Protokoll:
14247

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Metadaten
  • date_rangeWahlperiode: 14

  • date_rangeSitzungsnummer: 247

  • date_rangeDatum: 3. Juli 2002

  • access_timeStartuhrzeit der Sitzung: 13:00 Uhr

  • av_timerEnduhrzeit der Sitzung: 16:29 Uhr

  • account_circleMdBs dieser Rede
  • tocInhaltsverzeichnis
    Absetzung des Tagesordnungspunktes 2 . . . . . 24980 C Gedenken für den verstorbenen ehemaligen Vorsitzenden der Fraktion der CDU/CSU, Dr. Alfred Dregger Vizepräsident Dr. h. c. Rudolf Seiters . . . . . . 24979 A Tagesordnungspunkt 1: Vereinbarte Debatte: Gewalt und Gesell- schaft – Ursachen erkennen, Werte ver- mitteln, friedliches Zusammenleben stärken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24980 C Wolfgang Thierse SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . 24980 C Dr. Angela Merkel CDU/CSU . . . . . . . . . . . . 24982 C Katrin Göring-Eckardt BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24985 B Dr. Wolfgang Gerhardt FDP . . . . . . . . . . . . . 24987 B Petra Pau PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24989 A Dr. Edith Niehuis, Parl. Staatssekretärin BMFSFJ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24990 A Dr. Bernhard Vogel, Ministerpräsident (Thüringen) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24992 B Dr. Antje Vollmer BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24995 C Dr. Karlheinz Guttmacher FDP . . . . . . . . . . . 24997 A Angela Marquardt PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . 24997 D Christoph Matschie SPD . . . . . . . . . . . . . . . . 24999 A Maria Eichhorn CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . 25000 D Michael Müller (Düsseldorf) SPD . . . . . . . . 25002 A Kerstin Griese SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25003 B Michael Roth (Heringen) SPD . . . . . . . . . . . 25004 D Carsten Schneider SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . 25006 B Nächste Sitzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25007 D Berichtigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25007 D Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten . . . . . 25009 A Anlage 2 Nachträglich zu Protokoll gegebene Rede zur Beratung: – Große Anfrage: Forschungsförderung in Deutschland – Unterrichtung: Bericht zur technologischen Leistungsfähigkeit Deutschlands 2001 und Stellungnahme der Bundesregierung – Beschlussempfehlung und Bericht: – Förderung der Energiespeicherforschung – Gegen ein Forschungsverbot in der Gashydratforschung – Faktenbericht Forschung 2002 zum Bundesbericht Forschung 2000 – Beschlussempfehlung und Bericht: Mehr Frauen an die Spitze von Wissenschaft und Forschung – durch Gender Mainstreaming Frauen in Wissenschaft und Forschung stärken – Beschlussempfehlung und Bericht: Res- sortforschung überprüfen – Effizienz der Forschung steigern Plenarprotokoll 14/247 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 247. Sitzung Berlin, Mittwoch, den 3. Juli 2002 I n h a l t : – Beschlussempfehlung und Bericht: – Die Brennstoffzelle – Technik des 3. Jahrtausends – Technikfolgenabschätzung: hier: TA- Projekt „Brennstoffzellen-Technolo- gie“ – Antrag: Eine neue Offensive für eine mo- derne Forschungspolitik – Antrag: Wissenschaft und Forschung als Motor der gesellschaftlichen Entwicklung und des wirtschaftlichen Aufschwungs in Deutschland nutzen (246. Sitzung, Tagesordnungspunkt 27, Zu- satztagesordnungspunkt 15 und 16) . . . . . . . . 25009 C Jörg Tauss SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25009 C Anlage 3 Rechtsgültigkeit der polnischen Rechtsakte zu Enteignung und Vertreibung von Personen deutscher Nationalität aus den damals deut- schen Ostgebieten MdlAnfr 1 Hartmut Koschyk CDU/CSU Antw StMin Dr. Christoph Zöpel AA . . . . . . . 25011 C Anlage 4 Auswirkungen des Gesetzes zur Eindämmung der illegalen Betätigung im Baugewerbe, ins- besondere der so genannten Bauabzugsteuer, für mittelständische Unternehmen; geplante Änderungen durch das BMF MdlAnfr 2, 3 Klaus Hofbauer CDU/CSU Antw PStSek’in Dr. Barbara Hendricks BMF 25012 A Anlage 5 Fortsetzung der Milchmengengarantierege- lung, Maßnahmen gegen den sinkenden Milch- preis MdlAnfr 4, 5 Dr. Gerd Müller CDU/CSU Antw PStSekr Dr. Gerald Thalheim BMVEL 25012 C Anlage 6 Veränderung der Struktur von Arbeitsämtern, Schließung des Arbeitsamtes Coburg MdlAnfr 6 Hans Michelbach CDU/CSU Antw PStSekr Gerd Andres BMA . . . . . . . . . 25013 A Anlage 7 Freizeitmöglichkeiten für im Ausland in Feld- lagern stationierte deutsche Soldaten MdlAnfr 7 Günther Friedrich Nolting FDP Antw PStSekr’in Brigitte Schulte BMVg . . . 25013 B Anlage 8 Änderungen bei der Gewährung von Haus- haltshilfe durch die gesetzliche Krankenkasse MdlAnfr 8, 9 Maria Eichhorn CDU/CSU Antw PStSekr’in Gudrun Schaich-Walch BMG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25013 D Anlage 9 Aufnahme der Ortsumfahrung der B 179 in Kö- nigs Wusterhausen in Brandenburg sowie der Autobahnanbindung A13/B 246 in Bestensee in Brandenburg in den Bundesverkehrswegeplan MdlAnfr 10, 11 Maritta Böttcher PDS Antw PStSekr’in Angelika Mertens BMVBW 25013 D Anlage 10 Zustimmung zur Auflösung des Entwicklungs- ministerrates der EU; Eingliederung des BMZ in das AA MdlAnfr 12, 13 PeterWeiß (Emmendingen) CDU/CSU Antw StMin Hans Martin Bury BK . . . . . . . . 25014 B Anlage 11 Neukonzeption der Vertriebenenkulturarbeit zwecks Übereinstimmung mit § 96 Bundesver- triebenengesetz MdlAnfr 14 Hartmut Koschyk CDU/CSU Antw StMin Hans Martin Bury BK . . . . . . . . 25014 C Anlage 12 Anwendung des Programmpakets Public Admi- nistration Software System (PASS) eines Anbie- ters aus Nordrhein-Westfalen in Geschäftsberei- chen der Bundesregierung; Kostenaufwand MdlAnfr 15 Steffen Kampeter CDU/CSU Antw PStSekr Fritz Rudolf Körper BMI . . . . 25014 D Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 247. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 3. Juli 2002II Anlage 13 Anzahl der im Rahmen der Fußballweltmeister- schaft nach Japan und Südkorea gereisten Mitglie- der der Bundesregierung, Mitarbeiter des Bundes und Dritte auf Einladung des Bundes, Kosten MdlAnfr 13 Syliva Bonitz CDU/CSU Antw PStSekr Fritz Rudolf Körper BMI . . . . 25015 A Anlage 14 Hinweise auf mögliche Terroranschläge in Deutschland oder auf deutsche Staatsbürger oder Einrichtungen im Ausland; Gefahrenpo- tenzial von Schiffscontainern MdlAnfr 17 Sylvia Bonitz CDU/CSU Antw PStSekr Fritz Rudolf Körper BMI . . . . 25015 C Anlage 15 Finanzierung des neuen „Mitelstandspro- gramms“ der Bundesregierung MdlAnfr 18 Dietrich Austermann CDU/CSU Antw PStSekr Dr. Ditmar Staffelt BMWi . . . 25015 D Anlage 16 Vereinbarkeit von „Markenausschreibungen“ mit den rechtlichen Bestimmungen für Verga- ben; Ausschluss des Mittelstandes vom Wettbe- werb MdlAnfr 19, 20 Max Straubinger CDU/CSU Antw PStSekr Dr. Ditmar Staffelt BMWi . . . 25016 A Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 247. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 3. Juli 2002 III Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 247. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 3. Juli 2002
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    Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 247. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 3. Juli 2002 Carsten Schneider 25007 (C) (D) (A) (B) Berichtigung 245. Sitzung, Seite 24785 (B), Zweiter Absatz, der erste Satz ist wie folgt zu lesen: „Zur Ehrenrettung der geprüften Verwal- tungen sei allerdings gesagt: Jährlich verlassen den Hof und seine Prüfungsämter Hunderte von Prüfungsmitteilungen.“ Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 247. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 3. Juli 2002 25009 (C) (D) (A) (B) Bierwirth, Petra SPD 03.07.2002 Friedrich (Altenburg), SPD 03.07.2002 Peter Dr. Grygier, Bärbel PDS 03.07.2002 Hauer, Nina SPD 03.07.2002 Hilsberg, Stephan SPD 03.07.2002 Irmer, Ulrich FDP 03.07.2002 Dr. Lamers (Heidelberg), CDU/CSU 03.07.2002 Karl A. Leidinger, Robert SPD 03.07.2002 Mante, Winfried SPD 03.07.2002 Dr. Protzner, Bernd CDU/CSU 03.07.2002 Dr. Schäuble, Wolfgang CDU/CSU 03.07.2002 Seehofer, Horst CDU/CSU 03.07.2002 Thiele, Carl-Ludwig FDP 03.07.2002 Türk, Jürgen FDP 03.07.2002 Welt, Jochen SPD 03.07.2002 Dr. Westerwelle, Guido FDP 03.07.2002 Wieczorek (Duisburg), SPD 03.07.2002 Helmut Wiesehügel, Klaus SPD 03.07.2002 Anlage 2 Nachträglich zu Protokoll gegebene Rede zur Beratung: – Große Anfrage: Forschungsförderung in Deutsch- land – Unterrichtung: Bericht zur technologischen Leis- tungsfähigkeit Deutschlands 2001 und Stellung- nahme der Bundesregierung – Beschlussempfehlung und Bericht: – Förderung der Energiespeicherforschung – Gegen ein Forschungsverbot in der Gashydrat- forschung – Faktenbericht Forschung 2002 zum Bundesbe- richt Forschung 2000 entschuldigt bis Abgeordnete(r) einschließlich Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Anlagen zum Stenographischen Bericht – Beschlussempfehlung und Bericht: Mehr Frauen an die Spitze von Wissenschaft und Forschung – durch Gender Mainstreaming Frauen in Wissen- schaft und Forschung stärken – Beschlussempfehlung und Bericht: Ressortfor- schung überprüfen – Effizienz der Forschung stei- gern – Beschlussempfehlung und Bericht: – Die Brennstoffzelle – Technik des 3. Jahrtau- sends – Technikfolgenabschätzung: hier: TA-Projekt „Brennstoffzellen-Technologie“ – Antrag: Eine neue Offensive für eine moderne For- schungspolitik – Antrag: Wissenschaft und Forschung als Motor der gesellschaftlichen Entwicklung und des wirtschaft- lichen Aufschwungs in Deutschland nutzen (246. Sitzung, Tagesordnungspunkt 27, Zusatztages- ordnungspunkt 15 und 16) Jörg Tauss (SPD): Für ein rohstoffarmes Land wie Deutschland und für eine exportorientierte Wirtschaft hat die Innovationsfähigkeit von Wissenschaft und Wirtschaft eine kaum zu überschätzende zentrale Bedeutung. Eine hohe gesellschaftliche Innovationsfähigkeit setzt aller- dings nicht nur eine hohe Qualität der Aus- und Weiter- bildungseinrichtungen voraus, über die derzeit kontrovers diskutiert wird. Auch die technologische Leistungsfähig- keit eines Landes und die Qualität seiner Forschung sind wichtige Elemente der notwendigen Rahmenbedingun- gen für Innovationen und neue Arbeitsplätze, die nach- haltiges Wachstum fördern sowie den Strukturwandel be- schleunigen und zugleich bewältigbar halten. Erst eine moderne Forschungs- und Technologiepolitik stellt die Wissenschaft und die neuen Technologien in den Dienst der Menschen und schafft die Grundlagen für gesell- schaftliche Entwicklung, wirtschaftliches Wachstum und kulturelle Vielfalt. Diesem Ziel einer modernen Forschungs- und Techno- logiepolitik, die Wissenschaft und Technik nicht als Selbstzweck versteht, sondern als Chance und Mittel für eine positive gesamtgesellschaftliche Entwicklung, hat sich die rot-grüne Bundesregierung und haben sich die Koalitionsfraktionen seit 1998 verschrieben. Es verwun- dert daher nicht, dass heute am Ende der Legislaturperi- ode die Bilanz der rot-grünen Bundesregierung mehr als beeindruckend ist: Auch wenn Sie von der Opposition es nicht hören wol- len, wiederhole ich gern, dass diese Bundesregierung den Negativtrend der schwarz-gelben Koalition umgekehrt hat. Rot-Grün hat den Haushalt für Bildung und For- schung seit 1998 um über 21 Prozent erhöht, und das trotz der notwendigen und richtigen Politik einer Haushalts- konsolidierung. Zwischen 1993 und 1998 waren unter der CDU/CSU-FDP-Koalition die Ausgaben des BMBF noch um circa 360 Millionen Euro abgesenkt worden. Zudem ist diese Bundesregierung vom Gießkannen- prinzip weggegangen und hat zunehmend zielorientiert in zukunftsträchtige Schlüsselbereiche investiert und damit die zukünftige Leistungsfähigkeit Deutschlands gestärkt. So hat das BMBF seit 1998 die Projektförderung um über 43 Prozent erhöht. Diese Mittel fließen in innovative For- schungsfelder wie IT-Technologie, Biotechnologie und Medizin sowie in die Forschung für eine umweltgerechte nachhaltige Entwicklung. Diese Bundesregierung hat die notwendigen struktu- rellen Reformen der deutschen Forschungslandschaft an- gepackt, und dies sowohl institutionell – verwiesen sei auf die Fusion von Fraunhofer-Gesellschaft und GMD oder auf die Neuordnung der Helmholtz-Gemeinschaft – als auch instrumentell durch die Stärkung der Projektförde- rung gegenüber der institutionellen Förderung. Auch dies ist kein Selbstzweck. Vielmehr bedeutet Projektförderung mehr Flexibilität, mehr Wettbewerb und mehr Qualität. Zu den wichtigen strukturellen Reformen gehören auch die Einführung der Juniorprofessur und die Reform der Professorenbesoldung. Durch diese hat die Bundesre- gierung die Voraussetzungen geschaffen, damit die deut- schen Hochschulen und Forschungseinrichtungen durch attraktive Arbeitsbedingungen sowie flexiblere und leis- tungsorientierte Vergütungen die für ihre Forschung benötigten Spitzenkräfte – auch aus dem Ausland oder aus der Wirtschaft – gewinnen können. Diese Bundesregierung hat die wissenschaftlichen und wirtschaftlichen Ressourcen in den neuen Ländern mit jährlich über 1,5 Milliarden Euro gestärkt und damit wichtige Impulse zum Ausbau regionaler Innovationspo- tenziale und zukunftsfähiger Arbeitsplätze gegeben. Diese Bundesregierung hat die Frauenförderung zu ei- ner vordringlichen Aufgabe gemacht, weil ein moderner Forschungsstandort darauf angewiesen ist, Frauen eine gleichberechtigte Teilhabe an Forschung und Lehre zu er- möglichen und das gesamte wissenschaftliche Potenzial der Gesellschaft zu nutzen. Der Antrag der Koalitions- fraktionen „Mehr Frauen an die Spitze von Wissenschaft und Forschung“, den wir heute mitberaten, zeigt einmal mehr, dass diese Koalition es nicht bei Lippenbekenntnis- sen belässt. Die Regierungskoalition hat von Anbeginn die zentrale Bedeutung einer modernen Bildungs- und Forschungspo- litik für eine innovationsfähige und auch innovationsfreu- dige Wissenschaft und Wirtschaft ernst genommen. So belegt auch der Bericht zur technologischen Leistungsfä- higkeit Deutschlands 2001 deutlich, dass sich auch die in- ternationale Wettbewerbssituation für das deutsche Inno- vationssystem seit 1998 deutlich verbessert hat. Zu den wichtigsten Einzelergebnissen zählen meines Erachtens fünf Punkte: Deutschland ist insbesondere im Automobilbau, im Maschinenbau und bei den wissensintensiven Dienstleis- tungen international Spitzenklasse. Fast schon traditionell sind wir der Lead Market sowohl für die Auto- als auch für die Maschinenbauindustrie. Der Maschinenbau ist oh- nehin mit fast einer Million Beschäftigten und 150 Milli- arden Euro Umsatz eine der Kernbranchen Deutschlands. Der deutsche Maschinenbau ist gemessen, an den Patent- anmeldungen der weltweit innovativste und nur folge- richtig mit fast 20 Prozent auch Weltmarktführer. Hier wie im Automobilbau zahlt sich insbesondere die intensive partnerschaftliche Zusammenarbeit von Wissenschaft und Wirtschaft aus. Der Verbundgedanke verbindet auf offenbar sehr erfolgreiche Weise innovative und techno- logische Leistungsfähigkeit mit der notwendigen Markt- orientierung und zahlt sich eben auch in Markterfolg und in hervorragenden Exportchancen aus. Gemessen am An- teil an der Wertschöpfung können wir sowohl bei den wis- sensintensiven Dienstleistungen mit 29 Prozent, als auch bei den forschungsintensiven Industrien mit 13 Prozent den Vergleich mit den USA bestehen. Die Wirtschaft hat ihre Aufwendungen für Forschung und Entwicklung dem Bericht zufolge 2001 nochmals um 4,5 Prozent erhöhen können. Die Innovationsaufwendun- gen der Industrieunternehmen erreichten 2001 mit circa 60 Milliarden Euro einen historischen Höchststand. Noch wichtiger ist in diesem Zusammenhang sogar, dass auch die gesamtwirtschaftliche FuE-Intensität auf 2,5 Prozent ange- stiegen ist. Laut Bericht sind seit 1998 die FuE-Aufwen- dungen der Unternehmen sogar um 23 Prozent gewachsen. Hierbei ist aber zu beachten, dass dieser Anstieg vor allem auf Kapazitätsausweitungen von Großunternehmen des Automobilbaus, der Elektro- und Pharmaindustrie und der Nachrichtentechnik zurückgeht und weniger auf KMUs. Dies ist auch auf den nach wie vor herrschenden Fachkräf- temangel zurückzuführen, der besonders die KMUs trifft. Der Bericht belegt, dass die deutsche Wirtschaft im Strukturwandel zur Wissenswirtschaft zunehmend an Dy- namik gewinnt und weiter vorankommt. Fast eine halbe Million neuer und zukunftssicherer Arbeitsplätze sind ist 1997 in den forschungsintensiven Industrien oder im wis- sensintensiven Dienstleistungsbereich entstanden. Hierzu haben nicht nur so genannte technologieorientierte Grün- dungen und Verwertungsgründungen – so genannte Spin- offs – beigetragen. Über 67 000 Gründungen in for- schungs- und wissensintensiven Branchen in 2000, davon allein 6 400 im Multimedia-Bereich, sprechen hier eine eindeutige Sprache, auch wenn erwartet werden muss, das diese Dynamik sich in 2001 abgeschwächt hat. Für den schnellen und marktorientierten Wissenstransfer von der Forschung in die Anwendung und die Produktion und da- mit für die Bewältigung des Strukturwandels ist diese Gründungsdynamik und sind gerade die Spin-offs von kaum zu überschätzender Bedeutung. Hier zahlt es sich zudem aus, dass diese Bundesregierung, wie gesagt, das Gießkannenprinzip aufgegeben hat und zunehmend dem Prinzip Projektförderung in identifizierten Schlüsseltech- nologien folgt. Damit sind wir in der Lage, uns gerade in den Technologiebereichen von morgen und übermorgen bereits heute eine hervorragende Ausgangslage zu er- arbeiten. Dies gilt derzeit insbesondere für den zukunfts- trächtigen Bereich der optischen Technologien, der sich anschickt, als neue Grundlagentechnologie eine große po- sitive wirtschaftliche Dynamik in zahlreichen Wirt- schaftsbranchen auszulösen. Auch hier sind wir also in ei- ner hervorragenden Ausgangslage. Deutlich dokumentiert der Bericht ebenfalls die beson- deren Probleme der ostdeutschen FuE-Landschaft. Nicht nur, dass noch immer lediglich 8 Prozent des FuE-Perso- Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 247. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 3. Juli 200225010 (C) (D) (A) (B) nals oder auch nur 4,5 Prozent der FuE-Aufwendungen Deutschlands auf die neuen Länder entfallen, darüber hi- naus konnte auch die Kluft zur westlichen industriellen Forschung auch aufgrund der kleinbetrieblichen Unter- nehmensstruktur nicht verringert werden. Aber auch posi- tive Indizien sind ableitbar, etwa die Steigerungen der Auslandsumsätze forschungsintensiver Sektoren in den neuen Ländern um jährlich 19 Prozent seit 1993 oder auch die teilweise hohe und mit dem Westen vergleichbare For- schungsintensität in einigen Branchen – wenn auch diese noch ein zu geringes gesamtwirtschaftliches Gewicht ha- ben. Keiner kann und niemand will bestreiten, dass es hier noch einiges zu tun gibt. Schließlich belegt der Bericht auch den zunehmenden Trend der Internationalisierung von Entwicklung und Forschung. Dabei gehen überproportional die anwen- dungsorientierten Entwicklungsbereiche der Unterneh- men ins Ausland, wobei die forschungsintensiven Berei- che mit hoher Patentintensität überwiegend weiterhin in Deutschland bleiben. Dies belegt aber einmal mehr, dass wir im internationalen Wettbewerb zunehmend Anstren- gungen unternehmen müssen, um ausreichend und hinrei- chend qualifizierte Fachkräfte auszubilden und um auch aufgrund des akuten Fachkräftemangels die besten Köpfe an unsere Institute und in unsere Unternehmen zu holen. Die Attraktivität des Studien- und auch Forschungsstand- ortes Deutschland gilt es nachhaltig zu erhöhen und inter- national auszurichten. Noch wichtiger aber als diese aktuellen Zahlen und zu- gleich noch schmerzlicher sind meines Erachtens die Empfehlungen und Maßnahmenvorschläge der sechs For- schungsinstitute, die diesen Bericht verfasst haben: Diese Bundesregierung hat bereits mit der Umsetzung beinahe jeder Empfehlung oder jeder Forderung der Experten- gruppe begonnen, auf jede Frage haben wir bereits eine Antwort geben können. Wir haben Bildung und For- schung wieder dahingebracht, wo es hingehört, nämlich in den Mittelpunkt einer modernen Innovationspolitik. Diese Bundesregierung hat den Haushalt für Bildung und Forschung seit 1998 um 21 Prozent erhöht. Sie hat die Fördermittel für Bildung und Forschung in den neuen Län- dern auf 2 Milliarden Euro 2002 erhöht und für diese För- derprogramme wie „Inno-Regio“ und auch „NEMO“ ini- tiiert. Sie hat im Technologiebereich mit dem BTU- und dem Exist-Programm eine Gründungsdynamik ohne Bei- spiel begleitet. Sie hat auch die KMUs in ihrer Förderpo- litik durch die Erhöhung der Forschungsförderung um 50 Prozent seit 1998 und durch spezielle Förderpro- gramme wie zum Beispiel „Mikrosystemtechnik 2000+“ in den Mittelpunkt gestellt. Diese Bundesregierung hat be- reits wie gefordert besondere Programme für die Schlüs- seltechnologien für die Märkte von morgen aufgelegt, wie etwa jüngst „Optische Technologien – Made in Germany“ mit insgesamt 280 Millionen Euro für fünf Jahre. Sie hat sich in einer breiten IT-Offensive des akuten Fachkräftemangels angenommen und mit der Greencard- Initiative bisher 11 500 Arbeitverhältnisse sowie mit den neuen IT- und Medienberufen allein bis Ende 2001 über 70 000 Ausbildungsverträge ermöglicht. Last but not least hat diese Bundesregierung mit dem Zuwanderungsgesetz die Rahmenbedingungen für ausländische Studierende nachhaltig verbessert und strukturelle Reformen im Hochschulbereich und in der deutschen Forschungsland- schaft mit Nachdruck angepackt. Sie sehen, meine sehr verehrten Damen und Herren von der Opposition, während Sie bei offenen Fragen und beim unverbindli- chen „Man könnte mal“ stehen bleiben, hat diese Koali- tion bereits Antworten gegeben und Lösungen erarbeitet. Lassen Sie mich noch einmal zusammenfassen: Der vorgelegte Bericht zur technologischen Leistungsfähig- keit 2001 und auch der Faktenbericht Forschung be- schreiben Stärken und erfreuliche Entwicklungen des deutschen lnnovationssystems insgesamt. Sie belegen, dass sich die Position Deutschlands im internationalen Forschungs- und Technologiewettbewerb weiter verbes- sert hat. Dies trägt nicht nur zur Sicherung der wirtschaft- lichen und wissenschaftlichen Zukunft in Deutschland bei, sondern schafft zukunftssichere Arbeitsplätze und be- stätigt nachdrücklich die moderne Forschungs- und Tech- nologiepolitik der rot-grünen Bundesregierung. Unter dieser Bundesregierung haben Bildung und Forschung wieder die höchste Priorität erhalten. Bereits dies ist Grund genug, diesen erfolgreichen Weg weitere vier Jahre fortzusetzen. Anlage 3 Antwort des Staatsministers Dr. Christoph Zöpel auf die Frage des Abgeordneten Hartmut Koschyk (CDU/CSU) (Druck- sache 14/9635, Frage 1): Hat die Bundesregierung davon Kenntnis, dass laut „Frank- furter Allgemeine Zeitung“ vom 26. Juni 2002 die polnischen Rechtsakte, welche die Enteignung und Vertreibung von Personen deutscher Nationalität aus den damals deutschen Ostgebieten be- stimmt haben, schon im Jahr 1989 durch eine Entscheidung des polnischen Sejm aufgehoben worden sind, und wird sich die Bun- desregierung gegenüber der polnischen Regierung um Aufklärung dahingehend bemühen, welche Rechtsqualität und -gültigkeit die oben genannten Rechtsakte haben?1) Nach Kenntnis der Bundesregierung wurden in Polen in den vergangenen Jahrzehnten folgende, mit der Ver- treibung von Deutschen (neben deutschen Staatsan- gehörigen aus den ehemaligen Ostgebieten auch Deut- sche aus der ehemaligen Freien Stadt Danzig und Angehörige der deutschen Minderheit in Polen) in Zu- sammenhang stehende Rechtsakte aufgehoben: Das Dekret vom 6. Mai 1945 über „das verlassene und aufgegebene Vermögen“ wurde zunächst ersetzt durch das Dekret vom 8. März 1946 über „das verlassene und ehe- mals deutsche Vermögen“, das wiederum durch Art. 100 des „Gesetzes vom 29. April 1985 über die Bodenbewirt- schaftung“ (Polnisches Gesetzblatt Nr. 22/1985) mit Wir- kung für die Zukunft außer Kraft gesetzt wurde. Das Dekret vom 4. November 1944 über das Ergreifen von „Sicherheitsmaßnahmen im Zusammenhang mit Volks- verrätern“ wurde ebenso wie das Gesetz vom 6. Mai 1945 über den „Ausschluss feindlicher Elemente aus der Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 247. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 3. Juli 2002 25011 (C) (D) (A) (B) 1) siehe hierzu auch Frage 14 Gesellschaft“ durch das Dekret über die Abschaffung der Sonderstrafgerichte vom 17. Oktober 1946 (Polnisches Gesetzblatt 59/1946) aufgehoben. Das Gesetz vom 28. April 1946 über die „Staatsan- gehörigkeit des polnischen Staates (sic) von Personen pol- nischer Nationalität, die in den wiedererlangten Gebieten wohnhaft sind“ sowie das Dekret vom 13. September 1946 über den „Ausschluss von Personen deutscher Volkszugehörigkeit aus der Gesellschaft“ wurden aufge- hoben durch das Staatsangehörigkeitsgesetz vom 8. Mai 1951 (Polnisches Gesetzblatt 4/1951). Anlage 4 Antwort der Parl. Staatssekretärin Dr. Barbara Hendricks auf die Fragen des Abgeordneten Klaus Hofbauer (CDU/CSU) (Drucksache 14/9636, Fragen 2 und 3): Hat die durch das „Gesetz zur Eindämmung der illegalen Betätigung im Baugewerbe“ vom 30. August 2001 eingeführte Regelung des Steuervorabzuges bei Bauleistungen – so genannte Bauabzugsteuer – nach Kenntnis der Bundesregierung bei kleinen und mittelständischen Unternehmen zu Liquiditätsnachteilen und erheblich gesteigertem Verwaltungsaufwand geführt, und wie be- urteilt die Bundesregierung die Auswirkungen dieser Regelung? Welche Vereinfachungen für das Abzugs- und Anrechnungs- verfahren der Bauabzugsteuer beziehungsweise für die Erteilung der Freistellungsbescheinigungen wird das bereits für die erste Junihälfte 2002 vorgesehene zweite BMF-Schreiben – BMF: Bun- desministerium der Finanzen – zur Bauabzugsteuer beinhalten? Zu Frage 2: Der Bundesregierung ist nicht bekannt, dass durch den Steuerabzug bei Bauleistungen Liquiditätsnachteile und ein erheblich gesteigerter Verwaltungsaufwand bei kleinen und mittelständischen Unternehmen eingetreten seien. In den allermeisten Fällen kommt es gar nicht zu einem Steu- erabzug. Die Finanzämter erteilen die Freistellungsbe- scheinigungen kurzfristig und unbürokratisch. Es sind in- zwischen über 620000 Freistellungsbescheinigungen an die betroffenen Unternehmer ausgegeben worden. Damit ist eine flächendeckende Versorgung erreicht. Für die Un- ternehmer ergeben sich insoweit keine Liquiditätsnach- teile durch den Steuerabzug und auch kein erhöhter Ver- waltungsaufwand. Ferner wird ein wissenschaftliches Gutachten zur Eva- luierung des Gesetzes in Auftrag gegeben. Es bleibt abzu- warten, ob sich hieraus Erkenntnisse für Verbesserungen ergeben. Zu Frage 3: Zurzeit wird das BMF-Schreiben aus November 2001 zu Anwendungsfragen zum Steuerabzug in Zusammen- wirken mit den Ländern überarbeitet. Dabei werden aktu- elle Anwendungsfragen aufgegriffen, die sich zwi- schenzeitlich aus der Praxis ergeben haben. Gegenstand der Erörterungen sind unter anderem die Anpassung des BMF-Schreibens an zwischenzeitliche gesetzliche Ände- rungen, die Präzisierung von Aussagen und die Stellung- nahme zu einzelnen Sonderfragen, wie zum Beispiel zum Steuerabzug beim Erwerb von Bauträgern oder bei Insol- venz des Bauunternehmens. Durch die Überarbeitung des BMF-Schreibens wird die Praktikabilität des Steuerab- zugs insgesamt verbessert. Anlage 5 Antwort des Parl. Staatssekretärs Dr. Gerald Thalheim auf die Fragen des Abgeordneten Dr. Gerd Müller (CDU/CSU) (Drucksache 14/9635, Fragen 4 und 5): Ist die Bundesregierung bereit, sich in Brüssel für eine Fort- setzung der Milchmengengarantieregelung einzusetzen? Welche Maßnahmen zur Marktstabilisierung ergreift die Bun- desregierung in Brüssel, um dem sinkenden Milchpreis entgegen- zuwirken? Zu Frage 4: Die Garantiemengenregelung Milch ist im Rahmen der Agenda 2000 bis zum 31. März 2008 verlängert worden. Die EU-Agrarminister haben sich verpflichtet, auf der Grundlage eines Berichtes der Kommission eine Zwi- schenbewertung mit dem Ziel vorzunehmen, das derzei- tige Quotenregime auslaufen zu lassen. Die EU-Kommission hat angekündigt, sich im Rah- men der anstehenden Zwischenbewertung nicht nur auf die Prüfung eines möglichen Quotenausstieges zu be- schränken. Vielmehr sollen darüber hinaus weitere – zu- sätzliche – Optionen für eine künftige Gestaltung der EU-Milchmarktordnung dargelegt und bewertet werden. Da sowohl im Hinblick auf die zeitliche Perspektive einer künftigen Neugestaltung der EU-Milchmarkt- ordnung wie auch im Hinblick auf die konkrete Aus- gestaltung einzelner Optionen und deren Auswirkungen Klärungsbedarf besteht, will die Bundesregierung zu- nächst den Bericht und die Erläuterungen der EU-Kom- mission hierzu abwarten. Erst wenn die Einzelheiten für die Gestaltung der einzelnen Optionen bekannt sind, wird die Bundesregierung hierzu Stellung nehmen. Zu Frage 5: Zur Marktstabilisierung sieht die gemeinsame Markt- organisation für Milch und Milcherzeugnisse unter ande- rem die Intervention von Butter und Magermilchpulver vor. Dementsprechend wurden seit September letzten Jahres 118 000 Tonnen Butter in der EU angekauft, davon in Deutschland 13 000 Tonnen seit Absinken des Markt- preises für Butter unter 92 Prozent des Interventionsprei- ses. Bei Magermilchpulver sind seit Eröffnung der saiso- nalen Intervention am 1. April 2002 insgesamt mehr als 109 000 Tonnen in der EU angekauft worden. Die Bundesregierung hat sich in Brüssel dafür einge- setzt, dass die EU-Kommission nicht von der damit gege- benen Möglichkeit Gebrauch macht, die Intervention aus- zusetzen, sondern diese im Ausschreibungsverfahren fortsetzt. Ferner hat die EU-Kommission, und zwar auch auf Drängen der deutschen Delegation, mehrfach die Exporterstattungen für Butter, Vollmilchpulver, Mager- Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 247. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 3. Juli 200225012 (C) (D) (A) (B) milchpulver und Käse angehoben. Gleichwohl ist der Ex- port noch nicht wesentlich gesteigert worden, da auf dem Weltmarkt derzeit eine sehr geringe Nachfrage besteht. Ferner ist die Beihilfe für Magermilch zur Herstellung von Kasein und Kaseinat zweimal angehoben worden. Der Beimischungssatz von Magermilchpulver zur Tier- fütterung ist mit deutscher Unterstützung wieder auf 50 Prozent hochgesetzt worden. Diese Maßnahmen haben sich in einer leichten Verbes- serung der Marktlage für Butter und Magermilchpulver bereits ausgewirkt. Anlage 6 Antwort des Parl. Staatssekretärs Gerd Andres auf die Frage des Abgeordneten Hans Michelbach (CDU/CSU) (Drucksache 14/ 9635, Frage 6): Gedenkt die Bundesregierung, insbesondere vor dem Hinter- grund des erwarteten Berichts der Hartz-Kommission, die Struk- turierung von Arbeitsämtern zu verändern, und wie steht die Bun- desregierung zur Herabstufung oder gar Schließung des Arbeitsamtes Coburg? Die so genannte Hartz-Kommission wird ihren Bericht am 16. August 2002 vorlegen. Erst danach wird die Bun- desregierung die im Bericht enthaltenen Vorschläge be- werten. Dies gilt auch für eventuelle Vorschläge zur Neu- strukturierung der Bundesanstalt für Arbeit. Nach dem geltenden Recht ist es allerdings nicht Sache der Bundesregierung, über die Abgrenzung von Arbeits- amtsbezirken zu befinden. Vielmehr legt § 378 Abs. 2 des Dritten Buches Sozialgesetzbuch fest, dass die Zustän- digkeit für die Abgrenzung der Bezirke der Arbeitsämter bei dem Verwaltungsausschüssen der Landesarbeitsämter liegt, die hierzu nur im Benehmen mit dem jeweiligen obersten Landesbehörden (Landesarbeitsministerien) Entscheidungen treffen zu können. Anlage 7 Antwort der Parl. Staatssekretärin Brigitte Schulte auf die Frage des Abgeordneten Günther Friedrich Nolting (FDP) (Drucksache 14/9635, Frage 7): Welche Freizeitmöglichkeiten stehen den im Ausland statio- nierten deutschen Soldaten in den Feldlagern zur Verfügung, und wo sieht die Bundesregierung Verbesserungsmöglichkeiten hin- sichtlich der freizeitlichen Infrastruktur für die Soldaten? In den mittlerweile langjährigen Einsätzen SFOR und KFOR haben die Qualität der Betreuung und die Mög- lichkeiten zur Freizeitgestaltung in den Feldlagern auf dem Balkan ein hohes Niveau erreicht. Die Palette der Freizeitmöglichkeiten reicht dabei grundsätzlich von der Einrichtung und dem Betrieb von Betreuungs- und Ge- meinschaftsräumen, über Truppenkino, Mediatheken, In- ternetarbeitsplätze, Versorgung mit regionalen bzw. überre- gionalen Zeitungen, Wochenmagazinen und Zeitschriften sowie Feldzeitungen, Betrieb von Soldatensendern bis hin zu vielfachen Spiel- und Sportmöglichkeiten. Im Feldlager der Taskforce FOX ist qualitativ ein glei- cher Standard gegeben. Im Rahmen der Operation „En- during freedom“ kann sich das etwa 50 Soldaten starke ABC Abwehr-Kontingent auf die Betreuungs- und Sporteinrichtungen der im gleichen Camp stationierten amerikanischen Streitkräfte abstützen. Dieses Angebot wird durch nationale Betreuungs- und Freizeitmöglich- keiten sinnvoll ergänzt. Die Möglichkeiten der Freizeit- gestaltung beim Marinekontingent entsprechen dem ge- wohnten Standard seegehender Einheiten. Für die im Rahmen der Operation ISAF in Afghanistan stationierten Soldaten ist beabsichtigt, gleiche, allerdings der dortigen Gefährdungslage angepasste Bedingungen für die Betreuung und Freizeitgestaltung zu schaffen wie auf dem Balkan. Dieses Ziel kann in allen wesentlichen Bereichen mit Abschluss der Verlegung des zweiten Kon- tingentes zu Ende August 2002 erreicht werden. Der Zulauf von weiterem Betreuungsgerät verbessert die Si- tuation kontinuierlich. Nach Abschluss der noch ausste- henden Maßnahmen für die in Afghanistan stationierten Soldaten sind damit die Freizeitmöglichkeiten in den Feldlagern insgesamt als angemessen, dabei qualitativ hochwertig und quantitativ ausgewogen zu bewerten. Der Standard der Betreuungs- und Freizeitmöglichkeiten auf dem Balkan hat ein überaus hohes Niveau erreicht. Die- ses Niveau soll auch für die Soldaten, die im Rahmen der Operationen „Enduring freedom“ und ISAF eingesetzt sind, erreicht werden. Die entsprechenden Maßnahmen sind bereits eingeleitet. Anlage 8 Antwort der Parl. Staatssekretärin Gudrun Schaich-Walch auf die die Fragen der Abgeordneten Maria Eichhorn (CDU/ CSU) (Drucksache 14/9635, Fragen 8 und 9): Treffen Pressemeldungen (Katholischer Deutscher Frauen- bund intern 5/02) zu, wonach die Bundesministerin für Gesund- heit, Ulla Schmidt, plant, die Bereitstellung einer Haushaltshilfe aus dem Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung herauszunehmen? Welche Änderungen plant die Bundesregierung konkret bei der Gewährung von Haushaltshilfe durch die gesetzlichen Kran- kenkassen? Es ist zutreffend, dass Überlegungen angestellt wer- den, wie versicherungsfremde Leistungen der gesetz- lichen Krankenversicherung anders und nicht durch Mittel der Solidargemeinschaft finanziert werden kön- nen. An eine Einengung des bisherigen Umfangs dieser Leistungen ist jedoch nicht gedacht, sodass entsprechende Befürchtungen gegenstandslos sind. Anlage 9 Antwort der Parl. Staatssekretärin Angelika Mertens auf die Fra- gen der Abgeordneten Maritta Böttcher (PDS) (Druck- sache 14/9635, Fragen 10 und 11): Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 247. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 3. Juli 2002 25013 (C) (D) (A) (B) Ist die Ortsumfahrung der Bundesstraße B 179 in Königs Wus- terhausen in Brandenburg verbindlich in den Bundesverkehrswege- plan eingeordnet, und wann ist mit ihrer Realisierung zu rechnen? Ist die Autobahnanbindung A 13–B 246 in Bestensee in Bran- denburg in den Entwurf des neuen Bundesverkehrswegeplans auf- genommen worden, und wenn ja, mit welchem Realisierungszeit- punkt? Zu Frage 10: Ja, die Ortsumgehung ist im derzeitig gültigen Be- darfsplan für die Bundesfernstraßen in der Stufe „Vordringlicher Bedarf“ eingeordnet. Das Projekt ist Ge- genstand der laufenden Überarbeitung des Bundesver- kehrswegeplans, in deren Rahmen die Bundesregierung den Ländern die vorläufigen Bewertungsergebnisse mit der Bitte übersandt hat, die Rohdaten auf Plausibilität und Belastbarkeit zu prüfen, sowie eine Priorisierung der Pro- jekte aus ihrer Sicht vorzunehmen. Auf dieser Basis wer- den die weiteren Abstimmungen erfolgen können, sodass bis Ende 2002 der Entwurf des Bundesverkehrswege- plans erstellt werden kann, der nach Abstimmung mit den Ländern und den übrigen zu Beteiligenden vom Bundes- kabinett beschlossen wird. Der Teil Bundesfernstraßen ist zugleich Entwurf des künftigen Bedarfsplans, der wie- derum Anlage der nachfolgenden Novelle zum Fern- straßenausbaugesetz wird. Zu Frage 11: Nein, der Neubau einer Anschlussstelle Bestensee (Bundesautobahn A 13/Bundesstraße B 246) stellt eine Ausbaumaßnahme dar und hat keine Relevanz für die Bundesverkehrswegeplanung. Anlage 10 Antwort des Staatsministers Hans Martin Bury auf die Fragen des Abgeordneten Peter Weiß (Emmendingen) (CDU/CSU) (Drucksache 14/9635, Fragen 12 und 13): Warum hat die Bundesregierung beim EU-Gipfel am 21./ 22. Juni 2002 in Sevilla der Auflösung des Entwicklungsminister- rates der EU zugestimmt? Beabsichtigt die Bundesregierung die von ihr mitbeschlossene Neuregelung für die EU-Ministerräte dahin gehend auf die natio- nale Ebene zu übertragen, dass das Bundesministerium für wirt- schaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung in das Auswärtige Amt eingegliedert wird? Zu Frage 12: Es war Ziel der Bundesregierung, den Entwicklungs- ministerrat unabhängig vom Rat für Allgemeine Angele- genheiten und Außenbeziehungen zu erhalten, weil die Entwicklungszusammenarbeit für die Bundesregierung eine hohe politische Bedeutung besitzt. Mit der in Sevilla erzielten Reform des Europäischen Rates und des Rates ist aus Sicht der Bundesregierung gleichwohl ein ver- nünftiger Kompromiss erzielt worden, der die Effizienz und Kohärenz der Politik der Europäischen Union erhöht und der einen wichtigen Beitrag zur Sicherung der politi- schen Führbarkeit der erweiterten Europäischen Union darstellt. Zu Frage 13: Nein. Anlage 11 Antwort des Staatsministers Hans Martin Bury auf die Frage des Abgeordneten Hartmut Koschyk (CDU/CSU) (Drucksache 14/9635, Frage 14): Wie bewertet die Bundesregierung die Rechtsansicht, wonach der tatsächliche Gesetzesvollzug des § 96 Bundesvertriebenenge- setz (BVFG) nicht seinem Wesensgehalt, auch mit Blick auf die durch den Bundeshaushalt zur Verfügung gestellten Fördermittel, entspricht (vergleiche das mir vorliegende Rechtsgutachten von Prof. Dr. Dr. Michael Silagi, Göttingen, vom 10. Mai 2002), und ist die Bundesregierung nunmehr bereit, ihre Neukonzeption der Vertriebenenkulturarbeit aus dem Jahr 2000 (Bundestagsdrucksa- che 14/4586), auch haushaltswirksam, so zu ändern, dass sie den gesetzlichen Vorgaben des § 96 BVFG entspricht?1) § 96 BVFG normiert eine gesetzliche Verpflichtung an Bund und alle 16 Bundesländer, entsprechend ihrer durch das Grundgesetz gegebenen Zuständigkeit das Kulturgut der Vertreibungsgebiete in dem Bewusstsein der Vertrie- benen und Flüchtlinge, des gesamten deutschen Volkes und des Auslandes zu erhalten. Da das Gesetz eine dreifache Wirkung gegenüber den Vertriebenen und Flüchtlingen, dem gesamten deutschen Volk und dem Ausland entfalten soll, ist erkennbar, dass ein allgemeiner Gesetzesauftrag vorliegt, der sich nicht an eine bestimmte Gruppe richtet. Zudem spricht § 96 BVFG vom „Kulturgut der Ver- treibungsgebiete“ und nicht von Kulturgut der Vertriebe- nen, was deutlich macht, dass sich die entsprechenden Fördermaßnahmen des Bundes an einem regionalge- schichtlichen Ansatz in Wissenschaft und Präsentation zu orientieren haben. Dies lassen die Berichte der Bundes- regierung erkennen, zuletzt der Bericht des Beauftragten der Bundesregierung für Angelegenheiten der Kultur und der Medien (BKM) vom 16. Mai 2002 (vergleiche Bun- destagsdrucksache 14/9163). Die Konzeption des BKM zur Erforschung und Prä- sentation deutscher Kultur und Geschichte des östlichen Europas vom 20. September 2000 entspricht dem gesetz- lichen Auftrag von § 96 BVFG, soweit er an den Bund ge- richtet ist. Sie stellt sicher, dass die Erforschung deutscher Kultur und Geschichte des östlichen Europas als gesamt- staatliche Aufgabe auf Dauer erhalten und fortgeführt werden kann. Die im Haushalt eingestellten Mittel er- möglichen dies. Anlage 12 Antwort des Parl. Staatssekretärs Fritz Rudolf Körper auf die Frage des Abgeordneten Steffen Kampeter (CDU/CSU) (Drucksache 14/9635, Frage 15): Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 247. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 3. Juli 200225014 (C) (D) (A) (B) 1) Siehe hierzu auch Frage 1 In welchen Geschäftsbereichen der Bundesregierung wird das Programmpaket Public Administration Software System (PASS) eines Anbieters aus Nordrhein-Westfalen ganz oder teilweise ver- wendet, das sich unter anderem mit Lager- und Materialwirt- schaft, Kosten- und Leistungsrechnung sowie Haushaltsmanage- ment beschäftigt, und mit welchem Kostenaufwand wurde es gegebenenfalls beschafft? Das Programmpaket Public Administration Software System (PASS) wird im Bundeskanzleramt (Beschaf- fungskosten 11 600 Euro) und im Bundesministerium für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen (Beschaffungskosten 208 686 Euro) eingesetzt. Anlage 13 Antwort des Parl. Staatssekretärs Fritz Rudolf Körper auf die Frage der Abgeordneten Sylvia Bonitz (CDU/CSU) (Druck- sache 14/9635, Frage 16): Wie viele Mitglieder der Bundesregierung, Mitarbeiter der Bundesregierung und Dritte auf Einladung der Bundesregierung sind im Rahmen der Fußballweltmeisterschaft nach Japan und Südkorea gereist, und welche Aufwendungen (inklusive gegebe- nenfalls Inanspruchnahme der Flugbereitschaft) sind hierfür zulasten öffentlicher Kassen entstanden? Der Präsident des Deutschen Fußball-Bundes, Herr Mayer-Vorfelder, hat Herrn Bundeskanzler und Herrn Bundesminister des Innern zum Besuch des WM-Final- spiels Brasilien – Deutschland nach Tokio eingeladen. Diese Einladung wurde angenommen. Zur Delegation des Herrn Bundeskanzlers und des Bundesministers des Innern gehörten nicht behinderte und behinderte Sportler, sozial engagierte Bürger, Abge- ordnete des Deutschen Bundestages der CDU/CSU-Frak- tion, SPD-Fraktion, Bündnis 90/Die Grünen und der PDS-Fraktion vor allem aus dem Bereich Sportpolitik so- wie Parlamentarier der Länder. In Begleitung befanden sich außerdem Beamte des Bundeskriminalamtes und Fachbeamte im notwendigen Umfang. Neben den Olympischen Spielen ist die Fußballwelt- meisterschaft das größte Sportereignis. Der Einzug der deutschen Mannschaft in das WM-Finale ist ein großarti- ger internationaler Erfolg, an dem die Öffentlichkeit großen Anteil nimmt. Besuche des Bundeskanzlers oder von Bundesministern als Vertreter der Bundesregierung bei herausgehobenen in- ternationalen Sportereignissen, bei denen deutsche Sportle- rinnen und Sportler für die Bundsrepublik Deutschland um sportliche Erfolge kämpfen, entsprechen zwischenstaatli- chen protokollarischen Gepflogenheiten und dienen der ge- samtstaatlichen Repräsentation Deutschlands. Ergänzend ist darauf hinzuweisen, dass die Bundes- republik Deutschland Gastgeber der Fußballweltmeister- schaft 2006 sein wird. Der Herr Bundeskanzler und der Herr Bundesminister des Innern nutzten ihre Reise nach Japan, um die Fußballfreunde der Welt nach Deutschland einzuladen. Kosten sind im üblichen Rahmen vergleichbarer Dele- gationsreisen angefallen. Wie von Ihnen angenommen, sind darin auch Kosten für die Inanspruchnahme der Flug- bereitschaft im Rahmen der veröffentlichten Richtlinien entstanden. Die Flugkosten wären ohnehin entstanden, da das Flug- zeug der Flugbereitschaft in jedem Fall nach Tokio fliegen musste, um den Herrn Bundeskanzler dort abzuholen. Anlage 14 Antwort des Parl. Staatssekretärs Fritz Rudolf Körper auf die Frage der Abgeordneten Sylvia Bonitz (CDU/CSU) (Druck- sache 14/9635, Frage 17): Welche Hinweise auf mögliche Terroranschläge in Deutschland oder auf deutsche Staatsbürger oder Einrichtungen im Ausland lie- gen der Bundesregierung auf der Grundlage der Erkenntnisse deut- scher Behörden vor, und wie bewertet die Bundesregierung in die- sem Zusammenhang ein von Schiffscontainern ausgehendes terroristisches Gefahrenpotenzial? Die Bundesregierung hat immer wieder darauf hinge- wiesen, dass seit den Anschlägen des 11. September 2001 von einer hohen Gefährdung israelischer, jüdischer, briti- scher und US-amerikanischer Einrichtungen auch in Deutschland auszugehen ist. An dieser Einschätzung hat sich nichts geändert. Der Bundesregierung liegen jedoch hinsichtlich mögli- cher Terroranschläge in Deutschland oder der Gefährdung deutscher Staatsangehöriger oder Interessen im Ausland keine gesicherten Erkenntnisse zu konkreten Anschlags- zielen, -orten oder -zeiten vor. Dies gilt auch in Bezug auf Schiffscontainer. Berichte in den Medien der Vereinigten Staaten von Amerika von Mitte Mai diesen Jahres, wonach Mitglieder des Netzwerkes der al-Qaida unter Zuhilfenahme von Schiffscontainern in die Vereinigten Staaten eingeschleust worden sein könnten, können sowohl seitens der Bundes- regierung als auch von US-amerikanischer Seite nicht be- stätigt werden. Nach Mitteilung der US-amerikanischen Sicherheitsbehörden sei diese Möglichkeit zwar im Zuge einer Schwachstellenanalyse diskutiert worden; jedoch lägen keine dahingehenden Erkenntnisse vor. Anlage 15 Antwort des Parl. Staatssekretärs Dr. Ditmar Staffelt auf die Frage des Abgeordneten Dietrich Austermann (CDU/CSU) (Drucksache 14/9635, Frage 18): Wie und von wem (Bund oder Wirtschaft oder Deutsche Aus- gleichsbank) soll das neue „Mittelstandsprogramm“ der Bundes- regierung finanziert werden? Die vorgestellte Mittelstandspolitik für die nächsten vier Jahre enthält einen Katalog von Maßnahmen, die aus dem Haushalt des BMWi und durch Förderkredite der Deutschen Ausgleichsbank dargestellt werden sollen. Derzeit laufen die Vorbereitungen, um für Gründer und kleine Unternehmen mit einem geringen Investitionsbedarf als gezieltes Finanzierungsinstrument ein Mikrodarlehens- programm bis zu einer Größenordnung von 25000 Euro so Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 247. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 3. Juli 2002 25015 (C) (D) (A) (B) schnell wie möglich anbieten zu können. Die Finanzierung der zinsgünstigen Darlehen, die mit einer Haftungsfreistel- lung versehen sind, soll von der Deutschen Ausgleichsbank (DtA) über die Hausbanken angeboten werden. Anlage 16 Antwort des Parl. Staatssekretärs Dr. Ditmar Staffelt auf die Fra- gen des Abgeordneten Max Straubinger (CDU/CSU) (Drucksache 14/9635, Fragen 19 und 20): Mit welcher Begründung hält die Bundesregierung „Marken- ausschreibungen“, wie zum Beispiel von der BwFuhrparkService GmbH, Maarstraße 63, 53842 Troisdorf (aus: Bundesausschrei- bungsblatt vom 21. Juni 2002, Nr. 070 401) durchgeführt, mit den geltenden rechtlichen Bestimmungen für Vergaben verein- bar? Wie beurteilt die Bundesregierung die Tatsache, dass bei Mar- kenausschreibungen sich nur Hersteller beteiligen können und der Mittelstand vom Wettbewerb ausgeschlossen wird? Als öffentlicher Auftraggeber im Sinne von § 98 Nr. 2 des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen hat die BwFuhrparkService GmbH die von ihr benötigten Waren und Dienstleistungen unter Beachtung des Vergaberechts zu beschaffen. Nach den hierzu einschlägigen Bestim- mungen der Verdingungsordnung für Leistungen, Teil A (VOL/A) ist die Leistungsbeschreibung wettbewerbs- neutral zu gestalten; Markenausschreibungen sind daher grundsätzlich verboten. Hierzu schreibt die VOL/A im § 8 verbindlich vor, dass bestimmte Erzeugnisse oder Verfahren (zum Beispiel Mar- kennamen) nur ausnahmsweise und nur mit dem Zusatz „oder gleichwertiger Art“ verwendet werden dürfen. Die Beschreibung technischer Merkmale darf nach der vorge- nannten Vorschrift nicht dazu führen, dass bestimmte Un- ternehmen oder Erzeugnise bevorzugt oder ausgeschlos- sen werden, es sei denn, eine solche Beschreibung ist durch die zu vergebene Leistung gerechtfertigt. Sollte es im Einzelfall zwingend erforderlich sein, ein bestimmtes Produkt eines bestimmten Herstellers zu be- schaffen (zum Beispiel Nachkäufe, die mit der vorhande- nen Technik kompatibel sein müssen, Markenersatzteile für ein bestimmtes Produkt), so ist auch hier der Wett- bewerb nicht nur auf Hersteller begrenzt. Es können sich selbstverständlich auch kleine und mittelständische Händler um diesen Auftrag bewerben. Zur angemessenen Beteiligung des Mittelstandes hat der Gesetzgeber im vierten Teil des Gesetzes gegen Wett- bewerbsbeschränkungen „Vergabe öffentlicher Aufträge“ im § 97 unter der Überschrift „Allgemeine Grundsätze“ verbindlich vorgegeben, dass mittelständische Interessen vornehmlich durch Teilung der Aufträge in Fach- und Teillose angemessen zu berücksichtigen sind. Nähere Einzelheiten, wie dies zu erfolgen hat, sind im § 5 der Ver- dingungsordnung für Leistungen, Teil A (VOL/A) unter der Überschrift „Vergabe nach Losen“ geregelt. Bitte haben Sie dafür Verständnis, dass es in der Kürze der zur Verfügung stehenden Zeit nicht gelungen ist, den Sachverhalt detailliert aufzuklären und die Gründe für diese Art der Ausschreibung zu recherchieren. Sobald mir hierzu verbindliche Informationen vorliegen, komme ich unaufgefordert auf die Angelegenheit zurück. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 247. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 3. Juli 200225016 (C) (D) (A) (B) Druck: MuK. Medien- und Kommunikations GmbH, Berlin
Gesamtes Protokol
Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1424700000
Liebe Kol-
leginnen! Liebe Kollegen! Der Deutsche Bundestag trau-
ert um einen bedeutenden Politiker, eine große parlamen-
tarische Persönlichkeit, die sich bleibende Verdienste
erworben hat – um unser Land, um dieses Parlament, um
unsere Demokratie. In den langen Jahren seiner politi-
schen Arbeit hat Dr. Alfred Dregger, ein Politiker der
Nachkriegs- und Aufbaugeneration, in unverwechselba-
rer Weise das politische und parlamentarische Leben im
freien Teil Deutschlands und dann im wiedervereinigten
Deutschland mitgeprägt.

Alfred Dregger wurde am 10. Dezember 1920 in Müns-
ter als Sohn eines Verlagsdirektors geboren. Seine Jugend
verbrachte er auf dem mütterlichen Bauernhof bei Soest.
1939 machte er sein Abitur, anschließend wurde er zur
Wehrmacht eingezogen; dort verblieb er bis 1945 im
Kriegsdienst, zuletzt als Hauptmann und Bataillonskom-
mandeur an der Ostfront. Sein Bruder blieb im Zweiten
Weltkrieg an der Ostfront vermisst.

Nach dem Kriege studierte Alfred Dregger an den Uni-
versitäten Marburg und Tübingen Rechts- und Staatswis-
senschaften, wirkte anschließend in der Industrie und beim
Deutschen Städtetag. 1956 wurde er in Fulda – im Alter
von 36 Jahren – jüngster Oberbürgermeister der Bundes-
republik Deutschland, als er durch eine erfolgreiche In-
nenstadtsanierung von sich reden machte. Die Schul-
bautätigkeit erreichte während seiner 14-jährigen Amtszeit
ein in vergleichbaren Städten nicht gekanntes Ausmaß.
Von 1965 bis 1970 war Alfred Dregger Präsident bzw. Vi-
zepräsident des Deutschen Städtetages; von 1962 bis 1972
gehörte er dem Hessischen Landtag an, von 1970 bis 1972
als Fraktionsvorsitzender und Oppositionsführer.

Als Landesvorsitzender der hessischen CDU konnte
Alfred Dregger Aufsehen erregende Wahlerfolge verbu-
chen – sein Traum, Ministerpräsident in Hessen zu wer-
den, wurde jedoch nicht erfüllt. Die aussichtsreiche Land-
tagswahl im September 1982 stand im Sog des
Regierungswechsels in Bonn. Alfred Dregger trat als hes-
sischer CDU-Landesvorsitzender zurück, wurde aber be-
reits wenige Wochen später als Nachfolger von Bundes-
kanzler Helmut Kohl zum Fraktionsvorsitzenden der
CDU/CSU im Deutschen Bundestag gewählt. Bis 1991

war er Vorsitzender der Unionsfraktion. Dem Deutschen
Bundestag gehörte er insgesamt über 7 Wahlperioden an,
immer direkt gewählt in seinem Wahlkreis Fulda. Dem
Bundeskabinett hat er – seinem eigenen Wunsche entspre-
chend – nicht angehört; er blieb der Vorsitzende der Mehr-
heitsfraktion, er blieb ausschließlich Parlamentarier. In
diesem Amt verwirklichte sich für ihn ein anderer und viel
wichtigerer Traum – der Fall der Mauer, die Öffnung des
Brandenburger Tores, der Zusammenbruch des Kommu-
nismus, der Siegeszug der Freiheit, die deutsche Einheit.

Alfred Dregger war geprägt von den Erlebnissen, von
den Schrecken des Zweiten Weltkriegs, selbst mehrfach
verwundet, mit Behinderungen und Schmerzen, die ihn
immer wieder bis zu seinem Tode begleiteten. Er war ge-
prägt von den materiellen und moralischen Zerstörungen,
die eine nationalsozialistische Diktatur angerichtet hatte.
Er war – als Patriot – geprägt von der Spaltung und Tei-
lung seines Vaterlandes, die Familien auseinander riss und
einen Teil der deutschen Bevölkerung in einer anderen
Diktatur gefangen hielt.

Sein ganzes politisches Wirken war gerichtet auf den
Aufbau einer gefestigten und starken, an Recht und Ge-
setz orientierten Demokratie. Sein wichtigstes Ziel war
– dem Auftrag des Grundgesetzes entsprechend – die
Wiederherstellung der Einheit Deutschlands im Rahmen
einer europäischen Friedens- und Freiheitsordnung, was
für ihn immer einschloss die Versöhnung mit unseren pol-
nischen Nachbarn und die Osterweiterung der Europä-
ischen Union, die er stets als ein Werk des Friedens be-
zeichnete. Ende 1989 schrieb er in einem Aufsatz:

Mit den schon eingetretenen und sich anbahnenden
Entwicklungen in Europa wird das Tor geöffnet für
eine europäische Friedensordnung, in der alle Völker
Europas ohne Furcht und Zwang und unter Wahrung
ihrer Eigenart friedlich in gesicherten Grenzen zu-
sammenleben können.

Und er fügte hinzu:
Wenn 60 Millionen Deutsche bisher gute Nachbarn
und gute Europäer gewesen sind, wird das bei
75 Millionen Deutschen nicht anders sein.

Dem Aufbau der neuen Länder in der Bundesrepublik
Deutschland widmete er sein besonderes Engagement.

24979


(C)



(D)



(A)



(B)


247. Sitzung

Berlin, Mittwoch, den 3. Juli 2002

Beginn: 13.00 Uhr

Alfred Dregger war ein streitbarer, ein kämpferischer
Demokrat. Er bezog dezidiert Position, er bekannte in der
politischen Auseinandersetzung Farbe, und darum erfuhr
er auch oftmals Widerspruch und Kritik. Aber auch diese
manchmal scharfe Auseinandersetzung war stets geprägt
von seiner Überzeugung, dass der Wähler einen Anspruch
habe auf klare Alternativen, insbesondere zwischen den
beiden großen Volksparteien, und dass in den Parlamen-
ten kein Platz sein dürfe für extremistische Gruppen.
Hans-Jochen Vogel, der an der Marburger Universität zur
gleichen Zeit wie Alfred Dregger Jura studierte und der
ihn – wie kaum ein anderer – persönlich kannte, hat spä-
ter, im Jahre 1990, über ihn geurteilt: „Er hat Freunde und
Gegner – Feinde hat er nicht“. Das hing wohl auch damit
zusammen, dass Alfred Dregger in seinem ganzen Leben
stets und immer erkennbar, zielstrebig und berechenbar
seine Überzeugung vertrat, dass er in Grundsatzfragen nie
taktisch operierte. Man konnte ihn einordnen – mit seiner
Prinzipienfestigkeit, seiner Gradlinigkeit im Denken und
seiner Verlässlichkeit im politischen Handeln –: „ein
Wertkonservativer aus Überzeugung“, wie Helmut Kohl
einmal sagte. Das betraf auch sein Bekenntnis zur Vater-
landsliebe und zu richtig verstandenem Patriotismus, den
er nie als Gegensatz sah zu einer Politik des Friedens, der
Verständigung, der Aussöhnung, der europäischen Eini-
gung. Das betraf auch seine kritische und auch in den ei-
genen Reihen nicht unumstrittene Position zum
Honecker-Besuch in Bonn, zur Rede des damaligen Bun-
despräsidenten Richard von Weizsäcker zum 40. Jahres-
tag des Kriegsendes, seinen Protest gegen die Wehr-
machtsausstellung, wo er – wie eine Zeitung in dieser
Woche schrieb – jenen Teil der Kriegsgeneration reprä-
sentierte, der sich von Hitler missbraucht und betrogen
wusste. Wie differenziert er die Frage sah, wird in dem
Vorgang deutlich, an den eine andere Zeitung erinnerte:
Als in der Debatte im Deutschen Bundestag ein SPD-Ab-
geordneter forderte, die Ausstellung müsse zu sehen sein,
klatschte Alfred Dregger – seine scharfe Kritik verlangte
nicht, dem mündigen Bürger den Informationszugang zu
verwehren.

Alfred Dregger – ich sage es noch einmal – war ein
streitbarer Demokrat, ein kämpferischer Demokrat, aber
ich kann mich nicht erinnern, dass er demokratische Mit-
streiter jemals persönlich diffamiert oder beleidigt hätte.

Alfred Dregger starb im Alter von 81 Jahren nach einer
langen Krankheit. Wir trauern mit seiner Familie, seiner
Frau, seinen Kindern. Der Deutsche Bundestag und die
deutsche Öffentlichkeit werden Alfred Dregger als einen
großen, aufrechten Demokraten in ehrender Erinnerung
behalten.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich möchte Sie bit-
ten, sich zu erheben und dem Verstorbenen eine stille Mi-
nute des Gedenkens zu widmen.


(Die Anwesenden erheben sich)

Ich danke Ihnen.

Die Sitzung ist bis 13.30 Uhr unterbrochen.


Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1424700100
Liebe Kollegin-
nen und Kollegen, die unterbrochene Sitzung ist wieder
eröffnet.

Der Ältestenrat hat vereinbart, die heutige Frage-
stunde abzusetzen. Die eingereichten Fragen werden
schriftlich beantwortet.1) Sind Sie einverstanden? – Es ist
kein Widerspruch zu hören. Dann ist es so beschlossen.

Im Übrigen weise ich darauf hin, dass die FDP ihren
Antrag auf Durchführung einer Aktuellen Stunde am
Donnerstag zurückgezogen hat.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 1 auf:
Vereinbarte Debatte
Gewalt und Gesellschaft – Ursachen erkennen,
Werte vermitteln, friedliches Zusammenleben
stärken

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die
Aussprache zweieinhalb Stunden vorgesehen. – Es gibt
keinen Widerspruch. Dann ist es so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort dem
Abgeordneten Wolfgang Thierse.


Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1424700200
Frau Präsidentin! Verehrte
Kolleginnen und Kollegen! Über zwei Monate sind seit
der Mordtat von Erfurt vergangen und noch immer sind
wir betroffen und entsetzt. In den Medien ist sie schon
längst wieder an den Rand des Vergessens gedrängt, aber
die unmittelbar Betroffenen, die Eltern und Kinder, die
Lehrer und Bürger von Erfurt, haben das Entsetzen noch
lange nicht bewältigt. Wir fühlen mit ihnen und denken
mit ihnen nach.

Was wir heute und hier tun können, ist, uns mit den
Ursachen dieser Tat zu beschäftigen und uns in allem
Ernst zu fragen, was Politik, was die Gesellschaft, was wir
tun können, um solche entsetzlichen, manchmal auch ver-
zweifelten Ausbrüche von Gewalt zu verhindern. Ich
fürchte, wir müssen diese Diskussion in dem Bewusstsein
führen, dass Staat und Politik nur begrenzt auf solche
durchaus schicksalhaften Ereignisse Einfluss nehmen
können, dass wir aber die Pflicht und Schuldigkeit haben,
dieses Wenige auch wirklich zu tun.

Eine funktionierende, eine im eigentlichen Sinne hu-
mane Gesellschaft vermag den jungen, den nachwachsen-
den Generationen Orientierung, Perspektive und eine
Grundausstattung moralischer Werte zu vermitteln, die
eine sinnvolle, sinnerfüllte Existenz und ein zivilisiertes
Zusammenleben ermöglichen. Bei dem noch jugendlichen
Täter von Erfurt ist das offensichtlich nicht gelungen. An-
gesichts beunruhigender Gewalt in unserem Alltag ist zu
befürchten, dass dies kein Einzelfall bleiben könnte.

Der ehemalige Verfassungsrichter Böckenförde schrieb:
Der demokratische säkulare Staat, die pluralistische Gesell-
schaft leben von Voraussetzungen, die sie selbst nicht schaf-
fen können. Der Markt kann das schon gar nicht. Moralische
Werte werden wahrlich nicht an der Börse gehandelt!


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der PDS)





Vizepräsident Dr. h. c. Rudolf Seiters
24980


(C)



(D)



(A)



(B)


1) Anlagen 2 bis 14

Aber wenn wir die mündigen Bürgerinnen und Bürger,
die kulturellen Kräfte und Institutionen, die Kirchen und
Religionsgemeinschaften benötigen, um soziale und mo-
ralische Grundwerte zu stiften und lebendig zu halten,
dann kann, nein, dann muss Politik mit diesen Werten
mindestens pfleglich umgehen, muss sie beglaubigen und
darf sie nicht zerstören.

Unübersehbar ist aber, dass wir es mit einem Grund-
widerspruch zu tun haben zwischen den Werten, zu denen
sich auch die Mitglieder dieses Hohen Hauses immer wie-
der überzeugt bekennen, und einer alltäglichen sozialen
und ökonomischen Wirklichkeit, die diese Werte verleug-
net, erstickt, zerstört. Dieses Widerspruches müssen wir
innewerden, wenn wir glaubhaft über Werte reden wollen.
Ich will ihn an drei Beispielen zu erläutern versuchen:

Wir sind uns einig über den fundamentalen Wert der
Familie für Zivilität und Moralität unserer Gesellschaft,
für die Erfahrung von und die Erziehung zu Solidarität,
Gerechtigkeitsgefühl, Toleranz, Mitmenschlichkeit, für
ebendie grundlegenden Werte, die für den Zusammenhalt
unserer Gesellschaft unersetzlich sind. Wer aber Familie
so lobt und unersetzlich findet, der kann und darf nicht zu-
gleich einer Deregulierungseuphorie, einer Flexibilisie-
rungsideologie und -praxis anhängen, die eben die Fami-
lie gefährdet; denn Familie braucht Zeit und Raum für
Geborgenheit, für Zuwendung, für Vertrauen. Wer also
die Familie verteidigen will, darf sie nicht total den Zwän-
gen des Marktes, den Bedürfnissen von Wirtschaft und
Technologie unterwerfen; er muss notwendiger Flexibi-
lität und notwendiger Mobilität vernünftige, somit famili-
enverträgliche Grenzen setzen, also einen familien-
freundlichen Rahmen verpassen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der PDS und des Abg. Dr. Hermann Kues [CDU/ CSU])


Wir sind uns einig, dass der Mensch nicht reduziert
werden darf auf die beiden Rollen, in denen er auf dem
Markt vorkommt, nämlich als Arbeitskraft und als Kon-
sument. Der Mensch ist mehr und anderes. Ihn auf seine
ökonomische Leistungsfähigkeit zu reduzieren, diese als
dominanten Maßstab gesellschaftlich zu akzeptieren, ja
zu propagieren, das ist für unsere Gesellschaft lebensge-
fährlich. Briefe von Schülerinnen und Schülern aus ganz
Deutschland zeigen, dass sie in Leistungs- und Konkur-
renzdruck und Versagensängsten Gründe für den Amok-
lauf von Erfurt sehen. Sie berichten davon, wie sehr sie
selbst unter diesem Druck stehen; sie beobachten Ängste
und Verhaltensstörungen bei ihren Mitschülerinnen und
Mitschülern. Sie sprechen davon, dass Lehrer aussieben
und aussortieren; das empfinden sie als Entwürdigung.

Der leistungsstarke, der konsumreiche, der schöne
Mensch, das ist das Ideal des Marktes, wie es in der Wer-
bung allgegenwärtig und allmächtig zu sein scheint. Eine
Nebenbemerkung: Dass wir alle endlich auch am Sonn-
tag – Stichwort: Schluss mit der Begrenzung von La-
denöffnungszeiten – arbeiten sollen und konsumieren
dürfen, das predigen nicht wenige. So ginge ein weiterer
Freiraum für unser Menschsein jenseits des Marktes ver-
loren.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der PDS)


Wir sind uns einig darüber, welchen Rang Kommuni-
kation und Massenmedien – dabei besonders das Fern-
sehen – in unserer Gesellschaft haben und dass wir sie
auch und ganz wesentlich als Kulturgut mit einem Bil-
dungsauftrag verstehen. Aber wir erleben zugleich, dass
sie immer stärker als Wirtschaftsgut betrachtet und immer
gnadenloserem Wettbewerb ausgesetzt werden. Die Fol-
gen sind sichtbar: Es stimmt etwas nicht in einer Gesell-
schaft, die Gewalt zum wichtigsten Gegenstand ihrer all-
abendlichen Fernseh- und Videounterhaltung macht.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der FDP und der PDS)


Man sage nicht, das bleibe dauerhaft ohne Wirkung. Sol-
cherart Abwiegelungen sind nach Erfurt noch verantwor-
tungsloser als zuvor. Das ist beileibe nicht der Ruf nach
der Zensur, aber der Ruf nach der moralischen Verant-
wortung der Produzenten und dem kulturellen Widerstand
der Konsumenten, der Ruf, auszuschalten, die Quoten
einfach einmal zu verderben.

Auch die notwendige Bildungsdebatte, die wir ganz
aktuell miteinander führen, weist nach meiner Wahrneh-
mung im Augenblick eine gewisse Schieflage auf: So
richtig es ist, auch von Schülerinnen und Schülern Leis-
tung zu fordern – und das geschieht ja auch –, so wichtig
ist es, vom Kindergarten bis zur Oberstufe den Bildungs-
einrichtungen den Freiraum zu schaffen, der es ermög-
licht, die Kinder Zuwendung, Vertrauen, Respekt, Solida-
rität, Lob und Anerkennung erfahren zu lassen, also
Mitmenschlichkeit zu erleben.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der FDP und der PDS)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, was ich von mir
selbst und von der Politik, von Volksvertretern insgesamt
erwarte und verlange, ist, dass wir bei unseren Entschei-
dungen den ganzen Menschen im Blick haben, mit all sei-
nen individuellen Besonderheiten, Fähigkeiten und Be-
dürfnissen, wobei ich übrigens glaube, dass Leistungen zu
vollbringen zu den menschlichen Bedürfnissen gehört,
die befriedigt werden müssen. Was ich beobachte, ist aber
doch ein Zuviel an politischer Unterstützung, politischer
Bejubelung so genannter Aufbrüche zu immer mehr Fle-
xibilität, Mobilität und Wettbewerb, ein fataler Hang zum,
wie ich finde, beschränkten Fitmachen – wie der verräte-
rische Ausdruck heißt – für die Arbeitswelt anstelle einer
Erziehung zu lernbereiten, zivilisierten, mündigen und
mitleidensfähigen Menschen. Beides ist notwendig: Leis-
tungsorientierung und Werteorientierung.


(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wenn Politik, teilweise unbedacht, daran mitwirkt, eine
Gesellschaft zu gestalten, die das Goldene Kalb des Mark-
tes, des Wettbewerbs und der allein an deren Kriterien ge-
messenen Leistung anbetet, statt neben notwendigem




Wolfgang Thierse

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(D)



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(B)


Markt und notwendigem Wettbewerb mit demselben Rang
eine Kultur der Anerkennung, der Integration, der Auf-
merksamkeit für den ganzen Menschen zu ermöglichen,
dann verfehlt sie ihre Aufgabe, die Gesellschaft zusam-
menzuhalten. Dann hilft auch kein „mitfühlender Konser-
vatismus“ mehr, um die Schattenseiten des beschleunigten
Wandels zu beherrschen, die viele als soziale Desintegra-
tion, als Ausgrenzungsprozess, als individuelle und kol-
lektive Überforderungsangst, als Furcht vor Statusverlust
und als Orientierungslosigkeit erleben.

Diesen sozialen Dimensionen eines ungesteuerten
Wandels stehen moralische Mängel zur Seite. Wenn jeder
nur für sich selber zu sorgen hat, wie kann er dann noch
für andere einstehen? Wie kann ich verhindern, dass Men-
schen für Eigenschaften, die nicht vom Markt und von der
Leistungsgesellschaft belohnt werden, gleichwohl Res-
pekt erfahren? Es kann doch kein Zweifel daran bestehen,
dass ständige Zurücksetzung, das Ignoriert-Werden und
frühzeitige oder scheinbar unumkehrbare Ausgrenzung
eine unerhörte Spannung, eine schwer beherrschbare Not
verursachen, die die einen in die Depression und Selbst-
aufgabe, andere aber in die Versuchung der Gewalt
führen.

Was ist zu tun? Die Menschen selbst – das kann ihnen
niemand wirklich abnehmen – müssen sich ihre Frei-
räume für Kultur, für zweckfreie Kommunikation, für
Muße, für Zuwendung, für familiäres Beieinandersein,
für Solidarität im Familienverband, im Freundeskreis und
im großen gesellschaftlichen Zusammenhang erarbeiten
und bewahren. Ich lasse mich hinreißen, dies mit dem
amerikanischen Soziologen Robert Putnam „soziales Ka-
pital“ zu nennen, damit auch die Ökonomisierer verste-
hen, dass sie ohne diese Werte nicht auskommen können.
Solche sozialen und moralischen Netzwerke zu fördern
ist eine unserer wichtigsten Aufgaben als demokratische
Politiker.

Deshalb müssen die Politik, die Parteien, die Regie-
rungen und Parlamente in diesem Fall wirklich als Ge-
genmacht zur entfesselten Ökonomie Freiräume mensch-
lichen Beziehungsreichtums schützen und wieder neu
schaffen, sie einfordern und ermöglichen. Nur so werden
wir eine Kultur der Anerkennung als Bedingung für ein
menschengerechtes Leben und eben auch als Prävention
gegen Gewalt über den heute stattfindenden dramati-
schen Wandel hinüberretten können. Nur so werden wir
die Werte, für die wir eintreten und die in Art. 1 unseres
Grundgesetzes – „Die Würde des Menschen ist unantast-
bar“ – geradezu genial zusammengefasst sind, politisch
beglaubigen können. Die Nagelprobe auf Art. 1 haben
wir als Gesellschaft aber erst bestanden, wenn wir auch
diejenigen wahrnehmen, aufnehmen, respektieren und
schätzen, die am Markt des Geldes und der Eitelkeit
scheitern.

Herzlichen Dank fürs Zuhören.

(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1424700300
Das Wort hat
jetzt die Abgeordnete Angela Merkel.


Dr. Angela Merkel (CDU):
Rede ID: ID1424700400
Frau Präsidentin!
Meine Damen und Herren! In dem jetzt vorliegenden Ab-
schlussbericht haben die ermittelnden Behörden die Fak-
ten des Amoklaufs von Erfurt zusammengetragen. Sel-
ten hat man Fakten lesen können, die so sachlich,
nüchtern und kalt klingen und uns gerade deshalb alle so
sprachlos machen: Robert Steinhäuser, 19 Jahre alt, hat in
15 Minuten 16 Personen getötet, davon zwölf Lehrer, an-
schließend sich selbst, mehr als 70 Schüsse in 15 Minu-
ten. Eine Tat, die die Vorstellungskraft von uns allen wohl
bei weitem übersteigt. Mitten ins Leben der Schüler des
Erfurter Gutenberg-Gymnasiums stürmt das Unfassbare.
Mitten ins Leben der Schüler, Lehrer und Eltern bricht an
einem Freitagmorgen 16fach der Tod hinein. Eine Tat, die
eine ganze Stadt, ein ganzes Bundesland, ja eine ganze
Nation jäh aus dem Alltag gerissen hat: Entsetzen, Er-
schrecken, Fassungslosigkeit.

Aber es gab auch eine andere Erfahrung: Die Trauer
um die Opfer einte das Land und eint es immer noch.

Die Trauer war nicht die einzige Reaktion. So fas-
sungslos wir alle vor diesem Ereignis standen, so beein-
druckend war die Welle der Mitmenschlichkeit, die wir
erleben konnten. Die Nation, so oft über nicht allzu Ent-
scheidendes zerstritten, stand zusammen, um zu verarbei-
ten, was geschehen war. Es war bewegend, zu sehen, wie
diese Stadt im Unglück zusammengehalten hat. Das war
Zusammenleben im besten Sinne. Wir alle sind angesichts
der Hilflosigkeit, die wir verspürten und noch verspüren,
denen zu großem Dank und Anerkennung verpflichtet, die
geholfen und getröstet haben.


(Beifall im ganzen Hause)

Neben all den Ärzten, Lehrern, Eltern, Pastoren, Psy-

chologen, Nachbarn und den anderen Helfern möchte ich
den Ministerpräsidenten von Thüringen, Bernhard Vogel,
besonders erwähnen. Er hat Thüringen in den schwersten
Stunden seit Bestehen dieses Landes Trost, Kraft und Mut
gegeben, ein Landesvater im besten Sinne des Wortes.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Wir alle sind noch lange nicht damit fertig, die Folgen

des 26. April zu verarbeiten. Eines der Hauptergebnisse
des Untersuchungsberichts ist: Robert Steinhäuser war
ein Einzeltäter; er hatte keine Komplizen. Seine furcht-
bare Tat war eine Einzeltat. Ich will ganz ausdrücklich un-
terstreichen: Es war eine Einzeltat, die sich jedem ratio-
nalen Zugang entzieht.

Bei einer solchen Tat, die jenseits unserer Vorstel-
lungskraft und außerhalb jedes nachvollziehbaren Den-
kens und Handelns liegt, ist es nicht richtig, Kausal-
ketten herzuleiten. Es ist auch nicht richtig, zu fragen,
welche äußeren Ursachen das Verhalten des Täters be-
stimmt haben. Wer das Unverständliche verstehbar und
das Unerklärbare erklärbar machen möchte, der muss auf-
passen, dass er sich nicht – zumindest unterschwellig – auf
die Seite des Täters stellt und versucht, das Unentschuld-
bare mit irgendwelchen Umständen zu erklären. Diesen
Fehler werden wir nicht machen.

Unser Denken und Fühlen gilt deshalb den Opfern und
nicht dem Täter. Schulverweise gibt es öfter einmal. Aber
sie machen niemanden zu einem kaltblütigen Mörder.




Wolfgang Thierse
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Robert Steinhäusers Mitgliedschaft in einem Schützen-
verein ändert nichts an der Beurteilung des Charakters
dieser Vereine. Sie sind ein fester Bestandteil von lokaler
Tradition, von Ehrenamt und Bürgergesellschaft.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Wir wollen auf diese Tradition nicht verzichten.

Dennoch erinnert die Tat an die besondere Verant-
wortung, die uns allen und auch solchen Vereinen für ihre
jungen Mitglieder zukommt. Es ist auch keine Frage, dass
wir aufgefordert sind, zu handeln. Wir müssen nicht
verstehen und nachvollziehen, warum ein 19-Jähriger
16 Menschen und anschließend sich selbst erschossen hat.
Aber wir müssen Konsequenzen ziehen, um ein weiteres
Erfurt wenn nicht unmöglich, so doch weniger wahr-
scheinlich zu machen.

Es kann keinen Zweifel geben: Gewalt, egal welcher
Art und egal wie motiviert, darf nicht geduldet und nicht
verharmlost werden.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD)


Man braucht auch keine Kausalketten, um zu erkennen:
Es ist Zeit, gegen Gewalt und insbesondere gegen Dar-
stellung von Gewalt in den Medien konsequenter vor-
zugehen. In diesem Punkt können wir alle immer noch
mehr tun.

Wir können erstens schwer jugendgefährdendes Mate-
rial schlicht und ergreifend verbieten. Nur so können wir
verhindern, dass brutalste Videos und Computerspiele von
älteren Freunden gekauft oder ausgeliehen und dann an die
Jüngeren weitergegeben werden. Es ist richtig, den Zu-
gang zu gewaltverherrlichenden Videos und Computer-
spielen zu erschweren; denn Killerspiele sind keine Spiele.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie des Abg. Ludwig Stiegler [SPD])


Wir können etwas tun, indem wir zweitens im Rahmen
der freiwilligen Selbstkontrolle die Alterskennzeichnung
auf alle Medien ausdehnen. Bei Filmen ist sie gang und
gäbe. Warum also nicht auch bei Videospielen? Das
würde es den Eltern leichter machen, zu kontrollieren,
womit sich ihre Kinder beschäftigen.

Wir können mehr tun, indem wir drittens im Fernsehen
den Trend zu immer mehr Gewalt – und dies zu immer
früheren Uhrzeiten – dadurch stoppen, dass wir den Ju-
gendschutzbeauftragten in den Medien mehr Kompeten-
zen geben, die Zuständigkeiten bündeln und die recht-
lichen Grundlagen vereinheitlichen. Maria Böhmer aus
unserer Fraktion hat bereits über Jahre hinweg Hundert-
tausende von roten Karten verteilt, um Eltern zu ermu-
tigen, ihrer Sorge um die Gewalt in den Medien Ausdruck
zu verleihen. Ich finde, wir könnten mehr von diesem En-
gagement gebrauchen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Dass im Namen der Quote auf Qualität verzichtet wird,
daran haben wir uns leider schon gewöhnt. Aber dass im Na-
men der Quote auf Humanität verzichtet wird, daran dürfen
und werden wir uns nicht gewöhnen. Diese Entwicklung

muss umgekehrt werden; denn die Seelen unserer Kinder
sind millionenmal wichtiger als Einschaltquoten.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Verbote, Alterskennzeichnungen und besserer Ju-
gendschutz, das sind drei Beispiele für konkrete Schritte,
die wir tun können. Wir bieten hier unsere Zusammenar-
beit an und werden dies auch weiter tun. Vor allen Dingen
dürfen wir nicht nur nach aktuellen Ereignissen handeln.
Die Arbeit auf diesem Gebiet muss vielmehr kontinuier-
licher Bestandteil unserer politischen Arbeit werden.

Dass wir gemeinsam handeln können – und dies
schnell –, das ist durch die Änderung des Waffengeset-
zes bewiesen worden. Vier Jahre haben wir darüber dis-
kutiert; zwei Monate nach der Tat von Erfurt ist eine
schärfere Fassung mit einem höheren Mindestalter, einem
Verbot von Pumpguns und einer Verschärfung der Melde-
pflichten verabschiedet worden.

Die schnelle Einigung beim Waffengesetz ist ein Er-
folg, aber in gewisser Weise auch eine Mahnung an die
Politik, eine Mahnung, Mitte und Maß zu halten, wenn
sich die Politik mit Interessengruppen auseinander setzt.
Viele Lobby- und Interessengruppen versuchen, in ihrem
Sinne Einfluss auszuüben. Das gehört zu den demokrati-
schen Spielregeln und das wird auch immer so bleiben.
Aber wir in der Politik haben trotz aller Interessengrup-
pen die Aufgabe, die Interessen der schweigenden Mehr-
heit in unserer Bevölkerung zu vertreten. Auch diese Auf-
gabe dürfen wir nicht vergessen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Deshalb ist es unsere Pflicht, Schutzwälle zu errichten,
wenn es darum geht, Gewalttaten zu verhindern. Wir kön-
nen gewiss sein: Damit handeln wir im Sinne der schwei-
genden Mehrheit. Die Einigung beim Waffengesetz hat
gezeigt: Die Politik ist handlungsfähig, wenn sie sich vor
Augen hält, was wirklich wichtig ist.

Es ist richtig, dass wir in diesen Tagen und Wochen
ausführlich über Schule und Bildung diskutieren. Die
PISA-Studie und die Tat in Erfurt, das sind zwei ganz un-
terschiedliche, aber doch sehr klare Signale an uns alle:
Die Schule sollte wieder die Priorität erhalten, die ihr im
Leben eines jeden Menschen zukommt. Wenn jemand,
der von der Schule verwiesen worden ist, zum Amokläu-
fer wird, dann liegen schnelle Rückschlüsse nahe. Wer
sich die langen Artikel, die über die Persönlichkeit und die
Lebensumstände von Robert Steinhäuser erschienen sind,
durchgelesen hat, der weiß: Diese Tat mit irgendwelchen
Umständen, beispielsweise mit einem übermäßigen Leis-
tungsdruck in Schule oder Elternhaus, erklären zu wollen,
führt in die Irre. Das gilt erst recht für jene, die versucht
haben, die ganze Gesellschaft wegen einer angeblich
überzogenen Leistungsorientierung in Sippenhaft zu neh-
men. Ich glaube, Erfurt hat gezeigt: Mit Klischees kom-
men wir nicht weiter.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Deshalb war es zweifellos richtig, darüber nachzu-

denken, ob junge Menschen, die das Abitur nicht geschafft




Dr. Angela Merkel

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(B)


haben, trotzdem einen Schulabschluss bekommen. Ebenso
richtig ist es, eine Diskussion darüber zu führen, wie wir
die Leistungsfähigkeit der Schülerinnen und Schüler in
Deutschland verbessern können. Mit dem Begriff „Leis-
tung“ meine ich die Entdeckung und die Entfaltung der ei-
genen Persönlichkeit und Potenziale. Das ist etwas
Großartiges. Ein positives Verständnis von Leistung stärkt
das Selbstwertgefühl junger Menschen. An einem positi-
ven Selbstwertgefühl mangelt es an vielen Stellen. Einer-
seits müssen wir unseren Kindern und Jugendlichen ein
Selbstwertgefühl vermitteln, das ihnen ihre Stärken be-
wusst macht, und diese Stärken müssen wir auch an-
erkennen. Andererseits wird niemand von Anfang an mit
allen Anforderungen fertig. Auch Misserfolge und Fehl-
schläge gehören zum menschlichen Dasein. Auch das
müssen Kinder lernen. Das können sie nicht, wenn man
versucht, sie vor den Anforderungen des Lebens, auch den
Anforderungen an die eigene Leistung zu beschützen.
Worauf es ankommt, ist, Kindern und Jugendlichen Fähig-
keiten und Wege zu vermitteln, auch mit Misserfolgen
umgehen zu können, und ihnen von Anfang an und nach-
drücklich klar zu machen, dass Gewalt kein Mittel zur
Konfliktbewältigung ist.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Um diese elementaren Werte und Orientierungen zu

vermitteln, brauchen wir starke Eltern und starke Lehrer:
Eltern und Lehrer, die sich nicht scheuen, Autorität aus-
zuüben und nachzufragen, wenn etwas nicht in Ordnung
zu sein scheint, Eltern und Lehrer, die Auseinanderset-
zungen nicht scheuen, sondern da sind, um zuzuhören, um
Rat und Rückhalt zu geben. Rat und Rückhalt geben,
Leistungen anerkennen und Grenzen aufzeigen – das kön-
nen glaubwürdig nur Menschen, die als Autoritäten aner-
kannt werden. Das wissen wir alle aus unserer eigenen Ju-
gend und unserer eigenen Erfahrung. Wir sind deshalb als
Erwachsene und vor allem als Eltern heute gut beraten,
die Autoritäten unserer Kinder und Jugendlichen nicht zu
zerstören.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Wer Lehrer pauschal beschimpft, wer Eltern in eine be-

stimmte Ecke stellt, wer Menschen verächtlich macht, ob
privat oder in der Öffentlichkeit, der trägt zur Erosion von
Autorität bei und schmälert die Chancen für das, was wir
doch alle wollen: dass es Pädagogen gibt, die in der
Schule nicht nur Wissen, sondern auch Werte vermitteln,
und das jeden Tag und unter schwierigen Bedingungen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

PISA lenkt unseren Blick darauf, wie wichtig es ist, als

Lehrer Vermittler von Wissen zu sein. Erfurt lenkt unse-
ren Blick darauf, wie wichtig es ist, dass Lehrer auch Ver-
mittler von Werten und Fähigkeiten sind, mit denen man
im Leben bestehen kann. In unserer schnelllebigen und
komplexen Zeit gilt mehr denn je: Es gibt keine Bildung
ohne Erziehung und es gibt keine Erziehung ohne Werte.

Wichtig ist – das ist in unserer schnelllebigen Zeit si-
cherlich ein Problem –, dass Kindern zu Hause das vor-
gelebt wird, worum es uns geht. Dafür wird Zeit benötigt.
Zeit ist durch nichts ersetzbar; auch darauf muss unsere
Gesellschaft Rücksicht nehmen. Vielleicht ist aber eines

der größten Probleme, dass wir von überall beschallt wer-
den, aber zwischen vielen Menschen Sprachlosigkeit
herrscht. Deshalb heißt die Aufgabe, Sprachlosigkeit zu
überwinden, und zwar an allen Stellen unseres Lebens,
aber insbesondere, wenn wir mit Kindern und Jugend-
lichen sprechen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Keine Bildung ohne Erziehung – das gilt für das El-
ternhaus, aber ebenso für die Schule. Eltern und Lehrer
müssen Hand in Hand wirken, damit unsere Kinder und
Jugendlichen keine Analphabeten sind, weder beim Lesen
noch beim Schreiben, aber auch nicht, wenn es um die
zentralen Werte unseres Zusammenlebens geht.

Darum ist es meines Erachtens ganz wichtig, dass der-
jenige, der nach Wertevermittlung ruft, die Rolle des Re-
ligionsunterrichts in unseren Schulen anerkennt. Reli-
gionsunterricht hat den Anspruch, die Werte unseres
christlich-abendländisch geprägten Zusammenlebens zu
vermitteln, und nicht nur, über sie zu reden. Deshalb muss
der Religionsunterricht seinen festen Platz im Fächer-
kanon behalten oder dort, wo er ihn nicht hat, bekommen.
Wer Werte in der Gesellschaft verankert sehen möchte,
der darf nicht gerade die Autoritäten an den Rand drängen,
die für die Vermittlung von Werten stehen, zum Beispiel
die Kirchen.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Die Schulen in freier und insbesondere die Schulen in

kirchlicher Trägerschaft haben den Anspruch, nicht nur
Wissen, sondern auch Werte zu vermitteln. Ihnen muss
Unterstützung zukommen. Es ist daher ein schlechtes
Zeichen, wenn bei Schulen in freier Trägerschaft Kür-
zungen vorgenommen werden,


(Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Baden-Württemberg!)


wenn es um finanzielle Fragen geht, wie wir es gerade in
Berlin erlebt haben.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Erfurt war ein erschütterndes, ein furchtbares, ein ein-

schneidendes Ereignis. All die schrecklichen Szenen ha-
ben sich in unser Gedächtnis eingebrannt. Doch in den Ta-
gen, Wochen und Monaten danach wurde unser Blick
geschärft, und zwar für das, was wirklich wichtig ist, aber
auch für das, was unsere Gesellschaft zusammenhält.

Wie schon die deutsche Einheit oder das Hochwasser
an der Oder, so hat auch der Schock von Erfurt einen Mo-
ment in unserer Geschichte bewegt, der uns wieder ein-
mal vor Augen geführt hat: Bei allen divergierenden
Interessen, die sonst unseren Alltag beherrschen, gibt es
doch Maßstäbe und Werte, die uns in diesem Lande ei-
nen. Wenn es darauf ankommt, bricht die Anonymität un-
serer Gesellschaft auf. Wenn es darauf ankommt, wird
aus der Gesellschaft eine Gemeinschaft von Mitmen-
schen. Erfurt hat gezeigt, dass wir Deutschen zusam-
menstehen, wenn es darauf ankommt. Das ist ein eini-
gendes Band, das uns zusammenhält, eine Erfahrung, die
uns auch stolz macht auf unser Land und auf die Men-
schen, die hier leben.




Dr. Angela Merkel
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(A)



(B)


Erfurt hat gezeigt: Politik kann handeln, wenn es sein
muss. Politik kann schnell handeln, wenn es sein muss.
Wir können zusammenstehen und gemeinsam schwierige
Aufgaben lösen und schwierige Situationen meistern. Ich
wünsche mir, dass von diesem Fundus an Gemeinsam-
keit viel übrig bleibt für das normale Leben im Alltag;
denn schwierige Aufgaben haben wir ja zuhauf vor uns.
Ich wünsche uns, dass wir dabei jeden einzelnen Jugend-
lichen ernst nehmen.

Oft gibt es das Missverständnis, dass Jungsein ange-
sichts materiellen Wohlstands heute einfacher ist, als es
das früher war. Ich glaube, das stimmt nicht. Aber die
junge Generation in unserem Lande hat ein Anrecht da-
rauf, dass wir über sie nicht nur im Zusammenhang mit
Schreckenstaten sprechen. Die junge Generation hat ein
Anrecht darauf, dass auch von der Fröhlichkeit, von der
Lebendigkeit, von dem Optimismus, der ihr Leben prägt,
von dem Engagement, von dem vielen, was sie tut, öfter
gesprochen wird.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Deshalb wünsche ich mir, dass dieses Parlament auch ein
guter Botschafter für die Jugend unseres Landes ist.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1424700500
Das Wort hat
jetzt die Abgeordnete Katrin Göring-Eckardt.


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Kollegen! Wenn ich an meine eigene Kindheit denke, sind
mir zwei Dinge in Erinnerung, die mit Gewalt zu tun ha-
ben. Das eine war eine Ohrfeige meiner Mutter – die ein-
zige, die sie mir je gab, die ihr wohl mehr wehgetan hat
als mir, eine Ohrfeige, die mich lehrte, wie schlimm es ist,
Gewalt zuzufügen.

Die andere Erinnerung – ich war wohl sieben oder acht
Jahre alt – ist die an ein altes Gemälde, darauf ein Mann, blu-
tende Wundmale, blutüberströmtes Gesicht von einer Dor-
nenkrone, Verletzungen in der Seite, das Antlitz schmerz-
verzerrt – und eine Menge, die zusieht. Keiner greift ein.
Meine Frage, warum denn niemand etwas tut, blieb unbe-
antwortet. Das war kein Fernsehen, das war kein Gewalt-
video, das war nicht der Kampf der Gladiatoren, das war
einfach unser christliches Symbol: Leiden, Gewalt – und
alle sehen zu.

Wir brauchen starke Kinder, wir brauchen starke Ju-
gendliche und dafür brauchen wir Eltern, die das wollen,
Eltern, die das auch können. Bei allen Versuchen, Ursa-
chen für Versagen, Aggression und Gewalt in den Schu-
len, bei den Medien, in der Gesellschaft ganz allgemein
zu suchen, wird die Verantwortung der Eltern bleiben,
die Verantwortung dafür, dass Kinder behütet aufwach-
sen, ohne Angst, dass sie genügend und Gesundes zu
essen bekommen, dass ihnen Zeit und Aufmerksamkeit
gewidmet wird und dass sie wissen, sie sind wer, so wie
sie sind. Erziehung soll dazu dienen, Kinder und Jugend-
liche dabei zu unterstützen, zu dem Menschen zu werden,

der sie sind, nicht dazu, sie in irgendeine Richtung zu zie-
hen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Starke Kinder müssen wissen, dass sie geliebte Kinder
sind. Starke Kinder müssen Vertrauen haben können,
Vertrauen in sich selbst, Vertrauen zu anderen, und sie
brauchen Menschen, die ihnen Vertrauen entgegenbrin-
gen. Natürlich braucht das alles Regeln, vor allem solche,
die vorgelebt werden, und es braucht Regeln, die einge-
halten werden, auch wenn es einmal schwierig wird, Re-
geln, auf die man sich verlassen kann.

Natürlich sind die Werte, über die wir reden, heute viel-
fältiger, als sie es je in unserer Gesellschaft waren. Aber
auch hier kommt es darauf an, dass sie gelten, und zwar
auch dann, wenn es schwierig wird.

Die Begegnungen zwischen Kindern und Jugendli-
chen auf der einen Seite und Erwachsenen auf der ande-
ren Seite müssen auf Augenhöhe stattfinden. Eltern sind
heute nicht mehr diejenigen, die alles wissen und auf jede
Frage eine Antwort geben können. Kinder stellen ihren
Eltern auch längst nicht mehr jede Frage, weil sie sie von
der Nachbarin, dem Patenonkel, dem Lehrer, der Freun-
din der Familie oder im Internet kompetenter beantwor-
tet vermuten. Trotzdem wollen und brauchen Kinder Per-
sonen, an deren Art zu leben, Antworten auf Fragen zu
finden und mit Problemen umzugehen sie sich orientie-
ren können.

Wie leben wir denn in der Familie zusammen? Sitzen
wir im Kreis der Familie oder im Halbkreis vor dem Fern-
seher? Wie können wir uns aufeinander verlassen? Gelten
Versprechen etwas? Gelten die Versprechen von Eltern
und die von Kindern? Was ist, wenn jemand etwas ange-
stellt hat, Regeln verletzt hat? Kann er dann trotzdem in
diese Familie kommen und ist aufgehoben? Hat er oder
sie die Sicherheit, dass er oder sie geborgen sein wird?

Starke Kinder brauchen starke Eltern, die sich ihrer
Verantwortung bewusst sind, Sicherheit geben können
und Vertrauen ausstrahlen. Ich weiß, das sagt sich gerade
in Zeiten, in denen sicher Geglaubtes fraglich wird, leicht.
In Ostdeutschland haben es die Menschen schon einmal
erlebt, dass plötzlich fast alles infrage gestellt wurde, und
wir wissen gut, was das gerade für die Kinder bedeutete.

Heute muss man sagen: Kaum einmal reichte die Ver-
unsicherung so sehr in die vermeintlich gut situierten Mit-
telschichten der Gesellschaft hinein, egal ob es Journalis-
ten oder Bauarbeiter, Lehrer oder Verkäufer sind. Hier ist
es in der Tat eine Aufgabe des Staates, dafür zu sorgen,
dass aus Unsicherheit nicht Existenzbedrohung wird.

Dazu gehört, den Wert des Menschen in der Gesell-
schaft nicht an der Stufe auf der Karriereleiter oder der ge-
rade hier wieder viel gerühmten Leistungen zu bemessen.
Dazu gehört zugleich, dass Kinder nicht zum Armuts-
risiko werden. Die dramatischste Ungerechtigkeit besteht
doch darin, dass immer noch 1Million Kinder in Deutsch-
land in Armut leben und sie zugleich die schlechteren
Chancen in der Schule haben. Deshalb brauchen wir
starke Kinder, die Chancen unabhängig von ihrer Her-
kunft und vom Geldbeutel ihrer Eltern haben.




Dr. Angela Merkel

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(D)



(A)



(B)


Nach dem 26. April wurde auch viel über die Medien
gesprochen und gerichtet, mitunter zu Recht. Aber macht es
wirklich Sinn, auf Fernsehen und Gewalt in Videospielen
zu starren und darin die wesentliche Ursache zu suchen?
Natürlich gehört alles, was Gewalt verherrlicht, verboten,
egal in welchem Medium oder welchem Zusammenhang.

Natürlich gibt es Computerspiele, die alles andere als
für Kinder geeignet sind, wenn man denn tatsächlich
meint, es gebe überhaupt welche, die gut sind. Es geht hier
jedoch nicht allein um Gewalt; es geht darum, dass Bild-
schirmwelt und Wirklichkeit miteinander verwechselt
werden, so zum Beispiel bei dem Computerspiel „Die
Sims“, bei dem man Gott spielt und Menschen mit Ei-
genschaften kreiert, ihnen andere Menschen zur Seite
stellt, ein Haus baut und einrichtet und zu guter Letzt – al-
les am Bildschirm – auch noch dafür sorgt, dass die Men-
schen glücklich sind. All das gibt es. Wir werden manches
verbieten können, aber niemals alles.

So wie ich lernen musste, das Bild des Gekreuzigten zu
verstehen, zu begreifen, worum es dabei geht, brauchen
wir starke Kinder und starke Jugendliche, die mit dem
umgehen können, womit sie konfrontiert werden. Wir
brauchen Kinder und Jugendliche, die wissen, wo der
Knopf zum Ausstellen ist, die Grenzen aufgezeigt be-
kommen und lernen, sich selbst Grenzen zu setzen.

Klar ist auch, dass man Kinder abends nicht fernsehen
lassen muss. Kinder vor dem Fernseher sind oft eines: ein-
sam. 10 000 Anrufe bekommt der Kinderkanal in jedem
Monat von Kindern, die einfach einmal Kontakt aufneh-
men wollen. Den Jugendlichen geht es nicht besser.

Auch dafür sind die Ganztagsschulen da und wichtig:
nicht, weil sie Eltern ersetzen können, sondern weil sie al-
lemal besser sind als der Babysitter Fernseher. Auch dafür
sind die Jugendzentren und Jugendhäuser da, die einen
geschützten Raum darstellen, einen Ort, an dem man sich
ausprobieren kann und an dem man Gemeinschaft erfährt.

Über die Quantität von Betreuungsangeboten ist viel
debattiert worden. Es wurde sogar unterstellt, dass es da-
rum gehe, Kinder von ihren Eltern fernzuhalten. Nein,
gute Kinderbetreuung und Schule schaffen den Eltern erst
die Freiräume, die sie heute in der Mühle der Alltagsor-
ganisation verbringen, die sie aber gerne hätten, um wirk-
lich Zeit für ihre Kinder zu haben.

Aber es liegt mir daran, hier auch etwas über die In-
halte unserer Kindertagesstätten und Schulen zu sagen.
Nach der schrecklichen Tat von Erfurt haben alle den Leis-
tungsdruck beklagt, dem Kinder und Jugendliche heute
ausgesetzt sind. Nur wenige Wochen später – auch gerade
eben hier – hieß es wieder, es komme vor allem auf Leis-
tung an. Haben wir wirklich nichts gelernt?


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Dr. Hermann Kues [CDU/CSU]: Wer hat das denn gesagt? – Gegenruf des Abg. Rezzo Schlauch [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Wir haben genau zugehört!)


Wir brauchen starke Kinder. Wir sollten Lehrern nicht
alles aufladen, was woanders nicht funktioniert.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Aber die entscheidende Frage wird doch sein, ob wir ih-
nen Zeit, Ausstattung und Gelegenheit geben, das zu tun,
was nötig ist und was sie auch tun wollen: Lehrer oder
Lehrerin, Ansprechpartner, Vertraute zu sein. Das ist weit
mehr als die von PISA abgefragten Wissensbausteine.

Ich möchte, dass unsere Schulen zu eigenständigen
Unternehmungen werden, in denen Lehrerinnen und Leh-
rer wirklich zur Höchstform auflaufen können, in denen
Eltern Verantwortung übernehmen und sich einmischen,
in denen Schülerinnen und Schüler Phantasie entfalten,
Demokratie ausprobieren, Lernen lernen und Lust auf
Leistung haben. Es wird darauf ankommen, dass wir dafür
sorgen, dass Lehrer und Sozialarbeiter in den Schulen feste
Ansprechpartner sind. Vor allem in den Grundschulen
muss wieder Zeit sein, auch spielerisch zu lernen, am
Nachmittag zu lesen oder im Schulgarten zu pflanzen.
Schule muss etwas mit dem wirklichen Leben zu tun ha-
ben: mit den Jahreszeiten und den Festen, mit dem Stadt-
teil und den Unternehmen in der Umgebung, mit Men-
schen, die Interessantes zu berichten wissen. Umfassendes
Wissen und Begreifen hat viel mit Greifen, mit Anfassen
und mit Erleben zu tun.

Kinder müssen schon im Kindergarten die Chance ha-
ben, Gemeinschaft zu erfahren. Mit dem Ende der
Großfamilie und angesichts der vielen Einkindfamilien ist
es wichtiger denn je, Zusammenleben und Teilen zu ler-
nen und zu erfahren, dass der andere anders ist.

In jedem Fall gilt: Kinder und Jugendliche fühlen sich
nur dann aufgehoben, wenn sie auch ernst genommen
werden, wenn sie über das, was geschieht, mit entschei-
den können. Nur dann, wenn sie das in der Familie und in
der Schule ausprobiert haben und wenn sie dabei Erfolg
und Spaß hatten, wird es gelingen, sie auch dafür zu be-
geistern, sich in die Gesellschaft einzumischen. Nur dann,
wenn sie auch Lust bekommen, selbst Verantwortung zu
übernehmen, werden sie erfahren, dass sie gebraucht wer-
den und die Gesellschaft sie haben will – jeden Einzelnen,
so verschieden und so viel oder wenig leistungsfähig er
oder sie auch ist.

Wir brauchen starke Kinder, die um ihre Stärken wis-
sen, aber an ihren Schwächen nicht schwach werden. Er-
ziehung bedeutet in erster Linie, zu lehren, mit Freiheit
umzugehen: mit der Freiheit, sich entscheiden zu können
oder zu müssen. Diejenigen, die erziehen, haben die
schwere Aufgabe, die getroffenen Entscheidungen zu ak-
zeptieren, auch wenn sie manchmal nicht nach ihren
Wünschen sind. Nicht die Einschränkung von Freiheit
wird uns langfristig helfen, sondern nur der Umgang mit
der Freiheit.

Vielleicht wird ja von der Politik erwartet, dass sie im-
mer schnelle Antworten gibt. Unsere Antworten waren in
diesem April danach: Es ging um Verbote, um Einschrän-
kungen und um Schranken. Schon leiser wurde im Nach-
satz von Angeboten und Unterstützung geredet.

Auf der einen Seite sind das neue Waffenrecht und der
Jugendschutz gewiss wichtig; aber das Bejubeln vonsei-
ten der Schützenvereine auf der anderen Seite macht mir
deshalb Sorge, weil das, was geschah, nicht ernst genug
genommen wird; vielmehr sind die von der rechten Seite




Katrin Göring-Eckardt
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(C)



(D)



(A)



(B)


des Hauses geforderten Änderungen des Waffenrechts
Ausdruck reiner Klientelpolitik.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Wichtiger als dies ist bestimmt, dass das Gutenberg-
Gymnasium wieder zu einem guten und schönen Ort wird.
Ich bin froh, dass die Bundesregierung hier ganz unkom-
pliziert hilft. Diejenigen, die das Gutenberg-„G“ in ein
paar Jahren so wie ich heute am Revers tragen werden,
sollen von einer wirklich guten Schule sprechen, in der sie
lehren oder lernen, in die ihre Kinder gehen. Aber dies al-
lein genügt nicht. Besser wäre es, dieses „G“ stünde für
viele Schulen in diesem Land, die das Prädikat „gut“ für
„gute Schule für Kinder“ erhielten, oder es stünde für an-
dere Dinge, die gut für Kinder sind.

Nie werden wir die Opfer von Erfurt und diejenigen,
die zurückgeblieben sind, vergessen, auch nicht die Fa-
milie von Robert Steinhäuser. Vielleicht ist die Erinne-
rung an den Amoklauf eines Tages von der Erinnerung an
den Zusammenhalt einer Stadt überlagert, von der Erin-
nerung an Solidarität, an Miteinander, an Aufeinander-
hören, Gespräche, Helfen, wo es geht, Zeit haben, Da-
sein, Berührungen und Berührtsein. Ich jedenfalls werde
das nie vergessen.

Ich vergesse auch nicht die Sehnsucht nach Normalität
und Fröhlichkeit in dieser Stadt. Wenn wir starke Kinder
wollen, könnte es helfen, wenn wir die Gelassenheit und
Fröhlichkeit von Menschen ausstrahlen, die gerne leben,
ihre Arbeit mögen, ihrer Nationalmannschaft zujubeln
und Vertrauen haben, von Menschen, die mit Herz und
Verstand, mit den Händen und dem Kopf, mit Selbstbe-
wusstsein etwas bewegen wollen, so wie wir es von unse-
ren Kindern und Jugendlichen erhoffen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1424700600
Das Wort hat
jetzt der Fraktionsvorsitzende der FDP, Wolfgang
Gerhardt.


Dr. Wolfgang Gerhardt (FDP):
Rede ID: ID1424700700
Frau Präsidentin!
Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Wenn
man Dingen auf den Grund gehen möchte, braucht man
für eine Debatte darüber eine solch ruhige Atmosphäre,
wie wir sie heute haben.

Eine der Kernfragen, die wir uns stellen, ist, wie in ei-
nem solchen Land, von dem wir alle, gleich welcher poli-
tischen Grundrichtung wir angehören, überzeugt sind,
dass es für die Menschen viele Chancen bereitstellt, wenn
sie sie nur ergreifen, ein Lebensentwurf, nämlich der des
Täters, auf eine solch grausame Art misslingen kann.

Seit diese grausame Tat in Erfurt passiert ist, ist der Ein-
fluss von Medien, Schulen und Politik öffentlich breit dis-
kutiert worden. Natürlich gibt es viele öffentliche Miter-
zieher im Leben eines Menschen. Dies ist in einer
freiheitlichen Ordnung immer so. Es gibt aber weder in der
Schule eine Allmachtspädagogik, die einen Lebensentwurf
mit Garantie zu einem guten Ende führen könnte, noch gibt

es eine Medienlandschaft, die neben dem Wettbewerbsge-
schäft ausdrücklich im Sinn hätte, erzieherisch zu wirken,
noch kann die Politik in allen Bereichen alles regeln, damit
wir von solchen Ereignissen verschont bleiben.

Deshalb kann unsere Gesellschaft der Frage nicht aus-
weichen, die lautet: Wie sieht denn die eigene Problemlö-
sungskapazität der deutschen Gesellschaft ohne Verweis
auf Medien, ohne Verweis auf Schule, ohne Verweis auf
andere, ohne Verweis auf Politik, nur mit dem Finger auf
sich selbst gerichtet aus? Damit – der Bundestagspräsi-
dent hat dies vorhin ausgedrückt – kommen wir zur Kern-
frage, die wir bedauerlicherweise in vielen Systemen un-
seres öffentlichen Lebens ausgeblendet haben, nämlich
der nach der eigenen Verantwortung. Die Richtungshin-
weise auf nahezu allen gesellschaftlichen Feldern in der
Bundesrepublik Deutschland deuten meistens weg von
der eigenen, persönlichen Verantwortung und hin zur Auf-
gabenlösung durch Dritte. Wenn wir diese – quer durch
die Gesellschaft – nicht umstellen, werden wir keinen
Beitrag leisten können. Vermeiden können wir solch
grausame Vorgänge nicht. Wir können keine Garantie ge-
ben.

Ich beginne bei einem der Kernpunkte, den Medien.
Herr Kollege Thierse, natürlich können wir darüber spre-
chen – man muss sich in einer solchen Debatte auch ein
Stück positiv aufeinander einlassen –, dass in dieser Wett-
bewerbslandschaft, wie in anderen Bereichen auch, nicht
ausschließlich so wertvolle Kulturgüter produziert wer-
den, wie wir beide sie gerne hätten. Die Diskussion über
Medien reicht mir aber, solange der Kernpunkt der eige-
nen Verantwortung nicht eingeführt wird, nicht aus. Die-
ser heißt: Man kann auch abschalten. Die Verbraucher-
seite muss also zum Ausgangspunkt der Debatte gemacht
werden.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Sie muss ihre eigene Fähigkeit entwickeln, mit dem An-
gebot umzugehen und eventuell auch auf eines zu ver-
zichten. Deshalb genügt eine reine Debatte über Medien
nicht, wenn sie im Kern nicht das Ziel hat, Menschen in
die Lage zu versetzen, auf bestimmte Angebote zu ver-
zichten und damit in einer freiheitlichen Ordnung deutlich
zu signalisieren, dass ihre eigene Wertentscheidung an-
ders ausfällt als die Wertentscheidung der Angebotsseite.
Das klingt jetzt etwas technisch; es ist aber überhaupt
nicht technisch gemeint.

Damit komme ich auf einen weiteren Kernpunkt: Eine
Schuldebatte ist zulässig; man darf in dieser aber nicht
stecken bleiben. Es geht um die Fähigkeit der Familien
– diesen Ort beschreiben wir als ein Stück Heimat –, die
Kinder qualitativ gut zu erziehen. Herr Kollege Thierse,
Sie haben das Thema angesprochen. Diese erzieherische
Qualität entscheidet in einem Lebenslauf, lange bevor ein
Kind die Schule betritt, darüber, ob die Fähigkeiten, die
das Kind zur Verarbeitung von Lebenssachverhalten und
für den Umgang mit Veränderungen braucht, vorhanden
sind, um nicht das Gefühl zu haben, es sei nur auf der Ver-
liererseite. Die Grundlage wird also viel früher gelegt.
Deshalb ist dieses Stück Verantwortung in der Familie
ganz entscheidend für Wertentscheidungen und für die
Fähigkeit zum friedlichen Zusammenleben.




Katrin Göring-Eckardt

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(C)



(D)



(A)



(B)


Das bringt mich zu der positiven Bemerkung: Ich
glaube, dass man, wenn man die Familie so betont, Ganz-
tagsschulen anbieten sollte; aber wenn die Familien sel-
ber an der Erziehung ihrer Kinder am Nachmittag einen
größeren Anteil haben wollen, muss man auch Entschei-
dungen von Familien zugunsten anderer Schulformen zu-
lassen. Das habe ich neulich schon einmal bemerkt.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Ich glaube auch nicht, dass wir weiterkommen, wenn

wir vor dem Hintergrund des Marktes und der Werte dis-
kutieren. Ich kenne auf dieser Welt viele Gesellschaften,
die Marktkräfte ausschalten und die größten Menschen-
rechtsverletzer sind. Diese scheren sich nicht um Werte.


(Dr. Angela Merkel [CDU/CSU]: Richtig!)

Ich glaube, dass Wettbewerb Eigenschaften hervor-

bringen muss und kann, die in die Wertekategorien ge-
hören, die wir alle schätzen. Man kann im Wettbewerb
nämlich nicht erfolgreich sein, wenn sich zum Beispiel
die Führung eines Unternehmens nicht an Fairness, so-
zialer Kompetenz und Werten, an Bildung und Leistung
orientiert. Ich möchte nicht, dass der Eindruck entsteht, es
gäbe eine politische Grundauffassung, die den Leistungs-
begriff überbetonen und damit Kindern zu viel abverlan-
gen würde, sodass sie in Lebenssituationen gebracht wür-
den, die ihnen Schwierigkeiten bereiteten.

Ich glaube, dass das, was wir als Zivilisiertheit unter-
einander diskutieren, dieses Mindestmaß an Fähigkeit, in
demokratischen Gesellschaften zivilisiert miteinander
umzugehen, nicht aus einem luftleeren Raum, indem man
nur einen Wertekanon lernt, entsteht. Ich glaube, dass die
Fähigkeit, mit anderen umzugehen und andere Persön-
lichkeiten mit all ihren Eigentümlichkeiten und Eigenhei-
ten wahrzunehmen, dadurch entsteht, dass man zulässt,
dass sich die junge Generation – das ist unverzichtbar – an
bestimmten Gegenständen prüft und sich – wiederholt,
mit enormen Anstrengungen und manchmal auch verbun-
den mit schulischen Problemen und Rückschlägen – ab-
arbeitet.

Persönlichkeitsbildung – über diesen Begriff diskutie-
ren wir miteinander – ist nur erreichbar, wenn Bildung und
Erziehung kombiniert werden. Bildung, die ohne Leistung
nicht zu erzielen ist, aber auch erzieherische Komponen-
ten müssen zusammenkommen. Wichtig ist zudem eine
großartige Lehrerpersönlichkeit, an der sich Kinder ori-
entieren, wie das jeder aus seinem eigenen Leben weiß.
Man muss millimeterweise lernen, große Aufgaben abzu-
arbeiten.

Lassen Sie mich das an einem Beispiel, das für uns
Deutsche besonders wichtig ist, erläutern. Nach meiner
Überzeugung hat der Geschichtsunterricht an unseren
Schulen nicht die Dimension, die ich mir vorstelle. Herr
Schwanitz beschreibt das in seinem Buch sehr schön: In
den deutschen Schulen wird nicht deutlich, dass die Ge-
schichte eine große Erzählung ist. In diesem Zusammen-
hang ist auch zu vermitteln, wie in Europa durch all das,
was wir kulturell und geschichtlich erlebt haben, Diktatu-
ren und Tyrannei am Ende überwunden wurden. Dadurch
kann den Kindern ein Stück ihrer eigenen Identität ver-
mittelt werden. Sie müssen lernen, Bescheidenheit mit
Selbstvertrauen zu verbinden.

Ich schildere das deshalb, weil wir in Deutschland ei-
gentlich voraussetzen, dass wir durch erzieherische Maß-
nahmen, Bildung und Ausbildung Kinder in den Stand
versetzen, Bescheidenheit zu zeigen, einen fairen Um-
gang miteinander zu pflegen, aber auch Selbstvertrauen
zu haben. Das wird ihnen jedoch bei ihrer Erziehung nicht
ausreichend mitgegeben.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wenn wir über Themen wie Medienlandschaft, Schule,
Familie, Öffentlichkeit und Arbeitswelt nur segmentiert
diskutieren, dann ist davon kein Gesamtkonzept zu erwar-
ten. Auch andere Generationen hatten sich mit Schwierig-
keiten in der Arbeitswelt auseinander zu setzen. Es hat
große Brüche in der Geschichte der – in dem OECD-Be-
richt werden sie so genannt – großen Industrienationen ge-
geben. Keine Generation stand vor einfachen Fragen. In
der Nachbetrachtung eines Ereignisses darf es nicht dazu
kommen, dass wir die Marktgesellschaft insgesamt kriti-
sieren und gegen sie Widerstandskräfte moralischer Art
mobilisieren. Ich bin dafür, dass wir Erziehung und Bil-
dung so annehmen, wie der Wandel der Arbeitswelt er-
fordert. Wir müssen uns darauf einlassen, weil wir es nicht
anders schaffen.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ich bin nicht der Auffassung, dass durch Flexibilität
oder das, was man damit verbindet, eine Familie benach-
teiligt wird. Ich glaube an die Chancen und nicht an die
Risiken einer Veränderung der Arbeitswelt. Durch diese
Veränderungen können Familien, wenn sie es wollen,
eher begünstigt als benachteiligt werden. Dies kann nur
geschehen, wenn wir uns auf Familien einlassen und ihre
Lebensentwürfe akzeptieren.

Niemand von uns wird in den nächsten Monaten auf
seine persönliche Art die Ursachenforschung darüber ab-
schließen, wie so schreckliche Ereignisse passieren konn-
ten. Es wird lange Zeit brauchen, bis wir diese Ereignisse
verarbeitet haben.

Vielleicht kommen wir doch zu dem Punkt, der mir
sehr wichtig erscheint und bei allen Vorrednern anklang:
Wenn etwas im Bereich der Bildung grundlegend und un-
verzichtbar ist, was in der öffentlichen Diskussion von al-
len politischen Grundrichtungen genannt werden sollte,
dann ist das Erziehung. Wenn es dabei – das ist natürlich –
zu Konflikten und zu Reibungen mit der jeweils nachfol-
genden Generation kommt, dann dürfen wir gegenüber
unseren Kindern nicht zu repressiven Maßnahmen grei-
fen, sondern dann müssen wir ihnen klar machen, dass Er-
ziehung die Aufgabe hat, ihnen beim Erwachsenwerden
zu helfen.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Das bedeutet eine sehr persönliche Anstrengung des Ein-
zelnen, bei der es nicht damit getan ist, Elternversamm-
lungen zu besuchen. Vielmehr muss man bei den eigenen
Kindern erzieherische Aufgaben, die durchaus mit Rei-
bungen verbunden sein können, wahrnehmen. Dies muss
in der gesamten Gesellschaft geschehen; diese Notwen-
digkeit muss von der Gesellschaft erkannt werden.




Dr. Wolfgang Gerhardt
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(C)



(D)



(A)



(B)


Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1424700800
Das Wort hat
jetzt die Abgeordnete Petra Pau.


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1424700900
Frau Präsidentin! Liebe Kollegin-
nen und Kollegen! Ich möchte eine Episode voranstellen.
Sie liegt schon eine Weile zurück, aber sie hat mich sehr
nachdenklich und auch reicher gemacht. Der Kollege
Barthel von der SPD-Fraktion und ich waren von einer
Kirchengemeinde aus Berlin-Zehlendorf, genauer gesagt:
von den jungen Gemeindemitgliedern und ihren Freun-
dinnen und Freunden, eingeladen.

Rund 60 junge Leute wollten mit uns, den Politikern,
über Gewalt, deren Ursachen und Folgen diskutieren. An-
lass dazu gab es genug. Gerade erst hatten rechtsextremis-
tische Anschläge für menschliches Leid und für Schlag-
zeilen gesorgt. Die Jugendlichen nahmen uns zwar ernst,
aber nicht besonders wichtig. Sie sprachen vor allem mit
sich, und zwar über Erfahrungen von Klassenfahrten, auf
denen sie angepöbelt wurden, über ausländische Freunde,
die bei ihnen zu Gast waren, aber im Lande ausgegrenzt
wurden, über Erwachsene, denen sie sich anvertrauen
oder die sie fürchten, über Erfolge in der Schule und über
Versagensängste.

Sie erzählten drei Stunden lang über ihr Leben und sie
sprachen miteinander. Ihr Thema war nicht Gewalt als
Totschlag, als Exzess, als Massenmord; sie redeten über
alltägliche Wunden und Schmerzen. Das war wohltuend
authentisch und ohne jede Rechthaberei.

Ich habe mich an diesen Abend erinnert, als ich jüngst
ein weiteres Erlebnis hatte. Der Verkäufer einer Obdach-
losenzeitung wurde des Platzes verwiesen. Der Verkauf
solcher Zeitungen ist nicht nur ein klitzekleiner Geld-
erwerb, sondern er gibt den Obdachlosen auch immer ein
Stück Selbstwertgefühl und menschliche Würde zurück.
Der Wachmann, der ihn des einst öffentlichen und inzwi-
schen privatisierten Stadtraumes verwies, hatte zwar for-
mal Hausrecht, doch tat er in den Augen des Verstoßenen
Unrecht. Deshalb meine ich, dass ein ehrlicher Diskurs
über Werte, Solidarität, Würde, Gerechtigkeit, Toleranz
und Friedensliebe überfällig ist, allemal in einer Gesell-
schaft, in der ein kräftiger Ellenbogen manchmal mehr
gilt als ein gutes Herz.


(Beifall bei der PDS)

Allerdings meine ich, dass sich ein solcher Diskurs nicht
auf die Jugend reduzieren darf. Hier geht es um eine Ge-
sellschaftsfrage.


(Beifall bei der PDS sowie des Abgeordneten Dieter Dzewas [SPD])


Bevor ich noch einmal konkret werde, möchte ich un-
sere Debatte in das Grundgesetz betten. „Die Würde des
Menschen ist unantastbar“, heißt es nicht ohne Grund in
Art. 1, wohlgemerkt „des Menschen“ und nicht „des
Deutschen“. Ich bin weder Soziologin noch Psychologin
und bitte die zuhörenden Fachleute um Nachsicht, wenn
ich eine einfache These wage: Immer, wenn die Würde
des Menschen angetastet wird, hat das etwas mit Gewalt

zu tun. Ich kenne Arbeitslose, studierte und hoch intelli-
gente, sich mühende und auch heftig suchende – und den-
noch Erfolglose. Meinen Sie wirklich, dass Sie deren
Würde entsprechen, wenn das unsägliche Problem der Ar-
beitslosigkeit als individuelles Versagen bei ihnen abgela-
den wird? Meinen Sie wirklich, dass Sie deren Würde ent-
sprechen, wenn Sie die Betroffenen in niedrig bezahlte
Jobs und in ferne Gefilde zwingen wollen? Und glauben
Sie, es sei gewaltlos, wenn Sie mit der Streichung von Ar-
beitslosengeld oder Sozialhilfe drohen, wenn die Betrof-
fenen keine scheinselbstständige Ich-AG gründen?

Vor allem aber entlassen Sie mit diesem Unsinn zu-
gleich jene aus der Verantwortung, für die Art. 14 Abs. 2
des Grundgesetzes geschrieben wurde:

Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich
dem Wohle der Allgemeinheit dienen.

Wir alle wissen, dass längst die einfachen Bürgerinnen
und Bürger ihren einen Sozialstaat tragen, während sich
die wirklich Vermögenden der sozialen Verantwortung
entziehen – formal zu Recht, auf gesetzlicher Grundlage.
Moralisch und sozial bleibt es aber Unrecht, denn es
schafft Unwürde.


(Beifall bei der PDS)

Eines, Herr Innenminister, will ich Ihnen heute hier

nicht durchgehen lassen, wenn wir über Gewalt und ge-
sellschaftliche Ursachen reden. Wer von ausländischen
Mitbürgerinnen und Mitbürgern erwartet, dass Sie sich
ins National-Deutsche assimilieren, der entwürdigt kultu-
relle Identitäten.


(Beifall bei der PDS)

Die viel gepriesene Toleranz entpuppt sich so als Anpas-
sungsgehorsam. Gehorsam und Anpassung haben aber
nichts mit Würde, Kultur und auch Selbstbestimmung zu
tun.

Über die Frage von Krieg und Frieden will ich heute
hier gar nicht reden, auch wenn Bundesaußenminister
Fischer dieser Tage meinte, die PDS ob ihrer Kriegsab-
lehnung beschimpfen zu müssen. Das buche ich unter
schlechtem Gewissen und Wahlkampf ab. Aber genau da-
rum sollte es heute in dieser Debatte nicht gehen.


(Eckart von Klaeden [CDU/CSU]: Warum sagen Sie es denn dann? – Zuruf von der SPD: Reden Sie einmal zum Thema!)


– Ich rede die ganze Zeit zum Thema Gewalt, darüber, wo
sie beginnt und welche schlimmen Auswirkungen sie ha-
ben kann.


(Beifall bei der PDS)

Ich sprach eingangs von einem Diskussionsabend mit

Jugendlichen einer Berliner Kirchengemeinde. Diese
Stimmung hat sich bei mir bis heute sehr tief eingegraben.
Ich habe die Stimmung erlebt, als auf dem Erfurter Dom-
platz der Opfer des Massakers gedacht wurde, fragend
nach dem Warum und trauernd. Ich fühle das noch immer.

Deshalb wünsche ich mir, dass wir es nicht bei dieser
vom Fernsehen übertragenen Stunde im Bundestag belas-
sen. Gewalt, Gesellschaft, Toleranz, Frieden, Werte – das




Dr. Wolfgang Gerhardt

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(D)



(A)



(B)


alles sind viel zu wichtige Themen, um sie parteipolitisch
zu missbrauchen. Wir jedenfalls wollen dies nicht.

Danke schön.

(Beifall bei der PDS)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1424701000
Das Wort hat
jetzt die Parlamentarische Staatssekretärin Edith Niehuis.

D
Dr. Edith Niehuis (SPD):
Rede ID: ID1424701100

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kolle-
gen! Anlass für die Debatte heute ist das schreckliche Er-
eignis in Erfurt, das uns daran erinnert hat, dass es immer
noch Gewalt und brutale Gewalt in der Gesellschaft gibt.
Im Moment des Geschehens neigen dann viele dazu, ein-
fache Rezepte zur Hand zu nehmen. Doch einfache Re-
zepte gegen Gewalt gibt es nicht. Insofern ist es gut, dass
wir erst etwas später, nämlich heute, nicht nur über dieses
eine Beispiel der Gewalt reden, sondern über Gewalt und
deren Ursachen schlechthin.


(Beifall bei der SPD)

Wenn die Gewalt erst einmal ausgebrochen ist, ist es

oft zu spät, an den hohen Wert friedlicher Konfliktlösun-
gen in unserer Gesellschaft zu erinnern. Darum sind wir
gefordert, auch dann, wenn kein Gewalttäter die Schlag-
zeilen unserer Medien beherrscht, über Gewalt zu reden.
Wir sind gefordert, schon die kleinsten Anzeichen von
Gewalt zu bekämpfen; denn auch hier würde Schweigen
bedeuten, dass wir Gewalt akzeptieren.

Darum ist es gut, dass wir in dieser Legislaturperiode
einige Programme auf den Weg gebracht haben, die ein
einziges Ziel haben: die Zivilcourage von Menschen zu
stärken, insbesondere auch gegen rechte Gewalt, und den
Opfern zu helfen. Denn es kommt mir zu wenig zur Spra-
che, dass Gewalt nicht nur einen Täter, sondern dass Ge-
walt immer auch viele Opfer hat.


(Beifall bei der SPD und der PDS sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Gewaltbereitschaft, Gewaltakzeptanz, Gewalthandeln
sind komplexe Phänomene. Sie haben ganz unterschiedliche
Erscheinungsformen, vielfältige Rahmenbedingungen, viel-
fältige Ursachen auf gesellschaftlicher und individueller
Ebene. Deshalb wird es wohl nie gelingen, Gewalt als eine
Form der Konfliktlösung aus unserer Gesellschaft ganz zu
eliminieren. Aber jeder Schritt zur Senkung der Gewaltbe-
reitschaft ist wichtig. Vieles hat mit Erziehung zu tun, einer
Erziehung zur friedlichen Konfliktlösung. Gefordert ist da-
bei – darauf wurde heute schon oft hingewiesen – zumeist
der Ort der primären Sozialisation, nämlich die Familie.
Sie gibt emotionalen Rückhalt und vermittelt Werte, wobei
nicht nur Worte, sondern auch Vorbilder zählen.

Wenn der Kreislauf der Gewalt durchbrochen werden
soll, dann muss in der Familie mit der Aufklärung darüber
begonnen werden, dass vermeintlich Stärkere kein Recht
haben, vermeintlich Schwächeren gewalttätig zu begegnen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der PDS)


Deshalb ist es ein großer Fortschritt, dass es in dieser Le-
gislaturperiode gelungen ist, den wichtigen Leitsatz „Kin-
der haben ein Recht auf gewaltfreie Erziehung“ gesetzlich
zu verankern.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der PDS)


Noch besser wäre es gewesen, wenn wir diesen Satz in das
Grundgesetz hineingeschrieben hätten.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der PDS)


Dann hätten wir ein sichtbares Fundament unserer zivili-
sierten Gesellschaft gehabt. Aber dafür braucht man eine
Zweidrittelmehrheit. Ein Satz in einem Gesetz bewirkt
natürlich noch keine Umorientierung hin zur gewaltfreien
Erziehung auf breiter Basis. Dazu bedarf es einer breit an-
gelegten Kommunikation in der Gesellschaft. Dieses Ziel
muss nicht nur akzeptiert, sondern auch in aktives Ver-
halten umgesetzt werden. Wir vom Familienministerium
haben deshalb die angesprochene Gesetzesänderung mit
vielen Vorortaktionen im Rahmen der Kampagne „Mehr
Respekt vor Kindern“ begleitet. Diese Kampagne ist er-
folgreich gewesen. Mittlerweile halten 85 Prozent der El-
tern eine gewaltfreie Erziehung für ein wichtiges Ziel. Mir
scheint das ein zukunftsweisendes Beispiel zu sein.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der PDS)


Es reicht eben nicht aus, nur Forderungen an die Fami-
lien heranzutragen. Familien brauchen auch Hilfsangebote.
Das Kinder- und Jugendhilfegesetz wurde dementspre-
chend geändert, damit sich verstetigt, dass die Familien,
die ihre Konflikte gewaltfrei lösen wollen, auch flankie-
rende Unterstützung bekommen. Denn Kinder wachsen
heute anders auf. Bei der Vermittlung von Werten müssen
Familien heute mehr denn je mit den Medien, mit den
Gleichaltrigengruppen, mit neuen Informations- und Kom-
munikationstechniken, über lange Zeit mit Kindergarten
und Schule sowie mit der Arbeitswelt der Eltern teilen.
Kinder wachsen also öffentlicher auf, was Eltern überfor-
dern und auch hilflos machen kann. Deshalb gibt es neben
der privaten Verantwortung der Familie immer auch eine
öffentliche Verantwortung für das Aufwachsen von Kin-
dern, wie jüngst im Elften Kinder- und Jugendbericht
noch einmal betont wurde.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der PDS)


Wer dies negiert und ausschließlich auf das private Recht,
die private Verantwortung der Familien verweist, lässt El-
tern alleine und bleibt Eltern und Kindern, insbesondere
den Familien in prekären sozioökonomischen Lebensla-
gen, etwas schuldig.

Die Fragen nach der privaten Qualität der Familie
und danach, ob wir in der Politik die Augen vor dem In-
nenleben der Familie verschließen dürfen oder nicht, ha-
ben uns in den Diskussionen, die wir in diesem Parlament




Petra Pau
24990


(C)



(D)



(A)



(B)


über Gewalt geführt haben, immer begleitet. Viele wich-
tige Entscheidungen wurden genau aus diesem Grund zu
lange hinausgezögert, vielleicht auch weil die vermeint-
lich Stärkeren zumindest im Privaten ihre Position wah-
ren wollten, ohne zu sehen, dass sie damit auch den Nähr-
boden für Gewalt pflegten. Es hat über 20 Jahre gedauert,
bis endlich in den 70er-Jahren die einer Demokratie un-
würdige Vorherrschaft des Mannes über die Frau in der
Ehe aus dem Gesetz gestrichen wurde. Über 40 Jahre, da-
von 20 Jahre aktive Debatte im Parlament, hat es gedau-
ert, bis endlich auch die Vergewaltigung in der Ehe unter
Strafe gestellt wurde.

Erst in diesem Jahr ist das neue Gewaltschutzgesetz in
Kraft getreten, das dafür sorgt, dass bei Gewalt in der Fa-
milie der Täter und nicht das Opfer die Ehewohnung zu
verlassen hat. Erst vor ein paar Jahren ist es gelungen, bei
sexuellem Missbrauch in der Kindheit die Verjährungs-
frist auszusetzen, damit die Opfer gerade auch Täter aus
ihrem sozialen Nahbereich später noch erfolgreich ankla-
gen können. Weil die Mehrheit im Parlament zu lange ge-
neigt war, diese Gewalt in der Familie stillschweigend zu
akzeptieren, haben wir wertvolle Jahre verloren, das Uns-
rige zur Senkung der Gewaltbereitschaft in der Gesell-
schaft zu tun.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der PDS)


Man darf nicht vergessen, dass die Familie die Keim-
zelle der Gesellschaft ist. Darum ist es gut, dass gerade in
dieser Legislaturperiode mehrere Gesetze und beglei-
tende Maßnahmen gegen Gewalt, auch gegen Gewalt in
der Familie, auf den Weg gebracht wurden. Dazu gehört
der Aktionsplan zur Bekämpfung von Gewalt gegen
Frauen.

Wenn wir es mit einer effektiven Gewaltprävention in
der Gesellschaft ernst meinen, dann brauchen wir eine kon-
sequent geschlechtsspezifische Sichtweise; denn männ-
liche Jugendliche wenden häufiger und brutaler Gewalt
an als weibliche. Unter den rechtsextremen Gewalttätern
sind weitaus mehr männliche als weibliche Täter. Weibli-
che Jugendliche hingegen neigen dazu, sich bei scheinbar
nicht zu lösenden Konflikten zurückzuziehen oder Gewalt
gegen sich selbst auszuüben. Wer hat nicht von Mager-
sucht gehört? Diese Tatsachen fordern eine konsequent ge-
schlechtsspezifische Ursachenanalyse und ebenso ge-
schlechtsspezifische präventive Strategien.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Ich bedauere es sehr, dass es bis heute nicht gelungen
ist, in der Jugendhilfe auch genügend Angebote einer
emanzipatorischen Jungenarbeit und einer emanzipato-
rischen Mädchenarbeit zu unterbreiten.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der PDS)


Gerade die Jugendhilfe kann viel tun – das zeigen viele
Beispiele –, um Gewalttendenzen vorbeugend entgegen-
zuwirken, die etwa dann entstehen, wenn junge Menschen
in sozialen Brennpunkten für sich keine Zukunft sehen,

wenn sie sich der Konkurrenzgesellschaft hilflos ausge-
setzt sehen, wenn es ihnen an Schlüsselqualifikationen
mangelt, um sich sozial und beruflich zu integrieren. Das
alles sind Rahmenbedingungen, die zum Nährboden für
Gewalt werden können, wenn es an Förder- und Unter-
stützungsmöglichkeiten mangelt. Den Jugendlichen, Frau
Merkel, fehlt dann genau das positive Selbstwertgefühl,
das sie doch so dringend brauchen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Mit den Programmen „Entwicklung und Chancen“ und
„Freiwilliges Soziales Trainingsjahr“ haben wir in den
letzten Jahren gute Integrationsergebnisse erreicht, sodass
wir diese Programme auch ausweiten möchten.

Es hat mich ein wenig erschreckt, dass Herr Merz als
Vorsitzender der CDU/CSU-Fraktion vor ein paar Tagen
ganz undifferenziert sagte, es gebe eine Sozialindustrie,
die davon lebe, das Problem nicht zu lösen.


(Walter Hirche [FDP]: Das stimmt leider! – Eckart von Klaeden [CDU/CSU]: Zitat bösartig verdrehen, um es dann zu widerlegen! – Dr. Hermann Kues [CDU/CSU]: Das hat er so nicht gesagt!)


– Im „Handelsblatt“ vom 28. Juni können Sie es nach-
lesen.


(Eckart von Klaeden [CDU/CSU]: Sie verdrehen das Zitat, um es dann zu widerlegen! Das ist kein seriöses Vorgehen!)


– Ich hätte es gern mit ihm diskutiert. Es hat mich, wie ge-
sagt, erschreckt.


(Eckart von Klaeden [CDU/CSU]: Sie stellen es in den falschen Zusammenhang!)


– Dann sagen Sie doch, dass Sie ganz anderer Meinung
sind!

Viele Jugendliche brauchen die „Sozialindustrie“,
brauchen die Netzwerke von Jugendhilfe, Schule und Be-
schäftigung, weil sie sonst keine Chance haben, ihr Pro-
blem zu lösen. Wenn wir auf die Programme, die Jugend-
lichen helfen, verzichten, dann sparen wir vielleicht an
dieser Stelle, aber – das ist das Problem – wir werden für
die innere Sicherheit sehr viel mehr Geld ausgeben müs-
sen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Zum Abschluss möchte ich noch auf eine Form von
Gewalt hinweisen, die in unserer Debatte zu wenig Auf-
merksamkeit findet, nämlich die Gewalt gegen Ältere.


(Walter Hirche [FDP]: Sehr wahr!)

Hierbei geht es oft um verborgene Gewalt in der Familie
und vielleicht auch in öffentlichen Einrichtungen. In ei-
nem dreijährigen Modellversuch haben wir versucht zu
sensibilisieren und haben auch Hilfsangebote evaluiert.
Das reicht jedoch nicht. Die demographische Entwick-
lung zeigt: Der Druck und mit ihm auch die Überforde-
rung vieler Einzelner werden stärker. Darum wird sich der




Parl. Staatssekretärin Dr. Edith Niehuis

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nächste Bundestag verstärkt den Folgen der demographi-
schen Entwicklung widmen müssen. Wenn es eine New
Economy gibt, dann liegt sie weniger in neuen Sende-
masten und Satelliten, sondern sie liegt im Bereich der Al-
tenbetreuung, was aus ökonomischer, arbeitsmarktpoli-
tischer und sozialpolitischer Sicht, aber auch im Sinne der
Gewaltprävention notwendig ist.

Nachdem ich die Bundestagsdebatten nun 16 Jahre
verfolgen konnte und immer wieder sehen durfte, was in
der Kernzeit diskutiert wird und was nicht in der Kernzeit
debattiert wird, bitte ich all diejenigen, die demnächst im
Ältestenrat die Tagesordnungen des Deutschen Bundes-
tags aufstellen: Denken Sie doch auch einmal an die The-
men, die so viele Menschen direkt angehen, zum Beispiel
Altenbetreuung, zum Beispiel Gewalt gegen Ältere!
Diese Themen sollten auch einmal in der Zeit von 9 Uhr
bis 12 Uhr debattiert werden


(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


und nicht immer erst um 23 Uhr, wenn Reden oft zu Pro-
tokoll gegeben werden und eh schon alle im Bett sind. Wir
überschätzen uns, wenn wir meinen, dass die theoreti-
schen Debatten über Wirtschaftspolitik das seien, was die
Herzen der Menschen wirklich erreiche. Das tun andere
Themen.

Da ich demnächst – ganz freiwillig – aufhöre, wünsche
ich Ihnen alles Gute für die nächste Zeit. 16 Jahre Parla-
mentarier sein zu dürfen hat mir unwahrscheinlich viel
Spaß gemacht. Es hat mir Spaß gemacht, mit meiner Frak-
tion, aber auch mit der CDU/CSU und den anderen Op-
positionsparteien zusammenzuarbeiten.


(Zuruf von der FDP: Mit den Niedersachsen!)

– Insbesondere hat es mir natürlich Spaß gemacht, mit den
Niedersachsen zusammenzuarbeiten. – Alles Gute für die
Zukunft!


(Beifall im ganzen Hause – Eckart von Klaeden [CDU/CSU]: Das ist der Niedersachsen-Applaus!)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1424701200
Frau Kollegin
Niehuis, ich möchte Ihnen im Namen des ganzen Hauses
für den guten parlamentarischen Rat, erfahrungsgesättigt
aus 16 Jahren guter parlamentarischer Tätigkeit, danken.


(Beifall)

Das Wort hat jetzt der Ministerpräsident des Landes

Thüringen, Bernhard Vogel.


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1424701300

Sehr verehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Da-
men und Herren Abgeordnete! Ich bin im Namen der
Stadt Erfurt und des Landes Thüringen sehr dankbar
dafür, dass diese Debatte, um die ich die Fraktionsvorsit-
zenden unmittelbar nach der Tat gebeten habe, heute statt-
findet. Jeder wird verstehen, dass ich mich in dieser De-
batte zu Wort melde. Dadurch wird gleichzeitig deutlich:
Das ist nicht nur ein Thema für den Bundestag, sondern

selbstverständlich auch für die Mitglieder des Bundes-
rates.

Eine Schülersprecherin des Gutenberg-Gymnasiums
hat unmittelbar nach der schrecklichen Tat gesagt:

Die Ereignisse dürfen nicht zu Aktionismus führen,
sie dürfen aber auch keine Lähmung verursachen.

Natürlich muss alles Menschenmögliche getan werden,
um für die Zukunft eine ähnliche Tat auszuschließen, auch
wenn wir wissen, dass uns dabei Grenzen gesetzt sind.
Das heißt: Wir müssen einerseits Gesetze überprüfen;
aber wir müssen nach meiner Überzeugung andererseits
mehr als das tun.

Wie aus den bisher gehaltenen Reden hervorgegangen
ist, geht es um grundsätzliche Fragen, die nicht allein die
Politik, sondern die ganze Gesellschaft beantworten muss:
Wie kommt es in Deutschland zu wachsender Ge-
waltbereitschaft? Wie kann Gewalt geächtet werden?
Warum schwindet der Respekt vor der Würde des mensch-
lichen Lebens? Wie kann die Achtung vor dem Leben
Mord und Selbstmord verhindern? Wie wehren wir uns
gegen Vereinsamung und Entwurzelung? Was sind die
Rechte und was sind die Pflichten der Eltern und der Fa-
milien? Was ist die Aufgabe der Schule? Welche Stellung
haben die Lehrer in unserer Gesellschaft? Welche Werte
werden von uns allen anerkannt?

In einem sind wir uns ganz offensichtlich alle einig:
Wir verachten Gewalt und Terror. Gewalt will den Willen
eines anderen Menschen gewaltsam brechen. Wir aber
wollen nicht, dass Gewalt und Terror erfolgreich sind,
auch nicht im Spiel und auch nicht in virtuellen Schein-
welten.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Dieter Dzewas [SPD])


Wenn wir über die Ursachen von Hass, Gewalt und
Terror sprechen, dann müssen wir darüber reden – dazu ist
schon einiges gesagt worden –, welches Bild vom Men-
schen wir haben, wie wir unsere Werte definieren. Wir er-
warten von den Lehrerinnen und Lehrern ganz selbstver-
ständlich – das sagen wir häufig auch –, dass sie unsere
Kinder erziehen und ihnen ein Welt- und Wertebild ver-
mitteln, während wir uns selbst im Unklaren darüber sind,
was für ein Weltbild das eigentlich sein soll.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Entscheidend bleibt, dass für uns die Unverwechsel-

barkeit und die Einzigartigkeit des Menschen und seine
persönliche Würde im Mittelpunkt stehen. Der Mensch
ist im Mittelpunkt aller politischen, wirtschaftlichen und
wissenschaftlichen Entscheidungen und allen gesell-
schaftlichen Handelns zu sehen.

In unserem Grundgesetz sind die Folgerungen, die vor
über 50 Jahren aus der Entpersonalisierung des Men-
schen, aus seiner Unterdrückung, Entrechtlichung und
Unterordnung unter eine menschenfeindliche Ideologie
durch den nationalsozialistischen Unrechtsstaat gezogen
wurden, manifest. Mit der Verpflichtung des Staates, die
Unantastbarkeit der Würde des Menschen zu achten und
zu schützen, und mit der Aufnahme von Grundrechten
– im Gegensatz zur Weimarer Verfassung – hat das




Parl. Staatssekretärin Dr. Edith Niehuis
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(B)


Grundgesetz eindeutig Stellung bezogen gegen Beliebig-
keit, gegen Wertneutralität, gegen einen totalitären Kol-
lektivismus und gegen die Abwertung des Menschen zu
einem Objekt des Staates.

Nach unserem Grundgesetz steht der Mensch – und
nicht der Staat – an erster Stelle. Das schafft die Vorausset-
zungen dafür, dass sich unter dem Dach des Grundgesetzes
verschiedene Meinungen, Haltungen und Weltanschauun-
gen entfalten können. Das Grundgesetz setzt den Rahmen,
der ausgefüllt werden muss; es ermöglicht Toleranz, weil es
der Freiheit des Einzelnen dort eine Grenze setzt, wo
Würde und Freiheit des Nächsten beginnen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Es verlangt Verantwortung von jedem Einzelnen für den
anderen, für das Gemeinwesen, für Demokratie; denn
Freiheit ohne Verantwortung führt in die Unfreiheit.

Wir müssen Übereinstimmung darüber erzielen, was
sich aus der Unantastbarkeit der Menschenwürde er-
gibt: Verachtung und Verhinderung von Gewalt gegen an-
dere, insbesondere Andersdenkende, mitmenschliche So-
lidarität, soziale Gerechtigkeit und ein fairer Ausgleich
von Interessen. Helmut Schmidt hat es einmal klar ausge-
drückt – ich darf ihn zitieren –:

Wenn die Übereinstimmung in elementaren Grund-
werten und Grundauffassungen fehlt, dann sind Frei-
heit und Würde des Menschen gefährdet. Eine Ge-
sellschaft, in welcher der Konsens über elementare
Grundwerte verloren gegangen ist, treibt auf Anar-
chie zu.

Helmut Schmidt hat Recht. Werden Menschenrechte nur
unter Zwang anerkannt, werden Werte nicht vorgelebt,
dann ist Toleranz nicht mehr als eine desinteressierte Dul-
dung von Andersdenkenden und Anderslebenden, eine
Duldung, die schnell in Verächtlichmachen, in Spott, in
Hass und schließlich in Gewalt umschlägt.

Meine Damen und Herren, in Deutschland sprechen
wir gerne von einer Kultur der Bildung und von einer
neuen Kultur der Werte. Meine Überzeugung ist: Zu-
nächst müssen wir vor allem von einer neuen Kultur des
Zuhörens sprechen,


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Michael Müller [Düsseldorf] [SPD])


von einer Kultur des Sich-gegenseitig-Kennenlernens und
einer Kultur des Aufeinanderachtens. Wir müssen Sprach-
losigkeit überwinden und die drohende Kluft zwischen
den Generationen überbrücken. Wir brauchen eine Kultur
des Miteinandersprechens, die Verständnis und Respekt
schafft und die Gefahr eines Zusammenpralls vermindert.

Dass Ältere vielfach nicht wissen, was junge Men-
schen bewegt, dass viele von uns nicht wissen, womit
junge Menschen ihre Freizeit verbringen, dass sie sich
hinter verschlossenen Türen mit Gewalt verherrlichenden
Computerspielen beschäftigen, muss uns beunruhigen
und fordert Eltern, Familien, Lehrer, Erzieher, Mitschüler
und uns Politiker heraus. Weil Erziehung in der Familie

beginnt, müssen wir über die Rechte und Pflichten spre-
chen, die den Eltern bei der Vermittlung von Grundwer-
ten zukommen. Im Elternhaus wird der Grundstein für die
Bildung jeder Persönlichkeit gelegt. Deswegen müssen es
Kinder spüren, wenn sie als lästig empfunden werden.
Wer ungestörten Fernsehkonsum mehr schätzt als die Be-
schäftigung mit seinen Kindern, darf sich später nicht
über Lieblosigkeit, Gewaltbereitschaft und extremes
Denken wundern.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Kinder können nur Orientierung finden, wenn sich ihre

Eltern zu ihnen bekennen, wenn sie sich ihnen widmen,
wenn sie ihnen Aufmerksamkeit schenken, wenn sie sich
Zeit für sie nehmen. Es ist heutzutage erfreulicherweise
populär, sich zu einer Politik zu bekennen, die die Fami-
lien unterstützt und ihnen eine stabile materielle Grund-
lage schafft. Das ist gut so. Aber das ist nur die eine Seite.
Es kommt mindestens ebenso darauf an, dass sich Eltern
ihrer Verantwortung für die Erziehung der Kinder bewusst
sind.

Natürlich dürfen wir Eltern dabei nicht allein lassen.
Die Rahmenbedingungen müssen stimmen. Eltern müs-
sen auch hier Hilfe erfahren. Wir müssen zum Beispiel Fa-
milienberatungs- und Betreuungseinrichtungen stärken
und ihr Angebot bekannter machen. Aber Kindergärten,
Kinderhorte, Schulen und außerschulische Betreuung
müssen die Erziehung in der Familie altersgemäß ergän-
zen und unterstützen; ersetzen können weder der Lehrer
noch die Kindergärtnerin die Familie.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Weil, wie ich glaube, Bildung ohne Erziehung ebenso

wenig möglich ist wie Erziehung ohne Bildung, greifen
die Erziehungsaufträge von Eltern und Schulen eng in-
einander. Die Schule muss mehr sein als eine Anstalt zur
Stoffvermittlung. Schulen sind auch dazu da, Werte zu
vermitteln. Das durfte man vor 15, 20 Jahren nicht laut sa-
gen. Darum freue ich mich, dass man heute sogar Beifall
bekommt, wenn man sagt, Schulen sind auch dazu da,
Werte zu vermitteln.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Wichtig ist Mut zur Erziehung. Erziehung gedeiht mit

Zuwendung, aber auch mit Regeln und Grenzen, mit
Liebe, aber nicht Beliebigkeit. Erziehung lebt vom Vor-
bild. Das gilt sowohl für Eltern wie für Lehrer.

Wir haben es doch in Erfurt erlebt, wie sehr sich Leh-
rerinnen und Lehrer dieser Vorbildfunktion bewusst ge-
wesen sind. Das Wohl und die Unversehrtheit ihrer
Schüler haben Lehrer des Gutenberg-Gymnasiums so
wichtig genommen, dass sie dafür ihr eigenes Leben ein-
gesetzt haben. Eine Lehrerin ist dreimal in die Schule
zurückgekehrt, um Kinder aus der Schule zu retten, und
beim dritten Mal erschossen worden.

Bessere Vorbilder für Mitmenschlichkeit kann es nicht
geben. Deswegen muss die Lehre aus Erfurt auch sein,
dass dem Beruf des Lehrers in der Öffentlichkeit mehr
Hochachtung entgegengebracht wird.


(Beifall im ganzen Hause)





Ministerpräsident Dr. Bernhard Vogel (Thüringen)


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Wir wissen doch, dass Lehrer nicht selten vor der schier
unlösbaren Aufgabe stehen, Sozialarbeiter, Erzieher, Bil-
dungsvermittler, Autoritäts- und Vertrauensperson in ei-
nem sein zu müssen. Es ist eine gute Entscheidung, Leh-
rer werden zu wollen, und es ist ein wichtiger Dienst für
unsere ganze Gesellschaft, wenn einer ein guter Lehrer
oder eine eine gute Lehrerin ist.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der PDS)


Bei der Diskussion über die Zukunft unserer Schulen,
die ja in vollem Gange ist, sollten wir uns deshalb nicht
von pädagogischen Mythen beeinflussen lassen. Das Bild
eines angeblich begeistert selbst lernenden Schülers, dem
nur ein Lernmoderator zur Seite gestellt werden müsse,
entspricht vielleicht den Vorstellungen einer Spaßgesell-
schaft, aber nicht den Realitäten. Der Lehrer bleibt die
entscheidende Person im Unterricht.


( V o r s i t z : Vizepräsident Dr. h. c. Rudolf Seiters)


Der Unterricht, der gelenkte Erwerb von Wissen, Können
und Urteilsfähigkeit, ist zentrale Aufgabe der Schule und
nicht lästige Unterbrechung des Kindseins.

Aufgabe von Erziehung und Schule ist es, auf das Le-
ben als Erwachsener vorzubereiten. Wer Erzieher sein
will, muss Vorbild sein und junge Menschen zum Leben
ermutigen. Nach der Veröffentlichung der PISA-Studie
hieß es, die Schule müsse leistungsorientierter werden,
und nach dem Geschehen von Erfurt warnten manche,
man dürfe nicht länger von Wettbewerb und Leistung
sprechen. Der Herr Bundespräsident hat die richtige Ant-
wort gefunden, wenn er sagt: Ohne Leistung, ohne Leis-
tungsbereitschaft wäre jede Schule wirklichkeitsfremd. –
Ich füge hinzu: Vor Wettbewerb und Konkurrenz dürfen
wir unsere Kinder nicht schützen. Wir müssen sie lehren
und sie müssen lernen, damit umzugehen. Darum geht es.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Es gilt, zu fördern und zu fordern, aber nicht zu über-

fordern. Es wird auch in Zukunft so sein, dass es Begabte
und weniger Begabte gibt. Aber das ist nicht entschei-
dend. Entscheidend ist, dass es unterschiedlich veranlagte
Menschen gibt. Jeder muss seine Chance bekommen. Je-
dem nur ein und dieselbe Chance zu geben wäre unge-
recht. Gerecht ist es, jedem seine Chance zu geben.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Das heißt, Eltern müssen bereit sein, ihr Kind die

Schule besuchen zu lassen, die den Fähigkeiten dieses
Kindes gerecht wird – und nicht den Wunschvorstellun-
gen der Eltern. Die Eltern brauchen für das Treffen der
richtigen Entscheidung den Rat und die Hilfe des Lehrers.
Sie tun Kindern nichts Gutes, wenn sie sie auf eine Schule
schicken, in der sie permanent überfordert werden. Sie tun
ihnen aber auch dann nichts Gutes, wenn sie sie jahrelan-
ger Unterforderung aussetzen.

Nach dem Geschehen am Gutenberg-Gymnasium ist
eine grundsätzliche Debatte notwendig, so wie wir sie
heute hier führen. Sie wird auch in Zukunft notwendig

sein. Darüber hinaus sind konkrete Änderungen von Ge-
setzen und Verordnungen des Bundes und der Länder
erforderlich. Natürlich muss das Leben nach der Bluttat
weitergehen. Aber wir dürfen nicht den Eindruck er-
wecken, als ob wir nach dem Geschehen unverändert in
den Alltag zurückkehrten.

Ich bin sehr dankbar, dass es Bundestag und Bundesrat
in großer Einmütigkeit gelungen ist, das Waffenrecht noch
vor der Sommerpause zu novellieren. Es war doch selbst-
verständlich, dass wir uns nach der Bluttat von Erfurt die-
ses Gesetz noch einmal sehr genau angesehen haben. Das
Ergebnis ist: Ein 19-Jähriger kann jetzt nicht mehr einen
Revolver oder gar eine Pumpgun legal erwerben.

Ich bin dankbar, dass unter dem Eindruck der Tat von
Erfurt eine Novellierung des Jugendschutzgesetzes sehr
zügig vorgenommen worden ist. Wir haben im Bundesrat
– wie Sie im Bundestag – zugestimmt, auch wenn wir
Nachbesserungen für notwendig halten. Dazu gehört bei-
spielsweise das Verbot so genannter Killerspiele. Der
Herr Bundeskanzler hat zugesagt, sich für ein Verbot die-
ser Spiele, bei denen Tötungshandlungen simuliert wer-
den, einzusetzen. Er muss seine Zusage einlösen. Es ist für
mich nicht nachvollziehbar, dass die Schutzbestimmun-
gen bei Spielautomaten im Jugendschutzgesetz nicht ver-
schärft, sondern gelockert worden sind.


(Jörg Tauss [SPD]: Mit Ihrem Schulgesetz!)

Wir brauchen ein Verleihverbot schwer jugendgefähr-

dender Videofilme und Computerspiele, unabhängig vom
Alter. Dafür müssen die entsprechenden Bestimmungen
im Jugendschutzgesetz geändert werden. Daneben müs-
sen wir Änderungen des Strafgesetzbuches vornehmen.
Wir müssen zum Beispiel ein Verbot der Darstellung von
Gewalttätigkeiten an menschenähnlichen Wesen in allen
Medien und ein Verbot der Darstellung der Tötung von
Menschen in Computerspielen erreichen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Das ist bisher noch nicht geschehen und wird in dieser Le-
gislaturperiode leider nicht mehr verwirklicht werden.
Aber es bleibt selbstverständlich auf der Tagesordnung.

Ich begrüße es, dass unter dem Eindruck des Gesche-
hens von Erfurt die Regierungschefs der Länder und der
Bundeskanzler die Einrichtung eines runden Tisches ge-
gen Gewalt in den Medien vereinbart haben. An diesem
runden Tischwerden neben dem Bundeskanzler und den
Vorsitzenden der Kultusministerkonferenz und der Rund-
funkkommission die Vertreter der Medien selbst Platz
nehmen. Wir wollen die Kontrollmechanismen gegen die
Darstellung extremer Gewalt im Rundfunk, auf Videos
und im Internet verbessern. Diesem Ziel dient auch der in
Vorbereitung befindliche Jugendmedienschutz-Staatsver-
trag, den wir hoffentlich in Bälde unterzeichnen können.

Wir Ministerpräsidenten haben darüber hinaus be-
schlossen, die Arbeitsgruppe „Gewaltprävention“ einzu-
richten, die den Auftrag hat, ein abgestimmtes Hand-
lungsprogramm zu entwickeln, das die Erziehungskraft
von Schule und Familie stärken und die Wertorientierung
von Kindern und Jugendlichen fördern soll. Natürlich
müssen auch die Sicherheitsstandards an den Schulen




Ministerpräsident Dr. Bernhard Vogel (Thüringen)

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überprüft werden. Aber 40 000 Schulen in Deutschland
kann man nicht zu Festungen ausbauen. Selbst wenn man
es könnte – wir wollen das nicht.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Schulen müssen offene Orte der Begegnung bleiben. Eine
eingemauerte Gesellschaft wollen wir nicht.

Die Bluttat von Erfurt, der Mord an 16 Menschen, hat
in Deutschland, in Europa und weltweit tiefe Betroffen-
heit ausgelöst. Sie hat aber auch – einige Redner haben
das bereits aufgegriffen – in einem ungewöhnlichen Aus-
maß Hilfsbereitschaft, Zusammengehörigkeit, Solidarität
und Mitmenschlichkeit deutlich werden lassen. Von der
einen auf die andere Stunde wurde sichtbar, dass es in un-
serem Volk viel mehr Gemeinsamkeit und Gemeinsinn
gibt, als wir das zuvor für möglich gehalten haben. Heute
wissen wir: Erfurt ist nicht zu einem Synonym für eine
schreckliche Bluttat geworden. Von dieser Stadt geht viel-
mehr auch Hoffnung aus. Die Botschaft heißt – ich
wiederhole, was ich auf der Trauerfeier gesagt habe –:
Mitmenschlichkeit ist in Deutschland keine verloren ge-
gangene Tugend.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Nur, diese Botschaft muss weiter wirken. Es muss gelin-
gen, was Johannes Rau auf dem Domplatz in Erfurt gesagt
hat: Wir müssen einander achten; wir müssen aber auch
aufeinander achten. – Das muss auch dann gelten, wenn
wir uns im Wahlkampf befinden, unterschiedliche An-
sichten und Absichten vertreten und wir heftig und lei-
denschaftlich streiten. Ich frage mich, ob das nicht mit et-
was mehr Respekt und Hochachtung voreinander geht
und ob das nicht in einem etwas anderen Geist und in ei-
nem etwas anderen Ton möglich ist.


(Jörg Tauss [SPD]: Siehe Ausländergesetz!)

Geht das nicht mit besseren Argumenten und weniger
Tricks und weniger Raffinesse?

Die heutige Debatte kann zum Beweis dafür werden,
dass wir aus dem Verbrechen von Erfurt tatsächlich Kon-
sequenzen ziehen. Zur Stärkung einer demokratischen
und offenen Gesellschaft gehört es, bei allen notwendigen
politischen Auseinandersetzungen Einigkeit über die
Grundsätze unseres Zusammenlebens herrschen zu las-
sen. Wir treten Gewalt und Intoleranz sowie jeder Relati-
vierung von Hass entschieden entgegen. Die Opfer von
Erfurt hätten es nicht nur verdient, dass wir um sie trau-
ern und ihren Angehörigen diese Trauer mitteilen, son-
dern auch, dass wir das im Alltag nicht vergessen und uns
dem, was geschehen ist, im Hinblick auf die Art und
Weise, wie wir miteinander umgehen, verpflichtet fühlen.

Danke.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1424701400
Ich erteile
das Wort der Kollegin Dr. Antje Vollmer. Sie spricht für
die Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen.


Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1424701500

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist
gut für dieses Parlament – das ist auch eines seiner Qua-
litätsmerkmale –, dass wir uns dieser Debatte stellen zu ei-
nem Zeitpunkt, da wir noch einen Berg von Gesetzen vor
uns haben. Ich finde es auch gut, dass heute, wo man
schon überall in der Argumentation den hitzigen Wahl-
kampf verspürt, solche Töne im Wesentlichen außen vor
bleiben.

Woher kommt Gewalt in die Gesellschaft? Dies scheint
eine philosophische, existenzielle Frage zu sein. Aber ei-
gentlich ist diese Frage falsch. Die Gewalt ist in der Ge-
sellschaft, nicht als Manifestation eines abstrakten Bösen
– worüber immer wieder geredet wird –, sondern wegen
der Schwäche der Gesellschaften, stabile, dauerhafte Re-
geln zu finden, die die Gewalt einzudämmen in der Lage
sind. Diese Regeln interessieren mich, über sie möchte ich
ein bisschen nachdenken.

Wenn man nicht fragen kann, woher Gewalt in die Ge-
sellschaft kommt, weil sie vorhanden ist, so kann man
doch nach den Zeiten fragen, in denen Gewaltbereit-
schaft, Gewaltaktionen und Gewaltphantasien zunehmen.
Es wird deutlich, dass dies insbesondere dann passiert,
wenn sich Gesellschaften in extremem Stress befinden,
unter extremem Veränderungsdruck.Das betrifft unsere
Gesellschaft nicht nur im Innern, sondern auch im Äuße-
ren, also auch die Weltgesellschaft. Ich glaube, dass alle
Globalisierungsgesellschaften einen enormen Druck zu
verarbeiten haben; sie sind enormer Verunsicherung und
enormen Existenzängsten ausgesetzt und damit all dem,
was damit zu tun hat, also auch enormen Gewalt- und
Kränkungsphantasien.

In der Regel haben die Gesellschaften ihre Gesetze im
Umgang mit der Gewalt nicht vorausschauend, also auf
kommende Gewalt hin, geschaffen, sondern aufgrund der
Summe der erlebten Erfahrungen mit Gewalt. Es ist der
erfahrene Absturz in die Gewalt, der die Gesellschaften
dazu gebracht hat, entsprechende Gesetze zu schreiben
und sie in der Gesellschaft zu verankern.

Ein herausragendes Beispiel ist unser Grundgesetz.
Die Begründung für dieses Gesetz war gerade, Gewalt ab-
zuwenden, und zwar vor dem Hintergrund der Erfahrung
der totalitären Gewalt, vom Staat organisiert. Deshalb hat
man als Basis aller Gesetze die Sicherung der Freiheit des
Einzelnen gegen die totalitäre Staatsgewalt formuliert. –
Übrigens sind auch die Regeln aller großen Religionen
Antworten auf die Erfahrungen, welche Unfrieden, Gewalt-
bereitschaft, Aggression und hitzige Leidenschaften in der
Gesellschaft hervorrufen, sei es nun das Verbot des Steh-
lens, des Lügens oder des Ehebrechens. Sie hatten immer
zum Ziel, die Gesellschaften im Inneren stabil zu halten.

Heute befinden wir uns ebenfalls in einer Verände-
rungsphase. Allerdings geht nun nicht mehr die Hauptge-
walt vom Staate aus, sondern von der verunsicherten Ge-
sellschaft, aus ihrem Inneren: aus den Verteilungskämpfen,
aus den Kränkungen und aus der Unsicherheit, nicht zu
wissen, was sein wird, wenn sich alle Veränderungen voll-
zogen haben. Dies war insbesondere in den neuen Län-
dern sehr intensiv. Die Menschen dort wussten nicht, was
danach von ihren alten Lebensgewohnheiten noch Geltung




Ministerpräsident Dr. Bernhard Vogel (Thüringen)


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hat, was von ihrem Gelernten noch wichtig ist, welchen
Status sie haben werden, welche Konkurrenten ihnen ge-
genüberstehen werden, ob sie überhaupt noch Existenz-
möglichkeiten haben.

Deswegen ist die entscheidende Frage: Hat die Gesell-
schaft noch die Kraft, sich unter diesem enormen Verän-
derungsdruck Regeln eines neuen Zusammenlebens zu
geben? Das genau ist die Frage nach der Zivilisation. Im
Kern geht es nicht um die Fähigkeit der Politik, Gebote
wehrhaft durchzusetzen, sondern um die Substanz unse-
rer Gesellschaft, die aus eigener Erkenntnis, aus eigenem
Willen und aus eigener Überzeugung Regeln einhält und
sich selbst so stabil macht. Über diese Regeln möchte ich
jetzt sprechen.

Es wurde insbesondere über die Frage der Medien ge-
sprochen. Es wird versucht, Konsequenzen für den Be-
reich der Medien und der elektronischen Welten zu zie-
hen. Ich finde, das ist ein sehr schwieriges Unterfangen.
Ist Gewalt in Bild und Wort die vorherrschende Sprache
der Medien bei uns? Dürfen und sollen sie Gewaltszenen
zeigen? Ist es ein magischer Prozess, dass die Gewalt auf
diese Weise leichter aus dem Bild in die Wirklichkeit
springt, also aus der Sphäre der Medien ins reale Leben?
Ich glaube, dass die entscheidende Gefahr tatsächlich
nicht hier liegt. Kein Journalist der Welt wird auf Dauer,
und sei es auch aus rein pädagogischer Absicht, darauf
verzichten, die Gewalt abzubilden und zu beschreiben,
die er erlebt und die er erfährt.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der PDS)


Von daher stimmt der alte Satz, dass der „Spiegel“ der
Spiegel ist. Die Menschen sind neugierig und sie wollen
die Wahrheit wissen. Deswegen werden sie immer so
dicht herangehen, wie es nur geht.

Die wirkliche Gefahr der Medien liegt in ihrer Mög-
lichkeit, Kampagnen und Jagden zu inszenieren und die-
sen Kampagnen und Jagden ein Ziel vorzugeben. Medien
können – das ist eine neue Qualität, weil wir es zum ers-
ten Mal mit weltweiten Medien zu tun haben – eine Arena
bilden, manchmal weltweit, in der sie die Sündenböcke
benennen, die für ein falsches Gemeinschaftsgefühl ge-
opfert werden sollen. Bei solchen Jagden erleben Gewalt
sowohl diejenigen, die im Zentrum dieser Arena sind, als
auch jene, die zuschauen und die einbezogen werden: als
Mittäter, als Mitläufer, als Voyeure.

Das Problem in Bezug auf Medien ist also nicht, was
diese abbilden und zeigen, sondern ist jene unsichtbare
Gewaltbereitschaft, die sie wachrufen, die allerdings
schon vorher da war und die genau auch der Stoff der
großen Populisten ist: dieses Ausmachen von Sünden-
böcken, dieses Erzeugen von Jagdbereitschaft, ohne dass
Verantwortung und Schuld individuell abgewogen und
Unschuld geprüft worden wäre. Ich glaube, dass Robert
Steinhäuser in dem Sinne ein Sündenbockjäger war, weil
er dem Wahn erlegen ist, die Lehrer als vermeintliche
Gruppe der Sündenböcke ausgemacht zu haben. Dieses
Gefühl der Einsamkeit desjenigen, der einen unausge-
sprochenen Auftrag ausführt, ist sehr bedrohlich. Wir
müssen darüber nachdenken, welche nicht verbalisierten

Botschaften Gesellschaften ihren jungen Leuten zukom-
men lassen, welche Heldenbilder sie ihnen – meistens
nicht öffentlich besprochen – vorgaukeln, welche Sün-
denböcke sie ihnen als die eigentlich zu Bestrafenden vor-
spiegeln. Darum muss es in der Debatte in unserer Ge-
sellschaft gehen. Wir müssen fragen: Wie verständigen
wir uns untereinander noch einmal neu über die Regeln
unserer Gemeinschaft?

Dazu sage ich, wie viele meiner Vorredner: Erfurt war
in diesem Sinne ein ganz wunderbares Beispiel. Jeder hat
unterschiedliche Erinnerungen im Kopf, ich zum Beispiel
diesen wirklich wütenden Ton der Schülerin, die einem
Journalisten gesagt hat: „Hört doch endlich auf, uns hier
abzubilden!“, weil sie die Kamera direkt vor ihrem Ge-
sicht nicht mehr ertragen konnte, weil sie Zeit brauchte für
Ruhe und Trauer. Ich habe auch gesehen, dass in dieser
Stadt Erfurt gerade wegen der erfahrenen Gewalt so etwas
wie eine neue Zivilisation des Miteinanders und der Ver-
ständigung darüber, dass man Gewalt nicht mehr zulassen
wird, entstanden ist. Das war sehr erstaunlich. Besonders
erstaunlich war, dass in dieser Atmosphäre einer neuen Ver-
ständigung die Eltern von Robert Steinhäuser diesen tief-
traurigen Brief geschrieben haben – und zwar an ihre Um-
gebung, nicht an irgendeine anonyme Sündeninstanz –, in
dem es hieß, sie hätten noch nicht einmal Zeit gehabt, um
ihren Sohn zu trauern. Ich glaube aber, dass die Stadt Erfurt
auch diesen Eltern die Gelegenheit gegeben hat, um ihren
Sohn zu trauern; denn gelungene Gewaltprävention heißt,
dass man Solidarität erfährt für das Misslingende und dass
man immer wieder die Chance zu Neuanfängen und Neu-
eingliederungen hat.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN, der SPD und der PDS)


Ich habe nicht mehr die Zeit, um über Bildung und Bil-
dungsinhalte zu sprechen, deshalb nur noch ein letztes
Wort: Es ist außerordentlich wichtig, dass wir nicht nur die
Form, die Methode und die Modernisierung der Bildung
besprechen, sondern dass wir auch die Ergebnisse einer
Untersuchung über jugendliche Gewalttäter berücksichti-
gen, die festgestellt hat: Ihnen allen war gemein, dass sie
keinen intensiven Kontakt zu musischer Bildung hatten.


(Beifall bei der SPD und der PDS)

Ich halte den Satz von Otto Schily, dass die Schließung

einer Musikschule ein Angriff auf die öffentliche Sicher-
heit ist, für eine kluge und bedenkenswerte Aussage.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der PDS)


Das gilt auch, Herr Ministerpräsident – Sie sind als großer
Landesvater gerühmt worden –, für die Schließung oder
die Fusion von Theatern, beispielsweise in Weimar, und
für die Schließung von Bibliotheken. Dieser Satz spricht
gegen die Streichung aller Einrichtungen, in denen sich
Jugendliche treffen und sich ohne den Druck einer nur
leistungs- und stressorientierten Gesellschaft beschäfti-
gen können.

Vielen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der PDS)





Dr. Antje Vollmer
24996


(C)



(D)



(A)



(B)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1424701600
Für die
FDP-Fraktion spricht der Kollege Dr. Karlheinz
Guttmacher.


Dr. Karlheinz Guttmacher (FDP):
Rede ID: ID1424701700
Herr Präsident!
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Ereignisse
am Gutenberg-Gymnasium dürfen nicht zu Aktionismus
führen, sie dürfen aber auch keine Lähmung verursachen.
Ja, Herr Ministerpräsident Vogel, auch mich haben die
von Ihnen zitierten Worte der Schülerin des Gutenberg-
Gymnasiums tief beeindruckt. Diese Worte fordern uns
heute regelrecht zu unserer Diskussion heraus, um über
die Art zu befinden, in der wir miteinander umgehen und
miteinander leben. Wir müssen uns fragen, welche Werte
unsere Gesellschaft tragen und welche Bedeutung Fami-
lie, Erziehung und Bildung haben. Darüber ist die Dis-
kussion in den Familien, in den Schulen, in den Vereinen
und Verbänden, in den Kommunen und Landtagen, im
Bundesrat, aber auch hier im Deutschen Bundestag zu
führen.

Die Ursachen der Gewalt sind vielfältig und komplex.
Deshalb muss die Bekämpfung der Gewalt auch entspre-
chend umfassend sein. Zu den wichtigsten Ursachen der
Gewalt gehören auch und in besonderem Maße in den
neuen Bundesländern Arbeitslosigkeit und damit vorhan-
dene Perspektivlosigkeit der Jugend, Gewalt in den Me-
dien sowie Gewalt und Lieblosigkeit in der Erziehung.

Der Abbau der Jugendarbeitslosigkeit wird nur er-
reicht werden können, wenn die Rahmenbedingungen am
Standort Deutschland wieder stimmen. Dies kann nur
durch einen konsequenten Bürokratieabbau, eine umfas-
sende Arbeitsmarktreform, ein vereinfachtes Steuersys-
tem, aber im Besonderen durch eine mutige Bildungs-
reform erfolgen.


(Beifall bei der FDP)

Mittelständische Unternehmen müssen besonders in

den jungen Bundesländern wieder stärker unserer jungen
Generation eine berufliche Erstausbildung ermöglichen
und ihnen nach der Ausbildung ein Beschäftigungsver-
hältnis anbieten.

Meine Damen und Herren, die zentrale Bedeutung, die
der Familie bei der Bekämpfung der Jugendgewalt zu-
kommt, ist unbestritten. Die schwere Aufgabe der Erzie-
hung muss endlich mehr Anerkennung in der Gesellschaft
finden und sich in den von den Medien vermittelten Leit-
bildern widerspiegeln. Wenn Eltern ihren Kindern Ver-
ständnis und Zuneigung entgegenbringen, ihnen Gebor-
genheit und Selbstvertrauen, aber auch die notwendigen
Grenzen vermitteln, dann bestehen gute Chancen, dass
diese Jugendlichen so viel Charakter entwickeln, dass sie
auch Frustrationen gewachsen sind, ohne Gewalt als Aus-
weg zu sehen.


(Beifall bei der FDP)

Wir sollten nicht von Jugendgewalt sprechen, ohne

auch den Aspekt der Gewalt gegen Kinder und Jugendli-
che zu betrachten. Die Statistik zeigt deutlich, dass Kin-
der, die Gewalt in der Familie erleben, später häufig selbst
Täter werden. Das im Sommer 2000 mit Unterstützung

der FDP vom Bundestag verabschiedete Gesetz zur Äch-
tung von Gewalt in der Erziehung macht unmissverständ-
lich klar, dass Gewalt in der Erziehung nichts, aber auch
gar nichts zu suchen hat.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Meine Damen und Herren, eine bedeutende Rolle
kommt den Schulen zu. Kinder müssen nicht nur Fakten-
wissen vermittelt bekommen, sondern auch im Hinblick
auf ihren Charakter und auf Selbstvertrauen gebildet wer-
den. Sie müssen früh lernen, Verantwortung zu überneh-
men. Dazu gehört auch, die Grenzen der eigenen Freiheit
zu erkennen. Freiheit und Verantwortung müssen beim
Schüler ein sich ergänzendes Wertepaar sein. Die Aufgabe
der Schule ist es, die Schüler dabei zu unterstützen, mo-
ralische Urteilsfähigkeit zu gewinnen, Werte aufzubauen
und sie zur Orientierungsgrundlage für den eigenen Le-
bensentwurf zu machen.

Schüler müssen besonders in den unteren Klassen-
stufen individueller, differenzierter und nachhaltiger aus-
gebildet werden.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Dazu ist es dringend notwendig, darüber nachzudenken,
wie die Schülerzahlen gerade in den Klassenstufen 1 bis 4
reduziert werden können.


(Beifall des Abg. Ulrich Heinrich [FDP])

Bei der gegenwärtigen demographischen Entwicklung
wäre dies ohne den in vielen Ländern geplanten Lehrer-
abbau durchaus umzusetzen.

Meine Damen und Herren, zum Schluss sage ich ein
Wort zu Prüfungen und Abschlüssen: Die FDP fordert,
dass dem Schüler nach Abschluss eines Bildungsweges
auch bei erfolgloser Abschlussprüfung ein Zertifikat über
den Besuch von Klassenstufen und den dabei erzielten Er-
folg ausgestellt wird. Mit diesem Leistungsnachweis kann
er seine Ausbildung an jeder weiterbildenden Lehranstalt
fortführen. Eine Bildungsreform in diesem Sinne ist auch
zum Abbau von Aggressivität dringend notwendig. Ma-
chen wir es!


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU sowie des Abg. Roland Claus [PDS])



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1424701800
Für die
PDS-Fraktion spricht die Kollegin Angela Marquardt.


Angela Marquardt (PDS):
Rede ID: ID1424701900
Herr Präsident! Liebe Kol-
leginnen und Kollegen! Wohl wahr, es ist Nachdenken an-
gesagt. Daher möchte ich noch einmal den Sommer 2000
reflektieren, als die Bundesregierung, Parteien, Kirchen
und Medien anfingen, endlich gegen Neonazi-Aufmärsche
zu mobilisieren, Geld für Antifa-Initiativen zur Verfügung
zu stellen und den Neonazis den Kampf anzusagen. Dies
geschah zur Freude auch jener jungen Menschen, die sich
bereits seit vielen Jahren gegen Neonazis engagierten und






(C)



(D)



(A)



(B)


sich gegen den alltäglichen Naziterror auf der Straße weh-
ren mussten. Inzwischen spricht man aber in manchen an-
tifaschistischen Kreisen vom „kurzen Sommer der Staats-
Antifa“. Es ist von diesem Engagement, vom Aufstand der
Anständigen, nicht viel übrig geblieben.

Was nutzen Bekenntnisse gegen rechte Gewalt, wenn
beispielsweise vor ein paar Wochen in Zittau der Stadtrat
beschlossen hat, einer militanten Neonazi-Gruppe ein
Haus zur Verfügung zu stellen, von dem aus sie weiter ihre
gewalttätigen Übergriffe planen kann?


(Beifall des Abg. Dr. Ilja Seifert [PDS])

Nach wie vor dominieren Neonazis ganze Ortschaften in
Ostdeutschland und verhindern, dass Ausländer und Lin-
ke sich frei bewegen können; nach wie vor gibt es dort
auch viele Straftaten.

Die Initiativen konnten meines Erachtens nicht wirken,
weil die Analyse der Ursache von Gewalt verkehrt war.


(Beifall bei der PDS)

Das Problem des Rechtsextremismus wurde eindimensio-
nal auf Gewalt reduziert. Ich möchte das Gewaltproblem
nicht klein reden, zumal ich selbst einige Erfahrungen mit
Neonazis machen musste.


(Lachen bei der CDU/CSU)

Aber die Grundlage dieser Gewalt sind rechtes Gedan-
kengut und Werte wie Intoleranz, Nationalismus, Milita-
rismus und Rassismus. Aus solchen Werten entstehen ge-
walttätige Einstellungen.


(Wolfgang Dehnel [CDU/CSU]: Wo ist denn die linke Gewalt? Sie sind doch auf einem Auge blind!)


– Ich will Ihnen mal was sagen: Wenn Sie durch eine Ort-
schaft gehen und so wie ich von einem Neonazi zusam-
mengeschlagen werden, dann reden Sie über Gewalt und
die damit zusammenhängenden Probleme ganz anders.
Diese Intoleranz und diese Gewalt müssen hier themati-
siert werden. Sind Sie schon einmal durch Deutschland
gegangen und niedergeschlagen worden? Sind Sie schon
einmal Zug gefahren und mussten aus dem Zug ausstei-
gen, weil Sie so aussehen, wie Sie aussehen, und nichts
anderes als einfach Ihr Aussehen das Problem war?


(Wolfgang Dehnel [CDU/CSU]: Ich bin sogar dazwischengegangen!)


Denken Sie einmal darüber nach!

(Beifall bei der PDS, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Deswegen muss in der Öffentlichkeit über Rassismus

geredet werden. Man muss auch darüber reden, dass Sie
Unterschriftensammlungen gegen Ausländer durchge-
führt haben. Auch dies ist Grundlage für rassistische Ge-
walt. Da kann man lange darüber reden, dass man gegen
Gewalt ist. Dies ist wenig glaubwürdig, wenn man selber
die Grundlage dafür legt.


(Beifall bei der PDS sowie bei Abgeordneten der SPD – Widerspruch bei der CDU/CSU)


Nun fragen Sie sich vielleicht, weshalb ich dies noch
einmal im Zusammenhang mit dem 19-jährigen Täter aus

Erfurt thematisiere. Ich thematisiere dies erstens, weil
man nicht über Gewalt reden kann, ohne rassistische Ge-
walt zu erwähnen, und zweitens, weil über Jugendgewalt
immer sehr verkürzt geredet wird. Man verschärft das
Waffenrecht, will Gewaltfilme und auch Computerspiele
verbieten. Dazu sage ich Ihnen: Das wird nicht ausrei-
chen. Ich glaube sogar, dass es an vielen Stellen nicht nut-
zen wird.

Wer meint, ein Motiv für Gewalt zu haben, der braucht
keine Schusswaffe. Er kann sich ein Küchenmesser suchen
oder aus Flaschen Molotowcocktails bauen und wir kön-
nen weder das Küchenmesser noch die Flaschen verbieten.

Gewaltdarstellungen gibt es nicht nur im Kino oder in
Videofilmen, sondern natürlich auch in jeder Nachrich-
tensendung. Damit Sie nicht gleich bei mir wieder so auf-
jaulen, verweise ich auf die Bundesschülerinnenvertre-
tung, die dies bei der Anhörung zum Jugendschutz mit
thematisiert hat. Dort wurde gesagt, dass Krieg und Ge-
walt auch in Deutschland wieder zu Mitteln der Konflikt-
lösung geworden sind. Natürlich wird auch durch Krieg
Gewalt salonfähig gemacht.


(Beifall bei der PDS)

In dieser Gesellschaft gibt es aber auch andere und un-

terschiedlichste Formen legitimierter Gewalt.Man kann
nicht grundsätzlich und schon gar nicht moralisch gegen
Gewalt argumentieren, wenn man sie an anderer Stelle
selber fordert oder toleriert.

Ich nehme für mich in Anspruch, einen anderen Ansatz
zu haben. Natürlich lehne ich das Steinewerfen ab. Ich
lehne auch Gewaltfilme und den Waffenverkauf an Ju-
gendliche ab. Ich lehne aber auch den Waffenverkauf an
Erwachsene ab.


(Beifall bei der PDS)

Ich lehne es auch ab, dass Erwachsene Jugendlichen, die
jünger sind als der Mörder von Erfurt, im Rahmen des Mi-
litärdienstes das Schießen und Töten mit der Waffe bei-
bringen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen – die Kollegin Vollmer
hat es hier schon angesprochen –, es geht auch um die
Bilder, die vermittelt werden. Ich möchte hier einmal über
diese Bilder sprechen: Ich erinnere mich an ein Foto, auf
dem Otto Schily mit erhobenem Schlagstock in die Ka-
mera lächelte. Ich erinnere mich an das Bild, auf dem Herr
Merz in Mazedonien fröhlich aus einem Panzer winkt. Ich
erinnere mich an Herrn Möllemann, der Verständnis für
Selbstmordattentäter äußerte. Ich denke an einen Außen-
minister, der sagte, er sei kein Pazifist.

Ich will damit sagen, dass das Problem Gewalt natür-
lich nicht nur Jugendliche betrifft, auch wenn Filme si-
cherlich dazu geeignet sein können, dass das Verhältnis zu
Gewalt negativ beeinflusst wird. Dennoch glaube ich,
dass jeder Politiker und jede Politikerin genau aufgrund
der von mir genannten Beispiele einmal darüber nach-
denken sollte, welche Bilder wir selber erzeugen, welche
Bilder dahinter stecken, wenn man sich beispielsweise
mit einem Schlagstock öffentlich präsentiert.

Der beste Schutz vor Jugendgewalt ist, so denke ich,
Jugendliche nicht zu entmündigen, sondern ihr Verant-




Angela Marquardt
24998


(C)



(D)



(A)



(B)


wortungsbewusstsein und ihre Selbstständigkeit zu stär-
ken. Ich glaube, dass Verbote, Repressionen und Ein-
schränkungen nicht der richtige Weg sind. Das Vorleben
– das ist bereits angesprochen worden – ist wichtig. Des-
wegen will ich Ihnen ein wenig schmunzelnd etwas von
Mark Twain mit auf den Weg geben:

Erziehung ist organisierte Verteidigung der Erwach-
senen gegen die Jugend.


(Beifall bei der PDS)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1424702000
Ich erteile
dem Kollegen Christoph Matschie für die SPD-Fraktion
das Wort.


Christoph Matschie (SPD):
Rede ID: ID1424702100
Herr Präsident! Verehrte
Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte zum Anlass unse-
rer Debatte, zu der grausamen Gewalttat eines Schülers
am 26. April dieses Jahres in Erfurt, zurückkommen.
Dies war eine Tat, die wir nicht wirklich erklären können.
Es gibt keine klar zugrunde liegende Kette von Ursachen
und Wirkungen. Deshalb gibt es – das muss man einge-
stehen – auch keine Sicherheit, so etwas in Zukunft ver-
hindern zu können.

Dennoch – dies möchte ich besonders an Frau Merkel
gerichtet sagen – erwächst gerade aus dieser Tat in Erfurt
eine doppelte Verpflichtung für all diejenigen, die poli-
tische Verantwortung tragen, nämlich die Verpflichtung,
die Frage nach den Ursachen von Gewalt immer wieder
neu zu stellen, und die Verpflichtung, zu fragen, was po-
litisches Handeln zur Eindämmung von Gewalt in unserer
Gesellschaft beitragen kann.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ich will mich heute dabei besonders auf die Schule
konzentrieren. Eine Nachricht hat mich in diesem Zu-
sammenhang schockiert: Allein in Thüringen sind mitt-
lerweile mehr als 80 Drohungen so genannter Trittbrett-
fahrer aktenkundig. Jugendliche drohen ihren Lehrern mit
Erfurter Verhältnissen, sie prahlen vor ihren Mitschülern
mit dem Besitz von Waffen.

Mit dem Thema Gewalt an Schulen müssen wir uns
aber nicht erst seit dem Amoklauf in Erfurt auseinander
setzen. Auch in Thüringen ist die Reihe alarmierender Ge-
waltausbrüche lang. Vorgestern sind in Sondershausen
zwei Schüler verurteilt worden, die im Januar eine Lehre-
rin vor der Klasse mit dem Messer bedroht hatten, weil sie
wegen Störung des Unterrichts aus dem Schulgebäude
verwiesen worden waren. Im Mai wurde eine Schülerin
aus Weimar verurteilt, weil sie nach einem Schulverweis
an vier Stellen einer voll besetzten Schule Feuer gelegt
hatte. Nur glückliche Umstände und ein beherztes Ein-
greifen von Schülern verhinderten, dass jemand zu Scha-
den kam.

Die Ursachen für solche Gewalt liegen in den seltens-
ten Fällen klar und eindeutig auf der Hand. Häufig sind
dabei viele sich wechselseitig verstärkende Faktoren im
Spiel. Trotzdem dürfen wir uns hinter dieser Komplexität
nicht verstecken.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Im Geflecht der Ursachen und Erklärungen sind klare An-
satzpunkte für ein politisches Handeln zu erkennen. Keiner
dieser einzelnen Ansätze kann das Problem von Gewalt in
der Gesellschaft für sich genommen lösen. Gemeinsam
können sie aber zur Eindämmung von Gewalt beitragen.
Deshalb wäre es falsch, hier einzelne Instrumente gegen-
einander auszuspielen.

Als Reaktion auf die Gräueltat in Erfurt war es richtig,
das Waffengesetz unmittelbar zu verschärfen. Es war gut
so.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Zur Aufrichtigkeit gehört aber auch, in diesem Hause
noch einmal daran zu erinnern, dass dieser Verschärfung
des Waffenrechts ein jahrelanger Streit vorausgegangen
ist und dass die Union eine solche Verschärfung vorher
verhindert hatte.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der PDS)


Der Besitz einer Waffe darf kein Kinderspiel sein. Ich kann
es nicht nachvollziehen, dass einzelne Schützen und Waf-
fenfreunde gegen die Verschärfung des Waffenrechts heute
mobilmachen. Die Sicherheit der Gemeinschaft muss Vor-
rang vor jedem Interesse eines Waffenbesitzers haben.


(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS)


Es war richtig, auf die Einschränkung von Gewalt in
den Medien zu drängen. Auch die Schule selbst muss aber
noch einmal stärker in unser Blickfeld rücken. Es ist
schon gesagt worden, dass dabei die Konsequenzen aus
der PISA-Studie und aus Erfurt miteinander verbunden
werden müssen. Das ist keine einfache Aufgabe; ihre Be-
wältigung wird Zeit brauchen. Klar ist aber schon jetzt:
Die Bewältigung dieser Aufgabe wird nur gelingen, wenn
wir das Hühnerhofdenken in der Bildungspolitik über-
winden und zu einer gemeinsamen nationalen Anstren-
gung für eine bessere Bildung in Deutschland kommen.


(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS)


Neben dieser großen gemeinsamen Herausforderung,
für die wir uns die nötige Zeit nehmen sollten, gibt es
manche Bereiche in der Schulpolitik, die unmittelbar ent-
schieden werden können. Ich sage das hier mit aller Deut-
lichkeit: Der Amoklauf von Erfurt hat uns noch einmal
mit aller Brutalität auf das Problem fehlender Schulab-
schlüsse in Thüringen gestoßen,


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


das offenbar ein Hintergrund für den Amoklauf und auch
für den Brandanschlag auf die Schule in Weimar gewesen
ist.


(Michael Müller [Düsseldorf] [SPD]: Richtig! – Hubertus Heil [SPD]: Sehr richtig!)





Angela Marquardt

24999


(C)



(D)



(A)



(B)


Ich sage das hier ganz klar: Ich bedauere es außerordent-
lich, dass dazu noch keine Entscheidung im Thüringer
Landtag gefallen ist.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der PDS – Jörg Tauss [SPD]: Kein Wort!)


Wenn so offenkundig notwendige und breit getragene
Änderungen nicht zeitnah entschieden werden, führt das
bei den Betroffenen nur zu einem weiteren Verlust des
Vertrauens in die Handlungsfähigkeit der Politik.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der PDS)


Gerade vor dem Hintergrund unserer heutigen Debatte
müssen wir als politische Verantwortungsträger dafür
Sorge tragen, dass das Vertrauen in die Problemlösungs-
kompetenz der Demokratie gestärkt wird. Wir müssen
dazu beitragen, dass Frustration, Ohnmachtsgefühle und
Ausgrenzungen nicht verstärkt, sondern abgebaut wer-
den. Das ist unsere politische Aufgabe.


(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS)


Ich komme noch einmal auf die Schule zurück. Es war
hier viel von Vermittlung von Werten die Rede. Ich finde
es richtig, dass wir darüber diskutieren. Ich gehöre aller-
dings nicht zu denen, die der Überzeugung sind, dass in
unserer Gesellschaft Mitmenschlichkeit und Wertorien-
tierung den Bach hinuntergehen. Wer die gemeinsame
Trauer um die Opfer in Erfurt erlebt hat, konnte spüren,
dass Mitmenschlichkeit, Wärme und Solidarität in dieser
Gesellschaft herrschen. Als Thüringer Abgeordneter bin
ich für diese Erfahrung dankbar.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der PDS)


Wer Werte vermitteln, wer erziehen will, braucht Au-
torität; das ist eine einfache Weisheit. Es ist sicher richtig:
Lehrer haben nur so viel Autorität, wie wir ihnen als Ge-
sellschaft geben. Wenn die Gesellschaft Lehrer als Fuß-
abtreter der Nation behandelt, dann werden auch Schüler
Lehrer immer wieder so behandeln.


(Eckart von Klaeden [CDU/CSU]: Das ist nicht d i e Gesellschaft!)


Aber zu dem Schritt, Lehrern einen höheren Wert in der
Gesellschaft einzuräumen und ihre Erziehungskompetenz
zu stärken, gehört auch, darüber nachzudenken, wie das
Miteinander von Schülern, Eltern und Lehrern in der
Schule besser organisiert werden kann, wie demokrati-
sche Prozesse an der Schule gestärkt werden können, wie
Problemlösungskompetenz an unseren Schulen eingeübt
werden kann.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Schule ist Bildungsstätte und Ort sozialer Erfahrung
und Prägung. Beides muss im Blick bleiben, wenn wir
über die Konsequenzen aus der PISA-Studie beraten. Für
beides muss Raum sein. Für beides müssen wir die not-

wendigen Voraussetzungen schaffen. Ich denke, die zu-
sätzlichen Mittel des Bundes helfen bei der Bewältigung
dieser Aufgabe. Ich kann es nicht verstehen, dass die erste
Reaktion auf das Angebot des Bundes, mehr für Ganz-
tagsbetreuung zu tun, Störfeuer aus einzelnen Ländern
und der Hinweis waren, das liege nicht in der Kompetenz
des Bundes. So dürfen wir mit Bildungspolitik und Schule
nicht umgehen.


(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS)


Lassen Sie mich zum Schluss noch eines zu bedenken
geben. Am 11. Mai wurde der Amokschütze von Erfurt an
einem unbekannten Ort beigesetzt. Nichts soll an ihn er-
innern: kein Grabstein, kein Kreuz. Sein Name wird mit
der Zeit wahrscheinlich in Vergessenheit geraten. Die ent-
setzliche Tat dürfen wir aber nicht vergessen. Wir haben
die Verantwortung, dafür zu sorgen, dass diese Tat nicht
in Vergessenheit gerät und dass die Mahnung, die von Er-
furt ausgeht, nicht im Nirgendwo der politischen Debatte
untergeht, sondern dass diese Mahnung in Konsequenzen
und politischen Entscheidungen endet. Das sind wir den
Opfern schuldig.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1424702200
Für die
CDU/CSU-Fraktion spricht die Kollegin Maria Eichhorn.


Maria Eichhorn (CSU):
Rede ID: ID1424702300
Herr Präsident! Meine
Damen und Herren! Aggressive und gewalttätige Jugend-
liche werden nicht als solche geboren. Aufgerüttelt durch
die schrecklichen Ereignisse am Gutenberg-Gymnasium
in Erfurt rückt die Frage nach den Gründen von Gewalt
wieder verstärkt ins Blickfeld. In Politik und Gesellschaft
wird über Ursachen und Bekämpfungsmöglichkeiten dis-
kutiert. Wieso ist ein wachsender Anteil von Jugendlichen
bereit, sich durch Gewalt vermeintliche Anerkennung zu
verschaffen?

Gewalt kommt nicht von ungefähr und entsteht nicht
im luftleeren Raum. Es gibt zum Beispiel die familiäre
Situation. Familiärer Stress, der aus Arbeitslosigkeit ent-
steht, schürt Konflikte. Auch Spannungen, die durch eine
zerbrochene Ehe oder Partnerschaft entstehen, werden auf
dem Rücken der Kinder ausgetragen. Kinder brauchen
Grenzen. Daher ist es wichtig, dass Eltern Nein sagen
können. In vielen Familien herrscht Sprachlosigkeit. Statt
etwas miteinander zu unternehmen oder miteinander zu
sprechen, werden die Kinder vor dem Fernseher abge-
stellt. Aber Erziehung setzt Beziehung voraus.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Im Zusammenhang mit Erfurt wird viel über Schule

gesprochen. Unter- oder Überforderung der Schüler, Ver-
sagensängste oder ein schlechtes Schulklima sind ein
Saatboden für Gewalt. Viele Kinder und Jugendliche ha-
ben nicht gelernt, mit Konflikten umzugehen. Sprachlo-
sigkeit im Elternhaus, Anonymität der Schule oder des
Wohnumfeldes machen sie anscheinend hilflos. Sie flüch-




Christoph Matschie
25000


(C)



(D)



(A)



(B)


ten dann in die Gewalt. Der gesellschaftliche Druck ist
enorm. Aber es wäre zu einfach, Gewalt nur mit Einflüs-
sen von außen erklären zu wollen.

Wir müssen für die nachwachsende Generation Per-
spektiven schaffen.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Wenn 15-, 16-Jährige oder Abiturienten nach Beendigung
der Schule auf der Straße stehen, ist das das Schlimmste,
was ihnen passieren kann. Ausbildung und Arbeit geben
jedem Menschen, insbesondere den jungen Menschen,
einen Sinn. Sie spüren, dass sie in dieser Gesellschaft
gebraucht werden. Deswegen ist die Bekämpfung der
Jugendarbeitslosigkeit besonders wichtig.


(Beifall bei der CDU/CSU – Jörg Tauss [SPD]: JUMP, jawohl!)


Bildung und Erziehung heißen für uns, den jungen
Menschen zu vermitteln, dass das Leben mehr als Kon-
sum und Erfolg bietet. Ohne eine Vermittlung von Grund-
werten, an denen sich ein Mensch bereits als Kind orien-
tieren kann, ist es schwierig, sich in dieser fordernden
Welt zurechtzufinden. Was aber können wir tun?

Es gibt sicherlich verschiedene Ansatzpunkte, um der
Gewalt von Kindern und Jugendlichen in unserer Gesell-
schaft zu begegnen. Eine ernsthafte Auseinandersetzung
mit den Ursachen von Gewalt ist ohne eine Diskussion
über Wertvorstellungen nicht möglich. Eine Interven-
tion gegen Gewalt ist vor allem dann erfolgversprechend,
wenn sie möglichst früh einsetzt. Das heißt, dass Präven-
tion nötig ist. Prävention bedeutet, Jugendliche gegenüber
Gewalt zu stärken. Dazu gehört die Vermittlung von Wer-
ten. Diese erfolgt in erster Linie im Elternhaus. Kinder
machen in der Familie ihre ersten Erfahrungen, wie Men-
schen miteinander umgehen. Dadurch werden sie auf
Dauer geprägt. Kinder brauchen feste innerfamiliäre Be-
ziehungen, die auch Belastungen standhalten. Damit er-
halten sie das notwendige Selbstwertgefühl und Vertrauen
in die Zukunft. Eltern sollten den Kindern gegenüber Part-
ner sein, aber auch eine Autorität darstellen, die Grenzen
setzt.

Die Vermittlung von Werten wie Toleranz, Aufrichtig-
keit und Respekt gehört untrennbar zur Erziehung. Das
gilt auch für Zivilcourage, Verantwortungsbewusstsein
und Verlässlichkeit. Die Achtung des anderen und die An-
erkennung der menschlichen Würde bilden nach meiner
Überzeugung wichtige Grundlagen für die Zukunft einer
friedvollen Gesellschaft. Die moderne Arbeitswelt mit
ihrem verstärkten Druck fordert auch von den Familien
ihren Tribut. Die meisten Eltern wollen für ihre Kinder
nur das Beste und dennoch – oder gerade deshalb – sind
sie oft verunsichert. Daher müssen wir sie unterstützen.
Dafür gibt es verschiedene Maßnahmen. Jungen Eltern
oder jungen Paaren können in bereits bestehenden Ein-
richtungen konkrete Tipps zur Erziehung und Hilfe ange-
boten werden.

Von besonderer Bedeutung ist die bessere Vernetzung
aller an der Erziehung der Kinder beteiligten Personen:
der Eltern, Lehrerinnen und Lehrer sowie der Erzieherin-
nen und Erzieher. Durch die Zusammenarbeit zwischen

dem Elternhaus und allen Einrichtungen vor Ort, die mit
Familien zu tun haben, können Probleme frühzeitig er-
kannt werden.

Um der Gewalt zu begegnen, ist neben der Erziehung
auch der Bildung der Kinder und Jugendlichen ein stär-
keres Gewicht beizumessen. Bildung, Erziehung und
Ausbildung müssen als Einheit begriffen werden. Jedes
Element für sich ist wichtig, aber erst das Zusammenspiel
ist die angemessene Antwort auf die Gewalttendenzen,
die sich nicht erst jetzt abzeichnen.

Unsere Bildungs- und Erziehungseinrichtungen haben
nicht nur einen Bildungs-, sondern auch einen Erzie-
hungsauftrag. Das ist zugegebenermaßen in großen Klas-
sen nicht immer einfach. Das Gleiche gilt auch für Schu-
len, in denen ein Großteil der Schüler nicht ausreichend
Deutsch sprechen kann. Aber gerade hierbei helfen Res-
pekt und Achtung Lehrern und Mitschülern gegenüber,
dem Erziehungs- und Bildungsauftrag nachzukommen.

Bildungs- und Erziehungsziele, die besonders zum
Wertebewusstsein beitragen, müssen wir stärken. Ich
meine damit nicht nur Religion, Philosophie oder ethische
Grundfragen, sondern auch eine Neuorientierung politi-
scher Bildung und Erziehung. Die nachwachsende Gene-
ration wird dadurch die Bereitschaft entwickeln, die
großen gesellschaftlichen, sozialen, technologischen und
kulturellen Fragen anzugehen. Sie wird damit für die Ge-
sellschaft eintreten, die von Freiheit, Demokratie, Rechts-
staatlichkeit und Ächtung jeglicher Gewalt geprägt ist.
Bildung und Erziehung müssen im Elternhaus, in Schule
und Hochschule wieder die Bedeutung der Verantwortung
für das eigene Leben, aber auch für das Leben anderer und
für die Zukunft unserer Gemeinschaft fördern. Die Erzie-
hung zu einer selbstbewussten Persönlichkeit, zum mün-
digen Menschen kann nur gelingen, wenn Werte und Ein-
stellungen vorgelebt werden. Das gute Beispiel der Eltern
und aller anderen an der Erziehung Beteiligten ist durch
keine noch so gute Theorie zu ersetzen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Dr. Karlheinz Guttmacher [FDP])


Zum Bildungs- und Erziehungsprozess gehört auch die
Auseinandersetzung mit anderen Meinungen, mit ande-
ren Einstellungen und Mentalitäten. Kinder und Jugend-
liche müssen lernen, diese Unterschiede auszuhalten.
Dieser Bildungs- und Erziehungsauftrag muss sich selbst-
verständlich in den Lehrplänen widerspiegeln: bei den
Regelschulen und bei den Ganztagsschulen. Wenn Sie,
meine Damen und Herren von den Regierungsfraktionen,
jedoch in Ihrem Antrag so tun, als würde der Ausbau der
Ganztagsschulen allein die Möglichkeit bieten, sinnvolle
pädagogische Konzepte zu entwickeln, liegen Sie falsch.


(Jörg Tauss [SPD]: Das hat doch kein Mensch gesagt!)


– Das steht in Ihrem Antrag.
Neben all dem darf man eines nicht vergessen: Kinder

und Jugendliche sind tagtäglich einer Vielzahl von
Gewaltdarstellungen ausgesetzt. Der Jugendmedien-
schutz wurde aufgrund der Ereignisse von Erfurt vor
kurzem sehr schnell geändert. Doch das reicht nicht. Leider




Maria Eichhorn

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(C)



(D)



(A)



(B)


ist die Bundesregierung unseren weitergehenden Forderun-
gen nicht gefolgt. Es sind ja einige unserer Forderungen
heute schon angeführt worden.


(Jörg Tauss [SPD]: Und die Blockade von Bayern?)


Es gibt inzwischen eindeutige wissenschaftliche Hin-
weise, dass auch virtuelle Gewalt in erschreckender Weise
abstumpfen lässt. Als Folge davon gehen Mitgefühl und
Mitleidensfähigkeit verloren. Das dürfen wir doch nicht
einfach hinnehmen.


(Beifall des Abg. Wolfgang Dehnel [CDU/CSU])


Wir müssen Kinder und Jugendliche vor diesen Einflüs-
sen so weit als möglich schützen.

Meine Damen und Herren, der Anlass, der zu dieser
Debatte geführt hat, ist außergewöhnlich erschreckend
und traurig. Trost wird es für die Hinterbliebenen der Op-
fer nicht geben. Dennoch liegt in der Diskussion über Er-
furt eine große Chance, damit sich ein solcher Wahnsinn
nicht wiederholt.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Dr. Karlheinz Guttmacher [FDP])



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1424702400
Für die
SPD-Fraktion spricht der Kollege Michael Müller.


Michael Müller (SPD):
Rede ID: ID1424702500
Meine Damen
und Herren! Von Max Frisch stammt der Satz:

Sie nennen es Schicksal, um nicht zu fragen, wie es
dahin gekommen ist.

Wenn die Debatte einen Sinn haben soll, dann müssen
wir diesen Satz von Max Frisch ernst nehmen. Wir müs-
sen fragen, wie es dahin gekommen ist, wie Gewalt ent-
steht. Wir wissen, dass die Bändigung von Gewalt die
zentrale Frage jeder Zivilisation ist. Inwieweit wir fähig
sind, Gewalt zu bändigen, ist nach Norbert Elias quasi der
Lackmustest für den Stand einer Zivilisation.

Deshalb, meine Damen und Herren, muss man sehen,
dass es seit einiger Zeit und nicht nur wegen Erfurt zu-
nehmend alarmierende Tendenzen gibt: den Verlust an
Wertbindungen, an so genannten Ligaturen, Auflösungs-
prozesse in der Gesellschaft, die zu neuen Formen von
Gewalt führen, wovon wir in Erfurt aus meiner Sicht nur
ein besonders extremes Beispiel erlebt haben.

Es geht also um sehr viel tiefer gehende Prozesse, wie
Wilhelm Heitmeyer zu Recht sagt, um Reaktionen auf
völlig veränderte soziale Erfahrungen. Darum geht es in
erster Linie: um völlig veränderte soziale Erfahrungen,
die Gewalt zum Ausbruch kommen lassen. Deshalb ist es
falsch, schnell einfache Erklärungen zu geben wie bei-
spielsweise den Hinweis auf Medienkonsum oder Schule
oder was auch immer. Das alles sind wichtige Einzelfak-
toren, aber sie allein erklären Gewalt noch nicht.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie bei Abgeordneten der PDS)


Es geht um die Frage, welche sozialen Erfahrungen, wel-
che sozialen Perspektiven vor allem junge Leute heute
haben. Das ist der Kern. Viele Studien weisen darauf hin,
dass wir erleben müssen, dass vor allem bei Jugendlichen,
aber nicht nur bei ihnen, erstens die Desintegrationspro-
zesse zunehmen, und zweitens, dass sich zunehmend, und
zwar sehr zugespitzt, die Frage nach der Identität stellt.

Deshalb hat aus meiner Sicht Wilhelm Heitmeyer
Recht, wenn er sagt, dass die eigentliche Aufgabe, die sich
an die Gesellschaft richtet, ist, wie wir eine neue Kultur
der Anerkennung schaffen, wie wir also die Würde des
Menschen im umfassenden Sinne akzeptieren und zur
Geltung bringen.
Um es auf den Punkt zu bringen: Die Verhinderung von
Gewalt ist in erster Linie eine soziale Herausforderung.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der PDS)


Eric Dunning, einer der Mitarbeiter von Norbert Elias,
hat auf einen sehr dramatischen Punkt hingewiesen. Er hat
die Entwicklung der Gewalt seit dem 12. Jahrhundert am
Beispiel des Sports beschrieben. Er kommt zu dem Er-
gebnis, dass die moderne Gesellschaft beispielsweise
beim Fußballsport zwar sehr viel professioneller und in-
ternationaler geworden sei, dass aber der moderne Fußball
auch das Phänomen des Hooliganismus, also neue Formen
von Gewaltexzessen, hervorgebracht habe, die nicht ein-
fach mit Erziehung, sondern in erster Linie mit tief grei-
fenden sozialen Veränderungen – so sieht Dunning das –
zu erklären seien, die durch den Verlust an Anerkennung
und an persönlichen Möglichkeiten der Entfaltung sowie
vor allem durch den Verlust von sozialen Perspektiven
hervorgerufen würden. Deshalb müssen wir, wenn wir über
das Thema Gewalt diskutieren, die Frage einbeziehen, was
in den nächsten Jahren auf uns zukommen wird. Ralf Dah-
rendorf – das kennen Sie vielleicht – beschreibt, dass wir –
davor hat er Angst – in ein autoritäres Jahrhundert hinein-
geraten werden, wenn es uns nicht gelingt, die sozialen
Bindungen zu festigen, und wenn wir nicht zu einer neuen
Politik der Freiheit und der Vielfalt fähig sind. Deshalb
geht angesichts der Tatsache, dass uns unter den Bedin-
gungen der Globalisierung und Europäisierung zuneh-
mend die Frage nach der Identität unserer Gesellschaft
und des Einzelnen gestellt wird, die Suche nach den Ur-
sachen für das Ausbrechen von Gewalt weit über das Bil-
dungssystem hinaus.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Dabei geht es auch um die Frage der Kultur und der Zivi-
lität moderner Gesellschaften.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Ich finde es richtig, dass wir über Bildung reden. Aber
es bringt beispielsweise nichts, in den Schulen nur über
Werte zu reden, wenn die Jugendlichen sie nicht auch in
ihrem Alltag, in der sozialen Welt, erfahren. Deshalb müs-
sen wir folgende Fragen beantworten: Wie können wir mit
den großen Herausforderungen der Zukunft, also mit der




Maria Eichhorn
25002


(C)



(D)



(A)



(B)


neuen Ungleichheit, die sich unter den Bedingungen der
Globalisierung zuspitzt, auf soziale Weise fertig werden?
Wie können wir beispielsweise den Verlust an Identität
überwinden, der durch den Prozess der Erweiterung Eu-
ropas verursacht wird? Wie können wir es verhindern,
dass die Menschen in dem Prozesses von Desintegration
und Identitätsverlust ihre Heimat in ethnischen oder na-
tionalistischen Identitäten suchen, die falsch sind, weil
wir gesellschaftliche Identitäten brauchen? Diese Fragen
werden künftig für die Demokratie existenziell werden.

Wenn man nicht nur den Fall in Thüringen, sondern
auch das Ausbrechen von Gewalt in anderen Ländern ge-
nauer untersucht, dann stellt man fest, dass auch das Ge-
fühl von Unterlegenheit und Perspektivverlust zu Gewalt
geführt hat. Die politische Kernfrage, die wir aus den ge-
walttätigen Vorkommnissen ableiten müssen, lautet: Wie
können wir die Integrationskräfte stärken, eine Kultur
der Anerkennung schaffen und die sozialen Identitäten
bewahren?


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Zusammenfassend möchte ich sagen: Ich glaube,
Umberto Eco hat in seinem lesenswerten Essay zum
11. September – ich möchte daran erinnern, dass das, was
damals geschah, auch eine Form von entfesselter Gewalt
war – Recht. Er hat darauf hingewiesen, dass Strukturen
geschaffen werden müssen, die den Menschen ermögli-
chen zu erkennen, wohin sie gehörten, dass sie ernst ge-
nommen würden, und die deutlich machen, wohin die wei-
tere Entwicklung geht. Das sind die drei zentralen Punkte.
Es ist keine Frage bloß der Erziehung – das geht weit da-
rüber hinaus; wiewohl ich auch sehr dafür plädiere, dass
die Lehrer keine modernen Akkordarbeiter werden und
dass sie wieder mehr Zeit finden, um in den Schulen auch
soziale und persönliche Fragen zu erörtern –, sondern in
erster Linie eine Herausforderung an die Politik, unter den
künftigen Bedingungen der globalen Welt neue soziale
und kulturelle Identitäten zu schaffen, die es den Men-
schen ermöglichen zu erkennen, wohin sie gehören.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der PDS)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1424702600
Nun spricht
für die SPD-Fraktion die Kollegin Kerstin Griese.


Kerstin Griese (SPD):
Rede ID: ID1424702700
Herr Präsident! Liebe Kolle-
ginnen und Kollegen! Als im April 1999 im amerikani-
schen Littleton zwei Schüler ein Blutbad angerichtet ha-
ben, haben wir alle fassungslos nach Amerika geschaut
und uns gefragt: Ist so etwas auch bei uns möglich? Lei-
der mussten wir diese Frage bejahen.

Deshalb treibt uns die Frage um: Was sind die Ursa-
chen und Hintergründe von Gewalt? Ich finde es wich-
tig, darüber zu sprechen, und teile nicht die Einschätzung,
die hier von Frau Merkel geäußert wurde: Wer nach den
Ursachen fragt, würde rechtfertigen. Wir müssen schauen,

wo Gewalt in der Gesellschaft ist. Unsere Debatte „Ge-
walt und Gesellschaft“ zeigt, dass Gewalt überall vor-
kommen kann, dass sie nicht auf „Gewalt von Jugendli-
chen“ verkürzt werden darf, dass Gewalt in den Familien,
in den Schulen, auf der Straße, im Beruf, in den Medien
vorkommen kann. Deshalb brauchen wir einen gesell-
schaftlichen Konsens. Es reicht nicht, allgemein Werte zu
propagieren; man muss auch sagen, um welche Werte es
eigentlich geht.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der PDS)


Der gesellschaftliche Konsens muss heißen: Zusammen-
halt fördern und Gewalt ächten. Das sind Werte, mit de-
nen man auch inhaltlich arbeiten kann, die man als Ziel
vertreten kann.

Schülerinnen und Schüler haben mir nach dem Amok-
lauf von Erfurt oft gesagt, dass eine ähnliche Tat auch an
ihrer Schule passieren könnte. Diese Schonungslosigkeit,
mit der Schülerinnen und Schüler gesagt haben: „Das
könnte auch bei uns passieren“, macht deutlich, wie ernst
wir das nehmen müssen und wie viel Ängste es in den
Schulen gibt. Es macht auch deutlich, dass wir in unserer
Verantwortung als Politiker nicht nur appellieren, sondern
auch handeln müssen. Wir müssen Impulse geben, damit
sich das gesellschaftliche Bewusstsein ändert. Ich will ei-
nige der Impulse, die wir zu geben versucht haben, nen-
nen.

Das Wichtigste ist schon genannt worden, nämlich das
Gesetz zur Ächtung der Gewalt in der Erziehung. Ich
halte es für einen ganz großen Fortschritt, dass endlich
eindeutig klargestellt ist, dass Gewalt kein geeignetes Er-
ziehungsmittel ist.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der PDS)


Kinder, die von ihren Eltern ohne Schläge und ohne Ge-
walt erzogen werden, werden besser in der Lage sein, an-
deren gegenüber tolerant zu sein und Konflikte gewaltfrei
zu lösen.

Wir sind uns sicher: Kinder und Jugendliche brauchen
Chancen und Entwicklungsmöglichkeiten. Dort, wo sie
benachteiligt sind, wo sie keine Ausbildungs- und Arbeits-
möglichkeiten haben, wo sie keine Perspektiven haben,
können Frustration, Aggression und Perspektivlosigkeit
entstehen. Aus ebendieser Perspektivlosigkeit kann – muss
nicht – die Flucht in gewalttätiges Verhalten resultieren.
Deshalb ist es uns so wichtig, den sozialen Schutz, die so-
ziale Sicherheit und die Chancen von Kindern und Ju-
gendlichen zu fördern.

Wir haben als Politiker die Verantwortung, günstige Be-
dingungen für das Aufwachsen von Kindern und Ju-
gendlichen zu schaffen. Sie wachsen natürlich zuallererst
in der Verantwortung der Familie, aber eben auch – das hat
der 11. Kinder- und Jugendbericht in den Mittelpunkt ge-
stellt – in öffentlicher Verantwortung auf. Sozialer Schutz
und Sicherheit für Kinder und Jugendliche sind Werte, die
uns wichtig sind. Sie sind wichtig für die Zukunft unserer




Michael Müller (Düsseldorf)


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(C)



(D)



(A)



(B)


Gesellschaft und für ein Klima, in dem Gewalt keine
Chance hat.

Wenn wir dort ansetzen wollen, wo Kinder und Jugend-
liche benachteiligt sind, dann müssen wir beispielsweise in
den sozialen Brennpunkten ansetzen. Dort fehlen Ausbil-
dungs- und Arbeitsplätze, Förder- und Unterstützungs-
möglichkeiten. Deshalb halte ich auch das Programm „Ent-
wicklung und Chancen junger Menschen in sozialen
Brennpunkten“ – abgekürzt: E&C – für so wichtig. Es setzt
an, um jungen Menschen aus benachteiligten Gebieten
günstigere Bedingungen für ihre Zukunft zu schaffen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Nur wenn es gelingt, Kindern und Jugendlichen dort ver-
gleichbare Zukunftschancen wie denen in anderen Wohn-
vierteln zu garantieren, können Benachteiligungen aufge-
hoben werden, können Chancen eröffnet und Wege
geebnet werden. Wir zeigen damit – das ist ganz wichtig –:
Wir kümmern uns um euch, um Kinder und Jugendliche.

Die Förderung von benachteiligten Jugendlichen ist
auch Ziel des Freiwilligen Sozialen Trainingsjahres. In
diesem Trainingsjahr werden Jugendlichen soziale und
berufliche Schlüsselqualifikationen vermittelt. Das ist
auch ein Weg zur Integration. Die Erfahrungen sind sehr
gut. Mehr als die Hälfte der Jugendlichen war danach so-
zial besser integriert. Etwa ein Drittel hat einen Arbeits-
platz bekommen. Das hat langfristig und nachhaltig posi-
tive Auswirkungen gehabt. Wegen dieser Erfolge werden
wir die Zahl der Plätze für das Freiwillige Soziale Trai-
ningsjahr auf 2 000 verdoppeln.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ein ganz wichtiger Ansatz unserer Arbeit – das Pro-
gramm „Gegen Gewalt und Rechtsextremismus“ war kein
kurzes Strohfeuer, sondern ist langfristig angelegt – ist un-
ser Programm „entimon – Gemeinsam gegen Gewalt
und Rechtsextremismus“.Damit werden Maßnahmen zur
Stärkung von Demokratie und Toleranz sowie – das halte
ich für ganz wichtig – zur Prävention und Bekämpfung von
Rechtsextremismus und Gewalt gefördert. Dieser Name
ist im Hinblick auf unsere Debatte ganz aussagekräftig.
„Entimon“ ist Altgriechisch und bedeutet „Würde“ und
„Respekt“. Genau darum geht es hier, um Würde und Res-
pekt voreinander, Einfühlungsvermögen, eine Kultur des
Miteinanders und die Ablehnung von Gewalt.

Dahinter verbergen sich ganz tolle Projekte, im Rah-
men derer sich Schüler in ihren Stadtteilen engagieren,
Theateraufführungen und Rollenspiele anbieten, ihren
Stadtteil sicher machen für Menschen anderer Hautfarbe
usw. Als Beispiel nenne ich das „Kino für Toleranz“. Des-
halb ist es mir so wichtig, in dieser Debatte deutlich zu sa-
gen, dass das Thema Gewalt nicht allein den Jugendlichen
zugeschoben werden darf.


(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS)


Die Ursachen liegen in der Mitte der Gesellschaft. Es gibt
sehr viele Jugendliche, die sich gegen Gewalt engagieren.
Dafür danke ich ihnen ausdrücklich.

Im Zusammenhang mit den schrecklichen Morden in
Erfurt ist auch über Gewalt im Internet und in Computer-
spielen immer wieder – auch heute – gesprochen worden.
Es ist sicher, dass gewalthaltige Computerspiele zu einer
Desensibilisierung führen. Die Empathiefähigkeit von
Kindern, aber auch von Erwachsenen, die diese Compu-
terspiele spielen, sinkt. Man kann erkennen, dass das An-
schauen von Gewaltszenen in den Medien eine große
Rolle für die persönliche Konstitution und für die Ge-
fühlslage spielt: Bei den Schülern, die einen „intensiven
Horrorkonsum“ haben, ist eine erhöhte Aggressionsten-
denz und – das fand ich sehr interessant – eine größere
Ängstlichkeit zu verzeichnen. Das zeigt, wie sehr Kinder
und Jugendliche Schutz und Sicherheit brauchen.

Meiner Ansicht nach ist das Problem, dass die meisten
Eltern oft gar nicht wissen, was ihre Kinder am Computer
spielen. Eigentlich sollten sie doch mit ihnen spielen, mit
ihnen fernsehen, mit ihnen mit Internet surfen, ihnen hel-
fen, das Gesehene zu verarbeiten. Deshalb ist Medien-
kompetenz – besser: Medienmündigkeit – so wichtig. Da
setzen wir an.

Mit dem neuen Jugendschutzgesetz, das die Alters-
kennzeichnungspflicht für Computerspiele vorsieht, ha-
ben wir einen wichtigen Schritt gemacht, um Eltern, Leh-
rern und Erziehern die Einschätzung zu erleichtern. Ich
bin froh, dass der Bundesrat, nachdem sich die Unions-
fraktion bei der Abstimmung hier enthalten hat, diesem
Gesetz im Juni zugestimmt hat. Ich wünsche mir, dass wir
noch viel stärker über Gewalt im Fernsehen diskutieren,
um Wege zu finden, sie einzudämmen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Die Darstellung von Brutalität und Gewalt in allen
denkbaren Medien darf nicht auf Kinder einwirken, als sei
das eine Möglichkeit der Konfliktlösung. Gerade deshalb
brauchen Kinder und Jugendliche in der modernen Me-
diengesellschaft feste Werte und Normen. Wir müssen das
Bedürfnis nach Sicherheit, nach Geborgenheit, nach so-
zialer Anerkennung aufgreifen. Die junge Generation er-
wartet aber ganz besonders gute Rahmenbedingungen für
das Aufwachsen.

Unser Ziel ist es, Kinder und Jugendliche stark zu ma-
chen, damit sie selbstbewusst gegen Gewalt eintreten
können, damit sie sich für gewaltfreie Konfliktlösungen
entscheiden. Das ist ein wirksamer Schutz vor Gewalt in
der Gesellschaft. Es geht um mehr Aufmerksamkeit, Ver-
antwortung füreinander und friedlichen Umgang mitei-
nander.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der PDS)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1424702800
Nun spricht
für die SPD-Fraktion der Kollege Michael Roth.


Michael Roth (SPD):
Rede ID: ID1424702900
Herr Präsident!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Asterix und Obelix,




Kerstin Griese
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(C)



(D)



(A)



(B)


Tom und Jerry – das waren die Helden meiner Kindheit.
Es waren und sind aber auch Gewalttäter. Bestimmt hat je-
der von uns in seiner Generation solche oder ähnliche Fi-
guren kennen und schätzen gelernt. Gewalt gehört – lei-
der – zu unserem Leben.

Gewalt ist kein Phänomen moderner Gesellschaften.
Gewalt hat es immer gegeben, und zwar durchweg in stär-
kerer Form als heute. Gewalt zeigt uns immer wieder auf
neue, erschreckende Weise ihr Gesicht. Doch die Wahr-
nehmung und der Umgang der Menschen, gerade junger
Menschen, mit der Gewalt ist ein anderer geworden. Des-
halb müssen wir als politisch Verantwortliche heute an-
dere Maßstäbe setzen.Wir müssen uns mit unserem Bild
der Gesellschaft und mit der Bedeutung der Gewalt in der
Gesellschaft offen und kritisch auseinander setzen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


„Was ist Gewalt anderes als Vernunft, die verzwei-
felt?“, fragte einst Gotthold Ephraim Lessing. In letzter
Konsequenz müssen wir mit der Gewalt leben lernen,
wird Gewalt immer Bestandteil unserer Gesellschaft sein.
Deswegen dürfen wir sie aber niemals als schicksalhaft
akzeptieren, niemals als selbstverständlich oder gar nor-
mal ansehen.

Ein Gewaltereignis, wie wir es in Erfurt erlebt haben,
dürstet nach der Benennung von Ursachen und nach Er-
klärungen. Dass wir heute im Bundestag über die diffe-
renzierte Bedeutung von Gewalt in unserer Gesellschaft
reden, ist sicher auch ein Eingeständnis: Wir sind biswei-
len sprachlos, ja ratlos. Wir suchen nach Antworten. Wir
neigen aber auch aus gutem Grund zu Skepsis gegenüber
vorschnellen, einfachen Antworten. Wir haben schlicht
keine Patentrezepte.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Bei aller Notwendigkeit zur Gemeinsamkeit, die wir in
den heutigen Reden betont haben, möchte ich aber auch
darauf hinweisen, dass ich mit dem, was beispielsweise
Frau Merkel aus ihrer Sicht geschildert hat, nicht über-
einstimme. Ich habe eine andere Vorstellung von gemein-
schaftlichem und gesellschaftlichem Zusammenleben.
Für mich ist das Rollback in die 50er-Jahre kein zu-
kunftsweisendes Konzept. Ich kann mich auch nicht mit
den Vorstellungen von Frau Pau identifizieren, die im
Prinzip – ich überspitze das jetzt einfach einmal – deut-
lich gemacht hat: Der böse Kapitalismus ist allein an al-
lem schuld. Ich glaube, dass wir es uns so einfach nicht
machen können.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, ein Schlagwort
taucht bei unserer mühsamen Suche immer wieder auf:
die Verantwortung der Medien. Das Urteil über die
Rolle der beobachtenden, beschreibenden, ordnenden und
kommentierenden Medien verharrt dabei oft im Stadium
der plumpen Medienschelte. Die Position der Medien als
Auslöser, Transporteur, Verführer oder Aufklärer sollte
ausgewogen beurteilt werden. Selbstverständlich sind
schreckliche Gewalthandlungen, die in der Mitte unserer

Gesellschaft emporwachsen, ein Anlass zu großer Sorge.
Die real existierende Gewalt in der Gesellschaft erzeugt
Angst der Gesellschaft vor Gewalt.

Aber die Medien zerren Gewalt ans Licht der Öffent-
lichkeit. Sie geben Opfern und Tätern ein Gesicht. Das ist
durchaus verdienstvoll, weil die Gewalt, die früher hinter
verschlossenen Türen stattfand, durch die Medien in das
öffentliche Bewusstsein gerückt ist. Das gilt für Kindes-
missbrauch wie Gewalt gegen die Ehefrau – ich könnte
jetzt noch viele andere schreckliche Beispiele benennen.
Regelmäßig erfährt man in den Medien Dinge, die bis vor
wenigen Jahren noch ein Tabu und mit dem Mantel des
Schweigens verhüllt waren. Nichts Furchtbares scheint
uns mehr fremd.

Doch hat die Veröffentlichung von Gewalt durch die
Medien auch ihre Kehrseite: Gleichwohl die jährlichen
Zahlen gerade bei Gewalttaten im privaten Raum in den
70er-Jahren etwa doppelt so hoch waren wie in den ver-
gangenen Jahren, vermitteln Schlagzeilen und Skandal-
nachrichten ein anderes Bild: Ständig ist von einer rapi-
den Zunahme tragischer Gewalt die Rede, einzelne Fälle
werden in reißerischer Manier der Öffentlichkeit präsen-
tiert. Damit entsteht der Wettbewerb um die mitreißends-
te Story oder das schockierendste Ereignis; und alle sind
eingeladen mitzumachen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, dabei gibt es durchaus
Entwicklungen, die uns hoffen lassen dürfen. Das Gespür
für eine zivile, humane Gesellschaft wird beständig stärker.
Gerade junge Menschen verleihen ihrer Skepsis gegenüber
der Konfliktlösung mittels Gewalt Ausdruck. Viele von uns
wurden doch in den vergangenen Monaten in Gesprächen
mit Schulklassen und Jugendgruppen mit der Infragestel-
lung von militärischer Gewalt als Mittel der Politik kon-
frontiert. Ich habe dies immer auch als Mahnung verstan-
den, unseren Weg unablässig kritisch zu überprüfen. Ich
habe es als Bestätigung für unsere, vor allem von jungen
Menschen getragene zivile Gesellschaft gesehen, in der
Konflikte zunehmend eben auch zivil gelöst werden kön-
nen. Leider lassen sich solche Mut machenden Entwick-
lungen nicht so gut und quotenträchtig kommunizieren wie
eine Gewalttat, wie ein Skandal oder der peinliche Exhibi-
tionismus so mancher Nachmittagstalkshow.

Ich halte es ebenso für angebracht, dass wir Politikerin-
nen und Politiker uns selbstkritisch fragen, wie weit wir zu
gehen bereit sind, um das öffentliche Interesse auf uns zu
lenken. Fallschirmsprünge, Containerbesuche, Hetze gegen
Minderheiten, der Plausch aus dem privaten Wohnzimmer
verheißen zwar Schlagzeilen. Doch dürfen wir dabei nicht
übersehen, dass wir mit dieser Veröffentlichung des Priva-
ten dem skandalorientierten Zusammenspiel von Ex-
hibitionismus einerseits und Voyeurismus andererseits, den
wir ja unablässig beklagen, selber Nahrung geben.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der PDS)


Ich plädiere daher nicht nur an die Verantwortung der
Medien. Wir alle tragen Verantwortung, vor allem wir Po-
litikerinnen und Politiker. Das Kalkül auf Publizität darf
nicht zum Dammbruch jeglicher Werte führen, auch und




Michael Roth (Heringen)


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(C)



(D)



(A)



(B)


gerade nicht in puncto Gewalt. Wir müssen Werte vorle-
ben, nicht nur erklären. Jede Generation ist nur so gut wie
die Gesellschaft, in der sie aufwächst und ihren Platz fin-
det. Und so geht es nicht einzig um Verbote und Restrik-
tionen, sondern um die Vermittlung und Plausibilität eines
Gegenentwurfes von Gewalt, hin zu einer Erziehung,
die die Fähigkeit zur kritischen Bewertung erlebter Ge-
walt ermöglicht. Jugendliche müssen lernen, Verantwor-
tung zu tragen. Sie müssen differenzieren und abwägen
lernen. Kinder und Jugendliche wollen nicht abgeschottet
und unter Biotopschutz gestellt werden. Eine wachsende
staatliche Kontrolle bringt uns nicht viel weiter. Ich bin
davon überzeugt: Selbstbestimmung ist lernbar und ver-
mittelbar.

„Die Gewalt lebt davon, dass sie von Anständigen
nicht für möglich gehalten wird.“ Das sagte Jean-Paul
Sartre. Wir brauchen daher immer wieder, nicht nur am
9. November, einen Aufstand der Anständigen, tagtäglich,
in der Familie, in der Schule, am Arbeitsplatz.

Auch wir Politiker müssen und können Vorbild sein.
Der bevorstehende Wahlkampf bietet uns allen die
Chance, unsere Wortgewalt nicht allzu unüberlegt einzu-
setzen. Denken wir stets daran: Womöglich hört uns je-
mand zu.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der PDS)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1424703000
Als letzter
Redner in dieser Debatte hat der Kollege Carsten
Schneider für die SPD-Fraktion das Wort.


(Dr. Irmgard Schwaetzer [FDP]: Jetzt lassen die die ganzen Kinder reden!)



Carsten Schneider (SPD):
Rede ID: ID1424703100
Das habe ich gehört! Sie
werden trotzdem gestatten, dass ich hier rede. – Liebe Kol-
leginnen und Kollegen! Ich bin Erfurter, vertrete diesen
Wahlkreis hier im Bundestag, bin in dieser Stadt aufge-
wachsen, habe dort Freunde gefunden und Verletzungen
erlitten. Ich habe sie noch immer geliebt und ich liebe diese
Stadt. Wer schon einmal dort war, weiß: Sie ist wunder-
schön, klein und fein, die Menschen sind sehr freundlich,
gastfreundlich, und es herrscht ein sehr angenehmes
Klima. Jeder kennt jeden. Umso betroffener waren die
Menschen über die Gewalttat am Gutenberg-Gymnasium
und umso tiefer die Wunden, die sie hinterlassen hat.

Niemand, der nicht vor Ort war, kann nachvollziehen,
was solch eine schreckliche Tat für eine Stadt wie Erfurt
bedeutet. Sie hat das öffentliche Leben in der Stadt er-
stickt. Die Menschen haben sich über eine Woche in ihre
Privatsphäre zurückgezogen. – Auch ich habe, wie Katrin
Göring-Eckardt, die Trauerfeier und das, was danach
war, als eine Befreiung empfunden. – Die Cafés und Knei-
pen waren wie leer gefegt. Es gab eine Suche nach Halt,
nach Sicherheit und auch nach dem Alltag, wie er früher
war. Man konnte in den Gesichtern der eigentlich fremden
und doch wieder nahen Menschen auch Sorge sehen.

Der Schock hat uns alle erschüttert und gelähmt. Der
Gedanke an diesen Tag tut es sicherlich noch heute. Die
erstaunliche Erfahrung für mich war allerdings, dass
große Gefahr und Gewalt uns Menschen wieder näher
zusammenrücken lassen. Es hat Zusammenhalt und So-
lidarität gegeben, einen Gemeinsinn, wie ich ihn in Er-
furt und auch sonst in Deutschland seit der Wendezeit
nicht mehr erlebt hatte. Ich hoffe, dass über das Bild von
der schrecklichen Gewalttat hinaus auch dieses Bild mei-
ner Heimatstadt in Erinnerung bleibt und dass die Stadt
nicht stigmatisiert wird.

Ich möchte an dieser Stelle besonders den Erfurter
Kirchen danken. Sie haben ihre Türen sehr schnell geöff-
net und einer nahezu säkularisierten Gesellschaft einen
Ort der Trauer gegeben, einen Ort, der der Gemeinschaft
geholfen hat, das Entsetzen zu verarbeiten. Ich möchte
auch allen Bürgern dieses Landes für ihre zum Ausdruck
gebrachte Anteilnahme und die immer wieder großzügig
angebotene Hilfe danken. Es war gut, zu wissen, dass wir
nicht allein sind.

Es gab aber auch Ängste und erste Reaktionen, die zu
Überreaktionen geführt haben. Ich selbst bin Präsident
eines großen Sportvereins in Erfurt. Der Täter wie auch
sein Bruder waren dort Mitglied. Die Mitglieder seiner
Handballmannschaft wurden in einer Thüringer Zeitung
mit Bild veröffentlicht und danach von den Lehrern und
Schülern in Sippenhaft genommen. Das hat dazu geführt,
dass sie sehr stark verunsichert waren und Hilfe gebraucht
haben. Das hat sich geklärt. Ich bin sehr froh darüber und
wünschte mir, dass diese Art und Weise des miteinander
Lebens weiterhin möglich ist.

Verkraftet haben sie es trotzdem nicht, bis heute nicht.
Ich habe in Erfurt mit vielen Menschen gesprochen. Viele
haben regelrecht das Gespräch gesucht. Der Schock saß
bei allen tief: Das ist bis heute noch der Fall.

Lassen Sie mich ganz deutlich sagen: Egal wie wir das
Schul- und das Bildungssystem verändern – darüber
wurde heute viel gesprochen –, egal wie gut wir die früh-
kindliche Betreuung fördern: Keine staatliche Stelle kann
Erziehung, Zuwendung und Liebe des Elternhauses er-
setzen. Im Elternhaus wird der Grundstein für die Bildung
jeder Persönlichkeit gelegt. Dieser Grundstein ermöglicht
es, sich über den eigenen Wert und über die Würde eines
anderen Menschen bewusst zu werden.

Ich wünsche mir, dass es gerade im Elternhaus mehr
Zeit gäbe, sich mit den Kindern auseinander zu setzen,
den kritischen Dialog zu suchen und sich anzuschauen,
welche Computerspiele sie spielen. Kurz nach der Bluttat
gab es eine sehr heftige Diskussion – sie besteht bis heute
fort –, welche Computerspiele verboten werden müssten.

Ein Spiel, das immer wieder genannt wird, ist das Spiel
Counterstrike. Ich weiß nicht, wie viele in diesem Ho-
hen Hause dieses Spiel schon einmal gespielt haben und
sich tatsächlich eine Meinung darüber bilden konnten. Ich
selbst habe es nach dem schrecklichen Geschehen aus-
probiert, weil ich von vielen Jugendlichen angesprochen
wurde, die Unverständnis über die Forderung nach einem
Verbot geäußert haben. Nicht jeder, der Computerspiele
spielt – ich selbst habe das in meiner Jugendzeit getan –,




Michael Roth (Heringen)

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(C)



(D)



(A)



(B)


ist ein potenzieller Gewalttäter. Aus diesem Grund mahne
ich zur Vorsicht. Ich warne vor Schnellschüssen, weil ich
glaube, dass vorschnelle Forderungen ins Leere laufen.
Sie würden nur zu einer größeren Sprachlosigkeit führen,
anstatt bestehende Defizite zu beseitigen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)


Angesichts der Tat von Erfurt wurden viele drängende
Fragen gestellt; viele davon werden wir wahrscheinlich
nie beantworten können. Wir müssen aber politische Kon-
sequenzen ziehen. Das ist zum Teil schon geschehen. Ich
möchte noch einige Punkte hinzufügen.

Die wichtigste Erkenntnis nach den Geschehnissen
und nach dem Prozeß, den viele Schüler in den Wochen
danach durchmachen mussten, ist für mich, dass Bil-
dungspolitik die höchste Priorität hat. Das sollten wir aus
der heutigen Debatte mitnehmen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der PDS)


Natürlich gehört in diesen Zusammenhang die Frage
nach dem Schulabschluss und den Möglichkeiten der Le-
bensgestaltung. Ich selbst habe Abitur gemacht, danach
eine Banklehre. Es ist für einen Realschüler aufgrund der
Ausbildungsplatzsituation fast nicht möglich, diesen Be-
ruf zu erlernen, obwohl der Schulabschluss ausreichen
würde. Gerade für Realschüler ist es schwierig, attraktive
Ausbildungsstellen zu bekommen. Ich kann an dieser
Stelle nur an die Unternehmen appellieren, auch qualifi-
zierten Haupt- und Realschülern einen Lehrvertrag und
damit eine Chance auf dem ersten Arbeitsmarkt zu geben.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Herr Kollege Vogel, Sie haben Ihre Regierungser-
klärung im Thüringer Landtag heute noch einmal vorge-
tragen. Darin mahnen Sie eine Kultur des Zuhörens an.
Ich halte das für absolut richtig. 4 000 Schüler haben in
Erfurt vor der Staatskanzlei für eine schnelle Änderung

des Thüringer Schulsystems demonstriert, was vor allen
Dingen den Abschluss bei Abbruch des Gymnasiums be-
trifft. Bis heute gibt es keine entsprechende Regelung.


(Dr. Antje Vollmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Hört! Hört!)


Ich kann die Enttäuschung von vielen Schülern an dieser
Stelle verstehen.


(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS)


Ich kann Sie nur auffordern, Ihren guten und gesetzten
Worten des heutigen Tages auch Taten folgen zu lassen;
denn diese sind notwendig.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, auf uns lastet viel
Verantwortung. Ich bin mir sicher, dass viele Menschen
heute die Debatte verfolgt haben und Hoffnung daran
knüpfen. Lassen Sie uns gemeinsam dafür sorgen, dass
diese Hoffnung nicht enttäuscht wird und dass den ange-
sprochenen Punkten auch tatsächlich Taten folgen. Die
guten Vorsätze dürfen nicht im Keim erstickt werden. Da-
rum bitte ich Sie.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der PDS und des Abg. Eckart von Klaeden [CDU/CSU])



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1424703200
Ich schließe
die Aussprache.

Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tagesord-
nung.

Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundes-
tages auf morgen, Donnerstag, den 4. Juli 2002, 9 Uhr,
ein.

Die Sitzung ist geschlossen.