Gesamtes Protokol
Die Sitzung ist eröffnet.Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Esgibt eine interfraktionelle Vereinbarung, den Tagesord-nungspunkt 33 zur Deutschen Bahn und den Tagesord-nungspunkt 34 zum privaten Waffenbesitz zu tauschen,also die Reihenfolge umzukehren. Darüber ist gestern imÄltestenrat gesprochen und Einvernehmen erzielt wor-den. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist offenkun-dig der Fall. Dann können wir so verfahren.Ich rufe unsere Tagesordnungspunkte 30 a bis 30 dauf:a) – Zweite und dritte Beratung des von den Fraktio-nen der CDU/CSU und der FDP eingebrachtenEntwurfs eines Dreiundzwanzigsten Gesetzeszur Änderung des Bundesausbildungsförde-rungsgesetzes
– Drucksache 17/1551 –– Zweite und dritte Beratung des von der Bun-desregierung eingebrachten Entwurfs einesDreiundzwanzigsten Gesetzes zur Ände-rung des Bundesausbildungsförderungsge-setzes
Redet– Drucksache 17/1941 –Beschlussempfehlung und Bericht des Aus-schusses für Bildung, Forschung und Technik-folgenabschätzung
– Drucksache 17/2196 –Berichterstattung:Abgeordnete Dr. Stefan KaufmannSwen Schulz
Dr. Martin Neumann
Nicole GohlkeKai Gehring
richts des Ausschusses für Bildung, Forschungund Technikfolgenabschätzung
– zu dem Antrag der Abgeordneten Swen Schulz
, Dr. Ernst Dieter Rossmann, Dr. Hans-
Peter Bartels, weiterer Abgeordneter und derFraktion der SPDBAföG ausbauen und Chancengleichheitstärken– zu dem Antrag der Abgeordneten NicoleGohlke, Agnes Alpers, Dr. Rosemarie Hein,weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIELINKEBAföG ausbauen – Gute Bildung für alle– zu dem Antrag der Abgeordneten Kai Gehring,Priska Hinz , Ekin Deligöz, weitererextAbgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNENSozial gerechtes Zwei-Säulen-Modell stattelitärer Studienfinanzierung– Drucksachen 17/884, 17/1558, 17/899, 17/2196
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Berichterstattung:Abgeordnete Dr. Stefan KaufmannSwen Schulz
Dr. Martin Neumann
Nicole GohlkeKai Gehringe und dritte Beratung des von den Frak- der CDU/CSU und der FDP eingebrach-ntwurfs eines Gesetzes zur SchaffungAusschuss)c) – Zweittionenten E
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Präsident Dr. Norbert Lammert
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– Drucksache 17/1552 –– Zweite und dritte Beratung des von der Bun-desregierung eingebrachten Entwurfs einesGesetzes zur Schaffung eines nationalen Sti-
– Drucksache 17/1942 –Beschlussempfehlung und Bericht des Aus-schusses für Bildung, Forschung und Technik-folgenabschätzung
– Drucksache 17/2194 –Berichterstattung:Abgeordnete Dr. Stefan KaufmannMarianne Schieder
Dr. Martin Neumann
Nicole GohlkeKai Gehring
– Drucksache 17/2195 –Berichterstattung:Abgeordnete Eckhardt RehbergKlaus HagemannUlrike FlachMichael LeutertPriska Hinz
d) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichtsdes Ausschusses für Bildung, Forschung und Tech-nikfolgenabschätzung zu demAntrag der Abgeordneten Kai Gehring, PriskaHinz , Sylvia Kotting-Uhl, weiterer Ab-geordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIEGRÜNENNein zum nationalen Stipendienprogramm– Drucksachen 17/1570, 17/2194 –Berichterstattung:Abgeordnete Dr. Stefan KaufmannMarianne Schieder
Dr. Martin Neumann
Nicole GohlkeKai GehringDazu liegen ein Änderungsantrag und zwei Entschlie-ßungsanträge der Fraktion der SPD sowie ein Entschlie-ßungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor.Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind fürdie Aussprache eineinviertel Stunden vorgesehen. – Ichhöre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort zu-nächst der Bundesministerin Frau Dr. Annette Schavan.
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Deshalb bringen wir das 23. BAföG-Änderungsgesetzin. Wir heben die Bedarfssätze an und erhöhen die Frei-eträge. Künftig wird der Förderhöchstsatz für Studie-nde bei 670 Euro monatlich liegen. Wir können davon
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Bundesministerin Dr. Annette Schavan
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ausgehen, dass die jährliche Zahl derer, die gefördertwerden, um 50 000 bis 60 000 erhöht werden wird.
Das ist ein erstes wichtiges Ziel: Wir wollen, dass künf-tig mehr Studierende die Möglichkeit haben, nachBAföG gefördert zu werden.
Zweitens. Wir passen die Regelungen an neue Studi-enstrukturen an, Stichwort: Masterstruktur. Wir erhö-hen für das Masterstudium die Altersgrenze auf 35 Jah-re. Wir modernisieren – auch das ist ein wichtigesThema –, indem wir bei der Anerkennung von Kinderbe-treuungszeiten im Hinblick auf die Altersgrenze flexib-ler werden. Das heißt, wir entwickeln das BAföG soweiter, dass sich einerseits neue Studienstrukturen besserabbilden und andererseits weitere Verbesserungen beider Vereinbarkeit von Familie und Studium erreicht wer-den. Auch das halte ich mit Blick auf die Entwicklungenin den nächsten zehn Jahren für einen ganz wichtigenPunkt: Wir geben jungen Familien, bei denen Vater,Mutter oder beide im Studium sind, bessere Möglichkei-ten, das Studium mit der Familie, mit den Kindern undden Kinderbetreuungszeiten, zu verbinden.
Schließlich greifen wir auf, was bei der Begutachtungbisheriger Verwaltungspraxis immer wieder angespro-chen worden ist. Wir vereinfachen die Verwaltung, pau-schalieren die Wohnkosten, vereinfachen das Verfahrenzur Anerkennung von Leistungen, verzichten auf denNachweis von Sprachkenntnissen bei Auslandsaufent-halten. Das, was sich in vielen Bereichen anbietet, sollalso auch hier geschehen: einfachere Verfahren bei derBearbeitung, Vereinfachung der Verwaltung.
– Genau, Herr Gehring, das ist Bürokratieabbau; da ha-ben Sie völlig recht.
Man kann ihn weiter vorantreiben.Ich glaube, dass wir damit einen wichtigen Schrittmachen; denn BAföG ist in dem Maße wirksam, in demes gelingt, eine vernünftige Verbindung zwischen derSteigerung der Lebenshaltungskosten und den Frei- undFörderbeträgen des Bundesausbildungsförderungsgeset-zes herzustellen. Deshalb ist das ein klares Signal. Wirhalten Wort: Vor zwei Jahren, 2008, haben wir dasBAföG um 10 Prozent erhöht; jetzt erhöhen wir weiter.Das muss ein kontinuierlicher Prozess sein.Es muss ein bildungspolitisches Ziel sein – ich habe eseben gesagt –, das wirklich für alle gilt: Der GeldbeuteldnZksis6gsvwregzdbbdGgtesdnDstenwdgfekteWglea
ei denen sich deutsche Studenten um Stipendien bewer-en. Es wird Zeit, dass es in Deutschland endlich Stipen-ien gibt. Deshalb wollen wir sie einführen.
Mit unserem Vorhaben ist noch etwas anderes alseld verbunden. Es wird Zeit, dass in Deutschland einerößere Solidarität mit unserem Wissenschaftssys-m, mit den Hochschulen möglich wird. Ein Wissen-chaftssystem verdient es, dass die Zivilgesellschaft,ass diejenigen, die studiert haben und heute gut verdie-en, mit ihren Hochschulen solidarisch sind.
as ist in anderen Ländern in den Ehemaligenvereinenelbstverständlich. Deshalb müssen wir ein anderes Sys-m schaffen. Wir müssen einen Impuls setzen, der sichicht nur an die öffentliche Hand und ihre Investitionenendet, sondern der endlich die Verbindungen zwischenen Ehemaligen und ihren Hochschulen verbessert. Eineemeinschaftliche Aktion von Zivilgesellschaft und öf-ntlicher Hand ist nötig, um Studierenden die Möglich-eit zu geben, in Deutschland ein Stipendium zu erhal-n.
ir erweitern das Spektrum. Auch das ist ein starkes Si-nal.
Der Präsident meldet sich bei mir. Also sage ich alstzten Satz: Das, was unentwegt diskutiert wird – –
Ich hatte gehofft, Sie wollten mir etwas Nettes sagen,ber – –
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Dr. Annette Schavan, Bundesministerin für Bil-dung und Forschung:Ich habe Sie doch schon angestrahlt, als ich zum Red-nerpult ging.Die ganze Debatte über das Matthäus-Prinzip – wasist mit den Starken, wo bleiben die Schwachen – istnichts weiter als die Fortsetzung einer alten, unergiebi-gen Debatte. Mit dieser Art von Debatte haben Sie nichtserreicht. Sie haben niemanden aus einkommensschwa-chen Familien an die Hochschulen gebracht. Die erstenErfahrungen in NRW zeigen: Erst dort, wo Stipendienzur Verfügung stehen, erreichen wir mehr Durchlässig-keit,
erreichen wir, dass mehr Menschen aus einkommens-schwachen Familien an Hochschulen studieren. Das istdas Ziel dieser Regierung. Diese Maßnahme ist wichtig.Deshalb bitte ich um Zustimmung für diesen neuen Im-puls.
Das Wort erhält der Kollege Swen Schulz für die
SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Meine sehr verehrten Damen und Herren! Das BAföGist das zentrale Instrument der Ausbildungsförderung. Esgeht darum, dass allen ein Studium, eine schulische Qua-lifikation auch dann ermöglicht wird, wenn sie es sichallein eigentlich gar nicht leisten können. Das Entschei-dende dabei ist der Rechtsanspruch. Alle können sichdarauf verlassen, dass sie etwas erhalten, und ausrech-nen, was sie erhalten. Nur so kann man Gerechtigkeit or-ganisieren. Das ist der entscheidende Unterschied zudem von der Regierungskoalition geplanten nationalenStipendienprogramm. Dazu wird die Kollegin Schiedernoch einiges sagen.
Die SPD hat das BAföG eingeführt,
und sie hat es immer nach Kräften weiterentwickelt undverbessert. Beispielsweise hat Rot-Grün nach der Regie-rungszeit von Helmut Kohl mit der Verantwortung desdamaligen Ministers Rüttgers das BAföG wieder auf einsolides Fundament gestellt. Ich will daran erinnern, FrauSchavan – auch das muss man dürfen –, dass es notwen-dig war, dass wir Sozialdemokraten in Zeiten der GroßenKoalition das BAföG verteidigten. Es gab ganz anderePläne vonseiten der CDU/CSU.
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arüber hinaus wollen wir etwas Neues einführen, näm-ch eine zweite Einkommensgrenze. Wir wollen damitas Mittelstandsloch, das wir sehen, schließen. Diejeni-en, die kein BAföG bekommen können, aber trotzdemchwierigkeiten bei der Finanzierung der Ausbildungaben, sollen zumindest ein zinsloses Darlehen erhalten.ir wollen die Förderhöchstdauer ausweiten, weil wirehen, dass viele ihr Studium in der geforderten Zeiticht abschließen können. Diese Studierenden solleneiterhin BAföG erhalten können. Wir wollen die För-erlücke zwischen dem Abschluss des Bachelorstudiumsnd der Aufnahme des Masterstudiums, in der keinAföG gezahlt wird – sie kann bis zu vier Monate betra-en –, schließen. Wir wollen die Teilzeitausbildung för-erfähig machen, die Altersgrenzen deutlich anhebennd eine automatische Anpassung einführen. Es gibteitere Punkte in unserem Antrag, die ich aus Zeitgrün-en leider nicht ansprechen kann.Nachdem wir diesen Antrag eingebracht haben, habenir gehofft, mit der Regierungskoalition in einen Dialogarüber eintreten zu können. Aber diese Hoffnung warider trügerisch. Die Regierungskoalition hat einen Ge-etzentwurf eingebracht. Im Ausschuss haben wir dannine Sachverständigenanhörung durchgeführt. Die Sach-erständigen haben einhellig Folgendes gesagt:Erstens. Die BAföG-Novelle der Regierungskoalitioneht in die richtige Richtung.
Es ist schön, auch von Ihnen einmal Applaus zu be-ommen.Zweitens vertraten die Sachverständigen genauso ein-ellig die Meinung, dass mit diesem Gesetzentwurf zu
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Swen Schulz
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wenig Modernisierungen und Verbesserungen vorge-schlagen werden. Das reicht nicht aus. Das ist zu kurzgesprungen.
Es gab eine Fülle von Hinweisen, Anregungen undKritik. Wir haben daraufhin ein ganzes Paket von Ände-rungsanträgen im Ausschuss zur Debatte gestellt. DieGrünen und die Linken übrigens auch. Aber was hat dieRegierungskoalition in der Ausschusssitzung am vergan-genen Mittwoch damit gemacht? Sie hat einfach allesvom Tisch gewischt. Es gab eine Handvoll kleiner Ände-rungen – denen haben wir zugestimmt; so konstruktivkönnen Ausschussberatungen sein, wenn man gutwilligist –, doch alle anderen Anträge wurden abgelehnt. DieHinweise der Sachverständigen, auch die Hinweise derSachverständigen, die von Ihnen eingeladen wurden, ha-ben Sie ignoriert. So kann man das nicht machen.
Nun erwarte ich gar nicht, dass Sie unsere Anträge1 : 1 übernehmen.
Natürlich kann man an verschiedenen Stellen unter-schiedlicher Meinung sein – das ist völlig in Ordnung –,aber man muss doch wenigstens diskutieren. Die Igno-ranz, die Sie am Mittwoch an den Tag gelegt haben, ver-dient einfach nur die Note „mangelhaft“.
Ich habe mich gefragt: Warum ist das so? Warum ver-halten Sie sich so starrsinnig? Es gibt zwei Möglichkei-ten: Entweder haben die Parlamentarier von CDU/CSUund FDP nicht den Mut und die Kraft, der Bundesregie-rung auch einmal entscheidende Änderungen abzutrot-zen, oder – das ist die zweite Möglichkeit – es interessiertsie nicht wirklich. Es geht Ihnen bei der BAföG-Novellenur darum, ein soziales Feigenblatt auf Ihr völlig ver-korkstes und falsches nationales Stipendienprogramm zulegen.
Wenn Sie die Energie und die Mittel, die Sie in das na-tionale Stipendienprogramm investieren, für das BAföGaufgebracht hätten, dann hätte daraus eine wirklichrunde, vernünftige Sache werden können.
So kommt es zwar zu kleinen Verbesserungen, aber es istunter dem Strich letztlich enttäuschend.Herzlichen Dank.
Dr. Martin Neumann ist der nächste Redner für die
DP-Fraktion.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen undollegen! Heute ist ein wichtiger Tag in der Geschichteeutscher Bildungspolitik. Denn trotz wirtschaftlichchwieriger Zeiten und angesichts eines hohen Konsoli-ierungsdrucks für die öffentlichen Haushalte setzt dieseoalition genau das um, was sie vor der Wahl verspro-hen und vor acht Monaten im Koalitionsvertrag zwi-chen Union und FDP vereinbart hat.
amals haben wir uns zu unserem gemeinsamen ZielBildungsrepublik Deutschland“ bekannt und verein-art, dieses Ziel im Bereich der Förderung der Studie-nden durch einen Dreiklang aus BAföG, Stipendiennd Bildungsdarlehen zu erreichen, damit der Bildungs-ufstieg in unserem Land nicht an finanziellen Hürdencheitert.
Meine Fraktion ist der festen Überzeugung, dass wirit den vorliegenden Änderungen im Bereich desAföG spürbare Verbesserungen bei der individuellenildungsfinanzierung auf dem Weg zu einer Bürger-nd Verantwortungsgesellschaft erzielen und dabeior allem die soziale Komponente angemessen würdi-en, da wir BAföG auch weiterhin nur denjenigen zugu-kommen lassen, die auch tatsächlich bedürftig sind.ie Vorwürfe der Opposition, Herr Schulz, man hätteine stärkere Anhebung der Freibeträge und Bedarfs-ätze anstreben müssen, halte ich angesichts der aktuel-n finanzpolitischen Situation für ungerechtfertigt.
or allem aber ist der Hinweis, man könnte das Geld füras nationale Stipendienprogramm in das BAföG ste-ken – das haben Sie eben so gesagt –, vollkommen un-ngebracht.
enn bei diesem Hinweis wird vergessen, dass durch dieofinanzierung der Stipendien mit Mitteln Privater mehreld in das Bildungssystem fließen wird, als wir es inleichem Maße nur über das BAföG erreichen würden.Herr Präsident, Sie gestatten ein Zitat:Natürlich wünscht sich die Opposition mehr, unddas sofort. Das ist ihr gutes Recht. Unsere Pflichtals Regierungskoalition ist aber, aus dem Wün-
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Dr. Martin Neumann
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schenswerten das Machbare zu machen und dies inden finanziellen Kontext einzubetten.Dies sagte Renate Schmidt hier am 16. November2007.
Mit dem 23. BAföG-Änderungsgesetz, welches be-reits zum Schuljahresbeginn bzw. zum Wintersemester2010/2011 in Kraft tritt, werden drei Ziele verfolgt undumgesetzt: erstens eine moderate, aber auch über demrechnerisch Erforderlichen liegende Anhebung der Be-darfssätze um 2 Prozent und der Freibeträge um3 Prozent, zweitens wichtige strukturelle Verbesserun-gen im Zeichen einer Entbürokratisierung – das wurdeschon angesprochen –, zum Beispiel die Pauschalierungder Wohnkosten, Leistungsnachweis mittels ECTS-Leis-tungspunkten, Streichung spezieller Teilerlasse, und drit-tens eine Ausgestaltung gemäß dem Bologna-Prozess,nämlich die Anhebung der Altersgrenze beim Master auf35 Jahre. Das zeigt, dass dieser Weg richtig ist.Ab dem Jahr 2011 werden dem Bund dadurch jährli-che Mehrausgaben in Höhe von etwa 200 MillionenEuro entstehen. Es ist wichtig, an dieser Stelle hervorzu-heben, dass wir das BAföG durch das nationale Stipen-dienprogramm für besondere Leistungen ergänzen unddadurch sowohl eine Förderung in der Breite als auch inder Spitze erreichen.
Heute fordert die Opposition, noch stärker an der Stell-schraube Freibeträge und Bedarfssätze zu drehen, ob-wohl die Erfahrung aus der 22. Novelle gezeigt hat, dasses keinen direkten Einfluss und keinen direkten Effektauf die Zahl der Geförderten gegeben hat. Jedem müssteeinleuchten: Wir brauchen nicht höhere Freibeträge, son-dern deutlich unterschiedliche Förderinstrumente. Die-sen Weg geht die Koalition.
Ihr plakativer Vorwurf, Herr Schulz, wir hätten dieAnregungen und Vorschläge des Bundesrates und derSachverständigen in der Anhörung in der vergangen Wo-che nicht aufgenommen, geht vollkommen ins Leere.
Nach sorgfältiger Abwägung aller Vor- und Nachteilehaben wir sehr wohl – das haben wir auch im Ausschussbesprochen – die aus unserer Sicht sinnvollen und finan-zierbaren Vorschläge aufgegriffen.Wir machen das BAföG heute – das ist ganz wichtig;deswegen will ich das hervorheben – fairer, transparen-ter, unbürokratischer und moderner. Vor allem setzen wirzu diesem sozialpolitischen Instrument mit unserem na-tionalen Stipendienprogramm – beide Vorhaben bildenein ausgewogenes Paket – eine leistungsbezogene Kom-ponente hinzu, um einen Beitrag zur Entwicklung einersledfüuddadsstiDgndSmbGpBsgvzedisteod1Ap
Ich hoffe – das sage ich zum Schluss –, dass der Bun-esrat am 9. Juli 2010 unser Studienfinanzierungspaketus BAföG und nationalem Stipendienprogramm aufen Weg bringt. Nur durch diese gemeinsame Kraftan-trengung werden wir unserer politischen und morali-chen Verantwortung für die junge Generation gerecht.Ich bedanke mich.
Nicole Gohlke ist die nächste Rednerin für die Frak-
on Die Linke.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!iese Regierung will ein nationales Stipendienpro-ramm, das den vermeintlich besten Studierenden mo-atlich 300 Euro spendiert, begründet dies aber damit,ie Studierneigung insgesamt fördern zu wollen. Frauchavan hat, wie ich glaube, gerade in diesem Zusam-enhang die Formulierung „junge Leute ermutigen“ ge-raucht.
Zu Recht hagelt es von allen Seiten Kritik an diesemesetz, auch aus dem Kreis der Stipendiatinnen und Sti-endiaten selbst, die übrigens in diesen Minuten vor demundestag demonstrieren. Sie kritisieren, dass durch die-es Programm wieder vor allem Jugendliche aus besser-estellten Elternhäusern gefördert werden. Sie verlangenon einem Sozialstaat, dass öffentliche Gelder endlichur Studienförderung nach sozialen Gesichtspunkteningesetzt werden und nicht nach Noten. Dafür haben sieie Unterstützung der Linken.
Die wenigen Fürsprecher dieses Gesetzes – ihre Zahlt wirklich sehr überschaubar – finden sich bei den Un-rnehmern. Diese allerdings versprechen sich davonffenbar etwas ganz anderes und bewerten diese Stipen-ien auch ganz anders, als es die Regierung tut. Am9. März erklärte die Bundesvereinigung der Deutschenrbeitgeberverbände in ihrer Stellungnahme zum Sti-endiengesetz:Zentrales Instrument zur sozial motivierten Stu-dienförderung ist und bleibt das BAföG.
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Nicole Gohlke
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Die Liberale Hochschulgruppe stellte fest:Ein Studium nach Neigung zu ermöglichen, ist al-leine Aufgabe des BAföG.Das heißt im Klartext: Das nationale Stipendienpro-gramm fördert offenbar nicht die allgemeine Studiernei-gung. Das haben die BDA und die Liberale Hochschul-gruppe erkannt.
Jetzt frage ich Sie: Wenn viele Stipendiatinnen undStipendiaten das Gesetz nicht wollen, und wenn es garnicht, wie angegeben, dazu dient, die allgemeine Stu-dierneigung zu fördern, was soll dieses Gesetz dann?Die Arbeitgeber lassen die Katze aus dem Sack. Die In-dustrie- und Handelskammer formuliert sehr deutlichihre Korrekturwünsche an dem Gesetz. Sie fordert,dass die privaten Geldgeber stärker am Prozess der Aus-wahl der Geförderten beteiligt werden, und will eine– Zitat – „Gegenleistung“ von den Stipendiaten.Den wunderbaren Begriff des „Mäzenatentums“ ha-ben ja Sie, Frau Schavan, hier in die Debatte eingeführt:reiche Gönner zur Finanzierung Ihres Stipendienpro-jekts. Mäzene sind aber meines Wissens Menschen, dieGeld geben, ohne eine direkte Gegenleistung zu verlan-gen. Unter „Mäzenatentum“ stelle ich mir also auf garkeinen Fall die Schaffung neuer Abhängigkeiten vor.
Dieses Gesetz ermöglicht Dritten de facto einen Zu-griff auf öffentliche Gelder. Von einer je hälftigen Finan-zierung durch private und öffentliche Gelder, wie es imGesetzentwurf heißt, kann nicht die Rede sein. Die pri-vate Seite, die Unternehmen, übernehmen nur rund einDrittel der Kosten – den Rest ihrer Spende bekommensie über Steuerabschreibungen zurück –, und die immen-sen Verwaltungskosten für dieses Programm liegen ein-zig bei den Hochschulen.Fakt ist aber, dass die privaten Mittelgeber bei zweiDritteln der Stipendien bei Studieninhalt und Studien-fach mitentscheiden und insgesamt bei der Auswahl derBewerberinnen und Bewerber mitberaten.
Frau Schavan, das ist aus unserer Sicht nicht nur unso-zial, sondern das ist auch völlig undemokratisch. So et-was ist mit uns nicht zu machen.
Die Ministerin redet bei dem Programm – das hat sieauch gerade wieder getan – gerne von einem Projekt derZivilgesellschaft und erklärt die Zivilgesellschaft zumStipendienstifter. Aber es ist doch wohl klar, wer es sichlefüMDGTdhRWindmBpGdSggwasezsfoSnSddbIhu
as Stadttheater in Jena hat doch nicht annähernd so vieleld für Stipendien übrig wie der Axel-Springer-Verlag.un Sie doch nicht so, als ob Sie das nicht wüssten!
Kolleginnen und Kollegen, aus Sicht der Linken mussas dritte Kind einer alleinerziehenden Hartz-IV-Bezie-erin die gleichen Chancen haben wie der Sohn einesechtsanwaltes.
er wirklich die Studierneigung fördern will, der muss erster Linie soziale Hürden zum Studium beseitigen,er muss das BAföG deutlich ausbauen.
In den letzten Tagen wurde deutlich, dass die Zustim-ung zur Mini-BAföG-Erhöhung der Regierung imundesrat keineswegs gesichert ist. Die Unionsminister-räsidenten Koch und Seehofer haben angekündigt, dasesetz zu blockieren. Sie wollen damit die Finanznoter Länder auf dem Rücken der sozial Schwachen, derchülerinnen und Schüler und der Studierenden austra-en. Wenn die Bundesregierung diese skandalösen An-riffe auf das BAföG zurückweisen will und wenn sieirklich möchte, dass die Länder mehr Geld für Bildungusgeben, muss sie die Länderfinanzen stärken, anstattie weiter zu ruinieren.Ein Anfang wäre, wenn Sie es uns und den Ländernrsparen würden, auch nur einen Cent für dieses unso-iale und undemokratische Stipendienprogramm zu ver-chwenden. Wir brauchen stattdessen eine BAföG-Re-rm, die mehr ist als nur ein Tropfen auf den heißentein.Vielen Dank.
Das Wort hat nun der Kollege Kai Gehring, Bünd-
is 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!chwarz-Gelb will heute ein Studienfinanzierungspaketurch den Bundestag peitschen, obwohl es an den Be-ürfnissen der allermeisten Studierenden ganz klar vor-eigeht.
r Paket ist unausgewogen, es setzt falsche Prioritäten,nd es zementiert Bildungsblockaden, statt sie aufzubre-
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Kai Gehring
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chen. Mit dem nationalen Stipendienprogramm begibtsich Schwarz-Gelb auf einen bildungspolitischen Irrweg.Wir sagen ganz klar: Statt Elitestipendien für wenigebrauchen wir Bildungsaufstieg durch ein besseres BAföGfür viele, meine Damen und Herren.
Ich frage mich immer wieder: Welches Gerechtig-keitsverständnis hat eigentlich diese schwarz-gelbe Ko-alition? Es ist ungerechte Klientelpolitik, wenn Sie dasBüchergeld für gutbetuchte Stipendiaten um überzogene275 Prozent erhöhen, während Sie zugleich im Sparpa-ket das Elterngeld für Langzeitarbeitslose streichen. Dasist schlichtweg ungerecht.
Sie setzen völlig falsche Prioritäten, wenn Sie 160 Mil-lionen Euro Steuergelder ins Stipendienprogramm pum-pen wollen, anstatt das BAföG viel deutlicher zu erhö-hen und somit mehr zu tun für Bildungsgerechtigkeit.Und es ist auch ein starkes Stück, dass Sie die einhelligvernichtende Kritik der Fachwelt in der Anhörung desBildungsausschusses einfach ignorieren. Ihr Stipen-dienmurks ist bei den Sachverständigen durchgefallen.Studierende, Stipendiaten, Hochschulen und die Wirt-schaft lehnen es ab.
Deshalb lautet die Lehre: den nationalen Stipendien-murks zurückziehen statt durchziehen. Das sollten Siejetzt tun, meine Damen und Herren.
Drei Kritikpunkte will ich hervorheben. Erstens. IhrStipendienprogramm bringt den Studierenden keinenGewinn, sondern ist unsicher, ungerecht und unattraktiv.Die Stifter müssen sich nur für zwei Semester verpflich-ten, ein Stipendium zu finanzieren. Was will man eigent-lich mit solchen Kurzzeitstipendien anfangen? Das hatnichts zu tun mit Verlässlichkeit, mit sicherer Finanzie-rung und mit klaren Rechtsansprüchen wie beim BAföG.Es ist übrigens auch völlig verrückt, dass man bei einemStudienortwechsel dieses Stipendium verliert. Das istschlicht mobilitätsfeindlich und zeigt, dass Sie aus derBologna-Debatte nichts gelernt haben.
Die schwarz-gelben Stipendien kommen vor allemchancenreichen Akademikerkindern zugute
– das zeigen alle Studien –, anstatt gezielt in die Bil-dungspotenziale von Nichtakademikerkindern zu inves-tidbhslaRDümletehnpDnSsuwImvdpskBpgteInaHSnbdrhbghSa
elbst die Befürworter, die ja wirklich sehr spärlich ge-ät sind, sagen: Maximal 1 bis 2 Prozent sind machbarnd realistisch. Insofern können Sie das 8-Prozent-Zielirklich streichen.
Übrigen frage ich mich auch: Welches Verständnison Hochschulautonomie haben Sie eigentlich, wennie Bundesregierung hehre Ziele vorgibt, die vor Ortraktisch unerreichbar sind? Das ist nicht unser Ver-tändnis von Hochschulautonomie.Dritter Punkt. Studienort und Studienfach entscheidenünftig maßgeblich über die Chance auf ein Stipendium.ei Eliteunis wird es sicherlich leichtfallen, solche Sti-endien zu akquirieren, in wirtschaftlich schwachen Re-ionen und an kleinen Fachhochschulen und Universitä-n wird es sich als schwierig bis aussichtslos erweisen.
sofern vertiefen Sie damit regionale Unterschiede, unduch deshalb ist das der falsche Weg.
inzu kommt, dass geistes- und sozialwissenschaftlichetudiengänge hierdurch strukturell benachteiligt werden.Übrigens: Diese Fehlentwicklungen, die ich Ihnen ge-annt habe, lassen sich bereits in Nordrhein-Westfaleneobachten, obwohl nur 0,4 Prozent der Studierendenort ein Pinkwart-Stipendium erhalten. Was in Nord-ein-Westfalen schon nicht funktioniert, das sollte nichtundesweit eingeführt werden. Beim Stipendienpro-ramm muss also gelten: Zurückziehen statt Durchzie-en!Durch Ihr Stipendienprogramm werden wertvolleteuermittel gebunden, die Bund und Länder für einenmbitionierten Ausbau des BAföGs fehlen. Schon
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Kai Gehring
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durch die letzte Novelle ist der Kreis der Geförderten lei-der kaum ausgeweitet worden, und auch das Mittel-schichtsloch wurde nicht geschlossen. Ähnliches wirdIhnen bei der 23. BAföG-Novelle jetzt auch passieren.Sie weist zwar ein paar gute Ansätze auf – wir finden diehöhere Altersgrenze gut, und wir finden es gut, dass esüberhaupt zu einer Erhöhung kommt –, insgesamt kannman aber nur sagen: halbherzig, mager, mutlos. – Hierhätte mehr passieren müssen.
Wir als Grüne haben deshalb zahlreiche Änderungs-anträge gestellt, die Schwarz-Gelb natürlich abgelehnthat, obwohl sie gut sind.
– Natürlich sind unsere Änderungsanträge gut; Sie sindeine grottenschlechte Koalition. Darin sind die Bürgerin-nen und Bürger mit uns ja einig.
Wir wollen eine kraftvolle Erhöhung der Freibeträgeund Fördersätze um 5 Prozent. Damit würden deutlichmehr Studienberechtigte für ein Studium gewonnen, undder Gefördertenkreis würde vergrößert. Wir wollen auch,dass die Verschuldungsgrenze abgesenkt wird, weildurch die Verschuldungsrisiken beim BAföG viel zuviele Studierende aus bildungsfernen und finanzschwa-chen Familien vom Studium abschreckt werden. DieVerschuldungsgrenze muss also gesenkt werden. Das,was Sie jetzt als bundeseinheitliche Mietkostenpau-schale vorsehen, haben wir kritisiert, da die Wohnkostenfür Studierende regional sehr unterschiedlich sind. Daherwollen wir die im Wohngeldgesetz festgelegten Mietstu-fen gerne übernehmen. Das wäre deutlich gerechter undauch bürokratieärmer als zurzeit.
Wir wollen darüber hinaus, dass das BAföG endlichfamilienfreundlicher gestaltet wird. Jedes Kind studie-render Eltern muss uns als Gesetzgeber gleich viel wertsein, damit Studium und Familie besser miteinander ver-einbart werden können. Im Übrigen kann ich es nach wievor nicht nachvollziehen, dass Sie es auch mit dieserBAföG-Novelle nicht schaffen, eine völlige Gleichbe-rechtigung von Ehepartnern und eingetragenen Lebens-partnern zu erreichen. Auch das müsste im Jahre 2010ein Akt der Selbstverständlichkeit sein, weil jede Un-gleichbehandlung Diskriminierung ist.
Wir wollen das BAföG Bologna-tauglicher machenund es für ein Studium im gesamten Bologna-Raum ge-stalten. Auch eine ununterbrochene Förderung bei einemunmittelbaren Übergang vom Bachelor- zum Masterstu-dtidgebdRZeduzmzus–ghdsotebDMStiBzinBSmsK
Nein, das ist kein Ladenhüter, sondern das ist machbar,erechter und gut. Wenn Sie sich noch einmal an die An-örung erinnern, dann wissen Sie: Das bringt tatsächlicheutlich mehr.
Nach dem gescheiterten Bildungsgipfel III ist festzu-tellen, dass nach einem Dreivierteljahr Schwarz-Gelbffensichtlich nicht einmal mehr Selbstverständlichkei-n wie eine gemeinsam getragene Studienfinanzierungei den Ländern mehrheitsfähig ist.
as ist eine Katastrophe.Die eigenen Ministerpräsidenten lassen Schavan underkel im Bundesrat im Regen stehen. Daher kann ichie nur auffordern, Frau Schavan: Motten Sie Ihren na-onalen Stipendienmurks ein, um wenigstens eine echteAföG-Erhöhung auf den Weg und durch den Bundesratu bringen! Damit käme auch deutlich mehr Bewegung die festgefahrenen Bund-Länder-Streitigkeiten zurildungsfinanzierung.
Herr Kollege.
Dann wäre der Anspruch der politischen Kunst, denie, Frau Schavan, in der letzten Debatte für sich rekla-iert haben, tatsächlich erfüllt. Den Nachweis, dass esich bei Ihrem Studienfinanzierungspaket um politischeunst handelt, haben Sie bisher definitiv nicht erbracht.
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Das Wort erhält nun der Kollege Dr. Stefan Kaufmann,
CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Meine Damen und Herren! Wir beraten und beschließenheute mit der 23. Änderung des BAföG einen beachtli-chen Wurf. Mit den vorgesehenen Verbesserungen sen-det dieses Haus ein deutliches Signal an die Studieren-den in unserem Land. Uns ist es ernst mit dem ThemaAufstieg durch Bildung als Kernbotschaft dieser christ-lich-liberalen Koalition und der Bildungspolitik derUnion.
Warum ist das Gesetz ein beachtlicher Wurf? Bereitszwei Jahre nach der letzten Erhöhung im Jahr 2008 pas-sen wir das BAföG erneut den geänderten Rahmenbedin-gungen an. Wir machen das BAföG fit für die Herausfor-derungen des Bologna-Prozesses. Die Bedarfssätze undFreibeträge werden entgegen der Behauptung der Grünenin ihrem Antrag zum Stipendienprogramm mit 2 bzw.3 Prozent deutlich stärker steigen als die Verbraucher-preise seit der letzten Anpassung.Weitere Verbesserungen zum BAföG hat Frau Minis-terin Schavan bereits ausgeführt. Aber es könnte immerund überall noch ein wenig mehr sein, wie die Kollegin-nen und Kollegen von der Opposition unisono fordern,vom Vollzuschuss bis zur Senkung des Kostendeckels.
– Klar ist, Herr Schulz: Das BAföG ist und bleibt daswesentliche breitenwirksame Instrument der individuel-len Bildungsfinanzierung.
Es ist und bleibt aber auch eine Sozialleistung. Wir ha-ben die Pflicht, die Ausgewogenheit sozialer Leistungensicherzustellen. Dies sind wir dem Steuerzahler schul-dig, der die Kosten von knapp 2,5 Milliarden Euro jähr-lich für das BAföG trägt.
Lassen Sie mich daher an dieser Stelle mit einigenfalschen Grundannahmen der Oppositionsparteien auf-räumen. In ihrem Antrag zum nationalen Stipendienpro-gramm schreiben die Grünen:Finanzielle Gründe führen immer häufiger zu Stu-dienverzicht und Studienabbruch.
Mit Verlaub, das ist ein Ammenmärchen.
Gerne wird in diesem Zusammenhang auf die oft,ber leider genauso oft falsch zitierte HIS-Studie „Stu-ienberechtigte 2008“ verwiesen. Diese besagt angeb-ch, dass 73 Prozent der Studienberechtigten, die ihretudienoption nicht einlösen, dies aus Angst vor Schul-en aufgrund eines Studienkredits oder des BAföG-ückzahlungsanteils tun. Doch hat der Anteil eines Jahr-angs, der nicht studiert, schon nach der HIS-Studieiele – genauer: 13 – andere Gründe angegeben, die ihnon einem Studium abhalten. So finden circa 75 Prozenter Befragten eine berufliche Ausbildung attraktiver.nderen ist das Studium nach bisherigem Schemachlicht zu lang.
Schauen wir uns also besser an, Herr Schulz, wie sichie Realität jenseits dieser 73-Prozent-Marke, welcheie Opposition gerne wie eine Monstranz vor sich her-ägt, darstellt. Demnach haben im Jahr 2008 so vielenge Menschen ein Studium begonnen wie noch nie:30 000.
as sind knapp 8 Prozent mehr als im Jahr 2006. Diesen30 000 jungen Menschen ist klar, dass sich Investition Bildung lohnt.
Noch ein bemerkenswerter Befund: Dort, wo Studien-ebühren erhoben werden, sind die Studienanfängerzah-n zuletzt sogar überproportional gestiegen. Ich nenneur die Länder Bayern und Baden-Württemberg.Das angebliche Verschuldensrisiko taugt also nichtirklich zur Abschreckung und damit auch nur sehr ein-eschränkt als Argument in einem ehrlichen politischeniskurs. Das sollten Sie bitte zur Kenntnis nehmen.Damit komme ich zu einer weiteren Grundprämisse,ie das Handeln und Argumentieren der Opposition be-timmt: Das System sei hochselektiv, und es studierteneutlich mehr Akademikerkinder als Arbeiterkinder.etzteres ist zwar richtig, aber das hat nichts mit der Stu-ienfinanzierung zu tun, sondern schlicht damit, dass dieahl der Akademikerkinder mit Hochschulzugangsbe-chtigung fast doppelt so hoch ist wie die Zahl der Ar-eiterkinder mit Abitur.Lassen Sie uns also diese Fragen dort diskutieren, woie hingehören: zum Thema Schulkarrieren und Bil-ungsbeteiligung. Das ist im Übrigen eine originäreufgabe der Länder.Ich komme zurück zum BAföG und zu den konkretennderungsanträgen der Opposition. Um den Kreis der
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Dr. Stefan Kaufmann
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Berechtigten zu verbreitern, fordern Sie eine drastischeErhöhung der Freibeträge um 5 Prozent bzw. 10 Prozent.Das mag populär sein. Dabei unterschlagen Sie jedoch,dass die Förderberechtigung mit der vorliegendenBAföG-Novelle bis zu einem Bruttofamilieneinkommenvon 7 180 Euro bei zwei Kindern reichen wird. Ichmeine, man wird angesichts dieser Zahlen nicht mehrvon sozialer Selektivität sprechen können.
Meine Damen und Herren, wer stehen bleibt, wirdüberholt. Dies gilt auch im Bereich der Studienfinanzie-rung. Wir bleiben jedenfalls nicht stehen und werden da-her auch in Zukunft weitere Verbesserungen am BAföGvornehmen. Ich nenne nur die Möglichkeit, den Förder-antrag bundesweit online zu stellen, und neue Wege beider Internationalisierung der Förderung.Als neuer Weg der Studienfinanzierung ist auch unserEntwurf für ein neues nationales Stipendienprogrammzu sehen. Es ist der Einstieg in eine dritte Säule der Bil-dungsfinanzierung. Es ist der Einstieg in die Mobilisie-rung neuer Begabungsreserven und die Erschließung bis-her unterrepräsentierter Studierendengruppen. Kurzum:Es ist der Einstieg in ein international konkurrenzfähigesSystem privater Bildungsfinanzierung.Meine Damen und Herren, dies schlechtzureden, istkleinmütig. Wir sollten keine Chance auslassen, zusätz-liche Mittel für Bildung zu akquirieren. Nur so wird esuns am Ende gelingen, unseren Bildungsnachwuchs inder Breite wie in der Spitze zu sichern.
Dieser duale Ansatz verdient unser aller Zustimmung.Besten Dank.
Die Kollegin Marianne Schieder erhält nun das Wort.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Dinge, die die Welt nicht braucht. So könnte
man die Liste der Vorhaben überschreiben, die bislang
von der schwarz-gelben Regierungskoalition auf den
Weg gebracht wurden.
Eines davon, ein absolut unbrauchbares, ist das natio-
nale Stipendienprogramm. In der dazu anberaumten An-
hörung unseres Ausschusses bestätigten die Experten
nahezu einhellig und vollumfänglich unsere Kritik an
diesem völlig unausgegorenen Gesetzentwurf.
– Nein, Sie müssen bei einer anderen Veranstaltung ge-
wesen sein. Das habe ich Ihnen gestern schon gesagt.
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Vielen Dank, Herr Präsident.
Nein. Es geht nach der Feststellung der Meldungen
ei mir. Sie müssen sich darauf verlassen können, dass
h das nach sorgfältiger Beurteilung der tatsächlichen
achverhalte vornehme.
Frau Schieder, meine Frage richtet sich nicht nur anie, sondern auch an die Vorredner der Opposition. Kanns sein, dass wir eine unterschiedliche Wahrnehmungon der gleichen Veranstaltung haben?
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Ich weiß nicht, was Sie wahrnehmen. Ich habe jeden-
falls wahrgenommen, dass – –
Ich möchte meine Frage noch begründen.
Die Tatsache, dass man mit unterschiedlicher Wahr-
nehmung aus einer Veranstaltung herausgeht, hat Anto-
ine de Saint-Exupéry sehr schön in seinem Werk „Der
kleine Prinz“ beschrieben. Dieser hat gesagt: Du siehst
nur, was du kennst.
Vor diesem Hintergrund geht man natürlich auch mit
einer gewissen Erwartungshaltung in eine Ausschusssit-
zung.
In der Ausschusssitzung habe ich in der letzten Runde
an drei der anwesenden Experten die Frage gestellt:
Wenn Sie von der Richtung her einverstanden sind, wel-
che Hinweise könnten Sie denn geben, um dieses natio-
nale Stipendienprogramm auf den Weg zu bringen? Das
Ergebnis will ich hier nicht vortragen. Eines ist mir in
Erinnerung – –
Nein, nein! Sie können jetzt ohnehin keine Ansprache
halten, sondern nur, wenn überhaupt, eine kurze, gezielte
Zwischenfrage stellen.
Dann komme ich auf die erste Frage zurück: Kann es
sein, dass wir eine unterschiedliche Wahrnehmung ha-
ben?
Wenn sich Ihre Wahrnehmung so darstellt wie die Art,Fragen zu stellen,
um nach einem minutenlangen Vortrag wieder zum An-fang zurückzukommen, dann ja.Sie waren dabei. Ich war dabei. Eine ganze Mengeder hier anwesenden Kolleginnen und Kollegen war da-bei. Alle haben festgestellt, dass es ganz genau zwei Ver-treter gab, nämlich den Vertreter der BDA und denVertreter des Stifterverbandes, die dem Ganzen etwasPositives abgewinnen konnten. Alle anderen haben dieKritik vorgetragen, die zu schildern ich begonnen habe.
Selbst bei der Frage „Werden wir 8 Prozent erreichen?“haben BDA und Stifterverband nichts anderes gesagt, alsdddasgtepimEWduskfefrBggüdwHRgSWleteDgMudWdduuSn
Die Hochschulen und Universitäten sehen in dem fürie Umsetzung des Gesetzes notwendigen Verwaltungs-ufwand eine ganz enorme Belastung. Laut Anhörungollen dafür immerhin schon 30 Prozent der Mittel auf-efressen werden. Zum Einwerben, Verwalten und Ver-ilen der Stipendien kommt noch die Betreuung der Sti-endiaten; Lehre und Forschung natürlich sowieso. Die Gesetzentwurf dafür veranschlagten 30 Millionenuro jährlich werden niemals reichen – das sagt alleelt –, und es ist kein Wunder, dass die Länder sich aufiese Milchmädchenrechnung nicht einlassen wolltennd deutlich ihre Kritik zum Ausdruck gebracht haben.Liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU/CSU,elbst der RCDS – er steht Ihnen doch näher als mir –ritisiert diesen enormen Verwaltungsaufwand. Er stelltst: Das ambitionierte Programm ist damit ernsthaft in-age gestellt.In der Begründung des Gesetzentwurfs schreibt dieundesregierung, mit dem Vorhaben wolle man fürleichwertige Lebensverhältnisse überall im Land sor-en. Ich bezweifle entschieden, dass das gelingt. Wie derberwiegende Teil der Experten glaube auch ich, dassie Hochschulen in den strukturschwachen Regionenesentlich größere Probleme haben werden als dieochschulen und Universitäten in wirtschaftlich starkenegionen, die Gelder überhaupt aufzutreiben, die nöti-en Finanzmittel einzuwerben.
o entstehen unnötige und absolut kontraproduktiveettbewerbsverzerrungen. Universitäten und Hochschu-n in ländlichen und strukturell benachteiligten Gebie-n unseres Landes werden die großen Verlierer sein.as wird ein Stipendienprogramm für Hamburg, Stutt-art und München, aber nicht für Nordostbayern oderecklenburg-Vorpommern oder Sachsen, Brandenburgnd Thüringen.
Ihre Erfahrungen aus NRW zeigen doch, dass Stu-iengänge, die keinen unmittelbaren Nutzen für dieirtschaft bringen, über dieses Programm kaum geför-ert werden. Es gibt eine ganz eindeutige Bevorzugunger Naturwissenschaften, der Ingenieurwissenschaftennd der Medizin
nd wenig Interesse beispielsweise an den Geistes- undozialwissenschaften. Auch das stellt der RCDS fest undicht nur ich.
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Marianne Schieder
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Die Vorstellung, dass dieses Stipendienprogrammjunge Menschen, die bislang aus finanziellen Erwägun-gen sich nicht getraut haben, ein Studium aufzunehmen,dazu bringen könnte, zu studieren, wurde von allen Ex-perten klar als unrealistisch eingeschätzt, allen voranvon Frau Professor Dr. Wintermantel, die es eigentlichwissen muss.
Die Aussicht auf ein Stipendium – das wissen doch auchSie – bietet nämlich viel zu wenig Verlässlichkeit, um fi-nanzielle Sorgen wirklich zerstreuen zu können. Es wer-den also die sozialen Disparitäten noch verstärkt undnicht, wie Sie behaupten, auch nur irgendwie abgemil-dert.
– Das glaube nicht nur ich; das haben die Experten ge-sagt, die bei der Anhörung anwesend waren, und es istso.
Sie wissen ganz genau, liebe Kolleginnen und Kolle-gen, die von Ihnen für das Stipendienprogramm vorgese-henen Gelder wären beim BAföG wesentlich besser undsinnvoller angelegt. Es ist mir unerklärlich, warum Sieaus der Anhörung nichts gelernt haben. Man muss sichdas einmal vorstellen: Es wurde ein einziger Satz über-nommen. Es war der Wunsch der BDA, mitreden zu dür-fen. Wenn man schon Geld gibt, dann will man auchwissen, an wen es verteilt wird. – Das war die ganzeAusbeute. Das war das, was Sie aus der Anhörung ge-lernt haben.Sie präsentieren uns hier einen Gesetzentwurf, dernicht mehr ist als Stückwerk und dessen Scheitern so si-cher ist wie das Amen in der Kirche.
Die Zahl der Befürworter – das wissen Sie genauso gutwie ich – packt nicht einmal die 5-Prozent-Hürde. So er-bärmlich sieht es damit aus.Liebe Kolleginnen und Kollegen der schwarz-gelbenKoalition, ich lade Sie ein: Beenden Sie Ihren Blindflugin der Bildungspolitik! Diskutieren Sie mit uns tragfä-hige Konzepte, die für mehr Chancengerechtigkeit sor-gen und nicht von Lobbyisten diktiert werden! ZiehenSie Ihren Gesetzentwurf zurück, und folgen Sie der Auf-forderung, die wir in unserem Entschließungsantrag klarformuliert haben! Stärken Sie mit uns das BAföG,
damit sich tatsächlich mehr junge Menschen trauen, einStudium aufzunehmen, und damit unser Land wieder so-zial gerechter wird!Fujuk–dSnSdsAulaTdtisamcjudsmdBgVd
Patrick Meinhardt ist der nächste Redner für die FDP-
raktion.
Sehr geehrter Herr Präsident! Verehrte Kolleginnennd Kollegen! Ich freue mich darauf, dass Tausende vonngen Menschen künftig zusätzlich ein Stipendium be-ommen.
Schön, das gebe ich gerne zurück. – Die Beschlüssees heutigen Tages zur BAföG-Modernisierung und zurchaffung eines nationalen Stipendienprogramms mit ei-er starken Förderung in der Breite und einer starkenpitzenförderung bedeuten einen Fortschritt für die Bun-esrepublik Deutschland. In diesem Land schlummerno viele unentdeckte Talente, dass es eine der zentralenufgaben der Bildungspolitik sein muss, diese zu heben,
nd zwar vom ersten Tag an. Wir brauchen in Deutsch-nd, nachdem wir viel Zeit verschlafen haben, einerendwende in der Begabtenförderung. Diese leitetie Bundesregierung heute ein.
Es gibt junge Menschen in diesem Land, die innova-v, tüchtig, fleißig und talentiert sind und einen ganz be-onderen Weg zurückgelegt haben, bis sie ihr Studiumufgenommen haben. Sie sind engagiert. Sie überneh-en Verantwortung in Vereinen, Verbänden und Kir-hen, also ehrenamtliche Führungspositionen schon inngen Jahren. All diesen jungen Menschen wollen wirie Möglichkeit geben, ein Stipendium zu erhalten undomit eine zusätzliche Bildungsfinanzierung zu bekom-en.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn es eine bil-ungspolitische Initiative gibt, die ein Zeichen für mehrildungsgerechtigkeit setzt, dann ist das das vorlie-ende Stipendienprogramm.
ergessen wir bitte nicht die Zielrichtung, die wir mitiesem Stipendienprogramm verfolgen. Wir brauchen
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Patrick Meinhardt
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es, weil wir die Denke in Deutschland ändern wollen.Begabtenförderung muss raus aus dem Elfenbeinturmund ganz selbstverständlich vom ersten Tag an mitten indas Zentrum der bildungspolitischen Fragestellungenund Herausforderungen. Das ist das bildungspolitischeThema, mit dem wir uns hier auseinandersetzen müssen.
Die Zahl der Studierenden, die ein Stipendium be-kommen, liegt in Deutschland bei unterirdischen 2 Pro-zent. Viel zu wenige junge Menschen, die aus sozialen,kulturellen und finanziellen Risikogruppen, wie es imBildungsbericht heißt, kommen, nehmen ein Studiumauf. Die Stipendienkultur in diesem Land ist absolut un-terentwickelt. Davor kann man doch nicht die Augenverschließen! Vor allem diejenigen dürfen die Augennicht davor verschließen, in deren Regierungszeit sichdas Ganze so entwickelt hat. Hier muss jetzt endlich ge-handelt werden.
Mit seinen Begabtenförderungswerken hat Deutsch-land bislang einen einzigartigen Weg eingeschlagen, in-dem Begabung anhand des Dreiklangs aus Leistung,Persönlichkeit und gesellschaftlichem Engagement ge-messen wird. Diese Begabten stärken wir mit der Anhe-bung des Büchergeldes auf 300 Euro. Dies ist eine rich-tige Entscheidung. Hier wurde ja immer wieder auf diePetition hingewiesen, dass das Büchergeld bei 80 Eurobleiben soll. Diese erhielt in drei Wochen 2 500 Unter-schriften, während die Gegenpetition, die das höhere Bü-chergeld von 300 Euro befürwortet, in nicht einmal zweiTagen die 2 000er-Marke überschritten hat. Wir solltenin dieser Diskussion nicht einseitige Darstellungen inden Vordergrund rücken. Wenn es so weit ist und es zumSchwur kommt, wird man sehen, ob die Studierendensich weiterhin mit 80 Euro zufrieden geben werden, so-dass das dadurch übrig gebliebene Geld dazu genutztwerden kann, weiteren Studierenden ein Stipendium zu-kommen zu lassen. Wenn die jungen Menschen so han-delten, würden sie meinen Respekt verdienen und eingutes Zeichen in der bildungspolitischen Debatte setzen.Frau Gohlke, Sie haben gerade eine Presseerklärungdes Bundesverbandes Liberaler Hochschulgruppen zi-tiert. Es ist natürlich nicht schön, wenn man nur einenbestimmten Teil aus einer Presseerklärung zitiert. Ichdarf den zweiten Teil dieser Presseerklärung ergänzen:Es ist absolut richtig, in Zeiten des Bolognaprozes-ses im Sinne der Hochschulautonomie ein klaresZeichen zu Gunsten von regionalen Strukturen zusetzen. Nur so ist ein funktionierendes, vielfältigesund tragendes Stipendiensystem möglich und nurso können Hochschulen in einen belebenden Wett-bewerb um die besten Studenten treten!Auch das hätten Sie noch dazusagen sollen.RsDvkfüweHsoisgdbleannuDeBdrudFktemudrenw
Wir brauchen die zusätzlichen Anreize. Wir brauchenahmenbedingungen, dass Netzwerke mit der Wirt-chaft geschaffen werden.
aran ist überhaupt nichts Schlechtes. Professor Radtkeon der Universität Duisburg-Essen hat in der Anhörunglar gesagt, es mache ihm Freude, hinauszugehen undr seine Studierenden Geld einzuwerben. Dann lassenir das doch auch zu und hören auf mit der Debatte überine angebliche soziale Ungerechtigkeit. Wer einen BAföG-öchstsatz von 670 Euro hat, also aus einer finanz-chwachen Familie kommt, der bekommt die 300 Eurobendrauf. Er erhält also eine doppelte Förderung. Dast sozial gerecht und nichts anderes.
Es ist richtig, wenn wir endlich ein Stipendienpro-ramm haben, bei dem die Fachhochschulen stärker inen Fokus kommen. Nach den aktuellen Zahlen werdenisher nur 9 Prozent der Studierenden an Fachhochschu-n gefördert. Wir brauchen eine stärkere Förderunguch für Studenten an Fachhochschulen auf der Basis ei-er Stipendienkultur.Alles in allem wünsche ich mir, dass wir heute in ei-em breiten Konsens das nationale Stipendienprogrammnd die BAföG-Modernisierung auf den Weg bringen.as nationale Stipendienprogramm bietet die Chance,inen neuen akademischen Generationenvertrag in derundesrepublik Deutschland herzustellen. Damit bestehtie Chance, mehr Gerechtigkeit in der Bildungsfinanzie-ng sicherzustellen.Herzlichen Dank.
Das Wort erhält nun die Kollegin Yvonne Ploetz für
ie Fraktion Die Linke.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!rau Schavan, eine Bildungsrepublik sieht anders aus!Als Studentin und ehemalige BAföG-Empfängerinann ich dies aus eigener Erfahrung sagen. Wenn manilweise bis zu zwei Jobs parallel zum Studium anneh-en muss, um Essen, Miete, Bücher, Semesterbeitragsw. bezahlen zu können, geht das nicht selten zulastener Konzentrationsfähigkeit in Vorlesungen und Semina-n.Die Studienbedingungen haben sich seit Ablauf mei-er Förderung verschlechtert. In fünf Bundesländernerden Studiengebühren fällig. Ich hätte also 80 Euro
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Yvonne Ploetz
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im Monat mehr verdienen müssen. Da stellt sich nur dieFrage, wie das heute in einem starren System von Ba-chelor und Master möglich sein soll.Gerade einmal 17 Prozent aller Studierenden erhaltenBAföG. Die durchschnittliche Förderhöhe liegt bei398 Euro. Mehr als das Doppelte wird benötigt. Daszeigt nicht zuletzt die jüngste Sozialerhebung des Deut-schen Studentenwerks. Vor diesem gesamten Hinter-grund ist die von Ihnen angestrebte Minierhöhung um2 Prozent nicht mehr als ein Tropfen auf den heißenStein.
Ganz kurz zur HIS-Studie. Über die Fakten kann mannicht einfach hinweggehen, nur weil es mehrere Items indieser Befragung gab. 77 Prozent der Studienberechtig-ten ohne Studienabsicht gaben das Fehlen finanziellerVoraussetzungen als Grund für ihren Studienverzicht an.73 Prozent wollen sich nicht verschulden. Solche Zahlenlassen doch hellhörig werden, nicht zuletzt angesichtsdes aufziehenden Akademikermangels. Für die Bundes-regierung gilt das offensichtlich nicht!Frau Schavan, Sie müssen gerade jetzt, in der Zeit ei-nes sozial unausgewogenen Sparpakets, das Vertrauender Schüler und Schülerinnen und der Studierenden indie Ausbildungsförderung stärken und positive Signalesenden. Zeigen Sie, dass Sie soziale Hürden zum Bil-dungszugang ernsthaft beseitigen wollen!
Des Weiteren müssen Sie bei der Finanzierung einenKompromiss mit den Bundesländern finden. Sie gehenderzeit bewusst das Risiko ein, dass die Länder Ihnen dieZustimmung zum Gesetz verweigern, nur weil Sie derenFinanznöte einfach nicht ernst nehmen wollen. Dabeisenkt diese Regierung die Einnahmen der Länder undfordert mehr Ausgaben für Bildung, und gleichzeitig sol-len die Länder – siehe Schuldenbremse – auch noch aus-gewogene Haushalte abliefern.Insgesamt weist Ihr Gesetzentwurf in die richtigeRichtung. Sie haben anscheinend den Handlungsbedarferkannt. Leider bleiben Sie aber hinter dem Notwendi-gen zurück:Erstens. Es ist ein Holzweg, auf dem sich dieschwarz-gelbe Regierung befindet, mit Elitestipendienfür wenige die eigene Klientel zu beglücken, anstatt Bil-dungsaufstieg für viele zu organisieren.
Ziehen Sie Ihr Gesetz zur Schaffung eines nationalenStipendiensystems zurück! Nutzen Sie die frei werden-den Haushaltsmittel, um die Bedarfssätze und Freibe-träge um 10 Prozent anzuheben, und passen Sie dasBAföG jährlich an die Preisentwicklung an!
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Nehmen Sie die Forderung der Linken für ein schlag-räftiges BAföG auf. So bieten Sie Anreize zur Studien-ufnahme und verbessern die Lebensbedingungen dermpfängerinnen und Empfänger entscheidend.Ich danke Ihnen.
Liebe Frau Ploetz, zu Ihrer ersten Rede im Deutschen
undestag gratuliere ich Ihnen herzlich im Namen des
anzen Hauses,
erbunden mit allen guten Wünschen für die weitere par-
mentarische Arbeit.
Das Wort hat nun die Kollegin Monika Grütters für
ie CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir kön-en mit Genugtuung feststellen, dass das Thema Bildungicht nur das Parlament, sondern auch die Republik be-egt. Wenn es dabei auch um Geldfragen geht, wird esoch spannender. Wir kommen in dieser Woche – dasage ich auch für unsere Gäste auf der Tribüne – auf dreiroße Bildungsdebatten an zwei Plenartagen. Ich findeas ziemlich beachtlich und auch gut; denn es geht unsor allen Dingen um die Verbesserung der Situation dertudierenden. Das sollte man erst einmal beklatschen.
Ich finde es verwunderlich, dass die Opposition, dieelbst nichts tut, geradezu reflexartig reagiert und sagt:as ihr tut, ist zu wenig. – Ein weiterer Punkt ist: Wenn
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Monika Grütters
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wir den Hochschulen mit Ideen wie BAföG-Erhöhung,nationales Stipendienprogramm und Förderung derLehre in einer dritten Säule kommen, weichen diese ersteinmal zurück und sagen: Hilfe, damit haben wir amEnde noch mehr Arbeit. Jetzt sollen wir leistungsstarkeStudierende identifizieren und mehr Geld einwerben.Das alles können wir nicht leisten.Ich gebe zu, dass an dem nationalen Stipendienpro-gramm einige Punkte verbesserungsbedürftig sind, zumBeispiel der Punkt Mobilitätshemmnisse.
Das habe ich nie bestritten. In dieser Hinsicht muss mannacharbeiten.
Aber all die kleinliche Kritik reicht doch wohl nicht aus,um das Geld für die Studierenden gleich wieder abzu-schaffen.
Hier in Deutschland ist die Stipendienkultur, weil dasStudium für den Einzelnen wesentlich günstiger ist alssonst wo auf der Welt, noch verdammt unterentwickelt.Gerade einmal 1 Prozent der Studierenden bekommtGeld von den Begabtenförderungswerken, die vomBMBF finanziert werden.
Ein weiteres Prozent bekommt Stipendien aus privaterHand. Wir zumindest wollen – ich weiß nicht, wie Siedarüber denken; nach Ihrem heutigen Verhalten zu ur-teilen, muss ich in Zweifel ziehen, das auch Sie das wol-len – mittelfristig auf 10 Prozent Stipendiaten kommen.Auch dafür ist dieses Programm geeignet. MinisterinSchavan hat in der letzten Legislaturperiode die Zu-schüsse des BMBF an die zwölf Begabtenförderungs-werke von 80 Millionen Euro auf 132 Millionen Euroerhöht. Wir hatten damals 13 000, jetzt haben wir21 000 Geförderte. Ebenso wichtig ist, finde ich, dassder Anteil privater Finanzierung für die Hochschulen er-höht wird. Deutschland liegt im OECD-Durchschnitt – dasind es 27 Prozent – mit 15 Prozent weit zurück. Dasmeiste Geld davon geht in die Forschung. Wir müssenalso etwas tun, damit sich die Wirtschaft mehr für dieStudierenden und die Unis interessiert.
Auch in dieser Hinsicht wäre ich mit Kritik an IhrerStelle, Frau Gohlke, sehr vorsichtig; denn Sie verlierenmit Ihrer Detailkritik den Zusammenhang aus den Au-gen.
Was die Angst der Hochschulen angeht, sie könntendie Auswahlarbeit nicht leisten, kann ich nur sagen: Soviel Betreuungsaufwand kann ein Student verdammtnasWsGbFnkaPmsgsuDgdbHadHsdthEdsDG
Dass es für die Unis nicht einfach ist, zusätzlicheseld einzuwerben, und dass das mit Mehraufwand ver-unden ist, verstehe ich. Andererseits ist auch dieundraising-Kultur hier unterentwickelt. Wo, wennicht bei solch einem kleinen, überschaubaren, sehr kon-reten Programm sollen wir anfangen, solche Defiziteufzuarbeiten?
Es ist noch viel zu tun an den Unis, auch in diesemunkt, Frau Schieder. Ich finde, das sollten wir alle ge-einsam anpacken.Last, but not least: Aus meiner Sicht ist diechlimmste Kritik an diesem Programm die von einigeneäußerte Klage, es gehe in erster Linie um Leistungs-tipendien. Auch der Mut zur Betonung der Leistung,nd zwar unabhängig vom Elterneinkommen, ist ineutschland verdammt unterentwickelt,
enauso unterentwickelt wie die Stipendienkultur undas professionelle Fundraising. Übrigens, keiner von unsestreitet den Zusammenhang zwischen Bildung underkunft. Natürlich muss man im frühkindlichen Alternsetzen. Man darf aber nicht 22-Jährige dafür bestrafen,ass sie aus einem bildungsnahen Elternhaus kommen.
err Gehring, Sie haben eben von Ungerechtigkeit ge-prochen. Ungerecht ist es, wenn sich ein begabter Stu-ent dafür entschuldigen muss, dass seine Mutter Apo-ekerin oder Lehrerin ist.
ine echte Benachteiligung wäre es, Herr Gehring, wennieser Student nur wegen des Berufes seiner Mutter füreine Leistung nicht belohnt würde.
as können wir uns hier jedenfalls nicht leisten.Ich finde es entzückend, dass inzwischen auch dierünen der Hochschulautonomie das Wort reden; daran
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Monika Grütters
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haben wir lange gearbeitet. Schauen Sie einmal zur UniDuisburg: Sie hat sich – ganz autonom – dafür entschie-den, Leistungsstipendien an leistungsstarke Studierendemit Migrationshintergrund zu vergeben. Genau in die-sem Punkt ist genug Spielraum für autonomes Handeln.Ein allerletztes Wort. Wir haben zwar kein Oxford,kein Princeton, kein Cambridge, keine ENA, kein MITund kein Harvard. So etwas einzurichten, trauen wir unsnicht. Aber ein klitzekleines, ein bescheidenes Stipen-dienprogramm für besonders leistungsstarke Studie-rende, die sich weder in der einen noch in der anderenHinsicht für ihr Elternhaus entschuldigen müssen,
das müssen wir uns leisten können.Vielen Dank.
Nun hat der Kollege Dr. Ernst Dieter Rossmann das
Wort für die SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich
möchte an den ersten Beitrag der heutigen Debatte an-
knüpfen, also an den der Ministerin. Frau Ministerin, mir
ist aufgefallen: Als Sie über das BAföG sprachen, waren
Sie sehr konkret, und als es um das Stipendium ging, wa-
ren Sie wie so oft „Schavan-wolkig“.
Wir erkennen positiv an, dass sich auch bei Ihnen of-
fensichtlich die Vorstellung herausgebildet hat, dass das
BAföG das Fundament der Studienförderung ist. Tat-
sächlich wissen wir alle, was sich in der sogenannten
bürgerlich-rechtsliberalen Koalition hier abgespielt hat.
Denn auch in dieser Debatte merkt man, dass die FDP
die eigentlichen Initiatoren des nationalen Stipendien-
programms sind. Nur befinden Sie sich, Frau Ministerin
Schavan, nun in dem Dilemma, sich als Ministerin auch
damit identifizieren zu müssen, demnächst hier 160 000 Sti-
pendien vorzeigen zu können. Außerdem müssen Sie
sich als Ministerin daran messen lassen, ob tatsächlich
das alles eintritt, was Sie hier immer wieder insinuieren,
nämlich dass die Schaffung des nationalen Stipendien-
programms zu mehr sozialer Gerechtigkeit und mehr so-
zialer Zugänglichkeit führen werde. Und da wird es
schwierig. Man merkt im Übrigen auch, dass Sie sich bei
der Argumentation sehr verrenken müssen, um die Ba-
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diese Debatte die Zahl 7 200 Euro einzuführen, ist
icht in Ordnung.
Damit fallen Sie hinter das zurück, was Sie eigentlich
egriffen haben sollten: Wir wollen, dass mehr Men-
chen eine auskömmliche und motivierende Förderung
rhalten. Auch über die Erhöhung der Freibeträge sollen
ie unteren Mittelschichten – deren Angehörige sollten
igentlich auch Ihnen am Herzen liegen; Sie isolieren
ie; Sie lassen sie allein – ebenfalls gefördert werden.
rau Ministerin, da hilft es nichts, zu sagen, über das ge-
lante nationale Stipendienprogramm würden diejenigen
u einem Studium motiviert, die sich davon jetzt noch
rnhielten. Sie werden darüber natürlich nicht motiviert,
eil sie vor der Studienentscheidung bzw. am Anfang
es Studiums gar nicht wissen, ob sie überhaupt in die
tipendienlotterie hineinkommen oder nicht.
Herr Kollege.
Das motiviert doch nicht. Aber zu wissen, dass man,
enn das Familieneinkommen 3 000 Euro brutto pro
onat beträgt, den klaren, vorher ablesbaren Rechtsan-
pruch hat, sozial, finanziell und materiell unterstützt zu
erden, bewirkt zusätzliche Studienbereitschaft, Stu-
iensicherheit und Studienperspektive. Die Argumente
erart zu verdrehen, ist nicht in Ordnung!
Herr Kollege Rossmann, darf ich den vorsichtigen
ersuch unternehmen, Sie leise zu fragen, ob Sie sich
orstellen könnten, eine Zwischenfrage des Kollegen
upprecht zu beantworten?
Herr Präsident, manchmal bin ich in Fahrt; aber es ist
mer gut, einen Tempowechsel zu machen. Herzlich
ern.
Sehr gut.
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Herr Kollege Rossmann, wir sind der Ansicht, dass
das Leitmotiv für die Gewährung von BAföG Bedürftig-
keit und nicht die Beschaffung eines allgemeinen Stu-
denteneinkommens ist. In diesem Zusammenhang ist die
Aussage des Kollegen Kaufmann, dass einer Familie mit
zwei Kindern bis zu einem Einkommen in Höhe von
7 200 Euro BAföG gezahlt wird, richtig.
Ihr Vorschlag ist, die Bemessungsgrundlage substanziell
zu erweitern. Das heißt, Ihr Ansatz, wenn ich Sie richtig
verstehe, ist, dass auch bei einem Familieneinkommen
von über 8 000 Euro BAföG bezogen werden kann. Das
heißt, Bedürftigkeit ist Ihrer Meinung nach auch bei ei-
nem Einkommen von über 8 000 Euro gegeben. Ich
stelle Ihnen die Frage, ob das Ihr Verständnis von Sozial-
politik und Bedürftigkeit ist.
Unser Verständnis ist, dass diejenigen, die zwischen3 000 und 3 500 Euro brutto verdienen und sich dieFrage stellen, ob sie ihrem Kind ein Studium garantierenkönnen, wissen sollen, dass ein auskömmlicher BAföG-Satz eine stabile, berechenbare Studienförderung garan-tiert. Es geht uns nicht um das abstrakte Problem, obauch bei einem Einkommen von 7 000 oder 8 000 Euroein BAföG-Euro gezahlt wird. Das bewegt die Men-schen nicht. Die prekäre Schicht, die untere Mittel-schicht bewegt vielmehr, ob sie für ein Studium finan-ziell in Vorlage gehen können oder nicht. Da haben Sieeinen blinden Fleck. Diesen blinden Fleck hätten Sieausräumen können.
Den sind wir in der letzten Legislaturperiode doch nichtaus Daffke zusammen mit Ihnen angegangen, indem wirdie Freibeträge um 10 Prozent erhöht haben. Weshalbverlassen Sie jetzt diesen Pfad der Einsicht? Weshalbmachen Sie jetzt eine krumme Lösung über ein Stipen-dienprogramm
und legen etwas nahe, was so gar nicht eintreten wird?Hinzu kommen merkwürdige Argumente. Es wird un-ter anderem das Argument angeführt, dass man endlichsoziale Gerechtigkeit darüber schaffen könne, dass Sti-pendienempfänger, wenn sie BAföG beziehen, das Sti-pendium obendrauf bekommen können. Damit erreichenSie doch nicht die Hauptzielgruppe. Sie bedienen damitdoch sozusagen die Apothekerfamilien und andere.
Denn Sie hatten immer die Sorge, dass diese nicht aus-reichend an der Förderung beteiligt werden. Für sie wol-len Sie zusätzlich 300 Millionen Euro mobilisieren,wkInShleguIhddmugtehmwhgfasMnsgimhreDwnzCdeaGBaregfüoaa –ddR
nd eines schlechten Stipendienprogramms, sind Sie inrer Koalition ausgeliefert, und die Ministerin mussies gegen bessere Einsicht leider mitexekutieren, weilas Ihre FDP-Bedingung im Bildungsbereich im Rah-en des Koalitionsvertrages war.
Ich komme zu einem nächsten Punkt. Dabei geht esm die Frage, ob die Sozialdemokratie grundsätzlich ge-en Stipendien ist. Nein! Deshalb haben wir, Frau Minis-rin, in der letzten Legislaturperiode auf Ihre Initiativein zusammen die Mittel für die zwölf Träger im Rah-en des Begabtenförderwerkes erhöht. Mittlerweileerden etwa 22 000 Menschen gefördert; Frau Grüttersat dies positiv hervorgehoben. Es gibt Steuerentlastun-en. Es sollten in knappen finanziellen Zeiten aber keinelschen Prioritäten gesetzt werden.Ich möchte in diesem Zusammenhang auf das zuprechen kommen, worum es jetzt eigentlich geht: Dieinisterin hat ihre Rede mit dem Datum 2020 begon-en. Wir sind ja sehr für Langfristigkeit; aber dafür müs-en als Erstes doch auch die nächsten Hürden übersprun-en werden. Frau Grütters, es reicht nicht, dass wir beide Bundestag über Bildung reden. Es muss auch etwaserauskommen, es muss für die Familien und die Studie-nden etwas bewirkt werden.
enn heute geht es nur um den ersten Teil. Der zweite,ichtigere Teil findet dann im Bundesrat und gegebe-enfalls im Vermittlungsausschuss statt. Da jetzt nochwei Redner – einer von der CDU und einer von derSU – sprechen, fragen wir: Können Sie garantieren,ass Herr Seehofer nicht querschießt, sondern dass Bay-rn die Beschlüsse stützt, obwohl Bayern etwas anderesngedeutet hat? Können Sie garantieren, dass der unguteeist von Herrn Koch nicht auch noch diese bescheideneAföG-Reform kaputtmacht? Können Sie das in Bezuguf Schleswig-Holstein bzw. Herrn Carstensen garantie-n, der schon Einrede erhoben und gesagt hat: „Wir tra-en die BAföG-Reform nicht mit, weil wir das Geld da-r nicht einsetzen wollen“? Es wird entscheidend sein,b die Vertreter von CDU und CSU das im Bundesratbsichern und unterstützen. Deshalb machen Sie es sichn der Stelle so schwer.
Nein, gehen Sie die Ministerpräsidenten von der SPDurch! Sie werden am Ende im Bundesrat nicht erleben,ass es bei der BAföG-Erhöhung – dem Schritt, den dieegierung hier vorsieht – zu Einrede und Gegenrede
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 50. Sitzung. Berlin, Freitag, den 18. Juni 2010 5197
Dr. Ernst Dieter Rossmann
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vonseiten der SPD kommt. In Bezug auf das Stipendien-system kommt es zu Gegenrede, aber nicht in Bezug aufdie BAföG-Erhöhung. Da haben Sie Ihre Probleme.Bringen Sie da Ordnung in Ihre Reihen, damit es amEnde im Juli ein Ergebnis gibt!
Wenn es nämlich bis dahin kein Ergebnis gibt, dann ha-ben Sie Ihr erstes Versprechen schon gebrochen, nämlichdass dieses Gesetz im August in Kraft tritt, damit dieStudierenden im Wintersemester dieses Jahres davonprofitieren.Frau Grütters, so wird Bildungsbewusstsein, eine Bil-dungsrepublik geschaffen: konkrete Verbesserungen, dieso eintreten, dass man mit ihnen rechnen kann. Wir kön-nen am heutigen Tag noch nicht mit ihnen rechnen. Des-halb täten Sie gut daran, im Gesetzentwurf BAföG undStipendiensystem zu entkoppeln; das macht es im Bun-desrat viel leichter. Sie täten gut daran, festzuhalten, dassdas BAföG finanziell immer noch eine Gemeinschafts-leistung ist. Am Ende sind hier schließlich die Vertreteraller Parteien gefordert; denn im Bundesrat sitzen dieVertreter aller Landesregierungen, aller Farben.
Herr Kollege.
Das Problem ist, dass Schwarz-Gelb in Bezug auf das
BAföG noch nicht die Konsistenz zeigt, noch nicht die
Unterstützung gibt, die wir brauchen, damit die Roten,
die Sozialdemokraten, und die Grünen ihren Beitrag
dazu leisten können, dass diese Verbesserung des Zugangs
zum Bildungswesen, zur Hochschule endlich vollzogen
wird, damit es bei der Herstellung von Chancengleich-
heit in Deutschland endlich einen Schritt vorangeht.
Es ist nur ein Schritt. Deshalb enthalten wir uns.
Herr Kollege, Sie müssen nun wirklich zum Schluss
kommen.
Wir sagen Nein zum Stipendiensystem, aber werben
dafür, dass Sie in Zukunft die größeren Schritte mit uns
gemeinsam tun: Erhöhung der Freibeträge, Schaffung ei-
ner besseren Zugänglichkeit, Gewährleistung sozialer
Gerechtigkeit in Bezug auf die Unter- und Mittelschicht.
Herr Kollege, Sie müssen nun wirklich zum Schluss
kommen!
Das sind unsere Anliegen. Dafür bitten wir um Ihre
Unterstützung.
Vielen Dank.
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Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! diesen Wochen werden entscheidende Weichen für dieukunft unseres Landes gestellt.
ie übergeordnete Aufgabe ist die Konsolidierung unse-r Staatsfinanzen. Wir stehen hier gegenüber der nächs-n Generation in einer besonderen Verantwortung. Aberenauso verantwortungslos, wie unseren Kindern nurchulden zu hinterlassen, wäre es, wenn wir an ihrer Bil-ung und im Bereich der Forschung sparen.
enn Bildung und Forschung sind die Grundlage fürngfristiges Wachstum und Wohlstand in unseremand.Dass wir heute, in einer Phase, in der sich alles umsparen dreht, das BAföG erhöhen und den Kreis der Be-ugsberechtigten ausweiten, zeigt doch, wie ernst es unsit diesem Thema ist.
an kann sich natürlich immer hinstellen und nach jederrhöhung eine noch stärkere Erhöhung fordern. Aberabei dürfen wir eines nicht übersehen: Das BAföG istine Sozialleistung; es besteht nur Anspruch darauf,enn die für den Lebensunterhalt und die Ausbildungotwendigen Mittel nicht anderweitig zur Verfügung ste-en.Hinzu kommt beim BAföG die Sondersituation, dassie Finanzierung eines Studiums für jeden Einzelnenine Investition darstellt, die sich im Durchschnitt durchin deutlich niedrigeres Risiko, arbeitslos zu werden,nd ein deutlich höheres Einkommen mehr als bezahltacht. Im Sinne einer Gleichbehandlung mit Empfän-ern anderer Sozialleistungen sind wir auch beimAföG angehalten, regelmäßig zu überprüfen, wie sichinkommen und Verbrauchspreise entwickeln, und aufieser sachlichen Basis die Bedarfssätze und Freibeträgenzupassen. Das sind wir im Übrigen auch denjenigenchuldig, die durch ihre Steuern diese Leistung finanzie-n, obwohl sie selbst oder ihre Kinder sie nie in An-pruch nehmen.
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5198 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 50. Sitzung. Berlin, Freitag, den 18. Juni 2010
Dr. Reinhard Brandl
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Das BAföG ist – das ist heute mehrfach angesprochenworden – die wichtigste Säule der staatlichen Ausbil-dungsförderung. Daneben haben wir bereits die weitereSäule der Studienkredite. Heute bauen wir eine dritteSäule, die der leistungsabhängigen Stipendien, auf. Leis-tungsstipendien führen im Moment in unserem Landein Schattendasein: Nur etwa 2 Prozent der Studentinnenund Studenten werden mit Stipendien gefördert. Für dieZukunft unseres Landes brauchen wir aber auch jungeMenschen, die bereit sind, mehr zu leisten als der Durch-schnitt. Mit mehr Leistung meine ich nicht nur bessereNoten, sondern auch den ehrenamtlichen und sozialenBereich. Diese Leistungen müssen wir in unserer Gesell-schaft besonders honorieren.
Mit dem nationalen Stipendienprogramm wollen wir einZeichen der Anerkennung und Wertschätzung besonde-rer Leistungen setzen, und zwar unabhängig vom Ein-kommen der Eltern.
Das Stipendienprogramm bietet außerdem zusätzlichzu der staatlichen Förderung die Chance, den Anteil vonprivaten Geldern an der Ausbildungsfinanzierung weiterzu erhöhen, um mehr Geld ins System zu bringen. Wa-rum sollen Alumni nicht im Sinne eines Generationen-vertrages die Chance erhalten, ihrer Hochschule freiwil-lig etwas zurückzugeben oder einen Studenten finanziellzu unterstützen? Für die soziale Ausgewogenheit ist eswichtig, dass wir das Stipendiensystem zusätzlich zumBAföG einführen. Zusätzlich bedeutet explizit, dass einBAföG-Bezieher das neue Stipendium zusätzlich zumBAföG bekommt.Mit diesen zentralen Weichenstellungen – der Konso-lidierung der Staatshaushalte auf der einen Seite und denInvestitionen in Bildung und Forschung auf der anderenSeite – legen wir als christlich-liberale Koalition in die-sen Wochen den Grundstein für langfristiges Wachstumund Wohlstand in unserem Land.Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt ist der
Kollege Michael Kretschmer, CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Listeder Projekte unserer christlich-liberalen Koalition imBereich Bildung ist gewaltig:
BAföG-Erhöhung, Stipendienprogramm, Bildungslotsenund Ausbau der Krippenplätze. All diese Dinge tun wirbewusst, um in Bildung und Chancengerechtigkeit zu in-vestieren.WEIcdfüMPwSDwdSIwraimwbnwGvfüWDlizwBkBtih0bB
ir werden in dieser Legislaturperiode 12 Milliardenuro zusätzlich für Bildung und Forschung ausgeben.h glaube, das ist ein tolles Signal für unser Land.
Die Diskussion über mehr Bildung und Prioritäten fürie Bildung wird natürlich auch mit den Ländern ge-hrt. Gestern hatten wir dazu eine Aktuelle Stunde.ehr Geld für Bildung ist richtig. Wir brauchen dieseriorität; aber Bildung darf nicht mit Schulden finanzierterden, sondern muss durch Einsparungen an anderertelle möglich gemacht werden.
enn wir tun der jungen Generation keinen Gefallen,enn wir ihnen einen Trümmerhaufen aus Staatsschul-en hinterlassen. Nein, dieses Land muss raus aus derchuldenfalle. Deswegen sind Konsolidierung undnvestition in Bildung die zwei Seiten einer Medaille,enn es um die Zukunftsfähigkeit geht.
Das BAföG wird in diesem Jahr 40 Jahre alt. Wir be-ten heute die 23. BAföG-Novelle. Es ist vermutlichmer so gewesen, dass die Regierenden stolz auf dasaren, was sie an BAföG-Reformen auf den Weg ge-racht haben. Der Opposition hingegen hat es meistensicht gereicht. Nur dieses Mal ist es besonders bitter,enn man sich die Bilanz anschaut: In der Zeit von Rot-rün ist das BAföG um 33 Euro gestiegen, in der Zeiton Bundesministerin Annette Schavan innerhalb vonnf Jahren um 108 Euro.
ir haben heute einen BAföG-Höchstsatz von 670 Euro.
as ist ein großer Erfolg und Ergebnis einer kontinuier-chen Prioritätensetzung für Bildung und Forschung.
Bei der heutigen Diskussion über das BAföG ist fest-ustellen, dass konkrete Änderungen vorgenommenurden: Die Altersgrenze wird auf 35 Jahre angehoben.ei den Sprachnachweisen bauen wir Bürokratie ab. Wirommen den Vorschlägen des Normenkontrollrats nach.ei den Wohnkostennachweisen gehen wir in die rich-ge Richtung. Bei der Anrechnung der Kindererzie-ungszeiten sind wir ein ganzes Stück weitergekommen.Im BAföG-Bericht wird eine Anhebung der Sätze um,5 Prozent vorgeschlagen. Wir sagen klar: Nein, wir he-en die Sätze deutlich höher an, und zwar um 2 Prozent.ei den Freibeträgen wird vorgeschlagen, dass eine Er-
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 50. Sitzung. Berlin, Freitag, den 18. Juni 2010 5199
Michael Kretschmer
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höhung um 1 Prozent angemessen wäre. Wir erhöhenum 3 Prozent.Wenn Sie das addieren, kommen Sie auf eine Gesamt-summe von 600 Millionen Euro für den Bund und aufnoch einmal 500 Millionen Euro für die Länder bis2013. Das ist eine große und keine kleine BAföG-Re-form.
In Zeiten, in denen an jeder Ecke über Einsparungen inHöhe von 100 000 Euro gesprochen wird, geben wir andieser Stelle zusätzlich 1 Milliarde Euro aus.
Am Ende werden zwischen 50 000 und 60 000 Studie-rende zusätzlich in den Genuss von BAföG-Leistungenkommen. Ich glaube, das ist das richtige Signal. Darübersollten wir uns gemeinsam freuen. Darauf sollten wir ge-meinsam stolz sein.
Wir wollen jetzt ein nationales Stipendienpro-gramm auf den Weg bringen; denn der internationaleVergleich hat gezeigt, dass wir in diesem Land keine Sti-pendienkultur haben. Das haben wir in den letzten Jah-ren – ich bin seit acht Jahren Mitglied des DeutschenBundestages – immer wieder beklagt und analysiert. Esgab verschiedene Anläufe, das zu ändern. Die deutscheWirtschaft hat, was sehr verdienstvoll ist, einen Fondseingerichtet, in den zum Teil auch größere Beträge ein-gezahlt wurden.
Trotzdem gab es keine große Bewegung.Die Zahl der Stipendiaten, die von der freien Wirt-schaft finanziert werden, ist viel zu gering. Deswegen istes richtig, dass man sich Gedanken darüber macht, wasman anders machen kann. Der Vorschlag, den wir heutezur Abstimmung stellen, wird an vielen Punkten der Re-alität in diesem Land gerecht.
Wenn man weiß, dass man keine Stipendientraditionhat, muss man sich überlegen, wie man das richtig ma-chen kann.
Wir haben gesagt: Wenn die Wirtschaft oder eine Privat-person 150 Euro in eine Stiftung einzahlt, dann soll sichder Staat ebenfalls mit 150 Euro engagieren – 75 Eurovom Land und 75 Euro vom Bund –, damit wir am Endeauf 300 Euro kommen.Wir sind auf die Argumente eingegangen. Da wurdegefragt: Ist das denn eigentlich sozial gerecht? – Dazumuss man zunächst einmal sagen: Das BAföG ist eineSozialleistung. Beim nationalen Stipendienprogrammgeht es um Studienleistungen.dAgdIcdnafu8sseCläSmsnpglekvIcssDeWfuNWde
Es ist aber richtig, dass man auch für Migranten undiejenigen, die sich sozial engagieren, etwas tun soll.us diesem Grund ist die Frage, ob man sich sozial en-agiert, ein Auswahlkriterium für das nationale Stipen-ienprogramm geworden.
h halte das für richtig.Ein weiteres Argument war die regionale Verteilung,ie heute häufig angesprochen wurde. Ich komme ausei-er Gegend, die wirtschaftlich wirklich schlecht dran ist,us Görlitz. Deswegen halte ich die Lösung, die wir ge-nden haben, für richtig: Wir beziehen den Wert vonProzent der Studierenden auf die jeweilige Hoch-chule. Das heißt, wenn man in München beispielsweisechnell vorankommt, sind dort diese 8 Prozent schnellrreicht. Aber auch für andere Teile des Landes, etwaottbus, Bochum oder wo auch immer, wo man etwasnger dafür braucht, ist gewährleistet, dass es an diesentandorten eine Chance auf Förderung gibt. Wir habenit den Ländern vereinbart, dass nach vier Jahren ge-chaut wird, was wir erreicht haben und wie das funktio-iert, damit gegebenenfalls nachgesteuert werden kann.
Ich glaube, dass wir mit dem nationalen Stipendien-rogramm einen richtigen Schritt unternehmen. Deswe-en kann ich nur um Zustimmung bitten.Die billigen Klassenkampfparolen, die wir in dentzten anderthalb Stunden in diesem Raum von der lin-en Seite des Hauses gehört haben, machen keinen Mut,or allen Dingen nicht den jungen Leuten.
h habe in meiner Studienzeit viele junge Leute auschwierigen Verhältnissen getroffen. Die haben mit mirtudiert und sich durchgekämpft. Unsere Aufgabe imeutschen Bundestag muss es sein, diese Menschen zurmutigen, ein Studium zu beginnen.
ir dürfen ihnen nicht immer nur sagen, dass allesrchtbar ist.
ein, wir haben in den vergangenen Jahren viel erreicht.ir setzen die richtigen Akzente. Deswegen kann manen jungen Leuten Mut machen und ihnen sagen: Nehmtin Studium auf, nehmt eure Zukunft in die Hand!Herzlichen Dank.
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5200 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 50. Sitzung. Berlin, Freitag, den 18. Juni 2010
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Ich schließe die Aussprache.Wir kommen zur Abstimmung über den von denFraktionen der CDU/CSU und FDP eingebrachten Ge-setzentwurf zur Änderung des Bundesausbildungsförde-rungsgesetzes. Der Ausschuss für Bildung, Forschungund Technikfolgenabschätzung empfiehlt unter Nr. 1 sei-ner Beschlussempfehlung auf der Drucksache 17/2196
, den Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU
und FDP auf der Drucksache 17/1551 in der Ausschuss-fassung anzunehmen.Hierzu liegt ein Änderungsantrag der SPD-Fraktionvor, über den wir zuerst abstimmen. Wer stimmt für die-sen Änderungsantrag auf der Drucksache 17/2216? –Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist derÄnderungsantrag mit den Stimmen der Koalition mehr-heitlich abgelehnt.Ich bitte nun diejenigen, die dem Gesetzentwurf inder Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Hand-zeichen. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? –Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung ange-nommen.Wir kommen zurdritten Beratungund Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die demGesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. –Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist derGesetzentwurf mit den Stimmen der Koalition und derFraktion Die Linke bei Stimmenthaltung von SPD undBündnis 90/Die Grünen angenommen.Wir kommen jetzt zu zwei Entschließungsanträgen.Zunächst zum Entschließungsantrag der SPD-Frak-tion auf Drucksache 17/2217. Wer stimmt für diesenEntschließungsantrag? – Wer stimmt dagegen? – Werenthält sich? – Der Entschließungsantrag ist mehrheit-lich abgelehnt.Wir kommen zum Entschließungsantrag der FraktionBündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 17/2198. Werstimmt für diesen Entschließungsantrag? – Wer stimmtdagegen? – Wer enthält sich? – Auch für diesen Ent-schließungsantrag gibt es keine Mehrheit.Wir setzen die Abstimmungen zu der Beschlussemp-fehlung des Ausschusses für Bildung, Forschung undTechnikfolgenabschätzung auf Drucksache 17/2196
fort.
Der Ausschuss empfiehlt unter Nr. 2 seiner Be-schlussempfehlung, den Entwurf eines Gesetzes derBundesregierung auf Drucksache 17/1941 zur Änderungdes Bundesausbildungsförderungsgesetzes für erledigt zuerklären. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? –Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Es gibt eineüberwältigende Zustimmung zu der Einschätzung, die-sen Gesetzentwurf für erledigt zu erklären.Unter Nr. 3 seiner Beschlussempfehlung empfiehltder Ausschuss die Ablehnung des Antrags der SPD-Fraktion auf Drucksache 17/884 mit dem Titel „BAföGafüssd1dzisnnd1Mfü–MvteleFte1CAdleetuuGzbEGmdsdtrluneGzfüenss
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 50. Sitzung. Berlin, Freitag, den 18. Juni 2010 5201
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Fraktion Bündnis 90/Die Grünen mit dem Titel „Neinzum nationalen Stipendienprogramm“. Der Ausschussempfiehlt unter Nr. 3 seiner Beschlussempfehlung aufder mehrfach zitierten Drucksache, den Antrag der Frak-tion Bündnis 90/Die Grünen auf deren Drucksache17/1570 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschluss-empfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich?– Mit Mehrheit ist die Beschlussempfehlung angenom-men.Damit sind wir mit den Abstimmungen zu diesem Ta-gesordnungspunkt durch.Ich rufe den Tagesordnungspunkt 31 auf:Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-richts des Finanzausschusses
– zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. CarstenSieling, Nicolette Kressl, Joachim Poß, weite-rer Abgeordneter und der Fraktion der SPDDie Lasten der Krise gerecht verteilen,Spekulation eindämmen – InternationaleFinanztransaktionssteuer einführen– zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. AxelTroost, Dr. Barbara Höll, Eva Bulling-Schröter,weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIELINKEFinanztransaktionssteuer international vo-rantreiben und national einführen– zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. GregorGysi, Dr. Barbara Höll, Dr. Axel Troost, weite-rer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKEDie Banken sollen für die Krise zahlen– zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. GerhardSchick, Lisa Paus, Dr. Thomas Gambke, weite-rer Abgeordneter und der Fraktion BÜND-NIS 90/DIE GRÜNENFinanzumsatzsteuer auf EU-Ebene einfüh-ren– Drucksachen 17/527, 17/518, 17/471, 17/1422,17/2133, 17/2187 –Berichterstattung:Abgeordnete Ralph BrinkhausDr. Carsten SielingNach einer interfraktionellen Vereinbarung sind auchfür diese Aussprache 75 Minuten vorgesehen. – Ich hörekeinen Widerspruch. Dann können wir so verfahren.
Sobald sich all diejenigen, die jedenfalls nicht gleich-zeitig reden können, gesetzt haben, erhält als Erster derKollege Hans Michelbach für die CDU/CSU-Fraktiondas Wort.
gduMamkVudbsrezmwwgGsDSrumaZtiaBeHzdtiRkBbBpgünmn
nd einen neuen, ganzheitlichen Ordnungsrahmen fürie Zukunft zu erreichen. In Form von Finanzmarktsta-ilisierungsgesetzen, neuen Regulierungen und Auf-ichtsmaßnahmen haben wir schnell reagiert, um weite-n Schaden vom Gemeinwohl abzuwenden. Dabei istu Recht der Ruf nach einer Beteiligung des Finanz-arktes an den Stabilisierungskosten immer lauter ge-orden. Die Verursacher sollen stärker herangezogenerden. Das war in diesem Hause Konsens.Zunächst hat für uns eine risikoadjustierte Bankenab-abe im Vordergrund gestanden, damit eine systemischeefährdung durch neue Krisen von den Finanzinstitutenelbst abgedeckt wird.
ie Erhebung einer Bankenabgabe zur Errichtung einestabilitätsfonds zur Finanzierung künftiger Restrukturie-ngsmaßnahmen bei Banken ist der sinnvolle Weg, da-it der Finanzsektor bei zukünftigen Krisen selbst re-gieren kann. Der Steuerzahler darf nicht länger dieeche zahlen, und die Zeit der kostenlosen Staatsgaran-en für Banken ist beendet.
Deswegen wollen wir jetzt, auch über diese Banken-bgabe hinaus, in Verbindung mit dem Sparpaket eineesteuerung des Finanzmarktes vornehmen. In Forminer Finanzmarkttransaktionsteuer sollen ab 2012aushaltseinnahmen von 2 Milliarden Euro pro Jahr er-ielt werden. Bei allem fiskalischen Denken muss je-och in erster Linie – das ist ganz wichtig – die Funk-onsfähigkeit der Finanzwirtschaft im Hinblick auf dieealwirtschaft gewahrt bleiben. Das heißt, man darf fis-alisches Denken nicht über alles stellen. Wie bei jederesteuerung sind Maß, Ziel und Lenkungswirkung zueachten.Es ist kein Geheimnis, dass das Kapitalpolster deranken ausgesprochen dünn und darüber hinaus der Ka-italbedarf für das Kreditgeschäft natürlich entsprechendroß ist. Wir diskutieren ja im Rahmen von Basel IIIber die Frage der Kernkapitalquote. Hier sagen die ei-en: 10 Prozent ist zu wenig, es muss mehr sein. – Aberan muss auch hier die Auswirkungen auf die Kreditfi-anzierung für die Realwirtschaft sehen.
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5202 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 50. Sitzung. Berlin, Freitag, den 18. Juni 2010
Dr. h. c. Hans Michelbach
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Bei den Entscheidungen müssen natürlich auch diejetzt international diskutierten Bankenstresstests berück-sichtigt werden. Wir wollen eine Balance zwischen derSicherung der Marktstabilität auf der einen und derBewahrung des Nutzens dynamischer Märkte auf deranderen Seite. Wir befinden uns in der Finanzwirtschaftin einem globalen Markt, und gerade wir in Deutschlandprofitieren von diesem globalen Markt. Deswegen müs-sen wir insbesondere bei unseren Finanzmarktentschei-dungen global denken und global handeln.
Es liegt im Wesen von marktwirtschaftlichen Prozes-sen, dass sie nicht endgültiger Natur, dass sie keine letz-ten Wahrheiten sind. Marktwirtschaft fördert aber immerWohlstandzuwachs, auch beim dienenden Faktor des Fi-nanzmarktes. Wir in Deutschland sind auf die Wettbe-werbsfähigkeit in der globalen Wirtschaft angewiesen.Deshalb bin ich dankbar für die Initiative der Bundesre-gierung, durch die erreicht wurde, dass die EuropäischeUnion auf dem G-20-Gipfel in Toronto gemeinsam eineinternationale endgültige Klärung für eine Finanzmarkt-transaktionsteuer anstrebt. Das ist der richtige Weg. HerrStaatssekretär, herzlichen Dank für diese Initiative desMinisters und der Bundesregierung in Abstimmung mitdem französischen Staatspräsidenten.
Sie haben richtig gehört: Deutschland hat gemeinsammit Frankreich beim EU-Gipfel in dieser Woche eineVorreiterrolle eingenommen.
Sie können sagen, was Sie wollen; das ist Tatsache.
Sie hingegen legen inhaltlich und technisch äußerstschwache Papiere und Anträge vor und leisten nichtsSubstanzielles. Das muss man hier einmal deutlich an-sprechen.
Die Europäische Union will jetzt die Finanzbrancheeinheitlich an den Kosten der Wirtschaftskrise beteili-gen. Dazu soll es künftig in den Mitgliedstaaten eine Mi-schung aus Bankenabgabe und Steuern geben. Einheitli-cher Tenor in der Europäischen Union ist, dieVerursacher der Finanzkrise in Europa stärker zur Kassezu bitten. Ich hoffe, dass Großbritannien jetzt nicht quasiwie bei einem Versteckspiel mitgemacht hat, sondernauch beim G-20-Gipfel Ende dieses Monats gemeinsammit den anderen Mitgliedstaaten der EuropäischenUnion agiert und nicht wieder ausschert.
Denn Alleingänge halte ich aufgrund der Umge-hungstatbestände für einen großen Schaden für den Fi-ndmnkdrsbtetisASDdtilefrdaFafoaMpuAsvdLdbDm
Kollege Michelbach, gestatten Sie eine Zwischen-
age des Kollegen Schick?
Ja.
Herr Kollege, würden Sie mir zustimmen, dass hinter
en Anträgen der Opposition ein wissenschaftliches Gut-
chten steht, während hinter der Forderung nach einer
inancial Activities Tax, die aus Ihrer Koalition kommt,
ußer zwei dürren Seiten vom Internationalen Währungs-
nds ohne wissenschaftlichen Rückhalt nichts steht und
ußerdem der Staatssekretär auf unsere Frage, ob das
inisterium geprüft hat, wie eine solche Steuer, die Sie ja
ropagieren, in Deutschland umgesetzt werden könnte
nd welches Aufkommen sie bringen könnte, uns keine
uskunft geben konnte, dass also die Anträge der Oppo-
ition wesentlich besser fundiert sind als das, was Sie hier
ortragen?
Herr Kollege Dr. Schick, wenn Sie von den Anträgener Opposition sprechen, dann stellen Sie Ihr eigenesicht unter den Scheffel, weil der Antrag, den Sie vonen Grünen gestellt haben, weitaus differenzierter undesser als alle anderen ist.
ie anderen wollen nationale Alleingänge, Sie haben zu-indest die europäische Ebene angesprochen.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 50. Sitzung. Berlin, Freitag, den 18. Juni 2010 5203
Dr. h. c. Hans Michelbach
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Ein Webfehler dabei ist ganz klar, dass Sie die Tobin-Steuer als Maß aller Dinge nehmen. Der Nobelpreisträ-ger James Tobin hat die nach ihm benannte Steuer ei-gentlich nur für Devisentransaktionen vorgesehen. Siewollen das aber erweitern.
Deswegen können Sie den Nobelpreisträger, der ja derSpiritus Rector einer solchen Steuer ist, letzten Endesnicht völlig vereinnahmen, weil er der Meinung war,dass diese Dinge sehr differenziert zu sehen sind, unddeutlich gemacht hat, dass er nicht alle Produkte besteu-ern will. Er sieht die Devisentransaktionsgeschäfte diffe-renziert. Er hat festgestellt, dass Geschäfte und Spekula-tionen durch einen niedrigen Satz, den Sie ja gewählthaben, durchaus eingedämmt werden, sodass die wissen-schaftliche Begründung in diesem Falle gegeben ist.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich zusam-menfassend deutlich machen: Wir wollen internatio-nale Lösungen. Nationale Lösungen hätten von wenigökonomischer Vernunft gezeugt, und nationale Besteue-rungen greifen zu kurz. Eine Finanztransaktionsteuerkönnte zu einer fairen Verteilung der Lasten der Kriseführen und so wirken, dass es zu einer Lenkung der Risi-ken kommt, wenn sie von den Banken nicht unmittelbarauf die Kunden übergewälzt wird.Auch bei dieser Gesetzgebung müssen wir im Finanz-ausschuss, gemeinsam mit dem Bundesfinanzministe-rium und insbesondere auf internationaler Ebene, nämlichgemeinsam mit dem IWF und den G-20-Verantwortli-chen, inhaltlich und technisch sauber arbeiten; denn esdarf nicht dazu kommen, dass die Zeche der Krise wiederdurch Anleger und Kleinanleger – insbesondere auch mitBlick auf die Altersvorsorge – bezahlt wird und dass sichdiejenigen, die die Krise verursacht haben und die wirtreffen wollen, letzten Endes einen „schlanken Fuß“ ma-chen können. Deswegen darf dies nur punktgenau auf dieFinanzmarktteilnehmer, die großen Player, ausgerichtetsein.Wir als CDU/CSU-Fraktion, als Koalition, stehenauch bei dem Thema „Beteiligung der Finanzmärkte anden Kosten der Krise“ für die ökonomische Vernunft.Lassen Sie uns bei dieser Arbeit gemeinsam die richti-gen Entscheidungen treffen!Herzlichen Dank.
Nächster Redner ist Dr. Carsten Sieling für die SPD-
Fraktion.
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Wir haben einen Antrag vorgelegt, der in der Tat guturchdacht ist. Viele anwesende Kolleginnen und Kolle-en haben an der Anhörung im Finanzausschuss teilge-ommen. Ich glaube, wir hätten gar nicht die ganzen viertunden gebraucht, die diese Anhörung gedauert hat;enn schon nach gut drei Stunden sind alle Gegenargu-ente der Regierungskoalition in sich zusammengebro-hen. Es ist deutlich geworden: Die Finanztransak-onsteuer ist ein Weg, der gangbar ist und der auchegangen werden muss. Deshalb hat sich die Regierungach vielem Hin und Her endlich dazu entschlossen, sichafür einzusetzen.Gehen Sie also den nächsten Schritt, und unterstützenie das, was wir Ihnen vorgelegt haben! Unser Vorschlagat einen Steuerungseffekt. Er will die starken Schwan-ungen einschränken, und er sieht eine Einnahmeseiteor.Die Finanztransaktionsteuer wäre eine Steuer auflle Umsätze innerhalb und außerhalb der Börsen inöhe von 0,01 bis 0,05 Prozent und würde damit geradeurzfristige schädliche Spekulationen und Anlagen ein-chränken und verhindern. Zudem würde sie einen star-en fiskalischen Effekt haben.
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5204 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 50. Sitzung. Berlin, Freitag, den 18. Juni 2010
Dr. Carsten Sieling
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Ich weiß nicht, woher die 2 Milliarden Euro kommen,die Sie bescheiden in Ihrem Sparkonzept vorsehen. Ichkenne nur Studien, die von 12 Milliarden bis 20 Milliar-den Euro ausgehen.
Ich habe allerdings den Verdacht, dass Sie, wenn Sie2 Milliarden Euro hineinschreiben, die Finanztransak-tionsteuer als Sparnummer vorsehen.
Das wird nicht reichen. Legen Sie uns lieber dar, was Siesich vorstellen und wie Ihr Konzept aussieht, statt hiereine technische Debatte zu fordern!
Legen Sie etwas vor! Denn es kann doch nicht so weiter-gehen, dass wir Babywindeln, Schwarzbrot und anderesmit 19 Prozent besteuern und an den Märkten täglichMilliardenbeträge hin- und hergehen, ohne auch nur miteinem Cent belastet zu werden. Dem wollen wir entge-gentreten, und dem muss entgegengetreten werden.Ich habe die Rede verfolgt, und ich habe vernommen,was gestern ausgeführt worden ist. So stolz Sie auf dassind, was gestern erreicht worden ist, Herr Michelbach –es war doch in den letzten Wochen und Monaten ein stän-diges Hin und Her. Die Kanzlerin hat am Ende des Gip-fels gesagt, die Finanztransaktionsteuer solle erforschtund entwickelt werden. Ich fühlte mich an ihre beruflicheBiografie erinnert und habe gedacht: Da kommt die Phy-sikerin, die Wissenschaftlerin, zum Vorschein, die so aneinen wichtigen Vorschlag herangeht. Ich glaube, dassollte man getrost James Tobin, dem Träger des Nobel-preises für Wirtschaftswissenschaft, überlassen, vor al-lem aber auch den vielen Ökonomen, die sich qualifiziertdamit befasst haben.Die Aufgabe der Kanzlerin ist nicht, ein Thema zu er-forschen. Sie muss vielmehr etwas durchsetzen und sichdafür einsetzen. Das war gestern noch viel zu wenig derFall. Die Sorge über das Wegtauchen der Engländer istin der Tat berechtigt.Deshalb müssen wir weiter Druck machen. DieseMöglichkeit hat der Deutsche Bundestag: die Vorreiter-rolle, die Deutschland in der Tat gemeinsam mit Frank-reich endlich eingenommen hat, fortzusetzen. Apropos„endlich“: Was haben Sie an Zeit verschwendet!
Die Forderung liegt seit langem vor.
Wir haben den Antrag im Januar eingebracht. Sie habendafür und dagegen geredet; es war ein Hin und Her.HramsaDWnwtrmKhdnSStedHuadh–swIhssDturegFim
err Michelbach, wenn man im Protokoll der ersten Be-tung Ihren Namen verdecken und Ihre heutige Redeit der im Januar vergleichen würde, dann würde manich fragen, welche beiden verschiedenen Abgeordnetenus zwei verschiedenen Fraktionen geredet haben.
as ist ein Hin und Her. Sie bieten uns von Woche zuoche andere Richtungen.Ich will noch einmal an die Debatte im Januar erin-ern. Damals hat der Kollege Sänger – ich bin gespannt,ie sich die FDP heute dazu verhält – von der Finanz-ansaktionsteuer als einer ziemlich angegammelten Ka-elle gesprochen.
ollege Schäffler – damals noch in Amt und Würden –at es als völlig absurd bezeichnet. Da hat sich zumin-est etwas geändert; aber er kann und wird hier vielleichticht entsprechend handeln. Herr Kollege Michelbach,ie haben damals gesagt:Was wir aber nicht brauchen …, sind Einzelmaß-nahmen, Placebos, nationale Alleingänge und un-qualifizierte Schnellschüsse, wie dies in den Anträ-gen der Opposition zum Ausdruck kommt.ie wollten das nicht, Sie haben das blockiert. Sie muss-n erst von Ihrer eigenen CSU-Zentrale getrieben wer-en.
err Seehofer ist irgendwann zu der Einsicht gekommennd hat sehr deutlich gesagt, dass wir eine Finanztrans-ktionsteuer brauchen, ohne Wenn und Aber. Recht hater Mann. Es ist gut, dass Sie diese Einsicht gewonnenaben.
Glauben Sie nicht, dass ich mit der Position der engli-chen Sozialdemokraten zufrieden war. Ich habe sehrohl Ihre Mahnungen gehört. Sie haben immer gesagt:r Sozialdemokraten, geht doch einmal zu den engli-chen Sozialdemokraten und sagt denen, was sie machenollen.
as war nicht ganz falsch. Jetzt haben wir aber die Si-ation, dass England nicht mehr von Sozialdemokratengiert wird. Jetzt kann ich das nur zurückgeben und sa-en: Gehen Sie zu Ihren konservativen und liberalenreunden, und sorgen Sie dafür, dass die Engländer dies Rahmen der Euro-Zone mitmachen werden.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 50. Sitzung. Berlin, Freitag, den 18. Juni 2010 5205
Dr. Carsten Sieling
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Herr Kollege Steffel, bevor Sie sich nachher verren-nen: Die Österreicher haben einen Vorratsbeschluss füreine Finanztransaktionsteuer gefasst mit Sozialdemokra-ten und der Österreichischen Volkspartei. Zu nichts an-derem fordere ich Sie hier auf. Gehen Sie den Weg, dendie Österreicher schon beschritten haben.
Dann kommen wir deutlich weiter und werden Unter-stützung leisten.Ich möchte zum Schluss Bezug nehmend auf die An-hörung und die bisher verlaufene Debatte sagen, dassjetzt zwar gut geredet worden ist und die Kanzlerinforscht und untersucht. Hat dies aber Bestand, wenn – soist die allgemeine Einschätzung – es auf dem G-20-Gip-fel in Toronto richtig schwierig wird und wir einen euro-päischen Weg durchsetzen müssen? Dann möchte ich,dass der Bundestag und hoffentlich auch die Koalitionbei der wichtigen Frage der Beherrschung der Finanz-märkte mit einer Stimme sprechen und dies unterstütztwird. Die Gegenargumente – und das alarmiert mich –sind hier wieder angewärmt worden.Meine sehr verehrten Damen und Herren, in der An-hörung ist im Zusammenhang mit den Riester-Sparerndie Wahnsinnszahl von 4 700 Euro genannt worden. Kol-lege Schäffler hat sich dabei auf das bayerische Finanz-ministerium bezogen; das bayerische Finanzministeriumhat diese Zahlen Gott sei Dank aber nie bestätigt. DerRiester-Sparer solle mit 4 700 Euro belastet werden.Das ist barer Unsinn und in der Anhörung widerlegtworden.
Wenn es eine Belastung gibt, dann beläuft sich diesenach den uns vorgelegten Berechnungen, denen keinVertreter der Banken widersprochen hat, auf maximal3,50 Euro pro Jahr. Schauen Sie sich einmal an, wie vielKontoführungsgebühren und andere Gebühren Sie anIhre Bank entrichten. Dann wissen Sie, dass dies eine zuvernachlässigende Größe ist. Reden Sie doch nicht derGefahr der Überwälzung auf die kleinen Sparer dasWort. Das ist nicht so.
Dieses Märchen sollte man nicht erzählen, genauso wieman nicht das Märchen erzählen sollte, dass alle Anlegerin die Karibik flüchten. Die Finanzstandorte bzw. die Fi-nanzplätze sind stark. Dort werden die Sachen auchüberwiegend ablaufen.In diesem Sinne erhoffe ich mir, dass Sie den gutenWorten wenigstens eine kleine gute Tat folgen lassen,und bestünde die gute Tat nur darin, dass Sie für die rich-tigen Anträge den Arm heben. Der Antrag der SPD legtsehr umfassend dar, wie erfolgversprechend eine Finanz-transaktionsteuer ist. Hier können Sie die Oppositions-frggdunmtiKgWGbakFHwsGihnmsreggmsunDwewAm
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen undollegen! Es ist die Fortsetzung einer bereits mehrfacheführten Debatte. Wir erleben ein klassisches Bild:enn es um höhere Steuern und Abgaben geht – großeeschlossenheit der Opposition, ein Überbietungswett-ewerb. Die SPD will eine breit angelegte Finanztrans-ktionsteuer, die Linken wollen zusätzlich eine Finanz-risenverantwortungsgebühr, und die Grünen setzen dieinanzmarktumsatzsteuer obendrauf. Meine Damen underren, wenn wir das umsetzen würden, dann würdenir die Kuh mit der SPD-Steuer aushungern. Mit der Zu-atzgebühr der Linken würden wir sie schlachten. Dierünen würden sagen: Mit unserer Umsatzsteuer könntr sie melken. – So kann man keine erfolgreiche Fi-anzpolitik machen.
Es ist völlig unbestritten, dass Banken und Finanz-ärkte eine ganz wichtige Funktion für diese Gesell-chaft haben. Es ist auch völlig unbestritten, dass sie ih-r Verantwortung in der Vergangenheit nicht immererecht geworden sind. Deshalb brauchen wir neue Re-eln. Wir brauchen auch eine Finanzmarktbesteuerung,it der die notwendigen Schlüsse aus den jüngsten Kri-en gezogen werden.Aber es ist schon bemerkenswert, dass die Grünenns immer wieder sagen: Wir wollen keine internatio-ale Abstimmung. Deutschland muss vorpreschen.eutschland muss der Welt mal zeigen, wie das gemachtird. Ihr müsst Druck auf die anderen ausüben! – Das istine bemerkenswerte Form grüner Politik. Die lehnenir ab. Wir wollen nämlich keinen nationalstaatlichenktionismus. Wir wollen eine internationale Abstim-ung mit unseren Bündnispartnern.
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Dr. Volker Wissing
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Jetzt fragen Sie: Warum haben Sie das alles nochnicht gemacht? – Wir haben bereits bei der Banken-abgabe gezeigt, wie wir das machen. Wir haben bereitsgezeigt, dass man so erfolgreich sein kann. Das werdenwir in den anderen Bereichen fortsetzen.
Nun ist die Vorgehensweise der Sozialdemokraten jabesonders interessant. Als Sie von den Sozialdemokra-ten den Bundesfinanzminister gestellt haben, haben wirhier keine Anträge zur Finanzmarktbesteuerung bekom-men.
Kaum sind Sie in der Opposition, fallen Ihnen all dieDinge ein, die Sie in elf Jahren der Verantwortung fürdas Finanzministerium nicht umgesetzt haben.
Und da stellen Sie, Herr Kollege Sieling, sich hier hinund fragen die Regierungsfraktionen: Was haben Sie fürZeit verschenkt? – Ich frage Sie: Wieso haben Sie elfJahre verschenkt, liebe Sozialdemokraten?
Es war doch Ihre Schuldenpolitik, die unser Landimmer tiefer in die Abhängigkeit von den Finanzmärktengeführt hat.
Sie haben die Maastricht-Kriterien aufgeweicht – zu-sammen mit den Grünen.
Das war der erste Schlag mit der Axt an den Stamm derStabilität unserer Währung.
Die Verantwortung werden Sie nicht los. Sie haben da-mit den Grundstein dafür gelegt, dass sich der Euro-Raum so entwickelt hat, wie er sich entwickelt hat. AlsPartei der Finanzmarktregulierung waren Sie in elf Jah-ren Regierungsverantwortung ein Totalausfall. Deswe-gen: Stellen Sie sich doch hier bitte nicht hin und fragenSie uns von den Regierungsfraktionen nicht: Warum ha-ben Sie so lange gewartet?Wir haben uns unserer Verantwortung gestellt. Wirhaben als christlich-liberale Koalition ein einmaligesund ehrgeiziges Sparpaket geschnürt, um die Neuver-schuldung zu reduzieren und um unser Land wieder ausder Abhängigkeit von den Finanzmärkten herauszufüh-ren, in die Sie unser Land hineingeführt haben.
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Ich glaube, die Menschen sehen ganz klar, wie Sieich von einer Regierungspartei zu einer Oppositionspar-i gewandelt haben.
ie von der SPD machen eine Karussellpolitik: Im Wahl-ampf oder in der Opposition lehnen Sie Mehrwertsteuer-rhöhungen ab, fordern die Erhebung der Vermögen-teuer, die Einführung der Finanztransaktionsteuer undinen höheren Spitzensteuersatz. Wenn Sie jedoch inegierungsverantwortung sind – so haben Sie ja ge-andelt –, erhöhen Sie die Mehrwertsteuer, senken denpitzensteuersatz und lehnen die Erhebung der Vermö-ensteuer genauso ab wie die Einführung einer Finanz-ansaktionsteuer. Ihre früheren Finanzminister habenen SPD-Antrag nicht einmal unterschrieben. Ist Ihnenas überhaupt aufgefallen?
Meine Damen und Herren von der SPD, man kannber Sie nur den Kopf schütteln. Wir jedenfalls werden
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 50. Sitzung. Berlin, Freitag, den 18. Juni 2010 5207
Dr. Volker Wissing
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diesen Weg nicht mitgehen. Wir werden sinnvoll regu-lieren, wo es notwendig ist. Wir werden uns internatio-nal abstimmen. Wir werden die Branche in vertretbaremUmfang an den Kosten beteiligen. Wir werden unserenHaushalt konsolidieren, um das Land wieder unabhängi-ger von den Finanzmärkten zu machen. Das ist der Weg,den wir gehen werden, und zwar im internationalenKontext. Mit aller Entschlossenheit werden wir daran ar-beiten. Wir haben schon vieles auf den Weg gebrachtund werden den eingeschlagenen Weg konsequent fort-setzen. Wir werden die Probleme lösen, die uns die So-zialdemokraten, nachdem sie elf Jahre Verantwortungfür das Finanzministerium getragen haben, hinterlassenhaben.Herzlichen Dank.
Das Wort hat nun Kollege Axel Troost für die Frak-
tion Die Linke.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich
möchte zu insgesamt fünf Punkten etwas sagen.
Erstens. Es ist hier wieder davon die Rede gewesen,
dass auch die Sparerinnen und Sparer, die nur kleine
Vermögen besitzen, von der Finanztransaktionsteuer
massiv betroffen wären. Die Anhörung hat gezeigt, dass
das Gegenteil der Fall ist. Wenn man wirklich einmal
unterstellt – diese Werte legt auch die Finanzbranche ih-
ren Berechnungen zugrunde –, dass 200 Euro pro Monat
über 30 Jahre gespart werden und einmal im Jahr der ge-
samte Bestand umgeschichtet wird, dann kommt man
über einen Zeitraum von 30 Jahren zu einer Gesamt-
belastung der Sparerinnen und Sparer in Höhe von
1,2 bis 1,5 Prozent des Gesamtvolumens – wohlgemerkt
für einen Zeitraum von 30 Jahren, während gleichzeitig
jedes Jahr Fondsgebühren in Höhe von 1,5 Prozent und
Bankengebühren in Höhe von 1 Prozent anfallen. Hier
von einer übermäßigen Belastung zu sprechen, ist ein-
fach lächerlich. Es bleibt dabei: Die Finanztransak-
tionsteuer trifft die großen Spekulanten und nicht die
Sparerinnen und Sparer mit kleinem Vermögen.
Zweitens. Es wird immer wieder gesagt – wir haben
das gerade wieder gehört –: Ihr müsst euch entscheiden.
Wollt ihr Lenkung, dann bekommt ihr keine Einnahmen,
oder wollt ihr Einnahmen, dann gibt es keine Lenkung. –
Diese Aussage ist in diesem Fall schlichtweg falsch. Es
ist schon erwähnt worden, dass es eine Studie gibt, wohl-
gemerkt nicht von Herrn Tobin – man hatte eben ja das
Gefühl, dass so etwas suggeriert werden sollte –, son-
dern vom Österreichischen Institut für Wirtschaftsfor-
schung, in der eine Folgenabschätzung versucht wurde.
Die Studie kommt zu dem Ergebnis: Bei einem Steuer-
satz von 0,05 Prozent, wie wir ihn in unseren Anträgen
fordern, wird es an den Börsen vermutlich zu einem
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Drittens kommt immer wieder das Totschlagargu-
ent, dass die Finanztransaktionsteuer keine Wunder-
affe sei und selbst dann, wenn es sie gegeben hätte, die
inanzmarktkrise nicht verhindert worden wäre. Darauf
uss man klar sagen: Nein, sie ist nicht die Wunder-
affe. Natürlich brauchen wir ergänzende Maßnah-
en. Mit einem solch minimalen Steuersatz allein kann
an Exzesse auf den Finanzmärkten nicht verhindern.
eswegen müssen wir die gegenwärtige Praxis ändern.
ir müssen Veränderungen bei den Kreditverbriefungen
nd bei den Leerverkäufen erreichen. Wir müssen die
egenwärtige Praxis bei den Kreditausfallversicherun-
en beenden und vieles andere mehr. Aber die Finanz-
ansaktionsteuer ist ein wichtiger Schritt, ein wichtiger
estandteil. Deswegen muss sie umgesetzt werden.
Viertens. Es wird immer wieder gesagt, es müsse in-
rnational gehandelt werden. Im Augenblick wird die
offnung verbreitet, dass wir mit den gestrigen Be-
chlüssen auf dem besten Wege sind. Aber insbesondere
ach der Rede von Herrn Wissing ist das wieder völlig
nklar.
nerhalb einer Rede wird mal von Finanzsteuer, mal
on Finanztransaktionsteuer und zum Schluss wieder
on der Bankenabgabe geredet. Niemand weiß, was Sie
irklich wollen. Deswegen muss es an dieser Stelle eine
ntscheidung geben, und zwar eine Entscheidung, die
om Bundestag gefällt wird.
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Rede von: Unbekanntinfo_outline
Wie würden Sie denn die Chancen zur Umsetzungauf europäischer Ebene sehen, wenn der DeutscheBundestag in der Tat auch so einen Vorratsbe-schluss für eine Finanztransaktionsteuer fassenwürde? Ist dann möglicherweise der Durchbruch zuerwarten …?er Staatssekretär hat darauf geantwortet – ich zitiereus dem Protokoll –:Um das ganz kurz zu sagen: Ich glaube, dass eindeutscher Vorratsbeschluss, ein Signal des Deut-schen Bundestages extrem positiv wäre und höchst-wahrscheinlich der entscheidende Durchbruch in
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5208 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 50. Sitzung. Berlin, Freitag, den 18. Juni 2010
Dr. Axel Troost
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dieser Frage ist, denn wir kennen die Position inÖsterreich, wir kennen die Diskussion in Frank-reich, wir kennen die Diskussion in Belgien. Solchein deutscher Beschluss wäre mehr als Rücken-wind, höchstwahrscheinlich wirklich der Durch-bruch in dieser wichtigen Frage.
Uns nutzt es nichts, wenn nur auf Regierungsebenegeredet wird. Wir brauchen einen solchen Beschluss desDeutschen Bundestages. Um es in der Sprache zu sagen,die gegenwärtig vorherrscht: Der Ball liegt auf dem Elf-meterpunkt. Er muss jetzt endlich ins Tor geschossenwerden.
Fünftens. Es wird immer wieder ein Gegensatz zwi-schen einer Bankenabgabe und der Finanztransak-tionsteuer hergestellt. Nach meiner Meinung ist das völ-lig unsinnig. Die Bankenabgabe hat ihre Berechtigungals zweckgebundene Einnahme, um einen Teil der Kos-ten, die durch die Finanzmarktkrise entstanden sind, zudecken. Ich möchte nur in Erinnerung rufen, dass derSoFFin, der für die Abwicklung verantwortlich ist, imJahr 2009 einen Verlust von 4 Milliarden Euro ausge-wiesen hat. Es liegt aus meiner Sicht ganz nahe – wir ha-ben dazu einen entsprechenden Antrag eingebracht –,die Banken als wesentliche Verursacher der Krise an die-sen Kosten zu beteiligen. Wir brauchen daher auch dieBankenabgabe.
Die Finanztransaktionsteuer soll dagegen Sand insGetriebe streuen, den Devisenmarkt entschleunigen,Spekulationen bremsen und Einnahmen vor allem beiden Akteuren abschöpfen, die offensichtlich genug Geldfür internationale Kapitalgeschäfte haben. Es geht alsoum einen Einstieg in eine gewisse Entwaffnung der Fi-nanzmärkte und um die verteilungsgerechte Erhöhungder Steuern, auch und gerade zur Finanzierung von inter-nationaler Entwicklung, von Umwelt- und Klimaschutz.Dies haben – es ist schon angesprochen worden – über50 Organisationen im Bündnis „Steuer gegen Armut“und über 66 000 Bürger – es werden immer mehr –, diedieses Bündnis unterstützen, eingefordert.Die Doppelgleisigkeit, also Bankenabgabe und Fi-nanztransaktionsteuer, ist sinnvoll. Denn die Finanz-transaktionsteuer wird gar nicht in erster Linie von denBanken gezahlt.
Die Banken müssen diese Steuer nur im Rahmen ihrereigenen Geschäfte zahlen. Sie wird gezahlt von denjeni-gen, die die Transaktionen in Auftrag geben.
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Das Wort hat nun Gerhard Schick für die Fraktion
ündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Dieeden der Vertreter der Koalition waren wieder einmal
in starkes Stück. Von der FDP haben wir in dieser Dis-ussion – Sie haben darauf hingewiesen, dass es nichtie erste Debatte zu dem Thema ist – als Erstes gehört,ie Zahlen, die in unseren Anträgen stünden, seienlsch. Peinlich für Sie – die Zahlen waren richtig gewe-en, und das mussten Sie nachher zugeben.
weitens haben Sie gesagt, der Kleinsparer würde mitehreren Tausend Euro belastet. Ihre Zahlen sind jedoch der Anhörung eindeutig widerlegt worden. Sie lagenlsch.
ann arbeiten Sie sich hier an dem ehemaligen Finanz-inister Steinbrück ab. Ich möchte Ihnen sagen: Wir ha-en einen neuen Finanzminister seit September. Habenie das eigentlich mitbekommen? Da stellt sich dierage: Warum lassen Sie ihn eigentlich so allein stehen?
Der Finanzminister soll sich in Toronto und in Brüs-el für eine Finanztransaktionsteuer einsetzen. Das warein Wort. Warum haben wir hier von Ihnen nicht eininziges Mal ein klares Wort der Unterstützung für dieosition des Finanzministers gehört?
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 50. Sitzung. Berlin, Freitag, den 18. Juni 2010 5209
Dr. Gerhard Schick
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Glauben Sie denn, dass das in internationalen Ver-handlungen niemandem auffällt? – Herr Michelbach,Sie haben doch selber zu dem Chaos beigetragen. Vorder Anhörung stehen Sie vor der Fernsehkamera und sa-gen, dass diese Steuer nichts taugt,
während Ihr eigener Parteichef aus München fordert,ohne diese Finanztransaktionsteuer dürfe es keine Zu-stimmung zum Euro-Rettungspaket geben.
Genauso wenig glaubwürdig wie die CSU an dieserStelle ist die Position der Bundesregierung, wenn eskeine Unterstützung aus dem Parlament gibt. Meinen Siedenn, das fällt den Kollegen aus den anderen Staatennicht auf? Was ist das für ein Zustand, wenn die einzigeUnterstützung, die der Finanzminister offensichtlich fürdiese Forderung bekommt, von den Oppositionsparteienkommt? Legen Sie doch endlich einen Antrag vor, derdeutlich macht, dass Sie für eine Finanztransaktionsteuerauf europäischer Ebene sind. Damit könnten Sie denFinanzminister hier glaubwürdig unterstützen.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen
Michelbach?
Herr Kollege Dr. Schick, würden Sie zur Kenntnis
nehmen, dass wir immer gesagt haben, dass wir eine rein
nationale Finanztransaktionsteuer nicht für zielführend
und nicht für richtig halten? Der Diskussionsprozess hat
letzten Endes dazu geführt, dass wir uns für eine Lösung
auf G-20-Ebene, zumindest aber für eine Lösung auf eu-
ropäischer Ebene ausgesprochen haben. Würden Sie zur
Kenntnis nehmen, dass die wesentlichen Anträge hier
die Lösung in einem nationalen Alleingang sehen? Das
ist die Situation.
Deswegen müssen Sie differenzieren. Würden Sie unab-
hängig davon zur Kenntnis nehmen, dass wir eine be-
scheidene Anfangslösung auch wegen der Lenkungs-
wirkung anstreben und nicht wie Sie gleich ein
Großmodell mit zweistelligen Milliardensummen ein-
führen wollen? Wir haben 2 Milliarden Euro vorgese-
hen.
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Warum wollen wir eine Finanztransaktionsteuer? Ichlaube, dass Sie mit den Argumenten, die Sie häufig vor-agen, von einer zentralen Problematik ablenken. Ineutschland ist es doch so, dass die Besteuerung dermsätze aller Branchen dazu beiträgt, dass wir öffentli-he Leistungen finanzieren können. Die dadurch erziel-n Einnahmen machen einen großen Teil des Budgetses Bundes und der Länder aus. Dadurch werden vieleffentliche Aufgaben finanziert. Ausgerechnet die Fi-anzbranche trägt nicht zu dieser Finanzierung bei.
arum soll das richtig sein? Wenn Sie dieser systemati-chen Privilegierung etwas entgegensetzen wollen, dannollte dies das von uns vorgeschlagene Instrument derinanztransaktionsteuer sein.Man könnte nun sagen: In anderen Steuerbereichenird der Kapitalmarkt doch abgeschöpft. Das stimmtber nicht. Auch bei der Einkommensteuer gibt es einerivilegierung von Kapitalerträgen. Zu Zeiten der Gro-en Koalition ist die Besteuerung von Kapitalerträgenoch auf 25 Prozent heruntergesetzt worden. Es gibt alsouch da eine Privilegierung.
Dazu sagen wir Grünen: In einer Zeit, in der es drin-end notwendig ist, die öffentlichen Haushalte zu sanie-n, schauen wir, wo es Privilegien gibt, die abgebauterden können. Ein zentrales Privileg ist, dass die Fi-anzbranche bei der Umsatzbesteuerung außen vorleibt, sich also nicht an der Finanzierung öffentlicherüter beteiligt. Wir sagen ganz klar: Dieses Privileg derinanzbranche ist nicht gerechtfertigt. Wir wollen es ab-auen. Dazu dient die Finanztransaktionsteuer.
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5210 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 50. Sitzung. Berlin, Freitag, den 18. Juni 2010
Dr. Gerhard Schick
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– Ihre umfangreichen Sparvorschläge haben wir in demvorgelegten Paket gesehen. Es enthält viele Luftbuchun-gen.Sie haben heute versucht, den großen Rahmen IhrerFinanzmarktpolitik zu zeichnen.
– Wenn es den gäbe! Es gibt ihn aber nicht. – Sie habenin den letzten Wochen und Monaten an verschiedenenStellen immer reagiert. Erst gestern hieß es: Stresstestsfür europäische Banken sollen jetzt veröffentlicht wer-den. Das haben Sie über Monate abgelehnt. Weil Spa-nien unter Druck ist, müssen Sie darauf reagieren. Daherkommen Sie plötzlich der Forderung nach Transparenznach, was Sie eigentlich nie machen wollten, weil Siedie deutschen Banken vor der Wahrheit schützen woll-ten. Gut, dass Sie Ihre Haltung korrigieren. Aber das istdoch keine klare Linie.
Zu den Leerverkäufen. Sie haben die Regelung derBaFin im Januar auslaufen lassen. Im März haben Sie imZusammenhang mit den Eckpunkten eine gesetzlicheRegelung angekündigt. Dann haben Sie hektisch für dieAusgliederung in ein neues Gesetz gesorgt. Über Nachthaben Sie dann plötzlich das Verbot der Leerverkäufebeschlossen, was an den Finanzmärkten ein großesChaos ausgelöst hat. Wie wollen Sie mit dieser wackeli-gen Position Finanzmärkte regulieren?Zur Aufsichtsreform. Sie sind mit großen Worten ge-startet: Das Wichtige ist, die Aufsicht zu reformieren. In-zwischen ist dieses Thema auf die lange Bank geschobenworden. Ich sage Ihnen ganz deutlich: Wenn Sie klareRegeln setzen wollen, dann werden Sie mit dieser Wa-ckelpolitik keinen Meter weiterkommen. Wer etwas kon-trollieren will, muss den Knoten festziehen und darfkeine Wackelpolitik betreiben, wie Sie es tun.
Ich will noch darauf eingehen – Sie haben das ange-deutet, Herr Michelbach –, dass es Unterschiede zwi-schen den Anträgen der Oppositionsfraktionen gibt. Wirhaben an dieser Stelle von Anfang an ganz klar auf dieeuropäische Ebene gesetzt. Wir waren nämlich skep-tisch, ob es möglich ist, eine Lösung auf internationalerEbene zustande zu bringen. Außerdem halten wir dieEinführung einer Finanzumsatzsteuer auf EU-Ebene fürein Instrument, die Einnahmeseite der EuropäischenUnion auf eine stabile Grundlage zu stellen.Wir werden den anderen Anträgen heute ebenfalls zu-stimmen, auch wenn wir nicht sicher sind, ob die darinenthaltenen Vorschläge für die nationale Ebene wirklichtragfähig sind.
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a versagt Ihre Regierung kläglich.
Das Wort hat nun Frank Steffel für die CDU/CSU-
raktion.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-n! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lieber Herr Kol-ge Schick, ich fand weite Teile Ihrer Rede in Ordnung,uch wenn ich nicht alles teile. Aber am Ende Ihrer Redeie Conclusio zu ziehen, dass wir uns der Schuldenpoli-k des amerikanischen Präsidenten anschließen und ineutschland nicht zum Wohle unserer Mitbürgerinnennd Mitbürger sparen sollten, halte ich für wirklich sehreit hergeholt. Ich halte es auch politisch für verhee-nd.
Die Debatte heute enthält nichts Neues. Ich verhehleicht, dass ich aufgrund der, wie zumindest ich finde,ehr erfreulichen Entwicklungen gestern auf der Tagunger EU-Staats- und Regierungschefs gehofft hatte,ass es einige neue Erkenntnisse, einige neue Debatten-eiträge gibt. Man kann Ihnen nicht vorwerfen – so istas parlamentarische Verfahren –, dass Ihre Anträgeom Januar stammen; der jüngste ist, so glaube ich, vompril. Von Januar bis Juni 2010 ist in dieser Welt, inuropa gerade in der Finanz- und Wirtschaftsentwick-ng unglaublich viel geschehen. Man kann Ihnen aber
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 50. Sitzung. Berlin, Freitag, den 18. Juni 2010 5211
Dr. Frank Steffel
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sehr wohl vorhalten, dass Sie heute, wie ich finde, vielKritik geäußert haben, aber Ihr Lob äußerst dünn war fürden wesentlichen Fortschritt, den wir gestern insbeson-dere dank der Aktivitäten der Frau Bundeskanzlerin unddes französischen Staatspräsidenten in Europa erreichthaben.
Hier wäre auch einmal Lob angemessen gewesen, undzwar Lob dafür, dass Deutschland wieder einmal bei die-sem schwierigen Thema Motor der europäischen Posi-tion und hoffentlich Motor der weltweiten Position seinkann und sein wird. Denn das muss unser Ziel als großeExportnation sein.
– Herr Kollege Sieling, ich komme gleich zu Ihnen.Es ist natürlich ein großer Fortschritt – lassen Sie unsdas doch gemeinsam an diesem Tag feststellen –, dassdie EU und insbesondere die neue britische Regierungbereit waren, die Bankenabgabe und Stresstests fürBanken zu akzeptieren und eine Finanztransaktionsteuer„zu erkunden und zu entwickeln“. Das ist ein Riesenfort-schritt. Die Worte „erkunden“ und „entwickeln“ hat sichnicht die Frau Bundeskanzlerin als Physikerin ausge-dacht, sondern sie sind Bestandteil der Beschlusslage derEU-Staats- und Regierungschefs vom gestrigen Abend.Meine Damen und Herren, die vier Anträge der Op-position sind heute, um es klar zu sagen, schon aufgrundder gestrigen Entwicklung eigentlich überflüssig. Mankann ihnen gar nicht mehr zustimmen, weil sie die euro-päische Entwicklung geradezu konterkarieren. DasBeste wäre, Sie ziehen sie zurück.
Meine Damen und Herren, ich möchte das Europa-Thema noch einmal ganz bewusst aufgreifen. Ich glaube,wir sind gut beraten, nicht nur in schweren Zeiten– Griechenland, die folgenden Entwicklungen und dieschwierigen Entschlüsse sind uns allen noch gegenwär-tig –, sondern auch in der Perspektive einer weltweitenFinanzpolitik den Versuch zu machen, die Einheit desEuro-Raums und der Europäischen Union zum wesentli-chen Maßstab deutscher Außen- und Finanzpolitik zumachen. Es ist auch richtig, dass wir insbesondere beider Finanzpolitik sehr intensiv auf den FinanzplatzLondon blicken. Ich will keine Bilder erzeugen, die sindimmer falsch. Aber eine europäische Finanzpolitik ohneBeteiligung Londons würde dazu führen, dass der Wett-bewerbsnachteil für Frankfurt, Luxemburg und viele an-dere größer würde und sich noch mehr in London kon-zentrieren würde, was wir nicht wollen, zumal wir diedortigen Spielregeln auch nicht für richtig halten.
Natürlich hätten wir uns gewünscht, dass uns alle EU-Partner begeistert folgen. Das sind aber 27 Länder, übri-ggwereese1sFGggInhaTWfagedBreLeGvsstikgstrDdasgvDdsgmKhenGm
ir wissen, dass beispielsweise die Brasilianer der Auf-ssung sind: Hier macht Europa wieder einmal Politikegen die Entwicklungs- und Schwellenländer, um seineigenen Probleme zu lösen. Wir wissen, dass die Milliar-envölker der Chinesen und Inder wegen der großenevölkerungszahlen möglicherweise ganz andere Inte-ssen haben als ein kleines Land in Europa wieuxemburg. Es ist hohe politische Kunst, all das unterinen Hut zu bringen. Ich habe den Eindruck und dasefühl, dass diese Aufgabe bei der Bundeskanzlerin undielen anderen in Europa in guten Händen ist und ver-ucht wird, das gemeinsam auf dem G-20-Gipfel umzu-etzen.
Es ist deshalb richtig, dass es erst dann um einen na-onalen Alleingang, um nationale Regelungen gehenann, wenn diese Bemühungen gescheitert sind. Die Re-elungen dürfen natürlich nicht den deutschen Mittel-tand und insbesondere die deutschen Kleinanlegereffen. Sie dürfen nicht zu einer Kreditklemme führen.enn wir wissen, dass die Bankenabgabe, die Erhöhunges Eigenkapitals der Banken und nun die Finanztrans-ktionsteuer natürlich auch die ganz normalen Ge-chäftsbanken, die wir für unseren Mittelstand so drin-end brauchen, in den kommenden zwei bis fünf Jahrenor ganz große, wesentliche Herausforderungen stellt.eshalb ist es richtig, dass die EU darauf hinweist, dassie kumulativen Auswirkungen untersucht werden müs-en und auch hier auf wettbewerbsverzerrende Elementeeachtet werden sollte.Ich habe den Eindruck, dass es uns im Bundestag zu-indest teilweise nicht nur um die Sache geht. Liebeolleginnen und Kollegen von der Linksfraktion, es er-öht die Glaubwürdigkeit in der Debatte nicht wirklich,rst die Verstaatlichung der Banken zu fordern und imächsten Zug zu sagen: Jetzt erhöhen wir alle möglichenebühren und Abgaben. Es ist dem Thema nicht ange-essen, zuallererst ideologisch zu argumentieren. Denn
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5212 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 50. Sitzung. Berlin, Freitag, den 18. Juni 2010
Dr. Frank Steffel
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auch das ist eine Lehre der letzten zwei Jahre: Es istnicht die Zeit der Ideologien, die Zeit für populistischeSchnellschüsse und nationale Alleingänge. Es ist dieZeit für international verantwortungsvoll abgestimmtesHandeln.In diesem Bereich ist sehr viel erreicht worden: Wirhaben auf nationaler, europäischer und internationalerEbene fast 30 Gesetze und Verordnungen zur Regulie-rung des Bankenbereichs und zur Beteiligung an denKosten der Krise eingeführt, mit dem Ziel, dass sich einesolche Krise möglichst nie mehr wiederholt.Wir müssen vor allen Dingen auf eines achten: Wirmüssen darauf achten, dass der verheerende Eindruckwiderlegt wird, dass man mit Geld und Spekulationmehr verdient als mit ordentlicher Arbeit.
Herr Kollege, Sie müssen bitte zum Ende kommen.
Wenn sich nämlich dieser Eindruck in den Köpfen
und Herzen verfestigen würde, wäre die Motivation des
Mittelstandes genauso beschädigt wie die Motivation der
deutschen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer,
die auch in dieser Krise vorbildlich dafür gesorgt haben,
dass die Auswirkungen der Krise in Deutschland relativ
gering gewesen sind und dieses Land noch immer stark
dasteht.
Herzlichen Dank.
Das Wort hat nun Kollegin Barbara Hendricks für die
SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kolle-gen! Der Eindruck ist nicht falsch: Man kann in diesemLand und der ganzen Welt mit Spekulation mehr Geldverdienen als mit ehrlicher Arbeit. Das ist bedauerlicher-weise so; gerade dem müssen wir entgegenwirken.
Das ist jedenfalls für uns keine neue Erkenntnis.Lassen Sie uns doch die Debatte auf die Füße stellen.Was ist wirklich los? Es wurde eine Bankenabgabe ge-fordert, die jetzt in Deutschland eingeführt wird. Siewird in der Größenordnung von 1,2 Milliarden Euro proJahr liegen.Smh1EgdSUsbkMtraavmS–wvsdGwAezHdra
ie wird von Banken für zukünftige Krisen angesam-elt. Sie geht also nicht in den Staatshaushalt. Damit sieelfen kann, wenn etwas passiert, müssen wir 50 bis00 Jahre lang sammeln, um eine Bank zu retten.
rst dann hilft es etwas. Das sei vorweggeschickt.
Gleichwohl habe ich nichts dagegen, die Bankenab-abe einzuführen. In der Tat belastet sie das Eigenkapitaler Banken, das ist so, aber in überschaubarem Rahmen.Kommen wir zur Transaktionsteuer, Herr Steffel.ie ist, wie Sie vielleicht noch nicht gemerkt haben, einemsatzsteuer. Eine Umsatzsteuer belastet nicht das In-titut, also nicht die Banken, sondern eine Umsatzsteuerelastet diejenigen, die handeln. Deswegen ist es geradeein Problem, dass damit etwa die Kreditversorgung desittelstandes eingeschränkt werden könnte. Gerade dasifft nicht zu,
ber bei der Bankenabgabe trifft das wohl zu. Das würdeuch bei der Finanzaktivitätsteuer zutreffen, die Sie nochor drei Wochen propagiert haben – heute redet keinerehr davon –, die in der Tat gerade das deutsche Drei-äulen-System besonders belastet hätte.
Nein, wir wollen nicht die Banken verschonen. – Wirollen diejenigen belasten, die mit ihren hochspekulati-en Geschäften eben jene leistungslosen Gewinne ein-treichen, die Sie eben vermeintlich gegeißelt haben,
ie für die Unordnung im Finanzsystem doch erst dierundlage gelegt haben. Darum geht es doch.
Die Banken sollen Steuern zahlen. Sie sollen meinet-egen eine Bankenabgabe zahlen.
ber es geht darum, die hochspekulativen Geschäfte mitiner Umsatzsteuer zu belegen, um damit Finanzmittelu generieren und die Folgen der Krise im nationalenaushalt und auch in den Ländern des Südens abzumil-ern, um das einmal deutlich zu sagen. Ich komme da-uf gleich noch zurück.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 50. Sitzung. Berlin, Freitag, den 18. Juni 2010 5213
Dr. Barbara Hendricks
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Wir haben heute eine seltsame Geschichte erlebt.Herr Wissing, der Finanzausschuss des Deutschen Bun-destages, der gewöhnlich aus sachkundigen Menschenbesteht, hat es eigentlich nicht verdient, Sie als Vorsit-zenden zu haben.
Die Art und Weise, wie Sie heute wieder polemisiert ha-ben und an der Wahrheit vorbeigegangen sind, hat dasgezeigt.
– Ja, sicher, das müssen Sie auch. Das kann ich nicht än-dern.
– Nein, das tut man nicht, aber nehmen Sie einfach dasProtokoll der Rede von Herrn Wissing zur Hand. Dannfragen wir uns, was man unter Kollegen tut oder auchnicht tut. Ich bin dann gerne bereit, darüber zu reden.
Herr Kollege Wissing, die höchste Neuverschul-dung, die es bisher in der Bundesrepublik Deutschlandgab, gab es im Jahr 1996 unter einer schwarz-gelben Re-gierung. Aktuell haben wir die allerhöchste Neuver-schuldung, die es je gab, wieder unter einer schwarz-gel-ben Regierung. Wenn Sie schon so plakativ und einfachreden, dann mache ich das auch. Hören Sie auf, undschieben Sie nicht immer den Sozialdemokraten in dieSchuhe, was Sie in schwarz-gelben Regierungen zu ver-antworten haben!
– Wir haben den Stabilitätspakt nicht aufgeweicht, son-dern wir haben ihn fortentwickelt. Sie sind immer sostolz auf die Schuldenbremse, die wir gemeinsam in dieVerfassung geschrieben haben.
Die Schuldenbremse ist dem europäischen Stabilitäts-pakt identisch nachgebildet, so wie wir ihn fortentwi-ckelt haben.
Entweder sind Sie stolz auf die Schuldenbremse, oderSie werfen uns vor, wir hätten in Europa etwas Falschesgemacht. Beides zusammen geht nicht.
Man sollte kurz erzählen,
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Sie sind besonders klug, stelle ich fest. Hören Sie dochinfach einmal zu!
Man muss sich vor Augen führen, dass elektronischerandel dazu führt – das ist logisch –, dass sich selbsterstärkende Instrumente in Gang gesetzt werden. Dieatsache, dass am 6./7. Mai dieses Jahres in New Yorker Dow Jones um mehr als 1 000 Indexpunkte gesun-en ist, hatte ganz offenbar mit einem Programmierfeh-r zu tun; ganz genau weiß man das noch nicht. Die Pro-rammierung des elektronischen Handels basiert aufenn-dann. Wenn A ausgelöst wird, dann folgt B, undann folgt überall B. Das verstärkt sich dann natürlich inie angezeigte Richtung, gewöhnlich nach unten,anchmal auch nach oben. Auf der anderen Seite gibt esinige, die auf diese Entwicklung gewettet haben, und ir-endwo wieder andere, die auf das Gegenteil gewettetaben.Diese elektronisch ablaufenden Transaktionen – 60 Pro-ent aller Transaktionen in den Vereinigten Staaten erfol-en elektronisch – kann man mit einer klassischen Auf-icht überhaupt nicht beaufsichtigen. Wie denn auch?lso wird man sie nicht verhindern können. Aber manuss sie doch wenigstens entschleunigen, zum Beispiel,dem man einen kleinen Teil, 0,05 Prozent, davonimmt. Wenn man darüber, wenn möglich in allen Län-ern der Welt, zusätzliche Einnahmen generiert, dannann das nicht schädlich sein. Das behindert die Finan-ierung des Mittelstands in keiner Weise.Ich möchte kurz aus dem Protokoll des Hearings, dasm 17. Mai 2010 im Finanzausschuss stattgefunden hat,itieren. Professor Dr. Otte sagte:Die Transaktionssteuer hat genau die Lenkungswir-kung …, die wir haben wollen. Sie belastet die spe-kulativen Geschäfte, die schnell drehenden Ge-schäfte, die stark gehebelten Geschäfte. Und wenn
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Dr. Barbara Hendricks
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man Over-the-Counter-Geschäfte macht, also Sa-chen, die nicht über Börsen laufen, dann kann manauch dafür Steuern erheben.Ja, so ist das. Natürlich ist das noch nicht technisch aus-gestaltet, aber es ist auszugestalten. Es ist überhauptnicht unmöglich, dies auszugestalten. Im Gegenteil: Mankann das sogar mit verschiedenen Steuersätzen belegen,je nachdem, um welche Art von Geschäft es sich han-delt. Wir haben dazu noch keine abschließende Mei-nung.Die Folgen der Finanzkrise haben laut Berichten derInternationalen Arbeitsorganisation dazu geführt, dassweltweit 34 Millionen Menschen arbeitslos gewordensind, viele auch bei uns. Von diesen 34 Millionen Men-schen lebten ganz viele schon vor der Finanzkrise in bit-terer Armut. Sie wurden ihrer Lebensperspektive be-raubt.Wir haben die Verantwortung, unsere Verpflichtun-gen, die wir zur Bekämpfung von Hunger und Armuts-folgen gegenüber den Ländern des Südens eingegangensind, einzuhalten. Darum brauchen wir die „Steuer ge-gen Armut“, wie diese Steuer in der Petition genanntworden ist. Das Geld, das wir durch die Finanztransak-tionsteuer einnehmen können, wird unsere nationalenHaushalte entlasten und uns in die Lage versetzen, dieVerpflichtungen, die wir international eingegangen sind,einzuhalten, denn danach sieht es zurzeit überhaupt nichtaus.
Das Wort hat nun Kollege Björn Sänger für die FDP-
Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-ren! Herr Kollege Dr. Troost, Sie haben eben die Frageaufgeworfen, was die Koalition will.
Diese Frage möchte ich gerne beantworten.
Diese christlich-liberale Koalition will die Finanzbran-che an den Kosten der Krise beteiligen und, dass die Fi-nanzbranche für eine mögliche künftige Krise Vorsorgetrifft. Das ist unser Ziel.
Viele Wege führen nach Rom. Das ist kein digitalesThema, über das wir hier reden, sondern es ist sehr ana-log. Es gibt da ganz viele Graubereiche. Es ist keine 0/1-Entscheidung – das eine ist richtig, das andere ist falsch –,sInaaphE–dtiZuisbbgdeefidDhnnläkgfuBdtiEdFnDAndVSwicmtrm
ie technische Infrastruktur – Frau Kollegin Hendricksat sehr eindrucksvoll auf die Leistungsfähigkeit moder-er Informationstechnologie hingewiesen – lässt nichtur zu, dass man in Mikrosekunden handelt, sondern siesst auch zu, dass man diesen Handel innerhalb von Mi-rosekunden verlagert. Das sage ich als hessischer Ab-eordneter mit Blick auf den Standort Frankfurt; Frank-rt liegt bekanntlich in Hessen. Das ist der größteörsenplatz in Deutschland; es gibt natürlich auch an-ere wichtige, aber Frankfurt ist mit Sicherheit der wich-gste. Wenn man eine Finanztransaktionsteuer in deruro-Zone einführt und London dabei außen vor lässt,ann kann man ab dem Tag, an dem das in Kraft tritt, inrankfurt den Schlüssel herumdrehen. Dann findet dortichts mehr statt.
as gefährdet in unverantwortlicher Art und Weise dierbeitsplätze. Umso wichtiger ist hier eine internatio-ale Abstimmung.
Der zweite Punkt. Wie erreiche ich diejenigen, die aner Krise schuld sind? Wie steuere ich es so, dass dieerursacher zahlen? Frau Kollegin Hendricks hat diepekulanten angesprochen; genau die müssen getroffenerden. Aber mit einer Finanztransaktionsteuer treffeh nicht nur die Spekulanten. Auch der IWF sagt, dassan gar nicht genau differenzieren kann, wen man damitifft. Die Frage ist: Wer ist denn der Anleger? Es freutich, dass Sie eingesehen haben, dass auch der Riester-
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Björn Sänger
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Sparer belastet wird. Über die Höhe der Belastung willich mich jetzt gar nicht auslassen.
Sie haben auf jeden Fall festgestellt, dass Sie die Klein-anleger an dieser Stelle belasten wollen, und das – dassage ich ganz ehrlich – wollen wir nicht, egal in welcherGrößenordnung.
Das nächste Problem ist die Steuerungswirkung. Esgibt Ökonomen, die sagen: Da ist gar keine Steuerungs-wirkung vorhanden. Man sagt sogar, es sei eher schäd-lich, weil die Liquidität sinkt, die Märkte volatiler wer-den und größeren Schwankungen ausgesetzt sind. Daswirke eher krisenverschärfend als kriseneindämmend.
Aus diesem Grunde schreibt zum Beispiel der IWF inseinem Gutachten, dass er die Transaktionsteuer fürnicht geeignet hält.
Kollege Schick, ich gehe einmal davon aus, dass derIWF entsprechende wissenschaftliche Gutachten heran-gezogen hat. Von daher diskutiert die G-20-Runde voll-kommen richtig über eine mögliche Einführung einer Fi-nanzaktivitätensteuer,
durch die die Finanzinstitute und auch die Boni besteuertwerden.
– Ich habe grundsätzlich darüber nachgedacht.
Abschließend möchte ich sagen: Die Bundesregie-rung befindet sich international auf einem guten Weg.
Sie erliegt nicht dem Populismus, den Sie hier ganzgerne anführen. Es ist eben keine einfache Entschei-dung; Sie brauchen diese offensichtlich. Wir nehmen unsdas große Ganze vor.
Herr Kollege, Sie müssen bitte zum Ende kommen.
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Das Wort hat nun Kollege Norbert Schindler für die
DU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Verehrteäste auf den Tribünen! Über was reden wir heute?ber eine Tatsache, die gestern Abend von Sarkozy, demanzösischen Staatspräsidenten, und unserer Bundes-anzlerin auf europäischer Ebene geschaffen wurde.enn im Kontext der internationalen Finanzwelt alleineutschland ein Gesetz beschließt, so wissen wir alle:eld ist ein scheues Reh und flüchtet woanders hin. Est genauso wie bei einer Hochwasserflut. Wenn ich mei-en eigenen Garten vorne an der Mauer schütze, läuftas Wasser hinten in den Garten. Man muss die gesamteront schützen, damit alle geschützt sind. Das gilt auchr die Finanzmärkte im europäischen Raum. Da wir dastztendlich gemeinsam wollen, verstehe ich mancheunkte in der Debatte nicht.Da gibt es die Vorwürfe, die Bundesregierung hätte dader dort versagt, hätte nichts getan, hätte gezweifelt undätte gezaudert.
iebe Frau Hendricks, auch Sie haben sich vorhin kri-sch geäußert. Liebe Barbara, du warst lange genug Par-mentarische Staatssekretärin. Sie, Frau Staatssekretä-n a. D., haben erlebt, dass es in Heiligendamm einenampf gegen das angloamerikanische Steuerrecht gege-en hat. Wir haben auch gemeinsam die Niederlagen vonans Eichel erlebt, nicht nur die von Finanzministerteinbrück; bleiben wir doch einmal ganz gelassen undalistisch. Auch damals war der eine oder andere in derroßen Koalition und davor der eine oder andere in dert-grünen Koalition dafür, vernünftige Regeln interna-onal umzusetzen. Habt ihr Erfolg gehabt?
Merkel hatte gestern Abend Erfolg. Es gibt eine ge-einsame Erklärung, der sogar die Briten bzw. Herrameron zugestimmt haben, in der mit Blick auf den-20-Gipfel in Kanada gesagt wird: Wir wollen eineinanztransaktionsteuer.
Was heißt „zum Jagen tragen“?
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Norbert Schindler
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Von Frau Merkel wurde beim ersten Aufflackern derProbleme in Griechenland gefordert: Wir müssen schnelletwas tun! Dann gab es die Hetze in den griechischenZeitungen.
Alle haben sich etwas gescheut, unter deutscher Regiedie harten Auflagen in Athen umzusetzen. Das Herbeiru-fen des IWF war eine vernünftige Maßnahme;
heute wissen wir das.
Der Vorwurf des Zauderns hat sich erledigt. Die Dingehaben sich in die richtige Richtig entwickelt. Hätten wirdamals die ersten 10 Milliarden Euro nach Athen gege-ben, hätten uns die gleichen Leute auf den Oppositions-bänken vorgeworfen: Das ist verbranntes Geld, und esgibt keine Auflagen!Jetzt sind sie da. Es geht letztendlich um die Siche-rung des Vertrauens in den Euro. Aus der Erfahrungmit Rot-Grün in der Vergangenheit sage ich: Damalswurden schnell und schlampig Gesetze gemacht oderForderungen erfüllt, die auf Dauer keine Tragfähigkeithatten. Die Konsolidierung des Vertrauens in das Euro-System war weiß Gott nicht über Nacht zu machen.
Zum Euro-System, liebe Freunde. Wer hat denn 2004die Kriterien gelockert? Wer hat denn mit aller Gewaltdafür gesorgt, dass Griechenland ab 2000/2001 in denEuro-Raum gekommen ist, obwohl die Union und dieFDP damals mit dem Hinweis „Die sind noch nicht reif“dagegen gestimmt haben?
Man könnte all diese Entscheidungen der Vergangenheitkritisch hinterfragen. Fest steht: Das Aufweichen derKriterien hat uns diese Probleme gebracht.Herr Schick, Sie halten uns vor, wir unterstütztenHerrn Schäuble nicht. Alle wissen, dass wir die Pro-bleme in Europa gemeinsam formulieren und Lösungengemeinsam umsetzen müssen. Aber alle wissen auch,wie schwierig es mit den Briten manchmal noch wird.Ja, wir, die Union – die Europäische Union und nicht nurdie Union in Deutschland –, wollen diese besondereSteuer. Dabei muss man aber unterscheiden zwischender Bankenabgabe, die eine Sache der Banken ist,
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Ja, es soll eine sein.
Die Experten vertreten allerdings unterschiedlicheeinungen zu der Frage: Soll die Steuer für alle Ge-chäfte innerhalb eines Tages oder für jedes einzelne Ge-chäft erhoben werden?
der Anhörung, die in den letzten Tagen stattgefundenat, wurde auf einige Problempunkte hingewiesen.rotzdem finden wir alle es richtig, dem internationalenpekulantentum ein Ende zu setzen. Es kann nicht sein,ass wenige das Vertrauen in das gesamte Währungssys-m durcheinanderbringen.
uf dem Weg dahin hätten wir Zeit verschwendet, sagenie, Herr Dr. Sieling. Wir schwierig es ist, auf europäi-cher Ebene Maßnahmen zu bündeln, haben Sie doch iner Vergangenheit unter einem eigentlich guten Finanz-inister Steinbrück selbst erlebt. Wenn man uns jetztorwirft, das alles gehe nicht schnell genug, währendan vor Wahlen in Anträgen populistisch den Fokus nuruf bestimmte Dinge setzt,
erspielt man damit Vertrauen in einem für die Bevölke-ng wichtigen Punkt. Schließlich haben die Menschen Deutschland schon zweimal bei Währungsreformenr Geld verloren. Wahltaktisch haben Sie sich geschicktufgestellt, aber es war zum Teil verantwortungslos, weils um dauerhaftes Vertrauen in die notwendigen Maß-ahmen geht.
In der Frage des europäischen Rettungsschirms kamennqualifizierte Vorschläge oder Forderungen seitens derpposition. Ich will die Griechenland-Hilfe in Erinne-ng rufen. Was hätten wir anders machen sollen?eutschland gibt fast 23 Milliarden Euro diesen Schirm.ären wir der Forderung der Opposition gefolgt, dannätten wir die Griechen nach dem klassischen Insolvenz-erfahren bluten lassen und einen Schnitt gemacht; auchinige in der Union waren dieser Auffassung. Das hätteFinanzminister Schäuble hat es durchgerechnet – Steuer-indereinnahmen in Höhe von 10 bis 15 Milliarden Eurour Folge gehabt, weil neben französischen Banken aucheutsche Banken in den Vergleich einbezogen wordenären und ihre Verluste anschließend direkt an der deut-chen Steuerkasse abgerechnet hätten.Wenn ich Finanzpolitik mache, liebe Freunde von derpposition, muss ich auch das Ende bedenken
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Norbert Schindler
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und darf keine unqualifizierten und schlechten Vor-schläge machen, nur um populistisch für drei Tage dieThemen in den Zeitungen zu besetzen.
Was sind die eigentlichen Ursachen? Zum einen sindes Hebelgeschäfte, die ohne Eigenkapitalhinterlegung ge-tätigt werden. Zum anderen sind die Ursachen zu großeInstitute, die systemrelevant werden könnten – das sind jaunser aller Sorgen –, und ungeeignete Instrumente. DieInstrumente waren in der Vergangenheit nicht gut genug,und Instrumente, die nur in Deutschland eingesetzt wer-den, nützen nichts. Das weiß jeder Vernünftige, der dieseFinanzströme beobachtet.Sie legen heute Ihre Anträge vor, aber Frau Merkelund Herr Sarkozy sind schon weiter als Ihre Anträge.
Wir bringen das Thema in Kanada zur Sprache. Wird dieinternationale Gemeinschaft den europäischen Vor-schlägen nicht folgen, werden wir die beschlossenenMaßnahmen in Europa umsetzen.
Europa ist unser elementarer Wirtschaftsraum. Sie for-dern Ergebnisse. Warten Sie noch eine Weile ab; in zehnTagen in Kanada werden sich die ersten Ergebnisse zei-gen.
Herr Kollege, Sie müssen zum Ende kommen.
Im Notfall machen die Europäer ihre Hausaufgaben
allein. Das haben sie bei der Einführung des Katalysa-
tors in den Jahren 1993/94 auch getan, und später sind
die anderen gefolgt. Es gibt genügend positive Beispiele
für ein solches Vorgehen. Aber zu schnell und zu
schlampig war noch nie gut, gerade nicht im Zusammen-
hang mit der Währung, bei der Vertrauen oberstes Gebot
ist.
Das Wort hat nun Kollegin Bettina Kudla für die
CDU/CSU-Fraktion.
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damenund Herren! Wir beraten heute vier Anträge der Opposi-tion zum Thema Finanztransaktionsteuer. Positiv möchteich unterstellen, dass es allen Fraktionen darum geht,Spekulationen auf den Finanzmärkten und die unterUmständen gravierenden negativen Folgen abzuwenden.Gleichwohl ist in den Anträgen die Analyse, wo die Ur-swawvlanWmeddtiSeGhhwaVisruOnEvnzDleDfeInte
Aber zurück zur Analyse. Es stellen sich drei Fragen.Erstens. Wann wird spekuliert? Spekuliert wird im-er dann, wenn erhebliche Preissprünge am Markt zurwarten sind, sei es nun nach oben, sei es nach unten. Inen letzten Monaten wurde verstärkt gegen die Währunger Euro-Staaten spekuliert.Zweitens. Wann kann solch eine Währungsspekula-on überhaupt Erfolg haben? Erfolg hat man mit einerpekulation immer dann, wenn instabile Verhältnisse zurwarten sind.
anz konkret: Die Spekulanten erwarten instabile Ver-ältnisse hinsichtlich der Finanzierung staatlicher Haus-alte im Euro-Raum.Daher drittens. Wie kommt es zu einer solchen Er-artung? Spekulanten erwarten, dass einzelne Staatenufgrund ihrer hohen Verschuldung ihren finanziellenerpflichtungen nicht mehr nachkommen können. Dast die eigentliche Ursache der Spekulation gegen Wäh-ngen.Eine solche Betrachtung fehlt in den Anträgen derpposition völlig. Die Ursachen der Krise werdenicht beleuchtet. Dies ist Kurpfuscherei.
ine Arznei kann erst nach einer eingehenden Diagnoseerabreicht werden. Erst dann kann man die Symptomeachhaltig behandeln.Viele Staaten in Europa und der Welt haben seit Jahr-ehnten mehr ausgegeben, als sie eingenommen haben.ie Staaten haben folglich über ihre Verhältnisse ge-bt – wohl gemerkt: die Staaten und nicht die Bürger.
adurch wird Instabilität in den Staatsfinanzen geschaf-n, und daher ist das ein Nährboden für Spekulationen.sofern sind wir sehr wohl beim Thema.Folglich sind zwei Dinge zu tun:Erstens. Die Staatsverschuldung der einzelnen Staa-n ist abzubauen.
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Bettina Kudla
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Zweitens. Wir müssen ein wirksames Regulierungs-system für die Finanzmärkte schaffen.Hier zeigt sich die Komplexität des Themas. Es isteben nicht so einfach, mal schnell einen Antrag zu be-schließen.
Dies wäre vordergründig. Damit würde man der Kom-plexität nicht gerecht und hätte man die Probleme nichtgelöst. Bei der Opposition sehe ich diesen Problemlö-sungswillen nicht.
Wenn sie die Spekulationen wirklich hätte eindäm-men wollen, dann wäre es die logische Folge gewesen,das vorige Woche vorgelegte Sparpaket der Bundesre-gierung positiv zu begleiten;
denn eines muss uns bewusst sein: Die Konsolidierungder öffentlichen Haushalte in Deutschland wird nur ge-lingen, wenn man die Ausgaben reduziert.
Alles andere ist völlig unrealistisch.Durch eine Konsolidierung ausschließlich über dieEinnahmen, wie es der Opposition vorschwebt, trägtman nicht zur Gesundung der öffentlichen Finanzen bei.Dies führt vielmehr zu einer Aufwärtsspirale von Ein-nahmen und Ausgaben. Die Bundesregierung beschränktsich in ihrem Sparpaket nicht auf Ausgabenkürzungen,
sondern sie betrachtet in ausgewogener Weise durchausauch die Einnahmeseite.
In der Finanzplanung sind ab dem Jahre 2012 Einnah-men aus einer noch zu beschließenden Finanzmarkt-steuer in Höhe von 2 Milliarden Euro jährlich vorgese-hen. Selbstverständlich muss die Finanzplanung weiterkonkretisiert werden. Mit dieser Konkretisierung sollteman aber in erster Linie das Ziel haben, einen wirksa-men Rahmen für den Finanzmarkt zu schaffen, damit Fi-nanzgeschäfte transparenter werden. Nur so können sys-temische Risiken erkannt und damit verhindert werden.Die Erhebung einer entsprechenden Steuer kann undsollte hier ein wirksames Instrument sein.Gerade weil man auf dem Finanzmarkt weltweit tätigist, ist es erforderlich, international politisch abgestimmtvorzugehen. Mit einem deutschen Alleingang wäre hiernichts gewonnen.
ImrudEwdaUbWSBetienBsaAstiLmresfegmlesinsdisgSBd1zWe
Eine Finanzmarktsteuer macht nur Sinn, wenn derteuerpflichtige diese nicht umgehen kann. Dies hat dieundeskanzlerin bereits im Vorjahr und jetzt auch aktu-ll auf dem EU-Gipfel gefordert. Die CDU/CSU-Frak-on unterstützt die Bundesregierung bei der Einführunginer wirkungsvollen Finanzmarktsteuer auf internatio-aler Ebene und bei der Umsetzung des Sparpakets.Vielen Dank.
Frau Kollegin, dies war Ihre erste Rede im Deutschenundestag. Herzliche Gratulation und alle guten Wün-che für die weitere Arbeit in diesem Hause!
Ich schließe die Aussprache.Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Finanz-usschusses auf Drucksachen 17/2133 und 17/2187. Derusschuss empfiehlt unter Buchstabe a seiner Be-chlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der Frak-on der SPD auf Drucksache 17/527 mit dem Titel „Dieasten der Krise gerecht verteilen, Spekulation eindäm-en – Internationale Finanztransaktionssteuer einfüh-n“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wertimmt dagegen? – Enthaltungen? – Die Beschlussemp-hlung ist mit den Stimmen der Regierungskoalition ge-en die Stimmen der Oppositionsfraktionen angenom-en.Unter Buchstabe b empfiehlt der Ausschuss die Ab-hnung des Antrags der Fraktion Die Linke auf Druck-ache 17/518 mit dem Titel „Finanztransaktionssteuerternational vorantreiben und national einführen“. Wertimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmtagegen? – Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlungt mit den Stimmen der beiden Regierungsfraktionenegen die Stimmen der Linken und der Grünen beitimmenthaltung der SPD-Fraktion angenommen.Weiterhin empfiehlt der Finanzausschuss unteruchstabe c seiner Beschlussempfehlung die Ablehnunges Antrags der Fraktion Die Linke auf Drucksache7/471 mit dem Titel „Die Banken sollen für die Kriseahlen“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? –er stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Die Beschluss-mpfehlung ist mit den Stimmen der beiden Koalitions-
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Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse
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fraktionen gegen die Stimmen der Linken bei Enthaltungder SPD und der Grünen angenommen.Schließlich empfiehlt der Ausschuss unter Buch-stabe d seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung desAntrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Druck-sache 17/1422 mit dem Titel „Finanzumsatzsteuer aufEU-Ebene einführen“. Wer stimmt für diese Beschluss-empfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? –Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der bei-den Regierungsfraktionen gegen die Stimmen der dreiOppositionsfraktionen angenommen.Ich rufe die Tagesordnungspunkte 32 a und 32 b auf:a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre-gierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzeszur Änderung krankenversicherungsrechtli-cher und anderer Vorschriften– Drucksache 17/1297 –Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-ses für Gesundheit
– Drucksache 17/2170 –Berichterstattung:Abgeordnete Birgitt Benderb) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
Vogler, Dr. Martina Bunge, Dr. Ilja Seifert, weite-rer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKEFaire Preise für wirksame und sichere Arznei-mittel – Einfluss der Pharmaindustrie be-grenzen– Drucksachen 17/1206, 17/2170 –Berichterstattung:Abgeordnete Birgitt BenderNach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für dieAussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. – Ichhöre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.Ich eröffne damit die Aussprache und erteile demBundesminister Philipp Rösler das Wort.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen undHerren! Der vorliegende Gesetzentwurf zur Änderungkrankenversicherungsrechtlicher und anderer Vorschrif-ten ist ein Artikelgesetz. Aber hinter jedem einzelnenArtikel steht immer auch eine politische Botschaft.Die erste politische Botschaft ist einfach zu beschrei-ben: Mit diesem Gesetzentwurf holen wir Versäumnisseder alten SPD-Führung nach und müssen teilweise sogarhandwerkliche Fehler korrigieren. In einem Satz gesagt:Wir alle sind heute hier, weil die Sozialdemokraten ein-mal mehr ihre Hausaufgaben schlichtweg nicht gemachthaben.imsw3tad2FsHtemdwedslirakvlusPMbSteestidDdIcasmInteOe
Bestes Beispiel sind die Regeln zur Datenweitergabe Rahmen der Hausarztverträge.Das Bundessozialgericht fordert hier eine klare ge-etzliche Grundlage im Interesse des Datenschutzes. Ob-ohl Sie wissen, dass diese Übergangsregelung zum0. Juni 2010 ausläuft, haben Sie keinen Handschlag ge-n, um zu Neuerungen, zu Besserungen zu kommen.
Meine Damen und Herren, deswegen ist es richtig,ass die Regierungskoalition diese Frist bis zum 30. Juni011 verlängert und wir gemeinsam, CDU/CSU undDP, eine vernünftige gesetzliche Grundlage dafürchaffen, dass die Datenweitergabe im Rahmen derausarztverträge möglich ist; denn ohne eine solche Da-nweitergabe wären die Hausarztverträge gar nichtöglich. Deswegen brauchen wir ein gemeinsames Han-eln. Wir sind in jedem Fall dazu bereit.
In Bezug auf den Datenschutz gibt es ein weiteresichtiges Thema in diesem Gesetzentwurf. Hierbei gehts um nicht mehr und nicht weniger als um den Ausbauer Telematikinfrastruktur im deutschen Gesundheitswe-en. Sie alle wissen, dass dies ein klares Ziel der christ-ch-liberalen Regierungskoalition ist. Wir haben uns da-uf verständigt, dass wir alle bisherigen Schritte – Ihreleinen Trippelschritte – überprüfen wollen und selbst-erständlich auch klare Kriterien für die Weiterentwick-ng vorgeben möchten. Diese klaren Kriterien lassenich wie folgt zusammenfassen.Erstens muss jede Maßnahme einen Nutzen für dieatientinnen und Patienten stiften. Zweitens müssen alleaßnahmen praktikabel sein. Sie müssen in den Ar-eitsalltag zu integrieren sein. Sonst macht es keineninn, solche Maßnahmen auf den Weg zu bringen. Drit-ns – das ist Bürgerrechtlern besonders wichtig – gehts vor allem um die Datensicherheit; denn es gibt keineensibleren Daten als die Gesundheitsdaten von Patien-nnen und Patienten, meine Damen und Herren. Genauiese gilt es zu schützen.
eswegen wird es künftig einen Notfalldatensatz geben,er sicherstellt, dass jedem sofort geholfen werden kann.h wünsche mir übrigens, dass man möglichst schnelluch andere Instrumente mit aufnimmt, wie zum Bei-piel die Frage der Organspende.Des Weiteren wird es eine sichere Arzt-zu-Arzt-Kom-unikation geben, damit wir unbürokratisch und schnellformationen von einem Leistungserbringer zum nächs-n Leistungserbringer übermitteln können.Ferner haben wir uns gegen die von Ihnen geplantenlineanbindung ausgesprochen. Dafür gibt es künftiginen automatischen Datenabgleich von Versicherungs-
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5220 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 50. Sitzung. Berlin, Freitag, den 18. Juni 2010
Bundesminister Dr. Philipp Rösler
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stammdaten. Damit können wir gewährleisten, dass dieDaten immer bei den Medizinern bleiben und nicht andie Krankenversicherungen weitergegeben werden. Da-rüber hinaus haben wir gesagt: Das elektronische Rezeptwird bis auf Weiteres gestoppt, bis es praktikabel ist.
Ebenso brauchen wir zum jetzigen Zeitpunkt keine elek-tronische Patientenakte, weil die Datensicherheit letzt-lich nicht gewährleistet werden kann.
Mit diesem Weg haben wir die richtige Balance ge-schaffen zwischen Innovation und Ausbau der Telema-tikinfrastruktur auf der einen Seite sowie Sicherheit,Praktikabilität und Nutzen für die Patientinnen und Pa-tienten auf der anderen Seite.
Sie können sicher sein, dass allein schon die Einführungdazu führen wird, dass wir zu Kosteneinsparungen kom-men. Missbrauch wird künftig verhindert werden.Das ist übrigens die dritte große Botschaft diesesArtikelgesetzes, die sich auf das Thema Einsparungenbezieht. Sie alle wissen, dass einer der größten Aus-gabenblöcke der gesetzlichen Krankenversicherung dieArzneimittel sind. Deswegen ist es richtig, dass wir alsRegierungskoalition hier den Hebel ansetzen, um zu ga-rantieren, dass die Versichertengelder vernünftig verwal-tet werden.Ich wundere mich ein bisschen über die Ablehnunginsbesondere vonseiten der SPD; denn diese Ziele habenSie früher auch einmal verfolgt. Wir werden den Arznei-mittelmarkt neu ordnen. Um dieses Ziel zu erreichen,wird ein neues Gesetz auf den Weg gebracht werden, dasdieses Haus noch vor der Sommerpause erreichen wird.
Mit dem vorliegenden Artikelgesetz werden wir aberschon jetzt sicherstellen, dass Einsparungen in Höhe von500 Millionen Euro für die Versicherten im Jahre 2010möglich sind. Diese Forderung haben früher übrigensauch die Grünen und die SPD erhoben. Sie sind aber da-mals mit ihren Ministerinnen an der Pharmaindustrie ge-scheitert. Es musste sich erst eine christlich-liberaleKoalition auf den Weg machen, um Ihnen vor Augen zuführen, dass Sie längst nicht mehr die Partei der kleinenLeute sind. Ich dachte jedenfalls eine Zeit lang, dass Siedie Partei der kleinen Leute sind. Offensichtlich habendie Lobbyisten bei Ihnen längst eine stärkere Positioneingenommen, als dies für die Interessen der kleinenLeute gilt.
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Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen underren! Nach neun Monaten sehen wir jetzt das erstepargesetz im Gesundheitssystem. Neun Monate frucht-se Diskussion um kleine Kopfpauschalen und großeopfpauschalen, aber nichts ist passiert!Es gab einen beispiellosen internen Streit, in dem dasiveau der Diskussion heruntergezogen wurde wie nie.m nur Stichworte zu nennen: „Wildsau“, „Gurken-uppe“. Aber nichts ist passiert. Wir haben seit Monatentillstand.Was uns jetzt geboten wird, ist ein, sagen wir einmal,anales Kleinstgesetz
ur Onlineverbindung zur Arztpraxis, das noch nichtinmal gut gemacht ist, und ein Rabattvertrag. Neun Mo-ate Stillstand in der Gesundheitspolitik – inhaltlich imrinzip eine Tragödie, in der Auseinandersetzung mitt-rweile zur Komödie verkommen. Nichts ist passiert.err Minister, was wir von Ihnen bisher zu sehen be-ommen haben, ist ein Armutszeugnis.
Herr Minister, Sie haben sich selbst als Bambus imturm bezeichnet. Wir haben im Moment keinen Sturm,ir haben Windstille. Seit neun Monaten ist dieses Spar-esetz das Erste, was wir sehen. Bei dem einzigen Vor-chlag, der in der Substanz diskutiert wurde, beim Hinnd Her um die Kopfpauschale, sind Sie schon bei leich-m Gegenwind aus dem Süden eingeknickt, eher – beiller Wertschätzung – wie ein Schilfrohr. Ein Bambusätte gegen Minister Söder anders gestanden, als Sie das
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Dr. Karl Lauterbach
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getan haben. Ich kann nur warnen. Ich würde dieses Bildvom Bambus nicht überziehen; sonst muss sich IhrePolitik ändern, sodass Sie dem Bild auch gerecht wer-den.
Der Zwangsrabatt von 16 Prozent ist ohne Wenn undAber richtig; das muss man hier ganz klar sagen.
Wir haben im Ausschuss dem Vorschlag nicht zuge-stimmt.
Was sich hier erneut zeigt, ist, dass es keinen Vorschlaggibt, der so einfach ist, dass er in der Umsetzung von Ih-nen nicht noch verpfuscht werden könnte, meine sehrverehrten Damen und Herren.
Was haben Sie denn gemacht? Sie rechnen zunächsteinmal die Rabattverträge an. Die jetzt funktionierendenRabattverträge werden also auf den Zwangsrabatt ange-rechnet. Somit wird das Rabattvolumen gesenkt, undzwar ohne Not. Das ist der erste Fehler.Der zweite Fehler: Sie haben zuerst die EU-Trans-parenzrichtlinie gar nicht bedacht. Dann haben Sie Aus-nahmeregelungen formuliert, nach denen jedes Unter-nehmen eine Ausnahme von der Rabattierungbeantragen darf. Jetzt hat Herr Spahn schon ausgeführt,er rechne nicht damit, dass börsennotierte Unternehmensich die Blöße geben, zu sagen: Wir können uns den Ra-batt nicht leisten. – Ich sage Ihnen, Herr Spahn – bei al-lem Respekt –: Da kennen Sie die Börse nicht.
– Ja, genau so ist es.
– Man muss nicht Professor sein, um etwas zu wissen;davon sind wir noch weit entfernt. Herr Spahn, es gibthier vieles, was man wissen kann, ohne dass man Profes-sor ist. – Dazu gehört: Ein börsennotiertes Unternehmenwird an der Börse höher gehandelt, wenn es sich einemZwangsrabatt zu entziehen versucht. Das wird jeder ma-chen. Das wird auch jeder Mittelständler machen. Jederwird versuchen, in den Genuss einer solchen Ausnahme-regelung zu kommen. Von daher wird von den16 Prozent längst nicht das übrig bleiben, was Sie pla-nen. Das ist handwerklicher Pfusch.
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eil der Gesetzentwurf dafür schlicht und ergreifendicht gut genug gemacht ist. Das war unser Problem.ir wären bereit gewesen, uns zu enthalten, wenn deresetzentwurf handwerklich ein bisschen besser ge-acht gewesen wäre.Selbst wenn Sie Einsparungen in Höhe von 500 Mil-onen Euro erreichen, wird damit in Bezug auf das ge-amte Ausgabenniveau nur ein Einspareffekt erreicht,er sich im Promillebereich bewegt. Nachdem Sie nunchon neun Monate Regierungsverantwortung tragen, le-en Sie hier einen Gesetzentwurf vor, der handwerklichumindest sehr bedenklich ist und durch den es geradeinmal gelingt, die Kosten im Promillebereich zu sen-en. Entspricht das Ihrer Vorstellung von „Bambus imturm“? Die Kosten laufen uns davon, nichts passiert,nd wir sprechen hier über mögliche Einsparungen inöhe von 500 Millionen Euro. Sie, Herr Minister, spre-hen von Trippelschritten. In meinen Augen ist das, wasie hier vorlegen, nichts.
Wir sind ja noch nicht an der Regierung, Herr Spahn.h sage aber bei jeder Gelegenheit: Wir sind jederzeitereit, Einsparungen vorzunehmen.
ir sind jederzeit bereit, inhaltlich zuzuarbeiten und dieerantwortung zu übernehmen, wenn Sie uns um unsereilfe bitten. Seien Sie aber vorsichtig mit dem AusdruckTrippelschritte“; denn die Trippelschritte, die wir da-als als Große Koalition gemacht haben – hier solltenuch Sie sich von der CDU/CSU angesprochen fühlen –,aren allesamt besser als der Stillstand und die heißeuft, die derzeit Ihre Politik bestimmen.
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– Außer Diffamierung kommt nichts von Ihnen.Der nächste Pfusch soll schon am Wochenende be-sprochen werden. Da geht es um das sogenannte Spahn-Koschorrek-Papier. Darin wird darüber nachgedacht,wie 4 Milliarden Euro im Gesundheitssystem gespartwerden können, damit die CSU befriedet werden kann.Der wichtigste Vorschlag in diesem Papier lautet, essoll eine Nullrunde im Krankenhausbereich geben. DerVorschlag einer Nullrunde im Krankenhausbereich ist,bei allem Respekt, der dümmste Sparvorschlag, den esgibt.
Das bedeutet ja im Prinzip, nach der Rasenmäherme-thode wird bei allen Krankenhäusern, guten wie schlech-ten, ohne Berücksichtigung der Qualität ihrer Leistungenund ihrer Investitionen gespart.
Das ist ein Vorschlag, der weder dem Wettbewerb dientnoch zu mehr Qualität führt. Das Einzige, was Ihnennach neun Monaten Stillstand im Krankenhausbereicheinfällt, ist eine fantasielose Nullrunde!
Wohin wird das führen? Das wird natürlich zulastender Pflege gehen. Die Pflegekräfte werden nämlich amEnde diejenigen sein, die für diese Nullrunde bezahlen.Die Ärzte haben ja schon ihre Honorarverhandlungengeführt und abgeschlossen. In diesem Bereich wird es zuMehrausgaben von 2 bis 5 Prozent kommen. Somit han-delt es sich ja nur noch indirekt um eine Nullrunde; undam Ende werden hierfür die Pflegekräfte zahlen müssen.Das halten wir für unsozial und ungerecht. Sie sparenhier an der falschen Stelle, meine sehr verehrten Damenund Herren.
– Eine Zwischenfrage lasse ich gerne zu, Herr Präsident.
Mir wurde gesagt, dass die Parlamentarischen Ge-
schäftsführer die Vereinbarung getroffen haben, Zwi-
schenfragen nicht mehr zuzulassen, damit wir im Zeit-
rahmen bleiben. Sie wissen, weshalb.
Bitte schön, Herr Lauterbach.
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Das ist die Wahrheit. Das ist nicht unverschämt. Un-erschämt ist Ihr Vorschlag.
Das steht im Spahn-Koschorrek-Papier. Wir werden esoch am Wochenende erleben: Sie planen, bei den Chro-ikerprogrammen die Managementpauschale zu kappen.ie sind allerdings noch nicht bereit, dies jetzt zum Aus-ruck zu bringen. Das würde Tausende Schlaganfällend Herzinfarkte zur Folge haben.
Weil Sie nicht in der Lage sind, sinnvolle Sparvor-chläge vorzulegen, sparen Sie – ich bringe es auf denunkt – bei den chronisch Kranken, bei den Pflegekräf-n und bei den Hausärzten. Das können wir hier sehen.
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Dr. Karl Lauterbach
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– Das ist die Wahrheit, Herr Zöller.Zum Abschluss. Sie machen sich darüber Sorgen,dass wir nicht mehr die Partei der kleinen Leute sind.Die SPD ist immer noch genug Partei der kleinen Leute,um Folgendes vorzuschlagen: Wenn Sie Geld brauchen,dann binden Sie endlich die Privatversicherten in denunbeliebten Gesundheitsfonds ein, damit auch von derSeite ein Solidarbeitrag geleistet wird.
Ergreifen Sie diese Gelegenheit! Wann hat es das einmalgegeben, dass die FDP oder die Union einen Vorschlaggemacht hat, der nicht zulasten der kleinen Leute gegan-gen ist? Sie machen nur Vorschläge zulasten der Kran-ken und der kleinen Leute. Auf der anderen Seite ma-chen Sie sich Sorgen darüber, dass wir nicht mehr diePartei der kleinen Leute sind. Wir sind nach wie vor diePartei der kleinen Leute, und wir werden zurückkom-men.
Das Wort für die CDU/CSU-Fraktion hat nun Kollege
Johannes Singhammer.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-ren! Die christlich-liberale Koalition redet nicht nur überAusgabenkürzungen in der gesetzlichen Krankenversi-cherung, sondern sie meißelt sie in Gesetzestafeln, undzwar hier und heute am 18. Juni 2010.Mit 16 Prozent Abschlag, gesetzlich vorgeschriebe-nem Rabatt, werden die Patienten und Versicherten inDeutschland nachprüfbar entlastet. Gleichzeitig ver-schließen wir die Umgehungs- und Ausweichmöglich-keiten durch den Preisstopp; denn die Preisbasis ist rück-wirkend der 1. August 2009. Mindestens 1,2 MilliardenEuro, wahrscheinlich aber 1,5 Milliarden Euro, bleibenbei den Patienten im Geldbeutel. Der scheinbar unauf-haltsame Anstieg der Kosten vor allem bei den teurenSpezialpräparaten wird abrupt gebremst.An die Adresse der Opposition sage ich: HerrLauterbauch, Sie sollten Ihre Propaganda, die Regie-rungsfraktionen seien nicht in der Lage, mit derPharmalobby umzugehen, vielleicht ein bisschen „reno-vieren“. Ihren Vorwurf, wir würden auf dem Rücken deskleinen Mannes sparen, kann nun wirklich niemand ver-stehen.
Haben Sie einmal ausgerechnet, wie viele Versicherteund in welcher Größenordnung durch diese Sparmaß-nahmen betroffen sind?
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Ja, wir beklagen uns über den Mindestlohn. Deshalbabe ich dieses Beispiel aus dem Bereich der tariflichenntlohnung herausgegriffen.
Sie bringen diese Klagen immer wieder vor. Dertundenlohn der Beschäftigten im Sicherheitsgewerbeeträgt 4,51 Euro. Sie sagen, wir bewegten uns im Pro-illebereich. Sie haben doch die Maßstäbe verloren. Dast eine ganz klare Erleichterung gerade für Geringver-iener.
Diese Koalition muss ihre Handlungsfähigkeit in demereich überhaupt nicht beweisen. Wir haben am2. März dieses Jahres die Reduzierung der Arzneimit-lkosten angekündigt. Wir haben am 26. März diesesahres die Eckpunkte vorgelegt. Wir gießen diese Eck-unkte hier und heute in Gesetzesform. Dabei haben wirber nicht nur das Ziel der Kosteneinsparung verfolgtauch das sage ich hier –, sondern ganz wichtig warenr uns noch zwei weitere Ziele. Wir wollen den Patien-n im Krankheitsfall die besten Medikamente garantie-n und nicht die zweitbesten, und wir wollen, dass sicheutschland wieder zur Apotheke der Welt entwickelt.eshalb wollen wir die Arbeitsplätze in der Arzneimit-lindustrie sichern. Aus diesen Gründen haben wir Aus-ahmen in zwei Bereichen zugelassen. Der eine Bereichetrifft die Arzneimittel, die für die Behandlung von sel-nen Leiden zugelassen sind. Wir wollen, dass die Pro-uktion dieser Arzneimittel profitabel bleibt. Natürlicholl sie profitabel bleiben, auch wenn es nur eine kleineruppe von Patienten gibt, die diese Arzneimittel benö-gt. Wir lassen niemanden allein, auch wenn er eine sel-ne Krankheit hat.
ir wollen sicherstellen, dass mittelständische Unter-ehmen, die oft nur ein einziges Medikament produzie-n, nicht in eine wirtschaftliche Schieflage geraten undamit die Arbeitsplätze gefährdet werden; denn dieaßnahme des Zwangsrabatts ist eine harte Maßnahme.Wir regeln mit dem Gesetz – auch das hat der Minis-r angekündigt – noch mehr. Wir nutzen die Möglich-eiten der neuen Gesundheitskarte für weniger Bürokra-e und bessere Betrugsbekämpfung. Wenn wir heuteeschließen, dass dann, wenn ein Patient erstmals imuartal einen Arzt besucht, die Leistungspflicht derrankenkasse elektronisch abgeprüft wird, dann hat dasinen ganz wichtigen Effekt.
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Johannes Singhammer
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Die Identität des Versicherten wird damit leichter festge-stellt. Das ist gerecht. Ungerecht ist Schummelei, die lei-der auch vorkommt. Wer selbst nicht versichert ist, abermit falscher Identität eine Leistung der Versichertenge-meinschaft, die ehrlich ist, erschleicht, handelt nichtrichtig, sondern falsch. Die Schummelei werden wir mitdieser Maßnahme begrenzen.
Weitere Ausgabenkürzungen in der gesetzlichenKrankenversicherung sind unzweifelhaft nötig. BeiÄrztehonoraren und Krankenhäusern geht es nicht umZwangsrabatte und -moratorien wie im Arzneimittelbe-reich. Es geht aber sehr wohl darum, dass klar wird, dasssich die Zuwächse der letzten Jahre im Jahr 2011 nichtmehr in der bisherigen Höhe fortsetzen werden. Deshalbhaben wir ein glasklares Ziel in der Koalition vereinbart:Es wird nicht dazu kommen, dass das prognostizierteDefizit von nahezu 11 Milliarden Euro im kommendenJahr entsteht; wir werden vielmehr das Gleichgewichtvon Einnahmen und Ausgaben wiederherstellen. Dazuwerden wir bis zur Sommerpause Eckpunkte vorlegen.Wir werden darüber hinaus die Strukturen nachhaltigerund zukunftsfester gestalten und dazu drei Wege be-schreiten: erstens Prävention – diese wirkt nicht sofort,sondern nachhaltig –, zweitens Eigenverantwortung unddrittens Einsatz modernster Medizintechnologien.Nach dem Weltmeisterschaftsspiel Deutschland ge-gen Serbien wird die Klausurtagung der Gesundheits-politiker der Koalition beginnen. Wir werden dabei dengepflegten Doppelpass spielen, so wie ihn auch die deut-sche Nationalmannschaft spielt, auf die wir uns freuen.
Das Wort hat die Kollegin Kathrin Vogler für die
Fraktion Die Linke.
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren!Chaos in der Gesundheitspolitik, das ist das, was dieseRegierung seit einem Dreivierteljahr veranstaltet. Jetztlegen Sie uns hier diesen Flickenteppich von Maßnah-men vor – Herr Singhammer meißelt weitere Löcher hi-nein –, in der Hoffnung, dass niemand genau hinschaut,was sich da alles verbirgt. Zwar könnte auch die Linkeeinem Teil dieser Maßnahmen zustimmen – das habenwir auch gesagt –, nämlich Ihren Plänen, die Arzneimit-telausgaben der gesetzlichen Krankenkassen wenigstenskurzfristig zu begrenzen. Doch Ihre Konzepte sind, wieübrigens die gesamte Arbeit dieser Regierung, kurz-atmig und halbherzig, und deshalb lehnen wir diesen Ge-setzentwurf ab.
Sie haben die überflüssigen Scheininnovationen, alsoneue Präparate ohne jeden Zusatznutzen für die Patientin-nen und Patienten, wohl schlicht übersehen. Damit beloh-nen Sie noch diejenigen Firmen, die mit geringstem Auf-wddÄsnutrkzAMdWvnntiuugDdFS–nLSdDsmIcpkbkRmzbfi
atenschützer, Ärzte und Patientenorganisationen laufenagegen berechtigterweise schon Sturm. Auch in derDP-Fraktion gibt es erhebliche Bedenken gegen diesenchritt zum gläsernen Patienten.
Ich habe das sehr wohl verstanden. Sie können mir dasachher, nach dem Fußballspiel, erklären. –
iebe Kolleginnen und Kollegen von der FDP, zeigenie hier doch einmal etwas Courage, auch gegenüberem eigenen Ministerium.Obwohl durch dieses Gesetz so viele verschiedeneinge geregelt werden, bleibt manches offen; denn Sietellen die Interessen der Wirtschaft über die der Allge-einheit.
h meine, wir müssen Versicherungen endlich ver-flichten, rechtzeitig die Erstattung der Behandlungs-osten zuzusagen. Es darf nicht sein, dass Menschen un-ehandelt bleiben und sogar in Lebensgefahr geratenönnen, nur weil sich ihre Krankenversicherung vor derechnung drücken will. Dem Petitionsausschuss liegenehrere Fälle vor, in denen die Verzögerung der Kosten-usage Betroffene fast das Leben gekostet hätte und blei-ende gesundheitliche Schäden hinterlassen hat. Ichnde, damit dürfen wir uns nicht abfinden. Die Linke
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Kathrin Vogler
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will die Versicherer verpflichten, dringliche Anträge un-verzüglich zu bearbeiten. Wer krank ist, braucht schnellemedizinische Hilfe. Doch das will die schwarz-gelbeKoalition der Versicherungswirtschaft nicht zumuten,und auch die SPD war im Ausschuss dagegen. Ich stellehier noch einmal die Frage: Wie hoch waren die Spen-den der Allianz-Versicherung an Ihre Parteien?Ich erinnere Sie alle auch an Ihr Versprechen, nochvor der Sommerpause die unabhängige Patientenbera-tung, deren Förderung zum Ende des Jahres ausläuft,dauerhaft zu sichern. Im Ausschuss haben Sie, werterHerr Bahr, uns schon wieder keinen Termin nennen wol-len, wann Sie das in den noch folgenden zwei Sitzungs-wochen vorhaben. Damit nehmen Sie die dort Beschäf-tigten sowie die Patientinnen und Patienten in Haftungfür Ihr Koalitionschaos. Das darf doch wohl nicht wahrsein.
Herr Spahn, wenn Sie sich noch nicht einmal über die5 bis 7 Millionen Euro für die Beratungsstellen einigenkönnen, dann sehe ich auch schwarz für Ihren „Gesund-heitskuschelworkshop“, den Sie nach dem Fußballspielbeginnen wollen. Woher wollen Sie eigentlich die11 Milliarden Euro bekommen, die 2011 im Gesund-heitsfonds fehlen werden?Vielleicht sollten Sie sich einfach von bestimmtenideologischen Tabus freimachen.
Dabei hilft manchmal schlichte Mathematik. Wenn Siezum Beispiel bei den Beiträgen den Arbeitgeberanteilwieder an den der Arbeitnehmer angleichen, hätten wirschon 9 Milliarden Euro mehr, und das würde die Pro-bleme ziemlich entschärfen.
Sie aber glauben der Schwarzmalerei der Unternehmer-verbände mehr, für die in diesem Fall der Untergang desAbendlandes oder zumindest der der deutschen Export-wirtschaft unmittelbar vor der Tür stehen würde. DieFolge Ihres Nichtstuns ist: Die ersten Krankenkassenstehen vor der Pleite. Die Versicherten bzw. die Patien-tinnen und Patienten wissen noch gar nicht, was das fürsie bedeutet.
Kollegin Vogler, Sie müssen bitte zum Schluss kom-
men.
Herr Minister Rösler, ich kann Ihnen nur raten: Been-
den Sie das Chaos! Machen Sie stattdessen Ihre Mathe-
matikhausaufgaben! Dabei würde die Linke Sie unter-
stützen,
aber nicht bei diesem Gesetz.
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Sehr geehrte Präsidentin! Sehr geehrter Minister! Wiraben heute erneut eine besondere Situation in der Ge-undheitspolitik. Wir haben einen Minister, der über einher kleineres, eher handwerklich ausgerichtetes Gesetzerichtet, das dann als Notlösung von den Fraktionenufgebläht bzw. um ein Sparpaket ergänzt wurde, undas kurz vor einer Klausur heute Nachmittag – ich habeehört, direkt nach dem Fußballspiel –, in der Sie die ei-entlichen strittigen Fragen Ihrer Gesundheitsreformlären wollen.
Vorfeld dieser Klärung, die immerhin schon ein hal-es Jahr auf sich warten lässt, haben Sie die Situation er-eugt, dass wir auf ein großes Defizit in der GKV zulau-n, weshalb Sie zu einem Sparpaket greifen mussten.
Herr Rösler, Herr Bahr, ich erinnere mich gut an denahlkampf. Damals habe ich am allerhäufigsten gehört:ir werden keine kurzfristigen Sparpakete machen. Wirerden grundlegende Strukturreformen vornehmen. –leichzeitig habe ich dies sehr oft in gesundheitswirt-chaftlichen Diskussionsrunden als Message an die Arz-eimittelbranche gehört, die wiederum dasaß und gedachtat: Mit der FDP kommt jetzt eine Gesundheitsreform,ie bewirkt, dass wir sämtliche Kostensteigerungen, dieenkbar sind, auf die Versicherten abladen können. Derersicherte muss sich dann, ergänzend zur Grundversi-herung, privat versichern und kann somit alles zahlen.as war die Message, die Sie an die Arzneiunternehmenesandt haben. Dafür haben Sie jetzt die Quittung bekom-en.
icht umsonst ist der ganze Blätterwald und sind die Zu-chriften voller Klagen der Pharmaindustrie, die sicherraten fühlt
nd sagt, man habe ihr im Vorfeld etwas ganz anderesersprochen und jetzt gebe es nur ein kurzfristiges Spar-aket mit Herstellerrabatten.
Herr Minister Rösler, jetzt sind Sie genau da, wo Mi-isterin Schmidt und viele andere Minister davor gewe-en sind. Der Unterschied zu den Ministern davor ist,ass Sie sich im Vorfeld angemaßt haben, zu sagen, Sieätten deren Vorgehensweise nicht nötig. Es zeigt sich:
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Maria Anna Klein-Schmeink
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Die Gesundheitspolitik sämtlicher Regierungen hat esbislang nicht schaffen können, die Kostenentwicklungnur durch strukturelle Maßnahmen in den Griff zu be-kommen oder nur darüber, kurzzeitige Maßnahmen zuergreifen, wie man dies oft zwangweise tun musste. Eswird immer ein Mischpaket sein müssen. Das haben Siejetzt ganz schmerzlich erfahren müssen.
– Die Wirklichkeit ist in der Tat hart. Da sind Sie jetztzwangsweise angekommen, und zwar deshalb, weil Sieüberhaupt kein Konzept haben, wie Sie das aufgelaufeneDefizit beseitigen können. Das werden Sie an diesemWochenende angehen. Sie werden feststellen müssen,dass die größten Gegner Ihrer wechselseitigen Ideen inden eigenen Reihen sitzen.
Sie haben wiederum noch kein Konzept, wie Sie damitumgehen wollen.Frau Flach, ich habe gelesen, Sie haben die Erwartun-gen an dieses Wochenende vorsorglich herunterge-schraubt, indem Sie gesagt haben, dass eine grundle-gende Lösung der Probleme nicht zu erwarten sei. Dashaben Sie getan, weil Sie sich nicht sicher sind, ob Siezu einer Einigung kommen. Das, muss man sagen, hatdie Wählerschaft, die Sie gewählt hat, eigentlich nichtverdient.
Sie hat es nicht verdient, dass Sie neun Monate lang keineinziges Problem wirklich gelöst haben und auch keinePerspektive aufzeigen können, sondern stattdessen aufkleine Sparpakete ausweichen müssen.
Wir werden diesem Sparpaket nicht zustimmen kön-nen, weil es von der Ausführung her nicht besonders ge-lungen ist. Hier erinnere ich insbesondere an die Belas-tung für die Krankenhäuser; die Einsparungen bei denKrankenhäusern, die Sie an diesem Wochenende be-schließen wollen, werden noch hinzuaddiert.
– Sie haben die Krankenhausapotheken beim Hersteller-rabatt nicht ausgenommen.
– Nein, das geht aus den Papieren, die wir gelesen ha-ben, nicht hervor.
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Nach der Sommerpause, wenn wir die grundlegendeneformen im Arzneimittelbereich angehen, werden wirns massiv in die Debatte einbringen. Ich hoffe, dass Sie der Zwischenzeit zumindest eine Lösung für die unab-ängigen Beratungsstellen finden; denn auch da habenie sämtliche Erwartungen enttäuscht und geweckteoffnungen nicht erfüllt.
Vielen Dank.
Für die Unionsfraktion hat nun der Kollege Jens
pahn das Wort.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!ie christlich-liberale Koalition beweist mit dem Gesetz,as wir heute in zweiter und dritter Lesung verabschie-en, Handlungsfähigkeit. Herr Kollege Lauterbach, Sieönnen es abtun, wie Sie wollen; aber hier geht es für dieetroffenen um wichtige Themenfelder. Es geht um dieerufsanerkennungsrichtlinie, die für viele Heilberufe ineutschland gilt. Es geht um datenschutzrechtliche Fra-en im Zusammenhang mit Versorgungsverträgen, vonenen viele Millionen Menschen in Deutschland betrof-n sind. Es geht darum, bei der Versicherungskarte einengleichung der Standards vorzunehmen; denn bis heuteibt es zigtausendfachen Missbrauch mit Krankenversi-hertenkarten. Sie werden – man muss es fast so sagen –inter Hauptbahnhöfen gedealt.
s wird nämlich nicht abgeglichen, ob die Karte nochültig ist oder nicht. Das wird seit Monaten und Jahreneklagt; das regeln wir nun endlich.
Bei den patentgeschützten Arzneimitteln sparen wirurch die Senkung der Herstellerabgabepreise per Ge-etz letztendlich etwa 10 Prozent. Durch das Preismora-rium sparen wir zusätzlich bis zu 1,5 Milliarden Euroin. Ich finde, das ist ein großer Betrag. Dazu waren Sieüher über einen langen Zeitraum hinweg nicht in derage. Herr Kollege Lauterbach, ich finde, es gehört zurhrlichkeit dazu, zumindest das anzuerkennen, anstattich hier so hinzustellen, wie Sie es getan haben.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 50. Sitzung. Berlin, Freitag, den 18. Juni 2010 5227
Jens Spahn
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Herr Lauterbach, es mag sein, dass Sie zu allem bereitsind – ich kann Ihnen da nicht ganz folgen –, aber im Er-gebnis sind Sie zu nichts imstande. Zu diesem Schlusskommt man, wenn man Ihre Rede gehört hat. Im Übri-gen war Ihre Rede auch inhaltlich völlig daneben. Ichwill Ihnen, weil ich diese Leier so satt habe, eines sagen:Privat Krankenversicherte sind nicht per definitionemGutverdiener. Fragen Sie einmal all die Polizeibeamtenund Pensionäre, die draußen Dienst tun oder hier zu denBesuchergruppen gehören, ob sie sich als Gutverdienerverstehen!
Sie sind doch die Sozialdemokratische Partei Deutsch-lands. Dennoch tun Sie fortwährend so, als wären Privat-versicherte per definitionem Gutverdiener. Das ist einSchlag ins Gesicht dieser Menschen, Herr KollegeLauterbach.
Seit Monaten stellen Sie sich hierhin und sagen, dieseRegierung solle endlich sparen, um Zusatzbeiträge zuvermeiden. Im März haben Sie einen Antrag in denDeutschen Bundestag eingebracht, der vorsah, den ge-setzlichen Herstellerrabatt auf Arzneimittel auf 16 Pro-zent zu erhöhen. Herr Lauterbach, Sie haben hier in IhrerRede am 22. April erklärt:Der einzige brauchbare Vorschlag ist die Einfüh-rung eines Zwangsrabattes von 16 Prozent.Genau das machen wir heute.
Genau darüber haben wir am Mittwoch im Gesundheits-ausschuss des Bundestages abgestimmt; die SPD hat aberals einzige Fraktion des Deutschen Bundestages zum ent-sprechenden Antrag Nein gesagt. Ich verstehe das jeden-falls nicht: Sie fordern etwas ein, wir setzen es um, aberSie stimmen dagegen. Herr Kollege Lauterbach, wer solldas denn verstehen?
– „Das Handwerk stimmt nicht“? Entschuldigung, Ihreinziger konstruktiver Beitrag dazu, der Änderungsan-trag, bezog sich auf Importarzneimittel. Ich möchte garnicht auf Gutachten zu sprechen kommen, die Sie bzw.Ihr Institut schon zu diesem Thema geschrieben haben.Aber die Tatsache, dass die Kollegin Ferner aus demSaarland in dieser Frage so aktiv war, sollte Sie davonabhalten, uns jemals wieder mit dem Vorwurf einerKlientel- und Lobbypolitik zu begegnen. Der Ände-rungsantrag, den Sie eingebracht haben, war doch reineKlientelpolitik; er war das Einzige, was Sie überhaupt zudiesem Thema beigetragen haben.
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Frau Kollegin Klein-Schmeink, der Unterschied zuen stumpfen Spargesetzen der Vergangenheit ist, dassnsere Zusage steht, nach den kurzfristigen Sparmaß-ahmen – wir setzen sie übrigens auch im Arzneimittel-ereich um –, die notwendig sind, weil wir im nächstenahr das größte Defizit in der Geschichte der gesetzli-hen Krankenversicherung erwarten – die Farbenlehret dabei egal; um das Defizit geht es – langfristigetrukturveränderungen vorzunehmen.
as zeigt sich bei den Arzneimitteln. Wir werden nochor der Sommerpause in erster Lesung den Teil des Arz-eimittelpakets verabschieden, der langfristig die Preis-ntwicklung in Deutschland verändert. Sie haben jahre-ng davon geredet, dass endlich damit Schluss seinüsse, dass die Arzneimittelindustrie in Deutschland diereise nach der Zulassung einseitig festlegen kann. Wirgeln das endlich.
ir sind gespannt, wie konstruktiv Sie sich an diesemerfahren beteiligen werden, Herr Kollege Lauterbach.
Wir setzen im Umgang mit dem Defizit auf eine Kom-ination aus notwendigem Sparen und einer breiteren Be-essungsgrundlage. Alles andere würde im Übrigen beien Beteiligten keine Akzeptanz finden. Natürlich mussder angesichts des großen Defizits die Bereitschaft ha-en, seinen Teil beizutragen. Die Menschen – besondersie, die im Gesundheitssystem arbeiten – brauchen eineerspektive, wenn es darum geht, eine langfristig stabi-re Finanzierung zu gewährleisten.
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Jens Spahn
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Seien wir ehrlich miteinander.
Ich bin seit acht Jahren im Deutschen Bundestag. Dereine oder andere von Ihnen macht schon länger Gesund-heitspolitik. Gesundheitspolitik ist seit Jahren eines derzentralen und strittigen Politikfelder, weil es wahnsinnigschwierig ist, die vor uns liegenden Probleme zu lösen.Jetzt tun Sie doch nicht so, als ob die Lösung der Pro-bleme so einfach wäre. Wir warten seit acht Jahren aufIhr Bürgerversicherungskonzept, das Sie immer wiederankündigen.
Ob der schwierigen Frage, wie wir eine breitere Fi-nanzierungsgrundlage hinbekommen – dies wollen wiralle im Übrigen trotz intensiver interner Debatten inner-halb der Koalition –, ist es doch das Selbstverständ-lichste der Welt, dass man innerhalb der Koalition bei ei-ner Frage, die seit Jahren in Deutschland strittigdiskutiert wird, auf der Suche nach der richtigen Lösungmiteinander ringt.
Geben Sie uns die Zeit, die wir – wie zugesagt – bis zurSommerpause noch brauchen. Dann werden wir Lösun-gen vorlegen, die über das hinausweisen, was Sie bisjetzt getan haben. Sie sagen nämlich nichts dazu, wie esweitergehen soll, lieber Herr Kollege Lauterbach.
Bevor ich schließe, möchte ich auf das eingehen, waszwei Vorredner erwähnt haben – ich möchte das nicht sostehen lassen –: Seien Sie versichert, für die unabhän-gige Patientenberatung werden wir noch vor der Som-merpause
– bis dahin sind es gut zwei Wochen; das ist zeitlich rela-tiv genau bemessen, liebe Frau Kollegin Vogler – einenentsprechenden Entwurf auf den Weg bringen. Wir wer-den diese Frage regeln.Die christlich-liberale Koalition wird bei der unab-hängigen Patientenberatung und bei der künftigen Finan-zierung der gesetzlichen Krankenversicherung Hand-lungsfähigkeit beweisen. Vor allem werden wir heutedas tun, wovon Sie lange geredet haben, nämlich Sparenim Sinne der Versicherten der gesetzlichen Krankenver-sicherung. Deswegen wäre es gut, wenn Sie zustimmenwürden. Wir tun es jedenfalls.
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Sportwaffen“ diese Debatte hier heute verfolgen. – Ichbegrüße Sie!Ich eröffne die Debatte. Das Wort hat WolfgangWieland für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Meine Damen und
Herren! Der heutige Morgen war selbst für einen alten
Fahrensmann wie mich kein normaler Morgen. Vertreter
der beiden genannten Initiativen waren da. Es waren El-
tern von ermordeten Schülerinnen und Schülern da, es
waren Lehrer da, es waren aber auch Menschen da, die
sich engagieren, zum Beispiel Autoren und Schauspieler
aus Erfurt, die sagen: Das geht auch uns etwas an; das
geht die ganze Gesellschaft an. Im Erfurter Appell haben
sie Folgendes formuliert – ich möchte daraus vortragen –:
Neun Schüler, drei Lehrerinnen und drei Passanten
sind am 11. März 2009 beim Winnender Schulmas-
saker erschossen worden, mit einer Sportwaffe.
Schon nach dem Schulmassaker in Erfurt
hatten Bundesregierung und Bundestag ausreichend
Zeit, den Besitz von tödlichen Waffen für den
Schießsport zu unterbinden. Wir brauchen kein
halbherzig geändertes Waffengesetz. Wir wollen
ein Verbot von Mordwaffen als Sportwaffen – so-
fort.
Die Winnender haben das präzisiert:
Unser Appell lautet:
Generelles Verbot großkalibriger Waffen für Privat-
personen
Verbot für Faustfeuerwaffen in privaten Haushalten
Ich weiß, wie groß die Betroffenheit in diesem Haus
nach Winnenden war; ich habe es selbst erlebt. Ich weiß,
dass das Entsetzen bei allen Fraktionen echt und unge-
künstelt war. Ich sage aber auch, und das meine ich ganz
ernst: Wir sind hier nicht primär eine Versammlung von
Trauernden. Wir sind der Gesetzgeber. Gerade die Eltern
haben sofort und seitdem unermüdlich an uns appelliert
und uns gemahnt. Sie haben gesagt: Wir wollen Hand-
lung sehen, wir wollen Taten sehen,
wir wollen die größtmögliche menschenmögliche Si-
cherheit haben, dass es nach Erfurt und Winnenden nicht
einen dritten entsprechenden Amoklauf gibt. Ich denke,
das alles sind wir ihnen schuldig. Wir müssen handeln.
Wir als Grüne haben hier einige Vorschläge vorgelegt,
über die wir, denke ich, gründlich debattieren werden.
Wir fordern als Sofortmaßnahme, dass in einem Haus-
halt nicht mehr Waffen und Munition gleichzeitig vor-
handen sein dürfen. Es ist ein kleiner Schritt, das zu tren-
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Schließlich und endlich: Bei geschätzten 12 Millio-
en Waffen in Privathänden, davon circa 10 Millionen
gal – die Dunkelziffer kann man nur schätzen –, muss
s so etwas wie eine allgemeine Volksentwaffnung ge-
en. Wo leben wir denn, dass so viele Waffen in unseren
ohnungen, in unseren Häusern sind? Die zum Jahres-
nde abgelaufene Amnestie war richtig. Wir fordern ihre
erlängerung. Wir wollen mehr Kontrollen. Wir sagen:
hne Kontrollen geht es nicht. Das müssen die Länder
ewerkstelligen. Wir wollen aber auch deutliche Maß-
ahmen des Gesetzgebers.
Für mich ist das alles eigentlich keine Frage der In-
enpolitik, schon gar nicht des Waffenrechts. Für mich
t es schlicht eine ethische Frage, wie viel Sicherheit
ir unseren Kindern bieten wollen. Deswegen hoffe ich,
ass der Appell der Eltern, der Appell der Initiativen hier
eite Kreise zieht, auch über uns Innenpolitikerinnen
nd Innenpolitiker hinaus, und dass sich das ganze Haus
rnsthaft und gewissenhaft mit dieser Frage befassen
ird.
Vielen Dank.
Das Wort hat der Kollege Günter Lach für die
nionsfraktion.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen underren! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich haberfahren, dass heute an dieser Sitzung auch Angehörigeer Opfer aus Winnenden teilnehmen. Ich möchte dieseelegenheit nutzen, um Ihnen auch heute noch, über einahr nach der Tat, mein tiefes Mitgefühl auszusprechen.h wünsche Ihnen weiterhin viel Kraft und Stärke, umiese Geschehnisse zu verkraften. Vergessen wird manie nie.Sehr geehrte Damen und Herren, der Deutsche Bun-estag hat im Februar 2008 eine Novelle des Waffenge-etzes verabschiedet, die einen wichtigen Beitrag zur
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5230 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 50. Sitzung. Berlin, Freitag, den 18. Juni 2010
Günter Lach
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Verbesserung der inneren Sicherheit geleistet hat. Insbe-sondere die schrecklichen Vorfälle von Winnenden undErfurt wurden zum Anlass genommen, mit der Ände-rung des Waffengesetzes einen Beitrag zur Eindämmungder Gewaltkriminalität zu leisten. Hier wurde besondersdeutlich, wie verheerend die Auswirkungen sein können,wenn Waffen und Munition durch unsachgemäße Aufbe-wahrung in gewaltbereite Hände gelangen. Daher unter-stütze ich als aktiver Sportschütze die getroffenen Maß-nahmen ausdrücklich.Mit den Änderungen des Waffengesetzes wird insbe-sondere Jugendlichen der Zugang zu Waffen erschwert.Ebenso stellen sie sicher, dass nur Berechtigte Zugangzu Waffen haben. Mit der Novelle des Waffenrechtskann vor Ort bei privaten Waffenbesitzern nun ver-dachtsunabhängig überprüft werden, ob die sichere Auf-bewahrung von Waffen und Munition gewährleistet ist.Künftig muss die sichere Aufbewahrung bereits bei derAntragstellung für eine Besitzerlaubniskarte nachgewie-sen werden. Damit hat der Waffenbesitzer jetzt eineBringschuld gegenüber der Waffenbehörde. Er mussvorher anzeigen, dass die Waffen ordnungsgemäß gela-gert werden. Das ist gut und richtig so.Dabei gilt weiterhin der Grundsatz, dass gegen denWillen des Waffenbesitzers die Wohnung nur bei Gefah-ren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung betretenwerden darf. Jeder verantwortungsbewusste Sport-schütze und Jäger wird die Prüfung vor Ort gern unter-stützen und den Zugang zu den Aufbewahrungsräumenermöglichen. Denn eine mehrfache Verweigerung derKontrolle entspricht nicht dem Wesen der meisten Waf-fenbesitzer, Sportschützen und Jäger. Die zuständige Be-hörde kann dann von seiner Unverlässlichkeit ausgehen,wenn die Verweigerung mehrfach wiederholt wird, so-dass die waffenrechtliche Erlaubnis widerrufen wird.Die Waffen können eingezogen und auch der Vernich-tung zugeführt werden.Ein weiterer wichtiger Baustein zur Gewährleistungder Sicherheit ist die Umsetzung der EU-Vorgabe zur Er-richtung eines zentralen elektronischen Waffenregisters.Ich befürworte ausdrücklich, dass die Bundesregierungdieses Register bis Ende des Jahres 2012 einführen will,zwei Jahre vor Ablauf der in der EU-Waffenrichtlinievorgegebenen Frist. Das computergestützte Waffenregis-ter vernetzt zukünftig die Informationen der 577 Waffen-erlaubnisbehörden in den Ländern und kann genaue In-formationen über die Anzahl der Besitzer von legalenWaffen und Schusswaffen in Deutschland bereithalten.Diese Information ist besonders für die Arbeit derPolizei von großer Bedeutung. Bei Amoklagen, in Ein-sätzen und zur Gefahrenabwehr kann sie so wichtige In-formationen über möglichen Waffenbesitz gewinnen undentsprechende Maßnahmen ergreifen. Dies sind guteGründe, die Einführung eines nationalen Waffenregistersvoranzutreiben. Ich kann Ihnen versichern, dass Sie beiden Sportschützen und Jägern in unserem Land großeUnterstützung finden werden.
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ie Notwendigkeit zur Einführung der Erlaubnispflichtuch für diese Waffen ist daher nicht offensichtlich.
In der Vergangenheit kam es immer wieder zu Poli-eieinsätzen, weil Anscheinswaffen für echte Schuss-affen gehalten wurden. Mit dem Verbot des Führenson Anscheinswaffen wurde auch im Waffengesetz da-uf reagiert. Dies betrifft sämtliche Schusswaffen, dieach ihrer äußeren Form den Anschein von Feuerwaffenervorrufen. Ausgenommen sind solche Gegenstände,ie erkennbar zum Spiel oder für Brauchtumsveranstal-ngen Verwendung finden oder bestimmte Teile histori-cher Sammlungen sind. Auch die Verwendung beioto-, Film- und Fernsehaufnahmen sowie bei Theater-ufführungen bleibt weiterhin erlaubt. Um eine Umge-ung dieser Vorschrift zu unterbinden, ist der Transporton Anscheinswaffen künftig nur in einem verschlosse-en Behältnis erlaubt.Als langjähriger Kreisvorsitzender der Kyffhäuserportschützen in meiner Heimat weiß ich aus eigener Er-hrung,
ie umsichtig und verantwortungsbewusst die Sport-chützen mit ihren Waffen umgehen. Ebenso wie die Jä-er werden die Schützen in Deutschland eingehend ge-chult und geprüft. Sie kennen die Gefährlichkeit ihresportgeräts und pflegen einen entsprechend aufmerksa-en Umgang damit.
Wofür Sie keine Unterstützung bekommen werden,ind die Vorschläge des vorliegenden Antrags der Frak-on Bündnis 90/Die Grünen. Sie schießen über das Zielinaus
nd stellen Schützen und Jäger unter Generalverdacht.
Ich kann nur davor warnen, bei den Schützen und Jä-ern weitere Einschränkungen vorzunehmen. Insbeson-ere Bestrebungen, eine Waffenlagerung an zentralentellen einzuführen, sind eine Einladung zum Diebstahl.inen praktikablen und der Sicherheit dienenden Vor-
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 50. Sitzung. Berlin, Freitag, den 18. Juni 2010 5231
Günter Lach
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schlag, wo die Waffen von Privatbesitzern gelagert wer-den können, bleibt dieser Antrag allerdings schuldig.Die von den Grünen geforderte Verbannung von Waf-fen aus privaten Haushalten ist kein Allheilmittel. Eskann nicht darum gehen, einen Sport zu unterbinden,
der in unserer Tradition fest verankert ist und durch eh-renamtliche Arbeit getragen wird.
Dabei denke ich besonders an die großen internationalenErfolge im Schießsport. Deswegen verwahre ich mich inaller Deutlichkeit gegen eine Vorverurteilung. Für michgeht es vielmehr darum, die steigende Gewaltbereit-schaft in unserer Gesellschaft unter die Lupe zu nehmen.
Es scheint ganz normal zu sein, wenn das Eigentumanderer beschädigt wird. Es ist fast alltäglich, dass Kon-flikte nicht mehr verbal geregelt werden, sondern immerhäufiger mit Gewalt als Mittel zur Verdeutlichung des ei-genen Standpunktes.
Besonders deutlich zeigt dies auch die Zunahme vonGewalt gegenüber unserer Polizei. Erst am letzten Wo-chenende kam es bei einer Demonstration in Berlin zuVerletzungen durch Sprengsätze.
Die Beamten kamen nur mit Glück glimpflich davon.
Die Täter haben mit selbstgebauten Sprengsätzen dieTötung von Polizeibeamten billigend in Kauf genom-men. Wenn darunter die Ausübung des Demonstrations-rechts verstanden wird, sehe ich eine erhebliche Schief-lage in unserer Gesellschaft.
Jeder Einzelne von uns ist gefordert, die Unversehrt-heit eines jeden zu achten und damit für öffentliche Si-cherheit zu sorgen und sie zu gewährleisten.
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Kollege Lach, das war Ihre erste Rede im Deutschen
undestag, und Sie haben es geschafft, sofort Kontro-
ersen hervorzurufen. Für die weitere Arbeit wünschen
ir Ihnen Erfolg.
Das Wort hat die Kollegin Gabriele Fograscher für die
PD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kolle-en! Vor mehr als einem Jahr tötete ein 17-Jähriger in ei-er Schule in Winnenden und später auf der Flucht inendlingen insgesamt 15 Menschen und dann sichelbst. Nach den polizeilichen Ermittlungen gehörte diealbautomatische großkalibrige Kurzwaffe, die für dieserausame Tat verwendet wurde, dem Vater des Täters,er diese Waffe als Sportschütze legal besaß. Der Vateratte die Waffe nicht ordnungsgemäß und nicht entspre-hend den Vorschriften des damals schon gültigen Waf-nrechts verwahrt.Dieser schreckliche Amoklauf war Anlass für uns, da-als in der Großen Koalition, über Änderungen desaffenrechts nachzudenken, aber uns war bei allen Dis-ussionen auch damals klar: Allein mit gesetzlichen Re-elungen im Waffenrecht können wir Amokläufe nichterhindern; wir können und müssen alles versuchen, sieu erschweren.
Die Motive, die den Täter in Winnenden zu seiner ent-etzlichen Tat gebracht haben, werden wohl nie ganz auf-eklärt werden. Fahrlässigkeit und Verantwortungslosig-eit im Umgang mit Waffen, das familiäre und sozialemfeld des Täters, Gewaltfantasien, gespeist durch Me-ienkonsum, und psychosoziale Gründe wie vermeintli-he Kränkungen und Frustrationen kommen zusammen.er Griff zur Waffe ist der letzte schreckliche Akt einererstörenden Vorgeschichte.Wir haben im Bundestag, in den Landesregierungennd in den Landesparlamenten intensiv über zahlreicheorschläge und mögliche Änderungen im Waffenrechtiskutiert. Wir haben Sachverständige angehört, unternen Staatsanwälte, Vertreter von Verbänden und auchertreter des „Aktionsbündnis Amoklauf Winnenden“.ir haben nach eingehenden Beratungen sinnvolle
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Gabriele Fograscher
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Änderungen vorgenommen, die – und das ist wahr – dasberechtigte Interesse der Bevölkerung an Sicherheit,aber auch das berechtigte Interesse von legalen Waffen-besitzern wie Sportschützen und Jägern berücksichtigen.Bereits im März letzten Jahres haben Sie vonBündnis 90/Die Grünen einen Antrag mit dem Titel„Abrüstung in Privatwohnungen – Maßnahmen gegenWaffenmissbrauch“ eingebracht. Der heute von Ihnenvorgelegte Antrag ist nahezu inhaltsgleich. Sie fordern,dass Waffen und Munition nicht mehr in Privathaushal-ten aufbewahrt, sondern zentral zum Beispiel in Schüt-zenhäusern gelagert werden sollen.Diese vermeintlich einfache Lösung ist diskutiert undverworfen worden, weil sie neue Sicherheitsrisiken insich birgt.
Das bestätigte auch der Sachverständige Oberstaats-anwalt Hofius in der Anhörung im Innenausschuss imletzten Jahr. Ich zitiere:Insgesamt überwiegt das Risiko für die öffentlicheSicherheit und Ordnung bei einer zentralen Aufbe-wahrung von Schusswaffen gegenüber der gesetz-mäßigen Verwahrung in Privathaushalten aus mei-ner Sicht deutlich.Die Ansammlung einer großen Anzahl von Waffen undMunition an einem Ort könnte und wird ein Anreiz fürStraftäter sein, an Waffen zu kommen. Ich erinnere nurdaran, dass bereits in gut gesicherte Munitionsdepots derBundeswehr eingebrochen wurde.In meiner Region gibt es in nahezu jeder Gemeindeeinen Schützenverein. Das Schützenhaus steht meist amRand eines Ortes, und niemand kann die Überwachungund Sicherung eines solchen Waffendepots garantierenund sicherstellen.
Mit Ihrem Vorschlag würden Sie die Verantwortungfür die sichere Verwahrung von Waffen von jedem ein-zelnen Waffenbesitzer auf jemand anderen verlagern, derdafür zu sorgen hätte, dass nach Schießübungen undWettkämpfen alle Waffen wieder abgegeben und ord-nungsgemäß verwahrt werden. Wer soll solch eine Ver-antwortung übernehmen? Ehrenamtliche in Schützen-vereinen, oder wer soll das sein? Welche Ausnahmensoll es geben, und wie wollen Sie sie – zum Beispiel fürJäger – regeln? Ich halte diesen Vorschlag nach wie vorfür nicht organisierbar und auch nicht für praktikabel.
Sie wollen großkalibrige Waffen und Halbautomatenverbieten. Auch das haben wir bei der letzten Novelle in-tensiv diskutiert, und wir haben uns dafür entschieden,das Mindestalter für das Schießen mit diesen Waffen von14 auf 18 Jahre zu erhöhen. Die Bundesregierung hat inihrer Antwort auf eine Kleine Anfrage der SPD zu die-sem Thema ausgeführt – ich zitiere –:IcvSTlizhfeeFzfüegmWsdedenti2inwncLcsenESW
h teile diese Einschätzung.
Auch die Begrenzung der Anzahl der Waffen in Pri-atbesitz ist intensiv diskutiert worden. Es ist einecheinlösung; denn auch mit nur einer Waffe kann einäter, der zu einem Mord entschlossen ist, seine entsetz-che Tat ausführen.Die Europäische Union verlangt die Einführung desentralen elektronischen Waffenregisters bis 2014. Wiraben bei der letzten Novellierung im vergangenen Jahrstgeschrieben, dass wir dieses Register bis Ende 2012inführen wollen, und damit wird auch eine langjährigeorderung der Gewerkschaft der Polizei erfüllt.Sie fordern in Ihrem Antrag auch einen besseren Voll-ug des Waffenrechts. Diese Forderung ist mit der Ein-hrung verdachtsunabhängiger Kontrollen gesetzlichrfüllt; dies muss aber in den Ländern und den zuständi-en Waffenbehörden umgesetzt werden. Hier bestehteines Erachtens noch Verbesserungsbedarf.
Unter Punkt 7 Ihres Antrags fordern Sie den „kleinenaffenschein … für Kauf und Besitz von Schreck-chuss-, Reizstoff- und Signalwaffen“. Für das Führenieser Waffen ist bereits jetzt der kleine Waffenscheinrforderlich, für den eine Zuverlässigkeitsprüfung undie persönliche Eignung erforderlich sind.Wir gehen mit Ihnen in dem Punkt überein, dass Sieine Neuauflage der am 31. Dezember 2009 ausgelaufe-en Amnestieregelung fordern. Wir halten das für rich-g. Bis Ende letzten Jahres sind bundesweit mehr als00 000 Waffen abgegeben worden. Jede Waffe weniger unbefugten Händen ist ein wirklicher Sicherheitsge-inn, und jede legal in Besitz befindliche Waffe, dieicht im illegalen Milieu auftaucht, ist ebenfalls ein Si-herheitsgewinn; denn auch das ist Realität in unseremand: Neben den 10 Millionen legal in Besitz befindli-hen Waffen sind vermutlich ebenso viele illegal beses-ene Waffen im Umlauf.Die letzte Änderung des Waffenrechts liegt geradeinmal ein Jahr zurück. Vollzugsdefizite sind nicht miteuen gesetzlichen Regelungen zu beseitigen.
s gibt technische Entwicklungen und Fortschritte beiicherungssystemen für Waffenschränke und Waffen.enn diese ausgereift sind, werden wir erneut darüber
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Gabriele Fograscher
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beraten, ob die Standards im Waffenrecht angepasst wer-den müssen.Wir als Politikerinnen und Politiker, aber auch Ver-bände und Vereine müssen immer wieder an Waffenbe-sitzer appellieren, sich an die Aufbewahrungsvorschrif-ten des Waffenrechts zu halten, und Verstöße müssensanktioniert werden.
1997 wurde in Großbritannien ein generelles Verbotvon Schusswaffen in Privathand eingeführt. Dadurchkonnte nicht verhindert werden, dass Kriminelle in denBesitz von Schusswaffen gelangten und dass vor weni-gen Wochen in Whitehaven in Nordengland bei einemAmoklauf 12 Menschen getötet und 25 Menschen ver-letzt wurden.Meine Fraktion und ich werden zunächst die Evaluie-rung der Neuregelungen abwarten, wir werden die tech-nischen Entwicklungen beobachten und alle seriösenVorschläge prüfen, aber wir werden den Menschen nichtvormachen, dass allein mit gesetzlichen Regelungen imWaffenrecht mehr Sicherheit garantiert werden kann undAmokläufe nicht mehr vorkommen.Vielen Dank.
Das Wort hat der Kollege Serkan Tören für die FDP-
Fraktion.
Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kolle-gen! Die schockierenden tödlichen Gewaltverbrechen andeutschen Schulen machen immer wieder betroffen. Ge-rade an einem solchen Tag, an dem Betroffene aus Win-nenden dem Bundestag ihre Petition überreicht haben,wird vieles wieder wachgerufen. Ob die Täter nunSchusswaffen oder Messer verwenden, man fragt sichimmer wieder: Warum? Was ist in einem jungen Men-schen vorgegangen, dass er zu einer solchen Tat fähigwar?Meiner Ansicht nach werden diese Fragen zwargestellt, aber wir gehen ihnen nicht richtig nach. Wir fin-den schnell vermeintlich einfache Antworten aufkomplizierte Sachverhalte. Statt einer wirklichen Be-schäftigung mit der Problematik wird sehr schnell alsvermeintliche Lösung eine Verschärfung des Waffen-rechts gefordert.
Genauso ist es mit dem von Ihnen vorgelegten An-trag, meine Damen und Herren von den Grünen. Sieschreiben zwar – ich darf zitieren –:Aktrlaetitrsd–FbgnBNdhkAdestuz
Mit dem von Ihnen vorgelegten Antrag werden Sport-chützen, Waffensammler und Jäger einem Generalver-acht ausgesetzt.
Genau das ist der Fall, Herr Wieland. – Aus Sicht derDP ist das weder gerechtfertigt, noch kann es einereite und ehrliche Diskussion über die Ursachen vonewalttätigen Handlungen ersetzen, die wir dringend be-ötigen.
Frau Künast, mit Ihren Bemerkungen helfen Sie denetroffenen aus Winnenden nicht weiter.
icht die Waffe ist das Problem, sondern der Mensch,er sie einsetzt, Frau Künast.
Wir Liberalen fordern daher eine Kultur des Hinse-ens. In allen Fällen haben Amokläufer ihre Tat ange-ündigt.
llerdings hat niemand etwas bemerkt, oder die vorhan-enen Hinweise wurden nicht ernst genommen. Hier gilts anzusetzen. Eltern, Lehrer und Mitschüler müssenich kümmern.
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nicht falsch. Auch wir Liberalen halten gesetzliche Re-gelungen für den Umgang mit Waffen für richtig. Aller-dings darf hierbei eines nicht außer Acht gelassen wer-den: Deutschland hat schon heute eines der schärfstenWaffengesetze. Sicherlich kann man noch das eine oderandere daran verbessern. Sie, meine Damen und Herrenvon den Grünen, wollen aus unserer Sicht aber nicht dasWaffenrecht verbessern; vielmehr wollen Sie dieSchraube noch weiter andrehen. Allerdings stellt sichmir die Frage der Wirksamkeit weiterer Verschärfungenim Waffenrecht.Gerade in Großbritannien hat sich gezeigt – das hatdie Kollegin schon angesprochen –, dass schärfere Waf-fengesetze nicht dazu geführt haben, dass die Zahl derStraftaten mit Waffen gesunken ist. Im Gegenteil, sie istsogar angestiegen.
– Genau das ist der Fall. Das müssen Sie sich vor Augenführen. Sie sind scheinbar ohne Kenntnis der Statistik indie Diskussion hineingegangen.Wir als FDP treten dafür ein, dass der Fokus auf demVollzug des bestehenden Waffenrechts liegen muss.Denn das beste Gesetz ist ohne entsprechenden Vollzugnutzlos. Was dies angeht, ist die Bundesregierung derzeitdabei, deutschlandweit einheitliche Verwaltungsvor-schriften zur Umsetzung des Waffenrechts mit den Län-dern zu erarbeiten. Ich möchte ausdrücklich festhalten,dass die Regierungskoalition viel für die Sicherheit un-serer Bürgerinnen und Bürger tut.Allerdings lehnen wir symbolische Maßnahmen ab.Vorhaben, die entweder zusätzliches Geld kosten oderdie Freiheit der Bürger einschränken, ohne einen echtenZusatznutzen zu bringen, sind mit der FDP bzw. der Re-gierung nicht zu machen.Leider bringt Ihr Antrag für einen zusätzlichen Si-cherheitsgewinn nichts Neues. So fordern Sie unter an-derem eine zentrale Aufbewahrung von Waffen, um ei-nen möglichen Missbrauch zu verhindern. Selbst mitvielleicht besserer Sicherheitstechnik wären solche zen-tralen Waffendepots in Randlagen ein verlockendes Zielfür Kriminelle. Dies zeigt gerade die Tat von Eislingen,bei der ins dortige Schützenheim eingebrochen wurde.Sie fordern Verbote im Bereich des Waffenrechts. Obdies eine Lösung ist, bezweifele ich ebenfalls stark. EinVerbot von Munition mit besonderer Durchschlagskraftwürde den Besitz dieser zwar illegal machen, aber glau-ben Sie wirklich, dass diese Munition in Deutschlanddann nicht mehr zu haben wäre?
Das erscheint mir als Symbolpolitik ohne wirklichen Si-cherheitsgewinn.tiug-fcphtiHmgszubWvgagrewWliüWsUcusn
Das Hauptanliegen der FDP ist stattdessen, wahrhaf-g und aufrichtig etwas gegen zukünftige Amokläufe zunternehmen.Das Waffenrecht – das hat die Vergangenheit deutlichezeigt – ist dazu kaum geeignet. Gewaltprävention undorschung müssen im Vordergrund stehen. Wir brau-hen einen nachhaltigen Sicherheitsgewinn, aber keinenuren Aktionismus, wie Sie ihn heute an den Tag gelegtaben.Vielen Dank.
Das Wort hat der Kollege Frank Tempel für die Frak-
on Die Linke.
Sehr geehrte Präsidentin! Sehr geehrte Damen underren! Beim Thema Waffenrecht gilt abzuwägen, wiean das berechtigte Interesse der Bürgerinnen und Bür-er am Schutz auf Leben und auf Unversehrtheit einer-eits sowie das Interesse von Waffeninhabern und -nut-ern andererseits in Übereinstimmung bringt.Die ehrenamtliche Arbeit der Sportschützengruppennd Schützenvereine ist ein wichtiger Beitrag zum Le-en der Städte und Gemeinden. Jugendarbeit, sportlicheettbewerbe sowie die Unterstützung und Ausrichtungon Volksfesten sind auch in unseren Augen ein wichti-er Beitrag für die Gesellschaft. Ebenso wissen wir denktiven Beitrag der Jäger zum Umweltschutz zu würdi-en. Aber: Der Schutz des Lebens wiegt immer schwe-r.
Die Nutzer von Waffen müssen sich dieser Verant-ortung stellen. Wir wissen, die meisten Besitzer legaleraffen machen das auch.Zunächst einmal haben wir das Problem, dass 10 Mil-onen legale Waffen unzähliger illegaler Waffen gegen-berstehen. Aktionen zur straffreien Abgabe illegaleraffen sollten daher unbedingt fortgesetzt und auch ent-prechend beworben werden.
Vielschichtiger und daher auch schwieriger ist dermgang mit legalen Waffen. Dazu gibt es unterschiedli-he Auffassungen. Die getrennte Lagerung von Waffennd Munition ist eine Forderung, die auch die Linke hierchon gestellt hat. Die Verhältnismäßigkeit von dafürotwendigen Investitionen und höheren Kosten in Bezug
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 50. Sitzung. Berlin, Freitag, den 18. Juni 2010 5235
Frank Tempel
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auf die potenzielle Gefahr einer gebrauchsfähigenSchusswaffe ist absolut gegeben.Inwieweit der Staat Maßnahmen für mehr Sicherheitfördern und diese unterstützen kann, muss untersuchtwerden. Die Verbände der Waffenbesitzer sollten sichaber weniger über eine steigende Belastung ärgern, alslieber entsprechend ihrer Verantwortung aktiv und de-mokratisch an Vorschlägen zu Konzeptionen mitarbei-ten.Das Thema der Erbwaffen ist im Antrag der Grünennoch ein bisschen nachzuarbeiten. Waffen im Besitz vonMenschen, die keine genehmigte Nutzung beabsichti-gen, müssen durch Blockiersysteme oder Abzugsschlös-ser gesichert werden. Die Waffen werden dadurch nichtzerstört, aber ihre unbefugte Nutzung wird einge-schränkt.Ein großes Problem ist nach wie vor die unzurei-chende Kontrolle von legalem Waffenbesitz. Die verant-wortlichen Kommunen haben aufgrund ihrer finanziel-len Situation doch kaum die Möglichkeit, dienotwendigen unangemeldeten Kontrollen in ausreichen-dem Maße durchzuführen. Diese Kontrollen sind abernotwendig, um Sorglosigkeit und Fahrlässigkeit – Siewerden nicht abstreiten können, dass es das gibt – vorzu-beugen.Nicht zuletzt aufgrund eigenen Erlebens möchte ichdeutlich daran erinnern, dass wir endlich ein zentralesWaffenregister brauchen, so wie es auch die Grünen inihrem Antrag richtigerweise fordern.
Ein Beispiel aus der Praxis, um dies zu verdeutlichen:Aufgrund eines Korruptionsverdachtes fand gegen einenbisher unbescholtenen Geschäftsmann eine Durchsu-chung in dessen Wohnhaus statt. Der Betroffene war na-turgemäß sehr verärgert über die polizeiliche Maß-nahme. Dass er zu cholerischen Reaktionen neigte, warden Einsatzkräften vorher bekannt. Nicht bekannt aberwar, dass dieser Bürger Waffenbesitzer ist. Erst als imNachtschrank des Beschuldigten eine geladene Hand-feuerwaffe gefunden wurde, war allen die potenzielleGefahr klar.Meine Damen und Herren, ich selbst war der Durch-suchungsführer vor Ort und kann Ihnen deshalb versi-chern, dass es ein sehr bescheidenes Gefühl ist, wennman erkennt, dass diese Aktion durchaus auch andershätte enden können.Für den Beschuldigten ging es an diesem Tag durch-aus um seine wirtschaftliche Existenz. Kurzschlussreak-tion und Gelegenheit in Kombination sind gefährlich.Darüber dürften wir uns einig sein.Im Übrigen ist es auch bei Bedrohungslagen enormwichtig, dass Einsatzkräfte sehr schnell wissen, ob Ge-fährder an Waffen kommen können – zum Beispieldurch das Elternhaus oder Großeltern – und um welcheWaffen es sich dabei handelt.bteDlesashlesanüwfüwDDfüvs
Im Großen und Ganzen weist der Antrag der Grünenlso in die richtige Richtung. Es gilt der Satz: Der Worteind genug gewechselt, lasst uns nun endlich Taten se-en. – Dies möchte ich auch an die SPD richten.
Zu einer Erklärung hat der Kollege Scheer das Wort.
Frau Präsidentin! Sehr verehrte Kolleginnen und Kol-
gen! Ich will nur kurz etwas sagen, damit hier kein fal-
cher Eindruck entsteht.
Es gibt in der SPD-Fraktion nicht nur mich, sondern
uch viele andere, die mit dem, was der Kollege der Grü-
en zu dieser Frage hier ausführlich dargelegt hat, mehr
bereinstimmen. – Ich denke, das sollte hier festgestellt
erden.
Danke schön.
Wir halten jetzt einfach fest, dass das unsere Kriterienr eine Erklärung zur Aussprache nicht erfüllt hat. Wirerten das als Kurzintervention und beenden damit dieebatte.Ich schließe die Aussprache.Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage aufrucksache 17/2130 an die in der Tagesordnung aufge-hrten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein-erstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisungo beschlossen.Ich rufe Tagesordnungspunkt 33 a und b auf:a) Beratung des Antrags der Abgeordneten SabineLeidig, Herbert Behrens, Thomas Lutze, weitererAbgeordneter und der Fraktion DIE LINKEZukunft der Bahn – Bürgerbahn statt Börsen-bahn– Drucksache 17/652 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
Haushaltsausschuss
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5236 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 50. Sitzung. Berlin, Freitag, den 18. Juni 2010
Vizepräsidentin Petra Pau
(C)
(B)
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten SabineLeidig, Heidrun Bluhm, Herbert Behrens, weite-rer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKEDen Aufsichtsrat der Deutschen Bahn AGkompetent und demokratisch besetzen– Drucksache 17/2189 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
RechtsausschussAusschuss für Wirtschaft und TechnologieInterfraktionell wird vorgeschlagen, die Reden zudiesem Tagesordnungspunkt zu Protokoll zu nehmen. –Ich sehe, Sie sind damit einverstanden. Es handelt sichum die Reden folgender Kolleginnen und Kollegen:Ulrich Lange und Hans-Werner Kammer für die Unions-fraktion, Uwe Beckmeyer für die SPD-Fraktion, PatrickDöring für die FDP-Fraktion, Sabine Leidig für dieFraktion Die Linke und Dr. Anton Hofreiter für die Frak-tion Bündnis 90/Die Grünen.Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen aufden Drucksachen 17/652 und 17/2189 an die in der Ta-gesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen.Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dannsind die Überweisungen so beschlossen.Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tages-ordnung.Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bun-destages auf Donnerstag, den 1. Juli 2010, 9 Uhr, ein.Die Sitzung ist geschlossen.