Gesamtes Protokol
Die Sitzung ist eröffnet. Guten Morgen, liebe Kolle-
ginnen und Kollegen! Ich begrüße Sie alle herzlich.
Ich darf Ihnen zu unserer heutigen Tagesordnung die
ergänzende Mitteilung machen, dass interfraktionell ver-
einbart worden ist, den Zusatzpunkt 9 – Biokraftstoffe –
abzusetzen und die Tagesordnungspunkte 33 und 34 zu
tauschen.
Sind Sie damit einverstanden? – Das scheint der Fall zu
sein. Dann ist das so beschlossen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wie ich heute Mor-
gen im Radio gehört habe, ist heute der Tag des Thea-
ters. Nun könnte man meinen, das hätten wir im Deut-
schen Bundestag täglich. Es könnte aber sein, dass wir
heute der besonderen Beobachtung einiger Theaterkriti-
ker unterliegen. Darauf wollte ich die nachfolgenden
Rednerinnen und Redner aus kollegialer Fürsorge recht-
zeitig aufmerksam machen.
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n
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Redet
Ich rufe nun die Tagesordnungspunkte 30 a und b auf:
a) Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/
CSU und der SPD eingebrachten Entwurfs eines
… Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes
– Drucksache 16/12410 –
Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuss
Innenausschuss
Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklun
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Haushaltsausschuss
CSU und der SPD eingebrachten Entwurfs eines
Begleitgesetzes zur zweiten Föderalismus-
reform
– Drucksache 16/12400 –
Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuss
Innenausschuss
Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Haushaltsausschuss mitberatend und gemäß § 96 GO
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
iese Aussprache zwei Stunden vorgesehen. – Auch da-
egen gibt es offenkundig keine Einwände. Dann kön-
en wir so verfahren.
Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort zu-
ächst dem Kollegen Dr. Peter Struck für die SPD-Frak-
ion.
ext
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Her-ren! Ich möchte nicht in meiner Eigenschaft als Vorsit-zender der SPD-Fraktion hier sprechen, sondern alsVorsitzender der Föderalismuskommission für das ganzeHaus, weil ich zusammen mit dem Kollegen GüntherOettinger, bei dem ich mich herzlich für die Zusammen-arbeit bedanke,
diese Kommission geleitet habe.Ich bin mit diesem Paket im Großen und Ganzen zu-ube, dass wir Grund haben, den Vertre-es, also den Fraktionen des Deutschenenauso wie den Bundesratsmitgliedern,Kommission mitgearbeitet haben, zugfrieden. Ich glatern des BundBundestages, gdie in dieser
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Dr. Peter Struckdanken; denn sie haben ein Paket zustande gebracht, dassich sehen lassen kann.Aus verfassungsästhetischen Gesichtspunkten würdeich allerdings ein deutliches Fragezeichen machen. Wirhaben als Juristen gelernt, eine Verfassung solle klar undeinfach formuliert sein. Was wir jetzt aufgeschrieben ha-ben, ist mit Verfassungsästhetik kaum zu vergleichen.Ich gebe das zu. Aber die Sachverhalte, über die wir zuentscheiden hatten, sind komplizierter geworden. Dassman in eine Verfassung sogar Eurobeträge hineinschrei-ben muss, ist auch nicht der Normalfall. Aber es ist not-wendig gewesen, um die Beträge, die festgelegt wordensind, verfassungsfest zu machen und nur mit einer Zwei-drittelmehrheit ändern zu können. Ich komme nachherdarauf zurück.Ich frage mich, warum wir ähnlich wie bei der erstenFöderalismusreform ein eigentümliches Missverhältnisfeststellen können. Ich meine das Missverhältnis zwi-schen einerseits der Leidenschaft, mit der wir, also diepolitische Klasse, über dieses Thema diskutieren, unddem großen Engagement in vielen Fragen und anderer-seits dem gewissen Desinteresse an diesem Thema undteilweise auch Unverständnis in den öffentlichenMedien für das, was wir in den vergangenen zwei Jah-ren beraten haben. Die Medien haben eigentlich nurbeobachtet: Bekommen die einen Kompromiss zu-stande? Die Inhalte dieses Kompromisses, die wirklichsehr schwierig waren, haben nur die wenigsten verstan-den. In der öffentlichen Bewertung der von uns vorge-legten Abschlussvorschläge ist man uns, glaube ich,nicht gerecht geworden.Die Vorschläge, die die Föderalismuskommission ge-macht hat, reichen sehr weit. Um es gleich am Anfang zusagen: Ich hoffe, dass es uns gelingen wird, im Deut-schen Bundestag eine Zweidrittelmehrheit zu erreichen.Ich sehe besonders in die Richtung der Kollegen von derFDP, in Richtung des Kollegen Burgbacher und des Kol-legen Wissing, die mitgearbeitet haben. Ich meine, dassSie trotz der vielen Bedenken, die Sie zu Recht angemel-det haben, diese Chance nutzen und über die Beratungenim Bundesrat und über die Vertretungen der Länder, indenen Sie an der Regierung beteiligt sind, bewerten undklären sollten, ob Sie diesem Paket zustimmen können.Ich bitte und werbe sehr darum, weil ich glaube, dass esschon ein großer Schritt nach vorne wäre, wenn wir unswirklich einigen könnten.Es ist insgesamt ein gutes Ergebnis für den Bund,aber auch für die Länder. Unser Ergebnis zeigt übrigens,dass der solidarische und kooperative Föderalismus derBundesrepublik Deutschland funktioniert und tragfähigist.
Ich habe direkt im Anschluss an unsere Einigung in derJulius-Leber-Kaserne gesagt, dass wir geradezu eineSternstunde des kooperativen Bundesstaates erlebthaben. Bei dieser Bewertung bleibe ich, vom Ausgangs-punkt her gesehen. Ich bleibe dabei: Es ist eine Stern-stunde des Föderalismus. Denn die Einigung, die wirjdwsBuwbdwdswmBspmewiLsbHazcaSEnDdmeaOfsdwsrkNta
Das gemeinsame Verständnis zwischen Bund undändern hat sich vor allen Dingen bei dem Thema derogenannten Konsolidierungshilfen für Länder inesonders schwieriger Haushaltslage gezeigt. Dieseilfen werden vom Bund und von den Ländern je hälftigufgebracht. Sie sollen sicherstellen, dass alle Länder bisum Jahre 2020 einen ausgeglichenen Haushalt errei-hen können.Ich will deutlich sagen: Ein herzlicher Dank gilt vorllem dem Bundesminister der Finanzen, Herrnteinbrück, der bereit ist, acht Jahre lang 400 Millionenuro, also insgesamt 3,2 Milliarden Euro, zu zahlen. Ih-en herzlichen Dank dafür, Herr Kollege Steinbrück!
er Dank gilt aber auch den Vertretern des Bundesrates,en Ländern. Ein Land, das sich besonders beteiligenuss, ist das Land Baden-Württemberg, das bereit ist,inen eigenen Anteil zu leisten, um den Länderanteilufzubringen. Auch Ihnen herzlichen Dank, Herrettinger! Dies gilt gleichermaßen für Nordrhein-West-alen und viele andere Geberländer, die ebenfalls bereitind, Geld dafür bereitzustellen.
Es ist eine solidarische Anstrengung verabredet wor-en, die es ermöglicht, dass die Länder, die sich jetzt undahrscheinlich auch in den nächsten Jahren in einerchwierigen Haushaltslage befinden, im Jahr 2020 – vo-aussichtlich – einen ausgeglichenen Haushalt vorlegenönnen; es sei denn, es kommen wieder konjunkturelleotsituationen auf uns zu wie die, mit der wir es jetzt zuun haben.Ich bin aber auch auf andere Teile des Pakets durch-us stolz. Das gilt vor allen Dingen für die Teilprojekte,
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Dr. Peter Struckmit denen Kooperation und Solidarität im Bundesstaatakzentuiert werden. In diesem Zusammenhang ist zumBeispiel die neue IT-Verfassungsbestimmung zu nennen;der Kollege Körper wird darüber sprechen. Die Einigungauf ein zentrales Krebsregister, das nach 30-jähriger Dis-kussion nun endlich verwirklicht wird, ist ebenfalls zunennen. Auch das hat die Kommission erreicht. DieBundesgesundheitsministerin und alle Gesundheits-minister der Länder werden dankbar dafür sein, dass wirdas erreicht haben. Das ist ein großer Fortschritt in derGesundheitspolitik.
Es ist gut und wichtig, dass wir es erreicht haben, dassogenannte Kooperationsverbot zu lockern. Sie erlau-ben, dass ich an dieser Stelle nicht in meiner Eigenschaftals Vorsitzender der Kommission spreche, sondern inmeiner Eigenschaft als Vorsitzender der SPD-Fraktion.Ich glaube, dass wir in der Föderalismuskommission Iim Bereich der Bildung einen Fehler gemacht haben,was die Kooperation angeht. Ich weiß aber auch, dassdamals andere Lösungen nicht möglich waren. Ich warschon damals an der Debatte beteiligt. Jetzt haben wirden Versuch unternommen, das sogenannte Koopera-tionsverbot etwas zu lockern. Ich hätte gerne mehr er-reicht.
Wir haben einen entsprechenden Antrag gestellt. Ichmuss aber akzeptieren, dass nahezu alle 16 Bundeslän-der nicht bereit waren, mehr zu geben. Wir können nach-her gerne darüber reden. Ich möchte das nur einmal fest-stellen. Natürlich brauchen wir für eine Änderung eineZweidrittelmehrheit.Wir haben lange über die Änderung des Art. 104 bGrundgesetz gesprochen. Mit dem, was wir jetzt verein-bart haben, können wir auch ein aktuelles Problem lösen.Der Bundestag hat mit Mehrheit der Koalition ein Kon-junkturprogramm beschlossen, über das den GemeindenGeld für den Bau von Schulen usw. zur Verfügung ge-stellt wird. Nach der Verfassung ist das eher eine Aus-nahme, weil wir im Grunde nur bei der energetischenSanierung von Schulgebäuden helfen dürfen. Ich bindankbar dafür, dass die Vertreter der Bundesregierung inder Kommission klar gesagt haben: Das, was wir jetztmachen – das ist ja eine große Hilfe für die Gemeinden;wir geben nicht nur Geld für die energetische Sanierungvon Schulgebäuden, sondern auch für Sportstätten unddergleichen –, ist durch die geplanten Neufassung desArt. 104 b Grundgesetz absolut gedeckt. Ich bin Ihnendankbar, Herr Minister Steinbrück – –
– So geht das nicht, Herr Kollege Steinbrück.
Wir haben gerade über das Konjunkturpaket geredet, umdas noch einmal kurz zu erklären.BddiAgwdgagtpVmFiKmgdIzm–soSdWwfdVn
Ich bin dankbar dafür, dass durch einen Brief desundesfinanzministers an die Länderfinanzminister undie kommunalen Spitzenverbände klargestellt wurde,ass das, was die Gemeinden vorhaben – Investitionenn Bildung, nicht nur in Beton –, durch den neuenrt. 104 b Grundgesetz absolut gedeckt ist. Das ist einroßer Fortschritt. Damit ist Rechtsklarheit geschaffenorden. Wir haben die richtige Entscheidung getroffen;avon bin ich überzeugt.
Ich will ein letztes Wort zum Thema Föderalismus sa-en – ich habe mir eine ganze Menge aufgeschrieben,ber das brauche ich jetzt nicht mehr –: Was wir nicht re-eln konnten, war die Neugliederung des Bundesgebie-es. Wir haben versucht, darüber zu reden. Ein Minister-räsident hat in der Kommission einen halbherzigenersuch unternommen, das anzusprechen. Ich nehmeein Lieblingsthema wieder auf – ich weiß, dass meinreund Volker Kröning gar nicht damit einverstandenst, dass ich das jetzt sage –: Ich glaube, nicht dieseommission, aber nachfolgende Kommissionen, die esit Sicherheit geben wird, werden die Frage der Neu-liederung des Bundesgebietes intensiv zu prüfen undarüber zu entscheiden haben.
ch will Ihnen jetzt nicht sagen, welche Länder vielleichtusammengelegt werden sollten. Das würde keinen Sinnachen. Aber 16 Bundesländer, wie wir sie jetzt habenGünther Oettinger ist damit auch nicht ganz einver-tanden, Ingolf Deubel ebenfalls nicht –, wird es in zehnder 15 Jahren nicht mehr geben können.
ie werden ein bisschen mehr zusammengehen müssen.Nehmen Sie dies als Vermächtnis eines ausscheiden-en Föderalismuskommissionsvorsitzenden mit auf deneg. Die jungen Kollegen sollen sich dieser Aufgabeidmen. Dabei wünsche ich ihnen von Herzen guten Er-olg.Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Das Wort erhält nun der Kollege Ernst Burgbacher für
ie FDP-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!orab bedanke ich mich bei Ihnen, Herr Struck, bei Ih-en, Herr Ministerpräsident Oettinger, und bei den Mit-
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Ernst Burgbachergliedern der Kommission. Wir alle, die wir in dieserKommission waren, haben in den zwei Jahren unsererTätigkeit wirklich versucht, etwas vorwärts zu bringen,schwierige Fragen anzupacken und sie auch zu lösen,auch wenn dies nur teilweise gelungen ist. Die Zusam-menarbeit aber war in weiten Teilen angenehm. Dafürbedanke ich mich auch im Namen meines KollegenVolker Wissing.
Ich muss allerdings auch Folgendes deutlich feststel-len: Heute hätte ein großer Tag für dieses Land sein müs-sen und können; denn dieses Land braucht eine grundle-gende Reform der Bund-Länder-Finanzbeziehungen.Wenn wir im weltweiten Wettbewerb weiterhin unserePosition halten oder ausbauen wollen, können wir diesnicht mit den Strukturen innerhalb der Länder und zwi-schen Bund und Ländern tun, die wir im Augenblick ha-ben. Dass wir eine grundlegende Reform brauchen, istunsere feste Überzeugung.
Ich nenne ein Beispiel, das inzwischen völlig verges-sen wurde: In einer Untersuchung ganz zu Beginn derReformarbeit wurde uns gesagt, eine Abschaffung desLänderfinanzausgleichs, die so nicht infrage kommt, er-höhte das Bruttoinlandsprodukt um einen Prozentpunkt.Dass darüber in der Kommission kaum gesprochenwurde, halte ich für einen Fehler.
Daher muss ich am Ende der Kommissionsarbeit sa-gen – Herr Kollege Struck, Sie wissen es –, dass ich ei-gentlich enttäuscht bin. Was die erste Große Koalition1966 bis 1969 auf den Weg gebracht hat – darauf ist un-sere gigantische Staatsverschuldung zurückzuführen –,hätte jetzt von der Großen Koalition korrigiert werdenmüssen. Aber es hat sich wieder gezeigt, dass eine GroßeKoalition offenbar nur zu den allerkleinsten Ergebnissenfähig ist. Dies wurde mit der Föderalismuskommissionerneut bewiesen.Ich erinnere ausdrücklich daran, dass diese Kommis-sion auf Druck der FDP zustande gekommen ist. Wirhatten nämlich schon in der ersten Kommission erklärt,dass es sinnlos sei, Strukturen zu reformieren, wenn mannicht an die Finanzen herangeht. Unser Druck hat dazugeführt, dass wir heute überhaupt über die Ergebnisseberaten können. Auch dies darf man einmal festhalten.
Im Einsetzungsbeschluss steht – ich zitiere es; ichhabe ihn mitgebracht –: Stärkung der aufgabenadäquatenFinanzausstattung, Stärkung der Eigenverantwortung derGebietskörperschaften und verstärkte Zusammenarbeitund Möglichkeiten zur Erleichterung des freiwilligenZusammenschlusses der Länder. – Überall Fehlanzeige!Liebe Kolleginnen und Kollegen, das Problem bei derFöderalismusreform ist, dass die wesentlichen Punktevon vornherein ausgeklammert wurden. Man hat sichawkaEOkEnkMTLndtegDbAiuJCn1hSdKPsSnJSüwsDsOd
Allerdings müssen wir feststellen: Liebe Kolleginnennd Kollegen von der Großen Koalition, Sie hatten dreiahre lang vor der Finanz- und Wirtschaftskrise diehance dazu. Sie haben Steuern massiv erhöht, begin-end mit der Mehrwertsteuererhöhung von 16 auf9 Prozent. Es gab insgesamt 20 Steuer- und Abgabener-öhungen, die zu 100 bis 150 Milliarden Euro mehrteuereinnahmen geführt haben. Trotzdem haben Sie je-es Jahr neue Schulden aufgenommen. Das ist keineonsolidierungspolitik, sondern eine unverantwortlicheolitik. Das können Sie nicht mit der Finanz- und Wirt-chaftskrise begründen.Sie müssen sich fragen lassen, warum Sie jetzt einechuldenbremse einführen. Warum haben Sie dieseicht schon vor einem Jahr konzipiert?
etzt, in der Zeit der schlimmsten Krise, wollen Sie diechuldenbremse. Sie müssen die Bevölkerung davonberzeugen, dass es Ihnen ernst ist und dass sie wirkenird. Sie hatten die Chance; Sie haben sie ungenutzt ver-treichen lassen und immer mehr Schulden gemacht.azu müssen Sie sich bekennen.
Ich habe heute Morgen in einer Tickermeldung gele-en, dass DGB-Vorstandsmitglied Claus Matecki – dieserganisation steht Ihnen nicht ganz fern – den Dortmun-er Ruhr Nachrichten gesagt hat – ich zitiere –:Das Vorhaben der Föderalismuskommission II, eineSchuldenbremse in der Verfassung festzuschreiben,ist so schädlich wie absurd.
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Ernst BurgbacherLiebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, ich er-warte von Ihnen heute ein ganz klares Wort.
Sie müssen sich davon distanzieren. Es kann nicht sein,dass wir weiter in den Schuldenstaat marschieren. Aller-dings habe ich immer wieder den Eindruck – den habenviele mit mir –, dass es vielen von Ihnen nicht ganz soernst ist, sondern dass Sie nach wie vor davon leben,Geld zu verteilen und mehr Schulden zu machen. Damitwerden Sie gegen die Wand fahren.Lassen Sie mich einen letzten Punkt in allem Ernstansprechen, weil ich ihn für sehr wichtig halte. Mankann, verehrter Herr Kollege Struck, über das Koopera-tionsverbot diskutieren. Ich war ein Befürworter desKooperationsverbots. Wir haben es am Ende der erstenFöderalismuskommission ins Grundgesetz geschrieben.Es hat in der Arbeit der Föderalismuskommission über-haupt keine Rolle mehr gespielt. In der letzten Sitzungmachten Sie den Vorschlag, Art. 104 b des Grundgeset-zes zu ändern. Sie zwangen die Union dazu, indem Siegesagt haben, dass Sie sonst nicht zustimmen. Ich sageIhnen: So können wir mit unserer Verfassung nicht um-gehen. Die Verfassung ist kein Spielball; man ändert sienicht beliebig aufgrund aktueller Ereignisse.
Ich möchte zum Schluss kommen.
Wir halten das, was jetzt vorgelegt wird, für viel zu we-nig ehrgeizig. Es ist Ausdruck der Tatsache, dass dieGroße Koalition in sich total uneinig ist. Wir machen mitder Schuldenregel einen ersten Schritt auf einem Weg,der in die richtige Richtung gehen kann. Deshalb werdenwir das sehr wohlwollend prüfen. Wenn die Details stim-men, können wir uns eine Zustimmung vorstellen. Wirversprechen Ihnen, dass wir auf dem Weg zu einer richti-gen, fundierten Neuordnung der Bund-Länder-Finanzbe-ziehungen weitergehen werden. Denn diese braucht un-ser Land.Herzlichen Dank.
Antje Tillmann ist die nächste Rednerin für die CDU/
CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Alswir vor zwei Jahren mit unserer Arbeit in der Kommis-sion zur Entflechtung der Finanzbeziehungen zwischenBund und Ländern begonnen haben, war diese Kommis-sion mit ihren Arbeitsgruppen eigentlich eher eineClosed-shop-Veranstaltung für wenige Interessierte, diefortan nicht mehr ohne Grundgesetz an Veranstaltungenteilgenommen haben und Spaß daran hatten, sich überKthudREMnGDdKnnsbgjDWcSDmZtswsrSktwSiggtuj7HStd
Ausgerechnet die Finanzmarkt- und Wirtschaftskriseat die Themen der Kommission zu den Bürgerinnennd Bürgern an die Stammtische gebracht. Angesichtser Milliardenprogramme – des 500-Milliarden-Euro-ettungsschirms für die Banken und des 50-Milliarden-uro-Konjunkturprogramms – fragen sich immer mehrenschen, ob wir diese Summen je zurückzahlen kön-en. Diese Menschen sind es, für die wir heute mit deresetzgebung zur Einführung einer Schuldengrenze ineutschland beginnen.Wir machen die Schuldengrenze für die Rentnerin,ie sich Sorgen macht, ob auch bei längerer Dauer derrise mit einer sicheren Auszahlung ihrer Rente zu rech-en ist. Wir machen die Schuldengrenze für den Unter-ehmer, der sicher sein möchte, dass der Staat in wirt-chaftlich schwierigen Zeiten auch Entlastungeneschließen bzw. konjunkturfördernde Maßnahmen er-reifen kann. Wir machen die Schuldengrenze für dieungen Menschen, die morgen Verantwortung ineutschland übernehmen und ihre eigenen Ideen zumohle dieses Landes umsetzen möchten. Und wir ma-hen die Schuldengrenze für alle Menschen, die diesentaat mit ihren Steuern finanzieren. Denn allen ist klar:ie Schulden von heute sind die Steuererhöhungen vonorgen.Wir müssen sicherstellen, dass unser Land zu jedereit, in noch so schwierigen weltwirtschaftlichen Situa-ionen, genügend Mittel zur Verfügung hat, um seinenozialen und marktwirtschaftlichen Aufgaben gerecht zuerden. Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Oppo-ition, Schuldenbegrenzung ist Sozialpolitik, weil ge-ade die Schwachen darauf angewiesen sind, dass dertaat seinen Verpflichtungen jederzeit nachkommenann.
Es ist erforderlich, dabei zwei Grundsätze zu beach-en:Erstens. Wir müssen in guten Zeiten so sparsam undirtschaftlich mit Steuergeldern umgehen, dass wirpielräume für schlechte Zeiten erhalten. Das haben wirn den vergangenen Jahrzehnten nicht konsequent durch-ehalten. Wir haben zwar in schlechten Zeiten die nöti-en Kredite aufgenommen, aber versäumt, in guten Zei-en gegenzusteuern.
Ende 2009 wird die Verschuldung von Bund, Ländernnd Gemeinden bei circa 1,7 Billionen Euro liegen. Dieährlichen Zinszahlungen werden zukünftig mehr als0 Milliarden Euro betragen und damit natürlich dieandlungsfähigkeit des Staates erheblich einschränken.tändig steigende Zinslasten wären eine schwere Hypo-hek für unsere Kinder und Enkelkinder, insbesondereeshalb, weil wir davon ausgehen müssen, dass auch der
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Antje Tillmanndemografische Wandel zu zusätzlichen sozialen Ausga-ben führen wird.All diese Tatsachen haben die Regierung unter Bun-deskanzlerin Angela Merkel dazu bewogen, die laufendeLegislaturperiode unter strikten Konsolidierungskurszu stellen. Im Jahre 2005 haben wir bei einer Neuver-schuldung von 31,2 Milliarden Euro begonnen. Wir ha-ben es geschafft, die Neuverschuldung bis Ende 2008auf 11,5 Milliarden Euro zu drücken. Ohne die Wirt-schaftskrise hätten wir diese Legislaturperiode mit ei-nem ausgeglichenen Haushalt beendet, und das, obwohlunsere Verfassung eine erheblich höhere Verschuldungerlaubt hätte.
Der bisherige Art. 115 des Grundgesetzes, der eine Kre-ditaufnahme für Investitionen und zur Abwehr einer Stö-rung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts vor-sieht, setzt nicht die erforderlichen Grenzen.Das ist aus zwei Gründen der Fall:Der erste Grund. Die „goldene Regel“ ermöglichteine Nettokreditaufnahme bis zur Höhe der im Haus-haltsplan veranschlagten Investitionen. Diese Regelung,die eine Kreditfinanzierung von Bruttoinvestitionen vor-sieht, ist im Hinblick auf den volkswirtschaftlichenWertzuwachs ungeeignet. Denn die Straße, die wir heutefür 10 Millionen Euro bauen, ist längst kaputt, wenn wirden Kredit immer noch im Haushalt haben.Der zweite Grund. Auch der Hinweis auf die Störungdes gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts, der einerpolitischen Entscheidung unterworfen ist, führt nicht zueiner Schuldenbegrenzung. Seit 1998 hat sich die Bun-desregierung in den Jahren 2002, 2003, 2004 und 2005mindestens im Nachtragshaushalt auf die Störung desgesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts berufen. Aller-dings waren die realen Wachstumsraten nur imJahr 2003 mit minus 0,2 Prozent negativ, im Jahr 2004mit 1,2 Prozent und im Jahr 2005 mit immerhin noch0,8 Prozent hingegen positiv.All dies zeigt, dass wir neue Regeln zur Eindämmungvon Schulden brauchen. Deshalb finde ich es richtig, imGrundgesetz zu verankern, dass die Haushalte von Bundund Ländern grundsätzlich ohne Einnahmen aus Kredi-ten ausgeglichen werden müssen. Der zweite Teil derWahrheit ist aber, dass der Staat natürlich auch hand-lungsfähig bleiben muss.Dem haben wir Rechnung getragen, sowohl durch dieBegrenzung in guten Zeiten als auch durch die Flexibili-sierung in Zeiten, in denen es diesem Land schlechtergeht.Ab 2016 lassen wir für den Bund eine Kreditauf-nahme in Höhe von 0,35 Prozent des BIP zu. Diese Mit-tel sollen aber keineswegs für Spaßprogramme verwen-det werden, sondern mit ihnen sollen ganz klarzukunftsgerichtete Investitionen oder Maßnahmen finan-ziert werden, die der künftigen Generation nutzen.
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ann weiß ich nicht, warum wir ihm dafür danken müs-en.Frau Tillmann, Sie müssen eine Grundlehre des Haus-alts zur Kenntnis nehmen. Sie tun so, als ob das Geld,as dem Bund zur Verfügung steht, aus Gottes Handäme. Tatsächlich entscheidet aber der Gesetzgeber überie Höhe der Steuern und damit auch über die Einnah-en des Staates.
Ich weiß das. – Sie vergessen zu erwähnen, dass deraushalt des Bundes anders geführt werden muss als einrivathaushalt. Im Privathaushalt ist es ziemlich einfach:enn man weniger Geld hat, gibt man weniger aus;enn man mehr hat, kann man mehr ausgeben. Aberenn der Staat weniger Geld einnimmt, dann heißt das,ass die Wirtschaft schwach ist.
erade dann muss er besonders viel investieren. Wenn eriel einnimmt, dann muss er lernen, zu sparen. Dasacht aber jede Regierung genau umgekehrt und damitalsch. Das ist die Wahrheit.
Sie müssen sich jetzt noch nicht so aufregen. Esommt noch viel schlimmer.Bei der Föderalismusreform I haben Sie einen ent-cheidenden Fehler begangen; den wollten Sie ja auchegehen. Sie haben die Abkehr vom kooperativen Föde-alismus hin zu einem Ellenbogenföderalismus beschlos-en. Das ist die Wahrheit.
Sie glauben das nicht? Die Starken sollen nicht mehrie Schwachen stützen, sondern niederkonkurrieren. Dasann ich an einem Beispiel erläutern: der Bezahlung dererbeamteten Lehrerinnen und Lehrer. Früher gab esundesweit eine weitgehend einheitliche Besoldung.ann haben Sie beschlossen, dass die Länder das jeweilselber festlegen sollen. Reiche Bundesländer könnenber mehr zahlen als arme Länder. Deshalb werden dieehrerinnen und Lehrer jetzt mit Geld aus den armenändern weggelockt.Jetzt gibt es in den armen Ländern zu wenig Lehrerin-en und Lehrer. Vielleicht können Sie mir erklären, wasaran sinnvoll für die Kinder in diesen Ländern ist.
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Dr. Gregor GysiWas soll diese Ellenbogenmentalität, die Sie damit ver-folgen?
– Doch, genau so läuft es. In Berlin und in anderen Län-dern können Sie das verfolgen. Das haben Sie ganz be-wusst angerichtet.
Der größte Fehler der Föderalismusreform I bestanddarin, das Ziel einer gemeinsamen Bildungspolitik auf-zugeben. Die hätte man einführen müssen.
Sie haben dem Ganzen zugestimmt, sogar einem Koope-rationsverbot. Das war ein schwerer Fehler gerade auchder deutschen Sozialdemokratie. Darunter werden wirnoch sehr leiden.
Jetzt zur Union. Selbst konservative Politik muss eineArt Logik haben. Verstehen Sie: Das ist ja nicht meinePolitik, sondern Ihre. Ich stelle Ihnen jetzt drei konserva-tive Thesen vor. Sie müssen mir erklären, wie sie zusam-menpassen.Ihre erste These lautet: Die Deutschen haben zu we-nig Kinder und drohen auszusterben. Da sie es wahr-scheinlich handwerklich nicht verlernt haben,
muss es wohl andere Gründe dafür geben, über die essich nachzudenken lohnt.
Ihre zweite These lautet: Wir brauchen einen flexi-blen Arbeitsmarkt. Darunter verstehen Sie, dass manprekäre Beschäftigung mit Minijobs, Leiharbeit und al-lem anderen organisiert, was Gewerkschaften und Ar-beitnehmerinnen und Arbeitnehmer schwächt.
Aber Sie verstehen darunter auch, dass Arbeitnehmerin-nen und Arbeitnehmer bereit sein müssen, den Beschäf-tigungsort und gegebenenfalls auch das Bundesland zuwechseln. Sie sagen also: Flexibel müssen die Leutesein. – Nehmen wir einmal ein Paar, wie Sie es sichwünschen: ein Ingenieur und eine Lehrerin mit drei Kin-dern. Das ist für sie etwas schwierig mit den Jobs: Malfinden sie Arbeit in Bayern, mal in Schleswig-Holstein,Thüringen oder Hessen. Sie wechseln also ständig dasBundesland und sind so flexibel, wie Sie es fordern. Sie,meine Damen und Herren von der Regierungskoalition,lassen dabei aber völlig außer Acht, dass diese Eltern mitdrei schulpflichtigen Kindern jedes Mal in ein völlig an-deres Schulsystem geraten und sich deshalb gegenüberikSbIt2swK1lcdzddeebdbbEBrASrsSm–almhsn
Jetzt haben Sie sich aber bei der Bildungspolitikelbst ein Bein gestellt. Den Leuten muss man erklären,as hier eigentlich passiert. Zuerst beschließen Sie einooperationsverbot und sagen: Bildung ist Sache der6 Länder; der Bund hat nichts damit zu tun. – Jetzt wol-en Sie gerne im Rahmen Ihres Konjunkturprogrämm-hens Geld in Bildung investieren. Nun stellen Sie fest,ass Sie gerade beschlossen haben, dafür nicht zuständigu sein. Das heißt, Sie haben gerade beschlossen, dasser Bund den Ländern gar kein Geld für Bildung gebenarf. Sie stellen aber eine Ausnahme fest, nämlich dienergetische Sanierung, und sagen: Dann geben wiruch Geld für die energetische Sanierung der Schulge-äude. – Das ist nicht schlecht, und alle Länder werdenas sicherlich nutzen. Das Problem ist aber: Die Länderrauchten viel dringender Geld zum Beispiel für Schul-ücher, eine neue Bestuhlung, mehr Erzieherinnen undrzieher, mehr Lehrerinnen und Lehrer oder eine bessereezahlung der Lehrerinnen und Lehrer, damit die reiche-en Länder den ärmeren sie nicht abwerben.
ber dafür dürfen Sie natürlich nichts ausgeben, weilie sich selbst für unzuständig erklärt haben. Nun erklä-en Sie doch einmal den Leuten, warum man sich als Ge-etzgeber selbst ein Bein stellen muss! Genau das habenie hier gemacht.
Nun kommen wir zur Föderalismusreform II und da-it zu der beschlossenen Schuldenbremse.
Das reicht doch. Warum regen Sie sich denn darüberuf? Diese Reform ist so falsch, dass man darüber nichtange zu sprechen braucht.In einer Zeit, in der Sie jeden Tag das Fenster auf-achen und eine neue Milliarde in Richtung Bankeninauswerfen, beschließen Sie gleichzeitig solche Be-timmungen. Was Sie hier organisieren, passt überhaupticht zusammen.
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Dr. Gregor GysiDann hat Frau Bundeskanzlerin Merkel vor kurzemerklärt: Wir müssen jedes Jahr 10 Prozent mehr Geld fürBildung ausgeben. Aber gleichzeitig fassen Sie Be-schlüsse, die es den Ländern völlig unmöglich machen,dieses Geld auszugeben. Ihre Erklärung ist schon jetztMakulatur.
Ich weiß, dass die armen Länder bis 2019 noch ge-wisse Zahlungen bekommen. Nun sagen Sie aber Bre-men und dem Saarland: Ihr bekommt das Geld nur unterder Bedingung, dass ihr eure Organklagen beim Bundes-verfassungsgericht wegen der Haushaltsnotlage zurück-zieht.
Es erinnert schon ein kleines bisschen an Erpressung,wenn man sagt: Du bekommst nur dann Geld, wenn duauf ein dir zustehendes Recht verzichtest. – Ich finde dasehrlich gesagt ziemlich happig und rechtsstaatlich sehrfragwürdig. Aber genauso machen Sie es.
Für Berlin und Sachsen-Anhalt wird es schwierig. Aberfür Bremen, Schleswig-Holstein und das Saarland istdas, was Sie hier beschließen, eine Katastrophe; das wis-sen Sie auch. Ich hoffe sehr, dass die betreffenden Län-der noch eine Organklage erheben und sagen: Das Ganzegeht nicht, weil es verfassungsrechtlich nicht hinnehm-bar ist.Ich will Ihnen sagen, warum es verfassungsrechtlichnicht hinnehmbar ist. Sie schränken das Haushaltsrechtder Landesparlamente ein. Sie sagen: Ein Landesparla-ment darf ab 2020 keine Schulden mehr beschließen,vorher nur unter bestimmten Bedingungen.
– Hören Sie zu! Mir ist es völlig wurscht, wessen Vor-schlag das ist. Sie beschließen es. Das ist das Entschei-dende. – Wenn Sie das beschließen, dann sagen Sie denLandesparlamenten: Für Bildungsaufgaben, Kulturauf-gaben und soziale Aufgaben, selbst wenn sie noch sodringend sind, dürfen sie keine Neuverschuldung be-schließen. – Damit schränken Sie die Möglichkeiten derLänder grundgesetzwidrig ein. Ich bin ganz sicher, dassdas Bundesverfassungsgericht das nicht akzeptiert.
Im Übrigen gab es bisher nur zwei Länder mit einemSchuldenverbot. Das eine Land ist die Schweiz. Aber dieSchweiz hat zuvor sämtliche Kantone durch Goldver-käufe entschuldet. Das, was Sie hier beschließen, führtniemals dazu, dass Berlin und die anderen Länder voll-ständig entschuldet sind.JrvNgdtsvMLehKgnwjussNssdscwGdDswgsSW
etzt hat die Bundesregierung auf unsere Frage einge-äumt, dass das von der Schweiz beschlossene Schulden-erbot nicht eingehalten wird, dass es also trotzdem eineeuverschuldung gibt und dieses Verbot zu gar nichtseführt hat. Das zweite Land, das ein Schuldenverbot inie Verfassung aufgenommen hat, war das staatssozialis-ische Albanien unter Enver Hoxha. Vielleicht haben Sieich nach ihm gerichtet. Aber ich hoffe, Sie haben nichtergessen, wie er endete.
it anderen Worten: Es kann doch nicht im Ernst dieösung sein, dass wir den Weg wählen, den sonst keininziges Land geht.Sie tun so, als ob die Neuverschuldung bisher über-aupt nicht begrenzt wurde. Gab und gibt es nicht dieriterien von Maastricht? Ist nicht im Grundgesetz gere-elt, dass die Neuverschuldung die Investitionsquoteicht überschreiten darf, es sei denn, dass das gesamt-irtschaftliche Gleichgewicht gestört ist, worauf sichetzt die Bundesregierung stützt? Jetzt ändern Sie das abnd legen fest, dass eine Naturkatastrophe oder einechwere Krise vorliegen muss. Das ist eine tolle juristi-che Begriffsbestimmung. Den Streit darüber, was eineaturkatastrophe oder eine schwere Krise ist, kann manich jetzt schon vorstellen. Da wird es sehr viele ver-chiedene Interpretationen geben.
Noch einen weiteren Umstand haben Sie nicht be-acht. Der Bundesgesetzgeber bleibt für die Steuern zu-tändig. Jetzt kann doch der Bundestag Folgendes ma-hen: Er senkt die Steuern, auch für die Länder. Dieseerden dadurch geringere Einnahmen haben.
leichzeitig ist im Grundgesetz festgeschrieben, dassie Länder keine neuen Schulden aufnehmen dürfen.as heißt, der Bundestag kann die Länder in jeder Hin-icht ganz einfach ruinieren,
odurch diese keinerlei Spielräume mehr haben. Sielauben doch nicht im Ernst, dass das Bundesverfas-ungsgericht Ihnen das durchgehen lässt. Das könnenie vergessen.
Ich komme jetzt zur FDP. Sie haben gerade in Ihremahlprogramm beschlossen, die Steuern auf Bundes-
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Dr. Gregor Gysiebene um 35 Milliarden Euro zu senken. Sie haben bloßvergessen, zu beschließen, wer sich von Ihrer Partei hin-stellt und als Letzter das Licht ausmacht und „Tschüs,Deutschland!“ sagt. Das, was Sie hier vorlegen, ist über-haupt nicht realisierbar.
Ich komme zur Lösung der Probleme. Ich habe garnichts dagegen, die Neuverschuldung zu begrenzen,aber das muss auf eine vernünftige Art geschehen, nichtmit Verbotsregeln, wie Sie das machen.
– Indem man das ganz anders macht. Ich habe vorhinschon über den Haushalt gesprochen.
– Ja, wir können Vorschläge machen. Ich habe zum Bei-spiel erläutert, dass wir es in Berlin so geregelt haben,dass die Investitionsquote nicht überschritten werdendarf. Was ist daran falsch?
Damit hat man Jahrzehnte gelebt. Sie versuchen, denLeuten einzureden, dass Staatsschulden dasselbe wiePrivatschulden sind. Sie vergessen immer, dass Sie jetztdie höchsten Staatsschulden organisieren, die es in derBundesrepublik Deutschland je gegeben hat. Darunterleiden die nächsten Generationen tatsächlich.
Ich sage Ihnen eines: Ich sehe schon jetzt den tapferenSozialdemokraten vor mir, der hier in ein paar Jahrenstehen und sagen wird: 2009 haben wir einen großenFehler begangen. – Dieser tapfere Sozialdemokrat wirddann genauso viel Beifall bekommen wie heute der, derden Fehler begeht. Das ist das Übel daran. Noch schlim-mer ist aber: Dann wird Ihnen die Union und damit dieZweidrittelmehrheit fehlen, das Ganze zu korrigieren.Dann leiden die Bürgerinnen und Bürger wirklich darun-ter.Ich bitte Sie um eine Sache, auch wenn das wahr-scheinlich chancenlos ist, aber ich halte das für eine ge-sellschaftspolitisch zentrale Frage: Wir brauchen imGrundgesetz eine Gemeinschaftsaufgabe Bildung. DerBund und die Länder müssen gemeinsam garantieren,dass jedes Kind in Deutschland, egal wo es lebt undvöllig unabhängig davon, ob die Eltern Bankiers, Profes-sorinnen und Professoren, Abgeordnete, Arbeitnehme-rinnen und Arbeitnehmer, Arbeitslose, Hartz-IV-Empfängerinnen und Hartz-IV-Empfänger sind, eineTopbildung genießen kann. Sie organisieren das Gegen-teil. Das halte ich für eine Katastrophe. Damit nehmenSie den Kindern und Jugendlichen die Chancengleich-heit. Aber genau darauf müssen diese zwingend einenAnspruch haben.BKFdwRenEDmwDbFKgmDadznwldwguBslDfrl
Das Wort hat nun der Kollege Fritz Kuhn, Fraktion
ündnis 90/Die Grünen.
Sehr verehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen undollegen! Herr Gysi, der Kollege Ramelow war in deröderalismuskommission eine Spur konkreter, als Sieas gerade waren. Sie reden sehr viel, und manchmalerden Sie offensichtlich vom Schwung Ihrer eigenenede mitgerissen. Aber den Unsinn, dass der Bund Steu-rn senken könnte, um die Länder abzumurksen, kannur jemand erzählen, der nicht weiß, dass Gesetze zurrhebung von Steuern den Bundesrat passieren müssen.as war einfach nur Unsinn. Es lohnt sich nicht, sich da-it weiter zu beschäftigen.
Wir schauen uns die heute vorliegenden Gesetzent-ürfe an. Angesichts des Einsetzungsbeschlusses vomezember 2006, in dem es heißt, „die Kommission erar-eitet Vorschläge zur Modernisierung der Bund-Länder-inanzbeziehungen“, kann man nicht sagen, dass dieommission erfolgreich war. Es liegen keine vernünfti-en Vorschläge auf dem Tisch; denn dies wurde syste-atisch, mal vom Bund, mal von den Ländern, blockiert.Also bleibt übrig, über die Schuldenbremse zu reden.a wir hier viele Anträge eingebracht haben, wissen Sielle, dass wir für eine vernünftige Schuldenbremse sind;enn, Herr Kollege Gysi, die bisherige Regel, sich bisur Höhe der Bruttoinvestitionen verschulden zu kön-en, versagt objektiv – das ist empirisch erwiesen –,enn es darum geht, die Staatsausgaben auf ein sinnvol-es Maß zu begrenzen. Es gibt Handlungsbedarf, undeswegen sind wir für eine Schuldenbremse.
Wir sind aber nicht für die Art, die Sie am Schluss ge-ählt haben. Ich will Ihnen darstellen, warum wir dage-en sind. Ich finde, das hätte man besser, intelligenternd wirksamer machen können. Zuerst aber noch eineemerkung vorweg: Das von der Föderalismuskommis-ion I auferlegte Kooperationsverbot hätte jetzt ganz fal-en müssen.
er Staat hat nicht darauf reagiert, dass etwas nichtunktioniert hat, sondern er hat anstelle einer Verbesse-ung den nächsten Murks gemacht. Jetzt heißt es näm-ich, dass das Kooperationsverbot nur dann nicht gilt,
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Fritz Kuhnwenn es eine große Notlage, eine Naturkatastrophe odereine Finanzkrise gibt. Das ist aberwitzig. So etwas nenntman Verschlimmbesserung. Deswegen können wir die-sen Punkt nicht mittragen.
Wenn man die Nullverschuldung der Länder ab demJahr 2020 einführt, dann ist das keine wirkliche Schul-denbremse, vor allem deshalb nicht, weil die Länder, diejetzt keine Konsolidierungshilfe bekommen – das sinddie meisten –, nichts machen müssen, um ihre Schuldennach und nach bis 2020, also bis zu dem Jahr, ab dem dieSchuldenbremse wirksam wird, abzubauen. Sie könnensich weiter verschulden. Anstatt einen „Bremsweg“ zuwählen, der jetzt beginnt und 2020 endet, haben Sie allesoffengelassen. Die Öffentlichkeit muss wissen, in wel-chem finanzpolitischen Umfeld wir uns im Jahr 2020 be-finden werden. 2019 läuft der Solidarpakt endgültig aus.2019 wird der Länderfinanzausgleich neu verhandelt.Ich sage Ihnen voraus – dazu gehört nicht viel Fantasie –,dass viele Länder im Jahr 2019 das Scheitern der Föde-ralismuskommission II erklären werden. Die Geberlän-der werden nämlich sagen, sie könnten die Schulden imJahre 2020 nicht auf null zurückführen, weil sie für denLänderfinanzausgleich zu viel zahlen müssten; die Neh-merländer werden argumentieren, dass sie zu wenig er-hielten, um die Schulden auf null zurückzuführen. ImJahr 2019 wird das ganze System in sich zusammenbre-chen. Deswegen ist das keine vernünftige Schulden-bremse für die Länder. Wenn ein Raucher heute erklärenwürde, er höre im Jahr 2020 mit dem Rauchen auf, dannwürden wir das auch nicht als guten Entschluss bezeich-nen und in ihm einen zukünftigen Nichtraucher sehen,sondern wir würden sagen, dass er eine Ausrede gewählthat, damit er noch zehn Jahre lang ordentlich vor sichhinpaffen kann.
Jetzt komme ich zum Bund, der ab dem Jahr 2011 all-mählich die Schuldenbremse einführt, die ab 2016 ihreEndstufe erreicht haben soll. Ab dann soll die struktu-relle Verschuldung nur noch 0,35 Prozent des Bruttoin-landsprodukts betragen. Der Bruttoinvestitionsbegriffhat nicht getaugt. Das haben wir in der Vergangenheitgesehen. Weil der nicht getaugt hat, setzen Sie, abgese-hen von der konjunkturell möglichen Verschuldung, diesinnvoll ist, die strukturelle Verschuldung pauschal auf0,35 Prozent des Bruttoinlandsprodukts fest. Wir habeneine Alternative vorgeschlagen, die darin besteht, sich aneinem vernünftigen Nettoinvestitionsbegriff zu orien-tieren. Es geht um die Frage, wie eigentlich der Kapital-stock eines Landes erhöht wird. Der Nettoinvestitionsbe-griff soll besagen: Es ist eine Verschuldung fürInvestitionen bis zu einer bestimmten Größe möglich, esist aber notwendig, die Abschreibungen, also den Wert-verfall, und die Privatisierungserlöse von den Investitio-nen abzuziehen; denn wir wollen zwischen Investitionenin Bildung – da könnte man auch mit einer Abschrei-bung agieren – und anderen Investitionen differenzieren.Das wäre ein sinnvoller Weg gewesen. Er ist von Sach-verständigen vorgeschlagen worden, aber der Bundesfi-nenGSNvds0hSD0n5nmcnwSmnllnErÜrDngskldfdrdnvwffsd
Ich möchte jetzt zu zwei Verlierern Ihrer Konzeptionommen. Es ist wichtig, dass man darüber in der Öffent-ichkeit klar und deutlich redet. Ich bin überzeugt, dassie Kommunen in unserem Land die Verlierer der Ein-ührung der Schuldenbremse sein werden, weil die Län-er – vor allem diejenigen, die jetzt eine Konsolidie-ungshilfe bekommen, aber auch diejenigen, die sich aniese Konzeption halten – den auf sie ausgeübten Druckatürlich an die Gemeinden weitergeben. Die von Ihnenorgesehene Konsolidierungshilfe für fünf Länder istillkürlich. Es ist ein Fehler, keine Konsolidierungshil-en für die Gemeinden vorzusehen; denn sie sind eben-alls verschuldet. Manche sind so hoch verschuldet, dassie nicht mehr investieren können. Die Gemeinden wer-en zusätzlich stranguliert, wenn die Länder den Schul-
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Fritz Kuhndenbremsendruck an die Gemeinden weitergeben. UnserVorschlag lautet deswegen, auch den höchst verschulde-ten Gemeinden Konsolidierungshilfen zu leisten.
– Herr Poß, immer wenn jemand so schreit wie Sie, hatein Vorwurf gesessen. Das ist eine alte parlamentarischeWeisheit.
Das Land Nordrhein-Westfalen, aus dem Sie kom-men, Herr Poß, braucht keine Konsolidierungshilfe.Aber es gibt viele Gemeinden in Nordrhein-Westfalen,die dringend eine Konsolidierungshilfe brauchen.
Deutschland besteht nicht nur aus Bund und Ländern,sondern aus Bund, Ländern und Gemeinden. Das habenSie offensichtlich vergessen, oder Sie wollten es nichthören, weil es Ihnen eine Spur zu kompliziert war.
Einen weiteren Punkt muss ich an die rechte Seite desHauses richten. Wir müssen einmal schauen, was volks-wirtschaftlich passiert, wenn dieses Konzept umgesetztwird. Frau Merkel und Herr Westerwelle propagieren imWahlkampf, erstens, die Einführung einer Schulden-bremse, und, zweitens, Steuersenkungen. Es gibt zweiParteien, die dies wollen. Sie treten vor die Wählerinnenund Wähler mit dem Konzept der Steuersenkung.
Ich sage Ihnen klar und deutlich: Wer eine Schulden-bremse will, wer die Investitionen in Bildung verbessernwill – das fordern Sie ebenfalls –, wer Steuern in derGrößenordnung von 35 Milliarden Euro senken will – sodas FDP-Konzept –, der hat sich schon jetzt auf einesfestgelegt, nämlich dass er die fehlenden Mittel durchSozialkürzungen ausgleichen wird.
Deswegen ist Ihr Spruch, die Schuldenbremse seiSozialpolitik für die Rentnerinnen und Rentner, blankerUnsinn.
Sie können Ihr Ziel nur erreichen, wenn Sie von Ihrerabsurden Steuersenkungspolitik abrücken. Sonst kündi-gen Sie am heutigen Tag Sozialkürzungen großen Stilsan. Sie werden Verständnis dafür haben, dass wir diesenUnsinn nicht mitmachen. Hören Sie auf, in diesen ZeitenSteuersenkungen zu versprechen!
InötDRAndwTrgFvzJWgetAadhzDgHnImSIRIkt
Für die Bundesregierung erhält nun der Finanzminis-
er das Wort.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrtenamen und Herren! In Anbetracht der relativ knappenedezeit möchte ich mich auf das zentrale Thema derrbeit der Föderalismuskommission II konzentrieren,ämlich auf das Thema Schuldenregelung, obwohl an-ere Aspekte es wert wären, intensiver beleuchtet zuerden. Ich will nur so viel hinzufügen: Ich bin Frauillmann für ihren Hinweis dankbar, dass die Verbesse-ungen bei der Steuerverwaltung und die Effizienzstei-erung beim Steuervollzug wichtige Ergebnisse dieseröderalismuskommission sind.
Es war die erste Große Koalition, die ziemlich genauor 40 Jahren Art. 115 unseres Grundgesetzes in der jet-igen Form ausgestaltet hat. Auch wenn Art. 115 einigeahre – ich möchte allerdings hinzufügen: bei hohenachstumsraten und nicht den Wachstumsraten der ver-angenen Jahre – gut funktioniert hat, müssen wir unsingestehen, dass man dies seit nunmehr zwei Jahrzehn-en nicht mehr behaupten kann.
rt. 115 stellt seit mindestens zwei Jahrzehnten keinengemessene und wirkungsvolle Regelung mehr dar, umie Schuldenaufnahme zu begrenzen. Allein der Bundat von 1980 bis heute seine Schulden verachtfacht, undwar von 120 Milliarden Euro auf 960 Milliarden Euro.amit ist für jedermann und jede Frau sichtbar, dass dieeltende Begrenzung der Kreditaufnahme durch dieöhe der Bruttoinvestitionen nicht nachhaltig funktio-iert.Ich will hier einschieben, Herr Kuhn – ich durfte eshnen gegenüber auch schon in der Föderalismuskom-ission erklären –: Ihr Hinweis nützt uns nichts, solangeie sich nicht dem Exerzitium unterziehen, den Begriffnvestitionen zu definieren. Dabei spielt es gar keineolle, ob wir über Brutto- oder Nettoinvestitionen reden.
ch habe damals schon versucht, das zu erläutern. Ichonnte nicht damit rechnen, dass Sie nach dieser Erläu-erung diesem Missverständnis wiederum aufsitzen.
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Ich habe versucht, zu erklären, dass wir ein Konzeptwählen, das sich auf europäischer Ebene bewährt hatund diesen Definitionsschwierigkeiten entgeht, indem esdas sogenannte Close-to-balance-Konzept des Maas-trichter Stabilitäts- und Wachstumspaktes verfolgt. WennSie sich diese Erläuterung noch einmal vor Augen füh-ren würden, könnten wir dieses Missverständnis viel-leicht auf Dauer vermeiden.
Ich möchte im Telegrammstil fünf Punkte anführen,warum die bisherige Schuldenregelung definitiv nichtmehr aufrechterhalten werden kann:Erstens. Nach den derzeitigen Regelungen in Art. 115ist der Verschuldungsrahmen in normalen Zeiten viel zuhoch.Zweitens. Die für die Zukunft unseres Landes so zen-tralen Bildungsinvestitionen werden nicht erfasst. Datreffen wir uns.
Wir haben über die haushaltsrechtlich derzeit gültigeDefinition dafür gesorgt, dass nur Investitionen in Betonals Investitionen anerkannt werden und leider Gottesjede Ausgabe in die Köpfe bzw. in die Qualität der Aus-bzw. Weiterbildung von jungen Leuten bzw. von Er-wachsenen als konsumtiv definiert wird.Drittens. Weil eine ausdrückliche Regel für denSchuldenabbau in Aufschwungphasen fehlt, haben dieaktuell gültigen Regelungen in Art. 115 zu einem sehrinkonsequenten Verhalten des Staates geführt. Andersausgedrückt: Wir sind Keynes immer nur zur Hälfte ge-folgt. Wir haben zwar in konjunkturell schlechten ZeitenSchulden aufgenommen, aber in guten Zeiten nicht, wiees ein vollständiges Befolgen der Theorie von Keynesverlangt hätte, die Schulden wieder getilgt.Viertens. Wir haben es mit deutlichen Unklarheitenund Unschärfen im Zusammenhang mit der Ausnahme-regelung, nämlich der Feststellung der Störung des ge-samtwirtschaftlichen Gleichgewichts, zu tun. Wir müs-sen uns und auch der Öffentlichkeit eingestehen, dassdiese Ausnahmeregelung seit 1975 allein 15-mal in An-spruch genommen worden ist, und zwar – das füge ichselbstkritisch hinzu – sehr leichtfüßig.Fünftens. Die Vorschriften des Art. 115 beziehen sichnur auf die Haushaltsaufstellung, nicht jedoch auf denHaushaltsvollzug.Vor diesem Hintergrund habe ich es schon als einehistorische Herausforderung für die zweite Große Koali-tion empfunden, eine neue, bessere Schuldenregelungeinzuführen. Ich stehe nicht an, Herrn Oettinger undHerrn Struck und allen anderen, die an diesem Prozessbeteiligt gewesen sind, dafür zu danken, dass dies gelun-gen ist.wäksibdsmVdKftnmTwNsSbKdseasmnfnklmwdezDdDuakdw4hm
Die aktuelle Krise zeigt im Übrigen deutlich, wieichtig eine neue Schuldenregel ist. Ich kann Ihnen inhnlicher Weise, wie es die Bundeskanzlerin in ihren Er-lärungen getan hat, berichten, welch hohe Aufmerk-amkeit unser Vorhaben in Brüssel erfahren hat. Es wirdm Ausland sehr genau registriert, dass die Bundesrepu-lik Deutschland gerade in Zeiten, in denen wir wegener Rezession antizyklisch Schulden aufnehmen müs-en, um Konjunkturpakete zu finanzieren bzw. die auto-atischen Stabilisatoren wirken zu lassen, zum einenerfassungsänderungen vornimmt, die einen deutlichisziplinierenden Charakter haben, und zum anderen imonjunkturpaket II den Investitionsfonds mit einer ein-achgesetzlichen Tilgungsregelung versehen hat, die au-omatisch in Kraft tritt.Es ist bitter, dass wir im Augenblick Schulden auf-ehmen müssen, weil dieser Großen Koalition bei nor-aler Konjunkturlage in der Tat – das haben Frauillmann und andere schon gesagt – etwas gelungenäre, was es seit 1969 nicht gegeben hat, nämlich dieeuverschuldung des Bundes auf null zurückzuführen.Ihr Hinweis, Herr Burgbacher, das hätte alles sehr vielchneller und weitgehender geschehen müssen – nehmenie es mir nicht übel, wenn ich das noch einmal sage –,erücksichtigt nicht, dass es das Anliegen dieser Großenoalition gewesen ist, gleichzeitig Impulse für die För-erung von Familien, für den Ausbau der Verkehrsinfra-truktur und für Forschung und Entwicklung zu setzen,ine Unternehmensteuerreform zu refinanzieren unduch die ODA-Quote, also unsere entwicklungspoliti-chen Verpflichtungen, zu erfüllen. Das ist automatischit Ausgaben verbunden gewesen, was dann in der Taticht zur noch weiteren Verringerung der Schulden ge-ührt hat. Es kommt – leider Gottes – in Ihren Hinweisenie vor, dass es eine Art Doppelstrategie gewesen ist, zuonsolidieren und in für die Bundesrepublik Deutsch-and wichtige Felder zu investieren.
Mir persönlich ist der Erfolg der Föderalismuskom-ission mit Blick auf eine solche Schuldenregelung sehrichtig gewesen, und zwar in dreierlei Hinsicht.Erstens. Wir müssen den Bürgerinnen und Bürgerner Bundesrepublik Deutschland signalisieren, dass wirs sehr ernst meinen, nach der Überwindung dieser Re-ession auf den Konsolidierungspfad zurückzukehren.ies ist wichtig, um Glaubwürdigkeit zu schaffen, beien Konsumenten ebenso wie bei den Investoren ineutschland. Sie müssen wissen, dass das weder Schallnd Rauch noch Sonntagsreden sind, sondern dass wiruf den erfolgreichen Pfad der Konsolidierung zurück-ehren wollen. Die Zahlen, die die Große Koalition inen ersten drei Jahre vorgelegt hat, waren bemerkens-ert: Wir haben die Nettoneuverschuldung von fast0 Milliarden Euro auf 11 Milliarden Euro gesenkt – Sieaben die genauen Zahlen schon genannt –; diesen Pfadüssen wir wieder erreichen.
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Bundesminister Peer SteinbrückZweitens. Wir müssen dies auch den Finanz- undKapitalmärkten signalisieren. Sie wissen, dass ich ge-legentlich in öffentlichen Reden darauf zu sprechenkomme, wie stark die Kapitalmärkte durch die öffentli-che Verschuldung aufgrund der Konjunkturprogrammeder jeweiligen Staaten weltweit belastet werden können,sodass es zu Verdrängungseffekten kommt. Damit wirddas Vertrauen der Investoren, die entsprechende Anlei-hen aufnehmen, die von Staaten, aber auch Unternehmenplatziert werden, eventuell erschüttert. Das ist dann mitsehr viel schlechteren Laufzeiten verbunden und mitSpread-Entwicklungen, die inzwischen selbst Mitglied-staaten der Europäischen Union, übrigens auch Staatender Eurozone, erwischen. Das heißt, für die Finanz- undKapitalmärkte ist es wichtig, zu wissen, dass es ein or-dentliches Finanzgebaren auf der jeweiligen national-staatlichen Ebene gibt.
Drittens. Die Bundesrepublik Deutschland hat alsMitgliedstaat der Europäischen Union ein massives Inte-resse an der Glaubwürdigkeit des Stabilitäts- undWachstumspaktes, der, wie Sie wissen, von manchenvielleicht nicht ganz ernst genommen wird. Wenn ernicht ernst genommen wird, dann hat der Euro – meinerMeinung nach – eines Tages Schwierigkeiten mit seinerGlaubwürdigkeit und seiner Stabilität. Das ist von ent-scheidender Bedeutung: bezogen auf die Bürgerinnenund Bürger, bezogen auf die Märkte und bezogen auf dieGlaubwürdigkeit des Stabilitäts- und Wachstumspaktes.Ich will auf diese Schuldenregelung im Einzelnennicht eingehen. Sie wissen, welche wichtigen Kompo-nenten damit verbunden sind. Die strukturelle Verschul-dungsgrenze verhält sich analog zu dem, was derMaastrichter Stabilitäts- und Wachstumspakt vorsieht:mit Konjunkturkomponente, Kontrollkonto und Ausnah-mesituation.Ich will abschließend noch einige Hinweise geben.Erstens. Der Vorschlag, dass die Länder – unter Bezug-nahme auf Art. 109 – ab 2020 eine strukturelle Neuver-schuldung von null erreichen wollen, war nicht die Ideeeines Bundesvertreters.
Darauf lege ich gesteigerten Wert. Bei jedweder Kritik:Das war nicht die Idee eines Vertreters des DeutschenBundestages oder eines Vertreters der Bundesregierung.
Dies ist von Ländervertretern festgelegt worden. Dafürmöchten weder ich noch die Vertreter des DeutschenBundestages geprügelt werden.
Zweitens. Es klingt hoffentlich nicht eitel: Die Tatsa-che, dass sich der Bund an der Schuldentilgung derLänder beteiligt, möchte ich zumindest als bemerkens-wert im Protokoll stehen haben; denn die Länder beteili-gen sich nicht an der Schuldentilgung des Bundes.WhnSsHcguaJdhKelKGtwuamEGGßDZKdeuLmdsgtFmHgtdtwdw
enn dies erforderlich gewesen ist, um einen Konsenserzustellen, insbesondere mit Blick auf die zugegebe-ermaßen schwierige Situation in Berlin, Bremen, imaarland, in Sachsen-Anhalt und Schleswig-Holstein,oll es das wert sein. Aber ich mache in der Tat keinenehl daraus, dass das vor dem Hintergrund der erhebli-hen Belastungen, denen der Bund ausgesetzt ist, schwer-efallen ist. Ich halte daran fest – vielleicht zum Entsetzennd im Widerspruch zu den Ländern –: Die Haushaltslageuf der Einnahme- und Ausgabenseite war in den letztenahren für den Bund immer ungünstiger als für die Län-er. Das macht sich gelegentlich bei schwierigen Ver-andlungen im Bundesrat bemerkbar. Aber um dieselippen kommen wir offensichtlich nicht herum.Drittens. Der Hauptkritikpunkt von vielen – man kanns offenlegen: auch von Mitgliedern meiner Fraktion –iegt darin, dass die Handlungsfähigkeit des Staates inrisensituationen durch diese Schuldenregelung überebühr eingegrenzt sein könnte. Ich sage Ihnen freimü-ig: Das Gegenteil ist der Fall. Anders ausgedrückt: Wasir jetzt mit Blick auf die Abschirmung für die Bankennd die Konjunkturpakete I und II gemacht haben, wäreuch nach der neu zu beschließenden Schuldenregelungöglich gewesen. Ich wäre dankbar, wenn sich dies alsrkenntnisgewinn durchsetzen würde.
Abschließende Bemerkung: Wann immer wir übererechtigkeit reden, wäre ich sehr dankbar, wenn dieenerationengerechtigkeit in unseren Reden eine grö-ere Rolle spielen könnte.
er Kapitaldienst ist mit hohen jährlichen Zinsen – dieahl ist schon genannt worden – verbunden; aber zumapitaldienst gehört irgendwann auch die Tilgung. Wasadurch an Belastungen für nachfolgende Generationenntsteht, läuft darauf hinaus, dass wir unseren Kindernnd Enkelkindern Wackersteine in den Rucksack ihresebens packen, mit dem sie über die Hürden kommenüssen, und das bei einer demografischen Entwicklung,ie Produktivität und Innovationsfähigkeit dieser Gesell-chaft zu zentralen Themen macht. Vor diesem Hinter-rund wäre ein klares Bekenntnis zu einem disziplinier-eren Verhalten nötig. Ich füge hinzu: auch im konkretenall. Schon jetzt habe ich es wieder mit Begehrlichkeitenit Blick auf Mehrausgaben zu tun.err Burgbacher, Sie wollen den Bürgerinnen und Bür-ern Entlastungsprogramme servieren. Diese Entlas-ungsprogramme würden aber darauf hinauslaufen, dassie Einnahmebasis der öffentlichen Gebietskörperschaf-en schwer erschüttert wird. Ich glaube nicht, dass Sie,enn Sie je in die Verlegenheit kämen zu regieren, iniesen Dimensionen Steuererleichterungen beschließenürden.Herzlichen Dank.
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Nächster Redner ist der Kollege Dr. Volker Wissing
für die FDP-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Herr Minister Steinbrück, Sie nutzen jede Gelegenheit,um der Öffentlichkeit zu erklären, dass eine KorrekturIhrer verfehlten Unternehmensteuerreform nicht mög-lich ist. Sie, Herr Kuhn, sagen, es sei absurd, dass dieFDP die Unternehmensteuerreform dringend korrigierenmöchte. Sie erklären den Menschen, dass Zinsschranke,Mantelkaufregelung und Funktionsverlagerungen nichtzurückgenommen werden könnten. Ich sage Ihnen: Ge-rade in der Krise müssen diese Regelungen so schnellwie möglich geändert werden. Sie wirken nämlich kri-senverschärfend. Sie schicken damit Unternehmen in dieInsolvenz, und zwar schon in den nächsten Monaten. DieKollegen von der Union wissen das natürlich; sie trauensich nur nicht, aufzumucken. Wie es gehen soll, bei hö-herer Arbeitslosigkeit den Haushalt zu konsolidieren,das müssen Sie denen erklären, für die Sie die Verant-wortung tragen.
Von den Grünen kommt zur Steuerpolitik wenig Dif-ferenziertes. Mit Reden wie der, die Sie gehalten haben,Herr Kuhn, kann man in der Finanzpolitik nicht sachlichargumentieren.
Ich will auf den Gesetzentwurf eingehen. Mit diesemGesetzentwurf ist der ursprüngliche Auftrag der Födera-lismuskommission II nicht abgearbeitet; das ist hierschon mehrfach angeklungen. Mit einem neuen Ver-schuldungsregime sind die Bund-Länder-Finanzbezie-hungen nicht neu geregelt. Dazu hätte man sich denBund-Länder-Finanzausgleich vornehmen müssen.Aber gerade dieses Thema haben Sie ausgeklammert;darüber wollten Sie nicht sprechen. Zugegeben: DerBund-Länder-Finanzausgleich ist ein dickes Brett. Aberes war gerade der Auftrag dieser Kommission, dickeBretter zu bohren. Dass man das kann, haben wir miteinem konkreten Vorschlag gezeigt. Wir haben ein Kon-zept vorgelegt, das sowohl Geber- als auch Nehmerlän-dern Anreize geboten hätte. Das wäre eine gute Grund-lage gewesen, eine Neuregelung des Ausgleichssystemsin Angriff zu nehmen.
Mit ihrer Entscheidung, den Finanzausgleich nichtanzutasten, hat die Große Koalition eine Verweigerungs-haltung gegenüber ihrem eigenen Auftrag eingenom-men. Sie hat es abgelehnt, einen Kernauftrag der Födera-lismuskommission II abzuarbeiten. Das ist schade, weilweitere Lösungsansätze davon abhängen. Solange wireekmrosnaghuslgWHbddmeHfKgalrnggDmSGDdamHGrdwShsgh
abei sollte jedem klar sein, dass wir angesichts der de-ografischen Entwicklung und der bereits vorhandenenchuldenberge in die Gestaltungsspielräume künftigerenerationen ohnehin schon weit eingegriffen haben.ie FDP trägt den Kompromiss vor diesem Hintergrundennoch mit – nicht aus Begeisterung, sondern aus Ver-ntwortung. Immerhin ist das, was wir damit bekom-en, besser – auch wenn Sie das nicht glauben wollen,err Kuhn – als das, was wir heute haben. Ich kann denrünen und den Linken nur sagen: Wer sich Verbesse-ungen verweigert, verantwortet das Schlechtere.Die FDP wollte mehr. Ein prinzipielles Neuverschul-ungsverbot wäre gerade in der jetzigen Krise einichtiges Signal gewesen. Es hätte Vertrauen in dietaatsfinanzen geschaffen, ohne dass die Regierungandlungsunfähig geworden wäre; denn wir haben in un-erem Gesetzentwurf klargestellt, dass Handeln in Notla-en niemals infrage gestellt werden darf. Eine dauer-afte strukturelle Neuverschuldung auf Bundesebene ist
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Dr. Volker Wissingeine bittere Pille für junge Menschen. Sie ließe sich viel-leicht ökonomisch rechtfertigen, wenn wir nicht schonüber 1,5 Billionen Euro Schulden hätten.Zu den Errungenschaften des Entwurfs gehört zum ei-nen die Nullverschuldung auf Ebene der Länder. Dasssie erst im Jahr 2020 greift, kritisieren Sie von den Grü-nen so gerne. Aber angesichts der Lage der Landeshaus-halte frage ich Sie: Wie wollen Sie diese Verschuldun-gen innerhalb von ein, zwei Jahren auf null setzen? DieVerfassungsänderung, die im Ergebnis erzielt werdensollte, sollte keine Utopie darstellen, sondern tatsächlichumgesetzt werden können. Ich glaube, das ist man, wennman über eine Verfassungsänderung diskutiert und berät,der Sache schuldig.Eine weitere Errungenschaft ist die Abkehr vom bis-herigen Verschuldungsregime. Die bisherigen Verschul-dungsgrenzen, die dauerhaft verletzt wurden, sollen ausdem Grundgesetz verschwinden. Das ist ein guter Weg;denn die Regeln haben grandios versagt. Weder der In-vestitionsbegriff noch die Feststellung einer Störung desgesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts haben sich alsGesetzesbegriffe bewährt. Dass wir diese untauglichenRegelungen loswerden, ist ein Erfolg der Föderalismus-kommission II.
Die Grünen haben einen anderen Weg vorgeschlagen.Sie wollten sich am Begriff Nettoinvestition orientieren,im Grunde aber den Investitionsbegriff weiter ausdeh-nen. Sie haben argumentiert, man müsse auch alle Bil-dungsinvestitionen mit neuen Schulden finanzierenkönnen. Für dieses Vorhaben gibt es aber nur scheinbarlogische Argumente. Sie haben gesagt, dass man Inves-titionen nicht nur in Beton, sondern auch in Bildung fi-nanzieren müsse. Natürlich brauchen wir mehr Bil-dungsinvestitionen; das will niemand infrage stellen.Aber was haben denn junge Generationen davon, wennSie ihnen die Bildung mit neuen Schulden finanzierenund die Schuldenberge ihnen dann später die Chance aufeinen Arbeitsplatz nehmen? So kann man zukunftsfä-hige, nachhaltige Politik nicht machen.
Die FDP hat die Kommissionsarbeit von Anfang ankonstruktiv begleitet. Wir haben den Auftrag sehr ernstgenommen. Es war ein großer Auftrag. Ich möchte nocheinmal betonen, dass wir den gesamten Auftrag erledi-gen wollten. Wir haben dazu konkrete Vorschläge ge-macht, bis hin zu einem ausformulierten Gesetzentwurf,der im Weiteren dann aber leider nicht als Beratungs-grundlage diente. Dass am Ende nicht mehr möglichwar, ist eine vertane Chance. Bei aller Kritik bleibt aberdie Feststellung, dass wir mit diesem Gesetzentwurf anentscheidender Stelle etwas verbessern. Deshalb habenwir dem Kompromiss in der Kommission zugestimmt.Wir haben damit kein Endergebnis im Hinblick aufdas Problem, sondern ein Zwischenergebnis. Die Arbeitmuss fortgesetzt werden. Ich wünsche uns, dass uns die-ses Zwischenergebnis auf dem Weg gegen die Staatsver-smdsiShGlRrHBWbnggdvwiDAAfDDBgGeW2gnR„e–uGS
Das Wort erhält nun der Ministerpräsident des Landesaden-Württemberg, Günther Oettinger.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die De-atte heute Morgen macht deutlich, wie groß die Span-ungsbögen, wie groß die Interessengegensätze sind. Eseht dabei um zwei Dinge – nicht mehr und nicht weni-er –: um Kompetenzen und um Geld.Um Kompetenzen geht es beispielsweise in der Bil-ung. Einerseits spricht der Arbeitsmarkt und die damiterbundene Mobilität der Menschen für eine bundes-eite Regelung mancher Bildungsfragen – das gestehech zu –, andererseits waren Kultur und Bildung ineutschland aus guten Gründen immer Ländersache.ußerdem werden – ebenfalls aus guten Gründen – dieutonomie der Schule vor Ort und mehr Kompetenzenür die Träger freier und kommunaler Schulen gefordert.as ist der eine Spannungsbogen. Manchem, der in deneutschen Bundestag kommt und glaubt, er könne hierildungspolitik machen, muss man sagen, dass er ei-entlich im falschen Parlament ist.
Ein weiterer großer Spannungsbogen betrifft daseld. Es wird behauptet – so auch vom Kollegen Gysi –,s gebe reiche Länder. Dabei hat beispielsweise Baden-ürttemberg 42 Milliarden Euro Schulden und mussMilliarden Euro Zinsen pro Jahr, worin noch keine Til-ung enthalten ist, zahlen. Das heißt, reich sind wiricht. Wir sind nur nicht so stark verschuldet wie derest der Republik.
Reich“ ist also ein relativer Begriff.Es gibt Länder, die in den Länderfinanzausgleichinzahlen und behaupten, sie würden viel zu viel zahlen dazu gehört mein Land –, und Länder, die wie Bremennd das Saarland sagen, sie würden nicht ausreichendeld für die Erfüllung ihrer Aufgaben erhalten. Dieserpannungsbogen wurde heute Morgen bei den fünf
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Ministerpräsident Günther H. Oettinger
Fraktionen dieses Hohen Hauses sichtbar. In der Kom-mission trat er aber noch weit stärker zutage; denn dortkamen die armen und die weniger armen Länder, dieneuen Länder und die alten Länder, die kleinen Länderund die großen Länder sowie die Stadtstaaten und dieFlächenländer hinzu. Der Gegensatz von Metropole undländlichem Raum wurde dabei noch gar nicht erwähnt.
Herr Ministerpräsident, gestatten Sie eine Zwischen-
frage des Kollegen Troost?
Ja, gerne.
Bitte schön.
Herr Kollege Oettinger, wir waren uns in der Kom-mission einig, dass die Staatsverschuldung in diesemJahrtausend in erster Linie nicht aus Ausgabenzuwäch-sen, sondern aus Einnahmeeinbrüchen resultiert.
Sie hatten damals an die Mitglieder der Kommission ap-pelliert, nicht mit Steuersenkungsversprechen in denBundestagswahlkampf zu gehen.
Nun besteht aber die Gefahr, dass genau dieses passierenwird, sei es seitens der FDP, sei es seitens der CSU oderanderer.Weil Sie von armen und reichen Ländern sprachenund vorhin das, was mein Kollege Gysi gesagt hat, alsabsurd abgetan haben, möchte ich Sie fragen.
– Können Sie vielleicht einmal zuhören?
– Können Sie zuhören und dann nachdenken?
Gehen wir einmal von der Situation aus, dass derBundestag eine Steuersenkung beschließt und anschlie-ßend im Bundesrat die reichen Länder diese Steuersen-kung gegen die Stimmen beispielsweise von Berlin undBremen bestätigen.
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Herr Kollege, da für die Gemeinschaftsteuern und fürie Steuereinnahmen, die allein den Ländern zustehen,ie Bundesgesetzgebung verantwortlich ist und damitine Zustimmungspflicht des Bundesrates besteht, unda die Geberländer in der Minderheit sind und die Neh-erländer die Mehrheit stellen, können Sie davon ausge-en, dass die Länderinteressen, also auch die Interessenon Bremen und des Saarlandes, mehr als ausreichendurch die Mehrheit im Bundesrat gewahrt werden.
Zurück zum Thema „Spannungsbogen und Interes-engegensatz“. Es gab in der Kommission Kollegen, dieür ein generelles Schuldenverbot gekämpft haben undeine Ausnahmen zulassen wollten. Es gab Kollegen,ie für ein grundloses Schuldenrecht gekämpft haben.or dem Hintergrund dieses Spannungsbogens hat dieommission, wenn man unter Politik das Machbare undögliche versteht, nicht weniger und nicht mehr er-eicht.
Ich bin dankbar, dass eine klare Mehrheit der Kom-ission, bestehend aus Mitgliedern dieses Hohen Hau-es und des Bundesrats, diese Gesamtkonzeption mit7 Jastimmen bei nur 3 Gegenstimmen und 2 Enthaltun-en empfiehlt. Mein Rat geht dahin: Da das Ganze einensibles Gebäude ist, rütteln wir nicht an einzelnenäulen. Am besten wäre es, es würde im Bundestag undm Bundesrat mit Zweidrittelmehrheit so verabschiedet,ie es jetzt vorgelegt wurde. Dann hätten wir im Rah-en der Möglichkeiten und der Interessengegensätze fürie Sache und für unsere Kinder viel erreicht.Machen wir uns nichts vor: Damit wird ein Zeiten-echsel verbunden sein. Die letzten 40 Jahre waren vonährlichen staatlichen Schulden geprägt. Unsere Großel-ern haben Deutschland nach dem Zweiten Weltkriegdamals waren die Brücken zerstört, die Straßen zer-ombt und die Häuser kaputt – ohne Schulden und mitand- und Kopfarbeit aufgebaut. Erst in den letzten0 Jahren verging kein Jahr, in dem nicht jährlich aus,inzeln betrachtet, guten Gründen Schulden vom Bundnd von den Ländern und Gemeinden gemacht wordenind. Es sind derzeit insgesamt 1 500 Milliarden Euro. Iniesem und im nächsten Jahr kommen mit Sicherheitnd begründbar nochmals 200 Milliarden Euro hinzu.eswegen ist es richtig, dass man sich gerade in derrise, in der Rezession für eine grundsätzliche Schul-enregel ausspricht. In Zukunft ist in normalen Haus-altsjahren auf Bundesebene nur noch eine Schuldenauf-ahme von maximal 9 Milliarden Euro Schuldenöglich, und in den Ländern soll im Regelfall keineufnahme von Schulden mehr notwendig sein.
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Herr Ministerpräsident, es gibt zwei weitere Wünsche
nach Zwischenfragen.
Zunächst möchte der Kollege Wieland eine Zwischen-
frage stellen, wenn Sie damit einverstanden sind.
Gerne.
Bitte schön.
Herr Ministerpräsident, ich kam nicht gleich an die
Reihe. Über einen Ihrer Sätze musste ich auch lange
nachdenken.
– Das musste auf mich wirken. Das kann ja nicht scha-
den. – Sie sagten, wer Bildungspolitik machen wolle,
habe sich mit dem Bundestag das falsche Parlament aus-
gesucht. Würden Sie auch sagen, dass sich jemand, der
Bildungspolitik machen will, mit der Bundesregierung
die falsche Regierung ausgesucht hat – wie Ihre Kollegin
Frau Schavan, die, wie ich weiß, aus Baden-Württem-
berg stammt? Wie soll es denn funktionieren, dass wir
eine Bildungsministerin haben, ohne dass sich der Bun-
destag mit Bildungspolitik befasst?
Herr Kollege, Sie wissen genau, für welche Kompe-
tenzen in Forschung und Bildung die Bundesregierung
verantwortlich ist – für den Regelfall in der Schule, für
den Schulalltag nicht. Darum ging es mir.
Übrigens sind die erweiterten Finanzhilfen auch im
Rahmen der Kompetenzfrage wichtig. Wir glauben, dass
in der heutigen Zeit der Einfluss des Bundes über den
Graubereich der energetischen Gebäudesanierung nicht
mehr sinnvoll ist. Deswegen stimmen wir einer Erweite-
rung des Art. 104 b des Grundgesetzes ausdrücklich zu,
wollen aber, dass der Bund Finanzhilfen für das Schul-
gebäude, nicht aber für die Festlegung von Inhalten in
den Schulen zur Verfügung stellt.
Herr Kollege Gysi, Sie sagen, dass alle Kinder einen
Anspruch auf eine gute Bildung haben sollten. Dies teile
ich. Aber die Arroganz, dass dies nur der Bund durchset-
zen könne, teile ich nicht. Ich traue Landesregierungen
– sogar der in Berlin, an der Ihre Partei beteiligt ist – das
zu.
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Betrachten wir die Schuldenregel einmal im Einzel-
en: Ich glaube, wir haben einen guten Mittelweg ge-
ählt. Im Normalfall ist keine Schuldenaufnahme mög-
ich. Ausnahmen sind aber im Haushaltsvollzug bei
aturkatastrophen und außergewöhnlichen Notsituatio-
en wie in diesem und im nächsten Jahr möglich. Ganz
ntscheidend ist für mich, dass in das Grundgesetz eine
ilgungspflicht aufgenommen wird. Das heißt, ab sofort
arf die Tilgung von Schulden nicht mehr auf den Sankt-
immerleins-Tag verschoben oder dürfen neue Schul-
en nicht mehr aufaddiert werden. Wer jetzt neue Schul-
en macht, muss seinem Parlament und der Öffentlich-
eit mittels eines Tilgungsplans aufzeigen, wie er sie in
enigen Folgejahren konjunkturgerecht wieder ausglei-
hen kann.
Herr Ministerpräsident, Ihre Äußerungen haben eine
o anregende Wirkung auf Kolleginnen und Kollegen al-
er Fraktionen, dass sich die Wünsche nach weiteren
wischenfragen mit einer bemerkenswerten Dynamik
ntwickeln.
Möchten Sie die Zwischenfrage der Kollegin Höll
nd eventuell auch die des Kollegen Gysi beantworten?
Ja.
Frau Höll.
Herr Ministerpräsident, wenn ich heute Abend ineipzig im Hauptbahnhof aus dem Zug steigen werde,rüßt mich Ihr Bundesland mit einer großen Werbung:ommen Sie nach Baden-Württemberg! Werden Sieehrer bei uns! So viel zum Thema „reichere und ärmereänder“. Sie haben immerhin noch so viel Geld, dass Sieehrer aus Sachsen abwerben können.
Ich will Sie etwas fragen, was ich nicht ganz verstehe:n den letzten Jahrzehnten haben die Parteien CDU,SU und SPD in der Bundesrepublik Deutschland dieegierungsverantwortung getragen. Diese Parteien wa-
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Dr. Barbara Höllren immer frei, keine Schulden zu machen. Sie habeneine Steuersenkungspolitik gemacht: Senkung des Spit-zensteuersatzes, Erbschaftsteuer entsprechend geregelt,die Vermögensteuer ausgesetzt etc. pp. Jetzt wollen Sieeine Schuldenbremse verankern. In Ihrem Handeln wa-ren Sie doch bisher immer frei, keine Schulden zu ma-chen.
Frau Kollegin, es wäre schön, wenn Sie tatsächlich
eine Frage stellen würden.
Ich komme jetzt zum Abschluss meiner Frage. –Brauchen wir eine Schuldenbremse? Wozu brauchen Siedie, wenn nicht nur, um sagen zu können: Wir müssenweitere Sozialkürzungen vornehmen, das gebietet unsdas Grundgesetz? Machen Sie eine Steuersenkungs-grenze, dass die Staatseinnahmen wirklich bleiben! Sa-gen Sie einmal, was Sie davon halten!
Frau Kollegin, das Grundgesetz regelt das Wesentli-che, mit Geboten, mit Verboten, mit Werten und Rech-ten. Ich finde, wenn das Grundgesetz das wesentlicheRecht Deutschlands abbilden soll, dann sollte dort aucheine Aussage zum Thema „grundsätzliches Schuldenver-bot für künftige Haushaltsberatungen zugunsten unsererKinder und Enkelkinder“ stehen.
Zum ersten Teil Ihrer Frage: Mit dem Freistaat Sach-sen haben wir seit wenigen Tagen eine faire Vereinba-rung. Wir wollen in Ihrem Land junge Lehrerinnen undLehrer werben, die in Ihrem Land studieren, dort abergar nicht gebraucht werden. Da bei Ihnen die Kinderzahlzurückgeht, bei uns aber nicht, haben wir eine Vereinba-rung, dass in den nächsten drei Jahren Lehrer aus IhremLand bei uns eine Chance und damit Arbeit bekommen.Trotzdem wird Bildung bei Ihnen möglich sein.
Ich glaube, das ist eine faire Partnerschaft im Interesseder Lehrer und Kinder von Sachsen und Baden-Württemberg.
Wenn ich neben der Schuldenregel das Thema Kon-solidierungshilfe ansprechen darf: Wir danken demBund dafür, dass er bereit ist, die Hälfte der neunmal800 Millionen Euro Hilfe zu finanzieren. Unstrittig ist,dass der Bund strukturell mit Zinsen und Altschuldenstärker belastet ist als die Ländergemeinschaft ins-gesamt. Unstrittig ist aber auch, dass der Bund eherhandlungsfähig ist, weil er die Steuerentwicklung stärkerprägen kann. Er muss ein starkes Interesse an handlungs-fähigen Ländern haben; denn wenn Bremen oder dasSPdS–IqbwdtSdndtKnddaaJwgligDgALkaBdKDfmanvd
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Nächste Rednerin ist die Kollegin Britta Haßelmann,
Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Lassen Sie mich zwei Vorbemerkungen machen: HerrMinisterpräsident Oettinger, wir haben Ihre Worte sehrgenau gehört und Ihre Einlassung zur Bildungspolitikregistriert. Ich hoffe, dass Sie dann, wenn es um Geldbe-ziehungen und darum geht, dass der Bund den LändernGeld für die Bildung geben soll, auch die gleiche Ein-stellung einnehmen, wie Sie es hier gerade bei der Ab-grenzung der Kompetenzen getan haben. Ich sehe, dassdie Länder beim Hochschulpakt die Hand aufhalten, umGeld vom Bund zu bekommen, gleichzeitig aber immerwieder großen Wert darauf legen, dass Bildungsangele-genheiten alleine in ihrer Kompetenz lägen. Hier passtetwas nicht zusammen.
Zweite Vorbemerkung: Liebe Kolleginnen und Kolle-gen der FDP, Sie sollten heute nicht über die Frage urtei-len, ob hier beim Thema Schuldenbremse, Schuldenab-bau und Schuldenregulierung die richtige Entscheidunggetroffen wird, wenn wir für oder gegen diese Vor-schläge stimmen.
Sie haben sich in dieser Frage verabschiedet, seitdem SieIhr Bundestagswahlprogramm vorgelegt haben und ineiner Situation zu Steuersenkungen von 35 MilliardenEuro aufrufen, in der das Land in einer massiven Krisesteckt. Seien Sie da also lieber ein bisschen ruhiger.
Meine Damen und Herren, bemerkenswert ist, dass indieser Debatte ein einziger Redner die Kommunen an-gesprochen hat. Das war mein Kollege Fritz Kuhn.
Wir reden hier über die Föderalismusreform, und bei Ih-nen spielt das Thema Kommunen überhaupt keine Rolle.Jetzt kommen Sie mir nicht mit dem Argument, dieKommunen seien eine von den Ländern abgeleiteteEbene. Ich wäre froh, wenn Sie dieses Argument dannauch einmal in Ihren Wahlkreisen benutzten, wo Siesonst immer verkünden, wie wichtig die Kommunen undderen Selbstverwaltungsgarantie seien. Eine vernünftigeSdsTVa–k–ShIsenfdgaehhFmiLepodnundhgkkemg
Dies sollten Sie einmal vor Ort in Ihrem Wahlkreis er-lären, Herr Struck.
Schreien Sie doch noch lauter, Herr Poß, oder stellenie mir eine Zwischenfrage.
Wo sind denn Ihre Vorschläge für eine Altschulden-ilfe für Gelsenkirchen, für Oberhausen, für Hagen? Vonhnen kommt nichts außer die Ablehnung unserer Vor-chläge, eine Altschuldenhilfe auch für die Kommuneninzuführen. Das geht so nicht.
Allein in Nordrhein-Westfalen gibt es 107 Kommu-en, die sich in einer dramatischen Finanzsituation be-inden. Das ist auch in anderen Bundesländern so; ichenke an Ostdeutschland, oder auch in Niedersachsenibt es hoch belastete Kommunen. Die Schere zwischenrmen und reichen Kommunen geht immer weiter aus-inander. Die Vorschläge, die hier auf den Tisch gehörtätten, zum Beispiel den Vorschlag einer Altschulden-ilfe für Kommunen, die beim Solidarpakt und bei derinanzierung der Einheit auch Verantwortung übernom-en haben, haben Sie einfach ausgeblendet. Das ist auchn Ihren Reden deutlich geworden. Das muss man deneuten vor Ort erzählen. Das geht so nicht. Sie gleiteninfach unten durch.
Ich will noch ganz kurz auf etwas hinweisen: Wasassiert denn in Nordrhein-Westfalen, in Niedersachsender in Sachsen, wenn im Jahr 2020 die Verschuldunger Länderhaushalte auf null sein soll? Glauben Sieicht, dass der Konsolidierungsdruck dort einfach nachnten an die Kommunen weitergegeben wird, wenn Sieicht gleichzeitig sagen, wie die finanzielle Ausstattunger Kommunen dauerhaft garantiert werden soll? Hieraben Sie gekniffen; Sie haben das Problem einfach aus-eblendet und ausgesessen. Sie glauben, dass es vor Orteiner merkt. Wir werden dafür sorgen, dass die Themenommunale Finanzen und Mindestfinanzausstattung undine richtige Bewertung der Ergebnisse dieser Föderalis-uskommission, die die Kommunen nicht berücksichti-en, vor Ort ankommen und wahrgenommen werden.Vielen Dank.
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Das Wort hat nun der Finanzminister von Rheinland-
Pfalz, Herr Professor Deubel.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! DieFöderalismusreform II wird vor allem daran gemessenwerden, ob sich das Ziel einer dauerhaften Verringerungder Defizite in den öffentlichen Haushalten tatsächlicherreichen lässt. Dabei steht in der öffentlichen Wahrneh-mung zumeist die Begrenzung der Neuverschuldung– genauer gesagt: der strukturellen Neuverschuldung –im Vordergrund. Die neue Regel wird in dieser Hinsichtwesentlich strenger sein als das geltende Recht. Sie wirdaber vor allem auch in sich stimmiger sein. Denn das ansich gut nachvollziehbare Prinzip einer Kreditaufnahmebis zur Höhe der Investitionsausgaben ist vor allem beimBund und bei den Ländern mit schwer lösbaren Proble-men verbunden.Was genau sind die Investitionen in die Zukunft einesLandes? Zählen wirklich nur die Schulgebäude dazuoder auch die Ausgaben für das Lehrpersonal? Warumwird der Verkauf öffentlichen Vermögens nicht gegenge-rechnet? Wie hoch sind die Abschreibungen auf den öf-fentlichen Kapitalstock? Zählt das Humankapital zumKapitalstock? Wird Vorsorge für Pensionsverpflichtun-gen geschaffen? All diese Probleme gibt es bei der neuenSchuldenregel nicht, weil sich die Grenze pauschal aufdie aktuelle Wirtschaftskraft bezieht. Dies gilt richtiger-weise jedoch nur für den Bundeshaushalt und die Län-derhaushalte.Bei den Kommunen, die nach wie vor rund60 Prozent der öffentlichen Investitionen verantworten,kann es beim bisherigen Haushaltsrecht bleiben; denndas Haushaltsrecht ist Ländersache.
Das heißt, eine Neuverschuldung bis zur Höhe der je-weiligen Nettoinvestition ist grundsätzlich zulässig. Dasist das geltende Haushaltsrecht der Kommunen. DieNeuverschuldung muss allerdings in Übereinstimmungmit der dauerhaften Leistungsfähigkeit der Kommunenstehen.In der Debatte ist von den Grünen eine Altschulden-hilfe für die Kommunen vorgeschlagen worden. Dazumache ich zwei klare Anmerkungen.Erstes. Es wäre unmittelbar verfassungswidrig.
Der Bund hat hier keinerlei Zuständigkeit.Zweitens. Sie würden die Länder aus ihrer Verantwor-tung entlassen,
innerhalb des Landes über den kommunalen Finanzaus-gleich einen entsprechenden Ausgleich herbeizuführen.Das geht den Bund schlicht nichts an.–dBnlcdnKtpfelhgwlveBdIdsadKufDnidVwrmsDddm
Ja, natürlich. Ich vertrete das jederzeit offensiv; das istie Verfassungslage in Deutschland.Der eigentliche Vorteil der neuen Schuldenregel fürund und Länder liegt aus meiner Sicht allerdings in ei-em anderen Punkt. Mit der neuen Regel wird es mög-ich, zwischen der strukturellen Verfassung der öffentli-hen Haushalte und vorübergehenden Effekten, etwaer konjunkturellen Entwicklung oder Sondersituatio-en, zu unterscheiden. Zu diesem Zweck wird es einonjunkturbereinigungsverfahren geben. Dies klingtechnischer, als es ist. In Wahrheit wird es die Finanz-olitik hierzulande grundlegend verändern.Erstens werden künftig die Auswirkungen für die öf-entlichen Haushalte im Konjunkturabschwung direktrkennbar und messbar sein, und damit auch der zusätz-iche Kreditbedarf in schlechten Zeiten, weil ein Hinter-ersparen im Abschwung die Krise nur verschärft. Esibt keinen seriösen Ökonomen, der diesem Grundsatziderspricht.Zweitens wird aber auch deutlich, dass die zusätz-ichen Steuereinnahmen im Aufschwung wirklich nurorübergehend sind und deswegen insbesondere für dau-rhafte Steuersenkungen nicht zur Verfügung stehen.islang war das anders. Denn die Ausnahmeregelunges Art. 115 des Grundgesetzes wurde, entgegen derdee von Keynes, einseitig genutzt: Im Abschwung wur-en zusätzliche Kredite zugelassen, was ökonomischinnvoll ist. Im Aufschwung wurden Mehreinnahmenber regelmäßig für Steuersenkungen verwendet, mitem Resultat, dass sich die Staatsverschuldung über denonjunkturzyklus hinweg stetig erhöhte
nd der Staat an Handlungsfähigkeit und an Spielraumür eine gestaltende Finanzpolitik verlor.
ie öffentlichen Haushalte sind in der Vergangenheitämlich vor allem in guten Zeiten ruiniert worden.Das wird mit der Einhaltung der neuen Schuldenregeln Zukunft nicht mehr möglich sein. Ich sage das sehreutlich und vor allem an diejenigen gerichtet, die untererweis auf kommende Aufschwungzeiten schon heuteieder massive Steuerentlastungen versprechen. Es wa-en im Übrigen genau die gleichen Mitglieder der Kom-ission, die in den Beratungen ohne Unterlass eine nochtriktere Schuldenregel gefordert haben.
ie Widersprüchlichkeit dieser Argumentation wirdurch die neue Schuldenregel nun auch dem Letzteneutlich vor Augen geführt.Die neue Schuldenregel macht eines deutlich: Neueassive Steuersenkungen werden in Deutschland bis
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Dieser Weg wird zwischen 2011 – in diesem Jahrmuss mit dem Abbau der strukturellen Defizite gestar-tet werden, und es darf nicht länger gewartet werden– und 2020 – in diesem Jahr muss der Abbau der struktu-rellen Defizite abgeschlossen sein – sehr steinig werden.Einige Länder, die in einer besonders schwierigen Haus-haltssituation sind, werden diese Herausforderung nuraufgrund der solidarischen Hilfe von Bund und Ländern– sie hat in den nächsten neun Jahren einen Umfang von7,2 Milliarden Euro – bewältigen können.Ich bin ziemlich sicher, dass es verfassungsrechtlichzulässig ist, für die Kreditaufnahme von Bund und Län-dern gleichermaßen geltende Prinzipien im Grundgesetzzu verankern. Es gibt eine gemeinsame Verantwortungaller Beteiligten für die gesamtstaatliche Verschuldung.Der Vertrag von Maastricht legt das bereits heute fest.Das bündische Prinzip, das solidarische Einstehen für-einander in Notlagen, verlangt im Gegenzug, dass sichalle Beteiligten an gemeinsam verabredete Regeln hal-ten.Bei der Umsetzung der neuen Schuldenregel habendie Länder zudem einen erheblichen eigenen Gestal-tungsspielraum, vor allem was den Umgang mitkonjunkturellen Schwankungen und mit Ausnahmesitua-tionen betrifft. Gerade mit Blick auf die Konjunktur-komponente stellt sich die Aufgabe wahrscheinlich so-gar leichter dar als beim Bund, weil die Länderhaushaltevon der Wirtschaftsentwicklung praktisch ausschließlichauf der Einnahmeseite betroffen sind. Vorschläge für einsolches System – ich nenne als Stichwort das bewährteKonzept des rheinland-pfälzischen Stabilisierungsfonds –liegen seit geraumer Zeit auf dem Tisch.stkDuEjdvtdAhdgsngoLScgnguzrakHdEscs
Das Wort hat der Kollege Dr. Hans-Peter Friedrich für
ie CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!ls im Dezember 2006 die Föderalismuskommission IIier eingesetzt wurde, waren die Reden einerseits voner Entschlossenheit geprägt, etwas für die Stabilität undegen den Schuldenstaat zu unternehmen, und anderer-eits auch von der Skepsis – ich habe das noch einmalachgelesen; Herr Struck hat von einer Herkulesaufgabeesprochen –,
b wir etwas schaffen und zustande bringen würden.ieber Herr Ministerpräsident und lieber Herr Kollegetruck, unter diesen Aspekten muss ich sagen: Herzli-hen Glückwunsch. Ich glaube, es ist etwas Hervorra-endes gelungen, was viele damals, im Dezember 2006,icht vorhergesagt hätten.
Wir haben drei Themenkomplexe, die heute schon an-esprochen wurden:Erstens geht es um die Frage, wie wir für die Ländernd den Bund die Möglichkeit neu regeln, Kredite auf-unehmen; Stichwort: Schluss mit der Schuldenmache-ei.Zweitens stellt sich die Frage, wie wir im Übrigenuch dem Auftrag des Bundesverfassungsgerichts nach-ommen können, ein Frühwarnsystem für schwierigeaushaltslagen in bestimmten Bereichen – zum Beispieler Länder – einzurichten.
in Stabilitätspakt wurde eingerichtet, mit dem auchymbolisiert wird, wie wichtig die Stabilität der öffentli-hen Haushalte in diesem Land ist.Der dritte wichtige Komplex, den wir angegangenind, war die leichtere Zusammenarbeit von Bund und
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Dr. Hans-Peter Friedrich
Ländern und der Länder untereinander in verschiedenenBereichen – auch in neuen Bereichen, die sich ergeben.Vor 60 Jahren, als das Grundgesetz geschrieben wurde,kannte man noch nicht die IT-Netze und die modernenKommunikationsmöglichkeiten. Deswegen war es not-wendig, dass wir auch auf neue Entwicklungen mitKompetenzabgrenzungen in der Verfassung reagiert ha-ben. Das war der dritte wichtige Bereich, der auch er-folgreich gestaltet worden ist.Kernstück ist die Schuldenregelung oder, wie sieüberall heißt, die Schuldenbremse. Vor 40 Jahren hat dieGroße Koalition die Tür zu einem Schuldenstaat aufge-stoßen. Eine Regierung nach der anderen ist durch dieseTür gegangen. Karl Schiller war der Erste, der das Ver-hängnisvolle an diesem Weg erkannt hat. Er ist damalszurückgetreten, weil er gesagt hat: Verschuldung, Steuer-erhöhungen und Ausgabenprogramme, das ist nicht derrichtige Weg. Die Große Koalition hat heute, 40 Jahrespäter, die Chance, diese Tür, die damals zum Schulden-staat geführt hat, wieder zuzumachen. Ich denke, dasswir diese Chance auch genutzt haben.Der Irrtum im Zusammenhang mit der Schuldenregelwar bisher, dass der Staat dann, wenn er Kredite inschlechten Zeiten aufnimmt, sie in guten Zeiten auchwieder zurückzahlen würde. Es gibt das berühmte Zitatvon Schumpeter, das Franz Josef Strauß in vielen Varia-tionen immer wieder verwendet hat. Es lautet: Eher legtsich der Mops einen Wurstvorrat an, als dass das Parla-ment Geld nicht ausgibt, das da ist.
– Auch Späth hat Schumpeter zitiert. Ich will das garnicht bestreiten.Genau das ist das Problem. Das Verwerfliche istnicht, in Not- bzw. schwierigen Zeiten Schulden zu ma-chen und Kredite aufzunehmen, verwerflich ist es, in gu-ten Zeiten diese Schulden und Kredite nicht zurückzu-zahlen, sie aufzuhäufen und künftige Generationendamit zu belasten.Es war genau die Aufgabe der Kommission, einenMechanismus zu finden, der die Schuldenaufnahme inschwierigen Zeiten und schwierigen Situationen ermög-licht, aber gleichzeitig sicherstellt, dass in besseren Zei-ten die Tilgung dieser Schulden erfolgt. Das Prinzipheißt „ausgeglichener Haushalt“. Wie für jeden Privat-mann, jede Familie und jedes Unternehmen gilt: Manmuss sich nach der Decke strecken. Es kann nur das aus-gegeben werden, was man eingenommen hat. Deswegengilt das Prinzip „Einnahmen gleich Ausgaben“.
Dass wir eine kleine Toleranz von 0,35 Prozent des Brut-toinlandsprodukts mit einbauen mussten,
heißt nicht, dass man diesen Spielraum ausschöpfenmuss. Wir wollten nur sicherstellen, dass der Haushalts-entwurf mit einem geringen Defizit nicht gleich verfas-sdbsnewihuWsdn–hmss–ahvdgtsbegwsWkddGIKsgdhf
ann ist das eine zusätzliche Begründung dafür, warumer Sozialismus kläglich gescheitert ist. Das ist einrund mehr, warum ich kein Sozialist bin.
ch will nicht auf Kosten meiner Nachfolger, meinerinder und Enkel leben. Mit Ihrer Schuldenphilosophieind Sie auf dem Holzweg.
Entscheidend ist, dass wir mit der Schuldenbremseerade in der Wirtschaftskrise ein wichtiges Signal anie Menschen in diesem Lande aussenden. Dieses Signaleißt: Der Staat sorgt auch in einer schwierigen Situationür Stabilität. Das gilt auch für die Währung. Dieses
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Dr. Hans-Peter Friedrich
Stabilitätssignal ist gerade jetzt in der Wirtschaftskrisevon ganz entscheidender Bedeutung. Deswegen ist dieSchuldenbremse gerade jetzt richtig und notwendig.Ich sehe – wie einige andere Kollegen, wie ich heuteder Presse entnommen habe – durchaus die Notwendig-keit, dass es auch in künftigen Legislaturperioden neueFöderalismuskommissionen geben wird. Denn der Fö-deralismus steht mit den Veränderungen in der Wirt-schaft, der Gesellschaft und der Technik vor neuen He-rausforderungen, denen er gerecht werden muss.Es gibt bereits eine wichtige Aufgabe, die wir einerneuen Föderalismuskommission übriggelassen haben,nämlich die Frage, wie wir es schaffen, die Kompeten-zen der Länder mit einer stärkeren finanziellen Eigen-verantwortlichkeit zu unterlegen und sie von der Zustän-digkeit des Bundes zu trennen. Ich darf daran erinnern,dass wir vonseiten des Bundes in der Kommission mehrSteuerautonomie der Länder vorgeschlagen haben. Dasist von der Mehrheit der Länder mit der Begründung ab-gelehnt worden, dass eine größere Flexibilität im Steuer-bereich auch genutzt werden müsste, und das wollten sienicht. Ich sehe hier noch dringenden Handlungsbedarf inder Zukunft. Hier sollen den Aufgaben und den Mög-lichkeiten künftiger Föderalismuskommissionen keineGrenzen gesetzt werden.In der Föderalismuskommission und hier im Hauseherrscht Konsens darüber – so denke ich –, dass der Fö-deralismus die richtige Staatsform für dieses Land ist.Dass die Linken das nicht wollen, habe ich heute einmalmehr verstanden. Bei den Grünen habe ich aufgrund derheutigen Zwischenfrage des Kollegen Wieland Zweifelbekommen. Föderalismus bedeutet, dass demokratischgewählte Parlamente in den Ländern – sie sind näher anden Menschen – Aufgaben haben, die sie eigenverant-wortlich erfüllen, und dass der Bund die Aufgaben wahr-nimmt, die dort nicht wahrgenommen werden können.Nun kann man darüber streiten, was in den einen undin den anderen Bereich gehört; das war Gegenstand derFöderalismuskommission I. Darüber kann man immerwieder streiten. Aber es ist nicht richtig, die Kompe-tenzzuweisungen durch Finanzprogramme zu verwi-schen und zu verwässern. Wenn die Länder in einem Be-reich die ausschließliche Zuständigkeit haben, dannkann der Bund nicht riesige Ausgabenprogramme aufle-gen, die Länder quasi am goldenen Zügel durch die Ma-nege führen und sagen: Ihr bekommt nur dann Geld,wenn ihr dieses oder jenes macht. – Dann ist die Kompe-tenz der Länder vernichtet. Dann handelt es sich um eineantiföderalistische Regelung. Deswegen haben wir unsrichtigerweise darauf verständigt, dass der Bund nurdann in die Regelungskompetenzen der Länder finan-ziell eingreifen darf, wenn Notsituationen bestehen. Dasist auch gerechtfertigt. In Notsituationen muss man zu-sammenstehen und handeln können. Aber das darf nichtsozusagen ins Belieben des Bundes gestellt werden.Wir haben insgesamt sehr gute Arbeit geleistet. Ichbedanke mich bei den Kollegen der SPD für die gute Zu-sammenarbeit und die vielen Einzelgespräche, Vier-augengespräche, Sechsaugengespräche und Zehnaugen-gespräche, ebenso bei den Kollegen der FDP für diehhlfEtmbIskFmsWswZDcvuEtDSbwsSFgzwdbsssas
Nächster Redner ist der Kollege Fritz Rudolf Körper
ür die SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!in gutes Geschäft besteht immer darin, dass beide Sei-en zufrieden sind. Das ist die Voraussetzung dafür, dassan weitere Geschäfte machen kann; denn ein Geschäft,ei dem beide Seiten zufrieden sind, schafft Vertrauen.ch glaube, das ist eine ganz wichtige Basis, um auchchwierige Materien einer Entscheidung zuführen zuönnen.Wenn wir über das Thema Föderalismus und dessenortentwicklung reden, dann stellen wir fest, dass wir esit deutlichen Interessengegensätzen zu tun haben, bei-pielsweise bei den Fragen nach Zuständigkeit und Geld.ir haben es mit dem nun vorliegenden Ergebnis ge-chafft, die Interessengegensätze fair auszutarieren. Dassir diese Fähigkeit an den Tag gelegt haben, ist keineichen der Schwäche, sondern ein Zeichen der Stärke.eswegen bin ich der Auffassung: Wir sollten versu-hen, die getroffenen Entscheidungen mit Mehrheiten zuersehen.
Ich möchte es nicht unerwähnt lassen, dass die Väternd Mütter des Grundgesetzes vor 60 Jahren sehr gutentscheidungen getroffen haben, weil sie bestimmte his-orische Erfahrungen berücksichtigt haben.
as Grundgesetz sieht in wesentlichen Teilen dezentraletrukturen vor. Ich bin der Auffassung – das ist schonei den bisherigen Redebeiträgen angeklungen –, dassir trotz der Tatsache, dass die mit dem Grundgesetz ge-chaffene Demokratie das beste gesellschaftspolitischeystem ist, das es jemals auf deutschem Boden gab, dieähigkeit behalten müssen, über bestimmte Entwicklun-en nachzudenken und gegebenenfalls Entscheidungenu treffen.
Deswegen ist es wichtig, zu sehen: Wo haben wirelche Herausforderungen? Diese Herausforderungen,ie wir vor 60 Jahren in dieser Form nicht gekannt ha-en, beispielsweise den Klimawandel, die demografi-che Entwicklung oder die Finanzmarktkrise – da ließeich noch einiges hinzufügen –, sind zu beschreiben.Unsere Verfassung sieht die Aufgabenteilung zwi-chen Bund und Ländern vor. Die Debatte entzündet sichn dem sogenannten Kooperationsverbot. Das hatchon bei der letzten Föderalismuskommission eine
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Fritz Rudolf KörperRolle gespielt. Ich habe noch einmal nachgelesen, wasdazu in der Begründung des Gesetzes zur Föderalismus-reform 2006 stand. In der Begründung wird lang undbreit darauf hingewiesen, in welchen Fällen trotz derNeuregelung Finanzierungshilfen des Bundes weiterhinmöglich sind. Hervorgehoben wurde auch, dass das 2003verabredete Investitionsprogramm „Zukunft Bildungund Betreuung“ dennoch weiter gilt. Eine weitere inhalt-liche Begründung für das Kooperationsverbot sucht manhier vergebens.Es ist legitim, dass wir uns mit dieser Frage sehrernsthaft auseinandersetzen. Peter Struck und den Mit-gliedern der SPD-Bundestagsfraktion war es sehr wich-tig – das will ich nicht verhehlen –, dass wir das ThemaLockerung des Kooperationsverbots auch in die jetzigeKommissionsarbeit eingebracht haben. Die Bewältigungder Wirtschaftskrise zeigt, wie wichtig es ist, ein Instru-ment zu haben, das verfassungsrechtlich nicht infragegestellt wird. Deswegen bin ich für unseren Reforman-satz und werbe dafür, diesen in das Grundgesetz aufzu-nehmen.
Ich habe gesagt: Wir müssen die Fähigkeit behalten,auf Entwicklungen zu schauen. Die Väter und Mütterdes Grundgesetzes, lieber Herr Burgbacher, haben ITnicht gekannt.
Deswegen konnte darauf nicht reagiert werden. Die Fä-higkeit, einen Kompromiss für die Bewältigung diesesThemas gefunden zu haben, darf man nicht gering erach-ten. Man muss wissen, dass Lösungen für den IT-Be-reich nicht nur mit Kompetenz, sondern auch mit vielGeld zusammenhängen.Zukünftig wird es so sein, dass die Verantwortung fürdie Sicherheit der länderübergreifenden Netzinfrastruk-tur beim Bund liegt. Das war schwierig und hart er-kämpft. Aber es war von der Sache her notwendig. Glei-ches gilt für die Regelung, dass ein neues System der IT-Steuerung von Bund und Ländern eingerichtet wird.Wichtige Koordinierungsaufgaben erledigt dann ein Pla-nungsstab. Weitere Einzelheiten sollen durch Staatsver-trag und Verwaltungsabkommen verbindlich festgelegtwerden.Lieber Herr Oettinger, ich sage Ihnen, dass wir überdie Regelung bei dem Thema Staatsvertrag nicht begeis-tert waren; das ist bekannt. Aber das zeigt die Fähigkeitzum Kompromiss. Unser Einwand zur Staatsvertrags-regelung war, dass der Langsamste nicht das Tempo beinotwendigen Entscheidungen bestimmen soll. Aber dievorliegende Einigung ist ein Beweis für unsere Kompro-missfähigkeit.Wir haben ebenfalls Regelungen zu dem ThemaBenchmarking vorgeschlagen. Auch das darf man fürdie zukünftige Entwicklung nicht gering erachten. Wirhaben übrigens einige sehr gute Regelungen für Effekti-vitäts- und Effizienzverbesserungen im Bereich derSteuerverwaltung gefunden. Ich nenne nun auch nochdas Stichwort „Krebsregister“, bei dem wir zu einerEdbdJEaddwmwg4avEd5ffwdHdudsmspacDksshLt
Für die CDU/CSU-Fraktion hat nun der Kollege
ochen-Konrad Fromme das Wort.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!s gilt der Grundsatz: Niemand kann auf Dauer mehrusgeben, als er einnimmt. Das gilt für den Staat, undas gilt für den Privathaushalt. Wir wissen, dass nur vorem Hintergrund geordneter Haushalte eine vernünftigeirtschaftliche Entwicklung stattfinden kann. Deswegenüssen wir etwas ändern, und deswegen wollen wir et-as ändern. Wenn wir diesen Grundsatz in der Vergan-enheit eingehalten hätten, dann müssten wir nicht3 Milliarden Euro für Zinszahlungen im Haushalt ver-nschlagen, und wir könnten mit dem ersparten Geldiel Gutes tun. Herr Kollege Gysi, Sie versuchen, denindruck zu erwecken, wir würden Kindern Bil-ungschancen nehmen. Sie und Ihre Vorgänger sind zu0 Prozent an diesen Zinsen schuld, weil wir Schuldenür den Wiederaufbau aufnehmen mussten. Sie sind da-ür verantwortlich, nicht wir.
Kollegin Haßelmann meint, die Kommunen seien zuenig berücksichtigt. Ich kann Ihnen sagen, dass sie iner Diskussion eine sehr große Rolle gespielt haben.eute aber reden wir über ein Bundesgesetz und überas Grundgesetz. Die Kommunen sind Teile der Ländernd kommen deshalb nicht vor. Deswegen werden sie iner heutigen Debatte nicht so stark berücksichtigt. Aberchauen Sie sich bitte einmal die Finanzlage der Kom-unen, der Länder und des Bundes an. Dann werden Sieehen, dass die Kommunen – ich sage: noch – einenositiven Finanzierungssaldo haben, die Länder einenusgeglichenen Saldo haben und der Bund das eigentli-he Problem ist.
eswegen können die Kommunen in der Diskussioneine größere Rolle spielen.
Ich hätte mir an der einen oder anderen Stelle Verbes-erungen vorstellen können, insbesondere was die Be-chränkung der Kreditaufnahme zum Zwecke des Haus-altsausgleichs betrifft. Aus meiner Sicht hätten dieänder, was die Einnahmeseite betrifft, eine größere Au-onomie erhalten müssen.
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Jochen-Konrad FrommeDas war nicht durchsetzbar, aber wir können möglicher-weise in Zukunft noch etwas ändern.Meine Damen und Herren, als die Kommission ihreArbeit begonnen hat, hatten wir völlig andere Zeiten.Alle waren der Überzeugung, dass das Schulden-machen ein Ende haben muss. Leider ist diese Überzeu-gung in den letzten Monaten etwas abgebröckelt. Ichkann nur sagen: Wer die Erfahrungen der vergangenenJahre auswerten und es in Zukunft besser machen will,der muss diesem Gesetz am Ende zustimmen. Wir brau-chen einen Wechsel in der Politik. Deswegen kann ichdenjenigen, die heute noch zögerlich sind, nur raten, sichmit den Erfahrungen der Vergangenheit zu beschäftigen.Dann werden sie am Ende zustimmen. Ich bin froh, dassdas Thema, das im letzten Herbst fast untergegangenwäre, durch die Maßnahmenpakete wieder auf die Ta-gesordnung gekommen ist. Ich glaube, es war klug undrichtig, mit den Maßnahmenpaketen schon jetzt das neueRecht im Voraus anzuwenden; denn wir haben die Til-gung gleich mit auf den Weg gebracht. Insofern habenwir etwas geändert.Ich glaube – das will ich deutlich machen –, dass eseinen vierfachen Paradigmenwechsel gibt.Erstens. Alle Schulden, die in Zukunft aufgenommenwerden, werden wieder getilgt. Das ist etwas Neues. Daswird verhindern, dass der Schuldenberg weiter wächst.
Zweitens. Diese Regeln gelten nicht wie bisher nurfür die Aufstellung des Haushalts, sondern sie geltenauch für den Vollzug. Das ist insofern wichtig, als wir inder Vergangenheit sehr große Abweichungen – ob ge-plant oder ungeplant – hatten. Diese Fehlerquelle ist aufjeden Fall ausgeschlossen.Drittens. Wir werden in Zukunft Verkaufserlöse nichtmehr zur Finanzierung struktureller Ausgaben verwen-den können, weil diese abgezogen werden. Auch das istein wichtiger Punkt; denn wir haben über Jahrzehnte vonder Substanz gelebt, was unsere Situation deutlich er-schwert hat.Viertens. Auch Sondervermögen werden in Zukunftdiesen Regeln unterworfen, sodass eine Umgehung derRegeln ausgeschlossen ist.Einer der wichtigsten Änderungspunkte, die aus derErfahrung von 1969 resultieren, ist, dass wir die Rück-führung der Verschuldung nicht mehr von politischenEntscheidungen abhängig machen, sondern den Mecha-nismus eines Kontrollkontos einführen. Damit muss dieDiskussion, ob der Zeitpunkt gekommen ist, an dem wirzurückzahlen müssen, nicht mehr geführt werden. Wirhaben die Diskussion in der Vergangenheit immer solange geführt, bis wir im nächsten Loch waren, und dannhaben wir die Rückzahlung wieder unterlassen. Das warein Punkt der Finanzreform von 1969, der falsch gere-gelt worden ist. Ich hoffe, dass wir aus den Erfahrungengelernt haben und dass die Regelungen, die wir jetztschaffen, wesentlich dichter sind.Wenn man sich mit der Reform des Jahres 1969 be-schäftigt, dann stellt man fest, dass auch damals ein rela-tdddValugHvdmnmmisSddvbBddsgh–sBjewdsisa
Jürgen Koppelin, Birgit Homburger, RainerBrüderle, weiterer Abgeordneter und der Fraktionder FDPBürokratische Belastungen statistischer Erhe-bungen für das Handwerk– Drucksachen 16/7783, 16/10022 –
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Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldtb) Beratung des Antrags der Abgeordneten RainerBrüderle, Paul K. Friedhoff, Jens Ackermann,weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDPDie Mitte stärken – Mittelstand ins Zentrumder Wirtschaftspolitik rücken– Drucksache 16/12326 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Arbeit und SozialesIch eröffne die Aussprache und erteile als erstem Red-ner das Wort dem Kollegen Rainer Brüderle für dieFDP-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! DieBundesregierung diskutiert über Opel, Schaeffler undConti. Die Regierung gibt Geld für Rettungsschirme undAbwrackprämien aus. Um die großen Firmen kümmertsich die Große Koalition. Hier wird in großem Stil In-dustriepolitik für einzelne Unternehmen gemacht. Dieschwarz-rote Wirtschaftspolitik scheint sich nur noch fürGlamour und Großkonzerne zu interessieren. Der Mittel-stand gerät bei Schwarz-Rot immer mehr aus dem Blick.
Die 3,3 Millionen mittelständischen Betriebe inDeutschland brauchen endlich einen Anwalt in der Re-gierung. Wir brauchen eine Wirtschaftspolitik, die weni-ger auf Times Square und mehr auf Werkstatt, wenigerauf Show und mehr auf Substanz ausgerichtet ist. DerMittelstand braucht wieder eine Stimme in Deutschland.Das Bundeswirtschaftsministerium sollte sich alsMittelstandsministerium verstehen. Das sollte auch imNamen des Ministeriums seinen Ausdruck finden. Dannwürde sich die Bundesregierung vielleicht öfter daran er-innern, wer unseren Staat eigentlich trägt. Wer sich um25 000 Opel-Mitarbeiter – zu Recht – sorgt, der solltesich ebenso um 30 Millionen Mitarbeiter der mittelstän-dischen Betriebe in Deutschland sorgen.
Die Bundesregierung vernachlässigt die breite Mittein Deutschland. Ich frage mich: Was hat die Mitte dieserBundesregierung eigentlich getan, dass sie so schlechtbehandelt wird? Die Regierung beruft sich in Sonntags-reden gern auf Ludwig Erhard. Erhard stand aber fürSchumpeter’sche Pionierunternehmen; sie standen imMittelpunkt seiner Wirtschaftspolitik. Der mittelständi-sche Unternehmer, der initiativ ist, der Verantwortungfür seine Mitarbeiter trägt, und zwar in jeder Hinsicht,wird von dieser Bundesregierung seit Jahren ignoriert.Auch da frage ich mich: Was haben die Mittelständlerdem Bundeswirtschaftsminister eigentlich getan?Das Einzige, was Schwarz-Rot noch hinbekommt, istdie Ausweitung der Abwrackprämie. Herr von und zuGuttenberg hat noch im Januar im Zusammenhang mitder Abwrackprämie behauptet – ich zitiere –:AthtUtsQIPwSgttBnBGsnUdsfsOCssndgmdfktirwMKVs4tnk
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Ich bedaure sehr, dass mit dem Kollegen Wend heutezum letzten Mal einer für die SPD spricht, der wenigs-tens den Mittelstand bei seiner Politik noch im Augehatte. Auch der CDU gehen ja die Marktwirtschaftlerreihenweise von der Fahne: Friedrich Merz, MatthiasWissmann, Michael Glos, Laurenz Meyer. Ihre Personal-lage bei denjenigen, die sich in Wirtschafts- und Mittel-standsbelangen auskennen, wird immer dünner.Es gibt aber noch die FDP. Deshalb gibt es Hoffnung.Man kann Freiheit wählen und damit für Veränderungensorgen.
Deshalb rufe ich den Menschen draußen zu: Durchhaltenbis September! Dann kann man Freiheit wählen und die,die es schlecht gemacht haben, abwählen.Vielen Dank.
Nächster Redner ist für die CDU/CSU-Fraktion der
Kollege Dr. Michael Fuchs.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kolle-
gen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Lieber
Rainer Brüderle, Ihre Rede war wie immer Populismus
pur.
Etwas anderes kennen wir von Ihnen auch nicht. Was wir
von Ihnen hören mussten, hat nichts mit der Realität zu
tun.
Ich möchte einige Beispiele herausgreifen. An erster
Stelle möchte ich das Thema HRE – Hypo Real Estate –
erwähnen. Ihr Ehrenvorsitzender, den ich sehr schätze,
hat, ähnlich wie Sie heute, gesagt: Lasst das Ding doch
pleitegehen.
Das ist in meinen Augen völlig unverantwortlich. Ich
halte es für brandgefährlich; denn durch die Insolvenz
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as nur ansatzweise in Betracht zu ziehen, halte ich für
efährlich, weil es dazu führen könnte, dass wir die Bür-
erinnen und Bürger so verunsichern, dass wir in
eutschland Northern Rock im Quadrat hätten. So etwas
arf nicht geschehen. Eine Bank wie die HRE ist sys-
emrelevant. Die systemischen Risiken bedrohen unser
esamtes Wirtschaftssystem. Deshalb halte ich es für
ehr gefährlich, wenn wir keine klaren Regeln finden.
Es ist notwendig, dass wir unter Umständen – wie der
undeswirtschaftsminister es bezeichnet hat: Ultissima
atio – ein solches Institut enteignen, falls die Aktionäre
icht mitspielen. Unter der Voraussetzung, dass es kei-
en anderen Weg gibt, muss das möglich sein. Gott sei
ank haben wir dieses Gesetz so angelegt, dass es fak-
isch nur drei Monate gilt. Am 30. Juni 2009 ist es be-
eits verfallen. Das halte ich für richtig und notwendig.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
ollegen Westerwelle?
Aber selbstverständlich.
Bitte sehr.
Herr Kollege, Sie haben unseren Ehrenvorsitzenden
raf Lambsdorff angesprochen. Da er selbst nicht mehr
itglied dieses Hauses ist und daher auf das, was Sie
hm vorgehalten bzw. unterstellt haben, nicht antworten
ann, möchte ich Folgendes – in Frageform gekleidet –
larstellen: Sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen,
ass Otto Graf Lambsdorff als Ehrenvorsitzender und
ewährter Mann nicht gesagt hat, man könne die HRE
leitegehen lassen und alle sollten sehen, wie sie mit den
nsprüchen zurechtkommen? So hat er das ausdrücklich
icht gesagt. Er hat etwas ganz anderes vorgeschlagen.
eder von uns kennt die Möglichkeiten der Fortführung
iner Firma, einer Bank, eines Unternehmens in einem
eordneten, geplanten, sogenannten vorgelagerten Insol-
enzverfahren. Darauf hat er sich bezogen.
Da er sich nicht wehren kann, erlaube ich mir als am-
ierender Vorsitzender, meinen Ehrenvorsitzenden gegen
iese Falschbehauptung in Schutz zu nehmen.
Verehrter Herr Kollege Westerwelle, ich nehme das,as Sie gesagt haben, zur Kenntnis. Aber ich nehmeuch zur Kenntnis, was ich in den Zeitungen gelesenabe, und dort stand es anders, als Sie es vorgetragen ha-en. Ich habe ihn so verstanden, wie ich es dargestelltabe. Seine Äußerungen haben mich sehr verwundert,
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Dr. Michael Fuchsweil ich Ihren Ehrenvorsitzenden persönlich sehrschätze, wie Sie wissen.
Ich finde, er müsste sie in den Zeitungen richtigstellen.Das ist durchaus möglich. Vielleicht hat die Aussage, dieSie eben getroffen haben, geholfen, es richtigzustellen.Ich hatte es so verstanden, dass man das Institut auchpleitegehen lassen kann.
Das können wir eben nicht. Ich möchte deutlich machen,dass wir uns das nicht leisten können, weil es sehr ge-fährlich ist.Lieber Kollege Brüderle, ich halte es für notwendigund richtig, über das Thema Steuersenkungen zu spre-chen. Aber wir erleben eine Situation, wie wir sie nochnie hatten. Wir werden in diesem Jahr eine Neuverschul-dung erreichen, wie sie die Bundesrepublik Deutschlandnoch nie erlebt hat. Sie ist zum großen Teil aber notwen-dig, weil wir in einer Krisensituation angekommen sind,die es in diesem Lande noch nie gegeben hat.
Deswegen bin ich unbedingt dafür, dass derjenige, dersich für Steuersenkungen ausspricht, gleichzeitig Gegen-finanzierungsvorschläge macht. Die kommen von Ihnenaber nicht, weil es zum Teil nicht zu Ihrer Klientelpolitikpasst. Ich sage dazu nur: HOAI.Vor allen Dingen darf in der Politik nicht das Mottogelten: Kinder haften für ihre Eltern. Uns interessiert esnicht, wie die weitere Verschuldung läuft. – Das hat unsdie Debatte, die wir eben hier im Hohen Hause geführthaben, sehr deutlich gezeigt.Diese Regierung hat mit den Konjunkturpaketen mei-ner Meinung nach richtig gelegen. Diverse Punkte kannman im Einzelnen diskutieren, aber bestimmt nicht alles.Wichtig ist, dass wir ein Kredit- und Bürgschaftspro-gramm für den Mittelstand auf den Weg gebracht haben,das 115 Milliarden Euro stark ist. Ich halte es für not-wendig, da, wo Finanzierungslücken bestehen, zu helfen –allerdings nur dann, wenn die Unternehmen fortgeführtwerden können, eine Langfristperspektive haben und un-verschuldet, nur wegen der Krise, Kredite oder Bürg-schaften benötigen. Das muss dezidiert betrachtet wer-den. Der Bundeswirtschaftsminister hat zu diesemZweck einen Lenkungsausschuss mit erfahrenen Leutenaus der Wirtschaft eingerichtet, die ihm Rat geben, wel-che Unternehmen überhaupt in der Lage sind, fortge-führt zu werden, sodass es sich lohnt, Kredite zu geben.Eine Reihe von Programmen, Herr Kollege Brüderle,haben wir gerade für die kleinen Mittelständler aufge-legt. Nehmen Sie zum Beispiel das CO2-Gebäudesanie-rungsprogramm. Mir haben die Handwerker gesagt, dasssie sich über dieses Programm sehr freuen. Wir habeneine Menge Programme aufgelegt, von denen ich nocheinige aufzählen möchte. Denn diese Programme sindnotwendig; der Mittelstand ist die tragende Säule derdslKKmalEzswlmWtPwwudAdddwdWvhrmdBhkhfDWhbAng2
s war sicherlich sinnvoll, dass wir in dieses Programmugleich Qualifizierungsmomente eingebaut haben. Dasollten Sie anerkennen!Mittelstandspolitik ist eine Querschnittsaufgabe. Des-egen brauchen wir kein Mittelstandsministerium,ieber Kollege Brüderle. Wir haben ein Wirtschafts-inisterium, das für alle Bereiche zuständig ist. Dasirtschaftsministerium hat mit der Mittelstandsinitia-ive, die im Jahre 2006 gestartet wurde, eine Reihe vonrogrammen aufgelegt, die notwendig waren und die gutaren. Der Mittelstandsbeauftragte der Bundesregierungird das sicherlich noch darstellen. Gerade für kleinend mittlere Unternehmen sind günstigere Rahmenbe-ingungen geschaffen worden. Systematisch ist mit dembbau von bürokratischen Hemmnissen begonnen wor-en.Auch mir geht das nicht immer schnell genug. Aberer eine oder andere hat zu sehr auf der Bremse gestan-en. Ich werde den Kollegen Rainer Wend vermissen,eil wir immer gut zusammengearbeitet haben. Ich be-anke mich dafür, lieber Rainer.Wir haben eine Existenzgründungsoffensive gestartet.ir haben gezielt Maßnahmen zur Förderung der Inno-ationsfähigkeit des Mittelstandes ergriffen. Dadurchaben wir den Mittelstand gestärkt. Wir haben die Be-eitstellung von Wagniskapital für Hightechgründer er-öglicht. Wir haben mittelständischen Unternehmen beier Positionierung auf Auslandsmärkten geholfen.Wo da nichts gemacht worden sein soll, Herrrüderle, bleibt Ihr Geheimnis. Sie wollen unsere Bemü-ungen einfach nicht zur Kenntnis nehmen; aber dasennen wir ja.Ich will auch ein paar konkrete Beispiele nennen. Wiraben die degressive AfA für zwei Jahre wieder einge-ührt. So kann der Mittelstand schneller abschreiben.as stärkt ihn gerade in dieser Krisensituation.
ir haben die Möglichkeiten, handwerkliche und haus-altsnahe Dienstleistungen steuerlich abzusetzen, ver-essert.
uch das ist Mittelstandspolitik, und gerade dort ist esotwendig. Wir haben das Fördervolumen für die ener-etische Gebäudesanierung von 1,4 Milliarden Euro auf,4 Milliarden Euro aufgestockt. Die Investitionszulage,
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Dr. Michael Fuchsdie es in den neuen Ländern gibt, wird im Rahmen derGemeinschaftsaufgabe von Bund und Ländern bis 2013weitergeführt. Auch das ist Mittelstandspolitik.Wir haben die Lohnzusatzkosten stabil unter 40 Pro-zent gebracht. Als diese Regierung angefangen hat, la-gen sie bei 42 Prozent. Gerade für den Mittelstand istdiese Senkung wichtig. Das müssen Sie doch zur Kennt-nis nehmen.
Auch beim Abbau der Bürokratie haben wir etlicheserreicht. Wir haben einen Normenkontrollrat eingesetzt,der uns darauf hinweist, was wir falsch machen und wiewir die Gesetze besser gestalten können. In vielen Berei-chen ist das schon gelungen. Natürlich ist das alles nochnicht das, was ich gerne hätte. Ich bin ziemlich ungedul-dig und temperamentvoll; das ist ja bekannt. Natürlichwäre es mir lieber, wir wären schon weiter. Aber amEnde dieser Legislaturperiode wird festzustellen sein,dass wir mehr als 200 bürokratiewirksame Gesetze ab-geschafft haben. Wir haben – darüber habe ich letzteWoche noch einmal mit dem Normenkontrollrat gespro-chen – circa 7 Milliarden Euro eingespart. Das müssenSie zur Kenntnis nehmen, Sie können nicht einfach sotun, als wäre all dies nicht getan worden.Lassen Sie uns gemeinsam weiter nach Möglichkei-ten suchen, den Mittelstand zu stärken! Mittelstandspoli-tik ist nur dann gut, wenn alle etwas davon haben. Vieleder Maßnahmen, die wir ergriffen haben, mussten wirauf einzelne Sektoren der Wirtschaft zuschneiden. Dasmuss aber dann auch irgendwann vorbei sein. Ich meineinsbesondere die Abwrackprämie. Ich bin der Meinung,es wäre besser, wir würden sie auslaufen lassen. Abernatürlich profitiert die Automobilindustrie in allen Be-reichen davon. In den Autofirmen tut sich etwas – Gottsei Dank, denn in dieser Branche gehen die meisten Ar-beitsplätze verloren, weil die Finanzkrise hier in jederHinsicht gewirkt hat.Mittelstandspolitik werden wir aber weiterhin ma-chen. Das ist ein Markenzeichen dieser Regierung, undda lassen wir uns von Ihnen auch nicht kritisieren.
Nächster Redner ist der Kollege Dr. Herbert Schui für
die Fraktion Die Linke.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! DerFDP-Antrag ist eine Art Wahlprogramm, um den Mittel-stand – und die Freiberufler gleich mit – von der CDU/CSU abzuwerben. Das ist so weit in Ordnung. Wennman das macht, darf man natürlich an Lob nicht sparen,weswegen der Feststellungsteil des Antrages einige his-torische Unwahrheiten enthält und ziemlich kräftig LobafnstMdveniDUNdnhWSGMuthzzHIfsteddgskvjeS
an sollte sich darüber im Klaren sein, dass dieser For-erungsteil als Entwurf für einen künftigen Koalitions-ertrag wirklich nicht von Pappe ist. Die Frage ist, obine sogenannte Volkspartei den Forderungen der FDPachkommen kann. Aber dazu später.Zunächst einige Kostproben zum übermäßigen Lobm Feststellungsteil. Da heißt es:… hat der Mittelstand das deutsche Wirtschafts-wunder möglich gemacht.ann wird dem Mittelstand „Patriotismus“ unterstellt.
nd schließlich heißt es:Ohne Mittelstand gibt es keine Rentenversicherung.un wissen wir es.Ich würde ja gar nicht weiter darauf eingehen, wenner Mittelstand in dem Antrag und in den vorangegange-en Anträgen nicht grundsätzlich wörtlich als „Geistes-altung“ bezeichnet worden wäre.
enn es so ist, bleibt einem nichts anderes übrig, als dieache ein bisschen klarer anzugehen. Mittelstand alseisteshaltung, na ja. Wenn man den gewerblichenittelstand, bei dem Eigentum, Unternehmensleitungnd unternehmerisches Risiko zusammenfallen, betrach-et, kann man eine Art Nostalgie entwickeln. Früheratte man noch den unternehmerischen Patriarchen, derum Beispiel Krupp hieß. Er managte die Sache und be-ahlte den Managern nur so viel, wie sie wert waren.eute beschließen sie selber darüber, was sie wert sind.ch kann mir vorstellen, dass man da nostalgische Ge-ühle entwickelt. Da war die Zeit noch gut und alt undchön. Mittlerweile trüben auf der einen Seite die Kapi-algesellschaften das Bild, und auf der anderen Seite gibts die Gewerkschaften; es ist wirklich zum Verrücktwer-en.
Der FDP-Antrag ist teilweise eine Suggestion, die aufen Ständestaat zurückführt, in dem es ständestaatstra-ende Gruppen gibt, die verfassungsmäßig anerkanntind und bei der Gesetzgebung und Verwaltung mitwir-en. Wenn Sie schon den Mittelstand als Geisteshaltungorschlagen, sollten wir uns daran erinnern, wie in derüngeren Geschichte versucht wurde, einen Ständestaatinzurichten: in Italien in den 20er- und 30er-Jahren, inpanien ab 1939 und in Portugal zur Salazar-Zeit.
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Dr. Herbert Schui
Die Deutschen waren in der betreffenden Zeit nicht mitvon der Partie; sie hatten andere Vorstellungen. Ich willdas nicht weiter ausführen.Es zeigt jedenfalls, dass Ihre Mittelstandseuphorie einwenig, so schreiben Sie in Ihrem Antrag, rückwärtsge-richtet ist. „Starker Mittelstand heißt starke Demokra-tie“. Etwas assoziativ fällt mir, wenn ich Mittelstandhöre, immer Berlusconi ein, der es wirtschaftlichgeschafft hat und der nun seine Forza Italia mit derAlleanza Nazionale zum Haus der Freiheit vereint. Lobund Nostalgie sollte man etwas sparsamer verwenden.In dem Antrag wird gesagt, der Mittelstand habe„das deutsche Wirtschaftswunder möglich gemacht“.Ich würde in meiner Rede diesen Teil gerne übergehenund zwei Minuten Redezeit einsparen, aber ich mussdiesen Satz richtigstellen. Das Bruttoanlagevermögen inder Industrie stieg von 1935 bis 1944 um knapp 39 Pro-zent. Am Kriegsende, im Mai 1945, lag es noch um27 Prozent höher als 1935. Nach den Reparationsleistun-gen war es im Jahre 1948 immer noch um 14 Prozent hö-her als 1935. Das Bruttoanlagevermögen war also nachdem Krieg höher als 1935. Daraus ergibt sich: DieseProduktionskapazitäten waren die Grundlage für den ra-schen wirtschaftlichen Wiederaufstieg Deutschlands.Das sollte man festhalten. Der Verweis auf den Mittel-stand hat sich also erledigt.
– Wenn Sie in Ihrem Antrag nicht geschrieben hätten,dass der Mittelstand das Wirtschaftswunder bewirkthabe, würde ich mich mit diesen Zahlen nicht beschäfti-gen. Aber da Sie sagen, dass der Mittelstand das Wirt-schaftswunder möglich gemacht habe, muss ich Ihnenvorhalten, wie es zu dem Wirtschaftswunder gekommenist.Halten wir einmal fest: In dem Zeitraum, von dem ichgeredet habe, hat sich die Rüstungsproduktion verfünf-facht. Ende des Krieges hatte die Wehrmacht 11 Millio-nen Angehörige. Ich frage Sie daher: Wer hat denn dasWachstum in den Jahren 1941 bis 1944 ermöglicht, alses keine Arbeitskräfte in Deutschland gab? Das warendoch Fremdarbeiter und Zwangsarbeiter. Wir sollten dasWirtschaftswunder also nicht dem Mittelstand, sondernanderen zusprechen. Etwas anderes haut einfach nichthin.
– Es ist klar, dass Sie das nicht hören wollen.
Herr Kollege Schui, gestatten Sie eine Zwischenfrage
des Kollegen Schauerte?
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tellen Sie diese Frage Ihren Kollegen von der FDP! Ich
erde gerne nachher noch darauf eingehen, was wir von
er Mittelstandsförderung, die die FDP fordert, in der
egenwärtigen Weltwirtschaftskrise haben.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
ollegen Meyer?
Natürlich, mit dem größten Vergnügen.
Bitte sehr.
Herr Kollege Schui, halten Sie es der Würde des Ho-
en Hauses für angemessen, das Wirtschaftswunder in
ie Zeit von 1941 bis 1945 zu verlagern und alle Aussa-
en, die über das Wirtschaftswunder in diesem Parla-
ent getroffen worden sind, auf diese Zeit zu beziehen?
as kann doch nicht Ihr Ernst sein. Ich glaube, Sie soll-
en das Rednerpult verlassen.
Das werde ich nicht tun, auch wenn Sie das gerne hät-en.
Herr Krengel, der seinerzeit der Leiter des Deutschennstituts für Wirtschaftsforschung war, hat diese Zahlen958 veröffentlicht, um darzulegen, warum es ineutschland so schnell wirtschaftlich aufwärtsgegangenst. Dies lag einfach daran, dass die Ziegeleien zu einemroßen Teil noch intakt waren, die Häuser aber kaputtaren. Das ist nun einmal so gewesen. Weil das so ge-esen ist und weil im Antrag festgestellt wird, welche
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Dr. Herbert Schuivorzügliche Rolle der Mittelstand beim sogenanntenWirtschaftswunder gespielt hat, ist es meine Aufgabe,klarzustellen, wie wir zu diesem Wirtschaftswunder ge-kommen sind. Das ist nicht nur meine persönliche Auf-fassung. Das war vielmehr in den 50er-Jahren in derFachwelt klar.Patriotismus ist eine weitere Eigenschaft des Mittel-standes, so die FDP. Patriotismus bedeutet bekanntlichVaterlandsliebe. Es sind die Verehrung, die Hingabe unddie gefühlsmäßige Bindung an die Traditionen und dieGemeinschaft des eigenen Volkes. Patriotismus ist mitDienst- und Opferbereitschaft verbunden.Wenn das so ist, dann sollte der Mittelstand freudigSteuern zahlen und etwas opfern, damit der Staat gedei-hen kann. Dann sollte der Mittelstand nicht auf eine Kür-zung der Beiträge zur Sozialversicherung hinarbeiten,sondern im Gegenteil höhere Beiträge zur Sozialversi-cherung zahlen, damit alle Teile des Volkes blühen undgedeihen können. So könnte ich mir Patriotismus vor-stellen. Aber das kollidiert ein wenig mit dem Forde-rungsteil Ihres Antrages.Schließlich schreiben Sie: Ohne Mittelstand gibt eskeine Rentenversicherung. Richtig, der größte Teil derLohnsumme wird bei den kleinen und mittleren Unter-nehmen verdient. Wenn das der Fall ist, dann ist vomVolumen her der größte Teil der Abgaben an die Sozial-versicherung auf diese Unternehmen zurückzuführen.Aber wenn das so ist, dann sollten Sie sich in Ihrem For-derungsteil nicht dafür einsetzen, dass die Lohnzusatz-kosten gesenkt werden. Dann würde ja auch der positiveBeitrag des Mittelstandes sinken.Was Sie im Einzelnen fordern, ist nichts weiter, alsdas Recht des Staates, von den Bürgern die Zahlung vonSteuern zu verlangen, zugunsten des Mittelstandes ein-zuschränken. Sie fordern schwächere Gewerkschaften,dass die Tarifautonomie hier und da ausgehöhlt wird undder Sozialstaat möglichst noch weniger leistungsfähigwird, als das gegenwärtig der Fall ist.Darüber hinaus setzen Sie sich für eine weitere Priva-tisierung der öffentlichen Aufgaben ein, wobei Sie einesnicht bedenken: Wenn öffentliche Aufgaben privatisiertsind, dann bedeutet das, dass eine Kapitalrendite erwirt-schaftet werden muss. Es gibt dann keine politischeKontrolle mehr über die Gehälter der Geschäftsführung.Das bedeutet, dass die Leistungen entweder teurer oderaber schlechter werden.Wir fordern nicht weniger Mitbestimmung, sondernmehr Mitbestimmung,
auch dort, wo es weniger als 500 Beschäftigte gibt. Wirfordern Mitbestimmung bei einer betrieblichen Verlage-rung und bei Schließungen respektive beim Verkauf vonBetriebsteilen. Das ist der entscheidende Punkt. Beden-ken Sie, dass laut einer Untersuchung des BöcklerImpuls in Unternehmen ohne Betriebsrat 41 Prozent derGeschäftsführer den Betriebsrat eher negativ beurteilenund in Unternehmen mit einem Betriebsrat nur18 Prozent. Es scheint also im Allgemeinen so zu sein,dgczrMnsUnwdfduDtgzrnMtIdiZpgAgdNWbAitfssmw
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!atürlich ist der Mittelstand das Herz der deutschenirtschaft. 70 Prozent der Arbeitnehmerinnen und Ar-eitnehmer sind dort beschäftigt. Sogar 80 Prozent deruszubildenden werden in mittelständischen und nichtn Großunternehmen ausgebildet. Jede Wirtschaftspoli-ik, die nicht den Mittelstand im Auge hat, zielt in diealsche Richtung.
In diesem Zusammenhang möchte ich etwas anderesagen: Was nicht hilft, sind Plattitüden. Rainer Brüderle,o freundlich du zu mir gewesen bist, an dieser Stelleuss ich noch einmal sagen, dass es eine Plattitüde ist,enn die Behauptung aufgestellt wird, dass die Große
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Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 215. Sitzung. Berlin, Freitag, den 27. März 2009 23395
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Dr. Rainer WendKoalition nur den Großen hilft und nichts für den Mittel-stand tut.
Michael Fuchs hat deutlich aufgezeigt, was wir mitden Konjunkturprogrammen alles für den Mittelstandgetan haben: CO2-Gebäudesanierungsprogramm, Aus-weitung der Darlehen, haushaltsnahe Dienstleistungen.Allein deswegen ist diese Behauptung falsch. Noch fal-scher ist sie aber – wenn der Komparativ hier erlaubtist –, weil die Große Koalition immer dann, wenn sieden Großen hilft – das tut sie –, gleichzeitig dem Mittel-stand und dem Handwerk hilft.Nehmen wir zum Beispiel die Banken. Stellen wiruns vor, wir hätten die Banken nicht mit einem riesigenMilliardenkredit gestützt. Wer würde dem Handwerkund dem Mittelstand dann die Kredite zur Verfügungstellen, die sie brauchen, um zu investieren und ihrenBetrieb am Leben zu erhalten? Stellen wir uns vor, wirwürden bei Opel einfach die Hände in den Schoß legen.Was würde dann mit den vielen Tausend kleinen Zulie-ferbetrieben mit 300 bis 500 Beschäftigten passieren, diean Opel dranhängen? Das zeigt: Es ist ein großer ge-danklicher Fehler, wenn man glaubt, Großindustrie undMittelstand gegeneinander ausspielen zu können. Beidenmuss geholfen werden. Sie sind voneinander abhängig.Das ist die Politik der Großen Koalition.
Vielleicht darf ich in diesem Zusammenhang heuteein kleines Fazit ziehen: Was habe ich in elf Jahren Bun-destag eigentlich gelernt? Einiges. Auf eines möchte ichaber hinweisen: Anders als 1998, als ich gestartet bin,glaube ich heute nicht mehr daran, dass es hundertpro-zentig richtige und hundertprozentig falsche Lösungenfür Probleme gibt. Es gibt kein Schwarz oder Weiß. JedeLösung hat Zwischentöne, Grautöne und ist allenfallsüberwiegend richtig.Lassen Sie mich das am Beispiel Opel illustrieren.Natürlich kann man mit einem gewissen Recht argumen-tieren, dass es ökonomisch falsch wäre, Opel mit Mil-liardenbeträgen oder gar durch eine vorübergehendeStaatsbeteiligung zu retten; denn wenn Opel vom Marktginge, würden andere Automobilbauer, auch in Deutsch-land, davon profitieren. Subventionen in Milliardenhöhefür Opel verzerren natürlich den Wettbewerb zulastenvon Konkurrenten, die jetzt nicht diese Probleme haben,weil sie in der Vergangenheit offenbar besser waren. Da-für würden sie aber bestraft, wenn der andere staatlicheSubventionen bekäme. Hinzu kommt, dass wir im Auto-mobilbau weltweit eine Überproduktion von etwa15 Millionen Autos haben. Angesichts dessen scheint esnicht übermäßig vernünftig zu sein, Opel zu unterstüt-zen. Ich frage: Können wir nach dieser Analyse wirklicheine schnelle und einfache Lösung finden? Können wirsagen, wir tun nichts?Ich fürchte, das können wir nicht, weil es im Zusam-menhang mit Opel noch eine andere Wahrheit gibt. Wiewollen wir denn den Familien in Rüsselsheim oderBochum gegenübertreten? Wollen wir denen sagen, dasiKgMhFigimKsswfvhGSnDjItulbPmbDdfsmmgmmtwWg
er Neoliberalismus mit der Diktatur des Marktes ohneede soziale Verantwortung ist ebenfalls gescheitert.
ch sage den Bürgerinnen und Bürgern immer: Miss-rauen Sie all den Politikern, die meinen, mit Heilslehrennd ideologischen Gebäuden ein Volk oder ein Bundes-and umgestalten zu können. Nein, diejenigen sind dieesten Politiker, die sich Tag für Tag bemühen – Frauräsidentin, ich bin sofort fertig –, mit einzelnen Refor-en in harter Arbeit das Schicksal der Menschen zu ver-essern.
as sind die Politiker, die gute Leistungen erbringen undenen man vertrauen sollte.
Mir bleibt an dieser Stelle nur noch, mich bei Ihnenür die gute Zusammenarbeit in den letzten elf Jahrenehr herzlich zu bedanken. Wir haben manchen Straußiteinander ausgefochten. In meiner Partei habe ich diesanchmal genauso wie mit der politischen Konkurrenzetan. Es war aber immer – fast immer jedenfalls –enschlich anständig und fair. Auch dafür bedanke ichich.Mein allerletzter Satz – er ist ausnahmsweise pathe-isch; dies liegt mir sonst wirklich nicht –: Uns allenünsche ich, dass am Ende dieser Wirtschaftskrise dieerte von Freiheit und Solidarität heller erstrahlen mö-en als zuvor.Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
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Nächste Rednerin ist die Kollegin Dr. Thea Dückert
für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen undKollegen! Lieber Rainer Wend, ich beginne mit dir: Wirhaben 1998 zusammen angefangen und verlassen in die-sem Jahr zusammen den Bundestag. Du hast eben nocheinmal ein Beispiel für deinen doch eher erfrischendenEigensinn geliefert, den wir in vielen Debatten erlebt ha-ben. Das hat viel Spaß gemacht. Dies wollte ich ein-gangs festgestellt haben.Ich muss dich aber auch zugleich kritisieren, weil dumeintest, alle Ismen hätten sich überholt oder seienfalsch gewesen. Es gibt einen Ismus, der nach wie vorwirkt, der richtig ist und weiterhin vorangebracht wer-den muss: der Feminismus.
Meine Damen und Herren, nun zum Thema dieserDebatte. Herr Brüderle, Sie haben sehr engagiert gespro-chen. Ehrlich gesagt würde ich Sie lieber bei einer Redezur Krönung der Weinkönigin als bei einer weiterenRede über den deutschen Mittelstand in Zeiten der Kriseerleben.
Ich will Ihnen auch sagen, warum: Sie haben diesesThema auf die Tagesordnung gesetzt. Ausgangspunktwar eine Große Anfrage. Sie haben wohl relativ schnellgemerkt, dass diese Anfrage, die sich damit auseinander-setzt, dass die Bürokratiekosten auch den Mittelstandbelasten, glatt am Thema vorbeigegangen ist; denn he-raus kam, dass die Bürokratiebelastungen bei kleinenund mittleren Betrieben gerade 1,2 Prozent ausmachen.Sie haben offenbar bemerkt, dass Sie sich da auf einenNebenschauplatz begeben haben.Also haben Sie jetzt noch einen Antrag eingereicht,über den heute debattiert wird und der leider auch in dieAusschüsse überwiesen werden wird. Ich sage deswegen„leider“, weil dieses Thema in der Krise natürlich wich-tig ist. Der Mittelstand beschäftigt 80 Prozent derArbeitnehmer und schafft in ungefähr gleicher Größen-ordnung Ausbildungsplätze. Außerdem gibt es beimMittelstand unglaublich viele innovative Potenziale, diefür den Weg der Wirtschaft aus der Krise heraus von Be-deutung sind. Es ist richtig, das aufzugreifen. Aber washaben Sie uns geliefert? In Ihrem Antrag setzen Sie sichan keiner Stelle mit den aktuellen und zukünftigen He-rausforderungen auseinander,
sondern liefern eine Sammlung alter Hüte. Ich möchtedas anhand einzelner Punkte Ihres Antrages zeigen.DBsIDsWiwnSWuImHHWwdFfrjdszrdbtridkmpsgssg
ch weiß nicht, ob Sie in den letzten Jahren und vor alleningen in den letzten Monaten hier nur gesessen und ge-chlafen haben.
ir sind aufgrund einer systemischen Finanzmarktkrisen eine globale Wirtschaftskrise geraten, deren Ausmaßeir gerade für den Mittelstand in diesem Jahr überhauptoch nicht vollständig absehen können. Dann kommenie mit Ihrem Konzept – das kennen wir ja aus Ihremahlprogramm –, durch das Steuern und Abgaben umngefähr 35 Milliarden Euro gesenkt werden sollen.Ich weiß wirklich nicht, in welcher Welt Sie leben.ch weiß nicht, warum Sie an dieser Stelle nicht das the-atisieren, was es zu thematisieren gilt. Wir brauchenilfestellungen auch für den Mittelstand und für dasandwerk.
ir haben Konjunkturpakete aufgelegt, von denen wirissen – das muss ich kritisch zu Herrn Wend sagen –,ass sie nicht ordentlich wirken werden, solange dieinanzmarktkrise andauert, solange der löchrige Schirmür den Finanzmarkt sozusagen nicht repariert ist. Da-über haben wir im Ausschuss diskutiert; das sagt Ihneneder, und das ist völlig klar. Gleichwohl brauchen wirie Konjunkturprogramme.Was haben Sie in Ihrer großartigen Rede zum Mittel-tand dazu gesagt? Nichts. Was sagen Sie dazu, dass eswar – das ist hier richtig bemerkt worden – etwa im Be-eich der Gebäudesanierung positive Ansätze gibt, aberass es schon im Sommer zu Problemen kommen wirdei der gesamten mittelständischen, handwerklich struk-urierten Zulieferindustrie, zum Beispiel im großen Be-eich der Automobilzulieferer? Wir haben am Mittwochm Ausschuss gehört und gemeinsam darüber diskutiert,ass die kleinen und mittleren Betriebe in eine Finanz-lemme kommen werden – das Konjunkturprogrammüsste eben anders gestrickt sein –, weil sie Bonitäts-robleme haben. Wenn Sie der Anwalt des Mittelstandesind, dann setzen Sie sich doch einmal mit solchen Fra-en auseinander und nicht nur mit dem alten Hut Steuer-enkungen! Das passt nicht zu dieser Krise; das allesind Konzepte von gestern.
Ich will einen weiteren Punkt aus Ihrem Antrag auf-reifen. Sie schreiben, dass das Steuer- und Abgabensys-
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Dr. Thea Dückerttem vereinfacht werden muss. Das finde ich richtig. Imfolgenden Punkt plädieren Sie aber dafür, die Erbschaft-steuer in Länderkompetenz zu überführen, in jedemBundesland soll also eine andere Erbschaftsteuer gelten.Entschuldigung, haben Sie zwischen dem zweiten unddem dritten Punkt vergessen, was Sie unter dem zweitenPunkt geschrieben haben? Wie um Gottes willen wollenSie Steuervereinfachung und -erleichterung in Deutsch-land erreichen, wenn Sie statt einer Erbschaftsteuer16 verschiedene einführen? Mir erschließt sich das nicht.
Ich komme noch zu einem anderen Punkt bezüglichSteuern und Abgaben. Dies steht zwar nicht im Antrag,aber Sie haben es in Ihrer Rede erwähnt. Das ist meinerAnsicht nach der einzige richtige Punkt, den Sie erwähnthaben, und er ist auch aktuell. Es geht um die Frage, wasdie Zinsschranke in der Krise für die mittleren und klei-nen, aber auch für andere Betriebe bedeutet.
Ich denke, dass man sich damit auseinandersetzen muss.Zur FDP sage ich: Eine Schwalbe macht noch keinenSommer. In Ihren weiteren Vorschlägen setzt sich dasDesaster fort. Da es meine Redezeit erlaubt, greife ichnoch eine Ihrer Forderungen auf; es ist fast beliebig,welche man wählt.Unter der Überschrift „Bürokratielasten senken“schreiben Sie den wunderbaren Satz – ich muss ihn vor-lesen –:Der Staat muss sich aus der Wirtschaft zurückzie-hen.
Na, wunderbar! Dieses neoliberale Gerede, das wir mitBlick auf die Banken schon vor der Finanzkrise immervon Ihnen gehört haben, müsste aufgrund der Erfahrun-gen mit der Krise, in der wir gerade stecken, die von denBanken und vom Finanzmarkt insgesamt ausgelöst wor-den ist, doch endlich auch von Ihnen relativiert werden.
Die Finanzmarktkrise ist durch den regellosen Neolibe-ralismus, dem Sie hier das Wort reden, ausgelöst wor-den.
Nun wollen Sie das wieder auf die Wirtschaft übertra-gen. Meine Damen und Herren, ich finde das fahrlässig.Wir stecken in einer ökonomischen Krise. Gleichzei-tig stecken wir in einer Klimakrise, die sich, wenn nichtspassiert, zu einer systemischen Krise entwickeln wird.Eine solche systemische Krise hätte zur Folge – das ha-bdBmwAhvdtgPtgPksfEdnmbnMHdbksKbsd
Herr Brüderle, auch Sie müssen sich einmal mit demrgument auseinandersetzen, dass sich der Staat nichteraushalten darf, sondern dass er durch die Aufstellungon Regeln und die Schaffung von Rahmenbedingungenen Mittelstand, die Wirtschaft insgesamt und die Indus-rie in die Lage versetzen muss, zur notwendigen ökolo-ischen Transformation des Wirtschaftens und desroduzierens, auch des Produzierens von Energie, beizu-ragen. Der Staat muss Hilfestellung geben, damit eselingt, Wirtschaft und Industrie den Weg hin zu einerroduktionsweise zu ebnen, die nicht auf Kosten zu-ünftiger Generationen geht.
Das waren nur einige beliebig herausgegriffene Bei-piele für die Forderungen, die die FDP in ihrem Antragormuliert hat.
Meine Damen und Herren, ich kann Ihnen nur sagen:in solcher Anwalt für den Mittelstand ist ein Anwalt,er nicht aus der Krise herausführt, sondern in dieächste Krise hineinführt. Ich hoffe, das hat jeder ge-erkt. Herr Brüderle, ich glaube, über die aktuelle Pro-lematik müssen Sie, um es freundlich auszudrücken,och ein bisschen nachdenken.
Nun erteile ich das Wort dem Kollegen Laurenz
eyer für die CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!err Brüderle, zunächst einmal bewerte ich es positiv,ass Sie einen Antrag zu diesem Thema eingebracht ha-en.
Wenn wir heute, am Ende dieser Sitzungswoche undurz vor der Osterpause, über den Mittelstand reden,ollten wir uns alle vor Augen führen, dass in solchenrisensituationen, wie wir sie zurzeit erleben, die Gefahresteht, dass in der Medienberichterstattung fast aus-chließlich von großen Unternehmen die Rede ist. Voriesem Hintergrund ist es gut, dass wir uns heute noch
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Laurenz Meyer
einmal mit den Grundlagen unserer Wirtschaftspolitikbeschäftigen.Zu den Grundlagen unserer Wirtschaftspolitik gehört,zumindest aus Sicht meiner Fraktion, dass wir uns beijeder Entscheidung, die wir zu treffen haben, ob im Be-reich der Steuerpolitik oder wo auch immer, fragen müs-sen: Wie wirkt sich diese Entscheidung auf familien-geführte Unternehmen aus? Das ist für mich daswichtigste Kriterium. Denn die familiengeführten Unter-nehmen und nicht etwa die großen Publikumsaktienge-sellschaften sind der Schlüssel für eine erfolgreicheWirtschaftspolitik.
Dieses Ziel haben wir verfolgt, und wir haben durch-gehalten, wenn auch zum Teil mit großen Schmerzen;ich erinnere nur an die Diskussionen über die Erbschaft-steuer.
Ich glaube aber, es wird sich herausstellen, dass wirmanches getan haben, was vernünftig war, wenn auchmitunter erst auf großen Druck hin und unter starkenKrämpfen.Herr Schui, ich greife eine Bemerkung von Ihnen zumPatriotismus auf, weil sich daran ganz besonders gut dar-stellen lässt, dass Sie wirklich – ich sage Ihnen das ganzoffen – überhaupt keine Ahnung haben. Genau darumgeht es: Die mittelständischen Familienunternehmensind mit ihrer Region und mit ihrer Heimat verbunden.
Sie engagieren sich in den Vereinen und Verbänden, tunetwas für ihre Städte. Sie sind deshalb so wichtig, weilsie vor Ort an ihren Produktionsstandorten leben und dieLeute in ihren Betrieben kennen.Ich sage Ihnen: Ich würde den schlimmsten Eindruckvon einem Unternehmer, der einen 20- oder 50-Mann-Betrieb leitet, gewinnen, wenn die Leute in seinem Be-trieb unbedingt, um jeden Preis einen Betriebsrat habenwollten, weil es ihnen so schlecht geht. Wenn er nichtmehr klarkommt oder die Leute nicht mehr mit ihm klar-kommen, dann stimmt in solch einem Betrieb etwasnicht. Das ist wirklich ein Qualitätsurteil.In den Betrieben, in die ich gehe, kennen die Fami-lienunternehmer alle Arbeitnehmer, die in den Produk-tionsstätten arbeiten, noch mit Namen, und sie wissenüber die familiäre Situation Bescheid. Das ist eine posi-tive Auszeichnung. Sie haben in dem Zusammenhanggesagt, Patriotismus sei rückwärtsgewandt. Das Gegen-teil ist der Fall.
Wir versuchen zurzeit übrigens gemeinsam – das giltzum Beispiel hinsichtlich der Managergehälter und derentsprechenden Veränderungsvorschläge –, Dinge, die infamiliengeführten Unternehmen richtig, angebracht undanwGsgGdDtZAkkkeOunlhnfgKaSspSb„sunAgdIhbBnfm
ch sage das im Angesicht der Leute, die ich vor Augenabe, die sich vor den Menschen, die Angst um ihre Ar-eitsplätze haben, auf eine Tribüne stellen und ihnen daslaue vom Himmel versprechen. Holzmann ist ein war-endes Beispiel. Wenn es keine langfristige Konzeptionür die Menschen gibt, dann ist es unverantwortlich, soit dem Schicksal von Menschen zu spielen.
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Deshalb kümmert man sich als verantwortungsvollerPolitiker zunächst um die Entscheidungsgrundlagen, undJa oder Nein sagt man erst nach verantwortungsvollerPrüfung, also dann, wenn man wirklich dafür geradeste-hen kann. Dazu würde ich uns allen raten, sowohl denen,die schon heute sagen, dass sie nicht helfen können, alsauch denen, die auf jeden Fall helfen wollen.Kollege Brüderle, vieles von dem, was Ihr Antragenthält, ist leider Gottes nichts Neues.
– Ja. Er enthält gar nichts Neues. Wie ich schon frühereinmal geflachst habe, kommt es einem ein bisschen sovor, als gäbe es im Computer eine Zufallsvariable, durchdie die altbekannten Punkte immer wieder neu gemischtwürden.
Modern wäre zum Beispiel, an etwas anzuknüpfen,das die Große Koalition geschafft hat, indem man etwadarauf hinweist, dass Handwerkerrechnungen und haus-haltsnahe Dienstleistungen steuerlich absetzbar sind,dass dies aber noch lange nicht genug ist. Der Weg mussin die Richtung gehen, einen Privathaushalt in Zukunftwie ein Unternehmen zu behandeln.
Das wäre modern und würde zum Kampf gegenSchwarzarbeit und zur Schaffung von mehr Arbeitsplät-zen in Deutschland beitragen. Der Kündigungsschutz istkein geeigneter Ansatz. Betriebliche Bündnisse für Ar-beit gibt es heute praktisch in jedem Tarifvertrag.
– Das muss man einfach zur Kenntnis nehmen.Wir sind gut beraten, wenn wir in dieser Zeit zu nach-vollziehbaren Entscheidungen kommen. Sie sind daranzu messen, wie sie sich auf die familiengeführten Unter-nehmen auswirken.Ich unterstelle Ihnen, dass Sie in der Regierungsver-antwortung anders reden würden als jetzt in der Opposi-tion.
– Dann werden Sie anders reden. Denn die Situation istin dieser Zeit kompliziert. Sie kann keine einfachen Ant-worten vertragen.
Die Antworten sind so kompliziert wie die derzeitigeKrise.
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Bevor ich dem nächsten Redner das Wort erteile, hat
ie Kollegin Lötzsch das Wort zu einer Kurzinterven-
ion.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Herr Kollege Meyer,
ie haben dem Redner meiner Fraktion vorgeworfen,
en Mittelstand als rückwärtsgewandt bezeichnet zu ha-
en. Ich weise darauf hin, dass sich der Kollege Schui
uf den Antrag der FDP bezogen hat, und stelle für un-
ere Fraktion und die mit uns verbundene Partei klar,
ass wir ein sehr gutes Verhältnis zum Mittelstand ha-
en.
In Ostdeutschland – ich habe meinen Wahlkreis in
erlin und habe von dort aus viele Betriebe in den neuen
undesländern kennen gelernt – gibt es fast nur mittel-
tändische Betriebe und leider viel zu wenig Großbe-
riebe. Für uns ist völlig klar, dass vor Ort eine große
achkenntnis vorhanden ist. Viele mittelständische Be-
riebe sind erst nach der Wende entstanden. Die Groß-
etriebe wurden aufgelöst. Die Leute haben sich ein
erz gefasst und kreativ Arbeitsplätze geschaffen.
Ich weise von mir, dass wir diese Menschen als rück-
ärtsgewandt bezeichnen. Im Gegenteil: Wir sind enge
erbündete von ihnen.
Ich lade Sie gerne ein, Herr Meyer – im Zusammen-
ang mit der Frage Ihrer Nominierung wurde festge-
tellt, dass Sie sich viel in Berlin aufhalten; das hat sich
ann auch ausgewirkt –, mit mir gemeinsam mittelstän-
ische Betriebe in meinem Berliner Wahlkreis zu besu-
hen. Ich kann Ihnen eine größere Auswahl anbieten. Ich
eiß nicht, was Ihren Interessen am meisten entspricht.
as ist vielleicht der Maschinenbau; in Betracht käme
uch ein Brauereibesuch. Ich glaube, das wäre für uns
eide interessant.
Herr Kollege Meyer, bitte.
Liebe Frau Kollegin, ich nehme Ihre Ausführungenerne zur Kenntnis und hoffe, dass Sie sich in Zukunftanach richten. Ich kann das alles nur aufgrund der Be-
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Laurenz Meyer
ratungen im Wirtschaftsausschuss und der heutigen Ein-lassungen beurteilen. Bisher wurde immer in Kategorienvon Großbetrieben oder gewerkschaftlichen Organisa-tionen argumentiert, aber nicht in der Kategorie derMenschen.In den mittelständischen Betrieben – deshalb bin ichihnen gegenüber sehr positiv eingestellt – argumentiertman aber nicht in ideologischen Kategorien, sondern inKategorien des Sichkennens und der Konzentration da-rauf, den eigenen Betrieb zu erhalten und langfristigweiterzuführen.Ich will Ihnen erklären, welches Idealbild für michdahintersteht. Dem Idealbild eines mittelständischen Un-ternehmers entspricht für mich – Sie werden möglicher-weise überrascht sein – der Waldbauer. Er pflanzt heuteBäume an, deren Ertrag möglicherweise erst die nächsteoder die übernächste Generation ernten kann. Das hierzum Ausdruck kommende Denken lässt sich in vielenmittelständischen Betrieben finden. Ich glaube, davonhaben Sie nichts, aber auch gar nichts begriffen, obwohlSie eben etwas anderes vorgetragen haben.
Nun hat das Wort der Kollege Paul Friedhoff für die
FDP-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen undHerren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben inunserem Antrag zur Stärkung des Mittelstandes dessenBedeutung umfassend beschrieben. Mein KollegeRainer Brüderle hat das noch einmal klargemacht. HerrFuchs, Sie haben von Populismus gesprochen. Nachmeiner Meinung hat er sich nur ziemlich klar ausge-drückt, sodass es auch diejenigen verstehen können, diekeine Volkswirte sind. Die meisten Mittelständler kön-nen mit vielen Begriffen, die hier verwendet werden, re-lativ wenig anfangen, weil die Dinge zumindest für sienicht auf den Punkt gebracht werden. Man muss vielesquasi übersetzen, wenn man vom Mittelstand verstandenwerden will. Dafür danke ich meinem Kollegen. Ichfinde das in Ordnung. Das ist kein Populismus, sondernKlartext.
Bevor ich zu einigen anderen Punkten komme, lassenSie mich einen positiven Punkt ansprechen. Laut Mittel-stands-Monitor der KfW fällt der Rückgang der Investi-tionsbereitschaft im Mittelstand wesentlich geringeraus als in der Großindustrie. Hieran können Sie sehen,dass der Mittelstand sein Personal so weit wie möglichhält, um für den Aufschwung nach der Krise gerüstet zusein. Daran zeigt sich, dass Mittelständler – das wurdebereits gesagt – häufig sehr weit nach vorne sehen unddie aktuelle Krise nicht zum Anlass nehmen, sozusagendestruktiv zu arbeiten.Damit diese gelebte unternehmerische Verantwortungweiterhin wahrgenommen werden kann – das hat über-hmDSsRgfnlfdRiwrkadtzgsaHwdlsdwmsLuwtzvddSwäSshrddlwhMW
ie kennen zwar das Problem, das wir aufzeigen, nur lö-en Sie es nicht, obwohl auch Sie merken, dass wir rechtaben.Um die Rentenversicherung und die Sozialversiche-ungssysteme insgesamt zu retten, ist über das Vorziehener Zahlung bei den Sozialversicherungsabgaben dereutschen Wirtschaft Liquidität in Höhe von 20 Mil-iarden Euro entzogen worden. Warum ist das gemachtorden? Es diente nicht dazu, den Mittelständlern zuelfen. Sie sind besonders betroffen, weil sie sehr vieleenschen beschäftigen. Dieses Verhalten gegenüber derirtschaft ist beispielhaft für eine Reihe von weiteren
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Paul K. FriedhoffSchritten, die in der Großen Koalition beschlossen wor-den sind.Ein zweiter Punkt – auch dieser ist oft angesprochenworden, ich nenne ihn trotzdem – ist die Mittelstands-feindlichkeit des Gesetzespaketes zur Unternehmen-steuerreform. Ich beziehe mich auf die Regelungen zurHinzurechnung von gezahlten Zinsen und gezahltenMieten bei der Berechnungsgrundlage der Gewerbe-steuer, obwohl gar keine Gewinne vorhanden sind.
Ich habe es immer so verstanden, dass die Gewerbe-steuer eine Ertragsteuer sein sollte. Aber jetzt ist sie zu-mindest an dieser Stelle eine Substanzsteuer. Zurzeitsind die Zinsen zur Kapitalbeschaffung höher, weil mansich in einer schlechten Situation befindet. Dadurch wirddas Problem verschärft. Auch hier sollten Sie überlegen,was Sie da beschlossen haben und ob man das nicht ein-fach rückgängig machen sollte.
Solche Maßnahmen verschärfen die Lage der Unter-nehmen. Es kann doch nicht wahr sein, dass man fürnicht gezahlte Gewinne eine Gewinnsteuer bzw. Ertrag-steuer zahlt. Das muss so schnell wie möglich geändertwerden.
Es handelt sich hier um faktische Steuererhöhungen, dieinsbesondere für die kleinen und mittleren Unternehmeneine erhebliche Belastung darstellen.Ich möchte noch einen Satz zu den betrieblichenBündnissen für Arbeit sagen. Ich weiß, dass dieseBündnisse häufig eingegangen werden. Ich weiß aberauch, dass sie in aller Regel auf sehr tönernen Füßen ste-hen,
denn sie sind nicht gesetzeskonform. Nur einer mussklagen, und schon fällt das ganze Gebilde zusammen.Viele aber klagen nicht, weil sie erkennen, dass dieseBündnisse sehr viel Flexibilität bieten. Es kann abernicht sein, dass vor Ort eine Entscheidung gefällt wird,die in Frankfurt, in Berlin oder wo auch immer von denVerbänden erst noch bestätigt werden muss. Vielmehrsollte man das den kleinen und mittleren Betrieben – siehandeln ja gerade verantwortlich – überlassen.Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.
Nächste Rednerin ist die Kollegin Edelgard Bulmahn
für die SPD-Fraktion.
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ber du bleibst ja in Berlin. Wir werden dich auch in Zu-unft häufig treffen können. Viel Erfolg und alles Guteür deine neue Arbeit!
Ich gestehe, am Anfang der Woche, Herr Friedhoff,atte ich noch eine große Hoffnung. Ich hatte die großeoffnung, dass die FDP aus der Krise, die wir erlebennd die in ihrer Dramatik wirklich einmalig ist, Rück-chlüsse zieht und neue Ideen entwickelt. Ich muss aberagen: Meine Hoffnung wurde enttäuscht. Das Fazit dernfrage und des Antrags ist, dass es von der FDP nichtseues gibt:Steuern runter, Abgaben runter, Löhne runter, Mitbe-timmung abschaffen. Das ist die Quintessenz der An-räge, die Sie vorgelegt haben. Kurz gesagt: Deregulie-ung ohne Ende. Derlei Einfalt – lassen Sie mich dasehr offen sagen – passt zwar auf einen Bierdeckel, aberhre Forderungen sind weder von ökonomischem Sach-erstand geprägt noch zeugen sie von Einsichtsfähigkeit.ie, meine sehr geehrten Herren und Damen von derDP, tun schlicht so, als habe die schlimmste Weltwirt-chaftskrise seit 80 Jahren überhaupt nichts mit markt-adikalen Ideologien zu tun. Oder wollen Sie wirklich al-en Ernstes behaupten, dass diese Krise durch zu vieletaatliche Vorschriften oder durch die Überregulierunger Finanzmärkte verursacht wurde? Das können Sieicht ernsthaft behaupten.
Jetzt kann man Ihnen zugutehalten, dass Irrenenschlich ist. Aber ich würde sagen: Einmal Irren istenschlich, aber zweimal dem gleichen Irrtum zu unter-iegen – genau das tun Sie mit diesem Antrag –, istchlichtweg dumm.
enn ich den Antrag lese, dann habe ich gelegentlichen Eindruck, dass man in der FDP glaubt, dass Ökono-ie Theologie sei.
konomie ist aber nicht Theologie. Ökonomische Theo-ien müssen sich dem Wirklichkeitstest stellen, und sie
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Edelgard Bulmahnmüssen diesen Test bestehen. Wenn sie das nicht tun,dann müssen ökonomische Theorien verändert werden.Genau das vermisse ich bei Ihnen.
Frau Kollegin, Herr Kollege Friedhoff würde gerne
eine Zwischenfrage stellen.
Ja.
Bitte sehr.
Frau Kollegin Bulmahn, Sie haben gerade wieder das
erzählt, was ich von Ihnen immer höre. Dabei habe ich
geglaubt, dass Sie einmal zu der Einsicht kämen, dass
zwischen „Deregulierung“ und „keine Regeln“ ein
kleiner Unterschied besteht.
Ich würde sogar sagen, dass das ein sehr großer Unter-
schied ist. Es ist unbestreitbar, dass wir in dieser Krise
erleben – ich hoffe, Sie sehen das genauso –, dass an
manchen Stellen fehlende Regeln das Problem waren,
während es an anderen Stellen, wo es nicht um so hohe
Milliardenbeträge geht, eine Überregulierung gibt, über
die viele Leute klagen. Sie vermitteln hier wieder den
Eindruck, dass Sie diese beiden Dinge vermischen.
Herr Friedhoff, da widerspreche ich Ihnen. Wenn manIhren Antrag liest, dann stellt man fest, dass Sie die glei-chen Instrumente vorschlagen, die Sie auch schon vor10 oder 20 Jahren vorgeschlagen haben. Das tun Sie, ob-wohl diese Wirtschaftskrise ein Ausmaß hat, das wirnoch nicht erlebt haben, und obwohl wir ganz schmerz-haft erleben, dass die fehlende Regulierung der Finanz-märkte diese Krise zu einem ganz erheblichen Teil ver-ursacht hat. Wir benötigen dringend einen aktivhandelnden Staat, der in der Lage ist, tatkräftig anzupa-cken, Investitionen durchzuführen und Gegenstrategienzu entwickeln. Wir müssen gegensteuern, damit der Bin-nenmarkt nicht genauso zusammenbricht, wie der Ex-portmarkt zusammengebrochen ist.Diese Erkenntnis schlägt sich in Ihrem Antrag über-haupt nicht nieder. Sie sind weiterhin dafür, die Steuernzu senken, und Sie sind für den Abbau der Mitbestim-mung. Sie verkennen, dass gerade die Mitbestimmungin vielen Betrieben eines der wirksamsten Instrumentedafür ist, Unternehmen am Leben zu erhalten und zuvernünftigen Absprachen zwischen der Belegschaft undder Unternehmensleitung zu kommen. Damit hat ein Un-ternehmen die Chance, eine solche Wirtschaftskrise zuüberstehen, um anschließend wieder in eine Wachstums-phase einzutreten. All das findet in Ihrem Antrag über-haupt keinen Niederschlag. Deshalb sollte man von IhrerSuksfwssDkdILsggdnwsdnzv–dhnscbwgtDndtZnmnfkgmSknrGGstg
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Das Besondere an diesem Programm ist im Übrigen,dass es mit den optionalen Haftungsfreistellungen ei-gentlich optimale Bedingungen bietet. Wir garantierennämlich vonseiten des Bundes Haftungsfreistellungenzwischen 50 und 90 Prozent. Das heißt, das Risiko fürdie Banken und Sparkassen ist extrem gering.Jetzt ist es ganz wichtig und von entscheidender Be-deutung, dass die gesamtwirtschaftliche Investitions-nachfrage nicht zusätzlich durch Probleme beim Kredit-zugang für Unternehmen geschwächt wird. Das istwirklich das A und O.mpvsphgmvkvsigBidbmDdsItDwUgCbTsVSahdRfnbdtdsfd
agegen helfen die Programme und Maßnahmen, dieir gemacht haben, tatsächlich den Menschen und dennternehmen. Meine Vorredner haben ja schon eineanze Reihe von Programmen und Maßnahmen genannt:O2-Gebäudesanierungsprogramm, erweiterte Abschrei-ungsmöglichkeiten – hier haben wir ja Regelungen zumeil vorgezogen –, die Möglichkeit zur steuerlichen Ab-etzbarkeit von Handwerkerdienstleistungen. Auch dieerschrottungs- bzw. Umweltprämie möchte ich nennen.ie hilft ja nicht nur den Großunternehmen, sondernuch den Verschrottungs- und Zulieferbetrieben. All dasilft tatsächlich und zeigt, dass wir einen aktiv handeln-en Staat brauchen und nicht einen Staat, der sich auf dieolle des Nachtwächters beschränkt.
Die Koalition hat gehandelt. Das gilt im Übrigen auchür den Bürokratieabbau. Darüber haben wir heuteoch nicht so viel geredet. Aber indem wir Gesetzge-ungsverfahren, Verordnungen und Richtlinien durchen Normenkontrollrat überprüfen ließen, hat die Koali-ion es geschafft, spürbar Bürokratie abzubauen. Nach-em wir es auf Bundesebene geschafft haben, wirklichpürbar Bürokratie abzubauen,
rage ich mich nun schon, wo denn konkrete Vorschlägeer FDP bleiben und welche wegweisenden Maßnahmen
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Edelgard Bulmahnzum Bürokratieabbau sie in den Ländern ergriffen hat, indenen sie mitregiert und auch ganz konkret mitentschei-den kann. All dies vermisse ich.
Ich möchte noch kurz auf einen letzten Aspekt einge-hen. Ich glaube nämlich, dass es wichtig ist, dass wir inder gegenwärtigen Krise nicht nur darauf schauen, waswir jetzt tun müssen. Das steht zwar im Vordergrund undist wichtig, aber wir müssen auch darauf achten, dass wirdie Weichen für die langfristige Entwicklung richtig stel-len. Uns ist es deshalb wichtig, dass wir die mittelständi-schen Unternehmen in die Lage versetzen, langfristigerfolgreich zu sein. Das heißt, es müssen wirklich Inves-titionen in die Weiterbildung der Beschäftigten und inInnovationen stattfinden. Nur so können nämlich Zu-kunftsmärkte erschlossen werden. Dabei spielt das For-schungs- und Entwicklungsprogramm für die mittel-ständischen Unternehmen eine ganz wichtige Rolle.Die Mittel hierfür haben wir noch einmal um 900 Millio-nen Euro erhöht. Damit wollen wir den mittelständi-schen Unternehmen die Unterstützung geben, die sie nö-tig haben, damit sie all das erreichen können. Wir wissennämlich, dass wir in einem bloßen Kostenwettbewerb in-ternational nicht bestehen können. Wir können nur dannZukunftsmärkte erschließen und Arbeitsplätze erhalten,wenn wir gute Qualität produzieren, wenn wir die Ge-winner im Innovationswettlauf sind und wenn wir dieZukunftsmärkte als einer der ersten erschließen. Das istlangfristig die notwendige Aufgabe. Ich finde, das hatviel mehr mit Liberalität zu tun, als das Fordern vonSteuersenkungen für Milliardäre oder Bonizahlungen fürgescheiterte Manager.
Frau Kollegin, kommen Sie bitte zum Schluss.
Kurzum: Die Koalition trägt dem Rechnung. Wir han-
deln entschlossen, weil wir wissen, dass uns ideologi-
sche Seifenblasen nicht helfen.
Es kommt darauf an, dass man Verantwortung über-
nimmt. Das hat die Koalition getan und das tut sie. Ich
bin davon überzeugt, dass das die Menschen anerkennen
und unterstützen.
Vielen Dank.
Für die Bundesregierung hat nun das Wort der Kol-
lege Staatssekretär Hartmut Schauerte.
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eswegen wünsche ich Ihnen viel Glück dabei.Unter den Vernünftigen ist völlig unstreitig, dass derittelstand hochwichtig und von zentraler Bedeutungür uns und unsere Wohlstandsmehrung ist. Bei Unver-ünftigen ist das anders. Die Frage ist also nicht, ob wirhn ernst nehmen, sondern ob wir ihn ernst genug neh-en.Als Beauftragter der Bundesregierung für den Mittel-tand möchte ich ein paar Bemerkungen zur Vergangen-eit machen. Zu Ihrem Antrag, Herr Kollege Friedhoff:er Antrag ist älter, also nicht ganz aktuell.
m Prinzip wurde er vor der Krise, über die wir reden,eboren. Er hätte eine Anpassung benötigt, das wissenir. Ich möchte mich damit aber nicht so sehr beschäfti-en.
Ich möchte einige Bemerkungen zum Mittelstand ma-hen. Tun wir etwas? Wird er ernst genommen? Ja, erird ernst genommen. Ich behaupte, er ist unter dieseregierung in den letzten drei Jahren ernster genommenorden als in vielen Regierungsjahren davor.Für den Kapital- und Kreditmarkt haben wirnorme Programme aufgelegt. Ich will eine Zahl nen-en: Wir haben im letzten Jahr rund 67 000 Kredit-nträge des Mittelstandes aus KfW- und ERP-Program-en bewilligt. Eine solche Zahl hat es noch nie gegeben.onst hat es sich um 15 000, 20 000 oder 30 000 An-räge gehandelt.Die Forschungsausgaben sind enorm gestiegen. Dieehrheit der Forschungsausgaben in Deutschland landeteute unstreitig beim Mittelstand und nicht mehr bei denroßen Einrichtungen. Dieses Switchen ist ein wichtigerortschritt.Wir haben die Beiträge für die Lohnzusatzkosten um,75 Prozentpunkte und damit die Lohnzusatzkostennsgesamt um mehr als 6 Prozent gesenkt. Eine Senkungnnerhalb von drei Jahren in solch großem Umfang hats in der Bundesrepublik Deutschland noch nicht gege-en; auch nicht zu Zeiten, als wir zusammen an der Re-ierung waren, Herr Friedhoff. Das gehört zur Wahrheitazu.
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Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 215. Sitzung. Berlin, Freitag, den 27. März 2009 23405
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Parl. Staatssekretär Hartmut SchauerteDas Thema Bürokratieabbau möchte ich nicht ver-tiefen. Wir haben es so gründlich und systematisch ange-packt wie noch nie jemand zuvor. Der Bürokratieabbauträgt bereits Früchte in Milliardenhöhe und berechtigt zuden schönsten Hoffnungen; denn dieses Programmkommt nicht zum Ende, sondern wird konsequent fort-gesetzt und ausgebaut. Wir haben einen wichtigen Ein-stieg gefunden, den der Mittelstand auch spüren wird.Wir sind keineswegs am Ende.Die Ergebnisse sprechen für sich. In den letzten Jah-ren ist die Zahl der selbstständigen Mittelständler von3,65 Millionen auf 4,16 Millionen gestiegen, also einAnstieg von 10 Prozent auf jetzt insgesamt 10,9 Prozentder Erwerbstätigen. Wir haben in Deutschland also einedeutlich gestiegene Selbstständigenquote. Das ist gut.Wir haben aber auch andere Dinge gemacht, die nichtim Fokus stehen. Ich könnte über eine ganze Serie be-richten, ich will aber nur einen Punkt nennen: Wir habenetwas für die Altersversorgung der Mittelständler undSelbstständigen getan. Wir haben erstmals in der Ge-schichte der Bundesrepublik Deutschland ein pfän-dungsfreies Alterseinkommen für Mittelständler ein-gerichtet, in dessen Genuss sie selbst dann kommen,wenn sie pleitegegangen sind.
Bisher waren die Mittelständler an dieser Stelle sozialvöllig ungeschützt. Es gibt eine Vielzahl von sinnvollenDingen, die wir gemacht haben, auch wenn diese nichtim Zentrum der Diskussion gestanden haben.Natürlich gibt es noch etwas zu tun. Ich bin der festenÜberzeugung, dass wir noch eine lange Wegstrecke voruns haben, bis alles so justiert ist – wenn man das jemalsschafft –, dass man sagen kann: Jetzt läuft es rund, jetztkann es so bleiben. Nein, dieser Bereich wird dauerhafteine Baustelle bleiben. Er verändert sich permantent.Deswegen müssen wir immer neue Antworten finden.In dieser Krise – damit bin ich in der Nähe von Opel –ist es wichtig, dass wir klarmachen, dass für Kleine wieGroße die gleichen Bedingungen gelten, wenn ent-schieden wird, ob man ihnen in der Krise hilft. Es darfkeine Vorfahrt für die Großen geben. Ich meine sogar,große Unternehmen können präziser formulieren, wassie brauchen, warum sie es brauchen und wie es weiter-gehen soll, als kleine. Es darf nicht der Eindruck entste-hen, dass wir bei kleinen Unternehmen höllisch aufFeinheiten achten, während bei großen Unternehmenschon dann, wenn der Betriebsratsvorsitzende eine klugeRede gehalten hat, davon ausgegangen wird, dass es einKonzept für das Unternehmen gibt. Hier muss eineGleichbehandlung erfolgen.Das gilt, Frau Kollegin Bulmahn, auch für die Be-trachtung unter dem Aspekt der Arbeitslosigkeit. AuchLaurenz Meyer hat diesen Aspekt in den Mittelpunkt sei-ner Rede gestellt. Es ist uns genauso wichtig, zu vermei-den, dass jemand, der bei Opel arbeitet, arbeitslos wird,wie es uns wichtig ist, zu vermeiden, dass jemand, derbei irgendeinem mittelständischen Unternehmen arbei-tet, arbeitslos wird. Wir wissen, dass wir im Verlauf die-scww5b5tAmhEkbmdsÜnlhdedßHwUnrEiMksbwkdAkwweAdDr
Nächster Redner ist der Kollege Reinhard Schultz für
ie SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!uch ich möchte meinem Kollegen Rainer Wend dan-en. Der Begriff „Geisteshaltung“ ist schon gefallen. Ichill sagen: Uns verbindet, was den Mittelstand angeht,eiß Gott eine ähnliche Geisteshaltung. Man ist damit ininem Parteiengefüge manchmal Konflikten ausgesetzt.uf der anderen Seite hat man den Spaß und den Genusser Auseinandersetzungen, die damit verbunden sind.as verbindet uns beide. Viel Glück auf deinem weite-en Weg!
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23406 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 215. Sitzung. Berlin, Freitag, den 27. März 2009
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Reinhard Schultz
Ich bleibe beim Thema Geisteshaltung. Ich will überdie Geisteshaltung, die aus dem Antrag der FDP hervor-geht, reden. Diese Geisteshaltung ist eine Betrachtungwert. Ich finde viele Kolleginnen und Kollegen von derFDP in den Debatten im Ausschuss in hohem Maßesympathisch und kenne sie als seriöse Gesprächspartner.Aber wenn die FDP im Pulk auftritt, ist sie durch ihr De-regulierungsgerede in dieser Krise ein Brandbeschleuni-ger; das muss man einmal sagen. Da muss man sich Sor-gen machen, und man hat Angst.Auf wessen geistigem Keimboden ist denn all das ge-wachsen, wodurch die Finanzkrise entstanden ist?Durch jahrelanges Deregulieren ist es dazu gekommen:Alle möglichen Finanzmarktprodukte wurden zugelas-sen. Die Kontrollen wurden runtergefahren. Internatio-naler Wettbewerb war die Legitimation dafür, dassDinge zugelassen wurden, die man unter vernünftigenBedingungen überhaupt nicht zugelassen hätte. DiesesGebäude ist zusammengebrochen. Da muss man sichfragen: Wer ist mit geistiger Urheber solcher Krisen
und wer nicht?
Ich will das aber gar nicht überziehen, sondern jetztzur Geisteshaltung der Mittelständler kommen, dieich nun wirklich gut kenne, auch aufgrund meiner per-sönlichen Herkunft und der Funktion in meiner Fraktion.Hier ergibt sich ein ausgesprochen vielfältiges Bild: Esgeht von den Kleinen, die weitgehend sich selbst oderdarüber hinaus sehr wenige Mitarbeiter ernähren, bin-nenmarktorientiert, in lokalen und regionalen Kreisläu-fen, bis hin zu den leistungsstarken Mittelständlern imAnlagen- und Maschinenbau, die international aufge-stellt sind. Sie sind nicht zu vergleichen. Aber eines istallen gemeinsam: Alle wissen, dass sie, wenn sie Geldverdienen wollen, das nicht durch eine Selbstbefruch-tung tun können und ohne anderen etwas zu gönnen;vielmehr müssen sie erkennen, dass sie eingebettet sindin ein Marktgefüge, in dem auch andere Geld verdienenmüssen, damit sie bei ihnen etwas bestellen und kaufenkönnen. Nach diesem Prinzip funktioniert das System.Wer in einer schwierigen Situation fordert, dass die Un-ternehmen dadurch entlastet werden, dass die Löhne derMitarbeiter gesenkt werden, bringt die Balance völligdurcheinander; denn das würde die Kaufbeziehungenstören und sich in einer Krise wie der jetzigen katastro-phal auswirken.
Deswegen sind wir zu Recht von vielen binnenmarkt-orientierten Mittelständlern ausdrücklich gelobt wor-den, sowohl für das erste als auch für das zweiteKonjunkturprogramm, weil diese Programme dazubeigetragen haben, bei den Käufern, den Bestellern vonDienstleistungen und Waren, Zuversicht auszulösen. Siehatten mehr in der Tasche als vorher, und das dadurchentstehende positive Grundgefühl wirkt sich auf das Ver-halten aus. Es wäre eine Katastrophe gewesen, wenn dieKrisenstimmung dazu geführt hätte, dass die Leute–mablbNvawsznddimgMsMgwkbdsesWuDsGgdbwsnsDBwdMzhmdsw
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So bringt jede Schwierigkeit und jede Zeit ihre eige-en Antworten mit sich. Es läuft aber immer darauf hi-aus, eine vernünftige Balance zu finden zwischen dennteressen von Unternehmen, die mit großem Risikoirtschaften, Arbeit schaffen und zum Wohlstand beitra-en, und den Interessen der Arbeitnehmer und der übri-en Gesellschaft, die natürlich am Wohlstand partizipie-en wollen und die in einem erheblichen Umfang dazueitragen. Das darf nicht vergessen werden. Es ist nichter Mittelständler allein, der den Wohlstand schafft, son-ern es sind die vielen, die ihm dabei durch ihre täglicherbeit helfen.Wenn wir das sehen, werden wir in Zukunft Mittel-tandsdebatten etwas unterkühlter und ehrlicher führen.s geht nicht darum, den egoistischen Mittelständler,en nichts anderes als seine eigene Bilanz interessiert,or dem Rest der Welt zu schützen. Es geht vielmehr da-um, vernünftigen, verantwortlichen Unternehmen dabeiu helfen, sich selbst zu helfen und gleichzeitig eineneitrag für die übrige Gesellschaft zu leisten.Vielen Dank.
Letzter Redner in dieser Debatte ist der Kollege Ernstinsken, CDU/CSU-Fraktion.
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23408 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 215. Sitzung. Berlin, Freitag, den 27. März 2009
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Werte Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen undKollegen! Ich bin der FDP dankbar dafür, dass die vor-liegende Große Anfrage gestellt und darüber hinaus einAntrag mit Hinterfragungen eingereicht worden ist. Gibtuns dies doch die Möglichkeit, einmal darauf zu verwei-sen, was gerade diese Regierung und diese Große Koali-tion für den Mittelstand und das Handwerk in den letztenJahren geleistet haben. Das kann sich wahrlich sehenlassen; denn in dieser Regierungspolitik finden sich dasHandwerk und der Mittelstand nachhaltig wieder.
Als einziger Handwerksmeister, der in dieser Debattedas Wort ergreifen darf, möchte ich darauf verweisen,dass auf allen Großveranstaltungen des Handwerks nichtnur Wirtschaftsminister a. D. Michael Glos und jetztWirtschaftsminister zu Guttenberg, sondern immer auchdie Bundeskanzlerin zugegen waren und mit großemBeifall bedacht worden sind. Das können Sie, FrauHandwerkspräsidentin Strothmann, oder Sie als Hand-werksmeister, Herr Kollege Wittlich, bestätigen. Ichmeine, jemand wird nur dann bejubelt und beklatscht,wenn er Entsprechendes geleistet hat. Ich darf bei dieserGelegenheit auf Folgendes hinweisen: Für mich und fürviele in der Bundesrepublik Deutschland ist das Hand-werk ein wichtiger Eckpfeiler der Wirtschaft schlecht-hin.
Herr Kollege Rossmanith, Sie haben im Haushalts-ausschuss als zuständiger Berichterstatter vieles für dasHandwerk getan. Ich meine, dass es in der Endrunde die-ser Legislaturperiode angemessen ist, einmal ein Wortdes Dankes dafür auszusprechen, dass das Handwerknicht hintangestellt worden ist, sondern in den Mittel-punkt der Entscheidungen gerückt wurde. HerzlichenDank!
Meine Damen und Herren, ein Handwerker hebt sichsehr wohl ab. Er ist zu 75 Prozent Personengesellschaf-ter. Er haftet mit seinem ganzen Hab und Gut. Er hatkeine 38-Stunden-Woche, sondern meist das Doppelte.Er muss sich verschiedenen Entwicklungen aussetzen.Er muss sich behaupten; er muss kreativ sein. Er musssich nachhaltig einbringen, um sich überhaupt durchset-zen zu können. Er kann nicht wie ein smarter Managereines großen Unternehmens – ich bedauere sehr, dass indieser Debatte heute viel zu viel über Opel gesprochenwurde – seinen Hut nehmen, sondern muss selbst für alldas einstehen, was für ihn wichtig ist, damit er überhauptüber die Runden kommt. Ein tüchtiger Handwerker istfür mich ein Fachmann, ein Kaufmann, ein Technikerund zudem einer, der etwas von moderner Kommunika-tionstechnologie verstehen muss, um nicht nur die Ge-räte installieren und reparieren, sondern sie darüber hin-aus auch vernünftig nutzen zu können.Ganz besonders wichtig scheint mir – das kommt vielzu wenig zum Ausdruck – die soziale Verantwortungzu sein. In keinem anderen Wirtschaftsbereich sitzen Ar-bndikwwbsIdnbFDAupdedrKHBFbVeWBde1lmwHmtevhsBsMs
Kollege Friedhoff, eines möchte ich zum Themaürokratie sagen: Im letzten Dreivierteljahr hat sich dieDP abgemeldet und nichts mehr dazu gesagt. Wir ha-en das Bürokratieentlastungsprogramm aufgelegt undereinfachungen durchgeführt. Nach dem zweiten Ver-infachungsgesetz ist von Ihnen nichts mehr gekommen.ir hingegen waren an dem Thema dran. Ich möchte derundesregierung dafür danken, dass die Wirtschafturch Vereinfachungen seit 2006 um 7 Milliarden Eurontlastet wurde. Die Informationspflichten wurden um2,5 Prozent abgebaut, und mit den drei Mittelstandsent-astungsgesetzen wurden die Belastungen der Unterneh-er um 1,8 Milliarden Euro gesenkt.Ein Beispiel: Über die Handwerkszählungen habenir ewig geredet, aber es ist nichts getan worden. Dieandwerkszählungen werden bei 460 000 Unterneh-ern künftig entfallen. Das ist eine Entlastung. Tue Gu-es und rede darüber! Wir haben gehandelt. Wir habentwas gemacht.
Wir haben darüber hinaus verschiedene Maßnahmenereinbart, die einen ausgewogenen Mix ergeben: dauer-afte Senkung der Steuer- und Abgabenbelastungen, zu-ätzliche öffentliche Investitionen in Infrastruktur undildung, Maßnahmen zur Sicherung der Beschäftigungowie neue Instrumente, um die Kreditversorgung desittelstandes zu sichern. Wir haben – das ist von ver-chiedenen Vorrednern schon gesagt worden – den soge-
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Ernst Hinskennannten Handwerkerbonus verdoppelt und die degres-sive Abschreibung im Jahr 2009/2010 bei beweglichenWirtschaftsgütern auf über 25 Prozent angehoben. Zu-dem haben wir den Beitrag zur Arbeitslosenversicherungvon 6,5 auf 2,8 Prozent gesenkt. Bei der gesetzlichenKrankenversicherung gehen wir ab 1. Juli auf 14,9 Pro-zent runter. Das entlastet die Arbeitgeber rechnerisch umcirca 2 Milliarden Euro. Dieser Erfolg ist es allemalwert, hier einmal Erwähnung zu finden.
Ich meine, dass wir dem Anspruch „Mehr Netto vomBrutto“ gerecht werden. Ich möchte nicht darauf verwei-sen, was noch alles getan worden ist.
Nein, Herr Kollege, das können Sie auch nicht. Ihre
Redezeit ist zu Ende.
Da ich das nicht mehr kann, eine letzte Bemerkung,
Frau Präsidentin: Handwerker und Mittelständler sind
Menschen wie du und ich. Sie brauchen Zuversicht. Die
Krise muss erfolgreich überwunden werden. Wir werden
das alles schaffen, wenn wir das Handwerk und den Mit-
telstand weiterhin ins Zentrum unserer Bemühungen
stellen.
Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.
Ich schließe die Aussprache.
Tagesordnungspunkt 31 b. Interfraktionell wird Über-
weisung der Vorlage auf Drucksache 16/12326 an die in
der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschla-
gen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall.
Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 32 a bis 32 d auf:
a) Erste Beratung des von den Abgeordneten
Dr. Norbert Röttgen, Bernd Schmidbauer,
Dr. Hans-Peter Uhl, weiteren Abgeordneten und
der Fraktion der CDU/CSU
sowie den Abgeordneten Thomas Oppermann,
Joachim Stünker, Fritz Rudolf Körper, Dr. Peter
Struck und der Fraktion der SPD
sowie den Abgeordneten Dr. Max Stadler,
Dr. Guido Westerwelle und der Fraktion der FDP
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Fort-
entwicklung der parlamentarischen Kontrolle
der Nachrichtendienste des Bundes
– Drucksache 16/12411 –
Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss
Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und
Geschäftsordnung
Rechtsausschuss
Verteidigungsausschuss
Haushaltsausschuss
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Dr. Norbert Röttgen, Bernd Schmidbauer,
Dr. Hans-Peter Uhl, weiteren Abgeordneten und
der Fraktion der CDU/CSU
sowie den Abgeordneten Thomas Oppermann,
Joachim Stünker, Fritz Rudolf Körper, Dr. Peter
Struck und der Fraktion der SPD
sowie den Abgeordneten Dr. Max Stadler,
Dr. Guido Westerwelle und der Fraktion der FDP
eingebrachten Entwurfs eines … Gesetzes zur
Änderung des Grundgesetzes
– Drucksache 16/12412 –
Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss
Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und
Geschäftsordnung
Rechtsausschuss
Verteidigungsausschuss
Haushaltsausschuss
c) Erste Beratung des von den Abgeordneten Hans-
Christian Ströbele, Volker Beck , Monika
Lazar, weiteren Abgeordneten und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Ent-
wurfs eines Gesetzes zur Verbesserung der
parlamentarischen Kontrolle der Geheim-
dienste sowie des Informationszugangsrechts
– Drucksache 16/12189 –
Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss
Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und
Geschäftsordnung
Rechtsausschuss
Verteidigungsausschuss
Haushaltsausschuss
d) Erste Beratung des von den Abgeordneten
Wolfgang Nešković, Dr. Lukrezia Jochimsen,
Dr. Norman Paech, weiteren Abgeordneten und
der Fraktion DIE LINKE eingebrachten Entwurfs
eines … Gesetzes zur Änderung des Kontroll-
gremiumgesetzes
– Drucksache 16/12374 –
Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss
Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und
Geschäftsordnung
Rechtsausschuss
Verteidigungsausschuss
Haushaltsausschuss
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
ussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. – Ich
öre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege
r. Norbert Röttgen, CDU/CSU-Fraktion.
Herzlichen Dank, Frau Präsidentin. – Liebe Kollegin-en und Kollegen! Die Fraktionen von CDU/CSU, SPDnd FDP bringen eine Novelle des Gesetzes über diearlamentarische Kontrolle der Nachrichtendienste ein.u Beginn der Debatte betone ich, dass es uns – denjeni-en, die diesen Gesetzentwurf einbringen; ich hoffe aber,
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23410 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 215. Sitzung. Berlin, Freitag, den 27. März 2009
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Dr. Norbert Röttgenauch den anderen Fraktionen – ein Anliegen ist, festzu-halten, dass Nachrichtendienste legitim und notwendigsind. Auch Nachrichtendienste gehören mit ihrer Auf-gabe zum demokratischen Rechtsstaat. Wir brauchen sie;sie sind ein weiteres legitimes Kind des demokratischenRechtsstaates.Die Nachrichtendienste haben aber eine Besonderheitgegenüber anderen staatlichen Einrichtungen: Sie sindgeheim. Damit stellen sie etwas infrage, was originär zurDemokratie gehört: die Öffentlichkeit als ein wesentli-ches Kontrollprinzip in der Demokratie. Dies passt nichtzusammen. Der Anspruch der Demokratie, öffentlicheKontrolle auszuüben, verträgt sich nicht mit der Aufgabevon Nachrichtendiensten. Daraus darf und kann abernicht der Schluss gezogen werden, dass Nachrichten-dienste ein kontrollfreier Raum seien. Sie können ihreTätigkeit nicht öffentlich darlegen und rechtfertigen.Also kommt genau an dieser Stelle notwendigerweisedie parlamentarische Kontrolle der Nachrichtendiensteins Spiel. Es ist ein Gebot des demokratischen Rechts-staats, durch das und im Parlament diese Kontrolle derNachrichtendienste auszuüben.
Genauso ist es aus Sicht der Nachrichtendienste eineNotwendigkeit – dies folgt daraus –, dass diese Kon-trolle stattfindet. Die Kontrolle im Parlament ist nichtgegen Nachrichtendienste gerichtet. Wenn aber die Bür-gerinnen und Bürger die Vermutung haben müssten oderwüssten, dass es keine wirksame Kontrolle von Nach-richtendiensten im Parlament gebe, dann fänden Nach-richtendienste keine Akzeptanz in einer demokratischenGesellschaft.
In diesem Zusammenhang möchte ich einem immernoch bestehenden Missverständnis, das uns leider auchim Vorfeld dieser Debatte erneut vorgetragen worden ist,offensiv entgegentreten: Die Kontrolle der Nachrichten-dienste im und durch das Parlament ist nicht Ausdruckdes Misstrauens, sondern eine Bedingung dafür, dassNachrichtendienste arbeiten können, eben weil es eineBedingung für Vertrauen und Akzeptanz von Nachrich-tendiensten ist.
Darum sieht sich das Parlament hier in der Pflicht, dieWirksamkeit seiner Arbeit zu gewährleisten. Es ist daherdie Aufgabe des Parlaments, nicht nur am Ende über diegesetzlichen Maßnahmen abzustimmen, sondern sichzuvor selbst über sie klar zu werden, sie auszufeilen undüber sie zu debattieren.Dem Verständnis meiner Fraktion, der CDU/CSU,entspricht es, dass dies nicht nach den gerade gegebenenMehrheitsverhältnissen im Parlament geschehen soll.Hier geht es um institutionelle, parlamentarische Grund-fragen, die über die jeweils bestehenden Gräben hinwegzwischen jeweiliger Regierungsfraktionenmehrheit undjeweiliger Opposition in einem institutionellen KonsensesdmrDvsdigbartHlKiKsntldudPDtdsdstdeGwvud
Wir sagen zweitens, dass die parlamentarische Kon-rolle der Nachrichtendienste Aufgabe des gesamten Par-amentes ist. Es ist kein Minderheitenrecht. Es ist nichter Anspruch der jeweiligen Opposition, die Regierungnd die Nachrichtendienste zu kontrollieren, sonderniese Aufgabe liegt in der Verantwortung des gesamtenarlamentes.
ies ist also kein Minderheitenthema, kein Oppositions-hema, sondern betrifft das gesamte Parlament.Daraus folgt drittens, dass wir uns dagegen entschie-en haben – dies kann man im Gesetzentwurf nachle-en –, die parlamentarische Kontrolle der Nachrichten-ienste auszulagern. Sosehr wir den Wehrbeauftragtenchätzen – die Institution und den gegenwärtigen Amts-räger persönlich –, für so falsch würden wir es halten,ie parlamentarische Kontrolle auf eine Person oder aufine ausgelagerte Institution zu delegieren.
enauso würden wir es für falsch halten, wenn wir so et-as wie eine Exekutivkontrolle etwa in der Bundestags-erwaltung einführen würden. Nein, liebe Kolleginnennd Kollegen, unserem Selbstverständnis entspricht es,ass das gesamte Parlament, dass wir Parlamentarier
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Dr. Norbert Röttgendiese Aufgabe haben. Wir wollen und sollen uns ihrnicht entziehen.
Abschließend: Der Gesetzentwurf ist nicht theorie-gespeist, sondern folgt aus der Erfahrung der Parlamen-tarier, die im Parlamentarischen Kontrollgremium ihrerArbeit nachgehen. Darum ist er ganz pragmatisch orien-tiert. Wir wollen die Arbeitsfähigkeit der Parlamentarierdurch konkrete Maßnahmen verbessern.
Wir wollen die Selbstinformationsrechte verbessern. Wirwollen auch die Durchsetzbarkeit unserer Rechte verbes-sern. Dies sind ein paar wesentliche Punkte.Wenn es Bedarf gibt, nachzufragen – das ist nicht derRegelfall, der Normalfall –, darf sich das Parlamentnicht als schwach erweisen, sondern muss über die not-wendigen Instrumente verfügen.
Sonst sind mögliche Fehler der Nachrichtendienste ge-eignet, Regierung und Parlament zu verstricken. Daswollen wir nicht. Wir müssen in einem solchen Fall ef-fektiv arbeiten können.Der eine Entwurf beinhaltet eine einfache Gesetz-änderung, während der andere Entwurf eine Verfassungs-änderung beinhaltet, und zwar die Aufnahme der Nach-richtendienste, aber insbesondere der parlamentarischenKontrolle von Nachrichtendiensten ins Grundgesetz. Ichglaube, dies dient der Aufwertung der Tätigkeit des Par-lamentes. Beide Gesetzentwürfe zielen auf die Stärkungder Nachrichtendienste, aber auch auf die Stärkung desParlamentes bei der Kontrolle der Nachrichtendiensteab. Dies ist ein pragmatischer, wirklicher Fortschritt fürdie Nachrichtendienste und, wenn es konstruktiv aufge-nommen wird, auch für das Parlament in der Ausübungdieser wichtigen Aufgabe.Besten Dank.
Nächster Redner ist der Kollege Dr. Max Stadler,
FDP-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen undHerren! Die Verbesserung der Kontrolle der Geheim-dienste war und ist überfällig.
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Die FDP hat aus diesem Grund schon im Jahr 2006ls erste Fraktion einen Reformentwurf eingebracht. Esat lange gedauert, bis sich die Koalition zu einem eige-en Gesetzentwurf durchgerungen hat. Wir sehen es alsrfolg unserer Oppositionsarbeit an, dass wir zu demeute vorliegenden Reformentwurf gekommen sind, denie FDP in dieser Form mittragen kann. Denn ein ent-cheidender Mangel, der im Ursprungsvorschlag vonDU/CSU und SPD enthalten war, ist aufgrund unsererntervention herausgenommen worden. Zunächst wollteich die Mehrheit das Recht vorbehalten, Mitglieder ausem Kontrollgremium abzuwählen. Das ist natürlich un-umutbar und findet sich in dem jetzt vorliegenden Ge-etzentwurf zu Recht nicht wieder.
Meine Damen und Herren, dass es zu diesem Gesetz-ntwurf gekommen ist, ist ein Verdienst derer, die sicharum besonders bemüht haben: des Kollegen Uhl, desollegen Röttgen und des Kollegen Oppermann. Es sindicht nur die Vorstellungen, die die FDP in ihrem ur-prünglichen Gesetzentwurf formuliert hat, eingeflossen,ondern auch die Diskussionsbeiträge beispielsweise desollegen Ströbele und des Kollegen Nešković. Wir ha-en die Notwendigkeit dieser Reform bei vielen Veran-taltungen und in Podiumsdiskussionen, zum Beispiel iner Hanns-Seidel-Stiftung, erörtert. Experten wie Pro-essor Geiger haben uns beraten. Die Ergebnisse all die-er Diskussionen sind in das Reformwerk eingeflossen.
Einige wesentliche Punkte wurden aufgenommen.Ich nenne folgende Beispiele: Die Kontrolldichteird größer. Leider ist die ungünstige Entwicklung zueobachten, dass die Vermischung von polizeilicher undachrichtendienstlicher Tätigkeit immer weiter voran-chreitet. Im Innenausschuss wurde darauf hingewiesen,ass, was die Kontrolle angeht, Vorgänge, die das Bun-eskriminalamt, also eine Polizei, betreffen, dort garicht mehr zur Debatte gestellt würden, weil das Kon-rollgremium zuständig sei, wenn das BKA mit demND zusammenarbeitet,
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Dr. Max Stadler
im Kontrollgremium gab es bisher aber keine Zuständig-keit. Das soll jetzt geändert werden. Wir wollen also dieKontrolldichte erhöhen. An der Formulierung müssenwir vielleicht noch arbeiten,
damit diese unsere Absicht auch korrekt zum Ausdruckkommt. Ich will ganz deutlich sagen: Die Rechte der – inAnführungszeichen – normalen Bundestagsausschüsse,zum Beispiel des Innenausschusses und des Rechtsaus-schusses, dürfen auf keinen Fall geschmälert werden,meine Damen und Herren.
Als zweiten Fortschritt nenne ich die sogenannteWhistleblower-Regelung. Die Mitarbeiter der Nach-richtendienste wissen selbst am besten über dortigeMissstände Bescheid. Bisher war es ihnen verboten, sichdirekt an das Parlament zu wenden. Das wird geändert.Dies geschieht vor dem Hintergrund, dass wir über dierechtswidrige Observierung, das Mitlesen und Speichernder E-Mails einer Journalistin des Spiegels, nämlich derJournalistin Susanne Koelbl, nur direkt aus dem Dienstinformiert werden konnten.
Die Bundesregierung hätte uns darüber im Unklaren ge-lassen. Deswegen brauchen wir die Whistleblower-Regelung. Sie wird unsere Kontrollfähigkeiten verbes-sern.Ich komme zu einem dritten Punkt, der ebenfalls ei-nen echten Fortschritt darstellt. Wie Sie wissen, tagt dasGremium geheim. Es ist eine Zweidrittelmehrheit erfor-derlich, damit es ausnahmsweise öffentlich Stellungnimmt. Es muss gesetzlich abgesichert sein, dass die Op-position in diesem Fall ein Sondervotum abgeben darf.Ob das Recht auf ein Sondervotum gewährt wird, darfnatürlich nicht davon abhängig gemacht werden, dassdie Mehrheit für sich beansprucht, sich die Sondervotenvorher zur Prüfung vorlegen zu lassen.
Das steht nicht im Gesetzestext,
wDsAa–dhmPdfsCnnnmagsFwDwfrifbWm
as Struck’sche Gesetz, welches besagt, dass ein Ge-etzentwurf, der eingebracht wurde, im Rahmen derusschussberatungen noch geändert werden darf, hatlso auch in diesem Fall Geltung.
Nein. Wir werden aber zum Ausdruck bringen, dassiese Begründung für uns nicht maßgeblich ist. Sonstätten wir, die FDP, diesen Gesetzentwurf gar nicht erstit eingebracht.
Meine Damen und Herren, es gibt noch weitereunkte, die von Bedeutung sind. Ich komme gerne aufas, was Herr Röttgen gesagt hat, zurück. Dieses Re-ormwerk wird ein Werk des Parlaments sein. Es handeltich nicht um eine Regierungsvorlage. Die Zusage vonDU/CSU und SPD, dass auch die Vorschläge der Grü-en und der Linken – auch wir, die FDP, haben übrigensoch Änderungswünsche – in den Ausschüssen ergeb-isoffen beraten werden, nehme ich ernst.Ein Beispiel. Es muss sichergestellt werden, dassan, wenn ernste Missstände zu beklagen sind, nicht nurllein und im stillen Kämmerlein beklagen kann, wie un-erecht und schlimm die Welt ist,
ondern dass man wenigstens die Spitze der eigenenraktion informieren darf, damit Konsequenzen gezogenerden können.
as ist ein Punkt, der aus Sicht der FDP noch ergänzterden muss.
Meine Damen und Herren, nach langen Debatten be-inden wir uns nun endlich in dem Stadium, dass ein be-atungsfähiger Gesetzentwurf vorliegt. Wir freuen uns,hn mit eingebracht zu haben. Wir wollen, dass diese Re-orm vorankommt und noch in dieser Legislaturperiodeeschlossen werden kann.
ir wollen allerdings noch einige Ergänzungen. Ich binir sicher, am Ende des Beratungsprozesses wird ein
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Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 215. Sitzung. Berlin, Freitag, den 27. März 2009 23413
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Dr. Max Stadlervernünftiges Reformwerk stehen, das von einer breitenMehrheit dieses Hauses mitgetragen werden kann.Vielen Dank.
Für die SPD-Fraktion gebe ich das Wort dem Kolle-
gen Thomas Oppermann.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! MeineKollegen haben dargelegt, dass wir die Kontrolle derGeheimdienste brauchen. Wozu brauchen wir aber ei-gentlich Geheimdienste? Wir leben seit 60 Jahren in ei-nem demokratischen Verfassungsstaat, der in der Lageist, die Freiheit und die Sicherheit seiner Einwohner undseiner Bürger zu gewährleisten. Wer sich in der Weltumschaut, der stellt fest, dass das alles andere als selbst-verständlich ist.Freiheit und Sicherheit gehören zusammen. Wer stän-dig in der Furcht vor Gewaltakten oder staatlichen Über-griffen lebt, der lebt nicht in Freiheit. Deshalb ist es dieKernaufgabe des Staates, Frieden und Sicherheit zu ge-währleisten und dadurch menschliche Freiheit zu ermög-lichen. Ich glaube, dass der soziale Rechtsstaat zu dengrößten zivilisatorischen Errungenschaften gehört, diewir haben.Bis zum Ende des Kalten Krieges, des Ost-West-Kon-fliktes, schienen diese Errungenschaften in erster Liniedurch militärische Bedrohungen gefährdet. Das ist heutein Europa zum Glück nicht mehr der Fall. Jetzt gibt esandere Bedrohungen, mit denen wir uns auseinanderset-zen müssen. Sie reichen vom islamistischen Terrorismusüber den Waffen- und Drogenhandel, die Proliferation,die Weitergabe von nuklearfähigem Material, und die or-ganisierte Kriminalität bis hin zum gewaltbereiten politi-schen Extremismus.
– Ja, auch Geldwäsche und andere Straftaten dort sindhochgefährlich. Ich komme darauf zurück.Gegen diese Gefahren müssen wir uns zur Wehr set-zen. Mit Ausnahme von großen Teilen der Linken undnur noch wenigen Grünen – ich glaube, es ist am Endenur noch Christian Ströbele – bezweifelt heute niemandmehr, dass wir bei der Gewährleistung der inneren Si-cherheit durch Polizei und Justiz und bei der Verteidi-gung der äußeren Sicherheit durch die Streitkräfte derBundeswehr auf effiziente, gut funktionierende Nach-richtendienste angewiesen sind.Herr Nešković, ich will Sie hier gerne unterstützen.Ich habe gelesen, dass Sie in Ihrer Partei für die Einsichtkämpfen, dass Nachrichtendienste notwendig sind. Siehaben gesagt:WksHsSceAzsßlrdnddogwtazWeDDHdudrDs
err Nešković, ich will Ihnen in diesem Zusammenhangagen: Ich stehe hier auf Ihrer Seite und nicht auf dereite von Herrn Ramelow.
Die Dienste sammeln die Informationen, die wir brau-hen, um Gefahren frühzeitig erkennen, bewerten undrfolgreich abwehren zu können. In eineinhalbjährigerrbeit im Parlamentarischen Kontrollgremium bin ichu der Überzeugung gekommen, dass MAD, Verfas-ungsschutz und Bundesnachrichtendienst dabei eine au-erordentlich wertvolle Arbeit leisten.Ich will das an einigen Beispielen verdeutlichen:Beim Kaukasus-Konflikt, dem Krieg zwischen Russ-and und Georgien um Südossetien, konnte die Bundes-egierung eine qualifizierte außenpolitische Beurteilunger Situation doch ohne eigenständige Informationen garicht vornehmen. Diese liefert in einer solchen Situationer Bundesnachrichtendienst. Ansonsten hätte die Bun-esregierung lediglich die Verlautbarungen aus Moskauder aus Tiflis zur Hand gehabt, um eigene Entscheidun-en zu treffen. Der Bundesnachrichtendienst hat hierertvolle Informationen geliefert.Ein anderes Beispiel ist die Sicherheit unserer Solda-en in Afghanistan. Der BND macht die Aufklärungs-rbeit für die Soldaten, die darauf angewiesen sind, früh-eitig Gefahren zu erkennen.Selbst dort, wo der BND nicht zuständig ist, aber imege der Amtshilfe hilfreich sein kann, leistet er einennorm wichtigen Beitrag – auch für die Innenpolitik ineutschland. Zum Beispiel hat er dabei geholfen, dieatenträger aus Liechtenstein anzukaufen, mit derenilfe die Steuerbetrüger, wie Herr Zumwinkel und an-ere, überführt werden konnten.Das Bundesamt für Verfassungsschutz ist natürlichngeheuer wichtig, wenn es zum Beispiel
arum geht, die Drohbotschaften der islamistischen Ter-oristen, die jetzt aus dem Umfeld der al-Qaida hier ineutschland verbreitet werden, zu analysieren.Es ist sicherlich auch hilfreich, wenn wir wissen, woich die 50 oder 60 Gefährder in Deutschland aufhalten,
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Thomas Oppermanndie hier leben, aber in terroristischen Ausbildungslagernin Pakistan und Afghanistan ausgebildet worden sind,um Sprengstoffanschläge durchzuführen, und die das imZweifel auch machen würden. Das ist die Arbeit derNachrichtendienste.
– Dass es bei dieser Arbeit zu Fehlern kommt, ist unver-meidlich, Herr Montag.Nicht unvermeidlich ist aber die Praxis, die sich in-zwischen in Deutschland eingebürgert hat, nämlich dassjeder Fehler der Nachrichtendienste hemmungslos skan-dalisiert wird. Ich halte das für einen schwerwiegendenFehler. Das ist eine hochgefährliche politische Strategie,die im Übrigen auch völlig unangemessen ist. Denn wirmüssen festhalten, dass die deutschen Sicherheitsbehör-den im Kampf gegen den internationalen Terrorismuskeine roten Linien überschritten haben. Es gibt keineRenditions und keine folterähnlichen Vernehmungsme-thoden.
Es gibt kein Abu Ghureib und kein Guantánamo.Auch der BND-Untersuchungsausschuss muss letztenEndes feststellen, dass es Auswüchse wie in den USAund andernorts, wo rechtsstaatliche Prinzipien und Men-schenrechte mit Füßen getreten wurden, in Deutschlandnicht gegeben hat.Die Arbeit der Dienste ist äußerst schwierig, oft ge-fährlich und mit persönlichen Risiken verbunden. DieseArbeit kann nur dann gut und erfolgreich geleistet wer-den, wenn die Dienste das Vertrauen der demokratischenInstitutionen in diesem Land genießen.Dieses Vertrauen wiederum setzt voraus, dass dieDienste innerhalb der rechtsstaatlichen Grenzen operie-ren, geltendes Recht beachten und ihre nachrichten-dienstliche Praxis durch eine wirksame Kontrolle beglei-tet werden kann. Genau das ist die Aufgabe desParlamentarischen Kontrollgremiums, die wir durch die-sen Gesetzentwurf modernisieren und verbessern wol-len.Ich stimme meinem Kollegen Röttgen zu: Es ist keinGeburtsfehler des Gesetzentwurfs, dass er nicht wieüblich in einem Ministerium oder von der Bundesregie-rung erarbeitet worden ist, sondern aus der Mitte desBundestages kommt. Das ist kein Geburtsfehler, im Ge-genteil: Die praktischen Erfahrungen und erlebten Defi-zite der Kontrollarbeit können so in konkrete Verbesse-rungen einfließen.Nach meinem Verständnis und nach dem richtigenVerständnis ist das Parlamentarische Kontrollgremiumkein Feind, sondern ein Partner der Nachrichtendienste.Partnerschaft setzt allerdings eine annähernd gleiche Au-genhöhe voraus. Die ist nicht gegeben, wenn neun Abge-ordnete, die keine externe Hilfe in Anspruch nehmenkönnen, drei Dienste mit annähernd 10 000 Mitarbeiternkontrollieren sollen.
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Lassen Sie mich die wichtigsten Punkte des Gesetz-ntwurfs nennen: Die Informationspflichten der Bundes-egierung werden deutlicher gefasst.
s wird die Rechtspflicht eingeführt, wahrheitsgemäßend vollständige Angaben zu machen.
as Gremium erhält neue Rechte auf Aktenherausgabe,utritt zu Diensträumen und das Recht zur Befragungon Mitarbeitern. Ich betone, dass das nicht bedeutet,ass jeder Abgeordnete nach Belieben Diensträume be-reten kann. Es sind keine Rechte der einzelnen Mitglie-er, sondern des Gremiums, die nur durch das Gremiumelbst ausgeübt werden können.
Es wird ein Frühwarnsystem eingerichtet, durch dasitarbeiter Missstände künftig direkt dem Gremiumortragen können. Das ist bisher nur über den Dienstwegöglich und führt dazu, dass Mitarbeiter, die etwas mit-uteilen haben, entweder anonym kommunizieren oderich direkt an die Medien wenden. Beides ist nicht gut.Wir haben des Weiteren eine stärkere Zuarbeit vonitarbeitern der Abgeordneten
nd des Sekretariats sowie die schon von meinem Kolle-en Röttgen begrüßte Verankerung des Kontrollgre-iums im Grundgesetz vorgesehen.Das alles wird dazu beitragen, dass sich die Kontrolleerbessert, ohne dass dabei die Grenzen der politischenerantwortung verwischt werden. Die politische Verant-ortung für die Dienste haben das Bundeskanzleramt,as Innenministerium und das Verteidigungsministe-ium. Deshalb ist es ausgeschlossen, dass sich dasremium in operative Vorgänge einmischen oder gareisungen erteilen darf. Es bleibt dabei, dass der Kern-ereich exekutiver Eigenverantwortung vom PKGr nichtngetastet werden darf. Nicht zuletzt wird die Fähigkeiter Dienste, mit internationalen Partnern zu kooperieren,adurch gesichert, dass nur solche Informationen mitge-
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Thomas Oppermannteilt werden können, die der Verfügungsberechtigungdes Bundes unterliegen.Ich komme zum Schluss. Im Ergebnis stellt das neueGesetz eine angemessene Balance zwischen notwendi-ger Vertraulichkeit bzw. Geheimhaltung und möglicherOffenheit dar. Das verbessert am Ende nicht nur dieKontrolle der Dienste, sondern auch ihre Arbeitsfähig-keit. Nur effektiv kontrollierte und dadurch legitimierteDienste sind gute Nachrichtendienste im demokratischenVerfassungsstaat, weil sie das notwendige Vertrauen ge-nießen.Ich bedanke mich.
Nächster Redner ist der Kollege Wolfgang Nešković,
Fraktion Die Linke.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrtenDamen und Herren! Wir diskutieren heute über die par-lamentarische Kontrolle nachrichtendienstlicher Tätig-keiten. Nachrichtendienste können in gefährlicher Weisein die Freiheitsrechte der Bürgerinnen und Bürger ein-greifen. Mit ihren Beobachtungs-, Überwachungsmög-lichkeiten und -techniken können sie Menschen umfas-send bespitzeln und ausforschen. Zahlreiche Affären undSkandale der Geheimdienste haben in der Vergangenheitdie Öffentlichkeit beschäftigt und berechtigterweise fürEmpörung gesorgt. So arbeitet schon von 2006 bis heuteein Untersuchungsausschuss dieses Parlamentes daran,die Verschleppung von Murat Kurnaz, den Einsatz vonBND-Agenten im Irak, die Bespitzelung von Journalis-ten und vieles mehr aufzuklären. In all diesen Fällen hatdie parlamentarische Kontrolle versagt. Dies räumen dieRegierungsfraktionen selbst ein, indem sie unter „Pro-blem und Ziel“ darauf verweisen, dass das Gremium „inmehreren Fällen durch die Bundesregierung frühzeitigerund umfassender“ hätte unterrichtet werden müssen. Esist gut, dass die Regierungsfraktionen dies erkannt ha-ben. Ganz schlecht ist aber, dass sie das Problem nichtgelöst haben.Heute gilt für den Zustand der Geheimdienstkon-trolle: Was wir wissen, ist ein Tropfen, was wir nichtwissen, ist ein Ozean. Wenn der Gesetzentwurf der Re-gierungsfraktionen und der FDP Gesetz würde, müsstees zukünftig heißen: Was wir nicht wissen, ist ein Ozean,was wir wissen, ist eine Pfütze. Denn der Entwurf leidetunter einem ganz entscheidenden Konstruktionsfehler.Der Konstruktionsfehler besteht darin, dass es keinestarken Minderheitenrechte im neuen Gremium gebensoll. Das ist schlecht in einer parlamentarischen Demo-kratie; denn in ihr kontrolliert in erster Linie nicht dasgesamte Parlament die Regierung, sondern die Opposi-tion. Das ist ihr Verfassungsauftrag. Herr Röttgen, daskfIidsadrabdgRsdkFdskdÜdErmWdzesgvmEvdmnsdgdfImu
ch bin gerne bereit, Ihnen die Fundstelle zu geben. Dasst auch ein sinnvoller Verfassungsauftrag.Denn es liegt auf der Hand: Nur die Opposition bringtie nötige Leidenschaft mit, der Regierung nicht nurorgfältig auf die Finger zu schauen, sondern notfallsuch einmal draufzuhauen. Dieser Disziplinierungs-rang ist bei den Regierungsfraktionen, die die Regie-ung unterstützen wollen, naturgemäß nicht besondersusgeprägt. Alle, die in der letzten Zeit zusammengear-eitet haben, wissen, dass ich die Wahrheit sage. Nachem vorgelegten Gesetzentwurf entscheiden also die Re-ierungsfraktionen über das Ausmaß der Kontrolle deregierung, die sie eigentlich beschützen wollen. Das istchlecht und verbessert nicht – das leuchtet jedem ein –ie Kontrolle. Ohne Minderheitenrechte werden wireine wirksame Kontrolle der Geheimdienste erreichen.
Ihnen liegt heute auch ein Gesetzentwurf meinerraktion vor, der dem Kontrollgremium an entscheiden-er Stelle eine neue Aufgabe zuweist. Nach unserem Ge-etzentwurf hat das Bundesamt für Verfassungsschutzünftig die Überwachung eines Bundestagsabgeordnetenem Präsidenten des Bundestages mitzuteilen. Dieseberwachung unterbleibt, wenn ein Fünftel der Mitglie-er des Kontrollgremiums ein Veto einlegt. Mit diesemntwurf stellen wir die Kontrolle in unserer parlamenta-ischen Demokratie vom Kopf zurück auf die Füße. Wirüssen festhalten: Wer ist Koch, und wer ist Kellner?ir, das Parlament, sind der Koch. Es ist die Legislative,ie die Exekutive kontrolliert, nicht umgekehrt.Das freie Mandat gemäß Art. 38 unseres Grundgeset-es stellt ein herausgehobenes Verfassungsgut dar. Es istin Wesensmerkmal unserer Demokratie. Das Grundge-etz schützt die Ausübung dieses Mandates in vielfälti-er Weise. Es schützt vor Strafverfolgungsmaßnahmen,or Beeinträchtigungen wegen Äußerungen und Abstim-ungen im Bundestag oder in den Ausschüssen, vorinschränkungen der persönlichen Bewegungsfreiheit,or der Verwirkung von Grundrechten, vor Maßnahmen,ie die Übernahme oder Ausübung des Abgeordneten-andats erschweren oder verhindern sollen. All das kön-en Sie in Art. 46 und Art. 48 des Grundgesetzes nachle-en.Ein vergleichbarer Schutz des freien Mandates voren Geheimdiensten besteht jedoch nicht. Es ist deswe-en notwendig, eine gesetzliche Regelung zu schaffen,ie Abgeordnete auch vor politisch motivierter Schnüf-elei der Geheimdienste bewahrt.
n unserem Gesetzentwurf ist auch der Schutz des Parla-ents in seiner Arbeitsfähigkeit und Funktionsfähigkeitnd damit der Demokratie vorgesehen. Genau diesen
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Wolfgang NeškoviæWolfgang NeškovićSchutz streben wir mit dieser Regelung an. Ich darf da-her um Ihre Zustimmung bitten.Vielen Dank.
Ich gebe dem Kollegen Hans-Christian Ströbele,Bündnis 90/Die Grünen, das Wort.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Hier sitzen eine ganze Reihe von Mitgliedern des Parla-mentarischen Kontrollgremiums.
Wir alle haben gemeinsam in den letzten Jahren die Er-fahrung gemacht, dass man alle paar Wochen – manch-mal ist es auch jede Woche – von Journalisten angerufenwird. Dann heißt es: Herr Abgeordneter, da steht dochim Ticker oder in der Zeitung wieder etwas von einemneuen Skandal beim Bundesnachrichtendienst oder beimBundesamt für Verfassungsschutz. Sagen Sie doch ein-mal etwas dazu. – Dann erkundigt man sich und stelltfest, dass man davon noch nie etwas gehört hat und dassman sich damit im Parlamentarischen Kontrollgremiumbeschäftigen muss. Auch danach stellt man aber immerwieder fest, dass offenbar die Lektüre des Spiegels, derSüddeutschen Zeitung, manchmal auch der Berliner Zei-tung mehr an Informationen für die Kontrolltätigkeitbringt als die mehr oder weniger langen und anstrengen-den Sitzungen im Parlamentarischen Kontrollgremium.Dazu kann ich nur sagen: Damit muss Schluss sein.
Wir machen jetzt kein Reförmchen, sondern eine Re-form des Kontrollgremiumgesetzes, um diesen Zustandfür die Zukunft zu ändern. Verehrte Kollegen, ich findees hervorragend, dass Sie sich in der Koalition noch sokurz vor den Wahlen hin und wieder auf etwas einigenkönnen. Aber angesichts dieser Gesetzentwürfe muss ichsagen: Das, was dabei herausgekommen ist, ist völligunzulänglich und nicht einmal ein erster Schritt.
Zu dem entscheidenden Problem, von bestimmtenVorgängen aus der Zeitung zu erfahren, dazu, die Bun-desregierung wirklich veranlassen und zwingen zu kön-nen, uns Vorgänge von besonderer Bedeutung – das stehtschon heute im Gesetz – zeitnah mitzuteilen, steht in Ih-rem Gesetzentwurf null Komma nichts.
Darin findet sich nicht einmal der Anschein eines Vor-schlages, wie man das in Zukunft ändern könnte. Wirlassen über unseren Gesetzentwurf mit uns reden, obmAmPDMiisludznsHsa–tsdfkMiPdmFcrdkWdiHzwnhnwiütswmtJu
eute dürfen sich die Abgeordneten nicht einmal Auf-eichnungen machen, die sie mitnehmen können, um et-as nachzuarbeiten oder sie als Erinnerungsstütze zuutzen, in denen sie nach einem Vierteljahr, nach einemalben Jahr, nach zwei Jahren oder nach fünf Jahrenachschauen können, was damals besprochen wurde undas ihnen gesagt wurde. Null Komma nichts. Wenn mann das Sekretariat geht und fragt, ob es dort ein Protokollber die Sitzung gibt, dann erfährt man, dass das Sekre-ariat nur einige Stichpunkte zu diesem Thema aufge-chrieben hat. So kann das nicht weitergehen. Geradeeil das Gremium so abgeschlossen arbeitet, muss esöglich sein, sich darüber zu informieren, wie die Situa-ion vor zwei Monaten, vor einem Jahr oder vor zweiahren war und ob die Bundesregierung wirklich auf dennd den Punkt hingewiesen hat, wie sie es heute behaup-
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Hans-Christian Ströbeletet. Auch in dieser Hinsicht ist Ihr Gesetzentwurf völligunzureichend.
Lassen Sie mich nun auf den letzten Punkt kommen,der bei Ihnen ganz am Anfang steht; der Kollege Röttgenhat damit ja auch angefangen. Es geht darum, dass dasganze Parlament die Kontrollaufgabe wahrnimmt.
Unter dem ganzen Parlament verstehe ich nicht nur neunAbgeordnete. Das Parlament besteht aus mehr als600 Abgeordneten.
Diese anderen über 600 Abgeordneten können dochnicht völlig dadurch von dieser Kontrolltätigkeit ausge-schlossen werden, dass sie überhaupt keine Informatio-nen bekommen, auch wenn sie beispielsweise imRechtsausschuss, im Innenausschuss, im Verteidigungs-ausschuss oder wo auch immer sitzen, wo ähnliche The-men angetippt werden. Ihr Gesetzentwurf sieht in § 1eine Regelung vor – ich hoffe, das ist nicht beabsichtigt –,die die Beschäftigung anderer Abgeordneter und vor al-len Dingen anderer Ausschüsse mit den Themen, die imParlamentarischen Kontrollgremium behandelt werden,geradezu ausschließt.
Herr Kollege Ströbele.
Das halten wir nicht für richtig. Der Passus muss ge-
strichen werden. Damit ist Ihr Gesetzentwurf auf gar
keinen Fall praktikabel. Ich mache Ihnen einen einfa-
chen Vorschlag: Unser Gesetzentwurf war eher da. Das
ergibt sich aus der Drucksachennummer.
Herr Kollege Ströbele.
Er ist besser, er ist besser ausgearbeitet, und er kann
sich sehen lassen. Mit ihm würden wir unsere Probleme
wirklich in den Griff bekommen. Deshalb: Stimmen Sie
ihm zu!
Letzter Redner in dieser Debatte ist der Kollege
Dr. Hans-Peter Uhl, CDU/CSU-Fraktion.
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a gibt es aber Grenzen, die natürlich einzuhalten sind,err Ströbele. Es trennen uns einige Gedanken, auf diech eingehen will.Sie schlagen vor, das Parlamentarische Kontrollgre-ium zu einem Ausschuss wie jeden anderen zu ma-hen.
as kann nicht richtig sein. Dieses Gremium ist ein Aus-chuss sui generis, weil die Tätigkeit, der es nachgeht,ine Tätigkeit sui generis ist. Die Nachrichtendienste,ie heute wichtiger denn je sind, müssen geheim arbei-en. Spätestens seit dem 11. September 2001 können wirie Sicherheit in Deutschland nicht mehr durch nochehr Soldaten, durch noch mehr Polizisten gewährleis-en; für mehr Sicherheit sorgen wir vielmehr durch nochehr nachrichtendienstliche Erkenntnisse.Nicht jeder Dienst kann alles wissen; deswegen brau-hen die einzelnen Dienste den Austausch mit andereniensten, mit Diensten befreundeter Länder auf der gan-en Welt. Daher dürfen wir bei unserer Tätigkeit das Ge-lecht aus nachrichtendienstlichen Erkenntnissen, dasrinzip des Gebens und Nehmens – do ut des – nicht be-inträchtigen. Wenn wir öffentlich darüber berichtenürden, welcher Nachrichtendienst wem welche Er-enntnisse mitgeteilt hat, würde dieser Informationsflussnverzüglich eingestellt werden – zum Schaden
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Dr. Hans-Peter UhlDeutschlands, weil Deutschland dadurch unsichererwürde.
Schon daran erkennt man, wie kompliziert die Dingesind. Da es um eine geheime Tätigkeit geht, muss auchdie Kontrolle geheim erfolgen.Wir sollen über „Vorkommnisse von besonderer Be-deutung“ – so heißt der Schlüsselbegriff – informiertwerden. Dieser Begriff lässt verschiedene Auslegungenzu. Hinzu kommt, dass uns die Bundesregierung undnicht die Dienste informieren. Die Bundesregierungkann Vorkommnisse von besonderer Bedeutung aber nurdann weitergeben, wenn sie vom Präsidenten des Nach-richtendienstes informiert wurde. Der Präsident desNachrichtendienstes kann Vorkommnisse von besonde-rer Bedeutung nur dann weitergeben, wenn er von derLeitungsebene informiert wurde. Die Leitungsebene ih-rerseits kann es nur dann tun, wenn sie von der Arbeits-ebene informiert wurde. Wir haben sämtliche Variantender Desinformation oder der Nichtinformation erlebt;auf irgendeiner Ebene blieb irgendetwas hängen, weswe-gen die Bundesregierung uns nicht informiert hat. Wel-che Stelle Schuld hatte, musste daher von Fall zu Fallentschieden werden.Wir sollten uns davor hüten – Herr Ströbele, auch dasind wir nicht beieinander –, uns in den Kernbereichexekutiver Eigenverantwortung zu begeben.
Das darf auch der Untersuchungsausschuss nicht. Darinsind wir uns eigentlich alle einig. Dazu gibt es eineRechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts.
Der Kernbereich exekutiver Eigenverantwortung istdie Nachrichtendienstliche Lage dienstags vormittags imKanzleramt.
Ströbele will, dass Abgeordnete daran teilnehmen oderzumindest die dort gegebenen Informationen erhalten.
Da trennen uns Welten; da sind wir grundsätzlich ande-rer Meinung. Das ist nicht Aufgabe des Parlaments.
Sie haben gesagt: Das Parlament soll in toto infor-miert werden.
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ir sollten uns zwar eine Arbeitshilfe geben, aber dieöglichkeiten zur Indiskretion nicht mutwillig vergrö-ern.Ich glaube, dass Herr Oppermann die richtigen Worteewählt hat, als er gesagt hat, dass das Parlamentarischeontrollgremium nicht Feind, sondern Partner derienste sein soll. Die Dienste sollen nämlich im Ver-rauen auf die Geheimhaltung durch uns Vorkommnisseon besonderer Bedeutung partnerschaftlich rechtzeitigerichten. Wir müssen wissen, wie wir damit umzuge-en haben: Wir müssen sie für uns behalten, können aberemeinsam darüber diskutieren. Damit wird jeder – derienst, die Regierung und auch wir als Parlamentarier inertretung des Gesamtparlaments – der Rolle eines part-erschaftlichen Umgangs gerecht.Danke schön.
Ich schließe die Aussprache.Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen aufen Drucksachen 16/12411, 16/12412, 16/12189 und6/12374 an die in der Tagesordnung aufgeführtenusschüsse vorgeschlagen. Die Vorlage auf Druck-ache 16/12189 zu Tagesordnungspunkt 32 c soll eben-
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Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastnerfalls federführend im Innenausschuss beraten werden.Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dannsind die Überweisungen so beschlossen.Ich rufe den Tagesordnungspunkt 33 auf:Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre-gierung eingebrachten Entwurfs eines ErstenGesetzes zur Änderung des Artikel-10-Geset-zes– Drucksache 16/509 –Beschlussempfehlung und Bericht des Innenaus-schusses
– Drucksache 16/12448 –Berichterstattung:Abgeordnete Helmut BrandtKlaus Uwe BenneterDr. Max StadlerUlla JelpkeWolfgang WielandNach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für dieAussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Ich hörekeinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der KollegeHelmut Brandt, CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen undHerren im Plenum wie auch auf der Tribüne! Ich möchtezu Beginn, damit die Zuhörerinnen und Zuhörer verste-hen, worüber wir reden, nur kurz deutlich machen: Esgeht um ein Gesetz, das sich auf Art. 10 unseres Grund-gesetzes bezieht, also auf das Post- und Fernmeldege-heimnis.Die erste Änderung des Artikel-10-Gesetzes, über diewir heute beraten, beruht auf Erkenntnissen, die im Zugeeiner Evaluierung gewonnen wurden. Die Evaluierunghat gezeigt, dass dieses Gesetz durchaus seinen Ansprü-chen gerecht wird. Es hat sich aber erwiesen, dass dieden Sicherheitsbehörden zustehenden Befugnisse nichtmehr den tatsächlichen und rechtlichen Gegebenheitengenügen.
Mit anderen Worten, Herr Ströbele: Die derzeitigen Be-fugnisse der Sicherheitsbehörden sind nicht hinreichendfür eine effektive Erfüllung ihrer Aufgaben.
Ich nenne ein Beispiel: Ein junger Deutscher tune-sischer Abstammung steht in Verdacht, die im Septem-ber 2007 festgenommene Sauerland-Zelle dadurch un-terstützt zu haben, dass er Zünder aus der Türkei nachDeutschland geschmuggelt hat. Trotz dieses bestehendenVerdachts konnte kein auf den damals erst 15-Jährigenbezogener Informationsaustausch stattfinden. Begründung:EuRsPnFfu1adzsGk4mRgAtaDdndtugrÜGddkmhdriAdkbbrnddbsBs
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Zunächst ist darauf zu verweisen, dass wir es mit ei-nem äußerst sensiblen Bereich zu tun haben, der denDeutschen Bundestag erstmals in dieser Form im Jahr1968 beschäftigt hat, als die erste Große Koalition ausCDU/CSU und SPD regiert hat. Damals, am 13. August1968, ist das Gesetz zur Beschränkung des Brief-, Post-und Fernmeldegeheimnisses – es heißt G-10-Gesetz,weil es Art. 10 des Grundgesetzes einschränkt – in Kraftgetreten. Dagegen gab es eine Verfassungsklage. DasBundesverfassungsgericht hat das Gesetz mit Mehrheitfür verfassungskonform erachtet, jedenfalls im Grund-satz, wenn es später auch Details beanstandet hat. Es gababer das berühmte Sondervotum der Verfassungsrichte-rin Wiltraud Rupp-von Brünneck, das Rechtsgeschichtegeschrieben hat. Sie schrieb in dieses Sondervotum:Principiis obsta – wehret den Anfängen!
Das war der erste Schritt zur Abkehr von rechtsstaat-lichen Grundsätzen, weil mit diesem Gesetz der damali-gen Großen Koalition die richterliche Kontrolle bei ei-nem Grundrechtseingriff beseitigt worden ist.
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Dieses verdienstvolle Bemühen der G-10-Kommis-ion wird meiner Meinung nach teilweise konterkariert,ndem mit dem heute vorliegenden Gesetzentwurf schonieder Erweiterungen der Eingriffsbefugnisse der Nach-ichtendienste geschaffen werden, ohne dass sie zwin-end notwendig sind. Ich nehme das Beispiel auf: Ist esenn unumgänglich, die Daten Jugendlicher zu spei-hern? Was ist der nächste Schritt?
n einem Bundesland gab es kürzlich die Speicherunger Daten von Kindern. Wollen wir das wirklich? Wiraben doch eines aus dem BND-Untersuchungs-usschuss gelernt: Es gibt oft Verdachtsmomente, dieich aus zweiter Hand speisen und die äußerst vage sind.as ist nicht so, wie wenn vor Gericht nach einem strik-en Verfahren etwas festgehalten wird. Deshalb mussan, wenn es darum geht, schon Jugendliche oder garinder zu erfassen, äußerst vorsichtig sein.
Ich frage mich auch, ob Schleuserkriminalität Gegen-tand der strategischen Fernmeldeaufklärung sein muss.chleuserkriminalität ist strafrechtlich gesehen Unrecht.ir können den BND aber nicht auf alle Straftaten an-etzen. Es muss klar getrennt werden zwischen Geheim-ienstarbeit und Polizeiarbeit.
Ich komme zum Schluss. Das Verfahren, das dieroße Koalition gewählt hat, ist eine Zumutung. Sie ha-en den Gesetzentwurf im Jahr 2006 eingebracht. Dannlieb er drei Jahre bei Ihnen liegen. Am letzten Freitagind Sie mit zahlreichen Änderungen gekommen, dieeute in zweiter und dritter Lesung durchs Parlament ge-en sollen. Das ist jetzt ein völlig anderer Gesetzentwurf
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Dr. Max Stadlerals der, den Sie vor drei Jahren eingebracht haben. Siehaben sich mit dieser Vorgehensweise die erste Lesungfür diesen völlig neuen Gesetzentwurf, den Sie uns letz-ten Freitag um 14 Uhr per Fax ins Büro geschickt haben,gespart. Sie haben so eine korrekte Behandlung in denAusschüssen, vielleicht mit Sachverständigenanhörung,umgangen, und das in einem Bereich, der grundrechts-relevant ist. Dem können wir nicht zustimmen.Vielen Dank.
Für die SPD-Fraktion gebe ich das Wort dem Kolle-
gen Klaus Uwe Benneter.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Kolle-ginnen und Kollegen! Ich zitiere zunächst aus demGrundgesetz, damit die Zuhörerinnen und Zuhörer, dieetwas zahlreicher als wir erschienen sind, auch etwasvon unserer Debatte haben. In Art. 10 des Grundgesetzesheißt es:
Das Briefgeheimnis sowie das Post- und Fern-
meldegeheimnis sind unverletzlich.
Beschränkungen dürfen nur auf Grund eines
Gesetzes angeordnet werden. Dient die Beschrän-kung dem Schutze der freiheitlichen demokrati-schen Grundordnung oder des Bestandes oder derSicherung des Bundes oder eines Landes, so kanndas Gesetz bestimmen, dass sie dem Betroffenennicht mitgeteilt wird und dass an die Stelle desRechtsweges die Nachprüfung durch von derVolksvertretung bestellte Organe und Hilfsorganetritt.Um das Gesetz, das in Art. 10 des Grundgesetzes ermög-licht wird, geht es.
Deswegen heißt es gemeinhin G-10-Gesetz.Das G-10-Gesetz ist zuletzt vor acht Jahren novelliertworden, im Jahre 2001, allerdings vor September 2001.Dann hat – Kollege Brandt hat darauf hingewiesen –eine Evaluierung stattgefunden. Wie er will auch ich dieZuhörer einbeziehen: Es ist also überprüft worden, obdas Gesetz in der Praxis etwas taugt, ob es standhält. Da-bei hat sich herausgestellt, dass das Gesetz im Wesentli-chen gut gemacht ist und lediglich in einigen Details,insbesondere im Hinblick auf die Entwicklung des inter-nationalen Terrorismus, Anpassungen erfahren muss.Dann ist lange an den Änderungen gearbeitet worden.Im Jahre 2006 – der Kollege Stadler hat darauf hinge-wiesen – hat es den Entwurf gegeben.DEdsmcmsEfuwDdnElpgtrDhakWüBvVWehgdwibm
ieser Entwurf ist unter Rot-Grün entstanden.
r ist dann, Herr Ströbele, als rot-schwarzer Entwurf iner neuen Legislaturperiode eingebracht worden. Dasage ich nur vorsorglich, weil ich weiß, dass Sie nachir sprechen werden und unter Umständen alles Mögli-he kritisieren werden. Es ist unser damaliger gemeinsa-er Entwurf, den wir heute hier beraten.
Wegen des Vorrangs des BKA-Gesetzes, das ebenfallsehr ausführlich beraten werden musste, haben wir denntwurf damals zurückgestellt. Richtig ist, dass – auchür uns ganz plötzlich – mit einer sehr weitgehenden undmfassenden sogenannten Formulierungshilfe versuchturde, uns einen neuen Gesetzentwurf unterzujubeln.a haben wir nicht mitgemacht. Wenn Sie jetzt sagen,as sei ein neuer Gesetzentwurf geworden, dann ist dasicht richtig. Wir haben es im Wesentlichen bei demntwurf, den wir unter Rot-Grün entwickelt haben, be-assen und ihn lediglich an ein paar Entwicklungen ange-asst.Ich nenne die vier wesentlichsten Punkte: Erstenseht es darum, den Schmuggel von Kriegswaffen zu un-erbinden, hier also bessere Möglichkeiten zur Aufklä-ung zu schaffen.
as gilt nur für Schiffe, die außerhalb deutscher Ho-eitsgewässer unterwegs sind; sonst ist das Zollkriminal-mt zuständig.Zweitens geht es um bedeutsame Fälle von Schleuser-riminalität, die sich erst in den letzten Jahren in diesereise international entwickelt hat.Drittens geht es darum, deutsche Handys im Auslandber ihre Telefonnummern lokalisieren zu können, zumeispiel im Falle einer Entführung.
Viertens werden die Nachrichtendienste dazu befugt,on sich aus bei den Finanzämtern nachzufragen, ob einerein gemeinnützig ist oder nicht. Das ist sehr sinnvoll.ir fragen uns doch immer, weshalb rechtsradikale Ver-ine von uns noch unterstützt werden. Oftmals stellt sicheraus, dass sie unerkannt weiterhin als gemeinnützigeführt werden.Das sind die vier wesentlichen Neuerungen, die iniesen Gesetzentwurf eingeflossen sind, und das habenir gemeinsam verabredet.Was seitens unseres Koalitionspartners, vor allem desn diesen Fragen unersättlichen Innenministers, einzu-ringen versucht wurde, was wir aber nicht aufgenom-en haben, sind die Vorratsdatenspeicherung und der
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Klaus Uwe BenneterZugriff durch die Verfassungsschutzbehörden. Das wirdes mit uns nicht geben. Ebenso wird die NADIS-Dateikeine Volltextdatei werden, sondern eine Indexdatei blei-ben. Die NADIS-Datei ist eine Datei, mit deren Hilfe dieVerfassungsschutzbehörden untereinander Informatio-nen austauschen können und auf die sie gemeinsam zu-greifen können.Wir haben erreicht, dass der Kernbereichsschutz aus-geweitet wurde. Er ist so formuliert wie in der Strafpro-zessordnung und wie im Bundeskriminalamtgesetz.
– Sie haben das immer kritisiert. Auch der Bundesdaten-schutzbeauftragte hat das in den letzten Tagen kritisiertund sich darauf bezogen, dass Erkenntnisse aus demKernbereich privater Lebensgestaltung eine Telefon-überwachung von vornherein ausschließen. Das ist klar.
Wir haben die Regelung getroffen, dass, wenn sich erstim Laufe einer Überwachung herausstellt, dass derKernbereich betroffen ist, die Überwachung sofort zuunterbrechen ist, weil der Kernbereichsschutz Vorranghat. Das heißt, die Menschen in unserem Lande sollenprinzipiell unkontrolliert telefonieren und Briefe austau-schen können.
Das muss auch weiterhin gewährleistet sein; denn beiuns sind Aktivitäten von Geheimdiensten grundsätzlichnur ausnahmsweise gerechtfertigt.Zu dem Kritikpunkt, was die Speicherung von DatenMinderjähriger angeht. Wir haben die gewünschte Rege-lung, das Alter generell herabzusetzen, verhindert. Esgibt lediglich im Einzelfall die Möglichkeit, die Datenzu speichern. Das setzt aber voraus, dass ganz konkreteErfahrungen und Erkenntnisse vorhanden sind.
Aber es darf natürlich nicht so weit gehen, wie es nachder Meinung des Datenschutzbeauftragten sein müsste.Er verkennt einfach den Unterschied zwischen polizeili-chen Aufgaben und den Aufgaben der Geheimdienste.Herr Kollege Stadler, Sie haben selbst auf diesen Unter-schied hingewiesen. Da muss es eine klare Trennung ge-ben. Die Geheimdienste untersuchen keine Gefahrenla-gen, erst recht keine konkreten Gefahrenlagen. Dafür istdie Polizei im Rahmen von Strafverfolgungsmaßnahmenzuständig. Die Geheimdienste sollen aber weiterhin imVorfeld Aufklärungsarbeit leisten. Wenn Minderjährigeals Boten für Waffen, Munition oder Sprengstoff einge-setzt werden, muss es im konkreten Einzelfall möglichsein, entsprechende Daten speichern und übermitteln zukdGpaHdsa–vBIzbzdwsLImawümtddßkbG
Ich meine, dass es uns gelungen ist, zu einem gutenesetz zu kommen, das sich sehen lassen kann. Die ge-lanten Änderungen sind sinnvoll, wohlüberlegt unduch lange beraten worden.
err Kollege Stadler, Sie beschweren sich zu Unrechtarüber, dass es erst in letzter Minute Formulierungsvor-chläge gab. Wir jedenfalls haben sie sehr eingehend undusführlich beraten.
Das sind die Koalitionsfraktionen, die für das Gesetzerantwortlich sind.
Wir geben den Geheimdiensten einige wenige neueefugnisse, für die ein unabweisbares Bedürfnis besteht.m Gegenzug schaffen wir mit den Regelungen geradeum Kernbereichsschutz für die zeugnisverweigerungs-erechtigten Personen und erst recht mit den Regelungenu den Benachrichtigungen einen wesentlich umfassen-eren Schutz für die Betroffenen. Das ist eine verant-ortliche Politik mit klarer sozialdemokratischer Hand-chrift.Vielen Dank.
Das Wort hat die Kollegin Petra Pau, Fraktion Die
inke.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!ch beginne mit einem Dank an meine Vorredner. Ichuss jetzt nicht mehr Art. 10 Abs. 1 und 2 vorlesen, weillle, die an dieser Debatte teilnehmen, schon wissen,orum es geht. Ich will aber ergänzen: Die Kontrolleber die tatsächlichen Eingriffe in das Post- und Fern-eldegeheimnis obliegt den Organen der Volksvertre-ung. Auch das regelt Art. 10 des Grundgesetzes. Mitem G-10-Gesetz werden Geheim- und Nachrichten-ienste befugt, das beschriebene Grundrecht gezielt au-er Kraft zu setzen. Darin liegt die Brisanz dieses Arti-els und aller Regelungen, die wir hierzu beraten undeschließen.Es wurde auch schon gesagt, dass das geltende G-10-esetz aus dem Jahre 2001 stammt. Ich habe damals mit
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Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 215. Sitzung. Berlin, Freitag, den 27. März 2009 23423
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Petra PauNein gestimmt – übrigens im Unterschied zu den Grü-nen. Bereits seinerzeit hatten Datenschützer und Bürger-rechtler moniert, dass der Eingriff in das Fernmeldege-heimnis von einer absoluten Ausnahme immer mehr zueinem üblichen Regelfall wird.In diese Negativrichtung zielen nun auch die Ände-rungen, die heute beschlossen werden sollen. Die Befug-nisse des BND werden ausgeweitet, ebenso die Fälle, beidenen das Fernmeldegeheimnis außer Kraft gesetzt wer-den darf. Es ist also naheliegend und sicherlich auchnachvollziehbar, dass die Fraktion Die Linke dazu erneutNein sagen wird.
Hinzu kommt – wir haben es beim letzten Tagesord-nungspunkt debattiert –: Alle Fraktionen beschwerensich aktuell darüber, dass sich der Bundesnachrichten-dienst nicht in die Karten schauen lässt. Aber wenn wirkeine hinreichende parlamentarische Kontrolle über dasTun und Lassen des BND haben, dann ist es recht unlo-gisch, ihn jetzt vorauseilend mit weiteren Befugnissenund Sonderregeln auszustatten. Wir sollten vielleicht ersteinmal die Kontrolle hinreichend regeln und dann weiterdarüber reden.
Ein weiterer Kritikpunkt der Fraktion Die Linke hatschon eine Rolle gespielt: Der vorliegende Gesetzent-wurf ist rund drei Jahre alt. Kurz vor Beratungsschlusswurde noch eine Vielzahl von Änderungen vorgenom-men, allerdings nicht nur ohne die Opposition über die-ses Vorhaben rechtzeitig in Kenntnis zu setzen, sondernauch ohne den Bundesbeauftragten für den Datenschutzin Kenntnis zu setzen, dass man so etwas einbringenwill, geschweige denn seinen Rat einzuholen.
Ich muss sagen: Ein Schelm, Kollege Benneter, wer da-bei an Zufall denkt!
Trotzdem hat Peter Schaar vorgestern dem Bundestageine erste Stellungnahme zu diesen Änderungsanträgenzugeschickt. Der Kern seines Kurzgutachtens ist: Er hältden nun verändert vorliegenden Entwurf für nicht mitdem Grundgesetz vereinbar. Nun weiß man, dass esmanch einen im Hause gibt, den das nicht stört, der esmit dem Grundgesetz nicht so genau nimmt. Die Linkenimmt es sehr genau.
Ich finde, Sie sollten nicht ständig nach Karlsruhe schie-len, in der Hoffnung, dass Sie dort die nötige Politikbe-ratung bekommen, um ein richtiges Gesetz zu machen.
Gerade weil es um verbriefte Bürgerrechte geht, wirdsich die Linke auf die Seite der Verfassung stellen undsie schützen. Wir werden folglich keinem Gesetzentwurfzustimmen, der über die Bestimmungen des Art. 10 desGrundgesetzes, die eingangs zitiert wurden, hinwegzieltuBSGEdwbr2bngsmadnnBwfWfbsjziPzrVEdagsvu
nd dessen Einhaltung im Übrigen aktuell durch denundestag überhaupt nicht zu kontrollieren ist.
Ich gebe das Wort dem Kollegen Hans-Christiantröbele, Bündnis 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!s ist richtig: Dieses sogenannte G-10-Gesetz, unterem sich der normale Mensch nichts vorstellen kann,urde unter Rot-Grün immer wieder behandelt. Wir ha-en nach einer Entscheidung des Bundesverfassungsge-ichtes aus einem alten verfassungswidrigen Gesetz001 ein verfassungsgemäßes Gesetz gemacht. Wir ha-en gleichzeitig eine Evaluierung vorgesehen. Diese hatach zwei Jahren stattgefunden und zu einem Ergebniseführt. Daraufhin haben wir uns wieder zusammenge-etzt und gefragt: Was muss jetzt geändert werden? – Souss ein Gesetzgeber arbeiten.Wir haben dann 2004/2005 einen neuen Vorschlag er-rbeitet, der aber, weil einem gewissen Gerhard einfiel,ass er die Legislaturperiode besser vorzeitig beendet,icht mehr zum Zuge gekommen ist. Wir waren unsicht in allen Punkten einig, aber etwa – Herr Kollegeenneter, ich gebe Ihnen recht – bei der Proliferation,enn es also darum geht, den Transport von Kriegswaf-en und sogenannten Dual-Use-Gütern, aus denen manaffen herstellen kann, zu unterbinden. Wir waren da-ür, hier entsprechende Regelungen anzuwenden. Aberei den Schleusungen, beim Menschenhandel waren wirehr skeptisch; das war damals sehr streitig. Es ist danna zu keinem Gesetz mehr gekommen.Nun haben Sie 2006 einen neuen Vorschlag vorgelegt,u dem ich nicht sehr viel sagen möchte. Der Vorschlagn Bezug auf die Proliferation ist in Ordnung. Andereunkte sind nicht in Ordnung.Was Sie aber vor wenigen Tagen, vom Kollegen Uhlugeschickt, nachgeliefert haben, ist keine kleine Ände-ung; die Änderungen umfassen 22 Seiten.
iele Paragrafen des Gesetzentwurfes wurden geändert.s gibt neue Formulierungen und alte Formulierungen,ie verändert worden sind. Es gibt Formulierungen, dieus dem BKA-Gesetz übernommen worden sind. Soeht es wirklich nicht. Wir können darüber in den Aus-chüssen nicht mehr reden. Sie wollen das heute im Eil-erfahren durchziehen. Das, was Sie hier versuchen, istnparlamentarisch und undemokratisch.
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Hans-Christian StröbeleJetzt komme ich zu den Inhalten. Dieser Gesetzent-wurf, den Sie jetzt verabschieden wollen, Herr KollegeBenneter – –
Herr Kollege Ströbele, gestatten Sie eine Zwischen-
frage des Kollegen Benneter?
Klar. Wir sind ja Berliner und können noch ein biss-
chen diskutieren.
Herr Kollege Ströbele, ich bin sowohl Mitglied des
Innenausschusses als auch des Rechtsausschusses. In der
Sitzung des Innenausschusses in dieser Woche hat nicht
ein einziger Abgeordneter, auch keiner aus der Opposi-
tion, das Wort in der Beratung dieses Gesetzentwurfs ge-
wünscht. Über den Gesetzentwurf ist ohne Debatte abge-
stimmt worden.
Stimmen Sie mir zu, dass lediglich im Rechtsaus-
schuss der Abgeordnete Ströbele das Wort ergriffen hat
und auf die Bedenken des Bundesdatenschutzbeauftrag-
ten hingewiesen hat? Mehr ist über diesen Gesetzent-
wurf nicht debattiert worden.
Im Innenausschusses war ich nicht anwesend. Dazu
kann ich nichts sagen. Ich weiß nicht, seit wann die Kol-
legen diese 22 Seiten vorliegen hatten. Darüber müssen
Sie sich gleich vielleicht mit dem Kollegen Wieland in
einem Streitgespräch auseinandersetzen.
Sie haben recht, was den Rechtsausschuss angeht.
Wenn Sie dieser Ihrer Obliegenheit als Mitglied des
Rechtsausschusses nachgekommen wären, hätten Sie
den Kollegen Ströbele, also mich, gehört.
Ich hätte Ihnen schon dort meine Bedenken vorgetragen
und erläutert, die sind dort allerdings nicht auf viel Ge-
genliebe gestoßen – leider.
Wenn Sie in der Sitzung des Rechtsausschusses meine
Bedenken ernst genommen hätten, hätten wir uns heute
vielleicht eine Diskussion über den einen oder anderen
Punkt ersparen und die Debatte abkürzen können. Also:
Immer auf Ströbele hören!
Jetzt komme ich zu den inhaltlichen Punkten. Sie ha-
ben aus dem BKA-Gesetz die Formulierung übernom-
men, dass dann, wenn klar ist, dass ein Sachverhalt al-
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olche Fälle werden Sie ausschließen können. Die gibt
s so gut wie nie.
as heißt, das, was Sie da reinschreiben, ist ein Placebo.
Die andere Regelung, die Sie aus dem BKA-Gesetz
bernommen haben, zu dem, was sonst aufgezeichnet
ird – nach dem BKA-Gesetz soll sich das dann ein
ichter ansehen und entscheiden, ob man das benutzen
arf oder nicht –, ist ein schlechter Witz. Da Sie den
ichter nicht beauftragen können, sagen Sie, das soll ein
itglied der G-10-Kommission sein. Nehmen wir den
ollegen Stadler, der Mitglied in der G-10-Kommission
st:
ch stelle mir jetzt vor, wie der Kollege Stadler Woche
ür Woche, Tag für Tag, da sitzt und sich die Tonbänder
on den abgehörten Telefongesprächen anhört, mög-
ichst unter Hinzuziehung eines Dolmetschers. Das ist
och völlig lebensfremd. Das funktioniert doch nie.
enn Sie sich den vollen Terminkalender des Herrn
tadler anschauen, stellen Sie fest, dass er nicht einmal
ünf Minuten Zeit hat, um sich das anzuhören. Das ist
in völlig untauglicher Vorschlag. Den können Sie
leich zu den Akten nehmen.
Nun kommen wir zu der Kinderdatei. Der Kollege
enneter hat gesagt, dass wir bei einer klaren Gefahren-
age, wenn von einem Kind die Gefahr ausgeht, Gesprä-
he des Kindes aufnehmen und speichern können müs-
en. Das Kind könnte ja den Zünder oder die Pistole
ringen, und dadurch könnte eine brenzlige Situation
ntstehen.
as steht in Ihrem Vorschlag aber leider nicht drin, Herr
ollege Uhl. Wenn Sie das wenigstens hineingeschrie-
en hätten! In dem Gesetzentwurf steht aber, dass das
öglich ist, wenn „nicht ausgeschlossen werden kann“,
ass von dem Vorgang eine Gefahr ausgeht. Können Sie
o etwas jemals ausschließen? Nehmen wir einmal an,
ie haben einen vagen Hinweis aus irgendeiner Szene.
önnen Sie dann ausschließen, dass von dem Kind eine
efahr ausgeht, auch wenn der Hinweis noch so vage,
och so unvollkommen und noch so zweifelhaft ist?
Herr Kollege Ströbele, ich muss Sie an Ihre Redezeitrinnern.
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Ausschließen können Sie das nie. Sie wollen eineKinderdatei einführen. Das halten wir für unzulässig.Auch aus diesem Grund lehnen wir diesen Gesetzent-wurf ab. Den Änderungsvorschlag –
Herr Kollege Ströbele!
– lehnen wir ab, auch weil er nicht beraten werden
konnte.
Letzter Redner in dieser Debatte ist der Kollege
Stephan Mayer, CDU/CSU-Fraktion.
Sehr verehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten
Kolleginnen! Sehr geehrte Kollegen! Es ist unbestreit-
bar, dass dem G-10-Gesetz eine außerordentlich hohe
gesellschaftspolitische, rechtspolitische, aber auch si-
cherheitspolitische Bedeutung zukommt. Wenn in einer
freiheitlich-demokratischen Gesellschaft wie der deut-
schen ein Eingriff in elementare Freiheitsrechte wie das
Briefgeheimnis, das Postgeheimnis oder das Fernmelde-
geheimnis vorgenommen wird, dann darf dies – das ist
in diesem Haus Gott sei Dank Konsens – nur in ganz
engen Grenzen – die Hürden dafür sind hoch – und nur
in ganz wenigen Ausnahmefällen erfolgen.
Angesichts dieses sehr schwierigen verfassungsrecht-
lichen Hintergrundes gilt es, besondere Sorgfalt an den
Tag zu legen, wenn Hand an das G-10-Gesetz gelegt
wird.
Mit dem jetzt vorliegenden Gesetz werden wir diesem
Anspruch aber in vollem Umfang gerecht. Meine sehr
verehrten Kollegen von der Opposition, es trifft nicht zu,
dass hier ein großer Rundumschlag gemacht wird. Viel-
mehr wird in ganz wenigen Ausnahmefällen geringinva-
siv in das G-10-Gesetz eingegriffen.
Herr Kollege Stadler, es ist richtig, dass wir uns mit
der Beratung dieses Gesetzes viel Zeit gelassen haben.
Dies war aber auch notwendig, um insbesondere der ge-
änderten Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerich-
tes, aber auch – ich erinnere an den 11. September 2001
und den Umstand, dass seit diesem Tag insgesamt sieben
terroristische Angriffe auf deutschem Boden versucht
wurden – den geänderten Sicherheitsbedürfnissen und
der erhöhten Bedrohungssituation in Deutschland und
außerhalb Deutschlands Rechnung zu tragen. Die
Punkte, die jetzt aufgenommen wurden, sind meines Er-
achtens außerordentlich notwendig, um unsere Sicher-
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s ist nur recht und billig, dass der Bundesnachrichten-
ienst nunmehr die Möglichkeit haben wird, sowohl die
erätenummer als auch die Mobiltelefone der entführten
eutschen zu orten.
Ein weiterer wichtiger Punkt – das Stichwort Prolife-
ation ist schon gefallen –: Leider wird immer mehr
uklearwaffenfähiges Material verschifft; viele Trans-
orte erfolgen auf dem Seeweg. Bisher war es nicht
öglich, Telefone auf deutschen Schiffen außerhalb
eutscher Hoheitsgewässer zu überwachen. Dies wird
etzt nach der Änderung dieses Gesetzes möglich. Es
ann doch nicht sein, dass unsere Sicherheitsbehörden
uschauen müssen, wenn sich auf deutschen Schiffen
ekanntermaßen nuklearwaffenfähiges Material oder
riegswaffen befinden sollten, die dann im Zielland
öglicherweise dazu benutzt werden, Angriffe auf deut-
che Truppen oder sonstige deutsche Staatsangehörige
u unternehmen. Es kann uns aber genauso wenig recht
ein, wenn diese Kriegswaffen oder anderes Material
azu benutzt werden, Angriffe auf andere Staaten zu un-
ernehmen. Deswegen ist es richtig, dass wir mit diesem
eringinvasiven Eingriff in das G-10-Gesetz der verän-
erten Sicherheitssituation in Deutschland, aber auch
eltweit Rechnung tragen.
Ich halte es – das sage ich auch ganz offen – für ein
tückweit verantwortungslos, wie sich die Opposition
ei diesem wichtigen Gesetz verhält. Dieses Gesetz stellt
inen angemessenen Ausgleich dar zwischen den wichti-
en Sicherheitsinteressen Deutschlands und dem Schutz
ichtiger Individualrechtsgüter von deutschen Staats-
ngehörigen im Ausland einerseits und dem berechtigten
nd gar nicht zu unterschätzenden Anspruch des Staates
ndererseits, wichtige Freiheitsrechte wie das Fern-
elde-, Brief- oder Postgeheimnis zu wahren.
Herr Kollege Mayer, Sie müssen zum Schluss kom-en.
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Diese praktische Konkordanz wird mit diesem Gesetz
in vollem Umfang erfüllt. Deswegen kann ich Sie wirk-
lich nur alle ermuntern und auffordern, diesem Gesetz
zuzustimmen.
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Ab-
stimmung über den von der Bundesregierung einge-
brachten Gesetzentwurf zur Änderung des Artikel-10-
Gesetzes. Der Innenausschuss empfiehlt in seiner Be-
schlussempfehlung auf Drucksache 16/12448, den Ge-
setzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 16/509
in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejeni-
gen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zu-
stimmen wollen, um das Handzeichen. – Gegenstim-
men? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist damit in
der zweiten Beratung mit den Stimmen der Koalition bei
Gegenstimmen der Opposition angenommen.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung: Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wol-
len, sich zu erheben. – Gegenprobe! – Enthaltungen? –
Der Gesetzentwurf ist damit auch in der dritten Beratung
mit den Stimmen der Koalition bei Gegenstimmen der
Opposition angenommen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 34 auf:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Arbeit und Soziales
zu dem Antrag der Abgeordneten
Katrin Kunert, Katja Kipping, Dr. Gesine
Lötzsch, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
DIE LINKE
Keine Anrechnung der Abwrackprämie bei
ALG II und Eingliederungshilfe
– Drucksachen 16/12114, 16/12358 –
Berichterstattung:
Abgeordneter Karl Schiewerling
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Ich höre
keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Kolle-
gin Gabriele Lösekrug-Möller, SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! LiebeKolleginnen und Kollegen! Wir behandeln den Antragder Linken „Keine Anrechnung der Abwrackprämie beiALG II und Eingliederungshilfe“. Zu den unzähligenAnträgen der Fraktion Die Linke zu Veränderungen desSGB ist ein weiterer hinzugekommen. Wir wissen: Erwird nicht der letzte sein. Betrachtet man diese Serie, be-stätigt sich der Eindruck, dass sie alle – mal mehr, malweniger – populistisch belegen sollen, wie unzureichenduMdgInrbßMt„runrddsnsTlbktaSkzlBlLlqsdgWmrAW
oweit ich weiß, kommt aus der Spitze der Fraktion einlares Nein. Das Bundesministerium für Arbeit und So-iales ist davon überzeugt, dass die gesetzliche Grund-age zu einer Anrechnung zwingt. Der Präsident desundessozialgerichtes vertritt in der Presse die gegentei-ige Auffassung.
ogischerweise liegen jedoch noch keine Urteile, garetztinstanzliche, vor. Deshalb äußert er sich auch nichtua Amt.Die SPD-Fraktion hat sich selbstverständlich mit die-er Frage befasst. Für uns – das darf ich sagen – ist dieerzeitige Praxis und damit die Gesetzeslage unbefriedi-end.
ir sehen in der Umweltprämie ein Marktanreizinstru-ent. Sie ist eine der vielen Antworten auf die schwie-ige wirtschaftliche Lage und soll dazu beitragen, in deruto- und Zulieferindustrie Arbeitsplätze zu erhalten.ir haben es – Frau Kipping, das ist auch für Sie interes-
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Gabriele Lösekrug-Möllersant – also mit einem einzigartigen Impuls der Nachfra-gesteigerung zu tun.
Bezieher und Bezieherinnen von Grundsicherung, Ar-beitssuchende und Menschen mit Behinderungen davonauszuschließen, halten wir für falsch.
Denn auf der einen Seite nehmen wir Mitnahmeeffektehin. Ich bin sicher, dass das unvermeidbar ist, wenn manbürokratischen Aufwand gering halten will. Wir dürfenjedoch andererseits nicht Personengruppen ausschließen,die aus meiner Sicht ganz besonders auf einen Zuschussangewiesen sind, um sich ein neues kleines Auto kaufenzu können.Ich komme aus einer ländlichen Region. Dort sind dieWege zur Arbeit – auch zu der Arbeit, die man sucht –weit. Der ÖPNV ist nicht mit der BVG in Berlin zu ver-gleichen.
Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Seifert?
Ja, selbstverständlich.
Liebe Frau Kollegin, Sie sagen, dass Sie selbst nicht
so genau wissen, wer in den Koalitionsfraktionen bei
dieser Frage wofür steht. Sie haben jetzt gerade gesagt,
die SPD-Fraktion sei dagegen, dass Menschen mit Be-
hinderungen, die auf einen Pkw angewiesen sind und
laut Eingliederungshilfe eingegliedert werden sollen,
diese Abwrackprämie auf ihr ohnehin geringes Einkom-
men angerechnet bekommen. Sie sagen, Sie sind dage-
gen. Aber Ihre Kollegin Silvia Schmidt macht großes
Theater, dass es eine Sauerei sei, dass es angerechnet
werde. Was ist denn nun die Meinung der SPD-Fraktion,
und warum lassen Sie nicht einfach offen abstimmen?
Dann würden wir sehen, wie die Mehrheiten hier sind.
Herr Kollege Seifert, Ihre Frage hätte sich erübrigt,wenn Sie meine nächsten Sätze gehört hätten. Wir alsSPD-Fraktion – dazu gehört auch meine Kollegin SilviaSchmidt – sind definitiv dafür, herbeizuführen, dass dieUmweltprämie als nicht anzurechnendes Einkommengilt.
Dazu möchte ich gerne noch einige Ausführungen ma-chen.Bevor Sie Ihre Zwischenfrage stellten, war ich geradedabei, zu schildern, dass jene, die in meiner Heimat Ar-bfcNagdFdBhEdDHrWnUlsRmddtka–sKrILp
eshalb verlangt die SPD-Bundestagsfraktion auch iminblick auf Menschen mit Behinderung die Nichtan-echnung auf das Einkommen.Wie können wir das erreichen?
ir appellieren ganz herzlich an unseren Koalitionspart-er.
nsere Bereitschaft, mit Ihnen eine gesetzliche Klarstel-ung vorzunehmen, ist da.
Ich erlaube mir noch eine Anmerkung an die Antrag-teller und verweise auf den Beginn meiner kurzenede. Die Sozialpolitik der Bundesrepublik Deutschlanduss weiterentwickelt werden, wenn sie den Herausfor-erungen heute und in Zukunft gerecht werden soll; ichenke, hier sind wir alle einer Meinung. Sozialdemokra-en und Sozialdemokratinnen arbeiten daran, und zwaronstruktiv. Dazu gehört, dass wir Ihren Antrag heuteblehnen.
Man merkt wirklich, dass Ihnen das Regierungsge-chäft mehr als fremd ist. – Wir werden im Rahmen deroalition nach einer Lösung suchen; denn wir wollen se-iös handeln.
ch habe die herzliche Bitte, dass wir uns bemühen, zurösung dieses Problems noch in dieser Legislatur-eriode eine Mehrheit zu bekommen.Vielen Dank.
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Ich gebe das Wort dem Kollegen Heinz-Peter
Haustein, FDP-Fraktion.
Verehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Da-
men und Herren! Sicherlich kennen Sie alle Captain
Flint und Die Schatzinsel. Das Thema ist Ihnen bestimmt
bekannt. Bei Schätzen geht es nicht nur darum, dass im
Erzgebirge Schätze gesucht werden, sondern es geht
auch um Wracks.
Beim „Wrack“ dürfen wir dann wieder an das neu kon-
struierte Wort „Abwrackprämie“ denken.
Für den einen Teil ist sie etwas Gutes. Sie hilft der
Autoindustrie, aber eben nur dieser, vor allem den Auto-
händlern. Angesichts der Kriterien, die im Rahmen der
Abwrackprämie angesetzt werden, geht es allerdings
weniger um deutsche Autos, sondern um Autos aus
Korea oder Rumänien.
Wie dem auch sei. Auch ich bin Mittelständler und
freue mich, wenn man den Autohäusern helfen kann und
es ihnen besser geht. Ich vertrete eine Branche, in der
Aufzüge gebaut werden, „ Fahrstühle“, wie die Leute sa-
gen. Meine Kollegen fragen mich: Wieso gibt es diese
Prämie eigentlich nur für Autos? Warum gibt es sie nicht
auch zum Beispiel für Fahrstühle?
Warum kann man nicht die Aufzüge aus alten Häusern
herausreißen, sie modernisieren und dann wieder ein-
bauen? Wieso gibt es eine solche Prämie nicht auch für
alte Waschmaschinen oder alte Kühlschränke? Wieso
nur für die Autoindustrie?
Liebe Freunde, diese Frage muss doch einmal erlaubt
sein.
Darum geht es heute aber nicht. Heute geht es nur um
die Frage: Wieso wird die Abwrackprämie bei ALG-II-
Empfängern nicht ausgezahlt, sondern verrechnet?
Hierzu ist Folgendes zu sagen: Wir als FDP haben den
Kurs klar gesteckt. Es geht um die Leute, die das Geld
erarbeiten, die morgens früh um fünf oder sechs Uhr auf-
stehen, zur Arbeit zu fahren, die Steuern zahlen, die So-
zialsysteme speisen. Es geht aber auch darum, in unse-
rem Land ein soziales Netz zu flechten und diese Leute,
die das selbst nicht leisten können, aufzufangen.
Dass Hartz IV nicht das Gelbe vom Ei ist, wissen die
meisten hier. Wir schlagen ein Bürgergeld vor, um end-
lich einmal dieses Wirrwarr bei Hartz IV – ständige Kla-
gen, Nichtklagen und ein Hin und Her – abzuschaffen.
Es wird noch etwas dauern, aber ich denke, wenn wir mit
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In diesem Fall allerdings begründet die Bundesregie-
ung die Ablehnung mit ordnungspolitischen Vorgaben.
ie bringt als Regierung also die Ordnungspolitik ins
piel und sagt, deshalb darf die Prämie nicht an Hartz-IV-
mpfänger ausgezahlt werden. Liebe Freunde der Re-
ierung, wir sagen: Die Ordnungspolitik treten Sie im
oment mit Füßen. Sie schmeißen sie massenweise über
ord, um beim Wrack zu bleiben. Von daher kann man
uch einmal eine Ausnahme machen und den Hartz-IV-
mpfängern diese Abwrackprämie zahlen.
Wir werden uns bei diesem Antrag der Stimme ent-
alten.
enn wir Schätze heben wollen, dann müssen wir die
chätze unserer Menschen in den Herzen und in den
öpfen erreichen. Dann kommen wir auch durch diese
rise hindurch.
In diesem Sinne ein herzliches Glückauf aus dem Erz-
ebirge.
Nächster Redner ist der Kollege Karl Schiewerling,
DU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebeolleginnen und Kollegen! Herr Kollege Haustein, diebwrackprämie oder, besser gesagt, die Umweltprämieann man bewerten, wie man will: ordnungspolitischder wie auch immer. Sie ist aber ein Erfolg, und dieenschen fragen nach. Es zeichnet sich ab, dass dieaufzeit verlängert wird, und in der Krise, in der wir unsefinden, wird den Menschen durch diese Prämie durch-us Mut gegeben. Ob das alles ordnungspolitisch sauberder nicht sauber ist, lasse ich jetzt einmal dahingestellt,
ber ich glaube, dass ein wichtiges Zeichen gesetzt wor-en ist.Bei der Verabschiedung des Konjunkturpaketes II hatohl niemand die rechtliche Situation der Empfängeron Arbeitslosengeld II im Blick gehabt. Es hat auchiemand daran gedacht, dass es hier möglicherweisechwierigkeiten dahin gehend geben könnte, dass sieein rechtlich einen Anspruch auf dieses Geld haben;enn diese Abwrackprämie von 2 500 Euro stellt nach
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Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 215. Sitzung. Berlin, Freitag, den 27. März 2009 23429
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Karl Schiewerlingder Definition des Gesetzes eine wesentliche Verbesse-rung der finanziellen Situation dar und ist von daher ge-mäß Definition anzurechnen.Ich denke einmal, dass auch deswegen niemand aufdie Idee gekommen ist, weil wir berücksichtigen müs-sen, in welcher Situation – auch finanzieller Situation –sich die Menschen befinden, die von Arbeitslosengeld IIleben müssen. Bedenken Sie: Jemand, der 58 Jahre altist, darf ein Schonvermögen von maximal 6 100 Eurofür Konsumausgaben haben. Im Übrigen glaube ich,dass sich viele Bezieher von Arbeitslosengeld II fragen,was ihnen eigentlich die Abwrackprämie nutzt, da siedas Geld für einen Neu- oder Jahreswagen überhauptnicht aufbringen können. Sie werden diese Diskussionhier möglicherweise als ziemlich abstrus empfinden.In der Tat verstehe ich auch unter diesem Gesichts-punkt den Antrag der Linken nicht. Nahezu bei jedemAntrag, den Sie zu diesem Thema hier in den DeutschenBundestag eingebracht haben, haben Sie nämlich daraufhingewiesen, dass die Menschen, die Arbeitslosengeld IIbeziehen, arm sind und aufgrund der Höhe der Sätzekeine Möglichkeit haben, Rücklagen zu bilden: nochnicht einmal für die Waschmaschine, den Trockenauto-maten oder den Elektroherd. Sie weisen darauf hin, dassdie Sätze erhöht werden müssen, damit sie ein Minimuman Lebensstandard haben. Jetzt kommen Sie mit einemAntrag, die Abwrackprämie für Hartz-IV-Empfängereinzuführen, wohl wissend, dass die gesamte Situationso ist, wie sie ist.
Hinzu kommt übrigens – das wissen Sie auch –, dassjemand, der Arbeitslosengeld II erhält, nach den Buch-staben des Gesetzes kein Auto haben darf, das mehr als7 500 Euro wert ist. Das ist festgelegt. Ich will gerne zu-gestehen, dass es solche Autos gibt. Das will ich nicht inAbrede stellen. Wenn aber jemand mehr dafür bezahlthat, dann wird dies als zusätzliches Vermögen angerech-net.Ich sage in aller Deutlichkeit, ich halte diese Diskus-sion für ziemlich abstrus und an den Haaren herbeigezo-gen. Es kann aber sein – das will ich nicht in Abredestellen –, dass es vielleicht 100 oder 200 Bedarfsgemein-schaften gibt, der zwei Personen von etwa 58 oder60 Jahren mit einem Schonvermögen von 6 000 Euroangehören – für beide zusammen sind es also12 000 Euro –, das sie für einen Autokauf verwendenkönnten.Unsere Fraktion hat immer wieder darauf hingewie-sen, dass die Umsetzung des Gesetzes nicht die Aufgabedes Parlaments, sondern der Exekutive ist. Die Exeku-tive ist das Bundesarbeitsministerium, das festgestellthat, dass nach dem Buchstaben des Gesetzes die Ab-wrackprämie beim Arbeitslosengeld II angerechnet wer-den muss. Das haben wir akzeptiert. Wir hätten es abergenauso akzeptiert, wenn das Bundesarbeitsministeriumgesagt hätte, die Abwrackprämie ist nicht anrechnungs-fähig.
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23430 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 215. Sitzung. Berlin, Freitag, den 27. März 2009
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lebensgefährlich. Ich hatte Glück, dank der Ab-wrackprämie endlich einen Neuwagen zu leasen ...Nun muss ich bangen, dass das Arbeitsamt mirschreibt, dass die 2 500 angerechnet werden sol-len ...Weiter schreibt dieser Mann:Bei uns ... hängt sehr viel von einem funktionieren-den Pkw ab. Ich wohne in einem kleinen Dorf ohneEinkaufsläden ...Diese beiden Sätze zeigen, dass die Ursachen des Pro-blems tiefer liegen. Wenn wir an die Wurzeln des Pro-blems gehen wollen, dann müssen wir dafür sorgen, dasses auch im ländlichen Raum ein so gutes Bus- und Bahn-angebot sowie eine so gute Flächenplanung gibt, dassdie Menschen überhaupt nicht auf das Auto angewiesensind.
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us und Bahn zum halben Preis, perspektivisch mögli-herweise sogar zum Nulltarif und ein gutes Angebot iner Fläche, das wäre eine Verkehrspolitik, die sozial undkologisch vertretbar ist.
Nun haben wir aber eine Abwrackprämie für denauf von Neuwagen. Wenn jeder Millionär, der seinenldtimer gegen einen neuen Edelflitzer eintauschen will,ie Abwrackprämie in Höhe von 2 500 Euro bekommt,ann müssen zum Beispiel auch ein Aufstocker, der aufrbeitslosengeld II angewiesen ist, oder eine Allein-rziehende, die ihre alte Spritschleuder, die ständig ka-utt geht, gegen einen Kleinwagen eintauschen möchte,ie 2 500 Euro Abwrackprämie bekommen.
Mit dieser Forderung stehen wir nicht allein. Sogarer oberste Sozialrichter Peter Masuch, der Präsident desundessozialgerichtes, hat eindeutig gesagt: Die Ab-rackprämie ist eine zweckbestimmte Einnahme, dieicht auf das Arbeitslosengeld II anzurechnen ist. – Ichordere vor diesem Hintergrund das Bundesministeriumuf: Klären Sie dieses Problem durch eine Verordnung!SPD und Union spielen hier Verantwortungsping-ong. Die SPD sagt, sie würde gerne
Frau Lösekrug-Möller, Sie haben sehr viel Gift ver-prüht, obwohl Sie letztendlich all unseren Ansätzen ei-entlich zustimmen –,
önne aber wegen der Union nicht. Die Union sagt: Wirären mit allem, was das Bundesministerium macht,inverstanden. Wir wollen bloß nicht den Weg eines Ge-etzgebungsverfahrens gehen. – Dazu kann ich nur sa-en: Das Ganze artet langsam in Verantwortungsping-ong aus. Sie können sich nicht hinter dem jeweilsnderen verstecken. Das Bundesministerium ist gefragt.enn Sie das nicht auf dem Weg einer Verordnung klä-en, dann trägt das SPD-geführte Ministerium die Ver-ntwortung dafür, dass die Abwrackprämie bei Arbeits-osengeld-II-Beziehern angerechnet wird.
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Katja KippingHören Sie auf, sich zu verstecken, und sorgen Sie dafür,dass die Abwrackprämie nicht auf das Arbeitslosen-geld II und die Grundsicherung für Menschen mit Be-hinderung angerechnet wird!Herzlichen Dank.
Letzter Redner in dieser Debatte ist der Kollege
Markus Kurth, Bündnis 90/Die Grünen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen undHerren! Eines vorweg: Die Abwrackprämie ist aus Sichtmeiner Fraktion – ich meine: auch objektiv – ökologi-scher, ökonomischer und ordnungspolitischer Unsinn.
Sie ist ökologischer Unsinn, weil auf jede Lenkungswir-kung verzichtet wird. Sie sollten nicht von einer Um-weltprämie sprechen; denn es handelt sich um eine reineAbsatzhilfe für die Automobilindustrie.
Sie ist ökonomischer Unsinn, weil die Anpassung der In-dustrie an die Überkapazitäten, wie wir alle wissen, frü-her oder später sowieso kommen muss.
Sie zögern den fälligen Anpassungsprozess nur hinausund verbraten dabei Milliarden an Steuergeldern.
Sie ist auch ordnungspolitischer Unsinn. Der Bundes-wirtschaftsminister, also der Minister der Union, hat ge-sagt: Wir können Opel nicht retten, weil dann jeder umUnterstützung bitten würde und wir uns als Staat nichtüberall beteiligen können. – Im Umkehrschluss frage ichSie: Warum gibt es nicht eine Kühlschrankprämie, eineWaschmaschinenprämie oder eine Staubsaugerprämie?Auch das sind alles ökologische Produkte.
Das bedeutet, dass Sie ordnungspolitisch vollkommenohne Kompass durch die Gegend laufen. Bei den Sozial-demokraten wundert mich das nicht.
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hr Kanzlerkandidat möchte vor den VW-Werkstorenen dicken Max markieren. Geschenkt! Aber bei dernion verwundert es mich schon, dass sie ordnungspoli-isch kein Verständnis hat.Nun gut, nun haben wir diese Regelung. Wenn manchon diese unsinnige Prämie einführt, dann muss manie wenigstens allen zugutekommen lassen. Wenden Sieas Recht systematisch an. Man erhält diese Prämieoch nur, wenn man sich einen Neuwagen kauft. Daseißt, die Abwrackprämie kann gar nicht, wie es dasinisterium unterstellt, auf die allgemeinen Lebensun-erhaltskosten angerechnet werden, sondern es ist eineogenannte zweckbestimmte Einnahme. Andere zweck-estimmte Einnahmen sind nach der Arbeitslosengeld-II-erordnung und den schon jetzt geltenden Auslegungs-orschriften der Bundesagentur für Arbeit nicht anzu-echnen, wie zum Beispiel die Eigenheimzulage.
s geht hier um Rechtssystematik. Es geht hier über-aupt nicht um eine besondere Begünstigung von Ar-eitslosengeld-II-Beziehenden.Wie Herr Schiewerling richtig gesagt hat, ist es so,ass vermutlich nur sehr wenige ALG-II-Beziehendeiese Prämie beantragen werden und dass wir im Grundeenommen eine Art Phantomdebatte führen. Wenn dieaktische Bedeutung so gering und die Rechtsanwen-ung so klar ist, dann frage ich mich: Warum wird trotz-em so ein Gehampel darum gemacht? Warum stelltan sich hier so an? Der Verdacht liegt doch nahe – dasermitteln Sie; das finde ich von der symbolischen Wir-ung her schwierig –, dass Sie Arbeitslosengeld-II-eziehende zu Bürgern zweiter Klasse erklären,
ndem Sie ihnen deutlich zeigen: Ihr seid es nicht wert,ie Abwrackprämie zu erhalten. – Das ist der eigentlicheolitische und demokratische Skandal dieser Debatte.
Herr Haustein, es geht gar nicht darum, irgendjeman-en zu begünstigen. Die Abwrackprämie wird von denteuerzahlerinnen und Steuerzahlern sowieso bezahlt. Esst nicht so, dass die Mittel für die Abwrackprämien ein-espart würden, wenn man die Arbeitslosengeld-II-eziehenden ausnähme. Das Geld für die Prämie be-ommen dann eben andere. Das heißt, die Arie „Wirüssen an die Leistungsträger denken“ zieht in diesemalle nicht. Das Argument geht an dieser Stelle vollkom-en ins Leere.
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Markus KurthLiebe Kolleginnen und Kollegen von den Regie-rungsfraktionen, die es jetzt beide nicht gewesen seinwollen – diese ganze Geschichte wird Ihnen langsam un-angenehm –: Sie haben hier eine breite Mehrheit. Ver-schanzen Sie sich nicht hinter den Ministerien oder ge-genseitigen Zusicherungen. Machen Sie es einfach!Diese Regelung ist relativ einfach und simpel umzuset-zen. Handeln Sie! Oder sind Sie wie in vielen anderenFragen auch hier strukturell handlungsunfähig? Es wirdZeit, dass Bündnis 90/Die Grünen wieder mitregieren.Vielen Dank.
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über die Beschluss-
Sicherung der interkommunalen Zusammen-
arbeit
– Drucksachen 16/9443, 16/11976 –
Berichterstattung:
Abgeordneter Ernst Burgbacher
Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Reden zu
diesem Tagesordnungspunkt zu Protokoll zu geben.
Sind Sie damit einverstanden? – Es handelt sich dabei
um die Reden folgender Kolleginnen und Kollegen:
Dr. Georg Nüßlein, CDU/CSU, Reinhard Schultz, SPD,
Paul K. Friedhoff, FDP, Dr. Herbert Schui, Fraktion Die
Linke, Britta Haßelmann, Bündnis 90/Die Grünen.1)
Wir kommen zur Abstimmung. Der Ausschuss für
Wirtschaft und Technologie empfiehlt in seiner Be-
schlussempfehlung auf Drucksache 16/11976, den An-
trag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Druck-
sache 16/9443 abzulehnen. Wer stimmt für diese Be-
schlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Enthal-
empfehlung des Ausschusses für Arbeit und Soziales zu
dem Antrag der Fraktion Die Linke mit dem Titel
„Keine Anrechnung der Abwrackprämie bei ALG II und
Eingliederungshilfe“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner
Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/12358, den
Antrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 16/12114
abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfeh-
lung? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Die Be-
schlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalition
bei Gegenstimmen von Bündnis 90/Die Grünen und der
Fraktion Die Linke sowie bei Enthaltung der FDP ange-
nommen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 35 auf:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Wirtschaft und Tech-
nologie zu dem Antrag der Abge-
ordneten Britta Haßelmann, Cornelia Behm,
Kerstin Andreae, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
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1)
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ungen? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stim-
en der SPD, CDU/CSU und FDP bei Gegenstimmen
es Bündnisses 90/Die Grünen und der Fraktion Die
inke angenommen.
Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tages-
rdnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bun-
estages auf Mittwoch, den 22. April 2009, 13 Uhr, ein.
Ich wünsche allen Kolleginnen und Kollegen, aber
uch den Zuschauerinnen und Zuschauern auf der Tri-
üne sowie den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern ein
chönes Wochenende.
Die Sitzung ist geschlossen.