, die nichtormal ist. Jetzt könnte man fragen: Warum führt ihr dastzt wieder ein, obwohl die Commerzbank heute Mor-en erklärt hat, sie kriege das so hin? Wir sind in einer
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Ralph Brinkhaus
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Situation, in der die Staatsverschuldungskrise wiedereinmal in eine sehr entscheidende Phase gerät, und dasnicht nur wegen Griechenland, sondern insbesonderedeswegen, weil auch Länder wie Italien, Frankreich undSpanien, übrigens auch wir – da haben wir wenigerSchwierigkeiten –, erheblichen Refinanzierungsbedarfhaben. Das heißt, wir werden in den nächsten Monatendurchaus sehr viel Spaß haben. Da ist es vielleicht einbisschen besser, etwas zu reaktivieren, was in Regelzei-ten nicht notwendig ist. Wir arbeiten mit Hosenträgerund Gürtel;
das Restrukturierungsgesetz ist der Hosenträger, dasZweite Finanzmarktstabilisierungsgesetz ist der Gürtel,den wir in dieser Zeit umschnallen. Ich denke, das istrichtig und gut.Ich möchte noch einen Punkt beleuchten – vielleichtspielen hier ein bisschen die Dinge hinein, die HerrSchick angesprochen hat –: parlamentarische Mitwir-kung und Kontrolle. Es ist so: Wenn wir dieses Gesetzverabschiedet haben, wenn die Garantien ausgelegt, dieBeteiligungen eingegangen und die Abwicklungsanstal-ten gegründet sind, dann ist unsere Aufgabe eigentlichzu Ende. Dann ist es vermeintlich wie in einem Holly-wood-Spielfilm: Der Staatssekretär reitet in die unterge-hende Sonne, und alles ist gut. Das ist aber leider nichtder Fall; denn wir müssen uns auch im Gremium gemäߧ 10a FMStFG mit den Mühen der Ebene beschäftigen.Mit den „Mühen der Ebene“ meine ich: All das ist nochnicht vorbei, wenn die Dinge, die ich gerade genannthabe, passiert sind; leider geht es weiter.Wir wissen: Wir haben noch Garantien aus dem Fi-nanzmarktstabilisierungspaket I in zweistelliger Milliar-denhöhe ausliegen; wir müssen sie zurückholen. Das isteine Menge Arbeit. Wir sind Beteiligungen eingegan-gen. Ja, der Staat ist im Sinne von Herrn Claus – erwünscht sich das – Banker geworden; wir haben faktischeine Hauptversammlungsmehrheit bei der Commerz-bank und sind Eigentümer der Hypo Real Estate. Daskann nicht der Regelfall sein.Herr Schick, Sie haben Professor Zimmer angespro-chen. Natürlich müssen wir uns eine Exitstrategie über-legen; denn es entspricht nicht unserem Selbstverständ-nis, dass wir als Staat den Bankenhandel vorantreiben;das sollte weiter privatwirtschaftlich erledigt werden.
Wir haben aber noch eine Baustelle, über die wir unsbisher viel zu wenig unterhalten haben: die Abwick-lungsanstalten der Hypo Real Estate in München und derWestLB in Düsseldorf. Diese Abwicklungsanstalten ha-ben eine Bilanzsumme von momentan weit über 300 Mil-liarden Euro. Das ist mehr, als der Bundeshaushalt um-fasst. Dort sitzen Männer und Frauen, die sich bemühen,dieses Portfolio sehr sorgfältig abzuarbeiten – manchmalgelingt das nicht, siehe: Buchungsfehler – und dafür zusorgen, dass dem Steuerzahler dabei keine Verluste ent-stehen. Ich denke, wir sollten diesen Prozess noch engerbegleiten, als das in der Vergangenheit der Fall war.dsasdgeluDvBdndfekszDs
Ich schließe die Aussprache.Zwischen den Fraktionen ist es verabredet, den Ge-etzentwurf auf Drucksache 17/8343 an die Ausschüsseu überweisen, die Sie in der Tagesordnung finden. –azu gibt es keinen Widerspruch. Dann ist die Überwei-ung so beschlossen.Ich rufe jetzt Tagesordnungspunkt 8 auf:Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-richts des Ausschusses für Familie, Senioren,Frauen und Jugend
– zu dem Antrag der Abgeordneten Diana Golze,Jan Korte, Herbert Behrens, weiterer Abgeord-neter und der Fraktion DIE LINKEDie UN-Kinderrechtskonvention bei Flücht-lingskindern anwenden – Die Bundesländerin die Pflicht nehmen– zu dem Antrag der Abgeordneten Diana Golze,Herbert Behrens, Matthias W. Birkwald, weite-rer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKEKinderrechte umfassend stärken und insGrundgesetz aufnehmen– zu dem Antrag der Abgeordneten Katja Dörner,Volker Beck , Ekin Deligöz, weitererAbgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNENKinderrechte stärken– Drucksachen 17/7643, 17/7644, 17/7187,17/8382 –Berichterstattung:Abgeordnete Dr. Peter TauberMarlene Rupprecht
Miriam GrußDiana GolzeKatja Dörner
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18236 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 152. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. Januar 2012
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt
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Es ist verabredet, hierzu eine halbe Stunde zu debat-tieren. – Auch dazu sehe und höre ich keinen Wider-spruch. Dann ist das so beschlossen.Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat für dieCDU/CSU-Fraktion die Kollegin Dorothee Bär.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Herr Staatssekretär!Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrtenDamen und Herren! Das Thema, das heute auf derTagesordnung steht, ist nicht neu; vielmehr streiten wirseit vielen Jahren sehr kontrovers über die Aufnahmevon Kinderrechten in die Verfassung. Natürlich gibt esganz unterschiedliche Denkschulen. Die einen sagen: Eskann mehr für Kinder getan werden, wenn Kinderrechteauch in der Verfassung verankert sind. Dann gibt es dieanderen, die sagen: Das ist nicht notwendig. Ich glaube,wir brauchen uns nicht gegenseitig zu unterstellen, dassdie einen, die für die Aufnahme von Kinderrechten indie Verfassung sind, potenziell mehr für Kinder tun wol-len als diejenigen, die sagen, Kinderrechte sollen nichtins Grundgesetz aufgenommen werden.
– Es ist sehr kleingeistig und kleinkariert, wenn Sie dasso sehen. – Ich bin der Meinung, dass es keinen Unter-schied zwischen Mensch und Mensch gibt. Auch Kindersind selbstverständlich Menschen und haben Menschen-rechte.Ich bin aber dankbar, dass Sie mit einigen komischenForderungen die Möglichkeit eröffnen, diese Debatte zuführen; denn es ist mir ein Anliegen, darauf hinzuwei-sen, was wir als die christlich-liberale Koalition bisherfür Kinder getan haben. In den vergangenen zwei Jahrenhat sich nämlich eine ganze Menge getan.Wir haben beispielsweise die finanzielle Unterstüt-zung massiv erhöht. Wir haben die Anzahl der Betreu-ungsplätze ausgebaut und das Nationale Zentrum FrüheHilfen etabliert. Wir haben gleich zu Beginn dieser Le-gislaturperiode – vielleicht ist bei einigen das Gedächt-nis nicht mehr ganz so auf dem neuesten Stand; deshalbist es gut, das in Erinnerung zu rufen – das Kindergelderhöht; ich bin mir sicher, dass viele in den Reihen derOpposition das nicht mehr wissen. Wir haben das Kin-dergeld für jedes Kind monatlich um 20 Euro erhöht.Wir haben auch den Kinderfreibetrag erhöht, und zwarnicht zu knapp, nämlich von 6 024 Euro auf 7 008 Euro.Wir haben ein Bildungspaket ins Leben gerufen. Wirhelfen Familien, die in eine Notlage geraten sind. Es gibtseit dem 1. Januar 2011 eine ganze Reihe neuer Leistun-gen, die wir auf den Weg gebracht haben. Wir haben dieErstattung der Kosten für Kita und Schulausflüge, denZuschuss für ein gemeinschaftliches Mittagessen in Kin-dertageseinrichtungen und in Schulen und die Über-nahme der Kosten für die Lernförderung eingeführt. Wirhaben zudem in Schwerpunktkitas zur Sprach- und Inte-grationsförderung – es sind 4 000 in ganz Deutschland –investiert, damit Kinder in sozialen Brennpunkten mehrChancen haben.kWvzsnmaInfofiKWJseZadkWSSwdKdUaoadK„xfiKawKeUmÜdTdfr
Das wollen wir natürlich nicht. Ich bin der festenberzeugung, dass das, was wir, CDU/CSU und FDP, inen letzten Jahren geleistet haben, dass unsere konkretenaten wesentlich effizienter und zielführender sind undass Symbolik an der Stelle nicht weiterbringt. Ich binoh über das, was in den letzten zwei Jahren gut gelun-
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 152. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. Januar 2012 18237
Dorothee Bär
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gen ist. Wir werden die nächsten beiden Jahre für dieKinder auf diesem Weg weitergehen.Vielen Dank.
Die Kollegin Marlene Rupprecht hat für die SPD-
Fraktion das Wort.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kolle-gen! Uns liegen heute einige Anträge vor, über die wirdebattieren. Uns lagen vor Weihnachten Anträge vor,über die wir in der Zeit um den 20. November, den Inter-nationalen Tag der Kinderrechte, debattiert haben. Heuteliegen uns drei Anträge vor, zwei von der Fraktion DieLinke und einer von der Fraktion Bündnis 90/Die Grü-nen. Alle drei Anträge beschäftigen sich ebenso wie diedrei Anträge, die wir vor Weihnachten behandelten – eswaren SPD-Anträge, die mittlerweile verabschiedetsind –, mit Kinderrechten.Es geht in allen Anträgen darum, dass die Menschen-rechte im Sinne der Kinder angepasst werden. Natürlichsind Kinder Menschen. Hoffentlich bezweifelt dies keinMensch mehr in der heutigen Zeit. Schließlich ist esnoch gar nicht so lange her – so war es bis ins 19. Jahr-hundert –, dass Kinder so lange als Sachen angesehenwurden, bis sie erwachsen waren. Eigentlich galten sienicht als eigenständige Wesen.Seit dem 20. und vor allem seit dem 21. Jahrhundertsehen wir Kinder als eigenständige Wesen mit eigenenBedürfnissen und eigenen Ansprüchen an, was ihreRechte, ihre Unterstützung, ihre Förderung und ihrenSchutz angeht. Es geht darum, die Menschenrechte so zugestalten, dass sie auch im Hinblick auf die Kinder ange-wendet werden können. Um nichts anderes geht es.Die Menschenrechte sind bei uns in dem Werk nieder-gelegt, das die Werte einer Gesellschaft festlegt. Ichmeine die Verfassung, also das Grundgesetz für die Bun-desrepublik Deutschland. Als das geschaffen wurde, hatman Kinder noch relativ stark als Objekte gesehen undnicht als eigenständige Subjekte, die Rechte haben. Nunkämpfen wir dafür, dass die Menschenrechte, die Grund-rechte so formuliert werden, dass sie auch für Kindergelten.Unterstützt werden wir seit 1989 durch die UN-Kin-derrechtskonvention. Sie ist schön zu lesen. Ich habe sieimmer dabei, und, ich glaube, meine Kollegen aus derKinderkommission haben sie jetzt auch immer dabei.Man muss sie wie ein Brevier immer bei sich tragen.Verfassungsrechtler sagen – ich bin keine Verfassungs-rechtlerin –, dass die Artikel der Kinderrechtskonventionaufgrund ihrer Formulierung direkt im Inland gelten,dass man sie gar nicht in nationale einfache Gesetzge-bung umformulieren muss. In Art. 3 dieser Konventionheißt es:–„znDabPeKnnhssVtelaatoGobwWhedsdsindkudddghdfagba–1
Des Weiteren wollen wir, dass unabhängige Anlauf-tellen für Kinder geschaffen werden. Dies war Thema den Diskussionen über Missbrauchsfälle. Den Kin-ern fehlte jemand, dem sie Vertrauen entgegenbringenonnten, an den sie sich wenden konnten. Wir brauchennabhängige Ombudsstellen oder Anlaufstellen für Kin-er, die ihnen helfen, und zwar auf allen Ebenen. Auchiese Forderung ist in der UN-Konvention für die Rechteer Kinder enthalten.Ja, Sie haben auf die Rücknahme der Vorbehalte hin-ewiesen. Dafür bin ich sehr dankbar. Dieses Parlamentat über ein Jahrzehnt dafür gekämpft. Ich bin froh, dassiese Rücknahme jetzt gelungen ist. Nun muss die ein-che Gesetzgebung, zum Beispiel die Sozialgesetz-ebung, die Asylgesetzgebung – ich denke an das Asyl-ewerberleistungsgesetz – und das Aufenthaltsrecht,ngepasst werden. Es kann nicht mehr sein, dass Kinder die UN definiert Kinder als Menschen von 0 bis8 Jahren, nicht bis 16 Jahren – in Abschiebehaft ge-
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Marlene Rupprecht
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nommen werden oder in ein Flughafenverfahren kom-men. Sie dürfen auch nicht in Sammelunterkünften un-tergebracht werden.Es hat mit unserem eigenen Selbstverständnis zu tun,dass wir Humanität gewähren. Ich denke, ein Staat, eineGemeinschaft, die von sich annehmen, dass sie hinsicht-lich der Einhaltung der Menschenrechte in der erstenLiga spielen, können es sich nicht länger leisten, dass siebestimmte Rechte für Kinder, und zwar für alle, für in-und ausländische Kinder, die sich hier in Deutschlandbefinden, nicht gelten lassen.
Es ist dringend notwendig, dass diese Situation geändertwird.Auch das Argument: „Es gibt ein Abkommen zwi-schen den Bundesländern und dem Bund, das soge-nannte Lindauer Abkommen, das nur einstimmig geän-dert werden kann“, trägt nicht. Ich lese unheimlich gernGesetzestexte, wenn ich sie verstehe. Das Grundgesetzversteht man gut. Auch die Kommentare versteht mangut. Ich habe mich in den letzten Wochen quer durch allemöglichen Kommentare gelesen. Ich habe auch Aufsätzezu diesem Thema gelesen. Die Verfassungsrechtler sa-gen: Alle haben zugestimmt – bei einem solchen Verfah-ren wird vorher ja immer die Zustimmung überprüft –,aber hinterher fragte man sich: Wie kam es eigentlichdazu, dass wir dem zugestimmt haben? Auch als es umdie UN-Konvention über die Rechte der Menschen mitBehinderungen ging, wurde gesagt: Wir stimmen zu.Aber jetzt heißt es: Nein, für uns gilt das nicht. Das habtihr allein gemacht. – Das kann nicht sein.Vielleicht wäre es wirklich gut, wir würden ein paarordentliche Urteile bekommen. Das Bundesverfassungs-gericht ist in dieser Hinsicht am fortschrittlichsten. Kin-der sollten allerdings auch häufiger vor Verwaltungsge-richten recht bekommen. Ich will zwar keine Scheltebetreiben, würde aber sagen: Hier wäre ein bisschenNachhilfe gut und notwendig; das gilt auch für manchandere Gerichte. Deshalb ist die Forderung, die UN-Kin-derrechte bekannter zu machen, eine wunderbare Forde-rung, die ich gern unterstütze. Jedes Kind und jeder Er-wachsene muss wissen: Es gibt Menschenrechte in Formvon Kinderrechten. Sie sind in Deutschland bekannt undwerden hier gelebt.Danke schön.
Miriam Gruß hat das Wort für die Fraktion der FDP.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen undHerren! Über dieses Thema haben wir in den letzten Mo-ngsdichBRsKMsdbFruddAfaBnshagsduvntihGzicgKSgGtedsm–tatow
Danke schön, Frau Dörner.Wir haben einiges zur Stärkung der Kinderrechte ge-n; auch das ist schon erwähnt worden. Ich möchte be-nen: Für uns als FDP-Fraktion ist ein weiterer sehrichtiger Punkt, der noch nicht so recht beachtet wird,
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Miriam Gruß
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das Individualbeschwerdeverfahren. Bislang war esnicht möglich, dass sich Kinder direkt an den UN-Aus-schuss für die Rechte des Kindes wenden. Es ist gut,dass das Zusatzprotokoll für das Beschwerdeverfahrensehr wahrscheinlich in den nächsten Monaten unter-zeichnet wird. Auch dadurch stärken wir die Rechte derKinder, und zwar ganz konkret.
Wir brauchen uns auch auf internationaler Ebene nichtzu verstecken, sondern wir können zu Recht sagen: InDeutschland stehen die Kinderrechte im Fokus.
Zweitens. Kinderlärm. Das ist mein Lieblingsthema.Als ich 1998 zum ersten Mal für den Landtag kandidierthabe, habe ich vor den Kindergärten Plakate mit demAufdruck „Kinderlärm ist Zukunftsmusik“ plakatiert.Dass es uns im letzten Jahr tatsächlich gelungen ist, dasBundes-Immissionsschutzgesetz zu verändern und damitzu erreichen, dass Kinderlärm nicht mehr mit Industrie-lärm gleichgesetzt werden kann, ist mein ganz persönli-ches parlamentarisches Highlight. Ich glaube, das istauch ein ganz wichtiges Signal in Deutschland: Bei unsdürfen die Kinder lärmen und schreien. Sie haben dasRecht, so zu sein, wie sie wollen, und dürfen in ihremHandeln und Tun – lachen, schreien und was auch im-mer Kinder machen – nicht beschnitten werden.Drittens. Last, but not least das schon angesprocheneBundeskinderschutzgesetz. Das ist ein wichtiges Gesetzfür die Rechte von Kindern auf Unversehrtheit. Uns wares damals ganz wichtig, die Prävention mit aufzuneh-men. Auch dadurch stärken wir die Rechte von Kindern.Über die Familienhebammen wurde hier im Plenum aus-führlich gesprochen und diskutiert. Auch hier ist es unsgelungen, einen Schritt in die richtige Richtung zu ma-chen.Ich kann insgesamt sagen, dass sich die Bilanz sehenlassen kann. Wir haben die Rechte der Kinder in denletzten zwei Jahren gestärkt, und deswegen brauchen wiruns in Bezug auf die Kinderrechte wirklich nicht zu ver-stecken.Vielen Dank.
Das Wort hat die Kollegin Diana Golze für die Frak-
tion Die Linke.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen undKollegen! Es ist erst wenige Tage her, dass die Sternsin-ger in Deutschland unterwegs waren.
Sie haben an viele Türen geklopft, Spenden gesammeltund gute Wünsche überbracht. In diesem Jahr stand diegasHWWMdmsnvsssaRhsbwBEbGkcuKdhtemhhaEMgHbDsresddb
Zweites Problem. Die UN-Kinderrechtskonventionat keinen wirklichen Verfassungsrang. Wir fordern des-alb ja nicht ohne Grund die Aufnahme der Kinderrechteuf Schutz, Förderung und Beteiligung ins Grundgesetz.s geht eben um mehr als nur um eine symbolischeaßnahme. Ich zitiere deshalb an dieser Stelle sehrerne den Minister der Justiz des Landes Brandenburg,errn Dr. Schöneburg, der gesagt hat: Die Verfassungindet den Gesetzgeber. Das macht den Rechtsstaat aus.er Gesetzgeber ist an den Normenbestand der Verfas-ung gebunden. Insofern ist es wichtig, dass Kinder-chte in die Verfassung aufgenommen werden, damitich der Gesetzgeber, wenn er Einfachgesetze erlässt,aran gebunden fühlt.Es geht eben um mehr als nur um Symbolik. Es gehtarum, den Gesetzgeber bei allem, was in diesem Hauseeschlossen wird, zu binden.
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18240 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 152. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. Januar 2012
Diana Golze
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Ich frage Sie von den Regierungsfraktionen: Wie wirdnun die Bundesregierung, wie werden Sie mit der Ent-schließung des Bundesrates umgehen? Die Bundeslän-der haben sich mehrheitlich für die Aufnahme von Kin-derrechten ins Grundgesetz ausgesprochen. Sie könnensich also nicht mehr wie bei der Rücknahme der Vorbe-halte gegen die UN-Kinderrechtskonvention darauf zu-rückziehen, dass die Bundesländer dies angeblich nichtwollen. Die Bundesländer wollen die Aufnahme vonKinderrechten ins Grundgesetz. Wie gehen Sie damitum? Welche Reaktion kommt von Ihnen? Ich habe bis-her keine zur Kenntnis genommen.Drittes Problem. Selbst die bereits existierendenRechte von Kindern und Jugendlichen werden nicht beiallen Kindern und Jugendlichen angewandt. 16- und 17-jährige Flüchtlinge werden bereits an der Grenze aufge-griffen und sofort wieder abgeschoben. Die Jugendämterwerden in diesen Vorgang überhaupt nicht einbezogen.Es gibt keine Dienstanweisung an die Bundespolizei,dass hier die Jugendämter einzubeziehen sind. Es wirdnicht einmal eine Statistik darüber geführt, wie viele 16-und 17-Jährige aufgegriffen und wieder abgeschobenwerden, und zwar in einem Land, in dem über allesMögliche Statistiken geführt werden. Aber bei so einemwichtigen Thema gibt es keine Zahlen. Deshalb sagenwir: Auch nach der Rücknahme des letzten Vorbehaltsgegen die UN-Kinderrechtskonvention sind gesetzlicheÄnderungen zum Schutz der betroffenen Kinder notwen-dig.Zum Schluss. Man hat es sich auch nicht leicht ge-macht, als es darum ging, die Gleichberechtigung vonMann und Frau in das Grundgesetz aufzunehmen. Da-mals gab es den Spruch: Frauen sind auch Menschen,und Menschenrechte stehen im Grundgesetz. Bitte ma-chen Sie nicht länger den gleichen Fehler bei den Kin-dern.Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Die Kollegin Katja Dörner hat für die Fraktion Bünd-
nis 90/Die Grünen das Wort.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen!Liebe Kollegen! Wir reden hier im Deutschen Bundestagjetzt zum dritten Mal in einer relativ kurzen Zeitspanneüber die Kinderrechte. Darüber bin ich sehr froh, und ichfinde das sehr gut. Ich möchte ausdrücklich sagen: Ichmöchte hier über die Rechte sprechen, die Kinder haben,über die Kinderrechte, und nicht über das, was die Re-gierung angeblich so Tolles für die Kinder getan hat. Dasist nämlich ein großer Unterschied.Ich bin irritiert über die Haltung einiger Kolleginnenund Kollegen aus den Regierungsfraktionen im Vorfelddieser Debatte, die sich regelrecht genervt darüber ge-zeigt haben, dass wir zum dritten Mal über die Kinder-reAwtiEkedIcredwbreDmmdcaddDbmFhkhfakSusnCmdleusE
h bin sehr froh, dass gerade die Forderung, Kinder-chte ins Grundgesetz aufzunehmen, neuen Schwungurch die Entschließung des Bundesrates zu diesemichtigen Thema bekommen hat. Steter Tropfen höhltekanntlich den Stein. Gerade was die Frage Kinder-chte in die Verfassung angeht, können wir bemerken:er Tropfen ist nicht nur stetig, sondern er wird auch im-er größer. Das ist sehr gut so.Art. 3 der UN-Kinderrechtskonvention ist heute schonehrfach angesprochen worden; ich muss das nicht wie-erholen. Aber ich bin mir mit meiner Fraktion völlig si-her, dass der Vorrangstellung der Kinderrechte dadurchm besten Ausdruck verliehen werden kann, dass manie Kinderrechte ins Grundgesetz aufnimmt. Die Zeitafür ist ohne Frage reif.
Wie sieht es denn faktisch mit den Kinderrechten ineutschland aus? Trotz der von uns allen ausdrücklichegrüßten Rücknahme der Vorbehaltserklärung ist es im-er noch möglich, dass minderjährige unbegleitetelüchtlinge in ihren Asylverfahren wie Erwachsene be-andelt werden. Das heißt, sie können in Sammelunter-ünften untergebracht werden. Sie können in Abschiebe-aft genommen werden. Sie können im Flughafenver-hren einfach und schnell abgefertigt werden. Sie habenein Recht auf eine umfassende Gesundheitsversorgung.ie haben auch kein Recht auf Leistungen der Kinder-nd Jugendhilfe.Ich finde es beschämend, dass das die Sachlage in un-erem Land ist. Ich wünsche mir gerade von Kollegin-en und Kollegen, die in ihrem Parteinamen ein großes führen, dass sie diesen Tatbestand nicht einfach nurit einem Schulterzucken abtun.
Minderjährige Flüchtlinge werden weiterhin an dereutschen Grenze abgewiesen und zurückgeschoben. Al-in zwischen 2008 und 2010 gab es 16 Zurückweisungennd 60 Zurückschiebungen. Auch das ist ein klarer Ver-toß gegen die Kinderrechtskonvention. Das muss einnde haben.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 152. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. Januar 2012 18241
Katja Dörner
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Die Bundeswehr kann weiterhin Minderjährige rekru-tieren und an der Waffe ausbilden. Ein vernünftiges Mo-nitoringverfahren zur Umsetzung der UN-Kinderrechts-konvention in Deutschland fehlt immer noch. Unserschöner Aktionsplan für ein kindergerechtes Deutsch-land wurde sang- und klanglos beerdigt, weil es angeb-lich überhaupt keinen Handlungsbedarf mehr gibt.Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, wir haben in un-seren Anträgen deutlich gemacht, welche gesetzlichenÄnderungen notwendig sind, um die Kinderrechte inDeutschland zu stärken und zu verbessern und zu ermög-lichen, dass die Rechte gerade von minderjährigen unbe-gleiteten Flüchtlingen endlich gewahrt werden. Es ist zu-dem eine große Herausforderung, die Kinderrechte nochbekannter zu machen. Das muss schon in den Kitas undSchulen geschehen, bei Kindern und Erwachsenen glei-chermaßen. Denn nur wer seine Rechte kennt, hat eineChance, sich diese zu erstreiten.
Das Individualbeschwerdeverfahren ist schon ange-sprochen worden. Es ist ohne Frage eine sehr gute Sa-che. Ich gehe davon aus, dass die Bundesrepublik dasentsprechende Zusatzprotokoll schnell ratifizieren wird.Ich hoffe, dass sich die heute aufgeworfenen Fragenauch aufseiten der Regierungsfraktionen noch einmalneu stellen und dann anders beantwortet werden. DieZeit ist jedenfalls reif dafür.Fassen Sie sich endlich ein Herz! Machen Sie sich mituns auf den Weg! Machen Sie mit uns einen gemeinsa-men Gesetzentwurf! Die Kinderrechte gehören insGrundgesetz.Vielen Dank.
Eckhard Pols hat das Wort für die CDU/CSU-Frak-
tion.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen undKollegen! Liebe Kinder und Jugendliche! Um eureRechte geht es heute, und hierüber wollen wir heutenoch einmal debattieren. Kindergerechtigkeit und Kin-derfreundlichkeit fangen zu Hause an. Diesen Satz ausmeiner letzten Rede möchte ich aufgreifen und weiterausführen.Die theoretische Diskussion über eure Kinderrechtehaben wir in den vergangenen Wochen und Monatenhier schon ausführlich geführt und die Argumente fürbzw. gegen eine Aufnahme von euren Kinderrechten insGrundgesetz hinlänglich und in sachlicher Breite ausge-tauscht. Für mich fangen Kinderrechte dort an, wo eureLinedameguwSsMteteSSdPRSsFkssFGRressGriseGnfidDdmB
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18242 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 152. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. Januar 2012
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Ich möchte euch gern noch ein aktuelles Praxisprojektzur Beteiligung von euch Kindern und Jugendlichen ausmeiner Heimatstadt vorstellen. Frau Golze, es gibt alsonoch Gemeinden, die sich damit beschäftigen und solcheProjekte nicht dem Rotstift zum Opfer fallen lassen, wieSie behaupten. Beteiligung von euch Kindern und Ju-gendlichen wird häufig leider nicht als Recht angesehen,sondern als Gunst gewährt. Bislang wird die Beteiligungvon jungen Menschen viel zu oft in das Belieben vonuns Erwachsenen gestellt. Aus diesem Grund freut esmich besonders, dass die Mitglieder des Jugendhilfeaus-schusses der Hansestadt Lüneburg im September 2011einstimmig ein Grobkonzept zur Beteiligung von euchKindern und Jugendlichen beschlossen haben. Das Pro-jekt soll zunächst für zwei Jahre an drei Modellstandor-ten in drei Stadtteilen getestet werden. Konkret könntihr, die interessierten Jugendlichen, eure Ideen undWünsche zum Beispiel zur Freizeitgestaltung in denStadtteilzentren vorstellen und die Kosten dafür selbstermitteln. Am Ende stimmt ihr demokratisch darüber ab,welche Projektideen tatsächlich umgesetzt werden. DieHansestadt Lüneburg stellt eigens dafür finanzielle Mit-tel zur Verfügung, über deren Verwendung ihr jungenLeute selber entscheiden könnt. Das ist ein erfolgreichesBeispiel für gewollte und unterstützte Beteiligung voneuch Kindern und Jugendlichen. Diese Beteiligungskul-tur wünsche ich mir auch in anderen Städten und Ge-meinden.Die theoretischen Grundlagen und Kenntnisse überKinderrechte sind zwar wichtig. Aber noch wichtigerund besser ist die praktische Umsetzung vor Ort.Ich bedanke mich für eure Aufmerksamkeit, liebeKinder und Jugendliche, und auch für Ihre, liebe Kolle-ginnen und Kollegen.
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über die Beschluss-
empfehlung des Ausschusses für Familie, Senioren,
Frauen und Jugend auf Drucksache 17/8382. Der Aus-
schuss empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschluss-
empfehlung die Ablehnung des Antrags der Fraktion Die
Linke auf Drucksache 17/7643 mit dem Titel „Die UN-
Kinderrechtskonvention bei Flüchtlingskindern anwen-
den – Die Bundesländer in die Pflicht nehmen“. Wer
stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt
dagegen? – Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung
ist angenommen bei Zustimmung durch die Koalitions-
fraktionen. Die Oppositionsfraktionen haben abgelehnt.
Unter Buchstabe b empfiehlt der Ausschuss die Ab-
lehnung des Antrags der Fraktion Die Linke auf Druck-
sache 17/7644 mit dem Titel „Kinderrechte umfassend
stärken und ins Grundgesetz aufnehmen“. Wer stimmt für
diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? –
Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung ist angenom-
men mit dem gleichen Stimmenergebnis wie zuvor.
Schließlich empfiehlt der Ausschuss unter Buchstabe c
seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des An-
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Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!h freue mich außerordentlich, dass es uns gelungen ist, vergangenen Jahr einen gemeinsamen Antrag zumhema Biopatente auf den Weg zu bringen. Ich dankeeinen Kolleginnen und Kollegen sehr herzlich für dieusgesprochen konstruktive Zusammenarbeit. Ich dankeerrn Miersch dafür, der eigene Vorschläge gemacht hat,enauso meinem Kollegen Max Lehmer. Ulrike Höfkent inzwischen Ministerin geworden; Herr Ebner ist hiern ihre Stelle getreten. Frau Tackmann hat sich ebenfallsn der Diskussion beteiligt. Dafür ein ganz herzlichesankeschön! – Ich finde, ihr könntet den Kolleginnennd Kollegen, die über ein Jahr daran gearbeitet haben,in bisschen Beifall spenden.
lle diejenigen, die sich daran beteiligt haben – es warenuch die Juristen dabei –, haben enorm gute Arbeit ge-istet.Die Fraktionen im Deutschen Bundestag lehnen ge-einsam die Patentierung von konventionell gezüchte-n landwirtschaftlichen Nutztieren und Nutzpflanzenb. Die Begründung dafür – das will ich auch sagen – istehr einfach: Wir haben mit unserem Sortenschutzrecht Deutschland ein sehr gutes Instrument, um im Bereicher Pflanzenzüchtung den Urheberrechtsschutz für dieflanzenzüchter zu gewährleisten. Ich will aber zugeste-en, dass für den Bereich der Tierzucht – das ist uns ge-einsam deutlich geworden – ein ähnliches Instrumenthlt; wir sollten dies gemeinsam mit den Züchtern nochntwickeln.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 152. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. Januar 2012 18243
Dr. Christel Happach-Kasan
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Als Wissenschaftsstandort hat Deutschland ein großesInteresse am Urheberrechtsschutz. Wer in geistige Leis-tungen wie Erfindungen investiert, muss daraus auch ei-nen Gewinn haben. Was für Autoren eine Selbstver-ständlichkeit ist, gilt auch für jeden Erfinder, ob imMaschinenbau oder in der Pflanzenzucht. Die geistigenLeistungen müssen geschützt werden.Die Ablehnung der Patentierung im Bereich der kon-ventionellen Pflanzenzüchtung als Instrument des Urhe-berrechtschutzes muss aber auch zur Konsequenz haben,dass der Sortenschutz gestärkt und weiterentwickeltwird. Innovationen in der Pflanzenzüchtung brauchenden Sortenschutz. Dazu gehört für die FDP auch – daswill ich deutlich sagen –, dass die Pflanzenzüchter dabeiunterstützt werden, die gesetzlich festgelegten Nachbau-gebühren zu realisieren. Das Nachbaurecht der Land-wirte ist gekoppelt an die Zahlung der Nachbaugebüh-ren.
Das hat einen ganz praktischen Grund. Wir könnennicht damit zufrieden sein, dass der Züchtungsfortschrittbei den Hybridsorten, bei Raps und Mais, bei denenNachbau nicht sinnvoll ist, deutlich höher ist als beimWeizen. Wir sind inzwischen Nettoimporteur von Wei-zen.Innovationen sind Voraussetzung für Wachstum, fürChancen für die nachwachsenden Generationen, für einenachhaltige Ausrichtung der Wirtschaft. Deutschland istein Land von Erfindergeist und Innovation. Die Bewah-rung dieser Tradition ist nach Thomas Morus nicht dasHalten der Asche, also die Orientierung an Innovationender Vergangenheit, sondern das Weitergeben derFlamme. Dazu gehören für mich die biotechnologischePflanzenzüchtung und die Nanotechnologie, zwei Bei-spiele für das, was auch in Deutschland möglich seinmuss.
Es gibt sehr unterschiedliche Rechtsinstrumente fürden Schutz geistigen Eigentums. Dazu gehören auch Pa-tente. Ihre Stigmatisierung lehnen wir ab. Seit dem19. Jahrhundert gibt es Patente auf Organismen. Gen-technisch veränderte Mikroorganismen produzierenVitamine, Aminosäuren sowie Wirkstoffe für Medika-mente. Sie sind patentrechtlich geschützt. Dies ist in ei-ner auf Nachhaltigkeit ausgerichteten Wirtschaft wich-tig; denn so werden Energie und Wasser gespart.Deswegen, liebe Kolleginnen und Kollegen, gibt es imwahren Sinne des Wortes keine gentechnikfreien Regio-nen in Deutschland. Dazu gehören auch Hefen; denn He-fen sind Alleskönner, nicht nur bei Brötchen, sondernauch beim Bier heute Abend oder auf der Grünen Wo-che.Wir wollen keine allgemeine Änderung der Biopatent-richtlinie, sondern eine Klarstellung, die sicherstellt,dass keine Patente auf konventionell gezüchtete land-wdbfowPaKFnnFMsvswvWnkugkKTNAzSAvwWfütudtrcW
Im Bereich der Pflanzenzüchtung ist die Patentierungon Konstrukten – das sind DNS-Sequenzen, die ein be-timmtes Zielgen enthalten und die in verschiedene land-irtschaftliche Nutzpflanzen eingebaut werden können –on Bedeutung.Die Patentierung von Genen ist schon heute verboten.ir müssen mit Nachdruck dafür sorgen, dass Geneicht patentiert werden; denn es sind Entdeckungen undeine Erfindungen.Die BASF ist in der Entwicklung solcher Konstruktend ihrer Verwendung in der Pflanzenzüchtung enga-iert. Die jetzt berichtete Verlagerung von Forschungs-apazität in die USA ist für Deutschland ein Verlust. Derommentar von Hartmut Wewetzer im gestrigenagesspiegel spricht dies sehr deutlich an – ich zitiere –:Was in Deutschland um die grüne Gentechnik ver-anstaltet wurde, grenzt an absurdes Theater.
ur eine grüne Landesministerin ist glücklich darüber.ls ob Hochschulabsolventen ihre Zukunft im Unkraut-upfen auf dem Biohof sehen! Unverständlich, dass diePD die Arbeitnehmerinteressen dort völlig aus denugen verloren hat. Ich bedaure dies sehr.
Wir wollen ein staatliches Biopatentmonitoring, umerfolgen zu können und einen Überblick zu erhalten,elche Entwicklungen auf europäischer Ebene erfolgen.ir wollen im Auge behalten, was dort passiert. Freiheitr Wissenschaft und Forschung, ethische Verantwor-ng und züchterischer Fortschritt müssen die Basis füras Biopatentrecht sein.Wir als Liberale freuen uns, dass der gemeinsame An-ag die notwendige Balance hält zwischen den Ansprü-hen der Zivilgesellschaft und den Erfordernissen vonissenschaft und Züchtung.Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
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18244 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 152. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. Januar 2012
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Der Kollege Dr. Matthias Miersch hat jetzt das Wort
für die SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Frau Happach-Kasan, ich wollte eigentlich nicht daraufeingehen, aber da Sie uns nun schon einen mitgeben,muss ich es zurückgeben.
Es geht uns nicht um die „Vernichtung“ von Arbeitsplät-zen, sondern es geht bei der Bewertung der Grünen Gen-technik vor allem auch um die Interessen der Landwirteund der Verbraucherinnen und Verbraucher in diesemLand.
Da muss jeder eine Abwägung vornehmen.Ich möchte mich an dieser Stelle auch nicht weiter zuIhren Ausführungen zur Nachbauproblematik äußernoder zu der Frage, inwieweit ein Patent auf eine Krebs-maus gerechtfertigt ist oder nicht, sondern ich möchteheute ganz bewusst die Gemeinsamkeit, die wir heutezum Ausdruck bringen, in den Mittelpunkt meiner Redestellen. Es ist, denke ich, bei dieser schwierigen Materieein sehr wichtiges Signal, das wir heute aussenden.
Auch ich möchte mich ausdrücklich bei dem KollegenMax Lehmer und bei Ihnen, Frau Happach-Kasan, beiHarald Ebner und Uli Höfken, die inzwischen der Lan-desregierung Rheinland-Pfalz angehört, sowie beiKirsten Tackmann bedanken und damit den Gedankenverbinden, ob wir es, nachdem wir diesen Antrag über-wiesen haben – hoffentlich werden wir ganz schnell wie-der hier im Plenum darüber beraten –, nicht schaffen,einen Antrag aller Fraktionen vorzulegen. Ich finde, alleFraktionen sollten diesen Antrag mitunterzeichnen kön-nen.
Dafür will ich mich in den nächsten Wochen stark-machen.
Das, was wir heute machen, ist ein wichtiges Signal.Vor anderthalb Jahren, als wir und die Grünen einenAntrag gegen die Biopatentierung eingebracht haben,haben wir in den Reden noch darum gerungen, ob essinnvoll ist, dass sich der Gesetzgeber äußert, oder obman nicht erst die Rechtsprechung des EuropäischenGdaddmdwPwaliHssnmtiSuahMwddeBgBtugWcwbSSBtelebreEFwru
Worum geht es? Es geht um die Frage: Was ist eigent-ch patentierbar? Begonnen hat das Ganze – Frauappach-Kasan, darin sind wir vielleicht noch unter-chiedlicher Auffassung – mit einem Patentantrag, bei-pielsweise der Firma Monsanto, als es um das soge-annte Schnitzelpatent ging. Es ging um die Frage: Kannan einen Patentanspruch bis hin zum Produkt rechtfer-gen? Schweine, die mit gentechnisch verändertemojafutter gefüttert werden, sollen von diesem Patentmfasst werden, nicht nur die Schweinerassen, sondernuch alle nachfolgenden Generationen und Produkte.
Ich sage Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen: Ichalte das für eine Perversion des Patentrechtes, für einenissbrauch, und dagegen müssen wir uns eindeutigenden.
Dann ging es weiter. Es blieb nicht nur bei der Frageer gentechnischen Veränderung; es ging auch noch inen Bereich der konventionellen Züchtung. Hier gab esntsprechende Versuche. Ich nenne das sogenannterokkolipatent; Sie haben es schon angesprochen. Hierab es zwar zum Glück die Rechtsprechung der Großeneschwerdekammer, dass das konventionelle Züch-ngsverfahren so nicht patentierbar ist. Aber alle Fra-en, die die Erzeugnisse anbelangen, sind weiter offen.ir mussten mittlerweile mitansehen, dass entspre-hende Patente für Melone und Sonnenblume erteilturden, bei denen sich die Ansprüche auf die Produkteis hin zum Öl erstrecken.Vor diesem Hintergrund gibt dieser Antrag auch einignal, insbesondere an die Bundesregierung. Ich habeie, Herr Stadler, im November gefragt, wie sich dieundesregierung gegenüber der Erteilung des sogenann-n Melonenpatents verhalten will, einer konventionel-n Pflanzensorte. Da haben Sie mir geantwortet, Sieeobachteten es und gingen davon aus, dass die Konkur-nten, also die anderen Unternehmen oder auch NGOs,inspruch einlegten. Die Einspruchsfrist läuft imebruar ab. Vor dem Hintergrund dieses Antrags solltenir überlegen, ob nicht vielleicht auch die Bundesregie-ng ein deutliches Signal setzt, indem sie Einspruch
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 152. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. Januar 2012 18245
Dr. Matthias Miersch
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gegen dieses Patent erhebt. Ich glaube, das wäre iminternationalen Bereich ein ganz wichtiges Signal.
Schwierig wird das Ganze dadurch, dass es bei derBiopatentierung um komplizierte Rechtsmaterien geht.Es geht nicht nur um das nationale Patentrecht, sondernes geht bei der Biopatentrichtlinie um europäischesRecht und beim Europäischen Patentübereinkommensogar noch um eine Stufe darüber hinaus. Insofern ist esgut, dass wir uns im vorliegenden Antrag auf bestimmteSchwerpunkte konzentrieren und vor allen Dingen dasnationale Patentrecht in den Fokus nehmen. Ich bin mirsicher, dass, wenn die Bundesrepublik Deutschland einsolches Signal setzt, das Auswirkungen auch auf dasEuropäische Parlament hat, also auch Abgeordnete ausanderen europäischen Ländern für diese Frage sensibili-siert werden. Insoweit ist dieser Antrag auch ein ganzwichtiges Signal für die internationale Rechtssetzung.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir werden auchzukünftig mit Sicherheit um diese Problematik ringen.Ein Sachverständiger hat einmal gesagt: Alle Regelun-gen, die der Gesetzgeber erlässt, stellen für diejenigen,denen es um Profit geht, nichts anderes als Slalomstan-gen dar. Bei den Fragen Ernährung, Energie und Wassergeht es um elementare Bereiche, von denen weltweit dasLeben abhängt. Immer wird es Leute geben, die versu-chen, sich Rechte an diesen Ressourcen und damitMacht zu sichern. Deswegen sind wir als Gesetzgeberaufgerufen, die Grenzen so deutlich wie möglich zu for-mulieren. Es wird auch zukünftig versucht werden, soder Sachverständige, diese Slalomstangen zu umfahren.Deswegen ist es wichtig, dass wir in dem Antrag auchein Monitoring vorgesehen haben. Damit können wir alsGesetzgeber regelmäßig die Patenterteilungspraxis über-wachen.Ich glaube, dass wir mit diesem Antrag einen ganzwichtigen ersten Schritt vollziehen. Ich wünsche miraber auch, dass wir in die Beratungen einige weitereInhalte, die in den Anträgen von SPD und Grünen ent-halten sind, zumindest mitaufnehmen. Ein Punkt ist zumBeispiel die Stellung des Europäischen Patentamtes. Je-der denkt, dieses Patentamt sei eine Behörde. Mitnich-ten! Es finanziert sich maßgeblich aus den Gebühren fürerteilte Patente. Dass die Prüfung damit nicht immerganz so objektiv ist, wie sie sein könnte, ist doch wohlimmanent. Insofern braucht das Patentamt eine andereFinanzierungsgrundlage.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich glaube,am Samstag werden zahlreiche Menschen hier in Berlinwieder deutlich machen, dass Ernährung nicht zum Null-tarif zu haben ist, dass wir aufpassen müssen, wie wir imBereich der Pflanzenzucht und der Tierzucht vorgehen,wie wir Lebensmittel in Deutschland und in EuropaesatraadamIcmdduBAPGfepchtiduwteteRLssKgtewdrisnleszimbg
Der Kollege Stephan Harbarth hat jetzt das Wort für
ie CDU/CSU-Fraktion.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Kolleginnennd Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren!ereits in den vergangenen Jahren haben wir häufigernträge zum Thema Patentierbarkeit von Tieren undflanzen diskutiert und uns mit der Frage befasst, wo dierenzen der Patentierbarkeit in diesem Bereich verlau-n. Bereits damals lagen Regierungskoalition und Op-ositionsfraktionen nach meiner Überzeugung in der Sa-he nicht weit auseinander. Umso mehr freuen wir unseute, dass es gelungen ist, einen ganz breiten, überfrak-onellen Antrag vorzulegen, der sich mit den Grenzener Patentierbarkeit von landwirtschaftlichen Nutztierennd Nutzpflanzen befasst. Dafür, dass dies möglichurde, möchte ich herzlichen Dank sagen. Nach Mona-n wirklich intensiver Debatte möchte ich allen beteilig-n Berichterstatterinnen und Berichterstattern desechtsausschusses und des Ausschusses für Ernährung,andwirtschaft und Verbraucherschutz Dank sagen.
Über das Thema der Patentierung von biotechnologi-chen Erfindungen in der Landwirtschaft gibt es in die-em Haus einen sehr erfreulichen und sehr weitgehendenonsens. Wir alle wissen: Biotechnologische Erfindun-en unterliegen grundsätzlich dem Patentschutz, es gel-n aber besondere Patentierungsverbote. In Deutschlandird dies inhaltlich durch die Biopatentrichtlinie undurch das Patentgesetz bestimmt. Nach der Biopatent-chtlinie und dem Europäischen Patentübereinkommenind Pflanzensorten und Tierrassen aus gutem Grundicht patentierbar. Für eine wichtige Klarheit hat im vor-tzten Jahr die Große Beschwerdekammer des Europäi-chen Patentamts gesorgt. Sie hat in der Entscheidungum Brokkoli- und Tomatenpatent mehr Rechtsklarheit Hinblick auf die Abgrenzung der „im Wesentlicheniologischen Verfahren“ geschaffen. Im zugrunde lie-enden Streit wurde verlangt, ein konventionelles Zucht-
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18246 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 152. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. Januar 2012
Dr. Stephan Harbarth
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verfahren und unabhängig davon auch die Erzeugnisse,die aus diesem Verfahren gewonnen wurden, zu paten-tieren.In der Entscheidung hat die Große Beschwerdekam-mer festgelegt, dass auch solche Verfahren im Wesent-lichen biologisch und damit nicht patentierbar sind, dieauf Kreuzung und Selektion beruhen. Sie sind auch dannnicht patentierbar, wenn bei ihnen technische Verfah-rensschritte zur Durchführung bzw. Unterstützung vonVerfahren der Kreuzung von Genomen von Pflanzen undder nachfolgenden Selektion der darauffolgenden Aus-wahl von Pflanzen genutzt werden.Technische Hilfsmittel wie genetische Marker könnenzwar nach den einschlägigen Rechtsgrundlagen durch-aus patentfähige Erfindungen darstellen, ihre Verwen-dung in einem im Wesentlichen biologischen Verfahrenmacht dieses Züchtungsverfahren selbst aber nichtpatentierbar. Das war eine gute Entscheidung, die wirsehr nachdrücklich begrüßen.
Allerdings wurde mit der Entscheidung der GroßenBeschwerdekammer nicht klargestellt, ob auch reineErzeugnisansprüche auf Pflanzen mit spezifischenEigenschaften trotz der Entscheidung zulässig sind. Hin-sichtlich der sogenannten Product-by-Process-Patentan-sprüche gibt es bislang keine Rechtsklarheit, wie wir sieuns wünschen. Keine Klarheit besteht, wenn es umErzeugnisse geht, die mit einem Erzeugnis identischsind, das auf einem Herstellungsverfahren beruht, dasselbst patentgeschützt ist. Das ist im Bereich der Tier-und Pflanzenzucht deshalb besonders problematisch,weil diese Product-by-Process-Patentansprüche durch-aus geeignet sein können, die Nichtpatentierbarkeit her-kömmlicher Züchtungsverfahren zu unterlaufen und aus-zuhöhlen.Für uns, die Union, ist klar: Die Vielfalt genetischerRessourcen an landwirtschaftlichen Nutztieren undNutzpflanzen muss erhalten werden. Für uns, die Union,ist aber auch klar: Wir bekennen uns zur Bedeutung desPatentrechts für den Schutz des geistigen Eigentums undfür die Forschungsfreiheit. Innovationen und Erfindun-gen sind für unseren Wirtschaftsstandort von herausra-gender Bedeutung und müssen auch künftig möglichsein. Wir werden deshalb auch in Zukunft berechtigteInteressen von Forschung und Wissenschaft nicht ein-fach grundlos vom Tisch wischen. Wir werden sie des-halb nicht grundlos vom Tisch wischen, weil wir nichtmöchten, dass die Früchte herausragender deutscherForschungsleistungen primär in anderen Ländern ge-erntet werden.Legt man diese Maßstäbe an, dann sind wir über-zeugt: Wir brauchen in Deutschland ein leistungsfähigesPatentrecht, aber kein schrankenloses Patentrecht. Wirbrauchen ein Patentrecht, das auch ethischen Verpflich-tungen Rechnung trägt. Deshalb darf es auf konventio-nell gezüchtete landwirtschaftliche Nutztiere und aufNutzpflanzen kein Patent geben.Mit dem Antrag sprechen wir uns deshalb klar dafüraus, sicherzustellen, die Schutzwirkung von Product-by-PgBedtiAduzzlemSeogkfrruZredpdKsgtebsapg2sAkFisw
Jetzt hat Kirsten Tackmann für die Fraktion Die Linke
as Wort.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen undollegen! Ja, der vorliegende Antrag ist ein Gemein-chaftswerk. Seit dem Sommer 2010 hat eine Arbeits-ruppe aller fünf Fraktionen an diesem Antrag gearbei-t. Denn es sollte ein gemeinsames Signal sein, dass wirei den Biopatenten Probleme sehen und dass wir in die-em Bereich Grenzen setzen müssen. Deswegen warenuch wir Linke zu großen und auch schwierigen Kom-romissen bereit.Anlässlich der Grünen Woche 2011 haben wir eineemeinsame Presseerklärung herausgegeben. Im April011 lag ein gemeinsamer Antragsentwurf vor. So weit,o gut. Dann passierte monatelang erst einmal nichts.ber im Dezember 2011 ist die Linke dann plötzlichommentarlos aus der Gruppe entfernt worden. Dieseortsetzung des Kalten Krieges – so muss ich das sagen –t der höchsten Volksvertretung unseres Landes nichtürdig.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 152. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. Januar 2012 18247
Dr. Kirsten Tackmann
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Das grenzt nicht nur meine Fraktion, sondern auch – dasist eigentlich das Schlimme – unsere Wählerinnen undWähler aus. Das ist das größere Problem. Aus meinerSicht ist das ein vordemokratisches Verhalten.
Ich muss ganz ehrlich sagen: Dieses Vorgehen entbin-det uns von den Kompromissen, die wir eingegangensind. Deshalb werden wir einen Antrag vorlegen, in demlinke Positionen enthalten sind.
Zum Antrag selbst. Eigentlich sind Biopatente verbo-ten. Die Realität sieht aber anders aus. Dazu ist schon ei-niges gesagt worden. In der Dokumentation „Das Saat-gutkartell auf dem Vormarsch“ sind dieser Vorgang undauch der ziemlich schamlose Griff der Agrarkonzernenach Biopatenten ziemlich deutlich beschrieben.Über 250 Biopatentanträge für Gentechpflanzen und100 für konventionell gezüchtete Pflanzen lagen allein2010 beim Europäischen Patentamt vor. Die Antragstel-ler wollen sich damit die alleinigen Rechte am späterenProdukt sichern. Problematisch ist dabei sowohl die Zahlder Anmeldungen als auch ihre Reichweite. Auch dazuist schon einiges gesagt worden. Es beginnt beim Futter-mittel, geht über das eigentliche Tier oder die Pflanze bishin zu den Produkten, also Fleisch, Milch oder Mehl.Ein gutes Beispiel ist das SchweinezuchtpatentEP 1651 777. Es betrifft ein Verfahren zur Zuchtauswahlvon Schweinen mit bestimmten natürlichen Eigenschaf-ten. Kritisch dabei ist, dass das Patent sich nicht nur aufdas Tier und das Zuchtverfahren selbst bezieht, sondernauch auf die aus diesem Verfahren stammenden Ferkel.Der Einspruch eines breiten Bündnisses von BUND biszum Deutschen Bauernverband hatte zwar Erfolg, unddas Patent wurde widerrufen. Aber – auch das ist schongesagt worden – es blieben einige Fragen hinsichtlichder Patentierbarkeit von Zuchtverfahren und von Pro-dukten offen. Ein Patent vom Acker bis zum Teller in derHand eines Agrarkonzerns ist eine Horrorvision. Die ei-nen mögen sagen, das sei unrealistisch. Andere hingegensagen, das sei konsequent bis zum Ende gedacht. Deswe-gen besteht hier Handlungsbedarf.
Deshalb lehnt die Linke Patente auf Leben grundsätz-lich ab. Gene und Gensequenzen oder ihre Funktionenkönnen entdeckt oder genutzt werden, aber sie dürfennicht privatisiert werden.
Privates Eigentum auf Leben ist ein geradezu absurderGedanke, erst recht, wenn es um Pflanzen oder Tieregeht, die zur Nahrungsmittelproduktion genutzt werden.Es ist auch eine problematische Entwicklung, wenn zumBwöcFseneVztuZAuresMVgzPbnharalidgbddddH
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18248 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 152. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. Januar 2012
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kollegin-
nen und Kollegen! Auf dem Speiseplan der Bundestags-
kantine stehen diese Woche Gerichte wie Gemüsecreme-
suppe mit Sonnenblumenkernen oder vegetarische Pizza
mit Brokkoli. Sowohl auf Sonnenblumen als auch auf
Brokkoli gibt es mittlerweile Biopatente. Wenn wir
heute in Sachen Biopatente nicht handeln, kann es bald
schon zu spät sein, und vielleicht muss die Bundestags-
kantine eines Tages für solche Zutaten Lizenzgebühren
entrichten.
Wir handeln aber, und es ist gut, dass dieser Antrag
jetzt doch noch den Weg ins Parlament gefunden hat,
auch wenn der Weg manchmal etwas steinig war. Ich
möchte deshalb ganz gern den Dank, der schon von vie-
len Kollegen ausgesprochen wurde und den ich bekräfti-
gen kann, um den Dank an den Kollegen Montag erwei-
tern, der sich hier auch eingebracht hat.
Die Frage der Patentierung von Leben hat allerdings
eine viel größere Tragweite als nur den Lizenzaufschlag
an der Kantinenkasse. Wir haben in Europa ein bewähr-
tes Sortenschutzrecht – Frau Dr. Happach-Kasan hat da-
rauf hingewiesen –, das Landwirten und Züchtern die
Nutzung neuer Sorten nach gewissen Regeln auf einfa-
che Weise erlaubt. Das ist eine Art Open-Source-System
in der Landwirtschaft. Ganz anders ist es bei Biopaten-
ten. Auf die patentgeschützte Eigenschaft hat der Patent-
inhaber den alleinigen Nutzungsanspruch. Er kann theo-
retisch sogar die Verwendung seiner Eigenschaften
untersagen. Es besteht Gott sei Dank breite Einigkeit in
der Gesellschaft und auch hier im Hause – wie ich es all-
gemein höre –, dass wir Patente auf Leben nicht wollen.
Die 1998 beschlossene Biopatentrichtlinie der EU
sollte genau dies eigentlich verhindern. Leider führen
Lücken in eben dieser Richtlinie immer wieder dazu,
dass trotzdem vom Europäischen Patentamt solche Pa-
tente erteilt wurden und werden. Kollege Miersch hat es
am Beispiel des „Schnitzelpatentes“ ganz eindrücklich
ausgeführt.
Ich erinnere daran, dass meine Vorgängerin im Argar-
ausschuss, Uli Höfken – heute Agrarministerin in Rhein-
land-Pfalz – zusammen mit dem Kollegen Miersch be-
reits im Sommer 2010 die Initiative für den jetzt
vorliegenden interfraktionellen Antrag gestartet hat.
Hoffentlich gilt jetzt: Was lange währt, wird endlich gut.
Gestern habe ich eine Pressemitteilung gelesen, die
ich nicht ganz verstanden habe. Herr Lehmer, mir wäre
es neu, dass der Kollege Miersch oder die Kollegin
Höfken jetzt in der CDU wären; insoweit habe ich die
Pressemitteilung im Hinblick darauf, von wem der An-
trag jetzt ausging, nicht verstanden.
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Im vorliegenden Antrag wird endlich das Problem der
esetzes- und Auslegungslücken bezüglich der Patentie-
ng von traditionell gezüchteten Pflanzen und Tieren
ufgegriffen. Das ist ein längst überfälliger Schritt. Be-
onders wichtig und dringend ist diese gemeinsame Ini-
ative im Hinblick auf die jetzt anstehende Schaffung ei-
es EU-weit einheitlichen Patentrechts. Dieses neue
atentsystem ist für die Biopatente von besonderer Trag-
eite. Deshalb freut es mich besonders, dass gerade be-
ogen auf das wichtige Handlungsfeld der Verankerung
es Landwirte- und Züchterprivilegs ein breiter Konsens
esteht, und zwar nicht nur quer durch die Gesellschaft
nd die Verbände, sondern auch hier im Hause.
Gut ist auch der gemeinsame Wille zum staatlichen
iopatent-Monitoring, das dringend notwendig ist und
as bislang ausschließlich von Ehrenamtlichen mit ei-
em Riesenaufwand geleistet wurde. An dieser Stelle
öchte ich den Ehrenamtlichen ganz herzlich danken
nd meine Anerkennung ausdrücken.
Es gibt aber auch Schatten. Wir hätten uns ein schnel-
res Handeln gewünscht; aber besser spät als nie. In-
altlich hätten wir natürlich gern die Erweiterung dieses
ntrags auf die Gensequenzen und GVO gesehen. Hier
esteht aus unserer Sicht derselbe Handlungsbedarf,
eil die Folgen dieselben sind. Außerdem bräuchten wir
eim EU-Patent auch eine Auskreuzungsregelung.
Ich komme zum Schluss. Wir sind dennoch bereit, im
teresse eines gemeinsamen Signals aus diesem Hause
iese Punkte zunächst hintenanzustellen und diesen ge-
einsamen Antrag mitzutragen. Denn Biopatente sind
iel häufiger Innovationsverhinderer als Innovationsför-
erer. Sie sind auch ethisch fragwürdig und führen zu so-
iökonomischen Verwerfungen. Der Weg, den wir heute
eginnen gemeinsam zu gehen, ist daher richtig.
Herr Kollege.
Ich hoffe sehr, dass daraus konkrete Schritte und Er-
ebnisse für Gesetzgebung und Regierungshandeln hier
nd in Brüssel hervorgehen.
Danke schön.
Der Kollege Dr. Max Lehmer hat jetzt das Wort fürie CDU/CSU-Fraktion.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 152. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. Januar 2012 18249
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Sehr verehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnenund Kollegen! Meine sehr verehrten – Gäste!
Vor nun mittlerweile fast eineinhalb Jahren, im Juli2010, habe ich an dieser Stelle den Vorschlag unterbrei-tet – ich schließe nicht aus, dass es auch andere Vor-schläge dieser Art gegeben hat, aber von diesem Zeit-punkt an ging unsere gemeinsame Aktivität los, HerrMiersch; das können Sie nachlesen –, einen fraktions-übergreifenden Antrag zum Thema Biopatente zu erar-beiten.Gerade weil die Verhandlungen mitunter etwas zähverliefen, möchte ich mich zunächst recht herzlich beiallen Beteiligten für die gute fachkompetente und mitGeduld ausgestattete Zusammenarbeit bedanken. MeinDank gilt insbesondere den Rechtspolitikern der Union,die unsere Idee aufgegriffen und einen Antrag auf denWeg gebracht haben.
Umso mehr erfüllt es mich mit außerordentlich großerFreude, dass wir heute den vorliegenden Antragstextrechtzeitig zur Eröffnung der Grünen Woche 2012 erör-tern können. Für die wissenschaftliche Forschung ist dasPatentrecht ein hohes Gut – das wurde bereits mehrfacherwähnt – und für den Wirtschaftsstandort Deutschlandunerlässlich. Es gewährleistet, dass Innovationen der Öf-fentlichkeit zugänglich gemacht werden.Im Bereich der Biotechnologie, einem sehr komple-xen Bereich, müssen wir dabei stets zwei Ziele im Augebehalten – das ist, glaube ich, der Kern der Bemühungen –:Neben dem bereits erwähnten Schutz des geistigen Ei-gentums durch das Patentrecht spielt die allgemeine Ver-fügbarkeit genetischer Ressourcen eine ganz zentraleRolle.
Wir brauchen in diesem Zusammenhang eine klareTrennung zwischen Entdeckung und Erfindung. Natürli-che Ressourcen können entdeckt werden, sind aber nichtGegenstand oder Inhalt einer Erfindung. GenetischeRessourcen sind für die biologische Vielfalt wesentlichund dürfen nicht nur durch Einzelne nutzbar gemachtwerden. Vor diesem Hintergrund wird die aktuelle Ent-wicklung bei Biopatenten seitens der Landwirte mit be-rechtigter Sorge betrachtet; denn einige Wirtschaftsbe-teiligte versuchen, rechtliche Grauzonen zu ihrenGunsten auszunutzen.Die Große Beschwerdekammer des Europäischen Pa-tentamts hat hier in ihrer Rechtsprechung inzwischeneine grundlegende Entscheidung in unserem Sinne ge-fällt: Verfahren sind auch dann im Wesentlichen biolo-gisch und somit nicht patentierbar, wenn bei ihnen tech-nische Verfahrensschritte zur Durchführung von Verfahrender Kreuzung von Pflanzen und nachfolgender Selektionder geeigneten Pflanzen genutzt werden. – Das ist einerder Kernsätze.dwsPfeimkZtewPssduduStiezretetrEsim–ZteSzSgsdsSgsgdbSgddDk
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18250 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 152. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. Januar 2012
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Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 17/8344 an die Ausschüsse vorgeschlagen,
die Sie in der Tagesordnung finden. – Dazu sehe und
höre ich keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlos-
sen.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 10 auf:
Erste Beratung des von der Fraktion der SPD ein-
gebrachten Entwurfs eines … Gesetzes zur Än-
– Drucksache 17/8131 –
Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuss
Innenausschuss
Nach einer interfraktionellen Verabredung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. Damit sind
Sie einverstanden? – Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Kollegen
Burkhard Lischka für die SPD-Fraktion das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! 5. Ja-nuar 2012, Berlin: Drei Jugendliche sind in Friedrichs-hain rassistisch angegriffen worden. Die 15- und 16-Jäh-rigen waren in der Nacht zum Donnerstag am S-BahnhofFrankfurter Allee unterwegs, als sie zunächst von dreiMännern mit Steinen beworfen wurden. Anschließendbeleidigten die Angreifer im Alter von 34 und 36 Jahrenihre Opfer mit antisemitischen Parolen und schlugen ei-nem Jugendlichen ins Gesicht.Ein Tag später, 6. Januar 2012, Berlin: An der Kreu-zung des U-Bahnhofs Eberswalder Straße fügten dreiNeonazis einem jungen Mann marokkanischer Herkunftmassive Verletzungen zu. Nachdem er bereits auf demBoden lag, traten sie mehrfach auf ihn ein. Das Opferwurde mit einem Nasenbeinbruch und einer schwerenHalswirbelverletzung ins Krankenhaus eingeliefert.11. Januar 2012, Berlin: Gegen 2.30 Uhr schlug eineNeonazifrau einem Punk eine Bierflasche auf den Kopf.Das Opfer erlitt eine Platzwunde und wurde im Kran-kenhaus behandelt.Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Das sindnur drei Beispiele für braune Gewalttaten in den letztenTagen allein hier in Berlin. Aber wir wissen: Diesebraune Gewalt gibt es überall in ganz Deutschland: inunseren Dörfern, in unseren Städten, auf unseren Straßenund Plätzen, in Straßenbahnen, in Bussen, in Jugend-klubs, in Fußballstadien, also mitten in unserer Gesell-schaft, am helllichten Tag und in der Nacht, Tag für Tag,Jahr für Jahr. Das sind Taten, mit denen wir uns nicht ab-finden wollen und nicht abfinden können, Taten, die eineSchande für unser Land sind.1atitaDggdHsbsmskgupüinwMVdssisaLahdssteddirNhBmOuzk
Braune Gewalt gehört in Deutschland zum Alltag.6 375 rechtsextremistisch motivierte Straftaten gab esllein im Jahr 2010. Das sind 45 rechtsextremistisch mo-vierte Straftaten jeden Tag. Darunter sind 762 Gewalt-ten zu verzeichnen, das heißt, jeden Tag werden ineutschland in mindestens zwei oder drei Fällen Mitbür-erinnen und Mitbürger auf offener Straße verfolgt, an-egriffen, attackiert, geschlagen, getreten und misshan-elt, und zwar nur deshalb, weil sie eine andereautfarbe, eine andere Nationalität oder eine andere Ge-innung haben, vielleicht auch weil sie obdachlos oderehindert sind. Wir dürfen dem gegenüber nicht ab-tumpfen. Die Taten richten sich gegen uns alle. Wir alleüssen dieser menschenverachtenden Gewalt gemein-am die Stirn bieten.
Die Mordserie der Zwickauer Terrorzelle war und istein Zufall, sondern sie ist der unfassbare Teil einer vielrößeren Blutspur, die sich seit vielen Jahren quer übernser Land gelegt hat, mit täglichen Angriffen, mit Kör-erverletzungen, Bedrohungen, Pöbeleien, und zwarberall in Deutschland. Diese braunen Gewalttaten sindzwischen ein Krebsgeschwür in unserer Gesellschaft,eil sie die gegenseitige Achtung und Anerkennung derenschen untereinander und damit eine fundamentaleoraussetzung unseres gesellschaftlichen Friedens undes Rechts infrage stellen. Wir Deutsche mit unserer Ge-chichte haben allen Grund, uns dem zu widersetzen.
Deutschland erwartet von seinen Zuwanderern, dassie sich zur grundgesetzlichen Ordnung bekennen. Dast auch okay so. Aber zu dieser Ordnung gehört ebenuch, dass jeder – aber auch wirklich jeder – in diesemand einen Anspruch darauf hat, dass ihn der Staat mitllen verfügbaren Mitteln vor Terror, Gewalt und Miss-andlungen schützt. Dazu gehört auch, diese Taten alsas zu benennen und abzuurteilen, was sie tatsächlichind, nämlich ein abscheulicher Anschlag auf die Men-chenwürde und auf unsere Rechtsordnung.
Das unterscheidet übrigens diese braunen Gewaltta-n von einem ganz normalen Körperverletzungsdelikt;enn das Opfer wird von den Nazis nicht als Indivi-uum, als Einzelperson angegriffen, mit dem der Tätergendeinen Streit oder Konflikt hat. Nein, der Terror derazis hat eine über die eigentliche Verletzung hinausge-ende Bedeutung. Man wird nicht durch individuelleeziehungen und Konflikte zum Opfer, sondern weilan so ist, wie man ist – als Ausländer, Farbiger, Punk,bdachloser oder Behinderter. Dem Opfer wird schlichtnd einfach abgesprochen, ein Mensch wie jeder andereu sein.Das bedeutet aber auch, dass das Opfer nichts machenann. Es kann sich nicht ändern. Es hat eine bestimmte
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 152. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. Januar 2012 18251
Burkhard Lischka
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Hautfarbe. Die kann man nicht abstreifen. Das heißt, dasOpfer kann sich dieser permanenten Bedrohung nichtentziehen, und an andere Menschen, die über die glei-chen Merkmale wie das Opfer verfügen, senden diebraunen Schläger ein unmissverständliches Signal aus:Lasst euch hier bloß nicht mehr blicken. Sonst geht eseuch genauso. Ihr seid die Nächsten, die dran sind. Dassoll Angst und Schrecken säen. Das ist die menschenver-achtende Ideologie der Nazis seit jeher.Das ist aber auch ein besonderes Unrecht, das geradediese Taten von allen anderen unterscheidet, und deshalbbedarf es auch einer besonderen Bestrafung, meine Da-men und Herren. Es ist doch überhaupt nicht akzeptabel,dass diese braunen Gewalttaten nach wie vor viel zuhäufig als normale Wirtshausschlägereien oder normaleKörperverletzungsdelikte abgetan werden. Das ist dochein Hohn den Opfern gegenüber.Auch deshalb fordert die Europäische Kommissiongegen Rassismus und Intoleranz seit vielen Jahren vonDeutschland, dass diese braunen Gewalttaten genausowie in anderen europäischen Ländern besonders bestraftwerden, indem zum Beispiel rassistische und fremden-feindliche Beweggründe des Täters bei dessen Verurtei-lung berücksichtigt werden. Genau das greifen wir in un-serem Antrag hier auf.
Ich weiß natürlich, welche Einwände wir gleich zuhören bekommen werden.
Der erste Einwand wird sein, das sei Gesinnungsstraf-recht. Nein, meine Damen und Herren, das ist es ebennicht. Hier soll nicht eine bestimmte Gesinnung bestraftwerden; diese kann jeder haben. Aber diese unglückse-lige Verquickung von Gesinnung auf der einen Seite undgewaltsamer Durchsetzung dieser Gesinnung auf der an-deren Seite muss bestraft werden, und wir haben inDeutschland nach den Erfahrungen mit der Nazidiktaturauch allen Grund hierfür.
Der zweite Einwand, den wir gleich zu hören bekom-men werden, ist, dass das deutsche Strafrecht die Motiveund Beweggründe des Täters ja schon heute berücksich-tigen würde.
– Herr van Essen, das stimmt, aber eben nur theore-tisch. Machen Sie sich doch einmal praktisch die Müheund geben Sie die Begriffe „Rechtsextremismus“ und„Körperverletzung“ in eine juristische Datenbank ein.Sie werden nur erbärmlich wenige Treffer angezeigt be-kommen, die belegen, dass Gerichte in ihren Urteilen ge-nau diesen Zusammenhang herstellen.Das ist nicht akzeptabel, meine Damen und Herren.Insofern ist man als Gesetzgeber gefordert, diesen Zu-sammenhang ausdrücklich gesetzlich klarzustellen. Da-ruwCZbisGgbleratüasbSÜWglitepbihstöAAgteLetewzinTeeptatedg
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18252 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 152. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. Januar 2012
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gung des besonderen Unrechtsgehaltes bei der Strafzu-messung ausdrücklich zu verankern. Der SPD-Vorschlagsieht vor, strafschärfende Regelbeispiele in die Strafzu-messungsregeln zur Motivation oder Zielsetzung des Tä-ters aufzunehmen. Besonders menschenverachtende,rassistische oder fremdenfeindliche Motive für die Tatsollen bei der Strafzumessung strafschärfend zu berück-sichtigen sein.Indessen sind mit diesem Vorschlag im Wesentlichendrei Fragen verbunden. Erstens. Bedarf es überhaupt sol-cher Regelbeispiele bei der Strafzumessung? Zweitens.Greift die von der SPD vorgeschlagene Ergänzung auchfür Täter, die nach dem Jugendstrafrecht zu verurteilensind? Drittens. Ist die Regelung, wie sie der SPD-Gesetzentwurf vorsieht, überhaupt ausreichend?Lassen Sie mich mit der ersten Frage beginnen. OhneZweifel liegt angesichts der eingangs geschilderten ak-tuellen Fälle der Ruf nach strafschärfenden Merkmalennahe. Doch es bleibt die Frage: Haben wir im geltendenSanktionsrecht überhaupt eine Lücke, die es zu schlie-ßen gilt, um den Schutz von Personen, die Opfer vonHasskriminalität werden, zu erhöhen? Strafe ist, so dieständige Rechtsprechung, eine missbilligende hoheit-liche Reaktion, die an ein sozialethisches Unwerturteilanknüpft, ohne dass dabei die Strafzwecke gesetzlichausdrücklich definiert worden sind.
Generell ist Strafe zunächst einmal Generalpräven-tion. Das heißt, durch die Strafandrohung soll die norma-tive Rechtsordnung bestätigt und die Rechtstreue der Be-völkerung gestärkt werden. Zugleich sollen durch dieverhängte Strafe der Täter selbst, aber auch andere abge-schreckt werden, diese Straftat zu begehen.Grundlage der Strafzumessung ist dabei in ersterLinie die Schwere der konkreten Tat und der Grad derSchuld des Täters. Schuld wird also als etwas Individu-elles angesehen. Es geht um das individuelle Maß desVorwurfs für die jeweilige Tat. Andererseits hat dieStrafe auch die Aufgabe, die geltende Rechtsordnung zubestätigen und künftigen Verletzungen vorzubeugen.Rechtsgüter sollen geschützt werden, und das Vertrauender Bevölkerung in den Schutz der Rechtsordnung unddamit die Rechtstreue der Bürger sollen gestärkt werden.Der Strafrahmen, also das gesetzliche Höchst- undMindestmaß, wird durch den konkreten Gesetzesverstoßmit all seinen Tatmodalitäten und Tatumständen, die denStrafrahmen erhöhen oder mildern können, festgestellt.In diesem festgestellten Strafrahmen sind sämtliche Um-stände, die zugunsten, aber eben auch zuungunsten desTäters sprechen, abzuwägen und zu berücksichtigen.Das geltende Recht gebietet und gestattet es daher schonjetzt, derartige von Hass geprägte Motivationslagen undZielsetzungen bei der Strafzumessung zu berücksichti-gen. Dazu gehören – sofern dies nicht bereits Tat-bestandsmerkmal ist – die Beweggründe und Tatziele,beispielsweise Taten, die auf eine verfestigte rechts-feindliche oder gleichgültige Haltung zurückgehen. Alsweiterer Strafschärfungsgrund ist die Gesinnung, die ausdlinSgtiDWdswsEbsGRdsreWstiwDuresmwUreuoJddd
aher sollten wir im weiteren Verfahren genau prüfennd beraten, ob es wirklich Sinn macht, etwas, das be-its geltendes Recht ist – und das vollkommen unbe-tritten –, nochmals ausdrücklich zu erwähnen.
Zur zweiten Frage: Wie gehen wir in diesem Zusam-enhang mit jugendlichen Tätern um? Viele Hasstatenerden von jüngeren Tätern begangen. Oftmals sind die-Bahn- oder S-Bahn-Schläger diejenigen, die Taten auschts- oder linksextremistischer Gesinnung verüben,nd diejenigen, die aus Frust und Hass gegen Ausländerder als Ausländer gegen Deutsche gewalttätig werden,ugendliche oder Heranwachsende. Sie sind dann nachem Jugendstrafrecht zu beurteilen. § 18 Abs. 1 Satz 3es Jugendgerichtsgesetzes regelt aber ausdrücklich,ass der Strafrahmen des allgemeinen Strafrechts für das
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 152. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. Januar 2012 18253
Ansgar Heveling
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Jugendstrafrecht gerade nicht gilt. In Abs. 2 des § 18JGG wird im Hinblick auf die Strafzumessung bestimmt:Die Jugendstrafe ist so zu bemessen, dass die erfor-derliche erzieherische Einwirkung möglich ist.Natürlich sind im Hinblick auf die erzieherische Ein-wirkung im Jugendstrafrecht schon jetzt die Gesinnung,die Ziele und die Motivation des jugendlichen bzw. he-ranwachsenden Täters zu berücksichtigen. Es ist einzu-beziehen, ob das Handeln des Täters grausam, gewissen-los, roh oder anders brutal war. Hier gilt im Grundegenommen das Gleiche wie schon heute mit Blick auf§ 46 des Strafgesetzbuches. Eine unmittelbare Anwen-dung von § 46 des Strafgesetzbuches ist im Jugendstraf-recht aber nicht möglich.Wenn wir zu der Überzeugung gelangen sollten, dassdie unter die Hasskriminalität fallenden Ziele eines Tä-ters bei der Strafzumessung in § 46 des Strafgesetz-buches ausdrücklich erwähnt werden sollen, dannmüsste aus meiner Sicht auch die Brücke zum Jugend-strafrecht geschlagen werden. Ansonsten erzeugen wirnämlich eine so sicherlich nicht gewollte Asymmetrie,möglicherweise sogar mit negativen Auswirkungen aufdie Berücksichtigung dieser Ziele im Jugendstrafrecht.Hier ist für die weitere Beratung meiner Ansicht nachbesondere Aufmerksamkeit geboten. Denn gerade imHinblick auf den Erziehungsgedanken des Jugendstraf-rechts ist es notwendig, den besonderen Unrechtsgehaltder Hasskriminalität zu berücksichtigen.Schließlich stellt sich drittens die Frage, ob es aus-reicht, die Regelbeispiele nur bei der Strafzumessung in§ 46 Abs. 2 des Strafgesetzbuches ins Sanktionensystemaufzunehmen. Meines Erachtens müsste die Aufnahmeder Regelbeispiele für Hasskriminalität dann nicht nurbei der Strafbemessung in § 46 Abs. 2, sondern konse-quenterweise auch in den Vorschriften der §§ 47 und 56des Strafgesetzbuches vorgenommen werden. Das sindübrigens Überlegungen, die der Bundesrat in der letztenWahlperiode in seinem Gesetzentwurf zu diesem Themaaufgegriffen hat. Im vorliegenden Gesetzentwurf derSPD sind sie aber nicht mehr enthalten.In diesem Zusammenhang ist auch zu erörtern, ob derGesetzentwurf nicht insgesamt zu kurz greift, weil manmit ihm in erster Linie die extremistisch motivierte Ge-waltkriminalität schärfer bestrafen will. Hier stellt sichdie Frage, ob nicht auch über den normalen Unrechtsge-halt der Gewaltkriminalität hinausgehende brutale Über-griffe aus purer Lust an Quälerei und Gewalt, aus undif-ferenziertem Hass, der sich nicht konkretisieren lässt,oder gegen Menschen, die nicht ihres Andersseins we-gen, sondern nur wegen ihrer zufälligen AnwesenheitOpfer werden, erfasst werden müssen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, Sie sehen: Der Ge-setzentwurf der SPD wirft eine ganze Reihe von Fragenauf. Wir wollen uns dem Anliegen nicht grundsätzlichvübsMaFEimadwbTDätiSweadweevSnatubnev
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!s ist gut, dass das Thema „Rechtsradikale Gewalttaten“ Parlament weiterhin eine Rolle spielt. Dazu trägtuch dieser Gesetzentwurf bei.In der Sache ist der Gesetzentwurf der SPD aber lei-er auch nicht viel mehr als ein Schaufenstergesetzent-urf. Schon jetzt – das ist auch schon gesagt worden –ietet das Strafgesetzbuch die Möglichkeit, die Ziele desäters bei der Strafzumessung zu berücksichtigen.
aran würde sich auch mit einem solchen Gesetz nichtsndern.Im Gesetzentwurf der SPD ist die Rede von rassis-schen, fremdenfeindlichen Motiven. Was ist aber mittraftaten gegen Homosexuelle und gegen Obdachlose,as ist mit antisemitischen Straftaten? Sie sind hier nichtrfasst. Insofern greift der Gesetzentwurf zu kurz.Aus der Sicht der Linken würde der Gesetzentwurfber auch dann nicht besser, wenn Sie die Aufzählunger menschenverachtenden Beweggründe verlängernürden; denn egal, ob ich einem deutschen Rentner oderinem Polizisten mit Migrationshintergrund den Schädelinschlage: Solche Gewalttaten wären immer menschen-erachtend. Hier ergibt eine Differenzierung keineninn.
Der Gesetzentwurf berührt das eigentliche Problemicht. CDU, CSU, FDP und, wo sie mitregiert, leideruch die SPD unterlassen es nicht nur, das Richtige zun, sie tun oft auch noch das Falsche. Sie tragen dazuei, dass rechte Gewalt ignoriert, verharmlost und ver-iedlicht wird.Ich habe zwei Wahlkreisbüros in Schleswig-Holstein,ines davon im schönen Eutin. Dieses Büro war in denergangenen Jahren insgesamt neun Mal das Ziel rechts-
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18254 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 152. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. Januar 2012
Raju Sharma
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radikaler Anschläge. Der politische Hintergrund liegt aufder Hand. Einer der ersten Anschläge fand statt, als dortunmittelbar danach der Runde Tisch gegen Faschismustagen sollte. Für die Polizei war der politische Hinter-grund aber erst in dem Moment ein Thema, als das BKAauf Veranlassung des Bundestagspräsidenten interve-nierte. An dieser Stelle noch einmal herzlichen Dank anHerrn Lammert.Bei den Büros meiner Kollegen aus der Landtagsfrak-tion der Linken in Schleswig-Holstein, Ellen Streitbörgerund Heinz-Werner Jezewski, stehen Bundestag undBKA nicht auf der Matte, wohl aber die Nazis mit ihrenAttacken. Diese Anschläge werden von der Polizei wiejede andere Sachbeschädigung behandelt. Hier schauendie Behörden weg. Das Gegenteil wäre richtig.Wie lösen wir nun das Problem? Was den Anti-faschismus angeht, gab es über lange Zeit einen breitengesellschaftlichen Konsens, der auf das Ende des Zwei-ten Weltkriegs und den Schwur von Buchenwald zurück-ging – ich zitiere –:Die Vernichtung des Nazismus mit seinen Wurzelnist unsere Losung. Der Aufbau einer neuen Welt desFriedens und der Freiheit ist unser Ziel.
Alle sollten sich hinter diesem Schwur versammeln.Was passiert aber in Wirklichkeit? In Sachsen werden– geduldet durch die SPD – diejenigen kriminalisiert undverfolgt, die sich in Dresden und anderswo den Nazis inden Weg stellen. Um nur einige zu nennen: Willi vanOoyen, Bodo Ramelow, Lothar König. In einem merk-würdigen Werbevideo versteigt sich der sächsische In-nenminister Markus Ulbig mit Blick auf rechte Gewalt-taten zu der Aussage – ich zitiere wieder –: „Anti-faschismus ist nicht die richtige Antwort …“.
Nicht? Was denn dann?Liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, wennSie etwas Sinnvolles gegen rechte Gewalt und zur Unter-stützung des bürgerschaftlichen Engagements tun wol-len, dann distanzieren Sie sich von dieser ungeheuer-lichen Aussage Ihres Koalitionspartners.
Oder noch besser: Fordern Sie ihn auf, die Opfer desFaschismus für diesen Satz um Entschuldigung zubitten.Auch die Bundesregierung könnte etwas tun. NehmenSie endlich diese beschämende Extremismusklauselzurück.
Hören Sie auf, die Menschen einzuschüchtern, auf derenbürgerschaftliches Engagement wir dringend angewie-sen sind.Noch einmal zum Gesetzentwurf: Er ist gut gemeint,aber letztlich doch nicht gut gemacht. Solange der Ver-ddvSdFHsdSwkteSgddEdisicdwdK§imgBdwTMdWsvmsddHfrle
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 152. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. Januar 2012 18255
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Meine Beobachtung aus der Tätigkeit beispielsweisein der Staatsschutzabteilung ist, dass die Verfahren zumTeil viel zu lange dauern. Viel besser als irgendeine Än-derung am § 46 StGB ist nach meiner Auffassung eineklare, schnelle und eindeutige Antwort der Justiz auf einFehlverhalten.
Damit wird dem Täter deutlich, dass wir nicht bereitsind, so etwas zu akzeptieren.Je länger die Verfahren dauern, desto mehr hat der Tä-ter Gelegenheit, sich Gründe zu überlegen, warum dieTat eigentlich gar nicht so schlimm war. Je länger die Ta-ten zurückliegen, desto größer ist die Bereitschaft, viel-leicht zu einem milderen Urteil zu kommen als unmittel-bar nach der Tat, wenn zum Beispiel die Auswirkungenauf das Opfer für alle, die eine angemessene Strafe fest-zusetzen haben, deutlich sichtbar sind.Mein Plädoyer ist daher, nicht die Hände in denSchoß zu legen, aber diesen Weg, Änderung des § 46StGB, nicht zu gehen. Die Begründung dafür haben Siein Ihrem Gesetzentwurf selbst gegeben. Sie haben aufdie Frage, was als Konsequenz aus dieser Änderung zuerwarten ist, richtigerweise selbst geantwortet: Das kannman nicht abschätzen, weil die Justiz unabhängig ist.– Genauso ist es. Das heißt also, Sie wissen selbst, dasses keine wirkliche Änderung gibt.Deshalb meine Empfehlung: Das, was Sie vorschla-gen, sollten wir nicht weiter verfolgen. Aber wir solltenuns gemeinsam Gedanken machen, dass wir unsereHausaufgaben – das haben die Taten der Neonazi-Gruppe gezeigt –, die wir ohne Zweifel haben, schnellst-möglich erledigen.Vielen Dank.
Jerzy Montag spricht jetzt für Bündnis 90/Die Grü-
nen.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Uns alle hat Anfang November das Entsetzen gepackt,als uns bewusst wurde, dass es wirklich möglich unddass es Realität war, dass rechtsterroristische Täter inDeutschland länger als ein Jahrzehnt morden und raubenkonnten. Ich sage Ihnen: Dieses Entsetzen hält jedenfallsbei mir – ich glaube, bei uns allen – weiterhin an.Vorletzte Woche war die Witwe eines der ermordetenOpfer aus München zu einem Gespräch bei mir imWahlkreisbüro. Was mir diese Frau über die Behandlungdurch die örtliche Polizei erzählt hat, war für mich einSignal. Wir stehen heute und auch in der Zukunft in derSchuld der Hinterbliebenen und auch der Familienange-hörigen.
DlesgsKubasteDhstuDvWSJnkEss–bPssVsdmhinzg–DIcu
a habe ich Bedenken, liebe Kolleginnen und Kollegenon der SPD, weil mich Ihr Vorschlag nicht überzeugt.enn überhaupt, dann setzt er am Ende einer Kette an.ie sprechen in Ihrem Gesetzentwurf von 762 Fällen proahr. Tatsächlich sind es viele Zehntausende. Die Krimi-ologen sprechen von über 100 000 inklusive der Dun-elziffer.Warum kommen diese Fälle bei der Justiz nicht an?s gibt eine riesige Dunkelziffer. Das hängt damit zu-ammen, dass sich viele Opfer scheuen, Anzeige zu er-tatten.
Ja, das ist die zweite Stufe. Da müssen wir ansetzen:ei der Polizei. 2001 hat die Innenministerkonferenz derolizei den Auftrag erteilt, dass in allen Fällen die politi-che Motivation festzustellen ist. Das betrifft alle Um-tände der Tat, die politische Einstellung, Nationalität,olkszugehörigkeit, Rasse, Hautfarbe, Religion, Weltan-chauung, Herkunft und sexuelle Orientierung. Alleiese Motive der Täter sind von der Polizei dingfest zuachen und als politisch motivierte Kriminalität festzu-alten – und dann werden, wie Sie schreiben, 762 Fälle ganz Deutschland ausgewiesen. Da müssen wir anset-en: bei der Schulung der Polizei und bei den Ermittlun-en. Das ist wichtig.
Ja, aber das sind nicht Ihre Vorschläge.
Die nächste Stufe liegt bei der Staatsanwaltschaft.as ist sicherlich kein großes Problem, aber es ist eines.h bin der Meinung, dass bei hassmotivierten und vor-rteilsbehafteten Straftaten immer ein öffentliches Inte-
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18256 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 152. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. Januar 2012
Jerzy Montag
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resse zu bejahen ist. Aber so etwas gibt es nicht in denRiStBV. Es gibt keine Anleitung für die Staatsanwalt-schaften, das öffentliche Interesse ausnahmslos zu beja-hen. Da müssen wir hinkommen.
Stattdessen gehen Sie an das Ende der Kette und wol-len dem Richter etwas ins Gesetz schreiben, das schonim Gesetz steht. Sie selber haben in Ihrem Gesetzent-wurf geschrieben, dass das, was Sie vorschlagen, eigent-lich nicht nötig ist. Aber Sie wollen, dass es noch einmalschriftlich festgehalten wird.
Herr Montag, Sie müssten schon zum Ende gekom-
men sein.
Ich komme zum Schluss. – Wir müssen jetzt erst in
der rechtspolitischen Debatte über Ihren Vorschlag dis-
kutieren. Das werden wir im Rechtsausschuss tun. Lasst
uns nach den richtigen Argumenten greifen und die rich-
tigen Handlungen wählen, statt hier so etwas zu diskutie-
ren. Auch ich muss Ihnen sagen: Ihr Gesetzentwurf ist
leider Gottes ein Schaufensterantrag.
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzent-
wurfs auf Drucksache 17/8131 an die Ausschüsse vorge-
schlagen, die Sie in der Tagesordnung finden. Haben Sie
dazu andere Vorschläge? – Das ist nicht der Fall. Dann
verfahren wir so.
Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 11 a und b auf:
a) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Dorothee Bär, Markus Grübel, Erwin Rüddel,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der
CDU/CSU
sowie der Abgeordneten Miriam Gruß, Nicole
Bracht-Bendt, Florian Bernschneider, weiterer Ab-
geordneter und der Fraktion der FDP
Altersbilder positiv fortentwickeln – Poten-
ziale des Alters nutzen
– Drucksache 17/8345 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Auswärtiger Ausschuss
Innenausschuss
Sportausschuss
Rechtsausschuss
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Ausschuss für Kultur und Medien
Haushaltsausschuss
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gierung
Sechster Bericht zur Lage der älteren Genera-
tion in der Bundesrepublik Deutschland – Al-
tersbilder in der Gesellschaft
und
Stellungnahme der Bundesregierung
– Drucksache 17/3815 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Gesundheit
Hierzu ist verabredet, eine halbe Stunde zu debattie-
n. – Dazu sehe und höre ich keinen Widerspruch. Dann
t es so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort dem
arlamentarischen Staatssekretär Dr. Hermann Kues.
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Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kolle-en! Herbstgold ist der Titel eines wunderbaren Doku-entarfilms, den das Bundesfamilienministerium vor ei-iger Zeit unterstützt hat. Es geht darin um fünf alteenschen, die sich für die Senioren-Leichtathletikwelt-eisterschaften qualifizieren wollen. Der älteste Teil-ehmer geht im Alter von 100 Jahren nach einer Hüft-P am Rollator an den Start, und zwar als Diskuswerfer.ebensfreude, Optimismus, Humor und Abenteuerlust,as alles strahlen die betagten Sportler aus.In einer Gesellschaft, in der jeder alt werden will,ber niemand alt sein will, ist es leider nicht selbstver-tändlich, im Alter das Herbstgold zu sehen. Zumeistenken wir als Erstes an Falten, Krankheit und Gebre-hen, wenn vom Altsein die Rede ist. Der Sechste Alten-ericht, über den wir heute diskutieren, räumt mit sol-hen Klischees auf. Er zeigt, dass die vorherrschendenltersbilder in unserer Gesellschaft der Vielfalt der Le-ensphase „Alter“ nicht gerecht werden und dass wirem Potenzial älterer Menschen, dem Herbstgold, nochiel zu wenig Beachtung schenken. Die Sachverständi-enkommission hat mit diesem Bericht wichtige Grund-genarbeit für die Gesellschaftspolitik in Zeiten des de-ografischen Wandels geleistet. Ich bedanke mich beillen Mitgliedern der Kommission, insbesondere bei ih-m Vorsitzenden, Herrn Professor Kruse.
Eine alternde Gesellschaft braucht facettenreiche Bil-er vom Alter, Bilder, die zeigen, dass die steigendeahl älterer Menschen in unserer Gesellschaft nicht nurine Herausforderung, sondern auch eine große Chancet. Wir brauchen ihre Erfahrung und ihre Tatkraft in denamilien, in der Arbeitswelt und im Ehrenamt. Das un-rstreicht der vorliegende Antrag der Koalitionsfraktio-en. Diese Überlegungen fließen auch in die Demografie-trategie der Bundesregierung ein, die im Moment unterederführung des Innenministeriums erarbeitet wird.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 152. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. Januar 2012 18257
Parl. Staatssekretär Dr. Hermann Kues
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Die Lebensphase „Alter“ spielt dabei in doppelterHinsicht eine zentrale Rolle: zum einen als Lebensphase,in der Menschen auf Hilfe und Fürsorge angewiesensind, zum anderen als Lebensphase, in der Menschenviel zu geben haben und sich engagieren wollen. Dasstellt letztlich den gesellschaftlichen Zusammenhalt vorneue Herausforderungen. Die Älteren sind dabei nichtdas Problem, sondern die Lösung.Was für unsere Gesellschaft vielfach noch Zukunfts-musik ist, ist ja in der Familie längst gelebter Alltag. Altund Jung sind füreinander da. Auf Oma und Opa ist inden meisten Fällen Verlass, sie nehmen sich gerne Zeit.Aus dem Deutschen Alterssurvey wissen wir: Für dreivon vier Personen ist es wichtig oder sogar sehr wichtig,Großmutter oder Großvater zu sein. Ältere wollen dieEnkelkinder auf ihrem Weg ins Leben begleiten. Sie un-terstützen damit ihre eigenen, häufig berufstätigen Kin-der. Wenn die Enkelin Windpocken hat oder das künftigeKinderzimmer des Enkels renoviert werden muss, dannfunktioniert der Zusammenhalt in der Familie, und zwaregal ob man Tür an Tür wohnt oder Hunderte Kilometervoneinander entfernt lebt. Umgekehrt können die meis-ten alten Menschen auf ihre Angehörigen zählen, wennsie pflegebedürftig werden. Genau das ist der familiäreZusammenhalt zwischen den Generationen, den wir unsfür unsere Gesellschaft generell nur wünschen können.
Menschen, die sich aufeinander verlassen können unddie füreinander Verantwortung übernehmen.Mit der Familienpflegezeit, die seit dem 1. Januar2012 die Vereinbarkeit von Beruf und Pflege erleichtert,stützen wir Familie als Verantwortungsgemeinschaft.Entgegen allen Vermutungen und Vorhersagen ist es so,dass diese gesetzliche Regelung von vielen Betriebenangenommen wird. Insofern haben wir hier tatsächlicheine Lösung für einen erheblichen Teil der Bevölkerunghinbekommen. Wir tragen damit nicht nur der stetig stei-genden Zahl pflegebedürftiger Menschen Rechnung,sondern mit diesem Konzept stärken wir auch den Zu-sammenhalt zwischen den Generationen.Ich bin fest davon überzeugt, dass wir der Vielfalt derLebensphase Alter, so wie wir sie in den Familien längsterleben, auch in unserer Gesellschaft Raum geben müs-sen. Dazu soll das Europäische Jahr für aktives Alternund Solidarität zwischen den Generationen dienen, dasam 6. Februar mit einer offiziellen Auftaktveranstaltungbeginnt. Wenn wir es schaffen, Strukturen hinzubekom-men, die die Fähigkeiten und Stärken der älteren Men-schen zur Geltung bringen, dann ist das ein Gewinn fürdie ganze Gesellschaft.Ich will ein weiteres Beispiel nennen. Wir haben denneuen Bundesfreiwilligendienst in Deutschland sehr be-wusst auch für Seniorinnen und Senioren geöffnet. Es isteine absolute Erfolgsgeschichte, um das ganz deutlich zusagen.
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ie hat gesagt: Ich helfe bei der Tafel mit; wenn ich denanzen Tag zu Hause sitze, bekomme ich nur einen stei-n Rücken. – Das sind positive Beispiele; daran solltenir weiter arbeiten.Auch der große Erfolg der Mehrgenerationenhäusereigt letztlich, welche Dynamik passende Engagement-ngebote für die ältere Generation entfalten können. Wiraben deswegen das Folgeprogramm „Mehrgeneratio-enhäuser II“ aufgelegt, das zum Jahresanfang gestartett. Auch das sind attraktive Angebote für Menschen, dieeit haben, um Verantwortung zu übernehmen. Es sinderade die jungen Alten, die nicht daran denken, sich imuhestand zur Ruhe zu setzen. Wir hoffen, dass diesetrukturen sich weiterentwickeln, auch über die Ange-ote und die Anreize des Bundes hinaus.Im Übrigen gilt auch heute noch, was der königlichreußische Leibarzt Christoph Wilhelm Hufeland schonor 200 Jahren gesagt hat: Alter ist nichts für Feiglinge. Gerade deshalb braucht eine Gesellschaft des langenebens Altersbilder, die deutlich machen: Alter ist etwasr Leute, die ihren Schatz an Erfahrungen, Wissen undähigkeiten mit anderen teilen wollen. Ich bin jedenfallsst davon überzeugt: Kaum etwas hält so jung wie dasefühl, gebraucht zu werden.Herzlichen Dank.
Das Wort hat die Kollegin Petra Crone von der SPD-
raktion.
Herr Präsident! Meine lieben Kollegen und Kollegin-en! Meine Herren und Damen! Tina Turner rockt mit2 Jahren auf den Brettern dieser Welt. Helmut Schmidtält mit fast 93 Jahren eine ganz große historische euro-äische Rede.
inige Ältere sollen ja auch hier im Bundestag sitzen.
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18258 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 152. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. Januar 2012
Petra Crone
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Viele ältere Menschen engagieren sich im kulturellen,sozialen und sportlichen Bereich. Andere wiederum sindschon mit 60 oder Mitte 60 gebrechlich, ziehen sich insPrivate zurück und sind einsam. Alte Menschen sindeben nicht alle gleich. Sie haben unterschiedliche Le-bensgeschichten, unterschiedliche Lebensmuster undsind in unterschiedlichen Lebenslagen. Allein schon ausdiesem Grund ist es wichtig, keine Stereotypen über dasAlter zu verbreiten.
Schon Kleinkinder entwickeln bestimmte Haltungenzu älteren Menschen. Daran ist natürlich der Fernseh-konsum mit schuld. Die Werbung strotzt nur so von Kli-schees. Häufig wird der smarte, weltgewandte ältereHerr für die Werbung für teure Uhren oder noch teurereAutos herangezogen. Frauen im höheren Alter werdenbevorzugt in die Hausfrauenrolle gedrängt und gern fürdie Werbung für magenaufräumende Mittelchen ge-wählt.
Unbewusst werden solche Bilder in die Gesellschaft ge-tragen.Die Wissenschaftler, die am Sechsten Altenberichtzur Lage der älteren Generation gearbeitet haben, be-schreiben uns eine sehr große Vielfalt, die es nun wirk-lich nicht verdient, über einen Kamm geschoren zu wer-den,
eine Vielfalt, wie es sie auch in allen anderen Bevölke-rungsgruppen gibt – mit sehr unterschiedlichen Vorstel-lungen von Leben, Alltag, Familie und Freizeitgestal-tung. Leider wird viel zu oft davon gesprochen, wasÄltere nicht mehr können und welche Macken sie haben.Diese Diskriminierung muss endlich aufhören. Stattdes-sen müssen wir viel stärker die Potenziale und Stärkenhervorheben.Der Sechste Altenbericht sollte uns sensibilisieren,auf die Bilder, die wir und die gesamte Gesellschaft vomAlter haben, achtzugeben. Das ist geschehen; denn wirdiskutieren gerade darüber – in Fachkreisen. Mir persön-lich fehlt dabei aber die Handlungsempfehlung an unsPolitiker, mit welchen Mitteln und auf welchen Wegenwir für größeres Verständnis zwischen den Generationensorgen können. Es gibt viele Punkte, die besonders vonschlechten Altersbildern besetzt sind und an denen wiransetzen müssen. Ich denke dabei an den Umgang vielerBanken und Versicherungen mit Älteren, und ich denkean die gesundheitliche Versorgung oder an die Renten-diskussion.Noch gelingt es uns nicht, ein differenziertes Bild vomAlter zu schaffen. Die Ansätze, die im Fünften wie auchim Sechsten Altenbericht genannt werden – Präventionstärken, lebensbegleitendes Lernen fördern und ehren-amtliches Engagement angemessen wertschätzen –, sindwichtig, so wichtig, dass wir für alle Bereiche flexibleAngebote für die älteren Menschen in unserem Land be-reithalten müssen. Hierbei hat die Bundesregierung nochDvaigHaAaz2dAsuuSmsmdzgdwzbbbsinzinreePasdngtrHfrHgDHTDK
Ihre Lösung ist aber, den Unternehmen die Investition Weiterbildung für Menschen ab 40 als Hausaufgabeu verpassen und jeden individuell für seine Gesundheit die Verantwortung zu nehmen. Wo bleiben die An-ize? Ja, ja, Wachstum soll sichergestellt werden. Wientlarvend! Die Politik solle sich darum bemühen, dieotenziale und Ressourcen der zweiten Lebenshälfte zuktivieren – so Ihr Antrag. Vielen Dank für dieses an-chauliche Beispiel der Nutzung demografischer Verän-erungen für Ihre Wirtschaftspolitik. Nicht in erster Li-ie um Menschen und ihr positives Bild voneinandereht es Ihnen, sondern um den volkswirtschaftlichen Er-ag, der daraus gezogen werden kann. Eindeutig dieandschrift der FDP!Weiter fordern Sie die Bundesregierung auf, Barriere-eiheit zu schaffen und gleichzeitig Assistenz- undausnotrufsysteme zu fördern. Skeptisch sind Sie aberegenüber dem Programm „Altersgerecht umbauen“.as ist doch viel wichtiger. Was nutzt mir denn der besteausnotruf, wenn ich aufgrund nicht zu überwindenderreppen nur noch selten Tageslicht zu sehen bekomme?as ist keine weitsichtige Politik, liebe Kolleginnen undollegen.
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Petra Crone
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Sie sprechen von Prävention. Gut, das tun wir auch,das tut die SPD-Bundestagsfraktion übrigens schon seitJahren.Sie fordern außerdem ganz richtig, den Pflegebedürf-tigkeitsbegriff zu modernisieren und die Pflegeausbil-dungen zu reformieren. Diese Reform ist seit Monatenüberfällig. Das Jahr der Pflege ist verstrichen, und nunmuss sich die Bundesregierung gefallen lassen, von ih-ren eigenen Koalitionsfraktionen zum Handeln ermahntzu werden. Die Modernisierung des Pflegebedürftig-keitsbegriffs soll angeblich schon gar nicht mehr in die-ser Legislaturperiode kommen. Hier stimmt in der Zu-sammenarbeit wirklich überhaupt nichts mehr.Ich bin skeptisch, ob Sie mit Ihren Appellen und Prüf-aufträgen die Ministerin aus ihrem Winterschlaf holenkönnen. Wünschenswert wäre es.Ich danke Ihnen.
Das Wort hat jetzt die Kollegin Nicole Bracht-Bendt
von der FDP-Fraktion.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen undKollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Beider internationalen Seniorenkonferenz des Familienmi-nisteriums hat kürzlich die amerikanische PsychologinBecca Levy über eine Studie berichtet, in der sie Männerund Frauen befragte, welche Altersbilder sie mit Älterenverbinden. Häufig genannt wurden langsames Gehen,Senilsein, Demenz, körperliche Beeinträchtigungen.Dann untersuchte die Professorin der Yale-Universitätden Effekt negativer Altersbilder. Ich zitiere Frau Levy:Wenn wir Menschen mit negativen Stereotypenkonfrontiert haben, konnten wir sehen, dass sich äl-tere Teilnehmer daran anpassten: Gedächtnisleis-tungen nahmen ab, sie neigten dazu, langsamer zugehen, und reagierten schneller mit Herzbeschwer-den auf Stress. Wenn wir die Leute aber positivenBildern aussetzten, konnten wir auch die umge-kehrte Wirkung beobachten …Am beeindruckendsten ist, dass ein positives Bild vomAltern mit durchschnittlich sieben Jahren mehr Lebens-zeit verbunden ist.Mit dem Sechsten Altenbericht haben die Verfasserwichtige Weichen für einen Wandel bei uns in Deutsch-land gestellt. Ich möchte Herrn Professor Kruse und derKommission für ihre zum Teil langjährige Arbeit undihre wichtigen Ergebnisse danken.
Ihre Erkenntnisse haben wir in unserem Antrag aufge-griffen.gadInbIcJDugPAnmAgäAateegwdeMimWreseebVvsnsdfüglifäDabAsd
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der Menschen mit gesundheitlicher Einschränkung deut-lich steigen. Wir alle wissen, dass der Begriff Pflegebe-dürftigkeit neu definiert werden muss. Ich bin frohdarüber, dass unser Gesundheitsminister Bahr diesewichtige Herausforderung jetzt konkret annimmt.
Ein weiterer Punkt unseres Antrags ist die Barriere-freiheit. Wir müssen uns fragen, wie eine Gesellschaftgestaltet sein muss, damit alle Menschen gleichberech-tigt und selbstbestimmt leben können. Barrierefreiheit istkein Luxus, sondern muss selbstverständlich sein – undzwar in allen Lebensbereichen und nicht nur in den eige-nen vier Wänden. Ich bin dafür, dass das bewährte KfW-Programm „Wohnen im Alter“ fortgesetzt wird undmoderne Technologien wie zum Beispiel das Hausnot-rufsystem und andere Assistenzsysteme stärker vorange-trieben werden.Barrierefreiheit muss für den Besuch des Rathausesgenauso selbstverständlich sein wie in der Städtepla-nung, im Straßenverkehr wie im Internet, in der For-schung und in der Ausbildung, in der differenzierteAltersbilder zu vermitteln sind, die Krankheit und Alterentkoppeln. Ich bin sicher: Wir sind auf einem gutenWeg zu einer Gesellschaft mit neuen Altersbildern.Ganz herzlichen Dank.
Das Wort hat jetzt die Kollegin Heidrun Dittrich von
der Fraktion Die Linke.
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damenund Herren! Im Sechsten Altenbericht geht es um Alters-bilder. Mit Altersbildern werden Vorstellungen vomAlter konstruiert. Warum ist das eigentlich nötig? Weildie Menschen nun länger arbeiten müssen und erst ab 67in Rente gehen können, und das muss schöngeredet wer-den. Der rüstige 75-jährige, vitale, über ausreichendGeld verfügende Rentner soll zum Vorbild werden. Er istder Prototyp des aktiven Alterns. Alle, die von diesemBild abweichen, werden nun mit einem negativenAltersbild belegt. Wer, bitte schön, möchte nicht positivdargestellt werden? Damit wird aber die Erfahrung derBeschäftigten ausgeklammert.Zum 1. Januar dieses Jahres trat die Rente ab 67 inKraft. Jetzt geht das Gespenst der Altersarmut wiederum. Es wird nicht gesagt, dass jedes Jahr der Verlänge-rung des Renteneintritts auch eine Rentenkürzungbedeutet. Frauen, Migranten und Menschen mit Behin-derung sind in diesem Altenbericht von vornherein aus-geklammert. Das sind aber gerade diejenigen, die imErwerbsleben benachteiligt werden und nur eine Grund-sicherung aufbauen können. Für sie besteht längst derZwang, nach Erreichen des Rentenalters ihre Rentedurch Zuverdienst aufzubessern, nach dem Motto: AlteFrau pflegt noch älteren Mann.teAlidBdKbFfem7InrenVtiaztezBkimddFgJdzletugmnwdkFtesuvsssSliAc
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normal sein, wenn Opa Hans noch mit 80 Jahren arbei-tet. Es soll ein Schatz gehoben werden, indem die Poten-ziale des Alters genutzt werden. Aber es geht nicht umein individuelles und selbstbestimmtes Ruhestandsalter,sondern um das Arbeiten über 67 Jahre hinaus.Das lehnt die Linke ab und bleibt bei der Forderung:Weg mit der Rente erst ab 67! Es ist positiv, mit 60 inRente gehen zu können.Danke schön.
Das Wort hat jetzt die Kollegin Elisabeth
Scharfenberg von Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kolle-
gen! In einem Bericht der Welt zur aktuellen Studie der
Gesellschaft für Konsumforschung wird Deutschland als
Seniorenrepublik bezeichnet, weil ein Viertel der Haus-
halte der Generation 60 plus angehören. In einem Leser-
kommentar war dort zu finden: Die Studie macht Angst.
Die Alten sind auf dem Vormarsch, und die Jüngeren ha-
ben immer schlechtere Perspektiven. Das ist Sprengstoff
pur für eine Gesellschaft.
Dies zeigt eindrucksvoll, was viele Menschen in die-
sem Lande vom Alter und von den Alten denken. Wir
reden immer noch vom Pflegefall. Wir reden von der
Last der älteren Langzeitarbeitslosen in den Statistiken
der Arbeitsagentur. Wir reden einseitig von den Kosten
durch die älter werdende Gesellschaft. Wir reden von
Hilfebedürftigkeit.
Auch dank der sehr guten Altenberichte der Alten-
berichtskommission wissen wir seit Jahren, dass es einer
aktiven Altenpolitik bedarf, um den gerade geschilder-
ten, schlichtweg diskriminierenden und auch vorurteils-
behafteten Bildern vom Alter entgegenwirken zu kön-
nen. Eine solche Politik muss quer durch alle
Ministerien gehen. Vor allem aber ist das Ministerium
für Familie, Senioren, Frauen und Jugend gefragt. Doch
die Leitung dieses Hauses ist schlichtweg ein Desaster.
Die altenpolitische Bilanz von Frau Ministerin Schröder
ist extrem schwach. Die Seniorenthematik verkommt zu
einem lästigen Anhängsel ihres Ministeriums. Ein paar
Veranstaltungen zu diesem Thema machen noch keine
Altenpolitik. Das Motto im Ministerium lautet: Wer
nichts macht, macht nichts falsch. Damit mogelt sich die
Ministerin durch ihr Amt.
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ir brauchen eine demografiesensible Generationen-
olitik, an der alle mitwirken und bei der wir inklusiv
enken, über alle Altersgrenzen hinweg. Es wäre die
ufgabe von Frau Schröder, sich für eine solche Politik
inzusetzen. Doch ihr Handeln, wenn man es denn so
ennen will, erschöpft sich in lustlosen Appellen und
eiwilligen Selbstverpflichtungen. Das entspricht dem
roblemlösungsverständnis der leider heute nicht anwe-
enden Ministerin.
Gestaltungsfreudige Politik für Menschen sieht unse-
r Meinung nach ganz anders aus. Es gibt großen Hand-
ngsbedarf im Bereich der Altenpolitik und der Alters-
ilder. Bei vielen Dingen gibt es doch kein
rkenntnisproblem. Wir kennen doch altersdiskriminie-
nde Regelungen, etwa im Ehrenamt. Wir müssen sol-
he Regelungen abschaffen und nicht zum zigsten Male
berprüfen, wie es der Antrag der Union und der FDP
rdert.
Es gilt, die Voraussetzungen für ein selbstbestimmtes
eben zu schaffen: beim Wohnen, in der Arbeitswelt, in
er Zivilgesellschaft. Leben über alle Generationen hin-
eg zu gestalten, das ist doch unsere Aufgabe.
Nicht die Alten sind das Problem, sondern wie über
ie geredet wird und welche politische Ignoranz ihnen
uch im zuständigen Ministerium entgegengebracht
ird.
Vielen Dank.
Als letztem Redner zu diesem Tagesordnungspunkt
rteile ich das Wort dem Kollegen Norbert Geis von der
DU/CSU-Fraktion.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrtenamen und Herren! Unsere Generation, unsere Gesell-chaft wird immer älter.
ber – und das sagt uns der Sechste Altenbericht – wiratten nie eine Generation, die im Alter so fit, so gesundnd auch so vermögend ist – trotz aller Altersarmut, die
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18262 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 152. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. Januar 2012
Norbert Geis
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nicht verschwiegen werden darf –, wie die jetzt lebendeAltersgeneration. Diese Altersgeneration, verglichen mitder Generation vor 50, 60 Jahren, hat eine ganz neueLebensphase dazugewonnen, eine Lebensphase, in dersie tatsächlich in der Lage ist, mitzuwirken. Dies hat dieBundesregierung zweifellos erkannt und handelt auchdanach. Ich weise die entsprechenden Vorwürfe als zuglobal und völlig undifferenziert zurück.
Dies hat nicht nur die Bundesregierung erkannt, son-dern auch die Europäische Union, die das Jahr 2012 zumJahr des aktiven Alterns und der Solidarität zwischenden Generationen ausgerufen hat. Das will heißen, dasses darauf ankommt, dass wir den Alten – ihnen sei derRuhestand gegönnt, und ihnen seien auch ihre Aktivitätund ihre Vitalität gegönnt –, die bereit sind, ihre Lebens-erfahrung mit einzubringen, die Möglichkeit geben, inder Gesellschaft und der Wirtschaft teilzuhaben, sodasssie nicht nur – das sage ich ganz bewusst – auf denRuhestand angewiesen sind. Denn viele der älteren Men-schen wollen ja noch mitarbeiten. Wir müssen ihnendiese Mitarbeit auch ermöglichen.
Wir kennen die Leistungsfähigkeit älterer Menschen,deren Lebensbogen weit hinausreicht. Wir kennenStaatsmänner, wir kennen führende Männer aus derWirtschaft, aus der Literatur und aus der Kunst.
– Frauen und Männer. Ich bedanke mich für den Hin-weis.Ich meine, dass wir das noch zu wenig beachten. Wirsehen das immer noch als Ausnahme an, wo doch inWirklichkeit viele ältere Menschen in der Lage sind,mitzuarbeiten und eine solche Leistung bis ins hoheAlter hinein zu erbringen.
Herr Kollege Geis, erlauben Sie eine Zwischenfrage
des Kollegen Ilja Seifert von den Linken?
Ja.
Bitte schön.
Herr Kollege Geis, Sie haben das Europäische Jahr
für aktives Altern angesprochen. Sagen Sie mir doch
bitte: Wo bleibt neben dem Appell, den Sie gerade sehr
vehement vorgetragen haben, das Programm der Regie-
rung, um Menschen im hohen Alter die Möglichkeit zu
verschaffen, teilzuhaben und ihre Erfahrungen einzu-
bringen, zum Beispiel im Ehrenamt? Es kann nicht sein,
dass sie das Geld sozusagen noch selber mitbringen
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Zur ersten Frage: Wir haben ja diese großartige Initia-
ve der Mitgestaltung – sie ist vorhin schon vom Par-
mentarischen Staatssekretär erwähnt worden – im
ahmen der Initiative „Freiwilligendienste aller Genera-
onen“. Wir stellen fest, dass nicht nur junge Leute, son-
ern auch Menschen mittleren Alters sowie ältere Men-
chen – also Menschen über 65 – bereit sind, hier ihren
eitrag zu leisten. Was wir fürs Ehrenamt getan haben,
as ist nun wirklich nicht wenig. Das finden Sie in ande-
n Ländern längst nicht in dem Maße, wie wir es hier in
eutschland haben.
Zur Frage der Antidiskriminierung: Wenn man im
trafrecht eine neue Norm schaffen will, dann muss man
inen konkreten Straftatbestand benennen und ihn zum
usdruck bringen können. Ich glaube nicht, dass wir
ber die bereits vorhandenen Tatbestände hinaus noch
inen weiteren Straftatbestand normieren können.
Haben Sie eine Frage?
Herr Geis beantwortet doch gerade eine Frage. – Bitte
eenden Sie Ihre Antwort, Herr Kollege Geis.
Die Frage habe ich schon beantwortet.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 152. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. Januar 2012 18263
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Gut, dann hat der Kollege Beck eine Frage. Möchten
Sie die Frage zulassen?
Ja.
Bitte.
Ich wollte an die Frage des Kollegen Seifert anknüp-
fen. Es geht übrigens nicht zwingend um eine strafrecht-
liche Antidiskriminierungsrichtlinie. Bei der Europäi-
schen Kommission gibt es seit längerem einen Entwurf,
der von Deutschland bislang blockiert wird, in dem es
um die Diskriminierung aufgrund des Alters geht. Dieser
Entwurf sieht vor, dass im Zivilrecht der Diskriminie-
rungsschutz aufgrund des Alters ausgeweitet wird auf
das Antidiskriminierungsniveau, das wir bei anderen
Kriterien in den Richtlinien bereits haben, was zum Bei-
spiel Rasse, ethnische Herkunft und Geschlecht anbe-
langt. Es soll einen einheitlichen Schutz vor Diskrimi-
nierung im Zivilrecht geben, beispielsweise beim
Abschluss von Kaufverträgen, Versicherungen und der-
gleichen. Teilen Sie unsere Auffassung, dass es gut wäre,
wenn die Bundesregierung ihre blockierende Position
hierzu überdenkt? Dann würde die Richtlinie auch zu-
stande kommen.
Man muss bei Antidiskriminierungsformulierungenim BGB sehr vorsichtig sein, weil man hier zu einerwirklichen Interessenabwägung kommen muss. Ichglaube, dass bei dem Antidiskriminierungsgesetz, daswir haben, unter Umständen nicht alle Interessen gut ab-gewogen werden können. Da gibt es ganz tückische ge-genteilige Beispiele.Um aber Ihre Frage zu beantworten: Ich glaube nicht,dass es notwendig ist, die älteren Menschen mit einemrechtlichen Antidiskriminierungsschutz zu versehen.Das ist nicht notwendig, weil es ältere Menschen gibt,die bereit sind, einzugreifen und die Zukunft mitzuge-stalten. Ich sehe da keine Notwendigkeit für eine Anti-diskriminierungsregelung.Meine sehr verehrten Damen und Herren, lassen Siemich fortfahren. Welches sind nun die Altersbilder? Wo-rauf kommt es dabei an? Welche Vorstellungen habenwir? Ich glaube, eine Gesellschaft braucht die stille Kraftdes Ordnens, des Festhaltens und des Fortführens. Dasist Sache der älteren Generation.Die jüngeren Menschen sind darauf aus, im Bewusst-sein ihrer Stärke ihren Beitrag zu leisten, und sie meinenoft genug, das Leben liege ihnen zu Füßen. Das ist auchein richtiges Verständnis. Wir brauchen die Tatkraft unddie Innovationskraft der jungen Menschen, insbesondereeine Gesellschaft wie die unsere, die gezeichnet ist vonWirtschaft und Industrie. In der Öffentlichkeit nenntman unsere Gesellschaft ja auch Wirtschafts- und Indus-trufüÄedcgemjugadssamenlewskdgbdeSwzwPraslegKatrhuwdis
Danke schön.
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18264 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 152. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. Januar 2012
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Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf
den Drucksachen 17/8345 und 17/3815 an die in der Ta-
gesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen.
Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann
sind die Überweisungen so beschlossen.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 17 auf:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Familie, Senioren,
Frauen und Jugend
– zu dem Antrag der Abgeordneten Stefan
Schwartze, Petra Crone, Petra Ernstberger, wei-
terer Abgeordneter und der Fraktion der SPD
Programme „Schulverweigerung – Die
2. Chance“ und „Kompetenzagenturen“ er-
halten
– zu dem Antrag der Abgeordneten Yvonne
Ploetz, Diana Golze, Agnes Alpers, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE
Hände weg von der Initiative „Jugend stär-
ken“
– Drucksachen 17/6103, 17/6393, 17/8329 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Peter Tauber
Stefan Schwartze
Florian Bernschneider
Yvonne Ploetz
Ulrich Schneider
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. Gibt es Wi-
derspruch? – Das ist nicht der Fall. Dann ist das so be-
schlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Red-
ner dem Kollegen Dr. Peter Tauber von der CDU/CSU-
Fraktion das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! MeineHerren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In der Tatsteht jetzt eine Debatte über Jugendförderprogramme aufder Tagesordnung des Deutschen Bundestages; die Op-position fordert deren Erhalt. Nun könnte man sagen: Ei-gentlich ist die Debatte an dieser Stelle schon beendet;denn die Programme, die im letzten Jahr ausgelaufensind, werden von der christlich-liberalen Koalition fort-geschrieben und mit 80 Millionen Euro finanziert.
Ich will nicht so vermessen sein, zu sagen, dass daszum Ritual gehört: Die Opposition muss schimpfen undfordern, dass etwas, was gut ist, fortgesetzt wird. Die Re-gierung setzt das dann fort. Die Opposition meckertnoch ein bisschen, weil es nicht ganz so ist, wie sie essich wünscht. Am Ende sind aber doch alle zufrieden,wefedesdsüUreghslinspfülosDdkhhBdSWSsKaLgBisliDdDgridngubdinsimds
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 152. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. Januar 2012 18265
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lich wenige Länder auf diesem Globus, in denen Kinderso gute Startchancen haben wie in Deutschland.
Die Programme, die Sie heute auf die Tagesordnunggesetzt haben, sind der zentrale und spannende Punkt,wenn es um Kinder und Jugendliche geht, die unterstütztwerden müssen. Wir reden also über diejenigen, die dieChancen, die ihnen unsere Gesellschaft bietet – sie sindriesengroß –, nicht alleine wahrnehmen können, weil ih-nen die Anreize fehlen, weil sie nicht entsprechend be-gleitet werden, weil den Eltern vielleicht nicht nur diematerielle Grundlage fehlt, um den Kindern etwas mitauf den Weg zu geben, sondern auch die notwendigeHerzenswärme. Um diese Kinder müssen wir uns in derTat kümmern, und dafür sind die Programme da.Ich glaube nur, dass es ein völlig falsches Signal ist,wenn wir in diesem Haus immer wieder sagen, dass indiesem Bereich alles schlecht sei; denn es gibt unheim-lich viele Kinder und Jugendliche in unserem Land, diees nicht leicht haben, aber die Chancen, die ihnen unsereGesellschaft bietet, ergreifen. Das ist manchmal mit An-strengungen und Hemmnissen verbunden; das will kei-ner leugnen. Aber zu behaupten, dass sich diese Anstren-gungen nicht lohnen, dass gerade junge Menschen vonvornherein chancenlos sind, wenn sie sich in diesemLand etwas aufbauen wollen, ist das völlig falsche Si-gnal. Das darf nicht das Ergebnis dieser Diskussion sein.Ich streite mich auch künftig gerne mit Ihnen im Aus-schuss darüber, welche Programme besonders gut sindund welche nicht, welche wir fördern sollten und welchevielleicht nicht effizient waren. Aber ich möchte ungern,dass wir den jungen Menschen das Signal geben, dasssie in diesem Land keine Chancen haben. Sie haben sieund müssen sie nur nutzen, und zwar selbst. Denen, diedas nicht können, helfen wir gerne. Aber wir dürfennicht der Versuchung unterliegen, alle an die Hand zunehmen. Das ist nicht Aufgabe der Politik; das könnenwir auch nicht. Wir sollten lieber gemeinsam darübernachdenken, wie wir unsere guten Programme – und ichnenne jetzt explizit den Bundesfreiwilligendienst – stär-ken und auf den Weg bringen.
Ich erinnere Sie daran: Beim Bundesfreiwilligen-dienst haben Sie alle geschimpft und gejammert. Siehaben gesagt: Das wird nichts. Da kommt nichts beirum. Das funktioniert nicht. Dafür gibt es keine Freiwil-ligen.
Die Wirklichkeit ist eine andere. Wir werden uns derFrage stellen müssen, wie wir mit den Freiwilligen um-gehen, für die wir momentan keine finanzierten Plätzehaben. Herr Rix, da lade ich Sie explizit ein: Machen Sieeinmal einen konkreten Vorschlag, wie wir es schaffen,statt 35 000 vielleicht 50 000 Freiwillige im Bundesfrei-willigendienst zu fördern. Dann leisten Sie wirklicheJJsfütureläSKdrostiteligEnLqrebsKreisBnBfüK–icB
Ich glaube, wir müssen jetzt einmal auf den Kern zuprechen kommen, nämlich auf die Programme der Ini-ative „Jugend stärken“, die das Ziel haben, die Kompe-nzen und Fähigkeiten von benachteiligten Jugend-chen zu stärken.
Es geht in diesen Programmen also nicht um dieroße Masse, sondern gezielt um die Benachteiligten.ine gute Angebotsstruktur für diese Jugendlichen eröff-et vielen den Weg hin zu einem selbstbestimmteneben und raus aus den staatlichen Leistungen.Im europäischen Vergleich sind die Schulabbrecher-uote und die Jugendarbeitslosigkeit bei uns zum Glücklativ gering. Die Zahl der Ausbildungsplätze hat sichundesweit deutlich verbessert. Dennoch haben wir un-ere Ziele bei weitem nicht erreicht. Das Ziel der Großenoalition, die Schulabbrecherquote bis 2010 zu halbie-n, ist nicht erreicht worden. Ein ganz großes Problemt die anhaltend hohe Zahl junger Menschen ohneerufsabschluss. In diesem Land haben rund 1,5 Millio-en junge Menschen zwischen 20 und 29 Jahren keinenerufsabschluss. Nur zum Vergleich: Das entsprichtnfmal der Anzahl der Einwohner in meinem Wahlkreisreis Herford/Bad Oeynhausen.
Ja, genau. Der Wahlkreis ist wichtig; darum erwähneh ihn auch. Danke für den Hinweis, Herrernschneider. – Diese jungen Menschen haben schlech-
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Stefan Schwartze
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teste Perspektiven auf dem Arbeitsmarkt. Sie werdenimmer von Arbeitslosigkeit bedroht sein, wenn sie über-haupt einen Job finden, und sie sind es, die im Niedrig-lohnsektor feststecken oder nicht aus dem Arbeitslosen-geld-II-Bezug herauskommen werden.Die SPD hatte in den Haushaltsberatungen einenAntrag eingebracht, der allein 200 Millionen Euro dafürvorsah, diesen Jugendlichen eine zweite Chance auf eineAusbildung zu geben. Leider hat Schwarz-Gelb ihnabgelehnt. Aber nicht nur das. Diese Menschen kommenin den Planungen der Bundesregierung schlicht nichtvor. Die Initiative „Jugend stärken“ des Ministeriumsvon Frau Schröder, die auch heute leider nicht anwesendist, umfasst insgesamt fünf Modellprogramme.
Ende 2010 gab das Ministerium das Aus für das Pro-gramm „Stärken vor Ort“ bekannt. Für zwei weitere Pro-gramme, „Schulverweigerung – Die 2. Chance“ und„Kompetenzagenturen“, verkündete es, dass diese imJahr 2011 neu ausgeschrieben werden sollten, obwohldie Förderphase ursprünglich bis 2013 geplant war. ImFebruar 2011 rückte das Ministerium dann mit der kom-pletten Wahrheit raus, dass nämlich die Mittel des Euro-päischen Sozialfonds für diese Programme um die Hälftegekürzt werden sollten. Zusätzlich – inzwischen ist esgeschehen – ist für das Programm „Kompetenzagen-turen“ die 20-prozentige Kofinanzierung über SGB-II-und SGB-III-Mittel entfallen.Aufgrund dieser Kürzungen kam es zu vehementenProtesten der Träger, die befürchteten, die Hälfte ihrerAngebote streichen zu müssen. Als Reaktion darauf kamdie zuständige Ministerin den Trägern entgegen und er-höhte im Mai 2011 den Mittelansatz von 50 Millionenauf 80 Millionen Euro. Diese Erhöhung erkennen wirausdrücklich an. Wir sind froh, dass dieser Erfolg erzieltwurde. Nichtsdestotrotz müssen wir feststellen, dass derMittelansatz um 28 Prozent pro Jahr gekürzt wurde.Diese Kürzung ist nicht zu verstehen. Wir als SPD wol-len, dass die Förderung in damaliger Höhe fortgesetztwird.
Logisch zu begründen sind diese Kürzungen vom Minis-terium nicht; denn beide Programme werden für ihreguten Ergebnisse und ihre hohe Effektivität ausdrücklichgelobt.Besondere Bedeutung für diese jungen Menschenaber hat die Streichung der Kofinanzierung über SGB-II-und SGB-III-Mittel zum 1. Januar dieses Jahres. Auchhier wäre es durchaus logisch, die Kofinanzierung wei-terlaufen zu lassen. Die jungen Menschen sind oft seitlangem arbeitslos und beziehen staatliche Leistungen.Die Zuständigkeit auf längere Sicht allein auf die Kom-munen und die Länder zu verlagern, ist der falsche Weg.Hier wird wieder einmal ein Verschiebebahnhof hin zuden Kommunen eröffnet.bnteMzWSIndsgdugMte2dpjuvdBeDa–lesZg
ir fordern neben dem Recht auf das Nachholen eineschulabschlusses das Recht auf einen Ausbildungsplatz.
Zeiten eines drohenden Fachkräftemangels müssenie Programme, die jungen Menschen einen Schulab-chluss oder einen Ausbildungsplatz ermöglichen, aus-ebaut werden; denn über diese Programme geben wiren Menschen die Möglichkeit, aus der Arbeitslosigkeitnd aus der Perspektivlosigkeit herauszukommen. Ichlaube, das sind ganz wichtige Maßnahmen.
Die SPD-Bundestagsfraktion lehnt die Kürzungen derittel für die Programme ab. Wir fordern, die ESF-Mit-l in alter Höhe einzustellen. Außerdem fordern wir, die0-prozentige Kofinanzierung aus Bundesmitteln überas SGB II und das SGB III bei dem Programm „Kom-etenzagenturen“ wieder zu ermöglichen. Geben Sie denngen Leuten dadurch eine Chance.Die SPD-Bundestagsfraktion hat für ihren Antrag dieolle Rückendeckung der Länder. Vielleicht gibt Ihnenas zu denken. Der Bundesrat hat im November 2011 dieundesregierung aufgefordert, die Kofinanzierung zurmöglichen.
ieser Appell wurde einstimmig von allen Ländern,uch von den unionsgeführten Ländern, getragen.
Sie wollen jungen Leuten eine Chance geben. Sie wol-n, dass junge Leute einen Beruf erlernen und eine Per-pektive für die Zukunft haben.
Ich appelliere noch einmal an Sie: Denken Sie an dieukunft der jungen Menschen. Setzen Sie die Pro-ramme fort.
Vielen Dank.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 152. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. Januar 2012 18267
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Das Wort hat jetzt der Kollege Florian Bernschneider
von der FDP-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-ren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! So aufgeheizt wirdiese Debatte in den letzten Tagen und Wochen über dieProgramme „Schulverweigerung – Die 2. Chance“ und„Kompetenzagenturen“ auch geführt haben, so wichtigfinde ich es, festzuhalten, dass in dieser Frage eigentlichfraktionsübergreifende Einigkeit besteht. Wir alle sinduns einig, dass im Rahmen dieser Programme in denletzten Jahren eine hervorragende Arbeit geleistetwurde. Wir alle sind uns auch einig, dass wir es uns nichtleisten können, junge Menschen auf ihrem Weg in Aus-bildung zu verlieren; das gilt wirtschaftlich wie auchgesellschaftlich. Wir alle wissen, dass eine solche frak-tionsübergreifende Einigkeit keineswegs selbstverständ-lich ist und dass wir sie in vielen anderen Politikfeldernnicht vorfinden. Deswegen bin ich der Meinung, diessollten eigentlich gute Voraussetzungen sein, um dieseDiskussion im Sinne der Sache zu führen.
Ich habe in dieser Diskussion aber auch gelernt, dasses nicht nur wichtig ist, die gleiche politische Zielset-zung zu haben, sondern dass es auch wichtig ist, sichdarüber zu verständigen, welche Startbedingungen manvorfindet. Eigentlich sollte man meinen, dass auch diesnicht allzu schwierig sein dürfte. Denn wenn es darumgeht, den Status quo zu definieren, dann zählt, wie ichglaube, weniger das Parteibuch als vielmehr Objektivi-tät. Ich glaube, dass es sich lohnt, die Fakten zu wieder-holen.Im Jahr 2008 haben Union und SPD beschlossen, dieFörderung der Programme „Schulverweigerung – Die2. Chance“ und „Kompetenzagenturen“ mit einer För-derphase bis August 2011 zu versehen. Damit stand defacto auch fest, vor welcher Herausforderung wir stan-den: Wir mussten Nachfolgeprogramme etablieren.Weil es an diesen Fakten nicht viel zu deuteln gibt,wundert mich, ehrlich gesagt, der schrille Ton vonseitender SPD. Herr Schwartze, Sie haben gerade wiedergesagt – das ist auch in Ihren zu Protokoll gegebenenReden nachzulesen –, dass die Förderphase eigentlichbis 2013 dauern sollte. Entweder, Herr KollegeSchwartze, haben Sie die Systematik, nach der die ESF-Mittel verteilt werden, noch nicht richtig verstanden,was ich nicht glaube, oder die SPD versucht, die Faktenmöglichst so zu drehen, wie sie ihr am besten passen.Natürlich dauert die Förderphase im Hinblick auf dieESF-Mittel bis 2013. Aber das heißt noch lange nicht,dass alle nationalen Programme, die mit ESF-Mittelngefördert werden, bis 2013 laufen. Sie selbst haben da-für den besten Beweis geliefert: Sie haben beschlossen,dass diese Programme im August 2011 auslaufen. Vordiesem Hintergrund ist es falsch – ich finde, es ist auchnicht fair –, dieser Koalition vorzuwerfen, wir würdenbnleRmdEMhusgkhwIcpnniszSdbMnmAmhmMwtrafoEdliVhSomAJDnug
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18268 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 152. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. Januar 2012
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(Stefan Schwartze [SPD]: Getroffene Hundebellen!)Da wir heute unter anderem über das Programm „Schul-verweigerung – Die 2. Chance“ diskutieren, möchte ichbetonen: Auch die Opposition hat eine zweite Chanceverdient, diese Programme weiterhin konstruktiv zubegleiten.
Ich glaube, dann kommen wir gemeinsam auf einenguten Weg.Vielen Dank.
Das Wort hat jetzt die Kollegin Yvonne Ploetz von
der Fraktion Die Linke.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Hin undwieder passiert es, dass Jugendliche auf ihrem Weg insErwachsenenleben stolpern. Dann brauchen sie jeman-den, der sie aufhebt, ihnen den Staub abklopft und sagt:Mach weiter, ich begleite dich auf deinem Weg.Genau das leistet ja die Initiative „Jugend stärken“Tag für Tag. Sie hilft an den schwierigen Übergängenvon der Schule in die Ausbildung und von der Ausbil-dung in den Beruf bzw. dann, wenn Jugendliche den Un-terricht nicht mehr besuchen und zurück in den Schulall-tag gebracht werden sollen. Derzeit werden 40 000 jungeMenschen auf diese Art und Weise begleitet. Aufgrundder Erfolge ist es nicht nur für mich vollkommen unver-ständlich, warum hier der Rotstift angesetzt werden soll.Schon im vergangenen Jahr – das haben wir heute be-reits gehört – wurde vonseiten der EU und des Bundesnur noch ein Teil der bisherigen Fördergelder bereitge-stellt. Dagegen haben sich die Sozialverbände, die SPD,die Linken und die Grünen mit Händen und Füßen ge-wehrt. Gemeinsam mit der Regierungskoalition habenwir erreicht, dass die Förderung bis 2013 weitgehend er-halten bleibt.
Meine Damen und Herren der Regierungsfraktionen,mich macht das aber noch nicht wirklich glücklich. Ichglaube, darauf können Sie sich nicht ausruhen. Das soll-ten wir gemeinsam nicht tun. Die Initiative bekommtderzeit nur noch zwei Drittel der bisherigen Fördergel-der, das heißt in der Praxis, dass 23 von 200 Standortender Kompetenzagenturen bereits geschlossen wurden.Das ESF-Bundesprogramm „Stärken vor Ort“ wurdekomplett gestrichen, und mein Kenntnisstand bisher ist,dass 2013 die gesamte Initiative auslaufen wird. HerrBernschneider, Sie können mich sehr gerne vom Gegen-teil überzeugen. Bei all den Debatten frage ich mich: Ha-ben Sie sich jemals ein solches Projekt vor Ort angese-hen? Wissen Sie, was dort geleistet wird?HsAJnkguE„GhdnEsgnadicruMdmtiWTIclauSs
Ich war zum Beispiel im Saarland unterwegs, meinereimat, und habe dort von zwei ganz besonderen Bei-pielen erfahren:In einem Jugendtreff habe ich dort Anna angetroffen.nna ist heute 18 Jahre alt und wollte noch vor einemahr ihre Schule ohne Schulabschluss verlassen. Heute,ach der Unterstützung durch die Initiative „Jugend stär-en“, will sie sich mit einem kleinen Restaurant eine ei-ene Existenz aufbauen. Wenn das mal kein Erfolg ist!
Dort wird auch Emrah unterstützt. Er ist 14 Jahre altnd hat seine Freizeit bisher alleine zu Hause verbracht.r hat an einem Projekt im Rahmen des ProgrammsStärken vor Ort“ teilgenommen, durch das ein altesrab auf dem städtischen Friedhof restauriert wurde. Erat dort am Grabstein mitgearbeitet. Seitdem weiß er,ass ihm diese Arbeit wahnsinnig viel Spaß macht. Ganzebenbei hat er Freunde gefunden. Das ist noch so einrfolg.Man kann hier also wirklich ganz wunderbare Ge-chichten nacherzählen.Ja, die Initiative „Jugend stärken“ muss ganz drin-end ausfinanziert werden. Ich will aber auch daran erin-ern, dass es insbesondere die Mitarbeiterinnen und Mit-rbeiter und all die engagierten Menschen vor Ort sind,ie hier ganz wunderbare Arbeit leisten. Denen möchteh heute von ganzem Herzen danken.
Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Regie-ngskoalition, möchten von genau diesen Frauen undännern verlangen, dass sie ihren Schützlingen sagen,ass sie demnächst keine Unterstützung mehr bekom-en werden. Das kann nicht Ihr Ernst sein!
Ich frage mich auch, wie das alles zu Ihrem Koali-onsvertrag passt. Ich darf Sie zitieren:Wir stehen für eine eigenständige Jugendpolitik,eine starke Jugendhilfe und eine starke Jugend-arbeit, die junge Menschen teilhaben lässt und ihrePotenziale fördert und ausbaut. Wir wollen Jugend-liche beim Übergang von Ausbildung in den Berufbesser unterstützen.issen Sie, was Anna und Emrah dazu sagen würden?ypisch Politiker: schöne Worte und nichts dahinter! –h glaube, genau das sollten Sie nicht auf sich sitzenssen.Fangen Sie an, nach diesen schönen Worten, die jedernterschreiben kann, zu handeln. Ich glaube, der erstechritt dahin wäre, die Initiative „Jugend stärken“ voll-tändig und besonders auch langfristig zu erhalten.Vielen Dank.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 152. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. Januar 2012 18269
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Das Wort hat jetzt der Kollege Ulrich Schneider von
Bündnis 90/Die Grünen.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Gerade junge Menschen haben das Recht da-
rauf, dass sie in ihren individuellen und sozialen Ent-
wicklungen gefördert werden. Wir müssen ihnen zu die-
sem Recht verhelfen. Es ist eine zentrale Aufgabe der
Familienpolitik, dafür zu sorgen, dass Jugendliche nicht
benachteiligt werden. Deshalb müssen wir unser Augen-
merk insbesondere auf Schulverweigerer und junge
Menschen im Übergang von der Schule in die Ausbil-
dung legen.
Was Schwarz-Gelb im Koalitionsvertrag verkündet
hat, klang ja verheißungsvoll. Wir haben hier offensicht-
lich an derselben Stelle nachgelesen. Die Kinder- und
Jugendhilfe, Eltern und Schulen sollten gefördert wer-
den. Zielsetzung war es, jedem Jugendlichen einen
Schulabschluss und den Erwerb einer Ausbildungsstelle
zu ermöglichen. Jugendhilfe und Jugendarbeit sollten
gestärkt werden. Die Koalition wollte junge Menschen
teilhaben lassen und ihre Potenziale fördern.
Aber was wir im letzten Jahr erlebt haben, passt in
keiner Weise zu diesen Koalitionsversprechen. Mit den
Kompetenzagenturen und dem Programm „Schulverwei-
gerung – Die 2. Chance“ sind seit 2006 gute und wich-
tige Schritte in die richtige Richtung gegangen worden.
Sie haben es jungen Menschen ermöglicht, wieder in die
Schule zu gehen oder ins Berufsleben einzusteigen. Sie
haben Ansprechpartnerinnen und Ansprechpartner zur
Verfügung gestellt, die jungen Menschen in dieser Phase
des Übergangs helfen sollten. Sie haben die jungen Men-
schen unterstützt.
Eigentlich hätte es im vergangenen Jahr darum gehen
müssen, diese richtige Richtung zu verstetigen. Aber
was tat das Familienministerium stattdessen? Es wollte
die Mittel des Europäischen Sozialfonds auslaufen las-
sen. Viele der erfolgreichen Programme hätten damit vor
dem Aus gestanden. Wenn sich das Ministerium und die
Regierungskoalition jetzt rühmen, die Projekte erhalten
zu haben, so ist festzustellen, dass das nur dadurch mög-
lich war, dass Träger und Fachverbände die Öffentlich-
keit und die Opposition informiert haben. Nur dadurch
wurden die Mittel teilweise erhalten.
Dadurch schmückt sich das Ministerium mit den Lorbee-
ren, die eigentlich den Verbänden gebühren, die sich hier
engagiert haben.
Auch wenn die Projekte jetzt weiter finanziert wer-
den, so werden sie unterm Strich eben doch geschwächt.
Da hilft es nichts, auf neue Akzente in den Programmen
hinzuweisen. Faktisch fehlen insgesamt 28 Prozent der
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Was bedeutet es denn für eine Schulabbrecherin,
enn ihre Sozialarbeiterin in Zukunft keine Zeit mehr
r sie hat, wenn das Geld schlicht nicht reicht, um ihr
ie Möglichkeit zu geben, ihren Schulabschluss zu ma-
hen? Sie wird eben keine echte zweite Chance bekom-
en, sondern lediglich einen halbherzigen zweiten Ver-
uch. Anstelle der Kürzungen hätten die Projekte
ngfristig angelegt werden müssen. Eine Einbindung in
as Programm „Soziale Stadt“ wäre der richtige Schritt
ewesen.
Nur wenn wir die Lebensbereiche von Jugendlichen
mfassend betrachten und wenn alle Akteurinnen und
kteure eingebunden sind, können junge Menschen
ben eine echte zweite Chance bekommen. Die teilweise
haotischen Umstrukturierungen des Ministeriums im
ergangenen Jahr haben zu erheblichen Verunsicherun-
en geführt, obwohl gerade junge Menschen auf stabile
nd verlässliche Unterstützung angewiesen sind.
Diese Verunsicherung aus dem letzten Jahr muss ein
inmaliges Beispiel bleiben und darf sich im neuen Jahr
icht wiederholen. Auch deshalb unterstützen wir die
orliegenden Anträge.
Danke schön.
Herr Kollege Schneider, Sie sind am 7. Dezember
011 in den Deutschen Bundestag nachgerückt und ha-
en heute Ihre erste Rede gehalten. Dazu gratuliere ich
nen.
Als letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt hat
un wiederum der Kollege Norbert Geis das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen underren! Die Forderungen in den Anträgen, die Sie stel-n, sind eigentlich erfüllt, aber nicht in dem Umfang,ie Sie sich das vorstellen. Wir werden die Anträge ab-hnen.Ich meine, man darf bei dieser Diskussion nie verges-en, dass wir ein föderaler Staat sind, in dem die Aufga-en geteilt sind. Das ist ein guter Grund, weshalb bei-
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18270 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 152. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. Januar 2012
Norbert Geis
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spielsweise die Länder die Aufgabe der Bildungübernommen haben. Die Bildung ist nicht zentrale Auf-gabe des Bundes, sondern mit die wichtigste Aufgabeder Länder. Auch die unmittelbare soziale Fürsorge istnicht direkt Aufgabe des Bundes, sondern eben der Ver-einigungen. Das sind die Kommunen, die die Lage vorOrt besser einschätzen und abschätzen können. Natür-lich muss der Bund die Kommunen dabei unterstützen.Das darf man bei dieser Diskussion nicht übersehen.Es kann nicht sein, dass wir ein Programm auflegen undes zeitlich befristen, wie das bei dem vorliegenden Pro-gramm der Fall war – es sollte im September 2011 aus-laufen und wird nun fortgesetzt –, aber dann davon aus-gegangen wird, dass ein solches Programm plötzlich adinfinitum vom Bund zu übernehmen ist. Der Bund kannnicht auch noch die Aufgaben der Länder schultern. Dasmüssen die Länder schon selbst tun.Die Länder haben natürlich größtes Interesse daran,dass der Bund das weitermacht, Herr Schwartze. Dannmüssen sie es nicht selber bezahlen und können sparenoder sich auf andere Dinge verlegen. Aber es ist nichtAufgabe des Bundes, die Aufgaben der Länder zu über-nehmen. Die Länder müssen selber mithelfen und mit-leisten.Natürlich ist es eine allgemeingesellschaftliche Auf-gabe. Das sehen wir alle ein. Wir stimmen auch alle da-rin überein, dass wir die Jugend fördern müssen, undzwar nicht nur die Jugend aus guten Verhältnissen, son-dern wir müssen vor allem auch unser Augenmerk aufdie Jugendlichen richten, die aus Verhältnissen kommen,wo man nicht so großen Wert auf Bildung legt und nichtgenau darauf achtet, dass das Kind seine Hausaufgabenmacht und vielleicht auch darüber hinwegsieht, ob derJugendliche einen Beruf ergreift. Um diese Jugendlichenmüssen wir uns vorzüglich kümmern, nicht nur, weil eseine Frage der Menschlichkeit oder der Klugheit ist.Denn solche Jugendlichen fallen, wenn sie keinen Berufergreifen, später den anderen zur Last. Sie müssen vonden anderen mitfinanziert werden und landen unter Um-ständen zu schnell im sozialen Netz oder gleiten viel-leicht sogar in die Kriminalität ab. Deswegen ist eswichtig und klug, dass wir uns darum kümmern.Wir müssen und dürfen uns aber auch deshalb um siekümmern, weil wir es uns nicht mehr leisten können, aufdiese Jugendlichen zu verzichten. Wir haben zu wenigKinder, und wir brauchen die Innovationskraft der Ju-gend. Dabei können wir nicht nur auf die setzen, die ausguten Verhältnissen kommen, sondern wir müssen mitdafür Sorge tragen, dass auch die Jugendlichen herange-zogen und wieder in die Mitte der Gesellschaft gestelltwerden, die das vielleicht von Haus aus nicht so mitbe-kommen haben.Es geht darum, dass wir alle Jugendlichen erfassen.Das gilt vor allem auch für die Jugendlichen mit Migra-tionshintergrund. Es wäre völlig falsch, wenn wir davordie Augen verschließen würden. Natürlich sind vieleKinder ausländischer Herkunft inzwischen so weit, dasssie in Deutschland integriert sind, das Schul- und Bil-dungssystem exzellent durchlaufen und einen wichtigenPlatz in der Wirtschaft oder auch in akademischen Beru-fen einnehmen oder einnehmen werden. Das erleben wirtäglich.tisDAsistieDvßsPgdafüdg„„wcuPdnWzdtuWgDbnasdFshhdssqwim
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 152. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. Januar 2012 18271
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Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über die Beschluss-
empfehlung des Ausschusses für Familie, Senioren,
Frauen und Jugend auf Drucksache 17/8329. Der Aus-
schuss empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschluss-
empfehlung die Ablehnung des Antrags der Fraktion der
SPD auf Drucksache 17/6103 mit dem Titel „Pro-
gramme ‚Schulverweigerung – Die 2. Chance‘ und
‚Kompetenzagenturen‘ erhalten“. Wer stimmt für diese
Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Ent-
haltungen? – Die Beschlussempfehlung ist angenommen
mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die
Stimmen der Oppositionsfraktionen.
Unter Buchstabe b empfiehlt der Ausschuss die Ab-
lehnung des Antrags der Fraktion Die Linke auf Druck-
sache 17/6393 mit dem Titel „Hände weg von der Initia-
tive ‚Jugend stärken‘“. Wer stimmt für diese
Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer
enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist angenom-
men mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen bei
Gegenstimmen der Fraktion Die Linke und von Bünd-
nis 90/Die Grünen sowie Enthaltung der SPD-Fraktion.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 13 a bis c auf:
a) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Än-
derung personenbeförderungsrechtlicher Vor-
schriften
– Drucksache 17/8233 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
Rechtsausschuss
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
b) Erste Beratung des von den Abgeordneten Sören
Bartol, Uwe Beckmeyer, Martin Burkert, weite-
ren Abgeordneten und der Fraktion der SPD
sowie den Abgeordneten Dr. Anton Hofreiter,
Stephan Kühn, Dr. Valerie Wilms, weiteren Ab-
geordneten und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Geset-
zes zur Änderung personenbeförderungs- und
mautrechtlicher Vorschriften
– Drucksache 17/7046 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
Innenausschuss
Rechtsausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für Tourismus
c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Sabine
Leidig, Thomas Lutze, Dr. Dietmar Bartsch, wei-
terer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE
Keine Liberalisierung des Buslinienfernver-
kehrs – Für einen Ausbau des Schienenver-
kehrs in der Fläche
– Drucksache 17/7487 –
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Wir befassen uns heute in erster Beratung mit demon der Bundesregierung eingebrachten Entwurf einesesetzes zur Änderung personenbeförderungsrechtlicherorschriften und einem Alternativentwurf der Fraktio-en von SPD und Bündnis 90/Die Grünen sowie einemntrag der Fraktion Die Linke, der zumindest teilweiseit den beiden Gesetzentwürfen zusammenhängt. Dieiele des Regierungsentwurfs sind klar umrissen. Wirollen erstens das Personenbeförderungsgesetz und an-ere Gesetze an den europäischen Rechtsrahmen anpas-en. Wir wollen zweitens den Fernbuslinienverkehr libe-lisieren. Wir wollen drittens das Verfahren füriniengenehmigungen im öffentlichen Personennahver-ehr ausgestalten.Beim ersten Thema befinden wir uns in Verzug. Dieuropäische Verordnung Nr. 1370/2007, um die es hiereht, ist bereits am 3. Dezember 2009 in Kraft getreten.ie enthält – Gott sei Dank – einige Übergangsregelun-en, die es gerade noch erlauben, die Anpassung der na-onalen Vorschriften für einige Zeit zurückzustellen. Iner europäischen Verordnung wird festgelegt, unter wel-hen Voraussetzungen Verkehrsunternehmen Finanzhil-n gewährt werden dürfen. Die Verordnung enthält zu-em Vorgaben für das Vergabeverfahren und regelt dieälle, in denen Verkehrsleistungen direkt, das heißt ohneurchführung einer Ausschreibung oder eines anderenettbewerblichen Verfahrens, vergeben werden dürfen.erner wird vorgeschrieben, wie die Ausgleichszahlun-en im Falle einer Direktvergabe zu berechnen sind.iermit soll verhindert werden, dass die beauftragtenerkehrsunternehmer ungerechtfertigt hohe Zahlungenrhalten und damit der Wettbewerb zwischen den Ver-ehrsunternehmen verzerrt wird.Die Auswirkungen der europäischen Verordnung be-chränken sich in Deutschland faktisch auf den öffent-
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18272 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 152. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. Januar 2012
Parl. Staatssekretär Dr. Andreas Scheuer
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lichen Personennahverkehr. Der Personenfernverkehrauf der Straße und der Schiene wird grundsätzlich ohneöffentliche Förderung durchgeführt.Die Grundpositionen des Regierungsvorschlags las-sen sich wie folgt zusammenfassen: Wir sehen keineNotwendigkeit für radikale Veränderungen des gelten-den Ordnungsrahmens. Das Personenbeförderungsge-setz soll nur dort angepasst werden, wo es europarecht-lich erforderlich und sachgerecht ist. Es ist auch Vorgabedes christlich-liberalen Koalitionsvertrages, dies eins zueins umzusetzen. Hierbei wollen wir an dem Vorrangeigenwirtschaftlicher Verkehre festhalten, den unterneh-merischen Wettbewerb fördern und ein möglichst mittel-standsfreundliches Umfeld schaffen. Wir sagen auchsehr herzlich Danke für die gute Zusammenarbeit mitden Verbänden und den Unternehmen, die uns aus derPraxis sehr viele Anregungen gegeben haben, um diemittelstandsfreundlichen Strukturen, wie wir sie inDeutschland haben, auch politisch zu unterstützen.
Die Aufgabenträger haben nach dem Regionalisie-rungsgesetz die Aufgabe, einen ÖPNV in angemessenerQualität sicherzustellen. Dieser Verantwortung müssensie auch weiterhin gerecht werden. Interessenkonfliktekönnen vor allem im Verhältnis zwischen Aufgabenträ-ger und Verkehrsunternehmen auftreten. Es soll dabeibleiben, dass die Genehmigungsbehörde als Schiedsrich-ter fungiert.Der Regierungsentwurf wird in großen Teilen vomBundesrat unterstützt. Es gibt allerdings auch einige ab-weichende Vorstellungen. So zielen mehrere Änderungs-vorschläge darauf ab, die Befugnisse der Aufgabenträgerzulasten der Genehmigungsbehörde zu erweitern. Wirstehen diesen Vorschlägen eher kritisch gegenüber, weilsie sich gerade für die mittelständischen Busunterneh-mer nachteilig auswirken könnten. Aber es gibt sicherauch einige Punkte, über die wir diskutieren können.Zur Ausdehnung der Fahrgastrechte. Die Verordnung181/2011 über die Fahrgastrechte im Kraftomnibusver-kehr enthält bereits einen verbindlichen Pflichtenkatalogfür die Unternehmer. Da diese Verordnung erst am1. März 2013 in Kraft tritt, sollten mögliche Erweiterun-gen sorgfältig geprüft und in einem eigenen Gesetzge-bungsverfahren entschieden werden. Nicht zufrieden-stellend vorbereitet sind ferner die Änderungsvorschläge,mit denen eine vollständige Barrierefreiheit erreicht wer-den soll. Da muss man auch einmal auf die Kostenseiteschauen. Ich denke, dass das unausgegoren und aus un-serer Sicht nicht zufriedenstellend ist.Der zweite Schwerpunkt des Regierungsentwurfs be-fasst sich mit der Liberalisierung des Fernbuslinienver-kehrs. Nach der derzeitigen Gesetzeslage kann ein fahr-planmäßiger Busverkehr nicht genehmigt werden, wenneine parallele Eisenbahnverbindung vorhanden ist; dasist das sogenannte Verbot der Doppelbedienung. DieseRegelung ist in der jüngeren Rechtsprechung zwar schonerheblich aufgeweicht worden; wir möchten jedochKlarheit schaffen und im Gesetz eine eindeutige Rege-lung treffen.GBKwicfrcgimUufrugküliZZBDwwIcFKissUu1ATlaFHgliRRVluW
Das Wort hat der Kollege Sören Bartol von der SPD-
raktion.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen undollegen! Die Neuordnung des ÖPNV-Rechtsrahmenst eine schier unendliche Geschichte, die sich inzwi-chen über Jahrzehnte hinzieht, Jahrzehnte rechtlichernsicherheit für Verkehrsunternehmen, Verwaltungennd politisch Verantwortliche. Die EU-Verordnung191/69 wurde zum Synonym für ein Gezerre um dieuslegung von Gerichtsurteilen, das mit dem Altmark-rans-Urteil des Europäischen Gerichtshofes 2003 nochnge nicht vorbei war. Im Kern ging es dabei um dierage, unter welchen Voraussetzungen die öffentlicheand Nahverkehrsleistungen finanzieren darf, ohne ge-en Beihilferecht zu verstoßen – ein schwer zugäng-ches Expertenthema. Die Akten dazu füllen vieleegalmeter.Ein Meilenstein auf dem Weg zu einem neuen ÖPNV-echtsrahmen war die Verabschiedung der neuen EU-erordnung 1370 im Jahr 2007 – ein großer Verhand-ngserfolg für den damaligen Verkehrsministerolfgang Tiefensee, dem es gelang, einen EU-verord-
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 152. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. Januar 2012 18273
Sören Bartol
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neten Ausschreibungswettbewerb im ÖPNV zu verhin-dern.Seit inzwischen zwei Jahren ist die EU-Verordnung inDeutschland geltendes Recht. Die notwendigen Anpas-sungen und Personenbeförderungsgesetze jedoch stehenimmer noch aus. Insofern bin ich sehr froh, dass heuteendlich das parlamentarische Verfahren beginnt. DieVorschläge liegen auf dem Tisch. Wir, SPD und Grüne,haben gemeinsam mit unseren Ländern einen Gesetzent-wurf erarbeitet, der das öffentliche Interesse an einemqualitativ hochwertigen, für alle zugänglichen Verkehrs-angebot aus einem Guss in den Mittelpunkt stellt. Wirgehen dabei von dem Grundsatz aus, dass öffentlicherNahverkehr eine Aufgabe der Daseinsvorsorge ist, fürdie die Kommunen Verantwortung tragen. Sie müssendeshalb diejenigen sein, die definieren können – in Ab-stimmung mit den Verkehrsunternehmen, Vertretern vonFahrgästen oder zum Beispiel auch Behindertenvertre-tern –, wie ein solches Verkehrsangebot aussehen soll;ein Rahmen – das sage ich ausdrücklich –, der für eigenekommunale Unternehmen ebenso gelten muss wie fürdie privaten. Der Regierungsentwurf hingegen gibt mitdem Vorrang kommerzieller Verkehre keine Gewähr da-für, dass Standards für Qualität, Takt und Bedienung inaufkommensschwachen Zeiten eingehalten werden.Ihr Entwurf, meine Damen und Herren von denRegierungsfraktionen, hat noch weitere Schwächen: We-der die in der Verordnung vorgesehene Möglichkeit derDirektvergabe an eigene Unternehmen wird rechtssicherumgesetzt, noch die Möglichkeiten des EU-Rechts, beiöffentlich finanzierten Verkehrsangeboten Tarif- undSozialstandards vorzugeben. Ihr Entwurf bleibt auchhinter dem Kompromiss zurück, auf den sich der Bund-Länder-Fachausschuss „Straßenpersonenverkehr“ be-reits vor mehr als einem Jahr geeinigt hatte. Kein Wun-der, dass der Bundesrat mehrheitlich in vielen Punktenanderer – nämlich unserer – Auffassung war. Schade,dass die Bundesregierung in ihrer Gegenäußerung kei-nen unserer Vorschläge wirklich aufgreift, angefangenbei verbindlicherer Barrierefreiheit bis hin zu mehr Ge-staltungsspielraum der Länder bei alternativen Bedien-formen.Ich setze jetzt auf mehr Bereitschaft aller Beteiligten,im parlamentarischen Verfahren zu einer fachlich fun-dierten Einigung zu kommen. Der Vermittlungsaus-schuss oder eine Nulllösung, bei der wir einfach sagen:„Wir haben es nicht gebacken bekommen und tun über-haupt nichts“, mögen zwar als Drohkulisse taugen, imSinne der ÖPNV-Unternehmen und der dort Beschäftig-ten, der kommunalen Auftraggeber und der Fahrgäste istdies aber nicht.
Zum Schluss noch ein Wort zum Thema Fernbus-linien. Ich sage ganz offen: Wir als SPD haben sehrgroße Bedenken, dass eine Liberalisierung in diesem Be-reich das System Schiene schwächt, dass Fernverkehrs-verbindungen wegfallen und die öffentliche Hand zumAusfallbürgen auf unattraktiven Strecken und in Fahr-planrandlagen wird.heshvöwkvDÖnshukbÖinissludeKDsgubwtrimSmmzleted
er Regierungsentwurf zum Personenbeförderungsge-etz setzt aus unserer Sicht in gelungener Weise die Vor-aben aus dem Koalitionsvertrag um. Wir orientierenns dabei am Leitbild eines unternehmerisch und wett-ewerblich ausgerichteten ÖPNV; denn nur so könnenir die für uns wichtigen vier Punkte erreichen.Erstens. Wir wollen im Interesse der Kunden einen at-aktiven ÖPNV. Zweitens. Wir wollen im Interesse der ÖPNV handelnden Unternehmen faire, verlässlichepielregeln und achten besonders auf die Beteiligungittelständischer Akteure.
Drittens. Wir haben – das unterscheidet uns von deneisten anderen – auch die Interessen des unsichtbarahlenden Dritten im Auge, nämlich die des Steuerzah-rs, der die Hälfte der Gesamtkosten des ÖPNV schul-rt. Viertens. Auftraggeber bleiben selbstverständlichie Kommunen.
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18274 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 152. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. Januar 2012
Werner Simmling
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Mit dem nun vorliegenden Gesetzentwurf wird durchdie Bundesregierung eine angemessene Rollenverteilungvon Markt und Staat beschrieben. Insbesondere wird derVorrang eigenwirtschaftlicher Verkehre gestärkt. Wir se-hen das als angemessenen Ausgleich für die Tatsache an,dass nach Maßgabe des europäischen Rechts die Eigen-wirtschaftlichkeit enger definiert wird als bisher.Der Gesetzentwurf bringt auch die lange überfälligeLiberalisierung des Buslinienfernverkehrs mit sich. Wa-rum überfällig? Bereits in den 70er-Jahren wurde auf eu-ropäischer Ebene ein Prozess der Wettbewerbsöffnungim Verkehrsmarkt eingeleitet. In Deutschland wurde die-ser Prozess schrittweise und inzwischen weitgehend um-gesetzt. Der Straßengüterverkehr ist, bis auf Reste desKabotageverbots, weitgehend dereguliert. Gleiches giltauch für den Luftverkehr. Diese Deregulierung betraf dieÖffnung des Wettbewerbszugangs und die Preisbildung.Diese Entwicklung ist in Deutschland seit den 70er-Jah-ren von allen Bundesregierungen mitgetragen und fort-gesetzt worden. Die einzige Ausnahme findet sich ebenim Personenbeförderungsgesetz, in dem diese Verände-rungen im Wesentlichen nicht nachvollzogen wurden.Das gilt nicht nur, aber besonders für den Buslinienfern-verkehr. Das Personenbeförderungsgesetz spiegelt dem-zufolge im Bereich des Fernverkehrs nach wie vor dieordnungspolitischen Vorstellungen der frühen 30er-Jahredes vergangenen Jahrhunderts wider.Bei überregionalem oder grenzüberschreitendem Li-nienfernverkehr handelt es sich um eine ausschließlichunternehmerische, eigenwirtschaftlich zu betreibendeTätigkeit, die nicht bezuschusst wird und keinerlei ge-meinwirtschaftlichen Verpflichtungen unterliegt. EinVerbot solcher Verkehre zum Schutz insbesondere vonparallelen Eisenbahnverkehren ist in einer von Wettbe-werb und freiem Unternehmertum geprägter Marktord-nung ein systemwidriger Fremdkörper. Es gibt keinenfachlich zu rechtfertigenden Grund, an den wettbewerbs-beschränkenden Genehmigungsvoraussetzungen des Per-sonenbeförderungsgesetzes festzuhalten.
Einziger Grund wäre der Fernverkehr der DeutschenBahn. Das ist besonders misslich, weil sich im Fernver-kehr noch kein Wettbewerb auf der Schiene entwickelthat.Meine Damen und Herren, das derzeitige Personenbe-förderungsgesetz bevormundet, wie gesagt, den Bürger,weil ihm die Freiheit abgesprochen wird, das für ihn ge-eignete Fernverkehrsangebot selber auszuwählen, und esbehindert unternehmerische Handlungsfreiheit.
Die FDP hat das seit langem kritisiert und im Bundestagbereits in der letzten und in der vorletzten Legislaturpe-riode entsprechende Anträge zur Liberalisierung desBuslinienfernverkehrs eingebracht. Das wurde seinerzeitvon den damaligen Mehrheiten stets abgelehnt. Aberdiese Regierungskoalition hat es sich zum Ziel gesetzt,dies gemeinsam mit Ihnen, meine Kollegen von der Op-psdFKmavFazghEdbzDmWgdszHmVbmwkRgTzhdkbs
s geht auch nicht um Buslinien, die dort verkehren, woie Bahn kein Angebot machen kann. Es geht um Linien-usse im Fernverkehr, die Sie explizit als Konkurrenzur Bahn einführen wollen.
ie Linke stellt sich eindeutig gegen einen solchenarktradikalen Unsinn.
arum? Weil über kurz oder lang dem Schienenverkehreschadet wird und weil die Qualität für die Reisendenadurch insgesamt eher schlechter als besser wird.Ein regelmäßiger Linienverkehr mit Bussen würdeich überhaupt nur dort lohnen, wo ganz dicke Rosinenu picken sind, also bei Städteverbindungen und aufauptreisestrecken ohne Zwischenhalt und mit regel-äßig hohen Fahrgastzahlen. Das hat uns übrigens dererband der Omnibusunternehmer bestätigt. Die Omni-usunternehmer sagen, dass das Risiko, einen regel-äßigen Fahrplan anzubieten, überhaupt nur von ganzenigen und ganz großen Playern gestemmt werdenann und dass der Mittelstand Angst vor einer solchenegelung hat. Die Omnibusunternehmer wissen nämlichenau, dass dann die Autobahnmaut für Busse auf deragesordnung stehen wird, damit Chancengleichheitwischen Bahn und Bussen auch nur annäherungsweiseergestellt werden kann.Veolia ist zurzeit der einzige ernsthafte Interessent,er einen solchen Fernverkehr anbieten will. Veoliaauft beispielsweise eine Armada nagelneuer Mercedes-usse, fährt achtmal täglich ohne Zwischenhalt zum Bei-piel von Leipzig nach Magdeburg und nimmt den knapp
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 152. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. Januar 2012 18275
Sabine Leidig
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gefüllten Intercitys mit niedrigen Fahrpreisen die Fahr-gäste ab, bis die Deutsche Bahn AG beschließt, die Ver-bindung mit den Intercitys dort einzustellen. Damit wä-ren dann auch Halle und Köthen von der Intercity-verbindung abgehängt. Ein führender Bahnmanager hatgenau dies prognostiziert. Er sagte, das Busangebotwerde dazu führen, dass ohnehin schlecht gefüllte ICEsund ICs noch unwirtschaftlicher werden und dass dieseVerbindungen infolge der neuen Konkurrenz ganz oderteilweise abgeschafft werden könnten. Nachzulesen istdies in der Financial Times Deutschland vom 19. Mai2011. Der nächste Schritt ist dann, dass Veolia die Preiseerhöht und den Fahrplan ausdünnt, weil sich diese Busli-nien eigentlich nur in den Stoßzeiten rechnen.Alles das ist überhaupt kein leeres Geschwätz. Ichwill an eine Extremvariante eines solchen Kurses erin-nern: die Einführung der Greyhound-Überlandbusse inden USA unter massivem Druck der Automobilkonzerne.Sie waren maßgeblich für die Zerstörung eines einstmalsgroßen Eisenbahnnetzes verantwortlich. Man kann es ineinem Report nachlesen, der 1974 für den US-Senat ver-fasst wurde und den ich sehr empfehle. Diese berühmteGreyhound-Gesellschaft ist in den 1990er-Jahren pleite-gegangen. Dies hatte zum Ergebnis, dass es jetzt in denUSA auch keine regelmäßigen Fernbusverbindungenmehr gibt. Vor allen Dingen gibt es überhaupt kein flä-chendeckendes Bahnangebot für die Menschen mehr.Die Leute wurden de facto in die Autos und in die Flug-zeuge gezwungen. Von wegen Wahlfreiheit! Davon istüberhaupt nicht die Rede.Auch wenn solche Zustände bei uns nicht vor der Türstehen, ist es doch absolut widersinnig, dass heutzutageüberhaupt noch in diese Richtung Politik gemacht wird.Wir brauchen doch keinen Wettbewerbsdruck auf dieBahn. Wir brauchen ein besseres Angebot auf derSchiene.
Dazu ist der Bund verpflichtet. Das Grundgesetz ver-pflichtet den Bund dazu, ein Fernverkehrsangebot aufder Schiene zu gewährleisten, das den Verkehrsbedürf-nissen Rechnung trägt. Im Klartext: Dieser Bundestagund diese Bundesregierung tragen die Verantwortung fürBahnanbindungen, aber nicht für Busunternehmen. Hö-ren Sie mit dem Liberalisierungsgeklapper auf und sor-gen Sie dafür, dass alle Oberzentren eingebunden wer-den, dass endlich mit dem Deutschlandtakt ernstgemacht wird, dass es Bahnpreise gibt, die für alle er-schwinglich sind, und dass die Bahn besser wird.
Das Wort hat jetzt der Kollege Dr. Anton Hofreiter
vom Bündnis 90/Die Grünen.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen undKollegen! Der zentrale Punkt bei der Reform des PBefGist der Marktrahmen für den öffentlichen Personennah-vtereZeEazDdnEwsglalaläiskbuÜdMkDddimndWbsWezisdkdzfehgfiuti
enn neben dem, was inhaltlich geschieht, ist entschei-end, dass uns eine rechtsfeste Umsetzung gelingt undass wir nicht weiter die Rechtsunsicherheit haben, die Moment vorhanden ist.Bei der Umsetzung sind neben der Rechtssicherheitoch einige andere Dinge von ganz entscheidender Be-eutung. Wir sollten uns auf Folgendes verständigen:enn der Aufgabenträger – bei uns ist es die Kommune –ereit ist, Geld, Interesse und Mühe zu investieren, dannollte er dies auch tun können.
o öffentliches Geld fließt, muss die öffentliche Handntsprechend entscheiden können. Das ist einer der ganzentralen Punkte bei der Umsetzung. In unseren Augent es in der 1370 rechtsfest umgesetzt worden. Wir sinder Meinung, es muss im deutschen Bundesrecht nunlug vollzogen werden. Aber dies ist in dem Entwurf,en das Ministerium vorgelegt hat, nicht zu erkennen.Ich glaube daher, dass wir schnellstens über einigeentrale Punkte verhandeln müssen, sodass es, wenn öf-ntliches Geld fließt und ein öffentliches Interesse vor-anden ist, Rechtssicherheit in Bezug auf Entscheidun-en gibt. Wir müssen gemeinsam eine kluge Linienden. Das Vorhaben darf nicht irgendwie verhungern,nd wir dürfen nicht weiter mit einer Situation konfron-ert sein, die durch zwei konkurrierende Rechtssysteme,
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18276 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 152. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. Januar 2012
Dr. Anton Hofreiter
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was für die Kommunen und Fahrgäste von Nachteil ist,geprägt ist. Ich glaube, wir alle gemeinsam sollten eingroßes Interesse daran haben, hier für Rechtssicherheitzu sorgen.
Eine letzte Bemerkung zum Fernlinienbusverkehr;manche haben sehr viel Redezeit darauf verwendet. Wirhaben da eine sinnvolle Regelung gefunden, nämlicheine Freigabe in einem angemessenen Marktrahmen. Ichbin der festen Überzeugung, dass es sozial ist, dies zutun; denn man sollte auch den Menschen, die nur überein geringes Einkommen verfügen, die Möglichkeit er-öffnen, sich umweltfreundlich und sicher von A nach Bfortzubewegen.
Es ist schlichtweg so, dass der Bus ein umweltfreundli-ches Verkehrsmittel ist; das wissen wir alle.
Wir wissen auch, dass der Bus ein kostengünstiges Ver-kehrsmittel sein kann. Wenn Sie sich mit unternehmeri-schem Denken beschäftigen würden, dann wäre Ihnenbewusst, dass ein Unternehmen, das keine Zuschüsse er-hält, natürlich keine leeren Busse herumfahren lässt.Deshalb war Ihr Zwischenruf etwas schräg.Meine Bitte an uns alle ist: Lasst uns vernünftig ver-handeln, damit wir ein kluges und rechtssicheres Gesetzbekommen. Der Bundesrat hat da wertvolle Hinweisegegeben.Danke.
Das Wort hat jetzt der Kollege Volkmar Vogel von der
CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wirsind uns in einem einig: Qualität, Zuverlässigkeit und Si-cherheit des ÖPNV in Deutschland können sich europa-weit, wenn nicht gar weltweit sehen lassen. Ich finde,das funktioniert nur dank tüchtiger Mitarbeiter, dankleistungsfähiger Unternehmen und natürlich auch dankvorausschauender Kommunen. Es hat aber auch etwasmit den Besonderheiten der Strukturen bei uns inDeutschland zu tun. Wir haben beim ÖPNV die Pflichtzur flächendeckenden Daseinsvorsorge, das heißt Bedie-nung überall in den Städten ebenso wie im ländlichenRaum. Wir haben kommunale und vor allen Dingen auchmittelständische Unternehmen, besonders im Busbe-reich, die in der Region verwurzelt sind und hohe Leis-tungen erbringen.1temgNw2gRdgmsihdcdbwdWdgnteMubBbtüwnükredisEpAdksbGAmsfesfüE
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 152. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. Januar 2012 18277
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Bahnunternehmen betreiben auch Buslinien. Die 50-Ki-lometer-Regelung, so wie im Entwurf der Bundesregie-rung vorgesehen, wird die Aushöhlung des Nahverkehrseindämmen.Eine Maut auf Fernbusse wollen wir nicht. Die Ent-würfe der Oppositionsfraktionen lehnen wir ab. DerKostendeckungsgrad im Busverkehr ist deutlich höherals der im Schienenfernverkehr. Ein bemauteter Fern-linienverkehr träfe – das gilt ebenso für den Reise- undGelegenheitsverkehr – aus unserer Sicht die Menschenmit schmalem Geldbeutel. Eine Befreiung der Busse imNahverkehr, so wie von Ihnen vorgesehen, würde einneues bürokratisches Monster erzeugen und ist aus unse-rer Sicht kaum umsetzbar; denn die Verkehre sind nichtabgrenzbar.Ähnlich verhält es sich mit der Ausweitung der Fahr-gastrechte und der Barrierefreiheit. Auch diese im Ent-wurf vorgesehenen Regelungen sind problematisch. Siebedeuten aus unserer Sicht das vorzeitige Aus für Bus-fernlinien. Außerdem zerschlagen sie die Hoffnung vonvielen jungen Leuten, Rucksacktouristen und Menschenmit wenig Geld auf mehr Mobilität.
Gerade zur Barrierefreiheit bedarf es weiterer Gesprä-che. Wir können die Kosten, die auf die Aufgabenträgerund die Unternehmen zukommen, nicht außer Acht las-sen. Ich möchte zudem daran erinnern, dass die Hilfsbe-reitschaft der Menschen untereinander und die Hilfe, diedas Fahr- und das Servicepersonal vor Ort leisten kön-nen, nicht außer Acht gelassen werden dürfen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich möchte zumEnde kommen. Wir gehen mit der Novelle ins parlamen-tarische Verfahren. Mit Blick auf einen gut funktionie-renden ÖPNV in der Bundesrepublik Deutschland soll-ten alle aufeinander zugehen, damit er am Ende nochbesser und effektiver wird. Das PBefG ist rechtlich kom-pliziert; das wissen wir. Gesunder Menschenverstandkann nicht schaden. Wenn wir alle ihn nutzen, bin ichoptimistisch, dass wir zu einer gemeinsamen Lösungkommen werden.Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. All den Kraft-fahrern und Busfahrern draußen im Land wünsche ichallzeit gute und unfallfreie Fahrt.Danke schön.
Als letzter Redner hat nun das Wort der Kollege
Martin Burkert von der SPD-Fraktion.
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ir vermissen auch Vorgaben, wie man die Lenk- und
uhezeiten überwachen will.
Sie geben mit Ihrem Gesetzesentwurf Billiganbietern
ie Möglichkeit, auf Kosten der Sicherheit zu fahren.
ns droht ein Preiskampf auf Kosten der Fahrgäste. Ich
rophezeie Ihnen: Nach der ersten Tragödie wegen
berschreitungen von Lenk- und Fahrzeiten oder Ver-
tößen gegen Ruhezeiten werden wir dieses Thema hier
Deutschen Bundestag wieder auf dem Tisch haben.
Wenn in Zukunft die Menschen vom Auto auf den
us umsteigen würden, dann gäbe es wenigstens einen
erkehrspolitisch sinnvollen Effekt. Ein Gutachten der
undesregierung zeigt jedoch auf, dass wir davon ausge-
en müssen, dass ein Umstieg in Höhe von 60 Prozent
on der Schiene auf den Busverkehr erfolgen wird. Inso-
rn halten wir das Ganze für durchaus problematisch.
Natürlich haben die Kunden mit neuen Fernbuslinien
eben günstigeren Preisen auch ein größeres Angebot,
ie sie von A nach B kommen. Wenn die Bahn dann
ber so manche Strecke stillgelegt hat, weil einige Rou-
n auf der Schiene nicht mehr ausgelastet sind, wird das
eschrei wieder groß sein. Dann gibt es plötzlich nicht
ehr eine größere, sondern eine geringere Auswahl.
Sehr geehrter Herr Staatssekretär, ich sehe da über-
aupt kein Problem. Wenn man heute einen Fernbus
ehmen kann, der angemeldet ist von Freiburg über
riedrichshafen nach München, dann mag das eine sinn-
olle Ergänzung sein. Seit dieser Woche wissen wir aber,
ass es ein Angebot von Luxemburg nach Frankfurt gibt,
nd zwar parallel zur Schiene. Hier – das prophezeie ich
nen – wird die Schiene über kurz oder lang den Kürze-
n ziehen. Damit werden der ICE und der Intercity, die
ort heute noch verkehren, wegfallen.
Herr Kollege, erlauben Sie eine Zwischenfrage des
ollegen Fischer?
Gerne, selbstverständlich.
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18278 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 152. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. Januar 2012
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Bitte schön, Herr Fischer.
Herr Kollege Burkert, bei Ihren Ausführungen haben
Sie wohl übersehen, dass die DB AG auf etlichen Stre-
cken den eigenen Schienenverkehr mit Busverkehr kon-
kurrenziert; die prominenteste Strecke ist Hamburg–Ber-
lin. Man kann dort relativ teuer auf der Schiene oder
relativ preiswert mit einem konkurrierenden Bahnbus
fahren. In diesem Bahnbus sitzen die Wähler, Freunde
und Freundinnen von Toni Hofreiter, die dort gerne
preiswert mit Rucksack und Turnschuh fahren,
auch wenn die Fahrt etwas länger dauert. Ist Ihnen das
bekannt?
Lieber Kollege Fischer, selbstverständlich ist mir be-
kannt, dass die Deutsche Bahn AG der größte Busanbie-
ter in Deutschland ist. Mir ist aber auch bekannt – das
dürfte auch Ihnen als Mitglied des Aufsichtsrats eines
Bahnbetriebs bekannt sein –, dass sich die Deutsche
Bahn AG nicht an diesem neuen Markt beteiligen wird,
keine neuen Busse anschaffen wird und keine neuen
Buslinien betreiben wird. Insofern freuen sich jetzt an-
dere. Sie sagen: Gott sei Dank, dass ein großer Player
nicht mehr am Markt ist. – Uns ist auch bekannt, dass
junge Menschen natürlich Busse nutzen werden, weil es
sich um preiswerte Mobilität handelt, wahrscheinlich
auch Senioren, weil sie genug Zeit haben, um einen Stau
zu verkraften; der Manager wird die Busse sicherlich
nicht nutzen. All das ist bekannt.
Herr Fischer, wir sind kurz vor dem Ende. Bitte.
Herr Kollege Burkert, ist Ihnen bekannt, dass die DB
AG gerade eine neue Fernbuslinie von München nach
Prag eingerichtet hat? Deswegen wundert mich Ihre
Aussage, dass sich die DB AG aus dem Markt zurück-
ziehen und keine neuen Linien einrichten möchte.
Die Deutsche Bahn AG wird nach der jetzigen
Rechtslage keine neuen Linien innerhalb Deutschlands
einrichten. Wie Sie wissen, liegt Prag in Tschechien; da
dürfen wir Nachhilfe geben.
Im Übrigen fährt die Deutsche Bahn in 3 Stunden 45 Mi-
nuten von Nürnberg nach Prag; es gibt dort eine hervor-
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Ich will in der restlichen Redezeit darauf hinweisen,
o wir große Probleme haben. Wir haben in unserem
esetzentwurf eine Maut in Höhe von 0,04 Cent einge-
rdert. Es wird immer gefragt: Wie soll man die Schaf-
ng von Barrierefreiheit finanzieren? Dazu könnten wir
iel sagen. In meiner Heimatstadt Nürnberg kommt der
SU-Referent zu mir und sagt: Herr Burkert, wie wollen
ir eigentlich einen Busbahnhof finanzieren, wenn
echs Linien nach Nürnberg angemeldet werden? – Mit
iner Maut von 0,04 Cent, die für alle in diesem Land zu
erkraften wäre – das sind für jeden Reisenden 1 bis 4
uro –, könnten wir die Infrastruktur für die Kommunen
nanzieren. Um es in aller Deutlichkeit zu sagen: Sie
ssen die Kommunen alleine im Regen stehen.
ber das werden Ihnen die bayerischen CSU-Bürger-
eister und -Oberbürgermeister sicherlich selber um die
hren hauen.
Wir fordern nach wie vor, dass wir uns in den Ver-
andlungen, auf die ich mich sehr freue, über die
N-Behindertenrechtskonvention unterhalten; denn das
esetz, das Sie vorgelegt haben, wird der Konvention
chlichtweg nicht gerecht. Darüber müssen wir noch re-
en. Ich sage es noch einmal: Der Zoll hat heute keine
öglichkeiten zur Überwachung der Lenk- und Ruhe-
eiten; auch die Polizei hat dafür kein Personal. Darüber
üssen wir reden, damit es wegen der fehlenden Über-
achung hoffentlich nicht zu einem schweren Unglück
ommt. Hier fehlt eine gesetzliche Regelung.
In diesem Sinne wünsche ich Ihnen einen schönen
bend.
Ich schließe die Aussprache.Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen aufen Drucksachen 17/8233, 17/7046 und 17/7487 an die der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorge-chlagen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist derall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.Wir haben jetzt noch einige Tagesordnungspunkte,ei denen die Reden zu Protokoll gegeben werden. Ichitte, trotzdem anwesend zu bleiben, damit wir die Ab-timmungen durchführen können.Ich rufe den Tagesordnungspunkt 14 auf:Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
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Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
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Dağdelen, Jan van Aken, Christine Buchholz,weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIELINKEKeine Unterstützung für die völkerrechtswid-rige Besatzungspolitik Marokkos in der West-sahara– Drucksachen 17/4271, 17/4932 –Berichterstattung:Abgeordnete Jürgen KlimkeGünter GloserMarina SchusterSevim DağdelenKerstin Müller
Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Reden zudiesem Tagesordnungspunkt zu Protokoll zu geben. Da-mit sind Sie sicher einverstanden. Das gilt auch für dierestlichen Tagesordnungspunkte. Bei diesem Tagesord-nungspunkt handelt sich um die Reden der KollegenJürgen Klimke, CDU/CSU, Dr. Wolfgang Götzer, CDU/CSU, Günter Gloser, SPD, Marina Schuster, FDP, HeikeHänsel, Die Linke, und Ute Koczy, Bündnis 90/Die Grü-nen.1)Wir kommen zur Abstimmung. Der Auswärtige Aus-schuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung aufDrucksache 17/4932, den Antrag der Fraktion Die Linkeauf Drucksache 17/4271 abzulehnen. Wer stimmt fürdiese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? –Wer enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist ange-nommen mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen undder SPD-Fraktion bei Gegenstimmen der Linken undEnthaltung von Bündnis 90/Die Grünen.Ich rufe Tagesordnungspunkt 15 auf:Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre-gierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzeszur Änderung des Düngegesetzes, des Saatgut-verkehrsgesetzes und des Lebensmittel- undFuttermittelgesetzbuches– Drucksache 17/7744 –Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-ses für Ernährung, Landwirtschaft und Verbrau-cherschutz
– Drucksache 17/8205 –Berichterstattung:Abgeordnete Alois GerigElvira Drobinski-WeißDr. Christel Happach-KasanDr. Kirsten TackmannFriedrich OstendorffWir nehmen die Reden der folgenden Kollegen zuProtokoll: Franz-Josef Holzenkamp, CDU/CSU, ElviraDrobinski-Weiß, SPD, Dr. Christel Happach-Kasan,FDP, Dr. Kirsten Tackmann, Die Linke, FriedrichOstendorff, Bündnis 90/Die Grünen.hhssshawteEminnofeDdAsvsgdsMzlimtedgmwgtrwlaeTlabDHgpevgsaMSs1) Anlage 3
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Bundesrat hat in einer Stellungnahme zum Gesetzent-
wurf vorgeschlagen, dass neben dem Schutz von Mensch
und Tier sowie des Naturhaushalts auch das Schutzziel
„Fruchtbarkeit des Bodens“ im Düngegesetz verankert
werden sollte. Gegen eine derartige Ergänzung spricht,
dass sie wahrscheinlich nicht von der EU-Kommission
akzeptiert und ein Vertragsverletzungsverfahren nach
sich ziehen würde. Ich halte den Vorschlag des Bundes-
rates für verzichtbar, weil der ausdrücklich im Gesetz
verankerte Schutz des Naturhaushalts die Erhaltung der
Bodenfruchtbarkeit mit einschließt.
Des Weiteren sollen mit dem Gesetzentwurf Änderun-
gen am Saatgutverkehrsgesetz vorgenommen werden.
Das Saatgutverkehrsgesetz ermächtigt das Bundes-
ministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Ver-
braucherschutz, in einer Rechtsverordnung spezielle An-
forderungen für Saatgut festzulegen, das zur Erhaltung
und nachhaltigen Nutzung pflanzengenetischer Ressour-
cen bestimmt ist. Diese Ermächtigungsgrundlage wird
nun genauer gefasst: Durch Rechtsverordnung sollen für
diese sogenannten Erhaltungssorten auch Regelungen
zur regionalen Herkunft des Saatgutes, zu Saatgutmen-
gen und zu Aufzeichnungspflichten für Saatguterzeuger
getroffen werden können. Diese Neuregelung ist richtig,
weil sie der Umsetzung von EU-Richtlinien dient und die
rechtlichen Grundlagen in einem Regelungsbereich prä-
zisiert, der für den Erhalt der biologischen Vielfalt bei
Nutzpflanzen von großer Bedeutung ist.
Neben dem Dünge- und dem Saatgutverkehrsgesetz
sieht der Gesetzentwurf auch Änderungen am Lebens-
mittel- und Futtermittelgesetzbuch vor. So werden be-
stimmte im Gesetz verwendete Begriffe an Begriffe in
den zugrunde liegenden EU-Verordnungen angepasst.
Außerdem wird der fahrlässige Verstoß gegen die
EG-Verordnung über Aromen und bestimmte Lebensmit-
telzutaten mit Aromaeigenschaften unter Strafe gestellt;
bisher war Fahrlässigkeit in diesem Bereich nicht straf-
bar. Diese Änderungen sind ebenfalls richtig, weil sie
der Rechtsklarheit und der Lebensmittelsicherheit die-
nen.
Zusammenfassend ist festzustellen, dass mit dem Ge-
setzentwurf das Dünge- und das Saatgutverkehrsgesetz
sowie das Lebensmittel- und Futtermittelgesetzbuch auf
sinnvolle und notwendige Weise präzisiert und an EU-
Recht angepasst werden. Ich bitte Sie deshalb um Zu-
stimmung.
In der heutigen Debatte beraten wir über die Ände-
rung von drei Gesetzen: des Düngegesetzes, des Saat-
gutverkehrsgesetzes und des Lebens- und Futtermittel-
gesetzbuches.
Ich möchte an dieser Stelle nicht infrage stellen, ob
nicht bereits 2009, als das derzeit gültige Düngegesetz
beschlossen und veröffentlicht wurde, die Bundesregie-
rung diesen Mangel im Gesetz schon hätte erkennen
können. Die Rechtsauffassung der Europäischen Kom-
mission zwingt uns jetzt, das Düngegesetz nachzubes-
sern. Zukünftig dürfen nicht nur Düngemittel angewandt
werden, wenn sie einem durch die EG-Düngemittelver-
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teln breiter wird, ohne unsere hohen Qualitätsanforde-rungen zu verwässern.Des Weiteren wird der im Saatgutverkehrsgesetz ent-haltene Ermächtigungserlass für spezielle Anforderun-gen an das Inverkehrbringen von Saatgut, das zur Er-haltung und nachhaltigen Nutzung pflanzengenetischerRessourcen bestimmt ist, präzisiert. Dies geschieht ge-mäß den Vorgaben der seit dem Jahr 2008 in Kraft getre-tenen einschlägigen Richtlinien der EU-Kommission.Diese sehen für das Inverkehrbringen von Saatgut vonErhaltungssorten landwirtschaftlicher Pflanzenartenund Gemüsearten sowie von Erhaltungssaatgutmischun-gen unter anderem Vorgaben zur regionalen Herkunftdes Saatgutes, zu Saatgutmengen und spezielle Auf-zeichnungspflichten für Saatguterzeuger vor. Durchdiese Regelungen wird Klarheit darüber geschaffen, wogenau Saatgut herkommt. Das ist für den Erhalt pflan-zengenetischer Ressourcen nicht unbedeutend, da wir inEuropa eine Vielfalt von regionalen Sorten haben. Einegenaue Herkunftsdokumentation trägt hier auch zum Er-halt der Biodiversität von Nutzpflanzen bei.Schließlich wird mit dem Gesetzentwurf ein weitererPunkt des Aktionsplanes „Unbedenkliche Futtermittel,sichere Lebensmittel, Transparenz für den Verbraucher“umgesetzt. Der fahrlässige Verstoß gegen die in § 58Abs. 2 a des Lebensmittel- und Futtermittelgesetzbuchesgeregelten Straftatbestände wird nun strafbewehrt undsorgt somit für mehr Sorgfalt bei der Herstellung vonLebens- und Futtermitteln.Zum Schluss wird im Gesetz noch eine der Strafbe-wehrungen des Lebensmittel- und Futtermittelgesetz-buches in ihrem Wortlaut an die Begrifflichkeiten desGemeinschaftsrechts angepasst.
Eigentlich ist dieser Gesetzentwurf nicht der Redewert. Es handelt sich um Änderungen an drei nationalenGesetzen, welche auf den neuesten Stand gebracht wer-den müssen. Aktualisierungen ergeben sich aus demEU-Recht. Also eigentlich kein Problem, sollte man mei-nen. Das sieht die Bundestagsfraktion Die Linke abernicht so. Auch der Bundesrat übte Kritik am Vorgehender Bundesregierung.Diese Kritik hat meine Fraktion aufgegriffen und imAgrarausschuss des Bundestages am 14. Dezember desvergangenen Jahres einen Änderungsantrag gestellt
egründung unseres Änderungsantrags.Der Bundesrat hat sich ähnlich geäußert, aber auchein Vorschlag wurde nicht berücksichtigt. Die Bundes-gierung begründet die Ablehnung mit der Behauptung,ine entsprechende Änderung stehe mit dem EU-Recht Konflikt und sei im Übrigen sowieso unnötig. Durchen Begriff „Naturhaushalt“ sei der Boden bereits inbe-riffen und der Änderungsvorschlag der Linksfraktionamit unnötig. Nur die Grünen schlossen sich unsererorderung an. Die SPD enthielt sich leider der Stimme,bwohl sich der SPD-Agrarminister Dr. Till Backhausus Mecklenburg-Vorpommern im Bundesrat für eineolche Änderung starkgemacht hatte.Angesichts solcher Widersprüche kann ich verstehen,ass sich Minister Backhaus öffentlich beklagt, dass diegrarpolitik in der SPD einen so geringen Stellenwertat, wie in der Fachzeitschrift Agra-Europe vergangeneoche zu lesen war.Da der Antrag der Linken von der Koalition abge-hnt wurde, enthält der Gesetzentwurf immer noch deneschriebenen Mangel. Da wir die übrigen Änderungendoch mittragen, wird sich die Linke in Gesamtabwä-ung zur Gesetzesänderung enthalten.
Wir stehen in der Landwirtschaft vor einer ganzeneihe großer, dringender Herausforderungen. Das zeigtich bei den großen Debatten dieser Tage wie der gestri-en Aktuellen Stunde zum Antibiotikamissbrauch in derierhaltung. Das zeigt sich bei vielen Debatten, die wirnlässlich der heute beginnenden Internationalen Grü-en Woche hier in Berlin führen, etwa über die Reformer EU-Agrarpolitik. Das zeigt sich aber auch bei Ände-ungen gesetzlicher Details, wie sie der vorliegende Ge-etzentwurf vorsieht. Auch hier haben wir es gleich miten drei großen Herausforderungen der Biodiversität,er Bodenfruchtbarkeit und des Verbraucherschutzes zun, um die sich die Koalition und die Bundesregierungo gern herumdrücken.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 152. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. Januar 2012 18281
Dr. Christel Happach-Kasangebene Reden
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18282 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 152. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. Januar 2012
Friedrich Ostendorff
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Wenn wir über das Düngegesetz reden, müssen wirnatürlich über den Schutz der Bodenfruchtbarkeit reden.Der weltweite Verlust an Bodenfruchtbarkeit muss unsmit großer Sorge erfüllen. Für mich als Bauer ist die Er-haltung und Verbesserung der Bodenfruchtbarkeit eineder wichtigsten Aufgaben, der ich mich in der Verant-wortung für die nächsten Generationen zu stellen habe.Der Bundesrat hat angeregt, den Schutz der Boden-fruchtbarkeit explizit zu nennen, wenn es um die Zulas-sung von Düngemitteln geht. Wir unterstützen das. DieBundesregierung hat leider nicht schlüssig darlegenkönnen, warum sie sich hier sperrt.Zum Zweiten ist hier das Saatgutverkehrsgesetz be-troffen. Es geht hier um die Umsetzung der EU-Erhal-tungssortenrichtlinie. Das mag ein eher technischerSchritt sein. Aber wenn es um die Erhaltungssorten geht,das heißt um die Pflege und Erhaltung alter, wichtigerKultursorten, um die Erhaltung der Kulturpflanzenviel-falt, dann müssen wir immer sehr genau hinsehen. DieseArbeit wird in erster Linie ehrenamtlich von Einzelper-sonen und NGOs betrieben, die sich zum Ziel gesetzt ha-ben, diese Kulturgüter für die Allgemeinheit zu erhalten.Wenn wir gesetzgeberisch mit dieser im höchsten Sinnegemeinnützigen Arbeit umgehen, so muss es unser Zielsein, diese wertvolle Arbeit zu stützen, zu fördern undkeinesfalls Hürden aufzubauen, durch die diese Arbeiterschwert werden könnte. Hier muss Initiative ermög-licht und darf nicht gebremst werden. Wir müssen dahersehr genau mit den Betroffenen beraten, wie hier dasSaatgutverkehrsgesetz sinnvoll auszugestalten und an-zuwenden ist.Die Bundesregierung hat in der Ausschussberatungleider nicht schlüssig darlegen können, ob und wie siediesem Ziel bei dem vorliegenden Gesetzentwurf nach-gekommen ist.Das Lebensmittel- und Futtermittelgesetzbuch, derdritte Teil dieses Gesetzentwurfes, hat uns ja erst vorkurzem beschäftigt, als es um den Dioxinskandal in derLandwirtschaft ging. Wir glauben, dass die vorgeseheneVerschärfung der Strafbewehrung beim fahrlässigenUmgang mit Kokzidiostatika und Histomonostatikarichtig und sinnvoll ist. An diesem Punkt unterstützenwir den Gesetzentwurf.Aufgrund der Unklarheiten bei der Änderung desSaatgutverkehrsgesetzes und der Weigerung der Bun-desregierung, den Schutz der Bodenfruchtbarkeit imSinne der Forderung des Bundesrates explizit in der Än-derung des Düngegesetzes zu benennen, werden wir demGesetz aber nicht zustimmen, sondern uns enthalten.
Wir kommen zur Abstimmung. Der Ausschuss für Er-
nährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz empfiehlt
in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/8205,
den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache
17/7744 anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Ge-
setzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. –
Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf
ist in zweiter Beratung angenommen mit den Stimmen
der Koalitionsfraktionen und der SPD-Fraktion bei Ent-
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Interfraktionell wird die Überweisung des Gesetzent-
urfs auf Drucksache 17/7732 an die in der Tagesord-
ung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es
nderweitige Vorschläge? – Das ist nicht der Fall. Dann
t die Überweisung so beschlossen.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 18 auf:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
Gabriele Hiller-Ohm, Elvira Drobinski-Weiß,
Hans-Joachim Hacker, weiterer Abgeordneter
und der Fraktion der SPD
Tag des Barrierefreien Tourismus auf der ITB
unterstützen
– Drucksachen 17/7827, 17/8340 –
Berichterstattung:
Abgeornete Marlene Mortler
Gabriele Hiller-Ohm
Jens Ackermann
Dr. Ilja Seifert
Markus Tressel
Die zu Protokoll gegebenen Reden stammen von
arlene Mortler CDU/CSU, Christian Hirte, CDU/CSU,
abriele Hiller-Ohm, SPD, Jens Ackermann, FDP, Dr.
ja Seifert, Die Linke, Markus Tressel, Bündnis 90/Die
rünen.
Anlage 4
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Mit dem Antrag „Tag des barrierefreien Tourismusauf der ITB unterstützen“ soll die Bundesregierung auf-gefordert werden, auf die dauerhafte Einrichtung diesesThementages auf der Internationalen Tourismus-Börse,ITB, ab 2012 hinzuwirken. Sie soll dazu in einen vertief-ten Dialog mit der Messe Berlin, der NationalenKoordinierungsstelle Tourismus für Alle e. V., Natko,dem Bundeskompetenzzentrum Barrierefreiheit, BKB,Behindertenverbänden und Marketingorganisationeneintreten.Wir sind uns wohl alle hier im Hause einig: Wir wol-len den barrierefreien Tourismus in Deutschland voran-bringen.Deshalb begrüßen wir, dass im Rahmen der ITB alsder größten Tourismusmesse der Welt am 8. März 2012erstmals ein Thementag mit Vorträgen und Diskussionenzum barrierefreien Tourismus in Deutschland stattfin-det. Dieser Thementag wird sicher helfen, die öffentlicheAufmerksamkeit auf dieses so wichtige Thema zu lenken.Die Organisation und Finanzierung des Thementagessollte vor allem bei den beteiligten Verbänden und derPrivatwirtschaft liegen. Federführend ist hier die Natio-nale Koordinationsstelle Tourismus für Alle, der wir andieser Stelle herzlich danken. Die Natko trägt seit Jah-ren dazu bei, den barrierefreien Tourismus in Deutsch-land zu stärken. Sie zeigt noch bestehende Schwachstel-len auf, indem sie Menschen mit Behinderungen in diePlanung und Konzeption einbindet.Wir freuen uns, dass die Messe Berlin die Veranstal-tung bereits durch die kostenlose Bereitstellung vonRäumlichkeiten und mit Marketingmaßnahmen unter-stützt. Wir würden begrüßen, wenn sich Tourismuswirt-schaft und Tourismusverbände noch stärker freiwilligbeteiligten, sowohl 2012 als auch in den Folgejahren.Mit vergleichsweise geringen Beträgen könnte sich dieBranche noch stärker zur Barrierefreiheit bekennen undihre eigenen Initiativen und vielen positiven Beispieleherausstellen.Die Veranstaltung wird bereits über den Beauftragtender Bundesregierung für die Belange behinderter Men-schen unterstützt. Für diese Förderung habe ich michpersönlich bei Hubert Hüppe mit eingesetzt.Die Aufgabe der Bundesregierung ist es aber vor al-lem, die Rahmenbedingungen für barrierefreien Touris-mus in Deutschland zu verbessern. Das tun wir – undzwar vielfältig –:So hat das Bundeswirtschaftsministerium Studienzum Thema Barrierefreiheit gefördert und mit der Kon-ferenz „Barrierefreier Tourismus für Alle – Trends undPerspektiven“ am 11. September 2008 eine eigene großeVeranstaltung durchgeführt.Einen wesentlichen Impuls gibt die Bundesregierungaktuell mit der Förderung des im Oktober 2011 gestarte-ten Projekts „Entwicklung und Vermarktung barriere-freier Angebote und Dienstleistungen im Sinne einesTourismus für alle in Deutschland“. Dieses Projekt wirdmit rund 500 000 Euro gefördert. Auch hier ist die Bun-desregierung also engagiert.TeddQnDegLBlazTsddmvMwrmdgbBBAFwpRdmtebbSüKBvQrimdsgteZu Protokoll ge
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Barrierefreiheit, oder vielleicht besser Barrierear-mut, ist ein wirkliches Dauerthema in unserem Aus-schuss. Über alle Parteigrenzen hinweg arbeiten wir da-ran – immer sehr sachorientiert – und verfolgen oftgemeinsame Ziele. Bei vielleicht keinem anderen Thematun wir das so intensiv wie bei der Frage des barriere-freien Tourismus. Ich bin jetzt seit vier Jahren im Bun-destag und auch Mitglied im Tourismusausschuss, undich kann mich eigentlich an keine touristische Initiativeerinnern, bei der wir nicht ganz besonders auch daraufhingewiesen hätten, dass Barrierefreiheit bei den Ange-boten zu berücksichtigen sei. Ich denke da nur einmal anden Antrag aus dem vorletzten Jahr, den Kulturtouris-mus zu fördern, oder auch an unsere Initiativen im Rah-men der Luther-Dekade. Oder denken Sie an die Exper-tenanhörungen in unserem Ausschuss – immer wiederadressieren Abgeordnete aller Fraktionen an die Vertre-ter der Tourismusbranche, bei der Barrierefreiheit wei-ter voranzugehen.Deshalb ist es auch ein gutes Zeichen, dass in diesemJahr bei der größten Tourismusmesse, der ITB, ein Tagdes barrierefreien Tourismus angeboten wird. Das zeigt,dass auch die Branche um die wachsende Bedeutungweiß. Denn das muss uns miteinander ebenfalls klarsein: Wir können Gesetze, Verordnungen, Regeln be-schließen und erlassen – ohne das Mittun der Anbietergeht es nicht. Und dabei brauchen wir nicht nur das Mit-tun, sondern ein wirkliches Antreiben und Anschiebeneben von der Branche.Genau an der Stelle sind wir beim Problem dieses An-trages. Sie fordern, dass die Bundesregierung auf einendauerhaften Tag des barrierefreien Tourismus hinwirkensoll. Um es vorweg zu sagen: Ich würde mich freuen,wenn dieser Tag ein großer Erfolg würde und er auch inZukunft wieder stattfände. Denn ich bin fest überzeugt,dass es ein Potenzial für das Thema gibt, dass man da-mit touristische Produkte erstellen kann, die man auchverkaufen kann. Aber ob das eine Dauereinrichtung seinmuss, das weiß ich zumindest im Moment wahrlichnicht. Da würde ich schon gern einmal abwarten, was indiesem Jahr passiert. Und warum muss denn dies allesvon der Politik kommen? Sie haben ja in Ihrem Antragdie Akteure genannt: Messen, NatKo, Bundeskompe-tenzzentrum Barrierefreiheit, Verbände, Marketingorga-nisation. Diese sind in diesem Jahr an Bord, und dafürmöchte ich auch Danke sagen.Denken Sie aber allein an die Zahl von 11 000 Aus-stellern auf der ITB. Die ganze Wertschöpfungskette istdabei – Reiseveranstalter, Anbieter von Buchungssyste-men, Zielgebiete, Airlines, Hotels bis hin zum Autover-mieter, so heißt es auf der Internetseite der ITB. 11 000-mal Branchenwissen, 11 000-mal Wissen über das, wasin der Praxis notwendig und machbar ist, 11 000-maldas Wissen um Kundenbedürfnisse, Trends und Entwick-lungen. Und auch 11 000-mal Erfahrungen mit Barrie-refreiheit – Erfahrungen in Bezug auf gute Beispiele, aufEntwicklungsbedarf, auf schlechte Beispiele. Wir sinddabei sicher nicht an einem Punkt, an dem uns nichtnoch viele Verbesserungsmöglichkeiten einfallen wür-den.uwndagAdBTgstuSsbrewmarKdghreuFsarermchwdbBvdsusAsePddsWTwndhwZu Protokoll ge
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möchten, ohne zu sehen, wie sich dieser erste Versuch indiesem Jahr auf der ITB bewährt.
Der Deutschland-Tourismus jagt einen Rekord nachdem anderen: Auch im Jahr 2011 werden wir das Spitzen-ergebnis von 2010 bei Übernachtungen in gewerblichenBetrieben und im Touristikcamping übertreffen. Über390 Millionen Übernachtungen werden erwartet – eintolles Ergebnis für die Branche.Immer mehr Menschen wollen reisen und Urlaub ma-chen. Das ist erfreulich. Viele Menschen können es abernicht – oder nur unter größten Umständen, die den Ur-laub verleiden. Ich spreche von den 8 Millionen Men-schen mit Behinderung; das ist jeder Zehnte in unseremLand.Noch immer gibt es viel zu wenig passende Reisean-gebote. Nur ein Bruchteil der Hotels und Gaststätten inDeutschland ist tatsächlich barrierefrei. Auch der öf-fentliche Nah- und Fernverkehr ist längst kein Garantfür eine barrierefreie Anreise.Wenn Menschen mit Behinderung verreisen, dann oftmit großer Sorge, ob sie wirklich zum Urlaubsort gelan-gen und ob sie in ihrer Unterkunft den entsprechendenService vorfinden, den sie benötigen.Wer sich intensiv mit dem Thema befasst, weiß: Be-sonders wichtig ist es, alle Akteure für Barrierefreiheitzu sensibilisieren. In erster Linie muss die Tourismus-wirtschaft überzeugt werden, wie sinnvoll – und auchwirtschaftlich lukrativ – barrierefreie Angebote sind.Wo wäre dies besser möglich als auf der national undweltweit führenden Touristikmesse, der InternationalenTourismusbörse ITB in Berlin? 170 000 Besucherinnenund Besucher, mehr als 11 000 ausstellende Unterneh-men und Organisationen aus 188 Ländern, 7 000 Jour-nalisten, die weltweit berichten, das sind die beeindru-ckenden Eckdaten der letzten ITB. Die nächste Messevom 7. bis 11. März steht schon in den Startlöchern.Deshalb haben wir uns als SPD-Fraktion im Herbstletzten Jahres mit dem Antrag „Tag des BarrierefreienTourismus auf der ITB unterstützen“ dafür eingesetzt,dass dieser im März 2012 stattfinden kann. Ich freuemich sehr, dass der Antrag noch vor der heutigenSchlussberatung Wirkung gezeigt hat. Der Behinderten-beauftragte der Bundesregierung, Hubert Hüppe, hatnun seine Unterstützung für den Thementag auf der ITBim März zugesagt.Umso befremdlicher ist die Ablehnung unseres Antra-ges durch die schwarz-gelbe Koalition im Tourismus-ausschuss. Dabei hatte Frau Mortler als tourismuspoli-tische Sprecherin der CDU/CSU-Fraktion die Forderungin ihrer letzten Rede unterstützt, allerdings mit Verweisauf eine einmalige Veranstaltung.Als SPD sagen wir aber deutlich: Wir wollen, dassdieses Leuchtturmprojekt für Barrierefreiheit im Touris-mus auch in den kommenden Jahren möglich wird. Nurso setzen wir das entscheidende Signal: Barrierefreiheitist ein Zukunftsthema, gerade auch mit Blick auf unsereäbfrBtecddNtevrBbkgcmBsBEteeBDtePbdfrreeZzDevUsUBddmsbZu Protokoll ge
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Und: Das Potenzial wird in unserer älter werdendenGesellschaft immer größer. Ältere Menschen mit Mobili-täts-, Seh- oder Hörproblemen profitieren ebenfalls vongut erreichbaren Hotels und Gaststätten, Museen undbarrierefreien Verkehrsmitteln, genauso Familien mitkleinen Kindern.Barrierefreier Tourismus steckt aber leider noch inden Kinderschuhen. Als SPD fordern wir mit unseremAntrag „Barrierefreier Tourismus für alle“, der schonim Mai letzten Jahres eingebracht wurde, deutlich mehrAnstrengungen für Barrierefreiheit. Wir brauchen end-lich einen Masterplan für barrierefreien Tourismus vonBund, Ländern, Städten und Gemeinden, durchgehendeBarrierefreiheit im Schienenfernverkehr, ein Förderpro-gramm für barrierefreie Gaststätten und Hotels und einbundesweit qualitätsgeprüftes Gütesiegel „Barriere-freier Tourismus für alle“.Wir müssen dafür sorgen, dass Menschen mit Behin-derung in die Mitte unserer Gesellschaft rücken – undUrlaub und Reisen für alle Menschen in unserem Landmöglich werden. Dafür reichen nicht nur warme Worte –wir brauchen Taten.Liebe Kolleginnen und Kollegen von CDU/CSU undFDP, im Tourismusausschuss haben Sie unseren Antragabgelehnt. Heute haben Sie die Chance, diese Entschei-dung zu korrigieren und gemeinsam mit uns ein deutli-ches Signal für barrierefreien Tourismus zu setzen. TunSie es!
In Deutschland leben rund 10 Millionen Menschen,die mit körperlichen oder mentalen Einschränkungen le-ben müssen. Ziel und zentraler Leitgedanke der UN-Be-hindertenkonvention ist es, diese Menschen in der Mitteunserer Gesellschaft willkommen zu heißen und ihre ak-tive Teilhabe durch Inklusion zu ermöglichen.Für uns steht die Berücksichtigung der Barrierefrei-heit bei allen Projekten und Maßnahmen der Bundesre-gierung auf dem Gebiet der Tourismuspolitik im Vorder-grund. Der Bundesregierung ist dieses Thema ernst undwichtig! Sie setzt sich dafür ein, dass barrierefreies Rei-sen im gesamten Spektrum der touristischen Leistungs-kette verankert wird.Barrierefreiheit erhöht die Attraktivität des Touris-musstandortes Deutschland. Gerade im Hinblick auf dieSicherung und Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit desDeutschland-Tourismus stehen wir hier vor einer derzentralen Aufgaben.Wir setzen hier auf Verantwortung und Bereitschaft inder Tourismusbranche. Jedem Hotelier und Gastwirt istdoch klar, dass er sich einen Wettbewerbsvorteil ver-schafft, wenn er auf die stetig wachsende Bevölkerungs-gruppe der Älteren und Behinderten eingeht. Geradeangesichts der demografischen Entwicklung ist die Teil-habe aller Menschen am Tourismus von zentraler Be-deutung. Wir begrüßen deshalb jedwede Art von Initiati-ven und Projekten von Verbänden und Vereinen, um dieÖffentlichkeit und die Tourismuswirtschaft weiter fürdas Thema barrierefreier Tourismus zu sensibilisieren.d8DfirededRDBrbsQblanERUfluDstuSwnBaBShtubtiUddTmmfanbnmAtefrZu Protokoll ge
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18286 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 152. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. Januar 2012
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Über die Umsetzung des Projekts sowie die Einrich-tung einzelner Projektmodule wird der Tourismusbeauf-trage der Bundesregierung sicher so bald wie möglichsehr gern berichten.Ich denke, es ist deutlich geworden, dass uns dasThema barrierefreies Reisen am Herzen liegt. Wie be-reits in meiner Rede vom Juni vergangenen Jahres ange-merkt, müssen wir verstärkt darauf hinwirken, dass öf-fentliche Bereiche zukünftig mindestens barrierearmsein müssen. Bei den Bundesländern muss darauf hinge-wirkt werden, dass die Zielsetzung Barrierearmut beiBestandsbauten und Barrierefreiheit bei Neubauten ver-wirklicht wird. Der öffentliche Bereich kann und mussBeispiel für den privaten wirtschaftlichen Sektor sein.Des Weiteren hat der konsequente Wechsel vom staat-lichen Fürsorgeprinzip hin zum Recht auf umfassendegesellschaftliche Teilhabe eine außerordentlich hoheBedeutung, denn wirkliche Bedürfnisse können nichtüber den Kopf der Menschen mit Behinderungen konkre-tisiert werden. Dialog statt Verordnung sollte die Devisesein!Bei der Umsetzung von Barrierefreiheit spielen die imBundesgleichstellungsgesetz verankerten Zielvereinba-rungen eine große Rolle. Behindertenverbände könnenmit Verbänden und Unternehmen der Wirtschaft darindie Ziele zur Herstellung von Barrierefreiheit vereinba-ren. Ich erwähne an dieser Stelle gern noch einmal, dassdie DEHOGA bereits im Jahr 2005 mit den Behinderten-verbänden eine entsprechende Zielvereinbarung zurErfassung, Bewertung und Darstellung barrierefreierAngebote im Gastgewerbe unterzeichnet hat. Barriere-freiheit wird auch bei der Hotelklassifizierung themati-siert. Bereits 1999 wurde die Nationale Koordinations-stelle Tourismus für Alle e. V. – die sogenannte NatKo –gegründet.Im Rahmen einer Projektförderung durch das Bun-desministerium für Gesundheit und zum Teil auch durchdas Bundesministerium für Wirtschaft und Technologiesteht sie Reiseveranstaltern, Verkehrsunternehmen, Tou-rismusregionen, Hoteliers und weiteren Anbietern alsAnsprechpartner und Berater zur Verfügung, um die Ge-staltung barrierefreier Angebote zu unterstützen. BeideAngebote bieten so eine gute Grundlage, Wünsche undBedürfnisse zu erfassen und deren Umsetzung gemein-sam voranzubringen.Ich denke, wir alle sind uns darin einig, dass Barrie-refreiheit zu einem Markenzeichen des Tourismus inDeutschland werden sollte und vor allem werden kann.Die Teilhabe aller Menschen am Tourismus muss ermög-licht werden. Dieses Ziel können wir nur gemeinsam er-reichen, nicht über die Köpfe der Gehandicapten undBehinderten hinweg und nicht ohne Absprache mit denLändern und den verantwortlichen Akteuren der Touris-muswirtschaft.
Ich freue mich, dass die SPD mit ihrem Antrag meineInitiativen für die aktive Unterstützung eines Tages desbremgBrvaeludgAeuBateFlidmteFdFwbMsmvddBfrzDmtrBNNmZdgrzmfaTAZu Protokoll ge
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 152. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. Januar 2012 18287
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weitere Gespräche mit den Vertretern der Länder statt,um deren Vorschläge in das Projekt einfließen zu lassen.Ein entsprechender Antrag zur Förderung des Projektsdurch das BMWi ist zurzeit in Vorbereitung.Die Aktivitäten sind also sehr übersichtlich. Gernschmücken sich Bundestag und Bundesregierung mit derNatKo – einem seit zwölf Jahren wirkenden Zusammen-schluss von inzwischen elf Behindertenorganisationen.Völlig zu Recht zeichnete der Tourismusausschuss dieNatKo auf der ITB 2011 mit der Kristallkugel aus.Gleichzeitig erhält die NatKo aber Jahr für Jahr weni-ger Mittel aus dem Bundeshaushalt, obwohl die Wün-sche, Anfragen und Anforderungen an sie immer größerwerden.Auf meine Frage an die Bundesregierung „WelcheAktivitäten zur Förderung des barrierefreien Tourismusplant bzw. unterstützt die Bundesregierung im Zusam-menhang mit der Internationalen Tourismusbörse, ITB,im März 2012 in Berlin?“ antwortete StaatssekretärStefan Kapferer aus dem Bundeswirtschaftsministeriumam 10. Oktober 2011: „Die Nationale Koordinierungs-stelle Tourismus für Alle e. V. plant gemeinsam mit ver-schiedenen Akteuren, wie zum Beispiel der Messe BerlinAG, der AG barrierefreie Reiseziele, verschiedenenLandesmarketinggesellschaften, dem Deutschen Blin-den- und Sehbehindertenverband sowie dem Bundes-kompetenzzentrum Barrierefreiheit, einen „Tag desbarrierefreien Tourismus“ auf der ITB 2012. Die Bun-desregierung, der Beauftragte der Bundesregierung fürMittelstand und Tourismus und der Beauftragte der Bun-desregierung für die Belange behinderter Menschenunterstützen diese Idee. Für die Veranstaltung auf derITB 2012 sind im Bundeshaushalt jedoch keine Mitteleingeplant.“Aha! Die Regierung unterstützt die Idee, hat aber an-geblich keine Mittel, um deren Umsetzung zu unterstüt-zen. Schaut man sich die in der Beschlussempfehlung zu-sammengefasste Debatte zu diesem Antrag an, wirddeutlich, dass weder die Bundesregierung noch dieKoalitionsfraktionen den Geist und Inhalt der seit März2009 rechtskräftigen UN-Behindertenrechtskonventionverstanden haben. Die Staaten haben – so steht es in derUN-Behindertenrechtskonvention – zu gewährleisten,dass Menschen mit Behinderungen umfassend am Lebenin der Gesellschaft teilhaben können. Allein Art. 8 „Be-wusstseinsbildung“, Art. 9 „Barrierefreiheit“ undArt. 30 „ Teilhabe am kulturellen Leben sowie an Erho-lung, Freizeit und Sport“ zeigen, dass die Förderung desbarrierefreien Tourismus – auch und gerade auf derITB – durch die Bundesregierung keine freiwillige, son-dern eine Pflichtleistung ist – und dies nicht durch denmit einem Minibudget ausgestatteten Behindertenbeauf-tragten bei der Bundesregierung, sondern durch daszuständige Wirtschafts- und Tourismusministerium. Esreicht eben nicht, sich eine freiwillige Beteiligung derTourismuswirtschaft zu wünschen, zumal Bundesminis-ter und FDP-Vorsitzender Rösler weiß, wohin die Spen-den von Mövenpick und den anderen großen Tourismus-unternehmen fließen.ngvArnTdTep2tiDQrev4nBvnBmjevsliDmüEveliFhgtrInresArezRITsuEwhWZu Protokoll ge
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18288 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 152. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. Januar 2012
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zur Aufgabe gemacht, allen Menschen mit und ohne Be-hinderung das Erleben der Natur zu ermöglichen. Dazuwerden in Kooperation mit der Nordeifel TourismusGmbH alle touristischen Angebote barrierefrei gestaltet,zum Beispiel durch Führungen in Gebärdensprache,barrierefreie Wanderrouten, Barrierefreiheit der Infor-mationen im Gelände, spezielle Reisearrangements fürMenschen mit Behinderungen.Die Zahl der Urlaubsreisenden zwischen 65 und75 Jahren wird bis 2020 um 40 Prozent zunehmen. Indieser Reisegruppe findet sich ein besonders hoher An-teil an Deutschlandreisen. Darauf gilt es sich vorzube-reiten. Das ist auch ein politischer Auftrag! MöglicheEffekte sind bis zu 5 Milliarden Euro zusätzliche Ein-nahmen in der Tourismusbranche sowie zusätzliche90 000 Arbeitsplätze. Diese Potenziale gilt es zu nutzen.Auf der ITB sollte man sich dessen bewusst werden. Wirstimmen dem Antrag daher zu.
Wir kommen zur Abstimmung. Der Ausschuss für
Tourismus empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksache 17/8340, den Antrag der Fraktion der SPD
auf Drucksache 17/7827 abzulehnen. Wer stimmt für
diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? –
Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung ist angenom-
men mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen
die Stimmen der Oppositionsfraktionen.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 19 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Jutta
Krellmann, Sabine Zimmermann, Diana Golze,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE
LINKE
Tarifsystem stabilisieren
– Drucksache 17/8148 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Rechtsausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Die zu Protokoll gegebenen Reden stammen von
Ulrich Lange, CDU/CSU, Gitta Connemann, CDU/CSU,
Johannes Vogel, FDP, Jutta Krellmann, Die Linke, Beate
Müller-Gemmeke, Bündnis 90/Die Grünen. Von der
SPD liegt kein Redetext vor.
In Deutschland haben wir ein sehr gutes Tarifsystem,
basierend auf starken Partnern, unseren Arbeitgeber-
vertretern und unseren Gewerkschaften. Diese beiden
Partner sind als Protagonisten zuständig für die Vertre-
tung ihrer Klientel und für die Ausgestaltung der Tarife.
Die Politik gibt die Rahmenbedingungen vor, unter de-
nen dieses System sich gut entwickeln kann.
Aber die Linken haben unser System bis heute nicht
verstanden, haben den Absprung vom Staatsdirigismus
bis heute nicht geschafft. Wir stehen dafür, dass der
Staat nur eingreift, wenn es die Tarifparteien nicht
schaffen. Dies ist derzeit nicht der Fall.
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Meine Damen und Herren von der Linken, die Aus-
wirkungen eines Staatsdirigismus haben wir in der DDR
gesehen, haben die Bewohner Ostdeutschlands schmerz-
lich erfahren müssen. Sie haben als Nachfolgepartei der
SED den Staatsbankrott der DDR, den Niedergang der
ostdeutschen Wirtschaft zu verantworten. Springen Sie
wenigstens jetzt über Ihren Schatten und schmeißen Sie
Ihren Antrag in die Mottenkiste, wo er hingehört! Sor-
gen Sie mit uns dafür, dass es unseren Bürgerinnen und
Bürgern gut geht! Setzen Sie mit uns weiterhin auf die
soziale Marktwirtschaft gegen Staatsdirigismus!
„Alter Wein in neuen Schläuchen“ – so sollte der Ti-tel des heutigen Antrages der Fraktion der Linken ei-gentlich lauten. Denn in dem Antrag findet sich keineForderung, die von den Linken nicht schon gestellt wor-den wäre, und zwar nicht einmal, sondern immer undimmer wieder. Diese Politik der Wiederholung ist abernicht Ausdruck von Beharrlichkeit, sondern von offen-sichtlicher Ignoranz – der tatsächlichen Gegebenheitensowie der rechtlichen Verhältnisse.Erstens. Die Beschreibung der Verhältnisse durchSie, meine Damen und Herren von der Linken, und dieRealität weichen stark voneinander ab. Hier liegt einklarer Fall von Bewusstseinsverzerrung vor.Dies beginnt schon bei der Wahrnehmung der Tarif-bindung in Deutschland durch die Linken. Ihr Antrag re-duziert den Begriff allein auf die unmittelbare Tarifbin-dung, nämlich bei einer Mitgliedschaft des Arbeitgebersim Arbeitgeberverband und des Arbeitnehmers in derGewerkschaft. Zwar ist diese unmittelbare Bindung anFlächen- und Branchentarifverträge in den vergange-nen Jahren zurückgegangen. Dafür ist aber die Zahl derHaus- bzw. Firmentarifverträge gestiegen. Hinzu kom-men die Arbeitsverhältnisse, in denen der Tarifvertragzum Beispiel zur Anwendung kommt, weil ein Arbeits-vertrag auf den entsprechenden Vertrag Bezug nimmt.Über diese sogenannte mittelbare Tarifbindung verlie-ren die Linken jedoch kein Wort. Denn es kann ja nichtsein, was nicht sein darf. Meine Damen und Herren vonder Linken, dann müssten Sie nämlich zur Kenntnis neh-men, dass es um die Tarifbindung in Deutschland beiweitem besser bestellt ist, als von Ihnen beschworen.Danach waren auch 2010 für insgesamt 80 Prozent der
rufen, meine Damen und Herren von der Linken, sinddamit Tarifverträge nach wie vor das wichtigste Struk-turelement für die Festsetzung von Entgelten und Ar-beitsbedingungen. In den übrigen 20 Prozent finden sichvor allem Bereiche, in denen zwar keine Tarifverträgebestehen, aber dennoch regelmäßig hohe Löhne gezahltwerden. Ich nenne beispielhaft die Beschäftigten in derIT-Branche und Ingenieure. Arbeitgeber können sichhäufig gar nicht erlauben, ihren Arbeitnehmern ein un-ter Tarif liegendes Entgelt anzubieten. Insbesondere vordem Hintergrund des demografischen Wandels und dessteigenden Mangels an qualifizierten Arbeitskräftenwird dieser Aspekt immer wichtiger werden. Soweit sichein Arbeitgeber bzw. ein Arbeitnehmer dagegen ent-sruGhkmdzcDumeNa1nkfeAjoFdmhsfeinnMrWJBApVgwA2ingwcfüHtotibGzgwdZu Protokoll ge
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18290 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 152. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. Januar 2012
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weise liegt aber auch in Österreich die Tarifbindung bei99 Prozent, der Organisationsgrad aber nur bei 28 Pro-zent, oder in Frankreich bei 90 Prozent bzw. 8 Prozent.Meine Damen und Herren von der Linken, ist der Tarif-bindung dadurch geholfen, dass eine Minderheit für dieMehrheit Bestimmungen trifft, die dann allgemein füralle gelten? Im Übrigen kollidieren Ihre Vorstellungen,meine Damen und Herren von der Linken, mit der ver-fassungsrechtlich geschützten Koalitionsfreiheit, der un-ternehmerischen Freiheit sowie der Handlungsfreiheit.Bei einer nur relativen Repräsentativität fehlt den ab-schließenden Tarifvertragsparteien jegliche Legitima-tion, für den Rest der Branche die Arbeitsbedingungenzu regeln. Die damit einhergehende Missbrauchsgefahrist praktisch mit Händen zu greifen. Ich nenne insoweitnur das Stichwort „Postmindestlohn“.Nur mit wirklich repräsentativen Tarifverträgen imSinne des 50-Prozent-Quorums des Tarifvertragsgeset-zes kann sichergestellt werden, dass sich Tarifverträgevor ihrer Erstreckung mehrheitlich durchgesetzt habenund die wirklichen Bedingungen der Branche widerspie-geln. Anderenfalls besteht die Gefahr, dass eine Minder-heit die Mehrheit majorisieren kann. 50 Prozent sind dieHälfte der betroffenen Arbeitsverhältnisse. Eine Reduk-tion dieser klaren Grenze einer absoluten Mehrheitwürde weitere Reduktionen je nach der politischen Kon-stellation nach sich ziehen.Ihre Forderung nach einer automatischen Erstre-ckung aller Branchentarifverträge steht im krassen Wi-derspruch sowohl zur negativen als auch zur positivenKoalitionsfreiheit. Die Bildung marktgerechter Löhnewäre weitgehend unmöglich, da keine Rücksichtnahmeauf Außenseiter mehr notwendig wäre. Nicht umsonstsehen das Tarifvertragsgesetz und das Arbeitnehmer-Entsendegesetz einen Tarifausschuss sowie das Mindest-arbeitsbedingungengesetz einen Fach- bzw. Hauptaus-schuss vor.Auch Ihre Forderung nach einer Erstreckung ganzerLohngitter widerspricht der Tarifautonomie. Diese gehtüber das zur Verhinderung sozialer VerwerfungenNotwendige hinaus. Folge der Erstreckung wäre einFlickenteppich unterschiedlichster geltender Mindest-löhne, die insbesondere für kleine Unternehmen nichthandhabbar wären. Zudem würde die Kontrolle durchdie jeweiligen Kontrollbehörden erschwert. Niemandemist geholfen, wenn ein Mindestlohn gilt, aber aufgrundder Unübersichtlichkeit ob der Vielzahl der geltendenLöhne nicht klar ist, welcher Lohn gilt. Zudem würde dieErmächtigung, ganze Lohngitter auch über das Arbeit-nehmer-Entsendegesetz erstrecken zu können, demMissbrauch zum Eingriff und zur Regulierung des Wett-bewerbs Tür und Tor öffnen.Meine Damen und Herren von der Linken, im Online-lexikon für Redensarten wird übrigens der Ausruf „Dasist doch alter Wein in neuen Schläuchen!“ wie folgt er-klärt: „… den gleichen Inhalt auf andere Weise präsen-tieren oder anders benennen; Täuschungsmanöver“.Genau so ist es. Und für Täuschungsmanöver sind wirnicht zu haben. Deshalb werden wir Ihren Antrag auchablehnen.jehddvESFoEjesdSdbbdJwnIhkmVm–dFmEseZpsJn2dEDmsencheEwRsleweZu Protokoll ge
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Man könnte das aber auch sein lassen, denn Ihr An-trag lässt es dabei ja nicht bewenden. In der Begrün-dung lassen Sie nämlich die – ja, so muss man das wohlsagen – Maske fallen. Ich zitiere: „Um die Allgemein-verbindlicherklärung unabhängig vom politischen Wil-len der jeweiligen Arbeitsministerin oder des jeweiligenArbeitsministers und auch unabhängig von der Positionder Spitzen- oder Fachverbände der Arbeitgeber zu er-leichtern, wird das Bundesministerium für Arbeit undSoziales verpflichtet, Tarifverträge automatisch für all-gemeinverbindlich zu erklären, wenn gewisse Repräsen-tativitätsanforderungen erfüllt sind. Damit entfällt dasbisherige Vetorecht der Arbeitgeber, aber auch das desBundesarbeitsministeriums.“ Unter „gewissen Reprä-sentativitätsanforderungen“ verstehen Sie irgendetwas,was weniger als die Hälfte ist. Denn zum 50-Prozent-Quorum des Tarifvertragsgesetzes lassen Sie verlauten:„Als weiteres Hindernis ist das zu hohe Quorum von50 Prozent zu nennen, das derzeit für eine Allgemeinver-bindlicherklärung nach dem Tarifvertragsgesetz vorge-schrieben ist und vom Bundesministerium für Arbeit undSoziales auch auf das Arbeitnehmer-Entsendegesetz an-gewandt wird.“Also nichts für ungut, aber nachdem ich am Anfanggesagt habe, ein Déjà-vu-Erlebnis könnte einem schonAngst machen, muss ich jetzt doch sagen, das es IhrGrundrechts- und Demokratieverständnis ist, das einenschaudern lässt. Dazu muss man sich noch einmal denArt. 9 des Grundgesetzes vergegenwärtigen, dessenWortlaut so schön ist, dass man ihn gar nicht oft genugzitieren kann. In den ersten beiden Sätzen heißt es da:„Das Recht, zur Wahrung und Förderung der Arbeits-und Wirtschaftsbedingungen Vereinigungen zu bilden,ist für jedermann und für alle Berufe gewährleistet. Ab-reden, die dieses Recht einschränken oder zu behindernsuchen, sind nichtig, hierauf gerichtete Maßnahmensind rechtswidrig.“ Im Prinzip fußt das ganze deutscheTarifvertragssystem auf diesem Grundrecht. Und jetztkommen Sie und wollen daraus Folgendes machen: Al-leine Arbeitnehmervertreter bestimmen über Allgemein-verbindlichkeiten, fertig aus. Sie treten also das Grund-recht der Tarifautonomie mit Füßen. Nichts anderes istes nämlich, wenn man eine Partei im Tarifausschussausschalten will. Und demokratisch ist es schon mal garnicht, wenn die Minderheit über die Mehrheit entschei-det – auch das haben Sie vor. Eigentlich weiß man dasschon seit rund 2 500 Jahren. Sie leider nicht. Vielleichtfällt Ihnen dazu aber im Ausschuss noch etwas ein. Ichfreue mich darauf.
Der Tarifvertrag besitzt eine lange Tradition inDeutschland. Schon seit 139 Jahren ist er ein probatesMittel, um Löhne festzulegen, Urlaub und Arbeitszeitenzu regeln und spezifische Bedingungen am Arbeitsplatzzum Schutz der Beschäftigten zu bestimmen. Die Aus-handlungsprozesse, die den Tarifverträgen vorausgin-gen, fanden früher nicht selten auf der Straße statt.Heute ist für gewöhnlich der Verhandlungstisch derSchauplatz von Tarifauseinandersetzungen. Erst wennes dort nicht weitergeht, dann wird „auf der Straße“vBMnacmGdduinnvZwnSaimBimmgdsvtuMslegTbvdzmZäsralerreEwcTOatiZu Protokoll ge
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18292 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 152. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. Januar 2012
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Mitglied. Und nur wenn unter diesen Bedingungen alleBetroffenen an einem Tisch sitzen, finden Verhandlungenauf Augenhöhe statt und man kann wieder von einem gu-ten Tarifsystem in Deutschland sprechen – und von gu-ten Tarifverträgen!
Wir freuen uns, dass sich nun auch die Fraktion DieLinke für die Stabilisierung des Tarifvertragssystemsstarkmacht und einen eigenen Antrag unserem Antrag„Tarifvertragssystem stärken – allgemeinverbindlicheTariflöhne und branchenspezifische Mindestlöhne er-leichtern“ zur Seite stellt. Das Thema ist wichtig, denndas Tarifsystem befindet sich in einem schnell voran-schreitenden Erosionsprozess. Dies zeigen die Zahlenzur Tarifbindung, die 1980 noch über 80 Prozent betrugund heute auf 62 Prozent abgesunken ist. Konkret be-deutet dies, dass nur noch 62 Prozent der Beschäftigtenvon Tarifverträgen geschützt werden. Die weißen Fle-cken in der Tariflandschaft werden immer größer – zu-lasten der Beschäftigten.Die Bundesregierung ignoriert aber dieses Problem.In Debatten verweisen die Regierungsfraktionen immerund immer wieder auf die Verantwortung der Tarifpart-ner. Natürlich ist es wünschenswert, dass die Tarifpart-ner autonom für gute Löhne und faire Arbeitsbedingun-gen sorgen. Das ist der Idealfall. Fakt ist aber, dass dieTarifpartnerschaft in manchen Branchen nicht mehrfunktioniert. Das geschieht auf Kosten der Beschäftigtensowie der Allgemeinheit. Deshalb muss das Tarifver-tragssystem politisch gestützt und gestärkt werden.Im gesamteuropäischen Vergleich befindet sichDeutschland beim Tarifbindungsgrad lediglich im Mit-telfeld. Zum Beispiel in Frankreich, Spanien und Finn-land bestehen wesentlich effektivere Systeme, mit denenTarifverträge als allgemeinverbindlich erklärt werdenkönnen, sodass sie für alle Beschäftigten einer Branchegelten. In Frankreich entscheidet das Arbeitsministe-rium über die Ausdehnung eines Tarifvertrags, ohne anKriterien der Repräsentativität von Tarifverträgen ge-bunden zu sein. In Finnland gelten die Tarifverträge füralle Beschäftigten, wenn etwa die Hälfte der Beschäftig-ten bei einem tarifgebundenen Arbeitgeber arbeitet. InSpanien werden alle Tarifverträge automatisch auf dieBeschäftigten einer Branche ausgedehnt, wenn sie voneiner als repräsentativ anerkannten Tarifpartei abge-schlossen wurden.Die Bundesregierung sollte sich diese Systeme derAllgemeinverbindlicherklärung von Tarifverträgen zumVorbild machen. Der Trend zur Tarifflucht muss endlichgestoppt werden, denn Tarifflucht hat auch Auswirkun-gen auf die Löhne. Der anwachsende Niedriglohnbe-reich hat einschneidende Konsequenzen für die Exis-tenzsicherung der Beschäftigten und belastet in mehr-facher Hinsicht den Sozialstaat. Prekäre Löhne verursa-chen Einnahmeausfälle bei den Sozialversicherungen,mindern die Steuereinnahmen und führen zu steigendenSozialausgaben. Niedrige Löhne belasten vor allemaber die Menschen. Sie leben in finanzieller Unsicher-hndbFgsdShcregMmpdgnadaDredArhhaDfüvsJAFB
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Vor uns liegt die wirklich ungeheuer komplexe Auf-gabe, das qualitativ und quantitativ große deutsche Film-erbe zu sichern und der Öffentlichkeit Zugang zum Erbezu ermöglichen. Neu ist diese Aufgabe nicht, aber erle-digt ist sie auch noch nicht.Diese Aufgabe erfordert unsere erhöhte Aufmerksam-keit, denn wir sind in einem Stadium, wo durch fort-schreitende Zeit irreparable Schäden entstehen können.Gleichzeitig ist klar, dass diese Aufgabe aufgrund ihrerDimension – es handelt sich immerhin um mehrere Hun-derttausend Werke – nicht mit einem Schlag bewältigtwerden kann. Das liegt zum einen an den zur Verfügungzu stellenden Finanzmitteln, es liegt aber auch an denzur Verfügung stehenden Kapazitäten.Es ist politisch unstrittig, dass wir uns diesem Themazügig widmen müssen. Es dürfte weiter unstrittig sein,dass dazu eine Finanzierung auf die Beine zu stellen ist,zu der auch der Bundeshaushalt wird beitragen müssen.Richtig losgelegt werden kann aber erst, wenn kon-zeptionelle Vorarbeiten abgeschlossen sind, bei denendie Beiträge der Experten der Branche erforderlichsind.Die Themenfelder, um die es dabei geht, wurden beidem öffentlichen Fachgespräch des Ausschusses fürKultur und Medien zum Thema Filmerbe – Archivie-rung und Digitalisierung am 9. November 2011 sehrdeutlich.Da geht es zunächst einmal um die vollständige Be-standsaufnahme, in der auch der Erhaltungszustand er-fasst werden sollte.Für die Zukunft gehört die für dieses Jahr vorgese-hene Änderung des Bundesarchivgesetzes mit derPflichtregistrierung aller produzierten Kinofilme dazu.Aus dieser Pflichtregistrierung wird sich ergeben, inwelchem ergänzenden Umfang eine Pflichthinterlegungaller Werke vorgesehen werden kann und welche finan-ziellen Auswirkungen für Produzenten oder auch die öf-fentliche Hand damit verbunden sind.Auch durch die Fernsehanstalten werden Filme her-gestellt, deren Sicherung auf Dauer in die Betrachtungebenso einzubeziehen ist wie die Zugänglichkeit für Inte-ressenten.Nach dem Stand der Technik ist davon auszugehen,dass zukünftige Nutzungen digitalisierte Werke voraus-setzen. Das stellt für neue Produktionen weniger einProblem dar als für historische Werke. Bei den histori-schen Werken stehen wir inzwischen in vielen Fällen vorder Aufgabe, die Filme vor der Digitalisierung zu re-staurieren. Dies kann, abhängig vom Zustand, sechsstel-lige Beträge pro Film erforderlich machen. Um dies zuleisten, werden eine Priorisierung und sogar eine Kano-nisierung unumgänglich sein.Unzweifelhaft wird nicht jeder Film zum Erbe gerech-net werden können. Auf welche Weise hier vorgegangenwerden kann, gehört zu den Fragen, die als nächste ge-löst werden müssen.isdgmimslatetisfüfüwtunaFmBdinwimdarevbsetebWgwüdgamwzgzwZu Protokoll ge
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18294 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 152. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. Januar 2012
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„Jugendpolitik führt in Deutschland ein Schattenda-
sein“ – so lautet der Vorwurf der Opposition, ferner,
dass in der Arbeit der schwarz-gelben Regierungskoali-
tion jugendpolitische Belange weit hinter eine Politik,
die auf frühkindliche Förderung zielt, zurückfielen.
Diesen Umstand gelte es zu durchbrechen. Ein Sym-
bol für den Aufbruch in eine eigenständige Jugendpoli-
tik sei die „Würdigung der jugendfreundlichsten Kom-
mune Deutschlands“ in Form eines Wettbewerbs.
Dieser Vorwurf lässt sich freilich nicht halten. Richtig
ist zwar, dass in den vergangenen Jahren der Schutz, die
Förderung und die Bildung in den ersten Lebensjahren
besondere Aufmerksamkeit erfahren haben – und dies zu
Recht. Das BMFSFJ arbeitet jedoch derzeit unter Einbe-
ziehung der Jugendverbände an einer Strategie für eine
eigenständige Jugendpolitik. Der vorliegende Antrag ist
damit als reiner Aktionismus zu bewerten.
Der gesellschaftliche, technische und wirtschaftliche
Wandel der letzten Jahrzehnte eröffnet Jugendlichen
heute mehr Chancen als jemals zuvor. Gleichzeitig stellt
dieser Wandel Jugendliche aber auch vermehrt vor Ent-
scheidungen und neue Herausforderungen.
Der demografische Wandel, die mit der Globalisie-
rung steigenden Anforderungen an Wissen und Kompe-
tenzen, die Beschleunigung und Verdichtung der Bil-
dungsbiografie und die stärkere Heterogenisierung der
Jugendphase erfordern auch von der Jugendpolitik ein
Umdenken. Neben den schulischen Anforderungen wol-
len Jugendliche sich entsprechend ihren eigenen Inte-
ressen und Stärken weiterentwickeln und sich gesell-
schaftlich engagieren. Jugendliche benötigen Raum:
sowohl in der Gesellschaft, um angehört zu werden und
mitbestimmen zu können, als auch reale Räume in ihrer
unmittelbaren Umgebung als Treffpunkte.
Die Jugendpolitiker der Union berücksichtigen diese
Punkte; wir werden in Kürze einen eigenen Antrag vor-
legen, der sich insbesondere mit dem Bereich Reformie-
rung des Kinder- und Jugendplans, dem Bereich der
Partizipation, dem Bereich Neue Medien und Medien-
kompetenz und dem Bereich der Freiwilligendienste be-
fasst.
Den vorliegenden Antrag lehnen wir insofern heute
ab.
In drei Wochen beginnen wieder die InternationalenFilmfestspiele in Berlin.Dieter Kosslick, der Chef der Berlinale, war gesternbei uns im Ausschuss und hat in seiner unnachahmli-chen Art berichtet, was uns in diesem Jahr erwartet.Wieder hat er unsere Begeisterung und Neugier in Bezugauf das Festival geweckt. Ich freue mich, dass DieterKosslick seinen Job auch noch in den nächsten fünf Jah-ren weitermacht, und ich wünsche ihm von dieser Stelleaus viel Erfolg.Mit im Programm der Berlinale ist wieder die Retro-spektive. Hier hat Dieter Kosslick ab diesem Jahr einewtinogmusnsebetoddvmVrrenuteddsklylaJhgKdegtatewKmdrhAhDbZu Protokoll ge
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 152. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. Januar 2012 18295
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Deshalb hat der Ausschuss erneut eine Reihe vonausgewiesenen Filmerbeexperten eingeladen und vonweiteren Fachleuten schriftliche Stellungnahmen ange-fordert, um die Notwendigkeiten und Lösungswege auf-zuzeigen. An dieser Stelle meinen aufrichtigen Dank andie Experten für die vielen wertvollen Hinweise!Wir von der SPD-Fraktion sind gerade damit befasst,unsere Schlussfolgerungen aus dem letzten Expertenge-spräch in einen konkreten Forderungskatalog an dieBundesregierung zu gießen.Ich kann meinen Ärger an dieser Stelle nicht zurück-halten, dass die Grünen trotz anderer Absprachen miteinem eigenen Antrag vorgeprescht sind. Dabei stimmenwir in der Analyse und in den nötigen Schlussfolgerun-gen doch weitgehend überein. Alle parlamentarische Er-fahrung zeigt, dass gemeinsames Handeln gegenüberder Regierung mehr Erfolg verspricht. Ein gemeinsamerAntrag hätte der Lösung der drängenden Probleme beimFilmerbe mehr gedient.Lassen Sie mich über die Schlussfolgerungen unsererFraktion sprechen, die dringend zum Handeln zwingen:Erstens. Unser Filmerbe hat große Lücken. Das be-trifft vor allem die vor 2004 produzierten Filme. DieDEFA-Stiftung hat die in der ehemaligen DDR produ-zierten Filme weitgehend vollständig gesichert, dieMurnau-Stiftung die vor 1945 produzierten Filme – nichtalle, aber in großem Umfang. Eine Lücke klafft bei denzwischen 1945 und 2004 in der alten Bundesrepublik undden nach 2004 ohne öffentliche Förderung entstandenenFilmwerken. Nur durch eine Pflichthinterlegung kannder vollständige Erhalt des Filmerbes für die Nachweltsichergestellt werden.Die Hinterlegungspflicht muss endlich gesetzlichfestgeschrieben werden. Die Pflichtregistrierung wäreder erste Schritt. Endlich, nach vielen Jahren, kündigtdie Bundesregierung an, einen entsprechenden Entwurfvorzulegen. Bisher ist es bei der Ankündigung geblie-ben. Das reicht nicht. Wir fordern die zügige Vorlage ei-ner Regelung für die Registrierungspflicht. Immerhinhat die Bundesregierung 350 000 Euro für diesen Zweckim laufenden Haushalt eingestellt, aber noch fehlt einKonzept, wofür die Mittel eingesetzt werden sollen.Aber bei der Registrierung darf es nicht bleiben. DieHinterlegungspflicht mit den zentralen Fragen, was, wound wie in die Archive zu geben ist, muss von Anfang anmitgedacht werden. Wir fordern, entsprechende Kon-zepte auf den Tisch zu legen.Erst seit 2005 werden zumindest die öffentlich geför-derten Filme zur Abgabe einer Kopie verpflichtet. Aberdas passiert nicht nach einheitlichen Standards, und eshat negative Konsequenzen für die Bewahrung und vorallem für das Zugänglichmachen der Filme. Wir brau-chen klare, für alle verbindliche Qualitätsstandards und-normen für die Hinterlegung. Das kann nur gelingen,wenn alle Beteiligten ihre Erfahrungen einbringen undsich auf die Notwendigkeiten verständigen. Dazu brau-chen wir eine entsprechende Initiative der Bundesregie-rung, damit ein solcher Prozess angeschoben wird.üve–gdwletesKhleInmVddNESbwdreFegvpOWThaAvdUndtogdteswFlesFZu Protokoll ge
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18296 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 152. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. Januar 2012
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alten Filme anzubieten und wieder stärker in das allge-meine Bewusstsein zu rücken. Aber auch das setzt vo-raus, dass die Filme digitalisiert werden. Die Nieder-lande haben uns vorgemacht, wie man diese immenseAufgabe in einer konzertierten Initiative anpacken kann.Die Bundesregierung hat es bisher unterlassen, dieseErfahrungen systematisch auszuwerten und für unsereNotwendigkeiten nutzbar zu machen. Dabei müssenauch Initiativen der Filmwirtschaft gefördert werden,die aus der Zugänglichmachung des Filmerbes ein Ge-schäftsmodell machen wollen wie die Initiative „Schätzedes deutschen Films“. Hier ist natürlich zu beachten,dass sich die Auswahl eher an „Marktgängigkeit“orientiert als an filmhistorischen und kuratorischen Ge-sichtspunkten. Dennoch halte ich diese Initiative für gutund unterstützenswert.Achtens. Schließlich sind auch eine Reihe von urhe-berrechtlichen Problemen zu lösen, auf die ich im Ein-zelnen jetzt nicht mehr eingehen kann. Festzuhalten istauch hier: Das muss endlich angepackt werden.Die Probleme sind bekannt; die Experten haben nach2008 zum zweiten Mal im Ausschuss die Notwendigkei-ten benannt. Der Kulturstaatsminister muss endlich mitentschlossenen Schritten und Initiativen handeln und dieAkteure beim Filmerbe in das Finden von Lösungen ein-beziehen.Die Forderungen der Grünen im vorliegenden Antraggehen in die richtige Richtung. Wir werden in Kürze un-seren Antrag vorlegen. Und auch die anderen Fraktio-nen können angesichts des Handlungsdrucks nicht stillbleiben. Vielleicht gelingt es uns, unsere Initiativen imInteresse der Sicherung, Bewahrung und Zugänglichma-chung unseres Filmerbes zusammenführen.
Es war ein großes Ereignis bei der Berlinale vor fastgenau zwei Jahren, als der legendäre Stummfilm „Me-tropolis“ von Fritz Lang erstmals wieder in einer re-staurierten Fassung gezeigt werden konnte. Viele habensicherlich noch das Bild vor Augen, wie Tausende beiklirrender Kälte und Schnee vor der Leinwand am Bran-denburger Tor standen und die Welturaufführung der re-staurierten Fassung miterlebten. Solche Ereignisse sinddie freudigen Höhepunkte bei der Beschäftigung mitdem deutschen Filmerbe.Wir sind uns aber auch der Probleme beim Thema„Sicherung des nationalen Filmerbes“ in Deutschlandbewusst. Es liegt zum Ersten ein technisches Problemvor. Viel Material ist in einem Zustand, welches eineweitere technische Verarbeitung notwendig macht. ZumZweiten haben wir es mit Problemen bei der Dokumen-tation und Erfassung der Filme zu tun. Fraglich ist zumBeispiel, an welchem Ort in Deutschland – ob beimDeutschen Filminstitut e. V., DIF, der Stiftung DeutscheKinemathek oder dem Bundesarchiv – Filmkopien einesWerkes vorliegen und vor allem in welchem Zustanddiese dort archiviert sind. Wo liegt also das beste Aus-gangsmaterial, um den Film zu sichern oder um gegebe-nenfalls weitergehend zu digitalisieren, um den Filmaz–vsw1hAfüwd9EKgimwUFzteEfae3KkFlaeevsedusgahszfrrASDRtrtaEdZu Protokoll ge
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 152. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. Januar 2012 18297
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Es ist auch überflüssig, mit der Stoppuhr neben derBundesregierung zu sitzen und bis Frühjahr 2012 einKonzept einzufordern, welches erläutert, wie die imHaushalt 2012 eingestellten 350 000 Euro zum Einsatzkommen. Es verhält sich hier ganz einfach: Es handeltsich um die in der oben genannten Stellungnahme desBKM aus dem Jahr 2009 aufgeführten Kosten des Bun-desarchivs für die Bereitstellung der technischen Vo-raussetzungen sowie die zusätzlichen Personalstellen.Dies wird auch in den Antworten auf die Kleinen Anfra-gen zum Thema deutlich.Auch den Anmerkungen zu einer verbesserten Zu-gänglichmachung und Verwertbarkeit vorhandenerBestandsdaten ist nicht zuzustimmen. Das vom Kinema-theksverbund angestrebte „Bestandsverzeichnis deut-scher Filme“ bildet hier eine ausgezeichnete Möglich-keit. Über die Fortentwicklung des Filmportals, DIF,könnte diese Funktion hervorragend ausgeführt werden.Hinsichtlich der angemahnten Regelung zu den ver-waisten Werken verweisen wir auf den Antrag der Koali-tion „Digitalisierungsoffensive für unser kulturellesErbe beginnen“ , indem wir die Bundesregierung auffordern, diesen Punktim dritten Korb zur Reform des Urheberrechts vorzuse-hen. Auch bei der Forderung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, eine Digitalisierungsinitiative zu starten,verweisen wir auf diesen Antrag, in dem wir eine Inten-sivierung der Digitalisierung fordern.Ein Problem ist aus meiner Sicht, dass die Einführungeiner generellen Pflichthinterlegung von der Filmbran-che zwar begrüßt, eine finanzielle Beteiligung seitensder Branche aber abgelehnt wird. Andere Länder, wiedie Niederlande mit dem Programm „Images for the Fu-ture“, gehen hier mit gutem Beispiel voran und zeigen,dass Filmarchive und Filmwirtschaft zusammenarbeitenkönnen. Auch beim Expertengespräch am 9. November2011 wurde deutlich, dass hier ein Paradigmenwechselnotwendig ist. Dort gab es den Vorschlag, die Filmförde-rung so aufzubauen, dass Ermöglichen und Bewahreneingeschlossen sind, und zwar unter Beteiligung der Pri-vatwirtschaft. Das ist ein interessanter Ansatz, der sichnun auch im Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grü-nen wiederfindet.Wir freuen uns auf die gemeinsame Beratung zu die-sem Antrag und das Expertengespräch zur DDB im Aus-schuss nächste Woche.
Der Antrag von Bündnis 90/Die Grünen ist in seinemAnliegen begrüßenswert. Die Digitalisierung des Film-erbes wird aus filmpolitischer Sicht eines der wesentli-chen Zukunftsthemen sein, sowohl hinsichtlich der tech-nischen Herausforderungen als auch in Bezug auf diegesellschaftliche Respektierung unseres filmhistori-schen Erbes. Dass die Grünen hier mit ihrem Antrag aufeine sensible Stelle staatspolitischer Versäumnisse hin-weisen, da die Bundesregierung seit Jahren das deut-sche Filmerbe in seiner Gesamtheit stiefmütterlich bisignorant behandelt, sollte positiv vermerkt werden.fashHrgkIncgZÜFsssfüPavzcFTdPdvefegFFDdinledcpBbte5hbdgvspdC„cdhZu Protokoll ge
aritätisch jeweils 6 Millionen Euro jährlich aus demundeshaushalt und als Abgabe der Film- und filmtrei-enden Werbewirtschaft bereitzustellen. Außerdem woll-n wir eine zweckgebundene Abgabe in Höhe vonCent auf jede Kinokarte erheben. Beide Maßnahmenalten wir weiterhin für unverzichtbar, um dem Finanz-edarf zur Sicherung und Aufbereitung zu konservieren-er Filmbestände und zur Digitalisierung einigermaßenerecht zu werden. Namhafte Experten aus Filmarchi-en und von Verwertungsfirmen für historische Filmeind der gleichen Auffassung.Wenn es nun, wie es bei Bündnis 90/Die Grünen anrominenter Stelle heißt, auch um die zügige Umsetzunger aufgestellten Forderungen aus dem alten Antrag vonDU/CSU, SPD, FDP und Bündnis 90/Die Grünen
amit höchstens offene Türen eingerannt werden. Wiratten ja unseren Antrag gerade deshalb eingebracht,
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18298 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 152. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. Januar 2012
Dr. Claudia Wintersteingebene Reden
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 152. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. Januar 2012 18299
Kathrin Senger-Schäfer
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weil alle anderen Fraktionen eine seriöse Finanzierungdes Filmerbes scheuten. Immerhin muss die Frage er-laubt sein, warum diese ganz große Koalition seit mehrals drei Jahren nicht in der Lage ist, unsere vernünftigenVorschläge überhaupt zur Kenntnis zu nehmen. Die imBundeshaushalt 2012 zusätzlich eingestellten 350 000Euro für „Maßnahmen zum Erhalt des Filmerbes“ kön-nen hingegen wohl kaum als auch nur annähernd befrie-digende Grundlage dafür dienen, die Bewahrung desdeutschen Filmerbes wirkungsvoll zu beginnen, ge-schweige denn voranzutreiben. Wo da noch Spielraumfür Digitalisierungsprojekte welcher Art auch immersein soll, ist mir ein Rätsel. Und offenkundig scheint esso zu sein, dass den filmpolitisch Verantwortlichen aufden Regierungsbänken die Pflege des kulturellen Ge-dächtnisses in Gestalt einer mehr als einhundertjähri-gen Filmgeschichte dann doch nicht so wichtig ist. An-sonsten wäre nämlich die Sicherung und Digitalisierungdes Filmerbes schon längst eine gesamtstaatliche Auf-gabe mit allen Konsequenzen.Der Antrag von Bündnis 90/Die Grünen zielt durch-aus in die richtige Richtung. Diese Richtung ist aber nurmit realistischen Finanzierungskonzepten und nachhal-tiger institutioneller Zusammenarbeit zu verfolgen.Ohne zielstrebiges staatliches Engagement verpuffensolche Anträge im Vakuum der Folgenlosigkeit.Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-NEN):Vor kurzem war Hans W. Geissendörfer, der als Re-gisseur, Autor und Produzent ja deutsche Film- undFernsehgeschichte geschrieben hat, bei uns im Kultur-und Medienausschuss. In einem Expertengesprächsprach er mit dem Herzblut des Filmenthusiasten überunser Filmerbe, in das die Kreativität unzähliger Men-schen geflossen ist – über Tausende von Filmen, dieheute nur noch schwer oder gar nicht mehr zugänglichsind. Was für ein Schatz schlummert da? Welcher kultu-relle Reichtum wartet auf seine Entdeckung – oder Wie-derentdeckung?!Wir wissen, dass Archive und Verleiher auf dem Ge-biet des Filmerbes eine gute Arbeit leisten – oft mit ge-ringen Mitteln und ökonomischen Problemen. AuchFilmfestivals engagieren sich. Wir erinnern uns an „Me-tropolis“ auf der Berlinale vor zwei Jahren. In wenigenWochen wird die diesjährige Berlinale zusammen mitder Deutschen Kinemathek eine Retrospektive mit Fil-men des deutsch-russischen Studios „Meschrabpom“zeigen. Das Studio bestand in den 20er- und 30er-Jahrenund produzierte eine, wie ich höre, sehr gute Unterhal-tungskunst. Ich bin sehr gespannt auf die Entdeckungenbei dieser Retrospektive, die dann im Anschluss auch imNew Yorker MoMA zu sehen sein wird.Was können wir tun, um den Reichtum des Filmerbesbesser zu erschließen? Wie können wir die Arbeit, dieschon geleistet wird, besser unterstützen?Unseres Erachtens ist es an der Zeit, hier die Mög-lichkeiten der Digitalisierung viel breiter zu nutzen. Ineinem anderen Bereich, dem der Kinodigitalisierung,geschieht ja schon sehr viel. Die Kulturpolitik im Bun-dKaSereFreLFsdFudrduBusgRcswSeesgedtatumscDfüvs
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18300 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 152. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. Januar 2012
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Die zu Protokoll gegebenen Reden stammen vonDorothee Bär, CDU/CSU, Dr. Peter Tauber, CDU/CSU,Sönke Rix, SPD, Florian Bernschneider, FDP, YvonnePloetz, Die Linke, Ulrich Schneider, Bündnis 90/DieGrünen.
„Jugendpolitik führt in Deutschland ein Schattenda-
sein“ – so lautet der Vorwurf der Opposition, ferner,
dass in der Arbeit der schwarz-gelben Regierungskoali-
tion jugendpolitische Belange weit hinter eine Politik,
die auf frühkindliche Förderung zielt, zurückfielen.
Diesen Umstand gelte es zu durchbrechen. Ein Sym-
bol für den Aufbruch in eine eigenständige Jugendpoli-
tik sei die „Würdigung der jugendfreundlichsten Kom-
mune Deutschlands“ in Form eines Wettbewerbs.
Dieser Vorwurf lässt sich freilich nicht halten. Richtig
ist zwar, dass in den vergangenen Jahren der Schutz, die
Förderung und die Bildung in den ersten Lebensjahren
besondere Aufmerksamkeit erfahren haben – und dies zu
Recht. Das BMFSFJ arbeitet jedoch derzeit unter Einbe-
ziehung der Jugendverbände an einer Strategie für eine
eigenständige Jugendpolitik. Der vorliegende Antrag ist
damit als reiner Aktionismus zu bewerten.
Der gesellschaftliche, technische und wirtschaftliche
Wandel der letzten Jahrzehnte eröffnet Jugendlichen
heute mehr Chancen als jemals zuvor. Gleichzeitig stellt
dieser Wandel Jugendliche aber auch vermehrt vor Ent-
scheidungen und neue Herausforderungen.
Der demografische Wandel, die mit der Globalisie-
rung steigenden Anforderungen an Wissen und Kompe-
tenzen, die Beschleunigung und Verdichtung der Bil-
dungsbiografie und die stärkere Heterogenisierung der
Jugendphase erfordern auch von der Jugendpolitik ein
Umdenken. Neben den schulischen Anforderungen wol-
len Jugendliche sich entsprechend ihren eigenen Inte-
ressen und Stärken weiterentwickeln und sich gesell-
schaftlich engagieren. Jugendliche benötigen Raum:
sowohl in der Gesellschaft, um angehört zu werden und
mitbestimmen zu können, als auch reale Räume in ihrer
unmittelbaren Umgebung als Treffpunkte.
Die Jugendpolitiker der Union berücksichtigen diese
Punkte; wir werden in Kürze einen eigenen Antrag vor-
legen, der sich insbesondere mit dem Bereich Reformie-
rung des Kinder- und Jugendplans, dem Bereich der
Partizipation, dem Bereich Neue Medien und Medien-
kompetenz und dem Bereich der Freiwilligendienste be-
fasst.
Den vorliegenden Antrag lehnen wir insofern heute
ab.
Die Fraktion Die Linke hat in ihrem Antrag vom
22. November 2011 die Einrichtung eines Preises für die
jugendfreundlichste Kommune Deutschlands gefordert.
In ihrem Antrag kritisiert die Linke, dass die Jugend-
politik seit vielen Jahren ein Schattendasein führe und
die christlich-liberale Regierungskoalition die Belange
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junger Menschen dar, um das uns nicht zuletzt andere
Nationen beneiden. Alle diese Einrichtungen bieten
großartige Möglichkeiten für die persönliche und
berufliche Entwicklung von Jugendlichen und leisten
mittelfristig einen wertvollen Beitrag zu unserem Ge-
meinwesen. Darauf gilt es weiter aufzubauen.
Die Lebensphase der 14- bis 25-Jährigen ist durch
eine zunehmende Komplexität gekennzeichnet, die mit
dem rasanten gesellschaftlichen, technischen und wirt-
schaftlichen Wandel der letzten Jahre einhergeht. Eine
eigenständige Jugendpolitik ist daher auch ein dezidier-
tes Ziel der christlich-liberalen Regierungskoalition.
Das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen
und Jugend hat mit seinem Konzept „Allianz für Ju-
gend“ hierfür den Weg gewiesen.
Die Zielsetzungen umfassen im Einzelnen:
Zukunftsperspektiven und Zuversicht stärken; Gesell-
schaftliche Anerkennung für junge Menschen vergrö-
ßern; Förderung, Unterstützung und Hilfe aller Akteure
optimal verzahnen; Startchancen ins Jugendalter ge-
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 152. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. Januar 2012 18301
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rechtes Aufwachsen zu ermöglichen – denn der Druckauf diese Gruppe wächst stetig: gestiegene Bildungser-fordernisse, Globalisierung von Wirtschaft und Arbeits-märkten, eine höhere Lebenserwartung und eine damiteinhergehende alternde Gesellschaft. Das sind nur dreider vielfältigen Anforderungen und Herausforderungen,vor denen die junge Generation heute steht.Ob diese Herausforderungen als Belastung oder alsChance wahrgenommen werden, hängt in erster Linievon den gesellschaftlichen Rahmenbedingungen ab, indenen junge Menschen aufwachsen. Aufgrund der zu-nehmenden materiellen Unsicherheit ist für ein gutesAufwachsen aller jungen Menschen mehr denn je öffent-liche Verantwortung gefragt. Dafür benötigen wir denRespekt und die Anerkennung gegenüber Jugendlichenin der Gesellschaft. Und wir benötigen eine stimmigeJugendpolitik, die passgenaue Angebote für unter-schiedliche Lebenslagen macht. Dazu ist es notwendig,Jugendpolitik als Zukunftspolitik und als eigenes Poli-tikfeld zu begreifen.Für mich steht fest: Gute Jugendpolitik muss allenjungen Menschen Perspektiven bieten. Sie muss Zeit undRaum für Entwicklung lassen und Rückhalt geben. GuteJugendpolitik ist geschlechtergerecht, wird auch mit undvon Jugendlichen gestaltet, fördert vielfältige Lebens-läufe und stellt gute Infrastruktur zur Verfügung.Zu einer guten, umfassenden Jugendpolitik gehörenfür uns Sozialdemokraten unter anderem folgendePunkte:Wir wollen die Rechte von jungen Menschen stärken.Dazu gehört auch die Ratifizierung der UN-Kinder-rechtskonvention.Wir wollen gerechte Chancen auf Bildung verwirkli-chen. Dazu gehört, dass elternhausbedingte Unter-schiede ausgeglichen werden und niemand verloren ge-geben wird.Wir wollen eine gute Ausbildung garantieren. Dazugehört auch eine Berufsausbildungsgarantie.Wir wollen einen gerechten Zugang zu modernenHochschulen eröffnen. Dazu gehört, Hochschulen füralle Studierwilligen offen zu halten.Wir wollen Freiräume ermöglichen. Dazu gehört,dass wir die Mobilität der Jugendlichen sicherstellenund Vereine und Verbände, die in der Jugendarbeit tätigsind, ausreichend unterstützen.Die Bearbeitung weiterer Felder sind für mein Dafür-halten für eine umfassende Jugendpolitik vonnöten, bei-spielsweise kritischer Konsum, eine saubere und sichereUmwelt, die Chancen des Internets, Gesundheit und in-ternationale Politik.Die Kommune spielt bei der Gestaltung von Jugend-politik eine entscheidende Rolle: Hier wachsen die Ju-gendlichen auf, hier werden Entscheidungen getroffen,die Jugendliche sofort und unmittelbar spüren und diesie – sofern es ausreichend Partizipationsmöglichkeitengibt – beeinflussen können.vveisTWFSajure„nrmzAGreskteFWnJdtilädsGvuwebirbresseueauügaswliZu Protokoll ge
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18302 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 152. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. Januar 2012
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gen, die ich hier nur kurz skizziert habe, geht der vorlie-gende Antrag leider nicht ein.Außerdem haben Sie, meine Damen und Herren vonder Linken, mit diesem Antrag eindrucksvoll bewiesen,dass Sie die letzten zwei Jahre in Sachen Jugendpolitikoffensichtlich geschlafen haben. Allein die Feststellung,dass die Jugendpolitik in der Arbeit der schwarz-gelbenKoalition ein Schattendasein führe, ist blanker Hohn an-gesichts der vielen Beschlüsse, mit denen wir die Ju-gendpolitik in unserem Land vorangebracht haben.Mit der Sommerferienjobregelung und dem Deutsch-landstipendium hat diese Koalition ein klares Signal da-für gesetzt, dass Leistungsbereitschaft junger Menschenanerkannt und belohnt wird. Mit dem Führerschein ab17 und der Stärkung des Jugendwohnens im Rahmen derArbeitsmarktreform haben wir von Bundesseite dafürgesorgt, die häufig an junge Menschen gerichtete Forde-rung nach Mobilität und Flexibilität mit der nötigen Be-treuung und Sicherheit zu verbinden. Und mit der Fort-setzung der Programme „Schulverweigerung – die2. Chance“ und „Kompetenzagenturen“ haben wir denherrschenden Sparzwängen getrotzt und dafür gesorgt,dass zwei äußerst erfolgreiche Programme fortgesetztwerden. Schließlich wollen wir Deutschland zu einerBildungsrepublik machen, in der jeder seine Chance er-hält, zur Not auch eine zweite und dritte. Vor allem aberstehen wir für eine andere Politik, die nicht nach immerneuen Verboten ruft, sondern darauf abzielt, junge Men-schen in ihren Ressourcen und Fähigkeiten zu stärken.Diesen Weg wollen und werden wir konsequent weiter-gehen.Was bleibt also von diesem Antrag? Zum einen dergute Vorsatz; das Jahr ist bekanntlich noch jung. Zumanderen der Beweis, dass die Beachtung von Sprichwör-tern noch lange nicht ausreicht, um eine ordentliche, insich schlüssige parlamentarische Initiative vorzulegen.Oder um es frei nach Brecht zu sagen: „Den Vorhang zuund alle Fragen offen.“
Der seltene Fall tritt heute ein – wir debattieren imDeutschen Bundestag über Jugendpolitik. Dazu möchteich zunächst ein Zitat anführen:„Wir stehen für eine eigenständige Jugendpolitik,eine starke Jugendhilfe und eine starke Jugendarbeit,die junge Menschen teilhaben lässt und ihre Potentialefördert und ausbaut. Wir wollen Jugendliche beim Über-gang von Ausbildung in den Beruf besser unterstützen.Wir betonen die zentrale Bedeutung der kulturellen Kin-der- und Jugendbildung für die Persönlichkeitsentwick-lung der jungen Menschen. Es gilt die neuen Möglich-keiten im Schnittfeld Jugend, Kultur und Schule zunutzen und qualitativ und quantitativ auszubauen.“Frau Schröder, kommt Ihnen das bekannt vor? UndIhnen, Herr Kauder und Herr Brüderle? Ich kann Sieberuhigen, es steht nicht im Wahlprogramm der Linken.Es steht auch nicht im Kommunistischen Manifest, son-dern diese Sätze stehen tatsächlich im aktuellen Koali-tionsvertrag von CDU, CSU und FDP.uuinsPKeDsPliletäsGnnaJddDgdzubbgGciggnDnrgzPmMmmaTFpAkfrewmlezgZu Protokoll ge
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 152. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. Januar 2012 18303
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18304 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 152. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. Januar 2012
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Jugendlicher zur Teilhabe am gesellschaftlichen Ge-schehen, an Kultur und Sport, könnten solche sein. Au-ßerdem verbinden wir mit dem Antrag die Forderung,dass Sie zeitnah, nämlich bis zum nächsten Internatio-nalen Tag der Jugend, am 12. August 2012, ein Konzeptvorlegen. Damit würde Jugendpolitik auf die Tagesord-nung sowohl der Kommunen als auch der Bundesregie-rung gehievt. Ich fordere Sie nachdrücklich auf: Kon-struieren Sie sich keine fadenscheinigen Begründungen,zugestanden werden müssen, die sie selber gestaltenkönnen und in denen sie sich frei von politischen Interes-sen oder vor allem kommerzieller Verzweckung entfaltenkönnen. Öffentlicher Raum – insbesondere ein Angebotnichtpädagogisierter Räume – muss für Jugendliche zu-gänglich bleiben, gerade wenn sie noch keine großenfinanziellen Spielräume haben. Um dies umzusetzen,braucht es echte Mitgestaltungsmöglichkeiten und poli-tische Teilhaberechte für Jugendliche.warum Sie unseren Antrag ablehnen, sondern wagen Sieein Signal für einen jugendpolitischen Aufbruch!Ich möchte gar nicht von Ihnen verlangen, dass SieIhre Politik auf Jugendliche fokussieren. Aber es darfdoch nicht zu viel verlangt sein, dass Jugendliche end-lich in Ihr Blickfeld kommen, und zwar dann, wenn esnicht ums Sparen geht, sondern um Politik, die im posi-tiven Sinne gestaltet! Ich zitiere noch einmal: „Wir ste-hen für eine eigenständige Jugendpolitik, eine starke Ju-gendhilfe und eine starke Jugendarbeit, die jungeMenschen teilhaben lässt und ihre Potentiale fördertund ausbaut.“ Dabei möchte ich Sie daran erinnern,dass nicht Ihre Worte zählen. Und nun, das sollte Ihnen,Frau Schröder, ja eingängig sein, zitiere ich die Bibel:„Hütet euch vor den falschen Propheten! Sie sehen zwaraus wie Schafe, die zur Herde gehören, in Wirklichkeitsind sie Wölfe, die auf Raub aus sind. An ihren Taten
Berg kommt für gewöhnlich nicht zum Propheten, Siemüssten sich schon zu ihm bequemen. In der Jugend-politik liegt noch ein großer Berg an Arbeit vor Ihnen!
Die Einschätzung meiner Kolleginnen und Kollegen
aus der Fraktion Die Linke teile ich dahin gehend, dass
Kommunen, die jugendfreundliche Politik machen und
jungen Menschen Möglichkeiten zur Mitgestaltung ge-
ben, mehr Aufmerksamkeit geschenkt werden sollte. Der
Idee der Vergabe des Titels der „Jugendfreundlichsten
Kommune“ stehe ich grundsätzlich sehr positiv gegen-
über; allerdings scheint mir der von der Linken vorge-
legte Antrag doch sowohl inhaltlich als auch strukturell
noch nicht zu Ende gedacht worden zu sein.
Jugendgerechte Stadtplanung ist ein Thema, das ge-
rade auf kommunaler Ebene von großer Bedeutung sein
muss, da junge Menschen hier die Möglichkeit bekom-
men sollten, selber auf ihre Umwelt Einfluss zu nehmen.
Dazu bedarf es einer nachhaltigen und langfristig ange-
legten Strategie in diesem Bereich, um Kommunen An-
reize zu liefern, mehr in Jugendprojekte zu investieren.
Eine jugendgerechte Infrastruktur zu schaffen, be-
deutet, dass jungen Menschen im Stadtbild Freiräume
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Dabei Kommunen zu ehren, die sich besonders durch
gendfreundliche Politik und Maßnahmen hervorgetan
aben, scheint mir eine gute Idee zu sein. Diese sollten
ich vor allem durch eine aktive Bekämpfung von Ju-
endarbeitslosigkeit, durch gute Ausstattung und Ange-
ote der Jugendhilfe und durch eine qualitativ hochwer-
ge Schulinfrastruktur auszeichnen. Zudem sollten die
chaffung eines umfangreichen Ausbildungsangebots
nd die Bereitstellung von Mobilitätsangeboten für
nge Menschen im Fokus liegen.
Auf europäischer Ebene gibt es bereits das Konzept
er „European Youth Capital“. Diese Ehrung wird unter
inbindung des European Youth Forum, des Dachver-
andes europäischer Jugendorganisationen und -ringe,
ergeben. Sie kommt Städten zugute, die ein besonderes
ugenmerk auf die Belange junger Menschen legen, und
ieht zahlreiche öffentlichkeitswirksame Veranstaltun-
en nach sich. Derzeit trägt Braga, eine Stadt in Portu-
al, den Titel der europäischen Jugendhauptstadt.
Allerdings wirken solche Projekte nur, wenn sie eben
eitere Maßnahmen beinhalten und nicht bloße Symbol-
olitik sind. Das in diesem Antrag vorgelegte Konzept
nthält noch keine Aussagen zu deren Ausgestaltung, die
r mich von höchster Relevanz wären, zum Beispiel die
rage, wer diesen Titel vergeben würde. Ohne eine
tarke Partizipation von Jugendlichen und Jugendorga-
isationen sollte dieser Prozess nicht ablaufen.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
rucksache 17/7846 an den Ausschuss für Familie, Se-
ioren, Frauen und Jugend vorgeschlagen. Sind Sie da-
it einverstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Über-
eisung so beschlossen.
Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tages-
rdnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bun-
estages auf morgen, Freitag, den 20. Januar 2012,
Uhr, ein.
Die Sitzung ist geschlossen.