Protokoll:
15021

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Metadaten
  • date_rangeWahlperiode: 15

  • date_rangeSitzungsnummer: 21

  • date_rangeDatum: 29. Januar 2003

  • access_timeStartuhrzeit der Sitzung: 13:00 Uhr

  • av_timerEnduhrzeit der Sitzung: 17:07 Uhr

  • account_circleMdBs dieser Rede
  • tocInhaltsverzeichnis
    Tagesordnungspunkt 1: Befragung der Bundesregierung: Jahres- wirtschaftsbericht 2003 . . . . . . . . . . . . . 1613 A Wolfgang Clement, Bundesminister BMWA 1613 B Dr. Gesine Lötzsch fraktionslos . . . . . . . . . . 1614 A Wolfgang Clement, Bundesminister BMWA 1614 B Hans Michelbach CDU/CSU . . . . . . . . . . . . 1614 B Wolfgang Clement, Bundesminister BMWA 1614 C Dirk Niebel FDP . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1614 D Wolfgang Clement, Bundesminister BMWA 1615 A Hartmut Schauerte CDU/CSU . . . . . . . . . . . 1615 B Wolfgang Clement, Bundesminister BMWA 1615 C Dagmar Wöhrl CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . 1615 D Wolfgang Clement, Bundesminister BMWA 1616 A Gudrun Kopp FDP . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1616 B Wolfgang Clement, Bundesminister BMWA 1616 B Karl-Josef Laumann CDU/CSU . . . . . . . . . . 1616 C Wolfgang Clement, Bundesminister BMWA 1616 C Dr. Joachim Pfeiffer CDU/CSU . . . . . . . . . . 1616 D Wolfgang Clement, Bundesminister BMWA 1617 A Johannes Singhammer CDU/CSU . . . . . . . . 1617 B Wolfgang Clement, Bundesminister BMWA 1617 C Hans Michelbach CDU/CSU . . . . . . . . . . . . 1618 A Wolfgang Clement, Bundesminister BMWA 1618 B Dr. Joachim Pfeiffer CDU/CSU . . . . . . . . . . 1618 B Wolfgang Clement, Bundesminister BMWA 1618 C Veronika Bellmann CDU/CSU . . . . . . . . . . . 1618 D Wolfgang Clement, Bundesminister BMWA 1619 A Dr. Gesine Lötzsch fraktionslos . . . . . . . . . . 1619 C Wolfgang Clement, Bundesminister BMWA 1619 C Dagmar Wöhrl CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . 1619 D Wolfgang Clement, Bundesminister BMWA 1620 A Tagesordnungspunkt 2: Fragestunde (Drucksache 15/344) . . . . . . . . . . . . . . . . . 1620 C Indizierungen rechtsextremer, fremdenfeind- licher und antisemitischer Schriften, Bücher, CDs, Filme und Tonträger im Jahr 2002 MdlAnfr 1 Petra Pau fraktionslos Antw PStSekr’in Marieluise Beck BMFSFJ 1620 C ZusFr Petra Pau fraktionslos . . . . . . . . . . . . . 1620 D Verrentung als hauptsächlicher Grund für die Reduzierung der Arbeitslosigkeit schwerbehin- derter Menschen im Alter von 55 Jahren und älter in der Zeit von 1999 bis 2002; Stand der Arbeitslosigkeit bei Schwerbehinderten unter 55 Jahren MdlAnfr 2 Dr. Gesine Lötzsch fraktionslos Antw PStSekr Franz Thönnes BMGS . . . . . . . 1621 B ZusFr Dr. Gesine Lötzsch fraktionslos . . . . . 1621 C Erfassung neu geschaffener Arbeitsplätze für Schwerbehinderte; Nichtberücksichtigung von Frühverrentungen bei der Arbeitslosenstatistik MdlAnfr 3 Dr. Gesine Lötzsch fraktionslos Antw PStSekr Franz Thönnes BMGS . . . . . . . 1622 A Plenarprotokoll 15/21 Deutscher Bundestag Stenografischer Bericht 21. Sitzung Berlin, Mittwoch, den 29. Januar 2003 I n h a l t : Mittelabfluss für Inno-Regio-Programme in den neuen Ländern seit Beginn MdlAnfr 4 Michael Kretschmer CDU/CSU Antw PStSekr Christoph Matschie BMBF . . . 1622 C ZusFr Michael Kretschmer CDU/CSU . . . . . 1622 D Kontrollen des Personen- und Warenverkehrs an der deutsch-polnischen und der deutsch- tschechischen Grenze nach der EU-Osterwei- terung MdlAnfr 5 Günter Baumann CDU/CSU Antw StM Hans Martin Bury AA . . . . . . . . . . 1623 B ZusFr Günter Baumann CDU/CSU . . . . . . . 1623 C ZusFr Dr. Klaus Rose CDU/CSU . . . . . . . . . 1624 A ZusFr Michael Kretschmer CDU/CSU . . . . . 1624 B ZusFr Dirk Niebel FDP . . . . . . . . . . . . . . . . . 1624 C Neuorganisation des Deutschen Musikrates MdlAnfr 11 Andreas Scheuer CDU/CSU Antw StM’in Dr. Christina Weiss BK . . . . . . . 1625 A ZusFr Andreas Scheuer CDU/CSU . . . . . . . . 1625 A Stellenwert der Kontroll- und Prüfgremien bei der Neuorganisation des Deutschen Musikrates MdlAnfr 12 Andreas Scheuer CDU/CSU Antw StM’in Dr. Christina Weiss BK . . . . . . . 1625 C ZusFr Andreas Scheuer CDU/CSU . . . . . . . . 1625 C Verleihung der Medaille „Fluthilfe 2002“ nur an Feuerwehrleute, die mit Bundeswehr und THW zusammengearbeitet haben MdlAnfr 13 Dr. Klaus Rose CDU/CSU Antw PStSekr Fritz Rudolf Körper BMI . . . . . 1626 A Unterschiedliche Behandlung von Feuerwehr- leuten nach ihrem Einsatz bei der Flutkata- strophe 2002 MdlAnfr 14 Dr. Klaus Rose CDU/CSU Antw PStSekr Fritz Rudolf Körper BMI . . . . . 1626 B ZusFr Dr. Klaus Rose CDU/CSU . . . . . . . . . 1626 B ZusFr Andreas Scheuer CDU/CSU . . . . . . . . 1627 A Unterschiede in der Zahl der an die DNA- Analyse-Datei gemeldeten Datensätze MdlAnfr 15 Clemens Binninger CDU/CSU Antw PStSekr Fritz Rudolf Körper BMI . . . . . 1627 B ZusFr Clemens Binninger CDU/CSU . . . . . . 1627 C ZusFr Hartmut Koschyk CDU/CSU . . . . . . . 1628 A ZusFr Gunther Krichbaum CDU/CSU . . . . . 1628 B Ausdehnung des Gentests auf alle Straftäter mit erkennungsdienstlicher Behandlung; Speiche- rung des genetischen Fingerabdrucks von erst- maligen Sexualstraftätern MdlAnfr 20, 21 Hartmut Koschyk CDU/CSU Antw PStSekr Alfred Hartenbach BMJ . . . 1628 C, D ZusFr Hartmut Koschyk CDU/CSU 1628 D, 1629 D ZusFr Clemens Binninger CDU/CSU . . . . . . 1631 C ZusFr Jörg van Essen FDP . . . . . . . . . . . . . . 1632 A ZusFr Eckart von Klaeden CDU/CSU . . . . . 1632 B Rechtskonforme Ausgestaltung der durch die EU-Kommission kritisierten Schiffbaubürg- schaften norddeutscher Länder MdlAnfr 24 Wolfgang Börnsen (Bönstrup) CDU/CSU Antw PStSekr Karl Diller BMF . . . . . . . . . . . 1633 A ZusFr Wolfgang Börnsen (Bönstrup) CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1633 C Eingliederungsvereinbarungen seit Einführung des Job-AQTIV-Gesetzes MdlAnfr 25 Dirk Niebel FDP Antw PStSekr Gerd Andres BMWA . . . . . . . . 1634 A ZusFr Dirk Niebel FDP . . . . . . . . . . . . . . . . . 1634 A Erfolgsrate bei Vermittlungsgutscheinen; ge- zahlte Erfolgshonorare MdlAnfr 26 Dirk Niebel FDP Antw PStSekr Gerd Andres BMWA . . . . . . . . 1634 C ZusFr Dirk Niebel FDP . . . . . . . . . . . . . . . . . 1634 D Verwendungszweck des in Genua gefundenen und aus einer deutschen BASF-Fabrik stam- menden Morpholins; Ausfuhrbestimmungen gemäß Chemiewaffenübereinkommen MdlAnfr 27, 28 Erich G. Fritz CDU/CSU Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 21. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 29. Januar 2003II Antw PStSekr Gerd Andres BMWA . . . . . 1635 A, B ZusFr Erich G. Fritz CDU/CSU . . . . . . . . . . 1635 C Erfolge der Bundesmarine am Horn von Afrika bei der Bekämpfung des internationalen Terro- rismus MdlAnfr 33 Petra Pau fraktionslos Antw PStSekr Hans Georg Wagner BMVg 1636 B ZusFr Petra Pau fraktionslos . . . . . . . . . . . . . 1636 D ZusFr Dirk Niebel FDP . . . . . . . . . . . . . . . . . 1637 A Maßnahmen zur Durchsetzung der Verein- barkeit von Familie und Beruf bei den Streit- kräften MdlAnfr 34 Ina Lenke FDP Antw PStSekr Hans Georg Wagner BMVg 1637 B ZusFr Ina Lenke FDP . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1637 D Maßnahmen zur vollständigen beruflichen Gleichstellung von Frauen in der Bundeswehr MdlAnfr 35 Ina Lenke FDP Antw PStSekr Hans Georg Wagner BMVg 1638 A ZusFr Ina Lenke FDP . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1638 C Zusatztagesordnungspunkt 1: Aktuelle Stunde auf Verlangen der Frak- tion der CDU/CSU: Haltung der Bundes- regierung zu den Auswirkungen ihrer Steuerpolitik auf die kommunalen Fi- nanzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1638 D Peter Götz CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1639 A Florian Pronold SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1639 D Hans-Michael Goldmann FDP . . . . . . . . . . . 1640 D Kerstin Andreae BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1642 B Otto Bernhardt CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . 1643 C Dieter Grasedieck SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . 1644 C Hans Michelbach CDU/CSU . . . . . . . . . . . . 1645 C Christine Scheel BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1646 C Manfred Kolbe CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . 1647 C Bernd Scheelen SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1648 D Klaus-Peter Flosbach CDU/CSU . . . . . . . . . 1650 C Simone Violka SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1652 A Jochen-Konrad Fromme CDU/CSU . . . . . . . 1653 B Dr. Barbara Hendricks, Parl. Staatssekretärin BMF . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1654 D Dr. Gesine Lötzsch fraktionslos . . . . . . . . . . 1656 D Nächste Sitzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1657 D Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten . . . . . 1659 A Anlage 2 Sonderprogramme zur Verbesserung der Ver- kehrsinfrastruktur zwischen Deutschland und den EU-Beitrittsländern Polen und Tsche- chien MdlAnfr 6 Günter Baumann CDU/CSU Antw PStSekr’in Iris Gleicke BMVBW . . . . 1659 C Anlage 3 Baubeginn für die Abschnitte 8.1 und 8.2 des Verkehrsprojektes „Deutsche Einheit“: Schie- nenhochgeschwindigkeitsstrecke Berlin–Halle/ Leipzig–Nürnberg MdlAnfr 7 Cornelia Pieper FDP Antw PStSekr’in Iris Gleicke BMVBW . . . . 1659 D Anlage 4 Verzicht der Deutschen Bahn AG auf die Ein- richtung eines fahrzeuggebundenen Lifts für behinderte Menschen bei der Bestellung von ICE-3-Zügen MdlAnfr 8, 9 Daniel Bahr (Münster) FDP Antw PStSekr’in Iris Gleicke BMVBW . . . . 1660 A Anlage 5 Öffentlichkeitsarbeit der Bundesregierung im Dezember 2002 und Januar 2003 für ihre Re- formpolitik im Hinblick auf das Fehlen eines rechtskräftigen Haushaltes 2003 und auf die bevorstehenden Landtagswahlen in Hessen und Niedersachsen MdlAnfr 10 Dietrich Austermann CDU/CSU Antw StSekr Béla Anda BK . . . . . . . . . . . . . . 1660 B Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 21. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 29. Januar 2003 III Anlage 6 Auswirkungen des Tarifabschlusses für die Ar- beiter und Angestellten im öffentlichen Dienst und bei Übertragung auf die Beamten; Über- schüsse per Saldo Lohnkosten zu Steuerein- nahmen MdlAnfr 17, 18 Jochen-Konrad Fromme CDU/CSU Antw PStSekr Fritz Rudolf Körper BMI . . . . . 1660 D Anlage 7 Kosten für die von der Bundesregierung seit 1998 eingesetzten Kommissionen MdlAnfr 18 Martin Hohmann CDU/CSU Antw PStSekr Fritz Rudolf Körper BMI . . . . . 1661 B Anlage 8 Zahl der durch Härteleistungen entschädigten Opfer von Rechtsextremisten, Zahl der Fälle bei entsprechender Mittelbereitstellung für Opfer von Linksextremisten MdlAnfr 19 Martin Hohmann CDU/CSU Antw PStSekr Alfred Hartenbach BMJ . . . . . . 1661 C Anlage 9 Fortführung der EU-Strukturförderung nach 2006 in den bisherigen Ziel-2-Gebieten – Indus- trieregionen mit Strukturproblemen – Berück- sichtigung der Grenzlage zum EU-Beitritts- gebiet, insbesondere zu Tschechien MdlAnfr 22, 23 Dr. Hans-Peter Friedrich (Hof) CDU/CSU Antw PStSekr Karl Diller BMF . . . . . . . . . . . 1661 D Anlage 10 Sollstärke für Kasernen in Sachsen-Anhalt ab 2003 MdlAnfr 29 Dr. Hans-Peter Friedrich (Hof) CDU/CSU Antw PStSekr Hans Georg Wagner BMVg . . . 1662 B Anlage 11 Billigung des Einsatzes deutscher Soldaten so- wie von Fuchs-Spürpanzern in Kuwait durch den Deutschen Bundestag im Falle eines Krie- ges gegen den Irak; Zustimmung des Deut- schen Bundestages zum Einsatz von AWACS- Aufklärungsflugzeugen über Konfliktgebieten oder angrenzenden Regionen MdlAnfr 30, 31 Jürgen Koppelin FDP Antw PStSekr Hans Georg Wagner BMVg . . . 1662 C Anlage 12 Rechtsgrundlage des Einsatzes von Bundes- wehrsoldaten zum Schutz und zur Bewachung von Kasernen der US-Streitkräfte in Deutsch- land MdlAnfr 32 Günther Friedrich Nolting FDP Antw PStSekr Hans Georg Wagner BMVg . . . 1662 D Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 21. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 29. Januar 2003IV (A) (B) (C) (D) Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 21. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 29. Januar 2003 1613 21. Sitzung Berlin, Mittwoch, den 29. Januar 2003 Beginn: 13.00 Uhr
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    Dr. Gesine Lötzsch Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 21. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 29. Januar 2003 1659 (C) (D) (A) (B) Bindig, Rudolf SPD 29.01.2003* Burchardt, Ulla SPD 29.01.2003 Deittert, Hubert CDU/CSU 29.01.2003* Eymer (Lübeck), Anke CDU/CSU 29.01.2003* Haack (Extertal), Karl SPD 29.01.2003* Hermann Hoffmann (Chemnitz), SPD 29.01.2003* Jelena Hörster, Joachim CDU/CSU 29.01.2003 Jäger, Renate SPD 29.01.2003* Jonas, Klaus Werner SPD 29.01.2003* Leibrecht, Harald FDP 29.01.2003* Letzgus, Peter CDU/CSU 29.01.2003* Lintner, Eduard CDU/CSU 29.01.2003* Dr. Lucyga, Christine SPD 29.01.2003* Möllemann, Jürgen W. FDP 29.01.2003 Müller (Düsseldorf), SPD 29.01.2003 Michael Rauber, Helmut CDU/CSU 29.01.2003* Rauen, Peter CDU/CSU 29.01.2003 Riester, Walter SPD 29.01.2003* Robbe, Reinhold SPD 29.01.2003 Schlauch, Rezzo BÜNDNIS 90/ 29.01.2003 DIE GRÜNEN Schröter, Gisela SPD 29.01.2003 Simm, Erika SPD 29.01.2003 Dr. Thomae, Dieter FDP 29.01.2003 Tritz, Marianne BÜNDNIS 90/ 29.01.2003* DIE GRÜNEN Volquartz, Angelika CDU/CSU 29.01.2003 Wegener, Hedi SPD 29.01.2003* Wicklein, Andrea SPD 29.01.2003 Dr. Wodarg, Wolfgang SPD 29.01.2003* * für die Teilnahme an den Sitzungen der Parlamentarischen Ver- sammlung des Europarates entschuldigt bis Abgeordnete(r) einschließlich Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Anlagen zum Stenografischen Bericht Anlage 2 Antwort der Parl. Staatssekretärin Iris Gleicke auf die Frage des Abgeordneten Günter Baumann (CDU/CSU) (Druck- sache 15/344, Frage 6): Welche Sonderprogramme zur Verbesserung der Verkehrs- infrastruktur zwischen Deutschland und den Beitrittsländern Polen und Tschechien plant die Bundesregierung im Hinblick auf die EU-Osterweiterung am 1. Mai 2004? Der aus der EU-Osterweiterung resultierende Bedarf für den Aus- und Neubau der Verkehrsinfrastruktur wird im Bundesverkehrswegeplan 2003 berücksichtigt. Nach der Verkehrsprognose 2015 wird das Verkehrsauf- kommen zwischen den EU-Beitrittsländern und Deutsch- land im Integrationsszenario um bis zu 90 Prozent im Per- sonenverkehr und um bis zu 275 Prozent im Güterverkehr zunehmen. Diese Zunahme ist – besonders im Güterver- kehr im Vergleich mit den alten EU-Ländern – prozentual überproportional stark. Sie erfolgt jedoch auf einem im Vergleich mit den anderen Ländern geringen Ausgangs- niveau und wurde bei der gesamtwirtschaftlichen Bewer- tung der angemeldeten Projekte berücksichtigt. Eine Grobabschätzung der Kapazitätsauslastung der Verkehrsinfrastruktur zu Tschechien und Polen unter Be- rücksichtigung der bereits begonnenen bzw. beschlos- senen Infrastrukturprojekte ergab maximale Werte von 70 Prozent. Anlage 3 Antwort der Parl. Staatssekretärin Iris Gleicke auf die Frage der Ab- geordneten Cornelia Pieper (FDP) (Drucksache 15/344, Frage 7) Wann ist der Baubeginn für die Abschnitte 8.1 und 8.2 des Ver- kehrsprojektes Deutsche Einheit „Schienenhochgeschwindigkeits- strecke Berlin–Halle/Leipzig–Nürnberg“, und wann verfällt das Baurecht für oben genannte Abschnitte? Bei der Neubaustrecke des VDE 8.1 Erfurt–Ebensfeld wurde im Abschnitt Erfurt–Ilmenau mit den Bauarbeiten schon 1996 begonnen, sodass hier das Baurecht nicht mehr verfallen kann. Für die Abschnitte Ilmenau bis Ebenfeld wurden die Planfeststellungsbeschlüsse verlän- gert. Mit der Aufnahme von Bauarbeiten ist im Laufe die- ses Jahres zu rechnen. Die Planfeststellungsbeschlüsse würden, soweit nicht mit den Bauarbeiten begonnen würde, beginnend im Jahre 2005 bis 2008 – je nach Plan- feststellungsabschnitt – auslaufen. Für die Neubaustrecke VDE 8.2 Leipzig–Erfurt ist der Abschnitt Leipzig–Gröbers teilweise schon in Betrieb bzw. kurz vor der Fertigstellung, sodass auch hier kein Baurecht verfallen kann. Im Abschnitt Gröbers–Erfurt wurde in zwei Planfeststellungsabschnitten mit dem Bau begonnen. Das Baurecht der restlichen Planfeststellungs- abschnitte würde bei Nichtaufnahme der Bauarbeiten ab 2005 sukzessive auslaufen. Da die Entscheidung für die Realisierung des Vorha- bens gefallen ist, besteht die Gefahr des Verfallens des Baurechts nicht. Anlage 4 Antwort der Parl. Staatssekretärin Iris Gleicke auf die Fragen des Abgeordneten Daniel Bahr (Münster) (FDP) (Drucksa- che 15/344, Fragen 8 und 9): Wie bewertet die Bundesregierung die Tatsache, dass die Deutsche Bahn AG (DB AG) bei der Bestellung neuer Züge der Baureihe ICE 3 auf die Einrichtung eines fahrzeuggebundenen Lifts für behinderte Menschen in diesen Zügen auch nach In- Kraft-Treten des Behindertengleichstellungsgesetzes (BGG) ver- zichtet hat und dies, obwohl das BGG die Barrierefreiheit im Eisenbahnverkehr ausdrücklich vorsieht? In welcher Weise gedenken die Bundesregierung und der Bund, sich im Rahmen ihrer Befugnisse als Eigentümer der DB AG für die Durchsetzung der Interessen behinderter Menschen gegenüber der Bahn einzusetzen? Zu Frage 8: Die Deutsche Bahn AG und die Niederländische Ei- senbahn haben im Dezember 1994 beim Firmenkonsor- tium ICE 3 (Siemens AG, Duewag AG und Talbot AG) 54 Triebzüge (davon 37 Wechselstromzüge und 17 Mehr- systemzüge [davon 4 für die Niederländische Eisenbahn]) mit einer Option auf weitere 13 Züge bestellt. Die Nachbestellung dieser Züge wurde am 28. No- vember 2002 ausgelöst, nachdem sich durch das zwi- schenzeitlich entwickelte Fahrplanangebot der kurzfris- tige Bedarf zusätzlicher Züge herausgestellt hatte. Die Züge basieren auf der seit 1994 erarbeiteten Fahrzeug- konstruktion, verfügen insofern über die gleiche techni- sche Ausstattung und gehören damit zu einer Baureihe, bei der fahrzeuggebundene Einstiegshilfen noch nicht berücksichtigt worden sind. Die grundlegende Neuent- wicklung einer Fahrzeugbaureihe hätte zu lange gedauert. Bei neu zu entwickelnden Zügen (Ersatz für vorhandene ICE-Züge) sieht die Deutsche Bahn AG fahrzeuggebun- dene Einstiegshilfen vor. Zu Frage 9: Der Bund hat nach Aktienrecht als Eigentümer keinen Einfluss auf die unternehmerischen Entscheidungen der Deutschen Bahn AG. Allerdings wurde mit dem neuen Be- hindertengesetz unter anderem auch die Eisenbahn-Bau- und Betriebsordnung (EBO) geändert. Gemäß § 3 Abs. 2 der EBO sind die Eisenbahnen verpflichtet, Programme aufzu- stellen, dass die Benutzung der Bahnanlagen und Fahrzeuge durch Behinderte und alte Menschen sowie Kinder erleich- tert wird. Die Aufsicht zur Umsetzung dieser Verordnung er- folgt durch die zuständigen Aufsichtsbehörden. Anlage 5 Antwort des Chefs des Presse- und Informationsamtes der Bundes- regierung Béla Anda auf die Frage des Abgeordneten Dietrich Austermann (CDU/CSU) (Drucksache 15/344, Frage 10): Wie rechtfertigt die Bundesregierung ihre Öffentlichkeitsarbeit im Dezember 2002 und im Januar 2003, insbesondere den 40-Se- kunden-Spot, mit dem die Bundesregierung seit dem 23. Januar 2003 in 330 deutschen Kinos für ihre Reformpolitik wirbt und der rund 460 000 Euro kostet (dpa vom 23. Januar 2003), einerseits haushaltsrechtlich im Hinblick auf das Fehlen eines rechtskräftigen Haushaltes 2003 und andererseits verfassungsrechtlich – angesichts der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu verbotener Wahlwerbung durch staatliche Stellen – im Hinblick auf die bevor- stehenden Landtagswahlen in Hessen und Niedersachsen? Der Kinospot und die weiteren Maßnahmen der Kam- pagne „Erfolg braucht alle“ stimmen mit dem Haushalts- recht und dem Verfassungsrecht überein. Haushaltsrechtlich sind die Maßnahmen nach den Grundsätzen der vorläufigen Haushaltsführung zulässig. Denn sie bewegen sich innerhalb des Verfügungsrahmens von 25 Prozent des entsprechenden Titelansatzes aus dem Regierungsentwurf 2003 und diese werblichen Maßnah- men sind „dringlich“ und „wichtig“. Durch die Anzeigenschaltung und den Kinospot werden die verfassungsrechtlichen Grenzen im Hinblick auf Vor- wahlzeiten in Ländern nicht tangiert. Die Maßnahmen die- nen der Information über Gesetzesneuregelungen unter anderem zur Umsetzung der Hartz-Reformen und anderer wichtiger Initiativen zur Zukunftssicherung. Außerdem werden die Anzeigen und der Kinospot bundesweit ge- schaltet. Eine Intensivierung der Informationen in Hessen oder Niedersachsen gibt es nicht. Gestatten Sie mir noch folgenden Hinweis: Am 20. Fe- bruar 1998, wenige Tage vor der Landtagswahl in Nieder- sachsen und wenige Wochen vor der Landtagswahl in Sachsen-Anhalt, hatte die damalige Bundesregierung doppelseitige Anzeigen unter dem Titel „Ja zur Zukunft“ bundesweit in der Bild-Zeitung geschaltet. Die Anzeigen widmeten sich unter anderem den Themen „Kriminalitäts- bekämpfung“ und „Aufbau Ost“. Der damalige Stellvertretende Chef des Presse- und Informationsamtes der Bundesregierung hat auf eine par- lamentarische Anfrage dazu unter anderem Folgendes aus- geführt (Drucksache 13/10239 vom 23. März 1998): „Nach Auffassung der Bundesregierung bedurfte es für die Schaltung der Anzeigen am 20. Februar 1998 keines akuten Anlasses. Inhaltlich beschränkte sie sich auf Infor- mationen über die von der Bundesregierung ergriffenen Reformmaßnahmen im Zusammenhang mit den in vielen Bereichen zu beobachtenden positiven Entwicklungen und Initiativen.“ Anlage 6 Antwort des Parl. Staatssekretärs Fritz Rudolf Körper auf die Fra- gen des Abgeordneten Jochen-Konrad Fromme (CDU/ CSU) (Drucksache 15/344, Fragen 16 und 17) Welche Auswirkungen hat der Tarifabschluss für die Arbeiter und Angestellten im öffentlichen Dienst (jeweils getrennt für Bund, Länder und Gemeinden), und welche Auswirkungen sind zu erwarten, wenn man die Annahme zugrunde legt, dass dieser Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 21. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 29. Januar 20031660 (C) (D) (A) (B) Abschluss unter sonst gleichen Bedingungen auf die Beamten übertragen wird? Treffen Zeitungsberichte zu, wonach der Bund per Saldo Lohn- kosten zu Steuereinnahmen Überschüsse erzielen wird (vergleiche Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 22. Januar 2003), und wenn nein, wo liegen nach Ansicht der Bundesregierung die Fehler in der Berechnung? Zu Frage 16: Der Tarifabschluss für die Arbeiter und Angestellten im öffentlichen Dienst wird bei voller Übertragung auf die Beamten zu Mehrausgaben bei Bund, Ländern und Ge- meinden von rund 12 Milliarden Euro – insgesamt in 2003 und 2004 – führen. Dabei sind die Kompensationen (AZV-Tag, Lebensaltersstufen, Zahlungszeitpunkt) be- rücksichtigt. Von den rund 12 Milliarden Euro entfallen auf den Bund rund 1,25 Milliarden Euro, auf die Länder rund 5,13 Milliarden Euro und auf die Gemeinden rund 5,6 Milliarden Euro (siehe Anlage). Inwieweit die Mehrausgaben durch Stellenabbau kom- pensiert werden – wie von einzelnen Ländern und Kom- munen angekündigt –, ist gegenwärtig nicht absehbar. Zu Frage 17: Die Aussage in der FAZ vom 22. Januar 2003, dass der Bund durch den Tarifabschluss wegen der Mehreinnah- men aus der Einkommensteuer per Saldo Überschüsse er- ziele, gibt die Auswirkungen des Tarifabschlusses auf den Bund unvollständig wieder. Neben den Steuermehrein- nahmen müssen auch die Mehrausgaben des Bundes infolge des Tarifabschlusses vollständig berücksichtigt werden. Der Bund muss nicht nur die zusätzlichen Personal- ausgaben tragen. Hinzu kommt, dass Tariferhöhungen aller Branchen einschließlich der Tariferhöhungen im öf- fentlichen Dienst höhere Leistungen und Zuschüsse des Bundes zur Folge haben, die an die Lohn- und Gehalts- entwicklung gekoppelt sind. Dazu gehören zum Beispiel Leistungen für Kriegsopfer und Heimkehrer, Leistungen nach dem Bundesentschädigungsgesetz sowie Zuschüsse zur Rentenversicherung. Es trifft somit nicht zu, dass der Bund Überschüsse erzielt. Vielmehr entlastet der Bund gleichzeitig die anderen öffentlichen Arbeitgeber bei den Lohnnebenkosten. Bei- spielhaft seien hier die Bundeszuschüsse zur gesetzlichen Rentenversicherung und zur Bundesanstalt für Arbeit ge- nannt. Es handelt sich keineswegs um einen Abschluss zulas- ten von Ländern und Kommunen. Der Verhandlungsführer der Tarifgemeinschaft deutscher Ländern, der bayerische Finanzminister Professor Faltlhauser, hat die gegenüber Ländern und Kommunen faire Verhandlungsführung von Bundesminister Schily ausdrücklich gewürdigt. Anlage 7 Antwort des Parl. Staatssekretärs Fritz Rudolf Körper auf die Frage des Abgeordneten Martin Hohmann (CDU/CSU) (Drucksache 15/344, Frage 18): Welche Kosten sind für die von der Bundesregierung seit 1998 eingesetzten Kommissionen entstanden, und kann die Bundesre- gierung den Aufwand für die 20 kostenintensivsten Kommissio- nen beziffern? Für die seit 1998 von der Bundesregierung eingesetz- ten Kommissionen sind bisher bezifferbare Kosten in Höhe von insgesamt 8 153 504 Euro entstanden. Diese Summe setzt sich aus den auf die einzelnen Kom- missionen entfallenden Kostenanteilen zusammen, die die Bundesregierung am 9. Januar 2003 auf eine entspre- chende schriftliche Anfrage des Abgeordneten Albrecht Feibel (CDU/CSU) bekannt gegeben hat. Anlage 8 Antwort des Parl. Staatssekretärs Alfred Hartenbach auf die Frage des Abgeordneten Martin Hohmann (CDU/CSU) (Druck- sache 15/344, Frage 19): An wie viele Personen wurden die bereitgestellten Mittel für Härteleistungen für Opfer rechtsextremistischer Übergriffe ausge- zahlt, und wie viele vergleichbare Fälle hätte es bei entsprechen- der Mittelbereitstellung für Opfer linksextremistischer Gewalt ge- geben? Im Jahr 2001, dem ersten Jahr, in dem Haushaltsmittel für Härteleistungen an Opfer rechtsextremistischer Über- griffe im Bundeshaushalt bereitgestellt waren, wurden 151 Personen Härteleistungen zuerkannt, im Jahr 2002 109 Personen. Aussagen darüber, wie viele vergleichbare Fälle es bei entsprechender Mittelbereitstellung für Opfer linksextre- mistischer Gewalt gegeben hätte, sind der Bundesregie- rung nicht möglich. Gewalttaten wie Tötungs- und Körperverletzungsde- likte mit extremistischem Hintergrund sind aber schwer- punktmäßig dem rechts- und nicht dem linksextremis- tischen Bereich zuzuordnen. Sie richten sich im Regelfall gegen ausländische Mitbürger. Anlage 9 Antwort des Parl. Staatssekretärs Karl Diller auf die Fragen des Abgeordneten Dr. Hans-Peter Friedrich (Hof) (CDU/ CSU) (Drucksache 15/344, Fragen 22 und 23): Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung über den aktu- ellen Diskussions- und Planungsstand in der EU zur Fortführung der EU-Strukturförderung nach 2006 in den bisherigen Ziel-2-Ge- bieten (Industrieregionen mit Strukturproblemen)? Wird sich die Bundesregierung dafür einsetzen, die unmittel- bare Grenzlage zum EU-Beitrittsgebiet, insbesondere zu Tsche- chien, als eigenes Förderkriterium in die Strukturförderkonzepte der Europäischen Union aufzunehmen? Zu Frage 22: Mit dem zweiten Kohäsionsbericht vom Januar 2001 und dem ersten Zwischenbericht über den Zusammenhalt vom Januar 2002 hat die EU-Kommission die Debatte Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 21. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 29. Januar 2003 1661 (C) (D) (A) (B) über die Politik des wirtschaftlichen und sozialen Zusam- menhalts in einer erweiterten EU und der künftigen För- derperiode 2007 bis 2013 eröffnet. Die Kommission wird im Februar 2003 einen weiteren Zwischenbericht und im Oktober 2003 den nächsten Kohäsionsbericht vorlegen. Von Letzterem wird die erste entscheidende Weichenstellung für die Strukturpolitik nach 2006 erwartet. Die endgültige Entscheidung über die inhaltliche Ausgestaltung der EU-Strukturpolitik ist aber frühestens 2005 zu erwarten. Die Bundesregierung beteiligt sich aktiv an dieser De- batte und bekennt sich uneingeschränkt zu einer Politik der europäischen Solidarität. Sie tritt dabei für eine weitge- hende Konzentration der EU-Strukturmittel auf die Ziel-1- Gebiete ein. Außerhalb von Ziel 1 soll eine begrenzte EU-Strukturpolitik beibehalten werden, die horizontale Fördermaßnahmen sowie integrations- und regionalpoli- tische Maßnahmen beinhaltet, die einen besonders hohen europäischen Mehrwert aufweisen. Zudem sollen faire, zeitlich begrenzte Übergangsregelungen für die aktuellen Fördergebiete, die ab 2007 aus der Förderung herausfal- len, dazu beitragen, die bisherigen Fördererfolge nicht zu gefährden. Die EU-Kommission hat sich in der Diskussion bisher dahingehend festgelegt, dass neben der Förderung der be- dürftigsten Regionen (das sind Ziel-1-Regionen) unbe- dingt auch eine Förderung außerhalb von Ziel 1 beibehal- ten werden soll. Damit will sich die Kommission auch künftig die Möglichkeit einer EU-weiten Strukturförde- rung offen halten. Zu den Inhalten einer künftigen Förde- rung außerhalb von Ziel 1 hat die Europäische Kommis- sion ein Förder-Menü ins Gespräch gebracht, das ein breites Band an gemeinschaftsrelevanten territorialen und thematischen Fördermaßnahmen ermöglichen soll. Zu Frage 23: Die Bundesregierung hält die Förderung von grenz- übergreifenden Maßnahmen gerade an den heutigen Außen- und künftigen Binnengrenzen für einen der Be- reiche mit besonderem europäischen Mehrwert, der in die künftige Förderung außerhalb von Ziel 1 einbezogen wer- den sollte. Allerdings hält die Bundesregierung ein eige- nes Förderkriterium dieser Art im Rahmen der EU-Struk- turfondsförderung für nicht erforderlich. Anlage 10 Antwort des Parl. Staatssekretärs Hans Georg Wagner auf die Frage der Abgeordneten Cornelia Pieper (FDP) (Druck- sache 15/344, Frage 29): Wie ist die Sollstärke jeweils für die sachsen-anhaltinischen Kasernen in den Jahren 2003 und folgende angesetzt? Die Bundeswehr ist in Sachsen-Anhalt zurzeit an ein- undzwanzig Standorten mit einer Sollstärke von rund 8 700 militärischen und zivilen Dienstposten vertreten. Nach gegenwärtiger Planung werden bis zum Jahre 2005 drei Standorte (Brettin, Dessau, Möckern) mit einer Sollstärke von rund 800 militärischen und zivilen Dienst- posten aufgrund Entscheidungen aus den 90er-Jahren ge- schlossen. Aufgrund weiterer Organisationsmaßnahmen kleineren Umfangs beträgt die gemäß Ressortkonzept Stationierung vom 16. Februar 2001 geplante Sollstärke für Sachsen-Anhalt in der Zielstruktur rund 7 600 Dienst- posten. Vom Standort Halle werden im Jahre 2003 rund 800 Dienstposten im Wesentlichen nach Weißenfels verlegt. Anlage 11 Antwort des Parl. Staatssekretärs Hans Georg Wagner auf die Fra- gen des Abgeordneten Jürgen Koppelin (FDP) (Druck- sache 15/344, Fragen 30 und 31): Teilt die Bundesregierung die Auffassung der Parteivorsitzen- den von Bündnis 90/Die Grünen, Angelika Beer, dass im Fall ei- ner militärischen Auseinandersetzung mit dem Irak der Einsatz von deutschen Soldaten sowie der Einsatz von Fuchs-Spür- panzern in Kuwait vom Deutschen Bundestag gebilligt werden muss (Süddeutsche Zeitung vom 21. Januar 2003)? Ist die Bundesregierung der Auffassung, dass der Einsatz von AWACS-Aufklärungsflugzeugen über Konfliktgebieten oder an- grenzende Regionen nicht der Zustimmung des Deutschen Bun- destages bedarf? Zu Frage 30: Die Bundesregierung wird sich nicht an militärischen Operationen gegen den Irak beteiligen. Eine Zustimmung des Bundestages zum Einsatz be- waffneter deutscher Streitkräfte bei einer solchen Beteili- gung steht deshalb nicht infrage. Die deutschen Soldaten und Fuchs-Spürpanzer in Kuwait sind dort ausschließlich im Rahmen von Enduring Freedom stationiert. Diesem Einsatz hat der Deutsche Bundestag ausdrück- lich zugestimmt. Zu Frage 31: Routinemäßige Überwachungsflüge von AWACS-Flug- zeugen über NATO-Bündnisgebiet finden regelmäßig statt und bedürfen nicht der Zustimmung des Deutschen Bundestages. An einem militärischen Einsatz gegen den Irak wird sich die Bundesregierung nicht beteiligen. Daher stellt sich auch in diesem Zusammenhang die Frage nach einer Zustimmung des Deutschen Bundestages nicht. Anlage 12 Antwort des Parl. Staatssekretärs Hans Georg Wagner auf die Frage des Abgeordneten Günther Friedrich Nolting (FDP) (Drucksache 15/344, Frage 32): Welche Rechtsvorschriften sind die Grundlage des Einsatzes von Bundeswehrsoldaten zum Schutz und zur Bewachung von Kasernen der US-Streitkräfte in Deutschland? Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 21. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 29. Januar 20031662 (C) (D) (A) (B) Militärische Einrichtungen der verbündeten Streit- kräfte in Deutschland können durch die Bundeswehr auf der Grundlage des Gesetzes über die Anwendung des un- mittelbaren Zwanges durch die Bundeswehr (UZwGBw) bewacht und gesichert werden. Soldaten der Bundeswehr können nach § 1 in Verbin- dung mit § 2 des Gesetzes innerhalb militärischer Lie- genschaften, die von alliierten Streitkräften genutzt wer- den, als Wachen eingesetzt werden. Zuvor muss die Liegenschaft durch die deutsche territoriale Kommando- behörde zu einem militärischen Sicherheitsbereich erklärt und entsprechend gekennzeichnet werden. Grundlage für diese Erklärung ist eine Vereinbarung mit den Stationierungsstreitkräften über die vorüberge- hende Bewachung der Liegenschaft durch die Bundes- wehr im Rahmen des Art. 53 Abs. 4 des Zusatzabkom- mens zum NATO-Truppenstatut. Bundeswehrsoldaten können außerhalb militärischer Einrichtungen Sicherheitsaufgaben nach dem Gesetz über die Anwendung des unmittelbaren Zwanges durch die Bundeswehr wahrnehmen. Zu den Sicherheitsaufgaben gehört die Abwehr von Straftaten gegen die Bundeswehr. Den „Straftaten gegen die Bundeswehr“ sind Straftaten gegen Angehörige der verbündeten Streitkräfte bzw. gegen militärische Anlagen und militärische Gegenstände der ver- bündeten Streitkräfte gleichgestellt (§ 3 Abs. 1 UZwGBw). Sicherheitsaufgaben können daher auch zum Schutz der Alliierten wahrgenommen werden. Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 21. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 29. Januar 2003 1663 (C)(A) Druck: MuK. Medien- und Kommunikations GmbH, Berlin
Gesamtes Protokol
Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1502100000

Guten Tag, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Sit-

zung ist eröffnet.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 1 auf:

Befragung der Bundesregierung
Die Bundesregierung hat als Thema der heutigen Kabi-

nettssitzung mitgeteilt: Jahreswirtschaftsbericht 2003.
Das Wort für den einleitenden fünfminütigen Bericht

hat der Bundesminister für Wirtschaft und Arbeit,
Wolfgang Clement.

Wolfgang Clement, Bundesminister für Wirtschaft
und Arbeit:

Die Bundesregierung hat heute den Jahreswirtschafts-
bericht 2003 verabschiedet. Er steht unter dem Motto: Al-
lianz für Erneuerung – Reformen gemeinsam voranbrin-
gen. Die zentrale Botschaft dieses Berichtes lautet, dass
das Jahr 2003 zum Jahr der entscheidenden wirtschafts-
und finanzpolitischen Weichenstellungen werden muss.
Es muss uns in diesem Jahr gelingen, die Wachstumsdy-
namik der Wirtschaft zu stärken, ein höheres Wachstums-
potenzial zu erschließen und das Wachstum beschäfti-
gungswirksamer zu machen; das heißt, wir müssen den
Weg ebnen, damit wir ein höheres Wachstum bekommen,
und müssen dafür sorgen, dass aus diesem wirtschaft-
lichen Wachstum schneller und mehr Arbeitsplätze ent-
stehen.

Ich komme zu den Daten des Jahreswirtschaftsberich-
tes. Die wirtschaftlichen Ausgangsbedingungen für die
kommenden Monate stellen sich eher schwierig dar. In
unserer Projektion für das Jahr 2003 rechnen wir mit ei-
nem realen Anstieg des Bruttoinlandsprodukts im Jahres-
durchschnitt um rund 1 Prozent. Die Zahl der Erwerbs-
tätigen wird im Jahresdurchschnitt wahrscheinlich ein
halbes Prozent unter dem Durchschnitt des Jahres 2002
liegen. Die Zahl der Arbeitslosen wird zunächst voraus-
sichtlich leider ansteigen. Im Jahresdurchschnitt wird sie
nach dieser Prognose rund 4,2 Millionen erreichen und
damit den Stand des Vorjahres übertreffen. Im Vorjahr lag

sie im Durchschnitt bei 9,8 Prozent; in diesem Jahr wird
sie nach dieser Prognose bei 10 Prozent liegen. Mit der
Belebung der Konjunktur und dem allmählichen Wirk-
samwerden der Arbeitsmarktreformen wird die Zahl der
Arbeitslosen in der zweiten Jahreshälfte zurückgehen.
Zum Jahresende 2003 dürfte sie unter dem Stand am Ende
des Jahres 2002 liegen.

Im Klartext heißt das: Die Durststrecke auf dem Ar-
beitsmarkt ist noch nicht überwunden. 2003 wird ein Jahr
der Entscheidung, in dem wir alle, die Bundesregierung,
die Politik insgesamt, Arbeitgeber und Gewerkschaften,
in höchstem Maße gefordert sind, alles zu tun, um die
Zahl der Arbeitslosen so rasch wie möglich zunächst un-
ter die 4-Millionen-Marke zu drücken und dann weiter zu
senken.

Bei all dem gibt es aber auch Konjunkturindikatoren,
die erste Lichtblicke verheißen. Zu nennen sind zum Bei-
spiel die Zahl der Auftragseingänge, die Kapazitätsauslas-
tungen, die Produktion, die im November 2002 merklich
angestiegen ist, sowie die Stimmungsverbesserung beim
Konjunkturindikator des ZEW und beim Ifo-Geschäfts-
klimaindex, der erstmals seit acht Monaten eine leichte
Verbesserung aufweist. Darüber hinaus können wir mode-
rat zunehmende Lohnstückkosten, eine verhaltene Nach-
frageentwicklung und eine Höherbewertung des Euro
verzeichnen. Das bedeutet, die Gefahren sind insgesamt
eher zurückgegangen.

Dafür, dass es in diesem Jahr, wenn auch nur sehr ver-
halten, zu einer wirtschaftlichen Erholung kommen wird
– prognostiziert ist 1 Prozent –, sprechen insgesamt güns-
tige Rahmenbedingungen. Wir nehmen an, dass die welt-
wirtschaftliche Dynamik zunehmen wird, dass die Ex-
porte die Binnennachfrage und die Binnenkonjunktur
anstoßen werden, dass die kurz- und langfristigen Nomi-
nalzinsen niedrig bleiben werden, dass die Lohnstückkos-
ten nur moderat zunehmen werden – wir rechnen mit
1 Prozent nach 0,9 Prozent im vergangenen Jahr –, dass
die Inflationsrate mit etwa 1,5 Prozent niedrig bleibt und
dass sich die Gewinnaussichten der Unternehmen insge-
samt verbessern werden. Alles in allem bewegen wir uns
mit unserer Schätzung des Wachstums, von dem wir aus-
gehen, dass es moderat steigen wird, im Rahmen der




Bundesminister Wolfgang Clement
Schätzungen der nationalen Experten. Die Prognosen der
deutschen Experten gehen allesamt von einem realen
Wachstum von 0,6 Prozent bis 1,1 Prozent aus.

Im Jahre 2003 wird es also ganz verhalten wieder auf-
wärts gehen. Dies kann allerdings nur unter der Voraus-
setzung geschehen, dass es zu keiner kriegerischen Ent-
wicklung im Irak kommt. Ich denke, wir alle hoffen, dass
es dort nicht zu einem Krieg kommt. Die Auswirkungen
einer kriegerischen Entwicklung sind für die Wirtschafts-
prognostiker unkalkulierbar. Diese sind jedoch nicht an
erster Stelle gefragt, wenn es um das Risiko eines Krieges
geht. Es geht um die Menschen und um die Region.

Herr Präsident, verehrte Kolleginnen und Kollegen,
das ist die Situation.

Ich danke Ihnen sehr für Ihre Aufmerksamkeit.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1502100100

Vielen Dank, Herr Minister. – Zunächst werden jetzt

Fragen zum Themenbereich, über den soeben berichtet
worden ist, gestellt. Als Erste hat sich die Kollegin
Dr. Gesine Lötzsch gemeldet.


Dr. Gesine Lötzsch (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1502100200

Vielen Dank, Herr Präsident. – Herr Minister, mich

würde interessieren, welche Auswirkungen die Steuer-
reform auf das Wirtschaftswachstum im Jahre 2002 hatte
und ob die Bundesregierung feststellen konnte, dass die
Kapitalgesellschaften, die durch diese Steuerreform be-
sonders begünstigt wurden, mehr Investitionen getätigt und
mehr Arbeitsplätze geschaffen haben als in den Vorjahren.

Wolfgang Clement, Bundesminister für Wirtschaft
und Arbeit:

Frau Kollegin, das kann ich nicht dezidiert beantwor-
ten. Die wirtschaftliche Entwicklung ist so, wie ich sie ge-
schildert habe, nämlich sehr verhalten. Im vergangenen
Jahr betrug das Wachstum 0,2 Prozent.

Die Unternehmen haben in den Exportsektor enorm in-
vestiert; dort haben sie große Erfolge. Wir sind unverän-
dert Exportvizeweltmeister. Eine solche Differenzierung,
wie Sie sie beschreiben, ist nur schwer möglich. Wenn
man das Exportwachstum herausrechnet, erkennt man,
dass es im letzten Jahr in der Binnenwirtschaft ein Mi-
nuswachstum in Höhe von 1,3 Prozentpunkten gab. Das
ist die reale Lage.

Ich glaube, dass sich die wirtschaftliche Entwicklung
nicht in die einzelnen Instrumente, die sie angesprochen
haben, ausdifferenzieren lässt.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1502100300

Als nächstes hat der Kollege Hans Michelbach das Fra-

gerecht.


Hans Michelbach (CSU):
Rede ID: ID1502100400

Herr Bundesminister, Sie gehen in Ihrer Wachstums-

prognose – Sie haben sie reduziert – von einem Wachstum

in Höhe von 1 Prozent aus. Das sollte nicht zu Selbstlob
führen. Ist bei einer Wachstumsprognose von 1 Prozent
überhaupt eine Erneuerung in den Bereichen der Investi-
tionen und der Beschäftigung möglich? Kann man das
nicht eher mit Ernüchterung als mit Erneuerung um-
schreiben? Ist nicht ein Wachstum – entsprechende Progno-
sen wurden von anderen Instituten erstellt – von unter
1 Prozent des Bruttoinlandsprodukts zu erwarten? Ist da-
mit nicht auch in diesem Jahr wieder die Gefahr der Über-
schreitung der Defizitquote des Wachstums- und Stabi-
litätspakts von Maastricht gegeben?

Wolfgang Clement, Bundesminister für Wirtschaft
und Arbeit:

Herr Kollege, ich habe ja gesagt, dass sich die nationa-
len Wachstumsprognosen zwischen 0,6 und 1,1 Prozent
bewegen. Unsere Experten nehmen ein Wachstum von
1 Prozent an. Bei diesem Wachstum und unter den ge-
gebenen Bedingungen gehen wir davon aus, dass sich die
Verschuldungsquote der Bundesrepublik Deutschland
– gemäß dem Maastrichter Vertrag – auf unter 3 Prozent
belaufen wird. Das ist die reale Lage.

Es mag sein, dass die Situation zur Ernüchterung
beiträgt. Wichtig ist aber, dass wir durch sie veranlasst
werden, alles zu tun, was möglich ist, um die Wachstums-
kräfte zu stärken und auf diese Weise ein höheres Wachs-
tum zu erreichen und mehr Arbeitsplätze – auch für den
Fall eines niedrigeren Wachstums – zu schaffen. Die Er-
gebnisse des vergangenen Jahres und auch die Perspek-
tive dieses Jahres betrachte ich eher als Aufforderung an
Sie und mich, an uns alle, alles im jeweiligen Verantwor-
tungsbereich Mögliche zu tun, um die Situation zu ver-
bessern.

Es ist gar keine Frage, dass sie nicht zufriedenstellend
ist. Allein bei der Beschreibung, dass sie nicht zufrieden-
stellend ist, zu verharren genügt aber nicht. Durch poli-
tisches Handeln ist es möglich, Prognosen zu über- oder
unterbieten, je nachdem, aus welcher Perspektive Sie das
betrachten. Wir können also eine bessere Lage erreichen,
als uns die Prognostiker zurzeit zutrauen.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1502100500

Vielen Dank, Herr Bundesminister. – Die nächste Frage

hat der Kollege Dirk Niebel.


Dr. h.c. Dirk Niebel (FDP):
Rede ID: ID1502100600

Herr Minister, Sie haben gerade vorgetragen, dass Sie

für das Jahr 2003 mit einem wirtschaftlichen Wachstum
von 1 Prozent und einer durchschnittlichen Arbeitslosig-
keit von 4,2 Millionen rechnen. Sie haben für das Ende
dieses Jahres als Ziel definiert, die durchschnittliche Ar-
beitslosigkeit des letzten Jahres zu unterbieten. Im letz-
ten Jahr lag die durchschnittliche Arbeitslosigkeit bei
4,06 Millionen. Die wirtschaftswissenschaftlichen Insti-
tute gehen im Wesentlichen davon aus, dass die Beschäf-
tigungsschwelle des Wirtschaftswachstums bei 2 bis
2,5 Prozent liegt.

Deswegen interessiert mich bei dem von Ihnen prognos-
tizierten Wirtschaftswachstum, mit welchem arbeits-


(A)



(B)



(C)



(D)


1614


(A)



(B)



(C)



(D)






marktpolitischen Gesamtkonzept Sie dieses Ziel errei-
chen wollen. Werden Sie dieses Gesamtkonzept zu Be-
ginn dieses Jahres vorlegen oder wird es bei den monat-
lich häppchenweise vorgelegten Reformvorschlägen
bleiben, wonach die Reform für Januar, das Kündigungs-
schutzgesetz, in zwei Tagen abgeschlossen sein müsste?


(Wolfgang Clement, Bundesminister: Ich habe Ihre Frage nicht verstanden!)


– Sie haben eine Reform pro Monat angekündigt. Die Re-
form für Januar war der Kündigungsschutz. Der Januar ist
in zwei Tagen vorbei. Deswegen frage ich nach dem Ge-
samtkonzept.

Wolfgang Clement, Bundesminister für Wirtschaft
und Arbeit:

Sie haben Recht: Bisher gehen wir in Deutschland da-
von aus, dass erst ab einem Wachstum von 2 bis 2,5 Pro-
zent eine wirkliche Beschäftigungswirkung festzustellen
ist. Wie Sie wissen, ist das in den Nachbarstaaten wie
Frankreich oder den Niederlanden anders. Unser Ziel
muss also sein, auch mit einem niedrigeren Wachstum
– wir sollten nicht gleich verzagen, sondern versuchen,
ein höheres Wachstum zu erreichen – eine Beschäfti-
gungswirkung zu erzielen.

Dass wir das nicht erreicht haben, hat meiner Auffas-
sung nach sehr stark damit zu tun, dass wir den Dienstleis-
tungssektor nicht genügend entwickelt haben. Deshalb
waren die Schritte, die wir gemeinsam mit der CDU/CSU-
Opposition getan haben, um den Sektor der geringfügig
Qualifizierten mit Aufstiegsmöglichkeiten und den Be-
reich der Leih- und Zeitarbeit zu entwickeln, richtig. Das
sind aus meiner Sicht Instrumente, mit denen es möglich
ist, die Beschäftigungswirksamkeit schon bei niedrigerem
Wachstum eintreten zu lassen. Deswegen waren und sind
diese Maßnahmen und die jetzt infrage stehenden Schritte
richtig.

Die erste Reform für diesen Monat war die am 1. Ja-
nuar in Kraft getretene. Sie müssen sich also für die
nächste Reform bis zum Februar gedulden, Herr Kollege.
Aber Sie können sich darauf verlassen, dass die Reformen,
die ich ankündige, tatsächlich vollzogen werden sollen.


(Dirk Niebel [FDP]: Werden sollen oder werden?)


– Das hängt von Ihnen ab. Sie sind der Gesetzgeber. Ich
darf noch nicht einmal über diese Brüstung steigen.


(Heiterkeit bei der CDU/CSU und der FDP)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1502100700

Die nächste Frage hat der Kollege Hartmut Schauerte.


Hartmut Schauerte (CDU):
Rede ID: ID1502100800

Herr Minister Clement, der Jahreswirtschaftsbericht

für 2002 enthielt eine Wachstums- und Beschäftigungs-
prognose. Können Sie noch einmal sagen, wie in der Ab-
rechnung die Abweichung zwischen Soll und Ist war?
Können Sie mir die Frage beantworten, wie Sie die
Annahme rechtfertigen wollen, dass auch Ihre jetzige

Prognose nicht wieder abweichen wird, insbesondere vor
dem Hintergrund, dass die gesamtwirtschaftliche Stim-
mungslage zu Beginn dieses Jahres deutlich schlechter als
Anfang des letzten Jahres war?

Ich darf direkt eine zweite Frage anschließen. Letztes
Jahr war ein Exportzuwachs von 2,9 Prozent zu verzeich-
nen. Für dieses Jahr rechnen Sie mit einem Export-
zuwachs von 4,5 Prozent. Wie wollen Sie vor dem Hin-
tergrund einer steigenden Dollar-Euro-Parität eine solche
Zahl rechtfertigen?

Wolfgang Clement, Bundesminister für Wirtschaft
und Arbeit:

Herr Kollege Schauerte, für das Jahr 2002 war in der
Herbstprojektion von 2001 ein Wachstum von 1,25 Pro-
zent prognostiziert worden. Für 2003 ist in der Herbst-
projektion von 2002 die Zahl von 1,5 Prozent genannt
worden. Jetzt liegt die Projektion bei 1 Prozent. Sie wissen,
dass wir uns bei diesen Prognosen und den Korrekturen in
trauter Gemeinsamkeit mit allen Prognostikern befinden.

Dennoch sollten und werden wir uns nicht im Herab-
definieren der wirtschaftlichen Chancen überbieten, son-
dern uns geht es darum, die Chancen zu verbessern. Es ist
ebenso möglich, eine Prognose nach oben zu korrigieren.
Das bleibt möglich, auch wenn es in Deutschland zurzeit
befremdend klingen mag. Es ist möglich, die Situation zu
verbessern. Tatsächlich sind aber die Prognosen in der
letzten Zeit aufgrund der Einbrüche in der Weltwirtschaft
insgesamt korrigiert worden, und zwar flächendeckend
und weltweit. Mit dieser Situation müssen wir umgehen.
Aber wir müssen alles tun, um diese Situation zu korri-
gieren.

Hinsichtlich der Exportsituation ist der Sachverständi-
genrat etwas skeptischer als wir, aber nicht so skeptisch,
wie es in der Zahl 2,9 Prozent zum Ausdruck kommt. Wir
gehen davon aus, dass sich die Weltwirtschaft erholt.
Auch die internationalen Institute erwarten, dass sich die
amerikanische Volkswirtschaft erholt; im Hinblick auf die
japanische Volkswirtschaft weisen ebenfalls manche Indi-
katoren nach oben. In Lateinamerika, beispielsweise in
Argentinien, scheint die Talsohle erreicht zu sein. Inso-
fern gehen wir von einer Aufhellung der weltwirtschaftli-
chen Bedingungen aus, allerdings unter dem Vorbehalt,
dass es nicht zu einer kriegerischen Entwicklung im und
um den Irak kommt. Ich habe eben versucht, deutlich zu
machen, dass eine solche Entwicklung unkalkulierbar
wäre. Ich will hier nichts an die Wand malen, sondern nur
deutlich sagen, dass so etwas in den Prognosen nicht
ernsthaft vorgesehen werden kann.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1502100900

Vielen Dank. – Die nächste Frage wird von der Kolle-

gin Dagmar Wöhrl gestellt.


Dagmar G. Wöhrl (CSU):
Rede ID: ID1502101000

Herr Minister, der Jahreswirtschaftsbericht zeigt auch

diesmal, dass die Realität Sie einholt. Die wirtschaftliche
Dynamik fehlt. Eine Frage zu den im Bericht veröffent-
lichten Zahlen: Sie gehen davon aus, dass der private

Dirk Niebel




DagmarWöhrl
Konsum 2003 um bis zu 2,5 Prozent ansteigen wird – und
das vor dem Hintergrund, dass er im letzten Jahr nur um
0,5 Prozent anstieg. Worauf begründen Sie Ihre Prognose
und wie sehen Sie den Zusammenhang mit den von Ihnen
beschlossenen Steuer- und Abgabenerhöhungen, die al-
lein in diesem Jahr die Bürger und Bürgerinnen mit circa
27 Milliarden Euro belasten werden?

Wolfgang Clement, Bundesminister für Wirtschaft
und Arbeit:

Frau Kollegin, im Bericht ist ausgewiesen, dass der pri-
vate Konsum nach der Prognose – wir reden hier immer
über Prognosen – um ein halbes Prozent ansteigen wird.
Sie haben eben den nominellen Wert genannt; real rech-
nen wir nur mit einem Anstieg von einem halben Prozent.
Das leichte Minus ist für das vergangene Jahr mit der Ent-
wicklung des Euro und anderen Faktoren der gefühlten
Inflation erklärt worden. Die Kaufzurückhaltung war in
Deutschland besonders ausgeprägt. Aufgrund der etwas
besseren Bedingungen, die es in diesem Jahr im Vergleich
zum Vorjahr geben sollte, insbesondere aufgrund der Preis-
entwicklung, rechnen die Experten – ich rechne ja nicht;
die Experten rechnen, und zwar unbeeinflusst – insgesamt
mit einer etwas kräftigeren Nachfrage, wenn auch nicht
mit einer so kräftigen Nachfrage, wie man es sich vor-
stellen könnte und wie sie in anderen Staaten gegeben ist.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1502101100

Die nächste Frage stellt die Kollegin Gudrun Kopp.


Gudrun Kopp (FDP):
Rede ID: ID1502101200

Herr Minister, in Ihrem Jahreswirtschaftsbericht spre-

chen Sie – dies erscheint angesichts der auch für dieses
Jahr prognostizierten hohen Arbeitslosigkeit als recht ge-
wagt – davon, dass eine dynamische Steigerung der Ein-
nahmen aus Sozialbeiträgen zu erwarten sei. Worauf be-
gründen Sie Ihre optimistische Einschätzung?

Wolfgang Clement, Bundesminister für Wirtschaft
und Arbeit:

Darauf, dass sich die Situation insgesamt und dadurch
die Einnahmesituation verbessert.


(Hartmut Schauerte [CDU/CSU]: Eine angenommene Verbesserung erhöht die andere! – Gudrun Kopp [FDP]: Sie wollen also die Arbeitslosigkeit zurückführen? Etwas konkreter, bitte!)


– Ja, sicher. Die Experten gehen davon aus – das ist aus
meiner Sicht sehr verhalten gerechnet –, dass sich die Ar-
beitslosigkeit aufgrund der Hartz-Maßnahmen im Jahres-
durchschnitt um 120 000 verringern wird. Ich selbst gehe
davon aus – das ist jedenfalls mein Ziel; es ist kein Ver-
sprechen –, dass wir eine weiter gehende Entlastung er-
reichen. Diese Zuversicht teile ich mit der Leitung der
Bundesanstalt für Arbeit. Wir hoffen, dass wir insbeson-
dere in der zweiten Jahreshälfte weitere Fortschritte auf
dem Arbeitsmarkt erzielen werden.


(Hartmut Schauerte [CDU/CSU]: Die eine Wunschannahme ernährt die andere!)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1502101300

Die nächste Frage stellt der Kollege Karl-Josef

Laumann.


Karl-Josef Laumann (CDU):
Rede ID: ID1502101400

Herr Minister, Sie gehen, wie Sie eben selbst gesagt ha-

ben, im Jahreswirtschaftsbericht von einem Wachstum
des privaten Verbrauchs in Höhe von 0,75 Prozent aus.
Erst einmal aber wird aufgrund von Beschlüssen, die auch
Sie im Kabinett gefasst haben – der Gesetzgeber hat ja
eine Kabinettsvorlage mit Mehrheit beschlossen –, der
normale private Haushalt ab Januar durchschnittlich
100 Euro weniger zur Verfügung haben. Woher nehmen
Sie bei einer Verkleinerung der Lohntüte um im Schnitt
100 Euro die Hoffnung, dass der private Verbrauch in
Deutschland zunehmen wird?

Wolfgang Clement, Bundesminister für Wirtschaft
und Arbeit:

Das Konsumverhalten der Menschen hängt von der
Stimmungslage ab. Die Stimmungslage war in Deutsch-
land im vergangenen Jahr, aufgehängt an dem, was unter
anderem mit dem „Teuro“ zusammenhing, alles andere
als konsumfreudig und konsumfördernd. Diesen Zusam-
menhang kennen Sie so gut wie ich.

Im Übrigen ist die Situation sehr differenziert zu sehen.
Aber selbstverständlich spielen auch die Höhe der Ar-
beitslosigkeit und andere Faktoren eine Rolle.

Die Ziele, die wir uns gesteckt haben, werden natürlich
– das hoffe ich – auch die Stimmungslage verbessern und
damit zu einem anderen Kaufverhalten führen. Hinzu
kommen objektive Faktoren wie beispielsweise die zu er-
wartende Preisentwicklung, die Entwicklung der Infla-
tionsrate, die in Deutschland ausgesprochen stabil ist, und
die Lohnentwicklung.

Der Faktor der Belastung, den Sie angesprochen ha-
ben, sollte also nicht der einzige sein, den es zu berück-
sichtigen gilt. Abgesehen davon sollten Sie – Sie haben
mit 100 Euro lediglich eine Durchschnittsmarke der Be-
lastung gesetzt – das Kaufverhalten der einzelnen Bevöl-
kerungsgruppen sehr viel differenzierter sehen. Beispiels-
weise sollte man zwischen dem Kaufverhalten der
Rentner und dem anderer Bevölkerungsgruppen unter-
scheiden. Wenn Sie das tun, werden Sie feststellen, dass
die Einkommen sehr unterschiedlich sind und dass das
Kaufverhalten entsprechend differenziert zu sehen ist.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1502101500

Vielen Dank. – Die nächste Frage stellt der Kollege

Dr. Joachim Pfeiffer.


Dr. Joachim Pfeiffer (CDU):
Rede ID: ID1502101600

Herr Minister Clement, Sie haben gerade davon ge-

sprochen, dass Sie alle Maßnahmen ergreifen möchten,
die das Wachstum beschleunigen und eine Belebung des
Arbeitsmarktes, also den Aufbau von Beschäftigung, er-
möglichen. Die Worte hör ich wohl, allein mir fehlt etwas


(A)



(B)



(C)



(D)


1616


(A)



(B)



(C)



(D)






der Glaube an die Taten, wenn ich die letzten Wochen und
Monate Revue passieren lasse.

Sie haben vor wenigen Tagen den interessanten Vor-
schlag gemacht, den Kündigungsschutz zu modernisieren
bzw. zu flexibilisieren. Mich interessiert, wie konkret die
diesbezüglichen Pläne sind, wann und wie Sie sie umzu-
setzen gedenken und ob Sie in Ihrer Fraktion auch eine
Mehrheit dafür haben. Wir stehen zur Verfügung, wenn
Sie Unterstützung benötigen; denn wir halten die von Ih-
nen vorgeschlagenen Maßnahmen für den Aufbau von
Beschäftigung für sehr sinnvoll.

Wolfgang Clement, Bundesminister für Wirtschaft
und Arbeit:

Herr Kollege, mir ist nicht klar, worauf Sie Ihre Skep-
sis stützen. Sie haben doch mit uns zusammen einen Teil
der notwendigen ersten Reform des Arbeitsmarktes be-
schlossen. Wenn ich das richtig in Erinnerung habe, dann
haben Sie sich – nicht Sie persönlich, aber Ihre Fraktion –
über das Tempo der Veränderungen und nicht über die
Langsamkeit bei der Umsetzung der gesetzlichen Maß-
nahmen beschwert.


(Lachen bei der CDU/CSU)

– Herr Laumann, selbstverständlich haben Sie immer
genügend Kraft. Aber schauen Sie sich einmal Ihre Kol-
legen an.


(Lachen bei der CDU/CSU)

Insoweit kann ich Ihre Kritik nicht verstehen.
Des Weiteren habe ich in einem Interview die Frage be-

jaht, ob das Thema Kündigungsschutz beispielsweise in
kleinen und kleinsten Unternehmen eine Rolle spielen
könne; das ist richtig. Wir werden selbstverständlich zu
überprüfen haben, ob es auch im Arbeitsrecht gesetzliche
Vorschriften gibt, die den Eintritt von Arbeitslosen in den
Arbeitsmarkt behindern. Dies werden wir in aller Sorgfalt
erörtern. Zu gegebener Zeit wird die Regierung entspre-
chende Vorschläge machen. Dies wird nicht allzu lange
auf sich warten lassen; denn wir haben, wie ich schon oft
gesagt habe, keine Zeit zu verlieren. Wenn Sie bei dem,
was wir vorschlagen, mittun wollen, sind Sie herzlich
willkommen.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1502101700

Vielen Dank.


(Dr. Joachim Pfeiffer [CDU/CSU]: Darf ich noch eine Nachfrage stellen?)


– Sie können sich gerne noch einmal melden.
Das Fragerecht hat jetzt der Kollege Johannes

Singhammer.


Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1502101800

Herr Minister, Sie haben mit dem heute vorgelegten

Jahreswirtschaftsbericht 2003 das ursprünglich prognos-
tizierte Wirtschaftswachstum um 0,5 Prozentpunkte nach
unten korrigiert. Das bedeutet nach Expertenschätzungen

Einnahmeausfälle im Bereich der Steuern und bei den So-
zialversicherungssystemen in Höhe von etwa 5Milliarden.
Nun hat die Vergangenheit gezeigt, dass die Schätzungen
– leider – immer weiter nach unten korrigiert werden
mussten. Bei allem Optimismus, den die Politik auch ver-
breiten soll: Haben Sie denn einen Notfallplan, wenn das
eintreten sollte, was einige Institute voraussagen, nämlich
wenn das Wirtschaftswachstum nur 0,5 Prozent beträgt
und wenn sich dadurch bedingt erneut ein großes Loch bei
den Einnahmen auftut? Wie wollen Sie dann reagieren?
Wie wollen Sie die dann fehlenden Finanzmittel aufbrin-
gen?

Wolfgang Clement, Bundesminister für Wirtschaft
und Arbeit:

Herr Kollege, unser Plan ist es natürlich, die Ziele, die
wir uns gesteckt haben, zu erreichen. Dazu gehört bei-
spielsweise, dass wir in diesem Jahr ohne Bundeszu-
schuss für die Bundesanstalt für Arbeit auskommen wol-
len. Das ist, wie ich finde, ein bemerkenswertes Ziel,
nachdem der Bund im vergangenen Jahr, wenn ich das
richtig im Kopf habe, einen Zuschuss von 5 bis 6 Milliar-
den Euro aufbringen musste.


(Dagmar Wöhrl [CDU/CSU]: 5,6 Milliarden!)

Wir sind aufgrund der ersten Reformschritte, die wir

im Bereich des Arbeitsmarktes unternommen haben, in
dieser Hinsicht optimistisch. Es geht in diesem Jahr da-
rum, diese Schritte zu vervollkommnen, das heißt, nicht
nur entsprechende Gesetze zu beschließen, sondern das
Beschlossene auch umzusetzen; denn Gesetze allein ver-
ändern die Welt noch nicht. Das bedeutet einen erhebli-
chen Umbau im Haushalt und bei den Instrumenten der
Bundesanstalt für Arbeit. Der Vorstandsvorsitzende, Herr
Gerster, hat ja deutlich gemacht, dass man hier umsteuern
müsse. Die bisherigen Instrumente der Strukturförderung,
die im Osten und vor allem im Westen angewendet wor-
den sind, müssen in ihrer Bedeutung gegenüber den, wie
ich sie nenne, aktiven Beschäftigungsmaßnahmen zu-
rücktreten.

Wir hoffen natürlich, dass wir beispielsweise mit der
Förderung von Zeit- und Leiharbeit oder mit dem Modell,
welches das Hinübergleiten von einem Minijob in einen
800-Euro-Job erleichtert, tatsächliche Veränderungen be-
werkstelligen und damit auch Entlastungen an anderen
Stellen erreichen. Die Schaffung neuer Beschäftigungs-
möglichkeiten, auch in Form von Selbstständigkeit, ist
das Ziel unseres Vorgehens.

Es gibt diesbezüglich auch sehr ermutigende Zahlen.
Ich habe nicht die Absicht, Düsternis zu verbreiten; viel-
mehr möchte ich darauf hinweisen, dass beispielsweise
im vergangenen Jahr 123 000 arbeitslose Menschen – ich
hoffe, dass ich diese Zahl richtig in Erinnerung habe – in
die Selbstständigkeit gegangen sind, viele davon in eine
bisher beständige Selbstständigkeit. Diese Entwicklung
wollen wir forcieren. Dazu ist eine Reihe von Instrumen-
ten vorhanden.

Um auf den zweiten Teil Ihrer Frage einzugehen: Wir
gehen davon aus, dass das Stabilitäts- und Wachstums-
gesetz die Spielräume bietet, die wir brauchen, um auf

Dr. Joachim Pfeiffer




Bundesminister Wolfgang Clement
konjunkturelle Veränderungen, die aus heutiger Sicht
nicht erkennbar sind, reagieren zu können, und zwar, wie
wir mehrfach angekündigt haben, flexibel, ohne dass wir
deshalb das Ziel des Stabilitätspakts, die Neuverschul-
dung bis 2006 auf nahezu null zu senken, aufgeben. Es
bleibt bei diesem Ziel, es bleibt bei den Steuersenkungen
2004/2005, wie es der Gesetzgeber beschlossen hat. Steu-
errechtlich reicht das aus, was die Bundesregierung vor-
gelegt hat. Die entsprechenden Vorlagen befinden sich
jetzt im Gesetzgebungsverfahren. Wir werden uns mit den
Ergebnissen auseinander zu setzen haben.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1502101900

Die nächste Frage hat der Kollege Hans Michelbach.


Hans Michelbach (CSU):
Rede ID: ID1502102000

Herr Bundesminister, wie kommen Sie zu Ihrer Grund-

aussage, dass sich die Gewinnaussichten unserer Betriebe
verbessern werden? Verwechseln nicht auch Sie Brutto-
gewinn mit Nettogewinn? Durch das Steuervergünsti-
gungsabbaugesetz wird die Steuerbemessungsgrundlage
deutlich verbreitert, und zwar ohne gleichzeitige Tarif-
senkungen. Angesichts dessen müssen Sie doch einräu-
men, dass die zusätzlichen Steuerbelastungen von 23Mil-
liarden Euro allein in diesem Jahr und etwa
70 Milliarden Euro in den nächsten vier Jahren den Net-
togewinn doch erheblich aufzehren werden und dass da-
mit Investitionsmöglichkeiten stark eingeschränkt wer-
den. Wie ist es konkret mit der Firmenwagenbesteuerung
und mit der Wertzuwachsbesteuerung? Dadurch werden
doch viele Tausend Arbeitsplätze vernichtet. Wie ist es
mit der Eigenheimzulage? Vielleicht können Sie hier ein-
mal eine ganz konkrete Antwort geben.

Wolfgang Clement, Bundesminister für Wirtschaft
und Arbeit:

Meine konkrete Antwort lautet, dass ich die in den von
Ihnen entworfenen Bildern enthaltenen Auffassungen
nicht teile.

Experten – wenn Ihnen danach ist, dann können Sie an-
dere Experten, auch solche außerhalb des Wirtschaftsmi-
nisteriums, befragen – sehen die Entwicklung in Deutsch-
land etwas positiver, als Sie es tun. Ansonsten sollten wir
die Diskussion über steuerliche Maßnahmen, die die Bun-
desregierung vorgeschlagen hat, an den Stellen führen, an
denen sie zu führen ist. Entsprechende Vorlagen befinden
sich zurzeit im parlamentarischen Verfahren des Bundes-
tages und später werden sie vom Bundesrat beraten. Da
gehört diese Diskussion auch hin.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1502102100

Als Nächster hat der Kollege Dr. Joachim Pfeiffer das

Fragerecht.


Dr. Joachim Pfeiffer (CDU):
Rede ID: ID1502102200

Herr Minister, ich möchte zu den Themen Kündigungs-
schutz und Flexibilisierung nachfragen. Sie haben sehr

konkrete Vorschläge gemacht und auch von einer soforti-
gen Umsetzung gesprochen, zumindest vor wenigen Ta-
gen. Wenn ich Sie gerade richtig verstanden habe, haben
Sie von „prüfen“, „überlegen“ und „zu gegebener Zeit“
gesprochen. Mir scheint, dass Sie das Vorhaben auf die
lange Bank schieben wollen. Können Sie nicht konkrete
Termine und Zeiten nennen?

Wolfgang Clement, Bundesminister für Wirtschaft
und Arbeit:

Ihre Einschätzung, dass es auf die lange Bank gescho-
ben werden soll, ist falsch.


(Dr. Joachim Pfeiffer [CDU/CSU]: Dann können Sie doch einen konkreten Zeitpunkt nennen!)


– Diese Absicht habe ich nicht. Wenn es Vorschläge zu
machen gilt, dann werde ich sie der Bundesregierung vor-
legen. Diese Vorschläge wird die Bundesregierung dann
entweder akzeptieren oder nicht. Wenn sie sie akzeptiert
hat, wird sie sie in Gesetzesform kleiden. So ist der Ab-
lauf. Da müssen Sie sich gedulden. Es wird schnell gehen.
Das, was wir zu tun haben, wird sich schnell vollziehen.
Dass Sie jetzt eine Antwort von mir wollen und damit die
Belebung einer bestimmten öffentlichen Diskussion be-
wirken wollen, kann ich verstehen. Mit einer solchen Ant-
wort möchte ich Ihnen jetzt nicht dienen. Ich möchte mit
den Ergebnissen dienen, die dann vorliegen, wenn die
Bundesregierung sie erarbeitet hat. Selbstverständlich
wird es auch eine Erörterung in der Koalition geben. So
ist der Ablauf.

Ich kann Ihren Wissensdurst jetzt nicht stillen. Sie ken-
nen alle Bedingungen, über die wir reden. Wir sprechen
über das Abfindungsrecht, das sich in Deutschland aus der
Rechtsprechung entwickelt hat, und über Weiteres. Da-
rüber wird sehr sorgfältig zu diskutieren sein. Selbstver-
ständlich müssen wir auch das Arbeitsrecht dahin gehend
prüfen, inwieweit es beschäftigungshemmend oder be-
schäftigungsfördernd wirkt.


(Karl-Josef Laumann [CDU/CSU]: Wir fragen Montag mal!)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1502102300

Bitte keine Zwischenfragen, Herr Laumann; die sind

nicht zulässig.
Die Zeit ist zwar schon fast abgelaufen, aber ich lasse

jetzt noch drei Fragen zu. Die nächste Frage hat die Kol-
legin Veronika Bellmann.


Veronika Bellmann (CDU):
Rede ID: ID1502102400

Herr Minister, Ihr Optimismus in allen Ehren; auch wir

wollen nicht alles schlechtreden. Dennoch werde ich das
Gefühl nicht los – auch nicht nach der Vorstellung des Jah-
reswirtschaftsberichts –, dass die Regierung einen Zick-
zackkurs vollführt: Auf ein Zick folgt konsequenterweise
immer ein Zack, man weiß aber nicht, in welche Richtung.
Ich möchte meine Fragen ganz klar in eine Richtung len-
ken, nämlich auf das Thema Ost.


(A)



(B)



(C)



(D)


1618


(A)



(B)



(C)



(D)






Sie haben vorhin gesagt, Ihr Optimismus rühre daher,
dass das Hartz-Konzept umgesetzt werden soll usw. In der
Anhörung wurde uns von Florian Gerster gesagt, dass
viele Maßnahmen des zweiten Arbeitsmarktes im Osten
nicht ziehen. Ich spreche hier hauptsächlich die Arbeits-
vermittlung an. Wie soll die besser funktionieren und wie
sollen mehr Menschen Beschäftigungs- und Arbeitsplätze
bekommen, wenn keine zu vermitteln sind? Wie wollen
Sie speziell im Osten die Vermittlung stärken?

Meine zweite Frage betrifft das Thema Ostförderung
insgesamt: Im Entwurf des Haushaltsplanes wurden die
Mittel für die GA Ost um 60 Millionen gekürzt. Meinen
Sie, dass die Wirtschaft im Osten sich schon selbst trägt
und so stabil ist, dass man sich das erlauben kann?

Wolfgang Clement, Bundesminister für Wirtschaft
und Arbeit:

Ich glaube, dass Sie mit Ihrer Auffassung, die Bundes-
regierung vollziehe einen Zickzackkurs, falsch liegen.
Die Bundesregierung hat einen klaren Kurs eingeschla-
gen; dieser Kurs ist auf mehr Wachstum ausgerichtet. Ich
habe jetzt mehrfach die entsprechenden Schritte geschil-
dert: die Steuerentlastungen in den Jahren 2004 und 2005;
in diesem Jahr werden wir Maßnahmen ergreifen, um die
Lohnnebenkosten senken zu können; parallel dazu erar-
beiten wir eine Reform der sozialen Sicherungssysteme;
ich habe über die Mittelstandsoffensive, über Bürokra-
tieabbau und Ähnliches gesprochen. – All diese Schritte
kennen Sie; sie sind alle auf das gleiche Ziel ausgerichtet,
nämlich das Wachstum zu fördern und gleichzeitig den
Arbeitsmarkt zu entlasten.

Weiterhin habe ich darauf hingewiesen, was wir ge-
meinsam – jedenfalls CDU/CSU, Koalitionsfraktionen
und die Bundesregierung – getan haben, nämlich die För-
derung des Niedriglohnsektors, um auch bei niedrigerem
Wachstum eine höhere Beschäftigungsrate zu erzielen.
Bei der Betrachtung dessen – wir haben darüber schon
einmal unter vier Augen gesprochen –, was Ostdeutsch-
land angeht, wehre ich mich gegen die Auffassung und
werde auch versuchen, das in Ostdeutschland deutlich zu
machen, als verfolgten die auf dem Hartz-Konzept auf-
bauenden Gesetze und unsere Mittelstandsförderung ein
westlich orientiertes Programm. Es sind sehr wohl sehr
wichtige Maßnahmen dabei, bis hin zum Programm Ka-
pital für Arbeit, die für ostdeutsche Unternehmen von
außerordentlicher Bedeutung sind.

Es kommt hinzu, dass wir in Deutschland insgesamt,
aber in Ostdeutschland in besonderer Weise, die Erweite-
rung der Europäischen Union durch den Beitritt der mit-
tel- und osteuropäischen Länder ins Visier nehmen soll-
ten. Die Bundesregierung wird auf diesem Sektor die
notwendigen Aktivitäten einleiten, um beispielsweise
durch Begegnungen von Unternehmern mehr Bewegung
zu erzeugen. Von Wien aus geschieht dies bereits; die
Österreicher sind nun einmal im Umgang mit den mittel-
und osteuropäischen Staaten gut trainiert. Wir werden
also die notwendigen Aktivitäten einleiten. Insgesamt
sind die finanziellen Aufwendungen vonseiten des Bun-
des für Ostdeutschland gleich bleibend hoch. Bitte
berücksichtigen Sie insbesondere, dass wir einen Bund-

Länder-Finanzausgleich haben, der bis zum Jahre 2019
reicht und dem Infrastrukturaufbau dient. Ich glaube, dass
wir gute Voraussetzungen haben, um all das zu schaffen.

Im Übrigen ist die Entwicklung im gewerblichen Be-
reich in Ostdeutschland deutlich besser als im Westen;
auch das Wachstum ist höher. Der Blick wird nur durch
die Entwicklung der Bauwirtschaft in Ostdeutschland ver-
stellt. Die Entwicklungen geben also durchaus zur Zuver-
sicht Anlass. Wir werden sie verstärken und dazu im Laufe
dieses Jahres die notwendigen Aktivitäten einleiten.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1502102500

Vielen Dank. – Die nächste Frage hat die Kollegin

Dr. Gesine Lötzsch. Ich bitte jetzt um kurze Fragen und
kurze Antworten, weil die Zeit eigentlich schon abgelau-
fen ist. Bitte.


Dr. Gesine Lötzsch (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1502102600

Vielen Dank, Herr Präsident. – Herr Bundesminister,

ich würde gerne wissen, wie hoch die Bundesregierung
den Anteil der Schwarzarbeit am Bruttoinlandsprodukt
schätzt und welche Maßnahmen die Bundesregierung im
Jahreswirtschaftsbericht ausgewiesen hat, um den Anteil
der Schwarzarbeit zu reduzieren.

Wolfgang Clement, Bundesminister für Wirtschaft
und Arbeit:

Ich habe nicht im Kopf, ob es im Jahreswirtschaftsbe-
richt eine Anmerkung dazu gibt. Aber wir rechnen damit,
dass 4 bis 5Millionen illegale Beschäftigungsverhältnisse
in Schwarzarbeit bestehen.

Was tun wir? Wir gehen davon aus, dass wir durch die
Maßnahmen, die wir im gering qualifizierten Bereich ein-
geleitet haben, inklusive der neu hinzugekommenen steu-
erlichen Absetzbarkeit, sowohl Arbeitgeber als auch Ar-
beitnehmer aus der Schwarzarbeit herausholen können.
Die Möglichkeiten steuerlicher Entlastung, die wir anbie-
ten, wirken ja sogar bis in die persönlichen Lebensver-
hältnisse hinein.

Das sind wichtige Maßnahmen; es sind durchaus An-
reize, aus der Schwarzarbeit herauszukommen. Es besteht
das Angebot, ein legales Arbeitsverhältnis anzunehmen,
und zwar unter bürokratisch einfachsten Bedingungen.
Das spielt eine große Rolle. Wir tun gut daran, die Men-
schen zu ermutigen, davon Gebrauch zu machen.

Darüber hinaus werde ich darauf hinzuwirken ver-
suchen, dass der Einsatz der Instrumente gegen die
Schwarzarbeit auf eine Stelle konzentriert wird; zurzeit
sind noch mehrere Stellen damit beschäftigt.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1502102700

Die letzte Frage hat die Kollegin Dagmar Wöhrl.


Dagmar G. Wöhrl (CSU):
Rede ID: ID1502102800

Herr Minister, Sie sind wirklich Ankündigungswelt-

meister, wenn ich das so bezeichnen darf. Leider schaut es

Veronika Bellmann




DagmarWöhrl
in der Realität und in der Umsetzung etwas anders aus. Im
Jahreswirtschaftsbericht wurde die Prognose für das Wirt-
schaftswachstum auf 1 Prozent gesenkt. Wie sehen Sie die
Auswirkungen auf den Haushalt der Regierung, die noch
immer von einem Wirtschaftswachstum von 1,5 Prozent
ausgeht, und wie ist der Zeitplan bezüglich der Umset-
zung des Masterplans für den Bürokratieabbau?

Wolfgang Clement, Bundesminister für Wirtschaft
und Arbeit:

Frau Kollegin Wöhrl, Sie mögen bitte entschuldigen:
Ich vermag Ihre Äußerung hinsichtlich des „Ankündi-
gungsweltmeisters“ nicht ganz zu verstehen. Sie waren
dabei, als wir die Gesetze beschlossen haben, die ich an-
gekündigt habe. Da ist also etwas vollzogen worden.


(Zuruf der Abg. Dagmar Wöhrl [CDU/CSU])

– Das ist Ihnen zu verdanken, aber ein bisschen auch mir;
wir haben es gemeinsam getan. Dabei waren weder Sie
eine Ankündigungskollegin noch war ich ein Ankündi-
gungsminister, sondern wir waren Handlungsbevoll-
mächtigte und haben entsprechend gehandelt. So wird es
auch weiterhin der Fall sein.

Nun zu den geringeren Wachstumserwartungen. Sie
tun immer so, als liege die Projektion allein auf meinem
Rücken. Die zugrunde gelegten Wachstumserwartungen
waren vom Herbst des vergangenen Jahres; nun aber
sagen die Wissenschaftler und die Sachverständigen, dass
sich – damit wir das nicht vergessen: insbesondere auf-
grund der weltkonjunkturellen Ereignisse, die für Deutsch-
land wichtiger als für alle anderen Länder sind, da wir mit
der Weltwirtschaft stärker verflochten sind – andere Da-
ten ergeben.

Zu den Auswirkungen auf den Haushalt: Wir bleiben
unter 3 Prozent Neuverschuldung. Wir haben zurzeit,
wenn ich das richtig im Kopf habe, eine Nettoneuver-
schuldung von 18,9 Milliarden Euro. Das ist keine
Ankündigung, sondern die Beschreibung einer Tatsache.
Genau so wird es sich weiter vollziehen, Frau Kollegin.


(Dagmar Wöhrl [CDU/CSU]: Und der Bürokratieabbau?)


– Wir sind in der Vorbereitung. Wir können das ja ge-
meinsam mit hohem Tempo machen; wenn Sie mitma-
chen, werden wir das schneller hinbekommen und so
rasch von der Ankündigung zur Handlung kommen. Ich
freue mich auf die Zusammenarbeit mit Ihnen.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1502102900

Vielen Dank, Herr Bundesminister Clement, dass Sie

sich persönlich den Fragen der Kollegen gestellt haben,
was ja auch bei der Regierungsbefragung nicht selbstver-
ständlich ist.

Ich darf fragen, ob es zu anderen Themenbereichen
noch Fragen an die Bundesregierung gibt. Es sind keine
angemeldet worden. – Das ist nicht der Fall. Dann beende
ich die Befragung.

Wir kommen zur Fragestunde:

Fragestunde
– Drucksache 15/344 –

Zunächst rufe ich den Geschäftsbereich des Bundes-
ministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
auf. Zur Beantwortung steht die Parlamentarische Staats-
sekretärin Marieluise Beck zur Verfügung.

Wir kommen zur Frage 1 der Kollegin Petra Pau:
Wie viele rechtsextreme, fremdenfeindliche und antisemiti-

sche Schriften, Bücher, CDs, Filme und Tonträger sind im Jahr
2002 indiziert worden?

Marieluise Beck, Parl. Staatssekretärin bei der Bun-
desministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend;
Beauftragte der Bundesregierung für Migration, Flücht-
linge und Integration:

Frau Kollegin Pau, im Jahreszeitraum 2002 hat die
Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften 39Trä-
germedien verboten, weil sie rechtsextremistischen, frem-
denfeindlichen oder antisemitischen Inhalt hatten. Es han-
delte sich dabei überwiegend um CDs, und zwar um 28,
acht Bücher und Broschüren und drei Computerspiele.
Videofilme waren bei den indizierten Trägermedien nicht
dabei.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1502103000

Zusatzfragen, Frau Pau? – Bitte schön.


Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1502103100

Herzlichen Dank. – Eine erste Nachfrage. Gab es nach

der Indizierung der genannten Materialien besondere Ak-
tionen zur Sicherstellung von rechtsextremen Schriften,
CDs oder auch Schallplatten?

Marieluise Beck, Parl. Staatssekretärin bei der Bun-
desministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend;
Beauftragte der Bundesregierung für Migration, Flücht-
linge und Integration:

Die Bundesprüfstelle indiziert weiter und zieht all das
ein, dessen sie habhaft werden kann.


Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1502103200

Eine zweite Nachfrage. Welche Maßnahmen hat die

Bundesregierung im Jahre 2002 ergriffen, um gegen sol-
che rechtsextremen Machwerke aufklärerisch vorzugehen
bzw. die Öffentlichkeit dafür zu sensibilisieren? Was ha-
ben Sie im Jahre 2003 auf diesem Gebiet vor?

Marieluise Beck, Parl. Staatssekretärin bei der Bun-
desministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend;
Beauftragte der Bundesregierung für Migration, Flücht-
linge und Integration:

Sie wissen, dass die Bundesregierung in verschiedenen
Ressorts breit angelegte Programme gegen Rechtsextre-
mismus und Fremdenfeindlichkeit und – positiv formu-
liert – Programme für Demokratie und Toleranz auf den


(A)



(B)



(C)



(D)


1620


(A)



(B)



(C)



(D)






Weg gebracht hat. Diese Programme richten sich sowohl
an Jugendliche als auch an Erwachsene als Mediatoren.
Durch dieses Programmtableau wird die Aufmerksamkeit
gegenüber antisemitischen, rechtsradikalen und fremden-
feindlichen Trägermedien gestärkt.

Zu der Frage, was im Jahr 2003 geplant ist: Sie wissen,
dass das Jugendschutzgesetz novelliert worden ist. Die
Probleme, die sich daraus ergaben, dass der Medienbe-
reich überwiegend Ländersache ist, sind gelöst worden.
Nun können auch Inhalte im Internet, einem von den
Jugendlichen sehr stark genutztes Medium, von der Bun-
desprüfstelle für jugendgefährdende Schriften indiziert
werden. Das ist Gegenstand des Jugendmedienschutz-
Staatsvertrags, der voraussichtlich am 1.April in Kraft tritt.
Wir können also davon ausgehen, dass sich die Zugriffs-
möglichkeiten noch einmal deutlich verbessern werden.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1502103300

Weitere Fragen liegen dazu nicht vor. Vielen Dank,

Frau Staatssekretärin.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesminis-

teriums für Gesundheit und Soziale Sicherung. Zur Be-
antwortung steht der Parlamentarische Staatssekretär
Franz Thönnes zur Verfügung.

Ich rufe die Frage 2 der Kollegin Dr. Gesine Lötzsch
auf:

Teilt die Bundesregierung mit mir die Auffassung, dass die
Reduzierung der Arbeitslosigkeit schwerbehinderter Menschen in
der Zeit von 1999 bis 2002 im Alter von 55 Jahren und älter um
45,1 Prozent – Männer: minus 48,6 Prozent; Frauen: minus
38,5 Prozent – nicht in erster Linie auf die Schaffung von Ar-
beitsplätzen zurückzuführen ist, sondern vielmehr auf eine zu-
nehmende Verrentung dieser Altersgruppe, und wie bewertet die
Bundesregierung den geringen Rückgang der Arbeitslosigkeit von
Schwerbehinderten unter 55 Jahren, der im Vergleichszeitraum le-
diglich 5,9 Prozent betrug?

F
Franz Thönnes (SPD):
Rede ID: ID1502103400


Frau Abgeordnete Lötzsch, der Bundesregierung lie-
gen keine aussagefähigen Strukturdaten vor, die eine Be-
urteilung zulassen, ob der Rückgang der Arbeitslosigkeit
schwerbehinderter Menschen im Alter von 55 Jahren und
älter auf eine Zunahme der Verrentung in dieser Alters-
gruppe zurückzuführen ist.

Die vorliegenden Daten der Bundesanstalt für Arbeit
stützen eine derartige Vermutung nicht. Danach stellt der
Abgang in Krankheit die größte Gruppe der Abgänge
schwerbehinderter Menschen aus Arbeitslosigkeit dar, ge-
folgt von einem Abgang in Arbeit und Ausbildung insge-
samt. Demgegenüber sind vom Januar bis Oktober 2002
nur 25 503 arbeitslose schwerbehinderte Menschen aus
dem Erwerbsleben ausgeschieden. Dies entspricht einem
Anteil von ungefähr 11 Prozent aller Abgänge.

In den Altersgruppen der schwerbehinderten Arbeits-
losen unter 55 Jahren verlief die Entwicklung unter-
schiedlich. Während nach den Strukturanalysen der Bun-
desanstalt für Arbeit zwischen 1999 und 2002 in den mit
rund 31 Prozent aller unter 55 Jahre alten arbeitslosen
schwerbehinderten Menschen relativ stark besetzten Al-
tersgruppen der 25- bis unter 40-Jährigen ein Rückgang

der Arbeitslosigkeit von 15 Prozent zu verzeichnen war,
lag der Rückgang in der ebenfalls starken Altersgruppe
zwischen 40 bis unter 45 Jahren bei lediglich 0,3 Prozent.

Die Bundesregierung wird bei der Weiterentwicklung
der Konzeption zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit
schwerbehinderter Menschen Gespräche mit der Bundes-
anstalt für Arbeit über eine Analyse der Gründe dieser
Entwicklung führen, damit dies bei den neu festzulegen-
den Zielvorgaben berücksichtigt werden kann.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1502103500

Zusatzfrage? – Frau Lötzsch, bitte.


Dr. Gesine Lötzsch (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1502103600

Ich möchte daran erinnern, dass wir vor 14 Tagen im

Parlament dazu eine Debatte geführt haben und dass in
dieser Debatte festgestellt worden ist, dass der Rückgang
der Arbeitslosigkeit bei Schwerbehinderten nicht in dem
Maß eingetreten ist, wie man es sich zum Ziel gesetzt
hatte und wie es gewünscht worden war. Welche konkre-
ten Schlussfolgerungen will die Bundesregierung ziehen,
damit speziell für schwerbehinderte Menschen geeignete
Arbeitsplätze geschaffen werden können?

F
Franz Thönnes (SPD):
Rede ID: ID1502103700


Die Einschätzung, die Ihrer Frage zugrunde liegt, kann
die Bundesregierung mit Ihnen, Frau Abgeordnete
Lötzsch, nicht teilen. Wir hatten verabredet, bis zum
Herbst 2002 50 000 Jobs für Schwerbehinderte schaffen
und die Arbeitslosigkeit unter den Schwerbehinderten um
25 Prozent verringern zu wollen. Dieses Ziel ist bis auf ei-
nige Stellen nach dem Komma erreicht worden.

Ich weise darauf hin, dass im Rahmen dieser Kampa-
gne rund 151 500 schwerbehinderte Menschen in Arbeit
integriert werden konnten. Das Ziel, 50 000 Menschen
wieder in Arbeit zu bringen, ist damit ganz eindeutig mehr
als erreicht. Wir werden in der nächsten Woche mit den
auf diesem wichtigen Feld beteiligten Verbänden Ge-
spräche darüber führen, warum die Entwicklung in ein-
zelnen Bereichen – insbesondere vor dem Hintergrund der
unterschiedlichen Betroffenheit der Altersgruppen – so
und nicht anders war. Wir werden erörtern, was wir in Zu-
sammenarbeit mit der Bundesanstalt für Arbeit, den Be-
ratungskompetenzen, die notwendig sind, den Verbänden,
den Integrationsfachdiensten, aber eben auch der Wirt-
schaft tun können, um dieser in ganz besonderer Weise
– von Arbeitslosigkeit und Behinderung – betroffenen
Gruppe die Integration in das Arbeitsleben zu erleichtern.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1502103800

Eine weitere Zusatzfrage, Kollegin Lötzsch.


Dr. Gesine Lötzsch (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1502103900

Sie müssen doch zustimmen – das ist in den Druck-

sachen des Bundestages nachzulesen –, dass das gesetzte
Ziel einer Senkung um 25 Prozent nicht erreicht worden
ist.

Parl. Staatssekretärin Marieluise Beck





F
Franz Thönnes (SPD):
Rede ID: ID1502104000


Ich glaube, wir lagen bei 23,9 Prozent. Man kann sich
natürlich um 1,1 Prozent streiten.

Ich spreche allen Beteiligten, die sich daran beteiligt
haben, den Arbeitsämtern, den Behindertenverbänden,
den Integrationsfachdiensten und auch der Wirtschaft,
meinen Dank aus. Ich möchte nicht – das sage ich ganz
deutlich –, dass das Ergebnis wegen fehlender 1,1 Prozent
schlechtgeredet wird.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1502104100

Weitere Fragen hierzu liegen nicht vor.
Wir kommen zur Frage 3 der Kollegin Lötzsch:

Wird die Bundesregierung bei der Weiterentwicklung der Ziel-
vorgaben darauf achten, dass wirklich die neu geschaffenen
Arbeitsplätze für schwerbehinderte Arbeitslose erfasst werden
und die Verringerung der Arbeitslosigkeit durch Verrentung nicht
in die Statistik einfließt bzw. gesondert ausgewiesen wird?

F
Franz Thönnes (SPD):
Rede ID: ID1502104200


Frau Kollegin Lötzsch, die Bundesregierung hat schon
bisher großen Wert darauf gelegt, dass möglichst viele
Arbeitsplätze für schwerbehinderte Menschen, insbeson-
dere für arbeitslose schwerbehinderte Menschen, ge-
schaffen werden. Zu diesem Zweck hat sie die Umsetzung
des Gesetzes zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit
Schwerbehinderter durch die Kampagne „50 000 Jobs für
Schwerbehinderte“ in der Öffentlichkeit begleitet.

Diese Kampagne war – das habe ich gerade darge-
stellt – sehr erfolgreich. Die Beschäftigungssituation
schwerbehinderter Menschen konnte stetig verbessert
werden. In den drei Jahren von Oktober 1999 bis Ok-
tober 2002 sind – wie gerade schon ausgeführt –
151 500 schwerbehinderte Menschen durch die Bun-
desanstalt für Arbeit in Arbeit vermittelt worden. In
55 000 Fällen wurde die Einmündung in den allgemeinen
Arbeitsmarkt durch die speziellen Leistungen der Bun-
desanstalt für Arbeit zur Förderung der Beschäftigung
schwerbehinderter Menschen ermöglicht.

Im Vordergrund werden auch weiterhin die Bemühun-
gen um eine nachhaltige, deutliche Verbesserung der Be-
schäftigungssituation schwerbehinderter Menschen ste-
hen. Allerdings wird es nicht möglich sein, im Einzelfall
festzustellen, ob schwerbehinderte Menschen auf einem
für sie neu geschaffenen Arbeitsplatz beschäftigt werden.
Der hiermit für die Arbeitgeber und die Bundesanstalt für
Arbeit verbundene Verwaltungsaufwand wäre im Hin-
blick auf den aus solchen Angaben resultierenden Er-
kenntniswert nicht vertretbar.

Maßgebend muss vielmehr sein, dass Arbeitgeber
möglichst viele Arbeitsplätze für schwerbehinderte Men-
schen zur Verfügung stellen. Die Abgänge aus der Er-
werbstätigkeit – sie erfolgen in aller Regel in die Rente –
werden bereits heute statistisch gesondert erfasst.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1502104300

Zusatzfrage? – Das ist nicht der Fall. Vielen Dank, Herr

Staatssekretär.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesminis-

teriums für Bildung und Forschung. Zur Beantwortung
steht der Parlamentarische Staatssekretär Christoph
Matschie zur Verfügung.

Ich rufe die Frage 4 des Kollegen Michael Kretschmer
auf:

Wie hoch ist der jährliche Mittelabfluss des „Sonderprogramms

(InnoRegio)

kerne in den neuen Ländern“ vom Start der Programme bis Jahres-
ende 2002 gewesen?

C
Christoph Matschie (SPD):
Rede ID: ID1502104400


Herr Kollege Kretschmer, der jährliche Mittelabfluss
des „Sonderprogramms zur Förderung innovativer Regio-
nen in den neuen Ländern“ stellt sich wie folgt dar: im
Jahr 1999 2,6 Millionen Euro, im Jahr 2000 8,8 Millionen
Euro, im Jahr 2001 15,8 Millionen Euro und im Jahre
2002 30,1 Millionen Euro. Damit wurden in den Jahren
1999 bis 2002 insgesamt 57,3 Millionen Euro für dieses
Programm bereitgestellt.

Der Abfluss der für das Programm „Innovative regio-
nale Wachstumskerne in den neuen Ländern“ vorgesehe-
nen Mittel stellt sich seit dem Start des Programms in fol-
gender Höhe dar: im Jahre 2001 28,8 Millionen Euro und
im Jahre 2002 15,9Millionen Euro. Insgesamt wurden für
die Jahre 2001 und 2002 44,7 Millionen Euro bereitge-
stellt.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1502104500

Herr Kretschmer, Ihre Zusatzfrage, bitte schön.


Michael Kretschmer (CDU):
Rede ID: ID1502104600

Es handelt sich dabei um ein sehr innovatives Pro-

gramm, das den Ansatz hat, Netzwerke zu schaffen. Lei-
der hat uns Ihr Vorgänger im Amt keine so gute und inno-
vative Organisation und Antragsgestaltung beschert. Das
hat den Effekt, dass wir gerade im Hinblick auf das Pro-
gramm „Inno-Regio“ nicht das erreicht haben, was beab-
sichtigt war: eine hohe Mittelauslastung. Die Laufzeit die-
ses Programms musste daher bis zum Jahr 2006
verlängert werden.

Wann informiert uns die Bundesregierung über die Er-
folge dieses Programms und welche Schlussfolgerungen
ziehen Sie im Hinblick auf das Antragsverfahren?

C
Christoph Matschie (SPD):
Rede ID: ID1502104700


Zunächst einmal ist es richtig, dass es gerade in der
Konzeptionsphase und auch zu Beginn der Umsetzungs-
phase Schwierigkeiten gab. Denn es handelt sich um ein
sehr komplexes Programm, ein Programm, für dessen
Umsetzung erst Strukturen aufgebaut werden mussten.


(A)



(B)



(C)



(D)


1622


(A)



(B)



(C)



(D)






Inzwischen hat die Bundesregierung drei Sachstandsbe-
richte vorgelegt. Der letzte ist erst ein halbes Jahr alt. Er
dokumentiert, wie erfolgreich sich inzwischen der Pro-
zess entwickelt hat. Das wird im Übrigen auch von exter-
nen Gutachtern anerkannt.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1502104800

Ihre zweite Zusatzfrage, bitte schön.


Michael Kretschmer (CDU):
Rede ID: ID1502104900

Welche Planungen gibt es für die Zeit nach dem Aus-

laufen des Programms „Inno-Regio“ im Jahre 2006 und
des Programms „Innovative regionale Wachstumskerne
in den neuen Ländern“ im nächsten Jahr? Können Sie
dazu Aussagen machen?

C
Christoph Matschie (SPD):
Rede ID: ID1502105000


Im Moment geht es darum, das erfolgreiche Programm
„Inno-Regio“ fortzuführen. Wir haben deshalb dessen
Laufzeit bis 2006 verlängert. Auch in den kommenden
Jahren stehen erhebliche Mittel zur Verfügung. Ich halte
es für ein erfolgreiches Programm, das auch weiterhin für
die neuen Bundesländer notwendig ist. Ein solches erfolg-
reiche Programm sollte man nicht gleich wieder durch
irgendetwas Neues ersetzen. Es macht auch wenig Sinn,
darüber zu spekulieren, wie es 2006 weitergeht. Wir be-
finden uns heute im Jahre 2003. Wir sind gewillt, dieses
Programm fortzusetzen, und stocken trotz aller Haus-
haltsrestriktionen, die es an anderen Stellen gibt, die im
Haushalt dafür vorgesehenen Mittel deutlich auf.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1502105100

Vielen Dank, Herr Staatssekretär.
Wir kommen dann zum Geschäftsbereich des Auswär-

tigen Amtes. Zur Beantwortung steht Staatsminister Hans
Martin Bury zur Verfügung.

Ich rufe die Frage 5 des Abgeordneten Günter
Baumann auf:

Werden mit der EU-Osterweiterung die Kontrollen des Per-
sonen- und Warenverkehrs an der deutsch-polnischen und
deutsch-tschechischen Grenze gänzlich entfallen oder werden die
Grenzkontrollen in modifizierter Form für eine Übergangszeit
aufrechterhalten?


Hans Martin Bury (SPD):
Rede ID: ID1502105200

Herr Kollege Baumann, mit dem Beitritt zum 1. Mai

2004 werden die Kontrollen des Warenverkehrs durch den
Zoll zwischen Deutschland und Polen sowie der Tsche-
chischen Republik abgeschafft, da es sich dann um EU-
Binnengrenzen handeln wird. Weiterhin zulässig werden
jedoch die so genannten mobilen Kontrollgruppen sein.
Dabei handelt es sich um Beamte, die nicht unmittelbar an
der Grenze, sondern nur im Hinterland und nur stichpro-
benartig kontrollieren dürfen. Diese Kontrollen sind ge-
meinschaftsrechtlich zulässig, da sie nicht unmittelbar mit
dem Grenzübertritt zusammenhängen.

Dagegen bleiben grenzpolizeiliche Maßnahmen zur
Personenkontrolle zunächst vom Beitritt unberührt. Es
wird einen deutlichen Zeitabstand zwischen dem EU-Bei-
tritt zum 1. Mai 2004 und dem In-Kraft-Setzen des Schen-
gener Durchführungsübereinkommens, das heißt der Ein-
führung der Kontrollfreiheit des Personenverkehrs an den
EU-Binnengrenzen zu Polen und Tschechien, geben.

Dem endgültigen Wegfall der EU-Binnengrenzkon-
trollen ist eine gründliche Evaluierung der Anwendung
des Schengener Besitzstandes vorgeschaltet. Nach erfolg-
reicher Evaluierung muss der Rat der Europäischen
Union einstimmig für jeden der neuen Mitgliedstaaten ge-
sondert die volle Schengen-Mitgliedschaft beschließen.
Erst nach diesem Beschluss werden die Personenkontrol-
len an der deutsch-polnischen und an der deutsch-tsche-
chischen Grenze eingestellt.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1502105300

Zusatzfrage, Herr Kollege Baumann.


Günter Baumann (CDU):
Rede ID: ID1502105400

Herr Staatsminister, ich habe eine Zusatzfrage zum

Thema Zoll. Sie sprachen davon, dass sich im Rahmen der
EU-Erweiterung die Kontrollen durch den Zoll erübrigen
werden. Heißt das, dass die Beschäftigten des Zolls aus der
betroffenenRegion abgezogenwerden? InmeinemHeimat-
land, in Sachsen,würde das relativ vieleBeschäftigte betref-
fen. Gibt es eine andere Verwendung für diese Zollbeschäf-
tigten?Können sieweiterhin in dieserRegion tätig sein, zum
Beispiel im Rahmen einer Verlagerung von Bundesbehör-
den, oder werden sie in eine andere Region versetzt?


Hans Martin Bury (SPD):
Rede ID: ID1502105500

Herr Kollege, bereits seit 2002 wurde dem wegfallen-

den Personalbedarf an den Ostgrenzen durch rückläufige
Einstellungen Rechnung getragen. Im Übrigen ist eine so-
zialverträgliche Aufgabenverlagerung vorgesehen.

Von den rund 6 500 bald nicht mehr zur Zollkontrolle
an den Ostgrenzen eingesetzten Bediensteten kann mehr
als ein Drittel weiterhin grenznah verwendet werden. Dies
soll, ähnlich wie bei der Abschaffung der Zollkontrollen
an den Westgrenzen, durch Verlagerung von Zollverwal-
tungsaufgaben aus anderen Gebieten in die ehemaligen
Grenzgebiete erfolgen. Auch die mobilen Kontrollgrup-
pen und die Bekämpfung der illegalen Beschäftigung
durch den Zoll sollen verstärkt werden.

Im Übrigen ist eine Versetzung von Beschäftigten in
andere Gebiete der Bundesrepublik erforderlich, in denen
durchaus noch Personalbedarf in der Zollverwaltung be-
steht.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1502105600

Zweite Zusatzfrage. Bitte, Herr Kollege Baumann.


Günter Baumann (CDU):
Rede ID: ID1502105700

Herr Staatsminister, habe ich richtig verstanden, dass an-

dere Behörden in die Regionen, wo die Grenzen geöffnet

Parl. Staatssekretär Christoph Matschie




Günter Baumann
werden, verlagert werden und die Zollbeschäftigten dort
eine Arbeit finden, also zwei Drittel in der Region be-
schäftigt bleiben?


Hans Martin Bury (SPD):
Rede ID: ID1502105800

Herr Kollege, ich hatte eben ausgeführt, dass mehr als

ein Drittel weiterhin grenznah verwendet werden kann,
und zwar durch die Verlagerung von Zollverwaltungsauf-
gaben aus anderen Gebieten, zum Beispiel Binnenzoll-
ämtern und Bundeskassen.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1502105900

Eine weitere Frage des Kollegen Klaus Rose.


Dr. Klaus Rose (CSU):
Rede ID: ID1502106000

Aus der Überraschung heraus, dass Sie schon so genaue

Zahlen über die Beschäftigten beim Zoll haben, möchte
ich meine Frage ein bisschen anders stellen. Bei mir geht
es um den tschechisch-bayerischen Grenzraum. Die Zoll-
beschäftigten selber hoffen, dass sie durch Verlagerung
von Zuständigkeiten zusätzliche Beschäftigungsmöglich-
keiten bekommen. Die Sicherheitslage im Warenverkehr
war schon bisher miserabel. Denn nach Auskunft des Bun-
des der deutschen Zollbeamten ist bisher aufgrund des feh-
lenden Personals höchstens 1 Prozent des Warenflusses
kontrolliert worden. Wer den Zusammenhang zum Bei-
spiel mit der BSE-Hysterie im Agrarbereich sieht, weiß,
was das bedeutet. Wie stellen Sie sich da die Zukunft vor?


Hans Martin Bury (SPD):
Rede ID: ID1502106100

Herr Kollege, auch aus den genannten Gründen sollen

frei werdende Kapazitäten zur Verstärkung der mobilen
Kontrollgruppen und der Bekämpfung der illegalen Be-
schäftigung durch den Zoll verwendet werden.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1502106200

Eine weitere Frage des Kollegen Kretschmer.


Michael Kretschmer (CDU):
Rede ID: ID1502106300

Ihren Ausführungen zufolge würden 4 000 Beschäf-

tigte die ostdeutschen Grenzregionen verlassen müssen,
zwei Drittel der Beschäftigten. Dazu kommen die Fami-
lien; das ist ein ganz erheblicher Abfluss von Kaufkraft
und eben auch von Menschen mit Auswirkungen auf die
regionale Wirtschaft. Sie unterstützen damit die Abwan-
derung. Ist dieses Thema mit dem zuständigen Staatsmi-
nister für den Osten in der letzten Regierung und dem jet-
zigen Minister Stolpe besprochen worden? Ist sich die
Bundesregierung darüber klar, was sie mit diesem Abzug
möglicherweise anrichtet?


Hans Martin Bury (SPD):
Rede ID: ID1502106400

Herr Kollege, ich finde, Sie sollten nicht völlig außer

Acht lassen, dass wir hier im Zusammenhang mit der
wirklich historischen Chance der Einigung Europas und
der Überwindung der Folgen des Zweiten Weltkrieges

sukzessive zunächst die Warenkontrollen und dann die
Personenkontrollen an den bisherigen Ostgrenzen beseiti-
gen können. Dass dies zwangsläufig mit Aufgabenver-
lagerungen für diejenigen verbunden ist, die bisher mit
diesen Kontrollen befasst waren, sollte die eigentliche Di-
mension des Themas, über das wir sprechen, nicht über-
lagern.

Der Kollege Schwanitz, der in der letzten Legislatur-
periode in der von Ihnen angesprochenen Funktion tätig
war, sagt mir gerade, dass es in der vergangenen Legisla-
turperiode Gespräche gegeben hat. Das für das Thema
Zoll federführende Finanzministerium ist auch gerne be-
reit, den neuen Kolleginnen und Kollegen Informationen
zu diesem Gesamtkomplex zur Verfügung zu stellen.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1502106500

Eine weitere Frage des Kollegen Dirk Niebel.


(Fritz Rudolf Körper, Parl. Staatssekretär: Seit wann versteht der etwas von Zoll?)



Dr. h.c. Dirk Niebel (FDP):
Rede ID: ID1502106600

Ja, glauben Sie einmal!
Herr Staatsminister, Sie haben schon die wegfallenden

Aufgaben beim Zoll geschildert. Nun wissen wir alle,
dass es auch immer wieder die Diskussion über die Struk-
turreform bei der Bundesanstalt für Arbeit gibt. Sowohl
der Zoll als auch die Bundesanstalt für Arbeit und die Po-
lizeibehörden der Länder beschäftigen sich ja mit der
Bekämpfung der illegalen Beschäftigung. Gibt es hier
Überlegungen, die frei werdenden Kapazitäten beim Zoll
dahin gehend zu nutzen, dass man die Bundesanstalt für
Arbeit als solche verkleinert und diese Kompetenzen bei
einer Behörde bündelt?


Hans Martin Bury (SPD):
Rede ID: ID1502106700

Herr Kollege Niebel, Sie sprechen jetzt über Fragen,

die sich im Zuständigkeitsbereich des Bundesministe-
riums der Finanzen und des Bundesministeriums für
Wirtschaft und Arbeit befinden. Inwieweit dort entspre-
chende Überlegungen angestellt werden, vermag ich Ih-
nen hier nicht mitzuteilen.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1502106800

Vielen Dank, Herr Staatsminister.
Die Fragen 6 bis 9 aus dem Geschäftsbereich des Bun-

desministeriums für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen
sollen schriftlich beantwortet werden.

Das Gleiche gilt für die Frage 10 aus dem Geschäftsbe-
reich des Bundeskanzlers und des Bundeskanzleramtes.

Deswegen kommen wir gleich zur Frage 11:
Welche Maßnahmen hat die Bundesregierung bei der Neu-

organisation des Deutschen Musikrates bis dato ergriffen oder ge-
denkt sie zu ergreifen, damit gewährleistet ist, dass zum einen die
Existenz des Deutschen Musikrates erhalten bleibt und zum an-
deren für wirkungsvoll auf das Haushaltsrecht achtende Kontroll-
und Prüfgremien gesorgt wird?


(A)



(B)



(C)



(D)


1624


(A)



(B)



(C)



(D)






Zur Beantwortung steht die Staatsministerin Dr. Christina
Weiss zur Verfügung.

D
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1502106900


Herr Scheuer, der Deutsche Musikrat befindet sich in
einem laufenden Insolvenzverfahren. Dementsprechend
ist für alle das Fortbestehen des Deutschen Musikrates be-
treffenden Fragen, unter anderem natürlich auch für die
Vorbereitung einer neuen Vereinssatzung, der vom Amts-
gericht Bonn eingesetzte vorläufige Insolvenzverwalter
zuständig. Die Bundesregierung hat ihm ihre kooperative
Unterstützung angeboten, um gemeinsam einen Weg aus
der Krise zu finden. Es sollte – das war meine ausdrück-
liche Bitte an den Insolvenzverwalter – eine neue Förder-
struktur entwickelt werden, die den Anforderungen an
eine moderne, von der öffentlichen Hand geförderte Pro-
jektarbeit genügt. Dazu gehört auch eine angemessene
Vertretung der Zuwendungsgeber in den Kontrollgremien
des Deutschen Musikrates.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1502107000

Zusatzfrage?


Andreas Scheuer (CSU):
Rede ID: ID1502107100

Ja. – Frau Weiss, stimmt es aber, dass im neuen Sat-

zungsentwurf, der Mitte März vom Deutschen Musikrat
verabschiedet werden soll, die entscheidenden Zuschuss-
geber – darunter befinden sich die zuständigen Bundes-
ministerien – weniger Einfluss und Kontrollmöglichkei-
ten haben? Was machen Sie dagegen?

D
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1502107200


Die neue Satzung hat die Voraussetzungen dafür zu
schaffen, dass eine vernünftige und angemessene Kontrolle
möglich ist. Wenn die neue Satzung diesen Anforderungen
nicht entspricht, können wir sie so nicht akzeptieren.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1502107300

Weitere Zusatzfrage? Bitte.


Andreas Scheuer (CSU):
Rede ID: ID1502107400

Man soll ja, bevor das Kind in den Brunnen gefallen

ist, eingreifen. Deswegen stelle ich folgende Frage: Hat
die Bundesregierung am neuen Satzungsentwurf inhalt-
lich mitgearbeitet und Einfluss genommen, sodass per-
sönliche Bereicherung und schwarze Kassen, die wir
beim Deutschen Musikrat festgestellt haben, zukünftig
nicht mehr möglich sind?

D
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1502107500


Wir haben insoweit teilgenommen, als wir intensive
Gespräche mit dem Insolvenzverwalter geführt haben.
Wir können noch nicht mit Sicherheit sagen, ob unsere
Meinungen in diesem Punkte deckungsgleich sind.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1502107600

Wir kommen zur Frage 12 des Kollegen Scheuer:

Haben bei der Neuorganisation des Deutschen Musikrates die
Kontroll- und Prüfgremien weiterhin denselben oder einen ver-
besserten Stellenwert in der neuen Satzung?

D
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1502107700


Herr Scheuer, es geht noch einmal darum, dass es un-
ser erklärtes Ziel ist, für die Kontroll- und Prüfgremien ei-
nen Stellenwert zu erreichen, der wirklich eine effektive
Kontrolle der Verwendung der öffentlichen Mittel ermög-
licht. Ich habe eben schon darauf hingewiesen: Die neue
Satzung, wie sie im Entwurf vorliegt, erfüllt die Anforde-
rungen dafür noch nicht.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1502107800

Zusatzfrage, Kollege Scheuer?


Andreas Scheuer (CSU):
Rede ID: ID1502107900

Ich entnehme dem, dass Sie nicht zufrieden sind, dass

Planungsrat und Verwaltungsrat in der neuen Satzung ab-
geschafft werden sollen?

D
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1502108000


Wir sind noch in Gesprächen, sowohl mit dem Insol-
venzverwalter als auch mit verschiedenen Vertreterinnen
und Vertretern des Deutschen Musikrates.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1502108100

Zweite Zusatzfrage.


Andreas Scheuer (CSU):
Rede ID: ID1502108200

Dann geben Sie sich also, so wie Sie es ausführen, nicht

zufrieden und arbeiten hoffentlich noch einmal nach, so-
dass im neuen Satzungsentwurf stehen wird, dass das Prä-
sidium ein bestelltes Präsidialausschussgremium einsetzt.
Ein Gremium, das vom Präsidium bestellt ist, kann, glaube
ich, die Kontrollfunktion nicht wahrnehmen. Kann ich
dem entnehmen, dass Sie hier forsch und bestimmt vorge-
hen, sodass alle haushaltsrechtlichen Kontrollen gesichert
sind?

D
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1502108300


Wir arbeiten an einer klaren Trennung zwischen Inte-
ressensvertretung und einem Kontrollgremium für die
Geschäftsführer.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1502108400

Vielen Dank, Frau Staatsministerin.
Wir kommen dann zum Geschäftsbereich des Bundes-

ministeriums des Innern. Zur Beantwortung steht der

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms




Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
Parlamentarische Staatssekretär Fritz Rudolf Körper zur
Verfügung.

Ich rufe die Frage 13 des Abgeordneten Dr. Klaus Rose
auf:

Welche Beweggründe veranlassten die Bundesregierung in
ihrem Erlass vom 20. September 2002 über die Stiftung der Ein-
satzmedaille „Fluthilfe 2002“, neben den Angehörigen der Bun-
deswehr und des Technischen Hilfswerks, THW, nur jene Feuer-
wehrleute für die Verleihung vorzusehen, die „mindestens einen
ganzen Tag vor Ort“ mit den Einsatzkräften des Bundes zusam-
mengearbeitet haben?

F
Fritz Rudolf Körper (SPD):
Rede ID: ID1502108500


Herr Kollege Rose, ich beantworte Ihre Anfrage wie
folgt: Die Einsatzmedaille „Fluthilfe 2002“ ist grundsätz-
lich eine Auszeichnung der Bundesminister des Innern
und der Verteidigung für die besonderen Verdienste der
Angehörigen beider Geschäftsbereiche bei der Bewäl-
tigung der Katastrophe im August 2002. In die Auszeich-
nung mit eingeschlossen wurden diejenigen Helfer – nicht
nur Feuerwehrleute –, die vorbildlich mit den Bundesein-
satzkräften zusammengearbeitet haben.

Nach der Stiftungssatzung ist für eine Auszeichnung
Voraussetzung, dass die Einsatzkraft mindestens einen
ganzen Tag vor Ort geholfen hat. Dies gilt sowohl für
die Angehörigen der Bundesorganisationen als auch für
Dritte.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1502108600

Es gibt keine Zusatzfrage.
Wir kommen zur Frage 14 des Kollegen Rose:

Ist sich die Bundesregierung der unterschiedlichen Behand-
lung all jener Feuerwehrleute, zum Beispiel in Bayern, bewusst,
die zwar außerordentlich hilfsbereit im Hochwassereinsatz waren,
aber eben ohne Zusammenarbeit mit Bundeswehr und THW, und
deshalb von der Verleihung der Einsatzmedaille ausgeschlossen
bleiben?

F
Fritz Rudolf Körper (SPD):
Rede ID: ID1502108700


Herr Kollege Rose, hier möchte ich auf meine Antwort
zu Ihrer vorigen Frage verweisen. Wenn die Vorausset-
zungen für die Verleihung einer Einsatzmedaille des Bun-
des nicht vorliegen, besteht auf Länderebene die Ge-
legenheit zur Auszeichnung. Eine entsprechende
Anregung der Hochwasserbeauftragten der Bundesregie-
rung vom September 2002 haben die Länder Brandenburg,
Hamburg, Niedersachsen, Sachsen, Sachsen-Anhalt und
Schleswig-Holstein aufgegriffen und eigene Ehrenzei-
chen gestiftet.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1502108800

Eine Zusatzfrage, bitte, Herr Rose.


Dr. Klaus Rose (CSU):
Rede ID: ID1502108900

Ich habe die Zusatzfrage: Können Sie nachempfinden,

dass die Feuerwehrleute, die tage- und wochenlang im

Einsatz waren – Passau und seine Region waren vom
Hochwasser sehr betroffen –, sehr viel geleistet und keine
Auszeichnung bekommen haben, weil sie dummerweise
nicht wenigstens einen Tag mit dem BGS, dem THWoder
der Bundeswehr zusammengearbeitet haben, „die da dro-
ben in Berlin“ überhaupt nicht mehr verstehen? Können
Sie nachempfinden, dass ein gewaltiger Streit zwischen
diesen Feuerwehrleuten und jenen aus der gleichen Ein-
heit, die eine Medaille erhalten haben, entsteht?

F
Fritz Rudolf Körper (SPD):
Rede ID: ID1502109000


Herr Kollege Rose, ich glaube, festhalten zu dürfen,
dass das Hochwasser im vergangenen Jahr an Elbe und
Mulde deutlich gemacht hat, dass all diejenigen, die im
Katastrophenschutz tätig waren, hervorragende Arbeit ge-
leistet haben. Das war völlig unabhängig von der Farbe
der Uniform.

Bezüglich der Verleihung von Orden und Ehrenzei-
chen gibt es Satzungen und Erlasse. Im Übrigen habe ich
Ihnen den Erlass, auf den sich diese Ehrung stützt, mitge-
bracht. Ich werde ihn Ihnen nachher überreichen, dann
können Sie darin noch ein wenig lesen.

Ich glaube, es war eine gute Sache, dass die Länder, die
von mir aufgezählt worden sind, eigene Ehrungen vorge-
nommen haben. Vielleicht hätte das der Freistaat Bayern
auch tun sollen. Wenn er es noch nicht getan hat, so könnte
er das noch nachholen.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1502109100

Eine weitere Zusatzfrage des Kollegen Rose, bitte.


Dr. Klaus Rose (CSU):
Rede ID: ID1502109200

Ich habe diese Antwort in etwa erwartet. Natürlich

können das die Länder selber machen. Aber es ist doch
verständlich, dass die Feuerwehrleute vor Ort, die diese
Auszeichnung gern bekommen hätten, sauer sind. Könnte
man die Satzung nicht irgendwann einmal ändern, um sol-
che Ungerechtigkeiten in Zukunft zu vermeiden?

F
Fritz Rudolf Körper (SPD):
Rede ID: ID1502109300


Lieber Herr Rose, reden Sie vielleicht einmal mit dem
Innenminister des Landes Bayern darüber, inwieweit das
aufgegriffen werden kann. Bei solchen Ehrungen gibt es
gewisse Regularien, das ist auch hier der Fall.

Nichtsdestotrotz gibt und gab es eine hervorragende
Zusammenarbeit und ich bin froh, dass es unter den bei
den Hilfsaktionen Tätigen keine Eifersüchteleien und
Kompetenzstreitigkeiten gegeben hat. Das wurde ganz
deutlich. Deshalb sage ich: Hut ab vor allen, die dort her-
vorragende Arbeit geleistet haben. Diese und andere Eh-
rungen sind dafür Ausdruck. Ich hoffe, dass wir weiterhin,
wenn es nötig wird, auf diejenigen zählen können, die bei-
spielsweise beim Technischen Hilfswerk, bei der Feuer-
wehr oder bei anderen Katastrophenschutzorganisationen
Hilfe geleistet haben.


(A)



(B)



(C)



(D)


1626


(A)



(B)



(C)



(D)







Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1502109400

Eine weitere Frage des Kollegen Scheuer.


Andreas Scheuer (CSU):
Rede ID: ID1502109500

Herr Staatssekretär, Sie sprachen vorhin vom Hoch-

wasser an Elbe und Mulde, ich möchte ergänzen, dass es
auch an der Donau ein Hochwasser gab.

Sie haben gelobt, dass kein Gerangel stattgefunden hat.
In Sonntagsreden heißt es, dass die Organisation der
Hilfsaktionen harmonisch verlaufen ist. Können Sie nicht
nachvollziehen, dass die Feuerwehrleute gern dieses
äußere Zeichen der nationalen Anerkennung hätten und
nicht nur dezentral ausgezeichnet werden möchten? Sie
aber lassen die Satzung als Argument gelten. Wie bewer-
ten Sie dies?

F
Fritz Rudolf Körper (SPD):
Rede ID: ID1502109600


Lieber Kollege Scheuer, erstens: Vielen Dank für den
Hinweis, dass es auch an der Donau Hochwasser gegeben
hat. Dies wollte ich nicht unterschlagen und wir halten
dies jetzt hiermit fest.


(Hartmut Koschyk [CDU/CSU]: Das ist gut so! – Dr. Klaus Rose [CDU/CSU]: Auch Schily war extra dort! Es war vor der Wahl!)


– Ich sehe, der Kollege Koschyk stimmt mir zu. Dies war
keine Absicht und die Hinzufügung ist nun erfolgt.

Zweitens. Es gibt nun einmal bestimmte Regularien
beispielsweise für die Verleihung des Bundesverdienst-
kreuzes oder einer Landesverdienstmedaille. Außerdem
haben auch Feuerwehrleute, die den Kriterien entspro-
chen haben, unsere Auszeichnung bekommen. Dies habe
ich auch deutlich gemacht.

Ich glaube, dass man hier keine falsche Diskussion in
Gang setzen sollte. Vielmehr sollte Anerkennung für all
diejenigen deutlich werden, die dort großartig geholfen
haben. Diese Auszeichnung war ein Symbol dafür. Dies
gilt auch für die Auszeichnungen vonseiten der Länder.
Ich denke, dass dies eine runde Sache ist.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1502109700

Wir kommen nun zur Frage 15 des Kollegen Clemens

Binninger:
Hat die Bundesregierung Erkenntnisse über die Gründe für die

Unterschiede in der Zahl der in die DNA-Analyse-Datei seit de-
ren Einrichtung im April 1998 eingestellten Dateien- und Spuren-
datensätze, wie sie sich aus der Antwort des Parlamentarischen
Staatssekretärs beim Bundesminister des Innern, Fritz Rudolf
Körper, vom 19. November 2002 auf die schriftliche Frage 9 der
Abgeordneten Katherina Reiche auf Bundestagsdrucksache
15/107 ergibt, und wenn ja, welche Schlüsse zieht sie daraus?

F
Fritz Rudolf Körper (SPD):
Rede ID: ID1502109800


Herr Kollege Binninger, ich beantworte Ihre Frage wie
folgt: Der Bundesregierung liegen keine detaillierten Er-
kenntnisse über die Ursachen des Speicherverhaltens der

Länder vor. Angesichts der grundsätzlichen Zuständig-
keit der Länder für die Strafverfolgung sieht sie es auch
nicht als ihre Aufgabe an, deren Vorgehensweise bei der
Speicherung von Datensätzen in der DNA-Analyse-Datei
zu bewerten.

Dessen ungeachtet appelliert die Bundesregierung an
die Länder, alle erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen,
um die bestehenden rechtlichen Möglichkeiten zu nutzen,
und zu verhindern, dass es zu Verzögerungen bei den Ein-
zelfallprüfungen der gesetzlichen Voraussetzungen für
molekulargenetische Untersuchungen von Körperzellen,
deren Durchführung oder der Speicherung der DNA-
Identifizierungsmuster in der DNA-Analyse-Datei kommt.

Sie begrüßt deshalb die Entschließung des Bundesrates
vom 12. Juni 2001, in der sich die Länder verpflichtet ha-
ben, ihre Anstrengungen zum Aufbau der im Gesetz vor-
gesehenen Gendateien zu verstärken.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1502109900

Zusatzfrage, Kollege Binninger.


Clemens Binninger (CDU):
Rede ID: ID1502110000

Herr Staatssekretär, ich habe zwei Zusatzfragen. Mit

dem so genannten genetischen Fingerabdruck haben sich
die Möglichkeiten der Polizei zur Verfolgung von Sexu-
alstraftätern deutlich verbessert. Stimmen Sie mit mir
überein, dass man diese Möglichkeiten aber nur dann nut-
zen kann, wenn möglichst viele Datensätze in diese Datei
eingestellt werden und dieser Umstand nicht einem falsch
verstandenen Verständnis von Datenschutz geopfert wird?

F
Fritz Rudolf Körper (SPD):
Rede ID: ID1502110100


Ich glaube, es ist unbestreitbare Tatsache, dass die Nut-
zung der Datei umso effektiver ist, je größer der Daten-
bestand ist. Die Bundesländer machen auch Gebrauch da-
von.

Ich erlaube mir, Sie noch einmal darauf hinzuweisen,
dass wir relativ genau aufgelistet haben, in wie vielen Fäl-
len die Bundesländer von der Datei Gebrauch machen. Es
gibt übrigens auch unterschiedliche Vorgehensweisen.

Da ich den Fragenkatalog der heutigen Fragestunde
kenne, weiß ich, dass der Kollege Koschyk eine Frage
gestellt hat, die sich auch mit diesem grundsätzlichen
Problem befasst, die vonseiten des Bundesjustizminis-
teriums, welches in diesem Fall federführend ist, beant-
wortet werden wird.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1502110200

Zweite Zusatzfrage.


Clemens Binninger (CDU):
Rede ID: ID1502110300

Sie haben vorhin auf die Zuständigkeit der Länder ab-

gehoben. Dies ist nicht zu kritisieren. Stimmen Sie aber
mit mir überein, dass hinsichtlich der Anzahl der erfassten
Datensätze auffällt, dass die Länder Nordrhein-Westfalen
und Niedersachen, aber auch der Bund im Verhältnis zu




Clemens Binninger
den bekannt gewordenen Straftaten sehr viel weniger
Datensätze eingestellt haben als die Länder Bayern und
Baden-Württemberg?

F
Fritz Rudolf Körper (SPD):
Rede ID: ID1502110400


Herr Kollege Binninger, die Zahlen liegen mir vor. Es
gibt Unterschiede und Differenzierungen. Ich glaube, sie
sind nicht geeignet, das Spiel der parteipolitischen Far-
benlehre zu beginnen. Wir begrüßen den Beschluss der
IMK zu dieser Thematik. Ich hoffe, dass unser Appell ent-
sprechend aufgenommen wird.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1502110500

Gibt es eine weitere Frage? – Herr Kollege Koschyk,

bitte.


Hartmut Koschyk (CSU):
Rede ID: ID1502110600

Herr Staatssekretär, Sie haben in Ihrer Antwort auf die

Frage des Kollegen Binninger gerade davon gesprochen,
dass die Bundesregierung an die Bundesländer appelliert,
für eine stärkere Zulieferung von Datensätzen zu sorgen
und von den rechtlichen Regelungen Gebrauch zu ma-
chen. Belässt es die Bundesregierung bei einem Appell
oder hat sie es bei den Beratungen in der Konferenz der
Länderinnenminister oder der Länderjustizminister auch
zu einem Thema gemacht?

F
Fritz Rudolf Körper (SPD):
Rede ID: ID1502110700


Herr Kollege Koschyk, ich habe mich auf die Ent-
schließung des Bundesrates vom 12. Juni 2001 bezogen,
in der sich die Länder dazu verpflichtet haben, ihre An-
strengungen zum Aufbau der im Gesetz vorgesehenen
Gendateien zu verstärken. Daraus wird erstens deutlich,
dass dies Thema war. Zweitens wird deutlich, in welche
Richtung es gehen soll. Nun obliegt es den Ländern, dies
entsprechend umzusetzen.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1502110800

Nun eine weitere Frage des Kollegen Krichbaum.


Gunther Krichbaum (CDU):
Rede ID: ID1502110900

Herr Staatssekretär, nach meinem Dafürhalten wird

durch das Vorhandensein unterschiedlicher Erfassungsda-
ten erkennbar, dass man an diesen Bereich in Zukunft mit
größerer Sorgfalt herangehen sollte. Deswegen meine
Frage: Haben Sie Erkenntnisse darüber, von wie vielen
Sexualstraftätern oder anderen Kriminellen die Da-
tensätze noch nicht in der DNA-Datei erfasst wurden, ob-
wohl die Voraussetzungen dafür vorliegen?

F
Fritz Rudolf Körper (SPD):
Rede ID: ID1502111000


Nein, Herr Kollege Krichbaum, diese Zahlen sind nicht
bekannt. Es gibt im Übrigen keine Unterschiede bei der

Art der Datensätze, sondern nur Unterschiede und Diffe-
renzierungen bei der Anzahl der Datensätze. Ich glaube,
das muss man differenzieren. Dementsprechend habe ich
auch geantwortet, insbesondere auf die Frage des Kolle-
gen Binninger. Es gibt aber in der Tat Unterschiede, näm-
lich Unterschiede in der Art der Herangehensweise. Das
ist bekannt. Jeder, der sich damit beschäftigt, weiß das.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1502111100

Vielen Dank, Herr Staatssekretär.
Die Fragen 16 bis 19 werden schriftlich beantwortet.
Wir kommen nun zum Geschäftsbereich des Bun-

desministeriums der Justiz. Zur Beantwortung steht der
Parlamentarische Staatssekretär Alfred Hartenbach zur
Verfügung.

Ich rufe die Frage 20 des Kollegen Hartmut Koschyk
auf:

Welche Auffassung vertritt die Bundesregierung zu der Forde-
rung, den Gentest auf alle Straftäter, bei denen derzeit eine erken-
nungsdienstliche Behandlung erfolgt, auch gegen deren Willen
auszudehnen?

A
Alfred Hartenbach (SPD):
Rede ID: ID1502111200


Herr Kollege Koschyk, erlauben Sie mir, auch zum
besseren Verständnis für die anderen Zuhörer, die Fragen
20 und 21 im Zusammenhang zu beantworten?


Hartmut Koschyk (CSU):
Rede ID: ID1502111300

Ja.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1502111400

Dann rufe ich auch Frage 21 des Kollegen Koschyk

auf:
Wie beurteilt die Bundesregierung die wissenschaftlichen Er-

kenntnisse, wonach insbesondere schweren Sexualstraftaten an-
dere Delikte vorausgingen, und wie sieht sie vor diesem Hinter-
grund die Forderung, den genetischen Fingerabdruck von
Ersttätern bei allen Straftaten mit sexuellem Bezug auch aus
präventiven Gründen zu speichern?

A
Alfred Hartenbach (SPD):
Rede ID: ID1502111500


Dass der Einsatz der DNA-Analyse einen wichtigen
Beitrag zur Strafverfolgung leistet und diese in Einzelfäl-
len effektiver gestalten kann, steht außer Frage. Ob und
wie weit die gesetzlichen Zulässigkeitsgrenzen dieses
Einsatzes gelockert werden sollen, ist dagegen schon seit
geraumer Zeit Gegenstand intensiver Diskussionen.

Die Bundesregierung hat in dieser Frage bereits in der
Vergangenheit betont, dass bei Straftaten mit sexuellem
Bezug die zum Teil bestehenden Beschränkungen über-
prüft werden müssen. Die derzeitige Regelung des § 81 g
StPO zur Entnahme und molekulargenetischen Untersu-
chung von Körperzellen zu Zwecken der Identitätsfest-
stellung in künftigen Strafverfahren setzt zweierlei vo-


(A)



(B)



(C)



(D)


1628


(A)



(B)



(C)



(D)






raus: zum einen den Verdacht einer Straftat von erhebli-
cher Bedeutung und zum anderen die Prognose, dass ge-
gen den Beschuldigten künftig erneut Strafverfahren we-
gen einer Straftat von erheblicher Bedeutung zu
befürchten sind.

Ein Absehen von der zweiten Voraussetzung, also der
Gefährlichkeitsprognose, kommt schon aus verfassungs-
rechtlichen Gründen nicht in Betracht. Denn es liegt auf
der Hand, dass etwa bei einer einmaligen Verfehlung, die
keine nachhaltige Gefährlichkeit des Beschuldigten er-
kennen lässt, eine DNA-Analyse nicht notwendig und da-
mit unverhältnismäßig wäre.

Anders verhält es sich bei der Voraussetzung, dass der
Beschuldigte bereits eine Straftat von erheblicher Bedeu-
tung begangen haben muss. Es erscheint unter Opfer-
schutzgesichtspunkten kontraproduktiv, dass – ungeach-
tet der sich im Einzelfall offenbarenden Gefährlichkeit
des Beschuldigten – mit der DNA-Analyse stets gewartet
werden muss, bis es zu einer neuen Straftat – dann leider
von erheblicher Bedeutung – gekommen ist.

Ich darf hierzu auf das vom Bundesministerium der Jus-
tiz in Auftrag gegebene Gutachten der Universität Göttin-
gen verweisen, auf das offenbar auch Sie, Herr Kollege
Koschyk, Bezug nehmen. Die Untersuchung hat ergeben,
dass immerhin etwa 1 bis 2 Prozent der wegen Exhibitio-
nismus verurteilten Täter später Gewalttaten begehen.
Die Koalitionsfraktionen werden deshalb noch in dieser
Woche – genauer gesagt: morgen gegen 13 Uhr – einen
Gesetzentwurf in den Deutschen Bundestag einbringen,
in dem unter anderem auch diese Problematik aufgegrif-
fen wird.

Gemäß dem Entwurf wird das Erfordernis, dass bereits
die Anlasstat von erheblicher Bedeutung sein muss, ge-
strichen, soweit es sich um Straftaten gegen die sexuelle
Selbstbestimmung handelt. Entschieden zu weit geht je-
doch die von einzelnen Politikern der Union, etwa dem
hessischen Justizminister, Dr. Christean Wagner, erho-
bene Forderung, die DNA-Analyse mit dem konventio-
nellen Fingerabdruck generell gesetzlich gleichzustellen.
Hier wird mit einer Zahl argumentiert – dies hat der Kol-
lege Bosbach jüngst getan –, nach der ein Viertel aller Ver-
gewaltiger als Spanner oder Exhibitionisten angefangen
hätte. Dies ist jedenfalls anhand der mir bekannten Unter-
suchungen nicht belegbar.

Die letzte mir bekannte Untersuchung hierzu wurde
von der Kriminologischen Zentralstelle durchgeführt und
gestern in der „Süddeutschen Zeitung“ zitiert. Diese hatte
eine Gruppe von Straftätern zum Gegenstand, die unter
anderem auch – aber nicht nur! – wegen Exhibitionismus
verurteilt worden war. Bei dieser Gruppe von insgesamt
lediglich 54 Tätern hat sich ergeben, dass 57 Prozent be-
reits früher mit Delikten gegen die sexuelle Selbstbestim-
mung in Erscheinung getreten waren und dass zwei von
diesen 54 Tätern, also 3,7 Prozent, später wegen Verge-
waltigung verurteilt wurden.

Will man redlich argumentieren, muss man die umge-
kehrte Blickrichtung wählen, wie dies in der vom BMJ in
Auftrag gegebenen Studie der Universität Göttingen ge-
tan wurde. Man muss also die Frage stellen, wer zunächst

als Exhibitionist und dann wegen gewalttätiger Straftaten
auf sexuellem Gebiet aufgefallen ist. In dieser Studie ist
man zu dem Ergebnis gekommen – dies habe ich bereits
erwähnt –, dass lediglich 1 bis 2 Prozent der Exhibitionis-
ten später mit einem Gewaltdelikt in Erscheinung treten.

Im Übrigen lässt der Vorschlag, die DNA-Analyse mit
dem herkömmlichen Fingerabdruck gleichzusetzen, die
Unterschiede beider Maßnahmen völlig unberücksichtigt:
Die Gentechnik unterliegt einer Entwicklung, die in ihrer
Dynamik und in ihren Auswirkungen kaum abzuschätzen
ist. Daher ist es unverzichtbar, das mit dieser Dynamik
verbundene Risiko hinsichtlich der Ausforschung persön-
licher Lebenssachverhalte zu berücksichtigen und in die
gesetzgeberische Abwägung einfließen zu lassen.

Zu Recht wurde deshalb selbst in dem Ende letzten
Jahres von der Unionsfraktion – also Ihrer Fraktion – ein-
gebrachten Gesetzentwurf zur Verbesserung des Schutzes
der Bevölkerung vor Sexualverbrechern, Bundestags-
drucksache 15/29, diese überzogene Forderung nicht auf-
gegriffen und lediglich vorgeschlagen, als Anlasstat alle
Vergehen mit sexuellem Hintergrund genügen zu lassen.

Auch die geltende Regelung, dass bei der DNA-Ana-
lyse ein Richter vorher festgestellt haben muss, dass der
Beschuldigte voraussichtlich auch künftig Straftaten von
erheblicher Bedeutung begehen wird, ist aus Sicht der
Bundesregierung unverzichtbar. Ich darf hierzu auf die in
jüngster Zeit ergangene Entscheidung des Bundesverfas-
sungsgerichts verweisen, in der festgestellt wurde, dass
erstens die Feststellung, Speicherung und künftige Ver-
wendung des DNA-Identifizierungsmusters in das vom
Grundgesetz verbürgte Grundrecht auf informationelle
Selbstbestimmung eingreift und zweitens dieses Grund-
recht nur im überwiegenden Interesse der Allgemeinheit
und unter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnis-
mäßigkeit eingeschränkt werden darf.

Der Koalitionsentwurf, der im Übrigen heute Morgen
der Presse vorgestellt wurde und wahrscheinlich auch Ih-
nen vorliegt, wird diesem wichtigen verfassungsrecht-
lichen Gesichtspunkt Rechnung tragen. Andere Vor-
schläge werden sich hieran messen lassen müssen.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1502111600

Zusatzfrage des Kollegen Koschyk.


Hartmut Koschyk (CSU):
Rede ID: ID1502111700

Herr Präsident, ich habe jetzt vier Zusatzfragen.
Ich komme zu meiner ersten Zusatzfrage. Herr Staats-

sekretär, ich bin über die Vorbehalte, die aus Ihrer Antwort
im Hinblick auf die DNA-Analyse sichtbar werden, er-
schrocken. Ich möchte Sie fragen, wie Sie den erhebli-
chen Widerspruch zu der Bewertung des Präsidenten des
Bundeskriminalamtes, Herrn Kersten, beurteilen. Sie ha-
ben die „Süddeutsche Zeitung“ aus diesen Tagen ange-
führt. Darin wird Herr Kersten, der BKA-Präsident, wie
folgt zitiert:

Das Instrument ist sehr effektiv, hat eine hohe Tref-
ferquote und ist vor allem bei schweren Verbrechen

Parl. Staatssekretär Alfred Hartenbach




Hartmut Koschyk

wirksam. Von der Schwere des Eingriffs her sehe ich
keine wesentlichen Unterschiede zur Abnahme von
Fingerabdrücken.

Wie bewerten Sie diese Aussage des BKA-Präsidenten
vor dem Licht Ihrer Aussage, in der Sie gravierende Un-
terschiede zwischen DNA-Analyse und Fingerabdrücken
sehen?

A
Alfred Hartenbach (SPD):
Rede ID: ID1502111800


Herr Kollege Koschyk, wir sind uns sicherlich beide
einig, dass alles, was wir an gesetzgeberischen Maßnah-
men gerade auf diesem Gebiet veranlassen, unter dem kla-
ren und engen Gesichtspunkt der Verfassungsmäßigkeit
und der Verhältnismäßigkeit geschehen muss.

Wir wissen beide, dass einer Ihrer Fraktionskollegen,
der in der vergangenen Legislaturperiode die Rechtspoli-
tik Ihrer Fraktion an maßgeblicher Stelle beeinflusst hat,
einmal gefordert hat, dass alle männlichen Bewohner
Deutschlands ohne Ansehen der Person und ohne Anlass-
tat einer DNA-Probe unterzogen werden sollten. Wir sind
uns sicherlich alle darin einig, dass dies weder dem Ge-
sichtspunkt der Verfassungsmäßigkeit noch dem der Ver-
hältnismäßigkeit entspricht.

Sie gestatten, dass wir, die Justizministerin, der Parla-
mentarische Staatssekretär und die Fachebene des Hau-
ses, unter dem Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit
und auch der Verfassungsmäßigkeit zu der Auffassung ge-
kommen sind, die ich soeben vorgetragen habe. Ich würde
mich davor hüten, Herr Koschyk – an Ihrer Stelle würde
ich es überprüfen –, das Zitat eines sehr bedeutenden und
auch sehr guten Beamten, nämlich des Präsidenten des
Bundeskriminalamtes, ohne Prüfung der Authentizität so
zu bewerten. Ich möchte dieses Zitat heute so nicht be-
werten.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1502111900

Eine weitere Zusatzfrage des Kollegen Koschyk.


Hartmut Koschyk (CSU):
Rede ID: ID1502112000

Herr Staatssekretär, ich kenne Herrn Kersten als einen

sehr verantwortungsbewussten Präsidenten des Bundes-
kriminalamtes, von dem ich sicher bin, dass er sich seine
Einschätzung in diesem Interview sehr wohl überlegt hat.
Ich halte sie für sehr gewichtig, weil Herr Kersten diese
Einschätzung aus der kriminalpolizeilichen Praxis ge-
wonnen hat.

Herr Staatssekretär, durch die von Ihnen aus der „Süd-
deutschen Zeitung“ zitierte Studie des BKAwird deutlich,
dass es ein zu kurz gesprungener Ansatz ist, die Ergeb-
nisse nur im Hinblick auf Anlasstaten im sexuellen Be-
reich auszuwerten, wie das die Koalitionsfraktionen und
die Bundesregierung jetzt planen. In der „Süddeutschen
Zeitung“ wird der Leiter der Kriminologischen Zentral-
stelle in Wiesbaden, Herr Egg, zitiert, der eine „‚entspre-
chende Ausweitung der Gendatenbank‘ auf die einschlä-
gige Klientel der Vielfachtäter ‚für sinnvoll‘“ hält. Die
Studie des Bundeskriminalamtes zeigt nämlich, dass in

der letzten Zeit die Täter von spektakulären Sexual-
straftaten – das wird in der „Süddeutschen Zeitung“ deut-
lich – kein tätertypisches Profil aufweisen, bei dem mit
minderschweren Sexualdelikten begonnen wird, sondern
dass es sich um Vielfachtäter mit einem sehr breiten Spek-
trum von Vergehen handelt. Was sagen Sie aufgrund des-
sen zu dem konkreten Vorschlag des Leiters der Krimino-
logischen Zentralstelle in Wiesbaden, die Gendatenbank
auf die einschlägige Klientel der Vielfachtäter auszudeh-
nen, zumal dies gerade angesichts der spektakulären Se-
xualstraftaten der letzten Wochen und Monate vom Täter-
bild her nahe liegt?

A
Alfred Hartenbach (SPD):
Rede ID: ID1502112100


Herr Koschyk, ich erlaube mir, etwas weiter zurückzu-
gehen: Als früherer Staatsanwalt und Strafrichter verfüge
ich über eine sehr große Erfahrung in der Strafverfolgung.
Ich weiß, dass gerade Sexualstraftäter – das wird durch
viele Studien belegt – eine kriminelle Laufbahn einschla-
gen, die beim Handtaschenraub, weniger beim Laden-
diebstahl, weniger beim Schwarzfahren und auch weniger
– wir haben es eben gehört – beim Exhibitionismus be-
ginnt. Wir wissen auch – das belegen Studien ebenfalls –,
dass viele Sexualstraftäter zuvor strafrechtlich überhaupt
noch nicht in Erscheinung getreten sind, sodass es keiner-
lei Möglichkeit gibt, in der DNA-Datei nachzuforschen.
Ferner muss man berücksichtigen, welche Taten schon
jetzt in die DNA-Datei aufgenommen werden können:
Das beginnt beim schweren Diebstahl und beinhaltet
natürlich auch den Handtaschenraub. Damit sind im Prin-
zip all diejenigen erfasst, die später als Sexualstraftäter
schlimmste und schwerste Straftaten begehen könnten.
Wenn wir diesen Katalog durch unseren Gesetzentwurf
noch erweitern, werden wir auch den letzten Rest erfasst
haben.

Da Sie die BKA-Studie zitiert haben, möchte ich noch
die folgenden beiden Sätze vorlesen, die von dem BKA-
Mann Schmitter stammen:

Eine DNA-Spur überführt noch keinen Täter. Sie ist
nur ein Hilfsmittel der Ermittlungen.

Entschuldigen Sie bitte, wenn ich jetzt ein bisschen po-
litisch werde. – Danke, Sie haben genickt. – Gaukeln Sie
bitte der Bevölkerung nicht vor, Herr Kollege Koschyk,
es gäbe die absolute Sicherheit. Wir alle sind bemüht, ein
hohes Maß an Sicherheit insbesondere für gefährdete
Kinder und für gefährdete Frauen zu schaffen. Dies errei-
chen wir mit unserem Gesetzentwurf, der den Grundsät-
zen der Verfassungsmäßigkeit und Verhältnismäßigkeit
entspricht.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1502112200

Eine weitere Zusatzfrage.


Hartmut Koschyk (CSU):
Rede ID: ID1502112300

Herr Staatssekretär, dann müssen Sie auch mir gestat-

ten, dass ich politisch werde. Den kleinen Fortschritt, auf
den sich die Koalitionsfraktionen jetzt verständigt haben,


(A)



(B)



(C)



(D)


1630


(A)



(B)



(C)



(D)






haben Sie in der parlamentarisch-politischen Diskussion
in diesem Hohen Hause noch vor einem Jahr weit von sich
gewiesen. Nun haben Sie zu Recht den BKA-Mann zi-
tiert, der gesagt hat, die DNA-Spur sei ein Hilfsmittel der
Ermittlung. Ich verweise auch noch einmal auf das, was
Herr Kersten dazu gesagt hat, sowie auf die seit langem
bestehenden Forderungen des Bundes Deutscher Krimi-
nalbeamter.

Daher erlaube ich mir die Frage, warum die Bundes-
regierung ideologische Vorbehalte – diese sind im ersten
Teil Ihrer Antwort deutlich geworden – gegen die Aus-
weitung der DNA-Analyse als kriminalpolizeiliches
Hilfsmittel hat und zu dieser Ausweitung nicht bereit ist.
Die parlamentarische Beratung Ihres Gesetzentwurfs bie-
tet dazu noch die Chance.

Ich denke hier zum Beispiel an die Regelung in Öster-
reich, Herr Staatssekretär. Halten Sie es tatsächlich für
rechtsstaatlich bedenklich, dass in Österreich der Richter-
vorbehalt bei der DNA-Analyse längst nicht eine so große
Rolle wie in Deutschland spielt? Man muss in diesem Zu-
sammenhang ja auch einmal über eine Entlastung der Jus-
tiz nachdenken.

A
Alfred Hartenbach (SPD):
Rede ID: ID1502112400


Herr Präsident, das waren die Zusatzfragen 4 a und b.
Darf ich sie beantworten?


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1502112500

Ja, bitte.

A
Alfred Hartenbach (SPD):
Rede ID: ID1502112600


Danke schön. – Herr Koschyk, ich bin eigentlich froh,
dass es politische Unterschiede in der Betrachtungsweise
gibt, wie man strafrechtliche Regelungen ausgestalten
soll. Ich sage es ganz deutlich: Sie haben eine andere Be-
trachtungsweise als wir.

Wir haben allerdings in den letzten vier Jahren in der
Rechtspolitik bewiesen, dass wir die Gesetze, die wir ins-
besondere auf dem strafrechtlichen und strafprozessualen
Sektor gemacht haben, an zwei – ich darf einmal Herrn
Eichel zitieren – Leitplanken messen lassen: Die eine
Leitplanke sind die Wirkung und der Schutz der Bevölke-
rung. Die andere Leitplanke sind die Verfassungsmäßig-
keit und die Verhältnismäßigkeit. Zwischen diesen Leit-
planken bewegen wir uns.

Wir sind der politischen Ansicht, dass das Gesetz hin-
sichtlich der DNA-Analyse in der unseren Vorstellungen
entsprechenden Neufassung des § 81 g StPO einen aus-
reichenden Schutz und eine größtmögliche Wirkung unter
Beachtung der verfassungsmäßigen Grundsätze und des
Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes bietet. Wenn Sie ande-
rer Ansicht sind, dann finde ich das sehr gut; denn davon
lebt die Demokratie.

Gestatten Sie mir, auf die Frage nach meiner Einschät-
zung der Regelungen in Österreich eine politische Ant-
wort zu geben. Ich schätze die Österreicher sehr. Unsere

beiden Länder haben eine starke gemeinsame Wurzel auf
dem Gebiet des Rechts, und zwar sowohl im Zivilrecht als
auch im Strafrecht. Dies zeigt sich immer wieder. Aber
zwischen uns gibt es auch unterschiedliche politische
Auffassungen. Die Österreicher haben beispielsweise
– Herr Kollege van Essen wird sich sicherlich daran erin-
nern; denn er selber hat diesen Begriff in der vor kurzem
geführten Debatte über das Graffitibekämpfungsgesetz
benutzt – kein Problem mit dem Begriff der Verunstal-
tung. Wir, die Regierungskoalition, haben dagegen ein
rechtspolitisches Problem mit diesem Begriff, wenn es
um die Ahndung von Sachbeschädigungsdelikten geht.

Genauso ist es hier: Wir möchten, dass unsere Sicht-
weise der Verfassungsmäßigkeit und der Verhältnis-
mäßigkeit eines Gesetzes seinen Niederschlag im deut-
schen Recht findet.

Sie gestatten mir sicherlich, dass ich keinerlei Wertung
zu dem abgebe, was die Kolleginnen und Kollegen Abge-
ordneten sowie das Justizministerium in Österreich tun.
Das ist deren Problem. Genauso wäre ich dankbar, wenn
man im Ausland die Gesichtspunkte, die wir bei unserer
Gesetzgebung berücksichtigen, beachten und achten
würde.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1502112700

Eine weitere Frage des Kollegen Binninger.


Clemens Binninger (CDU):
Rede ID: ID1502112800

Herr Staatssekretär, Sie haben Ihre ablehnende Haltung

gegenüber unserer Position überwiegend aus der Perspek-
tive des Datenschutzes zugunsten des Straftäters begrün-
det. Hielten Sie es aber nicht für erforderlich und verhält-
nismäßig, wenn man das Ganze aus der Perspektive des
Opfers sähe und dementsprechend alle Maßnahmen träfe,
um Straftaten zu verhindern? Es kann doch bei einem
Straftäter keine Rolle spielen, welche Straftat er am Be-
ginn seiner kriminellen Karriere begangen hat. Ihre Miss-
brauchsängste könnte man ja über Löschungsfristen auf-
fangen.

A
Alfred Hartenbach (SPD):
Rede ID: ID1502112900


Herr Kollege Binninger, ich glaube, Sie unterliegen
hier einem sehr elementaren Irrtum. Wenn Sie von Opfer-
schutz reden, dann sollten Sie bedenken, dass die
nachträgliche Feststellung eines Täters über die DNA-
Analyse dem Opfer fast nichts mehr hilft, vor allen Din-
gen dann nicht, wenn es tot ist. Ich muss das leider in die-
ser Deutlichkeit feststellen.

Wir gehen andere Wege des Opferschutzes. Wir haben
zum Beispiel mit unserem Gesetz aus der letzten Legis-
laturperiode die vorbehaltene Sicherungsverwahrung
eingeführt – auch sie ist verfassungsmäßig und verhält-
nismäßig –, mit der gefährliche Täter in Sicherungsver-
wahrung genommen bzw. weiterhin gehalten werden kön-
nen, um die Opfer zu schützen. Das Einzige, was uns
unterscheidet, ist letztlich die Antwort auf die Frage nach
der Verfassungsmäßigkeit und der Verhältnismäßigkeit.
Ich gehe davon aus, dass auch Ihre Fraktion vor der

Hartmut Koschyk




Parl. Staatssekretär Alfred Hartenbach
Einbringung Ihres Gesetzentwurfs eine entsprechende
Prüfung vorgenommen hat. Unsere Positionen liegen
doch nicht weit auseinander.

Wir werden die Verfassungsmäßigkeit und die Verhält-
nismäßigkeit unseres Gesetzentwurfs am 19. Februar die-
ses Jahres von 14 bis 18 Uhr im Rahmen einer groß ange-
legten Anhörung im Rechtsausschuss erörtern. Sie
möchten – das haben Sie geschrieben; vielleicht kann mir
Herr Koschyk helfen –, dass von „Anlasstaten mit sexu-
ellem Hintergrund“ die Rede ist, während wir möchten,
dass die Formulierung „Straftaten gegen die sexuelle
Selbstbestimmung“ lautet. Das liegt nicht weit auseinander.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1502113000

Eine weitere Frage stellt der Kollege van Essen.


Jörg van Essen (FDP):
Rede ID: ID1502113100

Herr Staatssekretär, Sie haben mehrfach den Grundsatz

der Verfassungsmäßigkeit erwähnt, den wir zu beachten
haben. Auch die Verhältnismäßigkeit gehört zu diesen
Prinzipien. Das Bundesverfassungsgericht hat sich in der
Vergangenheit mehrfach mit dieser Thematik befasst. Wie
ist die Auffassung der Bundesregierung? Schafft die
Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nicht
auch klare Grenzen in Bezug auf unsere Handlungsspiel-
räume? Zeigt die Rechtsprechung des Bundesverfas-
sungsgerichts nicht auf, dass alles das, was die Kollegen
der CDU/CSU fordern, durch die Verfassung begrenzt
wird und deshalb nicht in dem Umfang, wie es immer
wieder gefordert wird, umgesetzt werden kann?

A
Alfred Hartenbach (SPD):
Rede ID: ID1502113200


Herr Parlamentarischer Geschäftsführer van Essen, ich
könnte jetzt einfach mit Ja antworten. Aber das wäre Ih-
nen wahrscheinlich zu einfach, oder?


(Jörg van Essen [FDP]: Ja!)

– In der Tat.

Ich habe hier eben die beiden Grundsätze der Recht-
sprechung des Bundesverfassungsgerichts verlesen. Ich
nenne sie noch einmal: auf der einen Seite das verbürgte
Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung und
auf der anderen Seite die Verwertung im überwiegenden
öffentlichen Interesse. An diese Leitlinien halten wir uns.
Man sollte also nicht Schwarz-Weiß-Malerei betreiben,
indem man Opferschutz und Täterschutz einfach gegen-
überstellt, sondern man muss zwischen präventivem Op-
ferschutz und den Möglichkeiten einer guten und sicheren
Identifizierung des Täters unter Beachtung ebendieser
Grundsätze genau abwägen.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1502113300

Eine weitere Frage stellt der Kollege von Klaeden.


Eckart von Klaeden (CDU):
Rede ID: ID1502113400

Herr Staatssekretär, meine Frage geht in dieselbe Rich-

tung wie die des Kollegen van Essen; es geht nämlich um

die Verfassungsmäßigkeit und um die Verhältnismäßig-
keit. Sie haben hier beide Begriffe mehrfach angeführt.

Zunächst einmal interessiert mich, wieso Sie diese
Ausweitung eigentlich für nicht verhältnismäßig halten.
Halten Sie sie für nicht geeignet, für nicht erforderlich
oder für so unverhältnismäßig, dass die Persönlichkeits-
rechte beeinträchtigt werden? Um das, was ich meine, ein
bisschen zu konkretisieren, möchte ich auf eine Entschei-
dung des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahre 1995
verweisen. Dort heißt es:

Seit jeher gehört es zu den Methoden der Verbre-
chensaufklärung, am Tatopfer oder im Bereich des
Tatortes entdeckte Spuren, die zur Überführung des
Täters führen könnten, zu untersuchen.

Jetzt kommt der Satz, auf den es mir besonders an-
kommt:

Diese Spuren haben sich derartig objektiviert, dass
ihre Auswertung in der Regel nicht als Eingriff in das
Persönlichkeitsrecht anerkannt werden kann.

A
Alfred Hartenbach (SPD):
Rede ID: ID1502113500


Herr Kollege von Klaeden, ich gebe Ihnen vollkom-
men Recht. Zwar findet eine DNA-Analyse der Spuren
statt; aber die Speicherung in einer Datei erfolgt auf der
Grundlage dessen, dass einem Menschen eine Probe
– Speichel oder was auch immer – entnommen wird.


(Eckart von Klaeden [CDU/CSU]: Wenn er sie gibt!)


Das, was Sie vorgelesen haben, bezieht sich auf die
Objektivierung der Sicherstellung und auf die Auswer-
tung von Tatortspuren. Das, was wir in die gesetzlich
zulässigen Bahnen einbetten wollen – damit wollen wir
gleichzeitig eine bessere Verbrechensbekämpfung ermög-
lichen –, ist die Entnahme von Vergleichsmaterialien bei
einem potenziellen Täter. Die dabei zu beachtenden
Grundsätze sind andere als diejenigen, die ein Kriminal-
beamter bei der Spurensicherung am Tatort beachten
muss. Dies dürfte doch einleuchtend sein, oder?


(Eckart von Klaeden [CDU/CSU]: Und der erste Teil der Frage, nach der Verhältnismäßigkeit?)


– Verhältnismäßigkeit bedeutet – das haben wir beide, so-
wohl Sie als auch ich, im ersten Semester gelernt –: Einer-
seits muss eine gewisse Wahrscheinlichkeit dafür sprechen,
dass Maßnahmen zum Erfolg führen, und andererseits
müssen die verfassungsmäßigen Grundsätze beachtet
werden. So einfach ist das.


(Eckart von Klaeden [CDU/CSU]: Sie sind ein älteres Semester, Herr Kollege!)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1502113600

Vielen Dank, Herr Staatssekretär. Nach diesem juristi-

schen Seminar bzw. dieser Übung kommen wir wieder zu
anderen Inhalten.


(Alfred Hartenbach, Parl. Staatssekretär: Aber Sie können mir gratulieren, Herr Präsident! Das 1632 war meine allererste Beantwortung, sozusagen eine Premiere für mich!)


(A)


(B)


(C)


(D)


(A)


(B)


(C)


(D)





– Das war Ihre erste Beantwortung? – Herzlichen Glück-
wunsch!


(Beifall des Abg. Eckart von Klaeden [CDU/ CSU] und des Abg. Jörg van Essen [FDP])


Sie haben eine Bella Figura gemacht. Vielen Dank.
Wir kommen damit zum Geschäftsbereich des Bun-

desministers der Finanzen. Zur Beantwortung steht der
Parlamentarische Staatssekretär Karl Diller zur Verfü-
gung.

Die Fragen 22 und 23 sollen schriftlich beantwortet
werden. Damit kommen wir zur Frage 24 des Kollegen
Börnsen, der sich auch hier im Saal befindet:

Was hat die Bundesregierung und zu welchem Zeitpunkt un-
ternommen, damit die durch die EU-Kommission kritisierten
Schiffbaubürgschaften norddeutscher Länder EU-rechtskonform
ausgestaltet werden und dadurch Aufträge und Beschäftigung für
die deutsche Werften in Übereinstimmung mit dem EU-Wettbe-
werbsrecht gesichert werden können?

Bitte schön, Herr Diller.

K
Karl Diller (SPD):
Rede ID: ID1502113700


Vielen Dank, Herr Präsident. – Herr Kollege Börnsen,
die Kommission hat Zweifel daran, dass die Bürgschafts-
systeme der Küstenländer zur Förderung des Schiffbaus
kostendeckend arbeiten und die Voraussetzungen der Bei-
hilfefreiheit gemäß Nr. 4.3 der Bürgschaftsmitteilung er-
füllen, und hat deshalb wiederholt um die Übersendung
von Informationen gebeten.

Die Bundesregierung vertritt seit Ende 2000 in Über-
einstimmung mit den Küstenländern gegenüber der Kom-
mission die Auffassung, dass die Bürgschaftsregelungen
kostendeckend und daher nicht als Beihilfen zu qualifi-
zieren sind. Bundesregierung und Länder stützen sich da-
bei auf die Bürgschaftsmitteilung der Kommission aus
dem Jahr 2000 sowie auf die mehrjährige Praxis der Kom-
mission bei der Beurteilung von beihilfefreien Bürg-
schaftsregelungen. Seit dieser Zeit befindet sich die Bun-
desregierung gemeinsam mit den Ländern in Gesprächen
mit der Kommission, der auf Nachfrage wiederholt und
fristgerecht schriftliche Detailinformationen zu diesen
Regelungen übersandt worden sind, zuletzt am 17. Januar
dieses Jahres. Eine Antwort auf diese jüngste Stellung-
nahme steht noch aus.

Sollten die Bedenken der Kommission nicht aus-
geräumt werden, ist die Eröffnung eines Hauptprüfver-
fahrens nicht ausgeschlossen. Die Bundesregierung hat
die Länder auf diese Möglichkeit hingewiesen. Die Eröff-
nung des Hauptprüfverfahrens über die Schiffbaubürg-
schaftsregelungen der Küstenländer hat allerdings keine
präjudizierende Wirkung für die Frage der Rechtmäßig-
keit bzw. Rechtswidrigkeit dieser Förderung.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1502113800

Zusatzfrage, Kollege Börnsen?


Wolfgang Börnsen (CDU):
Rede ID: ID1502113900

Ja. – Herr Staatssekretär, ich bedanke mich zunächst

für die Antwort. Sie werden aber Verständnis haben, dass
ich noch einmal nachfrage, da ich die Einschätzung der
norddeutschen Landesregierungen teile, dass bei einem
negativen Ausgang des Hauptprüfverfahrens nicht nur
Verluste von Millionen Euro abzuschreiben sind, sondern
auch Hunderte bzw. Tausende von Arbeitsplätzen infrage
stehen. Deshalb möchte ich Sie gerne fragen, warum der
Wettbewerbskommissar so nachdrücklich darauf besteht,
dass die Bundesregierung deutlich macht, dass es hier
nicht zu einer Wettbewerbsverzerrung gegenüber anderen
europäischen Ländern, wo ebenfalls Förderungen prakti-
ziert werden, gekommen ist.

K
Karl Diller (SPD):
Rede ID: ID1502114000


Herr Kollege Börnsen, der Kommissar hat beispiels-
weise Fragen bezüglich der gleichmäßigen Erhebung
der Entgelte von allen Reedern unabhängig von ihrer
Bonität gestellt und stellte sich und damit auch uns die
Frage, ob damit nicht eine Quersubventionierung von
Reedereien, denen es gut geht, gegenüber Reedereien,
denen es nicht so gut geht, stattfindet. Deswegen haben
wir ihm dazu jüngst noch einmal aktuelle Zahlen über-
mittelt. Beispielsweise sind der Mitteilung an die Kom-
mission mit Datum vom 16. Januar – am 17. ist sie dann
wohl herausgegangen – die Bauzeitbürgschaften, Ein-
nahmen und Ausgaben, Gebühren und Entgelte, Verwal-
tungskosten sowie die Endfinanzierungsbürgschaften je-
weils als Einnahmen und Ausgaben in Tabellenform mit
Gegenüberstellungen, die 1989 anfangen und über all
die Jahre gehen, beigefügt worden, sodass sich die
Kommission darüber ein eingehendes Bild machen
kann.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1502114100

Weitere Zusatzfrage, Herr Börnsen?


Wolfgang Börnsen (CDU):
Rede ID: ID1502114200

He
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1502114300

Den deutschen Werften geht es zurzeit grausig schlecht.
Zwei Drittel von ihnen haben Aufträge nur noch für zwölf
Monate. Insofern brauchen die deutschen Werften För-
dermittel. Was ist die Bundesregierung bereit zu tun,
wenn die 2 Prozent Landesbürgschaften bei der Wettbe-
werbshilfe wegfallen? Ist die Bundesregierung dann be-
reit, dafür aufzukommen?

K
Karl Diller (SPD):
Rede ID: ID1502114400


Herr Kollege Börnsen, wir haben, wie ich Ihnen gerade
sagte, am 16. Januar unsere letzte Stellungnahme gegen-
über der Kommission abgegeben. Wir möchten nun nicht
in die Phase des Spekulierens eintreten, weil wir bisher
mit den Ländern gemeinsam der Auffassung sind, dass al-
les in Ordnung ist.

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms






Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1502114500

Vielen Dank, Herr Staatssekretär.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesminis-

teriums für Wirtschaft und Arbeit. Zur Beantwortung steht
der Parlamentarische Staatssekretär Gerd Andres zur Ver-
fügung.

Wir kommen zunächst zur Frage 25 des Kollegen Niebel:
Wie viele Eingliederungsvereinbarungen wurden seit der Ein-

führung des Job-AQTIV-Gesetzes geschlossen und wie häufig
wurde das Instrument Jobrotation bisher eingesetzt?

G
Dr. h.c. Gerd Andres (SPD):
Rede ID: ID1502114600


Herr Kollege Niebel, nach Auskunft der Bundesanstalt
für Arbeit sind von der Einführung des Job-AQTIV-Ge-
setzes am 1. Januar 2002 bis zum Dezember 2002 rund
895 000 Eingliederungsvereinbarungen getroffen wor-
den. Im Rahmen des Instruments Jobrotation wurden in
demselben Zeitraum insgesamt 603 Einstellungszu-
schüsse bei Vertretung bewilligt.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1502114700

Zusatzfrage?


Dr. h.c. Dirk Niebel (FDP):
Rede ID: ID1502114800

Herr Staatssekretär, wie viele von den 895 000 Ein-

gliederungsvereinbarungen, die geschlossen worden sind,
haben zu einer tatsächlichen Eingliederung der Betroffe-
nen in den ersten Arbeitsmarkt geführt?

G
Dr. h.c. Gerd Andres (SPD):
Rede ID: ID1502114900


Diese Frage kann ich Ihnen nicht beantworten, weil ich
die entsprechenden Daten nicht zur Verfügung habe.


Dr. h.c. Dirk Niebel (FDP):
Rede ID: ID1502115000

Wären Sie bereit, sie mir schriftlich nachzuliefern?

G
Dr. h.c. Gerd Andres (SPD):
Rede ID: ID1502115100


Dazu bin ich bereit.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1502115200

Weitere Zusatzfrage?


Dr. h.c. Dirk Niebel (FDP):
Rede ID: ID1502115300

Wie viele der 603 Eingliederungszuschüsse bei der

Jobrotation wurden an Kleinbetriebe mit unter 20 Arbeit-
nehmern geleistet?

G
Dr. h.c. Gerd Andres (SPD):
Rede ID: ID1502115400


Auch das kann ich Ihnen nicht beantworten. Sie haben
in Ihrer Frage ja schlicht und einfach nach zwei Größen

gefragt, die ich Ihnen genannt habe. Aber auch diese Da-
ten werde ich nachliefern.


Dr. h.c. Dirk Niebel (FDP):
Rede ID: ID1502115500

Dafür wäre ich Ihnen sehr dankbar.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1502115600

Dann kommen wir zur Frage 26 des Kollegen Niebel:

Welche Erfolgsrate zeigen die bisher ausgestellten Vermitt-
lungsgutscheine und wie viele Erfolgshonorare wurden ge-
zahlt?

G
Dr. h.c. Gerd Andres (SPD):
Rede ID: ID1502115700


Wie die Bundesanstalt für Arbeit mitteilt, wurden
von April bis Dezember 2002 insgesamt 206 940 Ver-
mittlungsgutscheine ausgegeben und 12 950 davon
bei den Arbeitsämtern eingelöst, was einer Quote von
rund 6,2 Prozent entspricht. Die personenbezogene Ver-
mittlungsquote dürfte jedoch gleichwohl höher sein, da
in der Zahl der ausgegebenen Gutscheine auch Folge-
gutscheine enthalten sind. So kann es vorkommen, dass
Arbeitslose nach Ablauf der dreimonatigen Geltungs-
dauer des jeweiligen Gutscheins weitere Gutscheine er-
halten.

Die Honorarhöhe beträgt bei einer Arbeitslosigkeit von
bis zu sechs Monaten 1 500 Euro, bei sechs bis zu neun
Monaten 2 000 Euro und bei über neun Monaten
2 500 Euro. Die insgesamt gezahlte Honorarhöhe belief
sich auf rund 13,6 Millionen Euro. Die Höhe der demge-
genüber eingesparten Leistungen, Arbeitslosengeld oder
Arbeitslosenhilfe, ist zwar nur schwer schätzbar, dürfte
aber gleichwohl um ein Mehrfaches höher sein.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1502115800

Zusatzfrage? – Bitte.


Dr. h.c. Dirk Niebel (FDP):
Rede ID: ID1502115900

Herr Staatssekretär, können Sie untergliedern, wie

viele Eingliederungszuschüsse nach der jeweils von Ih-
nen beschriebenen Dauer der Arbeitslosigkeit geleistet
worden sind?

G
Dr. h.c. Gerd Andres (SPD):
Rede ID: ID1502116000


Das können wir sicher; aber ich kann darauf nicht jetzt
antworten, weil das eine weitere statistische Nachfrage
ist. Ich müsste Ihnen das schriftlich beantworten.


Dr. h.c. Dirk Niebel (FDP):
Rede ID: ID1502116100

Auch dafür wäre ich Ihnen dankbar, Herr Staatssekre-

tär.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1502116200

Zweite Zusatzfrage.


(A)



(B)



(C)



(D)


1634


(A)



(B)



(C)



(D)







Dr. h.c. Dirk Niebel (FDP):
Rede ID: ID1502116300

Herr Staatssekretär, liegt die Vermutung nahe, dass die

Ausnutzung der Vermittlungsgutscheine größer wäre,
wenn die Entgelte, die damit zu erzielen sind, an die bei
Personalberatungsbetrieben marktüblichen Entgelte an-
gepasst würden, die in aller Regel bei zwei bis zweiein-
halb Monatsgehältern liegen?

G
Dr. h.c. Gerd Andres (SPD):
Rede ID: ID1502116400


Sie haben gefragt, ob die Vermutung nahe liegt: nein.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1502116500

Dann kommen wir zur Frage 27 des Abgeordneten

Erich G. Fritz:
Liegen der Bundesregierung Kenntnisse über die geplante

Verwendung der in Genua gefundenen und aus einer deutschen
BASF-Fabrik stammenden chemischen Substanz Morpholin vor
– vergleiche „Handelsblatt“ vom 17. Januar 2003 –, und wenn
nein, was unternimmt die Bundesregierung zur Klärung des Fun-
des?

G
Dr. h.c. Gerd Andres (SPD):
Rede ID: ID1502116600


Herr Kollege Fritz, ich würde die Fragen 27 und 28
gerne gemeinsam beantworten, wenn der Herr Präsident
das zulässt.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1502116700

Dann rufe ich auch die Frage 28 auf:

Hat die Bundesregierung Kenntnis darüber, ob die Ausfuhr der
chemischen Substanz Morpholin dem Chemiewaffenübereinkom-
men oder der Dual-use-Verordnung unterliegt und damit geneh-
migungspflichtig ist, und wenn nein, gibt es eine Prüfung bzw. Zu-
sammenarbeit mit den zuständigen deutschen Behörden?

G
Dr. h.c. Gerd Andres (SPD):
Rede ID: ID1502116800


Bei dem von Ihnen angesprochenen Morpholin handelt
es sich um eine Chemikalie mit weltweit breiter industri-
eller Anwendung. Gegenüber dem deutschen Hersteller
ist eine Verwendung in Libyen im Rahmen der Herstel-
lung von Produkten für die Erdölindustrie angegeben
worden. Eine derartige Verwendung der Chemikalie als
Lösungsmittel bei der Ölförderung – beispielsweise zur
Ausspülung von Bohrschlämmen – ist plausibel.

Die Chemikalie kann demgegenüber nicht für die Pro-
duktion von Chemiewaffen eingesetzt werden. Die deut-
schen Behörden haben diese Einschätzung der italieni-
schen Seite mitgeteilt. Die deutsche Botschaft in Rom
steht mit den zuständigen italienischen Behörden in Ver-
bindung, um weitere Einzelheiten des Falles aufzuklären
und erforderliche Informationen auszutauschen.

Die Chemikalie Morpholin ist weder vom Chemiewaf-
fenübereinkommen noch von der gemeinsamen EU-Gü-
terliste nach der EG-Dual-use-Verordnung erfasst. Sie un-
terliegt auch nicht als nationale Sonderposition der

deutschen Ausfuhrliste. Dies ist das Ergebnis der Beurtei-
lung durch die zuständigen deutschen Behörden, wie es
der italienischen Seite bereits mitgeteilt worden ist.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1502116900

Zusatzfrage.


Erich G. Fritz (CDU):
Rede ID: ID1502117000

Herr Staatssekretär, ich bedanke mich für die – in die-

sem Fall – beruhigende Auskunft. Ich möchte gerne von
Ihnen noch wissen, ob die Bundesregierung bei aller Auf-
regung, die diese Nachricht an vielen Stellen verursacht
hat, einen Überblick darüber hat, wie die EG-Dual-use-
Verordnung in den Mitgliedsländern angewandt wird.
Gibt es ein Berichtswesen und eine regelmäßige Zusam-
menfassung der vorliegenden Erkenntnisse? In welcher
Weise wird eigentlich überprüft, ob die Dual-use-Verord-
nung in allen Ländern richtig angewendet wird? Dieses
Beispiel – auch wenn es nicht kritisch ist – zeigt nämlich,
dass es zum Teil sehr schwierig ist, die Wege von Expor-
ten auf dem Binnenmarkt zu verfolgen.

G
Dr. h.c. Gerd Andres (SPD):
Rede ID: ID1502117100


Herr Abgeordneter Fritz, mir liegen dazu gegenwärtig
keine Informationen oder Erkenntnisse vor. Ich müsste
dieser Frage erst nachgehen. Im vorliegenden Fall war es
offensichtlich so, dass Interpol im Hafen von Genua rund
48 Tonnen dieser Chemikalie aufgrund von Vermutungen
zunächst beschlagnahmt hatte. Der Vorgang hat Wellen
geschlagen, weil er von der Zeitschrift „La Repubblica“
publik gemacht wurde. Einige Behörden sind diesen span-
nenden Fragen nachgegangen und konnten nachweisen,
dass es sich um eine „harmlose“ Chemikalie handelt.

Die Frage, wie die Dual-use-Verordnung in anderen
Mitgliedsländern angewandt wird, kann ich jetzt nicht be-
antworten. Wir gehen dieser Frage nach und ich teile Ih-
nen die entsprechende Antwort mit.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1502117200

Weitere Zusatzfrage? – Bitte, Herr Fritz.


Erich G. Fritz (CDU):
Rede ID: ID1502117300

Vielen Dank. Ich glaube, das wäre auch für Kollegen

interessant.
Ich weiß, dass ich mit meiner nächsten Frage Ihre Zu-

ständigkeit nicht treffe.

G
Dr. h.c. Gerd Andres (SPD):
Rede ID: ID1502117400


Doch, Sie treffen sie.


Erich G. Fritz (CDU):
Rede ID: ID1502117500

Ich muss Sie als Vertreter der Bundesregierung fragen:

Hat das BAFA oder das Zollkriminalamt Erkenntnisse




Erich G. Fritz
darüber, ob in Zeiten ausgesprochen schlechter Konjunk-
tur die Gefahr besteht, dass es eine größere Zahl bedenk-
licher Dual-use-Exporte gibt?

G
Dr. h.c. Gerd Andres (SPD):
Rede ID: ID1502117600


Diese Frage möchte ich mit dem Hinweis beantworten,
dass es nicht die Aufgabe der von Ihnen genannten deut-
schen Behörden ist, entsprechende Erkenntnisse zu ge-
winnen.


(Erich G. Fritz [CDU/CSU]: Wer sonst als das Zollkriminalamt soll das machen?)


Im vorliegenden Fall waren das BKA, das BAFA, das
ZKA und der BND mit dieser Angelegenheit beschäftigt.


(Vorsitz: Vizepräsident Dr. Nobert Lammert)

Ihre Frage bezieht sich auf die Einschätzung, ob in Zei-

ten ökonomischer Schwäche die Gefahr des Exports von
möglicherweise gefährlichen und den entsprechenden
Verordnungen unterliegenden Chemikalien größer ist.
Dazu müsste man einmal untersuchen, ob sich in solchen
Zeiten entsprechende Fälle häufen. Das ist eine etwas um-
fangreichere Aufgabe. Wir werden versuchen, diese Frage
im Haus mit den entsprechenden Stellen zu erörtern. Wir
lassen Ihnen dann eine entsprechende Mitteilung zukom-
men.


(Erich G. Fritz [CDU/CSU]: Herzlichen Dank!)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1502117700

Wir sind damit am Ende des Geschäftsbereichs ange-

kommen.
Wir kommen nun zum Geschäftsbereich des Bundesmi-

nisteriums der Verteidigung. Zur Beantwortung steht der
Parlamentarische Staatssekretär Wagner zur Verfügung.
Die Fragen 29 bis 32 werden schriftlich beantwortet.

Ich rufe nun die Frage 33 der Kollegin Petra Pau auf:
Welche konkreten Erfolge konnte bisher das Marinekontin-

gent der Bundeswehr bei seinem Einsatz am Horn von Afrika im
Rahmen der Operation Enduring Freedom bei der Bekämpfung
des internationalen Terrorismus erzielen und wie beurteilt die
Bundesregierung die Wirksamkeit dieses Einsatzes?

H
Hans Georg Wagner (SPD):
Rede ID: ID1502117800


Frau Kollegin Pau, sämtliche Aktivitäten der deutschen
Marineverbände am Horn von Afrika werden im Rahmen
der Operation Enduring Freedom durchgeführt. Der Bun-
destag hat der Beteiligung bewaffneter deutscher Streit-
kräfte bei der Unterstützung der gemeinsamen Reaktion
auf terroristische Angriffe auf die USAauf Grundlage des
Art. 51 der Satzung der Vereinten Nationen und des Art. 5
des Nordatlantikvertrages sowie der Resolutionen 1368

(2001) und 1373 (2001) des Sicherheitsrats der Vereinten

Nationen am 17. November 2001 zugestimmt. Am 15. No-
vember 2002 hat der Bundestag der Fortsetzung der deut-
schen Beteiligung an der Operation Enduring Freedom
für weitere zwölf Monate zugestimmt.

Die Aufgaben des deutschen Marineverbandes am
Horn von Afrika bestehen seit Beginn der Operation am
2. Februar 2002 in der Überwachung des zugewiesenen
Seeraumes sowie in der Nachrichtengewinnung und Auf-
klärung. Im Vordergrund stehen der Schutz der Seever-
bindungswege vor terroristischen Übergriffen und die
Unterbindung der Versorgung terroristischer Gruppen.
Auch das Ausweichen dieser Gruppen über den Seeweg
soll verhindert werden. Daneben wird Versorgungsunter-
stützung im Rahmen der Operation Enduring Freedom
geleistet und werden Begleitschutzoperationen, insbeson-
dere für Schiffe mit gefährlicher Ladung wie Öl und Gas,
durchgeführt.

In der täglichen Arbeit des Marinekontingents heißt
das konkret beispielsweise, dass der Schiffsverkehr mit
aktiven und passiven elektronischen, optischen und op-
tronischen Mitteln beobachtet wird, Fahrzeuge katalogi-
siert und in einer Datenbank archiviert werden. Damit sol-
len Fahrzeuge, die sich wiederholt im Operationsgebiet
bewegen, schnell identifiziert werden, um sie anschlie-
ßend beobachten bzw. verfolgen zu können. Es erfolgen
auch gezielte, direkte Abfragen des Schiffsverkehrs und
Durchsuchungen auf kooperativer Grundlage.

So wurden durch das deutsche Einsatzkontingent bis-
her 31 Begleitschutzaufträge und zehn Beschattungen
von verdächtigen Einheiten durchgeführt sowie circa
3 700 Kontakte im Rahmen der Seeraumüberwachung
aufgeklärt. Die Seefernaufklärer führten circa 190 Auf-
klärungsflüge durch.

In den Ländern um das Horn von Afrika hat die Ope-
ration Enduring Freedom generell einen stabilisierenden
Einfluss ausgeübt. Es konnte ein entscheidender Beitrag
zur Abschreckung terroristischer Anschläge auf den inter-
nationalen Seeverkehr geleistet sowie die Bewegungs-
freiheit terroristischer Gruppen nachhaltig eingeschränkt
werden. Gleichzeitig sind Gewaltkriminalität und Pirate-
rie in einigen Gebieten zurückgegangen.


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1502117900

Zusatzfrage, Frau Pau.


Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1502118000

Gibt es neben diesen Aktivitäten der Überwachung und

des Abschneidens von Verbindungswegen messbare Er-
gebnisse im Sinne von Festnahmen oder Beschlagnah-
mungen, um deutlich zu machen, dass durch diesen Ein-
satz am Horn von Afrika Teilen des internationalen
Terrorismus die Nachschubwege tatsächlich abgeschnit-
ten wurden oder gar Strukturen zerschlagen werden konn-
ten?

H
Hans Georg Wagner (SPD):
Rede ID: ID1502118100


Ja, es wurden solche Aktivitäten festgestellt. Die ent-
sprechenden Informationen wurden den befreundeten Na-
tionen und den Nachrichtendiensten zur Verfügung ge-
stellt, die dann die entsprechende Auswertung für den
weiteren Einsatz der Marine vornehmen konnten.


(A)



(B)



(C)



(D)


1636


(A)



(B)



(C)



(D)







Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1502118200

Weitere Zusatzfrage.


Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1502118300

Ich habe eine zweite Nachfrage. Sind der Bundesre-

gierung kritische Stimmen aus den eingesetzten Mann-
schaften oder gar von Offizieren über den Einsatz des
bundesdeutschen Marinekontingents bezogen auf die Ar-
beitsbedingungen, aber auch auf die Sinnhaftigkeit des
Einsatzes bekannt?

H
Hans Georg Wagner (SPD):
Rede ID: ID1502118400


Nein, solche Stimmen sind nicht bekannt.


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1502118500

Eine Zusatzfrage des Kollegen Niebel.


Dr. h.c. Dirk Niebel (FDP):
Rede ID: ID1502118600

Herr Staatssekretär, ist das Gerücht, das man den Me-

dien entnehmen konnte, wahr, dass manche Soldaten im
Nachgang zum Einsatz darauf hingewiesen wurden, dass
sie über die Beurteilung des Einsatzes in der Öffentlich-
keit nicht reden dürfen? Wenn dem so wäre, wie wäre das
mit dem Bild vom Bürger in Uniform zu vereinbaren?

H
Hans Georg Wagner (SPD):
Rede ID: ID1502118700


Das sind Gerüchte – Sie haben das selbst gesagt –, die
ich nicht kommentieren möchte.


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1502118800

Weitere Zusatzfragen liegen nicht vor.
Ich rufe die Frage 34 der Kollegin Ina Lenke auf:

Welche Maßnahmen ergreift die Bundesregierung im Hinblick
auf die Durchsetzung der Vereinbarkeit von Familie und Beruf bei
den Streitkräften, auf deren Fehlen bereits der Bericht des Wehr-
beauftragten vom 12. März 2002 hinweist, in Bezug auf konkrete
Regelungen familiengerechter Arbeitszeiten, auf die Möglichkeit
von Teilzeitbeschäftigung und familienbedingter Beurlaubung?

H
Hans Georg Wagner (SPD):
Rede ID: ID1502118900


Frau Kollegin, das wachsende internationale Engage-
ment der Bundeswehr und die parallel fortschreitende Re-
form der Bundeswehr belasten insbesondere das militäri-
sche Führungspersonal erheblich. Die Balance zwischen
dem Lebensbereich Beruf auf der einen und dem Lebens-
bereich Familie auf der anderen Seite gestaltet sich bei
vielen Soldatinnen und Soldaten immer schwieriger. Be-
ruf und Familie führen mitunter in eine Konfliktsituation,
die sowohl die arbeitsbezogene Leistungsfähigkeit als
auch die familienbezogene Befindlichkeit beeinträchtigt.
Für die Bundeswehr gilt es, diesem zunehmenden Span-
nungsfeld und den damit verbundenen Erwartungen

große Aufmerksamkeit zuzuwenden, und zwar nicht nur
vordergründig wegen der Attraktivität des Arbeitsplatzes,
sondern auch deshalb, weil die Soldatin bzw. der Soldat
die Einsatzmotivation im Wesentlichen aus dem Rückhalt
in der engeren sozialen Umgebung bezieht.

Neben den bereits bestehenden gesetzlichen Möglich-
keiten der Beurlaubung von Soldatinnen und Soldaten
während der Elternzeit, des Betreuungsurlaubs und der
Beurlaubung wegen pflegebedürftiger Kinder kann eine
Flexibilisierung der Arbeitszeit durch Gleitzeitregelungen
und insbesondere durch Teilzeitdienst einen entscheiden-
den Beitrag zur Vereinbarkeit von Familie und Dienst leis-
ten. Damit kann zugleich gleichstellungspolitischen For-
derungen und den Verpflichtungen des Dienstherrn zur
Fürsorge entsprochen werden.

Gleitzeitdienst gibt es inzwischen für Soldatinnen und
Soldaten in circa 300 Dienststellen der Bundeswehr.

Substanzielle Fortschritte bei der Eröffnung der Mög-
lichkeit von befristetem Teilzeitdienst für Soldatinnen
und Soldaten zum Zwecke der Familienfürsorge sind
ohne Einführung einer gesetzlichen Bemessungsgrund-
lage für die Dienstzeit nicht möglich. Zum Zwecke der Er-
möglichung von Teilzeitdienst wird zurzeit geprüft, ob
eine eigenständige, gesetzlich verankerte Dienstzeitrege-
lung für Soldaten geschaffen werden kann, welche die be-
sonderen Belange des militärischen Dienstes in den Streit-
kräften berücksichtigt. Dabei wird die Ermöglichung von
Teilzeitdienst auf militärischen Dienstposten während der
Elternzeit in die Prüfung einbezogen.


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1502119000

Zusatzfrage? – Bitte schön.


Ina Lenke (FDP):
Rede ID: ID1502119100

Herr Staatssekretär, der Deutsche Bundeswehr-Verband

hat das schon imApril 2001 in einemBrief an IhrHaus ange-
mahnt. Können Sie mir sagen, warum eine Reaktion darauf
so langegedauert hat undwanndieBundesregierungendlich
dieentsprechendengesetzlichenRegelungenschafft?

H
Hans Georg Wagner (SPD):
Rede ID: ID1502119200


Es bedurfte nicht erst des Briefes des Bundeswehrver-
bandes, dass die Bundesregierung auf dieses Problem auf-
merksam geworden ist. Dies ist, wie Sie wissen, ein sehr
vielschichtiges Problem. Deshalb bitte ich um Verständ-
nis, wenn die Vorbereitungszeit für die Einführung sol-
cher Regelungen etwas länger dauert. Ich kann Ihnen aber
versichern, dass daran gearbeitet wird.


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1502119300

Eine weitere Zusatzfrage.


Ina Lenke (FDP):
Rede ID: ID1502119400

Sagen Sie mir bitte, wann eine entsprechende gesetzli-

che Regelung von Ihrem Minister im Bundestag vorgelegt
wird!





H
Hans Georg Wagner (SPD):
Rede ID: ID1502119500


Sie wird so schnell wie möglich vorgelegt werden.

(Dr. Uwe Küster [SPD]: Das ist präzise, Frau Lenke!)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1502119600

Frau Lenke, zur Frage 34 können Sie keine weitere Zu-

satzfrage stellen. Vielleicht ergibt sich ja im Kontext der
Frage 35 die Gelegenheit, hierzu nachzufragen.


(Dr. Uwe Küster [SPD]: Das ist nach der Geschäftsordnung nicht zulässig, Herr Präsident! Immer nur zum Thema!)


H
Hans Georg Wagner (SPD):
Rede ID: ID1502119700


Diese Chance will ich natürlich gerne einräumen.


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1502119800

Ich rufe die Frage 35 der Abgeordneten Lenke auf:

Welche konkreten Pläne zur vollständigen beruflichen Gleich-
stellung von Frauen in der Bundeswehr verfolgt die Bundesregie-
rung?

H
Hans Georg Wagner (SPD):
Rede ID: ID1502119900


Frau Kollegin, sämtliche Aktivitäten der deutschen
Marineverbände am Horn von Afrika werden im Rahmen
der Operation Enduring Freedom durchgeführt.


(Ina Lenke [FDP]: Das ist die falsche Antwort! – Jörg van Essen [FDP]: Die falsche Antwort, Herr Kollege! – Dirk Niebel [FDP]: Das wundert uns zwar nicht, aber es fällt uns wenigstens auf!)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1502120000

Das ist jetzt wahrscheinlich durch den sowieso unzu-

treffenden Zuruf aus der eigenen Fraktion über die Mög-
lichkeiten der Geschäftsordnung verursacht worden. Herr
Kollege Wagner, das sehen wir Ihnen nach.

H
Hans Georg Wagner (SPD):
Rede ID: ID1502120100


Ich bin froh darüber, darauf aufmerksam gemacht wor-
den zu sein, eine Antwort nicht gleich zweimal zu geben.

Sehr geehrte Frau Kollegin, das wachsende internatio-
nale Engagement der Bundeswehr und die parallel fort-
schreitende Reform der Bundeswehr belasten insbeson-
dere das militärische Führungspersonal erheblich.


(Eckart von Klaeden [CDU/CSU]: Hatten wir auch schon! – Jörg van Essen [FDP]: Das haben wir gerade schon gehört! – Dirk Niebel [FDP]: Vielleicht wird der Erkenntnisgewinn damit auch nicht größer, aber wir hätten die richtige Antwort schon gern gehört!)


– Ja, natürlich. Ich will Ihnen das nicht ersparen. Herr
Kollege Niebel, jetzt geht es richtig los.

Verehrte Frau Kollegin, die sofortige Einbeziehung der
Soldatinnen und Soldaten in den Geltungsbereich des
Bundesgleichstellungsgesetzes war im Gesetzgebungs-
gang Gegenstand von Vorüberlegungen. Davon wurde je-
doch zunächst im Einvernehmen mit dem Bundesminis-
terium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Abstand
genommen. Für den militärischen Bereich werden zurzeit
eigene Gleichstellungsgrundlagen und -regelungen erar-
beitet, die den Besonderheiten des militärischen Dienstes
und den Erfordernissen zur Aufrechterhaltung der Ein-
satzbereitschaft der Streitkräfte Rechnung tragen.


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1502120200

Ihre Zusatzfrage, Frau Lenke.


Ina Lenke (FDP):
Rede ID: ID1502120300

Herr Staatssekretär, Ihre beiden Antworten wundern

mich wirklich sehr. Für den Bereich der Wirtschaft ver-
langen Sie ein Gleichstellungsgesetz, aber in Ihrem Zu-
ständigkeitsbereich sind Sie nicht in der Lage, Gleichstel-
lungsregelungen zu schaffen. Deshalb meine Frage:
Welche positiven Auswirkungen auf Ihre Pläne in Bezug
auf die Nachwuchsgewinnung hätten solche Regelungen?
Sie wissen, dass hoch qualifizierte Frauen zwar zur Bun-
deswehr wollen, davor aber zurückschrecken, weil es ent-
sprechende Regelungen nicht gibt. Ich denke, die Bun-
desregierung hat sehr schnell eine Regelung vorzulegen.
Wenn das nicht geschieht, wird die Opposition gezwun-
gen sein, Ihnen Initiativen vorzulegen, auf die Sie dann
antworten müssen.

H
Hans Georg Wagner (SPD):
Rede ID: ID1502120400


Sie können sich darauf verlassen, dass die Bundesregie-
rung daran arbeitet und sehr schnell etwas vorlegen wird.


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1502120500

Es gibt keine weitere Zusatzfrage.
Damit sind wir am Ende der Fragestunde. Bis zum Be-

ginn der Aktuellen Stunde, bis 15.35 Uhr, unterbreche ich
die Sitzung.


(Unterbrechung von 15.10 bis 15.35 Uhr)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1502120600

Die unterbrochene Sitzung ist wieder eröffnet.
Ich rufe den Zusatzpunkt 1 der Tagesordnung auf:

Aktuelle Stunde
Haltung der Bundesregierung zu den Auswir-
kungen ihrer Steuerpolitik auf die kommunalen
Finanzen

Die Fraktion der CDU/CSU hat diese Aktuelle Stunde
verlangt.


(A)



(B)



(C)



(D)


1638


(A)



(B)



(C)



(D)






Erster Redner in der Debatte ist der Kollege Peter Götz,
CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Peter Götz (CDU):
Rede ID: ID1502120700

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kol-

leginnen und liebe Kollegen! Viele Städte und Gemeinden
in Deutschland stehen vor einer wirtschaftlichen und so-
zialen Katastrophe. Der Deutsche Städtetag hat diese Wo-
che in seiner Pressekonferenz zur desolaten Finanzsitua-
tion in den kommunalen Haushalten erklärt: Den Städten
geht es so schlecht wie nie zuvor seit Bestehen der Bun-
desrepublik Deutschland. Der Deutsche Städte- und Ge-
meindebund ruft zu einer Kampagne auf: „Rettet die
Kommunen!“ Landkreise verklagen den Bund vor dem
Bundesverfassungsgericht.

Die Öffentlichkeit nimmt zunehmend die kommunal-
feindliche rot-grüne Politik wahr. Nach gerade vier Jahren
rot-grüner Regierungsverantwortung befinden sich die
Städte, Gemeinden und Kreise am Rande des Ruins, und
zwar in Ost und West. Das Schlimme ist: Besserung ist
nicht in Sicht. Die Einnahmen brechen weg. Immer mehr
Menschen werden arbeitslos. Mehr als 4,2 Millionen
Menschen sind in Deutschland ohne Arbeit. Die sozialen
Ausgaben der Kommunen steigen dadurch weiter an.

Die Schere zwischen Einnahmen und Ausgaben geht
immer weiter auseinander. Inzwischen liegt das Defizit
bei 10 Milliarden Euro im Jahr. Die Kommunen finanzie-
ren ihre Personalkosten nur noch aus Kassenkrediten.
Diese Kassenkredite sind im vergangenen Jahr um über
25 Prozent gestiegen und steigen weiter.

Was sind die Konsequenzen? Geld für Investitionen
fehlt. Die Schulen verrotten. Schwimmbäder, Büchereien
und Theater werden geschlossen. In vielen Straßen brennt
keine Leuchte mehr. Die Handwerksbetriebe haben dies
deutlich zu spüren bekommen. Für viele Handwerksbe-
triebe und mittelständische Unternehmen bedeutet das
den Gang zum Konkursrichter.

Was ist die Ursache? Eine Fülle von Fehlentscheidun-
gen hier in Berlin und nicht in den kommunalen Ent-
scheidungsgremien ist die Ursache für diese Entwicklung.
Zum Beispiel bricht die Gewerbesteuer rapide und
massiv ein. Die Gewerbesteuerumlage, über die wir hier
ebenfalls diskutiert haben, hat enorme Folgen für die
kommunalen Haushalte, und zwar in Milliardengrößen-
ordnungen. In Düsseldorf bedeutet allein die Erhöhung
der Gewerbesteuerumlage einen Einnahmeverlust von
158 Millionen Euro innerhalb von vier Jahren.

Die Konsequenz ist: Viele Kommunen sind zur Hand-
lungsunfähigkeit verdammt. Einige Städte – es sind nicht
wenige – haben angekündigt, dass sie die Gesetze des
Bundes nicht mehr ausführen werden – nicht weil sie es
nicht wollen, sondern weil sie es einfach nicht mehr können.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, das geht an die Grund-
substanz der kommunalen Selbstverwaltung und wirft die
Frage nach dem Gesellschaftsmodell auf, das wir wollen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Die Menschen im Land haben kein Verständnis mehr für
diese Art von Politik. Sie wenden sich ab. Eine Entfrem-
dung gegenüber dem Staat, aber inzwischen auch gegen-
über den Kommunen, gegenüber den Städten und Ge-
meinden, sowie den Kreisen in unserem Land ist die
Folge. Das kann auf Dauer nicht gut gehen.

Wir wollen keinen sozialistischen Staat, der zentral
von oben alles regiert und dem Bürger das Geld abnimmt.
Wir wollen auch keinen Staat, der die Lufthoheit über den
Kinderbetten hat, worüber immer wieder diskutiert wird.
CDU und CSU setzen auf eigene Verantwortung. Wir set-
zen auf leistungsstarke Städte und Gemeinden. Mit dem
ständigen Verschiebebahnhof zulasten kommunaler
Haushalte muss Schluss sein.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Wir fordern die Bundesregierung auf, mit uns gemein-

sam über eine Grundgesetzänderung zu diskutieren, damit
das Konnexitätsprinzip in unsere Verfassung aufgenom-
men wird und künftig bei allen politischen Entscheidun-
gen des Bundes wieder der Grundsatz gilt: Wer bestellt,
bezahlt.

Wir fordern weiter, dass sich die Bundesregierung end-
lich darum kümmert, was sich in Europa zulasten der
kommunalen Ebene entwickelt. Der Konvent zur europä-
ischen Verfassung befindet sich in einer entscheidenden
Phase. Wir wollen nicht, dass sich Brüssel künftig noch
mehr als heute um kommunale Angelegenheiten kümmert
und sich einmischt. Brüssel muss nicht die Wasserversor-
gung in Kleinkleckersdorf regeln, sondern Brüssel bzw.
Europa hat die Aufgabe, sich um die wirklich großen Fra-
gen – davon gibt es genug – zu kümmern. Hier ist der
Außenminister eindeutig gefordert, deutsche Interessen
zu vertreten. Aber auch hier Fehlanzeige auf der ganzen
Linie.

Wir fordern Sie auf: Nehmen Sie kommunale Interes-
sen endlich ernst und warten Sie nicht ständig auf irgend-
welche neue Kommissionen! Das Schielen auf Kommis-
sionen ist in unserem Staat zu wenig. Wir fordern Sie auf,
zu handeln. Die Menschen in unserem Land wollen, dass
die Politik handelt und nicht nur wartet.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1502120800

Ich erteile das Wort dem Kollegen Florian Pronold,

SPD-Fraktion.


Florian Pronold (SPD):
Rede ID: ID1502120900

Sehr geehrter Herr Vizepräsident! Sehr geehrte Damen

und Herren! Der Titel dieser Aktuellen Stunde und die
vorangegangene Rede legen mir einen biblischen Ver-
gleich nahe.


(Manfred Grund [CDU/CSU]: Wie ist das möglich?)


Wie Sie vielleicht wissen, wird im 3. Buch Mose die
Geschichte vom Sündenbock wiedergegeben. Es ist im

Vizepräsident Dr. Norbert Lammert




Florian Pronold
Alten Testament so dargestellt, dass man diesem Bock die
eigenen Sünden auferlegt hat, um ihn dann in die Wüste
zu schicken.


(Jochen-Konrad Fromme [CDU/CSU]: Wir schicken Sie in die Wüste!)


Ich habe den Eindruck – ich kenne das sehr gut von
meinen Kolleginnen und Kollegen in Bayern –, dass Sie
genau diese Sündenbockstrategie anzuwenden versuchen,
indem Sie von den Verfehlungen ablenken, für die zum
Beispiel die Bayerische Staatsregierung verantwortlich ist


(Lachen bei der CDU/CSU)

und die natürlich Konsequenzen für die Situation der
Kommunen in Bayern haben.


(Beifall bei der SPD)

Ich habe den Eindruck, dass es hier auch eine direkte

Erbfolge gibt, nämlich die der CDU/CSU-Bundestagsab-
geordneten zurück bis hin zu den uns ebenfalls aus der Bi-
bel bekannten Pharisäern. Frei nach dem Motto: Wenn in
Bayern die Sonne lacht, hat’s die CSU gemacht, gibt’s im
Winter Eis und Schnee, war’s die böse SPD,


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU sowie des Abg. Hans-Michael Goldmann [FDP])


ziehen Sie derzeit durch die Lande und versuchen, alle
kommunalen Finanzprobleme der SPD-geführten Bundes-
regierung in die Schuhe zu schieben.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

– Wie schön, dass Sie mir zustimmen. Das freut mich. In
dem Fall haben Sie ausnahmsweise einmal Recht.


(Bernd Scheelen [SPD]: Sie haben an der falschen Stelle geklatscht!)


Das jüngste Beispiel ist die Fluthilfe. Sie gehen mo-
mentan vor Ort herum und behaupten, es könnten in
Bayern keine Feuerwehrhäuser mehr gebaut werden, weil
die Bundesregierung durch das Fluthilfegesetz den Kom-
munen wieder in die Tasche gelangt habe; wenn Ihr Vor-
schlag durchgekommen wäre, dann wäre für die Kommu-
nen alles besser.


(Jochen-Konrad Fromme [CDU/CSU]: Genau so ist es!)


– Sie können nicht rechnen und stellen es hier selber un-
ter Beweis.

Wie Sie wissen, haben wir die Fluthilfe seriös durch die
Verschiebung der Steuerreform finanziert. Die Kommu-
nen haben sozusagen das, was sie aufgrund der Steuer-
entlastung für die Bürgerinnen und Bürger sowieso nicht
bekommen hätten, jetzt für die Beseitigung der Schäden
durch die Flutkatastrophe eingesetzt. Wenn Ihr Vorschlag
durchgekommen wäre, wäre die Steuerreform nicht um
ein Jahr verschoben worden und die Kommunen hätten
genau dieselbe Finanzausstattung, wie sie sie jetzt haben.
Deswegen ist es schon sehr pharisäerhaft, wenn Sie hier
wieder versuchen, der Bundesregierung zu unterstellen,
dass sie schuld daran sei, dass die Finanzsituation der
Kommunen so schlecht ist. Zweitens ist es so, dass kein
anderes Land so schlechte Schlüsselzuweisungen an seine
Kommunen gibt wie Bayern.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Ina Lenke [FDP]: Niedersachsen auch!)


In Nordrhein-Westfalen erhalten die Kommunen 60 Pro-
zent mehr als die bayerischen Kommunen vom Freistaat.

Drittens reden Sie landauf, landab über die Gewerbe-
steuerumlage und fordern, dass die Mehreinnahmen auf-
grund der Erhöhung von der Bundesregierung an die
Kommunen zurückgegeben werden. Der bayerische
Finanzminister sagt aber relativ offen, den Anteil, den er
erhält – das sind erkleckliche Millionen Euro –, könne er
den Kommunen selbstverständlich nicht zurückgeben,
das solle die Bundesregierung machen. Wenn das nicht
pharisäerhaft ist, frage ich: Was ist es dann?


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Weitere Beispiele sollen nur kurz angesprochen wer-
den; denn die Redezeit ist begrenzt. Sie bürden den Kom-
munen die Personalkosten für ihre Schulen auf und der
Freistaat Bayern zahlt den Kommunen die versprochenen
Zuschüsse – über 2 Milliarden Euro – nicht aus.

Einen weiteren biblischen Vergleich will ich mir spa-
ren, aber ich möchte doch an den Splitter und den Balken
erinnern. Das dürfte Ihnen doch auch etwas sagen.

Ich bitte Sie, keine polemische Debatte zu führen. Las-
sen Sie Ihre Schuldzuweisungen! Sie helfen den Kommu-
nen nicht. Lassen Sie Ihr pharisäerhaftes Gerede und brin-
gen Sie endlich eigene vernünftige Vorschläge! Diese sind
Sie jetzt leider auch wieder schuldig geblieben. Sie haben
keine Vorschläge. Sie können nur jammern, sonst nichts.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1502121000

Herr Kollege Pronold, ich gratuliere Ihnen zu Ihrer ers-

ten Rede im Deutschen Bundestag.

(Beifall – Manfred Grund [CDU/CSU]: Ich hoffe, die nächsten werden besser!)

Ich hoffe, dass Sie sich Ihre Bibelfestigkeit in den ganz
unterschiedlichen parlamentarischen Situationen, mit de-
nen Sie noch zu tun haben werden, bewahren können.


(Bernd Scheelen [SPD]: Im Neuen Testament kennt er sich auch gut aus!)


– Das gilt für das Alte und das Neue Testament. Sie bieten
eine unerschöpfliche Quelle von Zitaten.

Ich darf nun dem Kollegen Michael Goldmann das
Wort für die FDP-Fraktion erteilen.


Hans-Michael Goldmann (FDP):
Rede ID: ID1502121100

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Auch ich gratuliere Ihnen, Herr Kollege Pronold. Wir
sollten uns vielleicht einmal privat darüber unterhalten,
welche Erfahrungen Sie in der Kommunalpolitik haben.


(Heiterkeit und Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)



(A)



(B)



(C)



(D)


1640


(A)



(B)



(C)



(D)






Ich will damit nicht sagen, dass man immer welche haben
muss, aber es ist gewiss von Vorteil, wenn man zur Sache
spricht.

Sie haben vom Sündenbock gesprochen. Dazu muss
ich Ihnen sagen: Sie haben von der Entwicklung der kom-
munalen Finanzen gerade in der letzten Zeit überhaupt
keine Ahnung. Die Situation der kommunalen Finanzen
war immer schwierig und es gab immer Ungerechtigkei-
ten. Ich habe nie verstanden, warum Kommunen, die sich
besondere Mühe geben und besondere Anstrengungen un-
ternommen haben, später weniger Schlüsselzuweisungen
bekamen. Eines steht aber eindeutig fest: Die Finanzlage
der Kommunen hat sich unter Rot-Grün dramatisch ver-
schlechtert. Es ist genau so, wie es der Kollege Götz ge-
sagt hat: Die Kommunen stehen nicht nur mit dem
Rücken an der Wand, sondern sie sind schlicht und er-
greifend in sehr vielen Bereichen, bei denen es um die In-
teressen der Bürger geht, überhaupt nicht mehr hand-
lungsfähig.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Darüber müsste man sich eigentlich einig sein; denn es

bringt überhaupt nichts, das zu einem bayerischen Pro-
blem zu machen. Es handelt sich um ein deutsches Pro-
blem und Sie wissen, dass sich die Situation deshalb ver-
schärft hat, weil Sie falsche steuerliche Weichenstellungen
vorgenommen haben.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Zuruf des Abg. Florian Pronold [SPD])


– Die höhere Gewerbesteuerumlage haben Sie zu verant-
worten. Das gesamte Steuerreformkonzept – eigentlich ist
es gar kein Konzept –, das auf den Weg gebracht worden
ist, haben Sie zu verantworten.


(Dieter Grasedieck [SPD]: Aber die Schieflage der kommunalen Finanzen nicht! Die Länder sind dafür in großem Umfang verantwortlich!)


In Niedersachsen zum Beispiel kann kein Landkreis
mehr seinen Haushalt ausgleichen. Ich selbst habe an Be-
ratungen im Landkreis Emsland teilgenommen. Vom
Morgen bis zum Nachmittag haben wir Defizitentwick-
lungen festgestellt; daraufhin haben wir die gesamten
Haushaltsberatungen eingestellt und neue aufgenommen.
Das liegt an Ihrer politischen Weichenstellung in ver-
schiedenen Bereichen.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Joachim Poß [SPD]: Deshalb wollen Sie die Steuern senken!)


Ich glaube, Sie wissen manchmal nicht, was bestimmte
steuerliche Weichenstellungen oder Gesetzgebungsmaß-
nahmen bedeuten. Haben Sie sich zum Beispiel einmal
mit den Auswirkungen der Grundsicherung auf die kom-
munalen Haushalte beschäftigt?


(Ina Lenke [FDP]: So ist es!)

Haben Sie sich einmal mit den Belastungen für Mittel-
stand und Handwerk und deren Auswirkungen auf das
kommunale Geschehen beschäftigt? Ich glaube, wenn Sie
das tun, kommen Sie zu dem Ergebnis, dass die Kommu-
nen einer Zangenbewegung ausgesetzt sind: Der Bund

nimmt und die Länder nehmen zum Teil auch, vor allen
Dingen die rot-grün-regierten Länder nehmen massiv.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Lachen bei der SPD – Dieter Grasedieck [SPD]: Darauf wären wir nie gekommen!)


Gerade in Niedersachsen hat die rote Landesregierung
den Kommunen immer und immer wieder Einnahmen ge-
nommen. Jeder, der sich damit ernsthaft befasst, wird
mich darin bestätigen.


(Ina Lenke [FDP]: Die haben keine Ahnung!)

Ihre in meinen Augen relativ schlechte – ich könnte

auch sagen: saumäßige – Wirtschaftspolitik trifft vor allen
Dingen Mittelstand und Handwerk,


(Christine Scheel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: „Saumäßig“ ist unflätig!)


die nach wie vor in entscheidender Weise die Träger kom-
munaler Finanzen sind. Sie wissen, dass sich die Gewer-
besteuer immer antizyklisch ausgewirkt und die Kommu-
nen hinsichtlich ihrer Finanzen immer in eine schwierige
Situation gebracht hat.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Bernd Scheelen [SPD]: Nachdem Sie die Gewerbekapitalsteuer abgeschafft haben!)


Liebe Kollegen von Rot-Grün, wir können uns über
das eine oder andere unterhalten und Sie können hier auch
Bibelsprüche rauf- und runterbeten, aber Sie haben kein
Herz und keinen Verstand bei der Politik, die Sie für die
Kommunen machen. Das ist sehr bedauerlich, denn ge-
rade die Kommunen waren immer diejenigen, die ent-
scheidend dafür gesorgt haben, dass von der Basis her
Arbeitsplätze entstehen, dass von der Basis her Investi-
tionen getätigt werden und auch von der Basis her so et-
was wie einigermaßen gleiche Lebenschancen in allen
Bereichen entstehen. Insofern ist Ihre Politik gerade auch
eine Politik gegen die ländlichen Räume, gegen Mittel-
stand und Handwerk und im Grunde genommen gegen
diejenigen, die vor Ort bereit sind, Verantwortung zu
übernehmen. Ich bedaure das sehr.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Sie streben jetzt möglicherweise eine Ausweitung der

Gewerbesteuer an. Sie wollen diese auf Landwirte und
Freiberufler ausdehnen. Ich denke, dies ist der völlig
falsche Weg. Wir als FDP wollen Verlässlichkeit für die
kommunalen Finanzen. Deswegen fordern wir Sie jetzt
und heute auf: Nehmen Sie die Erhöhung der Gewerbe-
steuerumlage zurück!


(Dieter Grasedieck [SPD]: Und Sie nehmen dann Schulden auf!)


– Nein, nicht mehr Schulden aufnehmen, sondern nehmen
Sie sie schlicht zurück. Es ist ein Irrtum, wenn Sie glau-
ben, damit die Finanzsituation verbessern zu können. Da-
durch, dass Sie die Betriebe belasten, verhindern Sie In-
vestitionen und Weichenstellungen für Arbeitsplätze.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Hans-Michael Goldmann




Hans-Michael Goldmann

Eines der größten Probleme in den Kommunen besteht
darin, dass in der Bundesrepublik viel zu wenige Men-
schen eine Arbeit haben. Eines der größten Probleme in
den Kommunen besteht darin, dass sich die Ertragssitua-
tion der Betriebe sowie der Menschen, der Bürger ver-
schlechtert hat. Deswegen müssen wir die kommunalen
Finanzen auf eine solide Basis stellen.

Wir sind gegen die Revitalisierung der Gewerbesteuer,
hinter der sich im Grunde nichts anders verbirgt als die
Einbeziehung der freien Berufe in die Gewerbesteuer.
Nein, das wollen wir nicht.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wir wollen den Kommunen ein eigenes Heberecht im
Bereich der Umsatz- und Einkommensteuer geben. Wir
wollen eine Gemeindefinanzreform, die vereinfacht. Ich
bin seit 20 Jahren Bürgermeister einer Gemeinde. Wenn
Sie jemals die Finanzsituation Ihrer Gemeinde durchge-
rechnet haben, zolle ich Ihnen erstens höchsten Respekt.
Zweitens kann ich Ihnen garantierten, dass Sie wochenlang
daran gesessen haben, weil dieses System so kompliziert
ist, dass man kaum dahinter kommt. Diese Ungerechtig-
keiten, diese Unklarheiten und die Überbürokratisierung
führen dazu, dass vor Ort überhaupt keine vernünftige Po-
litik gemacht werden kann, die die Kommunen trägt.

Seien Sie vernünftig! Sorgen Sie dafür, dass sich die
kommunalen Finanzen schnellstens verbessern! Das ist
die notwendige Grundlage für eine Verbesserung der der-
zeitigen Situation der Kommunen und insgesamt für eine
bessere Politik.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1502121200

Nächste Rednerin ist die Kollegin Kerstin Andreae,

Bündnis 90/Die Grünen.


Kerstin Andreae (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1502121300

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Her-

ren! Wir reden in der Aktuellen Stunde über die Auswir-
kungen unserer Steuerpolitik auf die kommunalen Finan-
zen. Bevor ich darauf eingehe, möchte ich einige
grundlegende Anmerkungen machen und auf die Beiträge
meiner Vorredner eingehen.

Wir wissen, um die Finanzen der Kommunen steht es
schlecht. Wir haben defizitäre Haushalte, den Verkauf von
Vermögensbeständen und viele Kommunen, die von der
Substanz leben. Dies können wir nicht wegdiskutieren.
Das Problem sind die Einnahmen der Kommunen. Auch
darin sind wir uns einig. Die Einnahmen der Kommunen
sind so, wie sie jetzt ausgestaltet sind, durch eine hohe Ab-
hängigkeit von der Gewerbesteuer und damit von der
Konjunktur gekennzeichnet. Dieses Problem der nicht
stetigen Einnahmen der Kommunen und der geringen Pla-
nungssicherheit der Kommunen müssen wir lösen.

Wir lösen es nicht dadurch, dass wir jetzt die Gewerbe-
steuer in Bausch und Bogen verdammen. Wir lösen es

vielmehr, indem wir im Zuge der Gemeindefinanzreform
die Gewerbesteuer mit dem Ziel der Verstetigung der Ein-
nahmen der Kommunen modernisieren. Denn dann schaf-
fen wir Planungssicherheit für die Kommunen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Hans-Michael Goldmann [FDP]: Die Gewerbesteuer muss weg, Frau Kollegin! Das wissen Sie ganz genau!)


Die FDP, die Steuern am liebsten abschaffen würde,
die immer wieder Modelle entwickelt, mit denen der
Wettbewerb der Kommunen gefördert werden soll, er-
kennt nicht die Probleme der Kommunen wie Wegzüge in
den so genannten Speckgürtel oder das Gegeneinander
der Kommunen, das man nicht wegdiskutieren kann. So
kann, wie ich finde, der Vorschlag, den Sie machen, kei-
nen Bestand haben. Wir müssen vielmehr, um auf den
richtigen Weg zu kommen, die Gewerbesteuer moderni-
sieren und über andere Elemente diskutieren.

Wer heute über die Finanzen der Kommunen spricht,
muss anerkennen, dass in den Kommunen auch Fehler ge-
macht wurden. Manche Kommunen haben viel zu lange
über ihre Verhältnisse gelebt.


(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Wo?)

Es wurden Projekte von ungeheurem Umfang verfolgt.
Ein solches Projekt ist „Stuttgart 21“. An diesem Projekt
wurde lange festgehalten. Dabei müsste man der Kom-
mune ganz deutlich sagen: Liebe Kommune, verabschie-
det euch von diesem Projekt, denn es ist nicht zu finan-
zieren.

Es gibt Vorfinanzierungen von Straßen – in Baden-
Württemberg kenne ich den Fall konkret –, wodurch sich
finanzielle Auswirkungen für die Kommunen ergeben,
die sich über viele Jahre und Jahrzehnte hinweg er-
strecken werden. So kann die Politik in den Kommunen
nicht aussehen.


(Zuruf von der CDU/CSU: Keine Ahnung!)

Verwaltungsreformen stehen aus. Dabei ist hier in den

Kommunen viel Potenzial vorhanden, ihre Ausgaben zu
senken. Ich finde es gut, dass viele Kommunen diese Si-
tuation als Chance begreifen, um über ihre eigenen kom-
munalen Haushalte zu diskutieren. Das sollten wir auf je-
den Fall unterstützen.

Wir dürfen die Kommunen aber nicht alleine lassen.
Wir müssen die Finanzkraft der Kommunen verstetigen
und verbessern. Wir müssen die Gewerbesteuer moderni-
sieren. Ich verspreche mir viel von der Gemeindefinanz-
reform. Vielleicht gelingt es uns, diese unendliche Ge-
schichte der Reform der Gewerbesteuer – so wurde sie
einmal betitelt – tatsächlich anzugehen. Ich hoffe sehr,
dass wir hier im Sinne der Kommunen zu einer Zusam-
menarbeit kommen; denn ohne starke Städte ist kein Staat
zu machen; da gebe ich Ihnen Recht. Wir brauchen die
Kommunen. Wir brauchen die kommunale Selbstverwal-
tung.

Nun komme ich zu dem Thema Aufgabenübertragung
an die Kommunen. Sie wissen, das betrifft den Bund wie
auch die Länder. Nach dem Grundgesetz sind es vor allem
die Länder, die die Aufgaben an die Kommunen übertra-


(A)



(B)



(C)



(D)


1642


(A)



(B)



(C)



(D)






gen. Wenn Sie immer wieder sagen, dass wir Aufgaben an
die Kommunen übertragen, deren Finanzierung aber nicht
gewährleisten, dann ist das nicht richtig.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Peter Götz [CDU/CSU]: Das ist leider so! – Jochen-Konrad Fromme [CDU/ CSU]: Kindergeld! Tarifabschluss! – Hans Michelbach [CDU/CSU]: Grundsicherung!)


– Die Kommunen haben für die Grundsicherung im Alter
410 Millionen Euro bekommen. Das sind 100 Millionen
Euro mehr, als damals als Bedarf ermittelt und festgesetzt
wurde. Wenn heute durch die Lande gezogen und gesagt
wird, das Geld reiche nicht, dann bitte ich Sie, sich die Be-
gründung dafür anzuschauen, warum dieses Geld nicht
reichen soll. Im Augenblick kann noch niemand sagen, ob
das Geld reicht oder nicht. Fest aber steht: Wir haben
410 Millionen Euro dafür eingestellt.


(Peter Götz [CDU/CSU]: Und warum klagen die Landkreise?)


– Das Geld geht an die Länder. Das wissen Sie. Die Län-
der sind die Treuhänder für die Weitergabe dieser Gelder
an die Kommunen. Da liegt noch viel im Argen.


(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Gerade bei den Sozis!)


Ich komme nun zum Steuervergünstigungsabbaugesetz,
weil Sie das an manchen Stellen angesprochen haben. Ich
kann nicht verstehen, warum Sie bei Maßnahmen, die
Kommunen direkt helfen, wie zum Beispiel die Abschaf-
fung der gewerbesteuerlichen Organschaften, schon heute
ihre Blockade ankündigen. Das wären Gelder, die die Kom-
munen direkt bekommen könnten, wenn wir heute die ge-
werbesteuerlichen Organschaften abschaffen würden.


(Hans Michelbach [CDU/CSU]: Sie haben nicht an die Arbeitsplätze gedacht, die dadurch wegfallen!)


– Es gibt auch Ausgleichsmaßnahmen für die Kommunen,
die davon besonders betroffen sind. Sie bekommen direkt
Geld, mit dem sie arbeiten können.


(Jochen-Konrad Fromme [CDU/CSU]: Ihnen fällt nichts anderes ein als Steuererhöhungen!)


Wir haben die Zahlen doch vorliegen, was das Steuer-
vergünstigungsabbaugesetz den Kommunen bringen
kann: 580 Millionen Euro im Jahr 2003, 2,1 Milliarden
Euro im Jahr 2004 und 3,2 Milliarden Euro im Jahr 2005.


(Hans Michelbach [CDU/CSU]: Nur Steuererhöhungen, Steuererhöhungen, Steuererhöhungen!)


Sie wissen, dass Maßnahmen in diesem Konzept enthal-
ten sind, die konkrete Auswirkungen auf die Kommunen
haben. Ich kann nur hoffen, dass Sie diese Maßnahmen im
Bundesrat nicht blockieren, denn sie sind wichtig für die
Kommunen.

Ich hoffe, dass wir im Rahmen der Gemeindefinanz-
reform zusammenarbeiten; denn wir sind uns sicherlich
einig darin, dass wir die kommunale Selbstverwaltung
brauchen und dass wir die Kommunen mit ihren Aufga-

ben nicht alleine lassen können. Sie übernehmen wichtige
Aufgaben und weisen die größte Bürgernähe auf. Wir
brauchen die kommunale Selbstverwaltung. Wir brau-
chen aber auch eine Zusammenarbeit aller Fraktionen. Ich
hoffe sehr, dass uns das gelingt.

Vielen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1502121400

Das Wort hat der Kollege Otto Bernhardt, CDU/CSU-

Fraktion.


Otto Bernhardt (CDU):
Rede ID: ID1502121500

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Her-

ren! Ich stelle zunächst einmal fest, dass die FDP, die Grü-
nen und die Christdemokraten erkannt haben, dass es den
Kommunen schlecht geht. Ich bedauere, dass Sie, Herr
Kollege Pronold von der SPD, dies als Polemik bezeich-
net haben.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Widerspruch des Abg. Florian Pronold [SPD])


Ich glaube, wir sollten uns in diesem Hause darüber einig
sein, dass es den Kommunen schlecht geht. Ihnen geht es
schlechter als je zuvor in der Geschichte der Bundesrepu-
blik Deutschland. – Ich will Sie nicht mit den Zahlen lang-
weilen. – Die entscheidende Ursache dafür liegt in der
verfehlten Wirtschafts- und Finanzpolitik der rot-grünen
Regierung.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Frau Kollegin von den Grünen, Ihnen fällt nichts an-

deres ein, als sich in dieser Debatte für Steuererhöhungen
einzusetzen.


(Christine Scheel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das sind Steuereinnahmen für die Kommunen!)


Das ist genau das, was wir nicht brauchen.

(Kerstin Andreae [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist der Titel Ihrer Aktuellen Stunde!)

Ich sage es mit aller Deutlichkeit: Das würde die Situation
der Kommunen noch weiter verschlechtern.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Wir können uns natürlich über die Ursachen unterhal-

ten; hier gibt es Meinungsverschiedenheiten. Die ent-
scheidende Ursache ist die verfehlte Wirtschafts- und Fi-
nanzpolitik. Über die Wirkung werden wir zu einer
einheitlichen Auffassung kommen. Die Wirkung dieser
Finanzsituation ist: Die kommunalen Investitionen gehen
zurück, die Zahlungsmoral der öffentlichen Hand wird
schlechter und beides trifft die mittelständische Wirt-
schaft vor Ort. Im Ergebnis – die Zahlen belegen das –
führt diese Politik zu mehr Arbeitslosen und mehr Fir-
menpleiten. Das ist die aktuelle Situation.

Wir müssen uns die Frage stellen, was wir kurzfristig
tun können. Sie verweisen immer gerne auf die eingesetzte

Kerstin Andreae




Otto Bernhardt
Kommission. Prima! Wir brauchen sicherlich eine grund-
legende Veränderung der kommunalen Finanzen. Die
Kommission hat sich, wenn ich richtig informiert bin,
konstituiert und bisher eine Arbeitssitzung durchgeführt.


(Peter Götz [CDU/CSU]: Das hat lang genug gedauert!)


Vor 2004 sind keine Ergebnisse zu erwarten.

(Dieter Grasedieck [SPD]: Das stimmt ja nicht! – Christine Scheel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Im Sommer!)


So lange können die Kommunen nicht warten.
Frau Kollegin von den Grünen, deshalb antworte ich

auf Ihre Frage, wo unsere Alternativen sind: Es gibt einen
Gesetzentwurf des Bundesrates und der CDU/CSU-Frak-
tion im Bundestag. Ich glaube, ich verrate keine Geheim-
nisse aus den Ausschüssen, wenn ich sage, dass dieser Ge-
setzentwurf heute Morgen im Finanzausschuss mit den
Stimmen von Rot-Grün abgelehnt worden ist. Das ist Ihre
kommunalfreundliche Haltung.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Worum geht es bei diesem Gesetzentwurf? Sie haben

im Jahre 2000 die Gewerbesteuerumlage gegen unsere
Stimmen von 20 auf 30 Prozent erhöht.


(Fritz Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wissen Sie auch, warum?)


Sie alle wissen, dass es bei der Gewerbesteuer um eine
Größenordnung von circa 20 Milliarden pro Jahr geht.
10 Prozentpunkte bedeuten also circa 2 Milliarden. Sie
haben die Erhöhung der Gewerbesteuerumlage damals
– das können Sie im Protokoll nachlesen – mit zwei Ar-
gumenten eingeführt. Ihr erstes Argument lautete, dass
sich durch Ihre „geniale“ Steuerreform die Wirtschafts-
situation so nachhaltig verbessern würde, dass die Kom-
munen mehr Geld bekämen. Ihr zweites Argument lau-
tete, dass die Kommunen durch die Veränderung der
Abschreibungen in den einzelnen Branchen neue Einnah-
men erzielen würden.

Die zweite Voraussetzung haben Sie – um das klar zu
sagen – Gott sei Dank nicht erfüllt. Auch wir wollten das
nicht, weil es konjunkturpolitisch nicht passte. Ich glaube,
ich brauche in diesem Hause nicht zu betonen, was aus der
Konjunktur geworden ist. Beide Voraussetzungen, unter
denen Sie diese Erhöhung eingeführt haben, wurden also
nicht erfüllt. Deshalb kann ich nur sagen: Unsere Kom-
munen benötigen kurzfristig Hilfe und keine Kommis-
sion, die jahrelang tagt. Wir haben Ihnen einen konkreten
Vorschlag unterbreitet; die unionsregierten Länder haben
dies im Bundesrat ebenfalls getan.


(Florian Pronold [SPD]: Warum macht ihr in Bayern nichts? – Gegenruf des Abg. JochenKonrad Fromme [CDU/CSU]: Die Bayern haben im Bundesrat zugestimmt, Herr Kollege!)


Sie haben ihn heute Morgen abgelehnt.
Damit Sie wissen, um welche Größenordnung es geht:

Den Kommunen fehlten im letzten Jahr 7Milliarden Euro.
In diesem Jahr werden es wahrscheinlich 10 Milliarden

Euro sein. Dieses eine Gesetz würde den Kommunen so-
fort – wir wollen es ja rückwirkend zum 1. Januar – gut
2Milliarden Euro zusätzlich bringen. Ich appelliere an die
Kommunalpolitiker bei den Sozialdemokraten: Erkennen
Sie Ihr kommunalpolitisches Herz und tun Sie etwas für
die Kommunen. Dies wäre ein wichtiger Beitrag zur Wirt-
schaftsförderung in Deutschland und zur Sicherung der
kommunalen Selbstverwaltung. Auch darüber sollten Sie
einmal nachdenken.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1502121600

Ich erteile dem Kollegen Dieter Grasedieck für die

SPD-Fraktion das Wort.


Dieter Grasedieck (SPD):
Rede ID: ID1502121700

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Her-

ren! Wir haben die Probleme vor Jahren erkannt, Herr
Bernhardt. Genau deshalb haben wir eine Kommission
eingerichtet.


(Lachen bei der CDU/CSU und der FDP – Manfred Grund [CDU/CSU]: Lächerlich!)


Wir versuchen, hier etwas zu bewegen. Wir malen nicht
undifferenziert schwarz.


(Beifall bei der SPD)

Wir bemühen uns um eine Grundlage und um ein Ge-

setz. Sie wissen genau, dass der Kommissionsbericht
Mitte des Jahres vorliegen wird. Wir brauchen ihn als Ba-
sis für das Gesetz, das wir noch in diesem Jahr verab-
schieden werden. Wir gestalten, Hast wäre schädlich. Si-
cherlich kann man Politik unverkrampft und mit leichter
Hand machen. Harte exakte Arbeit ist aber zwingend er-
forderlich. Deshalb brauchen wir die Arbeit der Kommis-
sion.

Sie haben meinen Satz, dass man in der Politik exakte
Arbeit leisten muss, häufig vergessen.


(Manfred Grund [CDU/CSU]: Regieren macht Spaß!)


Sie von der CDU/CSU fordern zum Beispiel eine drasti-
sche Steuerreduzierung. Sie wollen einen Spitzensteuer-
satz von 40 Prozent, die FDP will sogar 35 Prozent.
Gleichzeitig verlangen Sie ein Sofortgeld für die Kom-
munen.


(Dr. Uwe Küster [SPD]: Unglaublich! – Jochen-Konrad Fromme [CDU/CSU]: Sie werden das nie begreifen!)


Gestern forderten Sie ein Sofortgeld für die Bundeswehr.
Sie von der FDP fordern ein Bürgergeld. All das ist nicht
ohne Weiteres zu verbinden; denn das sind widersprüch-
liche Forderungen und Anträge. Die Milliarden fallen
nicht vom Himmel. Zudem müssen die Maastricht-Krite-
rien berücksichtigt werden.

Sie von der FDP sind verantwortungslos, wenn Sie be-
haupten – das haben Sie gerade wieder erwähnt –, dass der
Staatsanteil am Volkseinkommen bei 56 Prozent liegt. Sie


(A)



(B)



(C)



(D)


1644


(A)



(B)



(C)



(D)






fragen sich aber gar nicht, ob nicht in ein Investor, der
solch eine Falschmeldung liest, daraus falsche Schluss-
folgerungen ziehen könnte. Ihr Antrag zur Mehrwert-
steuer enthält diese Behauptung ebenfalls.

Die Steuern waren einmal hoch, Herr Bernhardt und
die Kollegen von der FDP, aber das ist zehn Jahre her. Da-
mals betrug der Spitzensteuersatz 56 Prozent, der Ein-
gangssteuersatz lag bei 25,9 Prozent. Das war Ihre Leis-
tung, aber das ist längst Geschichte. Die SPD und die
Grünen haben dafür gesorgt, dass 2005 der Eingangssteu-
ersatz 15 Prozent und der Spitzensteuersatz 42 Prozent be-
tragen werden. Das sind wirkliche Veränderungen.


(Beifall bei der SPD)

Sie haben vielleicht im OECD-Bericht gelesen, dass

Deutschland im Jahr 2001 mit 21,9 Prozent die niedrigste
Steuerquote in Europa hatte. In der OECD haben nicht
SPD-Mitglieder das Sagen, es ist kein der SPD nahe ste-
hendes Institut. Es ist ein international anerkanntes Insti-
tut. Die Experten sind der Meinung: Deutschland ist ein
Niedrigsteuerland.

Sie werden überrascht sein: Das Institut der deutschen
Wirtschaft hat diese Zahlen bestätigt. Das zeigt, dass die
Sozialdemokraten und die Grünen hinsichtlich der Steuer-
sätze viel erreicht haben. Durch Ihre Diskussionen – heute
über Kommunalfinanzen, am Freitag über Mehrwert-
steuer – verunsichern Sie die Menschen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Lachen bei der CDU/CSU und der FDP – Elke Wülfing [CDU/CSU]: Wir?)


Unsere Koalition gestaltet und gibt den Menschen
Hoffnung. Wir brauchen einen positiven Push und keine
Schwarzmalerei. Unser Land muss die finanzielle Belas-
tung durch die deutsche Einheit tragen. Hier sehen wir
insbesondere die Probleme der Kommunen. Hinzu
kommt die Bewältigung der Flutkatastrophe. Wir arbeiten
diese Punkte ganz exakt ab. Sie haben uns unterstellt, dass
wir dies nicht tun.


(Jochen-Konrad Fromme [CDU/CSU]: Deshalb kassieren Sie 2 Milliarden ein!)


Zur Bewältigung der Flutkatastrophe stehen 14 Milliar-
den Euro zur Verfügung. Natürlich berücksichtigen wir
die Situation der Kommunen und Gemeinden.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir brauchen
für unsere Gemeinden ein Gesamtkonzept. Dieses Ge-
samtkonzept werden wir noch in diesem Jahr auf der Ba-
sis der Empfehlungen der Gemeindefinanzreformkom-
mission erarbeiten. Indem wir es umsetzen werden,
werden wir den Gemeinden Hilfen bieten.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Jochen-Konrad Fromme [CDU/CSU]: Wer sich auf Ihre Hilfe verlässt, der ist verlassen!)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1502121800

Nächster Redner ist der Kollege Hans Michelbach für

die CDU/CSU-Fraktion.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Hans Michelbach (CSU):
Rede ID: ID1502121900

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Her-

ren! Es gibt keinen Zweifel: Bürger, Betriebe und Kom-
munen sind geradezu in eine rot-grüne Steuerfalle gera-
ten. Das fortwährende Drehen an der Steuerschraube war
für die Konjunktur und damit auch für die Steuereinnah-
men absolut kontraproduktiv.


(Florian Pronold [SPD]: Es wird nicht besser, wenn man es dauernd wiederholt!)


Der steuerpolitische Würgegriff hat zu einem Einbruch
des Wachstums und der Steuereinnahmen, zu höherer Ar-
beitslosigkeit und zu einer höheren Zahl von Firmenplei-
ten geführt. Die Zahlen sind eindeutig. Sie dürfen nicht
eine Steuerquote der OECD, die bei uns schon einmal Ab-
bitte geleistet hat, sondern müssen die Staatsquote an-
führen. In Ihrem eigenen Finanzbericht stehen für das Jahr
2002 48,5 Prozent. Damit sind wir Schlusslicht in Europa.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Christine Scheel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Investitionen waren 1998 auch nicht höher!)


1997 lagen wir beim Pro-Kopf-Einkommen noch auf
Rang sieben der Weltrangliste, heute finden wir uns auf
Rang 13 wieder. Das spiegelt den Verlust an Einnahmen
bei Kommunen, beim Staat und bei den Bürgern wider.
Sie haben einfach an den falschen Schrauben gedreht, in-
dem Sie immer wieder den Staatsanteil vergrößert haben.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Der Einkommens- und Steuereinnahmeverlust in

Deutschland hat eine dramatische Entwicklung genom-
men. Seine Ursachen sind hausgemacht.


(Florian Pronold [SPD]: Erst sind die Steuern zu hoch und dann sind die Einnahmen zu niedrig!)


Unsinnige Steuererhöhungen in der Rezession haben den
privaten Verbrauch und die Investitionen abgewürgt. Das
hat natürlich negative Auswirkungen auch auf die Kom-
munalfinanzen. Letzten Endes können die Kommunen
nichts dafür; sie haben diesen Schaden gewissermaßen im
Durchgriff zu erleiden.

Wird von Rot-Grün diese Politik der Erhöhung des
Staatsanteils fortgesetzt, dann wird – hier gebe ich Ihnen
Brief und Siegel – die für nationale Haushaltsdefizite gel-
tende Obergrenze von 3 Prozent auch in diesem Jahr über-
schritten werden und Sie werden Sanktionen der EU-
Kommission hinnehmen müssen. Sie haben die Probleme
nicht im Griff. Sie verursachen immer größere Probleme,
weil Sie kein Gesamtkonzept haben.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Jochen-Konrad Fromme [CDU/CSU]: Die sind das Problem! – Zuruf von der CDU/CSU: Die können das nicht!)


Der heute von Herrn Clement vorgelegte Jahreswirt-
schaftsbericht schafft nicht das notwendige Vertrauen für In-
vestoren und Konsumenten. Wer sich wie Herr Clement bei
einer unsicheren Wachstumsprognose von nur 1 Prozent ge-
radezu selbst lobt, ist für mich ein wirtschaftspolitischer

Dieter Grasedieck




Hans Michelbach
Tiefflieger. Die Schattenwirtschaft dagegen soll bereits
17 Prozent des BIP erreichen. Dazu sagt er nichts. Mit den
370 Milliarden Euro, die der öffentlichen Hand in
Deutschland aufgrund der Schattenwirtschaft verloren ge-
hen – das ist eine Rekordzahl –, könnte man die Finanz-
krise sehr schnell beheben. Hier muss man nur an den
richtigen Schrauben drehen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Meine Damen und Herren, die verfehlte Finanz- und

Wirtschaftspolitik der rot-grünen Bundesregierung hat
dazu geführt, dass sich die öffentlichen Haushalte, ins-
besondere die Haushalte der Kommunen, in einer kriti-
schen Situation befinden. Die Bundesregierung hat kein
wirtschafts- und finanzpolitisches Gesamtkonzept zur
Entfesselung von Innovation, Wachstum und Beschäfti-
gung.

Wenn Sie bei Ihrem Vergleich der Kommunen in
Deutschland ausgerechnet die des Landes Bayern heran-
ziehen, wo die Kommunen und der kommunale Finanz-
ausgleich noch die besten Zahlen aufweisen,


(Beifall des Abg. Jochen-Konrad Fromme [CDU/CSU] – Florian Pronold [SPD]: Dann fragen Sie einmal den Vorsitzenden des Bayerischen Städtetages, was er über die Bayerische Staatsregierung sagt!)


dann sind Sie nicht nur auf einem Auge, sondern völlig
blind. Ich muss Ihnen eines ganz ehrlich sagen: Wenn Sie
solche Vergleiche anstellen, dann müssen Sie berücksich-
tigen, dass die Investitionen der Gemeinden in Bayern
weit über dem Bundesdurchschnitt liegen, deren Ver-
schuldung aber weit unter dem Bundesdurchschnitt liegt.
Daher können Sie den kommunalen Finanzausgleich in
Bayern gar nicht angreifen. Wissen Sie, was Sie angreifen
müssten? – Dass eine Stadt wie Passau, die im letzten Jahr
eine große Hochwasserkatastrophe mit Schäden in Höhe
von 10 Millionen Euro zu bewältigen hatte, von Ihnen
eine Hilfe von nur 527 000 Euro bekommt,


(Florian Pronold [SPD]: Das ist eine Lüge! Das stimmt doch nicht!)


ihr bei den Schlüsselzuweisungen aber fast dieselbe
Summe, nämlich 500 000 Euro, gleich wieder abgezogen
wird. Das ist die perverse Kommunalfeindlichkeit der
Bundesregierung.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Zum Abschluss möchte ich deutlich machen: Es muss

eine Steuerpolitik für mehr Wachstum des Bruttosozial-
produkts betrieben werden, damit ein größerer Kuchen
zur Verfügung steht, von dem Staat und Kommunen ihren
notwendigen Anteil abbekommen. Es muss eine Rück-
nahme der Erhöhung der Gewerbesteuerumlage, eine
niedrigere Staatsquote, ein Steuerbelastungsabbaupro-
gramm und einen Verzicht auf das so genannte Steuer-
vergünstigungsabbaugesetz geben. Es darf keine neue
Mehrwertsteuererhöhung und keine Verbreiterung der
Bemessungsgrundlage für die Gewerbesteuer geben. Es
muss stattdessen eine realistische und zielführende Ge-
meindefinanzreform geben.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1502122000

Das Wort hat die Kollegin Christine Scheel, Bünd-

nis 90/Die Grünen.


Christine Scheel (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1502122100

Herr Präsident! Kolleginnen und Kollegen! Ich wäre in

Anbetracht der wirklich sehr schwierigen finanziellen Si-
tuation, in der sehr viele Städte und manche Gemeinden
stecken – wenn wir ehrlich sind, dann müssen wir zuge-
ben, dass das nicht alle betrifft –, sehr froh, wenn wir uns
hier polemische Diskussionen ersparen könnten.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD)


Ich wäre außerdem sehr froh, wenn man bei den Fakten
bliebe, Herr Michelbach,


(Beifall der Abg. Kerstin Andreae [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN])


wenn man keine Nebelkerzen werfen würde nach dem
Motto: Hochwasserhilfe für Passau! Sie wissen ganz ge-
nau – ich hoffe, dass Sie das wissen –, wie das mit den
Schlüsselzuweisungen funktioniert. Das Land Bayern
und nicht die Bundesregierung oder die sie tragenden
Fraktionen haben die Verantwortung dafür zu tragen, dass
es in Passau so gelaufen ist, wie es gelaufen ist.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Wenn Sie behaupten, unseren Kommunen gehe es so
schlecht, weil sich das ganze Land in einem steuerpoliti-
schen Würgegriff befinde, dann kann ich nur sagen: Blei-
ben Sie auch hier bei den Fakten! Wir haben bis zum Jahr
2001 von keiner Kommune irgendetwas gehört, was da-
rauf hingedeutet hat, dass es große finanzielle Probleme
gibt;


(Jochen-Konrad Fromme [CDU/CSU]: Niedersachsen mit 1,5 Milliarden Kassenkredit! – Manfred Grund [CDU/CSU]: Brandenburg!)


denn bis inklusive des Jahres 2000 war die wirtschaftliche
Situation gut. Ein Wachstum von 3 Prozent bei den Ge-
werbesteuereinnahmen im Jahr 2000 sei klasse gewesen;
das sagen alle kommunalen Verbände, auch der Deutsche
Städtetag.

Die Probleme haben im Jahr 2001 begonnen. Die Ur-
sachen dafür liegen vorwiegend darin, dass wir eine kon-
junkturelle Entwicklung zu verzeichnen hatten, die vor
allem im Bereich der Banken und der Bauunternehmen
zu Einbrüchen bei den Auftragszahlen geführt hat. Wir
haben hier zigmal über die Abhängigkeiten vom Welt-
markt und darüber diskutiert, warum die konjunkturelle
Entwicklung 2001 so negativ verlaufen ist. Das hat sich
letztendlich leider auch – das zeigen die Zahlen – bei den
Einnahmen negativ niedergeschlagen. Seit dem Jahr
2001 sind beispielsweise ein verstärkter Preiswettbewerb
und ein damit einhergehender Preisverfall bei den deut-
schen Energieversorgern festzustellen. Aufgrund dieser
Entwicklung hat es in sehr vielen Städten in der Bundes-
republik Deutschland einen drastischen Einbruch bei den
Gewerbesteuereinnahmen gegeben; denn viele Städte


(A)



(B)



(C)



(D)


1646


(A)



(B)



(C)



(D)






sind von wenigen großen Gewerbesteuerzahlern abhän-
gig,


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Manfred Grund [CDU/CSU]: UMTS!)


wie zum Beispiel von Banken, Versicherungen, Energiever-
sorgern und Großunternehmen in der Automobilindustrie.
Ich möchte nicht alle aufzählen – denn Sie kennen sie alle –
und nur beispielhaft Siemens nennen. Die Abhängigkeit von
sehr wenigen großen Unternehmen hat im Zusammenspiel
mit der konjunkturellen Entwicklung – ich erinnere an die
Wertberichtigungen, die in den Konzernen vorgenommen
werden mussten – letztendlich zu dieser Problemlage und
auch zum Einbruch der Aktienmärkte geführt.


(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Das war doch Ihr Gesetz! Dieses Gesetz haben doch Sie auf den Weg gebracht! – Peter Götz [CDU/ CSU]: Und wieso habt ihr dann die Gewerbesteuerumlage erhöht?)


Die Kollegin Kerstin Andreae hat darauf hingewiesen,
dass die Lage sehr ernst ist. Ich teile diese Einschätzung.
Unsere Fraktion beschäftigt sich mit den damit verbunde-
nen Fragen sehr intensiv.


(Jochen-Konrad Fromme [CDU/CSU]: Deswegen weiß ich gar nicht, warum Sie das nicht früher erkannt haben!)


Die Steuerschätzung im November ist noch davon ausge-
gangen, dass es einen Einbruch von etwa 7,5 Prozent ge-
ben wird. Die aktuellen Zahlen, die der Deutsche Städte-
tag am Montag vorgelegt hat, besagen, dass der Einbruch
nicht bei 7,5 Prozent, sondern „nur“ – das ist kein Trost –
bei 5,3 Prozent liegt. Das ist dramatisch genug.

Was nicht geht, ist, so zu tun, als ob man die Probleme
der Kommunen über eine Änderung bei der Gewerbe-
steuerumlage lösen könne; denn von der Rücknahme der
Erhöhung der Gewerbesteuerumlage – auch das müssen
Sie einfach einmal sehen – profitierten diejenigen Kom-
munen, die sowieso einnahmestark sind. Die einkom-
mensschwachen Kommunen hätten von der Änderung bei
der Gewerbesteuerumlage überhaupt nichts,


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Jochen-Konrad Fromme [CDU/CSU]: Sagen Sie einmal: Wissen Sie eigentlich, wie die Umlage berechnet wird?)


obwohl man genau denen helfen muss.
Abschließend möchte ich Folgendes sagen: Hören Sie

mit Ihrer blöden Polemik auf!

(Jochen-Konrad Fromme [CDU/CSU]: Ich habe Ihnen eine Frage gestellt!)

Kümmern Sie sich vielmehr mit uns darum, dass wir eine
gescheite Reform der kommunalen Finanzen zustande
bringen, dass wir die Probleme in diesem Land lösen,


(Manfred Grund [CDU/CSU]: Ihr seid das Problem!)


und zwar mithilfe des Bundesrates, und dass wir letztend-
lich nicht so eine Situation wie in Hessen bekommen.
Hessen hat beispielsweise einen Investitionsfonds aufge-

legt. In diesen Investitionsfonds haben vorwiegend die
Kommunen eingezahlt.


(Hans Michelbach [CDU/CSU]: Sagen Sie einmal etwas zur Firmenwagensteuer!)


Aus diesem Investitionsfonds in der Größenordnung von
400 Millionen Euro will Herr Koch jetzt die Hälfte he-
rausnehmen, um seinen Landeshaushalt zu sanieren.


(Bernd Scheelen [SPD]: Unerhört! So macht ihr Politik!)


So viel zur Unterstützung der Kommunen im Wahl-
kampfland Hessen. Was da passiert, ist eine Sauerei.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1502122200

Nächster Redner ist der Kollege Manfred Kolbe, CDU/

CSU-Fraktion.


Manfred Kolbe (CDU):
Rede ID: ID1502122300

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Stadt

Dresden plante im Dezember letzten Jahres, alle städti-
schen Krippen und Hortplätze zu schließen. Sie hat zu die-
sem Zweck sämtlichen betroffenen Eltern kurz vor Weih-
nachten Kündigungen geschickt. Zu diesen Schließungen
ist es bis heute nicht gekommen. Im Stadtrat wird verhan-
delt und es liegen Kompromisslösungen vor. Dass eine
Stadt – aus welchen Gründen auch immer – meinte, die-
sen Weg gehen zu müssen, belegt wie kaum ein anderes
Beispiel eindrucksvoll die Finanznot unserer Kommunen.

Ähnliche Nachrichten erhalten wir in diesen Tagen aus
allen Kommunen unserer Wahlkreise: Jugendklubs und
Schwimmbäder werden geschlossen, Büchereiöffnungs-
zeiten werden eingeschränkt. Jüngst wurde sogar einmal
kolportiert – das hat sich nicht als wahr herausgestellt;
aber man hat es zunächst geglaubt –, dass die Schüler ei-
ner Schule aufgefordert worden seien, ihr eigenes Klopa-
pier mitzubringen.


(Fritz Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ihr glaubt auch alles!)


Das stimmte zwar nicht; aber es wurde zunächst geglaubt,
Frau Scheel. Auch das belegt die Finanznot unserer Kom-
munen.

Unsere Kommunen, unsere Städte, unsere Gemeinden
und unsere Landkreise stecken in der schwersten Finanz-
krise seit Gründung der Bundesrepublik Deutschland. Um
diesen Fakt kommen Sie nicht herum.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Das gilt für ehemals reiche Kommunen, etwa die Landes-
hauptstadt München. Der dortige Oberbürgermeister ist
aus Protest gegen die Kommunalpolitik dieser Bundesre-
gierung nicht zur Abschlusskundgebung mit dem Kanzler
gekommen.


(Christine Scheel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Quatsch! Der war im Urlaub! Das wissen Sie doch!)


Christine Scheel




Manfred Kolbe
– Warum war er denn im Urlaub? Fragen Sie ihn einmal,
warum er zum Abschluss des Bundestagswahlkampfs im
Urlaub war, Frau Scheel.


(Jochen-Konrad Fromme [CDU/CSU]: Der Scharping ist doch auch aus dem Urlaub wiedergekommen! – Heiterkeit bei der CDU/CSU)


Das gilt aber auch für die ärmeren Kommunen im
Osten. Der Sächsische Städte- und Gemeindetag schätzt
die Lage der Städte und Gemeinden im Freistaat Sachsen
nicht nur als dramatisch, sondern sogar als katastrophal
ein, und das, obwohl es den sächsischen Kommunen im
Vergleich zu den anderen Kommunen im Osten noch am
besten geht.

Die Kommunen im Osten sind genauso wie die Kom-
munen im Westen betroffen. Sie sind allerdings aus vie-
lerlei Gründen besonders betroffen. Das liegt zum einen
daran, dass bei ihnen die Steuerdeckungsquote niedriger
ist. Die Steuerdeckungsquote im Osten liegt nur noch bei
16,6 Prozent. Auf den Lebensunterhalt eines Menschen
bezogen hieße das, dass das Einkommen nur 16,6 Prozent
zu seiner Deckung beitragen würde. Alles andere muss
von anderer Seite kommen. Hier kann man nicht mehr von
kommunaler Selbstverwaltung reden.

Die Einnahmen der Kommunen gehen also zurück.
Außerdem leiden sie besonders unter den Aufgaben, die
der Bund ihnen aufbürdet. Jüngstes Beispiel hierfür ist das
Grundsicherungsgesetz.


(Florian Pronold [SPD]: Das ist ja Unsinn!)

Die Folge: Auch die Investitionen gehen zurück. Sie sind
in Sachsen von 3,1 Milliarden Euro im Jahr 1992 auf nur
noch 1,5 Milliarden Euro im Jahre 2001 zurückgegangen;
die kommunalen Investitionen wurden also halbiert. Da-
bei ist die sächsische Investitionsquote sogar noch die
höchste.

Wir müssen also handeln und brauchen keine Partei-
polemik. Da stimmen wir überein. Nur, Frau Scheel, der
Bund muss handeln. Rot-Grün hat leider im Augenblick
im Bundestag die Mehrheit. Sie müssen handeln, wir als
Opposition können leider nicht handeln, wir hätten sonst
gehandelt. Das hat ja auch unser heute vorgestellter Ge-
setzentwurf gezeigt.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Sie müssen handeln, indem Sie erstens die Rahmen-

bedingungen nicht noch mehr verschlechtern. Da blicke
ich mit Sorge auf das Steuervergünstigungsabbaugesetz
und den Wegfall der gewerbesteuerlichen Organschaft.
Schauen Sie sich, Frau Staatssekretärin Hendricks, bitte
noch einmal ganz genau an, welche Auswirkungen das
etwa auf die Kommunen im Ostteil unseres Landes hat.
Ich höre aus etlichen Städten, dass denen bis zu 80 Pro-
zent der Gewerbesteuereinnahmen wegbrechen würden.
Wenn das stimmt, führt das diese Städte und Gemeinden
weiter in den Abgrund.

Zweitens müssen wir sofort handeln. Da ist unser Ge-
setzentwurf, der die Änderung der Gewerbesteuerumlage
auf die alte Höhe vorsieht, der richtige Weg. Sie aber ha-
ben das abgelehnt.

Drittens muss die Kommission zur kommunalen
Finanzreform endlich die Arbeit aufnehmen. Sie haben ja
zu Recht vorhin einen Lacherfolg geerntet, als Sie sagten,
Sie hätten die Kommission eingesetzt.


(Manfred Grund [CDU/CSU]: Vor Jahren!)

Wir wollen jetzt Ergebnisse dieser Kommission sehen.


(Christine Scheel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es gibt Zwischenberichte! Die stehen im Internet!)


Die Bildung der Kommission wurde 1998 angekündigt,
bis heute, 29. Januar 2003, liegen keine Ergebnisse vor.
Ich höre jetzt, dass diese Reform zum 1. Januar 2004 in
Kraft treten soll. Das geht kaum.


(Christine Scheel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Doch!)


– Wir nehmen Sie beim Wort, Frau Scheel. Wir sind ge-
spannt, aber ich befürchte, das wird wieder handwerklich
unseriös gemacht und geht wieder zulasten der Kommu-
nen. Handeln Sie endlich!

Danke.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Dieter Grasedieck [SPD]: Lesen wäre gut!)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1502122400

Nächster Redner ist der Kollege Bernd Scheelen für die

SPD-Fraktion.


Bernd Scheelen (SPD):
Rede ID: ID1502122500

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-

ren! Die unzähligen Falschbehauptungen, die mir in den
fünfminütigen Redebeiträgen der Opposition zu Gehör
kamen, würden schon dazu reizen, sie alle hier einzeln
auseinander zu nehmen. Ich will das nicht tun, sondern
mich auf zwei beschränken.

Herr Kollege Michelbach, das Land Bayern – das wis-
sen Sie ganz genau – hat zur Beseitigung der Flutschäden
5 Millionen Euro bekommen und behalten, nicht an die
Kommunen weitergegeben. Von Leuten wie Ihnen, deren
Partei auf Länderebene so handelt, lassen wir uns keine
Ratschläge erteilen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Hans Michelbach [CDU/ CSU]: Quatsch! Stimmt doch gar nicht!)


Dann haben Sie genauso wie der Kollege Bernhardt ge-
klagt, die vermeintlich verfehlte Wirtschafts- und Finanz-
politik der rot-grünen Regierung sei der eigentliche
Grund, warum es im Moment Bund, Ländern und Ge-
meinden so schlecht gehe.


(Otto Bernhardt [CDU/CSU]: Ja, sicher! Das bezweifelt auch niemand!)


Ich will Ihnen die Gründe nennen. Es gibt zwei Gründe.
Der eine Grund


(Otto Bernhardt [CDU/CSU]: Ist die Weltwirtschaft!)



(A)



(B)



(C)



(D)


1648


(A)



(B)



(C)



(D)






– völlig korrekt – sind die weltwirtschaftlichen kon-
junkturellen Verwerfungen, unter denen ein exportorien-
tiertes Land wie die Bundesrepublik natürlich zu leiden
hat.


(Zurufe von der CDU/CSU)

– Hören Sie doch einmal zu und reden Sie nicht immer da-
zwischen!

Der Hauptgrund ist der Scherbenhaufen, den Sie uns
1998 hinterlassen haben.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Lachen bei der CDU/CSU)


Der Scherbenhaufen bestand aus Rekordarbeitslosigkeit,
aus Rekordstaatsverschuldung und aus einem jährlich
maroderen Bundeshaushalt. Wir sind dabei, diese Schä-
den zu reparieren. Das ist ein hartes Stück Arbeit. Wir sind
dabei auf einem guten Wege.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Otto Bernhardt [CDU/CSU]: Ihr zerstört den Rest!)


Meine sehr geehrten Damen und Herren, der Titel der
heutigen Aktuellen Stunde, die die CDU/CSU beantragt
hat, zeigt, wie unseriös und wie verlogen – vorhin wurde
auch schon einmal „pharisäerhaft“ gesagt –


(Widerspruch bei der CDU/CSU)

die Union mit wirklich wichtigen finanzpolitischen The-
men umgeht.

Wir reden doch nicht von Steuererhöhungen, sondern
Sie reden davon. Wir sprechen von Subventionsabbau und
Sie machen Vorschläge zur Mehrwertsteuererhöhung. In
der „FAZ“ lese ich zum Beispiel, dass Herr Böhmer ges-
tern gesagt hat, er könne sich eine Mehrwertsteuer-
erhöhung durchaus vorstellen. Von uns haben Sie das bis-
her nicht gehört.


(Elke Wülfing [CDU/CSU]: Was?)

Sie sprechen sich für Steuererhöhungen aus, wir tun das
nicht.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Meine Damen und Herren, das drängende Problem
der schwierigen finanziellen Lage der Städte und Ge-
meinden sollte Ihnen eigentlich Anlass zu konstruktiver
Opposition sein. Aber das Einzige, was Ihnen einfällt, ist
die permanente Wiederholung des Märchens von den an-
geblichen Steuererhöhungen dieser Regierung – als
wenn die Gemeinden und auch die Länder und der Bund
das Problem hätten, dass es zu viel Steuereinnahmen
gäbe; das wäre die logische Konsequenz. Sie beklagen
auf der einen Seite, die Steuern seien zu hoch, und sagen
auf der anderen Seite, es gebe keine Einnahmen. Was
stimmt denn jetzt? Entweder sind die Steuern zu hoch
– dann müsste es auch relativ hohe Einnahmen geben –
oder das Umgekehrte gilt. Es passt nicht beides zusam-
men.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Sie setzen darauf, dass die Leute das nicht durch-
schauen. Aber halten Sie die Wähler nicht für so dumm
wie sich selber.


(Otto Bernhardt [CDU/CSU]: Das werden wir Sonntag sehen, wie dumm die sind!)


Der Rückgang des Gewerbesteueraufkommens, gerade
in den großen Städten, ist natürlich nicht nur eine Folge der
weltwirtschaftlichen konjunkturellen Verwerfungen, son-
dern auch eine Folge dessen, was Sie mit der Gewerbe-
steuer in den 16 Jahren Ihrer Regierungszeit veranstaltet
haben. Sie haben nämlich alle konjunkturunabhängigen
Bestandteile aus der Gewerbesteuer herausgenommen.


(Jochen-Konrad Fromme [CDU/CSU]: Und Sie haben allen Veränderungen im Bundesrat zugestimmt!)


Jetzt, da die Konjunktur nicht so gut ist, wird deutlich, wie
abhängig die Gewerbesteuer von der Konjunktur ist. Sie
ist eben nicht – ich weiß nicht, wer von Ihnen das eben ge-
sagt hat – antizyklisch, sondern gerade zyklisch, sie be-
wegt sich mit den Konjunkturzyklen: Läuft die Konjunk-
tur gut, gibt es hohe Gewerbesteuereinnahmen, läuft die
Konjunktur nicht gut, sind sie niedrig. Das ist die Folge
Ihrer Politik.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Widerspruch bei der CDU/ CSU)


Was ist nun der Beitrag der Opposition? Auf der einen
Seite beklagen Sie die desolate Lage der kommunalen
Haushalte, auf der anderen Seite lehnen Sie in Bezug auf
konkrete Maßnahmen – über die wir ja zurzeit im Finanz-
ausschuss und demnächst auch hier im Hohen Hause re-
den – jede Verantwortung ab.

Aber diese Doppelzüngigkeit hat Tradition. Wir ken-
nen das spätestens seit dem Jahre 2001. Seit Mitte 2001,
seitdem klar ist, dass sich die Situation bei den Gewerbe-
steuereinnahmen verschlechtert, haben wir Gegenmaß-
nahmen ergriffen.


(Elke Wülfing [CDU/CSU]: Die Umlage erhöht!)


Zum Beispiel im Zusammenhang mit der Unternehmen-
steuerfortführung haben wir konkrete Maßnahmen zum
Stopfen von Steuerschlupflöchern, die große Konzerne
nutzen – ich nenne das Stichwort Mehrmütterorganschaft,
ein Steuersparmodell für Konzerne –, ergriffen, die Sie
aber abgelehnt haben.


(Jochen-Konrad Fromme [CDU/CSU]: Deswegen zahlen die auch keine Körperschaftsteuer mehr, während sie bei uns noch 46 Milliarden gezahlt haben!)


Sie lehnen ganz konkrete Hilfsmaßnahmen für die Ge-
meinden ab.

Dasselbe gilt für das Steuervergünstigungsabbau-
gesetz. Die Kollegin Andreae hat die Zahlen vorhin vor-
getragen. Es geht in diesem Jahr konkret um 600 Milli-
onen Euro Soforthilfe für die Gemeinden – Sie sind
dagegen. Es geht im nächsten Jahr um Hilfe in Höhe von
2 Milliarden Euro – Sie sind dagegen. Es geht um Hilfe in

Bernd Scheelen




Bernd Scheelen
Höhe von 2,5 Milliarden Euro im übernächsten Jahr und
3 Milliarden Euro im Jahr 2006 – Sie sind dagegen, Sie
lehnen das ab. Das müssen Sie den Menschen draußen
und Ihren Kommunalpolitikern vor Ort selber erklären.
Das ist doppelzüngig und pharisäerhaft.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Meine sehr geehrten Damen und Herren, dass wir die
Probleme nicht allein mit dem Stopfen von Steuer-
schlupflöchern in den Griff bekommen werden, ist völlig
klar.


(Hans Michelbach [CDU/CSU]: Mit Steuererhöhungen wollen Sie es doch tun!)


Es ist mehrfach auf die Kommission hingewiesen worden,
die eingesetzt worden ist, um die Gemeindefinanzen einer
Überprüfung zu unterziehen. Das eine Ziel ist, die Ein-
nahmeseite zu verstetigen, das andere Ziel, die Ausga-
benseite der Kommunen neu zu gestalten. Ich glaube, die
Kommission ist da auf einem guten Wege. Wir werden
den Zeitplan einhalten und die Reform zum 1. Januar
nächsten Jahres in Kraft setzen.


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1502122600

Herr Kollege Scheelen, denken Sie an die Redezeit.


Bernd Scheelen (SPD):
Rede ID: ID1502122700

Ich kann damit im Grunde schließen.
Vielleicht noch ein Satz zu der hier öfter angesproche-

nen Frage der Zurückführung der Gewerbesteuerumlage.
Da hat, glaube ich, der Kollege Bernhardt vorhin ein paar
falsche Behauptungen aufgestellt.


(Jochen-Konrad Fromme [CDU/CSU]: Vorsicht vor Meineid!)


Sie haben gesagt, es sei davon ausgegangen worden,
durch die Steuerreform würde die Wirtschaft so boomen,
dass die Gemeinden Mehreinnahmen hätten. Das war eine
Hoffnung, aber nicht die Begründung für die Maßnahmen
bei der Gewerbesteuerumlage. Schauen Sie einmal genau
in den Gesetzentwurf und fragen Sie die kommunalen
Spitzenverbände.


(Jochen-Konrad Fromme [CDU/CSU]: Schauen Sie mal, was im Finanztableau steht!)


Dahinter steckte, dass bei den Steuersenkungen, die wir
vorgenommen haben, in Bereichen, in denen die Gemein-
den nicht tangiert waren, Bund und Länder Ausfälle hat-
ten, zum Beispiel bei der Körperschaftsteuer, sie aber bei
den gegenfinanzierenden Maßnahmen begünstigt waren.


(Otto Bernhardt [CDU/CSU]: Aber in Wirklichkeit haben sie weniger bekommen!)


Um da einen Ausgleich herbeizuführen, wurde etwas an der
Stellschraube der Gewerbesteuerumlage gedreht. Das ge-
schah mit Zustimmung der kommunalen Spitzenverbände.

Deswegen ist klar, dass es im nächsten Jahr eine Re-
form geben wird. Diese wird den Gemeinden helfen, nicht
Ihre kurzfristigen Vorschläge, die nur populistisch sind

und zu Wahlkampfzwecken missbraucht werden, denn in
vier Tagen wird ja in zwei Ländern gewählt. Das ist der
einzige Grund, warum Sie eine Aktuelle Stunde zu diesem
Thema beantragt haben.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1502122800

Ich bitte die nachfolgenden Redner zu beachten, dass

mein Hinweis auf die Redezeit nicht als Ermutigung für
zwei weitere Minuten Redezeit gemeint ist und dass ich
nur ungern durch das Abschalten des Mikrofons die Ein-
haltung der Redezeit sicherstellen möchte.

Nächster Redner ist der Kollege Klaus-Peter Flosbach,
CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Klaus-Peter Flosbach (CDU):
Rede ID: ID1502122900

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die

katastrophale Situation der Kommunen ist hinlänglich be-
kannt, allerdings nicht der SPD, wie ich soeben gehört
habe. Es ist ein wahres Vergnügen, zu hören, dass Frau
Scheel und Frau Andreae immerhin bestätigen, dass es
den Kommunen schlecht geht und dass sie am finanziel-
len Abgrund stehen.


(Christine Scheel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: So vergnüglich ist das wohl nicht!)


Ich bin allerdings erstaunt, wie beratungsresistent Sie
sind, wenn es darum geht, den Kommunen Hilfe zu leis-
ten. Da fordert heute in der Zeitschrift „Impulse“ das
SPD-Mitglied Roland Schäfer, Präsident des Deutschen
Städte- und Gemeindebundes:


(Bernd Scheelen [SPD]: Er ist Vizepräsident!)

Das Ende der Fahnenstange ist erreicht. Bund und
Land müssen sofort eine Rettungsaktion für die
Kommunen starten.

Da fordern alle kommunalen Spitzenverbände und all dieje-
nigen, die Ahnung von Kommunalfinanzen haben, die Re-
duzierung der Gewerbesteuerumlage, weil – das hat Herr
Bernhardt sehr deutlich gesagt – die Geschäftsgrundlage
entfallen ist. Doch Hans Eichel und die rot-grüne Koalition
lehnen nach wie vor die Reduzierung dieser Gewerbe-
steuerumlage ab. Das ist und bleibt skandalös.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Herr Scheelen, es gibt nun das neue – ich will es von

vornherein richtig bezeichnen – Steuererhöhungspro-
gramm.


(Bernd Scheelen [SPD]: Subventionsabbau!)

Dieses Steuererhöhungsprogramm gibt den Kommunen
im Grunde den entscheidenden Stoß für den Schritt in den
Abgrund. Sie treffen nämlich mit diesen Maßnahmen die
Wirtschaft mitten ins Herz.


(Beifall bei der CDU/CSU)



(A)



(B)



(C)



(D)


1650


(A)



(B)



(C)



(D)






Sie sind bei der Anhörung am 15. Januar dabei gewe-
sen. Ich will einmal den exotischen Professor ausklam-
mern und nur die Aussagen der anderen anwesenden
Sachverständigen betrachten. Über 90 Prozent der Exper-
ten waren der Meinung, dass dieses Gesetzespaket von
Ihnen zurückgezogen werden muss.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Jochen-Konrad Fromme [CDU/CSU]: Ab in die Tonne!)


In diesem Paket sind beispielsweise die Mindestbesteue-
rung,


(Bernd Scheelen [SPD]: Das haben Sie doch selbst gefordert!)


die Verschlechterung im Wohnungsbau und im Immobili-
enbereich sowie die Neidsteuer für Dienstwagenbesitzer
enthalten. All dieses beschleunigt den konjunkturellen
Abschwung und wird dazu führen, dass die Kommunen
eben nicht mehr Geld, sondern wegen des Ausfalls der Er-
tragsteuern noch weniger Geld in der Kasse haben.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Sie versprechen allen Kommunen in Deutschland im

Rahmen dieses Steuererhöhungsprogramms für 2003 ei-
nen Anteil an der Umsatzsteuer in Höhe von 30 Milli-
onen Euro. Aber das Verbraucherverhalten und der Scha-
den für Handel und Landwirtschaft finden in Ihrer
statischen und fiskalischen Betrachtung keinerlei Berück-
sichtigung. An dieser Stelle ein Hinweis: Diese 30 Milli-
onen Euro reichen gerade aus, um in meinem Wahlkreis,
einem ländlichen Bezirk, die laufenden Defizite in den
Verwaltungshaushalten auszugleichen.

Minister Stolpe fordert jetzt ein, wie er es nennt, Son-
derinvestitionsprogramm für besonders belastete Städte.
Welche Städte sind denn nicht besonders belastet? Ich
empfehle Ihnen: Halten Sie sich an Ihr Regierungspro-
gramm! Auf Seite 22 schreiben Sie, dass Sie erstens die
Finanzkräfte der Kommunen insgesamt stärken wollen
und dass Sie zweitens wegen der Aufgabenverlagerung
auf die Kommunen einen Finanzausgleich schaffen wol-
len. Das ist also, wie wir es nennen, die Verwirklichung
des Konnexitätsprinzips.

Warum halten Sie sich nicht an Ihr eigenes Programm?
Was tun Sie? Sie setzen eine Regierungskommission – der
Kollege Kolbe hat es gerade schon gesagt – zur Reform
des Gemeindefinanzsystems ein. Nach vier Jahren
Ankündigung schaffen Sie es endlich, im Mai 2002 die
konstituierende Sitzung einzuberufen.


(Jochen-Konrad Fromme [CDU/CSU]: Tolle Leistung!)


Die Kommission hat seitdem einmal getagt.
In der Kommission sollen die Kommunalsteuern sowie

die Arbeitslosen- und Sozialhilfe behandelt werden. Aber
warum werden andere wesentliche Bereiche ausgeschlos-
sen? Die Aufgabenverlagerung und die Kostenverlage-
rung auf die Kommunen werden nicht diskutiert.


(Christine Scheel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist doch gar nicht wahr! Jede Maßnahme wird mit den Ländern diskutiert!)


Das in Ihrem Regierungsprogramm proklamierte Konne-
xitätsprinzip findet keine Anwendung.


(Kerstin Andreae [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Falsch!)


Zweitens. Ausgeschlossen von der Diskussion wird der
Abbau der Mischfinanzierung. Drittens. Ausgeschlossen
wird eine Verschiebung der Finanzen zwischen den Ebenen
Bund, Länder und Kommunen. Das hat für die Kommunen
eine sehr große Bedeutung, weil – viertens – die Lösungen
für das voluminöse Anwachsen der Kosten und der sozia-
len Aufgaben ausgeschlossen sind. Bei den sozialen Auf-
gaben handelt es sich beispielsweise um Eingliederungs-
hilfen für Behinderte, Hilfen zum Lebensunterhalt oder
Hilfe zur Pflege sowie Pflegewohngeld. Dort, wo die Kos-
ten bei den Kommunen aufgrund der demographischen
Entwicklung besonders dynamisch steigen, finden sie kein-
erlei Unterstützung bei der Bundesregierung.


(Simone Violka [SPD]: Weil die Länder nichts tun!)


Der finanzpolitische Sprecher der SPD-Fraktion, Herr
Poß, ist nicht mehr anwesend. In den letzten Tagen wurde
er in mehreren Zeitungen dahin gehend zitiert, dass struk-
turelle Korrekturen und keine Lastenverschiebungen not-
wendig seien. Hören Sie doch endlich auf, die Lasten auf
die Kommunen zu verschieben!


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Nehmen wir das Beispiel der Grundsicherung im Ren-

tensystem. Was haben die Kommunen mit der Rente zu
tun? In meinem Heimatkreis sind die Belastungen durch
die Grundsicherung höher als alle freiwilligen Ausgaben
des Kreises zusammen.


(Bernd Scheelen [SPD]: Da liefern wir das Geld doch mit! Das wissen Sie doch! Was Sie sagen, ist doch gelogen! – Gegenruf des Abg. HansMichael Goldmann [FDP]: Kommen Sie einmal vorbei!)


Frau Andreae, wir leben nicht über unsere Verhältnisse.
Sie nutzen die Kommunen aus. Damit gehen Sie an die
Wurzel der Demokratie und zerstören ein Stück Demo-
kratie.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Wenn das Finanzministerium für drei Tage schließt,

wirkt sich das auf die Bürger nicht aus. Das merkt keiner.
Wenn aber in einer Gemeinde für drei Tage die Verwaltung,
die Schulen, die Kindergärten, die Müllabfuhr oder der öf-
fentliche Personennahverkehr nicht arbeiten, bricht das öf-
fentliche Leben zusammen. Ihre Taten sind weit entfernt
von Ihren Ankündigungen und Programmen. Auch die
heute erwähnten guten Vorsätze bringen nichts. Es gibt alle
guten Vorsätze; Sie brauchen sie nur noch anzuwenden.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1502123000

Das Wort hat die Kollegin Simone Violka, SPD-Frak-

tion.

Klaus-Peter Flosbach






Simone Violka (SPD):
Rede ID: ID1502123100

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Ich will an die Rede meines Vorredners an-
knüpfen, weil ich die Aussage „Wer bestellt hat, soll auch
bezahlen!“ nicht stehen lassen kann. Wenn der Bund an
die Länder zahlt und dort Finanzminister mit klebrigen
Fingern sitzen, die das Geld an die Kommunen nicht wei-
terleiten,


(Hans Michelbach [CDU/CSU]: Die von der SPD sind!)


dann kann der Bund nichts dafür. In Deutschland gibt es
leider jede Menge Finanzminister mit klebrigen Fingern.


(Bernd Scheelen [SPD]: Vor allen Dingen im Süden! Die ganzen Freistaaten gehören dazu!)


Ich komme aus einem Land, in dem der Finanzminister
besonders klebrige Finger hat.


(Beifall bei der SPD – Hans Michelbach [CDU/ CSU]: Woher wissen Sie das denn?)


Komischerweise ist es so, dass die Opposition ihr Herz für
Kommunen und ihre Steuerprobleme immer erst dann
entdeckt, wenn Wahlen vor der Tür stehen. Das ist so of-
fensichtlich, dass es fast unerträglich ist.

Herr Kolbe hat Dresden angeführt. Leider hat er ver-
gessen, zu sagen, dass dieser besonders kinderfreundliche
Bürgermeister ein FDP-Mann ist. Vielleicht können Sie
ihm einen schönen Gruß bestellen und ihm einmal Ihr Pro-
gramm zur Verfügung stellen. Ich glaube nicht, dass in
Ihrem Programm das mit den Kindergärten vorgesehen ist;
es sei denn, Sie haben Ihr Herz für Familien neu entdeckt.


(Beifall bei der SPD – Bernd Scheelen [SPD]: Die haben jetzt ein Herz für Tiere!)


In Sachsen gibt es zwei andere große Städte, die die
gleichen Voraussetzungen haben, nämlich Leipzig und
Chemnitz. Die Bürgermeister Tiefensee und Seifert, beide
von der SPD, kommen gar nicht auf die Idee, ihre Kom-
munalfinanzen durch die Schließung von Kindergärten zu
verbessern.


(Beifall bei der SPD – Hans-Michael Goldmann [FDP]: Sondern?)


Wenn die Steuerpolitik der Bundesregierung tatsäch-
lich so schlecht ist, frage ich mich, warum die CDU/CSU
vor den Wahlen durch das Land gezogen ist und gesagt
hat: Wenn wir an die Macht kommen, dann – das verspre-
chen wir euch – wird die dritte Stufe sofort umgesetzt, da-
mit ihr nicht auf das Geld verzichten müsst.


(Zuruf von der CDU/CSU: Sie haben ja gar nichts begriffen!)


Jetzt ist die Steuerreform plötzlich schlecht. Das glaubt
doch kein Mensch mehr!


(Beifall bei der SPD)

Was ist mit den anderen Wahlversprechen? Steuern

herunter! Steuern herunter! Steuern herunter! Natürlich
dürfen damit aber keine Steuerausfälle verbunden sein!


(Hans Michelbach [CDU/CSU]: Sie wollen Steuererhöhungen!)


Wie soll das denn finanziert werden?

(Dr. Uwe Küster [SPD], an die CDU/CSU gewandt: Alles Wolkenschieber da drüben!)


Mit der gleichen Blauäugigkeit, mit der Sie dieses
Land von 1990 bis 1998 in den finanziellen Ruin geführt
haben? Immer hieß es: Es wird schon jemand richten! Der
Herrgott wird es schon richten! Die Konjunktur wird es
schon richten! – Acht Jahre lang hat die Konjunktur es
nicht richten können.


(Beifall bei der SPD)

Das Desaster haben wir übernehmen müssen.


(Widerspruch bei der CDU/CSU – JochenKonrad Fromme [CDU/CSU]: Es hat Sie doch keiner gezwungen!)


Neuverschuldung ist für Sie nichts Neues. Herr Koch
macht das in Hessen zurzeit nach, besser gesagt: vor.
Allein 2002 explodierte die Nettoneuverschuldung in
Hessen auf einen Rekordwert von 2 Milliarden Euro. Das
muss man sich einmal vorstellen. Wer soll denn das be-
zahlen? Herr Koch scheint mit keiner sehr langen Le-
bensdauer zu rechnen, wenn er sagt: Ich mache einfach
Schulden, sollen sich doch die anderen mit den Zinsen be-
schäftigen.

Außerdem macht er vor, wie man sich als Ministerprä-
sident bei den Kommunen ungeniert bedienen kann.
100 Millionen Euro werden aus dem kommunalen Inves-
titionsfonds locker in den hessischen Landeshaushalt um-
geleitet.


(Manfred Grund [CDU/CSU]: Vorhin waren es noch 200 Millionen! Welche Zahl stimmt denn?)


– 200 Millionen Euro wurden bestätigt.

(Manfred Grund [CDU/CSU]: Das sind zwei Jahre gewesen!)

Auch sonst ist Herr Koch nicht kleinlich im Hinblick

auf Luftbuchungen und fiktive Einnahmen. Aber er ver-
kündet natürlich, dass er die Konsolidierung des Haushal-
tes fortführen will. Schließlich habe man ja in der laufen-
den Legislaturperiode eine erfolgreiche Konsolidierung
durchgeführt.


(Manfred Grund [CDU/CSU]: Die Lügerei hat Methode!)


Konsolidierung bei einer Neuverschuldung in Höhe von
2 Milliarden Euro und Buchungen, die selbst der Hessi-
sche Städtetag als politisch unzulässig und rechtlich be-
denklich bezeichnet? Herr Koch sollte einmal eine bru-
talstmögliche Überprüfung seines Haushaltes veranlassen,
bevor er den Wählern so etwas vorsetzt.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Vielleicht holt er sich ja Rat bei seinen Kollegen aus
Sachsen. Von dort bekommt er bestimmt ein paar tolle Hin-


(A)



(B)



(C)



(D)


1652


(A)



(B)



(C)



(D)






weise, wie man den Kommunen jede Menge Geld aus der
Tasche ziehen kann. Die CDU in Sachsen hat die Schlüs-
selzuweisungen wieder gesenkt. In einer Stadt in meinem
Wahlkreis, in Oelsnitz im Erzgebirge mit 13000 Ein-
wohnern, macht das in diesem Jahr eine Summe von
300000 Euro aus.


(Norbert Schindler [CDU/CSU]: Warum?)

– Weil die Schlüsselzuweisungen heruntergefahren wor-
den sind. Warum denn sonst?


(Manfred Grund [CDU/CSU]: Warum sind die herunter?)


Das Schlimme ist: Sachsen hat es – meines Wissens als
einziges Bundesland – nicht nötig, sich finanziell an der
Landeswohlfahrt zu beteiligen. Ich weiß nicht, warum das
in Sachsen noch Landeswohlfahrt heißt und nicht Wohl-
fahrt der Kreise und kreisfreien Städte. Auf die wird das
nämlich umgewälzt. Man sollte einmal überlegen, wer be-
stellt und wer bezahlt.

Das Problem ist,

(Heinz Seiffert [CDU/CSU]: Ihr seid das Problem!)

dass die Kommunen diejenigen sind, die das ausbaden
müssen, was die Länder auf die Kommunen abwälzen.
Die Länder stecken nämlich das Geld, das sie vom Bund
bekommen, in die eigene Tasche.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Sachsen brüstet sich doch überall damit, dass es die
niedrigste Verschuldung hat. Aber es gibt dort jede Menge
Kommunen, die am Boden liegen, weil sie vom Land die
Gelder, die ihnen zustehen, nicht bekommen.


(Manfred Grund [CDU/CSU]: Herr Präsident, Gnade!)


Dafür kann der Bund nichts!

(Otto Bernhardt [CDU/CSU]: Gnade! Das ist so unangenehm!)

Das ist ein Landesproblem!

Mir kann man nicht vorwerfen, dass ich mich in den
Kommunalfinanzen nicht auskenne. Ich bin seit 1994
Kommunalpolitikerin!


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Zurufe von der CDU/CSU: Oh!)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1502123200

Nächster Redner ist der Kollege Jochen-Konrad

Fromme, CDU/CSU-Fraktion.

(Beifall bei der CDU/CSU)



Jochen-Konrad Fromme (CDU):
Rede ID: ID1502123300

Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kolle-

gen! Frau Scheel, Sie haben von Nebelkerzen gespro-
chen. Sie sollten das, was Sie in den Zeitungen verkün-

den, einmal damit vergleichen, wie Sie in den Ausschüs-
sen und im Bundestag abstimmen. Dazwischen liegen
Welten.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Dass Sie nicht gemerkt haben, dass bei den Kommu-

nen etwas nicht stimmt, verstehe ich nicht. Die nieder-
sächsischen Kommunen haben schon im Jahre 2001
10 Prozent ihrer laufenden Ausgaben mit Kassenkrediten
bestritten. Wenn das kein katastrophaler Zustand ist, dann
weiß ich nicht, wie man das ansonsten bezeichnen soll.
Falls Sie das wirklich nicht begriffen haben, frage ich
mich, auf welche Art und Weise Sie sich mit Kommunal-
finanzen beschäftigt haben. Die „FAZ“ hat diesen Zu-
stand vor kurzem als „Schröders Erbe“ bezeichnet. Das,
was er in Niedersachsen angerichtet hat, hat er nahtlos im
Bund fortgesetzt.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Die Menschen haben endlich den Unterschied zwi-

schen Gerhard Schröder und einer Telefonzelle begriffen:
Bei der Telefonzelle müssen sie erst bezahlen und dürfen
dann wählen. Bei Gerhard Schröder dürfen sie erst wählen
und müssen dann bezahlen.


(Zuruf von der SPD: Das ist so alt!)

Deshalb, mein lieber bibelfester Herr Kollege, wird zu
Lichtmess, also in der übernächsten Woche, das passieren,
was auch schon früher passiert ist: Altes Personal wird in
die Wüste geschickt und neues Personal kommt. Denn die
Menschen haben dies durchschaut.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Drei Ursachen sind maßgeblich für die kommunale

Finanzkrise: die katastrophale Wirtschaftslage, die Ein-
griffe von Bund und Ländern in die Kommunalhaushalte
und die Ausgabenexplosion. Ihre Wirtschaftspolitik ist es
gewesen, die die Abwärtsspirale in Deutschland eingelei-
tet hat. Sie haben immer noch nicht begriffen: Wer die
Steuern erhöht, wird am Ende weniger Einnahmen haben.

Das trifft die Kommunen viel härter als die anderen
Ebenen.


(Beifall bei der CDU/CSU – Bernd Scheelen [SPD]: Lügen Sie hier doch nicht so!)


Wenn die Kommunen noch die Finanzkraft von 1991 hät-
ten, dann könnten sie im Rahmen von Investitionen
durchaus ein halbes Prozent mehr zum Bruttosozialpro-
dukt beitragen. Diese Möglichkeit haben Sie ihnen weg-
genommen. Deswegen können die Kommunen keine Auf-
träge mehr vergeben. Das heißt, es gibt weniger Arbeit,
mehr Arbeitslose, weniger Steuereinnahmen und mehr
Sozialhilfeausgaben. Mit Ihren Maßnahmen treiben Sie
diesen Kreislauf an.

Sie sagen, Sie würden nicht an Steuererhöhungen den-
ken. Dazu muss ich feststellen: Ihr künftiger Finanzminis-
terkandidat – denn alle Ministerpräsidenten, die abge-
wählt worden sind, haben auf der Regierungsbank Platz
genommen –


(Heiterkeit bei der CDU/CSU – Bernd Scheelen [SPD]: Glauben Sie, wir nehmen den Koch?)


Simone Violka




Jochen-Konrad Fromme
kommentiert Ihre Politik als Voodoo-Ökonomie. Er ist
kein sehr glaubwürdiger Zeuge; denn er spricht von einer
Erhöhung der Erbschaftsteuer, der Vermögensteuer, der
Verkaufsteuer, der Dienstwagensteuer, der Akademiker-
steuer, der Erbschaftsteuer, der Spekulationsteuer, der
Tabaksteuer, der Ökosteuer und der Versicherungsteuer.

Meine Damen und Herren, das ist Ihr Fehler: Sie neh-
men den Menschen und der Wirtschaft die Kaufkraft und
beschleunigen den Kreislauf nach unten.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Sie bereichern sich schamlos an den Kommunen. Ein

Beispiel dafür ist die letzte Tarifrunde. Einer Ihrer Haupt-
sprecher war ja der niedersächsische Finanzminister, der
offensichtlich um seinen Job fürchtet und deshalb einem
unverantwortlichen Abschluss zugestimmt hat. Wie sieht
denn die Bilanz des Tarifabschlusses aus? Der Bund hat
Mehreinnahmen von 97 Millionen Euro, weil er nämlich
durch den Tarifabschluss mehr Steuern zusätzlich ein-
nimmt, als er überhaupt Kosten hat. Die Länder haben
467 Millionen Euro minus und die Kommunen 1,8 Milli-
arden Euro minus. Diesen Abschluss haben Sie nur ge-
macht, weil Sie zu den Wahlen keinen Streik haben woll-
ten. Stattdessen haben Sie einen vernünftigen Abschluss
verhindert. So gehen Sie vor.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP– Bernd Scheelen [SPD]: Die kommunalen Arbeitgeber haben zugestimmt! Nehmen Sie das mal zur Kenntnis!)


– Dank der Enthaltung von Niedersachsen ist das Ergeb-
nis zustande gekommen. Jetzt frage ich mich: Was ist
denn in Niedersachsen los? Die haben doch nur Angst ge-
habt! Das waren doch Ihre Leute.

Sie bereichern sich auf unsägliche Art und Weise bei
den Kommunen. Ich nehme nur einmal das Beispiel Kin-
dergeld. Ihre Ministerpräsidenten Voscherau – da sitzt
schon der Nach-Nachfolger –, Eichel, Schröder und
Lafontaine – wo ist er eigentlich? Ach nein, der kommt
erst wieder –


(Zurufe von der CDU/CSU und der FDP: Montag!)


haben im Grundgesetz festgeschrieben, dass die Kommu-
nen nicht stärker belastet werden dürfen.


(Zuruf von der CDU/CSU)

– Von dem hat damals noch keiner geredet; der lag noch
in den Windeln. –

Wenn ich mir die Bilanz ansehe, stelle ich fest, dass
Länder und Kommunen 1,6 Milliarden Euro mehr als
nach der grundgesetzlich vorgeschriebenen Regelung
zahlen.

Das ist Ihre Politik „zugunsten“ der Kommunen. Des-
wegen haben sie keine Finanzkraft mehr. Deswegen kön-
nen sie keine Ausgaben mehr vornehmen. Stimmen Sie
deswegen endlich einem richtigen Kurs zu! Betreiben Sie
die richtige Wirtschaftspolitik! Betreiben Sie Aufgaben-
abbau auf der Ausgabenseite, damit die Haushalte endlich
wieder saniert werden! Stimmen Sie als Sofortmaßnahme
der Gewerbesteuerumlagensenkung zu! Denn das geht

schnell. Das kann jeder Kämmerer ausrechnen. Da kann
er Hoffnung schöpfen. Daraus kann er Aufträge für die
Wirtschaft machen. Dann kann es weitergehen.

Aber reden Sie nicht von der „Wundertüte“ Gemeinde-
finanzreform!


(Zuruf von der SPD: Wollen Sie die nicht?)

– Wir wollen eine, aber die richtige. – Sie haben gesagt:
Da gibt es keine Minderausgaben; da gibt es keine Mehr-
einnahmen. Wenn es keine Mehreinnahmen gibt und man
sich mit der Ausgabenseite nicht beschäftigt, kann bei der
Gemeindefinanzreform keine Sanierung der Kommunal-
finanzen herauskommen. Das ist doch Ihr Problem.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Sie leben in einer völlig anderen Wirklichkeit. Sie ma-

len sich wie Frau Scheel ein Bild und sagen: Bis 2001 war
alles in Ordnung;


(Christine Scheel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ist das etwa nicht wahr? Haben Sie eine Beschwerde gehört?)


erst vor ein paar Tagen haben wir durch den Städtetag da-
von erfahren. – So haben Sie es eben gesagt. Sie haben die
jahrelangen Meldungen gar nicht zur Kenntnis genom-
men.

Meine Damen und Herren, ich sage es noch einmal.
Eines ist doch völlig klar: Die Menschen haben erkannt,
dass sie mit Ihnen auf der Abwärtsspirale und nicht auf der
Aufwärtsspirale weiterkommen. Deswegen wird es am
2. Februar die Einleitung einer Wende geben. Sie werden
dann einen neuen Finanzminister haben. Wir freuen uns
schon auf seine Voodoo-Ökonomie.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Christine Scheel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Haben wir Bundestagswahl oder was?)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1502123400

Nun hat die Parlamentarische Staatssekretärin Frau

Dr. Barbara Hendricks das Wort.

D
Dr. Barbara Hendricks (SPD):
Rede ID: ID1502123500


Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Zunächst einmal: Ich werde natürlich auch in der nächs-
ten Woche und in der Zukunft sehr gerne und effizient mit
Finanzminister Eichel zusammenarbeiten.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Herr Kollege Kolbe, Sie haben vorhin eine Ge-
schichte erzählt: Angeblich sollten Schülerinnen und
Schüler selber Toilettenpapier in die Schule mitbringen.
Sie haben dann gesagt: Das stimmte zwar nicht, wurde
aber zunächst geglaubt. – Genau so verfahren Sie hier:
Das stimmt zwar nicht, soll aber zunächst geglaubt wer-
den.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



(A)



(B)



(C)



(D)


1654


(A)



(B)



(C)



(D)






Diese – im doppelten Sinne – Latrinenparolen, die Sie
durch dieses Beispiel verstärkt haben, muss man einmal
deutlich zurückstoßen.

In den ganzen 90er-Jahren hat das Gewerbesteuerauf-
kommen aller Kommunen in der Bundesrepublik
Deutschland zusammen in der Größenordnung von 40 bis
45 Milliarden DM gelegen. Im Jahr 1998 betrug das Ge-
werbesteueraufkommen 46 Milliarden DM. Im Jahr 1999
waren es 50Milliarden DM. Im Jahr 2000 wurden 53Mil-
liarden DM und damit ein Nachkriegsrekord erreicht.


(Hans Michelbach [CDU/CSU]: Dann hat sich Rot-Grün durchgesetzt!)


Wir hatten, wie Sie wissen, schon 1999 und 2000 un-
sere ersten Steuersenkungsschritte eingeleitet, bei der Ein-
kommensteuer, im Eingangsteuersatz, im Spitzensteuer-
satz und bei der Anhebung des Grundfreibetrages. Die
entscheidende Steuerreformstufe kam im Jahr 2001.


(Otto Bernhardt [CDU/CSU]: Dann ging es bergab!)


Trotz all Ihrer Debatten – man muss die Steuern senken,
damit die Wirtschaft läuft –, war es leider so, dass im
Jahr 2001 die Gewerbesteuer bei einer Größenordnung
von 46 Milliarden verharrte. Damit war übrigens wieder
die Größenordnung von 1998 und eigentlich der ganzen
90er-Jahre erreicht.


(Bernd Scheelen [SPD]: Plus Umsatzsteuerbeteiligung!)


In der Tat war das im Verhältnis zur einsamen Spitze des
Jahres zuvor von 53 Milliarden DM ein deutlicher Ein-
bruch. Aber es war die Größenordnung, die in den ganzen
90er-Jahren die Gewerbesteuer in der Bundesrepublik
Deutschland ausgemacht hat. Wir haben die abschließen-
den Zahlen für das Jahr 2002 noch nicht; wir haben hier
bisher nur geschätzte Zahlen. Ich vermute, dass wir etwa
in der Größenordnung des vergangenen Jahres liegen wer-
den. Ich kann das natürlich nicht genau sagen. Wahr-
scheinlich liegt das Gewerbesteueraufkommen wieder in
der Größenordnung der ganzen 90er-Jahre.

Jetzt kommen wir noch einmal zur ständig erhobenen
Forderung nach einer Absenkung der Gewerbesteuer-
umlage.


(Jochen-Konrad Fromme [CDU/CSU]: Ja, weil sie richtig ist!)


Kollege Scheelen hat schon darauf hingewiesen: Als
wir das Steuersenkungsgesetz beschlossen haben, betrug
das Aufkommen der Gemeinden am Steueraufkommen
12,3 Prozent. Inklusive der Erhöhung der Gewerbesteuer-
umlage wurden die Kommunen mit einem Anteil von
8,9 Prozent an den Steuereinnahmeausfällen beteiligt. Sie
sind also unterproportional beteiligt worden.


(Jochen-Konrad Fromme [CDU/CSU]: In der Theorie! In der Praxis sah es ganz anders aus! – Gegenruf des Abg. Bernd Scheelen [SPD]: Sie haben zugestimmt! Da wissen Sie doch!)


Das haben die kommunalen Spitzenverbände anerkannt.
Im Gesetz steht, dass wir im Jahr 2004 den angemessenen

Ausgleich über die Gewerbesteuerumlage überprüfen
werden.


(Bernd Scheelen [SPD]: Ab 2006 senken wir sie ab!)


Im Jahr 2006 werden wir sie wieder absenken. Dies ge-
schah mit Zustimmung der kommunalen Spitzenver-
bände. Selbstverständlich hat sich das Steueraufkommen
in den letzten Jahren insgesamt nicht positiv entwickelt,


(Hans Michelbach [CDU/CSU]: Warum?)

weder für die Kommunen noch für den Bund und die Län-
der. Trotzdem stimmt die anteilige Finanzierung der
Kommunen natürlich immer noch genauso wie vorher.


(Zuruf von der CDU/CSU: Operation gelungen, Patient tot!)


Deswegen ist die isolierte Forderung nach einer Absen-
kung der Gewerbesteuerumlage einfach nicht zu verste-
hen.

Ich darf im Übrigen noch auf Folgendes aufmerksam
machen: Zwei Drittel der Gewerbesteuerumlage gehen
zugunsten der Länder und ein Drittel zugunsten des Bun-
des.


(Bernd Scheelen [SPD]: Bayern könnte ja einmal vorangehen!)


Als die bayerische Landtagsfraktion der SPD nach dem
ersten Vorpreschen der Bayerischen Staatsregierung, wo-
für sie im Bundesrat zunächst keine Mehrheit gefun-
den hatte, den Antrag gestellt hat, wenigstens in Bayern
zwei Drittel zugunsten der Kommunen zu geben, haben
sie es natürlich abgelehnt.


(Beifall bei der SPD – Jochen-Konrad Fromme [CDU/CSU]: Die Bayern haben dazugelernt im Gegensatz zu Ihnen! Sie haben jetzt zugestimmt!)


Daran erkennt man ja auch, dass dies alles nur Schaufens-
teranträge sind, die den Zweck haben: Das stimmte zwar
nicht, sollte aber zunächst geglaubt werden. Das sage ich
noch einmal in Ihre Richtung.


(Jochen-Konrad Fromme [CDU/CSU]: Das ist doch Ihre Masche!)


Jetzt kommen wir noch einmal zu anderen Punkten.
Herr Flosbach hat hier angekündigt: Wenn wir das Steu-
ervergünstigungsabbaugesetz jetzt verabschieden wür-
den, dann wäre dies der endgültige Todesstoß für die deut-
sche Wirtschaft und damit einhergehend der endgültige
Todesstoß für die deutschen Kommunen.


(Jochen-Konrad Fromme [CDU/CSU]: Das war das Ergebnis der Anhörung!)


Als Beispiel hat Herr Kollege Flosbach die so genannte
Mindestgewinnbesteuerung angesprochen. Ich weiß auch,
dass das von Sachverständigen und Interessenvertretern
in der Anhörung durchaus kritisch betrachtet worden ist.


(Zuruf von der CDU/CSU: Abgelehnt! – Jochen-Konrad Fromme [CDU/CSU]: Zerrissen wurde das! Nicht abgelehnt!)


Parl. Staatssekretärin Dr. Barbara Hendricks




Parl. Staatssekretärin Dr. Barbara Hendricks
Ich darf Sie aber darauf hinweisen, dass im Haushaltsplan
des Landes Hessen für das Jahr 2003 unter Bezugnahme
auf Körperschaftsteuer und Mindestgewinnbesteuerung
140 Millionen Euro an Mehreinnahmen eingestellt wor-
den sind, weil der famose Kollege Koch sonst überhaupt
keinen verfassungsmäßigen Haushalt mehr aufstellen
könnte.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Jochen-Konrad Fromme [CDU/CSU]: Bei der Körperschaftsteuer können wir auch etwas ändern! Das ist ein Skandal, dass da nichts geschieht! Das ist das Ergebnis von vier Jahren sozialdemokratischer Politik!)


Mit derselben Begründung – zusätzliche Einnahmen
aus der Mindestgewinnbesteuerung – hat der Kollege
Müller im Saarland plus 10 Millionen Euro in seinen zu-
gegebenermaßen kleineren Haushalt eingestellt. Hören
Sie also auf, hier herumzureden! Nur mit diesen Maßnah-
men können Ihre Kollegen aus den Ländern ihren Haus-
halt wenigstens noch verfassungsgemäß aufstellen, im
Vollzug werden sie es bei dem Ausgabeverhalten, das sie
an den Tag legen, nicht schaffen.


(Beifall bei der SPD – Bernd Scheelen [SPD]: Sie gehen davon aus, dass Koch nicht mehr Ministerpräsident wird!)


Ich möchte noch einen Hinweis zur so genannten Las-
tenverschiebung machen. Ich weiß, man soll nach vorn
schauen, aber wenn gerade Sie sagen, wir würden eine
Verschiebung zulasten der Kommunen vornehmen, dann
darf man doch einmal daran erinnern, dass im Zuge der
Novellierung des § 218 StGB die alte Bundesregierung
mit den alten Mehrheiten in diesem Parlament den Kom-
munen aufgegeben hat, Kindergartenplätze für alle Drei-
bis Sechsjährigen zu schaffen. Das ist eine zweifellos
sinnvolle Maßnahme, aber beschlossen ohne irgendeinen
Ausgleich!


(Jochen-Konrad Fromme [CDU/CSU]: Fünf Punkte Mehrwertsteuer! – Hans Michelbach [CDU/CSU]: Fünf Punkte! – Weitere Zurufe von der CDU/CSU und der FDP)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1502123600

Frau Staatssekretärin, gestatten Sie eine kurze Unter-

brechung.
Verehrte Kolleginnen und Kollegen, es wäre schon gut,

wenn hauptsächlich der gemeldete Redner oder die ge-
meldete Rednerin das Wort hätte. Das gilt für alle Seiten.
Es erleichtert vor allen Dingen die Vermittlung dessen,
was hier gemeint ist, nach draußen.

D
Dr. Barbara Hendricks (SPD):
Rede ID: ID1502123700


Herzlichen Dank, Herr Präsident! – Sie wissen genau,
dass wir 410 Millionen Euro – die Kollegin Kerstin
Andreae hat darauf hingewiesen – zur Finanzierung der
Grundsicherung an die Kommunen über die Länder über-
weisen. Zudem haben wir ins Gesetz geschrieben, dass
wir im Jahr 2005, also nach zwei Jahren, eine Spitzab-

rechnung vornehmen werden. Das ist das Konnexitäts-
prinzip in Reinkultur.


(Beifall bei der SPD)

Die meisten Kommunen wären froh, wenn ihre Länder so
mit ihnen umgehen würden.

Dann stellt sich die Frage: Was ist mit den Personal-
kosten? Ich will ein Beispiel nennen. Mein Heimatkreis
Kleve hat 300000 Einwohner. Der Landrat geht davon aus,
dass es 300 Fälle von Grundsicherung im Kreis Kleve gibt.
Dafür können Sie nicht einmal eine zusätzliche Person be-
schäftigen; denn das würde ja bedeuten, dass sie bei rund
200 Arbeitstagen etwa anderthalb Anträge pro Tag behan-
deln müsste. Sie nehmen doch wohl nicht ernsthaft an, dass
man dafür tatsächlich zusätzliches Personal einstellen muss.

Ein kurzer Hinweis: Manchmal sind die Forderungen
der Kommunen, was die Personalkosten anbelangt, etwas
seltsam. Ich erinnere an einen Oberbürgermeister in die-
sem Fall mit SPD-Parteibuch, der erklärt hat – inhaltlich
mag man davon halten, was man will, das will ich hier
nicht debattieren –, wegen der Einführung der gleichge-
schlechtlichen Lebenspartnerschaften müsse er fünf zu-
sätzliche Standesbeamte einstellen. Wahrscheinlich gibt es
in der ganzen Bundesrepublik noch nicht einmal 1 000 ein-
getragene gleichgeschlechtliche Lebenspartnerschaften,
aber in einer bestimmten Großstadt brauchte man fünf zu-
sätzliche Standesbeamte! Manchmal ist das Klagen ein
bisschen arg weit hergeholt.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1502123800

Letzte Rednerin in der Debatte ist die Kollegin Frau

Dr. Gesine Lötzsch.


Dr. Gesine Lötzsch (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1502123900

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Sehr ge-

ehrte Gäste! Ich bin Abgeordnete der PDS.

(Michael Hartmann [Wackernheim] [SPD]: Das wissen wir schon! Das haben Sie schon einmal gesagt!)


Städte, Gemeinden und Landkreise schlagen Alarm.
Die schwerste kommunale Finanzkrise in der Geschichte
der Bundesrepublik schwebt wie ein Damoklesschwert
über den allermeisten der 14 000 Rathäuser und 323 Land-
ratsämter in Deutschland. Mitte des Jahres 2002 hatten
die Kommunen Kassenkredite in Höhe von insgesamt
11,7 Milliarden Euro in Anspruch genommen, zehnmal
mehr als noch 1992. Das Finanzierungsdefizit der Städte,
Gemeinden und Landkreise wird in diesem Jahr voraus-
sichtlich die Rekordhöhe von 9,9 Milliarden Euro errei-
chen, das sind gut 3 Milliarden Euro mehr als im Vorjahr.

Man muss klar sagen: Die rot-grüne Bundesregierung
trägt mit ihrer Steuer- und Haushaltspolitik die Hauptver-
antwortung für die größte kommunale Finanzkrise seit
dem Zweiten Weltkrieg. Mit ihrem Steuersenkungs- und
Unternehmensteuergesetz aus dem Jahr 2000 hat die Steu-
erreform Löcher in bis dato nicht bekanntem Umfang in


(A)



(B)



(C)



(D)


1656


(A)



(B)



(C)



(D)






die kommunalen Haushalte gerissen und damit den Be-
stand kommunaler Selbstverwaltung überhaupt gefährdet.


(Christine Scheel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist Quatsch! Das sagen selbst der Städtetag und andere!)


Rot-Grün war schon vor viereinhalb Jahren mit dem
Versprechen angetreten, das Gemeindefinanzsystem auf
den Prüfstand zu stellen und die Finanzkraft der Kommu-
nen zu stärken.

Aber auch CDU/CSU und FDPkönnen nicht so tun, als
hätten sie mit der Misere nichts zu tun. Sie haben fort-
während die Gewerbesteuer ausgehöhlt und damit ein
wahrlich unrühmliches Erbe mit negativen Auswirkungen
auf die Kommunalfinanzen hinterlassen. Auch wenn
diese Situation jetzt noch verschärft wurde, ist es wahrlich
nicht gerechtfertigt, dass Sie, meine Damen und Herren
von CDU/CSU und FDP, sich hier jetzt als Heilsbringer
für die Kommunen aufspielen.


(Hans-Michael Goldmann [FDP]: So sind wir nun einmal!)


Denn das Erbe, das Sie den Kommunen hinterlassen ha-
ben, war kein gutes.

Zurück zur Verantwortung der Bundesregierung: Nur
auf Druck der kommunalen Spitzenverbände war von der
Bundesregierung wenige Wochen vor der letzten Bundes-
tagswahl überhaupt eine Kommission für die Reform der
Kommunalfinanzen eingesetzt worden. Leider, so muss
man sagen, lautet das unrühmliche Fazit bis jetzt: Außer
Spesen nichts gewesen! Die beiden nach der Bundestags-
wahl angesetzten Kommissionssitzungen fielen durch
Verschulden der Bundesregierung buchstäblich ins Wasser.

Die Kommunen brauchen jetzt als Soforthilfe dreierlei;
ich will Ihnen die diesbezüglichen Vorschläge der PDS
unterbreiten.

Erstens. Die im Rahmen der Steuerreform beschlos-
sene Erhöhung der Gewerbesteuerumlage muss rückgän-

gig gemacht werden. Damit hätten die Städte und Ge-
meinden sofort 2,3 Milliarden Euro an Gewerbesteuer
mehr in der Tasche.


(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Wie hat denn Mecklenburg-Vorpommern gestimmt?)


Zweitens. Die gewerbesteuerliche Organschaft, die
eine für viele Kommunen verheerende Gewinn- und Ver-
lustrechung im Rahmen eines Konzerns ermöglicht, muss
abgeschafft werden.

Schließlich drittens. Beginnend mit dem Bundes-
haushalt 2003 muss in Einzelplan 60, Allgemeine Finanz-
verwaltung, eine kommunale Investitionspauschale des
Bundes für ostdeutsche Städte und Gemeinden sowie
Kommunen in strukturschwachen Regionen des alten
Bundesgebietes mit einem Volumen von ungefähr 3 Mil-
liarden Euro verankert werden. Dies gab es übrigens
schon einmal, in den Jahren 1991 und 1993.


(Jochen-Konrad Fromme [CDU/CSU]: Eine gute Bundesregierung war das!)


Bundesminister Stolpe hat diese Idee aufgegriffen. Jetzt
muss er mit unser aller Unterstützung für eine solide Fi-
nanzierung sorgen. Dafür hat er auch unsere Unterstüt-
zung.

Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall der Abg. Petra Pau [fraktionslos])



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1502124000

Die Aktuelle Stunde ist beendet. Wir sind damit auch

am Schluss der heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bun-

destages auf morgen, Donnerstag, den 30. Januar 2003,
9 Uhr, ein.

Die Sitzung ist geschlossen.