Gesamtes Protokol
Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! DieSitzung ist eröffnet.Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer feierte am31. Mai ihren 60. Geburtstag und der Kollege Haupt am29. Mai ebenfalls seinen 60. Geburtstag. Ich gratuliereder Kollegin und dem Kollegen im Namen des Hausesnachträglich sehr herzlich.
Sodann müssen zwei Nachwahlen vorgenommenwerden. Im Wahlprüfungsausschuss ist die bei der Frak-tion des Bündnisses 90/Die Grünen noch offene Positiondes stellvertretenden Mitglieds zu besetzen. Hierfür wirdder Kollege Josef Philip Winkler vorgeschlagen. SindSie damit einverstanden? – Ich höre keinen Wider-spruch. Dann ist der Kollege Josef Philip Winkler alsstellvertretendes Mitglied in den Wahlprüfungsaus-schuss gewählt.Für den Beirat bei der Bundesbeauftragten für die Un-terlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligenDDR schlägt die Fraktion der CDU/CSU das bisherigeMitglied Professor Dr. Manfred Wilke für eine weitereAmtszeit vor. Sind Sie auch damit einverstanden? – Ichhöre keinen Widerspruch. Dann ist Professor Wilke ge-Redetmäß § 39 Abs. 1 des Stasi-Unterlagen-Gesetzes in denBeirat gewählt.Interfraktionell ist vereinbart worden, die verbundeneTagesordnung zu erweitern. Die Punkte sind in der Ih-nen vorliegenden Zusatzpunkteliste aufgeführt:1 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktionen der SPD unddes BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN: Forderungen ausUnion und FDP zum Verzicht auf Schuldenerlasse und zurEintreibung von Schulden im Ausland
2 Beratung des Antrags der Abgeordneten Willi Brase, JörgTauss, Doris Barnett, weiterer Abgeordneter und der Fraktionder SPD sowie der Abgeordneten Grietje Bettin, Dr. TheaDückert, Volker Beck , weiterer Abgeordneter und derFraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN: Lasten ge-recht verteilen – Mehr Unternehmen für Auwinnen – Drucksache 15/1090 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Bildung, Forschung und
Wolfgang Spanier, Sören Bartol, weiterer Abgeordneter undder Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten FranziskaEichstädt-Bohlig, Volker Beck , Ursula Sowa, weitererAbgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIEGRÜNEN: Stadtumbau Ost auf dem richtigen Weg– Drucksache 15/1091 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen
FinanzausschussHaushaltsausschussb) Beratung des Antrags der Abgeordneten Petra Weis, EckhardtBarthel , Sören Bartol, weiterer Abgeordneter und derFraktion der SPD sowie der Abgeordneten FranziskaEichstädt-Bohlig, Volker Beck , Winfried Hermann,extweiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES90/DIE GRÜNEN: Die Qualitätsoffensive für gutes Planenund Bauen voranbringen – Drucksache 15/1092 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen
Ausschuss für Wirtschaft und ArbeitAusschuss für Bildung, Forschung undTechnikfolgenabschätzungAusschuss für Kultur und Medien5 a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung ein-gebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderungdes Vierten Buches Sozialgesetzbuch – Drucksache 15/898–
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses fürt und Soziale Sicherungche 15/1137 –tattung:ter Jens Spahnsbildung ge-Gesundhei– DrucksaBerichtersAbgeordne
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Präsident Wolfgang Thierseb) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Aus-schusses für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirt-schaft zu dem Antrag der AbgeordnetenGabriele Hiller-Ohm, Gabriele Lösekrug-Möller, SörenBartol, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD, derAbgeordneten Cornelia Behm, Ulrike Höfken, FriedrichOstendorff, weiterer Abgeordneter und der Fraktion desBÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN sowie der AbgeordnetenDr. Christel Happach-Kasan, Dr. Wolfgang Gerhardt und derFraktion der FDP: Umfassender Schutz der Walbestände –Verbot kommerziellen Walfangs konsequent durchsetzen– Drucksachen 15/995 , 15/1128 –Berichterstattung:Abgeordnete Gabriele Hiller-OhmPeter BleserDr. Christel Happach-Kasan6 Wahlvorschlag der Fraktionen der SPD und der CDU/CSUfür die vom Deutschen Bundestag gemäß §§ 31 und 36 desGesetzes über die Rundfunkanstalt des Bundesrechts„Deutsche Welle“ zuwählenden Mitglieder des Rundfunkrates und des Verwal-tungsrates der Deutschen Welle – Drucksache 15/1122 –7 Wahlvorschlag der Fraktionen der SPD, der CDU/CSU, desBÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP: Wahl vonMitgliedern in den Stiftungsrat der „Stiftung zur Aufar-beitung der SED-Diktatur“ – Drucksache 15/1123 –8 Beratung des Antrags der Abgeordneten Ernst Hinsken,Dagmar Wöhrl, Karl-Josef Laumann, weiterer Abgeordneterund der Fraktion der CDU/CSU: Handwerk mit Zukunft– Drucksache 15/1107 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit
InnenausschussRechtsausschussFinanzausschussAusschuss für Verbraucherschutz, Ernährung undLandwirtschaftAusschuss für Gesundheit und Soziale SicherungAusschuss für Verkehr, Bau- und WohnungswesenAusschuss für Umwelt, Naturschutz und ReaktorsicherheitAusschuss für Bildung, Forschung undTechnikfolgenabschätzungAusschuss für TourismusAusschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union9 Beratung des Antrags der Abgeordneten Rainer Brüderle,Angelika Brunkhorst, Ernst Burgbacher, weiterer Abgeordne-ter und der Fraktion der FDP: Meisterbrief erhalten undHandwerksordnung zukunftsfest machen– Drucksache 15/1108 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit
InnenausschussRechtsausschussFinanzausschussAusschuss für Verbraucherschutz, Ernährung undLandwirtschaftAusschuss für Gesundheit und Soziale SicherungAusschuss für Verkehr, Bau- und WohnungswesenAusschuss für Umwelt, Naturschutz und ReaktorsicherheitAusschuss für Bildung, Forschung undTechnikfolgenabschätzungAusschuss für TourismusAusschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union10 Beratung des Antrags der Fraktionen der SPD, der CDU/CSU,des BÜNDNISES 90/DIE GRÜNEN und FDP: Sofortige undbedingungslose Freilassung von Aung San Suu Kyi– Drucksache 15/1105 –Von der Frist für den Beginn der Beratungen soll, so-weit erforderlich, abgewichen werden.psufrDdhMKLNSMeKnVnDmszwtM
Blicken wir zurück: Vor vier Jahren hat das Bündnisit der Aufnahme Ungarns, der Tschechischen Republikowie Polens bereits einen entscheidenden Schritt hinur Überwindung der Teilung Europas gemacht. Damalsar und heute ist Deutschland einer der entscheidends-en Verfechter der Öffnung des Bündnisses für weitereitgliedstaaten. Niemand in diesem Hause dürfte ernst-
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Monika Heubaumhaft Zweifel daran haben, dass sich der Beitritt dieserdrei Länder als großer Gewinn für das Bündnis erwiesenhat. Die Stabilitäts- und Sicherheitszone, die die NATOfür ihre Mitglieder schafft, wurde ausgeweitet und derDemokratisierungsprozess in den Beitrittsstaaten ge-stärkt.Im Jahre 1999 hätte es wohl keiner von uns für mög-lich gehalten, dass die Allianz in einer der Hauptstädteder Beitrittsstaaten nur wenige Jahre später eine Ent-scheidung von historischer Dimension fällen würde. Mitdem Prager Gipfel vom vergangenen November hat dieNATO entscheidende Weichen für das 21. Jahrhun-dert gestellt: nicht nur durch den Beschluss zur Auf-nahme von sieben neuen Mitgliedstaaten, sondern auchdurch die Festlegung ganz konkreter Maßnahmen vordem Hintergrund der Bedrohung durch den internationa-len Terrorismus. Zudem hat die Allianz hier konkreteHandlungsziele für das im Jahr 1999 verabschiedeteneue strategische Konzept beschlossen. An dieser Stellemöchte ich nur beispielhaft die Schaffung einer NATO-Response-Force, die Umsetzung des Aktionsplanes zurzivilen Notfallplanung sowie die Initiativen für die Ver-teidigung gegen nukleare, biologische und chemischeWaffen nennen.Mit dem Gipfel von Prag hat die NATO ihre Hand-lungs- und Zukunftsfähigkeit eindrucksvoll unter Be-weis gestellt. Ich möchte anfügen: Die Frühjahrstagungder Parlamentarischen Versammlung der NATO – vorgut einer Woche ebenfalls in Prag – hat ein weiteres Bei-spiel dafür geliefert, wie gut sich neben Ungarn und Po-len auch die Tschechische Republik in das Bündnis inte-griert hat. Ich bin fest davon überzeugt, dass auch mitder weiteren Beitrittsrunde eine Erfolgsgeschichte fürdas Bündnis verbunden sein wird.
Die transatlantische Gemeinschaft wird gestärkt, siewird aber auch den weiteren neu definierten Aufgabengerecht werden und sich den komplexen Herausforderun-gen sowohl als Bündnis gemeinsamer Verteidigung unddes gegenseitigen Beistandes, insbesondere gegen deninternationalen Terrorismus, als auch als Forum umfas-sender Krisen- und Konfliktprävention stellen können.Fest steht, die Eintrittskarten in die NATO haben dieBeitrittsländer nicht zum Nulltarif erhalten. Es darf nichtverkannt werden, dass jedes der sieben Länder erhebli-che Anstrengungen unternehmen musste, um die Voraus-setzungen für die Mitgliedschaft zu erfüllen. Aber dieAufnahme in das Bündnis bedeutet für die Beitrittslän-der Stabilität und bildet damit auch die Grundlage fürgesellschaftliche sowie wirtschaftliche Prosperität. Nursolche sicheren Rahmenbedingungen eröffnen den Wegfür Investitionen und fördern die Einbringung von aus-ländischem Kapital. Die Perspektive der Aufnahme indas Bündnis hat die Reformanstrengungen und denDemokratisierungsprozess in diesen Ländern erheblichbeschleunigt. Besondere Bedeutung bekommt hier ne-ben dem Membership Action Plan die ParlamentarischeVersammlung der NATO. Sie führt die Parlamentarierder Beitrittskandidaten an die Denkstrukturen im Bünd-nKrNlhtmsfsdshsmRcnvNsbmwddemdLrsdBSMwigMC
Liebe Kolleginnen und Kollegen, niemand wird anieser Stelle daran zweifeln, dass Deutschland als einand in der Mitte Europas von der zweiten Beitritts-unde besonders profitieren wird. Aber nicht nur vor die-em Hintergrund heißen wir die neuen Mitgliedstaatener NATO herzlich willkommen.
Nach erfolgreichem Ratifizierungsverfahren könntenulgarien, Estland, Lettland, Litauen, Rumänien, dielowakei und Slowenien bereits im Mai 2004 formellitglieder der Allianz sein. Das wäre für Europa einichtiges politisches Signal. Gleichzeitig – das möchtech zum Schluss meiner Ausführungen ausdrücklich sa-en – bleibt die Tür des Bündnisses offen für weitereitglieder.
Ich erteile das Wort Kollegen Volker Rühe, CDU/SU-Fraktion.
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Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! DieFreude, die die Kollegin Heubaum zum Ausdruck ge-bracht hat, teilt der ganze Bundestag. Dass sich dieNATO um sieben Staaten erweitert, ist ein ganz entschei-dender Beitrag zur Einheit und Sicherheit Europas.Fast wirkt das selbstverständlich; aber man muss sichnoch einmal vor Augen führen, wie hart die Debatten vorzehn Jahren waren und von wem die Initiative ausging.Sie ist nicht von den Mitgliedstaaten der NATO aus-gegangen, sie ist von außen gekommen. Es waren Staats-männer wie Arpád Göncz in Ungarn, Lech Walesa in Po-len und Vaclav Havel in Tschechien, die an die Tür derNATO geklopft und gesagt haben: Wir wollen rein, wirwollen zu euch, wir wollen dieselbe Sicherheit und Frei-heit haben wie ihr. Kaum jemand hat zunächst auf sie ge-hört. Man hat alle möglichen Einwände dagegen vorge-bracht.Übrigens war auch die Terminologie immer falsch. Eswar falsch, von der Erweiterung der NATO zu sprechen;einige haben sogar „expansion of NATO“, Expansionder NATO, gesagt. Es war eine Öffnung nach dem Klop-fen derjenigen, die sich aus dem Gefängnis des War-schauer Paktes befreit haben.
Es ist gut, dass wir letztlich darauf gehört haben und sichder Prozess heute in eindrucksvoller Weise fortsetzt.Ich will nicht zu viele Anekdoten erzählen; aber ichwill, weil immer das Zerrbild von den Militärs darge-stellt wird, als hätten sie sich nichts Schöneres vorstellenkönnen als eine Ausweitung der NATO, darauf hinwei-sen, dass das Ganze nicht von den Militärs ausging. Icherinnere mich an ein Gespräch 1996 mit einem deut-schen Mehrsternegeneral, um es dezent auszudrücken,der mir gesagt hat, Polen könne noch nicht Mitglied derNATO werden, die Panzer seien nicht gut genug. Ichsage das nur, um die Geisteshaltung einiger zu verdeutli-chen.Wir sollten den Prozess nie vergessen. Wir habenheute eine Situation, die uns allen nützt. Aber ausgegan-gen ist sie von denjenigen, die ihre Völker befreit undgesagt haben: Entweder haben wir in Europa alle ge-meinsam Sicherheit und Freiheit im Bündnis oder nie-mand wird sie auf Dauer haben. Das ist die historischeLeistung.
Natürlich war in vielen Hauptstädten, auch in Bonn,die Rücksichtnahme auf Russland ein ganz wesentlicherFaktor. Man muss auch die Veränderung der russischenPosition von Jelzin bis Putin würdigen. Ich glaube, dasses eine der großen Leistungen auch von Helmut Kohlwar, Jelzin zu bewegen, 1997 den Widerstand letztlichaufzugeben. Sonst wäre es nicht möglich gewesen, denersten Schritt damals in den 90er-Jahren zu vollziehen.nAAjkDswusszksgnDsMeIvbHhhönaMwwjivzFdwtsDGdsstms
as gilt am allermeisten für Deutschland. Man mussich nur einmal daran erinnern, mit welcher Geschichteir 1955 in die NATO gekommen sind. Bis heute sindnsere militärischen Entscheidungen davon geprägt.Deswegen sage ich: Den neuen Mitgliedstaaten – dasind überwiegend Staaten aus dem ehemaligen War-chauer Pakt –, die vier oder fünf Jahrzehnte länger so-usagen eingesperrt waren und die nicht frei entscheidenonnten, darf man keinen Vorwurf daraus machen, dassie sicherheits- und freiheitsdominiert sind und dass sieanz besonderen Wert auf die Beziehung zu den Verei-igten Staaten von Amerika legen.
as ist historisch verständlich; denn jeder kommt miteiner eigenen Geschichte in dieses Bündnis. Jeder neueitgliedstaat muss natürlich beachten, dass es immerinmal Situationen geben kann, in denen er europäischenteressen in einem Konflikt mit den Vereinigten Staatenon Amerika vertreten muss.Die Messlatte für eine Mitgliedschaft – die Öffnungleibt bestehen; das hat die Kollegin eben zu Recht iminblick auf weitere Staaten angesprochen – bleibtoch: einstimmige Zustimmung der Mitgliedstaaten,ohe Ansprüche an die demokratischen Strukturen undkonomische Fortschritte der Beitrittsstaaten.Die Zusammenarbeit auf dem Balkan, die die Armeenäher zusammengebracht hat, ist wichtig. Ich möchteber in diesen Tagen an das zehnjährige Jubiläum desarshall-Centers in Garmisch-Partenkirchen erinnern,o sich der Verteidigungsminister mit Rumsfeld treffenird. Dieses deutsch-amerikanische Gemeinschaftspro-ekt ist den Deutschen weitgehend unbekannt. Hier sindn den letzten zehn Jahren Tausende von Militärs und Zi-ilisten ausgebildet worden. Nicht die Hardware wieum Beispiel die Modernisierung der Panzer oder derlugzeuge, sondern die Software wie die Veränderung inen Köpfen ist das Entscheidende. Wenn das nicht soäre, dann wäre die Mitgliedschaft der drei neuen Staa-en kein Erfolg geworden. Gleiches gilt auch für die an-tehende Mitgliedschaft von sieben weiteren Staaten.eswegen geht mein Dank an das Marshall-Center inarmisch-Partenkirchen für seine Arbeit im Rahmenieses deutsch-amerikanischen Gemeinschaftprojekts.
Ich habe dieses Center vor zehn Jahren mit dem ver-torbenen Kollegen Les Aspin eingeweiht; Bill Perry hatich besonders darum gekümmert. Ich muss selbstkri-isch zugeben: Meine amerikanischen Kollegen warenanchmal mehr daran interessiert, was in Garmisch pas-ierte, als andere deutsche Kollegen und auch ich selbst.
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Volker RüheWas bis zum heutigen Tage dort geleistet wird, ist vongroßer strategischer Bedeutung.Als die Öffnung der NATO für neue Mitgliedstaatenkaum noch abzuwenden war, wurde eine Diskussionüber die Kosten der Erweiterung initiiert und es wurdengigantische Summen in Milliardenhöhe genannt – als obman Mitglied durch Modernisierung der Panzer wird –,um abzuschrecken. Das war eine fehlgeleitete Debatte.Wir haben inzwischen gesehen: Die eigentlichen Verän-derungen – darauf können diese Staaten stolz sein – sinddie Veränderungen in den Köpfen. Diese haben die Mit-gliedschaft ermöglicht und nicht die Modernisierung derFlugzeuge und der Panzer.
Ich darf sagen, dass es ein Verdienst der RegierungHelmut Kohls war – natürlich verbunden mit internenDiskussionen und Auseinandersetzungen; das ist garkeine Frage –, 1993 in der NATO Studien über dieMachbarkeit einer Öffnung zu beginnen. Nachdem dieRegierung Clinton zunächst den Schwerpunkt auf dasVerhältnis zu Russland gelegt hatte, ist es ihr großes Ver-dienst gewesen, dass sie diesen Weg eingeschlagen hat.Ohne die USA wäre es letztlich nicht möglich gewesen,diesen Prozess zu beginnen und ihn jetzt erfolgreich fort-zusetzen.Die Kollegin Heubaum hat schon die Beschlüsse desPrager Gipfels und die Tatsache angesprochen – das istrichtig –, dass die NATO eine neue NATO werden wird,die sich neuen Herausforderungen stellen muss. Ichglaube, die neuen Mitglieder werden sich dieser Sacheannehmen. Die in Prag getroffenen Entscheidungen sindAusdruck der gemeinsamen Überzeugung, dass europäi-sche und amerikanische Sicherheit unteilbar ist. Ange-sichts der aktuellen Irritationen, die wir erleben, tunwir gut daran, zu überlegen, wo es Schwierigkeiten undwo es Gemeinsamkeiten gibt.Die Anschläge der Terroristen bedrohen uns alle. Dasgilt auch für die Massenvernichtungswaffen. Sie bedro-hen Amerikaner und Europäer gleichermaßen. ObgleichEuropäer und Amerikaner manchmal wirtschaftlicheKonkurrenten und Konkurrenten hinsichtlich modernerTechnologie sind, kann man eines nicht bezweifeln: Woimmer auf der Welt Europa politisch oder ökonomischErfolg hat, nützt es den USA. Umgekehrt gilt: Wenn dieVereinigten Staaten Erfolg haben, dann nützt dies auchEuropa.Ich kann keine existenziellen Interessen Europas undAmerikas erkennen, von denen man sagen kann: Wennsich der eine durchsetzt, dann werden die existenziellenInteressen des anderen berührt. Wir müssen in dieser Si-tuation erkennen: Es verbinden die USA mit Europa undEuropa mit den USA mehr politische und weltanschauli-che Gemeinsamkeiten als mit allen anderen Regionender Welt. Deswegen hat die NATO auch weiterhin einganz solides politisches und geistiges Fundament.
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Volker RüheDas wird eine ganz entscheidende Nagelprobe sein. Wirsollten die Kolleginnen und Kollegen ermuntern, diesenSchritt zu gehen.Dass jetzt Transportflugzeuge in einem Pool zusam-mengefasst werden, ist ein richtiger Schritt. Schon vorzehn Jahren habe ich gesagt – ich weiß, das ist nichtganz leicht –: Warum kann man nicht auch U-Boot-Flot-ten zusammenlegen? Warum haben die Deutschen, die Nie-derländer und die Norweger – ich brauche Ihnen nicht zusagen, was das angesichts der Geschichte des letzten Jahr-hunderts bedeutet – keine gemeinsame U-Boot-Flotte?Dann muss man vielleicht auch sagen: Das Hauptquar-tier sollte nicht in Deutschland sein – als großer Staattreten wir zurück –, sondern in den Niederlanden. Genaudas wäre ein Beitrag, um Overheads zu sparen, komple-mentär vorzugehen und die europäische Verteidigungbesser zu organisieren.So gibt es viele weitere Möglichkeiten, Synergien zuerreichen und auch Staaten wie Norwegen, die Türkeiund Dänemark einzubeziehen. Ich glaube, dass derNATO die verbesserten Fähigkeiten der europäischenLänder zugute kommen werden. Insofern ist dies einePolitik, die die NATO und gleichzeitig das europäischeGewicht in der NATO stärkt.Denken wir an die letzte Krise: Was wäre denn gewe-sen, wenn wir den Konvent vor fünf Jahren und in dieserKrise einen europäischen Außenminister mit zwei Hütengehabt hätten? Was hätte dieser arme Außenminister sa-gen sollen? Er hätte sich ähnlich ausgedrückt, wie manes in den Kommuniqués getan hat, in denen alle Positio-nen zusammengefügt worden sind. Das allein ist nichtdie Lösung.Was wäre, wenn niemand Flugzeugträger hat, mit de-nen man einmal in die eine und einmal in die andereRichtung fährt, sondern wenn man in einer militärischenKrise von den Instrumenten her gezwungen ist, sich po-litisch zu einigen, ohne nationale Interessen zu vernach-lässigen? Deswegen glaube ich, dass es nicht ausreicht,nur politische Institutionen zu schaffen. Die militärischeReorganisation in Europa, also weg von einer rein natio-nalstaatlichen Organisation, hat vielmehr eine eminentpolitische Bedeutung. Würde sie umgesetzt, wären wirin einer Krise gezwungen, gemeinsame politische Positi-onen zu ergreifen. Dies ist, wie ich glaube, ein heilsamerZwang, wenn wir wollen, dass Europa eine größereRolle spielt.Mir ist klar, dass das, was ich sage, für die neuenStaaten eine große emotionale Zumutung darstellt; dennsie sind ja gerade wieder freie Nationalstaaten gewor-den. Als Erstes schafften sich selbst relativ kleine Staa-ten wie Ungarn und Tschechien Jagdflugzeuge an – auchich habe damals dagegen polemisiert – und hatten kaumnoch Geld für irgendetwas anderes. Das scheint aberAusdruck ihrer nationalen Identität und Unabhängigkeitzu sein. Besser wären allerdings vier, fünf große Ver-bände in Europa zum Schutz des Luftraumes, auf dieman sich dann auch verlassen kann. Zwar wäre es für dieneuen Staaten emotional besonders schwer, wenn manvon ihnen verlangte, diesen Schutz übernational zu orga-nisieren. Aber es gibt keinen anderen Weg und deshalbmrhcgepvkgkmWZjdsSwurhhgwhRdRzAbznrPvmNUsZebdRt
Ich erteile das Wort Bundesminister Joseph Fischer.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mit deretzt anstehenden NATO-Erweiterung – ich freue mich,ass hier seitens der Fraktionen weit gehende Überein-timmung über die historische Notwendigkeit dieseschrittes erzielt wurde – wird meines Erachtens ein ganzichtiger Schritt getan, um Frieden und Stabilität aufnserem Kontinent dauerhaft zu garantieren.Da der frühere Bundesverteidigungsminister Rühe ge-ade gesprochen hat und vieles von dem, was er gesagtat, auch die Zustimmung der Bundesregierung findet – erat zu Recht auf die historischen Leistungen der Vorgän-erregierung hingewiesen –, möchte ich es der Fairnessegen nicht versäumen – wir hatten in der Vergangen-eit manchen heftigen Streit –, seine ganz besondereolle als Bundesverteidigungsminister beim Anstoßener NATO-Osterweiterung zu würdigen. Herr Kollegeühe, ich bringe Ihnen im Namen des ganzen Hauses,umindest aber der Bundesregierung unseren Dank zumusdruck.
Die NATO-Erweiterung ist ein zentraler Schritt. Icheginne da, wo mein Vorredner aufgehört hat. Die jet-ige Erweiterung bis hin zu den baltischen Staaten undach Südosteuropa – Polen, Ungarn und Tschechien wa-en schon vorher Mitglieder – erfolgt in einem parallelenrozess zur EU-Osterweiterung. Das dürfen wir nichtergessen. Wenn in jüngster Zeit Diskussionen aufka-en, in denen versucht wurde, einen Gegensatz vonATO-Erweiterung und Erweiterung der Europäischennion zu konstatieren, dann kann ich nur sagen, dass esich aus unserer Sicht als ein paralleler Prozess darstellt.u Beginn meiner Amtszeit war es noch ein Anathema,in Tabu, dass EU und NATO zusammen tagen und dieeiden Spitzen, Javier Solana, der Hohe Repräsentanter Europäischen Union, und NATO-Generalsekretärobertson, zusammenarbeiten. Heute ist diese Koopera-ion eine Selbstverständlichkeit – bei allen Problemen
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Bundesminister Joseph Fischerim Detail, die es immer wieder gibt. Daran wird deut-lich, welchen Fortschritt wir hier erzielt haben. An dieserStelle würdige ich die Leistungen der Zusammenarbeitvon Europäischer Union und NATO in Mazedonien. DieZusammenarbeit von Diplomatie und militärischemDruck sowie die Sicherheitsgarantie von NATO und Euro-päischer Union, von Lord Robertson und Javier Solana,haben eine weitere humanitäre Katastrophe, einen barba-rischen Bürgerkrieg auf dem Balkan verhindert.
Das macht klar: Wir reden hier über die Zukunft unse-rer gemeinsamen Sicherheit. Deutschland liegt inmitteneines zusammenwachsenden Europas, inmitten einesneuen Stabilitäts- und Sicherheitsraums. Das wird un-sere Lage dramatisch verändern, das wird die Anforde-rungen an die deutsche Außenpolitik, eingebettet in dieeuropäische und in die Bündnispolitik, grundsätzlichverändern, ebenso die Fähigkeiten und die Notwendig-keiten, denen die Bundeswehr gegenüber steht.Seien wir einmal ehrlich: Wer von uns hätte vor zweiJahren gedacht, dass die Bundeswehr am Hindukuschund am Horn von Afrika in solchen Größenordnungeneingesetzt wird, wie es heute der Fall ist? Das hätte kei-ner hier im Hause, egal von welcher Seite des Hauses,als eine realistische Perspektive betrachtet.All das macht deutlich, dass es um eine dramatischeVeränderung geht. Die neue, die erweiterte NATO musshierfür auch neue Strukturen entwickeln. Lassen Siemich an diesem Punkt wiederholen, was ich beimNATO-Frühjahrstreffen der Außenminister gesagt habe:Das transatlantische Bündnis gründet auf zwei Pfeilern:auf dem nordamerikanischen, bestehend aus den USAund Kanada, und auf dem europäischen Pfeiler. DiesesBündnis kann nur geschwächt oder gar gefährdet wer-den, wenn einer der Pfeiler so geschwächt wird, dass ernicht mehr belastbar ist. Deswegen liegt ein starkes Eu-ropa im Interesse des Bündnisses; ein schwaches Europawürde dieses Bündnis gefährden.
Deswegen kommt es meines Erachtens ganz entschei-dend auf die erweiterte NATO an. Kollege Rühe hat überderen Fähigkeiten gesprochen; ich möchte das nicht wie-derholen, sondern unterstreiche das. Wenn ich richtig in-formiert bin, haben Frankreich und Großbritannien be-reits die notwendigen Schritte eingeleitet, um einengemeinsamen Flugzeugträger zu bauen. Ja, das erlebenwir in der Europäischen Union wie in der NATO: Wirmüssen Verständnis dafür haben – es ging uns doch überdie Jahrzehnte des Kalten Krieges hinweg nicht sehr vielanders und wir erleben es auch im Inneren –, wie vielZeit, wie viel Verständnis und Aufeinanderzugehen not-wendig sind, um die Folgen der Teilung im Inneren zuüberwinden. Selbstverständlich sagen viele Menschen inden neuen Mitgliedstaaten der Europäischen Union undder NATO: Wir haben gerade eine Union überlebt, wirhaben für unsere Unabhängigkeit gekämpft. Ja, Jagd-flugzeuge sind Symbol der nationalen Unabhängigkeit,gDwfVmtwmmsDvesBtWsnrFPdvWkbUzDEeOhBoViAisIisJaaNkieid
Oder nehmen wir das letzte EUROMED-Treffen derrabischen Nachbarn, Israels und der Türkei mit der EUuf Kreta, in dessen Folge sich jetzt der Blockadefaktorahostkonflikt auflöst. Hier sehe ich, welche Möglich-eiten strategischer Natur sich für Frieden und Stabilitätn dieser Zone eröffnen. Der Golfkooperationsrat wirdin ähnliches Instrument sein. Bezüglich der Türkei bittech die Union, nochmals zu überdenken, was es hieße,er Türkei die europäische Tür zuzumachen. Ich nenne
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Bundesminister Joseph Fischerauch die Stabilitäts- und Partnerschaftsabkommen. Die-ser ganze Instrumentenkasten zeigt: Wenn wir mit derinstitutionellen Willensbildung und den Fähigkeiten vor-ankommen, wird Europa bei der Sicherung der strategi-schen Nachbarschaft eine ganz andere Rolle spielen.
Dazu gehört aber auch der große Kontinent Afrika,der unsere Sicherheit ganz entscheidend mitbestimmenwird, und zwar nicht nur der Mahgreb, sondern – in Ver-bindung mit dem Terrorismus und der Gefahr durch zu-sammenbrechende Staatsstrukturen – der gesamte Konti-nent. Das werden wir an anderer Stelle zu debattierenhaben, aber auch hier ist Europa gefragt.Was heißt also Stärkung der europäischen Säule? Aufder NATO-Frühjahrstagung habe ich die amerikanischeSeite gefragt, ob sie bereit sei, ernsthaft über so etwaswie eine Eurogroup in der NATO zu diskutieren undsie dann auch zuzulassen. Ich bin der Meinung, dass dieeuropäische Sicherheit im Wesentlichen in Verbindungmit EU und NATO bzw. – was die Fähigkeiten betrifft –innerhalb der NATO geschaffen werden sollte. Das istdie Position nicht nur dieser Bundesregierung, sondernauch die der vorherigen.Ich meine, dass man dann ehrlicherweise das Tabuder Bildung einer europäischen Gruppe brechen und da-rüber ernsthaft diskutieren muss.
Es mag sein, dass man am Ende zu einer Negativpositionkommt. Ich möchte das nicht ausschließen. Aber dieDiskussion mit der nordamerikanischen Seite muss be-ginnen. Ich meine damit die USA und Kanada.
Das halte ich für einen wichtigen Punkt; denn sonst wer-den die Prozesse außerhalb stattfinden. Das hielte ichnur für die zweit- oder drittbeste Lösung.Im Klartext heißt das: Den neuen Gefahren, die unsheute, im Moment der Erweiterung, angesichts der dra-matischen strategischen Veränderungen alle gemeinsambedrohen und die eine andere Sicherheitsstrategie erfor-dern – diese Gefahren sind in der Wirkung mit den altenGefahren zu vergleichen –, ihnen zu begegnen, das wirdaber eine neue Sicherheitsstrategie mit anderem Einsatz-profil und hinsichtlich der regionalen Stabilisierung ähn-liche Zeithorizonte wie bei der Überwindung des KaltenKrieges erforderlich machen.Wenn man das zusammennimmt, werden wir die er-weiterte NATO neu erfinden müssen. Wir müssen keinneues Bündnis schaffen, werden aber dieses Bündnisneu erfinden müssen, wenn es seine Wirkung entfaltensoll.
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Ich erteile dem Kollegen Werner Hoyer, FDP-Frak-
ion, das Wort.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wiraben zu Beginn des Ratifizierungsverfahrens vor vierochen hier im Deutschen Bundestag einhellig die Auf-ahme der sieben neuen Mitglieder in die NATO be-rüßt. Ja, wir haben dieses Ergebnis als geradezu tekto-ische Veränderung in Europa, die eine Verschiebunger Geografie bedeutet, begrüßt. Ich freue mich, dassiese in schwierigen außenpolitischen Zeiten leider sel-ener gewordene Einigkeit in diesem Hause auch heuteestehen bleibt.Der Deutsche Bundestag freut sich über diesenchritt; denn er ist – Kollege Rühe hat völlig zu Rechtarauf hingewiesen – insbesondere mit Blick auf die letz-en 15 Jahre alles andere als eine Selbstverständlichkeit.ie große Leistung, die erreicht worden ist, wird nichtadurch erbracht, dass wir heute dem Ratifikationsgesetzustimmen. Sie ist vielmehr durch eine gigantische Frei-eitsrevolution erbracht worden, die die Bürgerinnennd Bürger in Mittel-, Ost- und Südosteuropa getragenaben.
Diese Länder sind einen langen Weg gegangen. Wirehmen sie heute in eine NATO auf, die jetzt eine anderest als zu dem Zeitpunkt, als sie den Aufnahmeantragum ersten Mal erwogen haben. Nachdem sie sich sei-erzeit vom Joch der sowjetischen Unterdrückung be-reit haben, haben sie in allererster Linie die Sicherheitnd die Garantien des NATO-Bündnisses gesehen undaben deshalb oft genug gesagt: Das ist uns zunächstinmal wichtiger als die Integration in wirtschaftlichend gesellschaftliche Strukturen, die wir im Rahmen deruropäischen Union vorantreiben. Das ist verständlich.
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Dr. Werner HoyerDer Interessenschwerpunkt hat sich mittlerweile ver-schoben, denn die NATO ist eine andere geworden. Dasist eine Erkenntnis, die auch für die Bürgerinnen undBürger in den Beitrittsstaaten nicht ganz leicht ist. Es er-fordert nämlich eine erneute Anpassung, eine giganti-sche Veränderung nach den ungeheuren Veränderungen,die den Menschen in Mittel- und Osteuropa in den letz-ten gut zehn Jahren abverlangt worden sind.Meine Damen und Herren, die Selbstverständlichkeit,mit der NATO und EU miteinander umgehen – HerrFischer hat das eben zu Recht angesprochen –, war javor zehn oder auch vor acht Jahren noch keineswegs ge-geben. Ich erinnere mich noch sehr gut: Wenige Tagenachdem unser damaliger EU-Ratspräsident, der dama-lige spanische Außenminister Javier Solana, in das Amtdes NATO-Generalsekretärs gewechselt ist, haben wireinmal ganz vorsichtig versucht, ihn anlässlich eines in-formellen Mittagessens in den Kreis des Rates einzula-den, um über Fragen von militärischen und sicherheits-politischen Dimensionen zu diskutieren. Das ist sofortstrikt abgelehnt worden; das wäre weder in Paris noch inWashington vermittelbar gewesen. Das ist gerade einmalacht Jahre her. Das zeigt, dass inzwischen gigantischeFortschritte erzielt worden sind.Dennoch steckt die NATO in einer tiefen Krise. Wirhaben das bei der sehr eindrucksvollen Debatte anläss-lich der NATO-Parlamentarierversammlung in der letz-ten Woche erlebt. Es ist ein spannender Diskussionspro-zess, der alles andere als abgeschlossen ist. Ich denke,wir sollten an dem festhalten, was wir in der NATO ha-ben. Sie ist das einzige operative Militärbündnis, sie istnicht nur das erfolgreichste in der Geschichte, sondernbietet auch für die Zukunftsgestaltung die beste Perspek-tive.Die NATO leistet zurzeit in Afghanistan schon Groß-artiges und wird ihre Rolle in der zweiten Jahreshälftenoch verstärken. Aber die NATO kann mehr und wirwerden sie mehr machen lassen müssen. Die Welt istnicht sicherer, die Bedrohung nicht geringer geworden;das wissen wir alle.Nordamerikaner und Europäer sitzen an einem Tisch– in institutionalisierter Form, mit jahrzehntelanger posi-tiver Erfahrung und sogar mit einem funktionsfähigen,operativ verwendbaren Militärapparat ausgestattet. Wer,wenn nicht die NATO, sollte für eine gemeinsame west-liche Sicherheitspolitik den Rahmen bilden, aber ebenzugleich auch den Arm?Die Realität sieht heute anders aus. Die NATO spieltbei brandheißen aktuellen Entscheidungen und Heraus-forderungen der Sicherheitspolitik praktisch keine Rolle.Das war nach dem 11. September so, trotz der erstmali-gen Ausrufung des Bündnisfalles, das war im Irak sound das ist jetzt im Kongo wieder der Fall. Was diesenletzten Fall angeht, bedauere ich das übrigens sehr. Ichfinde es sehr gut und begrüße auch die Unterstützung derBundesregierung bei dem Ansinnen, dass die VereintenNationen sich dem Thema Kongo jetzt in großer Intensi-tät und mit großer Kraftanstrengung zuwenden. Aber diesicherheitspolitische Aufgabe, die dort jetzt wahrschein-lich zu erledigen ist – und das ist nur ein ganz kleinerTndApsvdnwlMsnkKcßMgmbuwlddapthbzhMzJbbTadltsDzaavzv
ls glühender Verfechter des europäischen Integrations-rozesses, der die Meinung vertritt, dass wir auch unsereicherheitspolitisch-militärischen Strukturen in der EUerbessern müssen, bin ich dezidiert der Auffassung,ass wir uns nicht überheben dürfen, wenn wir nochicht so weit sind. Ich erinnere mich an die Debatte vorenigen Monaten, als wir gefragt haben, ob nicht viel-eicht der Einsatz in Bosnien-Herzegowina neben dem inazedonien besser von der EU wahrgenommen werdenollte. Da hieß es: Nein, das können wir in der EU nochicht; so weit sind wir noch nicht. Aber jetzt plötzlichönnen wir es im Kongo. Beim Einsatz im Kongo sprachofi Annan in seiner gestrigen Vorlage für den Weltsi-herheitsrat schon von 11 000 Mann, auch mit einer gro-en Aufwuchsperspektive, zusätzlich zu dem, was beiONUC jetzt schon der Fall ist. Es geht dort um eine gi-antische, eine riesige militärische Operation, die nichtsit Blauhelmeinsätzen oder dem Auseinanderhalten vonereits getrennten Konfliktparteien zu tun hat. Es gehtm einen sehr gefährlichen, einen schmutzigen Einsatz.Ich bin übrigens der Auffassung, dass die Bundes-ehr aufgrund ihrer Ausbildungsphilosophie in denetzten 50 Jahren aus gutem Grunde nicht befähigt ist,ort einen Kampfeinsatz zu leisten. Wir sollten die Bun-eswehr dafür gar nicht kritisieren, denn wir haben sieus gutem Grund anders ausgebildet. Die verteidigungs-olitischen Richtlinien, über die wir gegenwärtig disku-ieren, zeigen, dass auch für die Bundeswehr hier ein er-eblicher Anpassungs- und Modernisierungsbedarfesteht. Aber wir müssen diese Schritte vorsichtig voll-iehen und uns auch genau überlegen, mit welchen Fä-igkeiten wir die Bundeswehr ausstatten wollen.eine Damen und Herren, die Befürworter der NATO,u denen ich mich selbstverständlich auch seit vielenahren zähle, haben immer gesagt, wenn die NATO nichtereit sei, „out of area“ zu gehen, sei sie bald „out ofusiness“. Jetzt hat die NATO ihr theoretisches und zumeil auch schon ihr praktisches Operationsgebiet längstusgedehnt. Sie ist längst „out of area“ und droht trotz-em mehr denn je „out of business“ zu gehen. Woran dasiegt, ist klar.Wir müssen die Pfeiler und den Bogen der transatlan-ischen Freundschaftsbrücke wieder auf beiden Seitentärken.
as heißt, nicht nur auf politische Deklamation bedachtu sein, sondern auch die Bereitschaft zu haben, denmerikanischen Freunden auf militärischem Gebiet mehrnzubieten und mehr zu leisten. Herr Kollege Rühe hatöllig Recht: Das ist nicht an 24,4 Milliarden Euro fest-umachen. Es muss darauf ankommen, was wir aus demorhandenen Geld machen.
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Dr. Werner HoyerIch erinnere, da Sie eben das Thema Jagdflugzeugeangesprochen haben, an die Debatte, die wir Ende der80er- und Anfang der 90er-Jahre über den Jäger 90, spä-ter Eurofighter, geführt haben. Durch unsere Entschei-dungen haben wir dafür gesorgt, dass in Westeuropa dreiJagdflugzeuge gleichzeitig entwickelt wurden, Gripen,Rafale und Eurofighter, die jetzt peu à peu in die Luft-waffen der europäischen Länder eingeführt werden.Wäre schon damals die Bereitschaft vorhanden gewesen,über echte Arbeitsteilung im Bündnis zu sprechen,dann – –
– Das hat nichts mit Regierung dieser oder jener Couleurzu tun. Farblich war es in Europa immer sehr bunt. HerrKollege Tauss, Sie liegen völlig falsch.
Das ist eine Frage von Mentalität auf unserem gesamtenKontinent, seinerzeit wie heute.
Die Bereitschaft, darüber nachzudenken, ob mannicht eine wirkliche Arbeitsteilung in dem Sinne vorneh-men sollte, dass man unsere relativ großen und zumin-dest damals recht neuen Luftangriffskapazitäten in Tor-nadoverbänden konsolidiert und stärkt und gleichzeitigdie Luftverteidigungsaufgaben Partnern im Bündnisüberlässt, die ihre Stärke im Bereich der Luftabwehr ha-ben, war seinerzeit nicht vorhanden. Wir müssen auchheute sehr viel mehr daran arbeiten, eine solche Bereit-schaft herzustellen.Das setzt allerdings den Willen voraus, die Diskus-sion über Souveränitätsverzicht zu führen.
In diesem Rahmen müssten wir uns nämlich auch darü-ber unterhalten, ob es möglich ist, dass in einem solchenFall, den wir leider vor einiger Zeit in Frankfurt erlebenmussten – der Verteidigungsminister war in einer über-aus schwierigen Entscheidungssituation –, der danneventuell notwendig werdende Einsatz auch von einembritischen, französischen oder niederländischen Flug-zeug durchgeführt werden kann. Diese Diskussion müs-sen wir führen. Ich denke, wir sollten jetzt, ermutigtdurch den Beitritt der neuen Mitglieder der NATO, dieKraft aufbringen, solche Diskussionen zu führen. Wirsagen diesen neuen Mitgliedern: Welcome to the Club.
Ich erteile das Wort dem Kollegen Rolf Kramer, SPD-
Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen undHerren! Auf dem NATO-Gipfel in Prag am 21. Novem-ber letzten Jahres haben die Staats- und RegierungschefsemcPzHawFdbdSTAsahtaddtlLgePdkksigpmGddbmntKkmdv
Es war der so genannte Korb 3 der Helsinki-Verein-arungen, der in den Ländern des damaligen Ostblocksit dafür sorgte, dass sich die gesellschaftlichen Verhält-isse anfangs langsam, dann aber mit Urgewalt wandel-en. Das Konzept von Willy Brandt und Egon Bahr, dasonzept des Wandels durch Annäherung, war, dasann man heute mit Genugtuung und vor allen Dingenit Dankbarkeit sagen, erfolgreich.
Als Teile dieses Hauses noch in den Schützengräbenes Kalten Krieges verharrten, sorgte diese kluge undertrauensbildende Politik dafür, dass die notwendigen
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Rolf KramerVorbedingungen geschaffen wurden, um das gemein-same Haus Europa wieder in Frieden und Freiheit be-wohnbar zu machen. Die große Mehrheit der Menschenin Deutschland und in Europa hat das damals intuitivschnell verstanden. Konnte die Sowjetunion den PragerFrühling 1968, den Versuch also, einen Sozialismus miteinem menschlichen Angesicht zu schaffen, mit demWarschauer Pakt noch mit Gewalt stoppen, war diesnach der Einleitung des Helsinki-Prozesses in Europanicht mehr möglich.Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir wollennicht vergessen, dass der Wandel im damaligen Ostblockvon Polen ausging – ich erinnere an die Solidarnosc-Be-wegung – und sich in der Sowjetunion unter Gorbatschowmit Perestroika und Glasnost fortsetzte. Die von der SPDund von Willy Brandt zu Beginn der 70er-Jahre eingelei-tete Politik hat mit zu diesem Wandel beigetragen. Dasbleibt das große Verdienst.
Durchgeführt und umgesetzt haben diesen Prozess aberdie vielen Menschen in den Ländern des ehemaligenWarschauer Paktes. Das bleibt ihr Verdienst.
Wir sind jetzt an einem Punkt angelangt, an dem dieLänder, die durch den Hitler-Stalin-Pakt der Willkür derDiktaturen ausgeliefert wurden, Mitglieder der NATOwerden. Das dient dem Frieden und der Entwicklung indiesen Ländern und damit auch bei uns.Meine sehr verehrten Damen und Herren, natürlichhat sich auch die NATO seit ihrer Gründung verändert.Die NATO wirkt nicht mehr in erster Linie aufgrund deratomaren Abschreckung. Das ist aus meiner Sicht der ei-gentliche Bedeutungswandel. Wie schon in den vergan-genen Jahren wird die NATO auf der Grundlage gemein-samer Werte und Überzeugungen ihrer Mitglieder inZukunft noch stärker der internationalen Krisen- undKonfliktbewältigung verpflichtet sein. Die notwendigeverstärkte Partnerschaft zwischen der EuropäischenUnion und der NATO ist dabei der Weg, um ein starkesAmerika und ein sich entwickelndes gemeinsames Eu-ropa konstruktiv zusammenwirken zu lassen. Der Bei-tritt der sieben Länder ist ein wichtiger Schritt auf die-sem Weg.Ein wesentlicher Teil der NATO-Entwicklung seit1990 zielte darauf, den mittel- und osteuropäischenRaum unter anderem durch die Einbindung in ein Netzvon Sicherheitsbeziehungen politisch und wirtschaftlichzu stabilisieren. Elemente dieser Politik waren und sindder Euro-Atlantische Partnerschaftsrat, das ProgrammPartnerschaft für den Frieden sowie die besonderen Be-ziehungen der Allianz zu Russland und zur Ukraine.Alle neuen Mitglieder haben im Rahmen des PfP-Pro-gramms und mit der anschließenden Teilnahme am sogenannten Membership Action Plan in den BereichenStandardisierung und Interoperabilität ihrer militäri-schen Möglichkeiten große Anstrengungen unternom-mdvgsvminkdvepZisgNeiGdesmtimrzbSnNDEgCNiDVEg
er Weg zur Überwindung der Spaltung Europas alsrgebnis des Zweiten Weltkrieges ist damit abermals einroßes Stück vorangekommen.Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.
Ich erteile nun dem Kollegen Gerd Müller, CDU/
SU-Fraktion, das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! DieATO ist die größte Friedensbewegung in Europa. Siest unser Garant für Frieden, Freiheit, Stabilität undemokratie. Der frühere Bundesverteidigungsministerolker Rühe hat zu Recht darauf aufmerksam gemacht:s waren die Beitrittsstaaten, die an die Tür zur NATOeklopft haben. Ganz bescheiden hat er sein Licht unter
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Dr. Gerd Müllerden Scheffel gestellt: Es waren natürlich auch HelmutKohl und Volker Rühe, die die Tür aufgemacht haben.Ich erinnere an den Euro-Atlantischen Partnerschaftsrat,an die Partnerschaft für den Frieden, die den ersten Er-weiterungsschritt um Polen, Ungarn und Tschechiennach sich zog, und an unser Bemühen, die baltischenStaaten in die NATO aufzunehmen. Dafür gebührenVolker Rühe und Helmut Kohl unser Dank und unsereAnerkennung.
Die NATO reicht heute, wenn man die fast assoziier-ten Mitglieder mitrechnet, von Vancouver bis Wladiwos-tok. Angesichts dieser Entwicklung stellt sich die Frage,ob uns bewusst ist, wie wir diese enormen Herausforde-rungen an die Politik, aber auch an unsere Soldatinnenund Soldaten schultern können. Es stellt sich auch dieFrage: Wo liegt die Zukunft der NATO? Die NATO istheute in der Tat weit über den eigenen Raum hinaus aufden Krisenschauplätzen der Welt präsent. Sie ist seit vie-len Jahren auf dem Balkan, ab August in Afghanistan,im kommenden Jahr wohl auch im Irak und möglicher-weise zusammen mit der EU im Kongo tätig.Diese Einsätze sind in der Bevölkerung nicht unum-stritten. Die Frage muss gestellt werden: Können dieNATO und unsere Bundeswehr diesen Auftrag erfüllen?Minister Struck und unser Außenminister denken übereinen Kongoeinsatz der Bundeswehr nach. Der Bundes-verteidigungsminister überlegt die Erweiterung des Af-ghanistaneinsatzes. Die Bundeswehr leistet schon jetzthervorragende Dienste in Bosnien, im Kosovo und inMazedonien. Die Bundeswehr erbringt ihren Einsatz inNahost. Über 10 000 Soldaten sind derzeit im Friedens-dienst der NATO und der EU tätig.Angesichts dieser Belastungen, die wir unseren Sol-datinnen und Soldaten auferlegen, stellt sich die Frage:Wie ist die Haltung der Bundesregierung zur Bundes-wehr im Innern? Ich stelle fest: Es hat noch nie einenBundeskanzler, einen Bundesverteidigungsminister undeinen Außenminister gegeben, die so schnell und soviele Zusagen für Auslandseinsätze gegeben haben unddie gleichzeitig die Bundeswehr zu Hause so schlechtbehandeln, wie sie derzeit behandelt wird.
All das passt nicht zusammen. Wenn Sie mit den Sol-datinnen und Soldaten sprechen, dann werden Ihnendiese Klagen vorgetragen. Die Bundeswehr leidet heutenicht nur unter drastischer Unterfinanzierung undschlechter Ausstattung. Was noch viel schlimmer ist: Esfehlt ihr die Anerkennung dieser Bundesregierung für ih-ren Dienst!
Einen Bundeswehreinsatz im Kongo über humanitäreHilfe hinaus lehnen wir ab.
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Europa muss handlungsfähig sein. Das ist unbestrit-ten. Deshalb werden wir im Rahmen der Konventsde-batte für mehr Mut in der Frage der Einführung qualifi-zierter Mehrheitsentscheidungen in der GemeinsamenAußen- und Sicherheitspolitik nach dem Prinzip derdoppelten Mehrheit eintreten, Herr Außenminister.Einzelnen Staaten darf in Zukunft weder ein nationa-ler Sonderweg möglich sein, noch dürfen sie das ge-meinschaftliche Handeln durch ihr Veto verhindern. Indieser Hinsicht ist sozusagen ein Quantensprung in dereuropäischen Ordnung erforderlich. Wir befürwortendeshalb die Zusammenlegung der Positionen Solanasund des Außenkommissars der EU. Wir sind aber nichtfür die Schaffung eines Königreichs für Joschka Fischer.Dies wird es nicht geben.
Es wird weder einen diplomatischen Dienst für Joschkanoch eine Hofgarde für seine Eminenz, den deutschenAußenminister, geben.
Wir hätten etwas mehr Initiative vonseiten dieses Au-ßenministers erwartet, um die neuen Entscheidungs-strukturen der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspo-litik voranzubringen. Auch die NATO und der UN-Sicherheitsrat sind reformbedürftig.mWaDsmtkiünKdkSvNtdhrndniftSuuwiMdRru
ir alle – über die Parteigrenzen und Generationen hin-us – brauchen mehr Mut für den Frieden in der Welt.as fängt nicht bei den Truppen an, Herr Außenminister,ondern das fängt im Kopf an. Notwendig sind eine hu-anitäre Strategie, eine stärkere Entwicklungskoopera-ion zwischen Reich und Arm und ein Dialog der Welt-ulturen und Weltregionen. Dazu gehört aber auch undn erster Linie der Wille, diese Welt nicht mit Waffen zuberschwemmen.Herzlichen Dank.
Ich erteile dem Kollegen Winfried Nachtwei, Bünd-
is 90/Die Grünen, das Wort.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!ollege Müller, leider haben Sie das vorzügliche Niveauer Rede Ihres Kollegen Rühe in keiner Weise haltenönnen.
ie gestatten, dass ich jetzt zum Thema zurückkehre.Wenn der Deutsche Bundestag heute der Aufnahmeon sieben ost- und südosteuropäischen Staaten in dieATO zustimmt, dann geschieht das in größter Einmü-igkeit, aber auch ohne sonderlich starken Widerhall iner Öffentlichkeit. Nichtsdestoweniger ist der bevorste-ende Beitritt der sieben Staaten ein Vorgang von histo-ischer Bedeutung, besonders aus der Sicht der betroffe-en neuen Mitgliedstaaten. Ich bin erleichtert und froh,ass sich der Erweiterungsprozess ohne die Brüche undeue Spaltungen vollzogen hat, die ich und viele anderen der damaligen Opposition Mitte der 90er-Jahre be-ürchtet hatten.Bei der gängigen Feststellung, mit der NATO-Erwei-erung und ihrer Öffnung dehne sich der transatlantischetabilitätsraum aus, handelt es sich ausdrücklich nichtm das übliche Selbstlob einer großen Institution oderm bloße NATO-Lyrik. Die Erweiterung wurde undird als Prozess gestaltet, der aus Dialog, Kooperation,nneren Reformen und Konfliktbeilegung besteht. Dieembership Action Plans stellen Anforderungen anie künftigen Mitglieder: hinsichtlich der friedlichenegulierung von inneren – auch von ethnischen und ter-itorialen – Konflikten, der Achtung der Menschenrechtend der demokratischen Kontrolle der Streitkräfte.
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Winfried NachtweiSchließlich fordern sie Beiträge zur nationalen Verteidi-gung, zur Bündnisverteidigung und zu Peacekeeping-Einsätzen der NATO und der Vereinten Nationen.Die sieben Anwärterstaaten haben hierbei höchst un-terschiedliche Anforderungen zu bewältigen. Bulgarien,Rumänien und die Slowakei müssen ihre Armeen ausder Zeit des Warschauer Paktes in den kommenden Jah-ren erheblich reduzieren, und zwar um ungefähr einDrittel ihrer Kopfstärke. Sie haben sie umzubauen undauf ihre Interoperabilität im Bündnis umzustellen.Die baltischen Staaten und Slowenien müssen neueStreitkräfte aufbauen, die als Teil des Bündnisses aberviel kleiner sein können, als wenn sie national auf sichallein angewiesen wären. Der Anspruch kollektiver undkooperativer Sicherheit findet seinen praktischen Nie-derschlag in ersten multinationalen Verbänden, zum Bei-spiel – man höre! – in einer tschechisch-polnisch-slowa-kischen Brigade, und in einer breiten Beteiligung anfriedensbewahrenden Einsätzen in Bosnien-Herzego-wina, im Kosovo, in Kabul und sogar bei Enduring Free-dom.Zusammengefasst: Die NATO-Beitritte sind bedeut-same Beiträge zur Stabilisierung eines Raums, der sichnach der Implosion des Ostblocks wahrhaftig auch sehrexplosiv hätte entwickeln können.
Die militärische Integration in Europa, in der Europäi-schen Union und in der NATO schreitet voran. Die poli-tische Gemeinsamkeit fiel demgegenüber allerdings inden letzten Monaten massiv zurück. Die Frühjahrsta-gung der NATO-Parlamentarierversammlung vor ei-nigen Tagen in Prag war von der Erfahrung einer regel-rechten Spaltung und Marginalisierung der NATO imUmfeld der Irakkrise geprägt. Aber die Meinungsrisseauf dieser Tagung verliefen nicht einfach zwischen demso genannten alten und dem neuen Europa, sondern oftmitten durch die nationalen Delegationen hindurch. Dasnotorische Bemühen der Union hierzulande, vor allemdie Bundesregierung zum Sündenbock für die Turbulen-zen in der NATO zu machen, zielt – das zeigte die Parla-mentarierversammlung sehr deutlich – an der Realitätvöllig vorbei.
Offenkundig wurde bei der NATO-Parlamentarierver-sammlung die Notwendigkeit, sich über die viel be-schworenen gemeinsamen Werte und Interessen sowieüber eine gemeinsame Bedrohungsanalyse neu zu ver-ständigen. Einmütig war aber der Wille der Abgeordne-ten der NATO-Staaten, zu gemeinsamer Handlungsfä-higkeit der NATO zurückzufinden. Unüberhörbar wardabei die Forderung, dass dies nur in transatlantischerPartnerschaft und nicht in Gefolgschaft geschehen kann.Danke schön.
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eshalb, Herr Kollege Rühe und Herr Kollege Fischer,ile ich ausdrücklich nicht Ihre Freude, die Sie über dierweiterung der NATO zum Ausdruck gebracht haben.
Der Krieg gegen den Irak hat eines verdeutlicht: Dieeitere Militarisierung des Politischen führt in eine his-rische Sackgasse. Das löst keine Probleme, sondernehrt sie eher ins Unerträgliche. Nun hat Ludger Volmeror Wochen an dieser Stelle erinnert, dass es 1990 zweierspektiven bzw. Möglichkeiten gegeben hat: Entwederird die NATO als Hegemon weiter ausgebaut oder esird ein wirkliches System kollektiver Sicherheit ge-chaffen. Können Sie sich daran erinnern, wann derundestag zuletzt ernsthaft über ein wirkliches Systemollektiver Sicherheit debattiert hat? Ich vermute, dasselbst die Dienstälteren unter Ihnen diesbezüglich Erin-erungslücken haben.
Ludger Volmer meinte des Weiteren, man habe einenittelweg gefunden und man tue jetzt beides, also ver-ürzt gesagt: Hegemon und Sicherheit. Mich erinnertas fatal an das Römische Reich. Sie wissen, wie das en-ete. Allerdings wurde damals mit Schild und Schwertekämpft. Heute bedrohen uns weltvernichtende Waffen.as heißt, dass die Losung „Frieden schaffen ohne Waf-en“ nichts, aber auch gar nichts von ihrer Brisanz einge-üßt hat, ganz im Gegenteil.Wir reden hier übrigens fast nebenbei über einen Ver-assungsbruch. Das Grundgesetz enthält ein Friedensge-ot. Es beschränkt die Bundeswehr auf die Landesver-idigung und daran ändert auch eine erweiterte NATOichts.
Innenminister Schily hat vor wenigen Wochen denahresbericht 2002 des Verfassungsschutzes vorgestellt.arin wird die Friedensbewegung gegen den Irakkriegls staatsgefährdend aufgeführt. Der Bundesinnenminis-r, finde ich, sollte den Millionen, die gegen diesenrieg demonstriert haben, endlich sagen, warum. Jüngstat Bundesverteidigungsminister Struck seine neuenerteidigungspolitischen Richtlinien vorgestellt. Danach
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Petra Paufindet die Verteidigung der Bundesrepublik künftig welt-weit, je nach Gutdünken und Interessenlage, statt. Da-mit, finde ich, ist der Herr Minister Struck zumindest einPrüffall für die Verfassungsschützer des Ministerkolle-gen Schily geworden. Ich hoffe, dass Herr Schily ihnvon dieser Prüfung schon unterrichtet hat.
Parallel zu all diesen Debatten wirbt die CDU/CSUfür ein militärisches Erstschlagsrecht, also genau das,was die US-Führung im Irak und anderswo wider allesVölkerrecht für sich in Anspruch nimmt. Deshalb wie-derhole ich hier: Eine falsche NATO wird nicht besser,nur weil sie größer wird, und eine falsche Politik wirdnicht richtig, nur weil SPD und Grüne sowie CDU undCSU den militärischen Gleichschritt üben.
Ich erteile dem Kollegen Markus Meckel, SPD-Frak-
tion, das Wort.
Verehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kol-legen! Verehrte Kollegin Pau, es ist schon interessant,sich die Situation anzusehen. Heute, nun wirklich langenach den Umbrüchen, den Freiheitsrevolutionen von1989/90, feiern wir ein wesentliches Ergebnis dieserUmbrüche, nämlich dass Europa zusammenwächst undeben auch sicherheitspolitisch zusammenwächst. VolkerRühe hat sehr klar gesagt: Das geschieht nicht etwa des-halb, weil die NATO schon am Anfang begriffen hat,was da passiert; nein – das muss man so klar sagen –, siehat es lange nicht begriffen. Vielmehr haben die Völker,die Freiheit und Demokratie errungen haben, gesagt: Wirwollen, dass es keine geteilte Sicherheit in Europa undim transatlantischen Verhältnis gibt. – Erst dann, so nachund nach, übrigens sehr viel später als die EuropäischeUnion, hat sich die NATO – ausgehend vom Treffen derVerteidigungsminister in Travemünde 1994 – auf denWeg gemacht und versucht, sich zu öffnen. Nach langenund schwierigen Debatten hat das jetzt zu diesem Ergeb-nis geführt.Wie wesentlich das war, haben viele von uns in vielenProzessen – wir könnten die Konflikte, mit denen wiruns in den letzten zehn Jahren beschäftigen mussten,einzeln durchgehen – schmerzlich lernen müssen. DerBundesaußenminister hat oft betont, dass eine militäri-sche Sicherung der zivilen, administrativen und Nation-Building-Prozesse notwendig ist, damit diese Prozesseüberhaupt ablaufen können.
Es ist also sehr wohl wichtig, auf der Höhe der Zeit zuleben. Dazu gehört die Erkenntnis, dass wir eine Institu-tion wie die NATO brauchen. Ich kann mich deshalb derFreude, die zum Ausdruck gebracht worden ist, nur an-schließen.wiaatbshenddPdrDEsNwwssmdwtvdphRadbObzKsrZBPbawwsürwgg
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Auf der Ebene der Parlamentarier sind in den letztenJahren immer wieder sehr intensive Diskussionen geführtworden. Wir können nur hoffen – wir fordern die Regie-rung auf, einen entsprechenden Beitrag zu leisten –, dassauch in den Institutionen der NATO und im NATO-Ratdie notwendige Diskussion geführt wird. Wir wissen,dass Versuche unternommen wurden, eine solche Dis-kussion anzustoßen.Ich möchte auch von hier aus in Richtung unseresPartners Frankreich deutlich sagen: Gerade weil wir imtransatlantischen Verhältnis den europäischen Pfeilerstärken wollen – viele Redner haben das hier zu Rechtgesagt – und ihn zu einer integrierten Kraft, das heißt zueiner Kraft gemeinsamen Handelns, machen müssen,darf es nicht sein, dass die Franzosen als eine zentraleund wichtige Kraft in Europa auf Dauer eine Sonderstel-lung beanspruchen und sich jeweils vorbehalten, ob siemitmachen. Wir sollten die Franzosen auch von dieserStelle aus bitten, in die militärische Struktur der NATOzurückzukehren und damit unsere gemeinsamen Fähig-keiten zu stärken.
Das Gleiche gilt natürlich auch für andere Partner in-nerhalb der Europäischen Union. Wir sollten uns deutlichmachen – der Außenminister hat darauf hingewiesen –,dass es bei den Erweiterungsprozessen, mit denen wir unsim Rahmen der Ratifikationsprozesse jetzt glücklicher-wggwNwraadSEDciggmüstAZhdtiDnmgeosrßez
Ein letzter Punkt, auf den ich noch zu sprechen kom-en möchte: Wir müssen auch innerhalb der NATO dar-ber nachdenken, wie die Strukturen künftig aussehenollen. Der US-Senat hat im Zusammenhang mit der Ra-ifizierung der Abkommen über die Erweiterung zweiufgaben gestellt, über die der Präsident berichten soll.um einen ist das die Frage, ob das Konsensprinzip er-alten bleiben soll. Im Grunde hat er dazu aufgefordert,as Konsensprinzip in der NATO zu verlassen. Das be-rachte ich sehr skeptisch. Darüber brauchen wir sowohln unseren Ländern als auch in der NATO eine intensiveebatte.Der zweite Punkt ist die Frage der Suspendierung ei-es Mitglieds. Was passiert, wenn sich jemand an die ge-einsamen Regeln und Gesetze nicht mehr hält und ge-en die demokratischen Strukturen verstößt? Ich halteine solche Diskussion für alle demokratischen Instituti-nen für durchaus akzeptabel; auch innerhalb der NATOollten wir im Rahmen des Rates darüber sprechen.Lasst uns in Zukunft diese Debatte miteinander füh-en! Wir stehen im transatlantischen Verhältnis vor gro-en Aufgaben, weil die Risiken in dieser Welt leider nuninmal nicht weniger geworden sind, sondern anders.
Ich erteile das Wort dem Kollegen Freiherr von undu Guttenberg, CDU/CSU-Fraktion.Karl-Theodor Freiherr von und zu GuttenbergCDU/CSU):Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen underren! Am heutigen Tag ist vieles begrüßenswert: zuminen die klaren Bestandsaufnahmen, zum anderen die insbesondere vom Kollegen Volker Rühe – aufgezeig-
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Karl-Theodor Freiherr von und zu Guttenbergten Perspektiven, die nicht nur den europäischen Pfeilerbeleuchten, sondern auch über den Atlantik hinweg rei-chen.Eine der entscheidenden Linien, die von diesem Tagmitgenommen werden müssen, ist, dass wir über dieKommunikationsebenen im europäischen Rahmen dietransatlantische Struktur weiterhin pflegen und ihr denStellenwert geben müssen, den sie tatsächlich verdient.Begrüßenswert ist auch die parlamentarische Einigkeitin diesem Hause; allerdings will ich die in meinen Au-gen erschreckende Realitätsferne der PDS erwähnen.Begrüßenswert ist ebenso die Zusammensetzung undStruktur der neuen Mitgliedsländer, deren Beitritt Aus-druck der Hoffnung auf eine wirkliche Stabilität undeine Überwindung der einstigen Spaltung Europasist. – So viel zum Istzustand.Gestatten Sie mir auch einige Punkte zum Sollzu-stand: Es wäre begrüßenswert, wenn mit derselben An-strengung und mit demselben Eifer, mit dem noch vorkurzem eine transatlantische Gegenposition geschmiedetwurde, eine transatlantische gemeinsame Sicherheits-analyse angegangen würde. Auch diese Arbeit ist zuleisten. Sie erfordert die Fähigkeit und den Willen, sichüberhaupt einmal gemeinsamen Sicherheitsinteressenzuzuwenden. Sie bedarf des Willens, einen gemeinsa-men Sicherheitsbegriff zu formulieren, der über Europaund gegebenenfalls auch über den atlantischen Raumhinweg zu reichen vermag. Außerdem bedarf sie der da-raus resultierenden Bereitschaft, eine über den eigenenTellerrand hinweg blickende Sicherheitsstrategie zu ent-wickeln.Ausgangspunkt hierfür ist ein kooperatives, komple-mentäres und letztlich partnerschaftliches Verhältnis zuden Vereinigten Staaten von Amerika;
nicht spaltend gegengewichtig, sondern ergänzend ne-bengewichtig. Wir könnten nicht törichter handeln, alsuns den Marktschreiern einer europäischen Gegenge-wichtsstrategie zu unterwerfen. Das wäre der größteFehler, den wir in dieser Zeit machen könnten. Wer näm-lich nicht willens oder in der Lage ist, bildlich gespro-chen das Gerüst der transatlantischen Waagschalen mitzu definieren, der muss zwangsläufig an der Gegenge-wichtsstrategie scheitern.
– Gleichgewicht wäre insoweit begrüßenswert, HerrKollege, als es ergänzend und nicht konkurrierend statt-findet.
Es geht dabei auch weniger um die Frage, wie wireine amerikanische Supermacht verhindern, sonderneher darum, wie wir mit dem Faktum umgehen, dassATkSnSDPdmapsdzAdnnistäzgaltkw
as gilt auch für unser Verhältnis zum amerikanischenräsidenten. Da darf man schon fragen, wie abgeschie-en, wie unbeobachtet, wie finster eigentlich der Ort seinuss, an dem auch unser Bundeskanzler einmal offenuf den amerikanischen Präsidenten zugeht.Meine sehr verehrten Damen und Herren, eine Neu-,artiell vielleicht eine Redefinition des transatlanti-chen Verhältnisses, auch und gerade der NATO, erfor-ert neben der notwendigen, heute oft genannten Ergän-ung der militärischen Fähigkeiten auch eine ehrlicheuseinandersetzung mit den Hausaufgaben, die die an-eren bereits gemacht haben. Hier ist unter anderem dieationale Sicherheitsstrategie der Vereinigten Staaten zuennen, die in einigen Punkten sicherlich kritikwürdigt; aber wir können sie nicht auf Begriffe wie Unipolari-t, Unilateralität, einseitiges Hegemonialstreben verkür-en. Wir müssen uns mit den Hausaufgaben, die andereemacht haben, auseinander setzen. Sie sind ein Teil dermerikanischen Realität und damit ein Teil der transat-antischen Realität. Von daher müssen wir über den Sta-us, mit den Fragestellungen zu ringen, hinausgehenönnen und uns mit den Antworten, die andere mittler-eile gegeben haben, auseinander setzen.
Herr Kollege, Sie müssen zum Ende kommen.
Karl-Theodor Freiherr von und zu Guttenberg
CDU/CSU):
Herr Präsident, ich schließe.
Grundsätzlich bin ich dankbar für die große Überein-
timmung. In der Frage der Zukunft der NATO, im Zu-
ammenspiel mit den Amerikanern ist allerdings weni-
er eine erschöpfende Retrospektive denn eine klare
erspektive notwendig.
Herzlichen Dank.
Ich schließe die Aussprache.Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bun-esregierung eingebrachten Gesetzentwurf zu den Proto-ollen vom 26. März 2003 zum Nordatlantikvertrag überen Beitritt der Republik Bulgarien, der Republikstland, der Republik Lettland, der Republik Litauen,
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Präsident Wolfgang ThierseRumäniens, der Slowakischen Republik und der Repu-blik Slowenien, Drucksachen 15/906 und 15/1063.Der Auswärtige Ausschuss empfiehlt auf Drucksache15/1117, den Gesetzentwurf anzunehmen. Ich bitte dieje-nigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zuerheben. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? –Der Gesetzentwurf ist mit den Stimmen des Hauses beiden Gegenstimmen der beiden fraktionslosen Abgeord-neten angenommen.Ich rufe nun die Tagesordnungspunkte 5 a und b so-wie die Zusatzpunkte 2 und 3 auf:5. a) Beratung des Antrags der AbgeordnetenKatherina Reiche, Thomas Rachel, Dr. MariaBöhmer, weiterer Abgeordneter und der Fraktionder CDU/CSUAusbildungsplatzabgabe zerstört Ausbil-dungsmotivation– Drucksache 15/925 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Bildung, Forschung undTechnikfolgenabschätzung
Ausschuss für Wirtschaft und ArbeitAusschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugendb) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesre-gierungBerufsbildungsbericht 2003– Drucksache 15/1000 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Bildung, Forschung undTechnikfolgenabschätzung
Ausschuss für Wirtschaft und ArbeitAusschuss für Familie, Senioren, Frauen und JugendAusschuss für Gesundheit und Soziale SicherungAusschuss für TourismusZP 2 Beratung des Antrags der Abgeordneten WilliBrase, Jörg Tauss, Doris Barnett, weiterer Abge-ordneter und der Fraktion der SPD sowie der Ab-geordneten Grietje Bettin, Dr. Thea Dückert,Volker Beck , weiterer Abgeordneter undder Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜ-NENLasten gerecht verteilen – Mehr Unternehmenfür Ausbildung gewinnen– Drucksache 15/1090 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Bildung, Forschung undTechnikfolgenabschätzung
Ausschuss für Wirtschaft und ArbeitAusschuss für Familie, Senioren, Frauen und JugendZP 3 Beratung des Antrags der Abgeordneten CorneliaPieper, Christoph Hartmann , UlrikeFlach, weiterer Abgeordneter und der Fraktionder FDPAusbildung belohnen statt bestrafen – Ausbil-dungsplätze in Betrieben schaffen statt Warte-schleifen finanzieren– Drucksache 15/1130 –dhK–nlgLDSlParlrrdhSmMbMeaVzAeEedHkdrS
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Katherina ReicheEs kann nicht angehen, dass ein tief greifendes gesell-schafts- und wirtschaftspolitisches Problem zum Scha-den junger Menschen ideologisiert und parteipolitischmissbraucht wird.
Die Pläne der Bundesregierung streuen der Öffent-lichkeit Sand in die Augen. Vom vorgeschlagenen frei-willigen Fonds bis zum angedrohten Zwangsfonds ist esnur ein kleiner Schritt. Die entsprechenden Vorbereitun-gen im BMBF laufen auf Hochtouren. Die Bundesregie-rung droht ganz offen damit. Richtig ist aber, dass jedeweitere Belastung für die Unternehmen das falsche Mit-tel ist; denn jede weitere Belastung wirkt lehrstellenver-nichtend.Welche Antworten hat nun die Bundesregierung? –Zum Beispiel die Aussetzung der Ausbilder-Eignungs-verordnung für fünf Jahre. Das unterstützen wir ganzausdrücklich. Weitere Aktionen erweisen sich aber alsfalsch und untauglich. Ich nenne als Beispiel JUMP plus,über das vor kurzem im Kabinett gesprochen wurde. Essollen 300 Millionen Euro zusätzlich ausgegeben wer-den, um bereits laufende Maßnahmen zu verstetigen undsozusagen am Leben zu erhalten. Aber damit wird keineeinzige neue Lehrstelle geschaffen.Ich nenne weiterhin das Kreditprogramm für Ausbil-dungsbetriebe. Für die Unternehmen sind nicht Kredite,sondern die Senkung der Lohnnebenkosten entschei-dend. Ich nenne ferner das Verbot der Prüfgebühren fürdie Kammern. Auch dadurch ist keine einzige zusätzli-che Lehrstelle zu erwarten.
Zweifelsohne – das möchte ich für unsere Fraktiondeutlich sagen – tragen die Unternehmen eine gesell-schaftspolitische Verantwortung, gerade für die jungeGeneration. Zahlreiche Unternehmen stehen jedoch mitdem Rücken zur Wand. Die Wahrheit ist, dass es einentraurigen Rekord bei den Insolvenzen gibt. Im letztenJahr waren es 38 000 und in diesem Jahr sind es bereits10 000. Nun bekommen die noch existierenden Unter-nehmen weitere finanzielle Belastungen und Bürokratieaufgebürdet. Das verschärft das Insolvenzrisiko; weitereArbeitsplätze und Ausbildungsplätze sind gefährdet.Die derzeitige Ausbildung im dualen System ist be-darfsorientiert. Ein Modell, das sich an der Nachfrageder Schulabgänger orientiert, läuft am Bedarf vorbei.Wer entscheidet denn eigentlich aufgrund welcher Kom-petenz, ab wann eine Zwangsabgabe eingeführt werdensoll? Mit welchem Recht will Frau Bulmahn oder HerrClement ein Unternehmen vor Ort, das um seine Exis-tenz kämpft, und einen Unternehmer, der mit seinemVermögen haftet, bestrafen? Soll die Zwangsabgabe beieiner Lücke von 10 000, von 20 000 oder von 50 000Lehrstellenplätzen eingeführt werden? Welche Quotie-rungen will man denn dann anlegen? Für sämtliche der2,45 Millionen Betriebe mit mindestens einem sozialver-sicherungspflichtig Beschäftigten müsste also die Soll-stärke an Auszubildenden errechnet, die Differenz zurIevsAsePs–n2Rwhgwvzh1fchPsbdHsmFzueütcsbzgdtSoc
Wie viel Geld wird für den bürokratischen Aufwanderloren gehen und was soll mit dem restlichen Geld ge-chehen? Es würden letztlich mehr außerbetrieblicheusbildungsplätze entstehen, die wiederum kaum Be-chäftigungsperspektiven auf dem ersten Arbeitsmarktröffnen. Außerdem ist eine solche Umlage schon in derraxis gescheitert. Sie existiert bereits in der Bauwirt-chaft.
Herr Tauss, die Zahl neuer Ausbildungsverträge isticht höher geworden: Sie sank von 1994 bis zum Jahr002 von 20 000 auf 9 000 und damit proportional zumückgang der Beschäftigten in der Bauwirtschaft.Die Veranstaltung der Unionsfraktion mit 700 Hand-erkern am vergangenen Dienstag war – Herr Tauss, Sieätten kommen sollen – beeindruckend und lehrreich zu-leich: Seit mehr als drei Jahrzehnten bewältigen Hand-erksbetriebe Umsatz- und Ertragsrückgänge. Sie lebenielfach von der Substanz und versuchen dennoch, aus-ubilden und so weit wie möglich ihre Mitarbeiter zualten und sie weiterzubilden. Parallel dazu stehen30 000 Handwerksmeister in der Reserve, die sich so-ort selbstständig machen würden, wenn sie entspre-hende Rahmenbedingungen vorfinden würden. Dasätte eine Katapultwirkung auch für Lehrstellen. Diesesotenzial sollten wir erschließen. Die jetzige Situationollte nicht durch ausgeklügelte Stufenmodelle und Aus-ildungsplatzabgaben verschärft werden. Eine Ausbil-ungsplatzabgabe führt dazu, dass die Verantwortung iminblick auf die berufliche Ausbildung von der Wirt-chaft auf den Staat überginge. Weniger betriebliche undehr außerbetriebliche Ausbildungsplätze wären dieolge.Sie als Bundesregierung sind aufgefordert, einen Wegur Sicherung eines ausreichenden Lehrstellenangebotesnd zur Stärkung des ersten Ausbildungsmarktes überine Modernisierung der Ausbildungsordnungen,
ber eine wachstumsorientierte Steuer- und Finanzpoli-ik sowie über die Senkung der Lohnnebenkosten zu su-hen. Ein erster Schritt wäre es, die Mittel des erfolglo-en JUMP-Programms, die immerhin 1 Milliarde Euroetragen, direkt zur Senkung der Lohnnebenkosten ein-usetzen, um ausbildende Betriebe zu entlasten.
Wir haben in unserem Antrag notwendige Wege auf-ezeigt: zum Beispiel eine Novelle zum Berufsbil-ungsgesetz. Schaffen Sie eine international ausgerich-ete berufliche Bildung, die aus Modulen besteht!chaffen Sie theoriegeminderte Berufe für Jugendlichehne Schulabschluss bzw. für benachteiligte Jugendli-he! Fördern Sie die Verbundausbildung im Handwerk
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Katherina Reicheund bei kleinen Unternehmen und heben Sie dieSchwelle für den besonderen Kündigungsschutz auf20 Beschäftigte bei Neueinstellungen an!Das Vertrauen sowie die Verlässlichkeit von Politikmüssen wiederhergestellt werden. Die Drohung mit ei-ner weiteren Abgabe, mit einer weiteren bürokratischenHürde ist ein zusätzlicher Beitrag zur Verunsicherungder Unternehmen. Der richtige Weg wäre, Mut und Ri-siko zu belohnen. Nur so können Sie die fehlenden Lehr-stellen auffüllen und ersetzen.Vielen Dank.
Das Wort hat nun Bundesministerin EdelgardBulmahn.
Edelgard Bulmahn, Bundesministerin für Bildungund Forschung:Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrtenHerren und Damen! Die aktuelle Ausbildungssituationgibt Anlass zu wirklich sehr großer Sorge. Was ich aller-dings bei Ihnen, Frau Reiche, und in den Anträgen derOpposition vermisse, ist ein konkreter Vorschlag, wiewir vorgehen sollen und was wir verändern sollen.
In Ihren Anträgen steht nicht ein einziger neuer Vor-schlag. Sie beinhalten vielmehr die Aufzählung dessen,was wir seit mehreren Jahren tun. Es freut mich, dass Siedas, was wir tun, so ausdrücklich unterstützen und fürrichtig halten. Nur, ich vermisse einen einzigen neuenkonkreten Vorschlag.
– Auch Ihr Vorschlag, Frau Pieper, bezüglich einer Aus-bildungsbeihilfe von 3 500 Euro ist nichts Neues. Wirgehen so seit Jahren in den neuen Bundesländern vor –nur, ohne wirksame Effekte. Das ist doch das Problem.
Deswegen bitte ich die Opposition, nicht zu schlafen,sondern zur Kenntnis zu nehmen, was bereits durchausmit Erfolg geschieht, was aber nicht verhindert hat, dasswir in diesem Jahr wieder eine sehr ernsthafte, bedrohli-che Situation haben.JNnmIluehWwßdgAewn–lWl6bDgddQgSjcinnt
Ein nächster Punkt. Ich sage ausdrücklich: In diesemahr haben wir eine sehr ernsthafte Situation.
ur, ich erwarte von einem Abgeordneten – auch von Ih-en, Herr Kollege –, dass er ein Gedächtnis hat, das zu-indest vier Jahre zurückreicht.
m Jahre 1998 hatten wir eine gleich große Ausbildungs-ücke. Die jetzige Bundesregierung und die Koalitionnterscheiden sich von Ihnen dadurch, dass wir nichtinfach zusehen, so wie Sie es in den 90er-Jahren getanaben.
ir handeln vielmehr. Das werden wir in diesem Jahr soie auch in den vergangenen Jahren wieder tun.Zum jetzigen Zeitpunkt ist die Lücke um 50 000 grö-er als im letzten Jahr. Wir verharmlosen dies nicht, son-ern haben nach vielen Vorgesprächen und Verhandlun-en, die sich über mehrere Monate hinzogen, eineusbildungsoffensive gestartet – eine solche Offensiventsteht ja nicht aus dem Nichts –, mit der wir erreichenollen, dass am Ende dieses Jahres alle Jugendlichen ei-en Ausbildungsplatz erhalten.
Das ist unser Ziel, darum geht es.Keine Bundesregierung – darauf weise ich ausdrück-ich hin – und im Übrigen auch keine Opposition, keinirtschaftsverband und keine Gewerkschaft darf es zu-assen, dass Zehntausende von Jugendlichen – es sind0 000, 70 000, 80 000 – ohne Ausbildungsplatz blei-en.
as können wir nicht hinnehmen. Deshalb muss es unsemeinsam gelingen, eine Änderung herbeizuführen.Das Nachfrageverhalten der Jugendlichen hat sichurchaus verändert. Sie haben sich in den Vorjahreneutlich flexibler verhalten und sich auch für alternativeualifizierungswege entschieden. Nach wie vor gibt esroße regionale Unterschiede. Besonders kritisch ist dieituation in Ostdeutschland – trotz der Prämie, die Sieetzt wieder fordern. Deshalb haben wir vor zwei Wo-hen wieder mit den Ländern einen Vertrag geschlossen,n dessen Rahmen die Bundesregierung 14 000 betriebs-ahe Ausbildungsplätze mit rund 95 Millionen Euro fi-anziert.Liebe Kolleginnen und Kollegen, in der aktuellen Si-uation kann die Gewinnung neuer Ausbildungsplätze
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Bundesministerin Edelgard Bulmahnnur durch entschlossenes und gemeinsames Handeln ge-lingen. Um gemeinsam mit den Sozialpartnern diesesZiel zu erreichen, haben wir die Ausbildungsoffensivegestartet. Wir wollen mit dieser Offensive mehr Betriebefür Ausbildung gewinnen, aber auch für zusätzlicheAusbildungsplätze in den Betrieben sorgen, die bereitsausbilden.Zusätzlich zu dem unterzeichneten Ausbildungsplatz-programm Ost öffnen wir im Rahmen der Ausbildungs-platzoffensive das Programm „Kapital für Arbeit“ auchfür neue Ausbildungsplätze. Mit JUMP plus schaffen wirneue Qualifizierungs- und Beschäftigungsangebote für100 000 Sozialhilfeempfänger zwischen 15 und 25 Jah-ren.
Wir haben außerdem die Berufsausbildungsvorbereitungin das Berufsbildungsgesetz integriert, um die Ausbil-dungschancen von schwer vermittelbaren Jugendlichenzu erleichtern. Diesem Ziel dient auch ein neues Systemvon Qualifizierungsbausteinen, die wir zurzeit gemein-sam mit den Sozialpartnern entwickeln. Schließlich wirddie Ausbilder-Eignungsverordnung für fünf Jahre ausge-setzt. Damit machen wir den Weg frei, dass deutlichmehr Betriebe ausbilden können.Die Ausbildungsoffensive 2003 gibt uns die Chance,meine sehr geehrten Herren und Damen, nicht nur kurz-fristig eine Kehrtwende bei der verschlechterten Ausbil-dungslage zu erreichen, sondern auch langfristig ge-meinsame Wege zur strukturellen Verbesserung desdualen Ausbildungssystems einzuschlagen. Jetzt kommtes allerdings ganz entscheidend darauf an, dass auch dieUnternehmen ihrer Verantwortung gerecht werden undsicherstellen, dass kein Jugendlicher ohne ein Ausbil-dungsplatzangebot bleibt.
Wenn alle Unternehmen für ihren Bedarf ausbildeten,dann gäbe es in Deutschland kein Ausbildungsplatzpro-blem. Tatsächlich bilden in Deutschland weniger als30 Prozent aller Unternehmen überhaupt aus. Das heißtim Umkehrschluss: Mehr als 70 Prozent aller Unterneh-men entziehen sich ihrer sozialen und übrigens auchökonomischen Verantwortung; denn diese Betriebe ver-weigern sich der Aufgabe, selbst für qualifizierte Fach-kräfte zu sorgen. Qualifizierte Fachkräfte aber fallen nuneinmal nicht vom Himmel.
Unternehmen müssen sie ausbilden; darauf sind letztlichalle Unternehmen angewiesen.Daher sage ich erneut klipp und klar: Wir werden unsnicht damit abfinden, dass sich mehr als 70 Prozent die-ser Aufgabe verweigern. Das ist nicht hinzunehmen,wenn wir wirklich wollen, dass das duale System auch inZukunft eine bedeutende Funktion hat und gewährleis-tet, dass zwei Drittel aller Jugendlichen ausgebildet wer-den.u1dheDlfakddevawdanbdnbnSlili1rjeebwZicskdissFsd
enn lassen Sie es mich klar sagen: Ausbildung ist eineohnende Investition in die Zukunft für alle Betriebe undür unsere Gesellschaft insgesamt. Das sagt im Übrigenuch der Deutsche Industrie- und Handelskammertaglipp und klar: In der Regel ist es teurer, Fachkräfte überen Arbeitsmarkt zu rekrutieren, als den Fachkräftebe-arf durch eigene Ausbildung zu decken.Ich hoffe also, liebe Kolleginnen und Kollegen, dasss uns durch die verabredeten und eingeleiteten Initiati-en gelingen wird, bis zum Jahr 2003 eine bundesweitusgeglichene Ausbildungsplatzbilanz zu erreichen. Dasird nur gelingen, wenn sich die Unternehmen selbsteutlich stärker engagieren. Bleibt dieses Engagementus, sind die Verbände der Wirtschaft aufgefordert, ei-en realistischen Vorschlag vorzulegen, wie dieses Zielis zum Ende dieses Jahres erreicht werden kann.Ich stelle lobend heraus, dass es einen Verband gibt,er diese Aufgabe wirklich ernst nimmt und ernst ge-ommen hat. In Niedersachsen hat der Arbeitgeberver-and Metall mit der IG Metall in der letzten Woche ei-en Tarifvertrag abgeschlossen, in dem sie auf der eineneite die Zahl der Ausbildungsplätze noch einmal deut-ch erhöhen und auf der anderen Seite erklären, zusätz-ch 1 Million Euro bereitzustellen, um das Ziel von0 Prozent mehr Ausbildungsplätzen tatsächlich zu er-eichen.
Ich wünsche mir, dass jeder Verband, jede Branche,de Region in unserem Lande diese Aufgabe genausornst nimmt und deutliche Signale gibt, dass ihnen Aus-ildung wichtig ist. Wäre dies der Fall, dann müsstenir hier im Bundestag nicht überlegen, wie wir diesesiel erreichen können. Wir tun das Unsere dafür, aberh sage ausdrücklich: Die Wirtschaft und die Gewerk-chaften müssen ebenfalls das Ihrige dazu tun; sonstönnen wir das Ziel nicht erreichen.
Wichtig ist dabei im Übrigen immer, so wie das inem angesprochenen Tarifvertrag auch gemacht wordent, dass der Vorschlag verbindlich und umsetzbar sowieeine Realisierung nachprüfbar ist. Sollte das nicht derall sein, wird die Bundesregierung geeignete, auch ge-etzgeberische Maßnahmen ergreifen müssen. Das hater Bundeskanzler bereits im März angekündigt.
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Bundesministerin Edelgard BulmahnAn dieser Stelle unterstreiche ich allerdings auch aus-drücklich: Solche freiwilligen Vereinbarungen, wie siein Niedersachsen geschlossen worden sind, müssen undsollten unserer Meinung nach Vorrang haben. Das Enga-gement, die Mühe und die Initiative jedes Einzelnenhierzu lohnen sich also.
Eine gesetzliche Regelung ist sicherlich das letzteMittel,
ein letztes Mittel, das sich erübrigt, wenn die Wirtschaftihrer Ausbildungsverantwortung nachkommt und ihreeigene Zukunftssicherung energisch vorantreibt. Des-halb ist es auch verfrüht, hier und heute über die Ausge-staltung einer möglichen gesetzlichen Regelung zu spe-kulieren.
Jedem sollte aber klar sein, dass in keinem Fall diejeni-gen Unternehmen von einer solchen Regelung profitier-ten, die bis heute und in der Vergangenheit ihrer Auf-gabe und ihrer Verantwortung in Bezug auf dieAusbildung nicht nachgekommen sind. Das ist ein klaresKriterium, das in einer solchen gesetzlichen Regelungauch berücksichtigt werden wird.
Mit anderen Worten: Wer heute nicht oder mit Blick aufden eigenen Fachkräftebedarf nur unzureichend ausbil-det, kann morgen nicht darauf hoffen, Zuschüsse fürdann eingestellte Auszubildende zu kassieren.
Wer so kalkuliert, handelt kurzsichtig und wird seinerVerantwortung nicht gerecht.Ich sage es noch einmal ganz deutlich: Wenn dieWirtschaft in diesem Jahr ihrer Ausbildungsverantwor-tung nachkommt – das hoffe ich –, dann wird es auchkeine gesetzliche Regelung geben. Wenn sie ihr nichtnachkommt, müssen wir eine solche Regelung treffen.Ich gebe auch denjenigen Kolleginnen und KollegenRecht, die sich hier sehr kritisch geäußert haben: Es isteigentlich eine Schande, dass wir dann zu solchen Mit-teln greifen müssen. Aber es ist auch eine Schande,wenn diejenigen Unternehmen, die nicht ausbilden – essind viel zu viele –, ihrer Verantwortung nicht nachkom-men.
Frau Ministerin, Sie müssen bitte zum Ende kommen.
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Nun hat Kollegin Cornelia Pieper, FDP-Fraktion, das
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Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Sehr ge-hrter Herr Tauss! Am 1. August beginnt das neue Aus-ildungsjahr. Es sind gerade noch zwei Monate bis da-in. Die Lage auf dem Arbeits- und Ausbildungsmarktn Deutschland ist dramatisch und gibt Anlass zu größterorge. Die rechnerische Lücke zwischen Ausbildungs-ngebot und -nachfrage beträgt im April mehr als60 000 Plätze. Selbst der DGB rechnet im Berufsbil-ungsbericht bis zum Sommer noch mit einem echtenehlbestand von 80 000 Plätzen.Frau Ministerin, ich will Sie einmal darauf hinweisen,ass es selbst 1998, unter der alten Bundesregierung – dast der Vergleich, mit dem Sie immer agieren –, ineutschland 44 189 Ausbildungsplätze mehr gab – ohneUMP-Programm.
itte lassen Sie doch diese Fehlinformationen! Wir kom-en mit diesen Zahlenspielereien hier nicht weiter. Dasann man den Menschen draußen, den Jugendlichen, dieinen Ausbildungsplatz suchen, nicht erklären.Ich sage Ihnen ganz klar: Die Schelte gegenüber derirtschaft, gegenüber den kleinen und mittelständischennternehmen hilft nicht. Sie haben die kleinen und mit-elständischen Unternehmen in Deutschland mit mehrteuern und Abgaben belastet.
Das ist unser Grundproblem!Meine Damen und Herren, ich frage mich manchmal,b Sie verinnerlicht haben, wie ein Arbeits- oder Ausbil-ungsplatz überhaupt entsteht. Er fällt doch nicht vomimmel. Da entstehen Kosten. Da braucht man wirt-chaftliche Dynamik. Die kleinen Firmen brauchen Auf-räge, damit Arbeits- und Ausbildungsplätze entstehenönnen.
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Cornelia Pieper
Sie können den Ausbildungsplatzmangel, die drama-tische Situation, in der wir uns jetzt befinden, nicht al-lein mit einer anderen Bildungspolitik beheben. DasGrundübel in Deutschland ist die falsche Wirtschafts-und Finanzpolitik der Bundesregierung.
Das Einzige, was Ihnen noch einfällt, ist das Patentre-zept der Ausbildungsplatzabgabe.
Da kann ich nur sagen: Gute Nacht, Deutschland! Dannwird alles noch schlimmer. Noch eine Abgabe mehr wirdder Wirtschaft aufgehalst. Das wird garantiert nicht mehrAusbildungs- und Arbeitsplätze bringen.Der Meisterbrief, der die Garantie dafür ist, dass Aus-bildung im Handwerk stattfindet, soll aufgeweicht wer-den. Auch das ist keine Maßnahme, um Ausbildung zusichern.
Auch hier wollen wir dem Handwerk die Treue haltenund für den Meisterbrief kämpfen. Keine Frage!Längst hätte die Koalition konkrete Schritte zur Diffe-renzierung und vor allem zur Verkürzung der Ausbil-dungszeiten tun können. Längst hätten Sie, Frau Minis-terin, die Möglichkeit gehabt, das Berufsbildungsgesetzzu novellieren. Wir fordern das schon seit langem.
– Herr Tauss, da Sie nur ein Kurzzeitgedächtnis haben,darf ich Sie daran erinnern, dass wir schon lange eineModularisierung, eine größere Differenzierung und Fle-xibilisierung der Berufsausbildung fordern.
Wir wollen Grundberufe mit geminderten Theorieanfor-derungen. Wir wollen, dass man mit Qualifizierungsbau-steinen darauf aufbauen kann. Das wäre eine wichtigeReform, um in Deutschland Ausbildungsplätze zu schaf-fen.
Sie werden eine verfehlte Wirtschafts- und Finanzpo-litik nicht durch neue bürokratische, staatlich orientierteProgramme wettmachen können. Das sage ich Ihnenganz deutlich für die FDP-Fraktion. Ich habe noch heutefrüh mit einem Unternehmer gesprochen, der mir gesagthat: Wir müssen von dieser Bürokratielast befreit wer-den, gerade auch bei den Ausbildungsplätzen. Er hat mirerzählt, dass er noch jetzt wegen eines Ausbildungsplat-zes von 1998 bis 2000 eine versicherungsrechtlicheÜberprüfung durch die LVA am Hals hat. Das muss mansich einmal vorstellen. Wo leben wir denn? Endlich wegmatfEAeimswklegzmrrgDEDsdGIfmgWdWwsmMdliGdc
Meine Damen und Herren von der Regierungskoali-ion, Ihr JUMP-Programm mit 1,1 Milliarden Euro Um-ang hat nichts gebracht.
s hat nicht dazu geführt, dass junge Menschen auf denrbeitsmarkt zurückkehren können. Im Gegenteil: Siengagieren sich wieder auf dem zweiten Arbeitsmarkt, Bereich der Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen. Diestellt doch eine Spirale abwärts und keinen Weg auf-ärts zum Sprung in den Arbeitsmarkt dar. Deswegenritisieren wir auch diese Maßnahme, nicht in allen Tei-n, aber in vielen. Wir sind der Auffassung, dass manerade auch in die Betriebe investieren und sie unterstüt-en muss, damit Ausbildungsplätze entstehen.
Seit Ihrer Regierungsübernahme machen Sie eineittelstandsfeindliche Politik. Sie haben das Steuer-echt immer noch nicht vereinfacht, Sie haben es nichteformiert. Immer noch werden Personengesellschaftenegenüber Aktiengesellschaften ungerecht behandelt.ie Rentenversicherungsbeiträge steigen trotz derinführung der Ökosteuer. Ich erinnere an Folgendes:ie Grünen wollten durch die Ökosteuer die Rentenver-icherungsbeiträge senken; das war die Begründung füriese unsinnige Steuer in Deutschland. Wir erleben dasegenteil.
ch möchte in diesem Zusammenhang an die verschla-ene Gesundheitsstrukturreform und vieles andereehr erinnern.
Ich höre zum Thema Ausbildungsabgabe von derrünen Fraktionschefin Krista Sager folgende Worte:enn man merkt, dass sich die Wirtschaft nicht rührt,ann sollte man auch die Folterinstrumente vorzeigen.
o leben wir denn? Wir leben in einer sozialen Markt-irtschaft und nicht in einer Diktatur, in der man Selbst-tändigen, die Eigeninitiative zeigen, mit Folterinstru-enten droht.
Die Grünen schlagen vor – O-Ton Thea Dückert undinister Trittin –, eine Stiftung für betriebliche Bil-ungschancen einzurichten. Die Stiftung solle verbind-che Zusagen für einen Kapitalaufbau bekommen. Deresetzgeber solle Mindestanforderungen definieren,urch die alle Unternehmen an den Kosten der betriebli-hen Ausbildung beteiligt würden. Nach Berechnung der
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Cornelia PieperGrünen seien 0,3 Prozent der Lohn- und Gehaltssummevon Unternehmen notwendig, um die Nettokosten fürrund 700 000 Lehrstellen pro Jahr aufzubringen. WissenSie, was das ist? Diese Ausbildungsumlage ist ein Ta-schenspielertrick. Damit werden die Lohnnebenkostennoch einmal erhöht und die kleinen Betriebe noch mehrkaputtgemacht.
Das ist nicht die Politik, die wir als liberale Mittelstands-und Bildungspartei vertreten. Das sage ich hier ganzdeutlich.
Das Recht auf Bildung ist nach unserer Auffassungein grundlegender Bestandteil der Menschenrechte. Esist für uns ein Freiheitsthema. Jeder junge Mensch mussdie Chance bekommen, durch eine gute Ausbildung inden Arbeitsmarkt einzusteigen.
– Das haben Sie nur nicht verinnerlicht. – Weil das so ist,weil wir in einer Notsituation sind und weil Sie die Re-form verschlafen haben, haben wir einen Alternativvor-schlag eingebracht: die Gelder des JUMP-Programms ineine Ausbildungsprämie von 3 500 Euro einfließen zulassen. Das sind die Kosten für einen Ausbildungsplatzin den ersten fünf Monaten in kleinen mittelständischenUnternehmen.
Diesen Vorschlag haben wir mit dem Deutschen Indus-trie- und Handelskammertag, DIHK, erarbeitet.Die Notsituation in diesem Bereich haben Sie herbei-geführt. Wir wären heute gar nicht gezwungen, solch einProgramm zu initiieren, wenn Sie diese Notsituationnicht herbeigeführt hätten.
Die Ausbildungsprämie ist für dieses Jahr ein geeigneterWeg. Sie ist keine Lösung für die Zukunft. Wir braucheneine andere Wirtschafts-, Finanz- und Steuerpolitik,
aber vor allen Dingen brauchen wir in Zukunft wohl eineandere Bundesregierung, weil diese Bundesregierungnicht in der Lage ist, die Herausforderungen anzuneh-men und die Probleme dieses Landes zu lösen.Vielen Dank.
Das Wort hat jetzt die Kollegin Grietje Bettin von
Bündnis 90/Die Grünen.
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as fordern Sie eigentlich: Regulierung oder Deregulie-ung?
ie hatten viele Jahre Zeit zu Reformen, zum Beispielur Reform des Berufsbildungsgesetzes. Wir packen dasun endlich an.
ch denke, Sie sollten uns dabei unterstützen.
Alle meine Vorrednerinnen und Vorredner haben esngesprochen: Die aktuelle Situation am Ausbildungs-arkt ist beängstigend. Tausende junger Menschen, dieemnächst aus der Schule kommen, stehen beim Zugangn das Ausbildungs- und Berufsleben vor einer riesen-roßen Hürde, die sie allein nicht nehmen können. Ne-en der Politik steht in besonderer Weise die Wirtschaftn der Verantwortung, alle Energie aufzuwenden, um je-er Schulabgänger und jeder Schulabgängerin ein Aus-ildungsplatzangebot unterbreiten zu können.
Knappe Kassen oder die konjunkturelle Krise dürfenicht als pauschale Erklärung und Entschuldigung her-alten. Oberstes gemeinsames Ziel muss es sein, konti-uierlich ein Angebot an betrieblichen Ausbildungsplät-en unterbreiten zu können. Gemeinsam müssen wir derungen Generation eine Perspektive aufzeigen.
ort, wo Ausbildungsplätze trotz aller Bemühungenoch immer fehlen, müssen wir Brücken bauen. Wirrauchen nicht irgendwelche Beschäftigungsmaßnah-en, sondern müssen Angebote von Qualifikations-austeinen bereitstellen, mit denen insbesondere be-achteiligte junge Menschen nach und nach eineollwertige Ausbildung erwerben können.Auf Dauer reicht es aber nicht, den jungen Menschenrsatzmaßnahmen anzubieten, mit denen sie am Endeie Hürde ins Berufsleben doch nicht nehmen können.s kann grundsätzlich nicht sinnvoll sein, dass die Kos-en der beruflichen Bildung zunehmend vom Staat über-ommen werden.
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Grietje BettinStaatliche Mittel sind stark begrenzt. Sie müssen – PISAhat das gezeigt – vor allem für vorschulische und schu-lische Bildung verwendet werden. Davon profitiert derEinzelne, ebenso profitieren davon aber auch die Unter-nehmer und Unternehmerinnen. Das weltweit hoch ge-lobte duale System lebt davon, dass die Ausbildung imBetrieb stattfindet, also praxisbezogen und anwendungs-orientiert ausgelegt ist.Vor dem Hintergrund der Lage am Ausbildungsmarktist die Schaffung einer von der Konjunktur unabhängi-gen Ausbildungsstruktur unser zentrales Ziel. In einemHörfunkinterview hat BDI-Präsident MichaelRogowski die Notwendigkeit anerkannt, dass „wir einenWeg finden müssen, um diejenigen, die nicht ausbilden,zur Ausbildung zu bewegen.“Welchen Weg schlagen Sie, liebe Kolleginnen undKollegen von der CDU, dazu vor? In Ihrem Antrag ge-hen Sie über diese Frage wortlos hinweg. Die FDPschlägt eine Prämie für neue Ausbildungsplätze vor.
Hier ist die Wirtschaft schon viel weiter. Der Präsidentdes DIHK spricht davon, dass eine Ablösesumme fälligwerden könnte, die von nicht ausbildenden Betrieben anausbildende Betriebe gezahlt werden müsse. Klar ist:Wenn die Wirtschaft nicht eigenständig ihren Ausbil-dungspflichten nachkommt, muss auf andere Weise eingerechter Mechanismus geschaffen werden. Aus diesemGrund haben wir Grüne das Stiftungsmodell entwickelt,das schon angesprochen wurde. Dieses Modell könnteein Weg sein, um Ungerechtigkeit zwischen ausbilden-den und nicht ausbildenden Betrieben zu beseitigen.
Die Zustimmung des BDI-Präsidenten zu einem sol-chen verpflichtenden Ausbildungsfonds ist ermuti-gend. Nach den einsichtigen Worten erwarten wir Taten.Bis zum Herbst müssen die Arbeitgeber ein umsetzungs-fähiges Konzept vorlegen; denn nicht nur die Politik,auch sie tragen ein hohes Maß an gesellschaftlicher undsozialer Verantwortung. Vor allem aber sind hohe Aus-bildungszahlen und Standards Voraussetzung für Wett-bewerbsfähigkeit und betrieblichen Erfolg. Es geht alsoauch um die ureigenen Interessen der Unternehmerschaftselbst.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir erwarten, dassdie Wirtschaft aus eigener Kraft bereit ist, den Ausbil-dungsplatzmangel zu beheben. Weder der Zeitpunktnoch die Lage am Ausbildungsmarkt lassen es zu, dasswir uns hinhalten lassen. Sichtbare und nachvollziehbareSchritte müssen seitens der Wirtschaft in Gang gesetztwerden. In dieser Frage dürfen sich alle Unternehmens-verbände der Unterstützung durch die Politik sicher sein.Wir wollen aber auch Ergebnisse sehen. Deshalb werdenwir bei Nichterreichen dieses Ziels zu Mitteln dergesetzlichen Verpflichtung greifen müssen. Das sindwspHmsfdvrSNaddInsRJnhHnswgtüv
Das Wort hat jetzt der Kollege Werner Lensing von
er CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Deron der Bundesregierung vorgelegte Berufsbildungsbe-icht 2003 geht an der aktuellen Realität völlig vorbei.
elbst die Realität wirkt irreal.
Wem nützt dieser Bericht eigentlich?
ach gründlichem Studium bin ich der Meinung, dass erllenfalls der Druckerei nützt, in der dieser Bericht ge-ruckt wurde. Ich hoffe, zumindest dadurch wurden iniesem Betrieb Ausbildungsplätze geschaffen. Ich willhnen diese kesse Bemerkung erläutern und begründen.
Gegenüber dem Vorjahr ist ein Rückgang der Zahl dereu abgeschlossenen Ausbildungsverträge um insge-amt 42 000 zu verzeichnen. Dies entspricht einemückgang von etwa 6,8 Prozent.
etzt kommt es aber: Ende September 2002 hieß es: Nuroch 4 Prozent fehlen, um allen Lehrstellensuchendenelfen zu können.
ört sich das nicht eigentlich gut an? – Ist es aber garicht; denn die Zahlen vom September 2002 sind inzwi-chen haltlos veraltet. Sie sind Schnee von gestern, dabeiartet draußen ein heißer Sommer auf uns alle. Hierbeieht es nicht um den heißen Sommer des DGB; der war-et nur auf den Kanzler.Im Ausbildungsjahr 2003/2004 fehlen inzwischenber 171 000 Lehrstellen; Frau Reiche hat bereits darauferwiesen. Ich muss es noch einmal sagen und ich sage
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Werner Lensinges nicht mit Schadenfreude, sondern mit Traurigkeit:Das ist der höchste Wert seit 1998.
Die Lehrstellenlücke hat sich damit um weitere 10 000vergrößert. Der Rückgang der Zahl der betrieblichenLehrstellen beträgt im Vergleich zum Vorjahresmonat11,5 Prozent. Dazu sind 1,3 Millionen Menschen zwi-schen 20 und 29 Jahren berufslos. Ende März waren561 800 Arbeitslose jünger als 25. Das sind 56 700 mehrals vor einem Jahr.
In dieser verhängnisvollen Situation dürfte die Zahlwirklich unnützer rot-grüner Reformvorschläge inzwi-schen an die Hunderte reichen, während neue Haus-haltslöcher von der Presse und der Öffentlichkeit nurnoch wahrgenommen werden – und das natürlich auchnur nebulös –, wenn sie mindestens eine mehrstelligeMilliardenhöhe erreichen. Insofern stimmt es, wenn mansagt: Die desaströse Wirtschafts- und Arbeitsmarktpoli-tik der Regierung hat den Lehrstellenmarkt inzwischenmit voller Macht und Wucht erreicht.
Genau das ist die Wurzel allen Übels.
Frau Ministerin, solange Sie dies nicht begreifen, wirdsich die Lage am Lehrstellenmarkt bedauerlicherweiseauch weiterhin dramatisch verschlechtern.
Frau Ingrid Sehrbrock, – sie ist immerhin Mitgliedim DGB-Vorstand –, hat am 3. April in Berlin erklärt:Die Lücke hat sich seit Februar also um rund30 000 fehlende Ausbildungsplätze vergrößert.Diese Entwicklung ist dramatisch und es mussschnell gegengesteuert werden.
Recht hat sie: Es muss sich etwas ändern, und zwar so-fort.
Das Handwerk und der Mittelstand haben in denvergangenen Jahren die größte Last übernommen. Dafürgebührt ihnen unser aller Dank.
Doch, das sage ich hier auch sehr deutlich: So mancheGroßunternehmer haben sich dieser Ausbildungsver-antwortung leider entzogen.
Diese haben in besseren Zeiten just an dem Ast gesägt,auf dem sie heute selbst sitzen.SskD–ncndDnzrSlbietidwVdgdgsnzhnt
ie trifft auch völlig zu Unrecht diejenigen, die trotz al-er persönlichen Bemühungen keinen geeigneten Bewer-er finden. Große Unternehmen hingegen, die sich umhre Verantwortung drücken, lässt eine solche Abgabeher kalt. Mehr Lehrlinge werden sie deswegen garan-iert nicht einstellen.
Das Geld, das sie zu zahlen haben, fließt bestenfallsn die überbetriebliche Ausbildung,
ie nicht die beste ist. Die Handwerker schauen dannieder in die Röhre. Die Ausbildung zu einer staatlicheneranstaltung zu machen ist das Gegenteil von dem, wasas duale Ausbildungssystem zu seinem tollen Erfolgebracht hat.
Wir wollen das noch einmal im Klartext sagen: Durchie geplante Ausbildungsabgabe werden die Anstren-ungen der deutschen Wirtschaft, speziell des Mittel-tandes und damit auch des Handwerks, in diesem Jahroch eine möglichst hohe Zahl an Ausbildungsplätzenur Verfügung zu stellen, geradezu konterkariert und er-eblich behindert.
Allein schon die zynische – ich kann sie wirklichicht anders nennen – Ankündigung der Regierungsfrak-ionen, diese umstrittene Zwangsabgabe, die von
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Werner LensingSchröder, als er noch Ministerpräsident in Niedersach-sen war, zu Recht durchgehend vehement abgelehntworden war, nun ausschließlich „zum Wohle der Wirt-schaft“ erheben zu wollen,
belastet die kritische Ausbildungssituation in diesemJahr und in Ihrer Verantwortung zusätzlich.
Im Ergebnis ist diese Zwangsabgabe nichts anderesals ein Schritt hin zur Verstaatlichung der Ausbildung.
Es ist immer wieder das Gleiche: umverteilen undgleichzeitig das Niveau senken, mehr Zwang und weni-ger Kreativität. Genau in diese armselige Denkstrukturpasst Ihre Forderung nach Einführung einer Ausbil-dungsplatzabgabe
und nach einer flächendeckenden Reduzierung der Meis-tertitel. Dabei garantiert gerade beispielsweise derMeister die Qualität beruflicher Ausbildung.Frau Minister Bulmahn hat gemeint, sagen zu könnenund zu müssen, dass wir keine eigenen Vorschläge unter-breiten.
Wir haben so viele eigene Vorschläge,
dass Sie, Frau Bulmahn – das ist mein Eindruck –, hier-bei die Übersicht verloren haben. Mir liegt ein Katalogvon mindestens acht konkreten Vorschlägen vor,
die ich unglaublich gerne im Einzelnen hier erläuternmöchte, woran mich aber die Tagesordnung und die Re-dezeitbegrenzung hindern.
Aber drei möchte ich Ihnen nennen.
Herr Kollege Lensing, Ihre Zeit ist aber abgelaufen.
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Das Wort hat jetzt die Kollegin Nicolette Kressl von
er SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kolle-en! Herr Lensing, es wäre schön gewesen, wir hättenenigstens einen Vorschlag und nicht nur nebulöse An-ündigungen von Ihnen gehört.
Wenn die Ausbildungssituation so kritisch ist, wie sieich zurzeit tatsächlich darstellt, dann müssen alle, die iniesem Bereich Verantwortung tragen, diese auchahrnehmen.
as ist nämlich die Voraussetzung dafür, dass jungeenschen tatsächlich Startchancen für ihr Berufslebenekommen.
iese Verantwortung muss auch deshalb wahrgenom-en werden, weil unser wirtschaftliches Wachstum under damit verknüpfte Wohlstand in den nächsten Jahrenavon abhängen wird, ob es auch in 10 oder in 20 Jahrenenügend qualifizierte Menschen gibt, die Ideen entwi-keln, Innovationen auf den Weg bringen und hochwer-ige Güter und Dienstleistungen produzieren. Dafürüssen wir jetzt die Basis legen.
Diese Verantwortung liegt auch bei denen, die poli-isch verantwortlich sind. Sie liegt natürlich besonderstark bei der Wirtschaft. Es kann nicht angehen, dassonseiten der Wirtschaft immer wieder – wie ich finde:u Recht – angemahnt wird, dass die Politik mittelfris-ige und langfristige Perspektiven entwickelt, dass dieirtschaft selbst aber bei der Ausbildung der eigenen
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Nicolette KresslFachkräfte völlig darauf verzichtet, mittelfristig zu den-ken. Das kann doch wirklich nicht wahr sein.
Deshalb halten wir es für so problematisch, dass gegenüberdem Vorjahresmonat 57 000 betriebliche Ausbildungs-stellen weniger gemeldet worden sind und dass der An-teil der ausbildenden Betriebe auf weniger als ein Drittelzurückgegangen ist.Es gibt inzwischen – sicherlich auch wegen der Aus-bildungsoffensive der Bundesregierung – Hoffnungs-schimmer. Dazu gehört zum Beispiel der neue Tarifver-trag für die chemische Industrie wie auch die Initiativedes Metall-Arbeitgeberverbandes Niedersachsen.
Wir unterstützen solche freiwilligen Aktionen, um esganz deutlich zu sagen. Wir werden aber nicht nur zuse-hen dürfen und können, falls sich immer größere Teileder Wirtschaft dieser Aufgabe und dieser Verantwortungnicht stellen. Es geht nicht, dass wir einfach nur zusehen.Sie haben heute den ganzen Morgen gejammert,schlechtgeredet und zugeschaut,
weil Sie von dem profitieren wollen, was sich entwi-ckelt.
Das ist nicht die Übernahme politischer Verantwortung,um es ganz deutlich zu sagen. Hier sind andere Wege ge-fragt.
Es ist deshalb so wichtig, dass wir nicht nur zusehen,weil wir hier über einen Bereich reden, in dem es um dieLebenschancen von jungen Menschen geht, um ihrSelbstwertgefühl, um ihren zukünftigen Platz in der Ge-sellschaft. Wie sollen denn junge Menschen zu diesemStaat, zu dieser Gesellschaft, zu dieser Demokratie ste-hen können, wenn sie erleben, dass wir nicht alle – ichsage bewusst: alle – Maßnahmen ergreifen, um ihnentatsächlich Startchancen geben zu können.
Deshalb haben wir uns entschieden, dass wir, wenn esnicht gelingt, durch freiwillige Vereinbarungen zu einemausreichenden Ausbildungsplatzangebot zu kommen,gesetzliche Regelungen vorlegen werden, um ausbil-dende Betriebe von ihren Kosten zu entlasten. Dies wirddann selbstverständlich von Unternehmen finanziert, diesich an dieser Aufgabe nicht beteiligen.Um auch dies noch einmal deutlich zu sagen: DieserEntscheidung geht eine Vielzahl von Maßnahmen vo-raus, um die Ausbildungsplatzsituation zu verbessern.DrddBsdtsAEdgCgdawFPddmDSpDslsgvwsIn„
in Beispiel: Am 1. August 2002 sind 24 neue Ausbil-ungsordnungen, davon acht zu neuen Berufen, in Kraftetreten – und dieser Prozess ist keineswegs am Ende.Dann schauen wir noch einmal in den Antrag derDU/CSU: Welcher Zynismus und welche Doppelzün-igkeit spricht denn aus diesem Antrag, wenn Sie for-ern, die – erfolgreichen – Programme gegen Jugend-rbeitslosigkeit einzustellen? Gleichzeitig erlebe ich,ie sich sämtliche Kolleginnen und Kollegen aus Ihrerraktion bei Veranstaltungen – manchmal sind es ja inerson die gleichen – darüber beschweren, dass wir beier Bundesanstalt für Arbeit dafür kämpfen mussten,ass die Programme für Berufsvorbereitungsmaßnah-en weitergeführt werden – das haben wir erreicht.
a schimpfen und jammern Sie und gleichzeitig fordernie, das JUMP-Programm abzuschaffen. Das ist wirklichurer Zynismus und pure Doppelzüngigkeit!
as lassen wir Ihnen nicht durchgehen. Sie werden sichchon entscheiden müssen, welchen Weg Sie gehen wol-en. Die sozialdemokratische Fraktion hat sich, wie ge-agt, erfolgreich für den Erhalt dieser Maßnahmen ein-esetzt.Gerade bei diesem Thema erwarten die Menschenon der Politik zu Recht, dass gemeinsame Lösungs-ege gesucht werden, statt zu versuchen, aus der kriti-chen Situation politisches Kapital zu schlagen.
ch finde, Sie sollten diese gemeinsamen Lösungswegeicht ideologisch versperren.
Das muss auch nicht sein. Ich darf kurz aus derFrankfurter Rundschau“ aus dem Jahr 1999 zitieren.
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Nicolette KresslDarin wurde über einen Beschluss berichtet, den die So-zialausschüsse der CDU damals gefasst haben:Es muss einen Lastenausgleich geben zwischenausbildenden und nicht-ausbildenden Betrieben.
Zwar favorisiere die CDA tarifliche Lösungen –falls aber dieser Weg nicht zum Ausgleich führe,müsse auch über gesetzliche Regelungen nachge-dacht werden.
Jetzt hingegen unterstellen Sie uns dirigistische Maß-nahmen, und zwar aus reiner Ideologie.
– Herr Niebel, dass Sie das feststellen, während Sie sichweiterhin massiv für den Schutzwall für die Handwer-kerordnung einsetzen, finde ich Klasse.
Frau Kollegin Kressl, erlauben Sie eine Zwischen-
frage des Kollegen Tauss?
Ja, sehr gerne.
Herr Tauss, bitte.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Kollegin Kressl, nur weil es so schön war:
Könnten Sie noch einmal sagen, wen Sie zitiert haben?
Das war die CDA im Jahr 1999. Um es Ihnen noch et-
was näher zu erläutern, Herr Tauss: Dabei handelt es
sich um die Sozialausschüsse der CDU.
– Nein, das war kein Ortsverband, sondern bundesweit –,
um es Ihnen noch einmal zu erläutern.
Ich kann Sie deshalb nur auffordern: Unterstützen Sie
das Engagement aller, die sich für die Ausbildungsoffen-
sive stark machen! Benutzen Sie die schwierige Situa-
tion nicht für billige Polemik, sondern ziehen Sie mit uns
an einem Strang! Wir finden, die jungen Menschen, die
einen Ausbildungsplatz suchen und darauf warten müs-
sen, haben ein Recht darauf.
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Das Wort hat jetzt der Kollege Uwe Schummer von
er CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Werte Damen! Werte Herren! Im Ja-uar fehlten nach den Angaben der Bundesanstalt fürrbeit 90 000 Ausbildungsplätze für das neue Ausbil-ungsjahr. Im Februar waren es 118 000, im März40 000 und im Mai 171 000. Die Dramatik der Ausbil-ungssituation nimmt von Monat zu Monat weiter zu.Jeder zweite Schulabgänger in diesem Jahr wird vo-aussichtlich keinen betrieblichen Ausbildungsplatz fin-en, sondern eine Ersatzmaßnahme wahrnehmen müs-en. Das heißt, es gibt eine Erosion der betrieblichenualen Ausbildung.Was ist Ihre Reaktion darauf? – Ein Ausbildungsgip-el. Die Minister Clement und Bulmahn luden zu diesemipfel ein. Erstmals seit 1983 war es nicht der Bundes-anzler, sondern die nachgeordneten Ministerien, dieazu einluden. Der Bundeskanzler fehlte. Gerhardchröder ist wie Richard Kimble auf der Flucht vor denrgebnissen seiner Arbeitsmarktpolitik.
Die Zukunftschancen junger Menschen sind für die-en Bundeskanzler eine nachgeordnete Angelegenheitachgeordneter Instanzen. Das ist der Gipfel seiner Ver-ntwortungslosigkeit.
Und es kam von Herzen, lieber Kollege.Es gibt einen sozialdemokratischen Reflex: Hier istin Problem und dort ist eine Steuer. So tanken wir fürie Rente und rauchen für die innere Sicherheit. Dem-ächst heißt es „Trinken für die Gesundheit“ und als Re-ept gegen die Ausbildungskrise gibt es eine Ausbil-ungsplatzabgabe.
Tatsache ist, dass mit 40 000 betrieblichen Insolven-en eine Rekordzahl erreicht wurde. Mit diesen 40 000nsolvenzen wurden mehr als 400 000 Arbeits- undusbildungsplätze vernichtet.
Wenn Sie nicht nur Ihren Kehlkopf, sondern auch denopf nutzen würden, dann könnten Sie auch besser zu-ören.
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3996 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 48. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juni 2003
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Uwe Schummer
Die Ausbildungsschwäche der Betriebe ist ein Spie-gelbild der miserablen wirtschaftlichen Lage, die auchvon Ihrer Steuer- und Abgabenpolitik verursachtwurde.Da wir nur noch wenige Monate bis zum September2003 Zeit haben, möchte ich drei ganz konkrete Vor-schläge – den Rest werden wir nachliefern – machen,über die wir reden sollten.
Erster konkreter Vorschlag: Entlasten wir anteiligBetriebe von Sozialversicherungsbeiträgen für Auszu-bildende. Die Mittel dafür nehmen wir aus dem JUMP-Programm, da es für 70 Prozent der betroffenen Jugend-lichen eine reine Warteschleife ist. Dieses Geld solltebesser in die Unterstützung der betrieblichen Ausbildungfließen.
Bei den kleinen Einkommen von 401 bis 800 Euro ha-ben wir bereits einen solchen Anreiz zur Arbeitsauf-nahme parteiübergreifend beschlossen.
Der Sozialversicherungsbeitrag steigt für die Beschäf-tigten nur langsam an. Nach diesem Vorbild könnten wirauch einen Anreiz für betriebliche Ausbildungsplätzeschaffen. Etwas Ähnliches bei den Arbeitgeberbeiträgenfür Auszubildende zu machen wäre kreativer und intelli-genter, als immer neue Abgaben zu erheben.Zweiter konkreter Vorschlag: Auf einem Ausbil-dungsgipfel sollte mit den Tarifpartnern vereinbart wer-den, dass die Ausbildungsgehälter in den nächsten dreiJahren eingefroren werden. Mit dem gesparten Geldkönnten die Unternehmen zusätzliche Ausbildungsplätzefinanzieren. Im Schnitt liegen die Ausbildungsvergütun-gen in Deutschland zwischen 430 und 800 Euro. Hier isteine Atempause vertretbar, wenn dafür zusätzliche Aus-bildungsplätze geschaffen werden.
Dritter konkreter Vorschlag: Ausbildungsmeister istdas Handwerk. Dort befinden sich über 80 Prozent derAusbildungs- und Arbeitsplätze. Die freie Berufswahl istein Verfassungsrecht. Das Handwerk leistet hierfür einenelementaren Beitrag. Die Handwerksberufe – das ist einPunkt, über den wir noch heute Nachmittag beratenwerden –, die bis zum Dezember 2004 die Ausbildungs-quote der übrigen Wirtschaft massiv übersteigen, er-halten sich so ihren Meisterbrief. Wettbewerb als Instru-ment für unser Gemeinwohl – das wäre klassisch fürsoziale Marktwirtschaft.
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Das Wort hat jetzt die Kollegin Dr. Thea Dückert vom
ündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!ieber Kollege Schummer, mit der Beschreibung der Si-uation haben Sie ja Recht: 140 000 Ausbildungsplätzeerden möglicherweise im Herbst fehlen. Damit dürfenir uns wirklich nicht abfinden. Nur 30 Prozent der Be-riebe bilden aus. In diesem Jahr werden bis jetzt unge-ähr 11 Prozent weniger Ausbildungsplätze angebotenls im letzten Jahr. Das geht nicht. Nur: Das, was Sie an-ieten, lieber Herr Kollege Schummer, stellt Ihnen einrmutszeugnis hoch zehn aus.
ie schlagen vor, die Mittel für das JUMP-Programm zutreichen und dafür andere Angebote zu machen.
as geht aber auf Kosten der Jugendlichen, die imUMP-Programm einen Ausbildungsplatz oder ein An-ebot gefunden haben – schließlich bilden nur0 Prozent der Betriebe aus. Auch diese Jugendlichenaben ein Anrecht auf Hilfe und Ausbildung.
as gilt übrigens genauso für alle anderen Jugendlichenn diesem Land, die die Schule verlassen und in den Ar-eitsmarkt hinein wollen, die sich also ihrer Erwerbsbio-raphie gerade nähern. Vor diesem Hintergrund findech, dass Ihre Vorschläge nicht nur untauglich, sondernuch zynisch sind; denn Sie wollen ausgerechnet dieaßnahmen zur Disposition stellen und sich zur Finan-ierung Ihrer Vorschläge der Programme bedienen – dasollten Sie auch schon in den letzten Jahren; übrigens,rau Pieper, die betreffenden Programme sind vor alleningen in den neuen Bundesländern sehr stark nachge-ragt –, die insbesondere an diejenigen Jugendlichen ge-ichtet sind, die Schwierigkeiten haben, sich dem Ar-
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Dr. Thea Dückertbeitsmarkt zu nähern, weil sie zum Beispiel in derAusbildung Probleme hatten oder sich aus anderenGründen arbeitsmarktfern aufgehalten haben.
Im dualen System – das ist natürlich ein Pfund für dieWirtschaft in Deutschland – haben die Unternehmeneine Ausbildungspflicht. Der Staat kann, zum Beispieldurch JUMP, durch außerbetriebliche Maßnahmen, im-mer nur Second-best-Lösungen anbieten.
Wir müssen sehen, dass die Jugendlichen in die Betriebehineinkommen.
Deswegen sage ich hier ganz deutlich: Wenn die Unter-nehmen in diesem Sommer dieser Verpflichtung nichtnachkommen, weil sie nicht können oder nicht wollen,
dann werden wir gesetzlich eingreifen müssen und dieUnternehmen in die Pflicht nehmen müssen. Das gebie-tet uns das Recht der Jugendlichen auf Ausbildung.
Die Ministerin hat gesagt, dass 500 000 Betriebe nochausbilden könnten. Wenn wir nur die Hälfte dieser Be-triebe erreichen könnten, hätten wir in diesem Jahr dasProblem schon gelöst.Ich will noch einmal auf das zurückkommen, was Siein Wahrheit vorschlagen. In Ihrem Antrag steht, dass SieJUMP streichen und die 1 Milliarde Euro zur Senkungder Lohnnebenkosten benutzen wollen. Haben Sie ei-gentlich einmal ausgerechnet, Frau Reiche, wie hoch derEffekt wäre? Dadurch würde eine Senkung der Lohnne-benkosten um maximal 0,1 Prozentpunkte erreicht.
Sagen Sie einmal ganz im Ernst – denken Sie dabei anIhren eigenen Betrieb –: Sind Sie wirklich der Auffas-sung, dass wir die Probleme auf dem Ausbildungsplatz-markt in diesem Jahr lösen können, wenn wir JUMPstreichen, also die jungen Leute in die Wüste schicken,um dafür die Lohnnebenkosten um 0,1 Prozentpunkte zusenken? Erklären Sie mir in diesem Zusammenhang – –
Frau Kollegin Dückert, ich muss einmal dazwischen-
gehen. Erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kollegen
Kretschmer?
Ja, wenn ich meinen Satz zu Ende geführt habe.
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rau Reiche, so wird doch kein Schuh daraus.
Man erkennt, was Sie wirklich verfolgen. Sie haben
berhaupt kein Interesse daran, Jugendlichen, die ausbil-
ungsfern sind, ein Angebot zu machen. Das ist die Rea-
ität.
Herr Kretschmer, bitte schön.
Vielen Dank, Herr Präsident. – Frau Kollegin, Sie ha-
en gerade gesagt, die Unternehmen könnten oder woll-
en nicht ausbilden. Wir möchten von Ihnen doch gern
issen, was denn nun Ihrer Meinung nach zutrifft. Es ist
ämlich ein großer Unterschied zwischen Können und
ollen.
Wir stehen auf dem Standpunkt, dass die Unterneh-
en nicht können – wegen Ihrer verfehlten Wirtschafts-
olitik,
egen der 5 Millionen Arbeitslosen, wegen der Situa-
ion im Handwerk, wegen rückgängiger Umsätze, wegen
0 000 Unternehmenspleiten im Jahr. 40 000 Unterneh-
en bilden nicht mehr aus, aus welchen Gründen auch
mmer. Es gibt eine Ausbildungslücke. Sie ist jetzt auch
n großem Maß in den alten Ländern entstanden. Die
ungen Leute aus meiner Heimat, aus den neuen Bundes-
ändern, sind ja bisher immer in die alten Bundesländer
egangen.
Ist es also nicht Ihre Wirtschaftspolitik, die dafür ge-
orgt hat, dass die Situation jetzt so schlimm ist? Sollten
ie nicht doch etwas daran ändern, bevor Sie anfangen,
it einer Ausbildungsplatzabgabe die Probleme noch zu
erschlimmern?
Schönen Dank für Ihre Frage, Herr Kollege. – Es gibtnternehmen, die wollen nicht, und es gibt Unterneh-en, die können nicht.
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3998 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 48. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juni 2003
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Dr. Thea DückertDies, lieber Herr Kollege, hat die Wirtschaft schon bes-ser erkannt als Sie, als die CDU/CSU-Fraktion und vorallem die FDP-Fraktion.Herr Rogowski hat am Anfang dieser Woche vorge-schlagen, einen Fonds einzurichten, um den Unterneh-men, die Schwierigkeiten haben auszubilden, weil sie fi-nanzielle Probleme haben, über ein Umlageverfahrenquasi einen Bonus zu geben.
So etwas gibt es in der chemischen Industrie und so et-was gibt es in der Metallindustrie. Es ist ein kluger An-satz, Fonds zu bilden. Alle zahlen ein und die, die ausbil-den – ich antworte noch auf Ihre Frage, HerrKretschmer; bleiben Sie bitte stehen –, bekommen etwasaus diesen Fonds. Vom Ansatz her halten auch wirGrüne das für einen sinnvollen Weg: Alle zahlen ein,niemand kann sich aus der Verantwortung stehlen, wiezum Beispiel im Rahmen der Behindertenabgabe. Beidiesem System muss jeder seinen Obolus leisten und werausbildet, wird unterstützt.
– Das war Rogowski.Einen solchen Weg geht man in der chemischen In-dustrie und in der Metallindustrie. Diesen Ansatz kön-nen wir aufgreifen und weiterentwickeln. Wir Grünemöchten zu diesem Zweck gern ein Stiftungsmodell ent-wickeln, ähnlich wie es die Hartz-Kommission vorge-schlagen hat. Lassen Sie uns über diese Dinge reden undstreiten! Aber hören Sie auf, den Jugendlichen, die mitder Streichung von JUMP besondere Schwierigkeitenhaben, auf den Pelz zu rücken!
Das Wort hat jetzt die Kollegin Dr. Gesine Lötzsch.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Sehr ge-ehrte Gäste! Wir von der „PDS im Bundestag“ meinen:Der Bundeskanzler muss jetzt sein Wort halten. Er hat inseiner Regierungserklärung „Mut zum Frieden und Mutzur Veränderung“ am 14. März eine gesetzlich verord-nete Ausbildungsplatzabgabe angekündigt,
wenn die Wirtschaft nicht aus eigener Kraft in der Lageist, ausreichend Ausbildungsplätze zu schaffen. DieWirtschaft hat den Beweis geliefert: Sie ist dazu nicht inder Lage. In regelmäßigen Abständen beklagen die Ar-beitgeberverbände zwar den Mangel an Fachkräften; siesind aber offensichtlich nicht bereit, etwas zur Beseiti-gung dieses Mangels zu tun.1dmmbaJfgmSsmsdwihkdelemd„tJIdlidmsti1SSdlinwSd
ch denke, Sie machen sich Sorgen um die Motivationer Unternehmer. Sie machen sich in Ihrem Antrag näm-ch keine Sorgen um die Motivation der Jugendlichen,ie dringend einen Ausbildungsplatz brauchen und im-er wieder vertröstet werden. Ich möchte auf das Bei-piel Adidas-Salomon zurückkommen. Wie viel Motiva-on brauchte dieses Unternehmen eigentlich, um5 Jugendliche auszubilden?Die Lage auf dem Lehrstellenmarkt ist dramatisch.ie schreiben in Ihrem Antrag:Im Ausbildungsjahr 2003/2004 fehlen derzeit148 000 Lehrstellen. Davon allein 105 000 in denneuen Ländern.o weit, so schlecht. Was ist nun Ihr Rezept? Warten aufie Konjunktur und Abbau von Bürokratie. Die Jugend-chen können aber nicht warten. Sie haben auch nochie erlebt, dass in dieser Republik Bürokratie abgebautird, weder unter Kohl noch unter Schröder.
ie sagen den Jugendlichen nicht, wie Sie neue Ausbil-ungsplätze schaffen wollen. Deshalb ist Ihr Antrag,
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Dr. Gesine Lötzschmeine Damen und Herren von der CDU, untauglich undwird von uns entschieden abgelehnt.
Der Bundeskanzler hat die Ausbildungsplatzabgabemittlerweile in Aussicht gestellt, wenn die Unternehmennicht bereit sind, ausreichend Ausbildungsplätze zuschaffen. Für diese Ankündigung – ich hoffe, sie wirdumgesetzt – möchte ich ihn ausdrücklich loben; denndiese Drohung hat schon – zumindest partiell – Wirkunggezeigt. Der Deutsche Industrie- und Handelskammertaghat in einem Flugblatt erklärt: Nicht ausbilden könnteteuer werden. Plötzlich finden Arbeitgeber Argumente,warum Ausbildung gar kein Verlustgeschäft ist; im Ge-genteil: Es rechnet sich. Das Klagen über zu hohe Aus-bildungsvergütungen ist unehrlich. Das Argument stehtin dem genannten Flugblatt. Man kommt zu demSchluss, dass viele Auszubildende ihren Unternehmenmehr einbringen als sie kosten.Die Arbeitgeberverbände haben den Wert von Azubisrichtig erkannt. Das Problem ist nur, dass die Unterneh-men offensichtlich nicht bereit sind, sich durch eineSelbstverpflichtung für die Schaffung der fehlendenAusbildungsplätze zu sorgen. Ich darf daran erinnern,dass das Bundesverfassungsgericht bereits 1980 daraufverwiesen hat, dass die Verantwortung der Arbeitgeberbesteht, für ein ausreichendes Angebot an betrieblichenAusbildungsplätzen zu sorgen und eine gesetzliche Re-gelung anmahnte. Diese Mahnung ist inzwischen23 Jahre alt, Frau Ministerin.Aus den genannten Gründen fordert die PDS dieschnelle Einführung einer Ausbildungsplatzabgabe fürdie Unternehmen, die nicht ausbilden. Das sollte keineDrohung sein, die sich im Nirwana verliert, sondernmuss jetzt, wo es Not tut, angewandt werden: Nur Mut,meine Damen und Herren von der Koalition!
Das Wort hat jetzt der Kollege Anton Schaaf von der
SPD-Fraktion.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Her-
ren! Sehr geehrte Frau Pieper, die größten Deregulierer
dieses Landes sind hier heute eingeknickt, als es um ihre
ureigene Klientel ging.
Diejenigen, die in diesem Land – an vielen Stellen zu
Recht – am lautesten nach Subventionsabbau schreien,
haben heute neue Subventionen gefordert.
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Erwerbsarbeit bedeutet nicht nur Gelderwerb, son-ern auch gesellschaftliche Teilhabe, Anerkennung undaterielle Sicherheit. Umfragen zeigen, dass Jugendli-he zwischen 14 und 18 Jahren insbesondere vor Ar-eitslosigkeit Angst haben. Wir wollen verhindern, dassas Leben junger Menschen von Unsicherheiten geprägtird. Wie sollen sie aber Vertrauen aufbauen, wenn Jahrm Jahr ein Lehrstellendebakel droht?Die Unternehmer in diesem Land müssen jedes Jahron ihren eigenen Verbänden und den jeweiligen Regie-ungen – ich sage ausdrücklich: den jeweiligen Regierun-en – mit Kampagnen und aufwendiger Öffentlichkeits-rbeit dazu aufgerufen werden, mehr Ausbildungsplätzeu schaffen. Das muss jungen Menschen den Eindruckermitteln, nicht gebraucht zu werden, ja überflüssig zuein. Das trägt nicht unbedingt zum Zusammenhalt eineresellschaft bei.
In Schule, betrieblicher Ausbildung und Studium sol-en junge Menschen auf das Berufsleben vorbereiteterden. Darauf haben sie einen Anspruch. Nur ein Drit-el der Unternehmen in Deutschland bildet aus, aber00 Prozent der Unternehmen sind auf gut ausgebildeteitarbeiter angewiesen. Im April dieses Jahres klafftwischen Angebot und Nachfrage bei den Ausbildungs-lätzen eine Lücke von 160 000. Es ist keineswegs so,ls stünden ausreichend ausgebildete Arbeitskräfte zurerfügung. In den nächsten Jahren droht ein erheblicherangel an Fachkräften, wenn heute nicht genügendunge Menschen ausgebildet werden. Auf der einen Seiteaben wir dann schlecht Qualifizierte ohne Arbeit und
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4000 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 48. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juni 2003
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Anton Schaafauf der anderen Seite einen steigenden Bedarf an Fach-kräften, den wir nicht decken können.Mit unserem Antrag fordern wir die Bundesregierungauf, die deutsche Wirtschaft nachdrücklich an ihre Ver-pflichtungen zu erinnern. Falls die Wirtschaft keine Lö-sung anbietet – unseren Antrag haben Sie in diesemPunkt offensichtlich nicht richtig gelesen –, ist die Bun-desregierung gefordert, Maßnahmen zu treffen.
Das heißt, sie muss eine gesetzliche Regelung verab-schieden. Die Ziele der Regelung sind eine gerechte Ver-teilung der Kosten für die Berufsausbildung und dieSchaffung zusätzlicher Ausbildungsplätze. Wenn biszum Ende des laufenden Vermittlungsjahres zu wenigLehrstellen zur Verfügung stehen, muss die Bundesre-gierung aktiv werden. Die Sicherung eines ausreichen-den Ausbildungsplatzangebots ist zusammen mit derModernisierung der beruflichen Bildung im dualen Sys-tem Voraussetzung für die Erhaltung der Berufs- und Le-benschancen eines überwiegenden Teils der jungen Ge-neration.Über Jahrzehnte entstandene Fehlentwicklungenmüssen jetzt korrigiert werden. Der Staat trägt mittler-weile einen sehr großen Anteil an den Ausbildungskos-ten, nämlich 11 Milliarden Euro. Die Verantwortungwurde Stück für Stück auf den Staat abgewälzt.
Ob es sich um einen Mangel an Ausbildungsplätzenoder einen Mangel an ausgebildeten Fachkräften han-delt, die Öffentlichkeit nimmt die Politik, zumeist dieRegierenden, als Verantwortliche wahr. Das war übri-gens schon zu Ihren Zeiten so. Auch die Unternehmersind schnell dabei, der Politik den schwarzen Peter zuzu-schieben. Unsere Kinder und Jugendlichen werden dem-nach unzureichend auf die Berufstätigkeit vorbereitet. InTeilen stimmt das, aber wir handeln. Für die Qualität derbetrieblichen Ausbildung ist die Wirtschaft zum größtenTeil selbst verantwortlich. Die Unternehmen müssenihre eigene Verantwortung erkennen, ihre Strukturen undErwartungen überprüfen und vor allen Dingen endlichhandeln.
Nur wenn sie dazu nicht bereit sind, muss die Politik,auch im Interesse der Wirtschaft, eingreifen. Ohne aus-reichende Ausbildung werden wir in den folgenden Jah-ren auf der einen Seite einen massiven Fachkräftemangelund auf der anderen Seite einen noch größeren Anstiegder Arbeitslosenquote erleben.Die Wirtschaft höhlt ihre eigenen Grundlagen aus,wenn sie nicht ausbildet. Ausbildung ist die Basis unse-rer Ökonomie und auch unseres Sozialstaats. Ohne siewerden wir in Deutschland kein nennenswertes Wirt-schaftswachstum erreichen; Deutschland wird internatio-nal nicht mehr mithalten können.Meine Damen und Herren, überrascht hat mich dieLektüre eines gemeinsamen Positionspapiers von HerrnKIgdDSVas–msDkwDDGfwneFAtidSgwv
a stimme ich absolut mit Ihnen überein, Herrchummer. Jetzt geht es darum, diese gesellschaftlicheerpflichtung von den Unternehmern in diesem Landuch einzufordern. Dabei können Sie gerne behilflichein.
Sie brauchen sich nicht zu melden, ich rede im Zusam-enhang weiter.Weiter heißt es in dem Papier – auch das zitiere ichehr gern –:Gäbe es die tarifliche vereinbarte Umlagefinanzie-rung in der Bauwirtschaft nicht, sähen die Ausbil-dungsplatzzahlen in der krisengeschüttelten Bau-branche noch schlechter aus.
a gebe ich Ihnen Recht: Ausbildung muss tatsächlichonjunkturunabhängiger gestaltet werden. Dafür tretenir gerade ein. Helfen Sie mit dabei!
Sie haben weiter gesagt:Die Schaffung von betrieblichen Ausbildungsplät-zen hat oberste Priorität.azu haben meine Vorrednerinnen und Vorredner schoneutliches gesagt.Auch Bundesregierung, Unternehmerverbände undewerkschaften haben in ihrer gemeinsamen Kampagneür tarifliche Vereinbarungen nach diesem Vorbild ge-orben.Handeln wir jetzt nicht, nehmen wir in Kauf, dass ei-em zunehmenden Teil unserer Jugendlichen die materi-lle wie auch die soziale Lebensperspektive fehlt. Dieolgekosten für die Gesellschaft würden dramatischeusmaße annehmen. Deshalb müssen wir jetzt vernünf-ge Instrumente zur Förderung der betrieblichen Ausbil-ung entwickeln. Eine Alternative dazu gibt es nicht.onst überlassen wir den Umgang mit ausgegrenzten Ju-endlichen, die dann zu ausgegrenzten Erwachsenenerden, den sozialen Sicherungssystemen. Das wäreerantwortungslos.
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Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 48. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juni 2003 4001
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Anton Schaaf70 Prozent der Unternehmen bilden nicht mehr aus.Das ist nicht nur konjunkturell oder steuerpolitisch be-dingt, wie Sie behaupten, sondern mittlerweile struktu-rell begründet. Es ist eben bequemer und auch günstiger,nicht auszubilden.In der betrieblichen Ausbildung erleben wir seit Jah-ren, eigentlich schon seit Jahrzehnten, zumindest seit ei-nem Jahrzehnt, eine Wackelpartie. Im ureigensten Inte-resse der Wirtschaft und vor allen Dingen im gesamtge-sellschaftlichen Interesse, jungen Menschen ein selbstbe-stimmtes Leben zu ermöglichen, muss mit dieser Wackel-partie Schluss sein. Die jungen Menschen in diesemLand brauchen eine Politik, die sich für ihre Zukunftverantwortlich zeigt. Diese Politik machen wir. Politikallein wird unsere Zukunft aber nicht sichern können.Wir brauchen die Bereitschaft aller Akteure dieser Ge-sellschaft, Verantwortung zu übernehmen. Dazu rufenwir gerade die Unternehmerinnen und Unternehmer die-ses Landes auf. Wir leisten unseren Beitrag.Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
Das Wort hat jetzt der Kollege Dr. Michael Fuchs von
der CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-
ren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Ministerin,
ich will mit Ihnen einmal ein bisschen das Lang- und das
Kurzzeitgedächtnis überprüfen. Wissen Sie, wie die
Zahl der Jugendarbeitslosen gegenüber dem Vorjahres-
monat angestiegen ist? – Um 33 000 allein im Monat
Mai. Richten wir das Kurzzeitgedächtnis aber auch auf
etwas noch näher Liegendes. Sie haben Ende April auf
dem berühmten Ausbildungsgipfel Folgendes zusammen
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Die gemeinsamen Anstrengungen, um so viele Ar-beitsplätze wie möglich zu mobilisieren, haben ab-solute Priorität.– Einverstanden! –Jegliche Diskussion über eine Ausbildungsabgabelehnen wir ab, da dies den gemeinsamen Anstren-gungen schadet.
Was wollen Sie eigentlich?Gleichzeitig, Frau Ministerin, sitzen Sie, wie wir ge-hört haben, der SPD-Arbeitsgruppe vor, die an den Plä-nen eines zweistufigen Modells zur Ausbildungsplatzab-gabe arbeitet. Ich kann das nur als Täuschereibezeichnen.–tnEskG–SdHp2dßbsDzdksdhsmsmdSdw
Das genau ist Ihre Politik: Zuerst erzählen Sie den Un-ernehmen, dass Sie einen Vorschlag ablehnen und daicht mitmachen werden, weil er der wirtschaftlichenntwicklung schadet. Aber nur einige Tage später – ichage nur: Kurzzeitgedächtnis – wird dann großartig ver-ündet, dass doch eine Ausbildungsplatzabgabe kommt.enau das ist Ihre Politik.
Hören Sie besser zu! Dann lernen Sie etwas.
ie sorgen nicht für die Verlässlichkeit, die wichtig ist,amit es in diesem Land weiter aufwärts gehen wird.
Ähnliches haben wir schon mit den Vorschlägen vonerrn Hartz erlebt. Vor fast genau einem Jahr – ich ap-elliere wieder an Ihr Gedächtnis – wurden unsMillionen neue Arbeitsplätze versprochen. Was istenn daraus geworden? – Es war nur ein Papiertiger: au-er Kosten und Spesen nichts gewesen.
Dieses Jahr gibt es im Monat Mai die höchste Ar-eitslosigkeit, nicht seit der Wiedervereinigung, sonderneit Bestehen der Bundesrepublik Deutschland.
as haben Sie – und niemand anderes – mit Ihrer Politiku verantworten.
Je ernster die Probleme in unserem Land werden,esto unausgereifter sind Ihre Konzepte. Es fehlen einelare, verlässliche Politik und jedes wirtschaftliche Ge-amtkonzept. Der Stillstand auf dem Arbeitsmarkt undamit die Probleme, die wir auf dem Ausbildungssektoraben, resultieren doch aus Ihrer katastrophalen Wirt-chaftspolitik, die dazu führt, dass kein Unternehmerehr den Mut hat, Arbeitsplätze zu schaffen. Wannchafft denn ein Unternehmer Arbeitsplätze? – Doch im-er nur dann, wenn er Geld verdient. Aber zurzeit ver-ient die deutsche Wirtschaft kein Geld mehr. Das sehenie auch am Aufkommen der Körperschaftsteuer.
Wir haben in diesem Jahr die größte Pleitewelle, dieieses Land jemals erlebt hat. 42 000 Unternehmenerden Pleite gehen. 400 000 Arbeitsplätze und
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4002 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 48. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juni 2003
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Dr. Michael Fuchs20 000 Ausbildungsplätze, Frau Bulmahn, werden unsdadurch verloren gehen.Ich habe eine ganz konkrete Bitte an das Bundeskabi-nett. Sie können mir helfen, dass in meinem WahlkreisArbeits- und auch Ausbildungsplätze erhalten bleiben.Ungefähr 20 Kilometer rheinabwärts von Koblenz gibtes das wunderschöne Städtchen Weißenthurm. Dort be-findet sich die Firma Schmalbach-Lubeca, die vom Kon-zern Ball übernommen wurde. Dieses Unternehmen istein Dosenhersteller mit 500 Beschäftigten. Geplant war,dieses Jahr 20 Auszubildende einzustellen. Aber dieserPlan wurde aufgegeben. Seit Januar gibt es Kurzarbeit.Der Betrieb wird demnächst geschlossen. So vernichtenSie Ausbildungs- und Arbeitsplätze. Sagen Sie HerrnTrittin, er soll diese dämliche Verordnung aussetzen, da-mit die Arbeitsplätze in dieser Branche erhalten bleiben.
Wir können es uns in dieser wirtschaftlichen Situationnicht leisten, das Dosenpfand durchzusetzen, weil da-durch Arbeitsplätze und Ausbildungsplätze vernichtetwerden. Ich bin der Meinung, dass es so nicht weiterge-hen kann.
Sie sind seit fünf Jahren an der Regierung und wissenziemlich genau, dass dieses Dosenpfand kompletterBlödsinn ist.
– Herr Tauss, Ihr Zuruf wird auch durch noch so vielLautstärke nicht intelligenter.
Wo sind denn die Analytiker in dieser Regierungs-mannschaft? Man verspürt nur noch Hektik. Es vergehtkein einziger Tag, an dem in diesem Land nicht neue pa-nikartige Töne zu hören sind. In diesem rot-grünen Panik-orchester fiedelt jeder auf seiner eigenen Geige. DerKanzler nennt das völlig zu Recht eigene Kakophonie.Angesichts dieses kakophonen Orchesters – schauenSie sich nur die Steuererhöhungsdiskussionen derletzten Tage an; Frau Nahles: Vermögensteuer, FrauSimonis: Mehrwertsteuer, Herr Schreiner: Erbschaft-steuer, Herr Eichel: Eigenheimzulage und möglicher-weise Erhöhung der KFZ-Steuer, Frau Schmidt:Tabaksteuer, etc. –
ist es klar, dass kein Mensch in dieser Republik mehrVertrauen in Ihre Politik hat und dass kein Mensch denMut hat zu investieren. Wenn man nicht mehr weiß, wel-che Steuern in welcher Höhe am nächsten Tag auf einenzukommen, dann kann man meiner Meinung nach nichtmehr investieren. Genau diese Situation haben Sie durchdedwnrtSSESWvdKddGiwswndmWhsWi
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Die Einführung einer Ausbildungsplatzabgabe wirdn diesem Lande kein Problem lösen. Im Gegenteil: Sieird mehr Bürokratie schaffen und dafür sorgen, dassich noch mehr Betriebe verabschieden müssen; denn sieirkt kostenerhöhend. Gerade der Bundeskanzler hat Ih-en mit der Agenda 2010 ins Stammbuch geschrieben,ass die Lohnnebenkosten dringend gesenkt werdenüssen.
as machen Sie denn jetzt anderes, als sie wieder zu er-öhen? Bei der Absenkung der Lohnnebenkosten müs-en Sie ansetzen. Zusätzliche Belastungen der deutschenirtschaft sollten Sie aber bitte unterlassen.
Lassen Sie mich ein Letztes aus dem eigenen Erlebenn meinem Wahlkreis sagen – Herr Tauss, hier können
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Dr. Michael Fuchswir sofort gemeinsam etwas tun; ich bin gespannt, wieweit Sie bereit sind zu springen –: Es gibt in meinemWahlkreis ein Unternehmen mit 190 Arbeitsplätzen. Diehatten bis jetzt circa 15 Azubis. Dieses Jahr bilden sienur neun aus. Wissen Sie, warum? Weil sie ab200 Beschäftigten einen Betriebsrat freistellen müssten.
Machen wir uns doch nichts vor: Das sind die Hemm-nisse, die Sie geschaffen haben!
Schaffen wir das gemeinsam ab, und das so schnell wiemöglich! Denn es muss nun wirklich nicht sein, dassdeswegen die Einstellung von Auszubildenden verhin-dert wird. Sie sehen, es gibt viel zu tun. Aber ich be-fürchte, Sie werden wie immer nichts tun.
Als letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt er-
teile ich dem Kollegen Willi Brase von der SPD-Frak-
tion das Wort.
Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kolle-gen! Wir begrüßen die Aktivitäten im Rahmen der Aus-bildungsoffensive des Jahres 2003 ausdrücklich.
Die aktuellen Zahlen belegen die Notwendigkeit dafürüberdeutlich. Es ist richtig, dass wir gemeinsam durchkurzfristig greifende Maßnahmen, die jetzt angebrachtsind, versuchen, einiges auf den Weg zu bringen.
Auf einen Punkt will ich hinweisen, der von meinemVorredner in einer Art und Weise aufgegriffen wurde,dass ich das so nicht stehen lassen kann: Wir halten dasEngagement der Betriebs- und Personalräte, die in denUnternehmen hier und heute auch unter Verzicht der Be-legschaften zusätzliche Ausbildungsplätze schaffen, fürungeheuer wichtig. Es war gut, dass wir das Betriebs-verfassungsgesetz reformiert haben.
Diese Vertreter und deren Gewerkschaften, die dasteilweise bis hin zu tarifvertraglichen Vereinbarungenmachen, haben es nicht verdient, als Blockierer be-schimpft zu werden. Sie brauchen vielmehr unsere Er-mutigung und Unterstützung. Das sollte sich die Opposi-tion endlich einmal merken.
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Damit sind wir aber noch nicht am Ende. Im selbenahr finanzierte die Bundesanstalt für Arbeit mit,3 Milliarden Euro die berufliche Ausbildung. Insge-amt wurden also circa 11 Milliarden Euro vom Bund,on den Ländern und der BA für die Durchführung dereruflichen Ausbildung ausgegeben. Die zweite Studieringt zum Ausdruck, dass die Unternehmen für allezubis Nettokosten von 14,6 Milliarden Euro hatten.tellt man diese beiden Zahlen gegeneinander, mussan zu dem Ergebnis kommen, dass nicht immer mehrusbildungskosten von den Unternehmen und Betriebenuf die öffentliche Hand und die Bundesanstalt abge-älzt werden dürfen. Das können wir nicht weiter hin-ehmen.
Deshalb hält es die SPD-Fraktion für richtig und not-endig, die Finanzierungsfrage in der beruflichen Bil-ung zu diskutieren und Perspektiven zu entwickeln.uch die schon mehrfach angesprochene IAB-Unter-uchung, die zu dem Ergebnis kam, dass von
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Willi Brase1,2 Millionen ausbildungsfähigen Betrieben nur noch640 000 ausbilden, führt uns zu der Überlegung, wie wirkünftig die Schaffung ausreichender und qualitativ hoch-wertiger Ausbildungsplätze konjunkturunabhängigermachen können. Es muss das Ziel sein, dass eine ausrei-chende Zahl betrieblicher Ausbildungsplätze konjunktur-unabhängig angeboten wird; nur dann können wir allenJugendlichen eine dauerhafte Perspektive bieten.
Es wird Sie nicht verwundern, dass wir natürlich auchtarifvertragliche Lösungen unterstützen.
Sie haben sich bewährt. Wir verkennen nicht die schwie-rige konjunkturelle Lage in der Bauindustrie, wissenaber, dass dies auch etwas mit einem überhöhten Bau-boom im Zuge der Wiedervereinigung zu tun hat. Auchdas muss reguliert werden. Im Grundsatz hat sich aberdie Berufsbildungsabgabe auf tarifvertraglicher Grund-lage in der Bauindustrie bewährt. Wir fordern die Tarif-vertragsparteien auf, darüber nachzudenken, ob sie sienicht auch in anderen Branchen einführen. Ich hielte diesfür richtig.
Ich bringe den Begriff „Bonus-Malus-System“ be-wusst in die Diskussion hinein. Was spricht eigentlichdagegen, die Unternehmen zu belohnen, die nach wievor Ausbildungsplätze zur Verfügung stellen, aber dieje-nigen, die es könnten und nicht tun, ein bisschen an denKosten zu beteiligen? Ich halte diesen Gedanken nichtfür verkehrt. Wir möchten eine unbürokratische Rege-lung, die sehr schnell umzusetzen ist. Daran werden wirarbeiten; denn unser Ziel muss es sein, eine ausreichendeZahl von qualitativ hochwertigen Ausbildungsplätzenanzubieten.Ganz kurz zum FDP-Antrag: Wer meint, das JUMP-Programm habe nichts gebracht, und damit die Schaf-fung von 60 000 neuen betrieblichen Ausbildungsplät-zen ignoriert, hat eine falsche Sichtweise. Das akzeptie-ren wir nicht.
Meine Redezeit geht zu Ende.
Daher beschränke ich mich darauf, noch auf einen Punkthinzuweisen. Es ist völlig klar, dass wir eine Reformder beruflichen Bildung umsetzen müssen. Mit mehrQualität in der beruflichen Bildung und mit einer besse-ren Wertigkeit der abgeschlossenen Ausbildungen vonFacharbeiterinnen und Facharbeitern sowie Gesellinnenund Gesellen und durch verbesserte Prüfungsstrukturenleisten wir in Fortsetzung unserer Neuordnung einen ab-solut richtigen Beitrag, um mittel- und langfristig die be-rhDsnbzWdavzwDd
as Neuordnungsverfahren in der Elektroindustrie zwi-chen IG Metall und dem Zentralverband Elektrotech-ik- und Elektronikindustrie, in nur zehn Monaten sie-en neue Elektroberufe entwickelt zu haben, sollte unsu genau dieser Qualität ermutigen. Wir werden dieseneg weiter gehen.Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
Ich schließe die Aussprache.Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen aufen Drucksachen 15/925, 15/1000, 15/1090 und 15/1130n die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsseorgeschlagen. Die Vorlage auf Drucksache 15/925 sollusätzlich an den Ausschuss für Tourismus überwiesenerden. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall.ann sind die Überweisungen beschlossen.Ich rufe die Tagesordnungspunkte 26 a bis 26 h sowieie Zusatzpunkte 4 a und 4 b auf:26 a) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ände-rung des Siebten Buches Sozialgesetzbuch unddes Sozialgerichtsgesetzes– Drucksache 15/1070 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Gesundheit und Soziale Sicherungb) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-gebrachten Entwurfs eines Gesetzes über dieVerordnungsfähigkeit von Arzneimitteln inder vertragsärztlichen Versorgung– Drucksache 15/1071 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Gesundheit und Soziale Sicherung
Ausschuss für Wirtschaft und Arbeitc) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-gebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzesüber die Zustimmung zur Änderung des Di-rektwahlakts– Drucksache 15/1059 –Überweisungsvorschlag:Innenausschuss
Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität undGeschäftsordnungAusschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Uniond) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Ver-trag vom 29. Juni 2000 über ein EuropäischesFahrzeug- und Führerscheininformationssys-tem
– Drucksache 15/1058 –
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Vizepräsident Dr. Hermann Otto SolmsÜberweisungsvorschlag:Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Unione) Beratung des Antrags der AbgeordnetenDr. Gesine Lötzsch und Petra PauRechtsstellung der Abgeordneten der PDS im15. Bundestag– Drucksache 15/873 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität undGeschäftsordnungf) Beratung des Antrags der AbgeordnetenDr. Gesine Lötzsch und Petra PauÄnderung der Geschäftsordnung des Deut-schen Bundestages– Drucksache 15/874 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität undGeschäftsordnungg) Beratung des Antrags des Präsidenten des Bun-desrechnungshofesRechnung des Bundesrechnungshofes für dasHaushaltsjahr 2001– Einzelplan 20 –– Drucksache 15/1047 –Überweisungsvorschlag:Haushaltsausschussh) Beratung des Antrags des Präsidenten des Bun-desrechnungshofesRechnung des Bundesrechnungshofes für dasHaushaltsjahr 2002– Einzelplan 20 –– Drucksache 15/1048 –Überweisungsvorschlag:HaushaltsausschussZP 4 a)Beratung des Antrags der Abgeordneten ErnstKranz, Wolfgang Spanier, Sören Bartol, weitererAbgeordneter und der Fraktion der SPD sowieder Abgeordneten Franziska Eichstädt-Bohlig,Volker Beck , Ursula Sowa, weiterer Ab-geordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES90/DIE GRÜNENStadtumbau Ost auf dem richtigen Weg– Drucksache 15/1091 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen
FinanzausschussHaushaltsausschussb) Beratung des Antrags der Abgeordneten PetraWeis, Eckhardt Barthel , Sören Bartol,weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPDsowie der Abgeordneten Franziska Eichstädt-Bohlig, Volker Beck , Winfried Hermann,tdüFsag1jzG
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4006 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 48. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juni 2003
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– Drucksache 15/905 –
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-ses für Verbraucherschutz, Ernährung und Land-wirtschaft
– Drucksache 15/1037 –Berichterstattung:Abgeordnete Dr. Wilhelm PriesmeierGitta ConnemannFriedrich OstendorffHans-Michael GoldmannDer Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung undLandwirtschaft empfiehlt in seiner Beschlussempfeh-lung auf Drucksache 15/1037, den Gesetzentwurf in derAusschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, diedem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmenwollen, um das Handzeichen. – Gegenstimmen? – Ent-haltungen? – Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratungeinstimmig angenommen.Dritte Beratungund Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die zu-stimmen wollen, sich zu erheben. – Gegenstimmen? –Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist einstimmig ange-nommen.Tagesordnungspunkt 27 d:Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre-gierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzeszu dem Internationalen Vertrag vom 3. No-vember 2001 über pflanzengenetische Res-sourcen für Ernährung und Landwirtschaft– Drucksache 15/882 –
LGsVAsewhrusEn
Michael Glos und der Fraktion der CDU/CSU,den Abgeordneten Silke Stokar von Neuforn,Volker Beck , Katrin Dagmar Göring-Eckardt, Krista Sager und der Fraktion desBÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN sowie denAbgeordneten Gisela Piltz, Dr. Max Stadler,Dr. Wolfgang Gerhardt und der Fraktion derFDP eingebrachten Entwurfs eines SechstenGesetzes zur Änderung des Stasi-Unterla-gen-Gesetzes
– Drucksache 15/806 –
– Zweite und dritte Beratung des von den Abge-ordneten Rainer Funke, Daniel Bahr ,Rainer Brüderle, weiteren Abgeordneten undder Fraktion der FDP eingebrachten Entwurfseines Sechsten Gesetzes zur Änderung derStasi-Unterlagen-Gesetzes
– Drucksache 15/313 –
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Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 48. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juni 2003 4007
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Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
Beschlussempfehlung und Bericht des Innenaus-schusses
– Drucksache 15/1003 –Berichterstattung:Abgeordnete Barbara WittigHartmut Büttner
Silke Stokar von NeufornGisela PiltzDer Innenausschuss empfiehlt unter Nr. 1 seiner Be-schlussempfehlung auf Drucksache 15/1003, den Ge-setzentwurf in der Ausschussfassung anzunehmen. Ichbitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschuss-fassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Ge-genstimmen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf istin zweiter Beratung angenommen.Dritte Beratungund Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die zu-stimmen wollen, sich zu erheben. – Gegenstimmen? –Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist einstimmig ange-nommen.Unter Nr. 2 seiner Beschlussempfehlung aufDrucksache 15/1003 empfiehlt der Ausschuss, den vonder Fraktion der FDP eingebrachten Entwurf einesSechsten Gesetzes zur Änderung des Stasi-Unterlagen-Gesetzes auf Drucksache 15/313 für erledigt zu erklären.Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Gegen-stimmen? – Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlungist einstimmig angenommen.Tagesordnungspunkt 27 f:Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-richts des Finanzausschusses zuder Unterrichtung durch die BundesregierungVorschlag für eine Richtlinie des Rates zurÄnderung der Richtlinie 92/81/EWG und derRichtlinie 92/82/EWG zur Schaffung einerSonderregelung für die Besteuerung von Die-selkraftstoff für gewerbliche Zwecke und zurAnnäherung der Verbrauchsteuern auf Benzinund DieselkraftstoffKOM 410 endg.; Ratsdok. 11571/02– Drucksachen 15/173 Nr. 2.26, 15/401 –Berichterstattung:Abgeordnete Reinhard Schultz
Georg FahrenschonDer Ausschuss empfiehlt in Kenntnis der Unterrich-tung die Annahme einer Entschließung. Wer stimmt fürdiese Beschlussempfehlung? – Gegenprobe! – Enthal-tungen? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stim-men der Koalitionsfraktionen und der FDP-Fraktion ge-gen die Stimmen der CDU/CSU-Fraktion angenommen.Wir kommen zu den Beschlussempfehlungen des Pe-titionsausschusses.CdsmSlssgFhnhahaBfgBdd
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4008 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 48. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juni 2003
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– Drucksachen 15/908, 15/1051 –
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-ses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
– Drucksache 15/1125 –Berichterstattung:Abgeordnete Andreas WeigelJutta Dümpe-KrügerThomas DörflingerIna LenkeDer Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Ju-end empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung aufrucksache 15/1125, den Gesetzentwurf anzunehmen.ch bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmenollen, um das Handzeichen. – Gegenstimmen? – Ent-altungen? – Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratunginstimmig angenommen.Dritte Beratungnd Schlussabstimmung. Wer zustimmen will, mögeich bitte erheben. – Gegenstimmen? – Enthaltungen? –er Gesetzentwurf ist in dritter Lesung einstimmig an-enommen.Ich rufe Zusatzpunkt 6 auf:Wahlvorschlag der Fraktionen der SPD und derCDU/CSUfür die vom Deutschen Bundestag gemäß §§ 31und 36 des Gesetzes über die Rundfunkanstalt
glieder des Rundfunkrates und des Verwal-tungsrates der Deutschen Welle– Drucksache 15/1122 –Wer stimmt für diesen Wahlvorschlag? – Wer stimmtagegen? – Wer enthält sich? – Der Wahlvorschlag istinstimmig angenommen.Ich rufe Zusatzpunkt 7 auf:
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Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 48. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juni 2003 4009
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Vizepräsident Dr. Hermann Otto SolmsWahlvorschlag der Fraktionen der SPD, derCDU/CSU, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜ-NEN und der FDPWahl von Mitgliedern in den Stiftungsrat der„Stiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur“– Drucksache 15/1123 –Wer stimmt für diesen Wahlvorschlag? – Gegenstim-men? – Enthaltungen? – Der Wahlvorschlag ist einstim-mig angenommen.Ich rufe jetzt Tagesordnungspunkt 6 auf:Beratung des Berichts des Petitionsausschusses
Bitten und Beschwerden an den DeutschenBundestagDie Tätigkeit des Petitionsausschusses desDeutschen Bundestages im Jahr 2002– Drucksache 15/920 –Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für dieAussprache eine Stunde vorgesehen. – Ich höre keinenWiderspruch. Dann ist so beschlossen.Ich eröffne die Aussprache und erteile der Vorsitzen-den des Petitionsausschusses, Kollegin Marita Sehn,FDP-Fraktion, als erster Rednerin das Wort.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen!Weniger Petitionen – das war die dominierende Schlag-zeile nach der Übergabe des Tätigkeitsberichtes des Peti-tionsausschusses für das Jahr 2002 an den Präsidentendes Deutschen Bundestages vor zwei Wochen. In der Tatist die Entwicklung auffallend: 13 Prozent weniger Ein-gaben als 2001, gegenüber dem Jahr 2000 sogar33 Prozent weniger. Wird der Petitionsausschuss deshalbarbeitslos?Meine sehr geehrten Damen und Herren, es bestehtkein Grund zur Panik. Der Petitionsausschuss hatte undhat noch viel zu tun. So haben die Ausschussmitgliederim Auftrag des Deutschen Bundestages im Jahr 200222 658 Petitionen abschließend behandelt. Das heißt,auch wenn weniger Petitionen eingereicht wurden,konnte die Anzahl der bearbeiteten Petitionen um mehrals 5 000 gesteigert werden. Auch im vergangenen Jahrhaben Ihre Kolleginnen und Kollegen im Petitionsaus-schuss eine beachtliche Arbeit geleistet, eine Arbeit, diesowohl für den Deutschen Bundestag als auch für dieBürgerinnen und Bürger von großer Bedeutung ist.
Trotzdem bleibt die Frage im Raum, warum die Zahlder Eingaben so stark rückläufig ist. Während Rot-Gründas wahrscheinlich gerne als Beleg für eine gute undbürgernahe Regierungspolitik sieht
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uch ohne Blick in die Kristallkugel oder angespannteektüre des Kaffeesatzes kann ich Ihnen sagen: Beidestimmt so nicht. Ich glaube, darin sind wir uns einig.Bevor ich die Ursache bei anderen suche, frage ichich zuerst: Was können wir, was kann der Deutscheundestag, was kann der Petitionsausschuss dafür tun,ass sich die Bürgerinnen und Bürger wieder vermehrtn uns wenden? Was können wir tun, damit der Peti-ionsausschuss als das gesehen wird, was er ist: das of-ene Ohr des Parlamentes für die Hinweise, Sorgen unditten der Bürgerinnen und Bürger? Ich bin davon über-eugt, dass der Petitionsausschuss ein Aktivposten füras Image des Deutschen Bundestages ist.
Wir haben im letzten Jahr 5 030 Eingaben zu Geset-en erhalten. Bestehende Regelungen wurden kritisiert,uf Ungerechtigkeiten wurde hingewiesen, Unstimmig-eiten wurden moniert. Es ist eigentlich schade, dassiese Anregungen nicht noch stärker genutzt werden,um Beispiel in Gesetzgebungsverfahren. Keine Regie-ung, ob Rot-Grün, ob Schwarz-Gelb, ist so gut, als dassie von ihren Bürgern nicht noch lernen könnte.Oder nehmen Sie die 8 802 eingereichten Beschwer-en über Behörden, abstruse Verwaltungsvorschriftennd die tagtäglichen Erfahrungen unserer Bürgerinnennd Bürger im Umgang mit der Bürokratie. Wie oft er-ben wir im Petitionsausschuss, dass Gesetze nicht deminn, sondern den Buchstaben nach angewendet werden.ch möchte, dass die Bürgerinnen und Bürger – auch die,ie hier auf der Tribüne sitzen – es erfahren: Bei nahezuder zweiten Petition ist der Petitionsausschuss erfolg-eich. Das ist nicht nur ein Erfolg für die Ausschussmit-lieder und den Ausschussdienst, sondern für den Parla-entarismus in Deutschland.
Diese hohe Erfolgsquote verdanken wir nicht zuletztielen Behördenmitarbeitern, die nicht an einem büro-ratischen Unfehlbarkeitsdogma festhalten, sondern be-eit sind, gemeinsam mit uns nach einer Lösung zuguns-n des Petenten zu suchen. Entgegen weit verbreitetenorurteilen wiehert auf deutschen Ämtern nicht nur dermtsschimmel. Deshalb möchte ich mich an diesertelle bei den vielen engagierten und mutigen Behörden-itarbeitern bedanken, die in vielen Fällen dazu beige-agen haben, dass den Petenten geholfen werden konnte.
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4010 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 48. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juni 2003
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Marita Sehn– Richtig, ich denke, an dieser Stelle darf man klatschen.Meine sehr geehrten Damen und Herren, wir müssenin der Öffentlichkeit verstärkt auf die Möglichkeit vonEingaben hinweisen. Wir müssen den Bürgerinnen undBürger vermitteln, was wir für sie tun können. Wir kön-nen zum Beispiel Gesetzesänderungen einfordern, kön-nen dazu beitragen, dass ein behördlicher Ermessens-spielraum zugunsten des Petenten genutzt wird und dasseingereichte Vorschläge und Ideen nicht ungelesen ver-schwinden, sondern von der Politik zur Kenntnis genom-men werden.Der Petitionsausschuss will sich um eine noch stär-kere Bürgernähe bemühen. Eine vereinfachte Eingabevon Petitionen per E-Mail könnte ein erster Schritt indiese Richtung sein. Bürgernähe heißt für mich aberauch, unsere Beschlussempfehlungen und Briefe nicht inMinisterial- bzw. Juristendeutsch abzufassen, sondern ineiner Sprache, die auch ohne Jurastudium oder Fremd-wörterlexikon verständlich ist. Außerdem werden wirdie Öffentlichkeit verstärkt über unsere Arbeit sowie diean uns herangetragenen Anliegen informieren.Der Petitionsausschuss ist der politische Seismo-graph in Deutschland. Wenn 3 577 Eingaben, also na-hezu 25 Prozent aller Petitionen, den Geschäftsbereichendes Bundesministeriums für Wirtschaft und Arbeit sowiedes Bundesministeriums für Gesundheit und Soziale Si-cherung zuzuordnen sind, dann ist das ein klares Signaldafür, dass hier etwas im Argen liegt und dringenderHandlungsbedarf besteht.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich freuemich, Vorsitzende eines Ausschusses sein zu dürfen, dersich in konstruktiver und parteiübergreifender Weise denBitten, Vorschlägen und Beschwerden der Bürgerinnenund Bürger annimmt.Ich freue mich, mit einem Ausschussdienst zusam-menzuarbeiten, der dafür Sorge trägt, dass jede einzelnePetition gewissenhaft behandelt wird. Ich denke, wir allekönnen auf den Petitionsausschuss und die im Namendes Deutschen Bundestages geleistete Arbeit stolz sein.Schönen Dank.
Ich erteile der Kollegin Gabriele Lösekrug-Möller
von der SPD-Fraktion das Wort.
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!Wir alle kennen Elton John und Eros Ramazotti; ich un-terstelle das einfach mal. Ich glaube, das wird so sein.
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Die besonderen Befugnisse des Ausschusses habenich für unsere Arbeit immer wieder als nützlich erwie-en, zum Beispiel einen Ortstermin wahrzunehmen, Ak-en einzusehen oder einen Vertreter der Bundesregierungnzuhören. Auch dabei kann man Erstaunliches erleben.ie Mehrheitsfraktionen lehnten zum Beispiel einenrtstermin in Bayreuth kategorisch ab, bei dem es umine Petition zum Erhalt eines Bundeswehrstandortesing. Dabei wäre dadurch das Ansehen des Ausschussesor Ort gestärkt worden.
Das war kein Wahlkampftermin, Herr Kollege.
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Günter BaumannEin anderes Beispiel ist ein Minister, der in Fern-sehtalkshows das Petitionsrecht preist und die Arbeit desAusschusses würdigt, aber der Ladung des Ausschussesnicht folgt und fadenscheinige Gründe vorschiebt.
Es wirft kein gutes Licht auf die Bundesregierung insge-samt, wenn Worte und Taten auseinander klaffen. Auchhier sollte der Respekt vor dem Ausschuss und dem Par-lament gewahrt werden.
Dass die Mitgliederzahl im Petitionsausschuss in die-ser Wahlperiode reduziert worden ist, ist nicht gerade einpositives Signal. Dadurch haben wir Abgeordnete natür-lich mehr Petitionen zu bearbeiten. Zudem sind wir inmindestens einem anderen Ausschuss tätig. Das istschon ein ganzer Packen Arbeit. Ich möchte auch daranerinnern, dass in der vergangenen Wahlperiode mehrereAbgeordnete über 1 000 Petitionen als Berichterstatterbearbeitet haben. Das ist schon ein ganzes Stück Arbeit.Trotz alledem ist die Tätigkeit im Petitionsausschussgerade für neu gewählte Abgeordnete eine sehr guteSchule, erhält man doch nirgendwo sonst einen so gutenÜberblick über Sorgen und Wünsche der Bürgerinnenund Bürger in unserem Land. Nirgendwo spiegeln sichSinn und Unsinn der Gesetzgebung, Licht und Schattender Verwaltungstätigkeit in unserem Lande so anschau-lich wider wie im Petitionsausschuss.
Daher würde ich mir wünschen – die Vorsitzende hat esbereits gesagt –, dass unsere Arbeit ein größeres Echo inder Öffentlichkeit findet. Das Presseecho auf die Über-gabe des Jahresberichtes an den Bundestagspräsidentenin der vorletzten Woche war mehr als dürftig.Als Abgeordneter aus einem der neuen Länder findeich es erfreulich, dass sich der Ausschuss in den vergan-genen Jahren immer stärker als Anwalt auch dieser Bür-gerinnen und Bürger bewährt hat. Bekanntlich nutzendie Ostdeutschen die Möglichkeit der demokratischenTeilhabe am intensivsten. Die Sachsen zählen zu denfleißigsten Petenten. So kamen im Jahr 2002 allein ausSachsen 319 Eingaben pro eine Million Einwohner anden Deutschen Bundestag.Die meisten Petitionen aus den neuen Bundesländernsind Hilferufe über bürokratisches Dickicht in unsererGesetzgebung. So bitten zum Beispiel Petenten um Auf-klärung über unverständliche Rentenbescheide oder eineallein erziehende Mutter fragt, warum vom Unterhalts-vorschuss für ihr erstes Kind die Hälfte des Kindergeldeswieder abgezogen wird. Eine traurige Aktualität im ver-gangenen Jahr hatte die Bitte einer Bürgerinitiative, dieein Ende des Elbeausbaus in Sachsen forderte. Der Peti-tionsausschuss informierte sich vor Ort. Die Warnungder Petenten, eine höhere Fließgeschwindigkeit desFlusses habe größere ökologische Folgen, hat sich we-nige Wochen später durch die Jahrhundertflut als wahrherausgestellt.AdTMeCngnBGjtrJdmwdeaRmnhtnWhUvFadTnhaddsnakmwbuduuwbs
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Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrtenDamen und Herren! Beschwerden und Meckereien sinddie Muskeln der Schwachen, sagt ein afghanischesSprichwort. Die Beschwerden und Meckereien, die wirheute debattieren, sind aber ein bedeutendes Stück deut-scher Demokratie.Im Tätigkeitsbericht über die an den Deutschen Bun-destag gerichteten Bitten und Beschwerden lassen dieBürgerinnen und Bürger die Muskeln spielen und sie fin-den im Petitionsausschuss einen starken Anwalt ihrer In-teressen im Parlament. Der Petitionsausschuss hat auchim Jahr 2002 seine Erfolgsstory fortgeschrieben.Der Jahresbericht des Petitionsausschusses erweist sicheinmal mehr als ein Bestseller der Demokratie. Mehr als22 000 Eingaben wurden – das wurde bereits erwähnt –2002 vom Petitionsausschuss bearbeitet und zum Ab-schluss gebracht. Hinzu kommt, dass auch bei fast jederzweiten Petition etwas für die Petenten erreicht werdenkonnte. Das ist wirklich eine beeindruckende Bilanz.
Ein neues Problem zu entdecken ist dabei genausowichtig, wie die Lösung für ein altes zu finden. Der Peti-tionsausschuss leistet beides in hervorragender Weise.Das war gute Arbeit. Auch ich möchte mich demDank an die Abgeordneten der vorigen Wahlperiode an-schließen, die dies mit geleistet haben. Mein Dank giltauch dem hervorragend arbeitenden Ausschussdienstund Ausschusssekretariat des Petitionsausschusses.
Mein allererster Dank gilt aber den Bürgerinnen undBürgern dieses Landes. Denn sie sind schließlich dieAutoren dieses Bestsellers der Demokratie. Nur mit ihrerHilfe, ihren Anregungen und Ideen, Hinweisen und Be-schwerden kann die Arbeit gelingen.Der Petitionsausschuss beackert dabei ein sehr weitesFeld. Mein Vorgänger als Obmann des Bündnisses 90/Die Grünen im Petitionsausschuss, der verehrte KollegeHelmut Wilhelm, hat den schönen Satz geprägt, der Peti-tionsausschuss sei zuständig von Atombombe bis Zahn-plombe. Auch im Berichtszeitraum finden wir wiederPetitionen von Atomkraft bis Zahnbehandlung.Auch ich hatte schon Petitionen zu geschundenenAsylbewerbern, traurigen Eisbären und zornigen Wan-dergesellen zu bearbeiten. Ob es um die verspätete oderzu geringe Rentenauszahlung, überhöhte Krankenkas-senbeiträge oder die Einstufung in die Pflegeversiche-rung geht – tagtäglich bemüht sich der Ausschuss – wiewir sehen, oft mit Erfolg – um die Lösung konkreter Pro-bleme der Bürgerinnen und Bürger.sfmrftGKmmrddtgadtdsgBlmevsnkistpdeVdaSfghSPFzrladg
Als migrations- und flüchtlingspolitischer Sprechereiner Fraktion richtet sich mein besonderes Augen-erk auf die zahlreichen Petitionen – im Berichtszeit-aum waren es circa 500 – aus dem Bereich des Auslän-er- und Asylrechts. Die Praxis hat hierbei gezeigt, dassie Anforderungen, die an den Petitionsausschuss gerich-et werden, oft weit über das hinausgehen, was wirklicheleistet werden kann. Das hat verschiedene Gründe.Zum einen ist der Petitionsausschuss kein „Härtefall-usschuss“ und kann keine Entscheidungen außerhalber gesetzlichen Grundlagen treffen, auch wenn humani-äre Gründe oder eine durchaus gelungene Integrationafür sprechen. Zum anderen werden Petitionen oft sehrpät – zum Beispiel erst kurz vor der Abschiebung – ein-ereicht oder es liegen keine Rechtsverstöße durch dasundesamt für die Anerkennung ausländischer Flücht-inge vor.Dennoch gibt es im Einzelfall auch wichtige, manch-al sogar lebensrettende Erfolge. Zum Beispiel konnteine lebensbedrohliche Abschiebung in letzter Sekundeerhindert werden. Im Sommer bekam der Petitionsaus-chuss einen dringenden Hilferuf von Hilfsorganisatio-en, die von einer bevorstehenden Abschiebung einesurdischen Kriegsdienstverweigerers berichteten. Das istnsofern ein sehr dramatischer Fall, als der Betreffendechon einmal in die Türkei abgeschoben und dort gefol-ert wurde. Als Folge davon war der Petent inzwischensychisch schwer krank und extrem selbstmordgefähr-et. Der Asylfolgeantrag wurde dennoch abgelehnt. Erstine entsprechende Petition hat dazu geführt, dass einertreter des Bundesamtes für die Anerkennung auslän-ischer Flüchtlinge in Nürnberg denjenigen persönlichufgesucht hat. Er kam ganz selbstverständlich zu demchluss – man höre und staune! –, es bestehe „kein Zwei-el, dass der Antragsteller den vorgetragenen Folterun-en ausgesetzt war“. Der Asylfolgeantrag wurde da-rauf-in genehmigt. Ich meine – ich hoffe, dass das auch fürie gilt –, dass sich allein für diesen Fall die Arbeit desetitionsausschusses im letzten Jahr schon gelohnt hätte.
Es gibt aber auch ganz andere außergewöhnlicheälle. Wir befreien, wenn es sein muss, sogar Eisbären,um Beispiel Kenneth und Boris. Das sind zwei Eisbä-en der weltweit gerühmten Eisbärendressur des ehema-igen DDR-Staatszirkus. Der Staatszirkus wurde 1990bgewickelt und die beiden Bären wurden an einenubiosen mexikanischen Zirkus verkauft. Schon baldab es Besorgnis erregende Informationen über die Art
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Josef Philip Winklerund Weise der Haltung und Pflege der beiden Eisbären,die in Form einer Petition an uns herangetragen wurden.Die beiden Bären wurden geschlagen und ausgepeitschtsowie ohne Wasser bei rund 45 Grad Hitze in kleinen,verschmutzten Käfigen gehalten. In einer Petition wurdedie Auflösung des Kaufvertrags zwischen dem Zirkusund der Bundesanstalt für vereinigungsbedingte Sonder-aufgaben gefordert. Die damalige Staatssekretärin imBundesumweltministerium, Frau Altmann, hat sich derSache persönlich angenommen. Sie hat mithilfe desAuswärtigen Amtes die beiden Eisbären gerettet. Inzwi-schen sind sie in einem anständigen Zoo in Nordamerikauntergebracht.
Ich möchte noch kurz auf Bayreuth eingehen, obwohlich das um des Friedens willen eigentlich nicht tunwollte. Wenn aber Herr Baumann das darf, dann darfauch ich das. Die Forderung nach einem Ortsbesichti-gungstermin, den die Opposition im Petitionsausschusserhoben hatte, war, wie ich finde, ganz eindeutig vomWahlkampf geprägt;
denn mit einer Ortsbesichtigung hätten wir den Men-schen vor Ort signalisiert, dass dort eventuell noch etwaszu machen wäre. Sie wissen aber ganz genau, dass dortnichts mehr zu machen war. Das Ministerium hatte ent-schieden und die Sache war gelaufen. Deswegen – undaus keinem anderen Grund – haben wir das abgelehnt.
Damit möchte ich die Misstöne beenden. Ich finde,dass der Petitionsausschuss ein Leuchtturm im Paragra-phenmeer ist. Er weist Wege aus aussichtslosen Situatio-nen und sorgt auch dafür, dass so manchem von uns,mich eingeschlossen, ein Licht aufgeht. Damit das Lichtdieses Ausschusses in Zukunft noch heller strahlenmöge, möchte ich als Katholik – ganz im Sinne des ge-rade stattgefundenen Ökumenischen Kirchentags –Martin Luther zitieren:Bittet, rufet, schreiet, suchet, klopfet, poltert – unddas muss man für und für treiben ohne Aufhören!Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Das Wort hat jetzt der Kollege Dr. Guttmacher von
der FDP-Fraktion.
Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kolle-gen! Das Recht eines jeden Bürgers, sich mit seinen Sor-geGrtrvslDsagaRdfPsmsbV1dntdRG2Ssfv32meshggZgDdlfsDe
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Dr. Karlheinz Guttmachergenommen werden konnten, weil sie eben nicht denSchwellenwert eines Gehalts von 600 Mark der DDR er-reichten. Die Rentenverordnung der DDR sah vor, dassbei den betreffenden Angehörigen des mittleren medizi-nischen Personals die Dienstjahre mit dem Faktor 1,5multipliziert wurden, damit sie dann eine angemesseneRente bekamen. Bis Ende 1996 wurden nach dem Ren-tenüberleitungsgesetz die Dienstjahre weiter mit demFaktor 1,5 ermittelt und eine entsprechend hohe Rentegezahlt.Ohne jede Begründung wurde nach dem 1. Januar1997 Vertrauensschutz nicht mehr gewährt. Die Verkür-zung der Rente durch den Wegfall des Steigerungsbe-trags liegt je nach Versicherungsbiografie des Betroffenenzwischen 150 und 200 Euro. Unter Berücksichtigung derFestlegung des Bundesverfassungsgerichts, dass dieRentenanwartschaft durch gesetzgeberische Eingriffedurchschnittlich um nicht mehr als 10 Prozent gemindertwerden darf, wird in dieser Petition gefordert, dass dieje-nigen, die nach dem 1. Januar 1997 in Rente gegangensind oder noch gehen werden, denjenigen, die davor inRente gegangen sind, gleichgestellt werden.Ich hoffe, dass der Petitionsausschuss ähnlich wie beider Befürwortung der Sonderversorgung der 35 000 Be-schäftigten des früheren Zeiss-Kombinats im Jahre 1994die Kraft und Stärke zeigt, durch eine Korrektur der Ge-setzeslage – in diesem Fall müssten wir eine kleine Kor-rektur am Sozialgesetzbuch VI anbringen – den Betrof-fenen des mittleren medizinischen Personals beimEintritt in die Rente Bestandsschutz zu gewähren.Als wohl dienstältester Abgeordneter im Petitionsaus-schuss stelle ich fest, dass unser Ausschuss als „Kum-merkiste der Nation“ sehr gut nachgefragt wird. In kei-nem anderen Ausschuss ist die Palette der Probleme, diegelöst werden sollen, so breit wie im Petitionsausschuss.Die damit verbundenen Aufgaben können die Mitgliederdes Petitionsausschusses allein nicht bewältigen. Ichdanke von Herzen allen Mitarbeitern des Ausschuss-dienstes, des Ausschusssekretariats, aber auch den bei-den Vorsitzenden im Jahr 2002, Frau Lüth und FrauSehn, meiner Fraktionskollegin, für die konstruktive Zu-sammenarbeit.Vielen Dank.
Das Wort hat jetzt der Kollege Uwe Göllner von der
SPD-Fraktion.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen undKollegen! Ich will mich dem Dank an das Sekretariat na-türlich anschließen. Herr Guttmacher, ich will in diesenDank aber auch unsere eigenen Mitarbeiter einbeziehen,ohne die wir dieses Pensum nicht leisten könnten.
Außerdem möchte ich mich bei den Damen und Her-ren Parlamentarischen Geschäftsführern ausdrücklichbeAdndaWsWEgPuzBgcstwiwuWIßsiJbvJrcebumsPbdddwn
Ich sehe die wichtigsten Aufgaben des Petitionsaus-chusses im Grundrecht eines jeden Bürgers, sich, ers-ens, an das höchste Parlament in seinem Nationalstaatenden und, zweitens – daraus resultierend –, auf einentensive Auseinandersetzung mit seinem Anliegenirklich vertrauen zu können.
Gerade in einer repräsentativen Demokratie wie dernseren wirkt das Petitionsrecht in ganz besonderereise nach außen. Es ist, wie ich meine, das wichtigstenstitut parlamentarischer Öffentlichkeitsarbeit. Au-erhalb von Wahlterminen steht der Deutsche Bundestago jedem Mann und jeder Frau offen. Seine Bedeutungst unter anderem daran erkennbar, dass wir im letztenahr, das diesen Bericht umfasst, allein 5 000 Petitionenearbeitet haben, die sich mit laufenden Gesetzgebungs-erfahren befassten.Einige der Eingaben, die ich persönlich im letztenahr zu bearbeiten hatte, zielten darauf ab, unser Zivil-echt zu durchforsten, das seit rund 100 Jahren in man-hen Paragraphen unverändert ist. Beispielsweise führtein Petent in seiner inzwischen 28. Petition die §§ 166is 168 des Strafgesetzbuches an, die er für historischnd kulturell überholt hielt.Wir haben uns mit dieser Petition befasst. Das Justiz-inisterium hat uns die Entscheidungsgrundlagen ver-chafft. Der Petent wurde darauf hingewiesen, dass diesearagraphen nach wie vor ihre Gültigkeit haben; denn sieefassen sich mit dem Schutz von Weltanschauung, mitem Strafmaß bei Zuwiderhandlung und mit dem Schutzer Totenruhe. Außerdem wurde er darauf hingewiesen,ass zeitgemäße Auslegungen gegebenenfalls erfolgenerden. Ich erwähne dieses Beispiel, weil es zeigt, dassicht jede Petition unbedingt zum Erfolg führt.
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Uwe GöllnerEine andere Petition mit gesetzesinitiativem Cha-rakter haben wir hingegen nicht abgeschlossen, sondernden Fraktionen zur Prüfung überwiesen. Sie wurde voneinem Krankenhausarzt eingereicht, der für „Ärzte ohneGrenzen“ bereits mehrfach im Ausland unterwegs war.Dadurch hat er wie viele seiner Kollegen für das Anse-hen der Bundesrepublik eine Unmenge getan, ohne einegesetzliche Arbeitsplatzgarantie nach seiner Rückkehrzu haben.In anderen europäischen Ländern ist das anders; dortführt der Einsatz im Ausland gerade dazu, dass die Ärztein ihrer persönlichen Karriere bevorteilt werden. DasBeispiel des im Ausland tätigen Arztes hat uns dazu ver-anlasst, das Petitionsverfahren nicht abzuschließen, son-dern es als Grundlage für Veränderungen an die zustän-digen Ministerien zu überweisen. Gerade vor demHintergrund, dass das letzte Jahr das „Jahr des Ehrenam-tes“ war, war dies ein besonders wichtiger Anstoß.Zugegeben: Das Petitionswesen wirkt im Stillen, weiles überwiegend die persönlichen Beschwerden einzelnerBürger behandelt. Ich merke das jede Woche, wenn dieschwarzen Kartons mit den neuen Petitionen kommen.Das bedeutet, dass man sich immer wieder neu hinein-vertiefen und sich Zeit nehmen muss; unbemerkt von derÖffentlichkeit, doch bemerkt vom Petenten, dem wirvielleicht helfen können.Den berühmten Blumentopf gewinnen wir mit unse-rer Arbeit nicht; das machen wir eher in den Fachaus-schüssen. Aufgrund dessen dauerte es immer eine ge-wisse Zeit, bis der Petitionsausschuss nach einerBundestagswahl besetzt war. Beim letzten Mal war dasanders: Zum einen fanden sich unter den alten und neuenAbgeordneten zügig genügend Mitglieder, die in den Pe-titionsausschuss wollten, zum anderen war vielleicht dieTatsache hilfreich, dass aufgrund der Verkleinerung desDeutschen Bundestages auch der Petitionsausschusskleiner geworden ist.Das führt allerdings dazu, dass wir nun mit 25 Mit-gliedern die gleiche Arbeit leisten, die wir vorher mit29 Mitgliedern geleistet haben. Die Statistik des letztenJahres – Herr Guttmann hat schon darauf hingewiesen –weist aus, dass die Eingabenzahl um exakt so viel Pro-zent geringer war, wie der Bundestag weniger Mitgliederhat. Ich führe das darauf zurück, dass die Petenten ein-sichtig sind und uns künftig mit genauso viel Arbeit be-legen.
Meine Redezeit ist abgelaufen. Ich danke Ihnen ganzherzlich für die Aufmerksamkeit.
Nächster Redner ist der Kollege Jens Spahn, CDU/
CSU-Fraktion.
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Von Kreditwesen und Asylfragen über offene Vermö-ensfragen im Osten und alle Facetten von Sozialleistun-en bis hin zu Wahlschablonen für Blinde und Petitionenür und gegen die Abschaffung der Splittingtabelle bieteter Tätigkeitsbericht des Petitionsausschusses einenundgang durch so gut wie alle Gesetze, Behörden undnstitutionen. Von allen Berichterstatterinnen und Be-ichterstattern wird viel Fleiß, Zeit und Engagement ver-angt. Dafür gibt es dann wenig Lob, kaum Anerkennungnd so gut wie keine Öffentlichkeitswirksamkeit.
mso mehr ist die exklusive Zeit im Plenum zu loben,ie uns hier heute zugestanden wird.
Ob Einzel- oder Sammelpetitionen: Jeder Petent hatin Anrecht darauf, dass seine Petition ernst genommennd verfolgt wird. Natürlich sind die Grenzen unserer)
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4018 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 48. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juni 2003
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Gabriele FrechenArbeit das geltende Recht, aber nur für Vergangenheitund Gegenwart. Für die Zukunft können, müssen und sol-len wir aus Petitionen lernen. Wo Ermessensspielraumist, da ist auch immer Platz für Einzelfallentscheidungen.Bernd Reuter hat einmal gesagt, dass wir eine Arbeitleisten, die zwischen Lust und Frust eingebettet ist; ichmöchte sagen: manchmal auch zwischen Weinen undLachen. Wenn eine Petition zum Kreditwesen damit be-ginnt, dass ein Petent versucht hat, einen Kredit mit demanderen zu tilgen, dann kann ich den weiteren Verlauf inder Akte voraussagen. Sosehr ich mir dann wünsche,meine Vorahnung möge sich nicht erfüllen, so weiß ichdoch, dass es genau so kommen wird. Wir erhalten ganztiefe und ganz nahe Einblicke in menschliche Schicksaleund können nicht immer und nicht allen helfen. Aberwenn es uns in diesen Fällen gelingt, einen geordnetenAusstieg aus der Schuldenfalle anzustoßen, dann ist dasein sehr großer Erfolg.Auf der anderen Seite habe ich wohl mit dem nötigenErnst, aber auch mit einem Schmunzeln die Petition ei-ner Unternehmerin bearbeitet, die die Steuerberaterrech-nung vom Finanzamt bezahlt haben wollte. Sie stand aufdem Standpunkt, dass sie keine Bilanzen und auch keineSteuererklärungen brauche und wenn das Finanzamt un-bedingt welche haben wolle, dann soll es dafür auch be-zahlen.
Das ist ein für Steuerzahlerinnen und Steuerzahler si-cherlich des Öfteren nachvollziehbarer Standpunkt.Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich möchte michauch bei Ihnen für die Zusammenarbeit und für die guteAtmosphäre bedanken. Die meisten Voten sind einstim-mig. Wo das nicht der Fall ist, gelingt es uns oft in derSitzung, eine Einigung zu erzielen, manchmal nicht inder ersten oder in der zweiten und manchmal eben über-haupt nicht. Manches, mit dem man draußen zu punktenhofft, wird heute aus der Opposition anders beurteilt alszur eigenen Regierungszeit.
Trotzdem denke ich, dass wir in erster Linie das Wohldes Petenten zum Ziel haben.Der größte Kummerkasten Deutschlands steht inder Schadowstraße 12 bis 13. Ich wünsche mir, dassviele Bürgerinnen und Bürger von diesem Kummerkas-ten und von dieser Möglichkeit der demokratischen Teil-habe Gebrauch machen und wir auch in den nächstenJahren unter Beweis stellen können, dass wir bestrebtsind, Lösungen zu finden.Hans-Jochen Vogel hat in seiner Rede zum 50-jähri-gen Jubiläum des Petitionsausschusses gesagt:Ich wünsche Ihnen und mir, dass der jährliche Be-richt des Petitionsausschusses auch künftig in derso genannten Kernzeit behandelt wird, und ichwünsche Ihnen und mir außerdem, dass dann dieRegierungsbank gut besetzt
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Sibylle PfeifferIch kann logischerweise nicht – Sie haben es gehört –über die Petitionen des Jahres 2002 sprechen. Aber ichhabe schon in der kurzen Zeit, in der ich Mitglied desPetitionsausschusses bin, sehr viel erlebt. Ohne michjetzt in juristische Einzelheiten zu verlieren, möchte icheinen konkreten Fall schildern. Er ist ein bisschen ent-fernt von dem großen Friede-Freude-Eierkuchen, daswir hier im Moment erleben.Es geht darum, dass ein Petent bemängelt, dass imGesetz diejenigen, die ihre Arbeitsstelle zugunsten vonArbeitslosigkeit aufgeben, gegenüber denjenigen bevor-zugt werden, die weiterhin in Teilarbeit bleiben. Mit an-deren Worten: Diejenigen, die arbeiten, werden gegenüberdenjenigen, die zu arbeiten aufhören, klar benachteiligt.Im Ergebnis motiviert die jetzige Regelung also dieMenschen, ihre Arbeitsstelle aufzugeben.Darüber, dass so etwas logischerweise nicht gewolltist, waren wir uns eigentlich einig. Ein ganz großes poli-tisches Anliegen meiner Fraktion ist es, die Menschenzur Arbeit zu bewegen.
Die Kollegen von der SPD brauchten für diese Erkennt-nis zwei Sitzungen.
Aber letztendlich sind wir dann doch zu einem einver-nehmlichen Ergebnis gekommen. Ich denke, es ist eingutes Ergebnis. Wir haben diesen Fall gemeinsam an dasBundesministerium für Wirtschaft und Arbeit als Mate-rial überwiesen. Somit kann dieses Gesetz neu überdachtwerden.Wir beschäftigen uns unter anderem auch – die Arbeitist sehr facettenreich – mit Auslandsgeschäften, Ent-wicklungshilfe und Ähnlichem. Leider läuft mir jetztmeine Redezeit davon. Es tut es mir Leid, dass ich nichtmehr über einen spannenden Fall aus dem Entwick-lungshilfebereich berichten kann, wobei wir in diesemZusammenhang nach verschwundenen Akten, genau denZeitraum betreffend, um den es in dieser Beschwerdegeht, suchen. Eine Nachfrage bei der Staatsministerin imAuswärtigen Amt hat sich als nicht sehr fruchtbar unddienlich erwiesen. Was verschwundene Akten bedeuten,wissen wir alle ganz aktuell, es ist uns nicht neu. Ichnenne nur das Stichwort „Hirsch-Märchen“ und Ähnli-ches. Ich bin aber weiterhin an dieser Akte interressiert.Da ist noch einiges anhängig und damit ist noch viel Ar-beit verbunden.Sie sehen, ich habe über den Petitionsausschuss fastnur Gutes zu berichten. Nur eines ärgert mich nach wievor – ich gebe es zu –: Die politischen Mehrheiten sindfür meine Begriffe immer noch falsch. Oft erkennt Rot-Grün Handlungsbedarf erst auf Nachfrage und nach Hil-festellung. Ich gebe in diesem Zusammenhang allerdingsdie Hoffnung nicht auf.
huAtSMldabv–IldPAmIPlwmtgRiMsGGlWgdnndTÄgPS
Es waren nur fünf, okay.
ch habe nur daran erinnert, weil Sie meinten, liebe Kol-egin, Sie würden uns immer auf die Sprünge helfen. Iniesem Falle dauert es also ein bisschen länger.Meine Damen und Herren, in diesem Jahr hatte deretitionsausschuss fast in jedem Monat Besuch aus demusland. Viele Delegationen haben uns aufgesucht, umit uns über das deutsche Petitionswesen zu diskutieren.n dieser Woche war eine Delegation des tschechischenarlaments bei uns, vor drei Wochen eine Delegation desuxemburgischen Parlaments, in der nächsten Wocheerden Delegationen aus Vietnam und Dänemark kom-en. Es besteht also ein großes Interesse an unserem Pe-itionswesen.Dies hat seinen Grund sicherlich darin, dass wir einutes Petitionssystem haben. Die bei uns bestehendenegelungen nehmen viele andere Staaten zum Vorbild,nsbesondere die jungen Demokratien. Die Väter undütter des Grundgesetzes haben 1949 eine kluge Ent-cheidung getroffen, als sie das Petitionsrecht als einrundrecht einführten. Seitdem ist es nicht mehr nur einnadenrecht des Fürsten oder des Königs; die Behand-ung von Petitionen stellt nun einen politischen Akt dar.ir Parlamentarier – das wurde schon mehrfach heraus-estellt – können Fehlentwicklungen und Fehlleistungener Verwaltungen in unserem Staat feststellen und erken-en, wo Korrekturbedarf angebracht ist. Dafür sind ge-ügend Beispiele genannt worden, die ich nicht zu wie-erholen brauche. Auch werden uns aus Sicht der Bürgerendenzen nahe gebracht, die die Notwendigkeit dernderung von politischen Normen und Gesetzen aufzei-en.Liebe Kolleginnen und Kollegen, nachdem ich unseretitionswesen gelobt habe, muss ich auch die andereeite der Medaille betrachten. Demokratie ist nichts
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4020 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 48. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juni 2003
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Klaus HagemannStatisches, sie ist nie vollkommen. Veränderungen undReformen sind notwendig. Das Petitionswesen kannnicht nur Kummerkasten sein – hier greife ich einen vomKollegen Guttmacher gebrauchten Begriff auf –, auchnicht nur politische „Telefonseelsorge“. Der Petitions-ausschuss muss zwar auch dies sein – hier leistet derAusschussdienst hervorragende Arbeit und fängt sehrvieles auf –;
aber er soll darüber hinaus zur aktiven Teilhabe des Vol-kes an der politischen Willensbildung beitragen. Überdie alle vier Jahre stattfindenden Wahlen hinaus kann derBürger – hier appelliere ich an die Zuhörerinnen und Zu-hörer, insbesondere an unsere jugendlichen Besucherin-nen und Besucher – sein Recht wahrnehmen, durch diePetitionen auf die Politik einzuwirken. Die Herausforde-rung besteht hier darin, bürgerschaftliches Engagementeinzubringen: nicht nur zu meckern, sondern auch zuhandeln.Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Weiterentwick-lung des Petitionswesens – darauf werde ich den Restmeiner Redezeit verwenden – hat ihren Niederschlagauch in der Koalitionsvereinbarung zwischen SPD undGrünen gefunden. Ich zitiere:Wir wollen das Petitionsrecht über die Lösung indi-vidueller Anliegen hinaus zu einem politischenMitwirkungsrecht der Bürgerinnen und Bürger ge-stalten.Dies ist zumindest für meine Arbeitsgruppe die Über-schrift für das, was in den nächsten drei Jahren noch aufder Tagesordnung des Petitionsausschusses steht. Mankann es auch so formulieren: Es geht darum, unser Peti-tionsrecht für das 21. Jahrhundert fit zu machen. Dabeikönnen wir auf einem guten Fundament aufbauen.Lassen Sie mich einige Beispiele dafür nennen, wowir meiner Ansicht nach ansetzen müssen, um unser Pe-titionswesen weiterzuentwickeln, denn es genügt nicht,nur zu jammern, dass wir zu wenig Aufmerksamkeit derPresse erreichen; ich bedauere das genauso. Aber wirmüssen uns einmal selbst fragen: Woran liegt es, dassdieses Interesse etwas nachgelassen hat? Vielleicht lie-gen die Fehler auch bei uns und die Weiterentwicklungmuss von uns ausgehen. Wir müssen mehr Präsenz inden Wahlkreisen, draußen in der Republik zeigen undvor Ort sein, nicht nur bei Vor-Ort-Terminen im Zusam-menhang mit Petitionen; vielmehr müssen wir auch mitden Petenten und Petentinnen vor Ort reden.
Die SPD-Arbeitsgruppe hatte diese Woche einen interes-santen Vor-Ort-Termin im Wahlkreis Fürth, bei dem wirüber die Unterbringung Asylsuchender in Fürth und inZirndorf, aber auch über die Problematik von Kuren undRehabilitation gesprochen haben.Lieber Kollege Baumann, es ist sicherlich eine guteArbeit, vor Ort mit den Leuten zu reden; Sie werden dasgenauso machen. Wir wollen dies fortführen.WlislöDdFdZwweMzketsAltrgddzrMgküdnUrfMPetdtdsmgt
an soll nicht nur auf die anderen zeigen; drei Fingereigen immer wieder auf einen selbst zurück.Ebenso sollten wir mehr Gebrauch von der Möglich-eit zur Akteneinsicht machen. Aber dabei stehen wiriner großen Bürokratie gegenüber. Uns fehlen Hilfsmit-el hierfür. Wir sollten darüber nachdenken, wie wir die-es Instrument verbessern und verstärkt nutzen können.ußerdem ist es sicherlich nicht ausreichend, liebe Kol-eginnen und Kollegen, nur einmal im Jahr über das Peti-ionsrecht zu diskutieren.
Lassen Sie mich einen letzten Punkt ansprechen; da-über haben wir uns auch in Schottland bei dessen jun-em Parlament, das neue Ideen hat, informiert. Es gehtarum, neben dem bereits vorhandenen Bürgerbüro auchas Internet wesentlich stärker in die Petitionsarbeit ein-ubeziehen. In dieser Hinsicht können wir das Petitions-echt weiterempfehlen, damit sich insbesondere jungeenschen – ich gucke wieder nach oben zu unseren jun-en Gästen – verstärkt in die Petitionsarbeit einbringenönnen. In diesem Zusammenhang muss sicherlich auchber eine Grundgesetzänderung nachgedacht werden,enn der berühmte Art. 17, der hier schon mehrfach ge-annt worden ist, regelt, dass man die entsprechendennterlagen in schriftlicher Form und unterschrieben ein-eichen muss. Dafür müssen wir sicherlich neue Formeninden, über die wir zu diskutieren haben.Ein wichtiger Punkt ist die Zusammenarbeit mitenschen, die Interesse an der Weiterentwicklung desetitionsrechts haben, wie beispielsweise mit dem Ver-in zur Förderung des Petitionswesens in der Demokra-ie, der am 23. Mai in Bremen eine interessante Tagungurchgeführt hat. Auch hier gibt es Ansätze, die wir be-rachten sollten. Die angesprochene Veranstaltung hatteas Thema „Mit Petitionen Politik verändern“. Dasollte Motto für uns sein; es ist Maxime für mich undeine Arbeit. Ich lade Sie ein, dies mit der SPD-Arbeits-ruppe zusammen zu tun.Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit. Auf wei-erhin gute Kooperation in diesem Petitionsausschuss!
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Klaus Hagemann
Letzter Redner in dieser Debatte ist der Kollege
Holger Haibach, CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kolle-gen! Herr Kollege Hagemann, Sie haben Recht: Öffent-lichkeitsarbeit muss verstärkt stattfinden. Wenn man al-lerdings anderthalb Jahre vor einer Landtagswahlbeschließt, dass ein Termin in Bayreuth ein Wahlkampf-termin ist, dann wird man das nicht so einfach hinbe-kommen, fürchte ich.
Alle Bereiche des täglichen Lebens, in denen Bürge-rinnen und Bürger auf Verwaltungen und Institutionentreffen, können Gegenstand von Petitionen sein, mit de-nen wir uns dann zu beschäftigen haben. Deshalb ist es– das klang hier auch schon an – gerade für einen neuenAbgeordneten besonders lehr- und hilfreich, sich im Pe-titionsausschuss umzutun. Dafür gibt es zwei Gründe:Kein anderer Ausschuss bietet die Möglichkeit, sich mitder gesamten politischen Bandbreite der Themen zu be-schäftigen. Kein anderer Ausschuss bietet die Möglich-keit, sich so direkt mit Bürgern auseinander zu setzenund ihnen zu helfen, wobei leider auch zur Wahrheit ge-hört, dass Hilfe eben nicht immer möglich ist.Um das, was der Kollege Hagemann gesagt hat, nocheinmal aufzugreifen: Ich habe kürzlich eine Reise in denIran und in die Türkei unternommen und konnte dort mitVertretern der Petitionsausschüsse der Parlamente dieserLänder sprechen. Dabei ist mir wieder klar geworden,welch hohes Gut das Petitionsrecht ist und wie wichtiges für die Weiterentwicklung der Demokratie ist.
Die Deutschen und auch die in Deutschland lebendenAusländer machen von ihrem Petitionsrecht sehr häufigGebrauch. Dabei steht Originelles neben sehr Ernsthaf-tem. Zum Thema Originelles habe ich auch etwas beizu-tragen: Ich habe eine Petition einer Dame bearbeitet, diedie Abschaffung elektrischer Wäschetrockner geforderthat. Das Anliegen wurde genau geprüft, unter anderemvom Bundesumweltministerium. Nicht weiter überra-schend ist das Ergebnis: Diesem Anliegen konnte natür-lich nicht entsprochen werden.Nun wieder ernsthaft: Die Frau Vorsitzende hat be-reits gesagt, dass der Petitionsausschuss sozusagen derSeismograph für politische Fehlentwicklungen ist. Dazuist zu sagen, dass die Zahl der ausländerrechtlichen Pe-titionen im Gegensatz zu der der Petitionen insgesamtimmer noch gleich hoch ist. Ich möchte dazu einige Bei-spielsfälle nennen, die mir im Laufe der Zeit begegnetsbSegadkfFwmnefePzLsSgsEztngrtdBwndl§hW
Wie wichtig das ist, möchte ich gern mit einem Zitat,as ich hier mit Genehmigung der Frau Präsidentin vor-esen möchte, unterstreichen. Es geht dabei speziell um96 des Bundesvertriebenengesetzes. In diesem Zitateißt es:Mit diesem Paragraphen haben Bund und Länder ...die Verpflichtung übernommen, das kulturelle undhistorische Erbe der ehemaligen deutschen Ostpro-vinzen … sowie der historischen Siedlungsgebietein Ost-, Mittelost- und Südosteuropa zu sichern undzu bewahren. In diesen Gebieten befinden sichZeugnisse deutscher Kultur von unschätzbaremWert. Sie müssen für kommende Generationen imIn- und Ausland erhalten werden.eiter unten heißt es:In erster Linie ist die staatliche Förderung aber eineAufgabe des Bundes.
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Holger HaibachDiese Worte stammen aus einem Artikel mit dem Ti-tel „Europas geschichtliches Erbe – Die Erinnerung andie Vertreibungsverbrechen gehört dazu“. Autor ist derBundesinnenminister Otto Schily.
Es wäre schön gewesen, wenn Sie auch in diesem Fallauf Ihren Minister gehört hätten, wie Sie das normaler-weise tun.Trotz dieser Auseinandersetzung in diesem und viel-leicht auch in manch anderem Bereich glaube ich, dass dieZusammenarbeit im Allgemeinen gut funktioniert. Ichhoffe – das möchte ich zum Abschluss noch betonen –,dass die Zusammenarbeit im Sinne der Petentinnen undPetenten auch weiterhin zielorientiert und effektiv ver-läuft.Herzlichen Dank.
Ich schließe die Aussprache.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 7 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten
Wolfgang Bosbach, Hartmut Koschyk, Thomas
Strobl , weiterer Abgeordneter und
der Fraktion der CDU/CSU
Europäische Ausländer-, Asyl- und Zuwande-
rungspolitik transparent machen
– Drucksache 15/655 –
Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss
Rechtsausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Gesundheit und Soziale Sicherung
Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Stunde vorgesehen. – Ich höre keinen
Widerspruch, dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege
Dr. Ole Schröder, CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Heutetreffen sich in Brüssel wieder einmal die Justiz- und dieInnenminister der Europäischen Union. InnenministerSchily entscheidet in diesem Moment mit seiner Stimmeüber wichtige Fragen der Asyl- und Ausländerpolitik.
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nser Grundgesetz verpflichtet die Bundesregierung,ns, den Bundestag, umfassend und zum frühestmögli-hen Zeitpunkt über die Beratungen und anstehendenntscheidungen in EU-Angelegenheiten zu informie-en. Diese Unterrichtungspflicht umfasst alle Vorha-en, auch die der Zuwanderungspolitik innerhalb derU.
ie Unterrichtung hat vollständig und detailliert zu er-olgen.Mit dem heutigen Antrag wollen wir dafür sorgen,ass die Bundesregierung endlich ihrer Verpflichtungachkommt.
erade das sensible Thema der Zuwanderung bedarf desesellschaftlichen Konsenses und muss von der Bevöl-erung mitgetragen werden.
as dient auch der Gewährleistung des inneren Friedensnd der inneren Sicherheit in unserem Land.Doch während wir auf nationaler Ebene noch überas von der rot-grünen Regierung erneut eingebrachteuwanderungsgesetz diskutiert haben, wird auf EU-bene bereits darüber entschieden, die Zufluchtsmög-ichkeiten auf Personen auszuweiten, die nicht staatlicherfolgt sind, und das mit der Möglichkeit des vollen Fa-iliennachzugs, auch bei gleichgeschlechtlichen Le-enspartnerschaften.
arüber hinaus wird die Drittstaatenregelung, die we-entliche Säule unseres Asylrechtskompromisses ausem Jahr 1993, der ja zu einem erheblichen Rückganges Asylmissbrauchs führte, faktisch abgeschafft,
hne dass in Deutschland ernsthaft Kenntnis davon ge-ommen wird.
st es das, was die Bundesregierung unter ausreichenderitwirkung des Bundestages versteht?Die Regierung verzögert immer wieder die Weiterlei-ng von wichtigen Ratsdokumenten.
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Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 48. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juni 2003 4023
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Dr. Ole SchröderMeine Damen und Herren, die Richtlinie zur Festle-gung von Mindestnormen für die Aufnahme vonAsylbewerbern wurde Ende Januar dieses Jahres inBrüssel verabschiedet. Durch diese Richtlinie werdenRegelungen getroffen, die maßgebliche Auswirkungenfür die Akzeptanz von Ausländern insgesamt haben. Sowerden zum Beispiel ihr Zugang zum Arbeitsmarkt unddie Ausweitung der Gewährung von teuren Sozialleis-tungen geregelt. Aber ist diese Richtlinie jemals im Bun-destag oder in einem seiner Ausschüsse beraten worden?Wir haben in der Tat darüber beraten – am 12. März,zwei Monate nach Verabschiedung der Richtlinie. Nocheinmal zum Mitschreiben: Wir haben zwei Monate nachder Verabschiedung Gelegenheit bekommen, über dieseRichtlinie zu diskutieren.
Nur so viel zum Begriff „frühestmöglicher Zeitpunkt“.Ein anderes Beispiel, liebe Kolleginnen und Kolle-gen, zum Thema der umfassenden Informationspflicht:Der Innenminister ist vor der letzten Ratssitzung nochnicht einmal bereit gewesen, dem Innenausschuss seinenStandpunkt zu den anstehenden Verhandlungen darzule-gen.
Es ging immerhin um die Ausweitung des Flüchtlings-begriffs einschließlich der damit verbundenen Statusauf-wertung für Flüchtlinge sowie um die weitgehendeGleichstellung von EU-Bürgern mit EU-Ausländern mitallen Rechten und Vergünstigungen. Informationen wur-den von den Parlamentarischen Staatssekretären unterdem Vorwand verweigert, man wolle die Verhandlungs-strategie nicht preisgeben.Meine Damen und Herren, hier geht es nicht um eineStrategie, hier geht es um einen Standpunkt. Hier geht esdarum zu erfahren, welche Ausländerpolitik die Bun-desregierung im Namen Deutschlands auf EU-Ebenevertritt.
Die Bundesregierung traut sich offensichtlich nicht, derÖffentlichkeit zu erklären, dass sie sich einem erweiter-ten Zuzug Asylsuchender in die EU nicht widersetzt.Dass die Regierung nicht bereit ist, ihren Standpunkt vordem JI-Rat zu erläutern, lässt für mich drei möglicheSchlussfolgerungen zu: Entweder befasst sich niemandin der Regierung damit;
oder der Informationsfluss zwischen der Ständigen Vertre-tung in Brüssel und der Regierung funktioniert nicht – daskann ich mir beim besten Willen nicht vorstellen –;
oder es wird, was nahe liegt, versucht zu blockieren
uadnvladadHfmIwsKFikühhdkattsddsdiDwV
ier wird ein gescheitertes Gesetz durch die Hintertürür Deutschland bindend gemacht. Dies geschieht unbe-erkt von der deutschen Öffentlichkeit.
ch frage Sie: Wollen Sie das wirklich zulassen? Müssenir uns als Abgeordnete dieses Hauses nicht darauf be-innen, welche Verpflichtung wir haben?
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage der
ollegin Sonntag-Wolgast?
Ich denke, im Laufe meines Vortrages werden alleragen beantwortet werden.
Wie können wir auf EU-Ebene zu mehr Transparenzn der Asyl- und Zuwanderungspolitik kommen? Wieönnen wir das praktisch umsetzen? Es müssen endlichbersichtliche und zeitnahe Aufstellungen über den Ver-andlungsstand der EU-Vorlagen erstellt werden. Diesaben wir in unserem Antrag näher ausgeführt. Die Bun-esregierung soll dabei klar benennen, welche Auswir-ung ihr Abstimmungsverhalten auf europäischer Ebeneuf das deutsche Asyl- und Ausländerrecht hat.Meine Damen und Herren, wenn wir es als Parlamen-arier in eigener Verantwortung nicht schaffen, unser Be-eiligungsinteresse gegen die Bundesregierung durchzu-etzen, müssen wir auch darüber nachdenken, Art. 23es Grundgesetzes entsprechend anzupassen. Wir wer-en im Rahmen der Zustimmung zum neuen europäi-chen Verfassungsvertrag Gelegenheit dazu haben; dennie Zustimmung bedarf der Zweidrittelmehrheit sowohlm Bundestag wie auch im Bundesrat.
as Vorliegen einer Stellungnahme des Bundestagesird zwingende Voraussetzung für die Aufnahme vonerhandlungen auf EU-Ebene sein.
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4024 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 48. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juni 2003
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Dr. Ole SchröderDie für die Zukunft unseres Landes entscheidendeFrage, ob wir mehr Zuwanderung in unser Land wol-len, darf nicht am deutschen Parlament und der deut-schen Bevölkerung vorbei geregelt werden.
Lassen Sie nicht zu, dass ein so wichtiges Thema wie dieZuwanderung ohne Beteiligung des Bundestages ent-schieden wird!Danke schön.
Das Wort hat die Parlamentarische Staatssekretärin
Ute Vogt.
U
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kolle-
gen! In ihrem Antrag fordert die CDU/CSU, dass der
Deutsche Bundestag umfassend und zum frühestmögli-
chen Zeitpunkt zu informieren sei. Ich sage Ihnen: Die-
ser Antrag ist entbehrlich.
Das, was Sie unter Punkt 1 geschrieben haben – zumin-
dest das, was ich genannt habe –, ist bereits in unserem
Grundgesetz niedergelegt und wird von der Bundesre-
gierung auch eingehalten.
Ich muss mich fragen, wo Sie, meine Damen und
Herren von der CDU/CSU, in den letzten Wochen, Mo-
naten und Jahren gewesen sind. Allein im Innenaus-
schuss haben wir seit dem Rat von Lissabon, also seit
März 2000, in nahezu 40 Vor- und Nachberichten dem
Parlament Rechenschaft abgelegt.
Wenn Sie das auf die Zahl der Sitzungen des Innenaus-
schusses umrechnen, dann kommen Sie zu dem Ergeb-
nis, dass wir uns in etwa 60 Prozent der Sitzungen mit
diesem Themenbereich befasst haben.
Frau Staatssekretärin, gestatten Sie eine Zwischen-
frage des Kollegen Koschyk?
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Gerne.
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Frau Staatssekretärin, sind Sie bereit, einzuräumen,
ass die Obleute gemeinsam mit dem Innenausschuss
rst am Beginn dieser Legislaturperiode auf Drängen der
nion ein Verfahren verabredet und Fristen für die Vor-
nd Nachberichte zu den EU-Innen- und -Justizminister-
äten festgelegt haben?
Sind Sie auch bereit, einzuräumen, dass die Bundes-
egierung – einmal durch Sie und einmal durch den
taatssekretär Körper – im Hinblick auf das Nachzugsal-
er völlig widersprüchliche Aussagen im Ausschuss und
n der Fragestunde am gleichen Tag gemacht hat? Ver-
tehen Sie das unter einer umfassenden Informations-
flicht gegenüber dem Parlament?
U
Sehr geehrter Kollege Koschyk, auf das Nachzugsal-er werde ich im Laufe meiner Rede noch zu sprechenommen.
ber die entsprechend geltenden Rechtssetzungen sindie unverzüglich informiert worden.
Bezüglich des neuen Verfahrens kann ich für die Bun-esregierung unter unserer Verantwortung nur bestäti-en, dass wir unsere Berichtspflicht immer sehr regel-äßig wahrgenommen haben. Ich muss allerdingsinräumen, dass die Union in der Tat erst seit der neuenegislaturperiode ein intensives Interesse an diesen Be-ichten zeigt. Diese sind vorher nicht so intensiv disku-iert worden. Das lag aber nicht an der mangelnden Vor-age.
Wenn Sie schon danach fragen, möchte ich Sie nochn ein Zweites erinnern. Es gab Zeiten, in denen ich un-er einem anderen Bundesinnenminister in der Opposi-ion saß.
ch kann mich kaum daran erinnern,
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Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 48. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juni 2003 4025
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Parl. Staatssekretärin Ute Vogtdass es überhaupt relevante Berichte dieser Art gab, weilder damalige Herr Innenminister noch nicht einmal per-sönlich zu diesen Sitzungen gefahren ist. Deshalb hatDeutschland bei den entsprechenden Verhandlungen derEuropäischen Union überhaupt keine Rolle gespielt.
Unsere Bundesregierung gewährleistet jedenfalls das,was durch die Verfassung vorgegeben wird. Liebe Kolle-ginnen und Kollegen, eines werden wir aber nicht tun:Wir werden nicht das aufkündigen, was in unserer Ver-fassung mit gutem Recht und Sinn festgelegt wurde,nämlich die Gewaltenteilung zwischen Legislative undExekutive.
Das, was Sie am Ende Ihres Antrages vorschlagen, hätteein Maßgabegesetz zur Folge, wodurch diese Trennungaufgehoben werden würde.
Nun habe ich, genauso wie sicherlich auch viele mei-ner Kolleginnen und Kollegen, durchaus Verständnis da-für, dass Sie trauern, zum Teil verärgert und manchmalauch richtig wütend darüber sind, dass Sie nicht dieChance haben, selbst zu regieren.
Trotzdem muss man eine demokratische Entscheidungund die Tatsache akzeptieren, dass die Bundesregierungihre eigenen vernünftigen Verhandlungspositionen nichtgegen die Ansichten der Opposition austauschen unddazu übergehen wird, diese in den Verhandlungen zuvertreten.
Ich glaube, so etwas muss auch von der Opposition ak-zeptiert werden, wenn sie die demokratischen Spielre-geln kennt und auch anwendet.
Herr Koschyk, ich will gerne ein von Ihnen schon an-gesprochenes Thema inhaltlich aufgreifen. In der Tat:Wir haben im Februar eine wichtige Richtlinie zurFamilienzusammenführung zwar noch nicht beschlos-sen – vermutlich wird sie heute, gerade in diesen Stun-den, beschlossen –, haben uns über ihre konkrete Aus-gestaltung aber schon geeinigt. Unser Ziel, auch durchdiese Richtlinie, – wie durch andere auch – die Zuwan-dtwdRBehhcrdknardlzthJHrnf1nteedBsnC
urde gerade an diesem Beispiel sehr eindrucksvolleutlich gemacht.
Die Familienzusammenführung wird gemäß derichtlinie auf die Kernfamilie begrenzt. Wir haben zumeispiel erreicht, dass die Einreise derjenigen, die sichxtremistisch betätigen, versagt werden kann. Danebenaben wir erreicht, dass Deutschland die Möglichkeitat, für Kinder über zwölf Jahre davon Gebrauch zu ma-hen, den Nachzug von entsprechenden Integrationsvo-aussetzungen abhängig zu machen, also zum Beispielavon, ob die Sprache schon beherrscht wird oder oblar ist, dass sie in kurzer Zeit erlernt werden kann.
Für diejenigen, die die Richtlinie nicht so genau ken-en, sage ich: In der Europäischen Richtlinie ist für allenderen Mitgliedstaaten ein Nachzugsalter von 18 Jah-en vorgesehen.Nun lese ich in Abschnitt 2 Ihres Antrages, dass Sieas geltende Ausländer- und Asylrecht gerne als Grund-age für die Verhandlungen nutzen würden. Gleichzeitigiehen Sie durch die Lande und bejammern als die Par-ei, die das Fähnchen für die Familien gerne besondersochhält, dass man das Nachzugsalter nicht auf sechsahre absenken kann.
ätten wir Ihrem Antrag gemäß auf der Grundlage unse-es geltenden Rechts verhandelt, hätten wir keine Aus-ahmemöglichkeit, das Nachzugsalter auf zwölf Jahreestzusetzen, sondern hätten ein Nachzugsalter von6 Jahren akzeptieren müssen. Dieses Alter liegt immeroch unter dem, was die EU vorgibt. Ich möchte Sie bit-n, sich einmal zu überlegen, was Sie politisch wollen:ntweder geltendes Recht oder Ihre eigenen Positionen,ie Sie im Lande verkünden.
eides jedenfalls passt nicht zusammen, jedenfalls nichto, wie Sie es hier vorgetragen haben.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, es ist kein Geheim-is, dass es in der Europapolitik zwischen CDU undSU große Unterschiede gibt.
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4026 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 48. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juni 2003
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Parl. Staatssekretärin Ute VogtSelbst die „Rheinische Post“ schrieb gestern: Europa-streit der Union schaukelt sich hoch. Im Artikel wirdnachvollziehbar und auch so, wie wir es erleben, derDissens beschrieben, der sich zwischen CDU und CSUmehr und mehr breit macht, insbesondere in aktuellenFragen der Europapolitik.
Gerade Sie, Herr Strobl, müssten wissen, dass nicht zu-letzt Wolfgang Schäuble unter so eingrenzenden euro-päischen Debatten, wie sie vonseiten der CSU geführtwerden, zu Recht leidet.
Der Europastreit in der Union schaukelt sich hochund findet seinen Ausdruck in Anträgen, in denen Siesich an Formalien klammern und meinen, der Bundesre-gierung etwas zuschieben zu müssen. Ich möchte Sie inunser aller Interesse bitten, dass Sie zu einer konstrukti-ven Europapolitik zurückkehren, wie es wenigstens voreinigen Jahren in Ihrer Fraktion der Fall gewesen ist.
Sie müssen das anerkennen, was wir alle wussten, alswir uns mit Freude auf den Weg zu einem vereinten Eu-ropa gemacht haben: Europa bedeutet nicht, dass einLand den Segen für alle bringt, sondern es bedeutet, dassalle miteinander an einem Tisch verhandeln müssen.Man muss sich zusammensetzen und akzeptieren, dassman nicht alles 1 : 1 erreicht, was man selber gernehätte. Man muss in der Lage sein, auf andere zuzugehenund zusammen mit den anderen ein gemeinsames Eu-ropa zu bauen.Zur Verhandlungsposition – Herr Schröder hat es nocheinmal angesprochen –: Wir erläutern unseren Standpunktin jeder Ausschusssitzung mit Freude aufs Neue. Waswir natürlich nicht tun können, ist, die Verhandlungsstra-tegie ganz genau darzulegen. Aber ich glaube, dass je-der, der etwas von Politik und der Möglichkeit, etwasdurchzusetzen, versteht, weiß, dass man dies nicht ma-chen kann.Ich kann Sie darum nur bitten: Vertrauen Sie demBundesinnenminister. Seine Verhandlungsergebnissezeigen uns jedes Mal aufs Neue, dass er derjenige ist, derdas Interesse unseres Landes in Europa mit maximalemErfolg vertritt. Darauf kommt es am Ende an. Darüberinformieren wir Sie gerne jederzeit erneut.
Nächster Redner ist der Kollege Dr. Max Stadler,
FDP-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen undHerren! Es fällt mir als FDP-Politiker schwer, einfachwTmlsamnldfmddfKFDdEEgmbiDcedtadsnDedndrBHgEwks
Wir brauchen den öffentlichen Diskurs, die öffentli-he Debatte über die entscheidenden politischen Fragen,gal ob sie auf Länderebene, auf Bundesebene oder aufer EU-Ebene diskutiert werden. Deswegen ist es rich-ig, dass sich der Deutsche Bundestag einschaltet. Wirls FDP ergreifen ganz klar Partei für die Rechte deseutschen Parlaments, wie sie in Art. 23 des Grundge-etzes festgelegt sind.
Dennoch werden wir den CDU/CSU-Antrag ableh-en.
enn er bringt erstens nichts wesentlich Neues; soweitr Neues bringt, geht er, zweitens, zu weit – ich werdeas noch begründen –, und drittens sind wir der Mei-ung, dass eine Einigung über eine Migrationspolitik aufer EU-Ebene dringend erforderlich ist, was Sie mit Ih-em Antrag ja verhindern wollen.
Es ist immer zu begrüßen, wenn neue Kollegen imundestag versuchen, die Routine zu durchbrechen.err Dr. Schröder, der den Antrag der Union gerade be-ründet hat, hat sich darum verdient gemacht, dass dieU-Themen jetzt verstärkt im Innenausschuss diskutierterden. Ich muss Ihnen trotzdem berichten: Das isteine Neuigkeit. Darüber haben wir uns auch früherchon Gedanken gemacht.
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Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 48. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juni 2003 4027
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Dr. Max StadlerIch erinnere mich gut an ein Gespräch, das wir mitholländischen Abgeordneten geführt haben, in dem wiruns informiert haben, wie sie dies halten: Die niederlän-dische Regierung hat in der Tat ein imperatives Mandatfür ihre Position im EU-Ministerrat. Seinerzeit habenalle Fraktionen einvernehmlich die Auffassung vertre-ten: Der richtige Weg besteht darin, dass wir uns recht-zeitig in die Debatten einklinken, dass wir eine öffentli-che Debatte herbeiführen, dass wir der Bundesregierungunsere Meinung mit auf den Weg geben – aber bewusstnicht in Form eines imperativen Mandats. Warum? –Dies wäre nicht flexibel genug und ist der Verhandlungs-ebene EU nicht angemessen. Dass sich eine Bundesre-gierung in Verhandlungen mit zahlreichen europäischenPartnerstaaten auf eine Einigung hinbewegt – bei derMigrationspolitik halten wir dies, wie gesagt, sogar fürdringend erforderlich –, wird unmöglich, wenn, wie Siedies in Ihrem Antrag wollen, die Verhandlungspositionetwa durch ein so genanntes Mandatsgesetz ein für alleMal festgeschrieben ist. Wenn das alle EU-Staaten täten,wäre jegliche Einigung von vornherein völlig ausge-schlossen. Das zeigt, dass der Weg, den Sie vorschlagen,nicht der richtige Weg ist.
Im Übrigen fällt mir auf, dass Sie ohnehin die letzteKonsequenz scheuen. Sie wollen in Ihrem Antrag dieVerhandlungspositionen festschreiben. Das nutzt aber inIhrem Sinne gar nichts. Eine anfängliche Verhandlungs-position kann ich zwar festschreiben, entscheidend istdann aber die Abstimmungsposition. Das haben Sienicht einmal so formuliert. Es wäre auch wirklich unsin-nig, eine solche Bindung vorzunehmen.Ich sage dies, obwohl ich selber das Interesse einerOppositionspartei habe, in diesen Diskussionen mitzu-wirken. Auch wenn jeder Vergleich ein wenig hinkt, abernehmen wir doch einmal das Beispiel des Bundesrates:Ist es denn dort so, Herr Kollege Koschyk, dass diebayerische Landtagsopposition der bayerischen CSU-Staatsregierung verbindliche Direktiven für ein Abstim-mungsverhalten mitgibt? – Keineswegs, und das ist docheine gewisse Parallele.
– Da meine Redezeit fast schon zu Ende ist, kann ichjetzt keine Zwischenfrage mehr zulassen.Zum Schluss möchte ich noch eine Bemerkung los-werden: Sie von der Union haben uns in den 90er-Jahrenin der Asyldebatte immer wieder entgegengehalten, dasGrundrecht auf Asyl, das wir verteidigt haben, werdesich in Europa nicht halten lassen. Jetzt haben sich an-scheinend die Vorzeichen geändert. Von der EU kommteine liberale Migrationspolitik. Wir als FDP fürchtendiese nicht, Ihnen aber entspricht sie verständlicherweisenicht.Vielen Dank.
MdBlgtpPrkplaaamvmpuwDwGDlkzDnwacdlwsBgud
nd dass man auf europäischer Ebene nicht mit der Er-artung antreten kann, die politischen Vorstellungeneutschlands könnten uneingeschränkt übernommenerden.Es geht mir um den mangelnden demokratischeneist, den Sie mit Ihrem Antrag offenbaren.
ieser Geist wird in der Begründung Ihres Antrags deut-ich. Sie weisen darin zunächst auf das Einstimmig-eitserfordernis innerhalb der EU hin, um dann fest-ustellen, dass dieses Erfordernis die Bundesrepublikeutschland in die Lage versetzt, die Verabschiedung ei-er Ihrer Ansicht nach unangemessen großzügigen Ein-anderungspolitik zu verhindern. Hier wird also daraufbgestellt, dass Deutschland die Möglichkeit einer Blo-kadepolitik hat, die auch in Anspruch genommen wer-en sollte. – Das kann sich vielleicht eine Oppositioneisten, aber eine Regierung kann nicht so verfahren,enn sie ein produktiver und konstruktiver Teil Europasein möchte.
Jenseits der Verfahrensfrage ist in der umfangreichenegründung des Antrags noch einmal alles zusammen-etragen worden, das Ihre Sicht der Welt, der Migrationnd der Flüchtlingspolitik offenbart. In der Tat wird wie-er deutlich, wie tief der Graben ist. Sie stellen erneut
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4028 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 48. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juni 2003
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Parl. Staatssekretärin Marieluise Beckdarauf ab, dass der Entwurf des Zuwanderungsgesetzes,der den Bundestag bereits passiert hat, vermeintlich zueiner massiven Zunahme der Einwanderung führenwürde.Ich möchte die Gelegenheit nutzen, Sie noch einmalzu bitten: Hören Sie doch mit dieser Verunsicherungder Bevölkerung auf, die sachlich nicht haltbar ist!
Vielleicht muss ich es noch einmal Punkt für Punkt aus-führen, wenn es Ihnen so schwer fällt, es zu verstehen.Welche Zuwanderungsmöglichkeiten die EU-Bürge-rinnen und Bürger haben,
entzieht sich aufgrund des Rechts auf Freizügigkeit jeg-licher nationalen Gesetzgebung – sowohl unter unsererRegierung als auch unter einer von Ihnen geführten Re-gierung.Was den Familiennachzug aus Drittländern angeht,behaupten Sie fälschlicherweise, das sei die inzwischengrößte Zuwanderungsgruppe unter in Deutschland le-benden Ausländern. Das ist in der Sache falsch. Offen-sichtlich haben Sie noch nicht gemerkt, dass sich auchdie Zusammensetzung unserer Bevölkerung ändert. Esgibt nämlich zunehmend mehr Deutsche, die Ausländeroder Ausländerinnen heiraten. Bei dem Ehegattennach-zug von Ausländern nach Deutschland handelt es sich zumehr als 50 Prozent um den Zuzug zu Deutschen, die au-ßerhalb des Landes geheiratet haben. Wollen Sie diesenMenschen erklären, dass Sie das Recht auf Zusammenle-ben in einer Familie gesetzlich einschränken wollen?
– Wenn Sie sagen, darum gehe es nicht, stimmen wir indieser Frage ja überein. – Insofern gibt es auch in diesemBereich nur begrenzte Steuerungsmöglichkeiten.Es gibt des Weiteren die Gruppe der Spätaussiedler.Gestern haben wir im Innenausschuss darüber gespro-chen, dass es scheinbar fraktionsübergreifend Überle-gungen gibt, die Ansiedlungspolitik sehr behutsam undsensibel zurückzufahren.Daneben gibt es die Gruppe der jüdischen Kontingentzu-wanderer. Ich gehe davon aus, dass niemand in diesemHaus diese Zuwanderung infrage stellt. Und schließlichgibt es die Gruppe der Asylbewerber, die Schutz suchenund die aufgrund von völkerrechtlichen Verbindlichkei-ten – sei es die Genfer Flüchtlingskonvention, sei es dieEuropäische Menschenrechtskonvention – auch einRecht auf Schutz in Deutschland haben.Das alles ist bisher in dem alten Ausländerrecht gere-gelt gewesen und wird auch in dem neuen Ausländer-rsAckEbszrdsBdndpsggdzvrsmPmziavwgrrEddwdamC
s ist absehbar, dass angesichts einer solch hohen Ar-eitslosigkeit wie im Augenblick dieses kleine Türchenehr schmal bleiben wird; denn es gilt das Vorrangprin-ip. Es ist durch nichts, aber auch durch gar nichts ge-echtfertigt, dass Sie ständig – offensichtlich bewusst;enn Sie müssten inzwischen in der Lage sein, den Ge-etzentwurf zu lesen – Verunsicherung und Ängste in derevölkerung hervorrufen, indem Sie vor einem drohen-en massenhaften Zuzug warnen. Es ist schlichtwegicht in Ordnung, bei einem solch sensiblen Thema inieser Art und Weise öffentlich zu agieren.
Ich möchte noch auf einen anderen inhaltlichen Kern-unkt zu sprechen kommen. Sie verbinden – das hat sichchon in der gestrigen Beratung des Innenausschussesezeigt – die Ausländerinnen und Ausländer überwie-end mit Worten wie „Defizit“, „Problem“, „Herausfor-erung“ oder „Konflikt“. Offensichtlich wollen Sie nichtur Kenntnis nehmen, dass inzwischen eine große Zahlon Migrantinnen und Migranten Teil unserer Bevölke-ung geworden ist, dass sie zu uns gehören und integriertind. Natürlich gibt es auch Probleme. Aber Ihre Argu-entation, dass eigentlich alle Ausländer tendenziell einroblem seien und dass wir deswegen alles versuchenüssten, um so viele Grenzen wie nur möglich hochzu-iehen, wirkt negativ auf das Klima und die Stimmungn unserer Bevölkerung und auch darauf, wie Migranten,ber auch wie Menschen, die erkennbar anders aussehen,on unserer Bevölkerung angesehen und angesprochenerden. Das – das sage ich Ihnen aus tiefer Überzeu-ung; hier spreche ich als Anwältin der Migranten – spü-en viele Migranten in winzig kleinen Alltagsgesten, Zu-ückweisungen und Ressentiments auf sprachlicherbene, aber auch durch Blicke, durch Wegrücken undurch vieles mehr.Ich möchte Sie noch einmal bitten, darüber nachzu-enken, dass Sie Verantwortung für das übernehmen,as Sie tun. Ein Klima, das es Menschen, die von woan-ers herkommen, schwer macht, gleichberechtigt undnerkannt in unserem Land zu leben, dürfen Sie nichtit erzeugen.
Nächster Redner ist der Kollege Reinhard Grindel,DU/CSU-Fraktion.
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Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 48. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juni 2003 4029
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Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Frau Beck, was Sie eben gemacht haben, ist nicht in
Ordnung; denn Sie haben um einen ganz entscheidenden
Punkt herumgeredet. Zurzeit liegen auf dem Tisch des
EU-Innenministerrates eine Vielzahl von Richtlinienent-
würfen, die das Asylrecht betreffen. Sie müssen schon
den Zuschauern und den Kollegen deutlich machen, dass
man dann, wenn diese Entwürfe EU-Recht werden wür-
den, den gesamten Asylkompromiss von CDU/CSU,
SPD und FDP vergessen könnte.
Die Drittstaatenregelung, das Flughafenverfahren und
die Liste über die sicheren Herkunftsländer wären weg.
Dann hätten wir nicht ein Türchen, sondern ein riesiges
Einfallstor für eine neue Zuwanderung aufgemacht.
Dann bekommen Sie Integration, die von Deutschen und
Ausländern gleichermaßen akzeptiert wird, nicht mehr
hin. Deshalb ist es nicht in Ordnung, dass Sie diesen As-
pekt des Asylrechts in Ihrer Rede völlig ausgeschlossen
haben.
Herr Stadler, Sie haben den Sachverhalt auch nicht
ganz richtig dargestellt, was die Europafestigkeit des
Grundrechts auf Asyl angeht. Das ist gerade unser Pro-
blem. Weil wir als einziges Land in Europa einen Indivi-
dualanspruch, ein so ausgestaltetes, nicht europataug-
liches Asylrecht haben, haben wir die Probleme.
Hätten wir wie alle übrigen Länder eine reine Instituts-
garantie, könnten wir uns viel eher über Harmonisierung
auf europäischer Ebene unterhalten.
Das Grundrecht auf Asyl
hat eben die Konsequenz, dass wir wie kein anderes
Land in Europa von Zuwanderung durch Asylbewerber
betroffen sind, die kein Recht haben, sich auf das Asyl-
recht zu berufen. Das ist das Thema.
F
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Die Frage, wie das Problem der Zuwanderung imneuen Verfassungsvertrag zu behandeln ist – das stehtauch in dem Artikel der „Rheinischen Post“, und zwarganz am Ende –, ist zwischen CDU und CSU, auch inunserer Fraktion, völlig unstreitig. Wir sind grundsätz-lich dafür, dass das in die nationale Zuständigkeit zu-rückgeführt wird, weil mit diesem Verfassungsvertragauch eine klare Kompetenzabgrenzung bezweckt waruDSisDsIwnsbldGmkKiDügwmkuliBgz–sirfg
eswegen geht es bei der Frage, wie man den Verfas-ungsvertrag sieht, auch ein bisschen darum, nationalenteressen wahrzunehmen. Auch den Blick dafür solltenir nicht verlieren.Es ist zu befürchten, dass sich der deutsche Innenmi-ister heute im Innenministerrat wieder an einemchlechten Schauspiel beteiligt,
ei dem in Wahrheit die Grünen Regie führen. Der Kol-ege Volker Beck hat in Interviews mehrfach ganz offenie Strategie vorgegeben. Ich zitiere, was er gesagt hat:Falls kein Kompromiss über das Zuwanderungsge-setz zustande kommt, können wir besser mit denRegelungen leben, die auf europäischer Ebene so-wieso kommen.
Ich sage Ihnen: Es ist nicht entscheidend, womit dierünen leben können, sondern es ist entscheidend, wo-it Deutsche und – ich betone: und! – Ausländer lebenönnen.
Deutsche und Ausländer, Frau Beck, brauchen einlima, in dem Integration möglich ist,
n dem es auf beiden Seiten Integrationsbereitschaft gibt.eswegen haben wir über ein Integrationsgesetz undber weiter gehende Maßnahmen im Bereich der Inte-ration gesprochen. Ich sage Ihnen: Das von Ihnen ge-ünschte Klima bekommen wir nur, wenn wir uns umehr Integration, aber nicht um mehr Zuwanderungümmern. Das ist unser entscheidender Ansatz und darinnterscheiden wir uns. Das ist wahr.
Ich will die Auswirkungen der europäischen Richt-nien auf das deutsche Ausländerrecht nur an einemeispiel erläutern. Nach dem, was wir aus Luxemburgehört haben, ist heute offenbar der Richtlinienvorschlagum Status langfristig aufhältiger Drittstaatsangehöriger in der Sprache der EU-Bürokraten heißt das so – ab-chließend beraten worden. Die Kommission will – dasst offenbar angenommen worden –, dass Ausländer be-eits nach fünfjährigem Aufenthalt eine Aufenthaltsver-estigung bekommen, ohne dass dafür ein eigener Inte-rationsbeitrag geleistet werden muss. Wenn das
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4030 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 48. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juni 2003
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Reinhard GrindelWirklichkeit wird, dann können wir Integrationskurse imAusländerrecht vergessen.
Wir sagen: Wer sich als Ausländer –
Herr Kollege – –
– ich will nur den Satz zu Ende führen; dann kann
Herr Winkler gern fragen – beharrlich weigert, unsere
Sprache zu lernen, wer jedes bisschen Integration ver-
weigert, der darf doch nicht automatisch eine Aufent-
haltsverfestigung bekommen. Wir brauchen doch einen
Anreiz, damit es zur Integration kommt. Deswegen ist es
sinnvoll, Aufenthaltsverfestigung an Integrationsleis-
tungen zu knüpfen. Das haben Sie heute in Luxemburg
aufgegeben. Hinter den verschlossenen Türen des Rates
haben Sie wieder unsere Diskussion um das Zuwande-
rungsrecht vorbestimmt und einen ganz zentralen Punkt,
wo es um mehr Integration geht, unmöglich gemacht.
Dieses Verfahren ist nicht in Ordnung. Das lehnen wir
ab.
Herr Kollege Grindel, wären Sie bereit, anzuerken-
nen, dass Ihre Formulierung, Zuwanderung sei ein Pro-
blem, dazu beitragen könnte, genau das gesellschaftliche
Klima zu erzeugen, von dem Sie gerade sagten, dass
auch Sie es nicht erzeugen wollen, nämlich ein gegen-
über Zuwanderern feindliches Klima, und wären Sie be-
reit, in Zukunft Ihre Formulierung diesbezüglich zu
überdenken?
Für mich, lieber Kollege Winkler, sind Ausländerkein Problem. Für mich sind nicht integrierte Ausländerein Problem.
Für mich ist ein Problem, dass mir immer mehr Men-schen sagen: Was redet ihr im Parlament eigentlich he-rum? Guckt doch mal auf die Straßen, um zu sehen, wel-che Probleme wir haben
mit – das ist nicht zu leugnen – Intensivtätern aus derTürkei, aus arabischen Ländern und, wie ich gern zuge-ben will, auch mit jugendlichen Aussiedlern.HwsfweRdmgKbrKeleisPnnwnamcdLanMlurRagDSbzVmddrin
ortugal hat im letzten Jahr 245 Asylbewerber aufge-ommen und gehört zu den größten Nettoempfängern in-erhalb der Europäischen Union. Es wäre doch nur fair,enn uns Portugal einige Tausend Asylbewerber ab-ähme, so wie es bei der Verteilung der Asylbewerberuf die einzelnen Bundesländer der Fall ist. Ich frageich, ob dieser portugiesische Kommissar noch die glei-hen – relativ weltfremden – Richtlinienentwürfe wieerzeit vorlegen würde, wenn es innerhalb der EU eineastenverteilung gäbe.
Diese Frage richtet sich nicht nur an den Kommissarus Portugal, sondern auch an den deutschen Bundesin-enminister. Warum hat Herr Schily nicht ein einzigesal gesagt: Ich will eine Richtlinie zur Lastenvertei-ng; sonst behalten wir die vielen Fragen der Zuwande-ung in der Zuständigkeit der nationalen Parlamente undegierungen?
Wenn es um eine Harmonisierung geht, müssen wiruch über die Sozialleistungen sprechen. Die Bedingun-en sind in keinem anderen Land so attraktiv wie ineutschland. In vielen EU-Ländern – auch das müssenie einmal zur Kenntnis nehmen – gibt es für Asyl-ewerber nur sehr geringe Sozialleistungen, die zudemeitlich begrenzt sind. Dort gibt es eine medizinischeersorgung nur in absoluten Notfällen. NGOs und ge-einnützige Einrichtungen spielen bei der Versorgunger Asylbewerber in vielen EU-Ländern die entschei-ende Rolle.Wenn wir den Rechtsrahmen für Asylbewerber in Eu-opa schon vereinheitlichen, dann sollten Asylbewerber Deutschland auch in Zukunft nur so versorgt werden,
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Reinhard Grindelwie das in Österreich, in den Niederlanden, in Italienoder in Spanien üblich ist.
Wenn wir über die Kürzung sozialer Leistungen in vie-len Bereichen sprechen, dann muss es auch erlaubt sein,über Kürzungen bei Sozialleistungen für Asylbewerberund geduldete Ausländer nachzudenken.
Einige Zyniker sagen: Was regt ihr euch auf? WennRot-Grün so weitermacht, dann werden bald auch dieAsylbewerber einen Bogen um Deutschland machen. –So denken wir nicht. Wir wollen, dass es mit unseremLand wieder aufwärts geht. Wir wollen aber nicht, dasses mit den Asylbewerberzahlen wieder aufwärts geht.Das wäre aber die unweigerliche Konsequenz, wenn dieVorschläge für die Asylrichtlinien tatsächlich EU-Rechtwerden würden. Das müssen jeder politisch Verantwort-liche und jeder Bürger in unserem Land wissen. Deshalberwarten wir von der Bundesregierung und ihrem Innen-minister, dass diese Richtlinienentwürfe, so wie sie jetztauf dem Tisch liegen, sofort in den Schreibtischen derKommission wieder verschwinden und niemals Gesetzwerden. Dazu sollte Herr Schily in Brüssel, in Luxem-burg, in Saloniki oder wo auch immer seinen Beitragleisten.Schönen Dank.
Nächste Rednerin ist die Kollegin Lale Akgün, SPD-
Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich halte
es für wichtig, dass dieses Thema heute auf der Tages-
ordnung steht. Nicht dass ich im Antrag der CDU/CSU
irgendetwas Sinnvolles und Beschließenswertes ent-
deckt hätte, aber man kann anhand dieses Antrags erken-
nen und deutlich machen, wie konfus, konzeptlos und
rückwärts gerichtet die Vorstellungen der Union von Zu-
wanderungspolitik und vom künftigen Europa sind.
Liebe Kolleginnen und Kollegen der Unionsfraktion,
insbesondere liebe Kollegen Grindel und Schröder, es
gibt kaum ein Thema, das in den letzten Wochen und
Monaten von den Innenpolitikern so intensiv diskutiert
wurde wie dieses: In jeder Sitzungswoche gab es Treffen
der Berichterstatter, für Juli ist eine Anhörung angesetzt
und der Innenausschuss hat mehrfach einzelne Richt-
linien diskutiert. Das Ergebnis all dieser Beratungen ist,
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Ich will das anhand einiger grundsätzlicher Punkte
die Formulierung der einzelnen Richtlinien diskutieren
ir ja wöchentlich, auch wieder im Anschluss an diese
ebatte – aufzeigen.
Widerspruch eins: Sie beklagen – ich zitiere – „den
eit gehenden Verlust der nationalen Gestaltungsfähig-
eit in Asyl-, Ausländer- bzw. Zuwanderungsfragen“
nd erwarten, dass die Bundesregierung das deutsche
usländerrecht in den Verhandlungen über die Richtli-
ien eins zu eins abbildet. Sie fordern sogar, die Bundes-
egierung müsse ein Veto einlegen, wenn dies nicht voll-
tändig gelinge.
Nur einige Absätze später formulieren Sie folgenden
atz:
Ziel einer europäischen Ausländer-, Zuwande-
rungs- und Asylpolitik muss es sein, im gesamten
Raum der EU gleiche Regelungen für Aufnahme,
Aufenthalt und Aufenthaltsbeendigung von Flücht-
lingen ... zu schaffen ...
Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
ollegen Grindel?
Bitte.
Frau Kollegin Akgün, ich stimme Ihnen zu, dass wiräufig – auch gestern im Ausschuss – über diese The-en gesprochen haben. Aber wie bewerten Sie es denn,ass die Bundesregierung im Vorfeld des heute tagendennnenministerrats zunächst davon gesprochen hat, dasss bei der Entscheidung über die von mir angesprocheneichtlinie noch einige schwierige Punkte gebe, über dieinigung zu erzielen sei, weswegen mit einer Einigungicht zu rechnen sei, und uns eine Presseagentur heuteitteilt, dass sich der Innenminister über diese Richtlinieerade mit seinen 14 Kollegen verständigt hat?
Sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, dass wirwar darüber geredet haben – das beklagen wir nicht –,ir über den wirklichen Verhandlungsstand und darüber,
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Reinhard Grindelwie der Innenminister die Verhandlungen im Rat voran-treibt, aber überhaupt nicht informiert werden?
Herr Kollege Grindel, Sie haben es doch selbst ge-sagt: Wenn man die Verhandlungsergebnisse vorherwüsste, bräuchte man nicht mehr zu verhandeln. Waswollen Sie eigentlich? Gleiche Regeln in ganz Europa,aber bitte für alle verbindlich mit heute gültigen deut-schen Rechtsnormen? Oder wollen Sie, dass man wirk-lich versucht, der europäischen Dimension zur Geltungzu verhelfen?
Sie müssen doch verstehen: Die 15 Staaten haben völ-lig unterschiedliche – teils liberale, teils restriktive – Re-gelungen zur Zuwanderung. Wollen Sie, dass wir die Er-gebnisse schon vorher in der Tasche haben? Das gehtnicht, Herr Grindel.
So kann man nicht miteinander verhandeln.Deutschland besitzt viele Spezifika im Ausländer-recht, die anderen Staaten völlig unbekannt sind. Wirunterscheiden zum Beispiel beim Familiennachzug zwi-schen GFK-Flüchtlingen und subsidiär Schutzberechtig-ten. In solchen Fragen müssen Kompromisse gefundenwerden, die der Situation aller Mitgliedstaaten gerechtwerden.Ihre Forderung ist so, als würden die Briten ein ein-heitliches Verkehrsrecht in der EU fordern; aber nurdann, wenn alle anderen Staaten auf Linksverkehr um-stellen.
Wissen Sie, was bemerkenswert ist? Der Bundesinnen-minister hat es in zähen Verhandlungen geschafft, in denmeisten Punkten das deutsche Recht abzubilden, sprich:den Linksverkehr in Europa durchzusetzen. Jetzt kom-men Sie, Kolleginnen und Kollegen von der Opposition,und sagen: Linksverkehr reicht uns nicht; wenn die deut-sche Norm für die Rückspiegelgröße nicht übernommenwird, legen wir ein Veto ein.
Oder um es auf unser Thema zu übertragen: Wegeneiner eventuellen minimalen Änderung des Rechtsstatuseiniger weniger wären Sie bereit, die europäische Eini-gung in einem solch wichtigen Punkt zu begraben. Darfich Sie daran erinnern, dass die Vorgehensweise und dieZuständigkeit der EU für diese Frage im AmsterdamerVertrag geregelt sind? Darf ich Sie daran erinnern, dassdie Unionsparteien den Amsterdamer Vertrag mitgetra-gen, ja, in ihrer Regierungszeit entscheidend mitverhan-delt haben? Wo ist denn der europäische Geist Ihrer Par-tiwGrdhddzgzadseimrsizkwgmrEIgfdvsawugwnPZeSvEa
Widerspruch zwei: Sie fordern, dass die Bundesregie-ung strikt nach dem heute geltenden deutschen Auslän-errecht und nicht nach dem Zuwanderungsgesetz ver-andelt. Gleichzeitig lese ich in Ihren Kommentaren zuen einzelnen Richtlinien, dass Sie sich selbst nicht nachem deutschen Ausländerrecht richten, sondern andere,um Teil dem Zuwanderungsgesetz ähnliche Regelun-en fordern.Hier ist zum einen die Familienzusammenführungu nennen. Die Bundesregierung hat es in einem Kraft-kt geschafft, ein Kindernachzugsalter von zwölf Jahrenurchzusetzen, wie es auch im Zuwanderungsgesetzteht, übrigens gegen alle anderen Mitgliedstaaten, diein Nachzugsalter von 18 Jahren haben.Jetzt sagen Sie Folgendes: Das Nachzugsalter ist nochmmer zu hoch, Sie wollen ein Nachzugsalter von maxi-al zehn Jahren, manchmal auch von sechs, wie es ge-ade passt; wir sollen uns nicht am Zuwanderungsgesetz,ondern am geltenden Recht orientieren. Das Problemst: Im geltenden deutschen Ausländerrecht ist das Nach-ugsalter 16 Jahre. Deswegen müssen Sie mir schon er-lären, was Sie eigentlich wollen: den mit Ihnen im Zu-anderungsgesetz ausgehandelten Kompromiss oder daseltende Recht? Oder, andersherum gefragt: Was istehr, zehn oder 18?Dann gibt es in Ihrem Antrag die Forderung, fünf Jahreechtmäßiger Aufenthalt seien nicht ausreichend für dierlangung eines langfristigen EU-Aufenthaltsrechts.ch frage mich, wie das mit deutschem Recht konformeht; denn das sieht schon heute die Erteilung der unbe-risteten Aufenthaltserlaubnis nach fünf Jahren vor.Sie fordern einen Integrationsbeitrag durch Erlernener deutschen Sprache. An diesem Punkt sind wir unsöllig einig; aber das steht so nicht im Ausländerrecht,ondern im Zuwanderungsgesetz.
Es gibt einen dritten Punkt, bei dem wir uns in der Tatm Zuwanderungsgesetz orientieren, und zwar ganz be-usst: Das ist die Anerkennung der nicht staatlichennd geschlechtsspezifischen Verfolgung als Flucht-rund. Wir tun das – ich sage es noch einmal – ganz be-usst, weil wir die Einzigen in Europa sind, die sich ei-er solchen Statusverbesserung für wenige Hundertersonen bisher verschließen. Es kann doch nicht dasiel deutscher Politik sein, im humanitären Bereich aufwig europäisches Schlusslicht zu bleiben. Da solltenie von Ihrer Position herunterkommen. Ihre konservati-en und christdemokratischen Freunde in den anderenU-Staaten teilen Ihre Position in diesem Punkt übrigensuch nicht.
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Dr. Lale AkgünWiderspruch Nummer drei: Sie fordern von der EU einGesamtkonzept im Bereich Asyl- und Einwanderungs-politik. Andererseits sprechen Sie der EU an allen Eckenund Enden die Kompetenz für dieses Thema ab und tor-pedieren selbst einzelne Richtlinienvorschläge bei jedemdenkbaren Nebensatz.
Auch da weiß ich nicht, was Sie eigentlich wollen.Was ich weiß, ist: Sie haben vor kurzem eine hervor-ragende Gelegenheit verpasst, ein gutes Gesamtkonzeptim Bereich Asyl- und Einwanderungspolitik auf nationa-ler Ebene mit zu beschließen, nämlich das Zuwande-rungsgesetz. Auch hier war Ihre Taktik leider genau sowie heute im europäischen Bereich: zuerst ein Gesamt-konzept fordern, dann Einzelforderungen für einen Kom-promiss aufstellen, und wenn die Forderungen dann imKompromisspapier stehen, wird das Ergebnis abgelehnt,weil es nicht der Maximalforderung entspricht. Sie sagenmal Ja, mal Nein, weil Sie im Bereich Zuwanderung garkein Konzept haben und nicht wissen, was Sie wollen.Einen klugen Satz habe ich in Ihrem Antrag gelesen.Er heißt:Wer umfassende Problemstellungen ohne Berück-sichtigung von Zusammenhängen erledigen will,verliert zwangsläufig den Überblick.Der Satz ist nicht deshalb klug, weil wir dadurch imThema weiterkämen, sondern deshalb, weil er eine pas-sende Zustandsbeschreibung Ihrer Politik ist. Zuwande-rung ist ein komplexes Thema, das eine langfristige Per-spektive braucht und bei dem alle Zusammenhängeberücksichtigt werden müssen: Arbeitsmarkt, Demogra-phie, Integration, Fluchtursachenbekämpfung und vielesmehr.Sie verlieren den Überblick, weil Sie zurzeit nur einenZusammenhang sehen, nämlich den zwischen konfuserZuwanderungspolitik, populistischen Forderungen undden anstehenden Landtagswahlterminen. Das aber istkein Konzept.Daher rate ich Ihnen: Lassen wir diesen Antragschnell verschwinden; denn er ist unaktuell, inhaltlichfalsch und uneuropäisch. Lassen wir ihn verschwindenund kehren wir zur konkreten Sacharbeit zurück, so wiewir es in den letzten Wochen und Monaten getan haben.Vielen Dank.
Nächster Redner ist der Kollege Stephan Mayer,
CDU/CSU-Fraktion.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnenund Kollegen! Die Vorgehensweise, mit der die Bundesre-gZVsbd1gshgnrsDnonsfBdaGSiDseWlklisgfg
at aber nichts Besseres zu tun, als das Zuwanderungs-esetz wortgleich in den Bundestag einzubringen undebenbei über die Hintertür der europäischen Zuwande-ungs- und Asylpolitik die eigenen ideologischen Ziel-etzungen zu verfolgen.
Der Parlamentarische Geschäftsführer von Bündnis 90/ie Grünen, der Kollege Volker Beck, hat dieses Ansin-en in verräterischer und offenkundiger Art und Weiseffenbart, indem er sich nach dem Scheitern des rot-grü-en Zuwanderungsgesetzes vor dem Bundesverfas-ungsgericht in der „Welt“ vom 21. Dezember 2002 wieolgt äußerte:Dann können wir besser mit dem geltenden Auslän-derrecht leben und mit den Regelungen, die auf eu-ropäischer Ebene sowieso kommen …
Ein weiteres markantes Beispiel für die Ignoranz desundesinnenministers Schily gegenüber Entscheidungenes Bundesverfassungsgerichts ist, dass er Ende Mai,lso erst vor kurzem, in Nürnberg ohne rechtlicherundlage den im Zuwanderungsgesetz vorgesehenenachverständigenrat für Zuwanderung und Integrationnstallierte.
ies stellt eine eklatante Missachtung des Bundesverfas-ungsgerichts, des Bundestages und des Bundesrates dar.
Nahezu unbemerkt von der deutschen Öffentlichkeitrfolgen auf europäischer Ebene derzeit entscheidendeeichenstellungen für das künftige deutsche Asyl-, Aus-änder- und Zuwanderungsrecht. Dabei muss allen eineslar sein: Der einzige Garant dafür, dass wir in Deutsch-and eine Zuwanderungspolitik betreiben können, diensbesondere den gesellschafts- und arbeitsmarktpoliti-chen Anforderungen entspricht, kann nur die Bundesre-ierung sein; denn auf europäischer Ebene können wirür unsere Belange keine Schützenhilfe erwarten.Aber die Bundesregierung wird diesem Auftrag nichterecht;
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Stephan Mayer
denn eine effektive Zuwanderungsbegrenzung ist nichtdas Anliegen der rot-grünen Koalition. Es kann nicht an-gehen, dass der Bundesinnenminister Schily auf europäi-scher Ebene nicht auf Grundlage des derzeit in Deutsch-land gültigen Ausländer- und Asylrechts verhandelt,sondern auf Grundlage des ideologisch verbrämten Zu-wanderungsgesetzes.
Das Ziel ist klar: Es sollen auf europäischer Ebenevollendete Tatsachen geschaffen werden, weil Ihnen be-wusst ist, dass das von Ihnen eingebrachte Zuwande-rungsgesetz in Deutschland in der vorliegenden Formnie Rechtswirklichkeit erlangen kann.Es ist ein Unding, dass hinterrücks über die Verab-schiedung einiger weniger EU-Richtlinien wichtige undunabdingbare Grundpfeiler unseres Asyl- und Zuwande-rungsgesetzes ausgehebelt und ausgehöhlt werden. Keinanderer Staat Europas hat so viele Ausländer aus Nicht-EU-Staaten wie Deutschland. Zwischen 1996 und 2000lag die Zahl derjenigen, die im Rahmen des Familien-nachzugs nach Deutschland kamen, zwischen 55 886und 75 888 Personen.
Die Zahlen weisen also eindeutig eine steigende Ten-denz auf.Vor diesem Hintergrund sind die in dem Entwurf ei-ner Familienrichtlinie beabsichtigten großzügigen Fami-liennachzugsmöglichkeiten für Deutschland besondersbelastend. So kann es eben nicht angehen, dass ein ei-genständiges Aufenthaltsrecht bereits nach fünf Jahrenbesteht sowie ein Anspruch auf Ehegattennachzug ge-schaffen wird, auch wenn die Ehe erst nach der Einreisegeschlossen wurde.Vor dem Hintergrund unserer ohnehin äußerst ange-spannten Lage unserer sozialen Sicherungssysteme ist esnicht akzeptabel, dass die Richtlinie den Familiennach-zug zu Flüchtlingen vorsieht, auch wenn kein ausrei-chender Nachweis über Wohnraum, Krankenversiche-rung und Unterhalt erbracht wird.
Eine generelle Ausweitung der Zuwanderung istebenfalls nicht sachgerecht. Abgesehen davon, dass dieEuropäische Union über keinerlei Kompetenz zur Ar-beitsmarktregelung verfügt und auch nicht verfügen soll,ist es nicht tragbar, dass angesichts der heute Vormittag ver-öffentlichten aktuellen Arbeitslosenzahlen von 4,42 Millio-nen für Deutschland und 15 Millionen für Europa dieVoraussetzungen für Nicht-EU-Ausländer zur Arbeits-aufnahme in Deutschland drastisch reduziert werden.Als der Anwerbestopp für Nicht-EU-Ausländer von derdamaligen sozial-liberalen Koalition 1973 verhängtwurde, betrug die Arbeitslosenquote in Deutschland1,2 Prozent. Heute beträgt die bundesweite Arbeitslo-senquote über 10 Prozent. Die rot-grüne Bundesregie-rEEzgsedBlsuweuwkls–ssvnwdEnlEdrkFRvsEbV
Frau Kollegin Sonntag-Wolgast, die Neuerung des deut-chen Asylrechts aus dem Jahre 1993 hat sich bewährt. Soank zwischen 1993 und heute die Zahl der Asylbewerberon 438 000 auf circa 71 000 Personen pro Jahr.
Die Drittstaatenregelung soll nun laut dem Richtli-ienentwurf über Mindestnormen für Asylverfahren so-ie Zu- und Aberkennung der Flüchtlingseigenschaftadurch aus den Angeln gehoben werden, dass es keineinreiseverweigerung an der Grenze ohne Einleitung ei-es Asylverfahrens mehr geben darf und dass grundsätz-ich eine individuelle Einzelfallprüfung zu erfolgen hat.ine Abweisung an der Grenze durch die Grenzbehör-en wäre dann nicht mehr möglich und die Drittstaaten-egelung wäre eine jederzeit widerlegbare Vermutung.Auch einer Erweiterung des Flüchtlingsbegriffsann in der von der Europäischen Union beabsichtigtenorm nicht unwidersprochen zugestimmt werden.
ot-Grün muss sich endlich von dem Wunschgedankenerabschieden, das gesamte Unheil der Welt auf deut-chem Boden lösen zu wollen und zu können.
s besteht daher überhaupt kein Anlass, den Flüchtlings-egriff auf nicht staatliche und geschlechtsspezifischeerfolgung zu erweitern. Abgesehen davon gilt es, ganz
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Stephan Mayer
deutlich darauf hinzuweisen, dass das deutsche Auslän-derrecht schon in der heute gültigen Form ausreichendMöglichkeiten bietet,
dass Personen, die geschlechtsspezifisch oder nichtstaatlich verfolgt werden, nicht abgeschoben werdenkönnen. Ich erinnere an dieser Stelle an § 53 des Auslän-dergesetzes.
Deutschland ist ein ausländerfreundliches und offenesLand.
Die deutsche Bevölkerung ist gerne bereit, Ausländer indie deutsche Gesellschaft zu integrieren. Dies sieht manallein daran, dass in Deutschland mit 9,3 Prozent na-hezu doppelt so viele Ausländer leben wie durchschnitt-lich in den anderen Ländern der Europäischen Union.Nur ist es als politische Verantwortungsträger unserePflicht und Schuldigkeit, die Integrationskraft und dieIntegrationsfähigkeit der Bürgerinnen und Bürger inDeutschland nicht zu überfordern und über Gebühr zubelasten,
indem die ohnehin schon eine Größenordnung von Städ-ten wie Dortmund und Nürnberg umfassende jährlicheZuwanderung von 600 000 Personen ungezügelt undunkalkulierbar erhöht wird.
Die Bundesregierung kann an der entscheidendenStellschraube drehen. Der Bereich des Einwanderungs-und Zuwanderungsrechts unterliegt auf europäischerEbene dem Einstimmigkeitserfordernis. Werden Sie,meine sehr geehrten Damen und Herren von der Regie-rungskoalition, daher endlich Ihrer nationalen Verant-wortung gerecht! Verhindern Sie eine weitere Liberali-sierung des Asyl-, Ausländer- und Zuwanderungsrechtsauf europäischer Ebene und sorgen Sie dafür, dass eineausgewogenere und gerechtere Verteilung zwischen denMitgliedsländern innerhalb der Europäischen Union er-reicht wird!
Danke für Ihre Aufmerksamkeit.
Letzter Redner in dieser Debatte ist der Kollege
Michael Bürsch, SPD-Fraktion.
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der wollen Sie der Tatsache Rechnung tragen, dass
eutschland wie auch seine Nachbarn ein Land ist,
as Zuwanderung und Abwanderung erlebt?
Noch wichtiger ist die Frage: Wollen wir eine Lösung
ür Deutschland, also nach deutschem Muster, auf 14 an-
ere Länder übertragen – ab nächstem Jahr auf zehn wei-
ere Länder – oder wollen wir im 21. Jahrhundert eine
ortschrittliche Lösung für – das betone ich – Europa, die
er Tatsache der Globalisierung Rechnung trägt? Sie,
iebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU/CSU, ha-
en praktisch nur über Deutschland, Deutschland,
eutschland gesprochen.
ie wollen den Ausländer an sich nicht. Er ist in Ihrer
eltanschauung ein Problem.
as ist keine Grundlage für eine humane und fortschritt-
iche Lösung.
Herr Kollege Bürsch, gestatten Sie eine Zwischen-
rage des Kollegen Grindel?
Herr Grindel, wenn Sie später auf Ihre Zwischenfrageurückkommen, gerne.Eines will ich Ihnen aus didaktischen Gründen vorugen führen – Stichwort: Europa; es ist immer wiederinmal gut, auf die Grundlagen einzugehen –: Der Euro-äische Rat von Tampere hat im Oktober 1999 grundle-ende politische Vorgaben für eine europäische Migrati-nspolitik definiert. Die Eckpunkte lauten:
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Dr. Michael BürschErstens. Die Europäische Union soll eine umfassendeAsyl- und Einwanderungspolitik entwickeln und dabeider Notwendigkeit der Kontrolle der AußengrenzenRechnung tragen. – Das ist ein Auftrag.Zweitens. Die Gemeinschaft bekennt sich für die Berei-che Flucht und Asyl umfassend zur Genfer Flüchtlingskon-vention und zu den einschlägigen Menschenrechtsüberein-künften wie der Europäischen Menschenrechtskonvention.Drittens. Es soll ein gemeinsames Konzept zur Inte-gration von Drittstaatsangehörigen erarbeitet werden,die ihren rechtmäßigen Wohnsitz in der EuropäischenUnion haben.Viertens. Die gemeinsame Integrationspolitik wird da-rauf gerichtet, den rechtmäßig in der EU ansässigen Dritt-staatsangehörigen „vergleichbare Rechte und Pflichtenwie EU-Bürgern zuzuerkennen“.Fünftens. Der Grundsatz der Nichtdiskriminierung imwirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Leben ist inso-weit auch von Bedeutung.Genau darüber sollten wir heute reden, was Sie abernicht getan haben. Wir wollen eine europäische Rege-lung. Statt sich mit diesen Vorgaben von der europäi-schen Ebene zu befassen, haben Sie einen Antrag vorge-legt, der einen schlichten Rückzug in nationalstaatlicheDenkschemata verfolgt.
Wie widersprüchlich und zum Teil auch kontrapro-duktiv für unsere nationalen Interessen Ihre Vorstellun-gen sind, demonstriere ich an einem Beispiel – ichnehme hier das von Herrn Grindel angeführte Stichwortder Lastenverteilung auf –: Es gibt eine Richtlinie zumvorübergehenden Schutz in Massenzustromsituationen,wie es im EU-Deutsch heißt. Diese Massenzuflucht-Richtlinie reagiert auf die im Jugoslawienkonflikt verur-sachte Massenflucht in Mitgliedstaaten der Gemein-schaft in den 90er-Jahren. Angestrebt wird eine gerechteLastenverteilung durch die EU-Ebene in Situationen desMassenzustroms. Flüchtlinge sollen gleichmäßig verteiltwerden. Dabei obliegt es zwar den Mitgliedstaaten, dieAufnahmekapazitäten mitzuteilen; damit ist aber nichtzu hinterfragen, inwieweit die Richtlinie effektiv ist.Die Richtlinie nimmt insbesondere ein deutsches An-liegen auf: den Grundsatz der Aufgabenteilung und Las-tengerechtigkeit. Inwieweit dieser Grundsatz noch wei-terentwickelt werden könnte, ist hier nicht die Frage.Aber mit Maximalpositionen, wie Sie sie fordern, hättedie Bundesregierung die Verabschiedung dieser Richtli-nie unterminiert. Im Ergebnis wäre dann ein System derLastenverteilung bei Massenfluchtsituationen überhauptnicht zustande gekommen. Dann hätten wir befürchtenmüssen, in einem erneuten Fall wiederum ein „Haupt-nachfrageland“ von Flüchtlingen zu werden. Das wollensicherlich auch Sie nicht. Mit der nun verabschiedetenRichtlinie – hier hat die Bundesregierung in unserem In-teresse gehandelt – kann sich die Bundesrepublik aufeine gerechte Verteilung unter den Mitgliedstaaten derEIfGZDbdrkewsNwwrdwRHmsmDLwrkWgdwhisndHg
iese Lösung müssen wir zusammen mit den anderenändern suchen, und zwar auf der Grundlage dessen,as alle beteiligten Länder wollen und was dann im eu-opäischen Interesse ist. Dabei hilft das Einstimmig-eitsprinzip, auf das Sie sich jetzt berufen, nicht weiter.ir müssen anerkennen, dass dies nur mit Blick auf daseht, was wir für die europäische Ebene brauchen, zu deremnächst nicht mehr 15, sondern 25 Länder zählenerden. Wir müssen über unseren nationalen Tellerrandinausschauen und die Wagenburg verlassen, die ich inhren Anträgen sehe.
Kolleginnen und Kollegen, es geht um ein solidari-ches europäisches Gemeinwesen. Dafür müssen wireues Recht schaffen und dürfen nicht eine Fortsetzungeutschen Rechtes verlangen.An die Adresse des Kollegen Stadler richte ich eineninweis zur Verbesserung seines berechtigten Anlie-ens, was die Beteiligung des Parlaments angeht. Na-
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Dr. Michael Bürschtürlich brauchen wir eine Rückkopplung. Aber muss esdenn die Rückkopplung auf die nationale Ebene sein? Istdies tatsächlich die Ebene, die für eine europäische par-lamentarische Kontrolle richtig ist? Bei dem Bau des eu-ropäischen Hauses ist doch vielmehr anzustreben, dassdie Demokratisierung auf Gemeinschaftsebene erfolgt,was bedeutet, dass das Europäische Parlament beteiligtwird. Wir sollten also nicht so sehr an unsere eigenen In-teressen denken, sondern sollten die europäischen Parla-mentarier an dem Gesetzgebungsverfahren beteiligen.Würden alle Mitgliedstaaten ihre Ausnahmen und Be-schränkungen im Rahmen der europäischen Harmonisie-rung verankern wollen, dann wäre das Niveau des Har-monisierungsprozesses zwangsläufig sehr niedrig.Europäische Integration lässt sich auf diese Weise si-cherlich nicht erreichen.Insofern brauchen wir eine europäische Harmonisie-rung von Ausländer-, Asyl- und Zuwanderungspolitikauf einem hohen Niveau, genau so, wie es der Gipfel vonTampere 1999 beschrieben hat und wie Sie es damalsauch nicht bestritten haben. Die völkerrechtlichen Ver-pflichtungen und Maßstäbe des Menschenrechts müssendabei, wie es ebenfalls in Tampere gesagt worden ist,eine entscheidende Rolle spielen; denn nur so wird durchgesamteuropäische Zuwanderungs- und Integrationspo-litik eine gleichmäßige Verteilung der Lasten und derBelastungen, die mit der Aufnahme von Drittstaatsange-hörigen bzw. Asylsuchenden verbunden sein können, aufalle Mitgliedstaaten erreicht.Wir werden nur zu vernünftigen Ergebnissen kom-men, wenn alle Mitgliedstaaten tatsächlich bereit sind,Abweichungen von ihrem Recht in Kauf zu nehmen undanzunehmen. Dafür brauchen wir keine nationalenScheuklappen, sondern den europäischen Blick.Für die CDU/CSU hilft vielleicht ein Hinweis aufKonrad Adenauer; meine Kollegin Akgün hat schon ei-nen solchen gegeben. Ich sage Ihnen etwas, was KonradAdenauer in seiner Weisheit und in seiner Europaorien-tiertheit schon vor 50 Jahren geäußert hat:In der Politik ist es niemals zu spät. Es ist immerZeit für einen neuen Anfang.Gerade für die Europapolitik des 21. Jahrhunderts, fürdas Zeitalter von Globalisierung und des Wegfalls vonGrenzen sollten Christdemokraten im Sinne Adenauersin der Tat einen neuen Anfang wagen. Nur Mut!
Ich schließe die Aussprache.Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage aufDrucksache 15/655 an die in der Tagesordnung aufge-führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein-verstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisungso beschlossen.ntuncoaoddMsdaaAk
Fortsetzung der deutschen Beteiligung an derInternationalen Sicherheitspräsenz im Ko-sovo zur Gewährleistung eines sicheren Umfel-des für die Flüchtlingsrückkehr und zur mili-tärischen Absicherung der Friedensregelungfür das Kosovo auf der Grundlage der Resolution1244 des Sicherheitsrats der VereintenNationen vom 10. Juni 1999 und des Militä-risch-Technischen Abkommens zwischen derInternationalen Sicherheitspräsenz
und den Regierungen der BundesrepublikJugoslawien und der Republik Serbien vom9. Juni 1999– Drucksachen 15/1013, 15/1118 –Berichterstattung:Abgeordnete Gert Weisskirchen
Dr. Friedbert PflügerDr. Ludger VolmerDr. Werner Hoyerb) Bericht des Haushaltsausschusses
gemäß § 96 der Geschäftsordnung– Drucksache 15/1132 –Berichterstattung:Abgeordnete Antje HermenauLothar MarkHerbert FrankenhauserDietrich AustermannJürgen KoppelinNach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für dieussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Ich höreeinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
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Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne KastnerIch eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Kolle-gin Petra Heß, SPD-Fraktion.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrtenKolleginnen und Kollegen! Erlauben Sie mir, dass ichangesichts meiner kurzen Redezeit darauf verzichte,noch einmal alle Argumente anzuführen, die dafür spre-chen, dem Antrag der Bundesregierung zuzustimmen.Keinem ist der Beschluss seinerzeit leicht gefallen.Der damalige Verteidigungsminister Rudolf Scharpingselbst war es, der einräumte, dass alle in der RegierungBedenken hatten. Um eine humanitäre Katastrophe imKosovo zu verhindern, blieb jedoch keine andere Wahl.Wenn man heute, Jahre später, die Berichte liest undvor Ort sieht, was sich dort bereits entwickelt hat, sozeigt das, was sich im Kosovo noch entwickeln kann. Ichdenke, dass man aus diesem Grunde seine Meinung hin-sichtlich der Auslandseinsätze der Bundeswehr ruhigkorrigieren darf.
Ich selbst habe das jedenfalls getan und auch andere ha-ben ihre Haltung in dieser Frage geändert.Auf welch wackligen Beinen der Frieden im Kosovonach wie vor steht, belegen Beispiele: die serbische Leh-rerin, die auf ihrem täglichen Arbeitsweg von KFOR-Soldaten begleitet werden muss, das Kloster, das vondeutschen Soldaten bewacht werden muss, oder die Ort-schaft Nowake, immer noch ein gefährdetes Vorzeige-projekt für die Rücksiedlung von serbischen Flüchtlin-gen, in der mit EU-Geld Häuser wieder aufgebautwerden. Deutsche Soldaten wachen über die Sicherheitder Menschen. Sie tun Friedensdienst, und zwar imwahrsten Sinne des Wortes.
Ich stimme mit Verteidigungsminister Struck überein,der sagt, der Einsatz von KFOR und SFOR gleiche einwenig der Hilfe eines Großvaters, der das Enkelkind aufdem Fahrrad hält. Wie er bin ich der Meinung, dass En-kelkinder irgendwann auch alleine fahren müssen, dochist das Kind zum gegenwärtigen Zeitpunkt einfach nochnicht so weit. Ich füge hinzu und gebe zu bedenken:Stürzt ein Kind, weil es zu früh losgelassen wird, wirdseine Angst umso größer und es dauert nur noch länger,bis es sich das nächste Mal allein aufs Fahrrad traut.Das KFOR-Mandat ist die Voraussetzung für den zi-vilen Wiederaufbau. Das Kosovo hat die entscheidendeSchlüsselfunktion bei der Orientierung der gesamten Re-gion hin zu einem Europa der Integration. Demnach istdas Mandat für Frieden und Stabilität unerlässlich.Versuche, die behauptete Unrechtmäßigkeit des Ko-sovo-Einsatzes und einer Beteiligung an ihm gerichtlichfeststellen zu lassen, haben in keinem Fall zum Erfolggeführt. Das Bundesverfassungsgericht hat in der Be-gründung seines Beschlusses vom 25. März 1999 klarge-seNateDmduRaAanzaaHdgwgUimwDssgDndtrImg
Ich denke im Übrigen, die Bundeswehr wird heuteeltweit als Armee des Friedens und der Freiheit wahr-enommen. Mit dem Einsatz im Kosovo wird sie diesemrteil einmal mehr gerecht.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bin froh, dass Bundestag hinsichtlich dieses Einsatzes der Bundes-ehr ein so großes Einvernehmen herrscht.
as sind wir den Menschen in der Region schuldig, dasind wir aber auch unseren Soldatinnen und Soldatenchuldig, die ein Recht darauf haben, bei ihrem schwieri-en und gefährlichen Dienst die breite Unterstützung deseutschen Bundestages hinter sich zu wissen.Ich möchte es daher nicht versäumen, allen Soldatin-en und Soldaten der Bundeswehr ganz herzlich zuanken, die für Freiheit und Demokratie im Kosovo ein-eten und eine unverzichtbare Aufbauarbeit leisten.
ch füge abschließend hinzu: Ich möchte auch ihren Fa-ilien dafür danken, dass sie diese Entscheidung mittra-en.Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
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Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 48. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juni 2003 4039
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Liebe Kollegin Heß, ich gratuliere Ihnen zu Ihrer ers-
ten Rede in diesem Hohen Hause und wünsche Ihnen
persönlich und politisch alles Gute.
Das Wort hat der Kollege Kurt Rossmanith, CDU/
CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Wir haben jetzt zum wiederholten Male eine
Entscheidung über die Verlängerung des Mandats für un-
sere Streitkräfte, derzeit 3 800 Soldaten, im Kosovo zu
treffen. Ich betone ausdrücklich, dass die CDU/CSU ei-
ner erneuten Verlängerung des Mandats nur unter der
Bedingung zustimmt, dass sie auf ein weiteres Jahr be-
fristet wird, auch wenn diese Befristung im Antrag ex-
pressis verbis nicht enthalten ist. Vor Ablauf eines Jahres
werden wir uns über mögliche weitere Verlängerungen
zu unterhalten haben.
Ich sage Ihnen aber auch, dass uns diese Entschei-
dung alles andere als leicht fällt. Natürlich hat sich die
Sicherheitslage im Kosovo verbessert und auch die po-
litische Konsolidierung macht deutliche Fortschritte. Al-
lerdings können wir bei weitem noch nicht zufrieden
sein. Erinnern wir uns daran, dass im Juni 1999, als das
Mandat mit unserer ersten Zustimmung beschlossen
wurde, nicht nur die Sicherheitslage, sondern die ge-
samte Lage im Kosovo äußerst fragil war. Ich glaube, es
ist mit ein ganz wesentliches Verdienst unserer dort ein-
gesetzten Soldaten, dass sich die Situation innerhalb die-
ser vier Jahre so deutlich, wenn auch – ich betone es
noch einmal – bei weitem noch nicht zufriedenstellend,
zum Positiven entwickelt hat.
Deshalb ist die internationale Öffentlichkeit voll des Lo-
bes über die Arbeit und die Pflichterfüllung unserer Sol-
daten, die sich durch ein umsichtiges Handeln und eine
große Professionalität auszeichnen. Auch ich möchte
mich dem Dank anschließen. Ich betone ausdrücklich
noch einmal den Dank an unsere Soldaten, die dort im
Kosovo Dienst leisten, aber auch an alle Soldaten der
Bundeswehr, die außerhalb unseres Vaterlandes in
schwierigen Einsätzen Dienst leisten für die Wiederher-
stellung von Frieden und Freiheit und zum Wohle der
dort lebenden Menschen.
Man kann nicht oft genug betonen, meine sehr verehr-
ten Damen und Herren, dass es uns die derzeitige Koali-
tion von Rot und Grün nicht leicht macht, einen derarti-
gen Antrag zu unterstützen oder einen Beschluss
mitzutragen. Ich will dazu kurz einige Punkte festhalten:
Erstens. Die Frage geht an die Bundesregierung, aber
natürlich auch an die sie tragenden Fraktionen: Weshalb
lassen die sich hier alles gefallen? Zum wiederholten
Male erhalten wir den Antrag zur Verlängerung des
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Die Realität und die Aussichten für unsere Streitkräfte
ind sehr düster. Deshalb – das darf ich abschließend
och sagen – fällt es uns nicht leicht, zuzustimmen.
enn wir das dennoch tun, dann schlicht und einfach in
er Gewissheit, dass absehbar ist – das hoffe ich zumin-
est; das wurde uns in der Vergangenheit dargelegt –,
ass die Anzahl der Bundeswehrsoldaten im Kosovo
on der Kürzung der Mannschaftsstärke insgesamt be-
roffen sein wird, sodass wir in Zukunft nicht mehr
800 Soldaten dorthin entsenden müssen.
Tragenie dafür Sorge – nicht erst seit der Diskussion um Af-hanistan vor wenigen Tagen –, dass unsere Streitkräfte,ie im Ausland im Einsatz sind, die notwendige Ausrüs-ung erhalten und dass dort, wo minensichere Fahr-euge notwendig sind, sie in erforderlicher Anzahl vor-anden sind. Das ist eine Bitte und eine Aufforderung,
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4040 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 48. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juni 2003
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Kurt J. Rossmanithdie uns alle berührt. Eine derartige Zusage würde uns dieZustimmung wesentlich erleichtern.
Nächster Redner ist der Kollege Ludger Volmer,
Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-ren! Dass wir heute so unaufgeregt und relativ harmo-nisch über das Thema Verlängerung des KFOR-Einsat-zes reden können, zeigt, dass die Befassung mit diesemThema zu einer gewissen Routine geworden ist, aller-dings zu einer Routine, die zwiespältig zu beurteilen ist.Positiv daran finde ich, dass es zur Normalität gehörtund dass es akzeptiert wird, dass sich die Bundeswehr aninternationalen Friedenseinsätzen – ich betone: Frie-denseinsätzen – beteiligt. Der Einsatz im Kosovo hatdeutlich gemacht, dass es nach wie vor notwendig ist,dass eine stabilisierende internationale Schutzmacht vorOrt ist, um den Wiederaufbau und den Konsolidierungs-prozess in dieser Region zu begleiten.Der Grund, warum es als zwiespältig zu beurteilen ist,besteht darin, dass wir heute zum wiederholten Male dasMandat verlängern müssen. Das ist ein Indiz dafür, dassdie selbsttragenden Friedens- und Entwicklungspro-zesse, die wir uns für die Region erhofft hatten, nochnicht die Dynamik gewonnen haben, die wir wollten.Deshalb können wir heute feststellen: Wir brauchennach wie vor den Einsatz von KFOR im Kosovo. Des-halb werden wir ihm auch zustimmen. Neben und be-gleitend zu diesem Einsatz brauchen wir aber neue poli-tische Initiativen, um endlich zu einem nachhaltigenFrieden zu kommen.
In diesem Sinne begrüßen wir es auch, dass die De-batten in den letzten Monaten wieder an Dynamik ge-wonnen haben. Wir sehen viele positive Elemente in derEntwicklung des Kosovo, etwa die Integration ehemali-ger UCK-Kämpfer in ordentliche Sicherheitsagenturen.Wir hoffen zumindest, dass diese Integration gelingt.Darüber hinaus sehen wir Fortschritte im Verwaltungs-aufbau und im Bildungswesen.In diesem Zusammenhang sollten wir dem deutschenDiplomaten Michael Steiner, der dort nun als Sonderbe-auftragter für die UNO fungiert, zum Ende seiner Amts-zeit einen sehr herzlichen Dank für sein großes Engage-ment aussprechen.
Wenn man das Engagement von Steiner kennt, sich an-sieht, wie viel er im positiven Sinne dort durcheinander-gerüttelt und zusammengebracht hat und sich die dorti-gen Defizite anschaut, dann kann man ermessen, wieriesig die Aufgabe ist, die noch vor uns liegt, und wiewwbpsumkSvüDonadEsongmßNvfznfzzdezuieuivBsusglEk
Die internationale Gemeinschaft hat die Formel ge-rägt, dass im Kosovo zunächst einmal die demokrati-chen Standards, die Standards des Zusammenlebensnd die multiethnischen Standards festgelegt werdenüssen, bevor man über den Endstatus des Kosovo dis-utieren kann; das war auch immer die Auffassung vonteiner und der Bundesregierung. Diese Formel bleibtielleicht richtig. Jeder bekommt aber mit, dass subtilber den Status geredet wird. Ohne harte Thesen in derebatte aufzustellen, sollte man sich vielleicht den einender anderen experimentellen Gedanken erlauben, umicht nur der Statusfrage näher zu kommen, sondernuch, um die Entwicklung der Standards zu beflügeln;enn man könnte ja auch die These aufstellen, dass dientwicklung der Standards von dem vorgestellten End-tatus abhängig ist.Es ist ein Unterschied, ob diejenigen, die nationaleder nationalstaatliche Ambitionen haben, sich dabei ei-en altmodischen Nationalstaat vorstellen, der sich ge-enüber den Nachbarn igelig und stachelig darstellt,öglichst krass abgrenzt und von einem möglichst gro-en Imponiergehabe geprägt sein muss, oder ob dies einationalstaat ist, dessen Nationalstaatlichkeit in einemorgestellten europäischen Prozess schon wieder ver-lüssigt wird. Nicht zuletzt deshalb sollten wir parallelur Befürwortung von KFOR wieder die Diskussion auf-ehmen und verstärken, die wir immer mal wieder ge-ührt haben. Diese wird jetzt vielleicht notwendiger alsuvor, da wir hier den europäischen Erweiterungspro-ess beschlossen haben. Wir sollten darauf hinarbeiten,ass alle Nachfolgestaaten des ehemaligen Jugoslawi-ns, auch diejenigen, die heute noch nicht an dem Pro-ess beteiligt sind, eine europäische Perspektive erhalten
nd diese europäische Perspektive sehen und nutzen, umhre eigenen nationalstaatlichen Vorstellungen an demuropäischen Modell zu überprüfen und zu relativieren,m dadurch möglicherweise auch die Entwicklung dernternationalen Standards, die wir uns wünschen undorstellen, zu beschleunigen.Es geht also um eine europäische Perspektive. Alleürger der europäischen Staaten, auch die der Balkan-taaten, die ansonsten in naher Zukunft vom EU-Inlandmgeben sein werden, müssen die Möglichkeit haben,ich selbst als Bürger dieses vereinigten Europas zu be-reifen und zumindest perspektivisch dort ihre Entwick-ungsrichtung zu sehen.Wir hoffen, dass dies positive Auswirkungen auf dientwicklung der Standards hat und die militärische Flan-ierung auf mittlere Sicht überflüssig macht.Vielen Dank.
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Dr. Ludger Volmer
Ich erteile dem Kollegen Günther Nolting, FDP-Frak-
tion, das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Bun-
deswehr bleibt auch weiterhin ein verlässlicher Partner.
Sie ist größter Truppensteller im Rahmen internationaler
Friedenseinsätze. Viele tapfere und tüchtige Soldatinnen
und Soldaten riskieren ihr Leben für Deutschlands au-
ßenpolitische Reputation und vor allem für die notwen-
dige Sicherung des Friedens in der Welt. Dafür möchte
auch ich den Soldatinnen und Soldaten an dieser Stelle
im Namen der gesamten FDP-Fraktion danken.
Ich danke aber auch den Soldatinnen und Soldaten,
die hier vor Ort in Deutschland eine hervorragende Ar-
beit leisten. Den Willen der Politik, lediglich mit einem
Bundestagsbeschluss und der fortlaufenden Freigabe
von etwas mehr als 1 Milliarde Euro für die Verlänge-
rung des SFOR- und KFOR-Einsatzes zu bekunden,
wäre zu einfach und zu wenig. Es muss vielmehr von po-
litischer Seite gewährleistet werden, dass beste Voraus-
setzungen für eine professionelle Vor-Ausbildung und
die Unterstützung deutscher Kräfte im Ausland durch
Bereitstellung modernster Ausrüstung und modernsten
Materials geschaffen werden. Dazu gehört auch die beste
Betreuung der Familien und der Freunde in Deutsch-
land. Nur so kann ein andauerndes Engagement in inter-
nationalen Einsätzen stattfinden und die Motivation der
Soldatinnen und Soldaten erhalten bleiben. Auch über
die Einsatzlänge und die Einsatzhäufigkeit werden wir
uns im Verteidigungsausschuss und auch hier im Deut-
schen Bundestag noch einmal unterhalten müssen. Hier
brauchen wir Veränderungen und Verbesserungen.
Der Einsatz im Kosovo muss verlängert werden. Da-
für steht die FDP-Bundestagsfraktion. Wir werden dem
Antrag zustimmen. Aber es darf nicht zu einem Verlän-
gerungsautomatismus kommen. Herr Kollege Volmer,
Sie haben es angesprochen und ich schließe mich Ihnen
gerne an: Dies darf nicht zur Routine werden. Die Auf-
träge der Soldaten – ich hoffe, dass wir hier übereinstim-
men – müssen ständig auf Aktualität und Notwendigkeit
überprüft werden. Nicht nur ich, sondern auch die Solda-
tinnen und Soldaten stellen sich die Frage: Warum und
wie lange bleibt die Bundeswehr im Kosovo? Die Bun-
desregierung muss die Frage beantworten: Wie sieht das
politische Ziel einer fortwährenden Präsenz aus?
Herr Struck und Herr Außenminister Fischer, hier
sind Sie gefragt. Auch Sie müssen sich fragen lassen: Ist
die Aufbauhilfe durch die CIMIC-Verbände überhaupt
noch notwendig? Sind die Kriegsschäden nicht weit-
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Nächster Redner in der Debatte ist der Kollege Detlef
zembritzki für die SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Sehr verehrte Kolleginnen! Sehr ge-hrte Kollegen! Vor einigen Tagen erklärte der Leiter destabilitätspaktes, Erhard Busek, in einem Interview, esebe heute auf dem Balkan keine militärische Bedro-ung mehr. Ganz so optimistisch, wie Herr Busek diesieht, schätze ich die Lage noch nicht ein. Ich denke,rotz der grundsätzlichen Aussagen aller meiner Vorred-erinnen und Vorredner haben wir, als wir uns auf diesesandat einließen, gewusst, dass wir dafür einen langentem brauchen würden.Ein Teil der Wegstrecke hin zu einem stabilen und de-okratischen Kosovo ist zurückgelegt, aber es bleibtoch viel zu tun. Solange Wohngebiete mit Waffenge-alt vor Übergriffen zu schützen sind und Zivilisten es-ortiert werden müssen, wird es ohne militärische Prä-enz nicht gehen.
Der KFOR-Einsatz im Kosovo hat gewalttätige Aus-inandersetzungen erfolgreich verhindert. Dennochommen wir nicht umhin, uns über kurz oder lang mitinigen elementaren Fragen auseinander zu setzen.ierzu gehört – Herr Volmer hat das angesprochen –uch die Diskussion über den völkerrechtlichen Statuses Kosovo. Ich finde es aber auch notwendig, nochmalsarauf hinzuweisen, dass ein erkennbarer oder ein nochrkennbarerer Prozess, als das vielleicht jetzt schon derall ist, notwendig wird, damit der innergesellschaftlicheialog, der sich mit den Pflichten und den Standards ei-er gedeihlichen Koexistenz auseinander zu setzen hat,rkennbar wird und damit die Toleranz und das gedeih-iche Zusammenleben akzeptiert werden. Ich denke, dasst eine unabdingbare Forderung, die wir hier immerieder einzubringen haben. Bei diesen Pflichten undtandards beziehe ich ausdrücklich die Roma ein, die
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Detlef Dzembritzkigewiss nicht am wenigsten gelitten haben, deren Leidenjedoch am wenigsten beachtet wurde und wird.Die UN-Verwaltung und ihre Repräsentanten habenim Kosovo sicher eine große Aufbauleistung voll-bracht. Ich möchte hier den Einsatz von Herrn Steinerwürdigen, ich möchte an dieser Stelle aber auch aus-drücklich die zivilen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter,die in diesem Bereich tätig sind – was ja ebenfalls nichtimmer ungefährlich ist –, einbeziehen. Das gilt für dieöffentlich Bediensteten wie auch für die Nichtregie-rungsorganisationen, die sich im Kosovo einbringen.
Die Entwicklung von Strukturen der Staatlichkeit undder Selbstverwaltung des Kosovo schreiten voran.Doch mit dem Installieren von Institutionen wie dem freigewählten Parlament oder den Gemeindevertretungen istes nicht getan. Es bedarf vielfältiger Anstrengungen, umdiese Institutionen auch wirklich mit Leben zu erfüllen.Nach meinen Erfahrungen, Kolleginnen und Kollegen,können auch wir Parlamentarier uns im persönlichenAustausch einbringen; sowohl auf bilateraler wie aufmultilateraler Ebene können wir einiges bewirken. Wiralle sollten jede Gelegenheit nutzen, in Gesprächen mitKollegen und Multiplikatoren der Region die Bereit-schaft der dortigen Akteure zu befördern, miteinanderden konstruktiven Dialog zu pflegen;
denn die jungen politischen Systeme des Balkans sinddurchaus noch fragil. Sie sind durch extremistische, natio-nalistische Positionen gefährdet und haben daher jedeUnterstützung von uns nötig. Die geringe Beteiligungder Bürgerinnen und Bürger des Kosovo an den Wahlenist nur ein Indiz für die noch mangelnde Akzeptanz derdemokratischen Organe. Die verbreitete Ansicht, dassPolitik mit Korruption und Vetternwirtschaft Hand inHand geht, ist ein weiteres Indiz.Herr Volmer, Sie haben zu Recht auf die Notwendig-keit der Veränderungsprozesse hingewiesen. Deswegenstimme ich an dieser Stelle Herrn Busek ausdrücklichzu, wenn er für eine Taskforce für Polizei, Justiz undVerwaltung optiert. Gerade im Kosovo, aber auch in an-deren Regionen des Stabilitätspaktes müssen konse-quente Anstrengungen für eine durchsetzungsfähigeRechtsstaatlichkeit unternommen werden. Organisier-tes Verbrechen und korrupte Strukturen müssen be-kämpft werden. Erst dann werden in ausreichendemMaße Investitionen in der Region erfolgen und einselbsttragendes Wirtschaftssystem entstehen können.Das ist insbesondere für diese Region notwendig, weildort 70 Prozent der Menschen arbeitslos sind und diemeisten ihren Unterhalt nur über Transfergelder deckenkönnen.Bei allen Leistungen, die die Vereinten Nationen imKosovo erbracht haben, bin ich davon überzeugt, dassdie Europäische Union in Zukunft eine noch stärkereRolle wird übernehmen müssen. Es liegt in unserem ur-eigenen Interesse, dass der Balkan nicht Krisenherd,sUVpdwanzSSviIvduKDzzsduddhNKhiwdtwgFPz
erschiedene Parlamentariererkonferenzen auf euro-äischer Ebene, zuletzt Ende Mai in Brüssel, haben ver-eutlicht, dass die Länder Europas bereit sind, Verant-ortung zu übernehmen. Ich gehe davon aus, dass dernstehende EU-Gipfel in Thessaloniki dem Balkan ei-en konkreten Fahrplan in die Europäische Union auf-eigen wird. Eben für diese Perspektive stehen auch dieoldatinnen und Soldaten – Herr Rossmanith, anders alsie das hier formuliert haben – gut ausgerüstet und mitoller Fürsorge unseres Bundesverteidigungsministersm Kosovo.
hr Einsatz ist dennoch nicht ungefährlich; die Trennungon ihren Familien ist schmerzlich. Umso mehr will ichen Soldatinnen und Soldaten danken und ihnen Glücknd Erfolg für die Fortsetzung ihrer Mission wünschen.Vielen Dank.
Letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt ist der
ollege Dr. Schockenhoff, CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen!ie Debatte hat gezeigt, dass wir uns in der Einschät-ung der Lage im Kosovo nicht unterscheiden. Der Wegur Bildung einer demokratischen Gesellschaft istchwierig und die Stabilität des Kosovo ist weiterhinurch ethnische Gegensätze, organisierte Kriminalitätnd politischen Extremismus gefährdet.Wir erfahren von verstärkten Spannungen zwischenen unterschiedlichen Bevölkerungsgruppen und voner schwindenden Akzeptanz der internationalen Sicher-eitspräsenz. Sowohl die zivile Mission der Vereintenationen UNMIK als auch die militärische MissionFOR werden zunehmend als Protektorat empfunden.Die KFOR hat in diesem schwierigen Umfeld weiter-in eine Schlüsselrolle für die öffentliche Sicherheitnne. Deswegen muss das Mandat – auch darüber sindir uns einig – verlängert werden. Wir wissen aber auch,ass das Mandat nicht unbedingt einfacher wird.Wir müssen nüchtern feststellen, dass kaum nachhal-ige Fortschritte in der wirtschaftlichen und sozialen Ent-icklung zu verzeichnen sind und dass deshalb nur eineringer Rückzug von Vertriebenen erfolgt.Stattdessen nimmt der politische Streit über die offenerage des künftigen Status des Kosovo wieder zu. Dasrinzip „Standards vor Status“ ist richtig. Wir müssenuerst praktische Fragen regeln, die Sicherheitslage ver-
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Dr. Andreas Schockenhoffbessern und schrittweise Kompetenzen an die lokalenSelbstverwaltungsorgane übertragen. Aber die Verbesse-rung der Standards erfolgt, wenn überhaupt, viel zu lang-sam. Deshalb wird die Lösung der Statusfrage wieder inweitere Ferne rücken. Damit ist ein erfolgreicher Ab-schluss der KFOR-Mission aus heutiger Sicht zeitlichnicht absehbar.Nach unserer Auffassung muss vor allem die UNMIKmehr Einfluss nehmen, um die Dynamik des politischenProzesses, den Sie zu Recht angemahnt haben, HerrVolmer, zu verstärken und die Konfliktparteien vor Ortstärker zu Kompromissen zu drängen.Mit großer Sorge verfolgen wir auch den seit Wochenschwelenden Streit über die Präsenz der EU-Militär-truppe in Mazedonien. In den letzten Woche hat der ma-zedonische Verteidigungsminister angekündigt, seineRegierung werde die Anwesenheit der EU-Truppen überden September hinaus nicht dulden. Wenn aber der Mili-täreinsatz der Europäischen Union den Konflikt zwi-schen der albanischen Minderheit und der slawischenMehrheit nicht schlichtet, sondern im Gegenteil neuenStreit auslöst, hat das auch erheblichen Einfluss auf denKosovo und die Präsenz der KFOR.Wir bitten Sie deshalb, Herr Außenminister, gegen-über den Vertretern der slawisch-mazedonischen Regie-rung sehr deutlich zum Ausdruck zu bringen, dass siemit einer Ablehnung der Fortsetzung der EU-Missionund damit wahrscheinlich einer weiteren Zerstückelungdes ohnehin kleinen Landes keine Fortschritte auf demWeg der Annäherung an Europa erzielen können unddass sie auf diesem Weg einer EU-Mitgliedschaft sicher-lich nicht näher rücken können.Herr Verteidigungsminister, Sie haben unlängst neueverteidigungspolitische Richtlinien vorgelegt, denen zu-folge der Hauptauftrag der Bundeswehr nicht mehr inerster Linie in der Landesverteidigung im herkömmli-chen Sinn bestehen soll, sondern in der Kriseninterven-tion in Regionen, in denen unsere Sicherheitsinteressenauf dem Spiel stehen. Das ist richtig und wir unterstüt-zen das nachdrücklich.Wir unterstützen auch, dass eine neue Ausrichtungder Bundeswehr diesem neuen Auftrag gerecht wird.Wir müssen dann aber – auch angesichts der vergange-nen Monate – offen und vorurteilsfrei über die Formender Bedrohungen reden. Wir müssen außerdem darüberreden, bei welchen Konstellationen Einsätze der Bun-deswehr außerhalb des NATO-Gebiets legitim sind. FrauKollegin Heß hat vorhin auf eine schwierige Diskussioninnerhalb der Koalitionsfraktionen zu Beginn des Ko-sovo-Konflikts hingewiesen und hat zumindest deutlichgemacht, dass es Situationen gibt, in denen auch ohneein Mandat der Vereinten Nationen ein Kampfeinsatznicht nur erforderlich, sondern auch legitim sein kann.Ich glaube, dass wir das als einen Acquis der deutschenPosition für zukünftige Debatten festhalten sollten, diewir mit unseren Bündnispartnern führen werden.Herr Volmer, Sie haben die Routine angesprochen, mitder wir inzwischen Mandate für Bundeswehreinsätze ver-längern. Ich glaube, es ist überfällig, dass wir ein GesetzüERwndDrnWgItsecFnemgeaaAhEC
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4044 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 48. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juni 2003
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Wir haben heute einige neue Nachrichten erhalten,die bedrückend sind. Die Arbeitslosigkeit im Mai warwahrscheinlich die höchste, die es jemals in diesem Mo-nat gegeben hat. Das Institut für Weltwirtschaft in Kielhat neue Prognosen über die Wirtschaftsentwicklungvorgelegt und rechnet in diesem Jahr mit einem Null-wachstum. Der Exportindikator zeigt weiter nach unten.Das Institut für Weltwirtschaft erwartet, dass es im lau-fenden Jahr durchschnittlich 4,5 Millionen Arbeitslosegeben wird. Die veröffentlichten Zahlen sind sehr dra-matisch.Die Programme der Bundesregierung ziehen nicht.Das Job-AQTIV-Gesetz dümpelt bestenfalls vor sichhin. Der Jobfloater ist nach dem, was jetzt veröffentlichtworden ist, an der Grenze des Flops. Die Ich-AGs startensehr langsam. Das alles belegt, dass die einzelnen Maß-nahmen nicht wirksam sind. Die Menschen sind nichtwild auf neue Programme und warten auch nicht ge-spannt auf neue Maßnahmen der Regierung, die sieglücklich machen sollen. Das, was die Menschen wirk-lich wollen, ist, dass man sie bei der Arbeit in Ruhe lässtund dass die Politik sie nicht ständig beschäftigt.
Eine Debatte über Unternehmen im Bereich derneuen Technologien ist nicht vorrangig eine Debatteüber neue Programme. Es geht auch nicht darum, wiewir neue staatliche Maßnahmen anlegen wollen. Es gehtum eine andere Frage, nämlich: Wie schaffen wir denFreiraum dafür, dass diese Unternehmen erfolgreich seinkönnen?Die staatliche Hilfe kann ihren Sinn haben. Auchnach Röpke, dem Altmeister der marktwirtschaftlichenOrdnungspolitik, kann der Staat durchaus die Aufgabeund die Pflicht haben, Hürden abzubauen, die das Auf-kommen des Neuen behindern. So war es zu Beginn derEntwicklung vor 20 Jahren, als wir in Deutschland eineGründungskultur eigentlich noch nicht hatten.
Eine Gründungskultur auf Basis neuer Technik hat inDeutschland keine große Tradition. Wir haben da immermit einem gewissen Neid nach den USA geschaut: Sili-con Valley, Route 128, die Spin-offs aus den großen Uni-versitäten, das Zusammenspiel mit einer dynamischenVenture-Capital-Szene. Dies alles war hier nicht immervorhanden. Es ist aber auch nicht so, dass dies sozusageneine Eigenschaft der Amerikaner ist. Es war durch Maß-nahmen geschaffen worden, an denen auch der StaatEnde der 50er-Jahre beteiligt war, und zwar zu Recht.WcmjmbwvwonskuSIedGtZverESSgzlGsuPdwbgsLsdzsvnwwJDaW
er Schwung war deshalb möglich, weil sich der Staatuf der Kapitalseite zurückgezogen hat. Das privateagniskapital ist gewachsen. Die Fonds sind gewach-
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Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 48. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juni 2003 4045
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Dr. Heinz Riesenhubersen. Neue Fonds sind aufgelegt worden. Leute waren be-reit, etwas zu riskieren und zu investieren.Für diese Art von neuen Techniken ist eine wirklichgrundsätzliche Frage: Woher kriegen wir das Eigenkapi-tal? Die Unternehmen können nicht über Fremdkapital,über Kredite finanziert werden. Kredite beleihen geron-nene Arbeit der Vergangenheit, nicht aber die Vision ei-ner Zukunft. Es muss Kapital sein, das bereit ist, vollesRisiko einzugehen. Deshalb muss es in seiner anderenQualität gewürdigt werden.Es ist eine Gründerszene entstanden. Bis 1998 hat dieZahl der Gründungen jährlich zugenommen, auch wasauf neuer Technik basierende Dienstleistungen angeht.Seit 1998 ist dieser Trend rückläufig.
– Herr Tauss, den Streit darüber können wir nachher aus-tragen. Die entsprechenden Zahlen liegen vor. DieQuelle dafür ist das Institut für Mittelstandsforschung.Selbst wenn wir uns darauf einigen, dass der Trend erstseit dem Jahr 2000 rückläufig sei, gilt: In diesem Jahrhaben Sie regiert. In Ihrer Regierungszeit ist die Zahl derNeugründungen im technischen Bereich offensichtlichanhaltend rückläufig.Wir haben den Aufstieg und den Niedergang desNeuen Markts erlebt. Der Neue Markt ist gestern „be-graben“ worden. Er ruhe in Frieden; die Sache ist vorbei.Der Neue Markt war von drei Phasen gekennzeichnet:Aufschwung, Überhitzung, Zusammenbruch. ZumSchluss ist eine Situation entstanden, in der über denGang an die Börse kein neues Eigenkapital mehr be-schafft werden konnte. Es gibt keine neuen Börsengängemehr, praktisch kein IPO mehr. Da die Wagniskapitalge-sellschaften kein Exit und keine Möglichkeit haben, spä-ter wieder Kasse zu machen, investieren sie nicht.Die Eigenkapitaleinsätze auf allen Ebenen sind rück-läufig. Frau Bulmahn sagt: Die Frühphasenfinanzierungist um ungefähr 80 Prozent, von 380 Millionen Euro auf77 Millionen Euro, zurückgegangen. Rezzo Schlauch – erist nicht da – sprach in einer Rede, die er kürzlich gehal-ten hat, von einem Rückgang von 90 Prozent. Einezweite und eine dritte Finanzierungsrunde finden prak-tisch nicht mehr statt, weil das nötige Geld nicht vorhan-den ist. Auf dem Gebiet der Informationstechnik hat eseinen Rückgang um fast 90 Prozent gegeben. Auf demGebiet der Biotechnik war der Rückgang zwar nicht sostark; aber auch da gab es einen Rückgang um immerhin50 Prozent. Im letzten Jahr standen dort noch knapp250 Millionen Euro zur Verfügung.Wir befinden uns also in einer ganz schwierigen Situ-ation. Im letzten Quartal des vergangenen Jahres habenvier Dutzend Unternehmen im Bereich der Biotechnolo-gie Konkurs angemeldet. So etwas gab es vorher nicht.Wir riskieren, eine Landschaft, die sich mit großemSchwung entwickelt hat, zu zerstören. Das wäre gefähr-lich.Die entscheidende Frage lautet: An welchen Stellenkann man ansetzen? Ich gehe davon aus, dass die Lagezsa57lR1GwadSEBksbkneEkdF3mektdszhFrbzEDwg1dESd
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4046 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 48. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juni 2003
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Liebe Frau Scheel, Sie haben es vielleicht gewusst, esem Finanzminister aber nicht in der Form gesagt, dassr es Ihnen geglaubt hätte. Deshalb ist es nicht dazu ge-ommen und deshalb haben wir ein Steuersystem, dassie und ich für suboptimal halten. Deshalb müssten wirns gemeinsam an die Arbeit machen.Ich drösele nicht im Einzelnen auf, was der Master-lan enthält. Vieles davon ist in Ordnung. Dass wir vonrankreich den Plan Innovation übernehmen, halte ichür eine vernünftige Idee. Früher haben wir allerdingsie Ideen in Europa eingebracht und nicht die Pläne an-erer übernommen. Dass die jungen Unternehmen bei5 Prozent Forschungsaufwand in den ersten acht Jahrenteuerfrei gestellt werden, halte ich für eine gute Sache.as wird in dem Plan offensichtlich diskutiert. Dass wirier einen neuen Markt schaffen, einen Hightechmarkt,alte ich eher für problematisch, aus Gründen, die wirier nicht diskutieren können; aber wir können an ande-er Stelle darüber reden.Was hier zu eher soften Themen wie Unternehmer-raining und Markterschließung gesagt wird, mag allesichtig sein. Immerhin geht es im Grundsatz in die rich-ige Richtung. Auch dass Herr Clement im Jahreswirt-chaftsbericht und in seiner Mittelstandsoffensive „Proittelstand“ – da gibt es inzwischen wunderbare Pa-iere –, sagt, dass man Beteiligungskapitalfonds bildenoll, auch in Public Private Partnership, halte ich fürrima. Ich sehe es nur noch nicht. Aber es muss gesche-en. Hier liegt der wesentliche Punkt.Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich findebenfalls prima, dass EU-Kommissar Busquin jetzt ei-en europäischen „Investing in research“-Plan auf-tellt. Das ist alles wunderbar. Aber entscheidend ist,ass etwas ins Gesetzblatt kommt. Wir versuchen hier,er Bundesregierung in brüderlicher Hilfe Vorschlägeu machen. Es ist schließlich Christenpflicht, den Be-ürftigen zu helfen; da tun wir unser bescheidenes Bes-es.
Wir sind völlig offen für innovative Vorschläge. Wennhre Ideen noch besser sind als die unseren, dann sindir glücklich und dankbar und nehmen sie mit Freudeuf. Aber dann wollen wir diese Sache durchziehen. Wirönnen nicht alle Probleme lösen, aber wir können dafürorgen, dass die jungen Unternehmen wieder Luft zumtmen haben. Sonst verlieren wir eine ganze Kultur,
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Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 48. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juni 2003 4047
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Dr. Heinz Riesenhubereine Kultur, die mehr als alle anderen neue Technik ausder Wissenschaft gewinnt und diese überträgt.Die ganzen Strategien zum Technologietransfer habennie optimal funktioniert. Aber wenn junge Frauen undMänner dafür kämpfen, ihre Ideen in Produkte, Problem-lösungen und Verfahren umzusetzen und sie in Märkte,die durch die Produkte erst geschaffen werden, zu brin-gen, dann entsteht eine neue Welt, die Zukunftsperspek-tiven eröffnet und schnell wächst.
Das schafft nicht eine Vielzahl neuer Arbeitsplätze,aber das sind Bereiche, in denen es Zukunftsperspekti-ven gibt: die Welt der Quanten, die Welt der Gene, dieWelt der Computer, die Fähigkeit, Krankheiten zu hei-len, die wir heute noch nicht verstehen, die Fähigkeit,eine komplexe Welt zu begreifen.
Herr Kollege Riesenhuber, ich darf mit aller Vorsicht
an die abgelaufene Redezeit erinnern.
Die Beweglichkeit des Präsidiums bei der von den Frak-
tionen festgelegten Redezeit bleibt leider etwas hinter
Ihrer zurück.
Ich bitte sehr um Nachsicht, Herr Präsident.
Ich darf schließen mit dem herzlichen Wunsch an die
Koalition: Machen wir uns an die Arbeit und versuchen
wir, eine Lösung zu finden, die sich nicht in allgemeinen
Grundsatzpapieren erschöpft, sondern neue Hilfen ein-
schließt, mit denen wir den jungen Unternehmen die
Möglichkeit verschaffen, die Zukunft für uns alle zu ge-
winnen. Auf gute Arbeit!
Der Kollege Tauss hat das Wort zu einer Kurzinter-
vention erbeten. Bitte schön.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich freue mich auf die hohe Aufmerksamkeit. – Ich
will unmittelbar auf das, was Sie gesagt haben, antwor-
ten.
Sie haben, lieber Herr Kollege Riesenhuber, das Aus-
land angesprochen. Ich glaube, wir brauchen gar nicht
über den großen Teich zu schauen.
Nehmen Sie einfach zur Kenntnis, was bei uns 2001,
2002 lief: Wir hatten 2001 500 Millionen Euro Risiko-
kapital in diesem Land, 2002 waren es noch
77 Millionen Euro. Das ist keine Spielerei mit Jahres-
zahlen.
Sie haben den Zusammenbruch des Neuen Marktes
angesprochen. Ich halte es für eine Blamage für den In-
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Dr. Heinz RiesenhuberSie haben uns bis jetzt also nicht richtig eingeschätzt.Was Sie an mir loben, ist bei uns nicht ungewöhnlich. Inanderen Parteien sieht es vielleicht anders aus.Ich möchte nun auf die von Ihnen angesprochenenPunkte eingehen. Ich kann im Moment nicht nachrech-nen, ob die Zahl von 60 Milliarden Euro, die Sie in diejungen Unternehmen gesteckt haben, stimmt. Angesichtseines Bundeshaushalts von rund 240 Milliarden Euroscheint mir das ein sehr stattlicher Betrag zu sein. Aberdiese Zahl wird sicherlich auf einer gesicherten Basis be-ruhen.John Diebold hat einmal gesagt: Es kommt nicht da-rauf an, dass wir viel Geld für die Müllabfuhr bezahlen.Es kommt vielmehr darauf an, dass die Straßen saubersind.
Da so viel Geld investiert wurde, muss man sagen, dasses nicht am Geld gelegen hat, dass die Situation soschlecht ist. Woran hat es dann gelegen?
Ich will nicht unterstellen, dass es an der fehlenden Intel-ligenz gelegen hat. Das verbietet mir schon der parla-mentarische Umgang und der freundliche Respekt vorIhnen persönlich.Sie sagten, dass es nicht an Beschlüssen lag, dass derNeue Markt zusammengebrochen ist.
Sicher nicht! Aber vielleicht gab es den Zusammenbruchwegen nicht gefasster Beschlüsse. Das wird sicherlichnicht der einzige Grund sein; wie immer im Leben wirdes mehrere Gründe für diese Entwicklung geben. Trotz-dem würde ich sagen, dass es weniger die Beschlüsse alsdie nicht gefassten Beschlüsse hinsichtlich der Aktien-optionen bis hin zur Fondsbesteuerung waren. Ich habeversucht, Ihnen das in einfachen und schlichten Wortenzu erläutern.Schließlich sagten Sie, lieber Herr Tauss, die Bankenwürden kläglich versagen.
Sie lesen sicherlich ebenso sorgsam Bilanzen wie jederandere von uns. Angesichts der Bilanzen muss man sichfragen, wie viel die Banken noch riskieren können. Ausder vorgelegten Bilanz der Deutschen Bank erkenntman, dass sie mit dem Altkundengeschäft mehr verdienthat als mit dem Investmentbanking.
Das heißt also, die Banken wissen genau, wo das nach-haltige Geschäft liegt.Aber wenn Sie weder den Banken noch ihren Kundendie Chance geben, Geld zu verdienen und Gewinne zumachen,
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Die freundschaftliche Bitte an Sie ist: Lassen Sie dieeute Geld verdienen! Lassen Sie die Leute erfolgreichein! Sie haben in der letzten Debatte gefragt, wie manie Steuerpräferenzen – so haben wir sie genannt – fürie jungen Unternehmen finanzieren soll. Im Momentehmen wir keine Steuern von diesen Unternehmen ein,eil sie nicht vorankommen. Wenn man ihnen aberurch geringe Besteuerung von Fonds und Aktienoptio-en Luft lässt und die Beratung und Finanzierung durchusiness Angels ermöglicht, dann kann der hochver-hrte Finanzminister, den wir alle schätzen, in ein paarahren von einer großen Zahl erfolgreicher junger Unter-ehmen eine reiche Ernte einfahren. Das wünschen wirhm. Vor allen Dingen wünschen wir den jungen Unter-ehmen, dass sie wirklich gut verdienen.
Ich erteile das Wort dem Kollegen Rainer Wend,
PD-Fraktion.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Gestattenie mir, dass ich den freundschaftlichen Ton von Herrniesenhuber aufgreife und Ihnen, Herr Kollegeiesenhuber, sage: Ihr Vortrag war der Form nach wieewohnt exzellent und in der Sache – wenn ich Ihre Aus-lüge in die rituelle Kritik der Bundesregierung außercht lasse – weitgehend zutreffend. Ich glaube übrigens,ass der Antrag, den die CDU/CSU zu dieser Thematikorgelegt hat, ziemlich ausgezeichnet ist. Zu einem grö-eren Lob kann ich mich nicht hinreißen lassen.
Ich möchte Ihnen aber zunächst, bevor ich auf dieinge zu sprechen komme, in denen wir uns einig sind,n zwei Punkten, die in Ihrem Vortrag anklangen und inem vorliegenden Antrag noch deutlicher zum Ausdruckommen, widersprechen. Zum einen sagten Sie – dasar ein Ausflug in die Makroökonomie –: Mit demirtschaftsstandort Deutschland wird es nur besser,enn wir endlich zu einer stärkeren Deregulierungommen. Dazu stelle ich fest: Nicht Sie persönlich, son-ern Ihre Fraktion ist, was das Thema Deregulierung an-eht, nicht mehr ausreichend satisfaktionsfähig.
enn Sie können natürlich nicht in Sonntagsreden – vonir aus auch donnerstagsnachmittags – die Deregulie-ung fordern, aber dann, wenn wir in der Praxis beimandwerksrecht deregulieren, auf die Barrikaden gehennd sagen: Da machen wir nicht mit. Eines von beiden)
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Dr. Rainer Wendgeht nur: Sonntagsreden halten oder sich so verhalten,wie Sie es ansonsten tun.
Wenn wir im Rahmen der Gesundheitsreform dasThema der Apothekerkammern ansprechen und fragen:„Muss das mit dem Vertrieb noch so sein oder könnenwir nicht einen Versandhandel einführen und Mehrfach-besitz zulassen?“, dann sagen Sie dazu: Deregulierungja, aber nicht an dieser Stelle. Wenn man sich im Hin-blick auf die Kassenärztlichen Vereinigungen fragt, werin diesem Bereich Verträge abschließen kann und ob wirnicht auch hier deregulieren sollten, sagen Sie: Deregu-lierung ja, an dieser Stelle aber nicht.Damit möchte ich Ihnen Folgendes sagen – ich ver-binde damit eine Bitte –: Gleichgültig ob es um das all-gemeine Thema Steuersenkungen oder um das allge-meine Thema Deregulierung geht, beides sind wichtigeThemen, die wir angehen müssen. Bei Ihnen aber ver-kommen sie in der aktuellen politischen Debatte dazu,dass sie für Sonntagsreden herhalten müssen. Dennwenn es um die praktische Umsetzung geht, stehen Sieim Weg. Daran sollten Sie arbeiten.
Der zweite Punkt, den ich Ihnen wirklich nicht vor-werfe – ich glaube, so muss vermutlich jede Oppositionhandeln –, ist: Es geht darum, dass Sie zu den ThemenFondsbesteuerung, Business Angels, Stock Optionseine Reihe kluger Vorschläge machen. Das alles sindwichtige Themen. Die Regierung hat in diesem Zusam-menhang das Problem, dass es ihr gelingen muss, dienotwendigen finanziellen Mittel aufzubringen, um diefür sich genommen mehr als sinnvollen Vorschläge um-zusetzen. Das ist nicht immer ganz einfach. Wir befin-den uns in einem Zielkonflikt; wir müssen das im Zu-sammenhang mit dem Haushalt regeln. Darauf müssenRegierungsfraktionen naturgemäß stärker achten, als Siedies tun müssen.In diesen beiden Punkten habe ich also einen Einwandbezüglich Ihres Antrages. In der Analyse der Situationund in dem, was wir tun könnten, liegen wir aber nicht soweit auseinander.Ein paar Worte zur Lage des Beteiligungskapital-marktes: Natürlich ist die Mobilisierung von Beteili-gungskapital für junge Technologieunternehmen für dieSPD-Fraktion ein ganz wichtiges wirtschaftspolitischesZiel. Ich sage das deshalb, weil wir es vermeiden sollten,über Dinge kontrovers zu diskutieren, die nicht kontro-vers sind. Natürlich steckt der Beteiligungskapital-markt für junge Technologieunternehmen – auch dahaben Sie Recht – derzeit in einer schweren Krise. Übri-gens – auch das wissen Sie –, das ist keine rein deutscheBesonderheit, sondern ein globales Phänomen. Ein gro-ßer Teil der Unternehmen, die mit Beteiligungskapital fi-nanziert wurden, ist in Bedrängnis geraten oder gar in-solvent.Die Beteiligungskapitalgeber haben hohe Schäden zuverkraften und sind oft nicht in der Lage, in ausreichen-dstKesHwDWfttnchrMkpsEaLfddtDBwizkRpnssagzssSrwksd
üssten heute nicht viele Beteiligungskapitalgeber ihrenappen Mittel einsetzen, um den Bestand noch nichtrofitabler Beteiligungsunternehmen zu sichern, gäbe esicherlich auch keine so ausgeprägte Verknappung beirstrundenfinanzierungen. Die Marktteilnehmer werdenus der Entwicklung der letzten Jahre gewiss auch ihreehren ziehen.Zu den Maßnahmen, die vonseiten der Koalitions-raktionen und der Bundesregierung vorgeschlagen wer-en: Die Bundesregierung leistet ihren Beitrag, damiter Beteiligungskapitalmarkt für junge Technologieun-ernehmen so schnell wie möglich wieder Tritt fasst.azu ist es erforderlich, Förderansätze, die die jetzigeundesregierung noch aus Ihrer Zeit übernommen hat,eiterzuentwickeln, auszubauen, im Einzelfall aber auchm Hinblick auf die steuerlichen Auswirkungen kritischu überprüfen, die nicht so linear, eindeutig und mono-ausal sind, wie Sie es beschrieben haben, Herriesenhuber.Anders als in den Jahren mit einer ausgesprochen eu-horischen Stimmung am Kapitalmarkt reicht es derzeiticht aus, vor allem Kapital für die Frühphase zu mobili-ieren und dann zu erwarten, dass der Markt die An-chlussfinanzierung schon bereitstellen werde. Wennussichtsreiche Unternehmen und Projekte wegen deregenwärtigen Kapitalmarktlage an der Anschlussfinan-ierung scheitern, ist das eine volkswirtschaftliche Ver-chwendung. Auf der anderen Seite soll man bekanntlichchlechtem Geld kein gutes hinterherwerfen. Für dentaat bedeutet das eine Gratwanderung und eine schwie-ige Abwägung; denn es wäre kaum zu rechtfertigen,enn der Staat einspränge, obwohl private Beteiligungs-apitalgeber zu keinem weiteren Engagement bereitind. Es kann also immer nur um Anschubfunktionenes Staates gehen.
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Dr. Rainer WendHier müssen wir uns fragen, was wir derzeit konkrettun. Wir planen vonseiten der Bundesregierung und derKoalition einen Dachfonds, der aus dem EuropäischenInvestitionsfonds und dem ERP-Sondervermögen desBundes gespeist wird. Dieser Dachfonds, der für weiterePartner offen ist, wird zusammen mit privaten Kapital-gebern in Venture-Capital-Fonds in Deutschland inves-tieren. Der Dachfonds wird über die nächsten Jahre mitrund 500 Millionen Euro eigenem Investment etwa1,7 Milliarden Euro Beteiligungskapital für die Unter-nehmen in Deutschland mobilisieren können.
Wir hoffen, dass das für die privaten Kapitalgeber eindeutliches Signal darstellt.Auch auf der Ebene des Investments in einzelnen Un-ternehmen wollen wir den privaten Kapitalgebern zu-sätzliche Angebote machen, sich wieder verstärkt zu en-gagieren. Zusätzliche Liquidität soll dem Markt zurVerfügung gestellt werden. Ferner hoffen wir, dass durchdie Fusion von KfW und DtA zusätzliche Anschubwir-kungen organisiert werden.Ein letztes Wort zu den steuerlichen Rahmenbedin-gungen, die Sie zu Recht ansprachen: Uns ist sehr wohlbewusst, dass diesen steuerlichen Rahmenbedingungeneine große Bedeutung zukommt. Mein Eindruck ist, dasswir auch hier nicht auf ganz schlechtem Wege sind. Beider Fondsbesteuerung bin ich zuversichtlich, dass wirgemeinsam – die Bundesländer wurden bereits ange-sprochen – zu sehr akzeptablen Lösungen kommen wer-den. Für die Mitarbeiterbeteiligungsoption hat das Mi-nisterium für Wirtschaft und Arbeit wiederholt flexibleRegelungen eingefordert und sich dafür eingesetzt, dieVeräußerungsgewinnbesteuerung bei Business-Angel-Investments zu überdenken. Ich glaube, dass das derrichtige Weg ist.Meine Damen und Herren, in meinem Beitrag habeich versucht, auf Ihre zum Teil guten, zum Teil rituell et-was schwierigen Argumente differenziert einzugehen.
Ich wünsche mir, dass es uns gelingt, bei diesem Thema,das für unsere weitere wirtschaftliche Zukunft nicht völ-lig unbedeutend ist, das eine oder andere gemeinsam zu-stande zu bringen. Die Form unserer Debatte machtmich diesbezüglich optimistisch.Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Nächste Rednerin ist die Kollegin Gudrun Kopp,
FDP-Fraktion.
Herr Präsident! Sehr geehrte Herren und Damen! InBezug auf den Antrag der CDU/CSU-Fraktion, den dieFaRbfUzdDsddnekßM1kmLdmDwöfDDmskekJeveCds
Hinsichtlich des fehlendes Eigenkapitals für den deut-chen Mittelstand nenne ich ebenfalls ein paar Zahlen,ie wirklich sehr alarmierend sind. Nach einer Umfragees Sparkassen- und Giroverbandes aus dem vergange-en Jahr weisen nur noch 40 Prozent aller Unternehmenine Eigenkapitalquote auf; sie geht fast gegen null. Jeleiner das Unternehmen ist, Herr Dr. Wend, desto grö-er sind die Probleme; das wissen wir alle.
ehr als die Hälfte der Betriebe mit weniger alsMillion Euro Jahresumsatz haben inzwischen schonein Eigenkapital mehr. Diese dramatische Situationuss uns alle umtreiben; sie gilt es zu überwinden.
ösungen dafür findet man aber auf gar keinen Fall, in-em man jede Woche oder fast jeden Tag über neueögliche Steuererhöhungen spricht.
ie Diskussion über die Themen Tabaksteuer und Mehr-ertsteuer sowie eine mögliche Erhöhung der Mineral-lsteuer – heute aktuell in den Medien zu lesen – ist Giftür die Konjunktur, Gift für den Wirtschaftsstandorteutschland.
as führt zu einer totalen Verunsicherung bei den Fir-en.
Es ist doch überhaupt keine Frage, dass die im deut-chen Einkommensteuerrecht vorgenommene Absen-ung der Wesentlichkeitsgrenze bei Beteiligungen aufin Prozent erheblich zur Schwächung der Beteiligungs-ultur beigetragen hat.
eder Business Angel wird sich zweimal überlegen, obr wirklich sein Geld zur Verfügung stellen kann, weil esorher vom Finanzminister zum größten Teil schlichtinkassiert wird.Natürlich haben die Kolleginnen und Kollegen derDU/CSU-Fraktion völlig Recht mit ihren Aussagen,ass Kontrollmitteilungen faktisch bereits eingeführteien und dass eine Mindeststeuer am Finanzplatz
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Gudrun KoppDeutschland diesem sehr großen Schaden zufügenwürde. All dies sind Diskussionen, die uns schaden.Mir geht es darum, Herr Kollege Tauss, dass wir nachLösungen für diese wirklich dramatische Situation su-chen, die alles andere als lustig ist.
Angesichts dieser verfehlten Wirtschafts- und Steuerpo-litik unterstreiche ich noch einmal, was Herr KollegeRiesenhuber völlig zu Recht sagte: Wir können noch soviele Fonds auflegen, uns noch so sehr bemühen, Pro-gramme zu initiieren. Alle Anstrengungen, die wir unter-nehmen, werden null und nichtig sein, sofern wir nicht,um Luft zu bekommen, mit einer klaren, einfachen Be-steuerung für jeden Arbeitnehmer und für Unternehmenhier am Standort Deutschland einen Impuls setzen.Wir haben vor längerer Zeit ein klares und einfachesSteuerkonzept mit Steuersätzen von 15, 25 und35 Prozent vorgelegt.
– Gerecht ist es natürlich auch. – Ehrlicherweise mussman die Frage stellen, wie dies finanziert werden kann.Die Anregungen, die Herr Professor Paqué, Finanzmi-nister in Sachsen-Anhalt, am vergangenen Freitag gege-ben hat – sie sind in der „FAZ“ nachzulesen –, halte ichfür hervorragend. Natürlich müssen wir uns nicht nurüber Subventionsabbau unterhalten, sondern in dieserHinsicht auch handeln, und zwar nicht selektiv. Es warvon Steuersenkungen und von Deregulierungen dieRede, aber es fehlte das Stichwort Subventionsabbau.Ein Befreiungsschlag ist nur durch eine pauschale Sen-kung der Subventionen möglich.
Nur dann schaffen wir es, Milliarden einzusparen. Ichbitte Sie, in dieser Hinsicht künftig sehr viel mutiger zusein.Wenn Sie nicht glauben, dass dies derzeit möglich ist,dann führe ich an, welche Gesamtsumme an Subventio-nen das Institut für Weltwirtschaft in Kiel genannt hat.Sie betrug im Jahr 2001 – man höre und staune –155 Milliarden Euro.
Das entspricht einem Drittel unserer gesamten Steuer-einnahmen; das muss man sich einmal vorstellen. Wennman davon abzieht, was an staatlichen und halbstaatli-chen Subventionen gezahlt wird, bleiben – quasi netto –immer noch Subventionen in Höhe von 110 MilliardenEuro. Wenn Sie nur 20 Prozent davon pauschal strei-chen, dann haben Sie ein Einsparvolumen von22 Milliarden Euro.
Das ist ein Batzen Geld.zSuCasHBVebüdhudnSeAtdgdStunn–mawdU
Ich erteile das Wort der Kollegin Christine Scheel,
ündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!orab zwei Bemerkungen zu Ihnen, Frau Kopp.Der erste Punkt. Ich gebe Ihnen völlig Recht; auch ichrachte das Steuerrecht für zu kompliziert. Unser Pro-lem ist aber, dass in der Bundesrepublik Deutschlandber Jahrzehnte alle gesellschaftspolitischen Felder – voner Bildung über die Familie und die Bauförderung bisin zur Kulturpflege – im Steuerrecht geregelt wurdennd dass es unheimlich schwer ist, das wieder zurückzu-rehen. Ich glaube, wir sind darüber einig, dass man dieotwendigen Investitionen an der einen oder anderentelle besser über Direktinvestitionen als über das Steu-rrecht regeln könnte. Das ist ein sehr schwieriger Weg.ber man muss ihn gehen; da gebe ich Ihnen Recht.Der zweite Punkt. Selbstverständlich werden wir wei-er Subventionen abbauen. Aber ich möchte Sie bitten,ass Sie, wenn Sie die vom Institut für Weltwirtschaftenannte Summe von 155 Milliarden Euro aufgreifen,en Bürgerinnen und Bürger auch sagen, dass in diesenubventionen die Finanzierung unserer Bildungseinrich-ungen enthalten ist. Es entspricht dem Grundgesetz undnserem Verfassungsauftrag, dass der Staat für die Fi-anzierung dieser Einrichtungen aufkommt. Dies isticht privatwirtschaftlich zu tragen.
Das ist keine Subvention im engeren Sinne. Ich ver-ute, es wird sehr mühsam sein, sich zunächst einmaluf einen Subventionsbegriff zu verständigen.Dazu werden Vorlagen kommen. Ich bin gespannt,ie die FDP sich verhält, wenn es konkret wird. Dennann sind Sie meistens nicht mehr dabei.
Es gibt zwei Gründe, warum mir der Antrag, den dienion vorgelegt hat, nicht so gut gefällt.
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Christine ScheelHerr Riesenhuber, der erste Grund ist: Der Duktus desAntrages ist mir zu negativ. Er verbreitet eine schlechteStimmung.
Wir alle sind der Auffassung, dass wir hier etwas tunmüssen und sollen. Es ist klar, dass die Förderung vonjungen Technologieunternehmen ein Schlüssel zur In-novationstätigkeit der Gesellschaft in Bezug auf neueProdukte und Technologien ist. Wir sollten das positivformulieren und nicht immer alles als ganz furchtbardarstellen.Der zweite Grund ist: Die Lösungsansätze zu steuerli-chen Fragen, die Sie hier formulieren, sind ein Schnell-schuss. Wir können keine steuerlichen Regelungenmehr gebrauchen, die denjenigen große Schlupflöchereröffnen, die sie nicht brauchen. Die Regelungen müssenzielgenau, effektiv, kontrollierbar, nachvollziehbar undim internationalen Wettbewerb sinnvoll sein.
Wir dürfen keine Maßnahme ergreifen, ohne uns dieKonsequenzen zu überlegen. Ich denke, wir werden imLaufe des Verfahrens noch über die eine oder andereMaßnahme diskutieren können.Da Sie sich immer für die negative Seite zuständigfühlen, möchte ich ein paar positive Sachen sagen.
Deutschland ist der zweitwichtigste Technologieex-porteur der Welt, das weist der Bericht zur technologi-schen Leistungsfähigkeit des letzten Jahres aus.
Wir haben hier nach wie vor eine weltweit führende Po-sition, übrigens auch bei Patentanmeldungen. Tatsacheist auch, dass nach dem Gründungsboom im Hightech-bereich Ende der 90er-Jahre, speziell im Segment IT undim Bereich der Biotechnologie, im Zuge der anhaltendenKonjunkturschwäche ein Rückgang an Neugründungenstattgefunden hat. Dass wir eine Zunahme an Insolven-zen verzeichnen mussten, ist richtig. Aber man darf dieUrsachen dieser Entwicklung nicht vorrangig auf man-gelhafte steuerliche Rahmenbedingungen zurückführen.Man muss die eigentlichen Ursachen auch im Zusam-menhang mit den gestaltbaren Rahmenbedingungen fürinnovatives Handeln von Unternehmen sehen.Die Aussagen in der aktuellen Analyse der DeutscheBank Research vom Mai 2003, die wir bekommen ha-ben, klingen viel seriöser als das, was Sie formulieren.Ich zitiere kurz aus dem Bericht. Dort heißt es:Ein Teil des Rückgangs der Gründungsaktivitätenkann durch die anhaltende Wachstumsschwäche inDeutschland erklärt werden. Ein bedeutender Teildes Nachlassens ist aber auf das Platzen der BubbleDpdndatudVzihihRIKdVrnpugdddmteDVtucstedwdDcStfew
Wir haben für vieles, aber nicht für alles die Verantwor-ng. Leider haben auch hier unseriöse Investitionsentschei-ungen stattgefunden; das war nach der Konsolidierung derenture-Capital-Märkte bei Unternehmensneugründungenu sehen. Hier müssen wir feststellen, dass Unternehmerre Fehlinvestitionen und Finanzanleger und -anlegerinnenr spekulatives Verhalten selbst zu verantworten haben.Die Politik kann und will hier bessere, kalkulierbareahmenbedingungen für Investorenverhalten bieten.ch denke, das ist auch sinnvoll. Bei Bund, Ländern undommunen existieren insgesamt 129 Förderprogramme,ie sehr sorgfältig geprüft und ausgebaut werden. Eineielzahl dieser Programme wird, was sehr schön ist, ge-ade in der letzten Zeit wieder stärker in Anspruch ge-ommen. Hier gibt es also durchaus positive Gesichts-unkte. Aber nach wie vor stellen die Risikoaversionnd der Gründungspessimismus unter den Deutschenroße strukturelle Hemmnisse für innovative Neugrün-ungen dar. Das ist eine psychologische Realität.Ich sage es einmal ganz neutral: Das hat nichts miter steuerlichen Frage zu tun. Dem ist auch nicht unbe-ingt durch Förderprogramme zu begegnen, sondern nurit einem Mentalitätswechsel der Akteure und der po-nziellen neuen Unternehmer und Unternehmerinnen.iesen Aspekt muss man berücksichtigen, wenn manergleiche mit den USA betrachtet; denn dort ist die Si-ation ganz anders – hierzu gibt es wunderbare Untersu-hungen –: Die Risikobereitschaft ist höher und dement-prechend ist die Grundsituation eine ganz andere.Lassen Sie uns also, da wir die Zukunft positiv gestal-n, hier investieren und diese Unternehmenskultur för-ern wollen, die entsprechenden Regelungen gemeinsameiterentwickeln! Lassen Sie uns dafür sorgen, dass wirie unternehmerischen Talente in der Bundesrepublikeutschland fördern! Lassen Sie uns aber in der öffentli-hen Diskussion bitte nicht den Fehler machen, unserentandort immer schlecht zu reden! Denn wenn wir dasun, was leider vorwiegend vonseiten der FDP geschieht,
ührt dies dazu, dass die Motivation derjenigen, die hierin Unternehmen gründen wollen, nicht gerade gefördertird. Darum sollte es uns aber eigentlich gehen.Danke schön.
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Letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt ist der
Kollege Reinhard Schultz, SPD-Fraktion.
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Diese Debatte ge-hört ja, was das Aufeinander-Zugehen anbetrifft, zwei-felsfrei zu einer der erfreulicheren Debatten. Das fingmit Ihnen, Herr Professor Riesenhuber, an und hat sichso weitgehend fortgesetzt.Ich persönlich bin sehr davon überzeugt, dass man ge-nau hinsehen muss, wenn man junge Gründungsunter-nehmen, egal aus welchen Bereichen, fördert, ob mansich nicht selber in die Tasche lügt, wenn man dies inerster Linie durch Veränderung der steuerlichen Kulissemacht, weil die Gründer selber und ihre Unternehmen inihren Verlustphasen davon meistens leider relativ wenighaben; es sei denn, man überträgt die Vorlaufverluste so-zusagen bis in alle Ewigkeit. Aber dann wird das, wasaus ihnen wird, wiederum für den Fiskus außerordent-lich schwer kalkulierbar.Deswegen haben wir in Deutschland in der Vergan-genheit darauf gesetzt und setzen darauf auch heute– das gilt übrigens für alle Industrieländer, die einen ho-hen Anteil von Forschungs- und Entwicklungskosten imprivaten wie im öffentlichen Bereich aufweisen, worausUnternehmensgründungen hervorgehen –, diesen Unter-nehmen durch direkte Förderung zu helfen. Sie selberhaben darauf abgehoben. Es gab eine Menge an Beteili-gungskapital und Gründungshilfen über die KfW und dieDtA. Das wird künftig über die KfW-Mittelstandsbank,wie sie, nachdem wir uns gestern geeinigt haben, heißenwird, fortgeführt.Das Problem ist natürlich, dass die Zahlung von Hil-fen einen gewissen Eigenanteil bei der Finanzierungvoraussetzt, der denjenigen, die Unternehmen neu grün-den oder bestehende Unternehmen fortführen wollen,zunehmend fehlt.Noch viel schwieriger ist – darauf ist ebenfalls schoneingegangen worden –, Hausbanken zu finden, die sichbei der Finanzierung eines normalen mittelständischenUnternehmens über das normale Risiko hinaus engagie-ren. Sie sind noch nicht einmal bereit, „Querschreibun-gen“ vorzunehmen, also einen zinsgünstigen Kredit derMittelstandsbank durchzureichen. Das ist ein riesengro-ßes Problem, das wir angehen müssen. Wir sind auf je-den Fall bereit, über die Instrumente der Banken, die wirhaben und die wir sogar etwas schärfer gefasst haben,Mittel auszugeben und die Programme fortzusetzen, undzwar in vergleichbarer Größenordnung wie in der Ver-gangenheit. Wir müssen aber auch die Umgebung ent-sprechend anpassen.Es ist eben anschaulich dargestellt worden, dass vie-les dazu beigetragen hat, dass im Hightechbereich imAugenblick keine Gründungsstimmung aufkommenwill. Das eine Problem ist, dass in diesem ganz interes-santen Segment, über das alle gestaunt haben, eine Blasegeplatzt ist. Heute trauen sich viele diesen Schritt nichtund gehen ihn nicht, auch wenn sie könnten. Das ist eingasggsandldmuwQskt–grmPuBitumvuEsvsSDwFn–teemzdbsggtngds
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4054 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 48. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juni 2003
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Ich schließe die Aussprache.Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage aufrucksache 15/815 an die in der Tagesordnung aufge-ührten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damitinverstanden? – Das ist offensichtlich der Fall. Dann istie Überweisung so beschlossen.Ich rufe den Tagesordnungspunkt 10 sowie die Zu-atzpunkte 8 und 9 auf:10 Erste Beratung des von den Fraktionen der SPDund des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN einge-brachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderungder Handwerksordnung und zur Förderungvon Kleinunternehmen– Drucksache 15/1089 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit
Auswärtiger AusschussInnenausschussRechtsausschussFinanzausschussAusschuss für Verbraucherschutz, Ernährung undLandwirtschaftVerteidigungsausschussAusschuss für Familie, Senioren, Frauen und JugendAusschuss für Verkehr, Bau- und WohnungswesenAusschuss für Umwelt, Naturschutz und ReaktorsicherheitAusschuss für Bildung, Forschung undTechnikfolgenabschätzungAusschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit undEntwicklungAusschuss für die Angelegenheiten der Europäischen UnionP 8 Beratung des Antrags der Abgeordneten ErnstHinsken, Dagmar Wöhrl, Karl-Josef Laumann,weiterer Abgeordneter und der Fraktion derCDU/CSUHandwerk mit Zukunft– Drucksache 15/1107 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit
InnenausschussRechtsausschussFinanzausschussAusschuss für Verbraucherschutz, Ernährung undLandwirtschaftAusschuss für Gesundheit und Soziale SicherungAusschuss für Verkehr, Bau- und WohnungswesenAusschuss für Umwelt, Naturschutz und ReaktorsicherheitAusschuss für Bildung, Forschung undTechnikfolgenabschätzungAusschuss für TourismusAusschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
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Vizepräsident Dr. Norbert LammertZP 9 Beratung des Antrags der Abgeordneten RainerBrüderle, Angelika Brunkhorst, Ernst Burgbacher,weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDPMeisterbrief erhalten und Handwerksordnungzukunftsfest machen– Drucksache 15/1108 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit
InnenausschussRechtsausschussFinanzausschussAusschuss für Verbraucherschutz, Ernährung undLandwirtschaftAusschuss für Gesundheit und Soziale SicherungAusschuss für Verkehr, Bau- und WohnungswesenAusschuss für Umwelt, Naturschutz und ReaktorsicherheitAusschuss für Bildung, Forschung undTechnikfolgenabschätzungAusschuss für TourismusAusschuss für die Angelegenheiten der Europäischen UnionNach einer interfraktionellen Vereinbarung ist fürdiese Aussprache eine Stunde vorgesehen. – Ich hörekeinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.Ich eröffne die Aussprache. Als Erster hat der KollegeBrandner für die SPD-Fraktion das Wort.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine lieben Kollegin-nen und Kollegen! Mit der Einbringung des Gesetzent-wurfes zur Änderung der Handwerksordnung und zurFörderung von Kleinunternehmen schließen wir eine Lü-cke aus der Hartz-II-Gesetzgebung. Es geht um das Kon-zept der Ich-AG. Wie Sie wissen, gehören zur Ich-AGder Existenzgründungszuschuss aus dem Sozialgesetz-buch III, die Minimalbesteuerung, die Einführung einfacherBuchführungsrichtlinien für Kleinunternehmen und vor al-lem auch die Liberalisierung der Handwerksordnung.Das Kleinunternehmerförderungsgesetz werden wirmorgen in zweiter und dritter Lesung verabschieden. Esbenötigt allerdings die Zustimmung des Bundesrates. Derjetzt vorliegende Entwurf eines Gesetzes zur Änderungder Handwerksordnung ist jedoch nicht zustimmungs-pflichtig. Wir können und werden ihn deshalb zügig be-raten und noch vor der Sommerpause verabschieden.
Erst wenn alle drei Teile des Konzepts im Gesetzblattstehen, wird sich – wir werden es sehen – bei der Ich-AGeine Gründungsdynamik entwickeln.
– Nun stöhnen Sie nicht schon jetzt, liebe Kolleginnenund Kollegen von der CDU/CSU; denn entgegen allenUnkenrufen ist unser Weg, Existenzgründungen aus derArbeitslosigkeit heraus zu fördern, bereits jetzt ein vollerErfolg.
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Uns hat in den vergangenen Monaten eine Flut vonnfragen Arbeitsloser erreicht, die sich selbstständigachen wollten, jedoch von den Handwerkskammernit Blick auf die geltende Handwerksordnung daran ge-indert wurden. Abmahnungen, Bußgelder und Betriebs-chließungen wurden Existenzgründern angedroht odereilweise vollzogen. Das wollen und müssen wir ändern.
Wir wollen in einem ersten Schritt die Handwerksord-ung für den Bereich einfacher Tätigkeiten entzerrennd liberalisieren. Wir nehmen mit dieser kleinen No-elle eine Klarstellung in das Gesetz auf, die deröchstrichterlichen Rechtsprechung entspricht. Worumeht es konkret? In § 1 Abs. 2 der Handwerksordnungeißt es:Ein Gewerbebetrieb ist Handwerksbetrieb im Sinnedieses Gesetzes, wenn er handwerksmäßig betrie-ben wird und ein Gewerbe vollständig umfasst, dasin der Anlage A aufgeführt ist, oder Tätigkeitenausgeübt werden, die für dieses Gewerbe wesent-lich sind .s kommt also auf die wesentlichen Tätigkeiten an. Wirollen nun mit diesem Gesetz klarstellen, welche Tätigkei-n nicht zum Kernbereich eines Handwerks gehören,lso keine wesentlichen Tätigkeiten im Sinne § 1 Abs. 2es Gesetzes sind.Keine wesentlichen Tätigkeiten eines Gewerbes dernlage A der Handwerksordnung sind insbesondere soenannte einfache Tätigkeiten, die in kurzer Anlernzeitrlernbar sind. Das Bundesverfassungsgericht hat „ein-ache Tätigkeiten“ definiert: Es sind Tätigkeiten, die einurchschnittlich begabter Berufsanfänger in zwei bisrei Monaten erlernen kann. Wir stellen in diesem Ge-etz aber auch klar, dass wesentliche Tätigkeiten auchann nicht vorliegen, wenn sie zwar eine längere An-ernzeit verlangen, aber für das Gesamtbild des betref-enden Gewerbes der Anlage A nebensächlich sind undeshalb nicht die Kenntnisse und Fertigkeiten erfordern,uf die die Ausbildung in diesem Gewerbe hauptsächlichusgerichtet ist. Schließlich zählen zu den wesentlichenätigkeiten im Sinne von § 1 Abs. 2 der Handwerksord-ung nicht solche Tätigkeiten, die sich nicht aus einemewerbe der Anlage A entwickelt haben.
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Klaus BrandnerMit dieser kleinen Novelle werden viele Unklarheitender Auslegung der Handwerksordnung und noch mehrUngereimtheiten bei ihrer Ausführung beseitigt. Wirwerden dadurch mehr Existenzgründungen ermöglichen,die bisher verhindert oder behindert wurden. Geradeheute Morgen haben wir in einem Gespräch mit den füh-renden Vertretern der Handelsverbände in Deutschlanderfahren, dass der Handel Impulse braucht, um aus dernegativen Stimmung herauszukommen. Er sieht einenImpuls darin, durch geschlossene Serviceleistungenneue Beschäftigungsfelder zu erschließen. Zum Beispielkönnten diejenigen, die Teppiche verkaufen, zugleichauch die Serviceleistung des Verlegens oder des Anbrin-gens von Fußleisten anbieten. Es sind also viele Ge-schäftsfelder denkbar, von denen Beschäftigungsimpulseausgehen können. Bereiche, die heute brach liegen,könnten wir mit dieser gesetzlichen Änderung leicht er-schließen.Mit der kleinen Novelle der Handwerksordnung er-öffnen wir zugleich die Diskussion über die große No-velle der Handwerksordnung, die mit der Vorlage desRegierungsentwurfs vom 28. Mai 2003 begonnenwurde. Lassen Sie mich deshalb mit einigen grundsätzli-chen Bemerkungen dazu schließen.Die Reform der Handwerksordnung kommt ausmeiner Sicht mindestens 13 Jahre zu spät. Spätestens mitder Vereinigung Deutschlands wäre eine grundlegendeReform der Handwerksordnung überfällig gewesen. Sohaben wir noch zu Beginn der 90er-Jahre das alte Regel-werk in die neuen Bundesländer übertragen, mit fatalenKonsequenzen für die Gründungsdynamik in diesenLändern. Wir hätten uns viel Ärger ersparen und fürviele Gründungswillige auch ein hohes Maß an Unge-rechtigkeiten vermeiden können, wenn wir schon damalsmutig an eine Novellierung der Handwerksordnung her-angegangen wären. Wie viele hoch qualifizierte Techni-ker, Ingenieure und Werkmeister aus der ehemaligenDDR sind davon abgehalten worden, sich im Handwerkselbstständig zu machen, mit der Begründung, sie hättenkeinen Meisterbrief? Das werden wir jetzt ändern – fürviele leider 13 Jahre zu spät.Zum Schluss noch eine Bitte an das Handwerk und andie Verbandsfunktionäre: Rüsten Sie verbal ab!
Was hier in den letzten Tagen und Wochen an Verbands-radikalismen in die Debatte eingeführt wurde, ist nurschwer erträglich.
Ich will hier auf Beispiele verzichten. Es war jedenfallsnicht meisterlich, was dort geboten wurde. Es ist eherbeschämend, meine Damen und Herren.Den Handwerkern, die uns heute zuhören, sage ich:Wenn wir jetzt nicht handeln, dann können wir dasHuWWaDaAnSHdleptgdbkztdMlzacgdzPkCHdDSIw
ir stehen zum Meisterbrief. Wir schaffen ihn nicht ab.ir fördern ihn beispielsweise, indem wir das BAföGuf eine neue und erweiterte Grundlage gestellt haben.amit schaffen wir Qualitätsstandards, von denen vielendere nur träumen.
ber die Voraussetzung für die Berufsausübung ist dochicht allein der große Befähigungsnachweis. Wem wollenie denn klar machen, dass sich ein Diplom-Ingenieur imandwerk nicht selbstständig machen kann, sondern nurerjenige, der eine entsprechende Meisterprüfung abge-gt hat?
Wir werden in der Debatte, die uns von anderen euro-äischen Mitgliedstaaten und den europäischen Gerich-en aufgezwungen wird, immer mehr in die Defensiveedrängt, wenn wir jetzt nicht handeln. Demnächst wer-en Anbieter aus zwölf europäischen Nachbarländernei uns ihre Handwerksleistungen ungehindert anbietenönnen, ohne den gleichen strengen Zugangsvorausset-ungen zu unterliegen wie ihre deutschen Mitkonkurren-en. Hier muss etwas passieren.
Den zukünftigen Existenzgründern sage ich: Wir wer-en für mehr Berufsfreiheit in einem bisher reguliertenarkt sorgen. Das wird Ihnen helfen. Es wird erheblicheichter sein, eine selbstständige Existenz im Handwerku gründen. Wir werden Ihnen dabei zur Seite stehen,ngefangen mit Förderinstrumenten wie dem Überbrü-kungsgeld oder der Ich-AG, mit steuerlichen Hilfen undünstigen Kreditprogrammen der Mittelstandsbank, miter Modernisierung der beruflichen Bildung, bis hinum Meister-BAföG. Damit bieten wir ein komplettesrogramm an. Ich denke, dieses Programm ist in die Zu-unft gerichtet. Ich bitte Sie dazu um Ihre Unterstützung.
Nächster Redner ist der Kollege Ernst Hinsken für die
DU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!err Brandner, auch wenn Sie sich noch so oft einreden,ass die Ich-AG etwas Gutes sei: Es wird nicht stimmen.ie Realität draußen zeigt etwas ganz anderes. Dieorge im Handwerk ist gerade wegen der Einführung derch-AG besonders groß. Wenn Sie als Spitzenredner undirtschaftspolitischer Sprecher der SPD hier ans Pult ge-
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Ernst Hinskenhen, dann, so meine ich, sollten Sie sich so vorbereiten,dass Sie nichts Falsches sagen.
Sie haben darauf verwiesen, dass die Novellierung derHandwerksordnung um 13 Jahre zu spät kommt, dass da-mals nicht gehandelt wurde, als die neuen und die alten Bun-desländer vereinigt wurden. Hinsichtlich der Anerkennungvon Meisterprüfungen – zum Beispiel in der Industrie –möchte ich Sie daran erinnern, dass die Verordnung überdie Anerkennung von Ausbildungsabschlüssen vonMeistern 1991 im Bundestag beschlossen wurde. Ich sehees Ihnen nach, dass Sie das nicht wissen, weil Sie damalsnoch nicht im Bundestag waren. Sie können es aber nach-lesen. Wir waren damals sehr wohl auf der Höhe der Zeitund haben die notwendigen Maßnahmen ergriffen.
Ich gehöre zu den Anhängern des großen Befähi-gungsnachweises. Ich gehöre zu denen, die dieHandwerksordnung, die das Handwerk mit seinemKammerwesen, mit seinem Innungswesen für un-verzichtbar halten.Das sagte – passen Sie jetzt gut auf! – BundesministerClement auf dem Deutschen Handwerkstag am 29. No-vember 2002, also vor einem halben Jahr, in Leipzig.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Es wird durch diese Bundesregierung, jedenfallsdurch mich, keine Maßnahmen geben, die gewis-sermaßen von oben herab Veränderungen im Hand-werk erzwingen wollen.
Das, was wir tun, was wir tun können im Verhältniszum Handwerk, was die Rechtsordnung angeht, dieHandwerksordnung angeht, das wird nur so gestal-tet werden, dass Sie– gemeint war das Handwerk –mitgehen. Wir werden das mit Ihnen tun, das wasnotwendig ist, aber nicht ohne Sie, nicht gegen Sieund erst recht nicht von oben herab. Das ist meinVerständnis der Arbeit.
Wo er Recht hat, hat er Recht. Aber den Worten müss-ten auch Taten folgen. Davon kann aber nicht die Redesein.
Denn das Verfallsdatum von Clements Worten ist schnel-ler abgelaufen, als die Worte aus seinem Munde sprudeln.Lassen Sie mich ein Sprichwort von La Fontaine zitieren:Am Werke erkennt man den Meister!GMIghfndHtKBsdswHLzdtsdgsmgnGtDswvwPkHwe
reffen zigfach bei mir und meinen Kolleginnen undollegen ein.
undesminister Clement und Sie, seine Genossen,chlagen wie bei einem Amoklauf wild um sich: Belei-igungen am laufenden Band. Entspricht das Ihrem Ver-tändnis der Zusammenarbeit; wollen Sie so die Hand-erks-ordnung gestalten und meinen Sie, dass dasandwerk sie dann mittragen kann?Ich möchte nur an die Worte von Minister Clement ineipzig erinnern. Wenn Herr Clement ausführt, dass ihnum Beispiel der Betrug am Sozialstaat wütend macht,ann halte ich ihm entgegen: Auch uns macht das wü-end. Aber Mittelständler öffentlich zu bezichtigen, dassie ihre Ehepartner als Scheinangestellte beschäftigen,ie sich dann arbeitslos melden und auf Kosten der All-emeinheit Geld kassieren – wie erst gestern wieder ver-chiedenen Pressemeldungen zu entnehmen war –, istehr als starker Tobak.
Für mich ist das Brunnenvergiftung, die wir für keineesellschaftliche Gruppierung wollen und schon garicht für das Handwerk, eine wichtige wirtschaftlicheruppierung, auf die wir in der Vergangenheit in großar-iger Weise setzen konnten und weiter setzen wollen.enn wegen ein paar schwarzer Schafe eine gesamte ge-ellschaftliche Gruppierung in Verruf zu bringen gehteit über meine Vorstellungswelt hinaus.Was machen Sie noch? Täter- und Opferrolle werdenertauscht: Sie von Rot-Grün treiben Deutschland in dieirtschaftliche Misere und schieben den schwarzeneter dem Handwerk zu. So leicht machen Sie es sich!
Auch folgender Punkt ist nicht zu übersehen. Mirommt es so vor, als ob Sie von Rot-Grün, insbesondereerr Clement, über eine radikale Korrektur des Hand-erksrechts das Handwerk dafür abstrafen wollen, dasss bei der letzten Wahl nicht die SPD gewählt hat.
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Ernst HinskenSie ignorieren völlig, wofür das deutsche Handwerksteht: für 5,3 Millionen Arbeitsplätze und 528 000 Aus-bildungsplätze in 580 000 Betrieben, und das, obwohlim letzten Jahr über 10 000 Betriebe Pleite und dadurch300 000 Arbeitsplätze verloren gegangen sind.In diesem Zusammenhang ist auch die Frage zu stel-len, warum nur etwa die Hälfte derjenigen, die die Meis-terprüfung ablegen, in die Selbstständigkeit gehen. Fürmich gibt es nur eine kurze Antwort: weil die Bedingun-gen so schlecht sind. In Deutschland stehen 130 000Handwerksmeister in Reserve. Sie, meine Damen undHerren von Rot-Grün, sollten dafür sorgen, dass dieRahmenbedingungen verbessert werden. Ich prophezeieIhnen, dass es, wenn Sie das tun, einen wahren Boom anExistenzgründungen geben wird. Es gibt das alte Sprich-wort: Ein schlechtes Handwerk, das seinen Meister nichternährt! Abgewandelt auf die Bundesregierung, muss esheute heißen: Eine schlechte Regierung, die ihre Meisterausgrenzt!Wie sieht denn Ihre Antwort aus? Herr Clement hofftauf die Gründung von 200 000 Ich-AGs durch Erwerbs-lose noch in diesem Jahr. Anstatt tüchtige Existenzgrün-der zu fördern, kommt wieder nichts Gescheites herausfrei nach dem Motto: Denn sie wissen nicht, was sie tun!
Sie von Rot-Grün sind feige – das betone ich aus-drücklich noch einmal –, weil Sie nicht den Mut aufbrin-gen, heute Ihre vom Kabinett verabschiedeten Vor-schläge zur Novellierung der Handwerksordnung in denDeutschen Bundestag einzubringen.
Sie haben gerade einmal einen Zehn-Zeilen-Antrag vor-gelegt. Da lobe ich mir meine Kolleginnen und Kollegenvon der FDP- und der CDU/CSU-Fraktion, die jeweilseinen umfangreichen Antrag in den Bundestag einge-bracht haben und die versuchen, den Bürgern und insbe-sondere den Handwerkern wieder Perspektiven zu gebenund Mut einzuflößen, den sie dringend benötigen undder ihnen bislang abgeht, weil Sie das Handwerk solange nach unten gedrückt haben, bis negative Zahlen zuverzeichnen gewesen sind.
Es ist traurig, dass Sie, wie zu lesen ist, auch bei demvorliegenden Gesetzentwurf mit allen Raffinessen trick-sen, um den Meisterbrief abzukoppeln.
Es ist nicht hinnehmbar, wenn Bundeswirtschaftsminis-ter Clement eine Reform der HWO gegen das Handwerküber das Knie brechen will. Nicht gegeneinander, son-dern miteinander – so müsste das Gebot der Stunde sein.Das war auch versprochen.
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Bei der Reform der Handwerksordnung darf meinereinung nach – das ist auch die Meinung unsererreunde im Handwerk – das Kind nicht mit dem Badeusgeschüttet werden. Es ist unbestritten, dass Deutsch-nd moderne, dynamische, flexible und europafesteandwerksmeister braucht. Wir brauchen Unternehmer,ie mit Fachkompetenz, betriebswirtschaftlichem Fach-issen, Mut und handwerklichem Können neueeschäftsideen entwickeln und Kunden gewinnen. Tref-end heißt es hierzu in den „Meistersingern“ von Richardagner: „Verachtet mir die Meister nicht!“ Der Meister-rief muss als Qualitätssiegel des deutschen Handwerksrhalten bleiben. Anstatt diesen, wie von der Bundesre-ierung vorgesehen, unter dem Gesichtspunkt der Ge-ahrenabwehr nur noch in 29 von 94 Handwerksberufenu belassen, sollten unserer Meinung nach auch Krite-ien wie Ausbildungsleistung und Schutz wichtiger Ge-einschaftsgüter berücksichtigt werden. Allein die Er-üllung eines dieser Kriterien sollte als Voraussetzungusreichen, damit sich ein Gewerbe in der Anlage A derandwerksordnung wiederfindet.
Sie, meine Damen und Herren auf der Regierungs-ank – diese ist ja geradezu überfüllt –, haben kein Gesel-nstück, geschweige denn eine Meisterleistung abgeliefert.ie – das möchte ich hier ausdrücklich sagen – dürften nichtinmal in die Anlage B aufgenommen werden.
Herr Kollege Hinsken, denken Sie bitte an die Rede-
eit.
Sie haben genau gestoppt, Herr Präsident. Danke füren Hinweis.Der Begriff „Meister“ steht überall für etwas Positi-es und Besonderes, im Sport genauso wie in der Politik.as für einen Mediziner der Doktortitel ist, ist für einenandwerker der Meistertitel. Wir haben in zwölf Punk-en zusammengefasst, wie wir uns den Meister der Zu-unft vorstellen. Das wird in den nächsten Wochen undonaten von entscheidender Bedeutung sein. Wir lassenn diesem Bereich nicht locker. Wir werfen uns für dasandwerk in die Bresche. Wir wollen die Voraussetzun-
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Ernst Hinskengen dafür schaffen, dass sich das Handwerk auch in Zu-kunft entfalten kann,
dass es nicht zu guter Letzt von Ihnen so unterdrücktwird, dass es nicht mehr zu existieren vermag.
Vielen herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.
Ich erteile dem Kollegen Fritz Kuhn, Bündnis 90/Die
Grünen, das Wort.
Sehr verehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen undKollegen! Mit dem Gesetzentwurf, den wir heute bera-ten, und dem, den wir in einiger Zeit beraten werden,machen wir eine umfangreiche Reform der Handwerks-ordnung, die Teil der Agenda 2010 ist. Ich will Ihneneinfach einmal die Ziele nennen.Wir wollen mehr Chancen für Betriebsgründer. Wirwollen deregulieren und Zwangsbarrieren abbauen. Wirwollen den Wettbewerb optimieren. Wir wollen Klein-unternehmen fördern. Schließlich wollen wir einen Bei-trag zum Abbau der Schwarzarbeit leisten. Ich will Ih-nen ganz klar sagen, dass dies Ziele sind, an denenjemand, der an der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit inDeutschland interessiert ist, nach meiner festen Über-zeugung nicht vorbei kann.
Was Sie hier aufziehen nach dem Muster „Ist man nunfür oder gegen das Handwerk, für oder gegen denMeister?“, ist eine völlig falsche und fatale Diskussion,mit der Sie von einem Problem ablenken wollen, das Siehaben.Wir wollen mit dem, was wir machen, das Handwerkstärken und wir wollen auch den Meister stärken. Abereines wollen wir nicht, nämlich dass der Meisterbriefeine Zugangsbeschränkung für junge Existenzgründerwird. Das ist er in einigen Bereichen unserer Wirtschaftheute.
Deswegen machen wir die Reformen, die auf dem Tischliegen.sAtsBAdDceQmbhDad–SeSF–HF
Wenn man Berufe, die nicht mit Gefahren verbundenind, von der Anlage A der Handwerksordnung in dienlage B überführt, ist das eine Erleichterung für Exis-enzgründungen. Deswegen werden wir das tun. Für un-ere Fraktion ist eher die Frage, ob nicht noch mehr dererufe, die jetzt noch in der Anlage A stehen, in dienlage B überführt werden können.
Ich will noch einmal klar sagen: Wir sind nicht gegenen Meisterbrief.
as können Sie der Bevölkerung draußen nicht weisma-hen. Wir sind fest davon überzeugt, dass der Meisterbriefine andere Bedeutung bekommen muss. Er muss einualitätssiegel sein, das den Verbraucher darüber infor-iert, dass derjenige, der ein solches Siegel hat, für eineesondere Qualität bürgt und eine besondere Ausbildungat.
eswegen können Sie diese einfache Gleichung nichtufstellen.Jetzt will ich einmal eine ordnungspolitische Frage anie Union stellen.
Ja, das ist eine ordnungspolitische Grundfrage, um dieie sich nicht herumdrücken können. – Ich will Ihneninmal drei Zitate von Herrn Merz vorlesen; das werdenie ja wohl aushalten.Erstens.Wir sind sofort bereit, mit Ihnen ein erheblichesStück an Bürokratieabbau zu betreiben.riedrich Merz am 30. Oktober hier im Bundestag.
Sie können auch klatschen; das ist ja von Herrn Merz.Zweitens.Alte Besitzstände können nicht gegen ökonomischeErfordernisse aufrechterhalten werden.err Merz in einem „DHZ“-Gespräch.Drittens.Es sollte auch gelingen, mehr Menschen als bisherAnreize zum selbstständigen Unternehmertum zugeben.riedrich Merz in „Mut zur Zukunft“.
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Fritz Kuhn
Eines, liebe Kolleginnen und Kollegen, finde ichwirklich seltsam. Sie reißen in solchen Zitaten – Ihre Re-den hier im Haus sind voll davon – die Klappe für Frei-heit auf und sind andererseits für Zugangsbeschränkun-gen. Was Sie hier ordnungspolitisch darstellen, kannnicht funktionieren.
Sie machen eine Rolle rückwärts und verteidigen die Zu-gangsbeschränkungen, die es heute gibt. Mancher kanneinen Handwerksbetrieb einfach deshalb nicht aufma-chen, weil er den Meisterbrief nicht machen will odernicht machen kann.
Was Sie machen, ist ganz einfach Folgendes: Sie träl-lern das Lied der Freiheit und schlagen die Trommelndes Zwangs.
Das ist die Ordnungspolitik, mit der Sie uns hier kom-men.Der Angriff, Herr Merz, den Sie auf die SPD und dieGewerkschaften – in der Verbindung! – immer führen,ist nichts anderes als Projektion. Sie werfen den anderenein Problem vor, dass sie in großer Abhängigkeit von ei-ner bestimmten gesellschaftlich relevanten Gruppeseien, und tatsächlich haben Sie selbst das Problem,nämlich in Bezug auf das Handwerk. Ich kann diesbe-züglich keinen Unterschied sehen. Sie gehen vor Lobbysin die Knie und werfen eben dies anderen vor.
So etwas ist politisch nicht in Ordnung und es wird sichmeines Erachtens rächen.
Worum geht es? Ludwig Erhard hat gesagt: Markt-wirtschaft ist, was den Verbrauchern dient. Wer markt-wirtschaftlich denkt, beseitigt Zugangsbarrieren beider Eröffnung von Geschäften. Wir von der Regierungmachen das in diesem Bereich sehr konsequent.Jetzt möchte ich noch eine Bemerkung zu dem Ge-setzentwurf machen, der heute in erster Lesung beratenwird; die anderen Vorlagen sind noch nicht eingebrachtworden.
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ch will Ihnen einmal ein Beispiel aus meinem häus-ichen Umfeld nennen: Aufgrund eines Sturmschadensusste ein Zaun neu gespannt werden. Jetzt versuchenie einmal, beim deutschen Handwerk in Berlin einenchlosser oder jemand anderes aus diesem Gewerk zuinden, der in solch einem Fall hilft.
ch habe vier oder fünf Anrufe getätigt und nur Absagenekommen. Man sagte mir, das lohne sich nicht, dasunktioniere nicht oder man habe keine Zeit, ich sollepäter noch einmal anrufen. Es war ein Hin und Her.
iese einfache Aufgabe hat letztendlich eine Berlinerirma ausgeführt, die heute diskriminiert wird, aber iner Lage ist, in einem Allroundpaket diese und verschie-ene andere Dienstleistungen anzubieten. Im Bereicher Existenzgründungen und der Ich-AGs wollen wirrmöglichen, dass solche Tätigkeiten einfach ausgeführterden können. Sie blockieren das. Sie wollen denarkt und damit auch den Wettbewerb beschränken.as alles begründen Sie mit fadenscheinigen Argumen-en. Was Sie wollen, ist nichts anderes als krude und ele-entare Wettbewerbsbeschränkung. Das kann dochicht angehen.Zu Ihrem Zwischenruf, man solle das doch selber ma-hen, muss ich Ihnen sagen: Sie haben keine Ahnung da-on, wie viele Arbeitsplätze wir durch das Angebot vonienstleistungen, nach denen viele Leute suchen und dien Anspruch genommen würden, schaffen könnten. Des-alb muss die Möglichkeit gegeben werden, Allround-etriebe zu gründen, die beispielsweise einen Wasser-ahn reparieren oder eine Dachrinne säubern können,hne dass sie von den Handwerkskammern und den Be-örden verfolgt werden. Das ist der entscheidendeunkt. Wenn Sie das nicht verstehen, haben Sie von derodernen Berufswelt und der Realität, in der die Bevöl-erung lebt, meines Erachtens keine Ahnung. Deswegenehandeln wir heute diesen Gesetzentwurf in erster Le-ung und werden ihn nach den Beratungen im Ausschussuch verabschieden.Was Sie zu den Ich-AGs sagen, ist wirklich Mumpitz.ollege Brandner hat dazu Ausführungen gemacht. Wiraben einen Anfang gemacht, aber wir haben bei dererabschiedung der Vorschläge der Hartz-Kommissionanz deutlich gemacht: Es muss noch einiges dazukom-
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Fritz Kuhnmen, zum Beispiel die Förderung von Kleinunternehmenund der Abbau von Diskriminierungen, die es heutenoch gibt.Herr Schauerte – Sie gucken so merkwürdig –, erklä-ren Sie mir einmal ordnungspolitisch: Mit welchem Ar-gument wollen Sie jungen Leuten, die so etwas anbietenwollen, um sich aus der Arbeitslosigkeit zu befreien,Ihre Ablehnung begründen? Was soll dafür denn derGrund sein? Welches Argument spricht dafür, dassHandwerker ein Monopol auf solche Tätigkeiten, die sienicht ausüben wollen, haben, während andere, die dieseArbeit machen wollen und arbeitslos sind, dazu nicht be-rechtigt sind? Das müssen Sie mir einmal vernünftig er-klären. Sie können das ja im Ausschuss versuchen.
Damit will ich zum Schluss kommen. Wir werdenmehr Wettbewerb im Bereich der handwerklichenDienstleistungen schaffen. Wir werden uns in diesemZusammenhang nicht in eine Auseinandersetzung mitIhnen treiben lassen. Wir lassen uns nicht nachsagen, wirseien gegen den Meisterbrief; er ist als Gütesiegel wich-tig für den Verbraucherschutz. Wir werden die Plänesehr rasch umsetzen, damit unsere Marktwirtschaft fle-xibler wird.Ich dachte immer, dass die Union für Flexibilität undWettbewerb stehe.
Wenn man die Seligsprechung des Handwerks durchFrau Merkel – sie beschrieb es als Herzstück der Gesell-schaft – betrachtet, dann stellt man fest: Das war starkerTobak. Ich kann nur sagen: Der Papstbesuch hat ihr nichtgut getan. Sie hätte etwas nüchterner reden sollen.Vielen Dank.
Der Kollege Friedrich Merz hat jetzt das Wort zu ei-
ner Kurzintervention.
Herr Kollege Kuhn, Sie haben meine Aussagen inmehreren Interviews zitiert. Ich möchte zunächst aus-drücklich bestätigen, dass die Zitate richtig sind undüberhaupt nicht dem widersprechen, was wir zur Hand-werksordnung zu sagen haben.
Sie widersprechen auch nicht unseren berechtigten Ein-wendungen gegen Ihren heutigen und den noch kom-menden Gesetzentwurf.
esrStndelFdduuzArlsldnrdzgdbtfwbSgzsbIlmsKktfASa
Ich stelle Ihnen einmal eine Frage: Wenn ich es rich-ig weiß, haben Sie auf Lehramt studiert. Käme irgendei-er von Ihnen auf die Idee, die zweite Staatsprüfung füras Lehramt abzuschaffen, um auf diese Art und Weiseine höhere Beschäftigungsquote der Lehrer zu ermög-ichen? Was meinen Berufsstand anbetrifft, stelle ich dierage: Kommt irgendeiner von Ihnen auf den Gedanken,ie zweite juristische Staatsprüfung abzuschaffen undas als einen Beitrag zur Deregulierung zu bezeichnen,m so eine größere Anzahl von Richtern, Staatsanwältennd Rechtsanwälten in der Bundesrepublik Deutschlandu ermöglichen?Mit Verlaub, Herr Kollege Kuhn, das ist doch eineusrede. In Wahrheit geht es Ihnen um etwas ganz ande-es: Es stört Sie, dass es in der Bundesrepublik Deutsch-and ein hohes Maß an Qualifikation und privatwirt-chaftlicher Fähigkeit zur Ausbildung gibt. Ihre Antwortautet: Auf der einen Seite organisieren Sie den Bereicher Mikroökonomik, die Volkswirtschaft ganz unten,eu – Stichworte Ich-AG und Kleinstunternehmerförde-ung – und holen diesen Bereich damit sozusagen auser Schwarzarbeit heraus und stellen ihn in Konkurrenzur Realwirtschaft. Auf der anderen Seite schaffen Sieanz oben mitbestimmte große Konzerngesellschaften,ie der andere Teil Ihres gesellschaftspolitischen Leit-ildes sind. Dazwischen gibt es aber noch etwas: dieragende Säule der deutschen Volkswirtschaft mit quali-izierten Berufszugängen und hervorragender privat-irtschaftlicher Ausbildungsleistung. All das stört Sie.Das haben wir übrigens heute Morgen in der Berufs-ildungsdebatte und in der Debatte über die Abgabe, dieie für nicht ausbildende Unternehmen erheben wollen,ehört.Ich bitte Sie: Wenn Sie mich in Zukunft zitieren, dannitieren Sie mich in diesem Zusammenhang bitte voll-tändig und fügen Sie hinzu, was ich über die Reform-edürftigkeit der Handwerksordnung gesagt habe.ch gehöre nämlich zu denjenigen, die sehr nachdrück-ich gesagt haben, dass hier manches reformiert werdenuss. Wenn Sie unseren Antrag lesen, werden Sie fest-tellen, welche Reformen wir vorschlagen. Lieber Herruhn, die Redlichkeit gebietet es, dass Sie dies in Zu-unft auch sagen.Ich entnehme dem Handbuch des Deutschen Bundes-ages, dass Sie zwischen 1989 und 1992 eine Professurür sprachliche Kommunikation an der Stuttgarter Merz-kademie inne hatten. Ich wäre Ihnen dankbar, wennie bei dem bleiben würden, was politische Seriositätusmacht.
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4062 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 48. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juni 2003
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Zur Erwiderung, Kollege Kuhn.
Lieber Kollege Merz, ich bin überrascht. Ich dachte,
Sie seien ein echter Marktwirtschaftler. Ihre Ausführun-
gen haben das aber nicht bestätigt.
Ich will Ihnen sagen, an welchem Punkt wir nicht
übereinstimmen: Bei nicht gefahrgeneigten Berufen
– darüber reden wir; wir können darüber diskutieren,
welche Berufe das sind – ist der Markt eine herausra-
gend gut funktionierende Instanz, um zu beurteilen, ob
die Leistung und die Qualifikation, die jemand erbringt,
tatsächlich gut ist oder nicht. Genau das wollen wir. Sie
wollen das nicht. Sie misstrauen der Fähigkeit der Ver-
braucherinnen und Verbraucher, zu beurteilen, welche
Firmen sie für welche Dienstleistungen in Anspruch
nehmen.
– Selbstverständlich. Ansonsten würden Sie nicht sagen,
dass man uns arme Individuen vor Missgriffen schützen
und darum auf jeden Fall den Meisterzwang aufrechter-
halten müsse. In dieser ordnungspolitischen Frage be-
steht zwischen uns eine Differenz.
Sie sind ein halbierter Marktwirtschaftler. Sie miss-
trauen dem Marktgeschehen. Ich kann allein beurteilen,
ob das Brot eines Bäckers schmeckt. Das hat nichts mit
der Frage zu tun, ob der Bäcker einen Meisterbrief hat
oder nicht. Der Markt entscheidet selbstverständlich
auch, ob die Qualität stimmt oder nicht.
Zu Ihrer Frage bezüglich der Schule. Ich habe nicht
auf Lehramt studiert, aber egal. Die Schule ist durch die
Erziehung der Kinder ein öffentliches Gut, das wir nach
unserer Überzeugung – übrigens nicht unbedingt nach
Ihrer – nicht allein dem Markt überlassen können; denn
wenn bestimmte Ergebnisse nicht erzielt werden, ist der
Schaden an unseren Kindern irreparabel. Das ist der
Grund, warum jedenfalls wir auf einem öffentlichen
Schulwesen bestehen und die Privatschulen nach stren-
gen gesetzlichen Regelungen allerhöchstens als Ergän-
zung dazu verstehen.
Deswegen geht es selbstverständlich in diesem Fall
um die Qualifikationen, die unsere Gesetze vorschrei-
ben, womit ich nicht sagen möchte, dass wir bei der Leh-
rerausbildung in Deutschland und vor allem bei der
Lehrerfortbildung nicht einiges verbessern könnten.
Im Klartext: Ihre Unterstellung uns gegenüber funktio-
niert nicht. Wir wollen so viel Marktwirtschaft, wie in
diesem Bereich möglich ist. Ich muss nur feststellen, dass
Sie den Marktkräften misstrauen und eigentlich, Herr
Merz, doch ein ganz schöner Regulierer sind, obwohl Sie
immer Deregulierung auf Ihre Fahnen schreiben.
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Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen underren! Der Bundeskanzler der Bundesrepublikeutschland ist bei seiner ersten Wahl mit der Maßgabengetreten, sich am Abbau der Arbeitslosigkeit messenassen zu wollen, und zwar jederzeit. Im Zusammenhangit dem Hartz-Konzept wurde von 2 Millionen zusätz-ichen Arbeitsplätzen gesprochen und die Bundesregie-ung bietet uns seit fünf Jahren wirklich einiges. Ichabe mir einmal eine Stichwortsammlung zusammen-estellt, die jedoch nicht vollständig ist: JUMP, JobQTIV, Hartz, Jobfloater, Kapital für Arbeit,genda 2010, Ich-AG, IWAN. All das soll die Arbeits-arktprobleme lösen. Aber wir hören heute aus Nürn-erg, dass wir wieder 400 000 Arbeitslose mehr habenls im gleichen Monat letztes Jahr. – Hervorragend!
iese Bundesregierung ist grandios bei der Schöpfungon Worthülsen und versagt kläglich bei der Bekämp-ung der Arbeitslosigkeit und der Schaffung von Rah-enbedingungen auf dem Arbeitsmarkt, durch die dieirtschaft wieder wachsen kann und mehr Menschen inen Arbeitsmarkt können.
Sie haben mit der Ich-AG ein neues Instrument ge-chaffen, ein weiteres Pflänzchen im Dschungel der un-ndlichen Fördermöglichkeiten der Bundesanstalt fürrbeit. Herr Brandner, Ihr Staatssekretär Andres schreibtir, Eingang 5. Juni, auf meine parlamentarische An-rage, es habe 16 094 Ich-AGs gegeben; das sind fünf-al weniger als beim Überbrückungsgeld. Sie hätten daseld in die Hand nehmen und in den Topf für Über-rückungsgeld geben sollen, dann hätten Sie ohne Ver-omplizierung und weiteren bürokratischen Wust dieörderung der Existenzen ehemals Arbeitsloser weiter-in unterstützen können. Das wäre effektive Arbeits-arktpolitik gewesen.Sie legen hier einen Gesetzentwurf vor, mit dem dieandwerksordnung verändert werden soll. Sie macheninen entscheidenden Fehler: Sie nehmen diejenigen, dien dem Bereich arbeiten und davon leben, die die Stützeer Ausbildung in diesem Land und das Rückgrat dereutschen Wirtschaft sind, bei den notwendigen Reform-chritten nicht mit. Sie knallen ihnen einfach eine Än-erung vors Hirn, die sie nicht nachvollziehen können,bwohl doch selbst die Handwerksorganisationen ver-tanden haben und wissen, dass die Handwerksord-ungsreform notwendig ist, dass sie zukunftssicher unduropafest gemacht werden muss. Nehmen Sie sie dochn die Hand, wie es Herr Clement vor dem Handwerks-
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Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 48. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juni 2003 4063
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Dirk Niebeltag gesagt hat, und nehmen Sie sie bei den notwendigenVeränderungsschritten mit!Das kann zum Beispiel eine Veränderung der Aner-kennung anderer Qualifikationen, anderer Zugänge sein,ein Abgehen vom Inhaberprinzip, das es ermöglicht,dass man meinetwegen einen Meister einstellt und soseine selbstständige Existenz gründet. Es muss mit Si-cherheit eine Veränderung bei der Meisterausbildungals solche erfolgen; sie ist zu teuer, zu lang, zu bürokra-tisch. Aber insgesamt könnten Sie das Handwerk mit-nehmen auf einem fortschrittlichen Weg zu einer Moder-nisierung eines der wichtigsten Wirtschaftszweige, diewir in der Bundesrepublik Deutschland haben. Das tunSie nicht und deswegen werden Sie auch hier versagen.
Herr Kollege Niebel, erlauben Sie eine Zwischen-
frage des Kollegen Lange?
Selbstverständlich.
Vielen Dank, Herr Kollege Niebel. Ich habe den Ein-
druck, dass Sie am 5. Januar 2003 nicht auf dem Landes-
parteitag Ihrer Partei in Stuttgart waren. Deshalb frage
ich Sie, ob Sie den Ausführungen des baden-württem-
bergischen Wirtschaftsministers und stellvertretenden
FDP-Bundesvorsitzenden zustimmen, der sagte:
Ich fordere die Vertreter des Handwerks dazu auf,
sich nicht als Bremser auf dem Weg zur Selbststän-
digkeit zu betätigen, sondern die Reformvorschläge
von Professor Hellwig, dem Vorsitzenden der Mo-
nopolkommission, und der Bundesregierung aktiv
zu begleiten, um damit mehr Gründigungswilligen
den Weg in die Selbstständigkeit zu erleichtern und
damit auch mehr Arbeitsplätze zu schaffen.
Lieber Herr Kollege, selbstverständlich stimme ich
den wegweisenden Ausführungen meines Landesvorsit-
zenden und stellvertretenden Ministerpräsidenten zu. Das
ist übrigens der Sachstand dessen, was Herr Clement vor
dem Handwerkstag gesagt hat. Er hat gesagt, die Vertreter
des Handwerks sollten sich nicht als Bremser betätigen.
Genau das habe auch ich vor nicht ganz anderthalb Minu-
ten gesagt. Sie müssen einmal zuhören.
Da der Kollege Brandner die Vertreter des Hand-
werksverbandes hier auffordert, verbal abzurüsten,
möchte ich ihn und Sie an die Äußerungen der Vertreter
des Deutschen Gewerkschaftsbundes, von Verdi und der
IG Metall im Rahmen der Diskussion über die
Agenda 2010 erinnern.
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Wir haben heute 400 000 Arbeitslose mehr als vor ge-
au einem Jahr und Sie legen uns einen Gesetzentwurf
ur Ich-AG vor! Das ist ein Skandal; es ist schlichtweg
ine Unverschämtheit. Wir müssen die Arbeitslosigkeit
ekämpfen, indem wir das Steuersystem reformieren.
ir müssen einfache, niedrige und gerechte Steuersätze
chaffen und die sozialen Sicherungssysteme zukunfts-
ähig gestalten, damit die Lohnnebenkosten herunterge-
en und es sich wieder lohnt, jemanden einzustellen. Wir
üssen außerdem das Arbeitsrecht deregulieren, damit
ie bürokratischen Hemmnisse – angefangen beim Kün-
igungsschutz über das Tarifvertragsgesetz und das Be-
riebsverfassungsgesetz bis hin zum Rechtsanspruch auf
inen Teilzeitarbeitsplatz – nicht dazu führen, dass ge-
ade diejenigen geschädigt werden, die man doch eigent-
ich schützen wollte.
Wir müssen dafür sorgen, dass die Menschen in diesem
and Chancen haben, mitzumachen. Ihre Politik bewirkt
as Gegenteil. Wir brauchen nicht immer wieder neue
orthülsen, sondern am besten eine neue Regierung.
Vielen Dank.
Das Wort hat jetzt der Parlamentarische Staatssekretär
itmar Staffelt.
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Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen underren! Ich bin Ihnen ausdrücklich „dankbar“, dass Sieurch den Stil und Inhalt Ihrer Rede Ihr Interesse an ei-er sachlichen Diskussion über dieses Thema zum Aus-ruck gebracht haben. Natürlich können Sie als Opposi-ion herumknüppeln und herumbrüllen.
ie Frage ist nur, ob es nicht für Sie und für uns alle bes-er wäre, wenn wir das Thema inhaltlich bearbeiten wür-en. Mit solchen Reden verweigern Sie sich in jedemall.
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Parl. Staatssekretär Dr. Ditmar StaffeltLassen Sie mich noch auf einen weiteren Punkt einge-hen. Sie sprechen davon, dass es eine Unverschämtheitist, Ihnen einen Gesetzentwurf zur Ich-AG vorzulegen.
Sie sollten sich ein bisschen sachkundiger machen. DieIch-AG ist ein Teil aus einer Vielzahl von Gesetzesände-rungen und neuen Gesetzen, die wir seit Beginn dieserLegislaturperiode vorangebracht haben.
Fragen Sie doch einmal in den Arbeitsämtern nach.Der Direktor des Arbeitsamtes meines Wahlkreises Ber-lin-Neukölln hat mir gesagt, dass 6 000 Arbeitslose ihrkonkretes Interesse an einer Ich-AG bekundet haben.Warum reden Sie das sofort wieder schlecht? Doch nur,um Polemik zu machen! Das darf doch nicht wahr seinund wird der Situation, in der wir uns befinden, einfachnicht gerecht.
Zu diesem Bereich gehören auch die Minijobs. Frü-her haben Sie sich beklagt, die Koalition würde immernur mit ordnungspolitischen Maßnahmen gegen dieSchwarzarbeit vorgehen. Jetzt wenden wir marktwirt-schaftliche Mittel und Methoden an, indem wir Men-schen die Chance geben, aus der Schwarzarbeit in dieLegalität zu gehen. Sie können entweder einen Minijobannehmen oder sich selbstständig machen. Warum wol-len Sie diese Maßnahmen kaputtreden? Es ist einfachnicht nachvollziehbar.
Erlauben Sie mir eine polemische Bemerkung in Bezugauf die Anmerkung, die Herr Merz im Zusammenhangmit seinen Beispielen über akademische Grade und dieHandwerksordnung gemacht hat: Wir bewegen uns hier– das sollten Sie als Jurist wissen – auf dem Boden desGewerberechtes. Gemessen am Gewerberecht ist dieHandwerksordnung ein Exot. Es ist eigentlich eine Ab-surdität: Ihre Vorgänger haben im 19. Jahrhundert für dieGewerbefreiheit gekämpft. Heute scheinen Sie dies al-les vergessen zu haben. Wir müssen Strukturen aufbre-chen. Das war doch auch einmal Ihre Forderung.Führen Sie hier keine kurzfristigen politischen Schar-mützel, indem Sie sich einer Reform verweigern, die wirdringend benötigen! Denn die Zahlen beim Handwerkweisen aus, dass es nicht nur ein konjunkturelles, son-dern auch ein strukturelles Problem gibt,
das wir mit der Änderung der Handwerksordnung zumBesseren wenden wollen.
Herr Hinsken, wenn wir dabei stehen bleiben, dass wirie wagnerschen Meistersinger zum Vorbild einer zu-ünftigen Wirtschaftsordnung in unserem Lande ma-hen, dann sage ich: Gute Nacht, Herr Hinsken! Damiterden wir nämlich noch mehr Arbeitslosigkeit und dentsächlichen Niedergang des Handwerks inszenieren.Das, was Sie hier erklärt haben, entspricht im Übrigenicht den Tatsachen. Wir haben mit dem Handwerk ei-en sehr interessanten Dialog geführt.
Sie waren nicht dabei; Sie wissen das doch gar nicht.s ist ganz typisch: Sie sind an einem Dialog mit unsicht interessiert.
Das alles können Sie sagen; es kommt in das Protokoll.s spricht nicht gerade für Sie.
Ich sage Ihnen noch einmal: Ich habe mit Herrnchleyer und vielen anderen Vertretern des Handwerksesprochen. Wir haben übrigens sehr viel Übereinstim-ung vorgefunden; das sollte man nicht ganz vergessen.
Sie können ruhig darüber lachen; es ist so. – Wir warenns darin einig, dass die Leipziger Beschlüsse nichtusreichen, um das Handwerksrecht europa- und zu-unftssicher zu machen. Wir haben gesagt: Die Indus-iemeister, die Techniker und die Ingenieure müssen ei-en noch besseren Zugang zum Handwerk haben. Dasnhaberprinzip muss aufgegeben werden. Auch dashema des unerheblichen Nebenbetriebs muss und wirderegelt werden.Wir waren uns im Übrigen auch darin einig, dass esür einen Gesellen, der sich entschließt, eine Meisterprü-ung zu machen, keinerlei zeitliche Begrenzung mehreben darf. Die dreijährige Wartezeit wird also gestri-hen. Schließlich haben wir eine sehr intensive Debatteber die Frage geführt, ob es nicht zulässig sein muss,ass ein Geselle, der zehn Jahre tätig ist und davon fünfahre in verantwortungsvoller Position in einem Hand-erksunternehmen gearbeitet hat, in die Lage versetzterden muss, einen eigenen Betrieb gemäß Anlage Aufzumachen.Das alles sind Ergebnisse, über die wir gesprochenaben. Wir haben nicht immer eine hundertprozentigebereinstimmung erzielt. Aber wir sind in diesen Ge-prächen sehr weit gekommen.Am Ende geht es um die Frage, ob wir über die Ge-ahrgeneigtheit hinaus andere Eigenschaften zurrundlage der Einordnung der Handwerke in dienlagen A oder B machen. Auch im Fortgang der Dis-ussion werden wir darüber sprechen müssen.
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Parl. Staatssekretär Dr. Ditmar StaffeltHerr Schauerte beispielsweise unterscheidet sich – indiesem Falle einmal wohltuend – von Herrn Hinsken.Ich habe nämlich gehört, dass er bereits festgestellt hat– das war jedenfalls in den Zeitungen zu lesen –, min-destens 30 Handwerke von den 94 könnten ohne weite-res in die Anlage B transferiert werden. Das ist schoneinmal ein Schritt in die richtige Richtung. Es muss Er-kenntnisse geben, die dafür sprechen.Lassen Sie mich ein Weiteres sagen: Wir glauben da-ran – ich bitte darum, Ihr Verständnis im Hinblick aufden Markt zu mobilisieren –, dass es für das Handwerkgut ist, wenn es nicht nach althergebrachten Gewerkenorganisiert ist, sondern sich an der Nachfrage auf demMarkt orientiert. Daraus können sich zukunftsträchtigeGewerke entwickeln, die dem einzelnen Unternehmensehr viel bessere Zukunftschancen in seiner betriebswirt-schaftlichen Planung ermöglichen, als das heute in die-sen traditionellen Kategorien der Fall ist.Die Grundidee ist doch folgende: Wir wollen damit auchInnovationen erzielen und dafür Sorge tragen, dass sichdiese Unternehmen am Markt breiter orientieren können.Insoweit handelt es nicht nur um eine Maßnahme fürKleinstunternehmen, sondern um eine Reform für dasgesamte Handwerk, für die sehr vieles spricht.Herr Kuhn hat völlig Recht: Warum misstrauen wireigentlich den Konsumenten? Er hat den Bäcker als Bei-spiel angeführt; ich könnte viele andere Beispiele nen-nen. Jeder wird sich doch genauso wie bei einem Indus-trieprodukt und bei anderen Dienstleistungen sehr genauüberlegen, wem er sich anvertraut und wem er einenAuftrag erteilt. Dabei spielt der Meisterbrief ohne Frageeine zentrale Rolle als Qualitätssiegel. Sehr viele werdensagen, es lohne sich für sie, dieses Qualitätssiegel in ih-rem Betrieb vorweisen zu können, weil es ihnen Wettbe-werbsvorteile gegenüber anderen bietet.Meine Damen und Herren, was wir heute machen, istnur ein kleiner Schritt, um Existenzgründern zu helfen,um ein paar Schranken zu beseitigen und um dafür zusorgen, dass auch jene Betriebe, die in einer Grauzonearbeiten, Rechtsicherheit haben und nicht mehr unnöti-gerweise verfolgt werden. Deshalb bitte ich Sie, diesemGesetzentwurf zuzustimmen. Wir glauben, auf dem rich-tigen Wege zu sein. Vor dem Hintergrund der wirtschaft-lichen Lage unseres Landes bitte ich Sie, die Polemikwegzulassen und mit uns in einen sachlichen Dialogüber diese Fragen einzutreten.
Das Wort hat jetzt die Kollegin Dagmar Wöhrl von
der CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen!Herr Dr. Staffelt, ich weiß nicht, warum Sie sich soechauffiert haben. Ich glaube, Sie haben die falscheRede gehalten. Wir sollten hier nicht im Streit agieren,sIwkVmsdudmWHDNhgesncIdbwSmVulalsslzhbnadG
Was ist herausgekommen? Fakt ist: Seit diesem heili-en Versprechen des Wirtschaftsministers gab es keininziges Gesprächsangebot, geschweige denn ein Ge-präch mit uns. Dasselbe gilt für das Handwerk. Ich weißicht, mit welchen Vertretern des Handwerks Sie gespro-hen haben, Herr Staffelt. Vielleicht mit Ihrem Friseur?ch habe keine Ahnung. Mit den wichtigen Vertreternes Handwerks, die die Probleme wirklich kennen, ha-en Sie keine Gespräche geführt. Das wissen wir, weilir beim Handwerk nachgefragt haben. Sie haben nur inonntagsreden auf Handwerkstagen Versprechungen ge-acht, aber keine persönlichen Gespräche geführt.
ielmehr haben Sie nur getäuscht, enttäuscht und einenanständige Politik gemacht.
Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, welche Phi-osophie steht hinter Ihrem Gesetzentwurf? Sie setzenuf Kleinstunternehmen ohne Qualifikation. Natür-ich brauchen wir einfache Tätigkeiten und auch in die-em Bereich mehr Selbstständigkeit. Es muss attraktivein, im Niedriglohnbereich zu arbeiten. Arbeit ist wirk-ich genug vorhanden. Man braucht nur vom Tiergartenum Reichstagsgebäude zu laufen, dann sieht man nocheute den Müll vom Kirchentag. Die Arbeit liegt alsouchstäblich auf der Straße.Ich will auch nicht in Abrede stellen, dass es wirklichotwendig ist, Verbesserungen im Niedriglohnbereichnzugehen. Ich glaube, die Union hat insbesondere beien Minijobs gezeigt, dass wir bereit sind, auf diesemebiet vernünftige Reformen anzugehen.
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Dagmar WöhrlDer Geburtsfehler Ihrer Gesetze ist jedoch, dass Sieausschließlich auf Tätigkeiten setzen, die nur geringeQualifikation erfordern, und diese fördern, dabei aberdie Leistungsträger unserer Gesellschaft, zu denen auchdas Handwerk gehört, völlig aus den Augen verlieren.
Wer ist es denn, der immer wieder mehr Arbeitsplätzeals der Durchschnitt der übrigen Wirtschaft geschaffenhat?
Wer ist es denn, der dreimal mehr ausgebildet hat als derDurchschnitt der Gesamtwirtschaft? Wer ist es denn, derimmer für hohe Qualifikation gesorgt hat? Das ist dasHandwerk.Ich muss es Ihnen doch nicht erklären, liebe Kollegin-nen und Kollegen: Wir leben heute in einer hoch moder-nen, komplexen Wissensgesellschaft. Das Wissen ver-doppelt sich inzwischen innerhalb von fünf Jahren. Wiralle müssen heute mehr wissen als früher. Die jungenMenschen heute müssen mehr wissen als wir früher. Dasgilt für alle Berufe und für alle Ebenen. Wir sind ein roh-stoffarmes Land; deswegen ist der Faktor Humankapitaleine unserer wichtigsten Ressourcen. Die Zukunft unse-res Landes hängt auch nicht von „nur“ gut ausgebildetenUnternehmern und Beschäftigten ab, sondern von sehrgut ausgebildeten Unternehmern und Beschäftigten;denn nur so werden wir es schaffen, unseren Lebensstan-dard künftig auf derzeitigem Niveau zu erhalten. Das istkeine neue Erkenntnis. Es wäre gut, wenn auch Sie dasendlich erkennen würden.Sie können auch Friedrich den Großen oder LudwigErhard nachahmen, die das bereits erkannt haben. LudwigErhard war einer derjenigen, der den Meisterbrief immerhoch hielt, der wusste, welche Qualifikation mit demMeisterbrief zusammenhängt. Dieser Weg war richtigund er ist auch heute noch richtig. Wir alle reden dochvom lebenslangen Lernen, von hohen Qualifikationenund davon, dass dies ein wesentlicher Standortvorteil ist.Das Gesetz, das Sie auf den Weg bringen wollen, wirdjedoch nicht zu mehr Existenzgründungen führen, dieBestand haben werden. In den ersten Monaten wird dieSelbstständigenquote sicherlich steigen, die Statistikwird sich natürlich verändern – das beabsichtigen Sieauch –, aber diese Existenzgründungen werden nach einpaar Monaten wieder vom Markt verschwunden sein.Das ist keine Lösung für unsere arbeitsmarktpolitischenProbleme. Vielmehr brauchen wir stabile Existenzgrün-dungen, Betriebe mit Zukunftsaussichten, die auch künf-tig Menschen ausbilden und Arbeitsplätze schaffen. Dieswird auf die Ich-AGs bestimmt nicht zutreffen, liebeKolleginnen und Kollegen der Regierungsfraktionen.
65 Handwerksberufe – darunter auch Friseure, Malerund Lackierer – die jetzt noch für eine Unternehmens-gründung einen Meisterbrief benötigen, werden dafürkünftig keinerlei Qualifikation mehr brauchen.AF4ewAnskDdlmisssetKsdWWbeanviüsfdNFnNdgSZ
ngesichts dessen frage ich Sie: Wieso soll heute dasriseurhandwerk, das allein im letzten Jahr noch über0 000 Lehrlinge ausgebildet hat, weiterhin über seinenigenen Bedarf hinaus ausbilden,
enn ein Meister damit rechnen muss, dass sich seineuszubildenden sofort nach der Ausbildung im Ladenebenan selbstständig machen können? Er zöge docheine eigene Konkurrenz heran. Zukünftig wird docheiner mehr über den Bedarf hinaus ausbilden.
aher ist es auch verständlich, dass Sie sich den Zorner Handwerker zuziehen. Dies ist auch volkswirtschaft-ich schädlich und einfach unvernünftig.Ich frage mich, wie denn Ihre Vorstellungen dazu, zuehr Qualität, zu noch mehr hochwertigen Leistungenm Handwerk und zu mehr Lehrstellen zu kommen, aus-ehen. Diese Vorstellungen vermissen wir; dazu findetich nichts.Als einzige Änderung werden Sie kurzfristig eineteigende Zahl von Ich-AGs verzeichnen können, die ininen ungleichen Wettbewerb mit den wirklichen Leis-ungsträgern treten werden. Diese werden aber in nullomma nichts wieder von der Bildfläche verschwundenein, wenn die Subventionen abgeschöpft sein werden,ie sie von der Bundesanstalt für Arbeit bekommen.Humankapital ist der Schlüssel für hohe Produktivität.ir brauchen diese hohe Produktivität, damit wir imettbewerb mit unseren Mitwettbewerbern im Auslandestehen können, damit weiterhin die hohen Standardsrhalten werden können, die wir tatsächlich haben, vorllem im sozialen Bereich; das wissen Sie alle.Aber so geht es nicht. Sie können keine Gesetze mitegativen Auswirkungen auf die Menschen beschließen,on denen Sie erwarten, dass sie ihr Leben selbstständign die Hand nehmen und zupacken. Am Dienstag warenber 850 Handwerker hier. Da haben Sie erlebt, dasselbst das Wort „Ausbildungsboykott“ mit heftigem Bei-all bedacht worden ist. Daran sieht man, wie weit Sieie Menschen bringen. Sie haben einen falschen Ansatz.eue marktfähige Produkte bekommen Sie nicht durchrust und Leistungsverweigerung, sondern nur durch In-ovation und Qualität sowie durch motivierte Menschen.
ur so entstehen Arbeitsplätze und nur so bringen Sieie de facto 6 Millionen Arbeitslosen, die es momentanibt, wieder in Arbeit.Die qualifizierte Suche nach neuen Wegen hatchumpeter einmal den „Prozess der ’schöpferischenerstörung‘“ genannt. Bei Ihnen ist es anders: Sie zer-
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Dagmar Wöhrlstören nur; von schöpferischer Kraft ist hier wirklichüberhaupt nichts zu spüren.Lassen Sie mich zum Schluss kommen. Ich möchte esin einem Bild darstellen: Gute Erträge eines Kirschbau-mes erreiche ich nur durch gute Standortbedingungen,durch einen nahrhaften Boden und durch fachlich ge-konnten Baumschnitt. Wenn Sie nun einen Baum mit derAxt an den Wurzeln abhacken, können Sie zwar zukünf-tig die Kirschen im Sitzen essen, aber es werden niemehr Früchte an diesem Baum wachsen. Es werden auchkeine neuen Triebe wachsen, die unter den richtigenRahmenbedingungen zu neuen Bäumen werden können,die wieder Früchte tragen.Sorgen Sie dafür, dass es nicht zu diesem Kahlschlagkommt! Das können Sie nur tun, indem Sie wirklich Re-formen angehen, und zwar mit den Betroffenen. Dannhaben Sie eine Chance, dass es die richtigen Reformensind.Vielen Dank.
Das Wort hat jetzt der Kollege Christian Lange von
der SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-
ren! Herr Kollege Niebel, lassen Sie mich zunächst an
die Kolleginnen und Kollegen der Partei der Freiheit
ein paar Zitate richten:
Es wird von niemanden bestritten, dass die Meister-
ausbildung ein überaus erfolgreicher und geeigneter
Weg in eine sichere Existenz ist. Aber es stellt sich
doch die Frage, ob dieser Weg in allen Fällen
zwanghaft vorgeschrieben werden muss.
Wenn der Meisterbrief so gut und Erfolg verspre-
chend ist, wenn er dem angehenden Unternehmer
im Handwerk eine vergleichsweise sichere Per-
spektive für die eigene Existenz bietet, dann wird er
doch auch ganz von selbst auf dem Aus- und Wei-
terbildungsmarkt nachgefragt werden.
Wir müssen wieder den Mut haben, im Meisterbrief
das zu sehen, was er sein soll: der Nachweis einer
seriösen, qualitätsvollen Ausbildung, die für den
Verbraucher erwarten lässt, dass er eine erstklassige
Handwerksleistung einkauft.
Qualität aber braucht keinen Zwang; sie setzt sich
einfach durch.
Genau so ist es. Genau das sagte Walter Döring auf be-
sagtem Parteitag. Deshalb fordere ich die FDP-Fraktion
hier auf: Ziehen Sie Ihren Antrag zurück und stimmen
Sie dem Antrag der Koalitionsfraktionen zu.
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Das wäre mir möglich, wenn Sie mir entsprechende
edezeit einräumen würden.
s wäre mir ein Vergnügen. Er führt danach nämlich
och aus, wie es sich mit der Gewerbefreiheit in
eutschland verhält. Da gibt es eben keinen Zwang,
eine Regulierung des Marktes. Er führt aus, dass wir
uch in den freien Berufen und der Industrie die Gewer-
efreiheit haben und dass wir sie auch im Bereich des
andwerks stärker als in der Vergangenheit brauchen.
Herr Lange, erlauben Sie eine weitere Frage des Kol-
egen Niebel?
Nein. Ich glaube, es ist müßig.
Keine weiteren Fragen.
Ich gebe Ihnen die Rede gerne zur weiteren Lektüre.Zum zweiten Punkt der Qualifikation. Frau Kolleginöhrl, bitte nehmen Sie zur Kenntnis, dass diese Bun-esregierung mit dem Meister-BAföG bereits einen Wegegeht, um die Qualifikation weiter zu fördern, und zwarn einem Ausmaß, in dem Sie, die Sie sich hier zur Blo-kade aufschwingen, es in der Vergangenheit nicht getanaben. Ein Zuwachs im Bereich des Meister-BAföGs
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Christian Lange
von über 100 Prozent – seitdem wir dieses Gesetz ver-bessert haben – bedeutet einen Ausbau der Qualität.Warum gehen wir diesen Weg? Warum haben wir indiesem Bereich eine Nachfrage von über 100 Prozent?Das ist so, weil die entsprechenden Anwärter zumMeister auf den Markt setzen und weil sie wissen, dasssie ohne das Qualitätssiegel Meister auf dem Marktkeine Chance haben. Genau so soll es auch sein. Deshalbwird es, wenn wir diese Reform durchgeführt haben,letztendlich mehr Meister, mehr Auszubildende, mehrGesellen und mehr selbstständige Existenzen geben. Dasist gut so und das ist das Ziel unserer Reform, meine Da-men und Herren.
– Herr Kollege Hinsken, ich bin dankbar, dass KollegeSchauerte noch sprechen wird.Lassen Sie mich – damit komme ich zu meinem drit-ten Punkt – Folgendes feststellen: Ihr Kollege Schauertesagt, so steht es in der „Financial Times“ geschrieben,dass er bereit ist, den Weg der Bundesregierung zugehen. Er möchte andere Kriterien und nur 30 bis34 Berufe aus der Anlage A, dem Meisterzwang, heraus-nehmen. Jetzt frage ich Sie, Herr Hinsken: Für wen ha-ben Sie eigentlich gesprochen: für die CDU/CSU-Frak-tion oder für die Lobby, die Sie vertreten, nämlich dasHandwerk?
Das ist doch die Frage, die Sie an dieser Stelle einmalbeantworten müssen. Welches ist eigentlich die PositionIhrer Fraktion, meine Damen und Herren von der CDU/CSU?
Lassen Sie mich viertens auf den Gesetzentwurf zusprechen kommen.
Herr Lange, erlauben Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Hinsken?
Ja.
Bitte schön, Herr Hinsken.
Herr Kollege Lange, sind Sie bereit, zur Kenntnis zu
nehmen, dass ich mich als Volksvertreter natürlich auch
für das Handwerk verantwortlich fühle? In diesem Fall
habe ich mich gerne für vernünftige und verbesserte
Bedingungen für das Handwerk ausgesprochen. Ich
meine, dass es über Fraktionsgrenzen hinweg unser aller
Ziel sein sollte, alles zu tun, um dem Handwerk auf die
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Ich sage Ihnen, Herr Kollege Hinsken, ganz ehrlich:ch finde, es ist einer CDU/CSU-Fraktion und der Parteiudwig Erhards unwürdig, solche Bemerkungen auf ei-er Veranstaltung zu dulden.ie hätten aufstehen und sagen müssen: Nein, wir sindroh, dass es jemand wagt, in die Selbstständigkeit zu ge-en; denn es ist besser, in die Selbstständigkeit zu gehen,ls dem Steuerzahler auf der Tasche zu liegen.
Nun komme ich zu meinem nächsten Punkt. Ichöchte Ihnen etwas zu den Kriterien sagen. Das betrifften zweiten Teil Ihrer Frage, Kollege Hinsken. In derat hat das Handwerk drei Kriterien vorgeschlagen: dieefahrgeneigtheit, die Ausbildungsleistung und dieachhaltige wirtschaftliche Leistung. Darüber kann maneden. Aber die Bundesregierung hat dem Bundesrat ei-en Gesetzentwurf zugeleitet – über diesen beraten wirier ja gar nicht –, in dem sie die Gewerke in Punkt undomma nach ihren Kriterien dargestellt hat. Weder dasandwerk noch die CDU/CSU-Fraktion haben dies biseute getan. Ich bitte Sie – daher habe ich auf den Kolle-en Schauerte, der gleich noch sprechen wird, hingewie-en –, die Karten auf den Tisch zu legen.
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Christian Lange
Sagen Sie doch, was nach Ihren Kriterien an denAnlagen A und B der Handwerksordnung geändert wer-den soll. Dann kann man darüber reden. Aber Sie tun esnicht, weil Sie die Menschen aufhetzen wollen. Das istder wahre Grund – sonst nichts.
Mit dem nun vorliegenden Gesetzentwurf werden wirErleichterungen für Existenzgründer schaffen, die außer-halb des Geltungsbereichs der Handwerksordnung tätigwerden wollen, die also einfache Tätigkeiten ausübenwollen. Durch den vorliegenden Gesetzentwurf nehmenwir eine gesetzliche Klarstellung vor und nicht mehr.Das ist notwendig, da das Handwerk derartige Tätigkeitenhäufig immer noch als zum Handwerk dazugehörige Teil-tätigkeiten ansieht. Die Folge ist – ich merke, die Auf-merksamkeit lässt nach; warten Sie bitte ab –, dass auchfür einfache Tätigkeiten die Meisterprüfung verlangt wird,obwohl das nicht der langjährigen höchstrichterlichenRechtsprechung entspricht. Mit dem Gesetzentwurf, derheute auf dem Tisch liegt, beschließen wir nur noch ein-mal geltendes Recht und nichts anderes.Handwerkskammern und Behörden gehen vielfach,wie wir gehört haben, mit Abmahnverfahren, Betriebs-schließungen und Bußgeldern gegen Unternehmen vor,die einfache Tätigkeiten ausüben, aber nicht in derHandwerksrolle eingetragen sind. Dadurch werden Exis-tenzen aufs Spiel gesetzt. Ich will zwei Beispiele nen-nen, damit das geneigte Publikum weiß, worüber wirhier eigentlich beraten. Das erste Beispiel: Ein Mann,der sich selbstständig machen will und einen fünftägigenKurs besucht hat, will folgende Tätigkeiten ausüben: Erwill Lackschäden an Kfz beheben, Alufelgen polieren,Interieurausbesserungen in Autos vornehmen – sprich:die Polster säubern –, Dellen entfernen und Steinschlag-schäden an Frontscheiben ausbessern. Diese Arbeit istihm mit der Begründung, das gehöre zum Kernbereichder Tätigkeit eines Lackierers, verboten worden.
Ich will Ihnen ein zweites Beispiel nennen, damit allewissen, worüber wir reden. Im Kreis Siegen-Wittgensteingibt es einen Trockenbaubetrieb, der auch ab und zukleine Maurerarbeiten durchführt. So mauert er beispiels-weise eine Tür zu, bevor er seine Trockenbauarbeitenmacht. Das macht ein Fünftel seiner Arbeit aus. Gegendiesen Betrieb liegt ein Bescheid vor – ich habe den Be-scheid sogar vorliegen –, dass er diese Tätigkeiten soforteinzustellen habe, weil das Teil des Maurerhandwerkssei. Er wird, weil das nicht nur als Verletzung der Hand-werksordnung, sondern auch als Schwarzarbeit gilt, miteiner Bußgeldandrohung von 300 000 Euro belegt. Durchsolche Bescheide werden Firmen, Arbeits- und Ausbil-dungsplätze vernichtet. Das muss ein Ende haben. Das istein Ziel des Gesetzentwurfes der Bundesregierung.
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Das ist keine Schande. Das ist in Ordnung. Aber Sie müs-en wissen, dass alle anderen Wirtschaftsverbände – mitusnahme dieses einen Lobby-Verbandes – dies andersehen. Es ist in Ordnung, wenn das Ihre Meinung ist.ber ich habe meine Zweifel, dass es der Partei Ludwigrhards, die sich einmal für die Gewerbefreiheit und fürualität eingesetzt hat, dass es Ihrer Partei würdig ist.eshalb bitte ich um Zustimmung.
Als letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt hatetzt der Kollege Hartmut Schauerte von der CDU/CSU-raktion das Wort.
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Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-
ren! Meine erste Bemerkung: Zwischen Ernst Hinsken
und mir passt bei der Diskussion um die Handwerksord-
nung kein Blatt Papier.
Wir haben gemeinsam einen Antrag entwickelt und vor-
gelegt, in dem wir sehr deutlich und sehr präzise sagen,
was wir geändert sehen wollen und was wir für vernünf-
tig und notwendig halten. In diesem befinden sich min-
destens zwölf sehr konkrete Vorschläge.
Sie haben bis heute keinen Antrag und auch keinen
Gesetzentwurf vorgelegt, weil Sie sich nicht wirklich ei-
nig sind. Nach der Reaktion, die Sie in der Öffentlichkeit
erlebt haben, haben Sie gezögert. Nun müssen Sie neu
nachdenken. Eigentlich war vorgesehen, dass Sie in der
heutigen Debatte Ihren Entwurf vorlegen. Er ist aber
nicht zustande gekommen.
Herr Kollege Schauerte, erlauben Sie eine Zwischen-
frage des Kollegen Brandner?
Gerne.
Herr Brandner, bitte.
Herr Schauerte, zwischen Sie und Herrn Hinsken
passt kein Blatt Papier. Das haben Sie gerade hier öffent-
lich ausgeführt. Ich zitiere dazu die „Financial Times
Deutschland“ vom 30. Mai 2003. Darin sagen Sie:
Der Meisterzwang kann für gut 30 der 94 Meister-
berufe abgeschafft werden.
Ich habe Herrn Hinsken so verstanden, dass er die
Meisterberufe stärken und ausbauen will. Können Sie
uns diesen Widerspruch erklären oder wie breit ist bei
Ihnen ein Blatt Papier?
Das ist kein Zitat, ich will Ihnen die Frage aber ganzsauber beantworten: Wir haben Kriterien vorgeschla-gen.
Aufgrund dieser Kriterien – wenn Sie sich die Mühe ma-chen würden, das zu überprüfen, kämen Sie zu ähnlichenErkenntnissen – wird es in Zukunft Handwerksberufegeben, die den vollen Schutz des Meisterbriefes nichtmehr benötigen oder ihn nicht mehr erhalten. Der eineoder andere wird nach der ordnungsgemäßen Überprü-fung anhand der Kriterien herausfallen.IlfedEapisdhdabWdgnHimeDwtudDmmRwasdsaMdwegVtursBB
Mir stellt sich folgende Frage, die hier ja auch immerieder diskutiert wird: Warum hat Herr Clement – wennr auch Journalist ist – das, was er vor einem halben Jahresagt hat, so gründlich vergessen?
on seiner Natur her neigt er eigentlich nicht dazu und ert das auch nicht gerne. Ich kann Ihnen aber sagen, wa-um er es getan hat: Er ist mit seiner Reformagenda inchwerstes Feuer geraten. Die Linken bei Ihnen – Herrrandner, Sie waren dabei – standen auf Tischen undänken. Daraufhin hat er umsteuern müssen, um ihnen
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Hartmut Schauerteetwas zum Fraß vorzuwerfen. Er hat ihnen zur Beruhi-gung versprochen, beim Handwerk den Knoten durchzu-schlagen. Genauso ist es gelaufen. Es ist eine Unver-schämtheit, einen wichtigen Wirtschaftsbereich alspolitische Verfügungsmasse hin- und herzuschieben.
Ein Großteil dieser Aufregung hätte vermieden wer-den können, wenn Sie die Gespräche in aller Ruhe ge-führt hätten und wir so zu übereinstimmenden Ergebnis-sen hätten kommen können. Unsere zwölf Vorschlägesind mit dem Handwerk abgestimmt. Man muss dazu sa-gen, dass sie sehr viele Veränderungen bedeuten würden.Ich will sie in meiner kurzen Redezeit nicht alle auflis-ten, doch wir sind wirklich sehr modern. Aber mit die-sem brutalen Ritt, den Herr Clement den Linken zuge-standen hat, damit sie der Agenda von Herrn Schröderzustimmen, haben Sie das Porzellan zerschlagen. Damithaben Sie Vertrauen zerstört. Wirtschaft und Wachstumin unserem Lande haben Sie nicht weitergebracht, son-dern die Enttäuschung in unserem Lande noch vergrö-ßert. Das ist Ihr Problem. Deswegen müssen wir schnellzur Sachlichkeit zurückkommen. Öffnen Sie sich für un-sere Kriterien, dann kommen wir ein ganzes Stück mitdem Programm voran, das wir umsetzen wollen.
Ich will noch etwas zu den übrigen Gründen sagen.Alles, was wir tun, muss nützlich sein. Wenn Ihre Opera-tion zur Förderung von Wachstum, Arbeitsplätzen undAusbildung hilft, müssen wir die Operation akzeptieren.Wenn sie nicht hilft, müssen wir sie sein lassen. Schauenwir uns die Sache einmal genauer an. Sie sagen: DasHandwerk hat eine schlechtere wirtschaftliche Entwick-lung als die Gesamtwirtschaft genommen. Das ist in Tei-len wahr, hängt aber wohl auch damit zusammen, dassdas Handwerk im Gegensatz zur Gesamtwirtschaft aus-schließlich an der Binnenkonjunktur hängt. Wer hinge-gen die Binnenkonjunktur schlecht macht, darf sich an-schließend nicht darüber wundern, dass es demHandwerk schlechter als der exportierenden Wirtschaftgeht.
Sie sagen: Die enge Verfasstheit des Handwerks störtdie Gründungsdynamik. Schauen Sie sich einmal dieGründungsdynamik und die Entwicklung von Existen-zen im Einzelhandel an. In diesem Bereich herrscht ab-solute Freiheit. Dort sieht es noch schlechter als beimHandwerk aus. Schauen Sie sich einmal die Gründungs-dynamik bei Rechtsanwälten an. Dieser Berufsstand istverkammert und besitzt eine Gebührenordnung mit ex-plodierenden Gebühren. Sie können anhand eines Kur-venverlaufs nicht einfach auf die Ursache schließen. Siehaben keine sorgfältige Ursachenanalyse betrieben. Manmuss doch fragen: Hat das eine überhaupt etwas mit demanderen zu tun? Oder sind dies unterschiedliche Kausali-täten, die wir hier zu berücksichtigen haben?Bevor so stark eingegriffen wird, wie Sie es vorhaben,muss erst einmal der Nachweis geführt werden, dassdfnsnSteDWhbmslagDsmrzwdkSddadUVAZgwwDetebwswdDht
ollen dafür die Handwerker mit einer nicht sachgerech-n Reform bezahlen? Das kann doch nicht wahr sein!as kann nur einer machen, der sein Land nicht liebt.
ir wollen Dinge beschließen, die diesem Land weiter-elfen. Sie hingegen sind jeden Beweis schuldig geblie-en, dass Ihr Übermaß weiterhilft. Wir sagen: Ihr Über-aß behindert, stört und zerstört.
Um die Ernsthaftigkeit der Ausbildungsfrage anzu-prechen, möchte ich einige Zahlen nennen. In Deutsch-nd gibt es 760 000 freie Berufe. Sie sind auch deswe-en frei, weil sie durch fast nichts reglementiert sind.iese 760 000 freien Berufe bilden 160 000 junge Men-chen aus. Das Handwerk mit seinen 580 000 Unterneh-ungen bildet 564 000 junge Menschen aus. In der Be-ufssparte, die den höchsten Ausbildungsbeitrag leistet,erstören Sie die Ausbildungsmotivation in unverant-ortlicher Weise. Wie wollen Sie das Eltern erklären,ie nicht wissen, wo sie ihre Kinder ausbilden lassenönnen?
ie zerstören die Ausbildungsbereitschaft; das wer-en Ihnen die Handwerker bestätigen. Diese fühlen sichurch Ihre Vorgehensweise in einer solchen Weise miss-chtet, dass ihnen – ich möchte es einmal jovial sagen –er Hals schwillt. Sie sind nicht mehr bereit, unter diesenmständen auszubilden. Sprechen Sie doch einmal mitertretern der Lackiererinnung oder der Friseurinnung.llein in diesem Bereich gibt es zum gegenwärtigeneitpunkt über 80 000 Ausbildungsplätze. Diese Innun-en werden blockieren, weil sie diese Maßnahmen nichtollen. Dennoch werden Sie sie wohl durchsetzen. Aberer im dualen Ausbildungssystem so sehr über demurchschnitt der deutschen Wirtschaft ausbildet, der hats nicht verdient, unter solchen, im Übermaß ausgedach-n und zum Teil ideologisch begründeten Gesetzge-ungsvorhaben zu leiden. Das ist der Punkt, gegen denir uns wehren.Kommen Sie zurück zu einer ordnungsgemäßen, kau-albezogenen, ursachengerechten Reformdiskussion undir sind an Ihrer Seite. Alles andere ist falsch, schadetem Handwerk und schadet dem Wirtschaftsstandorteutschland. Nehmen Sie unsere Kriterien auf und Sieaben einen ersten großen und vernünftigen Schritt ge-an.Herzlichen Dank.
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4072 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 48. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juni 2003
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Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf
Drucksachen 15/1089, 15/1107 und 15/1108 an die in
der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschla-
gen. Gibt es anderweitige Vorschläge? – Das ist nicht der
Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 11 auf:
Erste Beratung des von den Abgeordneten Ernst
Burgbacher, Dirk Niebel, Klaus Haupt, weiteren
Abgeordneten und der Fraktion der FDP einge-
brachten Entwurfs eines … Gesetzes zur Ände-
rung des Jugendarbeitsschutzgesetzes
– Drucksache 15/756 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Ausschuss für Tourismus
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen, wobei die
FDP fünf Minuten erhalten soll. – Ich höre keinen Wi-
derspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Als erster Redner hat das
Wort der Kollege Ernst Burgbacher für die antragstel-
lende FDP-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! EndeApril dieses Jahres waren mehr als 164 000 unbesetzteAusbildungsplätze bei den Arbeitsämtern gemeldet. Demstanden mehr als 325 000 Bewerber ohne Ausbildungs-platz gegenüber. Die Situation ist dramatisch – wir habendas heute Vormittag schon diskutiert. Wir hier in diesemHause müssen alles tun, diesen Problemen zu begegnen.
Es kann nicht sein, dass in unserem Land mehr und mehrjunge Menschen vor der Situation stehen, keinen Ausbil-dungsplatz zu bekommen. Heute Morgen haben wir überdas Instrument der Ausbildungsplatzabgabe diskutiert –nach unserer festen Überzeugung ein völlig falsches In-strument.
Meine Damen und Herren, wir haben in einem Be-reich eine ganz besondere Situation, nämlich in der Tou-rismuswirtschaft, insbesondere im Hotel- und Gaststät-tengewerbe. Dort gibt es Arbeitsplätze, genauer gesagtAusbildungsplätze, die kaum exportierbar sind. Laut ei-ner aktuellen DIHK-Unternehmensbefragung beabsich-tigt fast jedes vierte von 10 000 befragten Unternehmen inDeutschland eine Produktionsverlagerung ins Ausland. Inder Tourismuswirtschaft ist das kaum möglich. Die Tou-rismuswirtschaft hat in Deutschland rund 2,8 MillionenBeschäftigte und zählt circa 107 000 Auszubildende. Am31. Dezember 2001 gab es rund 93 000 Ausbildungsver-hältnisse im Hotel- und Gaststättengewerbe; das war im-mVMwdFwSLguDSBHwunzSwdwSwhdwMnIbsf2aghstbdd
as ist unsere Herausforderung. Wenn Sie nun um dieituation wissen, dass in diesem großen und wichtigenereich – ich habe die Zahlen schon genannt – in vielenäusern nur noch Abiturienten ausgebildet werden,
eil die nämlich über 18 sind, und dass Auszubildendenter 18 in vielen Häusern überhaupt nicht mehr ge-ommen werden, dann müssen Sie doch handeln. Daraufielt unser Gesetzentwurf ab.
Meine Damen und Herren, es geht eben nicht, dassie die Auszubildenden im Hotel- und Gaststättenge-erbe um 22 Uhr einfach nach Hause schicken müssen;ie Betriebsabläufe lassen so etwas nicht zu. Übrigensollen das auch die Jugendlichen heute überhaupt nicht.ie haben sich auf diesen Beruf eingestellt und wissen,as das mit sich bringt. Jetzt müssten sie um 22 Uhr auf-ören. Was machen sie? Sie ziehen sich um und gehen inie Disco. So kann man doch keine Politik gestalten!
Heute haben Sie die Möglichkeit, zu beweisen, ob Sieirklich willens sind, etwas zu verändern und erkannteängel zu beseitigen, oder ob es nur Lippenbekennt-isse sind und Sie sich dann, wenn es konkret wird, aufhre alten ideologischen Vorstellungen zurückziehen. Ichin gespannt auf die Debatte hier und in den Ausschüs-en.Ich wiederhole: Nach den bestehenden Regelungen istür Jugendliche unter 18 Jahren in diesen Bereichen um2 Uhr Schluss. Bekanntlich hat sich das Ausgehverhaltenber völlig verändert. Wir wissen, dass Jugendliche län-er ausgehen und dass sich ihre Bedürfnisse verändertaben.Zudem muss man die Situation im Hotel- und Gast-tättengewerbe berücksichtigen: Eine ganze Menge Be-riebe erwirtschaften keine Gewinne mehr, sondern ar-eiten mit Verlust. Diese Betriebe leiden erheblich unterem Konsumrückgang – durch Ihre Politik mit verschul-et.
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Ernst BurgbacherWenn Sie zum Beispiel die Tabaksteuer erhöhen, danntrifft das vor allem diese Betriebe. Denn irgendwo mussschließlich das Geld wieder eingespart werden.Machen Sie doch einmal mit bei konkreten Maßnah-men, die diese Situation erheblich entschärfen würden!Wir schlagen Ihnen vor, die Arbeitszeiten so zu verän-dern, dass junge Leute ab 16 Jahre bis 24 Uhr arbeitendürfen; am Vorabend von Berufsschultagen soll eine an-dere Regelung gelten. Das ist eine geringfügige Ände-rung, die aber viel bringen würde.Sie können in dieser Frage zeigen, ob Sie für die Aus-zubildenden nur hehre Worte übrig haben oder ob Sie be-reit sind, über Ihren ideologischen Schatten zu springenund zu handeln. Wenn Sie unseren Gesetzentwurf mittra-gen, dann helfen wir damit vielen jungen Menschen, ei-nen Ausbildungsplatz zu bekommen. Wir werden Sienicht an Ihren Worten, sondern an Ihren Taten messen.
Das Wort hat jetzt der Kollege Wolfgang Grotthaus
von der SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-ren! Herr Kollege Burgbacher, wenn Sie davon spre-chen, dass wir unsere Politik unseren ideologischen Vor-stellungen unterordnen, dann darf ich Ihnen antworten:Anscheinend haben Sie in Ihren Antrag vor allem Ideo-logie hineingepackt, indem nämlich Arbeitnehmer-rechte abgebaut und Schutzrechte für junge Menschenaufgegeben werden sollen.
Nichts anderes steht bei Ihnen im Vordergrund.Ich will das an einigen Zahlen deutlich machen. Siesprachen davon, dass das starre Arbeitsrecht und diezahlreichen Restriktionen in diesem Bereich dazu füh-ren, dass das Ausbildungspotenzial nicht ausgeschöpftwerden kann. Sie haben einige Zahlen genannt. Ich willdiese Zahlen verdeutlichen. In den vergangenen zehnJahren gab es im Gastronomie-, Hotel- und Gaststätten-gewerbe eine Steigerung von fast 50 Prozent auf 91 986Ausbildungsverhältnisse,
obwohl keine Änderungen am Jugendarbeitsschutzge-setz erfolgt sind, Herr Burgbacher. Insofern ist das, wasSie verdeutlichen wollen, nämlich dass sich das Jugend-arbeitsschutzgesetz hinderlich auswirkt, in keiner Weiseüberzeugend.
Der andere Punkt, den Sie erwähnt haben, nämlichdass die geltende Regelung zu einer bevorzugten Bereit-stellung von Ausbildungsplätzen für Abiturienten ge-währleistet sei, ist ebenfalls falsch, wie Sie wissen müss-tm7lkr6u5gFAj–rmZdjAduVs2mbSekdItsasZtpnBagDw
Ihre Reaktion gefällt mir übrigens. Je mehr Zwischen-ufe Sie machen, desto mehr zeigt mir das, dass Sie sichit der Thematik nicht befasst, dass Sie sich mit denahlen nicht vertraut gemacht haben und dass Sie vonen Fakten ablenken wollen, die hier genannt werden.
Sie gehen davon aus, dass sich das Freizeitverhaltenunger Menschen verändert hat. Das ist wohl richtig.ber ich glaube, dass es einen Unterschied zwischenem Freizeitverhalten junger Menschen am Wochenendend der Vorgabe gibt, wann man als Arbeitnehmer zurerfügung zu stehen hat. Als junger Mensch kann manich aussuchen, an welchem Tag in der Woche man bis4 Uhr in eine Diskothek geht. Als Arbeitnehmer kannan sich aber nicht aussuchen, ob man bis 22 Uhr oderis 24 Uhr arbeitet. In diesem Fall ist man verpflichtet.ie haben außerdem gänzlich unerwähnt gelassen, dasss auch Ausnahmeregelungen gibt. In Schichtbetriebenann nämlich die Arbeitszeit bis 23 Uhr verlängert wer-en. Auch das möchte ich Ihnen mit auf den Weg geben.ch habe diese Anmerkungen gemacht, weil es mir wich-ig erschien, den besonderen Wert des Jugendarbeits-chutzes herauszustellen.Die SPD-Fraktion lehnt den Gesetzentwurf der FDPus zwei Gründen ab: Zum einen wird mit den vorge-chlagenen Maßnahmen in keiner Weise das angestrebteiel erreicht. Die zugrunde gelegte Bewertung, das gel-ende Recht behindere die Schaffung von Ausbildungs-lätzen, wird durch Zahlen widerlegt. Dies habe ich Ih-en gerade deutlich gemacht. Zum anderen ist dieegründung, die Jugendarbeitsschutzregelungen seienufgrund veränderten Freizeitverhaltens zu vernachlässi-en, mehr als dürftig.
ies gilt in Gänze auch für Ihren Antrag. Daher lehnenir ihn ab.
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4074 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 48. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juni 2003
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Das Wort hat jetzt der Kollege Dr. Reinhard Göhner
von der CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kol-lege Grotthaus, mit dem Abbau von Arbeitnehmerrech-ten hat der vorliegende Gesetzentwurf der FDP nunwirklich nichts zu tun.
Lassen Sie uns einmal ganz nüchtern und sachlich überdas Problem und über das reden, was im Gesetz steht. ImJugendarbeitsschutzgesetz ist geregelt, dass ein Jugend-licher nicht mehr als acht Stunden pro Tag arbeiten darf.Das soll auch nach dem Gesetzentwurf der FDP so blei-ben. Es geht aber um die Frage, ob ein jugendlicherLehrling auch noch um 22.30 Uhr oder 23 Uhr arbeitendarf. Das gesamte Jugendarbeitsschutzgesetz ist sicher-lich gut gemeint. Aber in drei Detailfragen hat sich die-ses Gesetz als das Gegenteil von Gut herausgestellt, weiles sich zulasten der Jugendlichen auswirkt.Dass ein Lehrling im Alter von 17 Jahren zum Bei-spiel im Hotel- und Gaststättengewerbe nach 22 Uhrnicht mehr tätig sein darf, ist in der Tat eine anachronis-tische Vorschrift.
Ein 17-Jähriger darf zwar bis 24 Uhr in eine Gaststätteoder in eine Disco gehen, aber nur vor dem Tresen undnicht dahinter. Von jungen Leuten zu verlangen, dass sieals Koch in einem Abendrestaurant – solche gibt es tat-sächlich – um 22 Uhr den Löffel fallen lassen oder dasssie in einer Gaststätte ab dieser Uhrzeit nicht mehr be-dienen, mag zwar einmal gut gemeint gewesen sein. ImEndeffekt führt das heute aber dazu, dass in solchen Be-trieben vorzugsweise Abiturienten als Lehrlinge einge-stellt werden. Diese Regelung wirkt sich also als eineBenachteiligung der Haupt- und Realschüler aus.
In allen Berufen des Hotel- und Gaststättengewerbesliegt das Durchschnittsalter der Ausbildungsanfängerüber 18 Jahre. Das ist doch kein Zufall. In der System-gastronomie sind 85 Prozent der Lehrlinge – wohlge-merkt: zu Beginn ihrer Ausbildung – 18 Jahre und älter.Bei den Hotelkaufleuten sind es sogar 90 Prozent. DerSachverhalt ist offensichtlich: Das Jugendarbeitsschutz-gesetz wirkt in diesem Bereich als Bremse für Haupt-und Realschüler.
Nicht die böse Opposition, sondern das Bundesinstitutfür Berufsbildung hat das exakt festgestellt: 2001 waren84,5 Prozent der Ausbildungsanfänger älter als 18 Jahre;beim Hotelkaufmann bzw. bei der Hotelkauffrau warenes 89,5 Prozent. Die Durchschnittsalter der Ausbil-dungsanfänger betrugen: beim Restaurantfachmann18,7 Jahre, beim Hotelfachmann 19,1 Jahre; bei Fach-kräften im Gastgewerbe 18,5 Jahre. So weit die Fakten.DmgSrBKfßbdpSnkgcur2dtgEgsdgbzemmsneftv2mLevcDc
Beispiel zwei – Sie haben es selbst erwähnt –: In gro-en Hotelbetrieben oder in großen Gastronomiebetrie-en, in denen die Leute in zwei Schichten arbeiten, darfer Lehrling bis 23 Uhr arbeiten. In einer kleinen Hotel-ension, in einem Restaurant, das vielleicht mittags dreitunden und abends von 18 bis 23 Uhr aufmacht, darf ericht bis 23 Uhr arbeiten. Das ist nicht schlüssig. Da isteine Logik im Gesetz.Diese Beispiele zeigen, dass das Jugendarbeitsschutz-esetz in diesem Punkt nicht dem Schutz der Jugendli-hen dient. Es schadet den Interessen der jungen Leutend deshalb sollten wir es auch ändern.Das gilt übrigens auch für die Regelung mit den Be-ufsschultagen. Am Vortag muss der Lehrling schon um0 Uhr den Löffel fallen lassen – als ob die Lehrlinge iner Berufsschule am anderen Tag nicht frisch und mun-er und lernbegierig sein können, wenn sie bis 21 Uhrearbeitet haben! Das ist doch lachhaft.
Ich nenne einen weiteren Punkt – er ist in den FDP-ntwurf nicht aufgenommen worden, muss aber aucheändert werden –: Nach dem geltenden Jugenarbeits-chutzgesetz darf die so genannte Schichtzeit elf Stun-en nicht überschreiten. Das heißt nicht, dass der Ju-endliche bis zu elf Stunden arbeiten darf. Nein, es sollei acht Stunden bleiben. Aber die so genannte Schicht-eitenregelung hat die kuriose Folge, dass zum Beispieline 17-Jährige in einer Hotelpension, die Halbpensionit Abendessen bietet – kein theoretisches Beispiel –,it Arbeitszeiten morgens von 7 Uhr bis 10 Uhr – Früh-tück, Zimmer machen – und später von 16 bis 20 Uhr,icht beschäftigt werden darf, weil die Öffnungszeiteninen Zeitraum von insgesamt mehr als elf Stunden um-assen, obwohl die Arbeitszeit nur sieben Stunden be-rägt. Wenn ein Restaurant hier am Gendarmenmarkton 11 bis 14 Uhr und abends von 17 bis meinetwegen3 Uhr geöffnet hat, beträgt die Schichtzeit ebenfallsehr als elf Stunden; der Lehrling muss um 22 Uhr denöffel fallen lassen. Nach dem FDP-Entwurf könnte ininem klassischen Speiserestaurant mit Öffnungszeitenon 11 bis 14 Uhr sowie von 18 bis 23 Uhr der jugendli-he Lehrling auch nicht nach 22 Uhr beschäftigt werden.azu werden wir im Laufe der Ausschussberatungen si-herlich etwas ergänzen können.
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Dr. Reinhard Göhner
Es ist ja richtig: 90 000 Ausbildungsplätze im Bereichder Hotels und Gaststätten! Deshalb, liebe Kollegen vonder SPD, lassen Sie uns einmal auf diese ausbildungs-platzintensive Branche hören! Die Branche beklagt ge-rade, dass sie vorwiegend Ältere, vorwiegend Abiturien-ten einstellen muss; sie würde mehr Haupt- undRealschüler einstellen. Lassen Sie uns deshalb den Auf-schwung in diesem Servicebereich nutzen. Sie loben die-ses Gewerbe zu Recht. Aber dann hören Sie doch auf dieVertreter! Sie haben sich an alle Fraktionen gewandt,auch an Ihre Fraktion, mit der Bitte, diese Grenze her-aufzusetzen.Ich kann nur nochmals sagen: Das alles im Gesetz istimmer noch gut gemeint, aber für Jugendliche zwischen16 und 18 Jahren, vor allem solche mit Haupt- oder Re-alschulabschluss, nicht mehr gut. Deshalb rate ich dazu,dass wir im Ausschuss einmal ganz nüchtern gucken, obwir das nicht schnell ändern können.
Das würde den Jugendlichen helfen. Wir müssen die Ju-gend vor diesem Gesetz schützen.
Das Wort hat jetzt die Kollegin Jutta Dümpe-Krüger
vom Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir versu-chen einmal, das ganz nüchtern zu betrachten: Weil es inDeutschland eine hohe Arbeitslosigkeit gibt und weil vorallem jede Menge Ausbildungsplätze fehlen, muss dasJugendarbeitsschutzgesetz geändert werden; denn schuldan der ganzen Misere ist natürlich – wie könnte es anderssein? – unser starres Arbeitsrecht. Das jedenfalls meintdie FDP.Deshalb beschäftigen wir uns heute mit einem ebensoschlichten wie abenteuerlichen Vorschlag – ich zitiere –:Mit einer punktuellen Flexibilisierung des Gesetzeszum Schutz der arbeitenden Jugend wird der Ju-gendarbeitslosigkeit entgegengewirkt.Im Klartext: Damit mehr Jugendliche in Ausbildungkommen, will die FDP Zumutbarkeitskriterien ver-schärfen und entlang ihrer Philosophie das Jugendar-beitsschutzgesetz in folgenden Punkten ändern:Erstens. Jugendliche in Gaststätten und im Schaustel-lergewerbe sollen künftig bis 24 Uhr statt wie bisher bis22 Uhr auf Trab gehalten werden.Zweitens. An einem dem Berufsschultag unmittelbarvorangehenden Tag sollen die Beschäftigungszeiten von20 Uhr auf 21 Uhr ausgeweitet werden.Das sind die liberalen Vorschläge. Damit setzen Siedie Brechstangen- und Rasenmäherpolitik, die wir schonhbnddFDdgdlewtuZwzdkdESnbwpOgefSfwBgm§ßahtam
Kein Bauer spannt ein Fohlen vor den Pflug. Er weißämlich, dass das Tier noch nicht leistungsfähig ist undass körperliche Beanspruchung im jugendlichen Alterie Leistungskraft für die Zukunft schädigen kann.
ür junge Menschen sollte der gleiche Grundsatz gelten.iese Erkenntnis ist etwas älter als ich – Sie stammt ausem Jahr 1931 – und ist unter der Überschrift „Der Ju-endliche im Betrieb – Praxis des Arbeitsschutzes under Gewerbehygiene“ nachzulesen. Auch wenn wir mitt-rweile eine ganze Menge dazugelernt haben, ist einesahr geblieben: Ausbildung kommt nicht von Ausbeu-ng und es wird kein frühkapitalistisches Zurück in dieukunft geben, schon gar nicht nach Ihrem Motto: Haueg den Arbeitsschutz für Jugendliche!
Die Realität ist eine völlig andere: Deutsche Unternehmeniehen sich aus ihrer sozialstaatlichen Verantwortung fürie Ausbildung mehr und mehr zurück. Nur noch einnappes Drittel bildet überhaupt aus. Sie selbst weisenarauf hin, dass allein in der Tourismusbranche zumnde des Jahres 20 000 Lehrstellen fehlen. Welchenchluss ziehen Sie daraus? – Nicht den Unternehmen,ein, den Auszubildenden müssen die Daumenschrau-en angelegt werden. Es bleibt allerdings Ihr Geheimnis,ie Sie mit der geforderten Verlängerung neue Arbeits-lätze schaffen wollen. Aber dass alle Vorschläge derpposition einer hohen Geheimhaltungsstufe unterlie-en, haben wir heute Morgen gemerkt: Jedes Mal, bevorin solcher kommen konnte, war die Redezeit abgelau-en.Außerdem haben Sie das Gesetz nicht gelesen. Wennie das getan hätten, dann wüssten Sie, dass es geradeür den Bereich der Gastronomie, des Schaustellerge-erbes, für Krankenpflegeeinrichtungen, Altenheime,äckereien usw. eine Reihe von Ausnahmeregelungenibt. 16-Jährige dürfen in Bäckereien bereits um 5 Uhrorgens Brötchen backen, 17-Jährige bereits ab 4 Uhr.§ 16 bis 18 des Jugendarbeitschutzgesetzes sehen au-erdem noch Ausnahmeregelungen an Samstagen sowien Sonn- und Feiertagen vor.Interessant sind auch Ihre Aussagen zum Ausgehver-alten von Jugendlichen. Motto: Weil 16-Jährige heutzu-ge länger ausgehen und am öffentlichen Leben teilneh-en, müssen sie auch länger arbeiten.
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Jutta Dümpe-KrügerIch weiß nicht, ob Sie in Ihrem jugendlichen Alter ein-mal nachts in irgendeiner Kneipe gekellnert haben. Ichvermute allerdings, eher nicht.
Hätten Sie es getan, wäre Ihnen der gravierende Unter-schied zwischen Freizeit und Arbeit klar.
Das Jugendarbeitsschutzgesetz soll Jugendliche vorÜberforderung und Gefahren am Ausbildungs- und Ar-beitsplatz schützen. Sie stehen unter besonderem Schutz,weil ihre psychische und physische Entwicklung nochnicht abgeschlossen ist. Auch wenn es stimmt, dass sichjunge Menschen heute schneller entwickeln, dann heißtdas nicht, dass ihre Entwicklung mit 16 Jahren abge-schlossen ist. Im Gegenteil: Die Anforderungen an Ju-gendliche in einer sich rasant verändernden und immerkomplizierter werdenden Welt hat dazu geführt, dass derkörperliche und auch der soziale Reifungsprozess längerdauert. Deshalb müssen wir sie in vollem Umfang schüt-zen
und deshalb lehnen wir Ihre Änderungen zum Jugendar-beitsschutzgesetz ab.Ich will Ihnen hier noch als Letztes sagen: DenSchutz von Jugendlichen als Ideologie zu bezeichnen,das ist schon ein starkes Stück. Ich hoffe, dass das vieleJugendliche so wahrgenommen haben.Danke schön.
Jetzt hat der Kollege Engelbert Wistuba von der SPD-
Fraktion das Wort.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen!Liebe Kollegen! Der uns heute vorliegende Entwurf löstbei mir geteilte Gefühle aus. Zum einen begrüße ich dieIntention des Gesetzentwurfs ausdrücklich, setzt sich dieFDP-Bundestagsfraktion doch für eine Bekämpfung derviel zu hohen Jugendarbeitslosigkeit und des nicht zu ak-zeptierenden Lehrstellenmangels in Deutschland ein.Darüber hinaus könnte man sogar einen leichten Anfluglängst tot geglaubter sozial-liberaler Anwandlungen er-kennen, wenn Sie sich für eine größere Chancengleich-heit von Haupt- und Realschülern gegenüber Gymnasi-asten einsetzen. Aber, um es mit Goethe gleichklarzustellen: Die Botschaft höre ich wohl, allein mirfehlt der Glaube.
Bei der Wahl der Mittel – das hat Ihnen der KollegeGrotthaus schon klar diagnostiziert – trennen sich unsereWrdNtGsgbmKnmosigdcmRsra––gesAüaAeswbelaBd
Darüber hinaus sind in dem Gesetz bereits branchen-pezifische Ausnahmen – das wurde hier schon gesagt –,nsbesondere für das Gaststätten- und das Schausteller-ewerbe, enthalten.Zweitens. Wir sprechen hier über das Thema Ausbil-ung. Bei Ihrem Vorschlag stellt sich mir die Frage, wel-he spezifischen Lerninhalte nach 22 Uhr eigentlich ver-ittelt werden sollen. Ich behaupte, dass es imestaurant, in der Küche oder auf dem Rummel keinepezifischen Nachtinhalte gibt. Servicearbeiten wie Auf-äumen, Säubern oder Frühstück-Eindecken könnenuch zu den geltenden Arbeitszeiten gemacht werden.Das führt mich zu Punkt drei.
Gerne.
Ich möchte fortfahren, liebe Kolleginnen und Kolle-en.Ich möchte alle an dieser Diskussion Beteiligten nochinmal daran erinnern – der Kollege Grotthaus hat daschon in ähnlicher Weise ausgeführt –, dass die Zahl derzubis im Gastgewerbe in den letzten zehn Jahren umber 50 Prozent gestiegen ist. Dies kann man einerseitsls einen verdienstvollen Beitrag zur Bekämpfung desusbildungsplatzmangels interpretieren. Man könnte beiinem Blick auf die Realität in diesem Gewerbe anderer-eits aber auch zu dem Schluss kommen, dass diese Ent-icklung darauf zurückzuführen ist, dass reguläre Ar-eitskräfte im Gastgewerbe durch billige Auszubildendersetzt wurden.
Ich will den Kollegen von der FDP nichts unterstel-en. Ein Blick auf die Angaben des Statistischen Bundes-mtes zeigt aber, dass die Beschäftigungsquote in derranche seit 1995 – bis auf das Jahr 2001 – bei steigen-em Ausbildungsplatzangebot stetig zurückgeht.
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Engelbert WistubaPunkt vier. Nach einer Pressemitteilung des Deut-schen Hotel- und Gaststättenverbandes vom 14. Februar,dessen Formulierung interessanterweise dem Gesetzent-wurf der FDP sehr ähnlich ist, liegt die Ausbildungs-quote im Gastgewerbe mit 12 Prozent deutlich über demDurchschnitt der Wirtschaft. Das heißt doch – ich be-grüße das ausdrücklich –, dass die Branche schon jetzt inüberproportionalem Maße ausbildet. So weit, so gut. Ichgebe aber zu bedenken, dass dies nicht auf Kosten derAusbildungsqualität geschehen darf,
wie das bei einer weiteren Verschiebung des Verhältnis-ses von ausgebildeten Arbeitnehmern zu Auszubilden-den der Fall sein würde.Ich formuliere es zum Schluss noch einmal klar unddeutlich: Ihre Intention ist löblich, der vorgeschlageneWeg führt aber nicht zum gewünschten Ziel. Im Namenmeiner Fraktion wehre ich mich gegen den Ansatz„mehr billige Azubis auf Kosten regulärer Arbeitsver-hältnisse“.
Der brancheninterne Sparzwang darf unter keinenUmständen auf dem Rücken der jungen Menschen aus-getragen werden. Aus der alltäglichen Arbeit wissen wirdoch, dass es schon heute in allen Betriebssystemen Ver-stöße gegen das Jugendarbeitsschutzgesetz gibt, egal obes sich um die Einhaltung von Arbeitszeiten oder um ta-rifvertragliche Vereinbarungen handelt. Eine weitereSenkung dieser Sanktionsschwelle ist deshalb absolut in-akzeptabel.Um Ihnen ein Beispiel zu geben, verweise ich Sie aufeinen Bericht in der „Bild“-Zeitung vom 15. Mai 2003,wo – ich denke, es war die Münchner Ausgabe – über ei-nen Hotelchef berichtet wurde, der in den letzten Monatenmir nichts, dir nichts zehn Azubis die Gehälter gekürztund sie letztendlich – zum Teil in der Probezeit – ohnetriftige Gründe rausgeworfen hat.
Diese jungen Menschen sind doch schon heute das un-terste Glied in der Arbeitshierarchie. Für ein Aufwei-chen ihres Arbeitsschutzes werden Sie unsere Stimmenicht erhalten.
Abschließend möchte ich Ihnen ein chinesischesSprichwort mit auf den Weg geben. Es lautet folgender-maßen: Es gibt Menschen, die Fische fangen, und sol-che, die nur das Wasser trüben. – In diesem Sinne emp-fehle ich allen Beteiligten klare Sicht in dieser Debatteund danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
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Ich habe vorhin fünf Minuten kürzer geredet, als mirn Redezeit zustand.Herr Präsident! Liebe Kollegen! Ich möchte noch ei-en kurzen Versuch machen, die Diskussion wieder zuffnen. Sie haben gesagt, Herr Kollege, es gehe beim Ju-endarbeitsschutzgesetz um Gesundheitsschutz für dieugendlichen – in Ordnung. Jetzt erklären Sie mir aberinmal, was es mit Gesundheitsschutz zu tun hat, wenner Lehrling bei McDonald’s nach geltendem Rechtdort wird prinzipiell mehrschichtig gearbeitet und deretrieb ist sehr ausbildungsintensiv – bis 23 Uhr arbei-en kann, dieser Lehrling im Nachbarrestaurant, einempeiserestaurant, das als Abendspeiserestaurant von 18is 23.30 Uhr geöffnet hat, aber ab 22 Uhr nicht mehr ar-eiten dürfte. Das hat doch nichts mit Gesundheitsschutzu tun!Und was hat es mit Gesundheitsschutz zu tun, wenner 17-jährige Lehrling beim Bäcker morgens um 4 Uhr sinnvollerweise, das geht beim Bäcker nicht anders –n der Backstube anfangen darf, aber abends um 22 Uhren Löffel fallen lassen muss?
Deshalb lassen Sie uns wirklich überlegen, ob es nocheitgemäß ist, zu behaupten, dass der Gesundheitsschutzines Jugendlichen zwischen 16 und 18 Jahren beein-ächtigt ist, wenn er nach 22 Uhr etwas tun muss. Wennie das ernst meinen, dann müssten Sie die anderen Re-elungen – für McDonald’s, für den Bäcker – auch än-ern. Das wollen Sie doch selbst nicht.
Deshalb schlage ich vor, dass wir im Ausschuss ernst-aft darüber reden. Wenn Ihnen 24 Uhr zu spät ist, danneden wir über die 23 Uhr, die das Hotel- und Gaststät-ngewerbe selbst vorschlägt und die, wie ich Ihnen ge-agt habe, bei McDonald’s und in allen anderen Schicht-etrieben – in jeder Hotelkette gibt es Schichtbetrieb –ulässig sind, nur nicht in der kleinen Hotelpension, dieicht mehrschichtig arbeitet; dort sagen Sie: 22 Uhrnde der Fahnenstange.Ich finde, Sie sollten unter diesem Gesichtpunkt über-gen, ob Sie an Ihrer Position tatsächlich festhalten wol-en.
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Herr Kollege Wistuba, wollen Sie noch einmal das
Wort ergreifen? – Bitte schön.
Herr Göhner, ich meine, Schichtarbeit ist ein notwen-
diger Sektor in unserem Land. Das sagt Ihnen jemand,
der über 20 Jahre seines Lebens im Schichtdienst gear-
beitet hat. Ich sage aber auch, dass wir das so bald wie
möglich eingrenzen sollten. Gerade bei jungen Men-
schen ist eine Eingrenzung besonders notwendig.
Sie sprachen davon, dass es Sonderregelungen gibt.
Wir wissen das; ich habe das in meinem Redebeitrag an-
gesprochen, ebenso die anderen Kolleginnen und Kolle-
gen. Wir werden Ihre Ansicht hinsichtlich der Punkte,
die die Schaffung von Ausbildungsplätzen betreffen,
aufgrund der von Ihnen vorgelegten Änderung des Ge-
setzes nicht teilen. In diesem Sinne sage ich: Wir werden
bei unserer Haltung bleiben und dem Gesetz nicht zu-
stimmen.
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzent-
wurfs auf Drucksache 15/756 an die in der Tagesord-
nung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es
dazu anderweitige Vorschläge? – Das ist nicht der Fall.
Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 12 a und 12 b auf:
a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre-
gierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Bekämpfung des Missbrauchs von 0190er-
/0900er-Mehrwertdiensterufnummern
– Drucksachen 15/907, 15/1068 –
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-
ses für Wirtschaft und Arbeit
– Drucksache 15/1126 –
Berichterstattung:
Abgeordneter Hubertus Heil
b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Wirtschaft und Arbeit
zu dem Antrag der Abgeordneten
Dr. Martina Krogmann, Ursula Heinen, Karl-
Josef Laumann, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion der CDU/CSU
Den Missbrauch von Mehrwertdiensteruf-
nummern grundlegend und umfassend be-
kämpfen
– Drucksachen 15/919, 15/1126 –
Berichterstattung:
Abgeordneter Hubertus Heil
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Rede von: Unbekanntinfo_outline
Worum geht es? Es geht bei diesem Gesetz darum, ei-en fairen Interessenausgleich zwischen den Ansprüchener Verbraucherinnen und Verbraucher auf Schutz undem Interesse der Mehrwertdienste – mehrheitlich handelts sich bei diesen Diensten um seriöse Anbieter –, ihr Ge-chäftsmodell auch künftig zu betreiben, zu schaffen.ngesichts der Tatsache, dass es sich um einen Zweiger Telekommunikationsbranche handelt, der einen Um-atz von immerhin 1,5 Milliarden Euro erzielt und inem weiteres Wachstum erwartet wird, ist das wirt-chaftspolitisch geboten. Der Verbraucher und vor allemie Branche brauchen mehr Rechtssicherheit.Nach den Ausschussberatungen und Anhörungeniegt Ihnen ein Gesetz vor, mit dem wirksam gegeninwählprogramme, so genannte Dialer, vorgegangenerden kann, die sich über Internetseiten automatischuf den Rechner aufschalten. Wir werden nicht nur dafürorgen, dass sich die Betreiber diese Dialer bei der Regu-erungsbehörde für Telekommunikation und Post zukünf-g registrieren lassen müssen, sondern auch dafür – dasahen im Übrigen auch die Initiative des Bundesrates under Antrag der Union vor –, dass diese Dialer auf eineummerngasse beschränkt werden.
Wir werden weiterhin dafür sorgen, dass die Abzockem Internet durch das Aufschalten von Dialern – diesann durch Anklicken eines Bildes geschehen, ohne dasss der Verbraucher bemerkt – zukünftig schwieriger wirdnd dass mehr Transparenz herrscht. Wir werden außer-em dafür sorgen, dass es bei 0900er- und 0190er-Num-
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Hubertus Heilmern zukünftig eine Preisobergrenze von 2 Euro proMinute bzw. 30 Euro pro Einwahl geben wird. Wir wer-den die Anbieter darauf verpflichten, die Verbindungnach einer Stunde automatisch zu trennen.Wir wollen darüber hinaus klar machen – auch dasgehört zur Transparenz –, dass die Verbraucherinnen undVerbraucher ein Auskunftsrecht gegenüber der Regu-lierungsbehörde haben, um zu erfahren, wer sich hinterdiesen Diensten befindet. Die Verbraucherinnen undVerbraucher sollen Adressen von Unternehmen bekom-men, die in Deutschland im Falle von Missbrauch haft-bar gemacht werden können.Mit diesem Gesetz soll durch verschärfte Bußgeld-vorschriften eine größere Abschreckung erzielt werden.Wir werden den Bußgeldkatalog dahin gehend verän-dern, dass die Regulierungsbehörde zukünftig eineStrafe bis zu 100 000 Euro und nicht wie bisher bis zu20 000 Euro verhängen kann. Wir halten das für notwen-dig, um in diesem Bereich gegen den Mißbrauch vorzu-gehen.
– Von der FDP wurde gerade gerufen: zu wenig. Ichhabe Ihren Entschließungsantrag gelesen, in dem Sieeine Obergrenze für das Bußgeld von 500 000 Euro vor-schlagen. Es geht um die Verhältnismäßigkeit des Buß-geldes. Ich halte es für interessant, dass Liberale sehrharte Strafen vorschlagen, wenn es um das Eigentumgeht. In anderen Bereichen des Rechts sollten Sie dasauch einmal fordern.
Ich will noch darauf hinweisen, dass wir auch für einePreisansage sorgen werden, die erfolgt, bevor ein Ent-gelt bezahlt werden muss, damit die Verbraucher wissen,auf was sie sich bei den Mehrwertdiensten einlassen.
Zum Schluss noch eine Bemerkung. In der Anhörungist auch vonseiten der Opposition oft gefragt worden,warum wir diese Vorschriften nicht für alle Nummern-gassen, sondern nur für 0900er- und 0190er-Nummerneinführen. Den 0900er-Nummern gehört die Zukunft indiesem Bereich; die 0190er-Nummern werden in zweiJahren auslaufen. Wir sehen nach In-Kraft-Treten diesesGesetzes die Gefahr, dass auf andere Nummerngassenausgewichen und mit diesen Nummern dann Missbrauchgetrieben werden kann. Wir müssen darauf – wir machendas in unserem Entschließungsantrag zur Berichterstat-tung deutlich – flexibel reagieren.Es geht allerdings nicht, dass wir die Regelung, diewir jetzt haben, pauschal allen Nummerngassen über-stülpen und damit beispielsweise in Bezug auf 0137er-Nummern, die vor allen Dingen für Televoting bzw.TED-Umfragen – zum Beispiel im Rahmen der Sendung„Deutschland sucht den Superstar“ – genutzt werden,Regelungen schaffen, die gar nicht greifen oder das Ge-wollte verhindern würden. Wenn es um Televoting geht,ist es nicht sinnvoll, Preisobergrenzen im Hinblick aufdmdvRüharedhVKdsgbuzIFPrNisgdHCKhmu
Zum Schluss möchte ich feststellen: Wir schaffeneute mehr Sicherheit für die Verbraucherinnen underbraucher.Ich möchte mich übrigens ganz herzlich auch bei denolleginnen und Kollegen der anderen Fraktionen be-anken. Ich finde, die Arbeit im Ausschuss für Wirt-chaft und Arbeit, Frau Dr. Krogmann, war insofern einutes Beispiel für das Parlament, als wir es geschafft ha-en, miteinander über die Sache zu diskutieren.Wenn wir den Unterausschuss Telekommunikationnd Post hätten, hätten wir öfter das Vergnügen, so vor-ugehen.
n einem großen Ausschuss ist es leider oft so, dassensterreden gehalten werden. Das ist leider so in einemarlament. Wir sollten uns dieses beispielhafte Verfah-en der Gesetzgebung vielleicht auch für die große TKG-ovelle bewahren; ich würde mich darüber freuen. Diest kein Feld, bei dem es um linke oder rechte Ideologieeht, sondern um Vernünftiges oder Unvernünftiges.Wir beschließen heute ein vernünftiges Gesetz. Ichanke Ihnen, dass offensichtlich Sie alle in diesemause es heute mit unterstützen.Herzlichen Dank.
Das Wort hat jetzt die Kollegin Dr. Krogmann von der
DU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lieberollege Heil, es ist schön, Sie so freudig darüber zu se-en, dass wir den vorliegenden Gesetzentwurf heute ge-einsam verabschieden. Auch wir als Opposition freuenns. Wir freuen uns vor allem darüber, dass Sie fast alle
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Dr. Martina KrogmannPunkte unseres Antrages nachträglich in Ihren Gesetz-entwurf aufgenommen haben.
Wir freuen uns darüber, dass wir als konstruktive Oppo-sition Ihnen so gute Ideen und Lösungen geliefert haben.
Eines dürfen wir nicht vergessen: Der Gesetzentwurf,den Sie, Herr Staatssekretär Staffelt, zuerst auf den Tischgelegt haben, war absolut unzureichend,
um den Missbrauch in diesem Bereich zu bekämpfen.Alle Sachverständigen, Verbände, Diensteanbieter undVerbraucherschützer haben durch die Bank Ihren ur-sprünglichen Gesetzentwurf massiv kritisiert. Ich findees positiv, Herr Kollege Heil, dass Sie sich nicht ver-schlossen haben, sondern unseren guten Argumenten ge-genüber offen waren
und sie in Ihren Gesetzentwurf aufgenommen haben.
Ich will einmal kurz deutlich machen, worum es heutegeht: Mehrwertdiensterufnummern sind all diejenigenNummern, mit denen man telefonisch oder über den PCschnell und einfach Dienstleistungen abfragen kann, zumBeispiel Beratungsdienste, den Wetterbericht, Renn-ergebnisse, Verbraucherschutzinformationen, Staupro-gnosen, also Dienste all dieser Art. Das Problem ist, dasses bei diesen Diensten seit längerem zu einem erhebli-chen Missbrauch im Rahmen dieser Nummern gekom-men ist.Dadurch entsteht erstens ein erheblicher volkswirt-schaftlicher Schaden. Die schwarzen Schafe unter denMehrwertdiensteanbietern fügen gerade den seriösenAnbietern Schaden zu. Der Markt ist im Wachsen. MitUMTS, mobilen Diensten und mobilem Internet wirddieser Markt in Zukunft noch größer werden.Zweitens entsteht ein erheblicher Schaden bei denVerbrauchern, die mit immer kreativeren Methoden im-mer übler und gnadenloser abgezockt werden, und zwarüberall: im Festnetz, per Handy, per Fax und vor allemim Internet. Beispiel Handy: Ihr Handy klingelt nur ein-mal. Auf dem Display erscheint eine 0137er- oder0190er-Nummer, oftmals getarnt durch eine Länderken-nung, die davor steht. Wenn Sie nun arglos zurückrufen,kostet Sie dieser eine Anruf bis zu 3 Euro. Oder Sie be-kommen eine SMS mit einem netten Text: Versuche seitTagen, dich zu erreichen, ruf unbedingt sofort zurück!Wenn Sie auf die fünfstellige Kurzwahl antworten, kannSie dieser eine Anruf rund 5 Euro kosten.nMvÖdErsgssAsakPg0DAzsfSwmumlfdAeumgHngnwdIfIAso
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Vorher war in Ihrem Gesetzentwurf völlig unklar, werdiese Zwangstrennung überhaupt zu vollziehen hat. Jetzthaben Sie nachgebessert. Die Diensteanbieter sind – daswar unser Vorschlag – im Gesetz. Auch das ist wunder-bar.
Wichtig ist uns, dass das Gesetz jetzt schnell verab-schiedet wird und dass wir im Rahmen der TKG-Novel-lierung über die einzelnen Punkte noch einmal sprechen,um hier dem dynamischen Markt gerecht zu werden. Da-mit Sie frohe Pfingsttage feiern können, sage ich zu IhrerBeruhigung, liebe Kollegen: Wir werden diesen Gesetz-gebungsprozess ebenfalls mit unseren guten Vorschlägenbereichern und Ihnen auch dann wieder mit besseren Lö-sungsvorschlägen zur Verfügung stehen.Vielen Dank.
Das Wort hat jetzt die Kollegin Ulrike Höfken vom
Bündnis 90/Die Grünen.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen undKollegen! Der heute zu verabschiedende Gesetzentwurfist tatsächlich ein großer Erfolg, meiner Meinung nachauch ein Erfolg der von dieser Bundesregierung wahrge-nommenen Querschnittsaufgabe Verbraucherschutz.Er ist ein Erfolg des Verbraucherschutzes insgesamt.
Wir freuen uns sehr, wenn der Bundesrat diesen Vor-schlägen zur Verbesserung des Verbraucherschutzesfolgt. Auch der CDU/CSU bekommt die Oppositions-rolle sehr gut; denn sie orientiert sich immer stärker amVerbraucherschutz. Das ist ebenfalls ein Erfolg.
Heute ist übrigens das 25. Jubiläum des Blauen En-gels. Weil wir gerade beim Thema Telekommunikationsind: Wir würden uns darüber freuen, wenn bald zumBeispiel das Label Blauer Engel für Handys etabliertwürde, um den Verbraucher über die von ihnen ausge-hbrbdsDssnjefPbZWPwvfzamAdsirüdbslvnrEmrdEbl
Wir haben neue Instrumente geschaffen, so die Ein-ührung der Preisangabepflicht, die Einführung einerreisobergrenze – sie ist jetzt auf 2 Euro pro Minutezw. 30 Euro bei Blocktarifen reduziert – und diewangstrennung. Zu ihnen zählt aber auch Folgendes:enn der Anbieter in Zukunft nicht vorher über denreis informiert, bekommt er auch kein Geld. Die Be-eislast liegt beim Anbieter. Mit einer Übergangsfriston einem Jahr gilt diese Regelung auch für den Mobil-unk. Die FDP fordert, dass man diese Regelung unver-üglich auf den Mobilfunk zu übertragen habe,
ber ich meine, diese Übergangszeit für die Wirtschaftuss gewährt werden.
uch ich konnte mich dieser Auffassung anschließen.
Ein neues Instrument besteht insbesondere darin, dassie Dialer registriert werden müssen und damit das Ver-teckspiel endlich vorüber ist. Die Registrierpflicht be-nhaltet unter anderem die Versicherung, dass eineechtswidrige Nutzung, zum Beispiel durch Täuschungber die Kosten, auszuschließen ist. Auch hier werdenie Anbieter also ganz anders in die Pflicht genommen.Somit ist auch die Stärkung der Regulierungs-ehörde in diesem Punkt zu begrüßen; denn sie schafftchlicht und ergreifend einen besseren Wettbewerb. Al-es, was wir vorher hatten, bedeutete eine wettbewerbs-erzerrende Wirkung, die für die Wirtschaft überhaupticht positiv war.Es wurde schon gesagt: Im parlamentarischen Verfah-en haben wir sowohl im Änderungsantrag wie auch imntschließungsantrag einige Erweiterungen vorgenom-en, um der technischen Entwicklung sowie den Erfah-ungen mit diesen Techniken und mit den Raffinessener Anbieter Rechnung zu tragen. Auch hierzu stehenntscheidungen noch bevor.Ich bin sehr froh, dass es zu einer Verständigung darü-er gekommen ist, dass in Zukunft für möglichst alle Te-efonmehrwertdienste, deren Preis zeitabhängig ist, eine
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Ulrike HöfkenPreisangabepflicht eingeführt wird. Es kann nicht sein,dass sie bei anderen Waren beispielsweise für jeden Lolligilt, aber nicht für diese Art von Dienstleistungen.Ebenso halte ich es für sehr wichtig, dass bei Diens-ten, die über die Internetverbindungen abgerufen wer-den, ein aktiver Bestätigungsschritt vor deren Nutzungeingeführt wird. Auch ich habe Kinder im jugendlichenAlter und teile das Schicksal vieler Eltern, die horrendeTelefonrechnungen bezahlen mussten, weil kein Er-wachsener und erst recht nicht Jugendliche absehen kön-nen, in welche Angebote sie sich einwählen und welcheAnbieter ihre Dienste über das Internet präsentieren. In-sofern halte ich dies für einen bedeutenden Schritt imSinne positiver Unterstützung, um die Privathaushaltevor ungewollten Gebühren zu bewahren und die Nut-zung des Internets für Kinder und Jugendliche wiedermöglich zu machen.Ebenso erachte ich es als gut, dass die Änderungenund die Zustimmung zum Gesetz im Ausschuss für Ver-braucherschutz und in anderen Ausschüssen mit denStimmen der CDU/CSU erfolgten. Daher gehe ich davonaus, dass es auch im Bundesrat möglich sein wird, diesesGesetz möglichst zügig zu beschließen und die Schutz-maßnahmen anschließend so schnell wie möglich inKraft treten zu lassen.Danke schön.
Das Wort hat jetzt die Kollegin Marita Sehn von der
FDP-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zuhohe Telefonkosten, einseitige Beweislasten für Internet-und Telefonnutzer, keine rechtliche Handhabe gegen be-trügerische Firmen – das sind nur einige der Beschwer-den zu den 0190er- oder 0900er-Nummern, wie sie inmehr als 150 Eingaben – ich sage hinzu: Es kommentäglich neue – an den Petitionsausschuss des DeutschenBundestages vorgebracht werden.Wir sind sehr froh, dass endlich etwas passiert.
Auch wenn die FDP den Gesetzentwurf – das muss ichan dieser Stelle sagen – nicht für optimal hält, werdenwir ihm zustimmen. Wir brauchen im Bereich der Mehr-wertdiensterufnummern klare, verständliche und prak-tikable Regelungen. Mit den Wildwestmethoden aufdem Telekommunikationsmarkt muss Schluss sein.
Besonders irritiert mich, wie lange es gedauert hat,bis Rot-Grün bereit war, einer verbindlicheren Regelungmit einer Interventionspflicht der Regulierungsbehördeim Betrugsfall zuzustimmen.Fdddh1wuiWiHVVzwItrdLwNRnbdddftMTdt
rau Höfken, die FDP hat von Anfang an darauf ge-rängt,
en Verbraucherschutz nicht zu einer Ermessenssacheer Regulierungsbehörde zu machen. Betrug kann nichtingenommen werden, sondern muss geahndet werden.
Auch das vorgesehene Bußgeld in Höhe von00 000 Euro – Herr Heil, im ursprünglichen Gesetzent-urf standen 50 000 Euro; Sie haben das jetzt aufgrundnseres Entschließungsantrages verdoppelt –
st immer noch ein Ausdruck rot-grüner Halbherzigkeit.ir fordern nach wie vor eine Anhebung der Bußgelderm konkreten Betrugsfall auf bis zu 500 000 Euro.
err Heil, Betrug ist kein Kavaliersdelikt, sondern einerbrechen. Wir wollen keinen Betrügerschutz, sondernerbraucherschutz.
Einen ganz wesentlichen Aspekt, der ebenfalls inahllosen Petitionen erwähnt wird, lässt der Gesetzent-urf völlig außer Acht: die massenhafte Belästigung dernternetnutzer mit Massenwerbesendungen, so genann-en Spam-Mails. Die Petentinnen und Petenten beschwe-en sich, dass sie keine Möglichkeit haben, sich gegeniese Werbeflut zu wehren. Sie beschweren sich überocksendungen, die per Fax, Mail oder SMS verschickterden und die Empfänger auffordern, teure 0190er-ummern anzuwählen. Die Verbraucher müssen dasecht und die Möglichkeit haben, sich vor dem elektro-ischen Informationsmüll zu schützen.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, wir alle ha-en ein Interesse daran, dass der massenhafte Betrug miten so genannten Mehrwertdiensterufnummern einge-ämmt wird. Die FDP fordert die Bundesregierung auf,ie Entwicklung in diesem Bereich genauestens zu ver-olgen und dem Deutschen Bundestag Bericht zu erstat-en.
an kann nicht ein Gesetz machen und dann, Herrauss, ein Jahr wegschauen. Deshalb wollen wir, dassie Bundesregierung dem Bundestag nach sechs Mona-en Bericht erstattet.
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Marita SehnHerr Heil, wir haben einen entsprechenden Entschlie-ßungsantrag in den Deutschen Bundestag eingebracht;Sie haben ihn erwähnt. Sie sollten ihm zustimmen,meine Damen und Herren von Rot-Grün –
im Interesse der seriösen Unternehmen, im Interesse derVerbraucherinnen und Verbraucher und nicht zuletzt inunserem eigenen Interesse, im Interesse einer glaubwür-digen Verbraucherschutzpolitik.
Das Wort hat jetzt der Kollege Manfred Zöllmer von
der SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Liebe Kollegin Sehn, auch mit Ihrem Entschließungsan-trag können Sie die Defizite der FDP im Verbraucher-schutz nicht wettmachen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Wettbewerbssi-tuation zwischen den Anbietern, die mit der Öffnungund Liberalisierung des Telekommunikationsmarktesverbunden war, hat aus der Sicht der Verbraucherinnenund Verbraucher viele positive Ergebnisse mit sich ge-bracht, besonders bei den Preisen, die deutlich gesunkensind.
Doch Liberalisierung hat auch ihre Schattenseiten.Jetzt sollten Sie, Frau Sehn, genau zuhören: Wo einfreier Markt herrscht, gibt es auch Missbrauch. Telefoni-sche Mehrwertdienste und Internetangebote werden zumTeil benutzt – wir haben dies hier in sehr eindrucksvol-len Beispielen gehört –, um in betrügerischer Art undWeise bei vielen Telefon- und Internetnutzern abzukas-sieren. Dort ist großer materieller Schaden entstanden.Dem werden wir nun einen Riegel vorschieben.
Heute ist deshalb ein guter Tag für den Verbraucher-schutz.
–sASnuAdvHduVjSnDdeusMAcuvnZNPeB
omit ist es möglich, gemeinsam und konstruktiv ver-ünftige Lösungen zum Schutz der Verbraucherinnennd Verbraucher zu finden.
n diesem Ergebnis haben in der Tat viele mitgewirkt:
ie Bundesregierung mit ihrem Gesetzentwurf, die Sach-erständigen mit ihrer Anhörung, auch die CDU, Fraueinen,
er Bundesrat mit seinen Vorschlägen
nd natürlich SPD und FDP, die Koalitionsfraktionen
on der FDP habe ich in diesem Zusammenhang erstetzt etwas Konstruktives vernommen.Das, was wir heute beschließen, stellt einen großenchritt für den Verbraucherschutz auf dem Telekommu-ikationsmarkt dar.
urch eine Reihe von Maßnahmen wird der Missbraucher 0190er- und 0900er-Mehrwertdiensterufnummernffektiv bekämpft. Wir schützen die Verbraucherinnennd Verbraucher sowie – auch das ist sehr wichtig – dieeriösen Anbieter von Mehrwertdiensten auf diesemarkt.
Folgende Regelungen sind dabei wichtig: erstens derufbau einer für jeden auch über das Internet zugängli-hen Datenbank von 0900er- und 0190er-Nummernnd deren Anbietern. Wer sich hinter diesen Nummernerbirgt, wird endlich durchschaubar. Die Anbieter kön-en sich dadurch in Zukunft nicht mehr verstecken.weitens. In der Werbung und vor der Nutzung dieserummern werden die Diensteanbieter zur präzisenreisangabe verpflichtet. Drittens. Nunmehr wird esine Preisobergrenze von 2 Euro pro Minute, beilocktarifen von 30 Euro geben.
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Manfred Helmut Zöllmer– Das war Ihre Idee, Frau Heinen.
Deswegen habe ich ja auch gesagt: Sie haben konstruk-tiv mitgearbeitet. Das ist auch gut so.Viertens. Dialer werden in Zukunft bei der Regulie-rungsbehörde zu zertifizieren sein. Dann wird nur nocheine einzige Nummerngasse zur Verfügung stehen, dievon den Verbraucherinnen und Verbrauchern im Übrigengesperrt werden kann. Das ist ein ganz wichtiger Schrittim Kampf gegen den Missbrauch in diesem Bereich. Derist wirklich sehr groß.Fünftens. Der Regulierungsbehörde werden effektiveSanktionsmöglichkeiten bei Verstößen an die Hand ge-geben.
Das Bußgeld wird auf 100 000 Euro festgesetzt. Das istnotwendig, aber auch ausreichend. Folgendes sage ichan die Adresse der FDP:
Ihr Antrag, auf grünem Papier geschrieben, ist – dasmuss ich leider sagen – flüssiger als flüssig.
Er ist in diesem Zusammenhang völlig überflüssig.
Die gesetzliche Regelung und die vorgelegten Anträgeerfassen die aktuellen Missbrauchstatbestände.Nun kann man in der Tat fragen, warum wir nichtdem CDU-Vorschlag, diese Regelungen auch auf andereNummerngassen – etwa auf 0137er- und 0192er Num-mern – auszudehnen, gefolgt sind. Natürlich ist aufDauer nicht völlig auszuschließen, dass es auch hier zuMissbrauchstatbeständen kommen kann. Deswegen ha-ben wir ja unseren Entschließungsantrag vorgelegt. Aberhier liegt die Problematik anders. Denn jede Nummern-gasse wird unterschiedlich genutzt. Daher muss auchjede Nummerngasse für sich gesondert betrachtet wer-den.
Wer beispielsweise an einem Televoting oder an einerQuizshow teilnimmt, wird nicht in der Leitung gehalten,sondern hinausgeworfen. Eine Entgelthöchstgrenze von2 Euro oder das Abschalten nach einer Stunde wärenhier ein völlig stumpfes Schwert. Dies würde nicht wei-terhelfen. Mit unserem Entschließungsantrag gehen wirden richtigen Weg.Wir wissen, dass es auch in Zukunft Handlungsbedarfgibt. Deshalb sind die gesetzlichen Regelungen im Inte-resse des Verbraucherschutzes dynamisch weiterzuent-wickeln. Unser Ziel ist und bleibt es, den Missbrauch zubrasWMMDnwswsu–wMslZmdMtadd
er ein Inkassoverbot fordert, bekämpft nicht nur denissbrauch, sondern auch die seriösen Anbieter vonehrwertdienstleistungen.
eshalb können und wollen wir diesen Vorschlägenicht folgen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, mit dem,as wir vorgelegt haben, dienen wir dem Verbraucher-chutz in besonderer Weise, gleichzeitig aber auch derirtschaftlichen Entwicklung in diesem wichtigen Wirt-chaftszweig.Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Ursula Heinen.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damennd Herren! Heute ist – da hatten meine Vorredner Recht ein guter und wichtiger Tag für die Verbraucher,
eil wir heute endlich das Gesetz zur Bekämpfung desissbrauchs bei Mehrwertdiensterufnummern verab-chieden werden. Man könnte aber auch sagen: Wasange währt, wird endlich gut; denn es hat schon einigeeit gedauert, bis die Regierung diesen Gesetzentwurfit den entsprechenden und unbedingt notwendigen Än-erungs- und Entschließungsanträgen vorgelegt hat.
Ich möchte hier festhalten: Es ist meiner Kolleginartina Krogmann zu verdanken, die schon in der letz-en Legislaturperiode dieses Thema immer wieder vor-ngetrieben hat,
ass wir heute ein vernünftiges Gesetz dazu verabschie-en können. Von Ihnen gab es – das haben Sie, Herr Heil
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Ursula Heinenund Herr Zöllmer, indirekt zugegeben – nur Halbherzi-ges.
Es hat einige Zeit gedauert, bis Sie wirklich zu den we-sentlichen Änderungen gekommen sind.Wir werden heute diesem Gesetzentwurf mit all sei-nen Änderungsanträgen zustimmen.
Allerdings lässt der Entwurf zwei für uns ganz wesentli-che Punkte offen; Martina Krogmann hat das vorhin an-gesprochen. Zum einen stellt sich die Frage, welcheNummerngassen von den vorgesehenen Regelungenüberhaupt erfasst werden sollen. Wir wollen, dass sichdas Gesetz nicht auf die 0190er- bzw. 0900er-Nummernkonzentriert, sondern auch auf andere Nummerngassenerstreckt.
Ansonsten droht, dass der Missbrauch von den einen aufdie anderen Nummerngassen verlagert wird. Für böswil-lige Diensteanbieter ist es geradezu eine Einladung undeine Aufforderung, ihr Spiel bei anderen Nummerngas-sen fortzusetzen. Das wollen wir unterbinden.
Aber immerhin: In Ihrem Entschließungsantrag gebenSie einen Prüfauftrag mit auf den Weg. Das ist der ersteSchritt zur Erkenntnis.
Wir können nur hoffen, dass diesem ersten Schritt wei-tere Schritte bis zu einer vernünftigen und vollständigenUmsetzung folgen werden.
Der zweite Punkt, den wir in dem vorliegenden Ge-setzentwurf vermissen, ist das Inkassoverbot. Es ist mirals Verbraucherschützerin völlig unbegreiflich, warumSie diese Regelung nicht aufgenommen haben, schließ-lich gehört sie für einen wirklich effektiven Schutz vorMissbrauch unbedingt dazu. Denn nach wie vor – auchnach dem vorliegenden Gesetzentwurf mit all seinen Än-derungsanträgen – trägt der Verbraucher das generelleProzessrisiko. Der Netzbetreiber bucht auch für dieDiensteanbieter Forderungen beim Kunden ab, ganzgleich, ob sie berechtigt sind oder nicht. Wir wollen,dass schon dann das Prozessrisiko beim Diensteanbieterliegt und dieser, wenn die Forderungen unberechtigtsind, Einspruch erheben muss.Das wurde auch in der Anhörung des Wirtschaftsaus-schusses so gesehen. Dort haben sowohl ein Einzelsach-verständiger als auch die Verbraucherzentrale Bundes-verband ein Inkassoverbot gefordert.
– Bitte.aWwmhkmdFwssdBdHwAdpkDselDbFnmIVtrTw
Eigentlich haben Sie Recht. Aber manchmal geht es
uch ohne mich.
Bitte schön, Herr Heil.
Frau Kollegin Heinen, es gibt auch in Ihrer Fraktion
irtschaftspolitiker, die das mit dem Inkassoverbot et-
as anders sehen. Aber nun zu meiner Frage: Geben Sie
ir Recht, dass die Stellungnahmen eindeutig ergeben
aben – auch ich war bei dieser Anhörung –, dass ein In-
assoverbot nichts anderes bewirken würde als eine Re-
onopolisierung in diesem Bereich? Zu Deutsch heißt
as: Die Telekom hätte, weil man sich gegen eine solche
orderung nicht wehren kann, die Möglichkeit, auch
eiterhin Inkasso durchzusetzen, andere Mehrwertdien-
teanbieter aber nicht mehr. Ist die CDU für die Ab-
chaffung des Wettbewerbs im Bereich der Mehrwert-
ienste?
Zum ersten Teil Ihrer Frage. Die Verbraucherzentraleundesverband hat eindeutig ein Inkassoverbot gefor-ert. Ein Einzelsachverständiger, Herr Rechtsanwaltärting, der nicht von uns, sondern von Ihnen benanntorden ist, hat gesagt:Solange der Missbrauch von Mehrwertdienstennicht damit „bestraft“ wird, dass „schwarze Schafe“ihre Gebühren nicht mehr beitreiben können, wirddie Diskussion um unseriöse Praktiken nicht abrei-ßen.ußerdem hat er gesagt, dass Regelungen, nach denenie Kunden Einwendungen gegen einzelne Rechnungs-osten erheben können, nicht wirken, wenn es kein In-assoverbot gibt.Um Ihre Frage nach dem Wettbewerb zu beantworten:ie Deutsche Telekom sagt aus Gründen der Kulanz bei-pielsweise zurzeit schon, dass sie die Forderungen derntsprechenden Diensteanbieter nicht eintreibt. Wir wol-en, dass das bei den Netzbetreibern generell der Fall ist.ie Kunden werden seriöse Rechnungen ganz normalezahlen und die unseriösen eben nicht.
rau Sehn hat auf eine ganze Menge Fälle, bei denen ge-au dieses Problem auftrat, hingewiesen. Mit diesenusste sich der Petitionsausschuss befassen. Mit einemnkassoverbot werden wir dieses Problem lösen.Auch wenn diese neu eingeführten Regelungen es denerbrauchern etwas erleichtern sollen, möchten wirotzdem noch einmal an Sie appellieren: Setzen Sie dashema Inkassoverbot wieder auf die Tagesordnung,enn Sie das alles in einem Jahr bzw. vielleicht schon in
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Ursula Heinenwenigen Wochen – das andere Problem mit den Num-merngassen ist ja noch nicht gelöst – noch einmal über-prüfen müssen!Lassen Sie mich einen weiteren Punkt ansprechen:Letztendlich haben Sie alle Punkte wunderbar beimBundesrat abgeschrieben.
Dafür danken wir Ihnen ganz herzlich. Das geht ja bis indie kleinsten Formulierungen; das ist wirklich hervorra-gend. Ein Punkt taucht bei Ihnen aber leider nicht auf,nämlich der Short Message Service. Immer mehr Han-dynutzer erhalten diese Short Messages unaufgefordert.
Sie werden aufgefordert, teure Nummern anzurufen oderShort Messages zurückzuschicken.
Mein Patenkind musste 100 Euro Taschengeld anseine Eltern zahlen, weil es immer auf einen Short Mes-sage Service geantwortet hat. Man hat es eingeladen, aneinem Chat teilzunehmen. Es ist gut erzogen und hat im-mer zurückgeschrieben, dass es nicht teilnehmen würde.Daraufhin musste es zahlen. Der Bundesrat empfiehlt,das Thema SMS aufzunehmen. Sie haben es bislang ab-gelehnt. Wir wünschen uns – so steht es auch in der Stel-lungnahme des Bundesrates –, dass auch Sie es noch ein-mal überprüfen und dass es auch von Ihrer Fraktionaufgegriffen wird.
Lassen Sie uns in den kommenden Wochen weiterüber die angesprochenen Änderungen diskutieren. Einesist aber sicher: Heute haben wir wirklich etwas für dieVerbraucherinnen und Verbraucher erreicht. Es verdientunsere gemeinsame Anstrengung, dass wir auch in Zu-kunft weiter dafür arbeiten.Ich danke Ihnen.
Danke schön. – Ich schließe die Aussprache.Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bun-desregierung eingebrachten Gesetzentwurf auf denDrucksachen 15/907 und 15/1068. Der Ausschuss fürWirtschaft und Arbeit empfiehlt unter Buchstabe a seinerBeschlussempfehlung auf Drucksache 15/1126, denGesetzentwurf in der Ausschussfassung anzunehmen. Ichbitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Aus-schussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. –Gibt es Gegenstimmen? – Enthaltungen?– Der Gesetz-entwurf ist damit in zweiter Beratung einstimmig ange-nommen worden.uSmegß1GaGgumrDsadhmdDsshi
Hofbauer, Karl-Josef Laumann, Dagmar Wöhrl,weiterer Abgeordneter und der Fraktion derCDU/CSUStrukturpolitik zukunftsfähig gestalten– Drucksache 15/749 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit
Auswärtiger AusschussFinanzausschussAusschuss für Verbraucherschutz, Ernährung undLandwirtschaftAusschuss für Verkehr, Bau- und WohnungswesenAusschuss für TourismusAusschuss für die Angelegenheiten der Europäischen UnionHaushaltsausschussb) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesre-gierungZweiunddreißigster Rahmenplan der Gemein-schaftsaufgabe „Verbesserung der regionalenWirtschaftsstruktur“ für den Zeitraum 2003bis 2006– Drucksache 15/861 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit
Finanzausschuss
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Vizepräsidentin Dr. Antje VollmerAusschuss für Familie, Senioren, Frauen und JugendAusschuss für Bildung, Forschung undTechnikfolgenabschätzungAusschuss für TourismusHaushaltsausschussNach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für dieAussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. – Wider-spruch gibt es nicht. Dann verfahren wir so.Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat zunächstder Abgeordnete Michael Stübgen.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen undHerren! Mit dem Auslaufen der Agenda 2000 Ende 2006steht die Europäische Union vor einer weit reichendenReform ihrer Regionalstruktur- und Kohäsionspolitik.Schon Anfang Dezember dieses Jahres will die Europäi-sche Kommission mit ihrem dritten Kohäsionsberichtihre Leitlinien für die künftige Regionalförderung vorle-gen. Es ist also höchste Zeit, dass wir uns als deutschesParlament mit der Frage der künftigen Strukturpolitikder Europäischen Union beschäftigen.Wir müssen zunächst einmal die aktuelle Strukturpo-litik analysieren und Änderungsbedarf formulieren.Dabei werden wir es nach 2006 mit drei entscheidendveränderten Sachverhalten zu tun haben:Erstens. Wir werden dann wahrscheinlich zwölf Mit-gliedsländer mehr in der Europäischen Union sein.Zweitens. Dies wird dazu führen, dass die finanziellenRessourcen der Europäischen Union grundlegend geän-dert und angepasst werden müssen. Drittens. Wir habenes mit dem so genannten statistischen Effekt zu tun. Da-rauf komme ich später zurück.Die Beschäftigung des Deutschen Bundestages mitdiesem Thema mit dem Ziel einer Beschlussfassung istdeshalb so entscheidend, weil die Bundesregierung indieser wichtigen politischen Frage keine klare Positionhat. Wirtschaftsminister Clement hat im Europaaus-schuss vor einigen Wochen erklärt, dass die Bundesre-gierung davon ausgeht, dass sämtliche deutsche Struk-turfördergebiete in das so genannte Phasing out fallen.Er hat in diesem Zusammenhang aber eine nationaleKompensation zugesagt. Für Eichel ist das unmöglich, erlehnt dies ab.Der zuständige europäische Kommissar Barnier istin Deutschland gewesen und hat die Bundesregierungum Unterstützung für sein Programm gebeten, für diebetroffenen Strukturfördergebiete, die durch den so ge-nannten statistischen Effekt ihre Förderung zu verlierendrohen, eine Anschlussregelung zu schaffen. Die Bun-desregierung hat ihn abfahren lassen, ohne ihm Unter-stützung zuzusagen. Die Bundesregierung hat in dieserwichtigen politischen Frage weder eine klare Position inden europäischen Räten noch gegenüber der Kommis-sion. Wir verlieren Zeit. Dabei geht es um sehr viel Geld.Ich möchte kurz auf drei unserer Forderungen im An-trag eingehen.Erstens. Wir fordern mehr Spielraum für die Feinab-grenzung nationaler Fördergebiete. Es hat sich in derbvfpuBsrSfgilspzAZsdcFsfgdDsdnzdSfssergaWdmnGeadbgsvshud
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4088 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 48. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juni 2003
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Die europäische Strukturpolitik als Ausdruck innerge-einschaftlicher Solidarität ist insgesamt von positiverirkung. Sie hat erheblich zur Verbesserung des wirt-chaftlichen und sozialen Zusammenhalts – besondersuch in den ostdeutschen Bundesländern – beigetragen.ies muss auch nach der Erweiterung der EU gelten.
Der größte Teil der bedürftigsten Regionen wird inen neuen Mitgliedstaaten liegen. Die regionalen Ent-icklungsunterschiede innerhalb der EU werden er-eblich zunehmen. Auf dieses Problem wird sich dieU-Strukturpolitik konzentrieren müssen.Andererseits muss sich die europäische Strukturpoli-ik an finanziellen Zwängen ausrichten. Nettozahlerie wir dürfen nicht überfordert werden. Fördermaßnah-en für neue Mitglieder müssen deshalb weitestgehendurch Einsparungen in der alten Gemeinschaft finanzierterden. Dabei sind – das ist unabdingbar – vergleich-are Regionen gleich zu behandeln.Die Abgeordneten der Koalition teilen die Auffassunger Bundesregierung, dass sich die europäische Struktur-olitik künftig stärker am Prinzip der Subsidiarität undn Verbindung damit am Gedanken des europäischenehrwerts orientierten sollte. Regionalpolitischer Hand-ungsspielraum kann und muss dadurch wiedergewon-en werden.Meine sehr geehrten Damen und Herren von derDU/CSU, ich meine, wir begegnen uns in dieser Auf-assung. Sie haben das in den Punkten 3 bis 5 Ihres An-rags ausformuliert; deshalb muss ich nicht näher daraufingehen.Die Diskussion über die zukünftige Ausgestaltung derU-Strukturpolitik hat längst begonnen und muss ohneweifel intensiviert werden. Die Kommission hat ersteorschläge für den Herbst angekündigt. Wir begrüßeneshalb die Initiative des Bundeskanzlers, sich anhandes vorgelegten Eckpunktepapiers für die künftige EU-trukturpolitik mit den deutschen Bundesländern inten-iv abzustimmen.
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Christian Müller
Um allerdings eines deutlich hervorzuheben: Die not-wendige Konzentration der EU-Strukturförderung aufdie strukturschwächsten Regionen der EU hat eine zwin-gende Konsequenz. Die fortgeschrittenen Mitgliedstaa-ten – insbesondere diejenigen, die keine Ziel-1-Gebieteim Sinne der Strukturfondsförderung sind – müssen sichselbst um die Förderung ihrer strukturschwachen Regio-nen kümmern können.Wir brauchen eine eigenständige Regionalpolitik undbenötigen dafür wieder mehr beihilferechtliche Hand-lungsspielräume als heute. Eine Reform der Beihilfen-kontrolle der Kommission ist dringend geboten. Diesemuss flexibler werden und in Richtung einer Miss-brauchskontrolle entwickelt werden.
Die Kommission muss sich dabei auf Beihilfefälle kon-zentrieren, die EU-weit tatsächlich zu Wettbewerbsver-zerrungen führen können.Wir können es nicht hinnehmen, dass die Kommis-sion zeitgleich die EU-Strukturfondsförderung und dienationale Regionalförderung in den fortgeschrittenerenMitgliedstaaten wie Deutschland reduzieren will. Dashaben wir hier schon mehrfach angesprochen und kriti-siert. Es darf zu keiner massiven Einschränkung des re-gionalpolitischen Spielraums der Bundesländer ab 2007kommen.Unser politisches Handeln ist erkennbar nicht auf eineVerschlechterung der Nettozahlerposition unseres Lan-des, sondern auf die Rückgewinnung nationaler Spiel-räume in der Strukturpolitik gerichtet.
Insofern unterscheiden wir uns von Ihrer Position, dieSie in Ihrem Antrag beschrieben haben. Das gilt auch fürdas von Ihnen zum wiederholten Male geforderteGrenzgürtelprogramm. Die geforderte Mittelaufsto-ckung des entsprechenden europäischen Programmskann unter dem Gesichtspunkt der Nettozahlerpositionder Bundesrepublik Deutschland so nicht erfolgen.
Lassen Sie mich abschließend noch etwas zurGemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalenWirtschaftsstruktur“ ausführen. Ich habe an dieser Stelleschon mehrfach festgehalten, dass die GA von Bund undLändern in den vergangenen Jahren zu einer wirksamenund zeitgemäßen Regionalförderung weiterentwickeltworden ist, die den Ländern weitgehende Eigenständig-keit und Flexibilität einräumt. Sie garantiert bei der Be-kämpfung von regionalen Disparitäten in strukturschwa-chen Gebieten nachweislich eine Zielgenauigkeit, dievon keinem anderen Förderinstrument erreicht wird. Inder GA wird außerdem ein regionalpolitischer Konsenszwischen Bund und Ländern ermöglicht, der auch eineVoraussetzung für das hohe Förderniveau besonders inOstdeutschland ist.Wir gehen davon aus, dass der Bund bei regionalenFehlentwicklungen im gesamten Bundesgebiet hand-lungsfähig bleiben muss – wir würden es als Abgeord-nnpwsfgBniBdHddüsKdcwdzrpDsetwVrasskdrDmT
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Jürgen Türk.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen undollegen! Es ist ein offenes Geheimnis, dass viele Gel-er aus der EU-Regionalhilfe fast wirkungslos versi-kern. Deshalb ist auch auf diesem Gebiet ein System-andel notwendig. So müssen in der Finanzpolitikringend neue Akzente gesetzt werden. Denkbar wäreum Beispiel, künftig einen Teil der von der EU ausge-eichten Mittel als Darlehen bzw. Kredite für öffentlich-rivate Unternehmenspartnerschaften bereitzustellen.as würde zu mehr Verantwortung und unternehmeri-chem Denken im Umgang mit den Geldern beitragen.Eine effizientere Finanzpolitik liegt im vitalen Inter-sse von Deutschland als dem mit Abstand größten Net-ozahler. Sie ist aber auch deshalb notwendig, weil zu er-arten ist, dass künftig die für jedes einzelne Land zurerfügung stehenden Mittel mit dem Beitritt von zehnelativ wirtschaftsschwachen Staaten deutlich knapperls derzeit sein werden. Aufgrund der extrem ange-pannten Haushaltslage in Deutschland ist es kaum vor-tellbar, dass die Bundesregierung der von EU-Regional-ommissar Barnier geforderten deutlichen Aufstockunges EU-Strukturfonds in der nächsten Finanzierungspe-iode von 2007 bis 2013, die im Wesentlichen zulasteneutschlands ginge, zustimmen kann und wird. Kom-issar Barnier agiert in diesem Punkt nach dem Motto:eile und herrsche. So jedenfalls empfinde ich das.
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4090 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 48. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juni 2003
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Jürgen TürkEr weiß genau, dass die neuen Bundesländer nach derErweiterung aus der Ziel-1-Förderung herausfallen undeinen erheblichen Teil der ihnen jetzt zufließenden För-dermittel einbüßen würden. Er versucht daher, die Mi-nisterpräsidenten der neuen Bundesländer auf die EU-Seite zu ziehen. Sie sollen – ich glaube, sie haben dasschon getan – Druck auf die Bundesregierung ausüben,damit Deutschland mehr in den Strukturfonds einzahlt.Dann, so Barnier, werde er dafür sorgen, dass die neuenBundesländer weiterhin großzügig gefördert würden.Der Bund und die Länder dürfen sich aber in dieserFrage von der EU nicht auseinander dividieren lassen,sondern müssen gemeinsam nach einer Lösung suchen,die den besonderen Problemen Ostdeutschlands Rech-nung trägt und Deutschland als Ganzes nicht über Ge-bühr zum Nachteil gerät.Davon, dass in der EU-Strukturpolitik einiges nichtrund läuft, zeugt unter anderem die Tatsache, dass vieleLänder große Mühe haben, die bewilligten Hilfsmittelfristgerecht abzurufen, zu verbrauchen und eine ord-nungsgemäße Schlussabrechnung dafür vorzulegen.So erhält Deutschland laut „FAZ“ vom 6. März 20032 Milliarden Euro aus dem EU-Haushalt 2002 zurück.1 Milliarde Euro Agrarsubventionen sind verloren und1 Milliarde Euro für Regionalpolitik – darüber sprechen wirja jetzt – können auf andere Haushaltsjahre verlagertwerden. Ich kann die Bundesregierung nur auffordern,das zu tun, zum Beispiel für die lebenswichtige LeiLa.Ich sage Ihnen, wer LeiLa ist. Das ist die VerbindungLeipzig–Lausitz. Herr Stübgen hat schon davon gespro-chen, dass die Lausitz als Region abgehängt wird. Mit1 Milliarde Euro kann man da sehr viel machen. Mankann zwei Wirtschaftsräume miteinander und mit derpolnischen Grenze verbinden, wenn es nur um das Geldgeht. Da kommen 1 Milliarde Euro zurück. Sie erfüllenso die Zielsetzung der GA – ich zitiere aus der Unterrich-tung –, dass strukturschwache Regionen durch Ausgleichihrer Standortnachteile Anschluss an die allgemeine Wirt-schaftsentwicklung halten können. Außerdem bereitenSie eine strukturschwache Grenzregion mit dreifacher Be-lastung – man muss das immer wieder einmal sagen: An-passungsdruck, Strukturschwäche, EU-Erweiterung – sosinnvoll auf die EU-Erweiterung vor. Die EU-Gemein-schaftsaktion – das haben wir alle festgestellt – war janicht das Gelbe vom Ei. Eine Anpassung im Hinblickauf die Erweiterung spielte da kaum eine Rolle.Was die Gemeinschaftsaufgabe angeht, so hat dieFDP ihre seit Jahren vertretene Meinung, dass dieMischfinanzierungen von Bund und Ländern zurückge-führt werden müssen, nicht geändert. Sie sind schlichtineffizient, da keine klaren Verantwortlichkeiten für dieGelder bestehen. Aber wenn man schon Mischfinanzie-rungen macht, dann sollte man sich sorgfältiger als bis-her überlegen, wo sie wirklich sinnvoll sind und wonicht. So ist es beispielsweise nicht hinnehmbar, dassaufgrund der Finanzknappheit der Länder eine für dieOsterweiterung wichtige Einrichtung wie die Deutsch-Polnische Wirtschaftsförderungsgesellschaft eingeht.Wir brauchen sie noch. Sie hat in den vergangenen Jah-ren einen guten Beitrag geleistet und sie wird das auchnmPfsflespDRuSNMfdtwcUgamIncnDaeewItmAAtdiksnf
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Rainderteenblock.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!eine Vorredner haben schon sehr deutlich auf den Re-ormbedarf in der EU-Strukturpolitik und die Herausfor-erungen, die sich insbesondere durch die EU-Osterwei-erung für die Strukturpolitik stellen, hingewiesen. Dazuerde ich einiges sagen.Wir dürfen hier aber auch nicht den Eindruck erwe-ken, als wenn alles das, was wir in der Europäischennion bisher an Strukturpolitik realisiert haben, nur ne-ativ gewesen wäre, sondern sollten sehr deutlich auchuf die Erfolge der Strukturpolitik hinweisen. Manuss sich einmal angucken, was Strukturpolitik etwa inrland oder in anderen peripheren Regionen wie Spa-ien, Portugal oder Griechenland geleistet hat. In Grie-henland lag noch 1988 das Bruttoinlandsprodukt bei ei-em Niveau von nur 58 Prozent des EU-Durchschnitts.as ist in den Jahren bis 2000 um fast 10 Prozentpunktengehoben worden. Das macht sehr deutlich, dass dasin Politikansatz ist, der Solidarität in Europa und eineuropäische Entwicklung in ökonomische Gleichge-ichtszustände hinein sehr befördert hat.ch glaube auch, dass diese Politik nicht nur auf quanti-ative, sondern auch auf qualitative Wachstumsele-ente ausgerichtet ist. Wir haben durch unsere aktiverbeitsmarktpolitik die Teilhabegerechtigkeit gestärkt.ußerdem haben wir die Gleichstellung der Geschlech-er sicherlich quantitativ und qualitativ nachhaltig geför-ert, auch durch Strukturpolitik. Ich glaube, dass mannsgesamt von einem erfolgreichen Projekt sprechenann.Unsere Erfolge zeigen, wie wichtig es ist, den einge-chlagenen Weg fortzusetzen. Aber natürlich gibt es ei-en Reformbedarf. Eines unserer drei zentralen Kriterienür diese Reform ist – der Kollege Türk hat gerade da-
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Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 48. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juni 2003 4091
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Rainder Steenblockrauf hingewiesen – die Erhöhung der Effektivität die-ser Strukturfonds. Die Art und Weise, wie die Vergabe-verfahren zum Teil ablaufen, und die Tatsache, dass sehrviele Geldmittel nicht ausgeschöpft werden können, ha-ben auch etwas mit den bürokratischen Abläufen bei derBeantragung dieser Mittel zu tun. Es gilt, diese bürokra-tischen Abläufe zu verschlanken und die Effizienz derVerteilung der Mittel sicherzustellen. Das ist für uns einganz wichtiger Punkt.Der zweite für uns wichtige Punkt ist, dass Solidari-tät in Europa erhalten bleibt. Die Debatte über Nettozah-lungen sollte sich unserer Meinung nach nicht allein da-rum drehen, wie viel Deutschland gibt und wie viel eserhält. Solidarität und wirtschaftliche Stärke beruhen aufanderen Prinzipien. In diesem Zusammenhang sollteman sich auch klar machen, dass die exportorientiertedeutsche Wirtschaft vom europäischen Binnenmarktsehr stark profitiert. Anders formuliert: Unsere Wirt-schaft ist sehr stark auf den europäischen Binnenmarktkonzentriert; neun unserer größten Handelspartner gehö-ren zum europäischen Raum. Das Geld, das in Struktur-politik investiert wird und dazu dient, dass in den ent-sprechenden Regionen Nachfrage geschaffen wird,müssen wir im Grunde genommen als ökonomischenGewinn für Deutschland werten. Deshalb ist eine De-batte über Nettozahlungen, die sich auf Soll und Habenbeschränkt, natürlich ein bisschen verkürzt. Trotzdemspielt sie, was Vermittlung und Akzeptanz in der Bevöl-kerung angeht, politisch eine wichtige Rolle.Man muss sich einmal Folgendes vor Augen halten:Von 4 Euro für die Strukturpolitik fließen 3 Euro in dieentsprechenden Regionen – das ist auch richtig so – und1 Euro in Aufträge außerhalb der entsprechenden Re-gion. Davon profitiert der deutsche Export natürlichganz besonders. Daher sollte man die Kritik an der bis-herigen Strukturpolitik relativieren.Solidarität hat natürlich auch etwas damit zu tun, dasswir das Regionalprinzip – für mich ist es im Rahmenvon Strukturpolitik zentral – beibehalten. Wir sollten dieBemessungsgrundlage – anders als es einige fordern –nicht nach nationalstaatlichen Kriterien ausrichten. Viel-mehr sollte es in diesem Bereich tatsächlich eine solida-rische Politik geben. Unserer Ansicht nach sollte Förde-rungswürdigkeit an den Verhältnissen auf regionalerEbene bemessen werden. Man muss – mein KollegeStübgen hat das angesprochen – über die Kriterien fürdie Förderungswürdigkeit einer Region wirklich rationaldiskutieren, damit man keinen falschen Ansatz verfolgt,zum Beispiel indem man für verschiedene Regionen einegemeinsame Bemessungsgrundlage anwendet, sodasssie im Weiteren ihre Förderungswürdigkeit verlieren, ob-wohl nach wie vor deutlicher Handlungsbedarf besteht.Ich wiederhole: Wir sollten über die Kriterien für Förde-rungswürdigkeit rational diskutieren.Aus meiner Sicht geht es aber nicht an, dass man inder Frage der Erweiterung Solidarität hintanstellt. Eskann nicht richtig sein, dass wir in Bezug auf die Ver-gabe von Mitteln aus den Strukturfonds andere Krite-rien für die Förderung der europäischen Länder, die Mit-glied der Europäischen Union werden, als für diebuKwASEgdwDddindErgddtnsnwldbsFtfkzdQrgRhutnbdl
uch das, was ich gerade beschrieben habe, gehört zurolidarität. Gerade in den Ländern, mit deren Beitritt dieuropäische Union erweitert wird, gibt es Befürchtun-en, dass es in diesem Punkt keine Solidarität gibt.Das Gebot der Fairness erfordert – wir unterstützenas – eine Regelung – auch das ist schon angesprochenorden –, die den statistischen Effekt berücksichtigt.iejenigen Regionen, die ohne die Erweiterung unteras 75-Prozent-Kriterium gefallen wären, die lediglichurch die erweiterungsbedingte Absenkung des Brutto-nlandsproduktes herausfallen, sind nur statistisch undicht real reicher geworden. Deshalb brauchen wir iniesem Bereich gerechte Übergangsregelungen.Diese Regelungen können sich aus verschiedenenlementen zusammensetzen: degressive Förderung, ge-inge Pro-Kopf-Fördersätze, flexiblere Kofinanzierun-en. Wir müssen auf jeden Fall dafür sorgen, dass füriese Regionen nicht nur Phasing-out, sondern eine an-ere Förderungsstruktur bereitsteht. Ich denke dabei na-ürlich gerade an die neuen Bundesländer. Nach deneuen Zahlen, die mir vorliegen, sind es – ich muss fastagen: leider – nicht wenige, sondern relativ viele Regio-en, die auch weiterhin durch Strukturfonds geförderterden müssen. Man kann diese ökonomische Entwick-ung bedauern, aber ich glaube, dass so sehr viele ost-eutsche Regionen in dem Förderstrukturprogrammleiben werden.Von den inhaltlichen Aspekten der Förderpolitik – las-en Sie mich das abschließend sagen – ist die weitereörderung der Nachhaltigkeit für uns besonders wich-ig. Die EU-Strategie zur nachhaltigen Entwicklung istür uns im Rahmen der Strukturpolitik der zentrale An-er. In der Vergangenheit wurden unserer Meinung nachu viele Projekte gefördert, die irreversible Umweltschä-en verursacht haben. Deshalb fordern wir, dass dieualität der Entwicklung von Regionen und nicht nurein quantitativ ökonomisches Wachstum bei der Ver-abe der Fördermittel in den Mittelpunkt gerückt wird.egionale Entwicklungskonzepte müssen einen ganz-eitlichen Ansatz verfolgen und soziale, ökonomischend ökologische Entwicklungsfaktoren in gleichberech-igter Weise berücksichtigen. Dieses Kriterium mussach unserer Ansicht bei der Vergabe von Fördergeldernerücksichtigt werden.Abschließend will ich anmerken, dass die Beratung inen Ausschüssen konstruktiv sein wird, weil wir in vie-en Punkten dicht beieinander sind.Vielen Dank.
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4092 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 48. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juni 2003
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Das Wort hat die Abgeordnete Veronika Bellmann.
Sehr verehrte Frau Präsidentin! Meine lieben Damen
und Herren Kollegen! Herr Steenblock, Sie haben Recht:
Strukturpolitik hat viel Gutes getan. Wie unschwer zu
hören ist, komme ich wie viele meiner Kollegen, die hier
heute schon gesprochen haben, aus Sachsen, einem Bun-
desland, das die regionale Strukturpolitik der EU wegen
seiner wirtschaftlichen Schwäche sehr dankbar ange-
nommen hat.
Die so genannte Ziel-1-Förderung hat in den ost-
deutschen Ländern einen sehr hohen Stellenwert. Aus
unserem Antrag will ich deshalb nur diesen Punkt he-
rausgreifen. Am Ende der derzeitigen Förderperiode
2003 werden die Entwicklungsrückstände in Ostdeutsch-
land nicht aufgeholt sein. Der Aufbau Ost ist durch eine
verfehlte Politik leider zum Stillstand gekommen. Der
Beweis dafür ist, dass das Bruttoinlandsprodukt von
1998 bis 2003 um durchschnittlich 2,3 Prozent gesunken
ist.
Das Anliegen der ostdeutschen Bundesländer ist, die
Förderung für die Ziel-1-Gebiete auch nach der EU-Ost-
erweiterung in der gleichen Höhe wie bisher zu erhalten.
In diese Förderkategorie kommen nur Regionen, deren
Bruttoinlandsprodukt 75 Prozent des EU-Durchschnitts-
wertes unterschreitet. Nach dem Beitritt der neuen EU-
Länder übersteigen die meisten Ziel-1-Regionen Ost-
deutschlands die 75-Prozent-Marke, ohne tatsächlich – das
wurde hier schon des Öfteren angesprochen – an Wirt-
schaftskraft gewonnen zu haben. Es wird sozusagen
reich gerechnet.
Wer den Gradmesser der 75 Prozent überschreitet, be-
kommt im nächsten Förderzeitraum, also von 2007 bis
2013, nur noch die Hälfte der Förderung, das bedeutet, statt
20 Milliarden nur noch 10 Milliarden. Nach unseren Be-
rechnungen würde das zu einem Verlust von 75 000 Ar-
beitsplätzen führen. Neuansiedlungen könnten nur noch
mit 18 Prozent, statt bisher 35 Prozent der Investitions-
summe gefördert werden. Dadurch würde die Schaffung
neuer Arbeitsplätze enorm erschwert.
Gleichzeitig entsteht vor der Haustür Ostdeutschlands
eine Höchstförderzone, die noch dazu Lohnkostenvor-
teile von bis zu 70 Prozent bietet. Man kann an einer
Hand abzählen, wo in Europa, was die Unternehmensan-
siedlungen betrifft, zukünftig die Post abgeht und wer
ins Abseits gerät. Diese Perspektive steigert in Ost-
deutschland nicht gerade die Euphorie für Europa im
Allgemeinen und für die Osterweiterung im Besonderen.
Deshalb muss mit regionaler Strukturpolitik gegenge-
steuert werden.
Die ostdeutschen Ministerpräsidenten, die CDU/CSU-
Abgeordneten des Europäischen Parlaments und des
Deutschen Bundestages haben ihre Vorschläge zur künf-
tigen Gestaltung der EU-Strukturpolitik vorgelegt.
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Aber leider ist von Bundesminister Clement bisher
ur unterschwellig eine Art Androhung – so habe ich es
umindest empfunden – zu hören, dass alle Deutschen
egen der EU-Hilfen und der damit verbundenen höhe-
en Beitragszahlungen leiden werden. Die Ostdeutschen
ls Prellbock der Nation? Ich weiß nicht, ob das so gut
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Mit Leistungskür-ungen, Steuererhöhungen für Verbraucher und Unterneh-en, langsamerem Wirtschaftswachstum und – man hörend staune – mit einem schwachen Euro ist zu rechnen.Leistungskürzungen, Steuererhöhung und Nullwirt-chaftswachstum gibt es seit dem Amtsantritt von Rot-rün. Das der EU-Strukturpolitik ab 2007 in die Schuheu schieben ist absolut vermessen.
enn der Bundeswirtschaftsminister jetzt von einemchwachen Euro spricht, obwohl dieser sich seit spätes-ens März auf dem Höhenflug befindet, verschlägt einemas wirklich fast die Sprache. Man muss fragen: Wo lebter Mann eigentlich? Vielleicht, Herr Staatssekretärtaffelt, fragen Sie ihn einmal, ob er noch im vergange-en Jahrhundert lebt.Unter diesen Umständen ist eine von Clement ange-prochene nationale Kompensation für die Regionen,ie den Ziel-1-Status verlieren, mehr als fraglich, manann sogar sagen: verlogen. Aber die Ankündigungshäu-
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Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 48. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juni 2003 4093
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Veronika Bellmannfigkeit steht bei Herrn Clement bekanntlich immer imQuadrat zur eigentlichen Umsetzung.
Pascal hat gesagt: Man muss die Tugenden derMenschen nicht nach ihren außergewöhnlichen Ankün-digungen beurteilen, sondern nach ihrem täglichenBenehmen. – Mit ihrem täglichen Benehmen ist dieBundesregierung noch immer nicht in der ostdeutschenRealität angekommen. Zeichen dafür: Die Solidarpakt-mittel sind degressiv gestaltet, die Investitionszulagenwerden gekürzt, die GA-Mittel werden gekürzt, die In-frastrukturmittel werden gekürzt, Mittel für den Ver-kehrswegebau in den Grenzregionen im Hinblick auf dieEU-Osterweiterung sind praktisch nicht vorhanden.Stattdessen gibt es Programme, die im Osten nicht grei-fen: Jobfloater, den ich immer gern Jobflopper nenne,Hartz-Programm usw.Es ist traurig, aber wahr: Der Osten kann sich auf dieBundesregierung nicht verlassen, sonst ist er verlassen.Da gehen wir lieber zur EU. Das ist sicherlich nicht un-bedingt der einfachere Weg, aber er verschafft unsPlanungssicherheit und Kontinuität für einen Sechsjah-resförderzeitraum mit einmaligem Verhandlungsauf-wand. Bei der Bundesregierung hätten wir bei sechsma-ligem Verhandlungsaufwand vielleicht nicht einmal einJahr Planungssicherheit.Heute so, morgen so, Politik nach Kassenlage undBelieben – das schafft kein Vertrauen. Es gibt ein schö-nes Bild: Ein Landwirt kann das Wachstum des Weizensnicht beschleunigen, wenn er einfach nur an den Halmenzieht. Ähnliches gilt für die EU-Strukturpolitik. Sie zureformieren, die Osterweiterung zu finanzieren undnationale Regionen, die Hilfe brauchen, nicht aus demAuge zu verlieren geht nicht ohne einen nennenswertenBeitrag, sowohl ideell als auch materiell. Darauf hinzu-weisen ist der Sinn unseres Antrages.Danke schön.
Ich gratuliere Ihnen, Frau Kollegin Bellmann, im Na-
men des Hauses zu Ihrer ersten Rede.
Das Wort hat jetzt der Parlamentarische Staatssekretär
Ditmar Staffelt.
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Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen undHerren! Auch wenn Sie hier Ihre erste Rede gehalten ha-ben, liebe Frau Kollegin, lege ich doch großen Wert da-rauf, dass Sie ein bisschen präziser mit dem umgehen,was Sie hier behaupten. Allein die Tatsache, dass wir inunseren nationalen Haushalt mehr als 2,3 Milliarden Eurofür Verkehrsinvestitionen in den Grenzregionen einge-stellt haben, und die Tatsache, dass dazu noch mehr als2swsrwiMDnSegamesvwldfuJddsbsgrmCdddPdnudnaGim
ie sollten bei solchen Reden die Kirche im Dorf lassen.
Vor einem knappen Jahr hat der Deutsche Bundestaginen Antrag mit dem Titel „Die Gemeinschaftsauf-abe‚Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur‘ls regelgebundenes Fördersystem erhalten“ angenom-en. Es wurde gesagt, diese Gemeinschaftsaufgabe seiin flexibler Handlungsrahmen für die regionale Wirt-chaftsförderung der Länder, der die Gleichbehandlungon strukturschwachen Regionen im Standortwettbe-erb sichere und einen unproduktiven Subventionswett-auf um überregionale Ansiedlungen verhindere.Die Bundesregierung wurde in dieser Entschließunges Bundestages vom 27. Juni 2002 insbesondere aufge-ordert, zu prüfen, wie diese Gemeinschaftsaufgabe alsnverzichtbares regelgebundenes System auch nach demahr 2004 erhalten bleiben könne. Ferner sollte die Bun-esregierung darauf hinwirken, dass Bund und Länderie Wirksamkeit ihrer strukturpolitischen Aktivitätentärker und besser aufeinander abstimmen.Der 32. Rahmenplan der Gemeinschaftsaufgabe „Ver-esserung der regionalen Wirtschaftsstruktur“ orientiertich an dieser Entschließung des Deutschen Bundesta-es. Der 32. Rahmenplan wurde nach sorgfältiger Vorbe-eitung vom Bund-Länder-Planungsausschuss der Ge-einschaftsaufgabe unter Vorsitz von Bundesministerlement am 24. April 2003 einstimmig verabschiedet.Der Planungsausschuss hat auch eine Orientierungs-iskussion über die zukünftige regionale Investitionsför-erung in Deutschland geführt. Im Zusammenhang miter Diskussion um die Föderalismusreform bestand imlanungsausschuss Einigkeit in der Frage, die Nutzunger Gemeinschaftsaufgabe zur Verbesserung der regio-alen Wirtschaftsstruktur über 2006 hinaus zu vertiefen,nd zwar insbesondere mit Blick auf die Absicherunger Gemeinschaftsaufgabe Ost, auf die Sicherung einesationalen regionalpolitischen Handlungsspielraums unduf eine noch größere Wirksamkeit und Flexibilität deremeinschaftsaufgabe.Ich erinnere daran – Sie waren zehn Jahre erfolgreich Sächsischen Landtag tätig –,
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4094 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 48. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juni 2003
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Parl. Staatssekretär Dr. Ditmar Staffeltdass auch die sächsische Staatsregierung hier mit amTisch gesessen hat. Es sind also nicht irgendwelche rot-grünen Hirngespinste, wie Sie das zu nennen pflegen,sondern es sind tatsächlich wohlausgewogene Erörterun-gen der beteiligten Länder und der Bundesregierung.Damit ist bereits ein wesentlicher Teil des künftigen Ar-beitsprogramms der Bund-Länder-Gremien der Gemein-schaftsaufgabe vorgezeichnet.Lassen Sie mich zur Erläuterung angesichts der knap-pen Zeit nur dies sagen: Der regionalpolitische Hand-lungsspielraum wird auch unserer Meinung nach be-dauerlicherweise durch die Europäische Union immerstärker eingeschränkt. Verlautbarungen aus Brüssel las-sen weitere Einschränkungen befürchten. Die EU-Kom-mission erwägt nach der Osterweiterung parallele Redu-zierungen der EU-Regionalförderung und der nationalenRegionalförderung in Deutschland. Der Planungsaus-schuss hatte daher einen ausreichenden Spielraum derMitgliedstaaten der EU zur eigenständigen Lösung ihrerRegionalprobleme gefordert.
Ich denke, das ist sehr wichtig.Es ist schade, dass Sie mir nicht mehr zuhören, FrauKollegin. Sie scheinen an Informationen nicht interes-siert zu sein, sonst hätten Sie wissen müssen, dass HerrClement mit Sicherheit nicht davon gesprochen hat, dassder Euro im Moment in einer schwachen Phase ist. Dasmuss ein Missverständnis sein.
– Es mag ein Versprecher sein. Niemand glaubt, dass erdas wirklich gesagt hat. Zeigen Sie es mir einmal. Einesolche Politik sollte man nicht machen. Das ist eher un-seriös.
Im vorliegenden Antrag der CDU/CSU-Fraktion wirddeshalb ebenfalls – das begrüßen wir – auf eine Rückge-winnung regionalpolitischer Handlungsspielräume derMitgliedstaaten abgezielt, wobei Sie dieses Ziel durcheine Reform der europäischen Strukturpolitik erreichenwollen. Unklar bleibt in Ihrem Antrag die Rolle der Bei-hilfekontrolle der EU-Kommission, für die in erster Li-nie eine „effizientere Gestaltung“ gefordert wird. Ichmöchte einen Schritt weitergehen und die Forderung er-heben, dass die Beihilfekontrolle der EU-Kommissionden Mitgliedstaaten einen ausreichenden regionalpoliti-schen Handlungsspielraum belässt.Zur EU-Strukturpolitik wird im Unionsantrag zuRecht eine Zurückdrängung des Zentralismus gefordert.Mich irritiert allerdings die Forderung, diejenigen Regi-onen, die wegen des beitrittsbedingt sinkenden EU-Brut-toinlandsproduktdurchschnitts nach 2006 aus der Ziel-1-Kategorie herausfallen würden, in der kommenden För-derperiode gleichwohl weiterhin wie ein Ziel-1-Gebietbehandeln zu wollen. Die Bundesregierung lehnt einesarrevbdthsmdnsHisüdsestfdskgaaku2dUzbsl
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Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 48. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juni 2003 4095
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Zum Zweiten sage ich Ihnen, dass sich die neuen
Bundesländer gemeinsam mit der Bundesregierung auf
nationaler Ebene überlegen müssen, welche Fördermög-
lichkeiten und -notwendigkeiten es gibt. Wenn Sie sich
daran erinnern, über wie viele Jahrzehnte hinweg es in
den alten Ländern Fördertatbestände gegeben hat – ich
nenne nur die Zonenrandförderung und die Berlin-För-
derung –, dann müssten Sie sich in diesem Bereich auch
die Frage der Evaluierung stellen. Deswegen sind wir im
Dialog mit den Regierungen der neuen Bundesländer.
Ich bin sicher, dass wir eine gute Lösung für die neuen
Bundesländer finden werden.
Meine Damen und Herren, ich hätte gern noch ein
Wort zu den Grenzregionen gesagt, aber meine Zeit
läuft ab.
– Das sind die Spitzfindigkeiten, nachdem sich das Ge-
witter verzogen hat.
Ich verweise nur auf eines: Die Grenzregionen schla-
gen vor, dass es einen Gürtel von Förderregionen an den
ehemaligen Außengrenzen geben soll. Hier gibt es über-
haupt nur zwei Arbeitsamtsbezirke in Bayern, die nicht
als Fördergebiete ausgewiesen sind. Von daher erscheint
ein solcher Ansatz nicht sehr hilfreich zu sein.
Erlauben Sie mir bitte noch eine letzte Bemerkung, da
Sie hier das Thema EU-Osterweiterung mit der Formel
angesprochen haben, Sie wüssten schon, wohin die In-
vestitionen gingen. Von allen Volkswirten, wirtschafts-
wissenschaftlichen Instituten und Analysten wird bestä-
tigt, dass die Bundesrepublik Deutschland von der EU-
Osterweiterung erheblich profitieren wird. Ich gebe Ih-
nen Recht, dass sich die Frage stellt, ob alle Regionen in
Deutschland davon profitieren werden. Dass die grenz-
nahen Regionen besondere Probleme haben, steht ganz
außer Frage. Allerdings geht es hier nicht nur um Förde-
rung, sondern auch darum, dass sich dort etwas bewegt
und die Dienstleister aufwachen, sich orientieren und in
Kooperationen mit den Unternehmen auf der anderen
Seite der Grenze einwilligen. Darum werbe ich gemein-
sam mit den Industrie- und Handelskammern sowie den
Handwerkskammern für noch mehr Bewegung und un-
ternehmerische Initiativen. Nur das wird am Ende hel-
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Ich erteile das Wort dem Kollegen Klaus Hofbauer,
DU/CSU-Fraktion.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Her-en! Herr Staatssekretär, ich gebe Ihnen Recht: Die EU-sterweiterung wird für uns ebenfalls einen großen Vor-eil bringen. Auch ich bin davon überzeugt, dass die Ost-rweiterung den Grenzregionen auf Dauer Vorteile brin-en wird. Entscheidend ist aber, dass wir diesen Prozessktiv gestalten und miteinander Akzente setzen. Hierzuind die Politik, die Wirtschaft und die Kammern aufge-ufen. Wir brauchen für die Grenzregionen eine konzer-ierte Aktion.
Aber wissen Sie, meine sehr geehrten Damen underren, was uns in der Strukturpolitik zurzeit am meis-en Schwierigkeiten bereitet? – Die fatale Wirtschafts-nd Arbeitsmarktpolitik in Deutschland. Die struktur-chwachen Gebiete leiden in ganz besonderem Maße un-er der verkehrten Wirtschafts- und Arbeitsmarktpolitikon Rot-Grün.
Wir sind uns in diesem Hause sicherlich darüber ei-ig, dass Strukturpolitik in den letzten Jahren erfolgreichnd richtig war und auch in Zukunft notwendig seinird. Dabei muss uns aber vor allen Dingen im Hinblickuf die Erweiterung und Einigung Europas bewusst sein,ass wir die Strukturpolitik auf allen Ebenen reformierenüssen: die europäische Strukturpolitik, die nationaletrukturpolitik und vor allen Dingen das Zusammenwir-en beider Politiken. Ich teile die Auffassung meinerorredner, dass ein wesentliches Element der europäi-chen Strukturreform eine Rückgewinnung nationalerandlungsspielräume sein muss. Wir spüren bei deremeinschaftsaufgabe, was uns Brüssel alles vor-chreibt. In der letzten Förderperiode haben wir nichtinmal eine Abgrenzung der Fördergebiete von Brüsselenehmigt bekommen. Nicht einmal mit der Klage, Herrollege Müller, die wir gemeinsam vorgeschlagen undngestrebt haben, sind wir durchgekommen. Die europä-sche Strukturpolitik wird also nur dann Erfolg haben,enn auch größere nationale Spielräume eine Chanceaben. Das müssen wir in diesen Wochen und Monatenrkämpfen, insbesondere im Hinblick auf die Verab-chiedung einer europäischen Verfassung.
Leider Gottes – ich sage dies sehr klar und deutlich – ist dem jetzigen Entwurf, soweit er uns vorliegt, im Grundeenommen nur eine Festschreibung der bisherigen
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4096 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 48. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juni 2003
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Klaus HofbauerVerträge enthalten. Wir müssen uns also verstärkt Gedan-ken darüber machen, was wir in Bezug auf die Struktur-politik in die europäische Verfassung einbringen wer-den. Ich bin der festen Überzeugung und unterstreichedies: Wir brauchen auch in Zukunft eine europäischeStrukturpolitik.Ich komme zu ein paar Anmerkungen zur GA undinsbesondere zur Unterrichtung durch die Bundesregie-rung. Der zweiunddreißigste Rahmenplan zeigt auf, dassdiese GA auch in den letzten Jahren erfolgreiche An-sätze verzeichnete. Aber es gibt natürlich auch Pro-bleme, Herr Staatssekretär, zu denen Sie nichts gesagthaben. Die finanzielle Ausstattung der GA ist selbst-verständlich nicht befriedigend. In Bezug auf die Grenz-regionen können Sie zwar sagen, dass alle bis auf zweiLandkreise über die GA „Verbesserung der regionalenWirtschaftsstruktur“ gefördert werden. Es steht jedochfest, dass wir zum Beispiel die Höchstsätze nicht aus-schöpfen können, weil die finanziellen Voraussetzungendafür fehlen. Wir müssen uns also insbesondere hinsicht-lich der nächsten Jahre hierüber Gedanken machen.Meine sehr geehrten Damen und Herren, erlauben Siemir, noch ein paar Sätze zu den Grenzregionen zu sa-gen. Herr Kollege Müller, auch Sie haben die Idee vonsich gewiesen, Grenzregionen zu fördern. Wir werdenhier durch den Herrn Bundeskanzler beschützt. Er hat inWeiden etwas gesagt, das ich mit Genehmigung desHerrn Präsidenten wörtlich zitieren darf. Ich habe dieRede sogar dabei. Das ist die einzige Rede eines SPD-Mannes, die ich ständig bei mir trage.
– Ich habe einige dabei, aber von der SPD nur diese vomHerrn Bundeskanzler in Weiden. – BundeskanzlerSchröder hat dort „ein vernünftiges, auch materiell un-terlegtes Programm der Förderung der Grenzregionen“versprochen. Ich stelle hier ganz bescheiden fest, dassdies eines der vielen Versprechen von Herrn Schröderist, die er nicht gehalten hat.
Dies müssten wir einfordern, aber nicht nur deshalb,Herr Staatssekretär, weil es der Herr Bundeskanzler ver-sprochen hat. Ich bitte auch die besondere Situation inden Grenzregionen zu berücksichtigen. Das Lohngefälle,das Wirtschaftsgefälle und das Strukturgefälle sind we-der anderswo in Europa noch weltweit so rapide wiezwischen den Grenzregionen und den angrenzenden Bei-trittsländern. Hinzu kommt natürlich ein gewaltiges För-dergefälle. Darin besteht unser Problem. Deswegen bitteich, diesen Gedanken nicht von sich zu weisen.Meine sehr geehrten Damen und Herren, erlauben Siemir noch eine Schlussbemerkung. Wir sollten diesen An-trag, über dessen einen oder anderen Punkt sicherlichDiskussionsbedarf besteht, beraten. Hinsichtlich desThemenbereiches Strukturpolitik sind wir bereit, einegemeinsame Strategie zu entwickeln – im Hinblick aufEuropa und im Hinblick auf die nationale Entwicklungund die Osterweiterung. Wir sollten jetzt Konzepte vor-legen, weil in Europa die Weichen gestellt werden unddbDasdoSdAkMuDgBufrSl–Z
Ob es gerecht zugeht, darüber kann man grübeln undücher schreiben. Wir als Politiker sollen nach Sehennd Beurteilen handeln. Zu den wichtigsten Leitbegrif-en beim Handeln gehört in der Tat Gerechtigkeit. „Ge-echtigkeit“ war auch bei der Rede von Gerhardchröder als SPD-Vorsitzendem zum 140-jährigen Jubi-äum der SPD ein häufig gebrauchtes Wort.
Es ist ausreichend berichtet worden. – Ich darf einigeitate bringen:
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Martin HohmannFreiheit, Solidarität, Gerechtigkeit – diese Grund-werte von damals sind unsere Werte von heute. Da-ran wird sich nichts ändern.Oder:Freiheit, Solidarität, Gerechtigkeit – das sind füruns keine statischen Begriffe. Alle drei sind Voraus-setzung für einander und stehen in Beziehung zu-einander.Oder:Wir sagen: Ohne Gerechtigkeit gibt es keine Frei-heit und ohne Freiheit keine Solidarität.Ich komme zu den Grünen. Fast zur gleichen Zeit, imMai 2003, fasste der Parteirat von Bündnis 90/Die Grü-nen einen Beschluss für die Bundesdelegiertenkonferenzin Cottbus. Auch darin war die Gerechtigkeit ein häufi-ger Gast. Sie trat als einfache Gerechtigkeit, als Ge-schlechtergerechtigkeit und als internationale Gerechtig-keit auf.
Weil Rot und Grün die Gerechtigkeit so herausstellen,schöpfen wir Hoffnung. Wir haben neue Zuversicht, mitunserem Antrag zur Entschädigung deutscher Zwangsar-beiter gemeinsam voranzukommen. Denn Gerechtigkeitverlangt im Kern: gleiches Leid, gleiche Entschädigung.Menschenrechte sind unteilbar.
Was wollen wir mit unserem Antrag erreichen? –Gerechtigkeit. Im Einzelnen möchten wir die Bundesre-gierung auffordern, „einen Gesetzentwurf zu erarbeitenund … vorzulegen, der eine humanitäre Geste für Perso-nen vorsieht, die als Zivilpersonen aufgrund ihrer deut-schen Staats- oder Volkszugehörigkeit durch fremdeStaatsgewalt während des Zweiten Weltkrieges und da-nach“ Zwangsarbeit leisten mussten. Wir bitten für diedeutschen Opfer von Zwangsarbeit um „eine Einmalzah-lung, vergleichbar der für die NS-Zwangsarbeiter ge-schaffenen Regelung“. Wir ersuchen die Bundesregie-rung, „die Anzahl der nach einem solchen GesetzAntragsberechtigten zu ermitteln“, einen entsprechendenGesetzentwurf zu erstellen und die finanzielle Ausstat-tung des Fonds zu regeln.Bei alledem ist zu bedenken, dass die Opfer vonZwangsarbeit sich in einem sehr fortgeschrittenen Alterbefinden. Die Zeit drängt. Eine schnelle Regelung ist nö-tig.Um eine Regelung auch für deutsche Zwangsarbeiterbemüht sich die Union im Bundestag seit Schaffung derNS-Zwangsarbeiter-Stiftung „Erinnerung, Verantwor-tung und Zukunft“. Im Einzelnen sind hier Fragen undInitiativen von verschiedenen Unionsabgeordneten zunennen. Bisher haben wir von Ihnen leider nur abschlä-gige Antworten erhalten. Dennoch resignieren wir nicht.Wir haben einen langen Atem. Wir kämpfen für eine ge-rechte Sache und wir wissen, dass wir heute in einer an-deren Situation sind.skVsgvBtlndsgnapSB–DggdnGStBMauizvebdd
o waren noch im Mai 1990 Claudia Roth und Angelikaeer als Demonstrantinnen hinter einem Transparent
hören Sie bitte zu – mit der Aufschrift „Nie wiedereutschland!“ zu finden. Das hat sie nicht gehindert, zurleichen Zeit als Abgeordnete des Deutschen Bundesta-es
as nicht unbeträchtliche Bundestagssalär zu beziehen.
Gerade bei den Grünen – heute: Bündnis 90/Die Grü-en – wurde lange ein lieb gewordenes Bild gepflegt: dieleichsetzung der Vertriebenen mit dem äußerst rechtenpektrum der Politik, mit Revanchisten und Chauvinis-en. Zwar hat es vereinzelte schrille Stimmen aus demereich der Vertriebenen gegeben. Mit übergroßerehrheit gehörten die Vertriebenen jedoch von Anfangn zu dem wertvollen und tatkräftigen Aufbaupotenzialnseres demokratischen Staates. Nicht zu vergessen istnsbesondere die Charta der Vertriebenen. Mit ihr ver-ichteten die Vetrieben bereits im April 1950 auf Re-anche und Gewalt und verpflichteten sich, am Aufbauines friedlichen Europas mitzuwirken.Die Grünen sollten daher ihr fortwirkendes Negativ-ild und ihr altes Feindbild ablegen. Erst recht muss miter Unterstellung Schluss sein, dass, wer an das Elender Vertreibung erinnere, den Holocaust verharmlose.
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4098 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 48. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juni 2003
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Martin HohmannNeue Hoffnung gibt hier – ich sage viel Gutes über ihn – In-nenminister Otto Schily. Er hat sich, das sei dankbar an-gemerkt, mehrfach mit Offenheit und Sensibilität demSchicksal unserer Vertriebenen zugewandt.Meine Damen und Herren, wenn ich zuvor gesagthabe, wir seien heute in einer neuen Situation, so beziehtsich das auf eine neue öffentliche Wahrnehmung desVertreibungsschicksals. Lassen Sie mich stellvertre-tend drei Namen nennen: Professor Dr. Guido Knopp istes gelungen, besonders mit seinen Fernsehbeiträgen zurdeutschen Zeitgeschichte, neues Interesse für die Zeitdes Zweiten Weltkrieges, seine Täter und seine Opfer zuwecken. Dr. Jörg Friedrich hat mit seinem Buch „DerBrand“ erstmals die Perspektive der mehr als 600 000 zi-vilen Opfer des Bombenkrieges in den Mittelpunkt ge-rückt. Schließlich hat die Novelle „Im Krebsgang“ desLiteraturnobelpreisträgers Günter Grass den Untergangdes Flüchtlingsschiffes „Wilhelm Gustloff“ thematisiert.Damit lebten die deutschen Schicksale aus der Schre-ckenszeit des ausgehenden Krieges wieder auf. Vielenwurde klar, dass ein Verschleppungsschicksal jeden tref-fen konnte, der sich im sowjetischen Machtbereich auf-hielt. Um die Sollzahlen an Arbeitssklaven für die Lagerdes Gulag zu erfüllen, wurde der 12-jährige Junge ausBreslau ebenso eingefangen wie die 17-jährige Ober-schülerin aus der S-Bahn in Berlin-Mahlsdorf.Diese neue Betroffenheit ist messbar. Sie ist demo-skopisch erfasst worden. Vor zwei Monaten hat dasEmnid-Institut auf die Frage, ob auch deutsche Zivilis-ten, die Zwangsarbeit leisten mussten, eine Entschädi-gung oder eine Geste der Wiedergutmachung erhaltensollten, eine Zustimmung von 80 Prozent registriert. Inden östlichen Bundesländern lag die Zustimmung für dasAnliegen unseres Antrages sogar bei fast 90 Prozent.
Heute fragen insbesondere junge Menschen nachFlucht, Vertreibung und Verschleppung. Sie wollen dieganze Wahrheit wissen. Diese Wahrheit ist entsetzlich.Wahrheit ist: Es hat rund zwei Millionen deutscheZwangsarbeiter gegeben. Wahrheit ist: Rund die Hälftevon ihnen hat nicht überlebt. Wahrheit ist: Besondersviele Frauen und nicht wenige Kinder wurden Opfer derZwangsarbeit. Wahrheit ist: Die meisten von diesenFrauen waren sexuelles Freiwild für die enthemmte auf-gehetzte Soldateska.Entwürdigung und Demütigung waren neben Hungerund Kälte Schicksal dieser Frauen. Ich zitiere aus demBuch von Freya Klier „Verschleppt ans Ende der Welt“:… und wenn das nicht schnell genug ging mit demHacken, dann wurde zur Abschreckung mal eine er-schossen … Und zwischenrein wurden immer wie-der Frauen zum Vergewaltigen weggezerrt … DasErschütterndste aber, so erzählte mir meine Muttermal, als ich erwachsen war, das waren die Frauen-leichen, die man so übel zugerichtet hatte … EineFrau, die hatte gerade entbunden, da lag das Neuge-borene daneben und der Frau – sie war schon steifgefroren – steckte ein Stock in der Scheide … DerDkdlgkkbsSkmgPWazrnPtWduEMpgdssZgZngDgeSgaadA
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Ich glaube, deswegen ist es sinnvoll, zu Beginn einersolchen Debatte noch einmal in Erinnerung zu rufen,was in den Jahrzehnten seit Gründung der Bundesrepu-blik durch den Gesetzgeber auf den Weg gebracht undverwirklicht worden ist, um auch deutschen Opfern derEreignisse des Zweiten Weltkrieges ein Stück Gerechtig-keit und Anerkennung zuteil werden zu lassen, insbeson-dere wenn es sich um Opfer handelt, die ein besondersschweres Schicksal zu tragen hatten.In diesem Zusammenhang ist an das Kriegsgefange-nenentschädigungsgesetz, aber auch an das Häftlingshil-fegesetz zu erinnern, das ja immer noch gilt. Die entspre-chende Stiftung bewilligt insbesondere bei sozialenNotlagen auch heute noch Zuwendungen für Menschen,die aus politischen Gründen interniert und als deutscheStaatsbürger seitens anderer Staaten zur Zwangsarbeitherangezogen worden sind.Herr Kollege Hohmann, andererseits war es 50 Jahrelang Konsens im Deutschen Bundestag, dass Verschlep-pung zu dem Zweck, die Betroffenen als Arbeitskräfteeinzusetzen, als allgemeines Kriegsfolgenschicksal be-wertet worden ist. Mit ihrem Antrag „Entschädigungdeutscher Zwangsarbeiter“ fordern CDU und CSU ab-weichend von dieser Bewertung der Heranziehung deut-scher Bürger zur Zwangsarbeit als allgemeines Kriegs-folgenschicksal nun die pauschale Entschädigungfrüherer deutscher Zwangsarbeiter. Es lohnt sich, denAntrag der CDU/CSU einmal näher zu betrachten.Einleitend – Herr Hohmann hat den Bezug auch inseiner Rede gerade hergestellt – wird direkt Bezug aufdie Stiftung „Erinnerung, Verantwortung und Zukunft“genommen, die der Deutsche Bundestag im Sommer2000 zu errichten beschlossen hat. In Ihrem Antrag wei-sen Sie darauf hin, dass durch diese Stiftung insbeson-dere jene früheren Zwangsarbeiter berücksichtigt wer-den sollten, die als Bewohnerinnen und BewohnerOsteuropas aufgrund des späten Falls des Eisernen Vor-hangs zuvor nicht die Möglichkeit hatten, von deutscherSeite eine Entschädigung zu erhalten.Auf dieser Grundlage, also mit dem Hinweis darauf,dass das eine späte Wiedergutmachung an die Opferdeutschen Handelns ist, heißt es dann in dem Antrag derUnion ohne einen sachlichen Zusammenhang aber, dassdies nun auch für frühere deutsche Zwangsarbeiter gel-ten müsse. Daneben sagt die Union in ihrem Antrag, dieBundesregierung solle sich nun an jene ausländischenStaaten bzw. ihre Nachfolgestaaten wenden, die deut-szUSwdSGzfDhWusnngshdaLndtndghFfUdlaghatbafWdK
Kollege Edathy, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
ollegen Marschewski?
Ja, bitte.
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4100 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 48. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juni 2003
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Herr Kollege Edathy, meine erste Frage: Opfer sind
doch Opfer. Ist es nicht gleich, wer sie zu Opfern ge-
macht hat?
Meine zweite Frage: Ist Ihnen bekannt, dass es viele
Opfer gibt, die vom Kriegsgefangenenentschädigungs-
gesetz und auch vom Häftlingshilfegesetz eben nicht er-
fasst worden sind?
Meine dritte Frage: Halten Sie es für richtig, dass,
wenn die betroffenen Menschen zum Kanzleramt gehen,
sie dort von niemandem empfangen werden und ihre Re-
solution beim Pförtner abgeben müssen?
Herr Strobl attestiert mir Überforderung. Diese Auffas-
sung kann ich nicht teilen. Was ich wahrnehme, ist – das
will ich in aller Gelassenheit sagen –, dass die Union
nach 50 Jahren – ich nenne Bundeskanzler Kiesinger als
ein Beispiel – den Konsens darüber aufkündigt, dass
man Leid nicht gegeneinander aufrechnen darf und dass
man sehen muss, wo die Ursachen für Leid liegen.
In diesem Zusammenhang – ich werde sofort auf das
eingehen, was Sie gefragt haben, Herr Marschewski –
will ich doch sagen: Man muss sich einmal vor Augen
halten, dass Sie in Ihrem Antrag unter anderem der Re-
gierung nahe legen, an Russland heranzutreten, ein
Land, in dem als Folge des Zweiten Weltkrieges
21 Millionen Menschen gestorben sind, darunter 7 Milli-
onen Zivilisten, um es aufzufordern, frühere deutsche
Zwangsarbeiter zu entschädigen. Ich will deutlich sagen:
Das wäre eine erbärmliche, beschämende und ge-
schichtslose Haltung, die Sie von der Regierung erwar-
ten.
Ich komme zu Ihren Fragen, Herr Marschewski. Zu
Ihrem letzten Punkt, der Übergabe von Unterschriften
im Bundeskanzleramt, hat es meines Wissens aus der
Unionsfraktion eine schriftliche Frage gegeben. Sie ist
von der Regierung beantwortet worden. Es war wohl so,
dass diese Übergabe nicht angekündigt worden war. Das
heißt, diese Menschen kamen zum Bundeskanzleramt
und haben erwartet, dass der Bundeskanzler sie persön-
lich empfängt. Die Menschen haben aber die Möglich-
keit gehabt, einem Beamten des Bundesgrenzschutzes
ihre Unterschriften zu übergeben.
Ich denke, dies hätte man auch anders vorbereiten
können. So wie ich den Bundeskanzler kenne, hätte es
keine Probleme gegeben, einen Termin zu vereinbaren,
an dem er diese Menschen empfangen hätte. Diesen
Punkt in die Debatte einzuführen finde ich ein bisschen
kleinkariert, Herr Marschewski.
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Herr Kollege Edathy, der Kollege Marschewski
öchte noch einmal nachfragen. Wollen Sie das zulas-
en oder weiterreden?
Ich bin damit einverstanden, wenn Herr Marschewski
och eine Frage stellt – nicht wieder drei.
Herr Kollege Edathy, verstehen Sie, dass ich Sie nicht
erstehe?
Herr Kollege Marschewski, ich gehöre dem Bundes-ag seit 1998 an. Wenn ich nicht falsch informiert bin,ehören Sie dem Bundestag schon einige Jahre längern. Wenn ich ebenfalls nicht falsch informiert bin, hat esor 1998 eine 16-jährige Regierungszeit unter konserva-iver Führung gegeben. Wenn Sie auf die Idee kommen,ass die Bundesregierung, die von Sozialdemokratennd Bündnis 90/Die Grünen gestellt wird, hier ein Ver-äumnis habe, während Sie 16 Jahre lang selber nichtazu in der Lage, nicht willens oder nicht einsichtig wa-en, das zur Sprache zu bringen und zu regeln, was Sieetzt als angebliches Versäumnis kennzeichnen, dannann ich das nur als unglaubwürdig und als Heucheleietrachten.
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Sebastian Edathy
Meine Damen und Herren, ich habe gesagt, Leid kannman nicht gegeneinander aufrechnen; es summiert sich.Zwangsarbeit – auch das habe ich gesagt – ist für jedenBetroffenen ein einschneidendes und schlimmes Ereig-nis. Dies aber schließt nun einmal unterschiedliche Be-wertungen hinsichtlich der Frage staatlicher Reaktionennicht aus.Ich frage Sie, meine Damen und Herren von derUnion: Was eigentlich ändert die Tatsache der Errich-tung der Stiftung „Erinnerung, Verantwortung und Zu-kunft“ daran, dass wir hier immer eine grundsätzlicheÜbereinstimmung gehabt haben, dass das harte Schick-sal der deutschen Bevölkerung als Folge der barbari-schen Politik des Deutschen Reiches zu bewerten ist?Meine Antwort wäre: Das ändert nichts daran. Leider istes so, dass sich bei der Lektüre des Unionsantrages un-vermeidlich der Eindruck aufdrängt, dass dieses Be-kenntnis zu geschichtlicher Verantwortung nunmehrrelativiert werden und die Bewertung historischer Ver-antwortung massiv verändert werden soll. Ansonstenhätte Ihr Antrag zumindest anders begründet werdenmüssen.Unabhängig von der Frage der Kriegsschuld, wie Siees in Ihrem Antrag versuchen, kann man dieses Themanun einmal nicht behandeln. Ich erlaube mir, den Kolle-gen Hohmann zu zitieren. In einer Rede aus demJahre 2001 sagte er mit Blick auf die Stiftung „Erinne-rung, Verantwortung und Zukunft“ – ich glaube, völligzu Recht –, dass Deutschland und die deutsche Wirt-schaft eben nicht aufgrund rechtlicher, sondern aufgrundpolitisch-moralischer Verpflichtung Entschädigung leis-ten.Gleichwohl – das will ich hier zusichern – werden wirim Innenausschuss Gelegenheit haben, Ihren Antrag imDetail sachlich zu beraten. Wir werden dabei allerdingsseitens der SPD darauf achten, dass wir allen Versuchenzur Umdeutung unserer schwierigen Geschichte mitNachdruck entgegentreten.
Herr Kollege Edathy, der Kollege Hohmann möchte
Sie auch noch etwas fragen. Wollen Sie das zulassen
oder nicht?
Ich halte das jetzt nicht für unbedingt erforderlich,
weil ich zum Ende meiner Rede kommen möchte. Aber
Herr Hohmann soll die Gelegenheit haben, als Berichter-
statter der Union hier seine Frage zu stellen.
Herr Kollege Edathy, stimmen Sie mir darin zu, dass
der Sachverhalt doch etwas anders ist? Denn wir müssen
genau sein. In § 3 des Kriegsgefangenenentschädigungs-
gesetzes war geregelt, dass die Entschädigung, die da-
mals bei 1 DM pro Tag Lagerhaft lag, die Freiheitsent-
ziehung und die Arbeitsleistung abdecken sollte. Es war
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rscheint es mir nur recht und billig, das auch für andere
u tun. Stimmen Sie mir darin zu?
Ich stimme Ihnen darin nicht zu, Herr Kollegeohmann. Auch trifft das, was Sie geschildert haben,achlich nicht zu. Ich beschäftige mich zwar nicht täg-ich mit diesem Thema – das muss ich hinzufügen –,ber ich habe mich sehr sorgfältig auf diese Debatte vor-ereitet.Das Kriegsgefangenenentschädigungsgesetz, das zum. Januar 1993 aufgehoben worden ist, ist gerade alsolge der Tatsache zustande gekommen, dass in der Re-el jene ausländische Staaten, die Kriegsgefangene zuchwerer Arbeit eingesetzt haben, diesen keinen nen-enswerten Geldbetrag mit auf ihren Weg zurück in dieundesrepublik gegeben haben.
as war der Grund für das Zustandekommen desriegsgefangenenentschädigungsgesetzes. Darin ist ge-egelt worden, dass je nach Dauer der Haft bis zu2 000 DM als Entschädigung und Hilfe für die Wieder-ingliederung in ein – in Anführungsstrichen – „norma-es“ Leben in Deutschland gewährt werden sollen.Mit dem Gesetz zur Errichtung einer Stiftung „Erin-erung, Verantwortung und Zukunft“ – Sie waren da-als Berichterstatter, haben sich aber am Ende gemein-am mit 30 Abgeordneten der Union nicht dazu in derage gesehen, das Gesetz mit zu verabschieden – habenir die Konsequenz aus dem Fall des Eisernen Vorhangs989/1990 gezogen, indem wir den vielen betroffenenenschen in Osteuropa, denen wir keine direkte und un-ittelbare Hilfe gewähren konnten, eine Anerkennungon Deutschen für in Deutschland erlittenes Leid alspäte Wiedergutmachung zukommen lassen wollten. Da-it hat Deutschland im Sinne der Wahrnehmung vonistorischer Verantwortung Stellung bezogen.Herr Hohmann, ich will an dieser Stelle auf einenunkt zu sprechen kommen, in dem wir als Demokratenemeinsamkeit wahren sollten. Ich meine, wir wärenut beraten, uns darauf zu verständigen. Darauf möchtech zum Schluss meiner Rede zu sprechen kommen.
Meine Mutter ist gebürtige Schwerinerin. Sie ist aufinem Bauernhof groß geworden und hatte drei Brüder,
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4102 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 48. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juni 2003
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Sebastian Edathyeinen jüngeren und zwei ältere. Die beiden älteren Brü-der sind im Krieg gefallen. Der Bauernhof meiner Groß-eltern ist ihnen weggenommen worden. Sie sind zwei,drei Jahre später aus Gram gestorben. Sie hatten den In-halt ihres Lebens verloren.Ich habe mit meinem Onkel, dem jüngeren Brudermeiner Mutter – kein Akademiker, sondern ein einfacherMann; ein Arbeiter, der in einer Fabrik Teile zusammen-geschraubt hat –, sehr oft über dieses Leid meiner Fami-lie mütterlicherseits gesprochen. Er hat immer wiedergesagt: Wir haben schweres Leid erlitten. Er hat aberauch immer wieder gesagt: Die Verantwortung für diesesLeid können wir nicht den Russen zuschieben. Die Ver-antwortung für dieses Leid liegt vielmehr bei uns selbst,beim deutschen Volk, weil wir es zugelassen haben, dassein Verbrecher wie Adolf Hitler nicht nur unser Land,sondern fast die ganze Welt ins Unglück gestürzt hat.Ich glaube, wenn wir uns wieder auf diesen Punkt be-sinnen, Herr Hohmann, dann kommen wir zu einer sach-lich angemessenen Debatte, die frei von Polemik ist.Vielen Dank.
Ich erteile dem Kollegen Max Stadler, FDP-Fraktion,
das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-
ren! Ich möchte gern die Mahnung des Kollegen Edathy
aufgreifen und jede Polemik unterlassen. Herr Kollege
Edathy, wenn Sie aber behaupten, der vorliegende An-
trag der Union komme 50 Jahre zu spät, dann muss ich
Ihnen sagen, dass das nicht ganz richtig ist; denn wir ha-
ben die gesamte Zwangsarbeiterdebatte 50 Jahre zu spät
geführt. Wir sind außerdem nicht wegen des Falls des
Eisernen Vorhangs zu einer Regelung der Entschädigung
von Zwangsarbeitern gekommen. Das war nur ein Teil-
aspekt. Übrigens wollte Ihre Bundesregierung polnische
Zwangsarbeiter davon ausnehmen. Diese wurden – Kol-
lege Beck weiß das sicherlich noch genau – erst nach
Verhandlungen einbezogen.
Es hatte ganz andere Ursachen, dass der Deutsche
Bundestag vor drei Jahren – viel zu spät! – das unsägli-
che Leid, das den Zwangsarbeitern unter den National-
sozialisten angetan wurde, mit einer symbolischen Ent-
schädigungsleistung anerkannt hat. Ich möchte das jetzt
nicht im Detail darstellen. Aber das ist wichtig für den
heutigen Zusammenhang; denn schon in der damaligen
Debatte hatten der Kollege Hohmann und andere Abge-
ordnete in der Tat versucht, im selben Atemzug über die
Frage der Entschädigung deutscher Zwangsarbeiter – das
ist das heutige Thema – zu diskutieren. Das habe ich na-
mens der FDP heftig kritisiert, weil die Gefahr bestand,
dass wir dadurch falsche historische Parallelen gezogen
hätten. Das war nicht angemessen und nicht der richtige
Zeitpunkt.
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Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kol-ege Hohmann, Sie haben versucht – ich habe das eigent-ich auch erwartet –, die Debatte nach altem Muster zuolarisieren. Ich glaube, dass Sie Ihr Ziel nur so errei-hen können. Sie sollten aber aufgrund der Reden, diech zum Beispiel über das Heimkehrergesetz gehaltenabe, die Erfahrung gemacht haben, dass die von Ihneneabsichtigte Polarisierung gerade bei meiner Personicht funktioniert.Sie haben den Grünen pauschal eine nationale Ich-chwäche vorgeworfen. Die Grünen als Gruppe, also die
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Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 48. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Juni 2003 4103
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Silke Stokar von Neufornvielen Menschen, die in dieser Partei sind, haben IhrerMeinung nach eine nationale Ich-Schwäche.Ich möchte versuchen, etwas zu meinem Begriff vonHeimat und zu meinem Begriff von Heimatverbunden-heit sagen. Das war für mich ein wichtiger Grund, Mit-glied der Grünen zu werden, weil nämlich gerade der Er-halt der Umwelt für mich ein Ausdruck tieferHeimatverbundenheit ist. Heimat hat für mich nichts mitIdeologie zu tun, sondern hat für mich etwas mit meinerHeimatinsel Fehmarn, mit der Landschaft und den Men-schen, die mir wichtig sind, zu tun. Es hat aber ebennichts mit einer bestimmten politischen Ausrichtung undder nationalen Identität – Sie versuchen, in diese Debat-ten immer wieder diesen Begriff einzubringen – zu tun.Für mich stellt den wesentlichen Konsens, den wir allehier haben, und zwar Deutsche, Zugezogene, auch meinKollege Josef Winkler, der sich heute in der Zuwande-rungsdebatte geäußert hat und erkennbar indischer Her-kunft ist, unser Grundgesetz dar – das steht für michauch für die Stabilität unserer Nachkriegsdemokratie –,unsere Verfassung, die – das merkt man in den innenpo-litischen Debatten – Ihnen nicht mehr viel wert ist. DieGrundwerte unserer Verfassung beschreiben für michden Konsens, der bindend ist.
Ich denke, dass gerade auch meine Partei – ich möchtehier zum Beispiel an Antje Vollmer erinnern – mit derAufarbeitung der Schuld des Nationalsozialismus über-haupt erst den Boden für diese Debatte bereitet hat. Ichgehöre zu dieser Generation. Die Karriere meines Groß-vaters vom Polizeibeamten zum Major des Reichssicher-heitsdienstes hat mich sehr beeindruckt. Ich habe michmit dieser Biografie aus meiner Familie viele Jahre be-fasst. Ich habe mich auch mit dem Trauma befasst, dasmeine Mutter erlitten hat, als sie die Dresdner Bomben-nächte erleben musste. Versuchen Sie nicht, hier so zutun, als wäre die Definition unserer Geschichte in IhrerPartei gut untergebracht.Meine Partei hat gerade mit der Aufarbeitung derSchuldfrage, die wir gegen unsere Eltern durchsetzenmussten, erst den Boden dafür bereitet, dass wir heute – ichbegrüße das; ich habe das auch in der letzten Debatte ge-sagt – offen über deutsche Opfer reden können. Die Ta-buisierung der deutschen Opfer konnte erst beendet wer-den, nachdem es in der Gesellschaft eine Anerkennungder deutschen Schuld gegeben hatte. Meine Damen undHerren von der CDU/CSU, genau dieses Verhältnis müs-sen wir sehen: Aus der Anerkennung der deutschenSchuld entwickelt sich bei uns im Lande eine freie De-batte auch zu den deutschen Opfern.
Auf dieser Ebene können wir eine Diskussion über Op-fer und Schuld führen.In der Bewertung Ihres Antrags schließe ich michmeinem Kollegen Edathy an. Ich möchte Sie einfach nurum etwas bitten: Lesen Sie doch bitte einmal die RedeIhres ehemaligen Bundeskanzlers Kiesinger nach, die er1966 gehalten hat, als es um die Verlängerung der Fristbhhkwhdin–veednagesAkPHrEdtdnvt
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlagen
uf Drucksache 15/924 an die in der Tagesordnung auf-
eführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit
inverstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überwei-
ung so beschlossen.
Ich rufe nun den Tagesordnungspunkt 16 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Peter
der CDU/CSU
Gedenken an die Opfer des Bombenkriegs im
Zweiten Weltkrieg
– Drucksache 15/986 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Kultur und Medien
Auswärtiger Ausschuss
Innenausschuss
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
ussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Ich höre
einen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Kollegen
eter Gauweiler, CDU/CSU-Fraktion, das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen underren! Diese Debatte geht fast nahtlos von dem vorhe-igen historischen Gesichtspunkt zu einem anderen über.in Kapitel des Koalitionsvertrags dieser Regierung,essen Kanzler der 15. Deutsche Bundestag gewählt hat,rägt die Überschrift „Moderne Gesellschaftspolitik“. Iniesem Kapitel ist der Begriff „Erinnerungskultur“ zwaricht erfunden, aber wieder aufgebracht worden. Damiterbunden stellen sich zwei Fragen. Zum einen: Wieransportiert unsere Kulturnation Erinnerungen? Zum
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Dr. Peter Gauweileranderen: Wie lassen sich diese Erinnerungen kulturellgestalten, pflegen und reflexiv verarbeiten?Wir haben von dem Herrn Kollegen Edathy vorhin zuRecht gehört, dass man Leid nicht aufrechnen soll. Dasist richtig: Man soll Leid weder aufrechnen noch gegen-rechnen.In Deutschland gab es um die Weihnachtszeit einesehr weit gehende Debatte über das Buch eines Mannes,der eher aus Ihrem Lager kommt. Ich meine den linksli-beralen Historiker Jörg Friedrich; sein Buch heißt „DerBrand“. Es beschäftigt sich mit den Bombardierungender deutschen Zivilbevölkerung zwischen 1943 und1945. In einer Stellungnahme zu diesem Buch und derdamit verbundenen Debatte schreibt die „SüddeutscheZeitung“ – auch sie ist einer übertriebenen Distanz zumsozialdemokratischen oder rot-grünen Lager unverdäch-tig – Folgendes – ich halte das für sehr wichtig –:
Ein aufgeklärtes Bewusstsein bedarf keiner halbier-ten Erinnerung. Die Wahrnehmungssperren derNachkriegszeit sind längst aufgehoben. Die eigeneTäterschaft ist weitgehend im historischen Ge-dächtnis der Deutschen verankert.– Das stimmt doch. –Daher kann die Erinnerung an die eigenen Opfergetrost zurückkehren.Wer zuerst fragt, wem die Wahrheit nutzen könnte,anstatt festzustellen, welche Aussage wahr und welchefalsch ist, hat sich selbst um jede Glaubwürdigkeit ge-bracht. Der Betreffende hat sich von der Tatsachenprü-fung schon verabschiedet, bevor diese überhaupt begon-nen hat. Darum geht es.
Die Bundeskulturstiftung – das entspricht ihremuftrag –, zu der sich dieses Haus bekennt, wird in Be-eichen tätig werden, in denen die Kulturkompetenzeneim Bund liegen. Das sind beispielsweise der interna-ionale Kulturaustausch, die Hauptstadtkultur und dierinnerungskultur.Jeder von Ihnen hat in seiner Abgeordnetenpost jedeoche irgendeine Einladung für einen Erinnerungsmar-er der deutschen Geschichte. Ich habe die aus der letztenoche gesammelt. So bereiten wir im Deutschen Histo-ischen Museum – das finde ich großartig – eine Ausstel-ung zur Erinnerung an den Besuch des amerikanischenräsidenten Kennedy vor. Für das Jahr 2004 sind großeusstellungen in Vorbereitung, weil sich dann zum0. Mal die Monate Juni, Juli und August 1914 jährenerden. In dieser Zeit begannen in diesem Hause die De-atten, die den Ersten Weltkrieg vorbereiten sollten.Aber wir dürfen in dieser Erinnerungskultur doch kei-en dunklen Fleck lassen, vor allem nicht in dem Be-eich, der in jeder Familie – ich zitiere Ihren Wahlhelferünter Grass – als „Schauder“ vermerkt ist. Dieser Be-eich darf nicht mit einem Tabu belegt werden. Es istchlimm genug, dass diese Debatte erst so spät und sopät am Abend und in so schwacher Besetzung als letzterunkt im Deutschen Bundestag geführt werden kann.Wir können dieses Thema nicht beiseite tun, weil eser politischen Klasse – möglicherweise sogar querfeld-in – unangenehm ist. Das können wir nicht tun. Demüssten Sie sich gemeinsam widersetzen!
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Ich erteile das Wort der Kollegin Angelika Krüger-
Leißner, SPD-Fraktion.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen undKollegen! Lassen Sie mich eine Bemerkung machen, be-vor ich auf den Antrag zu sprechen komme. HistorischeDebatten im Deutschen Bundestag unterliegen immer ei-ner besonderen Problematik. Die Gefahr, dabei eine be-stimmte Sichtweise auf die Geschichte politisch zu in-strumentalisieren, ist nicht gering. Besonders groß ist dieGefahr dann, wenn es um die Auseinandersetzung mitdem Nationalsozialismus und – daraus resultierend – dieFrage nach dem Selbstverständnis der Deutschen geht.Ich denke aber, Sensibilität und Vorsicht sind vor al-lem dann nötig, wenn es um die Opfer geht. Hier ist einesachliche Sicht geboten, die weder die Trauer verbietetnoch eine Positionierung der Deutschen in der Opfer-rolle ermöglicht und dabei das Leid der anderen verges-sen lässt.Die Deutschen als Opfer im Zweiten Weltkrieg sindin den letzten Jahren zunehmend ins Blickfeld geraten.Zunächst hat dieser Umstand die Vertriebenen betroffen.Ein wichtiger Auslöser – das hat Herr Gauweiler geradeerwähnt – war die Novelle „Im Krebsgang“ von GünterGrass. Ich habe diese Auseinandersetzung mit der Ver-treibung und dem Elend, das sie bedeutete, für sehrwichtig gehalten. Auch sie ist ein Teil der deutschen Ge-schichte, ein Teil der Geschichte des Nationalsozialis-mus und des Leids, das diese Diktatur brachte.Aus diesem Gedächtnis heraus ist die Ablehnung desKrieges in Deutschland stärker als in vielen anderenLändern. Das haben wir erst kürzlich beim Irakkriegfeststellen können. Die Politik der Bundesregierung hatdiesem Umstand Rechnung getragen.Was für die Vertriebenen gilt, gilt natürlich auch fürdie Opfer der verheerenden Bombenangriffe auf Magde-burg, Dresden, Hamburg und viele andere Städte inDeutschland. Bis zu 600 000 Tote, unzählige Verletzte,zerstörte Städte und Kulturgüter, an all das muss mansich erinnern. All das muss auch Teil der Erinnerungs-kultur sein.Im Grunde ist es das auch immer gewesen. Allerdingsfand die Erinnerung häufig im kleineren Kreis statt.Auch wenn es schon eine Aufarbeitung in der Litera-tur und in der Wissenschaft gab, so hatte diese inDeutschland selten die ganz große Öffentlichkeit.Auch das von Kollegen Herrn Gauweiler erwähnteBuch „Der Brand“ von Jörg Friedrich hat in letzter Zeitsicherlich einen neuen Anstoß gegeben, diese Diskus-sion wieder zu entfachen. Ich persönlich kann nicht sa-gen, dass mir das Buch von Friedrich in jeder Hinsichtzusagt. Ich habe immer ein Problem, wenn die Spracheeinen Vergleich mit dem Holocaust suggeriert, Luft-schutzbunker zu Krematorien werden und Bombardie-rung selbst zum Vernichtungskrieg wird. Ich sage IhnengsuthcgmCKBddpIPsfSDrnuR–fhnudglrWnkSrg5titeSAuvWu
Dennoch stellt das Buch sicherlich keine Apologiend keinen Revanchismus dar. Dafür bürgt auch der Au-or, der zuvor die Verbrechen der Wehrmacht untersuchtatte. Es ist vielmehr ein Anstoß für eine wissenschaftli-he Diskussion, die zu Recht auch in der Öffentlichkeiteführt wird und damit ein wichtiger Teil des Umgangsit der Geschichte ist.Sicherlich war es auch Anstoß für die Kollegen derDU/CSU, diesen Antrag vorzulegen, in dem sie eineonzeption der Bundesregierung fordern, wie aufundesebene in angemessener Form der 60. Jahrestager Zerstörung begangen werden soll. In der Begrün-ung heißt es dazu, es sei sittliche Pflicht der Bundesre-ublik, der Opfer in angemessener Weise zu gedenken.ch muss zugeben, dass ich mit dem Begriff „sittlicheflicht“ einige Probleme habe. Wenn ich ihn richtig ver-tehe, so meinen Sie, es sei unmoralisch, nicht aller Op-er des Zweiten Weltkrieges zu gedenken. Aber erlaubenie mir in diesem Zusammenhang folgende Erwähnung:ie Zerstörung von Dresden, Hamburg und vielen ande-en deutschen Städten war vor allem Resultat des natio-alsozialistischen Regimes in Deutschland
nd sie war Resultat der vorausgegangenen Angriffe aufotterdam und Coventry.Dies muss beim Gedenken bedacht werden. Dannda gebe ich Ihnen Recht – ist es eine Pflicht, alle Op-ergruppen in unsere Erinnerungskultur mit einzubezie-en. Auch wenn die Trauer um die Opfer der Bomben-ächte zumeist eine eher stille ist, so findet sie doch statt,nd das schon seit vielen Jahrzehnten.Dass die wissenschaftliche Diskussion diesen Aspektes Zweiten Weltkrieges mehr ins öffentliche Interesseerückt hat, ist begrüßenswert. Unverständlich ist mir al-erdings Ihre Forderung nach einer Konzeption ausge-echnet zum 60. Jahrestag. Ich fragte mich zunächst:arum? Ich erinnere mich, dass zum 50. Jahrestag, ei-em allgemein doch als wichtiger anerkannten Jubiläum,eine Konzeption gefordert wurde. War das aus Ihrericht damals nicht notwendig oder fanden Sie es nichtichtig, das Ihrer damaligen Bundesregierung anzutra-en?Um einen anderen Vergleich anzubringen: Auch zum0. Jahrestag des 17. Juni 1953 gibt es keine Konzep-on der Bundesregierung. Das ist sicherlich ein mindes-ns ebenso relevantes Datum der deutschen Geschichte.chauen Sie, was sich in diesen Wochen und Monaten anufarbeitung zu diesem Teil der Geschichte getan hatnd noch tun wird.Bei den Gedenkstätten haben wir eine Konzeptionorgelegt, und das zu Recht. Es geschah auch aufunsch der Bundesländer, die um diese Unterstützungnd um die finanzielle Hilfe des Bundes gebeten haben
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Angelika Krüger-Leißnerund die die gesamtgesellschaftliche Aufarbeitung mitder Bundesregierung gemeinsam wahrnehmen wollen.Die Kulturhoheit der Länder wird dabei von uns selbst-verständlich berücksichtigt.Die Konzeption, die Sie mit Ihrem Antrag fordern, istaus meiner Sicht nicht nötig; denn Sie können selbstfeststellen: Gedenken geschieht allerorts auf vielfältigeWeise und tausendfach. Die Vielzahl an historischenAusarbeitungen und die große Menge an Veranstaltun-gen beispielsweise zum 17. Juni zeigen, dass sich dieMenschen ihr Erinnern selber schaffen. Sie haben Ortezum Gedenken und Tage zum Gedenken. Sie können ineiner Vielzahl historischer Ausarbeitungen Fakten undMeinungen über ihre Geschichte nachlesen. Was hier fürden 17. Juni gilt, gilt ebenso für die Bombenangriffe aufDeutschland.Gerade in der Nachkriegszeit fand eine starke Ausei-nandersetzung mit den Opfern statt. Diese Erinnerungs-kultur schließt Vertriebene und Bombenopfer ein. Wirhaben ihr Leid in unser kollektives Gedächtnis mit auf-genommen. Ich erinnere daran: Es gibt einen Tag desGedenkens, den Volkstrauertag, an dem in angemesse-ner Weise aller Opfer des Zweiten Weltkriegs gedachtwird. Das hat auch der damalige BundespräsidentRoman Herzog in seiner Rede zum Gedenktag für dieOpfer des Nationalsozialismus 1996 deutlich hervorge-hoben.Es gibt viele Gedenkorte, die alle zum Gedenken andie Opfer der Bombenkriege geeignet sind. An denwichtigsten möchte ich hier besonders erinnern, nämlichan die Neue Wache in Berlin, in deren Widmungstext esheißt:Wir gedenken der Unschuldigen, die durch Kriegund Folgen des Krieges in der Heimat, die in Ge-fangenschaft und bei der Vertreibung ums Lebengekommen sind.Es gibt viele Veranstaltungen, und das nicht nur zum60. Jahrestag. In Dresden beispielsweise laden jährlichmehrere Initiatoren zum „GeDenken 13. Februar“ ein,dem Tag, an dem die Stadt zerstört wurde. Kirchen undInitiativen sind hier gleichermaßen tätig.Wir haben im Jahr 2005 vieler zu gedenken. Ich haltees für falsch, eine Opfergruppe aus der Vielzahl heraus-zunehmen und eine staatliche Lenkung des Gedenkensanzustreben. Es geschieht so viel in großen wie in klei-nen Städten. Überall ist die Erinnerung an die Zerstörun-gen noch da und vielfach ist im Stadtbild das Leid nochspürbar. Diese Erinnerung müssen wir wach halten. Abereine staatliche Konzeption ist dafür nicht nötig.Ich finde es wichtig, dass sich private Initiativen, Ver-eine, Verbände, Einzelpersonen, Kirchen und vor allenDingen der Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorgedamit befassen und geeignete Formen der Aufarbeitungund des Gedenkens finden. Eine Einmischung der Bun-desregierung über die Unterstützung von Forschung undInitiativen zu diesem Thema hinaus halte ich sogar fürkontraproduktiv.MdcmamrnWKtGOsekugbndvdaaiAndabstfmtFIbicvrtz
Ich erteile Kollegen Hans-Joachim Otto, FDP-Frak-
ion, das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lieberau Kollegin Krüger-Leißner, ich muss gestehen, dasshre Rede, die viele kluge und sensible Worte enthielt,ei mir ein sehr ambivalentes Gefühl ausgelöst hat. Dennh kann auch bei aufmerksamem Zuhören Ihrer Rede nichterstehen, was dagegen einzuwenden ist, dass wir uns da-um bemühen, für Hunderttausende von Opfern – ich be-one: Opfern – eine angemessene Form des Gedenkenu finden. Wir sind uns völlig einig darin, dass ein sol-
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Hans-Joachim Otto
ches Gedenken nicht in Nationalismus abgleiten darf. Esdarf nicht aufgerechnet werden. Es muss auch klar sein,wer Täter und wer Opfer war. Aber wir sprechen hier – umdas ganz klar zu sagen – über Hunderttausende Getötete,vorwiegend Frauen und Kinder.Wir haben in diesem Hause eine bestimmte Form derErinnerungskultur entwickelt, sodass ich es für nichtausreichend empfinde, wenn Sie jetzt sagen: Es gibtdoch schon so viele Initiativen; wir brauchen uns daherdarum nicht mehr zu kümmern; dem kann sich der Deut-sche Bundestag entziehen. – Das sehe ich nicht so.Herr Dr. Gauweiler, der Antrag – wir begrüßen ihn abso-lut – hat einen Mangel, den ich ansprechen möchte – viel-leicht können wir diese Dinge zusammenführen –: Auchich bin wie Frau Kollegin Krüger-Leißner der Meinung,dass das Suchen nach einer angemessenen Form einessolchen Gedenkens nicht primär Aufgabe der Bundesre-gierung sein sollte. Der Bundestag, wir alle, das Parla-ment, ist aufgerufen, eine angemessene Form des Geden-kens zu finden, die objektiv und weder nationalistischnoch revanchistisch ist.Herr Dr. Gauweiler, ich darf Sie daran erinnern:Schon bevor Sie in dieses Haus kamen, haben wir, derBundestag, an einer anderen Stelle, als es um Erinne-rungskultur ging, einen Erfolg erzielt. Damals ging esdarum, ein Holocaust-Mahnmal zu errichten. Wir habendie Suche nach einer angemessenen Form aus der Ver-antwortung der Bundesregierung gelöst und in die Ver-antwortung des Bundestages übertragen. Wir haben frak-tionsübergreifend eine, wie ich finde, gute Lösunggefunden. So etwas schwebt mir auch in Bezug auf IhrenAntrag vor. Wir sollten die Suche nach einer angemesse-nen Form des Gedenkens nicht auf die Bundesregierungabschieben. Wir als Parlament selber haben die Aufgabe,eine Erinnerungskultur zu entwikkeln. Wir können unsdabei vielleicht der Zuarbeit externer Sachverständigerbedienen; ich denke an eine Anhörung und Ähnliches.Frau Krüger-Leißner, ich denke nicht daran, großeDenkmäler zu errichten. Aber eine angemessene Formdes Gedenkens sollten wir erreichen. Dies ist, wenn wirden Opfern gerecht werden wollen, allerdings nur dannzu erreichen, wenn wir das fraktionsübergreifend tun,nicht in parteipolitische Polemik abgleiten und uns nichtwechselseitig unlautere Motive vorwerfen.Wenn wir das schaffen, dann wäre das in der Tat einegroße kulturpolitische Leistung, die dem Bundestag sehrgut zu Gesicht stünde. Ich denke, dass wir alle es – egal wasin den letzten 60 Jahren passiert oder was hinterlassen wor-den ist – den Hunderttausenden Opfern, die in diesenBombennächten ihr Leben haben hergeben müssen,schuldig sind, dass der Bundestag auch dieser Opfer-gruppe gedenkt.Deswegen werden wir Ihrem Antrag in den Aus-schüssen prinzipiell zustimmen. Aber ich möchte an diebeiden großen Fraktionen und vielleicht auch an die derGrünen appellieren, dass wir hier im Parlament eineKonzeption suchen und dies nicht von der Bundesregie-rung verlangen. Wir selber sind aufgerufen, eine ange-messene Form des Gedenkens zu finden.BNhicevBdhidkgDvdSGdtkchvihsicmeswVHsphTBgkbZülb
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir sindier nicht im „Literarischen Quartett“. Insoweit beteiligech mich auch nicht an haarspalterischen Buchbespre-hungen. Ich habe das Buch „Der Brand“ gelesen, weils ein provozierendes und radikales Buch ist. Da ich da-on ausgehe, dass diejenigen, die sich hier zu diesemuch geäußert haben, es ebenfalls gelesen haben, warieser Teil der Debatte für mich durchaus interessant. Ichabe es als ein radikales Antikriegsbuch empfunden; dasst meine Bewertung.Meine Damen und Herren, ich halte es für richtig,ass sich die angemessenen Formen einer Erinnerungs-ultur aus dem Bundestag heraus entwickeln sollen. Dasehört in die Fachausschüsse. Den Wiederaufbau derresdner Frauenkirche – ich habe ihn über die Jahreerfolgt – empfinde ich als die eindrucksvollste Former Erinnerung und Wiedergutmachung, weil diesesymbol der Zerstörung mit großer Unterstützung ausroßbritannien, Frankreich und den USA, also aus Län-ern, die an diesem Krieg beteiligt waren, wiedererrich-et wird. Wenn wir in den Ausschüssen darüber reden,önnen wir uns vielleicht auch einmal Gedanken ma-hen, die über die deutsche Behandlung der Geschichteinausgehen und in denen es darum geht, wie man derielen zivilen Opfer dieser verheerenden Kriege, die esnfolge des deutschen Angriffskriegs in Europa gegebenat, gerade im erweiterten Europa gedenken kann.Ich vertrete stets eine Gedenkkultur von unten, dieich aus Erleben, aus Betroffenheit entwickelt und sichn der Begegnung mit anderen Menschen weiterentwi-kelt. Deswegen bin ich auch sehr stolz darauf, dasseine Heimatstadt Hannover seit vielen Jahren einenge Partnerschaft mit Hiroshima hat. In dieser Partner-chaft war es von Anfang an Tradition, dass nicht nurir Hannoveraner der Opfer von Hiroshima gedachten.ielmehr war es ein gegenseitiges Gedenken. Auchannover ist im Zweiten Weltkrieg fast komplett zer-tört worden. Insbesondere in den großen industriell ge-rägten Stadtgebieten, in denen die Arbeiter wohnten,at es sehr viele Opfer gegeben. Es war schon frühzeitigeil unserer Stadtkultur, dieser Opfer bei gegenseitigenesuchen gemeinsam mit den Opfern in Hiroshima zuedenken. Den Gedanken des internationalen Geden-ens möchte ich in unsere Debatte einbringen.Meine Damen und Herren, auch ich will in dieser De-atte keine Polarisierung. Im Zusammenhang mit dererstörung Dresdens halte ich es für wichtig, die Debatteber Militärstrategien einzubeziehen, die derzeit in Eng-and geführt wird. Für mich lautet das Ergebnis dieser De-atte: Auch wenn ein Verteidigungs- und Befreiungskrieg
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Silke Stokar von Neuforngeführt wird, der moralisch gerechtfertigt ist – indieser Bewertung sind wir uns sicherlich einig; die Befrei-ung vom Faschismus war ohne Frage moralisch gerechtfer-tigt –, kann ein solcher Krieg völkerrechtswidrige Ele-mente enthalten. Gerade aufgrund der Erfahrungen, die inDeutschland, aber auch in London mit der Bombardie-rung ziviler Flächen gemacht wurden, ist es heute nichtmehr möglich, gegen die zivile Bevölkerung in dieserForm Krieg zu führen.Mein letzter Satz: Ich ziehe aus dieser Diskussion, dieich nie für beendet halte, weil der Opfer immer wiederneu gedacht werden muss, die Lehre, dass ein Einsatz füreine europäische Friedenspolitik das Beste ist, was wirfür die Opfer tun können.Danke schön.
Ich erteile dem Kollegen Günter Baumann, CDU/
CSU-Fraktion, das Wort.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Her-
ren! Seit einiger Zeit läuft in den Medien, in der Öffent-
lichkeit der Bundesrepublik eine Debatte über die deut-
sche Erinnerungskultur. In deren Zentrum stehen die
Zerstörungen deutscher Städte im Zweiten Weltkrieg
und die Opfer des Bombenterrors unter der deutschen
Zivilbevölkerung. Verstärkt ist dabei der Ruf zu verneh-
men, die Deutschen mögen sich endlich der Kriegsopfer
aus den eigenen Reihen mehr annehmen, als es bislang
geschehen ist.
Ich frage mich, warum wir diese Problematik gerade
in der heutigen Zeit diskutieren. Ich persönlich glaube
nicht, dass wir unsere eigenen Opfer im Krieg in den
Jahren zuvor mit einem Tabu belegt haben. Jeder von
uns, der nach 1945 geboren ist, kennt Familienschicksale
– wir haben heute von einigen gehört –, jeder hat über
seine eigene Familiengeschichte etliches gehört, weiß
von Opfern und ist mit dem Verlust an Heimat konfron-
tiert worden. Das sind Themen, die unsere gesamte deut-
sche Nation betreffen.
Nein, wir leiden nicht an Gedächtnisverlust. Das zeigt
auch die politische Debatte, wenn es um existenzielle
Fragen von Krieg und Frieden geht. Politiker berufen
sich oft auf die Grundwerte unserer Bundesrepublik,
sei es bewusst oder unbewusst. Zwei davon möchte ich
nennen.
Der erste lautet: „Nie wieder Krieg“. Damit drücken
wir aus, dass wir Deutschen – gerade weil wir auf unse-
rem eigenen Territorium unmittelbar Kriegsopfer
waren – die Schrecken des Krieges so gut kennen, dass
wir die Verhinderung zukünftiger Kriege als Leitprinzip
unserer Identität annehmen wollen, egal welcher politi-
schen Richtung wir angehören.
Der zweite Grundwert lautet: „Nie wieder Dikta-
tur“. Das demokratisch-freiheitliche Leitprinzip unse-
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Ich schließe die Aussprache.Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage aufrucksache 15/986 an die in der Tagesordnung aufge-ührten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damitinverstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überwei-ung so beschlossen.Ich rufe Tagesordnungspunkt 17 auf:
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Präsident Wolfgang ThierseBeratung des Antrags der Abgeordneten KlausBrähmig, Ernst Hinsken, Edeltraut Töpfer, weite-rer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSUWassertourismus in Deutschland entwickelnund stärken– Drucksache 15/933 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Tourismus
SportausschussAusschuss für Wirtschaft und ArbeitAusschuss für Verkehr, Bau- und WohnungswesenDie Kollegen Annette Faße, Wilhelm Josef Sebastian,Undine Kurth und Ernst Burgbacher haben ihre Rede-beiträge zu Protokoll gegeben.1) Damit kann ich die Aus-sprache schließen.Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage aufDrucksache 15/933 an die in der Tagesordnung aufge-führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damiteinverstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überwei-sung so beschlossen.Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tages-ordnung. Ich berufe die nächste Sitzung des DeutschenBundestages auf morgen, Freitag, den 6. Juni 2003,9 Uhr, ein.Ich wünsche Ihnen allen einen kühlen Abend.Die Sitzung ist geschlossen.