Gesamtes Protokol
Die Sitzung ist eröffnet.Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen!Wir befinden uns heute in der glücklichen Lage, ohnejede Vorankündigung in die Tagesordnung eintreten zukönnen, die wir hoffentlich ähnlich zügig abwickeln.Zunächst rufe ich die Tagesordnungspunkte 24 a bis24 d sowie den Zusatzpunkt 8 auf:24 a)Beratung der Unterrichtung durch die Bundesre-gierungTourismuspolitischer Bericht der Bundesre-gierung – 16. Legislaturperiode –– Drucksache 16/8000 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Tourismus
Ausschuss für Wirtschaft und TechnologieAusschuss für Ernährung, Landwirtschaft undVerbraucherschutzAusschuss für Familie, Senioren, Frauen und JugendAusschuss für GesundheitAusschuss für Verkehr, Bau und StadtentwicklungAusschuss für Umwelt, Naturschutz und ReaktorsicherheitAusschuss für Kultur und MedienRedetb) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
– zu dem Antrag der Abgeordneten KlausBrähmig, Jürgen Klimke, Dr. Hans-PeterFriedrich , weiterer Abgeordneter und derFraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordne-ten Annette Faße, Dr. Reinhold Hemker, ElviraDrobinski-Weiß, weiterer Abgeordneter undder Fraktion der SPDZukunftstrends und Qualitätsanforderun-gen im internationalen Ferntourism– zu dem Antrag der AbgeordneteKurth , Ute Koczy, Ka
richts des Ausschusses für Tourismus (20. Aus-schuss) zu dem Antrag der Abgeordneten KlausBrähmig, Jürgen Klimke, Dr. Hans-PeterFriedrich , weiterer Abgeordneter und derFraktion der CDU/CSU sowie der AbgeordnetenAnnette Faße, Niels Annen, Dr. Hans-PeterBartels, weiterer Abgeordneter und der Fraktionder SPDKreuzfahrttourismus und Fährtourismus inDeutschland voranbringenext– Drucksachen 16/5957, 16/8172 –Berichterstattung:Abgeordnete Jürgen KlimkeAnnette FaßeErnst BurgbacherDr. Ilja SeifertBettina Herlitziusd) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. IljaSeifert, Dr. Kirsten Tackmann, Katrin Kunert undder Fraktion DIE LINKELandurlaub und Urlaub auf dem Bauernhofce für einen umweltfreundlichen Tou-n Deutschland nutzensache 16/7614 –usn Undinei Gehring,als Chanrismus i– Druck
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Präsident Dr. Norbert LammertÜberweisungsvorschlag:Ausschuss für Tourismus
Ausschuss für Wirtschaft und TechnologieAusschuss für Ernährung, Landwirtschaft undVerbraucherschutzAusschuss für Verkehr, Bau und StadtentwicklungAusschuss für Umwelt, Naturschutz und ReaktorsicherheitZP 8 Beratung des Antrags der Abgeordneten ErnstBurgbacher, Dr. Karl Addicks, Jens Ackermann,weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDPPotenziale der Tourismusbranche in der Ent-wicklungszusammenarbeit durch Aufgaben-bündelung im Bundesministerium für Wirt-schaft und Technologie ausschöpfen– Drucksache 16/8176 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für TourismusZum Tourismuspolitischen Bericht der Bundesregie-rung liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion derFDP vor.Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind fürdie Aussprache eineinviertel Stunden vorgesehen. –Dazu höre ich keinen Widerspruch. Dann ist das so be-schlossen.Ich eröffne die Aussprache. Als Erster erhält das Wortder Kollege Ernst Hinsken. – Damit es dem Protokollnicht vorenthalten wird: Der Kollege Ernst Hinskenspricht natürlich in seiner Eigenschaft als Tourismusbe-auftragter der Bundesregierung, was ihm eine zusätzli-che Aufmerksamkeit im Plenum sichert.Bitte schön, Herr Kollege.
Ernst Hinsken, Beauftragter der Bundesregierungfür Tourismus:Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Meine Damen und Herren! Ich freue mich, dass heuteder gut 50 Seiten umfassende Tourismuspolitische Be-richt der Bundesregierung vorgelegt werden kann.
Er wurde in den letzten Monaten unter Hochdruck er-stellt, und er kann sich sehen lassen. Er enthält alles– von A wie Auslandsmarketing bis Z wie Zukunfts-märkte –, was dem Tourismus zurzeit auf den Nägelnbrennt.Wer beim Begriff Tourismus an den nächsten Urlaub,an die vielleicht schönsten Wochen des Jahres, denkt,liegt selbstverständlich immer richtig. Wer an eine welt-weite und deutsche Boombranche mit einem 1-a-Wachstum denkt, wer an Deutschland als das MesselandNummer eins in der Welt denkt, wer an unseren enormenKulturreichtum denkt, der liegt goldrichtig, wenn er denTourismus dabei immer im Blick hat.Die Fakten sind: 2006 erzielte Deutschland gut351 Millionen Übernachtungen. Im vergangenen JahrkndgttsSnfmsmtueeJAm3rbbagmsDsesküMsluuw2cmfm2DmmE
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Viertens. Deutschlands Stärken müssen aber auchermehrt an den Mann gebracht werden. „Tue Gutes undede darüber“, heißt ein altes Sprichwort. Die Bundesre-ierung hat gerade in den letzten Jahren vieles zur Unter-tützung des Tourismus getan. Wir haben in der Bundes-epublik Deutschland mit der Deutschen Zentrale fürourismus einen Marketingspezialisten an der Seite, derie Bundesrepublik Deutschland weltweit vermarktet.ch möchte mich dafür bedanken, dass die Mittel für dieeutsche Zentrale für Tourismus im letzten Haushalt um00 000 Euro erhöht worden sind und in den kommen-en Haushalten weiter erhöht werden sollen. Dafür ha-en sich alle Fraktionen eingesetzt. Ein herzliches Wortes Dankes auch an die Haushälter.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich einenünften Punkt noch ansprechen. Neben dem sich ver-chärfenden globalen Wettbewerb ist der Tourismusuch von der Veränderung der Altersstruktur der Bevöl-erung betroffen. Demografischer Wandel ist hier daschlagwort. Das touristische Marktsegment der ältereneisenden wird wachsen. Man spricht vom „Wachstum0 plus x“. Wir stellen fest, dass die Altersgruppe der9- bis 74-Jährigen in der Bundesrepublik Deutschlandomentan nur 29 Prozent ausmacht. Bezogen auf denourismussektor aber macht diese Altersgruppe einennteil von 48 Prozent aus. Deshalb müssen die Pro-ramme vermehrt auf diese Gruppe ausgerichtet werden.s gilt, diesen Markt zu erschließen. Ältere Reisendeöchten anders angesprochen werden und brauchen an-ere Angebote als junge Leute. Die Themen „Gesund-eitstourismus“ und „barrierefreies Reisen“ werden anedeutung gewinnen. Das Wirtschaftsministerium för-ert beim barrierefreien Reisen Maßnahmen zur Quali-ätssteigerung. Dies ist ein ganz wichtiger Baustein, umie Hoffnungsträger der Tourismuswirtschaft, auch dieenioren, zu gewinnen.Transparenz und Qualität sind auch wichtige Hand-ungsfelder der Bundesregierung beim zunehmendenettbewerb der Gesundheitssysteme in Europa. Wirollen die Gesundheits- und Wellnessurlauber schließ-ich in Deutschland haben.Lassen Sie mich abschließend ein weiteres Thema an-prechen, eine Herausforderung, die es auf dem Touris-ussektor zu bewältigen gilt, nämlich den Klimawan-el. Der Klimawandel wird Touristenströme verlagern.ür Deutschland wird davon ausgegangen, dass es insge-amt als Reiseland attraktiver wird. Aber wir brauchentrategien zur Anpassung an die veränderten Umweltbe-ingungen, und wir brauchen mehr nachhaltigen Touris-us. Deshalb unterstützen wir den Fahrrad- und Wan-ertourismus, um nur einige Handlungsfelder zu nennen.
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Beauftragter der Bundesregierung Ernst HinskenMeine Damen und Herren, Deutschland ist ein wun-derbares Land.
Deutschland misst dem Tourismus eine großartige Be-deutung bei. Der Tourismus ist eine ganz starke Wachs-tumsbranche. Wir müssen und werden die Chancen nut-zen und vernünftige Rahmenbedingungen dafürschaffen.Verehrte Kolleginnen und Kollegen, es sollte nichtvergessen werden: Die beste Außen- und Friedenspoli-tik, die es überhaupt gibt, ist die Tourismuspolitik. Hierfinden Menschen zusammen. Hier lernt man sich verste-hen. Hier lernt man die Kultur des anderen kennen. Hierlernt man sich zum Teil auch lieben und alles, was dazu-gehört.
Das ist mehr wert als Unterschriften noch so hoherStaatsmänner und -frauen, die unter Verträge gesetztwerden. In diesem Sinne meine ich, der Tourismus istauf einem guten Weg. Lasst uns hier weiter nach vorneschreiten!Herzlichen Dank.
Herr Kollege Hinsken, ich habe Ihren letzten Hinweis
so verstanden, dass das Amt des Außenministers in Zu-
kunft zwar nicht durch das des Tourismusbeauftragten
ersetzt werden könnte,
hier aber eine ganz wesentliche Verbindung besteht.
Nun hat der Kollege Burgbacher für die FDP das
Wort.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Lieber Herr Hinsken, wir kommen ja alle gut miteinan-der aus im Tourismusausschuss; zu lieben brauchen wiruns aber nicht. Deshalb darf heute auch Kritik geübtwerden.Ich möchte aber zunächst lobend sagen, dass ich esgut finde, dass der Deutsche Bundestag heute in derKernzeit im Vorfeld der ITB eine Tourismusdebatteführt. Das begrüße ich ausdrücklich.
Nun nennt der Tourismusbericht große Herausforde-rungen. Auch dem stimme ich zu. Globalisierung, Ent-wicklung neuer Märkte, Klimawandel, demografischerWandel, veränderte Kundenwünsche, das sind große He-rausforderungen. Unser Tourismusbericht folgert darausdie Notwendigkeit von mehr Offenheit und Flexibilität.DkrltkcHdefdtbtwtcdlDaLegsukTTSßD2cWlrAltsäT
Wir haben hervorragende Projekte in Deutschland iner Tourismuswirtschaft, ob das im Hotel- und Gaststät-engewerbe ist, im Bustourismus, bei den Freizeitparks,ei Familienurlaub auf dem Lande oder im Gesundheits-ourismus. Da brauchen wir uns hinter keinem Wettbe-erber auf der Welt zu verstecken.Besonders stark sind wir im Städtetourismus. Das be-rifft nicht nur Heidelberg, das viele Amerikaner besu-hen, sondern auch die großen Städte wie Berlin und an-ere. Nur sollten wir nicht übersehen, dass es imändlichen Bereich oft sehr viel schwieriger aussieht.as müssen wir sorgfältig hinterfragen.Die Fußball-WM wurde angesprochen. Da warenuch die Partner, mit denen wir es zu tun haben, Herraeple, Herr Fischer und andere, sehr aktiv. Das war eininmaliger Glücksfall. Seit der Fußball-WM weiß dieanze Welt: In Deutschland gibt es nur freundliche Men-chen,
nd es ist immer schönes Wetter. Das können Sie miteiner Marketingkampagne hinbekommen.
Meine Damen und Herren, die Federführung für denourismus liegt beim BMWi. Dafür wurde das Amt desourismusbeauftragten geschaffen. Ich sehe nur diechwierigkeit, dass der Tourismusbeauftragte keine gro-en Möglichkeiten hat. Schauen Sie in den Haushalt:as BMWi hat Tourismusmittel in Höhe von circa7 Millionen Euro, die anderen Ministerien in Höhe vonirca 50 Millionen Euro. Deshalb ist unsere Forderung:enn wir Tourismuspolitik schlagkräftiger machen wol-en, dann müssen Kompetenzen im Wirtschaftsministe-ium gebündelt werden. Dazu legen wir heute einenntrag vor, der sich auf Tourismusprojekte in Entwick-ungsländern bezieht. Ich bitte Sie herzlich, diesen An-rag wohlwollend zu prüfen und ihn im Ausschuss ent-prechend zu behandeln.
Nun gibt es eine Menge Sachfragen. Bei manchemrgere ich mich; das will ich hier ganz offen sagen. Derourismusbeauftragte und andere sagen bei allen mögli-
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Ernst Burgbacherchen Veranstaltungen Dinge zu. Ich nenne ein Beispiel:Es wird gesagt, man wolle sich für den reduziertenMehrwertsteuersatz einsetzen. Aber Sie haben nicht ein-mal in der eigenen Fraktion, geschweige denn beim Ko-alitionspartner dafür eine Mehrheit. Dasselbe gilt beimThema Jugendarbeitsschutzgesetz und beim Thema Bus.Sie schreiben in dem Bericht, Sie würden sich für Aus-nahmeregelungen einsetzen. Lieber Herr Hinsken, dannstimmen Sie bitte unserem Antrag zu, den wir gesterneingebracht haben! Nicht nur reden, sondern handeln!Das ist das, was die Wirtschaft braucht.
Sie schaffen in den Ländern mit Ihrer UnterstützungNichtraucherschutzregelungen, die nichts mit Nichtrau-cherschutz zu tun haben, sondern ein Umerziehungspro-gramm für die Bevölkerung sind und für die Brancheeine riesige Belastung darstellen.
Da müssen Sie sich endlich bewegen.Herr Hinsken, Sie haben es – damit bin ich beimThema Gesundheit – bis heute nicht geschafft, dass dieKurorte in Deutschland wenigstens ähnlich gute Wettbe-werbsbedingungen im Vergleich mit Kurorten in denBeitrittsländern vorfinden. Das ist doch das Mindeste,was die Politik leisten muss.
Sie nehmen es hin, dass es im Jahr 2007 im Hotel-und Gaststättengewerbe – man höre und staune – wiedereinen Umsatzrückgang von 3 Prozent gab. Im Beherber-gungsgewerbe ist ein leichter Anstieg zu verzeichnen,während es bei den Gaststätten und Restaurants einenRückgang um 4,9 Prozent gibt. Das hat etwas mit Rah-menbedingungen zu tun. Für diese sind Sie mitverant-wortlich.
Der Tourismussektor ist weitgehend mittelständischgeprägt. Wenn Sie diesem Sektor helfen wollen, dannmachen Sie endlich eine Mittelstandspolitik! Mit IhrerUmsatzsteuerreform und mit der beabsichtigten Erb-schaftsteuerreform machen Sie exakt das Gegenteil vondem, was Sie sagen. Sie fördern nicht den Mittelstand,sondern Sie strangulieren ihn immer mehr.
Die FDP-Bundestagsfraktion legt heute einen Ent-schließungsantrag mit 31 Forderungen vor. Das ist kon-krete Tourismuspolitik. Der Tourismusbeauftragte hatGoethe zitiert. Ich will Wilhelm Busch zitieren: „Frohschlägt das Herz im Reisekittel, vorausgesetzt man hatdie Mittel.“
Das ist das eigentliche Problem. Mit Ihrer Mehrwert-steuererhöhung und mit Ihrem Abkassieren tragen Siedazu bei, dass eben nicht genügend Geld zur Verfügungsteht und somit dem Tourismus Einnahmen entgehen.Hören Sie deshalb auf, gegen den Mittelstand Politik zumachen! Hören Sie endlich auf, die Branche mit immerndwtMkfFrawstDwwswdsgddfwWHwnAduzdbDwtkn
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-en! Die Deutschen sind Reiseweltmeister, und das solluch so bleiben. Der Tourismus boomt; der Muff isteg. So die Frankfurter Rundschau vom 9. Februar die-es Jahres.Die Zahl der Übernachtungen in Deutschland klet-erte auf ein Rekordhoch: 360 Millionen im letzten Jahr.ie Welt war zu Gast bei Freunden, und sie soll aucheiterhin Gast in Deutschland sein. Denn wir sind eineltoffenes Land. Unsere Produkte und unser Marketingind hervorragend. Aber ohne ausländische Gäste hättenir ein Minus zu verzeichnen. Auch das sollten wir anieser Stelle ganz klar und deutlich sagen.Lieber Ernst Burgbacher, es wurde ausführlich darge-tellt, wie stark die Tourismuswirtschaft von den Pro-rammen zur Förderung des Mittelstandes profitiert. Ichenke, es wäre es wert gewesen, sich mit dieser Passagees Berichts ausführlich auseinanderzusetzen. Die Er-olge in der Tourismuspolitik bedeuten aber nicht, dassir aufhören zu denken und dass alles so bleiben soll.ir müssen diesen Bericht vielmehr als Ansporn zumandeln nehmen. Die Politik wie auch die Tourismus-irtschaft sind hier gefragt.Wir wollen, dass sich alle Bürgerinnen und Bürger ei-en Urlaub leisten können: Jung und Alt, Ost und West,rm und Reich. Es geht darum, dafür Sorge zu tragen,ass alle vom Wirtschaftsaufschwung profitieren könnennd dass eine Vielzahl von unterschiedlichen Angebotenur Verfügung steht.Der Tourismus ist ein starker Beschäftigungsmotor,er entsprechende Möglichkeiten für den Arbeitsmarktietet. Wir stehen für gute Arbeit.
as heißt, wir wollen eine Arbeit, die gerecht entlohntird, die volle Teilhabe an den sozialen Sicherungssys-emen ermöglicht, die Anerkennung bietet und nichtrank macht, die es ermöglicht, erworbene Qualifikatio-en zu nutzen und auszubauen, die demokratische Teil-
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Annette Faßehabe garantiert und die Vereinbarkeit von Beruf und Fa-milie gewährleistet.
Dumpinglöhne und Schwarzarbeit können nicht verant-wortet werden. Immer weniger Tarifverträge mit zumTeil sehr niedrigen Löhnen gerade in der Tourismuswirt-schaft müssen uns veranlassen, über die Einführung ge-setzlicher Mindestlöhne auch in diesem Bereich ernst-haft miteinander zu sprechen.
2006 bestanden über 100 000 Ausbildungsverhält-nisse in der Hotellerie und Gastronomie. Es gibt 13 Aus-bildungsbereiche im Tourismussegment. Der neue Aus-bildungsberuf Kaufmann/Kauffrau für Freizeit undTourismus hat sich seit seiner Einführung am 1. August2005 sehr positiv entwickelt. Es besteht weiterer Bedarfan qualifizierten Arbeitskräften. Aber am bestehendenJugendarbeitsschutzgesetz darf hierbei nicht gerütteltwerden.
Wir wollen, dass auch die Fort- und Weiterbildungweiterhin einen großen Stellenwert hat. Aufgabe derBundesregierung ist es, hier aktiv zu sein.
Jawohl, es gibt Komplexe, mit denen wir uns konse-quent auseinanderzusetzen haben. Das ist zum Beispielder große Bereich des demografischen Wandels. Hierwird es eine Zielgruppenveränderung geben. In dem Be-richt, über den wir in dieser Woche im Ausschuss disku-tiert haben, werden uns entsprechende Wege aufgezeigt.Es wird eindeutig zu einer Schwerpunktverlagerungkommen. Aber darauf sind noch nicht alle eingestellt.Die Ausbildungsinhalte für den Servicebereich, die Bau-planung und die Entwicklung von Produkten müssensich ändern. Das gilt für Berufs-, für Fach- und Hoch-schulen auf Länderebene.In diesem Zusammenhang ist die Barrierefreiheit einwichtiger Aspekt. Barrierefreiheit bedeutet zugleichKomforttourismus für alle. Auf europäischer Ebenespricht man von der Forderung nach einem Zugang füralle. Es ist Zeit, dass Architekten, kommunale und regio-nale Entscheidungsträger sowie Tourismusverantwortli-che dem demografischen Wandel in der GesellschaftRechnung tragen und auf die damit verbundenen Anfor-derungen eingehen.
Eine barrierefreie Umgebung kommt allen, der Gesamt-gesellschaft, zugute. Das muss für alle Verkehrsträgergelten. Wir brauchen im Tourismusbereich eine Dienst-leistungskette; ich nenne in diesem Zusammenhang denBegriff „Tür-zu-Tür-Komfort“. Das ist ein Ziel, das wiranstreben müssen.
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ir sollten uns aber auch besonders dem Landurlaubnd dem Urlaub auf dem Bauernhof widmen. Das wirdie Koalition in Form eines Antrages tun.Der Vielfalt der Angebote und der Vielfalt der The-en, mit denen wir uns im Fachausschuss auseinander-etzen, möchte ich in Form einer Auflistung gerechterden: Camping- und Wohnmobiltourismus, Jugend-erbergen, Familienerholungsstätten, Geschäftsreisen,reizeitparke, Märkte, Wassertourismus, Kreuzfahrten,ustourismus, Städtetourismus. Dies alles sind Berei-he, die nicht nur zum Bereich Wirtschaft gehören, son-ern in verschiedenen Ministerien angesiedelt sind.
Zum Kreuzfahrttourismus haben wir einen Antragorgelegt, den wir heute verabschieden werden.Ein großer Bereich, der etwas mit naturnahen undmweltfreundlichen Angeboten zu tun hat, ist der Was-ertourismus in Deutschland. Wir haben uns mit diesemereich ausführlich befasst. Ich freue mich unter ande-em darüber, dass wir jetzt gemeinsam mit allen Verbän-en eine freiwillige Sicherheitskampagne auf den Wegringen können.Angebote sind das eine; die Qualität der Angeboteuss aber auch stimmen. Von daher müssen wir uns da-ür starkmachen, dass die Qualität der Angebote ineutschland den Preisen, die wir in Deutschland erzie-en müssen, gerecht wird. In diesem Zusammenhangüssen wir uns kritisch mit den Siegeln, den Qualitäts-ennzeichen auseinandersetzen. Die SPD ist der Mei-ung, dass wir die Kennzeichnung mit Sternen stärkenollten, anstatt mit einer Vielzahl unterschiedlicher Sie-eln zu einer Unüberschaubarkeit beizutragen. „Sternetärken“ ist daher angesagt.
Ein gutes Programm muss auch ein gutes Marketingaben. Wir haben dafür die Deutsche Zentrale für Tou-
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Annette Faßerismus, die im Ausland für Deutschland wirbt und arbei-tet. Sie ist aber auch für das Inlandsmarketing zuständig.Ein herzliches Dankeschön an die engagierten Mitarbei-terinnen und Mitarbeiter dieser Einrichtung! Wir wissen,dass die Zusammenarbeit im Ausland mit den Goethe-Instituten und den Außenhandelskammern intensiviertwerden muss. Wir können zwar nicht in jedem Land tä-tig sein, ich freue mich aber darüber, dass es gelungenist, die Mittel für diese Arbeit in den Haushalten 2008und folgende aufzustocken.
Der tourismuspolitische Bericht muss in Zukunftmehr sein als ein Bericht über den aktuellen Stand. Ermuss die Perspektive einbeziehen.
Es ist richtig, dass wir ganz deutlich sagen: Der Touris-mus ist ein Zukunftsfeld für die Welt und unser Land.Ich sage ganz deutlich, dass die SPD ein Leitbild für denTourismus einfordert. Wir müssen uns mit den zukünfti-gen politischen Schwerpunkten auseinandersetzen undversuchen, gemeinsam mit den Ländern, die in der Tou-rismuspolitik einen wichtigen Part spielen, Wege für denStandort Deutschland aufzuzeigen.
Das geht nur gemeinsam mit den Ländern. Hier be-steht Handlungsbedarf: Es geht um die Sommerferienre-gelung, die Rundfunk- und Fernsehgebühren und dieNichtraucherschutzregelungen. Ich finde, der Nichtrau-cherschutz ist zu unübersichtlich geregelt. Ich hätte mireine bundesweite Lösung gewünscht.
Lassen Sie uns gemeinsam alles dafür tun, dass dieDeutschen reisen können, und zwar innerhalb Deutsch-lands – Deutschland ist das bevorzugte Reiseland derDeutschen –, aber auch ins Ausland. Zu Reisen ins Aus-land werden meine Kollegen später das Wort ergreifen.Lassen Sie uns für einen attraktiven TourismusstandortDeutschland eintreten und dafür werben.Danke schön.
Dr. Ilja Seifert ist der nächste Redner für die Fraktion
Die Linke.
Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kolle-gen! Meine Damen und Herren auf den Tribünen! Sehrgeehrter Herr Hinsken, wenn wir es erreichen würden,dass Tourismuspolitik als die beste Außen- und Militär-politik verstanden wird, hätten wir wirklich etwas er-reicht. Dabei haben Sie uns, die Linke, auf Ihrer Seite.
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Lieber Herr Glos, im Bericht steht – Sie können daschon auf der ersten Seite lesen –, dass der Tourismusbe-uftragte tolle Arbeit leistet. Das unterschreibe ich so-ort. Aber entweder haben wir einen Minister, der dafüruständig ist, dann muss er auch irgendwann einmal et-as dafür tun, oder wir haben ein Beauftragtenwesen.ie Behindertenbeauftragte dieser Regierung ersetzticht den Arbeits- und Sozialminister, und die Drogen-eauftragte ersetzt auch nicht die Gesundheitsministerin.a müssen wir schon einmal Klartext reden. Vielleichtollten wir ein Tourismusministerium schaffen; das wäreuch eine Variante.Wenn wir Tourismuspolitik machen wollen, dannüssen wir nicht die Trends, die ohnehin schon boomen,tärken, sondern wir müssen dort, wo es Defizite gibt,um Beispiel bei den Menschen, die wenig Geld habenAnnette Faße hat darauf hingewiesen –, dafür sorgen,ass auch sie sich erholen können.
as ist doch eine ganz andere Zielstellung. Ich finde, dasuss man einmal sagen dürfen.Sie stellen „die reisefreudigen und finanziell gut situ-erten älteren Reisenden ab 50 Jahren“ als wichtigsteeue Zielgruppe in den Mittelpunkt Ihres Berichtes.uss ich das wirklich unterstützen? Das läuft dochrima. Wir müssen vielmehr die alleinerziehende Hartz-IV-mpfängerin und ihre Kinder unterstützen, damit sie we-igstens einmal eine Woche Urlaub machen und sich er-olen können.
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Dr. Ilja SeifertDa müssen wir investieren und politisch aktiv sein undnicht bei den Best-Agern, die reiseerfahren sind und wis-sen, wie sie sich durchsetzen können.Insofern ist es durchaus erforderlich, ein paar kriti-sche Anmerkungen zur DZT, zur Deutschen Zentralefür Tourismus, zu machen. Wir alle wissen, dass dieKolleginnen und Kollegen dort in vielerlei Hinsicht guteArbeit leisten. Aber ich nenne zwei Beispiele, wo wirKritik üben. In der aktuellen Broschüre der DZT werdenStädtereisen in Deutschland hervorgehoben. 50 Städtewerden genannt, darunter nur acht aus Ostdeutschland.Wo besteht denn der Förderungsbedarf: im Osten oderim Westen? Es fehlen Städte wie Görlitz, das fast Kultur-hauptstadt Europas geworden wäre, Weimar, wo immer-hin einmal der Geheimrat gelebt hat und das immer nochKulturstadt ist, oder Wismar und andere Städte. Das istalles andere als befriedigend.
Mich interessiert, wie viele Menschen in diesemLande touristische Angebote überhaupt wahrnehmenkönnen, wie viele nicht, warum nicht und wie wir dasändern können. Wie viele Kinder hatten 2007 keine Rei-semöglichkeiten, keine Urlaubserlebnisse, keine Ferien-reisen, weil sich die Eltern das nicht leisten konnten oderkeinen Urlaubsanspruch hatten? Das sind problemati-sche Fragen, die wir uns in erster Linie stellen müssen,statt der Frage, wie man denen, die ohnehin Zeit undGeld haben, noch bessere Fünf- oder Siebensternehotelsmit jeder Menge Service anbieten kann, so bequem dasauch sein mag.Lassen Sie uns lieber die Städtepartnerschaften unter-stützen und dort Jugendgruppen, Seniorengruppen, mei-netwegen auch Gruppen von Menschen mit Behinderun-gen und deren Selbsthilfeorganisationen die Möglichkeitgeben, Austausch zu betreiben und sich kennenzulernen.Ist es denn abwegig, zu verlangen, dass „Reisen für alle“möglich sein muss, dass jedes Kind mindestens einmalim Jahr für zwei Wochen im Rahmen einer Klassenfahrtoder Ähnlichem unterwegs sein kann? Ist das eine unan-ständige Forderung? Ich glaube, nicht. Wir sind der Mei-nung, dass wir dort eingreifen und politisch aktiv werdenmüssen.Die Linke hat – das unterstützt meine Aussage, dasswir einen anderen Zugang zur Aufgabe von Tourismus-politik haben – fünf Leitbilder aufgestellt. Ein Leitbildist für uns das Recht jedes Menschen auf Reisen, selbst-verständlich auch auf Fernreisen. Wir wollen ja, dasssich die Menschen die Welt anschauen können, um ihreWeltanschauung auszuprägen. Man muss dafür sorgen,dass auch Menschen, die wenig Geld haben, das können.Zum Thema „Barrierefreier Tourismus“. Jeder, derhier bis jetzt geredet hat, hat darauf hingewiesen, dassdas ein wichtiger Punkt ist; ich vermute, das werdenauch noch weitere Redner sagen. Es geht aber nicht nurdarum, dass auch behinderte Menschen reisen können– so steht es im Bericht –, sondern es geht auch und vorallem darum, dass man, indem man Menschen mit Be-hinderungen die Chance bietet, überhaupt zu verreisen,Bequemlichkeit für alle herbeiführt.skfwlarDDdeTrnGrGBmhvniwcGrmft–lDmZWuFs
Dass es für alle besser wird, das ist das Ziel. Wir müs-en das Nutzen-für-alle-Konzept verfolgen, sollten abereine Sonderregelungen für behinderte Menschen schaf-en. Das ist eine ganz andere Herangehensweise, die wir,ie ich finde, pflegen sollten. Wir brauchen keine Insel-ösungen. Schwierigkeiten treten ja auch schon früheruf, nämlich dann, wenn es geht darum geht, ein barrie-efreies Angebot überhaupt zu finden.Insofern finde ich es nicht uninteressant, dass dieZT 25 Millionen Euro bekommt, um den Tourismus ineutschland zu vermarkten; in ihren Broschüren wirdas Thema „Barrierefreiheit in Deutschland“ aber nichtrwähnt. Die NatKo, die Nationale Koordinierungsstelleourismus für Alle, die sich für den barrierefreien Tou-ismus einsetzt, erhält aber nur 120 000 Euro, allerdingsicht etwa vom Tourismusministerium, sondern vomesundheitsministerium. Was soll das denn? Wie ver-ückt sind wir eigentlich? Warum konzentrieren wir dieelder nicht dort, wo sie hingehören?
Insofern kann ich nur das unterstützen, was Herrurgbacher gesagt hat. Lasst uns ein starkes Tourismus-inisterium bzw. zumindest eine starke Abteilung inner-alb des Ministeriums schaffen, in der alle Vorgängeernünftig koordiniert werden.Zum ländlichen Tourismus hat die Linke einen eige-en Antrag vorgelegt. Ich kann Ihnen nur empfehlen,hm zuzustimmen. Dann werden wir auf diesem Gebietirklich vorankommen. Hier können wir etwas errei-hen, sowohl für die Menschen, die in den ländlichenebieten heimisch sind, als auch für die, die dort hinfah-en. Lasst uns das gemeinsam angehen.Zum Thema „Ökologisch verantwortbarer Touris-us“. Wir alle wissen, dass der Tourismus ein janusköp-iges Phänomen ist. Man fährt dorthin, wo es am Schöns-en ist, und dort zerlatscht man alles und macht es kaputt.
Das war jetzt etwas grob und holzschnittartig formu-iert, Herr Kollege Burgbacher.
as ändert aber nichts an der Tatsache, dass der Touris-us Mitverursacher der Umweltverschmutzung und dererstörung schöner Landschaften ist.
enn wir uns dieser Erkenntnis verweigern, weigern wirns, die Realität anzuerkennen.Das gilt natürlich auch im Hinblick auf Fern- bzw.lugreisen. Selbstverständlich muss man in Rechnungtellen, dass durch Flugreisen die Atmosphäre zerstört
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Dr. Ilja Seifertwird. Daher sind Ausgleichsmaßnahmen erforderlich,die tatsächlich wirkungsvoll sind, sodass die Umweltzer-störung, die wir anrichten, überkompensiert wird.
Diese Erkenntnis ist keine Meinung, die von linkssektie-rerischen Kreisen vertreten wird, sondern anerkannterStand der Wissenschaft. Das sollte man einmal sagendürfen.Lassen Sie mich noch ein paar Worte über die Situa-tion der im Tourismusgewerbe beschäftigten Menschensagen. Auch hier finden wir eine sehr schwierige Situa-tion vor. Hunderttausende, wenn nicht gar MillionenMenschen leben davon, andere zu bewirten, zu beherber-gen, zu transportieren usw. Insofern gebe ich HerrnHinsken recht: Die Tourismuswirtschaft ist eine der Leit-wirtschaften des 21. Jahrhunderts, weil sie sehr arbeits-intensiv ist.Wenn in diesem Gewerbe aber kein existenzsichern-der Lohn erzielt werden kann, wenn die Beschäftigtennicht ganzjährig arbeiten können und wenn sie ununter-brochen mit einem Bein im Sozialamt stehen, dann kanndavon, dass die Menschen, die diese Arbeit leisten, zu-frieden sind, keine Rede sein.
Auch die Menschen, die im Tourismusgewerbe tätigsind, wollen einmal verreisen, nachdem sie sich anderengewidmet haben. Auch hier müssen wir investieren, undzwar in Form eines Mindestlohnes, von dem sie gut le-ben können.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, im Tourismusaus-schuss – das weiß ich sehr zu schätzen – herrscht eineganz andere Atmosphäre als in vielen anderen Ausschüs-sen dieses Hauses. Lasst uns diese Atmosphäre bitte indie anderen Ausschüsse verbreiten. Wir müssen die Un-terschiede, die zwischen uns bestehen, nicht verkleis-tern. Was aber die Art und Weise, wie wir miteinanderumgehen, betrifft, können wir etwas voneinander lernen.Ich kann allen Kolleginnen und Kollegen nur empfehlen:Kommt einmal in den Tourismusausschuss und sehteuch an, dass man auch fair miteinander streiten kann.Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
Nächste Rednerin ist die Kollegin Bettina Herlitzius,
Bündnis 90/Die Grünen.
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Ihre einseitige Begeisterung über die Wachstumsrateon 4 Prozent der Tourismusbranche erschreckt mich,eweist sie doch Ihr mangelndes Problembewusstsein.ffenbar haben Sie nicht verstanden, was die Stunde ge-chlagen hat. Wachstum als solcher ist kein Erfolg.
achstum kann stattfinden, ohne dass der Wohlstandteigt. Wachstum kann stattfinden, ohne dass es denenschen besser geht. Wir müssen über die Richtungprechen, in die der Tourismus wächst.
onst kann es passieren, dass wir, obwohl wir immereiter reisen, immer weniger erleben, weil wir die Weltmmer mehr verbrauchen, die Menschen, zu denen wirahren, immer mehr verarmen und die Umwelt immeronotoner und eintöniger wird. Die Vielfalt und Schön-eit der Reiseziele geht langfristig verloren.Über diese klimapolitische Richtungsentscheidungteht, von einzelnen Aufzählungen abgesehen, leiderichts im Tourismuspolitischen Bericht, Herr Minister.iemand braucht ein dickes Papier, in dem alle touristi-chen Themen irgendwie angesprochen werden. Dierage ist: Wie will die Bundesregierung erreichen, dassie Tourismuswirtschaft in eine klimafreundliche Rich-ung umsteuert?
Viele Bürgerinnen und Bürger und Teile der Touris-usbranche sind längst weiter; sie wollen nicht, dassurch ihren Urlaub die Umwelt geschädigt wird. Aber
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Bettina Herlitziuswenn, wie das bei einem Projekt in Mecklenburg-Vor-pommern der Fall ist, den Reisenden vorgegaukelt wird,dass sie durch den Kauf eines Baumes im Tourismus-wald einen CO2-neutralen Urlaub machen können, dannist das reine Geschäftemacherei. Wir brauchen dringendeinheitliche Standards für Nachhaltigkeitskriterien.
Es ist Ihre Aufgabe, Herr Minister, dafür zu sorgen,dass die Bürger die notwendigen Informationen bekom-men, damit sie auf dem Tourismusmarkt Wahlfreiheithaben. Eigentlich ist es ganz einfach: Legen Sie docheinfach fest, dass der Preis einer Pauschalreise die CO2-Belastungen enthalten muss!
Tourismus kann Wohlstand schaffen. 2020 wird jederzehnte Arbeitsplatz in den ostdeutschen Ländern vomTourismus abhängen. Das ist ein wichtiger Baustein fürden Aufbau Ost. Damit daraus aber dauerhafter Wohl-stand wird, muss die touristische Infrastruktur umwelt-und vor allem klimaschonend entwickelt werden. DerDeutschlandtourismus wächst; das ist eine großeChance. Wir sollten sehr viel mehr dafür tun und unsereNaturschätze – vom Elbstromtal bis zum Wattenmeer –entschiedener schützen.
In Hamburg haben die Bürgerinnen und Bürger jetzt dieChance, dafür zu stimmen.Der Anteil der Flugreisen nimmt zu: 38 Prozent derDeutschen fliegen mittlerweile in den Urlaub. Das ist einwachsender Reisemarkt; aber das ist auch ein wachsen-des Problem für unser Klima. Der CO2-Ausstoß durchFlugzeuge hat sich seit 1990 verdoppelt. Die Flugzeug-emissionen finden in großer Höhe statt und haben da-durch enorme negative Auswirkungen auf das Klima.Ich finde, angesichts dieser Zahlen ist es trostlos, wenndie Regierung im Tourismuspolitischen Bericht schreibt,dass angestrebt wird, die CO2-Emissionen pro Flug umbis zu 10 Prozent zu senken. Das ist ein Witz!
Der Flugverkehr wächst jährlich um 5 Prozent. Damit istder Effekt nach zwei Jahren schon bei null.Wir wollen niemandem das Fliegen verbieten. Nie-mand, der hier im Saal sitzt, will das. Aber Fliegen istein unerhörter Luxus, den sich nur ein kleiner Teil derMenschheit leisten kann. Wenn wir unsere politischeVerantwortung ernst nehmen, müssen wir die Bürgerin-nen und Bürger an dieser Stelle bitten, Maß zu halten.Das gilt aber auch für uns.Die Bundesregierung sieht das Problem offenbar ganzanders. Sie verschweigt das Problem und spricht beimFlugverkehr von einer positiven Entwicklung. Ich sehedarin einen Schnellzug in die Klimakatastrophe. AberhzvDuisDlssHre–mmmnmAwrtLsULauBrlUUWp
ie Bundesregierung subventioniert das Fliegen durchnversteuertes Benzin. Sie verzichtet freiwillig darauf,hre rechtlichen Möglichkeiten auszuschöpfen, um die-en Missstand zu beseitigen. Das ist ein Skandal.
enn diese Subventionen richten sich gegen solche Ur-aubsgebiete, die klimafreundlich erreichbar sind. Siechaden damit unserer mittelständischen Tourismuswirt-chaft.
err Minister Glos, es ist allerhöchste Zeit für einen fai-en Wettbewerb in der Tourismusbranche. Führen Siendlich die Kerosinsteuer und die Ticket-Tax ein.
Hier gibt es Möglichkeiten. Informieren Sie sich ein-al.
Auch beim Thema Tourismus kann ich es nicht ver-eiden, über das Lieblingsprojekt unseres Verkehrs-inisters, unsere Bahn, zu sprechen. Leider benutzenur 6 Prozent der Urlaubsreisenden die Bahn. Wasacht die Bahn? Anstatt attraktivere und zuverlässigerengebote für Urlaubsreisende zu entwickeln, streicht sieeiter Nachtzugverbindungen und verhindert die Fahr-admitnahme im ICE. So wird das Reiseangebot nie at-raktiv.
eider verzichtet die Bahn noch immer darauf, Öko-trom zu beziehen. Wieder eine verpasste Chance, ihremweltreisebilanz nachhaltig zu verbessern!
iebe Vertreter der Regierung von den großen Parteien,uch Sie haben Möglichkeiten. Noch gehört die Firmans. Warum sorgen Sie nicht konstruktiv dafür, dass dieahn nach vorne kommt? Stattdessen laufen Sie vor Ih-er Eigentümerverantwortung davon.
Der Kreuzfahrttourismus in Deutschland ist in denetzten zehn Jahren um das Dreifache gewachsen. Seinemweltbilanz ist katastrophal. Wer denkt denn schon anmweltverschmutzung, wenn weiße Kreuzer über blaueeltmeere schippern? Abfälle, Abgase und Abwässerassen nicht in diese heile Welt, vom Stromverbrauch
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Bettina Herlitziusganz zu schweigen. Mit dem Bedarf eines Kreuzfahrt-schiffes kann eine Stadt mit 200 000 Einwohnern ver-sorgt werden. Geht das wirklich nicht anders? Wo ist dasregenerative, klimaschonende, solarbetriebene Kreuz-fahrtschiff aus einer deutschen Werft? Was hat die Bun-desregierung bisher dafür unternommen? Nichts!
Lassen Sie mich zum Ende kurz etwas zu unserem ei-genen Antrag sagen. Tourismuspolitik macht nicht anunseren Grenzen halt. Ferntourismus, Tourismus in Ent-wicklungsländern, ist ein ökologisches Problem. AberFerntourismus dient auch der Völkerverständigung, derEntwicklung, der Demokratisierung und der Armutsbe-kämpfung. Es ist aber unsere Aufgabe, dafür zu sorgen,dass ein Gleichgewicht zwischen klimaschonenden Rei-seformen und armutsmindernden Auswirkungen desTourismus entsteht.Lassen Sie mich zum Schluss kommen. Wie siehtTourismuspolitik im Zeitalter des Klimawandels aus?Auf diese Frage müssen wir alle hier in diesem Hauseine Antwort geben. Ich wünsche mir, dass diesesThema endlich an erster Stelle steht.Danke schön.
Das Wort erhält nun der Kollege Jürgen Klimke,
CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! LiebeKolleginnen und Kollegen! Liebe Frau Herlitzius, wirhaben heute schon mehrfach gehört, dass Tourismus pri-mär etwas mit Freude, Freundschaft, Frieden, Freiheit,Völkerverständigung, gegenseitigem Vertrauen undwechselseitigem Kennenlernen, aber nichts mit einseiti-ger ökologischer Ideologie zu tun hat, wie Sie sie hiergerade vorgetragen haben.
Tourismus ist ein Wirtschaftsfaktor bei uns und drau-ßen in der Welt. Diesem wichtigen Thema geht der Be-richt der Bundesregierung nach. Ich danke ErnstHinsken und seinen Mitarbeitern ausdrücklich dafür,dass sie uns diese wichtigen Sachverhalte im Bereich desTourismus so detailliert dargestellt haben. HerzlichenDank!
Tourismus als Wirtschaftsfaktor ist auch Kernthemaunserer beiden Anträge zum Ferntourismus und zumKreuzfahrttourismus, die zusammen mit dem Bericht derBundesregierung heute behandelt werden.wssewwvsdlwDsWapawldMmhaddBdiFb1mdppNnfsunbKSdIs2nudm
ies war bisher nicht möglich, weil die Entwicklungszu-ammenarbeit touristische Projekte nicht gefördert hat.ir sehen aber gerade in der Entwicklungszusammen-rbeit die große Chance, Tourismus ohne negative As-ekte zu entwickeln: ökologisch nachhaltig, unter Be-chtung sozialer Mindeststandards und, was ganzichtig ist, mit Erhaltung der Identität der Entwick-ungsländer. Wir wollen keine Globalisierung im Sinneer Schaffung von Mainstreamsituationen und keinecDonaldisierung in den Entwicklungsländern, wie esanchmal leider der Fall ist. Die Nachhaltigkeit ist unsier besonders wichtig, und wir sehen in der Zusammen-rbeit mit den Entwicklungsländern große Chancen fürie deutsche Wirtschaft.Zweitens. Der Kreuzfahrttourismus, so heißt es inem Bericht, ist ein besonders dynamisch wachsenderereich der deutschen Wirtschaft. Die Zahlen belegenies eindeutig: Der Umsatz bei Hochseekreuzfahrten istn den letzten zehn Jahren um 173 Prozent gestiegen, beilusskreuzfahrten um 252 Prozent. Der Gesamtumsatzei Kreuzfahrten von Deutschen betrug im Jahr 2006,7 Milliarden Euro, und in diesem Jahr gab es erstmalsehr als 1 Million deutsche Passagiere. Dies geht miter Indienststellung neuer Schiffe gerade auf den euro-äischen Routen einher. Neue Schiffe bedeuten Arbeits-lätze auch bei uns: bei der Meyer-Werft in Papenburg,ordniedersachsen, bei Reisebüros und bei den Termi-als. Es ist uns wichtig, dass die Werften und ihre Zulie-erer volle Auftragsbücher haben.
Meine Damen und Herren, Deutschland wird zudemelbst zu einem attraktiven Reiseland für Kreuzfahrt-nd Fährtouristen. Gerade die Skandinavier kommenach Deutschland, bleiben einige Tage hier und gebenei uns Geld aus. Fragen Sie doch einmal in Rostock,iel, Hamburg, Cuxhaven, Lübeck, Bremerhaven undassnitz nach, welch einen wichtigen Wirtschaftsfaktorie Passagiere darstellen, die von den Schiffen kommen.ch habe bei uns in Hamburg nachgefragt: Im Durch-chnitt lässt jeder Passagier eines Kreuzfahrtschiffes00 Euro in Hamburg. Das sind jährlich 22 Millio-en Euro. Hamburg ist eine reiche Stadt; aber wir freuenns über diese zusätzlichen 22 Millionen Euro und wür-en uns über weitere Ausgaben von Passagieren nochehr freuen.
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Jürgen KlimkeMit diesem Antrag wollen wir den Kreuzfahrttouris-mus weiter voranbringen und sicherstellen, dass mehrSchiffe unter deutsche Flagge kommen. Bisher fährt nurein einziges Schiff unter deutscher Flagge. Bei der Ton-nagesteuer im Frachtbereich ist es uns gelungen, dendeutschen Anteil zu erhöhen. Dies wollen wir auch beider Anzahl der Passagierschiffe erreichen, die unterdeutscher Flagge fahren.
Meine Damen und Herren, auch in weitere Bereichemuss mehr investiert werden. Als Beispiel nenne ichbessere Verkehrsanbindungen der Terminals an Bahn-höfe, damit die Passagiere zum Beispiel Tagesfahrtennach Dresden oder Berlin machen und auch dort ihr Geldausgeben können.Das von uns geforderte Auslandsmarketing der Deut-schen Zentrale für Tourismus bringt, vor allem in Ver-bindung mit einer verstärkten Markenbildung, vieleReisende nach Deutschland. Wir haben mit der wunder-schönen Ostsee eine wunderbare Marke, internationalals Baltic Sea bekannt. Warum kann der Ostseetourismusnicht genauso intensiv forciert werden wie der Touris-mus im Mittelmeerraum oder in der Karibik?Wir haben einzigartige Attraktionen, zum Beispiel diesogenannten weißen Nächte, die weltweit einzigartigsind. Das ist gerade für Kreuzfahrten etwas Wunderba-res.Wir brauchen die Unterstützung der Politik. Unserebeiden Anträge machen deutlich, welche Maßnahmenmöglich sind. Bitte unterstützen Sie uns weiter dabei.Danke sehr.
Der Kollege Jens Ackermann hat nun das Wort für die
FDP-Fraktion.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine lieben Kollegin-nen und Kollegen! Kennen Sie noch das Wort des Jahres1989? Es lautet Reisefreiheit. Andere Länder und Kultu-ren kennenzulernen, ist eine Sehnsucht der Menschen.Ich freue mich, dass dies möglich ist.
Ich möchte aber auch darauf hinweisen, dass es imniedersächsischen Landtag eine Abgeordnete gibt, diesich gegen die Reisefreiheit ausgesprochen hat, indemsie die Berliner Mauer verherrlicht hat.
Die Partei Die Linke ist dafür verantwortlich, dass Geg-ner der Freiheit in Parlamente einziehen.cMnlnCazufEgpnsddmS5HSabwwIUaMunritnBAdbdnD
Die Welttourismusorganisation schätzt, dass weltweitirca 800 Millionen Menschen reisen, davon eine halbeilliarde grenzüberschreitend. Die Zahl wird sich in denächsten zwei Jahren verdoppeln. Die Ursache hierfüriegt in Asien. Gegenwärtig besitzen 2 Prozent der Chi-esen einen Reisepass. Die Tendenz ist steigend. Diehinesen und andere Asiaten werden nach Europa unduch nach Deutschland reisen, und sie werden mit Flug-eugen kommen.Die Globalisierung ist eine Riesenchance für Europand auch für Deutschland, wenn wir weltoffen und gast-reundlich sind.
ine Kerosinsteuer, wie sie vom Bündnis 90/Die Grünenefordert wird, würde nur dazu führen, dass Arbeits-lätze der boomenden Luftfahrtindustrie von Europaach Dubai verlagert würden. Das schwächt die Wirt-chaft zulasten der Arbeitsplätze in Deutschland, undem Klima ist damit auch nicht geholfen. Das möchteie FDP nicht.
Es gibt einen Menschen, der es schaffen kann, nochehr internationale Gäste nach Deutschland zu locken.ie kennen ihn alle: Es ist Martin Luther. 2017 wird der00. Jahrestag der Reformation begangen. Herrinsken, Sie sind zwar katholisch, aber ich hoffe, dassie trotzdem dieses Fest mit uns feiern werden. Christenus der ganzen Welt werden die Wirkungsstätten Luthersesuchen. Die anstehende Dekade bis zum Lutherjahrird Sachsen-Anhalt und Thüringen weiteren Rücken-ind bringen, wenn die Rahmenbedingungen stimmen.ch habe die Sorge, dass die Große Koalition den kleinennternehmern in der Tourismuswirtschaft durch eineusufernde Bürokratie, ein verkrustetes Arbeitsrecht,aßnahmen wie die gerätebezogene Rundfunkgebührnd ein Jugendarbeitsschutzgesetz, das die Jugendlichenicht schützt, sondern nur verhindert, dass 16- oder 17-Jäh-ige eine Lehrstelle erhalten, die Luft nimmt.
Im Tourismuspolitischen Bericht der Bundesregierungst auf Seite 9 zu lesen, dass die Busbranche Beeinträch-igungen durch die Umsetzung der EU-Feinstaubrichtli-ie befürchtet und dass sich der Tourismusbeauftragte derundesregierung bei den Ländern und Kommunen fürusnahmegenehmigungen einsetzt. Ich frage mich, wasabei herausgekommen ist. Herr Hinsken kämpft wie einayerischer Löwe für die Branche. Es kommt aber nichtsabei heraus, weil Sie sich bei Ihrem Koalitionspartnericht durchsetzen können.
as belastet die in der Tourismuswirtschaft Tätigen.
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Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 146. Sitzung. Berlin, Freitag, den 22. Februar 2008 15425
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Jens AckermannDie Politik der Großen Koalition belastet aber auchdie Menschen, die Urlaub machen wollen. 1 600 Eurohaben die Menschen weniger in der Urlaubskasse durchdie Politik der Großen Koalition. Sie nehmen den Men-schen durch die Erhöhung der Mehrwertsteuer, durch dieKürzung der Pendlerpauschale und durch steigendeKrankenkassenbeiträge das Geld aus der Tasche.Ich fordere Sie auf: Lassen Sie den Menschen ihrsauer verdientes Geld, damit sie weiter Lust am Reisenhaben!
Nächste Rednerin ist die Kollegin Brunhilde Irber,
SPD-Fraktion.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen undKollegen! Manches fordert mich heraus, Frau Herlitzius.Sie sollten sich vielleicht die Protokolle durchlesen. Eswar Ihre Kollegin Halo Saibold, die damals einen ein-stimmigen Beschluss des Deutschen Bundestages zurBesteuerung des Flugbenzins herbeigeführt hat. Aberdas ist auf europäischer Ebene nicht durchsetzbar.
Nicht einmal Ihre Kollegen im Europäischen Parlamenthaben es geschafft, diesen Beschluss umzusetzen. Ichmöchte auf dieses Thema nicht weiter eingehen.Wurde die Tourismuswirtschaft früher noch belächelt,gilt sie heute als einer der globalen Wachstums- und Be-schäftigungsmotoren. Die UNWTO geht bis zum Jahr2020 von einer Zunahme des weltweiten Reiseverkehrsauf 1,6 Milliarden Touristenankünfte aus. Dies ent-spricht fast einer Verdoppelung der jetzigen Zahl. Das istdie eine Seite der Medaille. Die andere Seite der Me-daille ist ein verschärfter globaler Wettbewerb der Reise-ziele um die Touristen. Für 2020 rechnet die UNWTOdaher mit einem Rückgang des europäischen Anteils anden internationalen Ankünften von knapp 55 auf 45 Pro-zent. Unsere Marktanteile werden wir also an Reisezielein anderen Weltregionen wie Asien, den Mittleren Ostenund zunehmend an Afrika verlieren.Globalisierung bedeutet für den Tourismus Chanceund Herausforderung zugleich. Für Deutschland ist sieeine Chance, weil im Zuge der Erweiterung der Nach-holbedarf unserer neuen EU-Nachbarn an Auslandsrei-sen große Wachstumschancen mit sich bringt. Besondersals Geschäftsreisen- und als Messestandort ist Deutsch-land für Osteuropa sehr attraktiv. Deutschland profitiertvon der EU-Osterweiterung im Vergleich zu den altenEU-Ländern in besonderem Maße. Globalisierung istaber auch Herausforderung, weil der europäische Ostenaufgrund seines niedrigen Preisniveaus einen knallhartenWettbewerbsvorteil hat. Auf die Herausforderungen die-sDhDwsdwguR7g2–ATTdrigrRmldeksDghgrdsknTuumDgemwbüv
Da kann man schon klatschen.Der Klimawandel wird in Zukunft das touristischengebot beeinflussen. Naturkatastrophen können denourismus in traditionellen Zielgebieten gefährden undouristenströme verlagern. In Wintersportregionen wer-en die Besucherzahlen aufgrund von Schneemangel zu-ückgehen. Die andere Konsequenz dieser Entwicklungst, dass veränderte klimatische Bedingungen auch stei-ende Besucherzahlen in der Nebensaison oder Verlage-ungen der Tourismusströme von südlichen in nördlicheegionen bedeuten können. Tatsächlich geht das Potsda-er Institut für Klimaforschung davon aus, dass Deutsch-and mit 25 bis 30 Prozent mehr Touristenankünften zuen Gewinnern gehören wird. Jedoch sind hierfür auchntsprechende Tourismuskonzepte notwendig.Deutschland ist ein attraktives Reiseziel. Das verdan-en wir einer reizvollen, abwechslungsreichen Land-chaft und einer erstklassigen touristischen Infrastruktur.amit nicht genug: Deutschland bietet auch ein vielfälti-es Kulturangebot, komfortable Unterkünfte sowie einohes Qualitätsniveau in den Bereichen Sicherheit, Hy-iene und medizinische Versorgung. Wenn wir konkur-enzfähig bleiben wollen, müssen wir uns vor allem aufem Gebiet Produktqualität, Preis- und Servicequalitättändig weiterentwickeln; denn Qualität setzt sich überurz oder lang immer durch.Wir sind auf dem richtigen Weg. Das zeigt das Ergeb-is der Umfrage von „Qualitätsmonitor Deutschland-ourismus“. Auf einer Skala von 1 bis 6 erhielten wir vonnseren Gästen die hervorragende Note 1,8. Die WM hatns einen Imageschub beschert, den wir weiter verstärkenüssen. Die gezielte Vermarktung des Urlaubslandeseutschland mit der Service- und Freundlichkeitskampa-ne der Deutschen Zentrale für Tourismus war und istine Erfolgsstory. Der Tourismusausschuss – das freutich besonders – hat hierfür den Anstoß gegeben.Die politischen Weichen für die Tourismusbrancheerden zunehmend auf der EU-Ebene gestellt. Wir ar-eiten mit Nachdruck am Bürokratieabbau bei grenz-berschreitenden Dienstleistungen und auch am Abbauon Wettbewerbsverzerrungen.
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Brunhilde IrberDie Harmonisierung von Wettbewerbsbedingungen inEuropa ist eine vordringliche Aufgabe. Dass das derrichtige Weg ist, zeigt die Tatsache, dass Europa nachwie vor mit großem Abstand weltweit die ReiseregionNummer eins ist. Auf internationaler Ebene ist Deutsch-land in der Welttourismusorganisation bis 2009 sogar imExekutivrat vertreten, aber auch in der OECD und denFachgremien der UN. Deutschland setzt sich hier mitNachdruck für die Einhaltung des Ethikkodex zumSchutz vor sexueller Ausbeutung von Kindern ein.
Wir beraten heute aber auch den Entschließungsan-trag der FDP zum tourismuspolitischen Bericht. Darinist von „übertriebenen und überflüssigen Sicherheitsvor-kehrungen“ die Rede. Wenn das Thema Sicherheit nichtso wichtig ist, warum machen dann 86 Prozent der deut-schen Touristen ihre Reiseentscheidung von ihrer per-sönlichen Sicherheit am Urlaubsort abhängig? Wir sindfür die Sicherheit unserer Bürger und Gäste verantwort-lich und müssen auch Vertrauen in diese Sicherheit ver-mitteln.
– Ja, dann muss man sich aber überlegen – –
– Das hat aber nichts mit Deutschlandtourismus zu tun.
Jetzt muss ich mich beeilen, weil der Präsident schonblinkt.
Das ist völlig richtig. Ich bitte im Übrigen den Kolle-
gen Burgbacher, die Rednerin nicht weiter zu stören.
Ich möchte noch ein Thema, das mir sehr am Herzen
liegt, aufgreifen. Das Deutsche Seminar für Tourismus,
finanziert seit 1980 vom Bund und von Berlin, leistet ei-
nen wertvollen Beitrag zur Fort- und Weiterbildung
unserer Touristiker. Der Rechnungsprüfungsausschuss
fordert nun eine Neuausrichtung der Förderung des
Deutschen Seminars für Tourismus. Dazu wird das Bun-
desministerium bis Ende August einen Bericht vorlegen.
Ich appelliere an Herrn Minister Glos, sich vehement für
den Erhalt dieser einzigartigen Fortbildungseinrichtung
für den gesamten Deutschlandtourismus einzusetzen.
Eine Einstellung der Förderung wäre ein Rückschritt für
unsere Branche und widerspräche unseren Zielen der
Förderung des Qualitätstourismus.
Herzlichen Dank.
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Ich frage Sie: Sind Sie mit mir der Ansicht, dass die Ta-
rifautonomie damit ausgehöhlt würde und dass dies ten-
denziell zum Abbau von Arbeitsplätzen führen würde?
Ist die CDU/CSU bereit, klipp und klar zu erklären, dass
sie so etwas nicht mitmachen würde?
Ja, Herr Burgbacher, ich schließe mich Ihrer Positionan.Arbeitsplätze im Tourismus – das wird hin und wie-der vergessen – sind nicht exportierbare Arbeitsplätze.Das Tourismusbarometer des Ostdeutschen Sparkassen-und Giroverbandes, das zur ITB wieder aufgelegt wird,zeigt die enormen Wachstumspotenziale, die sich in denletzten 18 Jahren in den neuen Bundesländern ergebenhaben. Ich spreche das an, weil im nächsten Jahr die Ver-anstaltung „20 Jahre Wiedervereinigung des deutschenVaterlandes“ stattfinden wird. Ich sage an dieser Stelleganz klar: Es gibt noch Potenziale, die auszuschöpfensind. Allein daran, dass 47 Prozent der westdeutschenLandsleute in den vergangenen 18 Jahren noch nie inden neuen Bundesländern waren – Emnid hat das vorkurzem ermittelt –, sieht man, welch enorme Potenzialeim Bereich Tourismus bestehen.Ich möchte wie die Kollegin Irber kurz auf die zweidirekt vom Bund geförderten Institutionen eingehen.HmhsSdNhMrmnbBntHlGieSsW53rteOtrtdAbgMwaeAsgbwsEaTdW
Wir müssen einfach einmal zur Kenntnis nehmen,ass wir die Welt nicht unbedingt neu erfinden können.ir brauchen einen Wettbewerb von klimaneutralen
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Klaus BrähmigTourismusregionen. Das wäre ganz einfach. Es gehtnicht darum, alles von Berlin aus per Gesetz zu regeln;vielmehr muss der Wettbewerb in den Regionen gestärktwerden. Der Südtiroler Reinhold Messner hat kürzlichdazu aufgefordert, der Globalisierung das Regionale ent-gegenzusetzen. Ich glaube, Reinhold Messner hat recht.Warum muss ein Steak aus Argentinien kommen? Kannes nicht vom Bauernhof neben der Gaststätte kommen?Diese Aufgaben müssen wir in der nächsten Zeit nochintensiver angehen.
Wir sind uns in diesem Hause einig, dass kein Landso vielfältig, so abwechslungsreich, so kulturreich und,was das Reisen angeht, so sicher wie Deutschland ist.Gerade aus diesem Grund ist Deutschland für die Deut-schen das Urlaubsland Nummer eins. Ich wünsche alldenen, die dieses Jahr eine Reise machen wollen – wennmöglich, in Deutschland –, von ganzem Herzen guteReiseerfahrungen und Erlebnisse. Der Tourismusbran-che und den Unternehmen wünsche ich gute Geschäfteund zufriedene Kunden.Wilhelm Busch ist heute schon einmal bemüht wor-den. Auch ich will das sehr gerne tun. Offensichtlich hater sich mit dem Thema Reisen sehr intensiv beschäftigt.Er schrieb einmal:Eins, zwei, drei im Sauseschritt,läuft die Zeit, wir laufen mit.Schaffen, schuften, werden älter,träger, müder und auch kälter,bis auf einmal man erkennt,dass das Leben geht zu End'!Viel zu spät begreifen vieledie versäumten Lebensziele:Freude, Schönheit und Natur,Gesundheit, Reisen und Kultur.Drum, Mensch, sei zeitig weise!Höchste Zeit ist’s: Reise, reise!
Herr Kollege Brähmig, Sie haben zu Recht kalkuliert,
dass ich mich als Kulturpolitiker scheuen würde, Sie
beim Vortragen eines Gedichts zu unterbrechen.
Dennoch wäre es noch schöner gewesen, wenn der Vor-
trag dieses Gedichts zu einem früheren Zeitpunkt begon-
nen hätte, um noch innerhalb der Redezeit in voller
Schönheit abgewickelt werden zu können.
Nun hat als Letzter in dieser Debatte das Wort der
Kollege Dr. Reinhold Hemker für die SPD-Fraktion.
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Ich schließe die Aussprache.Wir kommen zu den Überweisungen. Interfraktionellird Überweisung der Vorlagen auf Drucksachen 16/8000,6/7614 und 16/8176 an die in der Tagesordnung aufge-ührten Ausschüsse vorgeschlagen. Der Entschließungs-ntrag der Fraktion der FDP auf Drucksache 16/8194oll an dieselben Ausschüsse überwiesen werden. Sindie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann ist daso vereinbart.Wir kommen nun unter Tagesordnungspunkt 24 b zureschlussempfehlung des Ausschusses für Tourismusuf Drucksache 16/8173.Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe a seinereschlussempfehlung die Annahme des Antrags derraktionen der CDU/CSU und SPD auf Drucksache 16/4603it dem Titel „Zukunftstrends und Qualitätsanforderun-en im internationalen Ferntourismus“. Wer stimmt füriese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? –er enthält sich? – Das Erste war die Mehrheit. Die Be-chlussempfehlung ist angenommen.Unter Buchstabe b empfiehlt der Ausschuss die Ab-ehnung des Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grü-en auf Drucksache 16/4181 mit dem Titel „Tourismusur Armutsbekämpfung und zur sozialen und ökologi-chen Entwicklung in den Partnerländern nutzen“. Wertimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt
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15430 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 146. Sitzung. Berlin, Freitag, den 22. Februar 2008
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Präsident Dr. Norbert Lammertdagegen? – Auch diese Beschlussempfehlung ist mitMehrheit angenommen.Tagesordnungspunkt 24 c, Beschlussempfehlung desAusschusses für Tourismus zu dem Antrag der Fraktio-nen CDU/CSU und SPD mit dem Titel „Kreuzfahrttou-rismus und Fährtourismus in Deutschland voranbrin-gen“.Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfeh-lung auf Drucksache 16/8172, den Antrag der Fraktio-nen der CDU/CSU und SPD auf Drucksache 16/5957anzunehmen. Wer stimmt dem zu? – Wer stimmt dage-gen? – Wer enthält sich? – Auch diese Beschlussempfeh-lung ist mit der Mehrheit der Koalitionsfraktionen ange-nommen.Ich rufe den Zusatzpunkt 9 auf:Beratung des Antrags der Abgeordneten JosefPhilip Winkler, Volker Beck , EkinDeligöz, weiterer Abgeordneter und der FraktionBÜNDNIS 90/DIE GRÜNENIntegrationspolitik der Bundesregierung –Große Kluft zwischen Anspruch und Wirk-lichkeit– Drucksache 16/8183 –Überweisungsvorschlag:Innenausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und JugendAusschuss für Menschenrechte und Humanitäre HilfeAusschuss für Bildung, Forschung undTechnikfolgenabschätzungNach einer interfraktionellen Vereinbarung sind fürdie Aussprache wiederum eineinviertel Stunden vorge-sehen. – Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das sovereinbart.Ich eröffne die Aussprache. Das Wort erhält zunächstder Kollege Volker Beck für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Eigentlichwar es ein Wunsch der Großen Koalition, heute hier überIntegration zu reden. Dann konnte sich die Große Koali-tion wieder einmal nicht auf eine gemeinsame Politikund einen gemeinsamen Antrag einigen. Deshalb be-durfte es einer Initiative von Bündnis 90/Die Grünen,
damit wir heute hier darüber sprechen können. SehenSie, Grüne machen vernünftige Träume wahr!
Die Große Koalition scheut zu Recht die Integrations-debatte, insbesondere die Union, weil sie kurz vor derHamburg-Wahl befürchtet, Unionspolitiker können haltnur Koch. In einer Weltstadt wie Hamburg kommenplatte Antworten wie von Roland Koch eben schlecht an.Dort lebt man Integration jeden Tag, und dort brauchtmdpdgsTd7smmlsehsu1adDSdmsds–hSAss
teht im Integrationsplan, wolle man ausgeben. Schautan genauer hin, stellt man fest, dass nichts anderes ge-acht worden ist, als alle Titel, die irgendwie mit Aus-ändern zu tun haben, zu addieren, bis hin zum Deut-chen Akademischen Austauschdienst, der, auch wennr wichtige Arbeit macht, mit Integrationspolitik über-aupt nichts zu tun hat. Das ist Blendwerk; das ist Verar-chung der Öffentlichkeit,
nd das muss man hier auch deutlich sagen.
Sie haben angekündigt, die Integrationsmittel jetzt um4 Millionen Euro zu erhöhen. Wunderbar! Das gleichtber die Kürzung von 67 Millionen Euro im Haushalter letzten zwei Jahre nicht einmal aus.
a sieht man, Sie machen in diesem Bereich zu wenig.ie reden viel, handeln nicht und nutzen das vonseitener CDU/CSU da, wo Sie meinen, damit Punkte sam-eln zu können – anders als in Hamburg –, zur Polari-ierung bei den Problemen, die wir haben. Wir müssenie Probleme anpacken und lösen, statt hier nur Worte zuchwingen.
So eine Integrationsbeauftragte wie diese FrauMutter Beimer im Kanzleramt –
atten wir noch nie. Lieselotte Funcke, Corneliachmalz-Jacobsen und Marieluise Beck hatten ein hohesnsehen in der Migrations-Community, weil sie inchwierigen politischen Debatten immer gerade die Ge-ichtspunkte dieser Community eingebracht haben.
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Volker Beck
Bei Frau Böhmer ist es so, dass sie im Wahlkampf HerrnKoch sekundiert und danach, wenn die Wolken sich ver-zogen haben, das Ganze ein bisschen schönredet. Dashat ihr erhebliche Kritik der Migranten eingebracht.Ich zitiere nur einen Migrationsvertreter Ihres Inte-grationsgipfels:Frau Böhmer ist Integrationsbeauftragte. Es ist ihreAufgabe, sich schützend vor die Migrantinnen undMigranten zu stellen.Dass sie das nicht getan hat, sondern noch Öl ins Feuerdieses Wahlkampfs gegossen hat, das hat viele ent-täuscht und entsetzt, und ich meine, zu Recht.
Meine Damen und Herren, wir haben eine heiße De-batte um die Rede von Herrn Erdogan gehabt. Dawurde gleich wieder die EU-Beitrittsfrage gestellt, diemit dieser Rede relativ wenig zu tun hat. Einen Punktsollten wir da ausdrücklich hervorheben. Herr Erdoganhat seinen Staatsbürgerinnen und Staatsbürgern und denMenschen, die aus seinem Land hier eingewandert sindund mittlerweile den deutschen Pass haben, ins Stamm-buch geschrieben: Schickt eure Kinder in die Kindergär-ten; lasst sie Deutsch lernen! Das ist die wichtige Frage,an der sich entscheidet, welche Zukunftschancen dieKinder in dieser Gesellschaft haben. Jeder, der HerrnErdogan in Köln zugejubelt hat, sollte diesen WortenFolge leisten. Das sollten wir den Menschen zunächsteinmal sagen.
Der zweite Punkt, den er angesprochen hat, führt ineine falsche Richtung, hat aber einen Impuls, den wirernst nehmen sollten. Er hat gesagt, er wolle hier türki-sche Schulen und türkische Universitäten gründen. Esgibt bei uns schon französische und englische Schulen.Aber bei der türkischen Minderheit in unserem Land ha-ben wir eine andere soziale Situation. Deswegen würdensolche türkischen Schulen zu mehr Segregation undnicht zu mehr Integration führen.
Das ist der falsche Weg. Aber zu Erdogans Vorschlagkommt das Bedürfnis nach Wertschätzung der türki-schen Sprache und Kultur zum Ausdruck. Warum sagenwir nicht wie im Falle der französischen und englischenSprache, dass die Zweisprachigkeit deutsch/türkisch eingewichtiges Qualifikationsmerkmal ist?
Laden wir doch Herrn Erdogan ein, türkische Lehrernach Deutschland zu schicken, die die deutsche und tür-kische Sprache beherrschen, um die Zweisprachigkeit anunseren Schulen auszubauen und vielleicht ein paardeutschen Schülerinnen und Schülern zu ermöglichen,tnDgaMzvhghPßüuIhgdadgVcddtIzdpgtmwKb
as wäre eine differenzierte Antwort auf Herrn Erdoganewesen. Damit wird Integration gefördert; denn sie hatuch etwas mit Wertschätzung zu tun. Es steht nichtehrheit gegen Minderheit. Integration fügt zwei Teileu einem neuen Ganzen zusammen. Das ist die Aufgabeon Integrationspolitik.Was die Bereitschaft, andere wertzuschätzen, angeht,apert es bei der Union grundsätzlich. Deswegen krie-en Sie Integrationspolitik schon vom Ansatz her nichtin.
Herr Kollege Beck, bei der Durchsicht Ihrer Rede im
lenarprotokoll werden Sie auf eine Formulierung sto-
en, die im parlamentarischen Sprachgebrauch nicht
blich ist
nd die ich für die Zukunft auch nicht zulassen möchte.
ch bin ziemlich sicher, dass Sie das, was Sie gemeint
aben, auch auf andere Weise hätten zum Ausdruck brin-
en können,
ie die Aufmerksamkeit stärker auf den Sachverhalt als
uf die Formulierung gerichtet hätte.
Nun erteile ich dem Kollegen Hartmut Koschyk für
ie CDU/CSU-Fraktion das Wort.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ichlaube, die Schrillheit und die Aufgeregtheit, die in derortragsweise des Kollegen Beck zu bemerken war, ma-hen deutlich, dass die Grünen ein Problem damit haben,ass die Integrationspolitik bei dieser Bundesregierungort angesiedelt ist, wo sie hingehört, nämlich im Zen-rum der Politik, vertreten durch die Staatsministerin fürntegration im Bundeskanzleramt.
Lieber Herr Beck, ich möchte mich schon differen-iert mit Ihrem Antrag – soweit er es zulässt – auseinan-ersetzen. Aber eines muss ich Ihnen schon sagen: Dieselumpe Weise, mit der Sie auf die Arbeit der Frau Kolle-in Böhmer als Beauftrage der Bundesregierung für In-egration in Ihrem Beitrag eingegangen sind, kann ichir nur so erklären, dass Sie noch heute darunter leiden,elche Durchsetzungskraft und welchen Einfluss Ihreollegin Beck im Spannungsfeld zu Otto Schily in sie-en Jahren Rot-Grün gehabt hat.
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15432 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 146. Sitzung. Berlin, Freitag, den 22. Februar 2008
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Hartmut Koschyk
Wir konnten nämlich erleben, wie Frau Beck gegen OttoSchily Integrationspolitik der Grünen in sieben JahrenRot-Grün durchgesetzt hat. Aber das Thema ist zu wich-tig, als dass wir uns mit derartigem Geplänkel weiter ab-geben sollten.Eines ist festzustellen: Die Grünen haben sich – manmuss sich einmal überlegen, woher sie, was die Integra-tion angeht, kommen – integrationspolitisch bewegt. Inihrem Antrag sagen die Grünen, dass die deutsche Spra-che der Schlüssel zur Integration ist. Liebe Kollegin-nen und Kollegen von den Grünen, ich kann mich daranerinnern, dass die Politik der Union noch vor Jahren vonIhnen als Germanisierungspolitik verunglimpft wurde,als wir diesen Satz nicht nur deklamatorisch, sondernverpflichtend mit Blick auf die Zuwanderer gesagt ha-ben.Ich bin noch wegen eines anderen Punktes froh überIhre Rede, Herr Beck. In Ihrem Antrag ist der Satz ent-halten:Die Diskussion um die Rede des türkischen Minis-terpräsidenten ... Erdogan führt ins Abseits.Ich habe mich gefragt, was dieser Satz soll. Wollen Sie,dass im Deutschen Bundestag und in der deutschen Öf-fentlichkeit über diese Rede nicht diskutiert wird? Dannkann ich mich nur dafür bedanken, dass Sie mit IhremRedebeitrag diese Diskussion begonnen haben. Es be-steht überhaupt kein Zweifel daran: Wir wollen würdi-gen, dass der türkische Ministerpräsident in seinerRede in Köln die Deutschen türkischer Abstammungund die Türken in Deutschland dazu aufgerufen hat,deutsch zu lernen und sich der deutschen Sprache zuzu-wenden. Wir wollen auch würdigen, welche bewegen-den und beruhigenden Worte der türkische Ministerprä-sident nach der schrecklichen Katastrophe vonLudwigshafen gefunden hat.
Wir wollen uns aber auch mit den anderen Aspekten die-ser Rede auseinandersetzen, weil sie diskussionswürdigsind; ich komme darauf noch zurück.In Ihrem Antrag erklären Sie, dass nicht nur das Ler-nen der deutschen Sprache für Sie selbstverständlich ist,sondern auch die Anerkennung der Rechtsordnung unddie Vermittlung unserer Geschichte und kulturellen Tra-ditionen. Wir freuen uns, dass die Grünen endlich auchin einem Antrag im Deutschen Bundestag eine glasklareAbsage an ihre früheren Vorstellungen von Multikultideutlich zum Ausdruck bringen.Eines ist aber in Ihrem Antrag klar ersichtlich: DieGrünen halten ihre hehren Grundsätze, die sie in ihremAntrag in zwei, drei Überschriften formulieren, dannnicht durch, wenn es vor allem im Sinne einer wirklichgtknbWwbGssdiWIimaMvsdusdusvImgDTVbhkasFda
enn deutsche Sprachkenntnisse wichtig sind, dannäre es doch besser, sie schon vor der Einreise zu erwer-en, um die Integration zu erleichtern. Das sind dierundgedanken der von der Großen Koalition beschlos-enen Novelle zum Zuwanderungsrecht, gegen die Sieich in Ihrem Antrag wieder nachdrücklich wenden.
Sie haben in Ihrem Antrag zum Ausdruck gebracht,ass die Diskussion über die Rede von Herrn Erdoganns Abseits führe.
ir meinen, über diese Rede muss diskutiert werden.ch will mich dem Aspekt zuwenden, dass Herr Erdogann seiner Rede in Köln auf Deutschland Bezug genom-en und Assimilierung verurteilt hat. Hierzu will ich inller Deutlichkeit sagen: Niemand erwartet von denenschen, die zu uns kommen, dass sie ihre Herkunfterleugnen und ihre kulturellen Wurzeln zu ihrer ange-tammten Heimat kappen. Aber wir erwarten von allen,ie auf Dauer in Deutschland leben wollen, dass sie mitns leben wollen und nicht neben uns her in Parallelge-ellschaften.
Die Rede von Herrn Erdogan hat viele Fragen, die füras Zusammenleben der Migrantinnen und Migrantennd der Mehrheitsbevölkerung in Deutschland wichtigind, leider nur am Rande gestreift. Die Lebenssituationon Mädchen und Frauen, Gleichberechtigung undntegration – das kam in der Rede von Herrn Erdoganit keinem Wort vor. Einen großen Raum nahmen dage-en die Leistungen seiner Regierung für die Türkei ein.ie Rede war ein Appell, als Türke in Deutschland derürkei die Treue zu halten. Das entspricht nicht unseremerständnis von Integration.Da der türkische Ministerpräsident deutsche Staats-ürger mit türkischen Wurzeln wörtlich dazu aufgerufenat, in Deutschland politischen Lobbyismus für die Tür-ei zu betreiben, sage ich ganz klar: Diesem Anspruchuf Instrumentalisierung deutscher Bürger treten wir ent-chieden entgegen.
ür alle in Deutschland gilt: Vereinnahmung für ein an-eres Land ist in niemandes Interesse. Dies ist vor allemuch nicht im Interesse der zugewanderten Menschen.
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Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 146. Sitzung. Berlin, Freitag, den 22. Februar 2008 15433
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Hartmut KoschykIch freue mich, dass wir uns in der Großen Koalitionin der Bewertung dieses Teils der Rede von HerrnErdogan sehr einig sind. Unsere Kollegin Akgün hat zuder Art der Kundgebung und der Werbung dafür zuRecht gesagt:Mit solchen Dingen werden unsere jahrzehntelan-gen Bemühungen um Integration fahrlässig kaputtgemacht.Wir stimmen der Kollegin Akgün in dieser Bewertungausdrücklich zu.
Wir stimmen auch dem Fraktionsvorsitzenden der SPD,Herrn Kollegen Struck, zu, der gesagt hat, die Rede vonHerrn Erdogan habe den Eindruck vermittelt, dass HerrErdogan „eine Parallelgesellschaft in Deutschland willoder zumindest bereit ist, eine solche Entwicklung zufördern“.Ich möchte mich noch einem Aspekt zuwenden, dendie Grünen in ihrem Antrag auch angesprochen haben.Frau Staatsministerin Böhmer wird dann auf die Integra-tionspolitik der Bundesregierung und auf die Umsetzungdes Nationalen Integrationsplans eingehen, und KollegeGrindel wird sich mit den Erfolgen des legislativen Han-delns in der Integrationspolitik befassen. Ich möchte da-rauf zu sprechen kommen, dass Sie sich für eine rechtli-che Gleichstellung des Islams einsetzen. Ich glaube,Sie müssen die Wirklichkeit ein bisschen differenzierterwahrnehmen. Sie sollten würdigen, dass es eine deutscheIslamkonferenz unter Vorsitz des Bundesinnenministersgibt.
Der Bundesinnenminister führt wichtige Gespräche mitden Muslimen in Deutschland. In Kürze wird eine ganzeReihe von operativen Maßnahmen zu erwarten sein. Dassollten Sie würdigen. Das tun Sie in Ihrem Antrag abermit keinem Wort.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Beck?
Gerne gestatte ich eine Zwischenfrage des Kollegen
Beck.
Bitte.
Vielleicht kennen Sie als Koalitionsmitglied ja In-
terna, die öffentlich nicht bekannt sind. Gibt es irgendein
Konzept oder einen Fahrplan für die religionsverfas-
sungsrechtliche Integration des Islams? Sie wissen,
dass es derzeit keine anerkannten islamischen Religions-
gemeinschaften gibt. Bei allen Themen der Integration
– Ausbildung von deutschsprachigen Imamen und Reli-
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Lieber Kollege Beck, liebe Freunde, liebe Kollegin-en und Kollegen von den Grünen, ich hätte mich ge-reut, wenn Sie in Ihrem Antrag den Bemühungen derhristlichen Kirchen in Deutschland, mit den Muslimenu einem ehrlichen und offenen Dialog zu kommen, eintück weit Rechnung getragen hätten. Sie sagen keinort zur EKD-Handreichung „Klarheit und gute Nach-arschaft“.
ch finde es sehr gut, dass der neue Vorsitzende dereutschen Bischofskonferenz, Robert Zollitsch, gesagtat, dass die Kirchen es begrüßen würden, wenn denuslimischen Schülern in Deutschland islamischer Reli-ionsunterricht – unter dem Dach der deutschen Schul-ufsicht – erteilt würde, allerdings unter Beachtung desrundsatzes, dass ein solcher Religionsunterricht ineutscher Sprache stattfindet.
Ich meine – damit will ich zum Schluss kommen –,ir haben als Mehrheitsgesellschaft den politischen undesellschaftspolitischen Auftrag, bei der Integration dasrinzip von Fördern und Fordern durchzuhalten. Dieritik, die Seyran Ates uns vor kurzem in Erinnerungerufen hat, sollte endlich etwas bewegen – ich darf mitem Zitat enden –: Die Mehrheitsgesellschaft schauteg, etwa, wenn türkische Mädchen von den Familienus dem Schwimmunterricht genommen werden odericht mit auf Klassenfahrt dürfen. Dann sagen sich vieleeutsche: Soll halt jeder nach seiner Fasson selig wer-en. Das klingt tolerant, aber diese Multikultiromantikewirkt genau das Gegenteil von Toleranz.
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15434 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 146. Sitzung. Berlin, Freitag, den 22. Februar 2008
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Hartmut Koschyk
Unsere Devise lautet: Hinschauen, nicht wegschauen.Nur mit Fördern und Fordern bringen wir die Integrationvoran. Diesen Weg beschreibt der Nationale Integra-tionsplan. Diesen Weg gehen wir weiter.Herzlichen Dank.
Sibylle Laurischk ist die nächste Rednerin für die
FDP-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-ren! Herr Beck, ich muss Sie nun doch als Ersten anspre-chen. Sie haben im Zusammenhang mit der Integrations-politik gerade von realistischen Träumen gesprochen.Ich denke, das ist ein Widerspruch in sich. Das ist einWiderspruch, den Sie mit dem Antrag „Integrationspoli-tik der Bundesregierung – große Kluft zwischenAnspruch und Wirklichkeit“ unterstreichen. Ich möchtebetonen, dass die FDP eine realistische Integrations-politik verfolgt und sich nicht in Träumen bewegt, wieSie es offenbar tun.
Die Integrationspolitik stand aufgrund des fürchterli-chen Brandunglücks in Ludwigshafen und des Besuchsdes türkischen Ministerpräsidenten in Deutschland inden jüngsten Tagen wieder sehr im Zentrum der Auf-merksamkeit. Um es klar zu sagen: Der FDP geht esnicht um Assimilation – das würde unserem Verständnisvom freien Menschen auch gar nicht entsprechen –, son-dern um Integration und um das Miteinander aller Men-schen in dieser Gesellschaft auf der Basis unseresGrundgesetzes.
Der Auftritt von Herrn Erdogan in Köln und die be-geisterte Reaktion seiner Zuhörer und Zuhörerinnen ha-ben uns schlagartig deutlich gemacht, dass Integrations-pläne und -gipfel Schritte auf einem Weg sind, der nochlange nicht zu Ende ist.
In diesem Land leben Menschen aus unterschiedlichenHerkunftsländern zusammen mit Deutschen, die ihrer-seits Migrationserfahrungen haben. Ich meine damit dieErfahrung in vielen deutschen Familien, dass nachFlucht und Vertreibung eine neue Heimat gefunden wer-den musste. Wir haben in diesem Land viel Integrations-erfahrung. Ich halte es für eine echte Zukunftsaufgabe,Integration, also das friedliche Zusammenleben allerMenschen, in Deutschland zu erreichen. Dazu gehörtatligdAWVAEuWdzWswasgwlcdeKBosTfDdmwwndzvttdwM
Gerade die Zwangsheirat ist ein Beispiel dafür, wienspruch und Wirklichkeit auseinanderklaffen können.ir als FDP-Fraktion haben die Gesetzgebung, die zurerhinderung von Zwangsheirat den Spracherwerb imusland für Zuwanderungswillige, insbesondere fürhefrauen aus der Türkei, notwendig macht, kritisiertnd halten sie für verfassungsrechtlich problematisch.ir werden sehen, wie es bewertet wird. Erste Urteileazu gibt es ja bereits.
Wir sind allerdings der Meinung, dass der Schlüsselur Integration der Erwerb der deutschen Sprache ist.
ir haben dies in unserem sogenannten Sprachantragchon lange deutlich gemacht. Selbstverständlich sagenir auch, dass es gut ist, weitere Sprachen – durchausuch mehr als ein oder zwei Fremdsprachen – zu beherr-chen. Wir leben in einem Land, das vom Export abhän-ig ist. Insofern ist es gerade im Hinblick auf unsereirtschaftliche Entwicklung wichtig, dass Sprachen er-ernt werden und über die deutsche Sprache hinaus Spra-hen beherrscht werden. Ich meine, dies ist ein Defizit iner deutschen Integrationspolitik, das uns nicht klar ist.Es muss für uns alle selbstverständlich werden, anzu-rkennen, was Migranten mitbringen, nämlich dieenntnis einer anderen Sprache, in vielen Fällen eineerufsausbildung, die hier oftmals nicht anerkannt wird,der auch Sitten und Gebräuche, die eine Bereicherungein können. Eine ernsthafte Auseinandersetzung mit derhematik, die frei vom nächsten Wahlerfolg, aber auchrei von überzogenen Schlagzeilen ist, ist notwendig.ie neueste Medienstudie belegt, dass Ausländer ineutschen Medien überwiegend in negativen Zusam-enhängen dargestellt werden. Dies ist ein Beleg dafür,elche enormen Anstrengungen noch unternommenerden müssen, um zu einem gesellschaftlichen Mitei-ander zu kommen, das den Begriff der Integration ver-ient.In diesem Zusammenhang möchte ich auf die Schlag-eile eines Artikels in der Zeit vom 14. Februar 2008erweisen: „Die Mauer muss weg!“. Das ist ein sehr gu-er Artikel, den ich nur empfehlen kann. Darin wird un-er anderem darauf hingewiesen, dass wir das Miteinan-er mit den Ausländern, die hier leben, immer noch zuenig als Wir verstehen und dass wir das Wir für alleenschen, die hier leben, beanspruchen sollten und da-
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Sibylle Laurischkbei nicht innerlich nur uns als Deutsche verstehen soll-ten.Schließlich lässt man die Probleme der Integrationmit einer inneren Abwendung eher verschwinden. Wersagt, die Ausländer seien so oder so, ändert nichts an denZuständen, sondern erklärt sich für nicht zuständig. Dasmüssen wir ändern. Insofern fand ich es interessant,kürzlich in einem Artikel in der Stuttgarter Zeitung zulesen, dass der Ausländeranteil in Deutschland sinkt. Ersinkt nicht, weil die Menschen Deutschland verlassen,sondern weil sie die Einbürgerung beantragen und Deut-sche werden.
Sie nehmen ein Integrationsangebot an, das wir sehrernst nehmen sollten. Sie entscheiden sich für diesesLand. Sie leben hier als Deutsche.
Damit ist das Wir, von dem ich gerade gesprochen habe,erreicht. Das müssen wir weiterentwickeln.Ich komme zum Schluss. Ein wechselseitiges Ab-schotten bringt uns im globalen Wettbewerb nicht weiter.Nur die Länder, die integrationsfähig sind, werden eineechte Entwicklungschance haben. Ich plädiere für dieEinrichtung einer Enquete-Kommission zum Thema In-tegration. So könnten wir alle lernen, und unsere An-strengungen würden sich nicht in gelegentlichen Debat-ten oder Integrationsgipfeln erschöpfen.
Das Gelingen von Integration ohne Kluft zwischenAnspruch und Wirklichkeit ist eine Zukunftsfrage fürdieses Land und für Europa.
Das Wort erhält nun der Kollege Fritz Rudolf Körper,
SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mitdem Eröffnungsapplaus bin ich zufrieden.Ich bin ein bisschen traurig und enttäuscht darüber,wie der Kollege Volker Beck diese Debatte begonnenhat.
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Das sage ich in aller Ruhe, weil ich der Auffassungin, dass man dieses Thema umschreiben muss. Dannann man erkennen, um welche Dimension es dabeieht. Wir waren eine Zeit lang heftig umstritten, als wiresagt haben: Deutschland ist ein Einwanderungsland.as wurde bestritten. Fakt ist aber: Deutschland ist eininwanderungsland.
atsache ist, dass 15 Millionen Menschen mit sogenann-em Migrationshintergrund in unserem Land leben.ch weiß, dass der Begriff „Migrationshintergrund“ strit-ig ist; mir fällt im Moment aber kein besserer Begriffin.
Wenn man vor diesem Hintergrund über Integrationedet, dann müssen wir betonen, dass die Integration ei-es Teils dieses Personenkreises als gelungen betrachteterden kann. Dafür gibt es Beispiele. Man sollte für In-egration werben, indem man diese Beispiele in den Mit-elpunkt rückt.
Das sage ich nicht, um die Integrationsdefizite, dieei vielen festzustellen sind, zu verniedlichen oder ver-essen zu machen. Überhaupt keine Frage: Diese Inte-rationsdefizite haben auch einen Namen, beispiels-eise mangelnde oder überhaupt keine Kenntnisse dereutschen Sprache oder Mangel an Ausbildung undchulischer Bildung. Die Zahlen, die im Rahmen der In-egrationsgipfel zugrunde gelegt wurden, sind schon er-chreckend. Ich bin der Auffassung, mit diesen Fragenüssen wir uns fernab des üblichen parteipolitischeneplänkels beschäftigen. Bund, Länder, Gemeinden undie gesamte Gesellschaft haben die Aufgabe, weiterhinür eine gelingende Integration zu sorgen.
Integration ist sehr einfach zu definieren. Integrationeißt Teilhabe. Diese Teilhabe hat rechtliche, ökonomi-che, soziale und politische Gesichtspunkte. Meine Da-en und Herren, Ziel einer guten Integrationspolitik ist,llen dauerhaft und rechtmäßig in Deutschland lebenden
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Fritz Rudolf KörperMenschen unabhängig von ihrer Herkunft und ihrer Re-ligion gleiche Teilhabechancen zu ermöglichen. Das istder Auftrag.
Ich bin der Auffassung, nur so können wir den gesell-schaftlichen Zusammenhalt wahren und die Entwicklungvon Parallelgesellschaften verhindern.
Ich will auf das, was der türkische Ministerpräsidentgesagt hat, nicht im Einzelnen eingehen. Ich will michdarauf beschränken, ihm zu sagen: Forderungen, die da-rin münden, Parallelstrukturen oder sogar Parallel-gesellschaften in unserem Lande zu schaffen, lehnenwir ab, und wir werden so etwas zu verhindern wissen.Das muss man klar sagen.
Eine gelingende Integration setzt faire Chancen undeine klare Rechtsordnung voraus. Die Grundlage ist rela-tiv leicht zu beschreiben: die Anerkennung der Werteund Normen unserer Verfassung. Konkret: Die Ach-tung der Menschenwürde, der Gleichberechtigung vonMann und Frau, der Meinungsfreiheit, der Glaubensfrei-heit und eine eindeutige Distanzierung von Gewalt, dasist der Wertekanon, der Werterahmen, innerhalb dessenIntegration stattzufinden hat.
Natürlich gilt die Devise „Fördern und Fordern“; aberes muss auch „Fordern und Fördern“ gelten. Man mussdie Chance auf eine faire Teilhabe schaffen. Ziel unsererIntegrationspolitik muss die volle gesellschaftliche Teil-habe sein. Diese wird meines Erachtens erst durch Ein-bürgerung erreicht. Das Ergebnis einer gelungenen In-tegration muss die Einbürgerung sein. Leider ist es so,dass die Zahl der Einbürgerungsverfahren und Einbürge-rungsentscheidungen in den letzten Jahren zurückgegan-gen ist.
Wir müssen deshalb dafür werben, dass von der Mög-lichkeit zur Einbürgerung verstärkt Gebrauch gemachtwird. Ich will dabei nicht verhehlen, dass ich der Auffas-sung bin, dass wir im Sinne gelingender Integration einevernünftige Regelung für das Optionsmodell findenmüssen.
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s ist schade, dass wir in der Debatte, die er ausgelöstat, einen Rückfall in alte Klischees, die einer gelingen-en Integrationspolitik nicht das Wort reden, erlebenussten.
u diesen Aussagen hätte ich mir von Ihnen, liebe Frauöhmer, insbesondere aber von der Bundeskanzlerinehr Differenzierendes, mehr Distanzierendes und we-iger Relativierendes gewünscht.
adurch hätten Sie einen guten Beitrag zu einer gelin-enden Integrationspolitik in Deutschland geleistet.Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.
Das Wort hat nun Kollegin Sevim Dağdelen, Fraktion
ie Linke.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen underren! Es ist leider so: Vor mir kam eine Sonntagsrede,nd nach mir wird wahrscheinlich auch eine kommen.
Kommen wir zu dem vorliegenden Antrag der Grü-en. In dem Titel des Antrags wird die große Kluft zwi-chen Anspruch und Wirklichkeit beklagt. Ich aberehaupte, diese gibt es gar nicht. Was ist die integra-ionspolitische Wirklichkeit in Deutschland? Die Wirk-ichkeit ist, dass Herkunft sowie soziale Lage über denebensweg in Deutschland entscheiden. Migrantinnen
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Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 146. Sitzung. Berlin, Freitag, den 22. Februar 2008 15437
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Sevim DaðdelenSevim Dağdelenund Migranten sind dabei besonders betroffen. Sie gehö-ren häufig den sozial benachteiligten Schichten an.Die Wirklichkeit für sie ist, dass ihre Kinder wegender Gebühren oftmals nicht in die Kitas gehen können.Zudem fehlt es an Angeboten frühkindlicher Sprachent-wicklung im Rahmen einer institutionalisierten Tagesbe-treuung für Kinder unter drei Jahren. Der Mangel anKita-Plätzen ist in den westdeutschen Ballungsgebietenextrem hoch, also genau da, wo Migrantinnen und Mi-granten meistens leben. In den alten Bundesländern be-trägt die Versorgungsquote bei unter Dreijährigen ledig-lich 8 Prozent.Die Wirklichkeit ist auch, dass Kindern und Jugendli-chen mit Migrationshintergrund der Zugang zu weiter-führenden Schulen, zu Ausbildungsplätzen und zuHochschulen weitgehend verwehrt bleibt. An denHauptschulen sind sie überrepräsentiert, an den Gymna-sien hingegen unterrepräsentiert. 17,5 Prozent der aus-ländischen Jugendlichen beispielsweise verließen 2005die Schule ohne Schulabschluss. Das ist weit mehr alsbei den deutschen Jugendlichen. Bei ihnen sind es ledig-lich 7,2 Prozent; auch das ist schlimm genug.Die Wirklichkeit ist aber auch, dass es seit Mitte der90er-Jahre einen ungebrochenen Negativtrend bei derAusbildungsbeteiligung ausländischer Jugendlicher gibt.Ihr Anteil an allen Auszubildenden betrug im Jahr 2006nur noch 4,2 Prozent. 1994 waren es noch 8 Prozent. DieAusbildungsquote betrug 2006 bei ihnen 23 Prozent ge-genüber 57 Prozent bei deutschen Auszubildenden. Nurjeder dritte ausländische Jugendliche konnte in eine be-triebliche Ausbildungsstelle vermittelt werden. Bei deut-schen Jugendlichen war es die Hälfte.Nach dem im Dezember 2007 veröffentlichten Be-richt zur Lage der ausländischen Mitbürgerinnen undMitbürger in Deutschland haben ausländische Jugendli-che bei freien Berufen die größten Chancen. Dort beträgtihr Anteil 7,7 Prozent. Am geringsten sind die Ausbil-dungschancen mit 2,1 Prozent im öffentlichen Dienst. Indem vorherigen Bericht aus dem Jahre 2005 betrug dieseZahl – auch das ist noch jämmerlich, aber immerhin –2,6 Prozent, also deutlich mehr als heute.Die Wirklichkeit in Deutschland ist auch, dass die Ar-beitslosenquote von Migrantinnen und Migranten dop-pelt so hoch wie die der Gesamtbevölkerung ist. Außer-dem befinden sie sich vorwiegend in sogenanntenprekären Arbeitsverhältnissen, zumeist im Niedriglohn-bereich. Um die Chancengleichheit am Arbeitsmarkt– Herr Körper hat in diesem Zusammenhang von Teil-habe gesprochen – herzustellen, müssten circa700 000 Migrantinnen und Migranten eine Beschäfti-gung finden. Voraussetzung dafür ist eine identische Er-werbsquote.Die Wirklichkeit ist auch, dass 38 Prozent der Hartz-IV-Empfängerinnen und -Empfänger in diesem Land einenMigrationshintergrund haben. Jede fünfte Person mitMigrationshintergrund muss Grundsicherungsleistungenin Anspruch nehmen. Bei Personen ohne Migrationshin-tergrund ist es nur jede 14. Während die Armutsrisiko-quote in der Bevölkerung ohne MigrationshintergrundbMDDzorvUSDdtdIKhrkSSgrAiJLuotttadUAwlreuudsfmnDu
onkrete Lösungswege zeigen Sie nicht auf. Hiererrscht Fehlanzeige! Außer Sanktionen und Sonntags-eden fällt Ihnen hierzu nichts ein.
Was tut die Bundesregierung im Hinblick auf dieseatastrophale bildungspolitische Bilanz? An keinertelle des Berichts der Bundesregierung wird die früheelektion der Schülerinnen und Schüler durch das drei-liedrige Schulsystem infrage gestellt. Die diskriminie-ende und benachteiligende Beurteilungspraxis bei derufteilung auf die unterschiedlichen Schulformen spieltn dem Bericht ebenfalls keine Rolle. Dass Kinder undugendliche mit Migrationshintergrund bei gleichereistung schlechtere Beurteilungen von den Lehrerinnennd Lehrern bekommen, ist für diese Bundesregierungffensichtlich überhaupt kein Problem. Die frühe Selek-ion nach der vierten Klasse im deutschen Bildungssys-em ist von Ihnen gewollt; sie wird sogar noch vorange-rieben.Dies alles passt gut zu der neoliberalen Politik, die Sieuch sonst betreiben. Ihr Ziel ist nicht die Angleichunger Lebensverhältnisse, Ihr Motor des Fortschritts ist diengleichheit und die Zementierung der Kluft zwischenrm und Reich in unserer Gesellschaft. Sie haben be-usst über Jahrzehnte jede Integrationsförderung unter-assen – das betrifft nicht nur diese, sondern auch die vo-angegangenen Bundesregierungen – und stattdessenine Politik der gezielten Verweigerung der Integrationnd der Verweigerung von Rechten für Migrantinnennd Migranten gemacht. Im Rahmen der Novellierunges Zuwanderungsbegrenzungsgesetzes von Rot-Grünind im letzten Jahr folgerichtig noch weitere Verschär-ungen festgeschrieben worden. Über all das kommt im-er das Deckmäntelchen der Integration. Es hört sichatürlich gut an.
abei handelt es sich aber um ein Flüchtlingsabwehr-nd Desintegrationsgesetz.
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Sevim DaðdelenSevim DağdelenDiese Politik setzen Sie unbeirrt fort. Nicht umsonstverweigern Sie den hier geborenen oder lange hier le-benden Menschen die Beteiligung am politischen Wil-lensbildungsprozess. Ich hoffe, dass Frau Böhmer dieGüte haben wird, einmal zu erklären, warum sie, wennsie sagt, dass das kommunale Wahlrecht nicht ausreiche,nicht das aktive und passive Wahlrecht insgesamt for-dert, wie wir es zusammen mit den Grünen getan haben.
Meine Damen und Herren, bei dieser erfolgreichenIntegrationspolitik, nein, Desintegrationspolitik
– Ausnahmen bestätigen die Regel – ist es auch nichtverwunderlich, dass laut einer Umfrage nur 14 Prozentder Migrantinnen und Migranten aus der Türkei ihre An-liegen bei der Bundesregierung in guten Händen sehen.Wie das Essener Zentrum für Türkeistudien gestern mit-teilte, fühlt sich ein Viertel von Parteien gut vertreten,29 Prozent von Gewerkschaften und 32 Prozent von Mi-grantenselbstorganisationen. Allerdings sehen 27 Pro-zent – das ist das Schlimmste an dieser Mitteilung – dietürkische Regierung als Vertreterin ihrer Interessen an.Hier muss sich die Bundesregierung schon einmal fragenlassen, warum das so ist. Der Grund liegt auf der Hand:die Wirklichkeit der Lebensverhältnisse dieser Men-schen in Deutschland.Wenn Sie von Integration sprechen, Herr Körper undwie Sie alle heißen mögen, und damit Teilhabe meinen,dann will ich Ihnen deutlich machen, was Sie für dieTeilhabe dieser Menschen in Deutschland tun können.Sie müssen das dreigliedrige Schulsystem abschaffenund eine gemeinsame Schule für alle schaffen, damitauch diese Kinder und Jugendlichen Teilhabechancen inDeutschland wahrnehmen können.
Es bedarf zusätzlicher Mittel für Krippen, Kindergärten,Schulen, Hochschulen, berufliche Bildung und Weiter-bildung. Nur so kann die Teilhabe in unserer Gesell-schaft gelingen. Wenn nicht der soziale Status über denBildungsweg entscheiden soll, bedarf es einer gebühren-freien Kinderbetreuung auch in Kindergärten. Studien-gebühren lehnen wir ebenfalls ab, weil sie einen sozialenSelektionsfaktor darstellen, der sich gerade bei jungenMigrantinnen und Migranten bemerkbar macht.
Wenn Sie Jugendliche mit Migrationshintergrund bes-ser integrieren wollen, dann müssen Sie die Unterneh-men der Privatwirtschaft und den öffentlichen Dienst indie Verantwortung nehmen. Deshalb ist eine gesetzlicheAusbildungsplatzumlage erforderlich, nicht aber einAusbildungsbonus, wie er von Ihnen beschlossen undhier am Mittwoch von Ihrem Arbeitsminister erläutertwurde. Wenn Sie nicht wollen, dass Migrantinnen undMigranten im Niedriglohnbereich ausgebeutet werden,musvS5eDhugshdgbskKeMbbmdDtrzdldDcmbr
Zugleich lenken Sie seit Wochen und Monaten vonen Defiziten Ihrer Integrationspolitik ab. Die Kolleginağdelen hat seitenweise aus meinem Lagebericht zi-iert, den ich im Dezember vorgelegt habe. Diesem Be-icht liegen die Zahlen aus den Jahren 2005 und 2006ugrunde. Das ist in der Tat eine bittere Abschlussbilanzer grünen Integrationspolitik. Die Defizite sind erheb-ich.
Ich will nur zwei Daten anführen. Bei Migranten istas Risiko der Arbeitslosigkeit doppelt so hoch wie beieutschen. Ursache dafür sind fehlende oder unzurei-hende Abschlüsse. Rund 40 Prozent der Erwerbstätigenit Migrationshintergrund in Deutschland haben keineneruflichen Abschluss. Das belegen die Zahlen des Jah-es 2005.
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Staatsministerin Dr. Maria Böhmer
Besonders dramatisch ist, dass die Ausbildungsbetei-ligung der jugendlichen Ausländer bis 2006 auf 23 Pro-zent gesunken ist. Auch das ist ein Ergebnis Ihrer man-gelnden Bemühungen.
Sie hätten die Chance gehabt, gegenzusteuern. Sie hättenBetroffene ins Bundeskanzleramt einladen und Integra-tionsgipfel durchführen können. Warum haben Sie dasnicht getan?
Ein Blick in Ihren Antrag zeigt, dass Sie sich mittler-weile nicht mehr nur auf das Ausländerrecht konzentrie-ren. Ihr Antrag liest sich wie die Kurzfassung des Natio-nalen Integrationsplans. Schön, dass Sie dazugelernthaben; es ist gut, dass Sie sich auf diesen Weg machen.
Sie sind herzlich dazu eingeladen. Sie fordern eine um-fassende Sprachförderung, den Ausbau der verpflichten-den Deutschkurse, die interkulturelle Öffnung der Kom-munen und die Gleichberechtigung von Mann und Frau.Nur: Was Sie fordern, haben wir schon längst auf denWeg gebracht.
Das ist der entscheidende Unterschied. Wir haben inder Integrationspolitik umgesteuert. In diesem Zusam-menhang danke ich den beiden Koalitionsfraktionen, diemit großer Vehemenz und großem Engagement diesesUmsteuern mit voranbringen.Herr Körper, ich darf noch einen Schritt weitergehenals Sie. Sie haben gesagt, Deutschland sei ein Einwande-rungsland. Ich meine, wir sind inzwischen mehr als einEinwanderungsland: Wir sind ein Integrationsland.
Denn uns verbindet das Anliegen, den 15 MillionenMenschen mit Migrationshintergrund in unserem Landeine Heimat zu geben und sie zu integrieren.
Wir haben Integration als Querschnittsaufgabe defi-niert und sie in den Mittelpunkt unserer Politik gerückt.Integration heißt – das wird von beiden Koalitionsfrak-tTagzgiudaDIlsfgenotMSWKaKbvtmvnkfDbDdeg
Die Regierung und die Große Koalition haben dieentralen Handlungsfelder der Integration konkret auf-egriffen. Dazu gehören gute Deutschkenntnisse – dasst das A und O – als Grundlage der Integration. Dafürnternehmen wir große Anstrengungen. Wir geben fürie Integrationskurse inzwischen 155 Millionen Eurous.
amit ermöglichen wir Verbesserungen im Bereich derntegration. Das war das erste große Thema im Nationa-en Integrationsplan.Die Bundesregierung weiß, dass sie hier in einer be-onderen Verantwortung steht. Wir haben eine Vorreiter-unktion im Zusammenhang mit dem Nationalen Inte-rationsplan wahrzunehmen. Ich bin sehr dankbar, dasss hier im Parlament und durch das Vorangehen des In-enministeriums gelungen ist, die Integrationskursver-rdnung pünktlich zum neuen Haushaltsjahr in Kraft tre-en zu lassen. Das schafft die Möglichkeit, dass mehrenschen, die zu uns gekommen sind, die deutscheprache – wie gesagt, das A und O – lernen können.
ir sehen heute, dass die Sprachförderung in jedemindergarten dazugehört. Sprachförderung von Anfangn ist die wichtigste Investition in die Zukunft unsererinder.
Wir setzen aber nicht nur auf die nachholende und dieegleitende Integration. Vielmehr fördern wir auch dieorbereitende Integration. Das wird von beiden Koali-ionsfraktionen mitgetragen. Es bedeutet einen Paradig-enwechsel in der Integrationspolitik, wenn wir jetzton denjenigen, die im Rahmen des Ehegattennachzugsach Deutschland kommen, nicht nur erste Deutsch-enntnisse verlangen, sondern ihnen auch konkrete Hil-estellung beim Erwerb dieser Kenntnisse durcheutschkurse an den Goethe-Instituten in der Türkei ge-en.
as ist keine Zumutung, sondern eine Erleichterung beier Integration in unserem Land.
Lassen Sie uns die Menschen ermutigen und nichtntmutigen! Das ist ein wesentliches Element der Inte-ration. Wir beschreiten mit dem Nationalen Integra-
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15440 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 146. Sitzung. Berlin, Freitag, den 22. Februar 2008
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Staatsministerin Dr. Maria Böhmertionsplan neue Wege und eröffnen neue Chancen. Aberdazu gehört auch, dass auch die andere Seite die neuenWege gerne geht.
Frau Böhmer, gestatten Sie eine Zwischenfrage der
Kollegin Dağdelen?
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Nein, das gestatte ich nicht; denn die Kollegin
Dağdelen hat ausreichend aus dem Lagebericht zitiert.
Sie braucht das jetzt nicht fortzusetzen.
Es ist aber auch klar: Sprachkenntnisse allein genü-
gen nicht. Wir müssen alles daran setzen, die Perspektiv-
losigkeit gerade der jungen Menschen zu überwinden.
Deshalb sind wir uns einig – daran werden wir mit aller
Kraft weiterarbeiten –: Bildung und Ausbildung sind
die Schwerpunkte der Integrationspolitik; denn 40 Pro-
zent der Jugendlichen aus Zuwandererfamilien verfügen
über keinerlei berufliche Qualifikation. Das müssen wir
überwinden.
Wir tun etwas dagegen. Wir haben am Mittwoch im
Bundeskabinett eine Qualifizierungsinitiative beschlos-
sen. Diese Qualifizierungsinitiative und insbesondere
der Ausbildungsbonus, mit dem wir 100 000 zusätzliche
Ausbildungsplätze gerade für die Altbewerber schaffen
wollen, werden den Jugendlichen aus Migrantenfamilien
zugutekommen. Dafür werden wir uns einsetzen.
Weil Sie immer über Geld reden: Wir geben rund
750 Millionen Euro aus. Hinzu kommen nun die Beträge
aus der Qualifizierungsinitiative. Allein für den Ausbil-
dungsbonus ist ein Volumen von 450 Millionen Euro
und für die Bildungsbegleiter ein Volumen von
240 Millionen Euro vorgesehen. Damit wollen wir den
Jugendlichen die Möglichkeit geben, einen besseren
Schulabschluss zu erreichen und ein Ausbildungsver-
hältnis einzugehen. Wir werden im Rahmen des Ausbil-
dungspaktes alles daransetzen, den Negativtrend zu
stoppen. Wir brauchen die Wirtschaft an unserer Seite.
Politik allein kann es nicht richten. Wir werden den
Schwerpunkt bei den Migranten setzen. Ich selbst werde
im April den Startschuss für ein bundesweites Netzwerk
„Bildungs- und Ausbildungspaten“ geben. Damit ist
klar: Wir reden nicht nur über Integration, sondern wir
handeln. Ich sage in aller Deutlichkeit: Das Jahr 2008
wird das Jahr der Integration in Deutschland sein.
Ich möchte noch etwas anfügen, was den Nationalen
Integrationsplan und die Zusammenarbeit mit den Mi-
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ie Migranten und Migrantinnen – nicht nur diejenigen,
ie organisiert sind, sondern auch die vielen anderen –
ind Partner und Handelnde. Sie übernehmen Verant-
ortung.
ntegration bedeutet auch, bereit zu sein, Verantwor-
ung zu übernehmen. Wir unterstützen die Eigeninitia-
ive und eine aktive Bürgergesellschaft im Bereich der
ntegration; denn der Staat allein wird es nicht schaffen.
ir brauchen eine Bewegung in unserem Land für Inte-
ration. Alle müssen das mittragen. Die Integrationspoli-
ik der Bundesregierung zeichnet aus, dass die Migran-
innen und Migranten als Aktive einbezogen sind.
Sie sind nicht mehr das Objekt der Integration, son-
ern sie sind diejenigen, die Integration verantwortlich
itgestalten. Das ist eine entscheidende Wendung. Ich
ill Ihnen einen Satz zitieren, den ein türkischstämmiger
tudent beim Migrantentreffen am 30. Januar im Bun-
eskanzleramt sagte: Wir sind hier, und wir gehören
azu. – Ich finde es eindrucksvoll, dass ein junger
ensch so deutlich zum Ausdruck bringt, dass er in
eutschland zu Hause ist. Wir wollen alles dafür tun,
ass er nicht nur willkommen ist, sondern dass wir ihm
uch deutlich machen, dass wir ihn brauchen. Vielfalt ist
ine Chance. Das bedeutet auch, dass das Thema Inte-
ration überall zu verankern ist. Ich bin sehr froh, dass
ie deutsche Wirtschaft den Weg über die Charta der
ielfalt gewählt hat. 250 Unternehmen haben sich die-
em Projekt angeschlossen. Sie beschäftigen mehr als
Millionen Migrantinnen und Migranten. Wir haben das
hrgeizige Ziel, im Jahr 2008 die Zahl zu verdoppeln.
enn wir betrachten diejenigen, die zu uns gekommen
ind, als eine Bereicherung. Wir wollen das Potenzial
utzen, und wir wollen gemeinsam nach vorne gehen.
Deshalb lassen Sie mich zum Abschluss sagen: Es
ibt ein altes afrikanisches Sprichwort. Es lautet: Wenn
u schnell gehen willst, gehe alleine, wenn du weit ge-
en willst, gehe gemeinsam! – Wir wollen weit gehen,
nd wir wollen gemeinsam gehen. Ich lade alle hier in
iesem Haus ein, diesen Weg gemeinsam zu gehen; denn
s geht um die Zukunft unseres Landes.
Das Wort hat nun Josef Winkler, Fraktionündnis 90/Die Grünen.
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Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 146. Sitzung. Berlin, Freitag, den 22. Februar 2008 15441
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Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen undKollegen! Das war schon ein Hammer, was die FrauStaatsministerin hier vorgetragen hat, nämlich zu be-haupten, sie habe die Integration nach Deutschland ge-tragen wie die Heiligen Drei Könige Weihrauch, Myrrheund Gold zum Jesuskindlein. Das ist vielleicht in derMärchenstunde angebracht. Unsere Fraktion hat bereitsvor drei oder vier Wahlperioden ein Einwanderungsge-setz vorgelegt. Damals haben Sie noch mantraartig be-hauptet, dass Deutschland kein Einwanderungsland ist.In der letzten Debatte zu diesem Thema hat das auch einMitglied Ihrer Fraktion hier vorgetragen. Also tun Sienicht so, als wären Sie die Erfinderin der Integration.
Warum ist es denn so, dass viele Migrantinnen undMigranten in Deutschland sich eben nicht von der Bun-deskanzlerin und von der Staatsministerin Böhmer ver-treten fühlen? Von Ihnen wird immer mehr Misstrauen indiesen Communities gesät. Was haben Sie denn hier vor-getragen? Die grüne Fraktion hat einen Integrationsver-trag beschlossen. Ein Vertrag hat zwei Partner mitPflichten,
nämlich auf der einen Seite die aufnehmende Gesell-schaft und auf der anderen Seite die Migrantinnen undMigranten. Ihr Integrationsplan besteht aber zu 75 Pro-zent aus Verpflichtungen, die die Migrantenverbände zuerfüllen haben.
Die Verpflichtungen, die die staatliche Seite eingeht, be-treffen überwiegend die Kommunen und die Länder. IhrBeitrag zu dieser Debatte fehlt.
Wo waren Sie bei der Debatte über Roland Koch? Nachseinen Äußerungen gab es den Brief der mutigen17 Integrationspolitiker. Den hat zum Beispiel der Kol-lege Staatssekretär Altmaier, obwohl er im Innenminis-terium sitzt, wo normalerweise die integrationsunwil-ligsten Politikerinnen und Politiker untergebrachtwerden, mit unterschrieben. Wo war denn Frau Staatsmi-nisterin Böhmer bei dieser Debatte?
Auf der falschen Seite waren Sie. Sie haben zu HerrnKoch gehalten. Sie als Integrationsbeauftragte solltensich dafür wirklich schämen.
Wenn jemand wie Frau Kelek, eine Schriftstellerin,deren Arbeiten ich nicht als wissenschaftlich ansehe,ülJwbBlsssaGsvvssdgdfBmnSaMAwÖSdeStaISrPndgSU
o zutreffend hatte es vorher noch keiner formuliert.Sie sollten die große Reihe der Integrationsbeauftrag-en aus den Reihen der FDP, der SPD und der Grünen,ber auch der CDU – vor Jahren gab es auch in der CDUntegrationspolitiker – nicht so unwürdig fortsetzen, wieie es jetzt tun. Sie müssen sich nicht nur in Sonntags-eden für Integration aussprechen, sondern eine konkreteolitik betreiben. Integration hört nicht mit dem Erler-en der deutschen Sprache auf. Sprachkenntnisse mögener Schlüssel zur Integration sein; aber die Tür muss ir-endwann auch einmal geöffnet werden. Sie, Frautaatsministerin für Integration, und erst recht dienionsfraktion haben dafür bisher wenig getan.Herzlichen Dank.
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15442 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 146. Sitzung. Berlin, Freitag, den 22. Februar 2008
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Das Wort hat nun Michael Bürsch für die SPD-Frak-
tion.
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!
Als unaufgeregter Norddeutscher werde ich versuchen,
das Thema aus der Polemik und den persönlichen An-
würfen herauszuholen. Allerdings hat Frau Böhmer mit
der Art und Weise, wie sie die Jahre nach 1998 geschil-
dert hat, eine Replik provoziert. Ich möchte einen ent-
spannten Beitrag zur Wahrheitsfindung vortragen.
Frau Böhmer, in der Zeit nach 1998 wurde ein neues
Staatsangehörigkeitsrecht eingeführt, auf dem Sie jetzt
aufbauen. Es hat das alte, von 1913 stammende Abstam-
mungsprinzip durch ein neues, modernes Recht ersetzt,
das an den Geburtsort anknüpft.
Wir alle erinnern uns, wie das neue Staatsbürgerrecht
1999 von einer bestimmten Partei eines dann gewählten
Regierungschefs aus Hessen nachhaltig bekämpft wor-
den ist. Das war kein hilfreicher Beitrag der CDU zum
neuen Staatsangehörigkeitsrecht.
Ich erinnere an das neue Zuwanderungsgesetz von
2004, das einen enormen Schritt nach vorn bedeutet hat.
Auch darauf bauen Sie jetzt auf. In diesem Gesetz ist
zum ersten Mal überhaupt in einem Gesetz von Integra-
tion die Rede; es enthält eine eigene Abteilung über den
Aufenthalt, die Erwerbstätigkeit und die Integration von
Ausländern. Damit ist die Sprachförderung überhaupt
erst eingeführt worden, und zwar in einer Größenord-
nung, über die wir jetzt relativ selbstverständlich hin-
weggehen.
Es gibt einiges aus den letzten zehn Jahren, das wir
um der historischen Wahrheit willen in Erinnerung rufen
können.
Werte Frau Böhmer, die Integrationspolitik baut insofern
auf den Errungenschaften mindestens des letzten Jahr-
zehnts auf; ich würde sogar wie Frau Laurischk sagen:
auf den Errungenschaften der letzten 50 Jahre. Als wir
die Integrationspolitik 1998 übernommen haben, erin-
nerte mich das an den alten Studentenspruch: Unter den
Unionstalaren lag der Muff von 100 Jahren. Den Muff
haben wir in den Jahren nach 1998 beseitigt. Insofern
können wir, wenn wir den Weg gemeinsam gehen wol-
len, Frau Böhmer, mit einem gewissen Stolz zurückbli-
cken.
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Jetzt kommen wir zu dem Antrag der Grünen. Ich
eile die Einschätzung von Frau Böhmer, dass sich vieles
on dem, was Sie aufgeschrieben haben, sehr wohl im
ationalen Integrationsplan wiederfindet. Ihre Frage
ach Anspruch und Wirklichkeit ist berechtigt; ich
ürde sie umformulieren: Ziele und Umsetzung. Der
ationale Integrationsplan mit seinen 400 Selbstver-
flichtungen ist durchaus ein sinnvolles, weiterführen-
es und zukunftsträchtiges Programm. Was die SPD und
ich jetzt interessiert: Was wird aus diesem formulierten
nspruch? Was wird aus den Zielen, die man sich ge-
etzt hat?
Werte Kolleginnen und Kollegen von den Grünen, ich
itte, ein bisschen mehr Zeit zu geben. Das heißt: Da das
rst im letzten Herbst verkündet worden ist, sollten wir
in Jahr warten. Diese Zeit sollten wir jeder Regierung
nd jedem, der einen solchen Plan auf den Tisch legt, ge-
en. Warten wir ab! Schon in der letzten Debatte darüber
m Herbst habe ich den Wunsch geäußert – ich äußere
hn erneut –, dass wir hier in diesem Parlament gemein-
am, vielleicht partei- und fraktionsübergreifend, evalu-
eren, was bei diesen – von Ihnen schon jetzt kritisch be-
erteten – 400 Selbstverpflichtungen herausgekommen
st. Das interessiert die SPD und mich brennend, und das
üsste jeden hier interessieren. Wenn wir diese Evaluie-
ung vorgenommen haben, können wir feststellen, ob der
nspruch insgesamt, zu 50 Prozent, zu 25 Prozent oder
berhaupt nicht erfüllt worden ist, ob man dem Ganzen
ine „vier minus“ oder eine andere Note gibt.
Kollege Bürsch, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
ollegen Andres?
Ja, gerne.
Herr Kollege Bürsch, ich wollte Sie eigentlich schon
iel früher nach einem Bild fragen, das Sie benutzt ha-
en; es hat ein bisschen gedauert, bis ich meine Frage
tellen kann. Sie haben – für meine Begriffe völlig zu
echt – gesagt, dass die jetzige Regierung mit ihrer er-
olgreichen Integrationspolitik auf dem aufbaut, was
ot-Grün geleistet hat.
Ja.
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Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 146. Sitzung. Berlin, Freitag, den 22. Februar 2008 15443
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Sie haben dann formuliert, Rot-Grün habe den Stab
an Frau Böhmer weitergegeben. Da habe ich etwas ge-
stutzt; denn ich finde, dass dieses Bild so nicht zutref-
fend ist.
Korrigieren Sie mich!
Ich finde, dass die Große Koalition in diesem Zusam-
menhang eine erfolgreiche Politik macht. Ich selbst habe
am Integrationsgipfel im Kanzleramt teilgenommen. Ich
finde, dass das, was da gemacht wird, gut ist. Aber das
ist erst dadurch möglich geworden, dass die Union ihre
ausländer- und integrationspolitische Haltung in der
Großen Koalition heftig revidiert hat.
Das ist nur möglich geworden, weil in dieser Großen
Koalition Integrationspolitik kein Konfliktpunkt mehr
ist, sondern gemeinsam betrieben wird. Insofern haben
wir den Stab nicht an Frau Böhmer weitergegeben, son-
dern arbeiten ganz erfolgreich zusammen.
Jetzt kommen wir zu Ihrer Frage.
Ich bedanke mich für den Hinweis.
Ich möchte Sie fragen, ob Sie diese Einschätzung
nicht für zutreffender halten als die Formulierung, man
habe nur den Stab an Frau Böhmer weitergereicht.
Ich schließe mich Ihrer Kritik an meinem Bild hun-
dertprozentig an. Ich suche noch nach dem richtigen
Bild.
Wir haben auf der Grundlage der wunderbaren Vorar-
beit der Jahre seit 1998 ein gemeinsames Haus errichtet,
das wir jetzt gemeinsam bewohnen und bewohnen wol-
len. Wir sollten uns gegenseitig fragen: Habt ihr im Erd-
geschoss wirklich das umgesetzt, was wir im Oberge-
schoss vorgegeben haben?
Ich revidiere also das Bild mit der Weitergabe des
Stabes und sage: Aus einer Übung der Jahre seit 1998 ist
eine größere gemeinsame Übung geworden. Ich wün-
sche mir, dass Frau Böhmer, die die Arbeit mittlerweile
übernommen hat, sie im Sinne dessen, was 1998 begon-
nen worden ist, weiterführt und nicht – entsprechend ih-
rer heutigen Rede – desintegrativ handelt. Wenn die
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Das war im Rahmen meiner norddeutschen Möglich-
eiten relativ sachlich, Herr Kollege.
Herr Kollege Bürsch, auch die Kollegin Dağdelen
öchte Ihre Redezeit verlängern.
Herr Präsident, jetzt sage ich das, was ich schon zuvor
n Zwischenrufen geäußert habe: Das ğ in Dağdelen-
pricht man nicht aus. Das habe ich vor zwei Jahren, als
ie in den Bundestag gekommen ist, gelernt.
Wir haben doch heute eine Fortbildungsveranstaltung;
nsofern können wir das auch noch lernen.
Kollegin Dağdelen, gerne beantworte ich eine Frage,
ie Sie stellen wollen.
Lieber Kollege Bürsch, erstens möchte ich mich herz-ich dafür bedanken, dass Sie hier festgestellt haben, wieein Nachname ausgesprochen wird.Zweitens. Sie haben, wie Ihr Kollege Andres, darüberesprochen, dass die SPD nicht erst mit der Regierungs-bernahme von Rot-Grün, sondern schon vor Jahrzehn-en angefangen hat, eine migrantenfreundliche Politik zuetreiben und dass man jetzt gemeinsam vorgeht. Auchiese von den Grünen angeregte Debatte hat für mich einisschen den Beigeschmack von Wahlkampf. Korrigie-en Sie mich, wenn es nicht so ist! Sie meinen, eine mi-rantenfreundliche Politik betrieben zu haben. Könnenie mir dann darin zustimmen – das sind relativffenkundige Fakten –, dass mit Inkrafttreten des Staats-ngehörigkeitsgesetzes zum 1. Januar 2000 die Einbür-erungszahlen radikal gesunken sind, weil Vorausset-ungen aufgenommen worden sind, die es vorher nichtab, zum Beispiel die Sicherung des eigenen Lebensun-erhalts, und zwar in Zeiten von struktureller Massenar-eitslosigkeit, von der Migrantinnen und Migranten ameisten betroffen sind?Erinnere ich mich richtig, dass die SPD im Sommeretzten Jahres ein Gesetz zur Umsetzung von elf EU-ichtlinien mit beschlossen hat, das letztlich dazu ge-ührt hat, dass bei der Erteilung der Visa für den Ehegat-ennachzug vom dritten auf das vierte Quartal 2007 eineeduzierung um 40 Prozent, im Falle der Türkei um7,5 Prozent festzustellen ist,
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15444 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 146. Sitzung. Berlin, Freitag, den 22. Februar 2008
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sodass Menschen erst gar nicht hierherkommen können,um sich in dieser Gesellschaft irgendwie zu integrieren?Hat die SPD das nicht mit beschlossen? Wie kann dasmit Ihrer Aussage, dass Sie in den letzten Jahren undJahrzehnten eine so migrantenfreundliche Politik betrie-ben haben, in Einklang gebracht werden?
Ich freue mich darüber, dass Sie schon in Ihrer Redevorhin, aber auch jetzt in Ihrer Zwischenfrage so vieleZahlen und Fakten vorgetragen haben.
Ich antworte Ihnen Folgendes:Ihre Fragen verlangen aus meiner Sicht eine differen-zierte Debatte über das Staatsangehörigkeitsrecht, waseine Debatte über die Frage einschließt, die der Kollegeschon angesprochen hat: Was machen wir mit dem Op-tionsmodell, das ganz offensichtlich – dabei geht es umdie Größenordnung von mehreren Hunderttausend Men-schen – nicht unbedingt funktioniert – so will ich einmalvorsichtig formulieren –, das uns in eine schwierigeLage bringen wird?
Wir sollten wirklich sehr seriös gemeinsam versuchen,dieses Problem zu lösen. Ihre Frage erfordert, wie ge-sagt, eine differenziertere Antwort als die, die ich jetzthier geben kann.Meine Position ist die: Die Reform des Staatsangehö-rigkeitsrechts – sie war dringend nötig –, mit der wir dasalte Recht von 1913, das an die Abstammung ange-knüpft hat, ersetzt haben – nun wird an den Geburtsortangeknüpft –, ist ein gewaltiger Fortschritt
und hat die Türen wirklich geöffnet. Die Ursachen fürdas, was Sie benennen, sind differenzierter und liegen ananderen Stellen. Dem gehe ich gerne nach. Das könnenwir auch im Innenausschuss zum Thema machen. Dasentzieht sich wirklich einer einfachen Antwort. NeuesStaatsangehörigkeitsrecht, neues Paradigma, nämlichAnknüpfung an den Geburtsort, ist nicht in eine einfacheGleichung mit Einbürgerungszahlen zu bringen. Daraufgehe ich mit meinen Kolleginnen und Kollegen, die zudem Thema auch sachkundig sind, gern noch einmal ein.Ich wollte die Gelegenheit heute nutzen, nicht nur zusagen: „Lassen Sie uns in einem Jahr im Parlament – esgeht nicht darum, dass die Regierungsseite schöne Hoch-glanzbroschüren verbreitet – prüfen, was dabei herausge-kommen ist!“, sondern auch fünf Punkte einer „Sozialde-mokratischen Agenda Integration“ vorzutragen. DieGroße Koalition ist gut, hat uns auch weitergebracht, abereiogDsftAdBAsrmeZfg–SVBgKhthtÜfgnWstib
as werden wir verfolgen. Der Spracherwerb muss kon-equent auf jeder Altersstufe gefördert werden: durchrühkindliche Sprachförderung in den Kindertagesstät-en,
usbau der Förderangebote in allen Schularten, Nutzunges Ganztagsschulprogramms für spezielle Sprach- undildungsangebote für Kinder und Jugendliche,
usweitung und Verbesserung im Bereich der Erwach-enenbildung und Elternarbeit.Insbesondere gilt es, die frühkindliche Sprachförde-ung durch den Einsatz von zweisprachigen Erziehernit Migrationshintergrund,
ntsprechenden Broschüren und Fortbildung zu stärken.usätzlich sollte die Feststellung des Sprachstandesrühzeitig, das heißt vor Schulbeginn, einsetzen und mitezielten Förderangeboten verknüpft werden.
Bayern ist federführend. Wir schauen uns das gern an.chleswig-Holstein hat auch etwas zu bieten. Die großeielfalt in den 16 Ländern ist da gefragt.Zweites Thema – das wurde auch schon erwähnt –:ildung/Ausbildung. Menschen mit Migrationshinter-rund – mir kam bei der Debatte übrigens der Gedanke,ollege Körper, ob man nicht vielleicht „Integrations-intergrund“ sagen sollte, weil das Wort „Migrationshin-ergrund“ offenbar manche Missverständnisse auslöst –aben in Deutschland unbestritten nach wie vor schlech-ere Berufschancen. Gerade Jugendliche müssen beimbergang zur beruflichen Bildung verstärkt durch spezi-ische Ausbildungsplatz- oder Berufsvorbereitungspro-ramme gefördert werden. Frau Dağdelen, hier sindicht nur Staat und Politik gefordert; hier ist auch dieirtschaft gefordert, durch zusätzliche Praktika und zu-ätzliche Ausbildungsplätze den Zugang zu erleichtern.
Die Bundesregierung macht hier durchaus einen wich-igen Schritt, indem sie im Rahmen ihrer Qualifizierungs-nitiative – übrigens auf Betreiben der SPD – einen Aus-ildungsbonus für Betriebe einführt, die zusätzliche
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Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 146. Sitzung. Berlin, Freitag, den 22. Februar 2008 15445
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Dr. Michael BürschAusbildungsplätze schaffen und diese mit besonders för-derbedürftigen Altbewerbern besetzen.Drittes Stichwort: Teilhabe. Das ist von den Kolle-ginnen und Kollegen angesprochen worden. Ich setzemich mit der SPD für ein kommunales Wahlrecht fürAusländer ein. Ich weiß, dass das durchaus umstrittenist. Es gibt gerade eine Stellungnahme des Landkreista-ges, in der das kritisch beleuchtet wird. Aber immerhinwird – wenn ich den Landkreistag zitieren darf – darinausgeführt:Wenn es stimmt, dass Beteiligungsrechte eine wich-tige Voraussetzung für die Integration der Ausländerin Deutschland sind, dann gilt es, dort anzusetzen,wo es um Entscheidungen geht, die sich unmittelbarauf die Lebenssituation der Ausländerinnen undAusländer auswirken.Das ist völlig richtig, Landkreistag. An der Stelle seheich auch Handlungsbedarf. Er besteht nicht nur beimWahlrecht, sondern auch im Hinblick darauf, in vielfälti-ger Form Beteiligungsmöglichkeiten auf kommunalerEbene zu schaffen.Viertes Stichwort: Bürgergesellschaft. Netzwerkefür bürgerschaftliches Engagement sollten sich stärkerals bisher für Migrantinnen und Migranten öffnen. Ichnenne das Beispiel Feuerwehr. Es gibt 1,2 MillionenFeuerwehrleute. Die Feuerwehr hat vor zehn Jahren eineKampagne zur Integration von Frauen in die Feuerwehrgestartet.
Wir haben mit dem Feuerwehrverband gesprochen. Jetztgibt es eine Kampagne, deren Ziel es ist, dass auch Men-schen, die keinen deutschen Pass haben, in diese großeOrganisation Feuerwehr hineinkommen.
Das ist auch für die Feuerwehr durchaus hilfreich; denndort gibt es durchaus Nachwuchsprobleme. Es ist aberauch ein enormes Integrationsprogramm, um in all denOrganisationen – Bürgerinitiativen auf lokaler Ebene,Katastrophenschutz, Feuerwehr, Sport – die Möglichkei-ten zu Teilhabe und Mitgestaltung zu verbessern.Letztes Stichwort: Kultur. Es geht nicht um die Alter-native: entweder Assimilation – was Erdogan vorgetra-gen hat – oder Parallelgesellschaft. Ich meine, es gibteinen dritten Weg, nämlich dass zwei Kulturen zusam-menkommen und etwas besseres, etwas attraktiveresDrittes schaffen. Im Rahmen des Integrationsprozessesin Deutschland bilden sich neue Kulturen heraus, nichtnur durch die Zunahme der Zahl binationaler Familien,sondern durch die wachsende Zahl von Jugendlichen derzweiten und dritten Generation. Der Bereich Interkultur,Migrantenkultur muss auf Gebieten wie Künstlerförde-rung, Bildung, Erziehung und Medienpolitik stärker alsbisher berücksichtigt werden.Ich schließe mit einem Hinweis auf das, was uns allehier immer bewegt: Politik ist ein ständiges Ringen umdDaksdpwmsedDfSraambsbdothzNhsGloGS
der haben nicht auch sie Fragen, etwa bezüglich derleichberechtigung der Frau? Herr Beck, da brauchenie gar nicht dazwischenzurufen.
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15446 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 146. Sitzung. Berlin, Freitag, den 22. Februar 2008
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Hartfrid Wolff
Wie lange werden diese Forderungen eigentlich indieser Klarheit in der deutschen Politik schon erhoben?Erst der Neuansatz mit dem Zuwanderungsgesetz, beidem auch die FDP sich sehr positiv eingebracht hat, hates Deutschland ermöglicht, sich als Einwanderungslandzu verstehen und entsprechende Anforderungen an Mi-granten zu formulieren. Das ist noch kein Jahrzehnt her.Insofern scheint es mir nicht nur berechtigt, sondernauch notwendig, die Erwartungen und Perspektiven sei-tens der Mehrheitsgesellschaft an die Zuwanderer be-ständig zu wiederholen: Das Beherrschen der deutschenSprache, die uneingeschränkte Akzeptanz unsererRechtsordnung und der ihr zugrunde liegenden Wertvor-stellungen sowie die Auseinandersetzung mit der deut-schen Geschichte und Kultur sind Voraussetzungen da-für, hierzulande als Inländer angesehen zu werden.Diese Akzeptanz, dieses Dazugehören wird nichtdurch staatliche Gesetze und Akte bewirkt, sondern imalltäglichen Umgang der Menschen miteinander.
Wer meint, diese Erwartungen nicht mehr darstellen zumüssen, trägt deshalb leider zum Misserfolg von Inte-grationsbemühungen bei.Das hat die Nichtintegration der Generationen vonZuwanderern bewiesen, die nur als Gastarbeiter gedachtwaren: Deutschland hat seine Ansprüche an Zuwandererzu lange Zeit zu wenig artikuliert; das gilt beidseitig.Dass jetzt offener über Integrationsanforderungen ge-sprochen wird, schafft eine Perspektive für bessere Inte-gration, und das ist Verdienst aller hier im Haus vertrete-nen Parteien.Die Forderung nach Gleichstellung des Islam wirdvon der FDP grundsätzlich unterstützt. Anders als dieGrünen meinen wir jedoch, dass es notwendig ist, sichüber die Grundbedingungen dafür zu verständigen. Hierbleibt der Grünen-Antrag leider sehr vage.
Eine rechtliche Gleichstellung zu den Kirchen erfor-dert, dass der Islam unzweifelhaft die Grundwerte unse-rer Gesellschaft ohne Vorbehalte akzeptiert und mitträgt.
Dazu gehören die unbedingte Gewaltfreiheit und auchdie Anerkennung der Trennung von Religion und Staat.
Eine stabile, transparente und beständige Organisations-form des Islam, die in der Lage ist, diese Grundlagenauch von den örtlichen Einzelgemeinden einzufordern,ist unerlässlich. Schließlich darf auch nicht andeutungs-weise der Anschein erweckt werden, Religion diene alsVehikel, um Abschottungstendenzen bestimmter Mi-grantengruppen zu verstärken und Integration zu verhin-dern.
Es ist noch sehr viel zu tun. Wer das bei der Forde-rung nach Gleichstellung übersieht, übersieht berech-tlsfutaldREdwdsIkmbwuNbCLdusIspbeKbb
Ich meine, wir sollten die Zuwanderer als freie undluge Köpfe achten, die große Anstrengungen unterneh-en, sich in unserer Gesellschaft einzubringen. Sie ha-en unsere Gesellschaft in vielerlei Hinsicht bereichert:irtschaftlich, kulturell und menschlich, als Arbeiternd Angestellte, als Unternehmer und Freiberufler, alsachbarn und Freunde. Sie haben – das sage ich ganzewusst – unsere Achtung verdient.Vielen Dank.
Das Wort hat nun Kollege Reinhard Grindel, CDU/
SU-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!udwigshafen hat uns in bedrückender Weise gezeigt,ass wir bei der Integration, beim Miteinander statt vor-rteilsbehaftetem Gegeneinander noch nicht so weitind, wie wir das gehofft haben.
ch hoffe, Herr Beck und Herr Winkler, dass die Men-chen, die uns zuschauen, jetzt nicht Schuldzuweisungenersönlicher Art erwarten, wie Sie sie hier betrieben ha-en.
Aber ich glaube, die Menschen erwarten auch nichtin solches Beispiel von Selbstgerechtigkeit, wie das dieollegen Bürsch und Andres hier eben vorgeführt ha-en. Ich glaube, dass die Menschen ein Gespür dafür ha-en, dass wir in der Integration noch nicht so weit sind
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Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 146. Sitzung. Berlin, Freitag, den 22. Februar 2008 15447
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Reinhard Grindelund dass wir uns nicht in dieser selbstgerechten Art undWeise gegenseitig Erfolgsgeschichten vorhalten können.
– Lieber Kollege Bürsch, ich sagen Ihnen, was die Wahr-heit ist.
Die Wahrheit ist, dass es noch nie so viele Jugendlicheausländischer Nationalität oder mit Migrationshinter-grund gab, die ohne Abschluss die Schule verlassen ha-ben, wie am Ende der Regierungszeit von Rot-Grün.
Es gab noch nie so viele,
Es gab noch nie so wenige, die sozialversicherungs-pflichtig beschäftigt waren, und so viele, die Hartz IVhatten. Es gibt immer noch Familien, für die Deutschkeine Rolle spielt, obwohl sie schon seit 20 Jahren beiuns leben. Da kann man doch nicht von Erfolgsgeschich-ten sprechen. Da muss man doch anfangen, den Nationa-len Integrationsplan Stück für Stück umzusetzen.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Reichenbach?
Ja, selbstverständlich.
Bitte schön.
Herr Kollege Grindel, da Sie schon bei der Wahrheit
sind, würden Sie auch zugestehen, dass die Verantwor-
tung für das, was Sie zu Recht kritisiert haben, nämlich
die mangelnden Bildungserfolge von Migrantenkindern,
bei den Ländern liegt, deren Kultusminister mehrheitlich
von der Union gestellt werden?
Herr Reichenbach, es sollte in der Tat zum neuen Stil
der Integrationspolitik gehören – er drückt sich bei-
spielsweise im Nationalen Integrationsplan aus –, dass
alle staatlichen Ebenen zugeben, dass wir auf dem Ge-
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Herr Kollege Grindel, gestatten Sie eine Zwischen-
rage des Kollegen Koppelin?
Ja, selbstverständlich.
Kollege Grindel, da ich diesen Disput mit Interesse
erfolgt habe, darf ich Sie zu der Haltung Ihres Koali-
ionspartners in Schleswig-Holstein fragen: Wie bewer-
en Sie die Tatsache, dass die Kultusministerin Erdsiek-
ave vor etwas mehr als einer Woche türkische Schulen
n Deutschland gefordert hat?
Herr Kollege Koppelin, ich kenne dieses Zitat vonrau Erdsiek-Rave nicht. Aber ich sage in aller Deutlich-eit, dass ich das nicht für richtig halte. Denn wir brau-hen bei der Integration gerade das Miteinander voneutschen und ausländischen Kindern und nicht ein Ne-eneinander, das sich in einer Trennung ausdrückt. Wirrauchen die frühkindliche Förderung. Auch die Forde-ung, Türkisch als zweite Fremdsprache in den Schuleninzuführen, ist in Ordnung. Aber wir brauchen ein ge-einsames Fundament in der Integration. Das heißt, wirrauchen eine gemeinsame Sprache, gemeinsame Wertend die Verständigung darauf, dass unsere Gesetze underfassungsprinzipien gelten. Darauf kommt es an. Da-er ist die Forderung von Frau Erdsiek-Rave nicht ziel-ührend.
Lieber Kollege Beck, ich verstehe deswegen über-aupt nicht, dass Sie hier kritisieren, dass der Bund nurin Viertel der Selbstverpflichtungen im Nationalen Inte-rationsplan übernommen hat. Integration kann manoch nicht zentralistisch nur mit Aufenthaltsrecht undtaatsbürgerschaftsrecht gestalten. Integration findet vorrt, also eher in den Ländern und in den Kommunen,
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Reinhard Grindelstatt. Zur Integration gehören engagierte Kindergärtne-rinnen, Lehrer und Ausländerbehörden, die sich auch alsIntegrationsbehörden verstehen.Wir brauchen Arbeitsvermittler, die den Migrantenhelfen. Wir brauchen den Migrationslotsen und den en-gagierten Außendienstler vom Bundesamt für Migrationund Flüchtlinge. Wir brauchen in den SportvereinenÜbungsleiter mit Migrationshintergrund
und Arbeitgeber, die gerade den Migranten eine neueChance geben. Wir brauchen zum Beispiel auch die Mit-wirkung von türkischen Tageszeitungen, die mehr Seitenin Deutsch drucken könnten. All das gehört zusammen.Integration ist nicht zentralistisch zu machen, sondern istnur möglich, wenn alle staatlichen Ebenen beteiligt sind.
Wir brauchen das Engagement der Kommunen, derLänder und der Zivilgesellschaft. Lieber Kollege Beckund lieber Kollege Winkler, ich finde, Sie sollten Ihrepersönlichen Angriffe gegenüber Maria Böhmer viel-leicht noch einmal überprüfen.
Zur Integrationspolitik gehört auch, dass man richtigeSymbole und ein Stück Emotionalität aussendet, umMenschen zu zeigen, dass sie willkommen sind.
Ich habe sehr aufmerksam verfolgt, was Maria Böhmernach dieser schrecklichen Brandkatastrophe in Ludwigs-hafen – das ist ja ihr Wahlkreis – getan hat. Ich kann nursagen: In dieser emotionalisierten, aufgeheizten Stim-mung hat Maria Böhmer die richtigen Worte und dierichtigen Gesten gefunden, gerade bei ihrem beeindru-ckenden Besuch der betroffenen Familie und der Trau-ernden in dem Café schräg gegenüber von dem Haus inLudwigshafen, in dem diese Katastrophe geschehen ist.Dafür hat unsere Integrationsministerin Dank und Aner-kennung verdient.
Zur Frage des Familiennachzugs. Man mag das – ichwill das vermittelnd ausdrücken – unterschiedlich be-werten. Da die Grünen in ihrem Antrag flächendeckendeBeratungsstrukturen und niedrigschwellige Schutzpro-gramme fordern, um Mädchen und Frauen zu helfen undZwangsehen zu verhindern, kann ich nur die Frage stel-len: Wie sollen diese Frauen und Mädchen mit Migra-tionshintergrund denn diese Angebote wahrnehmen,wenn sie noch nicht einmal der deutschen Sprachemächtig sind?–mdkDkzddnDlESdWKgkvdefkdsslCWwjutmDfsttis
Das ist ein ganz toller Zuruf, Kollege Winkler: „Sieüssen doch in die Integrationskurse!“ Wir wissen auser Evaluation der Integrationskurse, dass sie nichtommen. Sie sagen doch immer, man dürfe keinenruck ausüben, damit diese Menschen an Integrations-ursen teilnehmen. Wir können die Familien und diewangsverheirateten Frauen doch nicht mit der Polizeiazu bewegen, in die Integrationskurse zu kommen.
Deshalb sehen wir das zu einem Zeitpunkt vor, anem wir noch Einfluss nehmen können, nämlich zu ei-em Zeitpunkt, bevor sie nach Deutschland kommen.amit stärken wir diese Frauen. Es ist wirklich bedauer-ich, dass eine Partei wie die Grünen, die sehr auf diemanzipation der Frauen setzt, die Möglichkeit, eintück weit mehr Selbstbestimmung zu haben, beschnei-en will. Dafür habe ich kein Verständnis, lieber Kollegeinkler.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
ollegen Beck?
Ja.
Ich halte es für sehr mustergültig, wenn man auf Inte-rationskurse auch für die Frauen so sehr Wert legt. Ichenne aus meinem Wahlkreis ein wunderbares Projekton muslimischen Frauen für muslimische Frauen, beiem ein Teil der Frauen mit Kopftuch unterrichtet undin Teil mit Kopftuch lernt, andere ohne. Das ist so viel-ältig, wie die Welt eben ist.Das große Problem dabei ist, dass die Integrations-urse, die wir gegenwärtig anbieten, das heißt die Zahler Stunden, die wir bezahlen, nicht ausreichen, um die-en häufig bildungsfernen Frauen, die zum Teil schoneit Jahrzehnten hier in Deutschland sind und Deutschernen wollen, weil sie sehen, dass sie nur dadurch einehance in dieser Gesellschaft haben, gerecht zu werden.enn Sie es so ernst meinen: Wann tun Sie endlich et-as dafür, dass auch bildungsfernen Menschen über dieetzige Kursstundenzahl hinaus Kursangebote gemachtnd diese auch finanziert werden? Dabei ist auch wich-ig, dass es nicht vom Geldbeutel und Willen des Ehe-annes abhängt, ob eine Frau am Ende wirklich richtigeutsch sprechen kann, wenn sie es lernen will. Ichinde, wir sollten beginnen, intensiv mit denjenigen zu-ammenzuarbeiten, die das wollen. Wir sollten sie ermu-igen, sie bestärken, ihre Vorbildfunktion in der Migran-en-Community herausstellen und sie belohnen, statthnen das Leben mit restriktiven Regelungen weiterchwer zu machen.
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Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 146. Sitzung. Berlin, Freitag, den 22. Februar 2008 15449
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Herr Kollege Beck, Sie sind nicht auf der Höhe der
Zeit. Seit 1. Januar 2008 – Maria Böhmer hat es vorhin
erwähnt – gibt es eine neue Integrationskursverordnung.
Für bildungsferne Muslima, möglicherweise also Mus-
lima, die alphabetisiert werden müssen, haben wir die
Zahl der Stunden der Alphabetisierungskurse von 100
auf 300 erhöht.
Wir haben die Zahl der Stunden der Integrationskurse
von 600 auf 900 Stunden erhöht und in besonderen Aus-
nahmefällen – dies betrifft den Personenkreis, den Sie
gerade angesprochen haben – eine weitere Erhöhung der
Zahl der Kursstunden möglich gemacht.
Das heißt, anstatt 600 plus 100 Stunden für Alphabeti-
sierungskurse, also 700 Stunden, haben diese Frauen
jetzt die Möglichkeit, 1 500 Stunden wahrzunehmen. Ich
halte das für einen erheblichen Fortschritt, den Sie, als
Sie Ihre Frage gestellt haben, entweder nicht kannten
oder bezüglich dessen Sie auf die Unwissenheit der Zu-
schauer gesetzt haben.
Das ist nicht in Ordnung, Herr Beck. Wir haben sehr viel
gemacht.
– Wenn Sie bitte stehen bleiben würden, Herr Beck,
dann bekommen Sie darauf eine weitere Antwort.
Bei den Kursen für Muslima geht es nicht so sehr um
das Geld. Die Kurse werden bezahlt, wenn die Familien
dazu nicht in der Lage sind. Ein ganz zentrales Problem
ist, dass diese Frauen Kinder zu Hause haben, die betreut
werden müssen. Rot-Grün hat keine Frauenkurse mit
Kinderbetreuung vorgesehen, die gesondert finanziert
werden.
Wir haben zum 1. Januar 2008 die Grundlage dafür
geschaffen, dass während der Integrationskurse eine
ordentliche Kinderbetreuung stattfinden kann, nach dem
Motto: Unten gibt es Integration im Kindergarten, und
oben lernt Mama Deutsch. Das ist der richtige Weg; ihn
beschreiten wir mit unserer Integrationspolitik. Es wäre
schön, wenn Sie diese Fakten zur Kenntnis nehmen wür-
den, Herr Kollege Beck.
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estatten Sie mir bitte einen kurzen Schlussgedanken. –
ch meine, dass wir aufpassen müssen, in welcher Weise
ir solche Diskussionen führen, die öffentlich, unter Be-
eiligung von Fernsehzuschauern, stattfinden.
Selbstverständlich. Aber ich habe doch, wie ich finde,
anz sachlich mitdiskutiert. Ich habe niemanden persön-
ich angegriffen und versucht, anhand von Fakten deut-
ich zu machen, welche Herausforderungen wir zu beste-
en haben.
Noch vor 14 Tagen stand das Thema Integration in al-
en Medien sehr hoch. Ich bin nicht sicher, wie viele
roße Artikel morgen über diese Debatte erscheinen
erden. Mein Eindruck ist: 14 Tage nach der Brandkata-
trophe in Ludwigshafen gibt es wieder andere Themen.
eute ist es Liechtenstein und übermorgen die Wahl in
amburg. Integrationspolitik erfordert einen langen
tem und kein Themenhopping. Ich bin zutiefst davon
berzeugt, dass die Frage, ob die Integration gelingt oder
icht, eine der Schicksalsfragen unseres Landes ist.
ementsprechend kann es natürlich ein Wahlkampf-
hema sein;
s darf aber nicht nur in Wahlkämpfen ein Thema sein.
Wir haben mit dem Nationalen Integrationsplan eine
ute Grundlage geschaffen. Jetzt müssen wir aber dafür
orgen, dass dieser Plan durch unsere politische Alltags-
rbeit umgesetzt wird. Das liegt im Interesse unserer
itbürger, ob sie Migranten sind oder Einheimische.
Herzlichen Dank.
Nun hat Kollegin Lale Akgün für die SPD-Fraktion
as Wort.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Dieede von Ministerpräsident Erdogan hat hohe Welleneschlagen. Ich war am vorletzten Sonntag in der Köln-rena und habe ihm gelauscht. Aus eigener Anschauungann ich Ihnen sagen: Er hat die Menschen mit seinerede für sich eingenommen, indem er ihnen sinngemäß
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Dr. Lale Akgünzurief: Wir nehmen uns eurer Sorgen und Probleme an,wir sind immer für euch da, und wir sind glücklich,wenn ihr glücklich seid.Bei den meisten seiner türkischstämmigen Zuhörerhat er damit ins Schwarze getroffen. Er hat die Seelenderer massiert, die sich hierzulande offensichtlich nichtheimisch fühlen. Der Berater des türkischen Minister-präsidenten, Herr Zapsu, hat noch eins draufgelegt underklärt, mit der Rede in Köln habe Erdogan der Integra-tion in Deutschland einen größeren Dienst erwiesen alsalle deutschen Politiker zusammen.Liebe Kolleginnen und Kollegen, diesen Schuh müs-sen wir uns nun wirklich nicht anziehen.
Die deutsche Politik und die deutsche Gesellschaft ha-ben in den vergangenen Jahrzehnten viel für die Integra-tion der Zugewanderten getan.
Daran gibt es überhaupt keinen Zweifel. Der Kardinal-fehler allerdings lag darin, dass Teile unserer Gesell-schaft noch bis ins Jahr 2000 behauptet haben, Deutsch-land sei kein Einwanderungsland. Ich möchte an dieserStelle daran erinnern, dass Johannes Rau viel Prügel ein-stecken musste, als er 1999 in seiner Antrittsrede sagte:Ich will der Bundespräsident aller Deutschen seinund der Ansprechpartner aller Menschen, die ohneeinen deutschen Pass bei uns leben und arbeiten.
Viele, gerade in der Politik, haben den visionären Cha-rakter seiner Aussagen damals sträflich verkannt. Für dieZugewanderten war er „ihr Bundespräsident“.Nun, die Welt hat sich weitergedreht: Wir haben dasStaatsbürgerschaftsrecht reformiert, wir haben das JusSoli eingeführt und mit dem Zuwanderungsgesetz imJahr 2005 einen Paradigmenwechsel eingeläutet. Seit-dem ist allen klar, auch wenn ich manche mit den Zäh-nen knirschen höre: Wir sind ein Einwanderungsland.Dass Integration an vielen Stellen gelungen ist, zeigtübrigens auch eine Umfrage von Forsa für den Stern.Deutsche und Türken stimmen in vielen Punkten über-ein. Eine große Mehrheit lehnt zum Beispiel eine Paral-lelgesellschaft ab. Auch beim demokratischen Rechts-staat sind sich Deutsche und Türken mehrheitlich einig.Die Umfrage zeigt zudem: 76 Prozent der befragtenDeutschen und 81 Prozent der befragten Türken findenes wichtig und richtig, dass sich die Türken als TeilDeutschlands fühlen sollen.Hier sind wir beim Knackpunkt: Genau das ist dieLeerstelle der Integration, auf die Erdogan eingegangenist. Diesen Schuh müssen wir uns doch anziehen. Warumfühlen sich die Zugewanderten so fremd, dass sieErdogan als – ich sage das in Anführungsstrichen – ih-rem Regierungschef zujubeln? Diese Frage hat für micheduftKrkarppüitsWhrWcnzRdgStwTKscbsGB1gllAetldDb
Wir müssen das große Ganze in den Blick nehmen,tatt uns immer wieder in Detailfragen zu verstricken.ie bekommen wir es hin, dass sich jeder Mensch, derier dauerhaft lebt und arbeitet, der Gesellschaft zugehö-ig fühlt? Die Antwort ist einprägsam: Wir benötigen einir-Gefühl, das Einheimische und Zugewanderte glei-hermaßen einschließt. Dieses Wir-Gefühl werden wirur bekommen, wenn wir aufhören, ständig das Fremdeu betonen: die vermeintlich andere Kultur, Sprache undeligion. Das alles bringt uns nicht weiter. Es vertieftie ethnischen Gäben, statt sie zuzuschütten.Wir müssen umkehren und zum Teil genau das Ge-enteil dessen versuchen, was wir bisher gemacht haben.tatt immer nur nach den Unterschieden zu fragen, soll-en wir das Gemeinsame betonen und deutlich machen,as die Menschen in diesem Land eint, egal ob sie in derürkei, in Vietnam oder in Russland geboren sind, ob sieatholiken, Sunniten, Aleviten oder Atheisten sind, obie zu Hause Deutsch, Arabisch oder Kroatisch spre-hen. Darauf gibt es für mich nur eine Antwort: Wirrauchen einen tragfähigen und lebendigen Verfas-ungspatriotismus. Er ist die Grundlage für das Wir-efühl und der Kern von Integration. Deswegen, Frauöhmer, sollten Sie auch nicht sagen: Wir müssen5 Millionen Menschen integrieren, weil diese einen Mi-rationshintergrund haben. Die meisten dieser 15 Mil-ionen Menschen sind deutsche Staatsbürger und schonängst in der Gesellschaft angekommen.
Deswegen fordere ich: Schluss mit den ethnischenbgrenzungen und Unterteilungen, Schluss mit demwigen Ihr und Wir! Schaffen wir einen Verfassungspa-riotismus! Kreieren wir ein Wir-Gefühl auf der Grund-age unserer gemeinsamen Werte! Was kann Politik tun,amit dieses Wir-Gefühl entsteht und sich ausbreitet?rei Punkte sind für mich dabei wichtig.Erstens. Schaffen wir das Optionsmodell ab! Wirrauchen ein echtes Jus Soli.
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Dr. Lale Akgün
Jedes Kind, das in Deutschland geboren wird, soll dieStaatsbürgerschaft erhalten und sich nicht mit 18 füroder gegen die deutsche Staatsbürgerschaft entscheidenmüssen.
Zweitens. Wir brauchen das kommunale Wahlrechtfür Ausländer. Jeder, der in Deutschland dauerhaft recht-mäßig lebt, soll auf lokaler Ebene am politischen Wil-lensbildungsprozess teilnehmen können.
Ich stehe zu beiden Forderungen, wohl wissend, dass wirsie in dieser Legislaturperiode mit diesen politischenMehrheiten nicht mehr werden umsetzen können.Drittens. Wir können schon jetzt – das ist für mich diewichtigste der drei Forderungen – die Zahl der Einbür-gerungen erhöhen. Denn nur als deutsche Staatsbürgerkönnen sich Migranten vollständig zugehörig fühlen.
Mein Appell richtet sich aber nicht nur an die Mehr-heitsgesellschaft, sondern auch an die Zugewanderten.Auch sie müssen etwas für das Wir-Gefühl tun. Ich sagees einmal etwas provokativ: Sie müssen Deutsche wer-den. Ich meine nicht Deutsche im ethnischen Sinn, nichtDeutsche in dem Sinn, dass sie ihre Muttersprache nichtmehr lernen und pflegen oder ihre Kultur ablegen – nein,Deutsche im ursprünglichen Sinn des Wortes. „Deutsch“bedeutet nichts anderes als dem Volke zugehörig.Mein Appell ist also eine Absage an eine ethnischzerklüftete Gesellschaft. Er ist eine Absage an Ideen ei-nes Staatsvertrages für die türkische Gemeinde und anMinderheitenrechte für die zugewanderten Minderhei-ten. Solche Ideen, auch die Idee einer Türkenpartei, hel-fen uns nicht weiter. Wir können das Zusammenleben inunserem gemeinsamen Haus Deutschland nicht auf Min-derheitenrechte gründen. Wir wollen, dass alle Men-schen, die ja gleich sind, gleich behandelt werden.Angesichts der aufgeregten Stimmung unter den tür-kischstämmigen Menschen nach den Vorfällen der letz-ten Wochen möchte ich ihnen von hier aus zurufen: Las-sen Sie uns zur Rationalität und zu einem unbefangenenUmgang miteinander zurückkehren! Haben Sie Ver-trauen in die demokratischen Institutionen unseres ge-meinsamen Landes! Seien Sie versichert: Dort, wo esAusländerfeindlichkeit gibt, benennen und verfolgen wirsie entschieden. Aber da, wo es keine gibt, sagen wirauch das ganz deutlich.Meine Damen und Herren, wir hätten uns viel Ärgererspart und ein Erdogan hätte keine Chancen gehabt,hätten wir schon im Jahre 1999 den wegweisenden Wor-ten Johannes Raus mehr Geltung verschafft. Jetzt müs-sen wir nach vorne blicken. Ich glaube, wir sind aufeinem guten Weg, wenn wir die gegenseitigen Anschul-ddaIgdbgVtngvw–ndshsEdKLsfgaKDAsdFp
Zu einer nachträglichen Kurzintervention erteile ich
as Wort Kollegen Gerd Andres.
Kolleginnen und Kollegen! Ich will mich zunächstei der Kollegin Akgün entschuldigen, insbesondere an-esichts ihrer hervorragenden Rede. Es gab ein bisschenerwirrung. Denn ich hatte mich zu einer Kurzinterven-ion zum Beitrag von Herrn Grindel gemeldet, die abericht zum Zuge kam.In seiner Rede hat Herr Grindel mir und dem Kolle-en Bürsch vorgeworfen, wir hätten uns selbstgerechterhalten. Deswegen will ich ausdrücklich wiederholen,as ich in meiner Zwischenfrage gesagt habe.
Ja. Das, was Herr Bürsch gesagt hat, möchte ich auchoch einmal unterstreichen.Erstens. In der Integrationspolitik hätten wir währender rot-grünen Regierungszeit gerne mehr gemacht; dasage ich ausdrücklich. Viele Dinge konnten wir aber des-alb nicht machen, weil wir auf Ihren erbitterten Wider-tand gestoßen sind, auch im Bundesrat.
r begann unmittelbar nach Übernahme der Regierungurch die rot-grüne Koalition, und zwar durch Herrnoch. Er fand seine Wiederholung durch Herrn Koch imandtagswahlkampf in Hessen. Dafür hat er aber – Gottei Dank! – die Quittung bekommen.
Zweitens – hier stimmen wir wieder überein –: Ichinde, die Große Koalition kann auf dem, was Rot-Grüneleistet hat, aufbauen. Das ärgert Sie – das weiß ich –,ber das müssen Sie schon so akzeptieren. Die Großeoalition hat das gut begonnen, und sie macht es gut.as beginnt mit Frau Böhmer und der Aufwertung ihresmtes durch Ansiedlung im Bundeskanzleramt, und dasetzt sich mit den Bemühungen um Integration und miten Integrationsgipfeln fort.Ich teile ausdrücklich das, was Sie zum Auftreten vonrau Böhmer in Ludwigshafen gesagt haben. Mein Res-ekt, Frau Dr. Böhmer; hier bin ich völlig Ihrer Mei-
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Gerd Andresnung. Sie haben recht: Wir haben auch das Angebot anIntegrationskursen ausgebaut. Allerdings hätte ich Sievon der Union gerne einmal erlebt, wenn wir das wäh-rend der rot-grünen Regierungszeit gemacht hätten. Be-sonders Sie, Herr Grindel, hätte ich da gerne einmal er-lebt.
Das, was ich gesagt habe, hat nichts mit Selbstgerech-tigkeit zu tun. Das hat etwas damit zu tun,
dass sich die Haltung der CDU in dieser Angelegenheitverändert hat. Das ist eine der Grundlagen dafür, dassdie Große Koalition eine so erfolgreiche Integrationspo-litik machen kann, die man natürlich, Herr KollegeGrindel, ohne Weiteres noch verbessern kann. Das hataber nichts mit Selbstgerechtigkeit zu tun.
Kollege Grindel.
Herr Kollege Andres, die Kollegin Akgün hat gesagt,
wir sollten auf Gemeinsamkeiten setzen. Ich schlage vor,
dass wir das, was Sie jetzt versuchen, sein lassen und
uns gemeinsam ans Werk machen, den Nationalen Inte-
grationsplan, den wir auch unter Beteiligung von Abge-
ordneten der Opposition vereinbart haben, Stück für
Stück abzuarbeiten.
Denn im Endeffekt kommt es nicht darauf an, ob Sie
recht haben oder ob ich recht habe, sondern es kommt
darauf an, dass wir im Sinne der in Deutschland gebore-
nen Kinder handeln, die zu 50 Prozent einen Migrations-
hintergrund haben. Wenn diese Kinder keine gute Zu-
kunft haben, hat unser Land keine gute Zukunft. Ihnen
müssen wir eine Perspektive geben. Diese Aufgabe soll-
ten wir jetzt in Angriff nehmen. Wir dürfen nicht nach
hinten schauen, sondern wir sollten nach vorne schauen.
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 16/8183 an die in der Tagesordnung aufge-
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regierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Änderung des Waffengesetzes und weite-
rer Vorschriften
– Drucksache 16/7717 –
Beschlussempfehlung und Bericht des Innenaus-
schusses
– Drucksache 16/8224 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Reinhard Grindel
Gabriele Fograscher
Hartfrid Wolff
Petra Pau
Silke Stokar von Neuforn
b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Innenausschusses zu
dem Antrag der Abgeordneten Silke Stokar von
Neuforn, Volker Beck , Kai Gehring, wei-
terer Abgeordneter und der Fraktion BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN
Für ein schärferes Waffengesetz
– Drucksachen 16/6961, 16/8224 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Reinhard Grindel
Gabriele Fograscher
Hartfrid Wolff
Petra Pau
Silke Stokar von Neuforn
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
ussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. – Ich
öre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile schon wieder
em Kollegen Reinhard Grindel für die CDU/CSU-Frak-
ion das Wort.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Fürie Regie und die Tagesordnung kann ich nichts.Mit der Änderung des Waffengesetzes sorgen wir fürehr Sicherheit in unserem Land, und wir wirken Be-rohungssituationen im öffentlichen Raum entgegen.ir schaffen damit rechtliche Rahmenbedingungen, umie wachsende Gewaltkriminalität einzudämmen, bei derit steigender Tendenz Waffen benutzt werden.Niemand von der Koalition behauptet, dass wir damitie Kriminalität mit Messern oder Waffenimitaten voll-tändig beseitigen werden, und natürlich wissen wir umie große Zahl von illegalen Waffen, die bei Straftateningesetzt werden. Aber es ist die Pflicht der Politik, Re-elungen zu treffen, die, wo dies unter Beachtung deserhältnismäßigkeitsgrundsatzes möglich ist, den Waf-
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Reinhard Grindelfengebrauch einschränken, und vor allem, Rechtsgrund-lagen zu schaffen, damit die Polizei einschreiten kann,wo immer dies nötig ist.Natürlich ist die Bekämpfung der Gewaltkriminalitäteine gesamtgesellschaftliche Herausforderung. Aber diePolitik muss ihrer Pflicht, die Bürger zu schützen, ge-recht werden, wo immer sie es kann. Das tun wir mitdem neuen Waffenrecht.
Beispiel Anscheinswaffen. Immer wieder werden mitdiesen originalgetreuen Nachbildungen von FeuerwaffenStraftaten begangen, vor allem Raubdelikte. Anscheins-waffen sind geeignet, Situationen herbeizuführen, in de-nen sich Polizeibeamte bedroht fühlen und vermeintlichin Notwehr von der Dienstwaffe Gebrauch machen.Diese Waffen sind auch aus Gründen des Jugendschut-zes zu ächten. Das ist kein Spielzeug, das sind gefährli-che Gegenstände. Deshalb wollen wir, dass sie aus derÖffentlichkeit verschwinden.
Wir haben deshalb ein strenges Verbot des Führens sol-cher Waffen vorgesehen, das nach dem Recht über Ord-nungswidrigkeiten bußgeldbewehrt ist. Der Transportsolcher Waffen soll nur noch in verschlossenen Behält-nissen möglich sein. Wir gehen davon aus, dass sich dieZahl der Anscheinswaffen oder Softair-Waffen erheblichreduzieren wird, dass sie allenfalls noch im heimischenGarten zum Einsatz kommen.Hier bin ich bei der Abteilung „gesellschaftliche He-rausforderung“. Ich lade die Eltern dazu ein, mit ihrenKindern Gespräche zu führen und ihnen klarzumachen,dass es sinnvollere Freizeitgestaltungen gibt, als mit An-scheinswaffen herumzuschießen. Auch das gehört dazu,wenn wir heute über Waffen reden.
Wie an vielen anderen Stellen des Gesetzes vermei-den wir eine übermäßige Beeinträchtigung der berech-tigten Interessen von Jägern, Schützen und Waffen-sammlern. Mit Blick auf die vielen hundert Mails, dieviele Kollegen, wie ich weiß, bekommen haben, sageich: Die Situation der Schützen und Jäger wird erleich-tert, sie wird nicht erschwert. Wir haben es hier mit fach-kundigen, geschulten, geprüften Personen zu tun, die umihre Sorgfaltspflichten wissen. Deswegen haben wir unsdazu entschlossen, die Waffen, die von Jägern undSchützen verwandt werden, aus dem Geltungsbereichdes Anscheinsparagrafen herauszunehmen. Das heißtmit Blick auf die vielen Briefe, die wir bekommen ha-ben: Der Anscheinsparagraf gilt nicht für die von Schüt-zen und Jägern benutzten Waffen.Mehr Sicherheit schaffen wir auch durch die Kenn-zeichnungspflicht bei Waffen und wesentlichen Bestand-teilen von Waffen, die gesondert gehandelt werden.itesbdazSaAsdnldhGbdlshgmEhmwvgarwesÖnnFWfgraSwwt
Gleichzeitig erlauben wir das Führen dieser Messer,enn ein berechtigtes Interesse vorliegt. Einhandmessererden auf dem Bau, von Bergsteigern oder Rettungs-auchern verwandt. Eindringlich haben manche Kolle-
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Reinhard Grindelgen auf die Bedeutung des Hirschfängers bei der bayeri-schen Tracht hingewiesen.
Deshalb haben wir umfassende Ausnahmevorschriftenaufgenommen. Das gilt insbesondere für die Berufsaus-übung, bei der Brauchtumspflege, dem Sport oder einemsonstigen anerkannten Zweck, also wenn zum BeispielHobbywinzer mit dem Weinrebenschneider im Dorfoder Jäger zum Revier unterwegs sind.Nun kann man gegen unsere Regelung einwenden: Eskann zu Ausweichverhalten kommen. Was ist mit Klin-gen von 11 Zentimetern? – Ein totales Verbot, Messer zutragen, hätte bedeutet, dass jeder Bürger ein berechtigtesInteresse für das Mitführen sogar eines Schweizer Mes-sers hätte haben müssen. Das ist nicht von dieser Welt.Auf der anderen Seite sage ich mit Blick auf die Kritikder FDP im Ausschuss: Ich finde, Politik muss handeln,wo sie – wenn auch unvollkommen; das räume ich ein –handeln kann.
Hinsichtlich Einhandmessern und Messern mit festste-hender langer Klinge sage ich bei aller Liebe zur Frei-heit: Wenn ein Jugendlicher in der U-Bahn mit einemEinhandmesser vor den Augen einer älteren Dame odereines körperlich unterlegenen anderen Jugendlichen he-rumfuchtelt, dann heißt es für mich nicht „im Zweifel fürdie Freiheit“, sondern „im Zweifel für die Sicherheit“.Die Polizei muss ein solches Verhalten unterbinden kön-nen.
Lassen Sie mich zu einem anderen Diskussionspunktkommen: die Absenkung der Altersgrenze für das Schie-ßen mit Druckluftwaffen von zwölf auf zehn Jahre. Wiralle wissen, dass dies ein Thema mit erheblichem Verun-glimpfungspotenzial ist. Ich will hier aber durchaus aufdas verweisen, was uns gleich mehrere Sachverständigein der Anhörung gesagt haben: Wissenschaftliche Lang-zeitstudien haben ergeben, dass nicht die Frage der Al-tersgrenze das Entscheidende ist, sondern die Qualifika-tion – in fachlicher und psychologischer Hinsicht – derJugendschießsportwarte und Trainer, die die talentiertenJungschützen ausbilden.
Deshalb sind wir gemeinsam dafür, dass von den Aus-nahmen für besonders talentierte Jungschützen ab zehnJahren, die das Waffengesetz schon zulässt, stärker Ge-brauch gemacht wird. Wir haben das Innenministeriumgebeten, in den Ländern eine einheitliche Verwaltungs-praxis einzufordern.Grundsätzlich will ich wiederholen, was ich in derersten Lesung bereits gesagt habe: Die Schützenvereinevor Ort leisten nicht nur einen Beitrag zum kulturellenLeSvfsmtmwgsFbWHmml2DDApvhnocZfRgK
Herr Präsident, ich komme zum Schluss, indem ichich für die sehr gute Unterstützung durch die Mitarbei-er des Bundesinnenministeriums bedanke. Herr Parla-entarischer Staatssekretär, ich wäre Ihnen dankbar,enn Sie diesen Dank weitergäben. Ich danke der Kolle-in Gabriele Fograscher von der SPD für die gute Zu-ammenarbeit. Die Koalition hat auf einem wichtigeneld der inneren Sicherheit – insofern sind wir wiederei Gemeinsamkeiten; damit wollen wir dann auch insochenende gehen –
andlungsfähigkeit bewiesen. Wir haben jetzt in ge-einsamer Arbeit einen guten Gesetzentwurf hinbekom-en. Dafür bitte ich um Zustimmung.Herzlichen Dank.
Das Wort hat nun Hartfrid Wolff, FDP-Fraktion.
Hartfrid Wolff (FDP):Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die neuer-iche Waffenrechtsreform ist wie ihre Vorgängerin von002 nicht geeignet, die Sicherheit für die Menschen ineutschland zu erhöhen.
as ist das eindeutige Ergebnis der Expertenanhörung.
uch die von den Koalitionsfraktionen nominierten Ex-erten befanden nur wenige der von SPD und CDU/CSUorgenommenen Änderungen als für die innere Sicher-eit nützlich. Es sind deutliche Verschärfungen aufge-ommen worden, ohne dass überhaupt evaluiert wurde,b die damaligen Änderungen zu einem tatsächlichen Si-herheitsgewinn geführt haben. Hier habe ich erheblicheweifel.Mit Ausnahme der Vorgaben zu den Anscheinswaf-en, die auch wir ausdrücklich begrüßen, lehnen wir dieegelungen dieses Gesetzentwurfs ab. Tatsache ist: Le-al erworbene und angemeldete Waffen spielen in derriminalstatistik keine Rolle.
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Hartfrid Wolff
Die illegalen Waffen werden aber vom Waffengesetznicht erreicht. Das Herumdoktern am Waffengesetz istpurer Aktionismus,
reine Augenwischerei.
Vor der Hamburg-Wahl will Rot-Schwarz noch schnellsuggerieren, für Sicherheit zu sorgen. Das ist durchsich-tig.Dass die Koalition selbst nicht daran geglaubt hat, ineiner sachlichen Debatte mit Argumenten bestehen zukönnen, zeigt sich am hanebüchenen Gesetzgebungsver-fahren: Erst macht Innenminister Schäuble Vorschläge,die er kurz danach wieder zurückzieht, und dann will dieKoalition in kürzester Zeit das Waffenrecht ändern undpeitscht die Vorlagen durch den Ausschuss und das Par-lament.Problemlösungen im Bereich der Kriminalität müssennicht primär das Waffenrecht, sondern den Zusammen-hang von Straftat und Strafe und das vernachlässigteFeld der Kriminalprävention in den Blick nehmen.
Nicht der Gegenstand, Herr Wieland, ist das Problem,sondern derjenige, der ihn einsetzt.Die über Nacht in den Gesetzentwurf eingebautenMesserregelungen zeichnen sich vor allem durch einesaus: Schwammigkeit. Die Koalition lässt Polizei undJustiz mit dem Vollzug des Gesetzes völlig allein. JederPolizist muss nun in der konkreten Situation entschei-den, ob Brauchtum vorliegt oder der Zweck zum Führendes Messers „allgemein anerkannt“ ist. Das ist in derkonkreten Situation schwer möglich.
Die Sachverständigen haben diesen von Ihnen gewähltenAnsatz in der Anhörung fast einhellig abgelehnt.
Stattdessen forderten sie die Möglichkeit, das Tragenvon Waffen an bestimmten Orten, zum Beispiel in Dis-kotheken, zu verbieten. Diese Initiative Hamburgs hatdie FDP unterstützt, und sie ist auch vernünftig. Innen-senator Körting dagegen, der Urheber dieser groteskenMesserregelung,
hat selbst längst nicht alle bestehenden Möglichkeitenausgeschöpft. Er hätte über das Hausrecht das Mitführenvon Messern in der U-Bahn und anderswo verbieten las-sen können.DpszeVpskkBKsnIhasKgslKsanezimpsAfmSngssm
och das hat er nicht getan. Fazit: Die SPD macht Pro-aganda, aber sie handelt nicht.
Vor allem wird mit der Neuregelung der ohnehinchon bürokratische Wust, mit dem Waffenbesitzer über-ogen werden, noch weiter aufgebläht. So ist es nichtinsichtig, warum die vorhandenen Kontrollen bei dererbringung von Schusswaffen ins Ausland nun verdop-elt werden. Die diesbezüglich vorgesehenen neuen Vor-chriften bringen überhaupt keinen Sicherheitsgewinn,onterkarieren aber jede Absichtserklärung zum Büro-ratieabbau.Das Gleiche gilt für die neuen Informations- unduchführungspflichten. Im Gesetzentwurf werden dieosten klein gerechnet. Tatsächlich gibt es eine insge-amt große Belastung für die mittelständischen Unter-ehmen. Angesichts der einfachen Prognose, dass diesenformations- und Buchführungspflichten keinen Sicher-eitsgewinn bringen, demonstriert diese Regelung diebgehobene Ignoranz gegenüber wirtschaftlichen Zu-ammenhängen. Darüber hinaus ist die Erweiterung derennzeichnungs- und Buchführungspflichten eindeutigegen die berechtigten Interessen der legalen Waffenbe-itzer, insbesondere der Jäger, Sportschützen und Samm-er antiquarischer Waffen, gerichtet. Dies verursacht nurosten, ohne dass der Nutzen ersichtlich ist.Wie übertrieben im Waffenrecht argumentiert wird,ieht man auch daran, dass selbst die sinnvolle Jugend-rbeit im Sport zurückgedrängt wird. Es werden nichtur Belastungen aus der damaligen Reform aufrecht-rhalten; die SPD will auch vernünftige Überlegungenur Stärkung des Nachwuchses nicht angehen; ich nennen diesem Zusammenhang ganz bewusst die Sozialde-okraten. Jetzt ist es schon so weit, dass auf Rummel-lätzen Kinder unter 12 Jahren mit einem Luftgewehrchießen dürfen, im Sportverein – unter fachkundigerufsicht – aber nicht. Den Wettbewerb „Jugend trainiertür Olympia“ scheint die Bundesregierung auf den Jahr-arkt verlegen zu wollen.
Die Neuregelung in § 15 a des Gesetzentwurfs, dassportordnungen nur noch dann genehmigt werden kön-en, wenn sie im besonderen öffentlichen Interesse lie-en, halte ich für falsch und dirigistisch. Insgesamt be-teht die Gefahr, dass der Breitensport behindert werdenoll.Auch das grundgesetzlich geschützte Erbrecht wirdeiner Meinung nach zu stark eingeschränkt.
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15456 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 146. Sitzung. Berlin, Freitag, den 22. Februar 2008
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Hartfrid Wolff
Waffenbesitzer von geerbten Waffen, denen keinerleiUnzuverlässigkeit nachgewiesen werden kann, sollennun pauschal verpflichtet werden, Blockiersysteme inihre Waffen einzubauen.
– Beruhigen Sie sich doch, Herr Wieland! – Es ist ab-surd, dass dies auch für Waffen gilt, die bereits lange vorder Entstehung dieses Gesetzentwurfs vererbt wordensind.
Zwar sind kulturhistorische Sammlungen als ganze– Herr Grindel hat zu Recht darauf hingewiesen –, nichtaber einzelne obsolete Waffensysteme ausgenommen.Die Abgrenzungen hierzu sind allerdings schwierig.Mit immer neuen bürokratischen Pflichten für legaleWaffenbesitzer und einem Generalverdacht gegen Sport-schützen, Jäger und Waffensammler wird keine Untat zuverhindern sein. Was die Bundesregierung hier vorgelegthat, ist kein richtiger Gesetzentwurf, sondern eine An-sammlung schwammiger Begriffe, die lediglich auf dieöffentliche Wirkung zielt, reale Sicherheitsfragen abernicht berührt. So kommt es zu einem reinen Alibigesetz,das kaum Nutzen, aber viel Schaden stiften wird.Vielen Dank.
Das Wort hat nun der Innenminister des Landes Sach-
sen-Anhalt, Holger Hövelmann.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen undHerren! Zunächst bedanke ich mich sehr herzlich für dieGelegenheit, vor diesem Hohen Hause reden zu dürfen.Das ist, glaube ich, auch für einen Landesminister keinealltägliche Erfahrung.Das Gesetzgebungsverfahren zum Waffenrecht zeigt,wie das Zusammenwirken zwischen den unterschiedli-chen Verfassungsorganen Bundesrat und Bundestagfunktionieren kann. Ich bin ein wenig stolz darauf, dassdas kleine und bescheidene Bundesland Sachsen-Anhaltim Frühjahr vor fast einem Jahr auf der Innenminister-konferenz in Berlin die Anregung geben konnte – sie istdann auch aufgegriffen worden –, entsprechende Ände-rungen im Waffenrecht der Bundesrepublik Deutschlandvorzunehmen.Verehrter Herr Kollege Wolff, das wurde nicht imHinblick auf die Hamburger Bürgerschaftswahlen ini-tiiert, sondern aufgrund der Erfahrungen der Länderpoli-zeien mit der Realität, nämlich mit den Gefährdungenvon Polizistinnen und Polizisten durch das polizeilicheGegenüber, wenn derjenige mit Anscheinswaffen agiert.simniPbrEpPusWdgPnSsGzpsMAOrhsMnt–kSfcaG
Eine Auswertung des Meldedienstes ergab für Sach-en-Anhalt allein im Jahr 2007 38 Vorfälle, bei denennsbesondere Kinder, Jugendliche und Heranwachsendeit Softair-Waffen hantierten. Eine Vielzahl von Ereig-issen mit Waffenimitaten zeigt deren Gefährlichkeit. Esst sogar schon zum Einsatz von Schusswaffen durcholizeibeamte gekommen. So ist der Fall eines Mannesekannt, der auf einem Schulhof mit einer Pistole he-umfuchtelte. Sofort rückten Beamte aus, die Bilder vonrfurt vor Augen. Als das Team eintraf, richtete derotenzielle Amokläufer seine Waffe auf eine 24-jährigeolizistin. Die junge Frau feuerte zwei Warnschüsse abnd schoss dem 52-Jährigen dann gezielt in den Ober-chenkel. Als sie dem Außer-Gefecht-Gesetzten dieaffe entriss, wunderte sie sich sofort über das Gewichter Waffe. Die Pistole war viel zu leicht. Der psychischestörte Mann hatte mit einer sogenannten Softair-istole hantiert, einer Spielzeugwaffe.Wenn Gegenstände aufgrund ihres äußeren Erschei-ungsbildes den Anschein erwecken, es handele sich umchusswaffen, dann ist ein Polizeieinsatz mit großen Ri-iken verbunden. Hier sind wesentliche Rechtsgüter inefahr, sowohl für den Betroffenen als auch für die Poli-isten. Hier muss – ich betone: muss – der Gesetzgeberräventive Regelungen schaffen, und zwar bevor imchlimmsten Fall Menschenleben zu beklagen sind.
it dem neuen Waffengesetz wird nun das Führen vonnscheinswaffen in der Öffentlichkeit verboten und alsrdnungswidrigkeit geahndet. Gleiches gilt für das Füh-en von gefährlichen Messern, insbesondere von Ein-andmessern. Verehrter Herr Wolff, Polizisten könnenchon unterscheiden, ob eine ältere Dame mit einemesser Pilze im Wald sammelt oder ob ein angetrunke-er Jugendlicher mit einem Messer in der U-Bahn han-iert.
Genau darum geht es. – Das kann die Polizei, und dasönnen wir von der Polizei auch erwarten.
Ich möchte aber auch die Gefährlichkeit von Gas- undchreckschusspistolen in Erinnerung rufen. Diese Waf-en können schwerste bis tödliche Verletzungen verursa-hen. Deshalb wird der sogenannte Kleine Waffenscheinuch nur zuverlässigen und geeigneten Personen erteilt.enerell sehe ich – das sage ich ganz bewusst vor die-
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Minister Holger Hövelmann
sem Hohen Hause – überhaupt keinen Bedarf für Gegen-stände, die aussehen wie echte Waffen.
Wir sollten gemeinsam die weiteren Entwicklungen ge-nau beobachten und erforderlichenfalls das Gesetz inZukunft weiter verschärfen. Dabei dürfen Erwerbs- undHandelsverbote – ich weiß, dass ich mich hier auf Glatt-eis begebe – kein Tabuthema sein.
Wir alle können auf das Ergebnis, den Gesetzentwurf,der nun im Deutschen Bundestag zur Verabschiedungansteht, stolz sein. Ich will ausdrücklich all denjenigendanken, die zu diesem Ergebnis beigetragen haben. Wirwerden das neue Waffengesetz konsequent umsetzen. Sostärken wir die innere Sicherheit in unserem Lande. DasGesetz ist fachlich und politisch richtig. Das Gesetz istPrävention und Repression zugleich. Ich hoffe, dass Sieden Gesetzentwurf verabschieden.Herzlichen Dank.
Das Wort hat nun Bodo Ramelow, Fraktion Die
Linke.
Werte Kolleginnen und Kollegen! Als Abgeordneteraus Thüringen und als Bewohner der Stadt Erfurt habeich ein ganz besonderes Verhältnis zu dem Thema, überdas heute diskutiert wird. Wir haben in Thüringen dasLeistungszentrum für Schießsport in Suhl und in Ober-hof unsere Biathleten, die ausgebildete Schützen sind.Als Erfurter habe ich das Massaker am Gutenberg-Gym-nasium erleben und den Angehörigen beistehen müssen.Alle in Erfurt waren durch diese Tat sehr traumatisiert.Deswegen bewegt mich das Thema Waffenrecht sehr.Ich gebe zu, dass ich mich über bestimmte E-Mailsund Faxe, die mir danach zugeschickt wurden, sehr är-gere. Man wird häufig in die Ecke gestellt und als einGegner der Benutzung von Waffen dargestellt, nur weilman sich kritisch zu den Grauzonen äußert, in denenWaffen nicht richtig angewendet werden. Das ist dochkeine Beleidigung für den Jäger, der seiner Jagd ordent-lich nachgeht. Das ist doch keine Beleidigung für denSportschützen, der seinen Sport ordentlich ausübt. Esmuss aber erlaubt sein, darüber zu reden, dass es Fehl-entwicklungen gibt. Deswegen habe ich Fragen. Ichgebe Herrn Grindel völlig recht: Spielzeugwaffen, diewie ein Original aussehen, haben aus unserer Sicht über-hWwsSAOismfwsowmdhsEKg–RitkkotwmfhtLt
Die Anhörung hat mir sehr viel Vergnügen bereitet,eil dort eine intellektuelle Schärfung der Argumentetattgefunden hat. Es wurden von den Kollegen ausachsen-Anhalt Waffen vorgelegt, die man mit eigenemuge nicht als echt oder falsch erkennen konnte. Dempfer ist es völlig egal, ob die Waffe echt oder nicht echtst. Ein Überfall auf einen XY-Markt oder eine Tank-telle mit einer solchen Waffe führt immer zu einer Trau-atisierung und hinterlässt immer Opfer. Deswegeninde ich es völlig richtig, dass diese Art von Spielzeug-affen schlicht aus dem Verkehr gezogen werden müs-en,
der, wie es mit dem vorliegenden Entwurf umgesetztird, dass sie 50 Prozent kleiner oder größer ausfallenüssen oder mit einer bestimmten Farbe versehen wer-en, damit man erkennt, dass es sich um ein Spielzeugandelt. Im Kern waren wir uns aber darüber einig, dassolche Spielzeuge an sich völlig überflüssig sind.
Ich gebe zu, dass wir mit den Regelungen über dierbwaffen nicht zufrieden sind. Im Gegensatz zu Herrnollegen Wolff, der hier eine waffenlobbyistische Redeehalten hat
ich hätte gern einen Hinweis darauf, für wen er dieede gehalten hat; für die Freiheit jedenfalls nicht –, binch der Meinung, dass man Erbwaffen mit Blockiersys-emen optimal sichern kann, ohne sie zu zerstören. Manann eine Erbwaffe, mit der jemand hantiert, der dazueine Erlaubnis hat, entweder mit einem Blockiersystemder mit einem Abzugsschloss sichern. Beides sind Op-ionen. Ich glaube, wir gehen da in die richtige Richtung,enn auch noch nicht weit genug. Ich will sagen, dassich das nicht daran hindert, meiner Fraktion zu emp-ehlen, alle Vorschläge anzunehmen.
Ein zweites Thema, auf das Herr Grindel hingewiesenat, betrifft Messer und das damit verbundene Drohpo-enzial. Ich glaube, dass wir da noch nicht die optimaleösung haben. Das hat Herr Grindel auch nicht behaup-et.
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Bodo Ramelow– Ich finde, dass man bei vernünftigen Regelungen ent-spannt sein müsste. – Das Hantieren mit einem Einhand-messer in einer Straßenbahn muss von uns unterbundenwerden. Das hat nichts mit der Oma zu tun, die beim Pil-zesammeln ein Messer bei sich trägt. Es geht um die Be-drohung durch Waffen, die offen von Menschen getra-gen werden.
Ich glaube, dass weder die Hamburger noch die Berli-ner Lösung die richtige ist. Eigentlich müssten wir die-ses Bedrohungspotenzial aus der Öffentlichkeit entfer-nen. Das hat nichts mit den Pfadfindern oder Mitgliedernvon Trachtengruppen, die einen Hirschfänger tragen, zutun. Das hat auch nichts mit dem Jäger und dem Anglerzu tun, die ein solches Messer für die Ausübung ihresSports brauchen. Es gibt aber keinen Grund, sich in derStraßenbahn mit einem Einhandmesser die Fingernägelsauber zu machen und zu behaupten, man bedrohe dochniemanden.
Durch eine solche Handlung und das Vorzeigen vonWaffen an öffentlichen Orten fühle ich mich bedroht.Diese Bedrohung muss durch die Politik zurückgedrängtwerden.
Damit werden wir nicht jedes Messermassaker in Fami-lien oder jeden Ehekrach, der mit Messern ausgetragenwird, verhindern können. Aber wir müssen dies themati-sieren. Es geht um Einhandmesser; es geht um dieseForm der Bedrohung. Deswegen bin ich eigentlich auchmit der 12-Zentimeter-Regelung nicht einverstanden.
Ich glaube, dass man damit das Problem am falschenEnde anpackt. Trotzdem sind wir insgesamt auf einemguten Weg.Abschließend möchte ich sagen, was aus unsererSicht völlig fehlt und was ich uns allen ins Stammbuchschreibe: Es geht um das elektronische Waffenzentralre-gister und fälschungssichere Dokumente für alle, die be-rechtigt sind, mit Waffen umzugehen, und für alles, wasmit der Handhabung von Waffen zusammenhängt. Dahaben wir nach den Ereignissen von Erfurt noch nachzu-arbeiten. Wir haben immer noch keine fälschungssiche-ren Dokumente. Außerdem brauchen wir die Einführungeines Zentralregisters. Wir dürfen diese Aufgabe nichtauf 257 Ordnungsämter verlagern, die noch Karteikartenverwenden und sich nicht untereinander abstimmen. Ineiner Zeit, in der wir für alles und jedes elektronischeRegister einführen und jeder unter Generalverdachtsteht, sollte es möglich sein, jede legale Waffe zu erfas-sen, damit sie von der illegalen unterschieden werdenkann. Dem Polizisten soll, bevor er zu einem Hauskommt, ermöglicht werden, zu überprüfen, ob dort Waf-fsheFGlGfsGSggnesdAzwFÄBddkWgmhbfFlfzhd
Das Wort hat nun Kollegin Silke Stokar von Neuforn,raktion Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kol-ege Wiefelspütz, ich greife Ihre Bitte gerne auf: Dieroße Koalition musste bei der Verschärfung des Waf-engesetzes zum Jagen getragen werden. Die Blockier-ysteme im BMI funktionierten reibungslos: Der ersteesetzentwurf, der vorgelegt wurde, war weichgespült.ie müssen selber zugeben, dass erst die Berücksichti-ung von etwa 50 Änderungsanträgen, die nach der aus-ezeichneten Anhörung, die von den Oppositionsfraktio-en durchgesetzt wurde,
ingebracht wurden, dazu geführt hat, dass aus dem Ge-etzentwurf des BMI das scharfe Waffengesetz gewor-en ist – wir haben den Entwurf zum Teil erst einenbend vor der Innenausschusssitzung erhalten –, das wiruvor in unserem Antrag gefordert hatten.Lassen Sie mich an dieser Stelle sagen: Auch wirerden dem Waffengesetz zustimmen. Die wesentlichenorderungen unseres Entschließungsantrags sind mit dennderungsanträgen aus dem Parlament – nicht aus demMI – in den Entwurf aufgenommen worden. Ich finde,as ist ein besonderes Erlebnis: Das Innenministerium,as sonst bei der Verschärfung von Gesetzen überhaupteine Grenzen und Schranken kennt, ist in der Frage desaffengesetzes seit Jahren handlungsunfähig. Deswe-en müssen wir gemeinsam die Verantwortung überneh-en.
Ich finde es richtig, dass die in unserem Antrag ent-altenen Vorschläge übernommen worden sind. Wir ha-en gefordert, die Berliner Initiative zum Verbot der ge-ährlichen Einhandkampfmesser zu übernehmen; dieachanhörung hat deutlich gezeigt, dass dies erforder-ich ist. Die CDU/FDP-Regierungen, die sich sonst soür scharfe Gesetze einsetzen, haben dies im Bundesratum Kippen gebracht. Ich finde es gut, dass wir daseute im Bundestag reparieren und dafür sorgen, dasser Bedrohung durch diese Einhandkampfmesser im öf-
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Silke Stokar von Neufornfentlichen Raum ein Riegel vorgeschoben wird. Wiekonnten Sie eigentlich in der Vergangenheit erklären,dass jeder im öffentlichen Raum, in der Fußgängerzonemit einer täuschend echt aussehenden Pistole herumlau-fen und damit Leute bedrohen konnte, ohne dass die Po-lizei eingreifen durfte! Es war erforderlich, hier zu rea-gieren.
Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage desKollegen Wolff?
Mit dem größten Vergnügen.Hartfrid Wolff (FDP):Frau Kollegin, Sie haben gerade gesagt, dass dieseRegelung in der Sachverständigenanhörung eindeutigbefürwortet worden sei. Stimmen Sie mir zu, dass derSachverständige des BKA, Erich Bartsch, und die Sach-verständigen Professor Heubrock und Professor Csaszarnicht der Meinung waren, dass der Ansatz eines Messer-verbotes sinnvoll ist?Butterflymesser wurden bereits verboten; die Zahl derVerbrechen, bei denen diese Messer eingesetzt werden,ist nicht deutlich gesunken. Jetzt wollen Sie ein anderesMesser verbieten. Stimmen Sie mir zu, dass es besser ist,Initiativen zur Verbesserung der Jugendarbeit zum Bei-spiel in Vereinen, der Kriminalprävention und der Erzie-hungsmethoden zu starten, anstatt immer am Waffenge-setz herumzubasteln?
Herr Kollege Wolff, ich stimme Ihnen in beidenPunkten nicht zu. Ich verstehe nicht, wie man sich ange-sichts der Presseberichte, die wir täglich in unseren hei-matlichen Zeitungen lesen – täglich lese ich in Hannovervon Messerattacken, von schweren Körperverletzungenund von Tötungen mit dem Messer –, den richtigen An-sätzen entgegenstellen kann.Wir haben einen umfangreichen Antrag zum ThemaJugendgewalt in den Bundestag eingebracht. Selbstver-ständlich benötigen wir bei der Auseinandersetzung mitden Themen Jugendgewalt und Jugendkriminalität um-fassende Konzepte. Dennoch ist es nicht angemessen,das, was wir nun tun, als einen Widerspruch zu bezeich-nen. Mit der Änderung des Waffengesetzes müssen wirauf eine gesellschaftliche Fehlentwicklung reagieren.Es ist doch so: Genau die Waffenproduzenten, die Siein Ihrer Rede hier verteidigt haben, haben auf das Verbotder gefährlichen Butterfly-Messer reagiert. Diese Ein-handkampfmesser wurden entwickelt, um das Waffenge-setz zu unterlaufen und um einen bestimmte Zielgruppe– über sie reden wir hier – zu bedienen: Es sind Jugend-lcDkdrhAnedüuSbtaihisfWhrhkfRhWn
Herr Kollege Wolff, ich wollte sowieso jetzt zu Ihrennträgen kommen. Einen Antrag, den Sie noch im In-enausschuss gestellt haben, haben Sie hier gar nichtingebracht. Die FDP hat in dieser Auseinandersetzungoch tatsächlich beantragt, dass bei der Zuverlässigkeits-berprüfung zwischen guten und schlechten Straftäternnterschieden wird.
ie haben im Innenausschuss beantragt, den Ladendie-en die Waffenbesitzkarte wegzunehmen. Die Steuerhin-erzieher sollen diese Karte nach Ihren Vorstellungenber behalten dürfen.
Sie sind die Top-Freiheitspartei der Woche. Sie habenn Hamburg gefordert, den Leinenzwang für Kampf-unde abzuschaffen. Sie setzen sich für freies Rauchenn verqualmten Kneipen ein. Sie fordern mehr Daten-chutz für Steuerhinterzieher. Jetzt wollen Sie auch nochreie Waffen für freie Bürger.
Der Top-Freiheitskämpfer dieser Woche ist Guidoesterwelle. Angesichts des Skandals um die massen-afte Steuerhinterziehung ruft er öffentlich zur Steuer-ebellion auf. Das heißt doch nichts anderes als: Steuer-interziehung ist eine erlaubte Rebellion.
Sie verklären hier Steuerhinterziehung zum Freiheits-ampf. Sie vertreten hier eine freie Bürgergesellschaft inolgendem Sinne: Freiheit für Kampfhunde, Freiheit füraucher, Freiheit für Waffenbesitzer, Freiheit für Steuer-interzieher. Wir sind eine andere Bürgerrechtspartei.
Lassen Sie mich zum Schluss sagen: Die Novelle zumaffengesetz steht an. Wir werden diese Gelegenheitutzen, um dafür einzutreten, dass ein nationales Waf-
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Silke Stokar von Neufornfenregister eingerichtet wird. Ich habe dies im Innenaus-schuss gefordert. Wir sollten diese von der EU veran-lasste Novelle nutzen, um hier Bürokratie abzubauen. Esist richtig: Es gibt in den Ländern Hemmnisse, die nichterforderlich sind.
Kollegin Stokar, der Kollege Wolff hat Ihnen schon
drei Minuten mehr Redezeit beschert. Aber jetzt sind Sie
wirklich deutlich über die Zeit.
Ich komme zum Schluss: Ich danke für die gute Zu-
sammenarbeit. Wir werden dem Gesetzentwurf der Re-
gierung in diesem Fall zustimmen.
Danke schön.
Für die Unionsfraktion hat nun der Kollege Stephan
Mayer das Wort.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrtenKolleginnen! Sehr geehrte Kollegen! Ich glaube, mankann unumwunden feststellen: Mit dem Gesetzentwurf,der heute zur Abstimmung vorliegt, trifft die GroßeKoalition ins Schwarze. In dieser schwierigen Gemenge-lage – es geht um die Umsetzung eines Schusswaffen-protokolls der Vereinten Nationen, um die Beachtungdes europäischen Rechts und um das auslaufende Privi-leg der Erben – ist dieser Gesetzentwurf ein angemesse-ner und ausgewogener Kompromiss.Es ist erfreulich, dass es uns gelungen ist, dass das Er-benprivileg auch nach dem 1. April dieses Jahres gilt.Diejenigen, die einen Sach- und Fachkundenachweis ha-ben, diejenigen, die Inhaber eines Waffenscheins odereines Jagdscheins sind, dürfen Waffen, die ihnen vererbtwerden, in Besitz nehmen. Außerdem müssen sie dieseWaffen nicht mit einem Blockiersystem unbrauchbarmachen. Das ist ein erfreulicher Schritt.Darüber hinaus ist es gelungen, dass für diejenigenWaffen, für die noch keine Blockiersysteme vorhandensind, zunächst einmal eine Übergangsregelung gilt. Dasheißt, auch diese Waffen dürfen geerbt und in Besitz ge-nommen werden. Diese Waffen müssen erst dann un-brauchbar gemacht werden, wenn die entsprechendenBlockiersysteme vorhanden sind. Darüber hinaus kön-nen historisch bedeutsame Waffen auch so aufbewahrtwerden, dass sie nicht mit einem Blockiersystem ver-bunden werden müssen.Sehr erfreulich ist, dass das Führen von Anscheins-waffen im öffentlichen Raum in Zukunft verboten ist.Von Anscheinswaffen geht in vielen Fällen – daraufwgsvstvbwRBuSGwvmScstDnhuAdzcwsEgdiSünafPcngSstdgH
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Stephan Mayer
Ich bitte die Länder dann aber auch darum, von derMöglichkeit, sowohl Pauschalgenehmigungen als auchEinzelfallgenehmigungen zu erteilen, in Zukunft in un-bürokratischer Weise Gebrauch zu machen.
Natürlich ist es nie so, dass das Messer oder dieSchusswaffe allein verletzt oder tötet.
Die Zahl von Schusswaffen und Messern ist aber dafürausschlaggebend – das ist genauso richtig –, dass inDeutschland immer noch zu viele Straftaten mit Schuss-waffen und Messern verübt werden. Beispielsweise gabes allein im Jahr 2007 nach Auskunft des Bundeskrimi-nalamts insgesamt 7 314 gemeldete Fälle von Straftatenim Zusammenhang mit Waffen. Allein im letzten Jahrsind insgesamt 16 464 Schusswaffen sichergestellt wor-den.Deswegen ist es richtig, dass in Zukunft das Führenvon Messern im öffentlichen Raum stärker reglementiertist, dass Einhandmesser und auch Messer mit einer fest-stehenden Klinge ab einer Länge von 12 Zentimeternverboten sind.Zum Abschluss möchte ich darauf hinweisen, dass esuns als Union Gott sei Dank gelungen ist, den Ausnah-mekatalog sehr weit zu fassen. Für die professionelleAusübung ist das Führen von Messern im öffentlichenRaum erlaubt. Was den Freizeitbereich angeht, so wur-den für diejenigen sehr weitreichende Ausnahmen vor-gesehen,
die als Angler, Bergsteiger, Segler oder Taucher auf denGebrauch von Messern nun einmal angewiesen sind.Das Führen des Hirschfängers in der bayerischen Le-derhose – Kollege Grindel hat dankenswerterweiseschon darauf hingewiesen – wird auch in Zukunft erlaubtsein; das war mir ein großes Anliegen.
Kollege Mayer, können Sie bitte zum Schluss kom-
men?
In dem Sinne kann ich nur alle auffordern, insbeson-
dere die FDP, diesem sehr ausgewogenen und sinnvollen
Gesetzentwurf zuzustimmen.
Herzlichen Dank.
Für die SPD-Fraktion hat nun die Kollegin Gabriele
Fograscher das Wort.
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abei haben wir auch die alltäglichen Erfahrungen derolizei und den Sachverstand von Experten aufgegriffen.ber, Herr Wolff, wir haben uns nicht zum Lobbyistenemacht und deren Wünsche eins zu eins übernommen.
ie Regelungen, die wir getroffen haben und die wireute beschließen, sind Regelungen mit Augenmaß. Dieustimmung aus anderen Fraktionen zum Entwurf deroalitionsfraktionen zeigt, dass es vernünftige Regelun-en sind.Uns als SPD-Bundestagsfraktion war es besondersichtig, das Verbot des Führens von Waffenimitaten,en sogenannten Anscheinswaffen, und das Verbot desührens von gefährlichen Messern in den Gesetzentwurfufzunehmen.Die Anhörung des Innenausschusses war für uns auf-chlussreich. Es wurden uns verschiedene Schusswaffenezeigt. Das waren einmal eine echte Waffe, wie sie dieolizei in NRW benutzt, dann eine Schreckschusswaffe,ine Gaswaffe und eine Softair-Waffe, die unter dasuropäische Spielzeugrecht fällt. Selbst Fachleute kön-en diese Waffen nicht voneinander unterscheiden. Dasedrohungspotenzial – Herr Minister Hövelmann hatierfür ein anschauliches Beispiel geschildert – istnorm. Deshalb wollen wir, dass diese Waffen aus demffentlichen Raum verschwinden.
n Zukunft ist das Führen dieser Waffenimitate verboten.in Verstoß gegen das Führungsverbot kann mit einemußgeld von bis zu 10 000 Euro geahndet werden.Ein weiteres Problem, auf das wir mit dieser Novel-ierung reagieren, ist die Zunahme von Delikten, beienen Messer eine Rolle spielen. Hierzu hat uns derachverständige des Landes Berlin in der Anhörung ein-eutige Zahlen genannt. Im Jahre 2006 gab es allein inerlin 1 135 Straftaten, bei denen Messer eingesetzturden. 2007 waren es bereits 1 566 Delikte. Das istine Steigerung von fast 38 Prozent binnen Jahresfrist,nd das allein in Berlin. Diese Zahlen waren und sind fürns Grund genug, zu handeln.Die Hamburger Regelung, um die das Waffenrechtchon im letzten Jahr ergänzt worden ist,
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Gabriele Fograscheroder das Hausrecht allein, Herr Wolff, lösen das Problemeben nicht.
Ich möchte mich an dieser Stelle bei der Senatsinnen-behörde des Landes Berlin für ihre Initiative und für diekonstruktive Unterstützung, die sie bei der Erarbeitungdieses Gesetzes für ein Messerführungsverbot gezeigthat, bedanken.
Der ursprüngliche Gesetzentwurf von Berlin mit einerBeschreibung von verbotenen Klingenformen war sehrkompliziert und so nicht umsetzbar.
Aber in vielen Gesprächen mit Vertretern der Senats-innenbehörde und Polizisten aus Berlin haben wir eineLösung gefunden, die praktikabel ist und der Polizei zu-sätzliche Handlungsmöglichkeiten gibt. Spring-, Fall-und Faustmesser sind bereits verboten. Wir verbietenjetzt das Führen sogenannter Einhandmesser sowie dasFühren von Messern mit einer feststehenden Klinge; da-rauf ist schon hingewiesen worden.Die Einhandmesser sind die Nachfolgemesser – somuss man das wohl darstellen – der 2003 im Waffenge-setz verbotenen Butterflymesser. Die Szene reagiert aufsolche Dinge.
Es gibt auch Messer, die eindeutig aus dem militärischenBereich stammen und zu keinem anderen Zweck dienen,als zu verletzen oder gar zu töten. Diese haben in einerbestimmten Jugendszene und bei jungen Männern Kult-status. Wir geben der Polizei jetzt die Möglichkeit, ein-zugreifen, bevor etwas passiert. Es gibt keinen Grund,mit einem Messer offen und zugriffsbereit im Park, aufder Straße oder in der U-Bahn zu hantieren.Wir stellen aber im vorgesehenen § 42 a Abs. 3 desWaffengesetzes klar, dass Messer im Zusammenhangmit der Berufsausübung, zum Sport, zur Brauchtums-pflege oder bei Vorliegen eines berechtigten Interessesgeführt werden dürfen. Dies gilt für den Jäger, den Ang-ler, den Camper, den Bergsteiger und den Metzger amMarktstand sowie für den Rebschneider im Weinbergund natürlich auch für den Trachtler beim Oktoberfest-umzug.Durch die Aufnahme des Verbots des Führens sowohlvon Anscheinswaffen als auch von gefährlichen Messernin das Ordnungswidrigkeitsrecht geben wir der Polizeieinen Ermessens- und Handlungsspielraum und schaffenim Interesse der Öffentlichkeit ein Mehr an Sicherheitim Alltag. Herr Wolff, die Polizei wird – da bin ich mirsicher – verantwortlich mit diesen Spielräumen umge-hen.
Die Gespräche zur Novellierung des Waffenrechtswaren konstruktiv und haben zu einem, wie ich meine,srrPrtg§hE6ueIzrFzvggweKramwudrIewddmgDSFGmuGW
Der Gesetzentwurf in seiner geänderten Fassung istin Beitrag zu mehr innerer Sicherheit. Den berechtigtennteressen legaler Waffenbesitzer wie Jäger, Sportschüt-en und Sammler haben wir mit zahlreichen Ausnahme-egelungen Rechnung getragen. Ich will hier für meineraktion sagen: Wir erkennen die Arbeit in den Schüt-envereinen an. Ich komme aus einem Bezirk, in demiele aktive Schützen in den Städten und Gemeindenute Jugendarbeit leisten. Aber wir konnten dem Anlie-en der Schützenvereine nicht folgen. Doch ich denke,ir haben jetzt mit den Ausnahmeregelungen und einerinheitlicheren Verwaltungspraxis in den Ländern einenompromiss gefunden, mit dem wir dem Anliegen ge-echt werden. Wir wissen, dass wir mit dem Waffenrechtllein nicht Kriminalität bekämpfen. Aber wir könnenit den gefundenen Regelungen im jetzigen Gesetzent-urf einen wichtigen Beitrag leisten. Deshalb bitte ichm Zustimmung.Danke sehr.
Ich schließe die Aussprache.Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bun-esregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Ände-ung des Waffengesetzes und weiterer Vorschriften. Dernnenausschuss empfiehlt unter Nr. 1 seiner Beschluss-mpfehlung auf Drucksache 16/8224, den Gesetzent-urf der Bundesregierung auf Drucksache 16/7717 iner Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen,ie dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustim-en wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt dage-en? – Gibt es Enthaltungen? – Das ist nicht der Fall.er Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit dentimmen der Unionsfraktion, der SPD-Fraktion, derraktion Die Linke und der Fraktion Bündnis 90/Dierünen gegen die Stimmen der FDP-Fraktion angenom-en.Dritte Beratungnd Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die demesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. –er stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetz-
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Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 146. Sitzung. Berlin, Freitag, den 22. Februar 2008 15463
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Vizepräsidentin Petra Pauentwurf ist mit den Stimmen der Unionsfraktion, derSPD-Fraktion, der Fraktion Die Linke und der FraktionBündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen der FDP-Fraktion angenommen.Wir kommen nun zur Beschlussempfehlung des In-nenausschusses zu dem Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen mit dem Titel „Für ein schärferes Waffen-gesetz“. Der Ausschuss empfiehlt unter Nr. 2 seinerBeschlussempfehlung auf Drucksache 16/8224, den An-trag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksa-che 16/6961 für erledigt zu erklären. Wer stimmt fürdiese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? –Wer enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist ein-stimmig angenommen.Ich rufe den Tagesordnungspunkt 27 auf:Erste Beratung des von den AbgeordnetenDr. Volker Wissing, Frank Schäffler, Dr. HermannOtto Solms, weiteren Abgeordneten und derFraktion der FDP eingebrachten Entwurfs einesGesetzes zur Änderung des Einkommensteuer-gesetzes– Drucksache 16/7519 –Überweisungsvorschlag:Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und TechnologieEs ist vereinbart, dass die Reden der folgenden Kolle-ginnen und Kollegen zu Protokoll gegeben werden:Manfred Kolbe für die Unionsfraktion, Martin Gersterfür die SPD-Fraktion, Dr. Volker Wissing für die FDP-Fraktion, Dr. Barbara Höll für die Fraktion Die Linkeund Christine Scheel für die Fraktion Bündnis 90/DieGrünen.1)Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzent-wurfs auf Drucksache 16/7519 an die in der Tagesord-nung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt esdazu anderweitige Vorschläge? – Das ist nicht der Fall.Dann ist die Überweisung so beschlossen.Ich rufe den Tagesordnungspunkt 28 auf:Beratung des Antrags der Abgeordneten UllaLötzer, Katrin Kunert, Dr. Barbara Höll, weitererAbgeordneter und der Fraktion DIE LINKEFördergelder nur als Unternehmensbeteili-gung– Drucksache 16/8177 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
FinanzausschussAusschuss für die Angelegenheiten der Europäischen UnionNach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für dieAussprache eine halbe Stunde vorgesehen, wobei dieFraktion Die Linke fünf Minuten erhalten soll. – Ichhöre dazu keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort derKollegin Ulla Lötzer für die Fraktion Die Linke.ZhRMrhasmNAPmnzkssvoDargsrmbsKAfsWVMtmnzDVBzq1) Anlage 2
Vor fast zwei Jahren hatte ich die Bundesregierungefragt, was sie unternehmen wolle, um Massenentlas-ungen parallel zu hohen Gewinnen zu verhindern. In ih-er Antwort lehnte sie eine Ausweitung von Mitbestim-ungsrechten ausdrücklich ab und ebenfalls denesseren Schutz vor Kündigungen. Die Bundesregierungchrieb in der Antwort, dass mit dem derzeit gültigenündigungsschutzgesetz die Arbeitnehmerinnen undrbeitnehmer vor willkürlichem und sozial ungerecht-ertigtem Verlust des Arbeitsplatzes ausreichend ge-chützt seien. Das erzählen Sie heute einmal vor denerkstoren von Nokia!Das Ruhrgebiet steht für Solidarität. Das war in derergangenheit so und ist auch jetzt so. Allen diesenenschen, die in Schauspielhäusern, Symphonieorches-ern, Schulen, Kindergärten und Betrieben arbeiten,üssen Sie heute eine Antwort darauf geben, wie Sie ih-en helfen wollen und welche politischen Konsequenzenu ziehen sind.
iese Menschen setzen ein Zeichen gegen Shareholder-alue-Politik der Global Player. Ihre Zeichen fehlen.randreden vor dem Werkstor, wie Herr Rüttgers sie ins-eniert, sind verlogen, wenn keinerlei politische Konse-uenzen daraus folgen.
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Ulla LötzerEine Möglichkeit haben wir Ihnen heute in unseremAntrag vorgeschlagen: Öffentliche Subventionen fürstrukturschwache Regionen sind ein unverzichtbareswirtschaftspolitisches Instrument. Es darf aber in Zukunftnicht mehr sein, dass der Staat die knappen öffentlichenSteuergelder in Millionenhöhe an private Unternehmenverschenkt. Die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler wer-den zweimal zur Kasse gebeten: zum einen für die För-dergelder und zum anderen für die Kosten der Werks-schließungen. Es reicht nicht aus, 41 Millionen Eurozurückzufordern, weil die Arbeitsplatzzusagen nicht ein-gehalten wurden.
Wir fordern, direkte Subventionen mit beträchtlicherregionalwirtschaftlicher Bedeutung durch staatliche Be-teiligung zu ersetzen. Dies würde die öffentliche Handzu Miteigentümern machen und eine Mitsprache bei we-sentlichen Entscheidungen ermöglichen.
Ein Aufsichtsratsbeschluss zur Schließung des Werkes,wie er nächste Woche getroffen werden soll, wäre dannnicht möglich.Jeder und jede bei Nokia Beschäftigte hat allein imletzten Jahr einen Gewinn von 90 000 Euro erzielt. Statteiner staatlichen Beteiligung könnten Subventionen auchalternativ in Form von Belegschaftsanteilen gewährtwerden.
Damit würden sie unmittelbar an die Interessen der Arbeit-nehmerinnen und Arbeitnehmer geknüpft. Entsprechendmüssten deren Einfluss und Entscheidungsmöglichkei-ten auch im Aufsichtsrat weiterentwickelt werden.Zudem sollten Sie endlich einmal Stellung zu denForderungen der Gewerkschaften beziehen, beispiels-weise im Aufsichtsrat nur mit einer Zweidrittelmehrheitüber Standortverlagerungen entschließen zu können.Warum gilt das nur bei VW? Warum gilt das nicht gene-rell? Die Mitbestimmungsrechte sind in die Debatte ein-zubringen.
Das Grundgesetz sieht die Sozialbindung des Eigen-tums vor. Die Bundesregierung – die Koalitionsfraktio-nen entsprechend – ist in ihrem Handeln dieser Sozial-bindung verpflichtet – und nicht dem Shareholder-Valuedes Nokia-Konzerns. Nehmen Sie diese Verantwortungendlich wahr! Verhalten Sie sich verfassungsgemäß!Danke.
Für die Unionsfraktion hat nun der Kollege Andreas
Lämmel das Wort.
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as, was Sie, Frau Lötzer, dazu gesagt haben, ist – es tutir leid – noch trüber gewesen. Ich kann nur feststellen:ch habe die volkseigene Wirtschaft erlebt. Sie habeniese Erfahrung leider noch nicht machen können. Dort-in wollen wir nicht zurück.
„Subventionsheuschrecke“, in diesem Wort drücktich der Unmut der Bevölkerung und der Politik über dientscheidung von Nokia zur Einstellung der Handypro-uktion und Schließung des Werkes in Bochum aus.achdem bekannt wurde, dass Nokia von 1988 bis 1999nvestitionsbeihilfen von rund 60 Millionen Euro aus deremeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalenirtschaftsstruktur“ und von 1998 bis 2007 rund 10 Mil-ionen Euro vom Bundesforschungsministerium im Rah-en der Forschungsförderung erhalten hat, dauerte esatürlich nicht lange, bis einige Professoren reflexartigin generelles Ende der Regionalförderung in Deutsch-and forderten. Natürlich ärgere auch ich mich – dasebe ich hier offen zu – über die Vorgehensweise vonokia und halte das Verhalten der Konzernspitze für in-kzeptabel. Aber das Verhalten der Konzernmanageron Nokia kann man nicht mit dem Verhalten der deut-chen Wirtschaft insgesamt gleichsetzen.
as sind angestellte Manager. Sie haben keinen Bezugum Standort. Sie haben keinen Bezug zu ihren Werken,ie sie weltweit betreiben. Das unterscheidet sie ganzrundsätzlich von mittelständischen Unternehmern, dieelbst in der Verantwortung stehen und an Standorte ge-unden sind, Frau Lötzer. Das ist der große Unterschied.as Verhalten von Nokia aber können wir überhaupticht akzeptieren.
Sie fordern nun in Ihrem Antrag, Fördergelder nur alsnternehmensbeteiligung zu gewähren und unter diesemindruck die Förderregelungen der Gemeinschaftsauf-abe sofort zu ändern. Künftig soll die betriebliche Ein-elförderung mit beachtlicher regionalwirtschaftlicheredeutung nur in Form von öffentlichen Kapitalbeteili-ungen gewährt werden,
amit die öffentliche Hand darüber Einfluss auf unter-ehmerische Entscheidungen im Sinne des Gemein-ohlinteresses ausüben kann; so Ihr Antrag.
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Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 146. Sitzung. Berlin, Freitag, den 22. Februar 2008 15465
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Andreas G. LämmelAlternativ dazu sollen Subventionen in Form von Beleg-schaftsanteilen gewährt werden; das hatten Sie geradeerwähnt.Als ich mir Ihren Antrag zum ersten Mal durchgele-sen habe, sind mir sofort ein paar Fragen eingefallen:Erstens. Was heißt eigentlich „beachtliche regionalwirt-schaftliche Bedeutung“? Wer beurteilt das denn?
Zweitens. Woran soll sich denn, Frau Lötzer, der Staatbeteiligen? Soll sich der Staat an Nokia beteiligen odersoll sich der Staat an der Tochter beteiligen, in die inves-tiert wird? Es ist völlig offen, woran sich der Staat betei-ligen soll.
– Am besten nirgendwo; völlig richtig.Drittens. Wer soll denn diese Beteiligung verwalten?Wer soll die geforderten umfangreichen Informations-und Berichterstattungspflichten bearbeiten?Viertens. Hätte die staatliche Beteiligung denn etwasan der Entscheidung von Nokia zum Umzug nach Rumä-nien geändert?Um es vorwegzunehmen: Wir halten von Ihrem An-trag genauso wenig wie von dem generellen Infragestel-len der Regionalförderung in Deutschland.
Staatliche Beteiligungen an privaten Unternehmen ingroßem Stil hatten wir schon einmal. Ich sage Ihnen nureines dazu: Die Große Koalition, meine Fraktion und ichwollen nicht wieder dahin zurück.
Wie absurd Ihr Vorschlag ist, zeigt der Blick auf dieFörderbilanz, Frau Lötzer. Nehmen Sie beispielsweiseden Zeitraum zwischen 2000 und 2006: In diesen sechsJahren wurde im Bereich der gewerblichen Wirtschaft inDeutschland in 22 886 Fällen gefördert. Um die Einheitzu verkleinern, nehme ich das Beispiel Sachsen: In die-sen sechs Jahren gab es allein in Sachsen 6 636 Förder-fälle. Jetzt wollen wir einmal großzügig rechnen undsagen, dass 50 Prozent davon regionalwirtschaftlich be-deutsam sind. Sie können selbst ausrechnen, dass dieBundesländer bzw. der Bund etwa 11 500 staatliche Be-teiligungen verwalten müssten, wenn Ihr Antrag umge-setzt würde. Die Gedanken, die Sie sich machen, sindvöllig absurd. Sie sind bar jeglicher Vernunft.
Eines bleibt aber festzuhalten, Frau Lötzer: Die Regio-nalförderung insgesamt ist sinnvoll. Sie hat sich als einwirksames Instrument zur Bewältigung des Struktur-wandels in Deutschland und den anderen EU-Mitglied-staaten bewährt. In den neuen Bundesländern könnenwseDhHGdmEZsFts„MgrgifndFDgtiLnVslw
Natürlich muss man sich immer wieder Gedankenarüber machen, wie man fördert und welche Instru-ente man dazu braucht.
s ist auch wichtig, der Frage nachzugehen, ob verloreneuschüsse immer das geeignete Mittel sind. Vielleichtind vor allem zur Förderung des Mittelstandes andereörderungsformen geeigneter. Darüber kann man disku-ieren. Ich frage mich nur, warum Sie in den dafür zu-tändigen Gremien, zum Beispiel im UnterausschussRegionale Wirtschaftspolitik“, noch nicht ein einzigesal einen solchen Vorschlag eingebracht haben. Im Ge-enteil: In diesem Unterausschuss hat die Vertreterin Ih-er Fraktion die Segnungen der Regionalförderung ei-entlich immer sehr positiv dargestellt.
Zusammenfassend möchte ich sagen: Dieser Antragst ein populistischer Schnellschuss der Linken. Die er-olgreiche Strategie der Regionalförderung ändert manicht aufgrund eines Antrages. Deswegen werden wiriesen Antrag ablehnen.Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Das Wort hat die Kollegin Gudrun Kopp für die FDP-
raktion.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Herren undamen! Ich bin nicht überrascht, diesen Antrag vorlie-en zu haben; denn er passt genau in die Linie der Frak-ion Die Linke, die 18 Jahre nach der Wiedervereinigungmmer noch auf Plan- und Staatswirtschaft setzt. Dieinke ist in der sozialen Marktwirtschaft immer nochicht angekommen und akzeptiert ihre Regeln nicht.
on daher kann ich nur sagen: Man sollte sich mit die-em Antrag gar nicht lange aufhalten. Das ist völlige Il-usion. Der Weg, den Sie beschreiten wollen, ist ein Irr-eg.Der Staat ist nicht der bessere Unternehmer.
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15466 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 146. Sitzung. Berlin, Freitag, den 22. Februar 2008
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Gudrun KoppDas hat sich zigmal bewahrheitet. Das ist einfach nichtder Fall. Ich will aber ausdrücklich darauf hinweisen,dass meine Fraktion das Verhalten der Nokia-Managerkritisiert.Ich wage einen Blick auf die Förderung insgesamt.Frau Lötzer, in Ihrem Antrag sprechen Sie davon, dassdie regionale Wirtschaftsförderung ein unverzichtbaresElement ist. Schauen wir einmal genauer hin. Ich ver-weise auf den letzten Bericht des Bundesrechnungsho-fes, der gerade an der regionalen Förderung einiges zukritisieren hatte. Ich zitiere zwei Hauptkritikpunkte. ImBericht steht, diese Förderungen seien unzureichendkontrolliert
und das Parlament sei unvollständig informiert, und esgebe nicht genügend Angaben über gescheiterte Vorha-ben und über Arbeitsplätze, die dauerhaft geschaffenwurden. Damit müssen wir uns auseinandersetzen.Ich halte es für besonders problematisch, dass bei derregionalen Strukturförderung die Bedürftigkeit des För-dermittelempfängers nicht geprüft wird. Im Gegenteil:Wir haben im Unterausschuss gehört, dass das Geld ebennicht an finanzschwache, sondern ganz gezielt an finanz-starke Unternehmen gehen soll. Außerdem sei das ein-zige Ziel dieser Förderung, die Standortansiedlungstrukturpolitisch zu beeinflussen.Ich möchte, dass wir im Parlament und in den Aus-schüssen über diese Zielsetzung noch einmal nachden-ken und darüber, wie sinnvoll diese Förderung seinkann, wenn wir in Einzelfällen fördern. Ich sehe durch-aus, dass es bei der Evaluierung Verbesserungen gibt.Wir haben gehört: Es gibt jetzt eine Ist-Soll-Gegenüber-stellung bei den Förderungen. Ich finde, das ist ein Fort-schritt. Das muss man ausdrücklich so sagen. Aber beianderen Wirtschaftsförderungsprogrammen – auch dashaben wir gehört – gibt es so gut wie keine Evaluierung.Ich muss Ihnen sagen: Wenn wir die Wirtschaftsun-ternehmen insgesamt sehen, die kleinen, mittelständi-schen bis hin zu den größeren und großen, dann bestehtnatürlich die Gefahr, dass durch eine staatliche, eine öf-fentliche Förderung ein Ungleichgewicht entsteht. Wennnach dem Gießkannenprinzip gefördert wird, schafftdiese Förderung mehr Ungerechtigkeit im Wirtschafts-gefüge. Davor möchte ich warnen. Ich sage: Wir müssenuns die Förderungen genauer anschauen, und zwar auchmit Blick auf die Transparenz. Auch das war ein Punktim Unterausschuss „Regionale Wirtschaftsförderung“.Hierzu haben wir gesagt, dass die Transparenzrichtlinieder EU umgesetzt werden muss; wir haben gehört, dassdiese Umsetzung derzeit erfolgen soll. Denn es mussdoch für Mitbewerber und für uns, für alle am MarktTeilnehmenden, feststellbar und nachvollziehbar sein,welche Unternehmen in welchem Umfang öffentlicheFördermittel bekommen haben.
Da hinken wir hinterher. Ich finde, auf diesen Punktmüssen wir unbedingt achten.swmIWFvmbDlztBFgßefrreVVwEgOaEmnsn
Für die SPD-Fraktion hat nun der Kollege Garrelt
uin das Wort.
Frau Präsidentin! Sehr verehrte Kolleginnen und Kol-egen! Wir haben es bei diesem Tagesordnungspunkt mitweierlei zu tun: zum einen mit einer erneuten Bewer-ung der Vorgänge um die Werksschließung bei Nokia inochum und zum anderen mit der grundsätzlichenrage, wie wir mit Beihilfen von unserer Seite aus um-ehen wollen. Eines ist klar: Hektische Standortschlie-ungen wie die in Bochum weisen vor allen Dingen aufines hin, nämlich auf schwerwiegende Management-ehler. Ein leistungsstarkes Management stellt sichechtzeitig auf Veränderungen ein, bringt Umstrukturie-ungen voran und wartet nicht bis zur letzten Minute, umine Werksschließung bekanntzugeben.Der in Europa zuständige Industriekommissar, Güntererheugen, sagte – ich darf das kurz zitieren –:Das Verhalten von Nokia ist Ausfluss einer neuenReligion, die den Shareholder-Value vergöttert. Dasist der falsche Weg. Wenn, wie im Fall Nokia, un-ternehmerische Verantwortung gegenüber den Ar-beitnehmern und dem Standort von reiner Profitma-ximierung abgelöst wird, so wird das Vertrauen indie Zuverlässigkeit und Gerechtigkeit der sozialenMarktwirtschaft gefährdet.Ich möchte mich diesen Worten von Güntererheugen ausdrücklich anschließen. Ich glaube – des-egen habe ich ihn zitiert –, dass wir auf europäischerbene solche Partner brauchen, wenn es um die Frageeht, wie wir unsere Fördermechanismen nach der EU-sterweiterung an europäische Entwicklungen, aberuch an die Globalisierung anpassen können.Ich komme zu den Vorgängen in Bochum zurück.ine Werksschließung zu verkünden, ohne gemeinsamit den Beschäftigten auch nur den Versuch zu unter-ehmen, den Standort fortzuentwickeln und nach Re-trukturierungswegen zu suchen, das ist eines internatio-al so erfolgreichen Unternehmens unwürdig.
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Garrelt DuinVerbunden mit dem Wissen um das Unternehmenser-gebnis des letzten Jahres – ein Rekordgewinn von7,2 Milliarden Euro und eine Rendite von über20 Prozent – ist das Verhalten der Konzernleitung ge-genüber den Beschäftigten und der gesamten Regionvollkommen unverantwortlich.
Denn diesen Gewinn, den das Unternehmen gemachthat, haben die Beschäftigten erarbeitet. Das ist der erstewichtige Faktor.Der zweite wichtige Faktor ist: Diesen Gewinn habendie Verbraucherinnen und Verbraucher bezahlt. Es gabgutes Geld für gute Produkte mit einem guten Image.Dieses gute Image ist – das füge ich hinzu – hoffentlichnachhaltig beschädigt.Werksschließungen können durch Beihilfen nicht ver-hindert werden. Allerdings können die Standortnachteilestrukturschwacher Regionen durch Subventionen oderBeihilfen verbessert werden; damit hat Deutschland inder Wirtschaftsförderung gute Erfahrungen gemacht.Dort, wo sie angebracht sind, haben sie maßgeblich zumAufbau wirtschaftlicher Strukturen beigetragen. Wirkönnen mit unseren Beihilfen dafür sorgen, dass regio-nale Ungleichgewichte in Deutschland, aber auch in Ge-samteuropa – das, was bei Nokia geschehen ist, istschließlich ein europäisches Problem – ausgeglichenwerden.Das heißt nicht, dass wir dadurch die Region Bayeri-scher Wald oder meine Heimatregion Ostfriesland sozu-sagen auf die gleiche Höhe heben, auf der andere, beson-ders erfolgreiche Wirtschaftsregionen sind. Wir könnenaber dafür sorgen, dass ein Ausgleich stattfindet, dass eszu einer Angleichung der Lebensverhältnisse kommtund dass wir für die Unternehmen und die Unternehmerdie Voraussetzungen schaffen, die notwendig sind, damitsie sich in diesen Gebieten ansiedeln. Dafür sind einesolche Wirtschaftspolitik und eine solche Förderpolitikda.Die Erfolge der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesse-rung der regionalen Wirtschaftsstruktur“ sind messbarund sehr beeindruckend; darauf hat Kollege Lämmelschon hingewiesen. Seit 1991 konnten wir im Rahmender GA-Förderung Investitionen in Höhe von rund200 Milliarden Euro anstoßen. Dadurch konnten inDeutschland fast 1 Million zusätzlicher Dauerarbeits-plätze geschaffen und 1,5 Millionen Arbeitsplätze gesi-chert werden.Ich sage noch einmal: Werksschließungen können wirauch durch eine Reform der Wirtschaftsförderung nichtvollkommen verhindern. Hierzu sind auf europäischerEbene weitere Elemente notwendig, die wir mit ansto-ßen müssen. Das möchte ich an einem Beispiel verdeut-lichen: Wir brauchen mehr denn je eine europaweiteSteuerpolitik. Wenn wir nicht auf europäischer Ebene imHinblick auf die Unternehmensbesteuerung in EuropaMindeststeuersätze vereinbaren, dann werden uns solcheFälle wie der von Nokia in Bochum immer wieder be-gbHRkIwbDdD8diDd1rgdcbühnNvhfmdbd
Gleichwohl, Frau Lötzer, ist es nicht so – auch das haterr Lämmel schon deutlich gemacht –, dass es zu eineriesenwelle der Verlagerung von Jobs ins Ausland ge-ommen ist.
n diesem Zusammenhang möchte ich eine Studie er-ähnen, die wahrscheinlich auch Sie in Ihren Büros ha-en.
iese Studie wurde übrigens vom DGB veröffentlicht;aher dürfte sie auch aus Ihrer Sicht unverdächtig sein.
as Ergebnis ist, dass es seit dem Jahre 2005 beiProzent der Betriebe zu Verlagerungen gekommen ist,ass allerdings in nur 20 Prozent der Fälle auch die Jobsns Ausland verlagert worden sind. Viele Jobs konnten ineutschland gehalten werden. Ein Fünftel der angekün-igten Verlagerungen wurde nicht vorgenommen. In fast5 Prozent der Fälle ist es sogar zu einer Rückverlage-ung nach Deutschland gekommen. Das hat viel mit Zu-eständnissen der Belegschaften zu tun, aber auch miter Intervention von Gewerkschaften und mit öffentli-hem Druck.Solche Zahlen nützen den Menschen, die in Bochumetroffen sind, nichts. Es geht jetzt darum, genau zuberprüfen, welche konkreten Vorgänge es bei den Bei-ilfen in Bochum gegeben hat. Wir wissen: Viele Millio-en Euro aus der GA sind dorthin geflossen. Das Landordrhein-Westfalen prüft jetzt, inwieweit die gesetzlichorgeschriebenen Strukturen geschaffen wurden. Ichoffe, dass das Land in dieser Auseinandersetzung er-olgreich sein wird.Ich will zum Schluss zu dem Antrag der Linken kom-en. Sie fordern – ich zitiere –,Lehren aus dem Fall Nokia zu ziehen und mit sofor-tiger Wirkung die Förderregeln insbesondere derGemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regiona-len Wirtschaftsstruktur“ so zu ändern, dass betrieb-liche Einzelförderungen mit beträchtlicher regional-wirtschaftlicher Bedeutung in Form von öffentlichenKapitalbeteiligungen oder Belegschaftsanteilen inentsprechender Höhe gewährt werden.Ich habe lange überlegt, welchen VEB man für Han-ys gegründet hätte – wahrscheinlich einen „VEB Ka-elloses Ferngespräch“. Ich will damit sagen: Ihre For-erung ist absolut falsch. Wir wollen keinen Staat, der
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Garrelt DuinAnteile von bzw. Beteiligungen an einer Vielzahl vonUnternehmen erwirbt.
Herr Lämmel hat darauf ausdrücklich hingewiesen. DieseForderung macht deutlich, dass Sie sich mit den Grund-gedanken der Marktwirtschaft nach wie vor nicht ausrei-chend auseinandergesetzt haben. Würde man Ihrem Vor-schlag folgen, gäbe es keine Abgrenzung mehr zwischenAufgaben des Staates und Aufgaben der Privatwirtschaft.Ich bin davon überzeugt, dass eine Beteiligung an Verlus-ten von Unternehmen – man lese die Begründung IhresAntrages! – die Möglichkeiten des Staates bei weitemüberschreiten würde.Im Übrigen haben Sie in Ihrem Antrag den Grundsatzder zeitlichen Befristung einer Förderung der regionalenWirtschaft außer Acht gelassen. Wie soll das denn funk-tionieren, wenn sich der Staat an einem Unternehmenbeteiligt? Wenn wir bei der Befristung von fünf Jahrenblieben, müssten die Anteile dann, egal welche wirt-schaftliche Situation wir haben, nach fünf Jahren wiederveräußert werden? Oder sollte der Staat die Anteile aufDauer, auf ewig und drei Tage, halten? Beide Variantenhielte ich für falsch.Sie erheben ferner die Forderung,dass damit in den Aufsichtsräten und entsprechen-den Unternehmensgremien … Entscheidungsmög-lichkeiten für die öffentliche Hand … verbundensind.Das ist ebenfalls Unsinn. Sie erwecken den Eindruck,als ob staatliche Stellen ein Unternehmen per se besserführen könnten als die Privatwirtschaft.
So allgemein kann man das wohl nicht unterschreiben;deshalb werden wir Ihren Antrag ablehnenWir müssen gleichwohl darüber nachdenken, wie wirdie Fördermöglichkeiten des Bundes im Konzert mit derEuropäischen Union und mit den Bundesländern opti-mieren können. Es ist ja nicht so, dass man sagenkönnte: Das ist alles perfekt. Wir müssen sicherlichÜberlegungen anstellen, aber Ihr Vorschlag führt nichtzum Ziel. Deswegen werden wir ihn ablehnen.Herzlichen Dank.
Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat nun die
Kollegin Dr. Thea Dückert das Wort.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Natürlich müssen wir über die nationale und internatio-nale Subventionspraxis diskutieren, und natürlich müs-sFhmvAIbgdngmPBdhSgtSsrütpnFdnDüAnRfv
ch will Ihnen auch sagen, warum. Sie suggerieren, dasseispielsweise im Fall Nokia eine öffentliche Beteili-ung in Höhe der dort getätigten Subventionen die skan-alöse Praxis der Arbeitsplatzverlagerung nach Rumä-ien verhindert hätte. Sie wissen sehr gut, dass diesegenüber den Beschäftigten ein ganz billiger Populis-us ist.
Sie gehen sogar noch weiter. Sie tun so, als ob dieraxis der Umwandlung von Subventionen in öffentlicheeteiligungen bei anderen Fällen in Deutschland, die esurchaus gibt, diese Form der Unternehmenspolitik ver-indert hätte.
ie thematisieren in keiner Weise, wie hoch die Beteili-ungen des Staates für welche Unternehmen sein müss-en, um damit Einfluss auf das Unternehmen zu nehmen.ie betreiben nicht nur Volksverdummung, sondern Siechwelgen auch noch in der Nostalgie einer ziemlichückwärtsgewandten Stamokap-Vorstellung, die wir längstberwunden haben.
Wir lehnen Ihren Antrag ab, weil er eine zu Recht kri-isierte unpräzise Subventionspraxis in eine schleichendeauschale Verstaatlichung überführen will. Für die öko-omischen Probleme in Deutschland gibt es in dieserorm keine Lösung.
Natürlich ist es richtig und notwendig, zu kritisieren,ass der Gang nach Rumänien von Nokia auch dazu ge-utzt wird, die Kosten dieser Arbeitsplatzverlagerung ineutschland von der Steuer abzusetzen. So etwas istberhaupt nicht akzeptabel. Hier muss man ansetzen.ber der Ruf nach mehr Staat in den Unternehmen istach unserer Auffassung der völlig falsche Weg.Wir müssen bei der Wirtschaftsförderung über dieahmenbedingungen diskutieren. Hier ist der Staat ge-ordert. Eine solche Förderung muss klug und die Sub-entionspraxis so angelegt sein, dass nicht immer nur die
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Dr. Thea Dückertgroßen Unternehmen bedacht werden. Vielmehr mussdie Infrastruktur gefördert werden. Das Problem zumBeispiel bei Nokia ist, dass nach fünf Jahren, nachdemdas Geld einkassiert war und sich Nokia vom Ackermachte, nichts mehr verbleibt. Die Förderung von Infra-struktur, zum Beispiel in Form einer Schienenanbindungin strukturschwachen Regionen oder einer Breitbandan-bindung und Vernetzung, ist allemal wichtiger als eineSubventionspraxis, die sich in Europa und in Deutsch-land auf große Unternehmen konzentriert.
Die Gelder, die für Subventionen bereitgestellt wer-den, landen in Deutschland und Europa nur zu 11 Pro-zent bei kleinen und mittleren Unternehmen. Das ist einSkandal. Aber dazu sagen Sie von der Linken nichts,weil auch Sie nur an Großbetriebe denken. Sie setzeneben nicht da an, wo der Motor für Beschäftigung undökonomische Entwicklung ist, nämlich bei kleinen undmittleren Betrieben.
Kollegin Dückert, bitte kommen Sie zum Schluss.
Ich komme zum Schluss. – Natürlich brauchen wir als
Starthilfe für Existenzgründungen, Innovationen und
strukturschwache Regionen den Einsatz von öffentlichen
Mitteln. Natürlich müssen wir darüber diskutieren. Aber
das, was Sie vorschlagen, ist der Wolf im Schafspelz. Da
machen wir nicht mit.
Danke schön.
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlage auf
Drucksache 16/8177 zur federführenden Beratung an
den Ausschuss für Wirtschaft und Technologie und zur
Mitberatung an den Finanzausschuss und an den Aus-
schuss für Angelegenheiten der Europäischen Union zu
überweisen. Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? –
Das ist nicht der Fall. Dann ist die Überweisung so be-
schlossen.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 29 auf:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Familie, Senioren,
Frauen und Jugend
– zu dem Antrag der Abgeordneten Miriam
Gruß, Gisela Piltz, Sabine Leutheusser-
Schnarrenberger, weiterer Abgeordneter und
der Fraktion der FDP
Konkretes und tragfähiges Konzept zur Be-
kämpfung von Extremismus, Fremdenfeind-
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Mittlerweile gibt es das neue Programm „Jugend fürVielfalt, Toleranz und Demokratie – gegen Rechtsextre-mismus, Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus“ oderkurz „Vielfalt tut gut“. Darin werden 90 lokale Aktions-pläne und 93 Modellprojekte gefördert. Hierfür sind imHaushalt 2007 Mittel in Höhe von 19 Millionen Euro be-reitgestellt worden. Im Übrigen entspricht dies genau derSumme, die im Antrag der Linken gefordert wird. – Er-staunlich, dass Sie sich in diesem Punkt der Regierungs-koalition anschließen wollen!Zusätzlich zu diesem präventiv ausgerichteten Pro-gramm sind weitere 5 Millionen Euro für das ergänzendeProgramm „Förderung von Beratungsnetzwerken – Mo-bile Intervention gegen Rechtsextremismus“ verfügbar.Hier wird der Schwerpunkt auf anlassbezogene Interven-tionen gegen Rechtsextremismus gesetzt.Sie sehen also, die Programme werden nicht nur er-folgreich weitergeführt, sondern die Mittel dafür wurdensogar erhöht. Auch ist sichergestellt, sehr geehrte Damenund Herren von der FDP, dass, wie in Ihrem Antrag ge-fordert, keine Lücken bei der Fortführung und Finanzie-rung der Maßnahmen gegen Rechtsextremismus entste-hen.Ihre Forderung nach Kampagnen im Bereich desSports ist ebenfalls bereits erfüllt. So gab es zum Bei-spiel in Leipzig im Sommer 2007 ein Projekt mit demNamen „Cool down, kick off! – Straßenfußball für Tole-ranz“. Ziel ist es, dass Kinder und Jugendliche lernen,auf friedliche Weise Konflikte zu lösen und Schwächereins Team einzubinden. Sie werden für Respekt undTeamgeist begeistert und stärken ihre Sozialkompeten-zen. Außerdem gibt es das stetig fortlaufende Projekt„Footpower“, auf Deutsch „Kraft der Füße“, ebenfalls inLeipzig. Es soll Kindern und Jugendlichen beim Fuß-ballspielen Regeln und Respekt vermitteln, ihren Ehr-geiz wecken und ihnen helfen, an sich selbst zu glauben.Ihr Toleranzverständnis wird gefördert, und es wird mitrassistischen Vorstellungen aufgeräumt. Das entsprichtdem, was schon der Friedensnobelpreisträger NelsonMandela sagte: Fußball ist eine der wichtigsten Aktivitä-ten, die Menschen zusammenbringt.
Dies sind nur zwei beispielhaft herausgegriffene Pro-jekte, von denen es in ähnlicher Form über Deutschlandverteilt unzählige gibt. Alle sind durch das Bundespro-gramm „Vielfalt tut gut“ gefördert, und alle sind kleineMosaiksteine im großen Bild einer toleranten Gesell-schaft.Das jetzt aufgestellte Programm berücksichtigt zu-dem die Evaluierung bestehender bisheriger Programme,
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amit weitere Programme und Initiativen gefördert wer-en konnten.
Ich finde es gut, Frau Lazar, wenn wir nicht von dereinen Bundeszuständigkeit ausgehen, sondern dashema auch als Sache der Länder und insbesondere derommunen ansehen. Daran müssen sie sich erst einmalewöhnen. Dabei gibt es leichte Einarbeitungsproblemend Kompetenzgerangel, wie es überall der Fall ist. Ichöchte aber betonen, dass der Prozess erfolgreich verlau-en ist. Wir haben jetzt im Muldentalkreis ein Superpro-ramm, dessen Fördervolumen über die 100 000 Euro hi-ausgeht, die der Bund jährlich bereitstellt.
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Katharina LandgrafDie Kommunen und Landkreise waren zunächst nichtinformiert, an welchen Orten welche Projekte umgesetztwerden sollten. Jetzt erhalten sie die Bundesmittel di-rekt. Damit wird sichergestellt, dass alle demokratischenKräfte zusammenarbeiten.Diese Meldungen zeigen mir, dass wir auf dem richti-gen Weg sind. Eine sinnvolle Ergänzung des Programms„Vielfalt tut gut.“ ist das zusätzliche 5-Millionen-Euro-Programm zur Förderung von Beratungsnetzwerken– das entspricht Ihrer Forderung nach zusätzlichen Mit-teln, die ich immer unterstützt habe –, bei dem es imWesentlichen darum geht, bei Vorfällen mit rechtsextre-mistischem Hintergrund mobile Interventionsteams ein-zusetzen. Auch das hat sich bewährt. Die Beratungskom-petenz der mobilen Beratungsteams, die seinerzeit imProgramm „Civitas“ entwickelt wurden, wird ausdrück-lich mit einbezogen. Die Behauptung, dass die bisher ge-förderten Initiativen leer ausgingen, ist also falsch.Bei aller Notwendigkeit, gegen Rechtsextremismusvorzugehen, betone ich, dass es sich dabei nicht alleinum eine Aufgabe des Bundes handelt.
Es sollen viele Akteure vor Ort mitwirken. Das ist so ge-wollt. Denn schließlich geht es um die Menschen vor Ortund darum, die gesamte Gesellschaft einzubinden. Zielmuss es sein, eine breite Bewegung für Vielfalt und To-leranz und damit gegen Extremismus ins Leben zu rufenund zum Hinsehen aufzufordern. Dass sich Linksextre-misten zur Bekämpfung von Rechtsextremisten beauf-tragt sehen, ist ein denkbar ungeeigneter Weg.
Die Demokratie verträgt keinerlei Extremismus.Wir müssen uns fragen, wie bei jungen Menschen ex-tremes Gedankengut entsteht. Dazu trägt ein großesBündel von Faktoren bei, angefangen mit Perspektiv-losigkeit – egal ob tatsächlich oder nur eingebildet –über das Fehlen eines gefestigten Wertekanons und derSuche nach Orientierung oder Heimatgefühl bis hin zufehlendem Selbstwertgefühl und der Beeinflussungdurch das persönliche Umfeld.Man muss also bei der Stärkung des Selbstwertgefühls,beispielsweise durch Anerkennung, und der politischenBildung durch Angebote zur Teilhabe am politischen undgesellschaftlichen Leben ansetzen. Persönliche Miss-erfolge dürfen nicht reflexartig der Demokratie in dieSchuhe geschoben werden.
Um die genannten Ziele zu erreichen, gibt es eineReihe von Aktivitäten. Allen voran ist die Arbeit derBundeszentrale für politische Bildung zu nennen. Siegibt Publikationen heraus, die zum großen Teil kostenlosan Schüler und Lehrer abgegeben werden. Des Weiterenorganisiert sie zum Beispiel Veranstaltungen mit Zeit-zeugen, präsentiert Filme und gestaltet Ausstellungen.ngzaGnHtwmLdlcaawDSmndlVsdkHaudldrAEseC
Die Medien tragen aber auch zum Kampf gegen dasergessen bei. Letzten Montag lief im Fernsehen bei-pielsweise der Film „Sophie Scholl“ zum Gedenken anen Tag der Ermordung der studentischen Widerstands-ämpferin und ihrer Mitstreiter. Die Aufarbeitung dererrschaft der Nationalsozialisten erfolgt in unserer Zeitlso glücklicherweise mehr denn je.Mein Fazit: Wir sollten die laufenden Projekte weiternterstützen und viele Menschen mitnehmen. Die Me-ien bitte ich eindringlich, nicht nur über rechts- undinksextreme Übergriffe zu berichten. Sie sollten auchabei sein, wenn sich Menschen einmischen und Cou-age zeigen.
Abschließend möchte ich darum werben, unser allerrbeit und die Programme unter die neue Überschriftngagement für Bildung und Demokratie zu stellen. Daschließt Kampf gegen jegliche Form von Extremismusin.Vielen Dank.
Für die FDP-Fraktion spricht nun der Kollegehristian Ahrendt.
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15472 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 146. Sitzung. Berlin, Freitag, den 22. Februar 2008
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Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Frau Landgraf, Sie haben zu Recht bemerkt,
dass es bei der Bekämpfung von Extremismus, Frem-
denfeindlichkeit und Antisemitismus nicht auf Aktionis-
mus ankommt. Aber die Anträge liegen seit 2006 vor.
Die Regierung hat sehr lange gebraucht, um überhaupt
etwas auf den Weg zu bringen.
Das eigentliche Thema ist die Frage, wie man Extre-
mismus, Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus be-
kämpfen will. Setzt man auf kurzfristige, anlassbezo-
gene Konzepte, oder setzt man lieber auf langfristige
Strategien? Diese Frage gilt es zu beantworten. Wenn
man auf kurzfristige Konzepte setzt, hat man sicherlich
die Chance, schnell Ergebnisse zu erzielen. Das Problem
kurzfristiger Konzepte ist aber, dass sie nicht das Verhal-
ten ändern. Man braucht sehr lange, um Verhalten zu än-
dern. Wir alle kennen das von den Diäten, die man im
Frühjahr macht, wenn man sich über die Pfunde ärgert,
die man sich im Winter zugelegt hat. Man hungert ein,
zwei Wochen. Dann fallen die Pfunde. Aber anschlie-
ßend setzt der Jo-Jo-Effekt ein, weil man sein Verhalten
nicht geändert hat. Auch bei den Konzepten kommt es
darauf an, langfristig zu handeln. Gerade hier steuern Sie
in die falsche Richtung, weil Sie nur den kurzfristigen
Erfolg im Auge haben.
Wenn Sie langfristige Konzepte verfolgen wollen,
müssen Sie entsprechende Strukturen aufbauen. Diese
wirken wesentlich früher und präventiv. Sie können auch
nicht ausschließlich auf die Schüler abstellen. Es gibt
viele Strukturen, die verhindern, dass man an sie heran-
kommt. Zum Beispiel gehen viele gar nicht mehr zur
Schule. Man muss dorthin gehen, wo die Menschen sind,
um sie zu erreichen. Ich denke zum Beispiel an die dörf-
lichen Strukturen in Mecklenburg-Vorpommern. Wir
brauchen dort örtliche Beratungsstellen und Präventiv-
teams. Diese dürfen nicht – das gilt auch für die zu tref-
fenden Personalentscheidungen – auf kurzfristiges, son-
dern müssen auf langfristiges Agieren ausgerichtet sein.
Das ist die Hauptkritik, die wir an den Konzepten üben,
die die Bundesregierung vorgelegt hat.
– Es ist doch schön, dass Sie nach der Rede von Frau
Stokar nun etwas Positives von Herrn Wieland hören.
Es wäre besser gewesen, wenn Sie die vorhandenen
Konzepte intensiver fortgeführt hätten. Hätte man Pro-
gramme wie Civitas nicht nur mit 5 Millionen Euro aus-
gestattet, wie Sie es tun, sondern intensiver fortgeführt,
hätte man eine langfristige Orientierung erreicht. Dann
erzielte man bessere Ergebnisse. Deswegen bleibt es bei
der Kritik, die wir in unserem Antrag geübt haben, und
deswegen sind unsere Anträge nach wie vor aktuell.
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Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!s ging nun schneller als geplant. Vielen Dank. Viel-eicht kriege ich noch zwei Minuten ab. Ich glaube aber,ch kann es relativ schnell machen.Es ist schön, zu beobachten, wie gut hier schon dieusammenarbeit zwischen der FDP und den Grünenunktioniert. Das können wir für Hessen ganz gut ge-rauchen. Sagen Sie doch Ihren Kollegen im Hessischenandtag, dass es eine punktuelle Zusammenarbeit gibt.
ielleicht kann man darauf aufbauen.Nun zum Thema. Es ist vor allem angesprochen wor-en, dass die Programme zu bürokratisch seien. Man be-ürchtet, dass wir in einigen Bereichen nicht zu dem Zielommen, das wir eigentlich alle gemeinsam verfolgen.ch glaube, dass wir im laufenden Programm tatsächlichu viele bürokratische Hürden haben, aber ich finde esut, dass das Ministerium und auch die zuständigen Ab-eilungen so flexibel sind, wie es gerade in dem Beispielus Ihrer Heimat, Frau Landgraf
Ihrer gemeinsamen Heimat –, zum Ausdruck kam. Dasinisterium ist flexibel, und solche guten Projekte wer-en unterstützt. Das Ministerium ist deshalb eines Lobesert. Es ist schön, dass wir an einem gemeinsamentrang ziehen.
Die vielen Anträge, die uns heute vorliegen, sind teil-eise schon veraltet. Frau Landgraf hat schon erwähnt,ass wir handeln. Wir haben keinen gemeinsamen An-rag formuliert, aber wir handeln. Ich nenne das mit9 Millionen Euro ausgestattete Programm „Vielfalt tutut.“ und das Programm „kompetent. für Demokratie“,as neu und mit 5 Millionen Euro ausgestattet ist. Diesesrogramm läuft, und deshalb brauchen wir es nicht mitinem Antrag zu unterstützen. Ich bin dem Ministeriumnd dem Koalitionspartner dankbar, dass es unseremanften Druck nachgegeben hat und das Programm fort-ührt. Ich hoffe, dass wir zu einer Verstetigung kommen,m die guten Projekte vor Ort zu unterstützen.Dass wir alle gemeinsam handeln, macht deutlich,ass es ein Anliegen aller im Deutschen Bundestag ver-retenen Fraktionen ist, etwas gegen Rechtsextremismusu tun, und zwar auf verschiedenen Ebenen. Ich finde,
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Sönke Rixdas ist sehr gut so. Gerade mit dem Programm „Vielfalttut gut.“ arbeiten wir sehr stark präventiv. Wir haben ei-nige Anregungen aus den Anhörungen aufgenommen.Wir haben zum Beispiel aufgenommen, dass wir unsnicht nur um Jugendliche bemühen, sondern auch umKinder. Auch das ist sehr wichtig; denn die Bekämpfungvon Rechtsextremismus und die Förderung von Demo-kratie fangen nicht erst bei Jugendlichen an, sondernschon bei Kindern.
Da bin ich bei einem Punkt, den auch Sie, FrauLandgraf, angesprochen haben. Sie haben die politischeBildung und die dafür zuständigen Institutionen genannt.Diese Institutionen leisten gute Arbeit.
Es ist aber auch ganz wichtig, dass Demokratie erfahrbarund erlebbar ist. Es darf nicht nur einfach und platt dar-gestellt werden, wie der Bundespräsident und die Abge-ordneten gewählt werden und wie Demokratie funktio-niert. Demokratie muss vielmehr erfahrbar sein. Ichglaube, dass auch die Länder in der Bildungspolitik einStück weit umdenken müssen. Sie müssen sich fragen,wie man nicht nur in den Schulen eine größere Beteili-gung von Kindern und Jugendlichen erreichen kann.
In dieser Hinsicht sind wir in der Großen Koalitionund in der Bundesregierung auf einem guten Wege. Poli-tik gegen Rechtsextremismus und für Demokratie be-steht nicht nur aus diesen beiden Programmen. Dazu ge-hören auch das bürgerschaftliche Engagement und dieBeteiligung von Kindern und Jugendlichen. Wir sind aufeinem guten Wege, Prävention zu betreiben.Das Programm mit den mobilen Beratungsstellen undder Opferberatung – dafür sind 5 Millionen Euro extraim Haushalt bereitgestellt worden – ist ein sehr gutesProgramm. An dieser Stelle muss man alle Initiativenund Projekte vor Ort – es sind über 90 lokale Aktions-bündnisse – und deren Arbeit würdigen und ihnen Dankaussprechen.
Insbesondere vor dem Hintergrund, dass wir diese Pro-gramme neu organisiert haben, wird vor Ort eine guteArbeit geleistet.Wir sind uns alle darüber einig, dass wir nicht nur beiuns im Familienausschuss und im Familienministeriumgegen rechts kämpfen – das habe ich bereits gesagt –;vielmehr ist das auch in allen anderen Häusern eine ganzwichtige Aufgabe. Für Demokratie zu werben und gegenRechtsextremismus zu kämpfen, fängt damit an, genü-gend Betreuungsplätze für Kinder zu schaffen und etwasfür die frühkindliche Bildung zu tun. Man sollte auch et-was für ein längeres gemeinsames Lernen tun und vor al-len Dingen Perspektiven für junge Menschen schaffen.DrUesRrlPgGndwgssAwpARzgüAksgnniPleWskc
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– Frau Landgraf, ich erinnere Sie daran, dass die Pro-jekte in der Tat unabhängig waren und dass auch unbe-queme Tatsachen zur Sprache gebracht wurden. Das hatSie offensichtlich gestört.
Wenn man dem ungeliebten Thema Rechtsextremis-mus schon nicht ausweichen kann – das war lange ZeitIhr Ziel; oft genug wurde das Thema verharmlost undbagatellisiert –, dann wollen Sie im Moment wenigstensdie Kontrolle darüber haben, was von den Projekten the-matisiert wird. Ich möchte deutlich sagen: Es ist falsch– Sie haben das versucht –, den aktiven Antifaschismusals Extremismus abzutun. Wir lehnen das konsequent ab.
Auch im Zusammenhang mit der Etablierung von Be-ratungszentren erkennen wir diesen Ansatz: eine Formder staatlichen An- und Einbindung, die die Arbeit ge-gen die extreme Rechte eher behindern wird.
Kollegin Jelpke, Sie müssen bitte zum Schluss kom-
men.
Glauben Sie im Ernst, dass Polizei in Jugendklubs die
einzige Möglichkeit ist, Jugendliche vor Nazis zu schüt-
zen?
Am Ende möchte ich noch einmal sehr deutlich sa-
gen, dass Geld für den Kampf gegen den Rechtsextre-
mismus gebraucht wird. Es braucht vor allem unabhän-
gige und unbequeme Initiativen, die nicht am staatlichen
Gängelband hängen. Dieses Ziel wird in der Mehrzahl
der vorgelegten Anträge verfolgt, und deswegen werden
wir sie unterstützen.
Ich danke Ihnen.
Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat nun die
Kollegin Monika Lazar das Wort.
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Die Bundesprogramme gegen Rechtsextremismus müs-sen weiterentwickelt werden, das heißt mehr Beteili-gungsrechte, mehr strukturelle Gleichberechtigung undmehr Chancen, insbesondere für kleine, unabhängigeTräger. Denn nur auf Augenhöhe können Zivilgesell-schaft und Verwaltung gemeinsam etwas erreichen. Da-rauf muss es uns allen ankommen.Schönen Dank.
Das Wort hat der Kollege Gert Winkelmeier.
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren!
Das Land Norwegen hat Anzeige gegen die Modemarke
Thor Steinar erstattet, weil man verhindern will, dass die
norwegische Flagge weiterhin Kleidung ziert, die beson-
ders gerne von Rechtsextremisten getragen wird. Über
diese Anzeige muss jetzt die deutsche Justiz entschei-
den. Sie hat aber schon in der Vergangenheit merkwür-
dige Entscheidungen auf diesem Gebiet getroffen. Ich
erinnere nur daran, dass Anstecker mit einem durchge-
strichenen Hakenkreuz als verfassungsfeindlich einge-
stuft wurden. Erst der Bundesgerichtshof hat vorherige
Entscheidungen korrigiert.
– Ich habe es ja gerade erwähnt.
Einen Zickzackkurs gibt es auch bei der Forderung
nach dem NPD-Verbot. Mal heißt es „ja“, mal heißt es
„nein“, mal heißt es „vielleicht“. Das ist alles andere als
zielführend. Es ist mangelnde Konsequenz im Umgang
mit Faschisten, die man Verantwortlichen, ob in der Poli-
tik oder in der Justiz, vorwerfen muss. Es fehlen auch
Analysen und langfristige Strategien zur politischen
Auseinandersetzung.
Nun zu den vorliegenden Anträgen. Die Akteure müs-
sen in einer Demokratieoffensive vernetzt sein, damit
das Zusammenwirken aller Demokraten zivilgesell-
schaftliche Wirkung entfaltet; denn nur dann, wenn alle
an einem Strang ziehen, besteht Aussicht auf Erfolg, da-
rauf, dass den Rassisten wirksam das Handwerk gelegt
wird.
Dann muss die Regierung aber auch konsequent han-
deln. Auf der einen Seite stockt sie die Gelder für den
Kampf gegen den Rechtsextremismus um 5 Millionen
Euro auf 24 Millionen Euro auf – das ist in Ordnung; das
ist sehr gut –; auf der anderen Seite aber lässt sie nicht
zu, dass unabhängige Initiativen, die seit Jahren eine er-
folgreiche Arbeit gegen den Rechtsextremismus leisten,
diese Gelder beantragen können. Die Bundesregierung
ruft also zum zivilgesellschaftlichen Engagement auf,
um es durch ihre eigenen Vorgaben indirekt wieder zu
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uch das ist absurd. Um in Ihrer Sprache zu bleiben: Sie
ordern, aber Sie fördern nicht.
Das Bündnis für Demokratie und Toleranz hat noch
m Jahr 2006 darauf beharrt – ich zitiere –:
Im 2007 neu anlaufenden Bundesprogramm „Maß-
nahmen zur Stärkung von Vielfalt, Toleranz und
tragsrecht für die sog. Gebietskörperschaften und
die freien Träger zu verankern.
arum hören Sie nicht auf Ihre eigenen Experten? Die
aben doch gute Gründe für ihre Einschätzungen.
Es muss darum gehen, wie die Arbeit, besonders die
rbeit der mobilen Opferberatungen und Netzwerkstel-
en, kontinuierlich und langfristig gesichert werden
ann.
Kollege Winkelmeier, kommen Sie bitte zum Schluss.
Ich komme zum Schluss.
Modellprojekte sind wichtig, aber langjährige antifa-
chistische Erfahrung und Kontinuität sind es ebenfalls.
Danke schön.
Für die SPD-Fraktion hat nun der Kollege Niels
nnen das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ichöchte gern noch etwas zu der Grundphilosophie unse-er Programme sagen. In diesem Hause ist häufig und zuecht davon die Rede, dass der Staat dafür verantwort-ich ist, seinen Bürgerinnen und Bürgern Sicherheit zuarantieren und auch ein Sicherheitsgefühl zu vermit-eln. Wenn der Rechts- und Linksextremismus in einenopf geworfen werden, wie das hier geschehen istwenn auch nur in Nebensätzen –, dann darf man ein-al auf Folgendes hinweisen: Es gibt in Reiseführernber Deutschland keine Warnungen für Menschen mitunkler Hautfarbe oder ausländischem Hintergrund, be-timmte Regionen in unserem Land zu besuchen. Was
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Niels Annenwir gemeinsam in den letzten Jahren erfolgreich geleistethaben und was wir jetzt in der Großen Koalition mit un-serem Koalitionspartner erfolgreich fortsetzen, ist einBeitrag zur Sicherheit und auch zu dem, was die Väterdes Grundgesetzes konstruiert haben. Es ist ein Beitragzur wehrhaften Demokratie.
Unsere Philosophie, diejenigen zu unterstützen, diesich aus der Zivilgesellschaft heraus engagieren, aberauch die Betroffenen zu stärken, die sich organisiert ha-ben, die sich zu Initiativen und lokalen Bündnissen zu-sammengetan haben, ist richtig. Dabei geht es um finan-zielle Unterstützung. Dabei geht es aber auch umUnterstützung, was das Know-how anbelangt. Die meis-ten, die sich in diesem Land politisch engagieren, diesich für ihre Gemeinschaft einsetzen, tun dies ehrenamt-lich, in ihrer Freizeit. Deswegen ist es wichtig, auchKnow-how bereitzustellen. Es ist aber auch ein politi-sches Zeichen, das ausgesandt wird: Wir lassen euch ineurem Engagement, in eurem Kampf gegen Rechtsextre-mismus nicht allein.
Ich glaube, es ist wichtig, auch darauf hinzuweisen,dass wir die Projekte, die der Kollege Rix und andereRedner hier beschrieben haben, erfolgreich auf den Weggebracht haben und sie fortsetzen, dass wir uns abernicht auf Engagement vor Ort, auf mobile Bera-tungsteams, auf Unterstützung und Strukturen, die wiraufgebaut haben, beschränken. Wir haben in den letztenJahren mehr als 250 Projekte im Rahmen des Pro-gramms Xenos gefördert. Dies betrifft junge Menschen,die aus der schulischen und beruflichen Ausbildungkommen und sich an der Schnittstelle zum Einstieg indas Berufsleben befinden. Auch sie brauchen natürlichUnterstützung und müssen angesprochen werden. Dasist eine erfolgreiche Arbeit. 400 000 Jugendliche sind indiesem Bereich gefördert worden. Ich finde, es ist wich-tig, auch dieses Engagement als einen Teil unseresKampfes gegen den Rechtsextremismus zu begreifen,weshalb es an dieser Stelle noch einmal genannt werdensoll.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn wir von wehr-hafter Demokratie sprechen – ich beziehe mich da bei-spielsweise auf den Innenminister des Landes Mecklen-burg-Vorpommern, der das öffentlich immer gesagthat –, dann muss man deutlich machen, wo die Zusam-menhänge bestehen zwischen den gewaltbereiten Schlä-gerbanden, die sich in sogenannten freien Kamerad-schaften organisieren, die mit Gewalt drohen undbewiesen haben, dass sie bereit sind, Gewalt anzuwen-den, und denjenigen, die versuchen, auf der parlamenta-rischen Bühne für ihre rechtsradikalen Ideen zu werben.Ich sage hier ganz deutlich: Solange sich Herr Voigt,Herr Pasteurs, Herr Apfel – wie auch immer sie heißen –nicht von diesen Schlägerbanden distanzieren, so langesie diese Schlägerbanden als Saalordner nutzen, solangesie sie als organisatorischen Unterbau für ihre Wahl-kämpfe nutzen und solange sie diesen Menschen einenPisgPzuMbsDst„vtdWndDfelBftFgBFthBBESFLncAsntlB(C(Dlatz auf ihren Wahllisten anbieten, solange werden wirn diesem Hause darauf hinweisen, dass sie die politi-che Verantwortung für die Gewalttaten tragen, die daeschehen.Wir werden vonseiten der Bundesregierung mit demrogramm auch materielle Unterstützung leisten. Wireigen, dass wir uns nicht in die Ecke drängen lassennd dass wir das praktizieren, was die Väter und dieütter des Grundgesetzes zu Recht deutlich gemacht ha-en: Wir praktizieren eine wehrhafte Demokratie.Herzlichen Dank.
Ich schließe die Aussprache.Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Aus-chusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend aufrucksache 16/5816.Der Ausschuss empfiehlt unter Nr. 1 seiner Be-chlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der Frak-ion der FDP auf Drucksache 16/2779 mit dem TitelKonkretes und tragfähiges Konzept zur Bekämpfungon Extremismus, Fremdenfeindlichkeit und Antisemi-ismus vorlegen und zeitnah umsetzen“. Wer stimmt füriese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? –er enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist ange-ommen.Unter Nr. 2 seiner Beschlussempfehlung empfiehlter Ausschuss die Ablehnung des Antrags der Fraktionie Linke auf Drucksache 16/1542 mit dem Titel „Fort-ührung und Verstetigung der Programme gegen Rechts-xtremismus“. Wer stimmt für diese Beschlussempfeh-ung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Dieeschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Unions-raktion, der SPD-Fraktion gegen die Stimmen der Frak-ion Bündnis 90/Die Grünen und der antragstellendenraktion Die Linke bei Enthaltung der FDP-Fraktion an-enommen.Weiterhin empfiehlt der Ausschuss unter Nr. 3 seinereschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags derraktion Die Linke auf Drucksache 16/4807 mit dem Ti-el „Beratungsprojekte gegen Rechtsextremismus dauer-aft verankern und Ergebnisse der wissenschaftlichenegleitforschung berücksichtigen“. Wer stimmt für dieseeschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Gibt esnthaltungen? – Die Beschlussempfehlung ist mit dentimmen der Unionsfraktion, der SPD-Fraktion und derDP-Fraktion gegen die Stimmen der Fraktion Dieinke und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen ange-ommen.Unter Nr. 4 seiner Beschlussempfehlung auf Drucksa-he 16/5816 empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung desntrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Druck-ache 16/1498 mit dem Titel „Rechtsextremismus ernstehmen – Bundesprogramme Civitas und entimon erhal-en, Initiativen und Maßnahmen gegen Fremdenfeind-ichkeit langfristig absichern“. Wer stimmt für dieseeschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer
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Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 146. Sitzung. Berlin, Freitag, den 22. Februar 2008 15477
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Vizepräsidentin Petra Pauenthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist mit denStimmen der Unionsfraktion und der SPD-Fraktion ge-gen die Stimmen der Fraktion Die Linke und der Frak-tion Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung der FDP-Fraktion angenommen.Schließlich empfiehlt der Ausschuss unter Nr. 5 seinerBeschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags derFraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 16/4408mit dem Titel „Bundesmittel nicht verschwenden – Bera-tungsnetzwerke gegen Rechtsextremismus nachhaltig för-dern“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Werstimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschluss-empfehlung ist mit den Stimmen der Unionsfraktion undder SPD-Fraktion gegen die Stimmen der FDP-Fraktion,der Fraktion Die Linke und der Fraktion Bündnis 90/DieGrünen angenommen.Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sind damit amSchluss der heutigen Tagesordnung.Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bun-destages auf Mittwoch, den 5. März 2008, 13 Uhr, ein.Die Sitzung ist geschlossen.