Gesamtes Protokol
Die Sitzung ist eröffnet. Ich bitte Sie, Platz zu neh-
men.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich habe Ihnen zu-
nächst zwei Mitteilungen zu machen:
Erstens. Die für den heutigen Morgen zunächst vorge-
sehene Regierungserklärung der Bundeskanzlerin zu den
Beratungen des europäischen Gipfels ist aus den Ihnen
bekannten Gründen abgesetzt. Es gibt eine Vereinbarung
der Fraktionen über die Aufsetzung eines neuen Tages-
ordnungspunktes und über die Vorziehung anderer für
den heutigen Tag ohnehin vorgesehener Beratungs-
punkte.
Zweitens. Die FDP-Fraktion hat mir soeben auf dem
Weg zum Mikrofon mitgeteilt, dass sie noch Beratungs-
bedarf habe und deswegen darum bitte, erst in einer hal-
ben Stunde mit den Plenarberatungen zu beginnen.
– Einen Augenblick. Wir haben gestern auf Wunsch ver-
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schiedener Fraktionen zu verschiedenen Zeitpunkten das
Plenum jeweils unterbrochen. Entweder bleiben wir bei
dieser schönen Tradition, dass wir auf Wunsch einer
Fraktion, wenn sie Beratungsbedarf hat, einvernehmlich
das Plenum unterbrechen,
oder wir kommen an dieser Stelle, was ich ausdrücklich
nicht empfehle, in die Situation, dass wir in Zukunft da-
rüber durch Mehrheitsbeschluss verfügen. – Ich stelle fest,
dass wir einvernehmlich bei der bewährten Tradition blei-
ben und berufe deswegen das Plenum für 9.45
Die Sitzung ist unterbrochen.
eine StaatsschuEs mehren sichgen Spanien unnes Downrating
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15892 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 134. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Oktober 2011
Jürgen Trittin
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Ich sage sehr deutlich – an dieser Stelle soll klar sein,dass das keine Kritik an der Bundesregierung, an Ihnen,Frau Bundeskanzlerin, ist –, dass es in dieser Situationeine schlechte Nachricht ist, dass die Widerstände inner-halb der Europäischen Union dazu geführt haben, dasses auf dem Gipfel am Sonntag nicht zu einer Entschei-dung kommt. Wir stehen in dieser Situation dazu, dassschnell gehandelt werden muss. Zum schnellen Handelngehört nach unserer festen Überzeugung, dass die Stabi-lisierungsfaszilität, die wir in der letzten Sitzungswochebeschlossen haben, ihre Mittel so effizient einsetzt, dassdie Spekulation gegen Spanien und Italien abgewehrtwerden kann.
Ich sage das in dieser Deutlichkeit, weil ich glaube,dass man deswegen um ein bestimmtes Instrument, näm-lich die sogenannte Hebelung dieser Mittel, nicht herum-kommen wird. Das ist keine neue Botschaft. Das ist viel-leicht eine neue Botschaft für Sie, Herr Brüderle.
Sie haben in der letzten Sitzungswoche hier erklärt,diese Hebelwirkung sei mit – ich zitiere – „Massenver-nichtungswaffen“ gleichzusetzen.
– Ja, das war ein Zitat von Warren Buffett. Ihr Wirt-schaftsminister hat erklärt, diese Hebelung werde es niegeben. Wir alle wissen, dass es diese Hebelung gebenwird.Darauf bezieht sich der Kern unseres Antrages. Wirfinden, dass über ein solches Instrument hier im Deut-schen Bundestag vor den Augen der Bürgerinnen undBürger entschieden werden muss und nicht hinter denverschlossenen Türen eines wichtigen Ausschusses.
Das ist der Kern. Wir sagen: Wir werden diesen Hebelbrauchen. Wir werden darüber diskutieren müssen, wieein solcher Hebel auszugestalten ist. Aber wir möchten,dass über diesen Hebel hier entschieden wird, damit sichnicht wiederholt, was wir drei Wochen lang erlebt haben,nämlich dass das, was jetzt kommt, von denjenigen, diedie ganze Zeit darüber verhandelt haben, zunächst fürunmöglich erklärt wird.Als mein Kollege Schick Ihnen, Herr Schäuble, vordrei Wochen die Frage gestellt hat, ob es Verhandlungenüber einen Hebel gibt, haben Sie allein die Frage danachals unanständig und unangemessen bezeichnet. Ichfinde, Herr Schäuble, Sie sollten sich hier und heute beiHerrn Schick für diese Äußerung entschuldigen.
Nun sagen Sie, Sie wollten am Sonntag nicht ent-scheiden. Das würden wir Ihnen gerne abnehmen. MeineFwsnddksmdHms–IctüawHWdbdsDawwEBdgCrew
h kann Ihnen berichten, was Banker dazu sagen. Na-rlich könnte der Hilfsfonds solche Repo-Geschäfteuch mit Banken abschließen, allerdings würden dieseohl deutlich höhere Sicherheiten fordern, womit derebel weniger groß wäre. Das heißt, Sie wollen hier deneg freigeben. Sie können nicht ausschließen, dassiese Passagen dazu genutzt werden, einen solchen He-el, falls es keine Einigung über ein anderes Hebelmo-ell gibt, genau dafür zu verwenden.
Herr Kollege.
Meine Damen und Herren, ich glaube, dass diese Ent-
cheidung ins Plenum gehört.
eswegen beantragen wir, dass diese Entscheidung un-
bhängig davon, wie Sie entscheiden, hier getroffen
ird.
Die Frage der staatspolitischen Verantwortung beant-
ortet sich darüber, ob die Vertreter des Souveräns ihre
ntscheidungen öffentlich vor den Bürgerinnen und
ürgern vertreten und öffentlich treffen. Nehmen Sie
iese staatspolitische Verantwortung in dieser schwieri-
en Krise endlich wahr!
Norbert Barthle ist der nächste Redner für die CDU/
SU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-n! Verehrter Herr Trittin, ich glaube, man muss zuerstieder Ordnung in die Debatte bringen.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 134. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Oktober 2011 15893
Norbert Barthle
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– Was gibt es da zu lachen? Das erschließt sich mirnicht.
Erstens. Es ist festzustellen: Die Aufforderung anHerrn Schäuble, sich zu entschuldigen, geht völlig an derSache vorbei.
Sie wissen genau, dass diese Äußerung des Finanzminis-ters in einem Kontext gefallen ist, der ganz anders ist, alsSie es dargestellt haben.
Deshalb geht das an der Sache vorbei.Zweitens. Herr Trittin, ich halte es für ziemlich arro-gant, hier zu sagen: Wir Grünen wissen ganz genau, wases geben wird und was nicht. Sie sprechen über Dinge,die noch längst nicht verhandelt sind.
Deshalb rate ich Ihnen dringend: Beraten Sie sich viel-leicht etwas intensiver mit Ihrer Kollegin Priska Hinz,die dem Haushaltsausschuss des Deutschen Bundestagesangehört.
Sie hat gestern über viele Stunden hinweg alle Debattenverfolgt. Das ist eine kluge Frau mit einer raschen Auf-fassungsgabe. Dann sind Sie besser beraten und wissenvielleicht besser Bescheid.Was ist der Stand der Dinge? Wir haben gestern vonder Bundesregierung den Entwurf dieser Leitlinien be-kommen, in denen bestimmt wird, wie die vier neuen In-strumente der EFSF angewandt werden können. Diesevier neuen Instrumente haben wir vor zwei Wochen hierim Deutschen Bundestag – übrigens mit Ihrer Zustim-mung – beschlossen. Darin steht, was alles neu gemachtwerden kann. Ich brauche das nicht zu wiederholen; aberich will es kurz referieren: Das sind die Sekundärmarkt-operationen, das sind vorsorgliche Kreditlinien, das sindPrimärmarktankäufe, und es ist die Bankenrekapitalisie-rung.Wenn man sich diese Leitlinien, die wir gestern aus-führlich im Haushaltsausschuss beraten haben, vor Au-gen führt, dann kann man feststellen, dass sich in all die-sen Punkten die Verhandlungspunkte, die die deutscheBundesregierung, der deutsche Finanzminister und dieBeswzhnrebnIhwmkwndkdaluvskTeugtaIhDfifedklaD„ds–dge
Die EFSF soll nicht platzen, sondern sie soll hand-ngsfähig sein. Dazu gehört, dass sie Anleihen zu vorherereinbarten Bedingungen auch wieder verkaufen undich dadurch kurzfristig Liquidität beschaffen kann –urzfristig. Das ist der entscheidende Unterschied, Herrrittin. Kurzfristige Liquiditätsbeschaffung ist nicht ge-ignet, um langfristig eine Hebelwirkung zu erzeugennd damit die Wirksamkeit des Rettungsschirms zu ver-rößern. Im Haushaltsausschuss des Deutschen Bundes-ges haben die Mitarbeiter des Bundesfinanzministersrer Kollegin Frau Priska Hinz gegenüber genau dieseefinition bestätigt, und zwar im Beisein des Bundes-nanzministers. Sie müssten es also begriffen haben. Of-nsichtlich haben Sie es immer noch nicht begriffen;eshalb versuche ich, es Ihnen jetzt noch einmal zu er-lären. Repo-Geschäfte sind nicht geeignet, um einenngfristig angelegten Hebel zu erzeugen.
as, was über Wochen hinweg unter dem StichwortHebel“ in der Öffentlichkeit diskutiert wurde, hat mitiesem Instrument überhaupt nichts zu tun.
Nun will ich auf etwas anderes hinweisen, was ichchon bemerkenswert finde: Wir haben vor zwei Wochen ich glaube, in einem wirklich beispielhaften Vorgang –ie Beteiligungsrechte des Deutschen Bundestages aus-eweitet und entsprechend gestaltet. Im StabMechG heißts unter § 4 Abs. 2:Der vorherigen Zustimmung des Haushaltsaus-schusses des Deutschen Bundestages bedürfen:1. die Annahme oder Änderung der Leitlinien desDirektoriums der Europäischen Finanzstabilisie-rungsfazilität durch die Bundesregierung …
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15894 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 134. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Oktober 2011
Norbert Barthle
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Uns werden jetzt Leitlinien vorgelegt, über die auf in-ternationaler Ebene schon beraten wurde. Über die kön-nen wir abstimmen, und das werden wir auch tun. Wennes dazu Änderungen gibt, müssen sie uns wieder vorge-legt werden; so steht es im Gesetz. Dann werden wir zu-vor zumindest im Haushaltsausschuss des DeutschenBundestages darüber beraten. Falls es notwendig seinsollte, werden wir das selbstverständlich auch im Ple-num des Deutschen Bundestages tun.Warum Sie, Herr Trittin, jetzt vorsorglich etwas ansich ziehen wollen, wofür es noch gar keine schriftlicheUnterlage gibt und wozu es noch keine Vereinbarunggibt, erschließt sich mir überhaupt nicht; denn damitkonterkarieren Sie das Recht, das wir uns selbst ausbe-dungen haben, damit konterkarieren Sie die Geschäfts-abläufe, die wir vorgesehen haben. Das unterminiert un-sere Vereinbarungen, anstatt sie zu bestärken. Das ist derHauptvorwurf, den ich Ihnen mache.
Was wir derzeit auf europäischer Ebene und weltweitbrauchen, ist Vertrauen.
Was Sie hier betreiben, ist nicht geeignet, das Ver-trauen auf deutscher Ebene und das Vertrauen in dieBundesregierung zu stärken.
Wir brauchen aber gerade in diesen Verhandlungen Ver-trauen. Das ist auch Ihre Verantwortung, bei allem Ver-ständnis für Oppositionsspielereien.
Wenn die Bundesregierung auf europäischer Ebeneschwierige Dinge durchsetzen will, dann braucht sie denRückhalt des gesamten Parlaments und kein solchesTheater der Opposition.
Zu einer Kurzintervention erhält die Kollegin PriskaHinz das Wort.Priska Hinz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-NEN):Herr Kollege Barthle, ich freue mich grundsätzlich,wenn Sie mich loben. Ich halte nur nichts davon, wennSie mich zur Kronzeugin einer Falschdarstellung ma-chen wollen, die Sie hier im Plenum geben.acriggnwDdtäwswaDlioduaWsedPgribaliliePminrehvuis
Wir haben gestern im Haushaltsausschuss lange undusführlich über die sogenannten Guidelines gespro-hen; das ist richtig. Allerdings ist das Bundesministe-um bei unserem ständigen Bohren in Bezug auf die so-enannten Repo-Geschäfte ziemlich ins Schlingerneraten. Entweder hat der Bundesfinanzminister selbericht gewusst, was da hineinverhandelt wurde, oder erar irritiert, dass wir ihm auf die Spur gekommen sind.
as Bundesfinanzministerium musste zugeben, dassiese Repo-Geschäfte dazu dienen können, die Liquidi-t zu steigern, eine sogenannte kleine Banklizenz zu er-erben, und dass damit natürlich eine Hebelwirkungtattfinden würde. Die Aussage war, dass die EFSF diesahrscheinlich machen könnte, dass man aber davonusgeht, dass die EFSF es nicht tut.
as war die Darstellung des Bundesfinanzministeriums.Im Übrigen sollten wir bis heute Morgen eine schrift-che Klarstellung haben, ob wir das richtig sehen oderb das Bundesfinanzministerium ausräumen kann, dassieser Hebel so benutzt wird. Diese Klarstellung liegtns bis zum jetzigen Zeitpunkt nicht vor.
Ich habe schon gestern im Haushaltsausschuss unduf mehrfache Nachfrage Ihrer Kollegen deutlich gesagt:ir sind bereit, den Guidelines zuzustimmen, und wirind auch bereit, die Zustimmung dafür zu erteilen, dasss Repo-Geschäfte gibt, wenn ausgeschlossen ist, dassamit eine Hebelwirkung einhergeht; dann müsste dieserassus umformuliert werden. Wir haben bis zum jetzi-en Zeitpunkt keine weitere Aussage des Finanzministe-ums, außer dass die Befürchtung besteht, dass eine He-elwirkung tatsächlich möglich ist, dass das nichtusgeschlossen werden kann. Von daher liegen wir völ-g richtig, wenn wir sagen: Wir wollen diesen Guide-nes zustimmen; aber wenn, wie bislang vorgesehen,ine Hebelwirkung enthalten ist, wollen wir dafür einenarlamentsbeschluss, denn das ist ein neues Instrumentit neuen Risiken, und darüber muss die Öffentlichkeitformiert werden. Dann sind wir gerne bereit, zu unse-r Verantwortung zu stehen und das mit zu beschließen,
ier im Plenum, wo wir auch der Öffentlichkeit nach-ollziehbar erklären können, warum diese Erweiterungnd diese Hebelung für den Rettungsschirm notwendigt.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 134. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Oktober 2011 15895
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Bevor der Kollege Barthle Gelegenheit zur Replik er-
hält, möchte ich für den deutschsprachigen Teil der Be-
völkerung ergänzen, dass die mehrfach erwähnten Gui-
delines Richtlinien sind.
– Der Bundesminister des Auswärtigen legt Wert auf die
Feststellung, dass es sich um Leitlinien handele.
Bitte schön, Herr Kollege Barthle.
Vielen Dank, Herr Präsident. – In den uns vorliegen-
den Leitlinien für die EFSF, die in der Haushaltsaus-
schussdrucksache 3514 dargelegt sind, steht tatsächlich:
Nutzung von Anleihen für Repo-Geschäfte mit Ge-
schäftsbanken, um das Liquiditätsmanagement der
EFSF zu unterstützen.
Das ist genau das, was ich vorhin ausgeführt habe.
Die EFSF muss die Möglichkeit haben, sich kurzfristig
Liquiditätsvorteile zu verschaffen, um damit ihre Tätig-
keiten auf dem Sekundärmarkt entsprechend unterfüttern
zu können.
Wenn Sie diese Repo-Geschäfte ausschließen, dann ver-
teuern Sie sozusagen die EFSF, und dann steht weniger
Kapital zur Verfügung, um die eigentlichen Aufgaben
der EFSF zu erfüllen.
Frau Kollegin Priska Hinz, daraus entsteht aber kein
Hebel. Ein Hebel würde nur dann entstehen, wenn man
das als Kaskadengeschäft dauernd fortführen würde, um
damit Liquiditätsreserven unendlich – unendlich geht es
zwar nicht, aber ein Stück weit – auszubauen. Sie benut-
zen eine sophistische Definition des Begriffs „Hebel“,
und daran hängen Sie diese Debatte auf.
Frau Kollegin Hinz, die Länge Ihrer Kurzintervention
zeigt schon, dass Sie vieles zu vernebeln haben.
Gestern hat Ihnen die Bundesregierung im Haushaltsaus-
schuss klipp und klar gesagt, dass in den Vereinbarungen
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ie Bundesregierung ist sogar bereit, Ihnen das schrift-
ch zu geben und noch in die Leitlinien einzuarbeiten.
as sollten Sie zur Kenntnis nehmen und nicht einen
rick dahinter vermuten. Bauen Sie keinen Popanz auf!
afür gibt es keinen Grund.
Danke.
Für die SPD-Fraktion spricht jetzt der Kollege
homas Oppermann.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir befin-en uns in der Tat in einer schwierigen Situation, in einerituation, die dieses Parlament so noch nicht erlebt hat.Zum zweiten Mal ist ein europäischer Gipfel verscho-en worden. Die Bundeskanzlerin hat die für heute ange-ündigte Regierungserklärung zum Gipfel abgesagt.eute Nachmittag soll in einer nichtöffentlichen Sitzunges Haushaltsausschusses legitimiert werden, über wasm Wochenende beim Gipfel verhandelt wird. Da sagenie, Herr Barthle, wir sollten Vertrauen in diese Regie-ng haben. Ich sage Ihnen: Wir haben kein Vertrauen iniese Regierung.
Es ist richtig: Über die Leitlinien zum Rettungsfondsird nach dem Gesetz im Haushaltausschuss entschie-en. Als wir aber vor drei Wochen dieses Gesetz imundestag verabschiedet haben, sind alle davon ausge-angen, dass Leitlinien eine Art Geschäftsordnung, tech-ische Regeln sind. Aber nach der Verabschiedung desesetzes begann eine Debatte darüber, dass in dieseneitlinien gehebelt werden soll. Die Leitlinien sind jetztlötzlich der Ort, wo aus den Milliarden, die wir hier be-chlossen haben, Billionen werden.
as berührt selbstverständlich das Ausfallrisiko und daserlustrisiko. Dieses Verlustrisiko ist eine inhaltliche,aterielle Frage und keine Frage, die in einer Geschäfts-rdnung geregelt werden kann.
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15896 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 134. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Oktober 2011
Thomas Oppermann
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Wo kommen wir hin, wenn der Bundestag über Mil-liarden beschließen darf, aber die Entscheidung über dieBillionen im nichtöffentlich tagenden Haushaltsaus-schuss fällt?
Sie nähren doch mit diesem Verfahren den Verdacht,dass Sie uns und der Öffentlichkeit etwas unterjubelnwollen.
Es kann doch nicht sein, dass wir hier über einen Teilder Richtlinien beschließen und nächste Woche der an-dere Teil kommt. Diese Richtlinien sind ein Torso. DerBundesfinanzminister hat gestern im Haushaltsaus-schuss noch gesagt, das sei der Entwurf eines Entwurfes.Ich frage Sie, meine Damen und Herren von der Koali-tion: Können Sie wirklich alle Details überblicken, die indiesen Leitlinien geregelt sind?
Haben Sie in diesen wenigen Stunden den notwendigenSachverstand hinzuziehen können, um das jetzt beurtei-len zu können? – Nein, meine Damen und Herren, diesist kein angemessenes Verfahren.Die Debatte über die Leitlinien gehört hier in denDeutschen Bundestag. Vor den Augen der Bürgerinnenund Bürger muss debattiert und entschieden werden, mitwelchem Haftungsrisiko wir in den Rettungsfondshineingehen.
Wir stehen zur Euro-Rettung. Wir haben der Ent-scheidung zum Rettungsschirm zugestimmt. Wir warenauch diejenigen, die gesagt haben, dass die bewilligtenMittel wahrscheinlich nicht ausreichen, um eine Stabili-sierung unserer Währung herbeizuführen. Da haben Siewidersprochen. Jetzt wollen Sie in den Leitlinien hebeln.Sie wollen ein Verlustrisiko beschließen, ohne dass dieÖffentlichkeit genau weiß, was da passiert.Frau Bundeskanzlerin, sagen Sie uns bitte nicht, Siestünden jetzt unter Zeitdruck. Auch wir meinen, dassschnell entschieden werden muss, aber Sie hatten alleZeit der Welt.
Statt diese Zeit zu nutzen, haben Sie hier Regierungser-klärungen gehalten und der Opposition vorgeworfen, siebetreibe die Vergemeinschaftung der Schulden. Statt IhreHausaufgaben zu machen, haben Sie gestern den Bun-desfinanzminister und den Vizekanzler vor die PressetrdgbnremvEhFmGDagKmsAAEFnRgswgweGteddali
Wer inmitten der größten Schuldenkrise, inmitten derrößten europäischen Krise Steuersenkungen auf Pumpeschließt und damit die Schulden erhöht, der handelticht verantwortlich. Deshalb, meine Damen und Her-n: Über den Rettungsschirm und über die Richtlinienuss im Parlament entschieden werden. Dies ist der Ort,or den Augen der Bürgerinnen und Bürger, die amnde mit ihren Euros für das haften müssen, was wirier tun.Ich danke für die Aufmerksamkeit.
Das Wort erhält nun der Kollege Otto Fricke für die
DP-Fraktion.
Geschätzter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Da-en und Herren! Herr Oppermann, ich kann bei denrünen die Fragen noch nachvollziehen.
ie werden wir im Haushaltsausschuss auch weiter be-ntworten und diskutieren. Ich sage das auch der Kolle-in Hinz, weil ich versuchen will, liebe Kolleginnen undollegen, am Ende auch ein Ergebnis zu bekommen, da-it die Regierung mit einem durch das Parlament ge-tärkten Rücken verhandeln kann. Denn die schwierigsteufgabe ist nicht hier im Parlament; die schwierigsteufgabe hat die Bundesregierung, von der jeder inuropa etwas will und die versuchen muss, einerseitsührung zu zeigen und andererseits die anderen mitzu-ehmen. Aber da liegt unsere Verantwortung, ihr denücken zu stärken und das nicht durch falsche Äußerun-en, wie es der Kollege Oppermann jetzt wieder ver-ucht hat, kaputtzumachen.
Herr Kollege Oppermann, der Kollege Trittin hat be-usst nicht das gesagt, was Sie versucht haben, zu sa-en; er hat nicht gesagt, dass das Volumen erweitertird. Ich finde, Sie oder der Kollege Schneider – er ist jabenfalls ein erfahrener Haushälter, also auch demrundsatz von Klarheit und Wahrheit verpflichtet – soll-n das noch einmal klarstellen. Das Volumen, mit demer deutsche Steuerzahler maximal haftet, wird durchie Guidelines nicht erhöht, kann durch die Guidelinesuch nicht erhöht werden, weil die Leitlinien diese Mög-chkeit nicht geben.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 134. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Oktober 2011 15897
Otto Fricke
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Sie wissen es doch ganz genau, dass über die Frage einerVolumenerweiterung immer nur – das ist auch nach demUrteil des Verfassungsgerichts so – das Parlament ent-scheiden kann.
Deswegen sollten wir nach außen zumindest klarstel-len: Was auch immer passiert, welcher Hebel oder wel-che Änderungen oder welche Optimierungen kommen,eine Erhöhung des Risikos für den deutschen Steuerzah-ler – im Sinne eines höheren Volumens – wird es darübernicht geben.
Zu der Frage, die dann von Ihnen angedeutet wordenist und die wir alle im Kopf haben: „Erhöht sich das Ri-siko, erhöht sich die Wahrscheinlichkeit?“, sage ich Ih-nen: Wenn Sie das wissen, sind Sie wahrscheinlich klü-ger als der Rest des Parlaments.
Dann wollen wir doch einfach einmal eine Sache fest-halten. Das Problem, mit dem wir uns jetzt seit mehrerenJahren beschäftigen, ist: Wie sorgen wir dafür, dass ei-nerseits die Rettungspakete so groß sind, dass sie zurRuhe führen, aber andererseits auch so klar bedingt sind,dass das Spiel der Neuverschuldung auf anderer Ebene,in den Peripherieländern, nicht weitergeht?
Kollege Fricke, darf die Kollegin Hendricks eine
Zwischenbemerkung machen?
Ich würde diese Ausführung gern erst beenden. Da-
nach gern.
Wenn der Schirm ohne die Maßnahmen Dritter zu
klein ist, dann würde er am Ende nichts nützen. Wenn er
groß genug wird, indem wir andere dazu bringen, in Ri-
siken zu gehen, dann brauchen wir am Ende überhaupt
nichts zu zahlen. Daher ist die Frage, wie sich dieses Ri-
siko auswirkt, von Ihnen und von uns auch nicht zu be-
antworten.
Am Ende wird es eine einzige Frage geben: Sind wir
durch die Verhandlungen, die die Bundesregierung führt,
in der Lage, den Ländern, die eine andere Finanzmenta-
lität als die Deutschen, die Niederländer oder die Finnen
haben, klarzumachen, dass es so nicht weitergeht? Denn
eines möchte diese Koalition nicht: dass wir im Falle ei-
ner Krise so reagieren, wie es Rot-Grün damals getan
hat. Sie haben nämlich gesagt: Wir weichen die Regeln
einfach auf. Dann sind wir alle wieder glücklich. – Das
ist der Kampf, den diese Koalition und diese Regierung
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Frau Kollegin, ich habe eben bereits versucht, diesarzustellen. Es gibt viele Möglichkeiten. Wenn derchirm die richtige Größe hat – in diesem Punkt würdenie mir wieder zustimmen –,
ann können wir dafür sorgen, dass im Falle der Insol-enz eines Mitgliedstaates eine Beruhigung auf denärkten eintritt und es nicht zu Verlusten kommt; ichenke, darin sind wir uns beide einig. Wenn der Schirmber zu klein ist, dann kommt es zu einem Vollverlust.on daher kann man nicht sagen, dass sich das Risiko er-öht oder verändert. Wir versuchen, mithilfe einer Maß-ahme gerade zu erreichen, dass sich das Risiko nichterwirklicht.
Ja, ich weiß. Komplexe Antworten sind unangenehm.as ist an dieser Stelle einfach so.
Ich möchte an dieser Stelle eines festhalten: Warumebattieren wir hier heute eigentlich? Wir debattiereneswegen, weil wir ein Gesetz beschlossen haben, demie Grünen und die SPD zugestimmt haben, in dem wiresagt haben: Wir übernehmen eine Verantwortung, dieem Parlament in keinem anderen Land zugebilligt wird.ir als Koalition – nicht die Opposition – haben einearlamentsbeteiligung durchgesetzt, Herr Kollege Trittin.
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15898 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 134. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Oktober 2011
Otto Fricke
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– Herr Kollege Trittin, Sie erklären das dem KollegenOppermann jetzt wahrscheinlich noch einmal; das istauch nicht schlecht. – Diese Parlamentsbeteiligung sorgtdafür – das ist das Wichtige –, dass wir die Sachen imDetail besprechen. Wenn es um das Volumen, also denHaushalt selber, geht, ist das Sache des Parlaments.Wenn es um technische Vorgänge geht, ist das Sache desAusschusses.Der Frau Kollegin Hinz möchte ich sagen: Was wol-len wir heute im Haushaltsausschuss machen? Wir wol-len die von Ihnen zu Recht gestellten Fragen beantwor-ten. Die Regierung muss eine entsprechende Vorlagemachen. Ich bin mir sicher, dass der gegenwärtig imSonnenlicht sitzende Parlamentarische StaatssekretärKampeter diese strahlend präsentieren wird.Herr Kollege Oppermann, ich möchte noch Folgendesfesthalten: Jede Veränderung der Leitlinien muss durchden Haushaltsausschuss. Das gilt nicht nur für den Be-schluss der Basis, sondern auch für den Beschluss einereventuellen Erweiterung oder einer eventuellen Verände-rung. Das werden wir in den nächsten Jahren wiederholtmachen müssen. Das ist das Wasserdichte dabei. Wirsorgen dafür, dass das Parlament in jedem Fall auf derjeweils zuständigen Ebene einbezogen wird.In Richtung der SPD möchte ich noch sagen: Was istIhr eigentliches Ziel? Darüber redet hier keiner gerne.Sie möchten weitere Abstimmungen. Ich bin mir sicher,dass Sie für die nächste Woche am liebsten auch schonwieder eine namentliche Abstimmung haben wollen, ob-wohl es darum gar nicht geht.
– Dann sind wir uns einig, Herr Oppermann. Danke, esist gut, dass wir das festhalten. Wir brauchen keine na-mentliche Abstimmung. Wir brauchen auch keine Kanz-lermehrheit.
Das alles ist in der nächsten Woche nicht notwendig. Ichfinde es sehr gut, dass Sie dem zustimmen. Das könnenwir ja schon einmal festhalten.
Herr Kollege Oppermann, ich möchte einmal daswahre Verhalten der SPD aufzeigen. Voraussetzung fürein Handeln des Parlaments wäre das Neuner-Gremiumgewesen. Was aber hat die SPD gemacht? Sie sagt: Nein,in Bezug auf das Neuner-Gremium können wir dieseWoche leider nicht entscheiden. Wir wissen zwar schonseit drei Wochen, dass wir das wählen müssen, aber wirkönnen noch nicht entscheiden.
vmDRKdsdgwshmkaabAEdrusbkw„3FDrudmWnsdsa
as wird diese Koalition eben nicht tun.Herzlichen Dank.
Für die Fraktion Die Linke redet jetzt der Kollege
oland Claus.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lieberollege Barthle, Ihre erkenntnisreiche Aufklärung überie Geheimnisse der Atemtechnik veranlasst mich zu derchlichten Bemerkung: Bei dieser Koalition ist einfachie Luft raus.
Die Beratung des Antrags der Bündnisgrünen – dasehört auch zur Wahrheit – sollte ja zunächst verhinderterden. Dabei muss hier daran erinnert werden, dassich die Grünen auf eine Regierungserklärung verlassenaben und dachten: Dazu können wir einen Vorschlagachen. Eine angesetzte Regierungserklärung – soönnte man ja annehmen – ist sicher wie eine Staats-nleihe. – Dabei sind die Grünen reingefallen. Man darfuch nicht ausblenden, dass sie diesem Gesetz zur neoli-eralen Version der Euro-Rettung zugestimmt haben.usgetrickste reagieren bekanntlich empfindlich.Worum geht es hier? Wichtige Entscheidungen für dieuropäische Union stehen an. In Griechenland eskaliertie Gewalt. Von heute bis Sonntag tagen die EU-Regie-ngen nahezu permanent. Das Parlament erwartet Klar-tellung. Dafür taugt eine Regierungserklärung. Dieleibt hier aus. Warum? Deutschland und Frankreichönnen sich nicht einigen, in welches Kasino sie gehenollen. Denn – um das einmal so deutlich zu sagen –Hebel“ heißt doch nichts anderes als: Mach aus 1 Euro Euro durch Beteiligung am spekulativen Finanzmarkt!rankreich will den Hebel durch eine Banklösung,eutschland durch eine Versicherungslösung.Die Frage ist also, weshalb hier eine Regierungserklä-ng ausbleibt. Zocken wir so oder so? Da kann manoch nur sagen: Wo leben wir denn? Das kann ein Parla-ent doch nicht hinnehmen!
eil Deutschland und Frankreich sich nicht einigen kön-en, welches Kasino besser ist, wird hier einfach ent-chieden, dass Volk und Parlament nicht informiert wer-en. Das ist nicht akzeptabel.Nun sagt die CDU/CSU ebenso wie die FDP: Die Ri-ikosumme bleibt gleich. Das mag ja stimmen. Es machtber verdammt noch mal einen Unterschied, ob ich das
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 134. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Oktober 2011 15899
Roland Claus
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Geld solide anlege oder ob ich es auf den spekulativenMärkten anlege und den gleichen Weg gehe, der vor2008 in den USA beschritten worden war, was dann völ-lig schiefgegangen ist. Das muss man Ihnen einmal sodeutlich sagen.
Die Linke wird dem Antrag der Bündnisgrünen zu-stimmen. Allerdings hätten wir etwas mehr Demut oderwenigstens Selbstkritik erwartet. Liebe Bündnisgrüne,man kann nicht mit der CDU in einem Boot auf hoheSee gehen und dann zugleich die Piraten geben wollen.Das glaubt euch doch keiner.
Wenn man dann denkt, der Gipfel der Verwirrung seierklommen, dann hat man die FDP unterschätzt, die ineiner solchen Situation – sekundiert vom Bundesfinanz-minister – doch ernsthaft Steuersenkungen einfordert.Eine völlig verantwortungslose Politik, meine Damenund Herren!
So kann es hier nicht weitergehen.
Nächster Redner ist der Kollege Bartholomäus Kalb
für die CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen undHerren! Der Kollege Oppermann wie der Kollege Trittinhaben eingangs ihrer Reden davon gesprochen, dass wiruns in einer ernsten Situation befinden würden. Umsoweniger habe ich dafür Verständnis, dass Sie einenPopanz aufbauen, eine Vortäuschung falscher Tatsachenvornehmen, um hier eine Scheindebatte loszutreten.
Ich denke, wir alle sollten uns so weit ernst nehmen,dass wir unserer Verantwortung in dieser Situation ge-recht werden wollen. Deswegen haben wir vor wenigenWochen das Gesetz beschlossen, das die Parlaments-rechte deutlich stärkt. Wir wollen diese Verantwortungernst nehmen. Das würde doch niemand abstreiten wol-len.Gestern – das war im Haushaltsausschuss schon zumerken – hat man immer wieder versucht, künstlich et-was in die sogenannten Leitlinien hineinzuinterpretieren,was darin nicht enthalten ist. Insofern müssen wir wiederauf den Boden der Tatsachen zurückkehren.Der Bundesfinanzminister hat gestern im Haushalts-ausschuss ausdrücklich erklärt, dass über die Frage, wiedie Wirksamkeit der Instrumente erhöht werden kann,weiter verhandelt werden muss und dass er danach ent-sprechend dem Gesetz, das wir verabschiedet haben,selbstverständlich erneut auf das Parlament zukommenwasisnvdmDskhDFembDrüSdgdsIrWswdedBwwmsswsrew
ie Situation würde sich verändern – da kann ich dierage von Frau Hendricks durchaus verstehen –, wennine Haftungskaskade eingeführt würde. In diesem Falleüsste der Vorgang von uns im Parlament sicherlich neuewertet werden. Ich denke, auch darüber gibt es keinenissens.Ich will auf den Beitrag des Kollegen Oppermann zu-ckkommen. Herr Oppermann, Sie haben sich in zweiätzen dreimal widersprochen: Sie haben in Richtunger Bundeskanzlerin gesagt, sie habe alle Zeit der Weltehabt. Einige Sätze später haben Sie gesagt: „inmittener größten Schuldenkrise, inmitten der größten europäi-chen Krise“.
gendwie passt das nicht zusammen.
enn wir eine krisenhafte Situation haben, dann mussehr schnell krisenorientiert und sachgerecht gehandelterden.
Wenn wir wollen, dass die deutschen Positionenurchgesetzt werden – da haben Sie sich von dem, wasigentlich gute Parlamentstradition ist, verabschiedet –,ann können Sie hier nicht erklären, Sie entzögen derundesregierung sozusagen das Vertrauen. Wenn wirollen, dass die deutschen Positionen, über die wir unseitestgehend einig sind, durchgesetzt werden, dannüssen wir, wie es Kollege Barthle und Kollege Frickechon gesagt haben, der Bundesregierung den Rückentärken, in unserem ureigenen Interesse.
Natürlich nehmen wir unsere parlamentarischen Mit-irkungsrechte sehr ernst; wir haben sehr viele Ent-cheidungen ins Parlament zurückgeholt. Auf der ande-n Seite stärken wir der Regierung nicht den Rücken,enn wir nicht auch ein Mindestmaß an Vertrauen ge-
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15900 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 134. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Oktober 2011
Bartholomäus Kalb
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genüber denjenigen aufbringen, die für uns auf der poli-tischen Bühne in Brüssel und anderswo verhandeln.Herzlichen Dank.
Letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt ist der
Kollege Carsten Schneider für die SPD-Fraktion.
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Hier ist vielvon „Vertrauen“ die Rede gewesen. Es ist richtig: Esgeht nicht nur um das Vertrauen des Parlaments in dieRegierung und ihre Aussagen, sondern auch um Ver-trauen darauf, dass die Handlungen der Regierung inEuropa zu einem Ziel führen, durchdacht sind und ge-meinschaftlich angegangen werden. Sehr geehrte FrauBundeskanzlerin, dieses Vertrauen kann man nach deram gestrigen Nachmittag erfolgten Absage der Regie-rungserklärung nicht mehr haben.
Kollege Barthle und Kollege Kalb, Sie erwarten vonuns, der Opposition, dass wir der Bundesregierung, dieden Namen nicht wirklich verdient, den Rücken stärken,obwohl Sie selbst ihr permanent in den Rücken fallen.Das ist nicht wirklich Aufgabe der Opposition.
Wir haben gesagt: Wir stehen hier für ein wehrhaftesEuropa. Wir haben dem Euro-Rettungsfonds trotz dieserRegierung zugestimmt, aber gesagt: Es muss klar sein,worüber wir abstimmen. Ich habe, wie der KollegeSchick, im Haushaltsausschuss und hier im Plenum anHerrn Schäuble die Fragen gerichtet: Gibt es eine Hebe-lung oder nicht? Denken Sie darüber nach, die Mittel zuhebeln? – Eine Hebelung bedeutet nicht, die Mittel nurzu effektivieren; das ist ein Euphemismus. Letztendlichbedeutet eine Hebelung, dass man, wie es der KollegeClaus gesagt hat, wieder ins Kasino geht. Denn eineCDO ist nichts anderes als eines dieser Produkte, die wieMassenvernichtungswaffen wirken. Da haben Sie, HerrBrüderle, gesagt: Auf gar keinen Fall! – Sie haben es ge-leugnet. Der Bundestag, die Öffentlichkeit und die Kol-legen hatten den Eindruck, das alles gebe es gar nicht.Währenddessen ist auf der IWF-Jahrestagung insgeheimdarüber verhandelt worden. Das ist der eigentliche Skan-dal, meine Damen und Herren!
Die Frage ist doch: Reicht das Volumen von insge-samt 440 Milliarden Euro aus, um überzeugende Signalean die Finanzmärkte zu geben? Die klare Antwort lautet:SaekSraühndsBindnohhdDcRtaemmddaWmligFLcaPfefügBisa
ie haben das durch den Bundestag gepeitscht, ohne da-uf einzugehen, dass Sie schon über eine Hebelung,ber eine Risikoausweitung der deutschen Haftung ver-andelt haben. Es darf nicht sein, dass diese Diskussionur im Haushaltsausschuss unter „ferner liefen“, fernaber Öffentlichkeit, geführt wird, sondern es muss soein, dass die entsprechenden Entscheidungen hier imundestag getroffen werden.
Es ist vollkommen klar, dass, wenn Sie ein Volumen fünffacher Höhe der Fondsmittel generieren wollen,amit auch ein höheres Risiko einhergeht. Das wird Ih-en auch jeder Ökonom sagen. Ich würde gerne das eineder andere Instrument bewerten, aber uns liegt dazu biseute noch nichts vor. Das ist der wahre Skandal. Biseute hat Herr Schäuble nichts weiter dazu gesagt, alsass es Verhandlungen gibt. Das ist nicht akzeptabel.as ist nicht überzeugend und führt zu weiterer Verunsi-herung.Für uns stellt sich jetzt die Frage: Stimmen wir denichtlinien in der Fassung, wie sie uns seit gestern Mit-g auf Deutsch vorliegen, heute in einer noch schnellinberufenen Sitzung zu? Die neuen Richtlinien liegenir bislang nicht vor. Angeblich sollen sie noch kom-en. Bei dem, was wir gestern bekommen haben, han-elte es sich nur um einen Entwurf des Entwurfs.
Nun zu den Repo-Geschäften. Man wird gegenüberieser Regierung bösgläubig. Man wird auch, wenn manll das sieht, gegenüber der EZB bösgläubig.
arum kann die EZB Staatsanleihen auf dem Sekundär-arkt kaufen? Weil es in den Verträgen nicht ausdrück-ch verboten wurde. Deswegen schauen wir uns ganzenau an, was in diesen Richtlinien steht. Jetzt kann dasinanzministerium hundertmal sagen, man wolle nur füriquiditätsgeschäfte zusätzliche Ausleihungen ermögli-hen. Rechtlich verboten ist es allerdings nicht, auch innderen Fällen zu hebeln. Das ist der entscheidendeunkt.
So wie Sie hier die ganze Zeit das Parlament, die Öf-ntlichkeit und die eigene Koalition an der Nase herum-hren, tun Sie es auch in diesem Punkt. Deswegen sa-en wir: Nur wenn das klargestellt ist, nur wenn derundestag darüber entscheidet und abstimmt, nur dannt es möglich, die Tragweite wirklich zu begreifen unduch die Öffentlichkeit angesichts all dieser Milliarden-
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Carsten Schneider
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summen halbwegs aufzuklären und mitzunehmen. Dasist ja sowieso schon schwer genug. Dieses Signal mussalso vom Bundestag ausgehen. Deswegen stimmen wirdem Antrag der Grünen zu.
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 17/7410
mit dem Titel „Plenarbefassung gemäß des Gesetzes zur
Übernahme von Gewährleistungen im Rahmen eines
europäischen Stabilisierungsmechanismus“. Wer stimmt
für diesen Antrag? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält
sich? – Damit ist der Antrag mit den Stimmen der Koali-
tion abgelehnt.
Ich rufe nun den Tagesordnungspunkt 28 a und b auf:
a) Beratung der Unterrichtung durch die Bundes-
regierung
Aktionsplan Nanotechnologie 2015
– Drucksache 17/4485 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Rechtsausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Florian
Hahn, Albert Rupprecht , Michael
Kretschmer, weiterer Abgeordneter und der Frak-
tion der CDU/CSU
sowie der Abgeordneten Dr. Martin Neumann
, Dr. Lutz Knopek, Dr. Peter Röhlinger,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Aktionsplan Nanotechnologie 2015 gezielt wei-
terentwickeln
– Drucksache 17/7184 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Rechtsausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache zu diesem Tagesordnungspunkt eine Stunde
vorgesehen. – Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das
so beschlossen.
Ich darf diejenigen, die an dieser Debatte nicht mehr
teilnehmen können oder wollen, bitten, entweder den
Plenarsaal zu verlassen oder auf andere Weise für eine
geordnete Debatte Sorge zu tragen.
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men. Sie haben wir fest im Blick. Die meisten von ihnensind jung. Der größte Teil, zwei Drittel, wurde erst nach1990 gegründet. Weil das so ist, haben wir mit dem För-derprogramm „KMU-innovativ“ ein Flaggschiff aufge-baut, um die kleinen und kleinsten Unternehmen beson-ders zu fördern.Drittens: internationale Kooperation. 90 Prozent desWissens weltweit entstehen nicht in Deutschland. Esmuss unser Ziel sein, dass wir am entstehenden Wissenteilhaben. Umgekehrt muss Deutschland sein Wissen zurVerfügung stellen, wenn es beispielsweise darum geht,die Ergebnisse zu den Auswirkungen von Nanomateria-lien auf Mensch und Umwelt auf internationaler Ebenezusammenzufassen. Im Rahmen der OECD liefertDeutschland deshalb konkrete Daten über industriellgefertigte Nanomaterialien wie Nanosilber und Titan-dioxid.Viertens: Risiken der Nanotechnologie erforschen.Natürlich bewegen uns die Themen Gesundheitsschutz,Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit ganz un-mittelbar. Zumindest eine Antwort hat uns die For-schung in der Vergangenheit schon gegeben: Nano per seist kein Hinweis auf ein Risiko. Nein, es müssen stets diechemische Zusammensetzung, die Struktur und die Kon-zentration eines Stoffes berücksichtigt werden. Erst dannkommen wir zu klaren Aussagen. Wir werden deshalbdie Forschungen zu Auswirkungen auf die Menschenund die Umwelt sowie zum Arbeitsschutz fortsetzen;„Nanosilber“ und „Kohlenstoffnanoröhrchen“ nenne ichhier als Stichworte. Wir werden dies nicht nur untertechnologischen Gesichtspunkten tun, sondern auch un-ter ethischen und rechtlichen Gesichtspunkten. Um eineZahl zu nennen: Die Mittel für die Risiko- und die Be-gleitforschung belaufen sich derzeit auf 14 MillionenEuro im Jahr. Gegenüber dem Jahr 2006 ist dies ein An-stieg von über 60 Prozent seit dem Amtsantritt von Bun-desforschungsministerin Annette Schavan.
Fünftens: Kommunikation intensivieren und Dialogführen. Für uns ist es selbstverständlich, dass wir mitden Bürgerinnen und Bürgern über die Chancen, die Ri-siken und Fragen zur Nanotechnologie sprechen und dis-kutieren. Wir haben dazu verschiedene Foren, beispiels-weise nanoTruck als ein wichtiges Instrument mit neuemGesicht, eingerichtet, um die Menschen anzusprechen.Mit NanoNature und NanoCare stellen wir uns der Dis-kussion.Sechstens. Wir möchten die Rahmenbedingungenverbessern und weiterentwickeln. Ein wichtiges Stich-wort ist in diesem Zusammenhang das Thema Regulie-rung, das, wie Sie wissen, weitgehend auf europäischerEbene, was auch Sinn macht, diskutiert wird.
In diesen Tagen hat die EU-Kommission erstmalig– das war dringend notwendig – eine Definition für Na-nomaterialien vorgelegt. Grundlage ist die Größe derkonstituierenden Partikel von 1 bis 100 Nanometer. DieseDefinition, die uns endlich ein gemeinsames VerständnisinridzPpPreRfütePlidsEnstedWEPgDcmZwsswhaKLssAsterudkucmtecEED
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Nächster Redner ist der Kollege René Röspel für die
SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen undHerren! Ich gebe zu: Ich hätte mir nicht vorstellen kön-nen, dass die Bundeskanzlerin einmal eine Regierungs-erklärung absagt, damit ich zu Nanotechnologie redenkann.
Das könnte man fast lustig finden, wenn das Ganze nichtso traurig wäre. Es zeugt von der dramatischen Situation,in der sich die Regierung befindet, dass das nötig wurde.
Herr Hinsken, die Geschäftsordnung verlangt, dasswir jetzt nicht über die große Finanzproblematik reden,sondern über die kleinsten Teile, mit denen wir umge-hen, über Nanotechnologie und den Aktionsplan derBundesregierung. Das wollen wir dann auch tun.Der Bundestag war in den letzten Tagen Ausrichterund Gastgeber einer Konferenz der Büros für Technik-folgenabschätzung in Europa. Einige von uns waren da-bei. Ein geladener Gast aus dem österreichischenUmweltministerium hat im Zusammenhang mit Nano-technologie gesagt, dass ein Aktionsplan einer Regie-rung sinnvoll sei, weil er eine Positionsbestimmung fürdiejenigen sei, die sich mit dem Thema befassen. Das istrichtig. Deswegen begrüßen wir, dass der Aktionsplander Bundesregierung vorgelegt worden ist.Die Erstellung des Berichts war eine Fleißarbeit; dasist schon angeklungen. Mitarbeiterinnen und Mitarbeiterdes BMBF sind durch die Labore gegangen und habensich Anträge und Projekte angeschaut. Sie haben zusam-menfassend aufgeführt, was alles mit Nanotechnologiemöglich ist, welches Potenzial sie bietet, was geleistetwerden kann: von der beweglichen Solarzelle über die„Bewältigung potenzieller Folgen bei Großunfällen“ biszur „intelligenten Straße“. Nebenbei: Mir sind intelli-gente Autofahrer immer noch lieber. Diese Aufstellungzeigt aber in der Tat das große Spektrum und die Chan-cen auf, die die Nanotechnologie bietet. An der einenoder anderen Stelle wurde vielleicht ein bisschen zu vielunter Nanotechnologie eingeordnet, aber das sei verzie-hen. Das ist eine ausreichende und, wie ich finde, guteBilanz.Erlauben Sie mir eine Bemerkung, weil in den politi-schen Debatten mitunter der Eindruck entsteht, als seidie Politik für diese tollen Forschungsprojekte, dieseIdeen und Erfindungen verantwortlich. Das ist nicht derFall. Man muss ganz klar sagen: Die Beispiele, die insolchen Berichten genannt werden, sind das Ergebnisder Arbeit der Forscherinnen und Forscher. An dieserStelle ist es angebracht, die große Leistung der beteilig-teutiIctekeWmZBapwsti2dfozdriAKbntidmreggzSzAgtieddBwn
Sie werden mir nachsehen, dass ich an diesem Ak-onsplan nicht viel zu mäkeln habe. Das ist einfach so.
h finde, darin steht viel Richtiges. Auch die aufgezeig-n Wege sind sicherlich richtig. Da gibt es wenig zu mä-eln. Wenn man den Aktionsplan unter dem Gesichtspunktiner Positionsbeschreibung, wie der österreichischeissenschaftler das formuliert hat, bewertet, dann stelltan allerdings fest, dass ein paar Fragen offenbleiben.ur Kennzeichnung haben wir bereits einiges gehört. Denereich Produktregister zum Beispiel finde ich durchaususbaufähig.Der Aktionsplan, über den wir heute beraten, ist einaar Monate alt. Er ist Anfang des Jahres veröffentlichtorden. Ich finde es spannend, dass wir in diesem Zu-ammenhang auch über einen Antrag der Koalitionsfrak-onen mit dem Titel „Aktionsplan Nanotechnologie015 gezielt weiterentwickeln“ beraten. Ich habe ge-acht, wenn es einen Antrag gibt, mit dem das Ziel ver-lgt wird, den Aktionsplan der Bundesregierung weiter-uentwickeln, dann enthält er vielleicht Antworten aufie offenen Fragen im Aktionsplan, oder wir finden da-n etwas Neues. Erstaunlicherweise finde ich in diesemntrag überhaupt nichts Neues, liebe Kolleginnen undollegen von den Koalitionsfraktionen. Das ist eine Ver-eugung vor der Regierung; mit dieser Feststellung kön-en Sie umgehen. Das ist eine Inhaltsangabe des „Ak-onsplans Nanotechnologie 2015“. Ich habe gehofft,ass Sie wenigstens eine Schwerpunktsetzung vorneh-en, aber nicht einmal das ist der Fall. Diesen umfang-ichen Antrag hätten Sie sich sparen können; denn eribt nur das wieder, was bereits im Aktionsplan steht.Ich möchte die längere Redezeit, die mir zur Verfü-ung steht, weil die Debattenzeit verlängert wurde, nut-en, um ein paar Ihrer revolutionären Forderungen, dieie in Ihrem Antrag mutig an die Regierung richten, auf-ugreifen:Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregie-rung auf, die Stärkung der Nanotechnologie imRahmen des nationalen Aktionsplans … weiter vo-ranzutreiben.Alle Achtung! Die Bundesregierung hat jetzt also denuftrag, ihren Plan weiter voranzutreiben. Die Bundesre-ierung wird weiter aufgefordert, eine „geeignete Defini-on des Begriffs Nanotechnologie zu erreichen“. Das istin wichtiger Punkt. Dies wurde aber schon längst gefor-ert. Sie, Herr Staatsekretär, haben deutlich gemacht, dassie Europäische Kommission bereits eine Definition desegriffs „Nanotechnologie“ vorgelegt hat. Interessanter-eise haben aber gestern diejenigen, die sich mit Tech-ikfolgenabschätzung befassen, deutlich gemacht – dies
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René Röspel
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entspricht nicht Ihrer Einschätzung –, dass die von derKommission vorgelegte Definition für mehr Verwirrungals für Klarheit sorgt.Sie fordern die Bundesregierung des Weiteren auf– das ist sehr mutig –, die „gezielte KMU-Förderung imBereich Nanotechnologie fortzusetzen und weiter zustärken“. Ich habe im Aktionsplan nicht gelesen, dass dieKMU-Förderung beendet werden soll. Warum fordernSie dann in Ihrem Antrag ihre Fortsetzung? Ich gehe da-von aus, dass wir gleich noch etwas dazu hören werden.Im Antrag wird die Bundesregierung ebenfalls aufge-fordert, „Ressourcen für die Risikoforschung bereitzu-stellen“. Das finde ich gut, aber auch das ist im Aktions-plan enthalten.An einer Stelle habe ich tatsächlich etwas Neues ent-deckt, das Sie leider nicht weiter ausführen. Sie weisenausdrücklich darauf hin, dass die Fördermittel ausrei-chend sein müssen, „um die derzeit offenen Felder Um-weltverhalten, Lebenszyklusanalysen und Langzeitun-tersuchungen abzudecken“. Einverstanden, das ist einwichtiger Punkt und im Vergleich zum Aktionsplan et-was Neues. Aber das ist nur ein Punkt Ihres sieben Sei-ten umfassenden Antrags.Sie haben die Chance verpasst, sich zu positionieren.Sie geben wieder, was der „Aktionsplan Nanotechnolo-gie 2015“ schon enthält. Ihr Antrag ist eigentlich über-flüssig. Ich bin gespannt, wie uns der Vertreter der Ko-alitionsfraktionen gleich erklären wird, warum dieserAntrag nötig ist und uns in der Debatte weiterbringt.Ich möchte eine Stelle aus dem Antrag zitieren, dieich ausdrücklich gut finde, weil sie zeigt, dass wir in derDiskussion insgesamt weitergekommen sind. Auf Seite 3heißt es:Es kann festgestellt werden, dass Deutschland hin-sichtlich Forschungs- und Innovationsförderung,Begleitforschung und vielfältiger Dialogaktivitätenunter Einbeziehung aller Vertreter aus Gesellschaft,Wirtschaft und Wissenschaft schon heute eine welt-weit führende Rolle bei der Entwicklung der Nano-technologie als sicherer und nachhaltiger Zukunfts-technologie einnimmt.Das stimmt; dies ist ausdrücklich zu unterstützen. Aber,liebe Koalitionskollegen, dies ist leider nicht Ihr Ver-dienst. Es ist richtig, dass die Nanotechnologie zu Beginnder 90er-Jahre, also auch unter ihrer damaligen Regie-rungskoalition, gefördert worden ist. Aber die Diskus-sion über wichtige Themen wie Sicherheit, Akzeptanzund Transparenz wurde nicht von Ihnen vorangetrieben.Wenn ich mich nicht falsch erinnere, waren es im We-sentlichen die Kollegen Ulla Burchardt und Hans-JosefFell,
die damals darauf gedrängt haben, dass wir die Diskus-sion über die Chancen und die Risiken der Nanotechno-logie führen. Das hat dazu geführt, dass das Büro fürTechnikfolgenabschätzung schon im Jahre 2003 einenausführlichen Bericht dazu verfasst hat. In der Nach-fozdpIcsIcgnsAUDggJtrgtiDAdgdlasDgUDaustidasgliDnw
h erinnere mich noch sehr gut an den Vorwurf, wireien technologiefeindlich und überbetonten die Risiken.h freue mich, dass Sie dazugelernt haben und wir jetztemeinsam die Chancen und die Risiken betrachten kön-en. Das ist ein guter Weg.
Wenn Sie in den TAB-Bericht aus dem Jahr 2003 ge-chaut hätten, hätten Sie Punkte finden können, die Ihrntrag nicht enthält. Meine Damen und Herren von dernionsfraktion, Sie hätten besser recherchieren können.ass Sie das nicht getan haben, mag vielleicht daran lie-en, dass nicht mehr allzu viele Ihrer damaligen Kolle-en Mitglieder des Parlaments sind. Aber es ist erst zweiahre her, dass die damalige Große Koalition einen An-ag zur Nanotechnologie mit dem Titel „Nanotechnolo-ie – Gezielte Forschungsförderung für zukunftsträch-ge Innovationen und Wachstumsfelder“ vorgelegt hat.iesen haben wir im Juli 2009 beschlossen. Es war einntrag der Großen Koalition, den die SPD-Fraktion undie Unionsfraktion – Herr Kretschmer, Sie waren dabei –emeinsam eingebracht haben. Lassen Sie mich ein paarer damaligen Forderungen, die inzwischen Beschluss-ge des Deutschen Bundestages sind, vortragen. Dortteht zum Beispiel:Dabei sollten auch gesellschaftliche Bedarfsfelderwie die Nutzung der Nanotechnologie in den Berei-chen sauberes Wasser und Energieeffizienz/Klima-schutz in die Technologieförderung einbezogenwerden …as steht auch im Aktionsplan. Diese Forderung unseresemeinsamen Antrags wurde erfüllt.Vor rund zwei Jahren wurde auch gefordert, Start-up-nternehmen mit genügend Risikokapital auszustatten.azu steht eine Menge im Aktionsplan; das können wiruch abhaken. Des Weiteren wurde gefordert, „Chancennd Risiken der Nanotechnologie noch stärker in der Ge-ellschaft zu kommunizieren“. Auch darauf wird im Ak-onsplan eingegangen. Aber damals wurde auch gefor-ert – das hätten Sie als neuen Punkt in Ihren Antragufnehmen können –, eine Informationsplattform zuchaffen, die die Bürger über Vorschriften, Bestimmun-en und Empfehlungen informiert und die laufend aktua-siert wird.
as taucht zwar irgendwo im Aktionsplan auf, ist aberoch immer nicht umgesetzt, obwohl zwei Jahre Zeitar.
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René Röspel
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Eine weitere wichtige von uns damals erhobene For-derung, die bereits Beschlusslage des Deutschen Bun-destages ist und aus meiner Sicht bisher von der Bundes-regierung nicht erfüllt wurde und in Ihrem vorliegendenAntrag nicht aufgegriffen wird, ist, „zu prüfen, wie einesachgerechte Entsorgung von synthetischen Nanomateri-alien sichergestellt werden kann, ohne dass gefährlicheNanopartikel in die Umwelt gelangen“. Das ist keineKleinigkeit, sondern ein zentraler Punkt.
Diese Partikel sind relativ unproblematisch, solange siean Oberflächen gebunden sind und nicht freigesetzt wer-den können. Wenn aber zum Beispiel ein beschichteterAnorak einfach verbrannt wird oder auf andere Weisenicht sachgerecht entsorgt wird, werden diese Partikelmöglicherweise freigesetzt und verursachen eventuellUmweltprobleme oder gesundheitliche Schäden, wennsie in die Lunge gelangen. Unsere damalige Forderungnach einer sachgerechten Entsorgung ist daher von zen-traler Bedeutung und hätte von Ihnen in Ihrem Antragaufgegriffen werden müssen. Wir erwarten nach wie vorvon der Bundesregierung, in diesem Bereich aktiv zuwerden.
Wir haben damals zu Recht auch bessere Messverfah-ren und Messtechniken zur Identifizierung von Nanoma-terialien in Wasser, Boden und Luft gefordert. Es lassensich entsprechende Passagen im Aktionsplan finden, abernicht in Ihrem Antrag. Die meisten von Ihnen kennen ver-mutlich die jüngsten Studien – zum Beispiel die der Uni-versität Landau –, die zeigen, dass die bisher angewand-ten Standardverfahren offenbar nicht tragfähig sind.Danach verhalten sich Wasserflöhe, die für 48 Stundenmit Titandioxidnanopartikeln in Kontakt gebracht wur-den, einigermaßen normal. Verdoppelt man aber die Stan-dardzeit auf 96 Stunden, stirbt eine große Zahl der Tiere.Allein durch die Veränderung des Beobachtungszeit-raums kommt man zu anderen Ergebnissen. Das heißt,wir müssen die Messverfahren entsprechend anpassen. Inder gestrigen Expertendiskussion wurde zu Recht daraufhingewiesen, dass in vielen Bereichen der Nanotechnolo-gie zwar kein Risiko besteht, wohl aber Unsicherheitherrscht und dass sämtliche Testverfahren im Labor undnicht in der Umwelt durchgeführt werden.
Das ist ein großes Manko. Wir erwarten, dass das geän-dert wird.Herr Rachel, ein Punkt, den Sie als positives Beispielhervorgehoben haben, ist die Risikoforschung. Wir ha-ben bereits 2009 eine solche Forschung gefordert. Ich er-innere mich noch gut an die damalige Diskussion unddie Auseinandersetzungen in der Großen Koalition. Wirhaben Sie immer getrieben und darauf aufmerksam ge-macht, dass eine Begleit- und Risikoforschung dazuge-hört.Wd–1gtezDgnfobvAmAwResvIcsWdbSsaaDreETdszDn
ir haben es damals nach großen Kämpfen geschafft,ass in unserem gemeinsamen Antrag gefordert wurdedas fordert auch die NanoKommission –, mindestens0 Prozent der Mittel für die Risikoforschung zur Verfü-ung zu stellen. Die 14 Millionen Euro, die Sie erwähn-n, Herr Staatssekretär, machen gerade einmal 6,2 Pro-ent aus.
as sind die Zahlen, die ich der Antwort der Bundesre-ierung auf die Große Anfrage meiner Fraktion zur Na-otechnologie entnehme. 6,2 Prozent für die Sicherheits-rschung sind deutlich zu wenig. Deshalb bleiben wirei unserer Forderung.
Der gesamte Verbraucherschutz ist in Ihrem Antragöllig unterbelichtet. Ich finde es schade, dass Sie Ihrenntrag vor der Anhörung eingebracht haben. Am kom-enden Montag gibt es im Verbraucherausschuss einenhörung zu Nanoprodukten und ihren möglichen Aus-irkungen im Umweltbereich. Es liegt bereits eineeihe kluger Fragen und Stellungnahmen vor. Wenn Siein bisschen länger gewartet hätten, hätten Sie die Aus-agen der Stellungnahmen berücksichtigen können undielleicht nicht einen so substanzlosen Antrag vorgelegt.h verweise auf die Stellungnahme des ehemaligen Vor-itzenden der NanoKommission, die aus Vertretern derissenschaft, der Wirtschaft, der Gewerkschaften under Umweltverbände zusammengesetzt war. Diese ha-en sich ihre Empfehlungen sehr genau überlegt. Wennie diese berücksichtigt hätten, hätte das Ihrem Antragehr gutgetan.Wir werden weiterhin mit allem Optimismus, aberuch mit der nötigen Kritik die Nanotechnologie und vorllen Dingen Ihre Regierung begleiten.Vielen Dank.
Für die FDP-Fraktion erhält jetzt der Kollege
r. Martin Neumann das Wort.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Her-n! Lieber Herr Kollege Röspel, Sie haben völlig recht:s geht um ganz kleine Teilchen, aber um ganz wichtigeeilchen. Wir stellen fest, dass Deutschland nach wie vorie treibende Wirtschaftskraft im europäischen Wirt-chaftsraum ist. Unser Land erwirtschaftet allein 27 Pro-ent des gesamten europäischen Bruttoinlandsprodukts.iese Leistungsfähigkeit – an dieser Stelle muss manach den Ursachen fragen – ist natürlich maßgeblich von
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Dr. Martin Neumann
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den Potenzialen unseres Forschungs- und Innovations-systems abhängig. Jenes Potenzial zu erhalten, zu akti-vieren und zu stärken, gelingt nur, wenn es auf einemfunktionierenden – ich bezeichne es einmal so – Innova-tionsdreieck beruht, das aus Forschung, Wirtschaft undPolitik besteht. Ich zähle die Politik ganz bewusst dazu;denn die entscheidenden Weichenstellungen im Innova-tionssystem werden von der Politik vorgenommen.Allerdings – darüber sind wir uns im Klaren – kanndie Politik Innovationen nicht erzwingen. Der Staat kannEntwicklungen lediglich moderieren und begleiten; dastut er. Viel entscheidender für die Durchsetzung vonInnovationen ist es, dass der Forschung die notwendigenFreiheiten bewahrt bleiben. Die Nanotechnologie – dashaben wir in den bisherigen Diskussionen immer wiederfestgestellt – sieht sich wie kaum ein anderes Technolo-giefeld der Gefahr ausgesetzt, durch Überregulierungoder Bürokratismus blockiert zu werden.Meine Damen und Herren, die Nanotechnologie alswirklich wichtige und wegweisende Technologie durch-dringt alle Lebensbereiche. Im Jahr 2015 – davon gehenwir aus – wird es in unserem Leben kaum noch einenBereich geben, in dem Materialien in Nanogröße keinewichtige Rolle spielen. Nanomaterialien werden künftigzu einer verbesserten und verträglichen Individualmedi-zin beitragen und somit auch verbesserte Diagnose- undTherapieverfahren ermöglichen.Wir werden neue Materialien für die effiziente Ener-gieumwandlung – das Thema Dämmung ist angespro-chen worden – und vor allen Dingen für das großeThema der Zukunft, die Energiespeicherung, schaffen.Ich denke – das ist vom Kollegen Röspel angesprochenworden – an Verfahren zur Sanierung von Luft, Wasserund Boden mithilfe von Nanomaterialien.Die Potenziale und Möglichkeiten – ich glaube, auchdarin sind wir uns einig – sind vielfältig. Doch man spürt– das ist an dieser Stelle deutlich anzusprechen –, dassan diese Technologie in zunehmendem Maße zuerst dieFragen gestellt werden: Wo sind die Risiken? Wie großsind die Risiken?
Chancen und Risiken werden in diesem Kontext mögli-cherweise nicht klar voneinander getrennt. Aus genaudiesem Grund ist es notwendig, sich mit der Frage derSicherheit zu beschäftigen. Denn die Potenziale der Na-notechnologie dürfen nicht leichtfertig verspielt werden,indem wir überregulieren – diese Gefahr besteht – undbürokratische Hürden aufbauen.
Im vorliegenden Antrag „Aktionsplan Nanotechnolo-gie 2015 gezielt weiterentwickeln“ haben wir genau die-sen Aspekt aufgegriffen und uns – neben den Chancenund Potenzialen – vor allen Dingen mit der Sicherheitder Nanotechnologie im Forschungs- und Innovations-system deutlich sichtbar auseinandergesetzt. Wir messender Sicherheitsforschung – auch darauf ist mit Nach-dtutrdVeten–sfeforeVkbhuMEnUfädsudmfe–blifaMicuaNuBssaePg
Das steht in den Studien, Herr Röspel. Ich glaube, wireide haben sie gelesen.Durch diese disparate Datenlage wird vor allem deut-ch, dass uns zur Beurteilung und Bewertung von Ge-hren noch einheitliche und zudem geeignete Prüf- undessverfahren fehlen. Auf der EPTA-Konferenz habeh gestern einen entsprechenden Beitrag dazu geliefertnd gesagt, dass genau das die Stelle ist, wo wir stärkerls bisher ansetzen müssen.
ur wenn wir standardisierte Verfahren für die Messungnd Prüfung besitzen, können wir eine entsprechendeeurteilung und Bewertung vornehmen.Deshalb stellt sich an dieser Stelle für die Wissen-chaft und ganz speziell auch für die Sicherheitsfor-chung insbesondere die Frage, wie wir mit der Arbeitn dieser Stelle konkret weitermachen. Ich will es nochinmal auf den Punkt bringen: Es müssen geeigneterüf- und Messverfahren gefunden werden, und – das istanz wichtig für die Auswertung – es muss eine Ver-
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Dr. Martin Neumann
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gleichbarkeit hergestellt werden, um klare Aussagenüber Risiken, die es ja gibt, treffen zu können. Erst wennwir diese Grundlage haben – das ist eine sehr wichtigeVoraussetzung –, können wir die Diskussion über Maß-nahmen in der Gesetzgebung, die hier angesprochenwurde, weiterführen.Mir erscheinen – das will ich an dieser Stelle deutlichsagen – Forderungen nach spezifischen Nanotechnolo-giegesetzen oder nach einem Nanoproduktregister imMoment als nicht zielführend. Warum nicht? Ich hatte eserläutert: Es ist jetzt natürlich wichtig, auch in der For-schung den entsprechenden notwendigen Spielraum zuhaben. Es gibt weitere Begründungen. Eine möchte ichan dieser Stelle noch einmal erwähnen: Wir sind derAuffassung – das kann man hier so zusammenfassen –,dass die gegenwärtigen europäischen gesetzlichen Rah-menbedingungen greifen und zumindest zum jetzigenZeitpunkt als hinreichend bewertet werden können.
Mit REACH existiert bei der Europäischen Chemika-lienagentur eine Verordnung, durch die Produktsicher-heit ausreichend garantiert wird. Nanopartikel erfüllennach REACH die Anforderungen an den Stoffbegriff– das ist ganz wichtig – und unterliegen deren Bestim-mungen, vor allen Dingen auch den Tests zur Risikocha-rakterisierung bei der Registrierung. Daneben existierenauch produktbezogene Regelungen, mit denen die glei-chen Anforderungen an nanoskalige Materialien gestelltwerden.Meine Damen und Herren, wir brauchen auch keinNanoproduktregister, das den Verbraucher, glaube ich,eher verunsichert – Staatssekretär Rachel hat es ange-sprochen –, weil es in dem entsprechenden Augenblicknicht hilft, die Unbedenklichkeit eines Erzeugnisses ein-zuschätzen.
Was wir an dieser Stelle viel stärker brauchen, ist einekonsistente Gesamtforschungsstrategie, wie ich es ein-mal bezeichnen will. Die Schwerpunkte dieser Gesamt-forschungsstrategie – man kann sie nachlesen – sind indem hier vorgelegten „Aktionsplan Nanotechnologie2015“ und in unserem Antrag enthalten.Ich bedanke mich.
Die Kollegin Petra Sitte gibt ihre Rede zu Protokoll.1)
So rufe ich nun Krista Sager für Bündnis 90/Die Grünen
auf.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wenn esum die Nanotechnologie geht, dann ist sicher ein einsei-tis–dfawcmsdsssNhmWdwzmFWdHwheAcwHfodinDsEdßremWa1) Anlage 2
ir wissen bei bestimmten Nanopartikeln sehr wenigarüber, wie sie sich im gesamten Lebenszyklus, von dererstellung bis zur Entsorgung, verhalten werden undelche Folgen sie für den Menschen und das Ökosystemaben.Jetzt hat die Bundesregierung in ihrem Aktionsplanrklärt, dass die Risikoerforschung besser werden solle.ber es gibt keine verbindlichen Festlegungen, in wel-hen Schritten die Mittel wie erhöht werden sollen undofür sie eingesetzt werden sollen. Wir haben in denaushaltsberatungen hier mehr Verbindlichkeit einge-rdert, und zwar in Bezug auf das 10-Prozent-Ziel, dasie NanoKommission eingefordert hat. Was finden wir dem Aktionsplan? Keine Verbindlichkeit!
as ist typisch für diesen Aktionsplan, muss ich leideragen.
s fehlt an klaren Zielen sowie an klaren Aussagen überie Schritte und die Mittel. Das ist wirklich ein ganz gro-es Problem dieses Aktionsplans.
Jetzt wird es wirklich interessant. Wie ist die Bundes-gierung mit der von ihr selbst eingesetzten NanoKom-ission umgegangen, die Sie, Herr Rachel, mit keinemort erwähnt haben? Die Mitglieder dieser Kommissionrbeiten seit 2006 im Auftrag der Bundesregierung und
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Krista Sager
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haben in diesem Jahr ihren Abschlussbericht vorgelegt.Kurz bevor sie ihren Abschlussbericht vorgelegt haben,bringt die Bundesregierung ihren eigenen Aktionsplanheraus mit der erkennbaren Absicht, sich auf die Emp-fehlungen und die verschiedenen Vorschläge aus dieserKommission nicht beziehen zu müssen. Das ist doch derSinn dieses Manövers gewesen. Sie haben Ihre eigenenExperten, die Sie hier mit keinem Wort erwähnen, durchdieses Manöver komplett verladen.
Ihrem Aktionsplan fehlt es an Action. Ich kann dasanhand der Themen Produktregister und Kennzeich-nungspflicht darlegen. Die NanoKommission hat zu demThema Produktregister kein einheitliches Votum abgege-ben, was nicht verwunderlich ist. Aber sie hat sich mitden verschiedenen Ansätzen und Modellen befasst undmit den Fragen: Was kann das im Arbeitsschutz bringen?Was kann das beim Verbraucherschutz bringen? Waskann das für staatliche Behörden bringen? Was kann dasauf der europäischen Ebene bringen?Bundesumweltminister Röttgen hat vor den Mitglie-dern der NanoKommission gesagt, er wolle sich für eineuropaweites Produktregister einsetzen. Ich war be-stimmt nicht die Einzige im Saal, die gesagt hat: Ich bingespannt, was da kommt. Ich habe ihm auch gesagt – erist heute leider nicht da –: Ich werde Sie daran erinnern,dass Sie uns etwas schuldig sind. Dafür ist heute einziemlich guter Tag. Was ist an Konzepten gekommen?Gar nichts! Was steht im Aktionsplan dazu, welche Kon-zepte und welche Modelle weiterverfolgt werden? Garnichts! Das ist wirklich typisch für diesen Aktionsplan.Gar nichts steht dazu darin.
Ein ähnliches Bild ergibt sich bei der Kennzeich-nungspflicht. Bei der Kennzeichnungspflicht geht es umFreiheit, nämlich um die Wahlfreiheit der Verbraucherin-nen und Verbraucher. Wenn ich Hinweise darauf be-komme, dass bestimmte Nanomaterialien vielleicht ne-gativ für das Ökosystem sind, möchte ich selberentscheiden können: Kaufe ich mir Sportsocken mit die-sen Stoffen, oder lasse ich das lieber? Dafür muss manaber wissen, ob diese Technologie verwendet wurde.Deshalb muss es eine Kennzeichnung geben.Was sieht der Aktionsplan der Bundesregierung indiesem Zusammenhang vor? Im Aktionsplan heißt es:Eine Kennzeichnung kann zwar zu einer informier-ten Konsumentenentscheidung beitragen, allerdingsauch als Warnhinweis missverstanden werden.Die Bundesregierung kommt damit zu Erkenntnissen,wie sie in Büttenwarder weit verbreitet sind: Der einesagt dies; der andere das.Ich erwarte von einem Aktionsplan aber mehr, als inUnentschlossenheit zu verharren, wenn es um eine Fragegeht, die zur Entscheidung ansteht. Ein Aktionsplanmuss die Frage beantworten, was die Bundesregierungin diesem Bereich machen will.erivsDdrinmsVPgSNASPNlineKsPsulaFFKutadpab
An dieser Stelle ist Action angesagt. Können Sie mirrklären, warum zwar in der europäischen Kosmetik-chtlinie, nicht aber im Lebensmittelbereich, in der No-el-Food-Richtlinie, eine Kennzeichnungspflicht vorge-ehen ist?
as ist nicht logisch. Ich möchte wissen, welche Politikie Bundesregierung dazu machen will.Die Experten haben zu Recht gesagt, die Verbrauche-nnen und Verbraucher hätten ein Recht darauf, dass sieicht erst Studien und wissenschaftliche Bücher lesenüssen, um sicher zu sein, dass ihre Produkte sicherind. Gerade im konsumentennahen Bereich muss dasorsorgeprinzip eingehalten und die Verantwortung derroduzenten vom Design des Produktes bis zur Entsor-ung wahrgenommen werden.Eine Expertin hat gesagt, dass wir Kriterien undpielregeln für faire Nanotechnologien brauchen. DieanoKommission hat eine ganze Menge vernünftigernsätze entwickelt, wie wir zu fairen Kriterien undpielregeln kommen können. Sie hat zum Beispiel fünfrinzipien für einen verantwortlichen Umgang mit denanomaterialien vorgelegt.Sie haben einen Aktionsplan bis 2015 jetzt offensicht-ch deswegen vorgelegt, damit Sie Ruhe vor Ihrer eige-en Kommission bekommen. Sonst müssten Sie nämlichine Antwort darauf geben, wie die Vorschläge derommission weiterverfolgt werden. Werden zum Bei-piel Förderentscheidungen an die Einhaltung der fünfrinzipien geknüpft? Das wäre eine interessante Frage-tellung.Ihr Aktionsplan folgt dem Motto: Geht uns nicht mitnserer eigenen Kommission auf den Wecker, sondernsst uns wenigstens bis 2015 in Ruhe! – Das ist in dieserrage entschieden zu wenig.
Florian Hahn erhält jetzt das Wort für die CDU/CSU-
raktion.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen undollegen! Nanotechnologie ist eine der spannendstennd interessantesten Technologien unserer Zeit mit fan-stischen Möglichkeiten für echte Neuerungen und Ent-eckungen. Es gibt weltweit kaum noch ein Hightech-rodukt, bei dem keine nanotechnischen Verfahrenngewendet werden. Schon jetzt wird Nanotechnologieeispielsweise in der Krebstherapie, in der Trinkwasser-
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Florian Hahn
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aufbereitung, beim Schutz vor Korrosion sowie bei derProduktion besonders leichter und stabiler Windkraftro-toren verwendet.Als exportorientiertes, rohstoffarmes Land brauchtDeutschland solche technischen Innovationen. Das ge-hört auch in Zukunft zur Grundlage unseres Wohlstands.Bis zum Jahr 2015 erwartet die Branche ein Marktvo-lumen von weltweit bis zu 3 Billionen Euro. Europaweitsind wir derzeit in der Nanotechnologie führend. Wirdürfen daher unsere Vorreiterrolle nicht verlieren.
Seit nunmehr zehn Jahren laufen unsere Förderpro-gramme sehr erfolgreich, und das soll auch so bleiben.Darum wird die Bundesregierung in ihrer Hightech-Stra-tegie 2020 und im Aktionsplan 2015 diese Zukunftstech-nologie in den kommenden Jahren weiter unterstützenund vorantreiben. Die wirtschaftliche Nutzung und dieErforschung der Nanotechnologie sollen intensiviert undnoch stärker ressortübergreifend abgestimmt werden.Bis 2015 fließen jährlich rund 400 Millionen Euro För-dergelder, unter anderem in die Forschungsförderung undin Hilfen für kleinere Betriebe und Gründer. Es gibt be-reits fast 1 000 Nanotechnologieunternehmen in Deutsch-land. Davon sind etwa drei Viertel kleine und mittlere Un-ternehmen, sogenannte KMU. Diese KMU könnenspezifische Förderprogramme für Forschung und Ent-wicklung beantragen. Das unterstützt den Mittelstand inDeutschland, der Arbeitsplätze schafft.
Der Antrag „Aktionsplan Nanotechnologie 2015 ge-zielt weiterentwickeln“ skizziert, wie wir nachhaltig undsicher die Potenziale in Bildung und Forschung und inder Gesundheit nutzen sowie die Beiträge zu Umwelt-und Klimaschutz und zur Sicherung der Energieversor-gung realisieren wollen. Vielleicht gelingt uns dabei einwichtiger Beitrag, um zu umweltfreundlicher und ener-giesparender Mobilität zu kommen.Der Antrag zeigt auch die vielfältigen Möglichkeitender Nanotechnologie für eine nachhaltige Landwirt-schaft und zur Sicherung der Ernährung. Des Weiterenwollen wir mit dem Antrag eine Stärkung der Forschungund eine Intensivierung des Technologietransfers sowieeine Sicherung der Wettbewerbsfähigkeit am StandortDeutschland vorantreiben.Zu Ihren Einwendungen, Herr Kollege Röspel,möchte ich sagen: viel Lob – dafür vielen Dank. Dannhatten Sie noch viel Zeit und haben den Antrag bei alldem Lob und all dem Guten, das Sie zu der Initiative derBundesregierung sagen mussten, als unnötig bezeichnet.Wir sind der Meinung, wir müssen Gutes bestärken.Deshalb haben wir diesen Antrag eingebracht. Wenn Siedann darauf hinweisen, Sie hätten gerne noch dies unddas, kann ich nur sagen: Hätten Sie selber einen Antrageingebracht und um Ergänzung gebeten, dann hätten wirsicherlich darüber reden können.sluwwagzMsriwhWusgtusbsaDtiUUöwuudmgmkDwStevPDL
Zum Thema Sicherheitsforschung; es wurde heutechon mehrfach angesprochen. Der Anteil des Fördervo-mens, der für die begleitende Risikoforschung aufge-endet wird, beträgt 6,2 Prozent. Das ist im Übrigeneit über dem internationalen Durchschnitt. Wir habenuf der Konferenz, die auch von Ihnen erwähnt wurde,ehört, dass die Amerikaner nur 3 Prozent dafür einset-en. Ich glaube, wir sind hier auf dem richtigen Weg.an kann nicht sagen, dass hier die Balance nichttimmt, wenn wir doppelt so viel ausgeben wie die Ame-kaner.
Wir wollen nicht verschweigen, dass es viele Unge-issheiten in der Nanotechnologie gibt. Aber Ungewiss-eiten sind nicht automatisch Risiken oder Gefahren.ir nehmen diese Ungewissheiten sehr ernst. Aber – dasnterscheidet uns maßgeblich von Ihnen – wir wollenolche neuen Technologien als Chance für uns alle be-reifen und nicht gleich in das beliebte Bedenkenträger-m gegen alles Fremde und Neue verfallen.
Herr Hahn, Herr Röspel würde Ihnen gerne eine Zwi-
chenfrage stellen.
Nein, Herr Röspel hatte genug Zeit. – Wir wollen Pro-leme und Vorbehalte als Herausforderung für Wissen-chaft und Forschung verstanden wissen. Wir wollen unsllen Herausforderungen stellen und Probleme lösen.as ist verantwortungsvolle und vorausschauende Poli-k.
nser Ziel ist ein sicherer und verantwortungsvollermgang mit neuen Technologien, der neue Chancen er-ffnet und diese nicht verhindert. Dabei dürfen wir keineissenschaftlichen Erkenntnisse ungeprüft verwerfennd damit bereits im Vorfeld die Nutzungspotenzialend Marktchancen unbeachtet lassen. Ziel muss es sein,ie Risiken sachlich und frühzeitig zu erkennen undögliche Gefährdungen konsequent zu vermeiden.Dazu brauchen wir erfahrene Forscher, aber auch neu-ierige und forschungshungrige junge Menschen. Wirüssen daher qualifizierte Nachwuchs- und Arbeits-räfte frühzeitig gewinnen und ausbilden.
ies hat die Bundesregierung früh erkannt. So fördernir unter anderem Informationsangebote für Schüler zurtudien- und Berufswahl, aber auch zur beruflichen Wei-rbildung. Da die Öffentlichkeit einen Anspruch aufolle Teilhabe und maximale Transparenz bei all diesenrozessen hat, führt die Bundesregierung Bürgerdialoge.ies ist im Übrigen ein Instrument, auf das auch andereänder setzen, wie wir auf der EPTA-Konferenz in Berlin
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Florian Hahn
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hören konnten. Es entspricht unserem Demokratiever-ständnis, die Bürgerinnen und Bürger an der Suche nachAntworten auf Zukunftsfragen zu beteiligen. Hierzu ge-hört aber auch eine vertrauensbildende Information überdiese Technologie, die einer pauschalen Verteufelung ent-gegenwirkt.
In diesem Zusammenhang ist es eine positive Ent-wicklung, dass wir voraussichtlich im November dieGründung eines deutschen Verbands Nanotechnologie zuerwarten haben. Ich habe mir das einmal angeschaut. DerVerband, der dort gegründet werden soll, hat sich diverseZiele gesetzt. Ich will nur einige nennen: Für die Mitglie-der soll ein starkes Netzwerk gebildet werden. Der Ver-band will in einen offenen Dialog mit Politik, Wirtschaftund Gesellschaft treten. Er will Debatten über Chancenund Risiken der Nanotechnologie proaktiv führen. Erwill umfassende und sachliche Informationen über denEinsatz der Nanotechnologie anbieten. Er will Richtli-nien entwickeln, um den Arbeitsschutz all derer zu ge-währleisten, die am Arbeitsplatz mit Nanomaterialien inBerührung kommen. Er will wissenschaftlich-technischeFragestellungen in Expertenhand legen. Er will die Aus-und Weiterbildung von Fachkräften fördern.Ich glaube, dass dies auch im Sinne der Verantwor-tung, die aus unserer Sicht bei der Wirtschaft liegt, einsehr guter Schritt ist.
Wir sollten außerdem festhalten: In dem kürzlich er-schienenen Gutachten „Vorsorgestrategien bei Nanoma-terialien“ des Sachverständigenrates für Umweltfragenwird festgestellt, dass es keine Erkenntnisse und keineNachweise in Bezug auf pauschale negative Umwelt-und Gesundheitseinflüsse durch den Einsatz von Nano-technologie gibt.
– Ja, das ist wichtig in der Diskussion, die wir öffentlichführen. Darauf müssen wir immer wieder verweisen, da-mit diese Technologie nicht in eine Ecke gestellt wird, indie sie schlicht nicht gehört.
In dieser Woche hat die EU-Kommission endlich eineEmpfehlung für eine gemeinsame Definition für Nano-materialien vorgelegt. Das ist ein zentrales Anliegen inunserem Antrag. Die Definition basiert auf einem An-satz, bei dem die Größe der konstituierenden Partikelund nicht etwaige Gefahren oder Risiken berücksichtigtwerden. Ich will die genaue Definition jetzt nicht vorle-sen. Aber immerhin hat die Kommission diese Defini-tion nach zwei Jahren endlich hinbekommen. Damit istein wichtiger Schritt im Hinblick auf den Umgang mitetwaigen Umwelt- und Gesundheitsrisiken gegangenworden. Nanomaterialien sind daher immer, wie jederandere Stoff auch, einer Einzelfallprüfung zu unterzie-hen. Ich glaube, ebenso wie der Kollege Neumann, dasseasoasKtebbdaMDBfirüajudemg6nw
ber niemand ist in der Regierung, der das Steuer neustiert. Genau das wäre jetzt aber nötig;
enn situativ sind die Probleme nicht zu lösen. Umsteu-rn dauert lange. Die Forderung, nachhaltige Politik zuachen, ist hier an der Tagesordnung.Die Fakten und Entwicklungen sind eindeutig: 2050ibt es in Deutschland statt 81 Millionen nur noch rund8 Millionen Menschen. Vielleicht werden es aber auchur 65 Millionen Menschen sein, wenn es mit der Zu-anderung von netto 100 000 Menschen pro Jahr nicht
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Franz Müntefering
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klappt. Wir leben zehn Jahre länger als die, die 1960 ver-gleichbar alt waren. Das Durchschnittslebensalter be-trägt 80 Jahre und bald 85 Jahre.
30 Prozent der 1970 geborenen Frauen und Männer ha-ben keine Kinder. Statt jetzt 50 Millionen werden 2050nur noch rund 38 Millionen Menschen im Erwerbsaltersein. In den letzten 20 Jahren sind 18 Millionen zugezo-gen und etwa 14 Millionen Menschen weggezogen.Die Zahl der Pflegebedürftigen verdoppelt sich. DieAusbildung zur Pflegekraft bleibt im Streit zwischenBund und Ländern aber weit hinter dem Bedarf zurück.An vielen Orten unterbleibt der fällige Ausbau der pallia-tiven Hospizdienste. Es fehlen altersgerechte Wohnun-gen und Quartiersvernetzungen. Minilöhne heute gefähr-den die Alterssicherung morgen, besonders bei Frauen,beispielsweise bei den Alleinerziehenden.Die Metropolen expandieren – auch bei ihren Wohn-kosten. In immer mehr dezentralen Räumen in Ost undWest sinkt die Bevölkerung schrittweise um 30 bis50 Prozent. Da stürzen Immobilienpreise ab. Die jungeGeneration, die Zukunftsfähigkeit garantiert, geht undbleibt weg. Alle Regionen sind betroffen. Defätismus istfalsch. Man kann etwas tun. Zynismus wäre ärgerlich.Krieg zwischen den Generationen ist Unsinn. Das Mitei-nander der Generationen ist das, was nötig ist.
Kann man etwas tun? Wir sagen: Ja, man kann etwastun. Das geht aber nicht ohne Bundesregierung. Deshalbversuchen wir gerade, Sie wachzurütteln, Herr Staatsse-kretär.
Werden Sie heute hier konkret. Es genügt nicht, nächsteWoche mal wieder im Kabinett festzustellen, dass etwaspassieren muss. Wir wollen wissen, was passiert undwann.
Vor gut vier Monaten haben wir der Regierung mit63 konkreten Fragen Gelegenheit gegeben, gründlichStellung zu nehmen. Bisher null Antwort. Wir hoffen,dass wir heute einen Schritt weiterkommen.
Es ist möglich, die Dinge zu gestalten. Wir wollen es.Wir wollen uns nicht mit der Situation abfinden, sondernwir wollen, dass dieses Land eine gute Zukunft hat.Dazu brauchen wir Mut, den demografischen Wandel inDeutschland zu organisieren, und eine gute Politik.Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
CHnhSWvEgfeIndgwBdanDwdzhsnzmwmwteskwshJwswsJWKw
ie haben recht, Herr Müntefering: Demografischerandel ist ein Phänomen, auf das wir uns langfristigorbereiten können.Dieses Phänomen geht weit über Deutschland unduropa hinaus. Auch weltweit können wir Veränderun-en in der Art und Weise des Bevölkerungswachstumsststellen. Diese Tatsache dürfen wir nicht ausblenden. zehn Tagen werden die Vereinten Nationen verkün-en, dass es jetzt 7 Milliarden Menschen auf der Erdeibt. Dieses Wachstum wird in den nächsten Jahren welt-eit Auswirkungen haben. Aber wir müssen auch denevölkerungsrückgang bei uns, den es seit 2003 gibt, inen Blick nehmen. Wir müssen die Risiken erkennen,ber auch die Chancen begreifen. Wir dürfen allerdingsicht verkennen, dass sich der demografische Wandel ineutschland regional sehr unterschiedlich auswirkenird.Der demografische Wandel ist wahrscheinlich einerer zentralen Punkte, der darüber entscheidet, ob der so-iale Zusammenhalt in unserer Gesellschaft im 21. Jahr-undert noch funktioniert. Es ist wichtig, diesen Wandelo zu meistern, dass die soziale Gerechtigkeit daruntericht leidet. Er ist wahrscheinlich die entscheidende so-iale Frage des 21. Jahrhunderts.Generationengerechtigkeit erfordert die Verbindungehrerer Lösungselemente. Die Interessen der immereniger werdenden Jüngeren und die Interessen der im-er mehr werdenden Älteren müssen fair ausgeglichenerden. Das setzt voraus, dass wir die nationalen wie in-rnationalen Herausforderungen ernst nehmen.Während in Deutschland die Bevölkerung abnimmt,teigt sie weltweit. Aber die Geschwindigkeit des Bevöl-erungswachstums nimmt in den nächsten Jahren welt-eit ab. Heute kommen noch etwa 75 Millionen Men-chen Jahr für Jahr weltweit hinzu. In den 80er-Jahrenatten wir mit etwa 88 Millionen Menschen mehr proahr den Höhepunkt erreicht. Im Jahr 2050 werden wireltweit nur noch ein Wachstum von 40 Millionen Men-chen haben. Warum sage ich das? An diesen Zahlenird deutlich, dass wir in Deutschland der demografi-chen Wende, die ein globales Phänomen ist, einigeahrzehnte voraus sind. Wir in Deutschland müssen derelt zeigen, dass der demografische Wandel nicht zuatastrophen führen muss, sondern dass man seine Aus-irkungen beherrschen kann. Wir tragen als Voran-
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Dr. Günter Krings
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schreitende eine Verantwortung über Deutschland hi-naus. Wir tragen – wenn man so will – auch eine globaleVerantwortung, in diesem Prozess gute Lösungen zu ent-wickeln, die andere vielleicht kopieren können.Die Große Anfrage der SPD-Fraktion hat mich zu-nächst, als sie kurz vor der Sommerpause kam, hoff-nungsfroh gestimmt, dass wir das gemeinsam, auch überParteigrenzen hinweg, bewältigen können. Ich bin heute– nicht hundertprozentig, aber ein wenig – enttäuscht,dass Sie jetzt die Möglichkeit nach § 102 der Geschäfts-ordnung nutzen. Das ist Ihr gutes Recht. Aber das machtmich ein bisschen skeptisch, ob es Ihnen da wirklich nurum die Sache geht.
Sie wissen genau, in der nächsten Woche kommt dergroße, umfassende Demografiebericht der Bundesregie-rung. Den hätte man noch abwarten können. Sie müssendas nicht tun, aber wenn es Ihnen um die Sache geht,hätte man das vielleicht tun sollen.
Die Ungeduld überrascht natürlich schon ein wenig,denn die über zwei Wahlperioden tagende Enquete-Kommission „Demographischer Wandel“ des DeutschenBundestages hat 2002 einen umfassenden, hochinteres-santen Abschlussbericht vorgelegt. Der ist auch heutenoch lesenswert. Darin stehen auch die Fakten, die Siegenannt haben. 2002 war mitten in der rot-grünen Regie-rungszeit. Man hätte also diesen Bericht 2002/2003 alsAnsatzpunkt nehmen können, hieraus eine Strategie zuentwickeln.Genau das machen wir, das macht die Bundesregie-rung mit dem Demografiebericht, der in der nächstenWoche vorgelegt werden wird. Wir werden dann bis Os-tern kommenden Jahres daraus eine umfassende Demo-grafiestrategie entwickeln. Das geschieht übrigens unterFederführung des Innenministeriums, weil es eine Fragedes sozialen Zusammenhalts und damit eine Quer-schnittsaufgabe der Politik ist.Diese Strategie wird fast alle Politikbereiche erfassen:neben Reaktionsnotwendigkeiten bei der Finanzierungder sozialen Sicherungssysteme, der Rentenversiche-rung, Pflegefragen, aber auch Themen wie Bildungspoli-tik, Integrationspolitik, Arbeitsmarkt und vieles mehr. Inder Großen Koalition haben wir an einer ganz entschei-denden Stelle, nämlich bei der Frage der Finanzierungder sozialen Sicherungssysteme – da spreche ich Sie,Herr Müntefering, ganz persönlich an –, einen großenFortschritt erzielt, indem wir gesagt haben, wir müssendas Renteneintrittsalter schrittweise auf 67 Jahre erhö-hen. Das war auch mit Ihre Leistung. Deshalb sehe ich esmit noch größerem Bedauern an der Stelle, dass IhreFraktion davon jetzt Stück für Stück abrückt, dass siediesen Fahrplan verlässt, dass sie gerade diesen entschei-denden Schritt, den demografischen Wandel abzubilden,aufzugreifen, daraus faire und gerechte Konsequenzenzu ziehen, jetzt nicht mehr machen will. Die SPD verab-schiedet sich von diesem Konsens. Das ist gegen Gene-raWmHabuindrePWwdhe4dsbbwsdszpzam–msaMdügudEh
Ich wünsche mir deshalb, dass Menschen wie Sie,err Müntefering, in der Fraktion standhaft bleiben undndere noch überzeugen können, dass wir an der Stelleei den vernünftigen und gerechten Lösungen bleibennd diese konsequent anwenden müssen.
Nur so werden wir auch das Thema Fachkräftemangel den Griff bekommen. Wir können gerade angesichtses demografischen Wandels immer weniger auf erfah-ne, ältere Arbeitnehmer verzichten. Wir werden dasroblem eben nicht allein durch Zuwanderung lösen.enn wir das Arbeitskräftepotenzial komplett durch Zu-anderung konstant halten wollten, bräuchten wir nichtie zitierten 100 000, sondern 400 000 pro Jahr. Ichoffe eigentlich, dass wir uns quer über die Fraktioneninig sind, dass wir nicht wüssten, woher wir jedes Jahr00 000 Zuwanderer nehmen sollten, und damit verbun-en wäre eine Integrationsaufgabe, die unsere Gesell-chaft wahrscheinlich überfordern würde. Von daherrauchen wir eine maßvolle Zuwanderung, und wirrauchen dafür ein modernes Zuwanderungsrecht. Aberir sollten das Zuwanderungsrecht nicht unnötigchlechtreden. Wir haben in weiten Teilen schon ein mo-ernes Zuwanderungsrecht.
Es hilft gar nichts, über imaginäre Gehaltsgrenzen zuprechen. Lediglich ein Spezialweg ist mit Gehaltsgren-en ausgestaltet. Schon heute kann, wenn ein Arbeits-latz nicht mit einem deutschen Arbeitnehmer zu beset-en ist, ohne Beachtung einer Gehaltsgrenze auch einusländischer Zuwanderer auf diesen Arbeitsplatz kom-en. Das Verfahren kann man sicherlich verbesserndas ist richtig –, aber im Grunde haben wir ein sehrodernes und ein sehr offenes Zuwanderungsrecht. Dasollten wir nicht unnötig schlechtreden.
Es geht nicht nur darum, vollmundige Forderungenufzustellen, sondern darum, einfach zu schauen, welcheöglichkeiten wir schon haben. Da ist natürlich auchie Wirtschaft in der Pflicht. Wer aber meint, er könneber ein neues Zuwanderungsrecht – egal, wie das aus-estaltet ist – erreichen, dass wir möglichst viele billigend willige Arbeitskräfte nach Deutschland bekommen,er hat die Union nicht mehr an seiner Seite.
s kann nicht Zweck des Zuwanderungsrechtes sein,ier in Deutschland die Löhne zu senken.
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Dr. Günter Krings
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Seit ich Mitglied im Deutschen Bundestag bin, habeich mich in verschiedenen Funktionen – als Vorsitzenderder Jungen Gruppe meiner Fraktion, als Parlamentari-scher Beiratsvorsitzender und jetzt auch in der Innen-politik – mit der Frage des demografischen Wandels be-schäftigt.
Ich habe gelernt, dass wir das Thema optimistisch ange-hen müssen. Es gibt viele positive Aspekte. Einer davonist, dass unsere Gesellschaft im Schnitt nicht nur älter,sondern auch gesünder älter wird. Es handelt sich also,wenn man so will, um gewonnene Jahre. Nicht nur wer-den dem Leben mehr Jahre hinzugefügt, sondern durchunsere Lebensweise und die Gesundheitsvorsorge wirdauch den Jahren mehr Leben hinzugefügt.Es ist richtig, dass es in Deutschland mehr pflegebe-dürftige Menschen gibt. Die Pflegebedürftigkeit trittaber immer später ein. Aus dem Grund bin ich sehr zu-versichtlich, dass wir dieses Problem gemeinsam meis-tern werden. Wir müssen es vorausschauend angehen.Wir müssen das politische Dilemma der Demokratieüberwinden, heute schon langfristig wirkende Entschei-dungen treffen zu müssen. Es ist wichtig, auch darauf zuachten, was in 20 oder 30 Jahren noch richtig ist, undsich nicht nur mit der nahen Zukunft zu beschäftigen; einBeispiel dazu habe ich eben genannt. Wir dürfen nichtnur auf aktuelle Umfragewerte achten. Denn es handeltsich hierbei um ein Thema, das wir – hoffentlich ge-meinsam – in langfristiger Verantwortung angehen wer-den.Die christlich-liberale Koalition ist bereit, diesemThema in den nächsten Wochen eine hohe Priorität ein-zuräumen.
Wir warten auf den Demografiebericht und werden da-raus eine Demografiestrategie entwickeln. Das hat diefrühere Koalition nicht geschafft. An dieser Stelle wirdes also deutlicher vorangehen, als das in den letzten Jah-ren der Fall war, Herr Müntefering.Danke schön.
Heidrun Bluhm hat jetzt das Wort für die Fraktion Die
Linke.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Seit Jahren befassen sich Experten, Institute, politischeStiftungen und Enquete-Kommissionen mit der Analyseund Beschreibung der Bevölkerungsentwicklung inDeutschland und geben verschiedene Handlungsempfeh-lungen. Aktuell gibt es eine Enquete-Kommission desDeutschen Bundestages mit dem Namen „Wachstum,Wmgv–ted2gensmkgabEtrdnuwssaFLsZEuwrodzmhafüdhteGgaMgfoAuteAinh
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15914 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 134. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Oktober 2011
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Wir werden also mit einer nationalen Demografiestrate-gie scheitern – ja, scheitern müssen.Die Grundsatzfragen für eine künftige Entwicklungmüssen lauten: Wie wollen die Menschen ihre Gesell-schaft in den nächsten Jahrzehnten gestalten? Wie kanndie Politik den objektiven Erfordernissen nach gesell-schaftlichen Veränderungen nicht nur gerecht werden,sondern sie aktiv gestalten? Erst dann stellt sich dieFrage nach der Rolle der Märkte. Können diese Märktedurch die Politik so reguliert werden, dass sie sich dendurch die demografischen Veränderungen hervorgerufe-nen künftigen Entwicklungsprozessen für die Gestaltungeiner globalen, humanen Gesellschaft anpassen?Wollen wir weiter zulassen, dass die großen Märkte– Marktbeherrscher, Global Player – weiterhin alle Le-bensbereiche der Menschen dominieren und sie mithilfeder Politik ihren Markterfordernissen unterordnen? DieBundesregierung – so hat es die Debatte heute Morgenwieder gezeigt – ist weder in der Lage noch gewillt, ei-nen solchen Paradigmenwechsel in ihrer Denkweiseüberhaupt zuzulassen.Selbst wenn statt eines echten Konzepts nur so etwaswie ein Maßnahmenbündel von der Regierung oder ei-nem Ausschuss vorgelegt werden sollte, dann gilt es– aus unserer Sicht zumindest –, einige unverzichtbareLeitplanken und Grundsätze festzuschreiben. Die demo-grafische Entwicklung darf keinesfalls Argument fürEinschnitte in soziale Sicherungssysteme, für die Priva-tisierung der Daseinsvorsorge oder die Erhöhung desRenteneintrittsalters missbraucht werden.
Die Linke ist der Überzeugung, dass die Folgen desdemografischen Wandels nur solidarisch bewältigt wer-den können – ja, müssen. Für die Stabilität der Finanzie-rungsbasis der sozialen Sicherungssysteme kommt eseben nicht vordergründig auf das Verhältnis von Jungenund Alten an, sondern auf die Anzahl und die Leistungs-fähigkeit der sozialversicherungspflichtig Beschäftigtenim Verhältnis zur Gesamtbevölkerung.Notwendig wäre eine aktive Wirtschafts- und Be-schäftigungspolitik, die mehr existenzsichernde sozial-versicherungspflichtige Arbeitsplätze schafft, die Ar-beitslosigkeit dauerhaft bekämpft, indem sie Arbeitgerecht und sinnvoll neu definiert und organisiert, undsie eben nicht als zwangsläufige Folge des Konjunktur-verlaufs hinnimmt. Notwendig ist eine Politik, die pre-käre Beschäftigung unterbindet und die Arbeitnehmerin-nen und Arbeitnehmer angemessen am Wirtschafts- undProduktivitätsfortschritt beteiligt.
Das wären zentrale Ansatzpunkte zur Gestaltung gesell-schaftlicher Prozesse aus den Erfordernissen des demo-grafischen Wandels und der Zukunftsfähigkeit der sozia-len Sicherungssysteme.Ein weiterer Ansatzpunkt läge in einer Politik, die eswieder mehr Menschen ermöglicht – und zu derenLebensentwurf es selbstverständlich gehört –, ihren Kin-derwunsch zu realisieren. Kinder dürfen niemals ein Ar-mBbtuvgdssidmuhsisRsdezleewdlereRwDledgMbuluBwpvSdsMimruUspbckk
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 134. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Oktober 2011 15915
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wird, sehr unwahrscheinlich. Ich bin deswegen wenigoptimistisch, dass die Bundesregierung auf die GroßeAnfrage der SPD-Fraktion eine zukunftssichere Antwortfür die nachwachsenden Generationen geben wird. Dazubraucht sie die Opposition. Ich verspreche Ihnen: Wirstehen zur Verfügung.Danke schön.
Manuel Höferlin hat jetzt das Wort für die FDP-Frak-
tion.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnenund Kollegen! Frau Bluhm, vielen Dank für das Ange-bot; aber wir brauchen die Opposition nicht, um gutePolitik zu machen.
– Meine Herrschaften von der SPD, ich halte das, wasSie bei Ihrer Großen Anfrage abliefern, für bezeichnend:Herr Kollege Müntefering, Sie haben in Ihrer dreiminü-tigen Rede zur Einbringung der Großen Anfrage zu Be-ginn zweieinhalb Minuten lang Überschriften vorgelesen
und erst am Ende gesagt, was Sie sich erhoffen. Insofernglaube ich, dass Sie zurückhaltender sein sollten.
Deutschland durchläuft eine tiefgreifende demografi-sche Veränderung. Wir wissen das nicht erst seit gestern.Bis in die 90er-Jahre waren Bevölkerungszahlen und Al-tersstrukturen noch einigermaßen stabil. Inzwischenkennen wir das Problem schon länger, nicht erst seit ges-tern. Auch Vorgängerregierungen hätten das Problem er-kennen können; aber sie haben es zu der Zeit nicht in al-len Bereichen ausreichend gewürdigt und Möglichkeitenungenutzt gelassen.Wir erleben eine dynamische Bevölkerungsentwick-lung, die nicht so verläuft, wie wir es wollen, sondern indie entgegengesetzte Richtung. Die Entwicklung ist re-gional stark differenziert: Wir haben in Deutschland Re-gionen, die sehr stark darunter leiden, dass sich dieRäume durch die Demografie verändern und Bevölke-rungswachstum nicht stattfindet. Zum Beispiel ist derBevölkerungsrückgang in ländlichen Bereichen Nieder-sachsens, Nordhessens und Bayerns sehr stark. Das istbedenklich. Die Ungleichgewichte erfordern einen Ein-griff, einen Plan.Sie wissen selbst, dass nächste Woche der Demo-grafiebericht der Bundesregierung vorgelegt wird
uteleredggru–mDzk8dgGfodruaWsgDeliIcSnEhnaVuc
enn Sie wissen genau, dass die Strategie, die bald vor-elegt wird, die Antworten bringen wird, die wir benöti-en.
Insgesamt lässt sich beobachten, dass die Bevölke-ngszahl abnimmt. Die Bevölkerung wird älter.
Ich liege bei meiner eigenen Arbeit für eine bessere de-ografische Entwicklung dieses Landes über demurchschnitt. Insofern können Sie sich den unqualifi-ierten Einwurf sparen.Das Statistische Bundesamt hat vor zwei Jahren er-lärt, dass im Jahr 2060 ein Siebtel unserer Bevölkerung0 Jahre und älter sein wird. Im Osten der Republik hatie Entwicklung mittlerweile dramatische Ausmaße an-enommen. Die Lebenserwartung ist stark gestiegen.leichzeitig ziehen dort immer mehr junge Menschenrt. Es kommen also zwei Entwicklungen zusammen,ie sich gegenseitig verstärken und zu dieser Überalte-ng führen.Die Veränderungen bei der Altersstruktur wird sichuch auf die Erwerbstätigkeit in Deutschland auswirken:ir werden mehr Rentner in Deutschland haben, Men-chen, die glücklicherweise länger leben und später pfle-ebedürftig werden.
as sind Herausforderungen, auf die wir mit Sicherheitine Antwort finden.Ich bin überrascht, dass Sie Ihre Anfrage offensicht-ch so lustig finden.
h bin vor allen Dingen deshalb überrascht, weil diePD doch in einem großen Teil der Länder und Kommu-en auch Verantwortung trägt.
s ist doch so, dass die Probleme, die im Zusammen-ang mit dem demografischen Wandel in den Kommu-en auftreten, auch in der Verantwortung der dort Ver-ntwortlichen liegen und Sie ja dort auch immer nocherantwortung haben. Vor diesem Hintergrund ist esmso erstaunlicher, dass Sie selbst nicht Lösungen su-hen und Antworten geben.
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15916 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 134. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Oktober 2011
Manuel Höferlin
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Deshalb verstehe ich wirklich nicht, wieso Sie das solustig finden.
Die Bundesregierung hat unter der Federführung desBMI schon im Oktober ein Handlungskonzept zur Siche-rung der privaten und öffentlichen Infrastruktur in denvom demografischen Wandel besonders betroffenenländlichen Räumen vorgelegt. Liebe Kolleginnen undKollegen der SPD-Fraktion, wie Sie wissen und wie ichauch schon gesagt habe, wird die Bundesregierungnächste Woche den Demografiebericht vorstellen. So-weit ich weiß, ist geplant, im nächsten Jahr eine Demo-grafiestrategie vorzulegen. Darum halte ich die Tatsache,ausgerechnet jetzt eine solche Anfrage zu stellen, schonfür ein wenig scheinheilig. Wir werden gute Antwortenfinden. Sie werden nachher noch zwei Kollegen von mirhören; diese werden über andere Bereiche sprechen.
Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.
Die Kollegin Tabea Rößner spricht jetzt für Bünd-
nis 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren!Wenn ich auf hoher See bin und Nebel aufzieht, dannnehme ich ein GPS-Gerät zur Hand. Das weist mir danndie Richtung.
– Das haben wir immer getan. – Aber wenn ich die Bun-desregierung anschaue und auch die Kolleginnen undKollegen von der Koalition höre, dann kommt es mireher so vor, als ob Sie damit beschäftigt sind, die Dichtedes Nebels zu messen.Der demografische Wandel ist da. Die Auswirkungensind spürbar. Als Reaktion darauf erfordern sie ganzheit-liches Denken und Gestaltungswillen. Beides kann ichbei der Bundesregierung nicht erkennen.
Ich frage Sie: Was ist Ihr Lösungsansatz? Wenn ichnicht mehr weiterweiß, gründe ich einen Arbeitskreis –genau so verfahren Sie. Sie haben eine interministerielleArbeitsgruppe gegründet, die ganz im Geheimen getagthat, und zwar so geheim, dass einzelne Mitglieder dieserArbeitsgruppe davon noch nicht einmal eine Ahnunghatten.Herr Krings, Sie sagten, Sie begriffen dieses Themaals Querschnittsthema. Wenn es tatsächlich so ist, würdeicRFbw–zisdgddSnsmfrhStidsnzudsknlaEmWCdcrüswriswkmuSgnk
eit Mitte der 90er-Jahre gibt es beim BBSR ein Ak-onsprogramm mit dem schönen Namen „MORO – Mo-ellvorhaben der Raumordnung“. In diesem Rahmenind zahlreiche Handlungsansätze erarbeitet worden: zurachhaltigen Siedlungsentwicklung, zur Infrastruktur,ur Gewährleistung der öffentlichen Daseinsvorsorgend, und, und. Es gibt auch schon Empfehlungen, wieie gesetzlichen Rahmenbedingungen verändert werdenollten. Schade nur, dass Sie an diese Arbeit nicht an-nüpfen. Dabei wären diese Ansätze gute Bojen, an de-en Sie sich ein bisschen orientieren könnten.Wir sind jetzt gefragt: Steuern wir den Wandel, oderssen wir ihn über uns ergehen? Eines ist dabei wichtig:s darf kein düsteres Bild der Zukunft an die Wand ge-alt werden.
ir Grüne haben den demografischen Wandel immer alshance gesehen. Wenn das bei Ihnen auch der Fall wäre,ann dürfte man erwarten, dass Sie das Thema deutli-her auf die politische Agenda setzen und öffentlich da-ber diskutieren.
Der demografische Wandel verändert unsere Gesell-chaft von Grund auf. Die Zahlen sind alle genannt. Dassir immer älter werden, ist erst einmal eine gute Nach-cht. Aber auf eine Gesellschaft des langen Lebens müs-en wir uns auch einstellen. Da würde es schon helfen,enn wir etwas von unserem Schwarz-Weiß-Denken ab-ämen. Es gibt nicht nur die Hilfebedürftigen, die De-enzkranken, die Alten mit Rollator auf der einen Seitend die Fincabesitzer auf Mallorca auf der andereneite. Alte Menschen in Deutschland bilden ein vielfälti-es Spektrum ab. Sie haben unterschiedliche Bedürf-isse, und sie haben viele Potenziale. Die gilt es in Zu-unft mitzudenken.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 134. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Oktober 2011 15917
Tabea Rößner
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Nicht das Alter an sich ist das Problem, sondern oftsind es die schwierigen Begleitumstände des Alterns.Um ein selbstbestimmtes Leben und soziale Teilhabe si-cherzustellen, brauchen wir nicht nur altengerechte Lö-sungen, sondern altersgerechte. Davon profitieren alle:Familien, Jugendliche, Menschen mit Behinderung undAlte.
Ein Beispiel zum altersgerechten Wohnen. ÄltereMenschen wollen möglichst lange zu Hause leben. Da-für brauchen sie Wohnungen, in denen das möglich ist.Im Mai betonte Staatssekretär Jan Mücke bei der Vor-stellung der Studie „Wohnen im Alter“ – ich zitiere –:Die Anpassung von Wohnungsbestand … an dieBedürfnisse älterer Menschen steht ganz oben aufunserer wohnungspolitischen Agenda.
Hier hätte es eine konkrete Handlungsoption gegeben.
Aber was macht die Regierung? Das Thema wird imAusschuss immer wieder vertagt, und das KfW-Pro-gramm „Altersgerecht Umbauen“ wird abgewickelt. Sosieht das also aus, wenn die Bundesregierung etwas ganzoben auf die Agenda setzt.Ein weiteres Beispiel ist der Ärztemangel auf demLand. Das ist ein wichtiges Thema. Das von der Bundes-regierung vorgelegte Versorgungsstrukturgesetz wirdnicht dabei helfen, die gesundheitliche Versorgung zuverbessern. Es kann doch nicht sein, dass junge nieder-gelassene Ärzte, die bereit sind, ein paar Dörfer weiter,wo es keinen Arzt mehr gibt, eine Zweigniederlassungaufzumachen, dafür keine Zulassung erhalten. Solchedezentralen Lösungen sind doch zu begrüßen, aber siewerden durch technokratische Verfahren erschwert odersogar verhindert.Wir brauchen einen Perspektivwechsel und solltenvon den Bedürfnissen der Menschen ausgehen. Nicht derErhalt von Infrastruktur um ihrer selbst willen darf imFokus stehen. Vielmehr muss man sich fragen: WelcheInfrastruktur brauchen die Menschen, damit sie am ge-sellschaftlichen Leben teilhaben können? Da reicht eseben nicht, Fachkräfte mit höherem Gehalt aufs Land zulocken.Ich komme wie auch Herr Höferlin aus Rheinland-Pfalz, wo einige Regionen vom demografischen Wandelmassiv betroffen sind. Wissen Sie, was mir die Ortsbür-germeister häufig berichten? Wenn sich junge Familienein Haus oder eine Wohnung in der Gemeinde an-schauen, dann kommen immer drei Fragen: Erstens. Gibtes Kinderbetreuung? Zweitens. Gibt es Einkaufsmög-lichkeiten? Drittens. Gibt es Breitband? Das sind dieBedürfnisse, um die wir uns kümmern müssen: die Ver-einbarkeit von Familie und Beruf und echte Breitband-anschlüsse, die Homeoffice ermöglichen und vieleDinge des Alltags erleichtern.wEBMdmoshpDsAteualissKageskruksWmzgs–dsCKu
Stichwort Fachkräftemangel. In einigen Regionenerden bereits heute händeringend Fachkräfte gesucht.inige kleine Betriebe stellen sogar Schulabgänger ohneerufsausbildung ein. Das ist falsch; denn diese jungenenschen machen später meistens keine Berufsausbil-ung mehr. Wir brauchen aber Fachkräfte, und deshalbüssen wir dafür sorgen, dass kein junger Mensch mehrhne Ausbildung ins Berufsleben startet.Wir müssen uns auch darum bemühen, dass Men-chen gerne zum Arbeiten in unser Land kommen, daseißt, wir müssen Zuwanderung positiv und nicht re-ressiv gestalten.
azu müssen wir die Einkommensschwelle für ausländi-che Fachkräfte senken und die im Ausland erworbenenbschlüsse anerkennen. Wir brauchen das Punktesys-m. Viele Migrantinnen und Migranten arbeiten bereitsnter ihrem Qualifizierungsniveau. Das ist nicht nur her-bwürdigend, sondern es vergeudet auch Potenziale.Das sind nur einige Beispiele. Die Liste ließe sich be-ebig fortführen. Unser Ziel muss es sein, eine Gesell-chaft zu fördern, die wieder stärker zu einer Gemein-chaft zusammenwächst. Statt des oft beschworenenampfes der Generationen – Herr Müntefering hat esngesprochen – muss es den Dialog der Generationeneben. Wir wollen eine Gesellschaft, die sich kümmert,ine solidarische, faire und generationengerechte Gesell-chaft. Dazu brauchen wir freiwilliges Engagement. Dasann man aber nicht erzwingen, sondern man muss da-m werben. Wir brauchen neue Partizipationsmöglich-eiten; denn die Menschen wollen mitgestalten. Dannind sie auch bereit, Veränderungen mitzutragen.Es ist falsch, zu glauben, es gebe ein Patentrezept.as wir ganz sicher brauchen, ist eine Strategie, um ge-einsam mit den Ländern und Kommunen Maßnahmenu erarbeiten und umzusetzen. Wir brauchen eine Strate-ie, die über die Ressorts hinausdenkt, und wir brauchenchnellstmöglich ein Handlungskonzept.Ich rate Ihnen: Nehmen Sie endlich ein GPS-Gerätoder lassen Sie es auch nur einen Kompass sein – inie Hand! Dann werden Sie den Nebel endlich hinterich lassen.Vielen Dank.
Das Wort hat jetzt Manfred Behrens für die CDU/
SU-Fraktion.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrtenolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damennd Herren! Wir beschäftigen uns heute mit dem Thema
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15918 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 134. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Oktober 2011
Manfred Behrens
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„Der demografische Wandel in Deutschland“. Inhaltlichstellt die SPD 63 Fragen, um die Sichtweise der Bundes-regierung zu ergründen. Allerdings stelle ich mir bereitshier die Frage: Was hat die SPD denn bisher getan? Ichsage es Ihnen: Obwohl die Problematik längst bekanntist, haben Sie keine Konzepte.Die Altersstruktur in Deutschland ist dadurch gekenn-zeichnet, dass bereits seit über zwei Jahrzehnten dieSterberate deutlich über der Geburtenrate liegt. Dem-nach schrumpft die deutsche Bevölkerung Jahr für Jahr.Auch in der Zeit der Regierungsbeteiligung hat IhrePartei keine tragfähigen Maßnahmen auf den Weg ge-bracht.
Und nun, angekommen in der Opposition, versuchen Siedas Thema „Demografischer Wandel“ als eigenesThema zu deklarieren. Mit Negativinterpretationenschüren Sie Ängste innerhalb der Bevölkerung. Sie ma-len unnötig regelrechte Horrorszenarien an die Wandund wundern sich anschließend, dass die Menschen ver-unsichert sind.Um für die Zukunft seriöse Politik anbieten zu kön-nen, muss man wissen, was in den vergangenen 100 Jah-ren demografisch passiert ist.
Zum einen ist die Lebenserwartung um 30 Jahre gestie-gen. Zum anderen hat sich der Anteil der Kinder an derBevölkerung von 40 auf 20 Prozent halbiert. Zudem hatsich der Anteil von Menschen über 65 Jahren auf 15 Pro-zent verdreifacht. Alle diese Zahlen beweisen, dassDeutschland bereits in der Vergangenheit enorme Verän-derungen ertragen und überlebt hat. Ich will es ganzdeutlich machen: Deutschland steuert mit seiner demo-grafischen Entwicklung nicht auf den Abgrund zu.
Als Bundestagsabgeordneter und Ortsbürgermeisteraus dem Wahlkreis Börde-Jerichower Land befasse ichmich intensiv mit Fragen der demografischen Entwick-lung und deren Auswirkungen auf Sachsen-Anhalt.
Es ist bekannt, dass es aufgrund geburtenschwacherJahrgänge zu einem Rückgang des Arbeitskräftepoten-zials kommen wird. Es ist auch kein Geheimnis, dass be-reits schwach besiedelte Gebiete mit einer geringen Be-völkerungsdichte vor Probleme gestellt werden; dennhier, in ländlichen Gebieten, wird die Tragfähigkeit vonInfrastrukturen im öffentlichen Leben schnell unter-schritten.Auch die Infrastruktur auf dem gesundheitlichen Ge-biet stellt Gemeinden zunehmend vor finanzielle Pro-bleme. Aber an dieser Stelle von einer aussterbendendgugBGd2fanHhBsKruPdSoPucotaaPsTreunmhresBwgwInLdSgCK
Für die Zukunft brauchen wir aber auch vernünftigeonzepte, die den ganz speziellen regionalen Anforde-ngen gerecht werden. Wir brauchen gute regionalerojekte. Daher ist es von großer Bedeutung, dass sichie einzelnen Gemeinden ihrer eigenen Stärken undchwächen bewusst werden. Das Ziel kann lauten: Ko-peration auf regionaler Ebene. An dieser Stelle könnenolitik, Wirtschaft und Verbände zusammenkommen,m ein regional gültiges Problembewusstsein zu entwi-keln. Darüber hinaus können sich die regionalen Ko-perationspartner in einem ständigen Informationsaus-usch über kurz- und mittelfristige Ziele für ihre Regionbstimmen und versuchen, diese gemeinsam mit derolitik zu erreichen. Die CDU/CSU-Fraktion wird die-en breiten Dialog fordern und fördern.In meinem Heimatland, Sachsen-Anhalt, ist dashema seit zwei Jahrzehnten allgegenwärtig, unter ande-m wurde die Stabstelle Demografische Entwicklungnd Prognosen neu geschaffen. Im Rahmen verschiede-er Stadtumbauprogramme haben sich Städte konkretit den Bevölkerungsprognosen beschäftigt und ganz-eitliche Konzepte erarbeitet. Durch effiziente Struktu-n wird die Funktionsfähigkeit der Gemeinden in Sach-en-Anhalt auch zukünftig gesichert.An dieser Stelle möchte ich aus meiner Gemeinde eineispiel für die medizinische Versorgung nennen. Ebenurde gesagt, dass es keine Zulassungen für Hausärzteibt. Fakt ist, dass wir sterbende Hausärzte und immereniger Hausarztpraxen vor Ort haben.
meiner Gemeinde hat ein junges Arztehepaar einandambulatorium gegründet. Sie haben mehrere voner Schließung bedrohte Hausarztpraxen übernommen.omit ist die gesundheitliche Betreuung bei mir vor Ortesichert.Zum Schluss möchte ich noch festhalten, dass dieDU/CSU-Fraktion an ernsthaften und zukunftssicherenonzepten arbeitet. Die Bewältigung des demografi-
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 134. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Oktober 2011 15919
Manfred Behrens
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schen Wandels durch Gestaltung der politischen Rah-menbedingungen und das Erkennen von Potenzialen isteine nationale Aufgabe. Die CDU/CSU-Fraktion hatsich dieser Aufgabe angenommen. Sie wird diese auchin Zukunft mit den Bürgerinnen und Bürgern inDeutschland erfolgreich gestalten.Danke schön.
Die Kollegin Sabine Bätzing-Lichtenthäler hat jetzt
das Wort für die SPD-Fraktion.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen undKollegen! Die ganze Welt redet in diesen Tagen über dieZukunftsrisiken, die von den Finanzmärkten und denüberschuldeten Staaten ausgehen – mit Recht; denn esgeht um nicht weniger als um die Sicherung von Wohl-stand, Lebensqualität und solidarischem Miteinander.Genau darum geht es auch bei der Gestaltung des demo-grafischen Wandels. Es geht um das Miteinander der Ge-nerationen.
Der demografische Wandel wird überall in unseremLeben zu spüren sein. Er wird sich auf Kinder auswir-ken: Es wird immer weniger Kinder geben. Er wird sichauf Jugendliche auswirken, wenn Freizeitangebote nichtmehr aufrechterhalten werden können. Er wird sich aufFamilien auswirken, wenn die ältere Generation ge-pflegt, die jüngere erzogen und die Anforderungen desArbeitslebens erfüllt werden müssen. Politik sollte denMenschen in einer solchen Situation Orientierung geben.Sie sollten ihnen nicht vorschreiben, wie sie zu leben ha-ben, sondern sie unterstützen, wo das nötig ist.
Wir brauchen von daher gute und nachhaltige Bedin-gungen für Kinder, Jugendliche und Familien. Alle Kin-der sollen gesund, materiell abgesichert und mit denbesten Bildungschancen aufwachsen. Wir wollen Ju-gendliche stark machen. Niemand darf zurückgelassenwerden. Sie brauchen notfalls auch eine zweite oderdritte Chance, um die Schule, eine Ausbildung oder einStudium abzuschließen zu können.
Wir wollen Familien unterstützen. Sie erziehen dieKinder und tragen zu einem großen Teil unser sozialesSicherungssystem. Die Familienmitglieder übernehmenVerantwortung füreinander und für die gesamte Gesell-schaft. Egal ob Enkelin, Opa oder Mama, wir wollen füralle Familienmitglieder eine Balance zwischen Ausbil-dung, Freizeit, Engagement und Beruf. Mit den richtigenIdeen und modernen Zukunftsprojekten lässt sich der de-mografische Wandel gestalten.ChnWmIhsdkSdsWEmineteadWzAFbMTkbmvdV
ollen Sie sich diesem demografischen Wandel ohn-ächtig und tatenlos ergeben? Ihre Plenarpräsenz undr Engagement in den Debatten sprechen Bände.
Ich werde manchmal darauf hingewiesen und ange-prochen, es gebe keine Unterschiede mehr zwischenen Parteien. Das sehe ich anders. Die Unterschiedeönnten teilweise gar nicht größer sein. So läuft die SPDturm gegen die Einführung eines Betreuungsgeldes;enn die negativen bildungs- und gleichstellungspoliti-chen Wirkungen wären fatal.
as macht die Union? Sie hält – gegen die Meinung derxperten – am Betreuungsgeld fest, nur um ein ver-eintlich konservatives Familienbild zu erhalten,
dem die Frau zu Hause am Herd steht und die Kinderrzieht.
Bauen Sie nicht die Herdprämie aus, sondern das El-rngeld. Während die SPD das erforderliche Elterngeldusbauen will, nimmt die Union Kürzungen vor. Es wer-en sogar Forderungen nach einer Streichung laut.
ir wollen niemanden zwingen, arbeiten zu gehen, stattu Hause bei den Kindern zu sein.
ber Deutschland ist auf den Schatz gut ausgebildeterrauen auf dem Arbeitsmarkt angewiesen. Deshalbrauchen wir Konzepte. Sorgen Sie dafür, dass es fürütter attraktiv ist, zu arbeiten, dass sie notfalls einigeage zu Hause bleiben und sich um ihre kranken Kinderümmern können, ohne Angst um den Arbeitsplatz ha-en zu müssen, und dass sie sich keine Sorgen machenüssen, ob der Monat vor dem Gehalt oder das Gehaltor dem Monat zu Ende ist. Sorgen Sie dafür, dass fürie Väter die gleichen Regelungen gelten; denn moderneäter haben dieselben Probleme wie moderne Mütter.
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Sabine Bätzing-Lichtenthäler
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Aber an solchen Konzepten mangelt es Ihnen; Siesind meilenweit davon entfernt. Bis jetzt haben wir vonIhnen nur Beschreibungen des Status quo gehört.
Von daher, liebe Kolleginnen und Kollegen vonSchwarz-Gelb, Sie brauchen einen Kurswechsel. Siemüssen jetzt Orientierung geben, statt sich orientie-rungslos durchzuwursteln.
Sie müssen jetzt Gemeinwohl organisieren, statt Lobby-ismus zu betreiben.
Sie haben in dieser Legislaturperiode schon so oftIhre Meinung geändert. Tun Sie es doch auch diesesMal. Es ist noch nicht zu spät, dem demografischenWandel richtig zu begegnen. Nehmen Sie Ihre Verant-wortung wahr, entwickeln Sie Konzepte, so, wie es inunserer Großen Anfrage gefordert wird. Denn es gehtum nicht weniger als um die Sicherung von Wohlstandund von Lebensqualität sowie um das Miteinander derGenerationen.Danke schön.
Johannes Vogel hat jetzt das Wort für die FDP-Frak-
tion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Erst einmal müssen wir alle festhalten – ich freue mich,dass auch die Kollegen der SPD darauf hingewiesen ha-ben –: Wir reden hier über eine gute Nachricht. Wir re-den darüber, dass wir alle tendenziell immer älter wer-den und dabei länger fit bleiben. Sie haben natürlichrecht: Dieser Prozess muss politisch gestaltet werden,und zwar mit Jung und Alt zusammen. Die Kollegen– Kollege Krings hat zuerst darauf hingewiesen – habenschon dargestellt: Es ist bestenfalls Oppositionsgetöse,dass Sie uns, nur weil seit vier Monaten die Antwort derBundesregierung ausbleibt, Handlungsunfähigkeit unter-stellen; denn Sie wissen, dass nächste Woche nicht nurein Demografiebericht, sondern Anfang des Jahres aucheine umfassende Demografiestrategie vorgelegt werden.
Ich glaube, wenn wir uns anschauen, was wir als Ko-alition hier machen, dann lässt sich dieses Bild nicht hal-teBkH6ssudVwre2ogdMDWwQDaWtedbksicSsIcslaoowswbsü
bwohl es zu der Zeit 2 Millionen Arbeitslose mehrab, Frau Kollegin Mast. Wir stellen uns übrigens aucher Aufgabe – das wissen Sie am besten, Frau Kolleginast –, den Arbeitsmarkt der Zukunft zu bauen.
iese Bundesregierung, diese Koalition hat erst vor zweiochen eine Arbeitsmarktreform verabschiedet, bei derir erstmals die Möglichkeit ausgebaut haben, in dieualifikation Beschäftigter zu investieren.
as hilft den Menschen auf dem Arbeitsmarkt; das hilftuch bei der Bewältigung des Fachkräftemangels.
ir alle wissen, dass die Menschen länger werden arbei-n müssen. Das ist auch richtig so. Wir kümmern unsaher auch um die Rahmenbedingungen für einen flexi-len Renteneintritt.Ich glaube, niemand kann sagen, dass diese Koalitionein Konzept hätte oder sich der Herausforderung nichttellen würde. Was man aber sagen kann – das bedauereh wirklich – ist: Es ist schade, wie wenig konstruktivie, liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, die-en Prozess begleiten.
h nenne als Beispiel den Fachkräftemangel. Wir wis-en, dass es darum geht, die Potenziale hier in Deutsch-nd zu stärken, wir wissen aber auch, dass wir ihn nichthne mehr Zuwanderung beheben werden. Es wird nichthne mehr Zuwanderung gehen. Wir müssen am Wettbe-erb um die klügsten Köpfe der Welt teilnehmen.Was hat Ihr Parteivorsitzender dazu beizutragen? Erpielt das zu stärkende Potenzial im Inland und mehr Zu-anderung gegeneinander aus. Er sagt, wenn dieses Pro-lem ausschließlich über Einwanderung gelöst werdenoll – was niemand gesagt hat –, so muss sich niemandber Ausländerfeindlichkeiten wundern.
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Johannes Vogel
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Dieses Gegeneinanderausspielen hilft uns nicht. Dashilft uns auch nicht dabei, Menschen nach Deutschlandzu holen. Denn eine Willkommenskultur, liebe Kollegin-nen und Kollegen von der SPD, stellen wir uns definitivanders vor.
Ein letzter Aspekt. Ich würde mir mehr konstruktiveBegleitung insofern wünschen, als Sie einfach zu demstehen, was Sie selber für dieses Land erreicht haben. Lie-ber Kollege Müntefering, das ganze Land kann zum Bei-spiel Ihnen ganz persönlich und auch Ihnen, liebe Kolle-ginnen und Kollegen von der SPD, dafür dankbar sein,dass Sie die richtige Entscheidung getroffen haben, dassMenschen, wenn sie länger fit bleiben, älter werden, auchlänger arbeiten müssen. Deshalb war der schrittweiseUmstieg auf die Rente mit 67 richtig.
Davor laufen Sie jetzt davon. Dazu wollen Sie sich jetztnicht mehr bekennen. Statt uns vorzuwerfen, wir reagier-ten nicht auf den demografischen Wandel, wäre es einguter Anfang, wenn Sie zu dem stünden und sich dazubekennen würden, was Sie für dieses Land einmal posi-tiv erreicht haben.
Das würde uns allen helfen, mehr jedenfalls als solcheDebatten mit der Behauptung, die Bundesregierung habekein Konzept.Vielen Dank, liebe Kolleginnen und Kollegen.
Mechthild Rawert hat das Wort für die SPD-Fraktion.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen!Sehr geehrte Damen und Herren! Herr Vogel, Sie solltensich schämen.
Sie sollten sich wirklich schämen. Ich hatte nicht vor, indieser Rede zum Thema Demografie die Äußerungeninsbesondere der Union gegen Zuwanderung zu wieder-holen, weil das ein rückwärtsgerichtetes Denken ist.
Aber es rächt sich heute, dass gerade die Union –
wenn Sie uns beschuldigen, Arbeitnehmerinnen und Ar-beitnehmer gegen Zuwanderinnen und Zuwanderer aus-zuspielen, haben Sie in Ihrem jugendlichen Leichtsinndie Historie nicht richtig verfolgt – so lange gezögerthrirukDtegukdsismFcwsdblokDmmaLfesoLZInsdW
Der mittel- und der langfristige Fach- und Arbeits-räftemangel beruht auf dem demografischen Wandel.er jetzige Fachkräftebedarf liegt begründet in verpass-n Chancen, mangelnder Frauenerwerbstätigkeit, man-elnder Beschäftigung von Migrantinnen und Migrantennd mangelnder Beschäftigung von Älteren.
Zum Kontext der Zuwanderung im Bereich der Fach-räfte sage ich Ihnen: Das moderne Zuwanderungsrecht,as hier reklamiert worden ist, haben wir noch nicht. Ichage ausdrücklich: Eine gelingende Integrationspolitikt die beste Werbung für gezielte Zuwanderung. Füreinen Bereich, für Gesundheit und für Pflege, sage ich:ür den Bereich der öffentlichen Daseinsvorsorge brau-hen wir nicht Billigkräfte, wie es vorhin schon gesagtorden ist,
ondern wir brauchen qualifizierte Fachkräfte, zugewan-erte und hiesige. Wenn Sie sich für den Bereich Ar-eitsmarktpolitik stark machen, indem Sie den Mindest-hn für alle Branchen bekräftigen, schüren Sie aucheine weiteren Ängste von Hiesigen und Zuwanderern.
iesen Schritt sollten Sie schlicht und ergreifend zusam-en mit uns gehen.Faktum ist: Zuwanderer werden in Zukunft nichtehr vorrangig aus der Europäischen Union kommen,uch nicht mehr aus Osteuropa. Denn die europäischenänder sind selbst vom demografischen Wandel betrof-n. Junge, gut ausgebildete und migrationswillige Men-chen könnten aber aus den Maghreb-Staaten, aus Fern-st, aus Asien und auch aus Indien und Afrika kommen.aden wir diese herzlich ein!
eigen wir ihnen, dass wir sie hier tatsächlich brauchen!tegrieren wir sie offenen Herzens in unsere Gesell-chaft, aber nicht als Billigkräfte!
In der Zuwanderungspolitik müssen wir sehr schnellen Wechsel zu einer offenen, auf Vielfalt beruhendenillkommens- und Anerkennungskultur schaffen. Wir
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Mechthild Rawert
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brauchen eine differenzierte Zuwanderungssteuerungmittels eines Punktesystems. Sie haben dies in der Ver-gangenheit vorrangig verhindert.
– Nein, nicht zu Recht.Wir brauchen gute und qualifizierte Arbeit, insbeson-dere in den sozialen Bereichen, im Gesundheitsbereichund in der Pflege. Nur das Zusammenspiel von gut aus-gebildeten hiesigen und noch zuwandernden Fachkräftenwird die Sicherstellung einer würdevollen Pflege füralle, um die wir die ganze Zeit ringen und die wir von Ih-nen fordern, ermöglichen. Anders schaffen Sie es nicht,den demografischen Zusammenhalt zu gewährleisten.
Frau Kollegin.
Wer diesen solidarischen und attraktiven Zusammen-
halt will, steht aufseiten der SPD.
Danke für Ihre Aufmerksamkeit.
Ewa Klamt hat das Wort für die CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen undHerren! Mit der Großen Anfrage zum Thema „Der demo-grafische Wandel in Deutschland“ haben Sie, sehr geehrteKolleginnen und Kollegen von der SPD, sich wieder ein-mal mit einer der größten Herausforderungen, die unsereGesellschaft zukünftig zu bewältigen hat, befasst. Wir ha-ben es hier schon mehrfach gehört: Das Bundeskabinettverabschiedet nächste Woche den Demografiebericht. In-sofern will ich Ihre Große Anfrage positiv werten, undzwar als konstruktive Begleitung der Bundesregierungauf einem Weg, den diese richtigerweise eingeschlagenhat. Denn der demografische Wandel – in diesem Punktgebe ich Ihnen vollkommen recht – ist eine der größtenHerausforderungen für unsere Gesellschaft.Der Rückgang der Bevölkerungszahl und die zuneh-mende Alterung werden nicht nur im Bereich der sozia-len Sicherungssysteme, bei der Pflege und im Hinblickauf den Fachkräftebedarf, sondern auch bei der erfolg-reichen Gestaltung einer älter werdenden Gesellschaft inden Bereichen Bildung und Forschung eine entschei-dende Rolle spielen. Dort bildet der demografische Wan-dwwvGSszdVuBwglewdmsrudgdfeWbEcMsGleeFEtemg3dtihmmn
eil Bildung und Forschung eine Schlüsselfunktion ha-en, fördert das Ministerium Maßnahmen, die auf einerhöhung der Erwerbsbeteiligung und der gesellschaftli-hen Teilhabe älterer Menschen abzielen, ebenso wieaßnahmen zur Erhöhung des Bildungsstandards. Sieehen an diesem Punkt auch, dass sich viele der 63 in derroßen Anfrage enthaltenen Fragen eigentlich schon er-digt haben, weil wir längst entsprechende Maßnahmenrgriffen haben.Ein weiteres zentrales Thema ist die Sicherung desachkräftebedarfs. Dazu gehört sicher auch dierhöhung der Innovationspotenziale und der Erwerbsbe-iligung zugewanderter Menschen. In diesem Zusam-enhang liegt mir das Berufsqualifikationsfeststellungs-esetz besonders am Herzen.
00 000 Menschen in Deutschland warten darauf, dassie von ihnen im Ausland erworbenen Berufsqualifika-onen endlich in einem vereinfachten Verfahren und an-and einer klaren Regelung geprüft werden können. Da-it soll gewährleistet werden, dass sich diese Menschenit ihren Potenzialen und Fähigkeiten einbringen kön-en.
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Ewa Klamt
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Daher hoffe ich sehr, dass das derzeit im Bundesrat zurBeratung anstehende Gesetz nicht blockiert wird, undich appelliere an alle Kolleginnen und Kollegen, ihrenEinfluss in den Ländern geltend zu machen, damit dieseswichtige Gesetz in Kraft treten kann.
Weiteren Herausforderungen unserer älter werdendenGesellschaft nimmt sich das Bundesministerium für Bil-dung und Forschung bereits seit mehreren Jahren in un-terschiedlichen Förderschwerpunkten an. Dazu gehörtinsbesondere das Thema Pflege. Vor dem Hintergrundder steigenden Zahl der Pflegebedürftigen unterstütztdas Ministerium die Entwicklung von Prozessen – dassind Dinge, die Sie konkret angesprochen haben –, durchdie zum einen Pflegemaßnahmen erleichtert und zum an-deren pflegende Angehörige und professionell Pflegendeentlastet werden und mehr Raum für menschliche Zu-wendung ermöglicht wird.Sie alle kennen auch das Programm „Informations-und Kommunikationstechnologie 2020“. Gefördert wer-den damit neuartige Lösungen für altersgerechte Mobili-täts- und Kommunikationstechnologien, mit denen älte-ren Menschen eine bessere Teilhabe ermöglicht wird.Wenn ich den Reden hier zuhöre, dann stelle ich immerwieder fest, dass ganz viele Kolleginnen und Kollegenüberhaupt nicht wissen, was von dieser Bundesregierunglängst auf den Weg gebracht worden ist.
– Dafür haben Sie mich jetzt gerade hier. Ich erzähle Ih-nen das alles ja gerade.Ich sage Ihnen Folgendes: Trotz vieler bereits getrof-fener Maßnahmen steht natürlich fest, dass bei der Be-wältigung des demografischen Wandels noch viele Auf-gaben vor uns liegen und langfristige strategischeAntworten notwendig sind. Daher wird der anstehendeDemografiebericht, den das Bundeskabinett verabschie-den wird, sicherlich nicht nur eine Analyse, sondernauch Ansätze in Bezug auf den weiteren Handlungsbe-darf enthalten.Ich bin überzeugt, dass man den demografischenWandel mit gezielter Forschung und Entwicklung aktivund positiv gestalten kann, und ich denke, dass das dochwirklich ein Thema ist, bei dem wir alle konstruktiv mit-arbeiten können.Ich danke Ihnen.
HGdDaddgDcVmriAadzvZmWainvgaugSMtrfüH1reWEdgsk
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen underren! Durch keine andere Entwicklung wird unsereesellschaft so stark und auch nachhaltig beeinflusst wieurch den demografischen Wandel. Dieser wird sich ineutschland regional sehr unterschiedlich auswirken:uf der einen Seite im ländlichen Raum, wo es Abwan-erungsbewegungen gibt, und auf der anderen Seite inen Ballungsgebieten, wo es Zuwanderungstendenzenibt. Wir werden merken, wie sich das überall ineutschland und überall unterschiedlich bemerkbar ma-hen wird.Die Stärkung der Innenstädte und der Ortskerne, dieerkehrs- und Telekommunikationsinfrastruktur, dieedizinische Versorgung und gerade auch die Pflegeein-chtungen im ländlichen Raum stehen ganz oben auf dergenda.Zur Freiheit jedes Einzelnen gehört es schließlichuch, sich selbstbestimmt fortbewegen zu können, so-ass in jeder Lebenssituation eine aktive Teilhabe am so-ialen und kulturellen Leben möglich ist und die damiterbundenen Einrichtungen besucht werden können.iel muss hierbei stets die Barrierefreiheit sein, wo im-er sie technisch und auch wirtschaftlich möglich ist.o sich dies nicht realisieren lässt, muss ein hoher Gradn Barrierearmut ermöglicht werden. Hierzu sind wirsbesondere auch durch die UN-Behindertenrechtskon-ention verpflichtet, die hier ja mit breiter Mehrheit an-enommen worden ist. Die Umsetzung der Barriere-rmut ist ein dynamischer Prozess, der nur schrittweisenter Berücksichtigung der Verhältnismäßigkeit vollzo-en werden kann.Einen alten Baum verpflanzt man nicht mehr, sagt einprichwort. Es ist doch ein verständlicher Wunsch, dassenschen im Alter möglichst lange zu Hause in der ver-auten Umgebung bleiben möchten, wo sie sich sicherhlen.
ier ergibt sich Handlungsbedarf. Aktuell sind nur,2 Prozent der Wohnungen in Deutschland altersge-cht. Wir brauchen aber bis 2020 etwa 2,5 Millionenohnungen. Wünschenswert wäre also eine deutlicherhöhung der Quote auf etwa 20 Prozent bis 2030.Die ambulante Pflege in den eigenen vier Wänden isteutlich günstiger als die stationäre Pflege und damitleichermaßen entlastend für die Pflegeversicherung undomit auch ein Beitrag für mehr Generationengerechtig-eit.
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Sebastian Körber
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Zukunftsfähige Baupolitik kommt daher an einer Fort-führung des KfW-Programms „Altersgerecht Umbauen“nicht vorbei; darüber sind wir uns als Fachpolitiker inder Koalition einig.Kommen wir kurz zur Großen Anfrage der SPD. Da-bei fällt mir insbesondere die Frage 34 auf; Sie solltenjetzt genau aufpassen.
Ich zitiere:Welche Konsequenzen und Handlungsbedarfe erge-ben sich für die Infrastrukturen, insbesondere fürden Verkehrsbereich?Nun, ein persönlicher Beitrag der SPD dazu war wohldie Anschaffung eines eigenen Kreuzfahrtschiffes„MS Princess Daphne“. Ich habe mir das einmal ange-schaut, weil das schon sehr bemerkenswert ist. Ich willdas inhaltlich nicht weiter werten; Sie können als ParteiIhr Geld investieren, wo Sie möchten. Aber da wir unsmit der demografischen Entwicklung und der Barriere-freiheit befassen, stelle ich leider fest, dass es auf IhremSchiff keine Behindertenkabinen gibt. Sie sollten alsodringend bei sich selber anfangen.Wie glaubwürdig ist das denn? Ich darf noch einmalaus Ihrer Großen Anfrage zitieren:Deutschland muss sich vor dem demografischenWandel nicht fürchten.Vor Ihrer Doppelmoral an dieser Stelle aber sehr wohl!
Der Demografiebericht ist angesprochen worden. Las-sen Sie uns auf Grundlage dieses Berichts ein sinnvollesKonzept erarbeiten, um gemeinsam den Menschen inDeutschland so lange wie möglich ein selbstbestimmtesund generationengerechtes Leben zu ermöglichen.Vielen Dank.
Jetzt hat Petra Crone für die SPD-Fraktion das Wort.
Frau Präsidentin! Liebe Kollegen und Kolleginnen!Sehr geehrte Damen und Herren! Der demografischeWandel hat natürlich nicht nur, aber eben auch zu einemgroßen Teil damit zu tun, dass wir immer älter werden.Wir gewinnen Lebenszeit. Die meisten Älteren bleibenlänger fit und gesund. Neulich ist beim Marathon hier inBerlin ein 75-Jähriger aus meinem Wahlkreis mitgelau-fen. Wunderbar!
Die Älteren haben Erfahrung, Wissen und wichtigeQualifikationen. Sie bieten ein großes Potenzial, das siefüksÄwa–lewwvspudteAgbtevPdIsgmgEfobPbÜdsSk
t Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen der Koalition,ar nicht klar, wie dringend notwendig sie ist?Die SPD-Bundestagsfraktion hat schon vor der Som-erpause ein umfassendes Pflegekonzept auf den Marktebracht.
s umfasst neben der Finanzierung von Pflege die Re-rm des Pflegebedürftigkeitsbegriffs und der Pflegeaus-ildung, die Infrastruktur für Beratung und ambulanteflege, die Voraussetzungen für eine würdevolle Sterbe-egleitung und die Vereinbarkeit von Pflege und Beruf.brigens verzichtet es anders als der gestern verabschie-ete Entwurf eines sogenannten Familienpflegezeitge-etzes nicht auf einen Rechtsanspruch.
Nehmen Sie sich ein Beispiel daran! Denn es ist einkandal, dass Sie auf die drängendsten Fragen der Zeiteine Antworten haben.Ich danke Ihnen.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 134. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Oktober 2011 15925
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Michael Frieser hat für die CDU/CSU-Fraktion das
Wort.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen undHerren! So leid es mir tut, muss ich feststellen, dass wirzu diesem Thema eine Schaufensterdebatte führen.Meine Vorredner haben auch schon darauf hingewiesen:
Wenn man weiß, dass die Antwort der Bundesregierungnoch kommt und ein Demografiebericht ansteht, undwenn man sogar an einem Großteil der Diskussionen be-teiligt war, aber trotzdem die heutige Debatte nutzt, ummit dieser Fleißarbeit an zusammengestellten Fragen inder Großen Anfrage in irgendeiner Art und Weise dasThema zu besetzen,
dann muss man sich den Vorwurf gefallen lassen, dassdas eher strategischer als inhaltlicher Natur ist. DieseBemerkung wollte ich mir erlauben.Frau Kollegin Crone, ich finde das, was Sie zu dergestrigen Debatte über die Vereinbarkeit von Pflege undBeruf gesagt haben, der Sache nicht ganz angemessen.Ich glaube, dass unser Vorhaben in die richtige Richtunggeht.
Einen Punkt, in dem Nachholbedarf besteht, muss ichder SPD vorhalten. In der gesamten Großen Anfrage fin-den sich kein einziges Mal die Wörter „Integration“ oder„Migration“. Das ist überraschend. Ich will Ihnen zugu-tehalten, dass es darin um den Zu- und Abwanderungs-saldo geht; aber es beschränkt sich auf diesen Kontext.Wir müssen eine erfolgreiche Integrationspolitik undeine erfolgreiche Bewältigung der Migration, die in un-serem Land stattfindet, hinbekommen; darum handelt essich. Es wäre völlig verkehrt, zu glauben, dass Zuwande-rung die einzige mögliche Antwort auf die Herausforde-rungen des demografischen Wandels ist.
Wichtig ist aber, dass alle Einflüsse des Integrationspro-zesses auf eine Gesellschaft im demografischen Wandelberücksichtigt werden. Ich bin deshalb der Frau Kollegindankbar, dass sie auf das Berufsqualifikationsfeststel-lunggesetz hingewiesen hat.
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Wie Sie wissen, beträgt beispielsweise in Berlin dernteil von Menschen mit Migrationshintergrund 43 Pro-ent. Ich komme aus Nürnberg, einer Stadt mit einemnteil von Menschen ausländischer Herkunft oder mitigrationshintergrund von 34 Prozent. Das zeigt deut-ch, dass auch dies ein Ansatzpunkt ist.Wir müssen über die Frage der Ab- und Zuwanderungden. Was wollen wir nicht? Wir wollen keine automa-sche Zuwanderung in Sozialsysteme. Zuwanderung hatur dann Sinn – darin sind wir sicherlich einer Meinung –,enn Teilhabe und Teilnahme der Menschen, die hier-erkommen, dieser Gesellschaft und damit mittelbarder unmittelbar auch ihnen selber etwas bringt.
Deshalb sollte sich jeder, der hierherkommt, optimal dieser Gesellschaft einbringen können. Er soll Bei-äge leisten, aber nicht die Sozialsysteme belasten. Eroll Steuern zahlen und das, was er von der Gesellschaftmpfangen hat, an diese zurückgeben können. Das ist fürich optimale Integration. Diese kann positive Auswir-ungen auf die Weiterentwicklung der Gesellschaft ha-en. Auch das hat etwas mit demografischem Wandel zun.Ich will deutlich machen – das fehlt in diesem Fra-enkatalog –, dass es keine Abkopplung von der Gesell-chaft und keine Spaltung der Gesellschaft geben darf.as hat Auswirkungen auf die Integrationspolitik. Es hatchon seine Gründe, warum die Bundesregierung einodellprojekt auf den Weg bringt, mit dem Teilhabe undeilnahme, Fördern und Fordern individualisiert werden.s soll keine automatischen Prozesse, über die Men-chen integriert werden, geben, sondern individuell ge-taltete Programme, in deren Rahmen von Mensch zuensch darüber geredet wird, welches die beste Former Zuwendung und welcher Zeitpunkt der beste ist, ummanden abzuholen.Es ist wichtig, dass wir das schnell tun. Sprache alsas Betriebssystem einer Gesellschaft muss schnell wei-rgegeben werden, damit wir diejenigen, die hier leben, diese Gesellschaft optimal integrieren und sie in dieage versetzen, ihrerseits einen positiven, kreativen undonstruktiven Beitrag zu leisten. Deshalb ist mir beson-ers die Ausbildung wichtig. Darin sind wir uns einig.ine Gesellschaft, die dem demografischen Wandel un-rliegt, in der die Zahl der Menschen abnimmt und dieenschen älter werden, eine Gesellschaft, die bunterird, muss immer größeren Wert auf die Ausbildunggen. Es ist immer noch Fakt, dass Menschen mit Mi-
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Michael Frieser
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grationshintergrund gerade bei dem entscheidendenÜbergang zwischen der Schule und dem Beginn derAusbildung dem Staat verloren gehen. Um diese Fragegeht es. Um dem entgegenzuwirken, hat die Bundesre-gierung meines Erachtens schon die entscheidendenSchritte getan.
Ich darf Sie bitten, die Integration und die Migrationnicht ganz zu vergessen. Bei der Diskussion über den de-mografischen Wandel ist diese Frage ganz wesentlich.An der Lösung der Probleme sollten wir gemeinsam ar-beiten.Danke.
Petra Ernstberger hat das Wort für die SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kolle-gen! Meine Damen und Herren! Da Sie von der Koali-tion dauernd darauf abgehoben haben, dass uns nächsteWoche ein Bericht der Bundesregierung vorgelegt wird,weise ich darauf hin: „Bericht“ beinhaltet berichten. Dasheißt noch lange nicht, dass in dem Bericht auch dieHandlungsoptionen vorgelegt werden. Das verlegen Siein den Januar nächsten Jahres.
Ich möchte auf einen Punkt zu sprechen kommen, derheute noch nicht im Mittelpunkt gestanden hat, nämlichdie Situation der Städte und Gemeinden in Deutschland.
Gerade diese sind besonders vom demografischen Wan-del betroffen, und zwar in zwei Bereichen: Auf der einenSeite geht es um das Wachsen, auf der anderen Seite umdas Schrumpfen. Beides stellt ungeheure Herausforde-rungen für die Kommunalpolitiker und die Menschen,die in diesen Regionen leben, dar. Besonders betroffensind Regionen, die an Substanz verlieren. Es gibt Regio-nen in Deutschland, die bis 2030 30 Prozent ihrer Bevöl-kerung verlieren werden. Das hat katastrophale Auswir-kungen auf die Infrastruktur und die Menschen, die indiesen Regionen leben. Es sind die Kommunalpolitike-rinnen und Kommunalpolitiker, welche die Situation vorOrt und damit die Bedürfnisse der Menschen kennen unddie passgenaue und zukunftsfähige Problemlösungenentwickeln müssen.Eine besondere Chance bietet die Zusammenarbeitvon Kommunen über die Grenzen hinweg. Dazu istschon einiges vorbereitet worden, was wir den wirklichguten Kommunalpolitikerinnen und Kommunalpoliti-kern zu verdanken haben, die das schon angepackt ha-bhGBSUVmsWmKzgbMnDSuDdDswMBteD
eigt ihre Politik eine eindeutige Handschrift: Es wirdekürzt und gestrichen, zum Beispiel bei der Städte-auförderung. Im Bereich Städtebauförderung sind dieittel von 570 Millionen Euro in 2009 auf 455 Millio-en Euro in 2011 gekürzt worden.
as geschah vor allem in den Einzelprogrammen: beimtadtumbau West Kürzung um ein Fünftel, beim Stadt-mbau Ost Kürzung um 31 Prozent.
as Programm „Soziale Stadt“ erfuhr eine Kürzung vonrei Viertel der Fördermittel.
as bedeutet, dass dieses Programm im Grunde einge-tampft worden ist und nur noch zur Gesichtswahrungeiterexistiert.
Wer kümmert sich um die Folgen dieser Politik?eine Fraktion hat dazu eine Kleine Anfrage an dieundesregierung gerichtet. Diese hat darauf geantwor-t:Gemäß der Aufgabenverantwortung für die Städte-bauforderung obliegt die Entscheidung über diekonkreten Maßnahmen vor Ort und damit auch dieEntscheidung über mögliche Schwerpunktsetzun-gen den Ländern.
as ist nachzulesen in Drucksache 17/5972.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 134. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Oktober 2011 15927
Petra Ernstberger
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Das bedeutet doch: In Berlin streicht diese Regierung,die Länder bekommen den Schwarzen Peter zugescho-ben, und die Kommunen stehen im Regen.
Das Gleiche gilt für die Mehrgenerationenhäuser und fürdie Projekte im Rahmen von „BIWAQ“, des Programms„Bildung, Wirtschaft, Arbeit im Quartier“.Wir brauchen ein Konzept, das den Kommunen wirk-lich hilft, das sie unterstützt und den Regionen eineChance für die Zukunft gibt.
Frau Ernstberger, Sie müssen zum Schluss kommen.
Ja, mache ich. – Meine lieben Kolleginnen und Kolle-
gen, es ist fünf vor zwölf. Sie haben die Verantwortung.
An dem Beispiel, das ich gerade aufgezeigt habe, wurde
deutlich, dass Sie dieser Verantwortung nicht gerecht ge-
worden sind.
Frau Kollegin.
Kümmern Sie sich um die Städte, die Wachstum be-
wältigen müssen, ebenso wie um die, die mit Abwande-
rung und Leerstand konfrontiert sind.
Danke schön.
Damit schließe ich die Aussprache.
Ich bitte Sie, zum vorhergehenden Tagesordnungs-
punkt, TOP 28, noch die Überweisung durchzuführen.
Hier wurde interfraktionell verabredet, die Vorlagen auf
den Drucksachen 17/4485 und 17/7184 an die in der Ta-
gesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. –
Damit sind Sie offensichtlich einverstanden. Dann ver-
fahren wir so.
Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 29 a und b auf:
a) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Dr. Martina Bunge, Kathrin Senger-Schäfer,
Harald Weinberg, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion DIE LINKE
Gesundheit und Pflege solidarisch finanzieren
– Drucksache 17/7197 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
Dr. Martina Bunge, Harald Weinberg, Karin
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s ist gut, dass die Bündnisgrünen künftig vermutlichon ihrem Kapitalstock „Demografiereserve“ für dieflege absehen. Sie wollen dem Rat ihres Experten fol-en, der ihnen bescheinigt hat, dass damit nur einecheinnachhaltigkeit verbunden ist.
un sind wir noch auf die Ergebnisse des SPD-Modellsespannt. Mal sehen, wann wir diese bekommen.Sie und auch viele Bürgerinnen und Bürger kennennser Konzept. Deshalb will ich nur kurz darauf einge-en. Es sieht vor, alle einzubeziehen, also die „Last“ aufiele Schultern zu verteilen. Dazu ist es aber erforder-ch, der Zweiklassenmedizin endlich das Wasser abzu-raben. Die private Krankenversicherung wollen wir aufas Zusatzgeschäft beschränken.
Wir wollen, dass alle Einkommen, über die die Men-chen verfügen, ohne Beitragsbemessungsgrenze verbei-agt werden. Die Beitragsbasis soll also erweitert wer-en.
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Dr. Martina Bunge
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Selbstverständlich soll endlich Parität wiederhergestelltwerden: Arbeitnehmer- und Arbeitgeberanteil sindgleich hoch. Die Praxisgebühr und sonstige einseitigeZuzahlungen sollen abgeschafft werden. Das würde end-lich Gerechtigkeit schaffen.
Während sich die Koalitionäre nur streiten und dis-kutieren, ließen wir in diesem Jahr von einem unabhän-gigen Gutachter die Potenziale berechnen, die unserKonzept hat. Der Berechnung wurde ein makroökono-misches Simulationsmodell mit 811 Gleichungen, allein155 für das Submodell Gesundheitsökonomie, zugrundegelegt. Wir haben darin 50 Jahre Stützzeiträume undMehrrundeneffekte berücksichtigt. Bei der Pflege habenwir nicht, wie es bei der Gesundheit der Fall war, das Ni-veau bei der Versorgung eins zu eins beibehalten, son-dern wir haben auch noch ein Sofortprogramm eingetak-tet, durch das der Preisverlust in Höhe von 15 Prozentseit 1995 ausgeglichen werden soll und in dem die Sach-leistungen um 25 Prozent höher liegen. Dies ist der drin-gende Handlungsbedarf, der sich ergibt, bevor Sie esschaffen, die neue Pflegedefinition umzusetzen.
Was ist nun dabei herausgekommen? Das Ergebnis isthervorragend. Beiträge von jeweils 5 Prozent für Arbeit-nehmer und Arbeitgeber würden ausreichen, um all daszu bezahlen, was heute in der Gesundheit erforderlichist. Arbeitnehmer- und Arbeitgeberanteil könnten alsoum rund ein Drittel gesenkt werden. Bei der Pflegekönnte man trotz der sofortigen Leistungsverbesserungstabil bei einem Beitrag von unter 2 Prozent bleiben.Wer Interesse hat, unsere Studie zu lesen, kann das aufwww.linksfraktion.de tun.
Ein Vergleich mit der jetzigen Belastungslage zeigt,dass vor allen Dingen die unteren 60 Prozent der Bevöl-kerung massiv entlastet würden. Außerdem würden wirnoch Spielraum für Leistungsverbesserungen und fürVerbesserungen der Arbeitsbedingungen der im Gesund-heits- und Pflegesystem Beschäftigten gewinnen. Das istdringend erforderlich.
Mit der steigenden Binnenkaufkraft entstünden lang-fristig außerdem rund 500 000 Arbeitsplätze außerhalbvon Gesundheit und Pflege. Die Bürgerinnen- und Bür-gerversicherung ist damit ein Paradebeispiel für linkeUmverteilungspolitik, und zwar mit positiven Wirt-schaftsimpulsen. Ich lade alle, die mögen, zum Diskursdarüber ein.Ich danke für die Aufmerksamkeit.
Willi Zylajew ist jetzt der nächste Redner für die
CDU/CSU-Fraktion.
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ie ich auch gern aufzeige und hervorhebe. Allerdingsommen Sie in Ihrem Antrag durch eine Reihe fehler-after Ableitungen zu einem völlig falschen Ergebnis,
u völlig falschen Forderungen. Daher werden wir demntrag – das wird Sie nicht überraschen – nicht zustim-en.Verehrte Kolleginnen und Kollegen, die Linksfraktionat recht, wenn sie im gleich im ersten Satz des Antragschreibt:Die Kostenexplosion im Pflege- und Gesundheits-system ist ebenso ein Mythos wie der drohendefinanzielle Kollaps.as stimmt deshalb, weil wir mit unserem Partner in derhristlich-liberalen Koalition eine gute Politik machen,orgfältig hinschauen und handeln und uns um eine Sta-ilisierung des Systems bemühen. Es gibt keine Kosten-xplosion, weil wir Unwirtschaftlichkeiten reduzieren.s gibt sicherlich überzogene Ansprüche; die lehnen wirber ab. Wir stärken die redlichen Kräfte in der Selbstver-altung, und im Gegensatz zur Linksfraktion beobachtennd beeinflussen wir sowohl die Ausgabenseite als auchie Einnahmeseite.
Sie, verehrte Kolleginnen und Kollegen von der Lin-en, beschäftigen sich nur mit der Ausgabenseite.
Natürlich muss ich da lachen. Ich wollte den Schreck-oment nutzen. – Sie schauen natürlich nur auf die Ein-ahmen; das ist Ihr einziges Anliegen. Sie wollen dieinnahmeseite verbessern.
h sage: Damit allein wird es nicht funktionieren.Uns ist wichtig, Frau Kollegin Bunge, dass wir so-ohl in der gesetzlichen als auch in der privaten Kran-enversicherung sowie in der Pflegeversicherung einerdentliche Balance zwischen verlässlichen Leistungenowie persönlich und volkswirtschaftlich verkraftbarenersicherungsbeiträgen erreichen. Diese Balance ist unsichtig. Dadurch sichern wir eine gute Versorgung imesundheits- und Pflegebereich.
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Willi Zylajew
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Wir wollen dies auch weiterhin verlässlich tun, weil wirglauben, dass unser Handeln Patientinnen und Patientenund ihren Angehörigen hilft, gut ist für Arbeitgeber undfür Arbeitnehmer, für die gesamte Versichertengemein-schaft und für den Staat.
Mit Ihrem Antrag präsentieren Sie letztlich nichts an-deres – ich behaupte, er ist noch nicht einmal durchge-rechnet – als mehr Leistungsversprechen, höhere Leis-tungsvergütungen und höhere Kosten, und zwar ohnejede kritische Betrachtung. Das ist unverantwortlich undhat nichts mit Solidarität zu tun.
Außerdem ist es, wie gesagt, nicht durchgerechnet.
Jetzt komme ich zu Ihrem Zauberwort „Bürgerversi-cherung“. Das war ursprünglich eine Erfindung der SPD.Es ist schon rührend, zu sehen, wie die Grünen und jetztauch die Linken versuchen, dieses Modell zu vitalisie-ren. Es ist ein Versuch, der einen, aus der Ferne beobach-tet, schon ein Stück aufmerksam macht. Sie stellen dieBürgerversicherung als ein Patentrezept zur Lösung allerProbleme dar, was aus meiner Sicht aber nicht zutrifft.Ich will auf einige Gesichtspunkte aufmerksam machen.Zum einen würde man nicht mit einem Beitragssatzvon 15,5 Prozent zurechtkommen. Sie müssen außerdembedenken, dass neben den 15,5 Prozent, die eine erhebli-che Belastung darstellen, der Rentenversicherungsbei-trag allein um 0,2 Prozentpunkte erhöht werden müsste,wenn Sie die hälftige Mitfinanzierung möchten. Daswürde doch auch wieder erheblich belasten.
Sie fordern die Abschaffung des Kinderlosenzu-schlags in der Pflegeversicherung. Das stellt aus unsererSicht eine Mehrbelastung dar. Wenn Sie das Leistungs-niveau beibehalten und Vorteile für eine bestimmte Per-sonengruppe abschaffen, dann führt dies letztlich dazu,dass andere unter dem Strich mehr belastet werden.
Sie wissen, dass die Beiträge zur PKV nach Aufzeh-rung der Altersrückstellung deutlich steigen müssten.Ich glaube, das ist Ihr eigentliches Anliegen.
SnsddSHnsinstiaSsddtizsmSteadaSzewzu
Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.
Das Wort hat der Kollege Dr. Edgar Franke von der
PD-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen underren! Heute Morgen um kurz nach halb acht habe ichichtsahnend den Fernseher angestellt. Frau Bunge, wenehe ich da? Den Vorsitzenden der Linken, Klaus Ernst, einem Interview zum Parteitag. Herrn Ernst zufolgeind alle Sozialleistungen bezahlbar, wenn man nur rich-g umverteilt. Sie haben das vorhin auch gesagt: Es liegtn der Umverteilung.
o einfach stellen sich die Linken Politik vor. Es wärechön, wenn es so einfach wäre. Ich hatte nie den Ein-ruck – Sie waren auch Sozialministerin –, dass, wennie Linken an einer Regierung beteiligt waren, automa-sch der Sozialismus ausgebrochen ist und sich die So-ialleistungen von selbst finanzieren.
Sie haben heute Ihren Parteitag. Deswegen wird un-ere Debatte leider nicht auf Phoenix übertragen. Wennan Ihre beiden Anträge betrachtet, kommt man zu demchluss, dass sie auch Vorlagen für Ihren heutigen Par-itag sein könnten. Abschaffung der Praxisgebühr undller Zuzahlungen sowie eine solidarische Finanzierunger Pflege und Gesundheit, das hört sich natürlich gutn.
ie haben gesagt, dass es sich um ein konsequentes Kon-ept handelt. Allerdings ist es ein Konzept, das Minder-innahmen in Höhe von 5 Milliarden Euro bedeutenürde. Diese Summe muss man aber seriös gegenfinan-ieren.Frau Bunge, ich komme gleich zu Ihnen. Wir kennenns ja schon länger.
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Dr. Edgar Franke
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– Na ja, so lange nun auch wieder nicht. – Richtig ist aufjeden Fall, dass wir eine Bürgerversicherung einführenund die Einnahmen steigern müssen; darin sind wir einerMeinung. Richtig ist auch, dass die unteren und mittle-ren Einkommensgruppen benachteiligt sind und dieHauptlast unseres Sozialversicherungssystems tragen.
Die Gutverdienenden und die Selbstständigen, die imRegelfall die Gesündesten sind, können sich der Solida-rität entziehen und sich privat versichern. Das ist nichtrichtig. Daher müssen wir eine Bürgerversicherung ein-führen.
Der Kollege Spahn hat – unrasiert wie heute – beiFrontal 21 ein Interview gegeben und gesagt, dass es inDeutschland spätestens 2020 keine private Krankenver-sicherung mehr geben wird.
Ich glaube, Herr Spahn, Sie wollen auch eine Bürgerver-sicherung. Das freut uns alle sehr.Frau Bunge, auch das Thema Pflege wurde angespro-chen. Grundsätzlich ist zu sagen: Eine solidarische Bür-gerversicherung im Bereich Pflege ist notwendig. Esmuss endlich gehandelt werden. Von Herrn Rösler undanderen der FDP ist das Jahr der Pflege angekündigtworden. Was ist dabei herausgekommen? Ein Jahr desNichtstuns, ein Jahr des Streits.
Von einem Kapitaldeckungsverfahren, das angekün-digt wurde, liebe Kolleginnen und Kollegen von der FDP,sehe ich auch nichts. Eines aber muss man sagen – in die-sem Punkt haben die Linken ebenfalls recht –: Eine Ka-pitaldeckung, eine Finanzierung aus Fonds oder Aktienwäre der falsche Weg. Das muss man aus der Krise ge-lernt haben. Wir brauchen ein Umlagesystem.
Deswegen brauchen wir eine solidarische Bürgerver-sicherung für die Pflege.
Geschätzte Frau Kollegin Bunge, noch zwei oder dreiAnmerkungen zum Bürgerversicherungskonzept: Ichglaube, dass man sich gut überlegen muss, ob man dieBeitragsbemessungsgrenzen erhöht. Warum muss mansich das gut überlegen? Vorhin habe ich gesagt: DieHauptlast tragen die Bezieher mittlerer Einkommen.Wenn man die Beitragsbemessungsgrenzen erhöht – ichweiß, dass die Grünen das auch gefordert haben –, sindemWgskdKUSreInWüDewdhhbsgdsgsmcBvadfüdvbwissWmrumoP
enn man die Rechtsprechung des Bundesverfassungs-erichts kennt, die eine Abschaffung der Beitragsbemes-ungsgrenzen als Verstoß gegen das Verhältnismäßig-eitsprinzip ansieht, dann weiß man, dass man damit nuren Mittelstand treffen würde. Die Leute, die richtigohle haben, erreicht man dadurch gerade nicht. Einemverteilung, Frau Bunge, muss in erster Linie über dasteuerrecht erfolgen und darf nicht über das Beitrags-cht geschehen. Das Steuerrecht ist dafür das geeignetestrumentarium.Hier hat auch die Sozialdemokratie Handlungsbedarf.ir müssen die Abgeltungsteuer erhöhen. Wir müssenber die Erhebung der Vermögensteuer nachdenken. Ineutschland wird Vermögen wesentlich geringer besteu-rt als in den angloamerikanischen Ländern. Insofernäre die Erhebung der Vermögensteuer auch ein Beitragazu, eine Bürgerversicherung zu finanzieren.
Die Praxisgebühr hat nicht die steuernde Wirkung ge-abt, die sie haben sollte; das muss man zugestehen. Sieaben in Ihrer Begründung erwähnt, dass die Praxisge-ühr viele schlechtergestellte Versicherte vom Arztbe-uch abschrecken würde. Das ist dann natürlich nichtanz logisch. Es ist aber auf jeden Fall so, dass 2 Milliar-en Euro als Einnahmen aus der Praxisgebühr ein Rie-enbetrag sind. Wir können jedoch erst umsteuern, wenneprüft ist, wie hoch die Einnahmen aus der Bürgerver-icherung sein werden. Außerdem, Frau Bunge,
an muss fairerweise sagen, dass man die Bürgerversi-herung nur schrittweise einführen kann; denn es gibtestandschutz für diejenigen, die momentan in der pri-aten Krankenversicherung sind. Insofern wird sichuch die Einnahmebasis nur langsam verbreitern. Voriesem Hintergrund muss man sagen, dass auch die Ein-hrung der Bürgerversicherung nicht dazu führen wird,ass man von heute auf morgen auf 5 Milliarden Euroerzichten kann. Das Ganze muss schrittweise und sach-ezogen geschehen; alles andere wäre aus meiner Sichtirklich unseriös.Ich glaube, das SPD-Konzept der Bürgerversicherungt das richtige Konzept für die Pflege- und Krankenver-icherung. Politik ist immer die Kunst des Möglichen:as kann ich praktisch realisieren? Versicherte kannan aber erst dann entlasten, wenn das Bürgerversiche-ngskonzept in die Praxis umgesetzt wird. Erst wennan weiß, wie viel Geld übrig bleibt, kann man prüfen,b Zuzahlungen beschränkt bzw. abgeschafft und dieraxisgebühr abgeschafft werden können.Danke schön.
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Das Wort hat der Kollege Lars Lindemann von der
FDP-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-
ren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Sicherung der
solidarischen Krankenversorgung und Pflege in Deutsch-
land ist in der Tat eine der ganz großen Aufgaben unserer
Zeit. Sie erfordert Ehrlichkeit in der Analyse, Sachkennt-
nis bei den Lösungen und die Berücksichtigung der Aus-
wirkungen der getroffenen Maßnahmen auf alle mitei-
nander zusammenhängenden Bereiche der Gesellschaft.
Dabei kommt, sehr geehrter Herr Kollege Franke, die Eile
sicherlich nicht vor der Sorgfalt. So viel zu dem Thema,
wie schnell diese Koalition mit ihren Vorschlägen ist.
Verlassen Sie sich darauf: Sorgfalt spielt bei uns eine grö-
ßere Rolle als Ihre Eile beim Behaupten, dass wir das
nicht könnten.
In diesem Zusammenhang sind die Anträge der Frak-
tion der Linken ein Manifest des Scheiterns an dieser
Aufgabe. Sie genügen keinem Anspruch außer dem, den
man an Utopien knüpft.
Liebe Frau Bunge, Utopien scheuen den Blick auf die
Realitäten, die Wirklichkeit, weil ihre Autoren damit
überfordert sind.
Weil Sie stets und ständig daran festhalten, dass Soli-
darität
in diesem Land eben nur die größtmögliche Institutiona-
lisierung des Verteilens des Geldes anderer Leute sein
kann, gebe ich hier meine Rede zu Protokoll, damit Sie
schnell zu Ihrem Parteitag kommen, wo Sie sich weiter
Ihren Utopien hingeben können.
Vielen Dank.
Das Wort hat die Kollegin Birgitt Bender vom Bünd-
nis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! LieberHerr Lindemann, es ist schon interessant, dass die FDPjetzt schon gar keinen Bock mehr hat, hier zu sprechen.OmlodicdKsczeShale2gzwhgIhrüsSlidavABdddgDligEuteztrd
ffensichtlich glauben Sie nicht an Ihre weitere parla-entarische Existenz. Übrigens: Wenn sich Leistunghnen soll, dann darf man sich auch am Freitagmittagie Mühe geben, zu sprechen.
Jetzt kommen wir zum Antrag der Linken. Da mussh sagen: Nicht überall, wo „Bürgerversicherung“raufsteht, ist auch Bürgerversicherung drin. Mancheonzepte sind eher geeignet, den Weg zur Bürgerver-icherung zu erschweren als ihn zu erleichtern. Sie ma-hen sich nämlich nicht die Mühe, einmal ein Konzeptu durchdenken und es tatsächlich in ein Gesamtkonzeptinzubetten. Ich werfe Ihnen von der Linken vor, dassie zumindest denkfaul sind.
Ich begrüße hingegen sehr – der Kollege von der SPDat schon darauf hingewiesen –, dass es jetzt langsamuch bei der CDU einen Umdenkungsprozess gibt. Kol-ge Spahn sagte im Fernsehen, er glaube, dass es bis020 sicherlich einen einheitlichen Versicherungsmarkteben werde. Dazu muss ich sagen: Das dauert mir zwaru lang, aber immerhin ist die Erkenntnis da. Ich finde,ir sollten uns darauf verständigen, diesen Weg zu ge-en.Aber was tut die Linke? Wenn Sie es mit einem Bür-erversicherungskonzept ernst meinten, dann hätten Sieren alten Antrag, den Sie hier mit aufgesetzt haben, zu-ckziehen müssen. Das Ziel, die Zuzahlungen abzu-chaffen, teilen wir wohl; aber mit diesem Antrag sagenie einfach nur: Weg mit den Zuzahlungen! Die 5,5 Mil-arden Euro, die dann fehlen, holen wir geschwind beien gutverdienenden Angestellten. – Damit würden allebhängig Beschäftigten, die über 3 712 Euro im Monaterdienen, auf einen Schlag zusätzlich belastet, auch ihrerbeitgeber. Das betrifft übrigens viele mittelständischeetriebe. Mit dem Mittelstand haben Sie es nicht so;eswegen ist es Ihnen vielleicht egal. Aber man mussas im Hinblick auf die Arbeitsplätze bedenken. Sie for-ern eine einseitige Belastung, wollen mal eben Geld ab-reifen und sich dann an der Basis dafür feiern lassen.as ist nicht unser Konzept. Auch Sie wissen es eigent-ch besser. Das ist nicht in Ordnung.
Die Abschaffung der Zuzahlungen muss in ein Bür-erversicherungskonzept eingebettet sein, das bei derrhebung der Beiträge alle Einnahmen aller Bürgerinnennd Bürger einbezieht, wodurch es einen Zufluss an Mit-ln gibt, der es ermöglicht, unter anderem auf die Zu-ahlungen zu verzichten. Dann macht es Sinn, die Bei-agsbemessungsgrenze zu erhöhen; denn man kommtann bei denjenigen, die abhängig beschäftigt sind, aber
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Birgitt Bender
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zusätzliche Einkünfte haben, an alle Einnahmen heran.So sehen wir das.
Das bedeutet eine Zusatzbelastung für die gehobene Mit-telschicht; dazu stehen wir. Wir wollen mehr Solidarität.Da muss ich an die Adresse der SPD sagen: Sie versu-chen, sich davor zu drücken, weil auch der sozialdemo-kratische Facharbeiter Einnahmen zum Beispiel aus derMiete für die Einliegerwohnung in seinem Häusle hat.Sie sagen dann: Wir beziehen die anderen Einkommens-arten nicht ein, aber erhöhen die Abgeltungsteuer. – Dakann ich nur sagen: Wir sind hier im Bundestag; wir, diewir hier sitzen, wissen doch ganz genau, wie das bei je-der Haushaltsberatung läuft.
Da können Sie die Steuern erhöhen, wie Sie wollen: DieEinnahmen sind nicht zweckgebunden. Also wird jedesJahr wieder darüber geredet, ob es diesen Zufluss insGesundheitssystem weiter geben wird. Das heißt, damitmachen Sie die Finanzierung nicht sicherer und nachhal-tiger, sondern erhöhen – im Gegensatz dazu – die Un-sicherheit.
Auch das ist kein guter Weg, liebe Kollegen und Kolle-ginnen von der Sozialdemokratie.Jetzt zurück zur Linken. Sie wollen, dass die privatenKrankenversicherungen in Zukunft nur noch Zusatzver-sicherungen anbieten; Sie wollen ihnen also das Vollver-sicherungsgeschäft wegnehmen. Ich muss Ihnen sagen:Damit bekommen Sie ein verfassungsrechtliches Pro-blem; aber damit wollen Sie sich offensichtlich nichtauseinandersetzen. Es gibt auch gar keinen Grund dafür.Warum soll man denn der PKV nicht die Chance geben,auf dem Markt der Bürgerversicherung nach den für allegeltenden Spielregeln – diese lauten: Kontrahierungs-pflicht, einkommensabhängige Beiträge, keine Risikozu-schläge, Beteiligung am Risikostrukturausgleich – daranteilzunehmen? Viele PKVen empfinden das als eine Zu-mutung. Ja, dann sollen sie sich dieser stellen. UnserZiel ist es jedenfalls nicht, die PKV als Vollversicherungin diesem Segment plattzumachen.
Kommen Sie bitte zum Schluss.
Ja. – Wir wollen auch keine „AOK für alle“. Sie wol-
len die Einheitsversicherung mit einem Einheitsbeitrag.
Das ist dann aber gar keine richtige Versicherung mehr.
Ich habe den Eindruck, da schimmert so ein bisschen
Sehnsucht nach den Verhältnissen in der früheren DDR
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Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen underren! Als diese Koalition angetreten ist, wurde für dieesetzliche Krankenversicherung ein Defizit in Höheon 9 Milliarden Euro prognostiziert. Wir haben daslatt gewendet.
ersten Halbjahr 2011 erzielte die gesetzliche Kran-enversicherung einen Überschuss in Höhe von 2,4 Mil-arden Euro.
om Defizit hin zum Überschuss – das ist die Leistung,ie die christlich-liberale Koalition vollbracht hat. Wirachen etwas, was trägt.
ir schaffen einen Finanzrahmen, der stabil ist. Eineürgerversicherung, wie sie die gesamte Opposition iminn hat – von den Grünen angefangen über die SPD hinu den Kommunisten –,
t das krasse Gegenteil von dem, was trägt. Sie habenicht mehr auf der Pfanne als Umstiegsrhetorik.
Es beginnt ja schon damit, dass Sie gar keine Vorstel-ng davon haben, wie der Weg dorthin konkret gegan-en werden soll. Ich habe mir den Antrag der Linkeninmal sehr genau durchgelesen. Darin sind alle Heils-ersprechen enthalten, die man sich vorstellen kann.
ie Frage aber, wie das genau gehen soll, soll nach Mei-ung der Linken lieber die Bundesregierung beantwor-n. Sie haben da wahrscheinlich mehr Zutrauen in unsls in sich selber.
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Stephan Stracke
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Daran wird schon deutlich, wie hier vorgegangen wird.
Die Bürgerversicherung ist nichts anderes als einezwangsweise Einheitsversicherung für alle.
Nehmen Sie einmal den Mantel weg, und schauen Siesich an, was das im Ergebnis bedeutet: Dahinter stecktnichts anderes als Zweiklassenmedizin. Genau das wol-len Sie – Zweiklassenmedizin –, weil Sie genau wissen,dass es in dem Moment, wo Sie den Wettbewerb be-grenzen und das Nebeneinander von privater und gesetz-licher Krankenversicherung aufheben und damit den In-novationsmotor, den die private Krankenversicherungdarstellt, wegnehmen, um die Gesundheitsversorgung indiesem Lande insgesamt schlechter bestellt sein wird.
Dann werden ganz viele in die Zusatzversicherung aus-weichen wollen. Somit zementieren Sie die Zweiklas-senmedizin mit Ihrem Vorschlag, eine Bürgerversiche-rung einzuführen, egal, von welcher Seite er tatsächlichkommt.Schauen wir uns einmal die Haltung zur Beitrags-bemessungsgrenze an. Die Linke sagt, dass sie dieseperspektivisch ganz abschaffen will.
Dass das verfassungsrechtlich gar nicht geht, erwähnenSie mit keinem Wort. Sie würden auf diese Weise näm-lich das Äquivalenzprinzip verlassen.Der Vorschlag der Grünen, diese Grenze auf 5 500 Euroanzuheben, würde eine Erhöhung um rund 50 Prozent be-deuten. Natürlich hat der Kollege von der SPD vollkom-men recht, wenn er sagt, dass das zunächst einmal diebreite Mittelschicht in diesem Lande trifft, nämlich dieAngestellten, die Facharbeiter und die Selbstständigen.All diese würden Sie, liebe Kolleginnen und Kollegenvon den Grünen, durch die Erhöhung der Beitragsbe-messungsgrenze treffen.
Damit träfen Sie die Leistungsträger unserer Gesell-schaft. Sie fallen dummerweise auch noch auf Ihre ei-gene Rhetorik herein. Ansonsten würden Sie erkennen,dass nur 1,2 Millionen Privatversicherte davon betroffenwären.
In ganz überwiegendem Maße träfen Sie dagegen die ge-setzlich Krankenversicherten, die schon jetzt im Systemsind. Rund 4,5 Millionen von diesen würden Sie durchIhr Modell der Erhöhung der Beitragsbemessungsgrenzetreffen.
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as verursacht nur erheblichen Aufwand. Außerdemeffen Sie damit nicht die Vermögensmillionäre – das istieder nur Rhetorik; es steckt nichts dahinter –;
enn deren Einkommen liegt auch bei einer Erhöhungber der Beitragsbemessungsgrenze. Sie treffen auchier wieder den kleinen Mann mit seinen Ersparnissen.n wollen Sie schröpfen. Das steckt hinter der Bürger-ersicherung.
ie sagen selbst, dass Sie maximal 0,4 Beitragspunkteurch die Einbeziehung von Mieten, Pachten und Zinsenquirieren könnten. Das sind doch allenfalls kurzfristigeffekte.Da unsere Gesellschaft weiter altert und es immer we-iger Nachwuchs gibt, werden die Finanzbelastungen imahmen der gesetzlichen Krankenversicherung um einielfaches höher werden. Genau deswegen wollen Sieeschlossen an die Töpfe und sagen: Wir wollen die pri-ate Krankenversicherung auflösen und am liebsten alleersonenkreise in die gesetzliche Krankenversicherunginbeziehen.
eden Sie einmal mit den Zuständigen von Kommunen,ändern und Bund. Wenn Sie alle erfassen wollen, be-eutet das jenseits der verfassungsrechtlichen Problema-k zunächst einmal Mehrausgaben. Die Bürgerversiche-ng wäre ein Belastungsprogramm für Kommunen,änder und Bund, nichts anderes,
a die Arbeitgeber neben dem höheren Arbeitgeberbei-ag auch noch entsprechende Gehälter zahlen müssten,amit der Arbeitnehmeranteil getragen werden kann.as steckt dahinter. Das ist alles andere als beglückend.
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15934 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 134. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Oktober 2011
Stephan Stracke
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Die Linken sind ganz witzig. Sie wollen alle Versi-cherten in das gesetzliche System hineinnehmen
und die kostenfreie Mitversicherung auflösen. Da kannich nur sagen: Vielen herzlichen Dank.
Sie sollten auf Ihrem Parteitag deutlich machen, dass Siedie Ehegatten und die Kinder als eigenständig Ver-sicherte begreifen und diese entsprechende Beiträge zah-len dürfen.Grüne und Linke wollen, dass unsere Gesundheitsver-sorgung unabhängig vom Aufenthaltsstatus gewährleis-tet wird. Ich bin wirklich dafür, dass wir niemandem imNotfall medizinische Behandlung versagen; aber ichhabe nicht vor, unsere hervorragende medizinische Ge-sundheitsversorgung auch denen zuteilwerden zu lassen,die uns ausnutzen, nämlich denen, die illegal hier sind.
Dazu reichen Sie die Hand, indem Sie sagen: Versiche-rungsschutz besteht unabhängig vom Aufenthaltsstatus.Das zeigt: Die Bürgerversicherung ist der falsche Weg.Er führt nicht dazu, dass die Gesundheitsversorgung inunserem Land besser wird. Deswegen werden wir danicht mitmachen. Die christlich-liberale Koalition hatdie besseren Handlungsansätze.
Herzlichen Dank.
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 17/7197 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein-
verstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung
so beschlossen.
Wir kommen zur Abstimmung über die Beschluss-
empfehlung des Ausschusses für Gesundheit zu dem An-
trag der Fraktion Die Linke mit dem Titel „Praxisgebühr
und andere Zuzahlungen abschaffen – Patientinnen und
Patienten entlasten“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner
Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/7152, den An-
trag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 17/241 ab-
zulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? –
Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Die Beschlussemp-
fehlung ist angenommen mit den Stimmen der Koali-
tionsfraktionen und der SPD bei Gegenstimmen der
Fraktion Die Linke und Enthaltung von Bündnis 90/Die
Grünen.
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Montag, Volker Beck , Ingrid Hönlinger,
weiteren Abgeordneten und der Fraktion BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs
eines Gesetzes zu einer rechtsstaatlichen und
bürgerrechtskonformen Ausgestaltung der
Funkzellenabfrage als Ermittlungsmaßnahme
– Drucksache 17/7033 –
Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuss
Innenausschuss
Ausschuss für Kultur und Medien
b) Erste Beratung des von den Abgeordneten Jan
Korte, Dr. Petra Sitte, Nicole Gohlke, weiteren
Abgeordneten und der Fraktion DIE LINKE ein-
gebrachten Entwurfs eines … Gesetzes zur
– Drucksache 17/7335 –
Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuss
Innenausschuss
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
ussprache eine halbe Stunde vorgesehen. Gibt es Wi-
erspruch? – Das ist nicht der Fall. Dann ist das so be-
chlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Red-
er dem Kollegen Jerzy Montag von Bündnis 90/Die
rünen das Wort.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Am9. Februar dieses Jahres haben die NPD und andereeofaschistische Organisationen in Dresden eine De-onstration durchgeführt. Dagegen haben Bürgerinnennd Bürger aus ganz Deutschland, viele Tausende vonenschen, demonstriert. Dort ist es auch zu Straftatenekommen. Deswegen haben die Ermittlungsbehördenm 18. und 19. Februar an vier Orten in Dresden96 000 Datensätze, 257 000 Rufnummern und 40 732 Be-tandsdaten, also Namen, Adressen und weitere persön-che Daten von Bürgerinnen und Bürgern, erhoben, dieit den Straftaten nicht das Geringste zu tun hatten. Am9. Februar sind bei weiteren Funkzellenabfragen aneiteren 14 Orten in der Innenstadt zusätzlich 138 000 Da-nsätze von 65 645 Anschlussnummern dazugekommen.as alles ergibt zusammen circa 1 Million Datensätze.etroffen sind Zehntausende von völlig unschuldigennd unbescholtenen Bürgerinnen und Bürgern.Umfasst waren örtlich ganze Straßenzüge im dicht be-iedelten Innenstadtgebiet. Die Funkzellen wurden zeit-ch zum Teil nur einige Minuten, zum Teil 13 Stundenng abgeschöpft. Die Daten wurden nicht nur für dieufklärung der Straftaten verwendet, für die sie erhobenorden sind, sondern zum Teil auch bei Verstößen gegenas Versammlungsgesetz sowie bei einfacher Körperver-tzung, Beleidigung und Sachbeschädigung.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 134. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Oktober 2011 15935
Jerzy Montag
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Dies alles wissen wir nicht deshalb, weil die Ermitt-lungsbehörden in Dresden dies offengelegt hätten. Diesalles wissen wir dank einer umfassenden, vollständigenund exzellenten Analyse des Sächsischen Datenschutz-beauftragten, Herrn Schurig. Ich möchte Herrn Schurigan dieser Stelle für mich und meine Fraktion einen aus-gesprochenen Dank dafür sagen, dass er diese Arbeit ge-leistet hat.
Er muss sich dafür in Sachsen und in Dresden anfeindenlassen. Deswegen sage ich an dieser Stelle: Wir werdensolche Anfeindungen des Datenschutzbeauftragten wieüberhaupt Anfeindungen des Datenschutzes in Deutsch-land nicht hinnehmen.
Nun war diese Maßnahme richterlich angeordnet,könnte man sagen. Aber ich frage an dieser Stelle: Wiewar sie angeordnet? Bei den Anordnungen fehlte jegli-che substanzielle Auseinandersetzung mit den Punkten,die nach den gesetzlichen Regelungen notwendig sind:Eingrenzungen nach Ort und Zeitraum der Maßnahme,Stellungnahme zum subsidiären Charakter der Maß-nahme, zum Ausmaß Drittbetroffener und zu den Grund-rechtseingriffen.Das Ganze war von der Staatsanwaltschaft vorgefer-tigt und musste vom Ermittlungsrichter nur noch unter-schrieben werden. In Dresden besteht der böse Schein,dass es überhaupt keine ermittlungsrichterliche Prüfunggegeben hat; denn in Dresden gibt es überhaupt keinehauptamtlichen Ermittlungsrichter. Nach den Geschäfts-verteilungsplänen in Dresden übernehmen diese schwie-rigen grundrechtsrelevanten Aufgaben ganz normaleRichter, die zu ihrem Deputat noch ein Zehntel ermitt-lungsrichterliche Tätigkeit bekommen. Dass sie nichtmehr können als zu unterschreiben, was man ihnen vor-legt, ist klar.Diese Fehler in Dresden sind nicht nur Fehler bei ei-ner einzelnen Maßnahme, sondern sie sind auch Fehlerdes von uns hier im Bundestag zu vertretenden Bundes-rechts. Deswegen müssen wir uns im Bundestag darüberunterhalten, ob wir den § 100 g StPO, also die Rechts-grundlage für die Funkzellenabfragen, nicht reformierensollten. Wir Grüne haben dazu einen Gesetzentwurf vor-gelegt, der die Funkzellenabfrage nicht abschaffen will,wie es die Linken fordern – ein absurder Vorschlag, wieich finde –,
sondern der eine Einhegung, eine rechtsstaatliche Ein-grenzung, dieser Maßnahme vorsieht. Mir fehlt hier undheute die Zeit, Ihnen die einzelnen Punkte dazu vor-zutragen. Dafür werden wir aber im RechtsausschussGelegenheit haben. Ich finde, wir haben vernünftige, ra-tionale, angemessene Vorschläge zur Änderung des Bun-desrechts unterbreitet.
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Ich glaube, es ist umgekehrt. Das hat man auf euro-äischer Ebene erkannt, Frau Kollegin. Da diskutierenir über einen Raum der Freiheit, der Sicherheit und desechts.
iese Dinge hängen zusammen: Freiheit und Sicherheitibt es nicht, wenn ich das Recht nicht auch durchsetze,enn der Staat seine Bürger nicht in Schutz nimmt.onst haben wir Anarchie.
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15936 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 134. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Oktober 2011
Dr. Patrick Sensburg
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Sonst haben wir keine Kontrolle. Das ginge zulasten derSchwächeren, weil sie dann nicht mehr den Schutz desStaates genießen würden. Es ist wichtig, dass wir Ermitt-lungsmaßnahmen haben, um Straftäter zu überführen,die Straftaten zulasten der Bürger vornehmen.
Zum konkreten Fall, Herr Kollege Montag – eigent-lich wollte ich nicht detailliert darauf eingehen, weil wirim Juli ausgiebig über dieses Verfahren diskutiert haben,aber ich habe ja ein bisschen mehr Zeit –: Es hat vieleStraftaten gegeben, bis hin zu einem Vorgehen gegen ei-nen Polizeibeamten mit einer Eisenstange. Daraus hättenlebensgefährliche Verletzungen resultieren können, bishin zum Tod. In Ihrer Rede damals haben Sie gesagt,dass wir bei solchen Straftaten keine Toleranz üben soll-ten.
Genau darum geht es: Wie können wir solche Straftäterverfolgen? Wie können wir auswerten, wer an diesenStraftaten beteiligt war?
Auf Zwischenrufe hin habe ich damals gesagt: Was isteigentlich mit denen, die an solchen Demonstrationenteilnehmen? Könnten diese Leute nicht auch einmal eineStrafanzeige erstatten, wenn sie sehen, dass gegen Poli-zeibeamte, gegen Staatsorgane vorgegangen wird? Ichfrage mich: Warum gibt es nicht auch einmal Anzeigenaus der Demonstration heraus?
Wenn es solche Anzeigen nicht gibt, dann muss der StaatMöglichkeiten haben, um die Sicherheit der Demonstrie-renden, um die Sicherheit der Bürger sicherstellen zukönnen. Das halte ich für wichtig. Deswegen gibt es pro-bate Mittel dafür.
Herr Kollege, zur Verhältnismäßigkeit werde ich gleichnoch etwas sagen. Keine Sorge.
Die Funkzellenüberwachung ist aus meiner Sicht einprobates Mittel. Das hat der Kollege Montag, wenn ichihn richtig verstanden habe, eben schon gesagt. Sie stütztsich auf § 100 g StPO. Dass es sich dabei um ein proba-tes Mittel handelt, hat sich auch in verschiedenen Ver-fahren abseits von Demonstrationen gezeigt. Ich weißnicht, ob Sie das Verfahren aus dem Jahr 2005 – der FallMoshammer – kennen. Innerhalb weniger Stunden, in-nzdDKFn–§adndkzMtu„cinwe„SVtemßcEndgAzgmntiNte
Daraus schließe ich, dass Sie der Meinung sind, dass100 g StPO grundsätzlich ein probates Mittel ist. Auchus Ihrer Sicht sollte die Funkzellenauswertung stattfin-en. Sonst würden Sie ja darauf abstellen, dass das nichtur bei Tausenden Menschen infrage zu stellen ist, son-ern schon bei Einzelnen. Wenn das Konsens ist, dannönnen wir sicherlich über vieles reden; denn die Funk-ellenauswertung ist ein pragmatisches und probatesittel.Es geht dabei um Straftaten von erheblicher Bedeu-ng. Es wird immer wieder kritisiert, das MerkmalStraftat von erheblicher Bedeutung“ sei nicht hinrei-hend definiert. Lesen Sie einmal die Kommentierungen den einschlägigen StPO-Kommentaren nach. Dortird eindeutig auf § 100 a Abs. 2 hingewiesen, in dems einen Straftatenkatalog gibt. Ergänzend wird das Wortinsbesondere“ verwendet, was für Juristen bedeutet:traftaten gleicher Qualität werden einbezogen.
on daher haben wir bezüglich der erheblichen Strafta-n eine klare Ausweisung im Gesetz, der man nachkom-en sollte.Plus – jetzt komme ich gleich auf die Verhältnismä-igkeit zu sprechen –: Es muss ein räumlicher und zeitli-her Zusammenhang bestehen.
s findet also keine Funkzellenauswertung ins Blaue hi-ein statt, in Räume, in denen keine Straftaten stattfin-en. Es muss tatsächliche Anhaltspunkte für täterbezo-ene Kommunikation geben. Auch da gilt: Keinebfrage ins Blaue hinein, keine Abfrage, um nur einmalu schauen, ob man möglicherweise Straftaten findet.All das wird von einem Richter bestätigt. Sie habenerade auf Dresden bezogen gesagt, es gebe keine Er-ittlungsrichter. Das haben Richter genehmigt, die ge-au die gleiche Ausbildung, genau die gleiche Qualifika-on, zwei Staatsexamen haben. Was möchten Sie noch?
och ein drittes Staatsexamen für den Ermittlungsrich-r? Die entsprechenden Richter in Dresden haben genau
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 134. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Oktober 2011 15937
Dr. Patrick Sensburg
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die gleiche Qualifikation. Es hat eine Prüfung der Ver-hältnismäßigkeit stattgefunden.
Diese hat auch stattzufinden.
So steht es in jedem Kommentar; Sie lesen diese an-scheinend nicht.Sie wollen eine Gesetzesänderung. Sie diskutierennicht darüber, ob die Einzelmaßnahme in Dresden recht-mäßig oder rechtswidrig war, Sie wollen einen Paragra-fen ändern,
obwohl jedem klar ist, dass bei § 100 a Strafprozessord-nung eine Verhältnismäßigkeitsprüfung durchzuführenist.
Deswegen erachte ich Ihren Gesetzentwurf – das mussich ganz ehrlich sagen – ein bisschen als einen Scheinge-setzentwurf, als PR. Denn wenn man sich einmal an-schaut, was wir bisher geregelt haben und was Sie möch-ten, dann sieht man, dass die bisherige Regelung völligausreichend ist. Sie möchten einen Verweis auf § 477Abs. 2 Satz 2; Sie wollen also keine Zufallsfunde mehrermöglichen. Das steht explizit in Ihrem Gesetzentwurf– das lese ich Ihnen einmal vor –:Satz 1 wird wie folgt gefasst:§ 100 a Absatz 3 und § 100 b Absatz 1 bis 4 gelten,auch in Fällen des § 477 Absatz 2 Satz 2 und 3, ent-sprechend.So haben Sie es formuliert.
Herr Kollege Sensburg, lassen Sie die Frage des Kol-
legen Montag zu?
Ich lasse die Frage des Kollegen Montag natürlich zu.
Bei zwölf Minuten Redezeit wird die Zeit ja auch
manchmal etwas knapp.
– Das liegt jetzt nicht an mir, sondern am Kollegen
Montag.
Jetzt bin ich dank der Verfügung des Herrn Präsiden-
ten dran.
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ber ich habe einen Hinweis gehört. Ich habe nicht nuren Gesetzestext gelesen, den Sie vorschlagen, sondernuch die Begründung, die Sie anfügen.
s sind genau die Fälle, in denen zufällig Erkenntnisseum Beispiel wegen Verstoß gegen das Versammlungs-ebot, Landfriedensbruch entdeckt werden – man könnteich aber auch viele andere Fälle denken –, in denen Sieine höhere Hürde fordern, dass Ermittlungsmaßnahmentattfinden können. Dann sage ich: Wenn solche Maß-
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15938 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 134. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Oktober 2011
Dr. Patrick Sensburg
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nahmen möglich sind, wenn durch eine Funkzellenab-frage Erkenntnisse gewonnen werden, müssen die auchzeitnah und schnell von der Polizei genutzt werden. Ichglaube, Sie wollen wieder eine höhere Hürde einbauen– es ist übrigens die erste Hürde, die ich festgestellthabe; zu den anderen komme ich gleich noch –, die andieser Stelle nicht angezeigt ist. Aber wir werden imAusschuss darüber diskutieren. Von daher bin ich ge-spannt, wie die Diskussion weitergeht.Der nächste Punkt, den Sie ansprechen, ist die Be-gründungspflicht der Anordnung. Es mag sein, dass SieProbleme mit der konkreten Anordnung in Dresden ha-ben. Wenn Sie aber die Anforderungen sehen, die – in-klusive der Verhältnismäßigkeitsprüfung; das könnenSie in aller Literatur nachlesen, auch in der Gesetzesbe-gründung – an eine Begründung gestellt werden, dannsehen Sie, dass diese einzelnen Schritte stattfinden müs-sen. Sie meinen, wir müssen ein Gesetz schaffen, weilSie der Ansicht sind, damals sei etwas nicht richtig ge-laufen. Das kann eigentlich nicht der Ansatz sein,
aufgrund dessen der Gesetzgeber ein Gesetz macht.
Das Dritte ist die Übersicht, dass Sie alle Funkzellen-abfragen in einer Übersicht dokumentiert haben wollen.Das ist die PKS. Das ist die Polizeiliche Kriminalstatis-tik der Länder und des Bundes. Da werden solche Dingedokumentiert.
Wenn Sie ständig ergänzende Dokumentationen fordern,wird das doch nicht besser, nicht transparenter. LassenSie uns diese Maßnahmen in der PKS, in der Polizeili-chen Kriminalstatistik, dokumentieren. Da sind sie rich-tig aufgeführt.Wenn man sich das alles einmal anguckt, zeigt IhrGesetzentwurf eigentlich, dass Sie aufgrund der Ereig-nisse in Dresden jetzt Aktionismus zeigen wollen, sichgerieren wollen als diejenigen, die etwas ändern, die et-was verändern.
Das ist meiner Meinung nach nicht der richtige Ansatz.Lassen Sie uns in den kommenden Sitzungen darüberdiskutieren, ob etwas Gehaltvolles drin ist. Dann bin ichgern bereit, das eine oder andere vertieft zu diskutieren,
vielleicht sogar zu übernehmen. Aber die Punkte, die ichangesprochen habe, sehe ich nicht als gehaltvoll an.Ich danke Ihnen für das Zuhören. Ich weiß nicht, obSie noch eine Nachfrage haben. Aber ich glaube, es istkFdHghreezgmmSNsudmgSddnisMBgfaSsdddUgrumsDno
nd nicht einem Generalverdacht unterworfen werdenürfen.Ich selber war im Februar in Dresden dabei. Wennan sich die Vorschriften anschaut, stellt man fest, esibt rechtlichen Präzisierungsbedarf von § 100 g dertrafprozessordnung. Wir müssen zur Kenntnis nehmen,ass die Auslegung dieses Paragrafen, wie sie in Dres-en praktiziert worden ist, offenkundig weder dem Textoch dem Geist der entsprechenden Norm entspricht. Est ganz klar rechtswidrig gehandelt worden.
an kann nicht von Zehntausenden Bürgerinnen undürgern Verbindungsdaten speichern, um in zweistelli-er Anzahl Verfahren einzuleiten. Es sind ja sogar Ver-hren – entgegen der Bestimmung des Paragrafen in dertrafprozessordnung – wegen Verstößen gegen das Ver-ammlungsrecht, was keine besonders schwere Straftatarstellt, eingeleitet worden.Wenn wir aber zur Kenntnis nehmen müssen, dassort falsch gehandelt worden ist, müssen wir uns auchie Frage stellen: Hat das nur etwas mit einer falschenmsetzung des Paragrafen zu tun, oder ist dieser Para-raf verbesserungswürdig und bedarf er der Präzisie-ng?Ich will hier gern Folgendes erwähnen, weil ich finde,an muss schon zur Kenntnis nehmen, was für interes-ante Bundesländer wir haben: Als ich im Februar inresden war, habe ich im Vorfeld den sächsischen In-enminister gebeten, mir zu ermöglichen, mir als Abge-rdneter des Deutschen Bundestages von der Leitung
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 134. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Oktober 2011 15939
Sebastian Edathy
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des Polizeieinsatzes einen persönlichen Eindruck zu ma-chen. Das ist fernmündlich abschlägig beschieden wor-den. Ich habe dann um eine schriftliche Begründung ge-beten. Das hat drei Monate gedauert.
Auf mehrfache Nachfragen meines Büros antwortete mird
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Auf Ihre Anfrage möchte ich Ihnen mitteilen, dassgrundsätzlich Besuchen von Mandatsträgern in denFührungsstäben der sächsischen Polizei währendbestehender Einsatzlagen nicht zugestimmt wird.Vor dem Hintergrund, dass es während des Einsat-zes für die im Führungsstab beschäftigten Bediens-teten und insbesondere auch für den Polizeiführerdes Einsatzes– jetzt kommt es –möglichst wenig Störungen und damit einherge-hende Beeinträchtigungen der Arbeitsfähigkeit ge-ben soll,
haben wir uns entschlossen, entsprechende Be-suchsanfragen abschlägig zu beantworten.
Also: Die gewählten Volksvertreter stören bei der Poli-zeiarbeit. Das ist eine sehr spezifische sächsische Hal-tung. Ich halte sie für ausgesprochen bedenklich.
Ich habe im Nachgang zu meinem Besuch in Dresdenden sächsischen Innenminister gebeten, mir mitzuteilen,ob auch meine Verbindungsdaten für den Zeitraum, indem ich mich dort aufgehalten habe, gespeichert wordensind. Diese Frage hat er nicht beantwortet, aber gesagt:Wie Ihnen bekannt ist, sind neben dem friedlichenProtest gegen die rechte Demonstration an vielenOrten der Stadt erhebliche Straftaten begangen wor-den. Ein demokratischer Rechtsstaat ist in seinemBestand darauf angewiesen, dass die Strafverfol-gungsbehörden solche Straftaten aufklären können.Wer es für den Bestand des Rechtsstaates für existenziellhält, eine massenhafte Funkzellenabfrage durchzufüh-ren, um einer Handvoll Straftäter auf die Spur zu kom-men, der hat, glaube ich, ein falsches Rechtsstaatsver-ständnis.
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at über den Bundesrat einen Gesetzesantrag zur Präzi-ierung des § 100 g der Strafprozessordnung vorgelegt,h will nicht sagen, aus schlechtem Gewissen – obwohls relativ naheliegend wäre – vielleicht aber aus Er-enntnis. Man muss sich angesichts des Gebahrens inresden an den alten Satz von Georg Christophichtenberg erinnern: Wenn ein Affe in ein Buch schaut,ann in der Regel kein Philosoph zurückschauen.
s gibt, wie gesagt, verschiedene Initiativen, von derinkspartei bis hin zu Schwarz-Gelb in Sachsen. Ichalte es für zwingend erforderlich, dass wir bei den an-tehenden Beratungen im Rechtsausschuss sehr intensivber dieses Thema reden und dazu auch eine öffentlichexpertenanhörung durchführen.Ich will hierzu nur einige kurze Bemerkungen machen.eine Fraktion, die SPD, ist nicht der Auffassung derinkspartei, dass man auf dieses Instrument gänzlich ver-ichten kann. Im Gesetzentwurf des Bündnisses 90/Dierünen wird zwar, wie ich finde, zu Recht erkannt, dassie Bestimmung „besonders schwere Straftaten“ – dasilt insbesondere für § 100 a Strafprozessordnung – rela-v unkonkret ist und in der Tat der Substantiierung be-arf. Aber der Gesetzentwurf der Grünen hat auchchwächen. Er hätte zum Beispiel zur Folge, dass eineunkzellenabfrage selbst bei besonders schweren Fällenes Landfriedensbruchs nicht mehr möglich wäre;125 a des Strafgesetzbuches wäre dann nicht mehr er-sst.
arüber kann man aber sicherlich reden. Der Gesetzes-ntrag des Freistaates Sachsen zielt im Wesentlichen da-uf ab, zu einer Präzisierung des Gesetzes zu kommen.ir scheint auf jeden Fall Beratungsbedarf gegeben. Esesteht die Notwendigkeit, sich diesem Thema intensivu widmen und sich darum zu kümmern, dass sich so et-as wie in Dresden nicht wiederholt.Ich möchte nicht, dass wir im Bundestag zu der Auf-ssung kommen, die der Vorsitzende des Rechtsaus-chusses im Sommer im heute-journal vertreten hat.err Kollege Kauder – leider ist er heute nicht da – hatörtlich gesagt:Es ist Mode geworden, die Freiheitsrechte des Bür-gers in den Vordergrund zu stellen.
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15940 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 134. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Oktober 2011
Sebastian Edathy
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– „Kauderwelsch“ habe ich nicht gesagt, Herr KollegeLischka. – Das ist nicht Mode. Das ist demokratischerRechtsstaat.
Wir müssen feststellen, dass wir es offenkundig miteiner Norm der Strafprozessordnung zu tun haben, diezumindest missbrauchsanfällig ist, unabhängig davon,ob in Dresden gegen geltendes Recht verstoßen wordenist oder nicht; selbst bei rechtskonformer Umsetzungdieser Norm ist sie missbrauchsanfällig. Deshalb solltenwir uns die nötige Zeit nehmen, intensiv zu beraten.Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
Das Wort hat jetzt der Kollege Christian Ahrendt für
die FDP-Fraktion.
Herr Präsident! Verehrte Kollegen! Der Kollege
Edathy hat es mir leicht gemacht, mit meiner kurzen Re-
dezeit auszukommen, und zwar aus dem einfachen
Grunde, weil Sie sehr zutreffend darauf hingewiesen ha-
ben, dass im Bundesrat bereits seit Beginn September
ein Antrag der christlich-liberalen Koalition aus Sachsen
vorliegt, die sich mit dem gleichen Thema, das auch Ge-
genstand des Entwurfs der Grünen hier ist, beschäftigt
hat. Insofern verfolgen wir hier ein wichtiges Anliegen.
Schauen Sie sich an – die Kollegen haben es schon
beschrieben –, was in Dresden passiert ist: Hunderttau-
sende gerieten durch die Abfrage einer Funkzelle in die
Überwachung der Polizei, ohne eine Straftat begangen
zu haben, weil andere in dieser Funkzelle an Straftaten
beteiligt waren und sie sozusagen ein Beifang bei dieser
Ermittlungsmöglichkeit waren.
Das Problem hinsichtlich dieses Beifangs ist nicht die
Vorschrift des § 100 g Strafprozessordnung, sondern
dass wir über die Weiterverwendung dieser Verkehrsda-
ten faktisch eine Rasterfahndung zulassen; denn da-
durch, dass diese Daten auch in anderen Ermittlungsver-
fahren genutzt werden können, indem sie weitergereicht
werden können, kommt es zu einem wesentlich intensi-
veren Eingriff auch schon bei Straftaten, bei denen die
Erfassung von Verkehrsdaten selbst gar nicht zugelassen
ist. Das ist die Schwierigkeit. Dies greifen die Grünen in
ihrem hier vorliegenden Entwurf auf, das greifen aber
insbesondere auch die CDU und die FDP in ihrem An-
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at jetzt als letzter Redner zu diesem Tagesordnungs-
unkt und vermutlich auch an diesem Tag der Kollege
anuel Höferlin von der FDP das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meineerren! Liebe Kollegen! Die Überarbeitung des § 100 ger Strafprozessordnung habe ich in einer Aktuellentunde selbst auch schon in Betracht gezogen. Darumeue ich mich, heute mit Ihnen darüber reden zu kön-en.Anlage 3
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 134. Sitzung. Berlin, Freitag, den 21. Oktober 2011 15941
Manuel Höferlin
(C)
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Durch die genaue Lektüre Ihrer Anträge zeigt sich,dass Sie die Kernprobleme, die wir damals am 1. Juli2011 hier besprochen haben, damit nicht wirklich ganzlösen können. Der Gesetzentwurf ist teilweise nicht so,dass damit das Kernproblem, das der Kollege Ahrendtgerade eben angesprochen hat, gelöst werden kann. DieProblematik in Bezug auf §diesem Vorschlag nicht richtigran vorbei.Um es noch einmal genauFall in Dresden wurde ein IMging um fünf LinksextremisteVereinigung gründen wolltenin diese Richtung.solche weitgehenden Funkzellenabfragen so gestalten,dass solche großen Mengen an Daten nicht so lange ge-speichert, sondern schneller gelöscht werden?
esetzentwurf eben nicht[BÜNDNIS 90/DIEollege Ahrendt aberegen der Linksfraktion Sekunden meiner Rede-Danach wurde eine großangelegte Funkzellenabfragedurchgeführt. Dass diese Maßnahme sehr weitgehend istund tief in die Rechte eingreift, weil mit ihr sehr vieleDaten eingesammelt werden, ist völlig unstrittig. Ob dasjetzt rechtmäßig ist oder nicht, ist letztlich die Kerndis-kussion. Wir glauben, dass der hierzu erfolgte Richterbe-schluss rechtmäßig war.
Aber nachher stellen sich folgende Fragen: Was passiertmit den Daten? Wofür werden sie weiter genutzt? Diedanach angeordneten Einzelmaßnahmen wurden – dasist das Kernproblem – erst dann problematisch, als sie inBezug auf einfache Verfahren, wie zum Beispiel beimVerstoß gegen das Versammlungsrecht, herangezogenwurden.Herr Sensburg, Herr Ahrendt, Sie haben schon zuRecht gesagt, dass es dazu einen Antrag der christlich-li-beralen Koalition aus Sachsen gibt. Ich glaube, dass die-ser Antrag der Sache besser gerecht wird. Wir werdenuns das im Ausschuss genau ansehen. Der Punkt mit derFunkzellenabfrage wurde zu Recht aufgegriffen. Aberso, wie Sie es in Ihrem Gesetzentwurf formuliert haben,löst er das Problem mit § 100 g StPO nicht.Es geht darum, dass hier massenhaft Daten vorrätiggehalten wurden. In Baden-Württemberg und Rhein-land-Pfalz, liebe Kollegen von den Grünen, zeigen Siesich in den Koalitionsverträgen mit Ihrem Koalitions-partner, der SPD, gegenüber der Vorratsdatenspeiche-rung inzwischen sehr aufgeschlossen. Daher muss manschon einmal überlegen, ob man hier beim Sammeln vonDaten sparsamer sein muss. Die Frage ist: Wie kann manzleGnvSunskhtedgSsodeBerichtig133. Sitzung, Seite 15819 Dist durch den Namen Johannes P
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf
en Drucksachen 17/7033 und 17/7335 an die in der Ta-
esordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen.
ind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann
ind die Überweisungen so beschlossen.
Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tages-
rdnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bun-
estages auf Mittwoch, den 26. Oktober 2011, 13 Uhr,
in.
Die Sitzung ist geschlossen.