Gesamtes Protokol
Die Sitzung ist eröffnet.
Ich darf Sie bitten, bevor wir in unsere Tagesordnung
eintreten, sich für einige Zeit von den Plätzen zu erhe-
ben.
Der Deutsche Bundestag trauert um sein ehemaliges
Mitglied Otto Graf Lambsdorff, der am 5. Dezember
im Alter von 82 Jahren in Bonn verstarb. Otto Graf
Lambsdorff gehörte von 1972 bis 1998, also 26 Jahre,
ununterbrochen dem Deutschen Bundestag an. Als Ab-
geordneter wie als Mitglied der Bundesregierung und
auch danach hat er herausragende Ämter und Aufgaben
für unser Land wahrgenommen.
Otto Graf Lambsdorff wurde am 20. Dezember 1926
in Aachen geboren. Nach dem Besuch von Schulen in
Berlin und der Ritterakademie in Brandenburg an der
Havel nahm er ab 1944 als junger Soldat am Zweiten
Weltkrieg teil. 1946 kehrte er schwer kriegsbeschädigt
aus der Gefangenschaft zurück und machte noch im sel-
ben Jahr sein Abitur. Anschließend studierte Graf
Lambsdorff in Bonn und Köln Rechts- und Sozialwis-
senschaften. Nach den beiden juristischen Staatsexamina
und der Promotion war er von 1955 bis 1977 in verschie-
d
G
F
L
i
S
u
u
L
d
r
u
g
i
d
s
t
P
B
t
Redet
denen Funktionen im Bank- und Versicherungsgewerbe
tätig. Seit 1960 war Otto Graf Lambsdorff zudem als
Rechtsanwalt zugelassen.
1951 trat er der FDP bei, in der er über viele Jahre an
exponierter Stelle wirkte. Seit 1972 gehörte er dem Bun-
desvorstand und seit 1982 auch dem Präsidium seiner
Partei an. Von 1988 bis 1993 war Graf Lambsdorff Bun-
desvorsitzender der FDP. Zudem stand er in den Jahren
1991 bis 1994 als Präsident der Liberalen Internationale
vor.
Nach der Aufgabe seiner Parteiämter wurde Otto Graf
Lambsdorff 1993 zum Ehrenvorsitzenden der FDP sowie
1996 zum Ehrenpräsidenten der Liberalen In
len ernannt. Von 1995 bis 2006 war Graf Lamb
sitzender des Vorstandes der Friedrich-Nau
tung.
)
)
ausschusses
Sammelübersicht 1 zu Petitionen
– Drucksache 17/261 –
b) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses
Sammelübersicht 2 zu Petitionen
– Drucksache 17/262 –
c) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses
Sammelübersicht 3 zu Petitionen
– Drucksache 17/263 –
d) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses
Sammelübersicht 4 zu Petitionen
– Drucksache 17/264 –
e) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses
Sammelübersicht 5 zu Petitionen
– Drucksache 17/265 –
f) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses
Sammelübersicht 6 zu Petitionen
– Drucksache 17/266 –
g) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses
Sammelübersicht 7 zu Petitionen
– Drucksache 17/267 –
P 7 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion der
SPD:
Haltung der Bundesregierung zur Einführung
einer Finanztranssaktionsteuer
P 8 Beratung des Antrags der Abgeordneten René
Röspel, Lothar Binding , Dr. Ernst
Dieter Rossmann, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion der SPD
Innovative kleine und mittlere Unternehmen
stärken – Ein nachhaltiges steuerliches For-
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 12. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2009 903
)
)
Präsident Dr. Norbert Lammert
schungs- und Entwicklungs-Förderkonzept
vorlegen
– Drucksache 17/247 –
Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Haushaltsausschuss
ZP 9 Beratung des Antrags der Abgeordneten
Dr. Martina Bunge, Harald Weinberg, Karin
Binder, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
DIE LINKE
Praxisgebühr und andere Zuzahlungen ab-
schaffen – Patientinnen und Patienten entlas-
ten
– Drucksache 17/241 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Gesundheit
ZP 10 Beratung des Antrags der Abgeordneten Martin
Gerster, Nicolette Kressl, Ingrid Arndt-Brauer,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD
Steuerfreiheit von Zuschlägen für Sonntags-,
Feiertags- und Nachtarbeit erhalten
– Drucksache 17/244 –
Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss
Rechtsausschuss
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Haushaltsausschuss
Von der Frist für den Beginn der Beratungen soll, so-
weit erforderlich, abgewichen werden.
Ich darf außerdem auf zwei nachträgliche Ausschuss-
überweisungen im Anhang zur Zusatzpunktliste auf-
merksam machen:
Der in der 9. Sitzung des Deutschen Bundestages
überwiesene nachfolgende Antrag soll zusätzlich dem
Rechtsausschuss und dem Ausschuss für
Gesundheit zur Mitberatung überwie-
sen werden.
Beratung des Antrags der Abgeordneten Beate
Müller-Gemmeke, Dr. Konstantin von Notz, Kerstin
Andreae, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Persönlichkeitsrechte abhängig Beschäftigter
sichern – Datenschutz am Arbeitsplatz stärken
– Drucksache 17/121 –
Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss
Rechtsausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Gesundheit
Der in der 9. Sitzung des Deutschen Bundestages
überwiesene nachfolgende Antrag soll zusätzlich dem
R
W
A
U
w
d
t
d
D
s
A
t
e
G
t
n
f
p
t
M
e
W
n
S
t
)
)
Ich darf Sie bitten, wieder Platz zu nehmen, damit wir
in die weitere Tagesordnung eintreten können. – Darf ich
darum bitten, dass auch die informellen Verhandlungen
zwischen Parlament und Regierung auf der Regierungs-
bank jetzt wieder dem üblichen geordneten Verfahren
Platz machen?
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 6 sowie die Zu-
satzpunkte 2 bis 5 auf:
6 Abgabe einer Regierungserklärung durch die
Bundeskanzlerin
zum Europäischen Rat am 10./11. Dezember
2009 in Brüssel und zur UN-Klimakonferenz
vom 7. bis 18. Dezember 2009 in Kopenhagen
ZP 2 Beratung des Antrags der Abgeordneten Manuel
Sarrazin, Viola von Cramon-Taubadel, Ulrike
Höfken, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Beitrittsverhandlungen mit Island aufnehmen
– Drucksache 17/271 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Auswärtiger Ausschuss
ZP 3 Beratung des Antrags der Abgeordneten Manuel
Sarrazin, Viola von Cramon-Taubadel, Ulrike
Z
Z
d
r
m
d
M
f
n
i
g
F
n
i
r
s
ß
d
v
b
u1) Ergebnis Seite 914 D
)
)
)
)
)
)
Die Verpflichtung auf das 2-Grad-Ziel bedeutet konkret,
dass die Emissionen von Treibhausgasen bis 2050 im
Vergleich zu 1990 mindestens halbiert werden müssen.
Für die Industriestaaten heißt das, dass sie ihren Ausstoß
bis 2050 um mindestens 80 Prozent reduzieren müssen.
Das ist eine gewaltige Herausforderung.
Zweitens. Wir müssen den Nachweis führen, dass wir
schon heute einen Pfad einschlagen, auf dem wir dieses
Langfristziel erreichen können; denn den Fortschritt im
Klimaschutz können wir nicht erst 2050 bemessen. Wir
brauchen vielmehr mittelfristige Ziele, das heißt vor al-
len Dingen verbindliche und quantitative Ziele für 2020,
gegebenenfalls auch für die Zeit danach. Gemessen an
den Empfehlungen des Klimarates, sind die bisherigen
Zusagen der Industriestaaten noch nicht ausreichend.
Der Klimarat sagt uns, dass wir bis 2020 schon an einem
Punkt angekommen sein müssen, wo wir zwischen min-
d
m
m
–
s
w
p
d
F
s
e
a
b
v
S
d
d
b
t
k
w
H
d
V
1
w
s
T
a
w
s
d
r
w
w
s
e
d
V
v
h
d
4
n
t
1
a
t
R
n
r
d
h
E
D
Drittens. Die Einigung von Kopenhagen muss auch
ie Klimaschutzmaßnahmen der großen Schwellenlän-
er umfassen. Natürlich haben wir Industrieländer eine
esondere Verantwortung. Wir müssen vorangehen. Wir
un dies auch. Deutschland hat immer wieder betont: Wir
önnen 40 Prozent Reduktion bis 2020 schaffen. Wir
ollen auch unserer besonderen Verantwortung als
auptverursacher des Klimawandels in der gesamten In-
ustriezeit gerecht werden. Aber richtig ist auch: Seit
erabschiedung der Klimarahmenkonvention im Jahre
992 in Rio hat sich die Welt völlig verändert. Die Ge-
ichte in der Weltwirtschaft haben sich erheblich ver-
choben. Ein globales Regime für die Begrenzung der
reibhausgase kann Länder wie China und Indien nicht
usklammern. China ist jetzt der größte Emittent welt-
eit und hat die Vereinigten Staaten von Amerika in die-
em Jahr überholt. Selbst wenn wir in den Industrielän-
ern die Treibhausgasemissionen um 100 Prozent
eduzieren würden, die Schwellenländer aber einfach so
eitermachen würden, wie sie es heute machen, würden
ir das 2-Grad-Ziel nicht erreichen können. Dem müs-
en wir Rechnung tragen.
Deshalb führt kein Weg daran vorbei, dass in einem
rsten Schritt der Zuwachs der jährlichen Emissionen
er Schwellenländer begrenzt werden muss. Das wird in
erpflichtungen der Schwellenländer zum Teil in Form
on Erhöhung der Energieeffizienz auch deutlich. China
at zum ersten Mal eine quantitative Verpflichtung auf
en Tisch gelegt, die Energieeffizienz um 40 bis
5 Prozent zu erhöhen. Allerdings reicht das überhaupt
icht aus, weil es letztlich bei einem Wirtschaftswachs-
um von etwa 9 Prozent jährlich eine Reduktion um
,5 Prozent ist. Daran sieht man, wie diese Lücke weiter
ufgeht. Daran müssen wir noch weiter arbeiten. Spätes-
ens 2020 brauchen wir auch von den Schwellenländern
eduktionsziele. Ansonsten können wir das Gesamtziel
icht erreichen.
Viertens. Wir wissen, dass wir verlässliche Finanzie-
ungsmechanismen zur Bekämpfung des Klimawan-
els, aber auch zum Technologietransfer brauchen. Des-
alb brauchen wir einen schnellen Beginn. Die
uropäische Union wird ihren Anteil an 10 Milliarden
ollar oder 7 Milliarden Euro leisten. Das haben wir auf
908 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 12. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2009
)
)
Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel
dem EU-Rat beschlossen. Auch Deutschland leistet sei-
nen Anteil. Aber wir brauchen vor allen Dingen einen
langfristigen Finanzierungsmechanismus; denn ansons-
ten werden wir in Kopenhagen keinen Erfolg haben. Die
Europäische Union hat sich zu diesen langfristigen fi-
nanziellen Zusagen bekannt. Das will ich ausdrücklich
sagen. Aber den Entwicklungsländern reicht es natürlich
nicht, wenn andere Staaten, zum Beispiel die Vereinigten
Staaten von Amerika oder auch Japan, an dieser Stelle
keinen Beitrag leisten. So wird es jetzt in den letzten
Stunden der Kopenhagener Konferenz um das Thema
Reduktion auf der einen Seite gehen, aber auf der ande-
ren Seite vor allen Dingen darum, einen langfristigen Fi-
nanzierungsmechanismus zu finden, mit nur dessen
Hilfe wir aus meiner Sicht erreichen können, dass sich
alle zum 2-Grad-Reduktionsziel bekennen. Um diese
Dinge muss es gehen.
– Herr Trittin, ich nehme Sie gerne mit. Wenn Sie andere
überzeugen, ist es sehr schön. Ich werde mir allergrößte
Mühe geben und auch herzliche Grüße von allen Frak-
tionen dieses Hauses ausrichten. Mal sehen, was es
nützt.
Fünftens und letztens. Wir müssen uns in Kopenha-
gen über das Mandat und den Zeitplan für die Überfüh-
rung der Kopenhagen-Ergebnisse in ein rechtlich ver-
bindliches Abkommen verständigen. Hierbei wird vor
allen Dingen notwendig sein – das ist ein großer Diskus-
sionspunkt mit den Schwellenländern –, dass es einen
einheitlichen internationalen Verifizierungs-, also Über-
prüfungsmechanismus gibt; denn es kann nicht sein,
dass jeder eine Verpflichtung auf den Tisch legt, die
nicht nach einheitlichen Maßstäben überprüft wird. Ich
glaube, wir könnten es schaffen, bis Mitte des Jahres
2010 ein solches Abkommen zu erreichen. Auf jeden
Fall muss es schnell gehen.
Ich bin der festen Überzeugung: Klimaschutz ist auch
bei der Bewältigung der Wirtschafts- und Finanzkrise ei-
ner der Faktoren, die dazu beitragen, dass die Welt sagen
kann: Wir haben die Lehren aus dieser weltweiten inter-
nationalen Krise gezogen. So wie wir bei G 20 gezeigt
haben, dass es uns möglich ist, international zu kooperie-
ren, bietet die Klimakonferenz jetzt die Chance, nicht
nur mit 20 Staaten, sondern mit allen UN-Mitgliedstaa-
ten zu zeigen: Jawohl, wir haben die Lektion verstanden.
Es gibt eine Vielzahl von Problemen, die wir nur interna-
tional gemeinsam lösen können. Deutschland ist bereit,
hierzu seinen Beitrag zu leisten.
Herzlichen Dank.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort erhält zunächst
der Kollege Ulrich Kelber für die SPD-Fraktion.
r
K
r
i
I
w
m
b
i
d
h
s
Z
Z
b
D
l
t
D
h
b
m
g
t
4
w
i
d
t
W
a
z
m
G
r
E
L
E
g
g
4
B
2
s
2
s
A
z
l
iesen brutalen Wortbruch haben wir im Plenum abge-
ehnt, und deswegen gibt es keinen gemeinsamen Auf-
rag.
Wir freuen uns über den breiten Widerstand in
eutschland gegen diesen Versuch, zwei Menschheits-
erausforderungen gegeneinander auszuspielen. Wir ha-
en erwartet, Frau Bundeskanzlerin, dass Sie gemeinsam
it Bundesminister Röttgen Herrn Niebel in den Arm
efallen wären. Leider haben Sie nur zugeschaut.
In Kopenhagen warten jetzt zwei Herausforderungen:
Erstens: die Zurückhaltung der beiden größten Emit-
enten, USA und China. Die USA sind mit nur gut
Prozent der Weltbevölkerung für über 20 Prozent der
eltweiten CO2-Emissionen verantwortlich. In der Tat,
m Kongress wird schon über den Vorschlag des Präsi-
enten gestritten, obwohl dieser Vorschlag nur ein Zehn-
el der deutschen Klimaschutzverpflichtungen erfüllt.
er Führungsmacht in der Welt bleiben möchte, muss
uch führend darin sein, seiner Verantwortung gerecht
u werden. Wir erkennen an, dass in den USA beim Kli-
aschutz manches in Bewegung gekommen ist. Der
röße der Herausforderung wird dieses Land nicht ge-
echt.
Anders, aber nicht weniger wichtig ist der Fall China.
r ist exemplarisch für die großen Schwellenländer. Das
and China hat längst Maßnahmen zur Erhöhung der
nergieeffizienz und zum Klimaschutz ergriffen. Auf-
rund des hohen Wachstums explodieren die Treibhaus-
asemissionen trotzdem. Das chinesische Angebot von
0 Prozent weniger Treibhausgasausstoß pro Einheit
ruttoinlandsprodukt reicht nicht; sonst hätte China bis
020 Länder wie Deutschland auch beim Pro-Kopf-Aus-
toß weit überholt. Das würde zur Erreichung des
-Grad-Ziels nicht ausreichen. Wir erwarten daher eine
chnellere Reduzierung des Anstiegs der Emissionen.
ußerdem braucht es einen Zeitpunkt in den nächsten
ehn Jahren, ab dem die Emissionen in großen Schwel-
enländern absolut sinken.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 12. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2009 909
)
)
Ulrich Kelber
China muss diesen Umstieg aber wesentlich schneller
bewältigen, als es die alten Industriestaaten getan haben;
deswegen hat China einen Anspruch auf technologische
und finanzielle Unterstützung. Was für China gilt, gilt
für die anderen Schwellen- und Entwicklungsländer, vor
allem für die ärmsten Länder der Welt, umso mehr.
Die zweite Herausforderung in Kopenhagen besteht
darin, die Schwellen- und Entwicklungsländer zu
überzeugen, uns beim Kampf gegen den Klimawandel,
den sie nicht verursacht haben, zu unterstützen. Dafür
sind Glaubwürdigkeit und die Bereitschaft, sich finan-
ziell ausreichend zu engagieren, notwendig.
Diese Glaubwürdigkeit und diese Bereitschaft waren tra-
ditionell die deutschen Stärken auf Klimaschutzkonfe-
renzen. Diese Stärken sind noch da; aber sie sind durch
Fehler in den letzten Wochen beschädigt worden, allen
voran durch Bundesminister Niebel, der sich selber zum
Klimaschutzminister erklärt hat, aber gegenteilig han-
delt.
Ich nenne ein weiteres Beispiel dafür. Deutschland
hat angeboten, 420 Millionen Euro jährlich als Anschub-
finanzierung für diesen Umstieg der Schwellen- und
Entwicklungsländer zur Verfügung zu stellen. Das sind
420 Millionen Euro jährlich für eine Aufgabe, die Bun-
desminister Röttgen an dieser Stelle am 3. Dezember
2009 als Überlebensfrage bezeichnet hat, 420 Millionen
Euro für eine Aufgabe, bei der es nach Ihren Worten,
Frau Bundeskanzlerin, um die Grundlagen unseres Le-
bens geht. Diese Aufgabe ist also 420 Millionen Euro
wert. Allein die Subvention für einige Lobbyisten von
Hotelketten ist Ihnen jährlich das Drei- bis Fünffache
wert.
Da werden Sie heute und morgen in Kopenhagen nachle-
gen müssen.
Stellen Sie bitte endlich klar, dass Deutschland so-
wohl zu seiner Zusage steht, 0,7 Prozent des Bruttoin-
landsproduktes für Armutsbekämpfung zu geben, als
auch zu seiner Zusage, zusätzlich – ich wiederhole: zu-
sätzlich – die Gelder für den Klimaschutz zur Verfügung
zu stellen.
Diese dauernden „Niebel-Kerzen“ sind für Deutschland
und für Kopenhagen eine Belastung.
Diese Zusagen stammen nicht nur von Deutschland,
Rede von: Unbekanntinfo_outline
1997 im Rahmen der Konferenz von Kioto und 2007 im
Rahmen der Konferenz von Bali in Ihren jeweiligen
Funktionen. Zu diesen Zusagen gehört natürlich auch
der Verzicht auf den Trick, die Ausgaben, die deutsche
Firmen zur Erfüllung ihrer Klimaschutzaufgaben für
Projekte im Ausland ausgeben, ein zweites Mal als Aus-
gaben für den internationalen Klimaschutz aufrechnen
z
S
R
g
D
c
d
w
w
u
s
r
a
s
a
i
w
f
n
m
k
V
u
M
z
r
K
g
s
V
d
g
d
S
ü
b
t
h
K
s
Ich habe Ihnen gut zugehört, Frau Bundeskanzlerin,
ls Sie über verlässliche Finanzierungsinstrumente ge-
prochen haben. Ich habe diese Aussage als eine Absage
n die Absage von Herrn Niebel an diese Finanzierungs-
nstrumente verstanden. Diese erneute Zurechtweisung
ar dringend notwendig. Mit diesen unsinnigen und ge-
ährlichen Alleingängen der letzten Wochen und Mo-
ate, mit dem öffentlich verkündeten Aus für die Zusam-
enarbeit im Klimaschutz mit China – jetzt soll sie 2010
leinlaut auf Sparflamme fortgesetzt werden –, mit dem
errechnen von Klimaschutz und Armutsbekämpfung
nd jetzt mit der Absage durch den dafür zuständigen
inister an Finanzierungsinstrumente für Entwicklungs-
usammenarbeit und Klimaschutz haben Sie der Konfe-
enz in Kopenhagen und Deutschland schwer geschadet.
Ihnen ist es zu verdanken, dass Deutschland auf einer
limaschutzkonferenz erstmals mit dem peinlichen Ne-
ativpreis „Fossil of the day“ von etwa 450 Klima-
chutzorganisationen ausgezeichnet wurde. Das war im
orreiterland Deutschland beim Klimaschutz bisher un-
enkbar.
Frau Bundeskanzlerin, Sie haben es in der Hand, mor-
en und übermorgen die Fehler von Schwarz-Gelb und
ie Fehler von Herrn Niebel wieder auszugleichen, wenn
ie Ihre Zögerlichkeit in dieser Frage aufgeben, die Sie
berraschenderweise in den letzten Wochen gezeigt ha-
en, nicht in der Zeit zuvor. Wenn Sie zu diesem bewähr-
en deutschen Konsens zurückkehren, kann Deutschland
elfen, Kopenhagen doch noch zu einem Erfolg für den
limaschutz zu machen. Wir hoffen darauf. Wir wün-
chen Ihnen dabei besten Erfolg.
910 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 12. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2009
)
)
Nächste Rednerin ist die Kollegin Birgit Homburger
für die FDP-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Dieser erste Europäische Rat nach dem Inkrafttreten des
Vertrages von Lissabon war wichtig. Ich freue mich da-
rüber, dass das Ziel, für das die FDP seit langem einge-
treten ist, nämlich die EU demokratischer und hand-
lungsfähiger zu machen, mit dem Vertrag von Lissabon
ein großes Stück vorangekommen ist.
Nun gilt es allerdings auch, dass die neuen Spielre-
geln mit Leben erfüllt werden. Wir haben jetzt beispiels-
weise neu eine Hohe Vertreterin für Außen- und Sicher-
heitspolitik. Das Ziel muss sein, dass Europa nach außen
mit einer Stimme spricht. Es hat sich gerade in den letz-
ten Wochen, gerade in der Vorbereitung auf die Konfe-
renz von Kopenhagen, sehr deutlich gezeigt, wie wichtig
das ist. Deswegen ist es wichtig, dass wir beim Aufbau
eines Europäischen Auswärtigen Dienstes vorankom-
men und gemeinsam alles dafür tun, dass die Europäer
weltweit gemeinsam auftreten.
Wir als Deutscher Bundestag haben jetzt auch mehr
Informations- und Beteiligungsrechte. Das ist wichtig.
Wir haben damit in diesem Hause auch eine größere Ver-
antwortung für Europa. Das bedeutet, dass es notwendig
ist, dass die Bundesregierung den Deutschen Bundestag
frühzeitig informiert. Ich bin dankbar, dass die Bundes-
kanzlerin hier heute Morgen diese Zusage gemacht hat.
Frau Bundeskanzlerin, Sie haben deutlich gemacht,
dass Sie erwarten, dass der Deutsche Bundestag seine
Verantwortung wahrnimmt. Ich kann Ihnen sagen: Wir
werden unsere Verantwortung mit Sicherheit wahrneh-
men. Wir werden sehr genau auf die Einhaltung des Sub-
sidiaritätsprinzips achten. Das ist wichtig, auch für die
Akzeptanz der Europapolitik bei den Bürgerinnen und
Bürgern.
Wir beginnen damit bei den Schwerpunktthemen, die
auf diesem Europäischen Rat beschlossen worden sind.
Zunächst einmal ist da die europäische Wachstums-
strategie zu nennen. Die Europäische Kommission soll
vor dem nächsten Europäischen Rat im Frühjahr ein Ar-
beitsdokument in Nachfolge der Lissabon-Strategie für
Wachstum und Beschäftigung vorlegen. Sie, Frau Bun-
deskanzlerin, haben hier heute Morgen schon gesagt,
dass dieses Dokument anders heißen soll. Das ist gut so.
Wir sind aber der Meinung, dass es künftig auch einen
neuen Inhalt braucht. Mehr Wachstum und Beschäfti-
g
d
d
A
t
s
s
d
d
w
h
r
A
a
s
u
s
f
s
d
E
t
v
w
i
D
d
d
K
g
s
A
l
K
k
b
E
d
S
g
s
n
a
a
ondern es muss darum gehen, ein besseres Umfeld zu
chaffen durch bessere steuerliche Voraussetzungen,
urch verbesserte Bildungs- und Forschungspolitik,
urch die Ermöglichung von unverfälschtem Wettbe-
erb im Binnenmarkt und auch dadurch – ich sage das
ier ganz ausdrücklich –, dass die Bemühungen zum Bü-
okratieabbau auf europäischer Ebene verstärkt werden.
ll das sind Punkte, die umgesetzt werden müssen.
Frau Bundeskanzlerin, die EU-Kommission hat ja
uch den Auftrag erhalten, einen Aktionsplan zur Um-
etzung des Stockholmer Programms zur EU-Justiz-
nd -Innenpolitik vorzulegen. Auch dazu haben Sie ge-
prochen. Ich sage Ihnen: Wir werden unsere Kontroll-
unktion sehr genau wahrnehmen. Die FDP ist bei die-
em Punkt der Meinung, dass es bei der Zusammenarbeit
er Sicherheitsbehörden zum Beispiel im Rahmen von
uropol vor allem darauf ankommt, dass ein hohes Da-
enschutzniveau sichergestellt und eine klare Trennung
on Polizei und Nachrichtendiensten vorgenommen
ird. Das sind Dinge, auf die wir achten müssen, wenn
n Europa die entsprechende Strategie beschlossen wird.
Das gilt auch für die Klimakonferenz in Kopenhagen.
iese Klimakonferenz ist ein wichtiger Meilenstein auf
em Weg zu einem verbindlichen Klimaabkommen. In
er Tat müssen uns die Nachrichten, die uns zurzeit aus
openhagen erreichen, sehr traurig stimmen. Ich habe
erade eben eine Eilmeldung gelesen, nach der die däni-
che Regierung angeblich das Ziel eines umfassenden
bkommens aufgegeben hat. Das halte ich für bedenk-
ich. Wir hätten uns gewünscht, dass es bereits jetzt in
openhagen zu einem verbindlichen Klimaabkommen
ommt. Wenn das nicht gelingt, müssen wenigstens ver-
indliche Kernpunkte in Kopenhagen vereinbart werden.
s muss alles dafür getan werden, dass die Chance, die
ieses Mal tatsächlich da ist, nachdem die USA einen
trategiewechsel in der Klimapolitik vollzogen haben,
enutzt wird. Deswegen ist es richtig und wichtig, dass
ich vonseiten der Bundesregierung in Kopenhagen
icht nur der Umweltminister, sondern, Herr Kelber,
uch der Entwicklungshilfeminister – dieser hat ja schon
n der Konferenz teilgenommen –
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 12. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2009 911
)
)
Birgit Homburger
und ab heute auch die Bundeskanzlerin engagieren, die
sich dann noch einmal dafür einsetzen wird, das umzu-
setzen.
Ich sage Ihnen auch sehr deutlich: Deutschland kann
glaubwürdig verhandeln. Unsere Koalition hat der Bun-
desregierung den Rücken gestärkt, indem wir in der letz-
ten Sitzungswoche im Deutschen Bundestag einen Be-
schluss gefasst haben, der an Klarheit nichts zu
wünschen übrig lässt.
Die Selbstverpflichtung Deutschlands, Herr Kelber, bis
2020 die CO2-Emissionen auf nationaler Ebene um
40 Prozent zu reduzieren, auch wenn andere nicht so
weit gehen, stellt ein CO2-Minderungsziel dar, das so
klar noch niemals zuvor vom Deutschen Bundestag be-
schlossen worden ist, auch nicht während Ihrer Regie-
rungszeit.
Darüber hinaus haben wir beschlossen, dass die In-
dustrieländer eine Reduktion der CO2-Emissionen von
mindestens 80 Prozent bis 2050 anbieten sollen. Das ist
ein Entgegenkommen und ein Signal an die Entwick-
lungs- und Schwellenländer.
Ebenso ist es ein wichtiges Signal, dass der Europäi-
sche Rat beschlossen hat, dass die EU-Mitgliedstaaten
die Bemühungen der Entwicklungsländer beim Klima-
schutz mit 2,4 Milliarden Euro per annum unterstützen.
Das alles sind deutliche Signale, dass wir etwas errei-
chen wollen. Das wird auch anerkannt und ernst genom-
men.
Jetzt komme ich zu dem Vorwurf, den Sie hier gerade
vorgetragen haben, Dirk Niebel würde diese Strategie in
irgendeiner Weise konterkarieren. Ich will Ihnen nur ein-
mal sagen, lieber Herr Kelber: Der Versuch in Ihrer
Rede, die im Wesentlichen darin bestanden hat, sich am
Entwicklungshilfeminister abzuarbeiten, ist jedenfalls
keine glaubwürdige Strategie der SPD für eine Klima-
schutzpolitik.
Entgegen dem, was Sie hier gesagt haben, werden die
Gelder eben nicht mit der bisherigen Entwicklungshilfe
verrechnet. Mit den Zusagen, die Deutschland im Euro-
päischen Rat gemacht hat, stehen zusätzliche finanzielle
Mittel für den Klimaschutz zur Verfügung. Deswegen
sage ich Ihnen ganz klar: Das, was Sie hier vorgetragen
haben, sind Ausreden; denn Sie sind – anders als wir in
der Vergangenheit – aus der Opposition heraus nicht be-
r
a
K
b
d
O
n
w
d
h
Z
i
w
i
s
D
t
a
W
s
B
p
U
B
a
d
w
f
i
f
w
f
l
w
t
a
Wenn Sie hier über dieses Thema reden, lieber Herr
elber, dann sagen Sie der interessierten Öffentlichkeit
itte auch, dass Klimaschutzmittel immer, wenn Sie an
er Regierung beteiligt waren, selbstverständlich auf die
DA-Quote angerechnet worden sind. Das war bei Ih-
en so, und das werden wir nicht ändern. Diese Mittel
erden dazu beitragen, dass wir dem 0,7-Prozent-Ziel,
as Sie eingefordert haben, näher kommen. Zur Wahr-
eit gehört auch, Herr Kelber, dass dieses 0,7-Prozent-
iel seit den 70er-Jahren nicht erreicht wurde, auch nicht
n den elf Jahren unter einer sozialdemokratischen Ent-
icklungshilfeministerin.
Das Ziel, in Kopenhagen weitere Länder ins Boot des
nternationalen Klimaschutzes zu holen, ist nicht gegen,
ondern nur mit wirtschaftlicher Vernunft zu erreichen.
eswegen ist es wichtig, dass Klimaschutz auf interna-
ionaler Ebene als Hightechthema intoniert wird, nicht
ls Verzichtserklärung, sondern als zukunftsorientiertes
achstumsthema für die internationale Wirtschaft.
Deshalb, meine sehr verehrten Damen und Herren,
ehen die Koalition im Deutschen Bundestag und die
undesregierung die Klimaschutzpolitik als ein gesamt-
olitisches Ziel an, als ein Ziel, das nicht allein vom
mweltministerium verfolgt, sondern von der ganzen
undesregierung unterstützt wird. Dieser Ansatz hat
uch die Unterstützung der Koalition im Deutschen Bun-
estag. Wenn Sie das nicht mittragen wollen, dann ver-
eigern Sie uns die Unterstützung
ür eine internationale Klimapolitik, die darauf angelegt
st, international voranzukommen und endlich ein Nach-
olgeabkommen zu erreichen. Das ist unser Ziel, und wir
erden, auch wenn Sie uns nicht unterstützen, alles da-
ür tun, dieses Ziel zu erreichen.
Das Wort zu einer Kurzintervention erhält der Kol-
ege Kelber.
Frau Kollegin Homburger, Sie werden sich daran ge-
öhnen müssen, dass Kritik an Ihnen oder einem Minis-
er Ihrer Partei nicht eine Kritik an der Sache ist, sondern
uf die Fehler der jeweiligen Person gemünzt ist.
912 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 12. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2009
)
)
Ulrich Kelber
Sie haben zwei Vorwürfe in meine Richtung gemacht.
Erstens haben Sie gesagt, in Zeiten sozialdemokratischer
Regierungsbeteiligung seien die Ausgaben für die Ent-
wicklungszusammenarbeit nicht so gestiegen, wie wir
das jetzt von Ihnen einfordern. Ich möchte Ihnen dazu
kurz zwei nackte Zahlen präsentieren. Die eine betrifft
den realen Haushalt des entsprechenden Ministeriums in
diesem Jahr, der unter einer sozialdemokratischen Mi-
nisterin um 700 Millionen Euro gegenüber dem Vorjahr
gestiegen ist. Im Haushaltsentwurf unter einem Minister
Ihrer Regierung sind es – das ist die zweite Zahl –
40 Millionen Euro. Das ist nicht einmal ein Inflations-
ausgleich. Allein diese zwei nackten Zahlen widerlegen
Sie.
Der zweite Punkt – der ist wichtig –: Sie versuchen
hier ein Wortspiel. Deutschland hat Vereinbarungen un-
terschrieben, und es gibt persönliche Zusagen der Frau
Bundeskanzlerin, dass wir für den Anstieg der Entwick-
lungszusammenarbeit zusätzliche Mittel für den Klima-
schutz bereitstellen. Sie haben gerade gesagt, gegenüber
dem bisherigen Stand der Mittel für die Entwicklungszu-
sammenarbeit legten Sie etwas drauf. Das ist aber nicht
einmal die Hälfte der Mittel, die wir zugesagt haben. Da-
mit haben Sie den Vorwurf nur bestätigt: Sie wollen die
Zusage, zusätzliche Mittel zur Verfügung zu stellen,
nicht einhalten, sondern die Mittel verrechnen. Vielen
Dank für diese Bestätigung.
Zur Erwiderung Frau Kollegin Homburger.
Herr Kelber, ich habe Ihnen nicht vorgeworfen, dass
es nicht einen entsprechenden Aufwuchs gegeben hätte.
Ich habe Ihnen vorgeworfen, dass das 0,7-Prozent-Ziel
auch in elf Jahren Amtszeit einer sozialdemokratischen
Entwicklungshilfeministerin nicht erreicht worden ist.
Das war der Vorwurf. Dieser Vorwurf ist und bleibt rich-
tig, auch wenn Sie sich dagegen verwahren.
Ich habe deutlich gemacht, dass wir selbstverständ-
lich zusätzliche Mittel in die Hand nehmen. Ich habe das
unterstrichen, was international zugesagt worden ist. Wir
werden sogar über das hinausgehen, was im Haushalts-
entwurf im Augenblick etatisiert ist, und zusätzliche
Mittel zur Verfügung stellen. Denn beim Europäischen
Rat wurden von deutscher Seite, von der Bundeskanzle-
rin über 70 Millionen Euro zusätzlich zugesagt. Das
zeigt Ihnen, dass wir das, was wir versprochen haben,
sehr wohl umsetzen. Es wird zusätzliche Mittel für den
Klimaschutz geben. Im Entwicklungshilferessort sind al-
lein dafür 1 Milliarde Euro eingestellt. Das ist eine
H
l
d
z
z
g
g
h
f
l
s
n
e
w
g
B
z
b
H
d
M
g
s
d
b
w
r
h
e
n
f
w
c
f
S
S
g
Nächster Redner ist der Kollege Dr. Gregor Gysi für
ie Fraktion Die Linke.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Den Streit
wischen Frau Homburger und Herrn Kelber höre ich
war gerne. Das Problem ist aber, dass bisher keine Re-
ierung – egal welche – auch nur in die Nähe der Marke
ekommen ist, die wir uns einmal international gesetzt
atten, nämlich 0,7 Prozent des Bruttoinlandsproduktes
ür wirksame Entwicklungshilfe zur Verfügung zu stel-
en.
Ich mache Ihnen einen Vorschlag, wie wir den Streit
chlichten könnten: Wir beschließen gemeinsam – wenn
icht heute, dann meinetwegen im Januar –, dass wir in
inem jährlichen Rhythmus die Mittel erhöhen, sodass
ir in vier Jahren am Ende dieser Legislaturperiode sa-
en können: Jetzt stellt Deutschland 0,7 Prozent seines
ruttoinlandsprodukts für wirksame Entwicklungshilfe
ur Verfügung. Das könnten wir doch machen. Dann
rauchten Sie sich gar nicht mehr zu streiten.
Die Frau Bundeskanzlerin – sie spricht gerade mit
errn Niebel – hat völlig recht, wenn sie sagt, dass die
rohende Klimakatastrophe das Überleben der
enschheit gefährdet und dass es um Menschheitsfra-
en geht. Ich muss zunächst darauf hinweisen: Es ist
chon interessant, zu sehen, wie sehr sich unsere Bun-
esländer für die Menschheitsfragen interessieren. Ich
itte Sie, einmal einen Blick auf die Bundesratsbank zu
erfen. Dann können Sie feststellen, welches große Inte-
esse unsere Bundesländer an diesen Menschheitsfragen
aben.
Es ist wahr: Wenn die Klimakatastrophe eintritt, wird
s unbeschreibliche Katastrophen geben, auch, aber
icht nur den Untergang von Inselstaaten. Die Bekämp-
ung der Klimakatastrophe ist ebenso wichtig wie der
eltweite Kampf gegen Armut, Elend und Unterdrü-
kung, gegen Tod durch Hunger und gegen Tod durch
ehlende medizinische Versorgung. Herr Niebel, wenn
ie anfangen, das gegeneinander aufzurechnen, machen
ie die Menschheit kaputt. Das kann nicht unsere Heran-
ehensweise sein.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 12. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2009 913
)
)
Dr. Gregor Gysi
Den Schaden hinsichtlich des Klimas haben die In-
dustriestaaten im fossilen Industriezeitalter angerichtet.
Also haben sie doch eine besondere Verantwortung. Der
Treibstoff für die Klimakatastrophe waren und sind
Erdöl und Erdgas. Es geht – das muss man sich eingeste-
hen – um eine neue Produktions- und Konsumtions-
weise, um neue Technologien. Es geht weltweit um die
soziale Frage und in gewisser Hinsicht sogar um die Sys-
temfrage.
Menschen müssen ein Interesse am Schutz und am
Erhalt ihrer natürlichen Lebensgrundlage haben. Die
These, dass wir die Natur zerstören, ist falsch. Das kön-
nen wir gar nicht; so stark ist der Mensch nicht. Ich gebe
Ihnen einmal ein ganz anderes Beispiel: Sie wissen ja,
dass der französische Staat seine Atomwaffenversuche
immer im Ozean in der Nähe des Bikini-Atolls durchge-
führt hat. Dort kann von uns keiner mehr hin, weil dieses
Gebiet stark kontaminiert ist.
– Nun warte doch mal, Frau Künast. Du wirst das auch
noch verstehen.
Dokumentaristen sind dorthin gefahren und haben einen
Film gedreht, weil sie sich dafür interessierten, ob es
dort noch Tiere und Pflanzen gibt. Da stellte sich Fol-
gendes heraus: Der Mensch kann dort nicht mehr existie-
ren; er braucht riesige Schutzanzüge. Alle Pflanzen und
Tiere, die es früher gab, gibt es nicht mehr. Aber es gibt
andere Pflanzen und Tiere, denen es nichts ausmacht,
schwer kontaminiert zu sein.
Was ich erklären will, ist: Die Natur können wir gar
nicht zerstören. Aber wir können die Natur in einem
Grade beschädigen, dass wir, die Menschen, hier nicht
mehr existieren können. Das ist das Problem. Deshalb
brauchte man nur einen einigermaßen klugen Egoismus.
Schon das würde ausreichen, um endlich etwas für den
Klimaschutz zu tun. Leider haben wir so viele doofe
Egoisten, die nicht einmal das begreifen.
Es geht beim Klimaschutz um unsere Kinder, unsere
Enkel, unsere Urenkel. Es geht um die Verhinderung von
Flucht, von Armut, von Naturkatastrophen und von neu-
artigen Kriegen.
Es gibt viele Unternehmen, die sich dabei wohlfüh-
len und auf den Klimaschutz hoffen, und zwar nicht nur
aus egoistischen Interessen, weil sie sich sagen: „Dann
geht es meinen Kindern, Enkeln und Urenkeln besser“,
sondern auch deswegen, weil sie regenerative Energien
und neue Antriebstechniken herstellen sowie energiespa-
rende Maschinen produzieren. Das heißt, sie brauchen
genau diese Entwicklung.
m
n
u
d
S
m
U
h
e
d
k
F
n
t
t
n
u
s
A
s
s
r
e
E
g
M
m
s
d
l
g
k
s
e
f
d
S
S
d
n
s
w
s
h
V
D
F
Rede von: Unbekanntinfo_outline
)
)
ie haben von den erneuerbaren Energien nichts verstan-
en; das ist das Problem.
Danke schön.
Bevor ich dem nächsten Redner das Wort erteile, will
ch das Ergebnis der Wahl der Mitglieder des Parla-
entarischen Kontrollgremiums bekannt geben. Ab-
egebene Stimmkarten 572, alle gültig. Enthalten haben
ich drei Kolleginnen und Kollegen. Von den gültigen
timmen entfielen auf Peter Altmaier 528, Clemens
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 12. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2009 915
)
)
Präsident Dr. Norbert Lammert
Binninger 525, Manfred Grund 526, Stefan Müller 511,
Michael Hartmann 504, Fritz Rudolf Körper 503,
Thomas Oppermann 486, Christian Ahrendt 526,
Hartfrid Wolff 517, Wolfgang Nešković 294, Hans-
Christian Ströbele 326 Stimmen.1)
Die gerade von mir genannten Kolleginnen und Kol-
legen sind mit Ausnahme des Kollegen Nešković alle
mit der erforderlichen Mehrheit gewählt, die ich vorhin
mitgeteilt habe.
Nach § 2 Abs. 3 des Gesetzes ist die Mehrheit von
312 Stimmen erforderlich. Diese hat der Kollege
Nešković nicht erreicht.
Wir setzen die Debatte fort.
Das Wort hat der Kollege Dr. Christian Ruck.
– Das machen wir dann sofort anschließend. Dann fah-
ren wir mit möglichen Geschäftsordnungsüberlegungen
fort.
Der Kollege Christian Ruck hat nun das Wort. Bitte
schön.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Gysi,
ich fand Ihre Ausführungen nicht nur platt und konfus,
Sie sind auch erstaunlich wenig informiert, wenn es um
bestimmte Details geht. Zum Beispiel ist die Diskussion
über den Urwald in Ecuador, die wirklich stattgefunden
hat, vollkommen an Ihnen vorbeigegangen, und auch mit
den letzten Beschlüssen des EU-Rates sind Sie nicht
wirklich vertraut. Ich kann mir den Hinweis nicht ver-
kneifen, dass bei jeder Klimadebatte zunächst einmal die
klimapolitischen Altlasten des real existierenden Sozia-
lismus ausgeräumt werden mussten. Da hatten wir eini-
ges zu tun.
Einen Tag vor dem Ende der Kopenhagener Konfe-
renz ist es in der Tat noch nicht klar, ob wir zu einem
Abschluss kommen. Der Erfolg steht auf Messers
Schneide. Es sind noch dicke Bretter zu bohren. Ich
möchte die dänische Präsidentschaft ausdrücklich bitten,
die Flinte nicht zum falschen Zeitpunkt ins Korn zu wer-
fen, sondern alles zu tun, damit dieses Treffen der Staats-
und Regierungschefs in seiner entscheidenden Phase
doch noch ein Erfolg wird.
Wir wünschen unserer Kanzlerin viel Fortune dabei,
die Steine in gewohnter Erfolgsmanier aus dem Weg zu
räumen. Wir haben mit unserer Delegation in Kopenha-
gen gespürt, wie sehr die Hoffnungen in Kopenhagen
a
s
w
p
K
h
u
E
d
t
m
s
G
l
l
l
d
1
D
K
n
w
W
b
l
v
z
H
k
z
m
t
d
D
3
w
n
u
d
e
d
i
z
C
z
c
w
d
ß
l
A
U1) Namensverzeichnis der Teilnehmer der Wahl siehe Anlage 7
)
)
– Das nehme ich zur Kenntnis. Ich habe keinen Grund,
Herrn Niebel zu widersprechen.
Warum soll ich ihm widersprechen, nachdem er mit
China eine neue Zusammenarbeit in Sachen Klima-
schutz vereinbart hat?
Herr Kollege Ruck, gestatten Sie eine Zwischenfrage
des Kollegen Hoppe?
Gut.
Lieber Herr Kollege Ruck, ich stimme Ihnen völlig
zu: Entwicklungszusammenarbeit und Klimaschutz
müssen zusammengeführt werden; eine gute Entwick-
lungszusammenarbeit ist gleichzeitig immer auch Kli-
maschutz. Hier geht es aber um die finanziellen Ver-
pflichtungen. Ich möchte Sie um Klarheit bitten: Wir
brauchen eine klare Auskunft, ob die Gelder, die bei den
Klimaverhandlungen in Kopenhagen jetzt für den inter-
nationalen Klimaschutz zuzusagen sind, die ab 2013 ver-
pflichtend werden, auf die ODA-Quote, die Teil der Mil-
lenniumsziele ist, angerechnet werden sollen. Ja oder
nein?
Herr Hoppe, Sie kennen meine diesbezügliche Mei-
nung. Ich wiederhole sie gerne noch einmal: Zuerst
erfüllen wir die ODA-Quote mit all dem, was für die
Entwicklungsländer notwendig ist; das bedeutet Armuts-
bekämpfung, Umweltschutz und Klimaschutz. Ich sehe
keinen Grund, angesichts der Finanzmittel, die wir bis
zur Erreichung der ODA-Quote noch aufwachsen lassen
müssen, schon jetzt zu sagen: Hinzu kommen die Klima-
schutzmittel. Dafür sehe ich keinen Grund.
Ich sage noch einmal: Wenn die ODA-Mittel für ei-
nen wirksamen Klimaschutz in den Entwicklungslän-
dern nicht ausreichen, dann müssen wir natürlich die
entsprechenden Mittel nachlegen. Aber warten Sie doch
erst einmal ab, wie weit wir kommen. Ich habe Ihnen ge-
rade gesagt – ich glaube, das ist auch Ihre Meinung –:
Die Bandbreite der Vorstellungen, was für den Klima-
schutz in den Entwicklungsländern ab 2020 notwendig
ist, ist so groß, dass wir erst einmal seriöse Zahlen und
Forschungsergebnisse brauchen; denn sonst können wir
d
D
t
S
E
K
s
a
f
d
d
s
K
v
l
a
t
d
d
r
d
S
a
i
g
S
h
P
s
u
g
d
n
u
F
d
a
w
d
j
w
K
s
g
v
2
u
Das Gleiche gilt für die USA. Wer in anderen Teilen
er Welt Führungsverantwortung beansprucht, muss
etzt auch in der Klimafrage Führung übernehmen. Des-
egen hoffe ich, dass der amerikanische Präsident in
openhagen tatsächlich Führungsverantwortung bei die-
er Schicksalsfrage übernimmt.
Klimapolitik bietet für die Export- und Technolo-
ienation Deutschland eine Chance für ein qualitati-
es Wachstum. Umwelt ist die Wachstumsbranche des
1. Jahrhunderts. Das sehen übrigens auch die Chinesen
nd Inder so; das war ein deutliches Zeichen in unseren
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 12. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2009 917
)
)
Dr. Christian Ruck
Gesprächen in Kopenhagen. Ganz besonders diese bei-
den Länder sind bereit, mit uns, mit unseren Firmen, mit
unserer Wirtschaft, mit unserer Technologie, zusammen-
zuarbeiten. Hier ist Offensive angesagt.
Frau Bundeskanzlerin, die Mehrheit dieses Hauses
und alle wirklichen Klimaschützer drücken Ihnen für
Ihre Mission in Kopenhagen die Daumen.
Das Wort hat nun die Kollegin Renate Künast, Frak-
tion Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau Bun-
deskanzlerin! Herr Ruck, ich glaube, Sie haben uns mit
Ihrer Rede und Ihrer Gesundbeterei fast an die Grenze
des Einschlafens gebracht.
Das ist angesichts dieses Themas schade.
Da wir gerade über den Ticker erfahren, dass Regie-
rungskreise in Dänemark sagen, die dänische Regierung
habe das Ziel eines umfassenden Abkommens mögli-
cherweise schon aufgegeben, will ich eines zur Debatte
hier sagen: Ich glaube, allen voran Sie, Frau Bundes-
kanzlerin, haben die Bedeutung von Kopenhagen nicht
wirklich und wahrhaftig verstanden. Kopenhagen ist
nicht nur die wichtigste Wirtschaftskonferenz, wo man
die alten Lobbyisten befriedigen muss, damit es ein Wei-
ter-so gibt und keine Wettbewerbsregeln, die hier, aber
nicht anderswo gelten, sondern Kopenhagen ist vor al-
lem die wichtigste Klima- und internationale Gerechtig-
keitskonferenz. Das ist das Größte. Was Deutschland
und die Europäische Union bisher vorgelegt haben, wird
dem nicht annähernd gerecht.
Da darf es nicht wie in dem üblichen globalen Ver-
handlungszirkus zugehen, in dem man, bis man in der
letzten Nacht nachgibt, immer sagt, man bewege sich
nicht, in dem die reichen Länder ihre Privilegien bis zur
letzten Nacht mit Klauen und Zähnen verteidigen. Ich
fordere Sie auf: Machen Sie sich von dieser mentalen
Schwerkraft frei. Begreifen Sie das Ganze als das, was
es ist: die zentrale Gerechtigkeitsfrage für die, die
schon heute existenziell unter dem Klimawandel leiden.
Darin liegt auch eine zentrale Chance für uns, die wir
noch nicht so viel leiden; denn wir haben die Möglich-
keit, einen wirtschaftlichen Aufbruch statt einen wirt-
schaftlichen Niedergang zu organisieren. Das ist Kopen-
hagen!
Ich muss Ihnen ehrlich sagen: Dieses Geziehe und
Gezerre geht mir auf die Nerven. Außerdem läuft Ihr
N
n
l
b
l
t
F
h
S
i
v
W
g
k
g
E
L
d
g
W
C
k
h
e
S
U
b
f
B
e
m
l
m
Z
a
4
a
b
W
z
b
A
n
S
u
d
g
f
angen Sie in Kopenhagen damit an! Sagen Sie: Kopen-
agen ist für uns die Chance, endlich den notwendigen
trukturwandel der deutschen Wirtschaft, die geprägt
st von Überkapazitäten und Stellenabbau, einzuleiten.
Es ist so, dass nicht nur der Klimawandel bedrohlich
oranschreitet, sondern dass es gleichzeitig auch einen
ahnsinnsschub bei der Energietechnologieentwicklung
ibt. Ich glaube, hier haben wir ökonomische Möglich-
eiten. Wenn ich als Grüne dies zu begründen hätte – ab-
esehen vom Klimawandel und den Menschen, deren
xistenz bedroht ist und die leiden –, würde ich sagen:
ösen wir in Deutschland, wir als Deutsche in und mit
er Europäischen Union durch ein ganz gezieltes Erbrin-
en von Vorleistungen und durch Voranschreiten einen
ettbewerbsdruck auf andere aus, statt immer zu sagen:
hina oder Obama haben sich noch nicht bewegt. – Wir
önnten vorne sein, Arbeitsplätze schaffen und den Rest
inter uns herziehen, statt eine Schnecke zu sein.
Seien wir ein Leitmarkt! Sagen wir doch: Wir wollen
ine Europäische Union der erneuerbaren Energien. –
teigern wir unsere Produktivität durch den intelligenten
mgang mit Energie statt durch Lohndrückerei! Betrei-
en wir Kostenreduktion zu unserem eigenen Vorteil und
ür den Klimaschutz! Das wäre sinnvoll. Davon, Frau
undeskanzlerin, habe ich von Ihnen aber kein einziges
ngagiertes Wort gehört.
Ich formuliere es einmal so: Ich habe von Ihnen kein
itleidendes Wort gehört über die Sorgen der Entwick-
ungsländer, die Sorgen Afrikas, die Sorgen der Länder
it großen Küstenregionen und der Inseln. Das 2-Grad-
iel ist für Afrika eine Zumutung. Für Afrika heißt das
llgemeine 2-Grad-Ziel, dass es dort um ungefähr
Grad wärmer wird. Das führt dazu, dass sich nicht be-
ckerbares Land, Dürren und Hunger weiter massiv aus-
reiten. Trotzdem stellen Sie sich hier hin und sagen:
ir sind bereit, den CO2-Ausstoß bis 2020 um 40 Pro-
ent zu senken, aber erst dann, wenn sich auch andere
ewegen. – In Afrika kann sich keiner bewegen, und den
frikanern kann man nicht sagen: China bewegt sich
icht, deshalb bewegen auch wir uns nicht. – Bedenken
ie den Zusammenhang zwischen Klimagerechtigkeit
nd Wirtschaft! Bewegen wir uns endlich! Seien wir
as Land, das den Wettbewerb um Effizienz und intelli-
ente neue Lösungen antreibt, und profitieren wir not-
alls sogar selbst davon!
918 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 12. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2009
)
)
Renate Künast
Ich habe in den letzten Tagen an Michail Gorbatschow
gedacht. Ich weiß nicht, ob Sie alle noch in Erinnerung
haben, wie die Situation 1989 war – was damals erreicht
wurde, kommt manch einem heute ja selbstverständlich
vor –: 1989 lebten wir immer noch in einer Blockkon-
frontation. Alles, was sich damals ereignete, zum Bei-
spiel im heutigen Tschechien, insbesondere in Prag, oder
an der ungarischen Grenze, hat uns richtig ins Herz ge-
troffen. Jede und jeder von uns hatte Angst, dass zur
Waffe gegriffen wird. Das gesamte Denken war damals
von den zwei großen Blöcken und Systemen dominiert.
Immer wieder traf es am Eisernen Vorhang aufeinander
und hat sich in alten Kategorien bewegt.
Michail Gorbatschow hat vor dem Fall der Mauer das
Bild vom gemeinsamen europäischen Haus benutzt. Ich
will dieses Bild weiterentwickeln. Dass wir den Klima-
wandel aufhalten, ist von solch existenzieller Bedeutung
und ungefähr so beachtlich wie der Fall der Mauer, mit
dem die Blockkonfrontation beendet wurde. So müssen
wir an dieses Thema herangehen. Wir müssen sagen:
Auf der einen Erde, die wir haben, wollen wir ein ge-
meinsames Haus bauen. Dabei darf nicht gezockt wer-
den, dabei sind keine Bedingungen zu stellen, und dabei
ist keine Zurückhaltung zu üben. Es darf auch nicht da-
rum gehen, Brosamen vom Tisch der Reichen zu bekom-
men. Frau Merkel, ich will, dass Deutschland sagt: Wir
werden anders wirtschaften, und wir werden den ande-
ren bei ihrer Entwicklung helfen.
Frau Merkel, Sie sagen, es macht Sie nervös, ob das
alles wirklich zu schaffen ist. Meines Erachtens ist die
Wahrheit: Sie sind Teil der mentalen Schwerkraft, die
gerade bleiern über Kopenhagen liegt.
Schauen wir uns die beiden Hauptstränge der Ver-
handlungen einmal an: Das eine sind die Reduktions-
ziele, die die Industrieländer anbieten, das andere sind
die Finanzhilfen, um globale Gerechtigkeit zu schaffen.
Bei den Reduktionszielen frage ich mich: Wie kommt
Herr Röttgen eigentlich dazu, mit Grandezza Obama und
die USA zu kritisieren? Natürlich kann man sagen:
Stimmt, die machen zu wenig. – Aber Hochmut kommt
vor dem Fall. Wenn die USA Geld in die technologische
Entwicklung investieren, wird das in einer Größenord-
nung losgehen, dass Sie in einem Jahr hier stehen und
tränenden Auges danach fragen: Wo sind denn die deut-
schen technologischen Entwicklungen? – Halten Sie sich
nicht damit auf, andere zu beschimpfen! Sorgen Sie lie-
ber dafür, dass die Europäische Union selber das Kioto-
Ziel erreicht; denn davon ist auch sie noch weit entfernt.
Frau Merkel, Sie haben in Meseberg große Ziele an-
gekündigt. Sie haben im September 2007 gesagt: Wir
richten unsere Energie- und Klimapolitik neu aus. Sie
haben ein Paket von Maßnahmen entwickelt, die jetzt
Schritt für Schritt umgesetzt werden sollen. Ich weiß
nicht, ob Sie dieses Paket noch nicht aufgegeben haben
o
h
V
b
k
W
b
n
d
m
c
b
b
v
s
v
s
n
b
m
e
b
t
d
m
h
k
b
a
b
d
h
l
S
l
m
h
t
w
G
l
on dem Paket, das Sie angekündigt haben, ist jedenfalls
is jetzt keine einzige Maßnahme in der Realität ange-
ommen.
Außerdem sind das alles Peanuts, Frau Merkel. Das
ärmegesetz ist ein schlafender Riese. Vor kurzem ha-
en Sie gesagt, man solle sich nicht ständig um die Aus-
ahmen kümmern, die es gibt, die Gebäudesanierung sei
er viel größere Teil. Dann fangen Sie doch einmal an
it der Gebäudesanierung! Dachdämmung? Gestri-
hen. Nachtspeicherheizungen sollen bleiben. Die Ge-
äudeenergieausweise sind eine Farce. Sie haben sich
eim Thema Energieeffizienz in die Situation manö-
riert, dass eine Richtlinie, die 2008 umgesetzt sein
ollte, bis heute nicht umgesetzt ist. Im Verkehrsbereich
ertreten Sie wie die Grottenolme die alten, leistungs-
tarken Autos, aber nicht Autos, die heute und morgen
och gekauft werden. Ja, wir haben Kurzarbeit, Kurzar-
eit, Kurzarbeit. Das kommt aber nicht von ungefähr,
eine Herren. Die Krönung ist, dass Sie bei der Frage
iner Energiepolitik in Deutschland bis Oktober 2010
lankziehen. Ihre Methode hindert große und kleine Un-
ernehmen in Deutschland momentan daran, in eine an-
ere Energiepolitik zu investieren. Das ist der Maler-
eister Röttgen, das ist die Bundeskanzlerin.
In NRW wollen Sie den Klimaschutz aus dem Gesetz
erausstreichen, damit Sie in Datteln ein neues Kohle-
raftwerk bauen können. Das ist keine Glaubwürdigkeit
eim Thema Klimaschutz.
Bauen wir doch das gemeinsame Haus auf! Hören wir
uf, auf Kosten anderer zu leben. Dazu, sage ich Ihnen,
rauchen wir nicht nur ein Bekenntnis zur Reduzierung
es CO2-Ausstoßes. Wir brauchen einen zweiten Ver-
andlungsstrang: dass die historischen Verursacher end-
ich Verantwortung übernehmen.
8,5 Milliarden Euro machen Sie mal eben locker als
teuergeschenke für Hotels und Erben; aber nur 2,4 Mil-
iarden Euro wollen Sie geben, um den Ärmsten der Ar-
en, die existenziell unter dem Klimawandel leiden, zu
elfen. Meine Damen und Herren, als Vertreter der größ-
en Volkswirtschaft in der Europäischen Union sollten
ir sagen: Wir toppen das, wir geben unhängig von der
esamtsumme, die zustande kommt, mindestens 10 Mil-
iarden Euro.
Frau Kollegin – –
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 12. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2009 919
)
)
Mein letzter Satz: Wir werden Sie an dem C im Na-
men Ihrer Partei messen. Wir werden nicht zulassen,
dass uns Herr Niebel in einer Vernebelungstaktik vor-
rechnen will, dass wir die ODA-Quote von 0,7 Prozent
des BIP durch Klimaschutzmaßnahmen erfüllt hätten.
Wir sind die Verursacher des Klimawandels. In Ko-
penhagen geht es um das Gemeinsame. Sperren Sie die
armen Länder nicht aus! Gehen Sie endlich in Vorleis-
tung und fangen Sie mit der ökologischen Modernisie-
rung in Deutschland an.
Michael Link ist der nächste Redner für die FDP-
Fraktion.
Herr Präsident! Kolleginnen und Kollegen! Durch die
Tatsache, dass es in der heutigen Debatte um zwei The-
men geht, nämlich um den Europäischen Rat und um
den Klimagipfel, wird nicht nur die kalendarische Zufäl-
ligkeit gezeigt, dass beide Termine übereinstimmen, son-
dern werden wir auch darauf hingewiesen, dass wir über
beide Themen in der Regel erst dann reden, wenn es
nicht klappt.
Beim Klimaschutz ist das offensichtlich, aber auch
mit der EU, mit Europa, beschäftigen wir uns immer
dann wesentlich mehr, wenn wir Probleme haben, wenn
wir in der EU einen Dissens haben und wenn es uns erst
nach sehr langen Debatten gelungen ist, tatsächlich Ver-
träge in Kraft zu setzen, wie das mit dem Vertrag von
Lissabon der Fall ist. Die FDP begrüßt das Inkraft-
treten des Vertrages von Lissabon, wodurch die EU
demokratischer und funktionsfähiger wird.
Herr Kollege Gysi, ich bin wirklich überrascht, dass
Sie hier und heute kein einziges Wort zu Europa und nur
etwas zum Klima gesagt haben. Das ist zwar ein wichti-
ges Thema, aber Sie haben kein einziges Wort zu Europa
und zu diesem Vertrag gesagt, der in Kraft getreten ist.
Kollegin Künast, Sie sind Vertreterin – das kann ich
nun wirklich sagen – einer überzeugten europäischen
Partei, aber auch von Ihnen hätten wir uns gewünscht,
dass Sie ein Wort dazu sagen, wie wir nach den Vorstel-
lungen der grünen Fraktion mit diesen Regeln in Zukunft
im Hohen Hause gemeinsam umgehen;
denn in der Tat: An der Art und Weise, wie wir hier im
Bundestag miteinander umgehen und intern Fragen der
e
d
d
d
d
v
t
s
d
a
n
f
d
V
a
i
g
d
D
t
M
b
k
w
f
w
A
d
B
b
u
v
R
R
s
l
d
t
f
b
o
e
z
P
d
g
n
w
d
s
c
as ist auch unsere klare Linie bei den anstehenden Bei-
rittsverhandlungen mit Mazedonien und Island. Eine
itgliedschaft à la carte und eine Mitgliedschaft mit Ra-
att kann es nicht geben. Wir wollen aber sehr wohl eine
lare Kompetenzabgrenzung. Ich glaube, hier müssen
ir, wie gesagt, intern noch gemeinsam an unseren Ver-
ahren arbeiten.
Der Vertrag von Lissabon ist nicht der große Wurf,
ie es frühere große Verträge waren. An Maastricht und
msterdam sei erinnert. Diese enthielten jeweils große,
eutliche, weitere Visionen und Fortentwicklungen.
eim Vertrag von Maastricht war es der Binnenmarkt,
eim Vertrag von Amsterdam war es die Wirtschafts-
nd Währungsunion – die Vollendung – und natürlich
or allem auch die Weiterentwicklung und Stärkung der
echte des Europäischen Parlaments.
Immerhin: Für Letzteres, für die Stärkung der
echte des Europäischen Parlaments, bringt der Lis-
abon-Vertrag einiges. Vielleicht ist jetzt aber auch wirk-
ich nicht die Zeit für große Visionen; denn davon haben
ie Bürgerinnen und Bürger in der Tat genug. Sie erwar-
en, dass wir handeln. Dazu steht die FDP-Bundestags-
raktion nach den neuen Regeln des Lissabon-Vertrages
ereit. Wir freuen uns, dass die Bundesregierung ganz
ffensiv darangeht. Wir werden sie auch weiterhin daran
rinnern.
Vielleicht noch eine Bitte: Es wäre schön, wenn wir
u einer alten Tradition zurückkommen würden – Herr
räsident, ich komme zum Schluss –, nämlich zu der,
ass wir vor oder nach jedem Europäischen Rat eine Re-
ierungserklärung hören. Dann haben wir nämlich auch
icht das gleiche Problem wie heute, da verständlicher-
eise viele Themen geballt behandelt werden. Ich
enke, Europa verdient es, dass wir bei jedem Europäi-
chen Rat eine Regierungserklärung zu dem entspre-
henden Thema hören.
920 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 12. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2009
)
)
Michael Link
Vielen Dank.
Nächster Redner ist der Kollege Axel Schäfer für die
SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Frau Bundeskanzlerin hat gesagt, dass mit dem Lissa-
bon-Vertrag eine neue, verbesserte Grundlage für die EU
geschaffen worden ist. Sehr richtig! Es muss aber auch
deutlich gesagt werden: Jetzt wird es auf uns hier im
Deutschen Bundestag ankommen, dass wir diesen Ver-
trag mit Leben erfüllen und dass wir ihn in jedem einzel-
nen Bereich der europäischen Politik, in dem wir uns als
Deutsche positionieren, im Geiste der EU und buchsta-
bengetreu – auf Punkt und Komma genau – umsetzen.
Frau Bundeskanzlerin hat mit einem interessanten
Versprecher begonnen. Sie hat gesagt: Die Bundesregie-
rung hat dazu die Rechte des Deutschen Bundestages ge-
setzlich verankert. – Bei allem Respekt: Die Verbesse-
rung der Rechte des Deutschen Bundestages durch
das entsprechende Begleitgesetz, das Integrationsverant-
wortungsgesetz, haben wir erkämpft. Wir haben das
– auch das muss man als Erfolg bezeichnen – in einem
großen Einvernehmen in diesem Hause nicht mit allen,
aber doch mit den meisten hinbekommen. Das ist ein Er-
folg für dieses Haus.
Der Lissabon-Vertrag ist seit dem 1. Dezember in
Kraft. Richten wir den Blick darauf, wie die bisherige
Umsetzung läuft.
Da muss man mit dem neuen Präsidenten, der Außen-
ministerin, der Hohen Beauftragten, und dem deutschen
EU-Kommissar beginnen. Das, was wir dort präsentiert
bekommen haben, ist nicht die beste, sondern höchstens
die erstbeste Lösung. Bei den Kandidatinnen und Kandi-
daten haben der Rat und auch Deutschland keinen Mut,
sondern nur Kleinmut gezeigt. Man hat nicht einmal auf
die guten Kräfte zurückgegriffen, die es in der christde-
mokratischen Parteifamilie gibt. Das war kein guter Start
für die neue Kommission und die neue Spitze in der EU.
Wir haben gestern in einem Gespräch den designier-
ten EU-Kommissar Oettinger befragen können. Das war
wichtig. Ich hoffe in diesem Zusammenhang, dass wir
nicht nur davon reden, in der Europäischen Union von-
einander zu lernen und bestimmte Punkte weiterzuentwi-
ckeln. Es wäre besser, dass wir es nicht erst aus der
Presse erfahren, wenn nach dem Rücktritt eines Minis-
ters eine neue Ministerin präsentiert wird, sondern wenn
e
R
E
B
3
d
ü
e
P
m
m
k
ü
d
d
S
g
p
u
m
S
g
f
v
m
W
k
f
w
U
g
h
b
s
M
F
m
I
w
D
E
S
K
w
D
J
Der dritte Punkt sind künftige Vertragsänderungen
nd Regierungskonferenzen. Eine Frage betrifft den
öglichen Beitritt Islands. Eine andere Frage ist die
itzzahl des Europäischen Parlaments. Das wird die Na-
elprobe in diesem Hause. Es wird die Nagelprobe da-
ür, dass die Bundesregierung in diesem Punkt offensiv
on sich aus alles unternehmen muss, um Einvernehmen
it dem Hohen Hause herzustellen, statt irgendeinen
eg zu finden, um die Regelung dieser Fragen herumzu-
ommen. Das wird noch ein Kampf.
Wir werden sehr genau darauf achten, wie dieses Ver-
ahren läuft, weil es ein Präjudiz für alles andere ist, was
ir in den nächsten Jahren machen, und weil es um die
msetzung sowohl unserer Regelungen als auch dessen
eht, was uns das Bundesverfassungsgericht aufgegeben
at.
Was Island angeht, bin ich sehr gespannt, wenn man
edenkt, was im Wahlkampf von der CDU/CSU zu die-
em Thema gekommen ist. Die CDU/CSU vertritt die
einung, wenn Kroatien beitritt, ist erst einmal Schluss.
ür den Beitritt der Türkei gibt es sowieso keine Zustim-
ung, und Serbien will sie auch nicht. Selbst der Beitritt
slands wird infrage gestellt. Wir sind deshalb gespannt,
ie die Linie der Bundesregierung aussieht.
In einem anderen Punkt sind wir noch mehr gespannt.
azu erwarten wir eine klare Aussage bis Januar. Das
uropäische Parlament soll nach einer Vereinbarung der
taats- und Regierungschefs – also einer ganz großen
onstellation – in dieser Legislaturperiode ausnahms-
eise von 736 auf 754 Mitglieder aufgestockt werden.
as bedeutet, dass ein Parlament, das vertragsgemäß im
uni gewählt worden ist, im Dezember eine Änderung
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 12. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2009 921
)
)
Axel Schäfer
seiner Zusammensetzung erfahren soll. Für die SPD
stelle ich dazu fest: Wir halten das staatsrechtlich, euro-
parechtlich und auch grundsätzlich nach unserem Wahl-
verständnis für höchst problematisch, vielleicht sogar
verfassungswidrig. Das wird man noch prüfen müssen.
Wir halten es aber in besonderer Weise für inakzepta-
bel, Frau Bundeskanzlerin, dass in dem jetzt vorliegen-
den Entwurf vorgesehen ist, dass die 18 Kolleginnen und
Kollegen entweder durch einen Wahlakt oder durch die
Delegation von Abgeordneten der nationalen Parlamente
ins Amt kommen können. Das ist ein Verstoß gegen un-
sere europäische Verfasstheit. Das ist ein Verstoß gegen
Art. 14 Abs. 3 des EU-Vertrags, der klar festlegt: Die
Mitglieder des Europäischen Parlaments werden in all-
gemeiner, freier, gleicher, direkter und geheimer Wahl
gewählt und nicht von nationalen Parlamenten delegiert.
Das werden wir hier nicht zulassen.
Ich appelliere an die Kolleginnen und Kollegen von
FDP, CDU/CSU, Grünen und Linkspartei, dass dies das
gemeinsame Anliegen des Deutschen Bundestages sein
muss. Generationen von Vorvätern und -müttern haben
in diesem Hause von 1951 bis 1976 für die Direktwahl
des Europäischen Parlaments gekämpft. Wir dürfen
jetzt nicht aufgrund dieser makaberen Konstellation fun-
damentale Verfassungsprinzipien aufgeben. Deutschland
darf nicht zulassen, dass es Regelungen in Europa gibt,
die es ermöglichen, dass Abgeordnete nicht direkt von
den Bürgerinnen und Bürgern gewählt werden. Dafür
werden wir einstehen, und daran werden wir Sie messen.
Thomas Bareiß ist der nächste Redner für die CDU/
CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Wenn ich diese Debatte verfolge, ist mir wich-
tig, zu Beginn meiner Rede auf Folgendes hinzuweisen:
Obwohl Sie, Frau Künast und Herr Kelber, zwanghaft
versuchen, hier konträre Positionen aufzubauen, gibt es
in der Bevölkerung eine klare Zielsetzung für mehr Kli-
maschutz. Diese klare Zielsetzung für weniger Emissio-
nen und Ressourcenschonung ist vor allen Dingen ein
Verdienst unserer Bundeskanzlerin Angela Merkel. Da-
für sollten wir heute Morgen noch einmal Danke sagen.
Die klare Positionierung in der Bevölkerung, aber
auch in Brüssel und im Europäischen Rat ist von ent-
scheidender Bedeutung. Als wir hier vor zwei Wochen
über die Anträge zu Kopenhagen diskutiert haben, wuss-
t
l
l
ü
U
d
D
g
h
C
R
M
d
1
a
t
v
a
c
d
d
m
w
p
i
V
D
u
C
l
d
J
p
d
s
s
i
G
s
p
u
b
v
w
r
g
k
h
z
l
b
d
s
g
n
k
n
d
)
)
Es müssen aber auch effiziente Kohlekraftwerke eine
Rolle spielen. Ebenso muss die CCS-Technologie eine
Rolle spielen, und eine Verlängerung der Laufzeiten von
Kernkraftwerken spielt gerade im Klimaschutz eine he-
rausragende Rolle für uns.
Auch wenn wir alles dafür tun wollen – über das Ziel
sind wir uns einig –, einen erheblichen Anteil der Ener-
gieerzeugung in den nächsten 40 Jahren auf erneuerbare
Energien umzustellen, und wenn wir es schaffen, die
Energieeffizienz um jährlich 3 Prozent zu steigern, was
wir anstreben und was ein hohes Ziel ist,
müssen wir auch in den kommenden 30 Jahren – auch
darin sind wir uns einig – die Grundlast unserer Energie-
erzeugung bezahlbar und verlässlich sicherstellen.
Ein Instrument für Klimaschutz ist für mich der Markt
für Emissionszertifikate. Um nicht nur national, son-
dern auch international die Emissionen fair zu bepreisen,
brauchen wir ein globales Handelssystem mit Emis-
sionszertifikaten. Ich weiß, das ist nicht einfach. Aber
auch das ist ein hohes Ziel, und wir müssen das Ziel an-
gehen.
Es gab im Vorfeld viele kritische Stimmen zum Ko-
penhagener Klimakongress. Ich habe die Meinung dieser
kritischen Stimmen nie geteilt. Ich glaube, wir stehen
vor einer einmaligen Chance, auf globaler Ebene ambi-
tionierte und verbindliche Ziele und Abmachungen zu
setzen. Ich denke, wir sollten diese Chance nutzen. Ich
wünsche unserer Bundeskanzlerin dafür viel Erfolg.
Herzlichen Dank.
Das Wort hat die Kollegin Dr. Bärbel Kofler für die
SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kolle-
gen! Innerhalb von 14 Tagen treffen wir uns jetzt zum
zweiten Mal, um über den Klimagipfel in Kopenhagen,
über Maßnahmen und vor allem über die Reduzierung
von CO2 miteinander zu diskutieren. Wir haben bereits
v
h
s
r
h
D
W
W
m
h
c
g
d
z
A
U
n
l
d
d
a
s
w
W
g
r
W
g
d
a
r
R
b
c
d
n
a
d
d
–
f
S
–
enn man ehrgeizige Ziele für sich und für andere for-
uliert, dann muss man sie auch mit Haushaltsmitteln
interlegen. Wir als SPD-Fraktion haben vor zwei Wo-
hen aus gutem Grund einen Antrag eingebracht, weil wir
enau dieses tun wollten. Wir haben es getan und uns um
ie Finanzierungsfragen des internationalen Klimaschut-
es und der Entwicklungszusammenarbeit gekümmert.
ls Reaktion auf diesen Antrag wurde vonseiten der
nion und der FDP – leider ist der Entwicklungsminister
icht mehr anwesend – eine Verschärfung ihres ursprüng-
ichen Antrages eingebracht, nämlich die zur Erreichung
es 0,7-Prozent-Ziels notwendigen Mittel vollständig auf
ie Mittel zur Bekämpfung und Reduzierung von Armut
nzurechnen.
Wir haben heute gehört, wie viele Milliarden – drei-
tellige Milliardenbeträge! – nötig sind, um den Klima-
andel wirksam bekämpfen zu können. Ich frage Sie:
ie kann man das tun, ohne gleichzeitig den Kampf ge-
en Armut aufzugeben, wie es vonseiten dieser Bundes-
egierung getan wurde?
as hier passiert, ist eben nicht, wie der Kollege Ruck
esagt hat, das Leisten der notwendigen Hilfe, sondern
as Ausspielen von Armut gegen Klimawandel, nichts
nderes.
Was wir dringend brauchen, ist eine solide Finanzie-
ung sowohl des Kampfes gegen Armut als auch der
eduzierung von CO2 und der Anpassungsmechanismen
ei uns, aber auch weltweit. Die Kritik, dass es eine sol-
he Finanzierung nicht gibt, wird nicht nur von uns, son-
ern auch von unzähligen Nichtregierungsorganisatio-
en geäußert. Kollege Kelber hat bereits den Preis
ngesprochen, den Minister Niebel vor einer Woche be-
auernswerterweise erhalten hat: „fossil of the day“. Ich
arf den Generalsekretär der Welthungerhilfe zitieren
er sieht es so ähnlich, wie wir es in unserem Antrag
ormuliert haben –:
Klimaschutz in armen Ländern ist keine Entwick-
lungshilfe in herkömmlichem Sinn, sondern vor al-
lem die Rückzahlung von Klimaschulden, die die
Industrieländer gemacht haben.
ehr richtig!
Genau wie im Ausschuss.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 12. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2009 923
)
)
Dr. Bärbel Kofler
Ich hätte am heutigen Tag an dieser Stelle sehr gerne
einige deutliche Worte zur grundsätzlichen Frage der
Finanzierung gehört. Wir haben gehört, was wir über die
EU zur Verfügung stellen werden. Schön, es ist ein An-
fang. Was wir nicht gehört haben, ist, wie die mittel- und
langfristigen Ziele aussehen sollen, und vor allem, was
konkret in den nächsten Haushalt eingestellt werden soll.
Angesichts dessen, was ich gestern in der Presse darüber
erfahren habe, welche Haushaltsmittel, zum Beispiel für
wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, in
den Haushalt eingestellt werden sollen, muss ich sagen:
Da hat das Verrechnen offensichtlich schon begonnen.
Wir haben es mit einem Haushaltsentwurf zu tun, der
nicht nur mutlos ist, sondern von einem großen Desinte-
resse des Ministers an diesem Ressort zeugt.
Es ist uns über Jahre regelmäßig gelungen, den Etat
für Entwicklungszusammenarbeit in einer Höhe von
500 Millionen bis 700 Millionen Euro zu steigern. Das
war im Kampf gegen Armut, aber natürlich auch für eine
bessere Gestaltung des Klimawandels richtig und nötig.
Der gestern vorgelegte Haushaltsentwurf mit ganzen
44 Millionen Euro mehr als im vorherigen Haushalt
zeigt doch eines: dass weder Mittel für Armutsbekämp-
fung noch für Klimamaßnahmen zur Verfügung gestellt
werden können. Wo sind diese Mittel? Frau Homburger
hat von 1 Milliarde Euro gesprochen. Diese Mittel sind
weder im Haushalt für Entwicklungszusammenarbeit
noch im Umwelthaushalt. Diese Mittel müssen irgend-
wann einmal veranschlagt werden. Ich wünsche mir,
dass Ihnen das noch bis zu den Haushaltsberatungen im
Januar gelingt. Die Hoffnung stirbt bekanntlich zuletzt.
Ich hätte mir sehr gewünscht, dass hier etwas zu diesen
Finanzierungsfragen gesagt wird, vielleicht noch deutli-
cher, als die Frau Bundeskanzlerin zur Frage der Finanz-
transaktionsteuer gesprochen hat. Selbstverständlich wä-
ren hier eine ganze Menge Mittel für die Entwicklung,
aber auch für den Klimawandel bereitzustellen. Das
Ganze hätte den Charme, dass man die Verursacher welt-
weiter Krisen – sie haben die Entwicklungsländer mit in
die Krise gerissen; die Entwicklungsländer tragen für
diese Krisen in der Regel genauso wenig Verantwortung
wie für die Folgen des Klimawandels; auch da sind sie
nicht die Hauptverursacher – heranzieht und zusätzliches
Geld – im Fachjargon heißt es „fresh money“ – für ver-
nünftige Politik, für Entwicklungszusammenarbeit und
für Klimaschutz zur Verfügung stellen kann.
Das hätte ich mir vor der Reise nach Kopenhagen ge-
wünscht. In den letzten 14 Tagen ist Vertrauen zerstört
worden; Vertrauen, das wir als Deutsche als Partner der
Entwicklungsländer einmal genossen haben. Diese Ko-
alition hat sich von den ODA-Zielen verabschiedet. Da-
mit ist das Vorhaben, 0,51 Prozent des Bruttonational-
einkommens für Entwicklungshilfe bis zum Jahr 2010
auszugeben, obsolet. Das 0,7-Prozent-Ziel steht zwar
n
A
n
K
b
e
k
n
c
v
u
M
v
a
m
f
I
k
A
u
d
u
r
d
n
t
P
v
M
V
g
K
e
n
w
e
w
w
I
ß
l
uch der Herr Westerwelle kennt das. – Meine Damen
nd Herren, man hat den Eindruck, dass so mancher auf
er Klimakonferenz diesen Grundoptimismus anwendet
nd an die Sache nicht mit dem nötigen Nachdruck he-
angeht.
Noch immer behaupten einige Wissenschaftler, dass
ie von den Menschen verursachten CO2-Emissionen
ichts mit dem Klimawandel zu tun haben, und bestrei-
en, dass eine Klimakatastrophe bevorsteht. Mit diesem
roblem müssen wir uns beschäftigen. Wir müssen
orne in der Kette der Ursächlichkeiten beginnen, die im
oment bei den Verhandlungen zu einem Stau führen.
iele Menschen, die wirtschaftliche Interessen verfol-
en, haben ein Interesse daran, dass die Konferenz von
openhagen scheitert. Das muss man zunächst einmal
rkennen.
Für uns als verantwortlich handelnde Politiker kön-
en die Zweifel einiger Wissenschaftler, die diese teil-
eise durch wissenschaftliche Erkenntnisse untermau-
rn können, nicht ausreichen, um zu sagen: Dann lehnen
ir uns zurück, die Mehrheit der Wissenschaftler hat
ohl unrecht. – Es besteht dringender Handlungsbedarf.
ch bin froh, dass insoweit hier in diesem Haus ein gro-
er Konsens besteht.
Die Europäische Union und insbesondere Deutsch-
and haben beim Klimaschutz eine Führungsrolle über-
924 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 12. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2009
)
)
Detlef Seif
nommen. Der Ansatz der Europäischen Union, den Aus-
stoß von Emissionen um 30 Prozent zu reduzieren, wenn
sich andere Industrieländer ebenfalls dazu verpflichten
und sich auch die Entwicklungsländer daran beteiligen,
hat Vorbildfunktion. Man kann jetzt natürlich sagen: Das
reicht nicht, wir müssen noch etwas nachlegen. Aber die
Kanzlerin hat recht, wenn sie sagt: Selbst wenn die Eu-
ropäische Union die Emissionen auf null senkt, reicht
das noch lange nicht aus. Wir müssen doch gemeinsam
versuchen, das angestrebte Ziel zu erreichen.
Herr Gysi, Sie haben gesagt, als Ziel müsse man an-
streben, den Ausstoß von Emissionen bis 2020 um
40 Prozent zu senken. Sicherlich haben Sie recht:
Grundsätzlich sollte das die EU anstreben. Man muss
kein Prophet sein, um zu sagen, dass die Kanzlerin das
ebenfalls gerne machen würde. Aber Sie müssen doch
auch sehen, dass die Kanzlerin wesentlich daran mitge-
wirkt hat, dass wir in der Europäischen Union so weit
sind, wie wir sind. Das sollte man doch einmal anerken-
nen.
Auch zur Forderung, die Mittel zur Soforthilfe für die
Entwicklungsländer von 7,2 Milliarden Euro auf wel-
chen Betrag auch immer zu erhöhen, kann ich nur sagen:
Meine Damen und Herren, wir sind hier nicht auf einem
Basar. Wir müssen mit den Mitteln, die wir im Haushalt
haben, vernünftig umgehen, und wir dürfen kein Geld
verschleudern.
Zunächst einmal müssen Projekte entwickelt werden. Es
muss klar sein, für welche Ziele das Geld eingesetzt
wird.
Wenn das feststeht, dann kann man darüber reden, die
Mittel zu erhöhen. Dagegen hat niemand etwas.
Von einem erfolgreichen Klimaschutzabkommen
kann man letztlich nur sprechen, wenn folgende Voraus-
setzungen erfüllt sind:
Erstens. Jedes Land muss absolute Emissionsreduk-
tionsgrenzen mitteilen. Die Entwicklungsländer müssen
mitteilen, um welchen Prozentsatz sie ihre Emissionen
reduzieren wollen. Was nutzen uns denn Effizienzanga-
ben? Wir wollen doch Ziele erreichen. Wir haben uns bis
2020 bzw. 2050 Ziele gesetzt. Die bloße Aussage, die
Energie effizienter einsetzen zu wollen, reicht nicht;
denn dann haben wir überhaupt keinen Maßstab. Hier
muss China in jedem Fall deutlich nachbessern.
Zweitens. Die beteiligten Staaten müssen den Klima-
schutz engagierter angehen. Ich bin der Meinung, dass
die USA im Moment leider nicht das machen, was im
R
4
A
n
a
v
s
n
g
d
A
r
W
P
r
L
k
k
v
i
H
n
c
H
u
g
s
l
N
W
d
w
i
k
n
Meine Damen und Herren, trotz allem Missmut, den
ch auch bei anderen Themen als Neuling in diesem
ause in den letzten Wochen mitbekommen und ken-
engelernt habe, sollte man immer berücksichtigen, wel-
he internationale Wirkung Äußerungen in diesem
ause haben, dass wir alle an einem Strang ziehen
nd dass die Politik im Ergebnis in die richtige Richtung
eht.
Jetzt rede ich auch gerne zu dem, was Frau Künast ge-
agt hat: Frau Künast, ich bin mir sicher, dass Deutsch-
and mit der Bundeskanzlerin und dem Umweltminister
orbert Röttgen bestens aufgestellt ist.
enn ich eines in den letzten Wochen festgestellt habe,
ann ist das Folgendes: Sie werden immer dann laut, Sie
erden immer dann unsachlich, wenn unser Personal gut
st und wenn unsere Sachpolitik prima ist.
Ich jedenfalls kann der Bundeskanzlerin – damit
omme ich auch zum Schluss; ich will ja meine Redezeit
icht überziehen – und ihrem Delegationsteam alles
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 12. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2009 925
)
)
Detlef Seif
Gute wünschen. Ich weiß, wir haben mit ihr, dem Um-
weltminister und dem Delegationsteam genau die Richti-
gen nach Kopenhagen entsandt.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Kollege Seif, das war Ihre erste Rede im Hohen
Hause. Wir gratulieren Ihnen dazu recht herzlich und
wünschen Ihnen viel Erfolg bei der Arbeit.
Das Wort hat Kollege Andreas Jung für die Unions-
fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Es ist gut, dass die Bundeskanzlerin heute früh, bevor sie
selbst nach Kopenhagen aufbricht, hier im Bundestag
noch einmal eindeutig die deutsche Position in der inter-
nationalen Klimapolitik dargestellt hat. Es ist deutlich
geworden: Es handelt sich um eine ambitionierte Posi-
tion, wir nehmen eine Vorreiterrolle ein. Es ist auch
deutlich geworden: Wir wollen den Erfolg. Sie hat auch
klar gemacht: Erfolg heißt, dass es kein Zurückfallen
hinter die Marke des 2-Grad-Ziels geben darf. Ich
glaube, das ist als Grundlage für diese Verhandlungen
ganz entscheidend.
Ich finde, es ist auch richtig, dass die Bundeskanzle-
rin wie viele andere Staats- und Regierungschefs selbst
nach Kopenhagen gereist ist, um sich dieses Themas an-
zunehmen. Sie zeigt damit wie ihre Kollegen: Das
Thema ist Chefsache. Bisher – wir haben es in den letz-
ten Tagen erleben können – verhandelt die deutsche De-
legation unter der Führung des Bundesumweltministers
mit einer drängenden Rolle, mit einer Vorreiterrolle, mit
einer konstruktiven Rolle. Das wird in Kopenhagen in
der Breite auch anerkannt.
Die Konferenz – das haben wir heute Morgen den Ti-
ckermeldungen in aller Deutlichkeit entnehmen können –
befindet sich jetzt aber in einer Phase, in der die Ver-
handlungen stocken und es teilweise Blockaden gibt.
Deshalb ist es richtig, dass die Staats- und Regierungs-
chefs den Klimaschutz als internationales Topthema zur
Chefsache machen, indem sie selber an den Verhandlun-
gen mitwirken.
In der Tat ist dieser Einsatz notwendig. Er zeigt, Frau
Künast, dass nicht aufgegeben wird, dass die Flinte nicht
ins Korn geworfen wird. Die Kanzlerin wird auch in Ko-
penhagen deutlich machen, dass Deutschland die Vorrei-
terrolle einnimmt, die Sie einfordern. Sie haben einen
Wettbewerb gefordert, in dem wir vorangehen sollen.
Diesem Wettbewerb stellt sich die Bundesregierung. Sie
wartet nicht ab, welche Reduktionsziele andere auf den
T
u
v
m
s
z
D
a
w
t
n
h
m
g
m
t
P
d
U
l
„
i
g
r
i
d
d
d
k
d
k
g
f
c
z
C
l
d
i
D
w
s
z
L
v
g
as zeigt, dass Deutschland seine Vorreiterrolle erfüllt.
Frau Künast, ich wäre fast vom Stuhl gefallen, als
usgerechnet Sie ausgerechnet uns vorgeworfen haben,
ir würden beim Thema Gebäudesanierung zu wenig
un. Ich will daran erinnern, was die Große Koalition,
achdem sie die rot-grüne Regierung abgelöst hat, getan
at: Sie hat die Mittel für die Gebäudesanierung um
ehr als das Dreifache aufgestockt. Das wird jetzt fort-
eführt. Wir machen also bei weitem mehr als Sie da-
als. Damit zeigen wir: Wir setzen uns Ziele und schrei-
en auch bei der Umsetzung offensiv voran.
Es ist wahr, dass jetzt die Industriestaaten in der
flicht sind. Deshalb drängen wir darauf – auch die Bun-
eskanzlerin hat das heute früh getan –, dass auch die
SA ihr Angebot aufbessern und einen größeren Beitrag
eisten. Wenn in Kopenhagen überall plakatiert ist:
Welcome to Hopenhagen“, dann sind damit sicherlich
n allererster Linie die Amerikaner und Präsident Obama
emeint; denn die gemeinsame Hoffnung ist darauf ge-
ichtet, dass die USA die Blockade der Bush-Regierung
n der Klimapolitik aufgeben und offensiv vorangehen.
Frau Künast, Sie können sicher sein: Wenn Obama
ie Blockade aufgibt und die USA offensiv vorangehen,
ann werden die Tränen, die fließen, Freudentränen sein;
enn es wird Freude darüber herrschen, dass wir in einen
onstruktiven Wettbewerb mit den USA und anderen um
ie Führungsrolle unter den Industriestaaten eintreten
önnen.
Ich will zum Thema China kommen, das bereits an-
esprochen worden ist. China versucht auf diesem Gip-
el, sich zum Sprachrohr der Armen dieser Welt zu ma-
hen. Ich glaube, diesen Versuch können wir China, das
u einer Wirtschaftsmacht und zum weltweit größten
O2-Emittenten herangewachsen ist, nicht durchgehen
assen. Vielmehr müssen wir, wie es auch die EU tut,
eutlich machen: Auch die Chinesen müssen am Ende
hren Beitrag leisten.
as ist nicht nur unsere Position, sondern diese Position
ird auch von den ärmsten Entwicklungsländern unter-
tützt, gerade von den Inselstaaten, die gegenüber China
um Ausdruck bringen: Wir spielen in einer anderen
iga, und deshalb müsst ihr euch zu eigenen Beiträgen
erpflichten.
Darauf hinzuwirken, wird die Aufgabe der Bundesre-
ierung, aber auch der Europäischen Union sein. Beson-
926 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 12. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2009
)
)
Andreas Jung
ders Deutschland und die Bundeskanzlerin drängen da-
rauf, dass die EU sich verpflichtet, den CO2-Ausstoß ge-
genüber 1990 bis 2020 um 30 Prozent zu verringern. Ich
will deutlich sagen: Für mich ist nicht vorstellbar, dass
wir am Ende dieses Gipfels hinter diese Ankündigung
zurückfallen; denn wir müssen unserer Vorreiterrolle, die
auch die EU für sich beansprucht, gerecht werden.
Ein weiterer Punkt ist die Finanzierung. Vonseiten
der EU und der Bundesregierung gibt es ganz konkrete
Angebote für die kurzfristige Perspektive bis 2012. Es
wurde ganz konkret von der Bundesregierung gesagt und
vom Bundesumweltminister vor Ort bestätigt, dass das
Geld, das dort fließt, zusätzlich obendrauf kommt und
nicht von dem Geld abgezweigt wird, das wir etwa für
die Armutsbekämpfung einsetzen. Das ist die entschei-
dende Botschaft.
Herr Kelber, wenn Sie und andere jetzt sagen, man
muss das 0,7-Prozent-Ziel erfüllen und man muss noch
zusätzliches Geld obendrauf legen, dann verlangen Sie,
dass die neue Bundesregierung in drei Monaten mehr
macht als Ihre Entwicklungshilfeministerin in drei Wahl-
perioden.
Diesen Versuch halte ich für unredlich. Sie zünden Ne-
belkerzen und tragen mit diesen falschen Informationen
dazu bei, dass nicht etwa Vertrauen wächst, das wir jetzt
dringend brauchen, sondern dass eher Misstrauen gesät
wird. Damit erweisen Sie dem Klimaschutz mit Sicher-
heit einen Bärendienst.
In den nächsten Tagen wird es um Folgendes gehen:
ambitionierte Reduktionsziele und Beiträge für die Fi-
nanzierung, auch langfristige Beiträge, die die EU auf
dem Europäischen Rat in Höhe von 100 Milliarden Euro
bis 2020 gesehen hat. Wenn man sich heute früh die Äu-
ßerungen Äthiopiens anschaut, dann kann man durchaus
eine Bewegung aufeinander zu feststellen. Das macht
uns Hoffnung.
Jetzt geht es darum, gemeinsam hinter der Bundes-
kanzlerin und dem Bundesumweltminister zu stehen.
Wir hoffen auf einen Erfolg des Gipfels in Kopenhagen.
Er darf nicht scheitern.
Herzlichen Dank.
Das Wort hat der Kollege Andreas Lämmel für die
Unionsfraktion.
H
A
b
S
s
w
I
e
m
w
m
d
3
E
s
R
4
D
d
b
S
D
m
d
r
S
t
s
B
s
v
l
s
c
ch möchte kurz auf die Regierungszeit von Rot-Grün
ingehen. Frau Künast, Sie sollten sich diese Zahlen ein-
al anhören. In sieben Jahren rot-grüner Regierungszeit
urden die Aufwendungen für die Entwicklungszusam-
enarbeit um 300 Millionen Euro gesenkt, während in
er Zeit der rot-schwarzen Regierung ein Aufwuchs von
,9 auf 5,7 Milliarden Euro zu verzeichnen war.
in weiterer Punkt, den die SPD geflissentlich ver-
chweigt: Der letzte Haushaltsentwurf der rot-schwarzen
egierung vom Juni wurde an der Stelle um noch einmal
4 Millionen Euro aufgestockt.
a kann man doch wirklich nicht davon sprechen, dass
ie Regierung die Ziele der Entwicklungsarbeit aufgege-
en hätte.
Herr Kelber, ich komme jetzt zu Ihnen.
ie sprachen davon, dass die 420 Millionen Euro, die
eutschland zusätzlich für den Klimaschutz bereitstellen
öchte, Peanuts wären.
Kollege Lämmel, gestatten Sie eine Zwischenfrage
er Kollegin Koczy?
Ja, bitte schön.
Herr Kollege Lämmel, weil es jetzt um die Finanzie-
ung der Entwicklungszusammenarbeit geht, möchte ich
ie fragen: Ist Ihnen bekannt, dass Deutschland auch un-
er der Bundeskanzlerin Angela Merkel bereit war, zuzu-
agen, die Entwicklungsgelder auf 0,51 Prozent des
ruttonationaleinkommens im Rahmen des europäi-
chen Stufenplans aufzustocken, und dass Sie mit dieser
on Ihnen angesprochenen Aufstockung um 44 Mil-
ionen Euro weit darunterliegen? Wahrscheinlich werden
tattdessen bis 2010 3 Milliarden Euro in dem entspre-
henden Haushalt fehlen.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 12. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2009 927
)
)
Verehrte Kollegin, mit den Quoten ist es immer so
eine Sache. Für mich ist die Frage der Quantität noch
lange nicht entscheidend für die Qualität.
– Herr Kelber, wir reden über Steuergeld. Es ist nicht Ihr
Geld, sondern es ist das Geld der Steuerzahlerinnen und
Steuerzahler in Deutschland.
Bundeskanzlerin Merkel regiert immer noch. Das mag
Ihnen zwar nicht gefallen; aber sie wird zu den Zusagen
stehen.
Man muss natürlich sehen, dass auch in Deutschland
und Europa die Haushaltslage aufgrund der Wirtschafts-
und Finanzkrise nicht besser geworden ist. Insofern erin-
nere ich Sie nur an Ihre Regierungszeit. Sie haben die
Mittel immer weiter gesenkt, während wir sie in den
letzten Jahren immer weiter angehoben haben.
Herr Kelber, jetzt zu Ihren 420 Millionen Euro, die
zumindest Ihrer Meinung nach Peanuts sind.
Auch das ist Steuergeld; das muss man immer wieder sa-
gen. Es muss erst einmal erwirtschaftet und erarbeitet
werden, bevor wir mit einem lausigen Federstrich
420 Millionen Euro zusätzlich ausgeben können.
Außerdem ist es scheinheilig, was Sie hier betreiben;
denn Sie sagen nicht, dass die Aufwendungen Deutsch-
lands für Klimaschutzmaßnahmen ein Vielfaches dieses
Betrages ausmachen. Sie verschweigen zum Beispiel,
dass die Verbraucher in Deutschland allein rund 27 Mil-
liarden Euro aufbringen müssen, um im Rahmen der
Energiewende den Solarstrom zu bezahlen. Mit diesen
27 Milliarden Euro leisten die deutschen Verbraucher
– die Privatverbraucher genauso wie die Wirtschaft –
Entwicklungshilfe für China und Japan, weil der deut-
sche Markt mittlerweile zumindest zu 50 Prozent von
asiatischen und damit auch chinesischen Solarmodulen
beherrscht wird. Das haben Sie in Gang gesetzt.
Für uns gelten drei Kriterien, die außerordentlich
wichtig sind, wenn man den Erfolg der Klimaschutzkon-
ferenz in Kopenhagen messen will:
Das Erste ist die Nachprüfbarkeit der Ziele. Da-
rüber wurde heute schon diskutiert; dies ist enorm wich-
tig. Denn es spricht leider keiner mehr davon, dass
Deutschland eines der wenigen Länder in der Welt über-
haupt ist, das die im Rahmen des Kioto-Protokolls ein-
gegangenen Verpflichtungen annähernd erfüllt hat.
D
h
h
w
e
s
h
l
M
d
b
e
d
n
i
g
B
B
s
W
z
e
z
L
s
d
M
z
L
u
e
W
t
w
d
E
W
d
enn die stromintensive Industrie in andere Länder
ieht und vielleicht Arbeitsplätze in Entwicklungsländer
xportiert, dann steigen bei uns in Deutschland die So-
iallasten.
Sie sollten sich eines vor Augen halten: Wenn die
eistungsfähigkeit Deutschlands nicht so stark wäre, wie
ie ist – das ist der deutschen Wirtschaft zu verdanken –,
ann bräuchten wir uns doch überhaupt nicht über die
illiarden zu unterhalten, die wir für diese Programme
ur Verfügung stellen können. Deswegen müssen wir die
eistungsfähigkeit der deutschen Wirtschaft erhalten
nd die Arbeitsplätze in Deutschland sichern. Daher gilt
s, im Rahmen des Klimaschutzabkommens gleiche
ettbewerbsbedingungen überall in der Welt zu garan-
ieren.
Die vorhin genannten Kriterien gelten für uns. Wenn
eltweit die gleichen Bedingungen eingehalten werden,
ann entwickelt sich aus der Klimaschutzkonferenz ein
rfolg.
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
Das Wort zu einer Kurzintervention hat die Kollegin
ieczorek-Zeul.
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich habe mich in
en Diskussionen der letzten Wochen zurückgehalten.
928 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 12. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2009
)
)
Heidemarie Wieczorek-Zeul
Aber da heute Morgen immer wieder Zahlen genannt
worden sind, die verwirrend und falsch sind, will ich da-
ran erinnern, wie der Stufenplan zur Steigerung der Mit-
tel für die Entwicklungszusammenarbeit entstanden ist.
Das 0,7-Prozent-Ziel ist zum ersten Mal in den 70er-Jah-
ren festgelegt worden, aber ohne jede zeitliche Festle-
gung, ohne einen Stufenplan, wie die Mittel gesteigert
werden sollen.
Es gibt nur eine vergleichbare Zahl: Official Develop-
ment Assistance. Diese Quote wird von der OECD
gemessen und ist für alle Länder vergleichbar. Am Ende
der Regierungszeit von Helmut Schmidt lag diese Zahl
bei 0,48 Prozent. Im Jahr 1998, am Ende der Regie-
rungszeit von Helmut Kohl, lag der Wert bei 0,26 Pro-
zent.
Das ist der Stand, den ich im Jahr 1998 als neue Ent-
wicklungsministerin vorgefunden habe. Im Jahr 2001,
unter sozialdemokratischer Regierungsführung von
Gerhard Schröder, haben wir zum ersten Mal einen Stu-
fenplan entwickelt. Dadurch sind überhaupt erst Steige-
rungen zustande gekommen. Damals wurde gesagt, dass
die Zahl bis 2005 EU-weit auf 0,33 Prozent steigen soll;
das haben wir erreicht. Im Mai 2005, auch noch in
Gerhard Schröders Regierungszeit, wurde der EU-Stu-
fenplan festgelegt. Er sieht für den Zeitraum bis 2010
eine Steigerung der Zahl auf 0,51 Prozent vor; bis 2015
soll die Quote auf 0,7 Prozent steigen. Wir werden nun
im Jahr 2009 – so wird vermutet – einen Wert von etwa
0,41 Prozent erreichen.
Ich lege Wert darauf: Die Steigerung der Ausgaben
für Entwicklungszusammenarbeit ist maßgeblich unter
sozialdemokratischem Einfluss erfolgt.
Sie ist schrittweise erfolgt, gemäß dem Stufenplan, der
jetzt von anderen gebrochen wird.
Das ist die Wahrheit; diese sollte einfach zur Kenntnis
genommen werden.
Sie haben das Wort zur Erwiderung.
Meine Damen und Herren! Es ist jetzt eine wilde Auf-
rechnerei in Gang gekommen,
die im Übrigen von Ihrer Rednerin begonnen wurde.
Keiner im Publikum kann überhaupt nachvollziehen,
was Sie hier alles darstellen.
Es bleibt festzuhalten, dass die Aufwendungen für
die Entwicklungszusammenarbeit in der Zeit der Gro-
ßen Koalition von 3,9 auf 5,7 Milliarden Euro angestie-
g
E
E
n
g
u
D
b
0
D
r
J
S
z
f
J
b
H
E
m
H
z
t
t
t
a
s
h
s
g
K
n
f
s
s bleibt festzuhalten, dass das Ausgabevolumen im
euen Haushaltsentwurf der schwarz-gelben Koalition
egenüber dem Haushaltsentwurf der Großen Koalition
m weitere 44 Millionen Euro gesteigert worden ist.
Zu einer weiteren Kurzintervention hat der Kollege
irk Niebel das Wort.
Sehr geehrter Kollege, um die Verwirrung aus der De-
atte zu nehmen, möchte ich Folgendes feststellen: Das
,7-Prozent-Ziel ist im Koalitionsvertrag vereinbart.
ie Frau Bundeskanzlerin hat in der Regierungserklä-
ung hier in diesem Hause festgestellt, dass bis zum
ahre 2012 das 0,7-Prozent-Ziel erreicht werden soll.
ie hatte darüber hinaus festgestellt, dass Entwicklungs-
usammenarbeit keine Neben-, sondern eine Hauptsache
ür die neue Bundesregierung ist.
Es bleibt festzustellen, dass die erreichte Quote im
ahre 2008 bei 0,38 Prozent lag, im Jahr 2009 vermutlich
ei 0,37 Prozent liegen wird und das Ausgabevolumen im
aushaltsentwurf der neuen Bundesregierung für den
inzelplan 23 – Ministerium für wirtschaftliche Zusam-
enarbeit und Entwicklung – im Vergleich zum letzten
aushaltsentwurf der Großen Koalition unter dem so-
ialdemokratischen Finanzminister Peer Steinbrück wei-
erhin anwächst, und zwar um 44 Millionen Euro Barmit-
el zusätzlich.
Das ist weniger, als wünschenswert ist. Vor dem Hin-
ergrund der größten Wirtschafts- und Finanzkrise ist es
ber ein deutliches Signal, dass die entwicklungspoliti-
che Zusammenarbeit für die neue Bundesregierung von
ohem Stellenwert ist. Sie wird auch in Zukunft mit die-
em hohen Stellenwert betrachtet.
Sie haben das Wort zur Erwiderung.
Eigentlich ist es nicht an mir, die Vertreter der jetzi-
en Regierungsmehrheit daran zu erinnern, was in ihrem
oalitionsvertrag steht. Im Koalitionsvertrag steht
ämlich weder ein Zeitziel noch irgendein Stufenplan
ür die Steigerung der Mittel für die Entwicklungszu-
ammenarbeit. Entweder nehmen Sie den Koalitionsver-
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 12. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2009 929
)
)
Heidemarie Wieczorek-Zeul
trag nicht ernst oder Sie haben sich nicht ausreichend um
das Thema gekümmert.
Ich will aus meiner eigenen Erfahrung nur sagen – ich
weiß, dass es manchmal sehr schwierig war –: Das Ein-
zige, was zählt, sind nicht allgemeine Erklärungen, son-
dern Koalitionsverträge und entsprechende Stufenpläne,
die festgelegt sind. Wenn es schwierig wird, sind sie
nämlich der Referenzpunkt in der Auseinandersetzung
mit dem Finanzminister.
Sie haben bei diesen Fragen keinen Schwerpunkt
gesetzt und nicht aufgepasst, dass das entsprechend ver-
ankert wird.
Das wird sich rächen. Es tut mir leid, dass wir uns jetzt
und hier darüber auseinandersetzen müssen, aber ich
finde, Sie sollten Ihre Fehler auch einräumen.
Zur gerade entstandenen Verwirrung: Ich empfehle
uns allen, die Regeln zum Thema Kurzintervention und
die Gründe, wann man zu einem solchen Mittel greifen
kann, nachzulesen. Es geht einerseits um persönliche
Ansprache, andererseits um Auseinandersetzungen mit
Positionen. Insofern war es sicherlich möglich, der Kol-
legin Wieczorek-Zeul die Möglichkeit zur Erwiderung
zu geben. Es wäre auch möglich gewesen, anderen die
Möglichkeit einzuräumen.
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zu den Zusatzpunkten 2 bis 5. Interfrak-
tionell wird die Überweisung der Vorlagen auf den
Drucksachen 17/271, 17/260, 17/246 und 17/235 an die
in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorge-
schlagen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der
Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Die Fraktion Die Linke hat einen Antrag auf Unter-
brechung unserer Sitzung zum Zwecke einer Fraktions-
sitzung gestellt. Ich unterbreche die Sitzung für circa
30 Minuten.
Die unterbrochene Sitzung ist wieder eröffnet.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 7 a bis 7 c auf:
a) Erste Beratung des von der Fraktion der SPD ein-
gebrachten Entwurfs eines … Gesetzes zur
– Drucksache 17/182 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Innenausschuss
Rechtsausschuss
Finanzausschuss
Haushaltsausschuss
d
h
H
–
–
I
–
z
F
M
M
b
d
v
s
d
r
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur
Regelung der gemeinsamen Aufgabenwahr-
nehmung in der Grundsicherung für Arbeitsu-
chende
– Drucksache 17/181 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Innenausschuss
Rechtsausschuss
Finanzausschuss
Haushaltsausschuss mitberatend und gemäß § 96 GO
c) Erste Beratung des von den Abgeordneten
Brigitte Pothmer, Katrin Göring-Eckardt, Markus
Kurth, weiteren Abgeordneten und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Ent-
wurfs eines … Gesetzes zur Änderung des
Grundgesetzes – Ausführung von Bundesge-
setzen auf dem Gebiet der Grundsicherung für
Arbeitsuchende
– Drucksache 17/206 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Innenausschuss
Rechtsausschuss
Finanzausschuss
Haushaltsausschuss
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
ie Aussprache anderthalb Stunden vorgesehen. – Ich
öre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege
ubertus Heil für die SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren!
Ach, das ist billig, Herr Kolb.
Herr Kolb, wenn Sie sonst nichts zu lachen haben in
hrer Koalition, ist das vielleicht ein ganz guter Anlass.
Es geht hier heute um ein ernsthaftes Thema. Es geht
Frau Ministerin von der Leyen, ich freue mich, dass
umindest Sie auf der Regierungsbank sind – um die
rage, wie wir in einem Jahr, 2010/2011, in dem die
assenarbeitslosigkeit droht zu steigen, in dem viele
enschen nicht mehr Arbeitslosengeld I, sondern Ar-
eitslosengeld II beziehen, mit der Arbeitsverwaltung,
er Arbeitsvermittlung in diesem Lande umgehen. Frau
on der Leyen, in diesem Zusammenhang ist mir ange-
ichts Ihres Auftrittes vor der Presse am Montag nach
er ASMK, nach der Arbeits- und Sozialministerkonfe-
enz, das schöne alte Lied von Herbert Grönemeyer und
930 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 12. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2009
)
)
Hubertus Heil
den Fantastischen Vier eingefallen, in dem es heißt: Es
könnte alles so einfach sein, ist es aber nicht.
Worum geht es? Es geht darum, dass wir Ihnen heute
einen Gesetzentwurf vorschlagen, durch den erreicht
werden soll, dass es in Zeiten steigender Arbeitslosigkeit
nicht zu einem Chaos in der Arbeitsmarktpolitik zulasten
von Langzeitarbeitslosen kommt.
Deshalb bitte ich darum, dass Sie einmal mit Ihren Land-
räten reden,
mit den Jobcentern, mit Ihren Arbeitsministern und sich
ein altes Motto von Sir Karl Popper zu Gemüte führen,
nämlich dass gute Politik nichts anderes ist als pragmati-
sches Handeln zu sittlichen Zwecken.
Wir präsentieren Ihnen heute einen Gesetzentwurf,
der schon einmal Konsens war zwischen der damaligen
Bundesregierung und allen Bundesländern. Er hat das
Ziel, die Verfassung zu ändern, um Zentren für Arbeit
und Grundsicherung zu schaffen. Wir wollen nicht zu-
lassen, dass in diesen Zeiten mit Langzeitarbeitslosen
Pingpong gespielt wird. Wir wollen und brauchen Hilfe
aus einer Hand. Machen Sie den Weg dafür frei!
Das gilt auch für die Absicherung der 69 Options-
kommunen. Wir sind bereit, das Grundgesetz zu ändern,
um dies zu ermöglichen. Frau von der Leyen, Sie wis-
sen sehr gut, dass es viele verfassungsrechtliche Be-
denken dagegen gibt, die Entfristung in Bezug auf die
69 Optionskommunen untergesetzlich oder gesetzlich zu
organisieren und nicht durch eine Grundgesetzänderung.
Reden Sie mit dem Deutschen Landkreistag, reden Sie
mit den Landräten von SPD und CDU bzw. CSU in
Deutschland darüber, welche Zunahme an Bürokratie
und Kosten zulasten der Kommunen es geben würde,
wenn die getrennte Aufgabenwahrnehmung, die Sie
wollen, Wirklichkeit würde. Ihr Vorschlag, nicht mehr
Hilfe aus einer Hand, sondern Hilfe unter einem Dach zu
organisieren, funktioniert deshalb nicht, weil es in dieses
Dach, auch verfassungsrechtlich, reinregnet. Deshalb
kann ich nur sagen: Frau von der Leyen, kommen Sie
zurück auf einen vernünftigen Weg!
Wir als SPD-Bundestagsfraktion werden Ihnen, wenn
Sie dazu bereit sind, alle Unterstützung geben, weil wir
in vielen Kommunen Verantwortung tragen und auch als
Oppositionsfraktion Verantwortung für die Menschen in
diesem Land, die von Arbeitslosigkeit betroffen sind,
spüren.
Unser Vorschlag ist dreistufig. Wir sind bereit, die
Zusammenarbeit zwischen Arbeitsverwaltung und Kom-
munen dadurch verfassungsrechtlich abzusichern, dass
wir Zentren für Arbeit und Grundsicherung organisieren.
Wir sind bereit, das Optionsmodell verfassungsrechtlich
a
g
Z
–
K
c
s
s
w
k
e
s
c
b
T
b
–
n
O
L
C
b
u
k
t
L
t
E
H
W
d
I
r
t
b
m
Ja. Das ist ein Gesprächsangebot, das Sie bitte zur
enntnis nehmen.
Ich habe mit einer Reihe von CDU-Landräten gespro-
hen. Ich kenne den einstimmigen Beschluss des Nieder-
ächsischen Landtages – wir kommen beide aus Nieder-
achsen, Frau von der Leyen –, in dem genau dies ge-
ünscht wird: nämlich dass dafür gesorgt wird, dass es
eine getrennte Aufgabenwahrnehmung gibt, sondern
ine Zusammenarbeit im Interesse der arbeitslosen Men-
chen. Wir haben keine Zeit zu verlieren. Die Verunsi-
herung der Menschen, die in der Arbeitsvermittlung ar-
eiten, die Verunsicherung der in den Kommunen
ätigen und vor allen Dingen die Verunsicherung der ar-
eitslosen Menschen sind eine Katastrophe.
Herr Kolb, danke für Ihren Zwischenruf. Ich sage Ih-
en: Wir hatten schon einmal eine Lösung.
laf Scholz hat eine Lösung organisiert, die mit allen
ändern besprochen war. Blockiert wurde sie von der
DU/CSU-Bundestagsfraktion.
Frau von der Leyen, ich wünsche Ihnen für Ihre Ar-
eit mehr Popper und weniger Kauder. Es geht nämlich
m pragmatisches Handeln, nicht um die Ideologie der
onservativen Führung der CDU/CSU-Bundestagsfrak-
ion. Ich erinnere daran, dass Herr Rüttgers und Herr
aumann durch die Arbeit dieser CDU/CSU-Bundes-
agsfraktion im letzten Jahr geradezu blamiert wurden.
s gab einen Konsens, den Herr Rüttgers, Herr Beck und
err Scholz ausgearbeitet hatten.
ir machen Ihnen diesen Vorschlag in der Hoffnung,
ass Sie im Januar nächsten Jahres zu Potte kommen.
hre Eckpunkte stoßen auf keinerlei Akzeptanz.
Frau von der Leyen, eines kann ich Ihnen nicht erspa-
en: Nachdem Sie von den Arbeits- und Sozialminis-
ern der Länder zweimal eine Klatsche bekommen ha-
en – einmal gab es einen fast einstimmigen Beschluss,
it dem sie sich im Grundsatz dagegen aussprachen; am
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 12. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2009 931
)
)
Hubertus Heil
vergangenen Montag haben sie Anforderungen formu-
liert, die sich nicht mit Ihren Eckpunkten decken –, stell-
ten Sie sich vor die Presse und sagten: Ich habe mich
durchgesetzt. Alles ist in Ordnung. – Hier gilt Helmut
Kohls Aussage: Die Realität ist anders als die Wirklich-
keit. – Diesen Satz hat der Mann einmal gesagt, und an
diesem Punkt können wir diesen Satz beweisen.
Ich bitte Sie ganz herzlich, nicht kleinkariert und par-
teitaktisch zu denken nach dem Motto: Wir wollen die
Sozis nicht einbeziehen. – Wir brauchen eine Lösung,
die verfassungsfest ist, die den Lebensrealitäten der
Menschen und den Bedürfnissen der Kommunen ent-
spricht. Deshalb legen wir Ihnen heute einen Gesetzent-
wurf vor, in dem zwei Grundgesetzänderungen vorgese-
hen sind. Wir wollen die Zentren für Arbeit und
Grundsicherung ein für alle Mal absichern, damit nicht
am 1. Januar 2011 in Zeiten steigender Massenarbeitslo-
sigkeit Chaos ausbricht.
Sie stehen jetzt in der Verantwortung. Seien Sie bei die-
sem Thema klüger als Herr Jung – er hatte nicht viel
Zeit –,
und gehen Sie einen vernünftigen Weg. Wenn man sich
verlaufen hat, ist es keine Schande, dies einzugestehen
und umzukehren. Wir laden Sie herzlich dazu ein.
Herzlichen Dank.
Für die Unionsfraktion hat nun der Kollege Thomas
Dörflinger das Wort.
Verehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Heil,
vor dem Hintergrund der Tatsache, dass Sie heute in ers-
ter Lesung einen Gesetzentwurf einbringen, hätte ich er-
wartet, dass Sie auch etwas zu Inhalt und Struktur dieses
Gesetzentwurfes sagen,
statt die Ihnen zur Verfügung stehenden sechs Minuten
für persönliche Angriffe auf die Ministerin zu nutzen.
Das war wenig überzeugend.
Ich habe einen Verdacht, weshalb das so und nicht an-
ders geschehen ist, und habe mich an einen Werbespruch
für einen Schokoriegel erinnert. Vor ungefähr 15 Jahren
hieß es: „Raider heißt jetzt Twix, sonst ändert sich nix.“
Sie wollen uns hier weismachen, die Arge heißt zukünf-
tig ZAG, und sonst ändert sich nichts. Deswegen haben
S
s
a
k
c
w
w
d
m
n
w
D
O
k
d
f
i
i
S
I
c
g
i
d
–
l
D
G
it schätzungsweise 350 neuen Behörden,
euen Verwaltungsstrukturen, neuen Haushaltsverant-
ortungen, neuen Personalbedarfen.
as dient weder den Interessen der Beschäftigten vor
rt, die gegenwärtig in einer Arge oder einer Options-
ommune beschäftigt sind, noch dient es den Interessen
erer, die sich gegenwärtig im ALG-II-Bezug befinden.
Sie haben den Beschluss der CDU/CSU-Bundestags-
raktion vom 13. März 2009, wenn ich das Datum richtig
m Kopf habe, erwähnt. Ich bitte um Verständnis, aber
ch muss Ihnen sagen: Ich bin stolz darauf, dass wir den
cholz-Entwurf seinerzeit abgelehnt haben.
ch habe nämlich an dem Freitag nach dieser Sitzungswo-
he mit dem Landrat in meinem Wahlkreis – Waldshut –
esprochen. Tilman Bollacher hat mir gesagt – rufen Sie
hn an! –: Gott sei Dank habt ihr es abgelehnt. Wir halten
as für keinen zukunftsfähigen Weg.
Ich habe mit dem Deutschen Landkreistag geredet; das
iegt keine drei Tage zurück.
a war wenig Gegenliebe für den von Ihnen vorgelegten
esetzentwurf spürbar.
932 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 12. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2009
)
)
Thomas Dörflinger
Ich sehe durchaus die Berührungspunkte mit dem,
was der Deutsche Landkreistag vertritt, und ich will da-
rauf auch zurückkommen; aber zunächst noch einmal zu
Ihrem Gesetzentwurf und zu dem, was an neuer Büro-
kratie und neuer Verwaltung entstünde. Schauen wir ein-
mal in den Gesetzentwurf hinein!
Bitte schön. – Kollege Heil hat das Wort zu einer
Zwischenfrage.
Sehr geehrter Kollege Dörflinger, danke, dass Sie
meine Zwischenfrage zulassen.
Mit Ihrer Genehmigung, Frau Präsidentin, zitiere ich
aus einem Brief des Niedersächsischen Landkreistages
an den niedersächsischen Ministerpräsidenten Wulff:
Der MK-Beschluss vom 25./26.11., dem auch Nie-
der-sachsen zugestimmt hat, bietet die Chance, eine
breite Mehrheit der Länder für eine Verfassungsän-
derung für ein Argen-Nachfolgemodell zu gewin-
nen. Nachdem da-rüber hinaus erste Signale er-
kennbar sind, dass bei der SPD-Bundestagsfraktion
auch Gesprächsbereitschaft für eine moderate Aus-
weitung der Option besteht, möchten wir im Namen
unserer Mitglieder eindringlich bitten, sich aktiv für
eine zukunftsgerichtete, befriedende und der sozial-
politischen Verantwortung von Bund, Ländern und
Kommunen gerecht werdende Lösung einzusetzen.
Können Sie bestätigen, dass das ein einstimmiger Be-
schluss des Niedersächsischen Landkreistages ist, dass
also die kommunale Front vollständig gegen das steht,
was Sie da vorhaben? Der Deutsche Landkreistag, der
Deutsche Städte- und Gemeindebund und der Deutsche
Städtetag sind nicht Ihrer Meinung. Sie haben uns bisher
auch noch nicht erläutert, was Ihr Modell sein soll. Was
Sie anbieten, ist Chaos zulasten der Arbeitslosen, Herr
Dörflinger.
Zunächst einmal will ich der guten Ordnung halber
bestätigen, dass es diesen einstimmigen Beschluss gege-
ben hat.
Was die – wenn Sie mir diesen martialischen Sprach-
gebrauch erlauben – „Gefechtslage an der kommunalen
Front“ angeht, nehme ich Bezug auf ein Gespräch mit
dem Hauptgeschäftsführer des Deutschen Landkreista-
ges von vor drei Tagen. Professor Henneke hat in diesem
Gespräch ausdrücklich erklärt, dass er bei dem vom
Bundesministerium für Arbeit und Soziales mit dem
Eckpunktepapier skizzierten Weg an der einen oder an-
deren Stelle noch Gesprächsbedarf sieht.
–
t
h
t
v
e
n
–
g
I
s
g
I
d
d
G
s
n
2
n
–
Z
D
s
l
b
B
d
p
M
g
e
Frau Pothmer, immer mit der Ruhe! Ich habe das doch
ar nicht kritisiert.
ch habe nur gesagt, dass es völlig neu ist. Wenn das tat-
ächlich substanziell so gemeint ist, dann können wir
ern darüber reden.
ch fürchte bloß, dass das ein Windei ist.
Herr Kollege Heil, lassen Sie mich noch einmal auf
en Beschluss vom 13. März zurückkommen. Wir befin-
en uns in unserer Skepsis gegenüber dem seinerzeitigen
esetzentwurf aus dem Hause Scholz in guter Gesell-
chaft; denn in einem Eckpunktepapier des Bundesmi-
isteriums für Arbeit und Soziales vom 23. September
008 – auch damals war Olaf Scholz schon Chef in je-
em Hause – heißt es:
Dieser Ansatz
das Zentrum für Arbeit und Grundsicherung –
wird … abgelehnt.
ur Begründung heißt es:
Entscheidender Nachteil bei einer vollständigen Ei-
genständigkeit der ZAG wäre die Kleinteiligkeit
des Verwaltungshandelns, wenn Fragen wie die der
Personalbewirtschaftung, der Haushaltsplanung und
der Liegenschaftsverwaltung dezentral in 370 Ein-
heiten zu regeln wären, was insgesamt ineffizient
wäre.
as war, wie gesagt, schon im September 2008 die Ein-
chätzung des Bundesministeriums für Arbeit und Sozia-
es. Die Einschätzung, dass Ihr Vorschlag nicht praktika-
el ist, ist also keine Erfindung der CDU/CSU-
undestagsfraktion, sondern wird offensichtlich vom fe-
erführenden Hause geteilt.
Ich will ein Wort dazu sagen, wie wir uns die Eck-
unkte der Neukonzeption des SGB II vorstellen. Das
inisterium hat ein Eckpunktepapier vorgelegt. In eini-
en Punkten dieses Eckpunktepapiers stimmen wir über-
in, zu einigen Punkten haben wir noch Gesprächsbedarf.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 12. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2009 933
)
)
Thomas Dörflinger
Erstens. Richtig ist – hierüber herrscht wohl großer
Konsens in diesem Hause –, dass wir für eine Entfris-
tung bei den bestehenden 69 Optionskommunen eintre-
ten.
Zweitens. Wir wollen die Leistungen so gut wie mög-
lich – soweit dies das Urteil des Bundesverfassungsge-
richts vom 20. Dezember 2007 hergibt – aus einer Hand,
zumindest aber unter einem Dach organisieren. Ich
glaube, dass das auch ohne eine Grundgesetzänderung
möglich ist.
Ich sage an dieser Stelle: Ich will die Möglichkeit einer
Grundgesetzänderung nicht für alle Tage ins Nirwana
verweisen. Ich schlage keine Tür zu, Frau Pothmer, auch
vor dem Hintergrund des heute vorgelegten Gesetzent-
wurfs von Bündnis 90/Die Grünen nicht, der, wenn ich
richtig orientiert bin, nicht Gegenstand der Debatte ist.
Er traf erst gestern Abend bei mir ein. Ich hatte noch
keine Gelegenheit, ihn mir intensiv anzuschauen. Bei ei-
nem ersten kursorischen Durchsehen habe ich nur ge-
wisse Unterschiede zu dem gesehen, was uns die Sozial-
demokraten vorgelegt haben.
Ich sage von dieser Stelle aus zu diesem Zeitpunkt aus-
drücklich zu, dass wir uns diesem Vorschlag selbstver-
ständlich mit der notwendigen Akribie widmen und ihn
ernsthaft prüfen werden. Ich will keine Tür von vornhe-
rein zuschlagen.
Ich sage auch, dass uns vor dem Hintergrund, dass
von 240 Kommunen, in denen sich gegenwärtig Arbeits-
gemeinschaften befinden, sich 171 – Stand vorgestern –
schriftlich bereit erklärt haben, es den 69 bestehenden
Optionskommunen gleichzutun und zu optieren, wenn es
die Möglichkeit gäbe, die Pflicht auferlegt wird, die
Frage, ob wir die Möglichkeit, zu optieren, nicht nur
zeitlich verlängern, sondern auch quantitativ ausweiten,
noch einmal intensiv zu prüfen, anstatt diesen Vorschlag
einfach nur mit dem Argument vom Tisch zu fegen, das
sei verfassungswidrig.
Herr Heil, Sie haben vorhin gesagt: Reden Sie mit Ih-
ren Landräten. – Ja, das tun wir gerne. Ich sage: Reden
Sie bitte auch mit Ihren Landräten;
d
d
a
d
v
u
b
V
t
e
K
h
O
V
p
w
n
H
a
d
n
c
d
g
e
B
B
r
M
i
d
B
d
t
t
i
m
enn ich gehe davon aus, dass die 171 Landräte nicht nur
ie Landräte der Union und der FDP sind, sondern dass
uch sozialdemokratische Landrätinnen und Landräte
abei sind, die von Ihnen an dieser Stelle ein konstrukti-
es Verhalten erwarten. Dieser Erwartung schließen wir
ns an.
Ich sage dazu: Das ist ein kritischer Punkt im Hin-
lick auf das Eckpunktepapier des BMAS. Wenn wir die
orgabe des Bundesverfassungsgerichts umsetzen – ge-
rennte Aufgabenwahrnehmung, nach Möglichkeit unter
inem Dach –, dann erwarten wir ein Begegnen von
ommune und Bundesagentur für Arbeit auf Augen-
öhe.
hne zu sehr ins Detail einzusteigen, sage ich: Durch die
orgaben, die auch in der dritten Version des Eckpunkte-
apiers geliefert werden, wird noch nicht das erreicht,
as wir uns als CDU/CSU-Bundestagsfraktion unter ei-
em Begegnen auf Augenhöhe vorstellen.
ier herrscht noch Nachbesserungsbedarf; das will ich
usdrücklich sagen.
Zurück zu Ihrem Gesetzentwurf. Ich komme unter
em Stichwort „Verwaltungsaufbau und Bürokratie“
och einmal im Detail auf den Gesetzentwurf zu spre-
hen. In Art. 1 § 5 ist die Trägerversammlung definiert;
as ist unstrittig. Interessant wird es in Art. 2. In § 18 b
eht es um einen Kooperationsausschuss, in § 18 c um
inen Bund-Länder-Ausschuss, in § 18 d um örtliche
eiräte und in § 18 e – das ist immer noch Art. 2 – um
eauftragte für Chancengleichheit am Arbeitsmarkt, di-
ekt bei der Geschäftsführung angesiedelt.
an stelle sich vor, dass die Gleichstellungsbeauftragte
n einem Landkreis zukünftig dem Kreistag berichtet,
er es zusätzlich noch mit einem Beauftragten oder einer
eauftragten für Chancengleichheit zu tun hat, der bzw.
ie gegenüber der Geschäftsführung der ZAG verpflich-
et bzw. rechenschaftspflichtig ist. Wie das mit Verwal-
ungsvereinfachung und Bürokratieabbau zu vereinbaren
st, ist mir völlig schleierhaft. Das ist kein Weg, den wir
itgehen werden.
934 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 12. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2009
)
)
Thomas Dörflinger
– Die Art und Weise, wie Sie reagieren, zeigt mir, dass
ich an dieser Stelle nicht ganz falsch liege; denn in der
Regel ist es so: Wer schreit, hat unrecht. Es gilt auch der
Satz, dass getroffene Hunde bellen.
Insgesamt erkenne ich durchaus an, dass durch den
neuesten Beschluss der Arbeits- und Sozialminister-
konferenz vom 14. Dezember etwas Bewegung in die
Diskussion gekommen ist. Die von Ihnen skizzierte ein-
heitliche Front der Bundesländer gegenüber dem Bun-
desministerium für Arbeit und Soziales sehe ich zumin-
dest nach diesem Beschluss nicht. Ich sehe vielmehr,
dass von dort signalisiert wird, dass das, was das BMAS
vorgelegt hat, durchaus als tragfähige Grundlage be-
trachtet werden kann, um für die Zukunft zu einer ver-
nünftigen Regelung zu kommen.
Ich komme zum Schluss. Wenn wir ehrlich sind – das
gilt für alle Fraktionen in diesem Hause –, dann waren
die Konstruktion im SGB II und die Umsetzung des
Hartz-IV-Gesetzes insbesondere deswegen nicht opti-
mal, weil sie unter erheblichem Zeitdruck erfolgten bzw.
erfolgen mussten. Das gilt sowohl für das Gesetzge-
bungsverfahren als auch für die Umsetzung vor Ort.
Deswegen sage ich: Jetzt eilt zwar die Zeit, da die Argen
bzw. die Optionskommunen nach dem 31. Dezember des
kommenden Jahres nicht mehr zulässig sind. Aber auch
wenn wir nur ein halbes Jahr Zeit für die Beratung im
Deutschen Bundestag und in den Ausschüssen haben,
dann sollten wir diese Zeit vernünftig nutzen, statt die
Zeit zum obersten Prinzip unserer Arbeitsweise zu erklä-
ren.
Insofern freue ich mich auf eine gute Beratung insbe-
sondere der Eckpunkte aus dem BMAS. Der Gesetzent-
wurf, den uns die SPD-Bundestagsfraktion vorgelegt
hat, ist keine tragfähige Grundlage für die Zukunft.
Herzlichen Dank.
Das Wort hat die Kollegin Katja Kipping für die Frak-
tion Die Linke.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Seit
dem Verfassungsgerichtsurteil sind jetzt zwei Jahre ver-
gangen, in denen keine übergreifende Einigung gelang,
und wir haben noch ein Jahr bis zum Ablauf der Frist.
E
U
u
s
e
e
s
g
u
a
e
I
M
f
I
e
s
p
t
d
s
S
D
H
f
g
d
d
c
z
d
h
r
M
w
L
z
k
i
I
i
u
z
K
F
l
b
Zweitens darf auf keinen Fall passieren, dass das dro-
ende Chaos im Zuge einer möglichen Umstrukturie-
ung am Ende auf dem Rücken der Erwerbslosen und der
itarbeiterinnen und Mitarbeiter der Argen ausgetragen
ird. Wir müssen uns vergegenwärtigen, dass es bei
eistungen nach dem Sozialgesetzbuch II um existen-
ielle Leistungen geht. Wenn das Finanzamt bei der Ein-
ommensteuerberechnung mal einen Fehler macht, dann
st das ärgerlich, aber es hat keine existenziellen Folgen.
m Bereich von Hartz IV geht es aber um Menschen, die
n der Regel kein finanzielles Polster haben, sodass jede
ngerechtfertigte Leistungsverweigerung sofort existen-
ielle Wirkungen hat. Deswegen ist das Mindeste, liebe
olleginnen und Kollegen von der CDU/CSU und der
DP, was Sie angesichts dieses Dilemmas in die Wege
eiten sollten, dass Widersprüche endlich eine aufschie-
ende Wirkung haben.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 12. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2009 935
)
)
Katja Kipping
Bisher ist das nicht der Fall. Es wird aber zu einem Pro-
blem, wenn eine Leistung unrechtmäßig verweigert
wird. Das kommt nicht selten vor. Wir alle wissen, dass
ein Großteil der Widersprüche erfolgreich ist. Einem
Drittel aller Widersprüche wird in Gänze stattgegeben.
Nur noch zur Erinnerung: Wir reden hier über Men-
schen, die kein finanzielles Polster haben. Wie wir wis-
sen, scheiden sich an Hartz IV oft die Geister, ideolo-
gisch und ganz grundsätzlich. Aber die angesprochene
kleine Sofortmaßnahme ist nichts anderes als ein prag-
matischer Schritt. Hier sollten Sie keine ideologische
Abwehrfront aufbauen, sondern die Sache in Angriff
nehmen.
Drittens. Erwerbslosigkeit ist ein gesamtgesellschaft-
liches Problem. Um dieses Problem anzugehen, bedarf
es bundesweit einheitlicher Standards. Auf keinen Fall
darf das Problem der Erwerbslosigkeit auf die Kommu-
nen abgewälzt werden. Vor allem darf sich der Bund
nicht zunehmend aus seiner finanziellen Verantwor-
tung stehlen, wie wir es erst vor wenigen Tagen bei den
Abstimmungen über den Bundesanteil an den Kosten der
Unterkunft erleben konnten.
Als Hartz IV eingeführt wurde, wurden Leistungen
aus einer Hand versprochen. Nun droht möglicherweise
eine Zersplitterung, wenn sich das Modell des Bundes-
ministeriums durchsetzt. Das hieße im Grunde zwei An-
laufpunkte, zwei Anträge und jede Menge mehr Büro-
kratie. Es droht ein Streit über Zuständigkeiten.
Gesetzt den Fall, dass es strittig ist, ob und welche Leis-
tung jemand bekommt: Wer entscheidet dann? Die Kom-
mune? Wie wir wissen, liegt die Fach- und Rechtsauf-
sicht bei den Ländern. Die Bundesagentur für Arbeit?
Wie wir wissen, liegt hier im Zweifelsfall die Rechtsauf-
sicht beim Bund. Vor diesem Hintergrund eines drohen-
den Chaos warnt der Deutsche Sozialgerichtstag aus gu-
tem Grund davor, dass dann, wenn sich das Modell des
Bundesministeriums durchsetzt, mit einer Verdoppelung
der Zahl der Verfahren vor den Sozialgerichten zu rech-
nen ist. Als ob die Sozialgerichte schon heute nur Däum-
chen drehten!
Der Dachverband unabhängiger Erwerbslosen- und So-
zialhilfeinitiativen fordert vor diesem Hintergrund aus
gutem Grund Folgendes: Wir fordern Leistungen aus ei-
ner Hand, nicht nur unter einem Dach. Wir fordern die
Aussetzung jeglicher Diskriminierung und Sanktionie-
rung der Betroffenen. – Mit beiden Forderungen hat der
Dachverband recht. Es bedarf Leistungen aus einer
Hand, und es muss mit den Sanktionen Schluss sein,
wenn es um das Existenzminimum geht.
c
H
K
B
g
e
H
H
E
d
h
V
d
a
e
k
b
s
d
B
z
l
S
l
n
n
w
K
u
s
g
d
a
S
s
z
T
T
n
m
m
t
d
D
s
r
s
d
s
e
n
s gibt eine offizielle Studie der Hans-Böckler-Stiftung,
ie klar besagt: 60 Prozent der ehemaligen Arbeitslosen-
ilfe- und Sozialhilfebezieherinnen und -bezieher haben
erluste. Wir wissen zudem, dass die Regelleistung
eutlich unter der Armutsrisikogrenze liegt. Hartz IV hat
lso die Armut verschärft.
Hartz IV hat aber nicht nur die Situation der Langzeit-
rwerbslosen verschlechtert. Hartz IV hat auch Auswir-
ungen auf die Situation derjenigen, die noch einen Ar-
eitsplatz haben. Eine Studie des IAB hat uns das
chwarz auf weiß verdeutlicht. Im Zuge von Hartz IV ist
ie sogenannte Konzessionsbereitschaft, das heißt die
ereitschaft, niedrigere Löhne und ungesündere Arbeits-
eiten in Kauf zu nehmen, deutlich gestiegen. Das Ganze
äuft nach einem altbekannten Muster: Je schlimmer die
ituation der Erwerbslosen ist und je stärker Erwerbs-
ose stigmatisiert werden, desto eher sind diejenigen, die
och einen Arbeitsplatz haben, bereit, alles zu tun, um
icht auch noch in die Erwerbslosigkeit zu fallen. Des-
egen sagen wir: Die Kämpfe für gute Arbeit und die
ämpfe für garantierte Rechte für Erwerbslose gehören
ntrennbar zusammen.
Hartz IV verschärft auch die Abhängigkeiten zwi-
chen Menschen, die zusammenleben und nach der Be-
rifflichkeit des Sozialgesetzbuches unter das Konstrukt
er Bedarfsgemeinschaft fallen. Ich möchte Ihnen das
n dem Fall einer alleinerziehenden Mutter skizzieren.
ie hat lange Zeit als Floristin gearbeitet und musste
chon in dieser Zeit immer aufstockende Leistungen be-
iehen, weil ihr Einkommen nicht reichte. Sie hat zwei
öchter und hat vor kurzem ihren Job verloren. Die eine
ochter ist in der Pubertät, und die andere Tochter hat
un einen Ausbildungsplatz als Bürokauffrau bekom-
en. Als die Tochter den Ausbildungsplatz bekam, hat
an sich gefreut, hat sogar ein bisschen gefeiert und ge-
räumt. Als man dem Jobcenter aber den neuen Stand in
er Familie mitteilte, bekam die Frau zur Information:
a die Tochter in der Ausbildung zur Bedarfsgemein-
chaft gehört, wird die Ausbildungsvergütung voll ange-
echnet und werden die Leistungen des Jobcenters ent-
prechend verringert. Da die Tochter unter 25 Jahren ist,
arf sie nicht ausziehen und eine eigene Bedarfsgemein-
chaft begründen. – Was ist denn das für ein Signal an
inen jungen Menschen, der sich gerade am Beginn sei-
er Ausbildung befindet?
936 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 12. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2009
)
)
Katja Kipping
Frau von der Leyen, Sie haben in Ihrem alten Ministe-
rium deutlich bewiesen, dass der Begriff Geschlechter-
gerechtigkeit für Sie kein Fremdwort ist. Sie haben auch
im Ausschuss deutlich gemacht, dass Ihnen gerade die
Situation der Alleinerziehenden sehr am Herzen liegt.
Bei dem Konstrukt der Bedarfsgemeinschaft besteht im
Sinne der Geschlechtergerechtigkeit unglaublich viel
Handlungsbedarf. Wir als Linke meinen: Dieses Kon-
strukt gehört abgeschafft.
Hartz IV bedeutet auch Ausgrenzung und Stigmati-
sierung per Gesetz. Sie wissen, dass Sozialdetektive ein-
gesetzt wurden, die den Erwerbslosen teilweise sogar bis
in die Schlafzimmer nachspioniert haben.
Aus all diesen und vielen anderen Gründen mehr gilt für uns
als Linke nach wie vor: Hartz IV muss weg, Hartz IV muss
überwunden werden.
Es ist für uns nicht hinnehmbar, dass in diesem Land
die Unterhaltszahlungen für Menschen gekürzt und diese
sogar bis auf 0 Euro reduziert werden. Es ist für uns
nicht hinnehmbar, dass über die Stigmatisierung von Er-
werbslosen Druck auf die Löhne und damit auf die
Beschäftigten ausgeübt wird. Wir haben Ihnen schon
viele Vorschläge unterbreitet, wie man unserer Meinung
nach Hartz IV überwinden kann. Wir haben Sie mit kon-
kreten Alternativen wie einer sanktionsfreien Mindestsi-
cherung konfrontiert. Das werden wir auch weiter ma-
chen.
Für den womöglich eintretenden Fall, dass Sie sich im
Laufe dieser Wahlperiode noch nicht für unser Modell
der sanktionsfreien Mindestsicherung begeistern kön-
nen, was ich sehr bedauern würde, möchte ich Sie an
eine kleine Maßnahme erinnern, die ich bereits genannt
habe: Sorgen Sie dafür, dass Widersprüche wenigstens
eine aufschiebende Wirkung haben! Vor uns stehen viel
Chaos und Unsicherheit. Sie haben jetzt die Verantwor-
tung dafür, dass diese Politik nicht auf dem Rücken der-
jenigen ausgetragen wird, die wahrlich nichts dafür kön-
nen, nämlich auf dem Rücken der Mitarbeiterinnen und
Mitarbeiter in den Argen sowie dem der Erwerbslosen.
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Das Wort hat der Kollege Dr. Heinrich Kolb für die
FDP-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Ohne Zweifel ist die Organisation der Grundsicherung
und einer erfolgversprechenden und auch flexiblen Ar-
beitsvermittlung für Langzeitarbeitslose das derzeit
w
g
w
v
m
s
h
g
b
D
t
t
j
e
F
n
u
s
W
s
–
A
f
s
B
d
I
d
u
v
g
–
Allerdings müssen wir sehen, dass bei der Organisa-
ion der Argen Fehler gemacht wurden. Die müssen wir
etzt ausbügeln. Diese Fehler fallen in die Verantwortung
ines SPD-Ministers.
ederführend war damals das SPD-geführte Arbeitsmi-
isterium,
nd, Herr Heil, wir haben Zeitdruck, was nicht unwe-
entlich Ihre Schuld ist.
ir haben das Urteil des Bundesverfassungsgerichts
eit Dezember 2007.
Ich weiß doch, was zwischenzeitlich passiert ist. –
ber selbst wenn Sie sich auf den Beschluss der Unions-
raktion vom 13. März beziehen, waren es immer noch
echs Monate zwischen dieser Entscheidung und der
undestagswahl, ein Sechstel der Gesamtfrist, die uns
as Bundesverfassungsgericht gegeben hat.
ch werfe Olaf Scholz vor, dass er mit dem Kopf durch
ie Wand wollte, sich versteift hat
nd nicht seinem Auftrag und seinem Amtseid gemäß
ersucht hat, das Mögliche tatsächlich in einem Bundes-
esetz zu formulieren.
Das ist keine Geschichtsklitterung.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 12. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2009 937
)
)
Dr. Heinrich L. Kolb
Wir müssen jetzt versuchen, in der verbleibenden
Zeit, in den restlichen zwölf Monaten, das Problem zu
lösen. Wir haben am 26. Oktober unsere Koalitionsver-
einbarung unterzeichnet. Schon am 18. November hat
das Kabinett in Umsetzung dieser Koalitionsvereinba-
rung das notwendige Verfahren auf den Weg gebracht.
Am 26. November und am Montag dieser Woche haben
sich die Arbeits- und Sozialminister der Länder zweimal
mit einem ständig weiterentwickelten Eckpunktepapier
des BMAS beschäftigt. Das Kabinett wird sich dem-
nächst mit den neuen Zwischenergebnissen befassen.
Dann wird die Ministerin diese Eckpunkte vorstellen.
Wir werden zügig ein Gesetzgebungsverfahren einleiten.
Schneller kann man das nicht machen. Das will ich für
uns hier ausdrücklich in Anspruch nehmen.
Kollege Kolb, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Brandner?
Ja, bitte.
Herr Abgeordneter Kolb, können Sie bestätigen, dass
die Entwicklung des SGB II eine lange Geschichte ist,
bei der die Länder entsprechende Mitbestimmungsrechte
hatten, und dass der Kompromiss in einem Vermittlungs-
verfahren zustande gekommen ist? Sie erinnern sich an
die Nachtsitzungen des Vermittlungsausschusses und die
großen Sorgen, die dort geäußert wurden. Der Gesetzge-
ber hatte eine klare Ordnungsregelung vorgegeben, die
die jeweiligen Zuständigkeiten eindeutig regelte. Die
Länder hatten aber eine andere Auffassung, die sie im
Vermittlungsausschuss einbrachten.
Wie Sie wissen, hat das Bundesverfassungsgericht
später gesagt: Diese Regelung ist so nicht verfassungs-
konform. – Daraufhin hat gerade Minister Scholz erneut
Vermittlungsvorschläge erarbeitet, und zwar immer mit
dem Ziel, ein solches Vermittlungsverfahren, das nicht
korrigierbar ist, möglichst auszuschließen. Vor diesem
Hintergrund haben alle Länder einen Vorschlag erarbei-
tet, der mit 16:0 Stimmen angenommen wurde und der
auch die Unterstützung der SPD-Bundestagsfraktion
fand. Anders war es bei der CDU/CSU-Bundestagsfrak-
tion: Sie signalisierte teilweise Unterstützung, teilweise
nicht. Wollen Sie dem Minister unter diesem Gesichts-
punkt nach wie vor unterstellen, nicht alles darangesetzt
zu haben, in einem Kompromissverfahren zu einem
Vorschlag zu kommen, der praktikabel ist und der so-
wohl für die Beschäftigten als auch für die Arbeitslosen
Rechtssicherheit bietet?
i
K
d
d
I
S
r
m
z
r
s
l
S
l
e
H
M
M
z
j
M
m
s
d
j
p
s
d
b
p
d
g
n
a
O
d
j
a
d
d
D
M
n diesem Fall war das der Bundesminister für Arbeit und
oziales. Er muss versuchen, die Dinge zusammenzufüh-
en. Da, wo man sieht, dass es Widerstände gibt und dass
an nicht weiterkommt, muss man auch einmal ein Stück
urückgehen und einen neuen Anlauf nehmen. Dafür wa-
en auch nach der Entscheidung der Unionsfraktion noch
echs Monate Zeit, und ein neuer Anlauf ist offensicht-
ich nicht versucht worden.
tattdessen hat man den Entwurf in die Schublade ge-
egt, offensichtlich in der Hoffnung, dass durch Gärung
twas Besseres daraus wird. Aber nicht alles, was gärt,
err Brandner, ist wie ein aufgehender Hefekuchenteig.
anchmal verbirgt sich dahinter auch ein ordinärer
isthaufen; das muss man sagen. Das eine vom anderen
u trennen, ist die Kunst, auf die es ankommt.
Was ich sagen will, ist, Herr Brandner – das muss uns
etzt auch leiten bei dem, was in den kommenden zwölf
onaten zu bewältigen ist –: Die Fäden müssen zusam-
engeführt werden. Das Eckpunktepapier ist – das
agt jedenfalls eine deutliche Mehrheit der Konferenz
er Arbeits- und Sozialminister – eine gute Basis für die
etzt beginnende Diskussion und für den Gesetzgebungs-
rozess. Es sollte unser gemeinsames Interesse sein, die-
en Prozess in höchstens zwölf Monaten – ich bin dafür,
ass es deutlich schneller geht – zu einem Abschluss zu
ringen.
Es ist falsch, Herr Heil, sich jetzt zu versteifen – das
assiert heute in der ersten Lesung der von der SPD und
en Grünen eingebrachten Gesetzentwürfe – und zu sa-
en: Die ZAG sind das allein Seligmachende. Die Grü-
en sagen: Wir wollen die Argen in ihrer heutigen Form
bsichern. Sie sind sogar offen dafür, das Modell der
ptionskommunen auszuweiten. Die Mehrheit der Län-
er hat eine eigene Position. Wenn es so weitergeht, dass
eder auf dem beharrt, was er sich vorstellt, werden wir
m Ende keinen Erfolg haben, und das ginge zulasten
er arbeitsuchenden Menschen in Deutschland, die von
er Grundsicherung leben müssen.
as sollten wir nach Möglichkeit vermeiden. Dieser
einung bin ich schon.
938 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 12. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2009
)
)
Dr. Heinrich L. Kolb
Sie haben heute immerhin – das will ich würdigen,
Herr Heil – ein Signal gegeben, indem Sie gesagt haben:
Wir sind am Ende sogar bereit, über eine moderate Erhö-
hung der Zahl der Optionskommunen zu reden. Aber
das kann nicht die Lösung des Problems sein. Die Lan-
desminister sehen das offensichtlich anders. Ich verstehe
den am Montag gefassten Beschluss so, dass sie fol-
gende Auffassung vertreten: Wir wollen denjenigen, die
optieren wollen, das einmalig ermöglichen. Für alle an-
deren, Bundesagentur und Kommune, bleibt die ge-
trennte Aufgabenwahrnehmung in Form einer Zusam-
menarbeit auf Augenhöhe. – Sie müssen einmal erklären
– Sie melden sich ja gerade zu einer Zwischenfrage,
Herr Heil –, ob Sie unter einer „moderaten Erhöhung“
auch eine Erhöhung auf 170 oder 175 Optionskommu-
nen verstehen. Wenn nein, ist die Frage, woran Sie die
Möglichkeit der Option knüpfen wollen, welche Opti-
onskommunen Sie zulassen wollen und welche außen
vor bleiben müssen. Darüber müssen wir diskutieren.
Wir können direkt in die Diskussion einsteigen, wenn Ih-
nen die Präsidentin eine Zwischenfrage erlaubt.
Wenn Sie mir die Chance geben, Sie zu fragen, ob Ih-
nen der Kollege Heil eine Frage stellen darf, werde ich
das tun.
Logisch.
Bitte.
Lieber Kollege Kolb, danke für die Gelegenheit, dass
Sie erlauben, dass die Präsidentin eine Zwischenfrage
zulässt.
Ich darf Sie daran erinnern und das in eine Frage klei-
den: Haben Sie meine Rede dahin gehend richtig ver-
standen, dass wir drei Dinge als eine Einheit sehen: ers-
tens eine grundgesetzliche Absicherung der Zusammen-
arbeit von Bundesagentur und Kommunen in Fortfüh-
rung der gemeinsamen Arbeit über das ZAG, zweitens
eine verfassungsrechtliche Absicherung der Möglich-
keit, zu optieren, und drittens eine Diskussion über eine
moderate Erhöhung der Zahl der Optionskommunen?
Diese Punkte sind eine Einheit, bei der man sich nicht
nur einen herauspicken darf.
Ich frage Sie deshalb, ob Ihnen folgender Beschluss
bekannt ist, nachzulesen im Heft Der Landkreis, heraus-
gegeben vom Deutschen Landkreistag im Oktober 2009,
der von allen kommunalen Spitzenverbänden getragen
wird:
Zur dauerhaften Absicherung einer rechtlich zwei-
felsfreien Aufgabenerfüllung votierten die kommu-
nalen Spitzenverbände für eine Grundgesetzände-
rung, in der eine gemeinsame Aufgabenwahr-
nehmung von Kommunen und Arbeitsagenturen in
den Arbeitsgemeinschaften ebenso ermöglicht
D
i
c
g
u
m
G
l
s
m
s
n
o
r
–
S
d
m
d
l
k
D
F
G
l
l
D
g
g
I
n
–
s
d
Nein, da sind Sie mir zu schnell, Frau Pothmer.
ie haben schon in Ihrem Gesetzentwurf geschrieben,
ass Sie dies fordern, um die Existenz von Optionskom-
unen auf Dauer zu ermöglichen. Sie gehen davon aus,
ass wir dafür eine Grundgesetzänderung brauchen. Mir
iegen aber Stellungnahmen vor, in denen es heißt: Das
ann man auch anders sehen.
as muss ausgelotet werden. Ich habe große Bedenken,
rau Kollegin Pothmer, dass wir jetzt alle auf eine
rundgesetzänderung dringen, aber am Schluss feststel-
en: Es gibt gar keine Zweidrittelmehrheit für die eine al-
ein selig machende Lösung.
ann sind aber wieder ein paar Monate ins Land gegan-
en.
Lassen Sie uns einmal sehen, was einfachgesetzlich
eht.
ch glaube, die Erhöhung der Zahl der Optionskommu-
en ist auch einfachgesetzlich möglich.
Herr Heil, es gibt durchaus ernstzunehmende unter-
chiedliche Auffassungen zu diesem Thema. Sie kennen
ie vorliegenden Gutachten genauso gut wie ich. Ich
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 12. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2009 939
)
)
Dr. Heinrich L. Kolb
glaube nicht, dass man sich schon auf das eine oder an-
dere versteifen sollte. Wenn wir das tun, dann kommen
wir am Ende nicht zusammen.
– Frau Kramme, Sie müssen Ihr Herz über die Hürde
werfen. Bei dem Vorschlag einer moderaten Erhöhung
der Zahl der Optionskommunen kommt zum Ausdruck,
dass Sie über die Optionen nicht richtig glücklich sind;
Sie waren es von Anfang an nicht. Sie wollten die Op-
tionskommunen nicht, weil Sie das Bundessozialamt, die
zentrale Lösung, wollen, wohingegen wir die individu-
elle Lösung im Interesse der Menschen vor Ort anstre-
ben.
Diesen Unterschied kann ich zwischen uns feststellen.
Die SPD gibt sich in Sonntagsreden immer gerne kom-
munalfreundlich. Aber wenn es dann um die Wurst geht
– Butter bei die Fische –, wenn es darum geht, all dieje-
nigen, die optieren wollen, auch optieren zu lassen, dann
sind Sie für die zentralen, durchorganisierten Einheits-
strukturen. Genau an dieser Stelle treffen Sie auf unsere
Bedenken. Wir wollen und tun das jedenfalls nicht.
Kollege Kolb, gestatten Sie eine weitere Zwischen-
frage, in diesem Fall von der Kollegin Pothmer?
– Das hat sich erledigt. Entschuldigung.
Schade. Die Zwischenfrage hätte ich gerne beantwor-
tet. – Ich meine, wir sollten jetzt wirklich einmal mit
dem Zusammenführungsprozess anfangen.
Die Diskussion darüber muss auf Basis des Eckpunkte-
papiers des BMAS erfolgen.
– Weil das Bundesministerium für Arbeit und Sozialord-
nung zuständig ist und die Ministerin an dieser Stelle
– ich habe ja gesagt, irgendwer hat immer den Hut auf –
diejenige ist, die die Diskussion voranbringen wird.
Ich finde, dass das Papier die Ausgangslage durchaus
richtig beschreibt. Wir müssen das ernst nehmen, was
die Mehrheit der Sozialminister beschlossen hat; wir
müssen aber auch das ernst nehmen, was die Minderheit
– fünf haben ja dagegen gestimmt; Mecklenburg-Vor-
pommern hat sich enthalten – vertritt. Wir müssen auch
ein offenes Ohr für die Kommunen haben, die zu Recht
befürchten – diese Befürchtung sollten wir ernst
n
S
w
w
s
s
w
–
s
D
W
w
B
j
a
m
d
V
P
c
z
s
e
s
w
d
s
V
D
u
s
V
Frau Kramme, Sie wissen schon wieder alles besser.
Ich sage: Wir müssen das Problem ernst nehmen und
chauen, wie man es lösen kann.
as ist die Erwartungshaltung, die die Länder haben.
enn wir angemessene Antworten finden, dann werden
ir am Ende auch Mehrheiten in beiden Kammern, im
undestag und im Bundesrat, bekommen. Wenn man
etzt wie Sie mit dem Kopf durch die Wand will und sich
uf die Position zurückzieht: „Das wollten wir schon im-
er“,
ann wird das nicht funktionieren. Sie müssen dann auch
erständnis dafür haben, dass wir auf die Position eines
artners, der sich so verhält, im Hinblick auf eine mögli-
he Grundgesetzänderung nicht eingehen können. Sie
eigen bisher keine Flexibilität; diese lassen Sie voll-
tändig vermissen. Das ist aus unserer Sicht dann auch
in Problem.
Ich finde, der Beschluss vom Montag verfolgt insge-
amt eine gute Linie. In den Ziffern 3 und 4 werden ja
ichtige Punkte aufgezeigt. Es heißt dort nicht nur, dass
ie Zahl der Optionskommunen erweitert werden soll,
ondern auch, dass wir weiterhin bereit sind, über eine
erfassungsänderung zu diskutieren.
as ist eine umfassende und breite Plattform, auf der wir
ns alle zum Gespräch zusammenfinden können und
ollten.
Die Art und Weise, wie SPD und Grüne heute ihre
orschläge präsentiert haben,
940 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 12. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2009
)
)
Dr. Heinrich L. Kolb
nämlich nach dem Motto: „Wir wissen schon am besten,
wie es geht“, ist jedenfalls am Ende weder effektiv noch
zielführend. Deshalb fordere ich Sie auf: Gehen Sie in
sich! Nehmen Sie das Gesprächsangebot an! Wir sind in
den Ausschussberatungen zu Gesprächen bereit. Ich
freue mich darauf.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Nächste Rednerin ist die Kollegin Brigitte Pothmer
für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr
Dörflinger, ich fand Ihre Rede sehr interessant, weil Sie
hier deutlich gemacht haben, dass Sie durchaus bereit
sind, über das hinauszugehen, was in der Koalitionsver-
einbarung beschlossen worden ist. Das ist ein sehr wich-
tiges und ein sehr deutliches Signal. Das ist auch ange-
kommen.
Ich will hier nichtsdestotrotz noch einmal darüber re-
den, was diese Koalition eigentlich vorschlägt, also wo-
rauf Sie sich in ihrer Koalitionsvereinbarung verständigt
haben, nämlich auf eine getrennte Trägerschaft mit der
Möglichkeit freiwilliger Kooperation. Mit diesem Mo-
dell gehen Sie ins Rennen. Das heißt nichts anderes, als
dass sich die Behörden trennen müssen, um dann wieder
zusammenzuarbeiten. Übertragen auf ein Paar würde das
bedeuten: Sie zwingen das Paar zur Scheidung, hinterher
muss es dann aber zusammenwohnen, allerdings nicht
unter den alten Bedingungen einer gleichberechtigten
Partnerschaft, sondern unter den Bedingungen eines Pa-
triarchats. Nach Ihrem Modell hat nämlich nur die BA
das Sagen; die Schlüsselgewalt liegt allein bei der BA.
Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU
– es sind ja immer mehr Kollegen bei Ihnen als Kolle-
ginnen –, ich möchte Ihnen eines sagen: Nicht nur die
Frauen lassen sich das nicht mehr bieten,
auch die Kommunen sind selbstbewusster geworden.
Mit einem solchen Modell kommen Sie nicht durch.
Nein, eine getrennte Aufgabenwahrnehmung ist
wirklich die denkbar schlechteste Lösung. Daran ändert
auch die Möglichkeit zur freiwilligen Kooperation
nichts. Sie ist schlecht für die Arbeitsuchenden. Sie schi-
cken diese wieder von Pontius zu Pilatus.
Das ist endgültig das Ende der Hilfe aus einer Hand.
Zugleich wird auf diese Weise eine Unmenge an
Geld verschlungen. Berechnungen zufolge sind es
8
G
k
g
K
d
f
K
l
b
h
R
d
g
d
v
u
m
L
b
B
g
j
w
e
g
v
n
n
Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
ollegen Peter Weiß?
Ja, bitte.
Bitte sehr.
Frau Kollegin Pothmer, weil Sie Ihre Rede mit einer
ramatischen Trennungsgeschichte gestartet haben,
rage ich Sie: Würden Sie bitte den Kolleginnen und
ollegen in diesem Hohen Hause und auch der Öffent-
ichkeit bestätigen, dass die sogenannte getrennte Aufga-
enwahrnehmung nach dem Sozialgesetzbuch II bereits
eute möglich ist und dass es in Deutschland eine ganze
eihe von Landkreisen gibt,
ie sich freiwillig dazu entschlossen haben, keine Arge
emeinsam mit der Bundesagentur für Arbeit zu grün-
en, sondern eine getrennte Aufgabenwahrnehmung zu
erfolgen,
nd würden Sie zweitens bestätigen, dass man, wenn
an die Rankinglisten in Bezug auf die Aktivierung von
angzeitarbeitslosen und deren Vermittlung in den Ar-
eitsmarkt anschaut, feststellt, dass unter den Besten der
esten Argen, Optionskommunen und Landkreise mit
etrennter Aufgabenwahrnehmung sind?
Lieber Herr Weiß, ich bestätige gerne, dass es schon
etzt ungefähr 20 Kommunen mit getrennter Aufgaben-
ahrnehmung gibt. Es ist allerdings nicht so, dass diese
rst geschieden werden mussten; sie haben immer
etrennt voneinander gelebt, Herr Weiß. Die Ergebnisse
on deren Arbeit kommen allerdings nicht an die Ergeb-
isse der Arbeit der Argen und einiger Optionskommu-
en heran.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 12. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2009 941
)
)
Brigitte Pothmer
Ich weiß nicht, welche Untersuchungen Sie lesen. Eine
Studie des IAQ jedenfalls kommt genau zu einer gegen-
teiligen Feststellung. Das ist ein weiterer Grund, warum
wir sagen, dass die getrennte Trägerschaft keine Pers-
pektive hat. – Ich danke Ihnen für Ihre Frage; das war
meine Antwort.
Ich war gerade dabei, zu erläutern, warum die ge-
trennte Aufgabenwahrnehmung eine schlechte Lösung
ist. Ein weiterer Grund ist, dass sie unpraktikabel ist. An
dem Papier der Ministerin können Sie sehen, was das für
ein Gewürge wird. Das lässt sich verwaltungsmäßig
überhaupt nicht vollziehen.
Zudem ist es ein bürokratischer Irrsinn. Frau Kipping,
Sie haben gesagt, die Zahl der Verfahren vor den Gerich-
ten werde sich verdoppeln. Nein, die Zahl der Verfahren
wird sich verdreifachen;
denn die Länder haben darauf bestanden, ebenfalls ge-
gen die Bundesagentur für Arbeit klagen zu können. Das
heißt, nicht nur die Betroffenen klagen gegen die Kom-
munen und die BA, sondern auch die beiden Träger
befehden sich vor Gericht.
Herr Kolb, jetzt müssten Sie mir einmal sagen, ob es
das ist, was Sie unter Bürokratieabbau verstehen.
Außerdem wüsste ich gerne, ob Sie das meinen, wenn
Sie sagen, die Arbeit der Jobcenter solle einfacher und
wirksamer werden. Ich komme gleich wieder mit meiner
Koralle, wenn das so weitergeht!
Im Übrigen hätten Sie die getrennte Aufgabenwahr-
nehmung längst haben können. In der letzten Legislatur-
periode, unmittelbar nach dem Bundesverfassungsge-
richtsurteil, hat Herr Scholz dieses Konzept dem Hohen
Hause vorgelegt, und wir haben es mit, wie ich finde,
guten Gründen abgelehnt.
Jetzt will ich Ihnen einmal sagen, was der Kollege
Niebel für die FDP zur getrennten Aufgabenwahrneh-
mung gesagt hat: Eine geteilte Verantwortung bedeutet
Zuständigkeitschaos und doppelte Bürokratie. – Ein klu-
ger Mann! Das gilt nicht für seine Position im Entwick-
lungsministerium; aber in dieser Frage hatte er einmal
recht.
m
n
w
s
h
n
u
w
D
b
g
g
n
i
i
t
b
s
g
g
l
g
–
d
s
T
g
i
b
i
s
m
L
u
d
B
J
k
S
u
ie Wohlfahrtsverbände sehen die Interessen der Ar-
eitslosen gefährdet.
Nach der Rede, die wir heute von Herrn Dörflinger
ehört haben, aber auch nach dem, was der von mir sehr
eschätzte Kollege Karl Schiewerling ausgeführt hat,
ämlich dass sie die Hilfe aus einer Hand wollen, kann
ch nur sagen: Auch in der CDU/CSU-Fraktion gibt es
nzwischen Widerstand gegen den Vorschlag des Minis-
eriums.
Frau Ministerin von der Leyen, ich frage Sie: Was
ringt Sie zu der Annahme, dass Sie den Widerstand die-
er breiten Allianz eher überwinden könnten, als Ihre ei-
ene Fraktion zur Vernunft zu bringen? In Ihrer Fraktion
ibt es doch auch vernünftige Leute. Glauben Sie wirk-
ich, dass in Ihrer Fraktion alle Kolleginnen und Kolle-
en Nägel vor den Köpfen haben?
Genau. Ich danke Ihnen, Herr Kolb. – Ich plädiere aus-
rücklich für eine Grundgesetzänderung. Diese ließe
ich auch viel schneller umsetzen als die angestrebte
rennung.
Ich sage an dieser Stelle noch einmal: Aufgrund der
rößten Wirtschaftskrise, die wir jemals hatten, wird es
m kommenden Jahr eine Zunahme der Zahl der Ar-
eitslosen geben. Darin sind sich alle einig. Aber genau
n diesem Jahr wollen Sie die Jobcenter zur Großbau-
telle machen. Da werden die Beschäftigten der Jobcenter
it sich selbst zu tun haben. Sie werden Akten kopieren,
iegenschaften einrichten, EDV-Programme anschaffen
nd Umzugskisten packen. Das ist aber nicht die Aufgabe,
ie jetzt ansteht.
Herr Weise hat doch vollkommen recht. Unter diesen
edingungen laufen Ihnen die Beschäftigten in den
obcentern weg; sie werden zu den Kommunen zurück-
ehren. Ich frage Sie einmal: Mit welchen Leuten wollen
ie die getrennte Aufgabenwahrnehmung dann noch
msetzen?
942 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 12. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2009
)
)
Brigitte Pothmer
Meine Damen und Herren von der CDU/CSU und
von der FDP, Sie ziehen die Kommunen tatsächlich
durch den Kakao. In den letzten Jahren sind Sie alle he-
rumgelaufen und haben gesagt, Sie wollten die Kompe-
tenz der Kommunen in dieser Frage stärken. Ich finde, es
ist wirklich ein Treppenwitz der Weltgeschichte, dass
gerade die Koalition der selbsternannten Freunde der
Kommunen jetzt damit ankommt – die FDP war gera-
dezu besessen darauf, die BA abzuwickeln; die CDU/
CSU hat nur den Kommunen in der Arbeitsmarktpolitik
etwas zugetraut –, die Machtansprüche der BA gegen die
Kommunen durchzusetzen.
Sie fördern den Zentralismus und setzen die Kommunen
an den arbeitsmarktpolitischen Katzentisch. Das werden
die sich nicht bieten lassen – und wir uns schon gar
nicht.
Ich will noch auf einen anderen Punkt hinweisen; er
richtet sich an die Verfassungsästheten. Sie sagen, dass
man für so etwas keine Verfassung ändern könne. In den
letzten 60 Jahren ist die Verfassung 60-mal geändert
worden. Sie ist geändert worden, als es um die Neuver-
teilung der Einnahmen aus der Kfz-Steuer ging; sie ist
geändert worden für Tod und Teufel. Auch Ihr Vor-
schlag, der jetzt auf dem Tisch liegt, ist nicht verfas-
sungskonform. Ich prognostiziere Ihnen schon jetzt, dass
es zu neuen Klageverfahren kommen wird. Das wird zu
einem neuen Chaos führen. Das können Sie weder den
Beschäftigten in den Arbeitsagenturen noch den Arbeits-
losen zumuten. Jahrelange Debatten und Rechtsstreite-
reien – das dürfen wir nicht zulassen. Wir brauchen eine
verfassungsgemäße Regelung.
Ich möchte jetzt noch etwas zu dem Vorschlag der
Kollegen der SPD sagen. Wir sehen doch, dass Sie mit
dem alten Vorschlag, nur die 69 Optionskommunen ver-
fassungsgemäß abzusichern, nicht weiterkommen. Ich
freue mich wirklich über das Signal und gehe davon aus,
dass unsere sozialdemokratischen Freunde dem Vor-
schlag, den wir von der grünen Fraktion als Friedensan-
gebot auf den Tisch gelegt haben, zustimmen und dass
sich bei Ihnen von der CDU/CSU-Fraktion Kollegen wie
Dörflinger und Schiewerling durchsetzen.
Herr Kolb, Sie haben gesagt: Wir wollen zusammen-
führen. – Unser Vorschlag ist ein Friedensangebot und
führt die unterschiedlichen Anforderungen tatsächlich
zusammen.
Es gewinnen wirklich alle. Union und FDP können mit
ihrem Beschluss doch nicht wirklich zufrieden sein.
W
S
k
d
n
A
k
d
r
W
w
V
i
u
l
t
w
w
b
L
d
u
s
i
n
F
W
w
T
B
u
N
ß
d
n
k
l
2
3
s
P
a
d
G
ie wir bereits gehört haben, verfolgen diese Entwürfe
ie auch der Entwurf der Grünen das Ziel, die SGB-II-
rägerschaft neu zu ordnen und damit das Urteil des
undesverfassungsgerichts vom 20. Dezember 2007
mzusetzen.
Das will die Koalition im Ergebnis natürlich auch.
ach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts versto-
en die derzeitigen Regelungen im SGB II hinsichtlich
er Zusammenarbeit von Bundesagentur und Kommu-
en als unzulässige Mischverwaltung gegen das Demo-
ratieprinzip des Grundgesetzes. Die derzeitigen Rege-
ungen sind deshalb nur noch bis zum 31. Dezember
010 gültig. Nach den SPD-Entwürfen sollen die derzeit
46 Argen und 20 getrennten Trägerschaften als eigen-
tändige Anstalten des öffentlichen Rechts mit eigener
ersonalhoheit und eigenem Haushalt im Grundgesetz
ls zulässige Form der Mischverwaltung verankert wer-
en. Sie sollen zukünftig Zentren für Arbeit und
rundsicherung, ZAGs, heißen.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 12. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2009 943
)
)
Paul Lehrieder
Unsere Fraktion sieht ebenso wie die Kollegen der
SPD dringenden Handlungsbedarf hinsichtlich der Neu-
organisation der SGB-II-Trägerschaften. Ihren Vor-
schlag, liebe Kolleginnen und Kollegen vom ehemaligen
Koalitionspartner, lehnen wir jetzt aber genauso ab, wie
wir das schon im März dieses Jahres getan haben.
Dies tun wir aus guten Gründen:
Erstens. Es gilt, die Grundsätze der Verfassung zu be-
achten und die Verfassung nicht regelmäßig an unsere
Wünsche anzupassen. Liebe Frau Kollegin Pothmer,
auch wenn wir das in der letzen Legislaturperiode etliche
Male tun mussten, hätte ich es geschätzt, wenn Sie ge-
sagt hätten: Wir fummeln nicht jedes Mal an der Verfas-
sung herum, wenn uns irgendein Ergebnis nicht passt.
Das Bundesverfassungsgericht hat das heutige Sys-
tem der Zusammenarbeit zwischen Arbeitsagentur und
Kommunen in den Argen als grundgesetzwidrig verwor-
fen, weil es darin einen Verstoß gegen das Demokratie-
gebot des Grundgesetzes sieht. Für den Bürger ist nicht
klar, welche politische Einheit – Bund oder Kommune –
für die Entscheidungen der heutigen Jobcenter letztlich
verantwortlich ist.
Das Wesen der Demokratie ist es aber, dass der Wäh-
ler seine Zustimmung oder Ablehnung konkreter staatli-
cher Entscheidungen auch auf seinem Wahlzettel mit der
Wahl oder Abwahl von Parteien und Politikern doku-
mentieren kann. Die Mischverwaltung der Jobcenter
lässt dies nicht zu. Die vorgeschlagene Grundgesetzän-
derung würde dieses Demokratiedefizit aber gerade
nicht lösen.
Wenn die Hartz-IV-Verwaltung tatsächlich weder dem
Bund noch den Ländern eindeutig zugeordnet würde,
wäre eine zusätzliche neue staatliche Ebene zwischen
beiden gegeben. Die Hartz-IV-Verwaltung hätte damit
einen stärken Stand als unsere Städte und Gemeinden,
die innerhalb der bundesstaatlichen Ordnung als Teile
der Länder gelten.
Zweitens. Mit der Einrichtung der sogenannten ZAGs
würde eine zusätzliche Bürokratie geschaffen, die die
Kräfte in den Arbeitsgemeinschaften unnötig binden
würde, und das genau in einer Zeit, in der aufgrund der
Wirtschaftskrise mit schwierigen Verhältnissen auf dem
Arbeitsmarkt zu rechnen ist. Es müssten überall circa
370 neue Behörden gegründet werden; man müsste Ge-
schäftsordnungen erlassen, Personalvertretungen und
Geschäftsführer neu wählen, dazu noch neue Gremien
gründen, besetzen und arbeitsfähig machen. Das kann
aber nicht Sinn der Sache sein.
Die Arbeitsgemeinschaften sollen sich um die Arbeitslo-
sen kümmern und sich nicht mit sich selbst beschäftigen.
N
B
b
b
d
J
m
D
c
z
f
f
te
b
u
d
F
v
B
L
d
t
L
–
K
e
d
d
m
b
–
n
Die jetzige Regierungskoalition geht anders an die
euorganisation der SGB-II-Verwaltung heran. Das
undeskabinett hat in der Klausurtagung von Mese-
erg am 16. und 17. November gemäß Koalitionsvertrag
eschlossen:
Die Neuorganisation der Durchführung der Grund-
sicherung für Arbeitsuchende soll erfolgen, indem
die Aufgabenwahrnehmung und Finanzierung der
Grundsicherung für Arbeitsuchende ohne Ände-
rung des Grundgesetzes und ohne Änderung der Fi-
nanzbeziehungen gestaltet werden. Dazu werden
die Erfahrungen der Länder und der Kommunen
sowie der Bundesagentur für Arbeit in getrennter
Aufgabenwahrnehmung genutzt. Die heutigen Op-
tionskommunen sollen ihre Aufgaben dauerhaft
wahrnehmen können.
Weil bereits von einigen Vorrednern die Steigerung
er Zahl der Optionskommunen angesprochen wurde:
a, es gibt eine Umfrage, nach der ein Großteil der Kom-
unen zur Option tendiert.
a muss man den Landräten aber auch mitteilen, zu wel-
hen Konditionen, mit welchen Eckdaten die Option ge-
ogen werden kann; auch das gehört zur Redlichkeit.
Wir folgen bei der Neuregelung der Trägerschaft
olgenden Orientierungslinien: Das Gesetzgebungsver-
ahren muss transparent sein. Wir müssen mit allen Be-
iligten sprechen – also mit Ländern, Kommunen, Ar-
eitnehmervertretern und der Bundesagentur für Arbeit –,
m eine sachgerechte Lösung für die Zeit ab 2011 zu fin-
en. Die künftige Lösung muss den Grundsätzen der
öderalismusreform I, dem Demokratieprinzip, dem Selbst-
erwaltungsrecht der Kommunen und dem Urteil des
undesverfassungsgerichts entsprechen.
Um zu einer möglichst tragfähigen und differenzierten
ösung zu kommen, hat unsere Fraktion jetzt, nachdem
ie Bundesregierung die Eckpunkte für die Neuorganisa-
ion des SGB II vorgelegt hat, eine Projektgruppe ins
eben gerufen.
Ja, natürlich, Herr Heil. Da sind wir schneller als der
ollege Scholz vor einem Dreivierteljahr. – Sie wird
ine einheitliche politische Maßgabe für die Umsetzung
er Reform erarbeiten. Erste Gespräche fanden bereits in
er laufenden Woche statt. Wir nehmen die Kommunen
it. Herr Heil, darauf können Sie sich verlassen; Sie
rauchen keine Bedenken zu haben.
Nicht ins Nirwana. Die Zeiten, in denen die Kommu-
en ins Nirwana geführt wurden, sind vorbei.
944 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 12. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2009
)
)
Paul Lehrieder
Die wesentlichen Ziele der Zusammenlegung von Ar-
beitslosen- und Sozialhilfe waren und sind das Fördern
und Fordern und der Zugang aller Hilfebedürftigen zu
den Arbeitsmarktinstrumenten und der Arbeitsvermitt-
lung der BA. Dieser Zusammenhang und die klare ar-
beitsmarktpolitische Ausrichtung des SGB II müssen ge-
wahrt bleiben.
Gerade jetzt, zum fünften Jahrestag der SGB-II-Ge-
setzgebung, zeigt sich der Erfolg dieses Prinzips. So hat
die Frankfurter Rundschau gestern geschrieben:
Der deutsche Arbeitsmarkt schafft mehr Stellen als
in der Vergangenheit. Das scheinbare Naturgesetz,
dass die Arbeitslosigkeit im Trend immer steigt, ist
gebrochen.
Weiter heißt es, dass „Hunderttausende den Weg zu-
rück in die Berufswelt gefunden“ haben. Lieber Herr
Heil, es war nicht alles falsch, was die SPD mit großer
Zustimmung der Union damals auf den Weg gebracht
hat.
– Sie hätten ruhig länger klatschen können. – Dieser
große Erfolg wäre ohne die Arbeitsmarktreformen nicht
möglich gewesen.
Frau Kollegin Kipping, Sie haben eben in Ihrer Rede
das dramatische Beispiel angeführt, dass die Ausbil-
dungsvergütung auf die Hartz-IV-Leistungen ange-
rechnet wird. Wir haben vor zwei Wochen hier in diesem
Hause über die Anrechnung von Schüler- und Studen-
tenjobs usw. auf Hartz-IV-Leistungen diskutiert. Wir ha-
ben zugesagt, bis zum Sommer zu prüfen, ob diese Er-
werbseinkommen von der Anrechnung auf Hartz IV
befreit werden. Auch hier gilt – ich wiederhole es gern –:
Hartz IV ist ein lernendes System, das jetzt genau fünf
Jahre alt ist. Da ist noch nicht alles perfekt; da muss
nachjustiert werden. Das ist korrekt. Frau Ausschussvor-
sitzende, ich kann Ihrer Kritik in einigen Punkten etwas
Positives abgewinnen.
Bei der jetzt anstehenden Neuregelung der SGB-II-
Verwaltung muss darauf geachtet werden, dass auch
künftig kommunale Lösungen möglich sind und kom-
munale Belange berücksichtigt werden. Die Städte und
Kreise verfügen über die notwendigen sozialen Kompe-
tenzen, um gerade Personen mit komplizierten Vermitt-
lungshemmnissen wieder fit für den Arbeitsmarkt zu
machen und in Beschäftigung zu bringen. Den Kommu-
nen, die sich dieser Aufgabe stellen wollen, muss die
Möglichkeit einer eigenständigen Trägerschaft gewährt
werden.
Ein einheitlicher Bescheid über die passiven Geldleis-
tungen war und ist nicht das ausschließliche Ziel des
SGB II. Das beweisen schon die 20 Kommunen – Frau
Pothmer, Sie würden sagen, sie leben in wilder Ehe zu-
sammen –,
die schon heute auf freiwilliger Basis gut und konstruk-
tiv mit den Arbeitsagenturen zusammenarbeiten. Den
b
h
d
w
A
s
k
r
h
k
m
S
Z
W
v
m
s
i
z
s
b
–
w
T
k
s
w
e
g
s
a
d
v
–
D
m
H
uch in diesem Fall kann zum Beispiel eine gemein-
ame Antragstellung organisiert werden. Vor Gericht
önnen Klagen gegen zwei Bescheide zu einem Verfah-
en verbunden werden. Für die Betroffenen entstehen
ierdurch keine Nachteile. Statt der Hilfe aus einer Hand
ann es daher künftig die Hilfe unter einem Dach geben.
Unsere Leitlinien lauten wie folgt. Erstens. Die opti-
ale Hilfe für arbeitsuchende Menschen muss an erster
telle stehen. Das sage ich insbesondere für die vielen
uschauer an den Fernsehgeräten, die wissen wollen:
ie wird mir geholfen? Wird mir auch in einem Jahr
ernünftig geholfen werden können? Daran arbeiten wir.
Zweitens. Die Trägerschaft der Optionskommunen
uss auf jeden Fall entfristet werden. Dieses Modell hat
ich bewährt. Für diese Kommunen und insbesondere
hre Mitarbeiter muss der Modellcharakter in eine feste,
ukunftssichere Form gewandelt werden, um Planungs-
icherheit im Interesse der Mitarbeiterinnen und Mitar-
eiter zu schaffen.
Das habe ich Ihnen vorhin gesagt.
Drittens. Die neue Organisation im SGB II muss ge-
ährleisten, dass die arbeitslosen Menschen von den
rägern vor Ort in partnerschaftlichem Zusammenwir-
en durch den Einsatz des arbeitsmarktpolitischen In-
trumentariums effizient in Beschäftigung vermittelt
erden können. Das gilt für die Zukunft mindestens
benso wie für die letzten Jahre.
Ich bin sicher, dass wir gemeinsam mit der Bundesre-
ierung auf dieser Grundlage ein tragfähiges Modell zu-
tande bringen. Unter diesen Gesichtspunkten will ich
uch eine eventuelle Kompromisslösung auf Grundlage
er Gesetzentwürfe der SPD und der Grünen nicht von
ornherein ausschließen.
Ich bin ebenso aufgeschlossen wie die Kollegen
örflinger und Schiewerling. Wir halten nicht stur und
it Scheuklappen an unserer Meinung fest, lieber Herr
eil. Auch wir lernen dazu.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 12. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2009 945
)
)
Paul Lehrieder
Voraussetzung ist, dass für arbeitsuchende Menschen
ein solcher Kompromiss, die optimale Hilfe aus einer
Hand, so bürokratiearm wie möglich ist.
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
Nun hat das Wort die Kollegin Anette Kramme für die
SPD-Fraktion.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Meine Damen und Herren von der Union! Es
ärgert mich ein wenig, wenn Sie sich den Heiligenschein
als vermeintliche Schützer des Grundgesetzes aufsetzen.
Dieses Grundgesetz ist seit seinem Inkrafttreten unend-
lich oft geändert worden. Es beinhaltet die Ewigkeitsga-
rantie, die einen tatsächlichen Schutz bewirkt. Ich sage
Ihnen: Es gab weitaus nichtigere Zwecke, für die wir das
Grundgesetz geändert haben.
Das IAB hat in den letzten Tagen eine Feststellung
getroffen, die ich sehr wichtig finde, nämlich: Die Job-
center funktionieren, die Langzeitarbeitslosigkeit ist re-
duziert worden, und die Arbeitsmarktinstrumente grei-
fen grundsätzlich.
Was Sie von Union und FDP machen, ist dagegen un-
verantwortlich.
Sie wollen funktionierende Behördenstrukturen aus-
einanderreißen. Schade ist, dass nicht Sie die Leidtra-
genden sind, sondern die Arbeitsuchenden in der Bun-
desrepublik Deutschland. Ich sage: Das kann und darf
nicht sein.
Dabei könnte die Geschichte so einfach sein. Denken
Sie an das Frühjahr 2009 zurück, als alle Ministerpräsi-
denten dem Gesetzentwurf von Olaf Scholz zugestimmt
haben. Vielleicht erinnern Sie sich noch – obwohl ich
vermute, es ist Ihnen unangenehm – an die Arbeitsminis-
terkonferenz vom 25. und 26. November. Alle Bundes-
länder mit Ausnahme von Baden-Württemberg haben
sich für das ZAG ausgesprochen. Auch wenn man den
aktuellen Beschluss der Arbeitsministerkonferenz liest,
stellt man fest: Im Prinzip ist keine andere Situation ge-
geben.
Der Beschluss ist für die Arbeitsministerin mehr
Schein als Sein. Die Länder sagen, sie nähmen das Eck-
p
g
e
D
w
g
n
E
d
m
g
m
A
z
e
d
w
s
k
M
g
s
w
d
k
h
w
p
i
Ü
h
G
p
f
d
L
w
r
m
s
a
k
Halten wir uns vor Augen, was die Umsetzung Ihres
ckpunktepapieres bedeuten würde: Die Arbeitsuchen-
en bekommen zwei Bescheide. Im schlimmsten Fall
üssen sie zwei Widerspruchsverfahren und zwei Kla-
everfahren durchführen. Wenn sie irgendwelche Infor-
ationen einholen wollen, dann haben sie nicht einen
nsprechpartner, sondern müssen sich grundsätzlich an
wei Behörden wenden. Viele Aufgaben müssen doppelt
rledigt werden, beispielsweise die Außendienste oder
er Forderungseinzug. Völlig unklar ist, was passiert,
enn Agentur und kommunale Träger zu einer unter-
chiedlichen Einschätzung einerseits der Erwerbsfähig-
eit und andererseits der Hilfebedürftigkeit kommen.
an stelle sich auch vor, was bei einer einfachen Ein-
liederungsvereinbarung passiert – tagtägliches Ge-
chäft –: Da sollen kommunale Leistungen einbezogen
erden. Jedes Mal müssen die Telefone heißlaufen,
amit die Zustimmung der Kommune eingeholt werden
ann. Die kommunalen Träger, obwohl Sie sie so hoch
ängen und sagen, deren Wissen sei entscheidend,
erden keinen relevanten Einfluss auf die Arbeitsmarkt-
olitik mehr haben. Es gibt keine Lösung für die IT. Es
st auch sehr fraglich, ob kommunale Beschäftigte in der
bergangszeit der BA hinreichend zur Verfügung ste-
en.
erade in einer Arbeitsmarktkrise ist es eine Katastro-
he, dass Sie die Funktionsfähigkeit dieses Ladens in-
rage stellen wollen.
All diese Punkte könnten gelöst werden, wenn sich
ie Bundesregierung zu dem Kompromiss zwischen
ändern und Bund vom Anfang dieses Jahres bekennen
ürde. Die bewährten Jobcenterstrukturen bleiben auf-
echterhalten. Das ZAG bringt zusammen, was zusam-
engehört. Wir bieten den Arbeitsuchenden und den Be-
chäftigten verlässliche Kontinuität, den geringsten Grad
n Bürokratie und letztlich deutlich weniger Kosten.
Weihnachten ist bekanntlich die Zeit der Besinnlich-
eit.
946 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 12. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2009
)
)
Anette Kramme
Ich hoffe, dass diese Regierung nicht nur besinnliche
Weihnachtstage verbringt, sondern endlich auch zur Be-
sinnung kommt.
In diesem Sinne herzlichen Dank.
Für die FPD-Fraktion hat nun das Wort die Kollegin
Gabriele Molitor.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir von
der FDP-Bundestagsfraktion nehmen soziale Verantwor-
tung ernst,
und zwar so ernst, dass wir auch die Hausaufgaben erle-
digen, die andere aufbekommen haben.
Es ist jetzt zwei Jahre her, dass das Bundesverfas-
sungsgericht eine Neuorganisation der Argen gefordert
hat. In der letzten Legislaturperiode hat es die Vorgän-
gerregierung nicht vermocht, eine langfristig wirksame
Neuregelung für die Jobcenter zu schaffen.
Wir stellen uns dieser Aufgabe; denn eine echte Reform
tut dringend not. Wir sind es den Millionen Menschen,
die arbeitslos sind, schuldig, und wir sind es der Solidar-
gemeinschaft, bestehend aus Beitrags- und Steuerzah-
lern, schuldig. Eines ist doch klar: Viele Menschen, die
schon lange arbeitslos sind, leiden unter ihrer Situation
und möchten wieder selbst für ihren Lebensunterhalt
aufkommen. Sie brauchen Betreuung, Beratung und Un-
terstützung. Dabei ist es wichtig, jeden einzelnen indivi-
duell zu fördern und auch zu fordern.
Als Stadtverordnete meiner Heimatstadt Erftstadt
habe ich beobachtet, wie quälend lange es gedauert hat,
bis die Arge endlich ihre Tätigkeit aufgenommen hat.
Das lag nicht an den Mitarbeitern. Eine Immobilie
musste gefunden werden. Zeitgleich wurden Mitarbeiter
rekrutiert. Es war gar nicht so einfach, aus Mitarbeitern
aus der Stadtverwaltung, die häufig aus dem Sozialamt
stammten, und Mitarbeitern aus der Bundesagentur ein
Team zu bilden. Von den Schwierigkeiten bei der Daten-
verarbeitung will ich erst gar nicht reden.
Für eine Neuregelung bleibt uns nicht viel Zeit. Des-
halb begrüßen wir das Eckpunktepapier der Arbeits- und
Sozialministerin als vernünftige Diskussionsgrundlage.
d
k
l
w
s
m
G
w
f
a
D
m
k
z
u
D
m
z
E
b
g
B
E
d
l
B
d
t
E
M
s
e
E
z
s
erade die letzte Forderung ist uns Liberalen besonders
ichtig. Das Prinzip der gleichen Augenhöhe soll auch
ür die Zusammenarbeit von Kommunen und Bundes-
gentur gelten.
ie Kommunen sollen sich um die Betreuung und Ver-
ittlung von Langzeitarbeitslosen kümmern können. Sie
ennen den örtlichen Arbeitsmarkt, sie pflegen Kontakt
u den Arbeitgebern, zu den Wohlfahrtsorganisationen
nd zu den Weiterbildungseinrichtungen.
iese Nähe hat Auswirkungen auf die Effizienz. Es
uss doch darum gehen, das Problem Arbeitslosigkeit
u lösen und es nicht nur zu verwalten.
s liegt im ureigenen Interesse der Kommunen, die Ar-
eitslosenzahl gering zu halten. Wir verstehen die Sor-
en der Kommunen, angefangen bei der Angst vor mehr
ürokratie bei der Arbeitsvermittlung und fehlender
influssnahme bei der Entscheidungsfindung von Be-
ürftigkeit bis hin zu der Angst vor finanziellen Mehrbe-
astungen.
Die Beschlüsse der Arbeits- und Sozialminister der
undesländer verfolgen wir mit Interesse und begrüßen,
ass das Eckpunktepapier des Ministeriums die Entfris-
ung der Optionskommunen vorsieht.
s wäre ein positives Signal, weiteren Kommunen die
öglichkeit zu geben, diesen Weg zu gehen.
Die skizzierte Konzeption macht eine Grundge-
etzänderung unnötig. Deshalb werden wir den Gesetz-
ntwürfen der Opposition nicht zustimmen.
in Zurechtbiegen des Grundgesetzes kann die substan-
iellen Probleme nicht lösen. Auch wenn die Zeit drängt,
ind Schnellschüsse schlecht.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 12. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2009 947
)
)
Gabriele Molitor
Wir brauchen ein konstruktives und tragfähiges Kon-
zept, ohne dabei die Verfassung an das politische Tages-
geschäft anzupassen.
Bei allem, was wir tun, müssen wir darauf achten,
Menschen in Arbeit zu bringen. Dabei sollten wir dieje-
nigen nicht vergessen, die es auf dem Arbeitsmarkt be-
sonders schwer haben: die Alleinerziehenden, die Ge-
ringqualifizierten, die Menschen mit Behinderung und
die Menschen mit Migrationshintergrund.
Im Koalitionsvertrag haben CDU/CSU und FDP fest-
geschrieben, eine einfachgesetzliche Lösung herbeizu-
führen. Dazu stehen wir. Bürokratische Doppelstruktu-
ren sollen vermieden werden, die Leistungserbringung
für den Bürger soll nachvollziehbar und effektiv sein.
Die Arbeitslosen brauchen ein funktionierendes Hilfe-
system und keine langwierige Diskussion über Organisa-
tionsformen. Dieser Aspekt sollte bei der Diskussion
über Reformen immer im Hinterkopf sein.
Lassen Sie uns gemeinsam die Chance nutzen, eine Re-
gelung zu finden, die den Betroffenen wirklich hilft.
Vielen Dank.
Frau Kollegin Molitor, das war Ihre erste Rede in die-
sem Haus. Ich gratuliere Ihnen herzlich dazu und wün-
sche Ihnen für Ihre weitere Arbeit alles Gute und viel Er-
folg.
Nun hat das Wort der Kollege Bernhard Kaster für die
CDU/CSU-Fraktion.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen
und Kollegen! Das Bundesverfassungsgericht hat ent-
schieden: Die Arbeitsgemeinschaften nach § 44 b
SGB II verstoßen gegen unsere Verfassung.
Jetzt schlagen Sie von der SPD – differenziert und auf
einem anderen Weg auch die Grünen – und viele andere
im Lande vor, die Verfassung zu ändern. Vereinfacht
ausgedrückt: Was nicht passt, wird passend gemacht. –
Aber so einfach geht das in diesem Falle nicht.
Ich gebe zu, dass ein solcher Vorschlag durchaus leicht
kommunizierbar ist. Aber wir müssen doch die Frage
s
r
P
u
l
t
V
K
w
s
le
d
k
m
m
g
r
A
s
m
t
a
s
s
s
b
g
v
e
v
t
n
d
E
K
W
d
r
v
d
m eine Regelungs- oder Zuständigkeitslücke, die man
eicht schließen kann?
Verehrte Kolleginnen und Kollegen, wenn Sie das Ur-
eil lesen, werden Sie feststellen: Es geht um einen
erstoß gegen Art. 28 Abs. 2 des Grundgesetzes. Im
lartext: Es geht um einen Verstoß gegen die Selbstver-
altungsgarantie der Kommunen. Ich sage hier in die-
em Hause: Da müssen bei jedem, der aus der kommuna-
n Familie kommt – das sind in allen Fraktionen viele –,
ie Alarmglocken läuten.
Es gibt Bereiche in unserer Verfassung, in denen wir
eine Dammbrüche zulassen dürfen. Es geht um nicht
ehr und nicht weniger als um den Schutz unserer Ge-
einden, Städte und Landkreise vor unzulässigen Ein-
riffsmöglichkeiten des Bundes bzw. die volle, transpa-
ente, umfängliche Verantwortung für eigene Aufgaben.
Genau hier, bei der Selbstverwaltungsgarantie nach
rt. 28 Abs. 2 des Grundgesetzes, liegt auch der Lö-
ungsansatz. Denn eines ist unbestritten: Unsere Kom-
unen sind die stärkste, innovativste und auch vielfäl-
igste öffentliche Ebene. Diese Pluralität vor Ort macht
uch die Stärke unseres Landes aus. Aus dieser Unter-
chiedlichkeit resultieren im Übrigen auch die bisher
chon sehr unterschiedlichen Lösungen und Lösungsvor-
chläge.
Es kommt nicht von ungefähr – in der heutigen De-
atte wurden schon die verschiedensten Stellungnahmen
enannt –, dass auch vonseiten der kommunalen Familie
erschiedene Stellungnahmen vorliegen, querbeet und
gal von welchen Fraktionen. Die Wirtschaftskraft ist
or Ort unterschiedlich, damit auch die Arbeitslosenquo-
en und die regionalen Strukturen, und auch die kommu-
ale Selbstverwaltung ist je nach Selbstverwaltungsmo-
ell durchaus unterschiedlich.
Aber eines verbindet die Kommunen: Sie sind die
bene, die dem Bürger am nächsten steht und für die
ooperation schon seit Jahrzehnten kein Fremdwort ist.
enn jemand kooperieren und Verträge schließen kann,
ann sind es die Kommunen. Was diese Kooperationsbe-
eitschaft und Flexibilität angeht, kann sich der Bund
on den Kommunen manchmal eine Scheibe abschnei-
en.
948 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 12. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2009
)
)
Bernhard Kaster
Die Lösung liegt auf der Hand. Wir brauchen nach
Bund und Ländern gerade nicht eine quasi in der Verfas-
sung verankerte dritte Ebene in Form einer erstmalig
eingeführten Mischverwaltung. Wir brauchen vielmehr
einen einfachgesetzlichen Rahmen für Kooperations-
möglichkeiten vor Ort unter einem Dach.
Wir brauchen Möglichkeiten der Kooperation zwischen
Bundesagentur und Kommunen auf Augenhöhe.
Lassen Sie mich an dieser Stelle sagen – das ist in die-
ser Debatte noch nicht gesagt worden –, dass sich die
Bundesagentur gerade in den letzten Jahren unter der
Leitung von Frank-Jürgen Weise mit ihren vielen enga-
gierten und kompetenten Mitarbeitern hervorragend und
positiv entwickelt hat und gut aufgestellt ist. Deshalb
muss es auch möglich sein, dass unsere Städte und Ge-
meinden mit viel Freiraum entscheiden können, wie die
Kooperation mit der Bundesagentur ganz konkret aus-
sieht.
In einem Punkt bin ich mir ganz sicher: Wir werden
bürgernahe und effiziente Lösungen für die Arbeitsu-
chenden finden. Frau Bundesministerin von der Leyen
geht deshalb mit der Vorlage des Eckpunktepapiers in
die richtige Richtung.
Wir sollten die Grundgesetzänderung nicht wie eine
Monstranz ständig vor uns hertragen. Es gibt hier andere
Wege. Wir müssen die Kommunen weiter stärken.
Wenn Sie davon sprechen, dass Ihre Lösung die einfa-
chere oder sogar die kostengünstigere ist, dann muss
dem entgegengehalten werden, dass der Bundesrech-
nungshof schon damals, als es um den Gesetzentwurf
ging, betont hat, dass Mehrbelastungen in Höhe von gro-
ßen dreistelligen Millionenbeträgen im Raume stehen,
die zusätzlich auf unsere Volkswirtschaft, auf die Kom-
munen zukommen.
Noch ein Wort dazu, was Vereinfachung von Geset-
zestexten bedeutet. Schauen Sie sich bitte einmal an, wie
der Paragraf, in dem die Finanzierung aus Bundesmitteln
geregelt ist – § 46 SGB II –, derzeit aussieht: Er geht
über mehrere Seiten und hat neun Absätze. Es gibt mit
Sicherheit einfachere Möglichkeiten, das zu regeln.
Es geht hier nicht – Frau Pothmer hat es, glaube ich, so
genannt – um Verfassungsästhetik, aber es geht sehr
wohl darum, dass die Verfassung eine Verfassung ist.
Auch wenn wir, wie das Beispiel des § 46 SGB II zeigt,
bei einfachen Gesetzen Formulierungen haben, die im
Prinzip den Charakter von Rechtsverordnungen haben,
können wir solche Formulierungen nicht in die Verfas-
sung hineinschreiben.
In der letzten Legislaturperiode haben wir mit den
öderalismusreformen I und II sowohl bei den Aufgaben
ls auch bei den Finanzen gerade erst für mehr Klarheit
n der Aufteilung der Kompetenzen zwischen Bund
nd Ländern in der Verfassung gesorgt. Eine verfas-
ungsmäßige Verankerung einer absoluten Mischverwal-
ung würde dies nicht nur konterkarieren, nein, sie wi-
erspräche, wie richtigerweise gesagt worden ist, auch
em Demokratiegebot.
Lassen Sie mich sagen, dass es viele gute Gründe da-
ür gibt, dass, wenn es um unsere Verfassung geht, das
ippi-Langstrumpf-Prinzip – „Ich mach mir die Welt,
ie sie mir gefällt“ – nicht zulässig ist.
eswegen, verehrte Kolleginnen und Kollegen, setzen
ir auf Subsidiarität, auf Freiraum vor Ort, auf Vertrags-
reiheit, auf die Kreativität unserer starken Kommunen –
usammen mit einer gut aufgestellten Bundesagentur für
rbeit. Ich bin überzeugt davon, dass Kommunen und
undesagentur für Arbeit für die Bürgerinnen und Bür-
er, für die es schlichtweg um Existenzsicherung geht,
raktikable Lösungen finden. Wir müssen ihnen hierzu
ur den Freiraum geben.
Ich bedanke mich.
Nächste Rednerin ist die Kollegin Angelika Krüger-
eißner für die SPD-Fraktion.
Sehr geehrte Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kol-
egen! Die Legenden unseres Kollegen Kolb haben mich
in wenig an das erinnert, was in diesem Jahr in puncto
eform der Jobcenter passiert ist.
Als wir uns bereits im März dieses Jahres damit be-
chäftigten, ahnte ich schon Schlimmes; denn die Union
agte Nein zu unserem Vorschlag. Nein zu einem Kom-
romiss, den unser damaliger Arbeitsminister, Olaf
cholz, zusammen mit den Länderchefs und mit Zustim-
ung der Kanzlerin ausgehandelt hatte. Mit diesem
ompromiss hätte der Schwebezustand bei der Betreu-
ng der Langzeitarbeitslosen, den wir seit dem Urteil des
undesverfassungsgerichts haben, endlich beseitigt wer-
en können. Beseitigt hat die Union nicht diesen Schwe-
ezustand, im Gegenteil, beseitigt hat sie sämtliche
offnungen, rechtzeitig eine dauerhafte, tragfähige und
erlässliche Lösung für die Jobcenter zu schaffen.
Die Lösung, die wir bereits im März aufgezeigt hatten
nd die wir heute hier einbringen, besteht in der Fortfüh-
ung der bewährten Zusammenarbeit in den neuen Zen-
ren für Arbeit und Grundsicherung verbunden mit einer
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 12. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2009 949
)
)
Angelika Krüger-Leißner
Änderung des Grundgesetzes. Alle hier wissen, auch
wenn sie es nicht aussprechen, dass es nur so geht.
Dieser Vorschlag wird von vielen Seiten unterstützt:
vom Deutschen Städte- und Gemeindebund, vom Deut-
schen Städtetag, vom Deutschen Landkreistag, von den
Ländern, vor allen Dingen aber – das scheint mir wich-
tig; denn um sie geht es – von den 346 Jobcentern.
Mit unserem Gesetzentwurf zeigen wir auf, dass Leis-
tungen aus einer Hand möglich sind, und das mit dem
geringsten Aufwand an Bürokratie und letztendlich mit
weniger Kosten für Bund und Kommunen.
Sehr geehrte Kollegen der Koalitionsfraktionen, Sie
können das doch nicht einfach beiseiteschieben und mit
Ihrem Eckpunktepapier wider besseres Wissen einen äu-
ßerst vagen und intransparenten Vorschlag auf den Tisch
legen. Wenn das Wirklichkeit wird, dann – da muss ich
Frau Pothmer wirklich zustimmen – haben wir Großbau-
stellen, und das auf lange Sicht.
Die Folgen wären weniger Arbeitsangebote, mehr Büro-
kratie und mehr Ärger und Frust aufseiten der Arbeitsu-
chenden und der Beschäftigten. Das wäre ein Rück-
schritt, der durch nichts zu rechtfertigen ist.
Sehr geehrte Ministerin, ich habe Sie gestern im Aus-
schuss erlebt und gespürt, dass auch Ihnen bei dieser Sa-
che nicht wohl ist. Sie wissen genau, dass es die von Ih-
nen gewünschte freiwillige Zusammenarbeit nicht
ohne Weiteres geben wird; denn nur mit einer Grundge-
setzänderung wäre die bisher erfolgreiche gemeinsame
Arbeit der BA und der Kommunen zu sichern.
Sie fahren hier aber einen Schlingerkurs, weil Sie ein
enormes internes Problem haben, nämlich den Konflikt
zwischen den Koalitionsfraktionen und den Erwartungen
der Länder und Kommunen.
Weil das so ist und wir alle es wissen, stellen die Län-
der nun massive Forderungen. Wenn sie schon auf Ihr
Modell der getrennten Aufgabenwahrnehmung einge-
hen, dann wollen sie pokern. Ich finde das sehr unan-
ständig; denn wir wissen, dass die Hilfe und Betreuung
der Langzeitarbeitslosen und die Sorgen der 55 000 Be-
schäftigten bei diesem Poker keine Rollen spielen wer-
den.
Was die Bundesländer mit ihren Kommunen wollen,
kann man in drei Punkten zusammenfassen: Sie wollen
erstens Leistungen aus einer Hand haben. Genau das
steht in unserem Gesetzentwurf. Sie wollen zweitens
Kooperation auf gleicher Augenhöhe. Genau das steht
bei uns drin. Sie wollen drittens eine langfristige Absi-
cherung der Optionskommunen. Das sichern wir ihnen
zu.
E
D
d
n
t
g
n
A
v
s
G
e
A
k
i
t
V
g
F
O
N
–
V
g
E
k
s
h
V
G
E
m
u
Unter dem Strich entspricht unser Vorschlag also den
rwartungen der Bundesländer und der Kommunen.
urch alle anderen Lösungen, Herr Kolb, zum Beispiel
ie in diesem Eckpunktepapier, wird eine Vielzahl von
euen Problemen aufgeworfen. Sehr geehrte Frau Minis-
erin, dass Sie gerade in diesen wirklich sehr schwieri-
en Zeiten in unserem Land, mitten in der größten öko-
omischen Krise mit weiteren Auswirkungen auf den
rbeitsmarkt, diesen Vorschlag machen, halte ich für
erantwortungslos.
Darum lassen Sie mich zum Schluss einige ganz per-
önliche Worte an Sie richten. Ich weiß, dass diese erste
esetzesarbeit für Sie als Arbeits- und Sozialministerin
ine wirklich große Herausforderung ist. Wir alle, alle
bgeordneten, werden diesen Prozess vor Ort im Wahl-
reis begleiten. Ich bitte Sie: Schauen Sie sich die Arbeit
n den Argen an, sprechen Sie mit den kommunalen Ver-
retern und der BA, diskutieren Sie mit ihnen unseren
orschlag der Hilfe aus einer Hand und spielen Sie Ihre
etrennte Aufgabenwahrnehmung mit den möglichen
olgen durch! Ich möchte Sie einladen, das mit mir vor
rt, vor den Toren Berlins, in der Arge Havelland in
auen zu machen.
Danke.
Das wäre doch nicht schlecht, oder?
Nächste Rednerin ist die Kollegin Andrea Astrid
oßhoff für die CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren Kolle-
en! Hatten Sie schon einmal Zeit und Gelegenheit, die
rstausgabe des Grundgesetzes zu lesen? Falls nicht,
ann ich es Ihnen nur dringend empfehlen. Im Gegen-
atz zur aktuellen Ausgabe ist sie von bestechender Klar-
eit und beeindruckender Kürze.
Wie sagte Bundestagspräsident Lammert bei einer
eranstaltung anlässlich des 60-jährigen Bestehens des
rundgesetzes in diesem Jahr so treffend:
Das Grundgesetz ist in den vergangenen 60 Jahren
deutlich länger geworden. Nach Auskunft von Ex-
perten … hat es inzwischen nahezu den doppelten
Umfang gegenüber dem Text von 1949.
r konstatiert, dass zumindest die Frage erlaubt ist, ob es
it der erheblichen Erweiterung auch erheblich besser
nd präziser geworden ist.
950 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 12. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2009
)
)
Andrea Astrid Voßhoff
Vergleicht man das Grundgesetz mit einem Haus, so
passt der Vergleich, dass das Grundgesetz natürlich nicht
unter Denkmalschutz steht. Veränderte Aufgabenstellun-
gen und veränderte Verfassungswirklichkeiten machen
eine Anpassung immer wieder notwendig. Aber man
kann den noch so gelungenen Grundriss eines Hauses
durch immer neue An- und Umbauten irgendwann auch
völlig verunstalten. Das Haus wird dann nicht unbedingt
schöner; es wird unübersichtlicher. Der Bürger verliert
in seinem eigenen Haus die Orientierung.
Nicht nur das: In einer verfassungsrechtlichen Unter-
suchung aus Anlass des 60-jährigen Bestehens des
Grundgesetzes findet sich unter dem Titel „Vom Altern
einer Verfassung“ der aufschlussreiche Satz:
Ein Blick in den Text des Grundgesetzes bestätigt
die Vermutung, dass wenig so schnell veraltet wie
seine Neuerungen.
Woran mag der Verfasser gedacht haben? Mir fallen
dazu die Ergebnisse der ersten Föderalismuskommis-
sion ein, die gerade mal drei Jahre in Kraft sind und die
von dem Willen getragen waren, Kompetenzen und Zu-
ständigkeiten zwischen Bund und Land zu entflechten
und klar zuzuordnen. Wir haben uns 2006 in der Föko I,
der ersten der beiden großen Staatsreformen in der Ge-
schichte Deutschlands, darauf verständigt, eine Entflech-
tung der Bund-Länder-Beziehungen vorzunehmen. Es
ging dabei um eine klare Abgrenzung der Kompetenzen
der Länder von den Kompetenzen des Bundes, und es
ging um die Stärkung der Demokratie, damit die Bürge-
rinnen und Bürger in Zukunft erkennen können, wer für
was zuständig ist und wer die alleinige Verantwortung
trägt.
Dazu passt es dann auch, dass Professor Korioth in ei-
nem Aufsatz zu der Entscheidung des Bundesverfas-
sungsgerichts, über die wir heute bereits gesprochen ha-
ben, feststellt:
Mit der Verfassungswidrigkeitserklärung der Ar-
beitsgemeinschaften nach § 44 b SGB II erweist
sich wieder einmal das Bundesverfassungsgericht
als diejenige Instanz, die folgerichtig den Gesetzge-
ber anmahnt und die Politik beim Wort nimmt. Wer
die klare Verteilung von Verantwortung fordert,
muss sich auch daran messen lassen.
Die Frage, wie künftig die Leistungsträgerschaft und
die Kostentragung bei der Grundsicherung für Arbeitsu-
chende ausgestaltet werden soll, haben wir also im
Lichte der Änderungen durch die Föderalismuskommis-
sionen und den Entscheidungsspielraum zu beantworten,
den uns das Bundesverfassungsgericht gegeben hat.
Was macht die Opposition? Sie bringt heute zwei Ge-
setzentwürfe zur Änderung des Grundgesetzes ein.
Über die Pläne der SPD ist bereits alles gesagt worden.
Dem braucht man nichts hinzuzufügen. Die Unionsfrak-
tion hat diese Pläne, die zu einem kostenintensiven und
gigantischen Behördenaufbau führen, bereits nach dem
e
w
–
S
z
O
t
l
W
n
N
P
d
S
W
r
s
l
V
a
g
s
d
d
F
o
w
l
G
t
f
V
s
s
t
d
g
g
Zu Recht hat Bundestagspräsident Lammert die Frage
ufgeworfen, welche Folgen es hat, wenn immer häufi-
er neben Grundsätzen und Grundregeln politische Ge-
taltungsabsichten mit Verfassungsrang ausgestattet wer-
en. Er fragt – ich darf zitieren –:
Was das für die Spielräume künftiger Gesetzgeber,
künftiger demokratisch legitimierter Mehrheiten
bedeutet und damit auch für die Architektur eines
politischen Systems, für das wir uns im Großen und
Ganzen regelmäßig wechselseitig beglückwün-
schen und das mit gutem Grund, weil uns in unserer
Geschichte selten Ähnliches ähnlich gut gelungen
ist wie diese Verfassung.
Deshalb stellt sich rechtspolitisch bei der Umsetzung
es Verfassungsgerichtsurteils in beiden Fällen die
rage, ob eine Grundgesetzänderung unumgänglich ist
der ob sich das Problem, was heute mehrfach diskutiert
orden ist, durch einfachgesetzliche Regelungen lösen
ässt. Das gilt sowohl für den Bestand der gemeinsamen
rundsicherung als auch für die Regelung über die Op-
ionskommunen.
Ich finde, das Eckpunktepapier des BMAS bietet da-
ür eine gute Handlungsgrundlage, zumal darin auch der
ersuch gestartet wird, es eben nicht zu einer Verfas-
ungsänderung kommen zu lassen. Das halte ich für
innvoll und zielführend.
Das Bundesverfassungsgericht hat uns einen Gestal-
ungsspielraum gegeben. Wenn man das Urteil intensiv
urchliest, findet sich nicht nur eine Lösung, sondern es
ibt mehrere. Wenn eine verfassungskonforme Lösung
efunden werden kann, ohne die Verfassung zu ändern,
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 12. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2009 951
)
)
Andrea Astrid Voßhoff
dann sollten wir diese favorisieren, selbstverständlich mit
dem Ziel, für die Arbeitsuchenden, um die es uns schließ-
lich geht, eine effiziente Verwaltung auszugestalten.
Meine Damen und Herren, abschließend will ich noch
ein Problemfeld ansprechen. Darüber, inwieweit eine
Entfristung bei den Optionskommunen oder eine Aufsto-
ckung der Zahl dieser Kommunen möglich ist, müssen
wir in verfassungsrechtlicher Hinsicht ausreichend dis-
kutieren; denn wir haben durch die Föderalismusreform I
einen Satz in Art. 84 des Grundgesetzes aufgenommen,
wonach es dem Bund verboten ist, den Kommunen Auf-
gaben zu übertragen. Hier gibt es sicherlich noch Diskus-
sions- und Handlungsbedarf. Aber ich denke, das ist lös-
bar. Wenn man das Urteil des Bundesverfassungsgerichts
liest und sich vor Augen führt, was heute zum Thema
Optionskommunen gesagt wurde, dann stellt man fest:
Unabhängig davon, wie wir es regeln, sind die Options-
kommunen im Zusammenhang mit der Zusammenle-
gung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe ein Erfolgs-
modell geworden. Die Tatsache, dass eine Vielzahl von
Landkreisen künftig ebenfalls optieren will, zeigt, dass
die Union von Anfang an mit den Optionskommunen auf
das richtige Konzept gesetzt hat.
Ich bin sicher, dass wir nach Vorlage des Eckpunkte-
papiers des BMAS in den anschließenden Beratungen
eine vernünftige und im Sinne der Verfassung notwen-
dige Regelung in dieser Frage finden werden.
Vielen Dank.
Letzte Rednerin in dieser Debatte ist nun die Kollegin
Gabriele Lösekrug-Möller.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! In einer
Woche ist Heiligabend. Wir sollten daher einen Blick auf
die Bescherung unserer Regierung werfen. Sie folgt ei-
ner Logik, Herr Kolb, über die man sagen kann: Je grö-
ßer der Baum, desto größer die Geschenke. Wer sich kei-
nen Baum leisten kann, dem wird auch nichts geschenkt.
Das will ich als Eingangsbemerkung einer Debatte vo-
ranstellen, die uns bislang viel Zeit gekostet hat.
Ich zitiere den Minister für Arbeit, Familie und Ge-
sundheit in Hessen, Jürgen Banzer, der in der FAZ vom
10. Dezember konsequent und richtig ausführt:
Eine getrennte Aufgabenwahrnehmung wäre ein
bedauernswerter Rückfall hinter den bereits er-
reichten Stand der Dinge und entspräche auch nicht
den Ansprüchen an eine moderne, kundenfreundli-
che Verwaltung.
Worüber sprechen wir? Wir sprechen über etwas, das
unter dem Tannenbaum des BMAS liegt. Frau Ministe-
r
d
z
r
S
ü
g
e
h
n
D
d
g
v
D
r
d
r
e
E
k
f
A
m
s
v
s
M
n
i
w
i
d
s
W
d
b
l
D
w
l
v
g
u
eil wir im Interesse derer handeln, für die diese Dienst-
eistung erbracht wird. Herr Kolb, das unterscheidet uns
ielleicht von Ihnen.
Abschließend gibt es zwei gute Nachrichten: Die eine
ute Nachricht betrifft die Kollegin Pothmer. Ich glaube,
nter Ihrem Weihnachtsbaum wird eine Koralle liegen.
952 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 12. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2009
)
)
Gabriele Lösekrug-Möller
Die zweite gute Nachricht richtet sich an die Frau Minis-
terin: Weihnachtsgeschenke, die einem nicht behagen,
kann man nach Weihnachten umtauschen. Dies ist eine
Einladung. Wir haben eine Empfehlung.
Danke schön.
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf
den Drucksachen 17/182, 17/181 und 17/206 an die in
der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschla-
gen. Sind Sie damit einverstanden? – Ich sehe, das ist
der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.
Wir kommen zu den Tagesordnungspunkten 22 a bis
22 d sowie zu den Zusatzpunkten 6 a bis 6 g. Es handelt
sich dabei um die Beschlussfassung zu Vorlagen, zu de-
nen keine Aussprache vorgesehen ist.
Tagesordnungspunkt 22 a:
Beratung des Antrags der Fraktionen CDU/CSU,
SPD, FDP, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Einrichtung eines Parlamentarischen Beirats
für nachhaltige Entwicklung
– Drucksache 17/245 –
Wer stimmt für diesen Antrag? – Wer ist dagegen? –
Enthaltungen? – Der Antrag ist damit einstimmig ange-
nommen.
Tagesordnungspunkt 22 b:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Rechtsausschusses zu
der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Vorschlag für eine Verordnung des Europäi-
schen Parlaments und des Rates über die Zu-
ständigkeit, das anzuwendende Recht, die An-
erkennung und die Vollstreckung von Entschei-
dungen und öffentlichen Urkunden in Erbsa-
chen sowie zur Einführung eines Europäischen
KOM-Nr. 154 endg.; Ratsdok.-Nr. 14722/
09
– Drucksachen 17/136 A.30, 17/270 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Thomas Silberhorn
Dr. Eva Högl
Stephan Thomae
Raju Sharma
Ingrid Hönlinger
Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfeh-
lung auf Drucksache 17/270, in Kenntnis der Unterrich-
tung eine Entschließung anzunehmen. Wer stimmt für
diese Beschlussempfehlung? – Ist jemand dagegen? –
E
S
l
n
s
g
m
m
d
i
s
s
t
n
g
S
)
)
)
)
Wir kommen zum Tagesordnungspunkt 8 f:
Richterwahlausschuss gemäß § 5 des Richter-
wahlgesetzes
– Drucksachen 17/219, 17/220, 17/221, 17/222,
17/223 –
Hierzu liegen Ihnen auf den Drucksachen 17/219 bis
17/223 Listen mit Wahlvorschlägen vor. Sie benötigen
für diese Wahl die Stimmkarte und den Wahlausweis in
der Farbe Orange. Auch hier mache ich darauf aufmerk-
sam, dass Sie auf dieser Stimmkarte nur einen Vorschlag
ankreuzen dürfen.
Ich bitte nun die Schriftführerinnen und Schriftführer,
die Plätze an den Wahlurnen einzunehmen. Sind die
Plätze an den Urnen besetzt? – Das ist der Fall. Ich er-
öffne die Wahl.
Darf ich diejenigen Schriftführerinnen und Schrift-
führer, die nicht an den Urnen eingeteilt sind, bitten, in
d
n
S
F
f
b
k
G
n
d
H
S
C
G
s
D
g
d
n
W
1
j
s
n
1) Ergebnis Seite 991 A 2)
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir setzen nun die
remienwahlen fort. Dazu bitte ich Sie, Ihre Gespräche
ach Möglichkeit einzustellen und die freien Plätze, von
enen es genügend gibt, einzunehmen.
Wir kommen zunächst zu vier Wahlen, die mittels
andzeichen erfolgen. Danach folgen zwei Wahlen mit
timmkarte und Wahlausweis.
Tagesordnungspunkt 8 g:
– Beratung des Antrags der Fraktionen CDU/CSU,
SPD, FDP, DIE LINKE und BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN
Einsetzung des Gremiums gemäß Artikel 13
Absatz 6 des Grundgesetzes
– Drucksache 17/224 –
– Wahl der Mitglieder des Gremiums gemäß
Artikel 13 Absatz 6 des Grundgesetzes
– Drucksache 17/225 –
Dazu liegt ein gemeinsamer Antrag der Fraktionen
DU/CSU, SPD, FDP, Die Linke und Bündnis 90/Die
rünen auf Drucksache 17/224 vor. Wer stimmt für die-
en Antrag? – Ist jemand dagegen? – Enthaltungen? –
er Antrag ist mit den Stimmen des ganzen Hauses an-
enommen. Damit ist das Gremium nach Art. 13 Abs. 6
es Grundgesetzes eingesetzt und die Mitgliederzahl auf
eun festgelegt.
Zu diesem soeben eingesetzten Gremium liegen
ahlvorschläge aller fünf Fraktionen auf Drucksache
7/225 vor. Wer stimmt für diesen Wahlvorschlag? – Ist
emand dagegen? – Enthaltungen? – Die Wahlvor-
chläge sind mit den Stimmen des ganzen Hauses ange-
ommen.
Wir kommen zum Tagesordnungspunkt 8 h:
– Beratung des Antrags der Fraktionen CDU/CSU,
SPD, FDP, DIE LINKE und BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN
Einsetzung des Gremiums gemäß § 10 a des
Finanzmarktstabilisierungsfondsgesetzes
– Drucksache 17/226 –
– Wahl der Mitglieder des Gremiums gemäß
§ 10 a des Finanzmarktstabilisierungsfonds-
gesetzes
– Drucksache 17/227 –
Ergebnis Seite 991 A
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 12. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2009 955
)
)
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt
Wer stimmt für den gemeinsamen Antrag auf Einset-
zung des Gremiums auf Drucksache 17/226? – Wer
stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Antrag ist mit
den Stimmen des ganzen Hauses angenommen. Damit
ist das Gremium gemäß § 10 a des Finanzmarktstabili-
sierungsfondsgesetzes eingesetzt.
Wir kommen nun zur Wahl der Mitglieder. Wer
stimmt für die gemeinsamen Wahlvorschläge auf Druck-
sache 17/227? – Ist jemand dagegen? – Enthaltungen? –
Die Wahlvorschläge sind einstimmig angenommen.
Wir kommen zum Tagesordnungspunkt 8 i:
Vertreter der Bundesrepublik Deutschland in
der Parlamentarischen Versammlung des
gemäß den Artikeln 1 und 2 des Gesetzes über
die Wahl der Vertreter der Bundesrepublik
Deutschland zur Parlamentarischen Ver-
sammlung des Europarates
– Drucksache 17/228 –
Dazu liegen Wahlvorschläge der Fraktionen CDU/
CSU, SPD, FDP, Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen
auf Drucksache 17/228 vor.
Wer stimmt für diese Wahlvorschläge? – Wer ist da-
gegen? – Enthaltungen? – Die Wahlvorschläge sind ein-
stimmig angenommen.
Tagesordnungspunkt 8 j:
Wahl der Mitglieder des Verwaltungsrates der
Kreditanstalt für Wiederaufbau
– Drucksache 17/229 –
Auch dazu liegt ein Wahlvorschlag der Fraktionen der
CDU/CSU und der SPD vor. Wer stimmt für den Wahl-
vorschlag auf Drucksache 17/229? – Ist jemand dage-
gen? – Enthaltungen? – Der Wahlvorschlag ist mit den
Stimmen des ganzen Hauses angenommen.
Bevor wir zum nächsten Tagesordnungspunkt kom-
men, muss ich Sie auf Folgendes aufmerksam machen:
Die Stimmzettel für die nächste Wahl müssen korrigiert
oder eventuell neu gedruckt werden. Wir wollen das jetzt
klären. Ich bitte deshalb die Geschäftsführer, kurz zu mir
zu kommen.
Ich unterbreche die Sitzung für einige Minuten.
Die Sitzung ist wieder eröffnet.
Wir haben folgenden Sachverhalt: Auf dem gelben
Zettel, auf dem die Wahlvorschläge für das Vertrauens-
gremium enthalten sind, fehlt hinter dem Namen des
Kollegen Heinz-Peter Haustein von der FDP-Fraktion
der Kreis für das Kreuz. Das mag für den einen oder an-
deren zunächst einmal nicht allzu entscheidend zu sein.
Aber dieser Kringel ist sehr wichtig, weil er die Stelle
anzeigt, wo das Kreuz gemacht werden muss. Ohne ein
K
w
A
e
h
s
l
v
n
v
I
h
i
s
8
k
c
d
d
B
M
m
d
a
B
3
d
CSU, SPD, FDP, DIE LINKE und BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN
Einsetzung des Vertrauensgremiums gemäß
§ 10 a Absatz 2 der Bundeshaushaltsord-
nung
– Drucksache 17/230 –
– Wahl der Mitglieder des Vertrauensgre-
miums gemäß § 10 a Absatz 2 der Bundes-
haushaltsordnung
– Drucksache 17/231 –
l) – Beratung des Antrags der Fraktionen CDU/
CSU, SPD, FDP, DIE LINKE und BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN
Einsetzung des Gremiums gemäß § 3 des
Bundesschuldenwesengesetzes
– Drucksache 17/232 –
– Wahl der Mitglieder des Gremiums gemäß
§ 3 des Bundesschuldenwesengesetzes
– Drucksache 17/233 –
Zunächst kommen wir zu zwei Wahlen mit Stimm-
arte und Wahlausweis. Das betrifft den soeben bespro-
henen Wahlvorgang. Es geht dabei um die Einsetzung
es Vertrauensgremiums gemäß § 10 a Abs. 2 der Bun-
eshaushaltsordnung und des Gremiums gemäß § 3 des
undesschuldenwesengesetzes sowie um die Wahl der
itglieder dieser beiden Gremien. Gewählt in diese Gre-
ien ist, wer die Stimmen der Mehrheit der Mitglieder
es Bundestages auf sich vereint. Ich bitte Sie, darauf zu
chten: Gewählt ist, wer die Mehrheit der Mitglieder des
undestages auf sich vereint, das heißt, wer mindestens
12 Stimmen erhält.
Die Stimmkarten in den Farben Gelb und Weiß wur-
en verteilt. Sie benötigen außerdem, wie bei den ande-
956 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 12. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2009
)
)
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt
ren Wahlgängen auch, jeweils Ihre Wahlausweise. Auch
hier gilt wieder: Bevor Sie die entsprechende Stimm-
karte in eine der Wahlurnen werfen, übergeben Sie bitte
Ihren dazugehörenden Wahlausweis einem der Schrift-
führer an den Wahlurnen. Der Nachweis der Teilnahme
an der Wahl kann nur durch Abgabe des Wahlausweises
erbracht werden. Auch diese Wahlen finden offen statt.
Sie können also die Stimmkarten auch an Ihrem Platz
ankreuzen.
Zunächst kommen wir zum Tagesordnungspunkt 8 k
und damit zum Vertrauensgremium gemäß § 10 a Abs. 2
der Bundeshaushaltsordnung. Bevor wir die Mitglieder
wählen, rufe ich den gemeinsamen Antrag der Fraktio-
nen der CDU/CSU, der SPD, der FDP, der Linken und
des Bündnisses 90/Die Grünen auf Drucksache 17/230
zur Einsetzung dieses Gremiums und zur Festlegung der
Anzahl der Mitglieder auf. Wer stimmt für den An-
trag? – Ist jemand dagegen? – Enthaltungen? – Der An-
trag ist damit einstimmig angenommen. Das Vertrauens-
gremium ist damit eingesetzt und die Mitgliederzahl auf
zehn festgelegt.
Nun kommen wir zur Wahl der Mitglieder des Ver-
trauensgremiums. Für diese Wahl brauchen Sie nun den
gelben Wahlausweis und die gelbe Stimmkarte, über die
vorhin gesprochen wurde. Sie können zehn Namensvor-
schläge ankreuzen. Ungültig sind Stimmkarten, die an-
dere Namen oder Zusätze enthalten. Wer sich der
Stimme enthalten will, macht keine Eintragung. Das gilt
auch für die im Anschluss folgende Wahl.
Nun bitte ich die Schriftführerinnen und Schriftfüh-
rer, die Plätze einzunehmen. – Das ist erfolgt. Dann er-
öffne ich die Wahl. –
Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine
Stimmkarte nicht abgegeben hat? – Das ist nicht der
Fall. Dann schließe ich diese Wahl und bitte, auszuzäh-
len. Das Ergebnis wird Ihnen auch hier später bekannt-
gegeben.1)
Wir kommen schließlich zum Tagesordnungs-
punkt 8 l, zunächst zum gemeinsamen Antrag der Frak-
tionen der CDU/CSU, der SPD, der FDP, der Linken und
des Bündnisses 90/Die Grünen zur Einsetzung des Gre-
miums und zur Festlegung der Anzahl der Mitglieder.
Wir stimmen nun über den gemeinsamen Antrag auf
Drucksache 17/232 ab. Wer stimmt für diesen Antrag? –
Wer ist dagegen? – Enthaltungen? – Der Antrag ist mit
den Stimmen des ganzen Hauses angenommen. Damit
ist das Gremium gemäß § 3 des Bundesschuldenwesen-
gesetzes eingesetzt und die Mitgliederzahl auf zehn fest-
gelegt.
Für die Wahl der Mitglieder benötigen Sie nun die
weiße Stimmkarte und Ihren weißen Wahlausweis. Auf
der Stimmkarte können Sie zehn Namensvorschläge an-
kreuzen. Ich bitte nun die Schriftführer, zu diesem letz-
ten Wahlgang die Plätze an den Urnen einzunehmen. –
Wie mir signalisiert wird, ist das geschehen. Dann er-
öffne ich die Wahl.
i
s
E
k
f
d
n
F
B
r
s
D
d
d
t
a
t
d
n
l
Z
e
v
s
W
E
d
F
d
A
–
g
B1) Ergebnis Seite 991 B
Wir wollen heute von Ihnen ein klares Bekenntnis zur
inanztransaktionssteuer hören, ein Bekenntnis nicht nur
er Kanzlerin, sondern auch des Koalitionspartners FDP.
ber das ist wohl kaum zu erwarten.
Ihr neuer Generalsekretär hat eine solche Steuer ja erst
estern als antiquiertes Denken abgetan. Ohne ein klares
ekenntnis der gesamten Koalition sind die schönen
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 12. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2009 957
)
)
Joachim Poß
Worte von Frau Merkel von heute Morgen aber leider
wieder einmal herzlich wenig wert.
Wir haben damit schon in der Großen Koalition Erfah-
rungen gemacht.
Diese Worte sind genauso wenig wert wie ihre dau-
ernden Mahnungen in Sachen Bankerboni, denen man
regelmäßig die Ablehnung konkreter Maßnahmen folgen
lässt, zuletzt bezogen auf eine Bonusabgabe, wie sie in
Großbritannien vorgesehen ist. Das Bekenntnis der Bun-
deskanzlerin zu dieser Steuer ersetzt doch nicht konkrete
Maßnahmen gegen den Bonuswahnsinn. Mit ihren State-
ments hat sie diesen Eindruck nämlich erweckt.
Das kann man doch nicht gegeneinander ausspielen und
sagen: Gegen die Boni brauche ich nichts zu tun, weil
ich für die Transaktionsteuer bin. Nein, wir brauchen ein
ganzes Bündel von Maßnahmen, das gezielt gegen sämt-
liche Ursachen der Finanzkrise wirkt.
Wir Sozialdemokraten haben bereits am Jahresanfang
in einem 14-Punkte-Katalog von Herrn Steinbrück und
Herrn Steinmeier skizziert, wie ein solch umfassender
Ansatz aussehen könnte. Die Finanztransaktionssteuer
und klare Begrenzungen für Bonuszahlungen gehören
dazu, reichen aber nicht aus.
Die Bundesregierung muss endlich begreifen, dass
ein Versagen der Politik im Umgang mit der Finanzkrise,
mit ihren Ursachen und Folgen nicht nur eine ökonomi-
sche Dimension hat, sondern eine reale Gefahr für den
sozialen Zusammenhalt in unserer Gesellschaft und für
die Akzeptanz unserer Demokratie bedeutet. Das hat
nicht nur einen moralischen Aspekt, wie Frau Merkel
heute sagte. Diesen Aspekt mag das auch haben, aber der
soziale Zusammenhalt, der eh schon brüchig ist – das
sieht man, wenn man ganz kritisch darauf schaut –, wird
durch Meldungen wie die, die wir in den letzten Tagen
erhalten haben, weiter untergraben: Es wurden noch ein-
mal 3 Milliarden Euro Steuergelder in die balkanesi-
schen Abenteuer der Bayern LB versenkt, und am nächs-
ten Tag hat Herr Ackermann das Gewinnziel für seine
Bank mit 10 Milliarden Euro angegeben, von denen die
eine oder andere Milliarde selbstverständlich in den Bo-
nustöpfen seiner Börsenhändler landen wird. Das ist ein-
fach unerträglich.
Wir wollen hier nicht zündeln, ganz im Gegenteil.
Das hält unsere Gesellschaft auf Dauer nicht aus, und
das müssen alle politischen Akteure in diesem Hause
endlich kapieren.
d
K
S
d
l
–
t
K
h
m
F
-
F
g
l
S
g
V
h
s
W
S
n
D
e
Das wollte ich gerade in Erinnerung bringen. Sie dis-
anzieren sich teilweise von dem, was wir in der Großen
oalition gemeinsam auf den Weg gebracht haben.
Das muss natürlich in einer gewissen Kontinuität ste-
en. Man darf Sie durchaus daran erinnern, was wir ge-
einsam erfolgreich auf den Weg gebracht haben:
inanzmarktstabilisierungsgesetz, -ergänzungsgesetz und
fortentwicklungsgesetz. Das waren Reaktionen auf die
inanzkrise. Wir haben einen Rahmen für die Institute
eschaffen, um die soziale Marktwirtschaft in Deutsch-
and erhalten zu können.
Es bringt nichts, wenn Sie jetzt in diesem forschen
til Dinge interpretieren, die die Kanzlerin heute Mor-
en in ihrer Regierungserklärung, aber auch durch ihr
erhalten auf den Gipfeln nicht zum Ausdruck gebracht
at.
Wenn ich noch einmal zitieren darf, was der Europäi-
che Rat beschlossen hat:
Der Europäische Rat fordert den IWF auf, bei sei-
ner Überprüfung die gesamte Bandbreite von Op-
tionen einschließlich Versicherungsprämien, Ab-
wicklungsfonds, Vereinbarungen über bedingtes
Kapital … sowie eine globale Steuer auf Finanz-
transaktionen in Betracht zu ziehen.
ir haben also mehrere Optionen. Es ist nicht so, wie
ie unterstellen, dass dies schon das Bekenntnis zur Fi-
anztransaktionssteuer ist.
as müssen Sie einmal zur Kenntnis nehmen. Das ist
ine von vielen Möglichkeiten.
958 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 12. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2009
)
)
Leo Dautzenberg
Aber wenn Sie das gemeinsam machen wollen, müssen
Sie alle Optionen offenhalten. Die Beauftragung an den
IWF ist gegeben; Vergleichbares ist auch in Pittsburgh
beschlossen worden. Jetzt warten Sie doch einmal ab,
was der IWF feststellen wird. Man kann sich doch nicht
für ein System entscheiden, wenn man nicht durch welt-
weite Erhebung überblicken kann, wie die Wirksamkeit
solcher Maßnahmen ist. Wir sind ja bereit – das ist im-
mer unsere Forderung gewesen –, Teile des Finanzsek-
tors, der uns in die Krise geführt hat, an den Kosten zu
beteiligen. Nur muss man dann auch ein wirksames In-
strumentarium haben und nicht nur vollmundige Erklä-
rungen abgeben, durch die man im Grunde nichts er-
reicht.
Ich hätte erwartet, Herr Kollege Poß, dass Sie heute
etwas dazu sagen, was in Ihrem Programm steht, näm-
lich dass Sie im nationalen Alleingang eine Börsenum-
satzsteuer für Finanzprodukte an der Börse einführen
wollen.
Das ist ein einseitiger Vorgang, der dazu führen würde,
dass sich diese Umsätze vom deutschen Finanzmarkt zu
anderen verlagern. Ich hätte erwartet, dass Sie dazu Stel-
lung beziehen, dass Sie solche Alleingänge machen wol-
len,
die nur vielleicht die sozialdemokratische Seele befriedi-
gen, aber der Lösung des Problems nicht Rechnung tra-
gen. Dem wollen wir uns widmen.
Eine Finanztransaktionssteuer, wenn man es vom theo-
retischen Ansatz her betrachtet, ist möglicherweise
durchaus ein Instrumentarium, spekulative Umsätze teil-
weise zu erschweren, indem man sie mit zusätzlichen
Kosten belegt. Das ist die Theorie. Die Frage ist: Trägt
dann der Finanzsektor diese Kosten, oder werden sie nur
überwälzt, sodass der Anleger, der Kunde, der In-
vestmentsparer, der Riester-Sparer dann für die ganze
Chose zahlt und der Finanzsektor, den wir eigentlich be-
teiligen wollten, wiederum außen vor ist? Wenn das so-
zialdemokratische Politik ist, dann herzlichen Glück-
wunsch zu diesen Vorgaben.
Wir müssen die Wirksamkeit sehen. Es hilft im End-
effekt auch nicht, wenn nur Europa das beschließt, son-
dern es muss weltweit gelten,
wenn es wirksam sein soll.
D
B
a
w
c
i
S
s
a
S
a
v
u
A
f
g
s
r
a
W
d
F
W
e
w
I
s
s
D
-
a
l
d
G
s
a muss man auch noch fragen: Was beziehen wir in die
emessung ein? Nur die Börsenumsätze oder auch die
ußerbörslichen, also Over-the-Counter-Geschäfte? Wie
ollen Sie die erfassen, sodass dann die jeweilige Bran-
he diese Kosten selber trägt und nicht überwälzt? Das
st also ein breites Spektrum. Kollege Poß, da ist mit
chnellschüssen nicht gedient,
ondern die Kanzlerin steht hier zur Verantwortung, das
uf europäischer Ebene etwas beschlossen wird. Diese
teuer ist eine von vielen Optionen.
Beschreiten Sie doch den Weg, den wir gemeinsam
ngefangen haben, mit, dass wir uns um die Regulierung
on Märkten und Produkten weltweit kümmern
nd das Zeitfenster, das noch offen ist, nutzen. Da ist die
ufsicht gefragt. Da sind manche Finanzprodukte ge-
ragt. Das ist der wirksamere Weg, kurzfristig zu Erfol-
en zu kommen. Wir müssen dieses Zeitfenster nutzen,
onst geht es so weiter, wie es im angelsächsischen Be-
eich teilweise schon wieder praktiziert wird, wo man
nnehmen muss, dass sie nichts daraus gelernt haben.
ir sind bereit, verantwortungsvoll den Weg zu gehen,
er von den vielen Optionen bestimmt wird.
Vielen Dank.
Nächster Redner ist der Kollege Axel Troost für die
raktion Die Linke.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
ir begrüßen es natürlich außerordentlich, dass die SPD
ine Aktuelle Stunde zu diesem Thema beantragt hat,
eil auch wir es für sehr wichtig halten.
ch persönlich habe diese Steuer vor zehn Jahren im Zu-
ammenhang mit der Arbeitsgruppe „Alternative Wirt-
chaftspolitik“ im Memorandum 2000 schon gefordert.
amals haben wir das noch Kapitalverkehrsteuer oder
steuern genannt. Es ging auch schon damals darum, die
bgeschaffte Börsenumsatzsteuer, ergänzt um außerbörs-
iche Aktivitäten mit der Devisentransaktionsteuer, also
er Tobin-Steuer, zu verbinden zu einer einheitlichen
esamtkapitalverkehr- oder heute Finanztransaktions-
teuer.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 12. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2009 959
)
)
Dr. Axel Troost
Ziel und Zweck dieser Steuer war damals wie heute
erstens – das ist erwähnt worden –, Finanztransaktionen,
wie man das so schön sagt, zu entschleunigen, also mini-
mal zu verteuern – darauf komme ich gleich noch einmal –,
um letztlich ganz kurzfristige Spekulationen etwas un-
attraktiver zu machen und damit Entschleunigung zu be-
wirken.
Zweitens geht es aber auch darum, ganz erhebliche
Einnahmen zu erzielen; das ist hier noch gar nicht er-
wähnt worden. Das Österreichische Institut für Wirt-
schaftsforschung in Wien hat im Sommer letzten Jahres
eine Studie vorgelegt, in der die Folgen der Einführung
dieser Steuer simuliert wurden. Man kam zu dem Ergeb-
nis, dass bei einem Steuersatz von 0,01 Prozent pro
Transaktion in der Bundesrepublik Deutschland Einnah-
men in Höhe von 13 bis 15 Milliarden Euro alleine aus
Wertpapiergeschäften und europaweit Einnahmen von
weiteren 20 Milliarden Euro aus Devisentransaktionsge-
schäften entstehen. Es geht also um sehr viel Geld, das
wir auch verwenden könnten, um die Kosten, die die
Finanzmarktkrise verursacht hat, zumindest zum Teil zu
kompensieren.
Weil es letztlich um den Steuersatz geht, wenn man
versucht, diese Steuer national oder europaweit relativ
schnell einzuführen, möchte ich, weil gleich mit Sicher-
heit das Argument der privaten Sparer angeführt wird,
darauf hinweisen, was ein Steuersatz von 0,01 Prozent
bedeutet. Ein Steuersatz von 0,01 Prozent heißt: Wenn
ein Privatanleger ein Depot mit Aktien oder festverzins-
lichen Wertpapieren im Wert von 100 000 Euro anlegt,
muss er einmalig 10 Euro bezahlen. Die Bankgebühren
für dieses Depot betragen allerdings zwischen 1 000 und
2 000 Euro. Das möchte ich einmal deutlich machen.
Die Einführung dieser Steuer hätte Einnahmen von
insgesamt 13 Milliarden Euro zur Folge, und das, ob-
wohl bereits simuliert wurde, dass es zu einem Rück-
gang der Zahl der Transaktionen kommen würde. Inso-
fern glaube ich, dass sehr viel für die Einführung dieser
Steuer spricht und dass man dieses Thema jetzt entschie-
den angehen sollte.
Ich bin in dieser Debatte leider sehr früh an der Reihe,
sodass ich später nicht mehr reagieren kann. Wahr-
scheinlich wird im weiteren Verlauf der Diskussion ne-
ben dem Argument der Sparerinnen und Sparer auch ar-
gumentiert: Eine solche Steuer kann man nur weltweit
einführen,
eventuell in einem Schlag europaweit, am besten aber
weltweit. – Das heißt letztlich, dass man sich hinter der
Welt versteckt und keine eigenen Aktivitäten entwickelt.
Das Mindeste, was uns gelingen muss, ist, dass wir
ähnlich wie das belgische und das französische Parla-
ment einen Vorratsbeschluss fällen, der lautet: Wenn
diese Steuer europaweit eingeführt werden sollte, dann
i
d
c
U
d
A
f
v
p
s
e
l
i
d
E
F
M
k
e
V
W
h
l
z
t
n
S
F
s
l
a
u
d
s
v
n
s
Das Wort hat nun Kollege Frank Schäffler für die
DP-Fraktion.
Bleiben Sie ruhig, Herr Kuhn. – Herr Präsident!
eine sehr geehrten Damen und Herren! Die FDP be-
ennt sich zu dem, was im September dieses Jahres ver-
inbart wurde, schon allein aus Verantwortung für die
erpflichtungen, die wir international eingegangen sind.
ir unterstreichen das, was Herr Dautzenberg gesagt
at: Es handelt sich um einen Prüfauftrag. Dennoch ent-
ässt uns dieser Prüfauftrag nicht aus der Verantwortung,
u hinterfragen, welche Wirkung eine Finanztransak-
ionssteuer hat. Nicht ohne Grund haben Länder wie Dä-
emark, Frankreich, Italien, Luxemburg, Österreich,
chweden, Spanien und letztendlich Deutschland – die
DP gemeinsam mit der Union – 1991 die Börsenum-
atzsteuer abgeschafft: Sie war nachteilig für den jewei-
igen Börsenplatz, sie hat der Aktienkultur und damit
uch der privaten Altersvorsorge geschadet,
nd sie hat die Kapitalaufnahme von Unternehmen über
ie Börse verteuert.
Alle statischen Einnahmerechnungen stimmen nicht,
ie stimmten nie. Eine Steuer auf Finanztransaktionen
erhindert auch keine Investitionsblasen und keine Fi-
anzkrisen. Sie kann Investitionsblasen und Finanzkri-
en nicht verhindern, weil die Ursachen für ihre Entste-
960 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 12. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2009
)
)
Frank Schäffler
hung nichts mit dem Umfang von Finanztransaktionen
oder mit ihrer Geschwindigkeit zu tun haben.
Eine wesentliche Ursache für die Entstehung von In-
vestitionsblasen und Finanzkrisen liegt in der falschen
Geldpolitik der Notenbanken,
insbesondere der amerikanischen Fed, die mit billigem
Geld Spekulationsblasen erst ermöglicht hat.
Diese Politik des billigen Geldes, das nicht auf Erspar-
nissen beruht, ist die Ursache dafür, dass wir immer wie-
der eine Abkopplung des Finanzbereiches von der Real-
güterwirtschaft feststellen müssen. Das war im Kern
auch die Ursache der Weltwirtschaftskrise von 1929.
Wir befürchten, dass der Ruf nach dieser neuen Steuer
auf Finanztransaktionen schlicht ein Ablenkungsmanö-
ver ist. Übrigens befürchten nicht nur wir das: Noch in
der vergangenen Legislaturperiode hat sich die SPD
selbst gegen diese Steuer ausgesprochen.
Die Berichterstatterin der SPD für den Finanzmarkt,
Frau Nina Hauer – leider nicht mehr im Parlament; Sie
haben sie nicht früh genug auf die Liste gesetzt –, hat die
Ablehnung eines Antrages zur Einführung einer Bör-
senumsatzsteuer
noch mit den Worten begründet – ich zitiere –:
Sie treffen mit der Börsenumsatzsteuer nur die klei-
nen Sparer, die ihr erarbeitetes Vermögen oder ihre
erwirtschafteten Gewinne, ihre Altersversorgung an
der Börse anlegen.
Sie sehen: Die SPD hat sich kurz vor der Wahl umorien-
tiert und ist jetzt letztendlich dabei, dem gemeinen Popu-
lismus hinterherzurennen.
Ich will zur Ehrenrettung unseres Koalitionspartners
zitieren, dass der bayerische Finanzminister Fahrenschon
und der CDU-Generalsekretär Pofalla – so berichtet die
Welt vom 18. September 2009 – vorgerechnet haben, dass
ein Riester-Sparer, der heute 30 000 Euro brutto verdient
und den für die maximale Förderung notwendigen Betrag
einzahlt, durch eine solche Steuer in 20 Jahren um
4 700 Euro gebracht wird.
Es trifft also – anders als von verschiedener Seite darge-
stellt wird – die kleinen Sparer.
s
z
l
w
B
d
d
S
n
s
d
f
D
e
k
o
B
N
W
g
s
d
g
A
w
a
m
w
d
S
k
l
Dies alles kann man nicht mit der Aussage wegwi-
chen: Es kann nicht weitergehen wie bisher. Das stimmt
war; aber es ist aus meiner Sicht zu wenig. Man müsste
etztendlich die Ursachen angehen: Die heutige Welt-
irtschaftskrise ist eine Krise der Überschuldung von
anken und Staaten. Das Kernproblem besteht darin,
ass im heutigen Geldsystem Kredite gewährt werden,
ie nicht durch Ersparnisse gedeckt sind.
olch ein aus dem Nichts geschaffenes Geld produziert
icht nur immer schwerere Wirtschafts- und Finanzkri-
en, sondern führt auch in eine Überschuldungssituation,
ie unsere Wirtschaftsordnung und letztendlich auch die
reiheitliche Gesellschaft ruiniert.
eshalb ist es, glaube ich, zu einfach, populistisch nach
iner neuen Steuer zu rufen. Entscheidend ist, dass wir
ünftige Krisen durch eine marktwirtschaftliche Geld-
rdnung verhindern.
Vielen Dank.
Das Wort hat jetzt Gerhard Schick für die Fraktion
ündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
enn man die Rechnung, die Herr Schäffler gerade auf-
estellt hat, einmal für die intransparenten Bankprovi-
ionen machen würde, dann kämen wir auf eine ganz an-
ere Größenordnung.
Deswegen finde ich, wäre es eine gute Politik – das ist
enau das, was wir vorschlagen –, für einen richtigen
nlegerschutz zu sorgen; denn dann würde der Nettoge-
inn für den Anleger so groß sein, dass wir noch ganz
ndere Steuersätze festlegen könnten, und dann würde
an den Banken wirklich einmal etwas abfordern und
irklich etwas für die Kunden tun. Bei dem Punkt hat
ie FDP in der letzten Zeit aber immer gekniffen.
tattdessen war sie an der Stelle die Lobby für die Ban-
en, Versicherungen und Fonds, um es intransparent zu
assen. Das werden wir ja noch einmal sehen.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 12. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2009 961
)
)
Dr. Gerhard Schick
In einem aber hat der Kollege Schäffler natürlich
recht: Vorgeschaltet vor die Frage der Haltung der Bun-
desregierung könnten wir auch eine Aktuelle Stunde zur
Haltung der SPD zur Finanzumsatzsteuer durchführen.
Sie unterlag in den letzten Monaten einer gehörigen
Schwankung. Herr Schäffler hat hier völlig richtig zi-
tiert.
Zu einem Zeitpunkt, als Herr Steinmeier und Herr
Steinbrück schon für eine Börsenumsatzsteuer und eine
weltweite Finanzumsatzsteuer waren, wurde hier im
Bundestag noch argumentiert, so eine Steuer schade dem
kleinen Sparer.
Plötzlich ist man jetzt doch dafür. Ich habe eine Bitte an
die nächsten Rednerinnen und Redner der SPD: Erklären
Sie uns einmal, was jetzt wirklich Ihre Position ist.
Nun aber zur Regierung; hier sind wir uns ja einig.
Die Kanzlerin hat heute Morgen gesagt, das sei auch
eine moralische Frage.
Ich würde sagen: Es ist jetzt vor allem eine politische
Frage, ob die Bundesregierung das wirklich unterstützt
oder ob hier ins Blaue hinein ein Prüfauftrag erteilt wird,
bei dem ein Minister dieser Regierung direkt sagt: Da-
raus soll nie etwas werden. – So geht es aber nicht.
Mit dieser Art der Unterstützung wird daraus interna-
tional nie etwas. Sie tun genau das: National sagen Sie:
„Es geht nicht“, über Europa verlieren Sie kein Wort,
und global versuchen Sie, dies in ein politisches Nir-
wana zu schicken, damit nichts herauskommt.
Die Idee ist zu gut, als dass Sie sie einfach ins Off kata-
pultieren können.
Gerade in der Europäischen Union besteht eine wirk-
liche Chance, hier etwas zu tun. Nicht nur aus den konti-
nentaleuropäischen Ländern, deren Parlamente schon
gesagt haben: „Wir machen das mit, wenn die anderen
mitmachen“, sondern auch aus Großbritannien kommt
e
C
r
ö
K
d
u
e
u
g
M
b
j
w
b
D
e
f
b
–
d
l
t
d
d
D
i
m
m
e
m
d
d
w
u
w
v
w
Es geschieht ja nicht so häufig, dass sich Bürgerinnen
nd Bürger aktiv für die Einführung einer neuen Steuer
insetzen, wie das gerade mit der Petition für eine Finanz-
msatzsteuer geschehen ist. Das zeigt, dass es hier eine
rundlegende Ungerechtigkeit und etwas gibt, was die
enschen nicht verstehen.
Warum wird auf jeden Schrank, den der Schreiner
aut, auf jedes Brötchen, das der Bäcker backt, und auf
ede Friseurdienstleistung eine Umsatzsteuer erhoben,
ährend das nicht geschieht, wenn es um die Umsätze
eim Finanzhandel in Frankfurt geht? Warum ist das so?
iese Frage müssen Sie uns einmal beantworten. Das ist
ine Privilegierung der Finanzbranche, die wir abschaf-
en müssen, um einen fairen Finanzierungsbeitrag zu ha-
en.
Wenn man sich anschaut, welche Konsolidierungsbe-
arfe Sie haben, dann erkennt man, dass das ein sehr re-
evanter Ansatzpunkt ist.
Da Sie offensichtlich nicht in der Lage sind, interna-
ionale Zusagen der Bundesregierung zur Finanzierung
er Entwicklungshilfe einzuhalten, stellt sich vielleicht
ie Frage, wie wir die Finanzlasten in Zukunft verteilen.
ass das alles ökonomisch überhaupt nicht gehen soll,
st interessant. In den USA unterstützen 200 renom-
ierte Wirtschaftswissenschaftler die Einführung einer
oderaten Finanzumsatzsteuer, wobei die gleichen Steu-
rsätze gelten sollen, die wir auch vorschlagen. Man
üsste sich vielleicht einmal ernsthaft damit auseinan-
ersetzen.
Ich glaube, jetzt ist der Zeitpunkt gekommen, zu han-
eln und zu nutzen, dass die Bürgerinnen und Bürger
issen, dass hier etwas schiefläuft und zu korrigieren ist,
nd dass auch in Großbritannien entsprechend gedacht
ird, wo der Chef der Finanzaufsicht, Turner, sagt: Ganz
iele Produkte, die am Finanzplatz London gehandelt
erden, sind volkswirtschaftlich unnütz.
962 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 12. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2009
)
)
Dr. Gerhard Schick
Diese Situation kann man jetzt nutzen, um politisch
eine Initiative zu ergreifen. Das würde die Frage nach
der volkswirtschaftlichen Wirkung beantworten, die
nämlich darin besteht, dass die volkswirtschaftlich un-
produktiven Umsätze unterbleiben.
Das ist die Aufgabe der jetzigen Regierung. Darauf soll-
ten Sie sich verständigen, statt sich gegenseitig zu blo-
ckieren. Ich mache mir nämlich Sorgen, dass die Bun-
desregierung jetzt, wo die ganze Welt den richtigen
Drive hat, die Finanzbranche zu kontrollieren und etwas
Neues anzufangen, durch die Blockade zwischen der
CDU/CSU auf der einen Seite und der FDP auf der an-
deren Seite international schwach aufgestellt ist, statt das
Thema Neuaufstellung der Finanzmärkte zum Schwer-
punkt zu machen, wie es die Bürgerinnen und Bürger
und auch die Unternehmerinnen und Unternehmer dieses
Landes dringend fordern. Das wäre Ihre Aufgabe. Tun
Sie es!
Das Wort hat nun der Parlamentarische Staatssekretär
Hartmut Koschyk.
H
Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Die
Finanz- und Wirtschaftskrise hat den Staat gezwungen,
mit Beträgen von bislang unbekannter und ungeahnter
Größenordnung das internationale, das europäische, aber
auch das deutsche Bankensystem zu stützen. Es ist unbe-
stritten, dass diese Stützungsmaßnahmen alternativlos
waren. Niemand möchte sich ausmalen, was passiert
wäre, wenn wir auch in Deutschland systemrelevante
Bankinstitute nicht aufgefangen hätten.
So haben wir das Schlimmste verhindert. Richtig ist
aber auch: Der Schuldenstand der öffentlichen Hand ist
durch diese Rettungsmaßnahmen sprunghaft gestiegen,
und noch – ich glaube, auch in diesem Punkt müssen wir
nüchtern sein – sind nicht alle Risiken in unseren Haus-
halten manifestiert.
Neben den privaten Verlusten durch die Finanzkrise,
die viele Bürger erlitten haben, und dem Schicksal dro-
hender Arbeitslosigkeit sehen sich die Steuerzahler jetzt
mit einem immensen öffentlichen Schuldenberg kon-
frontiert. Deshalb stellen die Bürger zu Recht die Frage,
wer die Verursacher der Krise sind und ob diese auch fi-
nanziell zur Rechenschaft gezogen werden.
Angesichts einer öffentlichen Diskussion über frühere
Bankmanager, die die Auszahlungen ihrer Boni für die
Z
d
d
B
n
c
W
a
d
S
d
d
s
b
M
B
d
g
t
I
e
i
f
s
s
d
s
F
r
l
l
p
k
Z
F
n
e
g
t
e
L
S
n
F
d
Deshalb ist die Bundesregierung davon überzeugt,
ass wir den Finanzsektor an den Kosten beteiligen müs-
en, die durch die staatlichen Interventionen zur Krisen-
ewältigung entstanden sind.
it genau dieser Frage setzt sich auch auf Initiative der
undesregierung die internationale Gemeinschaft bzw.
ie Europäische Union auseinander. Die Staats- und Re-
ierungschefs der G-20-Staaten haben bei ihrem Gipfel-
reffen in Pittsburgh im September auch auf deutsche
nitiative den Internationalen Währungsfonds beauftragt,
inen Bericht zu dieser Problematik zu erarbeiten.
Der Europäische Rat hat auch auf deutsche Initiative
n der letzten Woche unterstrichen, dass sich diese Prü-
ung auf mehrere Möglichkeiten erstrecken soll. Eine die-
er Optionen ist eine internationale Finanztransaktions-
teuer. Daneben werden aber auch andere Lösungen
iskutiert. So führt beispielsweise Schweden Ende die-
es Jahres eine Stabilitätsabgabe ein. Diese ist von den
inanzinstituten zu entrichten und fließt in einen Siche-
ungsfonds, aus dem künftig anfallende Kosten zur staat-
ichen Stützung des Finanzsektors finanziert werden sol-
en.
Auch derartige Alternativen müssen gründlich ge-
rüft werden. Dabei geht es zum einen um die Auswir-
ungen auf die Finanzmärkte und Volkswirtschaften.
um anderen müssen wir aber auch die Belastungen des
inanzsektors im Blick haben, solange die Krise noch
icht vollständig überwunden ist.
Optimal wäre sicherlich eine Lösung, die gleichzeitig
inen Anreiz zur Verringerung hochriskanter Geschäfte
ibt, aber andererseits einen spürbaren finanziellen Bei-
rag zur Bewältigung der Krisenkosten leistet. Ich halte
s für fraglich, ob der Finanzsektor heute bereits in der
age ist, neue Belastungen zu schultern.
o weit sind wir in den Stabilisierungsbemühungen noch
icht. Man kann sich das aber für das Jahr 2011 und die
olgejahre sicherlich vorstellen.
Die Analyse des Internationalen Währungsfonds und
ie weitere internationale Diskussion müssen wir abwar-
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 12. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2009 963
)
)
Parl. Staatssekretär Hartmut Koschyk
ten. Eine nationale Entscheidung über die zu diskutieren-
den Instrumente wäre sicherlich verfrüht. Die Finanz-
transaktionssteuer ist dabei – das hat die Bundesregierung
deutlich gemacht – eine der zu prüfenden Möglichkeiten.
Ich sage sehr deutlich: Bei der Ausgestaltung einer der-
artigen Steuer wird sehr scharf darauf zu achten sein,
dass ihr Hauptziel der Dämpfung spekulativer Exzesse
einerseits und der Stärkung stabilisierender Investitionen
in die Finanzmärkte andererseits nicht konterkariert
wird.
Auf jeden Fall erscheint eine solche Steuer – das muss
man deutlich sagen; darüber sollte es auch in der SPD
keinen Streit geben – überhaupt nur international denk-
bar. Jeder nationale Alleingang wäre völlig untauglich.
Das wäre schon allein wegen des Standortwettbewerbs
und der vorhersehbaren Ausweichreaktionen nicht ver-
tretbar. Sinnvoll erscheint nur eine international abge-
stimmte Lösung.
Lieber Herr Schick, wir begleiten als Bundesregie-
rung die europäische Diskussion sehr engagiert. Natür-
lich gibt es in Europa Länder – Frankreich, Österreich
und Großbritannien –, die sich bereits öffentlich für eine
Finanztransaktionssteuer ausgesprochen haben. Aber
auch diese Länder setzen allein auf eine internationale
und nicht auf eine national isolierte Lösung. Auch diese
Länder wollen den IWF-Bericht abwarten. Deshalb
strebt die Bundesregierung auf jeden Fall ein gemeinsa-
mes, abgestimmtes Vorgehen der Euro-Gruppe an. Die
Bundesregierung wird dieses Thema auf dem nächsten
Ecofin-Treffen weiter diskutieren und befördern.
Wenn wir es schaffen, eine international abgestimmte,
tragfähige Lösung zur finanziellen Beteiligung des Fi-
nanzsektors zu erreichen, wäre das auch ein gutes Ergeb-
nis für die deutsche Volkswirtschaft. Dabei sind wir im
Vorfeld nicht auf eine bestimmte Lösung festgelegt. Die
diskutierte internationale Finanztransaktionssteuer ist
eine von mehreren möglichen Lösungen.
Herzlichen Dank.
Das Wort hat nun Barbara Hendricks für die SPD-
Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In
wenigen Wochen haben sich mehr als 50 000 Menschen
in einer Petition für die Einführung einer internationalen
Finanztransaktionssteuer eingesetzt.
D
g
E
s
a
w
t
T
H
b
b
e
e
r
d
s
G
B
w
n
F
h
S
i
J
u
t
n
l
T
u
m
D
t
I
D
h
A
K
b
v
Wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten ha-
en, anders als das heute zum Teil zum Ausdruck ge-
racht wurde, schon seit dem Jahr 2005 Initiativen dazu
rgriffen, eine internationale Finanztransaktionssteuer
inzuführen. Viele werden sich vielleicht nicht mehr da-
an erinnern, aber Bundeskanzler Gerhard Schröder hat
ies im Februar 2005 auf dem internationalen Wirt-
chaftstreffen in Davos und im Sommer 2005 auf dem
-7- bzw. G-8-Gipfel im schottischen Gleneagles – die
riten waren die Gastgeber – vorgeschlagen. Allerdings
aren unsere angelsächsischen Freunde im Jahr 2005
och nicht einmal bereit, darüber nachzudenken. Das
enster der Gelegenheit war noch nicht offen, oder der
istorische Moment war noch nicht da, wie es Kollege
chick ausgedrückt hat. Aber nach den Erfahrungen der
nternationalen Finanzkrise seit dem Herbst des
ahres 2008 ist genau diese historische Gelegenheit da,
nd die gilt es jetzt zu ergreifen.
Das haben sozialdemokratische Politiker beherzt ge-
an. Frank-Walter Steinmeier und Peer Steinbrück haben
ämlich im Frühsommer dieses Jahres ein Papier vorge-
egt. Es ist gerade Peer Steinbrück gewesen, der dieses
hema auf die G-20-Sitzung in Pittsburgh getragen hat,
nd die Kanzlerin hat sich dieses Thema zu eigen ge-
acht. Das will ich hoch anerkennen. Es ist von
eutschland vorgetragen worden, aber es war die Initia-
ive von Peer Steinbrück.
ch wundere mich eigentlich, dass Kollege Leo
autzenberg nicht dazu stehen will, was die Kanzlerin
eute Morgen gesagt hat.
ber es lohnt sich jedenfalls, nachzulesen, was die
anzlerin in ihrer Regierungserklärung am 10. Novem-
er dieses Jahres gesagt hat.
Jetzt kommen wir zu dem Punkt. Es ist in Pittsburgh
erabredet worden, dieses dringliche Thema solle beför-
964 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 12. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2009
)
)
Dr. Barbara Hendricks
dert werden. Der IWF ist beauftragt worden, ein Gutach-
ten zu erstellen, und er wird seine Vorschläge im April
vorlegen. Der nächste G-20-Gipfel im Juni wird sich da-
mit befassen.
Wenn aber in der Zwischenzeit diese Koalition toter
Mann spielt, weil sie sich nicht einigen kann, dann wird
das das Thema nicht befördern, und dafür tragen Sie die
Verantwortung.
Nehmen wir doch einmal die Äußerungen der letzten
Tage. Der vor wenigen Tagen neu ernannte Generalse-
kretär der FDP
hat ein Interview in der Westdeutschen Allgemeinen Zei-
tung gegeben. Gut, dass der hochgelobte junge Mann
den Unterschied zwischen der Tobin-Tax und der inter-
nationalen Finanztransaktionssteuer nicht so richtig
kennt, interessiert eigentlich nur die FDP. Aber dass die-
ser junge Kollege, der seit drei Tagen kommissarisch be-
nannt ist, sich traut, als Generalsekretär einer Koalitions-
partei die Kanzlerin frontal anzugreifen, sollte schon die
hier vertretenen Koalitionsfraktionen und die Bundesre-
gierung interessieren. Das interessiert nicht mehr nur
noch die FDP.
Minister Niebel hat in der Ausschusssitzung am
2. Dezember, von mir darauf angesprochen, gesagt, was
die Kanzlerin darüber denke, interessiere ihn nicht.
– Gut, dann haben Sie vielleicht das Protokoll geschönt.
Aber ich war dabei, und es gibt genügend Zeugen. –
Denn das stehe nicht im Koalitionsvertrag. Das war die
Aussage von Minister Niebel dazu. Das werden die Mit-
glieder des Ausschusses bestätigen können. Genauso
war es.
Minister Niebel ist für – ich will es einmal freundlich
ausdrücken – ein breites Lächeln von einem Ohr bis zum
anderen bekannt. Dass er bei der Überreichung der Ur-
kunde durch den Bundespräsidenten offenbar diese Oh-
ren auf Durchzug gestellt hat, ist allerdings zu bedauern;
denn der Bundespräsident hat am 28. Oktober aus An-
lass der Überreichung der Urkunden an die Mitglieder
der Bundesregierung gesagt:
Ich halte es auch für richtig, wenn sich Deutschland
mit Nachdruck für eine Abgabe auf internationale
Finanztransaktionen einsetzt.
D
M
–
g
n
t
w
D
O
m
d
d
D
M
s
v
a
z
h
b
ä
w
h
F
K
m
d
B
s
Z
e
B
z
s
Wir setzen darauf, dass wir die internationale Finanz-
ransaktionssteuer mit einem erheblichen Aufkommen
erden durchsetzen können.
ies dient zum einen dazu, die Folgen der Krise hier vor
rt finanziell abzumildern. Natürlich haben wir das ge-
einsam gemacht, aber die Kosten sind da, und es geht
arum, diese Kosten zu minimieren und diejenigen an
en Kosten zu beteiligen, die die Krise verursacht haben.
ies gilt national, aber insbesondere auch international.
Frau Kollegin, Sie müssen zum Schluss kommen.
Ja. – Wir werden die größten Probleme haben, die
illenniumsziele zu erreichen. Die Bundesregierung hat
ich gerade für das Jahr 2010 von den Zwischenzielen
erabschiedet. Wir werden die größten Probleme haben,
uch das noch zu finanzieren, was auf dem Klimagipfel
u Recht wird verabschiedet werden müssen und was
offentlich verabschiedet wird. Noch daneben und darü-
er hinaus sind die Folgen der Finanzkrise gerade für die
rmsten Länder zu minimieren. Das ist unsere Aufgabe,
enn wir in Verantwortung vor Gott und den Menschen
andeln.
Das Wort hat nun Kollege Carl-Ludwig Thiele für die
DP-Fraktion.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten
olleginnen und Kollegen! Frau Dr. Hendricks, wenn
an Sie hört, dann kann man sich gar nicht vorstellen,
ass die SPD bis vor sieben Wochen elf Jahre lang den
undesfinanzminister in diesem Land gestellt hat;
chließlich hat kein Finanzminister der SPD in dieser
eit irgendetwas unternommen, um eine solche Steuer
inzuführen.
ei Ihnen scheint wirklich absolute Vergesslichkeit vor-
uherrschen. Das bezieht sich bei den Grünen auch auf
ieben Jahre Koalition Rot-Grün.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 12. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2009 965
)
)
Carl-Ludwig Thiele
Ich möchte einen zweiten Punkt feststellen. Sie hätten
hier heute einen Antrag einbringen können. Das haben
Sie nicht gemacht; Sie haben nur eine Aktuelle Stunde
beantragt. Das ist eigentlich ein bisschen dünn, wenn
man meint, das Ganze sei so wichtig.
Ich möchte auf einen dritten Punkt eingehen, insbe-
sondere weil Sie, Frau Kollegin Hendricks, Schottland
angesprochen haben. Ich verweise auf etwas, was der
ehemalige Finanzminister Peer Steinbrück, SPD, gesagt
hat. In der Süddeutschen Zeitung stand im Januar 2006
– Zitat –: Die sogenannte Tobin-Steuer auf Finanzspeku-
lationen verglich Steinbrück mit dem Ungeheuer von
Loch Ness, das regelmäßig auftauche.
Insofern bitte ich Sie, sich einfach einmal auf das zu
konzentrieren, was Sie wirklich wollen, und dafür einzu-
treten, dass unser Land eine vernünftige Zukunft hat.
Das ist unsere Aufgabe, gerade in der Wirtschafts- und
Finanzkrise, die immer noch nicht bewältigt ist, die aber
bewältigt werden muss.
Der Finanzsektor ist nach dem Verständnis der FDP
dienendes Element einer Volkswirtschaft. Der Finanz-
sektor war auch nicht in Gänze verantwortlich für die Fi-
nanzkrise.
Insofern gilt es aus unserer Sicht, den Finanzsektor dif-
ferenziert zu betrachten. Nicht jeder war Täter. Wir wol-
len, dass sich eine Kasinomentalität, also übermäßiges
Spekulieren mit geliehenem Geld, nicht wiederholt. Wir
stehen für Freiheit in Verantwortung, und deshalb dürfen
nach unserer liberalen Auffassung Finanzgeschäfte bzw.
Finanzprodukte zukünftig nicht ohne Eigenkapital oder
Eigenhaftung gehandelt werden. Das ist der entschei-
dende Punkt.
Wir brauchen verantwortliches Handeln derjenigen, die
am Markt tätig sind.
Eines sage ich aber auch ganz deutlich: Die Räder
müssen sich wieder drehen können. Die hochentwickelte
Weltwirtschaft, der wir gerade als Exportnation unseren
Wohlstand verdanken, ist ohne einen effektiven Finanz-
markt absolut undenkbar.
Kein Markt ist so reguliert wie der Finanzmarkt. Die
Regulierung hat versagt. Aus unserer Sicht muss hier an-
gesetzt werden. Dabei müssen die Fragen gestellt wer-
den: Ist die Finanzmarktsteuer hier als Regulierungsmit-
tel überhaupt geeignet? Kann sie das Verhalten von
Betroffenen ändern? Wenn sowohl gefährliche als auch
ungefährliche Anlagen gleichermaßen teurer werden:
Was hat das eigentlich für eine Lenkungswirkung, um
F
g
w
g
o
a
n
g
f
l
e
e
d
D
w
t
d
e
s
n
i
A
d
P
d
t
l
l
Z
t
k
b
t
d
D
m
z
J
l
d
966 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 12. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2009
)
)
Manfred Zöllmer
Unterstützt wird er dabei von dem neuen Generalsekre-
tär der FDP.
Ich darf einfach einmal zitieren:
Schade, dass sich eine kluge und umsichtige Frau
wie die Kanzlerin an der Exhumierung dieser über-
kommenen Theorie beteiligt.
Das sind die Worte von Herrn Lindner.
Dann weiter:
Diese Koalition wird weder Steuern erhöhen, noch
neue Steuern einführen.
So weit Herr Lindner. Wenn man das liest, dann weiß
man, dass Jugend allein kein Verdienst ist.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, unsere gemeinsame
Aufgabe muss darin bestehen, die richtigen Lehren aus
der größten Wirtschafts- und Finanzkrise der Nach-
kriegszeit zu ziehen und alles zu tun, damit sich so eine
Katastrophe nicht wiederholt. Was wir brauchen, ist eine
deutliche Kampfansage an gierige Banker und ungezü-
gelte Kapitalmärkte. Die Grundfrage lautet: Wie können
wir die Verursacher dieser schwersten Krise der Nach-
kriegszeit an den Kosten der Krise beteiligen? Eine der
Antworten lautet: mit einer internationalen Finanzmarkt-
steuer.
Genau gegen diese internationale Finanzmarksteuer
polemisiert die FDP. Herr Niebel und Herr Lindner, an-
dere auch, wollen die Steuerzahler die Krise bezahlen
lassen, nicht die Verursacher in den Banken. Damit be-
treiben sie hier genauso ungeniert Klientelpolitik wie
etwa bei der Beglückung von Hoteliers im Schuldenauf-
baugesetz; so muss dieses angebliche Wachstumsbe-
schleunigungsgesetz eigentlich genannt werden, denn
das Wachstum wird damit um keinen Deut beschleunigt.
Die Grundidee ist alt. Tobin hat sie bereits Anfang der
70er-Jahre als eine Steuer auf Devisentransaktionen ent-
wickelt.
– Lieber Kollege Fuchs, die internationale Finanzmarkt-
steuer ist keine Tobin-Steuer; das muss man wirklich
wissen.
Sie bezieht alle Arten von Finanztransaktionen ein. Sie
würde bei Geschäften an Börsenhandelsplätzen und im
außerbörslichen Handel erhoben. Sie betrifft ausschließ-
l
F
J
d
d
D
U
e
–
h
G
s
n
u
d
k
e
t
a
q
t
n
e
d
F
t
w
t
e
l
E
w
d
d
5
e
V
m
w
g
l
Ihre Position ist bekannt, ich habe sie bewertet. Nun
at es den Vorschlag der Europäischen Union und der
20 gegeben, zur Eindämmung von Spekulationen eine
olche Finanztransaktionssteuer einzuführen. Ich sage
och einmal sehr deutlich: Wir Sozialdemokratinnen
nd Sozialdemokraten begrüßen diesen Vorschlag aus-
rücklich.
Dieser Vorschlag ist aus unserer Sicht geeignet, spe-
ulativ völlig heißgelaufene Märkte zu beruhigen. Nach
iner Berechnung des bereits genannten Wiener Institu-
es würde es gelingen, das Handelsvolumen besonders
n den Derivatemärkten deutlich zu verringern, Überli-
uiditäten aus den Märkten zu nehmen und die Volatili-
ät dieser Märkte deutlich zu verringern, und zwar bei ei-
em ganz geringen Steuersatz von 0,05 Prozent. Dass so
twas dringend notwendig ist, zeigt die Tatsache, dass
er Devisen- und Derivatehandel im Jahr 2007 das 70-
ache des Weltsozialproduktes betrug.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, diese Transak-
ionssteuer betrifft nicht den kleinen Riester-Sparer,
ie immer wieder gern behauptet wird. Allein mit ma-
hematischen Grundkenntnissen à la „Hauptschule Sau-
rland“ lässt sich das sehr leicht errechnen und feststel-
en.
ine solche Steuer im Rahmen der G 20 einzuführen,
ürde bedeuten, 92 Prozent des weltweiten Aktienhan-
els und 76 Prozent des Anleihehandels zu erfassen. In
ieser Einschätzung werden wir im Übrigen von den
0 000 Unterzeichnern der Petition unterstützt.
Die Kanzlerin hat mehrfach ihre Unterstützung für
in solches Instrument signalisiert.
onseiten der FDP wird dagegen erklärt, das sei nicht zu
achen. Wenn diese Bundesregierung so Politik machen
ill, wie es die FDP vorschlägt, dann sollten Sie doch
leich das Grundgesetz ändern. Sie könnten die Richt-
inienkompetenz der Bundeskanzlerin aus Art. 65 des
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 12. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2009 967
)
)
Manfred Zöllmer
Grundgesetzes streichen und stattdessen hereinschrei-
ben: Das Nähere regelt der Koalitionsvertrag von
Schwarz-Gelb; im Zweifelsfall entscheiden Herr Niebel
und Herr Lindner.
Das Wort hat nun Kollege Michael Fuchs für die
Fraktion der CDU/CSU.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen!
Während ich mir diese Debatte anhörte, wurde mir wie-
der klar, warum die SPD mittlerweile bei 19 Prozent an-
gekommen ist.
Ich habe wirklich das Gefühl, dass Sie bis jetzt nichts
aus der Wahlniederlage gelernt haben und so weiterma-
chen wie zuvor.
Lieber Kollege Poß, Ihnen ist wieder nichts anderes
eingefallen, als neue Steuern zu fordern.
Das zeigt, dass Sie nichts, aber auch gar nichts gelernt
haben.
Ich gebe der Bundeskanzlerin völlig recht. Sie hat
heute Morgen gesagt:
Deshalb hat der Europäische Rat noch einmal das
wiederholt, was wir schon auf dem G-20-Gipfel
festgelegt haben, nämlich den Internationalen Wäh-
rungsfonds zu bitten, bei der Erarbeitung von Kon-
zepten zur Beteiligung des Finanzsektors an den
Kosten der Krisenbewältigung auch die globale
Einführung einer Steuer auf Finanztransaktionen zu
prüfen.
Das geht nur global. Es geht auf gar keinen Fall national
oder im Rahmen der EU. Recht hat die Bundeskanzlerin.
Genau das wollen auch wir.
Nebenbei bemerkt: Die Kollegin Hendricks hat vor
drei Jahren im Deutschen Bundestag in einer Frage-
stunde gesagt, Devisenumsatzsteuern seien nicht kon-
sensfähig. Ich weiß nicht, wer jetzt bei Ihnen das Sagen
hat, Frau Hendricks oder Herr Poß. Man muss sich aber
einmal überlegen, wie unterschiedlich die Meinungen
sind.
S
m
l
s
n
T
s
L
b
s
w
D
l
a
e
d
s
s
l
W
m
B
B
d
0
h
b
b
S
F
s
k
R
D
m
t
ie haben das hier im Deutschen Bundestag gesagt. Da-
it zeigen Sie, dass Sie selbst nicht wissen, was Sie wol-
en. In einer Fragestunde des Deutschen Bundestages
agten Sie, dass eine Devisenumsatzsteuer international
icht konsensfähig ist. Ihr Zitat habe ich dabei.
Für mich steht fest: Wir können mit einer solchen
ransaktionssteuer nur dann etwas erreichen, wenn wir
ie international aufstellen, wenn alle Player mitspielen.
eider haben sich die Kanadier und auch die Amerikaner
isher in der Form dazu geäußert, dass sie nicht bereit
ind, das mitzumachen.
Liebe Kollegen, liebe Kolleginnen, diese Koalition
ird den Finanzplatz Deutschland nicht kaputtmachen.
ie Börsenumsatzsteuer hat damals plus/minus 400 Mil-
ionen Euro eingebracht. Wir haben sie 1991 deswegen
bgeschafft, weil durch sie der Finanzplatz Deutschland
rheblich beschädigt wurde. Die Schweden haben das
ann später auch gemerkt und diese Steuer auch abge-
chafft. Eine solche Steuer ist eben nur möglich, wenn
ie global erhoben wird. Da hat die Bundeskanzlerin völ-
ig recht.
enn wir es global hinbekommen, können wir es auch
achen.
Wir haben nach wie vor vor, die Bürgerinnen und
ürger nicht mit einer solchen Steuer zu belasten. Die
örsenumsatzsteuer – ich bin ja ein wenig älter als Sie;
eswegen kann ich mich daran erinnern – in Höhe von
,05 Prozent wurde auf jede Transaktion erhoben. Wer
at sie denn bezahlt: die Banken? Nein, die Banken ha-
en diese Steuer eins zu eins an die Kunden weitergege-
en. Wenn jemand eine Aktie gekauft hat, hat er diese
teuer bezahlen müssen.
ür mich steht fest: Das würde natürlich auch der Fall
ein, wenn das kommt, was Sie jetzt fordern. Die Ban-
en geben nämlich Kosten, die ihnen durch nationale
egulierungen auferlegt werden, zu 100 Prozent weiter.
eshalb wollen wir so etwas nicht.
Dazu kommt: Wenn wir das in Deutschland isoliert
achten, dann würde es keinen IPO und keine Transak-
ionen an der Frankfurter Börse mehr geben. Die Deut-
968 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 12. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2009
)
)
Dr. Michael Fuchs
sche Börse selbst würde dann sehr schnell aus dem DAX
verschwinden. Auch das würden wir dann erleben müs-
sen.
Wir haben schon in allen anderen Ländern feststellen
können, dass man so etwas nicht mehr national regeln
kann. Dafür sind die Märkte viel zu volatil.
Eben hat mir Kollege Kuhn erklärt, dass die Grünen
besonders fähig seien, was das Internet angeht. Also sind
sie auch fähig, internationale Transaktionen dort vorzu-
nehmen, wo sie keine zusätzlichen Steuern zahlen müs-
sen. Darüber müssen wir uns im Klaren sein: Wenn es
uns nicht gelingt, Plätze wie beispielsweise Singapur
einzubinden, dann werden unsere Möglichkeiten be-
schränkt sein.
Deshalb wollen wir das gemeinsam mit dem IWF und
den G 20 schaffen. Wenn wir das hinbekommen, kann
man das machen, aber nur dann.
Alles andere schadet dem Standort Deutschland. Das
entspricht nicht unserer Vorstellung. Wir werden in die-
ser Koalition alles tun, um den Standort Deutschland zu
stärken.
Das Wort hat nun Werner Schieder für die SPD-Frak-
tion.
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!
Der bisherige Verlauf dieser Debatte zeigt mir, dass die
Vertreter der neuen Koalition offenbar nicht begriffen
haben – oder besser gesagt: nicht verstehen wollen –,
worum es in diesem Zusammenhang eigentlich geht. Ich
möchte deshalb den Versuch machen, in vier Punkten
zusammenzufassen, worauf es ankommt.
Erstens kommt es auf den sozialen Lastenausgleich in
der Krise an. Mit zig Milliarden Euro sind auch in
Deutschland die Banken und damit die Finanzmärkte ge-
stützt worden. Ein großer Teil dieser Gelder wird – das
ist schon angeklungen – unwiederbringlich sein. Das be-
deutet, dass die Kosten der Krise an den vielen normalen
Steuerzahlern hängenbleiben werden. Wir müssen diese
Lasten daher auch auf die Schultern derjenigen verteilen,
die maßgeblich Verursacher der Finanzkrise sind. Das ist
ein Gebot der Gerechtigkeit.
Das sind wir den normalen Steuerzahlern, den vielen
Menschen, die ihren Arbeitsplatz verloren haben oder
verlieren werden, und den Firmen, die in der Krise sind,
schuldig.
Zweitens. Wir müssen die Finanzmärkte redimensio-
nieren. Die Finanzmärkte sind überdimensioniert; sie
sind zu groß. Um Ihnen eine Zahl zu nennen: In den letz-
t
d
5
s
D
m
g
n
j
m
D
j
R
I
m
e
s
w
t
I
g
k
d
s
V
d
s
J
d
W
d
n
d
T
E
t
u
g
r
E
t
t
S
g
F
g
P
g
Des Weiteren fordere ich Sie auf: Ergreifen Sie im
cofin-Rat die Initiative für eine europaweite Finanz-
ransaktionssteuer! Das Klima dafür ist durchaus güns-
ig. Das wäre ein wichtiger und auch glaubwürdiger
chritt. Solange Sie das aber nicht tun, müssen wir gele-
entliche Zustimmungssignale zu einer internationalen
inanztransaktionssteuer aus Ihren Reihen als das be-
reifen, was sie wirklich sind: Lippenbekenntnisse und
laceboworte zur Beruhigung des Publikums. Darum
eht es Ihnen nämlich am Ende.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 12. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2009 969
)
)
Werner Schieder
Meine letzte Anmerkung. Wer über konkrete Schritte
in Deutschland und über eigene europäische Initiativen
nicht reden will, der soll besser schweigen, wenn es um
internationale Visionen geht. Der Verweis darauf ist nur
die Flucht vor der eigenen unmittelbaren Verantwortung
in Deutschland und Europa.
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Das Wort hat nun Hans Michelbach für die CDU/
CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kolle-
gen! Wir sollten uns in dieser Debatte einig sein, dass
eine Diskussion um eine faire Verteilung der Lasten in-
folge der Finanzmarktkrise durchaus angebracht ist und
dass die G-20-Initiative neue Fehlentwicklungen verhin-
dern soll. Ich glaube, das ist ein Ansatz, über den man
fachlich und sachlich reden sollte.
Eine Beteiligung des Finanzsektors an den sicher ho-
hen Kosten der Krisenbewältigung ist fachlich auf alle
Optionen, auf Effektivität, auf Sinnhaftigkeit und natür-
lich auch auf die ökonomischen Auswirkungen zu prü-
fen. Deswegen müssen wir folgende Fragen beantwor-
ten: Welche Vorschläge gibt es? Haben wir die Dinge
bisher richtig behandelt? Ich kann für die CDU/CSU-
Fraktion festhalten, dass wir in den letzten Monaten für
die Rettung des Finanzmarktes erfolgreiche Arbeit ge-
leistet haben.
Das ist die Wahrheit, und diese darf durch Aktuelle Stun-
den, durch Anträge oder durch was auch immer nicht
verbogen werden. Wir haben gemeinsam einen Erfolg
erreicht. Deswegen wundere ich mich schon, dass Sie,
wenn Sie etwas anderes wollen als das, was es in der
Vergangenheit gab, eine Aktuelle Stunde beantragen,
statt einen Antrag einzubringen.
Sie können natürlich auch sagen, dass wir auf interna-
tionaler Basis einen Prüfauftrag haben, den die Bundes-
kanzlerin heute Morgen angesprochen hat. Wir stimmen
zu, dass man das intensiv prüfen kann. Man muss die
fachlichen Vor- und Nachteile bewerten.
Darum geht es und nicht um Schnellschüsse.
Für mich stellen sich in Bezug auf eine Finanztrans-
aktionssteuer folgende Fragen: Können damit überhaupt
spekulative Kapitalbewegungen eingedämmt und kurz-
fristige Devisentransaktionen gewissermaßen unrentabel
g
s
m
w
m
t
s
b
H
d
F
s
s
s
r
A
w
d
s
W
w
u
b
d
W
o
A
p
P
S
t
t
t
F
v
a
B
A
–
W
Es gibt für mich wichtige Gründe, die letzten Endes
aßgeblich sind: Die Steigerung der Kapitalproduktivi-
ät – das müssen wir bedenken – wird durch eine Bör-
enumsatzsteuer beeinträchtigt. Die Kapitalmärkte ha-
en – dies hat bei Ihnen vielleicht einen ideologischen
intergrund – aus meiner Sicht die dienende Funktion,
ie Bürgerinnen und Bürger sowie die Unternehmen mit
inanzprodukten in diesem wichtigen Bereich der Wirt-
chaft zu versorgen; das muss man deutlich machen.
Wenn wir eine solche Steuer einführten, würde die
teigende Volatilität an den Märkten für die Wirtschaft
icher zu einer Verteuerung der Kapitalbeschaffung füh-
en; auch das muss man bedenken. Die Attraktivität der
ktie als Kapitalanlage auch für private Kleinanleger
ürde bei Einführung einer Börsenumsatzsteuer sinken,
a die erzielbaren Renditen im Vergleich zur börsenum-
atzsteuerfreien Anlage gemindert würden. Hier kann es
ettbewerbsverzerrungen geben. Wir müssen auch ab-
ägen, dass die Nachteile für Wettbewerb, Wachstum
nd Arbeitsplätze, gemessen am fiskalischen Nutzen,
esonders groß sind. Wir müssen prüfen, ob man mit
ieser Steuer etwas Positives bewirken kann oder ob es
ettbewerbsverzerrungen, Wachstumseinschränkungen
der Arbeitsplatzverluste gibt.
uch das muss bedacht werden; das ist ein wichtiger As-
ekt.
Abschließend möchte ich deutlich machen: Die vier
unkte, die mein Vorredner, Herr Schieder, seitens der
PD eingebracht hat, stellen keinen substanziellen An-
rag dar. Sie sind ein Placebo. Das ist Schaufensterpoli-
ik, die Sie selbst anscheinend nicht überzeugt; ansons-
en hätten Sie einen substanziellen Antrag eingebracht.
ür mich ist sinnbildlich, dass Sie sich aus Ihrer positi-
en Arbeit im Rahmen der Finanzmarktkrise völlig ver-
bschieden. Ich kann nur darauf hinweisen, dass sich Ihr
undesfinanzminister a. D. in der von Ihnen beantragten
ktuellen Stunde in die letzte Reihe gesetzt hat.
Ich höre, dass er das Plenum sogar schon verlassen hat.
ahrscheinlich konnte er es nicht mehr ertragen.
970 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 12. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2009
)
)
Für Kollegen Werner Schieder, der zuvor geredet hat,
war es die erste Rede im Plenum. Herzliche Gratulation
und alles Gute für die weitere Arbeit!
Als letztem Redner in der Aktuellen Stunde erteile ich
dem Kollegen Ralph Brinkhaus für die CDU/CSU-Frak-
tion das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Als Parla-
mentsneuling habe ich gerade lernen können, dass es
nicht das erste Mal ist, dass sich die Politik mit diesem
Thema beschäftigt. Viele Argumente dafür und dagegen
sind in der Vergangenheit ausgetauscht worden. Im Üb-
rigen ist das Urteil über diese Steuer bisher fraktions-
übergreifend bei vielen Beteiligten eher negativ ausge-
fallen.
Nichtsdestotrotz ist es gut, dass wir dieses Thema
heute wieder auf der Tagesordnung haben. Ich halte es
für richtig, dass die Bundeskanzlerin die Börsenumsatz-
steuer in mehreren Regierungserklärungen angesprochen
hat. Ich halte es auch für richtig, dass der Europäische
Rat den IWF aufgefordert hat, über eine globale Finanz-
transaktionssteuer nachzudenken. Es ist bemerkenswert
und sehr richtig, dass engagierte Bürgerinnen und Bür-
ger im Rahmen einer Onlinepetition den Bundestag auf-
fordern, über dieses Thema zu sprechen. Ich begrüße das
ausdrücklich, weil es meinem Verständnis von Politik
entspricht, dass man seine eigenen Positionen ständig
hinterfragt, mit der Realität abgleicht und gegebenen-
falls korrigiert.
Die Wahrnehmung der Realität ist heute eine andere
als bei vielen der letzten Debatten zu dieser Steuer hier
im Bundestag. Denn es ist ernst zu nehmen, wenn der
Europäische Rat erklärt, dass der Wirtschafts- und So-
zialvertrag zwischen Finanzwirtschaft und Gesellschaft
erneuert werden muss. Es ist genauso ernst zu nehmen,
wenn gefordert wird, dass die Finanzwirtschaft an den
Kosten der Finanzkrise beteiligt wird.
Weniger gut ist – da gebe ich den Kollegen von der
FDP recht –, dass wir wieder über eine neue Steuer spre-
chen. Ich bin bei der Einführung von neuen Steuern
grundsätzlich sehr skeptisch. Neue Steuern stellen eine
Belastung für den Wirtschaftskreislauf und damit auch
für die Bürgerinnen und Bürger dar. Abgaben, einmal in
der Krise eingeführt, werden, wenn die Krise überwun-
den ist, in der Regel nicht wieder abgeschafft. Wir haben
das gerade in der jüngsten Vergangenheit lernen müssen.
e
o
e
s
t
v
u
u
I
t
r
d
t
D
r
W
k
g
d
d
S
W
g
b
h
m
w
g
d
G
d
S
l
t
b
s
n
s
a
g
Ich halte die Lenkungsfunktion der Finanztransak-
ionssteuer im Übrigen für bedenklich. Ich kann nur da-
or warnen, aus normativen Gründen zwischen guten
nd schlechten Finanztransaktionen zu unterscheiden
nd damit den Kapitalmarkt auszubremsen.
m Ergebnis kann dies nämlich dazu führen, dass die op-
imale Allokation von Kapital und damit das Funktionie-
en der Märkte behindert werden. Das kann dazu führen,
ass die dringend notwendige Erhöhung der Eigenkapi-
alausstattung der Wirtschaft behindert wird.
as kann wiederum dazu führen, dass wichtige Siche-
ungsgeschäfte, die gerade für unsere exportorientierte
irtschaft entscheidend sind, verteuert werden. Das
ann niemand ernsthaft wollen.
Aus fiskalischen Gründen halte ich es für durchaus le-
itim, über diese Steuer zu reden. Wir haben ein Defizit,
as durch die internationale Finanzkrise verursacht wor-
en ist. Wir sollten nur bei der Diskussion keinen
chaum vor dem Mund haben.
ir sollten nicht mit einer Einstellung herangehen, als
inge es um ein Lieblingsspielzeug, das man immer ha-
en wollte. Wir sollten sehr sachlich damit umgehen.
Dabei sind zwei Dinge zu beachten:
Erstens. Hier greife ich die Onlinepetition auf: Ich
alte nichts von einer Zweckbindung der Steuereinnah-
en. Es ist durchaus ehrenwert und nachvollziehbar,
enn wir eine Steuer gegen Armut, für Bildung oder ge-
en den Klimawandel beschließen, nur begeben wir uns
amit haushaltspolitisch auf Glatteis. Wir haben eine
esamtverantwortung. Deswegen ist eine Zweckbin-
ung abzulehnen.
Zweitens. In der fachlichen Diskussion über die
teuer ist Folgendes zu beachten – ich werbe ausdrück-
ich für eine fachliche Diskussion –: Eine Finanztransak-
ionssteuer sollte entscheidungsneutral sein; das ist hier
isher noch überhaupt nicht angeführt worden. Realwirt-
chaftliche Entscheidungen sollten so weit wie möglich
icht durch Steuern beeinflusst werden. Da muss man
ich fragen, wie man das erreicht. Bei einer Finanztrans-
ktionssteuer gelingt dies nur, wenn der Steuersatz so
ering ist, dass die Bewegungen des Kapitalmarkts, die
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 12. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2009 971
)
)
Ralph Brinkhaus
insbesondere für die Finanzierung von Investitionen und
Unternehmen notwendig sind – das müssen wir anerken-
nen –, nicht behindert werden.
Die Steuer muss so ausgestaltet werden, dass sie zu kei-
ner Wettbewerbsverzerrung führt und keine Umgehung
erfolgen kann, sei es durch die Wahl anderer Produkte,
anderer Märkte oder – das ist das Wichtigste – durch
Steuerflucht in andere Länder und auf andere Finanz-
plätze.
Im Ergebnis heißt dies, dass wir entweder die Steuer,
wie in Großbritannien, mit vielen Ausnahmen und wenig
Einnahmen ausgestalten müssen – dann ist das Fiskalziel
nicht erreicht – oder eine internationale Lösung unter
Beteiligung der wichtigsten Finanzplätze der Welt orga-
nisieren müssen, das heißt unter Beteiligung der USA
und insbesondere der asiatischen Länder, die hier noch
nicht angesprochen wurden.
Es ist daher zu begrüßen, dass die Bundeskanzlerin
und der Europäische Rat ein international abgestimmtes
Modell prüfen lassen wollen. Wir werden diesen Weg
weiterhin konstruktiv, hin und wieder auch kritisch be-
gleiten. Ich denke, dies wird nicht die letzte Debatte im
Plenum zu diesem Thema sein. Ich freue mich darauf.
Danke schön.
Die Aktuelle Stunde ist beendet.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 9 a bis 9 g auf:
a) Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/
CSU und der FDP
Menschenrechte weltweit schützen
– Drucksache 17/257 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
Auswärtiger Ausschuss
Innenausschuss
Rechtsausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Annette
Groth, Katrin Werner, Jan van Aken, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE
Nein zur Todesstrafe in den USA – Hinrich-
tung von Mumia Abu-Jamal verhindern
– Drucksache 17/236 –
Jelpke, Jan Korte, Wolfgang Nešković, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE
Abschiebungen nach Syrien stoppen – Ab-
schiebeabkommen aufkündigen
– Drucksache 17/237 –
Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss
Auswärtiger Ausschuss
Rechtsausschuss
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
d) Beratung des Antrags der Abgeordneten Josef
Philip Winkler, Volker Beck , Ingrid
Hönlinger, weiterer Abgeordneter und der Frak-
tion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Unverzügliche Aussetzung des Deutsch-Syri-
schen Rückübernahmeabkommens
– Drucksache 17/68 –
Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss
Auswärtiger Ausschuss
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
e) Beratung des Antrags der Abgeordneten Tom
Koenigs, Volker Beck , Thilo Hoppe, wei-
terer Abgeordneter und der Fraktion BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN
Gemeinsame menschenrechtliche Positionie-
rung der EU gegenüber den Ländern Latein-
amerikas und der Karibik einfordern
– Drucksache 17/157 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
Auswärtiger Ausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
f) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Menschenrechte und
Humanitäre Hilfe zu dem Antrag
der Fraktion der SPD
Menschenrechte als entwicklungspolitische
Querschnittsaufgabe fortführen
– Drucksachen 17/107, 17/272 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Jürgen Klimke
Christoph Strässer
Marina Schuster
Annette Groth
Volker Beck
g) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Menschenrechte und
Humanitäre Hilfe zu dem Antrag
972 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 12. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2009
)
)
Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse
der Abgeordneten Ute Koczy, Volker Beck
, Tom Koenigs, weiterer Abgeordneter und
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Menschenrechte in Sri Lanka stärken
– Drucksachen 17/124, 17/273 –
Berichterstattung:
Abgeordne Jürgen Klimke
Christoph Strässer
Serkan Tören
Katrin Werner
Volker Beck
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache eineinviertel Stunden vorgesehen. – Es
gibt keine Einwände. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile Kollegin
Marina Schuster für die FDP-Fraktion das Wort.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Am 10. Dezember jährte sich der Internatio-
nale Tag der Menschenrechte. Er geht auf das Vertrags-
werk zurück, das 61 Jahre nach seiner Unterzeichnung
noch immer die Grundlage für die Verwirklichung von
Freiheit, Sicherheit und Frieden in der Welt ist, nämlich
die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte. Deswe-
gen ist es wichtig, dieses Datum zum Anlass zu nehmen,
hier eine Menschenrechtsdebatte zu führen.
Die Einhaltung der Menschenrechte ist das Funda-
ment unserer Politik. Wir wissen: Unsere Glaubwürdig-
keit in der Welt hängt auch davon ab, wie wir uns für die
Durchsetzung von Menschenrechten einsetzen. Ich bin
deshalb froh, dass es unter Schwarz-Gelb gelungen ist,
deutliche Wegmarken für die nächsten vier Jahre zu set-
zen. Auch die Vorgängerregierungen, die schwarz-rote
und die rot-grüne, haben das Thema Menschenrechte an-
gesprochen. Wir haben in unserem Koalitionsvertrag ein
eigenes Menschenrechtskapitel, auf das wir bauen kön-
nen.
Wir wollen die Politik der Regierung unterstützen.
Unser Antrag legt das Fundament. In ihm geht es um die
Verantwortung und die Zielsetzung in der Menschen-
rechtspolitik. Selbstverständlich werden wir uns auch
um die einzelnen Länder kümmern. Ein Beispiel, das uns
schon bei verschiedenen parlamentarischen Frühstücken
beschäftigt hat, ist die dramatische Situation der Frauen
in der DR Kongo; denn sie sind seit vielen Jahren Opfer
von Gewalt und Vergewaltigungen. Rebellengruppen
und auch andere haben unbeschreibliches Leid über die
Dörfer gebracht, gerade im Osten des Landes. Fast keine
dieser Frauen hat Gerechtigkeit erfahren.
Deshalb ist es ein erster und wichtiger Schritt, dass es
gelungen ist, die Drahtzieher der Gewalt im Kongo, die
bisher unbehelligt in Deutschland gelebt haben, zu ver-
haften. Es hat sich auch gezeigt, dass mit dem Völker-
strafgesetzbuch Lücken in der Strafverfolgung von inter-
n
i
a
S
h
M
b
i
w
g
d
G
p
r
k
g
h
e
i
r
L
b
m
d
l
z
z
t
g
b
m
H
b
M
l
n
s
S
a
G
t
l
g
b
k
S
d
Bei dieser Debatte ist es auch wichtig, sich um die Ur-
achen zu kümmern. Ich habe es bereits erwähnt: Es gibt
taaten mit funktionierender Staatlichkeit, die trotzdem
us unterschiedlichen Gründen beginnen, staatliche
ewalt zu missbrauchen. Es gibt Staaten mit nicht funk-
ionierender Staatlichkeit, die die Menschenrechte ver-
etzen. Es ist in beiden Fällen die Pflicht der Bundesre-
ierung, solche Menschenrechtsverletzungen sowohl
ilateral als auch international anzusprechen. Das ist
eine Einmischung in innere Angelegenheiten anderer
taaten, ganz im Gegenteil: Das wird der Universalität
er Menschenrechte gerecht. Das ist es, was die Allge-
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 12. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2009 973
)
)
Marina Schuster
meine Erklärung der Menschenrechte quasi in unser
Stammbuch geschrieben hat, und dafür setzen wir uns
ein.
Vielen Dank.
Das Wort hat jetzt Christoph Strässer für die SPD-
Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Liebe Frau Kollegin Schuster, ich habe Ihnen sehr gerne
zugehört. Alles, was Sie gesagt haben, war richtig, bis
auf das, was Sie ganz zu Beginn gesagt haben. Da haben
Sie gesagt, die neue Koalition habe mit ihrem Koali-
tionsvertrag Benchmarks für das gesetzt, was sie in Sa-
chen Menschenrechtspolitik in den nächsten vier Jahren
erledigen will. Die Enttäuschung der Opposition über
das, was Sie da hineingeschrieben haben, ist in der letz-
ten Debatte schon deutlich geworden. Ich hätte mir ge-
wünscht – darauf haben wir ein Stück weit gehofft –,
dass das, was im Koalitionsvertrag steht, durch den von
Ihnen auf den Weg gebrachten Antrag ein klein wenig
konkretisiert worden wäre. Aber nach intensiver Lektüre
dieses Antrages müssen wir feststellen, dass das nicht
der Fall ist. Sie haben vieles hineingeschrieben, das rich-
tig ist, aber Sie haben nicht hineingeschrieben, welche
konkreten Maßnahmen Sie auf dem Weg zu den Zielen,
die Sie beschrieben haben, einsetzen wollen.
– Ich werde darauf gleich noch einmal zurückkommen.
An einer Stelle haben Sie etwas Richtiges gesagt:
Einmischung ist richtig, Solidarisierung ist auch rich-
tig. – Ich darf Sie daran erinnern – ich tue das ganz be-
wusst zu Beginn meines Beitrages –, dass wir gestern
Abend im Menschenrechtsausschuss eine sehr gute Ge-
legenheit hatten, Solidarität zu beweisen. Ich darf Sie da-
ran erinnern, dass der Vorsitzende des Ausschusses ei-
nen Vorschlag für eine Erklärung zum Hungerstreik
einer Frau vorgelegt hat, die nichts weiter will, als in ihre
Heimat zurückzukehren. Ich fand es wirklich sehr bitter,
dass der Menschenrechtsausschuss es nicht hinbekom-
men hat, in diesem Fall eine klare Solidarisierung zum
Ausdruck zu bringen und dadurch deutlich zu machen,
dass wir es nicht hinnehmen, wenn ein Staat es einem
Menschen verweigert, in seine Heimat, in das Land, in
dem er zu Hause ist, zurückzukehren. Das hätten wir ma-
chen können.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage der
Kollegin Schuster?
P
F
l
n
g
a
A
g
g
T
z
E
–
m
u
a
d
D
r
t
v
b
–
v
n
Lassen Sie mich einfach einmal zu Ende reden.
Wir haben des Weiteren über den Einwand diskutiert,
an könne sich nicht einmischen, weil es um Grenz-
nd Statusfragen gehe; Frau Kollegin Steinbach hat das
ngesprochen. Es geht aber nur um eines: Es geht darum,
ass der für diese Fragen zuständige Ausschuss des
eutschen Bundestages aufgefordert war, eine Erklä-
ung bezogen auf die Verwirklichung eines ganz konkre-
en Menschenrechtes abzugeben. Das haben Sie gestern
erhindert. Das ist das, was ich gerne zur Kenntnis ge-
en möchte.
Wollen Sie noch einmal nachfragen?
Ich will nur darauf hinweisen, dass wir bereits eindrei-
iertel Stunden hinter dem Zeitplan unserer Tagesord-
ung liegen. Ich sage das nur, damit Sie das wissen.
974 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 12. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2009
)
)
Ich mache es auch ganz kurz. – Herr Kollege Strässer,
nehmen Sie bitte auch zur Kenntnis, dass wir angeboten
haben, das im Kreis der Obleute zu besprechen. Der
Punkt ist – das habe ich mit Herrn Koenigs besprochen –:
Dem Menschenrechtsausschuss stehen mehrere Instru-
mente zur Verfügung. Man kann mit dem Botschafter re-
den oder überfraktionell einen Brief schreiben. Man
kann verschiedene Sachen machen. Wir wollten einfach
nur, dass das vorab geklärt wird. Ich denke, das ist legi-
tim.
Ich will das noch einmal auf den Punkt bringen. Es
gibt Erklärungen des Generalsekretärs der Vereinten Na-
tionen, Erklärungen des Europäischen Parlaments und
Erklärungen aus der ganzen Welt, in denen man sich für
diese Frau einsetzt. Ich denke, es ist nicht nur das gute
Recht, sondern auch die Pflicht des deutschen Parla-
ments, sich jetzt zu äußern. Sie wissen, dass Frau Haidar
kurz vor ihrem Tod steht. Wir können nicht lange abwar-
ten und schauen, wie sich das entwickelt. Frau Haidar
steht wegen des Hungerstreiks kurz vor dem Exitus.
Deshalb müssen wir jetzt etwas tun. Ich hoffe, dass wir
das heute hinbekommen und ein Zeichen der Solidarisie-
rung setzen.
Frau Kollegin Schuster, ich will da keinen falschen
Eindruck entstehen lassen. Ich spreche Ihnen überhaupt
nicht ab, dass Sie das genauso wollen wie wir. Aber
wenn Sie für die Koalition in Anspruch nehmen, dass
Sie ganz konkrete Benchmarks der Menschenrechtspoli-
tik setzen, hätten wir gestern im Ausschuss damit anfan-
gen können. Das haben Sie verhindert; nichts anderes
kritisiere ich. Dabei bleibe ich.
Ich möchte an zwei konkreten Punkten in Ihrem An-
trag deutlich machen, wo Probleme liegen. Da muss man
nacharbeiten, wozu wir vielleicht noch Gelegenheit
haben. Aus meiner Sicht ist das größte Manko, dass in
diesem Antrag vieles Richtige aufgeschrieben worden ist
– ich sage es noch einmal –, vieles, was wir schon ge-
macht haben, vieles, was in der Menschenrechtspolitik
selbstverständlich ist, dass aber ein großer Teil komplett
ausgeblendet worden ist. Das ist die Innenpolitik. Ich
hätte darauf gesetzt, dass gerade von Ihnen als Bürger-
rechtspartei etwas genannt wird, was man auf den Weg
bringen will.
Das eine ist die Umsetzung der wirtschaftlichen, so-
zialen und kulturellen Rechte.
Sie fordern von anderen Ländern, die den Pakt noch
nicht gezeichnet und ratifiziert haben, dies zu tun. Aber
das ist nicht die ganze Wahrheit. Wir sind dabei – die
alte Bundesregierung hat es auf den Weg gebracht –, ein
Z
s
u
g
L
s
l
m
h
i
g
p
D
S
d
d
P
p
a
M
m
W
F
n
t
d
H
S
D
t
–
f
z
s
o
e
i
I
g
f
R
a
l
a
L
d
s
I
aher würde ich Sie einfach bitten, das nachzuholen.
agen Sie uns bitte – auch die Bundesregierung möge
arüber Auskunft geben –: Wie geht es mit dem Indivi-
ualbeschwerdeverfahren weiter? Das war der eine
unkt, den ich kritisieren möchte.
Der zweite Punkt – das wird gleich leider ein bisschen
ersönlich, weil ich glaube, dass man da auch emotional
rgumentieren kann und muss – betrifft die Würde von
enschen, die in unserem Land leben. Ich sage das jetzt
it einer ganz persönlichen Note: Seit Montag dieser
oche werden vom Bundesland Nordrhein-Westfalen
amilien der Roma in das Kosovo abgeschoben. In mei-
er Heimatstadt, in Münster, gibt es im Moment 68 Be-
roffene, die jetzt wahrscheinlich im Flugzeug sitzen und
orthin gebracht werden. Von denen hat mehr als die
älfte dieses Land noch nie gesehen und spricht die
prache nicht. Ich wäre sehr dankbar, wenn wir als
eutscher Bundestag dazu eine Position beziehen könn-
en.
Dazu komme ich gleich. – Das Problem ist sehr ein-
ach. Ich glaube, für die betroffenen Menschen ist es
iemlich egal, wer für welche Form der Abschiebung zu-
tändig ist. In NRW hat nicht etwa der Ministerpräsident
der der Integrationsminister Laschet verhindert, dass es
ine vernünftige Regelung gibt, sondern – deshalb sage
ch das – verhindert hat es der liberale Innenminister
ngo Wolf. Das möchte ich hier gerne zur Kenntnis brin-
en.
Ich würde Sie alle bitten, an dieser Stelle nicht ein-
ach wegzuschauen, sich nicht wegzuducken. Es sind im
at der Stadt Münster – das ist einmalig – mittlerweile
cht politische Gruppierungen vertreten. Dort ist von al-
en beteiligten Gruppen einstimmig eine Resolution ver-
bschiedet worden, die vorsieht, eine Petition an die
andesregierung in Nordrhein-Westfalen zu richten, in
er steht, bitte dafür zu sorgen, dass unter diesen Um-
tänden, wie sie jetzt bestehen, nicht abgeschoben wird.
n das Kosovo ist im Winter überhaupt noch nie abge-
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 12. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2009 975
)
)
Christoph Strässer
schoben worden; das kommt ja noch hinzu. Die Betrof-
fenen kommen in eine Situation, die absolut unerträg-
lich, die nicht menschenwürdig ist. Ich bitte um
Solidarität auch des Deutschen Bundestages. Es sollte
klargestellt werden, dass der Deutsche Bundestag eine
Abschiebung dieser Menschen in das Kosovo unter die-
sen Umständen nicht mitträgt.
Danke schön.
Das Wort hat nun Kollegin Erika Steinbach für die
CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kolle-
gen! Herr Kollege Strässer, die Abschiebung von Men-
schen geschieht in Deutschland nicht in einem rechts-
freien Raum, sondern es gibt Rechtsgrundlagen, die von
diesem Parlament beschlossen wurden, und es gibt Ver-
einbarungen der Innenministerkonferenz, die das ge-
meinsam so verabredet haben.
Das muss man sehen. Wir leben in einem Rechtsstaat
und nicht in einem Unrechtsstaat. Darauf möchte ich
deutlich hinweisen.
Menschenrechte sind universell, sie sind unteilbar,
und sie sind unveräußerlich. Wir beschäftigen uns – das
ist vielleicht auch ein gutes Zeichen – alljährlich im
Dezember aus Anlass des Internationalen Tages der
Menschenrechte intensiv mit dieser Thematik, die welt-
weit im Argen liegt.
Frau Kollegin Steinbach, gestatten Sie eine Zwi-
schenfrage des Kollegen Strässer?
Aber gerne.
Frau Kollegin Steinbach, Sie haben recht: Die Bun-
desrepublik Deutschland ist ein Rechtsstaat. Und das ist
auch gut so. Ihnen ist wahrscheinlich bekannt, dass heute
vom Bundesverfassungsgericht der achte Fall entschie-
den worden ist, in dem es darum geht, dass von diesem
Rechtsstaat Menschen nach Griechenland abgeschoben
werden sollen. Ich bitte Sie, dies zur Kenntnis zu neh-
men.
Zweitens möchte ich Sie etwas fragen. Wir reden hier
über Menschenrechte und Menschenwürde. Nach mei-
nem Rechtsstaatsverständnis steht die Würde des Men-
s
s
1
s
M
D
D
c
e
f
z
f
u
i
I
v
D
B
g
I
n
d
i
l
l
r
s
M
n
w
z
s
d
as betrifft nur wenige Familien. Diese Familien brau-
hen allerdings unsere Hilfe. Diese Menschen jetzt, in
iner Zeit, in der in Deutschland gerade der Weihnachts-
riede ausbricht, abzuschieben, das finde ich besonders
ynisch. Ich bitte Sie, mir zu sagen, ob Sie meiner Auf-
assung in dieser Frage zustimmen.
Herr Kollege Strässer, darin, dass die Weihnachts-
nd Adventszeit vielleicht nicht die richtige Zeit dafür
st, gebe ich Ihnen recht.
ch glaube, auch Ihre Anmerkung, dass sich das Bundes-
erfassungsgericht zu solchen Themen äußert, zeigt, dass
eutschland ein Rechtsstaat ist.
ei uns wird nicht willkürlich mit Menschen umgegan-
en, und das ist auch gut so.
ch bedanke mich für Ihre Frage.
Wir stellen weltweit fest: Auch im 61. Jahr der An-
ahme der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte
urch die Generalversammlung der Vereinten Nationen
st die Achtung der Menschenrechte weltweit noch
ängst keine Selbstverständlichkeit. Im Gegenteil, es
iegt sehr vieles im Argen.
Frau Kollegin, es gibt den Wunsch nach einer weite-
en Zwischenfrage, diesmal vom Kollegen Volker Beck.
Nein, der Herr Kollege Beck nervt mich im Aus-
chuss immer genug.
In zahlreichen Ländern unseres Erdballes haben die
enschenrechte noch nicht Fuß gefasst, oft selbst dann
icht, wenn internationale Erklärungen unterschrieben
urden. In anderen Ländern wiederum ist die Umset-
ung der Menschenrechte häufig rückläufig. Täglich
ind wir mit Berichten darüber konfrontiert und müssen
ies schmerzlich zur Kenntnis nehmen.
976 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 12. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2009
)
)
Erika Steinbach
Eines der Themen, die besonders im Argen liegen, ist
die Religionsfreiheit. Ich finde es gut, dass wir uns ges-
tern in der Obleutebesprechung im Ausschuss auf Vor-
schlag des Vorsitzenden, Herrn Koenigs, darauf verstän-
digt haben, dass wir uns dieses Themas auch in einer
Anhörung annehmen. Aus Anlass der Schweizer Mina-
rettentscheidung steht dieses Thema auch hier im Mittel-
punkt, und es bewegt die Menschen nicht nur in der
Schweiz, nicht nur in Europa, sondern auch weit darüber
hinaus.
Eines will ich nachdrücklich feststellen: Es geht in
dieser Debatte, die von der Schweiz auch nach Deutsch-
land gedrungen ist, nicht um ein Verbot, Gebetshäuser zu
errichten. Es geht auch nicht darum, dass der Glaube und
die Ausübung des Glaubens untersagt sind. Es geht ein-
zig und allein um den Bau von Minaretten an Moscheen.
Der Bau von Moscheen ist nicht verboten.
Deshalb ist die Grundfrage der Religionsfreiheit davon
praktisch nicht berührt. Ich habe mit dieser in der
Schweiz demokratisch getroffenen Entscheidung kein
Problem,
da die Religionsausübung davon nicht betroffen ist.
Erstaunlich ist für mich aber, dass gerade diejenigen
hier im Lande besonders hart mit der Schweizer Ent-
scheidung ins Gericht gehen, die sonst immer für Volks-
abstimmungen sind, Herr Kollege Beck.
Wenn man Volksabstimmungen zulassen will, dann
muss man das ertragen.
Erstaunlich ist auch, dass gerade diejenigen, die die
Glaubensfreiheit in ihren eigenen Ländern nicht dulden
und sie unterdrücken, versuchen, diese Debatte in einem
aggressiven Ton zu führen und zu beherrschen. Wenn ich
höre, dass der türkische Ministerpräsident Erdogan sagt,
er nehme in Europa eine zunehmend rassistische und fa-
schistische Haltung wahr – er sprach sogar von Verbre-
chen gegen die Menschlichkeit –, dann muss ich tief
durchatmen. Wie steht es denn in der Türkei mit der Re-
ligionsfreiheit? Wie wir wissen, gibt es in der Türkei in
der Praxis keine Religionsfreiheit. Der Bau von Kirchen
ist praktisch unmöglich. Christliche Würdenträger bege-
ben sich in Lebensgefahr, wenn sie Symbole ihres Glau-
bens offen tragen.
Ihre Bewegungsfreiheit ist stark eingeschränkt, und
predigen dürfen sie auch nur an ganz bestimmten Tagen.
Der Anteil der Christen an der Gesamtbevölkerung, der
n
a
D
d
i
d
D
g
s
v
b
b
d
a
K
t
8
s
r
u
d
–
T
–
g
r
b
r
d
f
a
a
w
r
h
e
k
b
d
M
M
s
h
0 Prozent aller wegen ihrer Religion verfolgten Men-
chen sind Christen. Das Ausmaß der Diskriminierung
eicht vom Iran über Saudi-Arabien, Indien, Pakistan
nd Ägypten bis Nigeria, und es nimmt leider zu; das ist
as Tragische.
Aber es gibt drastische Verfolgungen mit Mord und
otschlag; das wissen Sie aber auch.
Das sind Christen, selbstverständlich. Das geschieht in
anz bestimmten Regionen. In einem gebe ich Ihnen
echt: Es ist keine staatliche Verfolgung. Aber in einem
estimmten Bereich Indiens werden Christen verfolgt.
Deshalb fordern wir die Bundesregierung mit unse-
em Antrag „Menschenrechte weltweit schützen“ auf,
en kontinuierlichen weltweiten Einsatz für Religions-
reiheit fortzusetzen und dabei besonderes Augenmerk
uf die Lage der christlichen Minderheiten zu legen,
ber auch auf die Situation kleiner religiöser Gruppen
ie zum Beispiel der Bahai, die im Iran unter ungeheu-
en Pressionen existieren und von denen sich viele des-
alb entschließen, auszuwandern.
Ich begrüße sehr, dass sich Bischöfin Käßmann dazu
ntschlossen hat, dass die evangelischen Christen vom
ommenden Jahr an den „Tag der verfolgten Christen“
egehen.
Wir sehen, dass weltweit Menschen unterdrückt wer-
en. Eines der für mich schwierigsten Themen ist der
enschenhandel. Offiziell ist die Sklaverei abgeschafft.
enschen dürfen, sollen keine Ware sein. Die Realität
ieht erschreckend anders aus: Sklaverei und Menschen-
andel florieren heute mehr denn je. Diese Verbrechen
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 12. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2009 977
)
)
Erika Steinbach
sind nicht, wie mancher glauben mag, ein Thema der
Vergangenheit, sie gehören zu den drängendsten Proble-
men unserer Zeit, und sie spielen sich nicht nur in ent-
fernten Regionen ab.
Herr Kollege Strässer, Sie sagten, wir sollten uns auch
mit Deutschland beschäftigen. Gerade Menschenhandel
ist ein Thema, das uns in Deutschland intensiv berührt.
Auf und zwischen allen Kontinenten werden Menschen
gehandelt wie Ware. Auch Europas Staaten sind Her-
kunfts-, Transit- und Zielländer dieses modernen Skla-
venhandels, auch Deutschland. Mit Sklavenhandel wird
heutzutage mehr Geld verdient als mit Drogenhandel.
Hauptsächlich findet Menschenhandel im Bereich der
sexuellen Ausbeutung statt. Vorwiegend sind Frauen und
Mädchen betroffen.
Aber auch Menschen, die als Zwangsarbeiter einge-
setzt werden, Menschen, die als lebende Ersatzteillager
für menschliche Organe missbraucht werden, Zwangs-
verheiratete und Zwangsadoptierte werden ihrer Rechte
und ihrer Würde beraubt. Wir müssen Mittel und Wege
finden, um diesen barbarischen Geschäftemachern das
Handwerk zu legen.
Wir haben es mit einem komplexen System zu tun.
Eines müssen wir wissen: Ohne Nachfrage gäbe es kei-
nen Markt für Zwangsprostitution. Vor diesem Hinter-
grund setzen wir uns dafür ein, dass, um den Markt aus-
zutrocknen, Freier, die Zwangsprostituierte benutzen,
bestraft werden.
Unsere Gesellschaft muss dafür sensibilisiert werden.
Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage von
der Partei Die Linke?
Nein, vielen Dank.
Ein anderes Thema ist der sexuelle Missbrauch von
Kindern. Die betroffenen Kinder, die sexuell miss-
braucht werden, erleiden Traumata, die sie ihr Leben
lang verfolgen. Da dürfen wir nicht wegsehen. Wir müs-
sen versuchen, der Sache auf den Grund zu gehen. Die
Debatte um Kinderpornografie im Internet lässt das Aus-
maß erahnen, in dem Kindesmissbrauch geschieht. Hier
ist ein Markt zu vernichten, der eine Klientel bedient, die
den Handel mit diesem abscheulichen „Werbematerial“
überhaupt erst ermöglicht, die dafür Geld bezahlt und
damit der Täter hinter den Tätern ist. Wir müssen sehen,
wie wir dieser Menschen habhaft werden.
In diesem Zusammenhang würde ich schon gerne
wissen, wie die Fraktion der Grünen dazu steht, insbe-
sondere der Kollege Volker Beck, der seinerzeit für das
Buch Der pädosexuelle Komplex einen Artikel verfasst
hat, in dem er schrieb:
Eine Entkrimininalisierung der Pädosexualität ist
angesichts des jetzigen Zustandes ihrer globalen
Kriminalisierung dringend erforderlich, nicht zu-
letzt weil sie im Widerspruch zu rechtsstaatlichen
Grundsätzen aufrechterhalten wird.
D
G
d
b
r
d
k
g
t
F
w
n
H
m
i
s
a
V
M
t
m
f
D
b
I
d
a
n
v
Herr Kollege Beck, ich muss sagen: Ihre Aussage
reut mich wirklich.
adurch wird der Sachverhalt geklärt. Es war mir nicht
ekannt, dass das eine Fälschung ist.
ch freue mich, dass Sie diesen Standpunkt, den Sie eben
argestellt haben, vertreten. Es ist gut, dass Sie mich
ufgeklärt haben.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, wir werden
och viel über Menschenrechte debattieren. Es gibt so
iele Themenkreise, die noch nicht angeschnitten wer-
978 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 12. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2009
)
)
Erika Steinbach
den konnten, weil die Zeit nicht reichte. Ich glaube, es ist
nötig, dass wir den Themen „Menschenrechte“ und
„Verletzung von Menschenrechten im Inland und im
Ausland“ intensiv nachgehen. Es ist ein weites Feld.
Man kann hin und wieder resignieren, weil man immer
nur einen winzigen Stein bewegen und nicht das ganze
Elend auf einmal beheben kann. Es ist aber nötig, dass
wir immer wieder darüber sprechen.
Ich bedanke mich.
Als nächste Rednerin hat Kollegin Annette Groth von
der Fraktion Die Linke das Wort.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Herr Strässer, ich bin Ihnen sehr dankbar, dass
Sie auf den äußerst kritischen Zustand von Frau Haidar
hingewiesen haben. Sie wissen aber vielleicht nicht, dass
die geplante Debatte über Aminatou Haidar heute von
der Tagesordnung des Europäischen Parlaments genom-
men worden ist – ich habe heute Nachmittag eine Mel-
dung aus Brüssel erhalten –, und zwar auf Initiative Ihres
Parteikollegen, Herrn Martin Schulz.
Martin Schulz hatte dies beantragt, damit die Gespräche
der EU mit Marokko in diesem Fall nicht gestört wer-
den. Ich finde das wirklich geradezu skandalös. Grüne,
Liberale und GUE/NGL hatten sich vergeblich gegen
eine Absetzung ausgesprochen und protestieren gerade
in Straßburg. So viel dazu. Die Menschenrechte werden
in diesem speziellen Fall zurzeit also wirklich mit Füßen
getreten.
– Sie sagen es.
Nun aber zu den Anträgen. Die Menschenrechtslage
in Sri Lanka hat sich nach dem Sieg über die LTTE für
die Tamilen keineswegs verbessert. Unter internationa-
lem Druck durften seit Ende Oktober mehr als 100 000
Tamilen in ihre Heimatdörfer zurückkehren, wo die
Mehrheit allerdings unter höchst ärmlichen Bedingun-
gen lebt. 160 000 Menschen vegetieren immer noch in
Flüchtlingslagern. Um Druck auf die Regierung Sri Lan-
kas auszuüben, fordert Bündnis 90/Die Grünen, die er-
weiterten europäischen Handelspräferenzen auszuset-
zen. Die Linke unterstützt diese Forderung und stimmt
darum dem Antrag zu.
Nun zum Antrag der SPD. Die SPD lobt in ihrem An-
trag die ehemalige CDU/CSU-SPD-Regierung, weil sie
e
r
d
R
w
d
s
G
k
m
D
s
u
d
ü
a
g
h
k
W
s
i
K
u
w
k
B
a
d
s
d
k
h
s
z
K
e
Z
d
A
m
v
ö
Z
egen die starken Proteste von Regierungen und Bevöl-
erung der sogenannten Entwicklungsländer hat die da-
alige Große Koalition in der EU-Kommission auf die
urchsetzung der umstrittenen EU-Wirtschaftspartner-
chaftsabkommen mit den Staaten Afrikas, der Karibik
nd des Pazifiks und der EU-Freihandelsabkommen ge-
rängt. Darum wird sich die Linke in der Abstimmung
ber den Antrag enthalten.
Dem Antrag von Bündnis 90/Die Grünen zu Latein-
merika können wir nicht zustimmen. Die spanische Re-
ierung hat sich für ihre Bemühungen um bessere Bezie-
ungen zu Kuba und zu Venezuela den Widerstand der
onservativen Regierungen in der EU eingehandelt.
ollen sich Bündnis 90/Die Grünen dieser Kritik an-
chließen? Der Antrag suggeriert dies vor allen Dingen
n dem Begründungsteil über Kuba und Venezuela.
Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
ollegen Raabe?
Ungern, aber ja.
Frau Kollegin, ich will Ihnen nur die Zustimmung zu
nserem Antrag leichter machen, weil Sie sagten, Sie
ürden sich nur wegen der Wirtschaftspartnerschaftsab-
ommen enthalten. Wir haben in unseren Anträgen die
undesregierung mehrmals aufgefordert – das haben wir
uch im Bundestag gemeinsam beschlossen –, dass in
iesen Partnerschaftsabkommen die Fragen der Men-
chenrechte und der ökologischen und sozialen Stan-
ards eine besondere Rolle spielen sollen und dass es
eine reinen Wirtschaftsabkommen sein sollen. Von da-
er ist das eine Frage der Handelspolitik der Europäi-
chen Union. Aber der Deutsche Bundestag und die So-
ialdemokratische Partei haben sich auch in der Großen
oalition immer dafür eingesetzt, dass diese Aspekte
ine Rolle spielen. Dabei haben wir die Bedenken der
ivilgesellschaft immer sehr ernst genommen; dies wer-
en wir auch weiterhin tun. Jetzt können Sie unserem
ntrag in Ruhe zustimmen.
Nein, das stimmt nicht, lieber Herr Raabe. Ich kenne
ich in der Handelspolitik ziemlich gut aus, wie Sie
ielleicht wissen. Wenn man Länder zu weiteren Markt-
ffnungen für europäische Produkte und zu weiteren
ollsenkungen zwingt, dann ist die Spirale nach unten
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 12. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2009 979
)
)
Annette Groth
vorprogrammiert. Genau darauf haben die Regierungen
der AKP-Staaten und die Organisationen der Zivilgesell-
schaft immer wieder hingewiesen, und deshalb haben sie
einen totalen Stopp der Verhandlungen gefordert. Das
hat Ihre damalige Ministerin, Frau Wieczorek-Zeul, aber
nicht zugelassen. Sie hat sich im Gegensatz zu anderen
Regierungen der EU nie dafür eingesetzt.
Ich komme noch einmal darauf zu sprechen, weil es
auch in dem Antrag der Grünen darum geht.
Wir kritisieren schon seit langem die ganzen Asso-
ziierungs-, Freihandels-, Wirtschaftspartnerschaftsab-
kommen und wie sie alle heißen, vor allen Dingen mit
den Staaten Lateinamerikas und Zentralamerikas. Wie
ich eben bereits gesagt habe, lehnen wir die Verhandlun-
gen ab, weil die von der EU angestrebten Freihandelsab-
kommen eine eigenständige Entwicklung dieser Länder
verhindern. Buchstäblich alle Ressourcen wie Flüsse
und Bodenschätze könnten dann von europäischen Kon-
zernen kontrolliert werden. Damit würde der einheimi-
schen Bevölkerung die Lebensgrundlage entzogen.
Jetzt komme ich zu unserem eigenen Antrag „Nein
zur Todesstrafe in den USA – Hinrichtung von Mumia
Abu-Jamal verhindern“. Mit diesem Beispiel wollen wir
an die Tausenden von Menschen erinnern, die in den To-
deszellen schmachten. Die Todesstrafe negiert das ele-
mentare Menschenrecht auf Leben. Wir sind der Über-
zeugung, dass sich die Einhaltung der Menschenrechte
und die Verhängung der Todesstrafe gegenseitig aus-
schließen.
Am 9. Dezember vor 28 Jahren wurde der Afroameri-
kaner Mumia Abu-Jamal für einen Mord, der nie aufge-
klärt wurde, zum Tode verurteilt.
Seit 28 Jahren schreibt er in der Todeszelle gegen Ras-
sismus, Krieg und ein diskriminierendes Justizsystem.
Aus der Todeszelle hat Mumia eine persönliche Nach-
richt an den Deutschen Bundestag geschickt. Ich zitiere:
An die ehrenwerten Mitglieder des Deutschen Bun-
destages: Können Sie sich vorstellen, was es bedeu-
tet, zum Tode verurteilt zu sein? Können Sie sich
vorstellen, dass man Ihnen mitteilt, wie Sie hinge-
richtet werden, dass Sie aber Jahr um Jahr auf den
Tod warten müssen? Dies ist die Situation von mehr
als 3 000 Menschen, die sich in den US-Todestrak-
ten befinden, und von über 20 000 Männern,
Frauen und Kindern, die weltweit auf ihre Hinrich-
tung warten. Ich warte jetzt schon fast drei Jahr-
zehnte darauf, meinem Henker zu begegnen. Ras-
sismus durchzieht meinen Fall seit meiner
Verhaftung im Jahr 1981 bis heute.
Frau Kollegin, Sie müssen zum Ende kommen. Sie
haben schon deutlich überzogen.
z
a
J
B
H
u
n
d
s
O
g
v
w
d
e
S
s
d
t
d
M
k
a
n
s
Noch heute sitzen etwa 200 politische Gefangene in
ubanischen Gefängnissen. Ihre Verbrechen waren unter
nderem, friedlich zu demonstrieren, eine andere Mei-
ung zu vertreten oder – man höre! – am Tag der Men-
chenrechte auf der Straße Kopien der universellen Er-
980 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 12. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2009
)
)
Thomas Koenigs
klärung der Menschenrechte zu verteilen, die Kuba
akzeptiert hat; Kuba gehört sogar zu den Erstunterzeich-
nern. Ich weiß, dass viele Rechte in Kuba besser umge-
setzt und vertreten werden können – zum Beispiel die
Rechte auf Bildung und Gesundheit – als irgendwo in
Amerika. Das ist aber kein Freibrief oder eine Entschul-
digung dafür, Freiheitsrechte einzuschränken.
Die WSK-Rechte gegen die Freiheitsrechte aufzurech-
nen, ist falsch; denn Menschenrechte sind unteilbar.
Ich sage aber sehr deutlich: Die Menschenrechtslage
ist nicht nur in Kuba prekär. Margaret Sekaggya, Son-
derberichterstatterin über die Lage der Menschenrechts-
verteidiger, hat Kolumbien im September bereist. Sie be-
richtet von außergerichtlichen Hinrichtungen und Fällen
des Verschwindenlassens. Präsident Uribe begründet das
Vorgehen mit der terroristischen Bedrohung durch die
Guerilla im Land. Vor diesem Hintergrund ist mir übri-
gens folgende Äußerung von Minister Niebel in einem
Interview mit dem Evangelischen Pressedienst völlig un-
verständlich: „Mit Kolumbien sollten wir ideologiefreier
umgehen.“
Weder der Minister noch die EU dürfen bei Men-
schenrechtsverletzungen einfach verlegen wegsehen
oder sich hinter dem hohlen Prinzip der Nichteinmi-
schung oder gar der Ideologiefreiheit verstecken;
denn Menschenrechte sind ideologiefrei und universell.
Die spanische Ratspräsidentschaft hat sich glückli-
cherweise vorgenommen, den Blick auf Lateinamerika
zu werfen. Dort sind viele Länder interessant. Im Koali-
tionsvertrag der Regierung heißt es:
Die Glaubwürdigkeit Deutschlands steht in direk-
tem Zusammenhang mit dem konsequenten Eintre-
ten für die Menschenrechte in der Außen- und Ent-
wicklungspolitik.
Das sind große Ziele. Jetzt kommt es aber auf die kon-
krete Umsetzung an, meine Damen und Herren von der
Regierungskoalition. Deshalb müssen Menschenrechts-
standards integraler Bestandteil von bilateralen und mul-
tilateralen Handelsverträgen Deutschlands und von allen
gemeinsamen Standpunkten der EU sein. Darauf müssen
wir bestehen.
Abschließend bedanke ich mich bei Herrn Strässer für
den Hinweis auf die Solidarität mit Frau Haidar. Dass es
dem Menschenrechtsausschuss nicht gelungen ist, die-
sen Fall auf die Tagesordnung zu setzen, empfinde ich
als sehr beschämend. Das verdanken wir der Koalition.
t
M
S
d
I
u
v
e
V
t
B
e
s
g
R
b
K
L
d
m
g
a
n
M
w
j
d
z
z
R
D
m
n
F
e
a
D
i
l
g
Als Nächster spricht Serkan Tören für die FDP-Frak-
ion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die
enschenrechtslage in Ländern wie Sri Lanka und auch
yrien ist uns allen sehr wohl bekannt. Ich möchte an
ieser Stelle keine beschönigenden Worte hierfür finden.
n Sri Lanka ist der Bürgerkrieg heute offiziell beendet,
nd doch ist insbesondere die Lage der tamilischen Be-
ölkerung im Lande kritisch und beunruhigend. Das gilt
benso für Syrien. Hier finden regelmäßig willkürliche
erhaftungen und Urteile gegen Menschenrechtsaktivis-
en und Oppositionelle statt. Die Lage der kurdischen
evölkerung ist dabei besonders prekär. Und doch, ver-
hrte Kolleginnen und Kollegen: Problematisch in die-
em Zusammenhang bleiben die Forderungen nach
enerellen Abschiebestopps bzw. der Aufkündigung des
ücknahmeabkommens mit Syrien.
Lassen Sie mich grundsätzlich sagen: Ein Abschie-
estopp ist und bleibt ein Notfallinstrument für akute
risenentwicklungen. Das trifft weder auf die aktuelle
age in Sri Lanka noch auf die in Syrien zu. Gerade vor
em Hintergrund der Verantwortung für andere Fälle
uss die Notwendigkeit eines Abschiebestopps immer
ewissenhaft geprüft werden, und genau das tun wir
uch; denn es ist mitnichten so, wie die lieben Kollegin-
en und Kollegen von der Linken es gerne darstellen.
it der Unterzeichnung eines Rücknahmeabkommens
ird kein Freiflugschein für alle Flüchtlinge in ihre
eweiligen Heimatländer unterschrieben ohne Rücksicht
arauf, in welche Umstände die jeweiligen Personen
urückgeschickt werden. Richtig und wichtig ist doch,
u sagen, dass asylrechtliche Vorschriften durch dieses
ücknahmeabkommen nicht berührt werden.
as bedeutet, dass individuelle Prüfungen bereits jetzt
öglich sind und durchgeführt werden. Ausländern, de-
en in ihren Herkunftsländern politische Verfolgung,
olter und konkrete Gefahr für Leib und Leben drohen,
rhalten in Deutschland Asyl, Flüchtlingsschutz oder
uch subsidiären Schutz.
as wird vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge
n einem ordentlichen Asylverfahren festgestellt.
Also noch einmal: Abschiebestopp ist immer das
etzte Mittel. Die Einzelfallprüfung steht im Vorder-
rund.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 12. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2009 981
)
)
Serkan Tören
Wir sagen hier also ganz klar: Dauerhafte Probleme mit
der Menschenrechtslage, wie sie zweifelsfrei in Syrien
bestehen, können mit einem generellen Abschiebestopp
als politischem Instrument nicht gelöst werden. Dazu ist
das Asylrecht das richtige Instrument.
Ich plädiere in dieser Debatte für etwas mehr Differen-
ziertheit und Würdigung des bestehenden Asylrechts,
das die menschenrechtliche Lage der einzelnen Personen
durchaus im Blick hat.
Aber ich will hier nicht nur als Innenpolitiker sprechen
und auf die Problematik der Forderungen nach generel-
len Abschiebestopps in diesem Zusammenhang einge-
hen. Die Rechte der Menschen in Sri Lanka und insbe-
sondere in Syrien bedürfen weiterhin kritischer
Aufmerksamkeit.
Ich möchte an dieser Stelle auch die aktuellen Bemü-
hungen und Entwicklungen nicht unerwähnt lassen, die
meiner Meinung nach Potenzial haben und Hoffnung
wecken. Grundlegend ist, dass unbequeme Fragen nicht
ausgeblendet werden. Deutschland sowie die EU kriti-
sieren regelmäßig willkürliche Verhaftungen und Ur-
teile. Auch unter deutscher Ratspräsidentschaft wurden
im Frühjahr 2007 mehrere harte Urteile gegen syrische
Bürgerrechtler in EU-Erklärungen kritisiert. Außerdem
thematisiert die Bundesregierung regelmäßig die unbe-
friedigende Menschenrechtslage in Syrien und auch Ein-
zelfälle in bilateralen Gesprächen. Auch die deutsche
Kulturpolitik ist ein wichtiger Baustein, um mit den
Menschen vor Ort in Kontakt zu kommen und zur Stär-
kung der Zivilgesellschaft beizutragen. So hat beispiels-
weise im Oktober dieses Jahres wieder der Mediendialog
stattgefunden, diesmal in Damaskus. Dort haben sich
deutsche und arabische Journalisten, Publizisten und
Politiker getroffen und sich über aktuelle Themen ausge-
tauscht. Menschenrechtspolitik, die Beförderung von
Menschenrechten, ist ganz klar, wie wir es auch in unse-
rem Antrag deutlich gemacht haben, eine Angelegenheit
über alle Politikbereiche hinweg.
Ich will an dieser Stelle auch das Assoziierungsab-
kommen der EU mit Syrien erwähnen. Hier hat die EU
eine Menschenrechtsklausel eingebaut. Der Kompro-
miss zwischen den 27 EU-Staaten sieht vor, dass das Ab-
kommen wieder ausgesetzt werden kann, falls Syrien
gegen Menschenrechte verstößt. Das ist ein eindeutiges
Signal. Neben der wirtschaftlichen und kulturellen Zu-
sammenarbeit soll es einen intensiven politischen Dialog
geben, in dem über Partizipation, Zivilgesellschaft und
Menschenrechte gesprochen werden soll. Das gehört
zum Abkommen, und das wissen die Verantwortlichen
auch.
e
r
d
v
d
s
b
s
i
s
p
s
g
d
s
L
S
F
p
e
g
b
A
l
d
J
d
–
d
w
T
m
–
b
Z
g
d
S
Wir können das Thema „Religionsfreiheit“ bei der
nhörung und den Beratungen im Ausschuss sehr detail-
iert diskutieren. Deswegen möchte ich auf das, was Sie
azu vorgetragen haben, jetzt nicht eingehen.
Wir begehen den Tag der Menschenrechte hier jedes
ahr im Dezember mit einer Debatte. Das ist auch gut so;
enn die menschenrechtliche Lage ist in vielen Ländern
das zeigen die Anträge, die heute gestellt werden – ein-
eutig verbesserungswürdig.
Es gibt auch im eigenen Land Vorgehensweisen, die
ir mit Recht hinterfragen müssen; Herr Strässer hat das
hema „Lage der Sinti und Roma“ angesprochen. Wenn
an die Abschiebung bestimmter Personen befürwortet
Sie haben gesagt, sie seien rechtens –, dann muss man
edenken, welche Konsequenzen damit verbunden sind.
um Beispiel werden junge Frauen in Regionen zurück-
eschickt, in denen sie Opfer von Menschenhandel wer-
en.
o viel zum Thema „Vorgehensweise im eigenen Land“.
982 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 12. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2009
)
)
Angelika Graf
Die Anträge zur Praxis der Abschiebung nach Syrien,
die die Grünen und die Linken gestellt haben, machen
deutlich: Die Menschenrechtslage in Syrien ist schlecht,
insbesondere für Minderheiten; für nichtarabische
Volksgruppen ist sie prekär. Muslimische und yezidische
Kurden leiden ganz besonders unter dieser Situation.
Christliche Assyro-Aramäer werden ebenfalls zwangs-
arabisiert. All das muss man wissen, wenn man einem
Abkommen über die Rückübernahme nach Syrien das
Wort redet. Wir werden uns damit im Ausschuss sicher-
lich noch genauer beschäftigen. Ich denke, es lohnt sich,
sich mit diesem Thema auseinanderzusetzen. Es wirft
ein Licht darauf, wie wir in Deutschland mit diesen Din-
gen umgehen.
Lassen Sie mich auch ein Wort zu dem Antrag der
Koalition sagen. Es ist schon erwähnt worden: Vieles,
was darin steht, ist nicht wirklich neu. Auch in schwarz-
roten Zeiten gab es über viele Themen, die in diesem
Antrag angesprochen werden, durchaus Konsens. Ge-
ächtet werden sollen die Todesstrafe, die Straflosigkeit,
Menschenrechtsverletzungen an Frauen, an religiösen
und sexuellen Minderheiten. So weit, so gut. Ich bin
auch ganz bei Ihnen, wenn Sie feststellen, dass die Ter-
rorismusbekämpfung nicht als Vorwand für Menschen-
rechtsverletzungen dienen darf, oder wenn Sie die Stär-
kung des Internationalen Strafgerichtshofs fordern.
Zu Ihrer in diesem Antrag aufgestellten Forderung,
die Vorbehalte gegenüber der UN-Kinderrechtskonven-
tion zurückzunehmen, darf ich Sie beglückwünschen;
folgen Sie doch damit den langjährigen Forderungen der
SPD-Fraktion und anderer Fraktionen dieses Hauses,
welche die Union in der letzten Legislaturperiode aus-
drücklich abgelehnt und damit blockiert hat.
Die damaligen Begründungen sind aus meiner Sicht
hanebüchen. Überhaupt darüber zu reden, wurde von der
Kollegin Granold am 22. März 2007 als Scheindebatte
bezeichnet. Die Kollegin Landgraf hat am 6. April 2006
in diesem Hohen Hause festgestellt, dass die Vorbehalts-
erklärung sachgerecht sei, weil – ich zitiere –
einzelnen Bestimmungen der Konvention nunmehr
größere Bedeutung, wenn nicht gar unmittelbar in-
nerstaatliche Wirkung zukäme.
Sie hat zum Beispiel Erschwernisse bei der Durchset-
zung der Ausreisepflicht Minderjähriger befürchtet.
Wie gesagt, ich freue mich über Ihren Sinneswandel;
denn wie heißt es so schön: Im Himmel ist mehr Freude
über die Rückkehr eines reuigen Sünders denn über Tau-
send Gerechte. –
Wichtig ist für uns in der SPD-Fraktion der Menschen-
rechtsansatz in der Entwicklungszusammenarbeit. Er
wurde in den letzten fünf Jahren – das ist schon deutlich
gesagt worden – mit mehreren entwicklungspolitischen
A
d
E
d
z
D
M
w
f
w
f
d
s
e
e
v
f
r
s
n
d
u
r
z
d
A
v
H
t
i
W
W
b
t
d
n
I
I
s
A
P
C
M
w
ch glaube, wir haben eine große Chance vertan. Ich sage
hnen eines: Ein Obleutegespräch kann eine Ausschuss-
itzung nicht aufwerten. Da haben Sie einen falschen
nsatz in Ihrem demokratischen Verständnis in diesem
arlament.
Das Wort hat nun Kollegin Sibylle Pfeiffer für die
DU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
einen Sie nicht manchmal, wir seien etwas anmaßend,
enn wir glauben, wir könnten die Probleme, vor allen
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 12. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2009 983
)
)
Sibylle Pfeiffer
Dingen die Menschenrechtsprobleme der Welt, hier in
Deutschland lösen?
Wo sie zu lösen sind, liebe Freunde, ist vor Ort in den
betreffenden Ländern. Wir müssen uns überlegen: Was
können wir da tun?
Wir haben zum einen Möglichkeiten der Diplomatie.
Aber wenn wir hier im Parlament sind, müssen wir uns
überlegen: Was können wir als Parlamentarier tun? Wir
können natürlich Resolutionen verabschieden. Wir kön-
nen auch Einzelfälle behandeln. Das kann man machen.
Aber wenn wir wirklich etwas machen wollen, müssen
wir das Ort tun. Wir sind alle mehr oder weniger auf De-
legationsreise, vor allen Dingen in Ländern, wo wir Pro-
bleme sehen, wo es Probleme mit Menschenrechten und
der Behandlung von Frauen und Ähnlichem gibt. Das ist
unsere Aufgabe, das ist unser Job.
Liebe Freunde, wir können da etwas machen. Ich
spreche hier aus eigener Erfahrung; wir machen es näm-
lich schon. Kollege Hartwig Fischer zum Beispiel – wir
alle kennen ihn – geht auf keine Delegationsreise, ohne
in dem entsprechenden Land auch ein Gefängnis zu be-
suchen. Machen wir uns nichts vor: Damit schafft er sich
nicht sehr viele Freunde bei seinen Gesprächspartnern
von den Regierungen, den Regimen oder was auch im-
mer.
Das sorgt nicht für eine freundliche Aufnahme, und da-
mit macht er sich auch keine Freunde. Das ist etwas, was
wir persönlich machen können, jeder von uns.
Das ist, wie ich finde, das Wichtige bei dem Ganzen. Al-
les andere wäre eine Scheindebatte.
Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Beck?
Aber ja doch.
Ich halte es für einen außerordentlich guten Ansatz,
wenn wir uns fragen, was wir konkret machen können.
Allzu oft werden bei solchen Menschenrechtsdebatten ja
Feiertagsreden gehalten, in denen man zum Ausdruck
bringt, dass man für das Gute und gegen das Schlechte in
der Welt ist.
Sie sprechen in Ihrem Antrag die Themen Menschen-
handel, Zwangsprostitution und Zwangsverheiratung an.
Das sind alles schwerwiegende Menschenrechtsverlet-
zungen. Ich möchte Sie fragen, ob Sie denn auch bereit
w
k
d
e
E
g
d
d
d
f
M
w
B
a
g
–
n
f
t
m
–
w
k
w
F
l
z
M
m
F
G
v
u
s
s ist doch besser, dass sie hier als Zeuginnen und Klä-
erinnen gegen die Schergen zur Verfügung stehen, die
iese Menschenrechtsverletzungen begehen, statt sie in
ie Länder und in die Strukturen zurückzuschicken, in
enen ihnen diese Menschenrechtsverletzungen wider-
ahren sind. Ist die CDU/CSU-Fraktion mit Ihnen der
einung, dass wir in diesem Punkt das tun sollten, was
ir tun können?
Ich weiß nicht, ob Sie sich erinnern, Herr Kollege
eck: Wir als CDU/CSU haben zusammen mit der SPD
uch das Thema Genitalverstümmlung in den Bundestag
ebracht.
Versuchen Sie doch, mich zu verstehen. Ich kann ja
och einmal sagen, was ich eben gesagt habe. Wir dür-
en doch nicht so anmaßend sein, zu meinen, wir könn-
en hier vor Ort die Probleme der Welt lösen. Das ist
ein Ansatz, ein anderer Ansatz als Ihrer.
Wir sind hier, genau. Wir müssen uns überlegen, was
ir tun müssen und was wir tun können.
Frau Kollegin Graf hat, um auf das Thema zurückzu-
ommen, etwas Wichtiges gesagt. Sie hat uns davor ge-
arnt, zu unterschätzen, welche Aufgabe Frauen haben –
rauen in der Entwicklungspolitik, Frauen in Entwick-
ungsländern, Frauen in den Gesellschaften überhaupt.
Liebe Freunde, mein Thema, auf das ich jetzt gerne
u sprechen kommen möchte, lautet: Frauenrechte sind
enschenrechte. Hier müssen wir, wie ich glaube,
anchmal noch wesentlich genauer hinschauen.
rauen sind in einigen Gesellschaften die schwächsten
lieder. Aber auch da können wir etwas tun, und zwar
or Ort.
Vielleicht erinnern sich ja noch einige Kolleginnen
nd Kollegen aus dem Ausschuss für wirtschaftliche Zu-
ammenarbeit und Entwicklung daran, dass letztes Jahr
984 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 12. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2009
)
)
Sibylle Pfeiffer
bei uns Monira Rahman zu Besuch war. Sie hat 2005 den
Menschenrechtspreis von Amnesty International bekom-
men. Monira Rahman kümmert sich in Bangladesch um
Frauen, die mit Säure verätzt worden sind. Als ich sie in
ihrem Krankenhaus in Bangladesch besuchte und sah,
welch grauenvolle Dinge es gibt, wurde mir plötzlich
klar, dass es große Unterschiede zwischen den verschie-
denen Formen von Menschenrechtsverletzungen gibt.
Angesichts der Argumente, die dafür angeführt
werden, warum Frauen mit Säure verätzt werden, wird
deutlich, dass wir noch ganz viel Überzeugungsarbeit zu
leisten haben. Gemäß Art. 16 der UN-Menschenrechts-
konvention gilt zwar auch dort, dass Frauen bei der Ehe-
schließung, während der Ehe und bei deren Auflösung
die gleichen Rechte wie Männer haben; Säureattentate
werden dort aber zum Beispiel aufgrund von Eifersucht,
aufgrund von „inadäquater“ Mitgift – das muss man sich
einmal vorstellen –, aufgrund von Streitigkeiten inner-
halb der Familie verübt. Dass solche Gründe dafür ange-
führt werden, warum dort Frauen mit Säure verätzt wer-
den, finde ich unglaublich.
Deshalb reicht es nicht aus, Konventionen zu erarbei-
ten und Papiere zu erstellen, wir müssen vielmehr dafür
sorgen, dass sich die Gesellschaft in bestimmten Län-
dern ändert. Dafür können wir bei den Regierungsver-
handlungen – das ist schon angesprochen worden –,
beim Abschluss von Verträgen mit den entsprechenden
Regierungen oder wo auch immer etwas tun.
Etwas anderes finde ich ebenfalls grauenvoll, liebe
Kolleginnen und Kollegen, nämlich wenn Frauen in
Kriegen als Waffe benutzt werden. Das ist absolut ver-
werflich. Wenn ich mir vorstelle, dass das damals im
Balkankrieg vor unseren Augen passiert ist – wir haben
eine ganze Weile zugeschaut, bis wir eingegriffen haben –,
dann habe ich noch heute ein Schamgefühl; denn wir ha-
ben es gewusst, wir haben es gesehen, es ist uns erzählt
worden, aber wir haben nichts dagegen getan. Das finde
ich furchtbar.
Menschenrechte werden in manchen Ländern, vor al-
len Dingen dort, wo die Scharia regiert, nur bedingt und
nur unter Vorbehalt eingehalten. 60 Länder der Organi-
sation der Islamischen Konferenz haben die Kairoer Er-
klärung der Menschenrechte im Islam 1990 verabschie-
det. Aber eines fehlt dort, nämlich das Verbot von
Diskriminierung aufgrund von Geschlecht oder Reli-
gion, anders als es in Art. 2 der UN-Menschenrechtskon-
vention steht. So wird Frauen in islamisch geprägten
Ländern oft die Schulbildung vorenthalten, die gesell-
schaftliche Teilhabe wird ihnen verweigert, sie haben
nicht einmal ansatzweise die Möglichkeit eines gesell-
schaftlichen Aufstieges, und sie werden als Menschen
zweiter Klasse behandelt. Dies geschieht unter dem
Deckmantel der Religion, des Islam, und der Kultur. Das
halte ich für verwerflich.
D
k
r
m
s
d
d
l
D
r
g
g
g
M
n
u
F
r
s
D
t
V
l
v
A
b
e
M
i
D
m
b
B
g
w
g
z
j
b
s
D
s
b
)
)
Frau Steinbach, Sie reden hier immer über die Chris-
enverfolgung. Das ist in der Tat ein wichtiges Thema. In
ielen Ländern werden Christen massiv verfolgt. In
hina ist es die katholische Kirche, die Rom-treu ist. In
sbekistan sind es die Zeugen Jehovas und Evangeli-
ale. Zurzeit sitzen in Usbekistan vier Zeugen Jehovas
m Gefängnis.
Aber was machen wir da, wo wir etwas tun können,
egenüber der usbekischen Regierung? Die Bundesrepu-
lik Deutschland hat sich in der EU dafür eingesetzt,
ass die letzten Embargomaßnahmen, die lediglich Ein-
eiseverbote für Mitglieder der Staatsführung beinhalten,
ufgehoben wurden, weil wir militärpolitische Interes-
986 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 12. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2009
)
)
Volker Beck
sen in Termes haben. Konkrete Menschenrechtspolitik
misst sich daran, dass sie dort, wo sie Einfluss auf Bezie-
hungen hat, konsistent handelt und dass nicht wie in ei-
nem Wolkenkuckucksheim über das Schlechte in der
Welt geredet wird.
Meine Damen und Herren, ich denke, Sie leisten den
verfolgten Christen in aller Welt einen Bärendienst,
wenn Sie deren Problem als Christenverfolgung und
nicht als Rechte religiös verfolgter Minderheiten be-
zeichnen. Man kann sich nicht in der Türkei dafür ein-
setzen, dass es in Tarsus ein Pilgerzentrum geben soll,
wie es Kardinal Meißner aus Köln zu Recht will – ich
bin sehr dafür –, ohne gleichzeitig über die desolate Si-
tuation der Aleviten und Jesiden in der Türkei zu spre-
chen.
Das ist nicht fair.
Wenn Sie sagen, 80 Prozent der religiös Verfolgten
seien Christen, was sagen Sie dann den Bahai, einer win-
zigen religiösen Minderheit, von denen viele im Iran in
der Vergangenheit bereits ermordet worden sind? Was
soll dieser quantitative Ansatz? Es geht darum, dass je-
der sein Recht auf Religionsfreiheit subjektiv und kol-
lektiv ausüben kann. Dazu gehören übrigens Kirchtürme
wie Minarette gleichermaßen. Die Mehrheit hat nicht
das Recht, die Menschenrechte per Volksabstimmung
oder parlamentarischer Gesetzgebung zu beschneiden.
Ansonsten wird Gesetzgebung zu einer Tyrannei der
Mehrheit im Sinne von de Tocqueville. Das wollen wir
nicht. Die Demokratie hat ihre Grenzen im Rahmen der
Menschenrechte und der Rechtsstaatlichkeit. Das gilt für
uns und für den Volksgesetzgeber.
Wir haben gerade über das Thema „Flüchtlingsschutz
im Falle von Syrien“ gesprochen. Wenn in Deutschland
Syrer – meist sind es kurdische Syrer, die dort verfolgt
werden – vor deutschen Gerichten um Schutz nachsu-
chen und das Asylverfahren abgelehnt wird – Frau
Steinbach, vielleicht lernen Sie etwas dazu; Flüchtlinge
interessieren Sie ja weniger; die Achtung der Menschen-
rechte ist für Sie nur im Ausland interessant –,
dann wird ihnen das Asylverfahren bei einer Abschie-
bung in die Syrische Republik als Bezichtigung im Sinne
falscher Informationen nach § 287 des syrischen Strafge-
setzbuches vorgehalten, so im September 2009 mit ei-
nem 31-jährigen syrischen Kurden aus Frankfurt am
Main geschehen. Er wurde nach der Abschiebung vom
Geheimdienst in Syrien einbestellt und ist danach ver-
schwunden. Jetzt sitzt er in Haft und ist verurteilt.
s
s
f
H
w
r
s
I
w
S
d
k
W
–
n
D
w
r
C
D
h
E
s
E
d
e
ch denke, da können wir zeigen, dass wir das tun, was
ir beeinflussen können. Wir können die Verhältnisse in
yrien nicht aus den Angeln heben; aber den Menschen,
ie von dort zu uns kommen und des Schutzes bedürfen,
önnen wir helfen und ihnen Schutz gewähren.
Ich möchte Ihnen, weil ja bald Weihnachten ist, –
Herr Beck!
– angesichts dieser Fragen ein Bibelwort mit auf den
eg geben
denn Sie reden immer nur über die Christen und dieje-
igen, die Ihnen am nächsten stehen –:
Denn wenn ihr liebet, die euch lieben, was werdet
ihr für Lohn empfangen? Tun nicht dasselbe auch
die Zöllner? Und wenn ihr nur zu euren christlichen
Brüdern freundlich seid, was tut ihr Besonderes?
Tun nicht dasselbe auch die Heiden?
eshalb: Werden Sie vollkommen, wie es in Matthäus 5
eiter heißt, und bemühen Sie sich um ein vollständige-
es Bild der Menschenrechte!
Der Nächste ist der Kollege Michael Frieser für die
DU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen!
iese verbundene Debatte soll auch etwas Verbindendes
aben, Herr Kollege Beck. Insofern muss man sagen:
in Credo für die Unteilbarkeit der Menschenrechte
chließt natürlich auch die Tatsache ein, dass wir bis ans
nde dafür kämpfen, dass Sie Ihre Meinung hier äußern
ürfen. Auch wenn sie falsch ist, muss man sie trotzdem
rtragen.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 12. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2009 987
)
)
Michael Frieser
Ich will in Hinblick auf die Religionsfreiheit nur eines
richtigstellen: Ein Hinweis auf die Tatsache, dass
80 Prozent der Verfolgungen solche von Christen sind,
macht es nicht falsch oder überflüssig, darauf hinzuwei-
sen, dass auch andere Verfolgungen aus Religions- und
Glaubensgründen falsch sind.
Zudem ist es notwendig, Folgendes deutlich zu ma-
chen – das darf ich an dieser Stelle als Abgeordneter aus
Nürnberg, einer Stadt, die sich nicht umsonst Stadt des
Friedens und der Menschenrechte nennt –: Wir müssen
dem Anspruch der Geltung von Menschenrechten im
modernen Verfassungsstaat nicht nur dadurch gerecht
werden – Kollegin Pfeiffer hat darauf hingewiesen –,
dass wir hier gerne darüber reden und dies frei tun; wir
müssen vielmehr auch belegen, dass wir unsere Forde-
rungen in den Institutionen umsetzen und die entspre-
chenden Verfahren durchführen können. Was wir in Be-
zug auf Menschenrechte fordern dürfen, hängt
maßgeblich von unserer Handlungsfähigkeit ab.
Der Antrag der CDU/CSU spricht eine deutliche
Sprache, wie wir sie nicht oft genug verwenden kön-
nen. Er richtet sich gegen Todesstrafe, Folter, Sklaverei
und Ausbeutung und spricht sich für den Schutz der
Religions-, Presse- und Meinungsfreiheit aus. Gerade
hier gilt, was ich schon gesagt habe: Wir müssen die Ein-
haltung der Menschenrechte leisten können; wir müssen
Institutionen und Instrumente schaffen, damit wir das,
was wir hier fordern, umsetzen können.
Auch deshalb ist mir die bessere Durchsetzung des
Völkerstrafgesetzbuches ein besonderes Anliegen. Ich
bin froh, dass der Koalitionsvertrag hierauf eingeht. Völ-
kerrecht braucht ein Völkerstrafrecht, um überhaupt
glaubwürdig zu sein und durchgesetzt werden zu kön-
nen.
Darauf muss man eindeutig hinweisen.
Ich möchte nun die ordnungspolitische Sichtweise
einnehmen – auch Kollege Tören hat das schon getan –
und auf die Frage des deutsch-syrischen Rückführungs-
abkommens eingehen. Man muss sagen, dass es keine
Gründe gibt, dieses Abkommen einfach auszusetzen.
Hier geht es nämlich darum – dafür ist das Abkommen
nun einmal da –, gesetzwidrige Zuwanderungen rückgän-
gig zu machen und zu verhindern. Es geht darum – wir
haben es oft genug gehört; man müsste vielleicht einmal
zuhören –, deutlich zu machen, dass das Asylrecht für
alle anderen Fälle genügend Rechtsschutz vorsieht. Das
Bundesinnenministerium und das Bundesamt für Migra-
tion und Flüchtlinge überwachen die Einhaltung und
Durchsetzung der asylrechtlichen Bestimmungen.
Die Bundesländer sind hier die richtigen Ansprech-
partner; wir hatten dieses Thema heute schon. Die In-
nenminister sind tatsächlich in der Lage, einen gemein-
schaftlichen Beschluss umzusetzen und durchzusetzen.
Das zeigt das Beispiel Sri Lankas: Hier hat die Bundes-
r
r
l
h
d
a
k
S
n
z
v
b
E
p
L
M
z
E
Z
d
z
g
Z
a
E
m
f
s
P
d
s
v
m
B
L
d
M
b
w
g
Hier geht es um genau diesen Denkansatz: Es kann
icht sein, dass die Menschenrechtspolitik eine Pflicht
u einem generellen Individualschutz auf diesem Boden
orsieht. Das würde nämlich zu einem regellosen Blei-
erecht führen.
in regelloses Bleiberecht würde eine Zuwanderungs-
olitik durch die Hintertür sein. Vielleicht geht es der
inken genau darum, unter dem Deckmäntelchen der
enschenrechte eine bestimmte Zuwanderungspolitik
u verfolgen. Darauf muss man leider hinweisen.
s ist ein ehrenwertes Anliegen; aber die parteipolitische
ielrichtung ist nun einmal zu erkennen.
Wir müssen deutlich sagen: Es gibt einen ausreichen-
en rechtlichen Rahmen für die Steuerung und Begren-
ung der Zuwanderung. Wir haben das gesetzlich gere-
elt; wir müssen und werden die Gesetze anwenden. Die
uwanderungspraxis in Deutschland ist an dieser Stelle
usreichend ausgestaltet.
s geht um Einzelfälle, die wir anprangern können und
üssen. Natürlich gibt es einen Grund, auf jeden Einzel-
all hinzuweisen, in dem die Todesstrafe droht. Trotzdem
ollten wir nicht den Eindruck erwecken, dass wir alle
robleme lösen können. Ich bitte darum, den Einsatz für
ie Menschenrechte nicht immer mit einem parteipoliti-
chen Kalkül zu verbinden. Das ist mit Sicherheit der
öllig falsche Weg.
Bei den Anträgen der Opposition fällt auf, dass es ko-
ischerweise einen Zusammenhang gibt zwischen den
erichten über Menschenrechtsverletzungen in anderen
ändern und der Tatsache, dass man doch immer wieder
arauf hinweist, dass sie kulturell bedingt seien.
an kann das kulturrelativistische Kritik nennen. Das
edeutet, dass die Kritik immer dann etwas leiser ist,
enn es um Länder geht, wo Menschenrechtsverletzun-
en nicht in das parteipolitische Kalkül hineinpassen.
988 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 12. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2009
)
Michael Frieser
Die Stichworte China, Nordkorea und Kuba sind alle
schon gefallen.
Damit tun wir der Debatte in diesem Land für die Durch-
setzung dessen, was wir in anderen Ländern leisten müs-
sen, keinen Gefallen. Ich glaube, dass es die Menschen
dieser Welt verdient haben, dass wir es mit dem Thema
Menschenrechte ehrlich meinen, dass wir den Einzelfall
betrachten und das tun, was wir tun können.
Vielen Dank.
Der Kollege Burkhard Lischka ist der nächste Redner
für die SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wäh-
rend ich diese Debatte verfolge, drängt sich mir zwangs-
läufig die Frage auf: Ist es denn so schwer, sich gemein-
sam hinter einem Ziel zu versammeln? Die Einhaltung
der Menschenrechte ist auch in Zukunft die Messlatte
der deutschen Entwicklungspolitik. Darum geht es uns
in unserem Antrag, der heute zur Abstimmung steht.
Wirkt Entwicklungshilfe? Sie wissen, diese Frage
wird teilweise sehr heftig diskutiert. Entwicklungshilfe
wirkt vor allen Dingen dort gut, wo sie zum einen gute
Regierungsführung unterstützen kann und wo sie sich
zum anderen auf gute Regierungsführung stützen kann.
Auf Dauer kann kein Entwicklungsprojekt besser sein
als die Rahmenbedingungen, in die es eingebettet ist.
Wenn Menschenrechte, wenn Freiheitsrechte mit Füßen
getreten werden, dann kann Entwicklungspolitik lang-
fristig nicht zu positiven Ergebnissen führen.
Wenn Menschen beispielsweise zum Abbau von Bo-
denschätzen von den Ländereien vertrieben werden, die
ihre Lebensgrundlage bilden, dann kann sich Entwick-
lungspolitik mühen, wie sie will: Sie wird Stückwerk
bleiben. Sie wird nicht nachhaltig dazu beitragen kön-
nen, dass sich die Lebenssituation der Betroffenen ver-
bessert. Erfolgreiche Entwicklungspolitik ist auf mün-
dige Betroffene angewiesen, auf Akteure, die ihre eigene
Entwicklung mitgestalten können; denn solche Akteure
vor Ort wissen am besten, wo angesetzt werden muss,
damit sich ihre Situation verbessert. Weil das so ist, sind
die Menschenrechte auch in der Entwicklungspolitik das
A und O.
Für einen Analphabeten und einen hungernden Men-
schen ist beispielsweise die Pressefreiheit zunächst kein
primäres und existenzielles Grundrecht. Dennoch lässt
sich belegen, dass es in Staaten, in denen es Pressefrei-
heit gibt, seltener zu schweren Hungersnöten kommt.
W
s
z
n
d
u
F
t
T
d
g
s
w
f
z
v
R
l
F
a
g
r
g
s
m
a
c
k
r
S
k
a
v
h
s
g
w
b
n
t
C
d
s
d
d
p
s
i
h
d
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 12. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2009 989
)
)
Burkhard Lischka
Aktionsplan für Menschenrechte, der bis zum Jahr 2010
Gültigkeit hat, ohne Wenn und Aber um und entwickeln
Sie einen Folgeplan! Das sind Sie den vielen Millionen
Menschen, die hungern und unter Menschenrechtsverlet-
zungen leiden, schuldig.
Danke schön.
Sabine Weiss ist die nächste Rednerin für die CDU/
CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Meine Damen und Herren! Die vorliegenden Anträge
und der Verlauf der Debatte zeigen glücklicherweise im-
mer noch: Das Thema Menschenrechte ist grundsätzlich
unser gemeinsames Thema. Quer durch die Fraktionen
besteht Einigkeit darin: Die Durchsetzung der Men-
schenrechte weltweit ist unsere gemeinsame Aufgabe.
Die verbale Einigkeit stimmt mich hoffnungsvoll, dass
dies auch in der laufenden Legislaturperiode so bleibt.
Von daher will ich nicht polarisieren oder Gräben aufrei-
ßen. Dazu ist dieses Thema viel zu wichtig.
Viele der Forderungen in dem SPD-Antrag betrachten
wir in der Tat als gemeinsame Übereinkunft.
Viele der aufgestellten Forderungen werden in der all-
täglichen Praxis bereits verwirklicht: Stärkung guter Re-
gierungsführung, Stärkung der Eigenverantwortung und
Stärkung der Selbsthilfekräfte der Entwicklungsländer.
Gerade das sind doch die Schlüsselbereiche deutscher
Entwicklungszusammenarbeit.
Die nachhaltige Bekämpfung von Armut und Struk-
turdefiziten im Sinne der Millenniumserklärung der Ver-
einten Nationen steht im Koalitionsvertrag, und der ist
nun einmal die Richtschnur für unser Regierungshan-
deln. Wenn Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von der
Opposition, Zweifel am Willen der schwarz-gelben Re-
gierung haben, erinnern Sie sich doch einfach daran: Es
war unsere Kanzlerin Angela Merkel, die nach den Jah-
ren von Rot-Grün das Thema Menschenrechte erstmals
wieder offen und klar in die deutsche Außenpolitik ein-
gebracht hat.
I
s
d
t
T
W
s
k
s
k
D
r
e
d
d
r
s
d
W
E
h
a
g
s
p
g
S
B
D
s
i
t
E
w
w
s
K
D
R
enn Sie in Antrag und Debatte einen so forschen und
elbstgerechten Ton anschlagen,
önnte man mit Blick auf Ihre Parteivergangenheit
chnell zum Bild vom Glashaus und den Steinewerfern
ommen.
ie Worte Frieden, Freiheit und Menschenrechte aus Ih-
em Munde kämen glaubwürdiger herüber, wenn sie mit
twas mehr Nachdenklichkeit und Selbstreflexion über
ie SED-Vergangenheit Ihrer Partei ausgesprochen wür-
en.
Die universellen freiheitlichen Menschenrechte gehö-
en zu den Grundlagen unserer Zivilisation. Wir wollen
ie in größtmöglicher Einigkeit durchsetzen und vertei-
igen.
ir sollten das Thema auch nicht auf den Bereich der
ntwicklungszusammenarbeit einengen; natürlich ge-
ört es auch da hin. Das fängt bei so klaren Fällen wie
usbeuterischer Kinderarbeit an und geht bis zu dem
roßen Begriff von Good Governance, der alle Bereiche
taatlichen Handelns umfasst. Es schließt aber auch das
rivatwirtschaftliche Engagement ein. Wir wissen, dass
erade das mittelständische Engagement in vielen
chwellen- und Entwicklungsländern für Arbeitsplätze,
ildung und verbesserten Wohlstand sorgt.
amit dies nicht auf Kosten der Menschen vor Ort pas-
iert, wollen wir die Unternehmen unterstützen, die sich
n ihrem Rahmen für bessere und gerechtere Produk-
ionsbedingungen engagieren.
ntwicklungsrelevanz ist hier der Schlüsselbegriff. Ent-
icklungszusammenarbeit und Menschenrechte müssen
ir zusammen sehen, und das sieht die Regierung auch
o. Unser Antrag und die entsprechenden Passagen des
oalitionsvertrages zeigen dies ganz klar und deutlich.
er Antrag der Opposition reflektiert eher die letzten
egierungsjahre der Sozialdemokraten, ein rotes Best-
990 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 12. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2009
)
)
Sabine Weiss
of. Aber das Thema ist umfassender. Deshalb haben wir
unseren Antrag wesentlich breiter angelegt. Nach meiner
Auffassung schließen wir damit das Anliegen des SPD-
Antrages ein, stellen das Ganze aber in einen größeren
Zusammenhang.
Die Menschenrechte gehören weltweit geschützt,
nicht aber eng fokussiert auf die Entwicklungszusam-
menarbeit. Uns geht es – das ist angeklungen – unter an-
derem um die Todesstrafe, und zwar überall, in den USA
genauso wie in China oder im Iran. Uns geht es um den
Schutz von Kindern, Frauen und Homosexuellen. Über
Zwangsverheiratung, Genitalverstümmelung und Todes-
strafe für Homosexuelle wie im Iran oder möglicherweise
bald in Uganda dürfen wir nicht als Frage der kulturellen
Identität diskutieren und es damit einfach hinnehmen.
Uns geht es um elementare Freiheitsrechte, Religions-
freiheit, Presse- und Meinungsfreiheit, Schutz vor Dis-
kriminierungen. Da blicken wir kritisch in alle Richtun-
gen: nach Guantánamo genauso wie nach Kuba. Wir
befürworten den Bau von Moscheen und Hindutempeln
in unserem Land. Aber wir wollen auch, dass christliche
Kirchen überall auf der Welt ohne Angst errichtet wer-
den können.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, gestatten Sie mir,
einen Aspekt zu nennen, der mir persönlich sehr wichtig
ist. Wir fordern zu Recht Good Governance von den in-
ternationalen Partnern, die von uns Hilfe und Unterstüt-
zung erwarten. Wir wenden uns zu Recht gegen Teppi-
che, an denen das Blut von unzähligen Kinderhänden
klebt, um es einmal plastisch auszudrücken. Wir fordern
zu Recht, dass Menschenhandel, Sklaverei und Ausbeu-
tung geächtet werden. Ich selbst habe als Anwältin etli-
che Prozesse zum Thema Menschenhandel geführt und
dabei mitbekommen, dass es überhaupt nicht ausreicht,
mit dem Finger ins Ausland zu zeigen und dort nach
staatlichen und wirtschaftlichen Verbesserungen zu ru-
fen.
Die Teppiche, an denen Blut klebt, die Grabsteine aus
Sklavenarbeit und die verschleppte, zur Prostitution ge-
zwungene Frau zum Beispiel aus Fernost haben eines
gemeinsam: Es gäbe sie nicht, wenn es hier nicht auch
den Markt und die Käufer gäbe.
Da wird der Schutz der Menschenrechte weltweit zu ei-
nem Problem ganz nah. Da müssen wir mentale Ent-
wicklungshilfe im eigenen Land betreiben. Auch dies
gehört zum Thema dazu.
b
D
T
d
f
W
m
t
A
M
z
P
H
m
B
g
D
d
1
s
D
A
z
„
s
s
d
a
l
B
t
g
S
L
L
A
z
d
A
D
D
s
d
e
)
)
Ich komme zur Wahl der Mitglieder des Richterwahl-
ausschusses gemäß § 5 des Richterwahlgesetzes: Abge-
gebene Stimmen 584, gültige Stimmen 583, Enthaltun-
gen 1, ungültige Stimmen 1. Von den gültigen Stimmen
entfielen auf die Wahlvorschläge der Fraktion der CDU/
CSU 229 Stimmen, auf die der Fraktion der SPD
132 Stimmen, auf die der Fraktion der FDP 90, auf die
der Fraktion Die Linke 67 und auf die der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen 64 Stimmen.2)
Bei der Wahl des Vertrauensgremiums gemäß § 10 a
Abs. 2 der Bundeshaushaltsordnung sind 587 Stimmkar-
ten abgegeben worden. Gültig waren 587. Von den gülti-
gen Stimmen entfielen auf den Abgeordneten Norbert
Barthle 480 Stimmen, auf den Abgeordneten Herbert
Frankenhauser 480 Stimmen, auf den Abgeordneten Jürgen
Herrmann 473 Stimmen, auf den Abgeordneten Klaus-
Peter Willsch 478 Stimmen, auf die Abgeordnete Petra
Merkel 497 Stimmen, auf den Abgeordneten Carsten
Schneider 506 Stimmen, auf den Abgeordneten Christian
Ahrendt 491 Stimmen, auf den Abgeordneten Heinz-
Peter Haustein 502 Stimmen, auf den Abgeordneten
Steffen Bockhahn 388 Stimmen und auf den Abgeordne-
ten Alexander Bonde 483 Stimmen. Ich gratuliere an die-
ser Stelle insbesondere dem Kollegen Haustein.3)
Zur Wahl der Mitglieder des Gremiums gemäß § 3 des
Bundesschuldenwesengesetzes. Abgegebene Stimmkar-
ten 587, davon gültig 587. 2 Enthaltungen hat es gegeben.
Von den gültigen Stimmen entfielen auf den Abgeordne-
ten Norbert Barthle 480, auf den Abgeordneten Norbert
Brackmann 472, auf den Abgeordneten Alexander Funk
468, auf den Abgeordneten Bartholomäus Kalb 484, auf
den Abgeordneten Johannes Kahrs 462, auf den Abge-
ordneten Carsten Schneider 499, auf den Abgeordneten
Otto Fricke 503, auf den Abgeordneten Joachim Spatz
484, auf die Abgeordnete Dr. Gesine Lötzsch 414 und auf
den Abgeordneten Alexander Bonde 484 Stimmen.4)
Ich habe offenbar vergessen, etwas zu verlesen; das
muss ich gerade noch nachholen. Ich muss noch verkün-
d
a
5
F
1
1
d
W
N
G
b
s
e
C
d
L
G
s
R
v
d
d
b
s
L
M
d
g
K
k
D
h
f
s
J
t
k
a
1) Namensverzeichnis der Teilnehmer an der Wahl siehe Anlage 8
2) Namensverzeichnis der Teilnehmer an der Wahl siehe Anlage 9
3) Namensverzeichnis der Teilnehmer an der Wahl siehe Anlage 10
4) Namensverzeichnis der Teilnehmer an der Wahl siehe Anlage 11
zu dem Antrag der Abgeordneten
)
)
Lassen Sie mich an dieser Stelle gerne auch eine
grundsätzliche Bemerkung zu diesem Thema machen.
Wenn Sie das Thema Kinderregelsätze ansprechen, geht
es natürlich auch um das Kernproblem Kinderarmut in
Deutschland.
Wenn wir über Kinderarmut reden, dann heißt das für
uns, für die Christlich Demokratische Union, nicht nur
Kinderarmut im finanziellen Sinne, sondern auch im
nichtfinanziellen Sinne: die Nichtteilhabe an der Gesell-
schaft, das Ausgeschlossensein, das Nicht-partizipieren-
Können. Dieses Problem gehen wir an und müssen wir
angehen.
Wir wissen aus wissenschaftlichen Studien, dass die
Eltern dieser Kinder oftmals von Leistungen nach dem
SGB II leben. Ich will Ihnen nur einmal eine Zahl „vor
die Füße werfen“: Rund 50 Prozent der Kinder, deren El-
tern von Leistungen nach dem SGB II leben, befinden
sich in Kinderarmut oder sind von Kinderarmut bedroht,
während es nur – ich bitte, das „nur“ in ganz große An-
führungsstriche zu setzen – 8 Prozent der Kinder sind,
bei denen zumindest ein Elternteil in Vollzeit arbeitet.
Das heißt, der Schlüssel liegt vor allem bei den Eltern.
Wir müssen versuchen, die Betroffenen wieder in Arbeit
zu bringen, damit wir aus dieser Situation herauskom-
men.
Ich sage Ihnen jetzt auch noch etwas ganz offen und
ohne Parteipolitik:
Wir müssen uns noch stärker als bisher um die spezifi-
schen Probleme dieser Arbeitslosen kümmern, und das
werden wir auch tun. Frau von der Leyen war im Aus-
schuss, und wir haben mit ihr gesprochen. Sie wird uns
dabei unterstützen.
Es gibt Probleme, beispielsweise bei den Alleinerzie-
henden. Rund 40 Prozent der Alleinerziehenden bezie-
hen Leistungen nach dem SBG II. Das sind zu viele.
Dieses Problem müssen wir angehen – das hat Frau von
der Leyen erkannt, und das hat auch unsere Fraktion er-
kannt –,
d
w
u
O
K
s
L
K
w
D
b
e
I
s
d
K
Ü
s
s
w
S
r
V
i
n
w
G
M
s
S
g
t
r
v
e
E
D
d
H
r
ch erinnere an die Anhörung vom 16. Juni 2008 zu die-
em Thema. Die Experten waren sich durchweg einig,
ass wir eine genauere Bemessungsgrundlage für die
inderregelsätze benötigen.
Wie aber sollte diese aussehen? Es gab eine große
bereinstimmung, die Einkommens- und Verbrauchs-
tichprobe, die für die Ermittlung der Erwachsenenregel-
ätze zugrunde gelegt wird, auch bei den Kindern anzu-
enden. Das ist der richtige Ansatz, wenn man in der
ystematik der bisherigen Bemessung der Grundsiche-
ung bleiben will. Leider wird die Einkommens- und
erbrauchsstichprobe nur alle fünf Jahre erhoben. Das
st ein zu langer Zeitraum. Auch darin waren wir uns ei-
ig. Die letzte Erhebung stammt aus dem Jahr 2003.
Wir haben das Ministerium gebeten, trotzdem probe-
eise eine Neubemessung der Kinderregelsätze auf
rundlage der vorhandenen Daten durchzuführen. Das
inisterium hat das hinbekommen und die Kinderregel-
ätze auf Grundlage einer EVS-Sonderauswertung des
tatistischen Bundesamtes neu berechnet. Da es bei eini-
en Verbrauchspositionen, zum Beispiel bei Lebensmit-
eln, schwierig ist, den genauen Kindsbedarf herauszu-
echnen, wurden die Ausgaben für Kinder mittels eines
on Wissenschaftlern entwickelten Verteilungsschlüssels
rmittelt.
s stellte sich heraus, dass nachjustiert werden musste.
ie Kinderregelsätze wurden erhöht, und es wurde eine
ritte Altersstufe für die 6- bis 13-jährigen eingefügt.
iervon haben rund 810 000 Kinder in der Grundsiche-
ung und 13 000 Kinder in der Sozialhilfe profitiert.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 12. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2009 993
)
)
Gabriele Hiller-Ohm
Auf unseren Druck wurde in der Großen Koalition auch
das Schulbedarfspaket von 100 Euro pro Schuljahr bis
zum Abitur für Schülerinnen und Schüler aus hilfsbe-
dürftigen Familien auf den Weg gebracht.
Ein weiterer wichtiger Schritt unter Schwarz-Rot war
die Erhöhung und Neuberechnung des Wohngeldes. In
Kombination mit dem Kinderzuschlag haben wir für
viele Familien eine Besserstellung erreicht.
Wenn wir uns darauf verständigen, dass die Einkom-
mens- und Verbrauchsstichprobe langfristig Grundlage
für die Bemessung der Kinderregelsätze sein soll, dann
müssen wir Druck auf die neue Regierung machen, dass
erstens der Erhebungszeitraum für die EVS verkürzt,
zweitens der tatsächliche Verbrauch für Kinder genauer
erfasst und drittens die nötige Transparenz bei der Be-
wertung von Verbrauchspositionen geschaffen werden.
Auch die Wiedereinführung von Einmalhilfen für beson-
dere Bedarfe sollte aus meiner Sicht geprüft werden.
Dass wir dafür tatsächlich eine Kommission benötigen,
wie Sie sie fordern, liebe Kolleginnen und Kollegen der
Linken, glaube ich eher nicht. Wer sollte diese Kommis-
sion einsetzen? Wie groß sollte sie sein? Wer sollte die-
ser Kommission angehören?
Im Übrigen – darauf hat auch der Kollege von der CDU/
CSU schon hingewiesen – wird voraussichtlich schon im
Januar oder Februar das Bundesverfassungsgericht über
die Verfassungsmäßigkeit der Regelsätze und auch über
die Bedarfsermittlung für Kinder urteilen. Wir sollten
dieses wichtige Urteil abwarten.
Angemessene Kinderregelsätze sind das eine. Ebenso
wichtig ist es aber auch, die Infrastruktur für Kinder in
Deutschland insgesamt zu verbessern. Liebe Kollegin-
nen und Kollegen der Linken, Sie zitieren in Ihrem An-
trag einen Bundesratsbeschluss vom 7. November 2008.
Die Länder fordern die Bundesregierung hierin auf, die
Regelleistungen für Kinder neu zu bemessen und auch
die Mittagsverpflegung an Ganztagsschulen und das Bil-
dungs- und Betreuungsangebot am Nachmittag bei den
Regelsätzen zu berücksichtigen. Wenn ich ein Bundes-
land wäre, würde ich es vielleicht genauso machen.
Denn so kann man bequem die eigene finanzielle Verant-
wortung an andere weiterreichen. Das sollten wir den
Ländern nicht durchgehen lassen.
Richtig ist aber auch, dass die Länder und Kommunen
die erforderliche Finanzausstattung benötigen, um ihren
Verpflichtungen nachkommen zu können. Ich komme
aus Schleswig-Holstein, einem wunderschönen, aber lei-
der auch bettelarmen Bundesland. Hier hat die Landesre-
g
k
S
d
H
s
s
b
d
w
w
g
S
p
S
a
B
W
n
B
W
i
i
A
f
e
m
n
n
w
b
u
k
W
B
D
d
s
m
w
d
r
d
g
F
V
w
ir haben das im Bundestag übrigens schon getan; denn
atürlich wird es dem Bund nicht besser als den armen
undesländern ergehen. Ab 2010 kostet das sogenannte
achstumsbeschleunigungsgesetz den Staat jedes Jahr
nsgesamt rund 8,5 Milliarden Euro.
Eine Erhöhung der Regelsätze wird kommen; da bin
ch mir sicher. Aber auch diese hat natürlich ihren Preis.
llein der Vorschlag des Paritätischen Gesamtverbandes
ür die Kinderregelsätze würde nach eigenen Angaben
twa 3 Milliarden Euro kosten. Das Institut für Arbeits-
arkt- und Berufsforschung hat darüber hinaus berech-
et, dass eine Erhöhung der Regelleistung bei Erwachse-
en von 358 auf 420 Euro den Bundeshaushalt mit
eiteren rund 10 Milliarden Euro belasten würde. Ich
in gespannt, wie die schwarz-gelbe Regierung im Bund
nd wie die Länder ihrer sozialen Verpflichtung nach-
ommen wollen. Nach der Landtagswahl in Nordrhein-
estfalen werden wir schlauer sein; denn dann wird die
undesregierung ihre Einsparkarten auf den Tisch legen.
ie SPD-Fraktion wird sehr genau, aber auch sehr genau
arauf achten, dass nicht die Armen in unserer Gesell-
chaft und erst recht nicht die Kinder diese Zeche zahlen
üssen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen der Linken, auch wir
ollen, dass es wirksame, rechtssichere und eigenstän-
ige Kinderregelsätze in Deutschland gibt. Die Forde-
ungen in Ihrem Antrag teilen wir aber nicht. Wir halten
ie Einsetzung einer Kommission und Ihre vorgeschla-
ene Zwischenlösung für nicht zielführend. Die SPD-
raktion wird Anfang nächsten Jahres einen eigenen
orschlag auf den Tisch legen, der so überzeugend sein
ird, dass dann alle zustimmen können.
994 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 12. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2009
)
)
Reiner Deutschmann hat das Wort für die FDP-Frak-
tion.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten
Damen und Herren! Die Kinder sind die Zukunft unseres
Landes. So einfach diese Feststellung ist, so bildet sie
doch die Grundlage unserer Diskussion. Wir alle wollen
– ich denke, darüber herrscht Konsens –, dass unsere
Kinder sorgenfrei und gut aufwachsen. Da dies nicht in
allen Fällen gewährleistet ist, haben wir ein soziales
Netz geschaffen. Gerade wenn es um Kinder geht, soll-
ten wir an uns selbst hohe Anforderungen stellen.
Wir sollten uns die Zeit nehmen, eine Regelung zu fin-
den, die bedürftigen Kindern eine ausreichende Unter-
stützung zukommen lässt. Wir sollten eine Regelung fin-
den, die einer verfassungsrechtlichen Überprüfung
standhält.
Ich habe die Erfahrung gemacht, dass es ratsam ist,
einen Sachverhalt auch einmal etwas aus der Distanz zu
betrachten. Wenn man Deutschland aus der Entfernung
betrachtet, dann findet man ein Land vor, das ein Netz
der sozialen Absicherung aufweist, welches wir nur in
sehr wenigen Ländern dieser Welt vorfinden.
Unsere soziale Marktwirtschaft vereint marktwirtschaft-
liche Mechanismen mit dem Sozialstaat. Ein Blick in
den jeweiligen Bundeshaushalt zeigt die Intensität der
sozialen Fürsorge unseres Staates. Nicht umsonst ist der
Sozialetat der mit Abstand größte Haushaltsposten. Ich
finde, dies sollte man wertschätzen, anstatt sich immer
nur im Klein-Klein populistischer Kritik zu verlieren.
Gerade deshalb bekennt sich die FDP-Bundestags-
fraktion ohne Wenn und Aber zur sozialen Marktwirt-
schaft. In unseren Augen gibt es hierzu keine Alterna-
tive.
Das schließt aber nicht aus, dass bestimmte Regularien
verbesserungswürdig sind. Das Bundesverfassungsge-
richt hat uns in der mündlichen Verhandlung vom
20. Oktober 2009 deutlich gemacht, dass wir einen Feh-
ler beseitigen müssen. Schon das Bundessozialgericht
hatte in der Vorinstanz die pauschalierte Berechnung der
Kinderregelsätze gerügt. Diese Feststellung hat die FDP
begrüßt. Klar ist, dass die prozentuale Ableitung des Re-
gelsatzes für Kinder vom Satz des Erwachsenen von An-
fang an nicht den Anforderungen an eine Bedarfsermitt-
lung entsprach.
W
s
d
H
d
d
e
G
b
k
z
B
m
w
w
m
b
v
d
D
d
s
e
r
b
D
E
E
d
s
P
2
a
L
g
r
B
e
S
z
M
m
ir Liberale haben schon immer die Ermittlung des tat-
ächlichen Bedarfs für zwingend erforderlich gehalten.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, es ist nicht
as erste Mal, dass sich der Deutsche Bundestag mit der
öhe der Hartz-IV-Regelsätze befasst. Es ist auch nicht
as erste Mal, dass wir auf eine Entscheidung des Bun-
esverfassungsgerichts warten. Es ist auch nicht das
rste Mal, dass die Linken als selbsterklärtes soziales
ewissen dieses Landes mit einem Antrag vorpreschen,
evor überhaupt klar ist, was der Deutsche Bundestag
onkret unternehmen kann und muss.
Dabei krankt der Antrag der Linken an mindestens
wei sehr grundlegenden Problemen.
Erstens ist überhaupt nicht klar, welche Vorgaben das
undesverfassungsgericht dem Gesetzgeber, also uns,
achen wird. Das Urteil wird im ersten Quartal 2010 er-
artet. Vorher wissen wir schlicht und ergreifend nicht,
ie die Kinderregelsätze zukünftig berechnet werden
üssen. Allein das Gebot einer effizienten Gesetzge-
ung erfordert von uns, dass wir das Urteil des Bundes-
erfassungsgerichts zunächst einmal abwarten und dann
ie Konsequenzen daraus ziehen.
ie Linke fordert zuerst Konsequenzen und wartet dann
ie tatsächliche Rechtslage ab. So kann und so wird Ge-
etzgebung mit uns nicht funktionieren, meine sehr ver-
hrten Kolleginnen und Kollegen von der Linksfraktion.
Zweitens basiert die geforderte Erhöhung auf den Be-
echnungen des Deutschen Paritätischen Wohlfahrtsver-
ands – Gesamtverband. Grundlage sind aber veraltete
aten der Einkommens- und Verbrauchsstichprobe,
VS, von 2003. Wir meinen, dass wir die Ergebnisse der
VS 2008 abwarten sollten, die 2010 veröffentlicht wer-
en. Auf dieser Basis ließe sich der Bedarf von Kindern
icherlich weitaus präziser berechnen.
Darüber hinaus berücksichtigt die Berechnung des
aritätischen Wohlfahrtsverbandes für den Zeitraum von
005 bis 2008 eine Erhöhung des Regelsatzes, die sich
n der allgemeinen Preisentwicklung orientiert. Renten,
öhne und Gehälter orientieren sich dagegen an der all-
emeinen Lohnentwicklung. Diese bleibt aber seit Jah-
en hinter der Preisentwicklung zurück. Damit würde die
erechnung des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes zu
iner Ungleichbehandlung in unserem Lande führen. Ein
olidarsystem lebt aber essenziell davon, dass es gerecht
ugeht. Solidarität ist keine Einbahnstraße. Sie ist den
enschen nur vermittelbar, wenn sie transparent, ange-
essen und gerecht erfolgt.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 12. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2009 995
)
)
Reiner Deutschmann
Das ist der Kitt der Solidarität, den wir nicht vernachläs-
sigen sollten.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich will noch kurz
zwei Anmerkungen zum Antrag der Fraktion Die Linke
machen. Wir sollten uns fragen, wer die Berechnung des
Kinderregelsatzes zukünftig durchführen sollte. Die
Fraktion Die Linke orientiert sich in ihrem Antrag an den
Berechnungen des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes. Bei
aller Wertschätzung der Leistungen des Paritätischen:
Auch bei ihm handelt sich um eine Interessenvereini-
gung, die ganz bestimmte Partikularinteressen vertritt.
Wir Liberale finden, dass die Berechnung der Kinderre-
gelsätze neutralen Stellen überlassen bleiben sollte.
Die veraltete Datenlage und die noch nicht bekannten
Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts lassen auch
die von den Linken geforderte umgehende Einrichtung
einer Kommission zur Bedarfsermittlung als Schnell-
schuss erscheinen. Auch hier gilt es, zunächst die Rah-
menbedingungen zu kennen, bevor wir ein Expertengre-
mium zu einer teuren, aber letztlich nicht zielführenden
Selbstbefassung veranlassen.
Verehrte Kolleginnen und Kollegen von der Linkspar-
tei, Ihr Antrag gleicht einem Scheinriesen. Auf den ers-
ten Blick erscheint er mächtig und groß,
aber auf den zweiten, näheren Blick zeigt sich, wie klein
er wirklich ist,
dass er mit heißer Nadel gestrickt wurde und einer soli-
den Grundlage entbehrt. Unsere Fraktion wird diesen
Antrag ablehnen.
Danke.
Lieber Herr Deutschmann, das war Ihre erste Rede
hier im Haus – mit perfektem Zeitmanagement. Herzli-
chen Glückwunsch dazu und viel Erfolg weiterhin!
Jetzt gebe ich das Wort der Kollegin Diana Golze für
die Fraktion Die Linke.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kollegin-
nen und Kollegen! Im Adventskalender meiner Kinder
waren vier Türchen geöffnet, als die schwarz-gelbe
Mehrheit in diesem Hause das sogenannte Wachstums-
beschleunigungsgesetz verabschiedet hat, das hier
schon mehrfach zur Sprache gekommen ist. Unter an-
d
s
f
m
T
M
r
D
U
w
d
L
m
m
S
d
s
I
i
3
n
e
e
S
G
d
s
a
o
s
m
d
g
B
i
a
Z
d
w
r
B
)
)
Meine Damen und Herren der Regierungsfraktionen,
das tun Sie. Sie geben ohne Not den Vermögenden mit
vollen Händen und warten bei den Ärmsten, bis das
Bundesverfassungsgericht Ihnen aufgibt, wenigstens Al-
mosen zu verteilen. Das ist Ihre politische Zielstellung.
Deshalb weigern Sie sich, eine unabhängige Experten-
kommission einzusetzen, die den Kinderregelsatz be-
rechnet, wie es unser Antrag vorsieht. Deshalb weigern
Sie sich, bis es diese Expertenkommission gibt und sie
einen Vorschlag gemacht hat, die Kinderregelsätze auf
das Niveau des Vorschlages des Paritätischen Wohl-
fahrtsverbandes anzuheben. Deshalb wird es unter
Schwarz-Gelb keinen Weg aus der Kinderarmut geben,
und es wird kein Ende der schreienden Ungerechtigkeit
bei der Behandlung von Kindern geben. Dagegen wer-
den wir weiterhin etwas unternehmen müssen.
Vielen Dank.
Das Wort hat jetzt der Kollege Markus Kurth für die
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Wir haben jetzt insbesondere von den Vertretern der Ko-
alitionsfraktionen wortreiche Erklärungen gehört, wa-
rum sie die Anhebung der Regelsätze für Kinder in
Haushalten von Langzeitarbeitslosen nicht wollen.
D
v
E
A
W
d
e
f
z
W
h
s
t
J
z
d
s
w
J
f
k
s
n
w
j
u
d
b
d
w
g
w
s
d
a
d
j
Das zeigt doch nur eines: Wenn es um Geldleistungen
ür Langzeitarbeitslose geht, sind Sie alle, wie Sie da sit-
en, passive Klötze.
enn es allerdings darum geht, Familien mit sehr ho-
em Einkommen zu begünstigen, dann haben Sie offen-
ichtlich weniger Schwierigkeiten, etwas zu tun. Ich zi-
iere, was Wolfgang Schäuble am 12. November dieses
ahres, also vor einem Monat, im Deutschen Bundestag
ur Erhöhung des Kinderfreibetrages und des Kindergel-
es gesagt hat. Er sagte – Zitat -:
Das ist wirklich eine sozial ausgewogene Maß-
nahme, die auch der Stärkung der privaten Nach-
frage dient.
Es ist schon ein sehr merkwürdiges Verständnis von
ozialer Ausgewogenheit,
enn einerseits Spitzenverdiener gut 400 Euro netto im
ahr mehr haben und andererseits ALG-II-Bezieher, die
ür Kleinkinder gerade einmal 215 Euro pro Monat be-
ommen, keinen Cent mehr erhalten.
Es ist ein sehr merkwürdiges und eigentümliches Ver-
tändnis von sozialer Ausgewogenheit beim Finanzmi-
ister und der Koalition, wenn einerseits ein Luxushotel
ie das „Adlon“ durch die Mehrwertsteuerermäßigung
etzt 1,9 Millionen Euro pro Jahr Zusatzgewinn macht
nd andererseits die Reinigungskraft desselben Hotels,
ie wegen ihres niedrigen Lohns ergänzendes ALG II
ezieht, für sich und ihre Kinder nicht einen Euro von
er Kindergelderhöhung sieht.
Meine Damen und Herren, es ist beinahe schon dreist,
enn derselbe Herr Schäuble, der die Staatskassen zu-
unsten der gutbetuchten schwarz-gelben Klientel leeren
ill, heute verbreiten lässt, ab 2011 werde richtig ge-
part. So wie Sie von Union und FDP heute als Be-
enkenträger gegen die Erhöhung von Kinderregelsätzen
ufgetreten sind, kann man sich schon heute denken, wer
ann wieder sparen muss, nämlich diejenigen, die bereits
etzt nur wenig Spielräume und Chancen haben. Wenn
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 12. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2009 997
)
)
Markus Kurth
dank Ihrer Steuergeschenke im kommenden Jahr das De-
fizit beängstigend ansteigt, dann ahne ich schon jetzt,
wer gemeint ist, wenn es dann heißen wird: Ja, jetzt
müsse man sich wirklich einmal Gedanken darüber ma-
chen, was wir uns in Deutschland überhaupt noch leisten
können.
Meine Damen und Herren von der Koalition, wir sind
uns sicherlich einig, auch mit einigen Sozialdemokraten,
dass passive Leistungen alleine nicht ausreichen. Den-
noch bleiben diese Voraussetzung für Teilhabe und auch
für Aktivierung, auch wenn ich das Wort „Aktivierung“
mittlerweile nur noch sehr ungern in den Mund nehme;
denn die Rede von der Aktivierung bleibt schal, wenn
wirksame individuelle Hilfen ausbleiben. Wenn, wie das
IAB vorgestern bestätigte, mehr als die Hälfte der Al-
leinerziehenden über drei Jahre ununterbrochen im
ALG-II-Bezug stecken bleibt, dann stimmt offensicht-
lich etwas mit der individuellen Hilfegewährung nicht.
Gegenüber diesen Müttern, gegenüber diesen Alleiner-
ziehenden sagen Sie dann: Ihr erhaltet nicht den Betrag,
den ihr für den notwendigen Lebensunterhalt der Kinder
bräuchtet.
Meine Damen und Herren von den Koalitionsfraktio-
nen, Sie sind die letzten Mohikaner. Verbände der Freien
Wohlfahrtspflege, die Arbeits- und Sozialministerkonfe-
renz haben festgestellt – künftig vermutlich sogar das
Bundesverfassungsgericht –, dass die Festsetzung der
Kinderregelsätze nicht in Ordnung ist. Nur Sie stehen
noch allein in der Landschaft. Machen Sie das, was auch
wir von Bündnis 90/Die Grünen wollen: endlich einen
klaren Schnitt. Wir Grüne wollen die Regelsätze für Kin-
der so anheben, dass sie der Lebenswirklichkeit näher
kommen. Wir wollen des Weiteren einen eigenständigen
Kinderregelsatz und in einem zweiten großen Schritt
eine armutsfeste Kindergrundsicherung. Das sind klare
Perspektiven – und nicht so ein jämmerliches Suchen
nach Ausflüchten, wie Sie es hier darbieten.
Vielen Dank.
Die Kollegin Mechthild Heil hat jetzt das Wort für die
CDU/CSU-Fraktion.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kollegen und
Kolleginnen! Welche Erkenntnisse hat uns die heutige
Debatte in Bezug auf die Frage gebracht: In welchem
Umfang soll man diejenigen unterstützen, die selbst
nicht für ihren Lebensunterhalt sorgen können, insbeson-
d
a
t
e
h
a
s
D
s
K
F
t
b
K
e
d
u
W
d
D
d
d
d
d
n
W
s
w
l
t
v
c
t
a
a
F
w
S
s
s
z
Wir haben zwar bald Weihnachten, und Sie, liebe
ollegin Golze, haben ja berichtet, dass bei Ihnen das
ine oder andere Türchen schon geöffnet wurde. Aber an
ieser Stelle habe ich doch Zweifel an der Großzügigkeit
nd auch an der Leistungsfähigkeit unseres Christkinds.
er wird die 2 Milliarden Euro aufbringen, die Ihre For-
erung Jahr für Jahr kosten wird?
as müssen unsere Bürger bezahlen.
Das Bundesverfassungsgericht hat im zurzeit laufen-
en Verfahren Kritik vor allem an der Art der Ermittlung
er Regelsätze geäußert. Was das Gericht über die Höhe
er Regelsätze sagen wird, ist noch völlig offen. Mit
em Urteil ist – Sie haben es erwähnt – im ersten Quartal
ächsten Jahres zu rechnen. Ich bin gespannt, welchen
eg das Gericht vorschlagen wird. Erst aus diesen Vor-
chlägen können wir neue Regelsätze ableiten; denn wir
ollen eine verfassungsfeste Regelung.
Mir ist aus eigener Erfahrung mit drei Kindern in den
etzten 19 Jahren klar, wie schwierig es sein wird, einen
atsächlichen Bedarf zu ermitteln. Dieser hängt nicht nur
on der Zahl der Kinder und von deren Tages- und Wo-
henform ab, sondern auch von den Lebensgewohnhei-
en der Familie. Für den einen ist ein Wickeln fünfmal
m Tag Standard; andere möchten unbedingt zwölfmal
m Tag wickeln.
ür den einen sind Cola und Saft im Haus tabu; andere
ürden einen Verzicht darauf als Zumutung empfinden.
o sieht das wahre Leben aus. Werte- und Konsumvor-
tellungen sind in Familien eben unterschiedlich. Wir
ollten uns an dieser Stelle hüten, anderen vorschreiben
u wollen, wie sie leben und was sie ihren Kindern an
998 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 12. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2009
)
)
Mechthild Heil
materiellen Dingen zukommen lassen – im Rahmen der
ihnen zur Verfügung stehenden Mittel, auch wenn diese
Mittel von uns, vom Staat, zur Verfügung gestellt wer-
den. Das passt nicht in mein und auch nicht in unser
Menschenbild.
Die Bundesregierung hat die Regelsätze für Kinder
bisher mithilfe einer vergleichbaren Bevölkerungs-
gruppe festgelegt. Das bedeutet, Leistungsberechtigte
sind nach den Sozialgesetzen heute so gestellt wie etwa
ein Viertel der Gesamtbevölkerung in Deutschland.
Leistungsberechtigte können somit ein Leben führen wie
andere, die nicht von Sozialleistungen abhängig sind.
Dieser Staat beweist damit als Sozialstaat hohe Qualität.
Tatsache ist: Die Daten, die den bisherigen Regelsät-
zen zugrunde liegen, basieren auf der größten Erhebung
dieser Art innerhalb der Europäischen Union. Immerhin
wurden die Aufwendungen von 75 000 Haushalten er-
fasst. Tatsache ist auch, dass es eine Sonderauswertung
durch das Statistische Bundesamt gibt. Sie beruht auf der
Studie „Kosten eines Kindes“ des Bundesfamilienminis-
teriums. Die Regelsätze wurden zum 1. Juli dieses Jah-
res stärker nach dem Alter der Kinder differenziert.
Kolleginnen und Kollegen, man muss die Frage auch
in dem Kontext sehen, was der Staat an anderer Stelle für
Kinder getan hat. Die Situation von Familien mit Kin-
dern hat sich in den letzten Jahren deutlich verbessert.
Ich erinnere an das Schulbedarfspaket und auch an den
Kinderbonus in Höhe von 100 Euro, der dieses Jahr ein-
malig ausgezahlt wurde. Aber das Wichtigste ist: Wir
sollten unsere Anstrengungen darauf richten, die Eltern,
vor allem aber die alleinerziehenden Mütter, wieder un-
abhängig von staatlichen Leistungen zu machen. Der
3. Armuts- und Reichtumsbericht spricht eine deutliche
Sprache: Armut bekämpft man am effektivsten dort, wo
man die Menschen in Arbeit bringt.
Die Zahlen sind eindrucksvoll – Dr. Carsten
Linnemann hat bereits darauf hingewiesen –: In Haus-
halten, in denen kein Elternteil arbeitet, sind 48 Prozent
der Kinder armutsgefährdet. Arbeitet ein Elternteil in
Vollzeit, sind es nur noch 8 Prozent der Kinder. Wenn
beide Eltern die Möglichkeit haben, Vollzeit zu arbeiten,
beträgt das Risiko der Kinder, arm zu sein, nur noch
4 Prozent. Es gibt also eine Senkung des Armutsrisikos
von 48 auf 4 Prozent alleine dadurch, dass beide Eltern
die Chance haben, zu arbeiten.
Verwenden wir also unsere Kraft dazu, Arbeit und
Wachstum zu schaffen.
Dann werden in Zukunft mehr Menschen Leistungsträ-
ger sein und weniger Menschen von staatlichen Trans-
ferleistungen abhängig sein. Die CDU/CSU-Fraktion
lehnt den Antrag der Linken ab.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
D
l
D
s
F
d
A
D
a
B
g
m
g
G
S
Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deut-
scher Streitkräfte an der EU-geführten Opera-
tion Atalanta zur Bekämpfung der Piraterie
vor der Küste Somalias auf Grundlage des See-
rechtsübereinkommens der Vereinten Natio-
nen von 1982 und der Resolutionen 1814
vom 15. Mai 2008, 1816 (2008) vom
2. Juni 2008, 1838 vom 7. Oktober 2008,
1846 vom 2. Dezember 2008, 1897
vom 30. November 2009 und nachfol-
gender Resolutionen des Sicherheitsrates der
Vereinten Nationen in Verbindung mit der Ge-
meinsamen Aktion 2008/851/GASP des Rates
der Europäischen Union vom 10. November
2008 und dem Beschluss 2009/907/GASP des
Rates der Europäischen Union vom 8. Dezem-
ber 2009
– Drucksachen 17/179, 17/274 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Philipp Mißfelder
Dr. Rolf Mützenich
Dr. Rainer Stinner
Wolfgang Gehrcke
Kerstin Müller
Bericht des Haushaltsausschusses
gemäß § 96 der Geschäftsordnung
– Drucksache 17/276 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Herbert Frankenhauser
Klaus Brandner
Dr. h. c. Jürgen Koppelin
Michael Leutert
Sven Kindler
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 12. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2009 999
)
)
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt
Hierzu liegen ein Entschließungsantrag der Fraktion
der SPD sowie zwei Entschließungsanträge der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen vor. Über die Beschlussempfeh-
lung werden wir später namentlich abstimmen. Verabre-
det ist, eine Dreiviertelstunde zu debattieren.
Als erstem Redner gebe ich das Wort dem Kollegen
Joachim Spatz für die FDP-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der Si-
cherheitsrat der Vereinten Nationen hat am 30. Novem-
ber dieses Jahres die völkerrechtliche Grundlage zur Pi-
ratenbekämpfung an der somalischen Küste verlängert.
Am 8. Dezember hat auf dieser Grundlage die Europäi-
sche Union die Verlängerung von Atalanta beschlossen.
Das Mandat dieser Operation bleibt im Wesentlichen das
alte. Die Änderungen, die vorgenommen werden sollen,
betreffen die Zusammenarbeit der somalischen Behör-
den mit den Atalanta-Kräften bei der Bekämpfung der il-
legalen Fischerei. Dies ist ein Thema, das schon bei der
ersten Lesung angesprochen worden ist.
Auf der Grundlage dieser Beschlusslage hat die Bun-
desregierung den Deutschen Bundestag ersucht, das
Mandat zu verlängern, und zwar bis zum 18. Dezember
nächsten Jahres.
Nach einem Jahr kann man Zwischenbilanz ziehen.
Wir sind der Auffassung: Die Operation ist ein voller
Erfolg. 90 Piratenverdächtige konnten festgenommen
werden. 88 davon wurden nach Kenia, 2 nach Spanien
überstellt. Übrigens, 23 von ihnen sind durch die Besat-
zungen deutscher Schiffe aufgebracht worden. Alle
Schiffe, die für das World Food Programme im Einsatz
waren, sind durchgekommen. Die Sicherung der Han-
delsrouten ist verbessert worden.
Es gab zwar keinen Rückgang der Zahl der Versuche,
aber einen Rückgang der Zahl der erfolgreichen Kape-
rungen, und das ist ein wichtiges Indiz.
An dieser Stelle ein Wort zu den Linken. Sowohl bei
Atalanta als auch bei Althea ist nach meiner Auffassung
deutlich geworden, dass das kategorische Nein, das Sie
auch bei diesen Mandaten vertreten, vielleicht bei so
umstrittenen Entscheidungen wie jenen zu Afghanistan
diskutabel ist. An dieser Stelle macht es aber eines klar:
Sie argumentieren ergebnisbestimmt. Das heißt, Sie ha-
ben eine Parteilinie, die darauf abzielt, pazifistisch orien-
tierte Menschen von den Grünen, der SPD oder wem
auch immer abzuziehen. Da ist jedes Argument recht,
das dazu führt, ein Nein zu begründen, sei es gerechtfer-
tigt oder nicht.
Wenn Sie als Alternative zum militärischen Geleit-
schutz der World-Food-Programme-Schiffe zivilen Ge-
leitschutz vorschlagen, kann ich dazu nur sagen: Damit
s
k
D
b
s
i
t
s
w
a
A
u
d
t
i
v
d
L
i
s
h
B
w
k
d
m
a
8
l
b
L
r
s
f
r
r
t
V
W
d
B
w
Ein weiterer Punkt ist die Zusammenlegung der Man-
ate; auch das wurde gefordert. Das ist eines der The-
en, die die FDP durchgesetzt hat. Die Bundesregierung
rbeitet daran. Immerhin – das muss man wissen –: Nur
von 35 Schiffen, die dort operieren, gehören zu Ata-
anta. Sowohl NATO- als auch Nicht-NATO-Länder sind
eteiligt. Sie alle zu integrieren, wird naturgemäß – auch
änder wie Indien oder China sind beteiligt – dazu füh-
en, dass diese Koordination nicht so leicht zu bewerk-
telligen sein wird, dass sie von heute auf morgen
unktioniert. Aber auch hier bemüht sich die Bundes-
egierung um eine bessere Koordination.
Das Fazit: Aus unserer Sicht ist die Mission erfolg-
eich. Sie ist aus politischer und humanitärer Sicht gebo-
en. Unterlassene Hilfeleistung ist hier ein schlimmes
ergehen.
eil es politisch und humanitär geboten ist, stimmen wir
er Verlängerung des Mandates um ein Jahr zu.
Ich bedanke mich.
Herr Spatz, das war Ihre erste Rede im Deutschen
undestag. Wir gratulieren Ihnen dazu sehr herzlich und
ünschen Ihnen viel Erfolg.
1000 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 12. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2009
)
)
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt
Ich gebe jetzt das Wort dem Kollegen Lars Klingbeil
für die SPD-Fraktion.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen
und Herren! Lassen Sie mich zu Beginn etwas sagen,
was mir persönlich sehr wichtig ist: Egal ob wir, der
Deutsche Bundestag, wie in der vergangenen Sitzungs-
woche über die Verlängerung der Mandate von ISAF
und OEF oder wie heute von Atalanta und Althea ent-
scheiden, egal wie stark der jeweilige Einsatz im Fokus
des öffentlichen Interesses steht, egal ob wir für oder ge-
gen die Verlängerung dieser Einsätze stimmen, eines
sollte dieses Hohe Haus einen – ich sage das bewusst un-
ter dem Eindruck der gestrigen Debatten –: der Respekt,
die Wertschätzung und die Unterstützung für unsere Sol-
datinnen und Soldaten und ihre Familien, die wir ge-
meinsam in solch schwere Auslandseinsätze schicken.
Wir alle haben eine Verantwortung wahrzunehmen,
gegenüber der Öffentlichkeit, aber auch bei Debatten
hier im Haus. Das hohe Gut der Parlamentsarmee kön-
nen wir gar nicht hoch genug schätzen. Es ist unsere Ver-
pflichtung als Abgeordnete, mit dem hohen Gut der Par-
lamentsarmee verantwortungsvoll umzugehen, dieses
Prinzip zu stärken und zu verteidigen.
Bei einer Parlamentsarmee gehört es dazu, dass wir
Abgeordnete nach bestem Wissen und Gewissen ent-
scheiden. Gerade deshalb haben wir das Recht und – ich
betone – auch die Pflicht, alle Informationen einzufor-
dern und dort, wo wir nicht ausreichend informiert wur-
den, aktiv zu werden.
Herr Minister zu Guttenberg, vor diesem Hintergrund
will ich in aller Deutlichkeit sagen: Ich bin von Ihrem
gestrigen Versuch enttäuscht, das Hohe Haus in seiner
gemeinsamen Verantwortung für unsere Soldatinnen und
Soldaten zu spalten; das lassen wir nicht zu. Wir Abge-
ordnete stehen gemeinsam zu unserer Verantwortung;
wir stehen hinter unseren Soldatinnen und Soldaten, egal
ob sie in Kunduz oder am Horn von Afrika im Einsatz
sind.
Die Sozialdemokratie wird ihrer Verantwortung auch
dadurch gerecht, dass sie heute der Verlängerung des
Atalanta-Mandats zustimmen wird. Dieser Einsatz ist
nicht frei von Kritik; aber ich sehe ihn als notwendig an.
Die humanitäre Situation in Somalia ist noch immer ka-
tastrophal; wir dürfen nicht wegsehen. Deswegen ist es
richtig, dass wir begonnen haben, zu handeln. Atalanta
ist ein Garant dafür, dass Hilfslieferungen die leidende
Bevölkerung erreicht haben und die Situation auf der
See stabilisiert wurde.
Die Piraterie hat allerdings kein Ende genommen.
Deswegen müssen weitere Maßnahmen ergriffen wer-
den. Lassen Sie uns also aufhören, zivile und militäri-
s
e
g
s
g
O
g
w
n
n
Z
t
e
P
d
D
t
S
A
d
n
l
g
b
b
m
k
S
R
s
s
e
d
s
f
h
s
W
s
u
m
s
f
F
m
u
r
z
m
i
K
w
)
)
Markus Grübel hat das Wort für die CDU/CSU-Frak-
tion.
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kol-
legen! Wenn wir an Piraten denken, dann kommen uns
Karibik, Palmen, weiße Strände, Kokosnüsse, maleri-
sche Piratennester am Mittelmeer oder das Piratenschiff
auf den Kinderspielplätzen in den Sinn. Aber mit all dem
hat Piraterie überhaupt nichts zu tun. Piraterie ist ein
brutales, organisiertes Verbrechen wie Drogenhandel,
Menschenhandel und Schutzgelderpressung.
Piraterie gibt es so lange, wie es Seefahrt gibt. So-
lange es Piraterie gibt, gibt es auch die Bekämpfung der
Piraterie. In den 90er-Jahren gab es ein großes Piraten-
problem in der Straße von Malakka. Weil 14 asiatische
Staaten gemeinsam entschlossen gegen die Piraterie an-
gekämpft haben, konnte sie dort erfolgreich zurückge-
drängt werden.
Auch am Horn von Afrika beteiligt sich eine große
Zahl von Ländern an der Piratenbekämpfung, neben den
Ländern der EU und NATO beispielsweise China und
Russland. Dieser Antipirateneinsatz ist eine sehr bemer-
kenswerte Koalition zur Bekämpfung dieser Form des
organisierten Verbrechens. Im Grunde kann man sagen:
Die gesamte Weltgemeinschaft kämpft gegen die Pirate-
rie, mit Ausnahme der Linken im Deutschen Bundestag,
die die Brisanz offensichtlich noch nicht erkennen.
A
d
u
h
g
s
m
H
v
w
t
G
f
–
L
w
n
h
w
n
p
d
w
M
d
d
A
D
I
S
t
h
n
j
d
m
a
r
d
Lassen Sie mich die zwei Kernanliegen der Mission
talanta unterstreichen. Zum einen ist der Einsatz der
eutschen Marine unter humanitären Gesichtspunkten
nverzichtbar. Wir haben bereits vom ersten Redner ge-
ört, dass die Hilfsgüter für das Welternährungspro-
ramm meist mit Schiffen befördert werden, die sicher
omalische Häfen erreichen. Im letzten Jahr waren es
ehr als 300 000 Tonnen Nahrungsmittel und andere
ilfsgüter. Damit konnten über 3 Millionen Menschen
ersorgt werden, die sonst möglicherweise verhungert
ären.
Die Teilnahme Deutschlands ist also moralisch gebo-
en. Aber die Operation hat auch eine wirtschaftliche
rundlage. Für eine Exportnation wie Deutschland sind
reie Handelswege unverzichtbar.
Handel ist aber nichts Verbotenes, liebe Kollegen der
inken. Freie Handelswege helfen allen in der Welt. Ich
eiß gar nicht, wo das Problem der Linken liegt.
Von diesem freien Seehandel hängen in der Export-
ation Deutschland viele Arbeitsplätze ab, und davon
ängt natürlich auch unser Wohlstand ab; denn wenn wir
eder Produkte importieren noch exportieren, dann kön-
en wir nichts verbrauchen und brauchen auch nichts zu
roduzieren.
Deutschland ist eine große Seefahrernation. Das ist
en Menschen, die mit ein bisschen Abstand zur Küste
ohnen, gar nicht bewusst.
it 3 500 Schiffen hat Deutschland die drittgrößte Han-
elsflotte der Welt; außerdem hat Deutschland weltweit
ie größte Containerflotte. Diese Zahlen machen uns die
bhängigkeit von freien Seewegen klar.
ie Mission Atalanta liegt daher in unserem ureigenen
nteresse.
Es ist unbestritten, dass der militärische Einsatz auf
ee begleitet und durch politische Maßnahmen langfris-
ig überflüssig gemacht werden muss. Aber auch dabei
ilft diese Mission: Jeder von Piraten erpresste Euro, der
ach Somalia fließt, macht die Lage dort instabil; denn
eder, der dadurch sein Geld verdient – ich meine nicht
ie Piraten, die armen Handlanger, sondern die Hinter-
änner, die reich werden –, hat überhaupt kein Interesse
n stabilen Verhältnissen in Somalia. Jeder durch Pirate-
ie erpresste Euro destabilisiert die Lage im Land, macht
ie Menschen arm und ist letztendlich die Grundlage des
1002 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 12. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2009
)
)
Markus Grübel
Hungers und der Gewalt in Somalia. Auch darum brau-
chen wir diese Mission.
Daher unterstützen wir selbstverständlich alle Maßnah-
men und Bemühungen der internationalen Gemein-
schaft, die den Aufbau legitimer staatlicher Strukturen in
Somalia befördern.
Zum Schluss möchte ich an die Besatzung erinnern,
an die Männer und Frauen, die dort ihren Dienst tun.
Zurzeit ist die Fregatte „Bremen“ vor Ort. Ich möchte
aber auch an die Familien der Soldatinnen und Soldaten
erinnern und ihnen danken. Im Grunde fahren die Frauen
der Soldaten, die Männer der Soldatinnen und ihre Kin-
der mit in den Einsatz. Auch sie sollten wissen, dass wir
ihnen danken und an sie denken.
Herr Minister, wir sollten darüber nachdenken, die
Anerkennung der Leistungen der Soldatenfamilien aus-
zuweiten. Bei der Marine bedeutet ein Einsatz häufig
mehr als ein halbes Jahr Abwesenheit von der Familie.
Wenn das Schiff, das die Fregatte ablösen soll, irgendein
Problem hat, dauert ein Einsatz schnell noch einen Mo-
nat länger. Die Familien machen das mit. Wer zur See
fährt, weiß, dass er länger abwesend ist. Trotzdem soll-
ten wir hier eine Anerkennungskultur schaffen.
Lassen Sie uns diesen wichtigen Einsatz mit großer
Mehrheit verlängern. An die Linken gerichtet, sage ich:
Überlegen Sie noch einmal, ob Ihre Position wirklich
richtig ist.
Herzlichen Dank.
Christine Buchholz hat das Wort für die Fraktion Die
Linke.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! In ihrem
Antrag beklagt die Bundesregierung die fehlende Staat-
lichkeit in Somalia;
das war schon in vielen bisherigen Beiträgen Thema.
Fehlende Staatlichkeit ist die Folge genau jener neolibe-
ralen Weltwirtschaftsordnung,
die Sie laut Koalitionsvertrag mit Ihrer Außen- und Ver-
teidigungspolitik absichern wollen.
u
S
D
S
s
d
w
D
s
t
b
A
c
t
d
r
D
l
g
4
s
S
d
d
W
t
K
t
s
s
S
w
g
h
I
s
c
A
n
U
ls sich ab dem Jahr 2000 eine Staatlichkeit zu entwi-
keln begann, haben europäische Regierungen alles ge-
an, um diese zu zerstören; denn sie befürchteten, dass
er neue Staat unter den Einfluss von China und Iran ge-
aten könnte.
eshalb verbündeten sich die Europäer mit den War-
ords. Zu diesem Zweck unterstützte auch die Bush-Re-
ierung 2006 die äthiopische Invasion. Dabei sind
0 000 Somalis getötet worden, und es gab keinen Auf-
chrei der Empörung seitens der Bundesregierung.
Ihnen geht es nicht um Staatlichkeit als solche. Die
taatlichkeit soll prowestlich sein, und wenn das gegen
en Willen der Bevölkerung durchgesetzt werden muss,
ann sind Sie wieder einmal bereit, mit verbrecherischen
arlords zusammenzuarbeiten, wie auch in Afghanis-
an.
Somalia ist Spielball der Interessen der Weltmächte.
urt Bodewig von der SPD hat als Maritimer Botschaf-
er der Europäischen Union kürzlich betont, die wirt-
chaftliche Bedeutung der Region könne daran gemes-
en werden, dass es sich um einen der meistbefahrenen
eewege der Welt handele, über den die Hälfte der welt-
eiten Öllieferungen transportiert werde. Die Leidtra-
enden sind die Menschen in Somalia. Die Arbeit der
umanitären Hilfsorganisationen in Somalia ist wichtig.
ch zolle deren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern Re-
pekt, die unter schwersten Bedingungen ihre Arbeit ma-
hen, auch zu Weihnachten und weit weg von zu Hause.
ber die Entwicklungs- und Hilfsorganisationen lesen
ur die Scherben auf, die andere verursacht haben. Die
rheber dieser Scherben sind dieselben, die nun die Ar-
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 12. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2009 1003
)
)
Christine Buchholz
beit der Hilfsorganisationen zum Vorwand nehmen, ihre
eigenen Interessen durchzusetzen.
Wenn es Ihnen nur um den Schutz der Nahrungstrans-
porte gehen würde, würden Sie kleine Gruppen von Be-
waffneten die Schiffe schützen lassen. Das macht zum
Beispiel die französische Regierung, um französische
Thunfisch-Trawler zu schützen. Aber Ihnen geht es um
etwas ganz anderes. Vielleicht geht es Ihnen darum, die
neue Form der internationalen Seekriegsführung zu tes-
ten, besonders die Koordination von Luft-, Land- und
Seestreitkräften aus verschiedenen Ländern.
Ist das auch der Grund dafür, dass der Europäische Rat
jüngst beschlossen hat, die Zusammenarbeit zwischen
der Operation Atalanta und der Operation Enduring
Freedom zu intensivieren?
Im Strategiepapier der deutschen Marine Zielvorstel-
lung Marine 2025+ heißt es – ich zitiere –:
Eine sich absehbar verschärfende Konkurrenz um
den Zugang zu Rohstoffen und anderen Ressourcen
erhöht das zwischenstaatliche Konfliktpotential.
Konventionelle, reguläre Seestreitkräfte regionaler
Mächte können dabei den freien und ungehinderten
Welthandel als Grundlage des deutschen und euro-
päischen Wohlstands ebenso gefährden wie krimi-
nelle oder terroristische Bedrohungen der mariti-
men Sicherheit.
Das ist, mit Verlaub, eine neue Umschreibung der alten
kolonialen Kanonenbootpolitik.
Sie betreiben die Militarisierung der deutschen Au-
ßenpolitik. Sie betreiben die Militarisierung der Europäi-
schen Union. Daran werden wir uns nicht beteiligen,
egal in welchem humanitären Gewand Sie daherkom-
men.
Deshalb lehnt die Linke Atalanta ab.
Jetzt hat Kerstin Müller das Wort für Bündnis 90/Die
Grünen.
Kerstin Müller (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN):
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Frau Buchholz, wenn die Welt so einfach wäre …
I
g
s
D
w
m
W
H
z
a
I
a
–
v
h
s
l
u
s
s
s
W
c
A
z
u
s
l
r
s
n
f
u
m
S
d
a war ich noch ein bisschen jung, aber gut.
Meine Fraktion wird der Verlängerung des Bundes-
ehreinsatzes jedenfalls mit großer Mehrheit zustim-
en.
ir meinen im Gegensatz zu Ihnen, meine Damen und
erren von der Linken – ich versuche doch noch einmal,
u argumentieren –: Man muss das eine tun, ohne das
ndere zu lassen. Ich ziehe einmal einen Vergleich zur
nnenpolitik: Selbst Sie sind dafür, dass es mehr Polizei
uf der Straße gibt, und fordern gleichzeitig
hören Sie doch einmal zu! –, dass man die Ursachen
on Kriminalität weiter bekämpft. Genau darum geht es
ier. Im Grunde geht es um einen quasipolizeilichen Ein-
atz, der mit Soldaten durchgeführt werden muss. Ata-
anta ist notwendig, um die Piraterie einzudämmen und
m die humanitäre Versorgung der Menschen in Somalia
icherzustellen. Niemand behauptet, dass man mit die-
em Einsatz die Ursachen der Piraterie, die an Land zu
uchen sind, bekämpfen kann.
ir müssen beides tun: die Kriminalität und die Ursa-
hen an Land bekämpfen.
Die Piraterie ist ganz klar ein Ergebnis dauerhafter
rmut und fehlerhafter Staatlichkeit in Somalia, nicht
uletzt deshalb, weil dort seit 1991 ein Bürgerkrieg tobt
nd die humanitäre Lage verheerend ist. Die UNO
pricht von 3,7 Millionen Hilfsbedürftigen und 1,5 Mil-
ionen Binnenvertriebenen, also vom größten humanitä-
en Krisengebiet weltweit. Daran konnte auch die
chwache Übergangsregierung unter Sheikh Sharif
ichts ändern.
Ich möchte an dieser Stelle den internationalen Hel-
ern, die dort in einer sehr schwierigen Lage Hilfe leisten
nd immer wieder massiven Angriffen, gerade von Isla-
isten, ausgesetzt sind, im Namen des Hauses danken.
ie leisten dort eine sehr schwierige Arbeit, die aller-
ings überaus wichtig ist.
1004 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 12. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2009
)
)
Kerstin Müller
Ich meine trotzdem, dass sich Deutschland und die
Europäische Union hinter diesem Piraterieeinsatz nicht
verstecken dürfen. Unsere Interessen dürfen nicht nur
dem freien Handel gelten, sondern wir müssen die Men-
schen in Somalia in den Mittelpunkt unserer Politik stel-
len. Da gibt es einiges zu kritisieren. So haben zum
Beispiel alle Staaten, auch Deutschland, auf der interna-
tionalen Geberkonferenz in Brüssel im Mai 2009 Soma-
lia viel versprochen, bisher aber leider nur wenig gehal-
ten.
Ich will ein Beispiel nennen. Nur etwa 30 Prozent der
international zugesagten Finanzmittel für AMISOM, für
die Mission der Afrikanischen Union, sind dort bis heute
angekommen. Seit April dieses Jahres erhalten die
AMISOM-Soldaten keinen Sold mehr. Ich glaube, ich
muss Ihnen nicht erklären, was das bedeutet. An die
Bundesregierung gerichtet, sage ich ganz klar: So geht
das nicht. Zusagen muss man einhalten.
Wenn man die Afrikanische Union stärken will, dann ist
so etwas ein verheerendes Signal.
Fest steht auch: Militär und Polizei können Friedens-
prozesse bestenfalls unterstützen und Zeitfenster für die
zivile Krisenbewältigung schaffen, nicht aber den Frie-
den selbst. Diese Erkenntnis hat sich meines Erachtens
weder in Berlin noch in Brüssel noch in der Somalia-
Kontaktgruppe wirklich durchgesetzt. Für eine nachhal-
tige Bekämpfung der Ursachen der Krise in Somalia
reicht es nicht aus, die schwache Übergangsregierung
und AMISOM als ihren Beschützer zu unterstützen.
Was brauchen wir? Nachhaltige Ursachenbekämp-
fung verlangt, dass sich die internationale Gemeinschaft
als ehrlicher und neutraler Friedensmakler einsetzt. Hier
könnte Deutschland übrigens, auch was Äthiopien und
Eritrea betrifft, eine wichtige Rolle spielen. Deutschland
könnte dazu beitragen, dass in Somalia lokale Clanchefs,
die Führungseliten von Somaliland und Puntland und die
Zivilgesellschaft mit starken Frauengruppen für einen
Versöhnungsdialog gewonnen werden. AMISOM muss
vor allem die Menschen schützen und darf nicht nur die
Übergangsregierung verteidigen.
Nachhaltige Politik verlangt auch, dass die Finanz-
ströme von Piraten und al-Schabab ausgetrocknet wer-
den, dass man dem Waffenschmuggel einen Riegel vor-
schiebt und – hier stimme ich Ihnen zu, Herr
Außenminister – dass der Rechtsstaatsaufbau in Somalia
intensiv unterstützt wird. Sie haben gesagt: Der Rechts-
staat ist wichtig. Ich füge hinzu: Vom Rechtsstaatsauf-
bau alleine werden die Menschen nicht satt. Deshalb
muss weiterhin Ursachenbekämpfung betrieben werden.
Als eine Ursache der Piraterie müssen wir die Armut
bekämpfen. Darüber hinaus müssen wir die humanitäre
Grundversorgung sichern, Alternativen zur Einkom-
m
l
k
K
c
A
s
f
i
g
L
d
H
d
M
t
k
d
h
I
f
P
n
l
n
m
a
s
P
A
m
B
V
m
h
a
h
B
d
z
Eine letzte Anmerkung, und zwar zur EU-Ausbil-
ungsmission – mein Vorredner hat sie angesprochen –:
ich hat erstaunt, dass sich der Außenminister dazu ges-
ern im Plenum sehr positiv geäußert hat. Ich will Ihnen
lar sagen: Wenn man nicht sicherstellen kann, dass
ann die gut ausgerüsteten und ausgebildeten Sicher-
eitskräfte nicht zu den Piraten und den gewaltbereiten
slamisten überlaufen, dann darf es von deutscher Seite
ür die EU-Ausbildungsmission, die ein französisches
rojekt ist, keine Zustimmung geben. Das wird dann kei-
en Erfolg haben.
Ich glaube, dass die Bundesregierung in ihrer Soma-
ia-Politik nach wie vor zu viel auf Sicherheit und zu we-
ig auf politische Lösungen setzt. Die Menschen in So-
alia brauchen Aussöhnung, sie brauchen Perspektiven,
us der Armut zu kommen. Wenn Atalanta Sinn machen
oll, dann müssen wir diese eklatante Schieflage der
olitik korrigieren.
Zu einer Kurzintervention erteile ich das Wort dem
bgeordneten Guido Westerwelle.
Frau Kollegin Müller, ich möchte mich zunächst ein-
al dafür bedanken, dass die Grünen dem Antrag der
undesregierung mehrheitlich zustimmen werden.
Als Abgeordneter, der gewissermaßen relativ neu in
erantwortung ist, möchte ich darauf hinweisen, dass
anche Kritikpunkte, die Sie zu Recht angebracht
aben, durch die neue Beschlussfassung des Mandats
usgeräumt werden.
Sie haben darüber gesprochen, was im Zusammen-
ang mit AMISOM zu tun sein wird, zum Beispiel dass
ezahlung notwendig ist. Das steht in der Begründung
es Antrags genau so drin. Ich bitte das Hohe Haus auch,
ur Kenntnis zu nehmen, dass das Auswärtige Amt kurz-
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 12. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2009 1005
)
)
Dr. Guido Westerwelle
fristig 1,5 Millionen Euro zugesagt hat und einzahlen
wird. Schneller kann eine Regierung nicht handeln.
Ich möchte zum Zweiten darauf aufmerksam machen
– es ist mir wichtig, dass alle Kolleginnen und Kollegen
das hier noch einmal hören, weil das ja ein wichtiger
Einsatz ist –, dass ich im Auswärtigen Ausschuss mitge-
teilt habe,
dass wir allein jetzt 6,2 Millionen Euro für somalische
Partnerorganisationen und humanitäre Hilfe bereitstel-
len. Das ist in die Begründung dieses Antrags aufgenom-
men worden. Es ist also eine Menge getan worden.
Wenn hier der Eindruck erweckt wird, wir hätten nur
das Militärische im Sinn und würden nicht an das Huma-
nitäre gehen und würden nicht an die Ursachen der Ent-
wicklung gehen, möchte ich das als Abgeordneter der
neuen Regierungskoalition nicht stehen lassen. Ich
möchte ausdrücklich sagen, Frau Kollegin: Wir haben
beides genau im Blick, weil wir wissen, dass das Militä-
rische und das Zivile, das Humanitäre, Hand in Hand ge-
hen müssen.
Sie haben das Wort zur Erwiderung, wenn Sie wollen.
Kerstin Müller (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN):
Herr Abgeordneter Westerwelle, ich habe den Antrag
der Bundesregierung natürlich sehr genau gelesen, weil
ich beabsichtige, ihm zuzustimmen.
Ich habe nicht verneint, dass für die AMISOM Mittel
bereitgestellt werden. Im Gegenteil: Ich habe in meiner
Rede gesagt, dass eine Geberkonferenz stattgefunden
hat, auf der alle Staaten, auch Deutschland, etwas zuge-
sagt haben. Nur, es gibt ein Problem bei der AMISOM:
Seit April erhalten die Soldaten keinen Sold mehr. Was
glauben Sie, was das bedeutet?
Die werden entweder überlaufen, oder das Projekt
AMISOM – das diskutiert man ja schon in den Vereinten
Nationen – wird über kurz oder lang zu Ende sein. Dann
wird dort gar nichts mehr sein zur Stabilisierung. Es
wird auch darüber diskutiert, wie die AMISOM in eine
UN-Mission übergehen könnte. Da traut sich aber keiner
ran, weil es schwierig ist.
Ich behaupte gar nicht, dass es einfache Lösungen
gibt. Ich sage aber – auch Herr Fischer weiß das als Af-
rika-Politiker –: Wir sind auf die Probleme am Horn von
Afrika, auf die Probleme in Somalia, auf die Probleme,
die zum Beispiel von Äthiopien herrühren, erst aufmerk-
s
Ä
a
n
d
z
n
–
t
P
W
e
d
D
w
i
s
z
e
w
h
U
I
f
A
d
n
A
w
s
w
d
u
w
u
s
s
s
e
s
s
e
p
–
Das Wort hat der Kollege Hartwig Fischer für die
nionsfraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
ch hoffe, dass solche Kurzinterventionen nicht dazu
ühren, dass der außerordentlich positive Einsatz von
talanta und das, was unsere Soldatinnen und Soldaten
ort leisten, zerredet werden. Dieser Einsatz ist dringend
otwendig.
Frau Buchholz, ich habe eben in unser vorläufiges
bgeordnetenhandbuch gesehen und gelesen, Sie sind
issenschaftliche Mitarbeiterin gewesen. Ich kann nur
agen: Es ist enttäuschend. Ich glaube, wir können er-
arten, dass Sie sich mit der Geschichte des Landes, um
as es geht, und mit den Realitäten vorher beschäftigen
nd sich keine Sozialromantik aufbauen.
Wenn Sie sich mit der Geschichte beschäftigen, dann
issen Sie, dass sowjetische Truppen dort gewesen sind,
m Barre zu unterstützen, dann wissen Sie, dass er die
owjetischen Truppen und 6 000 Berater herausge-
chmissen hat, dann wissen Sie, dass sich dort Rechtlo-
igkeit aufgebaut hat, und dann haben Sie gesehen, dass
s einen UN-Einsatz gegeben hat, von dem man leider
agen muss, dass er gescheitert ist, und dass danach ab-
olute Rechtlosigkeit für die Menschen herrschte. Es hat
ine Hungerkatastrophe und eine humanitäre Katastro-
he gegeben. Danach hat es einen erneuten Einsatz
AMISOM – gegeben, mit dem man versucht hat, die-
1006 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 12. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2009
)
)
Hartwig Fischer
ses Meucheln im Land zu unterbinden. In dieser Situa-
tion ist die Piraterie hinzugekommen.
Es geht nicht um die Weltwirtschaftskrise, die sich
auf manche Entwicklungsländer auswirkt,
sondern es geht um das pure Verbrechen im Rahmen der
organisierten Kriminalität, mit dem bestimmte Gruppie-
rungen versuchen, Geld zu bekommen.
Unter den Auswüchsen leiden inzwischen auch die
Nachbarstaaten wie Kenia, in denen diese Gelder – zum
Beispiel in Nairobi – angelegt werden, indem gesamte
Straßenzüge gekauft werden, um daraus wieder einen
Profit zu erzielen. Wenn dies, wie von Ihnen geschildert,
Piraten in Robin-Hood-Manier wären, dann würden sie
das Geld doch anlegen, um den Menschen in ihrem eige-
nen Land zu helfen, und nicht, um Waffen, neue Schiffe
und Ähnliches zu kaufen.
Meine Damen und Herren, wer eine solche falsche
Analyse erstellt, der handelt auch falsch.
Das, was die Linke hier betreibt – Herr Liebich hat im
Ausschuss ja ähnlich argumentiert –, ist für mich mili-
tanter Pazifismus,
das ist Verantwortungslosigkeit in der Außenpolitik, das
ist Verantwortungslosigkeit in der Entwicklungspolitik,
und das ist Verantwortungslosigkeit gegenüber den Men-
schen, die in diesem Land täglich leiden.
Am 3. Dezember dieses Jahres – daran wird doch die
grauenhafte Situation dort deutlich – hat man nicht nur
drei Minister in die Luft gesprengt, sondern man hat
auch 19 Medizinstudenten, die dort waren und gerade ih-
ren Abschluss dort gemacht hatten, mit in die Luft ge-
sprengt. Die Verantwortlichen dafür sind diejenigen, die
versuchen, dieses Land zu destabilisieren.
Atalanta ist eine humanitäre Operation. Der Kollege
Grübel hat darauf hingewiesen: 300 000 Tonnen Lebens-
mittel konnten im Rahmen des World Food Programme
dorthin geliefert und unter dem Schutz von AMISOM zu
großen Teilen verteilt werden. Das bedeutet das Überle-
ben von 3,5 Millionen Menschen. Und Sie gehen einfach
darüber hinweg und sagen: kein Militär! Wie sollen die
Entwicklungshelfer in Zukunft dort überhaupt aufbauen
können, wenn für sie keine Sicherheit geschaffen wird?
Die Menschen dort leben mit Rechtlosigkeit und ohne
ede Chance, von irgendeiner Seite außer von AMISOM
nterstützt zu werden. Es gilt in diesem Staat das Recht
es Stärkeren oder der stärkeren Gruppe und das Recht
esjenigen, der in diesem Staat Waffen besitzt. Auch
eshalb ist die Operation Atalanta in Verbindung mit
MISOM wichtig, um diesen Staat langfristig wieder
ufzubauen.
Frau Buchholz, deshalb erwarte ich von gewählten
arlamentarierinnen und Parlamentariern einfach, dass
ie einen solchen humanitären Einsatz nicht einfach aus
deologischen Gründen ablehnen. Deshalb sage ich: Die
egleitmaßnahmen sind richtig, und die Ausbildung von
000 somalischen Polizisten in Äthiopien ist ein weite-
er Schritt auf dem Weg zur Stabilisierung in Somalia.
Ich bedanke mich bei allen, die diesem Mandat zu-
timmen. Wenn Sie heute nicht zustimmen, dann hoffe
ch, dass Sie sich einmal in Äthiopien und in Dschibuti
nformieren. Oder gehen Sie auch einmal nach Somali-
and, wo Sie sich derzeit unter bestimmten Sicherheits-
edingungen bei den Menschen vor Ort informieren
önnen. Dann sehen Sie das Elend, und dann sehen Sie,
ie dankbar die Menschen für das sind, was gemeinsam
etan wird.
Für die SPD-Fraktion spricht nun die Kollegin Karin
oth.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
erren! Um es vorwegzunehmen: Die SPD-Bundestags-
raktion stimmt der Verlängerung der EU-geführten
peration Atalanta zur Bekämpfung der Piraterie vor der
üste Somalias zu.
s wäre noch besser, wenn nicht nur wir dem Antrag der
undesregierung zustimmen würden, sondern wenn
leichzeitig die Regierungskoalition auch dem vorlie-
enden Entschließungsantrag der SPD zustimmen
önnte.
Ich weiß, Herr Kauder, dass das ein bisschen viel ver-
angt ist. Aber es wäre richtig.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 12. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2009 1007
)
)
Karin Roth
Wie notwendig dieser Einsatz im letzten Jahr war,
zeigen auch die Piratenüberfälle, die in der ersten Jahres-
hälfte von 114 auf 240 weltweit zugenommen haben.
Insbesondere haben die Piratenangriffe im Golf von
Aden zugenommen. Viele Schiffe, die den Golf von
Aden durchqueren wollten, wurden im vergangenen Jahr
erheblich bedroht. Dazu gehören auch die deutschen
Schiffe. Ohne die militärische Hilfe hätten sie nicht
sicher durchkommen können.
Wichtig war aber nicht nur, die Schiffe der internatio-
nalen Handelsflotte zu sichern, sondern vor allen Din-
gen, durch die erhöhte maritime Präsenz die Nahrungs-
mittellieferung im Rahmen des Welternährungs-
programms für 3,3 Millionen Menschen in Somalia zu
gewährleisten. Das ist ebenso wichtig, und deshalb ist
dieser Einsatz vor Ort notwendig. 300 000 Tonnen
Lebensmittel wurden nach Somalia transportiert. Mit dieser
Aktion wurden Menschenleben gerettet.
Denn die humanitäre Situation in Somalia ist weiterhin
katastrophal. Ohne die Nahrungsmittel aus dem Ausland
würden Millionen Menschen verhungern.
Es ist ausdrücklich zu begrüßen, dass das Auswärtige
Amt Mitte Oktober unter Führung des damaligen
Außenministers Steinmeier eine Soforthilfe von
4 Millionen Euro veranlasst hat. Heute hat die EU-Kom-
mission weitere 50 Millionen Euro zur Verfügung ge-
stellt, um die Katastrophe am Horn von Afrika zu be-
kämpfen und dem Hunger in dieser Region zumindest
einigermaßen zu begegnen. Dafür danken wir auch der
Europäischen Kommission.
Es geht darum, dass diese Menschen vor Ort Hilfe be-
kommen, und es geht vor allen Dingen darum, dass diese
Hilfe auch ankommt. Ich denke, es ist gut, dass das alles
geleistet wird. Aber gleichzeitig ist eine gemeinsame
EU-Strategie notwendig, die sich nicht nur auf die
humanitäre Hilfe beschränkt, sondern wir brauchen eine
politische Strategie zum Aufbau der staatlichen Struktu-
ren.
Die Piraterie wird nur dann effizient bekämpft, wenn
die Piraten einerseits verfolgt werden, wie das Beispiel
Kenia zeigt, aber andererseits auch die Staatlichkeit in
diesem Land wiederhergestellt wird und die organisierte
Kriminalität aufhört. Das heißt, wir müssen Möglichkei-
ten schaffen, die organisierte Kriminalität zu zerschla-
gen.
In dem Entschließungsantrag der SPD wird daher zu
Recht darauf hingewiesen, dass der Aufbau legitimer,
staatlicher Institutionen in Somalia dringend notwendig
ist, um die Rechtssicherheit und die Strafverfolgung ge-
währleisten zu können.
Der politische Prozess des Aufbaus der Staatlichkeit
muss vorangebracht werden, indem die bilaterale Aus-
b
A
u
H
b
A
l
v
T
r
s
r
s
s
s
w
b
s
D
l
r
z
4
w
R
0
w
s
n
E
u
d
d
u
n
S
z
b
e
U
Es ist gar keine Frage, die Entwicklungszusammenar-
eit ist notwendig. Herr Minister Niebel, Sie müssen
ich den damit verbundenen Fragen stärker zuwenden.
er Etat für die Entwicklungszusammenarbeit enthält
eider nicht die notwendigen Mittel, die Sie so großspu-
ig angekündigt haben. Von den von Ihnen geforderten
usätzlichen 300 Millionen Euro sind gerade einmal
4 Millionen Euro übrig geblieben. Ich hätte mir ge-
ünscht, dass Sie das auf internationaler Ebene und im
ahmen der Europäischen Union verabredete Ziel,
,51 Prozent des Bruttonationaleinkommens für Ent-
icklungszusammenarbeit und humanitäre Hilfe einzu-
etzen, im Etat 2010 durchgesetzt hätten. Das ist Ihnen
icht gelungen. Sie sind grandios gescheitert.
Kollegin Roth, achten Sie bitte auf die Zeit.
Ich wünsche mir, dass Sie in den bevorstehenden
tatberatungen nachlegen, damit die Glaubwürdigkeit
nserer Entwicklungspolitik nicht schon von Anfang an
urch Sie infrage gestellt wird.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich weiß sehr wohl,
ass der eine oder die andere noch Mangel an Tischen
nd Stühlen im Büro verspürt. Allerdings ist hier im Ple-
arsaal für jede Kollegin und für jeden Kollegen eine
itzgelegenheit vorhanden. Ich bitte Sie, diese zu nut-
en, damit wir auch dem letzten Redner in dieser De-
atte mit Respekt folgen können. Dann kommen wir zu
iner namentlichen Abstimmung
Das Wort hat der Kollege Thomas Silberhorn für die
nionsfraktion.
1008 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 12. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2009
)
)
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Ich finde es erfreulich, dass in dieser Debatte
sehr deutlich geworden ist, welche Ziele wir am Horn
von Afrika vor Somalia verfolgen. Ich kann nur ein-
dringlich vor jedem Versuch einer Heroisierung der Pira-
terie warnen, so wie sie uns einst in Kinder- und Jugend-
büchern begegnet ist. Wir haben es mit schwerer
Kriminalität zu tun, die eine Herausforderung für die ge-
samte internationale Gemeinschaft darstellt. Wir sind
vor Ort, weil wir das gewichtige humanitäre Ziel verfol-
gen, die Ernährung der Bevölkerung von Somalia sicher-
zustellen. Das wäre ohne eine Sicherung der Seewege
für die Schiffe des Welternährungsprogramms nicht
machbar.
Ja, wir sind natürlich auch vor Ort, um unsere ökono-
mischen Interessen zu vertreten. Wir sind die größte Ex-
portnation, eine der wichtigsten Handelsnationen und
eine der größten Schifffahrtsnationen der Welt. Wer,
wenn nicht wir, muss sich dafür einsetzen, dass die Frei-
heit der Handelswege und die Sicherheit der Seewege
gewährleistet sind. Deswegen ist es richtig, dass wir
auch militärische Mittel für ökonomische Zwecke ein-
setzen.
Die Mission Atalanta leistet einen wichtigen Beitrag
zur Stabilisierung der Lage am Horn von Afrika. Wir
stehen hier nicht alleine. Viele Mitgliedstaaten der Euro-
päischen Union sind beteiligt. Die NATO ist vor Ort.
Das OEF-Mandat wird unter Führung der USA einge-
setzt. Auch zahlreiche nationale Marinekräfte sind vor
Ort. Wir sollten uns allerdings darum bemühen, die Viel-
zahl der Akteure möglichst gut und vielleicht auch bes-
ser als bisher zu vernetzen und zu koordinieren. Dass es
mittlerweile – auch unter Beteiligung der Bundesrepu-
blik Deutschland – eine internationale Kontaktgruppe
gibt, in der sich mittlerweile 44 Staaten in der Piraterie-
bekämpfung engagieren, ist ein erfreuliches Zeichen. Es
wäre schön, wenn wir bei der Mandatierung zu einer
besseren Koordinierung unter dem Dach der Vereinten
Nationen kämen. Immerhin hat der Sicherheitsrat der
Vereinten Nationen dieses Atalanta-Mandat direkt er-
teilt. Wir sind vor Ort, weil die somalische Übergangsre-
gierung ausdrücklich darum gebeten hat und uns der Si-
cherheitsrat der Vereinten Nationen diesen Auftrag
erteilt hat. Das zeigt: Atalanta ist in einen stabilen inter-
nationalen Rahmen eingebettet. Wir dienen damit also
nicht nur unseren nationalen wirtschaftlichen Interessen
oder den humanitären Interessen dieses Landes, sondern
Atalanta ist auch Ausdruck der internationalen Verant-
wortung, der wir uns hier stellen.
Die Bilanz nach diesem ersten Jahr Atalanta fällt
durchweg positiv aus. Die Zahl der Piratenangriffe – das
ist schon angesprochen worden – ist insgesamt spürbar
zurückgegangen. Alle Schiffe des Welternährungspro-
g
D
U
n
t
d
i
v
d
w
a
a
K
D
i
w
a
a
Ü
u
e
f
n
E
E
l
l
w
g
l
a
f
s
z
p
Ü
s
k
v
n
u
s
U
g
z
S
l
K
e
S
G
)
)
Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfeh-
lung auf Drucksache 17/274, den Antrag der Bundesre-
gierung auf Drucksache 17/179 anzunehmen. Es ist na-
mentliche Abstimmung verlangt.
Wir stimmen nun über die Beschlussempfehlung na-
mentlich ab. Ich bitte die Schriftführerinnen und Schrift-
führer, ihre Plätze einzunehmen. Ich bitte alle Kollegin-
nen und Kollegen, bevor Sie abstimmen, noch einmal zu
überprüfen, ob Ihr Name auf der Abstimmungskarte
steht, die Sie jetzt einwerfen wollen. Sind alle Plätze mit
Schriftführern besetzt? – Ich eröffne die Abstimmung.
Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine
Stimme noch nicht abgegeben hat? – Das ist nicht der
Fall. Ich schließe die Abstimmung und bitte die Schrift-
führerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu
beginnen. Das Ergebnis der Abstimmung wird Ihnen
später bekannt gegeben.2)
Wir setzen die Abstimmung mit den Abstimmungen
über die Entschließungsanträge fort. Bevor ich dies tue,
bitte ich diejenigen Kolleginnen und Kollegen, die an
diesen Abstimmungen und weiteren Beratungen nicht
mehr teilnehmen wollen oder können, den Saal zu ver-
lassen und uns dadurch zu ermöglichen, die Abstim-
mungsergebnisse zweifelsfrei festzustellen. Das macht
sich sehr schlecht, wenn Sie hier im Gang stehen.
Wir fahren nun fort mit der Abstimmung über die Ent-
schließungsanträge. Wer stimmt für den Entschließungs-
antrag der Fraktion die SPD auf Drucksache 17/279? –
Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Ent-
schließungsantrag ist abgelehnt.
Wer stimmt für den Entschließungsantrag der Frak-
tion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 17/280? –
Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Ent-
schließungsantrag ist abgelehnt.
Wer stimmt für den Entschließungsantrag der Frak-
tion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 17/281? –
Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Ent-
schließungsantrag ist abgelehnt.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 12 sowie den Zu-
satzpunkt 8 auf:
12 Beratung des Antrags der Abgeordneten Priska
Hinz , Kerstin Andreae, Dr. Thomas
Gambke, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Innovationskraft von kleinen und mittleren
Unternehmen durch Steuergutschrift für For-
schungen stärken
– Drucksache 17/130 –
Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Z
A
k
g
k
n
d
e
d
M
t
b
s
g
h
d
E
b
r
d
W
w
P
w
k
e
d
g
e
d
1) Anlage 4 und 5
2) Siehe Seite 1012 C
vorlegen
Wir sagen auch ganz klar und deutlich: Es geht um
in zusätzliches Instrument; es soll nicht die Projektför-
erung von Forschungsvorhaben ersetzen. Das wäre
rundfalsch, weil uns die Projektförderung bessere Steu-
rungsmöglichkeiten bietet. Wir wissen aber zugleich,
ass gerade KMUs es nicht schaffen, entsprechende Pro-
1010 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 12. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2009
)
)
Priska Hinz
jektanträge zu stellen. Sie haben nämlich kein eigenes
Personal, das permanent den Bundesanzeiger durchfors-
ten kann, um zu schauen, ob ein gerade aufgelegtes
Programm für den eigenen Betrieb passt. Diese Unter-
nehmen brauchen eine unbürokratische Förderung. Des-
wegen schlagen wir eine 15-prozentige Steuergutschrift
auf Personal- und Sachkosten vor. Es muss ja vor allen
Dingen der FDP sehr sympathisch sein, dass es sich um
ein so unbürokratisches Instrument für Wachstums-
anreize handelt.
Die 600 Millionen Euro, die unser Vorhaben kosten
würde, wären im Gegensatz zu dem Schuldenwachstums-
programm, das CDU/CSU und FDP derzeit auf den Weg
bringen, auch gut angelegt.
Es gibt nämlich Studien, in denen errechnet wurde, dass
man mit dem Einsatz der Mittel in der Form, wie wir es
vorschlagen, tatsächlich zu einer besseren Wertschöp-
fung kommen kann. Die Hebelwirkung ist enorm. Wir
könnten damit unserem Ziel, 3 Prozent der Ausgaben für
Forschung auszugeben, sehr viel schneller nahe kom-
men. Dies ist ein weiterer Grund, weshalb wir für die
steuerliche Forschungsförderung sind. Mit einem Satz:
Diese steuerliche Forschungsförderung ist einfach, ge-
recht, zielgenau, schafft Arbeitsplätze und ebnet den
Weg in viele Zukunftsbranchen.
Auch die SPD ist inzwischen dafür; in der Regierung
war sie es noch nicht so ganz. Die Koalitionsfraktionen
haben es in ihren Wahlprogrammen immerhin aufge-
führt. Laut Koalitionsvertrag wird jetzt geprüft und ge-
prüft. Die Bundesforschungsministerin hat immerhin
schon verkündet, sie habe ein Konzept; sie kann es aber
beim Bundesfinanzminister noch nicht durchsetzen.
Deswegen sollten wir jetzt gemeinschaftlich als Par-
lament den Durchbruch erreichen. Lassen Sie uns ge-
meinsam dafür sorgen, dass der Bundesfinanzminister
diese 600 Millionen Euro für einen guten Zweck heraus-
rückt, nämlich für die ökologische Modernisierung unse-
rer Wirtschaft. Wir sind jedenfalls dabei, und wir hoffen,
Sie auch.
Danke schön.
Das Wort hat der Kollege Dr. Frank Steffel für die
Unionsfraktion.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Forschung, Innovation und die Entwicklung von
neuen Technologien sind die Grundlage für unseren
W
s
B
f
s
K
u
E
w
d
a
d
u
k
a
r
w
n
a
d
d
E
s
i
E
t
E
a
C
e
w
z
A
d
v
r
D
d
d
d
l
T
g
k
um Wohle der Unternehmen und der Beschäftigten, der
rbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, in Deutschland.
Die Regierung aus CDU/CSU und FDP strebt über
ie Projektförderung hinaus – so steht es im Koalitions-
ertrag, und so wird es gemacht – die steuerliche Förde-
ung von Forschung und Entwicklung an.
amit sollen zusätzliche Forschungsimpulse insbeson-
ere für kleine und mittlere Unternehmen ausgelöst wer-
en. Aber, Frau Kollegin von den Grünen, gerade weil
ieser außerordentlich komplexe Bereich für Deutsch-
and so wichtig ist, müssen und werden wir dieses
hema mit großer Sorgfalt, Seriosität und vor allen Din-
en sehr zielorientiert diskutieren. Hier geht Gründlich-
eit vor Geschwindigkeit.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 12. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2009 1011
)
)
Dr. Frank Steffel
Zum einen müssen wettbewerbs-, haushalts- und
ordnungspolitische Fragen dauerhaft, übrigens auch in-
ternational, geklärt werden. Zum anderen müssen die
Ausgestaltung der möglichen Steuergutschrift, der An-
wendungsbereich, die begünstigten Unternehmen, das
Fördervolumen und die angestrebten Anreizwirkungen
sehr präzise definiert werden. Der Antrag der SPD-Frak-
tion enthält dazu einige interessante Ideen. Es erstaunt
allerdings, dass die SPD, als sie elf Jahre regierte und
den Finanzminister stellte, keinen Vorschlag zur steuerli-
chen Förderung von Forschung und Entwicklung vorge-
legt hat.
Jetzt in der Opposition kommen Ihnen auf einmal diese
Gedanken, frei nach Goethe: „Man spürt die Absicht und
ist verstimmt.“
Auch steht die Praxis, meine Damen und Herren von
der Sozialdemokratie, in den von Ihnen geführten Bun-
desländern leider im Widerspruch zu Ihren Erklärungen.
Wenn Herr Professor Lenzen, der renommierte Präsident
der einzigen Exzellenzuniversität der deutschen Haupt-
stadt, der Freien Universität Berlin, die Berliner Verhält-
nisse von Wissenschaft, Forschung und Lehre mit denen
in der Volksrepublik China vergleicht
und den Sozialdemokraten eine zerstörerische und fahr-
lässige Wissenschafts- und Forschungspolitik vorwirft,
sollte uns dies zumindest nachdenklich stimmen.
Wenn dieser herausragende deutsche Wissenschaftler
Berlin verlässt und nach Hamburg geht und der einzige
Kommentar des Regierenden Bürgermeisters der deut-
schen Hauptstadt zu diesem einmaligen Vorgang ein
schnoddriges „Gute Reise“ ist,
dann kann ich nur sagen: „Gute Nacht, Deutschland“
oder „Schlafen Sie weiter, Herr Wowereit“.
Dieser Umgang mit unseren wissenschaftlichen, wirt-
schaftlichen und gesellschaftlichen Eliten schadet dem
Wissenschafts- und Forschungsstandort Deutschland
und ist leider kein Einzelfall.
Der vorliegende Antrag der Grünen und auch Ihre
Rede, Frau Kollegin, hören sich zwar interessant an, sie
sind aber populistisch und oberflächlich sowie aufgrund
der Pauschalierungen weder seriös noch zielgerichtet.
Deshalb wurde auch ein gleichlautender Schaufenster-
antrag bereits im Sommer dieses Jahres von den übrigen
Fraktionen des Deutschen Bundestages abgelehnt.
t
s
I
h
G
v
g
u
w
e
d
g
d
s
G
m
c
w
D
s
E
v
m
t
S
U
b
l
b
w
s
t
F
T
g
–
o
r
n
k
Ich erinnere an den Transrapid, an wichtige Bereiche
er Energiepolitik, an den Chemiestandort Deutschland
owie an Entwicklungen in den Bereichen Biotech und
entechnologie. Man fragt sich, für welche Unterneh-
en Sie eigentlich die Förderung einführen wollen, wel-
he Unternehmen Sie eigentlich steuerlich begünstigen
ollen.
azu gehört auch ein klares Bekenntnis zu unseren wis-
enschaftlichen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen
liten. Hier haben Sie unverändert Nachholbedarf, Sie
ertreiben gerade diese Wissenschaftler und Unterneh-
en durch Ihre Neid- und Missgunstdebatten.
Bereits vor zwei Wochen haben wir mit dem Wachs-
umsbeschleunigungsgesetz konkrete Maßnahmen zur
tärkung und Unterstützung von kleineren und mittleren
nternehmen beschlossen. Mit der dauerhaften Anhe-
ung der Freigrenze bei der Zinsschranke, mit der Er-
eichterung bei Sofortabschreibungen und mit der ver-
esserten Nutzung von Verlusten
erden gerade kleine und mittlere Unternehmen im for-
chungsintensiven Bereich in der Gründungsphase un-
erstützt. Leider haben Grüne und SPD auch gegen diese
örderung gestimmt. Wir werden Sie auch bei diesem
hema an Ihren Taten messen und nicht an Ihren Anträ-
en und Worten.
Da der wesentliche Teil des Antrags der Grünen
falls Sie ihn gelesen haben sollten, wissen Sie das –
hnehin völlig unsachliche Beschimpfungen der Regie-
ung beinhaltet und damit gerade das Betteln um Ableh-
ung dokumentiert, werden wir Ihnen diesen Wunsch
urz vor Weihnachten gerne erfüllen.
1012 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 12. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2009
)
)
Dr. Frank Steffel
Dr. Helge Braun Rudolf Henke Paul Lehrieder Anita Schäfer
Gitta Connemann
Leo Dautzenberg
Alexander Dobrindt
Thomas Dörflinger
Marie-Luise Dött
Dr. Thomas Feist
Enak Ferlemann
Ingrid Fischbach
Hartwig Fischer
Dirk Fischer
Ernst Hinsken
Peter Hintze
Christian Hirte
Robert Hochbaum
Karl Holmeier
Franz-Josef Holzenkamp
Joachim Hörster
Anette Hübinger
Thomas Jarzombek
Dr. Dieter Jasper
Andreas Jung
Dr. Franz Josef Jung
M
D
P
D
D
K
D
H
A
S
D
M
atthias Lietz
r. Carsten Linnemann
atricia Lips
r. Jan-Marco Luczak
r. Michael Luther
arin Maag
r. Thomas de Maizière
ans-Georg von der Marwitz
ndreas Mattfeldt
tephan Mayer
r. Michael Meister
aria Michalk
Karl Schiewerling
Norbert Schindler
Tankred Schipanski
Georg Schirmbeck
Christian Schmidt
Patrick Schnieder
Dr. Andreas Schockenhoff
Dr. Ole Schröder
Bernhard Schulte-Drüggelte
Uwe Schummer
Heike Brehmer
Ralph Brinkhaus
Michael Hennrich
Ansgar Heveling
Dr. Ursula von der Leyen
Ingbert Liebing
Dr. Annette Schavan
Dr. Andreas Scheuer
Herzlichen Dank.
:
re erste Rede in diesem
hnen dazu ganz herzlich.
l)
g
e
ü
d
t
A
u
h
N
D
r. Maria Flachsbarth
laus-Peter Flosbach
erbert Frankenhauser
r. Hans-Peter Friedrich
ichael Frieser
rich G. Fritz
r. Michael Fuchs
ans-Joachim Fuchtel
lexander Funk
go Gädechens
r. Thomas Gebhart
orbert Geis
lois Gerig
berhard Gienger
osef Göppel
eter Götz
r. Wolfgang Götzer
einhard Grindel
ermann Gröhe
ichael Grosse-Brömer
strid Grotelüschen
arkus Grübel
anfred Grund
onika Grütters
r. Karl-Theodor Freiherr
zu Guttenberg
lav Gutting
lorian Hahn
olger Haibach
r. Stephan Harbarth
ürgen Hardt
erda Hasselfeldt
r. Matthias Heider
echthild Heil
rsula Heinen-Esser
rank Heinrich
D
B
S
A
B
S
V
D
R
E
V
J
J
A
J
D
M
D
H
T
M
G
D
D
R
B
D
G
D
A
D
K
U
D
Ich komme zurück zum Tag
ebe das von den Schriftführer
rmittelte Ergebnis der nam
ber die Beschlussempfehlung
esregierung zur Fortsetzung d
er deutscher Streitkräfte an der
talanta – es handelt sich um
nd 17/274 – bekannt: abgegeb
aben gestimmt 492 Kollegin
ein haben gestimmt 74, und
ie Beschlussempfehlung ist an
r. Egon Jüttner
artholomäus Kalb
teffen Kampeter
lois Karl
ernhard Kaster
olker Kauder
r. Stefan Kaufmann
oderich Kiesewetter
ckart von Klaeden
olkmar Klein
ürgen Klimke
ulia Klöckner
xel Knoerig
ens Koeppen
r. Kristina Köhler
anfred Kolbe
r. Rolf Koschorrek
artmut Koschyk
homas Kossendey
ichael Kretschmer
unther Krichbaum
r. Günter Krings
r. Martina Krogmann
üdiger Kruse
ettina Kudla
r. Hermann Kues
ünter Lach
r. Karl A. Lamers
ndreas G. Lämmel
r. Norbert Lammert
atharina Landgraf
lrich Lange
r. Max Lehmer
D
D
P
D
M
S
N
D
D
M
D
F
E
H
D
R
U
D
S
B
R
C
R
E
L
D
T
E
K
L
J
K
D
J
D
E
A
)
)
)
)
g) :
legen! Sehr geehrte Frau
lich noch viel schneller
il mich Ihre Rede so er-
Idee zu loben, fahren Sie
e, die Sie letztendlich mit
htiger ist es vielleicht, zu
wir jetzt die schützende
nternehmen halten; denn
ren Struktur nachhaltig.
dem BÜNDNIS 90/
EN)
spielen beweisen. Da Sie
te ich ein Beispiel unmit-
n in Planung haben; Sie
ir haben gehört, dass Sie
chtern wollen, nicht per
G
b
u
t
g
d
F
E
s
g
a
n
k
l
z
D
n
d
w
z
aju Sharma
r. Petra Sitte
ersten Steinke
abine Stüber
lexander Süßmair
lexander Ulrich
athrin Vogler
ahra Wagenknecht
T
U
M
M
U
A
E
D
esetz, sondern per Verordnun
edeutet: Ein Unternehmen for
nd darf sehr viele Kosten –be
riebsausgaben abziehen bzw. k
aben gewinnmindernd zur Gel
ie Patente kurz vor der Realis
orschungsabteilung ins Ausla
ffekt? Die Gewinne fallen im
ind zuvor in Deutschland ent
entlich die fehlenden Steuer
lle anderen, die diese Funktio
ehmen können. Jetzt verraten
leine oder mittlere Unternehm
agerungen vornimmt.
die internationalen Kon-
leinen zu benachteiligen.
it durchbrechen. Es wird
ts Innovationsimpulse in
gie und Technologieent-
haffung von Arbeitsplät-
en Ursache dafür waren,
Nicole Maisch Dr. Dagmar Enkelmann Kathrin Senger-Schäfer Hans-Josef Fell
Dr. Claudia Winterstein
Dr. Volker Wissing
Hartfrid Wolff
BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Kerstin Andreae
Marieluise Beck
Volker Beck
Cornelia Behm
Birgitt Bender
Alexander Bonde
Viola von Cramon-Taubadel
Ekin Deligöz
Dr. Thomas Gambke
Kai Gehring
Katrin Göring-Eckardt
Britta Haßelmann
Priska Hinz
Ulrike Höfken
Ingrid Hönlinger
Katja Keul
Tom Koenigs
Oliver Krischer
Fritz Kuhn
Stephan Kühn
Renate Künast
Undine Kurth
Krista Sager
Manuel Sarrazin
Elisabeth Scharfenberg
Christine Scheel
Dr. Gerhard Schick
Dr. Frithjof Schmidt
Markus Tressel
Jürgen Trittin
Daniela Wagner
Wolfgang Wieland
Josef Philip Winkler
Nein
DIE LINKE
Jan van Aken
Agnes Alpers
Dr. Dietmar Bartsch
Herbert Behrens
Karin Binder
Matthias W. Birkwald
Heidrun Bluhm
Steffen Bockhahn
Christine Buchholz
Dr. Martina Bunge
Roland Claus
Sevim Dağdelen
I
D
A
U
D
K
H
J
J
K
C
S
R
M
U
D
T
U
D
K
N
W
P
J
R
I
P
D
)
)
– Das verstehe ich.
Ich darf es für Sie auflösen: Wenn Sie diese beiden unab-
hängig voneinander betrachten, dann stellen Sie fest: Es
gibt überhaupt kein Unternehmen, das nicht zum Mittel-
stand gehört. Mit dieser fehlerhaften Definition des Mit-
telstands machen Sie Politik. Daraus leitet sich immer
w
d
g
g
I
i
v
b
i
w
d
w
M
n
B
m
A
B
A
r
E
m
d
t
t
n
P
a
a
i
t
ch glaube, dass das eine ganz einfache Angelegenheit
st.
Wenn wir unserem Antrag in Kombination mit dem
on den Grünen folgen, sind wir für die nächste Krise
esser gerüstet. Denn was wir jetzt machen, wirkt ja erst
n sechs, sieben, acht Jahren. Wenn ich mir anschaue,
as die Banker schon wieder treiben, dann weiß ich,
ass die nächste Krise bestimmt kommt. Dann ist es gut,
enn wir klug aufgestellt sind.
Vielen Dank.
Für die FDP-Fraktion spricht nun der Kollege
einhardt.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kollegin-
en und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren vom
ündnis 90/Die Grünen und von der SPD, ich freue
ich wirklich über die beiden von Ihnen vorgelegten
nträge, die heute Gegenstand der Debatte sind.
eide Anträge bestätigen uns von der FDP in unserer
uffassung, dass wir schnell, aber auch gründlich vorbe-
eitet zu einer steuerlichen Förderung der Forschung und
ntwicklung von in Deutschland forschenden Unterneh-
en kommen müssen. Als Innovationsland müssen wir
en erheblichen Wettbewerbsnachteil der deutschen Un-
ernehmen, insbesondere der kleinen und mittleren Un-
ernehmen, zügig beseitigen.
Wir teilen die Auffassung der Bundesforschungsmi-
isterin, Frau Dr. Schavan, die am 29. Oktober in der
resse verkündet hat, sie strebe eine Steuergutschrift für
lle Unternehmen – also keine Beschränkung auf KMU –
n, wobei sie die steuerliche Förderung von FuE bereits
m kommenden Jahr eingeführt sehen möchte. Ich zi-
iere:
Optimal wäre, wenn wir die Förderung schon im
Lauf des Jahres 2010 starten könnten – dann würde
1016 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 12. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2009
)
)
Patrick Meinhardt
sie noch in der Krise stabilisierend auf den Arbeits-
markt für Forscher und Entwickler wirken.
Diese Aussage unterstreiche ich doppelt und dreifach.
Der Koalitionsvertrag von FDP und CDU/CSU ist hier
klar und eindeutig:
Wir streben eine steuerliche Förderung von For-
schung und Entwicklung an, die zusätzliche For-
schungsimpulse insbesondere für kleine und mitt-
lere Unternehmen auslöst.
Diese Koalition hat sich selbst verpflichtet, den For-
schungsstandort Deutschland nachhaltig zu stärken.
Meine sehr geehrten Damen und Herren von den Grü-
nen, warum unterstellen Sie uns an dieser Stelle eine
Verschiebetaktik? Davon kann doch überhaupt keine
Rede sein. Was sagen Ihnen die folgenden drei Zahlen:
4 019, 2 583 und 50?
In den letzten elf Jahren hatten die geschätzten Kollegen
der SPD 4 019 Tage Zeit, als Regierungspartei eine steu-
erliche FuE-Förderung auf den Weg zu bringen; die Grü-
nen hatten, als sie an der Regierung waren, 2 583 Tage
Zeit. Diese Koalition ist erst 50 Tage im Amt. Kommen
Sie, das müssen Sie doch selbst eingestehen: Ihr Vorwurf
ist lächerlich.
Die steuerliche FuE-Förderung ist Kernstück unserer
Forschungsförderung, weil wir technologieoffen und un-
bürokratisch einen Innovationsschub für Deutschland er-
reichen wollen. Deswegen gilt:
Erstens. Wir wollen die steuerliche Forschungs- und
Entwicklungsförderung als Instrument einer indirekten
Förderung neben der direkten Projektförderung einfüh-
ren.
Zweitens. Wir wollen die Voraussetzungen dafür
schaffen, dass künftig FuE-Aufwendungen der steuer-
pflichtigen Unternehmen aller Rechtsformen – Kapital-
gesellschaften, Einzelunternehmen und Personengesell-
schaften – unabhängig von ihrer Größe durch eine
Steuergutschrift honoriert werden. So wird den Unter-
nehmen die Möglichkeit eröffnet, einen bestimmten Teil
ihrer qualifizierten FuE-Aufwendungen über eine Steu-
ergutschrift real erstattet zu bekommen.
Drittens. Wir wollen zur Liquiditätssicherung der Un-
ternehmen eine die Steuerschuld übersteigende Steuer-
gutschrift unmittelbar auszahlen, um so bei den Unter-
nehmen Liquiditätszuflüsse sicherzustellen, die wieder
für FuE verwendet werden können.
Viertens. Wir wollen, dass bei der Definition der Be-
messungsgrundlage für die Förderung sämtliche FuE-
Aufwendungen – Personal- und Sachaufwendungen so-
wie Aufwendungen für FuE-Auftragsforschung –, die
d
t
r
a
v
d
d
d
d
7
h
w
s
d
s
u
g
b
v
z
w
1
i
D
p
F
s
S
D
b
t
d
d
u
o
s
t
Der Anteil des Staates dagegen stagniert seit Jahren
ei rund 0,7 Prozent vom BIP. Die staatliche Förderung
on FuE in den Unternehmen ist rückläufig. Der Finan-
ierungsanteil der öffentlichen Hand an den FuE-Auf-
endungen der Wirtschaft ist von 16,9 Prozent im Jahr
981 auf 4,5 Prozent im Jahr 2006 gesunken, das heißt,
n 25 Jahren auf 25 Prozent des ursprünglichen Betrages.
as ist der Grund, weswegen wir die notwendigen Im-
ulse dringend benötigen.
Es tut diesem Haus gut, dass das Thema steuerliche
orschungs- und Entwicklungsförderung endlich per-
pektivisch behandelt werden wird. 21 von 30 OECD-
taaten und 15 europäische Staaten haben sie bereits.
iese Regierung wird diesen Wettbewerbsnachteil 2010
eseitigen.
Vielen herzlichen Dank.
Das Wort hat die Kollegin Dr. Petra Sitte für die Frak-
ion Die Linke.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich will
aran erinnern: Forschung und Entwicklung gehören zu
en Kernaufgaben erfolgreicher Unternehmensführung,
nabhängig davon, ob sie staatlich gefördert werden
der nicht. Eine aktuelle IHK-Studie zeigt, dass das be-
onders in Krisenzeiten gilt und dass sich besonders Mit-
elständler daran gehalten haben; denn auch in Krisen-
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 12. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2009 1017
)
)
Dr. Petra Sitte
zeiten hat ein Drittel der Mittelständler seine Ausgaben
für Forschung und Entwicklung erhöht.
Die Bündnisgrünen wollen mit ihrem Antrag die In-
novationskraft dieser Unternehmen stärken. Prinzipiell
unterstützt meine Fraktion dieses Ziel. Allerdings glau-
ben wir nicht, dass die vorgeschlagenen Steuergutschrif-
ten das geeignete Mittel sind. Verbände forschender Mit-
telständler bevorzugen in ihren Positionierungen
nachgewiesenermaßen laufende Projektförderungen, wie
sie vom Wirtschaftsministerium, aber auch vom BMBF
angeboten werden.
Was die Frage betrifft, wofür wir uns entscheiden
bzw. wenn Sie ausführen, dass das zusätzlich erfolgen
soll, dann muss man genau zuhören, was in diesen Tagen
gesagt wird. Herr Pinkwart beispielsweise präferiert
steuerliche Forschungsförderung. Er stellt fest, dass sich
die Koalition in den nächsten Jahren auf diesen Punkt
konzentrieren wird. Nun befürchten die Mittelständler,
dass die Projektförderung dabei eingeschränkt wird und
sie die Vorzüge für die Mittelständler nicht mehr hergibt.
Die Projektförderung sorgt beispielsweise dafür, dass
Beratung und Begleitung erfolgen, dass Planungssicher-
heit durch frühzeitige Mittelzusagen gewährleistet wird,
während man umgekehrt, wenn man eine Steuergut-
schrift einführt, erst vorfinanzieren muss. Das heißt, erst
durch eine nachgelagerte Betriebsprüfung wissen die
Unternehmen, ob sie zumindest einen Teil der Mittel zu-
rückbekommen. Das ist problematisch.
Immerhin schneidet die Projektförderung der Bundes-
republik gar nicht schlecht ab. In einer Studie des Bun-
desverbandes der Deutschen Industrie – die zitiere ich
nicht so oft – heißt es, dass die Projektförderung welt-
weit auf Platz zwei liegt. Gerade vor diesem Hintergrund
muss man sich genau überlegen, ob man das angesichts
der Enge der Haushalte sowohl in den Ländern als auch
beim Bund aufs Spiel setzt.
Man muss auch daran erinnern, dass infolge der Ban-
kenkrise für die mittelständischen Unternehmen die
Konditionen der Banken nicht besser werden. Die Ei-
genkapitalvorschriften, die für die Banken verschärft
werden, werden sich natürlich auch bei den Unterneh-
men durch geänderte Kreditkonditionen niederschlagen.
Deshalb sagen wir: Besser als Steuernachlässe helfen
Projektförderung samt kompetenter Beratung und ein er-
leichterter Zugang zu Mittelstandskrediten.
Die Vorschläge, die Sie machen, sowohl Steuergut-
schriften als auch steuerliche Forschungsförderung, ent-
sprechen dem Gießkannenprinzip. Sie fördern in der
Breite, und Sie fördern Mittelständler. FDP und CDU/
CSU wollen sich aber ausdrücklich dafür einsetzen, dass
das auch für Großunternehmen gilt. Dazu muss ich sa-
gen – Herr Meinhardt hat ausgeführt, dass es 21 Länder
gibt, in denen die Forschungsförderung in dieser Form
bereits eingeführt wurde –: Die Mehrzahl dieser 21 Län-
der hat keinen Körperschaftsteuersatz von 15 Prozent,
sondern von 25 Prozent. Ich finde, mit diesen 10 Pro-
zentpunkten ist die Bundesregierung ganz schön in Vor-
leistung gegangen. Das hat den Staatshaushalt seit Ein-
führung dieser 15 Prozent 200 Milliarden Euro gekostet.
D
g
s
a
s
D
s
s
W
p
U
r
K
s
P
P
I
h
V
r
a
w
r
m
d
m
w
b
s
b
k
s
v
Die Grünen wollen qualitative Maßstäbe einführen.
as ist eine gute Absicht. Sie sprechen von der ökologi-
chen Wende, die als Maßstab berücksichtigt werden
oll. Das geht allerdings nicht mit Steuergutschriften.
ir haben uns erkundigt und das haushaltstechnisch ge-
rüft. Aus dieser Prüfung geht ganz klar hervor: Den
nternehmen steht diese steuerliche Forschungsförde-
ung dann zu. Sie können keine zusätzlichen inhaltlichen
riterien setzen. Insofern sage ich: Die Idee der Gut-
chrift ist nett gedacht, ist ein bissel Jamaika, löst das
roblem aber nicht wirklich. Wir sollten lieber bei der
rojektförderung in konzentrierter Form bleiben.
Zum SPD-Antrag will ich jetzt gar nicht viel sagen.
ch habe ein bissel geschmunzelt, muss ich sagen. Sie
aben diesen Antrag ganz schnell zusammengezimmert.
or allem haben Sie hineingeschrieben: Liebe Regie-
ung, mach meine Arbeit. – Sie haben ein paar Kriterien
ngedeutet. Ehrlich gesagt weiß ich aber nicht wirklich,
o Sie hinsichtlich der steuerlichen Forschungsförde-
ung stehen. Ihr Beitrag hat das jetzt etwas deutlicher ge-
acht. Es wurde klar, dass auch Sie sich vor allem um
ie Mittelständler kümmern wollen.
Kommen Sie bitte zum Schluss.
Gern.
Wir möchten bei der Projektförderung bleiben. Wir
öchten sie zielgenauer und verlässlicher gestalten, und
ir möchten vor allem von allen Fraktionen, die das hier
efürworten, einen seriösen Gegenfinanzierungsvor-
chlag vorgelegt bekommen; denn das kostet insgesamt
is zu 4 Milliarden Euro. Das ist zumindest Ihre Aus-
unft. 12 Milliarden Euro wollte Frau Schavan insge-
amt ausgeben. Wo soll das bitte herkommen?
Danke.
Das Wort hat jetzt der Kollege Dr. Philipp Murmann
on der CDU/CSU-Fraktion.
1018 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 12. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2009
)
)
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich
finde, die vorliegenden Anträge sind durchaus interes-
sant; denn sie unterstützen in vielen Passagen wohlmei-
nend die Absicht der Regierungsparteien.
Aber Achtung: Sie sind mit einigen Giftpilzen durch-
setzt, von denen einem vielleicht schlecht werden kann.
Sie spenden zum Teil wohltuendes Licht. Allerdings
hängen auch einige dunkle Wolken dazwischen.
In einer dieser schwarzen Wolken in der Begründung
heißt es zum Beispiel, die schwarz-gelbe Koalition
würde mit dem Wachstumsbeschleunigungsgesetz Wahl-
geschenke an ihre Klientel verteilen.
Tatsache aber ist: Mehr als die Hälfte der in diesem Ge-
setz vorgesehenen Entlastungen betreffen Familien und
Kinder,
und zwar jene Familien, die mit ihrer täglichen Arbeit
und mit ihrer Leistung ihren und unseren Wohlstand si-
chern und dafür sorgen, dass wir auch denjenigen helfen
können, denen es nicht so gut geht.
Diese Familienmütter und -väter wollen wir unterstüt-
zen, ja, aus voller Überzeugung. Wenn Sie Familien als
Klientel bezeichnen, finde ich das unangemessen und re-
spektlos.
Dass wir mit dem Wachstumsbeschleunigungsgesetz
auch und gerade für den Mittelstand Wachstumsimpulse
setzen, sollten Sie zur Kenntnis nehmen. Was meinen
Sie, wer zum Beispiel von einer verbesserten Zins-
schranke profitiert? Das sind gerade die kleinen und
mittleren Unternehmen, die häufig mit hohem Fremdka-
pitaleinsatz neue Produkte und Innovationen voranbrin-
gen. Genau die profitieren davon.
Jetzt möchte ich zu den eher lichtdurchfluteten Passa-
gen der Anträge kommen. Ich begrüße es außerordent-
lich, dass die Grünen und hinterher auch ganz schnell die
SPD die Wichtigkeit einer umfassenden Förderung von
Forschung und Entwicklung klar herausgestellt haben.
Auch uns liegt der Bereich besonders am Herzen. Schon
in der vergangenen Legislaturperiode haben die Regie-
rung und insbesondere das Forschungsministerium da-
nach gehandelt. So sind die Investitionen in Forschung
und Entwicklung um ein Drittel auf gut 12 Milliarden
Euro gesteigert worden. Die Hightechstrategie wurde
auf den Weg gebracht, und erfolgreiche Projektförde-
rung, insbesondere für KMUs, wurde eingeführt; dies
wollen wir weiterführen.
u
w
t
n
E
d
l
m
n
Z
t
n
k
S
t
O
N
G
W
w
k
c
h
s
o
s
g
D
a
–
P
U
H
w
ine wichtige Maßnahme wird dabei die steuerliche För-
erung von Forschung und Entwicklung sein, die zusätz-
iche Wachstumsimpulse setzen wird. Natürlich freue ich
ich, dass die Grünen und auch die SPD durchaus ei-
ige Ansichten teilen. Sollten wir hier nun tatsächlich
euge einer Wandlung vom grünen Saulus zum grünen
echnologieoffenen Paulus werden? Oder ist das nur eine
eue Form von Greenwashing? Auch Sie wollen ja
leine und mittelständische Technologiefirmen stärken.
ollte dies nicht auch für kleine Firmen im Bereich Bio-
echnologie gelten? Ich denke, ja.
der für moderne Betriebe etwa aus dem Bereich Nano?
atürlich. Oder für kleine Start-up-Firmen für Grüne
entechnik? Ja, natürlich.
ir wollen Innovationen und gute Ideen für gute An-
endungen fördern. Wir wollen keine Ideologiepolitik,
eine Angstkampagnen, auch nicht unter dem Mäntel-
hen einer möglichen Gegenfinanzierung, wie Sie das
ier mit Ihrer Atomsteuer machen wollen.
Wir brauchen eine ergänzende, in der Breite wirk-
ame Förderung. Diese Förderung muss technologie-
ffen und möglichst unbürokratisch sein. Natürlich müs-
en wir Doppelförderung vermeiden. Ich habe durchaus
roße Sympathien für das Modell einer Steuergutschrift.
iese Steuergutschrift muss rechtsform- und größenun-
bhängig ausgestaltet sein. Sie sollte sich insbesondere
dieser Meinung bin ich – auf die Förderung bei den
ersonalkosten konzentrieren; denn – das weiß ich als
nternehmer – die Einstellung neuer Mitarbeiter ist die
emmschwelle, die wir gerade im FuE-Bereich über-
inden müssen.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 12. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2009 1019
)
)
Dr. Philipp Murmann
Natürlich sollte sie keine regionalen Begrenzungen auf-
weisen. Die Einbeziehung von Auftragsforschung im
Ausland darf nicht enthalten sein.
Ob der Ausschluss von größeren Unternehmen – wir
sprechen von Unternehmen mit zum Beispiel 255 Mit-
arbeitern – tatsächlich sinnvoll ist, müssen wir genau
überlegen. Denn gerade bei mittleren und größeren Un-
ternehmen gibt es einen Standortwettbewerb im Bereich
von Forschung und Entwicklung, der häufig entschei-
dend ist bei der Einführung neuer Forschungs- und Ent-
wicklungsprojekte.
Ich komme zum Schluss. Forschung, Innovationen
und Technologien sind unser Kapital für die Zukunft.
Wir wollen weiterhin das Land der Forscher und Inge-
nieure bleiben.
Wir sind ein technologiefreundliches Land. Wir freuen
uns über neue Anwendungen. Wir sind begeisterungsfä-
hig und verantwortungsbewusst. Eine kluge Steuerpoli-
tik ist ein wichtiger Bestandteil unserer Innovationspoli-
tik. Natürlich sind die Grünen, die SPD und auch die
anderen herzlich eingeladen, diesen Weg mitzugehen.
Aber, wie gesagt, es muss offen und ehrlich geschehen;
denn Technikfeindlichkeit und Fortschrittspessimismus
passen nicht zu uns. Die Idee, neue Ideologiesteuern zu
schaffen, ist nicht vernünftig. Wir wollen Deutschland
zur Bildungs- und Forschungsrepublik und zu einem
Gründerland mit vielen jungen, innovativen Unterneh-
men machen.
Vielen Dank.
Herr Kollege Dr. Murmann, ich gratuliere Ihnen im
Namen des ganzen Hauses zu Ihrer ersten Rede im Deut-
schen Bundestag. Herzlichen Glückwunsch!
Als nächster Redner hat das Wort der Kollege René
Röspel von der SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Wir haben heute Abend schon eine Menge über
Wirtschaftsförderung, Unternehmensförderung und For-
schungsförderung gehört. Ich habe den Eindruck, dass es
häufig ein bisschen durcheinandergegangen ist. Wenn
man Unternehmen fördern will, dann kann man die Steu-
ern für Unternehmen senken. Man erreicht dadurch das
Ziel; sie freuen sich dann. Wenn man Investitionen för-
dern will, kann man ebenfalls die Steuern für Unterneh-
men senken; aber ob man das Ziel, mehr Investitionen,
e
s
i
n
w
f
E
p
s
f
f
n
A
z
n
G
s
f
b
R
i
L
P
c
w
s
g
o
E
t
d
D
t
C
l
s
P
c
b
b
n
d
F
v
u
s
g
m
E
c
G
)
)
Deswegen sagen wir: Diese Mittel müssen, wenn sie
denn bereitgestellt werden, zusätzlich zur Verfügung ge-
stellt werden, und sie dürfen nicht zulasten von Projekt-
förderung und Grundlagenforschung gehen. Hier setzen
wir, wie gesagt, Fragezeichen.
Sowohl die Grünen als auch wir geben Ihnen Leit-
planken an die Hand. Wir sagen: Es muss möglich sein
– das ist auch richtig –, kleine und mittlere Unternehmen
zu fördern. Wir wollen Innovationen und Forschung und
Entwicklung fördern. Wir wollen keine Wirtschafts-
oder Standortförderung betreiben – in diesem Bereich
könnte man das pauschal machen –, sondern die Zielset-
zung ist, innovative kleine und mittlere Unternehmen zu
fördern.
Wir sind sehr gespannt, wie es weitergeht. Wir erwar-
ten nicht, dass Sie noch vor Weihnachten ein Konzept
vorlegen. Frau Schavan hat diese Ankündigung im Ok-
tober gemacht. Wenn es nicht bei einer Ankündigung
bleiben soll, erwarten wir allerdings, dass die neue Re-
gierung bis Ostern ein solches Konzept vorlegt.
Meine letzte Bemerkung. Ich befürchte, es wird bei
einer der üblichen Ankündigungen bleiben. Denn beim
ersten Blick in Ihren neuen Haushaltsentwurf für das
Jahr 2010 habe ich den Betrag von 2 Milliarden Euro
nicht gefunden, Herr Braun. Da Frau Schavan heute lei-
der nicht hier ist – der Finanzminister ist ja in derselben
Fraktion wie sie –, kann ich nur sagen: Wir sind sehr ge-
spannt, ob es Ihnen tatsächlich gelingt, im nächsten Jahr
etwas für kleine und mittlere Unternehmen zu tun. Wir
werden das gespannt beobachten.
Ich wünsche Ihnen ein gutes neues Jahr.
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 17/130 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. Die Federführung ist
jedoch strittig. Die Fraktionen der CDU/CSU und der
FDP wünschen Federführung beim Finanzausschuss, die
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen wünscht Federführung
beim Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfol-
genabschätzung.
F
r
n
s
D
F
b
s
h
M
g
B
T
d
D
a
A
Dieter Rossmann, Dr. Hans-Peter Bartels, Klaus
Barthel, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
der SPD
Studienpakt für Qualität und gute Lehre jetzt
durchsetzen
– Drucksache 17/109 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Nicole
Gohlke, Agnes Alpers, Dr. Rosemarie Hein,
Dr. Petra Sitte und der Fraktion DIE LINKE
Forderungen aus dem Bildungsstreik aufneh-
men und die soziale Spaltung im Bildungssys-
tem bekämpfen
– Drucksache 17/119 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Kai
Gehring, Priska Hinz , Krista Sager,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN
Konsequenzen aus dem Bildungsstreik ziehen –
Bildungsaufbruch unverzüglich einleiten
– Drucksache 17/131 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Finanzausschuss
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
ussprache eine halbe Stunde vorgesehen. Gibt es Wi-
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 12. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2009 1021
)
)
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
derspruch dagegen? – Das ist nicht der Fall. Dann ist das
so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile als erster Red-
nerin der Kollegin Dagmar Ziegler von der SPD-Frak-
tion das Wort.
Vielen Dank. – Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Wir erleben in dieser Woche wieder einmal
schwarz-gelbe Chaostage. Das Hickhack und das Ge-
zerre, das wir in diesen Tagen – zwischen dem Bildungs-
treffen gestern und der Bundesratssitzung morgen – erle-
ben, zeigt deutlich, dass diese Bundesregierung weder zu
einer seriösen Finanzpolitik noch zu einer seriösen Bil-
dungspolitik in der Lage ist.
Die Bundesregierung beteuert seit Tagen, dass das
eine mit dem anderen nichts zu tun hat. Fakt ist aber,
dass das, was Union und FDP im Koalitionsvertrag zur
Steuerpolitik und zur Bildungspolitik aufgeschrieben ha-
ben, allein deswegen miteinander zu tun hat, weil es hin-
ten und vorne nicht zusammenpassen will. Genau dieser
Widerspruch ist der Kanzlerin gestern beim vollmundig
angekündigten zweiten Bildungsgipfel um die Ohren ge-
flogen. Die Resonanz heute in der Presse müsste Ihnen
deutlich gemacht haben, dass dem so ist.
Ziel dieses Treffens war es – da sind wir uns sicher-
lich einig –, verbindliche Finanzierungsschritte und kon-
krete Bildungsprojekte zu vereinbaren.
Dieses Ziel ist verfehlt worden. Die Entscheidung ist
nämlich vertagt worden. Daher kommt die große Enttäu-
schung, die landesweit zu spüren ist. Das Ergebnis dieser
Woche wird sein: Steuergeschenke für die Hoteliers,
aber immer noch keine verbindlichen Vereinbarungen
für die Bildung.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wer zu ei-
nem Bildungsgipfel einlädt, parallel dazu aber dramati-
sche Verschlechterungen der Einnahmesituation von
Ländern und Kommunen vorbereitet, der gefährdet ge-
nau das, was in den nächsten Jahren bildungspolitisch
geleistet werden kann. Deshalb muss die Bundesregie-
rung sämtliche dieser eigenartigen Steuerpläne zurück-
ziehen und den öffentlichen Haushalten die Spielräume
eröffnen, die notwendig sind, damit gute Bildungspolitik
gedeiht. Deutschland muss zu einer Bildungsrepublik
werden statt zu einer Steueroase für wenige.
Im Übrigen hat der gestrige Tag noch etwas gezeigt,
ämlich die inhaltliche Ideenlosigkeit unserer Bundes-
ildungsministerin. Schon der Kabinettsbeschluss zum
tat des Bildungsministeriums war ein Misstrauensvo-
um für die Ministerin; denn die Regierung hat sämtliche
ildungspolitischen Prestigeprojekte der Ministerin un-
er Vorbehalt gestellt und – vielleicht haben Sie es noch
ar nicht gemerkt – im Haushalt qualifiziert gesperrt.
Auch in der Gipfelerklärung habe ich außer ein paar
tichwortartigen Ankündigungen nichts Konkretes fin-
en können. Vielleicht können Sie in Ihrem Redebeitrag
twas dazu sagen. Frau Schavan ist für uns mittlerweile
u einer Ministerin unter Dauervorbehalt geworden.
Ich frage mich, wie viele sogenannte Bildungsgipfel
och notwendig sind, bis erstens endlich verbindliche
ereinbarungen zur Bildungsfinanzierung auf dem Tisch
iegen und wir hier zweitens endlich über konkrete bil-
ungspolitische Vorschläge dieser Regierung diskutieren
önnen. 10. Juni nächsten Jahres – das heißt gleichzei-
ig: ein halbes Jahr verlorene Zeit für die Bildung in un-
erem Land.
Schon im Sommer haben uns die Studierenden auf die
robleme in der Hochschulpolitik aufmerksam gemacht.
in halbes Jahr später ist nach unserer Ansicht die Zeit
ekommen, dass Sie nicht nur eine Problemanalyse be-
reiben, sondern endlich auch Lösungsansätze aufzeigen
ollten. Auch darauf hätten wir uns gestern auf dem Gip-
el konkrete Antworten gewünscht. Nichts davon ist zu
ören.
Die SPD-Fraktion fordert in ihrem Antrag von der
undesregierung deshalb, endlich handfeste Verbesse-
ungen für die Studierenden auf den Weg zu bringen.
wei Aspekte stehen dabei im Mittelpunkt:
Erstens. Eine gute Lehre muss an den Hochschulen
ieder den gleichen Stellenwert wie eine gute For-
chung haben.
ir sind uns einig: Nachbesserungen an den Studien-
nd Prüfungsordnungen sind unverzichtbar. Das reicht
ber nicht aus. Der Bund muss seinen Beitrag dazu leis-
en, den Bologna-Prozess auch sozial auszugestalten und
in gutes Studium in den neuen Studiengängen möglich
u machen.
Der Wissenschaftsrat hat gesagt, dass die Hochschu-
en mindestens 1 Milliarde Euro pro Jahr mehr brauchen,
m die Bologna-Reformen gut umzusetzen. Die SPD-
raktion fordert die Bundesregierung deshalb auch auf,
emeinsam mit den Ländern einen Pakt für Studienqua-
ität und gute Lehre zu vereinbaren, um diesen Mehrbe-
arf abzusichern – das heißt, 3 Milliarden Euro mehr für
ie Hochschulen in den nächsten drei Jahren.
1022 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 12. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2009
)
)
Dagmar Ziegler
Frau Schavan wird nicht müde, ihr Bologna-Qualitäts-
und Mobilitätspaket anzukündigen – natürlich erst für das
nächste Jahr und ohne zu sagen, was in diesem Paket ent-
halten sein soll. Wir sagen: Wir brauchen mehr Lehrende,
und wir brauchen eine bessere Lehre. Deshalb fordern wir
eine echte Personaloffensive an den Hochschulen – auch
bei den Juniorprofessuren und im akademischen Mittel-
bau. Wir fordern einen Exzellenzwettbewerb für die
Lehre, und wir wollen, dass die Studentinnen und Studen-
ten besser beraten und betreut werden. Dazu gehört übri-
gens auch, dass die teilweise erheblichen Defizite der so-
zialen Infrastrukturen an den Hochschulen beseitigt
werden.
Die Studierenden brauchen unter anderem bezahlbare
Wohnungen und gut ausgestattete Studentenwerke.
Zweitens. Eine verantwortungsvolle Hochschulpolitik
muss immer auch eine aktive Politik für Chancengleich-
heit sein. Sie setzen auf Selektion und Auslese statt auf
die soziale Öffnung der Hochschulen für alle. Das äußert
sich momentan erwiesenermaßen darin, dass sich der
BAföG-Beirat eben nicht auf die Höhe der notwendigen
BAföG-Anhebung einigen kann. Gewerkschaften und
Studentenwerke fordern eine spürbare Erhöhung, wäh-
rend die Bildungsministerin auf der Bremse steht. Daran
wird ganz deutlich, dass die von der Regierung angekün-
digten Schritte eben nur Trippelschritte sind und dass
beim BAföG nur Sozialkosmetik vorgenommen werden
soll.
Union und FDP wissen, dass sie ein BAföG-Schritt-
chen als Alibi brauchen, um von der Kritik an ihrer un-
sozialen Bildungspolitik abzulenken, sodass sie die so-
zialen Schieflagen in der Bildung weiter ausbauen können.
Die Lösung wäre schlicht und einfach, das Stipendienpro-
gramm ad acta zu legen, Studiengebühren abzuschaffen
und eine echte BAföG-Reform vorzulegen, mit der vor
allem die Freibeträge noch einmal deutlich aufgestockt
werden, damit die Gruppe der BAföG-Berechtigten grö-
ßer werden kann.
Ein letzter Punkt. Die von dieser Bundesregierung vo-
rangetriebene Privatisierung der Bildungsfinanzierung
ist nicht nur sozial ungerecht, sie wird auch nicht funk-
tionieren. Ich frage mich, was die Menschen neben Kita-
Gebühren und Studiengebühren noch alles bezahlen sol-
len – und jetzt verlangt Frau Schavan auch noch, dass
der Herr Meier aus Stuttgart das Stipendium für die
Tochter von Frau Müller aus Köln bezahlen soll. Erklä-
ren Sie uns, wie das gehen soll. Daran kann keiner von
Ihnen wirklich selber glauben.
Bildung ist eine öffentliche Aufgabe, und das muss
sie auch bleiben.
Vielen Dank.
s
f
b
d
H
f
i
e
w
g
S
S
u
w
W
s
t
A
O
g
z
b
d
m
b
n
d
g
E
n
m
S
V
n
u
t
t
g
W
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Vom Bil-
ungsgipfel geht ein sehr positives Signal für unsere
ochschulen, für die Lehre, für die Forschung und auch
ür den Bologna-Prozess aus.
Die Pakte sind gesichert. Gerade der Hochschulpakt
st für die Zukunft der Lehre an den Hochschulen und für
ine breitere Akademisierung unserer Bevölkerung
ichtig.
Der Bologna-Prozess ist im Prinzip richtig. Der Bolo-
na-Prozess ist die Voraussetzung für eine einheitlichere
trukturierung der Curricula in Europa. Das gestufte
tudiensystem infolge des Bologna-Prozesses ist richtig
nd wichtig, weil nur so eine breite Akademisierung, die
ir brauchen, möglich wird.
Bei der Umstellung ist vieles richtig gemacht worden.
ir sollten nicht die vielen Professorinnen und Profes-
oren, die bei dieser Umstellung Hervorragendes geleis-
et haben, desavouieren.
ber dass nach einer solchen Jahrhundertreform eine
ptimierung notwendig ist, ist völlig klar. Das von uns
eschaffene gestufte Studiensystem ist übrigens lange
uvor vom Wissenschaftsrat als die notwendige Lösung
ei einer Reform des deutschen Studiensystems gefor-
ert worden.
Ich möchte drei Punkte nennen, die mir für eine Opti-
ierung des Bologna-Systems wichtig sind. Der erste
etrifft die Qualitätssicherung. Hätten wir eine funktio-
ierende Qualitätssicherung, sprich Akkreditierung,
ann dürfte es die Probleme, die in Studiengängen auf-
etreten sind, eigentlich nicht geben.
ine Akkreditierung auf dem Papier und a priori war
icht die Lösung für den Wegfall der staatlichen Geneh-
igung. Wir brauchen eine Evaluierung im laufenden
tudienbetrieb unter Einbeziehung der studentischen
eranstaltungskritik. Das entspricht dem, was internatio-
al für Qualitätssicherung und Akkreditierung wichtig
nd üblich ist.
Notwendig ist die Einbeziehung der Fachgesellschaf-
en in das Akkreditierungs- und Qualitätssicherungssys-
em. Wir sollten den Wissenschaftsrat damit beauftra-
en, das System zu reformieren und auch eine Art
ächterrolle für dieses System zu übernehmen.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 12. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2009 1023
)
)
Minister Dr. Peter Frankenberg
Die zweite große Herausforderung ist die größere He-
terogenität der Studierenden, der wir uns heute gegen-
übersehen. Bei einem Anteil von 40 Prozent einer Al-
tersgruppe, der ein Studium aufnimmt, können wir nicht
mehr von Homogenität sprechen. Diesen Studierenden
müssen wir durch die Möglichkeit unterschiedlicher Ge-
schwindigkeiten im Studium gerecht werden. Das Stu-
dium muss in drei oder vier Jahren organisiert werden.
Es muss auch Freiräume für diejenigen geben, die nach
ihrer Neigung oder Befähigung anders studieren wollen
als die, die beabsichtigen, in drei Jahren ein Fast-Track-
Studium zu durchlaufen.
Es muss die Möglichkeit von College-Semestern, also
vorgeschalteten breiteren Studiengängen, geben, die
dann in ein spezifisches Studium führen und zu einer
besseren Orientierung und Qualifizierung der Studenten
beitragen. Dazu müssen wir Möglichkeiten wie ein Mo-
dell „1+3+1+2“ schaffen, um auch eine Studiendauer
von mehr als fünf Jahren zu ermöglichen.
Es ist richtig, dass das BAföG-System sozusagen bo-
lognalisiert wird, also an diese Struktur mit ihren Unter-
brechungen, den häufigeren Fachwechseln und der län-
geren Dauer angepasst wird.
Wir müssen auch die Frage der inneren Studienstruk-
tur angehen. Schmale Bachelorangebote sind falsch. Der
Bachelor sollte wesentlich breiter sein als das Masteran-
gebot. Die Prüfungsdichte muss dort reduziert werden,
wo Probleme aufgetreten sind. Es muss auch modulüber-
greifend geprüft werden können. Wir sollten auch be-
denken, dass vielleicht eine Kombination von studienbe-
gleitenden Prüfungen und Abschlussprüfungen ideal
wäre. Wir haben die Abschlussprüfungen durch studien-
begleitende Prüfungen ersetzt. Manchmal ist ein Stück
Tradition im besten konservativen Sinne gemischt mit
einer Neuerung die bessere Lösung als eine zu radikale
Neuerung.
Dann kommt die Frage des Bachelor-Master-Über-
gangs. Es ist sicherlich völlig unverzichtbar, dass es be-
stimmte Qualifikationsfeststellungen gibt. Wer auf diese
verzichten will, hat das Bologna-System nicht verstan-
den. Das ist kein nur konsekutives System. Es muss ein
Wechsel des Faches, der Hochschule und des Landes an-
gedacht sein. Bei dem Wechsel des Landes denke ich
nicht nur an einen Wechsel von Württemberg nach Ba-
den.
– Das ist aber ein Sprung, auf den ich jetzt nicht im De-
tail eingehen möchte.
Wir müssen das Angebot an Masterstudienplätzen
nicht reglementieren, sondern wir sollten es der befähig-
ten Nachfrage anpassen,
a
M
g
a
g
r
d
d
W
u
K
g
F
L
m
G
B
S
c
L
t
d
h
b
J
d
m
f
6
2
f
g
Eine solche planwirtschaftliche Bewirtschaftung ist
ns fremd.
Mit Bologna verhält es sich insgesamt wie mit der
irche: Bologna semper reformanda, aber im Prinzip
ut.
Vielen Dank.
Das Wort hat die Kollegin Agnes Alpers von der
raktion Die Linke.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Als
ehrerin muss ich natürlich auf den Bildungsstreik in
einer Heimstadt Bremen eingehen. Das Motto lautet:
ute Bildung für alle, und zwar sofort. So wie bei uns in
remen streiken zurzeit Schülerinnen und Schüler sowie
tudentinnen und Studenten von Greifswald bis Mün-
hen. Sie fordern eine Finanzierung für Bildung, die ihre
ern- und Ausbildungsbedingungen sofort und nachhal-
ig verbessert, und zwar für alle. Bildung darf nicht von
er sozialen Herkunft und vom Geldbeutel der Eltern ab-
ängig sein.
Auf dem gestrigen Bildungsgipfel wurde nun verein-
art, bis 2015 zusätzlich 13 Milliarden Euro in sechs
ahren in Bildung zu investieren. Das ist ein Tropfen auf
en heißen Stein. Zu diesem Schluss kommt man, wenn
an bedenkt, dass im letzten Jahr auf dem Bildungsgip-
el noch von einem Gesamtbedarf in Höhe von
0 Milliarden Euro pro Jahr gesprochen wurde, um bis
015 das Ziel, 10 Prozent des Bruttoinlandsproduktes
ür Bildung auszugeben, zu erreichen. Um Ihre mickri-
en 13 Milliarden Euro zu erreichen,
1024 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 12. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2009
)
)
Agnes Alpers
sollen jetzt auch noch Pensionsansprüche von Lehrerin-
nen und Lehrern sowie Professorinnen und Professoren
und sogar Kitabeiträge der Eltern einberechnet werden.
Meine Damen und Herren von der Union, Ihr Partei-
freund, der sächsische Kultusminister Roland Wöller
sagt – wie ich finde: treffend –: „Das sind Taschenspieler-
tricks.“
Im Bremer Bildungsstreik spielen aber nicht nur Stu-
dentinnen und Studenten sowie Schülerinnen und Schü-
ler eine Rolle. Vielmehr solidarisieren sie sich auch mit
Auszubildenden und Jugendlichen, die keinen Ausbil-
dungsplatz haben oder sich in Übergangsmaßnahmen
befinden. Ziel des Bildungsgipfels vor einem Jahr war,
viele Maßnahmen auf Bundesebene voranzutreiben. Sie
wollten beispielsweise Kampagnen starten, um Ausbil-
dungsplätze für alle zu schaffen. Übergangsmaßnahmen
sollten als Ausbildungszeit angerechnet werden. Aber
außer Spesen nichts gewesen! Da hilft es auch nicht,
wenn die Bildungsministerin in ihrer Antrittsrede erneut
davon spricht, dass die berufliche Bildung das Flagschiff
unseres Bildungssystems ist. Statt etwas für die jungen
Leute zu tun, haben Sie lieber Mikado gespielt: Wer et-
was bewegt, hat verloren.
Frau Schavan und meine Damen und Herren von der
Union, können Sie sich eigentlich vorstellen, was dies
mit jungen Leuten macht? Ich habe die Mutlosigkeit und
die Verzweiflung bei meiner Arbeit kennengelernt. Es
muss Ihnen doch zu denken geben, dass die OECD seit
Jahren beklagt, dass Deutschland seine Bildungschancen
nach sozialer Herkunft verteilt. Besonders hart sind die
Bedingungen für Jugendliche mit Migrationshinter-
grund. Die Arbeitnehmerkammer Bremen weist in ihrem
Armutsbericht 2008 nach, dass diese Jugendlichen bei
gleichem Leistungsniveau eine deutlich geringere Chance
auf einen Ausbildungsplatz haben.
Frau Schavan, mit dieser Bildungspolitik treiben Sie
die Spaltung der Gesellschaft weiter voran. Renate
Köcher schrieb gestern in der FAZ, dass nur 31 Prozent
der Menschen aus sozial benachteiligten Schichten „an
die Möglichkeit glauben, durch Leistung die eigene Lage
zu verbessern“. Das ist ein Alarmsignal. Investieren Sie end-
lich mindestens 13 Milliarden Euro pro Jahr! 13 Milliarden
Euro auf sechs Jahre verteilt, das ist doch nur ein durch-
sichtiges Angebot an die Länder, damit sie morgen dem
Wachstumsbeschleunigungsgesetz zustimmen.
Vielen Dank.
Frau Kollegin Alpers, ich gratuliere Ihnen zu Ihrer
ersten Rede im Deutschen Bundestag. Herzlichen
Glückwunsch!
N
K
m
k
l
D
s
f
S
r
ü
s
W
t
„
e
s
h
M
i
f
a
f
d
s
6
t
g
M
f
A
d
s
R
s
z
s
g
b
d
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
ollegen! Sehr geehrter Herr Professor Frankenberg, ich
öchte mich ganz ausdrücklich für Ihren Beitrag bedan-
en, der die Diskussion über dieses Thema deutlich qua-
ifiziert hat.
Die Koalition und die Opposition vereint ein Ziel:
eutschland zur Bildungsrepublik zu machen. Das las-
en die drei vorliegenden Anträge aus den Oppositions-
raktionen auf den ersten Blick vermuten, aber der
chein trügt. In Ihren Anträgen, meine Damen und Her-
en von der Opposition, formulieren Sie Feststellungen
ber den angeblichen Zustand des deutschen Bildungs-
ystems. Diese Feststellungen werden aber von der
irklichkeit nicht bestätigt. Dies hat nicht zuletzt die ak-
uelle Veröffentlichung des Statistischen Bundesamtes
Hochschulstandort Deutschland 2009“, wie ich finde,
indrucksvoll belegt.
Erstens. Die Studienanfängerquote ist mit 43 Prozent
o hoch wie nie zuvor.
Zweitens. Es gibt keinen systematischen Zusammen-
ang zwischen allgemeinen Studiengebühren und dem
obilitätsverhalten der Studienanfänger. Das heißt, es
st entgegen Ihren Behauptungen kein Abschreckungsef-
ekt erkennbar.
Drittens. Die durchschnittliche Studiendauer hat sich
uf 9,6 Fachsemester verkürzt, zum einen durch die Ein-
ührung des Bachelorstudiums, zum anderen aber auch
urch die Einführung von Studiengebühren für Langzeit-
tudenten.
Viertens. Die Erfolgsquoten sind mit durchschnittlich
8 Prozent noch gering, aber – auch das zeigen die statis-
ischen Zahlen – die höchsten Quoten liegen bei Studien-
ängen mit Zulassungsbeschränkungen wie zum Beispiel
edizin oder bei Studiengängen, die einem Auswahlver-
ahren an den Hochschulen unterliegen. Das heißt, mehr
utonomie der Hochschulen kann für eine bessere Stu-
ienorganisation sorgen, ein Weg, den wir weiter be-
chreiten werden.
Ich will hier nichts schönfärben, aber wir sollten die
ealität zur Kenntnis nehmen. Die ist eben nicht
chwarz-weiß oder, wenn ich es auf das Parlament be-
iehe, rot-grün. Bevor wir die Bologna-Reform vor-
chnell verteufeln und zum Sündenbock für eine als un-
erecht empfundene Hochschulpolitik abstempeln,
licken wir doch einmal zehn Jahre zurück. Es waren
och die allseits beklagten Mängel des alten Studiensys-
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 12. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2009 1025
)
)
Dr. Martin Neumann
tems, dass die Durchschnittszahlen bei 13 bis 14 Semes-
tern lagen, dass eine Abbruchquote von über 30 Prozent
bestand und dass die Hochschulabsolventen mit durch-
schnittlich 28 Jahren im weltweiten Vergleich viel zu alt
waren. Hier hat Bologna angesetzt, und zwar, wie ich
meine, mit Erfolg.
Dieser Prozess ist noch lange nicht abgeschlossen. Aber
ein Zurück wäre ganz bestimmt kein Schritt in Richtung
Bildungsrepublik. Dort wollen wir doch alle hin. Wir als
FDP erwarten, dass jeder seine Hausaufgaben macht.
Eine echte Bildungspartnerschaft – die ist Bedingung für
eine Bildungsrepublik Deutschland – ist eine gemein-
same Anstrengung von Bund, Ländern, Kommunen und
vor allem den Hochschulen, die sich dem Umstellungs-
prozess stellen müssen, der von der Politik zu begleiten
ist.
Die Kritik an Bologna, wie sie auch in den Studenten-
protesten häufig zu hören ist, ist nur teilweise berechtigt.
Wenn die Studierenden zum Beispiel eine Verschulung
und Überfrachtung des Studiums sowie eine zu hohe Ar-
beitsbelastung beklagen, dann ist das nur bedingt dem
Bologna-Prozess zuzuschreiben. Gerade die Hochschu-
len haben es doch in der Hand, mit ihren Prüfungsord-
nungen die Belastungen ihrer Studierenden zu steuern.
Diese sind nach meinen eigenen Erfahrungen nur unwe-
sentlich höher, als sie es bei den Diplomstudiengängen
schon waren. Die Hochschulen haben es in der Hand,
über Zulassungsverfahren und Kapazitätsplanungen eine
Überfüllung der Hörsäle zu vermeiden.
Dass hier die Länder maßgeblich den Erfolg von Bo-
logna beeinflussen können, zeigt nicht nur das Positiv-
beispiel Nordrhein-Westfalen. Es gibt auch eine andere
Richtung. Ich schaue da nur auf mein Heimatland Bran-
denburg, wo die SPD ununterbrochen seit 1990 regiert
und wo die rot-rote Mehrheit erst gestern im Landtag be-
schlossen hat, dass die Lage an den Hochschulen im
Land in einem mehrmonatigen Prozess zunächst einmal
bewertet werden soll, um dann frühestens im vierten
Quartal – man höre! – 2010 eventuell eine Änderung
herbeizuführen,
und das angesichts des schlechten Betreuungsverhältnis-
ses zwischen Dozenten und Studenten an den Branden-
burger Universitäten von 1 : 21,1 im Vergleich zum Bun-
desdurchschnitt von 1 : 17,6.
Es verwundert mich schon, dass Sie die Bundesregie-
rung hier zu schnellem Handeln auffordern und die Stu-
denten dort, wo Sie selbst in der Regierungsverantwor-
tung sind, unnötig hinhalten.
– Liebe Frau Ziegler, die Brandenburger SPD-Wissen-
schaftsministerin, Ihre Parteifreundin, wird heute in der
Schweriner Volkszeitung zitiert, viele Befürchtungen der
Studenten seien „nicht durch Fakten untersetzt“. In die-
ser Einschätzung liegt viel Wahres. Vielleicht sollten Sie
e
b
B
K
d
b
w
d
s
g
S
c
s
n
s
F
u
S
g
d
w
r
w
B
k
k
ie beschreibt eine Situation nach ihrem Blickwinkel.
Wir wollen Deutschland zur Bildungsrepublik ma-
hen. Wir handeln auch so und belassen es nicht bei un-
eriösen Anträgen, deren Aussagen die Wirklichkeit
icht widerspiegeln, sondern in denen Sie ganz offen-
ichtlich einigen Studenten mit ideologisch begründeten
orderungen nach dem Munde reden.
Ich komme zum Schluss. Es wäre aus meiner Sicht
nsozial, wenn wir den Familien nicht mit einem fairen
teuersystem mehr Geld für die Ausbildung ihrer Kinder
eben würden. Es wäre unsozial, wenn wir 10 Prozent
er Studierenden ein Stipendium verweigern würden. Es
äre unsozial, wenn wir Schülern aus finanzschwäche-
en Familien nicht vor Ort mit Bildungsschecks helfen
ürden, die besten Förderangebote zu erhalten.
Also: Fordern Sie nicht nur! Kritisieren Sie nicht nur!
eenden Sie vor allem Ihre ideologischen Klassen-
ämpfe, und schärfen Sie Ihre Sinne für die Wirklich-
eit!
Ich bedanke mich.
1026 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 12. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2009
)
)
Das Wort hat der Kollege Kai Gehring von der Frak-
tion Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Herr Neumann, Sie haben recht. Es geht immer mit der
Betrachtung der Realität los. Deshalb freue ich mich,
dass FDP, Union und Grüne heute im Saarländischen
Landtag gemeinsam die Abschaffung der unsozialen
Studiengebühren beantragt haben.
Im Sinne der Wahrnehmung der Wirklichkeit möchte
ich sehr deutlich sagen, dass man die heutige Debatte
ohne eine kritische Bewertung des gestrigen Bildungs-
gipfels II nicht führen kann. Auf dem Treffen von Kanz-
lerin, Bundesministerin und Ministerpräsidenten der
Länder hätten Konsequenzen aus den Bildungsstreiks
gezogen werden können und müssen. Das Treffen hat
aber nur einen Titel verdient: Der Berg kreißte und gebar
noch nicht mal eine Maus.
Die Bildungsrepublik ist gestern zum Märchenland von
Merkel und Schavan geworden. Sich von Gipfel zu Gip-
fel zu vertagen, ohne verbindliche Lösungen zu liefern,
ist kein Meilenstein für eine bessere und gerechtere Bil-
dung, sondern ein Armutszeugnis für die Bundesregie-
rung und eine schlechte Nachricht für die Zukunftsper-
spektiven von Schülern und Studierenden.
Die Koalition sollte sich etwas anderes in den Advents-
kalender schreiben: Eine Bildungsrepublik lässt sich
nicht auf Steuersenkungen, Statistiktricks und Machtge-
schacher mit den Ländern aufbauen. Mit Schönrechnen,
Tricksen und Schachern haben Bund und Länder gestern
auf die völlig unterdurchschnittlichen Bildungsinvesti-
tionen in Deutschland geantwortet. Aus unserer Sicht ist
es geradezu unanständig, die jährlich 23 Milliarden Euro
große Finanzierungslücke zum OECD-Durchschnitt klein-
zutricksen, indem unter anderem Pensionen von Lehrern
und Professoren und fiktive Mietkosten für Grundstücke
und Gebäude einfach zum Bildungsbudget hinzuaddiert
werden. Liebe Kolleginnen und Kollegen der Koalition,
mit Bilanzfälschung lassen sich Unterfinanzierung, Un-
gerechtigkeiten und Blockaden in unserem Bildungssys-
tem sicherlich nicht beheben.
5
a
h
d
v
m
S
z
a
s
h
E
e
d
e
S
S
t
r
t
s
I
r
d
g
S
u
D
n
b
K
B
w
p
u
W
o
z
l
N
A
s ist hier schon angesprochen worden, aber man muss
s Ihnen immer wieder sagen: Es ist ein Armutszeugnis,
ass die Koalition lieber Hotelbetten subventioniert, statt
ine verbindliche Zahl von Studienplätzen aufzubauen.
ie handeln damit fahrlässig. Wenn man noch die neuen
chulden in Höhe von 100 Milliarden Euro berücksich-
igt, muss man feststellen, dass Sie das Prinzip der Gene-
ationengerechtigkeit ganz offensichtlich in die Tonne
reten.
Wir als Grüne haben ein Paket an Maßnahmen ge-
chnürt, mit dem der Bildungsaufbruch gelingen kann.
m Gegensatz zu Ihnen haben wir auch einen Finanzie-
ungsvorschlag gemacht. Wir wollen unter anderem,
ass der Soli Ost schrittweise in einen Bildungssoli um-
ewandelt werden soll. Mit diesem Bildungssoli könnten
ie konsequent in Bildungseinrichtungen investieren
nd damit einen gesamtstaatlichen Kraftakt stemmen.
arauf hätten Sie sich gestern auch verständigen kön-
en.
Wo wir gerade beim gesamtstaatlichen Bildungsauf-
ruch sind, möchte ich sehr deutlich sagen: Das absurde
ooperationsverbot zwischen Bund und Ländern bei der
ildung, das in der Föderalismusreform I festgeschrieben
urde, muss endlich wieder fallen; denn es hat bildungs-
olitische Kleinstaaterei und Flickenteppiche gebracht
nd solches Geschacher wie gestern hervorgerufen.
enn selbst Frau Schavan in einem Interview dieses Ko-
perationsverbot mittlerweile ganz klar als Fehler be-
eichnet, sollte Schwarz-Gelb diesen Fehler unverzüg-
ich korrigieren. Dann kann man das bildungspolitisch
otwendige in diesem Land auch besser anpacken.
Wir fordern in unserem Antrag unter anderem, den
usbau von Ganztagsschulen mit einem neuen Ganz-
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 12. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2009 1027
)
)
Kai Gehring
tagsschulinvestitionsprogramm im neuen Jahr fortzuset-
zen. Wir wollen einen echten Pakt für Studierende.
Hierdurch sollen 500 000 Studienplätze geschaffen,
bessere Lehr- und Studienbedingungen gefördert und
die Bologna-Reform korrigiert werden. Ein wichtiges
Anliegen ist uns auch die Stärkung der staatlichen Stu-
dienfinanzierung, das heißt eine sofortige BAföG-Erhö-
hung statt eines völlig vagen Stipendienprogramms, ein
mittelfristiger Ausbau der Studienfinanzierung zu ei-
nem Zwei-Säulen-Modell sowie die Abschaffung von
Studiengebühren. Das alles sind wichtige Vorschläge,
die die Koalition aufgreifen könnte, um die skandalöse
Bildungsspaltung in unserem Land tatsächlich zu behe-
ben. In diesem Sinne freue ich mich auf weitere Debat-
ten über unsere Anträge sowohl im Ausschuss als auch
vor Ort in den Audimaxen dieser Republik.
Vielen Dank.
Als letztem Redner zu diesem Tagesordnungspunkt
erteile ich das Wort dem Kollegen Dr. Thomas Feist von
der CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren!
Liebe Bildungsfreunde!
Im Wesentlichen lässt sich zu den uns hier vorliegenden
Anträgen Folgendes sagen: Erstens. Sie sind ihrem We-
sen nach nicht neu. Zweitens. Sie sind ihrem Inhalt nach
nicht besonders innovativ. Drittens. Sie sind in ihren Be-
gründungen zumindest teilweise recht originell. – Origi-
nell ist es allerdings nicht, dass es offenbar der Reflex
auf öffentliche Diskussionen der letzten Wochen ist, der
die Opposition zu diesen Anträgen geführt hat. Hilfrei-
cher als derart reflexartige Handlungen wäre es, halb-
gare Bildungskonzepte nicht erst dann aus dem Hut zu
zaubern, wenn sich auf der Flamme öffentlicher Diskus-
sion daraus das eigene politische Süppchen kochen lässt.
Es erstaunt mich nicht, dass die Aussagen des Koali-
tionsvertrages zu konkreten Maßnahmen wie Bildungs-
bündnissen vor Ort, dem Ausbau der Bildungsfinanzie-
rung und dem Primat schulischer Qualität von den
Antragstellern offenbar nicht zur Kenntnis genommen
wurden.
Das ist der Blickwinkel der Opposition, das ist nicht an-
ders zu erwarten.
Es erstaunt zumindest teilweise, dass unter der Über-
schrift „Bildungspolitik“ in allen drei Anträgen fast aus-
schließlich Aussagen zur Sozialpolitik zu finden sind.
I
g
m
d
Q
m
k
s
A
P
E
g
g
u
ü
b
E
s
d
f
f
–
s
o
j
i
w
a
I
d
e
n
v
z
z
U
e
t
k
S
a
Wirklich erstaunlich ist der Umstand, dass in keinem
er Anträge etwas dazu steht, wie eine Erhöhung der
ualität von Bildung erreicht werden kann. Es darf zu-
indest bezweifelt werden, dass dies durch eine Absen-
ung oder gar durch den Wegfall jeglicher Zugangsbe-
chränkungen zum Studium oder durch die in den
nträgen ausführlich beschriebenen Rundum-sorglos-
akete für Abiturienten möglich ist.
benso unwahrscheinlich ist es, dass der in allen Anträ-
en beschworene Standortvorteil durch fehlende Studien-
ebühren dem Standortvorteil durch exzellente Lehre
nd Forschung bei gleichzeitig erhobenen Gebühren
berlegen ist. Den Beweis dafür sind Sie schuldig ge-
lieben.
in Weiteres kommt hinzu: Die in den Anträgen be-
chworene Zwangsläufigkeit der Aufnahme eines Stu-
iums nach abgelegtem Abitur widerspricht der Wahl-
reiheit des Einzelnen,
ür die Sie doch sonst immer so vehement eintreten. Fast
aber nur fast – könnte man meinen, Sie instrumentali-
ieren Studierende für Ihre eigenen politischen Zwecke,
hne tatsächlich an den jeweiligen Bildungsbiografien
unger Menschen interessiert zu sein.
Zu den einzelnen Anträgen. Der Vorschlag der SPD
st geradezu visionär, und man müsste dazu gratulieren,
enn er nicht unlängst von der bildungspolitischen Re-
lität überholt worden wäre. Es ist schade für die Pointe
hres Antrages, dass mittlerweile bereits ein Großteil
essen eingelöst ist, was Sie fordern, und dies, ohne dass
in Pakt – in welcher Form und von wem auch immer –
otwendig gewesen wäre.
Mit der Anpassung der ländergemeinsamen Struktur-
orgaben hat die Kultusministerkonferenz vom 10. De-
ember dieses Jahres einen ganz wesentlichen Beitrag
ur Beseitigung bestehender Fehlentwicklungen bei der
mstellung der Studiengänge geleistet. Die Regelstudi-
nzeiten werden demzufolge flexibilisiert, und Mobili-
ätsfenster innerhalb des Studiums gewährleisten zu-
ünftig die erforderlichen Zeiträume für Aufenthalte der
tudierenden an anderen Hochschulen.
Der Vorschlag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen,
us dem Solizuschlag einen Bildungssoli zu machen, ist
1028 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 12. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2009
)
)
Dr. Thomas Feist
– so stellt er sich nach außen dar – der wirklich große
Wurf, die geniale Eingebung, auf die wir und die Bil-
dungslandschaft im Besonderen schon immer gewartet
haben.
Schade ist nur, dass er eines völlig außer Acht lässt, dass
nämlich noch nie mehr Geld für Bildung bereitgestellt
wurde als heute.
Zu einer zukunftsfähigen finanziellen Ausstattung der
deutschen Bildungslandschaft gehört allerdings auch, die
richtigen Prioritäten zu setzen. Hier hat die Koalitionsre-
gierung konkrete Vorschläge unterbreitet. Sie lauten:
BAföG-Erhöhung, Stipendiensystem und Bildungsspa-
ren. Die vom Bundesministerium für Bildung und For-
schung selbst eingesetzten Sperrvermerke sind für mich
ein gutes Signal, dass das Parlament angemessen an den
weiteren Entscheidungen beteiligt wird.
Das in gewohnt klassenkämpferischer Manier ver-
fasste Papier der Linken lasse ich an dieser Stelle un-
kommentiert.
Breiten wir so kurz vor Weihnachten den großen Mantel
der christlichen Nächstenliebe darüber.
Abschließend möchte ich noch kurz auf die Studen-
tenproteste eingehen. Es ist wichtig, dass wir als Bil-
dungspolitiker auch weiterhin mit denjenigen Studenten-
vertretern im Gespräch bleiben, für die der Begriff
„konstruktiver Dialog“ keine Kapitulationserklärung an
das System, sondern Grundlage allen Streits um eine
kontinuierliche Verbesserung unserer Bildungsland-
schaft ist. Hierbei muss erstens gelten: gleiche Chancen
für alle statt Gleichmacherei, und zweitens müssen Ver-
antwortung des Staates und persönliche Verantwortung
des Einzelnen sich ergänzen.
Noch wichtiger ist allerdings, dass sich die Opposition
nicht in einer Debatte über Pakte verzettelt, sondern mit
Blick auf eine gute Bildung in unserem Land mit an-
packt. Handlungsfelder dafür bieten sich in den bil-
dungspolitischen Aktivitäten der jetzigen Bundesregie-
rung zuhauf. Neben der schon erwähnten Erhöhung der
Bedarfssätze und Freibeträge sowie der Anhebung der
Altersgrenze beim BAföG ist hier auch die erhebliche
Steigerung der Investitionen in Bildung und Forschung,
in die Zukunft und in die Menschen in diesem Lande zu
nennen.
Zusammengefasst wäre es für die Bürger unseres
Landes ein wichtiges Signal, wenn die Opposition sich
fürderhin auf konstruktive Äußerungen zur Bildungs-
politik beschränkt und die Gesetze zur Verbesserung der
Studienrahmenbedingungen und der Studienfinanzie-
r
m
m
d
d
d
g
D
A
d
s
n
d
K
s
Übertragung der bundeseigenen Seengewässer
auf die neuen Länder
– Drucksache 17/238 –
Überweisungsvorschlag:
Haushaltsausschuss
Innenausschuss
Rechtsausschuss
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für Tourismus
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Dr. Dagmar Enkelmann, Dr. Kirsten Tackmann,
Dr. Gesine Lötzsch, weiterer Abgeordneter und
der Fraktion DIE LINKE
Keine Privatisierung von Äckern, Seen und
Wäldern
– Drucksache 17/239 –
Überweisungsvorschlag:
Haushaltsausschuss
Innenausschuss
Rechtsausschuss
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für Tourismus
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
ussprache eine halbe Stunde vorgesehen. Gibt es Wi-
erspruch? – Das ist nicht der Fall. Dann ist das so be-
chlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Red-
er das Wort dem Kollegen Hans-Joachim Hacker von
er SPD-Fraktion.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
ollegen! Die Praxis der Seenverkäufe durch die BVVG
chlägt hohe Wellen, um es einmal bildhaft darzustellen,
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 12. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2009 1029
)
)
Hans-Joachim Hacker
zum Beispiel rund um den Malchiner See. Mitten im
wunderschönen Naturpark Mecklenburgische Schweiz
gelegen, bietet der Malchiner See auf mehr als acht Kilo-
metern Länge vielen Menschen einen Raum für Erho-
lung und für Tourismus. Wenn der Winter kommt – wir
hoffen das immer noch –, ist er ein Ort zum Eislaufen.
Aber auch bei Anglern und Eisseglern ist dieser See sehr
beliebt. Das ganze Jahr über fahren Angeltouristen an
diesen See, um einen Hecht, einen Zander oder einen
Aal zu fangen. Das alles könnte in Gefahr geraten, wenn
die Privatisierung der bundeseigenen Seengewässer wie
bisher fortgesetzt wird. Die SPD-Bundestagsfraktion hat
deswegen diesen Antrag eingebracht mit dem Ziel, die
betreffenden Seengewässer auf die neuen Länder, kon-
kret: auf die Länder Brandenburg und Mecklenburg-Vor-
pommern, zu übertragen und – solange dies noch nicht
geschehen ist – die öffentliche Ausschreibung zu stop-
pen.
Wie kommt es zu dieser Privatisierung, zu den Ver-
käufen von Seengewässern? Ich rufe in Erinnerung: Mit
der deutschen Einheit sind dem Bund diese Seen zuge-
fallen. Ungefähr 14 000 Hektar Gewässerflächen sind
bereits verkauft worden. Wir müssen sicherstellen, dass
Touristen und Erholungssuchende, Angler und Fischer,
die dort gewerbsmäßig arbeiten, freien Zugang zu diesen
Seen behalten. Ein weiterer Verkauf von Seengewässern
nach Marktbedingungen führt dazu, dass diese Flächen
der Allgemeinheit nicht mehr zugänglich sind.
Es muss ein Verfahrensweg gefunden werden, mit dem
dies verhindert wird. Diesem Ziel dient unser Antrag.
Unser Antrag zielt darauf ab, die Übertragung des Ei-
gentums auf die jeweiligen Länder zu ermöglichen, und
zwar unentgeltlich. Ich bin optimistisch, dass dieser Vor-
schlag, der im Antrag enthalten ist, bei den Ländern auf
große Zustimmung stoßen wird. Ich denke in diesem Zu-
sammenhang an eine Debatte im Schweriner Landtag, in
der sich alle Fraktionen für diesen Weg ausgesprochen
haben, Herr Kollege Rehberg.
Ich erinnere daran, dass diese Thematik auch Gegen-
stand der Beratungen im Bundesrat sein wird. Ich zeige
Ihnen morgen gerne einen Brief Ihrer ehemaligen Kolle-
gen aus der CDU-Landtagsfraktion, die mich ausdrück-
lich aufgefordert haben, mich in diesem Sinne im Bun-
destag zu engagieren.
Ich bin froh, dass ich bei der CDU in Mecklenburg-Vor-
pommern Unterstützung für diesen Antrag gefunden
habe. Ich freue mich darauf, wenn sich die Kollegen der
CDU aus Mecklenburg-Vorpommern heute klar positio-
nieren und für diesen Antrag stimmen.
U
d
r
n
D
g
R
m
w
e
u
l
v
z
g
G
u
v
l
w
m
d
n
s
I
l
r
t
s
e
d
A
C
K
F
tu
n
i
u
m
g
d
n
w
h
Der Antrag greift wichtige Aspekte des Natur- und
mweltschutzes auf, die verloren gehen würden, wenn
ie Verkaufspraxis so fortgeführt würde. Ich erinnere da-
an, dass viele Menschen, die in Regionen leben, in de-
en Seen privatisiert werden sollen, tief betroffen sind.
em Petitionsausschuss des Deutschen Bundestages lie-
en Petitionen mit über 84 000 Unterschriften vor, Herr
ehberg. Ich würde es als ein Zeichen der Wahrneh-
ung von Mitwirkungsrechten der Bürger ansehen,
enn dieses Bürgeranliegen ernst genommen wird, dem-
ntsprechend die Privatisierungspolitik gestoppt wird
nd mit einem Gesetz, das wir einfordern, eine Neurege-
ung geschaffen wird. Die Länder in Deutschland sind
erpflichtet, europäisches Recht umzusetzen, das heißt,
ur Gewässerreinhaltung und zu einer ökologisch günsti-
eren Gewässerbilanz beizutragen. Schon das hat viel
eld gekostet, und es kostet noch mehr Geld. Es wäre
nverantwortlich, wenn die Gewässer, in die bereits in-
estiert worden ist, jetzt nicht mehr öffentlich zugäng-
ich wären, wenn diese der öffentlichen Hand entzogen
ürden.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie uns ge-
einsam die bisherige Privatisierungspolitik der BVVG,
ie eine gesetzliche Grundlage hat – das will ich gar
icht in Zweifel ziehen –, überdenken und in den Aus-
chussberatungen einen Weg finden, diese Regelung im
nteresse von Mensch und Natur zu überarbeiten. Wir
eisten damit den Interessen von Anglern, Fischern, Tou-
isten und Badebesuchern und nicht zuletzt den Genera-
ionen, die nach uns diese Gewässer nutzen möchten und
ich dort an der Tier- und Pflanzenwelt erfreuen wollen,
inen Dienst.
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit, verbun-
en mit der Einladung zu einer guten Beratung in den
usschüssen.
Das Wort hat der Kollege Norbert Brackmann von der
DU/CSU-Fraktion.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
ollegen! Die Privatisierung ehemals volkseigener
lächen durch die Bodenverwertungs- und -verwal-
ngs GmbH, die BVVG, erregt derzeit einige Gemüter,
icht nur die der SPD und der Linken. Aber geht es hier
m Kern wirklich um die Frage der Privatisierung, also
m die Form des Eigentumsübergangs? Sowohl die For-
ulierungen in Ihren Anträgen als auch die Ausführun-
en des Kollegen Hacker eben deuten auf etwas ganz an-
eres hin. Es geht im Kern um zwei andere Fragen,
ämlich um die der sozialverträglichen Nutzung des er-
orbenen Eigentums und um die Frage des Preises; das
aben Sie eben angesprochen.
1030 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 12. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2009
)
)
Norbert Brackmann
Zunächst zur sozialverträglichen Nutzung. In den An-
trägen – der Brandenburger Landesverband des BUND,
die Linkspartei und der Verein „pro Mellensee“ haben
eine entsprechende Petition eingereicht, auf die Sie eben
hingewiesen haben – wird darauf ausdrücklich hinge-
wiesen; denn sie enthalten die Kernforderung, Seen als
Allgemeingut zu erhalten und den öffentlichen Zugang
zu den Seen auch künftig sicherzustellen. Diese Ziele
sind in der Tat schützenswert. Eine Privatisierung kann
nicht in Widerspruch zu dem Gemeinnutz dort stehen.
Insofern ist bei einer Privatisierung dieser Gemeinnutz
sicherzustellen.
Es gibt bei Privatisierungen immer dieselben Be-
fürchtungen.
Tatsächlich haben sich diese Befürchtungen bisher aber
fast nie realisiert. Es wurde der Fall Wandlitzsee ange-
sprochen. Dieser Fall liegt nun fünf Jahre zurück. Das
Ganze war überhaupt nur möglich, weil es im branden-
burgischen Landesrecht in dieser Hinsicht eine Lücke
gab, die im Übrigen in der Zwischenzeit gefüllt wurde.
– Das kommt noch hinzu. Aber hier bestand auf Landes-
ebene eine Rechtslücke. Das war vor fünf Jahren.
Die vom Bund beauftragte BVVG lässt sich beim
Verkauf von Wasserflächen nämlich nicht allein von der
Erlösmaximierung leiten. Schon heute werden Seen zu-
nächst der Kommune angeboten. Kauft diese nicht, wird
geklärt, welche Sozialverträglichkeit dort gefordert wird.
Es wird vertraglich sichergestellt, dass schützenswerte
Interessen der Allgemeinheit berücksichtigt werden.
Dies können zum Beispiel Anlagen sein, die der Freizeit
und Erholung oder touristischen Zwecken dienen oder
die öffentliche Zugänge zu den Seen sichern.
Darüber hinaus untersteht der Gemeingebrauch von
Seen nach Maßgabe vieler Landesgesetze – egal ob es
die Landeswassergesetze, die Wegegesetze oder die
Forstgesetze sind – einem besonderen Schutz. Auch je-
der Privateigentümer muss diesen Gemeinnutz an sei-
nem Eigentum dulden. Ich habe es eben bereits gesagt:
Auch im Falle des Wandlitzsees ist dies in der Zwischen-
zeit im Rahmen einer neuen gesetzlichen Regelung des
Landes Brandenburg geschehen
Erst wenn eine Kommune Seenflächen nicht erwirbt
und diese fischereiwirtschaftlich genutzt werden, wird
mit den Fischern verhandelt. Erst danach schreibt die
BVVG diese Seenflächen aus.
Auch in diesen Fällen gelten die genannten gesetzlichen
Vorschriften. Folgendes soll nicht verschwiegen werden:
Bisher sind über 3 000 Hektar unentgeltlich auf die
NABU-Stiftung Nationales Naturerbe übertragen wor-
d
m
n
k
Ü
K
g
u
d
h
L
g
r
w
z
D
d
g
V
D
f
a
s
d
t
r
s
p
m
l
u
d
G
L
d
z
d
d
w
a
p
l
Dennoch – Sie haben es eben angesprochen – fordert
un der Landtag Mecklenburg-Vorpommern im Ein-
lang mit den hier gestellten Anträgen eine kostenlose
bertragung der Seen. Damit komme ich zum zweiten
ritikpunkt, zur Frage des Preises. Die BVVG hat den
esetzlichen Auftrag, zu privatisieren,
nd wird damit im Interesse des Allgemeingutes tätig;
enn sie erlöst damit Einnahmen, die dem Bundeshaus-
alt zugutekommen. Gerade Sie von der SPD und der
inken bringen immer wieder neue Anträge ein, die aus-
abenwirksam sind. Dort, wo man Einnahmen generie-
en kann, wollen Sie sich zurückhalten. Dies ist ein
idersprüchliches Verhalten.
Aber auch wir wollen gar nicht verhehlen, dass es
um Teil Unmut über die Privatisierungspraxis gibt.
eswegen müssen neue Antworten gefunden werden;
as ist gar keine Frage. Die Lösung muss aber in einem
erechten Interessenausgleich und kann nicht in einem
erschenken von Bundesvermögen liegen.
eshalb muss die BVVG ihr mehrstufiges Verkaufsver-
ahren zukünftig weiter verfeinern. Dazu gehört unter
nderem, dass sie zunächst einmal mit Kommunen, Fi-
chereipächtern und Naturschutzeinrichtungen verhan-
elt. Das sollte sie nicht auf der Basis von Höchstpreisen
un – hier hat sich in der Vergangenheit eine preistreibe-
ische Wirkung entfaltet, die nicht nur positiv war –,
ondern künftig auf der Basis von Verkehrswerten, die
er Gutachten ermittelt werden. Wenn es um Seen geht,
uss man die Ertragswerte zugrunde legen, um tatsäch-
ich zu realistischen Preisen verkaufen zu können.
Wenn ich hier von „Kommunen, Fischereipächtern
nd Naturschutzeinrichtungen“ spreche, heißt das nicht,
ass Länder keine Erwerbsmöglichkeit haben sollen.
erade mit Blick auf den Beschluss des Schweriner
andtages kann ich hier sogar ausdrücklich erklären,
ass auch ein Paketerwerb möglich ist, aber eben nicht
um Nulltarif. Angesichts der schwierigen Finanzlage
er Länder können wir zwar Verständnis für den Wunsch
er Länder haben, kein Geld in die Hand zu nehmen,
eil sie das vielleicht nicht können, ohne neue Kredite
ufzunehmen; aber wenn ein Landtag einstimmig den
olitischen Willen dazu formuliert, muss es doch mög-
ich sein, einen Flächentausch durchzuführen: Durch ei-
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 12. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2009 1031
)
)
Norbert Brackmann
nen Tausch von Acker- oder Forstflächen gegen Seenflä-
chen könnten die Länder zu einem vernünftigen
Ergebnis kommen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, unser Ziel heißt des-
halb: fairer Interessenausgleich statt Verschenken von
Bundesvermögen.
Danke schön.
Herr Kollege Brackmann, ich gratuliere auch Ihnen
im Namen des ganzen Hauses zu Ihrer ersten Rede im
Deutschen Bundestag.
Das Wort hat jetzt die Kollegin Dr. Dagmar Enkelmann
von der Fraktion Die Linke.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Fast
20 Jahre nach der Wiedervereinigung holen uns die Ge-
burtsfehler erneut ein. Einer der Geburtsfehler ist tat-
sächlich der Umgang mit dem einstigen Volkseigentum.
Das Volkseigentum umfasste Unternehmen, Betriebe,
Wohngebäude – zum Teil in einem schlechten Zustand –,
aber auch Seen, Wälder, Forste und landwirtschaftliche
Flächen.
Ich möchte einen kurzen historischen Diskurs ma-
chen: Die letzte Volkskammer hat 1990 das Treuhandge-
setz – das Gesetz zur Privatisierung und Reorganisation
des volkseigenen Vermögens – beschlossen. Dieses Ge-
setz wurde eins zu eins in den Einigungsvertrag über-
nommen. Damit wurde aus Volkseigentum Bundesver-
mögen.
Im Kern ging es zunächst um die Betriebe. Das war völ-
lig richtig. 1992 wurde dann als Geschäftsbesorger für
Grund und Boden, Wälder und Seen usw. die Bodenver-
wertungs- und Verwaltungs GmbH mit dem klaren ge-
setzlichen Auftrag zur Privatisierung des Vermögens ge-
gründet. Das Volkseigentum sollte also meistbietend
verscherbelt werden. Circa 4 Milliarden aus diesem Ver-
mögen sind inzwischen in den Bundeshaushalt geflos-
sen.
Ich danke für das Beispiel Wandlitzsee. Dieses Bei-
spiel würde ich gerne aufnehmen, denn er liegt in mei-
nem Wahlkreis. Auch der Wandlitzsee ist meistbietend
verscherbelt worden. Er ist keine kleine Pfütze, sondern
ungefähr 500 Fußballfelder groß. Er ist ein Riesensee
mit einer 1-a-Wasserqualität. Zunächst wurde er der
K
L
a
e
n
k
k
e
e
w
h
d
g
l
K
c
a
S
h
m
g
g
d
e
r
m
d
S
m
D
d
t
e
c
d
h
l
M
v
n
g
l
w
w
d
s
)
)
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-
ren! Worüber reden wir hier? Wir reden über die Privati-
sierung von Seen als letzte Konsequenz. Bevor Seen in
die Auktion gehen, werden zuerst gefragt: erstens die
Anrainerkommunen,
zweitens die Fischereipächter,
drittens die Naturschutzorganisationen.
Sie haben ein Vorkaufsrecht.
Sie können die Seen zu einem Preis erwerben, der in der
Auktion später nicht möglich ist. Ein Verkauf an Privat
kommt somit nur als letzte Konsequenz infrage.
Aber auch dann haben die Kommunen natürlich noch ein
Mitspracherecht bei den Verkaufsverhandlungen, in de-
nen zum Beispiel die Zugänglichkeit eingeplant werden
kann.
Das Problem, das Sie ansprechen, relativiert sich ein
wenig. Es ist aber dennoch wichtig; denn Seen sind na-
türlich ein ganz wichtiges Naturschutzgebiet.
Sie sind außerordentlich wichtig für die regionale Identi-
tät. Sie sind Lebensraum für Tiere, für Pflanzen, manch-
mal auch für Angler.
Mithin müssen wir die Zugänglichkeit zu den Seen ga-
rantieren.
Die Opposition will die Seen an die Länder und Kom-
munen, wenn man das so sagen möchte, verschenken.
Das hört sich gut an. Was aber ist die Folge davon?
Erstens. Haben wir aufgrund unserer Verantwortung
gegenüber dem Steuerzahler überhaupt das Recht – das
wurde schon angesprochen –, Seen zu verschenken?
H
k
d
v
S
e
s
S
h
d
W
s
a
s
E
s
e
S
b
A
T
v
b
G
d
e
S
l
s
d
c
D
a
aben Sie, wenn man das so sagen möchte, nicht ein Er-
lärungsproblem, wenn Sie sagen, dass Steuersenkungen
en Staat arm machen, Sie andererseits aber Immobilien
erschenken wollen? Gibt es da nicht eine Differenz, die
ie erklären müssen? Die müssen Sie erklären.
Zum Zweiten ist es natürlich auch wichtig, zu wissen,
in See kostet auch Geld, wenn man ihn hat. Die Bewirt-
chaftung kostet Geld. Wenn Sie einer Kommune einen
ee schenken, kann es gut sein, dass sich Ihr Geschenk
interher als faules Ei im Gemeindesäckel erweist, wenn
ie Rechnung präsentiert wird.
er sich den Kauf eines Sees nicht leisten kann, wird
ich auch die Haltung nicht leisten können.
Ich möchte Sie wirklich bitten, nicht von Einzelfällen
uf die Gesamtumstände zu schließen. Das ist immer
chwierig.
s wird, wenn man das so sagen möchte, keine „Seeheu-
chrecken“ geben, die über das Land fliegen, irgendwo
infallen, sich die Seen unter den Nagel reißen und diese
een für die Bevölkerung sperren. Das wird es nicht ge-
en. Das ist mitnichten so.
uch ein Privatmann kann, wenn er einen See erwirbt,
ourismus, Erholung oder die Fischerei noch lange nicht
erbieten; denn Art. 14 Abs. 2 unseres Grundgesetzes
esagt:
Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich
dem Wohle der Allgemeinheit dienen.
erade deshalb besagen die Wassergesetze der Länder,
ie Sie sicherlich kennen, trotz ihrer Unterschiedlichkeit
inheitlich: Baden, Bootfahren oder Eissport ist auf allen
een erlaubt, völlig egal, ob sie privat oder ob sie öffent-
ich sind.
Ein Erwerber kann einen See nicht einfach so umge-
talten, wie er das möchte. Alle Nutzungsänderungen,
ie er vornehmen möchte, bedürfen einer wasserrechtli-
hen Genehmigung. Die wird von den Behörden erteilt.
iese Genehmigungen orientieren sich natürlich immer
m Wohle der Allgemeinheit.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 12. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2009 1033
)
)
Patrick Kurth
Sie erwecken diesen Eindruck: Da kommen die see-
lenlosen Millionäre – das schwingt so mit: der Arzt aus
Hamburg, wenn man so möchte –
und holen sich den Privatsee zur exklusiven Nutzung.
Dass das nicht geht, habe ich gerade gesagt. Wenn man
Ihnen folgen würde, wäre es aber auch ausgeschlossen,
dass Verbände, zum Beispiel Naturschutzorganisationen,
einen See erwerben können. Das wird hier vergessen.
Meine Damen und Herren insbesondere von der SPD,
hüten Sie sich bitte davor, Privateigentum generell abzu-
lehnen oder gar zu verteufeln.
Den Grundsatz, dass nur staatliches Eigentum dem All-
gemeinwohl dienen kann, haben wir vor 20 Jahren über
Bord geworfen. Der ist ins Wasser gefallen.
Aus unserer Sicht ist es der falsche Ansatz, die Priva-
tisierung von Seen in Ostdeutschland pauschal auszu-
schließen und das Moratorium zu verlängern. Es muss
vielmehr darum gehen, das bestehende Recht durchzu-
setzen, wenn jemand tatsächlich auf die Idee kommt,
sich einen See zu kaufen und einen Zaun darum herum-
zubauen. Dafür sind die Ordnungsbehörden zuständig.
Wenn wir danach vorgehen, dann kommt in den aller-
meisten Fällen ein gerechter Ausgleich zwischen ökolo-
gischen und ökonomischen Interessen und damit auch
den Interessen der Bürgerinnen und Bürger zustande.
Letztlich – Frau Enkelmann hatte das Stichwort
„volkseigene Ländereien“ am Anfang ihrer Rede ge-
nannt – möchte ich daran erinnern, dass diese betroffe-
nen Seen von der sowjetischen Besatzung enteignet wur-
den. Das heißt, sie waren vorher in Privatbesitz. Wenn
die Länder oder die Kommunen die Gewässer jetzt nicht
haben wollen, wird mit einer durchgeführten Privatisie-
rung nichts anderes als der ursprüngliche Zustand wie-
derhergestellt. Das wird 60 Jahre nach Kriegsende Zeit;
das ist überfällig.
Herzlichen Dank.
Herr Kollege Kurth, auch Ihnen gratuliere ich im Na-
men des ganzen Hauses zu Ihrer ersten Rede im Deut-
schen Bundestag.
B
K
H
E
d
s
f
L
g
O
g
l
d
L
l
T
n
Z
n
b
s
P
S
d
s
N
l
d
z
w
E
h
t
k
b
E
e
F
W
k
d
D
g
t
s ist aus meiner Sicht ausgesprochen erfreulich, dass
as öffentliche Interesse an Seen und anderen Gewäs-
ern jetzt in der Politik eine breitere, fraktionsübergrei-
ende – ich schaue jetzt in eine bestimmte Richtung –
obby zu bekommen scheint. Der Wechsel von den Re-
ierungssesseln auf die den Blick schärfenden Bänke der
pposition war bei der einen oder dem anderen wohl
anz hilfreich.
Erstaunlich ist allerdings, mit welchem Tempo plötz-
ich alle auf dieses Thema aufspringen. Die Zahl der
azu im Dezember im Bundestag, Bundesrat und in den
änderparlamenten eingebrachten Anträge ist beacht-
ich, insbesondere vor dem Hintergrund, dass wir das
hema hier an gleicher Stelle vor nicht ganz sieben Mo-
aten schon einmal debattiert haben. Aber zu diesem
eitpunkt war die Problemlage außerhalb unserer bünd-
isgrünen Fraktion und der Fraktion der Linken schein-
ar kaum jemandem bekannt. Zumindest gab der ge-
chätzte Kollege Luther für die CDU/CSU damals zu
rotokoll, dass ihm nicht bekannt sei, dass der Bund
een besitzt und diese privatisieren will. Die SPD vertrat
ie Position, dass es keine Fälle gebe, bei denen die be-
tehende Praxis zu Problemen geführt hätte, die einer
euregelung bedürften.
Ich gehe einmal davon aus, dass nun auch unsere Kol-
eginnen und Kollegen von Union und SPD Fälle wie
er des Verkaufs des Wandlitzsees im Norden von Berlin
u Ohren gekommen sein dürften. Hier hat der schon er-
ähnte Immobilienkaufmann aus Düsseldorf nach dem
rwerb des Sees alle Anwohner aufgefordert, ihre beste-
enden Stege am See von ihm zu kaufen oder zu pach-
en. Wer nicht dazu bereit war, wurde postwendend ver-
lagt. Auch die Gemeinde musste für die Benutzung des
estehenden Strandbades an den neuen Besitzer zahlen.
s handelte sich immerhin um 50 000 Euro, die man bei
inem gerichtlichen Vergleich ausgehandelt hatte.
So sehr wir es begrüßen, dass unsere bündnisgrünen
orderungen nun endlich Nachahmer finden, über den
eg, wie wir Seen als Allgemeingüter sinnvoll erhalten
önnen, gibt es noch eine ganze Menge Aufklärungsbe-
arf.
enn den verschiedenen, nicht nur im Bundestag vorlie-
enden Anträgen ist – bei positiver Ausnahme des An-
rags der Linken – vor allem eines gemeinsam: Anstatt
1034 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 12. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2009
)
)
Cornelia Behm
für ein konsequentes Ende der Privatisierung zu plädie-
ren, steht die kostenlose Übertragung der Gewässer an
die Länder oder Kommunen im Vordergrund. Das ist
aber nicht dasselbe wie ein Stopp der Privatisierung. Der
Verdacht liegt nahe, dass das allen Beteiligten bewusst
ist. Wir Bündnisgrüne treten dafür ein, dass in Zukunft
keine Gewässer mehr veräußert werden dürfen, bei de-
nen sowohl aus ökologischen als auch aus Erholungs-
und touristischen Gründen ein Gemeinwohlinteresse be-
steht.
Dies lässt sich am besten dadurch absichern, dass
diese Gewässer in der öffentlichen Hand, in der Hand
des Bundes, verbleiben. In allen anderen Fällen muss es
über den Haushaltsausschuss des Deutschen Bundesta-
ges einen Parlamentsvorbehalt geben. Nur so ist eine
wirkungsvolle demokratische Kontrolle zur Einhaltung
des Privatisierungsstopps möglich. Eine bloße Übertra-
gung an die Länder, wie von der SPD und den Ländern
Mecklenburg-Vorpommern und Brandenburg gewünscht,
gewährleistet diese demokratische Kontrolle gerade
nicht. Sie überlässt die Entscheidung zum Verkauf den
Länderbehörden. Dass diese in Zeiten klammer Kassen
Interesse an einer finanziellen Verwertung haben könn-
ten, dürfte für viele, auch hier im Deutschen Bundestag,
nicht neu sein.
Um Gemeingüter wie Seen dauerhaft für die Allge-
meinheit zu bewahren, sollte der Deutsche Bundestag
die bisher geübte Verkaufspraxis durch ein Gesetz been-
den. Die Bevölkerung in den betroffenen Regionen war-
tet schon lange auf ein entsprechendes Signal von uns.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie uns gemein-
sam daran arbeiten. Das sage ich ganz bewusst vor allem
in Ihre Richtung, meine Herren und Damen von der
Koalition.
Das Wort hat jetzt der Kollege Eckhardt Rehberg von
der CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Ich habe wirklich den Eindruck, dass einige
Kolleginnen und Kollegen an einem ungeheuren Ge-
dächtnisschwund leiden. Wenn die SPD in der Begrün-
dung ihres Antrages schreibt: „Ein weiterer Verkauf der
noch nicht übertragenen Flächen in den neuen Bundes-
ländern lässt befürchten, dass Badestellen, Stege und
Wasserflächen nicht mehr durch Touristinnen und Tou-
risten oder Anglerinnen und Angler genutzt werden kön-
nen sowie das Fischereigewerbe beeinträchtigt wird“,
dann frage ich mich ganz besorgt, Herr Kollege Hacker:
Was hat sich in den letzten sechs Monaten geändert?
a
B
u
d
K
w
W
B
u
W
u
n
S
e
w
p
e
s
g
h
w
r
B
D
u
f
m
d
ie führen hier doch einen politischen Mummenschanz,
ine politische Show auf, nicht mehr, aber auch nicht
eniger.
Zu Ihnen, Frau Kollegin Behm. Wandlitz wurde 2004
rivatisiert. Das ganze Verfahren mit der Kommune,
benso die fischereiwirtschaftliche Nutzung fand davor
tatt. Im Jahre 2004 ist auch das Land Brandenburg ein-
ebunden gewesen. 2004 hat Rot-Grün regiert. Warum
aben Sie bei der Änderung des EALG im Jahre 2001,
enn Ihnen die Seen so wichtig gewesen sind, nicht da-
auf gedrungen, dass sämtliche Seen in Eigentum des
undes unentgeltlich auf die Länder übertragen werden?
as haben Sie zum damaligen Zeitpunkt nicht getan,
nd Wandlitz war im Jahre 2004.
Herr Kollege Rehberg, erlauben Sie eine Zwischen-
rage des Kollegen Hacker?
Herzlich gerne, Herr Präsident.
Bitte schön, Herr Hacker.
Lieber Herr Kollege Rehberg, haben Sie den Presse-
eldungen entnommen und zur Kenntnis genommen,
ass diese Frage gerade in den letzten Monaten in den
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 12. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2009 1035
)
)
Hans-Joachim Hacker
betroffenen Ländern Brandenburg und Mecklenburg-
Vorpommern hochgekommen ist
und dass der Landtag von Mecklenburg-Vorpommern, in
Schwerin, vor diesem Hintergrund über diese Frage dis-
kutiert hat? Ich möchte dies mit der Feststellung unter-
mauern,
d
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Die Bundesregierung hat den betroffenen Ländern
ein Gesprächsangebot zu den Seen unterbreitet.
Vor diesem Hintergrund halte ich die Situation, wie
sie jetzt ist, für anders als vor einem Jahr. Deswegen ist
es notwendig, dass wir –
– die Praxis der Privatisierung verändern, Herr Kollege
Rehberg. – Ist Ihnen das bekannt?
Herr Kollege Hacker, weil Sie sich von BUND, Lin-
ken und Grünen unter Druck gesetzt gefühlt haben, sind
Sie auf diesen Zug aufgesprungen.
In den letzten Monaten hat sich an der Situation außer
der Problematik Wandlitz, was aber auch mit ehemals
gültigem Landesrecht etwas zu tun hat, nichts, aber auch
gar nichts geändert. Wissen Sie, was der Antrag von
SPD und CDU im Landtag von Mecklenburg-Vorpom-
mern ist? Er könnte möglicherweise auch als eine Art
Aufforderung zum Rechtsbruch gegenüber der Bundes-
regierung verstanden werden, eine Aufforderung, sich an
gesetzliche Grundlagen, an denen Sie übrigens persön-
lich – am 17. Juni 1990 und bei der Verabschiedung des
Einigungsvertrages in der Volkskammer – maßgeblich
mitgewirkt haben, nicht mehr zu halten.
Eine zweite Anmerkung. Sie haben einen Teil der
Antwort, die der Parlamentarische Staatssekretär
Koschyk gestern gegeben hat, vergessen. Er hat nämlich
vorab gesagt, dass das Land Brandenburg – und man
kann das Land Mecklenburg-Vorpommern mit einschlie-
ßen – von sich aus nicht aktiv geworden ist. Ganz im Ge-
genteil: Der Bund ist auf die Länder zugegangen und hat
ihnen ein Gesprächsangebot unterbreitet.
– Herr Kollege Hacker, ich bin immer noch bei der Ant-
wort.
D
–
B
t
L
u
h
s
w
W
s
M
e
u
s
S
d
s
g
L
c
h
u
s
d
S
–
g
w
b
d
v
B
f
S
G
w
d
s
a
as gehört alles noch zusammen.
Aber doch!
Wenn die Länder Mecklenburg-Vorpommern und
randenburg wirklich an einer sachgerechten Lösung in-
eressiert sind, dann müssen sie, wenn es Probleme im
and gibt, auf den Bund zugehen, um Gespräche bitten
nd in Verhandlungen eintreten. Staatssekretär Gatzer
at mit Schreiben vom 16. Dezember den Ländern Ge-
präche angeboten. Das heißt, der Bund ist initiativ ge-
orden.
as Sie hier machen und auch der Landtag – ich
chließe meine Kolleginnen und Kollegen im Landtag
ecklenburg-Vorpommern mit ein –, so geht man mit-
inander nicht um, wenn man ein Problem lösen will.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, sehen wir
ns die gesetzlichen Grundlagen an: Das Treuhandge-
etz wurde von der Volkskammer verabschiedet, die
PD hat zugestimmt. Der Einigungsvertrag wurde von
er Volkskammer verabschiedet, die SPD hat zuge-
timmt. Wenn Sie jetzt für eine unentgeltliche Übertra-
ung der bundeseigenen Seengewässer auf die neuen
änder plädieren, muss man die Frage stellen: Was ma-
hen Sie mit denjenigen, die die 14 000 Hektar, die bis-
er veräußert wurden, erworben haben,
nd was machen Sie mit den Flächen, die an Natur-
chutzverbände übertragen worden sind? Soll der Bund
as alles zurückzahlen, oder wollen Sie eine Flut von
chadenersatzprozessen riskieren?
Natürlich ist das begründet: Wenn der gleiche Sachge-
enstand zu zwei völlig verschiedenen Werten veräußert
ird, ist es doch begründet, dass der, der viel mehr dafür
ezahlt hat, Schadenersatzansprüche stellt. Wir leben
och in einem Rechtsstaat.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, was Sie
orschlagen, ist keine Lösung. Eine Lösung wurde zum
eispiel im Jahr 2007 – übrigens unter einem SPD-ge-
ührten Bundesfinanzministerium – mit dem Freistaat
achsen gefunden, und zwar eine Lösung in Form einer
ewässerrahmenvereinbarung für die bergbaulichen Ge-
ässer im Freistaat. Kollege Brackmann hat das ange-
eutet. Aus meiner Sicht heißt die Lösung: Man setzt
ich miteinander hin und spricht über die Werte, die gut-
chterlich festgestellt werden können.
1036 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 12. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2009
)
)
Eckhardt Rehberg
Dann kann man sich zum Beispiel darüber unterhalten,
in welcher Art und Weise die Werte in der Zeitabfolge
übertragen werden können. Ein Flächentausch kann vor-
genommen werden. Es ist übrigens so, dass der Hektar
Acker im Schnitt in etwa das 15-Fache wert ist wie der
Hektar See.
Vor einem warne ich: vor unentgeltlicher Übertra-
gung. Ich bin schlichtweg dagegen. Denn wenn man un-
entgeltliche Übertragung präferiert, heißt das, dass eine
Übertragung im Augenblick nur an Naturschutzverbände
möglich ist. Meine Erfahrungen mit Naturschutzverbän-
den sind eher so, dass als Erstes Klagen kommen von
Wassersportlern, als Zweites Klagen kommen von Gele-
genheitsbesitzern von Bootshäusern, als Drittes Klagen
kommen von Fischern, weil die Naturschutzverbände
das Ganze nämlich sehr restriktiv handhaben. Deswegen
schlagen wir Ihnen den folgenden Weg vor: Bund und
Länder reden miteinander, es gibt einen fairen Interes-
senausgleich,
und es wird festgeschrieben, dass die Länder die Seenge-
wässer nicht einfach an Dritte weiterverkaufen können;
denn diese Gefahr besteht auch noch. Dieser Weg ist ver-
nünftig und gangbar.
Meine sehr verehrten Damen und Herren der SPD,
aus meiner Sicht haben Sie sich heute ein gravierendes
Eigentor geschossen.
Herzlichen Dank.
Als letzte Rednerin zu diesem Tagesordnungspunkt
hat die Kollegin Iris Gleicke von der SPD-Fraktion das
Wort.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Ich will mich heute Abend noch einem zwei-
ten Thema im Rahmen der BVVG-Verkäufe widmen.
Wir haben über die Seen gesprochen, aber es gibt noch
ein zweites Thema, nämlich die Flächen, die in der
Landwirtschaft veräußert werden.
Immer dann, wenn Pachtverträge auslaufen, stehen
Verkäufe an; das wissen wir. Das hat in der Vergangen-
heit immer wieder zu großer Unruhe bei den betroffenen
Landwirten geführt. Deshalb war es gut, dass der Vize-
präsident des Deutschen Bauernverbandes, Udo Folgart,
mit dem Bundesministerium für Finanzen im August
dieses Jahres – damals unter Peer Steinbrück – ein Mora-
torium bei der Privatisierung dieser Flächen vereinbart
hat. Die Erleichterung bei den ostdeutschen Landwirten
w
t
f
L
b
d
D
A
w
H
f
l
V
m
R
s
s
d
u
P
t
d
e
L
a
D
n
n
w
w
d
B
r
a
J
s
g
a
F
M
H
Wir müssen an dieser Stelle ganz einfach sagen:
urch diese Konkurrenz werden die Preise immer weiter
ach oben getrieben. Für die Landwirte bedeutet es ei-
en großen Liquiditätsverlust für ihre Unternehmen,
enn sie diese Flächen kaufen müssen. Für die Land-
irtschaft ist es also klar: Kleine Landwirte können sich
iesen Boden schlicht und ergreifend nicht mehr leisten.
Ich bin froh über die positiven Signale, die aus der
und-Länder-Arbeitsgruppe zum BVVG-Privatisie-
ungskonzept kommen. Wichtig ist aber, dass es jetzt
uch ein Ergebnis gibt; denn das Moratorium läuft zum
ahresende aus. Der Auftrag ist klar: Preissprünge, wie
ie in der Vergangenheit stattgefunden haben, müssen
anz einfach vermieden werden.
Es geht mir nicht darum, die Flächen zu verschenken,
ber ich weiß natürlich, lieber Kollege Kurth, dass es der
DP und der CDU/CSU sehr leicht fällt, durch das
ehrwertsteuerprivileg 1 Milliarde Euro per anno an
otellerieketten zu verschenken.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 12. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2009 1037
)
)
Iris Gleicke
Den Landwirten in Ostdeutschland zu helfen, bekom-
men Sie dagegen immer wieder nur in Sonntagsreden
gebacken. Hier geht es aber um praktische Hilfe.
Es geht um die Existenz der ortsansässigen Unterneh-
men, die landwirtschaftliche Flächen gepachtet haben, es
geht – darüber wurde vorhin schon gesprochen – um die
Existenz der erwerbsmäßigen Fischereibetriebe, die auf
den Seen der BVVG tätig sind,
und es geht um die Interessen der Kommunen in Ost-
deutschland. Diese Interessen müssen stärker berück-
sichtigt werden.
Unsere Erwartungen werden in Ostdeutschland von
den Kolleginnen und Kollegen aller Fraktionen geteilt,
wenn man sich vor Ort trifft und dort ganz praktisch über
die Probleme spricht.
Das ist ein wichtiges Thema für die regionalen Wirt-
schaftsstrukturen im ländlichen Raum. Leider verkennt
die Koalition die Sensibilität dieses Themas völlig. Denn
Sie haben neue Unruhe geschaffen, indem Sie nämlich
jetzt auch noch angekündigt haben, dass Sie die Alt-
eigentümer besserstellen wollen.
– Das ist Mummenschanz, Herr Kollege Rehberg, um
Ihnen das ganz deutlich zu sagen.
Frau Kollegin Gleicke, kommen Sie bitte zum
Schluss.
Ich kann Sie nur auffordern, die ostdeutsche Land-
wirtschaft und die ostdeutschen Unternehmen nicht zu
gefährden. Sie sind nämlich das Rückgrat für die Ent-
wicklung im ländlichen Raum.
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf
den Drucksachen 17/238 und 17/239 an die in der Tages-
ordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind
Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann sind
die Überweisungen so beschlossen.
Ich rufe jetzt die Tagesordnungspunkte 15 a und 15 b
sowie Zusatzpunkt 9 auf:
Z
f
e
b
n
L
K
z
g
n
d
g
s
S
Weinberg, Dr. Martina Bunge, Dr. Dietmar
Bartsch, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
DIE LINKE
Keine Kopfpauschale – Für eine solidarische
Krankenversicherung
– Drucksache 17/240 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Gesundheit
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Birgitt
Bender, Maria Anna Klein-Schmeink, Elisabeth
Scharfenberg, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Für eine solidarische und nachhaltige Finan-
zierung des Gesundheitswesens
– Drucksache 17/258 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Gesundheit
Innenausschuss
Rechtsausschuss
Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Haushaltsausschuss
P 9 Beratung des Antrags der Abgeordneten
Dr. Martina Bunge, Harald Weinberg, Karin
Binder, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
DIE LINKE
Praxisgebühr und andere Zuzahlungen ab-
schaffen – Patientinnen und Patienten entlas-
ten
– Drucksache 17/241 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Gesundheit
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist auch
ür diese Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. Gibt
s Widerspruch? – Das ist nicht der Fall. Dann ist das so
eschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Red-
er dem Kollegen Harald Weinberg von der Fraktion Die
inke das Wort.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
ollegen! Meine Damen und Herren! In seiner Rede
um Koalitionsvertrag hat Minister Rösler eine grundle-
ende Reform des Gesundheitssystems, ja geradezu ei-
en Systemwechsel angekündigt und dabei angemerkt,
ass dies nicht einfach zu machen sei. An die Opposition
ewandt, meinte er dann, wenn dies einfach zu machen
ei, dann könne es ja auch die Opposition machen.
Tosender Beifall bei den Koalitionsfraktionen – ein
tar der Regierung war geboren, scheint es.
1038 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 12. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2009
)
)
Harald Weinberg
Dabei ist das, was Minister Rösler angekündigt hat, nicht
sonderlich originell.
Es ist sogar in seiner Einfalt kaum zu überbieten. Sein
Glaubensbekenntnis lautet: Alles wird anders – alles
wird Markt.
Das ist das Denken der Deregulierer und Marktradi-
kalen. Diese Ideologie der Marktvergötterung hat sich in
den 80er- und 90er-Jahren wie eine Pandemie ausgebrei-
tet und übrigens auch die heutigen Oppositionsfraktio-
nen SPD und Grüne erfasst. Das ist das Denken, das in
die Finanzmarktkrise und dann in die Weltwirtschafts-
krise geführt hat. Es ist ein altes Denken, von dem man
meinen sollte, dass es durch die Krise ad absurdum ge-
führt worden sei.
– Das kommt noch.
Aber dieses alte Denken wird uns jetzt wieder ange-
dient als eine nicht ganz einfache Lösung für die Pro-
bleme unseres Gesundheitssystems. Ich meine, das ist
falsch. Das ist bestenfalls Klientelpolitik.
Stichworte des Koalitionsvertrages sind Vermarkt-
lichung, Privatisierung und die Kopfpauschale. Unab-
hängig vom Einkommen soll jede und jeder einen gleich
hohen Beitrag in die gesetzliche Krankenversicherung
einzahlen, die berühmte Lidl-Verkäuferin genauso viel
wie ein leitender Angestellter, wobei sich Letzterer,
wenn er gut verdient, auch noch schneller als bisher in
eine private Krankenversicherung verabschieden können
soll.
Die soziale Ungerechtigkeit, die dabei zweifelsohne
entsteht, soll laut Minister über einen automatischen
Steuerausgleich vermindert werden. Wie dies ohne eine
zusätzliche Megabürokratie funktionieren soll, bleibt
bislang das Geheimnis des Ministers.
Dieses Modell einer Kopfprämie lehnen wir ab, und
ich glaube, ich kann hier auch für die SPD und die Grü-
nen sprechen.
Aber auch in den Reihen der Koalition regt sich Wider-
stand dagegen. Finanzminister Schäuble war der erste,
der Wasser in den Wein der hochfliegenden Reformpläne
des Jungministers goss. Er stellte mit Blick auf den
Haushalt fest, dass der Sozialausgleich nicht zu bezahlen
sei.
Die Christlich-Demokratische Arbeitnehmerschaft
reihte sich mit ihrer Kritik ein: Sie will, dass Kranken-
k
k
D
K
G
B
I
s
s
h
U
v
k
M
W
–
N
A
z
h
K
f
d
w
r
M
h
d
g
n
D
s
–
s
m
ch finde, daran sollte sich die CDU/CSU orientieren
tatt an den Kopfgeldjägern der FDP.
Horst Seehofer, Parteivorsitzender der CSU, wirft
ich mannhaft in die Bresche, um die Kopfprämie aufzu-
alten, obwohl unter dem Koalitionsvertrag auch seine
nterschrift steht. Er hat die Kopfpauschale in Inter-
iews nicht nur für tot, sondern sogar für beerdigt er-
lärt; denn er weiß genau, dass die Realisierung dieses
odell die CSU in Bayern weitere Sympathien und
ählerstimmen kosten würde.
Das ist wohl die Hauptsorge der CSU, denke ich. –
un werden wir in der Debatte sehen, ob es sich beim
rbeitnehmerflügelchen der Union und bei dem Vorsit-
enden der Christlich-Sozialen nur um Maulheldentum
andelt oder ob sie wirklich zu ihren Aussagen gegen die
opfprämie stehen.
Solidarität als Leitprinzip bedeutet, dass die Starken
ür die Schwachen einstehen. Damit dieses Leitprinzip
er gesetzlichen Krankenversicherung nicht aufgegeben
ird, stellen wir hier unseren Antrag gegen die Einfüh-
ung einer Kopfpauschale zur Abstimmung. Es gibt eine
ehrheit gegen die Kopfpauschale im Bundestag. Ich
offe, SPD und Grüne stimmen dem ohnehin zu. Wenn
ie Aussagen von Herrn Seehofer in seiner Partei etwas
elten, dann müssten eigentlich auch die CSU-Abgeord-
eten zustimmen.
amit wäre die Kopfpauschale mit Votum des Deut-
chen Bundestages endlich beerdigt.
Das habe ich durchaus noch.
Herr Präsident, bekomme ich Redezeit dafür gutge-
chrieben, dass ich dauernd unterbrochen werde?
Nein, das bekommen Sie nicht. Sie bekommen etwas
ehr Redezeit, weil das Ihre erste Rede ist.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 12. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2009 1039
)
)
Wenn von der rechten Seite dauernd dazwischenge-
quakt wird, muss ich doch fragen, ob mir dafür etwas
Redezeit gutgeschrieben wird.
Ich komme zum Ende.
In unserem Wahlprogramm fordern wir eine solidarische
Bürgerinnen- und Bürgerversicherung. Der vorliegende
Antrag der Grünen geht in diese Richtung. Es gibt aber
auch einige wesentliche Unterschiede zu unseren Vor-
stellungen. Wir werden im Laufe der Legislaturperiode
einen eigenen Antrag dazu einbringen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, Gesundheit ist
keine Ware. „Alles wird Markt“ ist das falsche Rezept
für unser Gesundheitssystem. Das ist keine Lösung, son-
dern schafft nur weitere Probleme.
Vielen Dank.
Herr Kollege Weinberg, auch Ihnen gratuliere ich zu
Ihrer ersten Rede im Deutschen Bundestag.
Das Wort hat der Kollege Stephan Stracke von der
CDU/CSU-Fraktion.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten
Kolleginnen und Kollegen! Die Fraktion Die Linke hat
noch einen Antrag vorgelegt, dessen Ziel es ist, die Pra-
xisgebühr und andere Zuzahlungen abzuschaffen. Diese
Forderung ist nicht neu. Das haben Sie schon in der letz-
ten Legislaturperiode eingebracht. Heute gehen Sie noch
einen Schritt weiter und fordern, nicht nur die Praxisge-
bühr, sondern gleich sämtliche Zuzahlungen abzuschaf-
fen.
Warum kleckern, wenn man verbal richtig klotzen kann?
Dieser Politikansatz ist nicht seriös und nachhaltig. Er
stellt im Grunde auch nicht die Patientinnen und Patien-
ten in den Mittelpunkt.
Nein, Ihr Ansatz ist nichts anderes als ein sich selbst ge-
nügender Populismus.
Dies zeigt sich auch daran, wie Sie Ihren Antrag zu
begründen versuchen. Es ist die Rede davon, dass Zu-
zahlungen das Solidarprinzip untergraben würden und
dass vor allem Geringverdienende von Leistungen der
gesetzlichen Krankenversicherung ausgeschlossen seien.
Sie sprechen von sozialer Selektion ärztlicher Leistun-
gen. Dort, wo man Argumente erwartet, liest man nur
Behauptungen. Anstelle von belastbaren Daten und Fak-
t
n
l
A
d
Z
a
b
6
a
u
o
m
l
R
g
f
l
u
f
z
a
r
2
V
g
e
d
e
i
z
z
R
A
w
w
d
Herr Kollege Stracke, erlauben Sie eine Zwischen-
rage aus den Reihen der Fraktion Die Linke?
Wenn es die Regel ist, möchte ich auf die Frage ver-
ichten.
Auch die Entwicklung des Zuzahlungsvolumens ist
ufschlussreich. Das Zuzahlungsvolumen lag 2008 bei
und 4,9 Milliarden Euro. Dies bedeutet im Vergleich zu
005 eine Absenkung um über 10 Prozent. All das zeigt:
on einem sozialen Ungleichgewicht bei den Zuzahlun-
en kann keine Rede sein. 90 Prozent aller Befreiungen
ntfallen auf chronisch Kranke. Das spricht eindeutig
afür, dass Menschen mit höherem Behandlungsbedarf
ffektiv vor Überforderungen geschützt sind.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, Solidarität
m Gesundheitswesen, wie wir sie verstehen, bedeutet
um einen ein Einstehen des Gesunden für den Kranken,
um anderen aber auch eine finanzielle Solidarität der
eicheren zugunsten der Ärmeren.
ber diese Solidarität wäre unvollständig beschrieben,
enn der Gedanke der Eigenverantwortung fehlen
ürde.
Ausfluss der Eigenverantwortung ist das Instrument
er Zuzahlungen. Anders als vielfach behauptet, insbe-
1040 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 12. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2009
)
)
Stephan Stracke
sondere von Ihrem Lager, wirkt dieses Instrument nicht
sozial diskriminierend. Aber auch eine medizinisch un-
erwünschte Steuerungswirkung, insbesondere der Pra-
xisgebühr, ist nach derzeitigem Stand aller einschlägigen
Untersuchungen nicht erkennbar. Auch die in Ihrem An-
trag zitierte Studie bringt hier keine wesentlichen neuen
Erkenntnisse und reiht sich damit in den Reigen der Stu-
dien zu diesem Thema ein.
Abzuwarten bleibt jedoch, wie sich das Zuzahlungs-
volumen insgesamt, insbesondere durch die Bonus- und
Hausarztmodelle, entwickeln wird und welche Auswir-
kungen dies auf die Steuerungswirkungen von Zuzah-
lungen haben wird. Bekanntlich wird der GKV-Spitzen-
verband einen entsprechenden Bericht vorlegen. Dieser
Bericht bleibt abzuwarten, um dann anhand von fundier-
tem Zahlenmaterial Schlussfolgerungen zu ziehen. Das
ist unsere Aufgabe, nicht Aktionismus mit aufgewärm-
ten Anträgen.
Meine werten Kolleginnen und Kollegen, das Finanz-
volumen der Zuzahlungen in der gesetzlichen Kranken-
versicherung macht rund 5 Milliarden Euro aus und ent-
spricht knapp 0,5 Beitragssatzpunkten. Sie alle wissen,
wie dramatisch sich die gegenwärtige Finanzsituation in
der gesetzlichen Krankenversicherung darstellt. Diese
Lage ohne Not in maßgeblichem Umfang zu verschlim-
mern, ist unverantwortlich. Nicht zielführend ist hierbei
der Vorschlag der Linken, einfach die Beitragsbemes-
sungsgrenze zu erhöhen. Dadurch werden einzig und al-
lein die Leistungsträger in unserer Gesellschaft weiter
belastet
und das bewährte System der privaten Krankenversiche-
rung ausgehöhlt. Dazu werden wir Ihnen sicherlich nicht
die Hand reichen.
Hinter dem Antrag der Linken steht allein die Ab-
sicht, ihre Idee einer solidarischen Bürgerversicherung
voranzutreiben. Ziel der Union ist jedoch keine zentra-
listische Staatsmedizin, sondern eine Gesundheitspolitik,
die den Patienten in den Mittelpunkt stellt. Um dieses
Ziel umzusetzen, wird eine Regierungskommission ein-
gesetzt, die hierfür Vorschläge unter Führung unseres
Bundesministers erarbeiten wird.
Diesen Prozess wird die CSU im Interesse der Patienten
wie gewohnt konstruktiv begleiten.
Herzlichen Dank.
Herr Kollege Stracke, auch Ihnen gratuliere ich im
Namen des Hauses zu Ihrer ersten Rede im Deutschen
Bundestag. Herzlichen Glückwunsch!
d
H
e
B
D
N
I
a
s
B
d
w
S
s
w
r
D
2
a
d
E
n
c
b
e
m
r
S
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
erren! Wir erleben in diesen Tagen die Entzauberung
ines Hoffnungsträgers des neokonservativ-neoliberalen
ündnisses: Herrn von und zu Guttenberg.
ie Frage, die im Raum steht, ist, ob Minister Rösler der
ächste sein wird, der ähnlich entzaubert wird.
ch versuche, das zu begründen. Bisher sieht es so aus,
ls wenn er auf jeden Fall ein Risikofaktor für das kon-
ervativ-gelbe Bündnis wäre.
Aufgrund der Dinge, die wir bisher wissen, muss man
edenken haben. Was ist bisher bekannt? Bekannt ist,
ass eine einkommensunabhängige Prämie eingeführt
erden soll. Bekannt ist, dass es einen steuerfinanzierten
ozialausgleich geben soll. Bekannt ist, dass das System
tufenweise eingeführt werden soll. Das ist ungefähr das,
as bekannt ist.
Jetzt muss man aber wissen: Die deutsche Bevölke-
ung will keine einkommensunabhängige Prämie.
as ist der CDU schon im Leipziger Programm im Jahre
005 zum Verhängnis geworden und hat sie damals unter
nderem – ich sage: gerechterweise – den Wahlsieg bei
er Bundestagswahl gekostet.
s gilt das alte Gesetz aus dem Geschäft. Wenn einer ei-
en Fehler macht, ist das verzeihlich. Wenn er den glei-
hen Fehler wiederholt, ist das unverzeihlich.
Das deutsche Gesundheitssystem wird international
eachtet, weil es als Solidarsystem vorbildlich ist. Es ist
in System, in das Gesunde für Kranke und Einkom-
ensstarke für Einkommensschwache einzahlen. Da-
über gehen Sie hinweg. Das belächeln Sie. Das ist für
ie nicht wichtig.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 12. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2009 1041
)
)
Dr. Karl Lauterbach
Das Solidarsystem, auf das wir zu Recht stolz sein kön-
nen, wollen Sie mit der Abrissbirne der Prämie plattma-
chen. Das ist es, worum es in dieser Koalition geht.
Es wird mit dem Hinweis verkauft, dass der Einkom-
mensausgleich für die Steuern gerechter wäre als der So-
lidarausgleich, den wir derzeit haben. Das wird von der
gleichen Partei vorgetragen, die derzeit dabei ist, Steuer-
erleichterungen für die Reichen durchzusetzen. Das ist
nichts anderes als Trickserei.
Wie groß wäre denn der Steuerbedarf, den wir aufzu-
bringen hätten, wenn das System endgültig eingeführt
würde? Es wären 35 bis 38 Milliarden Euro. Sagen Sie,
meine sehr geehrten Damen und Herren: Welche Steuern
will die FDP erhöhen, damit dieses Geld beigebracht
wird? Geht es erneut um die Mehrwertsteuer? Es werden
sicherlich nicht die Steuern der Einkommensstarken
sein.
Wenn Sie dies einführen, werden es wie immer die
Steuern der Einkommensschwächeren sein. Das ist es
doch, woran Sie denken. Sie haben doch in Wirklichkeit
kein Interesse daran, einen echten Sozialausgleich einzu-
führen. Sie wollen vielmehr Steuersenkungen für die
Einkommensstarken und gleichzeitig eine Billigprämie
für die gleiche Gruppe.
Ein Argument ist, dass das System langsam einge-
führt werden soll. Wir sollen uns keine Sorgen machen.
Welchen Unterschied macht es aber, ob ich etwas
schneller oder etwas langsamer auf den Abgrund zu-
gehe? Was ist der Unterschied?
Glauben Sie denn wirklich, der Wähler wäre so
dumm, nicht zu erkennen, in welche Richtung das Ganze
gehen soll?
Einen Lernerfolg – das muss man sagen – kann man
der FDP allerdings attestieren: Sie hat sich von dem Irr-
glauben verabschiedet, dass die demografische Alterung
in der Bevölkerung eine Kapitaldeckung braucht. Das
geplante System ist wie das jetzige System ein Umlage-
system. Man bleibt also bei der Umlage. Der einzige Un-
terschied ist: Man macht sie ein bisschen ungerechter.
Das ist aber kein Schritt nach vorn.
In der Summe ist es so: Ein bestehendes, gut funktio-
nierendes System, das wir weiterentwickeln könnten,
soll plattgemacht werden zugunsten eines Prämiensys-
tems mit einem nichtfinanzierten Steuerausgleich, der
z
u
P
b
h
d
w
z
d
z
s
s
d
D
B
d
n
c
s
n
E
D
f
S
k
d
k
d
D
S
S
D
g
W
m
as System soll so umgestaltet werden, dass es eine
asisversorgung gibt, für die es Kostenerstattungen von
er Kasse gibt, und der Bürger alles andere aus der eige-
en Tasche bezahlen muss. Darum geht es im Wesentli-
hen.
Es gibt Alternativen. Eine Alternative ist die einer
auberen Bürgerversicherung. Das können Sie auch
icht damit wegdiskutieren, dass Sie sie polemisch als
inheitsversicherung bezeichnen.
ie Bevölkerung wünscht ein gutes Gesundheitssystem
ür alle.
owohl für den schulischen Bereich wie für die Kran-
enversorgung wünscht sich der Bürger, dass alle nach
em Bedarf versorgt werden und nicht nach der Her-
unft oder dem Einkommen. Dieser Grundkonsens in
er Bevölkerung wird von Ihnen infrage gestellt.
afür werden Sie an der Wahlurne den Preis bezahlen.
ie überschätzen sich. Sie fühlen sich jetzt sicherer, als
ie sein sollten.
er Bürger wünscht keine Zweiklassenmedizin, der Bür-
er wünscht keine Privatisierung des deutschen Systems.
ir wollen das System verbessern und nicht abschaffen,
eine sehr verehrten Damen und Herren.
1042 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 12. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2009
)
)
Dr. Karl Lauterbach
Ich komme nun zu den konkreten Vorschlägen der
SPD:
Wir werden einen konkreten, durchfinanzierten Vor-
schlag für eine Bürgerversicherung machen. Das kün-
dige ich hiermit an.
Wir vertreten hier die gleiche Position wie die Linkspar-
tei oder die Grünen: Mit einem gut durchfinanzierten,
konkreten Vorschlag für die Bürgerversicherung wollen
wir ein gutes System für alle schaffen,
statt zwei nicht funktionierende Systeme mit Einkom-
mensgrenzen aufrechtzuerhalten.
Wir werden konkrete Vorschläge zur Abschaffung der
Zusatzbeiträge machen.
Wir werden darüber hinaus einen konkreten, gegenfi-
nanzierten Vorschlag zur Abschaffung der Praxisgebühr
vorlegen.
Das sind die Vorschläge, mit denen Sie sich in Kürze
auseinandersetzen müssen. Es geht darum, ein bestehen-
des, gut funktionierendes Solidarsystem zu stärken. Der
Wähler wird die Parteien, die sich ernsthaft darum küm-
mern, nach vorne bringen und belohnen. Erinnern Sie
sich an meine Worte!
Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.
Das Wort hat jetzt die Kollegin Christine Aschenberg-
Dugnus von der FDP-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der
Antrag der Linksfraktion mit dem Titel „Keine Kopfpau-
schale – Für eine solidarische Krankenversicherung“ be-
ginnt wahrlich mit einem intellektuellen Paukenschlag.
Der erste Satz dieses Antrages lautet nämlich: „Krank-
heit kann jeden Menschen treffen.“
A
u
A
T
d
N
n
E
s
r
A
l
e
n
R
b
F
G
W
w
z
W
R
k
t
g
S
S
s
e
nsonsten lässt der Antrag jedoch jeden fachpolitischen
iefgang vermissen;
enn eine Antwort auf die dringendsten Fragen zur
eustrukturierung des Gesundheitssystems gibt er leider
icht.
Liebe Kolleginnen und Kollegen von der linken Seite,
ffizienz und Transparenz sind Ihnen anscheinend egal,
olange nur einer Ihrer Lieblingsbegriffe wie „solida-
isch“ oder „sozial gerecht“ vorkommt.
ber mehr als sozialromantische Rhetorik ist das nicht.
Dafür, dass Sie hier angeblich etwas verändern wol-
en, sind Ihre Reihen sehr dünn besetzt. Das muss man
inmal feststellen.
Die Risiken für die umlagefinanzierte GKV liegen
icht nur in der demografischen Entwicklung und dem
ückgang der Zahl sozialversicherungspflichtiger Ar-
eitsplätze, sondern auch im medizinisch-technischen
ortschritt. Letzterer ist sehr erfreulich, kostet aber auch
eld.
enn wir jetzt nicht gegensteuern, werden die Beiträge
eiter steigen, gibt es Rationierung und steigende Lohn-
usatzkosten.
eil wir das nicht wollen, ist eine tiefgreifende, ehrliche
eform notwendig.
Wir in der Koalition sind uns einig: Eine Einheits-
asse und ein staatlich-zentralistisches Gesundheitssys-
em sind der falsche Weg. Wir wollen den Einstieg in ein
erechtes, transparentes Finanzierungssystem.
ie, verehrte Kolleginnen und Kollegen auf der linken
eite dieses Hauses, betonen, Sie wollten den solidari-
chen Charakter der gesetzlichen Krankenversicherung
rhalten und stärken. Wunderbar, das wollen auch wir!
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 12. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2009 1043
)
)
Christine Aschenberg-Dugnus
Aber der soziale Ausgleich darf nicht über eine intrans-
parente Umverteilung innerhalb der gesetzlichen Kran-
kenversicherung, sondern muss über das Steuersystem
erfolgen.
Unser Prämienmodell, flankiert durch einen sozialen
Ausgleich über die Steuermittel, ist der gerechtere Weg.
Denn diejenigen, die viel verdienen, zahlen auch mehr in
das System ein. Ihr Vorwurf, der Konzernchef zahle
dann für die Gesundheit genauso viel oder wenig wie die
Supermarktverkäuferin – das war übrigens ein Beispiel
aus Ihrem Antrag –, ist völlig substanzlos. Denn Sie
wollen doch wohl nicht bestreiten, dass der Gutverdiener
mehr Steuern zahlt und sich damit auch stärker an den
Gesundheitskosten beteiligt als der Geringverdiener. Das
ist Gerechtigkeit.
Wenn man das Wort „Gerechtigkeit“ bloß im Munde
führt, langt das nicht, liebe Kolleginnen und Kollegen
von der linken Seite. Bei uns hört Solidarität eben nicht
bei der Beitragsbemessungsgrenze auf.
In unserem Modell werden auch Bürger mit niedrigen
Einkommen eine umfangreiche Krankenversicherung
haben.
Der Umbau des Gesundheitssystems wird nicht von
heute auf morgen zu bewerkstelligen sein. Deshalb wird
eine von der Regierung eingesetzte Kommission unter
Leitung von Minister Philipp Rösler sorgfältig Vor-
schläge erarbeiten,
wie und in welcher Geschwindigkeit ein neues Finanzie-
rungssystem eingeführt werden kann.
Die bisherige Gesundheitspolitik wurde am
27. September von den Bürgerinnen und Bürgern abge-
wählt.
Die Menschen haben ein Recht darauf, dass endlich ein
faires, zukunftsfähiges Gesundheitssystem installiert
wird. Dafür hat man uns gewählt, und dafür werden wir
sorgen.
Vielen Dank.
Frau Kollegin Aschenberg-Dugnus, auch Ihnen gratu-
liere ich im Namen des Hauses zu Ihrer ersten Rede im
Deutschen Bundestag.
S
G
n
–
n
d
G
P
g
A
z
d
n
w
m
r
b
w
a
I
k
I
n
H
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine lieben Kollegin-
en und Kollegen! Angesichts der durchaus lebendigen
–
Liebe Kolleginnen und Kollegen bei der FDP, bitte
ehmen Sie Ihre Plätze ein und geben Sie den anderen
ie Gelegenheit, der Debatte zu folgen.
Dann fange ich noch einmal an. – Sehr geehrter Herr
räsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! An-
esichts dieser wirklich angeregten Debatte am späten
bend
eigt sich, dass wir zu einem recht wichtigen Thema in
ieser Legislaturperiode gelangt sind, was eigentlich ei-
en etwas seriöseren und genaueren Umgang erfordern
ürde, als wir ihn bislang erlebt haben.
Nach den Argumenten, die ich heute hier gehört habe,
üssen Sie sich den Vorwurf, den Sie an die linke Seite
ichten, durchaus auch selber gefallen lassen. Denn Sie
eanspruchen Seriosität, Genauigkeit und Ehrlichkeit,
ie ich eben gehört habe. Aber ich frage mich: Wo sind
ll diese Punkte in Ihrem Koalitionsprogramm?
ch finde sie nicht. Ich finde viele offene Fragen, aber
eine Antwort.
ch habe keine Antwort – weder heute in der Zeitung
och am Mittwoch im Gesundheitsausschuss durch den
errn Minister – auf die Frage erhalten, wie Sie Ihre
1044 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 12. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2009
)
)
Maria Anna Klein-Schmeink
Pläne tatsächlich ausgestalten wollen, wie Sie sie finan-
zieren wollen.
Überall offene Fragen, gekoppelt – das will ich an dieser
Stelle noch einmal deutlich sagen – mit einer enormen
Leichtfertigkeit; denn Sie wollen ein Solidarsystem in
Deutschland zerschlagen,
das eine hohe Akzeptanz in der Bevölkerung erfährt. Be-
vor man so etwas tut, muss man erstens gute Gründe
nachweisen und zweitens einen guten Plan haben, wie
man sein Ziel erreichen will.
Das fehlt auf Ihrer Seite.
Sehr viele von der CDU/CSU schauen mit großem
Unbehagen und mit großer Sorge auf die gesamte Ent-
wicklung.
Denn sie wollen im Grunde genau diese Vereinbarung
nicht. Aus der CSU und aus den Sozialvereinigungen
heraus wird öffentlich darüber gestritten, ob dieser Soli-
darausgleich tatsächlich zerschlagen werden soll.
Sie sind sich in diesem Punkt nicht sicher. Sie hoffen
nur, dass Sie die Entwicklung so lange aussitzen können,
dass es nicht zu einer Verwirklichung der FDP-Pläne,
sondern nur zu einer kleinen Kopfpauschale kommt.
Ich sage Ihnen: Sie können sich da nicht sicher sein.
Es ist doch so, dass Sie bislang nicht wissen, wie das
Ganze ausgeht. Die Kommission soll es nun richten. Sie
haben gleichzeitig das Problem, dass es Finanzierungs-
lücken gibt,
und zwar riesige. Sie sind gezwungen, auf irgendeine
Weise damit umzugehen.
Wir haben Ihnen zum Ende des Jahres unsere Vor-
schläge für eine Bürgerversicherung vorgelegt. Damit ist
sichergestellt, dass Sie zumindest die Gelegenheit haben,
sich diese anzuschauen. Nach dem heutigen Tag habe
ich sogar die Hoffnung – ich habe die Ausführungen von
Frau Aschenberg-Dugnus gehört –, dass Sie bereit sind,
alle Vorschläge vorurteilsfrei in die Debatte einzubezie-
hen, vielleicht auch in die Überlegungen Ihrer Kommis-
sion. Vielleicht kommen wir sogar zu einem System, das
ganz anders ist als das, das Sie bisher andenken.
d
V
d
e
n
r
r
v
A
S
m
b
V
F
w
n
g
c
e
G
d
e
G
a
n
n
c
ü
l
D
ll das stimmt nicht, und das wissen Sie auch.
Spätestens jetzt, nach Vorlage der Eckpunkte, können
ie ziemlich genau nachvollziehen, dass viele der Argu-
ente, die Sie immer wieder gegen unsere Vorschläge
emühen, in keiner Weise zutreffen. Wir haben einen
orschlag gemacht, der eine nachhaltige und gerechte
inanzierungsbasis für ein zukünftiges Gesundheits-
esen beinhaltet. Ich erwarte von Ihnen kurz vor Weih-
achten, dass Sie sich diese Pläne und diese Vorstellun-
en auch wirklich anschauen.
Ich komme zu einem zweiten Aspekt.
Frau Kollegin, darf ich Sie darauf aufmerksam ma-
hen, dass Sie sich beim zweiten Aspekt ein bisschen be-
ilen müssen?
Dann werde ich mich darauf beschränken, zu sagen,
ass ich die weiteren Punkte jederzeit in die Diskussion
inbringen kann.
Nur nicht heute Abend.
Ich will Ihnen zum Abschluss nur noch Folgendes mit
uf den Weg geben – hier sitzen relativ viele Kollegin-
en und Kollegen aus NRW –: Wir werden es Ihnen
icht durchgehen zulassen, wenn Sie sich mit irgendwel-
hen Vorschlägen, die Finanzierungslücken aufweisen,
ber die bevorstehende Landtagswahl hinwegretten wol-
en.
arauf können Sie sich verlassen.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 12. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2009 1045
)
)
Frau Kollegin, ich gratuliere Ihnen herzlich zu Ihrer
ersten Rede im Deutschen Bundestag.
Ich will noch insbesondere erwähnen, dass Sie es so-
zusagen mit einer verschärften Versuchsanordnung zu
tun hatten; denn ich habe Sie, unmittelbar nachdem ich
das Präsidium übernommen habe, mit Blick auf die Uhr
auf die grausamen Gewohnheiten dieses Hauses auf-
merksam gemacht. Nun haben Sie das Schlimmste in
dieser Legislaturperiode schon hinter sich, und das wird
Sie für die weitere Legislaturperiode hoffentlich ermuti-
gen.
Wir haben weitere Beispiele in dieser Versuchsanord-
nung.
Nächste Rednerin ist die Kollegin Stefanie Vogelsang
für die CDU/CSU-Fraktion.
Vielen Dank. Dann will ich den Versuch mal starten. –
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr
Minister Rösler, Frau Staatssekretärin Widmann-Mauz
und Herr Staatssekretär Bahr, zunächst einmal möchte
ich Ihnen ausdrücklich dafür danken, dass Sie hier in ei-
ner Dreierkonstellation erschienen sind.
Dies zeigt ganz eindeutig Ihren Respekt vor den Bera-
tungen hier im Haus.
Im Mittelpunkt unserer Gesundheitspolitik stehen die
Menschen,
und zwar die gesunden genauso wie die kranken Men-
schen.
Wir wollen, dass auch in Zukunft jeder in Deutschland,
und zwar unabhängig von seinem Einkommen, seinem
Alter, seiner sozialen Herkunft oder seinem gesundheit-
lichen Risiko, eine qualitativ hochwertige, wohnortnahe
medizinische Versorgung erhält und dass alle am medizi-
nischen Fortschritt teilhaben können. Wir teilen die Auf-
fassung, Herr Lauterbach, dass die Bürgerinnen und
Bürger keine Zweiklassenmedizin wollen. Mit uns wer-
den sie sicherlich keine bekommen.
Wir wollen uns dem demografischen Wandel und den
Herausforderungen einer rasanten medizinischen Ent-
w
h
K
W
t
d
w
z
s
G
h
s
b
d
a
e
L
d
l
S
s
d
P
d
N
a
Ä
S
r
g
m
s
k
f
S
Z
t
M
S
g
n
G
Sie, meine Damen und Herren von den Linken, wis-
en genau, dass dann, wenn alle Bürger in eine Einheits-
asse einzahlen müssten, kein Wettbewerb mehr statt-
ände und die Versorgung noch teurer würde.
ie wollen eine Einheitskasse. Sie wollen staatliche
wangswirtschaft und Gleichmacherei.
Sie wissen ganz genau, dass dem Zuwachs an Bei-
ragszahlern ein Zuwachs an Ansprüchen in gleichem
aße gegenüberstünde.
ie wissen auch ganz genau, dass die Finanzfragen der
esetzlichen Krankenversicherung mit Ihrem Vorschlag
icht gelöst, sondern sogar verschärft werden, weil im
egensatz zur privaten Krankenversicherung keine
1046 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 12. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2009
)
)
Stefanie Vogelsang
Vorsorge für steigende Gesundheitskosten im Alter ge-
troffen wird. Sie wissen auch genau, dass Sie in Ihrem
Vorschlag die Probleme der Bevölkerungsentwicklung
ausblenden. Sie wissen ebenfalls genau, dass in Ihrem
Vorschlag die jungen Menschen im Stich gelassen wer-
den, weil er mittelfristig keine Lösung im Hinblick auf
die Generationengerechtigkeit bietet. Außerdem wissen
Sie ganz genau, dass es verantwortliche Politik wäre, zu-
zugestehen, dass es einen Unterschied zwischen einem
fairen, freien und wettbewerblichen Gesundheitssystem
als Teil der sozialen Sicherung und einem beliebigen
wettbewerblichen System gibt.
Es geht Ihnen aber nicht um verantwortungsvolle Po-
litik. Ich komme aus Berlin, einem Bundesland, das
schon viele Jahre von Ihnen mitregiert wird. Stück für
Stück setzen Sie staatlichen Dirigismus und Einheitsbrei
durch. Die Lebensqualität von uns Berlinern und Berli-
nerinnen wird immer schlechter.
Ihr Modell einer Einheitskasse und einer Zwangswirt-
schaft bedeutet in der Folge das Ende der freien Arzt-
wahl, die Absenkung der medizinischen Standards und
führt zu einer gleich schlechten Versorgung der Patien-
tinnen und Patienten. Vielleicht könnte man munkeln,
dass später heimlich Privatkliniken für Ihre Parteigenos-
sen zur Verfügung stehen.
Wir alle wissen, dass eine Gesellschaft gerade im
Umgang mit Kranken, Älteren und Schwachen ihr wah-
res Gesicht zeigt. Genau deshalb geht bei uns Gründlich-
keit vor Schnelligkeit. Lassen wir der Regierungskom-
mission die Zeit, die sie braucht, um uns einen gründlich
überlegten Weg der festen Schritte vorzuschlagen, mit
dem wir unser Ziel erreichen: medizinische und pflegeri-
sche Leistung auf höchstem Niveau, auch in Zukunft ei-
genverantwortlich, selbstbestimmt und solidarisch gesi-
chert, egal ob für Alt oder Jung, Reich oder Arm, Stark
oder Schwach.
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
Liebe Frau Vogelsang, auch Ihnen gratuliere ich herz-
lich zu Ihrer ersten Rede im Deutschen Bundestag, ver-
bunden mit allen guten Wünschen für die weitere parla-
mentarische Arbeit.
Nun hat der Kollege Lars Friedrich Lindemann für
die FDP-Fraktion das Wort,
d
w
l
r
L
S
c
k
D
W
w
s
M
h
p
V
a
3
S
A
P
s
h
f
w
w
s
s
a
e
G
h
o
A
l
s
w
O
r
s
S
F
s
b
Das Gesundheitssystem, wie es derzeit aufgestellt ist,
teckt in einer Sackgasse, die in den letzten Jahren mit
illiardenbeträgen aus dem Bundeshaushalt, Beitragser-
öhungen und Gesetzen zur Kostendämpfung um ein
aar Meter verlängert wurde, weil man grundlegende
eränderungen nicht vornehmen wollte. Auch diese Ko-
lition gewährt notgedrungen einen Zuschuss von
,9 Milliarden Euro aus dem Bundeshaushalt, um diese
ackgasse nochmals zu verlängern, um krisenbedingte
usfälle nicht den Versicherten aufzubürden.
Um es aber deutlich zu sagen: Die derzeit sichtbaren
robleme und Unzulänglichkeiten in diesem System
ind Resultat einer über die letzten Jahre von Ihnen – da
abe ich vor allem Sie von der SPD im Blick – geschaf-
enen Gesetzeslage, die wir jetzt vorfinden. Das wollen
ir nicht verkehrt sehen.
Wenn wir mit Ihnen in eine Debatte darüber eintreten,
ie ein solidarisches, nachhaltig stabil aufgestelltes Ge-
undheitssystem aussehen soll, dann gehen unsere Vor-
tellungen – wie sollte es auch anders sein! – ein wenig
useinander. Was die Finanzierungsseite angeht, nützt es
ben nichts, sich stets darüber zu unterhalten, wie mehr
eld ins System kommen könnte: durch die Einbezie-
ung weiterer Einkunftsarten und Einkommensbezieher
der durch weitere Kostendämpfungen. Nach unserer
uffassung ist ein Festhalten an einer so engen Koppe-
ung der Gesundheitskosten an die Lohnkosten, wie es
ie derzeit gibt, nicht zielführend.
Eine Debatte um ein gerechtes, solidarisches System,
ie Sie, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen von der
pposition, sie führen, ist aber auch von Augenwische-
ei und Schönfärberei geprägt, und sie endet, gibt man
ich Ihren Vorstellungen hin, in einem steuerfinanzierten
ystem à la NHS, wie wir es aus England kennen. Die
ortsetzung einer solchen Entwicklung wird es unter un-
erer Verantwortung nicht geben.
Den Ruf nach einer gerechten Gesundheitspolitik ha-
en Sie – das darf man so sagen – stets mit Versprechun-
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 12. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2009 1047
)
Lars Lindemann
gen verbunden, die den Menschen in diesem Land ein
Rundum-sorglos-Paket aus der Hand des fürsorglichen
Staates vorgegaukelt haben. Ich sage Ihnen offen: Ich
bin froh, dass das ein Ende hat und dass die Protagonis-
tin, Frau Schmidt, nicht mehr im Amt ist.
Was Sie getan haben, zeugt von einem unheimlich ho-
hen Maß an Unverantwortlichkeit den Patienten und
Leistungserbringern gegenüber. Ein Anspruch auf alles
erdenklich Mögliche, und dies auf höchstmöglichem Ni-
veau für jeden, so etwas vorzugaukeln, war und ist mehr
als unredlich.
Ein solches Gesundheitssystem gab es noch nie auf der
Welt, und das wird es nie geben, auch nicht in Deutsch-
land.
Solidarität – Sie nennen Ihren Vorschlag „solida-
risch“ – ist eben nicht der größtmögliche Eifer beim Ver-
teilen des Geldes anderer Leute.
Solidarität, verstanden als das Eintreten der Gesunden
für die Kranken, kann nur funktionieren, wenn sie in ei-
nem engen Zusammenhang mit der Eigenverantwortung
eines jeden Einzelnen steht. Diese Eigenverantwortung
als Voraussetzung für das Funktionieren solidarischer
Elemente gilt es in das System zurückzubringen. Das ist
die Aufgabe in der nächsten Zeit.
Wir brauchen ein zukunftssicheres Finanzierungssys-
tem, geprägt durch Eigenverantwortung, Wahlfreiheit,
Nachhaltigkeit und Sicherheit, das die Teilhabe eines je-
den – da ist sozialer Ausgleich richtig angesiedelt –
durch Zuschüsse über das Steuer- und Transfersystem zu
seinen Beiträgen erhält, wenn er sie selbst tatsächlich
nicht bezahlen kann.
Der Einstieg in ein System einkommensunabhängiger
Arbeitnehmerbeiträge ist, wie im Koalitionsvertrag ver-
abredet, ein erster Schritt weg von einer zentral vorgege-
benen Staatsmedizin und hin zu mehr Vielfalt und Ge-
staltungsmöglichkeiten des Einzelnen. Der Patient steht
für uns im Mittelpunkt.
Vielen Dank.
Lieber Kollege Lindemann, auch Ihnen herzlichen
Glückwunsch zu Ihrer ersten Rede im Deutschen Bun-
destag, die das amtierende Präsidium mit einem 40-pro-
zentigen Zuschlag auf Ihre Redezeit gewürdigt hat.
Ich weise vorsichtshalber darauf hin, dass ich das für
die nachfolgenden Reden nicht in Aussicht stellen kann.
Vielleicht ist der Hinweis für die älteren wie die neueren
Mitglieder des Hauses nicht gänzlich überflüssig, dass
d
n
s
B
n
g
n
a
i
s
d
Ü
i
s
I
g
B
P
a
d
h
d
m
t
s
ch tue das deswegen besonders gerne, weil wir gele-
entlich mit dem Vorwurf konfrontiert werden, auf den
esuchertribünen seien mehr Leute anwesend als im
lenum. Das ist heute Nacht um 22.29 Uhr nachweislich
nders, was ich ausdrücklich festhalten möchte.
Nun rufe ich den Tagesordnungspunkt 16 auf:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Verkehr, Bau und
Stadtentwicklung zu dem Antrag
der Abgeordneten Winfried Hermann, Kerstin
Andreae, Alexander Bonde, weiterer Abgeordne-
ter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN
Moratorium für Stuttgart 21 – Wirtschaftlich-
keit des Großprojektes vor Baubeginn sicher-
stellen
– Drucksachen 17/125, 17/268 –
Berichterstattung:
Abgeordneter Dr. Stefan Kaufmann
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für
iese Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Ich
öre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort erhält zunächst
er Parlamentarische Staatssekretär Enak Ferlemann.
E
Sehr geschätzter Herr Präsident! Meine sehr verehr-
en Damen und Herren! Es freut mich, dass wir noch zu
o später Stunde über eines der besten Projekte, die im
)
1048 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 12. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2009
)
)
Parl. Staatssekretär Enak Ferlemann
Verkehrsbereich aufs Gleis gesetzt werden, diskutieren
können.
Ich nehme an, dass wir über dieses Thema deshalb zu so
später Stunde diskutieren, weil der Ausschussvorsit-
zende, Winfried Hermann, dafür gesorgt hat, dass wir
heute Abend noch lange diskutieren wollen. Dann wol-
len wir das auch gerne tun. Ich freue mich, wie gesagt,
außerordentlich, dass wir das hier live machen können.
Mit Stuttgart 21 und der Neubaustrecke Wendlin-
gen–Ulm bekommen Baden-Württemberg und der ge-
samte süddeutsche Raum zwei Schienenprojekte von
europäischer Dimension. Sowohl Stuttgart 21 als auch
das Bedarfsplanvorhaben der Neubaustrecke Wendlin-
gen–Ulm betreffen die Magistrale für Europa, die von
Paris über Stuttgart, München, Wien, Bratislava bis
Budapest führt. Der Raum Stuttgart und die Strecke über
die Alb nach Ulm stellten in der Relation erhebliche
Engpässe dar, die mit den beiden Projekten beseitigt
werden.
Die Realisierung des Projekts Stuttgart 21 ist aller-
dings nur sinnvoll, wenn beide Projekte gleichzeitig ge-
baut und vor allem beide Strecken gleichzeitig in Betrieb
genommen werden. Sie hängen unmittelbar voneinander
ab.
Die Gewinner dieser zwei Vorhaben sind in erster Li-
nie die Bahnkunden, um die es uns gehen muss. Die
Fahrzeiten im Fern- und Nahverkehr werden sich enorm
verkürzen. Ein weiterer großer Vorteil: Der Anschluss
des Flughafens Stuttgart an das ICE-Netz bringt erhebli-
che Erleichterungen und Verbesserungen für die Fahr-
gäste mit sich. Ich denke, das ist das, was Verkehrspoli-
tik machen muss – in Zukunft noch mehr als bisher –:
Die verschiedenen Verkehrsträger sind zu verknüpfen
und müssen für den Kunden möglichst einfach zu nutzen
sein. Insofern ist dies ein gutes Sinnbild für eine neue
Art von Verkehrspolitik, von der wir in Deutschland
mehr brauchen.
Stuttgart 21 mit der Umgestaltung des Knotens Stutt-
gart und der Tieferlegung des Stuttgarter Hauptbahnhofs
als Durchgangsbahnhof ist kein Projekt des Bedarfspla-
nes für die Bundesschienenwege, sondern ein unterneh-
merisch eigenwirtschaftliches Projekt der Deutschen
Bahn AG. Die Eisenbahninfrastrukturunternehmen sind
Vorhabenträger und Bauherren. Das ist in der Diskussion
in den letzten Wochen oftmals nicht richtig gesehen wor-
den. Es ist mitnichten so.
Der Bund beteiligt sich an Stuttgart 21 finanziell aus
Mitteln für den Bedarfsplan Schiene mit einem Fest-
betrag in Höhe von 563,8 Millionen Euro, der für die
Einbindung des Bedarfsplanvorhabens Neubaustrecke
Wendlingen–Ulm in den Knoten Stuttgart als sogenannte
Sowiesokosten eh erforderlich gewesen wäre. Über den
genannten Betrag hinaus werden folgende Finanzie-
rungsbeiträge, die aus anderen mit Bundesmitteln finan-
zierten Quellen stammen, vorgesehen: 197 Millionen
Euro gemäß Abs. 2 Bundesschienenwegeausbaugesetz
f
G
a
R
M
s
D
g
l
B
E
s
g
W
b
u
M
e
V
e
d
S
li
n
g
a
l
b
d
D
t
e
E
v
K
e
i
I
i
k
u
H
n
R
s
f
J
w
r
d
L
g
g
)
)
Daher bitte ich, der Beschlussempfehlung des Aus-
schusses zuzustimmen, damit wir gemeinsam große und
schöne Projekte für den Schienenverkehr in Deutschland
voranbringen.
Herzlichen Dank.
Nächster Redner ist der Kollege Martin Burkert für
die SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Stuttgart 21
und der Neubau der Strecke nach Ulm bilden ein Ver-
kehrsprojekt, das nicht nur für die Region Stuttgart, son-
dern auch für den gesamten süddeutschen Raum und das
Hochgeschwindigkeitsnetz in Europa von besonderer
Bedeutung ist. Es ist selbstverständlich, dass es bei so ei-
nem Projekt zu Diskussionen kommt, zumal, wenn die
Kosten höher sind, als man erwartet hat. Aber wir sind
uns weitgehend einig, dass es Ziel unserer Verkehrs- und
Umweltpolitik ist und sein muss, mehr Menschen und
Güter auf die Schiene zu bringen.
Wenn wir das wollen, dann müssen wir attraktive
– ich betone das – Angebote schaffen. Es reicht nicht
mehr, dass man sagt: Liebe Autofahrer, steigt um, fahrt
mit der Bahn, das ist umweltfreundlicher und verstopft
die Autobahnen nicht. Nein, es muss attraktiv sein, Bahn
zu fahren, und es muss gute Gründe geben, auf die
Schiene umzusteigen. Ich sage: Stuttgart 21 ist ein guter
Grund.
Mit dem Bahnknoten Stuttgart und der Neubaustrecke
nach Ulm wird das Reisen quer durch Europa schneller
und bequemer. Die Reisezeiten werden verkürzt. Eine
Fahrt von Stuttgart nach München wird beispielsweise
n
M
U
w
b
a
u
n
D
u
d
M
Z
g
K
z
S
k
j
k
m
t
l
f
H
m
n
L
R
s
S
U
w
G
e
Das Wort erhält nun der Kollege Werner Simmling
ür die FDP-Fraktion.
err Kollege, jetzt müssen Sie sich Mühe geben, den de-
onstrativen Eingangsbeifall durch Ihre Rede am Ende
och zu überbieten.
Ich werde mir alle Mühe geben. – Herr Präsident!
iebe Kolleginnen und Kollegen! Die Weichen für die
ealisierung des größten und derzeit wichtigsten Infra-
trukturprojekts in Deutschland sind gestellt. Bei
tuttgart 21 und der Schnellbahnstrecke Wendlingen–
lm stehen die Signale nun endgültig auf Grün. Wir
ollen das Projekt.
Heute stellen Sie von der Fraktion Bündnis 90/Die
rünen den Antrag, ein Moratorium für Stuttgart 21 zu
rklären.
1050 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 12. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2009
)
)
Werner Simmling
Was soll das? Schließlich haben alle Projektpartner – das
sind der Flughafen Stuttgart, die Stadt Stuttgart, der Ver-
band Region Stuttgart, das Land Baden-Württemberg,
die Bundesrepublik Deutschland und die DB AG – die
Finanzierungsvereinbarungen bereits am 2. April 2009
unterzeichnet.
Der Aufsichtsrat der Bahn und der Lenkungsausschuss
Stuttgart 21 haben am 9. bzw. 10. Dezember 2009, also
vor nur wenigen Tagen, der fortgeschriebenen Entwick-
lungsplanung zugestimmt.
Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, die Bahn fährt
von jetzt an, nach 17 Jahren der Planung, in die Mo-
derne.
Das heißt, es gibt 117 Kilometer neue Gleise, 66 Kilo-
meter davon in Tunnels, 35 Brücken und vier neue
Bahnhöfe.
Das ist gewaltig, aber volkswirtschaftlich und umwelt-
politisch – das ist ja auch Ihnen wichtig – notwendig.
Denn die bestehende Infrastruktur wird dem Bedarf in
den kommenden Jahren bei weitem nicht mehr gerecht
werden.
Im Klartext heißt das: Bereits in den nächsten fünf
Jahren wird es nicht genug Schienenstrecken geben, um
das Verkehrsaufkommen abzuwickeln. Dabei wollen wir
doch – das wurde schon angeführt – die Verlagerung des
Verkehrs von der Straße auf die Schiene.
Verzichteten wir auf den nötigen Infrastrukturausbau,
hemmten wir nicht nur Wachstum und Fortschritt, also
zusätzliche Wertschöpfung, sondern fügten der Region
und dem Wirtschaftsstandort Deutschland auch massi-
ven Schaden zu.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wer zukunftsfähig
sein will, der muss Entscheidungen treffen. Bei „Pro
Stuttgart 21“ und Wendlingen–Ulm haben alle beteilig-
ten Partner Weitsicht, Zukunftsfähigkeit und Verantwor-
tung bewiesen. Was wir aus volkswirtschaftlicher Sicht
brauchen, sind integrierte Verkehrswege, die eine über-
regionale strukturelle Bedeutung haben.
Bei Stuttgart 21 und Wendlingen–Ulm sind Schienen-,
Straßen- und Luftverkehr optimal miteinander verbun-
den. Die strukturellen Vorteile liegen auf der Hand.
Nicht nur Baden-Württemberg, sondern auch Deutsch-
land rückt näher zusammen, und unser Anschluss an das
e
D
G
V
u
E
u
b
d
P
t
A
s
l
l
a
p
G
h
m
S
v
s
K
h
h
d
l
P
s
1
l
a
e
F
2
n
c
s
K
k
d
Durch die neu zu schaffende Infrastruktur können wir
ns in der Mitte eines sich nach Osten vergrößernden
uropas erfolgreich positionieren.
Wirtschaftliche Folgeinvestitionen werden die Region
nd den Standort Deutschland zusätzlich nach vorne
ringen. Nur wenn wir in die Zukunft, das heißt, über
en berühmten Tellerrand, schauen, können wir unseren
latz als führende Wirtschaftsnation in der Welt behaup-
en.
Schlussendlich sichert diese Entscheidung nicht nur
rbeitsplätze in einem der leistungsfähigsten Wirt-
chaftsräume Europas, sondern schafft auch noch zusätz-
iche. In der Region Stuttgart leben und arbeiten 2,7 Mil-
ionen Menschen. Langfristig werden bis zu 10 000,
llein während der Bauphase schon 7 000 neue Arbeits-
lätze entstehen. Insofern ist das ganze Projekt ein
lücksfall für die heutige Zeit.
Über diese positiven wirtschaftlichen Aspekte hinaus
at Stuttgart die Chance zu einer Neugestaltung und da-
it zu einer einmaligen Entwicklung. Wo heute noch
chienen, Weichen, Schotter und Beton die Landschaft
erunzieren, werden Wohnungen und Grünflächen ent-
tehen – und eben Arbeitsplätze.
urz: Urbanes Leben, Wohnen, Arbeiten im 21. Jahr-
undert werden dort neuen Raum finden.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, alle Projektpartner
aben sich auf einen belastbaren Kostenrahmen geeinigt,
er solide und verantwortungsvoll ist. Für Stuttgart 21
autet die neue Kostenkalkulation: 4,088 Milliarden Euro,
reisstand 2009. Mehrungen und Einsparungen sind hier
chon berücksichtigt. Weitere 438 Millionen Euro bzw.
5 Prozent der Bausumme sind zur Abdeckung eventuel-
er Kostenrisiken während der Bauzeit eingeplant. Eine
usgeglichene Wirtschaftlichkeit ist darüber hinaus bis zu
inem Gesamtbedarf von 4,769 Milliarden Euro gegeben.
ür die Schnellbahntrasse Wendlingen–Ulm bleibt es bei
Milliarden Euro. Aus heutiger Sicht ist eine Bundesfi-
anzierung vor 2016 nicht wahrscheinlich.
Unter den oben genannten verkehrlichen, städtebauli-
hen, volkswirtschaftlichen und umweltpolitischen Ge-
ichtspunkten, aber auch angesichts des belastbaren
ostenrahmens und der ausgeglichenen Wirtschaftlich-
eit ist ein Aufschub, wie Sie ihn in Ihrem Antrag for-
ern, oder gar ein Ausstieg nicht zu rechtfertigen.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 12. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2009 1051
)
)
Werner Simmling
Über dieses Projekt wird seit mehr als zwei Jahrzehnten
diskutiert, und es wird seit 17 Jahren geplant. Alternativ-
konzepte sind zur Kenntnis genommen worden. Schon
die Renovierung des Stuttgarter Bahnhofs, die ohnehin
anstünde, würde weit über 1 Milliarde Euro verschlin-
gen, wäre im Endeffekt aber nichts Halbes und nichts
Ganzes. Heute ein Moratorium für Stuttgart 21 zu ver-
langen, ohne fundierte Kostenalternativen aufzuzeigen,
mit dem Ziel, dieses Projekt weiter und weiter aufzu-
schieben, ist politisch verantwortungslos und überdies
ein höchst fahrlässiger Umgang mit Steuergeldern.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bitte Sie daher,
diesen Antrag von Bündnis 90/Die Grünen abzulehnen.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Lieber Kollege Simmling, ich gratuliere Ihnen herz-
lich zu Ihrer ersten Rede im Deutschen Bundestag. Ich
bin beeindruckt und offenkundig nicht alleine.
Ich erinnere mich leicht deprimiert an meine eigene erste
Rede im Deutschen Bundestag, die zu einer ähnlichen
Nachtzeit stattgefunden hat und die nicht annähernd von
einer vergleichbaren Kulisse getragen war, weil aus mir
bis heute unverständlichen Gründen die FDP-Fraktion
keine vergleichbare Motivation entwickelt hatte,
dieser fulminanten Rede beizuwohnen.
Lieber Kollege Simmling, das berechtigt also zu den
allerschönsten Hoffnungen. Alles Gute für die weitere
parlamentarische Arbeit!
Sobald sich die Prozessionszüge rechts vom Präsi-
dium wieder beruhigt haben, erhält irgendwann im wei-
teren Verlauf des Abends der Kollege Ulrich Maurer das
Wort für die Fraktion Die Linke.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bin
von dieser Bildersprache, die ich jetzt gehört habe, wirk-
lich ergriffen: schön, wunderbar, Zukunftsprojekt. Wenn
ich das Wort von den blühenden Landschaften nicht
schon einmal gehört hätte, dann wäre ich davon beson-
ders ergriffen gewesen.
Sie müssen sich stattdessen einmal die Frage stellen,
warum die Mehrheit der Bevölkerung meiner Heimat-
stadt dieses wunderbare Geschenk gar nicht haben will.
D
r
l
w
b
g
–
z
r
g
S
P
h
n
v
d
K
S
d
g
W
M
s
n
r
s
ö
B
L
f
t
w
t
S
t
b
a
d
n
e
g
Aber ja. – Frau Kumpf, Sie sollten auch vom Saulus
um Paulus werden. Das wäre ganz schön und hätte Ih-
er Partei in Stuttgart in den zurückliegenden Jahren sehr
eholfen.
ie haben ihr aber nicht geholfen. Das ist aber nicht der
unkt.
Diesen Bahnhof schenken Sie einer Stadt, die ihn er-
eblich kofinanziert, die nach ihren eigenen Angaben ei-
en Instandhaltungsrückstand bei ihren Schulgebäuden
on 327 Millionen Euro hat, in der in einem Gymnasium
ie Decke eingefallen ist und die die Hauptstadt der
urzarbeit ist. Ich sage Ihnen: Die Bevölkerung dieser
tadt ist mehrheitlich gegen dieses Projekt, weil sie an-
ere Sorgen hat, als ein Milliardengrab mit schönen Din-
en vor ihren Augen erblühen zu sehen.
arum die Mehrheit des Gemeinderats Hunderte von
illionen Euro dafür ausgibt, während er gleichzeitig
oziale und kulturelle Leistungen kürzt und, wie gesagt,
och nicht einmal in der Lage ist, seine Schulgebäude zu
eparieren, versteht die Bevölkerung nicht, und wir ver-
tehen das auch nicht.
Dieses Projekt wird auch keine Beglückung für den
ffentlichen Verkehr werden, sondern es wird zu einer
enachteiligung kommen. Wenn Sie sich in unserem
and auskennen würden, dann würden Sie die Langsam-
ahrstellen kennen und wissen, wie sehr wir bei Projek-
en des öffentlichen Nahverkehrs zurückhängen. Sie
ürden dann wissen, dass dieses Bahnhofsprojekt zulas-
en des Ausbaus der Rheintalschiene gehen wird.
ie würden dann auch wissen, dass dieses Projekt zulas-
en der Elektrifizierungsmaßnahmen in Baden-Württem-
erg und beispielsweise auch der Südbahn gehen wird.
Sie können das Geld in diesen Zeiten nicht zweimal
usgeben. Sie haben auf dem Altar der Banken Milliar-
en Euro verbrannt, und wir stehen in der größten fi-
anzpolitischen Misere. In einer solchen Situation geht
s nicht darum, schöne Bahnhöfe zu bauen, sondern es
eht darum, den realen schienengebundenen Personen-
1052 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 12. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2009
)
)
Ulrich Maurer
verkehr und insbesondere den Nahverkehr zu verbes-
sern. Das sind die Zeichen der Zeit, die Sie nicht erkannt
haben.
Es geht auch nicht, dass Sie die öffentlichen Kassen
ausplündern, um ein Prestigeobjekt durchzusetzen und
in einer Machtdemonstration recht zu behalten. Schon
gar nicht geht es, dass Sie die Bilanzen solcher Projekte
frisieren. So, wie die Bilanz der Bahn für den Börsen-
gang frisiert worden ist, wird auch dieses Projekt wun-
derbar rauf-, runter- und schöngerechnet,
als ob wir nicht das Erlebnis gehabt hätten, dass der
Leipziger Kopfbahnhof mittlerweile das Doppelte kos-
tet, und als ob wir nicht mitbekommen hätten, dass ur-
sprünglich einmal mit 4,9 Milliarden Euro gerechnet
wurde, die sich in kurzer Zeit wunderbarerweise auf
4,1 Milliarden Euro zurückverwandelt haben. Das haben
wir alle natürlich gemerkt, und das hat auch die Bevöl-
kerung dieser Stadt gemerkt.
Deswegen sage ich Ihnen: Dies ist ein Projekt der
Verschwendung öffentlicher Mittel in schwierigen Zei-
ten. Dies ist ein Projekt zulasten des schienengebunde-
nen Verkehrs.
Dies ist ein Prestigeprojekt, das gegen die Bevölke-
rungsmehrheit durchgesetzt werden soll. Deswegen bin
ich dafür, um in Ihrer Bildersprache zu bleiben, dass wir
die Signale von Grün auf Rot stellen.
Herr Kollege Maurer, wäre das Ihre Jungfernrede ge-
wesen, dann hätte die Begeisterung des Kollegen Dehm
schwerlich stärker ausfallen können.
Aber auch so nehmen wir das mit besonderem Respekt
zur Kenntnis.
Nun erhält der Kollege Winfried Hermann für die
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe
Fangemeinde des Unterirdischen,
es ist schon erstaunlich, dass man im Jahre 2009 einen
unterirdischen Bahnhof mit der Moderne verwechseln
kann.
E
9
D
g
s
o
f
b
b
f
a
e
b
u
V
r
w
w
N
f
i
B
c
i
s
f
S
s
S
e
w
n
s
z
a
d
u
d
g
l
a
s ist ein durch und durch altmodisches Projekt der
0er-Jahre.
In den 90er-Jahren wurden die Großstädte in ganz
eutschland mit Plänen für unterirdische Bahnhöfe be-
lückt.
Deutschland sollte in einem quasi unterirdischen Bahn-
ystem verbunden werden, sozusagen wie ein U-Bahn-
der Lufthansa-Netz unterirdisch durch Deutschland.
Man hat in den Städten gerechnet und gerechnet, und
ast alle Projekte sind gestorben. Nur eines ist übrig ge-
lieben: das in Stuttgart. Frankfurt und andere Städte ha-
en aufgegeben, weil man überall nachgerechnet und
estgestellt hat, was für ein Blödsinn es ist, Geld dafür
uszugeben, dass die Leute möglichst schnell unter der
igenen Stadt vorbeifahren. Dass ausgerechnet Schwa-
en Milliarden dafür ausgeben, dass man unterirdisch
nter ihrer schönsten Stadt durchfährt, um anschließend
ideos zu verschenken, damit die Bahnreisenden erfah-
en, wie die Stadt aussieht, ist besonders absurd.
Das Projekt ist verkehrspolitisch völlig daneben. Des-
egen waren auch übrigens alle Bahnverbände und Um-
eltorganisationen von Anfang an gegen dieses Projekt.
ur diejenigen, die selber in der Regel fliegen oder Auto
ahren, wollten die Bahn mit Geld beglücken. Dann ist
hnen das unterirdische Projekt eingefallen.
Unterirdisch ist an diesem Projekt die Finanzierung.
egonnen hat man in den 90er-Jahren mit dem Verspre-
hen, dass sich dieses Projekt selbst rechnet. Deswegen
st es heute noch im Bundesministerium als eigenwirt-
chaftlich dargestellt. Dabei ist alles, aber auch alles öf-
entlich finanziert. Eigenwirtschaftlich ist es in dem
inne: Die verkaufen die Flächen, und damit rechnet
ich das.
Die Flächen stehen aber schon seit 10, 15 Jahren in
tuttgart zum Verkauf. Sie sind schwer verkäuflich, weil
ine Innenstadt nicht einfach auf das Doppelte vergrößert
erden kann. Bürogebäude und Kaufhäuser kann man
icht verdoppeln, wenn die Bevölkerung und die Wirt-
chaft nicht wachsen.
Unterirdisch ist auch, wie dieses Projekt weiter finan-
iert wurde. Noch vor einem Jahr wurde im Haushalts-
usschuss gesagt, dieses Projekt sei das am besten
urchkalkulierte Projekt. Die Kosten lagen noch deutlich
nter 3 Milliarden Euro.
Der Staatssekretär hat zwei Tage vor der Entschei-
ung des Aufsichtsrates dem Ausschuss einen Brief vor-
elegt, demzufolge das Projekt immer noch 3 Mil-
iarden Euro kosten sollte. Zwei Tage später waren es
uf einmal 4 Milliarden Euro, und dann sagen Sie, das
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 12. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2009 1053
)
)
Winfried Hermann
sei gut gerechnet; es sei ordentlich und gut gewirtschaftet
worden. Bis zum heutigen Tag hat weder der Ausschuss
oder irgendjemand sonst von Ihnen die Wirtschaftlich-
keitsrechnung für dieses Projekt gesehen. Keiner!
Lange hieß es, man könne sie unter Verschluss einse-
hen. Aber nicht einmal das war möglich. Niemand im
Bundestag hat die Wirtschaftlichkeitsrechnung gesehen.
Es gibt übrigens auch im Ministerium niemanden, der
sie gesehen hat. Denn die Wirtschaftlichkeitsrechnung
wurde an eine Firma ausgelagert, die auch sonst Bahn-
projekte begutachtet und zum Teil von der Bahn lebt.
Wir wissen also nicht wirklich, was dieses Projekt
kostet. Nun haben wir kurz vor der Entscheidung aus in-
ternen Quellen erfahren, dass dieses Projekt 5 Mil-
liarden Euro gekostet hätte. Dann hat man in wenigen
Wochen 900 Millionen Euro herausgerechnet durch Ein-
sparungen beispielsweise bei der Tunnelstärke bzw. der
Betonstärke, nach dem Motto „Wir wollen ja keine Bun-
ker bauen, sondern Tunnels“. Insofern frage ich mich:
Waren vorher Bunkeringenieure oder Eisenbahningeni-
eure mit der Planung befasst?
Es ist doch aberwitzig, zu glauben, dass man so eine
Summe kurzerhand kleinrechnen kann.
Dieses Projekt ist von Anfang an preislich unter Wert ge-
rechnet worden, damit man es politisch durchpauken
kann. Jetzt kostet es schon das Doppelte, aber Sie neh-
men immer noch nicht Abstand davon.
Sie wollen die Wirtschaftlichkeitsrechnung nicht einmal
sehen. Nein, Sie wollen das Projekt durchsetzen. Wir
verlangen nicht einmal mehr von Ihnen, dass Sie das
Projekt aufgeben. Aber nehmen Sie wenigstens die Wirt-
schaftlichkeitsrechnung zur Kenntnis und rechnen Sie
nach!
Die Neubaustrecke lehnen wir übrigens nicht grund-
sätzlich ab. Wir lehnen die Form ab, und wir lehnen es
ab, den Bau einer Strecke zu beschließen, die nicht ein-
mal vollständig planfestgestellt ist. Von sieben Bauab-
schnitten sind gerade einmal zwei planfestgestellt. Für
diese Strecke, die übrigens gleich viele Tunnel hat wie
das Projekt Stuttgart 21, wird nur mit 2 Milliarden Euro
gerechnet. Warum eigentlich sollen wir es zum halben
Preis bekommen? Wir wissen heute alle aus vergleichba-
ren Projekten, dass es mindestens 4 Milliarden bis 6 Mil-
liarden Euro kosten wird. Wenn Sie alles zusammen-
rechnen, kommen Sie auf ein Projekt von mindestens
10 Milliarden Euro.
Des Weiteren haben Sie gesagt, man könne durch das
Projekt Schienenverkehr verlagern. Die Neubaustrecke
kann aber nicht einmal Güterzüge aufnehmen.
E
g
P
D
E
E
k
d
W
D
C
A
l
S
h
N
p
e
M
v
d
te
v
d
W
H
t
d
r
R
a
w
u
A
i
t
g
s gibt Güterzüge nur auf dem Papier, die in der Praxis
ar nicht vorkommen. Sie aber behaupten, das sei ein
rojekt zur Verlagerung von Verkehr auf die Schiene.
as ist doch nur in Unkenntnis dahergesprochen.
s ist eine Behauptung, die nicht nachvollziehbar ist.
Liebe Fangemeinde, dieses Projekt rechnet sich nicht.
s ist nicht wirtschaftlich. Es schadet dem Schienenver-
ehr und den Kunden. Es ist schlicht und einfach unterir-
isch. Nehmen Sie Abstand davon! Denken Sie nach!
ir haben in unserem Antrag ein Moratorium gefordert.
ann können Sie auch nachrechnen.
Vielen Dank.
Dr. Stefan Kaufmann ist der nächste Redner für die
DU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der
ntrag der Grünen ist überholt und allenfalls ein hilf-
oser Versuch, den dringend notwendigen Ausbau des
chienenverkehrs in Baden-Württemberg und darüber
inaus in letzter Minute auf das Abstellgleis zu schieben.
ehmen Sie bitte zur Kenntnis, dass sich die Projekt-
artner nach jahrelangen Verhandlungen im April auf
ine solide Finanzierung des Projekts geeinigt haben.
it der Entscheidung des Lenkungsausschusses in der
origen Woche stehen die Signale für Stuttgart 21 und
ie Neubaustrecke Wendlingen–Ulm auf Grün. Die Kos-
n des Bauvorhabens sind – wir haben es bereits gehört –
ertraglich abgesichert, und der Beitrag des Bundes zu
iesem Projekt ist auf 563 Millionen Euro gedeckelt.
enn Sie dies nicht wahrhaben wollen oder können,
err Kollege Hermann, betreiben Sie schlichtweg Reali-
ätsverweigerung.
Nehmen Sie bitte zur Kenntnis, Herr Kollege Maurer,
ass das Projekt über Jahrzehnte von breiten parlamenta-
ischen Mehrheiten im Stuttgarter Gemeinderat, in der
egionalversammlung, im Landtag und nicht zuletzt
uch hier im Bundestag beschlossen und getragen
urde. Stuttgart 21 ist damit von allen Parlamenten voll-
mfänglich demokratisch legitimiert.
uch die Sozialdemokraten haben dankenswerterweise
mmer zu diesem Projekt gestanden.
Nehmen Sie bitte ebenfalls zur Kenntnis, dass Ihr Par-
eivorsitzender Cem Özdemir mit Stimmungsmache ge-
en Stuttgart 21 in den Wahlkampf gezogen ist und die
1054 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 12. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2009
)
)
Dr. Stefan Kaufmann
Wahl in Stuttgart verloren hat. Herr Özdemir hat im
Übrigen schlichtweg die Unwahrheit gesagt, als er be-
hauptete, er könne Stuttgart 21 hier in Berlin noch ver-
hindern. Herr Kollege Hermann, das wird heute offen-
sichtlich nicht einmal Ihnen gelingen. Stellen Sie sich
also endlich Ihrer Verantwortung, und machen Sie
Schluss mit Ihrer Blockadehaltung! Fangen Sie endlich
an, die konkrete Umsetzung des Projekts konstruktiv zu
begleiten, genauso wie es Ihr Landtagsabgeordneter
Werner Wölfle schon im April in der Presse angekündigt
hat!
Wir müssen – auch das ist richtig – die Sorgen der
Stuttgarterinnen und Stuttgarter gegenüber dem Projekt
ernst nehmen; hierzu stehe ich. Der Dialog mit den Bür-
gerinnen und Bürgern ist notwendig, genauso wie Auf-
richtigkeit. Wir dürfen den Bürgerinnen und Bürgern
nicht Sand in die Augen streuen. Der richtige Zeitpunkt,
das Projekt grundsätzlich infrage zu stellen, war wäh-
rend der Diskussion über die Grundsatzbeschlüsse in den
Jahren 1995 bzw. 2001. Das haben Sie damals schlicht
versäumt. Unser Staatswesen beruht auf der Einhaltung
der Gesetze. Auch die Stuttgarter Gemeindeordnung bin-
det Politik und Verwaltung. Insofern waren die 65 000
gesammelten Unterschriften für ein Bürgerbegehren
zwar ein politisches Signal, aber juristisch nicht relevant.
Meine Damen und Herren von den Grünen, das Ableh-
nen des Bürgerbegehrens haben daher die Initiatoren und
die Projektgegner und nicht die Projektbefürworter, Bau-
herren und Geldgeber zu verantworten.
Man kann Diskussionen über Projekte dieser Größen-
ordnung nicht zur Unzeit führen; auch das muss heute
gesagt sein. Es ist sehr wohl die Aufgabe des Parlaments
und des Verkehrsausschusses, die Kosten im Blick zu
behalten. Wie durchschaubar die Politik der Grünen in
diesem Punkt allerdings ist, zeigt gerade der Umgang
mit der Neubaustrecke Wendlingen–Ulm. Man findet
vonseiten der Grünen bis zum August dieses Jahres
keine einzige negative Aussage zur Neubaustrecke, de-
ren Notwendigkeit wohlgemerkt schon 1992 festgestellt
wurde. Erst im vorliegenden Moratoriumsantrag ziehen
Sie die Neubaustrecke mit Fragen zur angeblich fehlen-
den Wirtschaftlichkeit erstmals in Zweifel, und dies völ-
lig zu Unrecht, Herr Kollege Hermann. Die Neubaustre-
cke ist auf 40 Güterzüge neuerer Bauart täglich
ausgelegt. Dies rechnet sich.
Ich hätte mir jedenfalls nie träumen lassen, einen solch
dringenden Ausbau der Schieneninfrastruktur gegen eine
Partei verteidigen zu müssen, die sich seit ihrer Grün-
dung für die Stärkung des Schienenverkehrs und eine
grüne Stadtentwicklungspolitik ausgesprochen hat.
Zudem gilt es, die betriebswirtschaftlichen Kosten
des Projekts gegen den volkswirtschaftlichen Nutzen ab-
zuwägen. Mit Stuttgart 21 und der Neubaustrecke Wend-
l
g
h
s
g
b
r
s
a
g
s
P
b
t
Z
T
S
–
z
A
e
g
n
K
s
j
v
v
u
G
Ach so.
Nein, der Kollege von der CDU – -
Einen Augenblick, Frau Kumpf. Das geht Ihrer Rede-
eit nicht verloren. Wir hatten hier widersprüchliche
uskünfte, ob das denn nun die erste Rede gewesen sei.
Nein.
Also waren die anderen Auskünfte richtig. Aber wenn
s die erste Rede gewesen wäre, hätte ich dazu prompt
ratuliert.
Frau Kumpf, Ihre erste Rede ist es nach meiner Erin-
erung auch nicht. Dann haben Sie jetzt das Wort.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
ollegen! Ich hätte mir eigentlich einen schöneren Ab-
chluss für heute vorgestellt und nicht gedacht, dass ich
etzt hier das letzte Wort haben darf,
or allem weil Stuttgart in meinem Wahlkreis und dem
on Herrn Kaufmann ist. Stuttgart 21 ist ein Projekt, das
ns als SPD schon lange beschäftigt. Es hat auch den
emeinderat und die Region beschäftigt. Als das Projekt
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 12. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2009 1055
)
)
Ute Kumpf
1994 auf den Weg gebracht wurde, haben sich das Land
und der Bund damit beschäftigt. Ulrich Maurer, ich
werde nicht vom Saulus zum Paulus, weil ich mein Ge-
schlecht nicht ändern will, ganz einfach, auch weil ich
keine Wendehälsin bin und weil ich dieses Projekt lange
sehr kritisch begleitet habe.
Was mich bei der Debatte über dieses Projekt – das mer-
ken auch Sie im Plenum – stört, ist, wie populistisch
vonseiten der Grünen argumentiert wird
und mit welchen Argumenten hier Vergleiche gezogen
werden. Das Gleiche gilt auch für Herrn Maurer.
Es gibt immer die üblen Vergleiche: Wenn das Geld
nicht für Stuttgart 21 ausgegeben würde, dann könnte es
für Schulen ausgegeben werden. Die schlichte Konse-
quenz aber ist: Dann wird das Geld überhaupt nicht in
Stuttgart ausgegeben, sondern es wird woanders verbud-
delt. Schauen Sie sich den Verkehrshaushalt an! Mit die-
sem Projekt werden in der Bevölkerung in populistischer
Weise Ängste geschürt. Die Grünen – das muss ich an
der Stelle sagen, weil ich selbst Betroffene war – haben
Versprechungen gemacht und wollten bei den OB-Wah-
len einen Kuhhandel organisieren. Dabei war eindeutig
klar, dass zu dieser Planung kein Bürgerbegehren zuläs-
sig ist, aber ein grüner Oberbürgermeister sich dann die
Stimmen hat kaufen lassen von der CDU – oder umge-
kehrt. Da gab es Kuhhandel, die dieses Projekt begleitet
haben, aber es war eigentlich mehr ein Handel zwischen
Ochsen als einer zwischen Kühen.
Heute Morgen haben alle miteinander hier in diesem
Saal treu geschworen, sie wollten CO2-Emissionen ver-
mindern. Was soll denn mit diesem Projekt passieren,
Kollege Hermann?
Wir wollen mit diesem Projekt eine nachhaltige Mobili-
tät organisieren. Wir wollen integrierte Verkehrssysteme
organisieren. Wir erhalten vier neue Bahnhöfe. Der
Bahnhof wird tiefer gelegt, wir bekommen einen Filder-
bahnhof, wir bekommen eine neue S-Bahn, und es wird
mehr Verkehr insgesamt organisiert – regional, national
und international.
Was soll daran schlecht sein?
Dass Stuttgart dieses braucht, ist klar. Kollege Hermann,
die Verbindung von Tübingen nach Stuttgart, die B 27,
ist morgens immer dicht. Die Leute brauchen einfach
e
b
ü
m
g
v
g
i
D
m
j
b
D
s
t
K
s
d
f
W
w
g
i
v
u
t
M
s
z
M
1
w
f
v
u
d
d
S
K
d
p
u
r
a
g
l
k
A
w
ass es teuer ist, in einer solchen Topografie zu bauen,
uss ein Verkehrsausschussvorsitzender wissen; denn
edes Bauvorhaben in Stuttgart wird teuer. Jede Straße
ei uns wird teuer.
ann muss man bitten und betteln, dass man einen ent-
prechenden Zuschlag bekommt.
Es gibt noch etwas, das mich ärgert: das Nutzen-Kos-
en-Verhältnis; das habe ich im Ausschuss auch dem
ollegen Hofreiter gesagt. Wir sind der wirtschafts-
tärkste Raum, nicht nur in Baden-Württemberg, son-
ern auch in der Bundesrepublik und in Europa. Ich
inde es fahrlässig, dass die Grünen einer solch starken
irtschaftsregion eine Infrastruktur, die in die Zukunft
eist, verweigern wollen. Das finde ich fahrlässig ge-
enüber den Kollegen und Kolleginnen in den Betrieben
n Stuttgart, die ein großes Interesse daran haben, dass
on diesem Projekt Wachstumsimpulse ausgehen.
Ein weiterer Nutzen ist, dass der gesamte Filderraum
nd somit 250 000 Menschen einen neuen Verkehrskno-
en bekommen. Mit diesem Bahnhof werden an der
esse und am Flughafen 100 000 Arbeitsplätze ange-
chlossen. Es wurde schon erläutert, dass sich die Fahrt-
eiten verkürzen. Was die Flughäfen Karlsruhe und
annheim betrifft, verkürzt sich die Fahrtzeit von
Stunde 45 Minuten auf nur noch 55 Minuten. Von Ulm
ird kein Mensch mehr mit dem Auto zum Flughafen
ahren, weil man dann innerhalb von nur 20 Minuten
on Ulm zum Flughafen kommt. All dies sind Vorzüge
nd Verbesserungen der nationalen Verbindungen.
Ein weiterer Aspekt ist: Wir können organisieren,
ass viele Menschen statt der Straße die Schiene nutzen;
as gilt auch für den regionalen Verkehr. Die Universität
tuttgart hat ausgerechnet, dass 350 Millionen Pkw-
ilometer auf die Schiene verlagert werden und dass wir
adurch insgesamt rund 70 000 Tonnen Kohlendioxid
ro Jahr sparen können.
Noch eine Anmerkung. In der Auseinandersetzung
m den Planungsprozess gab es viele verletzende Äuße-
ungen. Wenn man in den Zeitungen liest, das sei Mord
n der Demokratie oder Mord an der Stadt – das wird so-
ar von Ihnen mitgetragen – und dass Befürworter einer
eistungsstarken Infrastruktur, nicht etwa Fan-Clubs, dis-
reditiert werden, dann ist eine Grenze der politischen
useinandersetzung überschritten. Das Gleiche gilt,
enn hier immer wieder behauptet wird, die Zahl von
1056 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 12. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2009
)
)
Ute Kumpf
3 Milliarden Euro sei von heute auf morgen auf
4,088 Milliarden Euro erhöht worden.
– Herr Kollege, Sie selbst haben die Sitzung des Ver-
kehrsausschusses als sein Vorsitzender geleitet. Sie ha-
ben genau erfahren, wie diese Werte zustande gekom-
men sind. Es ist unredlich, hier so zu tun, als würde mit
Taschenspielertricks gearbeitet.
Ich bitte Sie um mehr Redlichkeit, mehr Glaubwürdig-
keit und mehr Einsatz für die Verkehrsinfrastruktur einer
Region, für die Sie den Auftrag bekommen haben.
Herzlichen Dank.
Ich bin sicher, dass die Kollegin Kumpf bemerkt hat,
dass der Präsident in besonderen Notlagen auch bei Kol-
legen, die hier nicht ihre erste Rede halten, freiwillig ei-
nen Zuschlag zur Redezeit gewährt.
Ich schließe damit die Aussprache.
Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Aus-
schusses für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung zum
Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen mit dem Ti-
tel „Moratorium für Stuttgart 21 – Wirtschaftlichkeit des
Großprojektes vor Baubeginn sicherstellen“.
Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfeh-
lung auf Drucksache 17/268, den Antrag der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 17/125 abzuleh-
nen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer
stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist die Be-
schlussempfehlung angenommen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 17 a bis 17 c auf:
a) Erste Beratung des von den Abgeordneten
Rüdiger Veit, Dr. Dieter Wiefelspütz, Olaf Scholz,
weiteren Abgeordneter und der Fraktion der SPD
eingebrachten Entwurfs eines … Gesetzes zur
– Drucksache 17/207 –
Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss
Rechtsausschuss
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
b) Zweite und dritte Beratung des von den Abgeord-
neten Josef Philip Winkler, Volker Beck ,
Ingrid Hönlinger, weiteren Abgeordneten und der
Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN einge-
brachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung
des Aufenthaltsgesetzes
– Drucksache 17/34(neu) –
A
d
R
P
d
o
f
n
Ü
a
v
n
A
B
g
s
d
a
g
H
G
e
t
B
t
f
B
1)
richts des Innenausschusses zu
dem Antrag der Abgeordneten Ulla Jelpke, Jan
Korte, Sevim Dağdelen, weiterer Abgeordneter
und der Fraktion DIE LINKE
Für ein umfassendes Bleiberecht
– Drucksachen 17/19, 17/278 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Reinhard Grindel
Rüdiger Veit
Hartfrid Wolff
Ulla Jelpke
Josef Philip Winkler
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
ussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Ich höre
azu keinen Widerspruch.
Die Kollegen Reinhard Grindel, Stephan Mayer,
üdiger Veit, Hartfrid Wolff, Ulla Jelpke und Joseph
hilip Winkler haben dazu brillante Reden vorbereitet,
ie sie unverständlicherweise nicht vortragen wollen,
bwohl Einzelne sogar persönlich anwesend sind. Das
inde ich bedauerlich, nehme es aber zur Kenntnis. Wir
ehmen die Reden damit zu Protokoll.1)
Tagesordnungspunkt 17 a. Interfraktionell wird die
berweisung des Gesetzentwurfes auf Drucksache 17/207
n die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse
orgeschlagen. Hat jemand andere Vorschläge? – Das ist
icht der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Unter dem Tagesordnungspunkt 17 b geht es um die
bstimmung über den Gesetzentwurf der Fraktion
ündnis 90/Die Grünen zur Änderung des Aufenthalts-
esetzes. Der Innenausschuss empfiehlt unter Buchstabe a
einer Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/278,
en Gesetzentwurf der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen
uf Drucksache 17/34(neu) abzulehnen. Ich bitte diejeni-
en, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das
andzeichen. – Wer ist dagegen? – Wer enthält sich? – Der
esetzentwurf ist in zweiter Beratung abgelehnt. Damit
ntfällt nach unserer Geschäftsordnung die weitere Bera-
ung.
Unter dem Tagesordnungspunkt 17 c geht es um die
eschlussempfehlung des Innenausschusses zu dem An-
rag der Fraktion Die Linke mit dem Titel „Für ein um-
assendes Bleiberecht“. Der Ausschuss empfiehlt unter
uchstabe b seiner Beschlussempfehlung auf Druck-
Anlage 6
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 12. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2009 1057
(C)
(D)
Präsident Dr. Norbert Lammert
sache 17/278, den Antrag der Fraktion Die Linke auf
Drucksache 17/19 abzulehnen. Wer stimmt dieser Be-
schlussempfehlung zu? – Wer stimmt dagegen? – Wer
enthält sich? – Damit ist die Beschlussempfehlung ange-
nommen.
Damit sind wir am Schluss unserer heutigen Tages-
ordnung.
Ich bedanke mich bei allen, die so lange und so diszi-
pliniert dieser Veranstaltung beigewohnt haben.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bun-
destages auf morgen, Freitag, den 18. Dezember 2009,
9 Uhr, ein.
Ich hoffe, Ihnen fällt etwas Vernünftiges zur Überbrü-
ckung der verbleibenden Zeit ein.
Ich schließe damit die Sitzung.