Gesamtes Protokol
Die Sitzung ist eröffnet. Guten Morgen, liebe Kolle-ginnen und Kollegen!Ich rufe Tagesordnungspunkt 27 auf:Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und der FDP eingebrachten Entwurfs einesGesetzes zur Neuordnung des Rechts derSicherungsverwahrung und zu begleitendenRegelungen– Drucksache 17/3403 –Überweisungsvorschlag:Rechtsausschuss
InnenausschussAusschuss für Familie, Senioren, Frauen und JugendAusschuss für GesundheitNach einer interfraktionellen Vereinbarung sind fürdie Aussprache eineinviertel Stunden vorgesehen. Gibtes Widerspruch dagegen? – Das ist nicht der Fall. Dannist das so beschlossen.Ich eröffne die Aussprache und erteile als erster Red-nerin das Wort der Bundesministerin SabineLeutheusser-Schnarrenberger.
zVgkeDbzresnsruaTsdskridstiRedetSabine Leutheusser-Schnarrenberger, Bundes-ministerin der Justiz:Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kolle-gen! Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf soll ein ganzsensibler Bereich neu justiert und ausgerichtet werden.Es ist notwendig, dies zu tun, und zwar in dreierlei Hin-sicht.Erstens muss die Sicherungsverwahrung wegen destiefen Eingriffs in das Leben eines Verurteilten, der seineStrafe verbüßt hat, streng rechtsstaatlich ausgestaltetsein. Sie muss letztes Mittel der Kriminalpolitik, alsoUltima Ratio, bleiben.Zweitens ist am Recht der Sicherungsverwden letzten Jahren immer wieder – ich kann eders formulieren – herumgebastelt worden. Vo
Die nachträgliche Sicherungsverwahrung für Erwach-sene wird auf einen engen Bereich begrenzt und sonst imschafft. An ihr haben sich immer wiederentzündet, aber sie spielt letztlich in der Rolle, die ihr immer zugemessen wird.es vor dem Hintergrund der Vereinbar-ahrung ins nicht an-n 1995 bisGrundsatz abgeviele DebattenPraxis nicht dieAußerdem gibt
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Bundesministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger
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keit mit der Europäischen Menschenrechtskonventionberechtigte Zweifel und anhängige Verfahren, sodass ei-gentlich mit ihr eher mehr Probleme bestehen, als mit ihrgelöst werden. Deshalb richten wir die primäre und dievorbehaltene Sicherungsverwahrung neu aus.Die vorbehaltene Sicherungsverwahrung wird aus-gedehnt – sie kann bei schweren Delikten auch auf Erst-täter angewandt werden –, und es wird die Frist verlän-gert, innerhalb derer bei einer vorbehaltenenSicherungsverwahrung ein Gericht entscheiden kann, obdie Voraussetzungen bei Haft und nach Haftverbüßungvorliegen oder nicht.Wir ergänzen dieses Konzept mit einer weiteren Maß-nahme im Bereich der Führungsaufsicht, einer elektro-nischen Aufenthaltsüberwachung, die ja Sicherungs-verwahrung nicht ersetzt, sondern ein Hilfsmittel, eineUnterstützung in angemessenen Situationen sein kann.Ich denke, damit werden wir auch dem berechtigten An-liegen derjenigen, die sich mit diesen Aufgaben zu be-fassen haben, gerecht. Wir kennen alle die Bilder vomEinsatz von 20 Polizeibeamten, um einen als gefährlicheingestuften Täter, der entlassen worden ist, so zu über-wachen und zu betreuen, dass es nicht zu Taten kommenkann.Ein weiterer und auch wichtiger Baustein ist der Ent-wurf eines Gesetzes zur Therapierung und Unterbrin-gung psychisch Gestörter als Übergangslösung für so-genannte Altfälle, also für die Personen, die durch dasStraßburger Urteil vom Mai dieses Jahres betroffen sindund aus Sicherungsverwahrung schon entlassen wordensind oder bei denen diese Entlassung bevorsteht.Wir alle kennen das Urteil des Europäischen Ge-richtshofs für Menschenrechte und die engen Vorgaben,die dort gemacht worden sind. Deshalb wird hier einAliud, etwas anderes, als Möglichkeit zur Therapierungund Unterbringung gewählt. Das ist nicht Sicherungs-verwahrung, sondern es ist ein besonderes Verfahren, einZivilverfahren vor den Zivilkammern mit zwei externenGutachtern, die darüber zu entscheiden haben, ob dieeng gefassten Voraussetzungen für eine mögliche Unter-bringung zur Therapie in geeigneten Einrichtungen vor-liegen. Das ist eine große Herausforderung für die Län-der, die für diese geeigneten Einrichtungen zuständigsind, in denen Therapie erfolgen muss. Es kann ebennicht Strafvollzug und es kann auch nicht eine Zelle ne-ben dem Strafvollzug sein, ohne dass das inhaltliche An-gebot geändert worden ist.Dieses Verfahren ist eng mit ganz strikten und immerwieder greifenden Rechtsbehelfsmöglichkeiten auf derGrundlage des Art. 5 der Europäischen Menschenrechts-konvention ausgestaltet. In den Debatten haben wirwirklich sehr intensiv diskutiert, abgewogen und habenuns letztlich für diesen eng begrenzten Rahmen entschie-den, der in meinen Augen nicht mehr Spielraum für wei-tere Ausweitungen insgesamt lässt.Ich denke, es ist ein Gesetzentwurf, der wirklich einausgewogenes Gesamtkonzept beinhaltet, der Siche-rungsverwahrung strikt nach rechtsstaatlichen Konzep-teeSKüjuwSgEdtessdrufüfobhbmakruddHdinInaddspdgtr
sofern müssen wir das, was wir uns jetzt vornehmen,uch tun.Wir müssen ein Gesetz auf den Weg bringen – auchies will ich nicht unerwähnt lassen –, das den Vorgabenes Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte ent-pricht. Wir müssen einen guten Umgang mit dem Euro-äischen Gerichtshof für Menschenrechte pflegen. Dennie größte Demokratie in Europa hat die wichtige Auf-abe, sicherzustellen, dass die Entscheidungen, die erifft, respektiert und beachtet werden.
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Olaf Scholz
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Zu dem Thema, über das wir zu diskutieren haben,gehört auch die Frage, wie wir dabei miteinander umge-hen. Ich will ausdrücklich sagen, dass mich bedrückt,wie lange es gedauert hat, bis wir zu diesem Gesetzge-bungsverfahren gekommen sind. Das wäre schnellernötig und auch schneller möglich gewesen.
Es wäre auch deshalb schneller möglich gewesen,weil nicht nur die sozialdemokratischen Abgeordneten,sondern auch alle anderen Oppositionsfraktionen in die-sem Parlament wiederholt gesagt haben: Wir sind bereit,konstruktiv mitzuarbeiten und mitzuhelfen. Wir glauben,dieses Problem ist nicht nur ein Problem der Regierung,sondern es betrifft das gesamte Parlament und alle, dieVerantwortung tragen.Wir waren ein bisschen irritiert, wie lange dieser Pro-zess gedauert hat und wie wenig der Versuch unternom-men wurde, die Opposition und die Länder in den Ent-scheidungsprozess einzubinden. Das ist ein Problem,weil mit den gewählten Lösungen auch Konsequenzen,zum Beispiel für die Länder, verbunden sind. Die Ländermüssen jetzt schnell mitmachen, damit es nicht an Zü-gigkeit mangelt.
Es wäre gut gewesen, wenn man rechtzeitig darauf ge-achtet hätte, sie in diesen Prozess einzubinden. Ich hoffe,dass dies noch geschieht und man sich aktiv darum be-müht. Im Übrigen will ich Ihnen gerne versichern, dasswir uns von der fehlenden Einbindung der Länder in die-sen Diskussionsprozess nicht abschrecken lassen, son-dern uns weiterhin konstruktiv beteiligen.
Zur Sache. Der Weg, der im vorliegenden Gesetzent-wurf vorgeschlagen wird, ist ein Weg, den wir für gang-bar halten und den wir gerne mitgehen wollen. Es istnotwendig, eine Neuregelung zur Sicherungsverwah-rung zu treffen, und es ist richtig, dass wir die nachträgli-che Sicherungsverwahrung mit Blick auf künftige Fälleabschaffen und durch ein anderes System, das auch unsgeeigneter erscheint, ersetzen. Insofern findet der Weg,der im vorliegenden Gesetzentwurf vorgeschlagen wird,unsere Unterstützung, zwar nicht in allen Details – da-rüber muss in den Ausschüssen und Anhörungen beratenwerden; das ist eine notwendige Debatte –, aber imGrunde.Ich glaube, dass es vernünftig ist, die Fälle, in deneneine Sicherungsverwahrung angeordnet wird, auf Straf-taten, die gegen die körperliche Unversehrtheit, das Le-ben und die sexuelle Selbstbestimmung eines Menschengerichtet sind, zu beschränken. Es ist noch zu prüfen, obdiese Maßgabe im vorliegenden Gesetzentwurf durch-gängig eingehalten wird. Im Großen und Ganzen ist abergenau dieser Weg richtig.vbSdsrusvhgfeuewfiDefaDsnbnfuruddvßnBBngMredMDgKmbkskweg
as wird nicht einfach; denn es ist nicht gerade leicht,ine Lösung für diese Fälle zu finden. Es wäre ganz ein-ch, wenn alle Oppositionsfraktionen sagen würden:as Problem haben ja nicht wir, soll die Regierung dochehen, wie sie damit zurande kommt. – Das kann esicht sein.Insofern glauben wir, dass man das Ganze sorgfältigeraten muss und dass wir in den konkreten Diskussio-en über den Gesetzentwurf schauen müssen, ob dasnktioniert. Wir raten uns selbst und auch den Regie-ngsparteien und der Regierung, den Sachverständigen,ie angehört werden, genau zuzuhören. Es kann sein,ass wir hinsichtlich der Frage, was man tun kann, zueränderten Erkenntnissen im Detail kommen. Im Gro-en und Ganzen ist es aber vernünftig, dass wir jetzticht einfach zuschauen, wie gefährliche Täter in derundesrepublik möglicherweise Straftaten verüben undürgerinnen und Bürger in Gefahr bringen, weil wiricht überlegt haben, was man tun kann, und wir deswe-en keine Handhabe dagegen haben.Wir haben genau hingeschaut und sind deshalb dereinung, dass es eine berechtigte Hoffnung der Bundes-gierung und der antragstellenden Fraktionen ist, dassas Ganze auch mit der Europäischen Konvention fürenschenrechte vereinbar ist.
as ist aber kein leichter Weg; denn wir haben Regelun-en für die psychisch Gestörten – für die psychischranken gibt es sie schon – zu treffen. Darüber kannan als Jurist und Juristin sorgfältig streiten. Wir glau-en, dass die Regelungen vertretbar sind, wollen in denonkreten Beratungen aber sehr genau überprüfen undchauen, ob man das auch in allen Details so machenann, wie das jetzt mit dem Gesetzentwurf vorgelegtorden ist.Mein Rat zum weiteren Umgang mit diesem Gesetz-ntwurf und hinsichtlich der Beratungen, die jetzt fol-en, lautet deshalb: Wir sollten ruhig bleiben – das ist
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notwendig –, wir sollten sehr ernst bleiben – das ist auchnotwendig –, und wir sollten bereit sein, zu akzeptieren,dass vielleicht nicht alles, was in dem heute erstmals be-ratenen Gesetzentwurf steht, am Ende auch so stehenbleibt. Die Regierungsparteien und die Regierung solltenschon bei den Beratungen des Bundestages und paralleldazu auch gemeinsam mit den Ländern den Versuch ma-chen, einen Weg zu finden, wie das möglichst zügigdann auch gemeinschaftlich getragen werden kann.Ich will deshalb zum Schluss ein Plädoyer für die16 Länder der Bundesrepublik Deutschland halten undauf ihre Probleme und Fragen hinweisen. Die Lösung,die gerade für die psychisch gestörten Gewalttäter ge-funden worden ist, führt dazu, dass bei den LändernMehrausgaben entstehen und dass neue Aufgaben zu er-füllen sind. Ich glaube, dass man jetzt nicht sagen kann,das sei ganz alleine deren Problem. Es wird wichtig sein,dass man diesen Prozess als eine gemeinsame nationaleAufgabe begreift, dass sich also bei der Beratung dieserDinge ein entsprechendes Verhältnis zwischen der Re-gierung und der Opposition und vielleicht auch zwischendem Bund und den Ländern entwickelt, indem gesagtwird: Wir sollten dieses Problem jetzt nicht einfach auf-einander abschieben, sondern wir sollten versuchen, esgemeinsam zu lösen.Wenn dieser Weg beschritten wird, dann können wirbei einem so schwierigen und ernsten Thema auch etwasGutes für das Land und für die Strafrechtskultur diesesLandes tun.Schönen Dank.
Das Wort hat jetzt der Kollege Dr. Günter Krings von
der CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen undHerren! Mit dem heute vorgelegten Gesetzentwurf zurSicherungsverwahrung legen wir dem Hause ein wichti-ges Vorhaben der christlich-liberalen Regierung auf demGebiet der Rechtspolitik vor.Unterschiedliche Koalitionen mit unterschiedlichenMehrheiten – auch unter Beteiligung der Grünen – habenin den letzten über zehn Jahren viele Ergänzungen undErweiterungen des bewährten und schon relativ altenRechtsinstituts der Sicherungsverwahrung vorgelegt.Das war jeweils – darin stimme ich Ihnen ausdrücklichzu, Herr Kollege Scholz – gut begründbar. Es ist aber einkompliziertes – manche sagen sogar: verworrenes –Konglomerat aus strafrechtlichen Regelungen entstan-den. Die christlich-liberale Bundesregierung ist gemäßdem Koalitionsvertrag bereits mit dem Ziel angetreten,dieses Rechtsinstitut übersichtlich neu zu ordnen undSchutzlücken zu schließen. Genau diese beiden Zielset-zungen erreichen wir mit dem heute vorgelegten Ent-wurf.DRmzsMmgtuukMsvwggdlizDrem–dddsDrerohGkkmsMreGSdreS
as Recht der Sicherungsverwahrung wird endlich einecht aus einem Guss, und wir bieten den Menschenehr Schutz vor hochgefährlichen Tätern.
Dass wir hier bei aller gebotenen Sorgfalt trotzdemügig handeln mussten, hängt in der Tat mit den Ent-cheidungen des Europäischen Gerichtshofs fürenschenrechte zusammen. Dieser hat – auch dasuss hier noch einmal erwähnt werden – in der vergan-enen Woche in dankenswerter Klarheit das Rechtsinsti-t der Sicherungsverwahrung in Deutschland bestätigtnd als mit der Menschenrechtskonvention vereinbar er-lärt. Aber er hat im vergangenen Jahr – das hat er imai dieses Jahres noch einmal bestätigt – für eine be-timmte Gruppe hochgefährlicher Täter eine Sicherungs-erwahrung und auch ihre Verlängerung abgelehnt,enn die gesetzliche Grundlage dafür erst nach der Tateschaffen wurde.Meine Damen und Herren, wenn insbesondere dierüne Fraktion am gestrigen Abend nicht versucht hätte,as unserem Parlamentsrecht unbekannte System des Fi-busterns in die Tradition des deutschen Parlaments ein-uführen, hätten wir gestern Abend eine interessanteebatte zum 60. Jahrestag der Europäischen Menschen-chtskonvention am 4. November führen können. Sieusste leider abgesetzt werden. Das hätte gestern Abend das tue ich aber gerne hier – Gelegenheit gegeben, aufie Bedeutung dieser Menschenrechtskonvention undarauf hinzuweisen, dass auch schmerzhafte Urteile wieas zu einem strengen Rückwirkungsverbot von unselbstverständlich akzeptiert und befolgt werden, zumaleutschland nicht nur von Anbeginn bei der Menschen-chtskonvention dabei war, sondern auch für diese Eu-päische Menschenrechtskonvention immer geworbenat.Ich sage es aber ganz deutlich: Zu einem offenenrundrechtsdialog in Europa gehört auch, dass wir Judi-ate des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechteritisch begleiten dürfen und müssen.
Weiter sage ich in aller Offenheit – und im Einklangit weiten Teilen auch der deutschen Strafrechtswissen-chaft – sehr deutlich, dass die Urteile des Europäischenenschenrechtsgerichtshofs vom Dezember letzten Jah-s und vom Mai dieses Jahres kein Ruhmesblatt in dereschichte dieses Menschenrechtsgerichtshofs waren.
Die Gleichsetzung von Sicherungsverwahrung mittrafhaft hat aus meiner Sicht ganz zentral damit zu tun,ass sich das Gericht in Bezug auf die Fakten nicht aus-ichend mit der Praxis und dem System des deutschentrafrechts befasst hat.
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Dr. Günter Krings
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Es stimmt mich auch befremdlich, dass ein so folgen-schwerer Eingriff in ein Herzstück einer nationalenStrafrechtsordnung nicht einmal von der GroßenKammer des Gerichts entschieden wurde.
Meine Damen und Herren, als Folge dieser Entschei-dungen ist inzwischen eine größere Zahl hochgefährli-cher Straftäter entlassen worden. Es sind Täter, die vonGerichten und Gutachtern übereinstimmend und klar fürein großes Sicherheitsrisiko gehalten werden. Sobald siein Freiheit sind, müssen sie in der Regel rund um die Uhrvon Polizisten überwacht werden. Ich kann deshalb derDeutschen Polizeigewerkschaft nur beipflichten, wennsie erklärt, dass solche – so das Zitat – „tickende Zeit-bomben“ nicht in Freiheit, sondern hinter Gittern gehö-ren.Als Beispiel will ich nur auf die Situation im Südwes-ten unserer Republik – in Freiburg – hinweisen. Dortsind aufgrund von Entscheidungen des Oberlandesge-richts Karlsruhe inzwischen sechs Sicherungsverwahrtein Freiheit gekommen. Einer von ihnen wurde 1975 zu15 Jahren Haft wegen Mordes in Tateinheit mit dem se-xuellen Missbrauch eines Kindes verurteilt. Schon zuvorwar er wegen zwei Vergewaltigungen, zwei versuchterVergewaltigungen und einer Reihe weiterer Delikte ver-urteilt worden.Vier weitere Sexualstraftäter sind nach zahlreicheneinschlägigen Taten zu je fünf Jahren Haft verurteiltworden. Diese fünf müssen rund um die Uhr von mehre-ren Polizisten überwacht werden. Sie sind jederzeit rück-fallgefährdet. Ein sechster Gewalttäter muss jedenfallszeitweise überwacht werden. Hierfür werden zurzeit181 Polizeibeamte im Einsatz benötigt. Sie haben bis-lang knapp 16 000 Dienststunden rein zu diesem Zweckgeleistet. Weit über eine halbe Million Euro Kosten sindhier angefallen. Das gehört auch zur Wahrheit, wenn wiran dieser Stelle über die Kosten und Lasten der Länderreden.Aber ich sage ganz klar: Die personellen Ressourcen,die man einsetzt, und auch die Kosten sind gar nicht dasentscheidende Problem. Das muss ein Rechtsstaat in be-stimmten Fällen vielleicht leisten. Wir verlangen von un-seren Polizeibeamten – das ist das Problem – aber etwasUnmögliches. Wir wollen, dass sie uns wirklich lücken-los vor diesen gefährlichen Straftätern schützen, die auf-grund ihrer Anlage jederzeit losschlagen können. Daskönnen wir von ihnen beim besten Willen und bei höchs-tem Engagement einfach nicht erwarten. Wir können,um es auf den Punkt zu bringen, von einem Polizisten inFreiburg nicht erwarten, dass er allein die Schutzlückenwieder stopft, die ein Richter in Straßburg aufgerissenhat.Für CDU und CSU war bei der Debatte von vornhe-rein klar, dass wir alles versuchen müssen, um diese Tä-ter wieder hinter Schloss und Riegel zu bringen. Der Un-teDneudguMvumUgredhMdsbskvMePxRTdwdAduncinhmSpfeurupuvRaM
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Ministerin hat recht: Das ist kein Ersatz für eine Verwah-rung. Aber in den Fällen, in denen es nicht angezeigtoder möglich erscheint, einen Täter in Verwahrung zunehmen, ist es eine Möglichkeit, die schwere Arbeit derPolizei zu entlasten und die Sicherheit der Bürger zu er-höhen.Leben und Gesundheit der Menschen müssen wir ge-rade vor Straftätern schützen. Das ist eine der Kernauf-gaben unseres Staates und unsere Pflicht als Mitgliederdes Parlaments, des Deutschen Bundestages. Es ist daheraus meiner Sicht unverantwortlich, immer nur zu sagen,was alles nicht geht, statt dieses Schutzbedürfnis ent-sprechend ernst zu nehmen.Diese Schutzpflicht speist sich übrigens nicht nur ausArt. 2 des Grundgesetzes, wenn es um Leben und Ge-sundheit geht, sondern auch aus Art. 2 der EuropäischenMenschenrechtskonvention. Wer das ausblendet, tutnichts besonders Gutes für das Image der EuropäischenMenschenrechtskonvention in Deutschland.Für das Thema Freiheit und Sicherheit wäre schonviel gewonnen, wenn diejenigen, die durchaus zu Rechtauf die Grundrechte der Täter hinweisen, auch zurKenntnis nehmen würden, dass dieselben Grundrechte inihrer Schutzpflichtenfunktion auch die Bürger schützenund den Staat zum Schutzhandeln verpflichten.
– Das ist ja schön.Die Menschen in unserem Lande wissen, dass die in-nere Sicherheit bei der CDU/CSU gut aufgehoben ist.Wir richten unsere Politik darauf aus, dass aus Bürgernkeine Opfer werden. In diesem Punkt arbeiten wir in derchristlich-liberalen Koalition gut zusammen. Dafür bie-ten wir die Zusammenarbeit auch all jenen Kräften indiesem Hause an, denen dieses Ziel ebenso wichtig istwie uns.Vielen Dank.
Das Wort hat jetzt die Kollegin Halina Wawzyniak
von der Fraktion Die Linke.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-ren! Wir reden hier nicht über irgendetwas, sondern überden Entwurf eines Gesetzes zur Neuordnung des Rechtsder Sicherungsverwahrung. Das heißt, wir reden überden schwersten und schwerwiegendsten Eingriff, dendas deutsche Strafrecht zur Verfügung stellt. Ich finde, esist dem Thema völlig unangemessen, dass der Gesetz-entwurf erst Dienstagabend zwischen 19.30 und 21 Uhrim Intranet abrufbar war, ein Gesetzentwurf mit 98 Sei-tedpIcwTdminstili–InfoFhbuwteeLarutevtisSRnSBNvVHeimdsHFaiszsfe
chon jetzt ist die Sicherungsverwahrung nicht Ultimaatio. Entgegen dem medial vermittelten Bild sind ebenicht nur Gewalt- und Sexualstraftäter betroffen. Auchtraftäter, die wegen Betrugs- und Diebstahlsdelikten,randstiftung und – in geringem Maße – sogar wegenötigung und Widerstand gegen Vollstreckungsbeamteerurteilt worden sind, sitzen in Sicherungsverwahrung.oraussetzung für die Sicherungsverwahrung ist einang zu gefährlichen Straftaten. Nach dem BGH handelts sich um einen „eingeschliffenen inneren Zustand“, dermer wieder zu Straffälligkeit führt. Voraussetzung fürie Anordnung der Sicherungsverwahrung ist die Ein-chätzung im Rahmen einer Prognoseentscheidung. Dieamburger Oberärztin Marianne Röhl bringt es auf dieormel: „Die Hälfte der Patienten sitzt zu Unrecht ein,ber welche Hälfte es ist, das weiß ich nicht.“ Genau dast der Punkt. Niemand kann eine sichere Prognose überukünftige Straffälligkeit treffen. Trotzdem werden Men-chen ihrer Freiheit beraubt.
Kommen wir zum Gesetzentwurf. Trotz all dieser of-nen Fragen wollen Sie die Sicherungsverwahrung de
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Halina Wawzyniak
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facto ausweiten. Sie sind da ganz offen und erwähnendas auf Seite 53 des Gesetzentwurfs. Ich finde das sehrbemerkenswert; denn Sie benennen im Gesetzentwurfüberhaupt keinen Anlass für die Ausweitung. Mit demPrinzip der Ultima Ratio hat Ihr Gesetz jedenfalls nichtszu tun. Das kann man auch nicht mit Rückfallzahlen undGefährlichkeit begründen; denn dafür gibt es keine em-pirische Grundlage, ganz im Gegenteil. Sie alle kennendie Studie von Michael Alex. Nicht nur diese Studie gehtdavon aus, dass sich die Quote der Rückfalltäter auf10 bis 15 Prozent beläuft.Was macht Ihren Gesetzentwurf so inakzeptabel? Be-ginnen wir mit der anfänglichen Sicherungsverwahrung.Sie ist nach dem Gesetzentwurf nicht letztes Mittel derKriminalpolitik. Nach dem Gesetzentwurf sind Anlass-straftaten für die Anordnung der Sicherungsverwahrungnoch immer der Bandendiebstahl und der Wohnungsein-bruchsdiebstahl. Richtig absurd wird es, wenn man sichdarauf beruft, dass die Straftaten des 28. Abschnittes desStGB ebenfalls dazugehören. Das sind unter anderemBrandstiftungsdelikte und unterlassene Hilfeleistung. IhrAnspruch ist, die Sicherungsverwahrung für schwersteFälle zu regeln. Wenn aber die erwähnten Delikte als An-lassstraftaten in Betracht kommen, dann offenbart das eineigenartiges Verständnis von schwersten Fällen.
Die vorbehaltene Sicherungsverwahrung ist der ei-gentliche Ausbau der Sicherungsverwahrung. Der schonangesprochene Hang muss jetzt nur noch wahrscheinlichund nicht mehr sicher sein. Das heißt, die Wahrschein-lichkeit eines Hangs zu schweren Straftaten reicht aus,um das Damoklesschwert der Sicherungsverwahrungüber dem Strafgefangenen schweben zu lassen.Die Neue Richtervereinigung – um nur ein Beispielzu nennen – fordert die komplette Abschaffung der vor-behaltenen Sicherungsverwahrung und bezweifelt, dasshier die vom Europäischen Gerichtshof für Menschen-rechte geforderte Verknüpfung zwischen Verurteilungund Freiheitsentzug noch gegeben ist.Kommen wir zur nachträglichen Sicherungsver-wahrung. Hierbei handelt es sich um eine Mogelpa-ckung. Die nachträgliche Sicherungsverwahrung giltnämlich nur für Neufälle. Das heißt, erst wenn das Ge-setz in Kraft getreten ist und danach Straftaten begangenwerden, wird sie angewendet. In Ihrem Gesetzentwurfschreiben Sie, bis sie sich auswirke, dauere es fünf biszehn Jahre. Viel absurder ist aber, dass die Altfälle nochnach der alten Regelung in Sicherungsverwahrung ge-bracht werden können.
Sie regeln also ein Gesetz neu, wenn aber heute einereine Straftat begeht, wird er noch nach den alten Rege-lungen in Sicherungsverwahrung gebracht.
– Das ist nicht umgekehrt, wir können aber gern im De-tail darüber noch einmal reden.renruresbDritrdteBbgEbruSddapDnscuEesRERe
amit umgehen Sie das Urteil des Europäischen Ge-chtshofes für Menschenrechte. Soweit mir ersichtlich,ifft dieses Unterbringungsgesetz – außer in den Reihener Koalition – auf einhellige Ablehnung. Die Neue Rich-rvereinigung wirft Ihnen vor, Sie verlassen damit denoden der verfassungs- und menschenrechtlichen Vorga-en. Und tatsächlich wollen Sie mit diesem Unterbrin-ungsgesetz eine Tätergruppe, die nach den Vorgaben deruropäischen Menschenrechtskonvention in Freiheit zuelassen ist, durch den weiten Begriff „psychische Stö-ng“ wieder einsperren.
chon in Freiheit befindliche Personen wollen Sie wie-er in Anstalten bringen. Und Sie erklären nicht einmalas dogmatische Problem, das Sie haben, wenn jemandls schuldfähig mit einer Strafe belegt, später aber alssychisch krank eingestuft wird.
as macht alles überhaupt keinen Sinn.
Das Unterbringungsgesetz ist die neue Form derachträglichen Sicherungsverwahrung. Mit diesem Ge-etzentwurf lösen Sie kein tatsächliches oder vermeintli-hes Problem, sondern Sie wälzen es auf Richterinnennd Richter und die forensischen Sachverständigen ab.s wird herumgedoktert. Das Mindeste wäre gewesen,ine Expertenkommission einzurichten, wie die Linkeie bereits in der letzten Wahlperiode gefordert hat.ichtiger Opferschutz sieht anders aus, denn erst mit derntlassung der Verurteilten beginnt die Arbeit.Lassen Sie mich mit dem Greifswalder Appell zureform der Sicherungsverwahrung enden. Darin heißts:Auch wenn es nicht leicht ist, muss unsere Gesell-schaft zum Schutz unserer verfassungsrechtlichenGrundwerte mit der kritischen Situation leben, dass
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vereinzelt Menschen in die Freiheit entlassen wer-den, auch wenn sie im Hinblick auf ihre Rückfall-gefahr nicht als vollkommen unbedenklich einge-stuft werden können.
Dieser Gesetzentwurf macht dies nicht, dieser Gesetz-entwurf weitet das Instrument aus. Sie machen es sich zuleicht und gefährden leichtfertig ein weiteres StückchenRechtsstaat.
Das Wort hat jetzt der Kollege Jerzy Montag von
Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kol-lege Krings, noch einmal vonseiten der Grünen an IhreAdresse, an die Adresse der Koalition, zum Mitschrei-ben:
Jawohl, es gibt einige wenige Menschen, die sind aktuellso gefährlich für ihre Mitbürgerinnen und Mitbürger,insbesondere für Frauen und Kinder, dass wir diese Ge-fahr nicht anders bannen können, als ihnen ihre Freiheitzu nehmen. Insofern sagen wir Ja zu diesem letzten Mit-tel des Strafrechts, der Sicherheitsverwahrung. Aber ichfüge hinzu: Es ist bei einigen wenigen Menschen undnicht bei Hunderten oder gar Tausenden anzuwenden.
Ich werde auf die Frage der Fehlerhaftigkeit der Progno-sen noch zu sprechen kommen.Wir sagen an dieser Stelle mit Blick auf die Opfer unddie potenziellen Opfer aber auch – Sie selber haben aufdie Spannung zwischen Freiheit und Sicherheit hinge-wiesen –: In einem Rechtsstaat gibt es keine absolute Si-cherheit.
Bezüglich der Täter gilt: Auch sie sind Grundrechtsträ-ger. Sie haben Menschen- und Grundrechte, die wir ih-nen in einem Rechtsstaat nicht nehmen dürfen.
Die Koalitionsfraktionen haben einen fast 100-seiti-gen Gesetzentwurf vorgelegt. Die Koalitionsfraktionen?Das ist der erste Schwindel. Kein einziges Wort habensie selbst geschrieben.
Alles ist eine Formulierungshilfe des Bundesjustizminis-teriums.DbSgEdnshkdncdgcrahfäaDsrucDkswNtagSwZnutibRsdMnSS
er Vorsitzende des Rechtsausschusses hat es sich ver-eten, in Zukunft Formulierungshilfen zu bekommen.ie selber haben lediglich einen Stempel auf die Vorlageesetzt.In der Sache scheint hier in einem Punkt – hoffentlich –inigkeit zu herrschen: Die Sicherungsverwahrung ister schwerste Eingriff, der in unserem Rechtsstaat in ei-em strafrechtlichen Verfahren möglich ist. Wegen derchwierigen Prognoseentscheidungen ist er in einem ho-en Maße fehlerbehaftet. Thomas Feltes, einer der be-anntesten und renommiertesten Forscher auf dem Feldeer Sicherungsverwahrung, schreibt dieses Jahr von ei-er Fehlerquote von 90 Prozent. Das ist eine erschre-kende Zahl. Deswegen braucht es gerade auf dem Felder Sicherungsverwahrung gesetzliche Vorkehrungenegen das Ausufern dieses Rechtsinstituts. Die gesetzli-hen Vorgaben zur Begrenzung dieses Instituts sind einedikale Begrenzung der Anlasstaten und objektive An-altspunkte für die Bestimmung des Hangs und der Ge-hrlichkeit, die sich aus mindestens zwei Vorstrafen undus einer kurzen Rückfallverjährung ergeben müssen.azu hat die Bundesjustizministerin am 12. August die-es Jahres gesagt: Wir werden die Sicherungsverwah-ng so zuschneiden, dass wirklich nur Gewaltverbre-her und nur Sexualtäter erfasst werden. Betrüger undiebe dürfen nicht mehr in die Sicherungsverwahrungommen.Selbst in der Begründung Ihres Gesetzentwurfschreiben Sie – das steht auf Seite 24 –:Durch dieses Erfordernis werden insbesondere sol-che Delikte dem Anwendungsbereich des § 66StGB entzogen, die sich gegen das Vermögen …richten und nicht mit der Anwendung von Gewaltgegen Personen verbunden sind.Wenn wir uns Ihren Gesetzentwurf anschauen, stellenir fest, dass dies ein weiterer großer Schwindel ist.ach § 66 Abs. 1 Nr. 1 b StGB werden alle Straf-ten mit einer Höchststrafe von zehn Jahren einbezo-en. Ich nenne Ihnen dazu einmal eine ganze Liste vontraftaten – Herr Kollege Scholz, schreiben Sie mit; Sieollen ja konstruktiv mitarbeiten –: Fälschungen vonahlungskarten, Fälschungen von technischen Aufzeich-ungen, Fälschungen von Daten, Diebstahl, Hehlereind Steuerhehlerei, Betrug, Computerbetrug, Subven-onsbetrug, falsche Verdächtigung, Verleitung zu miss-räuchlichen Asylantragstellungen, Bestechlichkeit vonichtern, landesverräterische Agententätigkeit. Das allesind Delikte, bei denen Sie zugesagt haben, dass sie inie Sicherungsverwahrung nicht eingebunden werden.eine Liste ist beileibe nicht vollständig. Ich könnte sieoch um etliche Paragrafen weiterführen.
ie legen dem Bundestag hier also einen richtigenchwindel vor.
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Die vorbehaltene Sicherungsverwahrung weitenSie auf Ersttäter aus. Das ist ein unverzeihlicher Fehler;schließlich ist klar, dass wir angesichts der unsicherenPrognose des Hangs zur Begehung von Straftaten ein ob-jektives Element der Begrenzung brauchen. Sie dehnendie Rückfallverjährungsfrist auf zehn Jahre aus undsprengen damit zumindest für einen Teilbereich der An-lasstaten eine enge Klammer, die notwendig ist, um ei-nen objektiven Anhaltspunkt für die Gefährlichkeit einerPerson zu haben.Die nachträgliche Sicherungsverwahrung schaffenSie zwar ab, aber die Kollegin Wawzyniak hat völligrecht:
Dadurch, dass Sie nur Straftaten für das neue Recht ak-zeptieren wollen, die ab dem Zeitpunkt der Verkündungdieses Gesetzes begangen werden, schaffen Sie in Zu-kunft auf Jahre, vielleicht auf Jahrzehnte wiederum zweiKategorien von Sicherungsverwahrten bzw. von nachdem Gesetz Behandelten – eine Ungleichbehandlung,die Ihnen vor die Füße fallen wird.Die ganze Neuordnung des Rechts der Sicherungsver-wahrung ist eine Beibehaltung, sogar eine Ausweitungeiner schlechten Entwicklung, gegenüber den Reform-versprechen der FDP also ein einziger großer Schwindel.
Nun zum Therapieunterbringungsgesetz. Es wareinmal so, dass die Sicherungsverwahrung ab 1976 aufzehn Jahre begrenzt war. 24 Jahre hat die Bundesrepu-blik Deutschland mit diesem Zustand gelebt, ohne dassder Rechtsstaat aus den Fugen geraten wäre.
Es war erst dem Vorwahlkampf des Jahres 1998 ge-schuldet, dass Ihre Vorgängerin, die damalige schwarz-gelbe Koalition, die Zehnjahresfrist aus dem Gesetz ge-strichen hat. Es gab damals schon warnende Stimmen.Ich verweise nur auf Herrn Ullenbruch, der bereits 1998in der Neuen Zeitschrift für Strafrecht geschrieben hat,dies werde grundrechtlich und menschenrechtlich keinenBestand haben. Genauso ist es gekommen. Jetzt – nachzwölf Jahren – holt Sie, holt uns alle der Fehler ein, dendie damalige Koalition 1998 gemacht hat.
Dabei hätte man längst in den Ländern und auch imBund etwas tun können. Ich verweise nur darauf, dassbereits 2005 der Europäische Ausschuss zur Verhü-tung von Folter und unmenschlicher oder erniedri-gender Behandlung oder Strafe die Freiheitsentzie-hungsanstalten in der Bundesrepublik Deutschlanduntersucht hat. Er hat 2005 geschrieben, in welchemAusmaß er den Vollzug der Sicherungsverwahrung füreinen Skandal hält. Er hat geschrieben, die Organe derBundesrepublik Deutschland werden aufgerufen, umge-hpsrepdkVdzgKrehsJ–gnündhleaSdMs
In der Sache ist es so, dass Sie den neuen Begriff dersychischen Störung einführen. In der Sache ist es so,ass Sie bei dieser Therapieunterbringung die Zuständig-eit der Zivilgerichte statt der Strafgerichte festlegen –erfahren nach dem Gesetz über die Angelegenheitener freiwilligen Gerichtsbarkeit statt nach der Strafpro-essordnung. Die Voraussetzungen sind den Unterbrin-ungsgesetzen der Länder vollständig nachgebildet. Alsrönung wollen Sie mit diesem neuen Gesetz auch be-its Entlassenen ohne Zeitbegrenzung wieder die Frei-eit nehmen, das heißt, Entlassene wollen Sie nach die-em Gesetz auch noch nach Jahren, theoretisch nachahrzehnten erfassen.
Aber selbstverständlich, eine zeitliche Begrenzungibt es in diesem Gesetz nicht. Deswegen sage ich Ih-en: Sie und wir im Bund sind für eine solche Regelungberhaupt nicht zuständig.
Herr Kollege!
Denn es handelt sich um eine reine Präventionsmaß-
ahme, für die die Länder zuständig sind. Die Zustän-
igkeit dafür haben sie auch ausgeübt –
Herr Kollege Montag, bitte kommen Sie zum Schluss.
– mit den Gesetzen über die Inhaftierung und Frei-
eitsentziehung von psychisch Kranken und Gestörten.
Dieses Gesetz wird Ihnen recht bald vor die Füße fal-
n. Es wird keine hohe Halbwertzeit haben. Wir werden
n diesem Gesetz nicht konstruktiv – wie Kollege Olaf
cholz – mitarbeiten. Wir werden dieses Gesetz auch in
en Ausschüssen kritisieren.
Herr Kollege Montag, bitte!
Wir werden seine Schwächen aufzeigen und nachöglichkeit dafür sorgen, dass es nicht ins Bundesge-etzblatt kommt.Danke schön.
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7446 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 69. Sitzung. Berlin, Freitag, den 29. Oktober 2010
Jerzy Montag
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Das Wort hat jetzt der Kollege Jörg van Essen für die
FDP-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Esist schon eine interessante Lage, in der wir uns im Au-genblick befinden. Wer die Beiträge zu dieser Debattesorgfältig verfolgt hat, konnte feststellen, dass sich dieKollegin der Linkspartei große Sorgen um die Tätermacht.
Ich habe aber nicht ein einziges Mal auch nur ein einzi-ges Wort über die Opfer der Straftaten gehört; ich habesorgfältig darauf geachtet.
Wir haben auch gehört, dass sich die Grünen nichtkonstruktiv in die Debatte einbringen. Auch Ihnen ist of-fensichtlich egal, dass in diesem Land brandgefährlicheTäter herumlaufen.
Deswegen bin ich dem Kollegen Scholz ganz außeror-dentlich dankbar, dass er deutlich gemacht hat, dass sichdie SPD-Fraktion konstruktiv einbringen wird. Das sindwir unseren Bürgern auch schuldig. Vielen Dank, dassSie das zugesagt haben.
Welche Verantwortung wir in diesem Bereich tragen,habe ich ganz persönlich einmal erlebt, als ich nach derTat eines solchen Täters die Todesnachricht an die Elterndes Kindes überbringen musste. Das war ein Erlebnis,das mich noch heute bewegt. Deswegen habe ich großesVerständnis dafür, dass sich viele Eltern um ihre Kindersorgen und viele junge Mädchen Angst haben, zu Opfernzu werden. Wir müssen diese Sorgen ernst nehmen.Wir müssen auf der anderen Seite sehen – auch dasgehört zu einer Betrachtung –, dass wir auch Verantwor-tung für unseren Rechtsstaat tragen. In den Debatten derletzten Jahre, die wir aufgrund von Einzelfällen immerwieder geführt haben, habe ich eines stets erwähnt: diesteigende Zahl der Sicherungsverwahrten. In den letzten14 Jahren haben wir eine Verdreifachung der Zahl derSicherungsverwahrten zu verzeichnen; darunter befin-den sich auch Heiratsschwindler.DSs––Dli–dduinUgvbwbuebmapreIcHWsrag
iese Entwicklung kann nicht hingenommen werden.ie ruft Unwohlsein hervor.
Wir alle sind aufgerufen, einen vernünftigen Weg zuuchen. Dafür ist die Vorlage der Bundesjustizministerin ich danke dafür – eine richtige Wegweisung.
Nein, nicht eine Irreführung, Herr Kollege Ströbele.ass Sie natürlich zu den Kritikern gehören, ist mir völ-g klar.
Es ist mir völlig klar, warum der Kollege Ströbele zuen Kritikern gehört: weil er genau die Erfahrung, voner ich vorhin berichtet habe, eben nicht gemacht hatnd weil er immer wieder gezeigt hat, dass ihn die Täterteressieren und nicht die Opfer.
Ich möchte darauf hinweisen, dass wir wegen diesesnwohlseins bereits in die Koalitionsvereinbarung auf-enommen haben, dass wir das Recht der Sicherungs-erwahrung reformieren wollen. Wir haben sorgfältigeraten. Der Vorwurf, dass es sich nicht um einen Ent-urf der Koalitionsfraktionen handelt, ist völlig dane-en. Frau Voßhoff weiß, wie oft wir zusammengesessennd verhandelt haben. Deshalb hat es selbstverständlichinen ganz wesentlichen Beitrag beider Fraktionen gege-en. Im Übrigen hat uns natürlich das Bundesjustiz-inisterium beratend zur Seite gestanden. Das war aberuch bei allen anderen Koalitionen immer der Fall.
Ich persönlich bin der Auffassung, dass wir den Euro-äischen Gerichtshof für Menschenrechte nicht kritisie-n sollten.
h hatte mir vielleicht ein anderes Urteil erhofft. Iminblick auf andere Länder legen wir aber immer großenert darauf, dass sie sich an die Europäische Men-chenrechtskonvention halten. Deshalb tun wir gut da-n, dies auch zu tun.
Ich glaube, dass wir dies mit diesem Gesetzentwurf inelungener Weise getan haben. Ich habe schon darauf
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 69. Sitzung. Berlin, Freitag, den 29. Oktober 2010 7447
Jörg van Essen
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hingewiesen, dass wir insbesondere im Anwendungsbe-reich Einschränkungen vornehmen werden. In Anbe-tracht der Kritik an der vorbehaltenen Sicherungsver-wahrung möchte ich an etwas erinnern: Praktiker sagen,dass eine vorbehaltene Sicherungsverwahrung dazu bei-trägt, die Therapiewilligkeit derjenigen, denen die Si-cherungsverwahrung droht, zu erhöhen. Diese Personenkönnen dann aktiv dazu beitragen, keine Gefahr für dieAllgemeinheit mehr zu sein. Das ist etwas, was auch wiruns wünschen.
Wir wollen, dass Täter nicht wieder Straftaten begehen.Deshalb ist das, wie ich finde, ein gutes und richtiges In-strument.
Sie haben darauf hingewiesen – das ist meine letzteBemerkung, Herr Präsident; ich gucke auf die Uhr –,dass das die Länder etwas kosten wird.
Sie scheinen aber nicht sonderlich an der Thematik inte-ressiert zu sein. Deshalb habe ich Ihre Kritik nicht ver-standen, dass wir die Länder stärker hätten einbeziehenmüssen. Sie selbst hätten durch Präsenz deutlich machenkönnen, dass sie einbezogen werden wollen. Wir solltenes trotzdem tun. Auch das gehört zu einer vernünftigenBeratung. Wir bieten ihnen an, dass wir zu guten Bera-tungen kommen. Das sind wir den Bürgern schuldig. DieGründe habe ich in meiner Rede genannt.Vielen Dank.
Ich habe jetzt zwei Wünsche für Kurzinterventionen,
wobei ich bitten würde, Herr van Essen, dass Sie dann
auf beide eingehen. – Zunächst die Kollegin Halina
Wawzyniak.
Herr van Essen, ich weise ausdrücklich die Unterstel-
lung zurück, dass von meiner Seite aus nichts zum
Opferschutz gesagt worden ist. Ich nehme zur Kenntnis,
dass seit dem gestrigen Tag, als eine gesamte Fraktion,
nämlich die Fraktion der Grünen, in die Nähe der
NSDAP gerückt worden ist,
ein unerträgliches Klima in diesem Saal herrscht.
Niemand in diesem Haus vernachlässigt den Opfer-
schutz. Wenn Sie bis zum Schluss zugehört hätten – ich
kann es gerne wiederholen –, hätten Sie gehört, dass ich
ausdrücklich gesagt habe: Opferschutz sieht anders aus.
Opferschutz beginnt mit der Entlassung. Opferschutz be-
ginnt mit den Möglichkeiten von Therapie im Strafvoll-
zug und ambulant.
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Die zweite Kurzintervention wird von dem Kollegen
osef Winkler von Bündnis 90/Die Grünen gewünscht. –
itte, Herr Winkler.
Vielen Dank, Herr Präsident. – Sehr geehrter Herr van
ssen, Sie wissen, dass ich Sie menschlich sehr schätze.
ber ich muss schon sagen, dass ich es nicht für beson-
ers angemessen halte, auf eine Rede, wie sie der Kol-
ge Montag gehalten hat, so, ich sage einmal, derb zu
ntworten, wie Sie das getan haben.
Kollege Montag ist sehr ausführlich auch auf die Op-
rperspektive eingegangen. Das tut meine Fraktion
on jeher. Nichtsdestotrotz: Den Opfern ist nicht gehol-
n, wenn wir eine Regelung haben – diese Gefahr sehen
ir –, die nicht gerichtsfest ist und die erneut scheitern
ird. Das ist die Hauptproblematik, die wir in Ihrem Ge-
etzentwurf sehen. Das sollte aus dem, was der Kollege
ontag gesagt hat, eigentlich deutlich geworden sein.
Unabhängig davon bleibt es dabei, dass potenzielle
äter und Täter, die bereits Opfer hervorgebracht haben,
ie grundlegenden Menschen- und Bürgerrechte behal-
n und dass es eine sehr schwerwiegende Einschrän-
ung ihrer Bürgerrechte ist.
Ich bitte Sie auch vor dem Hintergrund dessen, was
er Präsident des Bundestages gestern gesagt hat, dass
ir bitte nicht persönlich herabsetzend sein sollten – das
ilt nicht nur gegenüber einzelnen Personen, sondern
uch gegenüber Fraktionen, die diesem Hause angehö-
n – und die Debatte nicht in dieser Schärfe fortsetzen
ollten. Vielmehr sollten Sie akzeptieren, dass wir sagen:
ieser Gesetzentwurf bietet nicht genug Ansatzpunkte
r uns, um wirklich konstruktiv mitzuarbeiten, damit
ir ein einstimmiges Ergebnis bekommen. Nichtsdesto-
otz werden wir uns in den Ausschussberatungen selbst-
erständlich mit Vorschlägen einbringen, die zu einem
esseren Ergebnis führen, als wir das nach diesem vor-
elegten Entwurf befürchten.
Vielen Dank.
Einen Moment, Herr van Essen. – Herr Ströbele, wieoll ich Ihre Wortmeldung interpretieren? – Sie möchtenine Kurzintervention machen. Dann hat der Herr Kol-ge van Essen allerdings hinterher ausreichend Zeit, umuf die drei Kurzinterventionen zu reagieren. – Bittechön.
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7448 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 69. Sitzung. Berlin, Freitag, den 29. Oktober 2010
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Herr Kollege van Essen, ich stelle fest: Sie entwickelnsich immer mehr zum Oberpolemiker dieses Hauses.
Das haben Sie gestern gezeigt, und das haben Sie heutegezeigt. Ich habe Sie einmal sehr geschätzt, weil Sie im-mer sehr frei reden. Ich finde es gut, wenn man im ge-genseitigen Dialog versucht, etwas zu entwickeln. Nur,Sie belassen es inzwischen bei Polemik.Sie haben mich und meine anwaltliche Praxis ange-sprochen;
Sie kennen sie offenbar ganz genau.
Ich darf Sie darauf hinweisen, dass ich mich beispiels-weise ein halbes Jahr lang als Nebenklägervertreter vordem Oberlandesgericht Schleswig um einen Teil der Op-fer des schlimmen Brandanschlags von Mölln geküm-mert habe. Ich vermute, dass ich meine berufliche Tätig-keit mindestens genauso häufig auf der Seite der Opferausgeübt habe, wie Sie das möglicherweise als Ober-staatsanwalt getan haben. Ich habe mich aber nicht des-halb gemeldet.Ich erwarte von Ihnen – Sie müssten juristische Argu-mente nachvollziehen können –, dass Sie zu den sehrkonkreten Kritikpunkten, die Kollege Montag geäußerthat, Stellung nehmen. Die FDP und die Justizministerinhaben sich zuerst aus dem Fenster gelehnt und gesagt:So machen wir das überhaupt nicht. – Dann haben Sieklare Richtlinien dazu vorgegeben, was in einem Gesetzzur Neuordnung des Rechts der Sicherungsverwahrungstehen darf und was nicht. Nun hat Kollege Montag mitHinweis auf die einzelnen Paragrafen nachgewiesen,dass die Richtlinien überhaupt nicht eingehalten wordensind, sondern das Instrument wiederum eine sehr weiteAnwendung finden soll. Dazu sagten Sie nicht ein einzi-ges Wort. Sie hätten sagen können, er habe sich verlesenoder es stimme in diesem oder jenem Punkt nicht. So et-was kam aber in Ihrer Rede gar nicht vor, sondern nurPolemik. So geht es nicht.
Jetzt hat der Kollege van Essen die Möglichkeit, zu
antworten. Theoretisch haben Sie jetzt neun Minuten
Zeit. Wir würden uns aber freuen, wenn Sie sie nicht
ganz ausschöpfen würden. Bitte schön.
Herr Präsident, ich werde selbstverständlich nur ei-
nige kurze Bemerkungen machen.
Frau Kollegin Wawzyniak, wer Ihre Rede gehört hat,
der weiß, worauf Sie den Schwerpunkt gelegt haben; er
lag eindeutig nicht bei den Opfern.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 69. Sitzung. Berlin, Freitag, den 29. Oktober 2010 7449
Christine Lambrecht
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Selbstverständlich werden wir an diesem sehr umfang-reichen Gesetz mitarbeiten; wir werden uns einbringen.Wir werden aber auch Themen benennen, bei denen wirden Eindruck haben, dass wir uns noch einmal zusam-mensetzen und vieleicht das eine oder andere verändernoder ergänzen müssen. Bitte verstehen Sie unsere An-kündigung als Versprechen, konstruktiv mitzuarbeitenund das Gesetzgebungsvorhaben kritisch zu begleiten.Aber Sie sind auch nichts anderes von uns gewöhnt.Jetzt zum Thema. Wir haben die sehr schwierige Auf-gabe, unterschiedliche Interessen zusammenzuführen.Selbstverständlich gibt es den Opferschutz. Selbstver-ständlich müssen wir die Ängste und Sorgen der Men-schen aufgreifen, die Angst vor denjenigen haben, diedie schwersten Straftaten, die man sich überhaupt vor-stellen kann, begangen haben. Die Fälle braucht man garnicht auszumalen. Wir alle wissen, wer damit gemeintist.Als Gesetzgeber müssen wir aber selbstverständlichauch die Belange der Straftäter im Blick haben. Es gehtauch um das Grundrecht auf Freiheit und die Menschen-würde derjenigen, die von einer Sicherungsverwahrung,die an und für sich als Ultima Ratio geplant war, betrof-fen sein könnten. Auch das ist uns ins Stammbuch ge-schrieben worden. Diesem Spannungsverhältnis müs-sen wir mit einem solchen Gesetz gerecht werden. Esstellt sich die Frage, ob dieser Entwurf dazu geeignet ist.Ich freue mich, dass der Entwurf jetzt auf dem Tischliegt. Ich hätte mir gewünscht, das Ganze früher auf demTisch zu haben; denn dann hätten wir früher mit der Ar-beit anfangen können. Aber es ist, wie es ist. Lassen Sieuns also beginnen.Die sogenannten Altfälle sind angesprochen worden.Dabei geht es nicht um diejenigen, die jetzt freigelassenwurden, sondern um diejenigen, die eine Straftat began-gen haben. Im Gesetzentwurf ist, wie ich finde, relativlapidar erklärt worden, dass in diesen Fällen die nach-trägliche Sicherungsverwahrung weiterhin gelten soll.Ich finde, wir müssen noch einmal darüber nachdenken,ob das tatsächlich angebracht ist; denn es geht auch umTäter, die Straftaten begangen haben, die nicht in demeng gefassten Katalog, den sie aufnehmen wollen, aufge-führt sind. Das kann auch auf andere Täter zutreffen. Da-her sollten wir uns dieses Thema noch einmal im Detailvornehmen.Es geht aber auch um die Gesamtproblematik. In derBegründung des Gesetzentwurfs steht, wie kritisch dieBewertung der sogenannten Nova, also die Bewertungder neuen, unter Umständen erst während der Haft auf-getretenen Tatsachen zu sehen ist. Die Sicherungsver-wahrung würden wir für diese Altfälle quasi noch einmalmöglich machen. Ich glaube, wir dürfen nicht lapidar da-rüber hinweggehen, sondern müssen uns damit beschäf-tigen.
Ich will ein weiteres Thema ansprechen, zu dem ichim Gesetzentwurf nichts gefunden habe. Es geht um dieFrage, wie wir mit der Sicherungsverwahrung für Ju-gS–nSnUcEsmz–baisdsmlidsdewAcgtiüwetewshaErdtikPnbssuha
Das ist die Frage, die sich stellt. – Ich halte das für kei-en geschlossenen Entwurf. Wenn wir den Komplex dericherungsverwahrung überarbeiten wollen, können wiricht darauf verzichten, uns mit der Problematik desmgangs mit der Sicherungsverwahrung Jugendli-her zu beschäftigen.
s muss eine klare Aussage dazu geben. Entweder las-en wir alles, wie es ist, oder im Zuge der Beratungenuss es eine entsprechende Veränderung, eine Ergän-ung geben.
Es ist wunderbar, dass ich hier höre, dass wir uns damiteschäftigen müssen und werden. Dann können wir dasufnehmen.Zum Anwendungsbereich der Sicherungsverwahrungt einiges gesagt worden. Auch ich halte es für kritisch,ass die Sicherungsverwahrung generell anwendbar seinoll, wenn die Tat im Höchstmaß mit Freiheitsstrafe vonindestens zehn Jahren bedroht ist. Wir hatten eigent-ch eine andere Aussage. Es wurde nämlich angekün-igt – das hat mir sehr gut gefallen; das habe ich unter-tützt –, die Sicherungsverwahrung auf Straftaten gegenie körperliche Unversehrtheit, das Leben und die sexu-lle Selbstbestimmung zu beschränken. Nun ist gesagtorden, dass auch andere Taten darunterfallen sollen.ufgrund des schwerwiegenden Eingriffs, den eine Si-herungsverwahrung darstellt, halte ich das nicht für an-emessen. Wenn wir uns schon mit dem Thema beschäf-gen, dann sollten wir den Entwurf grundsätzlichberarbeiten.
Im Zusammenhang mit den Tätern – über die machenir alle uns Gedanken –, die im Nachgang dieses Urteilsntlassen wurden, haben Sie einen Vorschlag unterbrei-t, den ich persönlich für sehr problematisch halte. Ichill nicht so weit gehen wie der Kollege Montag, deragt, dass das nicht halten wird. Vor Gericht und auf ho-er See kann man sich nie sicher sein, wie die Sacheusgeht. Ich glaube aber, wir begeben uns auf dünnesis, wenn wir jetzt den Begriff der psychischen Stö-ung aufnehmen. In dem Gesetzentwurf wird er nichtefiniert. Zumindest sehe ich keine eindeutige Defini-on. Momentan kommt ein Gewalttäter, der psychischrank ist, gar nicht ins Gefängnis, sondern gleich in diesychiatrie. Bei psychisch kranken und damit unzurech-ungsfähigen Tätern greift § 63 StGB, der die Unter-ringung in einem psychiatrischen Krankenhaus vor-ieht, weil der Täter zum Zeitpunkt der Tatchuldunfähig war. Der § 20 StGB, in dem die Schuld-nfähigkeit definiert ist, enthält die Merkmale „krank-afte seelische Störung“, „Schwachsinn“ und „schwerendere seelische Abartigkeit“. Angesichts der Möglich-
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7450 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 69. Sitzung. Berlin, Freitag, den 29. Oktober 2010
Christine Lambrecht
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keit, dass bei der Verurteilung eines Straftäters dieseMerkmale noch nicht vorgelegen haben und sie sich erstwährend der Haft zeigen, sollten wir uns allerdings Ge-danken über die Ausgestaltung des Strafvollzugs ma-chen. Auch diese Frage müssen wir uns im Rahmen derDebatte stellen.Ich habe es schon ausgeführt: Bei vielen Punkten indiesem Entwurf, über die noch zu sprechen ist – Stich-wort: psychische Störung, – befinden wir uns auf sehrdünnem Eis. Ich würde gerne dabei mithelfen, dies zuändern. Dazu ist es aber erforderlich – das sage ich hierganz ohne Aufgeregtheit –, dass Sie uns mit einbinden.Versuchen Sie nicht, dieses Gesetzesvorhaben in einemHauruckverfahren durchzuziehen. Nehmen Sie unsereKritikpunkte auf, die keineswegs an den Haaren herbei-gezogen sind und die auch nicht der politischen Profilie-rung dienen. Versuchen Sie nicht, zwei Tage nach einerAnhörung das Gesetzgebungsverfahren abzuschließen.Dafür eignet sich dieses Gesetz nicht.
Wenn Sie diese Voraussetzung erfüllen, dann garan-tieren Olaf Scholz und ich im Namen der AG Recht,dass wir an diesem Entwurf kritisch-konstruktiv mitar-beiten.Vielen Dank.
Das Wort hat jetzt der Kollege Ansgar Heveling von
der CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Esgehört zu den essenziellen Grundlagen des freiheitlichenRechtsstaats, dass der Entzug der persönlichen Freiheitnur in sehr engen Grenzen und ausschließlich unterWahrung der Verhältnismäßigkeit vorgenommen werdendarf. Den entscheidenden Anknüpfungspunkt in unse-rem Sanktionssystem des Strafrechts bildet dabei norma-lerweise die Schuld. Sie ist die Grundlage der Strafzu-messung. Somit ist dem Grunde nach auch nur einsolcher auf Dauer angelegter Freiheitsentzug möglich,der in einem angemessenen Verhältnis zur Schuld steht.Damit aber stößt der freiheitliche Rechtsstaat in eini-gen Fällen an eine Grenze respektive gerät in Kollisionmit einem anderen ihn tragenden Prinzip: Der Staat hatnämlich ebenso die Freiheit und die körperliche Unver-sehrtheit seiner Bürgerinnen und Bürger zu schützen.Dazu bedarf es nicht nur der notwendigen gesetzlichenRegelungen. Die Rechtsordnung muss vom Staat durch-gesetzt werden und dadurch das Vertrauen der Bevölke-rung in den Schutz der Rechtsordnung sichergestelltwerden.mdsSddsScgdbbMgazdtihreudteeimhcEgdEwSkzruagßtegliHzlüdssHg
Die Sicherungsverwahrung hat in den 90er-Jahren zu-egebenermaßen deutlich an Bedeutung gewonnen. Seitieser Zeit hat es eine ganze Reihe von Änderungen undrgänzungen gegeben. Die vorbehaltene Sicherungsver-ahrung ist 2002 eingeführt worden, die nachträglicheicherungsverwahrung 2004. Durch das Gesetz zur Be-ämpfung von Sexualdelikten von 1998, das 6. Gesetzur Reform des Strafrechts sowie das Gesetz zur Einfüh-ng der vorbehaltenen Sicherungsverwahrung sind anllen Vorschriften zur Sicherungsverwahrung Änderun-en vorgenommen worden. All das hat zugegebenerma-en zu systematischen Unzulänglichkeiten, komplizier-n Formulierungen und auch lückenhaften Regelungeneführt.Mit dem Koalitionsvertrag hatte sich die christlich-berale Koalition daher bereits darauf verständigt, einearmonisierung der gesetzlichen Anordnungsvorausset-ungen europarechtskonform vorzunehmen und Schutz-cken im geltenden Recht zu schließen. Zu diesem voner Koalition selbstgesteckten Handlungsziel ist zwi-chenzeitlich ein durch eine Entscheidung des Europäi-chen Gerichtshofs für Menschenrechte ausgelösterandlungsdruck getreten. Er hat im Dezember des ver-angenen Jahres und im Mai dieses Jahres in einem)
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 69. Sitzung. Berlin, Freitag, den 29. Oktober 2010 7451
Ansgar Heveling
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Verfahren gegen die Bundesrepublik Deutschland ent-schieden, dass eine Sicherungsverwahrung weder nach-träglich angeordnet noch verlängert werden darf, wenndie gesetzliche Grundlage hierzu erst nach der Tat ge-schaffen worden ist. Das trifft im Hinblick auf die obenbeschriebenen Änderungen am Recht der Sicherungsver-wahrung, die über die Jahre eingeführt worden sind, aufmanche Täter allerdings zu. Auch daraus, dass mittler-weile einige Täter freigelassen werden mussten und nun-mehr – Herr Kollege Dr. Krings hat es beispielhaft aus-geführt – rund um die Uhr polizeilich überwacht werdenmüssen und dass weitere Entlassungen drohen, hat sichein unmittelbarer Handlungsdruck ergeben.Durch die vorliegenden Gesetzentwürfe der CDU/CSU und FDP kommt die christlich-liberale Koalitionden Handlungsaufträgen zeitnah nach. Neben einer Kon-solidierung der primären Sicherungsverwahrung wirddie vorbehaltene Sicherungsverwahrung ausgebaut, undbestehende Schutzlücken werden geschlossen. Schließ-lich wird mit der Möglichkeit zur elektronischen Aufent-haltsüberwachung ein neues Instrument im Zusammen-hang mit der Führungsaufsicht etabliert.Durch den Gesetzentwurf der christlich-liberalenKoalition werden im Einzelnen die folgenden Schutz-lücken beseitigt:Erstens. Die Rückfallverjährung bei Straftaten gegendie sexuelle Selbstbestimmung wird von fünf auf zehnJahre verlängert.
Damit reagieren wir auf Erkenntnisse kriminologischerUntersuchungen, die nahelegen, dass insbesondere Se-xualstraftäter nicht ganz selten erst nach fünf bis zehnJahren in Freiheit rückfällig werden. Statt der bisherigengenerellen Verjährungsregel von fünf Jahren wird daherdie Rückfallverjährung speziell für Sexualstraftäter aufzehn Jahre verlängert.Zweitens. Bei der vorbehaltenen Sicherungsverwah-rung entfällt das Erfordernis der sicheren Feststellung ei-nes Hanges des Täters zu erheblichen Straftaten. An derFeststellung dieser Voraussetzung ist der Vorbehalt derSicherungsverwahrung in der Vergangenheit oftmals ge-scheitert. Diese Anforderung wird daher künftig aufge-geben.Drittens. Künftig kann die vorbehaltene Sicherungs-verwahrung auch für Ersttäter angeordnet werden.Hierzu steht im bislang geltenden Recht ausschließlichdie nachträgliche Sicherungsverwahrung zur Verfü-gung. Da für deren Anordnung jedoch die Feststellungneuer Tatsachen, sogenannter Nova, erforderlich ist, istes in der Vergangenheit wiederholt dazu gekommen,dass weiterhin hochgefährliche Täter nach dem Verbü-ßen ihrer Strafe in die Freiheit entlassen werden muss-ten, weil die Gefährlichkeit bereits zum Zeitpunkt derAnlassverurteilung und noch am Vollzugsende gegebenwar. Somit lagen keine neuen Tatsachen vor. Für die An-ordnung der vorbehaltenen Sicherungsverwahrung sindsolche Nova nicht erforderlich.frnavriVngüscahnüEneSPddlerizfrnbdbnrehdriHoebSWfa
Da für die Anordnung der vorbehaltenen Sicherungs-erwahrung Nova nicht erforderlich sind, wird den Ge-chten ein einfacher zu handhabendes Instrument zurerfügung gestellt, das helfen kann, den Wegfall derachträglich verhängten Sicherungsverwahrung auszu-leichen.Mit der Möglichkeit der elektronischen Aufenthalts-berwachung im Rahmen der Führungsaufsicht wirdchließlich ein neues Instrument zur Überwachung sol-her Gewalt- und Sexualstraftäter eingeführt, bei denenufgrund der Entscheidung des Europäischen Gerichts-ofs für Menschenrechte eine freiheitsentziehende Maß-ahme aus Rechtsgründen ausscheidet.Keine Frage: Eine solche elektronische Aufenthalts-berwachung ist aus unserer Sicht kein gleichwertigerrsatz für eine sichere Verwahrung, und wir dürfen kei-esfalls den Eindruck erwecken, mit diesem Instrumentine Möglichkeit zur Gewährleistung hundertprozentigericherheit anzubieten. Da die Rechtslage es bei einigenersonen indessen nicht zulässt, eine Unterbringungurchzuführen, ist es immerhin ein Hilfsmittel, um dieann notwendige Überwachungsarbeit der Polizei zu er-ichtern.Unsere Rechtsordnung dient dem Schutz der Bürge-nnen und Bürger. Es ist Aufgabe des Staates, Straftatenu verfolgen und zu ahnden. Genauso ist es Aufgabe deseiheitlichen Rechtsstaates, die Freiheit seiner Bürgerin-en und Bürger zu sichern. Der Staat muss aktiv das Le-en und die Unversehrtheit der Bevölkerung schützen.Der vorliegende Gesetzentwurf dient dazu, dem Staatie nötigen Instrumente rechtssicher an die Hand zu ge-en, um diesem Schutzauftrag effektiv und angemessenachkommen zu können, natürlich unter Beachtung derchtsstaatlichen Anforderungen, die an freiheitsentzie-ende Maßnahmen zu stellen sind. Auch wenn wir – be-ingt durch die Entscheidung des Europäischen Ge-chtshofs für Menschenrechte – unter zusätzlichenandlungsdruck gesetzt wurden, ist der Boden für einerdnungsgemäße und sachgerechte Beratung des Gesetz-ntwurfes gegeben. Eine Sachverständigenanhörung istereits terminiert.
icherlich wird über viele Fragen zu diskutieren sein.ir sollten zügig, aber in Ruhe, mit der gebotenen Sorg-lt und vor allem konstruktiv beraten.
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7452 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 69. Sitzung. Berlin, Freitag, den 29. Oktober 2010
Ansgar Heveling
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Ich lade noch einmal diejenigen dazu ein, die bishergeäußert haben, dass sie dagegen sind bzw. nicht bereitsind, sich konstruktiv einzubringen. Für einige gibt esoffenbar nur zwei Möglichkeiten: Entweder man bringtsich gar nicht ein, oder man bringt sich destruktiv ein.Wir würden uns wünschen, dass wir zu einer konstrukti-ven Beratung kommen und am Ende dafür sorgen, dassder Staat seinem Schutzauftrag gegenüber den Bürgerin-nen und Bürgern angemessen und effektiv nachkommenkann.Vielen Dank.
Als letztem Redner zu diesem Tagesordnungspunkt
erteile ich das Wort dem Kollegen Stephan Mayer von
der CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen
und Kollegen! Der heute in erster Lesung zu beratende
Entwurf eines Gesetzes zur Neuordnung des Rechts der
Sicherungsverwahrung ist aus meiner Sicht ein gelunge-
ner Kompromiss zwischen den Persönlichkeitsrechten
von Strafgefangenen auf der einen Seite – Strafgefan-
gene, auch Sexualstraftäter, verfügen über Grundrechte
und das Anrecht auf eine zweite Chance – und den be-
rechtigten Sicherheitsbedürfnissen der Bürgerinnen und
Bürger in Deutschland und der Anforderung an uns, sie
vor schwersten und schändlichsten Straftaten zu schüt-
zen, auf der anderen Seite. Bei dem einen oder anderen
Gesetz mag man durchaus einkalkulieren, dass man auf
Lücke geht. Bei diesem Gesetz dürfen wir beileibe nicht
auf Lücke gehen. Hier geht es darum, dass wir schänd-
lichste und verwerflichste Straftaten in Deutschland ver-
meiden müssen.
Das Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Men-
schenrechte vom 17. Dezember letzten Jahres – es ist
schon erwähnt worden – hat uns, gelinde gesagt, vor
große Herausforderungen gestellt. Ich glaube, dass wir
mit diesem Gesetzentwurf unter Beweis gestellt haben,
dass wir diese Herausforderung ernst genommen haben.
Wir nehmen unseren Auftrag ernst, alles dafür zu tun,
dass keine Gefahr mehr von den Personen ausgeht, die in
der Vergangenheit leider unter Beweis gestellt haben,
dass sie nicht in der Lage sind, sich selbst davor zu be-
wahren, Mitmenschen, vor allem Kinder, Jugendliche
und besonders Mädchen, zu überfallen, zu vergewaltigen
und in einigen Fällen sogar zu ermorden.
Ich möchte der Behauptung, die Sicherungsverwah-
rung in Deutschland sei exorbitant ausgeufert, entgegen-
treten. Im Jahr 2009 gab es etwas mehr als 61 000 Straf-
gefangene in Deutschland. Davon befanden sich 491 Per-
sonen in Sicherungsverwahrung. Also gerade einmal
0,8 Prozent derjenigen, die sich in Justizvollzugsanstal-
ten in Deutschland befunden haben, waren Sicherungs-
verwahrte. Ich denke, man kann beileibe nicht sagen,
dass die Sicherungsverwahrung in den letzten Jahren ex-
orbitant ausgeufert ist.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 69. Sitzung. Berlin, Freitag, den 29. Oktober 2010 7453
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Deutschland zurückgegangen, auch bei den einschlä-gigen Delikten, und es könne doch nicht sein, dass es200 oder 300 Sicherungsverwahrte mehr in Deutschlandgebe.
Das ist lapidar. Diesen Vorwurf muss ich Ihnen machen.Lieber Herr Kollege Montag, gehen Sie bitte nicht so la-pidar mit den berechtigten Sicherheitsbedürfnissen derBevölkerung in Deutschland um.Ich möchte einen Fall aus meinem Wahlkreis hier er-wähnen. Ein 16-jähriges Mädchen ist von einem ein-schlägig vorbestraften Täter angegriffen worden.
– Das gehört schon noch zu Ihrer Frage, lieber Herr Kol-lege Montag. Ich bitte darum, diesen konkreten Sachver-halt zur Kenntnis zu nehmen. – Ein 16-jähriges Mädchenist mit 27 Messerstichen traktiert und mit Benzin über-gossen worden. Der Täter hat versucht, das Mädchen zuvergewaltigen. Es ist wirklich glücklichen, meines Er-achtens höheren Umständen zu verdanken, dass dasMädchen überlebt hat und mittlerweile wieder auf demWeg der Besserung ist.Ich möchte Sie bitten, mit den Eltern des Mädchensein Gespräch zu führen und den Eltern zu erzählen, dieSicherungsverwahrung habe in Deutschland exorbitantzugenommen, was bei einem parallel dazu verlaufendenRückgang der Kriminalität in Deutschland doch nichthinnehmbar sei. So einfach, lieber Herr Kollege Montag,dürfen wir es uns beileibe nicht machen.
Der heute in erster Lesung zu beratende Gesetzent-wurf ist eine gute Grundlage. Mit Sicherheit – auch dassage ich ganz offen, Frau Kollegin Lambrecht – werdenwir jeglicher konstruktiven Kritik offen gegenüberste-hen. Das ist selbstverständlich. Das ist ein Hauptcharak-teristikum der christlich-liberalen Koalition. Ich sageaber auch ganz offen: Wir werden nicht nur kritisch hin-terfragen müssen, was an dem vorliegenden Gesetzent-wurf vielleicht noch zu liberalisieren ist, sondern wirmüssen den einen oder anderen Aspekt auch dahin ge-hend kritisch hinterfragen, ob wir nicht hinter den Erfor-dernissen zurückgeblieben sind. Auch das sage ich ganzehrlich.
Ich denke zum Beispiel an den Bereich der Rückfall-verjährung. Die Rückfallverjährung ist zwar jetzt imGesetzentwurf von 5 Jahren auf 10 Jahre erhöht worden,aber Sie wissen aus der Praxis – das ist vom KollegenHeveling schon erwähnt worden –, dass die zu kurzeRückfallverjährung von bislang 5 Jahren häufig einGrund dafür war, dass die Sicherungsverwahrung nichtangeordnet werden konnte. Ich sage ganz offen: Manmuss sich mit Sicherheit Gedanken machen, ob man dieRleislucDVhddveddTrukpswcgDkdsveruwdgBnhandfäKmAlaawgteresSdaw
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7454 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 69. Sitzung. Berlin, Freitag, den 29. Oktober 2010
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Ich bin sehr froh, dass es mit dem Entwurf eines Ge-setzes zur Therapierung und Unterbringung psychischgestörter Gewalttäter gelungen ist, den Umgang mit densogenannten Altfällen europarechtskonform und verfas-sungskonform zu regeln.
Um es ganz klar zu sagen: Ziel der Unterbringung mussimmer sein, die Personen so zu therapieren, dass sie ir-gendwann entlassen und in das Rechtsleben eingeglie-dert werden können. Man muss deswegen stets den An-satz verfolgen, die Unterbringung so kurz wie möglichzu halten.Ich bin auch froh – das ist ein ganz wesentlicherPunkt, gerade mit Blick auf die innere Sicherheit –, dassin die Regelungen des vorliegenden Gesetzentwurfesauch die Personen einbezogen werden können, die schonentlassen worden sind. Kollege Dr. Krings hat daraufhingewiesen: Einige sind schon wieder auf freiem Fuß.Dadurch werden teilweise Hunderte von Polizeibeamtengebunden. Es sind nämlich ungefähr 20 Polizeibeamteerforderlich, um einen Entlassenen rund um die Uhr zubewachen; dadurch entstehen Kosten, die in die Hun-derttausende gehen. Mit dem Gesetz zur Therapierungund Unterbringung psychisch gestörter Gewalttäter wirdauch dieser Personenkreis erfasst. Ich glaube, dies istinsbesondere im Hinblick auf die Sicherheitsbedürfnisseein ganz wichtiger Aspekt.Ich möchte nicht verhehlen, dass es aus meiner Sichtdurchaus überlegenswert ist, den Personenkreis, der un-ter dem Gesetz zur Therapierung und Unterbringungpsychisch gestörter Gewalttäter zu subsumieren ist, zuerweitern. Aktuell umfasst er Personen, die psychischkrank sind.
Ich möchte anregen, intensiv darüber nachzudenken, obes nicht notwendig ist, auch Personen einzubeziehen,von denen konkret und mit hinreichender Wahrschein-lichkeit die Gefahr der Begehung einer potenziell schwe-ren Straftat ausgeht. Dieses Recht müssen wir uns auf je-den Fall nehmen.Lieber Herr Kollege Scholz, ich hoffe, dass Sie nichtnur bereit sind, über eine Vereinfachung oder Liberali-sierung dieses Gesetzentwurfes konstruktiv und kritischmit uns zu diskutieren, sondern auch dann, wenn es da-rum geht, die eine oder andere vielleicht noch vorhan-dene Lücke zu schließen.Unter dem Strich kann man sagen: Der vorliegendeGesetzentwurf stellt einen ausgewogenen Kompromissdar, der eine gute Diskussionsgrundlage für den weiterenFortgang der Verhandlungen in diesem Hohen Hausesein wird. In diesem Sinne glaube ich, dass wir auf denGesetzentwurf, der heute vorgelegt wurde, stolz seinkönnen.Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.
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Herr Kollege Mayer, zur Erwiderung, bitte.
Lieber Herr Kollege Montag, wir kennen uns seit ge-umer Zeit und Sie wissen, dass ich Ihnen in keinereise Ernsthaftigkeit und Seriosität abspreche, wenn esm eine Debatte über derart schwierige Themen und vorllem auch über derart gravierende und schwerwiegendechicksale geht. Ich habe die Zahlen nur deshalb ge-
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 69. Sitzung. Berlin, Freitag, den 29. Oktober 2010 7455
Stephan Mayer
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nannt, um einmal zu verdeutlichen, dass wir nicht, wiehäufig leider behauptet wird, Hunderte – manche be-haupten sogar: Tausende –
Sicherungsverwahrte hier in Deutschland haben.Wir müssen aber auch die Praxis mitberücksichtigen.Sie haben natürlich recht: Wir können uns bei unsererGesetzgebung und unseren Diskussionen nicht nur vonden praktischen Fällen und den Befindlichkeiten in derBevölkerung leiten lassen. Ich bitte aber schon, auch zusehen, dass all das, was wir hier diskutieren und amEnde auch verabschieden, zunächst einmal zwar abstraktist, in der Lebenswirklichkeit draußen dann aber sehrschnell konkret wird. Deswegen bitte ich darum – ichweiß, dass Sie hier auch die notwendige Sensibilität anden Tag legen –, dass wir auch diese praktischen Fälle– ich habe mir erlaubt, nur einen ganz unaufgeregt und,wie ich denke, sachlich darzustellen – in unsere Ver-handlungen mit einbeziehen. Das war mein Ansinnen.Ich weiß – hierüber haben wir uns in der Haushaltsde-batte ja auch schon einmal ausgetauscht –, dass es richtigist, die Anzahl der Deliktarten zu reduzieren, für die eineSicherungsverwahrung angeordnet werden kann. Ichhabe dies auch kurz erwähnt. Mir geht es in erster Liniewirklich um die Sexualstraftäter und um die Gewalttäter.Ich möchte niemanden – das ist heute auch schon er-wähnt worden – wegen Heiratsschwindels, Betrugs oderDiebstahls in Sicherungsverwahrung sehen. Hier habenSie uns mit Sicherheit auf Ihrer Seite.
Insoweit haben wir wirklich eine gute Gesprächs-grundlage für die weiteren Debatten, und ich denke, indiesem konstruktiven Zusammensein werden wir diesweiter voranbringen.Herzlichen Dank.
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzent-
wurfs auf Drucksache 17/3403 an die in der Tagesord-
nung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es
andere Vorschläge? – Das scheint nicht der Fall zu sein.
Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 28 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten
Dr. Edgar Franke, Bärbel Bas, Petra Ernstberger,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD
Patientenschutz statt Lobbyismus – Keine
Vorkasse in der gesetzlichen Krankenversiche-
rung
– Drucksache 17/3427 –
Überweisungsvorschlag:
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Es geht darum: Der Patient hat demnächst vermeint-ch die Wahlmöglichkeit, die Leistung beim Arzt imrinzip privat in Auftrag zu geben. Er unterschreibt da-r einen Behandlungsvertrag und bekommt dann späterinen Teil dieser Leistungen von der gesetzlichen Kran-enkasse erstattet. Einen Teil muss er selbst bezahlen, eruss auch eine Verwaltungsgebühr bezahlen, und eruss solche Leistungen bezahlen, die er sonst niemals innspruch genommen hätte. Ich fasse einmal zusammen,ie das System funktioniert. Sie gehen zum Arzt, derrzt macht mit Ihnen einen Vertrag. Dann wird die Leis-ng erbracht. Die Leistung wird von Ihnen teurer be-ahlt, als wenn Sie in der gesetzlichen Kasse wären. Sieahlen nämlich einen Verwaltungsaufschlag und müsseninen Teil der Kosten selbst tragen. Den anderen Teil derosten müssen Sie sich selbst bei der Kasse besorgen.er Vorschlag beinhaltet sozusagen netto eine Mehrbe-stung für den Versicherten, und es ist sehr bürokra-sch.In der Anhörung haben wir gehört, dass zum Beispielie AOK schätzt, dass man im Durchschnitt auf0 Prozent der Kosten sitzen bleibt. Das bedeutet, dassie zum Beispiel bei einer Herzkatheteruntersuchung auf00 oder 700 Euro sitzen bleiben. Wenn Sie die Einsprit-ung eines Medikaments in die Augen vornehmen las-en, um die Gefäße dort nicht wachsen zu lassen – vieleatienten kennen das, Lucentis usw. –, dann müssen Sieelbst 300 Euro bezahlen. Sie kriegen nur Teilbeträgerstattet. Darauf läuft es hier hinaus.
Jetzt ist die Frage, weshalb ein solches Vorgehenberhaupt vorgeschlagen wird. Wer verlangt nach einemolchen Vorschlag? Wer will einen solchen Vorschlag?s ist ganz einfach: Minister Rösler und die FDP versu-
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Dr. Karl Lauterbach
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chen damit auf Kosten des Bürgers, ihr ramponiertesImage bei den Ärzten wieder aufzupolieren.
Das ist es, worum es hier geht: Abkassieren, um sich beiden Ärzten – insbesondere bei den Fachärzten, die ja fürSie eingetreten sind, Frau Flach, und von denen manjetzt bei jeder Veranstaltung hört, dass sie niemals mehrdie FDP so unterstützen würden – wieder anzudienen.Somit geben Sie hier – ich sage es mal so – etwas zu-rück.Aber was bedeutet das? Worauf wird das hinauslau-fen? Na ja, wir sind am Vorabend der Einführung derDreiklassenmedizin. Demnächst wird Patient ersterKlasse der sein, der privat versichert ist. Dann kommtder Patient zweiter Klasse, der in der Lage ist, in Vor-kasse zu treten.
Und dann kommt die Holzklasse. Das ist derjenige, dernicht in Vorkasse treten kann oder will. Das ist das, wo-rauf es hinausläuft: Dreiklassenmedizin – privat, gesetz-lich mit Vorkasse und Holzklasse.Sie werden dann einen Termin bekommen können,wenn Sie ankündigen, dass Sie privat versichert sind. Siekönnen einen Termin in Anspruch nehmen, wenn Sie an-kündigen, dass Sie bereit sind, in Vorkasse zu treten. An-sonsten sind Sie Bittsteller beim Arzt. Ein solches Sys-tem wird von uns, auch von der Bevölkerung,kategorisch abgelehnt. Sie machen hier Politik gegen dieBevölkerung für eine kleine Gruppe von skrupellosenÄrzten,
die nur bereit sind, Termine zu vergeben, wenn per Vor-kasse bezahlt werden kann. Das ist es, worum es Ihnengeht, meine sehr verehrten Damen und Herren.
Der Minister argumentiert dagegen und sagt – dashabe ich auch schon vom Kollegen Spahn gehört –: Dasist eine freiwillige Angelegenheit, das muss man ja nichtmachen, dazu ist man ja nicht gezwungen.
Aber verdummen Sie uns doch hier bitte nicht. Was be-deutet das denn? Wenn beispielsweise – das ist auch fürSie wichtig, Herr Lanfermann – die drei Augenärzte ei-ner Kleinstadt vereinbaren, dass sie nur gegen Vorkassebehandeln, wenn Sie sich entsprechend verhalten, dannwnDbsATDbh–auwgVwInzKdminsdueDreawuurun
as bedeutet, dass Sie dann wie gesetzlich Versicherteehandelt werden, aber privat bezahlen. Darauf läuft die-es System hinaus.
Was wollen Sie denn dagegen unternehmen, wenn einrzt einem Patienten vorschlägt, ihm bevorzugt einenermin zu geben, wenn er bereit ist, Vorkasse zu leisten?agegen können Sie nichts unternehmen, wenn es sicheispielsweise um den einzigen Orthopäden in der Stadtandelt.
In den Facharztforen ist doch schon zu lesen: Bei mirb jetzt nur Termin gegen Vorkasse. – Verdummen Siens doch nicht. Stehen Sie zu dem, was Sie machen: Sieollen den Ärzten ein Geschenk machen und beim Bür-er abkassieren. Etwas anderes zu behaupten, wäre eineerdummungspolitik, die eines solchen Plenums nichtürdig ist.
Ich komme zum Schluss.
der Summe ist nichts gegen eine Kostenerstattung ein-uwenden, bei der der Arzt die Rechnung direkt an dieasse schickt, somit also die Kasse direkt die Leistunges Arztes bezahlt. Aber dass der Versicherte ausgenom-en wird, zum Beispiel ein Patient mit niedriger Rente Vorleistung treten und sein letztes Geld zur Verfügungtellen muss, um die medikamentöse oder schmerzlin-ernde Behandlung zu bekommen, ist in meinen Augennchristlich. Das sage ich in Richtung der Union. Das istine unchristliche, widerliche Abzocke beim Patienten.as werden Sie nicht ungestraft umsetzen können.Erinnern Sie sich an meine Worte! Es wird dazu füh-n, dass Vorkasse eine große Rolle spielen wird, weilnsonsten die Menschen keine Termine mehr bekommenerden. Dann werden wir Ross und Reiter nennen
nd darauf hinweisen, dass das die Geschenke von FDPnd Union an eine kleine Gruppe von Ärzten waren. Da-m geht es hier. Sie sind aber nicht einmal Manns ge-ug, zu dem Vorschlag zu stehen.
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Das Wort hat der Kollege Erwin Josef Rüddel von der
CDU/CSU-Fraktion.
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen
und Herren! Herr Lauterbach, Sie wissen genau, dass die
Welt eine andere ist. Sie und Ihre Fraktion versuchen,
die gesetzlich Versicherten in Angst und Schrecken zu
versetzen.
Das wird Ihnen aber nicht gelingen.
Auch der durchschaubare Versuch, jeden Halbsatz des
Ministers dazu zu nutzen, unter den Versicherten Verun-
sicherung zu verbreiten, wird Ihnen nicht gelingen.
Ihr vorliegender Antrag ist ein weiterer Beweis dafür,
dass Sie auf dem falschen Weg sind. Die Wahrheit ist:
Wir haben das solidarische Gesundheitssystem mit ei-
nem Reformpaket vor dem Kollaps bewahrt.
Wir sorgen dafür, dass unser Gesundheitssystem funk-
tionsfähig bleibt, und wir stellen sicher, dass das 2011
drohende Defizit in Höhe von 11 Milliarden Euro ausge-
glichen wird. Die christlich-liberale Koalition hat getan,
was nötig war.
Wir stabilisieren die Einnahmen, begrenzen die Ausga-
ben, stellen die Finanzierung auf eine solide Grundlage,
schaffen die Voraussetzungen für mehr Wettbewerb und
sorgen für einen gerechten Sozialausgleich.
Der Erfolg unserer Bemühungen zeigt sich daran,
dass die gesetzlichen Krankenkassen im kommenden
Jahr keine Zusatzbeiträge erheben müssen. Das ist ein-
deutig ein Verdienst unseres Reformpakets.
Damit sind auch all jene widerlegt, die in den vergange-
nen Wochen und Monaten die Gesundheitsreform der
Koalition teilweise maßlos kritisiert und damit die Bür-
gerinnen und Bürger unnötig in Angst versetzt haben.
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ie kritisieren nur und wollen den Menschen einreden,
ie Gesundheitspolitik könne eine Art Wünsch-dir-was-
rogramm sein, bei dem den einen ständig neue Wohlta-
n versprochen werden und die anderen stets zahlen.
Ein besonders krasses Beispiel für die Kapriolen, die
ie dabei schlagen, ist die Deckelung des Arbeitgeber-
eitrages bei 7,3 Prozent.
Herr Kollege Rüddel, darf ich Sie kurz unterbrechen?
rau Kollegin Vogler würde Ihnen gerne eine Zwischen-
age stellen.
Gern.
Bitte schön.
Danke, Herr Präsident! – Herr Kollege, vielen Dank,ass Sie eine Zwischenfrage zulassen. Mir wird nichtlar, worüber Sie eigentlich reden.
enn wir, voraussichtlich in der nächsten Sitzungswo-he, über den Entwurf eines GKV-Finanzierungsgeset-es diskutieren werden, können Sie Ihre Lobrede auf dasesetzespaket halten. Aber mir wird überhaupt nichtlar, wie Vorkasse – über genau diesen Punkt diskutierenir heute – zur Finanzierung der gesetzlichen Kranken-ersicherung beitragen soll; denn weder hat die gesetzli-he Krankenversicherung dadurch einen einzigen Euroehreinnahmen oder um einen einzigen Euro geringereusgaben, noch haben die Versicherten irgendetwas da-on. Die Leistungen, die die Ärzte erbringen, müssenämlich im Prinzip die gleichen sein, nur dass die Versi-herten dann mehr dafür zahlen müssen, und das auchoch aus der privaten Tasche.
Meine Fragen lauten: Wie soll eine Rentnerin mit ei-er Monatsrente in Höhe von 600 oder 800 Euro in Vor-asse treten?
as soll die Lidl-Verkäuferin dazu bewegen, einen Ver-ag mit ihrer gesetzlichen Krankenversicherung überorkasse abzuschließen, wenn sie doch meistens schonm 20. eines Monats kein Geld mehr hat?
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7458 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 69. Sitzung. Berlin, Freitag, den 29. Oktober 2010
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Liebe Frau Kollegin, wir sichern derzeit die Basis da-für, dass unser Gesundheitssystem stabil bleibt. Wirmüssen alte Denkmuster überwinden. Wir schaffen jetztdie Basis für strukturelle Veränderungen, um unser Sys-tem in Zukunft noch transparenter und besser zu ma-chen. Die Kostenerstattung ist nur eine Möglichkeit undkeine Pflicht.
Ich werde Ihnen in meinen weiteren Ausführungen bele-gen, dass das dem einzelnen Patienten mehr Entschei-dungsfreiheit gibt und ihn nicht drangsaliert.
Ich komme zur Deckelung des Arbeitgeberbeitragsbei 7,3 Prozent zurück: Diese Maßnahme wurde erst-mals von der rot-grünen Regierung eingeführt und ist ab-solut sinnvoll. Sie leugnen aber mittlerweile die Urhe-berschaft.Meine Damen und Herren, mir ist besonders wichtig,dass unser Gesundheitssystem sozial bleibt und trans-parenter wird. Mit unserem Reformpaket gibt es keineLeistungseinschränkungen für Patienten. Alle Bürge-rinnen und Bürger erhalten weiterhin die beste medizini-sche Behandlung und haben am medizinischen Fort-schritt teil, und – auch das ist wichtig – alle Akteure imGesundheitswesen müssen ihren Beitrag leisten.Wenn Sie uns entgegenhalten, dass von allen SeitenKritik an unserem Reformpaket geübt wird, dann kannich Ihnen nur antworten: Wenn Lobbyisten jeder Cou-leur, wenn Arbeitgeber und Gewerkschaften, Kranken-häuser, Apotheken, Krankenkassen und Pharmaindust-rie, Ärzte- und Versichertenvertreter einträchtig ihreUnzufriedenheit kundtun, dann spricht das eigentlich nurfür die Ausgewogenheit dieser Reform und für die ge-rechte Verteilung der Lasten.
Jeder weiß, dass die Menschen immer älter werdenund dass der medizinische Fortschritt zusätzliche Kostenmit sich bringt.
Eine alternde Gesellschaft, die zugleich medizinischenFortschritt und eine flächendeckende Versorgung will,muss wissen, dass die Gesundheitskosten auf Dauernicht billiger werden können.
Deshalb müssen wir, wenn wir weiter in die Zukunftschauen, künftig noch mehr tun. Wir verbinden mit un-serer Reform nicht den Anspruch, ein Jahrhundertwerkvorgelegt zu haben. Wir haben vielmehr das umgesetzt,was sachlich geboten, was finanziell unabweisbar not-wUfisdinDsWtiukwaKWzdhsmddkshvrevtesWcresaudn
Und dann kommen Sie mit diesem Antrag! Schon dieortwahl beweist, dass es Ihnen nicht um eine konstruk-ve, auch nicht um eine sachliche Debatte geht, sondernm Panikmache und Denkverbote.
Zuerst zu der Panikmache: Tatsache ist, dass auchünftig kein einziger Kassenpatient gezwungen seinird, seine Behandlungskosten selbst zu zahlen und sichnschließend um deren Erstattung bei der jeweiligenrankenkasse zu kümmern.
er das den gesetzlich krankenversicherten Menschenu suggerieren versucht, verbreitet schlicht und einfachie Unwahrheit.
Dann zu den Denkverboten: Der Bundesgesund-eitsminister hat von Überlegungen gesprochen, Kas-enpatienten künftig eine Wahlmöglichkeit einzuräu-en, die Behandlungskosten selbst zu begleichen unden Betrag von der Kasse erstattet zu bekommen. Er hatavon gesprochen, dass mehr Transparenz ins Systemommen muss, dass die Versicherten schwarz auf weißehen sollen, welche Leistungen ihr Arzt abgerechnetat. Er hat von Kostenbewusstsein gesprochen und da-on, dass es versehentliche und absichtliche Falschbe-chnungen zu vermeiden gilt. Weiter hat der Ministeron Wahltarifen gesprochen, die sowohl für die Patien-n als auch für die Kassen attraktiv sein können, indemie das System insgesamt flexibler machen und denettbewerb unter den Kassen zum Nutzen der Versi-herten fördern. Und schließlich hat der Minister ange-gt, in kleinen Schritten Elemente aus der privaten Ver-icherung im System der gesetzlichen Kassenuszuprobieren
nd umgekehrt. Ich weiß wirklich nicht, was Sie gegeniese Überlegungen haben.Ich bin zum Beispiel dafür, möglichst bald mit der ge-erellen Einführung von Arztquittungen zu beginnen.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 69. Sitzung. Berlin, Freitag, den 29. Oktober 2010 7459
Erwin Rüddel
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Dabei geht es nicht um eine Rechnung mit Kostenerstat-tung, sondern um einen Beleg, der den Versicherten überseine Behandlungskosten informiert. Das wäre eine guteSache.
Denn nur informierte Patienten sind mündige Patienten,und nur mündige Patienten können den Anbietern vonGesundheitsleistungen auf gleicher Augenhöhe begeg-nen.
Das deckt sich übrigens mit entsprechenden Forderun-gen der Verbraucherzentralen. Was haben Sie also gegendiese Vorschläge?Meine Damen und Herren, wir brauchen mehr Trans-parenz bei Leistungen und Preisen,
mehr Eigenverantwortung, mehr Wettbewerb, mehr in-novative Angebote, mehr grenzüberschreitende Ele-mente zwischen gesetzlicher und privater Versicherung,mehr Synergieeffekte und nicht zuletzt auch mehr Effi-zienz in allen Bereichen und auf allen Ebenen des Ge-sundheitswesens, wenn wir die flächendeckende Versor-gung langfristig sicherstellen wollen, ohne dass uns dieKosten aus dem Ruder laufen.
Mit Denkverboten, wie Sie sie uns verordnen wollen,kommen wir nicht weiter. Deshalb sage ich Ihnen, dassdie Polemik gegen die Zusatzbeiträge in Ihrem uns vor-liegenden Antrag nicht redlich ist. Sie haben doch mituns in der Großen Koalition die Einführung von Zusatz-beiträgen beschlossen, und ausgerechnet jetzt, wo wirdie Zusatzbeiträge sozial abfedern, wo durch die Steuer-finanzierung des Sozialausgleichs auch Einkünfte ausUnternehmensgewinnen, Kapitalerträgen und von Pri-vatversicherten hinzugezogen werden,
da stellen Sie sich öffentlich hin und beschwören dendrohenden Untergang unseres solidarischen Gesund-heitssystems.
Wir stellen die Finanzierung auf eine breitere Basis.Das ist gerechter als das alte System. Durch die Steuer-finanzierung wird jeder nach seiner tatsächlichen Leis-tungsfähigkeit, auch mit seinen zusätzlichen Einkünftenund auch bei Einkommen oberhalb der Beitragsbemes-sungsgrenze, seinen Beitrag leisten.sWRhSwinDAsbimkgaBmsdaaeFKRcleDbdk
Wo sind die Alternativen? Ich sehe sie nicht, und ichehe sie erst recht nicht in Ihrem Antrag.
as soll geschehen, wenn wir demnächst deutlich mehrentner, zugleich aber deutlich weniger Beitragszahleraben?
ollen die Arbeitskosten weiter in die Höhe getriebenerden und die Kassenbeiträge der Facharbeiter weiters Uferlose steigen?
as sind doch die Fragen, um die es geht.Wir werden jedenfalls auch ohne Sie die Aufgabe inngriff nehmen, unser Gesundheitssystem dauerhaft zuichern. Wir wollen dafür sorgen, dass wir jedem dieeste medizinische Behandlung garantieren können, die individuellen Krankheitsfall benötigt wird, dass eseine Leistungseinschränkungen für die Versichertenibt, dass insbesondere die gesundheitliche Vorsorgeuch im ländlichen Raum gewährleistet ist und dass alleürgerinnen und Bürger weiterhin in vollem Umfang amedizinischen Fortschritt teilhaben können. Dabei las-en wir uns von den Grundsätzen der Solidarität under Eigenverantwortung leiten. Ohne ein Mindestmaßn Eigenverantwortung geht es nicht; sonst ist Solidaritätuf Dauer nicht finanzierbar. Wer das leugnet, ist nichthrlich zu den Versicherten.
Das Wort hat nun Kollege Harald Weinberg für die
raktion Die Linke.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen undollegen! Meine Damen und Herren! Herr Kollegeüddel, die gesetzlich Versicherten in Angst und Schre-ken zu versetzen, das schafft diese Koalition schon al-ine.
Bei Ihren Ausführungen ist mir deutlich geworden:iese Kostenerstattung muss wirklich ein ganz wunder-ares Instrument sein. Was dadurch alles geschafft wird,as ist bemerkenswert.Nun zum Thema. Am Dienstag hatten die Innungskran-enkassen zu einer Veranstaltung rund um die Qualität in
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7460 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 69. Sitzung. Berlin, Freitag, den 29. Oktober 2010
Harald Weinberg
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der Gesundheitsversorgung geladen. Die Einführungs-rednerin war die Staatssekretärin im Gesundheitsministe-rium. Ihre zentrale Aussage – ich teile sie ausdrücklich –war: Gesicherte, nachgewiesene Qualität soll die Regelsein und nicht extra vergütet werden.Wie sieht die Politik der Bundesregierung in der Rea-lität aus? Sie will Ärztinnen und Ärzten ein höheresEinkommen sichern, gleichzeitig die bestehende Quali-tätssicherung der Kassen und kassenärztlichen Vereini-gungen durch Vorkasse und Kostenerstattung abschaffenoder stark einschränken. Die Bundesregierung will, dassstattdessen der einzelne Patient mit seiner Ärztin überMenge, Qualität und Preis verhandelt und nicht mehr dieKrankenkassen. Ich sage Ihnen: Das können die Patien-ten nicht.Erstens. Patienten sind deshalb Patienten, weil siekrank sind.
Sie sind angewiesen auf den Arzt. Die Bundesregierungschafft aber Anreize für geschäftstüchtige Ärzte, dieseNotsituation auszunutzen.Zweitens. Patienten sind dem Arzt in aller Regel fach-lich unterlegen. Wenn die Ärztin sagt: „Das ist die Dia-gnose; dafür brauchen wir die Therapien A, B und C“,kann der Patient weder die Richtigkeit der Diagnosenoch die Notwendigkeit der einzelnen Therapien ab-schätzen. Der Patient ist in erster Linie angewiesen aufden Rat der Ärztin. Er wird nicht sagen: Na ja, die The-rapien B und C nehme ich; aber auf Therapie A ver-zichte ich einmal.Drittens. Der Patient kann kaum beurteilen, ob dieTherapie in einer angemessenen, schlechten oder gutenQualität erbracht wird. Er kann ein gutes oder schlechtesGefühl bei der Behandlung haben, mehr nicht. Mit Qua-litätssicherung hat das nichts, aber auch gar nichts zutun.
Viertens. Der Patient kann nicht beurteilen, ob derPreis, den er für die Diagnose und die Therapie zahlt, an-gemessen, zu hoch oder ein Sonderangebot ist. Der Pa-tient kann sich, wenn er krank ist, in aller Regel nichtumhören, welcher Arzt das beste Preis-Leistungs-Ver-hältnis bietet.
Selbst wenn dies möglich wäre: Die Linke will, dass diePatientinnen und Patienten weiterhin die freie Arztwahlhaben, ohne vorher das günstigste Angebot einholen zumüssen. Die Linke will, dass Ärzte Ärzte bleiben und dieArztpraxis nicht zu einem Basar wird.
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Bemerkenswert ist doch auch: Ein Arzt verhält sich ininem wettbewerblichen System, welches Sie von deregierung ja wollen, völlig folgerichtig. Wer mehr zahlt,ekommt auch mehr und früher Leistung. Genau dasollen Sie; Sie wollen das System verwettbewerblichen.
Die Linke bleibt bei der Ansicht: Die Gesundheit ei-es jeden Menschen ist gleich viel wert, egal ob reichder arm. Deswegen müssen sich Terminvergabe, Dia-nose und Therapie nach medizinischen Kriterien rich-n und nicht nach dem Geldbeutel.
Der Einzige, der von den Kostenerstattungstarifen di-kt etwas hat, ist der Arzt. Er rechnet ab nach der Ge-ührenordnung für Ärzte. Erstattet wird aber nur dieassenleistung. Die Patienten bleiben also auf den Zu-atzkosten sitzen; das ist bereits angesprochen worden.ie Ärzte freuen sich, wenn denn die von ihnen ausge-tellten Rechnungen – das Risiko tragen allerdings dierzte – auch bezahlt werden.Für solche Fälle hat die Koalition gleich eine Lösungarat: private Zusatzversicherungen. Kollege Spahnat auch eine solche Zusatzversicherung, und er gab zuich zitiere wörtlich –, sie sei „schweineteuer“. Ich weißicht, was Kollege Spahn bezahlt, aber der Preis einerolchen Versicherung richtet sich unter anderem nachem Alter. Kollege Spahn dürfte mit seinen 30 Jahrenoch noch relativ günstig davonkommen. Ich habe ein-al nachgeschaut: Ein 30-jähriger Mann zahlt für eineusatzversicherung nur für den ambulanten Bereich6 Euro im Monat.
äre Kollege Spahn eine Frau, könnte also schwangererden, wären es schon 105 Euro.
ür eine 59-Jährige würde das Ganze schon 170 Euroosten – 170 Euro im Monat!
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 69. Sitzung. Berlin, Freitag, den 29. Oktober 2010 7461
Harald Weinberg
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Dafür, so werben die Versicherungen, würde man aucherster Klasse, wie ein Privatversicherter, behandelt. Aberich frage Sie: Wer hat denn so viel Geld? Rechnen Siedoch einmal aus, was das für eine komplette Familiekostet. Welche Familie kann sich das leisten? Für über60-Jährige hat der Anbieter, bei dem ich mich erkundigthabe, gar keine Tarife im Angebot. Wer profitiert alsoneben dem Arzt noch von der Kostenerstattung? – Ge-nau, das Lieblingskind dieser Regierung, die privateKrankenversicherung.
Nun kann man über Vorkasse und Kostenerstattungverschiedener Auffassung sein. Ich denke, meine Auf-fassung ist klar geworden. Nur verstehe ich eines nicht:Wenn man – wie die Bundesregierung – denkt, dass dasPrinzip der Kostenerstattung dem gängigen Sachleis-tungsprinzip überlegen ist, dann sollte man es doch ver-pflichtend für alle einführen.
Wenn man aber wie die Linke und 99,8 Prozent der Ver-sicherten aus guten Gründen der gegenteiligen Auffas-sung ist, sollte man die Finger davon lassen und dieseRegelung ganz streichen.
Was macht aber die Koalition? Sie verkürzt die Bin-dungsfrist, senkt den Anteil, den die Kassen für die zu-sätzliche Bürokratie berechnen dürfen, und streicht dieschriftliche Bestätigung für die Aufklärung durch denArzt. Die Regierung sagt, die Kostenerstattung sei nachwie vor freiwillig. Sie senkt aber die Hürden für die Vor-kasse und erhöht damit den Druck auf die Versicherten.Klar ist: Die Regierung will das Sachleistungsprin-zip schwächen, will aber für die Folgen offensichtlichnicht verantwortlich gemacht werden. Immer dann,wenn man gegen die Kostenerstattung argumentiert,heißt es: Wir zwingen doch keinen dazu. – Das ist fastso, wie ein bisschen schwanger zu sein – auf freiwilligerBasis, versteht sich.
Jetzt kommt in aller Regel das Totschlagargument– wir haben es gerade auch wieder gehört –: Selbstbe-stimmung und Eigenverantwortung der Versicherten. Je-der und jede soll frei entscheiden können, ob ihm oderihr die Gesundheit ein paar Dutzend Euro mehr im Mo-nat wert ist oder nicht. Ja, so ist das in Ihrer Welt. Jederhat schließlich in diesem Land das Recht, völlig frei ent-scheiden zu können, ob er sich eine Uhr aus Gold kaufenwill oder ob die aus Platin vielleicht noch schöner ist.BseAuntudreQVznGhsawd2orekKwtedmbFree
ei einer Uhr mag es ja vielleicht noch angehen, dassich viele dann doch für Stahl, Plastik oder gar keine Uhrntscheiden müssen.
ber im Gesundheitssystem haben solche Überlegungennd solche sozialen Unterschiede nichts, aber auch garichts zu suchen.
Lassen Sie mich zusammenfassen: Die Kostenerstat-ng hat keinen einzigen Vorteil für die Versicherten undas Gesundheitssystem als Ganzes. Es wird erstens teu-r und ineffizienter, zweitens findet keine effektiveualitätssicherung statt, und drittens bekommen wir mitorkasse und Kostenerstattung eine Dreiklassenmedi-in – es ist bereits darauf hingewiesen worden –, in derur diejenigen angemessen behandelt werden, die genugeld auf dem Konto haben.Dem heute zu debattierenden Antrag der SPD ist des-alb zuzustimmen. Meine Fraktion wird ihn selbstver-tändlich unterstützen. Ich freue mich auch deswegenußerordentlich über diese richtige Initiative der SPD,eil die SPD selbst gemeinsam mit Grünen und Unionie Vorkasse und Kostenerstattung für Pflichtversicherte004 gegen den Widerstand der damaligen PDS-Abge-rdneten eingeführt hatte.
Die Kostenerstattung ist aus unserer Sicht ein weite-r Schritt, um die noch überwiegend solidarische Kran-enversicherung in Richtung Privatversicherung undommerzialisierung zu verschieben. Eine weitere Ver-ettbewerblichung des Gesundheitssystems, eine wei-re Privatisierung ist schon immer auf unseren entschie-enen Widerstand gestoßen. Gesundheitsversorgunguss ein Bestandteil der öffentlichen Daseinsvorsorgeleiben. Dafür wird die Linke immer streiten.Vielen Dank.
Das Wort hat nun Kollege Heinz Lanfermann für die
DP-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-n! Der SPD-Antrag, über den wir heute sprechen, istrstaunlich dünn und schmalbrüstig. Herr Kollege
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Heinz Lanfermann
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Lauterbach, Sie haben die entsprechende Einführungs-rede dazu gehalten. Ich kann Ihnen nur sagen: Es handeltsich in gewissem Sinne um einen Phantomantrag, da dasvon Ihnen gewählte und hier nicht sehr erfolgreich ver-teidigte Wort „Vorkasse“ ein Phantomwort ist.
Wenn Sie sich tatsächlich mit dem Thema auseinan-dergesetzt hätten, hätten Sie sich die Gesetzentwürfe an-gesehen, die wir zurzeit im Ausschuss beraten und überdie in zwei Wochen hier debattiert wird. Außerdem hät-ten Sie erwähnen müssen, dass es sich um eine rein frei-willige Angelegenheit handelt. An Herrn Weinberg ge-richtet: Wir gehen nicht hin und verbieten ein Angebot,weil irgendwo irgendjemand von Ihnen verdächtigt wird,damit Missbrauch zu treiben. Wir eröffnen den Men-schen vielmehr die Chance, etwas freiwillig zu machen.Dies geschieht natürlich nach Beratung und in Kenntnisaller Umstände.
Herr Lauterbach, Sie haben vergessen, zu erwähnen,dass auch Sie an der Einführung dieses Instruments be-teiligt waren. Sie haben auch vergessen, dass in den An-trägen, über die wir sprechen werden, verbesserte Bedin-gungen für die Versicherten vorgesehen sind. ZumBeispiel soll der Verwaltungsanteil, den die Patientenbezahlen müssen, nicht mehr zwangsweise 10 Prozentbetragen, sondern nur noch bis zu 5 Prozent. Das ist ers-tens weniger und eröffnet zweitens den Kassen die Mög-lichkeit, damit Wettbewerb zu betreiben. Den Wettbe-werb aber haben Sie quasi abgeschafft, und wir werdenihn für die Kassen stückweise wieder einführen.
Es ist in diesen Tagen eine seltsame Zweiteilung derGesundheitspolitik zu beobachten. Nach einem Jahr fah-ren wir, die Koalition, nun die Erfolge der von uns ge-leisteten Arbeit ein;
Herr Kollege Rüddel hat sie alle aufgezählt: Das Defizitvon 11 Milliarden Euro wurde bewältigt. Das Gesund-heitssystem wurde gesichert. Es wurde dafür gesorgt,dass die gute Versorgung auch in Zukunft bezahlbar ist.Wir haben im Bereich der Arzneimittel einen Struktur-wechsel vollzogen.
Wir haben etwas geschafft, was Sie jahrzehntelang nichtgeschafft und vielleicht sogar – so mein Eindruck – garnicht gewollt haben: Die Pharmaindustrie konnte bisherbestimmte Preise völlig frei festsetzen. Sie haben das ge-duldet. Und Sie haben in der Vergangenheit im Übrigenauch gedealt. Wir haben das jetzt geändert, indem wir dasneue System auf den Weg gebracht haben, nach dem dieHersteller die Preise mit den Krankenkassen aushandelnmüssen. Diese Verhandlungen werden am Ende – spätes-terewWkgbEGElisluz„is„füuaSndASASsdVdSbsnewG
Wir führen die Beitragsautonomie der Krankenkassenieder ein, und wir machen die Beiträge zukunftsfähig.
ir wollen uns darum kümmern, dass es durch die Ab-oppelung von den Lohnkosten zu konjunkturunabhän-igen Mehreinnahmen kommt. Damit sichern wir Ar-eitsplätze. Wir machen auch den Weg frei für mehrigenverantwortung, für Wahlfreiheit – eben auch fürKV-Versicherte – und für neue Tarife. Entsprechendentwürfe werden wir in Zukunft noch vorlegen.Sie aber legen einen Antrag vor, der wirklich erstaun-ch ist. In 19 Zeilen, die mit „Feststellungen“ über-chrieben sind, findet sich keinerlei Tatsachendarstel-ng. Es findet sich aber ein Wortgeklingel, in dem sichum Beispiel folgende Worte finden: „wird“, „werden“,plant“ – alles auf die Regierung bezogen –, „Ihr Zielt“, „vor allem … lockt die Chance“, „am Ende stehen“,am Ende sind“, „die geplanten Änderungen“ und „siehren“. Es handelt sich dabei um reine Spekulationennd um lauter Unterstellungen. Sie konstruieren dadurchuch ein völlig falsches Bild von den Ärzten. Wenn ichie so höre, dann wundere ich mich, dass in Deutschlandoch jemand den Mut hat, zu einem Arzt zu gehen.
Herr Lauterbach, Sie haben hier nur Dinge erwähnt,ie fern der Realität sind. Sie haben den Menschenngst gemacht.
ie haben nicht erwähnt, dass es sich um ein freiwilligesngebot handelt, das wir den Menschen bieten wollen.ie leiden sozusagen an einem Vorkassephantom-chmerz;
as gilt im Übrigen auch für Herrn Weinberg und Frauogler. Sie bilden sich etwas ein und behaupten etwas,as völlig aus der Luft gegriffen ist. Anschließend sagenie, dass das die Pläne der Koalition seien. Das ist eineöswillige Unterstellung, Herr Lauterbach. Ich kann nuragen: Damit werden Sie nicht allzu weit kommen.
Sie kommen deswegen nicht allzu weit, weil Sie sichicht konstruktiv mit den Themen beschäftigen, die fürinen Strukturwandel im Gesundheitswesen wirklichichtig sind. Wir wollen doch nicht vergessen, dass dasesundheitssystem das Bürokratischste und Dirigis-
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Heinz Lanfermann
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tischste ist, was wir uns in Deutschland leisten. Darangilt es, zu arbeiten.
Wir müssen die Dinge einfacher gestalten. Das giltauch für die Honorare. Das gilt auch für die Frage, wiewir zum Beispiel die Versorgung im ländlichen Raum si-cherstellen. Dies alles sind Themen, an denen man arbei-ten muss.Was haben Sie uns in dem einen Jahr geboten?
Es gab mehrfach Versprechungen zu einer Sache, vonder niemand weiß, was Sie damit eigentlich meinen.Dazu gibt es das schöne Wort von der Bürgerversiche-rung, die im Grunde nie fertig wird. Ich glaube, es wärebesser gewesen, Sie hätten in der Kommission mitgear-beitet, die der SPD-Bundesvorstand hierzu eingerichtethat, anstatt hier einen solch dünnen Antrag vorzulegen,der von der Sache her überhaupt nichts bringt.
Trotzdem werden wir ihn gerne im Ausschuss beraten,um Ihnen einmal Zeile für Zeile zu zeigen, wo die Reali-tät liegt.Zur Bürgerversicherung, Herr Lauterbach, kann ichnur sagen: Werden Sie endlich wach! Stellen Sie sich derRealität! Laufen Sie nicht einem Traum hinterher, dervon der Öffentlichkeit schon jetzt zu Recht als Schild-bürgerversicherung verspottet wird.Vielen Dank.
Das Wort hat nun die Kollegin Maria Klein-Schmeinkvon der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Liebe Kollegen hier im Plenum! Besonders mit Blickauf die Argumente meiner Vorredner muss ich HerrnWeinberg für seinen Beitrag großen Respekt zollen;denn ich finde, er hat die Problemlage rund um die Vor-kasse und die Kostenerstattung sehr differenziert darge-legt.
Das will ich an dieser Stelle ausdrücklich sagen. GroßerRespekt!ztusPdgAsraGwkhBSusLAskkDcD–Fgtulato
Er hat zwei wichtige Punkte herausgehoben, nämlichum einen, dass es sich bei der Abkehr vom Sachleis-ngsprinzip um eine Qualitätsfrage handelt. Es stelltich folgende Frage: Wie stellen wir sicher, dass sich alleatienten, alle Versicherten darauf verlassen können,ass sie wirklich eine qualitätsgesicherte, gute Versor-ung bekommen, dass sie sich vertrauensvoll an denrzt wenden und sicher sein können, dass sie die gemes-en am hippokratischen Eid richtige Heilungs- und The-pieempfehlung bekommen und dabei finanzielleründe keine Rolle spielen? Ich finde, das ist ein ganzichtiges Prinzip, das wir in unserer gesetzlichen Kran-enversicherung zum Schutz der Patienten eingerichtetaben, worauf wir zu Recht stolz sind. 70 Prozent derevölkerung sagen zu Recht: Ich will auf jeden Fall dasachleistungsprinzip, weil es sicherstellt, dass ich auchnd gerade in einer Phase existenzieller Not, in einerehr empfindlichen und verletzlichen Phase in meinemeben vertrauensvoll begleitet werde.
ber das wollen Sie mit der Ausweitung der Kostener-tattung infrage stellen.Die FDP – Herr Lanfermann, dazu haben Sie heuteeinen einzigen Ton gesagt – will die vollständige Ab-ehr vom Sachleistungsprinzip.
as ist Ihre Programmlage beim Umbau des gesetzli-hen Gesundheitssystems.
as haben Sie aber in keinster Weise angeführt.
Ja, von der Freiwilligkeit. Aber Sie sagen doch von derDP, dass Sie die gesetzliche Krankenversicherung ins-esamt in Richtung Vorkasse, in Richtung Kostenerstat-ngsprinzip umbauen wollen. Das ist Ihre Programm-ge.
Herr Rösler hat keine Gelegenheit ausgelassen, zu be-nen, dass das, was er jetzt vorlegen wird, nur ein erster
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Maria Anna Klein-Schmeink
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Baustein auf diesem Weg ist. Da müssen wir uns nichtsvormachen.
Insofern geht es keinesfalls um eine Phantomdebatte,sondern es geht darum, dass Sie den vollständigen Um-bau der gesetzlichen Krankenversicherung hin zu einerPKV vorbereiten.
Zum Zweiten. Sie haben in dieser ganzen Debattekein einziges Argument liefern können, warum es fürden Patienten eigentlich gut ist, das Modell der Kosten-erstattung zu wählen. Kein einziges Argument habe ichvon Ihrer Seite gehört.
Auch wenn die Grünen damals dem Gesundheitskonsensbeipflichten mussten, weil sie nicht anders konnten,
und damit unter anderem die Kostenerstattungsregelungin der Krankenversicherung als Möglichkeit eingeführtwurde, heißt das noch lange nicht, dass sie ein richtigesInstrument ist.
Wir wissen auch – das hat der Bericht ganz deutlich ge-zeigt –: 0,2 Prozent aller Versicherten wählen diesen Ta-rif, wohl wissend, dass es keine wirklich günstige Optionfür sie ist.
Herr Spahn, das Problem ist, dass Sie jetzt die Kosten-erstattung ausweiten wollen; das wissen Sie. Nicht um-sonst ist die Ausweitung der Kostenerstattung in IhrenReihen hoch umstritten; denn Sie wissen, dass Sie mitder Ausweitung dieses Prinzips eine Dreiklassenversor-gung schaffen, bei der nicht mehr sichergestellt ist, dassjeder Versicherte den gleichen Anspruch auf rechtzeitigeund bestmögliche Behandlung durchsetzen kann. Viel-mehr führen Sie verschiedene Klassen ein. Zugleichschaffen Sie ein Anreizsystem für die Versicherungen,entsprechende Zusatztarife zu schaffen.Das spiegelt sich auch in den Anträgen wider, die Sieuns letztens auf den Tisch gelegt haben. Ich muss sagen:Sie wollten diese Regelung klammheimlich einführen,indem Sie nämlich nicht gerade deutlich ausgeführt ha-ben, dass die Regelung für den Patienten bedeutet, dasser mehr zahlt.
DteKDrenteggGsIhsgfesBtuebbngodwsinsDhregvzzreDA
as wollen wir auf keinen Fall. Im Gegenteil: Bei unse-r Bürgerversicherung ist das Sachleistungsprinzip ei-es der zentralen Prinzipien. Dabei muss es bleiben.
Jetzt komme ich zu einem anderen Aspekt: Patien-nschutz. Wir haben einen Patientenbeauftragten; ei-entlich müsste er heute hier sitzen. Er müsste sich ei-entlich um die Frage kümmern, wie die vertraglicheestaltung beim ausgeweiteten Instrument der Kostener-tattung aussehen wird.
nen fällt zunächst nichts anderes ein, als die Pflicht zurchriftlichen Beratung und Information über die Bedin-ungen des Vertrags, der eingegangen wird, abzuschaf-n. Sie haben tatsächlich die Stirn, diese Pflicht abzu-chaffen, mit dem Argument, sie bringe zusätzlicheürokratie und mache das Instrument der Kostenerstat-ng unattraktiv. Das ist doch nicht zu glauben. Das istin echter Kniefall vor der Ärzteschaft, die sich darübereschwert hat, dass sie bei einer Umsetzung zusätzlicheürokratische Aufgaben erfüllen müsste. Es gibt in kei-em anderen Bereich der Wirtschaft Vertragsbeziehun-en, bei denen man einen Vertrag unterschreiben muss,bwohl man die Kautelen nicht genau kennt. Ich halteas, was Sie uns da letztens auf den Tisch gelegt haben,irklich für eine Zumutung. Ich halte das unter dem Ge-ichtspunkt des Verbraucherschutzes für eine Frechheit.
Ich möchte einen weiteren Punkt betonen: Sie greifen massiver Weise in das Vertrauensverhältnis zwi-chen Arzt und Patient ein.
as ist für mich die zweite große Sünde, die Sie da bege-en. Sie machen den Patienten zum Kunden und verfüh-n den Arzt dazu, auf eine Abrechnung über höher ver-ütete private Tarife hinzuwirken. Der Arzt könnteersuchen, den Patienten im Gespräch davon zu über-eugen, eine therapeutische Zusatzleistung in Anspruchu nehmen, wohl wissend, dass dann eine private Ab-chnung möglich ist.
as hat langfristig massive Auswirkungen.Zusätzlich wird Ihre Regelung dazu führen, dass dierztpraxen zu Inkassounternehmen werden.
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Maria Anna Klein-Schmeink
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– Sie haben die Praxisgebühr nicht abgeschafft. Das isteine weitere Baustelle, die Sie angehen könnten. – Siewerden die Arztpraxen damit konfrontieren, dass Rech-nungen nicht bezahlt werden, dass den Patienten nichtklar war, welche Verbindlichkeiten sie eigentlich einge-gangen sind. Da geht es in der Regel um hohe Rechnun-gen, die Menschen mit kleinem Einkommen sehr schnellüberfordern. Das wird tatsächlich dazu führen, dass dieZahl der Inkassovorgänge ansteigt.
Man kann das insgesamt nicht gerade als Bürokratie-abbau bezeichnen; es ist genau das Gegenteil: Es kommtzu einer höheren bürokratischen Belastung der Praxenund der Versicherungen, die die Rechnungen abgleichenmüssen. Insgesamt stellen Sie das solidarische System,das wir bisher haben, massiv infrage. Sie haben nicht ei-nen einzigen guten Grund dafür genannt. Ich kann nurmit Herrn Straubinger sagen: Die Kostenerstattungbringt auf der einen Seite keine zusätzliche Transparenzund keine Kosteneinsparung; aber sie bringt die Patien-ten in eine Situation, die sie überfordern wird.
Das Wort hat nun Kollegin Maria Michalk für die
CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnenund Kollegen! Der Antrag der SPD greift einen Punktaus einem riesengroßen Gesetzespaket heraus.
Deshalb sage ich Ihnen: Er ist mager. Darauf gehe ichgleich noch einmal ein. Vieles ist zwar schon gesagtworden, aber offensichtlich ist bei Ihnen Wiederholungdie Mutter des Erfolgs. Also nehme ich den Antrag nocheinmal auseinander.
Bevor ich das aber tue, stelle ich im Anschluss an dieReden der Oppositionskollegen die Frage: Welches Bildzeichnen Sie von der Ärzteschaft in diesem Land? Wol-len Sie junge Ärzte dazu bewegen, sich auf dem Landniederzulassen, indem Sie den ganzen Berufsstand alskwreSddsDlifaSEwDemwszdsccsliSEhblihAd
Der Antrag der SPD ist in vielerlei Hinsicht irrefüh-nd.
ie wollen den Leuten einreden, dass allen Versichertener gesetzlichen Krankenversicherung der Umstandroht, in Zukunft Geld auf den Arzttisch legen zu müs-en, bevor sie behandelt werden. Das ist absolut falsch.as ist nicht richtig. Alle, die sich an dem Antrag betei-gt haben und hier dazu geredet haben, wissen, dass daslsch ist. Der Antrag ist in einem Stil formuliert, der derache überhaupt nicht angemessen ist. Sie erwecken denindruck, dass die Einführung der Kostenerstattung et-as Unanständiges ist.
Ich zitiere die erste Forderung aus Ihrem Antrag:1. keine Ausweitung der Kostenerstattung in dergesetzlichen Krankenversicherung vorzunehmen.iese Forderung ist widersprüchlich; denn die Kosten-rstattung gab es bereits unter einer SPD-Gesundheits-inisterin. Das haben Sie alle mitgetragen.
Zur Erinnerung: Vor Inkrafttreten des GKV-Wettbe-erbsstärkungsgesetzes zum 1. April 2007 konnten ge-etzlich Versicherte die Kostenerstattung wählen, undwar entweder für alle Leistungen oder beschränkt aufie ambulante ärztliche Versorgung. Ganze 122 000 ge-etzlich Versicherte, 0,17 Prozent der gesetzlich Versi-herten, haben sie gewählt. Daran sehen Sie, über wel-hes Segment wir hier reden.
Seit dem 1. April 2007 haben die Versicherten zwi-chen verschiedenen Leistungsbereichen die Wahlmög-chkeit. Diese haben Sie mit eingeführt. Unter Frauchmidt wurde die Kostenerstattung um die persönlichentscheidungsmöglichkeit erweitert. Diese bleibt weiter-in bestehen. Man kann sie auf die ambulante ärztlichezw. zahnärztliche Versorgung beschränken oder zusätz-ch für veranlasste Leistungen bzw. Krankenhausbe-andlungen wählen. Deshalb frage ich: Wieso ist dieusweitung der individuellen Entscheidungsmöglichkeiter Versicherten 2007 richtig gewesen,
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Maria Michalk
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während heute die Anpassung an die aktuelle Situationunter gleichen Prämissen – die Wahlfreiheit der Versi-cherten bleibt erhalten – nicht richtig sein soll?
Ihr Antrag ist in sich absolut widersprüchlich.
2007 wurde im Zusammenhang mit § 13 SGB V demGKV-Spitzenverband der Auftrag erteilt, nach zwei Jah-ren über die Erfahrungen zu berichten. Das ist, wie Siewissen, geschehen. Deshalb wissen wir heute, dass seit-dem nur 10 000 Menschen mehr diese Kostenerstattunggewählt haben. Was ist schlimm daran? In 1, 2, 5 oder10 Jahren – je nachdem, welchen Zeitraum Sie wählen –werden wir sehen, wie viele Menschen diese Möglich-keit in Anspruch genommen haben. Wir lassen den Men-schen diese Möglichkeit. Wovor haben Sie von der SPDeigentlich Angst?
Niemand muss die Kostenerstattung wählen. Wir stel-len Kosteneinsparüberlegungen an, um Spielraum füreine weiterhin gute medizinische Versorgung aller Men-schen zu haben, und zwar unabhängig von Alter, Ein-kommen, Vorerkrankungen oder Wohnlage. Der medizi-nische Fortschritt soll auch in Zukunft jedemzugutekommen.
Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage der
Kollegin Volkmer?
Gerne.
Frau Michalk, kommen in Ihre Bürgersprechstunde
Menschen, die Ihnen davon berichten, dass sie bei einem
Facharzt zeitnah keinen Termin bekommen, nur weil sie
Mitglied in der gesetzlichen Krankenversicherung sind?
Berichten Ihnen Menschen, dass sie kurzfristig einen
Termin bekommen, wenn sie sich am Telefon als Privat-
versicherte vorstellen?
Wenn die Kostenerstattung möglich ist, werden viele
Ärzte diese Möglichkeit ausnutzen, indem sie den Pa-
tienten sagen: Ja, ich nehme Sie ohne lange Wartezeit an
die Reihe, aber nur dann, wenn Sie die Kostenerstattung
wählen und Vorkasse leisten. – Glauben Sie nicht auch,
dass es sich so verhalten wird?
Liebe Frau Kollegin Volkmer, darauf möchte ich Ih-nen Folgendes antworten: Erstens. Ja, in meine Sprech-stunde kommen Menschen, die mir von solchen Vor-kommnissen berichten. Zweitens. Ich bin ein wenigentsetzt, welches Verhalten Sie den Ärzten zutrauen.Drittens. Es gibt auch Privatversicherte, die sich in mei-ner Sprechstunde darüber beklagen, dass sie bei einemFtesmDdrimgvddlitidIhkWcasTKsddsdtilebsaKswebBcKggdtes
Ich will noch einmal auf den uns vorliegenden Be-cht zurückkommen. Er zeigt klar, dass die Menschenit dem Instrument der Kostenerstattung im Rahmen deresetzlichen Möglichkeiten sehr verantwortungsvoll, jaorsichtig umgehen. Andererseits lehrt uns der Bericht,ass es durchaus persönliche Situationen geben kann, inenen das Kostenerstattungsprinzip die optimale Mög-chkeit ist. Dann sind die Versicherten bereit, diese Op-on zu wählen. Warum wollen Sie die Menschen vonieser Wahlmöglichkeit ausschließen? So verstehe ichren Antrag. Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion willeine Bevormundung und auch keine Einschränkung.ir wollen Entscheidungsmöglichkeiten für die Versi-herten.
Man entscheidet sich ja nicht erst dann, wenn mankut erkrankt ist. Mit der Wahlmöglichkeit beschäftigenich Versicherte schon dann, wenn sie sich mit diesemhema – sei es im Rahmen von Gesprächen mit derrankenversicherung – auseinandersetzen. Vielleicht be-chäftigen sich aufgrund der heutigen Debatte – das ister einzig positive Punkt dabei – mehr Menschen mitiesem Thema als vorher. Wir wollen, wie gesagt, dassich die Versicherten mit dieser Möglichkeit auseinan-ersetzen. Wir wollen verhindern, dass sie erst dann ak-v werden, wenn das Kind schon in den Brunnen gefal-n ist.Ich will diesen Punkt zusammenfassen: Es bleibteim Prinzip der Freiwilligkeit. Die Versicherten könnenelbst wählen und können das Für und Wider gründlichbwägen. Das heißt, sie können sich für oder gegen dieostenerstattung entscheiden. An dieser Gesetzeslageoll sich nichts ändern.
Ich will noch einen weiteren Punkt erwähnen. Bislangaren Versicherte an ihre Entscheidung, die Kosten-rstattung zu wählen, ein Jahr gebunden. Die Mindest-indungsfrist wird auf ein Kalendervierteljahr verkürzt.ehaupten Sie jetzt nicht, das sei im Interesse der Versi-herten keine Qualitätsverbesserung. Dass es für dieassen bei ihrer Kalkulation gewisse Schwierigkeitenibt, ist in der Anhörung zwar deutlich zum Ausdruckekommen. Das hat aber nichts mit Lobbyismus zu tun,en Sie uns in Ihrem Antrag vorwerfen. Ganz im Gegen-il: Wir treffen Regelungen zugunsten der Versicherten.
Die Mindestbindungsfrist für Wahltarife wird grund-ätzlich von drei Jahren auf ein Jahr reduziert. Auch mit
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Maria Michalk
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dieser Regelung werden wir uns in der nächsten Sit-zungswoche noch auseinandersetzen und darüber reden,wie wir sie optimieren können. Die Verkürzung der Min-destbindungsfrist auf ein Jahr ist aus meiner Sicht eben-falls ein Qualitätsmerkmal.Zusätzlich wird die Kontrolle des Verbots der Quer-subventionierung durch die Aufsichtsbehörden derLänder mit der Verpflichtung der Krankenkassen zu ei-nem regelmäßigen Wirtschaftsprüfertestat der Risikobe-urteilung wesentlich vereinfacht. Meinen Sie nicht auch,dass das ein zusätzliches Kontrollinstrument ist?Ich denke schon, dass der Ansatz dieser Kostenerstat-tungsmöglichkeit, die ja frei gewählt werden kann, eingutes Qualitätskriterium im Sinne der Versicherten ist.Deshalb finden wir Ihren Antrag absolut unnötig undpolemisch. Wir werden ihn im Ausschuss natürlich ab-lehnen.Vielen Dank.
Das Wort hat nun Edgar Franke für die SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die heu-tige Diskussion hat für mich vor allen Dingen eines deut-lich gemacht: Die Koalition ist in der Gesundheitspolitikohne Kurs und Kompass,
und wenn der politische Kompass einmal ausschlägt,Herr Spahn, wie bei den Änderungsanträgen zum AMNOGund zum GKV-FinG sowie bei der Erweiterung der Kos-tenerstattung, dann in die vollkommen falsche Richtung,nämlich in Richtung einer Politik, in der eben nicht dieInteressen der Normalverdiener und der Mitglieder derGKV, sondern die Interessen Ihrer Klientel im Fokus ste-hen,
und zwar nicht nur der üblichen Verdächtigen – Apothe-ker oder Pharmaindustrie –, sondern gerade bei der Vor-kasse auch bestimmter Ärztegruppen und vor allen Din-gen der privaten Krankenversicherung.Der geschätzte Kollege Rüddel hat gesagt, die SPDwürde Angst und Schrecken verbreiten. Aber ich glaube,dass es eher Ihre Politik ist, die Angst und Schreckenverbreitet.
Was war ursprünglich geplant? Geplant hatte die Ko-alition eine tiefgreifende Strukturreform; das habe ichnoch im Ohr. Was ist herausgekommen? Eine simple Er-hdwaadAdsLhKdtiafüKnHhIcAD3fetuRsdAwhvswIn
Jetzt wird die Sau Kostenerstattung durch das gesund-eitspolitische Dorf getrieben. Was bewirkt denn eineostenerstattung, die wir Vorkasse nennen? Sie bewirktoch nur, dass der Arzt direkt ins Portemonnaie der Pa-enten greifen kann. Das ist doch das, was die Vorkasseusmacht.
Man hört ja manchmal die Argumente, Vorkassehre erstens zu weniger Arztbesuchen und zu höheremostenbewusstsein. Der Kollege Straubinger ist leidericht mehr da. Ich darf ihn aber – mit Ihrer Erlaubnis,err Präsident – zitieren. Herr Straubinger von der CSUat gesagt:Für das Gesundheitssystem bringt das keine Erspar-nis, und die Patienten zahlen im Extremfall immernur drauf.h kann sagen: Herr Straubinger hat recht.
Wie läuft das in der Praxis? Nach der GOÄ kann derrzt bis zum 3,5-Fachen liquidieren.
as sind – das ist ja einfach auszurechnen – bei00 Euro bis zu 1 050 Euro. Und wer bleibt auf dem Dif-renzbetrag zwischen der Rechnung und dem Erstat-ngsbetrag hängen? Der Versicherte. Wie kann er dasisiko mildern? Indem er eine Zusatzversicherung ab-chließt. Deshalb kann man sagen: Teurer wird es auf je-en Fall. Die Einzigen, die davon profitieren, sind derrzt und die PKV.
Zweitens habe ich heute gehört, durch die Vorkasseürde die Transparenz erweitert. Der Kollege Rüddelat erwähnt, dass man vielleicht Patientenquittungenerpflichtend einführen könne. Derzeit ist es zumindesto, dass eine solche Quittung vom Patienten beantragterden kann.
sofern ist die Transparenz bereits gegeben.
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Dr. Edgar Franke
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Ein weiteres Problem bei der Vorkasse ist: Die Kran-kenkassen haben keinen Einfluss mehr auf Qualität undKostenentwicklung. Das ist der Unterschied zwischendem Sachleistungsprinzip und der Vorkasse.Drittens. Herr Lanfermann, Sie haben gesagt, wirwürden eine Phantomdiskussion führen, weil die Vor-kasse freiwillig sei.
Natürlich ist die Vorkasse bzw. die erweiterte Kostener-stattung freiwillig.
Das Beispiel wurde heute genannt; Frau Volkmer hat daja nachgefragt. Wenn ein Arzt sagt, dass man nur einenTermin bekommt, wenn man Privatpatient ist oder inVorkasse geht, also die Kostenerstattung wählt, wird in-direkt Druck auf den Patienten ausgeübt.
Wenn die erweiterte Kostenerstattung im Gesetz geregeltwird, werden ganz viele Menschen dieses Modell wäh-len und eine Zusatzversicherung abschließen. Insofernbekommen wir dann die von vielen beschriebene Drei-klassenmedizin.
– Herr Lanfermann, schauen Sie einmal in Internetforen.Dort diskutieren Fachärzte darüber, wie man PatientenVorkassenmodelle schmackhaft machen kann. Sie müs-sen nur nachschauen. Deswegen ist das keine Phantom-debatte.
Wenn künftig nicht nur Privatpatienten, sondern auchgesetzlich Versicherte, die sich die Kostenerstattung leis-ten können, bevorzugt behandelt werden, ist das keinesolidarische Gesundheitsversorgung. Deswegen fordernwir als SPD Sie von der Koalition auf: Halten Sie amSachleistungsprinzip fest. Es darf keine Ausweitung derKostenerstattung in der gesetzlichen Krankenversiche-rung geben. Wir müssen eine Gesundheitspolitik für alleMenschen in der Krankenversicherung in unserem Landmachen. In der Gesundheitspolitik muss es um den Pa-tienten gehen und nicht darum, dass bestimmte Ärzte-gruppen und die PKV mehr Geld verdienen.Ich danke Ihnen.
FMbvmUInWicleVKdebKtugdsUnhsFnreasFasVkwDdL
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!eine Damen und Herren! „Patientenschutz statt Lob-yismus – Keine Vorkasse in der gesetzlichen Kranken-ersicherung“ – wen wollen Sie mit dieser billigen Pole-ik an der Nase herumführen? Ihr Vorstoß zeugt vonnkenntnis ebenso wie von der Tatsache, dass Sie dietelligenz der Versicherten in geradezu peinlichereise unterschätzen.
Ich möchte Ihnen das erläutern: Vorkasse ist, wennh etwas bezahle und die Gegenleistung später viel-icht bekomme. Die einzige Institution, die momentanorkasse betreibt, ist die gesetzliche Krankenkasse. Dieassen sammeln die Beiträge von den Versicherten unden Arbeitgebern ein, und keiner, der einzahlt, weiß, obr im Falle einer Erkrankung die Leistung, die erraucht, bekommt. Um es ganz deutlich zu machen: Dieostenerstattung ist keine Vorkasse. Die ärztliche Leis-ng wird erbracht. Sie wird in Rechnung gestellt, und esibt ein Zahlungsziel. Die meisten Patienten zahlenann, wenn die Krankenversicherung die Leistung er-tattet hat.
nser Ziel ist, dass die Patienten frei entscheiden kön-en, ob sie das bisherige Prinzip der Sachleistung beibe-alten oder die Kostenerstattung wählen wollen. Ent-cheidend ist die Transparenz; diese gibt es jetzt nicht,rau Klein-Schmeink.Sehen wir uns die weiteren Vorteile an. Patienten kön-en differenzieren. Ihre Regelleistungen werden von ih-r Kasse erstattet, Zusatzleistungen müssen sie selberusgleichen. Beim System der Kostenerstattung wissenie, wie viel sie für welche Therapie aufbringen müssen.
erner können auch gesetzlich Versicherte solche Ärzteufsuchen, die nur nach dem privatärztlichen Vergütungs-ystem liquidieren. Für Patienten, die nur knapp über derersicherungsgrenze liegen und eine Familie haben,önnte die gesetzliche Krankenversicherung attraktivererden.
ie Mitversicherung der Familie ist ein enormer Vorteiler GKV. Der Patient kann jederzeit prüfen, welcheeistungen in Rechnung gestellt wurden, und die Rech-
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Dr. Erwin Lotter
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nung mit der tatsächlichen Behandlung vergleichen. ImBereich der ärztlichen Kosten herrscht dann Transpa-renz. Patienten werden in die Verantwortung für die In-anspruchnahme von Leistungen eingebunden.
Dadurch wird der Patient ernst genommen und nichtmehr für dumm verkauft.
Vollkommen widersprüchlich ist, dass die SPD dar-legt, die gesetzlichen Krankenkassen würden Qualitäts-standards festlegen, die für die Kostenerstattung nichtgelten. Versicherte mit Kostenerstattung haben den glei-chen Status wie Privatpatienten. Sind Sie denn der Mei-nung, für Privatpatienten gäbe es keine Qualitätsstan-dards?
Denken Sie, die PKV-Patienten würden schlechter be-handelt? Meinen Sie das mit Dreiklassenmedizin? Dasist doch abwegig.
Die Patientenquittung ist kein Ersatz für eine formelleRechnung.
Durch die Kombination von einem Pauschalsystem undeinem komplexen Punktesystem, die je nach Finanzlagezu unterschiedlichen Quartalserträgen führt, spiegeltdiese Quittung im Zeitpunkt ihrer Ausstellung nicht dentatsächlichen Umsatz wider.
Bezeichnend ist auch die Behauptung in Ihrem Antrag,die Patienten könnten ihre Therapien überhaupt nicht be-urteilen. Also sind Patienten nach Ihrer Ansicht unmün-dig und der Weisheit der Ärzte ohnmächtig ausgeliefert.
Das, meine Damen und Herren, ist doch obrigkeitsstaat-liches Denken.Geradezu ergreifend ist es, wie sich die SPD in ihremAntrag um die wirtschaftliche Situation der PKV und derÄrzte sorgt. Die PKV wolle weg vom System der Kosten-erstattung, heißt es.
Die Belastungen der PKV ergeben sich doch aus ganzanderen Aspekten: aus zu hohen Zugangshürden unddem Basistarif, den eine Regierung unter SPD-Beteili-gung eingeführt hat.uPtireGJfowEmVmDkreWApsDbtiCgügcAHHlu
Es rührt mich nahezu auch zu Tränen, wenn Sie sichm das Inkassorisiko der Ärzte sorgen. Wenn das einroblem wäre, würde ja wohl jeder Mediziner Privatpa-enten am liebsten gleich wieder wegschicken. Die wah-n Umsatzausfälle entstehen doch dadurch, dass dasKV-System durch politische Entscheidungen alle paarahre durcheinandergewirbelt wird mit einer steten Ab-lge von Zumutungen und Deckelungen.
Es geht Ärzten auch nicht darum, Patienten irgendet-as aufzuschwatzen.
s geht ihnen darum, sie gut zu informieren. Patientenerken sehr wohl, wenn sie abgezockt werden sollen.ertrauen entsteht, wenn man sich gegenseitig auf Infor-ationen verlassen kann.
ie Ärzte, meine Damen und Herren, wollen keine Vor-asse, sie wollen schlicht und einfach eine Vergütung ih-r Rechnungen.
enn Ihnen, liebe Abgeordnete der SPD, dieser einfachenspruch nicht passt, dann können wir die freien Arzt-raxen gleich schließen und die Versicherten anonymen,taatsgeführten Versorgungsstrukturen anvertrauen.
as ist dann das Ende der freien Ärzteschaft, und als Li-erale werden wir das gerade auch im Interesse der Pa-entinnen und Patienten nicht zulassen.
Das Wort hat nun Dietrich Monstadt für die CDU/
SU-Fraktion.
Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kolle-en! Meine Damen und Herren! Wir debattieren heuteber einen Antrag der SPD, mit dem sie sich pauschalegen jede Kostenerstattungsregelung in der gesetzli-hen Krankenversicherung wendet.
nders ist der Antrag nicht zu verstehen.Dies ist insofern überraschend, meine Damen underren, als die SPD in der Vergangenheit in diesemaus wiederholt für gesetzliche Kostenerstattungsrege-ngen gestimmt hat,
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7470 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 69. Sitzung. Berlin, Freitag, den 29. Oktober 2010
Dietrich Monstadt
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und zwar sowohl bei der Gesundheitsreform 2003 mitdem GKV-Modernisierungsgesetz als auch bei derGesundheitsreform 2007 mit dem GKV-Wettbewerbs-stärkungsgesetz.
Aber, meine Damen und Herren, wir haben in diesemHaus zumindest im Bereich der Gesundheitspolitikschon häufiger feststellen müssen, dass sich die SPD anihr eigenes Tun nicht mehr erinnert.
Im Einzelnen: Im Jahr 2003 wurde die Kostenerstat-tungsoption in § 13 Abs. 2 SGB V von dem überschau-baren Kreis der freiwillig Versicherten uneingeschränktauf alle Versicherten ausgedehnt. Das kann man quanti-tativ als drastische Ausweitung ansehen.Mit der Gesundheitsreform 2007 haben die Kranken-kassen die Möglichkeit erhalten, ihren VersichertenWahltarife anzubieten, darunter Kostenerstattungstarife.
Sowohl 2003 als auch 2007, Herr Lanfermann, hieß dieGesundheitsministerin Ulla Schmidt, und sowohl 2003als auch 2007 hat die SPD für diese Ausweitungen vonKostenerstattungsregelungen gestimmt.
Wenn die SPD heute jede Kostenerstattung verteufelt,obwohl ihre Verantwortung für den früheren Ausbau sol-cher Regelungen unübersehbar ist, dann folgt sie strin-gent dem bekannten – ich will es einmal so nennen –Vergesslichkeitsphänomen. Die paritätische Finanzie-rung wurde 2004 unter Rot-Grün verlassen, als der Son-derbeitrag von 0,9 Prozent eingeführt wurde, den dieVersicherten allein tragen.
Auch die Möglichkeit von Zusatzbeiträgen ist untereiner SPD-Gesundheitsministerin
mit großer Zustimmung der SPD-Fraktion eingeführtworden. Jetzt also hat die SPD – welche Überraschung! –ihre frühere Haltung zur Kostenerstattung vergessen.
Meine Damen und Herren von der Opposition, wel-ches Bild haben Sie von der Ärzteschaft?
So wie man Sie verstehen muss, erwartet den Kostener-stattungspatienten in der Praxis des Arztes seines Ver-trauens ein wahres Haifischbecken. Der Patient wird fi-nanziell abkassiert – nach Herrn Dr. Lauterbach wirdihm das Geld aus der Tasche gezogen –, er wird unnöti-gnfodinIcszTzoaswVccszeebSKvDZAuEwVes
Zweitens. Wir wollen den Krankenkassen ermögli-hen, mehr ergänzende Versicherungen zu vermitteln.Auf der Tagesordnung der jüngsten Sitzung des Ge-undheitsausschusses stand der Bericht des GKV-Spit-enverbandes zur Kostenerstattung. Diesem konnten wirntnehmen, dass nur wenige Menschen von der Kosten-rstattungsoption Gebrauch machen. Anders als die SPDefürchtet, bleiben 99,81 Prozent der Versicherten beiachleistungen.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage der
ollegin Klein-Schmeink?
Nein.
Damit ist dieser Bereich durchaus überschaubar. Soiel, Herr Dr. Lauterbrach, zu der von Ihnen erwähntenreiklassenmedizin. Der Antrag der SPD bietet keinenusatznutzen für eine ernsthafte gesundheitspolitischeuseinandersetzung.
Meine Damen und Herren, wir sind angetreten, umnser Gesundheitssystem angesichts demografischerntwicklung, medizinisch-technischen Fortschritts undachsender Kosten zukunftsfest zu machen und für alleersicherten den Zugang zu hochwertigen Leistungen zurhalten. Im Gesundheitsausschuss beraten wir zu die-em Zweck derzeit unsere Gesetzentwürfe zum Arznei-
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Dietrich Monstadt
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mittelmarkt und zu den GKV-Finanzen. Wir sind auf ei-nem guten Weg.Gerade in jüngster Zeit hatte ich im Gesundheitsaus-schuss manchmal den Eindruck, dass die SPD gelegent-lich so etwas wie Anerkennung für unsere Anstrengun-gen erkennen lässt. Herr Kollege Dr. Lauterbach, aufdiesem Weg sollten Sie voranschreiten.Herzlichen Dank.
Das Wort hat nun Kollegin Hilde Mattheis für die
SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wirlegen heute einen Antrag vor, in dem wir einen wichti-gen Punkt, der in den kommenden Beratungen sonstwahrscheinlich untergehen würde, hervorheben.
Dieser Aspekt ist ein Beispiel dafür, wie Sie das Gesund-heitssystem umgestalten wollen. Alle Maßnahmen, dieSie ergreifen, dienen dem Ziel, die Solidarität aufzuhe-ben und die Individualisierung des Krankheitsrisikosherbeizuführen.
So wollen Sie die Interessen einzelner Lobbygruppenbedienen. Darum geht es Ihnen.
Die Kostenerstattung wird von nur wenigen Men-schen, nämlich von nur etwa 0,2 Prozent der Patienten,angenommen; das ist richtig. Wir sollten aber auch ein-mal über die Frage nachdenken, warum nur so seltenPatientenquittungen angefordert werden.
Patientenquittungen würden Transparenz schaffen. Abernur 8 Prozent der Menschen, die zum Arzt gehen, for-dern eine Patientenquittung an. Nur 20 Prozent der Men-schen wissen überhaupt, dass dies ihr gutes Recht ist.Wenn es Ihnen tatsächlich um mehr Transparenz ginge,müssten Sie an genau diesem Punkt ansetzen und einePflicht zur Ausstellung einer Patientenquittung einfüh-ren.
Aber darum geht es Ihnen nicht. Ihnen geht es um dieinzuverdienstmöglichkeiten der Ärzte. Meine Fraktionnd ich sagen: Wir möchten nicht, dass in Zukunft vormer mehr Arztpraxen Schilder angebracht sind, aufenen steht: Facharzt, gesetzlich Versicherte nur gegenorkasse. – Das ist mit uns nicht zu machen.
Wenn Sie sagen, es gehe Ihnen um Konsumenten-ouveränität, dann muss ich erwidern: Gerade im Ge-undheitsbereich kann es keinen Vertrag auf Augenhöheeben. Denken Sie sich einfach einmal in das Wartezim-er eines Arztes hinein. Da sitzt der schon ältere Herr,er Angst hat, dass seine körperlichen Schwächen offen-art werden. Da sitzt eine Frau mittleren Alters mit Vor-formationen von ihren Freundinnen und aus Zeitschrif-n zu bestimmten Symptomen, die Angst hat, dass sichine mit diesen Symptomen verbundene Krankheit be-tätigt.
a sitzt die junge Mutter, die mit ihrem Kind auf eineehandlung wartet und befürchtet, der Arzt könne ihromöglich vorhalten, etwas falsch gemacht zu haben.lauben Sie denn, dass diese Menschen in das Sprech-immer hineingehen und ein Gespräch auf Augenhöhehren können? Auf gar keinen Fall!
Es geht uns darum, die Patientenrechte zu stärkenrichtig –, es geht uns darum, das Sachleistungsprinzipu stärken – richtig –, und es geht uns darum, dass dieatientinnen und Patienten und die Ärztinnen und Ärzter das Eigentliche Zeit haben, was im Gesundheitswe-en so wichtig und richtig ist, nämlich für das Gesprächiteinander und für die Therapie.
Sie sagen: „Mir kommen die Tränen.“ Ich muss Ihnenagen: Uns kommen die Tränen, wenn wir sehen, wieie mit diesem hohen Gut in unserer Gesellschaft umge-en.
as ist nämlich ein hohes Gut, das die Leute behaltennd bewahren wollen, und das gefährden Sie.
Deswegen betrachten wir in diesem Antrag einen aller Bausteine, mit denen genau diese Daseinsvorsorge innserem Land ausgehöhlt werden kann, und deswegen
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Hilde Mattheis
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ist es uns so wichtig, dass wir uns heute hier mit diesemAntrag auseinandersetzen.
Sie meinen allen Ernstes, dass es Ihnen auch um Ein-sparungen in unserem System geht und dass diese Ein-sparungen womöglich an die Patientinnen und Patientenweitergegeben werden. Das ist an Zynismus nicht zuüberbieten. Sie müssen doch berücksichtigen, dass esMenschen geben wird, die sich für ein Vierteljahr zurVorkasse verpflichtet haben und dann feststellen müssen,dass sie zum Beispiel für die Behandlung des GrünenStars über 300 Euro aus eigener Tasche zahlen müssen,weil die gesetzliche Krankenversicherung nur 72 Eurodafür erstattet. Diese Menschen werden sich womöglichkeinen weiteren Arztbesuch in diesem Vierteljahr mehrerlauben können. Darum wird es nämlich gehen.
Sie werden dann nicht mehr zum Arzt gehen, weil sie sa-gen: Ich habe schon 300 Euro bezahlen müssen; ichkann mir nichts Weiteres leisten.Ich glaube, Sie sollten auch einmal mit der PKV re-den. Ich weiß nicht, ob Sie das in dem Fall – ich sagenur: in dem Fall – intensiv getan haben.
Sie überlegt nämlich schon längst, wie sie vom Prinzipder Kostenerstattung abweichen kann, weil die Kostenfür die PKV steil ansteigen. Das ist der Punkt.
Ich rate Ihnen auch, einfach einmal mit verschiedenenVerbänden von Fachärzten zu diskutieren und nachzufra-gen, ob sie alle das so sehen oder ob es ihnen nicht eherdarum geht, sichere Einnahmen zu erzielen. Oder geht esIhnen nur darum, die Funktionäre der Ärzte zu bedie-nen?Wir als SPD sagen: Mit uns ist das nicht zu machen.
Wir wollen eine Stärkung des Sachleistungsprinzips undTransparenz im System. Deshalb muss es darum gehen,für mehr Aufklärung zu sorgen, zum Beispiel dadurch,dass die Menschen Patientenquittungen verlangen.
Wir wollen keine Aushöhlung unseres Systems, das sichbewährt hat, weil alle Menschen gleichermaßen Zuganghaben und alle gesetzlich Versicherten – es geht dabeium 90 Prozent aller Versicherten – die Sicherheit haben,auch behandelt zu werden und –
Frau Kollegin, Sie müssen zum Ende kommen.
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er Antrag ist absurd. Er zeigt, dass Sie nicht verstandenaben, um was es geht, oder – das ist eigentlich nochchlimmer – dass Sie gar nicht wissen wollen, um was eseht.Es geht schlicht und ergreifend um nicht weniger alsas Wahlrecht der Patienten,
b sie eine Kostenerstattung wollen oder nicht. In ver-chiedenen Redebeiträgen heute Morgen wurde schonusgeführt, dass Sie mit dabei waren, als wir diesesahlrecht 2003 eingeführt haben; aber die Patienten ha-en diese Möglichkeit in der Vergangenheit zu wenig ge-utzt.
ir gestalten dieses Wahlrecht jetzt attraktiv. Wahlrechtt Patientenrecht.
enn Sie dies nicht anerkennen, dann enthalten Sie dematienten ein Recht vor. Um es auf den Punkt zu brin-en: Sie torpedieren ein Patientenrecht.Ihr Antrag setzt voraus, dass wir Vorkasse wollen. Esurde aber schon mehrfach ausgeführt, dass es über-aupt nicht um Vorkasse geht. Das ist der Popanz. Wiraben noch nicht einmal in der privaten Krankenversi-herung eine Vorkasse. Zunächst kommt die Leistung,ann die Bezahlung. Die Möglichkeit der Bezahlung hatan, wenn das Geld von der Krankenkasse eingegangent. Es gibt also keine Vorkasse.Dann weisen Sie auf den Informationsvorsprung hin da haben Sie durchaus recht –, den die Ärzte bzw.eistungserbringer gegenüber den Patienten haben.
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Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Lauterbach?
Bitte schön.
Vielen Dank. – Noch einmal ganz konkret: Ich ver-
misse nach wie vor eine Antwort auf die Frage, wie Sie
verhindern wollen, dass beispielsweise ein älterer
Mensch, der Rückenschmerzen hat und zum Orthopäden
möchte – um noch einmal das Beispiel aufzugreifen, das
ich selbst gebracht habe – und wenig Geld hat, auf die
Frage, ob es einen Termin gibt, von dem Orthopäden mit
der Antwort konfrontiert wird: „Sind Sie in der Lage,
sind Sie willig, Vorkasse zu zahlen?“. Wie wollen Sie
sicherstellen, dass so etwas in der Praxis nicht vor-
kommt? Was sagen Sie einem solchen Menschen, wenn
der Orthopäde schlicht sagt: „Ich behandle bevorzugt ge-
gen Vorkasse“? Das ist ja nach Rechtslage, wenn ich das
richtig verstehe, erlaubt.
Ich sage diesem Patienten: Gehen Sie zu Ihrer Kran-
kenkasse und beschweren Sie sich;
denn genau das ist nicht erlaubt. – Das war in der Ver-
gangenheit nicht erlaubt und wird es auch in Zukunft
nicht sein.
Auch das ist ein Popanz, den Sie permanent aufbauen.
Das entspricht schlicht und ergreifend nicht den Tatsa-
chen.
Wenn Sie jetzt über den Ärztemangel diskutieren wollen,
müssen Sie einen anderen Antrag schreiben; darum geht
es heute nicht.
Schauen Sie sich dieses Wahlrecht an. Es beinhaltet,
dass die Patienten zukünftig die Möglichkeit haben, nicht
nur über alles hinweg ein Wahlrecht auszuüben, sondern
auch, auszuwählen: Will ich dieses Wahlrecht nur beim
Zahnarzt, oder will ich es auch beim Hausarzt? – All
diese Möglichkeiten gibt es sozusagen á la carte und fle-
xibel. Als weitere Verbesserung ist vorgesehen, die Bin-
dungsfrist von einem Jahr auf drei Monate zu verkürzen.
Damit kann der Patient erst einmal ausprobieren, ob das
Modell gut für ihn ist.
Des Weiteren werden künftig nicht mehr zwangs-
weise 10 Prozent Verwaltungskosten abgezogen. Den
Krankenkassen wird stattdessen die Möglichkeit gebo-
ten, nur 5 Prozent abzuziehen. Auch dies ist eine Kann-
bestimmung.
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Sie trauen den Patienten nichts zu. Herr
r. Lauterbach hat von Verdummung gesprochen. Sie
erdummen doch die Patienten, indem Sie ihnen nichts
utrauen. Sie haben in dieser Frage, und nicht nur darin,
chlicht und ergreifend ein anderes Menschenbild als
ir.
Herr Kollege, gestatten Sie eine weitere Zwischen-
age, diesmal des Kollegen Schaaf?
Herr Kollege, es ist, wie üblich, eine unverschämteehauptung, zu sagen, ich hätte die Debatte nicht ver-lgt. Ich habe nämlich die ganze Zeit vor dem Fernseh-erät zugehört. Ich habe mich dann beeilt, hierherzu-ommen, um eine Frage zu stellen, die weder von derDP noch von der Union beantwortet worden ist.Die untauglichen Versuche, uns allein das Themaorkasse aus der Vergangenheit zuzuschieben, blendetus, dass Sie über den Bundesrat immer beteiligt waren.ber lassen wir das beiseite.Das einzige Argument, das die Regierungskoalitionugunsten des Vorkassenprinzips vorgebracht hat, warie Transparenz.
afür hätte man die Debatte über die obligatorische Pa-entenquittung weiterführen können; aber das ist auf derchten Seite des Hauses auf massive Verweigerung ge-toßen. Versuchen Sie bitte, mir zu erklären, welchenorteil der Patient von dem Vorkassenprinzip hat, wennan von der Transparenz absieht, die kein taugliches Ar-ument ist. Sie haben das Hohelied auf die Ärzteschaftesungen, die keine Unterschiede in der Behandlungacht: Ob man Vorkasse wählt oder nicht, die Ärzte be-andeln alle gleich. – Welchen Vorteil hat der Patienton diesem Prinzip?
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Ich habe das bereits ausgeführt. Wahrscheinlich ha-
ben Sie nicht richtig zugehört. Die Kostenerstattung
wird dazu führen, dass Patient und Arzt mehr miteinan-
der über die Therapie reden müssen, als es in der Ver-
gangenheit der Fall war.
Wenn in der Vergangenheit die Tabletten nicht ange-
schlagen haben, dann hat die Patientin oder der Patient
sie einfach weggeschmissen. In Zukunft wird sie oder er
den Arzt aufsuchen
und ihm sagen, dass die Therapie nicht funktioniert und
eine andere Möglichkeit gefunden werden muss.
Wir werden nicht nur mehr Transparenz schaffen, son-
dern auch dazu beitragen, dass sich Patient und Arzt auf
gleicher Augenhöhe begegnen. Das ist der entschei-
dende Punkt des Wahlrechts.
Ich war bei unserem Verhalten in Diskussionen und
der Frage stehengeblieben, ob wir den Patienten etwas
zutrauen. Wenn der Patient Sie in einer solchen Diskus-
sion fragt, was er tun könne, dann sagen Sie, dass er
nichts tun kann und es lieber Vater Staat überlassen soll,
der schon immer alles geregelt hat. Das nehmen uns die
Bürgerinnen und Bürger nicht mehr ab. Sie wollen wis-
sen, worum es geht und wie viel sie für was bezahlen
müssen.
Sie wollen mehr Transparenz.
Im Übrigen sind – das räume ich gerne ein – Sachleis-
tungen nicht unbedingt ein Gegensatz zu dem Vorhaben,
das wir in Angriff nehmen. Was die Sachleistungen an-
geht, ist bei den Krankenkassen durchaus Fachkompe-
tenz vorhanden. Die Krankenkassen achten auf Wirt-
schaftlichkeit; das wird gar nicht in Zweifel gezogen.
Auch medizinische Evidenz ist bei den Kassen vorhan-
den. Aber sie geben bisher keine Antworten, was die
Transparenz und den mündigen Bürger angeht. Deswe-
gen wollen wir das System weiterentwickeln. Das Tot-
schlagargument gegen die Vorauskasse trifft nicht zu. Es
hilft nicht weiter.
Wir wollen den Weg der Wahlmöglichkeit weiterge-
hen. Wir wollen ein besseres Verständnis der Patienten
für das gesamte System mit dieser Maßnahme erwirken.
Ihren Antrag braucht niemand, weder die Krankenkas-
sen noch die Ärzte und erst recht nicht die Patienten. Die
Wege, die Sie aufzeigen, sind nichts anderes als
Schreckgespenster. Wir werden den Weg der Transpa-
renz konsequent weitergehen. Wir werden auch in Zu-
kunft Lobbyisten für die Patientinnen und Patienten sein.
Herzlichen Dank.
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destag hatten, sowie Union und FDP, die damals dieMehrheit im Bundesrat hatten, im Vermittlungsaus-schuss das SGB II auf den Weg gebracht haben,
hat wohl niemand geahnt, wie komplex dieses Sozial-gesetzbuch werden wird und dass man sich im Laufe derJahre permanent mit Veränderungen und Neuerungenauseinanderzusetzen haben wird. Im Sozialgesetzbuchwerden die Arbeitsmarktpolitik, die Sozialpolitik, dieFamiliensituation und die Bildungssituation – erst rechtnach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom9. Februar dieses Jahres – zusammengeführt. An derAusführung sind Bund, Länder und Kommunen betei-ligt. Das macht nicht nur die Komplexität des Gesetzesaus, sondern bereitet auch beim Vollzug Schwierigkei-ten.Das Bundesverfassungsgericht hat zwei Urteile ge-fällt und dem Gesetzgeber gesagt, dass Korrekturbedarfbesteht. Das erste Urteil betraf die Organisation. Diesehaben wir, Union, FDP, SPD und Grüne, im Sommerdieses Jahres gemeinsam in Ordnung gebracht. Daszweite Urteil vom 9. Februar besagt, dass die Bedarfs-sätze sowohl für die Erwachsenen als auch für die Kin-der transparent und nachvollziehbar ermittelt werdenmüssen. Es wurde keine Kritik an der Methode und derHöhe der Bedarfssätze geäußert. Es wurde die Forde-rung erhoben, die Bedarfe genau zu ermitteln, und zwarfür Erwachsene und Kinder getrennt. Des Weiteren hatdas Bundesverfassungsgericht als maßgeblich mitgeteilt:Ihr müsst sehen, dass die Kinder, die im Leistungsbezugdes SGB II sind, eine Perspektive bekommen. Ihr müsstaußerdem jedem individuelle Hilfe zukommen lassen. –Das sind die Rahmenbedingungen, unter denen der vor-liegende Gesetzentwurf erarbeitet wurde und mit denenwir uns zu befassen haben. Damit treten wir in diezweite Phase der Runderneuerung des Zweiten BuchesSozialgesetzbuch ein. Die dritte Phase wird im Frühjahrkommenden Jahres anstehen, wenn wir uns um die ar-beitsmarktpolitischen Instrumente kümmern.Es geht darum, Hilfen aus einer Hand zu geben; dasist die Intention. Das haben wir organisatorisch sicherge-stellt. Es geht aber auch darum, alles zu tun, dass Men-schen wieder in Beschäftigung kommen. Das ZweiteBuch Sozialgesetzbuch beinhaltet zunächst nichts ande-res als eine Grundsicherung, hat aber zum Ziel, Men-schen wieder in Beschäftigung zu bringen. Diese Rah-menbedingungen müssen wir wahren.
Der vorliegende Gesetzentwurf greift das Urteil desBundesverfassungsgerichts auf; aber wir gehen über das,was uns darin aufgetragen wurde, noch hinaus. Wir ha-ben Regelsätze vorgelegt, die transparent, nachvollzieh-bar und realitätsgerecht ermittelt wurden.
Wir haben erstmals auch eigene Regelsätze für die Kin-der ermittelt, und wir haben etwas getan, für das ich derBundesarbeitsministerin – das möchte ich heute schonzdgsWbuDmWhusFGsrunEbdsdwnd6GabtisdGuJsuaaicsvhsmsebAmlec
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Herzlichen Dank.
Das Wort hat nun Elke Ferner für die SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kollegen und Kolleginnen! DerGesetzentwurf, der uns hier vorliegt, ist mehr Schein alsSein. Um was geht es tatsächlich? Sie haben Regelsätzeermittelt, die eher den Anschein haben, dass es Regel-sätze nach Kassenlage sind, als dass sie in einem trans-parenten, nachvollziehbaren und vor allen Dingen reali-tätsgerechten Verfahren ermittelt worden sind. Sie habenein Bildungspäckchen statt eines Bildungspaketes ge-schnürt, und Sie streichen derzeit im Rahmen der Haus-haltsberatungen die Mittel der aktiven Arbeitsmarktpoli-tik rigoros zusammen. – Wenn Herr Schiewerling sichjetzt hierhin stellt und sagt, wir müssten etwas tun, damitdie Menschen in Arbeit kommen und gar nicht erst aufTransferleistungen angewiesen sind, frage ich mich, wiedas überhaupt zusammenpasst. – Außerdem erhöhen Siedie Zahl derer, die hilfebedürftig werden, indem Sie dieZuverdienstgrenzen anheben und sich gleichzeitig derEinführung von flächendeckenden Mindestlöhnen ver-weigern. Das ist Ihre Politik.
Ich finde, man darf sich nicht hierhin stellen und miteiner Scheingenauigkeit – sie versuchen auch noch, ihreAngaben mit Tabellen zu belegen, in denen zugegebe-nermaßen ein paar valide Zahlen stehen; was die Kinder-regelsätze angeht, wimmeln diese Tabellen nur so vonStrichen und Klammern – verkünden: Das ist alles trans-parent und nachvollziehbar. Ich wiederhole: Sie liefernhier eine Scheingenauigkeit ab und nichts, was transpa-rent und nachvollziehbar ist. Ich will Ihnen das an einpaar Beispielen deutlich machen.Zur Ermittlung der Regelsätze reduzieren Sie bei denEinpersonenhaushalten die Referenzgruppe willkürlichauf 15 Prozent; bisher umfasste sie 20 Prozent. In derReferenzgruppe belassen Sie Menschen, die aufsto-ckende Leistungen beziehen, auch wenn sie nur ganz ge-ring sind. Das hat zum Ergebnis, dass diejenigen, die ar-beiten und nicht genug Geld haben, um mit ihremArbeitseinkommen über die Runden zu kommen, amEnde möglicherweise weniger als das Existenzminimumübrig haben, weil natürlich auch Aufwendungen für ihreErwerbstätigkeit anfallen. Bei den Familienhaushaltenmit einem Kind nehmen Sie ohne Begründung 20 Pro-zent als Referenzgruppe. Was ist daran transparent undnachvollziehbar?Frau von der Leyen – Sie haben noch ein bisschen Zeit,bis Sie ans Rednerpult treten –, schauen Sie sich einmaldie Seiten 145 und 146 Ihres Gesetzentwurfs an – da zeigtsich wieder, dass man irgendwo in Ihrem Ministerium dieGrundrechenarten nicht beherrscht –: Dort wird anstelleeines Minuszeichens ein Pluszeichen verwendet. Sie wei-sen 20 Prozent aus, obwohl es nur um 15 Prozent geht.DwzAuknRRghdeenkvIhKremdedfazNzadganv7AhwnfürepinjaSFdesdsE
Ein weiterer Punkt sind die Kinderregelsätze. Wennan sich einmal anschaut, wie viel bei der Berechnungieser Regelsätze auf validen Daten beruht, dann kanninem nur schwindelig werden. Ich kann Sie nur auffor-ern – wir werden das auch im parlamentarischen Ver-hren verlangen –, hier einen Plausibilitätscheck durch-uführen. Was die Berechnung der Regelsätze für dieull- bis Sechsjährigen angeht, beruhen gerade einmalwei Drittel dieser Regelsätze auf validen Daten, alsouf der Untersuchung von mehr als 100 Haushalten. Wasie Berechnung der Regelsätze für die 14- bis 18-Jähri-en angeht, beruhen noch nicht einmal mehr 50 Prozentuf validen Daten. Man schaue sich das Ganze an einzel-en Positionen an. Beispielsweise werden für Kinderon 14 bis 18 Jahren für Schuhe im Jahr weniger als0 Euro zur Verfügung gestellt. Wer Kinder in diesemlter hat, weiß, was für Schuhe ausgegeben wird. Auchier stimmt die Berechnung hinten und vorne nicht.Das Bildungspaket ist ein Bildungspäckchen. Wir er-arten da mehr. Wir erwarten beispielsweise, dass nichtur die Kinder, deren Eltern im SGB-II-Bezug sind oderr die ein Kinderzuschlag gezahlt wird, davon profitie-n. Wir wollen, dass auch die Niedrigverdiener davonrofitieren. Wir wollen, dass etwa Mittel für die Teilhabe Vereinen usw. nicht auf Kinder bis zum 18. Lebens-hr beschränkt sind. Was macht das denn für eineninn? Soll ein Mädchen, das Leistungsträgerin in ihremußballverein ist, oder ein Junge, der gut Klavier spielt,as Ganze sein lassen, nur weil das Alter von 18 Jahrenrreicht worden ist?Auch beim Thema Mindestlohn haben wir Ge-prächsbedarf. Es kann eben nicht sein – das hat auchas Verfassungsgericht deutlich gesagt –, dass der Maß-tab das niedrigste Einkommen ist und dass darunter dasxistenzminimum liegen muss. Der Maßstab ist das
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Elke Ferner
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Existenzminimum. Das Existenzminimum plus X ergibtden Lohn, den jemand verdienen muss, damit er oder sieam Ende des Monats davon leben kann, ohne auf Sozial-leistungen angewiesen zu sein.
Ich will zu dem Gesprächsangebot nur so viel sagen:Frau Merkel ist das Thema offensichtlich nicht wichtiggenug, als dass sie sich mit an den Tisch setzt. Gesprä-che machen nur Sinn, wenn wir auch Signale bekom-men, dass Sie sich in unsere Richtung bewegen. EineSchauveranstaltung, bei der wir alle nett an einem Tischsitzen und schöne Fernsehbilder produzieren, aber in derSache nichts weiter bewegt wird, macht keinen Sinn.Dann ist ein reguläres Verfahren eher angesagt, und zwarein reguläreres Verfahren als das, das wir gestern bei denGesetzen zur Laufzeitverlängerung der Atomkraftwerkeerlebt haben.Schönen Dank.
Das Wort hat Pascal Kober für die FDP-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Liebe Frau Ferner, ich möchte Sie doch einmal daran er-innern – Sie haben mit vielen Worten Kritik am vorlie-genden Gesetzentwurf geübt –, dass das Bundesverfas-sungsgericht Ihre Gesetzgebung kritisiert hat
und aufgrund Ihrer Gesetzgebung diese Regierungsko-alition aufgefordert hat, einen transparenten und nach-vollziehbaren Gesetzentwurf vorzulegen.
– Frau Ferner, ich weiß nicht, ob Sie sich daran erinnern,was der Kollege Markus Kurth von Bündnis 90/Die Grü-nen in der vergangenen Ausschusssitzung gesagt hat. Erhat gesagt, dass er zugeben müsse, dass sich diese Regie-rungskoalition bei der Bemessung der Regelsätze mehrMühe gegeben habe als die damalige rot-grüne Bundes-regierung bei der Einführung der Hartz-IV-Regelsätze.
Dieser Aussage des Kollegen Markus Kurth stimme ichausdrücklich zu.Ich möchte auch noch einmal daran erinnern, dass dasBundesverfassungsgericht nicht die Höhe der Regelsätzekritisiert hat,stuwenpdddnuzmImPegbradbdrueWcWLninWkedWs
r ist so transparent, wie es ein Entwurf zu Ihren Zeiteniemals gewesen ist. Wir scheuen uns auch nicht, dieolitischen Wertentscheidungen zu treffen, zu denen unsas Bundesverfassungsgericht explizit aufgefordert hat,enen Sie sich verweigert haben. Wir sagen eindeutig,ass Tabak und Alkohol nicht zum Grundregelbedarf,icht zum Existenzminimum gehören,
nd scheuen uns auch nicht, dies den Menschen deutlichu sagen. Genauso wenig gehören nach unserer Ansichtotorbetriebene Gartengeräte dazu.
vorliegenden Gesetzentwurf wird aber eine weitereriorität dieser Regierungskoalition deutlich. Uns gehts darum, die Menschen zu ertüchtigen und zu befähi-en, sich mit unserer Hilfe aus der Arbeitslosigkeit zuefreien oder gar nicht erst in die Arbeitslosigkeit zu ge-ten.
Liebe Kolleginnen und Kollegen aller Fraktionen,ass es in diesem Sozialstaat so etwas wie sich verer-ende Sozialhilfebiografien gibt, ist eine Entwicklung,ie uns alle nicht ruhen lassen darf und die diese Regie-ngskoalition nicht hat ruhen lassen. Wir haben einenrsten Schritt in die richtige Richtung getan.
ir haben den Kindern, deren Eltern Langzeitarbeitsu-hende sind, ein Bildungspaket zur Verfügung gestellt.ir investieren in die Bildung dieser Kinder, damit sichangzeitarbeitslosigkeit und Arbeitslosigkeit generellicht vererbt und damit auch diesen Kindern der Einstiegs Berufsleben gelingt.
ir vergessen auch nicht die Kinder, deren Eltern vonleineren Einkommen leben. Wer den Kinderzuschlagrhält, profitiert ebenfalls von den Leistungen des Bil-ungspakets. Hier wird sehr deutlich, was wir möchten:ir wollen Chancen für alle Kinder in dieser Gesell-chaft.
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7478 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 69. Sitzung. Berlin, Freitag, den 29. Oktober 2010
Pascal Kober
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In Zukunft werden Kinder dort, wo es ein gemeinsa-mes Schulmittagessen gibt, daran teilnehmen können.
Sie werden am kulturellen und sportlichen Leben teilha-ben können, und sie werden die Möglichkeit haben, beieintägigen Klassenfahrten mitzufahren. Wir werden erst-mals sicherstellen, dass die Leistungen direkt bei denSchwächsten in unserer Gesellschaft, bei den Kindern,ankommen. Wir werden diesen Sozialstaat treffsichergestalten.
Das ist im Interesse beider Seiten: derjenigen, die denSozialstaat finanzieren und die Leistungen erwirtschaf-ten,
aber auch derjenigen, die auf die Leistungen dieses So-zialstaats angewiesen sind.Ziel der Sozialpolitik der christlich-liberalen Koali-tion ist es, mehr Menschen in Beschäftigung zu haltenund zu bringen. Ziel unserer Sozialpolitik ist es, dieMenschen zur Teilhabe an der Gesellschaft zu befähi-gen. Ziel ist es, den Menschen Brücken aus der Abhän-gigkeit von den sozialen Unterstützungssystemen zubauen.
Nicht nur die aktuellen Arbeitsmarktzahlen zeigen hierdie erfolgreiche Arbeit unserer Politik.Liebe Frau Ferner, Sie haben die Erhöhung der Zu-verdienstgrenzen kritisiert. Folgendes wurde nicht vonder christlich-liberalen Koalition, sondern von der Bun-desagentur für Arbeit, die uns den Zusammenhang deut-lich gemacht hat, festgestellt: Wem es gelingt, 800 Eurozu verdienen, dem gelingt binnen zwei Jahren zu90 Prozent der Sprung in die voll sozialversicherungs-pflichtige Beschäftigung.
Diesen Zusammenhang müssen wir sehen. Deshalbhaben wir uns vorgenommen, die Zuverdienstgrenzenjetzt in einem ersten Schritt und 2012 in einem zweitenSchritt zu erhöhen.
Das ist ein Zeichen sozialer Arbeitsmarktpolitik, wie wirsie verstehen. Wir müssen für die Menschen Brücken indie Beschäftigung bauen.Vielen Dank.
Das Wort hat nun Kollegin Katja Kipping für die
Fraktion Die Linke.
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Hinzu kommt: Im Windschatten der Neuberechnun-en bringen Sie jede Menge Verschlechterungen ein. Umur eine von vielen zu benennen: Bisher musste vor dererhängung von Sanktionen eine Rechtsbehelfsbeleh-ng erfolgen. Das ist nun nicht mehr nötig. Jetzt kannan einfach darauf verweisen, dass es irgendwo in ei-em der langen Flure des Jobcenters einen Aushangazu gibt. Willkürlichen Kürzungen sind hier also Türnd Tor geöffnet. Die Linke sagt dazu ganz klar: Solcheillkür ist mit unserem Verständnis von einem Rechts-taat nicht zu vereinbaren.
Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts war ein-eutig. Das Grundrecht auf gesellschaftliche Teilhaber Bedürftige ist zu garantieren. Im Zuge dessen müs-en die Hartz-IV-Regelsätze neu und nachvollziehbarerechnet werden.
ie aber geht Schwarz-Gelb mit einem solchen Urteilm? Sie rechnen so lange herum, bis eine läppische Er-öhung von 5 Euro herauskommt. Wir sagen: Ein Regel-atz, der ohne Tricks berechnet worden ist, und ein Re-elsatz, der sowohl gesunde Ernährung als auch denauf eines Monatstickets ermöglicht, fällt deutlich hö-er aus.
Wir hatten schon vorher nachgerechnet.
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Katja Kipping
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Die Linke berät sich gegenwärtig mit Fachleuten, So-zialverbänden und Betroffenen. Wir werden in dennächsten Wochen eine Übersicht veröffentlichen, in derdargestellt wird, wie hoch der Regelsatz ohne Ihre Tricksausfallen würde. Um nur einen Rechentrick zu erläutern:Das Bundesverfassungsgericht hat uns den Auftrag ge-geben, die verdeckt Armen herauszurechnen. Zur Erläu-terung: Die verdeckt Armen sind diejenigen, die eigent-lich Anspruch auf Sozialleistungen hätten, diese ausScham oder Unwissenheit aber nicht in Anspruch neh-men. Diese Herausrechnung ist nicht erfolgt. Schwarz-Gelb hat die verdeckt Armen nicht herausgerechnet.Wir von der Linken und die gesamte Opposition ha-ben im Ausschuss gemeinsam gefordert, dass eine ent-sprechende Berechnung in Auftrag gegeben wird. Esging dabei nur um eine Berechnung. Es ging noch nichteinmal um die Festlegung auf eine Zahl. Doch wie gehtSchwarz-Gelb damit um? Sie blockieren es. In Mafiama-nier verhindern Sie Transparenz. Ich sage Ihnen: Daswird Ihnen noch leidtun. Die Art und Weise, wie Sie al-ternative Berechnungen verhindert haben, wird Ihnenspätestens dann leidtun, wenn es zu einer Klage in Karls-ruhe kommt.
Die Krönung war im Übrigen Ihre Begründung. Dahieß es von Schwarz-Gelb ganz wunderbar: Wir ver-trauen der Regierung vollkommen. – Es ist entlarvend,wenn CDU/CSU und FDP meinen, parlamentarischesAgieren beschränkt sich darauf, die Vorlagen der Bun-desregierung abzunicken. Dann kann man hier in Zu-kunft auch einfach Abnickdackel hinsetzen. Damit wür-den wir einiges an Diäten einsparen.
Die nächste Sauerei ist, dass Sie gesagt haben: Es gibtdoch kaum verdeckt Arme in der Referenzgruppe. –Wenn Sie sich da so sicher sind, hätten Sie es doch aus-rechnen lassen können. Sie hätten uns doch beweisenkönnen, dass ich mich irre. Mir liegen nämlich andereUntersuchungen vor. Mir liegen Untersuchungen vor,wonach es in diesem Land fast 6 Millionen verdecktArme gibt. Aber schon allein was das anbelangt, scheuenSie eine seriöse Berechnung.
Ein weiterer Rechentrick ist, dass Sie bei den Ab-schlägen immer so tun, als ob es nur um Zigaretten undAlkohol ginge. Es sind schon andere Berechnungen ge-nannt worden.Ich möchte zusammenfassen. Tatsache ist, dass30 Prozent aller Ausgaben der ärmsten Haushalte alsnicht regelsatzrelevant gelten. Das ist Behördendeutschund meint, sie werden auf den Regelsatz nicht aner-kannt; sie werden sozusagen abgezogen. Unter der Über-schrift „Schnittblumen“ befindet sich auch die Position„Ausgaben für den Weihnachtsbaum“. Im Klartext:Diese Partei, die ein C im Namen trägt, meint: Wer aufHartz IV angewiesen ist, der hat nicht das Recht darauf,sFlagfegndRhz2nAgdmklote–„dsRAateZMKgsswdwögfehas
Ein weiterer Mythos, den Sie hier so schön pflegen,utet, der Regelsatz sei von den kleinen Einkommen ab-eleitet. Danach wird über die Friseurin und die Verkäu-rin geredet, und es wird der Eindruck erweckt, hierehe es um die Einkommen der Verkäuferinnen, von de-en das abgeleitet ist. Tatsache ist – das haben wir voner Regierung schwarz auf weiß bekommen –: In dereferenzgruppe – „Referenzgruppe“ meint die Haus-alte, deren Ausgaben bei der Berechnung des Regelsat-es herangezogen worden sind – sind gerade einmal0 Prozent Erwerbstätige. Der Rest sind Rentner mitiedrigen Einkommen, Studierende und Arbeitslose.lso gerade einmal jeder Fünfte in dieser Referenz-ruppe ist überhaupt ein Beschäftigter. Das beweistoch, dass es hier Zirkelschlüsse nach unten gibt. Sieissbrauchen die geringen Renten, die geringen Ein-ommen von Studierenden und die Armut von Arbeits-sen, um den Regelsatz so niedrig wie möglich zu hal-n. Das ist eine Sauerei!
Lassen Sie sich, wenn Sie sich schon über das WortSauerei“ beschweren, Folgendes sagen: Es gibt Leute,ie mit dieser Sauerei leben müssen. Das finde ich vielchlimmer, als sich dieses Wort anhören zu müssen.
Schwarz-Gelb hat im Bundestag eine Mehrheit. Dieegierung kann sich darauf verlassen – das haben wir imusschuss erlebt –, dass die Koalitionsfraktionen fleißigbnicken. Spätestens im Bundesrat wird es komplizier-r. Dort haben Sie nämlich keine Mehrheit, und dereitplan ist relativ eng.Nun stellt sich die Frage, wie man damit umgeht.an kann es auf einen Crash ankommen lassen und inauf nehmen, dass danach heilloses Chaos herrscht. Ichlaube, verantwortungsvolles Handeln über alle politi-chen Differenzen hinweg sieht so nicht aus. Deswegenchlägt die Linke in diesem Zusammenhang vor: Hörenir auf mit irgendwelchen Deals und Verabredungen,ie in Hinterzimmern stattfinden, leiten Sie hier – dasäre mein Vorschlag an Sie, Frau von der Leyen – eineffentliche, eine transparente Schlichtung ein! Stutt-art 21 macht es vor. Es ist möglich, dass man Betrof-ne, dass man alle beteiligten Parteien an einen Tischolt, um sich zu verständigen, wie ein gesellschaftlichkzeptiertes soziokulturelles Existenzminimum aussehenoll. Eine solche Beratung müsste natürlich im Internet
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Katja Kipping
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und im Fernsehen übertragen werden. Daran müsstennicht nur die Parteien, sondern auch Sozialverbände undBetroffeneninitiativen beteiligt werden.Wir meinen, das unwürdige Schauspiel, das bei derEinführung von Hartz IV stattgefunden hat – in gehei-men Verhandlungen sind in letzter Minute gravierendeVeränderungen vorgenommen worden; Sie haben hinter-her in Karlsruhe mehrmals Ohrfeigen bekommen –, darfsich nicht wiederholen, wenn es um die sozialeGrundabsicherung und den sozialen Frieden geht. Damuss Schluss sein mit Hinterzimmermauscheleien!Besten Dank.
Liebe Kollegin, nur eine kleine persönliche Bemer-
kung: Die ständige Wiederholung eines bestimmten
Wortes muss nicht immer dessen Bedeutungsgehalt ver-
dichten.
Das Wort hat nun Kollege Fritz Kuhn für die Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen undKollegen! Jetzt haben Sie für einige hier noch ein Rätselaufgegeben. Aber das kann man später noch vertiefen.Ich möchte vorneweg sagen, dass wir nicht der Über-zeugung sind, dass der Gesetzentwurf so, wie er jetztvorliegt, ein menschenwürdiges Existenzminimum an-gemessen sicherstellt. Sie haben zwar Ihre Kriterien of-fengelegt – das hat Karlsruhe verlangt –, aber darin istviel Willkür enthalten. Es ist schon fast wundersam, wieSie zu den 5 Euro mehr kommen. Wir teilen die Annah-men, die Sie treffen, nicht.Es ist nicht durch eine neue Erkenntnis zustande ge-kommen, die Sie vernünftig dargelegt hätten, dass Sieder Berechnung des Regelsatzes für einen Alleinstehen-den nun die unteren 15 Prozent der Referenzgruppe zu-grunde legen, nicht mehr die unteren 20 Prozent. Viel-mehr zielen Sie damit auf ein bestimmtes Ergebnis. Ichglaube, so kann man das Urteil aus Karlsruhe nicht um-setzen.
Da wäre mehr Inhalt verlangt gewesen.Das gilt übrigens auch für Ihren Umgang mit dem Be-darf an Alkohol und Tabak, der eine sozialpaternalisti-sche Tendenz aufweist. Sie kürzen die Mittel dafür um19 Euro im Monat; so viel war bisher dafür vorgesehen.Sie müssen schon hinschauen, was sonst in der Gesell-schaft los ist. Ich darf Herrn Kauder, Ihren Fraktionsvor-sitzenden, zitieren, der als „Botschafter des Bieres“ aufdem Berliner Oktoberfest sagte:WngtrzliUgdwasfesassmsDaMhreSdwddeL9PmtubdwKd
as ich mit diesem Zitat sagen will: Sie können dochicht einerseits den Menschen, die von Arbeitslosen-eld II leben, sagen, dass sie am Wochenende kein Bierinken gehen dürfen, und andererseits das Biertrinkenum männlichen Staatsritual erklären. Das ist doch völ-g absurd; das können Sie nicht begründen.
nser Vorwurf lautet: Sie haben die Kriterien an das an-epasst, was die Kasse von Herrn Schäuble erfordert;as entspricht aber nicht den Vorgaben aus Karlsruhe.Zweitens. Mit dem Urteil von Karlsruhe hat sich et-as geändert. Ich will es anhand des Beispiels des Lohn-bstandsgebots darlegen. Nach dem Urteil des Verfas-ungsgerichts reicht es nicht mehr aus, den Regelsatz sostzulegen, dass er nicht zu hoch ist, um das Lohnab-tandsgebot zu erfüllen. Karlsruhe hat ein Grundrechtuf ein menschenwürdiges Existenzminimum ausge-prochen, abgeleitet aus der Unantastbarkeit der Men-chenwürde und dem Sozialstaatsgebot. Das heißt, Sieüssen auch bei Menschen, die dauerhaft arbeitslosind, diese Vorgabe erfüllen und ihre Existenz sichern.
afür haben Sie nicht gesorgt; denn Sie kneifen an einernderen Stelle der Politik, nämlich beim gesetzlichenindestlohn. Das Lohnabstandsgebot zu verwirklichen,eißt, endlich einen gesetzlichen Mindestlohn einzufüh-n.
o einfach ist die Laube. Davor drücken Sie sich, undies, obwohl 1,2 Millionen Menschen in Deutschlandeniger als 5 Euro in der Stunde verdienen.Die Mindestlohndebatte gehört also zur Debatte überie Regelsätze dazu, nicht nur weil Rot und Grün gernearüber reden, weil wir davon überzeugt sind, dass wirinen Mindestlohn brauchen, sondern weil Sie sonst dasohnabstandsgebot nicht vernünftig erfüllen können.Drittens. Bei allen Jubelzahlen haben wir immer noch00 000 Langzeitarbeitslose. Das wurde bei der schönenräsentation von vorgestern vergessen. Eine Regierungüsste da ansetzen und konkret etwas dagegen tun. Dasn Sie aber nicht. Sie kürzen bis 2014 6 Milliarden Euroeim Eingliederungstitel des SGB II. Es geht doch nicht,ass Sie diese Operation gleichzeitig vornehmen. Des-egen wird da kein Schuh daraus.
Uns ist wichtig, darauf hinzuweisen, dass Sie bei denindern zu kurz springen. Sie führen die eine oder an-ere neue Leistung nach dem Sachleistungsprinzip ein.
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Fritz Kuhn
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Wir finden, dass das oft nicht ausreicht. Ich will das amBeispiel der Musikstunde deutlich machen. In Deutsch-land erhält man für 20 bis 40 Euro im Monat Instrumen-tenunterricht in der Gruppe. Sie wollen das jetzt mit10 Euro unterstützen. Das funktioniert nicht. Man kannes an vielen Beispielen belegen: Schulessen, Nachhil-feunterricht usw. Sie springen zu kurz, weil Sie nicht inder Lage sind – Sie wollen es auch nicht –, Instrumentezu schaffen, um eine flächendeckende Infrastruktur fürKinder sicherzustellen, damit ihnen ein integratives Ler-nen auf allen Ebenen und eine gesunde Ernährung in derSchule ermöglicht wird, egal aus welcher sozialenSchicht sie kommen.
Dazu sind Sie nicht in der Lage. Sie denken nur im Käst-chenschema: Was gehört in den Bereich des Ministe-riums von Frau von der Leyen? Sie sehen aber nicht dasGanze.Das ist für uns ein entscheidender Punkt: WelcheChance hat das Urteil aus Karlsruhe für eine Politik, dieanpackt, eröffnet? Das ist eine gigantische Chance. Manhätte sagen können: Jetzt beheben wir die Bildungsdefi-zite und Integrationsdefizite in Deutschland; jetzt schaf-fen wir – die Grünen verlangen das in ihrem Antrag –eine flächendeckende Infrastruktur im Bereich der Bil-dung, sodass alle immer wieder die Chance haben, zulernen und sich zu qualifizieren, um aus der sozialen Ab-wärtsspirale herauszukommen, die heute leider immernoch mit dem Bezug von Arbeitslosengeld II verbundenist.Sie haben diese Chance nicht einmal ansatzweise er-griffen. Deswegen haben wir in unserem Antrag klarge-macht, dass wir regionale Bildungspartnerschaften über-all in Deutschland wollen. Wir wollen, dass eineInfrastruktur geschaffen wird, in der Integration, von derwir immer reden, auch möglich ist. Konkret bedeutet daszum Beispiel die flächendeckende Einführung vonGanztagsschulen und ein Mittagessen für alle Schülerdieser Schulen. Ihr Problem ist, dass Sie das alles garnicht hinkriegen können, weil nur ein Drittel dieserSchulen in der Lage ist, ein Schulessen anzubieten. Des-wegen ist das, was Sie machen, Flickwerk.Jetzt komme ich zu einem letzten Punkt, der unswichtig ist. Wir wollen nicht nach dem Motto „Klein-Klein“ verhandeln. Wir sind vielmehr der Meinung, dasswir in der Bundesrepublik Deutschland jetzt bei denThemen Mindestlohn, Bildungsinfrastruktur und Höheder Regelsätze zu einer Verständigung kommen müssen.Deswegen haben Ministerpräsident Beck, der Vorsit-zende der SPD-Fraktion und unsere beiden Fraktions-vorsitzenden einen Brief an Kanzlerin Merkel geschrie-ben. Er ist – ich will es einmal vorsichtig formulieren –ausweichend beantwortet worden. Der Tenor war: Redeterst mal mit der Arbeitsministerin.
Nichts gegen Sie, Frau von der Leyen, aber wir wollenüber die Frage reden, ob es die Chance gibt, zum Bei-sngWzzcdzazpwPvmaDsDisLAissgdnWLwa–WdWs
ir wollen darüber reden, ob es einen Zusammenhangwischen dem Mindestlohn und der Höhe des Regelsat-es gibt. Wir wollen auch über die Frage reden, mit wel-hen Angeboten man Langzeitarbeitslosen wirklich auser Arbeitslosigkeit heraushelfen kann. Durch eine Kür-ung in Höhe von 6 Milliarden Euro bei der Bundes-gentur schafft man das mit Sicherheit nicht.Dies sind große, zentrale Fragen, die die Bereiche So-iales und Bildung und damit die Zukunft der Bundesre-ublik Deutschland betreffen. Deswegen haben wir er-artet, dass die Kanzlerin die Fraktions- undarteivorsitzenden einlädt, damit man den Rahmen fürernünftige Verhandlungen abstecken kann, um danachit den Fachpolitkern ins Detail zu gehen. Zuvor mussber der Rahmen dessen abgesteckt werden, was ineutschland möglich ist.Mensch, Sie hätten die Chance gehabt, aus der Ent-cheidung von Karlsruhe einen ganz großen Wurf füreutschland zu machen. Im Verhältnis zu dieser Chancet das, was herausgekommen ist, nur Klein-Klein.Ich danke Ihnen.
Das Wort hat nun Bundesministerin Ursula von dereyen.
Dr. Ursula von der Leyen, Bundesministerin fürrbeit und Soziales:Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In der Tatt das eine große Chance. Mit diesem Gesetzentwurfchlagen wir ein völlig neues Kapitel der Sozialgesetz-ebung in Deutschland auf. Wir diskutieren nicht mehrarüber, wie wir mit der Gießkanne Geld verteilen kön-en, sondern wir reden zum ersten Mal konkret darüber:as braucht ein bedürftiges Kind? Wie kann man seineebenschancen verbessern? Und vor allem: Wie könnenir vor Ort dafür sorgen, dass die Hilfe beim Kind auchnkommt? Das ist das Neue an diesem Gesetzentwurf.
Das Spannende ist, dass wir jetzt die Chance haben das ist der Geist dieses Gesetzes –, darüber zu reden:as brauchen bedürftige Kinder? Wie kann man ihr in-ividuelles Recht auf Teilhabe und Bildung umsetzen?ie kann man ihr Recht auf Lebenschancen, durch Auf-tieg, durch Bildung, umsetzen?
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Bundesministerin Dr. Ursula von der Leyen
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War das der Fall, als Sie Verantwortung getragen haben?Wir sorgen im Rahmen der Hartz-IV-Gesetze, die aus Ih-rer Feder stammen, dafür – das geschieht in der Sozial-gesetzgebung zum ersten Mal –, dass diese Kinder mit-tags in der Schule mitessen können, wenn dort einMittagessen angeboten wird.
Wir wollen, dass sie im Verein mitmachen können, dasssie Lernförderung bekommen und an den Schulausflü-gen teilnehmen können. Wir wollen mit diesem Gesetzdas Mitmachen möglich machen. Das ist der Paradig-menwechsel.
Ich finde, die Agenda 2010 war richtig. Das ist garkeine Frage. Aber es ist auffallend, dass in den Hartz-Gesetzen damals mit überhaupt keinem Wort gesagtwurde, wie bedürftige Kinder eine reelle Chance bekom-men können, das zu erhalten, was den gleichaltrigenKindern in der Region zur Verfügung steht.
Dieses Versäumnis können wir jetzt heilen. Der Bundnimmt 700 Millionen Euro dafür in die Hand. Dabei gehtes um Aufgaben, die originär gar nicht in seinen Zustän-digkeitsbereich fallen. Die Verwaltungskosten dafürwerden 136 Millionen Euro ausmachen. Ich habe dasGeschrei gehört: Was für eine Mühe! Was für ein Auf-wand! Diese Umsetzungskosten, die anfallen! – Das istnun einmal die andere Seite der Medaille. Wenn wir nurGeld auszahlen müssten, dann brauchten wir nur Über-weisungen zu tätigen und sozusagen den Hebel umzule-gen. Dann können wir aber nur hoffen, dass irgendetwasvor Ort passiert.
Wir sagen denjenigen, die von großem Aufwand, ei-nem Bürokratiemonster und dergleichen mehr sprechen:Wenn wir etwas für diese Kinder verändern wollen, dannmüssen wir in Beziehungen und in Zuwendung investie-ren, dann müssen wir in die Menschen investieren, dieganz konkret vor Ort etwas verändern: in die Trainer, indiejenigen, die sich bei der Hausaufgabenhilfe engagie-ren, und in die Jugendleiter. Das ist bestens investiertesGeld. Damit helfen wir schon am Anfang und müssenkein Reparatursystem finanzieren, mit dem wir spätervvtibnfüfrsd–bnafawIhwgwdsKAEndvs
Wir sind dabei, das nachzuholen, was Sie versäumt ha-en. Der erste Schritt ist getan. Gehen Sie doch mit!
Entscheidend ist: Das Bundesverfassungsgericht haticht gefordert, von Bundesseite zu klären, wie Länder-ufgaben übernommen werden können. Das Bundesver-ssungsgericht hat vielmehr gesagt: In der Landschaft,ie sie sich heute für die Kinder darstellt – ich bin mitnen der Meinung, dass wir in diesem Punkt bessererden müssen –, müssen wir, was bisher nicht der Fallewesen ist, dafür sorgen, dass die bedürftigen Kinderenigstens da mitmachen können, wo die anderen Kin-er schon aktiv sind. Das ist etwas, wofür ich mich ein-etze.
Frau Ministerin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
ollegen Heil?
Dr. Ursula von der Leyen, Bundesministerin für
rbeit und Soziales:
Gerne, Herr Heil.
Frau Ministerin von der Leyen, weil Sie vorhin denindruck erweckt haben, Rot-Grün hätte für Kinderichts getan, will ich Sie daran erinnern: Wir waren es,ie das Ganztagsschulprogramm mit einem Volumenon 4 Milliarden Euro gegen Ihren Widerstand durchge-etzt haben.
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Hubertus Heil
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Damit haben wir dafür gesorgt, dass es zum Ausbaukam. Wir müssen allerdings gemeinsam feststellen, dasswir noch nicht weit genug sind. Sie sagen: Das ist zum1. Januar nicht umsetzbar.Meine konkrete Frage ist: Was wollen Sie tun, um dasGanztagsschulangebot in Deutschland mit Unterstützungdes Bundes so auszubauen, dass nicht nur 20 Prozent derbedürftigen Kinder am warmen Mittagessen teilnehmenkönnen? Sind Sie bereit, mitzuhelfen, dass wir im Rah-men dieser Gespräche Voraussetzungen schaffen, um dieGanztagsschulen ausbauen und zum Beispiel bei derSchulsozialarbeit vorankommen zu können?Ich habe viele warme Worte von Ihnen gehört, Frauvon der Leyen. Was Sie sagen, hört sich gut an. Sie sindschon immer eine Meisterin der PR gewesen; das wissenwir alle. Aber ich sage Ihnen mit den Worten der Bibel:An den Taten sollt ihr sie erkennen. Ich frage Sie daher:Was tun Sie für die Ganztagsschulen außer warmen Wor-ten, Frau Ministerin?
Dr. Ursula von der Leyen, Bundesministerin fürArbeit und Soziales:Lieber Herr Heil, ich habe mich damals als Sozialmi-nisterin in Niedersachsen – das kann ich offen sagen –gefreut, als das Ganztagsschulprogramm kam. DiesesProgramm war der richtige Schritt; es hat, ganz unbe-nommen, viel in diesem Land bewegt. Vor Ihnen stehteine Ministerin, die mit derselben Leidenschaft in derletzten Legislaturperiode gemeinsam mit Ihnen in die-sem Haus dafür gesorgt hat, dass wir den Ausbau derKinderbetreuung, mit 12 Milliarden Euro unterlegt, vo-ranbringen konnten und dass wir jetzt ein Gesetz haben,das den Rechtsanspruch für die Kinderbetreuung von un-ter Dreijährigen regelt.
Das heißt, wir sind auf dem richtigen Weg.Aber dabei handelt es sich nicht um die Hartz-Ge-setze. Ich muss den Finger in die Wunde legen und sa-gen:
Mit Blick auf die bedürftigen Kinder, also auf die Kindervon Langzeitarbeitslosen und Kinder von Sozialhilfe-empfängern, frage ich Sie: Wo war Ihr Gesetzentwurf, indem Sach- und Dienstleistungen für bedürftige Kinderenthalten waren? Darüber wurde niemals ein Wort verlo-ren.
Das, was Sie nicht vorgelegt haben, kann der Bundesratja wohl nicht beschließen. Jetzt sind wir zum ersten Malan der Stelle, dass wir Sach- und Dienstleistungen fürdie bedürftigen Kinder, also konkrete Hilfe vor Ort, an-bieten können.DfrAdhsvdhmZLuddssSfadTwABdAvdDAmdfrbleb
a bin ich mit dabei.
Frau Ministerin, gestatten Sie eine weitere Zwischen-
age, diesmal von der Kollegin Ferner?
Dr. Ursula von der Leyen, Bundesministerin für
rbeit und Soziales:
Bitte, Frau Ferner.
Frau von der Leyen, würden Sie mir zustimmen, dassie Zusammenlegung von Arbeitslosenhilfe und Sozial-ilfe im Bundestag, im Bundesrat, im Vermittlungsaus-chuss und dann hinterher von beiden Kammern ein-ernehmlich beschlossen worden ist und dass wederie B-Seite noch die A-Seite damals im Blick gehabtat, dass es zusätzliche Leistungen für die Kinder gebenuss?Würden Sie mir ferner zustimmen, dass es höchsteeit gewesen wäre, sich direkt nach dem Urteil mit denändern und den Kommunen an einen Tisch zu setzen,nd zwar nicht, um über die Höhe der Regelsätze, son-ern über die Frage zu reden, wie die Teilhabe der Kin-er sichergestellt werden kann und wie die organisatori-chen Voraussetzungen geschaffen werden können? Wieoll das alles innerhalb der vier oder fünf verbleibendenitzungswochen bis zum 1. Januar in einem Galoppver-hren noch in ein Gesetz gegossen werden – inklusiveer organisatorischen Vorarbeiten vor Ort –, damit dereilhabeanspruch der Kinder bis zum 1. Januar realisierterden kann? Können Sie mir das einmal erklären?Dr. Ursula von der Leyen, Bundesministerin fürrbeit und Soziales:Schön, dass Sie die Frage stellen, Frau Ferner. Dasundesverfassungsgericht hat gesagt, dass wir bis Endeieses Jahres Zeit haben, um das Urteil umzusetzen.ber es hat ebenso konzediert, dass das Gesetzgebungs-erfahren erst in die Wege geleitet werden kann, wennie Zahlen vorliegen. Originalton des Gerichtes war:iese Zahlen liegen erst im Herbst vor.Wir haben den Gesetzentwurf im Herbst vorgelegt.ber weil wir wissen, dass wir, wenn wir einen Paradig-enwechsel wollen, wenn wir für die bedürftigen Kin-er vor Ort konkret etwas verändern wollen, sehr vielüher ansetzen müssen, haben wir bereits im Februaregonnen, gemeinsam mit Experten, Pädagogen, Schul-itern, Jobcentermitarbeitern konkret zu definieren, wasedürftige Kinder brauchen.
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7484 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 69. Sitzung. Berlin, Freitag, den 29. Oktober 2010
Bundesministerin Dr. Ursula von der Leyen
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Wir haben uns seit dem Sommer mit den Ländern, denkommunalen Spitzenverbänden, den Wohlfahrtsverbän-den, denjenigen, die vor Ort die Arbeit machen, zusam-mengesetzt. Jetzt befinden wir uns im Gesetzgebungs-verfahren. Wir haben die Möglichkeit, einen Rahmendafür zu schaffen, dass tatsächlich zum ersten Mal fürdie bedürftigen Kinder in Deutschland nicht nur Bargeldausgezahlt wird, sondern konkrete Hilfe bei den Kindernvor Ort ankommt. Ich bitte Sie schlicht und einfach: Ma-chen Sie mit, blockieren Sie nicht, sondern seien Sie aufdiesem Weg an unserer Seite, und schreiten Sie mit unsgemeinsam voran!
Mir ist bei dem Bildungspaket wichtig, dass wir eineSubjektförderung einführen können. Zum ersten Malbesteht die Möglichkeit, dass über die Förderung deseinzelnen Kindes das Geld genau in den Verein, in dieMusikschule, in die Lernförderung, in die Hausaufga-benhilfe geht, wo man sich um die Kinder kümmert.Wenn die Kinder kommen, fließt das Bundesgeld überdiese Kinder dort hinein. Wenn die Kinder wegbleiben,bleibt auch das Bundesgeld weg. Zum ersten Mal erhal-ten die Institutionen nicht blindlings Mittel, egal ob siesich um die Kinder kümmern oder nicht. Vielmehr gehtdas Geld über die Subjektförderung in genau die Ange-bote vor Ort, bei denen Qualität und Nachhaltigkeit ga-rantiert sind. Genau so sollten Bundesmittel effizienteingesetzt werden.
In der Agenda 2010 ging es um Fördern und Fordern,das auch Sie angesprochen haben. Fördern und Fordernist immer noch richtig. Aber es reicht eben nicht. DerEinsatz der arbeitsmarktpolitischen Mittel
ist der richtige Ansatz. Wir kehren mit der zur Verfügunggestellten Summe auf den Pfad zurück, Herr Heil, der2006 eingeschlagen wurde.
Wir haben heute bereits 300 000 Bedarfsgemeinschaftenweniger im SGB II, in der Langzeitarbeitslosigkeit als2006.
Das heißt, wir haben mehr Geld zur Verfügung für weni-ger Menschen, die Hilfe brauchen. Die behutsame Zu-rückführung der Mittel ist also richtig.
Die Chancen für die Langzeitarbeitslosen waren nochnie so gut wie heute. Der Arbeitsmarkt brummt, er ist ro-bust, die Zahl der Arbeitslosen liegt unter der 3-Millio-nen-Grenze. Was mir ganz wichtig ist: Wir haben bei je-der Krise in den vergangenen zwanzig, dreißig Jahren,angefangen bei den Ölkrisen, einen konstanten Anstiegder Sockelarbeitslosigkeit, der verfestigten Arbeitslosig-kdkloiswPZgFsmkRbAdtidDzsdsuMWhdledfüzVmndd
Deshalb muss nach dem Fördern und Fordern dergenda 2010 – das ja richtig ist – das neue Thema füras Jahr 2020 vor allem das Bildungspaket für bedürf-ge Kinder sein;
as muss das große Motto dieses Landes werden, meineamen und Herren.
Ich sage noch einmal: Der Weg war richtig. Der Wegu dem robusten Arbeitsmarkt, den wir heute haben,etzt sich zusammen aus den Arbeitsmarktreformen, dieamals von Bundesrat und Bundestag gemeinsam verab-chiedet worden sind,
nd einem klugen Krisenmanagement der Regierungerkel in den letzten fünf Jahren.
ir sind aus der Krise stärker herausgegangen, als wirineingegangen sind. Wir sollten heute anerkennen, dassas hervorragend gewesen ist.
In dem Geiste, dass man die großen Schritte nie al-ine schafft – keiner hat den Stein der Weisen –, son-ern dass wir die Vernünftigen in der Mitte zusammen-hren müssen, bitte ich Sie, dass wir uns frühzeitigusammensetzen, damit wir in den Verhandlungen etwasernünftiges zustande bringen. Wir sollten nicht im Ver-ittlungsausschuss im Dezember bei Themen, die mitei-ander nichts zu tun haben, Abmachungen treffen, son-ern vernünftig und konkret an den großen Themen, anenen uns allen hier im Hohen Hause liegt, arbeiten.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 69. Sitzung. Berlin, Freitag, den 29. Oktober 2010 7485
Bundesministerin Dr. Ursula von der Leyen
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Die Tür ist offen. Ich bin verhandlungsbereit. Kom-men Sie mit auf den Weg zu Aufstieg durch Bildung undzum Bildungspaket für die Kinder. Das muss das Mottoder nächsten zehn Jahre sein.Danke schön.
Das Wort hat nun Anette Kramme für die SPD-Frak-
tion.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen undKollegen! Frau von der Leyen, Sie tricksen und manipu-lieren, Sie täuschen und wecken Illusionen.
Sie gelten als Lichtschein dieser Ministerriege, tatsäch-lich sind Sie die Scheinheilige in dieser Ministerriege.
Das fängt damit an, dass Sie fix an die Presse gehen undsich mit Arbeitsmarkterfolgen rühmen, mit denen Sienichts zu tun haben.
Vielmehr gehen die Arbeitsmarkterfolge auf GerhardSchröder,
auf die hervorragende Kriseninterventionspolitik vonPeer Steinbrück und auf die Regelungen zum Kurzarbei-tergeld von Olaf Scholz zurück.
Kommen wir zu den Regelsätzen. Das gerade ge-nannte Thema, bei dem Sie sich rühmen, ist nur begrenztrelevant; da geht es nur um Zahlen. Aber bei den Regel-sätzen geht es um Inhalte. Was machen Sie dort? Wie ge-sagt: Sie tricksen und manipulieren. Sie verändern dieBezugsgruppe für das Ausgabeverhalten von den unte-ren 20 auf die unteren 15 Prozent der Einkommensskala.Das ist eine Verschlechterung gegenüber der bisherigenSituation. Sie nehmen Aufstocker in die Bezugsgruppe,also Menschen, die unter Umständen nur einen einzigenEuro mehr verdienen als die Empfänger von Regelsatz-leistungen. Sie schließen die verdeckt Armen nicht ausder Bezugsgruppe aus, obwohl das eine explizite Vor-gabe des Bundesverfassungsgerichtes ist.Vor allen Dingen wecken Sie den Anschein, dass Siefür Kinder und Erwachsene etwas tun. Um was geht esda? Die Verbesserung für Erwachsene besteht darin, dasssich diese pro Monat einen zusätzlichen Kasten Wasserkaufen können.AreevotaoVEtekdAVasMvinnnmmRloimhdsAshtesfügvmimhSmMb
nsonsten findet nichts statt. Was wird dank der Neube-chnung der Regelsätze für Kinder getan? Für alle gibts nur dieses Teilhabepaket. Wenn ich mir Ihren Vortragon vorhin in Erinnerung rufe, frage ich mich nicht nur,b Sie Illusionen erweckt haben, sondern auch, ob Sietsächlich in Illusionen leben. Dieses Teilhabepaket istbjektiv betrachtet untauglich. Zunächst einmal löst eserwaltungskosten von sage und schreibe 137 Millionenuro aus. Man kann sagen, dass diese Verwaltungskos-n zu akzeptieren sind, weil es letztlich Kindern zugute-ommt.
Wenn ich mir aber vor Augen halte, dass Kinder voniesem Teilhabepaket nichts haben, wird es schlimm.us diesem Teilhabepaket wird nur die Mitgliedschaft inereinen finanziert, aber nicht die entsprechende Sport-usrüstung. Sie schaffen die Möglichkeit der Mitglied-chaft in einem Musikverein, aber zahlen nicht für einusikinstrument. Sie ermöglichen nicht die Erstattungon Mobilitätskosten. Das heißt, der Geldbetrag, den Sie diesen Haushalt für das Paket einstellen, ist eine Luft-ummer. Denn dieses Teilhabepaket kann von Kindernicht in Anspruch genommen werden.
Sie sagen, dass wir etwas für Langzeitarbeitslose tunüssen. Die Kanzlerin sagt sogar: Bildungsausgabenüssen gesteigert werden. Aber wie sieht die bittereealität aus? Die Arbeitsmarktpolitik wird erbarmungs-s zusammengestrichen. Im nächsten Jahr werden allein Bereich des SGB II 1,5 Milliarden Euro fehlen. Sieaben recht: Wir brauchen eine Übergangslösung. Anieser Übergangslösung muss man mitarbeiten; das istelbstverständlich.
ber es geht um viel mehr. Wir brauchen soziale Infra-truktur, die nicht nur Kindern aus dem SGB-II-Bezugilft, sondern allen Kindern aus bildungsfernen Haushal-n.
Das heißt beispielsweise, dass Sie den Kommunen,tatt sie weiter auszuräubern, endlich Geld dafür zur Ver-gung stellen können, damit sie das Kinderkrippenpro-ramm umsetzen müssen. Das führt dazu, dass man zu-örderst ein Augenmerk auf Ganztagsschulen lenkenuss, die die Kinder individuell fördern. Dabei können Übrigen Vereine mit einbezogen werden. Dazu ge-ört für mich auch, dass man nicht nur 20 Prozent derGB-II-Kinder ein Mittagessen stellt, sondern weitausehr Kindern. Das heißt, dass wir beispielsweise einensenprogramm in der Bundesrepublik Deutschlandrauchen.
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7486 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 69. Sitzung. Berlin, Freitag, den 29. Oktober 2010
Anette Kramme
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Wenn wir uns das anschauen, kann man nur sagen:Sie versagen auf der ganzen Linie.Vielen Dank.
Das Wort hat nun Sebastian Blumenthal für die FDP-
Fraktion.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau Kol-
legin Kramme, zu Ihrem Beitrag muss ich sagen: Ich bin
mir im Moment nicht sicher, ob eher die völlig schrille,
überdrehte Tonlage oder die billige Polemik abstoßender
war.
Das war mit Sicherheit kein verantwortungsvoller Bei-
trag zur Debatte, die wir heute in diesem Haus führen.
Deshalb möchte ich auf den Antrag von Bündnis 90/
Die Grünen zu sprechen kommen – Herr Kuhn, Sie ha-
ben ihn ja angenehm sachlich eingebracht –, und dazu
möchte ich ein paar Anmerkungen machen.
Zum einen stellen Sie in dem Antrag die Menschen-
würde in den Mittelpunkt. Das ist eine Klarstellung, die
ich gern unterstreichen und hervorheben möchte. Ich
gehe davon aus, dass das auch die Meinung der hier im
Plenum versammelten Allgemeinheit ist. Vor allem freut
mich, dass diese Feststellung im Antrag der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen im Hinblick auf das Sozial-
gesetzbuch II aufgeführt wird. Unter Rot-Grün ist das ja
2004 auf den Weg gebracht worden, und damals waren
dazu keinerlei oder nur wenige Hinweise zu finden.
Ich darf jetzt einmal aus dem Beitrag zitieren, den wir
von der christlich-liberalen Koalition aufgeführt haben.
In § 1 Abs. 1 heißt es – ich zitiere –:
Die Grundsicherung für Arbeitsuchende soll es al-
len Leistungsberechtigten ermöglichen, ein Leben
zu führen, das der Würde des Menschen entspricht.
– Es freut uns, dass das auch bei Ihnen Zustimmung fin-
det.
Meine Damen und Herren, wir möchten damit end-
lich, nach über sechs Jahren, im SGB II eine Klarstel-
lung formuliert sehen, die überfällig gewesen ist.
In dem Antrag der Grünen, in dem Sie auch eine Neu-
regelung der Grundsicherung für Arbeitsuchende im De-
tail aufführen, gibt es einen quantitativen Unterschied.
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h gehe davon aus, dass dabei die Zahlen des Paritäti-
chen Wohlfahrtsverbands die Grundlage für Sie sind.
Hierzu möchte ich einmal ein paar Punkte aufgreifen;
enn die Differenz zwischen den vom DPWV errechne-
n 420 Euro und der Regelsatzhöhe von 364 Euro, die
ir hier aufgenommen haben, lässt sich an zwei Positio-
en ganz konkret identifizieren. Der erste Posten sind
ie alkoholischen Getränke und die Tabakwaren. Der
PWV hat hier knapp 20 Euro berücksichtigt. Der
weite Posten sind die Beherbergungs- und Gaststätten-
ienstleistungen, die mit etwas über 25 Euro veran-
chlagt werden. Hier hat das Verfassungsgericht übri-
ens klargestellt, dass der Gesetzgeber einen freien
estaltungsraum hat, den wir auch genutzt und entspre-
hend begründet haben.
Eine weitere Komponente ist der Posten Nachrichten-
bermittlungskosten. Das ist ein Punkt, den wir dort
rgänzt haben. Wir ermöglichen eben auch die aktive
eilhabe an der Kommunikations- und Informationsge-
ellschaft. Wir haben dort den Regelsatz für Erwachsene
it 32 Euro pro Monat eingestellt.
Aktuell erhalten Sie in allen Regionen in Deutschland
elefon- und DSL-Flatratetarife für 20 Euro, sodass wir
er Meinung sind, dass wir bei einer Bemessung von
2 Euro für Telefon, Internet und Porto von einer ange-
essenen Regelsatzdefinition sprechen können.
Dann kommen wir zu einer Lücke, die ich in den Zah-
n des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes, auf die Sie
ich ja beziehen, erkannt habe. Sie wählen hier als Refe-
nzwert für die Berechnung der Regelsätze für Nach-
chtenübermittlung bei den Kindern unter sechs Jahren
0 Euro pro Monat. Wir sprechen über die Altersgruppe
er Kleinstkinder, also über noch nicht schulpflichtige
inder. Diese haben mit Sicherheit ganz eigene Kom-
unikations- und Ausdrucksformen. Erfahrungsgemäß
ehört der regelmäßige Umgang mit Telefonie und DSL-
etrieb aber nicht zwingend dazu.
ie müssten uns schon einmal erklären, wie Sie zu dieser
osition kommen, wie sich das im Detail zusammen-
etzt. Offensichtlich gibt es bei Ihnen noch Klärungsbe-
arf, auch was das Zahlenmaterial betrifft; auf diese Klä-
ng freue ich mich.
Herr Kollege.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 69. Sitzung. Berlin, Freitag, den 29. Oktober 2010 7487
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Ich werde die weitere Debatte und die Beratungen im
Ausschuss sehr aufmerksam begleiten.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Ich wollte Ihnen gerade die Chance zur Verlängerung
Ihrer Redezeit geben. Die Kollegin Kipping würde Ihnen
nämlich gerne eine Frage stellen.
Ich verzichte auf die Frage und ermögliche uns so den
weiteren Fortgang der Debatte.
Vielen Dank.
Dann erteile ich das Wort Kollegen Matthias Zimmer
für die CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mirscheint, dass die Diskussionen über das SGB II eine Ne-verending Story, eine immerwährende Geschichte, sind.In diesem Jahr haben wir die Organisationsreformdurchgeführt. Mein herzlicher Dank gilt der SPD für dieKooperation, die an dieser Stelle möglich war. Jetzt dis-kutieren wir über die Höhe der Bedarfssätze; diese De-batte ist einem Urteil des Bundesverfassungsgerichtsgeschuldet. Wir haben die Vorgaben des Bundesverfas-sungsgerichts erfüllt. Wir haben die Höhe der Bedarfs-sätze neu berechnet. Sie ist transparent und nachvoll-ziehbar und wurde nicht ins Blaue hinein geschätzt.
Ich habe mich an der einen oder anderen Stelle ge-fragt, ob es für die SPD nicht viel problematischer gewe-sen wäre, wenn die Bedarfsschätzung erheblich höherausgefallen wäre. Denn dann hätte sich die Frage ge-stellt: Wie habt ihr eigentlich 2006 die Bedarfssätze er-mittelt?
Es kam aber heraus: Das Ministerium hat damals sehrsorgfältig gearbeitet und ist sehr nah an den tatsächli-chen Bedarf herangekommen. Es ist festzustellen: DieBedarfssätze sind sauber, nachvollziehbar und angemes-sen berechnet.
In Zuge des Urteils des Bundesverfassungsgerichtshatten wir natürlich die Möglichkeit, bestimmte Wertun-gen vorzunehmen; das haben wir auch getan. Einige Be-standteile haben wir aus der Berechnung der Bedarfs-sLGwBwhzdsshEwrehdsmswggdesBIcwdhegüd
eldstrafen und gebührenpflichtige Verwarnungen so-ie Alkohol und Tabak.
ei all dem ist nicht unbedingt und nicht notwendiger-eise von einem Grundbedarf auszugehen.Herr Kuhn, die Art und Weise, wie Tabak und Alko-ol von den Grünen bisweilen verteidigt worden sind,eigt mir: Da ist offensichtlich keine Partei am Werke,ie sich dem Gemeinwohl verpflichtet fühlt,
ondern Sie benehmen sich an dieser Stelle wie Interes-envertreter des Bundesverbandes deutscher Freizeit-edonisten.
Wir haben bei der Berechnung der Regelsätze anderelemente berücksichtigt – der Kollege hat sie eben er-ähnt –, zum Beispiel Kommunikationskosten, Gebüh-n für Kurse und außerschulischen Unterricht. Auchier ist sicherlich nicht unbedingt von einem Grundbe-arf auszugehen. Aber diese Kosten entstehen, wennich Menschen bemühen, aus Hartz IV herauszukom-en. Dass diese Kosten bei der Berechnung der Regel-ätze berücksichtigt werden, ist wichtig und richtig. Wirollen die Menschen, die von Hartz IV leben, ermuti-en, diese Situation zu überwinden. Bildung ist – hierebe ich der Ministerin recht – die Agenda 2020. Mitiesem Gesetzentwurf legen wir sie vor.Ich möchte diese Aussage zuspitzen. Bei Ihnen gab esinen Lieferservice für Speisen und Getränke und steuer-ubventionierte Rausch- und Genussgifte, bei uns gibt esildung, Bildung, Bildung.
h lade Sie ein, sich selbst einmal die Frage zu stellen,elch unterschiedliche Menschenbilder darin zum Aus-ruck kommen und welches Menschenbild Ihrer Vorge-ensweise an dieser Stelle zugrunde liegt.
Meine Damen und Herren, wir trauen den Menschentwas zu. In diesem Zusammenhang ist es, wie ichlaube, sinnvoll, auf den Antrag der Grünen einzugehen,ber den wir in den parlamentarischen Beratungen inen Ausschüssen noch diskutieren werden. In diesem
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7488 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 69. Sitzung. Berlin, Freitag, den 29. Oktober 2010
Dr. Matthias Zimmer
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Antrag findet sich viel neuer Wein in alten Schläuchen;das ist auch völlig in Ordnung. Aber über einen Aspektlohnt das Nachdenken in der Tat, Herr Kuhn: über dieAufhebung des Kooperationsverbotes im Bildungsbe-reich. Diesen Gedanken finde ich sehr sympathisch.Wir alle sind uns einig: Es ist besser, zu arbeiten, alsALG II zu beziehen. Häufig ist nicht der Mangel an Gelddas Problem, sondern der Mangel an Anerkennung undder Mangel an Möglichkeiten der sozialen Interaktion,häufig auch das Gefühl, nicht mehr gebraucht zu wer-den. Dies ist das eigentliche Problem der Arbeitslosig-keit.
Deswegen freut es mich, dass wir in dieser Woche dieneuen Arbeitsmarktzahlen bekommen haben.
Die Arbeitslosenzahl ist auf dem niedrigsten Stand seit1992. Die Experten sagen mittlerweile, Vollbeschäfti-gung sei möglich. Die Welt titelte am 28. Oktober 2010:„Deutschland auf dem Weg in die Vollbeschäftigung“.Die Bild-Zeitung schrieb am gleichen Tag: „Kommenjetzt zehn goldene Jahre?“ Dabei beruft sie sich aufHans-Werner Sinn. Das Forschungsinstitut zur Zukunftder Arbeit geht davon aus, dass die nächste Millionen-marke schon in 2012 geknackt wird.Frau Kollegin Ferner, natürlich hat das auch – hiermithat der ehemalige Bundeskanzler Schröder ja recht – et-was mit den Hartz-Gesetzen, mit der Agenda 2010, zutun. Umso erstaunlicher ist es, dass große Teile der SPDnun drauf und dran sind, sich davon zu verabschieden.Ich fände es schön, wenn Sie diesen Weg, Menschen inArbeit zu bringen, Menschen Hoffnung zu geben und sieihnen nicht zu nehmen, gemeinsam mit uns weitergehenwürden.Danke schön.
Herr Kollege, wollen Sie Ihre Redezeit verlängern?
Die Kollegin Kipping möchte Ihnen durch eine Zwi-
schenfrage die Chance dazu geben.
Nein.
Jetzt hat Kollegin Gabriele Hiller-Ohm für die SPD-
Fraktion das Wort.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen vonCDU/CSU und FDP! Ich fange einmal mit dem Positi-ven an: Gut, dass Sie den Gesetzentwurf endlich einge-bracht haben. – Das war es dann aber auch schon.Esge2BgdlanVSsDmribgDEsbbnetauwuGvmsdCG
r kommt viel zu spät, die Vorgaben des Bundesverfas-ungsgerichts, Herr Kollege Zimmer, werden nicht ein-ehalten, und mit einer Regelsatzerhöhung von geradeinmal 5 Euro verhöhnen Sie die betroffenen Menschen.Ein so wichtiger Gesetzentwurf soll jetzt bis Januar011 im Schweinsgalopp durch den Bundestag und denundesrat gepeitscht werden. Eine vernünftige Beteili-ung des Parlaments, der Verbände und vor allem aucher Länder ist überhaupt nicht mehr zu erreichen. Monate-ng wurde wertvolle Zeit mit Schein-Riesendiskussio-en um Chipkarten verplempert.
Frau Ministerin, warum haben Sie diese Zeit nicht fürerhandlungen mit den Ländern und vor allem mit derPD genutzt? Sie brauchen die SPD im Bundesrat; dennonst wird der Gesetzentwurf dort nicht verabschiedet.as ist ein Lichtblick; denn so besteht noch Hoffnung,it unserer Hilfe einen „kranken“ Gesetzentwurf zu ku-eren, obwohl es dazu schon fast einer Wunderheilungedarf.
Wir sehen im Urteil des Bundesverfassungsgerichtsroße Chancen für mehr Bildungsgerechtigkeit ineutschland. Deshalb sind wir zu Verhandlungen bereit.ines ist aber ganz klar: Wir werden nur einem verfas-ungskonformen Gesetzentwurf unsere Zustimmung ge-en. Ich verstehe nicht, warum Sie auf unsere Bedenkenezüglich der Rechtmäßigkeit der Regelsätze überhaupticht eingegangen sind.„Transparenz“ ist für Sie bei diesem Gesetzentwurfin Fremdwort. Die Regierung verweigert dem Bundes-g die Angabe der Daten, auf denen die Einkommens-nd Verbrauchsstichprobe basiert. Im Ausschuss habenir diese Daten eingefordert. Sie haben das abgelehntnd missachten damit das Parlament.
enau wie gestern bei der Diskussion über die Laufzeit-erlängerung der Atomkraftwerke demonstrieren Sie da-it eine Arroganz der Macht, die Ihnen nicht gut zu Ge-ichte steht;
enn vor allem Sie, meine Damen und Herren von CDU/SU und FDP, müssen für die Verfassungsmäßigkeit desesetzentwurfs geradestehen.
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Gabriele Hiller-Ohm
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Wir bezweifeln, dass die Referenzgruppen für die Re-gelsätze richtig gewählt wurden. Wir glauben nicht, dassdie Berechnung der Kinderregelsätze verfassungskon-form ist. Wir sind davon überzeugt, dass 12,50 Euro jeKind für die Teilhabe an Bildung nicht ausreichen wer-den.
12,50 Euro pro Monat und Kind für Lernförderung,Sport und Musikunterricht: Das ist ein schlechter Witz.
Erst dachte ich an einen Zahlendreher. Es wäre nicht dererste im Gesetzentwurf. Möglicherweise ist das aberauch ganz ernst gemeint. Wenn ich mir anschaue, wasSie alles tun, um die Löhne in Deutschland immer weiterin den Keller zu drücken, dann muss sich der Musikleh-rer vielleicht tatsächlich bald mit einem ganz kleinenGeld zufrieden geben, und die geplanten 12,50 Euro rei-chen aus.Mit Ihrem Vorhaben, die Zuverdienstgrenze für lang-zeitarbeitslose Menschen auszuweiten, machen Sie dasTor für Dumpinglöhne und für ein Anwachsen desNiedriglohnsektors weit auf, subventioniert mit Steuer-geldern. Ihre hartnäckige Verweigerung bei der Einfüh-rung von Mindestlöhnen trägt ebenfalls zum Lohnverfallin Deutschland bei. Hören Sie endlich auf damit, schaf-fen Sie einen gesetzlichen Mindestlohn!
Für mehr Bildungsgerechtigkeit brauchen wir einegroß angelegte Ausbauoffensive für Kitas und Ganztags-schulen. Wir haben unter Rot-Grün mit dem 4-Milliar-den-Euro-Programm für die Ganztagsschulen gezeigt,wie es geht. Tun Sie es uns nach.Wichtig ist auch, dass mit dem Gesetz keine kostspie-ligen Doppelstrukturen geschaffen werden. In vielenKommunen – wie auch bei mir in Lübeck – gibt es be-reits gute Netzwerke zur Förderung von Kindern. Diesemüssen gestärkt werden. Es kann nicht sein, dass dieJobcenter zu Hilfs-Jugendämtern für Hartz-IV-Kinderumfunktioniert werden. Wir erkennen an, dass der Kabi-nettsentwurf an dieser Stelle auf eine bessere Schienegesetzt wurde. Jetzt muss aus der Schiene das richtigeGleis werden.Zu den Regelsätzen. Wir stoßen bei den Erwachse-nen-, aber vor allem bei den Kinderregelsätzen aufSystembrüche, die einer Prüfung vor dem Verfassungs-gericht nicht standhalten werden. Willkürliche Strei-chungen und unterschiedliche Auswertungen von Ver-brauchspositionen verfälschen die Sätze.
Für Kinderregelsätze ist die Einkommens- und Ver-brauchsstichprobe nicht geeignet. Das schreiben Sieselbst in Ihrem Gesetzentwurf.nmsEFdreGCDfüuqledzuasn
Der Kollege Uwe Schummer hat das Wort für die
DU/CSU-Fraktion.
Verehrtes Präsidium! Meine Damen! Meine Herren!as größte Armutsrisiko ist mangelnde Bildung. Das giltr den Einzelnen, dem Teilhabechancen verloren gehen,nd das gilt für die Gesellschaft, die von motivierten undualifizierten Menschen lebt. Ich denke, das ist – bei al-r Kritik, die ich heute gehört habe – auch die Botschaftes Bildungspaketes. Das, was heute mit den Regelsät-en und auch mit dem Bildungspaket verabschiedet wirdnd weiter diskutiert werden wird, ist bei weitem besserls das, was derzeit noch der Fall ist. Es ist eine Verbes-erung, und das können Sie auch einmal zur Kenntnisehmen.
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7490 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 69. Sitzung. Berlin, Freitag, den 29. Oktober 2010
Uwe Schummer
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Wir wollen eben keine Hartz-IV-Republik, die aufeine permanente Fürsorge ausgerichtet ist. Wir wollenden Ausstieg aus Hartz IV, wir wollen den Aufstiegdurch Bildung. Wenn wir heute im Berufsbildungs-bericht lesen, dass 1,45 Millionen Schulabgänger bis29 Jahre ohne jede berufliche Qualifizierung sind, dannkann man nicht so tun, lieber Kollege Rossmann, alsseien das allein Unions-Kinder. Da hatten wir alle mitei-nander in der Vergangenheit und haben heute unsereHausaufgaben zu bewältigen. Wir alle miteinander!
Es ist die Frage, inwieweit schon heute Wachstums-hemmnisse stattfinden. Es gibt sie, weil nämlich qualifi-zierte Arbeitnehmer fehlen. Auch das ist eine Frage anuns. Das Bildungspaket ist darauf eine weitere Antwort,die wir miteinander geben.
Ich habe nicht vergessen, wie, als ich hier im Deut-schen Bundestag neuer Abgeordneter war, auch mit denHartz-IV-Gesetzen 2004 die Berufsorientierung bzw.Berufsberatung von Rot-Grün in Grund und Boden ge-schossen wurde.
Wir haben dies alles in der Großen Koalition und jetzt inder christlich-liberalen Koalition korrigiert.Dieses Jahr nehmen Hundertausende von Schülern ander frühzeitigen Berufsorientierung teil, damit sie sichnicht erst zwei oder drei Monate vor der Entlassung,sondern schon zwei oder drei Jahre vorher mit demÜbergang von der schulischen Ausbildung in die berufli-che Qualifizierung beschäftigen. Das Konzept der Bil-dungsketten, das im Zusammenhang mit dieser Debattezu sehen ist, soll dies systematisch weiter verbessern.Dass wir die Berufsorientierung für die beste Motiva-tion halten, um in der Schule weiter aktiv zu werden, hatdazu geführt, dass die Zahl der Schulabbrecher von100 000 vor einigen Jahren auf jetzt 60 000 gesunken ist.Das bedeutet mehr Teilhabechancen für die jungen Men-schen, die in die weitere Qualifizierung gehen.
Wir haben kein Geldproblem, sondern ein Kümmer-problem.
Wer kümmert sich um die Menschen, die permanent einepersonale Unterstützung benötigen? Die Debatte überden Regelsatz hilft nicht weiter. Es geht weniger um dieFrage, ob wir ihn um 5, 15 oder 50 Euro erhöhen, als da-rum, wie wir regionale Bündnisse für die jungen Men-schen bzw. ein Miteinander der Kräfte vor Ort organisie-ren können.Gut hilft, wer früh hilft. Das heißt, mit dem Bildungs-paket können wir in die Kitas und Schulen gehen und dieSportvereine, die kulturtragenden Vereine sowie diekirchlichen und sozialen Gruppen stärken. Wir unterstüt-zSMKmdnanisliruWsE–nDeMmreTptesdmew
Ich teile Ihre Auffassung.
ir werden in der Arbeitsgruppe Bildung und For-chung ambitioniert darüber diskutieren.Ich denke, auch die heutige Beratung ist nicht dasnde der Debatte.
Kollege Heil, so lebendig wie heute habe ich Sie in ei-er Talkshow selten erlebt. – Sie ist nicht das Ende derebatte, sondern der Beginn einer gemeinsamen Aus-inandersetzung, die zu einem Gesamtpaket führen wird.Bitte machen Sie nicht alles nur schlecht nach demotto „Früher war alles gut und wir haben alles ge-acht, aber heute ist alles schlecht“. Ein bisschen Diffe-nzierung würde dem Klima gerade nach dem gestrigenag insgesamt guttun.
Ich halte die Bildungskarte, die mit dem Bildungs-aket entwickelt werden wird, für ein innovatives Sys-m. Damit reagieren wir nicht nur auf ein Gerichtsurteil,ondern sie ist auch Bestandteil der Bildungsrepublik,ie wir entwickeln wollen. Sie kann Bundesmittel, kom-unale und private Gelder miteinander vernetzen. Sie istin offenes System, in das weitere Gruppen eingebundenerden. Perspektivisch bietet sie auch die Chance, das
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 69. Sitzung. Berlin, Freitag, den 29. Oktober 2010 7491
Uwe Schummer
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Bildungssparen für alle von Geburt an, das wir in derchristlich-liberalen Koalitionsvereinbarung manifestierthaben, zu fördern, und hat durch Startkapital, Fördermit-tel, private Spareinlagen und Zinsen eine große Hebel-wirkung.Die Bildungskarte ist in der Zielvorstellung diskrimi-nierungsfrei, da niemand sehen kann, ob es Fördermittel,Sozialgelder oder private Gelder sind, die für Bildungs-zwecke überwiesen werden. Sie ist auch ein lernendesSystem, das sich weiterentwickelt.Ich denke, wir sollten uns in der heutigen Debatte zu-sichern, dass wir neben allen parteipolitischen Schau-kämpfen, die gelegentlich stattfinden, im Blick behalten,dass es um das Wichtigste in unserem Lande geht, näm-lich um die Menschen, damit wir für sie alle ein vernünf-tiges und gutes Ergebnis erzielen. Was Frau von derLeyen entwickelt hat, ist eine exzellente Grundlage. Esist ein guter Tag für die Menschen, die durch Bildungden Aufstieg erreichen wollen.
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf
den Drucksachen 17/3404 und 17/3435 an die in der Ta-
gesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen.
Sind Sie damit einverstanden? – Dann ist das so be-
schlossen.
Ich rufe jetzt Tagesordnungspunkt 30 auf:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Arbeit und Soziales
– zu dem Antrag der Abgeordneten Anton
Schaaf, Anette Kramme, Elke Ferner, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion der SPD
Das Risiko von Altersarmut durch verän-
derte rentenrechtliche Bewertungen von
Zeiten der Langzeitarbeitslosigkeit und der
Niedriglohn-Beschäftigung bekämpfen
– zu dem Antrag der Abgeordneten Matthias W.
Birkwald, Klaus Ernst, Dr. Martina Bunge,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE
LINKE
Risiken der Altersarmut verringern – Ren-
tenbeiträge für Langzeiterwerbslose erhö-
hen
– zu dem Antrag der Abgeordneten Matthias W.
Birkwald, Klaus Ernst, Heidrun Dittrich, weite-
rer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE
Verbesserung der Rentenanwartschaften
von Langzeiterwerbslosen
– zu dem Antrag der Abgeordneten Matthias W.
Birkwald, Klaus Ernst, Dr. Martina Bunge,
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ir wollen, dass auch in Zukunft Altersarmut für die al-rmeisten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, wennie in das Rentenalter kommen, ein Fremdwort bleibt.amit das gewährleistet bleibt, hat es sich diese christ-ch-liberale Koalition vorgenommen, unser Alterssiche-ngssystem mit einem zusätzlichen Schutz gegen Al-rsarmut zu versehen. Das ist eines der wichtigenozialpolitischen Vorhaben dieser Koalition. Die Bun-esregierung wird im Frühjahr nächsten Jahres dazu eineegierungskommission einsetzen, die konkrete Vor-chläge erarbeiten soll. Ich weiß, dass gleich der Zurufommen wird: Warum liegt das alles noch nicht vor? –azu muss ich Folgendes sagen: Was in elf Jahren unterer Ägide sozialdemokratischer Arbeits- und Sozial-inister nicht erledigt wurde,
ann eine neue Regierung nicht in einem Jahr aufarbei-n; das kann man nicht verlangen. Aber ich sage Ihnenu: Wir wollen das in dieser Legislaturperiode erledigen.
Ich kündige des Weiteren an, dass wir in dieser Regie-ngskommission selbstverständlich all die Vorschläge
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Peter Weiß
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der Oppositionsfraktionen, die nun als Antrag vorliegen,in die Prüfung einbeziehen werden.
Nur, ich hätte heute viel lieber erklärt, dass wir die Vor-schläge der Opposition übernehmen werden.
Allerdings hat die Anhörung des Bundestagsausschussesfür Arbeit und Soziales mit einer Reihe von Fachexper-ten ergeben, dass diese Vorschläge mit einer Reihe vonMängeln behaftet sind. Ich will kurz zitieren, was dieExperten gesagt haben. Der Sachverständige der Deut-schen Rentenversicherung erklärte:Deswegen muss man allen Regelungen, die in dergesetzlichen Rentenversicherung darauf gerichtetsind, über die Aufstockung von Anwartschaften Al-tersarmut zu vermeiden, generell ein Problem mitder Zielgenauigkeit attestieren.Genau so ist es. Die Vorschläge der Opposition funktio-nieren nach dem Gießkannenprinzip und sind nicht ziel-genau. In einem modernen Sozialstaat kann man abernicht mit der Gießkanne irgendwelche Segnungen aus-schütten, die dann hoffentlich helfen. Ein moderner So-zialstaat funktioniert so, dass man demjenigen Hilfe prä-zise gewährt, der sie braucht. Man darf Mittel nichtverschwenden.
Herr Professor Eekhoff hat generell festgestellt: „Es sinddies keine Anträge, die Altersarmut verhindern.“ Ent-schuldigung, verehrte Kolleginnen und Kollegen von derOpposition, aber angesichts solch grundlegender Kritikder Fachleute an Ihren Anträgen können wir Ihren Mo-gelpackungen nicht zustimmen.
Nun liegt ein besonderes Augenmerk auf der sozialenSicherung derjenigen Menschen, die Arbeitslosengeld IIbeziehen. Es wird kritisiert – auch gestern in der Debatteüber das Haushaltsbegleitgesetz –, dass die Zahlungendes Staates in die Rentenversicherung zugunsten der Ar-beitslosengeld-II-Bezieher abgeschafft werden sollen;das ist richtig. Aber die 2,09 Euro, die aus solchen Zah-lungen als Rentenanspruch erwachsen, haben jemanden,der lange Arbeitslosengeld II bezieht, schon bislangnicht davor bewahrt, im Alter Grundsicherung zu bean-tragen.
Das wird auch in Zukunft so sein. Aber wir haben ges-tern eine wichtige Neuregelung für die Bezieher vonAZwlogngsTbdZrumreruDfüreRdguszCgefeEsisPvwlitiHAmruufe
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 69. Sitzung. Berlin, Freitag, den 29. Oktober 2010 7493
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genau an dieser Stelle. Da geht es nämlich darum, dassMenschen durch ihre Erwerbsbiografien, aus der Arbeitund den Löhnen, die sie dafür erhalten, anständige Bei-träge zahlen können, um über diese Beiträge auch ver-nünftige Ansprüche erwerben zu können. An der Stelleversagen Sie komplett. Sie sind eine Ursache für dro-hende Altersarmut. Das ist der entscheidende Punkt. Da-rüber müssen wir uns im Klaren sein.
Ich sage Ihnen einmal etwas: Das DIW hat für dieJahrgänge 1952 bis 1971 im Osten der Republik berech-net, dass bei den Männern 31,4 Prozent und bei denFrauen 46,6 Prozent der Arbeitnehmerinnen und Arbeit-nehmer eine Rente unterhalb von 600 Euro erhalten wer-den. Da ist Altersarmut sehr konkret. Die Frage ist: Wastun Sie gegen diese drohende Altersarmut?Jetzt konstatiere ich, dass man sich natürlich daraufkonzentrieren muss, einige Sachen zu machen. Die FrauMinisterin hat gesagt, in diesem Jahr würde sie außerSGB II nichts machen, da sie dafür keine Kapazitätenhabe. – Na ja, das Ministerium scheint mir kleiner ge-worden zu sein, es gibt da verschiedene Abteilungen.Aber unabhängig davon ist es völlig in Ordnung, dassman sich in der Koalition zusammensetzt und überlegt,wie man beispielsweise das Thema Altersarmut angehenkann. Aber ganz konkret geht es hier um den Vorschlag,den die SPD-Fraktion dazu gemacht hat, nämlich ein be-währtes Mittel, um jetzt Menschen vor Altersarmut zuschützen, die Rente nach Mindestentgeltpunkten, ein-fach für einige Jahre fortschreiben, bis man andere Lö-sungen gefunden hat, um drohende Altersarmut generellzu verhindern. Aber auch an dieser Stelle wollen Sie– wie gerade eben sehr deutlich gesagt – nicht mitma-chen.Bei der Frage Arbeitslosengeld II und Rentenversi-cherungsbeiträge, Kollege Weiß, haben Sie ja recht. Beidem Betrag, der da gezahlt wird, kommt ein Anspruchvon 2,09 Euro monatlich heraus. Das wird Altersarmutnicht verhindern. Aber was auch noch daran hängt, sinddie Leistungen, die sich aus der Beitragszahlung erge-ben. Jetzt hat Gott sei Dank die Koalition begriffen– auch auf Intervention der Oppositionsparteien –, dasses so ist, dass die Ansprüche auf Erwerbsminderungs-rente da mit dranhängen, Ansprüche auf Reha und Ähn-liches, und hat da korrigiert. Am Mittwoch haben Sie üb-rigens gesagt, Sie hätten das schon getan, gestern habenSie es dann getan. Unabhängig davon haben Sie es jaGott sei Dank verstanden.Dann sagen Sie hier, die Ansprüche bei Erwerbsmin-derungsrente wären jetzt für die Betroffenen höher. BeiBeitragslosigkeit können die Ansprüche aber nicht mehrwachsen. In der Tat werden die Ansprüche zunächst ein-mal etwas höher; aber man kann nicht weiter Ansprücheansparen. Deswegen sind Beitragszahlungen so wichtig.Es ist daher falsch, die 1,8 Milliarden Euro Zuschuss andie Rentenversicherung zu streichen.Vor dem Hintergrund Ihres immer wieder vorgetrage-nen Mottos „Mehr Netto vom Brutto“ – damit haben SieWahlkampf betrieben – ist es nicht nachvollziehbar undnZZsmd1FwDmdavnasledsabinumRmdlisMspazhsSDBtefrhlegdo
as ist der entscheidende Punkt.Sagen Sie den Arbeitnehmerinnen und Arbeitneh-ern, den Beitragszahlerinnen und Beitragszahlern sehreutlich, dass deren Rentenversicherungsbeiträge nichtbgesenkt werden können, weil die Regierung zulastenon Arbeitslosen und Arbeitnehmerinnen und Arbeit-ehmern ihr Sparprogramm durchdrückt.
Herr Weiß, Sie haben gesagt: Wer ein Leben lang ge-rbeitet hat, muss am Ende auch einen vernünftigen An-pruch auf Rente haben, also auf eine Rente, von der erben kann. Das ist schon richtig; da gebe ich Ihnen aus-rücklich recht. Es gibt aber schon jetzt Hunderttau-ende von Menschen, die jeden Tag arbeiten gehen undm Ende des Monats von dem Geld, das sie verdient ha-en, nicht leben können und die zusätzliche Leistungen Anspruch nehmen müssen. Die Arbeitnehmerinnennd Arbeitnehmer, die zu solchen Bedingungen arbeitenüssen, können sich überhaupt keinen vernünftigenentenanspruch erarbeiten; es funktioniert nicht. Wasachen Sie? Sie weiten willkürlich die Zahl derer aus,ie unter solchen Bedingungen arbeiten und sich zusätz-ch bei staatlichen Leistungsträgern Geld abholen müs-en, indem Sie die Zuverdienstgrenzen anheben. Dieseenschen werden in der Regel keine vernünftigen An-prüche auf Rente erwerben können. Da hilft auch keinerivate Zusatzvorsorge – wir haben sie gefördert unduch gewollt –, weil sie nicht in der Lage sind, dafür an-usparen. Das ist doch das Problem.Man muss Altersarmut präventiv verhindern. Daseißt im Klartext: Menschen, die arbeiten, müssen an-tändige Löhne bekommen. An dieser Stelle verweigernie sich komplett.
er Verfall der Löhne und die Zunahme von prekärereschäftigung werden die Ursachen für steigende Al-rsarmut sein.Ich spreche die Sozialdemokratie nun nicht von allemei; aber die Frage, was nach dem SGB II zumutbar ist,at Rot-Grün damals gesetzlich geregelt – manche wol-n sich geschichtlich aus der Verantwortung stehlen; dasilt insbesondere für Sie, meine Damen und Herren voner Union –: Zumutbar ist jede Arbeit, die ortsüblichder tariflich entlohnt wird. Sie haben über den Bundes-
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7494 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 69. Sitzung. Berlin, Freitag, den 29. Oktober 2010
Anton Schaaf
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rat daraus gemacht, dass jede Arbeit zumutbar ist, dienicht sittenwidrig ist. Übrigens steht auch in Ihrem Ko-alitionsvertrag: Arbeit ist zumutbar, wenn sie nicht sit-tenwidrig ist. Sittenwidrig ist ein Lohn nach der rechtli-chen Definition, wenn er ein Drittel geringer ist als derortsübliche oder der tarifliche Lohn.Was heißt das beispielsweise für die Friseure in Sach-sen? Sie haben einen Stundenlohn von 3,70 Euro. Sie,Koalition und Regierung, sind damit einverstanden, dasssie um die 2 Euro bekommen. Ich sage Ihnen: schon3,70 Euro, 4 Euro, 5 Euro sind sittenwidrig. Wir müssendiesen Zustand beenden.
Solange Sie sich nicht auf den Weg machen, dafür zusorgen, dass die Ursache von Altersarmut – sie liegt inder Regel im Erwerbsleben – dadurch beseitigt wird,dass Menschen anständige Löhne für die Arbeit, die sieleisten, bekommen, werden Sie bei der Bekämpfung vonAltersarmut auch nicht erfolgreich sein können, zumalSie die Instrumente, die die Opposition vorgeschlagenhat, ablehnen. Diese Instrumente werden zwar unter-schiedlich bewertet, aber es gibt eine Gemeinsamkeit:Mit ihrem Einsatz bemüht man sich ernsthaft darum, de-nen zu helfen, die jetzt nicht genug Altersansprüche ha-ben. An dieser Stelle bleiben Sie bisher jede Antwortschuldig.Die Kommission soll Sie dabei ein Stück weiterbrin-gen. Diese Hoffnung habe ich allerdings nicht. Ihnengeht es bei dem, was Sie da beschließen, nämlich darum,dass jeder Mensch hier Arbeit hat, wobei die Bedingun-gen, zu denen die Menschen arbeiten, ruhig schlecht seinkönnen, was dazu führen kann, dass man für das Alternicht genügend Ansprüche erwirbt. So wird man Alters-armut definitiv nicht verhindern können. Ich befürchte,wenn Sie die Ursache des Problems nicht beseitigen,nutzt Ihre Kommission nichts.
Dr. Heinrich Kolb hat jetzt das Wort für die FDP-
Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Ich möchte gern auf die Argumente des Kollegen Schaafeingehen. Herr Kollege Schaaf, Ihr erster Punkt war,dass Sie gesagt haben, es müssen anständige Löhne ge-zahlt werden. Ich möchte zunächst einmal darauf hin-weisen, dass die Idee, einen Niedriglohnsektor inDeutschland einzuführen, nicht unsere Idee gewesen ist,sondern es war die Idee des Bundeskanzlers Schröder,der damals gesagt hat: Um 5 Millionen Arbeitslosen inDeutschland neue Beschäftigungschancen zu eröffnen,müssen wir da, wo nur geringe Qualifikationen gegebensind, dafür sorgen, dass auch geringere Löhne möglichsind. – Das war Ihre Tat. Heute muss man feststellen: SiewQinMDdsAZhASdsVdbLwwdKlik–h
Der zweite Punkt ist, dass Sie sagen: Wenn wir einenindestlohn einführen, haben wir alle Probleme gelöst.a will ich einfach einmal aus der Anhörung zitieren,ie im September stattgefunden hat, und zwar aus derchriftlichen Stellungnahme des IAB, des Instituts fürrbeitsmarkt- und Berufsforschung in Nürnberg – keinentralorgan der FDP –, Drucksache 17(11)263. Daeißt es:Ein gesetzlicher Mindestlohn verbessert zwar dieEinkommensposition der betroffenen Personen. DieBeiträge zur Rentenversicherung und somit auchdie Höhe der zukünftigen Rentenzahlungen würdenallerdings nur dann mit Sicherheit steigen, wennman vernachlässigt, dass von einem gesetzlichenMindestlohn auch Beschäftigungswir-kungen ausgehen können und nicht alle Personen,die den Mindestlohn erhalten, weiter beschäftigtbleiben.uf der Folgeseite steht:Bei einer Höhe eines allgemeinen gesetzlichenMindestlohns von 10 Euro muss allerdings mit sehrhoher Wahrscheinlichkeit davon ausgegangen wer-den, dass die negativen Auswirkungen überwiegenund bestehende Beschäftigungsverhältnisse abge-baut bzw. neue verhindert werden.
Sosehr ich es bedauerlich finde, wenn eine Friseuse inachsen – übrigens auf der Basis eines Tarifvertrages,er die Unterschriften von Arbeitgebern und Gewerk-chaften gleichermaßen trägt, sonst wäre es nämlich keinertrag – für 3,70 Euro arbeiten muss, die Vorstellung,ass dieses Beschäftigungsverhältnis auch dann weiter-estehen würde, wenn Sie zusammen mit der vereinigteninken einen Mindestlohn von 10 Euro einführen, istirklich abenteuerlich. Das muss man hier sagen. Des-egen ist das kein tragfähiger Ansatz zur Beseitigunges Problems.
Drittens. Die gesetzliche Rentenversicherung, Herrollege Schaaf, ist wichtig. Aber allein über die gesetz-che Rentenversicherung die Probleme in den Griff be-ommen zu wollen, ist ebenfalls nicht möglich.
Ich sage das, weil Sie als zweites Instrument genanntaben: Wir haben doch die Rente nach Mindesteinkom-
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 69. Sitzung. Berlin, Freitag, den 29. Oktober 2010 7495
Dr. Heinrich L. Kolb
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men, lasst uns das doch weitermachen. – Es gab guteGründe, warum wir uns dafür entschieden haben, dieseRente nach Mindesteinkommen zu beenden – nicht nur,weil sie sehr teuer ist und erhebliche Beitragsgelder ver-schlingt – das könnte man noch akzeptieren –, aber sieist auch ein erheblicher Verstoß gegen das Äquivalenz-prinzip. Es ist doch die tragende Säule unserer gesetzli-chen Rentenversicherung, dass Rente in dem Maße ge-zahlt wird, wie man zuvor auch Beiträge geleistet hat.Jemand, der aufwertet – so wie Sie es vorschlagen –,nimmt zwangsläufig in Kauf, dass es Überholvorgängegibt. Es ist eben nicht akzeptabel, dass jemand, der einengeringeren Anspruch hat, nach Ihrem Eingriff plötzlicheinen höheren Rentenanspruch hat als jemand, der vor-her regulär höhere Beiträge gezahlt hat. Das ist für unsnicht akzeptabel. Deswegen sind wir nicht bereit, die Re-gelung zur Rente nach Mindesteinkommen zu verlän-gern.
Der vierte Punkt ist: Ich glaube, wir müssen in derDiskussion auf den Boden kommen und das Problemeinmal realistisch beschreiben. Das heißt, dass man nichtjedem, der einen niedrigen Rentenanspruch hat, tatsäch-lich über Eingriffe in die gesetzliche Rentenversicherungbeispielsweise eine höhere Gesamtvorsorge versprechenkann. Es ist nämlich so – das sind die Zahlen, Herr Kol-lege Birkwald, die im Alterssicherungsbericht 2005 vor-gelegt wurden; mit Sicherheit gelten die Verhältnisse bisheute –, dass Personen, die aus der gesetzlichen Renten-versicherung im Schnitt einen Anspruch von unter250 Euro haben, eine Gesamtaltersvorsorge von1 386 Euro für Männer und 1 012 Euro für Frauen ha-ben. Da muss man fragen, wo die Pflicht des Staates en-det, Altersarmut zu beseitigen, bzw. was Altersarmutüberhaupt ist. Es können keine anderen Maßstäbe gelten– davon bin ich überzeugt –, als sie auch für Erwerbs-tätige gelten. Wenn wir da sagen, dass Personen, die880 oder 900 Euro verdienen, armutsgefährdet sind, wirdman den Menschen auch kaum versprechen können, dasssie nach staatlicher Fürsorge oder nach staatlichemEingriff ein Gesamtalterseinkommen von 1 000 oder1 200 Euro sicher haben werden. Es ist ganz einfach so:900 Euro sind eine realistische Summe.Wir haben einen sehr guten Vorschlag gemacht, denich zum Schluss meiner Redezeit noch vorstellen will:Es gibt bereits heute eine Grundsicherung im Alter, dieim Schnitt 680 Euro beträgt; regional kann das etwas ab-weichen. Wir müssen die Menschen – das ist der präven-tive Ansatz, den wir verfolgen – dazu anhalten, etwas fürihre eigene Altersvorsorge – privat oder betrieblich – zutun und sich einen Rentenanspruch aufzubauen.
Wir müssen ihnen garantieren, dass sie einen Freibetragvon 100 Euro für private und betriebliche Vorsorge undvon vielleicht 100 Euro für gesetzliche Rentenbeiträgebehalten dürfen, auch wenn sie unter dem Niveau derGrundsicherung liegen. Somit kämen sie auf eineSumme von insgesamt 900 Euro und wären nicht mehrarewrekkmnKtupPdteisFDSLKwdCGsgSRWtateaHgguEd
Das Wort hat der Kollege Matthias Birkwald für die
raktion Die Linke.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrtenamen und Herren! Die Linke will ein Gebäude sozialericherheit errichten, das im Alter den einmal erreichtenebensstandard sichert und vor Armut schützt. Herrolb, ich bin der Meinung, niemand soll im Alter voneniger als 900 Euro leben müssen.
In den vergangenen zehn Jahren haben die verschie-enen Bundesregierungen – egal ob SPD- oder CDU/SU-geführt – nicht nur an der Fassade des bisherigenebäudes sozialer Sicherheit gekratzt.Erstens. Sie haben wichtige Bausteine zerstört, indemie die Rentenbeiträge für Langzeiterwerbslose radikalekürzt haben. Mit Ihrem sogenannten Sparpaket wollenie, meine Damen und Herren von Union und FDP, dieentenbeiträge jetzt vollständig streichen. Das ist falsch.ir müssen sie erhöhen.
Zweitens. Sie haben bisher tragende Elemente ausge-uscht, indem Sie die Riester-Rente erfunden, das Ren-nniveau abgesenkt und Abschläge, also Kürzungen,uf die Erwerbsminderungsrente eingeführt haben.eute reden wir über die Erwerbsminderungsrente. Dailt: Weg mit den ungerechten Abschlägen.
Drittens. Sie haben sogar das Fundament ins Wankenebracht, indem Sie den Niedriglohnsektor ausgedehntnd Billigjobs gefordert und gefördert haben. Wir sagen:in sicheres Fundament im Alter gibt es nur mit flächen-eckenden gesetzlichen Mindestlöhnen. Die von den
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7496 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 69. Sitzung. Berlin, Freitag, den 29. Oktober 2010
Matthias W. Birkwald
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Grünen geforderten 7,50 Euro sind nicht genug. Auchdie von der SPD geforderten 8,50 Euro reichen nichtaus, um einen Beitrag gegen Altersarmut zu leisten. Da-für braucht man einen Mindestlohn von 10 Euro.
Die Schäden müssen und können wir beheben, unddas möglichst schnell und möglichst gründlich.Schwarz-Gelb hat aber eine recht eigenartige Sicht aufdie Dinge. Am 21. Oktober 2010, also vorige Woche, hatdas Statistische Bundesamt verkündet, dass die Zahl de-rer, die auf Grundsicherung im Alter und auf Erwerbs-minderung angewiesen sind, erstmals geringer gewordensei, und zwar um 3 800. Das sind 0,5 Prozent wenigerals noch 2008. Ich sage: Sie streifen sich eine rosaroteBrille über und erklären das, was Sie damit sehen, zurWirklichkeit. Dabei handelt es sich aber nicht um dieWirklichkeit der Betroffenen. Ihre Basta-Haltung zurRente erst ab 67 ist ein weiteres besonders erschrecken-des Beispiel. Um es ganz klar zu sagen: Sie leisten sicheinen verzerrten Blick auf die Wirklichkeit. Den Arbeits-losen, Armen und Alten präsentieren Sie die Rechnungdafür. Das ist nicht in Ordnung. Das muss anders wer-den.
Setzen Sie doch Ihre rosarote Brille einfach einmalab, und wagen Sie einen Blick auf die wirklichen Ver-hältnisse in diesem Land. Dabei werden Sie nämlich ei-nes feststellen: Altersarmut ist leider bereits heute einProblem. Das ist die Wirklichkeit.
Ein ehrlicher Blick auf die Statistik zeigt das: Seit 2003,also seit es die sogenannte Grundsicherung im Altergibt, ist die Zahl der Betroffenen, also der Menschen, dievon durchschnittlich 683 Euro im Monat leben müssen,um – jetzt hören Sie bitte gut zu! – 70 Prozent gestiegen.Diese traurige Entwicklung treiben Sie mit der Renteerst ab 67 und Ihrem aberwitzigen Paket an Sozialkür-zungen gewaltig voran. Deshalb lehnt die Linke beidesentschieden ab.
Bei den Rentenbeiträgen für Langzeiterwerbslose of-fenbaren Sie eine frappierende Tierquälerlogik nach demMuster: Wir reißen der Fliege erst ein Bein aus und dannnoch eines, um schlussendlich ihr Leiden und Leben mitdem Hinweis zu beenden, dass das Tier ohnehin kaumnoch zappelt. Denn der Beitrag zur Rentenversicherungist unter Beteiligung oder Zustimmung von CDU/CSUund FDP systematisch gesenkt worden. Nun hat Bundes-kanzlerin Merkel verkündet, dass der verbliebene Restso gering sei, dass auch er jetzt noch gestrichen werdenkönne. Herr Weiß hat das hier vorhin für die CDU/CSUwiederholt. Die Linke fordert deshalb, dass aus denmickrigen 2,09 Euro Rentenanspruch nach einem JahrHartz IV nicht 0 Euro werden, wie Union und FDP diesdurchdrücken wollen, sondern 13,60 Euro; denn daswtetiSsSDweemtevrednDAHdicwuwdcsAbdcnc–
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!uch heute ist ein schwarzer Tag. Heute geht es um dieartz-IV-Bezieherinnen und -Bezieher. Insofern knüpftieser Tagesordnungspunkt direkt an den vorherigen an.Schade, dass die Ministerin nicht mehr hier ist; dennh hätte sie gerne gefragt, wie es sich eigentlich anfühlt,enn man am Schreibtisch sitzt und überlegt: Blumennd Zimmerpflanzen für die Armen – kann gestrichenerden. Haustiere für die Armen – kann gestrichen wer-en. Besuch einer Eisdiele für die Kinder – kann gestri-hen werden. Das Stückchen Kuchen im Café – kann ge-trichen werden. Geld für die Riester-Rente für diermen – kann gestrichen werden. Rentenversicherungs-eiträge für die Armen – kann gestrichen werden. Das istas Prinzip der Bundesregierung. Ich frage mich: Wel-hes Menschenbild steht eigentlich dahinter?Bei der Streichung der Rentenbeiträge geht es nichtur um die Arbeitslosengeld-II-Beziehenden. Die Strei-hung von 1,8 Milliarden Euro aus dem Bundeshaushalt der Kollege Anton Schaaf hat das eben schon gesagt –
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 69. Sitzung. Berlin, Freitag, den 29. Oktober 2010 7497
Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn
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bedeutet nicht, dass Ausgaben sinken. Vielmehr bleibendie Ausgaben in der Rentenversicherung gleich, aber je-mand anders muss sie bezahlen. Letztlich ist die Kür-zung im Bundeshaushalt nichts anderes als ein dreisterGriff in die Rentenkasse.
Hier geht es um 1,8 Milliarden Euro, nicht einmalig,sondern jedes Jahr in die Zukunft hinein. Es ist schlichteine Lüge, zu behaupten, dass dadurch gespart wird. Be-zahlen müssen das die Beitragszahlerinnen und Beitrags-zahler, was nicht nur verteilungspolitisch problematisch,sondern auch wirtschaftlicher Unsinn ist, denn der Fak-tor Arbeit wird wieder verteuert. Die Mittelschicht unddie Geringverdiener werden belastet, und das alles nur,um Ihre Geschenke für Hoteliers und andere zu finanzie-ren.
Für die Bundesregierung gilt der Grundsatz: MehrNetto vom Brutto für die Besserverdienenden und weni-ger Netto vom Brutto für die mittleren und unteren Ein-kommen. Umgekehrt müsste es sein.
– Das ist doch völlig richtig: Sie senken die Steuern fürdie Reichen und erhöhen die Beiträge für die Geringver-dienenden.
In der Arbeitslosenversicherung wird das kommen, imGesundheitswesen kommt es, und auch in der Renten-versicherung wird es kommen. Der Kollege Schaaf hatIhnen das eben vorgerechnet. Die Bundesregierung hatuns in einer Antwort direkt bestätigt, dass die Beiträgenicht sinken werden. Ich prognostiziere, dass die Bei-träge zur Rentenversicherung steigen werden.
– Ich bitte Sie, nicht weiter dazwischenzuquatschen,sondern mir eine Zwischenfrage zu stellen; dann kannich Ihnen das genauer darlegen.
Es ist klar, dass die FDP immer Probleme hat, wenn esum Zahlen geht.
Herr Weiß hat gerade stolz erwähnt, dass die Sozial-politiker der Union – unter anderem auf Initiative derOpposition hin – erreicht haben, dass sich die Renten füreinen Teil der Hartz-IV-Bezieher sogar erhöhen können;dRürenvDBLhSPsZtuzMadkgddBäslesddKD
iebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU/CSU, Sieaben dieses Bibelzitat falsch verstanden; denn das, wasie machen, ist genau das Gegenteil von christlicherolitik.Unsere Alternative dazu lautet:Erstens. Es müssen Rentenbeiträge für die Arbeitslo-en gezahlt werden, damit tatsächlich alle Arbeitslosenugang zur Erwerbsminderungsrente und zu Rehaleis-ngen erhalten.Zweitens. Der Beitrag, der für die Arbeitslosen ge-ahlt wird, muss angemessen sein. Wir schlagen vor, dieindesthöhe an den Mindestbeitrag der Erwerbstätigennzupassen.Drittens. Altersarmut muss zielgenau bekämpft wer-en. Es ist richtig: Die Vorschläge der SPD und der Lin-en sind von den Experten kritisiert worden. Wir schla-en eine Garantierente vor, die tatsächlich sicherstellt,ass alle langjährig Versicherten eine Rente über demurchschnittlichen Grundsicherungsniveau erhalten.
Die Politik der Bundesregierung geht zulasten dereitragszahlerinnen und Beitragszahler, zulasten derrmsten Hartz-IV-Bezieher und Hartz-IV-Bezieherinnenowie zulasten der Kommunen, die die zusätzlich anfal-nden Grundsicherungsleistungen zahlen müssen. Wirtellen uns auch in diesem Fall quer. Wir stellen uns vorie Hartz-IV-Bezieher und Hartz-IV-Bezieherinnen, vorie Beitragszahlerinnen und Beitragszahler und vor dieommunen.
Herr Kollege.
Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.
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Frank Heinrich hat das Wort für die CDU/CSU-Frak-
tion.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Zum zweiten Mal bekomme ich von Ihnen,
von der grünen Fraktion, eine Vorlage aus der Theologie,
in diesem Fall aus dem Matthäus-Evangelium. Wir müs-
sen an anderer Stelle über die Aussage diskutieren; denn
das war keine sozialpolitische Aussage, sondern eine
theologische. Ich gehe gerne an anderer Stelle darauf
ein. Aber selbst freie, liberale Theologen legen das nicht
so aus.
Ich möchte auf die fünf Anträge eingehen, über die
wir heute hier diskutieren. Alle Anträge drehen sich
– das ist die Schnittmenge der Titel der Anträge – um
das Risiko der Altersarmut. Ehrlich gesagt: Da besteht
sehr wohl eine gewisse Einigkeit mit uns.
Altersarmut – das ist mein erstes Stichwort – ist ein
Problem, dessen Lösung wir in Angriff nehmen müssen.
Wir müssen dafür aber wissen, welchen Umfang das
Problem hat, das auf uns zukommt. Es ist richtig, dass
wir das Thema in Angriff nehmen. Es handelt sich um
ein Problem, das im Moment noch sehr klein ist – das
haben Sie selber wahrgenommen –, aber ganz klar auf
uns zukommt.
Wir müssen Altersarmut verhindern; da bin ich, da ist
meine Partei vollkommen bei Ihnen. Wenn die Altersar-
mut in hohem Maße auf uns zukommt, sollten wir Vor-
kehrungen treffen.
Wir teilen sehr wohl die Sorgen, die Sie und die Bür-
ger haben. Das schlägt sich auch darin nieder, dass wir
die im Koalitionsvertrag angekündigte Kommission ein-
setzen. Es geht darum, herauszufinden, ob und, wenn ja,
in welchem Umfang man auf Altersarmut reagieren
muss. Herr Weiß hat es schon gesagt: Wir sind sehr ge-
spannt auf die Arbeit der Kommission und auf die Um-
setzung der Ergebnisse
Ein zweites Stichwort ist immer wieder gefallen:
Grundsicherung. Ich bin der Überzeugung, dass wir zwei
Dinge voneinander trennen sollten. Die Bereiche Rente
und Grundsicherung sollten wir nicht miteinander ver-
mähren, wie wir in Sachsen sagen. Rentenansprüche
sollten aus Arbeit und nicht aus Nichtarbeit entstehen;
denn für Letzteres ist die Grundsicherung da. Diese zwei
Bereiche sollten auseinandergehalten werden.
Sie haben die Systematik zum Thema gemacht. Ich
möchte kurz darauf eingehen. Es ist systemgerecht,
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h komme aus der Jugendhilfe. Ein Kollege von mir be-chtete Folgendes: Das Jugendamt fragte: Warum müs-en Sie das so ausstatten? Sie verwöhnen die Leute doch.ie landen hinterher doch sowieso bei Hartz IV. – Er
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 69. Sitzung. Berlin, Freitag, den 29. Oktober 2010 7499
Frank Heinrich
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winkte ab und sagte: Eben nicht. Wir wollen ein Bildmalen und den Jugendlichen zeigen, wie es auch seinkann. Wir wollen ihnen eine Alternative bieten, die fürsie Anreiz ist, aus dem System herauszuwachsen.Genau das wollen wir. Wir wollen Anreize schaffenund nicht aufgeben.Ich danke Ihnen.
Zu einer Kurzintervention erteile ich das Wort dem
Kollegen Ilja Seifert.
Vielen Dank, Frau Präsidentin! – Lieber Herr Kol-
lege, da Sie mir keine Zwischenfrage zugestanden ha-
ben, möchte ich zwei Bemerkungen machen:
Erstens. Alle Koalitionsrednerinnen und -redner spra-
chen mit großer Euphorie von der Kommission, die Sie
einsetzen wollen.
Was passiert denn, wenn bei der Arbeit der Kommission
Ergebnisse herauskommen, die Ihnen nicht passen? In
der vergangenen Wahlperiode wurde eine Kommission
zur Klärung des Pflegebegriffs eingesetzt. Sie hat her-
vorragende Ergebnisse erarbeitet. Bedauerlicherweise
redet von der Regierung jetzt niemand mehr davon. Die
Ergebnisse der von Ihnen selbst eingesetzten Kommis-
sion werden ignoriert und in den Skat gedrückt. Das
kann doch nicht sein.
Zweitens. Sie behaupten Folgendes: Wenn Sie die
Beiträge für Arbeitslose streichen, sei das ein Anreiz,
schneller in Arbeit zu kommen, weil man nicht auf die
Grundsicherung angewiesen sein möchte.
Haben Sie aufgrund der Erlebnisse, die die Menschen
Ihnen berichten, nicht den Eindruck, dass es genau um-
gekehrt ist? Diejenigen, die wissen, dass sie keine
Chance haben, über das Niveau der Grundsicherung zu
kommen, haben keinen Anreiz mehr, sich um eine Ar-
beit zu kümmern.
Eine Arbeit im Niedriglohnbereich würde auf keinen
Fall ausreichen, um über den Grundsicherungsbetrag zu
kommen. Das heißt also, dass Sie die Vorsorge regel-
recht torpedieren.
Vielen Dank.
Herr Heinrich, zur Antwort.
Da Sie Ihren Beitrag als Kommentar verstehen,
möchte ich nur kurz antworten.
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Ich schließe die Aussprache.Wir kommen zur Abstimmung über die Beschluss-mpfehlung des Ausschusses für Arbeit und Soziales aufrucksache 17/3477. Unter Buchstabe a empfiehlt derusschuss die Ablehnung des Antrags der Fraktion derPD auf Drucksache 17/1747 mit dem Titel „Das Risikoon Altersarmut durch veränderte rentenrechtliche Be-ertungen von Zeiten der Langzeitarbeitslosigkeit under Niedriglohn-Beschäftigung bekämpfen“. Wer stimmtr die Beschlussempfehlung? – Gegenstimmen? – Ent-altungen? – Damit ist die Beschlussempfehlung ange-ommen. Zugestimmt haben die Koalitionsfraktionen.agegen gestimmt hat die SPD-Fraktion. Enthalten ha-en sich Bündnis 90/Die Grünen und die Fraktion Dieinke.Weiterhin empfiehlt der Ausschuss unter Buchstabe beiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antragser Fraktion Die Linke auf Drucksache 17/1735 mit demitel „Risiken der Altersarmut verringern – Rentenbei-äge für Langzeiterwerbslose erhöhen“. Wer stimmt füriese Beschlussempfehlung? – Gegenstimmen? – Ent-altungen? – Die Beschlussempfehlung ist angenom-en. Dafür gestimmt haben die Koalitionsfraktionennd die SPD-Fraktion. Dagegen gestimmt hat die Frak-on Die Linke. Enthalten hat sich die Fraktion Bünd-is 90/Die Grünen.Unter Buchstabe c empfiehlt der Ausschuss in seinereschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags derraktion Die Linke auf Drucksache 17/256 mit dem TitelVerbesserung der Rentenanwartschaften von Langzeit-rwerbslosen“. Wer stimmt für diese Beschlussempfeh-ng? – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Die Be-chlussempfehlung ist angenommen bei Zustimmungurch die Koalitionsfraktionen und die SPD-Fraktion.agegen hat die Fraktion Die Linke gestimmt. Die Frak-on Bündnis 90/Die Grünen hat sich enthalten.Unter Buchstabe d empfiehlt der Ausschuss die Ab-hnung des Antrags der Fraktion Die Linke auf Druck-ache 17/1116 mit dem Titel „Schutz bei Erwerbsminde-ng umfassend verbessern – Risiken der Altersarmut
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7500 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 69. Sitzung. Berlin, Freitag, den 29. Oktober 2010
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt
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verringern“. Wer stimmt für diese Beschlussempfeh-lung? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Die Be-schlussempfehlung ist mit dem gleichen Stimmenver-hältnis wie zuvor angenommen.Unter Buchstabe e empfiehlt der Ausschuss die Ab-lehnung des Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grü-nen auf Drucksache 17/2436 mit dem Titel „Mindestbei-träge zur Rentenversicherung verbessern, statt sie zustreichen“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? –Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Die Beschlussemp-fehlung ist angenommen. Dagegen hat die FraktionBündnis 90/Die Grünen gestimmt. Alle anderen Fraktio-nen waren dafür.Ich rufe jetzt Tagesordnungspunkt 31 auf:Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-gebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zurerbrechtlichen Gleichstellung nichtehelicherKinder– Drucksache 17/3305 –Überweisungsvorschlag:Rechtsausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und JugendZu Protokoll gegeben haben ihre Reden die Kolle-ginnen und Kollegen Granold, Steffen, Thomae,Petermann, Hönlinger und der Parlamentarische Staats-sekretär Stadler.1)Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzent-wurfs auf Drucksache 17/3305 an die in der Tagesord-nung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt esanderweitige Vorschläge? – Das ist nicht der Fall. Dannist die Überweisung so beschlossen.Jetzt rufe ich Tagesordnungspunkt 32 sowie Zusatz-punkt 9 auf:32 Beratung des Antrags der Abgeordneten KaiGehring, Britta Haßelmann, Ute Koczy, weitererAbgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNENAufbauoffensive für Freiwilligendienste jetztauf den Weg bringen – Quantität, Qualitätund Attraktivität steigern– Drucksache 17/3436 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
SportausschussRechtsausschussFinanzausschussAusschuss für Arbeit und SozialesVerteidigungsausschussAusschuss für GesundheitAusschuss für Umwelt, Naturschutz und ReaktorsicherheitAusschuss für Menschenrechte und Humanitäre HilfeAusschuss für Bildung, Forschung undTechnikfolgenabschätzungAusschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit undEntwicklungAusschuss für Kultur und MedienHaushaltsausschussZrevFWgIhSstiaJfrJ„zsLkuhmgFBgdv1) Anlage 4
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!ir als Grüne haben diese Debatte auf die Tagesordnungesetzt, um der Regierung auf die Sprünge zu helfen undnen Impulse zu geben.
ie müssen jetzt endlich Farbe bekennen und eine Offen-ive für Freiwilligendienste starten.Wir als Grüne wollen Quantität, Qualität und Attrak-vität von Freiwilligendiensten ausbauen. Das ist mehrls überfällig. Wir kämpfen für diesen Ausbau seit vielenahren, weil die verschiedenen Inlands- und Auslands-eiwilligendienste – vom „Freiwilligen Ökologischenahr“ und „Freiwilligen Sozialen Jahr“ über „weltwärts“,kulturweit“, den „Europäischen Freiwilligendienst“ bisum „Freiwilligendienst aller Generationen“ – zivilge-ellschaftliches Engagement stärken und demokratischesernen bei Jugendlichen massiv fördern.Der Ausbau der Freiwilligendienste ist überfällig,ommt aber, allen Ankündigungen der letzten Monatend Jahre zum Trotz, seit Jahren leider nicht voran. Des-alb ist jetzt der Zeitpunkt gekommen, hier mehr zu tun.
Das Problem dabei ist übrigens nicht, dass engage-entbereite Jugendliche fehlen würden; das wird Ju-endlichen immer unterstellt. Im Gegenteil: Auf einenreiwilligendienstplatz kommen seit Jahren zwei bis dreiewerber. Das Problem ist der massive Mangel an An-eboten. Dieser Mangel muss endlich behoben werden;ie Anzahl der Freiwilligendienste muss mittelfristigerdoppelt werden. Das steht jetzt an.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 69. Sitzung. Berlin, Freitag, den 29. Oktober 2010 7501
Kai Gehring
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Der Ausstieg aus der Wehrpflicht und dem Zivildienstbringt auch neue Chancen mit sich.
Es ist ein überfälliger und richtiger Schritt. Im Nach-hinein kann man dazu vielleicht sogar sagen, dassSchwarz-Gelb möglicherweise einmal etwas hinbekom-men hat – wenn Sie es tatsächlich schaffen, aus derWehrpflicht auszusteigen.
Das wäre ein guter Schritt, der auch Chancen für einenAusbau der Freiwilligendienste bieten würde. DieseChancen werden aber gerade wieder verspielt. Diese Ge-fahr und dieses Risiko sehen wir. Sie, die Regierung unddie Koalition, müssen jetzt gemeinsam mit den Ländernhandeln, statt wie in den letzten Monaten immer nurSonntagsreden zu dem Thema Freiwilligendienste zuhalten. Handeln ist jetzt angesagt.Beim Ausstieg aus den Pflichtdiensten brauchen wireben kein Stückwerk, sondern politischen Mut zu einemwirklich großen Wurf. Raus aus dem Zivildienst mussheißen: rein in einen verlässlichen Ausbau der Freiwilli-gendienste. Das fehlt bisher.
Frau Schröder, die heute leider nicht hier sein kann,hat ein Konzept bzw. eher vage Eckpunkte vorgelegt,wie sie einen freiwilligen Zivildienst einrichten will.„Freiwilliger Zivildienst“ klingt schon absurd
und ist auch Flickschusterei, weil sie damit sinnlose undineffiziente Doppelstrukturen schafft, die kein Menschbraucht. Kein Mensch braucht einen Bundesstaatsdienst,
der unserer bewährten Marke, der Marke Jugendfreiwil-ligendienste, Konkurrenz macht und zivilgesellschaftli-che Freiwilligendienstorganisationen demotiviert. Eswäre auch absurd, wenn in derselben Einrichtung mitdenselben Tätigkeiten künftig freiwillige Sozialdienst-leistende und freiwillige Zivildienstleistende nebenei-nander eingesetzt würden, zu völlig unterschiedlichenBedingungen und Konditionen, zu verschiedenen Kos-ten mit unterschiedlichem Taschengeld. Das alles istFlickschusterei und macht keinen Sinn.
Sie nehmen hier unter einem selbstgesetzten Zeit-druck falsche Weichenstellungen vor, um letztlich vorallem Aufgaben des Bundesamtes für den Zivildienst zuerhalten und eine Arbeitsbeschaffungsmaßnahme fürdieses Bundesamt durchzusetzen. Sie entziehen im Übri-gen dem Zivildienstetat allein in dieser Woche 180 Mil-lionen Euro. Diese Mittel würden aber dringend für denAusbau der Freiwilligendienste gebraucht.MbVwdBdSGdddwZwtedSingteAtiTEGDLmüws
Markus Grübel hat das Wort für die CDU/CSU-Frak-
on.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!u etwas für dein Land, tu etwas für dich – das ist dieinstellung von Freiwilligen. Sie wollen etwas für dieemeinschaft und etwas für sich tun. Beides ist wichtig.ie Grundhaltung von Freiwilligen ist: Das ist meinand, das ist meine Stadt, das ist mein Verein, das sindeine Werte und Ideale, und dafür engagiere ich michber den Pflichtbeitrag Steuer hinaus.Ich glaube, trotz der Attacken von Kai Gehring sindir uns, die Koalitionsfraktionen und die beiden Antrag-teller, über die Fraktionsgrenzen hinweg einig: Wir
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7502 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 69. Sitzung. Berlin, Freitag, den 29. Oktober 2010
Markus Grübel
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wollen jetzt die Voraussetzungen schaffen, dass Freiwil-ligendienste einen guten rechtlichen Rahmen und ausrei-chend Unterstützung bekommen.
Wir sind uns auch einig: Bürgerschaftliches Engagement– dazu gehören Freiwilligendienste – ist eine Stütze un-serer Gesellschaft.Zurzeit haben wir die einmalige Chance, die Rahmen-bedingungen für Freiwilligendienste zu verbessern.Diese Chance werden wir nutzen. Schon im Haushalt2011, der derzeit beraten wird, sind deutliche Verbesse-rungen erkennbar. Wir steigern die entsprechenden Mit-tel von 20 Millionen auf 50 Millionen Euro. Das istmehr als eine Verdoppelung.Die Aussetzung der Wehrpflicht – sie wird heute aufdem CSU-Parteitag in München beraten und am 15. und16. November 2010 auf dem Bundesparteitag der CDU –und damit die Aussetzung des Zivildienstes schaffenSpielräume. Es entstehen aber auch Lücken. Letztes Jahrgab es 90 000 Zivildienstleistende. Sie hinterlassen eineempfindliche Lücke in der Behindertenbetreuung, imPflegebereich und in vielen anderen sozialen Bereichen.Allein im sozialen Bereich wird man mit jährlich1,8 Milliarden Euro Zusatzkosten rechnen müssen.Es geht aber um mehr als um Geld. Durch den Zivil-dienst wie durch die Freiwilligendienste kommen jungeMenschen in soziale Bereiche. Sie erlernen sozialeKompetenz. Viele entscheiden sich erst durch ihren Frei-willigendienst oder Zivildienst dazu, einen sozialen Be-ruf zu erlernen, den sie sonst vielleicht ausgeschlossenhätten. Durch eine Aussetzung der Wehrpflicht werdenBundesmittel frei, die zum Teil für Freiwilligendienstegenutzt werden können. Das ist eine einmalige Chance.Allerdings, Herr Gehring, muss nach der Verfassungdie Finanzierungskompetenz der Verwaltungskompetenzfolgen. Wir brauchen also die Verwaltungskompetenzdes Bundes, um 100 Prozent der frei werdenden Bundes-mittel einsetzen zu können. Daher lautet der Arbeitstitel:freiwilliger Zivildienst. Dieser Arbeitstitel ist übrigensein Lob des Zivildienstes; er, der Zivildienst, der Zivi, isteine gute Marke geworden. Künftig werden wir ihnwahrscheinlich als Bundesfreiwilligendienst – er liegt inder Verantwortung des Bundes und wird mit Mitteln desBundes finanziert – bezeichnen. Gleichzeitig gibt esdeutliche Verbesserungen beim Jugendfreiwilligen-dienst.Neu bei diesem Bundesfreiwilligendienst oder frei-willigen Zivildienst ist, dass er offen für Frauen und– auch das ist wichtig – offen für alle Generationen ist,also auch für Ältere. Wir haben im fünften Altenberichtzu den Potenzialen des Alters und im sechsten Altenbe-richt zu den Altersbildern die Vorarbeit geleistet. UnsereGesellschaft ist vielfältig, darum sind die Freiwilligen-dienste es auch. Unser Ziel ist es, den geplanten Bundes-freiwilligendienst eng mit den bestehenden Jugendfrei-willigendiensten, dem Freiwilligen Sozialen Jahr unddem Freiwilligen Ökologischen Jahr, zu verzahnen undkeine Konkurrenz zu schaffen.cZJswgmWdSsSgWszogncnbsAddisnbtehdabohWdPlevhg
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 69. Sitzung. Berlin, Freitag, den 29. Oktober 2010 7503
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(Beifall bei der SPD – Zuruf von der CDU/CSU: Nur Mut, Herr Kollege!)
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Natürlich sind wir auch mutig, sonst hätten wir keineAnträge gestellt, an denen wir uns heute abarbeiten kön-nen. Ich hätte mir angesichts der Debatte, die wir mittler-weile seit Jahren zu dem Thema Jugendfreiwilligen-dienste führen, und angesichts der Tatsache, dass wir seitJahren einen Platzausbau, eine Verstärkung, grundsätz-lich eine Attraktivitätssteigerung wollen, gewünscht,dass dieser Anlass von der Regierung dazu genutzt wor-den wäre, einen großen Aufschlag zu machen. Natürlichstimmt es, dass im Haushalt über die Jahre immer wiederetwas mehr Geld dafür zur Verfügung gestellt wordenist. Das ist gar keine Frage. Es war immer schon mühse-lig, dafür zu kämpfen. Durch den Wegfall des Zivil-dienstes waren nun Gelder übrig, und es sind auch Gel-der umgeschichtet worden. Aber die Frage ist, wofürdiese Gelder im FSJ und im FÖJ verwendet werden undob sie vielleicht an anderen Stellen wieder weggenom-men werden.Deshalb immer schön vorsichtig an der Bahnsteig-kante und nicht nur einfach Gelder von der einen Seiteauf die andere verschieben! Machen Sie vielmehr deut-lich, wofür diese Gelder verwendet werden sollen undwie tatsächlich eine Attraktivitätssteigerung beim FSJund beim FÖJ erreicht werden kann.
Herr Kollege Grübel, natürlich sind wir uns fraktions-übergreifend einig, zumindest immer dann, wenn wirReden halten, dass junge Männer und Frauen im FSJ undFÖJ in allen Bereichen – ob das im Kulturbereich ist, imsozialen Bereich oder beim Sport – eine tolle Leistungbringen. Immer dann, wenn wir Einrichtungen besuchen,wenn wir FSJler zu Gesprächen hier im Bundestag ha-ben, immer wenn wir über das Thema reden, sagen wir:Die machen eine tolle Arbeit. – Die tun etwas Gutes. Ichfinde das auch in Ordnung.Tu was Gutes – das haben Sie schön in Ihrer Redeaufgegriffen. Das ist ein wichtiger Punkt, den Sie an-sprechen; denn das FSJ und das FÖJ sind besondere For-men des bürgerschaftlichen Engagements und basierenausschließlich auf Freiwilligkeit. Sie müssen daher, wieich finde, sehr stark von der Zivilgesellschaft selbst or-ganisiert werden. Bürgerschaftliches Engagement mussnämlich aus der Zivilgesellschaft kommen und sollte sowenig wie möglich staatlich organisiert werden. WennSie das anders sehen, haben wir wohl eine andere Vor-stellung von bürgerschaftlichem Engagement als Sie.
Herr Grübel, Sie haben die in den Einrichtungen ent-stehende Lücke angesprochen. Dieses Thema ist interes-sant. Vom Zentralkomitee der deutschen Katholiken undanderen Bundesverbänden bekommen wir immer wiedergute Papiere, in denen es um die Frage geht: Wie gehenwir eigentlich mit dem Wegfall des Zivildienstes um? ImMDkaturangUAWLwlucwbisdnavaruteDBäWAgsdasdzfrgJswnsdTb
Das Land Rheinland-Pfalz hat in dieser Frage einenuten Ansatz verfolgt und im Bundesrat beantragt, dieugendfreiwilligendienste, wenn es Streitpunkte zwi-chen Bundes- und Landesebene gibt, nur noch bundes-eit organisieren zu lassen. Ich wundere mich, warumicht auch dieser Gedanke Bestandteil unserer Diskus-ion ist;
as bedaure ich sehr. Die Vorschläge, die derzeit auf demisch liegen, werden von den Ländern durchaus kritischetrachtet.
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7504 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 69. Sitzung. Berlin, Freitag, den 29. Oktober 2010
Sönke Rix
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Nun noch etwas zum Verfahren. Interessant ist dieFrage: Wird zur Wehrrechtsänderung und zum Bundes-freiwilligendienst ein Gesetzentwurf vorgelegt, oderwerden es zwei sein? Wird eventuell sogar der Verteidi-gungsausschuss federführend sein, wenn es um die Ein-führung eines Bundesfreiwilligendienstes geht? Dieshielte ich für einen Skandal. In ihrer Engagementstrate-gie hat die Bundesregierung nämlich geschrieben: Bund,Länder und Kommunen sind aufgefordert, ihre Engage-mentpolitik gut miteinander abzustimmen. In diesemFall tun Sie das aber nicht. Dass Sie das an dieser Stellenicht hinbekommen, bedauern wir sehr. Das ist mehr alsunredlich, liebe Kolleginnen und Kollegen.
Wir sind also gar nicht weit auseinander. Nach demWegfall des Zivildienstes müssen wir in die Freiwilli-gendienste investieren, aber bitte nur in die bestehendenJugendfreiwilligendienste. Einen zusätzlichen Freiwilli-gendienst brauchen wir nicht. Dadurch würden nur Dop-pelstrukturen geschaffen und eine unnötige Unübersicht-lichkeit entstehen. Stellen Sie sich vor, junge Leutebewerben sich in einer Einrichtung, in der es einen Bun-desfreiwilligendienstplatz und einen FSJ-Platz gibt. Na-türlich würden sie sich in diesem Fall für den Bundes-freiwilligendienstplatz entscheiden, weil sie dann einpaar Euro mehr bekommen. Wohin wird das führen,wenn nun von zwei Personen, zum Beispiel einer jungenFrau und einem jungen Mann, die freiwillig in einer Ein-richtung tätig sind, der eine mehr Aufwandsentschädi-gung oder Taschengeld bekommt als der andere? Wel-chen Dienst wird es am Ende wohl noch geben?Seien Sie ehrlich, legen Sie ein einheitliches Konzeptvor, und bauen Sie die Jugendfreiwilligendienste aus;denn sie haben es verdient.Danke schön.
Florian Bernschneider hat das Wort für die FDP-Frak-
tion.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen undHerren! Gestatten Sie mir, bevor ich zu den Anträgenvon SPD und Grünen komme, auch noch etwas Grund-sätzliches zu den Freiwilligendiensten und zum bürger-schaftlichen Engagement von jungen Menschen insge-samt zu sagen.Ich möchte auch deswegen zunächst auf diese grund-sätzlichen Dinge eingehen, weil ich schon glaube – dashaben Sie, Herr Rix, gerade ja auch gesagt –, dass wiruns in vielen Punkten wirklich einig sind; denn natürlichhaben Sie recht, dass es keine befriedigende Situationist, dass auf einen Freiwilligendienstplatz zurzeit bis zudrei Bewerber kommen. Der Fairness halber sollte manaandstedZvGgs4limggliuejuwcGedrulilodbvnbnBgSSunmgg
Bevor man diese Zahlen für politische Schuldzuwei-ungen heranzieht, möchte ich die Chance nutzen, im In-resse der jungen Menschen auch einmal zu sagen, wasiese Zahlen im Kern bedeuten. Schlagen Sie einmal dieeitungen auf und schauen Sie sich das Bild an, das dorton der Jugend von heute gemalt wird: unpolitisch, amemeinwohl desinteressiert und karriereorientiert. Dem-egenüber zeigen die Zahlen der jungen Menschen, dieich für die Freiwilligendienste bewerben, und die knappMillionen junge Menschen, die jedes Jahr ehrenamt-ch tätig werden, ein ganz anderes Bild. Von daher solltean eine solche Debatte auch einmal dazu nutzen, zu sa-en, dass wir stolz auf das Engagement sind, das die jun-en Menschen schon heute in diesem Land zeigen.
Als Liberalem ist es mir an dieser Stelle auch ein An-egen, zu betonen, dass dieses Engagement freiwillignd ohne jeden Zwang erfolgt, und zwar keinesfalls ausinem abstrakten Pflichtgefühl heraus, sondern weil diengen Menschen die Freiwilligendienste bzw. ihr frei-illiges Engagement in doppelter Hinsicht als berei-hernd empfinden: für sich selbst, aber eben auch für dieemeinschaft. Genau das haben die jungen Menschenrkannt.Es ist keine Selbstverständlichkeit, dass trotz der Be-eutung eines schnellen Einstiegs in Ausbildung und Be-f 40 000 junge Menschen im Jahr 2010 einen Freiwil-gendienst aufgenommen haben. Das kann man nurben. Vor allem muss man an dieser Stelle auch einmalie Arbeitgeber und die Ausbildungsbetriebe dafür lo-en, dass sie verstanden haben, dass es bei der Auswahlon Auszubildenden eben nicht nur um das Schulzeug-is, sondern auch darum geht, was die Jugendlichen ne-en der Schule und nach der Schule, zum Beispiel in ei-em Freiwilligendienst, geleistet haben.
Meine Damen und Herren von der SPD und vomündnis 90/Die Grünen, Sie bemängeln in Ihren Anträ-en, dass der Ausbau nicht schnell genug vorankommt.ie machen es sich leicht und verweisen auf die eigenenonntagsreden aus den vergangenen Legislaturperiodennd werfen uns vor, dass wir das alles nach einem Jahroch nicht geschafft haben.
Die SPD rühmt sich in ihrem Antrag zum Beispiel da-it, § 14 c Zivildienstgesetz eingeführt zu haben. Ichlaube Rot-Grün, dass alles, was damals passiert ist, gutemeint war.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 69. Sitzung. Berlin, Freitag, den 29. Oktober 2010 7505
Florian Bernschneider
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Man muss nachträglich aber auch einmal feststellen,dass dieser § 14 c Zivildienstgesetz nicht in Gänze gutwar, sondern dass er zu erheblichen Schieflagen und er-heblichen Fehlstrukturen geführt hat, um die wir unsdann erst einmal kümmern mussten. Sie haben gerademit Abs. 4 des § 14 c Zivildienstgesetz dafür gesorgt,dass junge Frauen erheblich benachteiligt wurden, weildie jungen zivildienstpflichtigen Männer aufgrund derhöheren Förderquote immer den Vorzug erhalten haben.Neben dieser Schieflage bei der Chancengerechtigkeitzwischen den Geschlechtern haben Sie dann auch nochfür eine Schieflage bei den Finanzierungsstrukturen ge-sorgt.Was Sie in Ihrem Antrag als Errungenschaft feiern,war eine erste Baustelle, um die sich diese Koalition ge-kümmert hat, indem sie diesen Abs. 4 korrigiert und dieSchieflagen, die ich aufgezeigt habe, beseitigt hat.30 Millionen Euro fließen jetzt nicht mehr über Um-wege, sondern direkt zu den Jugendfreiwilligendiensten.Das ist der größte Aufwuchs dieser Position, den es je-mals gegeben hat. Hiermit sind wir einen ersten wichti-gen Schritt gegangen.
Hinsichtlich der Finanzierung Ihrer weiteren Forde-rungen bedienen Sie sich einer Sache, zu deren Umset-zung Sie selbst nie in der Lage waren. Sie sagen einfach:Wenn die Wehrpflicht ausgesetzt wird, dann ist das Gelddafür da. – Ich glaube schon, dass es Sie von SPD undGrünen wurmt, dass nun eine schwarz-gelbe Regierungdarüber diskutiert, wie man die Wehrpflicht aussetzenund große Reformen beim Zivildienst und in Bezug aufdas bürgerschaftliche Engagement durchführen kann.Sie müssen es uns dann aber bitte auch überlassen, denZeitplan dafür zu gestalten, damit das vernünftig durch-dacht ist und es nicht zu Fehlschüssen kommt, wie beiden Ausbauszenarien in Ihren Anträgen, die wahrschein-lich gar nicht so möglich sind, wie Sie das schildern.
Es ist doch völlig klar – darin widersprechen wir unsja auch nicht –: Wenn wir auf die Wehrpflicht und denZivildienst verzichten, dann müssen wir die Chancennutzen, die Freiwilligendienste zu stärken. Das wissenSie auch. Meine Fraktion steht völlig dahinter. Wenn dieWehrpflicht und der Zivildienst fallen, dann nehmen wirdie Freiwilligendienste in den Fokus und werden dieseauch stärken.
An diesen Konzepten arbeitet die christlich-liberaleKoalition. Wenn man es mit dem Freiwilligenengage-ment ernst meint, dann muss man aber eben auch mehrmachen, als nur gutgemeinte Forderungen aneinanderzu-reihen. Das sei auch noch der SPD gesagt.BfürüruetedDs–asdwgIcndnuLuwwFesaWs
Nein, ich lasse keine Zwischenfragen zu; ich kommeuch zum Schluss.
Genau das wollen wir eben nicht. Wir wollen einchlüssiges Gesamtkonzept.Lassen Sie mich das als Liberaler sagen: Ich bin stolzarauf, dass gerade diese Regierung nicht über die Not-endigkeit eines Zwangsdienstes, sondern über die Aus-estaltung von Freiwilligkeit diskutiert.
h kann Ihnen versichern, dass wir in diesen Diskussio-en zu Ergebnissen kommen werden, die besser sind alsie, die Sie uns heute vorgelegt haben. Deswegen kön-en Sie sich auf die ausgearbeiteten Konzepte freuennd denen dann auch hoffentlich zustimmen.Vielen Dank.
Heidrun Dittrich spricht jetzt für die Fraktion Die
inke.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damennd Herren! Wenn am 1. Januar 2011 der Zivildienstegfällt, wird dies von der Linken begrüßt werden; dennir sind für die Abschaffung aller Zwangsdienste.
Bereits seit März dieses Jahres jedoch sucht unsereamilienministerin Kristina Schröder händeringend nachinem anderen Dienst. Warum ist das so? Der Zivildienstollte doch arbeitsmarktneutral gehalten sein und keineusgebildeten Arbeitskräfte verdrängen.
ie wir alle aus der Praxis wissen, hat das noch nie ge-timmt. Bereits die ehemalige Bundesgesundheitsminis-
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Heidrun Dittrich
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terin Ulla Schmidt hat bis zum Jahr 2020 einen Bedarfvon 300 000 zusätzlichen Pflegekräften benannt. DerPräsident des Deutschen Pflegerates, Herr AndreasWesterfellhaus, sagt:Aber wir haben im vergangenen Jahr 10 000 Aus-bildungsplätze abgebaut! So sieht die Realität aus.Dieser Mangel an Arbeitskräften bzw. ausgebildetenKräften soll jetzt mit Ungelernten behoben werden?Welche Tätigkeiten üben denn die Freiwilligen in einemSozialen Jahr zum Beispiel im Altersheim aus? Spazier-engehen, Vorlesen und Essen anreichen. Machen wir unsdoch nichts vor: Bei der Personalknappheit im Gruppen-dienst wird das auch notwendig. Eine gelernte Altenpfle-gerin weiß, dass eine Seniorin aufrecht sitzen muss, umgut zu schlucken. Sie muss manchmal unterstützt wer-den, damit der Schluckreflex funktioniert. Das könnennur ausgebildete Fachkräfte. Die alte Dame sollte auchihre Brille aufsetzen, damit sie sieht, was sie isst, unddas Interesse behält. Gerade Demenzkranke erkennen oftnicht, dass die Mahlzeit eine Mahlzeit ist.Warum erzähle ich Ihnen das alles?
Weil Ungelernte nicht erkennen können, was eine Fach-kraft sieht. Mit dem Einsatz der Freiwilligen in derPflege entwerten Sie die Berufsausbildung der Alten-pflegerin, und die Pflegebedürftigen erhalten keine qua-lifizierte Grundversorgung.
Die Pflegekasse bezahlt in der Pflegestufe I bereitsüber 1 400 Euro für einen Heimplatz. Damit haben diebetreuten Seniorinnen und Senioren auch Anspruch auffachlich qualifiziertes Personal. Es wäre ja jede Berufs-ausbildung im sozialen Bereich überflüssig, wenn durchUngelernte diese Teile übernommen werden könnten.Die Familienministerin benutzt die jungen Freiwilli-gen, um einen staatlich subventionierten Niedriglohnbe-reich zu erhalten und auszubauen. Warum sollen denndiese jungen Menschen auf einmal massenhaft das Inte-resse entwickeln, zu dienen? Was hat denn diese Bundes-regierung für die jungen Menschen getan? Am 19. Okto-ber 2010 schreibt das Handelsblatt, ganz bestimmt keinlinkes Blättchen, dass durch den Wegfall des Zivildiens-tes und die Aussetzung des Wehrdienstes 2011 50 000zusätzliche Studenten aufgenommen werden müssten.Dafür hat die Bundesregierung nicht vorgesorgt. Sienimmt es hin, dass Studienberechtigte ebenso wenig ei-nen akademischen Ausbildungsplatz erhalten, wie Ju-gendliche eine berufliche Ausbildung finden können.Stattdessen bieten Sie als Warteschleife das FreiwilligeSoziale Jahr an.
Der Ausbildungsplatzmangel und die Jugendarbeits-losigkeit werden mit dem Ausbau des Freiwilligen So-zialen Jahres nicht beseitigt. Schaffen Sie also endlichAusbildungs- und Arbeitsplätze, und schaffen Sie danndie Rente mit 67 ab!fuadBdse–mremzliWshwebvndC
Die Linke ist dafür, jedem jungen Menschen, der esöchte, ein Freiwilliges Soziales Jahr als Lerndienstwischen Berufsausbildung und Arbeitsleben zu ermög-chen. Dies darf aber nicht als letzte Möglichkeit undarteschleife oder gar als gesamtgesellschaftliche Lö-ung eines Pflegenotstandes dienen.
Frau Kollegin, kommen Sie bitte zum Ende.
– Ja. – Wir wollen einen individuellen Anspruch er-
alten. Die freiwerdenden Mittel können gerne genutzt
erden, um die Freiwilligendienste für Jugendliche zu
rhalten, nicht aber für einen freiwilligen Zivildienst
zw. für Dienstposten von Pflegebeamten, deren Dienst-
erhältnis keine Mitbestimmungsrechte wie bei Arbeit-
ehmern zulässt.
Frau Kollegin.
Noch zwei Sätze?
Nein.
– Gut. – Es sollen nicht nur die großen Träger, son-
ern auch die kleinen gefördert werden.
Danke.
Das Wort hat der Kollege Peter Tauber für die CDU/SU-Fraktion.
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Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen undHerren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In der Tat istes richtig: Freiwilligkeit ist ein hohes Gut. Aber ichfinde, wir müssen in der Diskussion ein bisschen aufpas-sen, dass nicht der Eindruck entsteht, dass das, wasWehrdienst- und Zivildienstleistende in den letzten Jahr-zehnten für dieses Land geleistet haben, weniger wertist. Wir müssen auch zur Kenntnis nehmen, dass es einwesentlicher Effekt des Wehr- und Zivildienstes war,dass junge Männer diesen Dienst zwar aus einem Zwangoder einer als unangenehm empfundenen Pflicht herausantraten, ihn aber in dem Bewusstsein beendet haben,dass er ihnen nicht geschadet hat, sondern dass sie auchpersönlich davon profitiert haben und etwas Gutes fürdie Gesellschaft getan haben.Jetzt kommen wir zu der spannenden Frage – damitmüssen wir uns gemeinsam befassen –, wie wir geradedie Zielgruppe erreichen, die es nicht von sich aus für lo-benswert und erstrebenswert hält, ein Jahr Freiwilligen-dienst zu leisten. Wie können wir mehr junge Menschenfür einen Freiwilligendienst begeistern?Ich bin sehr froh, dass die christlich-liberale Koalitioneinen Punkt aus dem Koalitionsvertrag aufgreift und festin den Blick nimmt, nämlich den Ausbau der Freiwilli-gendienste. Denn wir sind davon überzeugt, dass das einwesentliches Element ist, um den Zusammenhalt in un-serer Gesellschaft zu stärken; denn so kann jungen Men-schen vermittelt werden, dass es um mehr geht, als Steu-ern zu zahlen und wählen zu gehen, und dieses Land ihreaktive Betätigung braucht, damit sich unsere Gesell-schaft in vielerlei Punkten in eine positive Richtung wei-terentwickeln kann.
Ich habe bereits vor zwei Monaten gesagt – Herr Rixhat darauf angespielt –, dass ein Ende des klassischenZivildienstes durchaus Chancen zur Etablierung einesneuen Freiwilligendienstes bietet, der – das sehen wir inder Debatte vielleicht unterschiedlich – das Beste ausdem Zivildienst und dem Freiwilligen Sozialen Jahr zu-sammenführt.
Ich hatte am Anfang der Debatte ein bisschen dieSorge, dass beide Seiten in das klassische Denken derBesitzstandswahrung verfallen, wie wir es immer erle-ben, wenn sich etwas fundamental ändert. Der eigeneBesitzstand muss unbedingt verteidigt werden. Man istnicht bereit, etablierte Strukturen einmal kritisch zudurchleuchten und zu hinterfragen. Im Gegensatz dazusteht, wie ich denke, der Vorschlag der Ministerin, mitdem sie damals eine Diskussionsgrundlage dafür schaf-fen wollte, dass das eigentliche Ziel wieder in den Mit-telpunkt rückt, nämlich der Ausbau der Freiwilligen-dienste.Eine wichtige Frage ist nun, wie neue Strukturen aus-sehen können. Ebenso wichtig ist aber auch die Frageder Zuständigkeit. Bei genauerem Hinsehen hilft es,gdVedeligdliDgztundingskgdSfudpleEFcmgddFswliwimfrgep
er Weisheit letzter Schluss ist aber auch nicht zwin-end die alleinige Kompetenz des Bundes.Wir müssen über Folgendes ernsthaft reden: Wenn eswei Säulen gibt – zum einen die Länder, die Verantwor-ng übernehmen und Gelder zur Verfügung stellen kön-en; zum anderen den Bund, der das Gleiche tut –, dannarf das nicht dazu führen, dass sich für die Freiwilligen der Struktur des Dienstes erkennbare Unterschiede er-eben. Mit dem Namen „freiwilliger Zivildienst“ ver-ucht man, an das positive Image des Zivildienstes anzu-nüpfen. Aber diese Namenswahl ist vielleicht nichtanz glücklich. Deshalb werden wir mit der Benennunges bundesweiten Freiwilligendienstes den nächstenchritt gehen und deutlich machen, dass wir vor einemndamentalen Systemwechsel stehen.Wir haben jetzt so viele Möglichkeiten wie nie zuvor,ie Freiwilligendienste auszubauen. Einen solchen Im-uls für die Freiwilligendienste gab es noch nie in dentzten Jahren. Wir sind hier auf einem sehr guten Weg.s ist aber wichtig, dass das auf Augenhöhe mit denreiwilligen geschieht, weil es keinen Unterschied ma-hen darf, in welcher der beiden Säulen eines gemeinsa-en Systems sie ihren Dienst verrichten.
Ich persönlich habe den Eindruck, dass die Bundesre-ierung in den Gesprächen schon sehr viel weiter ist, alsas Ihre beiden Anträge nahelegen. Das gilt insbeson-ere im Hinblick auf das Ehrenamt und die Kultur derreiwilligendienste, in der junge Menschen aufgerufenind, selber ihre Umgebung attraktiv zu gestalten.Ich möchte noch auf vier Punkte eingehen, die mirichtig sind.
Der erste Punkt ist die Vielfalt der Angebote. Natür-ch bleibt der soziale Bereich besonders wichtig. Aberir müssen Freiwillige auch in der Kultur, im Sport und Bildungsbereich sehr viel stärker einsetzen. Auch dereiwillige Wehrdienst muss in diesem Zusammenhangenannt werden.Beim zweiten Punkt, der neben der Angebotsvielfaltbenfalls wichtig ist, geht es um die Frage, wie die Kom-etenzen, die die jungen Menschen während ihres frei-
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7508 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 69. Sitzung. Berlin, Freitag, den 29. Oktober 2010
Dr. Peter Tauber
(C)
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willigen Dienstes erwerben, zertifiziert werden könnenund wie bescheinigt werden kann, dass sie etwas gelernthaben, damit sie auch persönlich den Eindruck haben,von diesem Dienst profitiert zu haben.
Das hat auch etwas mit dem dritten Punkt, der un-heimlich wichtig ist, zu tun: mit der Anerkennungskul-tur.Viertens müssen wir uns Gedanken darüber machen,wie wir junge Menschen für einen Freiwilligendienst be-geistern können. Wir wollen nämlich nicht in einemLand leben, in dem das Prinzipselber denkt, ist an alle gedacht
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E
Berichtig
68. Sitzung, Seite 7317 (B
zweite Satz ist wie folgt zu le
bericht zur nationalen Nachha
die Stickstoffüberschüsse in de
noch bei 104 Kilogramm pro H
(D
Genießen Sie den sonnigen Nachmittag, das Wochen-
nde und die sitzungsfreie Woche sowie die gewonnenen
insichten.
Die Sitzung ist geschlossen.