Protokoll:
16132

insert_drive_file

Metadaten
  • date_rangeWahlperiode: 16

  • date_rangeSitzungsnummer: 132

  • date_rangeDatum: 12. Dezember 2007

  • access_timeStartuhrzeit der Sitzung: None Uhr

  • av_timerEnduhrzeit der Sitzung: 18:24 Uhr

  • account_circleMdBs dieser Rede
  • tocInhaltsverzeichnis
    Plenarprotokoll 16/132 Dr. Angela Merkel, Bundeskanzlerin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Werner Hoyer (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Angelica Schwall-Düren (SPD) . . . . . . . . Monika Knoche (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . Volker Kauder (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . Dr. Ilja Seifert (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . Jürgen Trittin (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Michael Roth (Heringen) (SPD) . . . . . . . . . . . Markus Löning (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Thomas Silberhorn (CDU/CSU) . . . . . . . . . . Dr. Diether Dehm (DIE LINKE) . . . . . . . . . . Christine Scheel (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gerald Weiß (Groß-Gerau) (CDU/CSU) . . . . Klaus Ernst (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . Ludwig Stiegler (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Philipp Mißfelder (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . Klaus Uwe Benneter (SPD) . . . . . . . . . . . . . . Stefan Müller (Erlangen) (CDU/CSU) . . . . . Joachim Poß (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Klaus Ernst (DIE LINKE) (Erklärung nach § 30 GO) . . . . . . . . . . . . . 13797 B 13801 C 13803 A 13804 D 13805 D 13808 B 13808 C 13809 D 13811 C 13812 D 13814 A 13824 C 13825 D 13826 D 13828 A 13829 A 13830 A 13830 D 13832 A 13833 A Deutscher B Stenografisc 132. Si Berlin, Mittwoch, den I n h a Tagesordnungspunkt 1: a) Abgabe einer Regierungserklärung durch die Bundeskanzlerin: Unterzeichnung des Vertrages von Lissabon am 13. De- zember und zum Europäischen Rat am 14. Dezember 2007 b) Antrag der Abgeordneten Markus Löning, Michael Link (Heilbronn), Florian Toncar, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP sowie der Abgeordneten Rainder Steenblock, Jürgen Trittin, Omid Nouripour, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Gegen die Einsetzung eines „Rates der Weisen“ zur Zukunft der EU (Drucksache 16/7178) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13797 A Rainder Steenblock (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gert Weisskirchen (Wiesloch) (SPD) . . . . . . . 13815 C 13816 C undestag her Bericht tzung 12. Dezember 2007 l t : Michael Stübgen (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . Dr. Diether Dehm (DIE LINKE) . . . . . . . . . . Michael Stübgen (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . Zusatztagesordnungspunkt 1: Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion DIE LINKE: Haltung der Bundesregierung zur Angemessenheit von Managereinkom- men in Deutschland Dr. Barbara Höll (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . Dr. Michael Fuchs (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . Martin Zeil (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Joachim Stünker (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . 13817 D 13819 C 13819 D 13820 B 13821 C 13822 B 13823 B Tagesordnungspunkt 2: Fragestunde (Drucksache 16/7433) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13833 B II Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 132. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 12. Dezember 2007 Mündliche Frage 1 Dr. h. c. Hans Michelbach (CDU/CSU) Haltung der Bundesregierung zu den Aus- sagen des Bundesministers Sigmar Gabriel zur Person des Präsidenten der IHK zu Coburg und Vorsitzenden der Gesellschaf- terversammlung der weltweit tätigen Brose Unternehmensgruppe M. S. Antwort Michael Müller, Parl. Staatssekretär BMU . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zusatzfragen Dr. h. c. Hans Michelbach (CDU/CSU) . . . . . Mündliche Frage 2 Dr. h. c. Hans Michelbach (CDU/CSU) Kenntnis der Bundesregierung über die von Bundesminister Sigmar Gabriel ausge- führte kommunalpolitische Lage in der Stadt Coburg Antwort Michael Müller, Parl. Staatssekretär BMU . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zusatzfragen Dr. h. c. Hans Michelbach (CDU/CSU) . . . . . Mündliche Frage 3 Dr. Marlies Volkmer (SPD) Möglicher internationaler Ansehensver- lust für Deutschland durch den Bau der Waldschlösschenbrücke unter der Verant- wortung des Freistaats Sachsen mit der drohenden Aberkennung des Welterbe- titels für die Elbtalauen Antwort Günter Gloser, Staatsminister für Europa . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Mündliche Frage 4 Rainder Steenblock (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Haltung der Bundesregierung zum Partei- tagsbeschluss der CDU/CSU bezüglich Bei- tritt der Türkei zur EU – privilegierte Partnerschaft – vor dem Hintergrund der beschlossenen EU-Verhandlungslinie Antwort Günter Gloser, Staatsminister für Europa . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zusatzfragen Rainder Steenblock (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13833 C 13833 D 13834 B 13834 B 13835 A 13835 B 13835 C Mündliche Frage 7 Dr. Ilja Seifert (DIE LINKE) Schlussfolgerungen der Bundesregierung aus den Veranstaltungen im Rahmen der Infotour „Selbstbestimmt leben: Persönli- ches Budget“ mit Blick auf die Einführung des Persönlichen Budgets als Regelleistung ab 1. Januar 2008 Antwort Franz Thönnes, Parl. Staatssekretär BMAS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zusatzfragen Dr. Ilja Seifert (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . Mündliche Fragen 8 und 9 Markus Kurth (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Haltung der Bundesregierung zur Über- nahme der Finanzverantwortung für ambulante Leistungen aufgrund der For- derung der Arbeits- und Sozialminister- konferenz nach einer Beteiligung des Bun- des an den Kosten der Eingliederungshilfe sowie nach der Stärkung ambulanter vor stationären Leistungen; Haltung der Bun- desregierung zur Weiterentwicklung der Eingliederungshilfe durch einen Gesetzent- wurf und die Einrichtung einer Bund-Län- der-Arbeitsgruppe sowie zur Einrichtung eines eigenständigen Leistungsrechts für Menschen mit Behinderungen Antwort Franz Thönnes, Parl. Staatssekretär BMAS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zusatzfragen Markus Kurth (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Ilja Seifert (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . Mündliche Frage 14 Wolfgang Wieland (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Namen der Richter am Bundesverfas- sungsgericht mit dem vom Bundesinnenmi- nister Schäuble zitierten und an ihn gerich- teten Ratschlag für die Bundesregierung zur Missachtung von Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts im Zweifels- falle Antwort Peter Altmaier, Parl. Staatssekretär BMI . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zusatzfragen Wolfgang Wieland (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13836 C 13837 A 13838 B 13838 C 13840 A 13840 B 13840 C Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 132. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 12. Dezember 2007 III Mündliche Frage 16 Petra Pau (DIE LINKE) Haltung der Bundesregierung zur bewusst geschönten Statistik für rechtsextrem moti- vierte Straftaten durch das Landeskrimi- nalamt Sachsen-Anhalt und das dortige Innenministerium Antwort Peter Altmaier, Parl. Staatssekretär BMI . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zusatzfrage Petra Pau (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . . . Mündliche Frage 17 Petra Pau (DIE LINKE) Initiativen der Bundesregierung im Rah- men der Innenministerkonferenz zur Ver- hinderung der Verletzung der Verfahrens- regelungen zur Erfassung rechtsextrem motivierter Straftaten durch Mitarbeite- rinnen und Mitarbeiter von Landes- und Bundesbehörden Antwort Peter Altmaier, Parl. Staatssekretär BMI . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zusatzfragen Petra Pau (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . . . Markus Kurth (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Mündliche Frage 18 Dr. Diether Dehm (DIE LINKE) Haltung der Bundesregierung zur aktuel- len Debatte im Europäischen Rat zur Ver- längerung der Ausnahmegenehmigungen für die ermäßigte Mehrwertsteuer für die nach dem 1. Mai 2004 der Europäischen Union beigetretenen Mitgliedstaaten Antwort Nicolette Kressl, Parl. Staatssekretärin BMF . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zusatzfragen Dr. Diether Dehm (DIE LINKE) . . . . . . . . . . Mündliche Frage 19 Dr. Diether Dehm (DIE LINKE) Haltung der Bundesregierung zur Ein- schätzung vieler Wirtschaftswissenschaft- ler bezüglich positiver Auswirkungen einer Ausweitung des ermäßigten Mehrwertsteu- ersatzes auf die wirtschaftliche Entwick- lung, insbesondere Reparaturdienstleistun- gen und reparierte Ersatzteile in den 13841 B 13841 B 13841 C 13841 D 13842 D 13843 A 13843 B Bereichen Pkw, Haushaltsgeräte und Rundfunkgeräte Antwort Nicolette Kressl, Parl. Staatssekretärin BMF . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zusatzfragen Dr. Diether Dehm (DIE LINKE) . . . . . . . . . Carl-Ludwig Thiele (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . Mündliche Fragen 29 und 30 Cornelia Behm (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Stellenwert des Marine Stewardship Council (MSC) für eine nachhaltige Mee- resfischerei im Rahmen des runden Tisches zur Fischerei am 21. November in Bonn; Unterstützung des MSC durch die Bundes- regierung Antwort Ursula Heinen, Parl. Staatssekretärin BMELV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zusatzfragen Cornelia Behm (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Mündliche Fragen 32 und 33 Mechthild Rawert (SPD) Initiativen der Bundesregierung zur Ver- hinderung des Walfangs durch die japani- sche Walfangflotte; konkrete Maßnahmen zur Verhinderung des Aussterbens von Finn- und Buckelwalen Antwort Ursula Heinen, Parl. Staatssekretärin BMELV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zusatzfragen Mechthild Rawert (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . Cornelia Behm (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Mündliche Frage 35 Dr. Wolfgang Wodarg (SPD) Unterschiedliche Berücksichtigung von Privatpatienten im Verhältnis zu Kassen- patienten bei der Organtransplantation an der Charité Berlin, in Kiel und in Hanno- ver laut Deutscher Stiftung Organtrans- plantation (DSO) Antwort Rolf Schwanitz, Parl. Staatssekretär BMG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zusatzfragen Dr. Wolfgang Wodarg (SPD) . . . . . . . . . . . . . 13844 A 13844 D 13845 A 13845 C 13846 B 13847 A 13848 A 13848 D 13849 B 13849 C IV Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 132. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 12. Dezember 2007 Mündliche Frage 36 Dr. Wolfgang Wodarg (SPD) Kenntnis der Bundesregierung über eine sachgerechte Praxis bei der Organalloka- tion sowie Gestaltung ihrer Informations- pflicht gegenüber dem Deutschen Bundes- tag Antwort Rolf Schwanitz, Parl. Staatssekretär BMG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zusatzfragen Dr. Wolfgang Wodarg (SPD) . . . . . . . . . . . . . Mündliche Frage 37 Nicole Maisch (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Maßnahmen der Bundesregierung zur Ver- hinderung eines weiteren sogenannten Wildwuchses bei den Regionalflughäfen und Auswirkungen für in Planung begrif- fene Flughäfen Antwort Ulrich Kasparick, Parl. Staatssekretär BMVBS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zusatzfragen Nicole Maisch (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Anton Hofreiter (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Mündliche Frage 38 Nicole Maisch (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Festlegung von Kriterien für den Bau von Regionalflughäfen vor dem Hintergrund der stetigen Zunahme des Flugverkehrs und der damit verbundenen extremen Um- weltbelastung Antwort Ulrich Kasparick, Parl. Staatssekretär BMVBS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zusatzfrage Nicole Maisch (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Mündliche Frage 39 Dr. Anton Hofreiter (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Sachstand bei der vom Bundesminister für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung vorge- schlagenen Einrichtung einer Pilotstrecke zur Fahrradmitnahme im ICE Antwort Ulrich Kasparick, Parl. Staatssekretär BMVBS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13850 C 13850 D 13851 D 13852 A 13852 B 13852 C 13852 D 13853 A Zusatzfragen Dr. Anton Hofreiter (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Mündliche Frage 40 Dr. Anton Hofreiter (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Kenntnis der Bundesregierung über die Umsetzung der Fahrradmitnahme durch die Deutsche Bahn AG im dritten Eisen- bahnpaket und Möglichkeiten des Gebrauchs von Ausnahmen bei der An- wendung der Bestimmungen zur Fahrrad- mitnahme Antwort Ulrich Kasparick, Parl. Staatssekretär BMVBS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zusatzfragen Dr. Anton Hofreiter (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Mündliche Frage 41 Dr. Marlies Volkmer (SPD) Sperrung der vom Bund zur Verfügung ge- stellten Mittel bei einem etwaigen Bau der Waldschlösschenbrücke in Dresden ohne Verständigung mit der UNESCO-Kommis- sion Antwort Ulrich Kasparick, Parl. Staatssekretär BMVBS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zusatzfragen Dr. Marlies Volkmer (SPD) . . . . . . . . . . . . . . Nächste Sitzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten . . . . . Anlage 2 Mündliche Fragen 5 und 6 Ina Lenke (FDP) Gesetzliche Grundlagen zur Förderung auch privater und privat-gewerblicher An- bieter sowie von Elterninitiativen durch Zuschüsse aus dem ESF-Programm zur Förderung betrieblich unterstützter Kin- derbetreuung; Veröffentlichung und In- halte der Förderrichtlinien zum ESF-Pro- gramm 13853 B 13854 A 13854 B 13854 D 13855 A 13855 D 13857 A Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 132. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 12. Dezember 2007 V Antwort Dr. Hermann Kues, Parl. Staatssekretär BMFSFJ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 3 Mündliche Fragen 10 und 11 Dr. Gesine Lötzsch (DIE LINKE) Zahl der den zehn größten Arbeitsämtern in Deutschland 2008 von der Arbeitsagen- tur zugewiesenen unbefristeten und befris- teten Stellen sowie Auswirkungen des ho- hen Anteils von Mitarbeitern mit befristeten Verträgen auf die kontinuierli- che Arbeit der Jobcenter Antwort Franz Thönnes, Parl. Staatssekretär BMAS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 4 Mündliche Fragen 12 und 13 Sabine Zimmermann (DIE LINKE) Etwaige Einführung und Höhe einer Ober- grenze für befristet Beschäftigte bei den Arbeitsgemeinschaften (Argen) und Agen- turen für Arbeit mit getrennter Aufgaben- wahrnehmung (AAgAw) im Bereich der Wahrnehmung von SGB-II-Aufgaben; von einer solchen Obergrenze betroffene der- zeit bestehende befristete Arbeitsverhält- nisse sowie Auswirkungen auf die Arbeits- fähigkeit der Argen und AAgAw und auf die Betreuungsschlüssel Antwort Franz Thönnes, Parl. Staatssekretär BMAS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 5 Mündliche Frage 15 Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Zukünftiger Umgang der Bundesregie- rung mit externen Mitarbeitern in der Bundesverwaltung aufgrund der Empfeh- lungen des Bundesrechnungshofes und des angekündigten Berichts an den Haushalts- ausschuss des Deutschen Bundestages zur Schaffung von Transparenz und zur Ver- meidung von Interessenkollisionen Antwort Peter Altmaier, Parl. Staatssekretär BMI . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13857 C 13858 A 13858 C 13859 A Anlage 6 Mündliche Frage 20 Christine Scheel (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Maßnahmen der Bundesregierung als Mit- eigentümerin der Deutschen Post AG nach Ausübung von Aktienoptionen durch den Vorstandsvorsitzenden der Deutschen Post AG, Klaus Zumwinkel, in Zusammenhang mit der Einigung auf die Allgemeinver- bindlichkeit des Posttarifvertrages Antwort Nicolette Kressl, Parl. Staatssekretärin BMF . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 7 Mündliche Frage 21 Dr. Gerhard Schick (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Haltung der Bundesregierung zur durch die Europäische Zentralbank angekündig- ten Einschränkung der Akzeptanz auf Staatsanleihen mit einer Bewertung von mindestens A Antwort Nicolette Kressl, Parl. Staatssekretärin BMF . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 8 Mündliche Frage 22 Ernst Burgbacher (FDP) Rückverlagerung von Fertigungskapazitä- ten und Arbeitsplätzen nach Deutschland seit 2005 sowie betroffene Branchen Antwort Dagmar Wöhrl, Parl. Staatssekretärin BMWi . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 9 Mündliche Fragen 23 und 24 Jürgen Koppelin (FDP) Überlegungen im Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie zur Übertra- gung der Aufsicht über die Kreditanstalt für Wiederaufbau an die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht durch eine Änderung des § 12 des KfW-Gesetzes; Gründe für eine mögliche derartige Über- tragung Antwort Dagmar Wöhrl, Parl. Staatssekretärin BMWi . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13859 B 13859 C 13859 D 13860 A VI Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 132. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 12. Dezember 2007 Anlage 10 Mündliche Frage 25 Christine Scheel (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Maßnahmen der Bundesregierung zur Be- grenzung unangemessener Einkommens- differenzen zwischen Beschäftigten und Managern aufgrund der Rede der Bundes- kanzlerin auf dem CDU-Parteitag Antwort Dagmar Wöhrl, Parl. Staatssekretärin BMWi . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 11 Mündliche Fragen 27 und 28 Manfred Kolbe (CDU/CSU) Haltung der Bundesregierung zur geplan- ten Schließung des DHL-Logistikstandor- tes Oschatz/Sachsen und Wegfall von mehr als 240 Arbeitsplätzen Antwort Dagmar Wöhrl, Parl. Staatssekretärin BMWi . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 12 Mündliche Frage 31 Dr. Kirsten Tackmann (DIE LINKE) Im Jahr 2007 durch Kormorane geschä- digte Fischereibetriebe bzw. vernichtete Arbeitsplätze in den einzelnen Bundeslän- dern Antwort Ursula Heinen, Parl. Staatssekretärin BMELV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 13 Mündliche Frage 34 Jens Ackermann (FDP) Teilnahme von Bundestagsabgeordneten sowie weiteren Personen und Verbänden an den Beratungen der Expertengruppe zur Novellierung des Rettungsassistenten- gesetzes Antwort Rolf Schwanitz, Parl. Staatssekretär BMG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13860 B 13860 C 13861 A 138761 C Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 132. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 12. Dezember 2007 13797 (A) (C) (B) (D) 132. Si Berlin, Mittwoch, den Beginn: 1
  • folderAnlagen
    Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 132. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 12. Dezember 2007 13857 (A) (C) (B) (D) Wieczorek-Zeul, SPD 12.12.2007 betriebsnahe Betreuungsangebote für Kinder unter drei Jahren auf unbürokratische Weise unterstützen. Die För-Heidemarie Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Bismarck, Carl-Eduard von CDU/CSU 12.12.2007 Bülow, Marco SPD 12.12.2007 Bulling-Schröter, Eva DIE LINKE 12.12.2007 Dağdelen, Sevim DIE LINKE 12.12.2007 Gabriel, Sigmar SPD 12.12.2007 Göppel, Josef CDU/CSU 12.12.2007 Granold, Ute CDU/CSU 12.12.2007 Höfken, Ulrike BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 12.12.2007 Höhn, Bärbel BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 12.12.2007 Irber, Brunhilde SPD 12.12.2007 Jung (Konstanz), Andreas CDU/CSU 12.12.2007 Kauch, Michael FDP 12.12.2007 Lafontaine, Oskar DIE LINKE 12.12.2007 Müller (Gera), Bernward CDU/CSU 12.12.2007 Müntefering, Franz SPD 12.12.2007 Nitzsche, Henry fraktionslos 12.12.2007 Pronold, Florian SPD 12.12.2007 Rehberg, Eckardt CDU/CSU 12.12.2007 Schaaf, Anton SPD 12.12.2007 Schily, Otto SPD 12.12.2007 Schummer, Uwe CDU/CSU 12.12.2007 Schwabe, Frank SPD 12.12.2007 Ströbele, Hans-Christian BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 12.12.2007 Strothmann, Lena CDU/CSU 12.12.2007 Dr. Tabillion, Rainer SPD 12.12.2007 Anlagen zum Stenografischen Bericht Anlage 2 Antwort des Parl. Staatssekretärs Dr. Hermann Kues auf die Fragen der Abgeordneten Ina Lenke (FDP) (Druck- sache 16/7433, Fragen 5 und 6): Welche Rechtsgrundlagen in welchen Bundesländern müssten geändert werden, damit private und privat-gewerbli- che Anbieter sowie Elterninitiativen Zuschüsse aus dem ESF- Programm zur Förderung betrieblich unterstützter Kinderbe- treuung erhalten? Wann werden die Förderrichtlinien zum ESF-Programm zur Förderung betrieblich unterstützter Kinderbetreuung ver- öffentlicht, und welches sind die Inhalte der Förderricht- linien? Zu Frage 5: Ich hatte Ihnen, sehr geehrte Frau Kollegin Lenke, be- reits auf Ihre schriftliche Frage vom 23. August 2007 mitgeteilt, dass das vom BMFSFJ erarbeitete ESF-Pro- gramm zur betrieblich unterstützten Kinderbetreuung keine Vorgaben in Bezug auf die Träger der förderfähi- gen Kindertageseinrichtungen machen wird. Die Unter- nehmen sollen selbst darüber entscheiden, mit welchem Träger sie zusammenarbeiten. Kooperationspartner kön- nen daher grundsätzlich auch privat-gewerbliche Anbie- ter sein. Mit anderen Worten: Privat-gewerbliche Anbie- ter sollen eine Förderung nach dem ESF-Programm des BMFSFJ erhalten können, sofern sie in Kooperation mit einem oder mehreren Unternehmen ein Betreuungspro- jekt realisieren, das die Fördervoraussetzungen erfüllt. Erforderlich ist insbesondere, dass eine Betriebserlaub- nis nach § 45 SGB VIII vorliegt. Privat-gewerblich be- triebene Betreuungsprojekte können am ESF-Programm also grundsätzlich unter den gleichen Voraussetzungen teilnehmen wie Projekte öffentlicher oder privat-ge- meinnütziger Träger. Zu Frage 6: Der vom BMFSFJ erarbeitete Entwurf der Förder- richtlinien wird derzeit innerhalb der Bundesregierung abgestimmt. Wenn dieser Abstimmungsprozess abge- schlossen ist, werden die Richtlinien veröffentlicht. Wir gehen davon aus, dass dies voraussichtlich im Februar 2008 der Fall sein wird. Die Förderrichtlinien regeln die Voraussetzungen, unter denen eine Förderung beantragt werden kann. Über die wesentlichen Eckpunkte des Pro- gramms wurden die Mitglieder des Deutschen Bundes- tages durch Frau Bundesministerin von der Leyen mit Schreiben vom 10. Juli 2007 informiert. In der Frage- stunde am 19. September 2007 hatte ich, sehr geehrte Frau Kollegin Lenke, auf Ihre schriftliche Frage vom 13. September 2007 die Grundzüge der Förderung noch einmal zusammengefasst. Zur Erinnerung: Mit dem ESF-Programm zur betrieblich unterstützten Kinderbe- treuung wollen wir das Engagement kleiner und mittle- rer Unternehmen mit bis zu 1 000 Beschäftigten für 13858 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 132. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 12. Dezember 2007 (A) (C) (B) (D) derung ist als Anschubfinanzierung konzipiert, um die Startphase zu erleichtern. Dazu werden die Betriebskos- ten neu zu schaffender Betreuungsplätze für die Dauer von zwei Jahren bezuschusst. Insgesamt stehen 50 Mil- lionen Euro aus Mitteln des ESF bereit. Anlage 3 Antwort des Parl. Staatssekretärs Franz Thönnes auf die Fragen des Abgeordneten Dr. Gesine Lötzsch (DIE LINKE) (Drucksache 16/7433, Fragen 10 und 11): Wie viele unbefristete und befristete Stellen werden die zehn größten Arbeitsämter in Deutschland 2008 von der Ar- beitsagentur zugewiesen bekommen, und welche wichtigen Gründe gibt es, dass Mitte Dezember 2007 diese Informatio- nen für 2008 bei den Arbeitsämtern noch nicht vorliegen? Wie beurteilt die Bundesregierung den hohen Anteil von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern mit befristeten Verträgen in den Jobcentern, und welche Auswirkungen hat der hohe An- teil an befristeten Verträgen auf die kontinuierliche Arbeit der Jobcenter mit den Arbeitslosen und den Unternehmen, die Ar- beitskräfte suchen? Zu Frage 10: Die hohe Zahl der befristeten Arbeitsverträge von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in den Arbeitsge- meinschaften der Grundsicherung für Arbeitsuchende ist eine Frage, der sich die Bundesagentur für Arbeit ge- meinsam mit dem Bundesministerium für Arbeit und So- ziales und dem Bundesfinanzministerium im Verfahren zur Aufstellung des Haushalts der Bundesagentur für Ar- beit für das Jahr 2008 intensiv gewidmet hat. Der Stel- lenplan für Aufgaben nach dem SGB II ist Teil des Haushalts der Bundesagentur für Arbeit. Die Bundes- agentur für Arbeit hat den von ihrer Selbstverwaltung beschlossenen Haushalt der Bundesregierung zur Ge- nehmigung vorgelegt und darin Vorschläge zur Personal- ausstattung gemacht. Erst nach der Genehmigung kann der Haushalt umgesetzt und eine entsprechende Vertei- lung von Stellen auf die Agenturen für Arbeit – und damit auf die Arbeitsgemeinschaften – vorgenommen werden. Eine vergleichbare Problematik besteht in den Agenturen für Arbeit, die die Aufgaben der Arbeitsför- derung nach dem Dritten Buch Sozialgesetzbuch durch- führen (ehemals „Arbeitsämter“), nicht. Zu Frage 11: Ein sehr hoher Anteil von Mitarbeiterinnen und Mit- arbeitern, die in der Grundsicherung für Arbeitsuchende nur befristet eingestellt sind, ist nicht die optimale Voraus- setzung, um die Ziele der Grundsicherung für Arbeit- suchende – eine effektive Eingliederung durch qualifizierte und individuelle Betreuung – zu erreichen. Die hohe Personalfluktuation und der erhöhte Qualifizierungsbe- darf bedeuten Effizienzverlust und zusätzliche Kosten. Nachdem bereits im laufenden Haushaltsjahr zusätzliche 4 000 Dauerstellen zur Entlastung befristeter Beschäfti- gungsverhältnisse ausgebracht worden sind, werden Bundesregierung und Haushaltsgesetzgeber auch für 2008 durch eine erhebliche Zahl weiterer Dauerstellen zur Op- timierung der Personalsituation beitragen. Anlage 4 Antwort des Parl. Staatssekretärs Franz Thönnes auf die Fragen der Abgeordneten Sabine Zimmermann (DIE LINKE) (Drucksache 16/7433, Fragen 12 und 13): Beabsichtigt die Bundesregierung im Bereich der Wahr- nehmung von SGB-II-Aufgaben eine Obergrenze für befristet Beschäftigte bei den Arbeitsgemeinschaften (ARGEn) und Agenturen für Arbeit mit getrennter Aufgabenwahrnehmung (AAgAw) festzulegen, und, falls ja, in welcher Höhe soll diese angesetzt werden? Wie viele der derzeit bestehenden befristeten Beschäfti- gungsverhältnisse für SGB-II-Aufgaben in den ARGEn und AAgAw würden über der Obergrenze liegen, aufgeschlüsselt nach Regionaldirektionen, und welche Auswirkungen hätte die Einführung dieser Obergrenze nach Ansicht der Bundes- regierung auf die Arbeitsfähigkeit der ARGEn und AAgAw, insbesondere aber auch auf die Betreuungsschlüssel? Zu Frage 12: Der Deutsche Bundestag hat dem Bundesministerium für Arbeit und Soziales mit seinen Entscheidungen zum Bundeshaushalt 2008 aufgegeben, den Einsatz von be- fristetem Personal der Grundsicherung für Arbeit- suchende bei der Bundesagentur für Arbeit bedarfsge- recht zu steuern. Er hat dafür eine Obergrenze für befristetes Personal von 11 400 im Jahresdurchschnitt im Bundeshaushalt festgeschrieben. Hierbei sind befristet beschäftigte Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die 2008 auf noch nicht besetzte offene Stellen einmünden, nicht mitzurechnen. Zu Frage 13: Derzeit sind rund 13 400 Mitarbeiterinnen und Mit- arbeiter der Bundesagentur in den Arbeitsgemeinschaf- ten befristet beschäftigt (eine Aufschlüsselung nach Ar- beitsgemeinschaften war in der zur Verfügung stehenden Zeit nicht möglich). Klar ist aber bereits jetzt, dass neben den 4 000 neuen Dauerstellen für das laufende Haus- haltsjahr auch für das Jahr 2008 eine erhebliche Anzahl zusätzlicher Dauerstellen für die Grundsicherung für Ar- beitsuchende geschaffen wird. Dies erfolgt durch die Ge- nehmigung des Haushalts der Bundesagentur für Arbeit durch die Bundesregierung. Auf die Beantwortung der Fragen der Abgeordneten Lötzsch wird insofern verwie- sen. Durch die Übernahme von derzeit befristet Beschäf- tigten auf Dauerstellen wird die Zahl der befristet Beschäftigten der Bundesagentur in den Arbeitsgemein- schaften zurückgehen und somit unter der bereits im Bundeshaushalt verankerten Befristungsgrenze liegen. Es wird damit weiterhin Spielräume für den Einsatz be- fristeter Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Arbeits- gemeinschaften geben. Die Genehmigung weiterer Dau- erstellen für die Grundsicherung für Arbeitsuchende wird die Arbeitsfähigkeit der Arbeitsgemeinschaften stärken und zur Verbesserung der Durchführung der Grundsicherung für Arbeitsuchende beitragen. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 132. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 12. Dezember 2007 13859 (A) (C) (B) (D) Anlage 5 Antwort des Parl. Staatssekretärs Peter Altmaier auf die Frage des Abgeordneten Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Drucksache 16/7433, Frage 15): Wie ist die Antwort der Bundesregierung auf meine schriftliche Frage vom 27. November 2007 (Bundestags- drucksache 16/7434) zu verstehen, dass sie die „Empfehlun- gen des Bundesrechnungshofes und den angekündigten Be- richt an den Haushaltsausschuss des Deutschen Bundestages in ihre Überlegungen zur künftigen Regelung des Einsatzes von externen Beschäftigten in der Bundesverwaltung einbe- ziehen wird“, und welche konkreten Maßnahmen wird sie in einer Richtlinie zur Schaffung von Transparenz und zur Ver- meidung von Interessenkollisionen aus diesen Empfehlungen ableiten? Die Bundesregierung hat in ihrer Antwort auf die schriftliche Frage des Herrn Abgeordneten Beck vom 27. November 2007 erklärt, dass sie den angekündigten Bericht des Bundesrechnungshofs an den Haushaltsaus- schuss des Deutschen Bundestages in ihre Überlegungen zur künftigen Regelung des Einsatzes von externen Be- schäftigten in der Bundesverwaltung einbeziehen wird. Der Bericht des Bundesrechnungshofs liegt aber bisher nicht vor; der Bundesrechnungshof wird den Bericht vo- raussichtlich im Januar oder Februar 2008 dem Haus- haltsausschuss zuleiten. Die Bundesregierung wird dann unter Berücksichtigung dieses Berichts über geeignete Maßnahmen entscheiden. Anlage 6 Antwort der Parl. Staatssekretärin Nicolette Kressl auf die Frage der Abgeordneten Christine Scheel (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Drucksache 16/7433, Frage 20): Welche Maßnahmen gedenkt die Bundesregierung als Miteigentümerin der Deutsche Post AG zu ergreifen, nach- dem der Vorstandsvorsitzende der Deutsche Post AG, Klaus Zumwinkel, unmittelbar nach Bekanntwerden der politischen Einigung der großen Koalition über die Allgemeinverbind- lichkeit des Posttarifvertrages von seinem Aktienoptionsrecht Gebrauch gemacht hat und damit privat erhebliche Kursge- winne realisiert hat? Es ist zutreffend, dass der Vorstandsvorsitzende der Deutsche Post AG, Herr Dr. Zumwinkel, am 3. Dezem- ber 2007 insgesamt 200 640 Aktien der Deutsche Post AG zu einem Kurs von 23,57 Euro verkauft hat. Dem Verkauf ging der Bezug dieser Aktien durch die Aus- übung einer entsprechenden Anzahl von Optionen aus dem Aktienoptionsplan der Deutsche Post AG voraus. Herr Dr. Zumwinkel hat in Übereinstimmung mit den gesetzlichen Regeln (§ 15 a Wertpapierhandelsgesetz) über dieses Geschäft (sogenannte Directors’ Dealings) informiert. Aktienoptionspläne sind ein üblicher Be- standteil der Vergütung von Vorständen und leitenden Mitarbeitern deutscher börsennotierter Unternehmen. Aus dem Aktienoptionsplan der Deutsche Post AG wur- den letztmalig im Jahr 2005 Optionen ausgegeben, diese können bis spätestens 2010 in Aktien gewandelt werden. Der Aktienoptionsplan der Deutsche Post AG wurde im Jahr 2006 durch sogenannte Wertsteigerungsrechte (Stock-Appreciation-Rights) ersetzt. Die Höhe der Vor- standsvergütung der Deutsche Post AG wird vom paritä- tisch besetzten Aufsichtsrat der Deutsche Post AG festgelegt. Dazu zählt auch die Gewährung von Aktien- optionen aus den Aktienoptionsplänen der Deutsche Post AG als Vergütungsbestandteil. Der Aufsichtsrat hat kei- nen Einfluss hinsichtlich der Ausübung der Aktienoptio- nen. Der Bund kann auf die Höhe der Vorstandsvergü- tung und die Gewährung von Aktienoptionen bzw. Wertsteigerungsrechten keinen Einfluss nehmen. Anlage 7 Antwort der Parl. Staatssekretärin Nicolette Kressl auf die Frage des Abgeordneten Dr. Gerhard Schick (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) (Drucksache 16/7433, Frage 21): Wie bewertet die Bundesregierung die Ankündigung der Europäischen Zentralbank, nur noch Staatsanleihen zu akzep- tieren, die von mindestens einer der drei großen Ratingagen- turen mit der Bewertung „A“ oder besser eingestuft wurden? Der Rat der Europäischen Zentralbank hatte im Au- gust 2004 den Beschluss gefasst, die Auswahl der für geldpolitische Geschäfte zugelassenen Sicherheiten für alle Euro-Mitgliedstaaten zu vereinheitlichen. Zuvor konnten im Rahmen eines erweiterten Zulassungsverfah- rens die nationalen Notenbanken unter Umständen auch Sicherheiten hereinnehmen, die für den nationalen Finanzsektor von besonderer Bedeutung waren. Im Zuge dieser Vereinheitlichung hatte die Europäische Zentral- bank seinerzeit ihre seit Beginn der Währungsunion im Jahr 1999 gängige Praxis noch einmal klargestellt, an marktfähige Schuldverschreibungen – also auch an Staatsanleihen – als Mindestbonitätsstandard ein Rating der Klasse A von einer der drei großen Ratingagenturen vorauszusetzen. Alle von der Europäischen Zentralbank für Refinanzierungsgeschäfte zugelassenen Anleihen er- füllten bislang diese Voraussetzung. Die Bundesregie- rung hat daher zur Kenntnis genommen, dass bei der Vereinheitlichung keine Veränderung im Hinblick auf diesen Mindeststandard vorgenommen wurde. Zugleich hält sich die Bundesregierung strikt an die Maßgaben der Art. 105 und 108 des EG-Vertrags, nach denen das Euro- päische System der Zentralbanken weisungsungebunden und ohne Versuch der Beeinflussung alle geldpolitischen Entscheidungen trifft und ausführt. Anlage 8 Antwort der Parl. Staatssekretärin Dagmar Wöhrl auf die Frage des Abgeordneten Ernst Burgbacher (FDP) (Druck- sache 16/7433, Frage 22): In welchem Umfang gab es gegebenenfalls Rückverlage- rungen von Fertigungskapazitäten und Arbeitsplätzen nach Deutschland seit 2005, und welche Branchen betrifft dies? Der Bundesregierung liegen bezüglich des Umfangs der Rückverlagerung von Fertigungskapazitäten nach Deutschland keine empirisch belastenden Daten vor. 13860 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 132. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 12. Dezember 2007 (A) (C) (B) (D) Anlage 9 Antwort der Parl. Staatssekretärin Dagmar Wöhrl auf die Fragen des Abgeordneten Jürgen Koppelin (FDP) (Druck- sache 16/7433, Fragen 23 und 24): Gibt es im Bundesministerium für Wirtschaft und Techno- logie Überlegungen, § 12 des KfW-Gesetzes zu ändern und die Aufsicht über die Kreditanstalt für Wiederaufbau Banken- gruppe (KfW) der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungs- aufsicht (BaFin) zu übertragen (Financial Times Deutschland vom 4. Dezember 2007)? Welche Gründe sprechen aus der Sicht des Bundesministe- riums für Wirtschaft und Technologie für eine Übertragung der Aufsicht über die KfW an die BaFin? Zu Frage 23: § 12 des Gesetzes über die KfW (KfW-Gesetz) be- stimmt, dass die Aufsicht über die KfW vom Bundes- ministerium der Finanzen (BMF) im Benehmen mit dem Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie (BMWi) ausgeübt wird. Für das BMWi ist es deshalb selbstverständlich, sich in regelmäßigen zeitlichen Ab- ständen auch mit der Frage zu beschäftigen, ob die für die KfW geltenden Regelungen noch zeitgemäß sind. Weitergehende Überlegungen sind in der Bundesregie- rung noch nicht abgestimmt. Zu Frage 24: Soweit die KfW Bankgeschäfte betreibt, wendet sie nach eigenen Angaben die Regeln der Bankenaufsicht auf freiwilliger Basis sinngemäß an. Dies würde aus Sicht des BMWi dafür sprechen, die BaFin auch entspre- chende Prüfungen dieser bankgeschäftlichen Aktivitäten vornehmen zu lassen – mit entlastender Wirkung für die Ministerien. Anlage 10 Antwort der Parl. Staatssekretärin Dagmar Wöhrl auf die Frage der Abgeordneten Christine Scheel (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Drucksache 16/7433, Frage 25): Was gedenkt die Bundesregierung angesichts der Ausfüh- rungen von Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel („Weil ein amerikanischer Autoboss das Tausendfache eines Arbeiters verdient, muss ganz offensichtlich auch ein deutscher Auto- konzernchef eine Gehaltssteigerung bekommen, die er seinen Mitarbeitern nie zugestehen könnte. Ich möchte mich hier nicht zum Erfolg amerikanischer Autounternehmen äußern, aber ich lese auch, dass alle Hersteller seit Jahren ein japani- sches Autounternehmen als besonders erfolgreich sehen. Dort verdient der Chef nur ungefähr das Zwanzigfache eines Ar- beiters. Das ist in etwa das Doppelte eines deutschen Kanz- lers, wenn er nicht gerade in der Schweiz Geschäfte für russi- sches Gas macht, liebe Freunde.“) in ihrer Parteitagsrede auf dem CDU-Parteitag in Hannover zu tun, um unangemessene Einkommensdifferenzen zwischen Beschäftigten und Managern zu begrenzen? Die Bundesregierung plant keine gesetzlichen Be- schränkungen von Vorstandsvergütungen. Sie verfolgt die Debatte zu Managervergütungen aber mit hohem In- teresse. Der deutsche Corporate Governance Kodex ist weitgehend etabliert und bietet sich grundsätzlich für derartige Beschränkungen an. Der Kodex sieht bereits jetzt im Punkt 4.2.3 eine Beschränkung von Zahlungen an ein Vorstandsmitglied bei vorzeitiger Beendigung der Tätigkeit auf zwei Jahresvergütungen vor. Wenn es zwi- schen den im Kodex niedergelegten „erklärten“ Grund- sätzen guter Unternehmensführung und -überwachung und der Realität Abweichungen gibt, sind in erster Linie der Aufsichtsrat und in zweiter Linie auch die Hauptver- sammlung aufgerufen, ihre Verantwortung deutlicher wahrzunehmen. Besonders der Aufsichtsrat sollte stär- ker seine Pflicht zur Festsetzung einer angemessenen Vergütung wahrnehmen. Anlage 11 Antwort der Parl. Staatssekretärin Dagmar Wöhrl auf die Fragen des Abgeordneten Manfred Kolbe (CDU/CSU) (Druck- sache 16/7433, Fragen 27 und 28): Sieht die Bundesregierung im Rahmen ihrer strukturpoliti- schen Verantwortung insbesondere für wirtschaftlich schwa- che Regionen unseres Landes Möglichkeiten, um im Rahmen beispielsweise der beabsichtigten Schließung des DHL-Logis- tikstandortes Oschatz/Sachsen und dem damit direkt wie indi- rekt verbundenen Verlust von Arbeitsplätzen in Regionen mit mehr als 13,5 Prozent Arbeitslosigkeit tätig zu werden? Hält die Bundesregierung derartige geplante Schließungen mit dem gleichzeitigen Wegfall von beispielsweise mehr als 240 Arbeitsplätzen im Rahmen des weiteren Aufbaus Ost für vertretbar? Zu Frage 27: Die Bundesregierung ist sich ihrer strukturpolitischen Verantwortung insbesondere für wirtschaftlich schwache Regionen bewusst. Sie stellt mit der Gemeinschaftsauf- gabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur“ (GA) sowie der Investitionszulage wichtige Instrumente bereit, die speziell auf die strukturelle Verbesserung der Wirtschaft in strukturschwachen Regionen abzielen. In diesem Zusammenhang ist es der Bundesregierung ge- lungen, die GA-Förderung für das kommende Jahr um 50 Millionen Euro anzuheben, sodass das Förderniveau von 2006 und 2007 – entgegen den ursprünglichen Pla- nungen – aufrecht erhalten werden kann. Der Bund stellt das Instrumentarium zur Bewältigung struktureller Verwerfungen zur Verfügung, verantwort- lich für die Regionalpolitik und damit die Nutzung des regionalpolitischen Instrumentariums sind die Bundes- länder. Es liegt demnach an der sächsischen Landes- regierung, ob und wie sie das Instrumentarium einsetzen wird, um dem regionalpolitischen Problemen, die sich aus der Schließung des DHL-Logistikstandorte Oschatz/ Sachsen ergeben, zu begegnen. Zu Frage 28: Die Bundesregierung bedauert grundsätzlich die Schließung von Wirtschaftsstandorten, insbesondere in den neuen Bundesländern. Die Schließung von Unter- nehmen wie auch die Unternehmensgründung sind un- Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 132. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 12. Dezember 2007 13861 (A) (C) (B) (D) ternehmerische Entscheidungen, auf die die Bundes- regierung nicht unmittelbar Einfluss nehmen kann. Anlage 12 Antwort der Parl. Staatssekretärin Ursula Heinen auf die Frage der Abgeordneten Dr. Kirsten Tackmann (DIE LINKE) (Drucksache 16/7433, Frage 31): Wie viele Fischereibetriebe in welchen Bundesländern ha- ben bedingt durch Kormoranschäden nachweislich im Jahr 2007 ihre Existenzgrundlage verloren, und wie viele Arbeits- plätze sind dadurch vernichtet worden? Die Frage der Kollegin Tackmann, wie viele Fische- reibetriebe in welchen Bundesländern im laufenden Jahr durch Kormoranschäden ihre Existenzgrundlage verlo- ren haben und wie viele Arbeitsplätze dadurch vernichtet worden sind, lässt sich zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht beantworten. Dies hat eine Nachfrage bei den für Binnenfischerei zuständigen Fischereiverwaltungen der Bundesländer ergeben, gleichwohl ist von dieser Seite in dem Zusammenhang betont worden, dass es auch 2007 wieder deutliche fischereiwirtschaftliche Schäden durch den Fraßdruck des Kormorans gegeben hat. Anlage 13 Antwort des Parl. Staatssekretärs Rolf Schwanitz auf die Frage des Abgeordneten Jens Ackermann (FDP) (Druck- sache 16/7433, Frage 34): Welche Personen bzw. Verbände im Einzelnen werden in die Expertengruppe, die sich laut Bundesregierung zur Novel- lierung des Rettungsassistentengesetzes beraten soll, eingela- den, und beabsichtigt die Bundesregierung, Abgeordnete des Deutschen Bundestages in diese Gruppe mit einzuladen? Die Bundesregierung wird sich zunächst mit der Frage der Ausbildungsinhalte und des Ausbildungsziels befassen. Die Fachexperten sind dementsprechend aus- gesucht worden. Sie vertreten die Ständige Konferenz für den Rettungsdienst, die Notärzte, die Berufsangehö- rigen, die Hilfsorganisationen, die Schulen, die Ärztli- chen Leiter Rettungsdienst (ÄLR) sowie die DKG. Außerdem werden Vertreter der Länder in die Experten- gruppe berufen. Dabei ist sowohl der Ausschuss für Be- rufe des Gesundheitswesens wie der Ausschuss Ret- tungswesen repräsentiert. Es ist nicht beabsichtigt, Mitglieder des Deutschen Bundestages in diese Gruppe mit einzuladen. 132. Sitzung Berlin, Mittwoch, den 12. Dezember 2007 Inhalt: Redetext Anlagen zum Stenografischen Bericht Anlage 1 Anlage 2 Anlage 3 Anlage 4 Anlage 5 Anlage 6 Anlage 7 Anlage 8 Anlage 9 Anlage 10 Anlage 11 Anlage 12 Anlage 13
Gesamtes Protokol
Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1613200000

Guten Tag, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Sit-

zung ist eröffnet.

Ich begrüße Sie zur letzten Sitzungswoche in diesem
Jahr und rufe die Tagesordnungspunkte 1 a und 1 b auf:

1 a) Abgabe einer Regierungserklärung durch die
Bundeskanzlerin

Unterzeichnung des Vertrages von Lissabon
am 13. Dezember und zum Europäischen Rat
am 14. Dezember 2007

b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Markus
Löning, Michael Link (Heilbronn), Florian Toncar,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP
sowie der Abgeordneten Rainder Steenblock,
Jürgen Trittin, Omid Nouripour, weiterer Ab-
geordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN

Gegen die Einsetzung eines „Rates der Wei-
sen“ zur Zukunft der EU

– Drucksache 16/7178 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union

Rede
Zu der Abgabe einer Regierungserklärung liegen ein
Entschließungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU und
der SPD sowie ein Entschließungsantrag der Fraktion
Die Linke vor.

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache im Anschluss an die Regierungserklä-
rung anderthalb Stunden vorgesehen. Gibt es dagegen
Widerspruch? – Das ist nicht der Fall. Dann ist das so
beschlossen.

Das Wort zur Abgabe einer Regierungserklärung hat
die Bundeskanzlerin Frau Dr. Angela Merkel.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Dr. Angela Merkel (CDU):
Rede ID: ID1613200100

Herr Präsident! Meine Damen und Herre

Jahr hat Deutschland durch die Wahrnehmung der EU-
tzung

12. Dezember 2007

3.00 Uhr

Präsidentschaft in besonderer Weise Verantwortung für
Europa getragen. Die Ausgangssituation vor zwölf Mo-
naten war denkbar schwierig: Europa war weitgehend
orientierungslos, Skepsis und Ratlosigkeit hatten sich
breitgemacht, und die Zustimmung der Bürgerinnen und
Bürger zu Europa war nur mit sehr viel gutem Willen er-
kennbar. In dieser Situation hat sich die Bundesregie-
rung für die deutsche Ratspräsidentschaft ein klares Ziel
gesetzt: Wir wollten eine Neuausrichtung und eine Neu-
begründung der Europäischen Union anstoßen. Heute
können wir, glaube ich, feststellen: Genau das ist gelun-
gen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Wir waren gemeinsam nicht nur gut darin, uns Ziele
zu setzen. Wir haben es gemeinsam auch geschafft, diese
Ziele zu erreichen. Wenn ich „gemeinsam“ sage, dann
schließe ich dieses Haus, Sie alle, ausdrücklich mit ein.
Ich möchte diese Debatte als Gelegenheit nutzen, um Ih-
nen für Ihre große Unterstützung in diesem Jahr ein
herzliches Dankeschön zu sagen.

Wir haben viel erreicht: Die Europäische Union hat
sich globaler Zukunftsthemen angenommen. Beispiel-
haft dafür ist die Energie- und Klimapolitik. Europa
war, ist und bleibt Vorreiter beim Klimaschutz. Europa

text
hat erkannt, dass es sich beim Schutz des Klimas und
beim Zugang zu Energie um zwei zentrale Herausforde-
rungen für die Menschheit handelt. Diese Erkenntnis be-
stimmt unsere Verhandlungsposition bei den gegenwär-
tig laufenden Klimaschutzberatungen auf Bali, an denen
auch der Bundesumweltminister teilnimmt. Wir dürfen
uns aber keinen Illusionen hingeben; denn die eigentli-
che Arbeit für den Klimaschutz beginnt erst nach der
Konferenz auf Bali. Der Weg zu einem Abkommen im
Anschluss an das Kioto-Abkommen unter dem Dach der
Vereinten Nationen wird sehr steinig sein. Mehr denn je
wird es dabei auf eine entschlossene Haltung Europas
und all seiner Mitgliedstaaten ankommen.

ll bei der CDU/CSU und der SPD)

hr der deutschen EU-Ratspräsidentschaft
en Bürgerinnen und Bürgern Europas aber
n! In diesem


(Beifa In dem Ja haben wir all noch mehr gezeigt, zum Beispiel dass Entscheidungen, 13798 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 132. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 12. Dezember 2007 Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel die auf europäischer Ebene getroffen werden, Auswirkungen auf das Alltagsleben haben, dass das Alltagsleben ganz konkret verbessert wird. Ich denke beispielsweise an die Senkung der Roaming-Gebühren. Wir haben aber auch das Bewusstsein für die Zusammengehörigkeit in Europa gestärkt. Ich denke dabei vor allem an die Feiern zum 50. Jahrestag der Unterzeichnung der Römischen Verträge. Dort haben wir gemeinsam gespürt, was es heißt, zu sagen: Wir Bürger Europas sind zu unserem Glück vereint. – Das ist kein einfach so dahingesagter Satz. Nein, auch nach 50 Jahren Frieden und Freiheit dürfen wir dieses Glück Europas zu keiner Stunde für selbstverständlich nehmen. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


(A) (C)


(B) (D)


Stets aufs Neue müssen wir es schützen und dafür eintre-
ten. Deshalb ist gar nicht hoch genug einzuschätzen,
dass die Zustimmung der Bevölkerung in Deutschland
zur Europäischen Union in diesem Jahr auf einem Zehn-
jahreshoch ist. Das müssen wir halten, stärken und festi-
gen.

Kurzum: In Europa ist wieder mehr Schwung und Le-
ben gekommen. Das ist das Ergebnis unserer gemeinsa-
men Arbeit hier in Berlin und überall in Deutschland. Es
ist aber wahrlich nicht nur das Ergebnis der Arbeit von
uns Politikern. Nein, ohne die vielen Menschen, die sich
ehrenamtlich für Europa starkgemacht haben, ginge vie-
les nicht. Deshalb möchte ich bei dieser Gelegenheit
auch ihnen den ausdrücklichen Dank der Bundesregie-
rung und – ich bin mir ganz sicher – auch Ihren Dank sa-
gen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP)


Die größte Herausforderung für unsere Präsident-
schaft war die Reform der Verträge der Europäischen
Union. Ich habe vor einem Jahr an dieser Stelle gesagt:
Es wäre ein historisches Versäumnis, wenn es uns nicht
gelänge, den Reformprozess bis zur Europawahl 2009 zu
einem guten Ende zu führen. – Die Folgen wären kaum
auszudenken gewesen. Umgekehrt können wir heute sa-
gen: Dass uns am Ende der Durchbruch zu einem
Reformvertrag gelungen ist, ist für die Zukunft Euro-
pas von historischer Bedeutung.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Unsere Arbeit zur Erreichung dieses Ziels hat sich ge-
lohnt. Wir haben es geschafft, für die Reform ein umfas-
sendes und präzises Mandat zu vereinbaren; kaum je-
mand hat dies vor einem Jahr für möglich gehalten. Der
Erfolg, zu dem wir morgen unsere Unterschriften leisten
können, liegt auch in unserer engen Zusammenarbeit mit
der portugiesischen Ratspräsidentschaft begründet, die
dieses Mandat innerhalb weniger Monate in einen neuen
Vertragstext überführt hat. Morgen werden der Bundes-
außenminister und ich in Lissabon den neuen Vertrag un-
terschreiben.
Ich neige jetzt wahrlich nicht zu übertriebener Eupho-
rie. Aber ich glaube, wir können gemeinsam festhalten:
Dieser Tag markiert einen historischen Erfolg für Eu-
ropa, und er wird im Rückblick vielleicht einmal als eine
entscheidende Wegmarke bei der Herstellung von mehr
Handlungsfähigkeit in Europa angesehen werden.

Nach seiner Ratifizierung wird der Vertrag von Lissa-
bon die Reihe der Vertragsreformen von Maastricht über
Amsterdam und Nizza abschließen. Anders als seine
Vorgänger lässt dieser Vertrag keine Fragen offen. Er
holt die bei der großen Erweiterung des Jahres 2004
nicht erfolgten Reformen der Organe der Europäischen
Union nach. Er nimmt die in den letzten zwei Jahren laut
gewordenen Bedenken und Sorgen der Bürgerinnen und
Bürger auf. Er bündelt die unterschiedlichen Konzepte
und Vorstellungen von der Europäischen Union, die es in
den Mitgliedstaaten gibt. Damit schafft er die Grundlage
für die neue Europäische Union im 21. Jahrhundert.

Selbstverständlich: Mit der Unterzeichnung des Ver-
trages ist die Arbeit noch nicht endgültig abgeschlossen,
auch in Deutschland nicht. Es folgt das Ratifizierungs-
verfahren im Bundesrat und in diesem Hause. Die Bun-
desregierung wird die dazu notwendigen Gesetzentwürfe
in der nächsten Woche verabschieden. Ich wünsche mir,
dass die parlamentarischen Verfahren in Deutschland bis
Mitte Mai 2008 erfolgreich abgeschlossen werden kön-
nen.

Ich bin zuversichtlich, dass die Ratifizierung des Ver-
trages auch in den anderen Mitgliedstaaten erfolgen
wird. So könnten wir unter Beweis stellen: Wir kommen
voran, wenn wir einig sind. Europa gelingt eben nur ge-
meinsam.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN)


Das dürfen wir niemals vergessen oder aus den Augen
verlieren, so mühsam manche Diskussion auch sein mag.
Gewinner sind beide, Europa genauso wie die National-
staaten. Lassen Sie mich das an fünf Beispielen verdeut-
lichen:

Erstens. Die Europäische Union wird demokratischer.
Zum einen wird das Europäische Parlament gestärkt,
zum anderen erhalten die nationalen Parlamente mehr
Mitspracherecht in europäischen Gesetzgebungsverfah-
ren. Bundestag und Bundesrat werden in Zukunft früh-
zeitig und umfassend über anstehende Gesetzesinitia-
tiven informiert. Lehnt eine Mehrheit der nationalen
Parlamente einen EU-Vorschlag ab, dann müssen sich die
Organe der Europäischen Union mit diesem Votum zwin-
gend beschäftigen. Dies kann auch dazu führen, dass der
Vorschlag fallen gelassen wird. Zum ersten Mal können
also die nationalen Gesetzgeber zu einem sehr frühen
Zeitpunkt unmittelbaren Einfluss auf die europäische
Gesetzgebung nehmen. Das bedeutet natürlich auch, dass
wir uns noch intensiver als früher mit europäischen Vor-
haben beschäftigen werden. Auf diese Weise finden – da-
von bin ich überzeugt – europapolitische Themen eher
Eingang in die öffentliche Diskussion, und so spielt sich
Europapolitik nicht nur in Brüssel ab, sondern sie wird

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 132. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 12. Dezember 2007 13799


(A) (C)



(B) (D)


Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel
auch hier bei uns in Berlin greifbarer. Das heißt nichts
anderes, als dass Europa näher an die Bürgerinnen und
Bürger heranrückt. Ich denke, es ist eine gute Bewegung,
die mit diesem Vertrag möglich wird.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Die nationalen Parlamente werden sicher auch intensiv
von der Möglichkeit Gebrauch machen, zu überprüfen, ob
die Europäische Union im jeweiligen Fall überhaupt tätig
werden soll. Das heißt, es wird auch die Aufgabe dieses
Hauses sein, darauf zu achten, dass es nicht zu einer
schleichenden Ausweitung der EU-Tätigkeiten kommt,
wo sie nicht erforderlich oder rechtlich gar nicht abgesi-
chert ist.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)


Dies führt mich unmittelbar zu meinem zweiten
Punkt. Der neue Vertrag unterscheidet deutlich die
Zuständigkeiten der Europäischen Union von denen der
Mitgliedstaaten. Diese Unterscheidung war immer ein
deutsches Anliegen. Wir haben das seit langem vertre-
ten. Ich halte das für ein wirklich wichtiges Ergebnis
dieses neuen Vertrages. Der Vertrag macht außerdem
klar: Zuständigkeiten der Europäischen Union können
wieder an die Mitgliedstaaten zurückgegeben werden,
wenn dies vernünftig erscheint. Das heißt also, Kompe-
tenzzuteilung ist nicht mehr eine Einbahnstraße – von
den Nationalstaaten nach Europa –, sondern auch der
umgekehrte Weg ist möglich. Das ist etwas, was ich für
sehr vernünftig halte. Wenn nämlich gestern etwas von
der Union besser als von den Nationalstaaten geregelt
werden konnte, dann heißt das noch lange nicht, dass das
über 10, 20, 30 oder 40 Jahre weiter so bleiben muss.
Auch kann es nicht sein, dass Kompetenzzuwächse im-
mer nur in eine Richtung gehen. Ich glaube, das ent-
spricht ganz besonders unserem, dem deutschen, Subsi-
diaritätsverständnis, und das macht vor allem das
Handeln der Europäischen Union nachvollziehbarer. Das
ist natürlich unverzichtbar, um die Verantwortlichkeiten
wieder besser zum Ausdruck zu bringen. Die Bürger Eu-
ropas haben – das ist zumindest meine Überzeugung –
einen Anspruch darauf, zu wissen, wer wofür warum
verantwortlich ist.


(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und der FDP sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Drittens. Ab 2014 gilt im Rat – darum haben wir
lange gestritten – die sogenannte doppelte Mehrheit.
Das heißt, bei Entscheidungen fällt neben der Zahl der
Staaten auch die Zahl der Bürger eines Landes gleichbe-
rechtigt ins Gewicht. Dadurch wird die jeweilige Bevöl-
kerungsgröße der Mitgliedstaaten angemessen berück-
sichtigt, und so wird das Einstimmigkeitsprinzip endlich
auf das Notwendige eingeschränkt. Mehrheitsentschei-
dungen werden auf einer fairen Grundlage ausgeweitet.
Kurzum: Die doppelte Mehrheit wird der Legitimierung
der Entscheidungen sehr helfen. Allerdings sage ich
auch voraus: Wenn Mehrheitsentscheidungen gefällt
werden, wird sich Deutschland nicht immer zu 100 Pro-
zent durchsetzen können. Auch das wird eine Erfahrung
sein, die wir machen werden. Gut an der Mehrheitsent-
scheidung ist, dass wir nicht jeden mitnehmen müssen,
wenn uns etwas wichtig ist; schlecht ist, dass wir manch-
mal das Gefühl haben werden, dass wir etwas nicht er-
reichen konnten.

Viertens. Der neue Vertrag erleichtert die verstärkte
Zusammenarbeit einer Gruppe von Mitgliedstaaten in
bestimmten Politikbereichen. Damit ist eine Weiterent-
wicklung der Europäischen Union innerhalb des EU-
Vertragsrahmens möglich. Dies gibt uns die notwendige
Beweglichkeit in einer sehr groß gewordenen Union, ei-
ner Union von Mitgliedstaaten mit unterschiedlichen
Stärken, Wünschen und Interessen. Eines ist mir aller-
dings sehr wichtig: Gruppenspezifische Kooperationen
müssen immer im allgemeinen Einvernehmen erfolgen.
Der Zugang zu einer engeren Zusammenarbeit einer
Ländergruppe muss prinzipiell für alle offenbleiben; es
darf kein Europa der geschlossenen Gesellschaften ge-
ben. Wenn wir dies beachten, wird dieses Arbeitsprinzip
uns nach vorn bringen. Die ersten Diskussionen dazu
werden wir in Bezug auf die Kooperation im Mittel-
meerraum haben. Aber wenn wir dieses Prinzip nutzen,
kann das viele Vorteile für die Arbeit innerhalb der Euro-
päischen Union bringen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP)


Fünftens. Der Vertrag wird der Europäischen Union
der 27 Mitgliedstaaten über institutionelle Neuerun-
gen mehr Gesicht und eine klare Stimme verleihen.
Denn zum einen wird es einen gewählten Präsidenten
geben, der den Treffen der Staats- und Regierungschefs
zweieinhalb Jahre lang vorsitzen wird. Das verleiht der
Ratsarbeit automatisch mehr Kontinuität. Man denkt
nicht mehr nur in Halbjahreszeiträumen, sondern durch
die Amtszeit des Ratspräsidenten wird in längeren Zeit-
räumen gedacht werden. Zum anderen wird dem Rat der
Außenminister ein Hoher Vertreter für Außen- und Si-
cherheitspolitik vorsitzen; er wird zugleich Vizepräsi-
dent der Kommission sein. Damit gibt es in der Außen-
und Sicherheitspolitik eine Verzahnung. Die Doppeltä-
tigkeit fällt weg, was sehr vernünftig ist. Aber es gibt
auch neue Konstellationen im Hinblick auf das Parla-
ment. Ich verweise nur darauf, dass die Kommission
vom Parlament bestätigt wird. Der Hohe Vertreter wird
vom Rat bestimmt, ist Vizepräsident der Kommission,
und damit muss indirekt auch das Parlament bezüglich
des Hohen Vertreters konsultiert werden. Das heißt, die
Statik innerhalb der europäischen Institutionen wird sich
verändern. Das gilt auch für den Ratspräsidenten, der die
Interessen der Mitgliedstaaten in besonderer Weise ver-
treten muss. Wir werden – das sage ich als Vertreterin ei-
nes Mitgliedstaats im Rat – darauf achten, dass er unsere
Interessen vertritt und nicht zu viel gemeinsame Sache
mit der Kommission macht. Auch das wird ein Erfah-
rungsweg sein, den wir uns anschauen werden.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD)


Sollte der Vertrag – was wir ja wollen – zum 1. Januar
2009 in Kraft treten, dann müssen beide Ämter im
nächsten Jahr mit geeigneten Persönlichkeiten besetzt

13800 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 132. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 12. Dezember 2007


(A) (C)



(B) (D)


Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel
werden. Beide Ämter werden Europa gerade im interna-
tionalen Rahmen mehr Gewicht geben.

Meine Damen und Herren, es gibt viele weitere
Gründe, warum der Vertrag von Lissabon ein histori-
scher Schritt ist. Wir brauchen sie hier nicht alle im
Einzelnen aufzuzählen. Denn mindestens ebenso wichtig
ist es, sich bewusst zu machen, dass wir jetzt die Mög-
lichkeiten ausschöpfen müssen, die in dem neuen Ver-
trag stecken. Noch wichtiger ist, dass Europa nun die
Hände frei hat, um sich der zentralen Frage der Ausge-
staltung seiner neuen Rolle in einer globalen Welt zuzu-
wenden. Denn wir leben als Kontinent ja nicht im luft-
leeren Raum. Die anderen Länder der Erde warten nicht
auf uns, was ihre wirtschaftliche Entwicklung anbelangt.
Wir müssen unsere Interessen bündeln und sie dann auch
durchsetzen.

Deshalb ist es sehr wichtig, dass der Europäische Rat
übermorgen eine gemeinsame Erklärung aller Mitglied-
staaten zur Globalisierung verabschieden wird. Darin
werden die wichtigsten Herausforderungen für Europa
noch einmal genannt. Dazu gehört die Wettbewerbsfä-
higkeit und die Frage, wie wir sie erhalten können. Wir
müssen es besser als bisher schaffen, gegen unfairen
Wettbewerb von außen vorgehen zu können. Ich glaube,
das ist nicht irgendeine Aufgabe. Diese Aufgabe hat
auch damit zu tun, dass wir das Vertrauen der Bürgerin-
nen und Bürger Europas in das europäische Sozialstaats-
modell wirklich stärken können.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Denn wenn wir die Menschen nicht vor unfairem Wett-
bewerb schützen können, wenn wir unsere Interessen
nicht durchsetzen können, dann wird auch die soziale
Marktwirtschaft oder das Sozialstaatsmodell unter
Druck geraten. Die Bürgerinnen und Bürger werden uns
nach dem Ergebnis fragen und nicht nach den guten Ab-
sichten.

Zur Rolle Europas in der Globalisierung gehört auch
die Außen- und Sicherheitspolitik. Um unsere Sicher-
heitsinteressen gemeinsam effektiv vertreten zu können,
brauchen wir zweierlei: den politischen Willen und die
notwendigen Fähigkeiten und Mittel. Ein aktuelles Bei-
spiel ist – darüber ist mit dem Außenminister in den
Ausschüssen gerade diskutiert worden – die Frage des
Status des Kosovo. Mit dieser Frage wird sich der Euro-
päische Rat, nachdem die Außenminister das am Montag
getan haben, übermorgen noch einmal beschäftigen. Lei-
der, müssen wir sagen, sind die Verhandlungen zwischen
Belgrad und den Kosovo-Albanern ohne Erfolg zu Ende
gegangen. Aber es ist außerordentlich wichtig, diesen
Verhandlungsprozess dazwischengeschaltet zu haben,
wirklich alles versucht zu haben und vielleicht ein paar
Kontakte etabliert zu haben. Ich möchte an dieser Stelle
dem Verhandlungsführer für die Europäische Union,
dem Deutschen Wolfgang Ischinger, danken. Er hat viel
Fantasie und viel Kraft in diese Sache gelegt.


(Beifall im ganzen Hause)


Jetzt kommt es darauf an, dass die Europäische Union
geschlossen für eine friedliche und stabile Entwicklung
der Region eintritt. Die Europäische Union muss und
wird sich ihrer Verantwortung stellen. Es besteht für
mich überhaupt kein Zweifel: Wollen wir Europäer un-
sere Interessen in der Welt vertreten, dann müssen wir
unsere Fähigkeiten im Rahmen der Sicherheits- und Ver-
teidigungspolitik verstärken und auch besser koordinie-
ren, wie wir an vielen Beispielen sehen.


(Beifall des Abg. Markus Meckel [SPD] – Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: Ja, ja: immer weiter rüsten!)


Meine Damen und Herren, das, was wir in der Euro-
päischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik machen,
darf aber nicht in Konkurrenz zur NATO geschehen. Wir
müssen es schaffen, die Europäische Sicherheits- und
Verteidigungspolitik als Ergänzung, als Stärkung der at-
lantischen Sicherheitspartnerschaft zu verstehen, und dies
beim Aufbau der Europäischen Sicherheits- und Vertei-
digungspolitik berücksichtigen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP)


Ein großer Vorteil der Europäischen Union ist dabei,
dass sie gleichermaßen über militärische wie über zivile
Mittel verfügt. Wir müssen beides in die richtige Ba-
lance bringen. Dafür müssen wir unter anderem unsere
Instrumente der zivilen Krisenprävention stärken.

Wahrlich nicht nur, aber auch unter diesem Gesichts-
punkt verdienen die Beziehungen Europas zu Afrika un-
ser aller Aufmerksamkeit. Es kann gar nicht oft genug
gesagt werden: Afrika ist ein Kontinent der Zukunft. Sie
haben verfolgen können, wie Europäer und Afrikaner
auf dem EU-Afrika-Gipfel am vergangenen Wochen-
ende durchaus offene Worte gesprochen haben. Aber ich
darf Ihnen sagen: Es war eine außerordentlich konstruk-
tive Atmosphäre. Es gab keine Tabus, weder in Bezug
auf die Einhaltung der Menschenrechte noch in Bezug
auf das künftige Gesicht des neuen Afrika noch in Bezug
auf den Abschluss notwendiger Handelsabkommen. Bei
den Verhandlungen über die Handelsabkommen spielt
sich das ab, was wir von allen Verhandlungen kennen:
dass wenige Tage vor dem Ende bestimmter Fristen jede
Seite noch einmal für ihre Interessen kämpft. Deshalb
würde ich keinen Pessimismus aufkommen lassen. Jeder
weiß, wir brauchen diese Handelsabkommen; das weiß
die afrikanische Seite, und das weiß auch die europäi-
sche Seite. Insofern bin ich da sehr optimistisch.

Ein wichtiges Ergebnis des Lissabonner Gipfels vom
Wochenende ist, dass wir eine wirklich neue, strategi-
sche Partnerschaft eingehen. Was wir verabschiedet ha-
ben, ist ein Meilenstein für die Beziehungen unserer bei-
den Kontinente. Wir werden uns in drei Jahren wieder
treffen. Jetzt müssen wir das, was wir abgemacht haben,
konkret umsetzen. Am Beispiel der Entwicklungszusam-
menarbeit sehen wir: Europa kann in vielen Bereichen
– auch durch Aufgabenteilung und Spezialisierung –
sehr viel an Wirksamkeit gewinnen. Das ist zum Wohle
beider Kontinente. Ich habe das Gefühl, das muss uns
gelingen. Ansonsten schaffen wir es nämlich nicht, die
Millenniumsziele zu erreichen. Denn das, was erreicht
werden muss, muss auch abrechenbar sein. Da kann
nicht jeder der 27 Mitgliedstaaten der EU im Hinblick

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 132. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 12. Dezember 2007 13801


(A) (C)



(B) (D)


Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel
auf das Erreichen der Millenniumsziele irgendetwas in
jedem der 54 afrikanischen Staaten machen, ohne dass
wir einen Überblick haben, was bei wem wie passiert.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Der EU-Afrika-Gipfel hat noch einmal gezeigt, was
Leitprinzip bzw. Grundsatz der Bundesregierung ist: Die
deutsche Außenpolitik ist wertegebunden. Wirtschaftli-
che Interessen vertreten und für Demokratie und Men-
schenrechte eintreten, das sind für uns zwei Seiten ein
und derselben Medaille unserer Außen- und Europapoli-
tik.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Wir sind uns doch darüber im Klaren: Freiheit und Tole-
ranz sowie Demokratie und Menschenrechte sind die
Fundamente eines menschenwürdigen Zusammenle-
bens. Man kann diese Werte nicht relativieren. Es gibt
sie nur ganz oder gar nicht. Durch sie wird der nötige
Raum für die Entfaltung des Einzelnen und damit auch
dafür geschaffen, soziales Gleichgewicht und wirtschaft-
lichen Erfolg zu ermöglichen.

Es versteht sich daher von selbst, dass uns die Grund-
rechtecharta der Europäischen Union bei den Arbeiten
am Reformvertrag besonders am Herzen lag. Ich freue
mich, dass sie heute im Europäischen Parlament in Straß-
burg noch einmal feierlich proklamiert wird. In ihr sind
die gemeinsamen Werte und grundlegenden Rechte nie-
dergelegt, die der europäischen Geschichte – auch unter
großen Opfern, wie wir alle wissen – abgerungen wur-
den. Diese Grundrechtecharta wird zusammen mit dem
neuen Vertrag rechtskräftig. Durch sie werden die Or-
gane der Europäischen Union wie auch die Mitgliedstaa-
ten bei der Umsetzung des Rechts der Union gebunden.
Nur ein Europa, das sich zu seinen Werten bekennt, wird
seinen Weg erfolgreich weitergehen können.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP)


Für ein Europa in diesem Geist wird Deutschland auch
in Zukunft seine besondere Verantwortung wahrnehmen.

Meine Damen und Herren, gemeinsam mit unseren
Partnern haben wir in diesem Jahr viel erreicht, und zwar
nicht mehr und nicht weniger als die Neuausrichtung
und Neubegründung der Europäischen Union – ganz
so, wie wir es uns zu Beginn dieses Jahres vorgenom-
men hatten. Das ist ein Weg, auf dem es sich weiterzuge-
hen lohnt, ein Weg, auf dem wir Politiker die Bürgerin-
nen und Bürger für jeden Schritt und jeden Fortschritt
gewinnen wollen und auch gewinnen müssen – aus ei-
nem einzigen Grund: weil wir wissen, dass das erneuerte
Europa unser aller Zukunft ist.

Herzlichen Dank.


(Anhaltender Beifall bei der CDU/CSU – Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1613200200

Ich eröffne die Aussprache.
Als erstem Redner erteile ich dem Kollegen
Dr. Werner Hoyer von der FDP-Fraktion das Wort.


(Beifall bei der FDP)



Dr. Werner Hoyer (FDP):
Rede ID: ID1613200300

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Lassen Sie mich eine Vorbemerkung machen. Mit großer
Bestürzung und großem Entsetzen haben wir zur Kennt-
nis genommen, was gestern in Algier passiert ist: ein
Anschlag, dem offenbar weit mehr als 50 Menschen zum
Opfer gefallen sind. Wir verurteilen dieses feige Verbre-
chen natürlich. Nichts rechtfertigt diese Barbarei. Den
Opfern gehört unser Mitgefühl,


(Beifall im ganzen Hause)


sowohl den Algeriern, also Angehörigen dieses ohnehin
seit Jahrzehnten vom Terror geschundenen Landes, dem
ich mich besonders verbunden fühle, als auch den Ange-
hörigen der Vereinten Nationen, die dort ihren Dienst für
uns alle leisten. Dieses Verbrechen erinnert fatal an den
Anschlag seinerzeit in Bagdad. Ich denke, wir müssen
auch unsere Solidarität mit den Mitarbeiterinnen und
Mitarbeitern der Organisation der Vereinten Nationen
zum Ausdruck bringen.


(Beifall bei der FDP, der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Wir alle sind hier gefordert. Damit ist die Brücke zur
europäischen Außen- und Sicherheitspolitik auch schon
klar: Durch den Vertrag, der jetzt zustande gekommen
ist, werden unsere Instrumente verbessert. Das begrüßen
wir sehr.

Ein bewegtes europapolitisches Jahr geht zu Ende, in
dem Deutschland eine wichtige Rolle gespielt hat. Wir
haben das bereits gewürdigt. Eine Phase geht zu Ende,
die von Selbstzweifeln, Identitätssuche und Denkpausen
– manchmal auch Pausen vom Denken und nicht nur
Pausen zum Denken – gekennzeichnet war.

Ein Tiefpunkt war das Scheitern des Verfassungsver-
trags, der besser gewesen wäre als das, was wir jetzt ha-
ben. Es ist absurd, dass manche derjenigen, die den Ver-
fassungsvertrag verhindert haben, jetzt weniger
bekommen, als sie mit dem Verfassungsvertrag bekom-
men hätten.

Ein weiterer Tiefpunkt war das Schachern im Juni
dieses Jahres, das den Bürgerinnen und Bürgern nicht
gerade mehr Lust auf Europa gemacht hat. Gut, dass die-
ses Gewürge vorbei ist.


(Beifall bei der FDP)


Wir bekommen jetzt eine neue Rechtsgrundlage, auf der
wir uns in den nächsten Jahren bewegen können und
müssen. Auf dieser Grundlage müssen wir jetzt Ergeb-
nisse produzieren. Bei den Ergebnissen müssen wir uns
langsam etwas anderes einfallen lassen, Frau Bundes-
kanzlerin, als immer wieder auf die Roaming-Gebühren
zu verweisen,


(Beifall bei Abgeordneten der FDP sowie der Abg. Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


13802 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 132. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 12. Dezember 2007


(A) (C)



(B) (D)


Dr. Werner Hoyer
nicht nur, weil beim Thema Europa neben der erforderli-
chen Technik auch ein bisschen mehr Feuer zu erkennen
sein muss, sondern auch, weil wir jenseits wichtiger und
auch politisch korrekter Themen wie des Klimaschutzes
feststellen müssen, dass es um die Selbstbehauptung der
Europäer in der Globalisierung geht. Dann muss man
auch fragen, wie wir uns am besten aufstellen, um in der
Globalisierung zu bestehen. Was ist mit der Vollendung
des Binnenmarkts, die schon sehr lange auf sich warten
lässt? Diese Themen kann man nicht ausblenden.


(Beifall bei der FDP)


Aber wenn man sie ansprechen würde, dann würde sich
herausstellen, dass wir beispielsweise recht unterschied-
liche Vorstellungen haben, wie man das angeht. Die Dis-
krepanzen, die nicht zuletzt in den letzten Tagen zwi-
schen Frankreich und Deutschland zum Tragen
gekommen sind, haben gezeigt, dass wir noch einen lan-
gen Weg vor uns haben, um wieder zu gemeinsamen Po-
sitionen zu finden.

Wer von außen auf dieses Europa blickt, der sieht die-
ses ungeheure Erfolgsprojekt von Frieden und Wohl-
stand auf diesem Kontinent, der so lange zerstritten war.
Er sieht die beherzte Wiedervereinigung dieses so lange
geteilten Kontinents, und er muss trotzdem Sorge haben
um die Entwicklung des Gewichts, das Europa in der
Hochgeschwindigkeitsglobalisierung in einer Welt mit
mehr Polen als früher einbringt, in einer Welt, in der die
wirtschaftliche und gesellschaftliche Dynamik bei vielen
dieser neuen Pole erheblich stärker ausgeprägt ist als bei
uns. Deshalb muss sich dieses Europa nicht zuletzt auch
einem ökonomischen, bildungspolitischen und technolo-
gischen Fitnessprogramm unterwerfen.


(Beifall bei der FDP)


Der Vertrag ist eine gute Grundlage. Aber ich denke,
wenn wir die Bürgerinnen und Bürger, wie es immer so
schön heißt, mitnehmen wollen, dann müssen wir ein
bisschen mehr Begeisterung entfachen. Denn sonst wer-
den wir im Kleinmut versinken. Wenn wir in der Globa-
lisierung bestehen wollen, dann brauchen wir aber Mut
zu mehr Europa – einem Europa, das unsere Interessen
kraftvoll bündelt, das die Werte aufgeklärter, rechtstaat-
licher Demokratien glaubwürdig vorlebt und vertritt und
damit die Attraktivität unseres Lebensmodells fördert
und das auf die Vielfalt seiner Völker, Regionen, Reli-
gionen und Kulturen rekurriert und dies als Stärkung und
Bereicherung empfindet und folglich auch dafür sorgt,
dass Entscheidungen am besten dezentral getroffen wer-
den, wo immer dies möglich ist.

Wir haben also noch nicht den großen Wurf geschafft.
Aber vielleicht brauchen wir mehr Zeit und Geduld, um
dahin zu kommen, und müssen doch wieder kleinere
Schritte voreinander setzen.

Mir ist bei diesem Vertrag wichtig, dass die doppelte
Mehrheit keine technische Frage ist. Es ist eine Frage,
in der der Doppelcharakter der Europäischen Union zum
Ausdruck kommt, nämlich zum einen als Union von
Völkern, die sich unabhängig von ihrer Größe und wirt-
schaftlichen Kraft auf Augenhöhe begegnen und eben-
bürtig sind, und zum anderen als demokratische Ge-
meinschaft von Bürgerinnen und Bürgern, die jeweils für
sich genommen das gleiche Gewicht einbringen, wenn
es darum geht, Entscheidungen demokratisch zu legiti-
mieren. Deswegen ist das ein Fortschritt, ohne den wir
nicht gut hätten weiterleben können.


(Beifall des Abg. Gert Weisskirchen [Wiesloch] [SPD])


Denn der Vertrag von Nizza hatte hierfür eine sehr
schlechte Grundlage geschaffen.


(Beifall bei der FDP)


Ich kann jetzt auf viele Kritikpunkte nicht eingehen
– mein Kollege Markus Löning wird sicherlich noch das
eine oder andere, insbesondere zum Wettbewerb, anspre-
chen –, sondern will mich auf die Außenpolitik be-
schränken. Die Außenpolitik ist ein sehr wichtiger Fak-
tor. In sehr kurzer Zeit folgt der erste Lackmustest, der
zeigen wird, ob wir in der Lage sein werden, die Ko-
sovo-Krise zu bewältigen. Ich wünsche Ihnen, Herr Mi-
nister und Frau Bundeskanzlerin, hierfür eine glückliche
Hand. Wir haben eben im Ausschuss lange darüber dis-
kutiert. Hoffen wir, dass es gelingt, die europäischen
Partner einigermaßen zusammenzuhalten, damit sich
nicht das Trauma des Versagens der Europäer auf dem
Balkan wiederholt, das uns seit den 90er-Jahren be-
gleitet. Wenn es uns einigermaßen gelingt, nach einer
möglichen Unabhängigkeitserklärung auch unsere ei-
gene Politik festzulegen, dann brauchen wir von der
Bundesregierung eine klare Auskunft, wie – das muss
rechtlich überprüfbar sein – die weitere Präsenz der Bun-
deswehr im Rahmen von KFOR auf dem Balkan – ge-
nauer gesagt: im Kosovo – geregelt werden soll. Denn
immerhin – es wird ja immer gesagt, die UN-Resolution
1244 gebe das her – steht in dieser Resolution in Verbin-
dung mit dem KFOR-Mandat und dem Mandat, das der
Deutsche Bundestag erteilt hat, die Verpflichtung, die
territoriale Integrität Serbiens zu wahren.


(Beifall bei der LINKEN)


Das in Verbindung mit der Schlussakte von Helsinki
bringt uns in eine ziemlich schwierige Situation. Das
muss rechtlich sauber geklärt werden. Bitte verstehen
Sie mich nicht falsch: Die FDP plädiert für alles andere
als den Rückzug aus dem Kosovo. Wir halten diese Mis-
sion für erforderlich, aber sie muss rechtlich sauber fun-
diert sein.


(Beifall bei der FDP)


Meine Damen und Herren, ein letztes Wort zu den au-
ßenpolitischen Fragen: Was mich sehr beunruhigt, Frau
Bundeskanzlerin, ist das Auseinanderdriften von Frank-
reich und Deutschland. Es gab wiederholt Situationen,
bei denen am Ende auch durch Ihr beherztes Eintreten
das Schlimmste verhindert worden ist. Die deutsch-
französische Zusammenarbeit darf natürlich nicht
Direktorium oder Ähnliches sein, sondern muss als not-
wendige Voraussetzung für jeden Fortschritt in Europa
verstanden werden. Diese deutsch-französische Zusam-
menarbeit muss mehr sein als das Verhindern von
Schlimmerem. Sie muss eine gestaltende Politik sein.
Sowohl bei der Mittelmeerunion als auch bei dem soge-

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 132. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 12. Dezember 2007 13803


(A) (C)



(B) (D)


Dr. Werner Hoyer
nannten Rat der Weisen ist Schlimmeres verhindert wor-
den. Das allein kann jedoch nicht genug sein, wenn wir
uns gemeinsam mit Frankreich wieder aktiv an der Ge-
staltung der europäischen Politik beteiligen wollen.

Vielen Dank.


(Beifall bei der FDP)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1613200400

Das Wort hat die Kollegin Dr. Angelica Schwall-

Düren von der SPD-Fraktion.


(Beifall bei der SPD)



Dr. Angelica Schwall-Düren (SPD):
Rede ID: ID1613200500

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen!

Nach der Krise der Europäischen Union haben wir in der
Tat ein erfolgreiches Jahr in der EU hinter uns gebracht,
und das sowohl in inhaltlicher Hinsicht als auch im Hin-
blick auf die Reform der rechtlichen Grundlagen der Eu-
ropäischen Union. Das ist zunächst einmal der Erfolg
der deutschen EU-Ratspräsidentschaft. Ich möchte Ih-
nen, Frau Bundeskanzlerin und Herr Außenminister,
noch einmal für die Arbeit, die Sie in diesem Jahr geleis-
tet haben, danken.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Ich möchte Ihnen aber auch dafür danken, dass Sie die
Voraussetzungen dafür geschaffen haben, dass die portu-
giesische EU-Ratspräsidentschaft diesen Erfolg fortset-
zen konnte.

95 Prozent des Inhaltes, der Substanz des Verfas-
sungsvertrages konnten in den Reformvertrag übernom-
men werden. Für mich ist das Wesentliche, dass wir mit
diesem Vertrag mehr Demokratie in der Europäischen
Union haben, weil das Europäische Parlament gestärkt
ist, weil die Bürgerrechte zum Beispiel durch ein euro-
päisches Bürgerbegehren gestärkt sind,


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


aber auch weil die nationalen Parlamente mehr Rechte
bekommen haben, in europäischen Fragen mitzuwirken
und damit die Legitimation der handelnden Regierungen
im Europäischen Rat zu stärken.

Wir haben mehr Bürgerrechte. Das ist für mich ganz
entscheidend. Ich freue mich sehr, dass vor ungefähr
zwei Stunden in Straßburg die Grundrechtecharta pro-
klamiert wurde. Es ist natürlich traurig, dass zwei Län-
der ausscheren werden, dass Großbritannien ein Opt-out
erkärt hat und Polen dem aus innenpolitischen Gründen
folgt. Ich will aber gleichzeitig sagen, dass ich sehr
glücklich bin, dass sich Polen nun sehr klar bereitgefun-
den hat, den Reformvertrag zu unterschreiben.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Mit dem neuen Grundlagenvertrag haben wir mehr
Effizienz zu erwarten, zum Beispiel durch eine verklei-
nerte Kommission und durch verbesserte Entscheidungs-
findungen über die qualifizierte, doppelte Mehrheit. Nun
gilt es allerdings, die Ratifizierung über die Bühne zu
bringen. Ich sage die Unterstützung der SPD-Fraktion
zu, damit wir im Deutschen Bundestag rasch zu einer
Ratifizierung kommen. Wir möchten gerne mit Ihnen al-
len und der Regierung dafür werben, dass auch in den
übrigen Mitgliedstaaten die Ratifizierung rasch über die
Bühne gebracht wird.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wir werden – genauso wie bei der Ratifizierung des Ver-
fassungsvertrages – ein Begleitgesetz einbringen. Das
haben wir schon einmal erfolgreich durchgesetzt.

Nun gibt es manche, die nach dem Prinzip „Nach der
Reform ist vor der Reform“ vorgehen und bereits darü-
ber diskutieren, was man als Nächstes tun soll. So hat
der französische Staatspräsident die Einsetzung eines
Rates der Weisen vorgeschlagen. Ich bin sehr froh, dass
es unter anderem der deutschen Regierung gelungen ist,
dieses Gremium auf eine Reflexionsgruppe zu minimie-
ren; denn ich glaube, dass es zuerst darum gehen muss,
die Reform umzusetzen, Erfahrungen zu sammeln und
dann die notwendigen Debatten in den europäischen
Gremien und den nationalen Parlamenten, aber auch mit
der Öffentlichkeit zu führen. Es ist klar: Die Europäische
Union ist ein lernendes System und wird sicherlich auch
in Zukunft Veränderungen unterliegen. Die Bürger und
Bürgerinnen sowie wir, ihre Vertreter in den Parlamen-
ten, haben über die Zukunft der Europäischen Union, un-
sere gemeinsamen Werte und unsere gemeinsame euro-
päische Identität zu diskutieren.

Ich appelliere an die Regierung – das ist wichtig –:
Wir brauchen jetzt eine intensive und klare Kommunika-
tion mit der Bürgerschaft. Denn der Reformvertrag hat
einen Mangel: Er ist nicht gut lesbar, auch wenn uns
manche glauben machen wollen, dass wir nun einen ver-
einfachten Vertrag bekommen. Wir müssen ihn nun les-
bar und verständlich machen, damit die Bürger und Bür-
gerinnen tatsächlich den Wert erkennen können, der mit
diesem neuen Grundlagenvertrag geschaffen wird.

Des Weiteren geht es darum, die neuen Strukturen zu
nutzen. Ich will das an ein paar Beispielen deutlich ma-
chen. Ich bin sicher, dass uns der neue europäische
Außenminister, auch wenn er nicht so heißen darf, hel-
fen wird, unsere Gemeinsame Außen- und Sicherheits-
politik fortzuentwickeln.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Selbstverständlich ist er keine Garantie. Es wird nicht
unbedingt nötig sein, die gemeinsame außen- und sicher-
heitspolitische Strategie völlig zu verändern, wohl aber,
sie an Gegebenheiten anzupassen, die notwendigen De-
batten zu führen und auf einen gemeinsamen Punkt zu
bringen, auch bedingt durch die neuen Strukturen.

Die Herausforderungen sind offensichtlich. Wir ha-
ben heute noch über den Kosovo zu sprechen. Darauf
wird mein Kollege Gert Weisskirchen sicherlich aus-
führlich eingehen. Die Bundeskanzlerin hat über den
EU-Afrika-Gipfel und die großen Herausforderungen
berichtet, die wir in der Zusammenarbeit zwischen EU
und Afrika zu bestehen haben. Eine weitere Herausfor-

13804 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 132. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 12. Dezember 2007


(A) (C)



(B) (D)


Dr. Angelica Schwall-Düren
derung ist die EU-Russland-Strategie. Ich bin überzeugt,
dass wir als Deutsche hier nach wie vor eine aktive Rolle
spielen müssen, um die Prozesse voranzubringen.

Herr Hoyer, ich glaube, dass wir durchaus die Chan-
cen der deutsch-französischen Zusammenarbeit nutzen
können, nicht exklusiv, aber durch das gemeinsame An-
stoßen von Prozessen und Einflussnahme. Deswegen bin
ich froh, dass es der Kanzlerin gelungen ist, die Idee ei-
ner Mittelmeerunion in eine Form zu bringen, die es er-
laubt, dass wir die Zusammenarbeit zwischen allen EU-
Mitgliedstaaten und der Mittelmeerregion, vergleichbar
mit der Zusammenarbeit mit den osteuropäischen Staa-
ten, so voranbringen, dass sich dort die demokratischen
Strukturen weiterentwickeln sowie die wirtschaftliche
und die soziale Entwicklung und vor allen Dingen ein
friedliches Zusammenleben gefördert werden.


(Beifall bei der SPD)


Ich glaube, man sollte heute, einen Tag nachdem der
neue polnische Ministerpräsident in Berlin gewesen ist,
auch ein Wort zu den deutsch-polnischen Beziehungen
verlieren. Dank der neuen polnischen Regierung sind die
Chancen, dass sich die Beziehungen zwischen unseren
beiden Ländern positiv entwickeln, gut. Darüber bin ich
sehr froh. Ministerpräsident Donald Tusk hat es folgen-
dermaßen zum Ausdruck gebracht: Die anstehenden Fra-
gen, auch Interessenunterschiede können in einer sachli-
chen und freundlichen Atmosphäre behandelt werden.
Wir können viele Fragen im europäischen Kontext mit-
einander klären, ob das Energiefragen sind – Polen ist
um seine Energiesicherheit besonders besorgt – oder ob
es um eine gemeinsame Kompetenz im Hinblick auf die
Nachbarn im Osten, die Zusammenarbeit der Europäi-
schen Union mit ihnen und deren europäische Perspek-
tive geht.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wir haben eine Reihe von wichtigen Themen anzupa-
cken. Wir können damit natürlich nicht warten, bis der
neue Grundlagenvertrag umgesetzt ist. Diese Themen
werden schon bei diesem Gipfel auf der Tagesordnung
stehen. Frau Bundeskanzlerin hat hier das Thema Kli-
maschutz genannt. Ich möchte noch einmal betonen,
welch großer Erfolg die Festlegung der Ziele CO2-
Reduktion, Effizienzsteigerung und Aufwachsen der er-
neuerbaren Energien gewesen ist.

Jetzt kommen allerdings die „Mühen der Ebene“.
Jetzt geht es darum, das Erreichen dieser Ziele anzustre-
ben und unter den europäischen Staaten ein Burden-
Sharing, eine Verteilung der Lasten, zu verabreden. Dies
ist auch eine Chance für Innovationen, die wir ergreifen
sollten, um die europäische Wissensgesellschaft voran-
zubringen.

Lassen Sie mich zum Abschluss eines sagen – ich bin
froh, dass auch die Bundeskanzlerin das angesprochen
hat –: Europa muss in der Zukunft noch mehr Gewicht
auf die soziale Dimension legen.


(Beifall bei der SPD)

Wir wissen sehr genau, dass das Nein zum Reformver-
trag auch damit zu tun hatte, dass die Menschen verängs-
tigt waren.


(Markus Löning [FDP]: So, so! Sie wissen das!)


Zum Beispiel in Großbritannien sagen Gewerkschaften
ihrer Regierung interessanterweise: Ihr müsst die Ratifi-
zierung ablehnen, weil die sozialen Grundrechte wegen
des Opt-out nicht verankert sind. Das weist darauf hin,
dass wir hier gemeinsam für ein Europa der Vollbeschäf-
tigung und des sozialen Zusammenhalts kämpfen müs-
sen. Dazu gehört, dass in den einzelnen Mitgliedstaaten
etwas vorangebracht wird; Stichwort Mindestlöhne.


(Beifall bei der SPD)


Wir müssen aber auch für gemeinsame soziale Standards
kämpfen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, vor all diesen Auf-
gaben steht nun die neue slowenische Präsidentschaft.
Das ist eine große Herausforderung für ein kleines Land.
Außerdem möchte Slowenien dafür sorgen, dass da-
durch, dass die Schengen-Grenzen nun verändert werden
– das ist ein wunderbarer Vorgang –, keine neuen Mau-
ern entstehen. Ich wünsche der zukünftigen Präsident-
schaft von dieser Stelle alles Gute. Ich bin sicher, dass
wir gemeinsam mithelfen, unser Europa zukunftsfähig,
nachhaltig und sozial voranzubringen.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1613200600

Das Wort hat jetzt die Kollegin Monika Knoche von

der Fraktion Die Linke.


(Beifall bei der LINKEN)



Monika Knoche (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1613200700

Herr Präsident! Welch noble politische Aufgabe hätte

es sein können, meine sehr geehrten Herren und Damen,
die Zukunft der Europäischen Union mit der Bevölke-
rung in den Mitgliedstaaten zu beraten und zu beschlie-
ßen!


(Beifall bei der LINKEN)


Volksabstimmungen durchzuführen, das hätte das Inte-
resse gefördert, das hätte die europäische Integration und
Identität gestärkt.


(Beifall bei der LINKEN)


Aber nein, eine breite demokratische Beteiligung,
eine Kenntnis der Inhalte des Reformwerks sind erkenn-
bar nicht gewünscht. Noch nicht einmal eine lesbare
Version des Textes liegt vor. Sollen die Menschen nicht
Bescheid wissen? Ist man da schon ein bisschen von der
Volksnähe abgekommen?

Wie dem auch sei, die sogenannte Reflexionsphase
hätte genutzt werden müssen, mit der Bevölkerung die
Zukunft der EU zu gestalten. Dann hätten Sie in der Re-

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 132. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 12. Dezember 2007 13805


(A) (C)



(B) (D)


Monika Knoche
gierung für die Regierungskonferenz auch erfahren, wie
stark der Wunsch ist, ein soziales, ein gerechtes, ein öko-
logisches und ein friedensstiftendes Europa zu bekom-
men.


(Beifall bei der LINKEN)


Was jetzt zum Ratifizieren vorliegt, ist ein alter Brief
in neuem Umschlag, wie Giscard d’Estaing es formu-
liert. Die gesamte Entstehung des Vertrages erfüllt den
Anspruch auf Demokratie, Transparenz und Partizipa-
tion nicht. Wir halten sie schlicht für undemokratisch.


(Beifall bei der LINKEN)


Deshalb wollen wir Linken heute Information über
Vertragsinhalte geben. Man muss den Willen der deut-
schen Bevölkerung nicht fürchten. Sie ist proeuropäisch
und nicht nationalistisch. Es gibt breite Unterstützung
dafür, dass die wirtschaftsstarke EU ihre Kraft dafür ein-
setzt, die globalen und innereuropäischen Probleme
friedlich, solidarisch und gerecht zu lösen.

Das Bewusstsein für die Notwendigkeit einer öko-
logischen Energiewende ist nirgendwo so groß wie in
Europa. Aber was wird festgeschrieben? Die institutio-
nelle Förderung der Atomenergie! Das ist ein Irrweg.


(Beifall bei der LINKEN)


In Europa haben Menschen erfolgreich soziale Rechte
erkämpft. Das gehört zur europäischen Kultur und Tradi-
tion. Aber was bekommen sie? Noch nicht einmal die
Zusicherung der Sozialstaatlichkeit! Das versprochene
Sozialprotokoll existiert nicht.


(Beifall bei der LINKEN)


Was sind die europäischen Werte und Standards
wert, wenn man Großbritannien erlaubt, die Grund-
rechtecharta nicht verbindlich anzunehmen?

Wir sagen: Die Auswirkungen der neoliberalen EU-
Wirtschafts- und Sozialpolitik stehen dem Freiheits- und
Gleichheitsideal, das in der europäischen Geschichte
verankert ist, entgegen.


(Beifall bei der LINKEN)


Wenn wir Linke die neoliberale Wirtschaftsordnung für
die EU ablehnen, dann tun wir das auch deshalb, weil
wir für Demokratie, für Teilhabe und für Gestaltungs-
macht des Gesellschaftlichen eintreten. Es zeugt von ei-
nem kulturellen Selbstverständnis, wenn man verhindern
will, dass Markt und Wettbewerb in immer weitere Be-
reiche des Daseins vordringen.


(Beifall bei der LINKEN)


Deshalb sagen wir: Es ist Zeit für eine Reregulierung in
Europa.


(Beifall bei der LINKEN)


Mit großer Sorge haben wir gelesen, was die EU
künftig an Sicherheits- und Verteidigungspolitik defi-
niert. 1999 ist eine operativ eigenständige Verteidi-
gungspolitik eingeleitet worden. Jetzt soll der Spielraum
des Militärischen sogar noch erweitert werden. Es ist für
uns völlig inakzeptabel, dass im Vertrag eine Aufrüs-
tungsverpflichtung festgeschrieben wird.


(Beifall bei der LINKEN – Axel Schäfer [Bochum] [SPD]: Ach Gott! Falsches wird durch Wiederholung nicht wahr!)


Es ist für uns völlig indiskutabel, dass mit der Verteidi-
gungsagentur eine institutionalisierte Lobby der Rüs-
tungsindustrie festgeschrieben wird.


(Beifall bei der LINKEN – Axel Schäfer [Bochum] [SPD]: Auch falsch! – Michael Roth [Heringen] [SPD]: Sie reden viel Stuss heute, Frau Kollegin!)


Wir fragen die Regierung: Was bedeutet es, wenn die
sogenannte maßgebliche Rolle der EU im Sicherheits-
und Verteidigungsbereich zur Vitalität des erneuerten
Atlantischen Bündnisses beitragen soll? Was haben wir
Europäer und Europäerinnen zu erwarten, wenn die Zu-
sicherung militärischer Mittel für Einsätze außerhalb der
EU zum integralen Bestandteil europäischer Außenpoli-
tik erklärt wird?

Beachtlich ist: Militäreinsätze der Union sollen in
Übereinstimmung mit den Grundsätzen der Charta der
Vereinten Nationen erfolgen. Das klingt gut. Aber sind
wir auch sicher, dass sie mit UN-Mandat erfolgen wer-
den? Bedeutet das, dass eine europäische Armee ab
2014, wenn das Mehrheitsprinzip gilt, ohne UN-Man-
dant in Einsätze gehen kann? Eine Stand-by-Interven-
tionstruppe hat sie ohnehin schon. Wird es überdies zu
einem militärischen Kerneuropa kommen, in dem sich
einzelne Mitgliedstaaten zu der sogenannten verstärkten
militärischen Kooperation zusammenfinden, was der
Vertrag zukünftig erlaubt?

Meine sehr geehrten Herren und Damen, einen sol-
chen Vertrag können wir nicht begrüßen.


(Beifall bei der LINKEN)

Er leitet eine europäische Fehlentwicklung ein. Deshalb
sage ich für die deutsche Linke und für die europäische
Linke: Wer eine zivile, friedliche, soziale und gerechte
Europäische Union will, muss diesen Vertrag ablehnen.


(Anhaltender Beifall bei der LINKEN)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1613200800

Das Wort hat jetzt der Fraktionsvorsitzende der CDU/

CSU, Volker Kauder.

(Beifall bei der CDU/CSU)



Volker Kauder (CDU):
Rede ID: ID1613200900

Herr Präsident! Sehr verehrte Kolleginnen! Sehr ver-

ehrte Kollegen! Der morgige Tag in Lissabon wird zu ei-
nem großen Tag für Europa. Wir hatten eine Phase der
Stagnation in Europa. Nichts ging mehr voran. Auch die
Menschen haben gespürt, dass ein bisschen die Kraft aus
der Entwicklung genommen worden war. Deshalb haben
wir heute allen Grund, der portugiesischen EU-Ratsprä-
sidentschaft herzlich zu gratulieren, dass sie es in weni-
gen Monaten geschafft hat, dass wir morgen den Vertrag
in Lissabon unterschreiben können.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


13806 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 132. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 12. Dezember 2007


(A) (C)



(B) (D)


Volker Kauder
Dass dies möglich geworden ist, ist aber auch ein Er-
gebnis der deutschen EU-Ratspräsidentschaft. Dafür sa-
gen wir unserer Bundeskanzlerin Angela Merkel herzli-
chen Dank. Ohne ihre konsequente Vorarbeit wäre das,
was morgen in Lissabon geschehen wird, nicht möglich
geworden.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Lissabon zeigt, dass es in Europa eine neue Dynamik
gibt und dass die Verwirklichung der europäischen Vi-
sion gerade meiner Generation noch nicht vollendet ist.
Nach dem Zweiten Weltkrieg begannen wir, unsere Vi-
sion zu verwirklichen, indem wir uns darum bemühten,
dass die Schlagbäume fallen und ein Europa ohne
Grenzen entsteht. Wir haben nämlich gewusst: Ein Eu-
ropa ohne Grenzen wird ein Europa sein, das Frieden
schafft. Ich kann nur immer wieder sagen: Wir haben al-
len Grund, darüber zu reden. Selbst wenn man im euro-
päischen Einigungsprozess nichts anderes hinbekommen
hätte als nur das, was wir bisher erreicht haben, nämlich
Frieden in Europa, wäre auch dies schon ein großartiges
Ergebnis.


(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und der FDP)


Vor wenigen Wochen standen viele von uns auf den
Friedhöfen in ihrer Heimat. Wer dort stand, weiß, was es
bedeutet, dass wir nicht mehr wie früher alle 30 bis
40 Jahre das niedergerissen haben, was Generationen da-
vor aufgebaut haben. Am Totensonntag bzw. am Volks-
trauertag ist deutlich geworden: Europa, das ist ein groß-
artiges Ergebnis für Frieden und Freiheit in unserer
Welt.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Nun aber, so hat es die Bundeskanzlerin heute gesagt,
wird Europa demokratischer. Das ist richtig. Es wird
neue Regeln geben, die es auch dem Deutschen Bundes-
tag ermöglichen, frühzeitiger auf Entwicklungen in der
EU einzugehen. Wir haben uns darauf eingestellt: Der
Deutsche Bundestag hat in Brüssel ein Büro eingerich-
tet. Die Fraktionen sind in Brüssel präsent. Dass wir
frühzeitiger tätig werden können, hat für unsere Arbeit
im Deutschen Bundestag ganz konkrete Konsequenzen:
Wir werden mehr als bisher – das wird natürlich den
Vorsitzenden des Europaausschusses freuen – auch hier
im Plenum über europäische Themen reden müssen. Wir
werden deutlich machen müssen, mit welchen Vorhaben
wir als Parlament einverstanden sind und bei welchen
wir als Parlament Veränderungen erwarten. Europa wird
also für uns im Deutschen Bundestag konkreter erfahr-
bar.

Wir werden natürlich auch darauf achten müssen,
dass sich Europa nicht Kompetenzen nimmt, die es gar
nicht hat. Es wird entscheidend sein, Frau Bundeskanz-
lerin, dass Europa nicht nur auf dem Papier demokrati-
scher wird, sondern dass es auch in der Praxis demokra-
tischer wird.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Die Bereiche, in denen Europa keine Kompetenzen hat,
sollte es komplett den Nationalstaaten überlassen. Dazu
will ich ein ganz konkretes Beispiel nennen: Europa hat
keine Kompetenzen beim Bodenschutz. Trotzdem ver-
sucht Europa, sich des Themas zu bemächtigen. Ich sage
Ihnen: Den Schutz unserer Heimat bekommen wir al-
leine hin. Darum braucht sich die EU nicht zu kümmern.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Deswegen erwarten wir, dass Europa sich nicht da Kom-
petenzen anmaßt, wo es keine hat. Wir werden dafür
ganz massiv eintreten. An diesen konkreten Beispielen
wird deutlich werden, wie stark wir Europa wirklich de-
mokratisiert haben.

Richtig ist auch, dass das Europäische Parlament neue
Rechte bekommt. Daher wird die Zusammenarbeit des
Deutschen Bundestages mit dem Europäischen Parla-
ment intensiver werden müssen. Wir werden aber dem
Europäischen Parlament gegenüber deutlich machen
müssen, an welchen Stellen wir eigene Positionen haben,
und es bitten, sich dafür einzusetzen.

In diesem Jahr wird erneut deutlich, wie stark unsere
Visionen „Europa ohne Grenzen“ und „Europa des Frie-
dens“ wirken. Denn am 21. Dezember werden in Europa
weitere Schlagbäume fallen. Die Schengen-Zone wird
vergrößert. Man kann nun die Länder im Osten, im Wes-
ten, im Norden und im Süden Europas besuchen, ohne
dass man einen Ausweis vorzeigen muss. Dies ist eine
erfreuliche Entwicklung.

Angesichts der Tatsache, dass der Schengen-Raum
größer wird und dass die Außengrenzen der Union nun
in anderen Staaten liegen, ist es umso wichtiger, dass wir
nicht nur in Europa, sondern auch in unserem eigenen
Land die Sicherheitsinteressen ernst nehmen. Die Terro-
rismusbekämpfung findet nicht nur an den Grenzen der
Schengen-Staaten statt, sondern sie findet auch im eige-
nen Land statt. Deshalb müssen wir bei den Gesetzes-
vorhaben, die vor uns liegen, endlich zu Ergebnissen in
der Großen Koalition kommen.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Wir erwarten – das ist richtig –, dass in Europa der
Bürokratieabbau vorankommt. Wir haben diesbezüg-
lich manche Sorgen. Trotzdem glaube ich, dass wir auf
einem richtigen Weg sind. Alle diejenigen, die immer
wieder berechtigterweise Kritik an dem üben, was in
Europa teilweise passiert – auch die Sozialdemokraten
und wir tun das –, müssen natürlich zugeben, dass es in
der Großen Koalition nicht immer so einfach ist, wie es
sein könnte.


(Dr. Werner Hoyer [FDP]: Können Sie das einmal erläutern?)


Der Weg in Richtung Bürokratieabbau ist aber richtig.
Wir haben konkrete Maßnahmen vereinbart, die nun um-
gesetzt werden müssen. Auch das gehört dazu: Wenn
Europa demokratischer werden soll, dann muss es unbü-
rokratischer werden, als es heute ist.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 132. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 12. Dezember 2007 13807


(A) (C)



(B) (D)


Volker Kauder
Neben den kleinen Themen, die wir bearbeiten müs-
sen, sollte Europa auch auf die großen Herausforderun-
gen schauen. Wenn Europa wieder näher an den
Menschen sein will – wie die Bundeskanzlerin zu Recht
gefordert hat – dann können die Menschen von diesem
Europa Antworten auf für sie wichtige Fragen erwarten.
Für mich beinhaltet die Vision eines geeinten Europas
nicht nur, dass die Nationalstaaten zusammenarbeiten,
sondern auch, dass Europa eine starke Position in der
Welt einnimmt. Die Voraussetzung dafür ist aber, dass
Europa stark und in sich gefestigt ist.

Nach der Unterzeichnung des Vertrages – Frau Bun-
deskanzlerin, ich sage Ihnen zu, wir werden ihn so
schnell wie möglich ratifizieren; ich halte den Sommer
nächsten Jahres für durchaus wahrscheinlich – muss die
innere Einheit Europas gefestigt werden. Wir haben
Länder aufgenommen – das war richtig –, die noch
große Anstrengungen unternehmen müssen. Ich denke
dabei an Bulgarien und Rumänien. Ich finde es gut, dass
Europa eine große Anziehungskraft hat und dass alle in
die Europäische Union wollen. Aber ich sage auch klipp
und klar: Nicht der subjektiv verständliche Wunsch,
nach Europa zu kommen, kann der Maßstab sein. Der
Maßstab muss vielmehr sein, ob die Voraussetzung ge-
geben ist, die Integrationsaufgabe zu meistern.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Gert Weisskirchen [Wiesloch] [SPD])


Die Nachbarschaftspolitik in Europa muss stärker
ausgebaut werden. Denn den berechtigten Wunsch nach
engeren Beziehungen zu Europa haben viele Länder, die
nicht alle Vollmitglied werden können. Daher kommt
der Nachbarschaftspolitik eine große Bedeutung zu.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1613201000

Herr Kollege Kauder, erlauben Sie eine Zwischen-

frage?


Volker Kauder (CDU):
Rede ID: ID1613201100

Nein.

Ich möchte zudem deutlich sagen: Es gehört natürlich
auch zur inneren Festigung Europas, dass die Staatschefs
eng zusammenarbeiten. Daher muss zunächst einmal die
Zusammenarbeit in Europa gestärkt und sollten nicht so
sehr ständig neue bilaterale Möglichkeiten gesucht wer-
den. Ich sage ebenfalls ganz klar: Die deutsch-französi-
sche Zusammenarbeit ist der Motor Europas. Aber auch
der Präsident Frankreichs muss wissen, dass wir zusam-
menarbeiten müssen. Deswegen sage ich klar und deut-
lich: Von den Entwicklungen, die sich da abzeichnen,
beispielsweise in Richtung auf eine Mittelmeerunion,
halte ich relativ wenig. Das hat mit dem, was wir unter
Europäischer Union verstehen, wenig zu tun.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wenn wir darüber reden, dass wir morgen den Vertrag
unterschreiben und es für uns neue Herausforderungen
gibt, so will ich einige Punkte nennen, über die wir in
der nächsten Zeit reden müssen.
Erstens geht es um die Position Europas in der
Globalisierung. Wir müssen zeigen, dass Europa unsere
Interessen in der Globalisierung vertritt. Die Menschen
spüren alle ganz genau, dass die Nationalstaaten allein
nicht mehr in der Lage sind, ihre Position im Prozess der
Globalisierung zu vertreten. Also muss es Europa tun.

Zweitens. Wir alle wissen ganz genau, dass die
Energiefrage für uns von großer Bedeutung und für die
Volkswirtschaft entscheidend ist. In diesem Zusammen-
hang müssen wir meiner Meinung nach ernsthaft darüber
nachdenken, wie in Europa mehr Wettbewerb am Ener-
giemarkt organisiert werden kann – das schaffen wir in
den Nationalstaaten nicht mehr –; aber es muss auch eine
intensivere Zusammenarbeit geben, um Energiesicher-
heit herzustellen. Es darf nicht sein, dass jeder versucht,
seine Interessen am weltweiten Energiemarkt durchzu-
setzen. Hierbei wird sich zeigen, ob Europa stark genug
ist, um gemeinsame Interessen bei der lebensnotwendi-
gen Frage der Energieversorgung zu vertreten.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Heute fand, wie die Bundeskanzlerin angesprochen
hat, auch die Proklamation der Grundrechte im Straß-
burger Parlament statt. Grundrechte wirken nach innen,
innerhalb Europas; aber sie wirken natürlich auch nach
außen. Glaubwürdigkeit hängt davon ab, dass man die
Grundwerte und Grundpositionen, die in Europa vertre-
ten werden, auch zum Maßstab des Handelns nach außen
macht.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Deswegen hat die Bundeskanzlerin völlig recht:
Menschenrechte als das Ergebnis europäischer Ent-
wicklung können natürlich nicht allein in Europa gelten.
Menschenrechte sind für uns universal, und sie sind un-
teilbar. Deswegen geht es nicht, dass man mit Leuten
einfach so spricht, ohne darauf hinzuweisen, welche
Menschenrechtsverletzungen sie begangen haben.

Ich habe überhaupt nichts dagegen, dass man mit
Gaddafi spricht; aber so zu tun, als ob er ein lupenreiner
Demokrat wäre, entspricht nicht meiner Auffassung.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD – Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: SaudiArabien!)


Genau an diesem Beispiel will ich zeigen: Wir müssen
zu mehr Gemeinsamkeit kommen; dies fordern wir. Wir
sind überzeugte Europäer. Für überzeugte Europäer ist
aber auch klar, dass sie zwar ihre Interessen vertreten,
aber sie für gemeinsame Interessen Europas auch zu-
rückstellen, und Menschenrechtsinteressen sind europäi-
sche Interessen. Sie müssen gemeinsam wahrgenommen
werden.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP – Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Auch in Saudi-Arabien!)


13808 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 132. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 12. Dezember 2007


(A) (C)



(B) (D)


Volker Kauder
Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen,
Europa hat eine neue Spannung bekommen, Europa ist
wieder interessant geworden, weil sich etwas bewegt.
Das ist das Entscheidende. Aber noch etwas gehört dazu,
etwas, wobei Europa gerade noch die Kurve bekommen
hat und woran die Bundesregierung und die Bundes-
kanzlerin ganz entscheidend mitgewirkt haben. Ich hätte
mir nur eine etwas andere Kommunikation vorgestellt.

Europa braucht, um in den Herzen der Menschen
noch tiefer verankert zu werden, auch Emotionen. Sie
entstehen durch gemeinsame Projekte, an denen man
sich freuen kann, dass etwas passiert. Ein solches ge-
meinsames Projekt, an dem Emotionen deutlich werden
– auch für die junge Generation –, ist Galileo, das wir
jetzt auf den Weg bringen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Ich wünsche mir noch mehr solche konkreten Pro-
jekte, auf die die Menschen in Europa stolz sein können.
Wir haben heute ein Navigationssystem, das von den
Vereinigten Staaten gemacht worden ist, und es funktio-
niert auch. Das ist doch okay. Aber ich kann Ihnen sa-
gen: Ich freue mich auf den Tag, an dem wir Europäer
sagen können: Wir haben mit großem technischen Sach-
verstand etwas geschaffen, das noch besser ist als das,
was die Amerikaner geliefert haben. Ich möchte den
Wettbewerb Europas mit anderen großen Nationen und
Kontinenten der Welt im Bereich von Wissenschaft und
Forschung, weil man sich an ihm begeistern kann.

Ich bin ein überzeugter Europäer. Europa hat eine
neue Kraft gewonnen. Dafür sind wir außerordentlich
dankbar. Wir begleiten Sie, Frau Bundeskanzlerin, mit
allen Kräften auf diesem Weg und sagen Ihnen zu – das
kann ich auch für die SPD sagen –:


(Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: Aber nicht für den Bundespräsidenten!)


Der Vertrag von Lissabon wird im nächsten Jahr im
Deutschen Bundestag ratifiziert.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1613201200

Zu einer Kurzintervention erteile ich das Wort dem

Kollegen Dr. Ilja Seifert.


Dr. Ilja Seifert (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1613201300

Vielen Dank, Herr Präsident. – Herr Kollege Kauder,

ich wollte Ihnen eigentlich eine Zwischenfrage stellen,
als Sie über die rasche Ratifizierung des Vertrages von
Lissabon sprachen, der ja erst morgen unterschrieben
werden soll. Ich wundere mich schon, dass Sie später in
Ihrer Rede die Menschenrechte sehr hoch gehalten ha-
ben. Denn das Menschenrechtsabkommen der UNO
über die Rechte behinderter Menschen ist noch nicht
vom Bundestag ratifiziert worden. Ein entsprechender
Gesetzentwurf ist noch nicht einmal eingebracht wor-
den. Warum dauert dies angesichts dessen, dass Sie die
Menschenrechte so hoch halten, so lange? Vor diesem
Hintergrund kann ich nicht verstehen, dass Sie den Re-
formvertrag der EU so sehr durchpeitschen und es gar
nicht schnell genug gehen kann. Bitte erklären Sie mir
und vor allen Dingen den betroffenen Menschen dies.


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1613201400

Herr Kauder? – Keine Erwiderung.


(Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Darauf hat Herr Kauder keine Antwort!)


Dann hat das Wort der Kollege Jürgen Trittin von der
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.


Jürgen Trittin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1613201500

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Im Zeit-

alter der Globalisierung nimmt die Kraft der National-
staaten ab, ihre Probleme im Interesse ihrer Bevölkerung
zu lösen. Gleichzeitig nehmen natürlich die sozialen,
ökonomischen und ökologischen Folgekosten entspre-
chend zu. Die Antwort darauf sind Organisationen wie
die Europäische Union. Keines der Probleme, die hier
angesprochen worden sind, keines der globalen Pro-
bleme dieser Welt, aber auch keines der nationalen Pro-
bleme werden sich allein nationalstaatlich lösen lassen.
Darauf ist die Europäische Union die Antwort.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Deswegen ist es wichtig, dass der Reformvertrag der
EU in Kraft gesetzt wird. Dies ist eine wichtige Antwort
auf die Globalisierung. Diese Antwort auf die Globali-
sierung muss demokratisch sein. Sie muss eine an
Grundrechten, an Menschenrechten orientierte Antwort
sein.

Zum ersten Mal wird mit diesem Vertrag die Grund-
rechtecharta rechtsverbindlich. Vergleichen Sie diese
Grundrechtecharta einmal mit den Art. 1 bis 20 des
Grundgesetzes. Sie werden feststellen: Diese Grund-
rechtecharta beinhaltet nicht nur klassische Freiheits-
rechte, sondern stellt auch soziale, wirtschaftliche und
kulturelle Rechte an die Seite dieser Freiheitsrechte.
Deswegen ist dies eine sehr zeitgemäße Grund-
rechtecharta. Diese Grundrechtecharta widerlegt das Ge-
schwätz von einer neoliberalen Ordnung in Europa.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Dieser Vertrag beinhaltet Zielsetzungen, auf die sich
politisches Handeln orientieren soll: auf eine soziale
Marktwirtschaft, auf Vollbeschäftigung, auf sozialen
Fortschritt, auf Umweltschutz, auf eine Verbesserung der
Umweltqualität. Ich sage ausdrücklich: Ich halte diesen
Zielkatalog, der in diesem Reformvertrag festgeschrie-
ben ist, wirklich für einen Erfolg. Ich halte ihn insbeson-
dere für einen Fortschritt gegenüber dem jetzigen Zu-
stand Europas. Deswegen werden wir Grüne diesem
Vertrag zustimmen.

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 132. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 12. Dezember 2007 13809


(A) (C)



(B) (D)


Jürgen Trittin

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Er stärkt demokratische Rechte, er stärkt das Europäi-
sche Parlament, er stärkt den Bundestag. Wir hoffen,
dass der Bundestag diese Rechte künftig mit dem not-
wendigen Selbstbewusstsein – und nicht gehindert durch
Herrn Kauder – in Anspruch nimmt.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP)


Es kommt aber auch darauf an, wie wir alle diese
neue Handlungsfähigkeit nutzen. Es ist richtig, sich um
die Wettbewerbsfähigkeit des Wirtschaftsraums Europa
Sorgen zu machen. Aber diese Herausforderungen wer-
den wir nur als europäische Herausforderungen bewälti-
gen können. Das heißt, Wettbewerbsfähigkeit ist etwas
anderes, als gelegentlich ein AKW an einen Autokraten
oder ein paar Airbusse an China zu verkaufen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Liebe Frau Bundeskanzlerin, lieber Herr Kauder, ich
stimme Ihnen ja zu, wenn Sie sagen, dass Menschen-
rechte und wirtschaftliche Entwicklung – ich glaube, das
war Ihre Formulierung – die beiden Seiten einer Me-
daille sind. Wenn man weiß, dass wirtschaftlicher Erfolg
nur da dauerhaft ist, wo rechtsstaatliche und demokrati-
sche Verhältnisse herrschen, dann muss man mit Län-
dern wie China oder Russland offen sprechen; das ist
richtig. Man muss aber konsequent sein.


(Hartwig Fischer [Göttingen] [CDU/CSU]: War das unter Rot-Grün auch schon so?)


Und es ist nicht konsequent – lieber Kollege Fischer, Sie
werden dem, was ich jetzt sage, zustimmen –, gegenüber
dem König Abdullah von Saudi-Arabien zu schweigen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie des Abg. Steffen Reiche [Cottbus] [SPD])


An dieser Stelle möchte ich eine Bemerkung zu den
unterschiedlichen Organen der Europäischen Union ma-
chen. Hier wird immer betont, dass Europa insbesondere
in Sachen Klima- und Umweltschutz eine Vorreiter-
rolle eingenommen hat. Frau Merkel, wir beide wissen,
dass das stimmt; das kann man nicht bestreiten. Wir
beide wissen aber auch, dass Europa diese Rolle nur des-
wegen hat einnehmen können, weil die Europäische
Kommission sehr stark war und selbstbewusst aufgetre-
ten ist. Sie hat diesen Fortschritt in der europäischen
Umweltgesetzgebung erst möglich gemacht, und zwar,
indem sie sich vielfach gegen die kurzfristigen und na-
tional bornierten Interessen einzelner Staaten – ich be-
ziehe hier Deutschland durchaus mit ein – durchgesetzt
hat.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Wichtig ist, dass wir ein Mehr an europäischer Au-
ßenpolitik bekommen werden. Wie notwendig das ist,
sieht man am Beispiel des Kosovo. Natürlich war es
kein freundlicher Akt, als Präsident Bush in Tirana er-
klärt hat: Egal was die Kosovaren machen, wir erkennen
sie an. Mit diesem Satz ist aber auch die Herausforde-
rung beschrieben, der wir uns stellen müssen. Die He-
rausforderung lautet ganz einfach: Wir können nicht zu-
lassen, dass Europa in Washington oder Moskau
geordnet und sortiert wird. Europa muss seine Ordnung
selbst organisieren. Das ist die Herausforderung, der wir
uns im Kosovo stellen müssen. Wir müssen Europa an
dieser Stelle zusammenhalten und in Europa zu einer
koordinierten Vorgehensweise kommen. Das wird die
Bewährungsprobe der neuen, gemeinsamen europäi-
schen Außenpolitik sein.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP)


Ich möchte eine letzte Bemerkung machen. Beinhaltet
der Vertrag so etwas wie ein Aufrüstungsgebot? Ich
finde, Sie sollten mit diesem Unsinn aufhören.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU, der SPD und der FDP)


Das, was im Vertrag steht, ist völlig eindeutig. Die Ge-
meinsame Außen- und Sicherheitspolitik und die euro-
päische Verteidigungspolitik sind an die Charta der
Vereinten Nationen gebunden. Im Vertrag ist die Gleich-
berechtigung von zivilen und militärischen Fähigkeiten
ausdrücklich festgehalten. Das ist der richtige, der neue
europäische Ansatz der Außenpolitik. Es geht nicht um
die Militarisierung der europäischen Außenpolitik. Auch
aus diesem Grund sind wir dafür.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1613201600

Das Wort hat der Kollege Michael Roth von der SPD-

Fraktion.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)



Michael Roth (SPD):
Rede ID: ID1613201700

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wenn morgen
die Staats- und Regierungschefs und die Außenminister
den Vertrag unterschreiben, ist das zweifellos ein guter
Tag für Europa, aber auch ein guter Tag für unser Land.

Wir haben in den vergangenen Jahren sehr viel Zeit
verloren. Wir haben uns zu lange mit uns selbst beschäf-
tigt. Die Kanzlerin hat es eben schon gesagt: Die Welt
wartet nicht auf Europa. Jetzt haben wir endlich die
Chance, uns nicht mehr nur mit institutionellen Fragen
zu beschäftigen. Wir können uns endlich darum küm-
mern, dass die Welt mit Europa, mit einem demokratisch
verfassten Europa, mit einem sozial geprägten Europa
besser wird. Ich befürchte jedoch, dass der Reformpro-
zess noch nicht in Gänze abgeschlossen ist. Wenn sich
diese Welt dramatisch verändert, wird sich auch die Eu-
ropäische Union immer wieder verändern müssen.

Was wir jetzt brauchen, ist kein neuer institutioneller
Anlauf. Vielmehr müssen wir den Menschen Zeit geben,
sich mit dem Gesicht und den Inhalten des neuen

13810 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 132. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 12. Dezember 2007


(A) (C)



(B) (D)


Michael Roth (Heringen)

Europas anzufreunden. Sie müssen sich in Europa sicher
fühlen und Vertrauen zu diesem Europa fassen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Wir haben einen langen Weg zurückgelegt, der mei-
nes Erachtens 1999 begonnen hat; dieser Weg war mit
starken Parlamenten verbunden. Wir haben 1999, auch
damals unter deutscher Ratspräsidentschaft, die Initia-
tive für einen Konvent gestartet, der eine Grund-
rechtecharta erarbeitet hat. Aufbauend auf den großen
Erfolgen des ersten Konvents haben wir einen weiteren
Konvent ins Leben gerufen, der das Verfassungsprojekt
initiiert und vorläufig zu einem erfolgreichen Abschluss
gebracht hat, bis zwei Mitgliedstaaten in Referenden
Nein gesagt haben. Ein starkes Europa kann aus unserer
Sicht nur mit starken Parlamenten gelingen. Deshalb ist
es wichtig, dass wir als Parlament den Vertrag von Lissa-
bon aktiv begleiten und dazu beitragen, dass er erfolg-
reich in die politische Praxis umgesetzt wird.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Ich sehe für uns zwei Rollen: Zum einen – diese Rolle
ist im Deutschen Bundestag traditionell stark verankert –
verstehen wir uns als Partner des Europäischen Parla-
ments. Dies vor allem in den Politikbereichen, die verge-
meinschaftet sind und in denen es klare Zuständigkeiten
der Europäischen Union gibt. Zum anderen werden wir
uns innerstaatlich in noch stärkerem Maße an der Gestal-
tung der Europapolitik zu beteiligen haben.

So richtig es ist, dass der Vertrag von Lissabon im Be-
reich der Subsidiaritätskontrolle neue Rechte für die
nationalen Parlamente vorsieht, verspreche ich mir da-
von allein nicht allzu viel, weil die Verfahren kompli-
ziert sind. Die Achtwochenfrist ist kurz. Ich glaube
nicht, dass man den politischen Erfolg Europas nur an
der Subsidiarität wird messen können. Viele Fragen,
über die wir hier gestritten und um deren Klärung wir
gerungen haben, waren im Hinblick auf die Subsidiarität
klar geregelt. Dennoch haben sie eine erhebliche politi-
sche Dimension und unmittelbare Konsequenzen für die
Bürgerinnen und Bürger unseres Landes, zum Beispiel
in den Bereichen Soziales, Ökologie und Arbeitsmarkt.

Deswegen ist es genauso wichtig, dass wir die Bun-
desregierung, die nun einmal Deutschland im Rat ver-
tritt, in allen Politikbereichen frühzeitig, umfassend und
sehr kritisch begleiten. Das wird die entscheidende Auf-
gabe des Deutschen Bundestages sein. Hier verspreche
ich mir von der Vereinbarung zwischen Bundestag und
Bundesregierung eine ganze Menge. Wir müssen sie
aber noch mehr mit Leben füllen, liebe Kolleginnen und
Kollegen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)


Wir fordern starke Parlamente ein, vor allem als
Selbstverpflichtung. Und gerade deshalb können wir mit
der Einsetzung eines Rates der Weisen bzw. einer Refle-
xionsgruppe nicht zufrieden sein. Denn die Diskussio-
nen der vergangenen Jahre haben doch gezeigt, dass wir
die Debatten über Europas Zukunft in die Parlamente hi-
neintragen müssen. Wir müssen hier darüber streiten, in
welche Richtung Europa gehen soll. Wir brauchen nicht
mehr Arbeitskreise von Expertinnen und Experten, son-
dern wir müssen hier über den richtigen Weg streiten.
Wir brauchen das Interesse der Abgeordneten und nicht
allein das Interesse der Elder Statesmen bzw. Elder Sta-
teswomen; das reicht nicht aus. Die Einrichtung einer
Reflexionsgruppe – wenn wir denn meinen, ihr allein die
Debatte über die Zukunft Europas übertragen zu können –
schwächt die Parlamente.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU sowie des Abg. Rainder Steenblock [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] – Markus Löning [FDP]: Schwacher Applaus! – Gegenruf des Abg. Axel Schäfer [Bochum] [SPD]: Sie hätten ja mitklatschen können!)


Das Gesicht der Europäischen Union hat sich in den
vergangenen Jahren dramatisch verändert. Wir spüren,
dass viele neue Mitgliedstaaten mit dieser Europäischen
Union noch fremdeln. Möglicherweise hat das etwas mit
den Beitrittsverhandlungen zu tun, die maßgeblich die
Kommission zu verantworten hat. Möglicherweise wer-
den sie zu technisch geführt.

Die Diskussion darüber, worum es bei dem vereinten
Europa eigentlich geht und warum es zukunftsweisend
ist, die Politik in der Europäischen Union gemeinsam zu
gestalten, ist in vielen neuen Mitgliedstaaten offensicht-
lich ausgeblieben. Wir sollten dafür sorgen, dass diese
zentralen Fragen stärker in die Beitrittsverhandlungen
integriert werden, damit diese Fremdheit so schnell wie
irgend möglich überwunden werden kann. Denn ich
glaube, wir brauchen in der Europäischen Union mehr
Gemeinsinn, nicht nur das Pochen auf nationale Interes-
sen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Vor dem Hintergrund der bitteren Erfahrung der ge-
scheiterten Referenden in den Niederlanden und in
Frankreich wissen wir: Das Ratifizierungsverfahren ist
kein Selbstläufer. Deshalb müssen wir deutlich machen:
Bei dem Ratifizierungsprozess und bei dem Vertrag von
Lissabon geht es in erster Linie um ein gemeinsames eu-
ropäisches Projekt, nicht um nationale Interessen. Es ist
gut, dass aus den Reihen der Assemblée Nationale und
des Bundestages die Initiative hervorging, das Ratifizie-
rungsverfahren in den EU-Mitgliedstaaten möglichst eng
aufeinander abzustimmen. Damit wird deutlich, dass es
nicht allein um französische, deutsche oder slowenische
Interessen geht. Wir alle profitieren unmittelbar davon,
wenn es in allen 27 Mitgliedstaaten ein sorgfältiges, aber
dennoch rasches Ratifizierungsverfahren gibt.

Der Vertrag hat zweifellos Stärken und Schwächen.
Über die Schwächen haben wir hier schon gesprochen.
Die Symbole sind nicht mehr Teil des Vertrages. Ich be-
grüße ausdrücklich, dass sich die Bundesregierung der
Initiative angeschlossen hat, ein klares Bekenntnis zu
den europäischen Symbolen abzugeben.

Das Gezerre um die Grundrechtecharta – darauf ist
gerade schon hingewiesen worden – war mehr als pein-
lich. Wie kann es sein, dass ein Mitgliedsland wie Groß-
britannien seinen eigenen Bürgerinnen und Bürgern die-

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 132. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 12. Dezember 2007 13811


(A) (C)



(B) (D)


Michael Roth (Heringen)

sen Grundrechtsschutz verwehrt? Bei der Charta geht es
in erster Linie nicht um die Bindung nationaler Institu-
tionen, sondern darum, die Bürgerinnen und Bürger der
Europäischen Union in allen Mitgliedstaaten vor etwa-
iger Willkür der EU-Organe zu schützen. Es ist ein Ar-
mutszeugnis, wenn auf der einen Seite eine politische
Kraft in einem Land den Reformvertrag kritisiert, weil er
eine Grundrechtecharta enthalten soll, und auf der ande-
ren Seite die Gewerkschaften desselben Landes kritisie-
ren, dass die darin enthaltene Grundrechtecharta für die
Bürgerinnen und Bürger des eigenen Landes nicht gelten
soll.

Hier müssen wir nachbessern. Wir müssen Polen und
Großbritannien einladen, sich eher früher als später aktiv
an der Umsetzung der Grundrechtecharta zu beteiligen.
Die Länder sollten darin eine Chance sehen, mit man-
chen Vorurteilen und Klischees gegenüber Europa auf-
zuräumen und das Band des Vertrauens zwischen Bürge-
rinnen und Bürgern einerseits und europäischen
Institutionen andererseits stärker zu knüpfen.


(Beifall bei der SPD)


Es ist teilweise kritisiert worden, dass sich die EU-
Kommission in den vergangenen Jahren zu stark auf die
Diskussion um Projekte konzentriert hat. In Brüssel hieß
es immer so schön: Europa mit Projekten voranbringen.
Wir haben gesagt: Projekte können nur dann gelingen,
wenn auch der Reformvertrag gelingt. Jetzt besteht aus
meiner Sicht schon die Notwendigkeit, deutlich zu ma-
chen, dass – wie es im Slogan unserer Ratspräsident-
schaft so schön hieß – Europa gemeinsam gelingt.

Die Zukunft der Europäischen Union entscheidet sich
nicht allein über den Reformvertrag. Es geht auch um
folgende Fragen: Können wir die Beziehungen zu Afrika
auf ein stabiles Fundament stellen? Schaffen wir es, un-
seren europäischen Nachbarn, die der Europäischen
Union entweder nicht angehören wollen oder noch nicht
angehören können, ein attraktives Kooperationsangebot
zu unterbreiten? Erreichen wir eine stabile Lösung der
Kosovo-Krise? Schaffen wir eine europäische Einwan-
derungs- und Asylpolitik ohne nationalen Schaum vor
dem Mund? Schaffen wir hier einen Ausgleich zwischen
der Verantwortung der Mitgliedstaaten und der Verant-
wortung der Europäischen Union? Wenn ich mir die in-
nenpolitische Diskussion vergegenwärtige, habe ich so
meine Zweifel. Und: Verschaffen wir in unserem Land
der Arbeitnehmerfreizügigkeit stärkere Geltung, nicht
erst ab 2011, sondern möglicherweise schon ab 2009?
All das sind Fragen, die uns hier in den nächsten Wo-
chen und Monaten intensiv beschäftigen werden.

Ich danke der Kanzlerin, dass sie klare Worte zum
europäischen Personal gefunden hat. So wichtig der Ver-
trag auch ist: Orientierung, Profil und Qualität werden
auch von europäischen Persönlichkeiten gegeben. Wir
erwarten, dass bei der Besetzung der Ämter des Ratsvor-
sitzenden, des Hohen Repräsentanten für Außen- und
Sicherheitspolitik, des Kommissionspräsidenten und des
Präsidenten des Europäischen Parlaments – hier dürfte
es das geringste Problem sein – Persönlichkeiten ge-
wählt werden, die sich dem europäischen Gemeinsinn
verpflichtet fühlen und nicht nur einigen Mitgliedstaa-
ten.

Darum geht es bei der Besetzung des europäischen
Spitzenpersonals. Diese Fragen stehen 2009 an. Auch
diesbezüglich müssen wir ein klares Wort sprechen,
wenn die Zeit dafür gekommen ist.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1613201800

Herr Kollege Roth, kommen Sie bitte zum Schluss.


Michael Roth (SPD):
Rede ID: ID1613201900

Ich danke der portugiesischen Präsidentschaft – auch

namens meiner Fraktion – für die hervorragende Arbeit.
Ein gutes europäisches Jahr liegt hinter uns. Ich bin mir
sicher, die slowenischen Partner werden auf diesem gu-
ten Jahr aufbauen können und dazu beitragen, dass wir
alle eine gute europäische Zukunft haben.

Ich danke Ihnen.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1613202000

Das Wort hat der Kollege Markus Löning von der

FDP-Fraktion.


(Beifall bei der FDP)



Markus Löning (FDP):
Rede ID: ID1613202100

Herr Präsident! Meine Damen! Meine Herren! Lassen

Sie mich zunächst für das Protokoll festhalten, dass die
Bundesregierung vor dem Eintritt in die Verhandlungen
über diesen Reformvertrag nicht das Einvernehmen mit
diesem Haus gesucht hat, wie es das Grundgesetz und
die gemeinsame Vereinbarung zwischen Bundesregie-
rung und Bundestag vorgesehen und vorgeschrieben hät-
ten.

Ich habe es öfter gesagt und wiederhole es jetzt ange-
sichts der Tatsache, dass Sie, Herr Kauder, hier gerade
wieder Demokratie und die Stärkung der Parlamente ein-
gefordert haben: Die Chance dazu hätten Sie gehabt. Wir
hätten der Bundesregierung von vornherein ein entspre-
chendes Mandat mitgeben können. Es entspricht dem
politischen Willen der beiden großen Fraktionen in die-
sem Haus, dass dies nicht geschehen ist. Was nützen uns
die Reden über Demokratie und eine stärkere Beteili-
gung der Parlamente? – Nichts! Wir brauchen den politi-
schen Willen, das tatsächlich einzufordern. Dazu fordere
ich Sie hier nachdrücklich auf!


(Beifall bei der FDP, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Dasselbe gilt für den Rat der Weisen. Der Rat der
Weisen ist für jeden Parlamentarier Europas ein Schlag
ins Gesicht. Wir sind die gewählten Vertreter der Völker
Europas. Wir – die Abgeordneten im Bundestag, die
Kollegen im Europäischen Parlament sowie die Kolle-
gen in den Landtagen und den anderen nationalen und
regionalen Parlamenten – sind diejenigen, denen es zu-
steht, eine öffentliche Debatte über die Zukunft Europas

13812 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 132. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 12. Dezember 2007


(A) (C)



(B) (D)


Markus Löning
zu führen. Wir brauchen keinen Geheimzirkel, der
irgendwo hinter verschlossenen Türen redet. Wir brau-
chen eine öffentliche und nachvollziehbare Debatte.


(Beifall bei der FDP und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie der Abg. Monika Knoche [DIE LINKE])


Ich hätte mir von der Bundesregierung klarere Worte an
die französischen Partner gewünscht. Wenn sie sich dann
wenigstens in der Türkeifrage nachvollziehbar bewegt
hätten! Aber das haben sie auch nicht getan. Ich frage
mich, welchen Mehrwert diese Absprache, die es da ge-
geben hat, für Europa dargestellt haben soll.

Lassen Sie mich ein paar Worte zu Wettbewerb und
Globalisierung sagen. Frau Bundeskanzlerin, als ich Sie
vorhin reden hörte, dachte ich, Sie wollen sich um den
Vorsitz der Sozialdemokratischen Partei bewerben.


(Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir hatten schon gefürchtet, um den unserer Partei!)


Das Thema Wettbewerb wird darauf reduziert, wie wir
Europa vor unfairem Wettbewerb schützen können. Si-
cherlich ist das ein richtiges und wichtiges Thema. Aber
es ist doch nur ein kleiner Aspekt des Bereichs „Wettbe-
werbsfähigkeit und Wettbewerb“.

Ich kann mich daran erinnern, dass die CDU früher
einmal eine Partei gewesen ist, die sich für Marktwirt-
schaft, Wettbewerb und Wettbewerbsfähigkeit eingesetzt
hat. Das würde ich mir wünschen, und das brauchen wir
auch in der Europäischen Union. Es ist die Wettbewerbs-
fähigkeit unserer Volkswirtschaften und unseres Binnen-
markts, die die wahre soziale Dimension Europas dar-
stellt. Sie schafft Arbeitsplätze hier vor Ort, sie bewirkt
die soziale Absicherung unserer Bürgerinnen und Bür-
ger, und sie zeigt unseren Bürgerinnen und Bürgern eine
Perspektive für Europa auf. Wir brauchen mehr markt-
wirtschaftlichen Mut und mehr Binnenmarkt in der Eu-
ropäischen Union und nicht nur diese Abwehrschlach-
ten, so richtig diese im Hinblick auf Länder wie China
sein mögen. Diesbezüglich wünsche ich mir eine deut-
lich veränderte Politik.


(Beifall bei der FDP)


Herr Kauder, insbesondere von Ihnen wurden die
Themen Kompetenzen und Subsidiarität angespro-
chen. Wir sind der Meinung, dass der Vertrag diesbezüg-
lich einige neue Rechte bietet. Aber ich hätte mir Bei-
spiele gewünscht. Ich hätte mir gewünscht, dass Sie die
Bereiche nennen, die wir wieder in nationale Verantwor-
tung zurückholen wollen. Auf europäischer Ebene wird
vieles geregelt, das vor vielen Jahren richtigerweise dort
angesiedelt wurde, zum Beispiel die Landwirtschaftspo-
litik. Aber ist es heute noch richtig, dass die Landwirt-
schaftspolitik ausschließlich auf europäischer Ebene ge-
regelt wird? Wäre es nicht vernünftiger, auf die Dauer
wieder zu einer nationalen Kofinanzierung und zu den
Regeln des Binnenmarktes zu kommen? Da fehlt mir
insbesondere aufseiten der CDU der politische Mut, das
anzusprechen.
Zum Schluss möchte ich Ihnen, Herr Steinmeier,
gerne noch sagen: Sie haben während der deutschen EU-
Ratspräsidentschaft große Anstrengungen unternom-
men; das erkennen wir an. Aber danach war die Luft
raus.


(Dr. Angelica Schwall-Düren [SPD]: Wie kommen Sie denn darauf?)


Das Verhältnis zu Frankreich wurde angesprochen. Min-
destens genauso wichtig – das möchte ich hier anmahnen –
ist für uns das Verhältnis zu Polen. Ich hätte mir ge-
wünscht, dass auch von Ihnen die Initiative gekommen
wäre, sich mit den Balten, den Finnen, den Schweden,
den Russen und den Polen zusammenzusetzen und noch
einmal über die Ostseepipeline zu sprechen. Seit gestern
gibt es einen ersten Ansatz mit Polen; das begrüße ich
sehr. Ich finde, dieser Ansatz muss auf die übrigen Nach-
barn ausgeweitet werden; denn wir haben in der Frage
der Ostseepipeline ein großes Problem mit unseren
Nachbarn, das die gutnachbarschaftlichen Beziehungen
stört. Dieses Problem müssen wir unbedingt lösen. Ich
hoffe, dass die Chance genutzt wird, jetzt, da in Polen
eine neue Regierung im Amt ist, die Beziehungen auf
eine neue Basis zu stellen. Es ist bitter notwendig, dass
wir hier deutliche Fortschritte machen.

Vielen Dank.


(Beifall bei der FDP)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1613202200

Das Wort hat der Kollege Thomas Silberhorn von der

CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Thomas Silberhorn (CSU):
Rede ID: ID1613202300

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Mit der Unterzeichnung des Vertrages von Lis-
sabon am Wochenende werden wir sagen können, dass
2007 ein erfolgreiches Jahr für die Europäische Union
gewesen ist. Mit der Reform der Institutionen und der
Instrumente werden wir uns nach Jahren EU-interner
Debatten endlich wieder den Aufgaben zuwenden kön-
nen, die die Europäische Union als globaler Akteur
wahrzunehmen hat. Die deutsche Ratspräsidentschaft
hat entscheidende Vorarbeiten dazu geleistet, dass die
portugiesische Ratspräsidentschaft in wenigen Wochen
das Mandat der Regierungskonferenz in einen konkreten
Vertragstext umsetzen konnte. Dafür darf ich der Bun-
desregierung und namentlich der Kanzlerin Dank zollen.

Ich möchte allerdings, zumal ich ein überzeugter Eu-
ropäer bin, zwei Punkte kritisch anmerken, weil dieses
Verfahren meines Erachtens an zwei Punkten verbesse-
rungsbedürftig ist. Der erste Punkt: Das Mandat der Re-
gierungskonferenz war sehr eng, sodass es keinen Ver-
handlungsspielraum gab. Das ist verständlich vor dem
Hintergrund, dass mit dem Entwurf des Verfassungsver-
trages schon alles auf dem Tisch lag. Ich meine aber,
dass bei künftigen Vertragsänderungen die nationalen
Parlamente bereits in die Vorbereitung der Verhand-
lungspositionen, aber auch in die Verhandlungen der Re-
gierungskonferenz intensiver einbezogen werden müs-

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 132. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 12. Dezember 2007 13813


(A) (C)



(B) (D)


Thomas Silberhorn
sen. Ich freue mich, dass in dem Reformvertrag dazu
eine Lösung angedacht ist mit dem Konvent, der künftig
bei Vertragsänderungen eingerichtet werden soll und
dem auch Vertreter der nationalen Parlamente angehören
sollen. Damit ist sichergestellt: Die Weiterentwicklung
der Europäischen Union ist nicht etwa eine technische
Aufgabe für Beamte; sie bedarf vielmehr der intensiven
parlamentarischen Begleitung.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Der zweite Punkt, den ich kritisch anmerken möchte,
ist das Feilschen um nationale Sonderregelungen, mit
dem wir Gefahr laufen, die Glaubwürdigkeit des Re-
formprozesses zu untergraben. Ich habe Verständnis für
Ausnahmeregelungen, die sachlich begründet sind, bei-
spielsweise wenn sie dazu beitragen, dass am Ende der
Vertrag als Ganzes in einem Land zustimmungsfähig
wird. Ich habe aber wenig Verständnis für nationale Ego-
ismen, die zulasten der europäischen Integration gehen.
Das betrifft beispielsweise das Verschieben der doppel-
ten Mehrheit bei Ratsentscheidungen auf 2014,


(Dr. Werner Hoyer [FDP]: Sehr richtig!)


aber auch den zusätzlichen Sitz im Europäischen Parla-
ment für Italien. Romano Prodi hat als Kommissionsprä-
sident noch im September 2003 zu solchem Vorgehen
gesagt: Die Mitgliedstaaten neigen dazu, durch Kuhhan-
del Kompromisse zu sichern, die auf Kosten der Glaub-
würdigkeit und Stabilität des Systems gehen können.


(Dr. Christian Ruck [CDU/CSU]: Unerhört!)


Wo er recht hat, hat er recht.

Ich meine, es ist jetzt an der Zeit, dass alle ihre ge-
meinsame Verantwortung für das Ganze wahrnehmen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Wir haben dazu Gelegenheit in dem Ratifikationspro-
zess, der bis zur Europawahl 2009 abgeschlossen sein
soll. Eine Reihe von Mitgliedstaaten hat schon gut da-
rauf hingearbeitet. Ich darf erwähnen, dass der französi-
sche Präsident Sarkozy den Mut hatte, schon in seinem
Wahlkampf anzukündigen, dass Frankreich auf ein Refe-
rendum verzichten will. Andernfalls wären wir in die-
sem Ratifikationsprozess heute möglicherweise nicht so
weit, wie wir es sind.

Mit dem Zustimmungsgesetz werden wir als Bundes-
tag ein Begleitgesetz verabschieden, mit dem wir die
neuen Verfahren bei der Subsidiaritätsrüge und der Sub-
sidiaritätsklage gemäß des Vertrages konkretisieren und
eine Reihe weiterer Beteiligungsrechte des Bundes-
tages verankern wollen. Ich begrüße, dass nun auch die
Bundesländer mit einem einstimmigen Beschluss der
Europaministerkonferenz der deutschen Länder ange-
kündigt haben, mit der Bundesregierung Verhandlungen
über eine Novellierung der Bund-Länder-Vereinbarung
aufnehmen zu wollen; denn dieses Anliegen hat ganz of-
fenkundig die Zusammenarbeitsvereinbarung zum Vor-
bild, die wir im Bundestag mit der Bundesregierung
geschlossen haben. Ich glaube, dass alles, was die parla-
mentarische Begleitung und Mitverantwortung stärkt,
insgesamt begrüßenswert ist, weil dadurch auch die Ak-
zeptanz der europäischen Politik gefördert wird.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Meine Damen und Herren, wir müssen diesen Re-
formvertrag nun mit Leben füllen. Deswegen muss die
Präzisierung der Kompetenzordnung, müssen die Klar-
stellungen beim Subsidiaritätsprinzip zu Konsequenzen
führen. Wenn in diesem Vertrag klargestellt wird, dass
durch die Ziele der EU keine Kompetenzen begründet
werden, dann genügt es eben nicht, wenn sich die Mit-
gliedstaaten und die Kommission einig sind, eine Sache
auf europäischer Ebene voranzutreiben, sondern dann
muss auch die Vorfrage beantwortet werden, ob die eu-
ropäische Ebene überhaupt tätig werden darf, weil da-
durch nicht nur der Handlungsspielraum der Mitglied-
staaten als Ganzes, sondern – präzise gesagt – auch der
Handlungsspielraum der nationalen Parlamente ent-
scheidend berührt wird. Oder: Wenn in dem Vertrag klar-
gestellt wird, dass die EU nicht ausdrücklich übertragene
Zuständigkeiten auch nicht wahrnimmt, sondern sie bei
den Mitgliedstaaten verbleiben, dass die EU nur inner-
halb der Grenzen der Zuständigkeiten tätig werden darf,
die ihr übertragen werden, dann bedeutet das ganz kon-
kret, dass dynamische Kompetenzerweiterungen, wie
wir sie in der Rechtsprechung des Europäischen Ge-
richtshofes über viele Jahre hinweg erlebt haben, künftig
nicht mehr möglich sein werden. Auch der Europäische
Gerichtshof muss den Handlungsspielraum der nationa-
len Parlamente künftig stärker achten, als das bisher der
Fall gewesen ist.


(Beifall des Abg. Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN])


Ich bin der Auffassung, dass die Achtung der Kompetenz-
ordnung und des Subsidiaritätsprinzips in der Haushalts-
politik auch ganz praktisch ihren Niederschlag findet.
Die Europäische Union – darauf müssen wir im Zusam-
menspiel mit unseren Kollegen im Europäischen Parla-
ment achten – darf Personal und Finanzmittel nur dafür
einsetzen, wofür ihr tatsächlich Aufgaben übertragen
worden sind.

Die Europäische Union muss sich nun auf das
Wesentliche konzentrieren. Sie darf kein Spielplatz für
nationale Egoismen oder EU-interne Egoismen sein,
sondern sie muss in einer globalisierten Welt wettbe-
werbsfähig werden. Sie muss eine Europäische Union
der gemeinsamen Werte sein, wenn sie als globaler Ak-
teur auftritt. Insoweit hoffe ich, dass die Gemeinsame
Außen- und Sicherheitspolitik tatsächlich gemeinsam
wird. Wir haben beim EU-Afrika-Gipfel erlebt, dass dies
möglich ist. Die klaren Worte der Kanzlerin sind im
Kreis der Europäischen Union auf Unterstützung gesto-
ßen. Ich hoffe und wünsche mir, dass uns das auch hin-
sichtlich des Kosovo gelingt. Wenn wir es schaffen, dass
wir in der Außenpolitik geschlossen und entschlossen
auftreten, dann, so denke ich, gehen wir in der Europäi-
schen Union in eine gute Zukunft.

Vielen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


13814 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 132. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 12. Dezember 2007


(A) (C)



(B) (D)


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1613202400

Das Wort hat der Kollege Dr. Diether Dehm von der

Fraktion Die Linke.


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. Jörg-Diether Dehm-Desoi (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1613202500

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der

Vertrag mag in manchen Einzelheiten Verbesserungen
gegenüber der Rechtslage nach Nizza bringen; das be-
streiten wir nicht, aber das sagt auch wenig. Durch den
Vertrag wird aber die Tendenz zu weltweiten Militärin-
terventionen für Energie und Rohstoffe fremder Völker
verstärkt.

Lieber Herr Kollege Trittin, als ich gehört habe, wie
Sie die Rüstungsagentur schöngeredet haben, fand ich
das als jemand, der Sie schon länger kennt, etwas irritie-
rend.


(Gerd Andres [SPD]: Ist das eigentlich MaoLook?)


In der EU-Verfassung wird formuliert:

Die Mitgliedstaaten verpflichten sich, ihre militäri-
schen Fähigkeiten schrittweise zu verbessern.

Lieber Herr Kollege Trittin, wenn Sie darin den Willen
zur Abrüstung und zum Frieden sehen, dann kann ich
nur sagen: Mancher ist als maoistischer Tiger gestartet
und bei der Kanzlerin als Bettvorleger gelandet.


(Beifall bei der LINKEN – Gert Weisskirchen [Wiesloch] [SPD]: Da vorne ist einer! – Michael Roth [Heringen] [SPD]: Du siehst auch noch so aus!)


Ein Teil der Mitgliedstaaten hat schon heute Truppen
im Irak. Die Bundeswehr steht mit deutschen Soldaten in
Afghanistan. Im Kosovo wird nach der von Ihnen unter-
stützten, völkerrechtswidrigen und einseitigen Unabhän-
gigkeitserklärung ein verstärktes militärisches Engage-
ment die Folge sein. Ein größerer militärischer Einsatz
der EU in Afrika zeichnet sich ab. – Als wir uns in der
Schule für Europa begeistert haben – unser Direktor und
unsere Schülervertretung, der der Kollege Axel Schäfer
und ich gemeinsam angehört haben, waren sehr europa-
begeistert –, gab es wirklich den Traum von einem Eu-
ropa des Friedens. Jetzt ist Europa hochgerüstet mit
Truppen in anderen Ländern. Ich sage Ihnen voraus:
Morgen wird ein schwarzer Tag für Frieden und Abrüs-
tung in Europa.


(Beifall bei der LINKEN)


Mit der Binnenmarktkonzeption, dem Prinzip der
wechselseitigen Anerkennung und dem Herkunftsland-
prinzip zum Beispiel bei der arbeitnehmer- und mittel-
standsfeindlichen Dienstleistungsrichtlinie ist die Arbeits-
losigkeit in der EU gestiegen. Die Löhne und Gehälter
haben erst relativ, in Deutschland dann aber auch absolut
abgenommen, und Armut breitet sich aus. Betroffen sind
vor allem Kinder.

Der Vertrag bindet die Europäische Union zwar an
Demokratie und Rechtsstaatlichkeit und die Organe bei
der Ausübung übertragener hoheitlicher Gewalt an diese
Prinzipien. Die Sozialstaatlichkeit fehlt aber vollständig.
Das ist ein Verstoß gegen Art. 20 und Art. 79 des Grund-
gesetzes. Darauf wird gegebenenfalls verfassungsrecht-
lich zurückzukommen sein.


(Beifall bei der LINKEN)


Wegen der sozialstaatswidrigen Ausübung des Wett-
bewerbsrechts durch die EU – des unverfälschten Wett-
werbs, der jetzt nur noch eine Fußnote, aber dennoch Be-
standteil des Vertrages ist – geht von ihr ein unheilvoller
Zwang zur Privatisierung der öffentlichen Daseinsvor-
sorge aus. Die Leistungen werden schlechter, die Ent-
gelte höher. Ohne die Linke wäre kein Ende des Privati-
sierungswahns abzusehen.


(Beifall bei der LINKEN)


Ein besonders skurriles Beispiel ist der Versuch von
EU-Kommission und Europäischem Gerichtshof


(Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir wissen, wer die Wohnungen alle verkauft hat!)


– hören Sie zu! –, den niedersächsischen Landkreisen
Harburg, Rotenburg/Wümme, Soltau-Fallingbostel und
Stade


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dresden!)


die Zusammenarbeit im Bereich der Müllverbrennung zu
verbieten und sie zur Ausschreibung und damit zur Ver-
gabe an Privatunternehmen zu zwingen. Was will die
EU-Bürokratie denn noch alles an Daseinsvorsorge ka-
puttregeln? In wessen Interesse und auf wessen Kosten
soll das geschehen?


(Beifall bei der LINKEN)


Das Volkswagenwerk in Wolfsburg wurde vom
Hitler-Regime aus geraubten Geldern der Gewerkschaf-
ten aufgebaut.


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was? Ich denke, die geklauten Gelder sind bei der SED!)


Deshalb sollten die Anteile bestimmten Beschränkungen
von Kapitalwillkür unterliegen, als 1960 die Privatisie-
rung erfolgte. Jahrzehntelang wurde das nicht beanstan-
det. Jetzt aber erklärte der EuGH Vorschriften des VW-
Gesetzes für unvereinbar mit dem EG-Vertrag. Diese
Anmaßung wurde weder von der Bundesregierung noch
von der niedersächsischen Landesregierung zurückge-
wiesen. Auch von den Grünen und der SPD war dazu
nichts zu hören.


(Beifall bei der LINKEN)


Im Vertrag von Lissabon sind die Rechte des Europäi-
schen Parlaments zwar in Teilbereichen ausgeweitet wor-
den, die entscheidenden Demokratiedefizite wurden
aber nicht behoben. Auch zukünftig kann die EU-Kom-
mission vom Parlament nicht wirklich gewählt und abge-
wählt werden. Das Europäische Parlament soll weiter
kein Recht zur Gesetzesinitiative haben, sondern voll-

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 132. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 12. Dezember 2007 13815


(A) (C)



(B) (D)


Dr. Diether Dehm
ständig vom Tätigwerden der Kommission abhängen.
Dem neuen europäischen Außenminister wird als Teil so-
wohl der Kommission als auch des Rats ein doppelter Hut
aufgesetzt, und damit unterliegt er keiner parlamentari-
schen Kontrolle. Der neue Präsident des Europäischen
Rats wird inmitten der wuchernden Ratsbürokratie eben-
falls weithin unkontrolliert vom Europäischen Parlament
und den nationalen Parlamenten agieren. Wie sollen sich
Bürgerinnen und Bürger mit einem derart intransparen-
ten, überbürokratisierten und undemokratischen Europa
identifizieren?

Die Bürgerinnen und Bürger bzw. die Völker der Mit-
gliedstaaten der EU sind Wesen, die den Regierenden
eher lästig sind. Da haben sich die Völker in Frankreich
und den Niederlanden doch tatsächlich erlaubt, gegen
den Verfassungsvertrag zu stimmen, und sofort wird ih-
nen eine Volksabstimmung vorenthalten, obwohl die In-
halte – wie Sie selbst sagen – identisch sind. Morgen
wird eine der größten Niederlagen der europäischen In-
tegration seit der Gründung der EWG stattfinden; denn
Sie organisieren die EU wie eine Verschwörung hinter
dem Rücken der Völker.


(Beifall bei der LINKEN – Zuruf von der SPD: So ein Quatsch! – Weitere Zurufe von der SPD und der CDU/CSU)


Welches Land und welche Politikerinnen und Politi-
ker werden nicht von der Bundeskanzlerin wegen man-
gelnder Demokratie gerügt! Als Beispiel nenne ich den
Staatspräsidenten von Venezuela, Hugo Chávez.


(Lachen bei der CDU/CSU und der SPD)


Er hat aber eine Volksabstimmung durchgeführt und er-
klärt, dass er sich an das Ergebnis der Volksabstimmung,
das mit 49 zu 51 Prozent knapp gegen ihn ausgefallen
ist, halten wird. Wer braucht hier von wem Nachhilfe in
Sachen Demokratie? Er hat eine Volksabstimmung ge-
macht, Sie verweigern sie.


(Beifall bei der LINKEN – Zurufe von der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


– Was soll die Aufregung? – Es wäre für Sie ganz ein-
fach, Ihrem eigenen Demokratieanspruch gerecht zu
werden. Wir haben einen Antrag auf Ergänzung des
Grundgesetzes eingebracht, mit dem Volksabstimmun-
gen über Änderungen der EU-Verträge ermöglicht wer-
den. Stimmen Sie dem doch einfach zu!


(Beifall bei der LINKEN)


Umso glaubwürdiger wären Sie, wenn Sie von anderen
Demokratie einfordern. Dann werden wir sehen, wie das
deutsche Volk, wie die Bürgerinnen und Bürger in unse-
rem Land von dem Vertrag denken, wie sie abstimmen.

Wir halten an der Integration Europas fest, die nicht
gegen unser Grundgesetz, sondern nur sozial, friedlich
und demokratisch gelingen kann – und nur mit den Bür-
gern und nicht hinter ihrem Rücken.

Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der LINKEN – Zurufe von der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1613202600

Das Wort hat der Kollege Rainder Steenblock vom

Bündnis 90/Die Grünen.


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Als
Mitglied dieses Hohen Hauses, das keine Probleme hat,
sich zu seiner linken Geschichte zu bekennen und sich
noch immer als links empfindet, ist es etwas schwierig,
hier einige Ausführungen lebend zu überstehen.


(Heiterkeit und Beifall beim BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Ich möchte nur einen Satz zur Ehrenrettung der euro-
päischen Linken sagen: Die Kommunistische Partei Ita-
liens hat in der letzten Woche im italienischen Parlament
beschlossen, den Reformvertrag der Europäischen
Union zu ratifizieren.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Das macht deutlich, dass es in Europa Linke gibt, die ein
Interesse daran haben, die Lebensverhältnisse der Men-
schen, die soziale Situation der Menschen nach einer
Analyse der Wirklichkeit zu verbessern. Mit denen ar-
beiten wir gerne und sicherlich auch produktiv zusam-
men.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Zuruf von der LINKEN: Weshalb habt ihr denn Angst vor einer Volksabstimmung?)


Die Bundeskanzlerin und der Außenminister sind ja
bereits für ihren Einsatz, den sie in dem Prozess, den Re-
formvertrag zu einem Erfolg zu führen, geleistet haben,
gelobt worden. Lassen Sie mich aber an dieser Stelle
noch einmal sehr deutlich machen: Der Reformvertrag
ist nicht von der deutschen Bundesregierung erfunden
worden. Er ist – daran sollte man heute erinnern, auch
im Selbstbewusstsein als Parlamentarier –


(Dr. Angelica Schwall-Düren [SPD]: Das haben wir auch gemacht!)


vom Europäischen Konvent ausgearbeitet worden, in
dem die Parlamente der Mitgliedstaaten der EU die
Mehrheit hatten. Es ist der Vertrag unserer Parlamente.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wir haben über die Erklärung zur Zusammenarbeit,
die ein großer Erfolg war, geredet und wissen, dass – da-
rüber werden wir morgen entscheiden – noch eine Reihe
von Fragen zu klären sind. Wir als Parlamentarier müs-
sen uns das Recht nehmen, europäische Politik auch von
diesem Hohen Hause aus zu gestalten. Dies muss manch-

13816 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 132. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 12. Dezember 2007


(A) (C)



(B) (D)


Rainder Steenblock
mal so erfolgen, dass man der Bundesregierung durch
dieses Parlament konkret vorgibt, was sie auf europäi-
scher Ebene verhandeln soll. Das hat etwas mit Transpa-
renz zu tun und damit, Menschen bei diesem Integra-
tions- und Friedensprojekt mitzunehmen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, über die deutsch-
französische Freundschaft wurde bereits gesprochen. Sie
war ein Anker der europäischen Integration. Mich trei-
ben die gleichen Sorgen um, auf die Herr Hoyer zu Be-
ginn der Debatte hingewiesen hat. Wenn ich mir das
deutsch-französische Verhältnis heute genau anschaue,
dann fallen mir folgende Stichworte ein: Der vorgeschla-
gene Rat der Weisen bedeutet nichts anderes als eine Ent-
demokratisierung der Entscheidungsverfahren. Die vor-
geschlagene Mittelmeerunion ist nichts anderes als ein
Versuch, die Europäische Union zu spalten oder zumin-
dest in Lobbygruppen aufzuteilen. Die EZB ist ein weite-
rer Problembereich, um das deutlich zu sagen. Der fran-
zösische Staatspräsident, der sich all dies ausgedacht hat,
hat zudem am Tag der Menschenrechte mit Herrn
Gaddafi Verträge über den Export von Atomkraftwerken
unterzeichnet. Angesichts dessen hätte ich mir von Ih-
nen, Frau Bundeskanzlerin, eine deutlichere Auseinan-
dersetzung mit dem französischen Präsidenten gewünscht.
Wir können es nicht zulassen, dass aufgrund dieser
– vielleicht neu motivierten – französischen Politik, sich
europäischen Themen zuzuwenden, dann aber Spiel-
zeuge entwickelt werden, die in der Realität die Europäi-
sche Union und andere gefährden; so habe ich Ihre müt-
terlichen Warnungen an Herrn Sarkozy verstanden. Aber
manchmal muss man solchen Leuten das Spielzeug weg-
nehmen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der FDP)


Wenn Deutschland seine Verantwortung wahrnehmen
will, dann bedeutet das, dass wir zu Entscheidungspro-
zessen kommen müssen, die zu klaren Mehrheiten füh-
ren. Die Menschen müssen das nachvollziehen können.
Die bisherigen Vorschläge zur Kompromissbildung auf
europäischer Ebene sind dazu aber nicht geeignet. Eine
Mittelmeerunion soll im Prinzip, aber nicht so ganz,
vielleicht nur ein bisschen, angestrebt werden. Der Rat
der Weisen soll nun Reflexionsgruppe heißen. Das ist ein
toller Ausdruck. Die Menschen wissen sicherlich sofort,
was damit gemeint ist. Diese Gruppe hat tatsächlich be-
schränkte Rechte und darf sich nur mit bestimmten The-
men befassen. Hier wären klare Entscheidungsprozesse
notwendig. Lieber Sarkozy, so geht es nicht! Deutsch-
land und Frankreich dürfen nicht nur im PR-Bereich,
sondern müssen auch bei der Wahrnehmung der Verant-
wortung auf europäischer Ebene zusammenarbeiten.
Lassen Sie uns daran weiterarbeiten!

Vielen Dank.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1613202700

Das Wort hat jetzt der Kollege Gert Weisskirchen von

der SPD-Fraktion.


(Beifall bei der SPD)



Gert Weisskirchen (SPD):
Rede ID: ID1613202800

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Frau Bundeskanzlerin, ich stimme Ihnen ausdrücklich
zu. Sie haben in Ihrer Regierungserklärung gesagt, es
gehe nun darum, mehr Handlungsfähigkeit für die Euro-
päische Union durch den Vertragsabschluss herzustellen.
Lieber Kollege Kauder, auch Ihnen stimme ich aus-
drücklich zu. Es geht genau um das, was Sie angespro-
chen haben. Die europäischen Nationalstaaten alleine
werden es nicht schaffen, die Herausforderungen der
Globalisierung zu meistern. Vielmehr wird die Europäi-
sche Union uns allen eine weitaus bessere Chance ge-
ben, die Herausforderungen, vor die uns die Globalisie-
rung stellt, zu bestehen.

Die nun durch den Reformvertrag erreichte Qualität
war historisch gesehen zwingend erforderlich. Ich bin
dankbar dafür, dass die Bundesregierung trotz aller Wir-
ren, Probleme und Konflikte, die zu bestehen waren, al-
les getan und darauf hingewirkt hat. Es ist ein großer Er-
folg, dass dieses Vertragswerk nun in Lissabon auf
Regierungsebene endlich akzeptiert und durchgesetzt
wird.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Lassen Sie mich als Sozialdemokrat auf den Kernsatz
des 1925 von uns verabschiedeten Heidelberger Pro-
gramms hinweisen: Wir wollen die Vereinigten Staaten
von Europa.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


1925! Was hätten unsere Großväter und Väter Europa
und insbesondere Deutschland alles ersparen können,
wenn das deutsche Volk, Herr Stresemann und andere
mitgeholfen hätten, näher an das Ziel heranzukommen,
das wir nun Schritt für Schritt erreichen! Was hätte das
für die europäische Entwicklung bedeutet!


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Deswegen sind wir Sozialdemokraten stolz darauf, dass
wir diesem Ziel jetzt einen wesentlichen Schritt näher
gekommen sind.

Von dem, was Sie, Frau Bundeskanzlerin, angespro-
chen haben, möchte ich gerne zwei Punkte herausgrei-
fen.

Erstens: Afrika. Ich glaube, dass wir viel zu viel Zeit
verloren haben, die Interessen Afrikas wirklich wahrzu-
nehmen. Wir haben zu wenig Kraft eingesetzt, um für-
einander ein verlässlicher Partner zu sein. Mit dem Gip-
fel in Lissabon ist es mittlerweile aber gelungen, dafür
zu sorgen, dass die Partnerschaft zumindest auf dem Pa-
pier gleichberechtigt ist, lieber Kollege Fischer. Nun
wird es darauf ankommen, dass das, was auf Papier ge-
schrieben steht, umgesetzt wird. Der Prozess, den wir in
den nächsten Tagen und Wochen bis zum 1. Januar 2008

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 132. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 12. Dezember 2007 13817


(A) (C)



(B) (D)


Gert Weisskirchen (Wiesloch)

erleben, muss wirklich konstruktiv und kreativ genutzt
werden.

Liebe Frau Bundeskanzlerin, ich bitte herzlich darum,
diese Chance zu nutzen, die anstehenden Wirtschaftsab-
kommen – die Beratungen darüber sind noch nicht abge-
schlossen – wirklich voranzubringen, sodass sich die
Partner auf dem afrikanischen Kontinent respektiert füh-
len können. „Gleichberechtigte Partnerschaft“ heißt
auch, dass wir die Interessen derer, die in Afrika leben,
bei unseren Verhandlungen und Abkommen berücksich-
tigen. Es darf keine Asymmetrie geben. Es darf nicht
sein, dass die afrikanischen Produzenten solchen Wirt-
schaftsbeziehungen und Verhältnissen ausgeliefert wer-
den oder sie Handelsschranken unterworfen werden mit
der Folge, dass sie es am Ende nicht schaffen, ihre Pro-
dukte auf unseren Märkten anzubieten. Wenn wir
„gleichberechtigte Partnerschaft“ sagen, dann müssen
wir das, was dafür Voraussetzung ist, auch durchsetzen,
liebe Kolleginnen und Kollegen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)


Frau Bundeskanzlerin, ja, es war gut, dass in Lissabon
über Menschenrechte gesprochen wurde. Gut war auch,
darüber zu reden, wo sie verletzt werden und wer sie
verletzt. Ich würde herzlich darum bitten, sich zumindest
daran zu erinnern, was Gustav Heinemann uns einmal
gesagt hat:

Wer auf andere mit dem ausgestreckten Zeigefinger
zeigt, der deutet mit drei Fingern seiner Hand auf
sich selbst.

Menschenrechte heißt ebenfalls – ich glaube, auch
dieses Thema ist behandelt worden –: Menschen, die Eu-
ropa als Fluchtburg sehen, die von mafiaähnlichen Ban-
den auf Kähne gelockt werden – manche kentern vor den
Kanarischen Inseln oder vor Malta, und die Flüchtlinge
ertrinken –, müssen von uns ernst genommen werden.
Diese Menschen kämpfen um ihr Menschenrecht. Wir
können es am besten realisieren, indem wir mithelfen,
dass die Produktionsbedingungen in den Regionen Afri-
kas, aus denen sie kommen, verbessert werden, indem
wir mithelfen, dass diese Menschen an der Produktion
und am Wettbewerb zwischen Europa und Afrika gleich-
berechtigt teilnehmen. Auch das ist ein Stück Realisie-
rung von Menschenrechten derjenigen, die in Afrika le-
ben.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU/ CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Zweitens: Kosovo. Der Deutsche Bundestag hat in
diesem Jahr wiederum – ich glaube, es war im Mai –
darüber debattiert und entschieden, eine Friedensrege-
lung für das Kosovo militärisch abzusichern. Das Man-
dat der internationalen Sicherheitspräsenz beruht auf der
Grundlage der UN-Resolution 1244. Eines ist klar – das
haben wir auch in der Begründung unseres Beschlusses
in diesem Jahr festgehalten; ich zitiere –:

Die Bundesregierung hofft daher, dass der VN-
Sicherheitsrat seiner Verantwortung gerecht wird
und möglichst bald eine neue Resolution verab-
schiedet, die das Statuspaket

– Ahtisaari –

billigt, die bisherige Resolution 1244 (1999) des
VN-Sicherheitsrates ablöst und die Grundlage für
die neue internationale Präsenz schafft.

So weit der Beschluss.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir wissen: Um zu
einer neuen rechtlichen Grundlage zu kommen, bedarf
es der Anstrengungen von uns allen und ganz besonders
der Kreativität der Außenminister der Europäischen
Union. Ich sage ganz ausdrücklich: Lieber Frank-Walter
Steinmeier, wir danken dafür, dass Sie immer wieder
versucht haben, auch in diesem Jahr, neue Verhand-
lungstische aufzubauen, neue Prozesse in Gang zu set-
zen, damit uns das Kosovo nicht explodiert. Vielen Dank
dafür!

Nun kommt es allerdings darauf an, in Belgrad und
Priština deutlich zu machen: Ihr müsst einhalten, was ihr
uns jetzt versprochen habt! Es geht nicht, dass unilateral
etwas entschieden und ausgerufen wird, und es geht
auch nicht, dass mit dem Gedanken gespielt wird: Wann
finden die Präsidentschaftswahlen statt? Die Zeit der
Spiele ist beendet. Jetzt muss fair miteinander darum ge-
rungen werden, dass es eine europäische Lösung gibt.
Wir dürfen uns von niemandem, weder von Washington
noch von Moskau, sagen lassen, was wir als Europäer zu
tun haben. Die Europäische Union ist jetzt gefordert, und
sie muss jetzt klug und vernünftig handeln, liebe Kolle-
ginnen und Kollegen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Gerda Hasselfeldt (CSU):
Rede ID: ID1613202900

Letzter Redner in dieser Debatte ist nun der Kollege

Michael Stübgen für die Fraktion der CDU/CSU.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Michael Stübgen (CDU):
Rede ID: ID1613203000

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Am Ende die-
ser Debatte kann man feststellen, was wir im Deutschen
Bundestag seit vielen Jahren tun: Die regierungsfähigen
Fraktionen signalisieren auch bei unterschiedlichen Auf-
fassungen in Einzelheiten die Zustimmung zu dem Ver-
trag, der nun Vertrag von Lissabon heißen wird.


(Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wieso stimmt ihr dann zu?)


Das war schon bei Maastricht so. Das war bei Amster-
dam und Nizza ebenso der Fall. Eine Fraktion allerdings
arbeitet nach dem Motto: Man muss Lügen und Unter-
stellungen nur oft genug wiederholen, dann gibt es im-
mer Leute, die das glauben.


(Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Ihre Fraktion!)


13818 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 132. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 12. Dezember 2007


(A) (C)



(B) (D)


Michael Stübgen
Ich will noch einmal auf Folgendes hinweisen: Es ist
völlig absurd, der Europäischen Union zu unterstellen,
sie sei eine Art Kriegs- und Aufrüstungsunion.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Das Gegenteil ist der Fall. Das beweist die Geschichte
der Europäischen Union. Die Europäische Union ist das
erfolgreichste Friedensprojekt der Weltgeschichte
überhaupt.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie des Abg. Markus Löning [FDP])


Die Mitgliedstaaten schaffen es nicht nur, dass in ihrem
Innern Frieden herrscht, seit die Union besteht – weit
über tausend Jahre war das in Europa nicht der Fall –;
nein, sie sorgen auch außerhalb der Europäischen Union
für Frieden und Friedenserhaltung, zum Beispiel in Bos-
nien-Herzegowina und im Kosovo. Die Europäische
Union ist eine Friedensunion und keine Kriegsunion.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Gerda Hasselfeldt (CSU):
Rede ID: ID1613203100

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des

Kollegen Dehm?


Michael Stübgen (CDU):
Rede ID: ID1613203200

Nein.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Markus Löning [FDP])


Genauso absurd ist es, der Europäischen Union zu un-
terstellen, sie sei eine Art Freihandelszone, die dem
Manchesterkapitalismus fröne. Auch hier ist das genaue
Gegenteil der Fall. Nicht nur in den Verträgen ist es ein-
deutig anders geregelt – soziale Standards werden gesi-
chert und ausgebaut –; auch die Geschichte der Europäi-
schen Union belegt das, und zwar für jedes einzelne
Mitgliedsland. Es gibt kein einziges Land unter den
27 Mitgliedsländern, in dem es mit dem Beitritt zur Eu-
ropäischen Union nicht zu einem wirtschaftlichen Auf-
schwung gekommen wäre; darüber hinaus ist es überall
auch zu besserer sozialer Absicherung, besserem Ge-
sundheitswesen, Rechtsstaatlichkeit usw. gekommen.
Die Geschichte belegt also das genaue Gegenteil.

Ich sage Ihnen voraus: Sie werden mit Ihren Lügen
und Unterstellungen nicht durchkommen. Am Schluss
glaubt Ihnen niemand mehr.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Wenn morgen um 11.30 Uhr in Lissabon der Reform-
vertrag – er wird hinfort Vertrag von Lissabon heißen –
unterschrieben wird, kommen wir mit hoher Wahr-
scheinlichkeit – so sehe ich das – in die letzte Phase des
Verfassungsprozesses der Europäischen Union, nämlich
in die Ratifizierungsphase.

In der Tat, die portugiesische Ratspräsidentschaft hat
im letzten halben Jahr sehr viel und sehr gut gearbeitet.
Das müssen wir loben. Ich glaube, es ist auch richtig,
dass der Vertrag Vertrag von Lissabon heißt. Ich möchte
aber noch einmal auf Folgendes hinweisen: Ohne die
deutsche Ratspräsidentschaft und das Engagement der
Bundesregierung sowie der Kanzlerin Angela Merkel
wären wir nie so weit gekommen.

Ich möchte Rainder Steenblock zustimmen: Er hat in
der Tat recht, wenn er sagt, dass die Idee zu dem Verfas-
sungsentwurf, der ja im Kern dem Vertragsentwurf ent-
spricht, aus den nationalen Parlamenten kam. Im Verfas-
sungskonvent Anfang dieses Jahrhunderts – das ist
schon einige Jahre her – hat uns unter anderem Peter
Altmaier erfolgreich vertreten.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Wir werden mit diesem Reformvertrag viele Neue-
rungen bekommen. Wir werden in der Lage sein, besser
und effizienter mit den anderen 26 Mitgliedstaaten zu-
sammenzuarbeiten. Ich möchte jetzt nur noch auf we-
nige Punkte eingehen.

Viele von Ihnen haben in den letzten Monaten und
Jahren die Arbeit der Europäischen Kommission ge-
nauer beobachtet. Ich bin keiner von denen, die perma-
nent laut die Europäische Kommission als bürokrati-
sches Monster beschimpfen und deren Arbeit kritisieren.
Man muss insgesamt feststellen: Die Europäische Kom-
mission erledigt ihre Aufgaben gut, auch wenn manch-
mal Fehler passieren.


(Rainder Steenblock [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Richtig!)


Das Problem ist aber, dass wir der Europäischen
Kommission eine Struktur gegeben haben, die sie ge-
rade dazu zwingt, in Rechtsetzungsfragen zu viel zu tun.
Die Übereinkunft, dass jedes Mitgliedsland einen Kom-
missar stellen soll, führt dazu, dass die Europäische
Kommission 27 Kommissare hat. Da sie eine Art Quasi-
Regierung ist, bedeutet das, dass sie quasi 27 Minister
hat. Jetzt versuchen Sie einmal, 27 Ministern einen Res-
sortbereich zuzuteilen. Ergebnis ist, dass wir Kommis-
sare haben, die für solche beeindruckenden Dinge wie
für die Sprachenvielfalt zuständig sind. Hier greift ein
menschliches Bemühen, das man in jeder Regierung fin-
det: Jeder Kommissar möchte mindestens einmal in sei-
ner fünfjährigen Amtszeit auffallen. Wie fällt man auf?
Indem man eine möglichst spektakuläre Rechtsetzung
ankündigt.


(Zuruf von der FDP: Das wären dann ja 27 Richtlinien!)


Die jetzige Struktur der Kommission bringt es unweiger-
lich mit sich, dass zu viele Rechtsetzungsvorhaben in
Angriff genommen werden.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Deshalb ist es richtig, dass die Zahl der Kommissare
– leider erst ab 2014, aber immerhin – auf zwei Drittel
der derzeitigen Anzahl reduziert wird. Das wird die
Kommission arbeitsfähiger machen. Zugleich wird da-
mit im Laufe der Zeit die überbordende Zahl der Recht-
setzungsvorhaben zurückgeschraubt werden.

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 132. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 12. Dezember 2007 13819


(A) (C)



(B) (D)


Michael Stübgen
Lassen Sie mich zum Schluss noch auf ein weiteres
Problem eingehen. Auch diesbezüglich wird mit dem
Vertrag von Lissabon ein Prozess in Gang gesetzt. Es
handelt sich um den Subsidiaritätsprozess. Das halte ich
für sehr wichtig. Sie wissen, im Maastricht-Vertrag
wurde vor über 15 Jahren das Subsidiaritätsprinzip
festgeschrieben. Passiert ist allerdings nicht viel. Zwar
wurde es im Vertrag von Amsterdam noch einmal bestä-
tigt, indem es in einem Zusatzprotokoll sehr gut definiert
worden ist; aber erstaunlich ist doch, dass es in den letz-
ten 15 Jahren vom Europäischen Gerichtshof keine ein-
zige Rechtsprechung gibt, in der das Subsidiaritätsprin-
zip oder die Frage der Verhältnismäßigkeit eine Rolle
spielten. Es gab in den letzten 15 Jahren zwar gelegent-
lich Klagen – Deutschland hat auch einige geführt –,
aber der Europäische Gerichtshof hat sich in seinen Ent-
scheidungen ausschließlich auf die Frage der Zuständig-
keit bezogen, niemals Fragen der Subsidiarität oder der
Verhältnismäßigkeit rechtlich bewertet.

Ich glaube, zur endgültigen Durchsetzung des Subsi-
diaritätsprinzips ist mehr nötig. Im Moment läuft es fol-
gendermaßen: Derjenige, der eine Rechtsetzung will, be-
hauptet, sie sei gut, und gibt einige Erklärungen, warum
sie unter subsidiären Gesichtspunkten sinnvoll sei. Das
geht bis zu solch abenteuerlichen Erklärungen wie bei
der Bodenschutzrichtlinie. Hier wird behauptet, sie sei
nötig, weil Böden auch durch Wind und Flüsse von ei-
nem Mitgliedstaat in den anderen gelangen. Diejenigen,
die gegen eine solche Richtlinie sind, behaupten
schlicht, hier werde gegen das Subsidiaritätsprinzip ver-
stoßen. Die Behauptungen bleiben dann im Raum ste-
hen, egal ob es zu einer Rechtsetzung kommt oder nicht.
Ich halte es für richtig – der Grundstein dafür wird mit
dem Verfassungsvertrag gelegt –, dass wir dafür sorgen,
dass auch in diesen Fällen vermehrt Rechtsprechung
stattfindet. Das geschieht zum einen dadurch, dass
50 Prozent der nationalen Parlamente innerhalb von acht
Wochen eine Subsidiaritätsrüge erteilen können, zum an-
deren dadurch, dass nationale Parlamente eine Subsidia-
ritätsklage erheben können.

Das wird zwar ein längerer Prozess sein, aber ich
glaube, dass es wichtig für die Europäische Union ist,
dass es zu klaren und auch für den Bürger nachvollzieh-
baren Rechtsprechungen in Fragen der Subsidiarität
kommen wird. Ich bin überzeugt, dass wir im Laufe der
nächsten Jahre in dieser Frage Fortschritte erzielen wer-
den und dass Subsidiarität in der Europäischen Union
dann nicht mehr nur auf dem Papier stehen wird und an
die Stelle von bloßen Behauptungen, Subsidiarität werde
gewahrt oder werde nicht gewahrt, grundsätzliche
Rechtsprechung tritt.

Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Gerda Hasselfeldt (CSU):
Rede ID: ID1613203300

Das Wort zu einer Kurzintervention erteile ich nun

dem Kollegen Dr. Dehm.

Dr. Jörg-Diether Dehm-Desoi (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1613203400

Kollege Stübgen, es ist für Sie ungewöhnlich – denn

normalerweise ist das nicht Ihre Art –, dass Sie hier von
Lügen sprechen. Der Kollege Trittin hat zuvor von „Ge-
schwätz“ geredet und damit sicherlich eine Vorlage ge-
liefert.

Ich möchte Sie einmal Folgendes fragen.


(Hartwig Fischer [Göttingen] [CDU/CSU]: Es gibt keine Fragen in der Kurzintervention!)


– Ich stelle diese Frage in den Raum. Es ist dem Kolle-
gen Stübgen überlassen, darauf zu antworten. – Bei
George Orwell heißt das Kriegsministerium „Friedens-
ministerium“. Klingt es für Sie nach Abrüstung und
Frieden, wenn sich die Mitgliedstaaten verpflichten, ihre
militärischen Fähigkeiten schrittweise zu verstärken
bzw. zu verbessern?

Wenn Sie die Sozialstaatlichkeit, die im Grundgesetz
mit der Ewigkeitsklausel für uns alle bindend festgelegt
ist und die wir daher nicht abtreten dürfen, aus dem Lis-
sabonner Vertrag heraushalten, aber die Rechtsstaatlich-
keit hineinschreiben, dann ist die Frage, warum wir von
Ihnen nicht für regierungsfähig gehalten werden, mögli-
cherweise zu beantworten.

Führen Sie eine Volksabstimmung durch! Lassen Sie
die Menschen mitentscheiden! Machen Sie es auf dem
Boden des Grundgesetzes – mit Demokratie, mit Rechts-
staatlichkeit und mit Sozialstaatlichkeit! Wir wollen nur
auf dem Boden des Grundgesetzes regieren und nicht
mit dem eigenen Volk Versteck spielen.


(Beifall bei der LINKEN – Markus Löning [FDP]: Sie sollten sich schämen, so etwas zu sagen! Ihr Vorsitzender hat mit dem Milosevič herumgemacht!)



Gerda Hasselfeldt (CSU):
Rede ID: ID1613203500

Herr Kollege, wollen Sie antworten? – Bitte sehr,

Herr Kollege Stübgen.


Michael Stübgen (CDU):
Rede ID: ID1613203600

Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Ich will auf diese

Wahlkampfrede nicht weiter eingehen und nur Folgen-
des sagen: Wir haben in Deutschland die Erfahrung ge-
macht, dass sich das System der repräsentativen Demo-
kratie bewährt hat.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Die Behauptung, Volksabstimmungen seien demokra-
tisch und alles andere sei undemokratisch, ist schlicht-
weg Unsinn.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Dass die Regierungsfraktionen für den Vertrag sind,
ist seit mindestens zwei Bundestagswahlen bekannt. Die
Bürger haben die Möglichkeit gehabt, Ihre Partei mit ab-
soluter Mehrheit zu wählen, um diesen Vertrag zu ver-
hindern. Das haben sie aber nicht getan, und dies werden
sie nicht tun. Das ist auch richtig so.

13820 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 132. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 12. Dezember 2007


(A) (C)



(B) (D)


Michael Stübgen
Danke schön.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Gerda Hasselfeldt (CSU):
Rede ID: ID1613203700

Ich schließe die Aussprache.

Damit kommen wir zu den Abstimmungen.

Tagesordnungspunkt 1 a. Abstimmung über den Ent-
schließungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU und
SPD auf Drucksache 16/7466. Wer stimmt für diesen
Entschließungsantrag? – Wer ist dagegen? – Enthaltun-
gen? – Damit ist der Entschließungsantrag mit den Stim-
men der Koalitionsfraktionen bei Gegenstimmen der
Fraktion Die Linke und bei Enthaltung der Fraktionen
der FDP und des Bündnisses 90/Die Grünen angenom-
men.

Abstimmung über den Entschließungsantrag der
Fraktion Die Linke auf Drucksache 16/7484. Wer stimmt
für diesen Entschließungsantrag? – Wer ist dagegen? –
Enthaltungen? – Der Entschließungsantrag ist damit mit
den Stimmen aller Fraktionen mit Ausnahme der Frak-
tion Die Linke abgelehnt.

Tagesordnungspunkt 1 b. Interfraktionell wird die
Überweisung der Vorlage auf Drucksache 16/7178 an
den Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäi-
schen Union vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstan-
den? – Ich sehe keinen Widerspruch. Dann ist die Über-
weisung so beschlossen.

Ich rufe nun den Zusatzpunkt 1 auf:

Aktuelle Stunde
auf Verlangen der Fraktion DIE LINKE

Haltung der Bundesregierung zur Angemes-
senheit von Managereinkommen in Deutsch-
land

Ich bitte alle Kolleginnen und Kollegen, die an der
folgenden Debatte nicht teilnehmen wollen, ihre Gesprä-
che außerhalb des Plenarsaals fortzuführen.

Ich eröffne die Aussprache und erteile als erster Red-
nerin der Kollegin Dr. Barbara Höll das Wort für die
Fraktion Die Linke.


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. Barbara Höll (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1613203800

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Frau Merkel, hören Sie gut zu:

Wir brauchen eine unvoreingenommene, vorurteils-
freie und nicht zuletzt sensible gesellschaftliche
Diskussion. Soziale Marktwirtschaft ist immer auch
eine Wirtschaft und eine Gesellschaft, in der die
Menschen zusammengehören. Wenn das nicht mehr
funktioniert, fliegt uns der ganze Laden auseinan-
der, um das einmal ganz einfach zu sagen.

Richtig, so sagte es die CDU-Vorsitzende auf dem Par-
teitag. Ja, Frau Merkel, ich stimme Ihnen selten zu, aber
an dieser Stelle stimme ich Ihnen zu: Es besteht die Ge-
fahr, dass uns der ganze Laden auseinanderfliegt. Es
geht hier um das wachsende Auseinanderklaffen von
Arm und Reich.


(Beifall bei der LINKEN)


Auf der einen Seite geht es um 2,6 Millionen Kinder
und Jugendliche in Armut, um enttäuschte Kinderaugen
unter dem Weihnachtsbaum, um leere Kinderbäuche in
der Schule. Es geht um 1,3 Millionen Menschen, die Tag
für Tag acht Stunden arbeiten und von ihrer Arbeit nicht
leben können. Auf der anderen Seite geht es um Mana-
gergehälter und Abfindungen in Millionenhöhe. Weil
das der Linken nicht egal ist, verlangen wir heute hier
eine Positionierung der Bundesregierung.


(Beifall bei der LINKEN)


Eines muss ich Ihnen allerdings sagen, Frau Merkel:
Wir brauchen keine sensible, vorsichtige Diskussion.
Nein, wir brauchen keine moralinsaure Debatte über
gute und schlechte Arbeit der Manager; das ist ein ande-
res Thema, damit wollen Sie nur ablenken. Ich sage
klipp und klar: Sowohl Herr Schrempp als auch Herr
Wiedeking verdienen zu viel.


(Beifall bei der LINKEN – Martin Zeil [FDP]: Und Herr Lafontaine?)


Die Frage der Gerechtigkeit steht für die Menschen
hier und jetzt konkret, und in dieser unserer sozialen
Marktwirtschaft darf Gerechtigkeit keine fromme, plato-
nische Bitte sein.


(Martin Zeil [FDP]: Der Honecker hatte auch zu viel!)


Gerechtigkeit beginnt „zunächst einmal in der Einkom-
mensentwicklung“, so Hermann Josef Abs 1964 im In-
terview mit Günter Gaus.

Nehmen wir das Beispiel von Herrn Abs. Im letzten
Jahr seiner Ära verdiente er circa das 42-Fache eines
durchschnittlichen Arbeitnehmers.


(Hellmut Königshaus [FDP]: Und Oskar?)


Bei Josef Ackermann war es 2003 das 380-Fache. Be-
antworten Sie mir doch bitte einmal folgende Frage: Ver-
dient Herr Ackermann leistungsmäßig das 9-Fache von
dem, was Herr Abs verdient hat?


(Stefan Müller [Erlangen] [CDU/CSU]: Wer soll das beurteilen? Wer soll das festlegen?)


Der Laden droht auseinanderzufliegen, und um dies
zu verhindern, sind wir hier als Politikerinnen und Poli-
tiker gewählt. Hier ist gesetzgeberisches Handeln ge-
fragt, nicht aber sensible Diskussionen und Empörungs-
rhetorik,


(Beifall bei der LINKEN)


aber auch keine Arbeitsgruppen,


(Martin Zeil [FDP]: Und auch keine Polemik!)


die jetzt berufen werden und dann nach den Landtags-
wahlen der erstaunten Öffentlichkeit verkünden dürfen,
dass ja alles nicht so ganz einfach sei und überhaupt.

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 132. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 12. Dezember 2007 13821


(A) (C)



(B) (D)


Dr. Barbara Höll

(Stefan Müller [Erlangen] [CDU/CSU]: Was schlagen Sie denn vor?)


Hier steht die Frage von Armut und Reichtum, und
wir können und müssen handeln:


(Beifall bei der LINKEN)


Mindestlöhne und Grundsicherung brauchen wir ge-
nauso wie die Begrenzung der Managergehälter und Ab-
findungen. Am 16. November dieses Jahres, vor knapp
vier Wochen, hatten Sie die Gelegenheit, hierzu einen
ersten Schritt zu tun. Wir haben Ihnen die Änderung des
Aktiengesetzes vorgeschlagen, eine Begrenzung der
höchsten Gehälter auf das 20-Fache dessen, was der am
niedrigsten entlohnte sozialversicherungspflichtig Be-
schäftigte in dem jeweiligen Unternehmen verdient. Bis
auf fünf Enthaltungen haben Sie alle dies unisono abge-
lehnt. 24 Stunden später entdecken Sie das Thema: Wir
müssen etwas tun, es ist so schlimm. – Das ist doch ein-
fach nur heuchlerisch.


(Beifall bei der LINKEN)


Sie haben uns in der Debatte hier am 16. November
zum wiederholten Male übel beschimpft: Es geht nicht,
es geht nicht, alles Rhetorik. – Nein, das stimmt nicht.
Ich nenne Ihnen nur drei zusätzliche Punkte, in Bezug
auf die Sie sofort handeln könnten.

Erstens. Wie ist es denn mit den Managern in den Un-
ternehmen, die überwiegend noch in Staatseigentum
sind? Vertreter der Regierung sind in den Aufsichtsräten.


(Zuruf von der FDP: Und Gewerkschaftsfunktionäre!)


Haben wir irgendetwas zur Begrenzung der Manager-
gehälter von Ihnen gehört? Nichts, gar nichts.


(Beifall bei der LINKEN)


Zweitens. Sie haben die Reichensteuer eingeführt; wir
sind für eine andere Einkommensbesteuerung, einen we-
sentlich höheren Spitzensteuersatz im Rahmen einer pro-
gressiv gestalteten Besteuerung. Aber bauen Sie die Rei-
chensteuer doch aus. Sagen Sie doch: Ab dem ersten
Euro über 250 000 Euro zu versteuerndem Einkommen
gilt ein Grenzsteuersatz von 50 Prozent, ab dem ersten
Euro über einer halben Million Euro sind es 55 Prozent,
ab dem ersten Euro über 1 Million Euro 60 Prozent und
ab dem ersten Euro über 2 Millionen Euro 65 Prozent.
Warum gestalten wir keinen Stufentarif?

Drittens. Abfindungen können heute in voller Höhe
als Betriebsausgaben geltend gemacht werden. Nach der
geltenden Gesetzeslage könnten wir das sofort ändern;
denn Betriebsausgaben müssen grundsätzlich immer an-
gemessen sein. Sind denn Abfindungen in Millionen-
höhe angemessen? Nein.


(Beifall bei der LINKEN)


Das alles ist sofort und jetzt machbar. Es sind keine
sensiblen Diskussionen gefragt, sondern Handeln. Wir
stehen dafür.

Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der LINKEN – Martin Zeil [FDP]: Armes Deutschland!)



Gerda Hasselfeldt (CSU):
Rede ID: ID1613203900

Nächster Redner ist nun der Kollege Dr. Michael

Fuchs für die CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. Michael Fuchs (CDU):
Rede ID: ID1613204000

Verehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe

Kollegen! Frau Kollegin Höll, haben Sie schon einmal
etwas vom Halbteilungsgrundsatz im Grundgesetz ge-
hört? Das Verfassungsgericht hat dazu ganz deutlich ge-
sagt, alles andere als die Einhaltung des Halbteilungs-
grundsatzes sei Enteignung. Aber damit hat Ihre Partei ja
Erfahrung.


(Beifall bei Abgeordneten der FDP)


Ich denke, wir sollten uns damit nicht länger beschäfti-
gen.

Hier geht es ausschließlich um Eigentumsrechte. Die
Unternehmen entscheiden selbst, wie sie ihre Manager
entlohnen. Das müssen sie auch tun dürfen. Das geht
nach einem geordneten Verfahren.


(Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: Ja?)


Wir reden in den Fällen, die Sie anprangern, ausschließ-
lich von Unternehmen, die der vollen Mitbestimmung
unterliegen. Das alles sind Unternehmen, die paritätisch
besetzte Aufsichtsräte haben. Die Aufsichtsräte werden
von den Aktionären gewählt. Die Aufsichtsräte entschei-
den dann über die Bestallung von Managern und über
die Vergütungen dieser Manager. Dies geschieht in vol-
ler Mitverantwortung der Ihnen besonders nahestehen-
den Gewerkschafter, die in all diesen Aufsichtsräten sit-
zen. Kein einziger dieser von Ihnen angesprochenen
Verträge ist ohne Zustimmung einer Gewerkschaft zu-
stande gekommen. Das wollen wir einmal festhalten. So
ist der Weg, und so funktioniert das Ganze.


(Beifall des Abg. Martin Zeil [FDP])


Der Betriebsratsvorsitzende der BASF, Robert
Oswald, hat eine sehr bemerkenswerte Äußerung zu den
Managergehältern gemacht; Frau Höll, darüber sollten
Sie nachdenken. Er hat gesagt, dass die Manager der
BASF, also Herr Hambrecht und alle anderen, ordnungs-
gemäße Gehälter verdienten. Er stehe voll dazu; denn
deren Verantwortung sei deutlich höher als die von
Herrn Hoeneß, der das Gleiche wie ein Manager von
BASF verdiene. Ich meine, da hat der Mann durchaus
recht.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Bei der Diskussion über die Mindestlöhne ist die Si-
tuation ähnlich. Sie greifen die Mindestlöhne von Fri-
seurinnen in Thüringen in Höhe von 3,82 Euro pro
Stunde an. Aber auch dieser Lohn ist mit der Gewerk-
schaft vereinbart. Er beruht auf einem Tarifvertrag, den
Verdi unterschrieben hat. Wir sind, nebenbei bemerkt,
genauso wenig wie Sie für diese niedrigen Löhne, die da
in Thüringen gezahlt werden. Fordern Sie doch einmal

13822 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 132. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 12. Dezember 2007


(A) (C)



(D)


Dr. Michael Fuchs
bitte schön Ihre Genossinnen und Genossen von der Ge-
werkschaft auf, solche Tarifverträge nicht gegenzuzeich-
nen! Darin besteht doch das Problem; sie haben es mit-
gemacht.


(Beifall bei Abgeordneten der FDP – Widerspruch von der LINKEN)


Ich habe diese Forderung von Ihnen bisher jedenfalls
noch nicht gehört. Die Gewerkschaften werden mit
ziemlich großer Sicherheit dazu nicht bereit sein.

Einige von Ihnen fordern, dass ein Manager nur noch
maximal das Zwanzigfache eines Arbeitnehmers verdie-
nen darf. Ich will Ihnen am Beispiel des Fußballs klar-
machen, wohin das führt: Ein Platzwart verdient viel-
leicht 1 500 Euro im Monat. Ein Fußballer soll nun also
für 30 000 Euro im Monat spielen. Dafür zieht – davon
können Sie ausgehen – kein einziger Spieler in der Bun-
desliga auch nur einen Fußballschuh an. Lassen wir also
diesen Quatsch! Wir haben mit den Löhnen schlicht
nichts zu tun; das ist nicht unsere Aufgabe.

Das heißt aber nicht, dass ich Exzesse, wie sie in eini-
gen Fällen vorgekommen sind, für gut halte. Ich bin
froh, dass Herr Hundt gestern auf dem Deutschen Ar-
beitgebertag 2007 die Ethik der Verantwortung ange-
sprochen hat. Er hat ganz klar gesagt, dass in den Gre-
mien der Aufsichtsräte Verantwortung zu herrschen hat
und dass diese Ethik in dem einen oder anderen Fall
deutlich ausgeprägter sein sollte. Aber es ist nicht unsere
Aufgabe, das zu korrigieren.

Das können nur die Manager selber korrigieren. Das
muss in den entsprechenden Gremien geschehen. Einige
Kommissionen beschäftigen sich bereits mit diesem
Thema. Die Cromme-Kommission ist aufgefordert, zum
Code of Conduct gute und vernünftige Vorschläge zu
machen. Für mich gehört zu einer Ethik der Verantwor-
tung auch, dass Exzesse deutlich und Entscheidungen
transparent gemacht werden, wofür wir bereits gesorgt
haben. Wir müssen aber auch dafür sorgen – damit hat
die Bundeskanzlerin völlig recht –, dass den Menschen
bewusst ist, dass das, was in dem einen oder anderen
Fall geschehen ist, nicht richtig sein kann.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Das Parlament und wir Politiker haben uns aber nicht in
die Eigentumsrechte von Unternehmen einzumischen;
das ist nicht unsere Aufgabe. Unsere Aufgabe ist es, für
Transparenz zu sorgen, und das tun wir.


(Beifall bei der CDU/CSU – Lachen bei Abgeordneten der LINKEN)



Gerda Hasselfeldt (CSU):
Rede ID: ID1613204100

Das Wort hat nun der Kollege Martin Zeil für die

FDP-Fraktion.


(Beifall bei der FDP)



Martin Zeil (FDP):
Rede ID: ID1613204200

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

In der Tat ist es nicht Aufgabe der Politik, zu bestimmen,
wer in Deutschland wie viel verdient. Das gilt, Herr Kol-
lege Fuchs, nach Auffassung der Freien Demokraten für
die Mindestlöhne genauso wie für die Managergehälter.


(Beifall bei der FDP)


Wir Freien Demokraten wollen, dass Debatten über
Managergehälter dort stattfinden, wo sie hingehören,
nämlich in die Aktionärsversammlungen, in die Betriebe
und in die Aufsichtsräte. Insbesondere die Aufsichtsräte
müssen ihre Verantwortung sehr viel stärker wahrneh-
men als bisher.


(Beifall bei der FDP)


Seien wir doch einmal ehrlich. Wir führen diese De-
batte heute vor allen Dingen, weil zurzeit alle Parteien
außer der FDP der Linken hinterherlaufen,


(Beifall bei der LINKEN – Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Wir sind vorn!)


Weil die SPD und ihr Vorsitzender verzweifelt nach je-
dem Strohhalm greifen, um mit einer solchen Neidde-
batte Stimmung für die anstehenden Landtagswahlen zu
machen. Unterstützt wird diese Neiddebatte leider auch
von der Bundeskanzlerin. Sie will damit davon ablen-
ken, dass die Koalition in den letzten zwei Jahren frech
in die Taschen der Bürger gegriffen hat.


(Beifall bei der FDP – Iris Gleicke [SPD]: Jetzt leg doch einmal eine andere Platte auf! Das ist ja furchtbar!)


Diese Neiddebatte lenkt aber auch davon ab, dass es
viele positive Beispiele für verantwortungsvolles Ma-
nagement gibt. Denken Sie beispielsweise an Porsche
oder BASF. Dort sind Vorstände am Werk, die ihre Ver-
antwortung für den Betriebsfrieden wahrnehmen und die
Mitarbeiter am Erfolg des Unternehmens beteiligen.

Wie sieht es aber dort aus, wo die Politik, wo die öf-
fentliche Hand Einfluss hat, also bei den Staatsunterneh-
men? In einer aktuellen Studie wird beschrieben, wie es
bei Post, Bahn, Telekom, RWE und KfW aussieht. Der
Gehaltsunterschied zwischen Vorstand und Mitarbeitern
ist nirgends so groß wie bei diesen Unternehmen.


(Beifall bei der FDP)


Wie haben sich die schwarzen-roten Vertreter in den
Aufsichtsräten dieser Unternehmen verhalten? Sind die
Abfindungen in diesen Unternehmen – die Verträge ha-
ben sie schließlich mit unterschrieben – angemessen?
Wie sieht es mit den Gewerkschaften aus, die das legiti-
miert haben? Das Pharisäertum bei diesem Thema
spricht Bände, meine Damen und Herren.


(Beifall bei der FDP)


Bei all der Hysterie, die diese Neiddebatte auslöst,
und der vorherrschenden Kurzsichtigkeit müssen wir
auch berücksichtigen, dass die Managervergütungen in
Deutschland im internationalen Vergleich unter dem eu-
ropäischen und amerikanischen Durchschnitt liegen.


(Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Das ist falsch!)


Es ist doch realitätsfern, wenn wir eine solche Debatte
lostreten. Unser Ziel muss es doch sein, die besten und

(B)


Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 132. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 12. Dezember 2007 13823


(A) (C)



(B) (D)


Martin Zeil
klügsten Leute in unseren Unternehmen und in unserem
Land zu behalten.


(Beifall bei der FDP)


Wo fängt das an, wo hört das auf? Als Beispiele wer-
den dann morgen die Fußballer herangezogen und viel-
leicht bald auch beliebte Ratefernsehmoderatoren.

Schwarze Schafe gibt es überall, übrigens auch in der
Politik. In Richtung SPD-Fraktion sage ich: Gerade Sie
sollten zurückhaltend sein; denn es ist nicht lange her,
dass sich der ehemalige Kanzler der SPD als Kanzler der
Bosse feiern ließ. Mit seinem Engagement bei Gasprom
und einem gut dotierten Aufsichtsratssitz bei der Nord-
europäischen Gaspipeline Gesellschaft zeigt dieser Ver-
treter der Arbeiterklasse, wie man so richtig Geld macht.


(Beifall bei der FDP)

Wenn jemand unglaubwürdig ist, in dieser Debatte auf
andere zu zeigen, dann diejenigen, die die Politik nur als
Sprungbrett für Spitzenpositionen in der Wirtschaft oder
in Verbänden benutzen.

Nein, meine Damen und Herren, das öffentliche An-
den-Pranger-Stellen von Spitzenmanagern ist ein Aus-
druck von Hilflosigkeit und auch von Schäbigkeit.


(Beifall bei Abgeordneten der FDP)

Man sucht sich eine Minderheit in der Gesellschaft – das
ist ein bewährtes Mittel –, die natürlich Angriffsflächen
bietet, um mit großem Lärm von den eigenen Versäum-
nissen abzulenken.


(Beifall bei der FDP)

Es verwundert nicht, dass beide Parteien des demo-

kratischen Sozialismus in diesem Hause

(Lachen der Abg. Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE])

in dieses Horn stoßen; das war zu erwarten. Dass aber
die Union in ihrem Bemühen, beim Linkstrend ja nicht
zu kurz zu kommen, auch mitmacht, ist ein weiteres Bei-
spiel dafür, dass Ihnen der Kompass für die soziale
Marktwirtschaft abhanden gekommen ist.


(Beifall bei der FDP)

Wir brauchen eine entschlossene Reformpolitik für

mehr netto in den Taschen der Bürger statt solch verant-
wortungsloser Neiddebatten.


(Beifall bei der FDP)



Gerda Hasselfeldt (CSU):
Rede ID: ID1613204300

Für die SPD-Fraktion hat nun das Wort der Kollege

Joachim Stünker.


Joachim Stünker (SPD):
Rede ID: ID1613204400

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Meine Damen und Herren! Ich glaube, der bisherige
Verlauf dieser Debatte wird den Ansprüchen, die die Be-
völkerung bei diesem ernsten Thema an uns stellt, nicht
gerecht.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Das war zuletzt wirklich sehr niveaulos; das tut mir leid.
Herr Kollege, wer bei diesem Thema davon redet,
dass wir eine Neiddebatte führen, und einfach nur re-
flexartig auf Art. 14 des Grundgesetzes, die Eigentums-
garantie, verweist, springt nicht weit genug.


(Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Ja, genau!)


Wenn Sie in unserem Grundgesetz weiterlesen, dann
kommen Sie zu Art. 20 und zu Art. 28.


(Iris Gleicke [SPD]: So ist es! – Martin Zeil [FDP]: Und zu Herrn Schröder!)


Aus diesen Artikeln leitet sich das soziale Staatsziel der
Bundesrepublik Deutschland ab: dass Deutschland ein
sozialer Bundesstaat und ein sozialer Rechtsstaat ist und
dass die verfassungsmäßige Ordnung diesem sozialen
Staatsziel entsprechen muss. Man kann also nicht nur
auf Art. 14 des Grundgesetzes verweisen. Hier mit dem
Hinweis auf eine Neiddebatte zu argumentieren, ist ein-
fach nur dürftig, Herr Kollege. Es tut mir furchtbar leid.


(Beifall bei der SPD – Martin Zeil [FDP]: Dürftig sind Ihre Neiddebatten! – Dr. Volker Wissing [FDP]: Mit Populismus kommt man aber auch nicht weiter!)


Wenn Sie sich mit dem Sozialstaatsziel beschäftigen,
würde ich Ihnen empfehlen, sich auch einmal schlauzu-
machen, was daraus abzuleiten ist. Ich darf Ihnen einmal
vorlesen, was im Handbuch des Staatsrechts der Bun-
desrepublik Deutschland von Isensee und Kirchhof, die
beide sicherlich nicht als soziale Träumer verschrien
sind, zu Staatszielbestimmung und sozialem Rechtsstaat
steht. Dort heißt es: Wo die Wirklichkeit des Gemeinwe-
sens – ihre Politik, ihr Recht und alle faktischen Verhält-
nisse, die soziale Lage der in der Verantwortung des Ge-
meinwesens stehenden Menschen – der Kennzeichnung
des Gemeinwesens als ein soziales nicht – mehr – ent-
spricht, muss sie – die Wirklichkeit – so verändert wer-
den, dass sie mit dieser Kennzeichnung übereinstimmt.

Das ist ein klarer normativer Auftrag an den Deut-
schen Bundestag, liebe Kolleginnen und Kollegen.


(Beifall bei der SPD – Martin Zeil [FDP]: Und was haben Sie gemacht? Ich sage nur: Kanzler der Bosse!)


– Das ist einfach nur niveaulos. Was hat der „Kanzler
der Bosse“ mit der Frage der Managergehälter zu tun,
Herr Kollege? Ich kann Ihnen nur sagen: Ungenügend,
setzen! Das wäre die richtige Antwort auf das, was Sie
uns hier erzählt haben.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Martin Zeil [FDP]: Sie sollten sich als Oberlehrer einstellen lassen!)


Wenn wir herausfinden wollen, wie die Wirklichkeit
gegenwärtig aussieht, sollten wir einmal in die Bevölke-
rung hineinhören. Es gibt repräsentative Untersuchun-
gen, deren Ergebnisse besagen, dass nur noch 24 Prozent
der Bevölkerung davon überzeugt sind, dass wir in einer
sozialen Marktwirtschaft leben. 62 Prozent der Befrag-
ten meinen, das deutsche Wirtschaftsmodell sei nicht
wirklich sozial. Trotz des Aufschwungs, den wir seit

13824 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 132. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 12. Dezember 2007


(A) (C)



(B) (D)


Joachim Stünker
zwei Jahren erleben, sind nur noch 15 Prozent der Deut-
schen davon überzeugt, dass die Einkommensverteilung
in unserem Land gerecht ist.

Die Managementberatung Kienbaum kommt zu dem
Ergebnis, dass ein Vorstandsmitglied eines DAX-Kon-
zerns im Jahre 2006 im Schnitt eine Barvergütung von
1,9 Millionen Euro kassiert hat; das waren fast zwei
Drittel mehr als im Jahre 2001. Haben Topmanager von
1976 bis 1996 das 15- bis 20-fache des Einkommens ei-
nes Angestellten verdient, stieg dieses Verhältnis bis
zum Jahre 2005 auf etwa 43. Die Vorstandsvorsitzenden
erhalten, wie wir wissen, eine noch wesentlich höhere
Vergütung, die aktienkursbezogenen Vergütungen noch
gar nicht inbegriffen. Es ist also Zeit zum Handeln, um
den sozialen Ausgleich in dieser Gesellschaft nicht zu
gefährden, und es ist Zeit zum Handeln, um vor allem
die demokratische Akzeptanz in dieser Gesellschaft
nicht zu gefährden.


(Beifall bei der SPD)


Man soll und muss über Regelungen nachdenken, und
wir werden das tun. Es ist nicht einfach, aber man kann
regeln. Schauen Sie sich einmal den § 87 des Aktienge-
setzes an! In ihm ist schon heute geregelt, dass die Vergü-
tungen in einem angemessenen Verhältnis zur Aufgabe
des Vorstandsmitglieds und zur Lage der Gesellschaft
stehen müssen. Bei der Frage, was ein angemessenes
Verhältnis ist, fängt die Begriffsverwirrung an, die auch
in Ihrer Rede zu spüren war.


(Martin Zeil [FDP]: Fangen Sie doch bei den Staatsunternehmen an!)


Man sieht, wie wenig hilfreich das Mannesmann-Verfah-
ren im Ergebnis gewesen ist. Die deutsche Justiz ist
nicht in der Lage gewesen, über die Frage der Angemes-
senheit zu judizieren.


(Dr. Volker Wissing [FDP]: Die Gewerkschaften haben zugestimmt!)


Wenn sie das getan hätte, wären wir möglicherweise ei-
nen wesentlichen Schritt weiter.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Wir müssen uns genau darüber unterhalten, wie wir
Angemessenheit definieren. Mein Vorschlag ist, darüber
zu reden, ob nicht Aufsichtsratsmitglieder namentlich
zum Ersatz verpflichtet werden können, wenn sie unan-
gemessene Vergütungen festsetzen; denn eine unange-
messene Vergütung ist im Grunde Untreue und damit ein
Straftatbestand.


(Christine Scheel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist heute schon ein Straftatbestand!)


Reden wir auch darüber, ob nicht zukünftig die
Hauptversammlung das Gesamtvergütungskonzept eines
Konzerns zu billigen hat. Das sind Vorschläge, über die
wir hier gemeinsam verantwortlich diskutieren sollten.
Bei der Frage der Abfindungen kann man auch darüber
reden, wie es die Amerikaner machen, ob nicht jenseits
einer bestimmten Höchstgrenze Abfindungen steuerlich
nicht mehr als Betriebsausgaben absetzbar sind.

(Christine Scheel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Amerikaner haben so viele Ausnahmeregelungen! Die sind kein Vorbild!)


Das alles sind Vorschläge, über die man sachlich disku-
tieren sollte. Machen wir uns an die Arbeit! Hören wir
auf mit populistischen Reden


(Martin Zeil [FDP]: Darüber müssen Sie reden!)


und mit den Konzepten, die Sie hier vorgetragen haben!
Regelungen sind verfassungsrechtlich möglich und poli-
tisch nötig. Wir werden entsprechend handeln.

Schönen Dank.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN)



Gerda Hasselfeldt (CSU):
Rede ID: ID1613204500

Nächste Rednerin ist die Kollegin Christine Scheel

für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.


Christine Scheel (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1613204600

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Ich finde, wir müssen diese Debatte nicht nur sehr ernst-
haft führen, sondern wir sollten diese Debatte auch sehr
ehrlich führen. Deswegen würde ich ganz gerne zu Be-
ginn einige Phänomene aufzeigen; denn man kann nicht
alles in einen Topf werfen.

Wir haben es zum Ersten damit zu tun, dass Manager-
abfindungen auch in Deutschland in den letzten Jahren
schwindelerregende Höhen erreicht haben. Wir haben es
zum Zweiten damit zu tun, dass es auch vor dem Hinter-
grund der Mindestlohndebatte zu Recht eine Diskussion
darüber gibt, wie groß die Einkommensdifferenzen zwi-
schen Topmanagern und normalen Arbeitnehmern und
Arbeitnehmerinnen sind. Wir haben es zum Dritten da-
mit zu tun, dass Aktienoptionen und Pensionszusagen
für viele Aktionäre und für die Bevölkerung sowieso
sehr intransparent sind. Und wir haben es zum Vierten
damit zu tun, dass das Verhalten angestellter Topmanager
und der Chefs von in der Rechtsform personengeführter
Familienunternehmen nicht in einen Topf geworfen wer-
den darf. Hier muss unterschieden werden; denn Fami-
lienunternehmer und Familienunternehmerinnen haften
mit ihrem gesamten Vermögen.


(Martin Zeil [FDP]: So ist es!)


Das ist eine völlig andere Situation. Ich halte es für nicht
angemessen, wenn es heißt, dass alle, die viel Geld ver-
dienen, absahnen. Es gibt vielmehr unterschiedliche Ri-
siken. Es ist ein Unterschied, ob ich angestellt bin und
ein Unternehmen in den Sand gesetzt habe und eine hohe
Abfindung bekomme oder ob ich das Risiko habe, als
Familienunternehmer mit meinem gesamten Vermögen
haften zu müssen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU, der SPD und der FDP sowie der Abg. Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE])


Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 132. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 12. Dezember 2007 13825


(A) (C)



(B) (D)


Christine Scheel
Deswegen, so glaube ich, ist es wichtig, dass wir hier
eine klare Differenzierung vornehmen.

Die Diskussion gibt es auch in anderen Ländern. Es
gibt sie in den Vereinigten Staaten – das wurde ange-
sprochen –, es gibt sie in Großbritannien, und es gibt sie
jetzt verstärkt auch in Frankreich. Wir stellen aber fest,
dass überall dort, wo versucht worden ist, Regelungen
zur Begrenzung der Gehälter vorzunehmen, diese Rege-
lungen so große Lücken haben, dass sie am Ende kaum
wirksam sind. In Großbritannien wird das unter dem
Schlagwort „Fat Cats“ diskutiert. Ich meine schon, dass
es wichtig ist, dass wir uns überlegen, was wir politisch
und auch gesetzgeberisch als Parlament tun können.

Wir können Verschiedenes tun. Wir können auf der
einen Seite einen Appell – wie er auch notwendig ist –
an die Wirtschaft richten und sie auffordern, diese De-
batte offen aufzunehmen und nicht als Neiddebatte zu
verstehen. Es darf der Wirtschaftsführung nicht egal
sein, wenn Mitarbeiter ihre Leistung und ihr Engage-
ment für das Unternehmen missachtet sehen, weil unter-
nehmensbedrohende Fehlentscheidungen angestellter
Manager mit Millionenabfindungen vergoldet werden.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der Abg. Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE] – Dr. Volker Wissing [FDP]: Das sind ja sehr konkrete Gesetzgebungsvorschläge! Geht es ein bisschen konkreter?)


Das ist der Punkt, über den auf der einen Seite gespro-
chen werden muss.

Herr Hundt hat zu Recht die Maßlosigkeit in Ausnah-
mefällen angesprochen. Aber es geht auch nicht, dass
man auf Spitzensportler und Medienstars verweist und
sagt, dass es dort noch viel schlimmer sei und man des-
halb bei den Managergehältern nichts tun müsse. Es geht
nicht, die eine Gruppe gegen die andere auszuspielen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN – Dr. Volker Wissing [FDP]: Was soll nun der Gesetzgeber tun?)


Wir haben uns dieses Themas von grüner Seite aus
schon vor vielen Jahren angenommen. Thea Dückert hat
es von diesem Pult aus schon einige Male thematisiert.
Wir haben in der rot-grünen Regierungszeit verschie-
dene Änderungen bezüglich der Offenlegung von Mana-
gergehältern verabschiedet. Es gibt bereits derartige Ge-
setze. Ich weiß nicht, ob Herr Schäuble das vergessen
hat oder ob es Populismus ist.


(Ludwig Stiegler [SPD]: Der war damals dagegen!)


Aber das, was er da eingefordert hat, haben wir zum
Großteil schon.


(Beifall des Abg. Klaus Uwe Benneter [SPD])


Deswegen müssen wir uns überlegen, was man darüber
hinaus noch tun kann.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Es ist richtig und wichtig, uns über die steuerliche
Geltendmachung von Abfindungszahlungen auf der be-
trieblichen Ebene zu unterhalten. Jeder, der eine Abfin-
dung bekommt, muss diese Abfindung versteuern – das
nur als Klarstellung. Die Frage ist nur, was auf Unter-
nehmensebene passiert. Wenn gigantisch hohe Abfin-
dungszahlungen dazu führen, dass die Unternehmensge-
winne entsprechend reduziert werden und der Staat
weniger Geld einnimmt, dann zahlen alle Steuerzahler
und Steuerzahlerinnen diese hohen Abfindungen mit.
Das akzeptieren wir so nicht.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der Abg. Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE])


Deswegen hat die grüne Fraktion gestern in ihrer
Fraktionssitzung einen Antrag beschlossen, den wir jetzt
zur Beratung eingebracht haben, mit dem wir fordern,
den Steuerabzug bei Managerabfindungen zu begrenzen.
Denn dies setzt einen Anreiz für Unternehmen, mit ihren
Abschiedsgeschenken vorsichtiger umzugehen. Wenn
diese Abzugsmöglichkeit nicht mehr so gut ist, wird man
sich überlegen, ob man Abfindungen in diesen Größen-
ordnungen noch gewährt.

Ich finde, dass Lücken bei der Wertbemessung von
Aktienoptionen und Pensionszusagen im Aktienrecht ge-
schlossen werden können.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Darüber wird es, so hoffe ich, eine gute Diskussion ge-
ben. Jedenfalls werden wir als Grüne dafür sorgen, dass
diese Diskussion nicht sang- und klanglos im Sande ver-
läuft, sondern dass wir zu konkreten Entscheidungen
kommen. Das erwarten die Menschen von uns.

Danke schön.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Gerda Hasselfeldt (CSU):
Rede ID: ID1613204700

Nächster Redner ist der Kollege Gerald Weiß für die

CDU/CSU-Fraktion.

Gerald Weiß (Groß-Gerau) (CDU/CSU):
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Frau Höll, wenn Sie sagen, es gebe keinen Be-
darf an sensibler Diskussion, dann will ich antworten:
Ein bisschen differenziert darf es schon sein. Der Beitrag
von Frau Scheel, die sagte, sie wolle ehrlich und ernst-
haft an das Thema herangehen, war differenziert. Ich
will es in der gleichen Richtung zumindest versuchen.

Die Gesellschaft darf nicht zu weit auseinanderdrif-
ten, weil wir sonst in die Gefahr geraten, dass wir den
sozialen Frieden und die soziale Marktwirtschaft Akzep-
tanz und Ansehen verlieren. Über viele Jahre herrschte
Schwindsucht bei der Arbeitnehmerkaufkraft, während
die Managereinkommen davonstürmten und die Abfin-

13826 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 132. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 12. Dezember 2007


(A) (C)



(B) (D)


Gerald Weiß (Groß-Gerau)

dungen – die mit Versagerprämien in zweistelliger Mil-
lionenhöhe in umgekehrter Proportionalität zur Leistung
standen – zum Teil ins Groteske gestiegen sind. Das ist
nicht in Ordnung.


(Martin Zeil [FDP]: Das ist doch Sache der Aufsichtsräte!)


Da muss man nachdenken. Ich bin der Bundeskanzlerin
und dem Bundespräsidenten dankbar für die Beiträge,
die sie in diesem Zusammenhang an die Öffentlichkeit
gerichtet haben.

Das Thema ist bei den Arbeitgebern angekommen,
Frau Scheel. So hat Siemens-Chef Löscher gesagt:

Ich halte diese Debatte gesellschaftspolitisch für
sehr wichtig. Sie richtet sich ja nicht gegen hohe
Gehälter an sich, sondern gegen Exzesse

– sein Wort! –

bei denen Bezahlung und Leistung in keinem Ver-
hältnis zueinander stehen.

Da sind wir eigentlich mitten beim Thema.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Herr Zeil, man kann es sich nicht so einfach machen,
das als Neiddebatte abzutun. Es geht nicht um Neid, es
geht schlichtweg um das Gerechtigkeitsempfinden der
Menschen,


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


und zwar um Leistungsgerechtigkeit, Verteilungsgerech-
tigkeit und Belastungsgerechtigkeit.


(Zuruf von der FDP: Das heißt was?)


Wir können für die Symmetrie in dieser Gesellschaft
einiges tun. Die Politik kann beispielsweise dahin ge-
richtet sein, Jobs zu schaffen.


(Martin Zeil [FDP]: Sie können Steuern senken! Wie wäre es damit?)


Die Politik kann dahin gerichtet sein, Lohnerhöhungs-
spielräume zu schaffen


(Martin Zeil [FDP]: Nehmen Sie den Leuten doch nicht so viel weg!)


und die Beteiligung der Arbeitnehmer am Produktivka-
pital zu forcieren. Bei beidem ist die Koalition auf sehr
gutem Weg.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Die Politik kann und muss darauf gerichtet sein – da gibt
es einen Berührungspunkt mit der FDP –, die Kaufkraft
der Arbeitnehmer zu stärken. Zum 1. Januar 2008 wer-
den wir den Arbeitslosenversicherungsbeitrag nahezu
halbiert haben. Das kommt netto, in Form einer Kauf-
kraftverstärkung, beim Arbeitnehmer an.

Die Frage, die jetzt naheliegt, ist natürlich: Was kann
man auf den Vorstandsetagen tun? Eines kann man in ei-
nem weltoffenen Land, das Teil einer globalisierten
Wirtschaft ist, nicht tun: Man kann nicht dirigistisch die
Managergehälter deckeln. Dirigismus und Interventio-
nismus sind in einer internationalen Marktwirtschaft
ganz sicher kein Rezept. Aber wir können dort ansetzen,
wo die Probleme beginnen – einige meiner Vorredner
haben sich in ihren Diskussionsbeiträgen sehr wohl da-
mit befasst –: Wir können die Transparenzregeln, die be-
stehen, verstärken. Wir können die Rechte und die Kon-
trollpflichten des Aufsichtsrates als Organ stärken. Wir
können die Rechte und die Pflichten der Hauptversamm-
lung, der Aktionärsversammlung, stärken. Noch gibt es
eine Sperre im Gesetz, noch kann die Aktionärsver-
sammlung die Transparenz bei den Gehältern aussetzen.
Wir können in diesem Zusammenhang sozusagen die
Rolle des Eigentümers stärken. Die Cromme-Kommis-
sion hat gesagt: Angemessen soll bezahlt werden. Das
kann man konkretisieren. Wir können deutlicher definie-
ren, was angemessen ist. Man kann die Verantwortung
der Aufsichtsräte und die Möglichkeiten der Aktionäre
sicherlich stärken.

Es geht um das soziale Gleichgewicht, um die Ba-
lance in unserer Gesellschaft, es geht um Leistungsge-
rechtigkeit. Jetzt ist erst einmal die Wirtschaft am Zuge.
Wenn sie in Selbstverantwortung handeln will, hat sie
Vorfahrt. Wenn sie nicht handelt, müssen wir uns überle-
gen, was wir im Rahmen der sozialen Marktwirtschaft
tun können.

Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Dr. Thea Dückert [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie können unseren Antrag unterstützen!)



Gerda Hasselfeldt (CSU):
Rede ID: ID1613204800

Nun hat das Wort der Kollege Klaus Ernst für die

Fraktion Die Linke.


(Beifall bei der LINKEN)



Klaus Ernst (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1613204900

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und

Herren! In der aktuellen Befragung der Bertelsmann-
Stiftung zum Thema „Soziale Gerechtigkeit“ heißt es:
Im Jahre 2000 waren noch 35 Prozent der Bevölkerung
der Auffassung, die wirtschaftlichen Verhältnisse in
Deutschland seien gerecht. Im Jahre 2007 waren es nur
noch 15 Prozent. Nunmehr sagen 56 Prozent der Bürger:
Die wirtschaftlichen Verhältnisse sind definitiv unge-
recht.

Jetzt erzählen uns hier einige etwas von Neid. Ich
kann Ihnen sagen, wer hier neidisch ist. Neidisch, finden
die Arbeitslosen mit 347 Euro Regelsatz, sind Sie, meine
Herren,


(Beifall bei der LINKEN – Martin Zeil [FDP]: Wie viele Arbeitsplätze haben Sie denn auf dem Gewissen als IG-Metaller?)


weil Sie ihnen ans Geld gehen. Das Problem ist doch,
dass die Schere in diesem Land auseinandergeht und
permanent mit unterschiedlichen Maßstäben gemessen

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 132. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 12. Dezember 2007 13827


(A) (C)



(B) (D)


Klaus Ernst
wird. Inzwischen empört sich das ganze Land über das,
was hier vonstattengeht.

Herr Benneter hat, als es in der letzten Debatte um un-
seren Antrag ging, gesagt, wir seien notorische Protestie-
rer.


(Klaus Uwe Benneter [SPD]: Empörer!)


Ich kann Ihnen nur sagen, Herr Benneter: Dass inzwi-
schen das ganze Land protestiert, hängt damit zusam-
men, dass die Bürger bestimmte Verhältnisse nicht mehr
akzeptieren. Sie akzeptieren nicht mehr, dass die Bezüge
der Vorstände der DAX-Unternehmen von 2002 bis
2006 um 62 Prozent gestiegen sind, die Löhne hingegen
nur um 2 Prozent. Also wer ist hier neidisch? Neidisch
sind die Manager, die den Arbeitnehmern den Lohn
nicht mehr gönnen.


(Beifall bei der LINKEN – Martin Zeil [FDP]: Die Gewerkschaften haben zugestimmt! Herr Huber hat zugestimmt!)


– Zu den Gewerkschaften sage ich gleich einmal Folgen-
des: Ja, sie sitzen in den Aufsichtsräten. Sie wissen aber
ganz genau, dass sie nie eine Mehrheit haben, weil Sie
als FDP dafür gesorgt haben, dass der Vorsitzende, der
immer von den Arbeitgebern kommt, ein Doppelstimm-
recht hat und dass immer ein leitender Angestellter im
Aufsichtsrat sitzt, der mit den Arbeitgebern stimmt.


(Martin Zeil [FDP]: Sie haben doch zugestimmt!)


Das ist Ihre Parität. Deshalb: Hören Sie mit den Auf-
sichtsräten auf! Das ist pure Volksverdummung.


(Beifall bei der LINKEN – Stephan Mayer [Altötting] [CDU/CSU]: Das ist doch lächerlich!)


Professor Schwalbach von der Humboldt-Universität
hat inzwischen festgestellt, dass das Verhältnis der Vor-
standsgehälter der 30 DAX-Unternehmen zu den Perso-
nalkosten pro Kopf 1987 14 war und inzwischen bei 44
liegt. Ich sage Ihnen: Die Vorstände der deutschen Un-
ternehmen bereichern sich zulasten der Arbeitnehmer in
diesem Land. Sie dulden und unterstützen das.


(Beifall bei der LINKEN – Martin Zeil [FDP]: Zwickel hat zugestimmt!)


Ich sage Ihnen auch: Die Bürger empören sich, weil
ein Herr Ackermann 13,2 Millionen Euro im Jahr ver-
dient, während er gleichzeitig einen Stellenabbau be-
kannt gibt.


(Martin Zeil [FDP]: Absurd!)


Die Bürger empören sich, wenn dieselben Leute, die oh-
negleichen abzocken, dem Bürger das Maßhalten ver-
ordnen.


(Zuruf von der CDU/CSU: Bei VW!)


Ich sage Ihnen: Die Bürger empören sich auch, weil
sich Ihre Klientel immer mit den Bestverdienenden in
den USA vergleicht, während es zu den eigenen Arbeit-
nehmern sagt: Guckt doch einmal, wie billig die Chine-
sen, die Portugiesen oder die Tschechen sind. Diese Un-
gleichheit, die Sie da an den Tag legen, versteht doch
kein Mensch.

(Beifall bei der LINKEN – Dr. Volker Wissing [FDP]: Wie viele Arbeitsplätze haben Sie weggerissen?)


Ich sage Ihnen auch: Wir freuen uns über die Einsicht
der Kanzlerin, die auf Ihrem Parteitag ja fast zum Erz-
engel der sozialen Gerechtigkeit geworden ist und gesagt
hat: In Japan verdient der Chef eines Autokonzerns in
etwa das Zwanzigfache dessen, was seine Beschäftigten
erhalten. Das entspricht unserem Antrag. Wir sagen ja
auch, dass er im Prinzip 20-mal so viel verdienen soll.
Wir können auch über 25-mal so viel diskutieren. Das ist
gar nicht die Frage. Das Problem ist – das muss ich auch
in Richtung der SPD sagen –: Sie tun momentan so, als
hätten Sie dieses Thema entdeckt. Wenn es darum geht,
konkrete Vorschläge zu machen, dann bleiben Sie diese
aber schuldig.


(Beifall bei der LINKEN)


Es wird argumentiert, alle Manager würden in die
USA oder sonst wohin gehen, weil sie dort besser ver-
dienen als bei uns in der Bundesrepublik oder vielleicht
in Japan, wo sie das Zwanzigfache erhalten. Dann dürf-
ten wir schon keine Manager mehr haben. Sie sind aber
alle noch da. Ich sage Ihnen: Wenn es ihnen dort so gut
geht, dann sollen sie doch in die USA gehen. Wir finden
hier Arbeitnehmer, die das ein wenig billiger machen.
Das zu diesem Thema.


(Beifall bei der LINKEN – Zuruf von der FDP: Sehr wahrscheinlich!)


Die Empörung wird natürlich umso größer, wenn
Kannegiesser sagt: Über Millionen hin und her brauchen
wir doch gar nicht zu reden, das ist doch gar nicht so
wichtig.


(Stephan Mayer [Altötting] [CDU/CSU]: Ist doch unglaublich!)


Ich sage Ihnen: Hören Sie auf, an die Arbeitgeber zu ap-
pellieren, sie sollten einmal vernünftig sein! Sie könnten
auch an den Alkoholiker appellieren, dass er statt
Schnaps Mineralwasser trinken soll. Das funktioniert
nicht. Ich sage Ihnen: Sie sind eine Regierung und keine
Appellierung. An das sollten Sie sich auch halten.


(Beifall bei der LINKEN)


Zum Schluss sage ich: Die Bundesregierung und vor
allen Dingen Sie von der FDP entwickeln sich zusehends
zu einer Schutzgemeinschaft für Abzocker. Das muss
beendet werden.


(Martin Zeil [FDP]: Das müssen Sie gerade sagen!)


Die Bürger dieses Landes werden es nicht akzeptieren
– das werden Sie bei den nächsten Wahlen erleben –,
dass Sie sich zum Schutzengel der sozialen Gerechtig-
keit machen.

Ich danke fürs Zuhören.


(Beifall bei der LINKEN – Martin Zeil [FDP]: Wer sitzt denn in den Aufsichtsräten? – Weiterer Zuruf von der FDP: Was ist denn jetzt mit Zwickel?)


13828 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 132. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 12. Dezember 2007


(A) (C)



(B) (D)


Gerda Hasselfeldt (CSU):
Rede ID: ID1613205000

Nächster Redner ist der Kollege Ludwig Stiegler für

die SPD-Fraktion.


(Beifall der Abg. Ute Berg [SPD])



Ludwig Stiegler (SPD):
Rede ID: ID1613205100

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der

Kollege Ernst hat sich wie üblich ereifert.


(Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Zu Recht!)


Ich würde gerne wissen, wie viele Gehälter er als Auf-
sichtsrat in Unternehmen schon genehmigt hat, gegen
die er jetzt getobt hat.


(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Wenn wir das wüssten, dann sähe manches anders aus.

Ich denke, wir müssen aufpassen, dass das hier nicht
in ein generelles Vorstandsbashing ausartet; denn wir
alle wissen: Ohne einen guten Vorstand läuft die Chose
nicht.


(Martin Zeil [FDP]: Genau!)


Gerade bei der Übernahme durch Arbeitnehmer habe ich
x-mal erlebt: So gut die einzelnen Orchesterspieler in ih-
rem Fach auch sind, wenn der Dirigent fehlt, wird es
schwierig. Deshalb sage ich: Wir sollten hier schon wür-
digen, was die Vorstände leisten


(Martin Zeil [FDP]: Sehr richtig!)


und dass ein guter Vorstand für die Arbeitnehmer und für
den Staat ein wichtiges Asset ist.


(Beifall des Abg. Paul Lehrieder [CDU/CSU] – Dr. Volker Wissing [FDP]: Da kehrt ja jemand zur Vernunft zurück!)


Wir sind in der Adventszeit. Als Kinder haben wir
immer gesungen: Rorate caeli desuper et nubes pluant
iustum – Tauet Himmel den Gerechten, Wolken regnet
ihn herab.


(Christine Scheel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir hatten deutsche Lieder!)


Das geht auf Jesaja zurück. Die Suche nach Gerech-
tigkeit gab es also schon vor Beginn der Christenheit.
Schon die alten Römer haben sich mit dem iustum pre-
tium – dem gerechten Preis – befasst, und auch Aristote-
les hat sich darüber verbreitet. Wir stehen also nicht vor
einer neuen Aufgabe.

Ich denke, wir sollten realistisch an diese Aufgabe
herangehen und auch Fehlsteuerungen wahrnehmen. In
den letzten Jahren wurde mit der Koppelung der Manager-
gehälter an den Shareholder-Value und der Übernahme
der amerikanischen Konzepte ein bewährtes System au-
ßer Kraft gesetzt, das im deutschen Aktienrecht eigent-
lich anders geregelt ist.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Wir haben die enge Koppelung an den Gewinn und an
die Eigentümerinteressen weg von den Interessen der
Gesellschaft erlebt. Ich glaube, eine der Hauptaufgaben
besteht darin, zu erreichen, dass ein Vorstand wieder
dem Unternehmenswohl statt einseitig dem Shareholder-
Value verpflichtet ist.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Das ist die derzeitige Situation, in der einiges aus dem
Ruder gelaufen ist. Alle, die meinen, der Gesetzgeber
dürfe an dieser Stelle nichts tun, irren, Herr Zeil. Das
Aktiengesetz legt die Leitlinien fest, nämlich die Auf-
gabe des Vorstandes und die Lage der Gesellschaft; die
Vergütung muss dem angemessen sein.

Was die Angemessenheit der Vergütung angeht,
würde es sicherlich helfen, wenn die Aufsichtsräte ver-
pflichtet wären, zu begründen, inwiefern die Vergütung
eines Vorstandsmitglieds durch seinen Marktwert, seine
Leistungen, seinen besonderen Einsatz oder seine Ver-
antwortung legitimiert ist. Das sind zum Beispiel Krite-
rien, denen wir uns im Zusammenhang mit der Erarbei-
tung einer angemessenen Vergütung widmen sollten.

Das Wichtigste ist aus meiner Sicht, dass wir die Prin-
ciple-Agent-Situation, in der die Shareholder bestim-
men, dass die Vorstandsvergütung an den Gewinn oder
den Börsenkurs gekoppelt sein muss, wodurch der Vor-
stand praktisch an die Leine der Aktionäre gelegt wird,
ändern und die Unternehmensverantwortung der Vor-
stände wiederherstellen.

Vorstellbar erscheint mir eine Vergütung des Vor-
stands entsprechend der Umsatzausweitung, den Leis-
tungen in Forschung und Entwicklung, der Beschäfti-
gungssituation oder der Ausbildungssituation. Zurzeit ist
es eher umgekehrt: Ein Vorstand, der Geld spart, indem
er auf Ausbildung verzichtet, steigert den Börsenkurs
und wird dafür belohnt, dass er sich gegen die Zukunft
des Unternehmens versündigt. Denn dass wir zu wenig
Fachkräfte haben, wie derzeit immer wieder festgestellt
wird, ergibt sich aus dieser Vorstandsdenke. Das muss
strukturell geändert werden.


(Beifall bei der SPD)


Ich denke, dass es hierbei auch um Ethik geht. Der
Corporate Governance Codex muss überarbeitet werden.
Die Aufsichtsräte dürfen nicht nur im stillen Kämmer-
lein Absprachen treffen. Möglicherweise muss man auch
die Personen in den Blick nehmen, die sich gegenseitig
in Seilschaften helfen. Es geht darum, einen Manager
nicht nach seinen Beziehungen und seinem Networking
zu vergüten, sondern nach seinem Marktwert. In diesem
Zusammenhang ist einiges zu tun.

Der Vorstand darf nicht mehr nur Agent der Aktionäre
sein; er muss vielmehr Agent des Unternehmens sein.
Eine Aktiengesellschaft ist auch nach dem Grundgesetz
der sozialen Verpflichtung des Eigentums unterworfen.
Das sollten wir im Hinterkopf haben.

Ich habe mit dem Advent begonnen und möchte auch
damit schließen. Johannes der Täufer hat seine berühm-
ten Reden über „metanoeite“ gehalten: Kehrt um! Wan-
delt euren Sinn! Das rufen wir den Beteiligten und uns

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 132. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 12. Dezember 2007 13829


(A) (C)



(B) (D)


Ludwig Stiegler
selbst zu. Wenn wir hinterfragen, wo die Entwicklung zu
weit gegangen ist, wo es zu Exzessen gekommen ist, wo
wir Leistungen und Gegenleistungen wieder in das rich-
tige Verhältnis zueinander bringen müssen und wie wir
das Verhältnis zwischen Arbeitnehmer und Aktionär
wieder in Ordnung bringen können, dann haben wir et-
was geleistet.

Danke.


(Beifall bei der SPD – Zuruf von der CDU/ CSU: Frohe Weihnachten!)



Gerda Hasselfeldt (CSU):
Rede ID: ID1613205200

Nächste Redner ist der Kollege Philipp Mißfelder für

die CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Philipp Mißfelder (CDU):
Rede ID: ID1613205300

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kol-

legen! Nach den besinnlichen Worten des Herrn Kolle-
gen Stiegler, dem ich in vielen Punkten zustimme, um
das großkoalitionär festzustellen, möchte ich bezüglich
Herrn Ernst den einen oder anderen Punkt anmahnen.
Das Gute ist ja, dass die Bürgerinnen und Bürger in un-
serem Land wissen, welche Politiker wie redlich argu-
mentieren und unter welchen Konditionen sie argumen-
tieren. Dabei ist natürlich die Veröffentlichungspflicht
hilfreich, die wir als Bundestagsabgeordnete beschlos-
sen haben und die auch umgesetzt wird. Ein Blick ins In-
ternet verrät, dass Herr Ernst, was Besserbezahlung im
Vergleich zu manchen, die hier unter uns sitzen, angeht,
jemand ist, der Bescheid weiß. Herr Ernst, Sie geben an,
dass Sie in der Stufe 2 sind, das heißt bis 7 000 Euro mo-
natlich hinzuverdienen, und dass Sie in einem Aufsichts-
rat sitzen, wo Sie in der Stufe 3 mehr als 7 000 Euro mo-
natlich hinzuverdienen. Darüber hinaus geben Sie eine
weitere Tätigkeit an, wozu bisher noch nicht veröffent-
licht worden ist, wie viel Sie verdienen, weil die Zahlung
wahrscheinlich erst im Dezember erfolgen wird.


(Zuruf von der CDU/CSU: Hört! Hört!)


Von daher ist der Blick ins Internet hilfreich, weil
man damit weiß, von welcher Position aus Sie hier re-
den. Sie gehören selber Gremien an, in denen Sie wahr-
scheinlich mitbeschlossen haben, wie die Bezahlung von
Managern aussieht. Deshalb ist das moralische Ross, auf
dem Sie sitzen, ziemlich wackelig.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD, der FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Die Debatte hat in der vergangenen Woche auf dem
Bundesparteitag der CDU begonnen. Insofern bin ich
unserer Bundeskanzlerin dankbar, dass sie das Thema
„Unmoralische Managergehälter“ so offensiv angespro-
chen hat.


(Zuruf von der LINKEN)


Der Stellenwert der Debatte ist seitdem wesentlich grö-
ßer geworden, und die Debatte ist wesentlich sachlicher
geworden, als dies vorher der Fall war. Es ist nämlich
klargeworden, dass es eine große Spanne zwischen dem
Gerechtigkeitsempfinden vieler Menschen und dem gibt,
was tatsächlich in Teilen in der Wirtschaft stattfindet.
Während früher der Grundsatz galt, geht es der Wirt-
schaft gut, dann geht es auch den Menschen gut, haben
leider heute viele Menschen diesen Grundeindruck nicht
mehr.


(Klaus Uwe Benneter [SPD]: Zu Recht!)


Dem müssen wir natürlich entgegenwirken. Dieser
Grundsatz gilt für viele Konzerne. Leider gibt es dort
aber auch schlechte Beispiele. Bei den Mittelständlern
stellt sich die Situation im Durchschnitt hingegen ganz
anders dar. Da gilt sehr wohl, geht es der Wirtschaft gut,
geht es auch den Mitarbeitern gut, weil wir in Deutsch-
land – das möchte ich nicht vergessen wissen – ein ver-
antwortungsbewusstes Unternehmertum haben. Das gilt
im Übrigen für die Mehrzahl der Unternehmer in unse-
rem Land. Ich halte es für unzulässig, so zu tun, als seien
alle Unternehmer mit den schwarzen Schafen, die hier
bereits genannt worden sind, über einen Kamm zu sche-
ren.

Ich meine allerdings, dass man sehr gut prüfen muss,
wie weit die Regelungswut des Deutschen Bundestages
und des Gesetzgebers insgesamt gehen darf. Ich halte
Überlegungen, die zum Beispiel das Aktienrecht betref-
fen, für bedenkenswert. Hier sind ja bereits konstruktive
Vorschläge gemacht worden. Es wird zu prüfen sein, wie
effizient sie sind. Wenn man jedoch einerseits Mindest-
löhne einführt und andererseits Maximalgehälter einfüh-
ren will, dann müsste man in der Fortsetzung dieser
Logik zukünftig auch Mindestgewinne garantieren.
Denn wenn sich der Staat zutraut, alles festzuschreiben,
dann muss er in Zukunft auch Mindestgewinne fest-
schreiben. Dann gibt es gar keine Freiheit mehr, sondern
nur noch Staat, nur noch Bestimmungen. Das lehnen wir
als Union auf jeden Fall ab.

Es ist bereits gesagt worden, dass es schwarze Schafe
gibt. Gerade weil in dieser Woche das Thema Mindest-
lohn diskutiert wird, möchte ich auf ein besonders
schwarzes Schaf eingehen, nämlich auf den Vorstands-
vorsitzenden der Deutschen Post. Wenn wir hier über un-
moralisches Verhalten sprechen, dann muss man auch
sehen, was eigentlich passiert, wenn ein Vorstandsvorsit-
zender wissentlich in Kauf nimmt, dass Tausende von
Arbeitsplätzen in seiner gesamten Branche zum Vorteil
zwar seines Unternehmens, aber nicht der gesamten
Volkswirtschaft in Gefahr geraten, und er gleichzeitig
auf eine erbarmungslose Art und Weise abkassiert, wo-
für er sich sogar im Nachhinein in seiner eigenen Mitar-
beiterzeitung entschuldigen muss. Das ist auch für un-
moralisch zu halten, und das sollten sich diejenigen
genau anschauen, die mit Herrn Zumwinkel kooperieren.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD, der FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wir als Gesetzgeber müssen dafür sorgen, dass Ver-
fassungsgüter geschützt bleiben. Dazu gehören die Ver-
tragsfreiheit und, wie Kollege Fuchs es bereits gesagt
hat, die Eigentumsrechte. Wir haben ein sehr gutes

13830 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 132. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 12. Dezember 2007


(A) (C)



(B) (D)


Philipp Mißfelder
System an Kontrollen. Das ist schon mehrmals ange-
sprochen worden. Dies sage ich vor allem an die Adresse
der Linkspartei. Ihre neuen Freundinnen und Freunde
von den Gewerkschaften sind bei den meisten Entschei-
dungen, die so getroffen worden sind, wie Sie sie hier
kritisiert haben, dabei und heben die Hand. Sprechen Sie
doch mit denen und sagen Sie ihnen, dass sie die Mitbe-
stimmungsmöglichkeiten nutzen sollen, die der Gesetz-
geber längst geschaffen hat und die sich in den letzten
Jahrzehnten bewährt haben.

Vielen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Gerda Hasselfeldt (CSU):
Rede ID: ID1613205400

Nun hat das Wort der Kollege Klaus Uwe Benneter

für die SPD-Fraktion.


Klaus Uwe Benneter (SPD):
Rede ID: ID1613205500

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Ich bitte um Nachsicht, dass ich wegen meiner Erkältung
heute etwas stiller sein muss.

Was stört uns eigentlich an der Diskussion über über-
mäßige Gehälter von Managern? Es ist keine Neid-
debatte. Die Manager sollen schon verdienen, was sie
verdienen, aber eben auch nicht mehr.


(Martin Zeil [FDP]: Gilt das auch für die Post?)


Dass hier vieles aus den Fugen geraten ist, sehen wir.
Wenn jemand am Vormittag mehr verdient als andere im
ganzen Jahr, dann ist das abgehoben, frivol und, wie
Kollege Thierse es genannt hat, obszön.


(Martin Zeil [FDP]: Sie sprechen von Schröder, nehme ich an!)


Die FDP sollte sich daran ebenfalls orientieren und
– hier stimme ich der PDS zu –


(Martin Zeil [FDP]: Sie haben sich auch zum demokratischen Sozialismus bekannt!)


nicht die Partei derjenigen ergreifen, die weiterhin sol-
che maßlosen Abfindungen und Gehälter tolerieren wol-
len.

Beispiele für Abzocker ohne besondere Leistungen
bzw. mit fragwürdigen Leistungen kennen wir alle. Herr
Schrempp hat Milliarden an Verlusten zu verantworten.


(Martin Zeil [FDP]: Schröder!)


Herr Esser hat Millionen als Abfindung kassiert. Herr
Ackermann hat Tausende Arbeitslose hinterlassen.


(Zuruf von der FDP: Müller!)


Sie alle sind mit hohen Zahlungen und Abfindungen be-
lohnt worden, obwohl sie schlechte und unfähige Manager
sind. Hier ist der Zusammenhang zwischen Leistung und
Gegenleistung bzw. Leistung und Vergütung verloren
gegangen.

Damit sind wir bei den Mindestlöhnen. In einigen
Branchen ist der Zusammenhang zwischen Leistung und
Vergütung der Arbeitnehmer verloren gegangen. Wenn
jemand Vollzeit arbeitet, dann muss er zumindest so viel
nach Hause bringen, dass er seine Familie ernähren
kann. Diese Zusammenhänge müssen wir sehen.

Wie können wir diesen üblen Auswüchsen beikom-
men? Einige sagen, wir müssten es bei dieser gefühlten
Ungerechtigkeit und bei Appellen belassen und könnten
nur auf Selbstverpflichtungen setzen. Mit zwar lauten,
aber folgenlosen Attacken – auch auf Parteitagen – wird
man der Sache aber nicht gerecht. Wir müssen über die
Aktienoptionen nachdenken. Diese wirken auf Manager
wie Drogen.


(Joachim Poß [SPD]: Genau, Heroin für Manager!)


Mit der gesetzlichen Pflicht zur Offenlegung der
Managergehälter sind wir – Kollegin Scheel hat es be-
reits angesprochen – einen ersten Schritt gegangen. Wir
hatten die Hoffnung, dass das ausreicht. Aber die von
uns festgelegten Transparenzregeln reichen offensicht-
lich nicht. Daran müssen wir weiter arbeiten. Wir kön-
nen beispielsweise gesetzlich festlegen, dass der Fix-
anteil eines Managergehalts höher veranlagt wird oder
dass der Kreis derjenigen, die über die Vergütung der
Manager bestimmen, größer wird und dass alle im Auf-
sichtsrat Verantwortung übernehmen. Manche sagen, das
gehe gesetzlich nicht. Das ist Unsinn. Kollege Stünker
hat dargelegt, dass wir das im Aktienrecht regeln kön-
nen. Das gibt das Grundgesetz allemal her. Das originäre
Wesen des Rechts, gerade des bürgerlichen Rechts ist,
die Vertragsfreiheit dort, wo sie aus dem Ruder läuft, zu
beschränken.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Wenn wir sehen, dass die Betreffenden keinen An-
stand und keine Moral haben, sind wir in der Lage, ihnen
mit dem Gesetz beizukommen. Wenn Selbstverpflich-
tungen nicht ausreichen, hier Zügel anzulegen, und nicht
dafür sorgen, dass alles zwischen bestimmten Leitplan-
ken verläuft, dann müssen und werden wir diesen üblen
Auswüchsen, dieser maßlosen Gier Einhalt gebieten,
notfalls auch per Gesetz.


(Beifall bei der SPD)



Gerda Hasselfeldt (CSU):
Rede ID: ID1613205600

Für die CDU/CSU-Fraktion hat nun das Wort der

Kollege Stefan Müller.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Stefan Müller (CSU):
Rede ID: ID1613205700

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Zunächst einmal möchte ich festhalten, dass ich unsere
heutige Debatte – jedenfalls zeitweilig – sehr spannend
gefunden habe. Sie war dem Anlass von der Tonlage her
– ein paar Ausfälle hatten wir wie üblich – weitgehend
angemessen. Ich glaube, es war eine wirklich gute und
eine sinnvolle Debatte.

Letztlich ist es die Fortsetzung einer Debatte, die wir
vor gut drei Jahren schon einmal geführt haben, und
zwar im Zusammenhang mit der Beratung des Gesetzes

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 132. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 12. Dezember 2007 13831


(A) (C)



(B) (D)


Stefan Müller (Erlangen)

zur Offenlegung der Gehälter von Vorstandsmitgliedern.
Für meinen Teil kann ich nur sagen: Ich sehe das heute
ein bisschen anders als vor drei Jahren.


(Joachim Poß [SPD]: Sie kennen ja das Abstimmungsergebnis von vor drei Jahren!)


– Man kann durchaus einmal zu einem anderen Ergebnis
kommen. – Ich glaube, dass Transparenz in dieser Form
nicht geschadet hat. Im Grundsatz schließen wir uns da-
mit dem an, was anderswo praktiziert wird. Damals ging
es im Kern um die Fragen: Welches Einkommen sollen
Vorstandsmitglieder haben? Was ist angemessen? Was
ist gerecht? Wer soll letztlich über die Höhe von Vor-
standsgehältern entscheiden?

Zur Frage der Angemessenheit: Ich meine, dass wir
uns da sehr schwertun werden. Ich bin kein Jurist; ich
glaube, dass andere versuchen werden, eine Definition
zu finden. Letztlich können wir die Frage „Was ist ange-
messen, und was ist gerecht?“ gar nicht beantworten,
weil dafür immer auch das subjektive Empfinden aller
relevant ist. Ist das Zwanzigfache, das Hundertfache, das
Tausendfache oder was auch immer eines durchschnittli-
chen Arbeitnehmerverdienstes angemessen oder gerecht?
Niemand von uns ist in der Lage, das abschließend und
gerecht zu beurteilen. Niemand von uns weiß, wo Ge-
rechtigkeit und Angemessenheit tatsächlich aufhören
und wo Ungerechtigkeit und Unangemessenheit begin-
nen.

Ich glaube, genau das ist der Punkt, der es für uns po-
litisch außerordentlich schwierig machen dürfte, uns da-
ranzumachen, irgendeine Definition zu finden. Weil das
Ganze so problematisch ist, denke ich, dass wir uns sehr
schwertun werden, Obergrenzen von Vorstandsgehältern
oder Managerbezügen festzulegen. Deswegen bin ich
sehr dafür, dass wir hier nicht den Eindruck erwecken,
wir könnten politisch irgendetwas auf den Weg bringen.
Wir sollten den Bürgerinnen und Bürgern nicht vermit-
teln, wir sorgten für Gerechtigkeit. Eine solche Gerech-
tigkeit kann es – jedenfalls aus meiner Sicht – nicht ge-
ben.

Ich will überhaupt nicht verhehlen: Manches, was in
der Wirtschaft abläuft, ist kritikwürdig. Es kann natür-
lich nicht sein, dass Vorstandsvorsitzende oder Vor-
standsmitglieder mit hohen Abfindungen und goldenem
Handschlag verabschiedet werden, obwohl sie offenkun-
dig und nachweislich – nicht nur in unseren Augen, son-
dern auch in den Augen der Kapitaleigner und der Ar-
beitnehmer – schlecht gearbeitet haben, was letztlich
dazu geführt hat, dass es zum Abbau von Arbeitsplätzen
gekommen ist. Ich finde, es ist in diesen Fällen schon
eine Frage von Anstand und Moral, der sich die Betrof-
fenen annehmen müssen. Aber, liebe Kolleginnen und
Kollegen, Anstand und Moral sind zuerst eine Sache des
Charakters und nicht der Politik.


(Martin Zeil [FDP]: Sehr richtig!)


An der Höhe von Managergehältern kann man durch-
aus Kritik anbringen. Natürlich sollen diejenigen, die
eine Leistung erbringen, dafür auch entsprechend be-
zahlt werden. Herr Kollege Zeil, der Hinweis auf die
USA ist jedoch unangemessen. Wir müssen schon der
Tatsache Rechnung tragen, dass die dortige Wirtschafts-
ordnung anders als unsere ist. In einer sozialen Markt-
wirtschaft gelten andere Wertmaßstäbe als in den USA.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD – Christine Scheel [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Gott sei Dank!)


Insofern führt dieser Vergleich nicht weiter.


(Martin Zeil [FDP]: Wir stehen aber im Wettbewerb!)


– Das mag ja alles sein. Richtig ist auch: Wir haben gute
Vorstandsmitglieder und gute Manager. Ich sage nur:
Das als alleiniger Maßstab trägt nicht; dieser Vergleich
sollte nicht angestellt werden.

Ich finde gut, dass wir diese Debatte führen. Diese
Debatte sollte aber nicht nur der Deutsche Bundestag
führen, sondern auch und vor allem die Wirtschaft. Herr
Hundt hat auf dem Arbeitgeberkongress 2007 diese Wo-
che gesagt – ich zitiere aus der Welt von heute –:

Ohne Legitimation von innen bleibt die Marktwirt-
schaft gefährdet, auch wenn sie keinen größeren
Feind hat.

Offensichtlich spielt dieses Thema auf diesem Kongress
eine Rolle. Ich will das würdigen. Ich finde es richtig,
dass sich die Wirtschaft dieses Themas annimmt. Auch
die Betroffenen, die Manager, die Vorstandsmitglieder,
müssen ihre Verantwortung anerkennen und annehmen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Jedem Manger, jedem Vorstandsmitglied muss klar
sein, dass sein eigenes Verhalten in Bezug auf die Höhe
seiner Vergütung, in Bezug auf Aktienoptionen, in Be-
zug auf Sondergratifikationen nicht nur das Bild prägt,
das er von sich selbst vermittelt oder das von seinem Un-
ternehmen vermittelt wird, sondern auch das Bild davon
prägt, wie die soziale Marktwirtschaft bei uns noch
funktioniert.


(Beifall des Abg. Joachim Stünker [SPD])


Darüber sollte sich die Wirtschaft im Klaren sein. Inso-
fern appelliere ich an die Wirtschaft, sich diesem Thema
und dem zu widmen, worüber wir heute diskutiert haben.

Bei allem Berechtigten, was vorgetragen worden ist
– ich will das nicht weiter ausführen – und was wir mei-
nes Erachtens prüfen sollten, ist mir wichtig, noch ein-
mal deutlich zu machen: Wir müssen aufpassen, dass wir
da nicht alle über einen Kamm scheren, weil es in unse-
rem Land durchaus Manager und Vorstandsmitglieder
gibt, die sich über ihre Verantwortung wirklich im Kla-
ren sind und die ihr gerecht werden wollen. Die sind in
der Pflicht, andere, die anders denken, mitzunehmen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Gerda Hasselfeldt (CSU):
Rede ID: ID1613205800

Letzter Redner in dieser Debatte ist nun der Kollege

Joachim Poß für die SPD-Fraktion.

13832 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 132. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 12. Dezember 2007


(A) (C)



(B) (D)


Joachim Poß (SPD):
Rede ID: ID1613205900

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Unsere

Debatte hier hat sich gelohnt – da muss man der PDS
fast dankbar sein –,


(Zurufe von der LINKEN: Die Linke!)


weil in verschiedenen Beiträgen, etwa von Herrn
Stünker, Frau Scheel oder Herrn Weiß, die Handlungs-
möglichkeiten, die wir in unserer Rechtsordnung haben,
aufgezeigt worden sind. Den Faden müssen wir in den
nächsten Wochen und Monaten konstruktiv weiterspin-
nen. Das wird die SPD in der Arbeitsgruppe, die ich
leite, tun.

Das ist eine Aufgabe, die man zeitlich nicht so limitie-
ren kann, wie das öffentlich teilweise erwähnt wurde. Wir
müssen hier auch die gesellschaftliche Situation reflektie-
ren und das aufgreifen, was gesellschaftlich diskutiert
wird. Das ist keine Debatte – das sage ich einmal in Rich-
tung FDP –, die die Politik erfunden hat, sondern eine De-
batte, die inmitten unserer Gesellschaft geführt wird.

Ich will einmal konkret auf das eingehen, was Kol-
lege Fuchs, der jetzt nicht mehr hier sein kann, am An-
fang gesagt hat. Wer die mit dem Stichwort „Vertrags-
freiheit“ garnierte Behauptung aufstellt, die Höhe von
Managervergütungen oder -abfindungen gehe nur den
Manager selbst und die Eigentümer des Unternehmens
etwas an, der übersieht geflissentlich oder aber auch
ganz bewusst – Frau Scheel, glaube ich, hat schon darauf
hingewiesen –, dass Dritte hierbei zur Kasse gebeten
werden, meine Damen und Herren von der FDP.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Höhere Managerbezüge oder -abfindungen mindern als
Betriebsausgaben den Gewinn und führen somit zu ge-
ringeren Steuerzahlungen des Unternehmens.


(Widerspruch bei der FDP)


Nach der Explosion der Managervergütungen und -ab-
findungen in den letzten Jahren drängt sich die Frage
auf, ob diese teilweise vorgenommene Sozialisierung der
Kosten über den Steuerabzug wirklich unbegrenzt wei-
tergehen soll.


(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Gerald Weiß [Groß-Gerau] [CDU/CSU] – Widerspruch bei der FDP)


Hier ist schon darauf hingewiesen worden: In anderen
Ländern gibt es andere Regeln. Wir machen hier nicht in
Antikapitalismus.


(Martin Zeil [FDP]: Nein, aber demokratischen Sozialismus!)


Es geht um Regeln im Kapitalismus. Übersteigen Mana-
gerabfindungen ein bestimmtes Maß, entfällt der Be-
triebsausgabenabzug zum Beispiel in den USA, und zwar
ganz, nicht nur für den überhöhten Teil.


(Beifall des Abg. Dr. Diether Dehm [DIE LINKE])


Weil Herr Westerwelle immer die DDR zitiert: Das
hat mit der DDR nun wahrlich nichts zu tun.

(Beifall bei der SPD und der LINKEN)


Dass Sie unsere amerikanischen Freunde in diesen Zu-
sammenhang bringen, ist wirklich empörend, meine Da-
men und Herren von der FDP!


(Martin Zeil [FDP]: Aber mit Gasprom hat es viel zu tun!)


Das sind Argumente, die wirkungsmächtig sind. Die
haben auch mit dem Standort nichts zu tun. Mit dem
Standortargument kann man nicht jeden Abfindungsex-
zess zum Steuerabzug zulassen. Das kann ja wohl nicht
sein!

Der deutsche Corporate-Governance-Kodex hat im
Juli dieses Jahres – das ist die aktuelle Fassung – entspre-
chende Empfehlungen für eine Begrenzung von Abfin-
dungszahlungen aufgenommen. Sollte die Abzugsfähig-
keit nicht auch bei uns ihre Grenze da finden, wo dieses
Maß überschritten wird? Wäre so etwas dann nicht auch
bei exzessiven Einkommen möglich? Wir werden das zu-
mindest sorgfältig prüfen.


(Beifall bei der SPD – Martin Zeil [FDP]: Gilt das auch für die IKB?)


Dann kommt ganz schnell das Argument: Nettoprin-
zip. Alles, was Betriebsausgabe ist, muss auch steuerlich
absetzbar sein. – Aber was lese ich in § 4 Abs. 5 unseres
Einkommensteuergesetzes? Darin heißt es – ich zitiere –:

Die folgenden Betriebsausgaben dürfen den Ge-
winn nicht mindern:

Es folgt eine Aufzählung mit zehn Punkten und Unter-
punkten.

Das heißt doch: Unser Einkommensteuerrecht kennt
längst die vollständige oder teilweise Beschränkung der
Abzugsfähigkeit betrieblicher Ausgaben.


(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Gerald Weiß [Groß-Gerau] [CDU/CSU])


In § 10 Nr. 4 des Körperschaftsteuergesetzes haben
wir eine solche Abzugsbeschränkung ganz konkret für
Aufsichtsratsvergütungen: Diese sind nur zur Hälfte ab-
setzbar. Diese Regelung wurde im Rahmen der großen
Körperschaftsteuerreform 1976 ausdrücklich damit be-
gründet, „das Interesse an überhöhten Aufsichtsratsbe-
zügen zu mindern“. Nun mag man einwenden, dass die
konkret gefundene Form des hälftigen Abzugsverbots
keine wirksame Bremse darstellt. Allemal klar ist aber,
dass die Beschränkung des steuerlichen Abzugs mit dem
Ziel einer Begrenzung der Vergütungen selbst rechtlich
offenbar sehr wohl möglich ist.

Es gibt also gute Gründe, meine Damen und Herren,
liebe Kolleginnen und Kollegen, sich der Frage der steu-
erlichen Abzugsfähigkeit neben den anderen Fragen, die
hier angesprochen wurden – Rechte der Hauptversamm-
lungen; wie läuft es im Aufsichtsrat konkret ab usw. –,
vertieft zuzuwenden. Dafür gibt es Anknüpfungspunkte
im geltenden Recht des In- und Auslands.

Vielen Dank.

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 132. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 12. Dezember 2007 13833


(A) (C)



(B) (D)


Joachim Poß

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Gerda Hasselfeldt (CSU):
Rede ID: ID1613206000

In der Debatte, liebe Kolleginnen und Kollegen,

wurde der Kollege Klaus Ernst persönlich angesprochen.
Er hat den Wunsch nach einer Richtigstellung geäußert.
Nach § 30 unserer Geschäftsordnung hat er diese Mög-
lichkeit auch in der Aktuellen Stunde. Ich erteile ihm
deshalb das Wort zu einer persönlichen Richtigstellung.


(Zuruf von der FDP: Jetzt legt er seine Nebeneinkünfte offen!)



Klaus Ernst (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1613206100

Meine Damen und Herren, ich mache es nun wirklich

nicht lange. Es ist ja kurz vor Weihnachten, dem Fest der
Liebe. Deshalb bin ich auch nicht böse, dass der Kollege
Mißfelder offensichtlich monatlich und jährlich ver-
wechselt hat. Auf meiner Internetseite ist zu lesen, dass
ich jährlich Bezüge der Stufe 3, also der Stufe „über
7 000 Euro“, aus Tätigkeiten in Aufsichtsräten beziehe.
Das ist wahr. Ich kann Ihnen sogar die genaue Summe
sagen: Es handelt sich insgesamt um 14 500 Euro jähr-
lich. Entsprechend den Bestimmungen der Hans-
Böckler-Stiftung, denen alle hauptamtlichen und ehren-
amtlichen Gewerkschaftler unterliegen, führe ich den
größten Teil dieses Betrages an die Hans-Böckler-Stif-
tung ab. Das heißt, der Betrag, der mir bleibt, ist relativ
überschaubar.

Ich würde mich sehr freuen, wenn auch alle Vertreter
der Arbeitgeberseite ähnlich verfahren würden. Dann
hätten wir zumindest bei den Aufsichtsräten das hier zur
Debatte stehende Problem nicht.

Danke fürs Zuhören.


(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Klaus Uwe Benneter [SPD])



Gerda Hasselfeldt (CSU):
Rede ID: ID1613206200

Damit sind wir am Ende der Aktuellen Stunde.


(Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Es wäre eine Entschuldigung angebracht! – Gegenruf des Abg. Manfred Grund [CDU/CSU]: Für was sollen wir uns denn entschuldigen?)


– Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich habe die Aktu-
elle Stunde beendet.

Ich rufe nun den Tagesordnungspunkt 2 auf:

Fragestunde

– Drucksache 16/7433 –

Wir beginnen mit dem Geschäftsbereich des Bundes-
ministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktor-
sicherheit. Für die Beantwortung der Fragen steht Herr
Parlamentarischer Staatssekretär Michael Müller zur
Verfügung.

Ich rufe die Frage 1 des Kollegen Hans Michelbach
auf:
Zählt es nach Auffassung der Bundesregierung zu den ge-
läufigen, gutzuheißenden Aussagen im Bestreben auf eine
Förderung des Wirtschaftsstandortes Deutschland, dass der
Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicher-
heit, Sigmar Gabriel, am 16. November 2007 auf einer
Abendveranstaltung in der Stadt Coburg in Bezug auf die Per-
son des Präsidenten der IHK zu Coburg und Vorsitzenden der
Gesellschafterversammlung der weltweit tätigen Brose Unter-
nehmensgruppe, M. S., geäußert hat: „Dem Möchtegern-
Berlusconi müsst ihr zeigen, dass man Coburg nicht kaufen

(vergleiche Coburger Tageblatt vom 17. November 2007)

Naturschutz und Reaktorsicherheit, Sigmar Gabriel, sich für
diese Aussage öffentlich entschuldigen?

Mi
Michael Müller (SPD):
Rede ID: ID1613206300


Meine Damen und Herren! Kollege Michelbach, Sie
fragten, ob eine Aussage des Bundesumweltministers,
die in der örtlichen Zeitung zitiert wurde, dem Wirt-
schaftsstandort Bundesrepublik Deutschland förderlich
sei. Ich kann nur sagen: Erstens. Die Bundesregierung
sieht diesen Zusammenhang nicht. Zweitens. Tun Sie es
mir bitte nicht an, dass ich jetzt aus der örtlichen Zeitung
all das zitiere, was von den unterschiedlichen Parteien in
dem Zusammenhang gesagt wurde. Das wäre sicherlich
auch nicht förderlich.


(Rainer Brüderle [FDP]: Kurz und knapp!)



Gerda Hasselfeldt (CSU):
Rede ID: ID1613206400

Eine Nachfrage, Herr Kollege? – Bitte sehr.


Hans Michelbach (CSU):
Rede ID: ID1613206500

Herr Staatssekretär, vielen Dank. Sagen Sie damit,

dass die Aussage des Herrn Bundesministers – ich zitiere
wörtlich –: „Dem Möchtegern-Berlusconi müsst ihr zei-
gen, dass man Coburg nicht kaufen kann!“, seine Privat-
meinung in diesem Falle sei? Ansonsten würde man ja
letzten Endes dem Präsidenten der IHK zu Coburg die
Fähigkeit zur Vertretung der Wirtschaft absprechen.

Sie sagen ja auch, dass zwischen der Aussage und
dem Wirtschaftsstandort Coburg kein Zusammenhang
bestünde.

Mi
Michael Müller (SPD):
Rede ID: ID1613206600


Ich glaube, ich habe klar geantwortet. Ich möchte
jetzt nicht alles Mögliche – ich sage das noch einmal –
über Coburger Kabalen, die Unterdrucksetzung von
CSU-Stadträten und von den Spaltungen, die es dort in
Ihrer Partei gibt, anführen. Ich glaube, wir sollten so et-
was lassen. Ich weiß nicht, ob es weiterhilft, solche An-
fragen an die Bundesregierung zu stellen.


(Zuruf der Abg. Dr. Thea Dückert [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Ich glaube, in dem Brief, den Sie vom Herrn Bundes-
minister bekommen haben, wurde das Notwendige ver-

13834 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 132. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 12. Dezember 2007


(A) (C)



(B) (D)


Parl. Staatssekretär Michael Müller
deutlicht. Im Übrigen war es nicht hilfreich, eine Presse-
erklärung zu machen, bevor die Frage gestellt wurde.


Gerda Hasselfeldt (CSU):
Rede ID: ID1613206700

Herr Kollege, haben Sie eine weitere Zusatzfrage?


Hans Michelbach (CSU):
Rede ID: ID1613206800

Herr Staatssekretär, nachdem ich feststellen muss,

dass Sie keine Entschuldigung des Herrn Bundesminis-
ters vortragen – ich habe auch keinen Brief erhalten –,
frage ich Sie: Können Sie sich vorstellen, dass sich der
Bundesminister von seiner Aussage über den IHK-Präsi-
denten als Vertreter der Wirtschaftsregion Coburg zu-
mindest distanziert?

Mi
Michael Müller (SPD):
Rede ID: ID1613206900


Ich empfehle Ihnen, einmal in Ihrem Büro nachzu-
schauen. Der Brief, an Sie adressiert, liegt hier vor.


(Rainer Brüderle [FDP]: Eine Entschuldigung!)


– Keine Entschuldigung, sondern die Klarstellung, dass
es da keinen Zusammenhang gibt.

Die Bewertung eines Sachverhalts unterliegt im Übri-
gen der Verantwortung eines jeden Abgeordneten und ei-
nes jeden Ministers. Es wäre nicht besonders erfreulich,
wenn ich all das, was über diese Person in der Öffent-
lichkeit gesagt wurde, hier zitieren würde.


Gerda Hasselfeldt (CSU):
Rede ID: ID1613207000

Ich rufe nun die Frage 2 des Kollegen Hans

Michelbach auf:
Besitzt die Bundesregierung über die vom Bundesminister

für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit, Sigmar
Gabriel, ausgeführte kommunalpolitische Lage in der Stadt
Coburg eigene Kenntnis, und, wenn nein, woher bezieht sie
ihr Wissen?

Bitte, Herr Staatssekretär.

Mi
Michael Müller (SPD):
Rede ID: ID1613207100


Ich kann dazu nur ausführen, dass jeder Besuch des
Bundesministers entweder vom Ministerium, wenn es
um fachliche Fragen geht, oder von seinem Büro, wenn
es um politische Fragen geht, vorbereitet wird. Ich kann
in diesem Fall auf circa 25 Blatt Papier verweisen, die
als Information über die politische Situation vor Ort zu-
sammengestellt wurden und die leider kein nur erfreuli-
ches Bild ergeben.


Gerda Hasselfeldt (CSU):
Rede ID: ID1613207200

Eine Nachfrage, bitte.


Hans Michelbach (CSU):
Rede ID: ID1613207300

Herr Staatssekretär, wird sich die Bundesregierung

zukünftig in die kommunalen Themenbereiche derge-
stalt einmischen, wie es der Bundesminister Sigmar
Gabriel für nötig befunden hat, oder wird sie sich fortan
bei rein kommunalpolitischen Themenfeldern zurück-
halten?

Mi
Michael Müller (SPD):
Rede ID: ID1613207400


Ich weiß nicht, ob eine solche Trennung überhaupt
möglich ist. Auch bei Ihren Aussagen im Parlament habe
ich nicht den Eindruck, dass Sie sich immer nur auf bun-
despolitische Fragen beschränken. Vielmehr ist es so,
dass Sie ebenfalls den Anspruch erheben, allgemeinpoli-
tisch agieren zu können. Das finde ich auch richtig. Ich
sage es noch einmal: Dies ist jedem Einzelnen selbst
überlassen. Ich finde aber, dass wir im Bundestag wich-
tigere Dinge zu besprechen haben als das, womit Sie
sich in Ihrer Frage beschäftigen.


Gerda Hasselfeldt (CSU):
Rede ID: ID1613207500

Herr Kollege, haben Sie eine zweite Nachfrage? –

Bitte sehr.


Hans Michelbach (CSU):
Rede ID: ID1613207600

Ich denke, dass die Vertreter der Wirtschaftsregion

Coburg eine andere Auffassung haben. Sie, Herr Staats-
sekretär, sagen, dass es sozusagen Privataussagen des
Herrn Ministers sind. Fand die Fahrt mit dem Dienstwa-
gen zu der Veranstaltung in Coburg, auf der es zur Belei-
digung des IHK-Präsidenten kam, auf Kosten der Steu-
erzahler statt, oder ist der Minister auf eigene Kosten
dorthin gereist?

M
Michael Müller (SPD):
Rede ID: ID1613207700


Sie können dem Brief, den der Minister Ihnen ge-
schrieben hat, ebenfalls entnehmen, dass es eine Fahrt
im Zusammenhang mit seinem Mandat war. Diese Fahrt
wurde daher entsprechend eingeordnet und sauber abge-
rechnet.

Ich will mir im Übrigen nicht verkneifen, darauf hin-
zuweisen, dass es eine sehr enge Beziehung zwischen
dem angesprochenen Herrn und Ihrer Partei bei Spenden
gibt. Angesichts Ihrer Reaktion auf den Besuch des Mi-
nisters in Coburg sei mir dieser Hinweis erlaubt. Ich
finde aber, wir sollten nicht auf einer solchen Ebene de-
battieren.


(Rainer Brüderle [FDP]: Das ist eine schöne Koalition! – Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Das sagt einiges aus über das Klima in der Koalition!)



Gerda Hasselfeldt (CSU):
Rede ID: ID1613207800

Damit sind wir am Ende dieses Geschäftsbereichs.

Herr Staatssekretär, ich danke Ihnen für die Beantwor-
tung der Fragen.

Ich rufe den Geschäftsbereich des Auswärtigen Amts
auf. Für die Beantwortung steht Herr Staatsminister
Günter Gloser zur Verfügung.

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 132. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 12. Dezember 2007 13835


(A) (C)



(B) (D)


Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt
Wir kommen zur Frage 3 der Kollegin Dr. Marlies
Volkmer:

Welchen Ansehensverlust befürchtet die Bundesregierung
für die Bundesrepublik Deutschland innerhalb der Weltge-
meinschaft, wenn sich der Freistaat Sachsen über die völker-
rechtlichen Verpflichtungen aus der UNESCO-Welterbekon-
vention hinwegsetzt und die Waldschlösschenbrücke ohne
Verständigung mit der UNESCO-Kommission bauen lässt
und so die Aberkennung des Welterbetitels für die Elbtalauen
verursacht?


Günter Gloser (SPD):
Rede ID: ID1613207900

Die Bundesregierung hat in den vergangenen Mona-

ten bei verschiedenen Gelegenheiten wiederholt auf au-
ßenpolitische Folgen eines nicht mit dem UNESCO-
Welterbekomitee abgestimmten Brückenbaus hingewie-
sen. In völkerrechtlicher Hinsicht besteht auf der Ebene
des Bundes Einvernehmen, dass die 1976 ratifizierte
Welterbekonvention alle staatlichen Ebenen in Deutsch-
land – Bund, Länder und Gemeinden – gleichermaßen
bindet.

Das Welterbekomitee hat das Dresdner Elbtal im Juli
2006 auf seine „Liste des Welterbes in Gefahr“ und da-
mit auf die „Rote Liste“ gesetzt und angekündigt, das
Elbtal ganz aus der „Liste des Welterbes“ zu streichen,
falls die Brücke in geplanter Form gebaut würde. Dieser
Beschluss wurde vom Welterbekomitee im Juni 2007 be-
stätigt.

Eine Streichung würde von der UNESCO als Sank-
tion für eine Verletzung völkerrechtlicher Schutzpflich-
ten verstanden werden, es wäre die erste Streichung ei-
ner Stätte in Europa, sie würde das Ansehen
Deutschlands im Rahmen der Vereinten Nationen be-
schädigen und die Aufnahme weiterer deutscher Kandi-
datenstädte erschweren.

Die Bundesregierung setzt sich weiterhin in Gesprä-
chen mit der UNESCO und den verantwortlichen Stellen
der Sächsischen Staatsregierung für eine Konsenslösung
ein, um den Welterbetitel für das Dresdner Elbtal zu er-
halten.


Gerda Hasselfeldt (CSU):
Rede ID: ID1613208000

Haben Sie eine Nachfrage?


Dr. Marlies Volkmer (SPD):
Rede ID: ID1613208100

Nein, das war ausführlich.


Gerda Hasselfeldt (CSU):
Rede ID: ID1613208200

Dann kommen wir zur Frage 4 des Kollegen Rainder

Steenblock:
Wie ist die Haltung der Bundesregierung zu dem Partei-

tagsbeschluss der CDU, den Beitritt der Türkei zur Europäi-
schen Union infrage zu stellen und für eine privilegierte Part-
nerschaft zu plädieren, in Anbetracht der Tatsache, dass dies
im Widerspruch zur beschlossenen EU-Verhandlungslinie
steht, der die Bundeskanzlerin und CDU-Vorsitzende
Dr. Angela Merkel zugestimmt hat?


Günter Gloser (SPD):
Rede ID: ID1613208300

Ich darf Ihre Frage wie folgt beantworten: Die Hal-

tung der Bundesregierung zum Beitritt der Türkei zur
Europäischen Union ergibt sich aus dem Koalitionsver-
trag zwischen CDU, CSU und SPD vom 11. November
2005. Ich darf daraus zitieren:

Die am 3. Oktober 2005 aufgenommenen Verhand-
lungen mit dem Ziel des Beitritts sind ein Prozess
mit offenem Ende, der keinen Automatismus be-
gründet und dessen Ausgang sich nicht im Vor-
hinein garantieren lässt.

Es heißt dann weiter:

Sollte die EU nicht aufnahmefähig oder die Türkei
nicht in der Lage sein, alle mit einer Mitgliedschaft
verbundenen Verpflichtungen voll und ganz ein-
zuhalten, muss die Türkei in einer Weise, die ihr
privilegiertes Verhältnis zur EU weiter entwickelt,
möglichst eng an die europäischen Strukturen ange-
bunden werden.

Diese Vereinbarung gilt weiterhin.


Gerda Hasselfeldt (CSU):
Rede ID: ID1613208400

Haben Sie eine Nachfrage, Herr Kollege? – Bitte sehr.


Rainder Steenblock (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1613208500

Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Herr Staatsminister,

wir hatten gerade schon Gelegenheit, zu beobachten, wie
die Regierungskoalition öffentlich miteinander umgeht.
Ich wage mir gar nicht vorzustellen, wie Sie miteinander
umgehen, wenn die Öffentlichkeit bei diesen Debatten
nicht dabei ist.

Es ist doch erstaunlich, wenn, nachdem eine Koali-
tionsvereinbarung getroffen worden ist, die größere Par-
tei dieser Regierungskoalition etwas beschließt, was
dem, was in der Vereinbarung festgeschrieben ist, dia-
metral entgegengesetzt ist. Wenn die Vorsitzende dieser
Partei gleichzeitig Kanzlerin ist, dann ergeben sich da-
raus doch Widersprüche, die die Positionierung der Par-
tei und ihrer Parteivorsitzenden betreffen.

Ich habe ja Psychologie gelernt, und eine meiner
mündlichen Prüfungen betraf das Thema Schizophrenie.


Gerda Hasselfeldt (CSU):
Rede ID: ID1613208600

Herr Kollege, ich darf Sie daran erinnern, dass Sie

hier eine Frage stellen wollten.


Rainder Steenblock (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1613208700

Ich frage, wie man als Regierung mit der Situation

umgeht, dass die Vorsitzende der größten regierungstra-
genden Partei etwas völlig anderes beschließt als das,
was sie als Kanzlerin unterschrieben hat.


Günter Gloser (SPD):
Rede ID: ID1613208800

Lieber Kollege Steenblock, zuerst einmal zu der inne-

ren Verfasstheit und dazu, wie wir miteinander umgehen,
auch wenn vieles davon nicht öffentlich ist: Sie sehen ja,
wir leben alle noch; wir gehen sehr zivilisiert miteinan-
der um. Dass es gelegentlich einmal Streit gibt, kenne
ich aus anderen Koalitionen, in denen dies auch der Fall
war.

13836 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 132. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 12. Dezember 2007


(A) (C)



(B) (D)


Staatsminister Günter Gloser
Aber ich komme zu Ihrer inhaltlichen Bemerkung.
Meines Erachtens müssen wir Folgendes trennen: Zum
einen gibt es in unserem Land politische Parteien, die
Parteitage durchführen. Dort wird um Ziele und Themen
gerungen, und dort werden Beschlüsse gefasst. Wenn ich
es richtig sehe, hat die CDU diese Position auch schon in
der Zeit vertreten, als sie noch in der Opposition war.
Zum anderen gibt es Koalitionsverhandlungen wie die,
bei denen man zu dem genannten Ergebnis kam.

Allein deshalb ist, wie wir es heute Morgen im EU-
Ausschuss diskutiert haben, ganz klar – ohne dass ich
damit jetzt eine Entscheidung vorwegnehmen will –,
was wir am Freitag auf dem Europäischen Rat in Brüssel
machen werden: Die Bundeskanzlerin wird namens der
Bundesregierung die Beschlüsse der Großen Koalition
im Rat vollziehen, wenn es darum gehen wird, die
Schlussfolgerungen zu verabschieden, und sie wird das
Paket hinsichtlich der generellen Erweiterung der Euro-
päischen Union mit beschließen. In einer Koalition gilt,
dass nicht ein Partner seinen Punkt durchsetzen kann.
Deshalb haben wir damals auch diesen Kompromiss ge-
funden.


Gerda Hasselfeldt (CSU):
Rede ID: ID1613208900

Haben Sie eine weitere Zusatzfrage? – Bitte sehr.


Rainder Steenblock (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1613209000

Herr Staatsminister – wir haben ja beide Erfahrungen

in Koalitionen, auf unterschiedlichen Ebenen und in un-
terschiedlichen Konstellationen –, empfinden Sie es
nicht als Provokation einer Regierung, wenn eine regie-
rungstragende Partei nach der Koalitionsvereinbarung
eine Kampfansage an die offizielle Politik der Bundesre-
gierung, die von dieser Partei ja mitgetragen wird,
macht? Es ist doch etwas, was Sie nicht ruhig schlafen
lassen kann, wenn bei einer so zentralen Frage Züge aufs
Gleis gesetzt werden, die gegeneinanderrasen.


Günter Gloser (SPD):
Rede ID: ID1613209100

Ich möchte den von Ihnen verwendeten Begriff der

Kampfansage nicht übernehmen, Kollege Steenblock.
Aber unterstellt, dieser Begriff wird in Anführungszei-
chen gesetzt, antworte ich auf Ihre Frage: Ich kann nicht
erkennen, dass diese „Kampfansage“ beispielsweise am
kommenden Freitag beim Europäischen Rat so umge-
setzt wird.


Gerda Hasselfeldt (CSU):
Rede ID: ID1613209200

Vielen Dank, Herr Staatsminister, für die Beantwor-

tung der Fragen. Wir sind am Ende dieses Geschäftsbe-
reichs.

Die Fragen 5 und 6 der Kollegin Ina Lenke aus dem
Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Familie,
Senioren, Frauen und Jugend werden schriftlich beant-
wortet.

Damit rufe ich den Geschäftsbereich des Bundesmi-
nisteriums für Arbeit und Soziales auf. Für die Beant-
wortung der Fragen steht Herr Parlamentarischer Staats-
sekretär Franz Thönnes zur Verfügung.

Wir kommen zur Frage 7 des Kollegen Dr. Ilja
Seifert:

Welche Schlussfolgerungen zieht die Bundesregierung aus
den Veranstaltungen im Rahmen der Infotour „Selbstbestimmt
leben: Persönliches Budget“ mit Blick auf die Einführung des
Persönlichen Budgets als Regelleistung ab 1. Januar 2008?

F
Franz Thönnes (SPD):
Rede ID: ID1613209300


Werter Herr Dr. Seifert, ich beantworte die Frage wie
folgt: Die Beauftragte für die Belange behinderter Men-
schen hat gemeinsam mit ihren Kolleginnen und Kolle-
gen aus den Ländern im September und Oktober 2007
unter dem Titel „Budget-Tour“ eine deutschlandweite
Informationskampagne zum Thema „Selbstbestimmt le-
ben: Persönliches Budget“ durchgeführt. Zielgruppen
der Informationstour waren potenzielle Budgetnehme-
rinnen und -nehmer, deren Angehörige, Leistungsträger
und Leistungserbringer. Die Resonanz war insbesondere
bei potenziellen Budgetnehmern und deren Angehörigen
sehr groß. Insgesamt hat die Tour rund 4 000 Menschen
direkt erreicht.

Die Veranstaltungen haben deutlich gemacht, dass die
neue Leistungsform bei behinderten Menschen grund-
sätzlich auf ein großes und positives Interesse stößt. Eine
Reihe von guten Beispielen hat gezeigt, dass Persönliche
Budgets ab dem 1. Januar 2008 ein wichtiges Instrument
für mehr Teilhabe und Selbstbestimmung behinderter
Menschen sein werden.

Deutlich wurde auch, dass der Informationsbedarf
nach wie vor sehr hoch ist. Sowohl aufseiten der behin-
derten Menschen als auch bei den beteiligten Leistungs-
erbringern und Leistungsträgern bestehen noch Unsi-
cherheiten hinsichtlich der Umsetzung des Persönlichen
Budgets in der Praxis, was mit der sehr flexiblen Leis-
tungsform, die sich eng an den individuellen Bedürfnis-
sen der behinderten Menschen orientiert, zusammen-
hängt. Zentrale Fragestellungen betrafen regelmäßig die
Bereiche Bedarfsfeststellung, Verpreislichung von Leis-
tungen und Gewährleistung ausreichender Beratungen
und Assistenz bei der Inanspruchnahme eines Persönli-
chen Budgets.

Aus diesem Grund hat das Bundesministerium für Ar-
beit und Soziales entschieden, die Reihe der regionalen
Fachtagungen zum Persönlichen Budget in Zusammen-
arbeit mit dem Kompetenzzentrum Persönliches Budget
des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes in den Jahren
2008 bis 2010 fortzusetzen. Im Rahmen des Programms
zur Strukturverstärkung und Verbreitung Persönlicher
Budgets stellen Bundeshaushalt und Ausgleichsfonds in
den kommenden drei Jahren zusammen 3,5 Millionen
Euro zur Förderung von Projekten zum Anschub und zur
Verbesserung der Inanspruchnahme Persönlicher Bud-
gets zur Verfügung.


Gerda Hasselfeldt (CSU):
Rede ID: ID1613209400

Herr Kollege, haben Sie eine Nachfrage? – Bitte sehr.

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 132. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 12. Dezember 2007 13837


(A) (C)



(B) (D)


Dr. Ilja Seifert (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1613209500

Oh ja, Frau Präsidentin, ich habe viele Nachfragen.

Aber ich glaube, ich darf nur zwei stellen.

Herr Staatssekretär, erst einmal vielen Dank für die
sehr ausführliche Antwort. Ich bin zunächst ein bisschen
verunsichert, dass Sie sagen, diese 3,5 Millionen Euro
kämen aus dem Bundeshaushalt und dem Ausgleichs-
fonds. Wenn damit der Ausgleichsfonds im Rahmen der
Ausgleichsabgabe gemeint ist, dann würde mich das
schon ein bisschen wundern.

Meine Frage zielt aber auf etwas anderes ab. Sie sa-
gen, dass es bei den Betroffenen ein großes Interesse
gab, sich zu informieren, und dass 4 000 Menschen an
diesen Veranstaltungen teilgenommen haben. Aber wie
viele können denn nun dieses Persönliche Budget in An-
spruch nehmen? Es handelt sich doch nur um eine neue
Leistungsform und nicht um eine neue Leistungsart; es
gibt ja nicht mehr Geld. Meine Informationen sind die,
dass auf diesen Veranstaltungen das Buffet häufig wich-
tiger war als das Budget, sodass am Ende nicht viel he-
rausgekommen sein soll.


Gerda Hasselfeldt (CSU):
Rede ID: ID1613209600

Herr Staatssekretär.

F
Franz Thönnes (SPD):
Rede ID: ID1613209700


Sehen Sie mir bitte nach, dass ich Ihre Frage nicht
ganz verstehe. An diesen Veranstaltungen hat der Perso-
nenkreis teilgenommen, den ich gerade genannt habe:
Menschen, die behindert sind – diese haben grundsätz-
lich erst einmal alle einen Anspruch auf ein Persönliches
Budget, wenn sie dies ab 1. Januar 2008 geltend machen –,
Leistungserbringer und Menschen aus den Behörden.
Ich selber war bei drei, vier Veranstaltungen dabei. Wir
haben uns dort gesehen. Ich weiß also, dass auch Sie da-
bei waren. Mir ist ein bisschen unklar, worauf Ihre Frage
zielt.

Ich habe folgende Schlussfolgerung gezogen: Im
Rahmen der wissenschaftlichen Begleituntersuchung
wurden rund 800 Personen befragt, denen im Rahmen
der Erprobungsphase ein Persönliches Budget zur Verfü-
gung stand. 90 Prozent der Menschen, die davon Ge-
brauch gemacht haben, haben gesagt: Das ist gut für
mich; meine Situation hat sich verbessert; ich würde das
auf jeden Fall wieder machen. – Das ist ein hervorragen-
des Ergebnis. Besonders beeindruckt haben mich – ich
glaube, auch Sie – die guten Beispiele, die von den Men-
schen genannt worden sind. Solche Beispiele sind ein
Ansporn, weiterzumachen und die Arbeit fortzusetzen.
Im Rahmen von Regionalfachtagungen und in Zeit-
schriften soll über das Persönliche Budget informiert
werden. Auch Ihre Frage ist eine gute Gelegenheit, um
noch einmal darauf hinzuweisen, dass dieser Rechtsan-
spruch eingeführt wird. Es ist aber auch Aufgabe der
Verbände der Menschen mit Behinderungen, ihre Mit-
glieder und alle Menschen mit Behinderungen durch
eine Vielzahl von Informationen und Aktivitäten darauf
aufmerksam zu machen. Ich finde, wir sind ein gutes
Stück vorangekommen.

Gerda Hasselfeldt (CSU):
Rede ID: ID1613209800

Ihre weitere Nachfrage, bitte.


Dr. Ilja Seifert (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1613209900

Herr Staatssekretär, wie erklären Sie sich denn, dass

bezüglich der Fragen, wer wann wo was beantragen
kann und wer wann wo was leistet, immer noch große
Unsicherheit herrscht? Ich weiß, dass das Persönliche
Budget innerhalb der Behindertenbewegung seit Jahren
eines der Hauptthemen – man könnte sagen, das Lieb-
lingsthema überhaupt – ist. Jetzt beginnen Sie – das sa-
gen Sie ja selbst – gemeinsam mit dem Kompetenzzen-
trum eine dreijährige Informationskampagne. Hätte
diese Informationskampagne nicht stattfinden müssen,
bevor der Rechtsanspruch eingeführt wird? Ich stelle im-
mer wieder fest, dass viele nicht wissen, ob sie einen
Anspruch haben oder nicht. Sobald man arbeiten geht,
hat man keinen Anspruch mehr, weil man dann keine
Sozialhilfe mehr bezieht. Dann kann man auf die Ein-
gliederungshilfe nicht zugreifen und bekommt gar
nichts.

F
Franz Thönnes (SPD):
Rede ID: ID1613210000


Herr Dr. Seifert, man kann natürlich sagen, dass im-
mer, wenn jemand etwas nicht weiß, die Bundesregie-
rung daran schuld ist. Sie wissen genau, dass wir bereits
2004 Modellversuche gestartet und regelmäßig über
diese Modellversuche berichtet haben. Sie haben in die-
sem Hause fünf oder sechs Anfragen gestellt, die wir Ih-
nen ausführlich beantwortet haben. Das ist alles doku-
mentiert. Nach anfänglichen Schwierigkeiten haben wir
in den Modellregionen zusätzliches Geld in die Hand ge-
nommen. Der Bund hat die Modellregionen bei der zu-
sätzlich anfallenden Verwaltungsarbeit unterstützt. Sie
haben in Zeitschriften darüber geschrieben, wir haben in
Zeitschriften darüber geschrieben. Wir haben darüber
debattiert, auch im Ausschuss.

Wir werden wahrscheinlich damit leben müssen, dass
in fünf Jahren noch jemand sagen wird: Davon habe ich
noch nichts gehört. Wenn man aber die Aktivitäten der
letzten sechs Monate zusammenfassend betrachtet, muss
man sagen: Das Persönliche Budget ist in Deutschland
mittlerweile ein großes Thema. Für manche Menschen
ist es trotzdem etwas Neues.

Sie haben zu Recht gesagt, dass das keine neue Leis-
tungsart ist, sondern eine neue Leistungsform. Man muss
fragen: Wie kann ich damit umgehen? Was bedeutet das
für mich? Einige fragen auch: Wenn ich davon Gebrauch
gemacht habe, aber nicht zufrieden bin, kann ich vom
Leistungsträger dann wieder eine komplexe Leistung er-
halten? Das ist übrigens möglich. All diese Fragen wer-
den beantwortet. In unserem Hause steht eine Telefon-
hotline zur Verfügung. In den Ländern und in den
Kreisen stehen Servicestellen zur Verfügung. Auch die
Behindertenverbände informieren laufend darüber. Ich
denke, wir sind da ein gutes Stück vorangekommen.

Wenn wir an dieser Stelle weitermachen wollen, geht
es darum, ganz explizit bestimmte Themenbereiche auf-
zugreifen: Was bedeutet das für den Bereich Wohnen?

13838 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 132. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 12. Dezember 2007


(A) (C)



(B) (D)


Parl. Staatssekretär Franz Thönnes
Was bedeutet das für den Bereich Kinder? Wie sieht das
bei Frauen aus? Wir müssen bestimmten Gruppen helfen
und dabei Erkenntnisse gewinnen. Wir fangen nicht erst
jetzt an, zu informieren. Sie sollten das in Ihrer Frage
auch nicht unterstellen; sonst würdigen Sie die Arbeit
der behindertenpolitischen Sprecher der anderen Frak-
tionen des Deutschen Bundestages und unsere gemein-
same Arbeit nicht in angemessener Form.


Gerda Hasselfeldt (CSU):
Rede ID: ID1613210100

Wir kommen nun zur Frage 8 des Kollegen Markus

Kurth:
Sieht die Bundesregierung, bezogen auf die Forderung der

Arbeits- und Sozialministerkonferenz nach einer Beteiligung
des Bundes an den Kosten der Eingliederungshilfe sowie be-
zogen auf die Forderung nach einer Stärkung ambulanter vor
stationärer Leistungen, eine Möglichkeit darin, die Finanzver-
antwortung für die Ausführung ambulanter Leistungen selbst
zu übernehmen, und, falls nein, wie möchte die Bundesregie-
rung ansonsten mit den Forderungen der Arbeits- und Sozial-
ministerkonferenz umgehen?

F
Franz Thönnes (SPD):
Rede ID: ID1613210200


Der Kollege Kurth hat auch die Frage 9 gestellt. Ich
würde gerne beide Fragen zusammen beantworten.


Gerda Hasselfeldt (CSU):
Rede ID: ID1613210300

Bitte sehr. Dann rufe ich auch die Frage 9 des Kolle-

gen Kurth auf:
Wie möchte die Bundesregierung auf die Forderung der

Arbeits- und Sozialministerkonferenz reagieren, die eine
Bund-Länder-Arbeitsgruppe sowie einen Gesetzentwurf der
Bundesregierung zur Weiterentwicklung der Eingliederungs-
hilfe verlangt, und wie möchte die Bundesregierung prüfen,
ob ein eigenständiges Leistungsrecht für Menschen mit Be-
hinderung wünschbar ist?

F
Franz Thönnes (SPD):
Rede ID: ID1613210400


Ich beantworte beide Fragen wie folgt: Die Bundes-
regierung hat wiederholt betont, dass sie Forderungen
nach einer Beteiligung des Bundes an den Kosten der
Eingliederungshilfe für behinderte Menschen ablehnend
gegenübersteht. Außerdem hält es die Bundesregierung
nicht für sachgerecht, einen Gesetzentwurf zur Weiter-
entwicklung der Eingliederungshilfe vorzulegen. Bevor
gesetzgeberische Maßnahmen ergriffen werden, sollten
zunächst die Strukturen und die Organisation der Ein-
gliederungshilfe durch die Träger und die Leistungsan-
bieter so reformiert werden, dass bestehende Hemmnisse
für die Teilhabe und Selbstbestimmung von Menschen
mit Behinderung abgebaut werden.

Die Bundesregierung ist weiterhin unverändert bereit,
zusammen mit den Ländern, den Kommunen und den
Verbänden behinderter Menschen nach Lösungen zu su-
chen, die Eingliederungshilfe weit mehr als bisher auf
den Paradigmenwechsel, den wir in der Behindertenhilfe
gemeinsam vorgenommen haben, auszurichten. Sie be-
grüßt deshalb die im Beschluss der Arbeits- und Sozial-
ministerkonferenz 2007 zu erkennende Bereitschaft der
Länder, verstärkt auf die Probleme der Menschen mit
Behinderung einzugehen und fiskalische Überlegungen
in den Hintergrund treten zu lassen.

Die Bundesregierung strebt an, Mitverantwortung für
die Weiterentwicklung der Eingliederungshilfe in Zu-
kunft unter anderem auch dadurch zu übernehmen, dass
sie sich bereit erklärt, in Abstimmung mit den Ländern
eine flankierende wissenschaftliche Begleitforschung zu
ausgewählten Problemen und Themenstellungen der ver-
schiedenen Eingliederungsbereiche zu initiieren und zu
finanzieren. Eines dieser Themen könnte zum Beispiel
die personenzentrierte Eingliederungshilfe sein. Es sollte
keine Rolle mehr spielen, ob ein behinderter Mensch
notwendige Leistungen ambulant oder stationär in An-
spruch nimmt.


Gerda Hasselfeldt (CSU):
Rede ID: ID1613210500

Ihre Nachfrage bitte, Herr Kurth.


Markus Kurth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1613210600

Fürchten Sie denn nicht, dass sich eine Art Pingpong-

spiel entwickeln könnte, und zwar dadurch, dass die
Bundesregierung ständig von den Ländern aufgefordert
wird, die Weiterentwicklung der Eingliederungshilfe vo-
ranzutreiben – das ist auch im Koalitionsvertrag festge-
legt worden –, dass der Ball dann aber immer wieder
durch ihre Zurückweisung, die gerade auch in Ihrer Ant-
wort deutlich wurde, zu den Ländern zurückspielt wird?

F
Franz Thönnes (SPD):
Rede ID: ID1613210700


Wenn die Arbeitsgruppe eingerichtet wird, dann sit-
zen alle mit am Tisch. Wenn man nicht gerade ein Netz
in der Mitte aufbaut, wird es schwierig, Pingpong zu
spielen. Alle sind in der Verantwortung. Im Kern nimmt
der Bund seine Verantwortung für die Unterstützung der
Menschen mit Behinderung, wie Sie wissen, über die
BA, über die Rentenversicherung und über die Werkstät-
ten für Menschen mit Behinderung wahr.

Ich glaube, wenn wir uns auf die personenzentrierte
Eingliederungshilfe konzentrieren, dann müssen auch
die Länder ein Interesse daran haben, gemeinsam mit
uns über die Zuweisung von Menschen in Werkstätten
für Menschen mit Behinderung zu reden, obwohl sie auf
dem freien Arbeitsmarkt möglicherweise eine intensi-
vere Unterstützung erfahren würden. Wir arbeiten zur-
zeit gemeinsam daran, die unterstützte Beschäftigung
– das ist ein Förderungsbestandteil – im Rahmen des
SGB III zu organisieren. Das Risiko, das Sie angespro-
chen haben, sehe ich daher nicht.


Gerda Hasselfeldt (CSU):
Rede ID: ID1613210800

Eine weitere Zusatzfrage.


Markus Kurth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1613210900

Ich möchte auf die ambulante Hilfe zurückkommen.

Ist der Bundesregierung die Initiative des Landschafts-
verbandes Rheinland bekannt – der Landschaftsverband
Rheinland ist der größte überörtliche Sozialhilfeträger –,
bei der Erbringung ambulanter Leistungen auf die An-
rechnung von Einkommen und Vermögen zu verzichten,

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 132. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 12. Dezember 2007 13839


(A) (C)



(B) (D)


Markus Kurth
um dadurch einen Anreiz zu schaffen, dass sich die
Menschen nicht stationär im Heim unterbringen lassen,
sondern sich ambulant behandeln lassen?

F
Franz Thönnes (SPD):
Rede ID: ID1613211000


Das ist bekannt. Hier hoffe ich auf eine gute Zusam-
menarbeit. Wir haben noch eine Menge Arbeit vor uns;
allerdings gibt es viele übereinstimmende Positionen.
Wir müssen gemeinsam darauf achten, den Leitgedan-
ken „ambulant vor stationär“ so umzusetzen, dass es
nicht zu Benachteiligungen kommt. Wir müssen genau
aufpassen, wo angerechnet wird und wo nicht.

Wenn Einkommen und Vermögen nicht bei den be-
hinderten Menschen, die ambulant versorgt werden, an-
gerechnet werden, jedoch bei den behinderten Men-
schen, die stationär versorgt werden, dann kommt es zu
einem Ungleichgewicht. Das gilt es kritisch zu betrach-
ten. Ich will jetzt keine abschließende Bewertung vor-
nehmen; aber ich glaube, wir müssen gemeinsam daran
arbeiten. Ich will nur auf diesen Widerspruch hinweisen,
der mit Sicherheit von den Betroffenen nicht verstanden
werden wird. Gleichwohl gibt es unterschiedliche Me-
chanismen, die – der Auffassung sind wir sicherlich
beide – eher einen Anreiz für eine stationäre als für eine
ambulante Versorgung bieten. Über die Widersprüche
zwischen diesem Anreiz und der offiziell vertretenen
Philosophie „ambulant vor stationär“ müssen wir offen
reden.


Gerda Hasselfeldt (CSU):
Rede ID: ID1613211100

Sie haben noch eine weitere Frage? – Bitte sehr.


Markus Kurth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1613211200

Wenn man im Sinne der Initiative des Landschafts-

verbandes Rheinland versuchen will, die Anreizwirkung
durch unterschiedliche Anrechnungsverfahren in eine
bestimmte Richtung – die wir beide, so glaube ich, wol-
len – zu lenken, ist es dann nicht hochwahrscheinlich,
dass im Ergebnis von Verhandlungen die Bundesregie-
rung ein „Eintrittsgeld“ in Form einer Kostenbeteiligung
wird zahlen müssen, und wäre das nicht genau an dieser
Stelle sinnvoll, weil man dann mit der Kostenbeteiligung
im ambulanten Bereich ein Stück weit die Steuerungs-
verantwortung übernehmen könnte?

F
Franz Thönnes (SPD):
Rede ID: ID1613211300


Herr Kollege Kurth, Sie wissen aus unserer gemeinsa-
men Zusammenarbeit in der Vorgängerkoalition, dass
wir bei der Reform der Sozialhilfe sehr genau auf die
Zuständigkeiten geachtet haben. Zuständig für Fragen
der Eingliederungshilfe sind – ich wiederhole das – die
Länder. Das Steueraufkommen ist so aufgeteilt, dass
jede Körperschaft mit dem ihr zur Verfügung stehenden
Geld die ihr per Gesetz übertragenen oder auch die selbst
gewollten Bereiche abdecken und den Menschen Hilfen
zugänglich machen kann. Das gilt ganz genau für den
Bereich der Eingliederungshilfe.
Ich habe gerade beschrieben, wo wir bereit sind, zu
helfen und zu unterstützen. Personenzentrierte Einglie-
derungshilfe ist ein Element, von dem, so glaube ich, die
Kommunen, Kreise oder Landschaftsverbände profitie-
ren würden. Das zweite Element ist der Komplex der
Leistungsüberprüfung: Wie ist es mit der Zuweisung von
Menschen in Werkstätten für Menschen mit Behinde-
rung? Wie sieht es mit dem Eingangsverfahren aus?
Läuft das alles richtig?

Zur Steuerung: Auch darüber, wo der Bund ansetzen
kann, Anreize zu geben, um den Grundsatz „ambulant
vor stationär“ umzusetzen, können wir reden. Aber
schon im Vorgriff zu sagen, man müsse ein „Eintritts-
geld“ bezahlen, damit man mitreden darf, wie die Kom-
munen sparen können, ist falsch. Ich würde eher sagen:
Lasst uns einmal über die Vorschläge reden, die wir ge-
macht haben. Ich glaube, auch die sind ganz attraktiv.


Gerda Hasselfeldt (CSU):
Rede ID: ID1613211400

Haben Sie noch eine Frage?


Markus Kurth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1613211500

Ich habe erst drei Fragen gestellt.


Gerda Hasselfeldt (CSU):
Rede ID: ID1613211600

Ich weiß. Ich wusste nur nicht, ob Sie von Ihrem

Recht auf eine vierte Frage Gebrauch machen wollen.
Bitte sehr.


Markus Kurth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1613211700

Die Ausführungen des Staatssekretärs haben mich zu

einer weiteren Frage inspiriert.

Sie haben den sehr interessanten Begriff der perso-
nenzentrierten Eingliederungshilfe ins Spiel gebracht. Ist
die Bundesregierung der Ansicht, dass wir bei einer sol-
chen Ausrichtung ein einheitliches Bemessungsverfah-
ren statt der derzeit bis zu 60 verschiedenen Berech-
nungsverfahren für die Leistungen brauchen? Ist das
dann wenigstens Bundesangelegenheit?

F
Franz Thönnes (SPD):
Rede ID: ID1613211800


Wir wissen, welche Entscheidungen wir im Rahmen
der Föderalismusdiskussion getroffen haben, was dieses
Haus und was der Bundesrat beschlossen hat und wie die
Verantwortlichkeiten nach der Reform verteilt sind. Es
wäre in der Tat gut, wenn man zu vergleichbaren Krite-
rien kommen könnte. Da setze ich schlichtweg auf die
Arbeitsminister- und Sozialministerkonferenz. Wer so
einheitlich vorgeht wie hier, der muss auch den nächsten
Schritt tun und sagen: Wenn es um die Anwendung geht,
dann wollen wir gemeinsam daran arbeiten, vergleich-
bare Kriterien für die Gewährung zu entwickeln. – Das
wird dann aber der Diskussionsprozess zeigen. Im Inte-
resse der Menschen mit Behinderung wäre es wahr-
scheinlich allemal.


Gerda Hasselfeldt (CSU):
Rede ID: ID1613211900

Zu diesem Themenkomplex hat nun der Kollege

Dr. Seifert noch eine Frage. Bitte sehr.

13840 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 132. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 12. Dezember 2007


(A) (C)



(B) (D)


Dr. Ilja Seifert (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1613212000

Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Herr Staatssekretär,

auch ich finde den Begriff der personenzentrierten Ein-
gliederungshilfe, den Sie jetzt ins Gespräch bringen, sehr
interessant. Aber jeder weiß doch, dass das Problem
eigentlich nicht die Ausgabenseite ist. Die Eingliede-
rungsleistungen sind meistens sehr gut. Vielmehr sind
die Zugangskriterien das Problem. Sollte bei dieser per-
sonenzentrierten Eingliederungshilfe endlich die Vermö-
gens- und Einkommensprüfung wegfallen? Das ist doch
das Problem im richtigen Leben.

F
Franz Thönnes (SPD):
Rede ID: ID1613212100


Herr Kollege Seifert, ich will dazu jetzt keine ab-
schließende Position einnehmen; denn das ist, wie Sie
wissen, ein sehr empfindlicher Diskussionsprozess, bei
dem es darum geht, die Einkommens- und Vermögens-
situation mit gleichen Maßstäben zu bewerten und bei
der Frage, für welche Bereiche – ambulant oder statio-
när – die Wiedereingliederungshilfe gewährt wird, ver-
gleichbare Kriterien anzuwenden.

Ich möchte gern darüber sprechen, warum wir die
Philosophie „ambulant vor stationär“ bisher noch nicht
so umsetzen konnten, wie wir es gern wollen. Da müssen
wir das Pro und Kontra von Lösungen diskutieren. Dabei
wird die Frage der Anrechnung des Einkommens natür-
lich eine Rolle spielen. Aber ich werde jetzt nicht dem
Diskussions- und Meinungsbildungsprozess vorgreifen.


Gerda Hasselfeldt (CSU):
Rede ID: ID1613212200

Die Fragen 10 und 11 der Kollegin Dr. Gesine

Lötzsch werden schriftlich beantwortet, ebenso die
Fragen 12 und 13 der Kollegin Sabine Zimmermann.

Damit sind wir am Ende dieses Geschäftsbereichs.
Herr Staatssekretär, ich danke Ihnen für die Beantwor-
tung der Fragen.

Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministe-
riums des Innern auf. Für die Beantwortung der Fragen
steht Herr Parlamentarischer Staatssekretär Peter
Altmaier zur Verfügung.

Wir kommen zur Frage 14 des Kollegen Wolfgang
Wieland:

Welcher oder welche Richter am Bundesverfassungsge-
richt haben dem Bundesminister des Innern bei welcher Gele-
genheit geraten, die Bundesregierung solle sich im Zweifel
nicht an Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichtes hal-
ten, wie dieser in seiner Rede vor dem Deutschen Bundestag
am 29. November 2007 ausführte?

P
Peter Altmaier (CDU):
Rede ID: ID1613212300


Herr Kollege Wieland, ich fürchte, ich werde Ihre
Neugier nicht ganz befriedigen können. Der Bundes-
minister des Innern hat sich, ebenso wie verschiedentlich
auch Richter am Bundesverfassungsgericht es getan ha-
ben, an der gegenwärtigen öffentlichen Debatte über
Sicherheit und Freiheit beteiligt, indem er in den Haus-
haltsberatungen seinen Standpunkt zu den verfassungs-
rechtlichen Voraussetzungen für das Handeln der Sicher-
heitsbehörden wiederholt hat.


Gerda Hasselfeldt (CSU):
Rede ID: ID1613212400

Haben Sie eine Nachfrage?


Wolfgang Wieland (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1613212500

Ich habe sicherlich eine Nachfrage. Sie haben, mit

Verlaub, eben gar nichts geantwortet. Aber dennoch ist
es formal eine Nachfrage, die ich stelle.

Der Herr Bundesminister des Innern ist, wie wir wis-
sen, ein besonders scharfzüngiger Formulierer, der uns
aber des Öfteren rätseln lässt, was der Dichter uns damit
eigentlich sagen wollte. Damit haben wir heute schon
eine Stunde im Innenausschuss verbracht. Er hat gesagt
– ich zitiere das Protokoll der Plenardebatte vom 29. No-
vember –:

Bei allem Respekt: Ich halte nichts, aber auch gar
nichts davon, dass uns Mitglieder des Bundesver-
fassungsgerichts raten, wir sollten uns im Zweifel
nicht an die Entscheidungen des Bundesverfas-
sungsgerichts halten.

Der Minister hat damit eine Tatsache berichtet, näm-
lich dass er von – sogar mehreren – Mitgliedern des
Bundesverfassungsgerichts den Rat erhalten habe, sich
nicht an das zu halten, was sie judiziert haben. Im
Grunde steht dahinter die Aussage: Die dritte Gewalt rät
mir als Exekutive, einfach über ihre Urteile hinwegzuge-
hen und sie nicht zu beachten. Das ist ja nun kein Aller-
weltsvorgang, mein lieber Herr Staatssekretär, sondern
eine schwerwiegende Behauptung, die der Bundesinnen-
minister in den Raum gestellt hat.

Ich frage deshalb: Welcher oder welche Bundesver-
fassungsrichter haben ihm denn diesen Rat gegeben?

P
Peter Altmaier (CDU):
Rede ID: ID1613212600


Herr Kollege Wieland, wenn der Bundesinnenminis-
ter vorgehabt hätte, über das Gesagte hinaus konkreter
zu werden, hätte er dies sicherlich in der von Ihnen ange-
sprochenen Bundestagsdebatte getan.


(Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: Das ist eine Antwort!)


Im Übrigen verweise ich auf einschlägige Pressever-
öffentlichungen, die zeigen, dass sich auch Mitglieder
des Bundesverfassungsgerichts in den vergangenen Mo-
naten und Jahren an öffentlichen Debatten beteiligt ha-
ben. Die dürften Ihnen auch zugänglich sein.


(Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: Das ist eine Antwort!)



Gerda Hasselfeldt (CSU):
Rede ID: ID1613212700

Haben Sie eine weitere Frage, Herr Kollege?


Wolfgang Wieland (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1613212800

Viele Fragen, aber leider keine Antworten. Der Presse

nach war der geschätzte Herr Bundesinnenminister

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 132. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 12. Dezember 2007 13841


(A) (C)



(B) (D)


Wolfgang Wieland
höchstselbst in Karlsruhe beim Bundesverfassungsge-
richt und hat dort versucht – ich sage es jetzt einmal mit
meinen Worten –, den Richterinnen und Richtern klarzu-
machen, welche Auswirkungen deren Rechtsprechung
auf die innere Sicherheit in diesem Land habe.

Ist im Rahmen dieser Besprechung der Ratschlag
„Dann halten Sie sich doch einfach nicht an das, was wir
in unsere Urteile schreiben“ erfolgt? Wo kommt der Rat-
schlag her? Wenn er es gesagt hätte, hätte ich es gehört.
Er hat es aber nicht gesagt. Sie sind sein Interpret und
sozusagen sein berufener Sprecher. Nun sagen Sie es uns
doch! Woher und von wem kommt dieser Ratschlag?

P
Peter Altmaier (CDU):
Rede ID: ID1613212900


Herr Kollege Wieland, Sie beziehen sich auf die Un-
terredung, die Mitglieder der Bundesregierung mit Mit-
gliedern des Bundesverfassungsgerichts vor einigen
Wochen in Karlsruhe geführt haben. Sie wissen so gut
wie ich, dass der Charakter dieser Unterredung vertrau-
lich war. Deshalb werden Sie verstehen, dass ich nicht
vorhabe, aus dieser Unterredung zu zitieren.


(Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich wollte Ihnen eine Brücke bauen!)



Gerda Hasselfeldt (CSU):
Rede ID: ID1613213000

Die Frage 15 des Kollegen Volker Beck (Köln) wird

schriftlich beantwortet.

Damit rufe ich die Frage 16 der Kollegin Petra Pau
auf:

Wie geht die Bundesregierung mit der Tatsache um, dass
das sachsen-anhaltinische Landeskriminalamt und Mitarbeiter
des dortigen Innenministeriums die Zahlen rechtsextrem mo-
tivierter Straftaten bewusst geschönt haben, indem man
rechtsextreme Straftaten wie „Hakenkreuzschmierereien“ und
„Sieg-Heil“-Rufe nicht mehr als solche einstufte und damit
die Statistik zumindest für das Jahr 2007 um 200 Fälle senkte?

P
Peter Altmaier (CDU):
Rede ID: ID1613213100


Frau Kollegin Pau, ich kann dazu sagen, dass die ab-
schließende Bewertung einer Tat als politisch motivierte
Straftat und ihre Zuordnung zu einem der Phänomen-
bereiche dem jeweils zuständigen Landeskriminalamt
obliegt und dass die Fachaufsicht über die Landeskri-
minalämter, wie Sie wahrscheinlich wissen, nicht die
Bundesregierung, sondern das jeweils zuständige Landes-
innenministerium ausübt. Deshalb möchte die Bundes-
regierung diesen Vorgang nicht kommentieren.


Gerda Hasselfeldt (CSU):
Rede ID: ID1613213200

Eine Nachfrage, Frau Kollegin?


Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1613213300

Ja; danke, Frau Präsidentin.

Herr Staatssekretär, mir ist natürlich bekannt, wer die
Fachaufsicht hat. Aber nun ist dieses Landeskriminalamt
– wie die Landeskriminalämter der übrigen Bundeslän-
der – für Sie sozusagen Zulieferer des entsprechenden
statistischen Zahlenmaterials, von dem Sie ausgehen,
wenn Sie zum Beispiel mir monatlich die Antwort auf
meine Kleine Anfrage zum Thema „rechtsextrem moti-
vierte Straf- und Gewalttaten“ zustellen.

Deshalb wiederhole ich meine Frage: Wie geht die
Bundesregierung mit der nun offenkundigen Tatsache
um, dass im Land Sachsen-Anhalt und nach Behauptun-
gen des Sprechers des Innenministeriums des Landes
Sachsen-Anhalt auch in anderen Bundesländern zumin-
dest im Jahre 2007 die Anzahl dieser Straftaten ver-
fälscht wurde? Denn in der Konsequenz müssen Sie ja
auch mir falsche Antworten gegeben haben.

P
Peter Altmaier (CDU):
Rede ID: ID1613213400


Frau Kollegin, ich denke, dass sich die Antwort auf
Ihre Frage aus der Antwort auf die Frage 17, die Sie ge-
stellt haben, ergibt.


Gerda Hasselfeldt (CSU):
Rede ID: ID1613213500

Dann rufe ich hiermit zugleich die Frage 17 der Kol-

legin Petra Pau auf:
Welche Initiativen hat die Bundesregierung im Rahmen

der Innenministerkonferenz ergriffen, um zu verhindern, dass
die Verfahrensregelungen zur Erfassung rechtsextrem moti-
vierter Straftaten von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der
Landes- und Bundesbehörden verletzt werden, weil man sich
gegen „Fehlinterpretationen und ungerechtfertigte Bewertun-
gen“ schützen wolle?

P
Peter Altmaier (CDU):
Rede ID: ID1613213600


Hierzu kann ich Ihnen sagen, dass die Frage der Ein-
stufung als politisch motivierte Kriminalität wiederholt
Gegenstand der Beratungen der IMK und der nachgeord-
neten Gremien gewesen ist. Vor allem in der eigens zu
diesem Zweck geschaffenen und regelmäßig tagenden
Arbeitsgruppe „Qualitätskontrolle PMK“ – politisch mo-
tivierte Kriminalität – werden festgestellte Einzelpro-
bleme erörtert und Lösungsvorschläge erarbeitet. Dieses
Gremium hat seit seiner Gründung bereits über 20 Mal
getagt, und dort wird über diese Fragen, die Sie anspre-
chen, intensiv diskutiert. In all diesen Gremien und auch
in dieser Arbeitsgruppe wurde und wird seitens des Bun-
desinnenministeriums bzw. des Bundeskriminalamtes
die Zielsetzung verfolgt, bei den Ländern auf eine ein-
heitliche Anwendung des Definitionssystems „politisch
motivierte Kriminalität“ hinzuwirken. Das ist die Ab-
sicht der Bundesregierung, und dafür setzen wir uns
auch ein. Das ändert aber nichts daran, dass die Kompe-
tenzen in diesen Fragen bei den Ländern liegen. Das
heißt, auch diese Arbeitsgruppe kann keine verbindli-
chen Beschlüsse fassen; sie kann nur versuchen, durch
ständige Diskussionen auf eine gemeinsame, einheitli-
che Praxis hinzuwirken.


Gerda Hasselfeldt (CSU):
Rede ID: ID1613213700

Ihre weitere Frage.


Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1613213800

Zum Thema Qualitätskontrolle. Ist Ihnen denn im

Rahmen dieser regelmäßigen Beratungen bekannt ge-

13842 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 132. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 12. Dezember 2007


(A) (C)



(B) (D)


Petra Pau
worden, in welchen weiteren Bundesländern es in die-
sem Jahr oder in den vergangenen Jahren eventuell Pro-
bleme mit der Zuordnung solcher Straftaten gegeben
hat? Gibt es auch eine Aussage dazu, wie viele Straftaten
auf diese Art und Weise wahrscheinlich nicht in die Sta-
tistik gelangt sind?

P
Peter Altmaier (CDU):
Rede ID: ID1613213900


Nein. Ich kann Ihnen keine Zahlenangaben machen.
Wir haben allerdings sehr oft Diskussionen darüber, wie
Straftaten einzuordnen sind, wenn sie anonym begangen
werden. Hier gibt es durchaus leichte Unterschiede in
der Praxis einzelner Bundesländer. Es ist ja gerade das
Ziel dieser Arbeitsgruppe, diese Unterschiede so weit
wie möglich zu reduzieren.

Ganz ausschließen kann ich aber nicht, dass es hier im
Einzelfall zu unterschiedlichen Bewertungen gekommen
ist. Mir liegen aber keine Zahlen vor.


Gerda Hasselfeldt (CSU):
Rede ID: ID1613214000

Wenn ich das richtig gehört habe, dann haben Sie

schon auf die Frage 17 der Kollegin Petra Pau geantwor-
tet. Sie hat aber noch die Möglichkeit, Zusatzfragen zu
stellen.


Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1613214100

Genau. Ich danke. – Sie haben gerade noch einmal

auf das Problem der anonymen oder vielleicht nicht ganz
zuzuordnenden Straftaten aufmerksam gemacht. In dem
Zusammenhang stelle ich meine Nachfrage.

In Ihrer Antwort auf eine Anfrage von mir haben Sie
mitgeteilt, dass in den Jahren 2002 bis heute zum Bei-
spiel 237 Schändungen von jüdischen Friedhöfen nicht
Eingang in diese Statistik gefunden haben. Hat im Rah-
men der Beratungssitzung Ihrer Arbeitsgruppe auch die
Frage eine Rolle gespielt, auf welche Art und Weise sol-
che zumindest zu vermutenden antisemitisch motivierten
Straftaten in Zukunft Eingang in die Statistik finden kön-
nen, um sich etwas genauer mit der Situation vertraut
machen zu können?

P
Peter Altmaier (CDU):
Rede ID: ID1613214200


Das ist ja das Problem, das ich bereits angesprochen
hatte. Bei bestimmten Propagandadelikten – insbeson-
dere bei der Verbreitung und Verwendung verbotener
nationalsozialistischer Symbole, wie zum Beispiel Ha-
kenkreuze und SS-Runen – ist die Frage, ob diese im-
mer, ständig und regelmäßig dem Phänomenbereich
„PMK rechts“ zuzuordnen sind, sofern keine gegenteili-
gen Hinweise zur Tätermotivation vorliegen, oder ob
man dies nicht generell, sondern nur dann tun kann,
wenn Hinweise auf die Tätermotivation vorliegen.

Ansonsten gibt es nämlich auch die Möglichkeit einer
Tatbegehung durch schuldunfähige Personen, zum Bei-
spiel durch Kinder oder geistig Verwirrte. Darüber ist in
dieser Arbeitsgruppe wiederholt und mehrfach diskutiert
worden. Die Diskussionen haben aber noch nicht zu ei-
nem abschließenden Ergebnis geführt.

Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1613214300

Weitere Zusatzfrage?


Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1613214400

Ja, ich habe noch eine weitere Zusatzfrage. – Wie Sie

wissen, stellen meine Fraktion und ich diese Anfragen
nicht aus Lust am Zahlenmaterial, sondern weil wir auf
der Grundlage der Auskünfte, die uns die Bundesregie-
rung gibt, versuchen wollen, einen Befund über die tat-
sächliche Situation in diesem Bereich zu erhalten, um
dann darüber zu debattieren, wie man gegen rechts-
extrem oder antisemitisch motivierte Straf- und Gewalt-
taten vorgehen bzw. Prävention betreiben kann.

Deshalb frage ich die Bundesregierung: Haben die
vorliegenden Statistiken – seien die Zahlen nun zu nie-
drig oder richtig – bei der Vergabe der Mittel aus dem
Bundesprogramm zur Stärkung von Demokratie und To-
leranz sowie zur Unterstützung von mobilen Bera-
tungsteams und Initiativen vor Ort eine Rolle gespielt?

P
Peter Altmaier (CDU):
Rede ID: ID1613214500


Ich kann Ihnen diese Frage leider nicht aus dem Kopf
beantworten. Ich biete Ihnen aber an, dass wir Ihnen eine
schriftliche Antwort zukommen lassen.


Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1613214600

Danke schön.


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1613214700

Dazu gibt es jetzt noch eine Zusatzfrage des Kollegen

Kurth. – Bitte schön.


Markus Kurth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1613214800

Nur zur Klärung, ob ich das eben richtig verstanden

habe: Hält es die Bundesregierung tatsächlich für mög-
lich, dass eine so große Anzahl von Propagandadelikten,
wie Hakenkreuzschmierereien, von, wie Sie es nennen,
sogenannten geistig Verwirrten und Kindern verübt
wird, sodass allen Ernstes überlegt wird, diese Propa-
gandadelikte nicht in die Statistik für politisch motivierte
Straftaten aufzunehmen?


(Beifall des Abg. Dr. Diether Dehm [DIE LINKE])


P
Peter Altmaier (CDU):
Rede ID: ID1613214900


Herr Kollege Kurth, Sie sollen schon den Versuch un-
ternehmen, mir genau zuzuhören. Genau das, was Sie
unterstellen, habe ich nämlich nicht gesagt.


Markus Kurth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1613215000

Darum frage ich ja.

P
Peter Altmaier (CDU):
Rede ID: ID1613215100


Ich habe darauf hingewiesen, dass es in der von mir
zitierten Arbeitsgruppe der IMK Diskussionen zu die-

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 132. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 12. Dezember 2007 13843


(A) (C)



(B) (D)


Parl. Staatssekretär Peter Altmaier
sem Thema gegeben hat. Die Bundesregierung hat die
Auffassung, die Sie zitieren, nicht vertreten.


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1613215200

Nun ist dieses Missverständnis hoffentlich auch aus-

geräumt.


(Dr. Thea Dückert [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Na ja!)


Dann sind wir am Ende dieses Geschäftsbereichs. Ich
bedanke mich beim Kollegen Altmaier.

Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministe-
riums der Finanzen auf. Zur Beantwortung steht die Par-
lamentarische Staatssekretärin Nicolette Kressl zur Ver-
fügung. – Ich begrüße Sie.

Ich rufe zunächst die Frage 18 des Kollegen
Dr. Diether Dehm auf:

Wie beurteilt die Bundesregierung die aktuelle Debatte im
Europäischen Rat zur Verlängerung der Ausnahmegenehmi-
gungen für die ermäßigte Mehrwertsteuer für die nach dem
1. Mai 2004 der Europäischen Union beigetretenen Mitglied-
staaten, und wird die Bundesregierung die Verlängerung un-
terstützen?

N
Nicolette Kressl (SPD):
Rede ID: ID1613215300


Ich beantworte Ihre Frage wie folgt: Der Ecofin-Rat
hat sich am 4. Dezember dieses Jahres politisch auf die
Verabschiedung des angesprochenen Richtlinienvor-
schlags verständigt. Die formale Verabschiedung muss
noch erfolgen. Dies wird geschehen, sobald die noch
ausstehende Stellungnahme des Europäischen Parla-
ments vorliegt.

Ich will zusätzlich darauf hinweisen, dass das Bun-
desministerium der Finanzen eine von der Kommission
angestrebte breite politische Diskussion über die Sinn-
haftigkeit und damit sicherlich auch über die Ausgestal-
tung des Systems der ermäßigten Mehrwertsteuersätze
begrüßt.


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1613215400

Herr Kollege Dehm.


Dr. Jörg-Diether Dehm-Desoi (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1613215500

Frau Staatssekretärin, als Bundesvorsitzender des Un-

ternehmerverbands OWUS werde ich immer wieder mit
der Frage gelöchert, was noch mehr zu tun sei, um im
Bereich des kleinen Handwerks und der kleinen Dienst-
leistungen zu einem Mehrwertsteuersatz von nur 7 Pro-
zent statt 19 Prozent zu kommen; denn das wäre gut für
die Arbeitsplätze und die Binnennachfrage und würde
zur Bekämpfung der Schwarzarbeit beitragen. Wie ist
die Haltung der Bundesregierung dazu?

N
Nicolette Kressl (SPD):
Rede ID: ID1613215600


Herr Kollege Dehm, Sie haben in Ihrer Frage unter-
stellt, dass ein ermäßigter Mehrwertsteuersatz – ich be-
ziehe mich dabei nicht auf Handwerkerleistungen; viel-
mehr geht es im Zweifel um die sogenannten
arbeitsintensiven Dienstleistungen – sehr starke positive
Auswirkungen ökonomischer Art hätte. Dazu hat ein Ex-
periment mit einer entsprechenden Auswertung stattge-
funden. Vor dieser Auswertung gab es sehr viel Eupho-
rie. Danach – das ist nachzulesen – ist eine relativ starke
Ernüchterung eingetreten.

Die neutrale Auswertung hat zu dem Ergebnis ge-
führt, dass die nachhaltigen und positiven ökonomischen
Wirkungen so nicht eingetreten sind. Daraus schließt die
Bundesregierung, die solche Auswertungen sehr ernst
nimmt, dass es keinen Sinn macht, die steuerlichen Min-
dereinnahmen und die positiven arbeitsmarktpolitischen
Wirkungen gegeneinander abzuwägen und auf den er-
mäßigten Mehrwertsteuersatz zu setzen.


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1613215700

Kollege Dehm.


Dr. Jörg-Diether Dehm-Desoi (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1613215800

Frau Staatssekretärin, obwohl die Europäische Kom-

mission eine ausdrücklich positive Stellungnahme zur
Verlängerung der Richtlinie für einen ermäßigten Steuer-
satz für 17 Mitgliedstaaten abgegeben hat, lehnt die
Bundesregierung offensichtlich eine entsprechende Um-
setzung ab. Für bestimmte arbeitsintensive Dienstleis-
tungen wie die Renovierung von Privatwohnungen, Fri-
sördienste, die Reinigung von Fenstern, die häusliche
Pflege und kleine Reparaturarbeiten gibt es in vielen
europäischen Staaten ermäßigte Steuersätze. Länder wie
Frankreich, Belgien, Spanien und Großbritannien haben
mit dieser Regelung sehr gute Erfahrungen gemacht.
Polen, die Tschechische Republik und Ungarn haben
diese Regelung neu eingeführt.

In Gesprächen mit Kleinunternehmern in Ostfriesland
wurde ich kürzlich gefragt, ob es nicht ein Nachteil für
andere europäische Konkurrenten sei, wenn wir bei uns
keinen Wert auf den ermäßigten Mehrwertsteuersatz leg-
ten bzw. diese Diskussion vernachlässigten, während an-
dere sie intensivieren. Die Franzosen etwa sind weit da-
von entfernt, den Rotwein und die Gastronomie davon
auszunehmen.

N
Nicolette Kressl (SPD):
Rede ID: ID1613215900


Herr Kollege Dehm, ich fürchte, Sie verwechseln
zwei Dinge. Das eine ist die Stellungnahme zur Verlän-
gerung der ermäßigten Mehrwertsteuersätze für die ab
2004 beigetretenen Mitgliedstaaten. Das andere ist der
Versuch des ermäßigten Mehrwertsteuersatzes für ar-
beitsintensive Dienstleistungen, auf den Sie sich eben
bezogen haben. Dies sind keineswegs gleiche Tatbe-
stände.

Zum ermäßigten Mehrwertsteuersatz für arbeitsinten-
sive Dienstleistungen habe ich Sie auf die Auswertung
hingewiesen – Sie können das sicherlich nachlesen –, die
ausdrücklich nicht zu einem so positiven Ergebnis
kommt.


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1613216000

Ich rufe die Frage 19 des Kollegen Dehm auf:

13844 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 132. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 12. Dezember 2007


(A) (C)



(B) (D)


Präsident Dr. Norbert Lammert
Wie beurteilt die Bundesregierung die Einschätzung vieler
Wirtschaftswissenschaftler, dass durch die Ausweitung des er-
mäßigten Mehrwertsteuersatzes deutliche Effekte für eine
Vergrößerung der Kaufkraft und damit zusätzliche Anreize
zur Verbesserung der wirtschaftlichen Entwicklung erreicht
werden könnten, und sieht die Bundesregierung aus dieser
Einschätzung heraus Handlungsbedarf, den ermäßigten Mehr-
wertsteuersatz auf Reparaturdienstleistungen und für repa-
rierte Ersatzteile in den Bereichen Pkw, Haushaltsgeräte und
Rundfunkgeräte auszudehnen?

N
Nicolette Kressl (SPD):
Rede ID: ID1613216100


Die Antwort dazu lautet: Die Bundesregierung lehnt
die Einführung weiterer ermäßigter Mehrwertsteuersätze
unter Abwägung beschäftigungs-, wettbewerbs- und
finanzpolitischer sowie verwaltungstechnischer Gründe
ab. Sie bezweifelt, dass durch die Einführung ermäßigter
Mehrwertsteuersätze die beabsichtigten Lenkungswir-
kungen zum Erreichen der angestrebten Ziele tatsächlich
realisiert werden können. Dies wird durch den Bericht
der Kommission zu dem Experiment „Ermäßigter Mehr-
wertsteuersatz auf arbeitsintensive Dienstleistungen“
– das hatte ich bereits in der Antwort auf die Zusatzfra-
gen erwähnt – aus dem Jahre 2003 sowie durch die der
Mitteilung der Kommission vom 5. Juli 2007 über vom
Normalsatz abweichende Mehrwertsteuersätze zugrunde
liegende Analyse des Forschungsinstituts Copenhagen
Economics bestätigt. Daraus ergibt sich eindeutig, dass
durch die Einführung ermäßigter Mehrwertsteuersätze
keine Lenkungswirkung erzielt werden kann, da die
Weitergabe der steuerlichen Ermäßigungen an die Ver-
braucher von staatlicher Seite nicht sichergestellt werden
kann. Darüber hinaus wird deutlich, dass die mit der Er-
mäßigung verbundene Preissenkung selbst bei Weiter-
gabe oft zu gering ist, um dadurch positive Lenkungs-
impulse zu erzielen.


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1613216200

Bitte schön.


Dr. Jörg-Diether Dehm-Desoi (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1613216300

Ich kann nicht verstehen, dass zum Beispiel Mitglie-

der der Kfz-Innung Niedersachsen darauf beharren,
während Sie Experten zitieren, die die Differenz zwi-
schen 7 und 19 Prozent als überhaupt nicht relevant an-
sehen. Ich weiß auch nicht, welche Grundrechenarten
dieser Expertise zugrunde liegen.

Ich habe eine Nachfrage vor dem Hintergrund der De-
batten von Bali. Wäre es nicht ein guter Ansatz, wenn
wir eine Offensive für Reparaturfreundlichkeit starten
würden, bei der bei Pkw, Fernsehgeräten oder Kühl-
schränken das defekte Teil nicht gegen ein anderes aus-
gewechselt würde, mit der Folge, dass Müll anfällt, Stoff
verbraucht wird und Material mit Lastwagen über Tau-
sende von Kilometern unter erheblichem CO2-Ausstoß
hin und her gefahren würde? Wäre es nicht ein guter An-
satz, wenn wir gesetzlich darauf hinwirkten, dass repara-
turfreundlicher produziert und dem Reparaturhandwerk
ein ermäßigter Mehrwertsteuersatz gegeben wird, wie es
andere Länder in den erlaubten Teilbereichen auch tun?
Würden wir damit nicht viel von dem erreichen, was wir
mit Blick auf die Umwelt wollen? Wir sollten nicht nur
eine Offensive für erneuerbare Energien, sondern auch
eine Offensive für erneuerbare Stoffe machen, um damit
in der mittelständischen Wirtschaft für Effekte zu sor-
gen.

N
Nicolette Kressl (SPD):
Rede ID: ID1613216400


Sehr geehrter Herr Kollege Dehm, ich befürchte, dass
zur Bewertung von ökonomischen Wirkungen etwas
mehr als Grundrechenarten gehören. Genau dieses kön-
nen Sie in diesem Bericht, den ich jetzt zum dritten Mal
erwähne, nachlesen. Dort wird ausgeführt, dass genau
die Wirkungen ökonomischer Art so nicht eingetreten
sind, auch nicht bezogen auf den Arbeitsmarkt.

Zusätzlich möchte ich darauf hinweisen – das hatte
ich in der Antwort zu Ihrer Frage 19 schon erwähnt –,
dass es für uns keine Möglichkeit gibt, zu kontrollieren,
ob und in welcher Form der ermäßigte Mehrwertsteuer-
satz tatsächlich an die Verbraucherinnen und Verbrau-
cher weitergegeben wird.

Insofern bitte ich Sie, erstens ein bisschen mehr als
Grundrechenarten anzuwenden, und zweitens können
wir Ihnen gerne noch einmal die Quelle für den Kom-
missionsbericht nennen.


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1613216500

Weitere Zusatzfrage.


Dr. Jörg-Diether Dehm-Desoi (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1613216600

Frau Staatssekretärin, ich wäre froh, wenn Sie mir

diese Expertise geben würden. Mich würde aber auch
sehr interessieren, wie Sie sich das erklären, was Sie hier
ausführen.

Wenn ich Sie richtig verstehe, dann wollen Sie damit
sagen, dass es hier einen Mitnahmeeffekt gibt. Sie kön-
nen das gerne durch Kopfnicken bestätigen, sodass ich
meine Frage weiter ausdehnen kann. Das heißt, beim
Handwerksbetrieb gibt es einen Mitnahmeeffekt, der
nicht an den Kunden weitergegeben wird. Dieselben, die
das bei Konzernen und Banken als nonchalant bezeich-
nen, kritisieren die Nichtweitergabe an den Kunden
beim Handwerksbetrieb. Ist es jedoch nicht auch bei ei-
nem Handwerksbetrieb von großem Vorteil, wenn er das
in Arbeitsplätze umsetzt und der Betrieb dadurch nicht
von Insolvenz bedroht wird? Hätte es, selbst wenn es so
wäre, wie Sie sagen, nicht auch für die Klein- und
Kleinstbetriebe – die KMU in Europa besteht zu über
85 Prozent aus Kleinstbetrieben – immer noch einen
positiven Effekt?

N
Nicolette Kressl (SPD):
Rede ID: ID1613216700


Herr Kollege Dehm, ich kann mich sehr gut an die
Debatte erinnern, die ich persönlich als Abgeordnete mit
den Vertretern und Vertreterinnen des Handwerks ge-
führt habe, bevor die Auswertung des Experiments zum
Beispiel in Frankreich – mein Wahlkreis liegt an der
Grenze zu Frankreich; daher habe ich die Debatten sehr
oft geführt – vorlag. Da herrschte viel Euphorie. Die
Auswertung hat, wie bereits erwähnt, zu einer gewissen
Ernüchterung geführt.

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 132. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 12. Dezember 2007 13845


(A) (C)



(B) (D)


Parl. Staatssekretärin Nicolette Kressl
Ihre vorsichtig geäußerte Unterstellung, ich hätte ge-
sagt, das werde nie weitergegeben, stimmt nicht. Ich
habe lediglich darauf hingewiesen, dass wir mit Steuer-
mindereinnahmen rechnen und deswegen vorsichtig sein
müssen und dass wir gleichzeitig nicht die Möglichkeit
haben, staatlich zu kontrollieren bzw. zu lenken, in wel-
cher Form und in welcher Höhe der ermäßigte Mehr-
wertsteuersatz weitergegeben wird. Ich persönlich und
die Bundesregierung sehen jedenfalls die Notwendig-
keit, auf eine nachhaltige und effiziente Wirkung zu ach-
ten. Aber das können wir in diesem Fall, bei Steuermin-
dereinnahmen, nicht garantieren.


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1613216800

Nun hat der Kollege Thiele eine Zusatzfrage.


Carl-Ludwig Thiele (FDP):
Rede ID: ID1613216900

Frau Staatssekretärin, es gibt den normalen und den

ermäßigten Mehrwertsteuersatz. Es gibt aber auch Leis-
tungen in unserem Lande, die gar nicht besteuert wer-
den. Ich frage Sie, wie Sie die Tatsache bewerten, dass
auf die Leistungen, die die Deutsche Post AG erbringt,
gar keine Mehrwertsteuer erhoben wird, und wie hoch
Sie den daraus resultierenden Steuerausfall schätzen. Da
diese Frage für Sie möglicherweise etwas überraschend
ist, wäre ich einverstanden, wenn Sie Ihre Antwort
schriftlich nachreichen.

N
Nicolette Kressl (SPD):
Rede ID: ID1613217000


Herr Thiele, die Zahlen reiche ich Ihnen gerne nach.
Ich weise allerdings darauf hin, dass dies bereits ein Ta-
gesordnungspunkt auf der Sitzung des Finanzausschus-
ses heute Morgen war. Es gab zwar zeitliche Probleme,
aber dort hätte diese Frage eigentlich ihren Platz gehabt.
Nichtsdestotrotz werden wir die Zahlen gerne nachrei-
chen.


(Carl-Ludwig Thiele [FDP]: Hier ist es etwas öffentlicher!)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1613217100

Wir sind uns über das Prozedere einig. – Weitere Zu-

satzfragen zu Frage 19 habe ich nicht registriert.

Die Frage 20 der Abgeordneten Christine Scheel und
die Frage 21 des Kollegen Dr. Gerhard Schick aus dem
Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Finanzen
werden schriftlich beantwortet.

Wir kommen nun zum Geschäftsbereich des
Bundesministeriums für Wirtschaft und Technologie.
Die Frage 22 des Abgeordneten Ernst Burgbacher, die
Fragen 23 und 24 des Abgeordneten Jürgen Koppelin,
die Frage 25 der Abgeordneten Christine Scheel, die
Frage 26 des Abgeordneten Hans-Kurt Hill1) sowie die
Fragen 27 und 28 des Kollegen Manfred Kolbe werden
schriftlich beantwortet. Das sind alle Fragen aus diesem
Geschäftsbereich.

1) Die Antwort lag bei Redaktionsschluss nicht vor und wird zu einem
späteren Zeitpunkt abgedruckt.
Wir kommen nun zum Geschäftsbereich des Bundes-
ministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Ver-
braucherschutz.

Freundlicherweise ist die Parlamentarische Staats-
sekretärin Ursula Heinen erschienen, um die Fragen zu
beantworten.

Ich rufe die Frage 29 der Kollegin Cornelia Behm
auf:

Welche Rolle spielte der Marine Stewardship Council,
MSC, als weltweit bisher umfassendstes Zertifizierungssys-
tem für eine nachhaltige Meeresfischerei im Rahmen des run-
den Tisches zur Fischerei am 21. November 2007 in Bonn

(Pressemitteilung des Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz Nr. 188 vom 22. November 2007)


Bitte, Frau Staatssekretärin.

Ur
Ursula Heinen (CDU):
Rede ID: ID1613217200


Kollegin Behm, ich teile Ihnen mit, dass der MSC am
runden Tisch aktiv teilgenommen hat und in einem ein-
führenden Vortrag die eigene Organisation, insbesondere
den Aspekt der Rückverfolgbarkeit im Zertifizierungs-
system des MSC, vorgestellt hat. Im Mittelpunkt des
runden Tisches zur Fischerei stand die Frage, wie
Verbraucherinnen und Verbraucher über eine gezielte
Nachfrage nach nachhaltig gewonnenen Fischereier-
zeugnissen zu einer nachhaltigeren und ökosystemver-
träglicheren Nutzung der weltweiten Fischbestände bei-
tragen und dadurch die direkt bei der Fischerei
ansetzenden Erhaltungsmaßnahmen unterstützen kön-
nen. Die Teilnehmer waren sich einig, dass Ökokennzei-
chen wie das des MSC hierzu einen wichtigen Beitrag
leisten können und dass mit einer weiteren Zunahme des
Marktanteils ökozertifizierter Fischereierzeugnisse zu
rechnen ist.


Cornelia Behm (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1613217300

Könnten Sie meine Fragen 29 und 30 im Zusammen-

hang beantworten?

Ur
Ursula Heinen (CDU):
Rede ID: ID1613217400


Ja.


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1613217500

Dann rufe ich die Frage 30 der Kollegin Cornelia

Behm auf:
In welcher Weise unterstützt die Bundesregierung den

MSC, insbesondere bei der Steigerung seines Bekanntheits-
grades?

Bitte, Frau Staatssekretärin.

Ur
Ursula Heinen (CDU):
Rede ID: ID1613217600


Wir haben im Rahmen einer in Auftrag gegebenen
Studie festgestellt, dass zu den Chancen der Ökokenn-

13846 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 132. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 12. Dezember 2007


(A) (C)



(B) (D)


Parl. Staatssekretärin Ursula Heinen
zeichnung für die deutsche Fischerei 12 Prozent der Be-
fragten angaben, den MSC zu kennen. Die Steigerung
des Bekanntheitsgrades wird von der Bundesregierung
unterstützt, indem wir regelmäßig in Pressemitteilungen,
verschiedenen Publikationen sowie im Internet auf den
MSC hinweisen. Auf einer vom Bundesumweltministe-
rium geplanten Konferenz zum Thema „Initiative Arten-
schutz – Ökozertifizierung in der Fischerei“, die im
Februar 2008 stattfinden soll, wird der MSC einen der
Schwerpunkte darstellen.

Außerdem wirbt die Bundesregierung seit längerem
in Gesprächen mit den Vertretern der deutschen Fische-
rei dafür, eine Zertifizierung vorzunehmen bzw. zu erwä-
gen.

Die MSC-Zertifizierung der deutschen Seelachsfi-
scherei wird voraussichtlich in den kommenden Mona-
ten abgeschlossen werden. Eine direkte finanzielle Un-
terstützung, Kollegin Behm, ist bisher allerdings nicht
erfolgt.

Die Steigerung des Bekanntheitsgrades der MSC-Pro-
dukte setzt voraus, dass genug Produkte im Handel er-
hältlich sind. Das ist in Deutschland allerdings erst seit
dem Jahr 2005 der Fall, nachdem der MSC auch Fisch-
produkte größerer Fischereien wie Alaska-Seelachs – mit
einem Anteil von immerhin rund 25 Prozent die wich-
tigste Fischart für den deutschen Markt –, südafrikani-
schen Seehecht und Nordseehering zertifizieren konnte.
Wir sind froh darüber, dass immer mehr Verarbeitungs-
und Handelsunternehmen seitdem das Label des MSC
verwenden. Sie sehen also, dass wir uns nachhaltig dafür
einsetzen, dass dieses Zertifizierungssystem bekannt
wird und in der Öffentlichkeit entsprechend genutzt und
wahrgenommen wird.


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1613217700

Sie haben das Wort zu Ihrer ersten Nachfrage. Bitte

schön, Frau Behm.


Cornelia Behm (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1613217800

Vielen Dank für die Antwort. – Ich habe den runden

Tisch zur nachhaltigen Fischerei mit Interesse verfolgt.
Ich denke, das ist eine sehr gute Initiative. Ich bin nur
über Ihre Angaben erstaunt. Sie sagen: 12 Prozent der
Befragten kennen das MSC-Siegel. Meine Erfahrungen
sind sehr viel schlechter, auch wenn ich zuletzt wieder-
holt erstaunt feststellen konnte, dass in Supermärkten,
sogar in Discountern, MSC-zertifizierte Ware zu finden
ist.

Es geht darum, Produkte der nachhaltigen Meeresfi-
scherei bekannter zu machen. Beabsichtigt die Bundes-
regierung oder Ihr Haus angesichts der Tatsache, dass
das nächste Jahr durch COP 9, Biodiversität, gekenn-
zeichnet ist, im Rahmen der Grünen Woche dazu in der
BMELV-Halle einen Schwerpunkt zu setzen?

Ur
Ursula Heinen (CDU):
Rede ID: ID1613217900


Ich kann Ihnen im Augenblick nicht sagen, ob wir das
für die Grüne Woche schon geplant haben. Ich nehme
Ihre Anregung aber sehr gern in unser Haus mit, um
auch dort darauf hinzuweisen, wie wichtig dieses Thema
ist. Uns helfen natürlich auch, was den Bekanntheitsgrad
angeht, die Presseveröffentlichungen über nachhaltigen
Fischfang, die es in den vergangenen Monaten gegeben
hat. Um zu Ihrer Eingangsbemerkung zurückzukommen:
Ich kann mir durchaus vorstellen, dass der Bekanntheits-
grad des Labels mittlerweile größer als 12 Prozent ist.
Wie gesagt, ich nehme Ihre Anregung, auch dies zum
Thema auf der Grünen Woche zu machen, in unser Haus
mit.


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1613218000

Eine zweite Zusatzfrage, Frau Behm.


Cornelia Behm (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1613218100

Die Pressemitteilung zum runden Tisch endete damit,

dass es nunmehr konkrete Vorschläge zur Kennzeich-
nung von Fisch aus nachhaltiger Fischerei geben soll.
Die einzelnen Beteiligten wollten entsprechende Vor-
schläge vorlegen. Gibt es seitens des BMELV schon et-
was, was man auf den Tisch legen kann?

Ur
Ursula Heinen (CDU):
Rede ID: ID1613218200


Das gibt es zurzeit noch nicht. Aber es sind zwei Ar-
beitsgruppen unter unserem Vorsitz eingerichtet worden.
Sie sollen sich zum einen mit dem Thema „Mindestkrite-
rien für eine Ökokennzeichnung“ und zum anderen mit
der ganz entscheidenden Frage der Möglichkeit von Her-
kunftsangaben beschäftigen. Es wird noch ein paar Mo-
nate dauern, bis Vorschläge auf dem Tisch liegen. Wir
werden Sie im Ausschuss oder hier sehr zeitnah darüber
unterrichten.


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1613218300

Ihre dritte Zusatzfrage, Frau Behm.


Cornelia Behm (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1613218400

Ist es vorgesehen, einen weiteren runden Tisch zur

nachhaltigen Meeresfischerei durchzuführen? Wenn ja,
können Sie schon einen etwaigen Termin benennen?

Ur
Ursula Heinen (CDU):
Rede ID: ID1613218500


Darüber kann ich Ihnen zum jetzigen Zeitpunkt noch
nichts sagen. Dies hängt zum einen im Wesentlichen da-
von ab, welche Ergebnisse die beiden Arbeitsgruppen
erzielen. Zum anderen hängt es davon ab, wie sich der
internationale Fischfang weiterentwickelt, Stichwort „il-
legaler Fischfang“, welche Konsequenzen es gibt und
welche Möglichkeiten wir auf internationaler Ebene ha-
ben, den illegalen Fischfang bzw. die Überfischung ein-
zudämmen. Das alles spielt eine Rolle dabei, wie wir mit
dem runden Tisch weiter umgehen. Ich persönlich kann
mir durchaus vorstellen, ihn noch einmal zusammenzu-
rufen; schließlich ist es ein Erfolg gewesen, darüber so
zu beraten und Kennzeichnungssysteme bekannt zu ma-
chen.

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 132. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 12. Dezember 2007 13847


(A) (C)



(B) (D)


Parl. Staatssekretärin Ursula Heinen

(Cornelia Behm [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich danke für die Beantwortung meiner Fragen!)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1613218600

Das ist doch mal was – verglichen mit den in solchen

Zusammenhängen häufigeren Beschwerden.

Die Frage 31 der Kollegin Dr. Kirsten Tackmann wird
schriftlich beantwortet.

Ich rufe die Frage 32 der Kollegin Mechthild Rawert
auf:

Was hat die Bundesregierung seit dem Auslaufen der Wal-
fangflotte Japans am 18. November 2007 unternommen, um
die japanische Regierung von ihrem Vorhaben abzubringen,
bis zu 935 Zwergwale, 50 Finnwale und 50 Buckelwale in
dieser Saison unter dem Deckmantel des „wissenschaftlichen
Walfanges“ zu töten?

Ur
Ursula Heinen (CDU):
Rede ID: ID1613218700


Auf Ihre Frage, Kollegin Rawert, teile ich Ihnen mit:
Nach den vorliegenden Informationen sieht das japani-
sche Walfangprogramm vor, dass bis Mitte April 2008
rund 1 000 Wale gefangen und getötet werden, darunter
850 Zwergwale, 50 Buckelwale und 50 Finnwale. Die
Bundesregierung setzt sich für einen konsequenten
Schutz der Walbestände ein und fordert im Einklang mit
anderen Walschutzländern in der Internationalen Wal-
fang-Kommission, dass das seit 1986 bestehende Mora-
torium aufrechterhalten wird. Dies entspricht auch den
einstimmigen Voten des Deutschen Bundestages, an de-
nen Sie, Kollegin Rawert, in den letzten Jahren sehr ak-
tiv mitgewirkt haben.

Deutschland und andere Walschutzländer haben bei
der letzten IWC-Jahrestagung erneut ihre ablehnende
Haltung zu den wissenschaftlichen Walfangaktivitäten
Japans, aber auch Norwegens und Islands zum Ausdruck
gebracht. Daraufhin wurde bei dieser Jahrestagung eine
Resolution verabschiedet, in der die Fragwürdigkeit der
japanischen Programme erneut betont und Japan aufge-
fordert wird, auf diesbezügliche Programme zu verzich-
ten.

Gleich nach Bekanntwerden der diesjährigen japani-
schen Walfangaktion hat Deutschland ein Gespräch mit
Vertretern des zuständigen japanischen Ministeriums
und der dortigen Fischereibehörden geführt. Japan ist in
der Vergangenheit bereits mehrfach dazu aufgefordert
worden, die IWC-Beschlüsse zu respektieren. Die Bun-
desregierung wird die japanischen Walfangaktivitäten
weiterhin intensiv verfolgen.

Auf internationaler Ebene hat die erneute Walfangak-
tion Japans erheblichen Unmut hervorgerufen. Austra-
lien, Neuseeland, die USA und die Europäische Kom-
mission haben sich an die japanische Regierung gewandt
und ihren Protest gegen diese Aktion zum Ausdruck ge-
bracht. In ihren Äußerungen zeigen sie Betroffenheit,
weil diese japanische Walfangaktion die internationalen
Anstrengungen unterminiert, Wale zu schützen und die
Arten zu bewahren.

Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1613218800

Bitte schön, Frau Rawert.


Mechthild Rawert (SPD):
Rede ID: ID1613218900

Frau Staatssekretärin, würden Sie sofort auch die

zweite Frage beantworten?

Ur
Ursula Heinen (CDU):
Rede ID: ID1613219000


Ja.


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1613219100

Dann rufe ich auch gleich die Frage 33 der Kollegin

Rawert auf:
Wie beurteilt die Bundesregierung die Tötung von jeweils

50 Finn- und Buckelwalen, obwohl diese Walpopulationen
auf der Roten Liste 2007 der World Conservation Union,
IUCN, stehen, und was unternimmt die Bundesregierung kon-
kret, um das Aussterben dieser Walpopulationen zu verhin-
dern?

Ur
Ursula Heinen (CDU):
Rede ID: ID1613219200


Auf Ihre weitere Frage antworte ich wie folgt: Die
Tötung von Finn- und Buckelwalen zu wissenschaftli-
chen Zwecken verstößt, wie ich es bereits in der Antwort
auf Ihre erste Frage gesagt habe, ganz klar gegen den
Geist des Walfangmoratoriums der Internationalen Wal-
fang-Kommission, unabhängig davon, dass in der jüngs-
ten Roten Liste Finn- und Buckelwale in der Kategorie
„Least Concern“ mit der Anmerkung geführt werden,
dass diese Listung überholt sei.

Mit der Annahme des Koalitionsantrags vom 10. Mai
2007 mit dem Titel „Schutz der Wale sicherstellen“ hat
die Mehrheit des Deutschen Bundestages die Bundesre-
gierung aufgefordert, den Schutz der Wale weltweit vor-
anzubringen und in den laufenden Bemühungen nicht
nachzulassen.

Den kontinuierlichen Bestrebungen von Walschutz-
ländern einschließlich Deutschlands zur Gewinnung
neuer Mitglieder für den Walschutz – dabei sind jetzt
auch Ecuador, Griechenland, Kroatien, Slowenien und
Zypern – ist es zu verdanken, dass die Walschutzländer
ihre nominelle Mehrheit, die sie in den letzten Jahren lei-
der verloren hatten, in diesem Jahr deutlich zurückge-
winnen konnten.

Durch die Verabschiedung mehrerer Resolutionen
konnten klare Zeichen für eine Fortsetzung und Verbes-
serung des internationalen Schutzes der Wale gesetzt
werden. Dazu zählt einmal die Aufrechterhaltung des
Moratoriums für den kommerziellen Walfang. Zum an-
deren konnten die Walschutzländer auch eine Erklärung
zur Förderung und Bedeutung der nicht tödlichen Nut-
zung der Walbestände, insbesondere durch kommerzielle
Walbeobachtung, durchsetzen und in einer weiteren Re-
solution ein wichtiges politisches Signal gegen den soge-
nannten wissenschaftlichen Walfang Japans geben.

13848 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 132. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 12. Dezember 2007


(A) (C)



(B) (D)


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1613219300

Bitte schön.


Mechthild Rawert (SPD):
Rede ID: ID1613219400

Herzlichen Dank für die Beantwortung der Fragen.

Meine Nachfragen beziehen sich auf Aspekte der Kon-
kretisierung. Sie haben Ausführungen zur Roten Liste ge-
macht und darauf hingewiesen, dass Buckel- und Finn-
wale dort „out of date“ seien. Nichtsdestotrotz gelten sie
als gefährdet. Welche Maßnahmen sieht die Bundesregie-
rung vor, um den sogenannten wissenschaftlichen Wal-
fang wirklich griffiger zu sanktionieren? Wir diskutieren
in regelmäßigen Abständen immer wieder darüber, dass
es durch Japan, Norwegen, Grönland und Dänemark zu
Verletzungen kommt. Im anderen Rahmen, zum Beispiel
bei Fischereiabkommen, sind Sanktionsmaßnahmen ja
auch möglich. Was ist hier getan worden, und was ist
möglich?

Ur
Ursula Heinen (CDU):
Rede ID: ID1613219500


Zunächst ist es ganz klar, dass wir die Tötung von Wa-
len verurteilen. Es gibt auch keinerlei Ansatzpunkt, das
Moratorium aufzuheben. Dafür wäre eine Zweidrittel-
mehrheit erforderlich; diese ist auch aufgrund der Tatsa-
che, dass sich Deutschland um neue Mitglieder bemüht
hat und nunmehr die Mehrheiten eindeutig sind – um es
einmal so zu formulieren – nicht in Sicht. Von dieser
Seite besteht also keine Gefahr. Von daher können wir
den Rahmen schon einmal als gegeben hinnehmen.

Bezüglich einer Übertragung der Bestimmungen des
Moratoriums auf die Fangquoten für andere Fischarten
oder Ähnliches kann ich Ihnen zurzeit keine Auskunft
geben. Ich werde diese Frage aber aufnehmen und sie Ih-
nen anderweitig beantworten.


Mechthild Rawert (SPD):
Rede ID: ID1613219600

Danke für den Bericht, zumal sich die Rote Liste ja

auch auf Natur- und Artenschutz bezieht.

Eine weitere Frage zur Konkretisierung, nämlich zu
Maßnahmen im Jahre 2008. Selbstverständlich wird
wieder die Internationale Walfang-Kommission tagen.
Gibt es weitere Aktivitäten oder Vorstellungen der Bun-
desregierung, wie der Walschutz aktiv vorangetrieben
werden kann? Hierzu bietet ja zum Beispiel die Grüne
Woche Möglichkeiten.

Ur
Ursula Heinen (CDU):
Rede ID: ID1613219700


Zurzeit sind, wenn ich das richtig sehe, auf der Grü-
nen Woche keine weiteren Aktivitäten geplant. Ich rege
allerdings an, dass Sie das Thema noch einmal mit in
den Ausschuss nehmen, der ja zur Grünen Woche tagen
wird. Vielleicht könnten Sie dort als Parlamentarierin
noch einmal ein Zeichen gegen den internationalen Wal-
fang setzen, indem sie zum Beispiel einen interfraktio-
nellen Antrag dazu einbringen. Das wäre ja gerade im
Vorfeld einer solchen internationalen Messe ein sehr
deutliches Zeichen.


Mechthild Rawert (SPD):
Rede ID: ID1613219800

Wir hatten darüber auch heute Morgen im Ausschuss

schon eine sehr intensive Debatte. Es wäre schön, wenn
Sie es uns ermöglichen, das Thema auf der Grünen Wo-
che zu diskutieren. Wir als Parlamentarier brauchen na-
türlich die entsprechenden Gesprächspartner. Danke,
dass Sie das mit in Ihr Haus nehmen und sich darum be-
mühen wollen, dass es uns ermöglicht wird, solche Ge-
spräche mit entsprechenden Gesprächspartnern zu füh-
ren.

Ich komme noch einmal zurück auf den Begriff des
wissenschaftlichen Walfangs. Er wird ja als Schlupfloch
benutzt, um letztendlich kommerziellen Walfang zu er-
möglichen. Mittlerweile gibt es in Japan im Zusammen-
hang mit der jetzt laufenden Fangaktion Marketingkam-
pagnen, die zum Beispiel „Wal-Curry“ und Ähnliches
bewerben. Was kann getan werden, damit diese Machen-
schaften auf keinen Fall nach Deutschland übergreifen?

Ur
Ursula Heinen (CDU):
Rede ID: ID1613219900


Die Gefahr, dass sie nach Deutschland übergreifen,
besteht, wie ich glaube, so nicht. Die Bundesregierung
hat sich ja ganz klar gegen den Walfang ausgesprochen,
der unter dem Deckmantel des sogenannten wissen-
schaftlichen Walfangs betrieben wird. Diesen lehnen wir
klar ab. Wir setzen uns in allen internationalen Organisa-
tionen dafür ein, dass diese unsere Sichtweise internatio-
nal mehrheitsfähig wird. Hier haben wir, wie ich vorhin
schon gesagt habe, eine ganze Menge erreicht.


Mechthild Rawert (SPD):
Rede ID: ID1613220000

Danke.


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1613220100

Frau Kollegin Behm.


Cornelia Behm (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1613220200

Frau Staatssekretärin, Sie haben mehrfach betont, dass

Sie sich klar gegen den japanischen Walfang ausspre-
chen. Ich denke aber, dass das nicht ausreicht. Man muss
Druck ausüben. Wir haben da entsprechende Erfahrun-
gen gemacht. Ich denke zum Beispiel an die jährlich wie-
derkehrenden Robbentötungen. In diesem Zusammen-
hang hat der Deutsche Bundestag die Bundesregierung
aufgefordert, entweder Aktivitäten auf der europäischen
Ebene zu entfalten oder, wenn das zunächst einmal nicht
möglich sein sollte, ein Gesetz zu erlassen, das den Han-
del mit Robbenprodukten verbietet. Ihr Haus hat dann an
einem entsprechenden Gesetzentwurf gearbeitet. Der ist
leider in der Versenkung verschwunden. Man sagt, Frau
Merkel habe nach einem Kanada-Besuch ihr Veto einge-
legt. Jetzt frage ich Sie: Hat Ihr Haus vielleicht darüber
nachgedacht, im Zusammenhang mit den Waltötungen
Japans Sanktionen ähnlicher Art vorzunehmen, oder

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 132. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 12. Dezember 2007 13849


(A) (C)



(B) (D)


Cornelia Behm
nimmt man davon Abstand, weil wirtschaftliche Sanktio-
nen einfach nicht infrage kommen?

Ur
Ursula Heinen (CDU):
Rede ID: ID1613220300


Zunächst einmal muss ich Sie korrigieren, was Ihre
Einschätzung zur Robbenjagd und zum Import von Rob-
benprodukten nach Deutschland bzw. nach Europa be-
trifft. Gerade das Bundesministerium für Ernährung,
Landwirtschaft und Verbraucherschutz setzt sich nach-
drücklich dafür ein, dass der Gesetzentwurf durch-
kommt. Wir befinden uns zurzeit in der Ressortabstim-
mung. Es ist für Deutschland, das in europäische und
internationale Handelsorganisationen eingebunden ist,
nicht einfach, ein solches Importverbot allein zu be-
schließen. Wir brauchen diesbezüglich die umfangreiche
Unterstützung der anderen Ressorts, insbesondere des
Wirtschaftsministeriums und des Justizministeriums.
Wir sind da auf einem guten Weg.

Ich darf Ihnen im Übrigen in Erinnerung rufen, dass
– soweit mir bekannt ist – die Niederlande wegen ihres
einseitigen Importverbots bereits vor der WTO verklagt
worden sind. Wir müssen also sorgfältig vorgehen. Der
Gesetzentwurf ist auf einem wirklich guten Weg.

Sie können ebenfalls davon ausgehen, dass wir uns
beim Thema Walfang nachdrücklich dafür einsetzen,
dass die Moratorien eingehalten werden. Inwieweit wir
in diesem Bereich gesetzgeberisch tätig werden müssen
oder wir in internationalen Organisationen stärker tätig
werden sollten, müssen wir noch genauer untersuchen.
Wir freuen uns auf weitere Diskussionen darüber mit Ih-
nen, den Parlamentarierinnen und Parlamentarien.


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1613220400

Damit sind wir am Ende dieses Geschäftsbereichs.

Ich bedanke mich bei Ihnen, Frau Heinen.

Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministe-
riums für Gesundheit auf. Der Parlamentarische Staats-
sekretär Schwanitz beantwortet die Fragen.

Die Frage 34 des Kollegen Ackermann wird schrift-
lich beantwortet.

Ich rufe die Frage 35 des Kollegen Wodarg auf:
Wie erklärt sich die Bundesregierung, dass nach Angaben

der Deutschen Stiftung Organtransplantation, DSO, im Jahr
2005 an der Charité Berlin von insgesamt 115 Nieren 59 an
Privatpatienten transplantiert wurden, dass in Kiel von
22 Nieren 8 an Privatpatienten und von 8 Herzen 3 an Privat-
patienten transplantiert wurden und dass in Hannover für das
gleiche Jahr die Warteliste für Lungentransplantationen
130 Privatpatienten und nur 38 Kassenpatienten ausweist?

R
Rolf Schwanitz (SPD):
Rede ID: ID1613220500


Die Organisation der Organentnahme und Organver-
mittlung ist, wie bereits in der Antwort auf Ihre schriftli-
chen Fragen 10/91 bis 10/94 dargelegt, in unser Gesund-
heitssystem integriert. Daher hat nach der Konzeption
des Transplantationsgesetzes die Selbstverwaltung
– nämlich die Spitzenverbände der Krankenkassen, die
Bundesärztekammer und die Deutsche Krankenhausge-
sellschaft – die Aufgabe, diese zu organisieren. Sie ha-
ben die Deutsche Stiftung Organtransplantation als
Koordinierungsstelle mit der Organisation der Organent-
nahme und die Stiftung Eurotransplant mit der Organ-
vermittlung beauftragt.

Entsprechend hat die Selbstverwaltung auch die Auf-
gabe, das Geschehen zu überwachen. Eine Überprüfung
der in den Tätigkeitsberichten der Koordinierungsstelle
dargestellten Angaben zum Versichertenstatus von Pa-
tienten erfolgt derzeit durch die von der Selbstverwal-
tung eingesetzte Überwachungskommission.


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1613220600

Nachfrage? – Bitte schön, Herr Kollege Wodarg.


Dr. Wolfgang Wodarg (SPD):
Rede ID: ID1613220700

Dieses Haus hat vor etwa zehn Jahren das Transplan-

tationsgesetz auf den Weg gebracht. Wir haben großen
Wert darauf gelegt, dass Transparenz bei der Organent-
nahme und bei der Organvergabe gewährleistet ist. Wir
wollten damit sicherstellen, dass die Organvergabe nicht
nach dem Portemonnaie, sondern nur nach der medizini-
schen Indikation erfolgt. Deshalb haben wir die Auflage
gemacht, dass Transparenz über den Versichertenstatus
geschaffen wird.

Die DSO hat über viele Jahre die entsprechenden Sta-
tistiken erstellt. Sind denn die Zahlen, die in meiner
Frage genannt werden, nie jemandem aufgefallen? Für
diese Zahlen gibt es zwei Erklärungsmöglichkeiten.
Zum einen könnte es sein, dass die Zahlen, die uns der
gesetzlich Beauftragte liefert, über mehrere Jahre falsch
waren. Zum anderen könnte es sein, dass die Zahlen
richtig sind. Sie wären dann aber mit der normalen Mor-
bidität in Deutschland nicht zu erklären.

Auch die großen Unterschiede zwischen den Trans-
plantationszentren sind nicht zu erklären. Es gibt einige
Transplantationszentren, in denen, wie bei der Charité,
die Hälfte der Nieren an Privatpatienten vergeben wer-
den. Dies muss doch irgendjemandem aufgefallen sein.
Wer hat denn die Aufsicht darüber? Gibt es entspre-
chende Rückfragen bei den Ländern? Wer ist für die
Transparenz, die es in der Umsetzung dieses Bundesge-
setzes – das Transplantationsgesetz hat der Deutsche
Bundestag auf den Weg gebracht; wir organisieren auch
die Werbung für die Organspende – geben soll, verant-
wortlich? Uns muss doch am Herzen liegen, dass hier
Transparenz herrscht. Wenn hier Schmu gemacht wird,
können wir uns die großen Plakate sparen.

R
Rolf Schwanitz (SPD):
Rede ID: ID1613220800


Herr Kollege Wodarg, Sie wissen, dass bei der Kon-
zeption des Transplantationsgesetzes vor nunmehr zehn
Jahren die Transplantation als eine gemeinschaftliche
Aufgabe der Transplantationszentren und der Kranken-
häuser in Deutschland organisiert und so im Gesetz ver-
ankert worden ist. Dementsprechend ist die Verantwort-
lichkeit auf Bundesebene bei den von mir in der Antwort
beschriebenen Spitzenorganisationen verankert worden,

13850 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 132. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 12. Dezember 2007


(A) (C)



(B) (D)


Parl. Staatssekretär Rolf Schwanitz
also bei den Spitzenverbänden der Krankenkassen, der
Bundesärztekammer und der Deutschen Krankenhausge-
sellschaft.

Ich halte es für richtig und auch für angezeigt, dass
beim kritischen Hinterfragen und bei nicht aus dem
Stand zu beantwortenden Fragen zu Zahlen die dafür
verantwortlichen Stellen und die dafür verantwortliche
Kommission tätig werden. Das ist eingeleitet. Gerade
vor dem Hintergrund, dass dies ein so sensibles Feld der
gesundheitlichen Versorgung – nicht zuletzt mit unmit-
telbaren Auswirkungen hinsichtlich Leben und Tod für
viele Tausende in unserem Land – ist, werbe ich darum,
dass man von vorschnellen Urteilen Abstand nimmt.

Wir können darüber ja ganz offen reden. Seit mehre-
ren Wochen nehmen wir einzelne Zahlen zur Kenntnis.
Hier geht es um Zahlen von zwei Jahren und von einzel-
nen Zentren, die die Kommission zu untersuchen hat und
über die auch berichtet werden wird. Aber ich halte den
Hinweis auf angeblich korrumpierte Transplanteure und
käufliche Ärzte nicht für geeignet, die Situation in
Deutschland zu beschreiben, im Gegenteil: Erstens müs-
sen diese Zahlen meines Erachtens durch die Kommis-
sion aufgeklärt werden. Zweitens kann dies nicht Anlass
sein, einen ganzen Berufsstand und die Organtransplan-
tation in Deutschland zu verunglimpfen.


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1613220900

Kollege Wodarg.


Dr. Wolfgang Wodarg (SPD):
Rede ID: ID1613221000

Nach den Auskünften, die ich bei meinen Recherchen

erhalten habe – das sind Auskünfte des Verbandes der
privaten Krankenversicherung –, sind die Fallpauschalen
zwar immer gleich, wenn den Krankenhäusern die
Transplantationen vergütet werden. Dem steht aber die
Vergütung der jeweiligen Ärzte gegenüber, die privat li-
quidieren dürfen. Das ist wahrscheinlich hier mit dem
Adjektiv „privat“ gemeint; das muss vielleicht noch ge-
klärt werden, und dafür wäre ich dankbar. Diese Ärzte
dürfen, wenn sie es günstig machen, für eine Lebertrans-
plantation – so war die Auskunft – etwas über
7 000 Euro privat liquidieren. Wenn sie den 3,5-fachen
Satz nehmen, sind das dann etwas über 10 000 Euro.
Hinzu kommen Liquidationsmöglichkeiten für Ärzte,
die bei diesen Privatpatienten als Konsiliarärzte zusätz-
lich hinzugezogen werden. Das ist natürlich ein erhebli-
cher finanzieller Anreiz, den es bei gesetzlich Kranken-
versicherten, die zur gleichen Zeit auf Organe warten,
nicht gibt.

Wie wollen Sie sicherstellen und wie genau muss man
angesichts der Zahlen, die möglicherweise falsch sind,
Ihrer Meinung nach aufpassen, damit der Vorwurf bzw.
der Verdacht entkräftet wird, in Deutschland könne es so
etwas wie korrumpierte Ärzte geben?

R
Rolf Schwanitz (SPD):
Rede ID: ID1613221100


Herr Kollege Wodarg, der Gesetzgeber, der Deutsche
Bundestag – auch Sie selbst –, hat vor zehn Jahren, was
die Sicherstellung im Hinblick auf diese Frage betrifft,
zum schärfsten Instrument gegriffen. Er hat im Trans-
plantationsgesetz einen speziellen strafrechtlichen Teil
statuiert, der nicht nur ein allgemeines Handelsverbot
festlegt, sondern auch sicherstellt, dass die Organver-
mittlung in Deutschland ausschließlich nach medizini-
schen Gesichtspunkten und nicht nach finanzieller
Potenz der Empfänger, nach Versichertenstatus oder
nach anderen Gesichtspunkten erfolgt. Das Ganze ist
straf- und bußgeldbewehrt.

Deswegen ist es angezeigt, dass man, wenn man kon-
krete Vorwürfe hat, diese offenlegt und den zuständigen
Ermittlungsbehörden, den Staatsanwaltschaften, die
Möglichkeit gibt, diesen Dingen nachzugehen. Das ist
der Wille des Gesetzgebers gewesen. Ich will Sie aus-
drücklich auffordern, wenn Sie über solche Informatio-
nen verfügen, diese an die entsprechenden Stellen wei-
terzugeben.


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1613221200

Ich rufe die Frage 36 ebenfalls des Kollegen Wodarg

auf:
Welche Erkenntnisquellen nutzt die Bundesregierung, um

sich einen Eindruck über eine medizinisch sachgerechte Pra-
xis bei der Organallokation zu verschaffen, und wie gestaltet
die Bundesregierung ihre diesbezügliche Informationspflicht
gegenüber dem Deutschen Bundestag?

R
Rolf Schwanitz (SPD):
Rede ID: ID1613221300


Ich antworte wie folgt: Die Überwachung der ärztli-
chen Tätigkeit wird in Deutschland durch die Länder
und die Selbstverwaltung wahrgenommen. Dies gilt
auch für die Transplantationsmedizin. Die Organisation
der Vermittlung vermittlungspflichtiger Organe ist nach
dem Transplantationsgesetz Aufgabe der Selbstverwal-
tung.

Die Selbstverwaltungspartner haben einen entspre-
chenden Vertrag mit der Stiftung Eurotransplant als Ver-
mittlungsstelle abgeschlossen. Das Bundesministerium
für Gesundheit prüft im Rahmen der Genehmigung die-
ses Vertrages präventiv, ob die vertraglichen Vereinba-
rungen zur Organisation der Organverteilung den gesetz-
lichen Anforderungen genügen. Die Selbstverwaltung
überwacht die Einhaltung der vertraglichen Vorgaben
zur Organverteilung und -gewinnung. Hierzu wurde ge-
mäß den Verträgen eine Überwachungskommission ein-
gerichtet.

Die Bundesregierung informiert den Deutschen Bun-
destag in vielfältiger Weise, beispielsweise mit dem im
nächsten Jahr vorzulegenden Erfahrungsbericht zum
Transplantationsgesetz sowie im Rahmen der Beantwor-
tung von parlamentarischen Anfragen.


Dr. Wolfgang Wodarg (SPD):
Rede ID: ID1613221400

Die Bundesregierung ist ja Aufsichtsbehörde zumin-

dest gegenüber denjenigen gesetzlichen Krankenkassen,
die bundesweit organisiert sind, und hat gesetzliche Auf-
gaben an sie übertragen. Wie sieht denn die Kontrolle
dieser Kassen aus, wenn ein Zugriff auf die Länder nicht
möglich ist? Ich kann mir aber vorstellen, dass es sinn-
voll ist, auch die Länder immer wieder zu fragen, wie es

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 132. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 12. Dezember 2007 13851


(A) (C)



(B) (D)


Dr. Wolfgang Wodarg
auf Landesebene aussieht. Aber wie sieht es auf Bundes-
ebene aus? Jedes Organ, das falsch alloziert wäre, würde
einem Kassenpatienten fehlen. Das heißt, Kassenpatien-
ten würden benachteiligt bzw. schlechter wegkommen.
Das sage ich unter der Voraussetzung, dass die Zahlen,
die von der DSO angegeben wurden, so stimmen. Kas-
senpatienten machen 90 Prozent der Versicherten aus.
Nur 10 Prozent der Patienten, die Leistungserbringern
gegenübertreten, sind Privatversicherte.

Die Kassen müssten doch eigentlich ein großes Inte-
resse daran haben und sich engagiert darum kümmern
– und dies schon seit zehn Jahren –, dass solche Dinge,
die man hier vermuten muss und zumindest als Anfangs-
verdacht benennen sollte, gar nicht erst vorkommen. Die
Bundesregierung als Aufsichtsbehörde gegenüber den
Kassen muss sich ja auch für die Versicherten dieser
Kassen einsetzen. In welcher Form hat sie das bisher ge-
tan? Gibt es schon Berichte, oder ist der Bericht, den wir
im Herbst nächsten Jahres erwarten dürfen, der erste seit
zehn Jahren?

R
Rolf Schwanitz (SPD):
Rede ID: ID1613221500


Herr Kollege Wodarg, ich habe jetzt keine genaue
Kenntnis darüber, wie viele Berichte sowie mündliche
und schriftliche Anfragen in den vergangenen zehn Jah-
ren zu diesem Thema seitens der Bundesregierung er-
stellt bzw. beantwortet worden sind. Aber das ist mit Si-
cherheit eine stattliche Zahl. Ich bin gerne bereit,
genauere Zahlen schriftlich nachzureichen. Eine Ant-
wort ist ja innerhalb der letzten zwei Wochen in schriftli-
cher Form auch Ihnen gegenüber erfolgt.

Bezogen auf den ersten Teil Ihrer Frage sage ich: Der
Gesetzgeber hat sich im Zusammenhang mit dem Trans-
plantationsgesetz vor zehn Jahren intensiv mit dieser
Frage befasst. Vor dem Hintergrund der von mir in der
Antwort auf Ihre vorangegangene Frage beschriebenen
generellen Zuständigkeiten hat er für die Bundesregie-
rung eine präventive Rechtskontrolle statuiert, die sich
ausschließlich auf den Vertrag bezieht. Diese Rechtskon-
trolle gilt bezogen auf die Frage, ob der Vertrag dem gel-
tenden Recht, genauer gesagt, dem Transplantationsge-
setz entspricht. Das ist die Rechtskonstruktion des
Transplantationsgesetzes, an die wir uns selbstverständ-
lich gebunden fühlen. Sie beschreibt den Tätigkeitsrah-
men.


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1613221600

Letzte Zusatzfrage.


Dr. Wolfgang Wodarg (SPD):
Rede ID: ID1613221700

Wie beurteilen Sie erstens die Tatsache, dass die DSO

inzwischen, vermutlich in den letzten 14 Tagen, ihre
Zahlen für 2004 aus dem Internet entfernt hat, und zwei-
tens, dass auf meine schriftliche Nachfrage hin die He-
rausgabe der DSO-Daten, zu deren jährlicher Veröffent-
lichung sie durch das Transplantationsgesetz verpflichtet
ist, verweigert wurde?
R
Rolf Schwanitz (SPD):
Rede ID: ID1613221800


Kollege Wodarg, ich kenne die Gründe dafür nicht.
Die Frage nach der Motivation könnte letztlich nur von
der DSO beantwortet werden.

Ich will aber ausdrücklich sagen, dass es in unserem
gemeinsamen Interesse liegt, dass die von Ihnen hinter-
fragten Zahlen überprüft und, sollten sie falsch sein, kor-
rigiert werden. Ich glaube, es ist richtig, eine entspre-
chende Prüfung einzuleiten.


(Dr. Wolfgang Wodarg [SPD]: Kann es überhaupt irgendwelche Gründe geben, das zu verweigern?)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1613221900

Diese Frage müssen wir im Raum stehen lassen, weil

sie nach unserer Geschäftsordnung nicht zulässig war.
Es ist aber erkennbar, dass uns dieses Thema erhalten
bleibt.

Ich bedanke mich für die Beantwortung dieser Fra-
gen.

Wir kommen nun zum Geschäftsbereich des Bundes-
ministeriums für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung.
Der Parlamentarische Staatssekretär Ulrich Kasparick
beantwortet die Fragen, die alle zur mündlichen Beant-
wortung anstehen.

Zunächst rufe ich die Frage 37 der Kollegin Nicole
Maisch auf:

Wie möchte die Bundesregierung in Zukunft den weiteren
sogenannten Wildwuchs bei den Regionalflughäfen verhin-
dern, und inwiefern sind davon in Planung begriffene Flughä-
fen betroffen?

U
Ulrich Kasparick (SPD):
Rede ID: ID1613222000


Diese Frage bietet mir die Gelegenheit, einmal darauf
hinzuweisen, dass in Deutschland zwischen Bund und
Ländern eine Arbeitsteilung besteht. Die Flughafenpla-
nung und der Flughafenbau sind gemäß § 31 Abs. 2
Luftverkehrsgesetz in Bundesauftragsverwaltung; das ist
eine ähnliche Konstruktion, wie wir sie bei den Bundes-
straßen haben. Die Länder nehmen diese Aufgabe
grundsätzlich in eigener Kompetenz wahr. Die Aufgabe
des Bundes beschränkt sich darauf, gemäß § 31 Abs. 2
Nr. 4 Luftverkehrsgesetz zu prüfen, ob und inwieweit
durch die Genehmigung oder Änderung der Genehmi-
gung zur Anlegung und zum Betrieb eines Flughafens,
der dem allgemeinen Verkehr dienen soll, die öffentli-
chen Interessen des Bundes berührt oder beeinträchtigt
werden. Das Land hat die Zuständigkeit, und der Bund
prüft, ob Bundesinteressen berührt oder beeinträchtigt
werden.

Wie Sie wissen, sprechen wir mit den Ländern über
die Entwicklung eines Gesamtkonzepts, das der Ent-
wicklung im internationalen Luftgüterverkehr und im in-
ternationalen Luftpersonenverkehr angemessen Rech-
nung tragen soll. Das alte Konzept stammt aus dem Jahr
2000. Wir haben uns vorgenommen, das neue Flugha-
fenkonzept im ersten Quartal 2008 vorzulegen.

13852 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 132. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 12. Dezember 2007


(A) (C)



(B) (D)


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1613222100

Frau Maisch, bitte schön.


Nicole Maisch (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1613222200

Danke, Herr Präsident. – Herr Staatssekretär, im ZDF

wurde im August dieses Jahres berichtet, dass das von
Ihnen genannte Luftverkehrskonzept dazu gedacht ist,
den Wildwuchs bei Regionalflughäfen zu verhindern.
Können Sie das bestätigen?

U
Ulrich Kasparick (SPD):
Rede ID: ID1613222300


Ich bitte Sie um Verständnis, dass ich Sendungen und
Zeitungsberichte nicht kommentiere.


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1613222400

Zweite Zusatzfrage.


Nicole Maisch (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1613222500

Sie brauchen das ZDF nicht zu kommentieren. Viel-

leicht können Sie mir aber Auskunft darüber geben, ob
es inhaltlich richtig ist, dass angedacht wird, hier regu-
lierend einzugreifen.

U
Ulrich Kasparick (SPD):
Rede ID: ID1613222600


Das Ziel des Flughafenkonzepts besteht darin, die
Planungen, die wir in Deutschland angestellt haben, um
das Zusammenwirken der unterschiedlichen Verkehrs-
träger, die wir als Transitland berücksichtigen müssen,
so zu optimieren, dass wir zu einer sinnvollen Arbeitstei-
lung zwischen den großen Hubs, die wir aus Sicht des
Bundes dringend brauchen, und den zentralen Flughä-
fen, die von nationaler Bedeutung sind, kommen und sie
so mit den Länderprojekten abzustimmen, dass sich ein
schlüssiges Gesamtkonzept ergibt.


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1613222700

Eine weitere Zusatzfrage, bitte schön.


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Vielen Dank, Herr Präsident. – Sehr geehrter Herr
Staatssekretär, die Frage war, ob es richtig ist, dass das
Luftverkehrskonzept unter anderem auch dafür gedacht
ist, den Wildwuchs bei den Regionalflughäfen zu been-
den. Das ist eigentlich eine ganz einfache Frage. Es langt,
wenn Sie Ja oder Nein sagen.

U
Ulrich Kasparick (SPD):
Rede ID: ID1613222800


Ich erlaube mir, die Antwort zu wiederholen, die ich
eben gegeben habe: Ziel des Luftverkehrskonzepts ist es,
auf die modernen Anforderungen an ein großes Transit-
land und auf die Aufgaben, die auf uns zukommen, so zu
reagieren, dass wir eine sinnvolle Arbeitsteilung organi-
sieren und zu einem Ausgleich der nationalen und lan-
despolitischen Interessen kommen. Herr Dr. Hofreiter,
diese Frage kann man nicht einfach mit Ja oder Nein be-
antworten. Dieser Sachverhalt ist komplexer.

Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1613222900

Ich rufe die Frage 38 der Kollegin Maisch auf:

Welche objektiven Kriterien plant die Bundesregierung
vor dem Hintergrund der stetigen Zunahme des Flugverkehrs
und der damit verbundenen extremen Belastung der Umwelt
anzulegen, um den Neubau von reinen Prestigeobjekten zu
verhindern?

U
Ulrich Kasparick (SPD):
Rede ID: ID1613223000


Auf die Arbeitsteilung zwischen Bund und Ländern
habe ich bereits hingewiesen. Die Kriterien, die der Bund
anlegen kann, wenn Neubaumaßnahmen, die in der Ver-
antwortung der Länder liegen, durchgeführt werden, be-
schreibe ich am Beispiel der Novelle zum Fluglärmge-
setz – das ist eine Bundeskompetenz –: Am 7. Juni 2007
ist die Novelle zum Fluglärmgesetz in Kraft getreten. Mit
diesem Bundesgesetz haben wir die Lärmgrenzwerte zur
Abgrenzung von Lärmschutzzonen verschärft und eine
Nachtschutzzone eingeführt. Für den Neubau von Flug-
plätzen – darauf zielt Ihre Frage – und die wesentliche
bauliche Erweiterung von Flugplätzen gelten nochmals
abgesenkte Werte. Außerdem wurde eine Außenwohn-
entschädigung für die Flughafenanrainer eingeführt. Wir
haben in diesem Gesetz ferner festgelegt, dass die Werte
des Fluglärmgesetzes auch bei der Planfeststellung und
bei der luftrechtlichen Genehmigung von Flugplätzen zu
beachten sind. Das ist aber nicht alles. Wir haben darüber
hinaus Vorschläge zur Reduzierung der durch den Flug-
verkehr verursachten Belastung der Luftqualität und zur
Begrenzung der klimawirksamen Emissionen unterbrei-
tet und entsprechende Gesetzentwürfe verabschiedet.

Mit der Einführung einer für den Flughafen aufkom-
mensneutral ausgestalteten emissionsbezogenen Lande-
entgeltkomponente – Sie erinnern sich an die Diskus-
sion, die wir im Verkehrsausschuss und in anderen
Ausschüssen des Deutschen Bundestages geführt haben –,
die ab 1. Januar 2008 an den Flughäfen München und
Frankfurt/Main eingesetzt wird, soll ein Anreiz sowohl
im Hinblick auf die Herstellung als auch im Hinblick auf
den konkreten Einsatz schadstoffärmerer Flugzeuge ge-
schaffen werden. Dies ist für die Luftfahrtindustrie eine
sehr große Herausforderung. Wir wollen schadstoffär-
mere Flugzeuge haben. Wir glauben, dass wir mit dem,
was wir jetzt an den Flughäfen München und Frankfurt/
Main testen, einen Schritt vorankommen.

Die Einführung der Landeentgeltkomponente erfolgt
freiwillig und setzt einen entsprechenden Antrag des
Flughafens voraus. Wir werden nach etwa einem Jahr
eine Bewertung der am 1. Januar 2008 beginnenden Test-
phase vornehmen. Ich bin ganz sicher, dass dieses Thema
dann wieder Gegenstand der öffentlichen Debatte im
Parlament sein wird.


Nicole Maisch (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1613223100

Danke schön für die umfangreichen Informationen. –

Ich habe noch eine Nachfrage. Ursprünglich war ge-
plant, der Öffentlichkeit dieses Konzept viel früher zu
präsentieren. Gibt es einen inhaltlichen Zusammenhang
zwischen den Landtagswahlen, die im Frühjahr nächsten

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 132. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 12. Dezember 2007 13853


(A) (C)



(B) (D)


Nicole Maisch
Jahres stattfinden, und der späten Veröffentlichung die-
ses Konzepts?

U
Ulrich Kasparick (SPD):
Rede ID: ID1613223200


Diese Frage ist einfach zu beantworten: Nein.


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1613223300

Keine weitere Frage dazu.

Ich rufe die Frage 39 des Kollegen Hofreiter auf:
Wie ist der Sachstand bei der vom Bundesminister für Ver-

kehr, Bau und Stadtentwicklung vorgeschlagenen Einrichtung
einer Pilotstrecke zur Fahrradmitnahme im ICE, nachdem
sich die Fahrradmitnahme im Fernverkehr der Deutschen
Bahn AG durch den seit dem 9. Dezember 2007 gültigen
Fahrplan weiter verschlechtert hat, und kann mit dem Start
des Pilotversuchs noch vor dem Fahrplanwechsel im Dezem-
ber 2008 gerechnet werden?

U
Ulrich Kasparick (SPD):
Rede ID: ID1613223400


Herr Dr. Hofreiter, wir beide in der Adventszeit und
die Fahrräder. Meine Antwort ist – ich habe Ihnen das
schon zu Ihrer letzten Frage gesagt –: Wir sind mit der
Deutschen Bahn AG im Gespräch. Wir haben vor, uns
nach Weihnachten wieder zu treffen. Die Deutsche
Bahn AG hat im letzten Gespräch angekündigt, uns ein
umfassendes Paket vorzulegen, das sich nicht nur auf
ICE-Projekte bezieht, sondern umfänglicher sein wird.
Das ist bisher noch nicht erfolgt. Ich denke, wir werden
deshalb im ersten Quartal des nächsten Jahres in einem
erneuten Gespräch nachfassen, um die Entwicklungen
im Bereich der Deutschen Bahn AG zu bewerten.


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1613223500

Bitte schön, die Zusatzfrage.


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Vielen Dank, Herr Präsident. – Vielen Dank, Herr
Staatssekretär, für die wortgewandten Ausführungen.
Man kann das kaum eine Beantwortung der Frage nen-
nen. Meine Frage ist – wir machen das Spiel ja öfter –:
Glauben Sie, dass Sie oder Ihr Ministerium in der Lage
sind, vor Ende der Legislaturperiode einen Zeitpunkt zu
benennen? Wir können das in sechs Wochen wiederho-
len, und Sie können dann wieder antworten, Sie seien im
Gespräch mit der DB AG, wobei es schön ist, wenn Sie
mit der DB AG sprechen. Deshalb die Frage: Halten Sie
Ihr Ministerium für in der Lage, bevor diese Legislatur-
periode endet, zu sagen, wann der Pilotversuch beginnt
und um welche Strecke es sich handelt?

U
Ulrich Kasparick (SPD):
Rede ID: ID1613223600


Ich erlaube mir darauf folgende Antwort, Herr
Dr. Hofreiter: Wenn Sie mit einem Gesprächspartner in
eine Verhandlung eintreten, dann können Sie, wenn es
um Interessenkonflikte geht, am Beginn eines solchen
Gesprächsprozesses nicht sagen, wann Sie ein Ergebnis
vorlegen können. Ebenso geht es uns bei diesem konkre-
ten Punkt mit der Deutschen Bahn AG. Ich bin zuver-
sichtlich, dass wir Schritt für Schritt vorankommen.


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1613223700

Erstaunlicherweise gibt es eine weitere Zusatzfrage.


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Die Antwort ist wirklich erstaunlich; denn es handelt
sich hier nicht um einen einfachen, gleichberechtigten
Gesprächspartner. Ich weiß nicht, ob es Ihnen bekannt
ist, aber noch befindet sich die DB AG zu 100 Prozent im
Bundesbesitz. Wenn die Bundesregierung ein Interesse
daran hätte, dann sollte sie in der Lage sein, ihre Position
gegenüber ihrem Verhandlungspartner durchzusetzen.
Deshalb meine Frage: Was unternehmen der Bundesmi-
nister und das Bundesministerium, außer sich ab und zu
mit Herrn Mehdorn zu treffen – ich habe keine Ahnung,
wer sich da trifft –, konkret, um dem zu 100 Prozent im
Bundesbesitz befindlichen Unternehmen klarzumachen,
dass der Minister das gerne hätte, was er öffentlich be-
kannt gegeben hat? Was unternehmen Sie konkret, außer
nett miteinander zu plaudern?

U
Ulrich Kasparick (SPD):
Rede ID: ID1613223800


Herr Dr. Hofreiter, die Vorstellung, die Bundesregie-
rung könnte in unternehmerische Entscheidungen eines
Privatunternehmens, dessen Aktien sich in Bundesbesitz
befinden, eingreifen, begegnet mir oft. Ich erlaube mir
an dieser Stelle deswegen folgenden Hinweis: Die Deut-
sche Bahn AG ist ein Privatunternehmen, dessen Aktien
– da haben Sie recht – dem Bund gehören. Aber diese
Konstruktion erlaubt es dem Bund nicht, in unternehme-
rische Entscheidungen des Unternehmens direkt einzu-
greifen. Deswegen sind diese Gespräche notwendig.

Wenn Sie danach fragen, welche Möglichkeiten das
Bundesministerium hat, um dieses Unternehmen zu ei-
nem bestimmten Verhalten zu bewegen – um es vorsich-
tig zu formulieren – dann sage ich – das habe ich schon
zu Ihrer ersten Anfrage zu diesem Thema gesagt –, dass
wir darauf angewiesen sind, diesen Gesprächsprozess,
der über lange Zeit abgebrochen war, wieder aufnehmen.
Wir sind dabei. Wir werden uns im ersten Quartal des
nächsten Jahres erneut treffen.

Ich kann Ihnen eines zusagen: Wir werden an dieser
Stelle nicht einfach zur Tagesordnung übergehen, weil
wir wissen, dass das Thema Fahrradmitnahme in den in-
ternationalen Verkehren – dazu gehört der ICE – von
großem Interesse ist, zumal wir sehen, dass beispiels-
weise in Frankreich oder in anderen europäischen Staa-
ten so etwas möglich ist.

Wir sind der Überzeugung, dass wir das, was die
Nachbarstaaten technologisch können, in Deutschland
auch können. Das ist das Motiv, aus dem heraus wir ganz
geduldig und ausdauernd mit der Bahn an diesem Thema
weiterarbeiten. Ich bin zuversichtlich, dass wir das hin-
bekommen werden.

13854 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 132. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 12. Dezember 2007


(A) (C)



(B) (D)


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1613223900

Ich rufe die Frage 40 des Kollegen Hofreiter auf:

Inwieweit ist der Bundesregierung bekannt, wie die Deut-
sche Bahn AG die im dritten Eisenbahnpaket vorgesehene
Fahrradmitnahme umsetzt, und inwieweit plant die Bundesre-
gierung, von der Möglichkeit Gebrauch zu machen, eine Aus-
nahme von der Anwendung der Bestimmungen zur Fahrrad-
mitnahme zu gewähren?

U
Ulrich Kasparick (SPD):
Rede ID: ID1613224000


Sie beziehen sich mit Ihrer Frage auf das dritte Eisen-
bahnpaket, das auf europäischer Ebene unter deutscher
Ratspräsidentschaft verabschiedet worden ist. Sie wei-
sen auch darauf hin, dass es sich um das Ergebnis eines
Vermittlungsverfahrens handelt. Ich kann Ihnen für die
Bundesregierung sagen: Wir begrüßen das Ergebnis, das
unter deutscher EU-Ratspräsidentschaft erreicht werden
konnte. Wir glauben, dass uns das einen Schritt weiter
führt, hin zum Ziel, einen europäischen Verkehrsraum zu
organisieren, der den Ansprüchen eines stark wachsen-
den Verkehrsaufkommens in Europa gerecht wird.

Sie fragen danach, ob wir vorhaben, von Art. 5 der
Verordnung Nr. 1371/2007 abzuweichen. Ein solches
Abweichen haben wir nicht vorgesehen.


(Manfred Grund [CDU/CSU]: Das ist ja mal eine deutliche Antwort!)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1613224100

Bitte schön, Herr Kollege Hofreiter.


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Auf den Zwischenruf des Kollegen von der CDU/
CSU: Die Antwort war verblüffend deutlich. Ich glaube,
das war das erste Mal seit zehn Fragen.

Noch eine Vorbemerkung: Es ist mehr als amüsant,
wie wenig Einfluss wir auf das uns zu 100 Prozent gehö-
rende Unternehmen haben. Jeder Private, der Ihre Ant-
wort gehört hat und dem eine Aktiengesellschaft zu
100 Prozent gehört, hätte jetzt schallend gelacht. Das
aber nur am Rande.

Sie haben nicht die Frage beantwortet, was Sie in
Deutschland zu unternehmen gedenken, um dieses dritte
Eisenbahnpaket – insbesondere die Mitnahme der Fahr-
räder – umzusetzen. Reden Sie wieder mit der DB AG,
oder ist das schon alles? Hat die Richtlinie der EU die
einzige Folge, dass Sie nett mit der DB AG plaudern?

U
Ulrich Kasparick (SPD):
Rede ID: ID1613224200


Von „nett plaudern“ war nie die Rede. Ich kann Ihnen
gern ein wenig genauer schildern, in welchem Ton sol-
che Gespräche geführt werden. Ich glaube aber, dass das
nicht Gegenstand des Gespräches hier im Plenum sein
sollte.

Ich erlaube mir nur den zarten Hinweis: Wenn wir un-
ter deutscher Ratspräsidentschaft zu einem Verhand-
lungsergebnis auf europäischer Ebene kommen – das ist
hier der Fall –, dann werden wir dafür sorgen, dass das
auch umgesetzt wird.


(Dr. Thea Dückert [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da sind Sie zuversichtlich!)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1613224300

Eine weitere Zusatzfrage?


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Die Frage lautete: Wie?

U
Ulrich Kasparick (SPD):
Rede ID: ID1613224400


Der Politik steht zur Umsetzung von europäischen
Richtlinien eine ganze Bandbreite von politischen Ak-
tionsmöglichkeiten zur Verfügung.


(Manfred Grund [CDU/CSU]: Es gibt Fragen, die sind so gut, dass man sie durch Antworten nicht stören sollte!)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1613224500

Na ja. – Ich sehe keine weiteren Nachfragen dazu.

Ich rufe jetzt die letzte Frage aus diesem Geschäftsbe-
reich, nämlich die Frage 41 der Kollegin Dr. Volkmer,
auf:

Wird die Bundesregierung die für den Bau der Wald-
schlösschenbrücke zur Verfügung gestellten Mittel sperren,
wenn sich der Freistaat Sachsen über die völkerrechtlichen
Verpflichtungen aus der UNESCO-Welterbekonvention hin-
wegsetzt und die Brücke ohne Verständigung mit der
UNESCO-Kommission bauen lässt?

U
Ulrich Kasparick (SPD):
Rede ID: ID1613224600


Frau Dr. Volkmer, Sie fragen nach einem Themen-
bereich, der den Deutschen Bundestag schon mehrfach
beschäftigt hat. Es geht um die Waldschlösschenbrücke
in Dresden. Wir haben es, falls es zum Bau der Wald-
schlösschenbrücke kommen sollte, mit einem Verfahren
zur Aberkennung des UNESCO-Welterbetitels zu tun.
Sie fragen danach, wie der Bund mit den Mitteln um-
geht, die das Bundesland Sachsen einsetzen will.

Zunächst einmal zur Information: Die Bundesregie-
rung hat keine Mittel für den Bau der Waldschlösschen-
brücke bewilligt. Wir können deshalb auch keine Mittel
sperren. Der Freistaat Sachsen ist allerdings in der Lage,
für den Bau der Brücke die Kompensationsmittel zu
verwenden, die er aufgrund der Föderalismusreform
anstelle der ausgelaufenen Bundesfinanzhilfen nach dem
Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz für kommunale
Straßenbauvorhaben erhält. Das ergibt sich aus Art. 143 c
des Grundgesetzes.

Wir haben im Rahmen der Föderalismusreform ein
sogenanntes Entflechtungsgesetz miteinander beschlos-
sen. Danach ist das Verfahren so organisiert, dass der
Freistaat dem Bund nachträglich über die Verwendung
dieser Mittel, auf die er Zugriff hat, berichtet. Der Bund
prüft dann, ob die Mittel zweckgerecht verwendet wur-

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 132. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 12. Dezember 2007 13855


(A) (C)



(B) (D)


Parl. Staatssekretär Ulrich Kasparick

den. In diesem Zusammenhang wird auch zu prüfen sein,
ob das Bundesland Sachsen Mittel zweckwidrig verwen-
det hat, das heißt, ob damit ein dem Völkerrecht wider-
sprechendes Vorhaben finanziert wurde. Das Völker-
recht wäre aber nur in dem Fall verletzt, wenn ein
Verstoß gegen die Bemühenspflicht der Welterbekon-
vention bejaht werden könnte. Diese Pflicht in Art. 4 der
UNESCO-Welterbekonvention besagt, dass der Ver-
tragsstaat nachweisen muss, dass er alles in seinen Kräf-
ten Stehende getan hat, um der UNESCO-Welterbekon-
vention zu entsprechen; er ist allerdings nicht zu einem
bestimmten Ergebnis verpflichtet. Falls das Völkerrecht
verletzt ist, können die Mittel entsprechend zurückgefor-
dert werden.


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1613224700

Zusatzfrage.

U
Ulrich Kasparick (SPD):
Rede ID: ID1613224800


Der letzte Halbsatz war nicht ganz präzise: Wir reden
hier über die Kompensationsmittel, die das Bundesland
nach dem im Zuge der Föderalismusreform geschaffe-
nen Entflechtungsgesetz in Anspruch nehmen kann.
Aber in der Sache ist der Vorgang in der Tat so, wie Sie
ihn beschrieben haben: Sollte sich herausstellen, dass
das Land Sachsen nicht alle Anstrengungen unternom-
men hat, um dem UNESCO-Anspruch gerecht zu wer-
den, dass es nicht alles in seinen Kräften Stehende getan
hat, dann würde zunächst geprüft, ob damit das Völker-
recht verletzt wäre. Wenn man im Rahmen dieses Prüf-
verfahrens zu dem Ergebnis kommt, dass das der Fall ist,
hat der Bund die Möglichkeit, die Kompensationsmittel,
die das Land für den Bau der Brücke eingesetzt hat, im
Folgejahr entsprechend haushaltswirksam zu verrech-
nen.

Dr. Marlies Volkmer (SPD):
Rede ID: ID1613224900

Ich möchte ein bisschen konkreter werden. Es gibt ein

Gutachten der Bundesregierung, in dem klar festgestellt
wird, dass sowohl Deutschland als auch die einzelnen
Bundesländer an die UNESCO-Welterbekonvention ge-
bunden sind. Natürlich bedeutet das nicht, dass nichts
mehr verändert werden kann. Aber es ist notwendig,
dass zuvor ein Prozess der Konsensfindung stattgefun-
den hat; das ist gerade das Bemühen, von dem Sie ge-
sprochen haben. Jeder Staat ist verpflichtet, alles in
seinen Kräften Stehende zu tun, um das Welterbe zu er-
halten.

Im vorliegenden Fall ist festzustellen, dass eine sol-
che Kompromisslösung bisher nicht gesucht worden ist.
Wenn es nicht zu einem Kompromiss zwischen dem
Freistaat Sachsen und der UNESCO kommt, wenn der
Freistaat also nicht nachweisen kann, dass er ernsthaft
einen Kompromiss gesucht hat, sind diese Mittel – das
würde ich gerne von Ihnen bestätigt bekommen – völ-
kerrechtswidrig eingesetzt. Dann kann es aber nicht sein,
dass die Bundesregierung das auf sich beruhen lässt.
Dann muss man diese Mittel zurückfordern bzw. sie mit
den Fördermitteln verrechnen, die der Freistaat sonst für
die Verkehrsinfrastruktur bekommen hätte. Sehe ich das
richtig?
Das genau ist die Reihenfolge: Das Land hat zunächst
Zugriff auf die Mittel und teilt dem Bund in einem Be-
richt mit, wie es die Mittel verwendet hat. Der Bund
prüft, ob sie ordnungsgemäß ausgegeben worden sind,
und wenn es Beanstandungen gibt, hat man im Folgejahr
die Möglichkeit, darauf zu reagieren.


Dr. Marlies Volkmer (SPD):
Rede ID: ID1613225000

Danke.


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1613225100

Weitere Fragen liegen nicht vor; viel Zeit dafür wäre

auch nicht mehr gewesen, weil wir noch maximal vier
Minuten und zwanzig Sekunden für die Fragestunde ge-
habt hätten. Ich bedanke mich bei allen Beteiligten für
das gelungene Zeitmanagement.

Ich berufe die nächste Sitzung des Bundestages auf
morgen, Donnerstag, den 13. Dezember 2007, 9 Uhr,
ein.

Die Sitzung ist geschlossen.