Gesamtes Protokol
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Guten Tag, liebe Kol-
leginnen und Kollegen, liebe Besucherinnen und Besu-
cher! Die Sitzung ist eröffnet.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 1 auf:
Fragestunde
– Drucksache 14/9508 –
Wir kommen zuerst zum Geschäftsbereich des Bun-
desministeriums für Wirtschaft und Technologie. Zur Be-
antwortung steht Herr Parlamentarischer Staatssekretär
Ditmar Staffelt zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 1 des Abgeordneten Hans Michelbach
auf:
Gedenkt die Bundesregierung die 570 Millionen Euro, die
ihr angesichts des Beschlusses der EU-Kommission vom
19. Juni 2002 durch die Deutsche Post AG wegen der Quersub-
ventionierung der Paketsparte durch Einnahmen aus dem Brief-
geschäft zurückerstattet werden müssen, an die Bürger durch Sen-
kung des Briefportos weiterzugeben?
D
Die Europäische
Kommission hat in ihrer Entscheidung vom 19. Juni 2002
festgestellt, die Deutsche PostAG habe in der Vergangen-
heit den Paketbereich mit rechtlich unzulässigen Beihil-
fen finanziert.
Die Entscheidung der Kommission betrifft einen kom-
plexen ökonomischen Sachverhalt und wirft schwierige
juristische Fragen auf. Die Bundesregierung wird die
Kommissionsentscheidung daher sorgfältig analysieren
und wird prüfen, welche weiteren Schritte hierdurch er-
forderlich sind.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Bitte zur ersten Nach-
frage, Herr Michelbach.
Herr Staatssekretär,
sind Sie nicht der Auffassung, dass Sie sich in dieser Frage
auch zu Tode prüfen können? Es ist eine klare Entschei-
dung der EU-Kommission vorhanden. Es wäre doch sinn-
voll, dass Sie das Geld, das für Quersubventionierungen
genutzt wurde, an den Bürger zurückgeben, indem Sie das
Porto entweder durch Öffnung des Marktes und damit
durch Konkurrenz verbilligen oder eine Anordnung zur
Senkung des Briefportos vornehmen.
D
Herr Abgeord-
neter, jedes Unternehmen in Deutschland hat ein Recht
darauf, dass es bei Entscheidungen der EU-Kommission
eine sachgerechte Nachprüfung seitens der Bundesregie-
rung gibt. Wir vertreten auch hier gegenüber der EU-
Kommission unsere deutschen Interessen. Vor diesem
Hintergrund wird Zeit benötigt, um einen derartig kom-
plexen Sachverhalt zu analysieren und zu beurteilen.
Ich wundere mich ein wenig darüber, dass Sie die
Position der EU-Kommission bereits vorwegnehmen,
ohne offenbar eine solche rechtliche Würdigung vorge-
nommen zu haben oder eine Stellungnahme der Bundes-
regierung in detaillierter Form zur Kenntnis genommen
zu haben.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Michelbach hat
noch eine zweite Nachfrage. Bitte.
Herr Staatssekretär,
sehen Sie nicht eine gewisse einseitige Förderung der
Post AG in Verbindung mit der Befreiung von der Um-
satzsteuer in einer Höhe von 910 Millionen Euro durch
den Bundesfinanzminister, obwohl durch die EU-Kom-
mission eine Summe von 570 Millionen Euro als Quer-
subventionierung genannt wird? Wäre es nicht sinnvoll,
dass Sie diese Quersubventionierungen gegenüber der
Öffentlichkeit eingestehen und anerkennen, dass eine sol-
che Quersubventionierung einseitig der Interessenlage
des Bundes entspricht, den Wert der Aktien der Post AG
zu erhöhen, ohne dass die wirkliche Wertschöpfung vor-
handen ist?
D
Herr Abgeord-
neter, ich verweise darauf, dass die Kommission zahlrei-
chen Vorwürfen gegenüber der PostAG nachgegangen ist.
24563
244. Sitzung
Berlin, Mitwoch, den 26. Juni 2002
Beginn: 13.00 Uhr
Lediglich in einem Punkt ist sie zu einer anderen Rechts-
auffassung als die Bundesregierung gelangt. Dabei han-
delt es sich um den bereits angesprochenen Punkt des
Geschäftskundensegments Paketdienst, und zwar insbe-
sondere um die Tür-zu-Tür-Zustellung. In diesem Zusam-
menhang sind wir der Auffassung, dass – ich wiederhole
mich – eine solche rechtliche Würdigung erforderlich ist.
Diese Würdigung nehmen wir derzeit vor. Das Parlament
wird selbstverständlich von uns unterrichtet werden, so-
bald der Vorwurf der Europäischen Kommission von uns
in ausreichender Weise geprüft worden ist.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich rufe jetzt die
Frage 2 des Kollegen Michelbach auf:
Was gedenkt die Bundesregierung gegen die aktuelle Insol-
venzwelle bei mittelständischen Unternehmen zu unternehmen,
und wie viele Unternehmen sind nach Kenntnis der Bundesregie-
rung in Oberfranken von der Insolvenzwelle betroffen?
Bitte, Herr Staatssekretär.
D
Herr Abgeord-
neter Michelbach, im Jahr 2001 gab es in Deutschland
rund 32 300 Unternehmensinsolvenzen. Im Vergleich
zum Jahr 2000 stieg damit die Zahl der Unternehmensin-
solvenzen um 14,3 Prozent. Nach ersten Schätzungen, die
das Statistische Bundesamt für das erste Quartal 2002 auf
der Basis von Ergebnissen von mehr als der Hälfte der
Bundesländer vorgenommen hat, setzt sich der bereits seit
Anfang der 90er-Jahre zu beobachtende Aufwärtstrend
der Insolvenzzahlen auch im Jahr 2002 fort.
Die Zahl der Unternehmensinsolvenzen hat im ersten
Quartal des Jahres 2002 um circa 5 Prozent gegenüber
dem gleichen Vorjahreszeitraum zugenommen. Meldun-
gen, wonach für das laufende Jahr mit einer nie da gewe-
senen Pleitewelle, mit Steigerungsraten um 25 Prozent
und mehr als 40 000 Unternehmensinsolvenzen zu rech-
nen sei, können vor diesem Hintergrund nicht nachvoll-
zogen werden.
Für die Beurteilung der Unternehmensentwicklung in
einer Volkswirtschaft ist nicht allein die Zahl der Insol-
venzen maßgeblich, sondern auch die Zahl der Neugrün-
dungen. Von entscheidender Bedeutung ist das Grün-
dungsgeschehen insgesamt und damit der Saldo. Dieser
ist weiterhin deutlich positiv. Im Jahr 2001 standen in
Deutschland 545 000 Gründungen 470 000 Liquidationen
gegenüber. Damit der Saldo auch weiterhin positiv bleibt,
ist es die zentrale Aufgabe der Wirtschafts- und Finanz-
politik, Raum für private Initiative und insgesamt ein po-
sitives Klima für Investitionen und Unternehmensgrün-
dungen zu schaffen. Die Bundesregierung hat in dieser
Hinsicht in den vergangenen Jahren Beachtliches zuwege
gebracht. Mit den in mehreren Stufen realisierten Steuer-
reformmaßnahmen werden mittelständische Unterneh-
men im Jahr 2005 gegenüber 1998 per saldo um rund
16,7 Milliarden Euro pro Jahr entlastet. Die Steuerentlas-
tungen ermöglichen den Unternehmen höhere Nettoge-
winne und erleichtern auf diesem Wege die notwendige
Bildung von Eigenkapital.
Die Finanzierung des Mittelstands ist und bleibt ein
zentraler Punkt der Mittelstandspolitik. In diesem Jahr ste-
hen allein aus dem ERP-Sondervermögen des Bundes ins-
gesamt 5,2 Milliarden Euro für zinsgünstige Förderkredite
zur Verfügung. Die beiden Förderinstitute des Bundes, die
KfW – Kreditanstalt für Wiederaufbau – und die Deutsche
Ausgleichsbank, werden zusätzlich rund 9 Milliarden
Euro für die Kreditfinanzierung des Mittelstands anbieten.
In der Region Oberfranken in Bayern gab es im
Jahr 2000 laut Bayerischem Landesamt für Statistik und
Datenverarbeitung 284 Unternehmensinsolvenzen. Im
Jahr 2001 stieg die Zahl um knapp 65 Prozent auf 468.
Die Zahlen zum ersten Quartal 2002 liegen aufgrund ei-
ner Modifizierung der Berechnungsmethode bei der Ab-
grenzung zwischen Verbrauchern und Kleingewerbetrei-
benden derzeit noch nicht vor.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Zu einer ersten Nach-
frage hat der Kollege Michelbach das Wort.
Herr Staatssekretär,
vielen Dank für die Beantwortung der Frage, insbeson-
dere im Hinblick auf den Regierungsbezirk Oberfranken.
Stellen Sie bei der Steigerung um 65 Prozent in nur einem
Jahr nicht fest, dass es ein Ausbluten der Grenzregionen
zwischen den alten und den neuen Bundesländern gibt?
Welche Maßnahmen treffen Sie, um den Grenzregionen,
die das Fördergefälle hin zu den neuen Bundesländern un-
mittelbar erleiden müssen, zu helfen?
D
Sie kennen die
Möglichkeiten, die die Bundesregierung im europäischen
Rahmen hat. Diese Möglichkeiten werden in vollem Um-
fang ausgeschöpft. Darüber gibt es in der politischen De-
batte, soweit ich das sehe, keinen Dissens zwischen Op-
position und Regierung.
Ich verweise allerdings auch auf die Verpflichtung des
Freistaats Bayern, sich um die dortigen Regionen eigen-
ständig zu kümmern und den strukturschwachen Regio-
nen gegebenenfalls mit eigenen Fördermaßnahmen zu
helfen. Ich darf allerdings unterstellen, dass es entspre-
chende Aktivitäten gibt.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Kollege Michelbach
hat noch eine zweite Nachfrage.
Herr Staatssekretär,
ist Ihnen nicht bewusst, dass das EU-Recht leider keine
eigenen Fördermöglichkeiten der Bundesländer zulässt
– ich verweise auf die Subventionskontrolle –, sodass wir
eine Veränderung der Fördermaßnahmen, insbesondere
eine eigene Förderkulisse für die Grenzregionen brau-
chen, damit in Berlin und in München über entsprechende
Maßnahmen entschieden werden kann? Sehen Sie nicht
die Notwendigkeit zur Änderung der Fördermaßnahmen
und der Wettbewerbskontrolle der EU?
D
Wir sind immer
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 244. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. Juni 2002
Parl. Staatssekretär Dr. Ditmar Staffelt24564
gern bereit, uns auch bei der EU-Kommission und bei derEU ganz generell für die Interessen der deutschen Wirt-schaft und der deutschen Regionen stark zu machen. Ichwill auch gar keinen Dissens zwischen einer Landesregie-rung und der Bundesregierung herbeiführen. Es geht unsum die Sache, nämlich um den Bestand unseres Mittelstan-des, der für unsere Wirtschaft insgesamt wichtig genug ist.Wir haben keine näheren Angaben über die Entwick-lung in Oberfranken, aber insgesamt gesehen ist der An-teil der Insolvenzen im Baugewerbe relativ und auch ab-solut hoch. Auch in Ihrem Bereich wird wohl dasBaugewerbe eine nicht unerhebliche Rolle spielen. DieInsolvenzen betreffen im Baugewerbe im Jahr 20012,8 Prozent der Unternehmen. Im Durchschnitt aller Un-ternehmen betreffen sie nur 1,1 Prozent.Man muss außerdem sehen, dass mehr als 26 Prozentder Insolvenzen im Jahr 2001 in den neuen Bundesländernohne Berlin – davon 40 Prozent im Baugewerbe – zu ver-zeichnen waren. Die Bundesländer mit der höchsten In-solvenzhäufigkeit – auch das ist interessant – waren imJahr 2001 ostdeutsche Länder, nämlich Mecklenburg-Vor-pommern, Sachsen-Anhalt, Sachsen und Brandenburg.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Es gibt eine weitere
Nachfrage, und zwar vom Kollegen Schauerte.
Herr Staatssekre-
tär, gerade die letzte Aussage über die katastrophale Ent-
wicklung in den neuen Ländern zeigt natürlich, wie sehr
die Chefsache Aufbau Ost misslungen ist.
Meine Frage lautet: Wissen Sie, wie viele Arbeitsplätze
in den 468 in Konkurs gegangenen Unternehmen in Ober-
franken betroffen waren?
D
Diese Frage
kann ich Ihnen nicht beantworten. Das ist vom Ministe-
rium nicht aufgearbeitet worden. Vermutlich ist die statis-
tische Basis nicht vorhanden.
Weil Sie von der katastrophalen Situation gerade in der
Bauwirtschaft in Ostdeutschland sprechen, möchte ich an
dieser Stelle eines noch einmal sagen. Sie wissen sehr ge-
nau, dass ein erheblicher Teil der Insolvenzen – „Insol-
venz“ ist nicht mit „Pleite“ oder „Konkurs“ gleichzuset-
zen; das sollte man in der Öffentlichkeit immer wieder
betonen; das Insolvenzrecht ist auch gerade verbessert
worden – vor dem Hintergrund der Politik, die Sie in den
90er-Jahren betrieben haben, zu sehen ist. Es ist daran zu
erinnern, dass Sie über Sonderabschreibungstatbestände
nicht nur für Investitionsruinen, sondern auch dafür ge-
sorgt haben, dass sich in der Bauwirtschaft eine Blase hat
entwickeln können, die jetzt zum Platzen gekommen ist,
was viele Arbeitsplätze kostet. Das ist jedenfalls ein Teil
der Wahrheit, über die wir zu reden haben, wenn wir die
Bauwirtschaft in Ostdeutschland einer näheren Betrach-
tung unterziehen, Herr Schauerte.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Vielen Dank, Herr
Staatssekretär.
Wir kommen jetzt zum Geschäftsbereich des Bundes-
ministeriums für Verbraucherschutz, Ernährung und
Landwirtschaft. Zur Beantwortung steht Herr Parlamen-
tarischer Staatssekretär Matthias Berninger zur Verfü-
gung.
Ich rufe die Frage 3 des Abgeordneten Helmut
Heiderich auf:
Sind der Bundesregierung die Untersuchungen des Landwirt-
schaftszentrums Haus Düsse bekannt, wonach es im ökologischen
Landbau 18,7 Prozent Ferkelverluste bis zum Absetzen gab, im
Vergleich zu 12,4 Prozent bei normaler Aufzucht, und hat die Bun-
desregierung Kenntnis über andere vergleichende Versuche über
die Tierhaltung im ökologischen Landbau und der herkömmlichen
Tierhaltung, besonders bei der Haltung von Legehennen, vor dem
Hintergrund von Meldungen, dass Futterzusammensetzungen
in Öko-Betrieben verstärkt das Federpicken von Legehennen aus-
lösen?
Ma
Herr Kollege Heiderich, ich beantworte im
Namen der Bundesregierung Ihre Frage wie folgt: Der
Bundesregierung sind die vorgenannten Untersuchungen
bekannt. Eine angemessene ursachenorientierte Kom-
mentierung der Untersuchungsergebnisse bedarf jedoch
einer genauen Analyse der Ausgestaltung des Verfahrens
der jeweiligen, vor allem tiergesundheitsrelevanten, Vor-
kommnisse in den einzelnen Durchgängen der Auf-
zuchtspartien. Darüber hinaus muss man klar sagen, dass
die Untersuchungen auf eineinhalbjährige Erfahrungen
zurückzuführen sind und daher noch keineswegs reprä-
sentativ sein können.
Wir haben gerade im Ferkelaufzuchtbereich im ökolo-
gischen Landbau Vergleiche mit dem konventionellen
Landbau und kommen hier zu ähnlichen Ergebnissen. Es
sind vor allem zwei Dinge sehr wichtig: Zum einen ist es
sehr stark von den einzelnen Betriebsleitern abhängig,
wie hoch die Mortalität bei den Ferkeln ist, und zum an-
deren hängt sie sowohl in der konventionellen als auch in
der ökologischen Landwirtschaft sehr stark von der Qua-
lität des eingesetzten Futters ab.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege
Heiderich zu einer ersten Nachfrage, bitte.
Herr Staatssekretär,
ich hatte auch zum Thema der Legehennen etwas gefragt;
darauf haben Sie leider keine Antwort gegeben. Deshalb
frage ich dazu noch einmal: Ist Ihnen bekannt, dass es
nach Untersuchungen offensichtlich insbesondere bei der
Freilandhaltung von Legehennen im ökologischen Be-
reich zu sehr starken Krankheitsbelastungen kommt und
dass gerade in diesem Bereich dann entweder entspre-
chende Medikamente eingesetzt werden müssen oder
eben mit erhöhten Mortalitätsraten gerechnet werden
muss?
Ma
Herr Abgeordneter, natürlich sind mir sol-che Untersuchungen bekannt. Im ökologischen Landbauhaben wir in den letzten Jahren die Forschungsintensität
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 244. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. Juni 2002
Parl. Staatssekretär Dr. Ditmar Staffelt24565
erheblich erhöht. Die Bundesregierung hat mit der Grün-dung des Bundesinstituts für ökologischen Landbau inTrenthorst, einer Außenstelle der Bundesforschungsanstaltfür Landwirtschaft, gerade einen Grundstein dafür gelegt,in diesem Bereich zu seriösen Forschungsergebnissen zukommen.Wir haben im Geflügelbereich auch wieder sehr unter-schiedliche Ergebnisse. In der Tat ist aber richtig, dass ins-besondere die essenzielle Aminosäure Methionin, die auchfür das von Ihnen genannte Federpicken relevant ist, in denFutterkombinationen des ökologischen Landbaus durch-aus optimierbar ist. Daran arbeiten wir. Ich bin auch sehrerfreut darüber, dass es uns in den Haushaltsberatungeninnerhalb der Bundesregierung gelungen ist, das Bundes-programm für den ökologischen Landbau, insbesonderefür den Bereich Forschung, nicht nur für zwei Jahre, son-dern für sechs Jahre festzuschreiben, sodass wir hier zuguten Ergebnissen kommen werden.Erlauben Sie mir eine weitere Bemerkung. Die Frage,welche Tierrassen hier zum Einsatz kommen, ist vongroßer Relevanz. Die Betriebe haben gerade im Bereichder Schweinezucht einen relativ langen Vorlauf. Hier wer-den alte, wesentlich robustere Haustierrassen vom ökolo-gischen Landbau bevorzugt, die sich dann auch eher art-gerecht halten lassen als solche Rassen, die nur aufentsprechende Fleischproduktion oder andere Leistungenhin hochgezüchtet worden sind und dann, wenn sie sichim natürlichen Umfeld bewegen, anfälliger für Krankhei-ten sind.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Es gibt noch eine
zweite Nachfrage.
Ich muss zuerst noch
eine Bemerkung machen. Ich würde gern mit Ihnen auch
einmal erörtern, ob das Methionin, das heute in der Regel
ja aus gentechnischen Verfahren gewonnen wird, im öko-
logischen Landbau auch einsetzbar wäre.
Aber ich möchte gern noch zu einem zweiten Feld fra-
gen: Wie beurteilen Sie Studien, die ja nicht nur aus
Deutschland, sondern auch aus anderen Ländern vorlie-
gen – insbesondere aus der Schweiz kenne ich eine sol-
che –, wonach die Produkte des ökologischen Landbaus
von der Hygiene, von den Inhaltsstoffen, von der Zu-
sammensetzung und von ihrer ernährungswirtschaftli-
chen Wirkung her keineswegs besser und gesünder sind
als die aus gewachsener Landwirtschaft erzeugten Nah-
rungsmittel? Diese Frage stelle ich vor dem Hintergrund,
dass Ihre Frau Ministerin immer öffentlich erklärt, die
Produkte des ökologischen Landbaus seien eben besser
bzw. gesünder.
Ma
Herr Abgeordneter, zunächst zu Ihrer
Eingangsbemerkung: Methionin ist die essenzielle Ami-
nosäure, die durch konventionelle Chemie hergestellt
wird. Nehmen Sie den größten Hersteller in Deutschland,
Degussa. Das ist Zyanidchemie, also ganz konventionell.
Ob es unbedingt immer mehr oder weniger giftig ist,
wenn man diese Verfahren oder Bioreaktoren wählt, lasse
ich dahingestellt sein.
Aber nun zu Ihrer zweiten Frage: Auch auf diesem Ge-
biet gibt es natürlich eine ganze Reihe von Untersuchun-
gen, zum Beispiel solche, die insbesondere die Vorteile
ökologisch hergestellter Produkte, wie den geringen
Nitratgehalt bei Salaten, unterstreichen. Ich denke auch
an Untersuchungen der Europäischen Union, die deutlich
machen, wie groß heutzutage die Anzahl an Lebensmit-
teln ist, die Rückstände von Pflanzenschutzmitteln auf-
weisen, und dass es bei immerhin 4 Prozent der Lebens-
mittel in Deutschland erhebliche Überschreitungen der
Rückstandshöchstmengen gibt. Produkte aus dem ökolo-
gischen Landbau, bei deren Anbau es von vornherein kei-
nen Kontakt mit den entsprechenden Chemikalien gab,
sind daher gesundheitlich von Vorteil. Auch auf diesem
Gebiet gibt es also noch erheblichen Forschungsbedarf.
Wir fördern den ökologischen Landbau, weil wir der
Auffassung sind, dass eine Kombination von positiven
Effekten – Gesundheitswirkung, ein erheblich besserer
Beitrag zum Tierschutz und zum Landschafts- und Ge-
wässerschutz – zu unterstützen ist. Ich denke, dass das
Sinn macht. Angesichts der Tatsache, dass 68 Prozent der
Bundesbürger der Meinung sind, dass man in diesem Be-
reich eher noch zu wenig macht, glaube ich, dass wir auf
dem richtigen Weg sind, wenn wir diese Förderung inten-
sivieren.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Vielen Dank, Herr
Staatssekretär.
Die Fragen zum Geschäftsbereich des Auswärtigen
Amtes – es handelt sich um die Fragen 4 und 5 – werden
schriftlich beantwortet.
Ich rufe jetzt den Geschäftsbereich des Bundesminis-
teriums für Arbeit und Sozialordnung auf. Zur Beantwor-
tung der Fragen steht der Parlamentarische Staatssekretär
Gerd Andres zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 6 des Abgeordneten Dr. Klaus Grehn
auf:
Wie erklärt die Bundesregierung, dass trotz vermehrter Kir-
chenaustritte und der Stagnation bzw. einem Rückgang der abso-
luten Zahl der Erwerbstätigen in Deutschland immer noch ein
pauschalierter Betrag für die Kirchensteuer bei der Berechnung
von Lohnersatzleistungen berücksichtigt wird und damit die Leis-
tungen gekürzt werden?
G
Frau Präsidentin, wenn
der Abgeordnete einverstanden ist, dann möchte ich die
Fragen 6 und 7 gemeinsam beantworten.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Wie ich sehe, ist derAbgeordnete einverstanden. Beide Fragen behandeln dengleichen Themenkomplex. Das geht also selbstverständ-lich. Daher rufe ich nun auch Frage 7 auf:Welche Konsequenzen zieht die Bundesregierung angesichtsder im entsprechenden Urteil des Bundesverfassungsgerichts– Az.: 1341-90 vom 24. April 1991 – der Durchschnittszahl derKirchenmitglieder unter den Erwerbstätigen beigemessenen ho-hen Bedeutung für die Berechtigung des pauschalierten Kirchen-
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 244. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. Juni 2002
Parl. Staatssekretär Matthias Berninger24566
steuerabzuges aus der Tatsache, dass das Statistische Bundesamttrotz seiner gesetzlichen Verpflichtung zu einer dreijährigen Peri-odizität für die Lohn- und Einkommensstatistik bis zum heutigenTag als aktuellste Zahlen die von 1995 und nicht die von 1998 vor-legen kann?G
Ich beantworte die
Fragen wie folgt: Das Bundesverfassungsgericht hat mit
Beschluss vom 23. März 1994 festgestellt, dass die Be-
rücksichtigung der Kirchensteuer beim Arbeitslosengeld
als Lohnabzug, der bei Arbeitnehmern gewöhnlich an-
fällt, so lange berechtigt ist, wie eine deutliche Mehrheit
von Arbeitnehmern einer Kirche angehört. Nach den vor-
liegenden Berechnungen gehörten zum Jahresende 2000
rund 57 Prozent der lohnsteuerpflichtigen Arbeitnehmer
einer die Kirchensteuer erhebenden Kirche an. Dies ist
nach wie vor eine deutliche Mehrheit der Arbeitnehmer.
Angaben zur Anzahl der Arbeitnehmer, die Mitglied ei-
ner Kirche sind, lassen sich aus der Lohn- und Einkom-
mensteuerstatistik entnehmen, die in einem dreijährigen
Turnus erstellt wird. Es trifft zu, dass die letzte Sonder-
auswertung des Statistischen Bundesamtes auf den Daten
des Jahres 1995 basiert. Sie wurde Ende des Jahres 1999
erstellt. Danach betrug der Anteil der Arbeitnehmer, die
Kirchensteuer zahlen, an der Gesamtzahl der lohnsteuer-
pflichtigen Arbeitnehmer 60 Prozent.
Die große Zeitdifferenz zwischen dem Erfassungszeit-
rahmen und der Aufarbeitung der Bundesergebnisse er-
gibt sich aus den langen Steuererklärungsfristen. Hinzu
kommen die Bearbeitungszeiten der Finanzverwaltungen
und der statistischen Ämter. Mit den Ergebnissen für das
Jahr 1998 wird deshalb frühestens gegen Ende 2002 ge-
rechnet.
Für die Jahre 1996 und folgende wird der Anteil der
kirchensteuerpflichtigen Arbeitnehmer in Anlehnung an
den Anteil der Kirchenmitglieder in der Bevölkerung an-
hand der Auskünfte der Evangelischen Kirche in Deutsch-
land und des Verbandes der Diözesen Deutschlands er-
mittelt. Es wird für das Jahr, für das zuletzt Auswertungen
der Lohn- und Einkommensteuerstatistik vorliegen – wie
ich eben schon ausgeführt habe, ist dies derzeit das
Jahr 1995 –, die Differenz zwischen den Anteilen der Kir-
chenmitglieder an der Bevölkerung und der Zahl der lohn-
steuerpflichtigen Arbeitnehmer ermittelt. Diese Differenz
wird näherungsweise als konstant betrachtet und auf den
aktuellen Wert des Anteils der Kirchenmitglieder in der
Bevölkerung bezogen.
Zum Jahresende 1995 waren 68 Prozent der Bevölke-
rung Mitglied der evangelischen oder der katholischen
Kirche. Der Anteil der lohnsteuerpflichtigen Arbeitneh-
mer, die Kirchensteuer zahlen, lag acht Prozentpunkte
niedriger. Zum Jahresende 2000 waren 64,9 Prozent der
Bevölkerung Mitglied der evangelischen oder der katho-
lischen Kirche. Der Anteil der lohnsteuerpflichtigen Ar-
beitnehmer, die Kirchensteuer zahlen, ist daher mit
57 Prozent anzunehmen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Der Kollege
Dr. Grehn hat die Chance, vier Nachfragen zu stellen.
Herr Grehn, Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage,
bitte.
Danke schön, Frau Präsi-
dentin, ich werde diese Chance nutzen, und zwar vierfach.
Herr Staatssekretär, wie bewerten Sie angesichts Ihrer
Aussagen zu den aktuellen Prozentzahlen folgende mir
vom Statistischen Bundesamt mit Datum vom 27. März
2002 zugegangene Äußerung – ich zitiere –:
... wenn Sie in Übersicht 2, d. i. die für die sozialver-
sicherungspflichtige Arbeitnehmerschaft relevante
Übersicht, eine Gesamtquote von knapp 60 %
– die hatten Sie genannt –
kirchenlohnsteuerpflichtigen Arbeitnehmern und Ar-
beitnehmerinnen finden, so relativiert sich diese
Quote doch beträchtlich angesichts der Streuung über
die Bundesländer: In Sachsen-Anhalt beträgt diese
Quote nur 14,0, im Saarland dagegen 85,1%. Ein wei-
teres Problem wird ebenfalls in der Kommentierung
angesprochen: Zieht man anstelle der reinen Kirchen-
steuerpflicht die tatsächliche Belastung durch Kir-
chenlohnsteuer heran, so verringert sich diese Quote
um 8 Prozentpunkte und kommt der 50-%-Grenze
schon sehr nahe. Berücksichtigt man weiter den ho-
hen Stand der Arbeitslosigkeit und die Tatsache, dass
im Gegensatz zu den jüngeren die älteren Mitbürger/
innen im Rentenalter in der Regel nicht aus der Kir-
che austreten – sie sind zwar weiterhin kirchensteuer-
pflichtig, jedoch nicht kirchenlohnsteuerpflichtig und
meist auch nicht mit Kircheneinkommensteuer belas-
tet –, dass der Bevölkerungsanteil der Älteren einer-
seits immer größer wird und andererseits die Mitglie-
derbewegung in beiden großen Kirchen rückläufig
ist ..., so dürfte sich die Quote inzwischen noch wei-
ter verringert haben.
Das heißt, sie liegt damit mit hoher Wahrscheinlichkeit
unter 50 Prozent.
G
Herr Abgeordneter, ich kannIhnen zunächst nur sagen, wovon die Bundesregierung aus-geht. Die Berechnungsgrundlagen habe ich Ihnen geschil-dert. Der Anteil derer, die lohn- und einkommensteuer-pflichtig sind, liegt gegenwärtig, wie wir ermittelt haben, beietwa 57 Prozent. Dies ist nach unserer Auffassung eineMehrheit. Spekulationen, dass er deutlich unter 50 Prozentliegen könnte, kann ich mich hier nicht anschließen. Ichkann nur von dem ausgehen, was uns vorliegt.Im Übrigen will ich darauf verweisen, dass uns unter-schiedliche Quoten von Kirchenzugehörigkeit in deneinzelnen Bundesländern dabei nicht besonders interes-sieren, sondern nur der daraus ermittelte Bundesdurch-schnitt. Wie der ermittelt wird, habe ich Ihnen geschildert.Ich würde auch energisch davor warnen, hier Quoten aufLänderebene herunterzubrechen. Wir nehmen ja auchbundesweit einen einheitlichen Beitrag für die Arbeitslo-senversicherung; niemand sagt, dass er in Mecklenburg-Vorpommern höher und in Baden-Württemberg niedrigersein müsste. Es gibt bestimmte Grundlagen, die bundes-weit ermittelt werden. Die statistischen Grundlagen, diewir haben, habe ich Ihnen dargestellt.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 244. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. Juni 2002
Vizepräsidentin Petra Bläss24567
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Dr. Grehn, Ihre
zweite Frage. Ich bitte Sie zuvor aber darum, möglichst
kurze und präzise Fragen zu stellen. Das ist hier so üblich.
Wie hoch, Herr Staatssekre-
tär, sind die aufgrund dessen nicht ausgezahlten Lohner-
satzleistungen? Ich bitte darum, hierbei auch Unterhalts-
gelder etc., die auch bei der Kirchensteuer berücksichtigt
werden, miteinzubeziehen.
G
Herr Grehn, die Frage
kann ich Ihnen nicht beantworten, weil mir das entspre-
chende statistische Material nicht vorliegt.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Nummer drei, bitte.
Herr Staatssekretär, für wie
dringlich halten Sie eine schnelle Lösung des Problems
angesichts der Tatsache, dass sich die Zahl von 60 Pro-
zent, die Sie genannt haben, auf die Gesamtbevölkerung
der Bundesrepublik Deutschland bezieht, nicht aber auf
die Arbeitnehmerschaft, wie es das Urteil des Bundesver-
fassungsgerichts 1994 gefordert hat?
G
Herr Grehn, das Pro-
blem ist, dass das Bundesverfassungsgericht in seinem
Urteil von 1994 nicht stärker ausgeführt hat, was es als
Mehrheit erachtet. Die Ermittlungsverfahren habe ich Ih-
nen dargestellt. Für uns ist nach wie vor der Anteil von
57 Prozent, der auf der Basis der Lohn- und Einkommen-
steuerstatistik ermittelt wurde, eine Mehrheit. Von daher
sind die Grundlagen des Urteils des Bundesverfassungs-
gerichts erfüllt.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Die letzte Frage, bitte,
Herr Dr. Grehn.
Herr Staatssekretär, zur Be-
gründung des pauschalierten Abzuges wird immer darauf
verwiesen, dass der bürokratische Aufwand zu hoch wäre.
Für wie richtig halten Sie diese Aussage angesichts der
Tatsache, dass über die elektronische Datenverarbeitung
eine individuelle Berechnung mit wenig Zeit- und Kos-
tenaufwand möglich ist?
G
Herr Grehn, Sie wissen
selbst, dass die Politik immer unter einem doppelten
Druck steht: Auf der einen Seite wird öffentlich gefordert,
man müsse alles so einfach wie möglich handhaben und
so schnell wie möglich machen, während auf der anderen
Seite – das kennen Sie ja sehr gut aus Gesetzgebungsver-
fahren, bei Verordnungen und Ähnlichem – der Gesetzge-
ber aufgrund vieler Einzeleinflüsse immer gehalten ist,
Einzelfallgerechtigkeit zu gewährleisten.
Ich halte das jetzige Verfahren für in Ordnung: Wir be-
finden uns auf dem Boden von Recht und Gesetz und be-
achten die Grundlagen, die durch das Urteil des Bundes-
verfassungsgerichts von 1994 vorgegeben sind. Einen
Änderungsbedarf würde ich erst dann sehen, wenn weni-
ger als 50 Prozent der Lohn- und Einkommensteuer-
pflichtigen Kirchenmitglieder wären.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Die Fragen 8 und 9
werden schriftlich beantwortet.
Ich rufe die Frage 10 des Abgeordneten Peter Rauen
auf:
Wie erklärt sich die Bundesregierung, dass die Zahl der älte-
ren Arbeitslosen, das heißt derjenigen, die 55 Jahre oder älter sind,
von Mai 2001 bis Mai 2002 um 115 501, das heißt um 16 Prozent,
zurückgegangen ist, während die Zahl der jüngeren Arbeitslosen
unter 25 Jahren in demselben Zeitraum um 61 082, das heißt um
15,6 Prozent, gestiegen ist – Presse-Information Nr. 43 der Bun-
desanstalt für Arbeit vom 7. Juni 2002 –?
Zuvor möchte ich Sie beruhigen: Mir wurde zugesi-
chert, dass ich informiert werde, sobald in dem Fußball-
spiel Brasilien gegen die Türkei ein Tor fällt.
G
Herr Abgeordneter, ich
möchte die Fragen 10 und 11 zusammen beantworten.
Sind Sie damit einverstanden?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Dann rufe ich die
Frage 11 ebenfalls auf:
In welchem Umfang sind die Abgänge bei den älteren Ar-
beitslosen darauf zurückzuführen, dass diese Personen neue Be-
schäftigungsverhältnisse gefunden haben, und in welchem Um-
fang sind sie auf andere Gründe zurückzuführen?
G
Hinsichtlich der Ent-wicklung der Anzahl der Arbeitslosen bei den unter 25-Jährigen und den über 55-Jährigen besteht kein kausalerZusammenhang. Der in der Frage angesprochene Anstiegder Jugendarbeitslosigkeit im Mai 2002 gegenüber demVorjahr ist eine Folge der wirtschaftlichen Entwicklung.Aufgrund der noch ungünstigen konjunkturellen Lagesind insbesondere Jugendliche betroffen, die von der Aus-bildung in ein Arbeitsverhältnis übergehen wollen, da dieBetriebe Jugendliche nach der Ausbildung in geringeremMaße übernehmen. Gleichwohl lag auch im Mai 2002 dieArbeitslosenquote – bezogen auf die abhängig zivilen Er-werbspersonen – der Jugendlichen unter 25 Jahren mit8,7 Prozent deutlich unter der aller Altersgruppen, die bei10,5 Prozent lag.Das Sofortprogramm zum Abbau der Jugendarbeitslo-sigkeit und die Maßnahmen der aktiven Arbeitsmarkt-politik der Bundesanstalt für Arbeit für jugendliche Teil-nehmer haben einen noch stärkeren Anstieg der Jugend-arbeitslosigkeit verhindert. Im Mai 2002 lag die Zahl derTeilnehmer bei 537 000, im Mai 2001 waren es 515 000.Im Mai 2002 gab es insgesamt rund 62 520 Abgängevon Arbeitslosen im Alter von über 55 Jahren. Durch Auf-schlüsselung der wichtigsten Abgangsgründe ergibt sich
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 244. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. Juni 200224568
folgendes Bild: Von diesen rund 62 000 Personen befin-den sich 25,5 Prozent in Erwerbstätigkeit, 1,9 Prozent inAusbildung und 19,2 Prozent in Arbeitsunfähigkeit,20,2 Prozent sind aus dem Erwerbsleben ausgeschieden,für 9,4 Prozent gelten Sonderregelungen – Stichwort:§ 428 SGB III –, 16,3 Prozent haben ihre Arbeitslosen-meldung nicht erneuert und in 5,5 Prozent der Fälle wur-den sonstige Gründe angegeben bzw. keine Nachweise er-bracht.Aus diesen Zahlen lässt sich der Anteil der einzelnenKategorien am Abbau des Bestandes der Arbeitslosennicht errechnen. Abgänge wegen Arbeitsunfähigkeit– beispielsweise nach sechswöchiger Krankheit – führennach Beendigung des Krankenstandes häufig wieder zuZugängen in Arbeitslosigkeit. Auf den Arbeitslosenbe-stand haben diese Personen – anders ist es bei Abgängenin Erwerbstätigkeit – oftmals nur einen kurzfristigen Ein-fluss. Ähnliches gilt für Abgänge wegen Nichterneuerungder Meldung.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege Rauen,
Sie haben das Wort zu einer ersten Nachfrage.
Schönen Dank für die von
Ihnen genannten Zahlen. Ich möchte aber auf den Kern
der Frage zurückkommen.
Im Mai 2002 waren 225 600 Personen mehr arbeitslos
als im Mai des vergangenen Jahres. Es fällt aber auf, dass
trotz dieser insgesamt schlechten Entwicklung bei den
über 55-Jährigen im Mai 115 501 Personen – das sind
16 Prozent – weniger erwerbslos waren als im Jahr zuvor,
während bei den unter 25-Jährigen 61 082 Personen – das
sind 15,6 Prozent – mehr arbeitslos gemeldet waren. Wie
erklären Sie sich das? Das ist ja von der allgemeinen Ent-
wicklung völlig losgekoppelt.
G
Herr Rauen, ich will es
noch einmal sagen: Es gibt keinen kausalen Zusammen-
hang zwischen der Steigerung der Arbeitslosigkeit unter
25-Jährigen und dem Rückgang bei den über 55-Jährigen.
– Doch, danach ist in der ersten Frage gefragt. Schauen
Sie sie sich an, Herr Schauerte. Im Übrigen beantworte
ich die Frage von Herrn Rauen und nicht Ihre Zwi-
schenrufe.
Es gibt keinen kausalen Zusammenhang. Wir können
feststellen, dass die Arbeitslosigkeit bei jungen Leuten
aus verschiedenen Gründen zunimmt; das bezieht sich
aber im Wesentlichen auf die zweite Stufe eines Über-
gangs in das Erwerbsleben.
Nun zu Ihrer Frage, was die Älteren angeht: Im Mai
1998 hatten wir 946 000 registrierte Arbeitslose über
55 Jahren. Wir haben jedes Jahr, also nicht nur im Ver-
gleich von 2001 zu 2002, einen deutlichen Rückgang der
Arbeitslosigkeit Älterer festgestellt. Dafür gibt es verschie-
dene Gründe. Ein Grund ist, dass wir mit dem Zweiten
SGB-III-Änderungsgesetz im Jahre 1999 die arbeitsmarkt-
lichen Instrumente stärker zugespitzt haben, beispielsweise
auf Langzeitarbeitslose und auf Ältere. Wir haben auch
deutliche Erfolge mit der Kampagne „50 plus – die können
es“ der Bundesanstalt für Arbeit – Sie kennen diese Kam-
pagne vielleicht – erzielt. Diese Kampagne ist in den letz-
ten Jahren sehr massiv vorangetrieben worden.
Es gibt also unterschiedliche Gründe dafür, dass die
Zahl der Arbeitslosen über 55 Jahren rückläufig ist. Natür-
lich spielt auch der demographische Effekt eine Rolle; das
ist überhaupt nicht zu bestreiten. Die Altersgruppe der über
55-Jährigen umfasst faktisch zehn Altersjahrgänge, sofern
sie dem Arbeitsmarkt noch zur Verfügung stehen. Ein Teil
derer sind Jahrgänge, die in den 90er-Jahren sozusagen
durch Anpassungsmaßnahmen in den neuen Bundeslän-
dern in großer Zahl in die Arbeitslosigkeit gegangen sind
– über verschiedene Instrumente – und jetzt durch Errei-
chung der Altersgrenzen den Arbeitsmarkt verlassen. Für
den Monat Mai habe ich Ihnen die über 62 000 Abgänge
nach den Abgangsgründen aufgeschlüsselt.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Es gibt eine weitere
Nachfrage des Kollegen Rauen.
Herr Staatssekretär, am
27. Februar 2002 gab es einen Artikel in der „Frankfurter
Rundschau“ unter der Überschrift „Nur wer verfügbar ist,
gilt als wirklich arbeitslos – Frankfurter Arbeitsamtschef
bereinigt die Statistik Projektstart ‚Arbeitsamt 2000‘ steht
auf der Kippe“. Dort heißt es:
Nach seiner Rückkehr aus Nürnberg, wo sich am
Montag in der Bundesanstalt für Arbeit alle 181 bun-
desdeutschen Arbeitsamtsdirektoren mit Arbeitsmi-
nister Walter Riester ... getroffen hatten, bekräftigte
Griesheimer im Gespräch mit der FR sein Vorhaben,
„die Arbeitslosenstatistik zu aktualisieren“. Der pri-
vate Vermittler PEBG sei bereits beauftragt, 4 500 ar-
beitslos gemeldeten Frauen Teilzeitjobs anzubieten,
zugleich aber auch ihre Verfügbarkeit zu testen. Der
Arbeitsamtsdirektor ist überzeugt, dass sich dann
„ein beachtlicher Teil abmelden wird. 20 bis 30 Pro-
zent im Bestand gehen runter“.
Hier werden noch weitere Gruppen genannt, nämlich die
Schwerbehinderten, die „Kindergeld-Arbeitslosen“ und
die über 57-Jährigen. Sie alle, so heißt es, würden massiv
angegangen, schriftlich zu erklären, dem Arbeitsmarkt
nicht mehr zur Verfügung zu stehen. Steht hier Methode
dahinter, statt zu vermitteln, mit aller Gewalt die Statistik
vor der Bundestagswahl zu bereinigen, oder wie erklären
Sie sich diese Aussagen eines Arbeitsamtschefs zwei Tage
nach einem Treffen mit Bundesarbeitsminister Riester?
G
Das, was da geschildertwird, hat mit dem Treffen mit BundesarbeitsministerRiester überhaupt nichts zu tun. Den Zusammenhang ent-nehmen Sie möglicherweise der Zeitung oder Sie kon-struieren ihn. Ich weise das zurück.Was da beschrieben wird, ist die bestehende Rechts-lage – das war schon zu Ihrer Regierungszeit Rechtslage;
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 244. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. Juni 2002
Parl. Staatssekretär Gerd Andres24569
das ist Rechtslage, zu unserer Regierungszeit –: Derje-nige, der Leistungen nach dem SGB III bezieht, muss eineReihe von Voraussetzungen erfüllen. Eine der Vorausset-zungen ist die Erfüllung der Versicherungszeiten. Eineweitere Voraussetzung ist, dass er dem Arbeitsmarkt je-derzeit für die Vermittlung zur Verfügung steht. Wenn ein-zelne Arbeitsämter mit bestimmten Programmen die Ver-mittlungsfähigkeit testen, ist das nur Recht und Gesetzund keine Kampagne, die irgendetwas mit dem Besuchvon Walter Riester in Nürnberg zu tun hat. Im Übrigenwürde ich gern einmal bei dem Arbeitsamtsdirektor inFrankfurt nachfragen, wie der dauerhafte Effekt ist.Eines ist doch völlig klar: Wer eine angebotene Stelleablehnt, hat entweder mit Sperrzeiten zu rechnen oder erwird, wenn er nicht verfügbar ist, aus der Arbeitslosen-statistik gestrichen, weil er dem Arbeitsmarkt nicht zurVerfügung steht. Das ist doch korrekt, oder?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Eine weitere Nach-
frage des Kollegen Rauen.
Herr Staatssekretär, Sie
sollten bei diesem Arbeitsamtschef in der Tat nachfragen;
denn es gibt aus der Arbeitsverwaltung selbst vermehrt
Aussagen, für die leider niemand seinen Namen hergibt,
dass die nach dem Job-AQTIV-Gesetz einzustellenden
3 000 Vermittler nicht mit Vermitteln, sondern ausschließ-
lich mit der Bereinigung der Arbeitslosenstatistik be-
schäftigt sind, wobei vor allem abgehoben wird auf die äl-
teren Arbeitnehmer, auf Jüngere und auf Frauen, die nach
einer Geburt einen Teilzeitjob suchen. Nach diesen Aus-
sagen ist verstärkt die Vermutung angebracht, dass hier
zwar bestehende Rechtsgrundsätze angewandt werden,
dass aber mit aller Gewalt alles getan wird, um die Ar-
beitslosenstatistik vor der Bundestagswahl zu bereinigen.
G
Herr Abgeordneter
Rauen, ich will Ihnen das noch einmal sagen: Ich teile Ihre
Wertung überhaupt nicht. Wenn Sie der Meinung sind,
das, was da gemacht werde, sei unrecht und diene nur dem
unlauteren Ziel der Bundesregierung, die Arbeitsmarkt-
statistik zu bereinigen, dann weise ich das entschieden
zurück. Es gibt die Rechtsgrundlage, dass jemand, der
eine Leistung bezieht, dem Arbeitsmarkt zur Verfügung
stehen muss. Wenn Arbeitsämter das bei bestimmten
Gruppen oder in bestimmten Zusammenhängen überprü-
fen, tun sie nur das, was der Gesetzgeber in diesem Hause
beschlossen hat. Das halte ich für richtig und sozusagen
für selbstverständlich. Deswegen teile ich Ihre Interpreta-
tion des Ganzen überhaupt nicht.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Letzte Frage für Herrn
Rauen.
Herr Staatssekretär Andres,
gibt es Dienstanweisungen schriftlicher Art über dieses
Vorgehen der massierten Bereinigung der Statistiken oder
trifft es zu, dass, wie mir aus einem Arbeitsamt mitgeteilt
wurde, diese Anweisungen in der Regel mündlich über den
Weg der Dienstbesprechung gegeben werden?
G
Mir sind solche Dienst-
anweisungen nicht bekannt.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Jetzt hat der Kollege
Dr. Grehn eine Nachfrage hierzu.
Herr Staatssekretär, meine
Zusatzfrage bezieht sich auf die erste Frage des Kollegen
Rauen. Wie bewertet die Bundesregierung die unter-
schiedliche Situation der vom Kollegen Rauen genannten
beiden Gruppierungen – Ältere und Jüngere – im Bun-
desgebiet Ost und im Bundesgebiet West?
G
Ich kann Ihnen dazujetzt keine konkreten statistischen Angaben machen. Aberdie Problemlage ist für das ganze Bundesgebiet zunächsteinmal gleich. Als wir angetreten sind, haben wir gesagt,dass wir die Arbeitslosigkeit bestimmter Zielgruppennachhaltig verändern wollen. Wir haben eine Reihe vonDingen auf den Weg gebracht, mit denen wir insbeson-dere die Zielgruppe Jugend und die Zielgruppe Älterestärker in den Fokus genommen haben. Ich habe ebenschon auf das Zweite SGB-III-Änderungsgesetz hinge-wiesen, mit dem wir bestimmte Regelungen für Alters-grenzen über 50 Jahre, Einbeziehung in Maßnahmen undÄhnliches, verändert haben. Wir haben das Jugendsofort-programm auf den Weg gebracht und insbesondere mitBlick auf die Arbeitslosigkeit Jugendlicher jungen Men-schen mit einem bundesweiten Programm eine zweite,dritte und vierte Chance geboten, weil wir es für uner-träglich halten, dass wir, obwohl wir in einem der reichs-ten Länder der Erde leben, hinnehmen müssen, dass jungeMenschen nach der allgemein bildenden Schule Arbeits-losigkeit als erste Lebenserfahrung machen. Das wolltenwir nicht. Deswegen haben wir politisch gehandelt undwerden in diesem Bereich auch weiter handeln.Ich sage es noch einmal: Einen kausalen Zusammen-hang zwischen der Entwicklung von Jugendarbeitslosig-keit und Arbeitslosigkeit Älterer, wie er in der Frage desAbgeordneten Rauen unterstellt wird, sehen wir nicht. Esgibt in Ost und West gesonderte Probleme, die mir undIhnen bekannt sind. Wir haben in weiten Teilen der neuenBundesländer über eine öffentlich finanzierte Berufsaus-bildung durch ein Gemeinschaftsprogramm von Bundund Ländern zusammen mit der BildungsministerinEdelgard Bulmahn flächendeckend 16 000 Ausbildungs-plätze im dualen System finanziert. Hätten wir das nichtgetan, gäbe es in den neuen Bundesländern sehr viel mehrjunge Menschen ohne die Chance, eine Ausbildung imdualen System zu machen.Wir haben zum Zweiten das Problem, dass es für einebestimmte Zeit in den neuen Bundesländern – jenseits derProblematik des Arbeitsmarktes – eine exorbitant hoheArbeitslosigkeit älterer Arbeitnehmer gegeben hat. DieGründe dafür kennen Sie. Es wurde das Instrument desAltersübergangsgeldes eingeführt; denn bei der Transfor-mation des Beschäftigungssystems waren es überwiegendältere Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die ihre Be-schäftigung verloren haben. Ich kann Ihnen sagen: In der
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 244. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. Juni 2002
Parl. Staatssekretär Gerd Andres24570
Zwischenzeit ist die Quote älterer Arbeitsloser in weitenTeilen der neuen und der alten Länder vergleichbar hoch.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Es gibt eine wei-
tere Nachfrage, und zwar von der Kollegin Christine
Ostrowski.
Herr Staatssekretär, zur
Vergleichbarkeit der Probleme habe ich eine Nachfrage.
Ist Ihnen bekannt, dass die Jugendarbeitslosigkeit in den
neuen Bundesländern deutlich über der in den alten Bun-
desländern liegt und dass sich trotz Ihrer Sondermaß-
nahmen, die Jugendarbeitslosigkeit einzudämmen – diese
Maßnahmen sind natürlich zu begrüßen –, der Abstand
zwischen der Jugendarbeitslosigkeit Ost und der Jugend-
arbeitslosigkeit West nicht verkleinert hat, seit Sie an der
Regierung sind?
G
Nein, das ist mir nicht
bekannt.
Sie haben gefragt, ob mir das bekannt sei. Dieser Tat-
bestand ist mir nicht bekannt und er trifft im Übrigen nicht
zu.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich rufe die Frage 12
des Kollegen Wolfgang Meckelburg auf:
Trifft es zu, dass die Dienststellen der Bundesanstalt für Arbeit
dazu übergegangen sind, ältere Arbeitslose, die die Voraussetzun-
gen für den Bezug des vorgezogenen Altersruhegeldes erfüllen,
zur Abgabe der Erklärung zu veranlassen, dass sie dem Arbeits-
markt nicht mehr zur Verfügung stehen – zum Beispiel dadurch,
dass diesen Personen Vermittlungsangebote unterbreitet werden,
mit deren Annahme von vornherein nicht zu rechnen ist –, und,
wenn ja, werden die betreffenden Arbeitslosen gegebenenfalls
über die mit der vorzeitigen Inanspruchnahme des Altersruhe-
geldes verbundenen rentenrechtlichen Nachteile aufgeklärt?
G
Auch hier äußere ich die
Bitte, beide Fragen des Kollegen Meckelburg gemeinsam
beantworten zu können, weil sie in einem inhaltlichen Zu-
sammenhang stehen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich rufe somit noch
die Frage 13 des Kollegen Wolfgang Meckelburg auf:
Wenn ja, hat die Bundesregierung das Vorgehen der Arbeits-
verwaltung durch eine entsprechende Weisung veranlasst, oder
gedenkt sie, diesem Vorgehen entgegenzuwirken?
G
Das zum 1. Januar 2002
in Kraft getretene Job-AQTIV-Gesetz verpflichtet die
Arbeitsämter ausdrücklich zu einem Profiling und zur
Erarbeitung einer individuellen Eingliederungsstrategie.
Diese Vermittlungsoffensive macht aber nur dann Sinn,
wenn Klarheit darüber besteht, ob der einzelne Arbeits-
lose weiterhin am Erwerbsleben teilnehmen will. Die Ar-
beitsämter bieten vielfältige Hilfen zur Vermittlung und
Wiedereingliederung älterer Arbeitsloser an.
Wie Sie wissen, Herr Abgeordneter Meckelburg, kön-
nen Arbeitslose, die das 58. Lebensjahr vollendet haben,
alternativ von der Sonderregelung des § 428 SGB III Ge-
brauch machen, Arbeitslosengeld und Arbeitslosenhilfe
unter erleichterten Voraussetzungen – das heißt: unter
Einschränkung ihrer Arbeitsbereitschaft – in Anspruch zu
nehmen, wenn sie im Gegenzug dazu bereit sind, zum
frühestmöglichen Zeitpunkt eine abschlagsfreie Alters-
rente in Anspruch zu nehmen.
Das Gesetz stellt es den Betroffenen damit frei, für
welchen Weg sie sich entscheiden. Im Rahmen des Profi-
lings und der Eingliederungsvereinbarung kommen die
Arbeitsämter ihrer gesetzlichen Verpflichtung nach, über
beide Wege ausführlich zu informieren und zu beraten.
Dabei werden ältere Arbeitslose weder gezielt veranlasst,
von dieser Regelung des § 428 SGB III Gebrauch zu ma-
chen, noch werden sie unzureichend über die rentenrecht-
lichen Aspekte der Entscheidung informiert. Sowohl in
den Informationen für die Betroffenen als auch in beson-
deren Merkblättern, die mit dem Verband Deutscher Ren-
tenversicherungsträger abgestimmt sind, werden die Be-
troffenen nachdrücklich darauf hingewiesen, sich über die
Auswirkungen ihrer Entscheidung beim zuständigen Ren-
tenversicherungsträger zu erkundigen.
Im Übrigen darf ich auf Folgendes hinweisen: Bei der
Information der Arbeitsämter über die Regelung des § 428
SGB III geht es um die exakt gleiche Regelung, die be-
reits die frühere Bundesregierung zum 1. Januar 1986 mit
§ 105 c in das Arbeitsförderungsgesetz eingefügt und de-
ren Geltungsdauer sie dreimal verlängert hat. Ältere Ar-
beitslose, die sich für eine Wiedereingliederung in das Er-
werbsleben entscheiden, haben einen Anspruch darauf,
dass die Arbeitsämter sie unter Nutzung der speziell für
ältere Arbeitslose bestehenden Fördermöglichkeiten kon-
sequent in die Vermittlungsbemühungen einbeziehen.
Mit der Abklärung des Vermittlungswunsches älterer
Arbeitsloser und der Information und Beratung der Be-
troffenen kommen die Arbeitsämter, wie ausgeführt, ihren
gesetzlichen Verpflichtungen nach. Ihre Frage, ob die
Bundesregierung gedenkt, diesem Vorgehen entgegen-
zuwirken, ist mir deshalb nicht verständlich.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Die erste Nachfrage
von Herrn Meckelburg. – Bitte.
Herr Staatsse-kretär, Sie haben gerade gesagt, dass nicht gezielt veran-lasst werde, ältere Arbeitnehmer in den Vorruhestand zuschicken. Können Sie mir bestätigen, dass seit Mitte letz-ten Jahres zumindest auf Arbeitsamtsdirektorenkonferen-zen ständig – ohne darüber schriftlich etwas darzulegen –darüber gesprochen wird, dass man in den einzelnen Ar-beitsämtern dafür sorgen möge, dass die Zahl derjenigen,die in hohem Alter vorzeitig aus dem Arbeitsleben aus-scheiden, vergleichbar wird, dass also auf Arbeitsamts-direktorenkonferenzen in dieser Hinsicht Druck gemacht
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 244. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. Juni 2002
Parl. Staatssekretär Gerd Andres24571
wird, der schriftlich nicht nachvollziehbar ist? Sind Siedarüber informiert? Wenn dies so ist, befürworten Sie dasoder würden Sie dem entgegenwirken?G
Ich wiederhole es – das
habe ich bereits in meiner vorherigen Antwort auf Ihre
Frage klargestellt –: Das, was die Arbeitsverwaltung hier
macht, nämlich festzustellen, ob jemand der Vermittlung
zur Verfügung steht oder nicht, die Betroffenen bezüglich
der rechtlichen Grundlagen, um die es geht, zu beraten
und ihnen darzustellen, dass sie sich aus dem Vermitt-
lungsauftrag streichen lassen können, wenn sie sich im
Gegenzug dazu verpflichten, zu dem für sie nächstmög-
lichen Zeitpunkt eine abschlagsfreie Rente in Anspruch
zu nehmen, ist Recht und Gesetz. Ich weiß nicht, Herr Ab-
geordneter Meckelburg, welchen Bestrebungen ich entge-
gentreten soll.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Zweite Nachfrage.
Herr Staatsse-
kretär, es geht mir nicht darum, sicherzustellen, dass Sie
nach Recht und Gesetz handeln, sondern darum, inwie-
weit Sie hier verstärkt Aktivitäten entfachen, um die Ar-
beitsmarktstatistik zu bereinigen, indem Sie gerade von
diesen Möglichkeiten mehr als vorher Gebrauch machen.
Es ist doch offensichtlich, dass, seitdem es das Job-
AQTIV-Gesetz gibt, die Zahl der Übergänge in die
Nichterwerbstätigkeit sehr stark gestiegen ist. Das muss
einen Grund haben; das ist kein Zufall. Die Frage ist da-
her, wie Sie das begründen. Um Recht und Gesetz geht es
dabei nicht.
Mir geht es um Folgendes: Wird hier verstärkt auf
Konferenzen der Arbeitsamtsdirektoren Druck dahin ge-
hend ausgeübt, möglichst viele der Älteren über Profiling
oder auf andere Weise in den Vorruhestand zu schicken,
damit die Arbeitslosenstatistik bereinigt wird?
G
Herr Meckelburg, ich
verstehe eines nicht
– ich muss nicht alles verstehen; aber Hauptsache, ich be-
greife es –:
Wer auf der einen Seite für regelmäßige Meldekontrollen
eintritt – das ist ja ein häufiger Vorschlag aus Ihrer Par-
tei; vorher haben Sie aber die Meldekontrollen, die im
SGB III verankert waren, auf eigene Initiative zurückge-
nommen –, wer also auf der einen Seite sagt, die Arbeits-
verwaltung solle stärker kontrollieren, ob zum Beispiel
eine Vermittelbarkeit vorliegt und die Bereitschaft dazu
vorhanden ist, der darf doch auf der anderen Seite nicht
fragen, was die Bundesregierung dagegen zu tun gedenkt,
wenn die Arbeitsverwaltung das umsetzt.
Das Bundesarbeitsministerium hat die Rechtsaufsicht.
Die Geschäftspolitik wird durch den Vorstand der Bun-
desanstalt für Arbeit durchgeführt. Sie gibt sich be-
stimmte geschäftspolitische Ziele; das wissen Sie. Die
Bundesanstalt für Arbeit hat eine große Vermittlungs-
offensive auf den Weg gebracht. Sie heißt: „50 plus – die
können es“. Über diese Offensive und die Erfolge, die mit
ihr erzielt worden sind, ist im Ausschuss, dem auch Sie
angehören, berichtet worden. Mit dem Job-AQTIV-Ge-
setz haben wir beispielsweise das Profiling – ich habe das
ausgeführt – als Regelinstrument vorgesehen. Das heißt,
mit den Arbeitslosen wird ein Profil entwickelt und eine
Eingliederungsvereinbarung unterzeichnet.
Ich sage es noch einmal: Ob jemand der Vermittlung
zur Verfügung steht, wenn er 58 Jahre und älter ist, oder
nicht, ist ausschließlich seine individuelle Entscheidung.
Die Arbeitsämter haben zu beraten. Sie haben dem be-
troffenen Menschen die Situation darstellen. Wenn sie das
tun, ist das nicht mehr, als Recht und Gesetz anzuwenden.
Hier habe ich an keiner Stelle einzuschreiten. Es ist auch
nicht Aufgabe der Bundesregierung, so etwas zu tun.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Bitte, Herr Kollege.
Damit es noch
einmal klar wird: Mir geht es nicht darum, dass dies nicht
Recht und Gesetz ist. Ich bestätige Ihnen ausdrücklich, dass
Sie im Job-AQTIV-Gesetz mehr Profilingmöglichkeiten
vorgesehen haben. Bei uns hieß das anders. Bei Ihnen heißt
es Profiling. Diesen Streit brauchen wir nicht zu führen.
Wir befinden uns in einem Wahljahr. Sie haben ver-
sprochen, dass Sie in diesem Jahr die Arbeitslosenstatistik
nicht ändern wollen. Ich frage daher ganz gezielt, ob Sie
nicht auf Arbeitsamtsdirektorenkonferenzen, wobei nicht
nachvollziehbar ist, worüber dort gesprochen wird, durch
die Hintertür, über Profiling oder sonstige Möglichkeiten,
Druck dahin gehend ausüben, möglichst viele ältere Ar-
beitnehmer aus der Statistik herauszubekommen. Das ist
die Frage, um die es uns hier geht. Können Sie also si-
cherstellen, dass weder bei Ihnen noch bei der Bundes-
anstalt für Arbeit eine solche Absicht besteht?
G
Punkt eins. Ich habebereits in Beantwortung einer Frage des AbgeordnetenRauen darauf verwiesen, dass mir solche schriftlichenWeisungen oder Ähnliches nicht bekannt sind.Punkt zwei. Wenn das, was Sie hier beklagen, durch dieArbeitsverwaltung gemacht wird, ist das nicht mehr alsdie Anwendung von Recht und Gesetz. Die Arbeitsver-waltungen sind gehalten, dies zu tun. Von daher versteheich den konstruierten Widerspruch nicht.Punkt drei – darüber haben wir hier schon häufiger,auch in Aktuellen Stunden, diskutiert –: Ich kann Ihnenausdrücklich bestätigen, dass die Bundesregierung nichtdie Absicht hat, in dieser Legislaturperiode irgendetwasan der Arbeitslosenstatistik zu ändern, und dabei bleibenwir auch. Was in der neuen Legislaturperiode geschehenwird, werden wir sehen.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 244. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. Juni 2002
Wolfgang Meckelburg24572
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Eine letzte Nachfrage
des Kollegen Meckelburg. – Bitte.
Können Sie ab-
solut sicherstellen, dass alle Personen, die im Rahmen des
Profiling getestet und gefragt werden, ob sie die Möglich-
keit eines vorzeitigen Eintritts in den Vorruhestand wahr-
nehmen möchten, über die möglichen Nachteile infor-
miert werden und dass sie nicht zu Dingen gedrängt
werden, die den Nachteil haben, dass sie am Ende Ab-
schläge bei der Rente in Kauf nehmen müssen?
G
Ob ich das sicherstellen
kann, weiß ich nicht.
Mir sind die Tatbestände, die Sie unterstellen, nicht be-
kannt. Deswegen muss ich dazu auch keine Erklärung ab-
geben. Ich kann Ihnen nur sagen: Das, was ich hier ange-
führt habe, ist Recht und Gesetz. Ich stelle Ihnen gerne
Informationen der Bundesanstalt für Arbeit in Form von
Faltblättern und Ähnlichem zur Verfügung. Wir haben
überhaupt keine Veranlassung, die Arbeitsämter zu ir-
gendetwas anzuhalten, da sie nur Recht und Gesetz an-
wenden.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Es gibt zwei weitere
Nachfragen. Zunächst ist der Kollege Peter Weiß an der
Reihe. – Bitte.
Herr
Staatssekretär, da die hier in Rede stehenden rechtlichen
Regelungen und deren Anwendung von niemandem be-
stritten werden und Sie zu Recht darauf hingewiesen ha-
ben, dass diese Regelungen schon seit vielen Jahren Ge-
setzeslage und Praxis sind, möchte ich Sie fragen: Muss
es nicht auch Ihnen merkwürdig, ja geradezu verdächtig
vorkommen, dass die Arbeitsämter ausgerechnet jetzt,
wenige Monate vor einer Bundestagswahl – und nicht
schon vor einem oder zwei Jahren, als die gleiche Geset-
zeslage galt –, durch mündliche Anweisungen angehalten
werden, zum einen Regelungen anzuwenden, mit denen
man ältere Arbeitnehmer ab 58 Jahren aus der Arbeits-
losenstatistik und der Vermittlung herausbekommt, und
dass zum Zweiten verstärkt jungen Menschen in den
neuen Bundesländern Angebote für Arbeitsplätze im Wes-
ten gemacht werden und diese, wenn sie sie ablehnen, aus
der Arbeitslosenstatistik gestrichen werden?
G
Mir sind diese münd-
lichen Anweisungen nicht bekannt. Mir ist auch nicht
bekannt, dass dies ausgerechnet jetzt, vor der Bundes-
tagswahl, stattgefunden hat. Wenn ich richtig informiert
bin, ist es die Aufgabe der Arbeitsämter, arbeitslose Men-
schen zu beraten.
Hinsichtlich des Zungenschlages, den Sie bei einem
anderen Problem eingebracht haben, kann ich Ihnen
Folgendes sagen: Für den Fall, dass jemand ein zumut-
bares Arbeitsplatzangebot ablehnt, sieht das Gesetz be-
stimmte Sanktionen vor, die dann auch durchgeführt
werden müssen. Sonst sind Sie doch immer diejenigen,
die das fordern. Aber jetzt sagen Sie, man solle das nicht
machen? Ich verstehe die gesamte Diskussion überhaupt
nicht.
Ich halte noch einmal fest: Die Arbeitsverwaltung hält
sich an Recht und Gesetz; sie wendet bestehendes Gesetz
an. Hier ist überhaupt nichts herumzuinterpretieren,
zurückzuweisen oder durch die Bundesregierung zu stop-
pen. Wenn Sie sagen, an irgendeiner Stelle finde durch die
Arbeitsverwaltung ein Rechtsbruch statt, dann wird das
Bundesarbeitsministerium – es hat die Rechtsaufsicht –
einschreiten.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Jetzt gibt es eine wei-
tere Nachfrage des Kollegen Dr. Grehn. – Bitte.
Herr Staatssekretär, wie be-
werten Sie einerseits die Regelungen für ältere Arbeits-
lose, die hier zur Diskussion gestanden haben, also das
vorzeitige Eintreten in die Rente wegen Arbeitslosigkeit,
und auf der anderen Seite die Diskussion – sie macht auch
vor der Bundesregierung nicht Halt – um die Verlänge-
rung der Lebensarbeitszeit auf 67 Jahre?
G
Herr Abgeordneter
Grehn, ich bin der Auffassung, dass das ein neues Thema
ist. Ich gebe Ihnen dennoch auf Ihre Frage eine Antwort.
Die Bundesregierung hat erklärt, dass sie keinerlei
Veranlassung sieht, die Renteneintrittsaltersgrenze zu
verändern.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Die Fragen 14 und 15
werden schriftlich beantwortet.
Deshalb rufe ich jetzt die Frage 16 des Kollegen
Hartmut Schauerte auf:
Wird in letzter Zeit in den Arbeitsämtern angestrebt, die Ar-
beitslosenzahl bei älteren Arbeitnehmern spürbar zurückzuführen,
und, wenn ja, mit welchen Mitteln?
G
Ich möchte gern beide
Fragen des Kollegen Schauerte zusammen beantworten.
Sind Sie damit einverstanden?
Ja.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Dann rufe ich zusätz-lich die Frage 17 des Kollegen Schauerte auf:Treffen Hinweise aus der Arbeitsverwaltung zu, dass die von derBundesregierung groß angekündigte Job-Vermittlungsoffensive inden Arbeitsämtern derzeit nicht greift, weil die Vermittler vor Ort inder Hauptsache damit beschäftigt sind, die Arbeitslosenstatistik zu
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 244. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. Juni 2002 24573
G
Die Bundesanstalt für
Arbeit befasst sich vor dem Hintergrund der demographi-
schen Entwicklung, nach der es in den nächsten Jahren
mehr ältere und weniger jüngere Erwerbstätige geben
wird, bereits seit einiger Zeit verstärkt mit der Beschäfti-
gungssituation älterer Arbeitnehmer. Ich wiederhole: Sie
befasst sich seit einiger Zeit verstärkt mit der Beschäfti-
gungssituation älterer Arbeitnehmer.
Sie hat 1999 mit einer Anzeigenkampagne und Infor-
mationsbroschüren auf die veränderte Situation hinge-
wiesen. Ziel der Aktion war, die Arbeitgeber für die sich
abzeichnenden Veränderungen am Arbeitsmarkt zu sensi-
bilisieren und sie dafür zu gewinnen, älteren Arbeitneh-
mern verstärkt die Chance einer Weiterbeschäftigung
bzw. Neueinstellung einzuräumen.
Auch die Partner des Bündnisses für Arbeit, Ausbil-
dung und Wettbewerbsfähigkeit haben sich in ihrem Be-
schluss vom 4. März 2002 dafür ausgesprochen, die bis-
herige Politik gegenüber älteren Arbeitnehmern zu
verändern. Wurde insbesondere bis Ende der 90er-Jahre
versucht – auch durch den vorzeitigen Ruhestand älterer
Arbeitnehmer –, die Beschäftigungschancen der jüngeren
zu erhöhen, soll künftig die verstärkte Beschäftigung äl-
terer Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer vorrangiges
Ziel arbeitsmarktpolitischer Maßnahmen sein.
Im Herbst 2000 startete die Bundesanstalt für Arbeit
die Vermittlungsaktion „50 plus – die können es“, die im
Herbst 2001 nochmals überarbeitet und erweitert wurde.
Im Rahmen dieser Aktion versucht die Bundesanstalt für
Arbeit, den im Bündnis für Arbeit beschlossenen Para-
digmenwechsel zu unterstützen. Dies geschieht in erster
Linie durch zielgenaue Vermittlung und Überzeugungsar-
beit bei den Arbeitgebern, durch Motivationshilfen und
Trainingsmaßnahmen für ältere Bewerber sowie durch
betriebliche Einstellungshilfen, zum Beispiel Eingliede-
rungszuschüsse für Ältere.
Die Kampagne wurde von den Arbeitsämtern durch
vielfältige Aktivitäten wie beispielsweise Pressekonfe-
renzen, Arbeitsmarktgespräche mit Arbeitgebern und Be-
werbern, Vortrags- und Informationsveranstaltungen auf-
gegriffen und umgesetzt. All diese Maßnahmen haben
zur Verbesserung der Eingliederungschancen der Älteren
beigetragen. Im Bundesgebiet konnten im Jahr 2000
389 000 Ältere ab 50 Jahre in eine Erwerbstätigkeit ein-
münden. Das waren 4 Prozent mehr als im Jahr 1999.
Im Rahmen des Job-AQTIV-Gesetzes, das am 1. Ja-
nuar 2002 in Kraft getreten ist, wurden im SGB III bereits
bestehende Regelungen erweitert und darüber hinaus wei-
tere Regelungen geschaffen, die insbesondere der Verbes-
serung der Arbeitsmarktsituation älterer Arbeitnehmer
dienen sollen. Diese Neuregelungen werden den Trend
zur besseren Eingliederung Älterer noch verstärken. Auch
im Jahr 2001 konnten trotz allgemein verschlechterter
Arbeitsmarktlage immer noch 383 100 Ältere in eine Er-
werbstätigkeit vermittelt werden.
Wie die Bundesanstalt für Arbeit dazu mitteilt, treffen
die von Ihnen geäußerten Hinweise – das ist die Antwort
auf die Frage 17, Herr Schauerte – nicht zu. Die Ver-
mittlungsoffensive der Arbeitsämter, in deren Zusam-
menhang die Bundesanstalt für Arbeit ermächtigt wurde,
die Personalkapazitäten in der Vermittlung um insgesamt
3 000 Kräfte zu erhöhen, verfolgt das Ziel, individuelle
Arbeitslosigkeit zu vermeiden und zu beenden.
Die dafür notwendigen Aktivitäten der Arbeitsämter
orientieren sich an den Gegebenheiten und der Struktur des
jeweiligen Arbeitsmarktes und beziehen sich auf die vier
Handlungsfelder: Akquisition und laufende Aktualisie-
rung von offenen Arbeitsstellen, Aktualisierung und Flexi-
bilisierung der Bewerberprofile, Integrationsvereinbarun-
gen mit Risikogruppen und assistierte Arbeitsvermittlung.
Die Arbeitsämter haben zur Umsetzung der Vermitt-
lungsoffensive so genannte Amtskonzepte entwickelt, in
denen sie ihre Handlungsschwerpunkte benennen, die
sich am jeweiligen regionalen Bedarf ausrichten und der
Arbeitsmarktentwicklung angepasst werden. Dabei ist es
selbstverständlich, dass die Ergebnisse der Vermittlungs-
offensive der Arbeitsämter auch in der Statistik ihren Nie-
derschlag finden werden. Da die Vermittlungsoffensive
jedoch erst seit Anfang 2002 läuft, ist es für Ergebnisse
und deren Beurteilung noch zu früh.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege
Schauerte zur ersten Nachfrage.
Herr Staatssekretär,
basiert der Wert für die angesprochene Vermittlungstätigkeit
von – wenn ich das richtig mitbekommen habe – circa
390000 im Jahr 2001 noch auf den Zahlen der alten Arbeits-
amtsstatistik, bei der 70 Prozent eindeutig falsch waren?
G
Nein, er basiert nicht auf
einer falschen Statistik. Die Behauptung, 70 Prozent seien
eindeutig falsch, ist nicht richtig.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Zweite Nachfrage.
Dann muss ich
weiterfragen: Wurde denn bei den 390 000 die Vermitt-
lungstätigkeit anders gezählt als bei der allgemeinen Ar-
beitslosigkeit?
G
Nein. Die Vermitt-
lungsstatistik der Bundesanstalt für Arbeit, die im ver-
gangenen Jahr galt, ist durch Untersuchungen des
Bundesrechnungshofes und durch Untersuchungen der ei-
genen Innenrevision überprüft worden. Sie galt also. Nur
ist Ihre Behauptung, 70 Prozent seien falsch, nicht richtig.
Ansonsten haben Sie das Problem schon richtig erkannt.
Es geht hier janicht um die Frage, wer es richtig erkannt hat und wernicht, –
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 244. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. Juni 2002
Vizepräsidentin Petra Bläss24574
G
Doch, es kommt immer
auf diese Frage an.
– sondern um
wahrheitsgemäße und weiterführende Antworten. Wir
machen hier ja kein Katz-und-Maus-Spiel. Ich frage des-
wegen noch einmal: Ist diese Zahl von 390 000, die Sie er-
wähnt haben, genauso stabil oder instabil wie die Ver-
mittlungszahlen aus den Arbeitsämtern, die wir für das
Jahr 2001 kennen?
G
Sie ist sogar ein biss-
chen stabiler, weil die Bundesanstalt für Arbeit zu be-
stimmten Problembereichen auch Sondererhebungen
macht.
Die Bundesanstalt für Arbeit führt beispielsweise jeweils
im September eine umfassende Arbeitsmarktuntersu-
chung durch, die jährlich fortgeschrieben wird.
In der Diskussion war die allgemeine Vermittlungs-
tätigkeit der Bundesanstalt für Arbeit. Da gab es eine
Reihe von Befunden. Diesen Befunden sind wir nachge-
gangen. Wir haben jetzt auch entsprechende Veränderun-
gen veranlasst, damit wir wieder vernünftige statistische
Grundlagen bekommen. Die Bundesregierung hat ein In-
teresse an realer Vermittlung und nicht an irrealen Ver-
mittlungsstatistiken.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Letzte Frage, bitte.
Ich habe die dritte
Frage nur deswegen gestellt, weil Sie zuvörderst erklärt
hatten, es gebe keine selbstständige Ermittlung dieser
Zahlen.
Nun meine vierte Frage. Jeder Vernünftige wird alle
Anstrengungen begrüßen, die Zahl der Arbeitslosen zu re-
duzieren. Das Ziel dabei muss jedoch sein, sie in Arbeit zu
vermitteln, Beschäftigung zu schaffen. Deswegen meine
Frage: Liegen Ihnen hinsichtlich der Reduzierung der
Zahl der älteren Arbeitslosen für die Monate des Jahres
2002 Erkenntnisse vor, wie viele aufgrund von Altersre-
gelungen entlassen worden sind und wie viele tatsächlich
eine neue Beschäftigung bekommen haben?
G
Herr Schauerte, ich bitte um
Verständnis. Diese Frage habe ich eben schon Herrn Rauen
beantwortet, und zwar anhand der Daten für den Monat Mai.
Ich bitte Sie, diese einfach dem Protokoll zu entnehmen. Da
habe ich die Abgangsstatistik der über 55-Jährigen auf-
schlüsselt und genau dargelegt, wie viele in Beschäfti-
gung und wie viele in Rente oder Ähnliches gingen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Jetzt gibt es eine
Nachfrage des Kollegen Hinsken.
Herr Staatssekretär,
worauf ist zurückzuführen, dass sich in der Schweiz in der
Altersgruppe der 54- bis 65-Jährigen 70 Prozent noch in
Arbeit befinden und bei uns, in der Bundesrepublik
Deutschland, nur 39 Prozent? Liegt das an den Ar-
beitsämtern oder liegt das an falscher Bundespolitik?
G
Woran das in der
Schweiz liegt, kann ich Ihnen nicht beantworten. Woran
das in der Bundesrepublik Deutschland liegt, kann ich Ih-
nen in vielen Positionen beantworten. Das hat unter ande-
rem etwas mit der Politik der Bundesregierung zu tun, der
Sie angehörten.
– Ja, das ist so. Das können Sie sich anschauen.
Wir haben im europäischen Vergleich ein Problem mit
der Beschäftigungsquote Älterer. Dieser Tatbestand ist
nicht neu, sondern schon länger bekannt. Deswegen gibt
es nach dem Europäischen Rat von Lissabon die Überle-
gung, dringend Strategien zu entwickeln, um die Be-
schäftigungsquoten von Frauen und von Älteren deutlich
zu erhöhen. Dies ist unser Ziel.
Man muss sich jedoch überlegen, mit welchen Instru-
menten man dieses Ziel umsetzen kann. Ein Grundproblem
dabei ist: Sie können so viel vermitteln und anpreisen, wie
Sie wollen, aber damit ältere Arbeitslose beschäftigt wer-
den können, sind zwei Dinge notwendig, einerseits jemand,
der bereit ist, sie zu beschäftigen, und andererseits muss al-
les getan werden, um ihre Qualifikation, ihre Beschäfti-
gungsfähigkeit entweder zu erhalten oder zu verbessern.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege
Hinsken, Sie können leider nur eine Nachfrage stellen,
denn dies war nicht Ihre Frage.
– Dann dürfen Sie. Ring frei für Sie.
Vielen Dank, Frau Prä-
sidentin. Ich erhebe lediglich Anspruch auf mein Recht,
das ich als Parlamentarier habe.
Herr Staatssekretär, Sie haben sich auf Lissabon bezo-
gen. Hat die Bundesregierung diese Erkenntnis erst in Lis-
sabon gewonnen oder hat man sich schon früher Gedan-
ken darüber gemacht, etwas in diese Richtung – sie ist
richtig – zu unternehmen? Wenn ja: Warum ist dies nicht
rübergekommen? Warum hat man keine entsprechenden
Schritte unternommen?
G
Herr Hinsken, diese Er-kenntnisse sind uns schon früher gekommen. Wir habenuns genau angesehen, welche Fehler die Vorgängerregie-rung, der Sie angehörten, gemacht hat. Die Vorgängerre-gierung hat schon selbst Teile revidiert. Ich will Sie nur
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 244. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. Juni 2002 24575
daran erinnern, dass Sie, also eine Bundesregierung unterIhrer Beteiligung, ein umfangreiches und nicht zu finan-zierendes Vorruhestandsprogramm aufgelegt haben. Jetztaber stellen Sie sich hier hin, beklagen sich und fragen,wann die Bundesregierung in dieser Beziehung etwas ge-merkt hat.Es gibt im Bündnis für Arbeit – dies habe ich eben zwarnicht Ihnen, aber Ihren Kolleginnen und Kollegen im Zu-sammenhang mit einer anderen Frage beantwortet – eineVerabredung, dass wir einen Paradigmenwechsel brau-chen. Wir müssen mehr für die Beschäftigung älterer Ar-beitnehmer tun. Dazu gehören sehr unterschiedlicheDinge, so beispielsweise auch, Anstrengungen zu unter-nehmen, die Qualifikation älterer Arbeitnehmer zu erhal-ten und zu verbessern. Dies ist ein Problem, mit dem mansich auseinander setzen muss. Hier hat die Bundesregie-rung eine Menge getan und darauf sind wir sehr stolz. Siehat auch die notwendigen Schlussfolgerungen aus denFehlern der Vorgängerregierung gezogen, der Sie an-gehörten, wie ich noch einmal betonen möchte.
– Nein, ich kann immer lachen. Ich kann so lachen wieSie. Sie glauben gar nicht, was für ein lebensfroherMensch ich bin.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Jetzt kommen wir zur
Frage 18 der Kollegin Claudia Nolte:
Wie viele der 132 000 Menschen, die im April 2002 gegenüber
März 2002 nicht mehr in der Arbeitslosenstatistik gezählt wurden,
haben tatsächlich einen ungeförderten bzw. einen geförderten Ar-
beitsplatz auf dem ersten Arbeitsmarkt erhalten und wie viele ei-
nen Arbeitsplatz im zweiten Arbeitsmarkt?
G
Frau Nolte, die Frage
lässt sich mit den zur Verfügung stehenden Daten nicht
beantworten. Die Differenz von rund 132 000 Menschen
im Arbeitslosenbestand ergibt sich aus Zugängen in bzw.
Abgängen aus Arbeitslosigkeit.
Sollte die Frage jedoch darauf abzielen, wie viele Ar-
beitslose in eine geförderte bzw. ungeförderte Erwerbs-
tätigkeit auf dem ersten Arbeitsmarkt oder in den zweiten
Arbeitsmarkt abgegangen sind, sieht die Antwort wie folgt
aus: Nach der Abgangsstatistik der Bundesanstalt für Arbeit
gingen im April 2002 rund 282000 bei den Arbeitsämtern
gemeldete Arbeitslose in eine ungeförderte Erwerbstätig-
keit von über sieben Tagen und rund 21800 Arbeitslose in
eine geförderte Erwerbstätigkeit von über sieben Tagen auf
dem ersten Arbeitsmarkt. Also: 282000 ungefördert in den
ersten Arbeitsmarkt und 21800 gefördert in den ersten Ar-
beitsmarkt. Denn auch bei Gewährung eines Lohnkosten-
zuschusses erfolgt die Beschäftigung auf dem ersten Ar-
beitsmarkt.
Rund 23 400 Arbeitslose gingen in eine Beschäftigung
auf dem zweiten Arbeitsmarkt, also in ABM, SAM usw.
Betrachtet man jedoch allein die Daten der Bundesanstalt,
so wird man sehen, dass die Zahl der Abgänge in eine un-
geförderte Erwerbstätigkeit auf dem ersten Arbeitsmarkt
unterschätzt wird, weil beispielsweise auch Personen mit
dem statistischen Abgangsgrund „Nichterneuerung der
Meldung“ in eine ungeförderte Erwerbstätigkeit gegan-
gen sein können, ohne dass die Arbeitsämter davon
Kenntnis erlangen.
Ich habe vorhin schon einmal – Frau Nolte, da waren
Sie nicht hier – die Abgangsstatistik aufgeschlüsselt.
Es gibt viele unterschiedliche Begründungen und auf
diese möchte ich noch einmal hinweisen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Jetzt gibt es die erste
Nachfrage von Frau Nolte.
G
Also keine Nachfragen
dazu.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Sie sah aber so aus, als
ob sie fragen wollte.
Wir kommen damit zur Frage 19 der Abgeordneten
Nolte:
In wie vielen Fällen war zwischen März und April 2002 ein
Abgang in Nichterwerbstätigkeit zu verzeichnen und ist es richtig
– wie der Vorstandsvorsitzende der Bundesanstalt für Arbeit,
Florian Gerster, für den Berichtsmonat April 2002 beschrieben
hat –, dass das Job-AQTIV-Gesetz im Wesentlichen dazu geführt
hat, dass große Abgänge aus der Arbeitslosigkeit in Nichterwerbs-
tätigkeit zu verzeichnen waren, und insoweit eine Bereinigung der
Statistik hieraus resultiert?
G
Eine einfache Erfassungeines Abgangs in Nichterwerbstätigkeit gibt es bei derStatistik der Bundesanstalt für Arbeit nicht. Die Abgangs-gründe sind vielschichtig.Sie setzen sich zahlenmäßig wie folgt zusammen – ichwill es noch einmal aufzählen –: Abgänge in Erwerbstätig-keit rund 342000, Abgänge in Aus- und Weiterbildung rund51000, Abgänge in Krankheit rund 108000, Nichterneue-rung der Meldung rund 88000 – wer sich nicht mehr mel-det, kann einen Job gefunden haben –, Ausscheiden ausdem Erwerbsleben rund 16000, Wehr- und Zivildienst rund15000, Wohnortwechsel rund 13000, Schule und Studiumrund 10000.Es ist nicht auszuschließen, dass das Job-AQTIV-Ge-setz, wie von Herrn Gerster beschrieben, in einem gewis-sen Umfang zu Abgängen aus Arbeitslosigkeit in Nichter-werbstätigkeit beigetragen hat. Auch wenn Profilinggemacht wird und Eingliederungsvereinbarungen getrof-fen werden, kann es natürlich passieren, dass die Men-schen, die gemeldet sind und diese Maßnahmen in An-spruch nehmen, aus ganz unterschiedlichen Gründennicht mehr in der Statistik auftauchen.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 244. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. Juni 2002
Parl. Staatssekretär Gerd Andres24576
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Jetzt sieht es wirklich
so aus, als wollte die Kollegin Nolte eine Nachfrage stellen.
So ist es. Herr Staatsse-
kretär, das ist in der Tat schwierig. Wie wollen Sie die
Wirkung des Job-AQTIV-Gesetzes überprüfen, wenn
man die Folgen dieses Gesetzes nicht zuordnen kann?
Wie kommt Herr Gerster zu der Annahme, dass aufgrund
des Job-AQTIV-Gesetzes eine deutliche Zahl von Abgän-
gen in die Nichterwerbstätigkeit zu verzeichnen ist?
G
Das Problem ist
zunächst – das wissen Sie aus den Ausschussberatungen –,
dass erst mit In-Kraft-Setzen des Job-AQTIV-Gesetzes
stufenweise Maßnahmen wie Profiling und Eingliede-
rungsvereinbarungen durchgeführt werden.
– Langsam. Über eine konkretere und genauere Beratung
des sich arbeitslos meldenden Menschen erhalten Sie ein
Bild von seinen Verhaltensweisen. Es wurde eben in an-
deren Fragen angemahnt, dass die Arbeitsverwaltung die
Vermittlungsfähigkeit der Arbeitslosen stärker überprüfen
soll. Das kann dazu führen, dass bestimmte Personen-
gruppen aus der Statistik herausfallen oder freiwillig auf
eine Vermittlung verzichten.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Eine zweite Nach-
frage.
Was auffallend ist und
auch in dem Bericht von Herrn Gerster auffällt, ist die
hohe Zahl der Abgänge in Wehr- und Zivildienst. Ich weiß
nicht, ob Ihnen Ihre Kollegin Frau Schulte Schützenhilfe
leisten und sagen kann, wie das in den anderen Monaten
aussah. Wie erklären Sie sich, dass Anfang dieses Jahres
plötzlich deutlich mehr Personen als in den Jahren vorher
eingezogen wurden?
G
Ob deutlich mehr ein-
gezogen werden oder nicht, kann ich nicht beantworten.
Sie haben ganz konkret nach den Monaten März und April
gefragt. Die Arbeitsverwaltung hat mitgeteilt, dass es im
März und im April rund 15 000Abgänge in Wehr- und Zi-
vildienst gab. Nun wird Frau Staatssekretärin Schulte
sicherlich genauer wissen, wann die Einberufungstermine
sind. Aber ich halte das, was mir mitgeteilt worden ist, für
realistisch. – Sie nickt.
– Ich habe Ihnen aber doch für die Abmeldungen unter-
schiedliche Gründe genannt. Sie haben jetzt nach den Ab-
gängen in Wehr- und Zivildienst gefragt. Ich nehme an,
dass die Bundeswehr und die Zivildienstträger einmal im
Frühjahr und einmal im Herbst einberufen. Ich weiß nicht,
wie das Verfahren ist.
Für die Monate März und April war es so, wie ich es Ih-
nen vorgelesen habe.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Die weitere Klärung
muss auf einen Briefwechsel oder Nachfragen im Aus-
schuss verschoben werden.
Ich rufe jetzt die Frage 20 des Abgeordneten
Dr. Hansjürgen Doss auf:
Welche Maßnahmen hat die Bundesanstalt für Arbeit im Rah-
men der Initiative „50 plus – die können es“ ergriffen und wie
hoch sind die Mittel für diese Förderprogramme?
G
Herr Abgeordneter
Doss, ich habe eben etwas über die Aktion „50 plus“ aus-
geführt. Bei der Kampagne „50 plus – die können es“ han-
delt es sich nicht um ein Förderprogramm der Bundes-
anstalt für Arbeit. Vielmehr handelt es sich dabei um eine
gezielte Vermittlungsaktion, in deren Rahmen die Bundes-
anstalt für Arbeit den im Bündnis für Arbeit, Ausbildung
und Wettbewerbsfähigkeit beschlossenen Paradigmen-
wechsel in der Politik gegenüber älteren Arbeitnehmern
mit den vorhandenen Instrumenten der aktiven Arbeits-
marktpolitik unterstützt und versucht, ältere Menschen
besser am Arbeitsmarkt zu positionieren. Dies geschieht
in erster Linie durch zielgenaue Vermittlung und Über-
zeugungsarbeit beim Arbeitgeber, ferner durch Motiva-
tionshilfen und Trainingsmaßnahmen für ältere Bewerber
sowie durch betriebliche Einstellungshilfen, zum Beispiel
Eingliederungszuschüsse für Ältere. Dazu wurde auch
das Faltblatt „Leistungen zur Eingliederung Älterer“ für
Arbeitgeber herausgegeben.
Darüber hinaus wurden von den Arbeitsämtern Presse-
konferenzen, Arbeitsmarktgespräche mit Arbeitgebern
und Bewerbern sowie Vortrags- und Informationsveran-
staltungen durchgeführt. Diese Initiativen fanden ein brei-
tes Echo in der Öffentlichkeit und bei den am Arbeits-
markt Beteiligten.
Die Förderung älterer Arbeitnehmer durch Leistungen
der aktiven Arbeitsförderung nach dem SGB III erfolgt
nach Einzelfallprüfung aus dem Eingliederungstitel der
örtlichen Arbeitsämter, die darüber in eigener Verantwor-
tung entscheiden. Es handelt sich dabei um Ermessens-
leistungen, für die die Aufwendungen nicht personen-
spezifisch erfasst werden. Da es sich bei der Kampagne
„50 plus – die können es“, wie bereits erwähnt, zudem
nicht um ein spezielles Förderprogramm mit einem fest-
gelegten Mittelvolumen handelt, ist keine Aussage über
die Höhe der Aufwendungen möglich.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege Doss,bitte Ihre erste Nachfrage.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 244. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. Juni 2002 24577
Herr Staats-
sekretär, Sie haben mit Sicherheit festgestellt, dass eine
Reihe unserer Fragen durch einen roten Faden miteinander
verbunden sind. Es gibt etwas, das wir uns nicht erklären
können; vielleicht können Sie uns dabei weiterhelfen. Seit
Januar/Februar verändert sich die Arbeitslosenstatistik: Die
Zahl der älteren Arbeitnehmer nimmt ab und die der jünge-
ren nimmt zu, und zwar zeitgleich mit der Einstellung von
rund 3 000 neuen Vermittlern. Dabei handelt es sich doch
um eine Entwicklung, die erklärungsbedürftig ist.
G
Da Sie schon die ganze
Zeit über anwesend waren, Herr Doss, haben Sie sicherlich
auch die unterschiedlichen Gründe und Begrün-
dungszusammenhänge gehört, die ich für die Bundes-
regierung bereits vorgetragen habe. Sie haben nach der Ak-
tion „50 plus“ gefragt. Ich habe es Ihnen erklärt: Sie läuft
faktisch seit 1999. Für die Entwicklung der Arbeitslosigkeit
Älterer gibt es sehr unterschiedliche Gründe. Einen Zu-
sammenhang zwischen der Entwicklung der Arbeitslosig-
keit älterer und der jüngerer Menschen gibt es nicht.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege Doss,
Ihre nächste Nachfrage?
Es gibt eine Nachfrage des Kollegen Dr. Klaus Grehn.
Herr Staatssekretär, Sie ha-
ben zu Recht ausgeführt, dass die Initiative „50 plus – die
können es“ im Bündnis für Arbeit, Ausbildung und Wett-
bewerbsfähigkeit entwickelt worden ist.
Ich gehe davon aus, dass in diesem Bündnis die Ergeb-
nisse der Maßnahmen evaluiert worden sind. Können Sie
angesichts der Tatsache, dass es sich seit sehr langer Zeit
so verhält, dass sich Arbeitgeber eher von älteren Arbeit-
nehmern trennen und dafür entsprechende Maßnahmen
wie Abfindungen durchführen, eine Aussage dazu treffen,
wie wirksam diese Initiative – etwa in Bezug auf die In-
tegration älterer Arbeitnehmer auf dem ersten Ar-
beitsmarkt – gewesen ist?
G
Herr Abgeordneter
Dr. Grehn, ich möchte betonen, dass die Aktion „50 plus –
die können es“ nicht im Bündnis für Arbeit entwickelt
worden ist, sondern von der Bundesanstalt für Arbeit. Ich
möchte in diesem Zusammenhang darauf hinweisen, dass
sie auch ein besonderes Anliegen von Präsident Jagoda
war, der sich sehr darum gekümmert und die damit ver-
bundenen Aktivitäten stark vorangetrieben hat.
Dazu kam aber, dass es im Bündnis für Arbeit im
März 2000 eine Reihe von Beschlüssen gegeben hat, die
sich mit einem Paradigmenwechsel hinsichtlich der Be-
schäftigung Älterer befasst haben. Das Bündnis hat ein-
vernehmlich festgehalten, dass es nicht sinnvoll ist, die
Älteren immer früher in Rente zu schicken. In einer de-
mographisch sich verändernden Gesellschaft verstärken
sich der Zwang und die Notwendigkeit, auch Ältere mit
ihrer Arbeits- und Lebenserfahrung und ihren Qualifika-
tionen stärker in der Beschäftigung zu halten. Dazu sind
unterschiedliche Maßnahmen auf den Weg gebracht wor-
den, zum Beispiel die Änderung des SGB III. Wir haben
– übrigens auch durch eine Vereinbarung im Bündnis für
Arbeit – im Job-AQTIV-Gesetz festgelegt, dass ältere Ar-
beitnehmer über 50 in Betrieben mit weniger als 100 Be-
schäftigten durch Maßnahmen der Bundesanstalt qualifi-
ziert und gefördert werden können. Es handelt sich also
um ein ganzes Bündel von Maßnahmen. Dass das nicht
von heute auf morgen wirkt, ist auch klar.
Was die Evaluation angeht: Wir begleiten das durch
entsprechende Untersuchungen, zum Beispiel des IAB.
Dazu liegen mir gegenwärtig aber keine Ergebnisse vor;
da bitte ich um Verständnis.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich rufe die Frage 21
des Kollegen Hansjürgen Doss auf.
Wie viele ältere Arbeitslose sind durch diese Maßnahmen in
Beschäftigung gekommen und wie viele Arbeitslose hätten auch
ohne die Vermittlung einen Arbeitsplatz gefunden?
G
Die in der Antwort auf
Ihre erste Frage dargestellten Maßnahmen haben zur Ver-
besserung der Eingliederungschancen der Älteren bei-
getragen. So konnten im Bundesgebiet im Jahr 2000
389000 Ältere ab 50 Jahre in eine Erwerbstätigkeit ein-
münden. Das waren 4 Prozent mehr als im Vorjahr. Im Jahr
2001 konnten trotz allgemein schlechterer Arbeitsmarkt-
lage 383100 Ältere eine Erwerbstätigkeit aufnehmen.
Die Bundesregierung hält es im Übrigen für unseriös,
darüber zu spekulieren, wie viele ältere Arbeitslose auch
ohne die in der Antwort auf die Frage 20 aufgezeigten
Vermittlungshilfen einen Arbeitsplatz gefunden hätten.
Die Vermittlungshilfen werden gerade deshalb erbracht,
weil oftmals Schwierigkeiten bestehen, ältere Arbeitneh-
mer in das Erwerbsleben zu reintegrieren.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Jetzt hat der Kollege
Doss eine Nachfrage.
Dass man es als
unseriös bezeichnet, wenn nachgefragt wird, ob etwas ef-
fektiv ist, halte ich schon für bemerkenswert, Herr Staats-
sekretär.
G
Ich habe den Begriff
nicht auf die Nachfrage, sondern auf einen bestimmten
Gegenstand bezogen, der da unterstellt war.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das war eher einKommentar als eine Nachfrage. Deshalb können wir denVorgang abschließen.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 244. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. Juni 200224578
Die Fragen 22 und 23 werden schriftlich beantwortet.Wir kommen zur letzten Frage zu diesem Geschäftsbe-reich, nämlich der Frage 24 des Kollegen Wolfgang
Schließt die Bundesregierung aus, dass sie zur Absicherung
der im Bundeshaushalt 2003 geplanten Ausgaben für Arbeits-
losenhilfeempfänger die Beiträge, die der Bund für Arbeitslosen-
hilfebezieher nach § 232 a Fünftes Buch Sozialgesetzbuch,
SGB V, an die Krankenkassen zahlt, erneut absenken muss?
G
Herr Lohmann, die Ant-
wort ist ganz einfach: Eine Absenkung der Krankenver-
sicherungsbeiträge für Arbeitslosenhilfebezieher steht
zurzeit nicht zur Diskussion.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Erste Nachfrage von
Herrn Lohmann, bitte.
Kann ich nach dieser Aussage davon ausgehen, dass es
unabhängig davon, ob die Anzahl der Arbeitslosenhilfe-
empfänger steigt oder sinkt, keine Auswirkungen auf die
Einnahmesituation der gesetzlichen Krankenversiche-
rung geben wird? Werden Sie dafür sorgen?
G
Herr Lohmann, ich wie-
derhole: Eine Absenkung der Krankenversicherungs-
beiträge für Arbeitslosenhilfebezieher steht zurzeit nicht
zur Diskussion. Wovon Sie bei dieser Antwort ausgehen,
ist einzig und allein Ihre Angelegenheit.
Meine zweite Frage. Die Frage bezog sich auf den Haushalt
2003. Dass das in diesem Jahr keine Diskussion ist, ist mir
selbstverständlich bekannt. Es ging mir darum, zu erfahren,
ob solche Auswirkungen im Jahr 2003 zu erwarten sind.
G
Ich sage noch einmal:
Wir haben nicht die Absicht – eine solche Diskussion gibt
es gegenwärtig nicht –, die Krankenversicherungsbei-
träge für Arbeitslosenhilfebezieher zu verändern. Wenn
ich richtig informiert bin, wird der Haushalt – er ist durch
das Kabinett bereits beschlossen worden – im September
hier in erster Lesung beraten. Dann ist der Haushalt in der
Hand des Parlaments. Darüber, was dabei herauskommt,
kann die Bundesregierung doch nicht spekulieren, Herr
Lohmann.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Jetzt gibt es noch eine
Nachfrage von Herrn Dr. Grehn. Bitte.
Herr Staatssekretär, ich darf
dann umgekehrt fragen: Besteht angesichts der Renten-
absenkung, die dadurch erfolgt ist, dass der Zahlbeitrag
abgeführt wird, die Absicht, den Krankenversicherungs-
beitrag wieder zu erhöhen?
G
Ich habe doch schon ge-
sagt: Es gibt gegenwärtig keine Diskussion darüber und
auch keine Absicht, zu einer Veränderung des Kranken-
versicherungsbeitrags, sei es nach oben oder nach unten,
zu kommen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Damit ist die Beratung
zu diesem Geschäftsbereich abgeschlossen. Vielen Dank,
Herr Staatssekretär.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministeriums
der Verteidigung auf. Zur Beantwortung steht die Parla-
mentarische Staatssekretärin Brigitte Schulte zur Verfü-
gung.
Die Fragen 25 und 26 werden schriftlich beantwortet.
Ich rufe die Frage 27 des Kollegen Dr. Gerd Müller auf:
Welche Investitions- und Umzugskosten setzt die Bundes-
regierung für den Umzug der Schule für Feldjäger und Stabsdiens-
te in Sonthofen nach Hannover an?
B
Das Nutzungs- und Ausbau-
konzept für die Emmich-Cambrai-Kaserne in Hannover
zur Nutzung durch die Schule für Feldjäger und Stabs-
dienste ist in Auftrag gegeben und wird zurzeit erarbeitet.
Erst nach Vorlage und Prüfung mit abschließender Ge-
nehmigung dieser Unterlagen können detaillierte Aussa-
gen zu Investitionskosten in Hannover gemacht werden.
Ich möchte die folgende Frage auch gleich beantwor-
ten. Dann können Sie Ihre weiteren Fragen, auf die ich
mich schon freue, im Anschluss daran stellen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Dann rufe ich auch die
Frage 28 des Abgeordneten Dr. Gerd Müller auf:
Ist die Bundesregierung bereit, einen Umzug der Schule für
Feldjäger und Stabsdienste von Sonthofen nach Hannover zu stop-
pen, wenn dies mit Mehrkosten am Standort Hannover im Ver-
gleich zum Erhalt des Standortes Sonthofen führt?
B
Zurzeit besteht für die Bun-
desregierung keine Veranlassung, von der Entscheidung
abzuweichen, also die Schule aufzugeben. Die Verlage-
rung der Schule von Sonthofen nach Hannover ist weiter-
hin geplant.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Jetzt kann es losgehen
mit den schon mit Freude erwarteten Fragen. Bitte, Herr
Kollege.
Frau Staatssekretärin,das freut uns in Sonthofen nicht. Dann müssen wir ebendie Wahl gewinnen. Das war aber nur eine Vorbemerkung.Wir kämpfen bis zum letzten Soldaten.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 244. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. Juni 2002
Vizepräsidentin Petra Bläss24579
Die Frage an Sie ist: Sollte durch die laufenden Unter-suchungen zur Investition in Hannover das Ergebnis be-stätigt werden, dass der Erhalt der Schule für Feldjäger inSonthofen kostengünstiger bleibt, wie dies nach den der-zeit vorliegenden Berechnungen der Fall ist, ist der Bunddann bereit, auf der Basis dieser wirtschaftlichen Erhe-bungen die kostengünstigere Entscheidung zu treffen,nämlich die Schule in Sonthofen zu belassen?B
Herr Kollege Müller, es gibt re-
alistische Zahlen, wonach eine Sanierung der ehemals
von den Nationalsozialisten errichteten Ordensschule in
Sonthofen mindestens 44 Millionen Euro kosten würde.
Demgegenüber stehen die Kosten für die Umsiedlung in
die in den 70er-Jahren fertig gewordene Offiziersschule
des Heeres in Hannover, welche die zentrale Einrichtung
für die Ausbildung der Offiziere war. Es war die Ent-
scheidung der früheren Bundesregierung, diese Schule
nach Dresden zu verlegen.
Bei der Berechnung, die ich auch kenne, ist man von
einer Idealvorstellung für die Feldjägerausbildung ausge-
gangen und hat für eine Verlagerung nach Hannover all
das gefordert, was Sie weder in Sonthofen noch an ir-
gendeiner anderen Stelle für die Feldjägerausbildung be-
sitzen. Das hat eine merkwürdige Rechnung ergeben, die
aber absolut nicht stimmt. Ich nehme an, dass Sie auf die
Summe von 50 Millionen Euro anspielen. Interessanter-
weise ist diese Rechnung von Herren aus Sonthofen auf-
gestellt worden. Zugrunde gelegt wurde dabei ein Forde-
rungskatalog, der nicht einmal für Sonthofen galt.
Es bleibt dabei: Der Umbau und die Organisation der
aus den 70er-Jahren stammenden Kasernenanlagen in
Hannover für die Nutzung durch die Feldjäger wird 15
Millionen Euro ausmachen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ihre zweite Frage,
bitte.
Frau Staatssekretärin,
die Mehrkosten für Hannover ergeben sich aus der Schät-
zung des Staatlichen Hochbauamtes. Ich frage Sie:
Warum bezieht der Bund das Kooperations- und Mitfi-
nanzierungsangebot der Kommunen nicht ein? Sonthofen
hat ein weit gehendes Angebot gemacht. Warum geht man
darauf nicht ein?
B
Ich muss Ihnen ehrlich sagen:
Meine Sympathie gehört sehr Sonthofen, aber sie gehört
auch Hannover. Es geht nämlich darum, diese in Rede ste-
hende, zentral gelegene Schule, die nach dem Kriege ge-
baut wurde und die im Rahmen der deutschen Einheit –
wofür ich allerdings auch Sympathie habe, obwohl es
Hannover trifft – nach Dresden verlagert und dort mit
Hunderten von Millionen umgebaut worden ist, nutzen zu
können.
Die Vorstellungen für diese 50 Millionen Euro teure
Ausbaumaßnahme sind nicht durch das Bundesverteidi-
gungsministerium, sondern durch die Oberfinanzdirek-
tion initiiert worden. Die Oberfinanzdirektion hat natür-
lich ausgerechnet – Sie kennen ja das System, dass wir
nicht selbst bauen, sondern die Länder für uns bauen –,
was es kosten würde, wenn jeder der genannten Wün-
sche umgesetzt würde. Die Kosten wurden einfach sum-
miert, ungeachtet der Tatsache, dass all dies bei der Sa-
nierungsmaßnahme in Sonthofen nicht vorgetragen
wurde. Es ist aber völlig unvorstellbar, dass man diese
Rechnung wird akzeptieren können. Im Übrigen wissen
Sie auch, dass wir in Sonthofen ja noch einiges belas-
sen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ihre dritte Frage, bitte.
Ich stelle fest: Es gibt
keine militärische Begründung für diesen Umzug. Des-
halb müssen die wirtschaftlichen Gründe ausschlagge-
bend sein: Der Bund muss sich wirtschaftlich verhalten.
Deshalb frage ich: Ist die Bundesregierung bereit, als
Grundlage dieser Entscheidung eine Gesamtkostenbe-
wertung – Hannover versus Sonthofen, unter Einbezie-
hung sämtlicher möglicher Kosten und Erlöse bei Ver-
äußerung bzw. Nichtveräußerung der Liegenschaft –
vorzunehmen? Man muss eine entsprechende Bewertung
für Sonthofen vornehmen, indem man die Fragen „Was ist
diese Liegenschaft wert?“ und „Welche Einnahmen kann
der Bund erzielen?“ beantwortet. Anschließend muss man
einen Vergleich mit Hannover anstellen. Dieses attraktive
Gelände liegt in der Nähe der Messe. Dort sind hohe Ver-
wertungszuschläge zu erwarten.
B
Hannover hat sich im Rahmen
der Wiederherstellung der deutschen Einheit eindeutig be-
reit erklärt, zu akzeptieren, dass die Offiziersschule verlegt
wird. Wenn Sie sich die Landkarte ansehen, dann erkennen
Sie, dass Hannover sehr zentral liegt. Feldjäger brauchen
wir in der ganzen Bundesrepublik Deutschland. Übrigens
beträgt die Entfernung zwischen der Offiziersschule und
der Messe – daran sehe ich, dass Sie Hannover nicht ken-
nen – einige Kilometer. Der Umzug nach Hannover hat
also nichts mit der „Nähe“ zur Messe zu tun.
Die Berechnungen, die man angestellt hat, um nachzu-
weisen, dass es besser ist, den Umzug der Schule für Feld-
jäger und Stabsdienste von Sonthofen nicht durchzu-
führen, waren von Anfang an falsch. Ich bin übrigens der
Meinung, dass man diese Liegenschaft niemals hätte
übernehmen sollen; denn eine Instandhaltung ist sehr auf-
wendig. Zudem bleibt die ABC-Abwehr- und Selbst-
schutzschule weiterhin in Sonthofen. Damit behält Sont-
hofen eine nennenswerte Einrichtung. Im Rahmen der
gleichmäßigen Verteilung von Ausbildungsstandorten
über das gesamte Bundesgebiet ist es sinnvoll und richtig,
die Schule für Feldjäger und Stabsdienste nach Hannover
zu verlagern. Ich sehe diesem Umzug mit großem Inte-
resse und Freude entgegen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Dr. Müller, Siehaben das Wort zu einer letzten Nachfrage.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 244. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. Juni 2002
Dr. Gerd Müller24580
Frau Staatssekretärin,
Sie halten daran fest, die Anzahl der in Sonthofen, in einer
wirtschaftlich peripheren Region, stationierten Soldaten,
inklusive Zivil- und Dienstposten, um 2 000 zu verrin-
gern. Dennoch behaupten Sie, dass Ihr Herz für Sonthofen
schlägt. Angesichts dessen frage ich Sie: Können Sonthofen
und sein Umland trotz der Verlagerung dieser Schule auf
Hilfen des Bundes zur Nutzung der verbleibenden Lie-
genschaft – sie ist zweifelsohne wirtschaftlich nicht ein-
fach zu nutzen – aus Konversionsmitteln zählen?
B
Es ist ganz spannend, festzu-
stellen, welche Anforderungen überall an die Bundeswehr
gestellt werden. Herr Kollege Müller, zunächst einmal
geht es darum, dass wir eine leistungsfähige Bundeswehr
haben. Wir müssen immer mehr Aufgaben mit einem be-
grenzten personellen Bestand bewältigen.
In der Vergangenheit, in der die Situation anders war,
haben wir uns von den Ländern zum Teil Liegenschaften
aufdrängen lassen – bekanntermaßen hatte die Bundesre-
publik Deutschland 1949 keine Bundeswehr –, die die
Länder ganz gern loswerden wollten, weil sie die Kosten
dafür aufbringen mussten. Ich gehe davon aus, dass der
Bund und das Land Bayern der Gemeinde Sonthofen ge-
meinsam helfen, sofern das überhaupt notwendig ist, die
Liegenschaft weiterhin sinnvoll zu nutzen. Ich bin sehr
gespannt, was die Unterhaltskosten dieses Bauwerks – ich
kenne es ja – betrifft.
Ich sage Ihnen ausdrücklich: Konversion ist zunächst
einmal Aufgabe der Länder. Als Theo Waigel – in Klam-
mern gesprochen: CSU – Finanzminister war, wurde die
Regelung getroffen, dass die Länder einen bestimmten
Anteil der Staatseinnahmen für Konversionsaufgaben be-
kommen, die ihnen zur Verfügung stehen.
Da ich hier gerade den Kollegen Brüderle sehe, fällt
mir ein: Während die einen etwas aus diesen Mitteln ge-
macht haben, haben die anderen nur das Geld eingestri-
chen. Ich hoffe nicht, dass das bei Bayern der Fall ist.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Bevor ich die nächste
Frage aufrufe, kann ich Sie erst einmal erlösen: In der
48. Spielminute ist Brasilien gegen die Türkei durch ein
Tor von Ronaldo mit eins zu null in Führung gegangen.
Sind Sie damit zufrieden?
– Als Präsidentin bewerte ich das nicht.
Ich rufe die Frage 29 des Kollegen Helmut Heiderich auf:
Welche Finanzmittel hat die Bundesregierung in den neuen
Bundeshaushalt 2003 und die nachfolgende Finanzplanung ein-
gestellt, um die im „Ressort-Konzept Stationierung“ vom Bun-
desminister der Verteidigung, Rudolf Scharping, getroffene Aus-
sage: „Das Kommando der Division Luftbewegliche Operationen,
DLO, wird zunächst in Veitshöchheim aufgestellt und dann nach
Rotenburg an der Fulda verlegt, sobald dort die erforderliche In-
frastruktur geschaffen worden ist“ auch verwirklichen zu können,
und in welchen Jahresabschnitten ist die Finanzierung der Infra-
strukturmaßnahmen vorgesehen?
B
Herr Kollege Heiderich, die
Kosten für die infrastrukturellen Anpassungsmaßnahmen
in der Alheimer-Kaserne in Rotenburg an der Fulda
werden nach den ersten Untersuchungen auf etwa
15,3 Millionen Euro geschätzt. Die dafür erforderlichen
Mittel werden im Rahmen der Infrastrukturdurch-
führungsplanung berücksichtigt. Es ist vorgesehen – die
Kaserne ist erst ab Ende 2003 frei –, dass im Rahmen des
Haushalts 2004 2,6Millionen Euro, im Rahmen des Haus-
halts 2005 5,1 Millionen Euro, im Rahmen des Haus-
halts 2006 2,5Millionen Euro sowie im Rahmen der Haus-
halte 2007 und 2008 jeweils rund 2,6 Millionen Euro
ausgegeben werden.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege
Heiderich, Sie haben das Wort zu einer Nachfrage, bitte.
Frau Staatssekretä-
rin, wenn ich das richtig verstanden habe, erstreckt sich
Ihre Finanzplanung auf fünf oder sechs Jahre. Wie stellt
sich die Bundesregierung die Verwendung dieser Liegen-
schaft in den Jahren, in denen der Ausbau stattfinden soll,
vor? Ist es geplant bzw. vorgesehen, dass der Umzug der
DLO aus Veitshöchheim nach Rotenburg partiell stattfin-
det? Wenn ja, in welchen Jahren und in welchen Zeitab-
schnitten? Oder haben Sie geplant, den Umzug erst dann
insgesamt stattfinden zu lassen, wenn der Ausbau vollen-
det ist?
B
Ich gehe einmal davon aus,
dass die Bundeswehr insgesamt ein Interesse daran hat,
relativ schnell die neue Struktur zu verwirklichen. Da das
Panzergrenadierbataillon 52, das jetzt in Rotenburg an der
Fulda stationiert ist, erst zum 31. März 2004 aufgelöst ist,
kann natürlich die Aufnahme des Kommandos Division
Luftbewegliche Operationen – die wohnen ja jetzt auch
nicht gerade in Räumen, die nicht benutzbar sind – erst ab
dem Jahre 2004 beginnen und wird dann bis 2006 abge-
schlossen sein. Ich denke, das ist in Ihrem Sinne.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Noch eine Nachfrage?
– Bitte, Herr Kollege.
Ich warte eigentlich
noch auf die Beantwortung meiner Frage. Eine Antwort
auf die Frage des Umzugs ist bis dato bei mir noch nicht
angekommen.
B
Wenn wir erst zum 31. März
2004 das Panzergrenadierbataillon 52, das dort stationiert
ist, auflösen, können die anderen vorher nicht in dessen
Räumlichkeiten. Dann habe ich gesagt, dass nach der der-
zeitigen Planung von 2004 an, also nach der Auflösung,
der Umzug des Kommandos dorthin erfolgen und bis zum
Jahre 2006 abgeschlossen sein soll.
Wenn ich Sie jetztrichtig verstanden habe, soll der Umzug sukzessive, je
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 244. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. Juni 2002 24581
nach Fertigstellung der Bauten, erfolgen, sodass die Ver-legung 2006 schon beendet wäre.Ich darf in dem Zusammenhang noch anfügen, dass derUmbau natürlich schon früher stattfinden könnte, weil dassich zurzeit in der Alheimer-Kaserne befindende Kom-mando diese Kaserne schon teilweise räumt. Im Jahre2003 geht nämlich ein großer Teil zum Einsatz in den Ko-sovo; 2004 muss da nur noch der dort verbliebene Rest-bestand aufgelöst werden. Man könnte also mit dem Aus-bau schon im Jahre 2003 beginnen.B
Herr Kollege, ich kann nicht
ganz nachvollziehen, dass wir hier über Baupläne reden.
Ich kann Ihnen nur in aller Deutlichkeit sagen, dass wir
für den Umbau 15,3 Millionen einplanen und dass nach
dem Abzug des Bataillons die Sanierung und auch der
Umzug erfolgen. Mehr kann man eigentlich für einen
Standort – ich erinnere mich an die Bedenken Ihres Vor-
redners – nicht tun.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Vielen Dank, Frau
Staatssekretärin.
Ich rufe jetzt den Geschäftsbereich des Bundesminis-
teriums für Gesundheit auf. Zur Beantwortung steht Frau
Parlamentarische Staatssekretärin Gudrun Schaich-Walch
zur Verfügung.
Die Fragen 30 und 31 werden schriftlich beantwortet, so-
dass ich jetzt die Frage 32 der Kollegin Annette Widmann-
Mauz aufrufen kann:
Ist bezüglich der noch in dieser Legislaturperiode geplanten
Verabschiedung des Disease-Management-Programmes „Brust-
Bundesregierung die Ansicht, dass ohne diese Vorgaben eine Ver-
sorgungsverbesserung betroffener Frauen nicht zu erreichen ist?
G
Vielen Dank. – Frau Ab-
geordnete, die Bundesregierung ist wie Sie der Ansicht, dass
eine Verbesserung der Versorgung von Brustkrebspatientin-
nen nur durch eine Behandlung gemäß dem gesicherten ak-
tuellen Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse zu errei-
chen ist. Sie begrüßt es daher ausdrücklich, dass es dem
Koordinierungsausschuss gelungen ist, dem Bundesminis-
terium für Gesundheit auch für das Krankheitsbild Brust-
krebs seine Empfehlung für die Anforderungen an struk-
turierte Behandlungsprogramme zu übermitteln. Auf der
Grundlage dieser einvernehmlichen Empfehlung werden
daher in der Vierten Verordnung zur Änderung der Risiko-
struktur-Ausgleichsverordnung neben den Anforderungen
an die Programme für Diabetes auch die Anforderungen
für Programme zum Brustkrebs festgelegt. Die Verord-
nung soll zum 1. Juli 2002 in Kraft treten. Sie ist dann
Grundlage für die Zulassung strukturierter Behandlungs-
programme durch das Bundesversicherungsamt und damit
auch für die Förderung der zugelassenen Programme
durch den Risikostrukturausgleich.
Bei der Erarbeitung der Anforderungen für Programme
zum Brustkrebs wurden vom Koordinierungsausschuss
infrage kommende internationale Leitlinien und zum Teil
zugrunde liegende Originalarbeiten herangezogen, da es
derzeit noch keine zertifizierte nationale Leitlinie zur
Therapie von Brustkrebs gibt. Bei der Erarbeitung der An-
forderungen haben auch ausgewiesene Experten, insbe-
sondere der Präsident der Deutschen Krebsgesellschaft,
der Direktor der Universitäts-Frauenklinik Ulm, Herr
Professor Kreienberg, mitgewirkt. Im Übrigen hatten alle
betroffenen Organisationen und Fachgesellschaften Gele-
genheit, anlässlich der Anhörung am 17. Juni mündlich
oder schriftlich eine Stellungnahme abzugeben, die, so-
weit möglich, bei der Erarbeitung der Anforderungen
Berücksichtigung findet.
Es ist darauf hinzuweisen, dass im Rahmen der Vierten
Verordnung zur Änderung der Risikostruktur-Ausgleichs-
verordnung nur Anforderungen an strukturierte Behand-
lungsprogramme festgelegt werden. Es ist Aufgabe der
Krankenkassen, auf dieser Grundlage Programme zu ent-
wickeln bzw. ihre Entwicklung zu veranlassen und dann
eine Zulassung beim Bundesversicherungsamt zu bean-
tragen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
War das bereits die
Beantwortung auch der nächsten Frage? – Nein. Dann
rufe ich jetzt die Frage 33 auf:
Wie lauten die Leitlinien, nach denen die Bundesregierung das
Disease-Management-Programm „Brustkrebs“ noch in dieser Le-
gislaturperiode verabschieden will und sind diese bereits öffent-
lich zugänglich?
Im Anschluss hat die Kollegin Widmann-Mauz die Ge-
legenheit, vier Zusatzfragen zu stellen.
G
Die Anlage 3 des
vorgelegten Entwurfs einer Vierten Verordnung zur Än-
derung der Risikostruktur-Ausgleichsverordnung enthält
die Anforderungen an strukturierte Behandlungspro-
gramme für Brustkrebs, die erfüllt sein müssen, damit die
Programme nach einer entsprechenden Prüfung durch das
Bundesversicherungsamt zugelassen werden können.
Diese Anforderungen basieren weitestgehend auf der ein-
vernehmlichen Empfehlung des Koordinierungsaus-
schusses vom 13. Juni, also auf den zur Bearbeitung der
Anforderungen herangezogenen Leitlinien.
Ich möchte Ihnen gerne den Hinweis geben, dass die
gesamten Ergebnisse der Beratungen auf den Internetsei-
ten des BMG abrufbar sind. Dort finden Sie weitere De-
tails zu den medizinischen Inhalten, zu den verschiedenen
Diagnose- und Therapieschritten.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Widmann-Mauz,
Ihre erste Nachfrage.
Frau Staats-sekretärin, Sie kennen bestimmt den offenen Brief, dendie Bundesministerin von der Deutschen Gesellschaft fürGynäkologie und Geburtshilfe, von Herrn ProfessorDr. Klaus-Dieter Schulz, der gleichzeitig Leiter der Kon-
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 244. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. Juni 2002
Helmut Heiderich24582
zertierten Aktion Brustkrebsfrüherkennung in Deutsch-land ist, erhalten hat. Er schreibt der Bundesregierung klarins Stammbuch, dass die vom Koordinierungsausschussverabschiedeten und durch die Bundesregierung in Kraftzu setzenden Rechtsvorschriften in keiner Weise zu einerVerbesserung der Brustkrebsbehandlung beitragen. Wiebeurteilen Sie diese Äußerung? Gab es eine Einbeziehunginterdisziplinärer Fachgesellschaften bei der Erarbeitungdieser Leitlinie?G
Der Koordinie-
rungsausschuss hat verschiedene Sektionen gebildet, die
sich mit den Teilbereichen der Erstellung befasst haben.
In den Bereichen, die sich mit der Frage der inhaltlichen
Ausgestaltung, also mit der Vorgabe einzelner Therapie-
und Diagnoseschritte, befasst haben, bildeten die Aus-
führungen des Präsidenten der Deutschen Krebsgesell-
schaft der Universitäts-Frauenklinik Ulm, Herrn Profes-
sor Kreienberg, eine wichtige Arbeitsgrundlage. Er hat
der Ministerin in einem Schreiben ausdrücklich ver-
sichert, dass die festgelegten Inhalte von allen Vertretern
als gut angesehen werden.
Der von Ihnen angesprochene Kritikpunkt wird von
uns aufgenommen. Dieser Brief ist mir persönlich nicht
bekannt. Ich werde mich aber natürlich darum kümmern.
Im Rahmen einer Anhörung – ich habe schon darauf hin-
gewiesen – ist bereits deutlich geworden, dass im Rahmen
der endgültigen Ausgestaltung des Programms an der ei-
nen oder anderen Stelle noch etwas verändert werden
muss. Ich möchte hier auch ganz deutlich sagen, dass wir
gerade in gesonderten Gesprächen mit den Organisa-
tionen „Frauenselbsthilfe nach Krebs“, „Koalition Brust-
krebs“ und „Women’s Health Coalition“ eine sehr breite
Zustimmung für die Schritte, die jetzt gegangen werden,
gefunden haben.
Wir arbeiten auf der Basis, dass es noch keine zertifi-
zierte deutsche nationale Leitlinie in diesem Bereich gibt
und dass man auf verschiedene internationale Punkte
zurückgreifen muss. Ich glaube, auf einer solchen Basis ist
es nie auszuschließen, dass der eine oder andere Vertreter
sagt, er hätte diese oder jene Richtung präferiert. Wir haben
alle diese Programme, mit denen wir gesundheitspoliti-
sches Neuland betreten, so angelegt, dass sie wissenschaft-
lich evaluiert werden, dass sie begleitet werden und dass sie
in einem Jahresrhythmus dem neuen wissenschaftlichen
Stand angepasst und überarbeitet werden. Man wird sehen,
welche Veränderungen noch notwendig sind.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Nächste Nachfrage
von Frau Widmann-Mauz.
Frau Staats-
sekretärin, ist Ihnen bekannt, dass es in der Bundesrepu-
blik eine S3-Leitlinie zur Brustkrebsbehandlung und wei-
tere nutzbare Fragmente hochwertiger Leitlinien gibt, und
können Sie uns bitte sagen, warum diese in der Bundes-
republik erarbeiteten Standards bei der Erarbeitung des
Disease-Management-Programms keine Berücksichti-
gung gefunden haben?
G
Der Vorsitzende
der Deutschen Krebsgesellschaft ist ein besonders ausge-
wiesener Wissenschaftler mit sehr großer praktischer und
klinischer Erfahrung. Was zur fachlichen Erarbeitung he-
ranzuziehen und was als neuester wissenschaftlicher Stan-
dard zu werten ist, entscheidet in unserem Gesundheits-
wesen die Selbstverwaltung unter Einbeziehung der
entsprechenden ärztlichen Gruppierungen und Fachge-
sellschaften. Dies ist nicht Aufgabe der Politik, nicht Auf-
gabe des Bundesgesundheitsministeriums. Das entspricht
auch den Grundlagen und Richtlinien, nach denen unsere
Selbstverwaltung arbeitet. Ich denke, dass das auch gut so
ist; denn ich glaube, dass die notwendige Kompetenz bei
den Menschen versammelt war, die an diesem Projekt ge-
arbeitet haben, und weniger hier.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Weitere Nachfrage,
bitte.
Frau Staats-
sekretärin, wie beurteilen Sie denn den Vorwurf der Kon-
zertierten Aktion zur Brustkrebsfrüherkennung, dass eine
Einbindung der für die Funktionsfähigkeit der multidiszi-
plinären Versorgungskette zuständigen Fachgesellschaf-
ten und Berufsverbände zur Prüfung der medizinischen
Inhalte eben nicht erfolgt ist und damit auch die Voraus-
setzung eines fachübergreifenden Konsenses nicht vor-
liegt?
G
Frau Widmann-
Mauz, wenn ich Sie jetzt richtig verstehe, beziehen Sie
sich nicht mehr auf die Disease-Management-Pro-
gramme, sondern die Vorsorge. Dies würde einen völlig
anderen Bereich betreffen. Die Früherkennung von Brust-
krebs ist im Screening-Programm Mammographie ange-
siedelt. Diese Disease-Management-Programme begin-
nen demgegenüber erst an dem Punkt, an dem es bereits
einen Befund für eine Erkrankung gegeben hat. Im Be-
reich der Früherkennung arbeiten wir im Augenblick an
einem Screening-Programm. Dort laufen mehrere Mo-
dellvorhaben. Dazu gab es bereits eine Anhörung im Rah-
men des Gesundheitsausschusses, bei der über den Stand
der Dinge und über die Beteiligung berichtet wurde. Das
ist ein von den Disease-Management-Programmen los-
gelöstes und getrenntes Programm und wurde sehr wohl
in gemeinsamer Zusammenarbeit mit den Fachgesell-
schaften und der Selbstverwaltung erstellt. Es wird jetzt
an verschiedenen Orten erprobt und wird dann im Jahre
2003 in das ganz normale Vorsorgeprogramm aufgenom-
men werden.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Letzte Nachfrage,
bitte.
Ich darfzunächst einmal zusammenfassen, dass Sie der Meinungsind, dass Früherkennung und Therapie des Brustkrebseshier getrennt behandelt werden und nichts miteinander zutun haben. Meine Frage bezieht sich noch einmal darauf:
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 244. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. Juni 2002
Annette Widmann-Mauz24583
Sie haben angesprochen, dass Sie bereit sind, die jetztvom Koordinierungsausschuss vorgelegten Leitlinien zuüberarbeiten. Ich zitiere Herrn Professor Schulz, der sagt:In der derzeitigen Form ist der Entwurf zu einemDisease-Management-Programm unbrauchbar undverschlechtert die Versorgung an Brustkrebs er-krankter Frauen.Darf ich Sie fragen, ob Sie in diesem Sinne die Leitlinienbzw. das Disease-Management-Programm überarbeitenwerden, ob Sie dabei zum Beispiel mit berücksichtigenwerden, wie die Zusammenarbeit zwischen Praxis undKlinik besser geregelt werden kann, und ob auch Fragen,die zivil- und strafrechtliche Konsequenzen haben – wiebei Folgen von Fehlbehandlungen, die im Rahmen diesesManagement-Programmes von Ärzten verursacht wer-den –, abgedeckt und geregelt werden?G
Frau Abgeordnete,
ich weise noch einmal deutlich darauf hin, dass es darum
geht, im so genannten kurativen Bereich eine notwendige
qualitative Verbesserung zu erreichen. Der kurative Be-
reich beginnt dort, wo es bereits einen Befund gibt, zum
Beispiel wenn die Frauen selbst etwas getastet haben. Für
diesen Fall ist in dem Programm vorgegeben, wie die ein-
zelnen Diagnoseschritte aussehen müssen, um eine zwei-
felsfreie, gut abgesicherte Diagnostik zu erzielen, die über
Umfang und Schwere der Erkrankung Auskunft gibt. Da-
rüber hinaus werden in diesem Programm die verschie-
densten Maßnahmen und Möglichkeiten von operativen
Eingriffen, strahlentherapeutischen Maßnahmen bis hin
zu psychosozialen Hilfen für den kurativen Bereich be-
schrieben.
Andere Anforderungen sind an Programme der Früher-
kennung zu stellen. Das sind die so genannten Screening-
Programme. Damit wollen wir Frauen, die davon ausge-
hen, dass sie gesund sind – das sind die Frauen, die von
den Disease-Management-Programmen erfasst werden,
nicht mehr; sie haben einen Erstbefund –, zu Untersu-
chungen motivieren. Die Voraussetzungen dafür sind völ-
lig andere als im Bereich der Disease-Management-Pro-
gramme. Wir mussten zum Beispiel Grenzen für die
Strahlenbelastung festlegen. Deshalb haben wir uns zum
Beispiel auf das Alter von 50 Jahren als Beginn der regel-
mäßigen Mammographie geeinigt.
Man muss die beiden Bereiche immer zusammen se-
hen. Man darf sie vor allem nicht trennen, wenn jemand
durch einen Befund in den Bereich der Therapie übergeht,
unabhängig davon, ob dann kurz- oder langfristige Maß-
nahmen der Rehabilitation notwendig werden.
Zu dem, was Sie gerade hier vorgetragen haben, kann
ich nur sagen: Das ist eine sehr undifferenzierte und pau-
schale Kritik. Ich habe nicht gesagt, dass wir jetzt die Leit-
linien überarbeiten, sondern ich habe Ihnen gesagt, dass
es genereller Bestandteil der Leitlinien ist, dass sie wis-
senschaftlich begleitet und beständig dem Stand der Wis-
senschaft angepasst werden.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Vielen Dank, Frau
Staatssekretärin.
Ich rufe jetzt den letzten Geschäftsbereich, den des
Bundesministeriums für Verkehr, Bau- und Wohnungs-
wesen, auf. Zur Beantwortung steht Herr Parlamentari-
scher Staatssekretär Achim Großmann zur Verfügung.
Ich rufe die Fragen 34 und 35 des Kollegen Dr. Hans-
Peter Uhl gemeinsam auf:
Ist die Bundesregierung bereit, die Finanzierung für den Au-
tobahnring der Bundesautobahn A 99 bis zum Anschluss an die
Lindauer Autobahn sicherzustellen, sodass dieser rechtzeitig vor
der Fußballweltmeisterschaft 2006 fertig gestellt werden kann?
Ist die Bundesregierung bereit, die Einstellung der laufenden
Bauarbeiten dadurch abzuwenden, dass sie die erforderlichen Ver-
pflichtungsermächtigungen für die Jahre 2003 ff. bis spätestens
August 2002 erteilt, um den Auftrag für den Tunnel Aubing recht-
zeitig vergeben zu können?
Ich bitte um Kürze, dann hat auch die Kollegin
Ostrowski die Chance, dass ihre Fragen noch beantwortet
werden.
A
An mir
soll es nicht liegen, Frau Präsidentin. Herr Kollege Uhl,
ja, die Bundesregierung ist bereit, die Finanzierung des
Westringes München, also der Bundesautobahn A 99, si-
cherzustellen, sodass er bis zu Beginn der Fußballwelt-
meisterschaft 2006 fertig gestellt werden kann.
Die zweite Frage beantworte ich gleich mit, weil es ei-
nen Zusammenhang zwischen beiden Fragen gibt: Die
Bundesregierung ist, in Abstimmung mit der Bayerischen
Staatsregierung, ebenfalls bereit, die zur zeitgerechten
Vergabe des Tunnels Aubing benötigten Verpflichtungser-
mächtigungen zur Verfügung zu stellen. Einzelheiten
dazu werden im Rahmen der bevorstehenden Vergabe ge-
regelt werden.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Bitte, Herr Kollege
Uhl.
Herr Staatssekretär,
ist Ihnen von Ihrem Hause mitgeteilt worden, dass die
zeitgerechte Zur-Verfügung-Stellung der Finanzmittel in
den Monaten Juli und August, also in den nächsten beiden
Monaten, erfolgen muss, weil sonst der nötige Bau des
Tunnels innerhalb dieser kritischen Phase nicht mehr
möglich ist? Sind Sie in der Lage, diese Finanzmittel per
Verpflichtungsermächtigung tatsächlich in den nächsten
zwei Monaten, also Juli, spätestens August 2002, zur Ver-
fügung zu stellen?
A
Ja, Kol-
lege Uhl, uns ist bekannt, dass in Kürze mit der Vergabe
der auf dem kritischen Weg liegenden Einhausung bei Au-
bing begonnen werden muss. Wir kennen den Terminplan
und wir werden sicherstellen, dass die Arbeiten entspre-
chend fortgeführt werden können.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Zweite Nachfrage,bitte.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 244. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. Juni 2002
Annette Widmann-Mauz24584
Dann ist Ihnen si-
cher auch mitgeteilt worden, dass die derzeitig vorgese-
hene Vergabe dieses Tunnelprojektes zu außergewöhnlich
günstigen Konditionen erfolgen kann. Wenn die Mittel
nicht zur Verfügung gestellt würden, müsste eine Neuaus-
schreibung mit erheblichen Nachbesserungen erfolgen.
Es würde sich also ein erheblicher finanzieller Schaden
für die öffentliche Hand ergeben. Ich nehme an, dass Sie
auch dieses wissen.
A
Das ist
mir nicht bekannt – wie Sie wissen, verläuft das Vergabe-
verfahren auf einer anderen Ebene –, da ich die Ergeb-
nisse der Ausschreibungen nicht auf den Tisch bekomme.
Im Rahmen des Vergabeverfahrens stellen wir aber sicher,
dass der Bund die Mittel im Rahmen einer Verpflichti-
gungsermächtigung bereitstellt.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich rufe die Frage 36
der Kollegin Christine Ostrowski auf:
Warum geht gemäß der Antwort des Parlamentarischen Staats-
sekretärs im Bundesministerium für Verkehr, Bau- und Woh-
nungswesen, Stephan Hilsberg, auf die mündliche Frage 15
der Abgeordneten Heidemarie Ehlert in der Fragestunde am
12. Juni 2002 das Pro-
grammvolumen für den Stadtumbau Ost weit über die Vorschläge
der Expertenkommission hinaus, die in ihrem Abschlussbericht
rund 700 Millionen Euro jährlich, also nahezu das Doppelte der
jetzt eingestellten Summen, kalkulierte?
A
Frau
Kollegin Ostrowski, in den Empfehlungen der Kommis-
sion, die Sie angesprochen haben, heißt es wörtlich:
Die Kommission empfiehlt, den Abriss von leerste-
henden Wohnungen dort, wo er für den Stadtumbau
nützlich und für das Marktgleichgewicht erforder-
lich ist, mit bis zu 140 DM pro Quadratmeter Wohn-
fläche zu fördern. Dazu wären über 10 Jahre circa
300 Millionen DM jährlich aufzuwenden, die je zu
einem Drittel vom Bund, den Ländern und den je-
weiligen Kommunen aufzubringen wären.
Allein der Bund stellt im Jahre 2002 153 Millio-
nen Euro bereit. Die gleiche Summe ist für 2003 vorgese-
hen. Hinzu kommen die Mittel der Länder in gleicher
Höhe sowie die Mittel der Kommunen in halber Höhe. Da
allein die Mittel des Bundes für den Stadtumbau Ost den
Empfehlungen der Kommission entsprechen, trifft die
Aussage der Bundesregierung zu, dass das Programmvo-
lumen weit über die Vorschläge der Kommission hinaus-
geht.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Ostrowski zu ei-
ner kurzen Nachfrage.
Herr Staatssekretär,
können Sie mir bestätigen, dass in der Tabelle 17 auf der
letzten Seite des Abschlussberichts der Expertenkommis-
sion alle Vorschläge der Kommission, auf die ich mich in
der Frage beziehe, zusammengefasst sind? Können Sie
mir ferner bestätigen, dass die jährliche Summe 1,39 Mil-
liarden DM, also rund 700 Millionen Euro, beträgt?
Ich möchte eine weitere Frage anschließen: Können
Sie mir weiterhin bestätigen, dass die rund 150 Millio-
nen Euro, die der Bund in den ersten Jahren bereitstellt,
nicht ausschließlich für den Abriss bereitstehen, sondern
dass diese Summe hälftig für Abriss und Rückbau einge-
setzt werden soll? Beim Abriss ist also der Anteil des Bun-
des unter dem Anteil, den die Expertenkommission vor-
geschlagen hat. Letztendlich muss man sagen, dass die
Vorschläge der Expertenkommission ein Volumen umfas-
sen – ich habe es in meiner Frage genannt –, das weit über
die Summe hinausgeht, die Sie angeboten haben.
A
Frau
Ostrowski, ich bin nicht Ihrer Meinung.
Ich will Ihnen noch einmal die Zahlen nennen: Die Exper-
tenkommission hat allein für den Abriss 140 DM pro Qua-
dratmeter Wohnfläche gefordert. Das ergibt eine Summe
von insgesamt 300 Millionen DM. Davon entfallen
100 Millionen DM auf den Bund. Der Bund stellt
aber 153 Millionen Euro zur Verfügung; das sind 300 Mil-
lionen DM. Davon steht die Hälfte, also 75Millionen Euro,
für den Abriss zur Verfügung. Das sind nach meiner Rech-
nung 50 Millionen DM mehr, als die Kommission gefor-
dert hat.
Zu den Gesamtmitteln, die wir für den Stadtumbau Ost
zur Verfügung stellen, müssen die steuerliche Abschrei-
bung und die Investionszulage hinzugerechnet werden.
Hinzu kommen die Förderung des selbst genutzten
Wohneigentums und die Förderung aufgrund des § 6 a
des Altschuldenhilfe-Gesetzes. Damit ergibt sich eine
Summe, die weit über 5 Milliarden Euro liegt.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Angesichts der fortge-
schrittenen Zeit rufe ich jetzt die Frage 37 der Kollegin
Ostrowski auf, wobei ich um eine kurze Nachfrage bitte:
Wie lässt sich erklären, dass – obwohl für 25Antragsteller auf
Altschuldenhilfe nach § 6 a des Altschuldenhilfe-Gesetzes bereits
218 Millionen Euro von insgesamt vorgesehenen 358 Millionen
Euro bewilligt sind und weitere 65Anträge auf Entlastung bereits
vorliegen – die Bundesregierung keine Notwendigkeit für Über-
legungen zu einer Aufstockung des Programmvolumens sieht?
A
Frau
Ostrowski, das Verhältnis der bisher bewilligten Anträge
zu dem bewilligten Mittelvolumen lässt sich nicht hoch-
rechnen. Insofern kann aus der Zahl der vorliegenden An-
träge nicht auf das erforderliche Mittelvolumen geschlos-
sen werden.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Kollegin
Ostrowski, bitte.
Herr Staatssekretär, Siebestätigen also, dass bisher 25 Anträge bewilligt wurden,
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 244. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. Juni 2002 24585
die einen Umfang von 218 Millionen Euro haben, wobeidas Gesamtvolumen nur 358 Millionen Euro beträgt. Esliegen aber 65 weitere Anträge vor. Halten Sie es für rea-listisch, dass die noch verbleibenden Mittel in Höhe von140 Millionen Euro für die noch vorliegenden 65 Anträgeausreichen?A
Die
Frage ist nicht, ob ich das für realistisch halte. Wir bear-
beiten diese Anträge. Aus den ersten 25 bearbeiteten An-
trägen kann man nichts hochrechnen. Denn – das wissen
auch Sie – Anträge kommen von großen Wohnungsunter-
nehmen – diese wollen hohe Beträge und die müssen be-
willigt werden – und von kleinen Wohnungsunternehmen,
die geringe Beträge anfordern, die wir zur Verfügung stel-
len müssen. Wir haben das Problem im Auge. Sie wissen
– darüber habe ich bereits im Ausschuss berichtet –, dass
wir mit den neuen Bundesländern auf Staatssekretärsebene
in Gesprächen sind. Ich gehe davon aus, dass wir im Rah-
men des § 6 a des Altschuldenhilfe-Gesetzes eine für alle
Wohnungsunternehmen gerechte Lösung finden werden.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Vielen Dank, Herr
Staatssekretär, vor allem auch für das Tempo Ihrer Beant-
wortung.
Die Fragestunde ist damit beendet.
Ich rufe Zusatzpunkt 1 auf:
Aktuelle Stunde
auf Verlangen der Fraktionen der SPD und des
BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
Weitere Maßnahmen der Bundesregierung zur
Förderung des Mittelstandes
Ich eröffne die Aussprache. Erster Redner für die SPD-
Fraktion ist der Kollege Rainer Wend.
Herr Präsident! Meine sehrgeehrten Damen und Herren! Wir reden nicht das ersteMal über das Thema Mittelstand. Es lohnt sich, über die-ses Thema zu sprechen, weil jeder von uns unabhängigdavon, welcher Fraktion er angehört, weiß, dass der Mit-telstand das Rückgrat der deutschen Wirtschaft bildet,
was Beschäftigung, Innovationen und Ausbildung angeht.Deshalb war es kein Zufall, dass die Bundesregierungdem Mittelstand in besonderer Weise Aufmerksamkeitgewidmet hat.Zunächst möchte ich mich ausdrücklich für die Initiati-ven bedanken, die der Bundeswirtschaftsminister zu Beginndieser Woche auf einer Pressekonferenz angekündigt hat.
Wir alle wissen, dass die aktuellen Finanzierungspro-bleme des Mittelstandes besonders gravierend sind. Dabeigeht es darum, dass sich die Privatbanken insgesamt weit-gehend aus der Finanzierung zurückgezogen haben. Aberauch Sparkassen und Volksbanken sagen, dass es zuneh-mend unattraktiv werde, kleinere Kredite an Existenz-gründer und den unteren Mittelstand zu vergeben, weilAufwand und Ertrag in keinem vernünftigen Verhältnismehr zueinander stünden. Deshalb ist die Reaktion desBundeswirtschaftsministers richtig, wenn er sagt: Wirwollen Kleinstkredite bis 25 000 Euro ohne Sicherheitenund unbürokratisch vergeben. Dies ist praktische Politikfür den deutschen Mittelstand.In der „Berliner Morgenpost“ von heute heißt es wört-lich:Der Sparkassenverband hat die Pläne von Bundes-wirtschaftsminister Werner Müller ... für Kleinst-darlehen an kleine und mittlere Firmen begrüßt. An-gesichts der schwierigen Situation vieler kleinerUnternehmen sei die schnelle und unbürokratischeVergabe von Krediten von bis zu 25 000 Euro einrichtiger Weg, erklärte der Präsident des DeutschenSparkassen- und Giroverbandes ...Dies ist in der Tat der richtige Weg.
Lassen Sie mich dennoch auf die von Ihnen in diesemZusammenhang regelmäßig angesprochenen Themeneingehen, wobei ich verstehe, dass sie dem MittelstandSorgen machen. Stichwort: 630-Mark-Gesetz. Ich binnicht sicher – dieses Gefühl hatte ich in den Gesprächen,die ich gerade in den letzten Wochen geführt habe –, obwir mit diesem Gesetz, was die Bürokratie angeht, alleMöglichkeiten ausgeschöpft haben, es möglichst einfachzu gestalten.
Diejenigen, die jetzt ihre Backen aufblasen, solltensich allerdings Folgendes gefallen lassen: Als wir 1998die Regierung übernommen haben, gab es etwa 5,6Millio-nen geringfügige Beschäftigungsverhältnisse. In den letz-ten zehn Jahren Ihrer Regierung hat sich diese Zahl ins-gesamt sogar verdoppelt. Gleichzeitig haben Sie in den16 Jahren Ihrer Regierungszeit die Lohnnebenkosten von34 auf 42,3 Prozent steigen lassen. Es kam also zu einerSteigerung der Lohnnebenkosten und gleichzeitig habenSie einen immensen Druck auf die Sozialversicherungs-systeme ausgeübt, indem Sie 630-Mark-Jobs in einemUmfang von 5,6 Millionen zugelassen haben.Eine Regierung, die diesem Treiben zugeschaut unddamit den Druck auf die Sozialversicherungssystemenoch einmal erhöht hätte, hätte verantwortungslos gehan-delt, und zwar nicht nur für die Beschäftigten, sondernauch für den deutschen Mittelstand. Denn zu Recht wirdimmer wieder gesagt, dass geringe Lohnnebenkosten einStandortvorteil seien. Nur diese Regierung hat es ge-schafft, die Lohnnebenkosten stabil zu halten. Nachdem
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 244. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. Juni 2002
Christine Ostrowski24586
sie während Ihrer Regierungszeit um acht Prozentpunktegestiegen sind, sind sie in unserer Regierungszeit um ei-nen Prozentpunkt gesunken. Meine Damen und Herren,das ist eine gute Zahl.
Deshalb möchte ich noch ein Wort zu einem anderenThema, das auch immer eine Rolle spielt, sagen, nämlichzum Betriebsverfassungsrecht. Auch hier verstehe ich,dass gerade ein kleinerer Unternehmer im Mittelstand inseinem Betrieb am liebsten allein entscheiden würde, waswie geschieht. Das verstehe ich.
Ich sage aber auch: Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmerin Entscheidungen einzubinden, ihnen Mitverantwortungzu geben
und damit auch ihre Identifikation mit dem Unternehmenzu erreichen ist ein wirtschaftlicher Standortvorteil, denSie nicht vernachlässigen sollten und zu dem unser neuesBetriebsverfassungsgesetz entscheidend beiträgt.
Deshalb möchte ich zum Abschluss einen Satz an denMittelstand richten: Vertrauen Sie nicht unbedingt nurdenjenigen, die Ihnen jederzeit nach dem Mund reden,sondern überlegen Sie auch, was für den StandortDeutschland, für seine Solidität, für die Sozialversiche-rungssysteme und auch für die sozialen Standortvorteiledieses Landes am besten ist. Dann werden Sie zu dem Er-gebnis kommen, dass Sie mit dieser rot-grünen Bundes-regierung nicht so schlecht gefahren sind.Vielen Dank.
Das Wort
hat jetzt der Kollege Hansjürgen Doss von der
CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident!Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Kollege Wend,Sie sind der Pflichtverteidiger dieser Bundesregierung.Ihre Rede war nicht ganz so giftig wie sonst, sondern ehermoderat.
Vielen Dank für diese Ihre Rede, die uns aber nicht wei-tergebracht hat, weil die Lage des Mittelstandes entgegendem, was Sie hier vorgetragen haben, doch relativ ver-zweifelt ist. Das merkt man, wenn man auf Veranstaltun-gen ist. Das liest man in den Zeitungen. Die Fakten undDaten weisen dies nach. Auch die Anrufe, die wir bekom-men, belegen das.Deswegen sage ich: Die Mittelständler haben längstgemerkt, dass sie für diese Regierungskoalition im Jahre1998 nichts anderes waren als Stimmvieh. Die Umvertei-lungspolitik ist in der Zwischenzeit immer weiter betrie-ben worden, und zwar dreieinhalb Jahre lang und zuLasten der kleinen, fleißigen Unternehmen und der Mit-telständler.
Das ist unser eigentlich zentrales Problem.Der sozialdemokratische Regulierungswahn mit im-mer mehr Bürokratie und immer mehr Kosten sowie im-mer höheren Steuern und Abgaben hat zu dem Ergebnisgeführt, das wir heute sehen: Pleitenrekorde und Resi-gnation.
Die Menschen sind im Grunde genommen verzweifelt.Sie sehen keine Zukunft. Das ist das Ergebnis Ihrer Poli-tik.
Lesen Sie im „Handelsblatt“ von heute nach – uns schei-nen Sie ja nicht zu glauben –, dort steht geschrieben: Dervon Ihnen seit längerer Zeit beschworene Aufschwungschwächelt schon wieder.
Schröders Aufschwung schwächelt bereits, bevor er über-haupt angefangen hat. Das sind doch Tatsachen, die Sienicht einfach verdrängen können. Sie können nicht so tun,als sei gar nichts.
Erst war es die weltwirtschaftliche Entwicklung, die anallem schuld war. Dann waren es die Auswirkungen derTerroranschläge. Ich denke, in Kürze werden Sie den Eu-rokurs entdecken. All dies tun Sie nur, um von Ihrem ei-genen Versagen in der Wirtschafts- und Mittelstandspoli-tik abzulenken.Sie lesen offensichtlich nicht, was Ihnen der Mittel-stand mit seinen Verbänden mitteilt. Unter anderem sageich Ihnen: Schauen Sie sich einmal dieses Schwarzbuchan, das die ASU herausgegeben hat. Herr Wirtschaftsmi-nister, das ist eine Ohrfeige für Sie. Es beinhaltet imGrunde genommen die Bilanz einer parteipolitisch unver-dächtigen Gruppierung von Unternehmen.
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Dr. RainerWend24587
– Ihre fröhliche Unbekümmertheit bei ernsten Dingen istja Ihr Markenzeichen.
– Wenn Sie die Lage des Mittelstandes wirklich so erhei-tert, ist das ein sehr guter Hinweis für Ihre Verfassung.
Die Bauwirtschaft steht am Abgrund. Im ersten Quar-tal 2002 gab es noch weniger Aufträge, es gab 8 Prozentweniger Umsatz und 7 Prozent weniger Beschäftigte. DieBundesregierung tut nichts von Bedeutung für die Bau-wirtschaft.
Im Gegenteil: Die Investitionsquote im Bundeshaushaltbefindet sich im Jahr 2002 auf einem Rekordtief von10,1 Prozent, 1998 lag sie bei 12,5 Prozent.Die Situation im Handel ist zum Verzweifeln. DieMenschen haben schlichtweg das Vertrauen in die Zu-kunft verloren. Sie machen sich Sorgen um ihren Arbeits-platz und deswegen werden auch Kaufentscheidungenzurückgestellt. Wer Angst hat vor der Zukunft, investiertnicht.
Das schlägt sich in den Einzelhandelsumsätzen nieder, ab2001 real minus 0,7 Prozent. Was macht die Bundes-regierung? – Sie hetzt die Menschen mit einem Anti-teurogipfel auf. Hier werden ganz Branchen wegen ein-zelner schwarzer Schafe in Sippenhaft genommen.
– Vielen Dank für den berechtigten Applaus.Im Handwerk ist die Stimmung so schlecht wie seitzehn Jahren nicht mehr. Aufträge, Investitionen und Um-sätze nehmen ab. Allein in diesem Jahr werden mindes-tens 60 000 Arbeitsplätze verloren gehen.Vielleicht kommt jetzt wieder bei Ihnen die fröhlichunbekümmerte Heiterkeit auf, wenn Sie von 60 000 Ar-beitsplätzen weniger hören.
Jetzt rückt die Bundestagswahl näher und plötzlich ent-deckt der Bundeskanzler mit seinen Mannen den Mittel-stand. Er war das Stimmvieh beim letzten Mal und wirdjetzt wieder als Stimmvieh benötigt. Plötzlich soll eineMittelstandsbank geschaffen werden. Nicht neue Staats-banken braucht der Mittelstand, sondern eine vernünftigeWirtschafts- und Finanzpolitik.
Der Mittelstand braucht mehr Eigenkapital. Hier tut dieBundesregierung alles, damit das vorhandene Eigenkapi-tal aufgezehrt wird.Jetzt hat die Bundesregierung vollmundig eine Mittel-standsoffensive angekündigt. Offensichtlich herrscht beiihnen eine Art rot-grüner Torschlusspanik. Die ganze rot-grüne Verzweiflung wird an der Absicht deutlich, Mikro-kredite bis zu 25 000 Euro durch die Deutsche Ausgleichs-bank ohne Sicherheiten zu vergeben. Herr Wend, Sie hattenbereits darauf aufmerksam gemacht. Bei aller Notwendig-keit einer stetigen und ausreichenden Kreditversorgung desMittelstands: Mit einer solchen staatlichen Kreditvergabe-politik sind Pleiten nahezu vorprogrammiert.Die CDU/CSU ist in der Lage, die Probleme anzupacken.Wir haben das durch unser Regierungsprogramm deutlichgemacht. Das ist das, was dem Mittelstand Hoffnung aufverbesserte Rahmenbedingungen für seine Zukunft macht.
Kommen
Sie bitte zum Schluss.
Jetzt soll Wirt-
schaftsminister Müller aus seinem Schattendasein heraus-
treten.
Dazu aus der „FAZ“ von heute:
43 Prozent ziehen Lothar Späth als Wirtschaftsmi-
nister vor, nur 10 Prozent Müller. Der gegenwärtige
Wirtschaftsminister ist auch am Ende dieser Legis-
laturperiode noch 42 Prozent der Bevölkerung völlig
unbekannt.
Ich schlage deswegen ein Denkmal für unseren Wirt-
schaftsminister vor, das Denkmal für den unbekannten
Minister.
Als
nächste Rednerin hat die Parlamentarische Staatssekretä-
rin Margareta Wolf das Wort.
M
Herr KollegeDoss, Sie haben hier das Papier von der Arbeitsgemein-schaft Schwarzer Unternehmer liegen lassen.Sehr geehrte Damen und Herren! Sehr geehrter HerrPräsident! Herr Doss, es gibt die wunderschönen Worteeines französischen Schriftstellers:Das Falsche ... überrascht und verblüfft, aber dasWahre überzeugt und herrscht.
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Dr. Hansjürgen Doss24588
Das gilt auch für das, was Sie uns heute erzählt haben.Ich habe gestern einen Blick in Ihr Wahlprogramm ge-worfen – ich habe es schon ein paar Mal gelesen –, darinist kein einziges Wort zur Finanzierung zu lesen. Wir fin-den dazu auch kein einziges Wort über Basel II. Da Sie ge-rade wieder einmal die Legende von den Nettoeinkom-men erzählt haben, möchte ich Ihnen zwei Zahlen nennen.Vielleicht hören Sie dann endlich damit auf, hier ständigMärchen zu erzählen. Die Nettoeinkommen waren imJahr 1998 preisbereinigt niedriger als im Jahr 1994. Dassagt sehr viel über Ihre Regierungsfähigkeit aus. Sie wa-ren nämlich um 920 Euro niedriger als im Jahr 1994. Wirhaben eine klare Umkehr erreicht. Von 1998 bis 2001 stie-gen die Nettoreallöhne um 7,1 Prozent.
Das sind netto 534 Euro. Lassen wir doch einmal die Fak-ten sprechen!Herr Doss, weil Sie immer über die Bürokratie reden,möchte ich Ihnen sagen: Eine neue Studie der EU-Kom-mission weist aus, dass für Existenzgründer heute dieGründung an einem Tag möglich ist; der Durchschnitt inEuropa liegt bei zwölf Tagen. Die Mindestkosten von20 Euro sind gering; europäischer Durchschnitt: 90 Euro.Die Anzahl der notwendigen Verfahren wird auf vier ge-schätzt; damit liegt Deutschland absolut im Benchmark.
Wir liegen bei den Förderprogrammen – so die OECD –auf Platz 1, wenngleich wir alle wissen, dass Finanzierungheute das Hauptproblem der kleinen und mittleren Unter-nehmen ist. Deshalb steht Finanzierung für uns ganz obenauf der Agenda.Herr Kollege Rauen, Sie verlassen bald dieses Parla-ment. Ich fände es wirklich schön, wenn Sie bei der letz-ten Rede, bei der ich Ihnen noch antworten kann,
zumindest zuhören würden. Vor zwei Wochen haben wirhier über Bürokratieabbau diskutiert. Da haben Sie nochbehauptet, das Hauptproblem, das wir in diesem Land hät-ten, seien das Steuerrecht, das Arbeitsrecht, das Sozial-recht und das Umweltrecht. Sie haben vielleicht bei dengerade vorgetragenen Zahlen – für eine Gründung brauchtman in Deutschland einen Tag – gesehen, dass das nichtdas Problem ist.
Unser Problem ist die Finanzierung. Durch Problemebei der Finanzierung droht tatsächlich das junge Pflänz-chen einer neuen Unternehmenskultur, das sich in diesemLand entwickelt hat, langsam, aber sicher zu verdorren.Weil das so ist, hat der Bundeswirtschaftsminister bereitsim Jahr 1999 eine Arbeitsgruppe „Finanzierung“ einge-richtet. In ihr sind die Verbände vertreten – nicht IhreASU, sondern der ZDH, der DIHK, der BDH, der BDIund alle Bankenverbände. Mit ihnen gemeinsam habenwir eine Erklärung unterzeichnet. Ich diskutiere mit ihnenseit 2000 über Beteiligungskapital, über Basel II, überVC-Fonds.
– Venture-Capital-Fonds heißt das. – Wir sind auf einemrelativ guten Wege.Aufgrund einer Studie der KfW aus diesem Monat, diesie in Zusammenarbeit mit den angesprochenen Verbän-den der Kreditwirtschaft gemacht hat – 7 000 Unterneh-men hat sie als Grundlage für diese Studie befragt –, wis-sen wir, dass es vor allen Dingen für kleine und mittlereUnternehmen in den letzten Monaten immer schwierigergeworden ist, Kredite zu erhalten. Die Hauptgründe fürdie Ablehnung von Krediten waren neben der Eigenkapi-talquote die unzureichenden Sicherheiten und natürlichauch die Geschäftspolitik der Banken.Meine Damen und Herren, es kann doch wohl auchnicht sein, dass alle in der Vergangenheit entstandenenStrukturprobleme sich innerhalb kurzer Zeit in nichts auf-lösen. Ich hätte es schön gefunden, wenn Sie dazu einmaletwas gesagt hätten.
Da können wir so viel machen, wie wir wollen: In nichtslösen sie sich nicht auf. Die Steuerreform hat die Unter-nehmen entlastet. Erstmals sind sie tatsächlich in derLage, Rücklagen zu bilden.Die Rolle, die das Beteiligungskapital spielt, ist in derVergangenheit nicht ernst genug genommen worden. Sel-bige KfW-Studie weist nach, dass weniger als 15 Prozentder kleinen und mittleren Unternehmen Beteiligungskapi-tal für wichtig und notwendig hielten. Dieser Anteil hatsich in den letzten dreieinhalb Jahren verdoppelt. Ichglaube, dass dieser Punkt perspektivisch einen Paradig-menwechsel in der Unternehmensfinanzierung und in derUnternehmenskultur in Deutschland darstellt. Diese wer-den wir weiter verstärken. Somit werden wir die Finanzie-rungsspielräume beim Fremdkapital wieder verbreitern.Im Hinblick auf die fehlenden Sicherheiten haben wirin den letzten Jahren mit Haftungsfreistellungsvermer-ken, Garantien und Bürgschaften gearbeitet. Gerade dasvon Rainer Wend angesprochene Beispiel der Ausgestal-tung der Mikrodarlehen zeigt doch, dass die Adjektive derMittelstandsfinanzierung zukünftig „schnell“ und „un-bürokratisch“ heißen müssen und nicht „unkonkret“, ver-ehrter Herr Kollege Doss.
Nur so kann dem Mittelstand wirklich perspektivisch ge-holfen werden.Wie Sie sich denken können, rufen auch mich Leutean. Ich sage auf jeder Veranstaltung meine Büronummer.Wir haben im Büro am Tag 20, 30 Anrufe von Unterneh-mern, die sagen: Meine Privatbank, meine Sparkasse
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Parl. Staatssekretärin Margareta Wolf24589
– das nimmt sich inzwischen nicht mehr viel – gibt mirkeinen Kredit. Wissen Sie, womit ich mich seit Monatenbeschäftige? – Ich fahre zu Bankangestellten und ent-wickle Business-Pläne für KMUler weiter. Damit be-schäftige ich mich. Dies ist das zentrale Problem und ander Lösung desselben sollten wir alle Interesse haben.Hier helfen weder Populismus noch irgendwelche irrea-len Forderungen weiter, die wir hier allenthalben präsen-tiert kriegen.Heute stand in der „Financial Times Deutschland“ ein– wie ich fand – sehr spannender Artikel. Er beginnt – ichmöchte einige Sätze zitieren – mit:Die zurückhaltende Kreditpolitik vieler Bankenbremst nach Ansicht von Ökonomen den Auf-schwung in Deutschland. ... Nach Berechnung vonThomas Mayer, Euro-Chefvolkswirt der Investment-bank Goldman Sachs,
ist das reale Kreditwachstum zuletzt auf den tiefstenStand seit ... Anfang der 80er-Jahre gesunken. „Daspasst eigentlich nicht zur aktuellen Lage. Es sprichteiniges dafür, dass wir strukturelle Veränderungenauf Seiten der Kreditgeber erleben“, so Mayer.Dies ist auch meine Wahrnehmung.In Ihrer Fraktion – so höre ich immer – gibt es Lobby-isten für die privaten Banken in Deutschland. Ich wäre Ih-nen dankbar, wenn Sie uns darin unterstützen würden,dass der Attentismus, den wir seit Jahren bei den Privat-banken beobachten, endlich aufhört und diese Verantwor-tung für unseren Mittelstand übernehmen.
Was erzählen Ihnen denn die Unternehmer, womit be-gründet wird, dass sie keine Kredite mehr bekommen re-spektive die Förderanträge nicht durchgeleitet werden? –Sie begründen es mit Basel II. Ich möchte Ihnen einessagen: Ich plädiere sehr dafür, dass wir die Debatte umBasel II hier in diesem Hause, Sie diese dann aber auchmit dem Mittelstand endlich rational führen, weil Basel II,nachdem wir dort vieles durchgesetzt haben, eine Stär-kung des Mittelstandes bedeuten könnte.
– Sie müssen dies auch einmal zur Kenntnis nehmen. DieSchimären, die hier immer aufgebaut werden und jegli-cher Grundlage entbehren, bringen uns überhaupt nichtweiter.
– Den Antrag haben wir alle unterstützt. Ich habe ihn auchmitformuliert, verehrter Herr Kollege.Wir haben in Basel ein Retail-Portfolio bis zu Kreditenvon 1 Million Euro durchgesetzt.
– Herr Schauerte, wir haben ihn alle zusammen erarbeitet.Er war die Grundlage für unsere Verhandlungen in Basel.
Wir haben uns in ganz wesentlichen Punkten durchge-setzt. Das heißt, dass die Kredite, die die kleinen und mitt-leren Unternehmen bekommen, in Zukunft zu 95 Prozentüberhaupt nicht unter das Rating von Basel II fallen. Diessollte man erst einmal zur Kenntnis nehmen.
Ich finde gleichzeitig aber auch, dass unser Mittel-stand professioneller werden muss. Aber auch die Ban-ken müssen eine transparentere Geschäftspolitik ma-chen. Dies werden wir aber nur erreichen, indem wir dieBeziehung zwischen dem Bankangestellten und demUnternehmer – Herr Schauerte, dies ist kein lustigesThema – wieder aufbauen, und nicht, indem wir durchsLand reisen und irgendwelche Märchen erzählen, dieüberhaupt nicht stimmen, dem Mittelstand nicht weiter-helfen und im Übrigen auch der Kreditvergabe inDeutschland keinen Schub geben. Insofern sollten wirwahrnehmen, dass wir bei dem Thema Finanzierung allein einem Boot sitzen.
Dieses Thema eignet sich überhaupt nicht für einen par-teipolitischen Schlagabtausch.Danke schön.
Das Wort
hat jetzt der Kollege Rainer Brüderle von der FDP-Frak-
tion.
Herr Präsident! Meine Da-men und Herren! Es stinkt irgendwie zum Himmel: DreiMonate vor der Bundestagswahl werden von der Hartz-Kommission Vorschläge gemacht, wie man am Arbeits-markt etwas verändern könnte. Monopolminister Müllerkommt nach vier Jahren erfolgloser Tätigkeit für den Mit-telstand plötzlich mit einem Mittelstandsprogrämmchen.Zufall – wer nichts Arges dabei denkt.Natürlich gibt es bezüglich des Arbeitsmarktes eineStrategie: Man geht davon aus, dass man dann, wenn manam 16. August einen Kommissionsbericht vorlegt, nichtsmehr zu machen braucht.Ich biete Ihnen ausdrücklich an – die FDP-Fraktion istjederzeit zu Sondersitzungen des Bundestages bereit –,
dass wir sofort die Empfehlungen der Hartz-Kommissionumsetzen.
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 244. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. Juni 2002
Parl. Staatssekretärin Margareta Wolf24590
Es fehlt zwar noch einiges, so etwa im Tarifvertragsrecht,
aber machen Sie es endlich! Ihr Verhalten ist oberfaul. Sietun vier Jahre lang nichts anderes, als den Arbeitsmarkt zuverregeln und zu verriestern. Kurz vor der Bundestags-wahl kommen Sie dann mit Gutachtenvorschlägen – zu-fällig von dem VW-Personalchef –, finden diese ganz toll,sagen: Wir müssen darüber reden, es muss vertieft werdenwegen sozialer Gerechtigkeit. Nach der Bundestagswahlist die Wundertüte zu. Nichts ändert sich. Das ist typischfür Ihre Politik.Hier machen Sie es genauso. Sie haben den Mittelstandvier Jahre lang drangsaliert. Herr Müller fühlt sich beiPost, Telekom, Eon und Holzmann zu Hause, der Mittel-stand ist für ihn ein Fremdwort. Mir hingegen wirft er vor,ich sollte mich um den Weinbau kümmern. Sie solltensich einmal um den Weinbau kümmern. Er ist nämlichmittelständisch strukturiert.
Sie würden dann nämlich mit den wahren Problemen desdeutschen Mittelstandes in Berührung kommen. Sie dür-fen nicht nur im Sinne von Konzernen denken. Ihr wirt-schaftspolitisches Monopoly ist eben der falsche Weg.Die Konsequenz ist, dass sich am Arbeitsmarkt nichts tut.
– Sie als Metallfunktionär können ruhig schreien.Sie haben jetzt eine neue Wunderwaffe entdeckt. Siebieten jetzt das Mikrodarlehen bis zu 25 000 Euro an. Dasist eine tolle Sache. Damit die Banken mitmachen, ge-währen Sie 80 Prozent Haftungsfreistellung. Das heißt,das Haftungsrisiko bei der Bank beträgt als Obergrenze5 000 Euro. Die Banken werden sich alle um diese Darle-hen reißen. Herr Müller, das wird ein großer Hit. Zudemerhalten die Banken dafür eine zusätzliche Prämie. Wennsie 1 Prozent bekommen – in der Regel ist bei den Ban-ken die Marge bei der Vermittlung von Bundes- oder Lan-desdarlehen niedriger –, haben sie im Jahr einen Anreizvon 50 Euro als Prämie. Die Banken in Deutschland wer-den die Arbeiten in den anderen Kreditbereichen soforteinstellen und alles tun, um Müllers Wunderdarlehen für50 Euro im Jahr zu vermitteln. Das ist eine wahre Hel-dentat.
Das passt zu der Monopolystrategie von Grün-Rot.Aber der deutsche Mittelstand lässt sich nicht auf den Armnehmen. Es nützt nichts, drei Monate vor der Wahl ein Pi-pifaxprogramm aufzulegen. Das ist Augenwischerei. Siehaben den Mittelstand vier Jahre lang drangsaliert. DerMittelstand will kein Pseudodarlehen mit einem Anreizvon 50 Euro für die Banken. Er will vielmehr faire Rah-menbedingungen. Sie haben den Mittelstand bei der Steuer-politik nicht anständig und fair behandelt. Was Sie ge-macht haben, war eine Steuerpolitik primär für dieGroßkonzerne, was für den Mittelstand eine Behinderungbedeutet.Wenn die Deutsche Bank ihre Anteile veräußert, dannist das steuerfrei. Wenn das ein Mittelständler macht, dannist das etwas anderes. Wir brauchen eine Reform der Re-form, um dem Mittelstand aus der Misere zu helfen.
– Uns das zum Vorwurf zu machen, ist wirklich eineschändliche Vorgehensweise. Herr Staffelt, statt dieKlappe so weit aufzureißen, sollten Sie sich schämen. Da-mit helfen Sie dem Mittelstand überhaupt nicht.
Kurz vor der Bundestagswahl wollen Sie die Bürokra-tie abbauen. Wir haben konkret vorgeschlagen, die Um-satzsteuervoranmeldung um 12 Millionen Formulare zureduzieren ohne eine Mark Mindereinnahme für denStaat. Es soll – das ist international üblich – nicht monat-lich, sondern vierteljährlich eine Umsatzsteuererklärunggemacht werden.Daraufhin hat Frau Scheel von den Grünen erklärt: Daskann man nicht machen. Wenn die Umsatzsteuerer-klärung vierteljährlich gemacht wird, können die Mittel-ständler in der Zwischenzeit schummeln. – Ich weiß nicht,welchen Umgang Frau Scheel hat. Für den Fall müsstendie Grünen eigentlich die tägliche Umsatzsteuererklärungeinführen, weil auch in vier Wochen geschummelt werdenkann. Das, was Sie vorführen, ist absurdes Theater.
Sie können bei Ihren Aktuellen Stündchen noch nichteinmal die Reihenfolge der Redner aufstellen. Die Fragewar, ob Herr Müller die Aktuelle Stunde eröffnen solloder nicht. Sie werfen lauter Nebelkerzen. Sie könnensich nicht vorbeimogeln. Sie haben vier Jahre lang ver-sagt. Der Arbeitsmarkt und das Wachstum zeigen daseindeutig. Die Bilanz im Mittelstand ist klar negativ.Dafür kommen Sie mit diesem Witzprogramm. HerrMüller, schämen Sie sich nicht, den deutschen Mittel-stand mit einem solchen Pseudoprogramm abspeisen zuwollen?Was Sie machen müssten, sind faire Rahmenbedingun-gen, Entbürokratisierung, die Sicherung der sozialen Si-cherungssysteme, damit das Ganze berechenbar ist undsich die Betroffenen darauf einstellen können. Alles an-dere ist Augenwischerei. Sie geben dem Mittelstand keinefaire Chance. Deshalb kommen Sie auf dem Arbeitsmarktnicht voran. Er bleibt Ihre einzige Hoffnung.
– Herr Geschäftsführer, Sie haben eine tolle Reihenfolgeder Redner aufgestellt. So schlecht, wie Sie die Reihen-folge aufstellen, so blamabel ist auch Ihr Verfahren.Sie können es einfach nicht. Opfer ist der Mittelstand.Es zeigt sich: Die Arbeitslosen in Deutschland habenkeine Gewerkschaft. Es wird Insiderpolitik betrieben.Aber wir werden Ihnen das nicht durchgehen lassen. Wirwerden das im Wahlkampf allen sagen. Ihre Politik ist ge-gen den Mittelstand und gegen die Arbeitslosen gerichtet.
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 244. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. Juni 2002
Rainer Brüderle24591
Es hilft nichts, mit Nebelkerzen zu werfen, nachdem manvier Jahre lang in der Politik versagt hat.
Das Wort
hat jetzt der Kollege Rolf Kutzmutz von der PDS-Frak-
tion.
Herr Präsident! Liebe Kolle-ginnen und Kollegen! Der Bundeswirtschaftsminister hatbei der Vorstellung seiner mittelstandspolitischen Zielefür die nächste Wahlperiode ausgeführt:Meine Vorstellungen kommen früh und konkret undnicht spät– „spät“ übrigens ohne h –und schwammig.Was den Begriff „früh“ angeht, ist das allerdings nach vierAmtsjahren so eine Sache. So hat sich Minister Müller amMontag zu den geräuschvollen und aus seiner Sicht un-sinnigen Debatten mit den Koalitionsfraktionen geäußert;wobei ich für die PDS zumindest hinsichtlich der Ener-giepolitik feststellen möchte: Wir sind froh, dass die Koa-litionsfraktionen gelegentlich für Geräusche sorgten undSand in das Getriebe des ministerialen Treibens gossen;sonst wäre dort noch weniger Mittelstandsfreundlichesherausgekommen, als wir auch so schon konstatierenmüssen. Aber man soll schließlich bei niemandem, auchbei Minister Müller nicht, die Hoffnung auf Besserungaufgeben.Wenn allerdings, Herr Kollege Brüderle, der Europa-verband der Selbstständigen – um einen weiteren Interes-senverband zu zitieren – heute schreibt, dass er schon seitJahrzehnten fordert, den Unternehmen bis zu zehnBeschäftigten größere Aufmerksamkeit zu schenken,zeigt das auch, dass dies bei früheren Wirtschaftsminis-tern nicht der Fall gewesen ist.
Gespannt bin ich auf das Verwaltungsdatengesetz, daszum Abbau der Bürokratie beitragen soll. Auch die Gene-rationswechselprämie verdient aus meiner Sicht Beach-tung. Das ist zweifellos ein interessantes Modell zur Dar-stellung von Eigenkapital. Denn so haben beide Seiten,sowohl der Jung- als auch der Seniorunternehmer, nochfünf Jahre lang ein gemeinsames Interesse am Florierendes Betriebes.Natürlich wird das Ganze schwierig – ich meine sogar,fast unmöglich –, wenn der Weg zum dazu versprochenenDarlehen der Deutschen Ausgleichsbank über eine Haus-bank führen muss. Das wäre die beste Gewähr dafür, dasssich auch dieser gute Ansatz als Totgeburt erweist. DiesesSchicksal droht, so fürchte ich, dem seit Wochenbeginnüberall zitierten Mikrodarlehen. Den Wirbel darum kannich beim besten Willen nicht verstehen. Betrachtet mannämlich das Konzept im Detail, so ist es faktisch nichtsanderes als das seit Jahren praktizierte Startgeld der Deut-schen Ausgleichsbank, nur dass es nicht mehr auf Exis-tenzgründungen beschränkt ist, sondern auf alle Klein-und Kleinstbetriebe in den ersten drei Jahren ihrer Exis-tenz ausgedehnt werden soll.Dieser Fortschritt läuft aber ins Leere. Was nützt demInteressenten das eine unbürokratische Antragsformular,wenn er keine Hausbank findet, die es für ihn bei der Aus-gleichsbank einreicht? Denn den versprochenen Verzichtauf Sicherheiten gibt es nicht, solange die Hausbank nurzu 80 Prozent von der Haftung freigestellt ist. Sie suchtdann immer noch für die übrigen 20 Prozent nach Sicher-heiten. Ich behaupte, dass die Blockadewand damit ge-nauso hoch sein wird wie zum gegenwärtigen Zeitpunkt,weil es für einen Banker letztlich derselbe Aufwand ist,ob er für den Förderkredit in Höhe von 5 000 Euro oderfür ein Darlehen des eigenen Hauses in Höhe von50 000 Euro im Unternehmen nach Pfändbarem fahndenmuss. Da bleibt im Zweifel die Tür zu, so wie wir es schonseit Monaten beim erwähnten Startgeld erleben.Zu dem Aprilscherz des SPD-Vorsitzenden zur Grün-dung einer Mittelstandsbank will ich mich heute nichtäußern.Wenn die bestehende Förderbank eigene, direkte Ver-triebskanäle nutzen würde, wäre das schon eher hilfreich.Man braucht keine neuen Filialen aufzubauen, sondernkann die der Industriekreditbank, der jüngsten KfW-Tochter, nutzen. Die Prüfung der eingereichten Unterneh-menskonzepte könnte gewiss locker aus den erhöhtenMargen bezahlt werden, die der Bund heute vergeblichden Banken hinterherzutragen versucht. Die interessierensich für Unternehmensfinanzierungen frühestens dannwieder, wenn sie echte öffentliche Konkurrenz bekom-men haben. Denn bekanntlich belebt nur die Konkurrenzund nicht irgendein Informationsforum Basel II das Ge-schäft. Die Wurzel des Problems liegt in der handfestenVerweigerung der Banken.Ähnlich kurzsichtig reagiert der Minister aus meinerSicht auf das zweite dramatische Problem neben derUnternehmensfinanzierung. Ich meine die miserable Zah-lungsmoral, über die wir heute nicht zum ersten Mal spre-chen. Es ist ein Unding, wenn sie auf die Zahlungssäu-migkeit der Kommunen reduziert wird, wie es am Montaggeschehen ist. Diese Frage kann nicht auf die öffentlicheHand reduziert werden.Vergangenen Freitag hat der Bundesrat eine Gesetzes-initiative zur Forderungssicherung beschlossen. Sie istzwar auch noch nicht der Weisheit letzter Schluss, dürfteaber über das – seinem Titel hohnsprechende – Zahlungs-beschleunigungsgesetz hinausführen, das es dank Rot-Grün zurzeit gibt.Wenn man schon über die Kommunen nachdenkt, dannbesteht die Lösung des Problems nicht in Beschwerde-stellen in Berlin, sondern in einer besseren kommunalenFinanzausstattung vor Ort. Echte Mittelstandspolitikwäre, sich in dieser Frage mit dem Finanzminister anzu-legen.Sehr geehrter Herr Präsident, meine Damen und Her-ren, ich gehöre diesem Haus jetzt fast acht Jahre an und
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 244. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. Juni 2002
Rainer Brüderle24592
bin seit zwölf Jahren Bürger dieser Republik. MinisterMüller ist das Beste an Wirtschaftsminister, was mir indieser Zeit begegnet ist.
Das heißt aber noch lange nicht, dass er schon ein guterist.Danke schön.
Das Worthat jetzt Bundesminister Werner Müller.
Dr. Werner Müller, Bundesminister für Wirtschaft
Damen und Herren! Gestatten Sie mir, zunächst einmaldarauf hinzuweisen, dass wir durchaus Mittelstandspoli-tik mit Erfolg gemacht haben.
Ich könnte Ihnen viele einzelne Dinge nennen. Ich könntedarauf hinweisen, dass wir 150 000 Arbeitsplätze in dermittelständischen Wirtschaft dadurch neu geschaffen ha-ben, dass wir die regenerativen Energien fördern.
Ich könnte darauf hinweisen, dass wir das Meister-BAföGvöllig neu belebt haben, sodass es sich wieder lohnt,Meister zu werden.
Ich könnte darauf hinweisen, dass wir ein gutes Dutzendüberbetrieblicher Ausbildungsstätten neu errichtet haben.Ich könnte darauf hinweisen, dass wir 24 Kompetenz-zentren für elektronischen Geschäftsverkehr für den Mit-telstand gebildet haben. Ich könnte darauf hinweisen, dasswir 40 Existenzgründerlehrstühle an den Hochschulenneu etabliert haben. Ich könnte darauf hinweisen, dass wirmittels meiner Förderung etliche Tausend neuer Betriebs-gründungen im Hochtechnologiebereich in Ostdeutsch-land zuwege gebracht haben.Ich könnte jetzt eine ganze Zeit lang weiter aus dem Ih-nen im März vorgelegten Bericht zitieren, den Sie geflis-sentlich nicht zur Kenntnis nehmen wollen.
Nur, was uns insgesamt beschäftigt, ist doch, nüchtern be-trachtet, nicht die Frage: Sind die Rahmendaten für denMittelstand heute schlechter oder besser als Ende 1998?Ich habe noch in keiner einzigen Veranstaltung einen Mit-telständler erlebt, der gesagt hat: Gebt mir die Rahmen-daten von Ende 1998 wieder!
Allein die Tatsache, dass Sie die für den Mittelstand sowichtigen Steuersätze unverändert gelassen haben – 53 Pro-zent in der Spitze – und den Eingangssteuersatz in den90er-Jahren sogar noch laufend erhöht haben, spottetdoch jeder Beschreibung dessen, was man Mittelstands-politik nennt.
Die Problematik, vor der der Mittelstand heute steht,hat nicht diese Bundesregierung und auch nicht die Op-position geschaffen. Das Problem besteht tatsächlichdarin, dass die Finanzierung des Mittelstandes nicht mehreine Aufgabe des privaten Bankensektors zu sein scheint.Jedenfalls drückt dem Mittelstand dort der Schuh am al-lermeisten.Nun leben wir in einer Marktwirtschaft. Wir könnenalso nicht so ohne weiteres die Banken zwingen, Kreditean den Mittelstand zu geben.
Auf der anderen Seite können wir aber auch nicht die Au-gen vor dem Problem verschließen, das sich in den letz-ten zwölf Monaten in dramatischer Weise aufgebaut hat.Zunächst einmal will ich der Klarheit halber etwas zudem Mikrokredit sagen, den ich vorgeschlagen habe. Dasist weniger ein Kredit, um – wie soll ich sagen? – den Mittel-stand am Leben zu erhalten; das ist vor allem ein Gründer-kleinkredit. Wir brauchen Gründungen. Gründungen imDienstleistungssektor erfordern nun einmal nicht viel Ka-pital. Da hat jemand eine Idee. Er braucht dann ein Büro,einen PC und vor allem muss er Werbung machen. Dafürbraucht er nicht viel Geld, aber er braucht doch einen Kre-dit. Solche Kredite werden heute in aller Regel nicht mehrgegeben, weil man eine Idee schlecht beleihen kann.Der Lösung dieses Problems haben wir uns angenom-men. Vor diesem Hintergrund gibt es für solche Gründun-gen nun bis zu 25 000 Euro Kredit – und das relativ form-los. Damit das Ganze besser funktioniert als bisherigeGründerkredite, ist das ausgestattet mit einer hohen Haf-tungsfreistellung und mit einer insgesamt attraktivenMarge. Wir sind mit dem Sparkassen- und Giroverbandim Gespräch über die Zusage, dass das auch aktiv vertrie-ben wird.Ein ganz anderes Problem, das wir seit den letztenzwei, drei Jahren zunehmend sehen, ist, dass die Unter-nehmensübergabe aus Altersgründen nicht mehr so funk-tioniert, wie wir das brauchen, damit wir die Arbeitsplätzenicht verlieren. Deswegen wollen wir in einem begrenztenWirtschaftsraum, nämlich in Ostdeutschland, wo heuteschon Betriebe aus Altersgründen übergeben werden müs-sen – wiewohl diese Betriebe in aller Regel maximal erst
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Rolf Kutzmutz24593
an die zwölf Jahre existieren –, einen Versuch machen.Wir sagen: Solange der Alteigentümer 20 000 Euro im Be-trieb belässt, legt der Staat 20 000 Euro hinzu. Dann hatder Betrieb 40 000 Euro Eigenkapital und kann sich beider DtA bis zu 120 000 Euro Kredit beschaffen. Das istetwa die Summe, die notwendig ist, um die Betriebsüber-gabe abzusichern. Ferner hat das den Vorteil, dass der Alt-eigentümer auch noch mit Rat und Tat zur Seite steht.Ein anderes Thema ist die Bürokratiebelastung. Wirhaben das übernommen. Ich will zugeben, man hätte sichdieses Themas vielleicht etwas früher und umfänglicherannehmen müssen. Es ist aber nicht einzusehen, dass mandie deutschen Unternehmen unverändert mit 230 statisti-schen Meldepflichten belastet.
Deswegen habe ich mir ein einfaches Ziel gesetzt: Wirwerden die Statistikbelastung der deutschen Wirtschaftschlicht halbieren. Das wird möglich durch Überprüfungder Meldepflicht, durch Streckung der Erhebungs-zeiträume
und insbesondere auch durch den Übergang auf mehrStichprobenerhebungen.Es ist hochinteressant, dass die Vorarbeiten zu diesemThema bei den Ländern, aber vor allem bei den Wirt-schaftsverbänden auf Kritik stoßen. Dazu will ich deutlichsagen: Die Kritik der Wirtschaftsverbände wird michnicht beeindrucken. Wir erheben Statistiken oft auf ge-setzlicher Basis, aber nicht einzig und allein, um irgend-welche Wirtschaftsverbände zu befriedigen. Wenn dieVerbände irgendwelche Statistiken brauchen, können siesie auch selber erheben.Weiterhin wollen und müssen wir konkrete Hilfe beiFinanzierungsfragen geben. Mein Haus bekommt heuteschon jeden Tag zwischen 10 und 20 Briefe
mit der Bitte, bei Finanzierungsfragen irgendwie zu ver-mitteln. Wir werden diese Finanzierungshilfen künftig inZusammenarbeit mit dem Sparkassen- und Giroverbandund den Genossenschaften systematisch aufbauen. In re-lativ kurzer Zeit werden wir überall dort, wo Vermitt-lungsprobleme bei Krediten bestehen, anbieten, vermit-telnd tätig zu werden und in aller Regel sind wir dann aucherfolgreich bei der Vermittlung. Es kann nicht sein, dasswir den Mittelstand in diesem Punkt im Regen stehen las-sen. Das verstehe ich – um es deutlich zu sagen – unterkonkreter Mittelstandspolitik.Ich kann Ihnen einiges durchaus zugestehen. Ich habebeispielsweise Texte zum Mittelstand in den Wahlpro-grammen von FDP und CDU gelesen. Ich kann mit allenÜberschriften übereinstimmen darin steht überhauptnichts Falsches. Nur finde ich in Ihren Programmen kei-nen einzigen Satz dazu, wie das realisiert werden soll.
Der große Unterschied, Herr Doss, ist ja wohl der: Sie sa-gen, ich sei nicht furchtbar bekannt. Mich persönlich störtdas nicht so furchtbar. Mir ist wichtig, dass ich im Büroam Schreibtisch sitze und arbeite. Ich muss nicht jedenTag ins Fernsehen rennen und Überschriften verkünden.
Ich arbeite konkret daran, dass die Situation des Mittel-standes von Tag zu Tag irgendwo immer ein Stückchenbesser wird.
Das ist das, was mir am Herzen liegt.Herr Brüderle, eines muss ich zurückweisen. Sie habenam Anfang gesagt, wir machten immer wieder Pro-gramme und nach der Wahl würde sich nichts ändern. Dasist falsch; denn Sie kommen ja nicht dran, sondern wirwerden nach der Wahl das umsetzen, was wir vor derWahl konkret sagen.
Wenn ich Ihre Überschriften betrachte, kann ich in derTat die Vermutung äußern: Außer Luft ist sonst nichts.
Herr Brüderle, wir treten ganz ruhig und nicht aufgeregt,eben mit Sachprogrammen an und werden ganz amSchluss sehen, was der Bürger will: irgendwelche schö-nen Überschriften oder ganz konkrete Mittelstandspolitik.
Das Wort
hat jetzt der Kollege Peter Rauen von der CDU/CSU-
Fraktion.
Herr Präsident! Meinesehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Herr Müller,Sie haben eben Ihre erfolgreiche Mittelstandspolitik ge-priesen. Die Wirklichkeit ist: Wir haben in Deutschlandein Mittelstandssterben, wie es dies seit dem ZweitenWeltkrieg nicht mehr gegeben hat.
Im letzten Jahr haben 33 000 mittelständische Unter-nehmen Konkurs angemeldet; für dieses Jahr erwartenwir den Konkurs von 40 000. Wohin auch immer ich alsBundesvorsitzender der Mittelstandsvereinigung kom-me, ob nach Hamburg oder nach München, ob nach Trieroder nach Leipzig, überall muss ich mich der grauen-
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Bundesminister Dr. Werner Müller24594
haften Erkenntnis stellen, dass zurzeit viele mittelstän-dische Unternehmen Insolvenz anmelden müssen. Da-her muss man sich schon fragen: Was ist da eigentlichfalsch gelaufen?Herr Müller, es ist gut, dass Sie mittlerweile, 88 Tagevor der Wahl, die Mittelstandspolitik entdeckt haben. Ichfrage mich nur, wo Sie selbst als Minister der rot-grünenBundesregierung die letzten fast vier Jahre gewesen sind.
In Ihrer Presseerklärung von gestern haben Sie an-gekündigt, Bürokratie abzubauen, zum Beispiel durchdie Verringerung der Zahl der Meldepflichten. Außer-dem haben Sie eingeräumt, dass die Neuregelung der630-Mark-Jobs Probleme aufgeworfen hat. HerrMüller, warum haben Sie in diesem Bereich nichts ge-macht? Wir werden die alte Regelung, jetzt auf der Ba-sis von 400 Euro, ohne Wenn und Aber wieder ein-führen. Auf dieses Geld sind 20 Prozent Lohnsteuer zuzahlen und Feierabend! Für den fleißigen Arbeitneh-mer, der einen Nebenjob ausübt, ist brutto dann wiedergleich netto.
Herr Müller, mir fällt auf, dass ich mit dem, was Sie anGrundsätzlichem sagen, immer sehr einverstanden seinkann. Das irritiert mich ein bisschen. In Ihnen sehe ichdann immer jemanden, der von Unternehmen Ahnung hat.Ich frage mich allerdings ständig: Wo bleiben Sie eigent-lich, wenn es ans Eingemachte geht? Im Wirtschaftsbe-richt 1999 Ihres Hauses hieß es: Wenn wir die Zukunft ge-winnen wollen, dann müssen wir die Staatsquote auf40 Prozent reduzieren. Das fand ich großartig. Sie habendamals festgestellt, dass das mit Sozialabbau nichts zu tunhat. Sie haben damit völlig Recht. Wo waren Sie, einMinister dieser Regierung und damit jemand, der in die-sem Land Verantwortung trägt, als Ihr Kabinettschef aufdem Bundesparteitag der SPD unser Ziel, die Staatsquoteauf 40 Prozent zu senken, mit Verarmung des Staates undmit sozialem Kahlschlag gleichgesetzt hat? Wo waren Sie,Herr Müller? Bei Ihnen klaffen Worte und Taten meilen-weit auseinander.Ich habe noch in guter Erinnerung, was Sie damals zumBetriebsverfassungsgesetz geschrieben haben. Wenn ichmir anschaue, was nachher herauskam, dann muss ichfeststellen: Müller fand im Ergebnis nicht statt. Ich findees sehr schade, dass ein Mann wie Sie in keiner Weise inder Lage ist, sich durchzusetzen, obwohl er es eigentlichkönnte.Das, was Sie nun im Zusammenhang mit einem Mi-krodarlehen planen, ist doch alles nur heiße Luft. Es istfast eine Beleidigung des Mittelstands, so etwas 88 Tagevor der Wahl anzubieten.
Herr Müller, der Mittelstand ist ausgeblutet.Frau Wolf hat zu Recht gesagt: Das Problem ist die Ei-genkapitalsituation im Mittelstand. Auch ich beobachte,dass sich die Geschäftsbanken aus der Finanzierung desMittelstandes verabschiedet haben. Viele Unternehmer,die vor Jahren noch froh waren, Partner einer Geschäfts-bank zu sein, freuen sich, wenn sie bei den öffentlich-rechtlichen Banken oder bei Genossenschaftsbanken un-terkommen.Ich nehme zum Beispiel eine Analyse des Mittelstandssehr ernst, die der Sparkassen- und Giroverband erstellthat. Auf der Basis von 150 000 Bilanzen und von Datenaller 530 Sparkassen wird deutlich, dass in den letztenzwei Jahren 40 Prozent der mittelständischen Unterneh-mer keine Gewinne erzielt haben. Ein weiteres Ergebnisdieser Analyse ist, dass 37 Prozent dieser Unternehmerkein Eigenkapital mehr haben; sie haben vielmehr „Kapi-tal auf der falschen Seite“.Frau Wolf, angesichts dessen reicht es nicht, auf dieSegnungen durch Basel II zu verweisen. Basel II hebt aufdie Eigenkapitalsituation ab. Wenn wir diese Situationverändern wollen, dann müssen wir dafür sorgen, dass denMenschen nach Steuern mehr bleibt. Es gibt keine Alter-native dazu, dass der Staat von dem, was wir alle erarbei-ten, weniger verbraucht, damit die Menschen mehr in derTasche haben.
Das gilt sowohl für den Arbeitnehmer als auch für den Un-ternehmer, der Geld für Investitionen und dergleichenbraucht.Wie ich sehe, läuft meine Redezeit unheimlich schnellab. Ich möchte noch auf die aktuelle Situation eingehen.Unternehmer sind gar nicht da, um Arbeitsplätze zu schaf-fen. Unternehmer sind da, um die Wünsche ihrer Kundenzu bezahlbaren Preisen zu erfüllen. Wenn sie das können,dann bekommen sie Aufträge, und wenn sie Aufträge ha-ben, dann können sie Menschen beschäftigen. Sie habenin den letzten drei Jahren wahrheitswidrig behauptet, derMittelstand sei entlastet worden. Das ist nicht wahr. Mit-telstand und Arbeitnehmer sind belastet und nicht entlas-tet worden.
Arbeitnehmer und Unternehmer haben den gleichen Ein-kommensteuertarif.
Die Forderungen der Gewerkschaften gehen daraufzurück, dass die Arbeitnehmer Verluste der realen Kauf-kraft gehabt haben. Um wie viel mehr gilt dies fürden Mittelständler, der noch Verschlechterungen bei denAbschreibungsmöglichkeiten hinnehmen musste, derenergieintensiv produziert oder energieintensive Dienst-leistungen erbringt. Aufgrund dessen haben wir die Situa-tion, die wir jetzt haben.Die Lohnerhöhung von 3,2 Prozent, auf die man sichjetzt im Baugewerbe geeinigt hat, bedeutet, dass ein Fach-arbeiter bei mir 76,05 Euro brutto mehr bekommt. Nettoverbleiben ihm davon 32,57 Euro in der Tasche. Als Un-ternehmer muss ich 113,06 Euro aufwenden, um dieseLohnerhöhung zu finanzieren. Das heißt, damit der
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Peter Rauen24595
Mitarbeiter lächerliche 32,57 Euro mehr bekommt, ver-schwinden 80,49 Euro in öffentlichen Kassen.Meine Damen und Herren, es gibt keine Alternative,Eine Steuerreform, die den Arbeitnehmer nicht in dieNähe des Spitzensteuersatzes bringt, ist ebenso dringendnötig wie eine Deregulierung des Arbeitsmarktes, die wie-der Luft durch ganz Deutschland bläst, damit hier wiedermehr geleistet wird, mehr Wirtschaftswachstum kommtund damit auch Reformen finanziert werden können. Mitdem, was Sie gemacht haben, haben Sie den Mittelstandin den Ruin und in den Dreck geführt.Schönen Dank.
Das Worthat jetzt der Kollege Werner Schulz vom Bündnis 90/DieGrünen.
Werner Schulz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-NEN): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Kol-lege Rauen, Kollege Doss, Kollege Brüderle, meine Vor-redner der Opposition, man gewinnt wirklich denEindruck, als hätten Sie den Mittelstandsbericht der Re-gierung, der im März dieses Jahres, also vor knapp dreiMonaten, vorgelegt wurde, nicht gelesen und nicht zurKenntnis genommen.
Ich unterstelle das aber nicht, weil ich glaube, dass IhreWahlkampfstrategie eher darauf hinausläuft, Halb- undUnwahrheiten zu verbreiten. Das ist im Moment Ihre Stra-tegie.
Kollege Rauen, es ist doch absurd, dass der Mittel-stand, wie Sie hier behaupten, nicht entlastet wurde:9 Milliarden Euro im vergangenen Jahr, 16,7 MilliardenEuro im Jahr 2005! Diese Steuerreform ist in ihrer Aus-wirkung berechnet worden. 30 Prozent der Entlastungkommen allein dem Mittelstand zugute, da wir den Ein-gangssteuersatz und den Spitzensteuersatz gesenkt, denGrundfreibetrag angehoben und die Möglichkeit geschaf-fen haben, dass die Gewerbesteuer auf die Einkommen-steuer angerechnet werden kann. Das hat doch Wirkunghinterlassen.
Sie fragen, wo der Wirtschaftsminister ist. Ich bin er-staunt, wo Sie sind. Ich habe mir das gestern angeschaut.Der Kollege Michelbach, der heute hier sitzt, und KollegeNooke haben mit der PDS am Brandenburger Tor dentrauten Schulterschluss geübt, um die verzweifelte Lage,Kollege Doss, im Mittelstand auszunutzen und diese Si-tuation mit Unwahrheiten anzuheizen. Da sind frustrier-ten und verärgerten Handwerkerfrauen vergiftete Zucker-stücke von Ihnen herübergereicht worden. Es ist unglaub-lich, was Sie dort getan haben.
– Nein, Sie machen böse Politik, Kollege Doss. Das regtmich auf. Ich habe mir das eine Stunde lang angesehenund noch nie eine solch üble Hetze erlebt.
Da sagt doch der Kollege Michelbach: Ja, zu denGroßen wie Holzmann kommt der Bundeskanzler, zu denKleinen kommt der Gerichtsvollzieher.
Sie müssten dann aber auch dazu sagen: Wenn manHolzmann nicht gerettet hätte –
von der Oberbürgermeisterin von Frankfurt, Petra Roth,über Koch bis zum Bundeskanzler haben das übrigens alleversucht; allein der Bundeskanzler hat es geschafft –
und den Konkurs etwas hinausgezögert hätte, wäre dochvielen kleinen und mittelständischen Betrieben gar nichtklar geworden, dass sie da aussteigen müssen. Ansonstenwären die, die in dem Moment als Subunternehmer tätigwaren, mit in den Konkurs gerissen worden. So sind siedoch gerettet worden. Das ist die Wahrheit. Daran hingendoch ganz viele Arbeitsplätze im Baunebengewerbe.
Sie sprechen jetzt auch noch von Zahlungsmoral undvergessen dabei, dass der Bundestag ein Gesetz zur Be-schleunigung fälliger Zahlungen verabschiedet hat. Aberdas Wissen darum ist im Mittelstand nicht verbreitet. DieLeute wissen nicht Bescheid.
– Es ist eine Information des Zentralverbands des Deut-schen Handwerks, dass 90 Prozent der mittelständischenBetriebe das gar nicht kennen. – Nun frage ich Sie:Warum stellen Sie sich nicht hin und verbreiten ein paarInformationen, anstatt immer nur Lügen unter die Leutezu bringen? Das ist unsäglich.
Ich habe ja viel Verständnis dafür, Kollege Brüderle,dass der Weingeist belebt. Er scheint aber offensichtlichauch die Wahrnehmungsfähigkeit enorm zu trüben. ZuIhrem Angriff, bei dem Sie Minister Müller als Monopol-minister bezeichnet haben, sage ich: Die Entscheidungzur Fusion von Eon und Ruhrgas ist noch nicht gefallen.Ich kenne momentan nur einen großen Lobbyisten, der
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Peter Rauen24596
dazu deutlich Ja und Hurra schreit: Das ist der ehemaligeWirtschaftsminister, der Kollege Rexrodt; der ist nämlichVorstand einer Lobbyfirma, die den Mineralölkonzern BPvertritt, der wiederum der Eigner von Ruhrgas ist. Es gehtalso um ein sehr handfestes Geschäftsinteresse, wenn mandiese Fusion befürwortet. Das ist die Position des HerrnKollegen Rexrodt. Ich nehme an, dass das die FDP-Wirt-schaftspolitik widerspiegelt.Sie sprechen von Mittelstandspolitik. Was machen Siedenn? Sie verwirren die Leute. Ihre Wirtschaftspolitik be-ruht im Moment zu 50 Prozent auf Psychologie und zu50 Prozent auf Zweckpessimismus. Momentan ist dasIhre Mittelstandspolitik.
–Wasser ist sehr gut und ernüchternd. Ohne Wasser kämeauch der Weinbau nicht aus. In der Wasserwirtschaft ha-ben wir einiges zu bieten. Sie berührt auch die Umwelt-schutztechnik, Herr Kollege Brüderle. Dort gibt es etwa1,3 Millionen Arbeitsplätze, und zwar überwiegend imMittelstand. Was wir auf diesem Gebiet geleistet haben,ist eine Erfolgsgeschichte.
Ich habe die gestrige Pressekonferenz von Wirtschafts-minister Müller verfolgt und seine Rede nachgelesen. Ichlese solche Dinge auch nach. Offensichtlich kommen Sienicht zum Lesen dieser Materialien, weil Sie so vieleDemagogieveranstaltungen besuchen müssen.
– Ich möchte nur ein bisschen zurückgeben und ein wenigStaub zu Ihnen zurückschicken. – Allein für die Export-förderung der Umweltschutztechnik, die auf dem Gebietder erneuerbaren Energien, der Photovoltaik usw. in denletzten Jahren einen Boom erfahren hat, werden dem-nächst zusätzlich 20 Millionen ausgegeben. Das ist einenormer Beitrag für die Mittelstandspolitik, die wir in denletzten Jahren sehr wohl gefördert haben.
Das Wort
hat jetzt der Kollege Klaus Lennartz von der SPD-Frak-
tion.
Herr Präsident! Meine sehrverehrten Damen und Herren! Herr Kollege, ich weißnicht, ob Sie etwas von Rugby verstehen. Rugby ist einharter, aber fairer Sport. In Ihrer Rede habe ich die Fair-ness vermisst. Sie sollten mit dem Kollegen Niebel spre-chen; der kann Ihnen etwas über Fairplay erzählen.
– Ich will auf diese Ausführungen nicht eingehen.Lassen Sie mich eine Bemerkung zu Herrn Rauen ma-chen. Herr Rauen, während Ihrer Rede habe ich mich ge-fragt, ob es sich bei Ihnen um einen Verdrängungsprozesshandelt. Was haben Sie uns – darüber haben wir hier imParlament schon öfter gesprochen – vor vier Jahren ei-gentlich hinterlassen? – 1 500 Milliarden Verschuldung,die höchste Verschuldung, die wir in diesem Staat jemalshatten!
einmal die Wahrheit!)Sie haben uns die höchste Arbeitslosigkeit hinterlassen:fast 5 Millionen. Wir haben im Schnitt über 500 000 neueArbeitsplätze geschaffen. Herr Rauen – ich schätze IhrenSachverstand, den man erkennt, wenn man sich mit Ihnenprivat unterhält –, wer hat uns denn die höchste Abgaben-und Steuerlast hinterlassen? – Das war im Jahre 1998doch Ihre Regierung! Es darf nicht wahr sein, dass Siesich jetzt hier hinstellen und so tun, als hätten die Men-schen das alles vergessen. Seien Sie sich selbst und unsgegenüber einmal ehrlich und ziehen Sie Bilanz. Das kannich Ihnen nur raten.
Ich will den Sachverhalt in meine Worte fassen. Wennman am Samstag und Sonntag im Wahlkreis unterwegsist, spricht man mit Leuten aus dem Mittelstand. Ich willhier deutlich machen: Der Mittelstand in Deutschland istein starker und verlässlicher Partner. Über 3,3 Millionenkleine und mittelständische Unternehmen stellen fast70 Prozent aller Arbeitsplätze,
rund 80 Prozent der Ausbildungsplätze und tragen 57 Pro-zent zur Bruttowertschöpfung bei.
Lieber Herr Rauen, wir sind die zweitgrößte Exportnationder Welt, auch dank des Mittelstandes. Wie können wirdie zweitgrößte Exportnation der Welt sein, wenn wir soschlecht wären, wie Sie es hier darzustellen versuchen?Akzeptieren Sie diese Datenlage doch einmal!
– Das ist nicht wahr. Unter Ihrer Regie waren wir die dritt-größte Exportnation der Welt, mittlerweile sind wir diezweitgrößte Exportnation der Welt. Das ist das Ergebnisunserer Politik.Meine Damen und Herren, auf den Mittelstand könnenwir zu Recht stolz sein, auf das hohe Ausbildungsniveau
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Werner Schulz
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ebenso wie auf die hervorragend ausgebildeten Arbeit-nehmerinnen und Arbeitnehmer. Wir können stolz seinauf das vom Mittelstand Erreichte. Wir sind stolz auf dieKreativität und Innovationskraft der Unternehmerinnenund Unternehmer.Der Mittelstand in Deutschland hat eine solide und ver-lässliche Politik, Herr Rauen, mehr als verdient.
16 Jahre Regierungsuntätigkeit unter Kohl, meine Damenund Herren von der Opposition, waren Sand im Getriebedes Mittelstandes. Diese Bundesregierung hat notwen-dige Reparaturen durchgeführt, damit der Motor Mittel-stand wieder anspringt. Wir gehen da einen geraden undaufrichtigen Weg: Zukunftsinvestitionen statt Zinszahlun-gen und Entschuldung statt Neuverschuldung.
Es liegt im Interesse des Mittelstandes, wenn wir die Neu-verschuldung bis zum Jahre 2006 auf null zurückfahrenund den Schuldenberg kontinuierlich abbauen;
denn unser Konsolidierungskurs schützt den Mittelstandnicht nur vor Steuererhöhungen, sondern wir haben da-durch sogar den Spielraum für erhebliche Steuersenkungengeschaffen, die wir dann auch durchgeführt haben. EinePolitik auf Pump, wie sie in Stoibers bzw. Ihrem Wahl-programm nachzulesen ist, wird zwangsläufig Steuererhö-hungen zur Folge haben. Ihre milliardenschweren Wahl-versprechen sind unfinanzierbare Luftschlösser. Sie wärenschon pleite, bevor Sie den ersten Spatenstich setzen.
– Sie werden Gott sei Dank nicht in die Lage kommen, daszu beweisen. Sie haben 16 Jahre lang bewiesen, dass Sieunfähig sind, dieses Land zu führen. Sehen Sie sich dochIhre Bilanz nach 16 Jahren an!
Durch unsere Steuerpolitik werden Bürgerinnen undBürger und die Wirtschaft im Jahr 2005 im Vergleich zu1998 rund 41 Milliarden Euro weniger an Steuern zahlen.Allein Mittelstand, Handel, Handwerk und Gewerbe wer-den in diesem Zeitraum um 16,7 Milliarden Euro entlas-tet. Auch die faktische Freistellung von der Gewerbe-steuer führt zu einer zusätzlichen Entlastung vonPersonenunternehmen. All dies hätten Sie machen kön-nen. Warum haben Sie es nicht getan? Warum haben Sienicht geleistet, was wir unter Wirtschaftsminister Müllerin diesen Jahren geleistet haben? Sie, Herr Brüderle, wa-ren doch von Anfang an mit dabei. An solchen Daten kön-nen Sie doch nicht vorbeigehen.Der Mittelstand erwartet von der Politik zu Recht aucheine Stärkung der Innovationsfähigkeit. Mit der steuer-lichen Entlastung des Mittelstandes sind die finanziellenFreiräume für Forschung und Entwicklung geschaffenworden. Wir erhöhen auch weiterhin, wie in den letztenvier Jahren, konsequent die Ausgaben für Bildung undForschung auf 8,6 Milliarden Euro im Jahre 2003. Das istgegenüber 1998 ein Anstieg um rund 18 Prozent. Wir in-vestieren in Hochschulen. Wir investieren in den Wissen-schaftsstandort. Wir investieren allein in die Infrastruktur12Milliarden, fast 27 Prozent mehr als im Jahre 1998. Dasist konkrete Mittelstandspolitik. Das sind Aufträge für Ar-beitgeber, für den Mittelstand. Das sind Sekundäraufträge.
Das hätten Sie alles machen können. Sie haben es nichtgetan.
Hier wird so viel darüber gesprochen, wer hier alles un-terwegs ist. Lassen Sie mich dazu noch zwei oder dreiBemerkungen machen.
Nein,
Herr Kollege.
Dann mache ich zwei Bemer-
kungen.
Zwei,
okay.
Herr Müller, Sie haben dasProgramm Mikrodarlehen angesprochen. Wir kennendoch wirklich die Probleme bei Existenzgründungen vorOrt, zum Beispiel im Falle von bis zu zehn Beschäftigten.Da Sie das eben eingehend erläutert haben, möchte ich aufdiesen Punkt nicht eingehen. Dafür gehe ich etwas aus-führlicher auf den zweiten Punkt ein: Basel II.Wenn wir unterwegs sind, was hören wir dann zu Ba-sel II? Wir wissen doch, was wir als Politiker im Deut-schen Bundestag in Basel zu erreichen versucht haben.Stimmt das oder stimmt das nicht?
–Warum gehen Sie dann in der Woche zu den Betrieben undversuchen, Basel demagogisch als Würgegriff für den Un-ternehmer darzustellen? Es kommt noch ein Punkt hinzu.Sie müssten einmal Ihre Kolleginnen und Kollegen redenhören, wie sie den Mittelstand informieren: Da ist Basel IIdas große Gespenst, das den Mittelstand vernichtet.Nur, eines muss ich mittlerweile auch zur Kenntnisnehmen, Frau Kollegin – das sage ich sehr offen –: Ob-wohl Basel II wahrscheinlich erst mit Wirkung vom 1. Ja-nuar 2006 oder 2007 in Kraft tritt, handeln manche Ban-ken bereits so, als ob Basel II bereits in Kraft sei: Ichnehme es gern zur Kenntnis, Herr Rauen, dass Sie sagen:Das ist so. Dann seien Sie doch diesem Bundeswirt-schaftsminister mehr als dankbar, dass er gemeinsam mitder Kreditwirtschaft ein Informationsbüro zu Basel II ein-richten will, damit Informationspolitik betrieben wird undsich der Mittelstand keine Sorgen zu machen braucht. Da-rum geht es doch. Dies hat der Minister gestern in seiner
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Klaus Lennartz24598
Pressekonferenz vorgestellt. Lesen Sie doch auch bittedas, was Ihnen unangenehm ist!Zum Wahlkampf gehört, dass man sachlich und or-dentlich miteinander umgeht. Wir reden nicht, wir han-deln. Wir bauen keine Luftschlösser, wir schaffen eine so-lide Grundlage für die Zukunftsfähigkeit unseresMittelstands. Das sind die Rahmenbedingungen, die einleistungsstarker Mittelstand braucht. Finanzierbar, mach-bar und umsetzbar – das ist die Politik von Wirtschafts-minister Müller.
Herr Kol-
lege Lennartz, wie ich erfahren habe – Ihr Geschäftsfüh-
rer hat mir das signalisiert –, war das Ihre letzte Rede im
Deutschen Bundestag.
Deswegen war ich hinsichtlich der Redezeit auch extrem
großzügig.
Ich danke Ihnen jedenfalls für Ihre letzte Rede und wün-
sche Ihnen für die Zukunft alles Gute und viel Erfolg. Ich
bedanke mich im Namen des Hauses für die kollegiale
Zusammenarbeit.
Die nächste Rednerin ist die Kollegin Dagmar Wöhrl
von der CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! LiebeKolleginnen! Liebe Kollegen! Ich hätte gern etwas auf dieRede des Kollegen Lennartz erwidert, aber mit Rücksichtdarauf, dass es seine letzte Rede war, komme ich zur Mit-telstandspolitik zurück.Man hat wirklich das Gefühl, dass kurz vor der Wahlder Mittelstand von Ihnen wieder entdeckt wird. Aber ichbin mir sicher, dass die Liebe, die Sie herüberzubringenversuchen, nicht in der Form erwidert wird, wie Sie sichdas vielleicht wünschen. Plötzlich reden Sie hier von ei-ner Mittelstandsfinanzierung. Das zeigt erstens, es istkurz vor der Wahl, und zweitens, Sie haben ein schlechtesGewissen. Das ist gut so. Sie haben ein verdammtschlechtes Gewissen und das kann ich auch verstehen.
Vier Jahre lang haben Sie den Mittelstand stranguliert,jetzt machen Sie halbherzige Beatmungsversuche. Siezimmern hektisch einen Maßnahmenkatalog zusammen,ein notdürftiges Carepaket, könnte man sagen, von demniemand satt wird. Außerdem kommt es viel zu spät.
Zudem reden Sie plötzlich von Bürokratieabbau durchReduzierung von Meldepflichten – toll! Aber denken Sieauch einmal darüber nach: Wer hat eigentlich dazu beige-tragen, dass die Bürokratie noch mehr aufgebläht wordenist? Schauen Sie sich einmal an, wie die Verwaltungskos-ten der Betriebe bei uns in Deutschland inzwischen aus-sehen. 30 Milliarden Euro im Jahr werden nur für Büro-kratie ausgegeben. Wer ist am meisten davon betroffen,liebe Kollegen von der Koalition? – Die Kleinen sind es.Betriebe mit bis zu neun Beschäftigten haben Bürokratie-kosten von 3 500 Euro im Jahr. Größere Betriebe mit über500 Beschäftigten haben dagegen Bürokratiekosten von150 Euro im Jahr. Diese Zahl müsste Ihnen zu denken ge-ben. Was haben Sie gemacht, statt das bürokratischeDickicht zu lichten? – Sie haben dem Mittelstand immermehr die Luft zum Atmen genommen.Ich will jetzt gar nicht näher auf die 630-Mark-Jobseingehen. Das Gesetz ist inzwischen ein Schwarzarbeit-förderungsgesetz geworden.
Das Scheinselbstständigengesetz ist ein Existenzgrün-dungsverhinderungsgesetz geworden und Ihr Anspruchauf Teilzeit heißt für alle Unternehmer inzwischen: UmHimmels willen, bloß keine Frau einstellen! – Das habenSie mit Ihren Gesetzen bewirkt.Was wollen Sie jetzt machen? Das neue Zauberwortdes Herrn Ministers heißt Mikrodarlehen. Das ist sicherschön für manchen Existenzgründer, der gute Ideen undeine schlechte Finanzlage hat. Aber das ist doch nur einTropfen auf den heißen Stein. Damit packt man nicht dasÜbel an der Wurzel.Ich habe mir extra die Pressekonferenz des Ministersangesehen. Er konnte auf die vielen Nachfragen der Jour-nalisten, wie es mit der Haftung aussieht, nicht antworten.Dieses Geld soll nämlich ohne Risikofaktor und ohne Prü-fung der unternehmerischen Erfolgsaussichten ausgege-ben werden. Das heißt, alles wird auf dem Prinzip Hoff-nung aufgebaut. Das erinnert stark an die ganzeWirtschaftspolitik dieser Regierung in den letzten vierJahren: Es wird versprochen, versprochen, versprochen,ohne dass irgendeine Sache zu Ende gedacht worden ist.Im Endeffekt heißt es: versprochen und gebrochen, weilSie nicht erfüllen können, was Sie versprechen.
Warum werden wir denn dieses Jahr über 40 000 Plei-ten haben? Über 600 000 Arbeitsplätze werden davon be-troffen sein. Das Verhältnis von Eigenkapital zur Bilanz-summe beträgt bei deutschen Unternehmen nur18 Prozent. In Holland und Belgien sind es 45 Prozent,ganz zu schweigen von den USA. Warum hat der Mittel-stand eine so hauchdünne Eigenkapitalquote, die ihn inKrisenzeiten so anfällig macht? Ich sage Ihnen, warum:Durch die Abgaben- und Steuerpolitik, die Sie auf den Weggebracht haben, haben Sie den Mittelstand stranguliert.
Sie müssen endlich aufhören, nur Almosen zu verteilenund eine Klein-klein-Politik zu machen. Sie müssen viel-mehr Reformen für den Mittelstand auf den Weg bringen.
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 244. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. Juni 2002
Klaus Lennartz24599
Sie führen eine Generationswechselprämie im Ostenein. Damit wird ein neuer Subventionstopf aufgemacht.Es wird aber nicht gesagt, wie man die Mitnahmeeffekte,die sich jetzt schon abzeichnen, und wie man den Miss-brauch in diesem Bereich verhindern will.Denken Sie einmal über Folgendes nach: Wäre es nichtviel sinnvoller, einem Unternehmer, der den Betrieb vomVater oder von der Mutter übernimmt, die Erbschaftsteuerfür zehn Jahre zu stunden? Wenn er dann den Betrieb wei-terführt und auch noch Arbeitsplätze schafft, sollte man ihmdie Erbschaftsteuer erlassen. Das wäre ein echter Anreiz.
Damit wäre der Volkswirtschaft mehr geholfen als mitvielen anderen Maßnahmen. Stattdessen denken Sie hin-ter verschlossener Tür darüber nach, die Erbschaftsteuerzu erhöhen. Damit würden aber viele potenzielle Be-triebsnachfolger vergrault werden.Sie haben ein Flickwerk von unausgegorenen Einzel-maßnahmen auf den Tisch gelegt. Es wurde kein ge-schlossenes Mittelstandskonzept präsentiert.
Ich sage Ihnen: Verteilen Sie nicht Pflaster und Pla-cebo! Fangen Sie mit der richtigen Therapie an! Ich kannnur einen positiven Punkt in dieser Debatte sehen, näm-lich den, dass Sie endlich erkannt haben, dass es vor allemder Mittelstand ist, der in diesem Land Beschäftigungschafft. Auf Ihre Alibiveranstaltung, die Sie am Montagauf der Pressekonferenz inszeniert haben, kann man wirk-lich verzichten. Der Mittelstand in Deutschland weiß ge-nau, dass er bei uns offene – und nicht wie bei Ihnen: ge-schlossene – Türen findet.Vielen Dank.
Das Wort
hat jetzt die Kollegin Jelena Hoffmann von der SPD-Frak-
tion.
Herr Präsident!Liebe Oppositionskollegen, Frau Wöhrl, Herr Doss undHerr Brüderle! Ihre Mittelstandspolitik hat zum Ziel, diemittelständischen Verbände gegen die rot-grüne Regie-rung aufzubringen und Arbeitgeber gegen Arbeitnehmerauszuspielen.
Es ist nicht die Betriebsverfassung, die – wie Sie überallerzählen – dem Mittelstand das Leben schwer macht. Siewissen doch, dass nur 4 Prozent aller Unternehmen, die biszu 100 Mitarbeiter beschäftigen, einen Betriebsrat haben.Der Mittelstand hat ganz andere Sorgen; ich nenne zumBeispiel Bürokratie und Finanzierung. Diese Problemedes Mittelstandes sind aber nicht in den letzten vier Jah-ren der rot-grünen Bundesregierung entstanden.
Wenn ich Ihnen zuhöre, dann muss ich mich jedes Malfragen, wo Ihre guten Vorschläge vor vier Jahren waren.Warum haben Sie damals nicht gehandelt? Die Problemesind in den letzten Jahren der kohlschen Regierung suk-zessive gewachsen, man kann sagen: aufgebaut worden.Wegen der Kürze der Zeit gehe ich heute nur auf einProblem ein: auf bürokratische Hemmnisse in der Wirt-schaft, die besonders KMUs belasten. Ich möchte die Op-position heute auf ihre eigene Broschüre aus dem Jahre1994 hinweisen, auf die Empfehlungen der so genanntenWaffenschmidt-Kommission. Bevor Sie uns Bürokratis-mus vorwerfen, möchte ich Sie fragen: Wie viele Emp-fehlungen aus dieser Broschüre haben Sie während IhrerRegierungszeit umgesetzt? Schließlich hatten Sie bis1998 immerhin noch vier Jahre Zeit, entsprechend zu han-deln. Sie hätten in dieser Zeit einige Vorschläge schnellumsetzen können. Sie haben aber nicht auch nur einenkleinen Schritt zur Entbürokratisierung des Mittelstandesgemacht. Unsere Mittelstandspolitik unterscheidet sichvon der Ihren auch in diesem Punkt gravierend.In drei Bereichen beklagen sich die Unternehmen überbürokratische Belastungen ganz besonders: Das sindSteuern und Abgaben, Arbeit und Soziales sowie Statistikund Umwelt. Natürlich gebe ich zu, dass die bürokrati-schen Belastungen bei den 630-DM-Jobs und der Schein-selbstständigkeit nicht kleiner geworden sind.
Doch ich muss zum einen unterstreichen, Herr Brüderle,dass die hierzu eingeführten Regelungen notwendig wa-ren, und zum anderen, dass deren Umsetzung schon ver-einfacht wurde und weiterhin vereinfacht wird.
Auf der Pressekonferenz vom 24. Juni 2002 hat Wirt-schaftsminister Werner Müller zugesagt, in der nächstenLegislaturperiode gemeinsam mit Arbeitsminister WalterRiester die Handhabung dieser Regelungen zu überprü-fen, ohne die entsprechenden Gesetze inhaltlich infragezu stellen.
Lassen Sie mich auf einige ganz konkrete Schritte zurEntbürokratisierung der Wirtschaft eingehen, die die imBundesministerium für Wirtschaft bestehende Projekt-gruppe „Abbau von Bürokratie“ gemacht hat. Hiervonprofitieren vor allem Mittelständler und Existenzgründer.Dazu gehören die Erprobung einer bundeseinheitlichenWirtschaftsnummer oder die Verbesserung der Kommu-nikation zwischen Unternehmen und Krankenkassen, dieoft beklagt worden ist. Diese ist vereinfacht und be-schleunigt worden. Das steht in der entsprechenden Bro-schüre. Warum haben Sie das eigentlich nicht umgesetzt?Immer wieder wird vorgetragen, dass eine Existenz-gründung in Deutschland mit großen bürokratischen Hür-
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DagmarWöhrl24600
den verbunden sei. Das stimmt so nicht. Die Gründer be-schweren sich nicht in erster Linie über die Gesetze, son-dern darüber, dass ihnen Informationen fehlen oder dassInformationen falsch sind.Das Problem wird gelöst. Noch in diesem Jahr wirdden Kammern und Beratern in den Kommunen ein ent-sprechendes Internetinformationssystem zur Verfügunggestellt. Als nächste Schritte sollen die Verbesserung desUmgangs mit Verdienstbescheinigungen und die Entlas-tung im Bereich der Steuervoranmeldungen folgen. Dasalles sind Vorschläge von Ihnen von vor 1994.Lassen Sie mich abschließend auf ein Thema eingehen,welches in der öffentlichen Diskussion immer wieder alsBeispiel für bürokratische Hemmnisse genannt wird. Esgeht um die Meldepflichten im Bereich der amtlichenStatistik. Wirtschaftsminister Müller ist bereits daraufeingegangen; auch ich möchte dazu etwas sagen. DerWirtschaftsminister hat hierzu festgestellt, dass eine Ent-lastung der Unternehmen von den Meldepflichten im Be-reich der amtlichen Statistik um 50 Prozent für erreichbargehalten wird. Hier stehen neben dem Bund auch die Ver-bände und die Länder in der Pflicht.Man kann übrigens mit uns über bürokratische Hemm-nisse und viele Vorschläge trefflich streiten. Doch eines istmit uns nicht machbar: Einschnitte in das soziale Netz.Was wir nicht sagen und nicht hören, sind die positivenDinge; auch darauf möchte ich kurz eingehen. Überschnelles und unbürokratisches Handeln der Verwaltungwird zu wenig oder gar nicht gesprochen.
Frau Kol-
legin Hoffmann, kommen Sie bitte zum Schluss.
Noch zwei
Sätze. – Denn eines ist uns allen klar: Regulierung und
Regelungen, zum Beispiel solche zur Förderung des Mit-
telstandes, sind wichtig. Alles wollen wir nicht abschaf-
fen. Deshalb sage ich hier: Es ist nicht alles Gold, was
glänzt; aber vieles ist besser, als die Opposition es im
Wahlkampf darstellen will.
Vielen Dank.
Das Wort
hat jetzt der Kollege Hartmut Schauerte von der
CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident!Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! DemMittelstand geht es wirklich schlecht. Darüber bestehthier ja wohl kein Streit. Denn nicht umsonst hat die SPDzum ersten Mal in den letzten vier Jahren eine AktuelleStunde zur Lage des Mittelstandes beantragt.
Dies geschah vor dem Hintergrund einer Erklärung deszuständigen Ministers. Wir begrüßen es, dass Sie glauben,dass wir über die Sorgen des Mittelstandes wirklich ernst-haft sprechen müssen.Nun schauen wir uns einmal an, was an den Vorschlä-gen, die Gegenstand dieser Aktuellen Stunde sind, wirk-lich dran ist. Ich möchte nur wenige Punkte ansprechen,zum Beispiel die Frage der Mikrodarlehen. Schon derBegriff ist interessant. Normalerweise stellt man die Vor-silbe „mikro“ einer Sache voran, die man mit dem Mi-kroskop suchen muss. Es könnte sein, dass das auch hierder Fall ist. Es sind also ausgesprochen kleine Beträge.Ich behaupte: Deswegen wäre kein einziger Insolvenzfallvermieden worden. Aber so, wie sie angelegt sind, sindsie auch nichts Neues. Auch bisher gab es bei öffentli-chen Fördermitteln Haftungsfreistellungen. Ich weiß,wovon ich rede. Hier nimmt man sie bei Kleinstbeträgenvor, belässt einen erheblichen Prozentsatz des Risikos beider Bank und erklärt draußen – das ist das eigentlich Er-staunliche –, dass diese Kredite überhaupt nicht geprüftwürden.Mein erster Punkt. Können Sie sich vorstellen, dass ir-gendeine Ortsbank – ich weiß, wovon ich rede – einenKredit vergibt, aber nicht – selbst wenn sie nur mit 20 Pro-zent beteiligt ist – überprüft, ob die Sache gut geht? Alsovermeiden Sie doch den Eindruck, das würde überhauptnicht mehr geprüft.
Dann würde nämlich am Ende jeder sagen: Hallo, hier binich. Ich beabsichtige eine Existenzgründung und hättegerne 50 000 DM bzw. 25 000 Euro. Was soll das?Mein zweiter Punkt. Sie wollen prüfen lassen, ob es eineGenerationswechselprämie im Großversuch geben könne.
Das möchten Sie nach der Wahl prüfen lassen. Eine Ge-nerationswechselprämie bzw. Übergangsprämie in Höhevon 20 000 Euro – eine tolle Sache? Herr Müller wenn SieIhrem Finanzminister beigebracht hätten, die Besteue-rung der Übergabe von selbstständigen mittelständischenHandwerksunternehmen
auf die nächste Generation wieder auf den vernünftigenStand zurückzuführen, den wir hatten, nämlich auf denhalben Steuersatz,
dann hätten Sie den Menschen ungleich mehr geholfen alsjetzt im Nachhinein mit der Gewährung einer so genann-ten Übergangsprämie, die Sie dann natürlich zunächstauch mit dem Finanzminister besprechen müssten. Dennsie ist vermögensmäßig dem Übergebenden zugewach-sen. Dieser zahlt auf das, was er in dem Betrieb stehenlässt, zunächst einmal Steuern.
All das ist nicht durchdacht, sondern hektisch.Mein dritter Punkt. Ich möchte gerne die KfW/DtAan-sprechen. Herr Minister Müller, das „Handelsblatt“, das jafür seine präzise Berichterstattung aus dem Leben der
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Jelena Hoffmann
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Wirtschaft bekannt ist, überschreibt die Meldung über IhrMittelstandsgespräch wie folgt: Müller kündigt neuenFusionsversuch von KfW und Ausgleichsbank an. – HerrMüller kündigt also den neuen Versuch eines Gesprächsmit seinem Nachbarn, Herrn Eichel, an.
Das ist ein wesentlicher Kern Ihres Mittelstandsförde-rungsprogramms. Ja, wo leben wir? Das Haus brennt lich-terloh und Sie können nicht einmal die einfachsten Dingeregeln. Das ist unerträglich!
Ein letzter Punkt. Ja, Herr Wend, die ehemaligen5,6 Millionen 630-DM-Beschäftigten zahlten damalspauschal 20 Prozent Steuern. Von diesen sind heute1,2 Millionen wieder aufgetaucht, die 22 Prozent Versi-cherungsbeiträge zahlen. Der Rest ist in die Schwarz-arbeit oder in die Untätigkeit gegangen. Die Abschaffungder 630-DM-Beschäftigungsverhältnisse war ein misera-bles Geschäft für die Kassen des Staates.
Wir empfehlen, den Steuersatz von 20 Prozent wiedereinzuführen und 5 Millionen fleißigen Menschen wiedereine Chance zu geben, zusätzliches Geld zu verdienen. Die-ses Geld würde in den Konsum fließen und der Staat könnte20 Prozent Steuern einnehmen. Dann könnte der Finanz-minister den Überschuss gerne an den Sozialminister abge-ben. Das wäre gar kein Problem. Es ist besser, der Finanz-minister übergibt zwölfmal im Jahr einen Monatsscheck,als dass Millionen Menschen Abrechnungssysteme zu be-achten haben, die überhaupt nicht funktionieren, Arbeit läh-men und den Mittelstand gefährden bzw. kaputtmachen.
Ich komme zum Schluss. Nachdem der Bundeskanzlermit seinem Slogan von der „Neuen Mitte“ gewählt wor-den ist, hat er ihn im Laufe der Legislaturperiode zum al-ten Eisen getan. Dieses alte Eisen ist nun rostig gewordenund soll 80 Tage vor der Wahl – ich wiederhole es: 80 Tagevor der Wahl – wieder blank poliert werden. Auf diesenTrick fällt niemand herein. Da hilft es auch nicht, wennSie, Herr Müller, zum ersten Mal im Kranz Ihrer gesam-ten Staatssekretäre hier bei einer Mittelstandsdebatte da-bei sind. Alle sind da; selbst der ehemalige, den ich herz-lich begrüße, ist da. Eine solche Aufmerksamkeit gab esseitens der SPD-Regierung noch nie, wenn es um eineMittelstandsdebatte ging.
Ich komme zu meiner letzten Bemerkung. Aus der ru-higen Hand des Bundeskanzlers in der Frage der Reform-politik ist die flatterhafte Hand des Wirtschaftsministersgeworden. Es ist zu spät für diese Regierung. Aber es istfrüh genug für Lothar Späth.Ich bedanke mich.
Das Wort
hat jetzt der Parlamentarische Staatssekretär Ditmar
Staffelt.
D
Herr Präsident!Meine sehr verehrten Damen und Herren! Leider Gottesist diese Debatte auch durch die Äußerungen von HerrnSchauerte nicht sehr viel sachlicher geworden. Ich kannIhnen zunächst einmal zum Thema Finanzierung Folgen-des sagen: Ich weiß aus sehr vielen Gesprächen landauf,landab mit Gewerbetreibenden, Handwerkern und denje-nigen, die in Dienstleistungsunternehmen tätig sind, dassgerade die Kleinsten in besonderer Weise Probleme beider Ausstattung mit Bankkrediten haben.Gerade für diesen Kreis ist das, was Minister Müller
am Montag in seiner Pressekonferenz vorgestellt hat,
ein ganz wichtiger Schritt, um sich überhaupt am Marktweiter zu halten. Das sollten Sie loben und nicht kritisie-ren, Herr Schauerte.
Ihnen geht es gar nicht um die Sache, Ihnen geht es aus-schließlich um Polemik, wie wir alle wissen.Wir haben in dieser Wahlperiode eine Vielzahl vonMaßnahmen – das können Sie nicht einfach wegdisku-tieren – für den Mittelstand ergriffen. Wir haben inDeutschland eine hervorragende Förderkulisse, und zwarsowohl beim Bund über KfW und Deutsche Ausgleichs-bank als auch bei vielen Landesinvestitionsbanken. Wirhaben die Existenzgründungen, die Innovationen und dieerneuerbaren Energien unterstützt und Darlehen in Milli-ardenhöhe an kleine und mittelständische Unternehmenvergeben.Die Banken, die als Förderbanken des Bundes tätigsind, können von sich sagen, dass sie alles Erdenklichegetan und sich weit aus dem Fenster gelehnt haben, umdie innovativen Impulse der New Economy aufzunehmenund mitzuhelfen, dass ein Bereich wie die Informations-und Kommunikationstechnik endlich in die Weltspitzegeführt wird.
Zu Ihrer Regierungszeit lagen wir im europäischen undim weltweiten Vergleich im unteren Mittelfeld.
Heute befinden wir uns in einer Situation, die insbeson-dere für den Mittelstand von Bedeutung ist: Die Infor-mations- und Kommunikationsbranche liegt im Bran-chenvergleich nach Umsatz- und Beschäftigungszahlenauf Platz drei. 89 Prozent der deutschen Betriebe habenZugang zum Internet. Damit liegen wir vor den USAundGroßbritannien. 44 Prozent der deutschen Betriebe nut-zen das Intranet. 62 Prozent der deutschen Betriebe sind
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Hartmut Schauerte24602
im Internet präsent. Damit liegen wir nach Finnland, abervor den USA an der Spitze. Das alles wollen Sie nichthören.Deutschland ist Weltspitze beim B2B-E-Commerce.Wir haben gerade den Bereich des elektronischen Handelsnachhaltig ausgebaut. Wir haben mit dem Wegfall des Ra-battgesetzes und der Zugabeverordnung neue Rahmenbe-dingungen geschaffen. Sie diskutieren das alles weg, Sieinteressiert das alles nicht. Aber gerade der Mittelständler,der mittelständische Industriebetrieb profitiert davon,dass er sich heute beim Einkauf über die Region hinausüber das Internet hervorragende Lieferanten aussuchenund seine Produkte über die Landesgrenzen hinaus anbie-ten kann.Auch bezüglich des Exports ist der Mittelstand von unsnachhaltig gefördert worden, Herr Schauerte. Auch dasinteressiert Sie nicht. Sie machen Ihre Witzchen mit IhrenFraktionskollegen und sind gar nicht an einer seriösenDebatte interessiert.
– Ja, das kennen wir von Ihnen. Glücklicherweise werdenSie von Ihrer eigenen Fraktion nur bedingt ernst genommen.Wir haben im Bereich erneuerbare Energien export-wirtschaftliche Voraussetzungen geschaffen, die sich se-hen lassen können. Der Minister hat darauf verwiesen. Essind 100 000 neue Arbeitsplätze entstanden. Viele Unter-nehmen haben eine große Zukunftsperspektive in derWindenergie oder in der Photovoltaik.
– Ja, das sind Leistungen, die sich sehen lassen können.
Wir haben die Deregulierungspolitik angemessen fort-gesetzt.
Wir haben allerdings auch unsere deutschen Unterneh-men vor Wettbewerbsverzerrungen gegenüber andereneuropäischen Ländern geschützt.
Vergessen Sie auch nicht: Wir haben eine Reihe von Ge-setzen, beispielsweise das Tariftreuegesetz, gemacht, wasSie uns jetzt vorwerfen.
Wir haben die Bauabzugssteuer und das Korruptionsre-gister – dazu müssen Sie sich noch verhalten – einge-führt, weil wir nicht wollen – so ist es zu Ihrer Regie-rungszeit immer mehr Usus geworden –, dass jene, diesich nicht mehr an Recht, Gesetz und an die Spielregelnund Vorgaben des Marktes halten, den ehrlichen Kauf-mann und den ehrlichen Handwerker aus dem Marktwerfen. Wenn wir dagegen etwas tun, ist das Ordnungs-politik zugunsten des Mittelstandes, lieber HerrSchauerte.
Sie betreiben im Grunde die Verstetigung vieler Vor-urteile, die es im Lande gibt. Sie setzen immer wiederBehauptungen in die Welt, die längst nicht mehr derWahrheit und dem aktuellen Stand der Debatte entspre-chen.
Kommen wir noch einmal auf die Steuerreform zusprechen! Als sie beschlossen wurde, hat es in diesemLande eine leise Kritik gegeben: Sie sei vielleicht nichtoptimal, aber die Richtung stimme.
DIHT, BDI und wie sie alle heißen haben diese Steuerre-form für richtig gehalten. Sie ist ein riesiger Reformschrittfür dieses Land und entlastet die Mittelständler genausowie die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer.
Das können Sie gar nicht kleinreden, weil der Lohnzetteldas an jedem Monatsende dem Einzelnen deutlich macht.
– Nein, das ist so. – Deshalb, Herr Schauerte, sollten Siesich mäßigen
und nicht in diesem Lande dauerhaft die Unwahrheit überPunkte verbreiten, die auch vom Sachverständigenratganz in diesem Sinne beantwortet sind.
Er hat noch einmal klargestellt: Saldiert hat jeder Bürger,jede Bürgerin in diesem Lande durch die Steuerreformmehr im Portemonnaie als jemals bis 1998 unter IhrerÄgide.
– Bei der Stimmung im Mittelstand müssen Sie sehr dif-ferenzieren.
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Parl. Staatssekretär Dr. Ditmar Staffelt24603
Wir wissen sehr genau, dass es in der Bauwirtschaft großeProbleme gibt. Wir wissen sehr genau, dass es in der Bau-wirtschaft Ostdeutschlands große Probleme gibt.
– Auch dazu will ich Ihnen einen Punkt sagen. Das istja immer wieder Ihr Hauptthema. Ich habe vorhin inder Fragestunde Herrn Michelbach diese Frage beant-wortet.
Worum geht es hier eigentlich: um die Zahl der Insolven-zen oder um den Saldo zwischen Unternehmensneugrün-dungen und Insolvenzen? Wir haben im Jahre 2001 inDeutschland 545 000 Gründungen gehabt. Denen standen470 000 Liquidationen gegenüber. Saldiert heißt das: Wirhaben 75 000 Firmen zusätzlich für dieses Land gewon-nen. Vergessen Sie das bitte nicht!
Wenn Sie einigermaßen objektiv sind, schauen Sie sichheute einmal den Neuen Markt an! Schauen Sie sich an,wie in den Jahren 1999 und 2000 auch mit unserer Hilfe– mit Venture-Capital, privat und öffentlich – viele inno-vative Unternehmen entstanden sind, die sich allerdingsnicht alle haben halten können.
– Aber, lieber Herr Schauerte, früher haben Sie uns hierimmer erzählt, wir müssten mit Liquidationen ganz an-ders umgehen: wie in den Vereinigten Staaten, wo es garkein Makel ist, wenn ein Selbstständiger drei-, vier-, fünf-mal in seinem Leben ein Unternehmen gründet.
Jetzt drehen Sie das wieder um. Sie machen es genau so,wie es Ihnen gerade in das politisch-taktische Konzeptpasst. Diese Politik wird kurze Beine haben. Dessen kön-nen Sie sicher sein, Herr Schauerte.
Als letz-
ter Redner in der Aktuellen Stunde hat der Kollege
Christian Lange von der SPD das Wort.
Dr. Uwe Küster [SPD]: Jetzt noch einmal
schön Gas geben!)
Herr Präsident!
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Verehrte Kolle-
gen von der Opposition, wissen Sie, was mich an dieser
Aktuellen Stunde stört? – Kein Wort der Alternative aus
Ihrer Richtung, sondern nur Miesmacherei, eine ganze
Stunde lang!
N
Rede von: Unbekanntinfo_outline
75 000 Firmen mehr sind da.Nein, da kommt bei Ihnen nur Hohngelächter.Es gibt auch Gründe, warum es 75 000 Firmen mehrgibt.
Das kommt nämlich nicht von ungefähr. Deutschland ver-zeichnete in den letzten drei Jahren den geringsten An-stieg der Lohnstückkosten in der Europäischen Union.Auch das ist ein Grund zur Freude, auf den man einmalhinweisen sollte, anstatt ständig mieszureden.
Genau das Gleiche gilt für deutsche Waren und Dienst-leistungen. Sie sind im Ausland gefragter denn je; das isterwähnt worden. Deutschland ist Vizeweltmeister.Das Volumen der ausländischen Direktinvestitionenhat sich von 1998 bis 2000 mehr als verzehnfacht. LiebeKollegen von der Opposition, das müssen Sie sich einmalvorstellen. Dies ist das Ergebnis dieser Politik und einGrund zur Freude. Angesichts der schwierigen Weltwirt-schaftslage profitiert der Mittelstand davon. Dies ent-spricht einem Pfund, mit dem wir zu wuchern haben. Wirdürfen nicht ständig denjenigen, die einen Arbeitsplatzhaben, fleißig sind und arbeiten, mit Hohn und Spott be-gegnen. Vielmehr müssen wir sie ermutigen, dass sie aufdiesem Weg weiter fortschreiten.
Ich möchte einen zweiten Punkt nennen. Wir brauchenzuverlässige Rahmenbedingungen. Schauen wir uns docheinmal an, von wo wir bei der Steuerpolitik gekommensind: 1998 lag der Spitzensteuersatz bei 53 Prozent. Dieswar das Ergebnis von 16 Jahren schwarz-gelber Regie-rung. Wo sind wir heute? – Bei 48,5 Prozent! Wo werdenwir am Ende dieser Steuerreform sein? – Bei 42 Prozent!Davon profitiert der Mittelstand. Der Eingangssteuersatzlag nach 16 Jahren Ihrer Politik bei 23,9 Prozent. Wo sindwir heute? – Bei 19,9 Prozent! Wo werden wir am Endedieser Steuerreform sein? – Bei 15 Prozent.
Das ist das Ergebnis unserer Steuerreform: solide Rah-menbedingungen für den Mittelstand. Nehmen Sie diesendlich einmal zur Kenntnis.
Ich will Ihnen noch eines sagen. Gerade der Mittel-stand hat über Jahre und Jahrzehnte dafür gekämpft, dassdie Gewerbesteuer abgeschafft wird. Wir haben dafür ge-sorgt, sodass sie gegen die Einkommensteuerschuld auf-
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Parl. Staatssekretär Dr. Ditmar Staffelt24604
gerechnet werden kann, dass der Gewerbetreibende sieeben nicht mehr zahlen muss. Dies haben wir in vier Jah-ren geschafft. Sie haben es in 16 Jahren nicht hinbekom-men. Auch das ist die Wahrheit.
Auch bei der Steuer- und Abgabenquote müssenSie die Wirklichkeit zur Kenntnis nehmen. Ich habe mirden OECD-Vergleich genau angesehen: Schweden hatte1999 eine Steuer- und Abgabenquote von 52,2 Prozent.Wissen Sie, wo wir 1999 lagen? – Bei 37,7 Prozent. Wirgehen aber noch weiter herunter. Wir werden unter demOECD-Schnitt liegen. Dieser liegt nämlich nur bei37,3 Prozent. Wir liegen heute bereits darunter.Auch dies gehört zu den soliden Rahmenbedingungendurch die Steuerpolitik dieser Bundesregierung. Da-für gilt es – gerade für den Mittelstand – der Bundes-regierung noch einmal ein herzliches Dankeschön zusagen.
Dafür, dass dies so bleibt, werden die Weichen gestellt.Dem Herrn Minister bin ich außerordentlich dankbardafür,
dass er endlich das Thema „Rückzug der privaten Bankenaus der Finanzierung“ angesprochen hat. Im Zentrum derOffensive steht deshalb die Forderung nach einer Mittel-standsbank des Bundes mit dem Ziel der Förderung auseiner Hand. Dies ist doch das, was wir überall von kleinenUnternehmern hören, die nicht die Zeit bzw. ganze Abtei-lungen oder Personenscharen haben, um sich damit zu be-schäftigen, welche Programme es gibt. Nein, sie wollenalles aus einer Hand. Genau dieser Weg wird jetzt be-schritten. Programme und Instrumente für Existenzgrün-der und kleine Unternehmen werden bei der Mittelstands-bank zentriert.Die Geschäftsfelder zwischen der Kreditanstalt fürWiederaufbau und der Deutschen Ausgleichsbank werdenabgegrenzt.
Es gibt weniger Bürokratie und mehr Transparenz. Des-halb sind auch die Kleinkredite von bis zu 25 000 Euroüber fünf Jahre so dringend notwendig. Mit denen werdenwir sehr schnell und unbürokratisch an Existenzgründerim Dienstleistungsbereich herangehen.
Damit werden wir Motor von Existenzgründungen inDeutschland sein. Auch dies ist ein Grund zur Freude,statt es mieszureden.
Wenn es um die Bereitstellung von Fremdkapital fürmittelständische Unternehmen geht, ist die effizienteDurchleitung von Förderkrediten ein weiterer wichtigerFaktor. Bislang lässt das Interesse der Hausbanken an derDurchleitung von Förderdarlehen zu wünschen übrig. Wirwissen das. Dies müssen wir ändern. Ich könnte mir bei-spielsweise eine Erhöhung der Bankmargen
oder eine höhere Haftungsfreistellung für die Hausbankenvorstellen. Wir gehen also genau in diese Richtung undmüssen diesen Weg weiter fortschreiten.Hören Sie also endlich auf, das, was in Deutschland ge-schaffen wurde, mieszureden, denn die meisten Men-schen, auch junge Leute, finden ihre Ausbildungsplätzeim Mittelstand. Die wollen nicht, dass ihre Arbeit schlechtund miesgeredet wird.
Sie wollen endlich hören, dass das Ergebnis, das ich Ih-nen vorgetragen habe, auch zur Kenntnis genommenwird, und zwar auch von denjenigen, die eine Stunde langkeine Alternative zu bieten hatten.
Damit können Sie Deutschland nicht erneuern, meine Da-men und Herren!
Die Aktu-
elle Stunde ist beendet. Wir sind damit am Schluss unse-
rer heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundesta-
ges auf morgen, Donnerstag, den 27. Juni 2002, 9 Uhr, ein.
Die Sitzung ist geschlossen.