Protokoll:
14224

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Metadaten
  • date_rangeWahlperiode: 14

  • date_rangeSitzungsnummer: 224

  • date_rangeDatum: 14. März 2002

  • access_timeStartuhrzeit der Sitzung: 09:00 Uhr

  • av_timerEnduhrzeit der Sitzung: 21:33 Uhr

  • account_circleMdBs dieser Rede
  • tocInhaltsverzeichnis
    Nachruf auf das ehemalige Mitglied und den späteren Wehrbeauftragten des Deutschen Bundestages Fritz-Rudolf Schultz . . . . . . . . 22177 A Nachträgliche Glückwünsche zum Geburtstag der Abgeordneten Anni Brandt-Elsweier, Antje-Marie Steen, Joachim Tappe und Peter Friedrich (Altenburg) . . . . . . . . . . . . . 22177 B Entsendung der Abgeordneten Dr. Rainer Wend, Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk, Dietrich Austermann, Bartholomäus Kalb und Christine Scheel als Mitglieder in den Ver- waltungsrat der Deutschen Ausgleichsbank 22177 D Bestimmung des Abgeordneten Dr. Rainer Wend als stellvertretendes Mitglied im Ge- meinsamen Ausschuss . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22177 D Bestimmung des Abgeordneten Dr. Rainer Wend als Mitglied im Gremium nach Art. 41 Abs. 5 des Außenwirtschaftsgesetzes . . . . . . . 22177 D Erweiterung und Änderung der Tagesordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . 22178 A, 22259 D Absetzung der Tagesordnungspunkte 3 b, 10, 21 a und 21 d . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22179 B Nachträgliche Ausschussüberweisung . . . . . . 22179 B Tagesordnungspunkt 3: a) Abgabe einer Regierungserklärung: Auf dem Weg in eine verbraucherorien- tierte Marktwirtschaft . . . . . . . . . . . 22179 C Renate Künast, Bundesministerin BMVEL 22179 C Annette Widmann-Mauz CDU/CSU . . . . . . . 22184 A Jella Teuchner SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22186 A Gudrun Kopp FDP . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22187 D Ulrike Höfken BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 22189 A Kersten Naumann PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . 22191 B Ute Kumpf SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22192 D Albert Deß CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22195 B Michaele Hustedt BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22197 A Marita Sehn FDP . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22198 D Peter Bleser CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . . . 22200 A Barbara Imhof SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22201 D Helmut Heiderich CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . 22202 D Zusatztagesordnungspunkt 16: Beschlussempfehlung des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäfts- ordnung zu dem Antrag auf Genehmigung zum Vollzug gerichtlicher Durchsu- chungs- und Beschlagnahmebeschlüsse (Drucksache 14/8536) . . . . . . . . . . . . . . . 22204 C Tagesordnungspunkt 4: Erste Beratung des von der Fraktion der CDU/CSU eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zum optimalen Fördern und Fordern in Vermittlungsagenturen (OFFENSIV-Gesetz) (Drucksache 14/8365) . . . . . . . . . . . . . . . 22204 D in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 2: a) – Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung einge- brachten Entwurfs eines Gesetzes Plenarprotokoll 14/224 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 224. Sitzung Berlin, Donnerstag, den 14. März 2002 I n h a l t : zur Verlängerung von Übergangs- regelungen im Bundessozialhilfe- gesetz (Drucksachen 14/8010, 14/8531) 22204 D – Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Ge- setzes zurVerlängerung von Über- gangsregelungen im Bundessozial- hilfegesetz (Drucksachen 14/7280, 14/8531) 22204 D b) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Sozialord- nung – zu dem Antrag der Fraktionen der SPD und des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN: Fördern und Fordern – Sozialhilfe modern ge- stalten – zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Heinrich L. Kolb, Dirk Niebel, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Für eine Reinte- gration von Sozialhilfeempfän- gern in den Arbeitsmarkt – An- reize für die Rückkehr in das Erwerbsleben erhöhen – zu dem Antrag der Abgeordneten Pia Maier, Dr. Barbara Höll, weite- rer Abgeordneter und der Fraktion der PDS: Die Sozialhilfe armuts- fest gestalten (Drucksachen 14/7293, 14/5982, 14/7298, 14/8531) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22205 A Roland Koch, Ministerpräsident (Hessen) . . . 22205 B Hans-Peter Repnik CDU/CSU (zur GO) . . . . 22208 A Susanne Kastner SPD (zur GO) . . . . . . . . . . . 22208 B Brigitte Lange SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22208 C Dr. Irmgard Schwaetzer FDP . . . . . . . . . . . . . 22211 A Dr. Thea Dückert BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 22212 A Pia Maier PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22214 C Ulrike Mascher, Parl. Staatssekretärin BMA 22216 B Wolfgang Meckelburg CDU/CSU . . . . . . 22217 C Peter Weiß (Emmendingen) CDU/CSU . . . . . 22219 A Dirk Niebel FDP . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22221 A Walter Riester, Bundesminister BMA . . . . . . 22222 A Johannes Singhammer CDU/CSU . . . . . . . . . 22223 A Heinz Schemken CDU/CSU . . . . . . . . . . . 22224 A Walter Hoffmann (Darmstadt) SPD . . . . . . . . 22225 A Tagesordnungspunkt 20: Überweisungen im vereinfachten Ver- fahren a) Antrag der Bundesregierung: Fort- setzung der Beteiligung bewaffne- ter deutscher Streitkräfte an dem NATO-geführten Einsatz auf maze- donischem Territorium zum Schutz von Beobachtern internationaler Or- ganisationen im Rahmen der weite- ren Implementierung des politischen Rahmenabkommens vom 13. August 2001 auf der Grundlage des Ersu- chens der mazedonischen Regierung vom 8. Februar 2002 und der Resolu- tion Nr. 1371 (2001) des Sicherheits- rates der Vereinten Nationen vom 26. September 2001 (Drucksache 14/8500) . . . . . . . . . . . . . 22227 A b) Erste Beratung des von der Bundes- regierung eingebrachten Entwurfs eines Fünften Gesetzes zur Ände- rung des Bundesfernstraßengesetzes (5. FStrÄndG) (Drucksache 14/8448) . . . . . . . . . . . . . 22227 B c) Erste Beratung des von der Bundes- regierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Fern- straßenbauprivatfinanzierungsgeset- zes und straßenverkehrsrechtlicher Vorschriften (FstrPrivFinÄndG) (Drucksache 14/8447) . . . . . . . . . . . . . 22227 B d) Erste Beratung des von der Bundes- regierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Errichtung einer Verkehrs- infrastrukturfinanzierungsgesellschaftzur Finanzierung von Bundesverkehrswegen (Verkehrsinfrastrukturfinanzierungs- gesellschaftsgesetz) (Drucksache 14/8449) . . . . . . . . . . . . . 22227 B e) Erste Beratung des von der Bundes- regierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Grund- stoffüberwachungsgesetzes (Drucksache 14/8387) . . . . . . . . . . . . . 22227 C f) Erste Beratung des von der Bundes- regierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Errichtung einer Stif- tung Deutsche Geisteswissenschaft- liche Institute im Ausland, Bonn (Drucksache 14/8465) . . . . . . . . . . . . . 22227 C g) Erste Beratung des von der Bundes- regierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über den Auswärtigen Dienst (GAD) (Drucksache 14/8225) . . . . . . . . . . . . . 22227 C Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 224. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. März 2002II h) Erste Beratung des von der Bundes- regierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen über die Zusammenarbeit bei der Bekämpfung der organisierten Kriminalität zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der Regierung der Re- publik Litauen vom 23. Februar 2001 und zwischen der Regierung der Bun- desrepublik Deutschland und der Re- gierung der Republik Slowenien vom 2. März 2001 (Organisierte Krimina- lität (OK)-Zusammenarbeitsgesetz) (Drucksache 14/8199) . . . . . . . . . . . . 22227 C i) Erste Beratung des von der Bundes- regierung eingebrachten Entwurfs eines Siebten Gesetzes zur Änderung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes (Drucksache 14/8450) . . . . . . . . . . . . 22227 D j) Antrag der Abgeordneten Petra Bläss, Dr. Heinrich Fink, weiterer Abgeordne- ter und der Fraktion der PDS: Die Ge- waltspirale im Nahen Osten beenden (Drucksache 14/8271) . . . . . . . . . . . . 22227 D k) Unterrichtung durch die Bundesregie- rung: Übereinkommen über nukleare Sicherheit; Bericht der Regierung der Bundesrepublik Deutschland für die Zweite Überprüfungstagung im April 2002 (Drucksache 14/7732) . . . . . . . . . . . . 22228 A in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 3: Weitere Überweisungen im vereinfach- ten Verfahren (Ergänzung zu TOP 20) a) Antrag der Abgeordneten Renate Blank, Dirk Fischer (Hamburg), weiterer Ab- geordneter und der Fraktion der CDU/CSU: Verbesserung der Schiff- fahrtsverhältnisse im Donauabschnitt zwischen Straubing und Vilshofen (Drucksache 14/8484) . . . . . . . . . . . . 22228 A b) Antrag der Abgeordneten Hans-Michael Goldmann, Horst Friedrich (Bayreuth), weiterer Abgeordenter und der Fraktion der FDP: Ausbau der Donau zwischen Straubing und Vilshofen (Drucksache 14/8497) . . . . . . . . . . . . 22228 A c) Antrag der Abgeordneten Dr. Michael Meister, Dirk Fischer (Hamburg), wei- terer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU: Notwendigkeit des Saale- ausbaus (Drucksache 14/8485) . . . . . . . . . . . . 22228 B Tagesordnungspunkt 21: Abschließende Beratungen ohne Aus- sprache b) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Ent- wurfs eines Gesetzes zur Vorberei- tung einer bundeseinheitlichen Wirt- schaftsnummer (Drucksachen 14/8211, 14/8505) . . . . 22228 C c) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Ent- wurfs eines Gesetzes zu den Verträ- gen vom 15. September 1999 des Weltpostvereins (Drucksachen 14/7977, 14/8446) . . . . 22228 D e) Zweite Beratung und Schlussabstim- mung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Protokoll vom 27. Februar 2001 zur Ergänzung des Abkommens vom 5. April 1993 zwischen der Bun- desrepublik Deutschland und der Republik Lettland über den Luftver- kehr (Drucksachen 14/7419, 14/8355) . . . . 22229 A f) Zweite Beratung und Schlussabstim- mung des von der Bundesregierung ein- gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 2. Oktober 2000 zur Änderung und Ergänzung des Abkommens vom 18. Juni 1991 zwi- schen der Bundesrepublik Deutsch- land und dem Staat Bahrain über den Luftverkehr (Drucksachen 14/7978, 14/8356) . . . . 22229 A g) Zweite Beratung und Schlussabstim- mung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 19. Juni 2001 zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der Regierung der Republik Kap Verde über den Luftverkehr (Drucksachen 14/7976, 14/8357) . . . . 22229 B h) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ände- rung des Gesetzes vom 20. Mai 1997 zur Revision des Übereinkommens vom 20. März 1958 über die An- nahme einheitlicher Bedingungen für die Genehmigung der Aus- rüstungsgegenstände und Teile von Kraftfahrzeugen und über die ge- genseitige Anerkennung der Geneh- migung (Drucksachen 14/7245, 14/8405) . . . . 22229 C Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 224. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. März 2002 III i) – m) Beschlussempfehlungen des Petitions- ausschusses: Sammelübersichten 362, 363, 364, 365, 366 zu Petitionen (Drucksachen14/8369,14/8370,14/8371, 14/8372, 14/8373) . . . . . . . . . . . . . . . . 22229 D Tagesordnungspunkt 5: a) Antrag der Abgeordneten Rudolf Bindig, Lilo Friedrich (Mettmann), weiterer Abgeordneter und der Frak- tion der SPD sowie der Abgeordneten Christa Nickels, Dr. Angelika Köster- Loßack, weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN: 58. Tagung der VN-Menschenrechtskommission in Genf (Drucksache 14/8376) . . . . . . . . . . . . . 22230 B b) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Menschenrechte und humanitäre Hilfe zu dem Antrag der Fraktionen der SPD und des BÜNDNIS- SES 90/DIE GRÜNEN: Stärkung der wirtschaftlichen, sozialen und kultu- rellen Rechte im Völkerrecht und im internationalen Bereich (Drucksachen 14/7483, 14/8406) . . . . 22230 B c) Antrag der Abgeordneten Rudolf Bindig, Lilo Friedrich (Mettmann), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten Christa Nickels, Dr. Angelika Köster- Loßack, weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN: Weltweite Bekämpfung und Ächtung der Folter (Drucksache 14/8488) . . . . . . . . . . . . . 22230 C d) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Menschenrechte und humanitäre Hilfe zu dem Antrag der Abgeordneten Hermann Gröhe, Annette Widmann-Mauz, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU: Im Namen der „Ehre“ – Gewalt gegen Frauen weltweit ächten (Drucksachen 14/7457, 14/8404) . . . . 22230 C e) Antrag der Abgeordneten Dr. Helmut Haussmann, Ulrich Irmer, weiterer Ab- geordneter und der Fraktion der FDP: Sklaverei weltweit verhindern (Drucksache 14/8280) . . . . . . . . . . . . . 22230 D in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 4: Antrag der Abgeordneten Hermann Gröhe, MonikaBrudlewsky,weitererAbgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Sabine Leutheusser- Schnarrenberger, Dr. Helmut Haussmann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Den Friedensprozess im Sudan in Gang setzen und nachhaltig fördern (Drucksache 14/8481) . . . . . . . . . . . . . . . 22230 D in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 5: Antrag der Abgeordneten Hermann Gröhe, Monika Brudlewsky, weiterer Abgeord- neter und der Fraktion der CDU/CSU: Lage der Menschen- und Minderheiten- rechte in Vietnam (Drucksache 14/8483) . . . . . . . . . . . . . . . 22231 A in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 6: Antrag der Abgeordneten Dr. Helmut Haussmann, Sabine Leutheusser- Schnarrenberger, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Für eine China-Resolution der Europäischen Union auf der 58. VN-Menschenrechts- kommission (Drucksache 14/8486) . . . . . . . . . . . . . . . 22231 A in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 7: Antrag der Abgeordneten Carsten Hübner, Petra Bläss, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der PDS: Konkrete Maßnahmen zur Stärkung wirtschaftlicher, sozialer und kultureller Rechte ergreifen (Drucksache 14/8502) . . . . . . . . . . . . . . . 22231 B Heide Mattischeck SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . 22231 B Monika Brudlewsky CDU/CSU . . . . . . . . . . . 22233 A Christa Nickels BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 22234 D Sabine Leutheusser-Schnarrenberger FDP . . . 22236 A Carsten Hübner PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22237 B Angelika Graf (Rosenheim) SPD . . . . . . . . . . 22238 C Dr. Heiner Geißler CDU/CSU . . . . . . . . . . . . 22240 B Joseph Fischer, Bundesminister AA . . . . . . . . 22242 A Carsten Hübner PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . 22243 B Dr. Heiner Geißler CDU/CSU . . . . . . . . . . . . 22244 C Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 224. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. März 2002IV Joseph Fischer, Bundesminister AA . . . . . . . 22244 D Christoph Moosbauer SPD . . . . . . . . . . . . . . 22245 B Tagesordnungspunkt 6: Große Anfrage der Abgeordneten Dr. Maria Böhmer, Dr. Gerhard Friedrich (Erlangen), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU: Maßnahmen der Bundes- regierung für eine nationale Bildungsof- fensive zur mittel- und langfristigen Behebung des Fachkräftemangels im IT- Bereich (Drucksachen 14/4172, 14/6943) . . . . . . . 22246 B Norbert Hauser (Bonn) CDU/CSU . . . . . . . . 22246 C Wolf-Michael Catenhusen, Parl. Staatssekretär BMBF . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22248 C Ulrike Flach FDP . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22250 A Grietje Bettin BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 22251 A Angela Marquardt PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . 22252 B Jörg Tauss SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22253 A Tagesordnungspunkt 7: Unterrichtung durch die Bundesregierung: Fortschrittsbericht zum Aktionspro- gramm der Bundesregierung; Innova- tion und Arbeitsplätze in der Informa- tionsgesellschaft des 21. Jahrhunderts (Drucksache 14/8456) . . . . . . . . . . . . . . . 22255 A Hans Martin Bury, Staatsminister BK . . . . . . 22255 B Dr. Heinz Riesenhuber CDU/CSU . . . . . . . . 22256 B Margareta Wolf, Parl. Staatssekretärin BMWi 22258 B Rainer Funke FDP . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22260 A Wolfgang Bierstedt PDS . . . . . . . . . . . . . . . . 22261 B Hubertus Heil SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22262 A Dr. Heinz Riesenhuber CDU/CSU . . . . . . 22262 D Dagmar Wöhrl CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . 22264 B Hubertus Heil SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22265 D Wolf-Michael Catenhusen, Parl. Staatssekretär BMBF . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22266 B Zusatztagesordnungspunkt 17: Beschlussempfehlung des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäfts- ordnung: Antrag auf Genehmigung zum Vollzug gerichtlicher Durchsuchungs- und Beschlagnahmebeschlüsse (Drucksache 14/8550) . . . . . . . . . . . . . . . 22260 A Tagesordnungspunkt 17: Beschlussempfehlung und Bericht des In- nenausschusses – zu dem Antrag der Abgeordneten Jörg Tauss, Harald Friese, weiterer Abgeord- neter und der Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten Grietje Bettin, Cem Özdemir, weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN: E-Demokratie – Online- wahlen und weitere Partizipations- potenziale der neuen Medien nutzen – zu dem Antrag der Abgeordneten Wolfgang Bosbach, Erwin Marschewski (Recklinghausen), weiterer Abgeord- neter und der Fraktion der CDU/CSU: Voraussetzungen für die Durch- führung von Onlinewahlen (Drucksachen 14/8098, 14/6318, 14/8466) 22267 C Harald Friese SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22267 D Sylvia Bonitz CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . . 22269 B Grietje Bettin BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 22271 B Dr. Edzard Schmidt-Jortzig FDP . . . . . . . . . . 22272 B Angela Marquardt PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . 22273 B Jörg Tauss SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22274 A Tagesordnungspunkt 8: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neuordnung der Statis- tik über die Beherbergung im Reiseverkehr (Beherbergungsstatistikgesetz) (Drucksachen 14/6392, 14/8475) . . . . . . . 22275 D Dr. Ditmar Staffelt, Parl. Staatssekretär BMWi 22275 D Klaus Brähmig CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . 22277 A Sylvia Voß BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN . . . 22279 D Ernst Burgbacher FDP . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22281 A Rosel Neuhäuser PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22281 D Brunhilde Irber SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22282 D Tagesordnungspunkt 9: – Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Gerda Hasselfeldt, Heinz Seiffert, weiteren Abgeordneten und der Fraktion der CDU/CSU einge- brachten Entwurfs eines Gesetzes zur Erhöhung des Trinkgeldfreibetrages (Drucksachen 14/4938 [neu], 14/6216, 14/6217) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22284 D Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 224. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. März 2002 V – Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Ernst Burgbacher, Gerhard Schüßler, weiteren Abgeordne- ten und der Fraktion der FDP ein- gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Einkommensteuer- gesetzes (Abschaffung der Trinkgeld- besteuerung) (Drucksachen14/5233,14/6216,14/8427) 22284 D Horst Schild SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22285 C Ernst Hinsken CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . 22285 C Klaus-Peter Willsch CDU/CSU . . . . . . . . . . . 22287 C Sylvia Voß BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN . . . 22290 A Ernst Burgbacher FDP . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22291 B Heidemarie Ehlert PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . 22292 C Zusatztagesordnungspunkt 8: Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- schusses für Verkehr, Bau- und Wohnungs- wesen zu dem Antrag der Abgeordneten Dirk Fischer (Hamburg), Dr.-Ing. Dietmar Kansy, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU: Weißbuch über Harmonisierungsdefizite bei Verkehrs- dienstleistungen (Drucksachen 14/4378, 14/8378) . . . . . . . 22293 C in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 9: Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- schusses für Verkehr, Bau- und Wohnungs- wesen zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung: Weißbuch – Die europä- ische Verkehrspolitik bis 2010: Weichen- stellungen für die Zukunft (Drucksachen 14/7409 Nr. 2.38, 14/8480) 22293 C Karin Rehbock-Zureich SPD . . . . . . . . . . . . . 22293 D Dirk Fischer (Hamburg) CDU/CSU . . . . . . . . 22295 B Franziska Eichstädt-Bohlig BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22297 D Horst Friedrich (Bayreuth) FDP . . . . . . . . . . . 22298 D Dr. Winfried Wolf PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . 22299 C Zusatztagesordnungspunkt 10: Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- schusses für Umwelt, Naturschutz und Re- aktorsicherheit zu der Verordnung über den Versatz von Abfällen unter Tage und zur Änderung von Vorschriften zum Ab- fallverzeichnis (Drucksachen 14/8197, 14/8321 Nr. 2.1, 14/8523) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22300 B in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 11: Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- schusses für Umwelt, Naturschutz und Re- aktorsicherheit zu der Verordnung über die Entsorgung von Altholz (Drucksachen 14/8198, 14/8321 Nr. 2.2, 14/8522) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22300 C Tagesordnungspunkt 11: Antrag der Abgeordneten Johannes Singhammer, Horst Günther (Duisburg) und weiterer Abgeordneter: Dokumenta- tion der freigelegten russischen Graffiti- Inschriften im Reichstagsgebäude in his- torisch gerechtfertigtem Umfang (Drucksache 14/6761) . . . . . . . . . . . . . . . 22301 A Johannes Singhammer CDU/CSU . . . . . . . . . 22301 A Eckhardt Barthel (Berlin) SPD . . . . . . . . . . . . 22302 A Ulrich Heinrich FDP . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22303 B Dr. Helmut Lippelt BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22304 A Dr. Heinrich Fink PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22305 B Horst Kubatschka SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22306 A Vera Lengsfeld CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . 22307 A Tagesordnungspunkt 12: a) Erste Beratung des von den Abgeordne- ten Dr. Winfried Wolf, Eva Bulling- Schröter, weiteren Abgeordneten und der Fraktion der PDS eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Auf- hebung des Magnetschwebebahn- planungsgesetzes (Drucksache 14/8300) . . . . . . . . . . . . . 22308 B b) Antrag der Abgeordneten Dr. Winfried Wolf, Eva Bulling-Schröter, weiterer Abgeordneter undderFraktionderPDS: Keine Entscheidung über den Bau einer Magnetschwebebahn-Strecke in der Bundesrepublik Deutschland ohne Einstellung der entsprechenden Bundesmittel in den Bundeshaushalt (Drucksache 14/8296) . . . . . . . . . . . . . 22308 B Dr. Winfried Wolf PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . 22308 C Reinhard Weis (Stendal) SPD . . . . . . . . . . . . 22309 C Dirk Fischer (Hamburg) CDU/CSU . . . . . . . . 22310 D Franziska Eichstädt-Bohlig BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22312 A Horst Friedrich (Bayreuth) FDP . . . . . . . . . . . 22313 C Norbert Königshofen CDU/CSU . . . . . . . . . . 22314 B Nächste Sitzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22315 C Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 224. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. März 2002VI Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten . . . . . 22317 A Anlage 2 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Beschlussempfehlungen und der Be- richte: – Verordnung über den Versatz von Abfällen unter Tage und zur Änderung von Vor- schriften zum Abfallverzeichnis – Verordnung über die Entsorgung von Alt- holz (Zusatztagesordnungspunkte 10 und 11) . . . . 22318 A Rainer Brinkmann (Detmold) SPD . . . . . . . . 22318 A Franz Obermeier CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . 22319 C Werner Wittlich CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . 22320 B Michaele Hustedt BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 22320 D Birgit Homburger FDP . . . . . . . . . . . . . . . . . 22321 D Eva Bulling-Schröter PDS . . . . . . . . . . . . . . . 22322 C Gila Altmann, Parl. Staatssekretärin BMU 22323 A Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 224. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. März 2002 VII Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 224. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. März 2002
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    Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 224. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. März 2002 Norbert Königshofen 22315 (C)(A) Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 224. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. März 2002 22317 (C) (D) (A) (B) Beck (Köln), Volker BÜNDNIS 90/ 14.03.2002 DIE GRÜNEN Berninger, Matthias BÜNDNIS 90/ 14.03.2002 DIE GRÜNEN Bierling, Hans-Dirk CDU/CSU 14.03.2002 Dr. Böhmer, Maria CDU/CSU 14.03.2002 Bohl, Friedrich CDU/CSU 14.03.2002 Brüderle, Rainer FDP 14.03.2002 Deligöz, Ekin BÜNDNIS 90/ 14.03.2002 DIE GRÜNEN Dr. Eid, Uschi BÜNDNIS 90/ 14.03.2002 DIE GRÜNEN Fograscher, Gabriele SPD 14.03.2002 Dr. Friedrich CDU/CSU 14.03.2002 (Erlangen), Gerhard Friedrich (Altenburg), SPD 14.03.2002 Peter Fuchs (Köln), Anke SPD 14.03.2002 Gloser, Günter SPD 14.03.2002 Haack (Extertal), SPD 14.03.2002 Karl-Hermann Hartnagel, Anke SPD 14.03.2002 Irmer, Ulrich FDP 14.03.2002 Kaspereit, Sabine SPD 14.03.2002 Kolbow, Walter SPD 14.03.2002 Dr. Krogmann, Martina CDU/CSU 14.03.2002 Krüger-Leißner, SPD 14.03.2002 Angelika Lamers, Karl CDU/CSU 14.03.2002 Lewering, Eckhart SPD 14.03.2002 Meckel, Markus SPD 14.03.2002 Merten, Ulrike SPD 14.03.2002 Michels, Meinolf CDU/CSU 14.03.2002* Ostrowski, Christine PDS 14.03.2002 Pieper, Cornelia FDP 14.03.2002 Schaich-Walch, Gudrun SPD 14.03.2002 Scheel, Christine BÜNDNIS 90/ 14.03.2002 DIE GRÜNEN Scherhag, Karl-Heinz CDU/CSU 14.03.2002 Schlee, Dietmar CDU/CSU 14.03.2002 Schmidt (Hitzhofen), BÜNDNIS 90/ 14.03.2002 Albert DIE GRÜNEN Schmitz (Baesweiler), CDU/CSU 14.03.2002 Hans Peter Schönfeld, Karsten SPD 14.03.2002 Schröder, Gerhard SPD 14.03.2002 Dr. Schubert, Mathias SPD 14.03.2002 Schuhmann (Delitzsch), SPD 14.03.2002 Richard Schwalbe, Clemens CDU/CSU 14.03.2002 Dr. Schwarz-Schilling, CDU/CSU 14.03.2002 Christian Seehofer, Horst CDU/CSU 14.03.2002 Sorge, Wieland SPD 14.03.2002 Dr. Spielmann, Margrit SPD 14.03.2002 Dr. Stadler, Max FDP 14.03.2002 Dr. Freiherr von CDU/CSU 14.03.2002 Stetten, Wolfgang Strebl, Matthäus CDU/CSU 14.03.2002 Dr. Thomae, Dieter FDP 14.03.2002 Vogt (Pforzheim), Ute SPD 14.03.2002 Voßhoff, Andrea CDU/CSU 14.03.2002 Dr. Waigel, Theodor CDU/CSU 14.03.2002 Welt, Jochen SPD 14.03.2002 Dr. Westerwelle, Guido FDP 14.03.2002 Dr. Wieczorek, Norbert SPD 14.03.2002 Wilhelm (Amberg), BÜNDNIS 90/ 14.03.2002 Helmut DIE GRÜNEN Wissmann, Matthias CDU/CSU 14.03.2002 Dr. Wodarg, Wolfgang SPD 14.03.2002* Zeitlmann, Wolfgang CDU/CSU 14.03.2002 * für die Teilnahme an den Sitzungen der Parlamentarischen Ver- sammlung des Europarates entschuldigt bisAbgeordnete(r) einschließlich entschuldigt bisAbgeordnete(r) einschließlich Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Anlagen zum Stenographischen Bericht Anlage 2 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Beschlussempfehlungen und der Berichte: – Verordnung über den Versatz von Abfällen unter Tage und zur Änderung von Vorschrif- ten zum Abfallverzeichnis – Verordnung über die Entsorgung von Altholz (Zusatztagesordnungspunkte 10 und 11) Rainer Brinkmann (Detmold) (SPD): Die umweltpo- litische Leistungsbilanz dieser Bundesregierung kann sich angesichts der im September auslaufenden Legisla- turperiode sehen lassen. Nach 16 Jahren Stillstand gelang es der Koalition, wichtige Themen wieder in das Bewusst- sein des Bürgers zurückzurufen. Der Wille und die Not- wendigkeit zu ökologischen Reformen und Erneuerungen waren das Mandat, welches uns der Wähler mit auf den Weg gegeben hat. Wir haben versucht, diesem Willen ge- recht zu werden und ihn in konkret geltendes Recht um- zusetzen. So gelang es uns gegen die Absicht der schwarz- gelben Opposition, wichtige Bedürfnisse des Volkes zu verwirklichen. Mit dem Ausstieg aus der Atomenergie und dem durch das EEG-Gesetz vorgenommenen Einstieg in nachhaltige und ökologisch sinnvolle, regenerative Energiegewin- nung vollzogen wir die energiepolitische Wende. Eine Wende hin zu sicheren, nachhaltigen und für unsere Zu- kunft verantwortbaren Energiequellen. Weiter ist es uns zu verdanken, das nach jahrzehntelangem unkontrollier- tem Wirtschaften mit dem Kioto-Protokoll endlich Stan- dards für die Bundesrepublik gefunden worden sind, die auch noch nachfolgenden Generationen ein Leben auf diesem Planeten ermöglichen werden. Wir sind heute nicht hier, um die gelungene umwelt- politische Arbeit der Bundesregierung zu würdigen. Wir sind heute hier, um den bisherigen Erfolg durch zwei wei- tere Verordnungen fortzuführen. Denn eines kann ich ih- nen versichern: Stillstand und Blockadepolitik ist in der Umweltpolitik unverantwortlich und damit unzulässig. Die heute zu verabschiedende Altholzverordnung er- möglicht es, endlich Klarheit und Rechtssicherheit bezüg- lich der stofflichen und energetischen Wiederverwertung von Altholz, in dem Sinne wie es das Kreislaufwirtschafts- Abfallgesetz verlangt, herzustellen. Die zurzeit häufig praktizierte umweltunverträgliche Handhabung mit Althölzern wird unterbunden und in ein rechtlich klar kon- zipiertes Werk überführt. Gerade die in der Verordnung vorgenommene Konkretisierung der Anforderungen an eine schadlose Verwertung ermöglicht und fördert die Wie- derverwertung unter ökologischen und nachhaltigen Krite- rien, wie es die Ziele unserer Umweltpolitik darstellen. Der bereits durch die Biomasse erfolgte Schub für eine ökologisch sinnvolle Wiederverwertung von Altholz wird durch diese neue Verordnung fortgeführt, ausstehende Regelungen werden getroffen und eine zielgerichtete Um- weltpolitik weiterverfolgt. Die bestehenden unterschied- lichen Länderregelungen in Form von Vollzugshinweisen oder Richtlinien führen bis zum heutigen Tage nicht dazu, dass in Deutschland eine Wiederverwertung von Altholz nach nachhaltigen und ökologischen Gesichtspunkten, wie es Ziel der Bundesregierung ist, durchgeführt werden kann. Der Anwendungsbereich dieser Verordnung ist so gefasst, dass sowohl die stoffliche und die energetische Verwendung als auch die Beseitigung von Altholz klar und umfassend geklärt wird. Bei der Konzeption dieser Verordnung stand daher klar fest, in erster Linie die um- weltverträgliche Entsorgung festzuschreiben. Diese Verordnung ist eine weitere Folgeverordnung des Kreislaufwirtschafts-Abfallgesetzes. Die dort defi- nierte Produktverantwortung wird mit dem ihnen vorlie- genden Entwurf ernst genommen. Die Hierarchie des Dreischritts der Abfallwirtschaft: Vermeiden vor Verwer- ten und Verwerten vor Beseitigen wird hier ernst genom- men. Daher ist diese Verordnung in der Tat eine Muster- verordnung, die als Beispiel für weitere zu erlassene Produktverordnungen gelten kann. Lassen Sie mich daher noch einmal einige grundsätzli- che Ausführungen machen. Wenn wir den ersten Schritt der Abfallwirtschaftspolitik – die Vermeidung – ernst neh- men, müssen wir in vielen Bereichen umdenken. Eine nachhaltige Politik und ein nachhaltiges Wirtschaften muss die Vermeidung von Abfällen und damit den Schutz der Ressourcen in den Mittelpunkt der Betrachtungen stellen. Schon bei der Produktion muss auf die Vermei- dung von Abfällen und die Verwertungsmöglichkeit der hergestellten Produkte geachtet werden. Seit dem Inkrafttreten des Kreislaufwirtschafts-Abfall- gesetzes ist bislang noch kein signifikanter Rückgang der Abfälle festzustellen. Was sich geändert hat, ist die recht- liche Zuordnung der Abfälle. Abfälle zur Beseitigung sind zugunsten der Abfälle zur Verwertung zurückgegangen. Das Gesamtaufkommen pro Kopf der Bevölkerung hat sich allerdings nicht geändert. Diese Entwicklung ist jüngst noch einmal in einer Prognos-Studie belegt wor- den. Das ist der Grund, warum wir uns mit der Abfall- wirtschaft im Kern beschäftigen müssen und nicht mit vollkommen überflüssigen Scheingefechten wie der Li- beralisierung, die außer einer weiteren Monopolisierung keine Weiterentwicklung bringen würde. Aus gegebenem Anlass möchte ich allerdings auch auf die Entsorgungsunternehmen eingehen. Der überwälti- gende Teil der etwa 1 500 Entsorgungsunternehmen in der Bundesrepublik arbeiten seriös und tragen einen großen Teil zur umweltverträglichen Abfallwirtschaft bei. Es ist bedauerlich, dass einige wenige schwarze Schafe die ge- samte Branche in Misskredit bringen. Es liegt in der Dua- lität der Abfallwirtschaft begründet, dass viele Kommu- nen private Entsorgungsunternehmen als Vertragspartner gewonnen haben. Im Normalfall – das möchte ich hier ausdrücklich betonen – werden diese Auftragsvergaben vollkommen korrekt abgewickelt. Wenn wir heute in un- serem Land eine Abfallwirtschaft haben, die europaweit einen hervorragenden Ruf genießt, ist dies auch eine Folge der vorbildlichen Arbeit der entsorgungspflichtigen Körperschaften, der Kommunen und der privaten Entsor- gungsunternehmen, denen an dieser Stelle auch einmal un- Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 224. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. März 200222318 (C) (D) (A) (B) ser ausdrücklicher Dank gebührt. Ich bin mir sicher, dass auch die Altholzverordnung von den mittelständischen Ent- sorgungsunternehmen in unserem Sinne ausgefüllt wird. Die stoffliche und die energetische Verwertung, die in dieser Verordnung gleichgestellt sind, tragen erheblich zu einer nachhaltigen Wirtschaftspolitik bei. Auch die Bio- masseverordnung, die wir schon im letzten Jahr verab- schiedet haben, leistet dazu einen erheblichen Beitrag zur Klimapolitik; denn eine hocheffiziente energetische Ver- wertung des nachwachsenden Rohstoffes Holz ist immer ein Gewinn für unser Klima. Dennoch müssen wir, wie ich bereits am Anfang aus- geführt habe, auf eine weitere Vermeidung von Abfällen dringen. Nach meiner Auffassung müssen wir die Sys- teme mit eindeutig nachgewiesener ökologischer Len- kungswirkung auf eine Übertragbarkeit im Abfallbereich überprüfen. Lassen sie mich hierzu ein Beispiel darlegen. Wenn das DSD einen Erfolg für sich verbuchen kann, dann ist es die Tatsache, dass erstens die deutschen Pri- vathaushalte zu Müllsortierweltmeistern geworden sind und die Lizenzabgabe zu einer Reduzierung der Ver- packungsabfälle von 10 Prozent beigetragen hat. Wenn also die Lizenzgebühr diese Lenkungswirkung entfaltet hat, dann stellt sich natürlich die Frage, ob wir dieses oder ein ähnliches System nicht auch auf andere Bereiche übertragen sollten. Will heißen, über eine direkte ökono- mische Steuerung bei den Produzenten und über eine Ab- gabe oder eine erweiterte Lizenzgebühr ließe sich mit Si- cherheit eine weitere Reduzierung der Abfallmengen erreichen. Beides, eine geordnete Wettbewerbslandschaft und ökonomische Anreizsysteme, werden in Zukunft die Abfallwirtschaft weiterentwickeln und noch nachhaltiger ausrichten. Wir brauchen keine Geisterdebatten über die neoliberalen ideologisierten Liberalisierungsvorschläge, die nicht einmal von der Wirtschaft gewollt werden, son- dern zielführende Diskussionen über moderne Instru- mente im Interesse einer ökologischen und bürgerfreund- lichen Abfallwirtschaft. Nicht nur die Altholzverordnung bedarf ihrer Zustim- mung, auch die Verordnung über den Versatz von Abfäl- len tut es. Denn genau wie jene ist auch diese ein weiterer Schritt rot-grüner Umweltpolitik in Richtung Nachhaltig- keit und ökologischer Verantwortung. Genau wie der europäische Gerichtshof sind auch wir der Meinung, dass nur eine schadlose und den Bedürfnissen der nachfolgen- den Generationen gerecht werdende Verwertung von Ab- fällen unter Tage zu rechtfertigen und zu verantworten ist. Um dieses Ziel zu erreichen, sind in dieser Verordnung klare Instrumente und Mechanismen gefunden worden, die eine sinnvolle Lösung dieses Sachverhaltes verspre- chen. So wird über die Festlegung von Grenzwerten ein Versatz von Abfällen mit hohem Schadstoffgehalt einer ökologisch zuverlässigen Kontrolle unterworfen. Da die Abfallentsorgung unter Tage bereits geltendes Recht und gängige Praxis ist, wird eine verantwortungs- volle Gewährleistung dieses Wirtschaftens durch diese Verordnung erst möglich. Auch das im Kreislaufwirt- schafts-Abfallgesetz festgelegte Ziel, höherwertige, me- tallhaltige Abfälle vom Versatz auszuschließen, wird von dieser Verordnung aufgegriffen und entspricht so den Richtlinien vernünftiger Umweltpolitik. Ökologisch notwendig und für die anzustrebende Sicherheit unerlässlich ist ebenfalls die Maßnahme, einen Versatz von Sondermüll nur noch in Salzbergwerken mit entsprechendem Langzeitnachweis durchzuführen. Ohne diesen geht es eben nicht. Darüber hinaus legt die Verord- nung fest, dass ein Versatz nur unter Einhaltung bestimm- ter Grenzwerte möglich ist. So wird unter anderem der Höchstgehalt an Metallen festgelegt, damit keine Res- sourcen ungenutzt verschwinden. Die im Kreislaufwirt- schafts-Abfallgesetz festgelegten Rahmenbedingungen finden in dieser Verordnung die zu ihrer Konkretisierung notwendigen Ausführungen. Der Bergversatz kann durch diese Verordnung die Rolle in der Abfallentsorgung ein- nehmen, die ihm unter der Berücksichtigung einer zielge- richteten nachhaltigen Politik zukommen muss. Diese Verordnung gewährleistet den flexiblen Betrieb von „Unter Tage Deponien“ unter der Voraussetzung ei- ner zuverlässigen Standardisierung der Sicherheitskom- ponenten. Weiter – das ist uns Umweltpolitikern immer wichtig – wird darauf Acht gegeben, dass unnötige Ab- fallerzeugung vermieden wird. Das Gegenteil ist der Fall. Ressourcen werden über den Mechanismus der stoffli- chen Weiterverwertung geschont und sind so Teil eines schlüssigen Konzeptes. So führt auch diese Verordnung zu einer ökologisch sinnvollen Neubewertung der Abfall- entsorgung unter Tage. Daher rate ich auch in diesem Fall zur Zustimmung. Franz Obermeier (CDU/CSU): Grundsätzlich be- grüßt die CDU/CSU-Fraktion das Ziel der Verordnung, die Anforderungen an die stoffliche und energetische Ver- wertung sowie an die Beseitigung von Altholz festzulegen. Richtig ist auch, wenn durch die Verordnung die Verwer- tung von Altholz gefördert und Schadstoffe ausgeschleust werden. Die bestehende Altholzverordnung gibt der ener- getischen Verwertung den Vorzug vor einer stofflichen Verwertung. So ist der Einsatz von Altholz der Kategorien A II und A III für die Holzwerkstoffherstellung nur unter besonderen Anforderungen zulässig. Diese Anforderun- gen sind nach Auffassung der Holzverwerter nur unter er- heblichem Aufwand zu erfüllen. Vorgegeben werden nicht realisierbare Altholz-Vorbe- handlungsschritte, aufwendige Probenahmeverfahren so- wie kostenintensive chemische Analysen. Dadurch wird es für den Abfallerzeuger sowie für die Entsorger unzu- mutbar, dem in Deutschland anfallenden Altholz gezielt Qualitätsmaterial für die stoffliche Verwertung zu entneh- men. So ist vorgesehen, den Einsatz von Altholz der Ka- tegorien A II und A III für das Aufarbeiten zu Holzhack- schnitzeln und -spähren für die Holzwerkstoffherstellung künftig nur unter „besonderen Anforderungen“ zuzulas- sen. Diese Anforderungen sind jedoch technisch nicht zu erfüllen. Folglich ist es für die Entsorgungswirtschaft „praktisch unmöglich“, diese Qualitäten der Holzwerk- stoffindustrie zu liefern. Mit der jetzt verabschiedeten Verordnung wird in Kauf genommen, dass diese Holzkategorien künftig nur der energetischen Verwertung zugeführt werden können. Be- sonders begünstigt werden dabei Verbrennungsanlagen, die nach der 17. Bundesimmissionsschutzverordnung ge- nehmigt sind. Diese Anlagen sind für alle Altholzkatego- rien zugelassen. So entfällt für den beliefernden Entsorger Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 224. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. März 2002 22319 (C) (D) (A) (B) die sonst vorgesehene aufwendige Untersuchung hin- sichtlich des ordnungsgemäßen Zuordnens der Altholzka- tegorien zu bestimmten Genehmigungsstandards der Ver- brennungsanlagen. Mit der Altholzverordnung wird Wettbewerbspolitik betrieben und zwar zum Nachteil des klein- und mittel- ständisch geprägten stofflichen Verwertungsmarktes für Altholz. Entgegen den bislang über alle Verordnungen hinweg geforderten hohen stofflichen Verwertungsquoten für Abfallstoffe setzte die Bundesregierung hier einseitig auf die energetische Verwertung. Die klein- und mittelständischen Altholz-Entsorgungs- unternehmen sichern seit Jahrzehnten durch eine diffe- renzierte Erfassung und Aufbereitung das Bestehen der stofflichen Altholzverwertung. Ein Zurückdrängen dieses stofflichen Verwertungsweges durch die Verordnungsvor- gaben schränkt die Handlungsspielräume dieser Unter- nehmen „massiv“ ein. Durch die faktische Bevorzugung großtechnischer Verbrennungsanlagen, die nicht selten Konzernen gehören, werden zudem dramatische Verdrän- gungswettbewerbe von klein- und mittelständischen Un- ternehmen durch Konzernstrukturen unterstützt. Dies bedeutet eine Verschiebung der Stoffströme: We- niger Altholz im Beschaffungsmarkt führt zu einem höhe- ren Frischholzbedarf. Dies aber ist eine Folge, die im „krassen Gegensatz“ zu den umweltpolitischen Forderun- gen nach Ressourcenschonung und Klimaschutz steht. Wir fordern die Bundesregierung auf, das weitere Ge- setzgebungsverfahren dazu zu nutzen, die Altholzverord- nung nachzubessern und die beschriebenen Beschwer- nisse für die Altholzverwertung wieder aufzuheben, damit ein Mehr an Verwertung möglich wird. Gleichwohl werden wir der Verordnung zustimmen, da nach wie vor das grundsätzliche Ansinnen der Altholz- verordnung, bundeseinheitliche Rechtssicherheit im Voll- zug und in der Genehmigung im Altholzsegment zu schaf- fen, positiv zu bewerten ist. Werner Wittlich (CDU/CSU): Der Berg kreißte und gebar eine Maus! So lässt sich das Ergebnis der Bemühungen um den Erlass der vorliegenden Versatzver- ordnung zusammenfassen. Die Bundesregierung ist mit dem hehren Ziel angetre- ten, endlich bundeseinheitliche Regelungen für die Ver- wendung von Abfällen in Bergwerken zu schaffen. Dieses Vorhaben hätten wir als CDU/CSU-Bundestagsfraktion nachhaltig unterstützt. Nach der gängigen Bergversatz- praxis ist es nämlich möglich, dass überwachungsbedürf- tige Abfälle billig in dafür ungeeigneten Deponien ent- sorgt werden. Außerdem werden wertvolle Rohstoffe nicht ausreichend recycled, sondern sie verschwinden un- genutzt in den Tiefen des Erdreichs. Sie, Herr Trittin, haben dieses in der Tat Besorgnis er- regende Problem zwar richtig erkannt. Letztlich bedienen Sie sich aber völlig ungeeigneter Maßnahmen, um Herr der Lage zu werden. Damit hat sich wieder einmal ge- zeigt, dass eben nicht überall „Öko“ drin ist, wo Sie „Öko“ draufschreiben. Ganz konkret geht es uns darum, dass die nun vorgelegte Verordnung zu erheblichen Wettbewerbsverzerrungen führt, denn vor allem die vorgesehenen Übergangsregelun- gen werden die unstreitig bestehenden ökologischen Pro- bleme nicht entschärfen, sondern sogar noch verstärken. Zu Wettbewerbsverzerrungen führen beispielsweise die Aus- nahmeregelung bei den Grenzwerten bei einer Verwendung im Salzgestein und die damit verbundenen Regelungen des Langzeit-Sicherheits-Nachweises. Es ist bis heute nicht se- riös nachgewiesen, dass die Verwendung im Salzgestein ökologisch schonender ist. Seit Beginn des Salzbergbaus im Jahr 1851 mussten bereits über 60 Schächte in Deutsch- land wegen Wassereinbruchs schließen. In diesen Fällen können schädliche Stoffe nahezu ungehindert in die Um- welt gelangen. Sie bevorzugen deshalb mit einer solchen Ausnahmeregelung nicht nur ohne einen sachlich ge- rechtfertigten Grund die Betreiber von Salzbergwerken, sondern langfristig setzen Sie unsere Kinder und Enkel auch auf tickende Zeitbomben unter Tage. Ebenso unverständlich sind die getroffenen Über- gangsregelungen. Abfälle, die aufgrund von vor dem 1. März 2001 geschlossenen Verträgen zur Herstellung von Versatzmaterial oder direkt als Versatzmaterial ein- gesetzt werden, dürfen spätestens ab 1. März 2006 nicht mehr verwendet werden. Die rückwirkende Festlegung der Übergangsregelung greift in bestehende Verträge ein und ist sachlich nicht zwingend erforderlich. Gleichzeitig soll aber die Verwaltungsvorschrift bereits 2002 in Kraft treten. Wie soll unter diesen Umständen die Verwaltungs- vorschrift vollzogen werden können? Faktisch wird es dazu kommen, dass es bis 2006 keine Änderung in der Praxis geben wird. Der Versatz wird zu- lasten der ökologisch sinnvolleren Sondermülldeponien gehen, Missbrauch und Ökodumping werden Tür und Tor geöffnet. Schädliche Abfälle werden also im Ergebnis weiterverwendet. Diese Kritikpunkte stammen im Übrigen nicht nur von uns, sondern sie wurden von der Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie übermittelt. Das haben Sie aber vorsichtshalber nicht wahrgenommen. Ich appelliere also eindringlich an Sie, die Verordnung noch einmal gründlich zu überarbeiten und dabei auch die von der Verordnung unmittelbar Betroffenen anzuhören. Wir werden uns den Beratungen nicht verschließen und wir bieten Ihnen an, Sie bei der Verbesserung der vorge- legten Regelungen zu unterstützen. Wenn Sie aber darauf zielen, den Entwurf in der vorgelegten Form mit Ihrem Abnickverein allen vernünftigen Erwägungen zum Trotz durchzusetzen, kann ich Ihnen schon jetzt versprechen, dass CDU und CSU den Verordnungsentwurf nicht unter- stützen werden. Michaele Hustedt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Diese beiden Verordnungen schließen eine Lücke im Ab- fallrecht. Sie sind längst überfällig. Die Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen begrüßt deshalb außerordent- lich, dass wir heute diese Verordnung verabschieden kön- nen. Im Allgemeinen gilt in der Abfallpolitik der Vorrang der Vermeidung vor der Verwertung und der Vorrang der Ver- Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 224. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. März 200222320 (C) (D) (A) (B) wertung vor der Entsorgung. Wir haben aber in den letzten Jahren feststellen müssen, dass angesichts des notwendig hohen Entsorgungsstandards und der damit verbundenen Kosten die Industrie versucht, unter dem Deckmäntelchen der Verwertung ihren Müll billig loszuwerden. Dabei wer- den nicht vertretbare und unökologische Verwertungs- wege gegangen. Dazu gehört der Bergversatz: Hochgif- tige Abfälle, aber auch Abfälle, die noch recyclebare Metalle enthalten, werden in die Bergwerke eingebracht. Werden diese dann geschlossen, werden sie geflutet. Der Müll steht im Wasser, die Schadstoffe können das Grund- wasser verseuchen. Ein absolut inakzeptabler Zustand. Außerdem werden Rohstoffe, insbesondere wiederge- winnbare und wieder verwertbare Metalle verschwendet. Bei der Altholzverordnung handelt es sich um das glei- che Problem, nur wird die Lösung von der anderen Seite angegangen. Die Altholzverordnung ist ein Pilotvorhaben für andere stoffbezogene Verordnungen zu dem Kreis- laufwirtschaftsgesetz. Die von der rot-grünen Bundesregierung vorgelegte Bergversatzverordnung regelt den Einsatz von Abfällen zur Verfüllung von Bergwerken. Das Ziel ist der dauer- hafte Abschluss der Abfälle und der darin enthaltenen Schadstoffe. Zurzeit werden auch Abfälle in Bergwerke verbracht, die nicht den von uns geforderten strengen Richtlinien entsprechen. Mit der vorgeschlagenen Ver- ordnung wird diese Forderung umgesetzt. Schadstoffhaltige Abfälle können nur in trockene Salz- gesteinsformationen eingebracht werden, für die ein Lang- zeitsicherheitsnachweis vorliegt. Damit gelten für den Bergversatz die gleichen Anforderungen wie für Unterta- gedeponien. Wenn die gleichen Schadstoffe unter Tage ge- bracht werden, müssen sie auch gleich behandelt werden. Andere Standorte wie Kohle- und Erzbergwerke dür- fen wegen der geringeren ökologischen Standortqualität nur noch mit schadstoffarmen Abfällen versetzt werden. Dazu müssen natürlich auch entsprechende Grenzwerte definiert werden, die in der vorgeschlagenen Verordnung enthalten sind. Mit der neuen Verordnung hat die stoffliche Verwer- tung Vorrang vor dem Einsatz als Versatz. Besonders deutlich wird das bei dem Versatz von Filterstäuben. Bisher werden Bergwerke mit Material versetzt, dessen Metallgehalt weit über dem von natürlichem Vorkommen liegt. Das widerspricht dem Gedanken einer Kreislauf- wirtschaft absolut. Nach der neuen Verordnung kann sol- ches Material nur noch versetzt werden, wenn dessen Metallgehalt nicht deutlich über den natürlichen Konzen- trationen liegt. Ein besonders wichtiger Punkt ist auch, dass nun auch kein Abfall mehr in Bergwerke verbracht werden kann, die nach Beendigung der Bewirtschaftung mit Wasser voll laufen. Meine sehr verehrten Damen und Herren von der CDU/CSU, mit Verwunderung sehe ich, dass Sie auf Bun- desebene eine Verschärfung der Verordnung fordern. Wenn Sie sich mit Ihren Länderkollegen absprechen wür- den, wüssten Sie, dass diese die Verordnung ablehnen. Welche Argumente von ihnen sind denn nun die richtigen? Es ist natürlich einfach zu behaupten, Salzgestein sei wegen drohendem Wassereinbruch nicht sicher. Zur Si- cherheit von Bergversatz kann ich Ihnen nur raten: Lesen sie einmal die Verordnung. Eingelagert kann nur werden, wenn auch ein Langzeitsicherheitsnachweis vorliegt. Und der wird in den von Ihnen beschworenen Fällen natürlich nicht erfolgen. Mit der neuen Altholzverordnung werden Anforderun- gen an stoffliche und energetische Verwertung sowie Be- seitigung von Altholz harmonisiert und konkretisiert. Von nun an werden erstmals bundeseinheitliche Anforderun- gen und ökologische Kriterien für Entsorgung von Altholz definiert. Bisher haben die Länder diesen Bereich in eige- ner Verantwortung geregelt. Dadurch kam es zu Un- gleichgewichten und unterschiedlicher Behandlung von Altholz in den verschiedenen Bundesländern. Mit einer bundesweiten Regelung wird Rechtssicherheit geschaffen und auch der Standortwettbewerb um die billigste Rege- lung beendet. Diese Verordnung hat darüber hinaus auch in Europa Symbolcharakter. Deutschland ist das erste Land mit einer solchen Regelung. Altholz wird in vier Altholzklassen eingeteilt, von A I, zu der naturbelassenes Holz gehört, bis zu A IV, wozu stark kontaminierte Hölzer wie Bahnschwellen gehören. Die Einteilung in diese Altholzklassen ist die Grundlage für einen umweltfreundlichen, aber auch wirtschaftlichen Umgang mit diesem Abfallstoff. Neu ist ebenfalls, dass die Ablagerung von Altholz in Deponien beendet wird. Es werden zusätzlich verbindli- che Schadstoffgrenzen für Weiterverarbeitung von Alt- holz, zum Beispiel in Spanplatten, eingeführt. Das ist ein wichtiger Punkt, damit nicht eines Tages unsere Möbel die giftigen Holzschutzmittel einer früheren Verwendung ausdünsten. Mit dieser Verordnung werden die Stoff- ströme des Altholzes vollständig neu geregelt. Dies ist ein wichtiger Schritt für die Umwelt, der in Europa sicherlich bald Nachahmer finden wird. Sehr geehrte Damen und Herren von der Opposition, zum Abschluss möchte ich Sie auffordern, diesen beiden Verordnungen auch im Bundestag zuzustimmen. CDU/ CSU und PDS sollten hier im Bundestag nicht die radika- len Ökologen spielen und im Bundesrat mit den von ihnen regierten Ländern dann selbst kleine Fortschritte bekämp- fen. Das ist unglaubwürdig. Von der CDU/CSU kennt man das ja. Bei der PDS ist es allerdings ein Phänomen, das seit Regierungsbeteiligung in den Ländern auftritt, zu- letzt beim Naturschutzgesetz. Ich bin überzeugt davon, dass wir die Zustimmung im Bundesrat für diese Verordnungen bekommen, weil sie ein richtiger Schritt voran sind und weil sie schon im Er- arbeitungsprozess im engen Gespräch mit den Bundes- ländern entwickelt wurden. Birgit Homburger (FDP): Am Anfang der Legisla- turperiode wollte die rot-grüne Koalition das Abfallrecht reformieren. Wie bei vielem konnte man sich jedoch auch hier nicht einigen. Nun wird eilig in einzelnen Verord- nungen für Teilbereiche der Abfallwirtschaft versucht, etwas zu regeln, um vor den Wahlen nicht mit leeren Händen dazustehen. Zu diesen Verordnungen gehören die Bergversatzverordnung und die Altholzverordnung. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 224. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. März 2002 22321 (C) (D) (A) (B) Es ist bislang nicht gelungen, eine praktikable Abgren- zung der Abfälle zur Verwertung von denjenigen zur Be- seitigung vorzunehmen. Dieses Problem löst die Bundes- regierung auch mit den vorliegenden Verordnungen nicht. Bergversatz ist erforderlich, um die Standsicherheit der Bergwerke zu gewährleisten. In diesem Sinne hat jüngst der EuGH entschieden, dass Bergversatz eine Ver- wertungsmaßnahme ist, wenn der Hauptzweck darauf ge- richtet ist, eine sinnvolle Aufgabe zu erfüllen, das heißt stabilisierende Eigenschaften zu nutzen und andere Ver- satzmaterialien zu ersetzen. Durch Bergversatz werden natürliche Rohstoffquellen geschont. Die Bergversatzverordnung ist überflüssig, da die Ver- wertung unter Tage bislang ordnungsgemäß und schadlos gemäß den Technischen Regeln für den Einsatz von berg- baufremden Abfällen als Versatz erfolgt. In NRWwerden beispielsweise die im Versatz genutzten Zemente durch das Landesoberbergamt genehmigt. Wenn die Bundes- regierung nun meint, dass sie hier aus ökologisch zwin- genden Gründen tätig wird, dann muss sie sich schon fra- gen lassen, warum sie drei Jahre untätig geblieben ist, diesen „ökologischen Missstand“ nicht beseitigt hat und jetzt auch noch lange Übergangsfristen zulässt. Die ein- seitige Zuweisung der Abfälle in Salzbergwerke ist zudem nicht nachvollziehbar. Entscheidendes ökologisches Kri- terium ist, zu gewährleisten, dass die Umwelt nicht ge- schädigt wird. Dies ist der Fall, wenn ein Bergwerk über einen Langzeitsicherheitsnachweis verfügt, der den dauer- haften Abschluss der Abfälle von der Biosphäre bestätigt. Im Umweltausschuss hat die Bundesregierung erklärt, dass dies auch in einem Steinkohleversatzbergwerk ge- währleistet werden kann. Deshalb lehnen wir die Berg- versatzverordnung als unnötige Zusatzregelung ab. Bei der Altholzverwertung haben sowohl die betrof- fenen Betriebe als auch die UMK darum gebeten, eine bundeseinheitliche Regelung der Umweltanforderungen zu schaffen. Diese Verordnung wird von uns grundsätz- lich unterstützt. In etlichen Punkten besteht bei der Ver- ordnung allerdings dringend Nachbesserungsbedarf. Für den aus unserer Sicht zentralen Bereich des Möbelrecy- clings haben wir deshalb einen Änderungsantrag gestellt, weil in diesem Bereich viele kleine und mittelständische Unternehmen tätig sind, die alte Möbel hochwertig stoff- lich verwerten. Die Verordnung ordnet Möbelholz aus- schließlich den Kategorien A I oder A III zu, was abseh- bar bewirken wird, dass behandelte Hölzer generell energetisch verwertet werden. Sinnvoll ist es aber, behan- delte Hölzer ohne halogenorganische Verbindungen in der Beschichtung der stofflichen Verwertung zuzuführen und sie nicht zu verbrennen. Im Umweltausschuss wurde gestern vonseiten der Bundesregierung erklärt, dass eine solche Regelung durchaus Sinn machen könne. Die Koalitionsfraktionen haben unseren Antrag aber gleichwohl abgelehnt und wollen für die erforderlichen Änderungen die Beratungen im Bundesrat nutzen. Dieses Verfahren ist eine Missach- tung des Bundestages, die wir ja von Rot-Grün langsam ge- wöhnt sind. Die Koalitionsfraktionen drücken bewusst un- zulängliche Verordnungen durch den Bundestag, um Zeit zu gewinnen. Erst hat man einen großen Teil der Legisla- turperiode verschlafen. Jetzt bekommen Sie angesichts Ih- rer Untätigkeit und großspuriger Ankündigungen im Hin- blick auf den Wahltermin am 22. September kalte Füße. Da Sie leider zu Verbesserungen nicht bereit waren, können wir der Verordnung nicht zustimmen und werden uns enthalten. Eva Bulling-Schröter (PDS): Bei der Altholz- und bei der Versatzverordnung läuft es anscheinend ähnlich wie bei der Gewerbeabfallverordnung: Den letzten Schliff bekommen sie nicht im Bundestag, sondern im Bundes- rat. Die Länder haben nämlich zu beiden Entwürfen etli- che sinnvolle Änderungsanträge gestellt. Wir beraten hier also eine Rohfassung; denn die Bundesregierung hat ja signalisiert, dass sie die Änderungswünsche des Bundes- rates weitgehend übernehmen will. Die schon vor den Bundestagsberatungen geplanten Änderungen sind in- haltlich begrüßenswert, aber vom Verfahren her irgend- wie merkwürdig. Auch aus diesem Grund können wir uns heute nur enthalten. Zum Inhalt: Die Versatzverordnung ist in seiner Ziel- stellung zu begrüßen. Verwertbares muss verwertet und Nichtverwertbares so abgelagert werden, dass keine Um- weltbeeinträchtigungen zu erwarten sind. Unklar ist für uns, warum in der Verordnung letztlich nur Salzgestein als sicher zur dauerhaften Ablagerung angesehen wird. Warum mussten dann seit Beginn des deutschen Salz- bergbaus über 60 Schächte wegen Wassereinbrüchen ge- schlossen werden? Bei der Diskussion um Endlagerstand- orte für den Atommüll spielen außerdem inzwischen auch Granit- und andere Schichten als mögliche Endlager eine Rolle. Warum also die alleinige Fixierung auf Salz? Die Versatzverordnung scheint uns außerdem zu viele Abfälle der Kreislaufwirtschaft zu entziehen. Moderne und innovative biologische Verfahren zur Aufbereitung kontaminierter Abfälle haben so weniger Chancen. Bei dem Streit zwischen Bergwerks- und Deponiebetreibern sowie Verbrennungsanlagen um das Geschäft mit proble- matischen Abfällen drohen biologische Verfahren auf der Strecke zu bleiben. Die Altholzverordnung soll das Chaos beim Holzrecy- cling und bei der Holzverbrennung beenden. Dies ist be- grüßenswert. Die Gleichstellung der energetischen mit der stofflichen Verwertung in der Verordnung ist für uns aber problematisch. Aus Sicht des Klimaschutzes sind beide Wege sicher neutral. Aber gilt dies auch umweltpo- litisch? Es stimmt zwar, dass bei der Verbrennung von Holz – über den gesamten „Lebenszyklus“ des Holzes betrachtet – kein zusätzliches CO2 ausgestoßen wird, weilbeim Wachsen CO2 gebunden wird. Aber mehr Verbren-nung heißt weniger stoffliches Holzrecycling. Und dies wird den Druck auf Frischholz erhöhen. Und da vor allem die großen hungrigen Verbrennungsanlagen die 17. BImschV erfüllen, also ohne große Dokumentations- pflichten alles verbrennen können, sehen wir hier einen Kamineffekt in Richtung Vorrang der Verbrennung. Zudem gilt die Altholzverordnung nicht für die grenz- überschreitende Verbringung von Altholz. Das ist bedau- erlich; denn hier öffnet sich ein großes Schlupfloch für Ökodumping. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 224. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. März 200222322 (C) (D) (A) (B) Gila Altmann, Parl. Staatsekretärin beim Bundesmi- nister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit: Die Koalition will mit der Kreislaufwirtschaft Ernst ma- chen. Unser Ziel ist die Förderung der schadlosen und hochwertigen Verwertung von Abfällen. Dazu gilt es, auch für die Verwertung rechtsverbindliche Anforderun- gen festzulegen. Nach der Gewerbeabfallverordnung und der Novelle der Altölverordnung werden der Abfallwirt- schaft mit den beiden Verordnungen zu Altholz und zum Bergversatz klare Rahmenbedingungen gesetzt. Diese Stra- tegie der Bundesregierung entspricht auch dem Wunsch der Umweltministerkonferenz des Bundes und der Länder. In der Altholzverordnung werden die Anforderungen an eine ordnungsgemäße, schadlose und hochwertige Verwer- tung von Altholz festgelegt. Mit der Verordnung werden häufig beklagte umweltbelastende Entsorgungswege von Altholz in der Form so genannter Chaoshaufen beendet. Es geht um viel Holz – jährlich rund 18 Millionen Tonnen. Altholz aus der Verarbeitung von Holz und Holzwerk- stoffen sowie in der Form von zu Abfall gewordenen Pro- dukten aus Holz wie Möbeln, Kisten und Paletten oder Holz aus dem Baubereich wird durch die Verordnung je- weils einer von vier Altholzkategorien zugeordnet. Diese Zuordnung orientiert sich an der Herkunft und an der Be- schaffenheit des Altholzes. Sodann werden die gängigen Verfahren der stofflichen und der energetischen Verwer- tung von Altholz benannt und jeweils festgelegt, welche Altholzart in welchen Verfahren eingesetzt werden darf – und welche nicht. Für diese Zuordnung gibt es klare Re- gelungen für die Getrennthaltung, für die Sortierung und Identifizierung, und zwar so, dass auf komplizierte, feh- lerbehaftete und auch kostenaufwendige Probenahme- und Analyseverfahren weitgehend verzichtet werden kann. Solche unpraktikablen Verfahren würden Altholz al- lein schon aus Kostengründen von einer Verwertung fern- halten oder lediglich den Export in Nachbarländer fördern. Vor dem Hintergrund des Energieeinspargesetzes und der Biomasseverordnung ist davon auszugehen, dass in Zukunft Altholz in stärkerem Umfang zur Verstromung eingesetzt wird und damit einen Beitrag zum Klimaschutz leistet. Gleichwohl wird durch die Verordnung auch die umweltverträgliche stoffliche Verwertung von Altholz zur Herstellung von Holzwerkstoffen, wie etwa Spanplatten, gestärkt. Dafür bestehen nunmehr klare Regeln und Vor- schriften. Zum Einsatz für diesen Hauptzweck der stoff- lichen Altholzverwertung kommt nur unbelastetes oder von Schad- und Störstoffen entfrachtetes Altholz infrage. Hierfür gelten Probenahme- und Analysevorschriften mit Schadstoffgrenzwerten, die unterschritten werden müs- sen. Damit ist gewährleistet, dass auf diesem Verwer- tungsweg von Altholz nur Produkte entstehen, die tatsäch- lich für die Umwelt und für die Gesundheit der Menschen unbedenklich sind. Für die Einhaltung der Vorgaben der Altholzverord- nung wird die Eigenverantwortung der Betriebe einerseits gestärkt, andererseits müssen diese ihr Tun und Handeln aber auch dokumentieren und damit nachprüfbar für die Vollzugsbehörden machen. Hinzu kommen periodische Fremdkontrollen durch Sachverständige, die von den Vollzugsbehörden der Länder bestimmt werden. Die Bundesregierung hat den Entwurf der Altholzver- ordnung wie üblich gegenüber der Kommission der Euro- päischen Gemeinschaften notifiziert. Von dort kamen in- nerhalb der Stillhaltefrist keine Einwendungen, sodass EU-Vorschriften dem In-Kraft-Setzen der Verordnung nicht entgegenstehen werden. Im Gegenteil: Die deutsche Altholzverordnung ist die erste Regelung für diesen Ab- fallbereich in Europa. Es wäre wünschenswert und es gibt auch Anzeichen dafür, dass diese Regelung zum Anlass für eine europäische Vorschrift für die Entsorgung von Altholz wird. Damit ließen sich auch definitiv Probleme beseitigen, die bislang beim Export von Altholz in andere EU-Staaten auftreten können, weil dort keine vergleich- baren Anforderungen an die umweltverträgliche Verwer- tung derartiger Abfälle existieren. Die Verordnung über den Versatz von Abfällen unter Tage ist notwendig. Die Mengen der auf diese Weise in Bergwerken entsorgten Sonderabfälle steigt seit dem Be- ginn vor etwa zehn Jahren kontinuierlich an. 1994 lag der Anteil der Sonderabfälle am Bergversatz bei 20 Prozent, 1999 waren es bereits über 50 Prozent. So wird ein be- trächtliches Schadstoffpotenzial in deutsche Bergwerke eingebracht. Und dabei handelt es sich nicht nur um Salz- bergwerke, die den Sicherheitsanforderungen an Unter- tagedeponien entsprechen. Gerade auch in Kohle- und Erzbergwerken werden erhebliche Mengen von gefähr- lichen Abfällen, zum Beispiel Filterstäube aus Müllver- brennungsanlagen, eingebracht. SolcheStandortewären als Untertagedeponien nicht genehmigungsfähig. Hier gilt es, für untertägige Verwertungsanlagen den gleichen Sicher- heitsstandard wie für Untertagedeponien festzulegen. Schadstoffhaltige Abfälle werden in Zukunft aus- schließlich in Salzbergwerken versetzt werden dürfen, wenn dort deren dauerhafter Abschluss von der Biosphäre durch einen Langzeitsicherheitsnachweis gewährleistet ist. An anderen Standorten dürfen nur noch Abfälle zum Einsatz kommen, die wegen ihres geringen Schadstoffge- haltes auch zum Beispiel im Straßen- und Landschaftsbau verwendet werden dürfen. Wir wenden also den Sicher- heitsstandard an, der mit der TAAbfall 1991 für Unterta- gedeponien festgelegt wurde. Er wird übrigens in gleicher Weise durch die gestern vom Kabinett verabschiedete Deponieverordnung rechtsverbindlich fixiert. Es ist die Sicherheitsphilosophie, dass Abfälle durch Salzgestein so eingeschlossen werden, dass sie gar nicht erst mit Grund- oder Grubenwasser in Kontakt kommen. Kohlebergwerke bieten diese Sicherheit nicht. Ökologisch nicht akzeptabel ist auch der Entzug von recycelbaren Metallen aus dem Wirtschaftskreislauf durch deren Einsatz als Versatzmaterial. Es ist unsinnig, wenn Zink aus Roherzen mit einer Konzentration von 5 bis 7 Pro- zent abgebaut, aufbereitet und nach Deutschland verschifft wird und gleichzeitig Filterstäube aus Stahlwerken mit Zinkgehalten von 15 bis 30 Prozent in Bergwerke eingela- gert werden. Die Verordnung verlangt, dass metallhaltige Abfälle vorrangig recycelt werden müssen. Die Versatzverordnung schafft Rechtssicherheit, sorgt für ein hohes Sicherheitsniveau und lenkt Abfallströme in die richtige Richtung. Ich bitte um Ihre Zustimmung zu beiden Verordnungs- entwürfen. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 224. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. März 2002 22323 (C) (D) (A) (B) Druck: MuK. Medien- und Kommunikations GmbH, Berlin
Gesamtes Protokol
Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1422400000
Guten
Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Sitzung ist
eröffnet.

Bevor wir mit unserer Arbeit beginnen, darf ich Sie bit-
ten, sich von den Plätzen zu erheben.


(Die Anwesenden erheben sich)

Am 2. März 2002 ist der ehemalige Bundestagsabge-

ordnete und spätere Wehrbeauftragte des Deutschen Bun-
destages, Fritz-Rudolf Schultz, im Alter von 85 Jahren
verstorben.

Fritz-Rudolf Schultz wurde 1917 in München geboren.
Nach Kriegsteilnahme und Kriegsgefangenschaft leitete
Fritz-Rudolf Schultz zunächst das elterliche Weingut in
Gau-Bischofsheim bei Mainz, bis er sich 1947 als Mit-
glied des Gemeinderates erstmals politisch engagierte.
1952 wurde er Mitglied des Kreistages, 1953 Landtags-
abgeordneter der FDP in Rheinland-Pfalz. Von 1957 an
war er Mitglied des Deutschen Bundestages.

Sehr engagiert vertrat Fritz-Rudolf Schultz die Interes-
sen der Soldaten in seiner Amtszeit als Wehrbeauftragter
des Deutschen Bundestages von 1970 bis 1975. Dabei war
er ein kompetenter und zugleich sehr fürsorglicher Sach-
walter der Belange der Soldaten gegenüber ihrem
Dienstherrn, aber auch ein vehementer Vertreter seines
Amtes gegenüber dem Parlament. Seine Forderung nach
umfassenderer politischer Bildung des „Bürgers in Uni-
form“ wurde, wie man heute rückblickend feststellen
kann, wirksam umgesetzt.

Nach seiner Amtszeit als Wehrbeauftragter zog sich
Fritz-Rudolf Schultz aus dem politischen Leben zurück
nach Gau-Bischofsheim, wo er am 2. März verstarb.

Wir werden ihm ein ehrendes Andenken bewahren.
Sie haben sich zu Ehren des Verstorbenen von Ihren

Plätzen erhoben; ich danke Ihnen.
Nun möchte ich der Kollegin Anni Brandt-Elsweier

nachträglich zu ihrem 70. Geburtstag, der Kollegin
Antje-Marie Steen zu ihrem 65. Geburtstag sowie den
beiden Kollegen Joachim Tappe und Peter Friedrich

(Altenburg) jeweils zu ihrem 60. Geburtstag sehr herzlich


gratulieren und die besten Wünsche des Hauses aus-
sprechen.


(Beifall)

Sodann müssen wir einige Wahlen zu Gremien vor-

nehmen.
Die Amtszeit des jetzigen Verwaltungsrates der Deut-

schen Ausgleichsbank endet am 10. Juni dieses Jahres.
Gemäß § 7 Abs. 1 Satz 2 des Ausgleichsbankgesetzes
werden fünf Mitglieder vom Deutschen Bundestag in
den Verwaltungsrat der Deutschen Ausgleichsbank ent-
sandt.

Die Fraktion der SPD, die das Vorschlagsrecht für drei
Mitglieder hat, verzichtet zugunsten der Fraktion des
Bündnisses 90/Die Grünen auf die Benennung eines
Mitglieds. Für den Verwaltungsrat der Deutschen
Ausgleichsbank werden demnach benannt: von der Frak-
tion der SPD die Abgeordneten Dr. Rainer Wend
und Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk, von der Fraktion der
CDU/CSU die Abgeordneten Dietrich Austermann
und Bartholomäus Kalb sowie von der Fraktion des
Bündnisses 90/Die Grünen die Abgeordnete Christine
Scheel. Sind Sie damit einverstanden? – Ich höre keinen
Widerspruch. Damit sind die genannten Kolleginnen und
Kollegen als Mitglieder in den Verwaltungsrat der Deut-
schen Ausgleichsbank entsandt.

Aus dem Gemeinsamen Ausschuss gemäß Art. 53 a des
Grundgesetzes tritt der Kollege Dr. Ditmar Staffelt als
stellvertretendes Mitglied aus. Als Nachfolger schlägt die
Fraktion der SPD den Kollegen Dr. Rainer Wend vor. Sind
Sie damit einverstanden? – Ich höre keinen Widerspruch.
Dann ist der Kollege Dr. RainerWend als stellvertreten-
des Mitglied im Gemeinsamen Ausschuss bestimmt.

Aus dem Gremium gemäß Art. 41 Abs. 5 des Außen-
wirtschaftsgesetzes scheidet der Kollege Dr. Ditmar
Staffelt ebenfalls aus. Auch hierfür schlägt die Fraktion
der SPD den Kollegen Dr. Rainer Wend vor. Sind Sie
auch hiermit einverstanden? – Ich höre keinen Wider-
spruch. Dann ist der Kollege Dr. Rainer Wend als Mitglied
im genannten Gremium bestimmt.

22177


(C)



(D)



(A)



(B)


224. Sitzung

Berlin, Donnerstag, den 14. März 2002

Beginn: 9.00 Uhr

Interfraktionell ist vereinbart worden, die verbundene
Tagesordnung zu erweitern. Die Punkte sind in der Ihnen
vorliegenden Zusatzpunktliste aufgeführt:

1. Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion der CDU/CSU:
Milliardendefizit in der gesetzlichen Krankenversicherung

(223. Sitzung)


2. a) – Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Verlängerung von
Übergangsregelungen im Bundessozialhilfegesetz – Druck-
sache 14/8010 – (Erste Beratung 212. Sitzung)


– Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der SPD
und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN eingebrachten
Entwurfs eines Gesetzes zur Verlängerung von Über-
gangsregelungen im Bundessozialhilfegesetz – Drucksa-
che 14/7280 – (Erste Beratung 199. Sitzung)


Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit
und Sozialordnung (11. Ausschuss) – Drucksache 14/8531 –
Berichterstattung:
Abgeordneter Dr. Heinrich L. Kolb

b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Aus-
schusses für Arbeit und Sozialordnung (11. Ausschuss)

– zu dem Antrag der Fraktionen der SPD und des BÜNDNIS-
SES 90/DIE GRÜNEN: Fördern und Fordern – Sozial-
hilfe modern gestalten

– zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Heinrich L. Kolb, Dirk
Niebel, Dr. Irmgard Schwaetzer, weiterer Abgeordneter und
der Fraktion der FDP: Für eine Reintegration von Sozial-
hilfeempfängern in den Arbeitsmarkt – Anreize für die
Rückkehr in das Erwerbsleben erhöhen

– zu dem Antrag der Abgeordneten Pia Maier, Dr. Barbara
Höll, Dr. Klaus Grehn, weiterer Abgeordneter und der Frak-
tion der PDS: Die Sozialhilfe armutsfest gestalten – Druck-
sachen 14/7293, 14/5982, 14/7298, 14/8531 –

Berichterstattung:
Abgeordneter Dr. Heinrich L. Kolb

3. Weitere Überweisungen im vereinfachten Verfahren

(Ergänzung zu TOP 20).


a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Renate Blank, Dirk
Fischer (Hamburg), Eduard Oswald, weiterer Abgeordneter
und der Fraktion der CDU/CSU: Verbesserung der Schiff-
fahrtsverhältnisse im Donauabschnitt zwischen Straubing
und Vilshofen – Drucksache 14/8484 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen (f)

Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Haushaltsausschuss

b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Hans-Michael
Goldmann, Horst Friedrich (Bayreuth), Dr. Karlheinz
Guttmacher, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP:
Ausbau der Donau zwischen Straubing und Vilshofen –
Drucksache 14/8497 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen (f)

Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Haushaltsausschuss

c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Michael Meister,
Dirk Fischer (Hamburg), Eduard Oswald, weiterer Abgeordne-
ter und der Fraktion der CDU/CSU: Notwendigkeit des Saale-
ausbaus – Drucksache 14/8485 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen (f)

Ausschuss für Angelegenheiten der neuen Länder
Haushaltsausschuss

4. Beratung des Antrags der Abgeordneten Hermann Gröhe,
Monika Brudlewsky, Dr. Heiner Geißler, weiterer Abgeordne-

ter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten
Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Dr. Helmut Haussmann,
Dr. Klaus Kinkel, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der
FDP: Den Friedensprozess im Sudan in Gang setzen und
nachhaltig fördern – Drucksache 14/8481 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe (f)

Auswärtiger Ausschuss
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung

5. Beratung des Antrags der Abgeordneten Hermann Gröhe,
Monika Brudlewsky, Dr. Heiner Geißler, weiterer Abgeordne-
ter und der Fraktion der CDU/CSU: Lage derMenschen- und
Minderheitenrechte in Vietnam – Drucksache 14/8483 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe (f)

Auswärtiger Ausschuss
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung

6. Beratung des Antrag der Abgeordneten Dr. Helmut Haussmann,
Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Hildebrecht Braun

(Augsburg), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP:

Für eine China-Resolution der Europäischen Union auf der
58. VN-Menschenrechtskommission – Drucksache 14/8486 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe (f)

Auswärtiger Ausschuss
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung

7. Beratung des Antrags der Abgeordneten Carsten Hübner, Petra
Bläss, Wolfgang Gehrcke, weiterer Abgeordneter und der Frak-
tion der PDS: Konkrete Maßnahmen zur Stärkung wirt-
schaflicher, sozialer und kultureller Rechte ergreifen –
Drucksache 14/8502 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe (f)

Innenausschuss
Rechtsausschuss
Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Ausschuss für Kultur und Medien

8 Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Aus-

(15. Ausschuss)

burg), Dr.-Ing. Dietmar Kansy, Eduard Oswald, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU: Weißbuch
über Harmonisierungsdefizite bei Verkehrsdienstleistun-
gen – Drucksachen 14/4378, 14/8378 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Karin Rehbock-Zureich

9. Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Aus-

(15. Ausschuss)

Weißbuch; Die europäische Verkehrspolitik bis 2010:
Weichenstellungen für die Zukunft KOM (2001) 370 endg.;
Ratsdok. 11932/01 – Drucksachen 14/7409 Nr. 2.38, 14/8480 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Karin Rehbock-Zureich

10. Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des
Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit

(16. Ausschuss) zu der Verordnung der Bundesregierung: Ver-

ordnung über den Versatz von Abfällen unter Tage zur Än-
derung von Vorschriften zum Abfallverzeichnis – Drucksa-
chen 14/8197, 14/8321, Nr. 2.1, 14/8523 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Rainer Brinkmann (Detmold)

Werner Wittlich
Michaele Hustedt
Birgit Homburger
Eva Bulling-Schröter




Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
22178


(C)



(D)



(A)



(B)


11. Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Aus-
schusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit

(16. Ausschuss) zu der Verordnung der Bundesregierung: Ver-

ordnung über die Entsorgung von Altholz – Drucksachen
14/8198, 14/8321 Nr. 2.2, 14/8522 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Rainer Brinkmann (Detmold)

Franz Obermeier
Michaele Hustedt
Birgit Homburger
Eva Bulling-Schröter

12. Beratung des Antrags der Abgeordneten Klaus-Jürgen Hedrich,
Dr. Norbert Blüm, Siegfried Helias, weiterer Abgeordneter und
der Fraktion der CDU/CSU: Mit der Internationalen Konfe-
renz überEntwicklungsfinanzierung den Abwärtstrend der
Finanzmittel für nachhaltige Entwicklung umkehren –
Drucksache 14/8482 –

13. Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Aus-
schusses für Wirtschaft und Technologie (9. Ausschuss) zu dem
Antrag der Abgeordneten Klaus Wiesehügel, Dieter Maaß

(Herne),Dr.AxelBerg,weitererAbgeordneter der Fraktionen der

SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN: Zukunft der
deutschen Bauwirtschaft – Drucksachen 14/7297, 14/8506 –
Berichterstattung:
Abgeordneter Klaus Wiesehügel

14. Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Aus-
schusses für Wirtschaft und Technologie (9. Ausschuss) zu dem
Antrag der Abgeordneten Rainer Brüderle, Hans-Michael
Goldmann, Horst Friedrich (Bayreuth), weiterer Abgeordneter
undderFraktionderFDP:MehrChancen fürdieBauwirtschaft
durch weniger Regulierung – Drucksachen 14/7458, 14/8507–
Berichterstattung:
Abgeordneter Dr. Hansjürgen Doss

15. Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten Uwe Hiksch,
Christine Ostrowski, Rolf Kutzmutz und der Fraktion der PDS:
Zukunft derBauwirtschaft –Drucksachen 14/7135, 14/8498 –

Von der Frist für den Beginn der Beratung soll, soweit
erforderlich, abgewichen werden.

Weiterhin wurde vereinbart, den Tagesordnungs-
punkt 17 – Onlinewahlen – bereits heute nach Tages-
ordnungspunkt 7 aufzurufen.

Außerdem sollen die Tagesordnungspunkte 3 b, 10,
21 a und 21 d abgesetzt werden.

Des Weiteren mache ich auf eine nachträgliche Aus-
schussüberweisung im Anhang zur Zusatzpunktliste auf-
merksam:

Der in der 221. Sitzung des Deutschen Bundestages
überwiesene nachfolgende Gesetzentwurf soll zusätzlich
dem Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung zur Mitbe-
ratung überwiesen werden.

Gesetzentwurf der Abgeordneten Willi Brase,
Klaus Barthel (Starnberg), Hans-Werner Bertl,
weiteren Abgeordneten und der Fraktion der SPD
sowie der Abgeordneten Christian Simmert, Hans-
Josef Fell, Dr. Reinhard Loske, weiteren Abgeord-
neten und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE
GRÜNEN zur Änderung des Berufsbildungs-
gesetzes und des Arbeitsgerichtsgesetzes
– Drucksache 14/8359 –
überwiesen:
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgen-
abschätzung (f)

Rechtsausschuss
Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend

Sind Sie mit den Vereinbarungen einverstanden? – Ich
höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.

Jetzt rufe ich den Tagesordnungspunkt 3 a auf:
Abgabe einer Erklärung durch die Bundesregie-
rung
Auf dem Weg in eine verbraucherorientierte
Marktwirtschaft

Es liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion der FDP
vor.

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die
Aussprache im Anschluss an die Regierungserklärung an-
derthalb Stunden vorgesehen. – Ich höre keinen Wider-
spruch. Dann ist so beschlossen.

Das Wort zur Abgabe einer Regierungserklärung hat
die Bundesministerin für Verbraucherschutz, Ernährung
und Landwirtschaft, Renate Künast.

Renate Künast, Bundesministerin für Verbrau-

(vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie von Abgeordneten der SPD mit Beifall begrüßt)

ehrte Abgeordnete! Meine Damen und Herren! Ver-
braucherschutz betrifft alle. Immer mehr Menschen wol-
len wissen, wie Produkte hergestellt werden, welche
Inhaltsstoffe diese haben, kurz: Sie wollen wissen, was
drin ist. Verbraucherschutz ist mittlerweile ein interna-
tionales Thema. Denken Sie nur an die internationalen
Warenströme: Man konsumiert Lebensmittel hier; die
Produktionsstätte liegt aber möglicherweise am anderen
Ende des Globus. Deshalb ist Verbraucherschutz immer
auch globale Politik.

Wir gestalten eine moderne Verbraucherpolitik. Sie ist
übrigens für die Verbraucher, für die Umwelt, für die
Arbeitsplätze und für eine dynamische Wirtschaftsent-
wicklung entscheidend.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Eine moderne Verbraucherpolitik will dabei gerade den
vorsorgenden Verbraucherschutz weiterentwickeln.
Die Bürgerinnen und Bürger müssen auf zwei Dinge ver-
trauen können:

Erstens. Die angebotenen Produkte sind gesundheitlich
unbedenklich und sicher. Wir alle wissen, dass das in den
vergangenen Jahren nicht immer der Fall war.

Zweitens. Die rechtlichen Voraussetzungen zur Wah-
rung ihrer wirtschaftlichen Interessen sind ordentlich ge-
sichert. Meines Erachtens hat dabei der Schutz der Ver-
braucher bei Gesundheitsgefährdungen – wir haben das
umgesetzt – immer absoluten Vorrang vor wirtschaftli-
chen Interessen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Das heißt, beim vorsorgenden Verbraucherschutz geht
es um den gesundheitlichen Verbraucherschutz, um den
wirtschaftlichen Verbraucherschutz und darum, dass




Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms

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(D)



(A)



(B)


Verbraucher vor Vertragsabschlüssen die notwendigen In-
formationen bekommen und vor Täuschung geschützt
werden. Für die Bundesregierung gehört dazu auch, die
Selbstbestimmung der Verbraucher zu stärken.

In einer freiheitlichen Gesellschaft hat jeder Bürger,
jede Bürgerin das Recht, das Leben nach eigenen Wün-
schen und Werten zu gestalten. Die Verbraucherpolitik
dieser Bundesregierung soll für die selbstbestimmten
Entscheidungen der Verbraucher als Marktteilnehmer
die rechtlichen und informationellen Voraussetzungen
schaffen.

Unser gesellschaftliches Ziel ist, eine ökologisch ori-
entierte, soziale Marktwirtschaft verbrauchergerecht um-
zusetzen. Darin liegen keine Gefahren, wie manche be-
haupten, sondern Chancen, und zwar für diejenigen, die
sich darum bemühen, am Markt erfolgreich zu sein, in-
dem sie Sicherheit und Anforderungen der Verbraucher
mit der Qualität ihrer Produkte verbinden.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Die Bundesregierung hat im letzten Jahr zur Erreichung
dieses Ziels viel getan. Ich beginne mit dem gesundheit-
lichen Verbraucherschutz. Hier muss der Staat Garant
für Sicherheit und Wahlfreiheit sein, also für die Möglich-
keit der Verbraucher, sich zwischen verschiedenen Pro-
dukten entscheiden zu können.

Wir haben als Erstes mit der Reorganisation des Ver-
braucherschutzes begonnen. Wir alle wissen: Die Vorgän-
gerregierung hat so manche Behörde zerschlagen. Der
Schutz wurde dezentralisiert mit dem Ergebnis, dass ein
großes Durcheinander entstanden ist.


(Friedrich Merz [CDU/CSU]: Das ist bei Ihnen jetzt alles besser geworden!)


– Na ja, Herr Merz. Sie wissen, wer Herr Seehofer ist und
was er im gesundheitlichen Verbraucherschutz angerich-
tet hat, nicht wahr?


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Denken Sie doch einmal an die Landwirte. Die hätten so
manches Problem und so manchen Einkommenseinbruch
nicht gehabt.


(Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Wir haben mit der Reorganisation des gesundheit-

lichen Verbraucherschutzes begonnen und setzen dieses
neue Bewusstsein um – Vorbeugung, Kooperation und
Transparenz. Es wurden zwei Einrichtungen geschaffen,
in denen alle Aufgaben gebündelt und konzentriert wer-
den: die unabhängige Risikobewertung und Risikoein-
schätzung und davon unabhängig das Risikomanagement
zum Nutzen der Verbraucher.

Meines Erachtens kann es bei der Gesundheit der Men-
schen keine Abwägung und keine Kompromisse geben.
Hier gilt: Der gesundheitliche vorbeugende Verbraucher-
schutz hat höchste Priorität. So verstehen wir den Auftrag
des Von-Wedel-Gutachtens.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Wir haben per Organisationserlass seit dem 1. Januar die-
ses Jahres bereits ein Bundesinstitut für Risikobewer-
tung eingerichtet, das seine Arbeit ohne politische und
ohne wirtschaftliche Einflussnahme vornimmt. Das sind
wir den Menschen schuldig. Dieses Institut wird eine neue
Kultur schaffen, nämlich eine öffentliche wissenschaftli-
che Debatte, an der alle guten Wissenschaftlerinnen und
Wissenschaftler teilnehmen können. Das ist keine Ge-
heimphilosophie, sondern die Menschen haben das Recht,
die wissenschaftlichen Überlegungen zur Gesundheit von
Produkten und Lebensmitteln nachvollziehen zu können.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Wir haben aber noch mehr Instrumente, nicht nur diese
beiden neuen Behörden: Wir nutzen auch das Instrument
der Verbraucherorientierung über Siegel, ein Instrument,
das der Markt in der Vergangenheit selber gesucht hat,
teilweise in einzelnen Segmenten. Wir haben dazu beige-
tragen, dass sich die einzelnen Produktionsstufen zusam-
mentun und gemeinsam etwas entwickeln. Wir machen
das bei Lebensmitteln; wir haben es beim umweltfreund-
lichen Bauen und auch bei Handys begonnen.

Das Biosiegel,meine Damen und Herren, ist bereits ein
voller Erfolg.


(Widerspruch bei der CDU/CSU und der FDP – Gudrun Kopp [FDP]: Ein staatlich finanziertes Marketing!)


Es ist Vorreiter im Lebensmittelbereich. Wir werden
schon bald ein entsprechendes Zeichen im konventionel-
len Bereich haben, weil die Wirtschaft verstanden hat,
sich zusammenzutun und Verbraucherinformationen zu
geben, und damit erfolgreich ist.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Zurufe von der FDP)


– Ich weiß gar nicht, weshalb Sie aus der FDP dazwi-
schenrufen. Sie wollen doch immer, dass die Wirtschaft
selbst etwas tut. Nun sind Sie wahrscheinlich neidisch,
dass Sie in jahrzehntelanger Regierungsbeteiligung nicht
selber darauf gekommen sind. Oder?


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Lachen bei der CDU/CSU und der FDP)


Mit den neuen Einrichtungen haben wir meines Erach-
tens einen großen Schritt getan. Das geht nicht immer
ohne Konflikte. Vielleicht, Herr Carstensen, haben Sie es
deshalb nie angepackt. Wir haben es angepackt; wir ste-
hen die Konflikte durch und wir machen weiter.

Ich weiß eines: Die Verbraucher erleben immer wie-
der Skandale. Es gibt Probleme im Lebensmittelbereich
und bei Gegenständen des Alltags. Die öffentliche Aus-
einandersetzung über dieses Thema und seine Bearbei-
tung spricht nicht unbedingt für mehr Skandale, sondern
erst einmal für mehr Verbraucheraufklärung, für mehr
Kontrolle und für ein geschärftes Verbraucherbewusst-
sein.

Ich will Ihnen das am Beispiel Chloramphenicol bei
den Shrimps zeigen. Was hat sich da verändert? Die ein-




Bundesministerin Renate Künast
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deutige öffentliche Meinung und konsequentes staatliches
Handeln haben dazu geführt, dass wir nicht nur – –


(Zuruf von der CDU/CSU: Nachdem Sie wachgeküsst worden sind!)


– Da kommt jetzt der Zuruf: „Nachdem Sie wachgeküsst
worden sind!“ Wissen Sie was? Sie sitzen hier wie Dorn-
röschen. Sie hat noch nie jemand wachgeküsst.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Dr. Peter Ramsauer [CDU/CSU]: Sie Bauernschreck müssen so etwas sagen!)


Sie hatten jahrelang Zeit, 16 Jahre Regierungsbeteiligung
der CDU/CSU, und Sie wollen mir weismachen, dass Sie
wie Dornröschen im tiefen Schlaf nie Informationen da-
rüber bekommen haben, was in der Lebensmittelproduk-
tion in China passiert. Verkaufen Sie sich doch nicht un-
ter Wert! Sie haben es nicht angepackt. Das ist die
Wahrheit!


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Ich weiß, dass in der Organisation nicht alles richtig
gelaufen ist. Das dürfen Sie gern noch einmal sagen. Frau
Widman-Mauz sagt es auch gern, weil sie sonst nichts zu
sagen hat. Die öffentliche Meinung haben eindeutig wir
bestimmt. Wir haben in Brüssel dafür gesorgt, dass sämt-
liche tierische Produkte aus China untersucht werden. Wir
haben das Problem festgestellt und für einen Importstopp
gesorgt. Es hat sich gezeigt, dass das funktioniert: Die
Volksrepublik China hat nun zugesagt, weil sie am Welt-
handel teilnehmen möchte, gänzlich auf Chlorampheni-
col, ein Breitbandantibiotikum, zu verzichten. Das hätten
wir schon zehn Jahre vorher haben können. Sie, meine
Damen und Herren, haben es aber nicht angepackt.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Das zeigt doch ganz klar, dass Lebensmittelsicherheit nur
global zu erreichen ist; auch diese Frage spielte ja global
eine Rolle, weil China nach Europa und in viele andere
Länder exportierte. Wenn man das Thema aber systema-
tisch und beharrlich angeht, findet man Wege, Verbrau-
cherschutz durchzusetzen.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD)


Wir wissen: Mittlerweile sind sich die Verbraucher ih-
rer Möglichkeiten bewusst; gerade im Bereich des wirt-
schaftlichen Verbraucherschutzes setzen sie in erster
Linie auf sich selbst und die Vertretung ihrer eigenen
Interessen. Ich will das einmal an einem konkreten Bei-
spiel verdeutlichen: Bei einer Befragung sahen sich mehr
als zwei Drittel der Befragten durch ihre Interessen-
vertretungen wie Verbraucherinitiativen und -verbände
vertreten. 57 Prozent, also die Mehrheit, bevorzugt immer
noch Hilfe zur Selbsthilfe und eigene Urteilsbildung. Ge-
rade im wirtschaftlichen Verbraucherschutz wollen wir
deshalb die Interessensvertretungen stärken, aber auch die
Verbraucher bei den Einschätzungen und Bewertungen,
die sie selber vornehmen, unterstützen.

Damit alle Verbraucherorganisationen, die wir mit
Bundesmitteln fördern, noch leistungsstärker werden
und ihren zukünftigen Aufgaben gewachsen sind, haben
wir neue Strukturen geschaffen. Durch die Gründung ei-
ner Dachorganisation, der Verbraucherzentrale Bun-
desverband e. V., konnte eine Vernetzung aller 35 Orga-
nisationen des Verbraucherschutzes erreicht werden.
Der Bundeshaushalt 2002 setzt ein klares Signal zur
Stärkung der Organisation und der Information. Allein
für die institutionelle Förderung des Bundesverbandes
haben wir 8,75 Millionen Euro eingeplant, für die Stif-
tung Warentest 5,8 Millionen Euro. Das ist noch nicht al-
les. Der Zusammenschluss hat sich so schnell etabliert,
dass der Bundesverband mittlerweile Partner in vielen
Fragen, zum Beispiel bei entwicklungspolitischen Pro-
jekten des BMZ, ist. Verbraucherschutz ist ein globales
Thema und betrifft auch die Entwicklungsländer. Die
Kooperation von staatlichen und zivilgesellschaftlichen
Akteuren ist der richtige Weg, Verbraucherschutz welt-
weit umzusetzen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Wir haben im Kabinett gestern ein Verbraucherinfor-
mationsgesetz beschlossen. Damit hat sich die Tür weit
geöffnet. Mit diesem Gesetz wird erreicht, dass Verbrau-
cher endlich in bestimmten Bereichen – –


(Dr. Uwe-Jens Rössel [PDS]: Den ersten Entwurf fand ich besser!)


– Machen Sie doch erst mal in den Ländern, in denen die
PDS an der Regierung beteiligt ist, einen Hauch davon
vor.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Dass der erste Entwurf noch besser war, stimmt. Ich freue
mich, dass die Länder, in denen die PDS mitregiert, im
Bundesrat dafür Sorge tragen werden, dass möglichst
schnell möglichst viel davon durchkommt.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD – Zuruf von der PDS)


– Das ist ja gut, wenn Sie es tun.
Dieses Gesetz wird den Verbrauchern selbstbestimm-

tes Verhalten als Marktteilnehmern erleichtern. Die
Behörden können in unklaren Risikolagen natürlich unter
Berücksichtigung von Art. 14 Grundgesetz – Recht am
eingerichteten Gewerbebetrieb – eine Abwägung vorneh-
men und eine aktive Informationspolitik betreiben.


(Gudrun Kopp [FDP]: Eben! Also im Zweifel nichts sagen!)


Eines ist doch klar: Es kann doch nicht wie in der Ver-
gangenheit so sein, dass die Medien wild und ohne Ende
herumspekulieren und die Behördenvertreter mit einem
Pflaster auf dem Mund dastehen und sich nicht äußern
dürfen. Genau das ändern wir unter Wahrung der Rechte
der Marktteilnehmer.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)





Bundesministerin Renate Künast

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(B)


Das heißt: Ende der Verschwiegenheitsphilosophie man-
cher Behörden in diesem Land; Staat ist Dienst an der Be-
völkerung. Dieses Gesetz setzt das um.

Natürlich sollte man weitergehen und dieses auf alle
Produkte und Dienstleistungen ausdehnen. Aber Sie wis-
sen – das ist, wie ich glaube, ein altes chinesisches Sprich-
wort –: Jede große Reise beginnt mit dem ersten Schritt.
Wir haben ihn getan.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD)


Es gilt, diese Schritte nicht nur auf nationaler Ebene zu
tun. Der europäische Binnenmarkt ist an der einen oder
an der anderen Stelle längst weiter; zugleich sind wir aber
auch treibende Kraft auf diesem Markt.


(Gudrun Kopp [FDP]: Trudelnde Kraft!)

Wir wollen, dass der Staat beim wirtschaftlichen Ver-

braucherschutz Anwalt der Verbraucher ist. Er muss die
Wahlfreiheit durch Information erreichen, Transparenz
herstellen und sicherstellen, dass die Verbraucher – ich
sage es einmal salopp – nicht über den Tisch gezogen wer-
den. Das Vertrauen der Verbraucher ist nicht etwas, was
sich gegen die Wirtschaft richtet. Es muss vielmehr Be-
standteil einer soliden und zukunftsfähigen Wirtschafts-
politik sein.

Schauen Sie sich einmal an, an wen in diesem Jahr die
Nobelpreise vergeben wurden. Im Bereich Wirtschafts-
wissenschaften sieht man, was das globale Thema ist:
Preisträger in diesem Jahr sind die Begründer der moder-
nen Informationsökonomie. Das heißt, dass Ökonomie
und Information zusammenfinden. Diese Wissenschaftler
haben die Bedeutung der Verbraucherinformation für das
Funktionieren der Marktwirtschaft deutlich gemacht.
Dieser Preis gebührt ihnen zu Recht; ich glaube, es ist ein
wichtiges Thema. Mit Blick auf diesen Preis und das
Thema Verbraucherschutz ist unsere erste Bilanz, dass die
Bundesregierung auf dem richtigen Weg ist.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Ich möchte Ihnen einmal zu einzelnen Aspekten Bei-
spiele dafür nennen, was wir tun und bewegen. Nehmen
wir die Riester-Rente: In diesem Bereich steht der Ver-
braucherschutz vor wirklich zentralen Aufgaben, weil es
um die Chancen und die Versorgung der Menschen im Al-
ter geht. Der Markt tut sich schwer. Auf dem Markt wurde
zum Beispiel schon mit Angeboten geworben, als noch
gar keine Zertifizierungen erfolgt waren. Hier wird von
den Verbraucherzentralen – dies wird auch von uns finan-
ziert – wesentliche Arbeit geleistet, indem sie unabhän-
gige Informationen und Beratungen anbieten.


(Gudrun Kopp [FDP]: Sie haben keine Arbeit dazu geleistet!)


Sie sehen sich an, wie der Bedarf und die Lebenssituation
eines bestimmten Menschen, der sich informieren
möchte, aussehen. Auf dieser Grundlage werden dann
Angebote für dieses Individuum herausgesucht. Die Ver-
braucherzentralen mahnen unseriöse Angebote ab.

Jetzt müssen die Anbieter von Produkten für die private
Altersvorsorge den nächsten Schritt tun, nämlich eine

wirklich bedarfsgerechte Verbraucherinformation und
Beratung geben, weil sie am Ende nur damit die Verbrau-
cher gewinnen können.

Wir wollen im Übrigen an dem gesamten Bereich der
Altersvorsorge weiterarbeiten. Wir wollen eine Änderung
der zivilrechtlichen Regelung für Altersvorsorgeprodukte
und Finanzdienstleistungen allgemein. Das Bundesjustiz-
ministerium arbeitet hier an Vorschlägen.

Wir wollen aber auch in vielen anderen Bereichen des
Alltags die Situation der Menschen verändern. Einige
möchte ich ansprechen.

Schauen wir einmal auf die Bahn: Sie ist ein selbstver-
ständliches Transportmittel der Mehrzahl der Menschen
im Alltag. Wir alle wissen, dass Mobilität zu den Lebens-
grundlagen der Gesellschaft gehört. Deshalb muss der Zu-
gang zu öffentlichen Verkehrsmitteln garantiert werden.

Wenn ich mir die Privatisierung der Bahn ansehe, muss
ich feststellen, dass es die frühere Bundesregierung ver-
säumt hat, Fahrgastrechte festzuschreiben. Ich weiß ja
nicht, meine Damen und Herren von der CDU/CSU und
der FDP, wie Sie sich das damals vorgestellt haben. Viel-
leicht wie bei Ihrer Eisenbahn zu Hause, mit der Sie spie-
len, nämlich dass die Bahn immer fährt, aber gar keine
Fahrgäste braucht?


(Peter H. Carstensen [Nordstrand] [CDU/CSU]: Erzählen Sie doch einmal von Ihrem Spielzeug! – Weitere Zurufe von der CDU/CSU und der FDP)


Diesen Eindruck muss man haben, wenn man sich an-
sieht, welche Regelungen es in diesem Bereich nicht gibt,
was hinsichtlich der Fahrgastrechte nicht geregelt wurde
und was in Bezug auf den Servicezustand unakzeptabel
ist. Es gibt Kundencenter, die monatlich mehr als
6 000 Beschwerden erhalten und sagen: Das ist normal. –
Ich meine, das ist nicht normal, sondern ein Beweis für
eklatante Mängel.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Wir arbeiten an der Verbesserung der Fahrgastrechte;
dies wird peu à peu umgesetzt. Ich nenne ein Beispiel:
Wenn Verspätungen dazu führen, dass Anschlüsse nicht
mehr erreicht werden, oder Züge ganz ausfallen, ist es
jetzt endlich so weit, dass die Bahn AG anfallende Kos-
ten, zum Beispiel für Übernachtungen, übernimmt. Dies
ist eigentlich eine Selbstverständlichkeit. Nun wird sie
realisiert.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Wir wissen auch noch um andere Themen des Alltags,
bei denen sich gerade die Menschen mit niedrigen Ein-
kommen Sorgen machten. In Deutschland sind die
Märkte für Strom und Gas vollständig geöffnet. Einen
fairen Wettbewerb auf dem Energiemarkt haben wir aber
noch nicht völlig erreicht. Die Verbraucherpolitik hat da-
rauf zu achten – wir tun das auch –, dass es Qualität der
Leistungen, gesundheitliche Unbedenklichkeit, Zugang
und Erschwinglichkeit sowie Versorgungssicherheit gibt.




Bundesministerin Renate Künast
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(A)



(B)


Um noch bestehende Unsicherheiten privater Verbraucher
abzubauen, hat das BMWi im Januar dieses Jahres eine
bundesweite Hotline zum Thema „Wechsel der Stromlie-
feranten“ geschaltet. Die Verbraucherzentralen machen
entsprechende Beratungsangebote. Insbesondere die Stif-
tung Warentest ist an dieser Stelle zu loben.

Morgen findet die nächste Verhandlungsrunde für die
neue Verbändevereinbarung Gas statt. Wir brauchen hier
schnelle Ergebnisse. Dabei gilt eines ganz klar: Auch bei
Fusionen werden die Verbraucherrechte berücksichtigt.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Was gehört noch zum Alltag? Weiterbildungs-
angebote. Der Markt für Weiterbildung wird immer
undurchschaubarer. Allein im Bereich der beruf-
lichen Weiterbildung gibt es rund 35 000 Anbieter mit
400 000 verschiedenen Programmen. Die Nachfrage
steigt; aber unklar ist häufig, ob die Leistungen die Kos-
ten rechtfertigen, ob man mit dem Wissen auf dem Markt
etwas anfangen kann.


(Annette Widmann-Mauz [CDU/CSU]: Das sind ja ganz neue Ideen!)


Wir haben über viele Varianten gesprochen. Mit Un-
terstützung des Bundesbildungsministeriums wird die
Stiftung Warentest jetzt eine neue Abteilung für Weiter-
bildungstests aufbauen. Aus vielen Bereichen wissen wir:
Das Qualitätsurteil „sehr gut“ der Stiftung Warentest ist
ein begehrtes Werbemittel im Wettbewerb mit anderen
Anbietern. Auch in der Bildung werden die Menschen
also in Zukunft eine Antwort auf die Frage bekommen, ob
es sich lohnt, wenn sie ihr mühsam gespartes Geld in die-
sem Bereich einsetzen.

Aber auch das ist nicht alles. In Bezug auf die Kauf-
verträge, die im Alltag ebenfalls eine große Rolle spielen,
haben wir große Projekte umgesetzt, beispielsweise die
Modernisierung des Schuldrechts und das Unterlas-
sungsklagengesetz. Im Kaufvertragsrecht gilt jetzt nicht
mehr eine Gewährleistungspflicht bei Sachmängeln von
sechs Monaten, sondern eine von zwei Jahren. Das schafft
Sicherheit für die Verbraucher, aber auch für die Anbieter,
die im Wettbewerb hohe Qualität produzieren.


(Albert Deß [CDU/CSU]: Das ist doch eine europäische Verordnung! Da haben doch Sie nichts geleistet!)


Eine weitere Verbesserung ist die Haftung bei fehler-
haften oder unverständlichen Montageanleitungen. Sie ist
in Zeiten von immer mehr Abholkaufhäusern und Selbst-
montage im Alltag unverzichtbar. Wer von uns hat sich
nicht schon einmal ein ganzes Wochenende oder die Fa-
milienstimmung verdorben, wenn er nach der Anleitung
eine Schraube mehr gebraucht hätte, als in dem Paket
war? Wir sagen an dieser Stelle: Das ist eine Alltagsver-
tragskonstellation, bei der die Haftung geregelt werden
muss.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Friedrich Merz [CDU/CSU]: Es muss alles geregelt werden!)


Ferner sorgen wir dafür, dass die Ware so beschaffen
ist, wie die Werbung es darstellt.

Wir kümmern uns aber nicht nur um Güter, sondern
auch um Menschen in besonderen Lebenslagen, so im
Insolvenzrecht. Das neue Insolvenzrecht schützt ver-
schuldete Verbraucher wesentlich besser. Die Verfahrens-
dauer wurde verkürzt, ein Stundungsmodell eingeführt.
Wir sorgen dafür, dass Mittellose nicht aus diesem Ver-
fahren herauskatapultiert werden, indem sie schon an den
Verfahrenskosten scheitern.

Wir haben die Pfändungsfreigrenzen angehoben, so-
dass den Schuldnern garantiert ein Existenzminimum zur
Verfügung steht. Auch im Anlegerschutz ist eine effektive
Durchsetzung der Schadenersatzansprüche wichtig. Was
ist, wenn Prospekte etwas Falsches versprechen? Soll es
dann eine Verjährungsfrist von einem oder von drei Jah-
ren geben? Wir meinen, es müssen drei Jahre sein. Wir
brauchen eine einheitliche Regelung analog zum Schuld-
recht auch beim Finanzmarktförderungsgesetz.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1422400100
Frau
Bundesministerin, die Redezeit für die Regierungser-
klärung ist abgelaufen.


(Friedrich Merz [CDU/CSU]: Auch das ist ein Stück Verbraucherschutz! – Albert Deß [CDU/ CSU]: Die Regierungszeit von Rot-Grün läuft auch bald ab!)


Renate Künast, Bundesministerin für Verbraucher-
schutz, Ernährung und Landwirtschaft: Darf ich noch ei-
nen Schlusssatz sagen?


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1422400200
Ja, bitte.

Renate Künast, Bundesministerin für Verbraucher-
schutz, Ernährung und Landwirtschaft: Wir haben auch an
die älteren Mitbürgerinnen und Mitbürger gedacht. Das
Heimgesetz ist novelliert worden. Wir wissen, dass
Schwäche und Abhängigkeit von Kommunikation eine
Rolle spielen. Bei den Heimverträgen sind höhere Stan-
dards zu bieten.

Wir denken im Schadensersatzrecht auch an die jungen
Menschen, die sich beispielsweise im Straßenverkehr an-
ders verhalten als Ältere. Wir denken an ihre Situation im
Bezug auf die Kommunikationstechniken. Selbst beim
Rabattgesetz haben wir alte Zöpfe abgeschnitten.


(Gudrun Kopp [FDP]: Sie doch nicht!)

Bis hin zum Kinderspielzeug sind Kinder zu schützen.

Erwachsene müssen die Aufgabe übernehmen, die, die
nicht lesen können, zu unterstützen.

Wir überlassen die Verbraucher nicht den Werbestrate-
gen. Durch das Sozialstaatsprinzip und das Primat der Po-
litik gilt: Wir wehren Gefahren ab, wir schützen die
Schwächeren. Diese Bundesregierung stellt die Werk-
zeuge dafür bereit. Information ist ein entscheidendes In-
strument für den Demokratisierungsprozess dieser Ge-
sellschaft.




Bundesministerin Renate Künast

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(D)



(A)



(B)


Wir haben im letzten Jahr eine Menge geschafft. Des-
halb will ich an dieser Stelle neben den Verbraucherorga-
nisationen auch den Kolleginnen und Kollegen der be-
troffenen Ressorts und den Ministeriumsmitarbeitern
noch einmal danken.

Meine Damen und Herren, der Kampf um die Durch-
setzung der Rechte der Verbraucher hat gerade erst be-
gonnen. Wesentliche Voraussetzung für einen Erfolg ist,
dass Verbraucherkultur und -gedanken selbstverständ-
licher Teil unseres Denkens und unseres Regierungshan-
delns werden. Genau dafür stehen wir.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Albert Deß [CDU/CSU]: Da war wenig Neues dabei!)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1422400300
Nach der
Regierungserklärung eröffne ich jetzt die Aussprache. Als
erste Rednerin hat die Kollegin Annette Widmann-Mauz
von der CDU/CSU-Fraktion das Wort.


Annette Widmann-Mauz (CDU):
Rede ID: ID1422400400
Herr Präsi-
dent! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Auch heute
Morgen wird nach dieser Regierungserklärung mehr als
deutlich: Die Verbraucherschutzpolitik von Renate Künast
ist die größte politische Rückrufaktion in diesem Land.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Zurufe von der SPD: Oh!)


Das einzige funktionierende Schnellwarnsystem ist das
Bundeskabinett, wenn es darum geht, Renate Künast ein-
zufangen, damit sie keinen weiteren Flurschaden anrich-
ten kann.


(Widerspruch bei der SPD)

Frau Künast wird doch geradezu täglich vom Kanzler ab-
gekanzelt.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Wo sind denn die lieben Kollegen, bei denen man sich

immer bedankt, zum Beispiel der Bundeskanzler und der
Bundeswirtschaftsminister?


(Detlev von Larcher [SPD]: Mein Gott, wie primitiv!)


Ich glaube, da gibt es nicht viel Gemeinsamkeit an diesem
Kabinettstisch.

Jetzt gibt es die neueste preisverdächtige Rhetorik von
Ihnen, Frau Künast. Sie wollen eine „verbraucherorien-
tierte Marktwirtschaft“ einführen. Es ist ja klar: Wer mit
einer zunehmend unsozialen Politik dabei ist, die soziale
Marktwirtschaft geradezu abzuschaffen, der erfindet sol-
che neuen Soundbytes.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Lachen des Abg. Detlev von Larcher [SPD])


Dafür sind Sie als Ideologieministerin immer zu haben.

(Zurufe von der SPD: Oh!)


Ich sage Ihnen eines: Die soziale Marktwirtschaft ist der
beste Verbraucherschutz für die Arbeitnehmerinnen und

Arbeitnehmer. Sie ist gut für den Wettbewerb, für die
Nachfrage und damit gut sowohl für die Verbraucher als
auch für die Arbeitgeber in unserem Land.

Ihre Rhetorik, die wir gerade gehört haben, muss man
sich einmal auf der Zunge zergehen lassen. Sie haben im
Haushalt den Bundesverband der Verbraucherzentralen
doch nur deshalb gefördert und die entsprechenden Mittel
erhöht, weil wir in der Haushaltsdebatte Ihre versteckten
Tricks aufgedeckt haben.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Denken wir in diesem Zusammenhang nur an die Energie-
beratung. Sie haben doch die Zuschüsse für die unabhän-
gige Energieberatung der Verbraucherzentralen gekürzt.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Aber trotzdem tun Sie jetzt so, als seien Sie die Schutzpa-
tronin dieser Beratungseinrichtungen.

Es ist schön, dass Sie manchmal unsere Papiere lesen.
Es freut uns, dass Sie endlich darauf kommen, dass eine
Stiftung Bildungstest eine gute Sache ist. Wir haben vor-
gedacht und Sie schreiben ab. Das begrüßen wir. Ich er-
wähne weiterhin, dass Sie regelmäßig einen Verbraucher-
schutzbericht erstellen wollen. Wunderbar! Wir haben ihn
vor einem Jahr in diesem Haus gefordert.


(Widerspruch bei der SPD)

Machen Sie weiter so! Setzen Sie unsere Vorschläge um!


(Beifall bei der CDU/CSU)

Durch die zunehmende Mobilität der Menschen, der

Waren und der Dienstleistungen sowie durch die welt-
weite Vernetzung der Märkte erlangt der Verbraucher-
schutz im Rahmen der sozialen Marktwirtschaft auf re-
gionaler, auf nationaler und auf internationaler Ebene eine
immer größere Bedeutung. Wir wissen: Der Verbraucher-
schutz ist nicht nur eine Frage der Agrarpolitik, sondern
eine Querschnittsaufgabe. Mit fast allen Bereichen in der
Politik hat der Verbraucherschutz Berührungspunkte. Die
Menschen erwarten klare Konzepte für diesen umfassen-
den und vorbeugenden Verbraucherschutz. Die Devise
muss sein: weg vom Reparaturbetrieb und hin zum vor-
beugenden Verbraucherschutz.

Unsere Eckpfeiler sind bekannt: Transparenz, Eigen-
verantwortung, Kontrolle und Nachhaltigkeit. Aber das
alles gelingt nur, wenn wir Kompetenz und effizientes
Handeln bei den Beteiligten vorfinden.


(Ute Kumpf [SPD]: Sie haben doch alles von uns abgeschrieben!)


Bei der Bundesregierung kann man davon aber nicht spre-
chen.

Frau Künast, Sie haben einen umfassenden Verbrau-
cherschutz versprochen. Was haben Sie aber nach einem
Jahr erreicht? Sie haben einen Flickenteppich geschaffen,
auf dem man zudem noch ausrutscht, weil er – das ist eine
große Enttäuschung – aufgrund von Untätigkeit, Kompe-
tenzmängeln und Skandalen schlecht gewebt wurde.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)





Bundesministerin Renate Künast
22184


(C)



(D)



(A)



(B)


An dieser Stelle komme ich gleich auf das Verbrau-
cherinformationsgesetz, das Sie gestern im Kabinett
verabschiedet und heute hier auch erwähnt haben: Was ist
denn aus Ihrem ehrgeizigen Vorhaben geworden, den
Kauf nach ethischen Wertvorstellungen zu ermöglichen?
Sie haben dazu sogar noch Eckpunkte präsentiert. Dazu
kann ich nur sagen, dass aus diesem Eckpunktepapier ein
schlapper Lappen geworden ist. Eine Ihrer angeblich so
wichtigen drei Säulen, der Anspruch auf Information ge-
genüber den Unternehmen, ist vom Wirtschaftsminister
sogar einkassiert worden. Die Dienstleistungen fielen, so
hört man, der SPD Niedersachsen zum Opfer und sollen
jetzt aus dem Anwendungsbereich komplett gestrichen
worden sein.

Wir von der Union begrüßen grundsätzlich das Vorha-
ben, die Transparenz und Informationsmöglichkeiten auf
den Märkten zu stärken. Der Begriff des mündigen Ver-
brauchers ist aus unserer Sicht keine bloße Floskel: Je in-
formierter und aufgeklärter die Verbraucher sind, desto
besser können sie den Markt steuern und desto funk-
tionstüchtiger ist der Wettbewerb.

Aber die Verbraucher benötigen in erster Linie nicht
mehr, sondern bessere Informationen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Wir brauchen keine Fülle zusätzlicher Kennzeichnungs-
vorschriften für Spezialisten und Juristen, sondern wir
brauchen klare, verständliche Regelungen für Menschen
wie du und ich.


(Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Aha! Vor allem wie du!)


Auf die Qualität der Information kommt es an. Die Infor-
mation allein sagt häufig nichts; wir brauchen Erläuterun-
gen dazu, also im besten Sinne des Wortes Klasse statt
Masse.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ihr braucht Erleuchtung!)


Wir brauchen in unserem Land vor allen Dingen keine
willkürliche oder tendenziöse Informationsflut nach dem
Motto „Freie Fahrt für Panik“.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Aber das passt ja zu Ihrem Ministerium: Nachdem Sie die
konventionelle Landwirtschaft pauschal an den Pranger
gestellt haben, haben Sie sich jetzt wieder neue Betäti-
gungsmöglichkeiten eröffnet. Ihr wissenschaftlicher Bei-
rat ist aus Protest gegen eine Satzungsänderung zurück-
getreten, weil er um seine Unabhängigkeit fürchtete.


(Renate Künast, Bundesministerin: Das stimmt nicht! Das ist gelogen!)


Wer eine solche ideologisch verbrämte Politik macht,
nützt dem Verbraucher überhaupt nichts.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Unsere Wirtschaft braucht klare und verlässliche Rah-

menbedingungen, nach denen sie agieren kann, nicht aber
ständig neue Knüppel zwischen die Beine und noch mehr
Bürokratie.

Frau Künast, wo Eigenverantwortung gestärkt werden
könnte, verfügen Sie noch nicht einmal über Kompetenz.
Wird sie Ihnen entzogen oder nehmen Sie sie nicht wahr?
Der Kanzler spricht jetzt wieder mit den Bossen. Ihre Kol-
legin Schmidt lässt sich Ihre Gesetze wenigstens noch von
der Pharmaindustrie abkaufen. Aber Sie können an dieser
Stelle noch nicht einmal mitreden.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Jella Teuchner [SPD]: Eine solche Aussage ist doch eine Frechheit!)


Sie haben hier von den vielen Informationsmöglich-
keiten geredet, die Sie den Menschen verschaffen wollen.
Die Bundesregierung hat zum Beispiel im Gesundheits-
wesen die Möglichkeit, Informationen zu geben. Aber da
blockieren Sie: Eine Politik, die auf Transparenz auch bei
den Kosten setzt, wollen Sie nicht. Sie haben doch die
Kostenerstattung in der GKV zugunsten des Sachleis-
tungsprinzips abgeschafft. Hier hätten wir eine Möglich-
keit zu mehr Transparenz. Aber Sie tun es nicht. Im Ge-
genteil, bei der Pflege reden Sie zwar von mehr Qualität,
wollen dies aber mit noch mehr Bürokratie und noch mehr
Dokumentation erreichen, anstatt dass Sie die Voraus-
setzungen dafür schaffen, dass die Pflegekräfte genug
Zeit haben, sich am Krankenbett und am Pflegebett den
Menschen zu widmen. Dort wäre Ihr Einsatz gefordert.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Sie haben über die Schnellwarnsysteme geredet. Das

Beispiel des Chloramphenicols im Shrimpsskandal hätten
Sie besser überhaupt nicht erwähnt. Das war doch eine
peinliche Nummer. Sie, Frau Künast, wurden von den
Bundesländern nicht nur im Shrimpsskandal, sondern
auch im Hinblick auf die BSE-Tests aufgefordert, koordi-
nierend tätig zu werden.


(Jella Teuchner [SPD]: Dafür ist Bayern ja das beste Beispiel!)


In beiden Fällen Fehlanzeige! Sie haben sich auch auf der
europäischen Ebene nicht darum gekümmert.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Dafür brauchen wir gar nicht nach China, sondern nur
nach Polen zu schauen. Es gab keine Äußerung von Ihnen
zu den Zuständen der BSE-Tests und zur BSE-Situation
angesichts der Tiermehlverfütterung in den EU-Beitritt-
staaten. Wo bleibt denn Ihr Engagement an dieser Stelle?
Es ist nichts als Rhetorik zu erkennen.

Sie haben das Wettbewerbsrecht angesprochen. Die
Justizministerin hat Ihren Platz verlassen.


(Peter H. Carstensen [Nordstrand] [CDU/CSU]: Dadurch ist die Regierungsbank besser geworden! Das darf man nicht unterschätzen!)


Eine Arbeitsgruppe tagt seit über einem Jahr und legt
selbst auf Nachfrage keine Ergebnisse vor. Sitzen Sie da
überhaupt mit am Tisch? – Es gibt keine koordinierte
Verbraucherschutzpolitik in unserem Land.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Frau Künast, wohin man in Ihrem Haus auch schaut:

von Transparenz, Eigenverantwortung, Kontrolle, Nach-
haltigkeit, Kompetenz und Effizienz keine Spur. Sie




Annette Widmann-Mauz

22185


(C)



(D)



(A)



(B)


haben in Ihrer Regierungserklärung im letzten Jahr ge-
sagt: Wir stehen vor einem Scherbenhaufen. Sie haben die
Scherben nicht aufgelesen; es sind nicht weniger gewor-
den. Das ist aber auch ganz klar; denn mit reiner Rhetorik
kann man dies nicht leisten.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1422400500
Das Wort
hat jetzt die Kollegin Jella Teuchner von der SPD-Frak-
tion.


Jella Teuchner (SPD):
Rede ID: ID1422400600
Herr Präsident! Meine Damen
und Herren! Eigentlich ist die Redezeit viel zu schade,


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Hans-Peter Repnik [CDU/CSU]: Das ist wohl wahr!)


um auf die billige Polemik einzugehen, die die Kollegin
Widmann-Mauz vorgetragen hat. Es gibt schon ein
schwaches Bild ab, wenn man hier nur herummotzt, ob-
wohl man auf keine gute Bilanz aus der eigenen Regie-
rungszeit verweisen kann. Sie haben von der „Ideologie-
ministerin“ gesprochen. Angesichts dessen kann man bei
Ihnen nur von billiger Polemik sprechen.


(Hans-Peter Repnik [CDU/CSU]: Das war doch Ihre Regierungserklärung! Sie regieren doch und nicht wir!)


Wir sind uns wirklich zu schade, uns dies hier anhören zu
müssen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/CSU]: Dann gehen Sie doch nach Hause!)


Nun aber zur Regierungserklärung. Dieses Jahr scheint
ein Jahr der Bilanzen über die Verbraucherpolitik dieser
Koalition zu werden. Ich bitte Sie, zur Kenntnis zu neh-
men, dass die Medien Anfang dieses Jahres eine durchaus
positive Bilanz gezogen haben. Die heutige Regierungs-
erklärung gibt uns Gelegenheit, zu zeigen, dass mit rot-
grüner Verbraucherpolitik durchaus schwarze Zahlen ge-
schrieben werden können.

Wir haben im letzen Jahr vieles erreicht; dies ist in der
Jahresbilanz des Verbraucherschutzministeriums nachzu-
lesen. Für mich ist am wichtigsten, dass viele Diskus-
sionen heute anders geführt werden als noch vor zwei Jah-
ren. Ein halbes Jahr vor dem ersten deutschen BSE-Fall
haben wir an einem Entschließungsantrag zum Weißbuch
für Lebensmittelsicherheit geschrieben. Damals haben
wir noch mit heftigem Protest gegen die Forderung nach
einer Positivliste für Futtermittel gerechnet. Heute ist fest-
stellbar, dass diese Forderung überhaupt nichts Gewagtes
mehr hat; sie ist selbstverständlich geworden. Auch das
Verbraucherinformationsgesetz, das gestern vom Kabi-
nett beschlossen wurde, wäre vor zwei Jahren noch nicht
vorstellbar gewesen.


(Albert Deß [CDU/CSU]: Weil Funke dagegen gewesen wäre!)


Insbesondere im Prozess der Umsetzung des Weiß-
buches für Lebensmittelsicherheit und als Reaktion auf

die BSE-Krise haben wir wichtige Vorsorgemaßnahmen
für die Sicherheit der Lebensmittel getroffen. Wir schaf-
fen Transparenz und die notwendigen Bewertungs- und
Kontrollstrukturen. Damit haben wir für den Lebens-
mittelbereich Regelungen gefunden, die den Verbrauche-
rinnen und Verbrauchern den notwendigen Schutz und die
Voraussetzungen für einen bewussten und selbstbestimm-
ten Konsum geben.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Wir sehen in dem Verbraucher einen aufgeklärten
Menschen, der selbst in der Lage ist, seine Konsument-
scheidungen zu treffen. Die Grundlage dafür – dies ist
Aufgabe der Verbraucherpolitik – ist eine verlässliche
Verbraucherinformation über die Eigenschaften von Pro-
dukten und Mindeststandards in Bezug auf Sicherheit,
Haftung und vor allem Gewährleistung.

Unser Ziel ist es, den Verbraucherinnen und Verbrau-
chern nicht nur im Lebensmittelbereich, sondern auch
hinsichtlich des wirtschaftlichen Verbraucherschutzes
den notwendigen Schutz zu geben und die notwendigen
Auswahlkriterien zur Verfügung zu stellen. Auch hier ha-
ben wir einiges erreicht.

Gerade im wirtschaftlichen Verbraucherschutz stehen
Entscheidungen an, die für die Verbraucherinnen und
Verbraucher von großer Bedeutung sind. Die Kommis-
sion hat eine Debatte darüber angestoßen, wie der euro-
päische Binnenmarkt auch zu einem Binnenmarkt für
die Verbraucherinnen und Verbraucher wird. Bisher pro-
fitieren diese kaum vom Gemeinsamen Markt. Ins-
besondere die unterschiedlichen Rechtsnormen halten sie
davon ab, in anderen Mitgliedstaaten zu kaufen.

Die Frage der Harmonisierung dieser Regelungen
prägt die Diskussion um den gesetzlichen Rahmen für den
elektronischen Geschäftsverkehr. Sie wurde von der
Kommission mit dem Grünbuch Verbraucherschutz für
Geschäftspraktiken im gesamten Bereich des Handels mit
Verbrauchern auf die Tagesordnung gesetzt.

Wir haben in Deutschland gute Erfahrungen mit einer
Generalklausel im Gesetz gegen den unlauteren Wettbe-
werb gemacht, durch die für Verbraucher und Unterneh-
men Transparenz geschaffen worden ist. Gleichzeitig
brauchen wir für bestimmte Bereiche spezielle Regelun-
gen. Als ein Beispiel sei hier das Fernabsatzgesetz ge-
nannt. Diese Kombination halte ich auch mit Blick auf
eine europäische Harmonisierung für sinnvoll.

Ein funktionierender Wettbewerb mit einer breiten An-
gebotspalette sorgt dafür, dass die Verbraucherinnen und
Verbraucher Produkte und Dienstleistungen nach ihren
Präferenzen auswählen können. Wettbewerbspolitik ist
damit logischerweise auch immer Verbraucherpolitik. Ein
funktionierender Binnenmarkt wird auch den Verbrau-
cherinnen und Verbrauchern Vorteile bringen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Deutschland hat zum Beispiel innerhalb der Europäischen
Union ein vergleichsweise hohes Preisniveau. Hier kön-
nen die Verbraucher profitieren.




Annette Widmann-Mauz
22186


(C)



(D)



(A)



(B)


Wir müssen uns allerdings darum kümmern, dass diese
Auswahl für die Verbraucherinnen und Verbraucher auch
in Zukunft gesichert bleibt. Konzentrationsprozesse bei
Banken, Medien, Versorgungsunternehmen oder im Le-
bensmittelhandel können für die Verbraucherinnen und
Verbraucher schnell zum Nachteil werden, insbesondere
wenn von der Wettbewerbspolitik nicht mehr der natio-
nale Markt als relevanter Markt angesehen wird.


(Beifall der Abg. Michaele Hustedt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Auch bei den Regelungen zum unlauteren Wett-
bewerb müssen wir uns fragen, welche Vorschriften alte
Zöpfe sind und welche Sinn machen. Es ist klar: Wir
haben heute ein anders Bild vom Verbraucher als vor
100 Jahren. Trotzdem müssen wir dafür sorgen, dass Ver-
lässlichkeit und Transparenz im Handel die Regel sind.
Kein Mensch kann heute mehr sagen, ob er für sich zum
Beispiel den optimalen Handytarif gewählt hat. Wir wol-
len nicht, dass durch ständige Sonderverkäufe auch in an-
deren Bereichen die Preistransparenz aufgehoben wird.
Ich halte es daher für richtig, dass wir in Ruhe darüber
nachdenken, wie wir die größtmögliche Freiheit und den
notwendigen Schutz der Mitbewerber, des Mittelstandes
und der Verbraucher erzielen.

In der heutigen Regierungserklärung wurde an vielen
Beispielen aufgezeigt, dass der funktionierende Wett-
bewerb allein nicht ausreicht, um Verbraucherrechte zu
schützen. Auch die Nobelpreisträger für Wirtschaftswis-
senschaften im Jahre 2001 haben in ihren Arbeiten auf
dem Gebiet des Verbraucherschutzes deutlich gemacht:
Auf funktionierenden Märkten entstehen dadurch, dass
Transparenz fehlt, suboptimale Ergebnisse.

Das heißt: Können Verbraucherinnen und Verbraucher
die Eigenschaften von Produkten nicht einordnen, sind sie
auf zusätzliche Informationen angewiesen. Wir werden
ihnen diese geben: Wir werden weiter dafür sorgen, dass
Produkte und Dienstleistungen so gekennzeichnet wer-
den, dass bewusste Kaufentscheidungen getroffen werden
können. Durch die Schuldrechtsmodernisierung wurden
Werbeaussagen verbindlich. Dies ist ein Erfolg für die
Verbraucherinnen und Verbraucher. Wir haben Kenn-
zeichnungspflichten eingeführt und werden weitere prü-
fen. Ich denke hier an die Strahlung bei Handys oder an
den Energieverbrauch bei Kraftfahrzeugen. Wir wollen
auch bei weiteren Produkten die Möglichkeiten dafür
schaffen, dass die Verbraucherinnen und Verbraucher auf
Informationen der Behörden und auch der Unternehmen
zurückgreifen können.


(Beifall bei der SPD sowie der Abg. Ulrike Höfken [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Wir unterstützen verstärkt die Verbraucherverbände
und die Stiftung Warentest. Gerade Letztere ist als un-
abhängige Stelle für objektive Informationen notwendig.
Ich kann mir durchaus auch eine größere Unabhängigkeit
für die Stiftung Warentest vorstellen.


(Gudrun Kopp [FDP]: Aha! Das ist aber mutig!)


Wir müssen die Verbraucherinnen und Verbraucher in
die Lage versetzen, ihre Rechte auch durchzusetzen. Die

Schuldrechtsmodernisierunghat hierFortschritte gebracht.
So sorgen wir zum Beispiel mit der Verlängerung der Ge-
währleistungsfristen dafür, dass eine guteQualität von Pro-
dukten gesichert wird. Wir wollen in Zukunft außerge-
richtliche Streitschlichtungsverfahren verstärkt einführen.
Auch die Stärkung derVerbraucherverbände ist ein Schritt,
umVerbraucherrechte besser durchsetzen zukönnen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Meine Damen und Herren, wir alle hier im Bundestag
werden heute wieder eine Lanze für den Verbraucher-
schutz brechen. Wir werden in der nächsten Zeit aber auch
Entscheidungen treffen, bei denen der Verbraucherschutz
gefragt ist. Ich nenne Ihnen einige Beispiele:

Bisher sind die Beförderungsbedingungen im öffent-
lichen Personenverkehr alles andere als kundenfreund-
lich.


(Dr. Ilja Seifert [PDS]: Wohl wahr!)

Hier müssen wir deutliche Verbesserungen erreichen, ins-
besondere dann, wenn in Zukunft die Schnittstellen zwi-
schen verschiedenen Unternehmen geregelt werden müs-
sen. Der Kunde ist kein Bittsteller. Wenn er eine Fahrkarte
kauft, hat er einen Anspruch darauf, rechtzeitig anzukom-
men. Noch ist dieser Schritt aber nicht umgesetzt.

Mit der privaten Altersvorsorge haben wir einen
neuen Markt für Finanzdienstleistungen geschaffen. Wir
werden beobachten müssen, wie sich dieser entwickelt.
Es stellen sich die Fragen, ob die Beratungsangebote rei-
chen und ob die angebotenen Produkte seriös sind. Gege-
benenfalls werden wir auch hier handeln müssen.

Auch auf dem Bildungsmarkt gibt es im Moment eine
unüberschaubare Anzahl schwer vergleichbarer Ange-
bote. Wir müssen deshalb prüfen, ob wir hier durch unab-
hängige Tests oder durch Qualitätssiegel mehr Transpa-
renz schaffen können.


(Beifall bei der SPD sowie der Abg. Michaele Hustedt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


An diesen Themen wird sich zeigen, ob wir die Ver-
braucherinnen und Verbraucher in ihren Rechten unter-
stützen. Wir haben mit dem Verbraucherinformations-
gesetz und mit dem, was wir im letzten Jahr gemacht
haben, erste Schritte unternommen. Ich bin mir ganz si-
cher, dass wir auch in Zukunft noch weitere Schritte zum
Wohle der Verbraucher und Verbraucherinnen machen
werden.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1422400700
Das Wort
hat jetzt die Kollegin Gudrun Kopp von der FDP-Frak-
tion.


Gudrun Kopp (FDP):
Rede ID: ID1422400800
Herr Präsident! Sehr geehrte
Herren und Damen! Frau Ministerin Künast, Sie haben
heute über Eckpunkte dieses neuen Verbraucherinforma-
tionsgesetzes gesprochen, das ich ein Placebogesetz




Jella Teuchner

22187


(C)



(D)



(A)



(B)


nenne; denn bei dieser Politik und bei diesem Gesetz steht
etwas drauf, was nicht drin ist.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Das ist bezeichnend für Ihre gesamte Politik.

Vergegenwärtigen Sie sich einmal, dass die Behörden
zwar auskunftspflichtig gegenüber dem Verbraucher, aber
nicht verpflichtet sind, Informationen einzuholen. Das
heißt doch im Umkehrschluss, dass Sie nur die Infos, die
Sie ohnehin haben – Sie kennen diese rechtlich abgesi-
cherten Informationen und wollen sie weitergeben –, den
Verbrauchern zur Verfügung stellen. Da gehe ich lieber
ins Internet. Dort erhalte ich mehr Infos als dadurch, dass
in den Behörden solche neuen Strukturen geschaffen wer-
den.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Die Frage ist auch, wem Sie mit diesem hohen An-

spruch an Technik und Auskunftspersonal gerecht werden
wollen. Was bedeutet das für die Kosten? Wer soll sie tra-
gen?


(Annette Widmann-Mauz [CDU/CSU]: Richtig! – Michaele Hustedt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich denke, das ist ein „Placebogesetz“?)


Haben Sie sich darüber überhaupt Gedanken gemacht?
Mir ist Folgendes ganz besonders wichtig: Frau Minis-

terin Künast, ich habe den Eindruck, dass Sie an der Rea-
lität völlig vorbei agieren. Wissen Sie eigentlich gar nicht,
dass die Lebensmittelwirtschaft auf der einen sowie
Mediziner und Technologen auf der anderen Seite hinter
den Kulissen gemeinsam seit über einem Jahr sehr dezi-
diert dabei sind, ein hervorragend ausgeklügeltes Netz
von Daten und Zusatzinformationen auf ein Datennetz zu
überspielen, das den Kunden vor Ort im Laden zur Verfü-
gung stehen soll? Die Selbstverpflichtung wird also
schon längst umgesetzt.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ich nenne ein Beispiel: Wenn jemand, der auf be-
stimmte Inhaltsstoffe allergisch reagiert, in einem Super-
markt der Zukunft an eine technologische Einrichtung
geht, kann er mithilfe eines Strichcodes künftig sehr dezi-
dierte und wissenswerte Informationen bezüglich Aromen
und Allergiestoffe in einem Produkt erhalten. Das nenne
ich eine Spitzenleistung. Das sind Visionen. Das ist auch
ein Mehrwert für den Verbraucher. Ich glaube, da hinken
Sie völlig hinterher, weil in der Privatwirtschaft vieles
schon längst auf dem Weg ist.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Was Sie mit Ihrer Politik versprechen, Frau Künast,
wird nicht eingehalten. Dazu gehört auch das Thema
Stiftung Warentest. Sie haben sich heute Morgen noch
einmal als Gönnerin und Förderin der Stiftung dargestellt.
Ich darf Sie daran erinnern, dass die Stiftung und auch die
FDP-Bundestagsfraktion größten Wert darauf legen, dass
dieser Stiftung endlich ein Stiftungskapital zugesprochen

wird, damit die Stiftung unabhängig von schwankenden
Haushaltslagen ihre Arbeit erledigen kann.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Nehmen wir das Thema Honig. Es ist doch hervorra-
gend, wenn 15 oder 16 Sorten in einem Test dargestellt
werden und der Verbraucher eine Übersicht über Qualität
und Preis bekommt. Auch dabei sind Sie furchtbar klein-
lich. Die Stiftung Warentest braucht Unabhängigkeit und
ihr Stiftungskapital, damit diese Säule der Verbraucher-
politik und der Verbraucherinformation, die auch beim
Verbraucher hoch angesehen ist, gestärkt wird.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ein anderer inhaltlicher Punkt, bei dem wir als FDP of-
fensiv vorangehen, ist die Forderung nach einem Geset-
zes-TÜV für Verbraucherbelange.


(Ulrike Höfken [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Einen FDP-TÜV brauchen wir!)


– Frau Höfken, auch Sie sind gleich an der Reihe. – Das
heißt, künftig könnte auf die Entstehung eines Gesetzes-
textes in den zuständigen Ministerien – Frau Ministerin,
Sie sind nur noch für die wenigsten Verbraucherthemen
direkt zuständig –, zum Beispiel im Justizministerium,
Einfluss genommen werden. Hier ist bisher überhaupt
nichts passiert.


(Dr. Herta Däubler-Gmelin [SPD]: Was ist denn die Schuldrechtsmodernisierung? Was ist die Insolvenzverordnung? Was sind die Pfändungsfreigrenzen?)


Unsere Vorstellung ist: Wenn ein Gesetz entsteht, dann
sollen Verbraucherbelange in den Text eingearbeitet wer-
den. Die Auswirkungen auf die Kostenstrukturen, die
Bürokratisierung sowie die Klarheit des Anliegens müs-
sen deutlich gemacht werden. Dieser Punkt ist also sehr
wichtig.

Frau Ministerin Künast, Sie haben ständig von Kon-
trollen gesprochen. Ist Ihnen eigentlich bewusst, dass wir
bundesweit viel zu wenig Kontrolleure haben? Laut EU
müsste eigentlich die dreifache Anzahl an Kontrolleuren
in den Ländern vorhanden sein.


(Ulrike Höfken [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: In den Ländern!)


– Der Bund und die Länder haben kein Geld. Also muss
man sich auf einen Fahrplan einigen. Dieses Thema ist
höchst problematisch.

Ich nenne Ihnen noch einen Bereich: Landwirtschaft
und Bioprodukte. Frau Künast, ist Ihnen eigentlich
bekannt – Professor Kuhlmann hat das neulich in einem
Vortrag sehr gut herausgearbeitet –, dass wir durch die
Produktion hervorragender konventionell erzeugter Le-
bensmittel überhaupt erst in der Lage sind, die Ni-
schenproduktion von Bioprodukten – das ist sehr wichtig
und wird von uns unterstützt –, die marktkonform und
nicht per Diktat ablaufen muss, zu betreiben? Ansonsten
hätten wir nicht einmal die Möglichkeit, unseren tägli-
chen Bedarf zu decken. Auch das ist hochproblematisch.




Gudrun Kopp
22188


(C)



(D)



(A)



(B)


Noch einmal zum Thema Honig aus China. Frau
Künast, ist Ihnen eigentlich bekannt, dass die chinesischen
Sorten häufig mit den argentinischen Sorten gemischt wer-
den? Wissen Sie auch, dass dann, wenn die Pollen entfernt
werden, keinerlei Rückschlüsse auf das jeweilige Her-
kunftsland gezogen werden können? Das heißt, wir müs-
sen – ich denke, wir sitzen zusammen mit der Wirtschaft
und der Industrie, die dieses Problem erkannt haben, in ei-
nem Boot – klarer kennzeichnen, damit der Verbraucher
weiß, welcher Herkunft das Produkt ist, das er kauft.

Verehrte Ministerin: Ideologien sind bewaffnete Ideen.
Das hat schon Ignazio Silone gesagt. Wir als FDP-
Bundestagsfraktion möchten nicht, dass derlei Waffen ge-
gen die Verbraucher gerichtet werden. Machen Sie also
inhaltsreiche Politik, die die Verbraucher tatsächlich ein
Stück weiterbringt. Hören Sie auf, ihnen vorzugaukeln, es
würde konzeptionell und effektiv etwas für sie getan. Ich
bin froh darüber, dass die Wirtschaft längst auf dem rich-
tigen Weg ist. Sie wird Ihnen vormachen, was Lebens-
mittelinformation und Lebensmittelsicherheit bedeuten.

Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1422400900
Als
nächste Rednerin hat die Kollegin Ulrike Höfken vom
Bündnis 90/Die Grünen das Wort.


Ulrike Höfken-Deipenbrock (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1422401000
Sehr
geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kolle-
gen! Frau Kopp, ich kann Ihnen eine gewisse Naivität
nicht absprechen. Bei aller Liebe: Was Sie unter Selbst-
verpflichtung und Verantwortung der Wirtschaft verste-
hen, haben wir gesehen. Das war ein Laisser-faire ohne
vernünftigen Rahmen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Gudrun Kopp [FDP]: Das ist unverschämt!)


Wie erklären Sie sich denn eigentlich, dass schon wieder
Shrimps mit Antibiotikarückständen in die Futtermittel
gekommen sind? Wie erklären Sie sich die Tiermehlskan-
dale der letzten Jahre oder die mangelhaften Labortätig-
keiten in Bayern?


(Gudrun Kopp [FDP]: Wie erklären Sie sich das Desaster im Ministerium?)


Das soll dann alles Selbstverpflichtung der Wirtschaft
sein? Ich denke, so kann das nicht laufen.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD)


Man muss über diese Debatte eine bisschen traurig
sein. Warum mauzt die CDU mit Schaum vor dem Mund?


(Heiterkeit und Beifall beim BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN und der SPD)


Ganz klar: um den Verbraucherschutz klein zu halten, die
Durchsetzung alter Lobbyinteressen wieder zu ermögli-
chen und zu verhindern, dass der Dreck unter dem Tep-

pich hervorgekehrt wird. Ich kann die Debatte des ganzen
letzten Jahres wirklich nicht anders deuten.

Wir haben in dieser Woche den Verbraucherschutz-
tag. Es geht uns darum, der vermeintlichen und tatsächli-
chen Abzocke von Verbrauchern entgegenzuwirken. Es
geht um Aufklärung und Information der Verbraucher so-
wie um die Möglichkeit eines Preisvergleiches.


(Gudrun Kopp [FDP]: Aber doch nicht mit diesem Gesetz!)


Der Euro ist ja ein Beispiel dafür. Es entpuppen sich
einige Wirtschaftsbereiche oder Betriebe trotzt aller
Schwüre, die Euroeinführung nicht zu missbrauchen, als
Euroschmarotzer erster Güte. Es geht um unrechtmäßige
oder zumindest unverschämte Angebote von Dienstleis-
tungen bzw. Verkäufe von Produkten, sei es bei Banken
oder Reinigungen bzw. im Lebensmittelbereich. Bei ei-
nem Vergleich, der nötig ist und ermöglicht werden muss,
geht es nicht nur um die Höhe der Preise, sondern auch um
die Qualität, gerade im Lebensmittelbereich.

Um den Verbraucher mündig zu machen, um ihm die
notwendigen Informationen zukommen zu lassen, hat
diese Bundesregierung entschieden gehandelt. Sie hat
völlig neue Strukturen geschaffen, um den Verbraucher
aus seinem Mauerblümchendasein, in dem Sie ihn über
viele Jahre hinweg gehalten haben, herauszuholen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Die Verbraucher brauchen, um preiswert – im Sinne
von „den Preis wert“ – Produkte und Dienstleistungen
kaufen zu können und am Markt teilnehmen zu können,
Information und Transparenz, Beteiligung und Schutz.
Die Möglichkeiten dafür sind jetzt geschaffen worden,
und zwar durch ganz neue Strukturen, das heißt durch ein
neues Ministerium, das jetzt Verbraucherschutzminis-
terium heißt. Wir vergessen fast, dass es hier einen Para-
digmenwechsel gegeben hat, auch mit der Ministerin
Renate Künast. Wo gehobelt wird, fallen eben auch
Späne. Sie von der Opposition hobeln ja erst gar nicht.


(Heiterkeit und Beifall beim BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN und bei der SPD – Albert Deß [CDU/CSU]: Sie ersticken mit Ihrer Politik in den Spänen!)


Zur Umsetzung der neuen Strukturen wurden das Ver-
braucherinformationsgesetz und das Neuordnungsgesetz
geschaffen. Es gibt jetzt eine Trennung von Risikobewer-
tung und Managementaufgaben. Bewertung und Handeln
sind nun getrennt. Wir haben jetzt zum ersten Mal eine
Struktur, die es ermöglicht, die Probleme im Verbrau-
cherschutz wirklich zu benennen und Regierungshandeln
objektiv zu gestalten. Das ist ein riesiger Schritt in Rich-
tung Verbraucherschutz.

Zum Verbraucherinformationsgesetz. Was wollen
Sie eigentlich? Auf der einen Seite sagen Sie, das Gesetz
sei ein Placebo, und auf der anderen Seite veranstalten Sie
eine große Schreierei, weil es die Wirtschaft beeinträchti-
gen könnte.


(Annette Widmann-Mauz [CDU/CSU]: Wir messen Sie nur an Ihren Versprechungen!)





Gudrun Kopp

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(C)



(D)



(A)



(B)


Richtig ist, dass es ein riesiger Schritt in Richtung zu
mehr Verbraucherschutz ist. Denn die Verbraucher haben
erstmals Zugang zu den Informationen, die sie brauchen,
und die Behörden haben die Möglichkeit – diesen Fall ha-
ben wir übrigens gerade wieder in Bayern, wo die Wirt-
schaft den Staat verklagt, weil er angeblich Maßnahmen
ergriffen hat, die nicht in Ordnung waren – , vorsorgenden
Verbraucherschutz gefahrlos zu praktizieren.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Das ist nicht nur für die Verbraucher interessant, sondern
vor allem auch für die Multiplikatoren, die Presse und die
Verbraucherverbände, die auf diese Art und Weise die
Verbraucherinformation sehr stark verbessern können.
Wir haben zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen. Wir
haben die Arbeit der Verbraucherorganisationen und die
Informationstätigkeit der Medien gestärkt und den Zu-
gang für die Verbraucher und Verbraucherinnen selbst ge-
sichert. Ich meine, das ist ein riesiger Schritt.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Dieser Schritt bezieht sich auf die Lebensmittel und Be-
darfsgegenstände, also auf eine sehr große Gruppe von
Wirtschaftsgütern. Das scheint Ihnen aber zu wenig zu
sein. Sie können ohne weiteres die Länder unterstützen.
Das tun wir auch. Derzeit haben Sie auch die Gelegenheit,
bei der Produktsicherheitsrichtlinienumsetzung noch wei-
tere Schritte zu gehen. Wir warten dabei auf Ihre weitere
Unterstützung.

Auch der Bereich Dienstleistungen wird sicherlich
demnächst diskutiert werden. Wir werden noch weitere
Schritte unternehmen – und zwar gern mit der Opposition
gemeinsam –, weil mehr Transparenz auf dem Markt auch
Innovationen und mehr Erfolg für deutsche Produkte ge-
rade im Wettbewerb mit anderen Ländern bedeutet.

Im Verbraucherschutz spielen die Siegel und Labels
eine große Rolle für die Transparenz auf dem Markt. Das
Biosiegel ist sehr wohl positiv zu erwähnen.


(Peter H. Carstensen [Nordstrand] [CDU/ CSU]: Bioprodukte sind noch nicht einmal vom Lebensmittelmonitoring erfasst!)


Der Erfolg auf dem Markt ist bereits sichtbar geworden.
Durch diese Unterstützung haben wir eine Umsatzsteige-
rung um 30 Prozent erreichen können. Die Ökofläche hat
sich um 20 Prozent erhöht. Das ist ein riesiger Erfolg. Wir
möchten, dass dieses erfolgreiche Marktsegment noch
vergrößert werden kann.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Als Letztes möchte ich die Labels im Bereich der kon-
ventionellen Produktion – beispielsweise das QS – an-
sprechen. Ich bin davon überzeugt, dass auch dieses Kon-
zept einen positiven Widerhall auf dem Markt findet, und
dass auch die neuen Labels in anderen Bereichen wie die
Handy- und Energielabels erfolgreich sein werden.

Labels, Verbraucherkennzeichnungen und Zertifizie-
rungen bedeuten für die Verbraucher, dass sie Geld sparen

können und mehr Qualität erzielen können. Es ist diese
Bundesregierung, die diese Möglichkeiten sehr offensiv
schafft.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Zuruf von der FDP: Welche Lyrik!)


Aber Verbraucherpolitik heißt nicht nur, die Verbrau-
cher aufzuklären und ihnen Zugang zu Informationen zu
verschaffen, sondern sie bedeutet auch Schutz, zum Bei-
spiel wenn es um Kinder geht oder die Verbraucher in
ihren gesundheitlichen Rechten beeinträchtigt sein könn-
ten. Auch auf diesem Gebiet sind wir weit fortgeschritten.

Im Bereich Gentechnik – das habe ich gerade in der
Diskussion gehört – haben wir erreicht, dass es zu einem
Monitoring kommt.


(Helmut Heiderich [CDU/CSU]: Sie haben das erreicht? Das ist schon seit fünf Jahren so!)


Die gesamte Bundesregierung hat verhindert, dass es zu
einem unkontrollierten Marktzugang von gentechnisch
veränderten Produkten kommt, und hat ein entsprechen-
des Monitoring und eine wissenschaftliche Untersuchung
des Nutzens und der mit dieser Technologie verbundenen
Risiken vorgeschaltet.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Helmut Heiderich [CDU/CSU]: Das Monitoring gibt es schon seit fünf Jahren!)


Die Bundesregierung und das BMVEL haben auch
dafür gesorgt, dass in vielen anderen Bereichen des Ver-
braucherschutzes – von den Azofarbstoffen bis zu den
Kinderspielzeugen – die Verbraucherinnen und Verbrau-
cher besser geschützt sind. Sie achten zudem darauf, dass
auch über den Lebensmittelbereich hinaus Schritte unter-
nommen werden, die dem Verbraucherschutz oberste Pri-
orität einräumen.

An dieser Stelle möchte ich noch einmal auf die Dis-
kussion in den letzten Tagen und Wochen zurückkom-
men. Es ging in erster Linie darum, dass Gesetze erlassen
werden, die aber nicht befolgt werden. Aus dieser Dis-
kussion wurde ersichtlich – ich nenne die Stichworte
„BSE-Tests“ und „Chloramphenicol“, insgesamt antibio-
tische Rückstände –, dass die Opposition den Verbrau-
cherschutz nur zur Instrumentalisierung benutzt.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Wir erleben es bei den BSE-Tests – das schockiert mich
immer wieder, obwohl ich vielleicht mit den Jahren daran
gewöhnt sein sollte –, dass Gruppierungen – die Führer
von Genossenschaftsvereinigungen genauso wie der Prä-
sident des Deutschen Bauernverbandes – die Regierungen
unter Druck setzen. Im Fall des Verbraucherschutzminis-
ters Sinner war es die „Stern“-Geschichte. Es gab in der
Tat eine offene Einflussnahme auf den Verbraucher-
schutzminister in Bayern, was die BSE-Tests und die Ver-
kehrsfähigkeit bzw. nicht vorhandene Verkehrsfähigkeit
von Fleisch angeht. Im Fall der BSE-Tests und der Anti-
biotikarückstände werden plötzlich Gesetzesverstöße ver-




Ulrike Höfken
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(B)


harmlost. Es gibt aber einen Unterschied: Im Fall der mit
Antibiotikarückständen belasteten Shrimps gehen Ihnen
die Verbraucherschutzanforderungen nicht weit genug.
Hier verlangen Sie – das wäre Ihnen am liebsten – sogar
den Sturz der Bundesregierung. Ich kann Ihnen nur sagen:
Frau Künast hat konsequent gehandelt; denn sie hat sofort
die bestehenden Informationslücken beseitigt.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Wenn es aber um antibiotische Rückstände im Bereich des
Pflanzen- und Obstbaus geht, wenden Sie plötzlich andere
Maßstäbe an. Ich möchte nicht missverstanden werden:
Auch ich bin an einer Lösung der Probleme der Obst-
bauern interessiert, die übrigens auf Ihre gesetzgeberi-
schen Maßnahmen zurückgehen. Aber man kann nicht mit
zweierlei Maß messen und die Bauern – Stichwort „Altes
Land“ und die damit zusammenhängenden Verstöße ge-
gen das Pflanzenschutzmittelrecht – in die unheilvolle Al-
lianz aus mangelhafter Beratung und Kontrolle ziehen
und sie bei Gesetzesverstößen bestärken.


(Albert Deß [CDU/CSU]: Schon wieder unqualifizierte Vorwürfe!)


Das darf nicht sein. Wenn man es mit dem Verbraucher-
schutz ernst meint, dann darf man nur einen einzigen
Maßstab anlegen. Das Motto lautet: Information, Kenn-
zeichnung, Schutz und Partizipation der Verbraucher bei
gleichzeitiger Wahrung der Interessen der Wirtschaft. Die
bestehenden Gesetze müssen eingehalten werden.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1422401100
Frau Kol-
legin, kommen Sie bitte zum Schluss.


Ulrike Höfken-Deipenbrock (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1422401200
Denn
man kann nicht Gesetzesverstöße verharmlosen und
gleichzeitig erwarten, dass die Verbraucher das neue
Qualitätszeichen QS, das im konventionellen Bereich ein-
geführt wird, entsprechend würdigen. Die Verbraucher
werden dieses Qualitätszeichen nur dann zu würdigen
wissen, wenn sie sehen, dass die Gesetze ernst genommen
werden.

Danke schön.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1422401300
Das Wort
hat jetzt unsere Kollegin Kersten Naumann von der PDS-
Fraktion.


Kersten Naumann (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1422401400
Herr Präsident! Meine Da-
men und Herren! Frau Künast, man kann sich natürlich al-
les schönreden. Aber die Realitäten sehen völlig anders
aus, als Sie sie gerade geschildert haben. Ich hoffe trotz-
dem, dass Sie Ihre Träume Realität werden lassen können.
Wir würden Ihnen dabei gerne helfen.


(Beifall des Abg. Rolf Kutzmutz [PDS])


In einem Koalitionsantrag – daran kann ich mich noch
gut erinnern – ist nachzulesen:

Verbraucherschutz ist als durchgängiges Leitprinzip
anzuerkennen und muss zur politischen Richtschnur
bei allen Entscheidungen und Maßnahmen
werden …

Wo ist dieses durchgängige Leitprinzip, wenn es um den
Schutz vor Täuschung und die wirtschaftliche Übervor-
teilung im Zusammenhang mit der Riester-Rente geht?
Wo war es, als der Diskurs zur grünen Gentechnik wieder
eröffnet wurde, sich die Bundesregierung aber bereits im
Vorfeld auf einen Schwellenwert von 1 Prozent geeinigt
hatte? Wo ist dieses durchgängige Leitprinzip, wenn
es um das Werbeverbot bei Tabak und Alkohol oder um
das Verbot des Rauchens auf öffentlichen Plätzen geht?
Lang ist die Liste der schamlosen Abzockereien, gegen
die nicht wirkungsvoll vorgegangen werden kann. Zahl-
lose Gewinnspiele, ruinöse Immobiliengeschäfte und un-
erlaubte Faxwerbung sind nur ein Teil dieser langen Liste.

Seit gestern ist klar: Das geplante Verbraucherinfor-
mationsgesetz wird den Wirtschaftsinteressen geopfert.
Jetzt soll die Auskunftspflicht nur noch gegenüber Behör-
den bestehen und nur noch für Lebensmittel gelten. Die
Wirtschaft, von den Versicherungen über den E-Com-
merce bis hin zum Einzelhandel, setzt mit ihren riesigen
Werbeetats die Trends. Sie hat den längeren Arm und be-
stimmt, was wie in welcher Qualität und welche Informa-
tionen auf den Markt kommen. Jährlich werden hierzu-
lande über 30 Milliarden Euro für Werbung ausgegeben.
Allein die Werbeausgaben im gesamten Tabakbereich be-
trugen 1997 rund 45 Millionen Euro. Die Tabakindustrie
sollte diese Summe lieber in einen Gesundheitsfonds ein-
zahlen, um betroffene Patienten und Arbeitsplätze im Ge-
sundheitswesen zu retten.


(Beifall bei der PDS)

Wenn man dann noch bedenkt, dass diese Werbekosten

von der Steuerschuld abgezogen werden können, dass aber
für eine unabhängige Verbraucherarbeit gerade einmal
75 Cent pro Bürger – das sind rund 60Millionen Euro – an
öffentlichen Mitteln zur Verfügung stehen, dann wird die
Schizophrenie der Sache deutlich.

Verbraucherschutz heißt doch aber auch Verbrau-
cheraufklärung. Bildung schützt am besten vor Irre-
führung. Verbraucheraufklärung und -information sind
eine staatliche Bringeschuld, die von der Wirtschaft zu fi-
nanzieren ist.

Wie sieht es zum Beispiel mit dem Schutz von
Jugendlichen vor Unterhaltungsprodukten wie Videos,
Computerspielen und TV-Thrillern nach Zielaltersgrup-
pen aus? Längst ist nachgewiesen, dass ein Zusammen-
hang zwischen medialer Gewaltdarstellung und zuneh-
mender Jugendgewaltbereitschaft besteht. Auch ist be-
kannt, dass trotz einer rechtlichen Altersregelung zur
Alkoholabgabe ein wirklicher Schutz von Minderjährigen
vor dem Kauf von Alkohol nicht besteht. Das beweist ein-
mal mehr: Es sind vor allem die Verbraucherrechte im All-
tag, gegen die regelmäßig verstoßen wird.


(Beifall bei der PDS)





Ulrike Höfken

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(B)


Verbraucherrechte sind zwar in vielen Gesetzen bis
hin zum Grundgesetz verankert; Verbraucherschutz in der
Marktwirtschaft durchzusetzen ist aber fast so aussichts-
los wie der Versuch, mit dem Fahrrad einen Schnellzug
einzuholen.

Da offensichtlich ist, dass Wirtschafts- und Verbrau-
cherinteressen nicht in Einklang zu bringen sind, müssen
gesellschaftlich gewollte und für den Verbraucherschutz
erforderliche Hygiene-, Umwelt-, soziale und wirtschaftli-
che Standards gesetzlich geregelt werden. Selbstkontrolle
und Selbstverpflichtung der Hersteller, bestimmte Stan-
dards einzuhalten, sind keinesfalls ausreichend. Hier bleibt
als einzig Erfolg versprechende Lösung eine verstärkte un-
abhängige staatliche Kontrolle; Bund und Länder dürfen
die ihnen obliegenden Inspektionen nicht dem Sparprinzip
opfern. Praktisch würde dies bedeuten, in allen Unter-
nehmen ab einer bestimmten Größe die gesellschaftliche
Gütekontrolle einzuführen, die vom Unternehmen zu be-
zahlen ist. Es kann nicht sein, dass in der Wirtschaft
immense Gewinne privatisiert werden, während der
Staat, also auch die Bundesländer, und damit letztlich der
Steuerzahler für die Kontrollaufgaben aufkommt.

Deshalb sieht die PDS in folgenden Punkten dringen-
den Handlungsbedarf:

Erstens. Um die Rechte der Verbraucher zu stärken, be-
darf es effizienter personeller und sachlicher Rahmenbe-
dingungen für unabhängige Verbraucherarbeit. Für den
Verbraucherschutz ist ein Kernhaushalt notwendig. Die-
ser muss gesetzlich verankert werden; denn angesichts
steigender Anforderungen durch die Schuldrechtsmoder-
nisierung, die Rentenreform, die Telekommunikation, die
Euroumstellung usw. hört man immer wieder: zu wenig
Personal, zu wenig Geld und zu wenig Sanktionsmög-
lichkeiten.

Zweitens. Verbraucherorganisationen und Bürgerini-
tiativen müssen in allen relevanten politischen Gremien
vertreten sein.


(Beifall bei der PDS)

Wo auch immer Verbraucherrechte tangiert werden, sind
die Verbraucher zu befragen und in die Entscheidungen
einzubeziehen.

Drittens. Bei der Liberalisierung und Privatisierung
ganzer Marktsegmente wie Telekommunikation, E-Com-
merce, Gesundheitsdienstleistungen und -pflege sowie
privater Altersvorsorge müssen Bund und Länder dafür
Sorge tragen, dass Verbraucher am Markt gleiche Chan-
cen erhalten. Neue Gesetze zur Anpassung an den EU-
Markt, so beim E-Commerce und bei der Riester-Rente,
sollen mehr Transparenz bei den Verbrauchern schaffen.
Faktisch aber hat sich die Situation verkompliziert, weil
die Verantwortung in den privaten Bereich verlagert wor-
den ist.

Viertens. Eine vorsorgende Verbraucherpolitik erfor-
dert die Konzentration von Zuständigkeiten mit wirksa-
men Einfluss- und Kontrollrechten wie einem suspensi-
ven Vetorecht in der Verwaltung und im Parlament. Weder
ist die eindeutige Zuordnung der wesentlichen Zuständig-
keiten mit der Reorganisation des gesundheitlichen Ver-
braucherschutzes abgeschlossen noch ist die vorgesehene

Zielstellung mit zwei neuen Institutionen als die beste Lö-
sung anzusehen.

Fünftens. Die konsequente Durchsetzung des Verursa-
cherprinzips im Produkt- und Umwelthaftungsrecht
würde dazu beitragen, dass Reparatur- und Risikokosten
nicht wie bisher sozialisiert werden, das heißt, dass letzt-
lich nicht mehr der Steuerzahler dafür aufkommt.

Sechstens. Im Verbraucherinformationsgesetz sind
eine Produkt- und Prozesstransparenz, die Sammelklage-
befugnis für Verbraucherverbände sowie der öffentliche
Zugang zu staatlichen Prüfergebnissen zu verankern. Es
ist auf keinen Fall nur auf den Lebensmittelsektor und auf
die Auskunftspflicht von Behörden zu beschränken.

Siebentens. Bei der Neuausrichtung der Agrar- und
Ernährungspolitik müssen Lebensmittelproduktion und
-hygiene nicht nur gesundheitliche Risiken ausschließen,
sondern auch die Belange der Umwelt und ethische
Wertvorstellungen, insbesondere was die grüne Gentech-
nik betrifft, berücksichtigen.


(Beifall des Abg. Dr. Ilja Seifert [PDS] – Dr. Ilja Seifert [PDS]: Die rote auch!)


Damit dem eingangs genannten Leitsatz der Koalition
Rechnung getragen wird, muss der Schutz vor gesund-
heitlichen und sozialen Risiken sowie rechtlichen und
wirtschaftlichen Nachteilen der Verbraucher Vorrang vor
wirtschaftlichen Kapitalinteressen haben; denn sonst
bleibt alles nur Makulatur.


(Beifall bei der PDS)

Das kann weder die Regierung noch die Opposition wol-
len, noch wäre dies im Sinne der Verbraucherinnen und
Verbraucher.

Danke.

(Beifall bei der PDS)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1422401500
Das Wort
hat jetzt die Kollegin Ute Kumpf von der SPD-Fraktion.


Ute Kumpf (SPD):
Rede ID: ID1422401600
Sehr geehrter Herr Präsident!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Werte Kollegin
Widmann-Mauz, es gibt im Schwäbischen ein Sprichwort


(Albert Deß [CDU/CSU]: Es gibt mehrere!)

– dieses ist aber besonders wichtig –: Erst mit 40 wird der
Schwabe gescheit. Bisher habe ich immer gedacht: Das
gilt für die Männer. Ich habe aber festgestellt – Ihr Re-
debeitrag ist ein Beweis dafür –, dass das inzwischen auch
für die Frauen gilt – leider.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ich will in Erinnerung rufen – der Schwabe und auch
die Schwäbin an sich sind manchmal sehr vergesslich –,
dass das Jahr 2001 einen Wendepunkt in der Geschichte
des Verbraucherschutzes darstellt. Der BSE-Skandal
war der Höhepunkt einer Entwicklung. Da hilft kein
Leugnen und kein Wegsehen. Weder die Musterknaben in
Bayern noch die Musterknaben in Baden-Württemberg




Kersten Naumann
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(B)


konnten sicher sein, dass BSE sie nicht erreicht. Sie muss-
ten entdecken, dass sie nicht verschont geblieben sind. Als
in Großbritannien vor allem bei Schafen und Rindern
dann noch die Maul- und Klauenseuche ausbrach, strebte
das Inferno einen vorläufigen Höhepunkt an.


(Dr. Andreas Schockenhoff [CDU/CSU]: Dann kam noch die Künast!)


Die abendlichen Bilder von den brennenden Scheiter-
haufen haben das Vertrauen der Verbraucher in die Si-
cherheit und in die Qualität landwirtschaftlicher Produkte
nachhaltig erschüttert und – auch bei uns – eine Schock-
welle ausgelöst, die die gesamte Lebensmittelbranche, die
Landwirtschaft, die Ernährungsindustrie und den Handel,
in Aufruhr versetzte und die Verbraucherpolitik revolutio-
nieren wird, zum Teil sogar schon revolutioniert hat. Ein
solches Lob haben nicht wir uns ausgesprochen, sondern
Hans-Werner Sinn, Präsident des Ifo-Instituts in Mün-
chen. Hans-Werner Sinn hat uns attestiert, dass wir auf die
BSE-Krise durch die Neustrukturierung des Ministeriums
und durch die Schaffung neuer rechtlicher Grundlagen
entschlossen reagiert haben, um die gläserne Produktion
sicherzustellen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU/CSU,
was entdecken wir denn da auf einmal?


(Annette Widmann-Mauz [CDU/CSU]: Sie schreiben doch bei uns ab!)


Auf einmal erklären auch Sie, die Sie nicht mehr in Re-
gierungsverantwortung sind, ganz vollmundig, dass Ver-
braucherschutzpolitik fester Bestandteil der sozialver-
pflichteten marktwirtschaftlichen Ordnung ist. Das muss
man sich einmal auf der Zunge zergehen lassen. Ich kann
mir darüber nur verwundert die Augen reiben. Wo waren
denn Ihre Konzepte? Wo war denn Ihre sozialver-
pflichtete marktwirtschaftliche Ordnung, Ihre entspre-
chende Verpflichtung in den letzten 16 Jahren, als Sie die
politische Verantwortung getragen haben?


(Peter Bleser [CDU/CSU]: Wie lange wollen Sie noch von der Vergangenheit reden?)


Fehlanzeige auf der ganzen Linie!

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Wir, die rot-grüne Bundesregierung, haben Bewegung

in die Verbraucherpolitik gebracht; wir haben den Re-
formstau aufgelöst.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Mit der Schaffung des Bundesministeriums für Ver-
braucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft hat
der Verbraucherschutz in Deutschland erstmals Kabi-
nettsrang erhalten.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Die neue Stellung des Verbraucherschutzes wollen wir
Schritt für Schritt, kontinuierlich festigen und ausbauen.


(Albert Deß [CDU/CSU]: Gestern ist die Ministerin im Kabinett runtergebügelt worden!)


Die Verbraucherverbände bescheinigen uns, dass wir im
Bereich der Lebensmittelsicherheit und der Agrarpolitik
hoffnungsvolle Signale gesetzt haben. Durch die Moder-
nisierung des Schuldrechts haben wir eine Verbesserung
der Gewährleistungsrechte erreicht.

Jetzt an die Adresse der FDP: Wenn Glühbirnen schnell
verglimmen, wenn Anzüge schon nach geringer Benut-
zung durchgescheuert erscheinen, wenn Damenstrümpfe
bei der ersten zaghaften Annäherung eine Laufmasche
bekommen, wenn Kühlschränke rosten oder wenn das
Gulasch in der Pfanne schrumpft, dann sind die entspre-
chenden Produkte Fälle versteckter Qualitätsmängel.


(Widerspruch bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Frau Kopp, der liebe Markt regelt eben nicht alles. Es gilt
leider noch immer wirklich oft: Mehr Schein als Sein.


(Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Der Laschheitswettbewerb wird bedauerlicherweise ge-
stärkt.

Auch das in den letzten Jahren immer wässriger ge-
wordene Obst, das aufgeblasene, geschmacklose Ge-
müse, das Fleisch der mit Hormoncocktails gefütterten
Schweine, der labbrige Schinken, die holländischen
Retortentomaten, die furnierten Pressspanmöbel oder die
Sahne, die nach dem Schlagen zusammenfällt, finden lei-
der ihre Märkte, also die Märkte der Güter mit Quali-
tätsmängeln.

Es ist ganz verwunderlich oder auch nicht verwunder-
lich, dass gerade die Krise auf dem Lebensmittelmarkt
dazu geführt hat, dass drei Wissenschaftler einen Nobel-
preis erhalten haben, nämlich George Akerlof, Michael
Spence und Joseph Stiglitz, die von dem Markt der Le-
mon-Güter, der sauren Zitronen, reden und mit ihren
Beiträgen zur Theorie der asymmetrischen Information
eine Begründung für den staatlichen Verbraucher-
schutz geliefert haben.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Alle hier im Hause beschwören den mündigen Bürger,
den mündigen und aufgeklärten Verbraucher. Richtig,
auch wir wollen dieses. Der Staat soll den Bürger nicht
gängeln, der Bürger will den Staat nicht vor der Nase ha-
ben, er wünscht sich ihn an seiner Seite. Der Verbraucher
und die Verbraucherin sind die Schlüsselfiguren für un-
sere Verbraucherpolitik.

Aber in gleicher Weise – Herr Merz, hören Sie gut zu –,
wie BSE und MKS aus den Schlagzeilen der Medien ver-
schwunden sind, haben ungeachtet der BSE-Fälle der
Rindfleischkonsum und die Preise fast wieder das Vor-
jahresniveau erreicht.


(Friedrich Merz [CDU/CSU]: Das war zu schnell!)


Also warum eigentlich das Angebot ändern, wenn die
Nachfrage stimmt? So werden Sie fragen, und das fragen
sich auch die Landwirte und der Handel. Es besteht doch
gar keine Notwendigkeit zu einer Veränderung. Der




Ute Kumpf

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(C)



(D)



(A)



(B)


Verbraucher ist an dieser Stelle widersprüchlich. Unsere
Einschätzung und Bewertung ist: Veränderungen können
sich auf Dauer nur dann durchsetzen, wenn der Verbrau-
cher informiert und befähigt wird, seine Macht tatsächlich
mit dem Einkaufskorb einzusetzen, und wenn er dies auch
rational tut.

Der Werbung kommt bei der Überwindung von Infor-
mationsdefiziten zweifelsohne eine wichtige Rolle zu,
aber informative Werbung ist selten. Informative Wer-
bung wird oft durch Imagewerbung ersetzt. Die Mittel für
Imagewerbung wären aber oft besser eingesetzt, um Pro-
dukte insgesamt zu verbessern. Deswegen setzen wir auf
Transparenz, Eigenverantwortung, Kontrolle und Nach-
haltigkeit. Das sind Schlagworte, Frau Widmann-Mauz,
die inzwischen auch die CDU abgeschrieben hat.

Staatliche Verbraucherpolitik muss in erster Linie auf
Aufklärung setzen. Nimmt die Lebensmittelaufsicht bei-
spielsweise eine Salami vom Markt, so darf sie nach der-
zeitiger Rechtslage zwar über die Tatsache an sich infor-
mieren, aber nicht über den Namen des Produktes oder
des Herstellers. Auch Informationen darüber, welche Fir-
men regelmäßig gegen das Lebensmittelrecht verstoßen,
sind derzeit noch geheime Verschlusssache.

Ein aufgeklärter Verbraucher und eine aufgeklärte Ver-
braucherin sind zunächst aber auf die umfassende Infor-
mation angewiesen. Daher muss ein Verbraucherinfor-
mationsgesetz den öffentlichen Zugang zu staatlichen
Prüfergebnissen und Bewertungen sicherstellen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Dieses Ziel verfolgen wir mit unserem Verbraucherinfor-
mationsgesetz und mit dem Gesetz zur Neuorganisation
des gesundheitlichen Verbraucherschutzes. Mit Geheim-
niskrämerei ist dann Schluss. Verbraucherinnen und Ver-
braucher erhalten bei Lebensmitteln und Bedarfsgegen-
ständen freien Zugang zu Produktinformationen, die den
Behörden vorliegen. Das gilt für Bund, Länder und Ge-
meinden. Das gilt auch für Informationen über die Be-
schaffenheit oder die Herstellungsbedingungen und für
Hinweise darauf, ob Produkte Allergene enthalten oder ob
sonstige Untersuchungsergebnisse vorliegen.

Freier Zugang zu Information heißt auch, dass die
Behörden darüber hinaus das Recht erhalten, von sich aus
über bestimmte Sachverhalte aktiv zu informieren. Auch
beim Verstoß gegen verbraucherschützende Vorschriften
werden die Behörden Ross und Reiter und schwarze
Schafe benennen können. Das ist nicht nur im Sinne der
Verbraucher; daran müssen auch die Unternehmen, die
sich vorschriftsmäßig verhalten, die eine weiße Weste ha-
ben und sich von Machenschaften anderer abgrenzen wol-
len, ein Interesse haben.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Bei den Diskussionen im Bundesrat wurde aus Baden-

Württemberg getönt, auf dieses Gesetz könne man ver-
zichten, es gebe in Baden-Württemberg ja ein besseres.
Weit gefehlt, liebe badischen und schwäbischen Kolle-
gen. Unser Gesetz – es ist zwar in Hochdeutsch verfasst,
aber man kann es ins Schwäbische übersetzen – ist bes-
ser, denn in dem baden-württembergischen Gesetz hat

der Verbraucher keinen allgemeinen Anspruch auf Infor-
mation.


(Peter H. Carstensen [Nordstrand] [CDU/CSU]: Soll eures denn auch überall gelten?)


Außerdem muss in Baden-Württemberg vor einer Veröf-
fentlichung noch eine Hürde genommen werden: Es muss
nachgewiesen werden, ob überhaupt ein öffentliches Inte-
resse an der Veröffentlichung besteht. Als Drittes muss
noch darüber Beweis geführt werden, dass der Veröffent-
lichung keine betrieblichen Belange entgegenstehen.
Diese Hürden und Stolpersteine gibt es bei unserem
Verbraucherinformationsgesetz nicht. Wir reden nicht nur
darüber, sondern wir handeln auch. Wir schaffen freien
Zugang zur Information.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Eine Kritik, die wir ernst nehmen, kommt dagegen aus
den Reihen der Verbraucherzentralen. Ihnen geht das Ge-
setz nicht weit genug. Auch Unternehmen sollten zur In-
formation verpflichtet werden. Diese Forderung konnten
wir in diesem ersten Schritt leider nicht realisieren, aber
wir werden sie nicht aus den Augen verlieren.


(Albert Deß [CDU/CSU]: Das war nicht die Schuld der Opposition!)


– Das habe ich auch nicht behauptet. Es ist immer schon
eine Binsenweisheit gewesen, dass man, um nach Peking
oder auf den Gipfel eines Berges zu kommen, erst einmal
unten beginnen und den ersten Schritt tun muss.

Die Unternehmen können aber auch von sich aus be-
weisen, wie ernst sie die Verbraucherinteressen und die
Qualität ihrer Produkte nehmen, indem sie sich eine
Selbstverpflichtung auferlegen und entsprechende Veröf-
fentlichungen von sich aus organisieren.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Dass die Unternehmen gut beraten sind, ihre Geheim-

niskrämerei aufzugeben, verdeutlicht ein Vorfall bei dem
Zigarettenhersteller Philip Morris. Rauchen an sich ist
schon nicht besonders gesund, aber die Bedingungen, un-
ter denen Zigaretten hergestellt werden, lassen schon
größte Bedenken aufkommen. Laut „taz“ vom 11. März
soll Philip Morris wissentlich 40 Jahre lang Zigaretten mit
defekten Filtern verkauft haben. Zu diesem Schluss kom-
men Autoren des Roswell Park Center Cancer Institute in
Buffalo, die Forschungs- und Medizindatenbanken des
Tabakherstellers durchforstet haben.


(Peter H. Carstensen [Nordstrand] [CDU/ CSU]: Was lernen wir daraus? Raucht deutsche Zigaretten!)


Alle Dokumente beinhalteten den Terminus Fall-out,
mit dem plastikartige Fasern beschrieben wurden, die an
der Schnittstelle des Filters entstehen und Krebs auslösen
können. Die Autoren vermuten, dass der Defekt bei der
Hochgeschwindigkeitsherstellung entstehe. Pro Sekunde
werden nämlich 250 Zigaretten produziert. Das heißt,
dass die Unternehmen nicht nur gehalten sind, über ihre
Produkte an sich zu informieren, sondern auch darüber,




Ute Kumpf
22194


(C)



(D)



(A)



(B)


welche gesundheitsschädigenden Wirkungen von der
Herstellung ausgehen können.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Zum Schluss noch einmal zurück zu unseren Nobel-
preisträgern und zur Frage, ob sich staatlicher Verbrau-
cherschutz rechnet, legitim ist und ob er auch entspre-
chende Wirkungen zeigen kann. Stiglitz, einer der
Preisträger und ehemaliger Chefökonom der Weltbank,
hat schon früh in seinen Schriften darauf hingewiesen,
dass sich informierte Verbraucher in einem Markt mit
Qualitätsmängeln nicht nur selbst helfen, indem sie
bessere Kaufentscheidungen treffen können, sondern sie
darüber hinaus auch einen positiven externen Effekt auf
andere Verbraucher ausüben. Durch ihre Kaufentschei-
dungen ermöglichen informierte Verbraucher anderen
weniger informierten Verbrauchern, vom Preis auf die
Qualität zu schließen. Dies, so der Ifo-Präsident Sinn,
rechtfertigt massive staatliche Unterstützungen – hören
Sie gut zu, Frau Kopp – für Institutionen, die Informa-
tionen über objektve Produkteigenschaften sammeln und
verbreiten. Damit schließt sich nämlich der Kreis.

Eine vorsorgende Verbraucherpolitik ist ein positiver
Standortfaktor.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wenn die Nachfrageseite gestärkt wird, der Verbraucher
zu einem Verbündeten für Qualität auf dem Markt wird,
dann können nachteilige Folgen des Wettbewerbs für die
nationale Wirtschaft sowie für die sozialen, ökologischen
und kulturellen Lebensbedingungen abgewehrt werden.
Daran werden wir Schritt für Schritt arbeiten, bis wir an
diesem Ziel angekommen sind.

Danke schön.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1422401700
Als
nächster Redner hat das Wort der Kollege Albert Deß für
die CDU/CSU-Fraktion.


Albert Deß (CSU):
Rede ID: ID1422401800
Herr Präsident! Sehr ver-
ehrte Kolleginnen und Kollegen! In Anlehnung an eine
Fernsehsendung kann man nach dieser Regierungs-
erklärung nur sagen: Was nun, Frau Künast? Was ist von
Ihren flotten Sprüchen, die Sie vor einem Jahr machten,
übrig geblieben?

Die gestrige Tagespresse gibt Antworten darauf. In der
„Berliner Zeitung“ steht: „Künasts Verbrauchergesetz
wird abgespeckt“. Die „Welt“ schreibt:

Künast setzt schärferen Verbraucherschutz nicht
durch.

Weiter heißt es:
Dabei ist von der ursprünglichen Fassung offenbar
nur noch wenig übrig geblieben.

Frau Künast, Sie gehen zwar forsch und zum Teil mit
Verleumdungen, so wie im „Greenpeace Magazin“ im
vorigen Jahr geschehen, gegen die Bauern vor.Wenn aber
das Kanzleramt die Industrie vor zu viel Informations-
pflicht schützt, dann geben Sie klein bei und sind plötzlich
mit einer Selbstverpflichtung der Wirtschaft zufrieden.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Noch verheerender ist das Urteil in der „FAZ“. Dort
heißt es gestern:

Der Paradigmenwechsel im Künast-Ministerium er-
setzt Wissenschaft durch Okkultismus.

Treffender kann man die Agrarwende nicht beschreiben.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Dazu passt, dass der Wissenschaftliche Beirat im No-
vember 2001 – dies wurde von Kollegin Widmann-Mauz
bereits angesprochen – geschlossen zurückgetreten ist.
Sachverstand, Frau Ministerin, ist bei Ihnen nicht gefragt.
Erwünscht ist bei Ihnen Hofberichterstattung, um der rot-
grünen Argarwende zu huldigen.

Die „FAZ“ schreibt weiter:
Wissenschaftliche Argumente zählen nicht, das Sa-
gen haben Ideologen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Genau das beschreibt die Situation der deutschen Ver-
braucherschutzpolitik.

Auch IhreWortwahl, Frau Ministerin, passt zu demAr-
tikel in der „FAZ“, in demvonOkkultismusdieRede ist. Im
Frühjahr vorigen Jahres sprachen Sie vom magischen
Sechseck derAgrarwende. Frau Ministerin, Magie hat mit
Zauberei zu tunundZauberei bedeutet,mit allenmöglichen
Tricks etwas vorzutäuschen. Sie, FrauMinisterin, täuschen
mit Ihrer Politik die Verbraucher und gefährden die Wett-
bewerbsfähigkeit der deutschen Landwirtschaft. Frau
Künast, Ihre flotten Sprüche sind nur Schall und Rauch.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Das sehen auch die Wähler so. Die Kommunalwahl,
die in Bayern stattgefunden hat, war die 19. Wahl in
Folge, bei der die Grünen Stimmen verloren haben.


(Friedrich Merz [CDU/CSU]: Gott sei Dank! – Susanne Kastner [SPD]: Was hat das denn mit Verbraucherschutz zu tun? Das ist ja eine interessante Verbraucherschutzrede!)


Die 20. – dann können Sie Jubiläum feiern – wird in
Sachsen-Anhalt stattfinden. Am 22. September schließt
sich dann mit der 21. Niederlage Ihr magisches Dreieck.


(Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Erklären Sie bitte einmal den Verbrauchern – damit
komme ich jetzt zu einer Sachaussage –, was das Füt-
terungsverbot von lebensmitteltauglichem tierischen
Fett bei Kälbern in Deutschland mit dem Verbraucher-
schutz zu tun hat. Wenn die Verfütterung dieser Fette eine




Ute Kumpf

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(D)



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(B)


Gefahr für unsere Verbraucher darstellt, ist es doch un-
verantwortlich, wenn Kalbfleisch aus Belgien, Holland
oder Frankreich bei uns verkauft werden darf. In diesen
Ländern wird nämlich genau das gleiche tierische Fett
verwendet.

Was nun, Frau Künast? Verbieten Sie sofort den Import
von Kalbfleisch nach Deutschland oder lassen Sie in
Deutschland die Beimischung von tierischem Fett in
Milchaustauschern wieder zu?


(Peter H. Carstensen [Nordstrand] [CDU/CSU]: So ist das!)


Wir lassen nicht zu, dass Sie sich bei diesem Thema
durchmogeln.Mit der jetzigen Regelung vertreiben Sie die
Kälbermast aus Deutschland. Ist es im Sinne des Tier-
schutzes und des Umweltschutzes, wenn Kälber aus
Deutschland in das europäischeAusland transportiert wer-
den und das Fleisch dieserTiere von dort wenig später wie-
der in die deutschen Supermärkte gelangt? An dem Bei-
spiel sieht man, wie weit Sie von der Realität entfernt sind.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Bauern, die ihren Beruf erlernt haben, werden ge-

zwungen, einen Sachkundenachweis nach dem anderen
zu erbringen. Wichtiger wäre es, wenn auch Minister, be-
vor sie ihr Amt antreten, einen Sachkundenachweis er-
bringen müssten.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Damit wäre uns einiges an verbraucher- und agrarpoli-
tischer Zauberei in Deutschland erspart geblieben.

Frau Verbraucherschutzministerin, wie ist es mit
Inhaltsstoffen in Lebensmitteln, die in Deutschland ver-
boten, in anderen EU-Ländern jedoch zugelassen sind?
Wo ist Ihr Aufschrei, wenn Lebensmittel aus anderen EU-
Ländern mit bei uns verbotenen Inhaltsstoffen in Deutsch-
land verkauft werden? Was nun, Frau Künast? Werden Sie
die Importe solcher Lebensmittel im Interesse des
Verbraucherschutzes verbieten oder ist weiterhin Schwei-
gen im Walde?

Ist es nicht eine Verhöhnung der deutschen Obst- und
Gemüsebauern, wenn Obst und Gemüse aus anderen
EU-Ländern hier in Deutschland verkauft werden darf,
das mit Pflanzenschutzmitteln behandelt ist, die in
Deutschland verboten sind? Genau in der Woche, in der
wir dieses Thema im Verbraucherausschuss behandelt ha-
ben, sind auf der Fraktionsebene im Reichstag Äpfel aus
Italien verteilt worden. Was nun, Frau Künast? Sind diese
Pflanzenschutzmittel eine Gefahr für die Verbraucher
oder nicht?


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Was ist mit den riesigen Tiermehlbeständen in der

Europäischen Union? Es besteht doch die Gefahr, dass
diese Bestände gehortet werden, bis die Europäische
Union die Verfütterung von Tiermehl an Schweine und
Geflügel wieder zulässt. Graefe zu Baringdorf hat davon
bereits gesprochen.


(Peter H. Carstensen [Nordstrand] [CDU/ CSU]: Er hat das befürwortet!)


Wann werden Sie im Ministerrat einen Beschluss durch-
setzen, dass diese Altbestände schnellstens beseitigt wer-
den müssen? Sonst müssen wir nach der Aufhebung des
Fütterungsverbotes wieder fragen: Was nun, Frau
Künast?


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Die „FAZ“ wird dann eventuell schreiben, dass das

Problem mit Okkultismus nicht zu lösen ist. Dazu sind
Sachpolitik und Durchsetzungsvermögen in Brüssel ge-
fordert. Beides vermissen Verbraucher und Erzeuger bei
der deutschen Verbraucherschutzministerin.

Nicht nur drei deutsche Tageszeitungen setzen sich,
wie eingangs bemerkt – die Aufzählung hätte auch belie-
big fortgesetzt werden können –, kritisch mit der Ver-
braucherschutzpolitik der rot-grünen Bundesregierung
auseinander. Noch vernichtender ist das Urteil von Ex-
Agrarminister Funke. In einer Pressemitteilung vom
23. Januar 2002 heißt es, er lasse kein gutes Haar an sei-
ner Nachfolgerin. Er bilanziert, Frau Künasts ganzes
Konzept sei unrealistisch. Es würden unberechtigterweise
Ängste bei den Verbrauchern geschürt. Die deutsche
Landwirtschaft verliere an Wertschöpfung und Arbeits-
plätzen. Er meint auch, vieles könne er nur noch ironisch
kommentieren.

Ein vernichtendes Urteil von Herrn Funke. Doch wo er
Recht hat, hat er Recht, auch wenn er der SPD angehört.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Dr. Hans-Peter Friedrich [Hof] [CDU/CSU]: SPD, klatschen! Das war ein Genosse!)


Selbst Peter Struck hat in Sachsen-Anhalt einige For-
derungen der grünen Ministerin als abenteuerlich be-
zeichnet.

In einem freien Markt in Europa werden dem Verbrau-
cherschutz nationale Alleingänge nicht gerecht. Die
CDU/CSU tritt dafür ein, den Verbraucherschutz europa-
weit gleichrangig zu verbessern. Dazu sind statt flotter
Sprüche in Deutschland sachbezogene Verhandlungen in
Brüssel notwendig. Auch für Importe aus Drittländern
sind die gleichen Standards im Verbraucherschutz erfor-
derlich, wie sie der deutschen Landwirtschaft abverlangt
werden.


(Beifall der Abg. Annette Widmann-Mauz [CDU/CSU])


Wer sich nur auf Kosten einer Minderheit politisch pro-
filiert – wie Sie das tun, Frau Ministerin –, vertreibt die
Agrarproduktion aus Deutschland und erreicht damit
nicht mehr, sondern weniger Verbraucherschutz.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Detlev von Larcher [SPD]: Ach, geh!)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1422401900
Herr Kol-
lege, kommen Sie bitte zum Schluss.


Albert Deß (CSU):
Rede ID: ID1422402000
Ein letzter Satz: Die CDU/
CSU will einen Verbraucherschutz, aufbauend auf wis-
senschaftlichen Erkenntnissen, mit den Bauern und nicht




Albert Deß
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(A)



(B)


einen ideologisch ausgerichteten Verbraucherschutz ge-
gen die Bauern.


(Detlev von Larcher [SPD]: Was ist das für ein Unsinn!)


Kein Berufsstand hat an einer verbraucherorientierten Le-
bensmittelerzeugung mehr Interesse als unsere Bauern
selbst. Nur zufriedene Verbraucher bleiben auch zufrie-
dene Kunden.

Danke schön.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Detlev von Larcher [SPD]: Das war aber ein Ideologe, der da gesprochen hat!)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1422402100
Das Wort
hat jetzt die Kollegin Michaele Hustedt von Bündnis 90/
Die Grünen.


Michaele Hustedt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1422402200

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Deß stellt
hier die Frage,


(Werner Siemann [CDU/CSU]: „Was nun?“ hat er gefragt!)


was die Kälbermast mit dem Verbraucherschutz zu tun
hat. Wer diese Frage nach dem BSE-Skandal noch stellt,
der hat anscheinend überhaupt nicht verstanden, worum
es beim Verbraucherschutz geht.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD)


Ich habe in Ihrem ganzen Redebeitrag nur Polemik
gehört,


(Albert Deß [CDU/CSU]: Nein, das waren Fragen!)


aber keinen einzigen eigenständigen Vorschlag,

(Albert Deß [CDU/CSU]: Doch! Da haben Sie am Schluss nicht zugehört!)

wie die Verbraucher in Zukunft besser geschützt werden
sollen.

Fakt ist: Sie haben den Verbraucherschutz als Poli-
tikfeld überhaupt noch nicht erobert. Fakt ist: Wir haben
den Verbraucherschutz in einem Ministerium zusammen-
gefasst und damit gestärkt. Fakt ist: Dies ist die erste Re-
gierungserklärung im Deutschen Bundestag zum Thema
Verbraucherschutz.


(Albert Deß [CDU/CSU]: Auch das stimmt nicht!)


Fakt ist: Die Verbraucher haben in der Person von Renate
Künast im Parlament und in der Regierung erstmalig eine
Stimme.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Worum geht es? Es geht beim Verbraucherschutz im
Prinzip um einen Dreiklang: Erstens. Die Verbraucher
müssen die freie Wahl haben. Darauf komme ich noch

zurück. Zweitens. Die Verbraucher müssen an Informa-
tionen herankommen können, um in ihrem Interesse sach-
kundig entscheiden zu können.


(Gudrun Kopp [FDP]: Das können sie ja gar nicht wissen!)


Drittens. Der Staat ist dafür verantwortlich, die Gesund-
heit der Verbraucher zu schützen und außerdem den
Schutz vor Betrug zu gewährleisten. Das sind die drei
Säulen des Verbraucherschutzes, für die sich Renate
Künast zusammen mit dem Verbraucherschutzministe-
rium verantwortlich fühlt.

Herr Deß, ich kann nur sagen: Ich habe in die Sach-
kompetenz von Renate Künast als Verbraucherschutz-
ministerin tausendmal mehr Vertrauen – wenn man sieht,
wie beliebt Renate Künast ist, dann muss man sagen: auch
die Bürger –


(Albert Deß [CDU/CSU]: Darum geht es bei den Grünen bei jeder Wahl abwärts! – HansPeter Repnik [CDU/CSU]: Die Regierung hat wenig Vertrauen in diese Ministerin! Bei dieser leeren Regierungsbank!)


als in Ihren ehemaligen Landwirtschaftsminister. Sie haben
damals den Dicksten aus Ihrer Fraktion, der am engsten mit
den Lobbyisten der Bauernschaft verbunden ist, zum Land-
wirtschaftsminister gemacht.


(Peter H. Carstensen [Nordstrand] [CDU/ CSU]: Das war doch euer Minister! Borchert war das nicht!)


Spätestens seit der BSE-Krise konnte man sehen, dass er
die Interessen der Verbraucher nicht vertreten hat.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Detlev von Larcher [SPD])


Zum Verbraucherschutz gehört, dass die Verbraucher
eine Wahl haben.


(Peter H. Carstensen [Nordstrand] [CDU/ CSU]: Ein Glück! Am 22. September!)


Wir haben die Liberalisierung bestimmter Märkte schon
hinter uns. Wir können uns doch noch daran erinnern, wie
befreit man sich gefühlt hat, als man den Telefondienst-
leister selbst wählen konnte. Dieser Wettbewerb hat zu
weit gehenden Preisnachlässen bei den Telefontarifen ge-
führt.

Es gibt jetzt auch die Liberalisierung des Energie-
marktes. Auf dem Papier haben wir zwar eine 100-pro-
zentige Marktöffnung. Aber wenn man sich die Zahlen
anschaut, wie groß die faktische Öffnung des Energie-
marktes ist – ich habe die entsprechenden Zahlen aus ei-
ner Quelle der EU –, dann zeichnet sich folgendes Bild ab:
Finnland 20 bis 30 Prozent, die Niederlande 10 bis 20 Pro-
zent, Großbritannien 40 bis 50 Prozent. In Deutschland
haben wir eine faktische Marktöffnung von nur 5 bis
10 Prozent. Das heißt, dass der Verbraucher in diesem Be-
reich immer noch nicht die freie Wahl bei den Strom-
lieferanten hat.

Je kleiner der Kunde ist, umso mehr muss bei der Li-
beralisierung darauf geachtet werden, dass die Interessen




Albert Deß

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(C)



(D)



(A)



(B)


des Verbrauchers berücksichtigt werden. Dass die Groß-
industrie bei der Liberalisierung ihre Interessen durchset-
zen kann, ist einleuchtend. Sie tut das auch. Es ist aber
überhaupt nicht gewährleistet, dass sich der einzelne
Kunde durchsetzen kann. Dies im Auge zu haben gehört
zum Verbraucherschutz dazu.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Auf der Tagesordnung steht noch die Novellierung des

Energiewirtschaftsgesetzes. Wir haben darauf gedrängt,
dass hier nicht nur der Gasbereich berücksichtigt wird,
sondern dass in diesem Zusammenhang auch über Strom
geredet wird. Die Verbändevereinbarung muss endlich
verrechtlicht werden, damit auch der einzelne Kunde in
der Lage ist zu klagen. Wir wollen, dass das Kartellamt in
seiner Funktion durch die Möglichkeit des Sofortvollzugs
gestärkt wird. Im Zweifelsfall soll nicht erst der kleine
Verbraucher den großen Stromkonzern verklagen, weil er
dann drei, vier oder fünf Jahre warten und viel Geld aus-
geben muss, um sein Recht zu bekommen. Wir wollen
vielmehr, dass das Kartellamt eine Schutzfunktion hat und
quasi eine Regulierungsbehörde in Deutschland darstellt,
damit der Verbraucher schnell und zügig zu seinem Recht
kommt.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Dazu gehört auch – Renate Künast und auch andere ha-

ben das bereits angesprochen –, dass man dafür sorgt, dass
es auf diesen Märkten eine Vielfalt der Akteure gibt. Wenn
es nämlich nur zwei oder drei Anbieter gibt, dann hat man
keine freie Wahl. Die andere Seite ist also, für die Vielfalt
der Akteure und damit für Wahlfreiheit zu sorgen. Des-
wegen sind Fusionen in diesen Märkten – Renate Künast
hat es angesprochen – unter dem Aspekt der Verbraucher-
schutzinteressen durchaus kritisch zu betrachten. Wenn
das Kartellamt zum Beispiel bei der Fusion von Eon und
Ruhrgas sagt, hier entstehe ein marktbeherrschender Kon-
zern im Gas- und Strombereich, dann ist unter dem Aspekt
der Verbraucherschutzinteressen ein sehr kritischer Blick
darauf zu werfen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Im Übrigen habe ich gehört, dass Herr Rexrodt diese
Fusion begrüßt. Zugleich ist er – das halte ich in diesem
Zusammenhang für sehr interessant – im Vorstand einer
PR-Agentur, die BP vertritt. BP hat aber ein Interesse an
dieser Fusion. Die Liberalität scheint also dann auf-
zuhören, wenn der schnöde Mammon beginnt.


(Widerspruch bei der FDP)

Wichtig ist Transparenz. Im Hinblick auf die Ener-

giemärkte ist von Bedeutung, dass die Bürger wissen, wo-
her ihr Strom kommt. Der Strom aus der Steckdose hat
keine Farbe. Daher unterstützen wir die Europäische
Union in ihren Bemühungen um den Aufbau eines Zerti-
fizierungssystems, das die Voraussetzung dafür ist, dass
man wählen kann, ob man Atomstrom, Strom aus erneu-
erbaren Energien, einen durchschnittlichen Strommix
oder Strom aus der Region kauft. Auch dies ist Teil der
Vertretung von Verbraucherinteressen.

In diesem Zusammenhang muss ich einer meiner Vor-
rednerinnen leider widersprechen, die behauptet hat, dass
wir die Energieberatung abgebaut hätten.


(Franziska Eichstädt-Bohlig [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Im Gegenteil!)


Das stimmt schlichtweg nicht. Im Jahr 2002 haben wir
circa 15 Millionen Euro in den Haushalt eingestellt,
6 Millionen DM mehr als im Jahre 2001.


(Beifall der Abg. Franziska Eichstädt-Bohlig [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Angesichts der knappen Haushaltskassen ist das eine be-
achtliche Steigerung der Förderung der Energieeinspar-
beratung; dies zeigt, dass wir ihr einen besonders wich-
tigen Stellenwert beimessen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Dasselbe gilt für die Unterstützung der Verbraucher-
beratung insgesamt. Der Haushaltsansatz für den Dach-
verband lag im Jahr 2000 bei 8,5 Millionen Euro, im
Jahr 2001 bei 9,3 Millionen Euro und im Jahr 2002 bei
11,5 Millionen Euro. Diese Stärkung der Verbraucher-
beratung zeigt, dass der Verbraucherschutz durch das
Verbraucherschutzministerium in Parlament und Kabinett
an Bedeutung gewonnen hat.

Ich danke Ihnen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1422402300
Das Wort
hat jetzt die Kollegin Marita Sehn von der FDP-Fraktion.


Marita Sehn (FDP):
Rede ID: ID1422402400
Herr Präsident! Liebe Kollegin-
nen und Kollegen! Der Titel Ihrer Regierungserklärung
„Auf dem Weg in eine verbraucherorientierte Marktwirt-
schaft“ macht wenig Sinn, Frau Künast. Eine Marktwirt-
schaft, die Angebot und Nachfrage in Einklang bringt, ist
automatisch verbraucherorientiert. Marktwirtschaft bein-
haltet bereits Verbraucherschutz.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Insofern kann ich heute Morgen nur staunen; denn man
hat den Eindruck, das Thema Verbraucherschutz sei etwas
ganz Neues. In Wirklichkeit ist es fast so alt wie Methu-
salem. Deshalb brauchen wir keine Worthülsen wie „ver-
braucherorientierte Marktwirtschaft“. Vielmehr brauchen
wir ein schlüssiges Konzept für einen ganzheitlichen Ver-
braucherschutz.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Alles, was bislang an Vorschlägen aus dem Verbrau-

cherschutzministerium bekannt geworden ist, zeigt, dass
sich Verbraucherschutz nach den Vorstellungen von Frau
Künast auf den Bereich der Lebensmittelsicherheit be-
schränkt.


(Beifall bei der FDP – Ulrike Höfken [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Quatsch!)





Michaele Hustedt
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(C)



(D)



(A)



(B)


Was ist denn diese so genannte Neuorganisation des
gesundheitlichen Verbraucherschutzes anderes als das
bloße Durcheinanderwürfeln bereits bestehender nachge-
ordneter Einrichtungen des BMVEL?


(Beifall bei der FDP)

Sehr geehrte Frau Künast, die Bürger haben sich mehr

als das bloße Auswechseln irgendwelcher Türschilder er-
hofft: „Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmit-
telsicherheit“ statt „Bundesamt für gesundheitlichen Ver-
braucherschutz und Veterinärmedizin“. Und das soll eine
Neuorganisation des Verbraucherschutzes sein? Wenn
Ihnen nicht mehr einfällt, ist das ein politischer Offen-
barungseid.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Sie hätten doch nur die Vorgaben des Von-Wedel-Be-

richtes umsetzen müssen. Aber nicht einmal dazu hat es
gereicht. Im Gegenteil: Die Vorschläge der Bundesregie-
rung stehen den in dem Von-Wedel-Gutachten erhobenen
Forderungen zum Teil diametral entgegen. Deshalb haben
sich auch die Wissenschaftler des BgVV in einem offenen
Brief gegen Ihre Vorschläge für eine Neukonzeption des
Verbraucherschutzes ausgesprochen. Wenn Sie sich schon
den konstruktiven Vorschlägen der Opposition verschlie-
ßen, sollten Sie zumindest auf Ihre Mitarbeiter hören,
Frau Künast.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Albert Deß [CDU/CSU]: Die schmeißt sie lieber raus!)


Wie wollen Sie die von Ihnen gewünschten strukturel-
len Änderungen umsetzen, wenn Sie für Ihre eigenen Mit-
arbeiter nur noch über offene Briefe zu erreichen sind?
Wie kommt es, dass Sie trotz der Kompetenz Ihrer Mitar-
beiter nicht in der Lage sind, ein schlüssiges Konzept für
eine effiziente Neuorganisation des gesundheitlichen Ver-
braucherschutzes vorzulegen?


(Albert Deß [CDU/CSU]: Sie hat schon zehnmal so viele Mitarbeiter entlassen wie ihr Vorgänger!)


Ihre bisherigen Vorschläge, verehrte Frau Künast, füh-
ren nicht zu einer Neuorganisation; sie stellen ein staat-
liches Bürokratieförderprogramm dar.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

In vier Jahren der Regierungsverantwortung sind die Grü-
nen zu regelrechten Ärmelschonerfetischisten geworden.
Immer dann, wenn die Grünen an die Lösung eines Pro-
blems herangehen, steht am Ende ein neues Behörden-
ungetüm. Das bringt nicht mehr Umwelt-, Gesundheits-
oder gar Verbraucherschutz. Nach grüner Philosophie soll
es wohl zeigen, dass man „etwas gemacht“ hat. Der Staat
braucht nach vier Jahren grüner Bürokratiemast dringend
eine Entschlackungs- und Abmagerungskur.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Die FDP ist da die geeignete Diätassistentin.
Ein Zulassungsverfahren für Pflanzenschutzmittel mit

sage und schreibe vier Einvernehmensbehörden führt zu

einem definitiven Bürokratie-Overkill. Frau Künast
wird in ihrer Bürokratieverliebtheit nur noch von ihrem
grünen Kollegen Jürgen Trittin übertroffen. Jürgen Trittin,
der Heilige Bürokratius in Person, Schutzpatron aller
Bürokraten,


(Albert Deß [CDU/CSU]: Schutzpatron der Castortransporte!)


bringt es bei der Umsetzung der EU-Biozid-Richtlinie so-
gar auf sieben beteiligte Behörden. Das Fatale dabei ist,
dass diese Bürokratieexzesse nicht ein Mehr an Verbrau-
cherschutz bringen. Sie kosten vor allem Geld, und zwar
das Geld der Verbraucher. Marktwirtschaft und Verbrau-
cherschutz sind kein Widerspruch, Bürokratie und Ver-
braucherschutz aber sehr wohl.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Ein schlanker Staat ist für die FDP auch eine Form von

praktiziertem Verbraucherschutz. Das Umweltbundesamt
blockiert bereits heute die Zulassung von Pflanzenschutz-
mitteln. Das Trauerspiel um die Zulassung von Plan-
tomycin gegen den Feuerbrand im Obstbau hat
eindrucksvoll die Ineffizienz des deutschen Zulassungs-
systems belegt. Dabei haben wir zurzeit nur zwei betei-
ligte Behörden. Sich vorzustellen, wie es erst mit vier
Einvernehmensbehören sein wird, überlasse ich Ihrer
Fantasie.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1422402500
Frau Kol-
legin Sehn, kommen Sie bitte zum Schluss.


Marita Sehn (FDP):
Rede ID: ID1422402600
Ja.
Anstatt, wie im Von-Wedel-Gutachten gefordert, eine

klare Struktur aufzubauen, schafft Frau Künast ein regel-
rechtes Behörden- und Kompetenzwirrwarr. Das ist kein
Verbraucherschutz, das ist eine institutionalisierte Form
der Verbraucherverunsicherung.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1422402700
Frau Kol-
legin Sehn!


Marita Sehn (FDP):
Rede ID: ID1422402800
Ich komme zum Schluss.

(Heiterkeit und Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Die Neuorganisation des gesundheitlichen Verbrau-

cherschutzes könnte ein Wendepunkt in der Verbraucher-
politik sein. Sie könnte ein Beleg dafür sein, wie die
Politik Strukturen sinnvoll zusammenführt. Sie könnte
damit zu einem Sinnbild eines schlanken, modernen Staa-
tes werden. Die Bundesregierung ist offensichtlich außer-
stande, diese Chance zu nutzen. Echter Verbraucherschutz
ist deshalb, die Bürger unseres Landes vor dieser ver-
brauchten Regierung zu schützen.

Danke.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)





Marita Sehn

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(C)



(D)



(A)



(B)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1422402900
Als nächs-
ter Redner hat das Wort der Kollege Peter Bleser von der
CDU/CSU-Fraktion.


Peter Bleser (CDU):
Rede ID: ID1422403000
Herr Präsident! Meine Da-
men und Herren! Eine Umfrage hat ergeben, dass die
meisten Menschen neben der Medizin die Ernährung als
maßgebend für den Erhalt ihrer Gesundheit ansehen. Es
ist also verständlich, dass Väter und Mütter höchst sen-
sibel reagieren, wenn Lebensmittelskandale bekannt wer-
den oder die Qualität von bestimmten Lebensmitteln in
Zweifel gezogen wird.

Die Lebensmittelskandale der letzten drei Jahre haben
die Menschen misstrauisch und unsicher gemacht. Wir,
die CDU/CSU, nehmen die Sorgen der Menschen, gerade
wenn es um die Qualität unserer Nahrungsmittel geht,
sehr ernst. Die Bundesregierung und Sie, Frau Künast, ha-
ben die Verängstigung hingegen genutzt, um eine Ihrer
links-grünen Ideologie entsprechende Agrarwende zu be-
gründen.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Der Bundeskanzler und Sie haben von „Masse statt

Klasse“ gesprochen und die Abschaffung der Agrarfabri-
ken gefordert. Die modern und nachhaltig produzierende
Landwirtschaft haben Sie zu Ihrem Feindbild erklärt.

Frau Künast, Sie sind jetzt 14 Monate im Amt. – Viel-
leicht hören Sie auch einmal zu. – Wir fragen Sie deshalb:
Was haben Sie in dieser Zeit ganz konkret zur Verbesse-
rung des Verbraucherschutzes umgesetzt?


(Jella Teuchner [SPD]: Sie haben nicht zugehört!)


Sind etwa irgendwo in Deutschland Agrarfabriken ge-
schlossen worden? Mir jedenfalls ist nichts davon be-
kannt geworden.


(Ute Kumpf [SPD]: Das war auch nicht Sinn und Zweck! Sie sollen gute Qualität liefern!)


Die gesetzlichen Maßnahmen im Zusammenhang mit
BSE zum Beispiel wurden noch zusammen mit uns von
Ihrem Vorgänger eingeleitet. Sie haben sich auf Sprüche
beschränkt, denen keine Taten gefolgt sind. Frau Künast,
Sie waren einfach nur laut.


(V o r s i t z: Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer)


Obwohl Sie alle Zeit und alle Chancen hatten, die ent-
sprechenden Vorkehrungen zu treffen, haben Sie schon im
Januar dieses Jahres bei der Abwehr gesundheitlicher
Gefahren durch aus China importierte Shrimps kläglich
versagt.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Einige Hundert Tonnen verseuchten Futters sind in die
Nahrungsmittelkette gelangt, Frau Künast.

Sie haben es bis heute nicht geschafft, die unter-
schiedlichen Vorgehensweisen der Bundesländer im Be-
reich der Lebensmittelüberwachung zu koordinieren.
Bis heute kommen in Deutschland Lebensmittel ohne

entsprechende Kennzeichnung im Wert von 37,3 Milliar-
den Euro auf den Markt, welche zu einem überwiegen-
den Teil zu Bedingungen erzeugt worden sind, die in
Deutschland nicht genehmigt worden wären. So dürfen
selbst in den EU-Staaten Pflanzenschutzmittel angewen-
det werden, die bei uns verboten sind. Aber Obst und
Gemüse, die mit diesen Pflanzenschutzmitteln behandelt
werden, sind dann, wenn sie aus anderen EU-Staaten
kommen, bei uns verkehrsfähig, während entsprechend
behandelte einheimische Produkte nicht abgesetzt wer-
den dürfen.


(Albert Deß [CDU/CSU]: So ein Widerspruch!)


Frau Ministerin, so geschickt wie Sie hat bisher noch
kaum jemand die deutschen Verbraucher getäuscht. An-
spruch und Handeln liegen bei Ihnen intergalaktisch weit
auseinander.

Sie, meine Damen und Herren von der Koalition, wer-
den jetzt sicher einwenden, dass Sie doch immerhin das
Biosiegel eingeführt haben, ein Siegel, das sich an den
niedrigeren europäischen Standards orientiert. Damit ha-
ben Sie den deutschen Biobauern einen Bärendienst er-
wiesen, die bei ihrer Produktion viel strengere Kriterien
anlegen.


(Albert Deß [CDU/CSU]: Masse statt Klasse geht immer vor!)


Haben Sie das etwa mit Ihrem Spruch „Klasse statt
Masse“ gemeint? Umgekehrt würde ein Schuh daraus.

Im Übrigen hat mir auf eine Anfrage im September
letzten Jahres Ihr Staatssekretär Dr. Thalheim


(Zuruf von der SPD: Ein guter Mann!)

bestätigt, dass bei uns Produkte aus der ökologischen
Landwirtschaft nicht der staatlichen Lebensmittelüberwa-
chung unterliegen. Auch dies haben Sie bisher nicht geän-
dert.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Friedrich Merz [CDU/CSU]: Was ist das denn?)


Vielleicht wird das jetzt anders. Sie wollen zwei neue
Bundeseinrichtungen schaffen, ein Bundesinstitut für Ri-
sikobewertung und ein Bundesamt für Verbraucherschutz
und Lebensmittelsicherheit. Dabei sollen Risikobewer-
tung und Risikomanagement auch noch an unterschiedli-
chen Standorten getrennt wahrgenommen werden. Schon
diese Konstruktion lässt erkennen, dass hierbei nichts Ge-
scheites herauskommen kann. Denn nur wer das Risiko be-
werten kann, kann auch die entsprechenden Empfehlun-
gen für dessen Beseitigung erarbeiten.

Das ist nicht nur meine Meinung, sondern diese Mei-
nung vertreten auch die Mitarbeiter des Bundesinstituts
für gesundheitlichen Verbraucherschutz und Veterinär-
medizin, was in einem Brief an Sie, Frau Künast, vom
Februar dieses Jahres deutlich wird. Im diesem Brief
heißt es:

Das geplante Bundesamt kann, wenn es die Bewer-
tung nicht zu seiner Kernkompetenz zählen und auf






(C)



(D)



(A)



(B)


das geplante Bundesinstitut angewiesen sein soll,
seine eigenen Entscheidungen und Ratschläge kaum
selbst verantworten.

Dem ist nichts hinzuzufügen.

(Beifall bei der CDU/CSU)


Wir von der CDU fordern unabhängige wissenschaftli-
che Lenkungsausschüsse zum Beispiel für Lebensmittel-
sicherheit, Produktsicherheit oder zur Unterstützung einer
nachhaltigen Pflanzenproduktion auf EU-Ebene mit na-
tionaler Spiegelung. Die wissenschaftlich fundierten Er-
kenntnisse können dann Grundlage für politisches Han-
deln werden.

Ihnen, Frau Künast, ist wissenschaftliche Unabhän-
gigkeit allerdings ein Dorn im Auge. Den wissenschaftli-
chen Beirat in Ihrem Haus haben Sie deshalb mit Ihnen
nahe stehenden Personen besetzt.


(Ulrike Höfken [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Jung und modern!)


Sie scheuen eine wissenschaftliche Debatte, weil Sie um
Ihr grün-ideologisches Weltbild fürchten.

Wer glaubt, dass das Durcheinander damit ein Ende
hat, irrt. Ganz im Gegenteil: Es kommt zu einer weiteren
Steigerung. Sie haben gestern ein Verbraucherschutzge-
setz durch das Kabinett gebracht;


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

vielmehr das, was davon noch übrig geblieben ist. Nun
hören Sie zu: Darin heißt es unter anderem, dass Sie mit
zusätzlichen Warn- und Auskunftspflichten den bewuss-
ten Einkauf nach ethischen Wertvorstellungen ermögli-
chen wollen. Wer sagt, was ethisch ist? Machen Sie das,
Frau Künast, oder haben wir einen weiteren Ethikrat zu
erwarten?


(Albert Deß [CDU/CSU]: Das wird ausgependelt!)


Ein gravierender Nachteil des Gesetzentwurfes ist aber
auch – das muss hier immer wieder angesprochen wer-
den –, dass er nur die heimischen Produzenten und Pro-
dukte und nicht die importierten Waren betrifft.

Meine Damen und Herren, es gäbe durchaus die Mög-
lichkeit, Verbraucherinformationen zu verbessern und
gleichzeitig eine qualitätssteigernde Wirkung zu erzielen.
Ich meine die große Palette von No-Name-Produkten,
auch Eigenmarken großer Handelsunternehmen genannt.
Insbesondere der Lebensmitteleinzelhandel kann in die-
sem Bereich keine Transparenz und Klarheit vom Acker
über den Stall und den Hersteller bis zur Ladentheke für
sich in Anspruch nehmen. Dazu, den leicht erkennbaren
Namen des Herstellers auf der angebotenen Ware zu ver-
langen, hat dieser Regierung der Mut gefehlt. Wir werden
dieses Thema aufgreifen.

Beispielhaft geht hier der Deutsche Bauernverband
vor. Mit der Einführung eines eigenen Qualitätssiegels
will er, beim Schweinefleisch beginnend, Transparenz
vom Stall bis zur Ladentheke herstellen.


(Ulrike Höfken [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das war doch das Rindfleisch!)


Damit erreicht der Bauernverband etwas, was der Minis-
terin weder national noch auf EU-Ebene gelungen ist,
nämlich den völligen Verzicht auf antibiotische Leis-
tungsförderer in der Schweinemast als Voraussetzung für
die Teilnahme an dem Qualitätszeichen „QS“ vorzu-
schreiben.

Meine Damen und Herren, ich fasse zusammen: Die
rot-grüne Bundesregierung hinterlässt in der Verbrau-
cherpolitik ein Chaos.


(Albert Deß [CDU/CSU]: So ist es! – Widerspruch bei der SPD)


Die Lebensmittelproduzenten stellen wegen der Unklarheit
der zukünftigen Linie der Ernährungs- und Verbraucher-
schutzpolitik Investitionen zurück. Das kostet Arbeits-
plätze. Die Verbraucher sind verunsicherter als je zuvor.


(Albert Deß [CDU/CSU]: Das ist doch System bei denen!)


Wir, die CDU/CSU, werden nach der Wahl ein neues
Kapitel in der Verbraucherschutzpolitik aufschlagen.


(Zuruf von der CDU/CSU: Man kann auch gut regieren!)


Zusammen mit den Verbraucherschutzorganisationen und
der Wirtschaft wollen wir die Position der Verbraucher am
Markt weit über den Ernährungsbereich hinaus erheblich
stärken. Die programmatischen Vorarbeiten hierzu sind
bereits weitgehend abgeschlossen.


(Zuruf von der SPD: Wir befürchten Schlimmes!)


Danke schön.


Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1422403100
Das Wort hat
jetzt die Abgeordnete Barbara Imhof.


Barbara Imhof (SPD):
Rede ID: ID1422403200
Frau Präsidentin! Liebe Kolle-
ginnen und Kollegen! Der gesundheitliche Verbrau-
cherschutz, über den ich heute hier noch einmal kurz
sprechen will, greift eigentlich in alle Bereiche des
Verbraucherschutzes hinein. Logischerweise ist eine Ab-
grenzung manchmal sehr schwierig.

Fest steht allerdings – ich hoffe, darin sind wir uns in
diesem Hohen Hause alle einig –, dass die Gesundheit un-
serer Bürgerinnen und Bürger das kostbarste Gut ist; das
gilt es zu bewahren.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

– Ja, da dürfen Sie gerne klatschen. – Wir fangen damit
bereits sehr weit im Vorfeld an, und zwar mit einer guten
Informationspolitik und einem erheblich erweiterten In-
formationszugang für die Verbraucherinnen und Verbrau-
cher, die manchmal leider auch Patientinnen und Patien-
ten sind.

Man kann sich allerdings etwas wundern, wenn man
sich manche Presseberichte der vergangenen Tage an-
schaut, die sich mit dem Verbraucherinformationsgesetz
beschäftigen. Hier und da wird kräftig gemeckert. Das
ist bei neuen Gesetzen ja nicht so ungewöhnlich. Den




Peter Bleser

22201


(C)



(D)



(A)



(B)


Unternehmern geht das Gesetz immer noch zu weit.
Manchmal ist sogar von Existenzgefährdung die Rede.

Ich möchte darauf hinweisen, dass es manche Herstel-
ler in der Vergangenheit auch ganz gut ohne unsere Hilfe
geschafft haben, sich in existenzgefährdende Absatzkri-
sen zu manövrieren. Ich denke dabei an die bereits viel-
fach zitierten Lebensmittelskandale – das kann man gar
nicht oft genug sagen –: an Tiermehl in Futtermitteln, an
Antibiotika wie Streptomycin in Bienenhonig, an ver-
seuchte Shrimps – diese sind auch schon erwähnt wor-
den –, an Salmonellen in Schokolade usw. Dabei kann ei-
nem der Appetit wirklich kräftig vergehen. Diese Liste
ließe sich beliebig fortsetzen.

Manche Hersteller konnten sich in der Vergangenheit
sicher fühlen – meiner Meinung nach viel zu sicher –,
wenn es darum ging, gesundheitsbeeinträchtigende Mittel
in den Lebensmittelkreislauf hineinzubringen. Wir aber
haben uns zum Ziel gesetzt, dass sich die Menschen in
unserem Land, die ja auch Kundinnen und Kunden sind,
sicher fühlen, wenn sie Lebensmittel, Pflegeprodukte
oder Medikamente kaufen und verbrauchen.

Auf der anderen Seite bedrängen uns natürlich auch die
schon zitierten Verbraucherorganisationen, denen unsere
Maßnahmen zur Stärkung des Verbraucherschutzes nicht
schnell und nicht weit genug gehen. Dafür haben wir Ver-
ständnis. Aber ich möchte genau an deren Adresse deut-
lich hervorheben, dass uns ihre Mitwirkung und ihre Stär-
kung ein ganz zentrales Anliegen sind. Frau Ministerin
Künast und auch unsere verbraucherpolitische Spreche-
rin, Frau Teuchner, haben das vorhin sehr deutlich gesagt.

Nach Jahren des Stillstands, des Auf-der-Stelle-Tretens
und zum Teil auch des Wegschauens haben wir jetzt mit
vielen kleinen Schritten in die richtige Richtung – auch
kleine Schritte sind Schritte – bewiesen, dass wir uns auch
beim gesundheitspolitischen Verbraucherschutz nicht auf
Lippenbekenntnisse beschränken. Aber wir wissen natür-
lich auch, dass noch sehr viel Arbeit vor uns liegt. Wir sind
wild entschlossen, sie in Angriff zu nehmen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Albert Deß [CDU/CSU]: Ihr habt aber nicht mehr viel Zeit bis September!)


Die Verbraucher bei ihrem selbstständigen Handeln zu
unterstützen und ihnen so viel Informationen wie möglich
an die Hand zu geben, das zieht sich wie ein roter Faden
durch unsere Verbraucherpolitik. Wir wollen Vorsorge
und Chancengleichheit beim Informationszugang ermög-
lichen. Durch das Verbraucherinformationsgesetz wird
aber auch erreicht, dass den Behörden nicht mehr wie so
oft in der Vergangenheit die Hände gebunden sind, wenn
es um die Vermittlung und Weitergabe von Informationen
geht. Sie müssen nun sogar von sich aus warnen, wenn sie
Gesundheitsgefahren befürchten. Aber auch wenn keine
Gefahr im Verzug ist, wenn es nur darum geht, dass auf
dem Etikett einer Wurstkonserve steht, dass kein Rind-
fleisch darin enthalten ist, dies aber nicht den Tatsachen
entspricht, können sie die Verbraucherinnen und Verbrau-
cher von sich aus darüber informieren.

Wir treffen damit Vorsorge vor möglichen gesundheit-
lichen Gefahren. Aber dieses Vorgehen schützt natürlich

auch die verantwortungsvollen Erzeuger und Hersteller
von Lebensmitteln. Wir können uns sicherlich noch alle
gut daran erinnern – es ist noch nicht so lange her –, wie
viele Landwirte durch den BSE-Skandal an den Rand ih-
rer Existenz gedrängt worden sind, weil die Verbraucher
– dabei möchte ich mich persönlich einschließen – total
verunsichert waren und allem und jedem misstraut haben.


(Albert Deß [CDU/CSU]: An der Verunsicherung waren der Herr Bundeskanzler und die Frau Ministerin selbst beteiligt! In der Zwischenzeit hat er sich entschuldigt!)


Unser Verbraucherinformationsgesetz bietet eine gute
Grundlage, um dieses Vertrauen wieder zurückzugewin-
nen. Daswird – da bin ich ganz sicher – allen Seiten nutzen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Dies wird auch an den Gesetzen deutlich, die wir auf
den Weg gebracht haben und die ganz besonders den
gesundheitlichen Verbraucherschutz in den Mittelpunkt
gestellt und gestärkt haben, zum Beispiel das Pflege-Qua-
litätssicherungsgesetz, das unter anderem die Pflegequa-
lität, die Qualitätssicherung und die Kontrolle zum Ziel
hat, und das Medizinproduktegesetz, in dem es unter an-
derem um die effiziente Überwachung von Medizinpro-
dukten geht.

Auch fördern wir – das will ich an dieser Stelle eben-
falls sagen – Modellvorhaben unabhängiger Einrichtun-
gen, die sich die Beratung und die Aufklärung von Pati-
entinnen und Patienten zum Ziel gesetzt haben. Gerade
kranke Menschen, aber auch ihre Angehörigen sind oft
verängstigt und verunsichert. Sie sind oft in einer Aus-
nahmesituation und glauben manchmal – das hängt mit al-
ten Strukturen und der Angst vor den „Weißkitteln“ zu-
sammen –, am kürzeren Hebel zu sitzen.

Wir wollen, dass Patientinnen und Patienten, Ärztin-
nen und Ärzte und auch die Vertreter der Krankenkassen
auf gleicher Augenhöhe miteinander kommunizieren.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Wir wollen Patientinnen und Patienten, die manchmal
sehr weitgehende Entscheidungen für ihr Leben treffen
müssen, in ihrer Verantwortung für sich selbst stärken und
unterstützen.

Wir wollen mündige Patientinnen und Patienten sowie
mündige Verbraucherinnen und Verbraucher. Ich denke,
diesem Ziel sind wir heute ein ganz großes Stück näher
gekommen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1422403300
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Helmut Heiderich.


Helmut Heiderich (CDU):
Rede ID: ID1422403400
Frau Präsidentin!
Kolleginnen und Kollegen! Die Presselandschaft gestern
war eindeutig, und zwar eindeutig vernichtend. Die




Barbara Imhof
22202


(C)



(D)



(A)



(B)


Ankündigungsministerin Künast ist erneut um Längen
hinter ihren großen Sprüchen zurückgeblieben.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Wenn Sie sich, Frau Ministerin, vorhin mit Dornröschen
in Beziehung gebracht haben, muss ich Ihnen sagen: Sie
kommen mir eher vor wie die Nina Hagen der Verbrau-
cherpolitik: große Röhre, grelle Auftritte, doch wenn das
Scheinwerferlicht aus und die Schminke ab ist, bleibt nur
viel Ernüchterung und viel grau in grau.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FPD)

Ihren Vorgänger im Amt muss ich nicht mehr zitieren,

Albert Deß hat das vorhin zur Genüge getan. Sie, Frau
Ministerin, haben am 8. Februar 2001 an dieser Stelle
vollmundig erklärt: „Verbraucherschutz wird jetzt end-
lich unter einem Dach gebündelt“. Sie sind mit diesem
großen Anspruch genauso gescheitert wie mit vielen an-
deren Ihrer vollmundigen Erklärungen. So hat Ihr Haus
beispielsweise immer noch keine Zuständigkeiten für
Trinkwasser oder für die Zulassung von Chemikalien,
wie wir das gerade aktuell beim Biozid-Gesetz feststel-
len. Aber auch bei anderen Verbraucherschutzthemen
– Sie haben sie vorhin aufgelistet – wie Strahlenschutz
beim Mobilfunk oder Finanzdienstleistungen müssen Sie
bei anderen MinisterienAnleihen nehmen, weil Sie selbst
bei weitem noch nicht das an Zuständigkeiten haben, was
Sie versprochen haben.

Statt notwendiger Aufgabenbündelung haben Sie mit
Ihrer neuen Organisationsstruktur an den Erfordernissen
von Praxis und Wissenschaft vorbei gehandelt. Die Tren-
nung in ein Bundesamt für Verbraucherschutz und Le-
bensmittelsicherheit sowie ein Bundesinstitut für Risiko-
bewertung verlängert die Entscheidungswege und schafft
neue bürokratische Hürden. So nennen auch die Verbrau-
cherverbände die von Ihnen durchgezogene Aufteilung
kontraproduktiv. Dabei hatte das Von-Wedel-Gutachten
gefordert, unnötige Schnittstellen und Doppelarbeit zu be-
seitigen.

Zu einem ähnlich negativen Urteil wie die Verbrau-
cherverbände kommt der Bundesverband für Tiergesund-
heit, wenn er zur bisherigen Praxis feststellt, dass gerade
die Gesamtverantwortung, in der alle Zulassungsschritte
von der Beurteilung der einzelnen Dossiers bis zur
Erteilung des Zulassungsbescheides zusammengeführt
wurden, zu einer erheblichen Steigerung der Effizienz
bei Einhaltung höchster Zulassungsstandards geführt
habe. Risikobewertung und Risikomanagement können
– so meine ich – nur in enger gegenseitiger Abstimmung
auf der Basis einer hohen Fachkenntnis erfolgreich durch-
geführt werden. Jetzt – so sagt auch der Bundesverband –
werde der Verfahrensablauf weiter verlängert. Zusätzli-
cher Abstimmungsbedarf mit der europäischen Behörde
werde notwendig und in der Folge würden die überwie-
gend mittelständischen national operierenden Unterneh-
men die Verlierer der Umstrukturierung sein. – So viel zu
Ihrem neuen Weg in der Marktwirtschaft.

Noch eine Stufe kritischer wird Ihre Festlegung gese-
hen, wonach künftig BBA, BfR, UBA und BVL als Ein-
vernehmensbehörden fungieren müssen. Jede Bewer-
tungsbehörde müsse also – so schreiben es die Fachleute –

wissenschaftliche Teilbereiche der anderen Bewertungs-
behörden mit bearbeiten und damit Doppelarbeit leisten.
Das Ganze führe letztlich zu einem Mammutverfahren,
das konträr zu den Erkenntnissen des Von-Wedel-Gutach-
tens stehe. – So die Fachleute und die Wissenschaft, aber
von denen halten Sie ja, wie vorhin zu hören war, relativ
wenig.

Insgesamt muss eine Abkoppelung von eigener For-
schung – das ist eigentlich einleuchtend – auf Dauer ein
Risikomanagement, das ja an der aktuellen wissen-
schaftlichen Entwicklung orientiert sein muss, zuneh-
mend problematisch werden lassen. So schreibt auch das
Von-Wedel-Gutachten konsequenterweise, dass eine va-
lide wissenschaftliche Politikberatung durch eine Institu-
tion ohne eigene qualifizierte wissenschaftliche Arbeit
nicht möglich sei. Der Kompetenzwirrwarr in Ihrem
Hause ist also keineswegs behoben und Ihre großartige
Ankündigung vom vergangenen Jahr wieder einmal
nichts als heiße Luft.

Lassen Sie mich an einem Beispiel ausführen, wie
schlecht der Verbraucherschutz in Ihrem Hause noch im-
mer funktioniert. Gerade gestern – das ist sicherlich auch
für die Kollegen sehr interessant – habe ich ein Schreiben
des hessischen Ministeriums für Umwelt, Landwirtschaft
und Forsten erhalten, in dem wieder einmal Ihre Untätig-
keit angesprochen wird. Sie, verehrte Frau Ministerin, ha-
ben bereits am 10. September vergangenen Jahres vom
hessischen Sozialministerium eine Mitteilung erhalten,
dass bei Rückstandsproben von Honig Carbendazim-
Rückstände festgestellt worden waren, und zwar interes-
santerweise auch bei zwei Ökohonig-Proben.


(Zurufe von der CDU/CSU: Oh! – Das ist ein Skandal!)


Das hessische Ministerium hatte danach Grenzwertüber-
schreitungen festgestellt und Ihr Haus gebeten, seine
Rechtsauffassung zur lebensmittelrechtlichen Beurtei-
lung der Rückstände umgehend mitzuteilen.

Meine Damen und Herren, bis zum heutigen Tage liegt
weder dem Land Hessen eine Beurteilung aus Ihrem
Hause vor, noch gibt es von Ihnen eine Antwort darauf, ob
bei der Zulassung Carbendazim-haltiger Mittel vor der
bald wieder stattfindenden Rapsblüte Änderungen im Zu-
lassungsverfahren erfolgen müssen.


(Albert Deß [CDU/CSU]: Das ist ja interessant!)


Ich will das nicht problematisieren. Aber wenn eine
Ministerin ständig die Worte „Verbraucherschutz“ und
„Verbraucherinformation“ in der Öffentlichkeit herum-
tönt, muss wohl auch festgestellt werden: Wenn sie inner-
halb von fünf Monaten nicht in der Lage ist, Ihrem Amts-
kollegen zu antworten, dann bleibt sie um Längen hinter
Ihrem eigenen Anspruch zurück.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Solange Sie, Frau Ministerin, noch nicht einmal sol-

che einfachen Vorgänge beherrschen, sollten Sie meiner
Meinung nach den Begriff „vorsorgenden Verbraucher-
schutz“ zurückhaltender benutzen. Wie wollen Sie denn
die Millionen Verbraucher in Deutschland informieren,




Helmut Heiderich

22203


(C)



(D)



(A)



(B)


wie Sie es mit Ihrem Gesetz angeblich vorhaben, wenn
Sie selber innerhalb von fünf Monaten nicht in der Lage
sind, Ihrem Ministerkollegen in Hessen eine Antwort zu
geben?


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Das gilt insbesondere vor dem Hintergrund, dass Sie bei
den Honigproben gerade in der letzten Zeit äußerst hef-
tig reagiert, die Grenzwerte auf ein Zehntel zurückgefah-
ren haben und damit auch – das ist schon häufiger hier
ausgeführt worden – ein riesiges Problem für die Obst-
bauern in Deutschland geschaffen haben. Welch ein er-
neuter Widerspruch zwischen Ihren Worten und Ihrem
Handeln!

Ähnliche Widersprüche sind in Ihrem Hause beispiels-
weise hinsichtlich der Rückstände von Dicloran in Erd-
beeren zu verzeichnen. Werden die Früchte aus anderen
europäischen Ländern importiert, dann werden bis zu
100fach höhere Rückstände toleriert als bei entsprechen-
der deutscher Ware. Das entspricht einem Verhältnis
1:100, Frau Ministerin. In Ihrer Rede auf der Grünen Wo-
che am 12. Januar haben Sie verkündet:

Mögliche Konflikte zwischen Verbraucherschutz bei
Lebensmitteln und Liberalisierung des Welthandels
dürfen nicht zu Lasten unserer Lebensmittelsicher-
heit und -qualität gehen,

In den Fällen, die ich eben vorgetragen habe, handeln Sie
aber ganz anders. Entweder sind die Grenzwerte in ande-
ren europäischen Ländern gesundheitlich unbedenklich
– dann müssen aber auch die deutschen Obstbauern
nach diesen Grenzwerten produzieren dürfen – oder die
Höchstwerte sind nicht hinnehmbar; dann müssen Sie
dafür sorgen, dass der Import schleunigst verhindert wird.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FPD)

Ansonsten ist all Ihr Gerede von den Rückstands-Höchst-
mengenverordnungen nichts anderes als politischer Ak-
tionismus auf dem Rücken der heimischen Bauern und
Verbraucher.


(Albert Deß [CDU/CSU]: Schall und Rauch!)

Frau Ministerin, ich zitiere zum Abschluss aus der

„FAZ“ von gestern:
Wissenschaftliche Argumente zählen nicht, das Sa-
gen haben die Ideologen.

Mit vielen Entscheidungen Ihres Hauses bestätigen Sie
diese Aussage. Ich meine, es wird Zeit, dass der Verbrau-
cher die Gelegenheit nutzt, sich von einer solchen Ideolo-
gie zu befreien.

Schönen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Albert Deß [CDU/CSU]: Am 22. September hat der Verbraucher die Möglichkeit!)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1422403500
Ich schließe da-
mit die Aussprache.

Der Entschließungsantrag der Fraktion der FDP auf
Drucksache 14/8520 soll an den Ausschuss für Verbrau-

cherschutz, Ernährung und Landwirtschaft überwiesen
werden. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall.
Dann ist die Überweisung so beschlossen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, die heutige Tages-
ordnung soll um die Beratung einer Beschlussempfeh-
lung des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und
Geschäftsordnung zu dem Antrag auf Genehmigung zum
Vollzug gerichtlicher Durchsuchungs- und Beschlagnah-
mebeschlüsse erweitert werden. Die entsprechende
Drucksache liegt Ihnen vor.


(Friedrich Merz [CDU/CSU]: Die nächste Korruptionsaffäre!)


Gibt es Widerspruch gegen die Erweiterung der Tages-
ordnung? – Das ist nicht der Fall. Dann ist so beschlossen.

Ich rufe den Zusatzpunkt 16 auf:
Beratung der Beschlussempfehlung des Ausschus-
ses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäfts-
ordnung (1. Ausschuss)

Antrag auf Genehmigung zum Vollzug gericht-
licher Durchsuchungs- und Beschlagnahme-
beschlüsse
– Drucksache 14/8536 –

Wir kommen sofort zur Abstimmung über die Be-
schlussempfehlung. Wer stimmt für diese Beschlussemp-
fehlung? – Gibt es Gegenstimmen? – Enthaltungen? –
Die Beschlussempfehlung ist einstimmig angenommen
worden.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 4 sowie die Zusatz-
punkte 2 a und 2 b auf:
4. Erste Beratung des von der Fraktion der

CDU/CSU eingebrachten Entwurfs eines Geset-
zes zum optimalen Fördern und Fordern in
Vermittlungsagenturen (OFFENSIV-Gesetz)

– Drucksache 14/8365 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung
Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Haushaltsausschuss

ZP 2a) – Zweite und dritte Beratung des von der Bundes-
regierung eingebrachten Entwurfs eines Geset-
zes zur Verlängerung von Übergangsregelun-
gen im Bundessozialhilfegesetz
– Drucksache 14/8010 –

(Erste Beratung 212. Sitzung)


– Zweite und dritte Beratung des von den Fraktio-
nen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zurVer-
längerung von Übergangsregelungen im Bun-
dessozialhilfegesetz
– Drucksache 14/7280

(Erste Beratung 199. Sitzung)





Helmut Heiderich
22204


(C)



(D)



(A)



(B)


Beschlussempfehlung und Bericht des Aus-

(11. Ausschuss)

– Drucksache 14/8531 –
Berichterstattung:
Abgeordneter Dr. Heinrich L. Kolb

b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Arbeit und Sozialord-
nung (11. Ausschuss)


– zu dem Antrag der Fraktionen der SPD und des
BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
Fördern und Fordern – Sozialhilfe modern
gestalten

– zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Heinrich L.
Kolb, Dirk Niebel, Dr. Irmgard Schwaetzer, wei-
terer Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Für eine Reintegration von Sozialhilfeemp-
fängern in den Arbeitsmarkt – Anreize für die
Rückkehr in das Erwerbsleben erhöhen

– zu dem Antrag der Abgeordneten Pia Maier,
Dr. Barbara Höll, Dr. Klaus Grehn, weiterer Ab-
geordneter und der Fraktion der PDS
Die Sozialhilfe armutsfest gestalten
– Drucksachen 14/7293, 14/59/82, 14/7298,
14/8531 –
Berichterstattung:
Abgeordneter Dr. Heinrich L. Kolb

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die
Aussprache anderthalb Stunden vorgesehen. – Es gibt kei-
nen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache. Als Erster hat das Wort der
Ministerpräsident des Landes Hessen, Roland Koch.

Roland Koch, Ministerpräsident (Hessen) (von Ab-
geordneten der CDU/CSU mit Beifall begrüßt): Frau Prä-
sidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Seit
einer ganzen Reihe von Monaten gibt es eine für jeden
deutlich vernehmbare Diskussion über die Frage, wie wir
mit Menschen, die seit langer Zeit arbeitslos sind und die
Ansprüche an die staatlichen Sozialsysteme haben, um-
gehen sollen, damit möglichst viele von ihnen eine
Chance haben, in Zukunft wieder ins Erwerbsleben
zurückzufinden. Angesichts von 4,3 Millionen Arbeits-
losen – wir alle wissen, in Wahrheit sind es 6 Millionen,
wenn man diejenigen, die in Arbeitsbeschaffungsmaß-
nahmen sind, hinzurechnet –,


(Widerspruch bei der SPD)

bei 1,6 Millionen Sozialhilfeempfängern in der Bun-
desrepublik Deutschland, bei ständiger Zunahme der
Zahl der Langzeitarbeitslosen, die weit über dem Durch-
schnitt anderer europäischer Staaten liegt, und an-
gesichts der in den letzten vier Jahren ständig gestiege-
nen Zahl der Sozialhilfeempfänger, die länger als fünf
Jahre Sozialhilfe beziehen, ist es in der Tat an der Zeit,

die Politik der ruhigen Hand zu beenden und endlich et-
was zu tun.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP– Klaus Brandner [SPD]: Haben Sie sich einmal die Zunahme der Zahl der Sozialhilfeempfänger während Ihrer Regierungszeit angeguckt? Mein Gott, was für ein jämmerlicher Vortrag!)


– Haben Sie wirklich keine besseren Argumente als den
Hinweis auf die Geschichtsbücher? Versuchen Sie einmal
die Zukunft zu gestalten! Ich dachte immer, die SPD
wollte einen Beitrag zur Zukunft der Menschen leisten.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP– Klaus Brandner [SPD]: Haben Sie einmal nachgeschaut, wie die Zahl der Sozialhilfeempfänger während Ihrer Regierungszeit gestiegen ist?)


Wenn man nach fast vier Jahren, in denen man an der Re-
gierung war, nichts anderes anzubieten hat als den Hin-
weis, dass andere vorher regiert haben, dann hat man vier
Jahre lang zu wenig getan. Darüber müssen wir, bitte
schön, diskutieren.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Wir haben inzwischen – das gilt jedenfalls für mein

Bundesland, vielleicht sogar im besonderen Maße – in ei-
ner ganzen Reihe von Landkreisen und Regionen, auf-
bauend auf jeweils eigenen Ideen, Modellversuche
durchgeführt und durchaus Erfolge bei der Etablierung
von neuen Beratungssystemen an der Basis gehabt. Es
gibt hier Vorreiter, die inzwischen glücklicherweise bun-
desweit eine Rolle spielen. Sie alle haben nur ein großes
Problem: Sie können auf der Grundlage des Job-AQTIV-
Gesetzes – Frau Staatssekretärin, Sie werden nachher
sicherlich noch etwas dazu sagen – zwar ein paar theore-
tische Vorarbeiten leisten. Aber die Tatsache, dass Anträge
auf Sozial- und Arbeitslosenhilfe in einem Büro bearbei-
tet werden, bedeutet noch lange nicht, dass in Zukunft nur
noch ein Formblatt für eine Hilfemaßnahme ausgefüllt
werden muss. Nein, es werden weiterhin zwei sein; denn
die Zahl der Formblätter hat sich nicht reduziert, sie dür-
fen bestenfalls auf einem Schreibtisch ausgefüllt werden.

Auch wenn ein Modell im Main-Taunus-Kreis oder im
Main-Kinzig-Kreis oder sonst wo in Hessen erfolgreich
ist, ist es verboten, es auf das ganze Bundesland auszu-
dehnen; Ihre Versuchsklausel verhindert das. Wir sind
über den Zeitpunkt hinaus, uns nur gegenseitig Vor-
schläge zu machen. Wir müssen zu handeln beginnen;
denn die Zahlen entwickeln sich so. Darum geht es bei
diesem Gesetzentwurf.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Ich bin der CDU/CSU-Bundestagsfraktion ausdrück-

lich dankbar dafür, dass sie dieses Thema ergänzend zu
den Beratungen im Bundesrat auch hier zur Sprache
bringt. Ich sehe, dass man im Bundesrat im Augenblick
auf Zeit spielt, und es ist zu erwarten, dass sozialdemo-
kratische Kollegen das möglicherweise auch hier tun. Da-
bei besteht, wenn ich eine Äußerung der Frau Staats-
sekretärin vor einiger Zeit in einer Zeitung richtig
verstanden habe und wenn ich an die Reaktionen meines
niedersächsischen Kollegen Gabriel denke, darüber, dass




Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer

22205


(C)



(D)



(A)



(B)


Arbeitslosen- und Sozialhilfe heute zusammengehören,
überhaupt kein Streit. Irgendwann muss der Grundsatz
„Es gibt nichts Gutes, außer man tut es“ zur Geltung kom-
men. Dafür müssen wir jetzt eine Chance haben.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Der Gesetzentwurf bringt für unsere Tradition in der

Bundesrepublik Deutschland möglicherweise an einem
Punkt einen neuen Ansatz: Es soll möglich sein, eine Auf-
gabe, die zum Bereich der Sozialpolitik gehört, in den
Bundesländern unterschiedlich zu lösen.

In der Diskussion des letzten halben Jahres ist vielfach
das Stichwort „Wisconsin-Modell“ gefallen. Dieses Mo-
dell ist nur eines von vielen, aber es ist immerhin eines,
bei dem es gelungen ist, im ersten Jahr 60 Prozent und
über einen längeren Zeitraum 90 Prozent derer, die dort
Sozialhilfeempfänger waren, wieder in Arbeit zu vermit-
teln. Das ist doch ein Grund, zumindest einmal hinzu-
schauen. Ich habe immer nur gesagt: Lassen Sie uns die
Marke von 50 Prozent der erwerbsfähigen Sozialhilfe-
empfänger erreichen! Zumindest das müssten wir uns
doch als Anspruch gegenseitig zumuten können.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Zur Wahrheit gehört auch: Das Gesetz, das in Wiscon-

sin angewandt worden ist, wäre niemals nationales US-
amerikanisches Gesetz geworden, wenn erst alle nationa-
len Überlegungen – das gilt für einen Kontinent und auch
für ein Land wie die Bundesrepublik Deutschland – an-
gestellt worden wären und man erwogen, abgewogen,
angehört, noch einmal diskutiert, geprüft, ausprobiert und
wieder verworfen hätte. Im US-amerikanischen Recht
gibt es aber die gute Möglichkeit, Ausnahmeregelungen
für einzelne Staaten vorzusehen und ihnen zu erlauben,
abweichend vom Bundesrecht etwas zu versuchen. Nur so
ist es möglich gewesen, in Wisconsin, in Oregon, in Tei-
len von Kalifornien bestimmte Modelle auszuprobieren.


(Zuruf von der SPD: Dann gehen Sie doch nach drüben!)


Die Erfolge, die ich genannt habe – 60 Prozent und
90 Prozent –, haben am Ende die Demokraten im
amerikanischen Parlament, die ursprünglich skeptisch
waren, dazu gebracht, dieses Modell zur Regierungs-
vorlage von Bill Clinton in der zweiten Amtsperiode zu
machen. Die Häuser des amerikanischen Parlaments ha-
ben dann das, was vorher politisch streitig war, einstim-
mig beschlossen. Auch in den USA gäbe es diese Mög-
lichkeit der Unterstützung bis zum heutigen Tage nicht,
wenn sie nicht in einigen Regionen hätte ausprobiert wer-
den können.

Geben Sie uns in der Bundesrepublik Deutschland mit
ihrem Föderalismus doch die Chance, Modelle nicht nur
zu diskutieren, sondern in einem bestimmten Rahmen
auch auszuprobieren, sodass es am Ende vergleichbare
Zahlen und Daten gibt!


(Beifall bei der CDU/CSU – Klaus Brandner [SPD]: Warum machen Sie das nicht, Herr Koch? Das steht im Gesetz alles drin! Das ist doch blanker Populismus, den Sie hier abziehen!)


Dazu brauchen wir bundesrechtliche Rahmenbedin-
gungen, die uns erlauben, einige Voraussetzungen zu
schaffen. So müssen wir die rechtliche Möglichkeit ha-
ben, Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe miteinander zu
verzahnen. Wir müssen das, was derzeit im SGB III steht,
und das, was im BSHG steht, zusammenführen. Wir müs-
sen dafür sorgen, dass es eine Landeskompetenz dafür
gibt, die kommunale Sozialhilfe hinzuzunehmen.


(Klaus Brandner [SPD]: Warum machen Sie es denn nicht? – Weiterer Zuruf von der SPD: Das könnt ihr doch!)


Es wird häufig darüber geredet, dass man viel Geld für
Integrationsarbeit braucht. Wir geben mehr als 25 Milli-
arden Euro im Bereich der Arbeitsförderung aus. Dabei
habe ich noch nicht einmal alle Sozialhilfezahlungen aus
den Kommunen an Langzeitarbeitslose dazugerechnet. Es
wird mehr Geld als in jedem anderen industriellen Staat
der Erde dafür eingesetzt. Damit müssen wir effizienter
arbeiten, als wir es zurzeit tun. Wir tun es nicht, weil je-
der für sich arbeitet.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Vorher müssten wir einige Prinzipien klären. Das Sys-

tem in Deutschland, dass Sozialhilfeansprüche zunächst
Ansprüche auf Geldzahlung sind, die gelegentlich durch
Kooperation und Hilfepläne ergänzt werden, müssen wir
verändern. Aus meiner Sicht ist Sozialhilfe ein Angebot
der Solidargemeinschaft, der Gesellschaft an leistungsbe-
reite Einzelne, sie darin zu unterstützen, den Weg zurück
in normale wirtschaftliche Verhältnisse zu finden. Es ist
eine zweiseitige Vereinbarung.

Nur in Modellregionen – in dieser Situation sind Sie
zurzeit – wird ein Hilfeplan durchgeführt, weil es nur dort
möglich ist. Wir unterstellen – das kann man auf der
Grundlage des Gesetzes tun –, dass es sich dabei um ei-
nen Verwaltungsakt handelt. Das ist die einzige Chance.
Was geschieht dann? Es wird eine Klage des Betroffenen
beim Verwaltungsgericht gegen den Hilfeplan geben, was
eine zweijährige Aufschiebung bewirkt. Dies ist einer der
Gründe, warum in den Sozialämtern von der Hilfeplanung
unter dem Gesichtspunkt der Durchsetzbarkeit sehr wenig
Gebrauch gemacht werden kann. Das zeigen die Modell-
versuche.


(Dr. Irmgard Schwaetzer [FDP]: Das geht überall! Auch ohne Modell! – Klaus Brandner [SPD]: Das können Sie doch überall machen!)


Das muss so nicht sein. Man kann das ändern. Man
muss dafür sorgen, dass Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe
etwa hinsichtlich der Betreuung von Kindern und des An-
gebots von Qualifikationen – zurzeit finanziert aus unter-
schiedlichen Haushaltstöpfen; dabei sind unterschiedli-
che Vorschriften hinsichtlich der Rechnungslegung und
unterschiedlicher Haushaltsjahre zu beachten – zentral
organisiert werden. Im Augenblick prasseln auf den ein-
zelnen Beamten all diese Vorschriften, die für den einen
Bereich wie für den anderen zutreffen, herab.

Warum lösen Sie das nicht für fünf Jahre in irgend-
einem Bundesland, beispielsweise in Hessen, auf? Warum
überlassen Sie die Organisation nicht einer einzigen Insti-
tution? Lassen Sie uns prüfen, was passiert, wenn wir uns




Ministerpräsident Roland Koch
22206


(C)



(D)



(A)



(B)


um die Sache kümmern können, weil wir uns nicht mehr
um die Vorschriften kümmern müssen!


(Beifall bei der CDU/CSU)

Ich möchte, dass jeder, der sich bei einer Institution

meldet, die sich um Arbeits- und Sozialhilfe kümmert,
weiß, dass es eine Art Leiter von Maßnahmen gibt: Am
Anfang gibt es ein Angebot im ersten Arbeitsmarkt
– prima –; dann ein Angebot im zweiten Arbeitsmarkt
– besser als keines –; wenn beides nicht funktioniert, gibt
es ein gezieltes Qualifizierungsprogramm, damit man
eine Chance hat, über den zweiten Arbeitsmarkt in den
ersten zu kommen; wenn das alles nicht funktioniert – das
kann auch sein –, gibt es eine gemeinnützige Arbeit, bis
wir eine andere Lösung finden; wenn auch das nicht funk-
tioniert, gibt es den Bereich der therapeutisch betreuten
Arbeit, um den Arbeitslosen in einen geregelten Tagesab-
lauf einzubinden, um ihn auf Dauer wieder eingliedern zu
können.

Rechnen Sie doch einmal für die Länder, in denen Sie
Wahlkreise haben, aus, wie viele Millionen wir zurzeit für
Programme ausgeben, die das Ziel haben, Menschen mit-
hilfe sozialpädagogischer Betreuung das Pünktlich-zur-
Arbeit-Gehen beizubringen. Das muss nicht sein. Wir
müssen eine anschlusslose Möglichkeit der Wiederein-
gliederung schaffen, damit jeder trotz Eintritt der Arbeits-
losigkeit – in welcher Situation auch immer – im Kreis-
lauf eines normalen Lebens bleibt.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Das ist durchaus ein erheblicher Anspruch an den Staat,

an die Kommunen, die Länder – wir wären bereit, uns
auch auf den Gebieten zu engagieren, auf denen wir zur-
zeit keine Zuständigkeit haben – und an den Bund.


(Susanne Kastner [SPD]: Das war in der Zeit von Kohl schon so!)


Es ist wichtig, zunächst einmal festzustellen: Wir müssen
in der Tat für jeden das Passende finden. Aus meiner Sicht
besteht erst dann die Berechtigung, jeden, der nicht bereit
ist, sich in diesen Prozess zu integrieren, zu fragen, ob er
tatsächlich anspruchsberechtigt ist.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Wir müssen auch über die Sanktionsmöglichkeiten

– wenn man sie so nennen möchte – diskutieren. Die heute
vorhandenen Sanktionsmechanismen für Alleinstehende
sind aus meiner Sicht nachhaltig wirksam. Wenn eine So-
zialverwaltung die verwaltungsrechtlichen Vorschriften
und einiges andere überwindet, reichen sie möglicher-
weise aus. Bei jemandem, der eine Familie mit zwei Kin-
dern hat und der sagt, er sei nicht bereit, sich dem Hilfe-
plan zu unterwerfen oder eine Arbeit aufzunehmen, macht
der maximale Betrag, der abgezogen werden kann, einen
verschwindend geringen Teil der gesamten sozialen Sub-
ventionsleistungen aus, die über verschiedene Tranchen
und verschiedene Institutionen ausgereicht werden; Stich-
worte: Sozialhilfe, Hilfe zum Lebensunterhalt, Haus-
brandbeihilfe, Möglichkeiten der Erziehungsunterstüt-
zung bis hin zu Ausbildungsprogrammen.


(Susanne Kastner [SPD]: Richtig schön machen Sie das! Ausgezeichnet!)


Ich bin dafür – das werden wir in der nächsten Legis-
laturperiode durchsetzen –, dass wir mithilfe des Fami-
liengeldes dafür sorgen, dass die Kinder aus der Sozial-
hilfe herauskommen.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Auf der anderen Seite bin ich auch dafür, dass wir dafür
sorgen, dass jeder – unabhängig vom Familienstand –
weiß, dass Kooperation erforderlich ist, weil der Staat sei-
nerseits entsprechende Angebote gemacht hat.

Das Ärgerliche an dieser wie auch an vielen anderen
wirtschafts- und sozialpolitischen Diskussionen dieser
Tage ist, dass das eigentlich alle wissen.


(Klaus Brandner [SPD]: Nur Sie nicht! Er könnte es ja machen! Gott sei Dank, dass er gleich Nachhilfeunterricht kriegt!)


Wenn Sie intensiv – unter sechs, acht oder zehn Augen –
mit den Beteiligten reden, stellen Sie fest, dass niemand
sagt, ein solches Vorgehen sei falsch. Auch im Bundesrat
und in Fachausschüssen wird bestenfalls die Vertagung
auf die Zeit nach der Bundestagswahl beschlossen. Es
wird nicht beschlossen, eine solche Initiative abzulehnen.
In der Tat wäre es schwierig, dies zu begründen. Ich frage
Sie: Warum wollen Sie wieder warten? Dankenswerter-
weise engagieren Sie sich politisch in dieser Debatte. Ich
als Hesse mache Ihnen ein Angebot: Wenn das alles so un-
brauchbar ist, lassen Sie mich doch hereinfallen. Lassen
Sie es uns in Hessen machen, meine Damen und Herren.
Dann zeigen wir Ihnen, ob es geht oder nicht. Hören Sie
auf, nur theoretisch darüber zu reden.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Ich will Ihnen ein letztes Beispiel, den Grund nennen,
warum wir glauben, uns mit einigem Selbstbewusstsein
darum kümmern zu können. Wir haben in den vergan-
genen Jahren zusammen mit dem Landesarbeitsamt durch
eine Umstellung der Arbeitsförderung ein Sonder-
programm des Coaching der Vermittlungsagentur für
arbeitslose schwerbehinderte Arbeitnehmer in unse-
rem Land eingeführt.


(Brigitte Lange [SPD]: Das gibt es auch woanders!)


Wir haben 2001 in nur einem Jahr eine Reduzierung des
Anteils derjenigen, die als Schwerbehinderte arbeitslos
sind, von 22 Prozent erreicht.


(Brigitte Lange [SPD]:Wunderbar! Sehr gut!)

Im Bundesgebiet ist es, wenn man nur die westdeutschen
Länder nimmt, ein Rückgang von 6 Prozent.

Wir sind sehr optimistisch, dass wir es schaffen kön-
nen. Das bisher Erreichte ist eine Leistung des Landes zu-
sammen mit der Hauptfürsorgestelle, dem Landesarbeits-
amt und den Landkreisen. Wir haben im Vergleich aller
Bundesländer den größten Rückgang bei den Langzeitar-
beitslosen in der Bundesrepublik Deutschland.


(Klaus Brandner [SPD]: Dank unserer Politik!)





Ministerpräsident Roland Koch

22207


(C)



(D)



(A)



(B)


Deshalb sage ich Ihnen: Gehen Sie doch das Risiko ein,
mich und meine Regierung ausprobieren zu lassen, ob wir
es schaffen. Wir wären bereit, zugunsten derjenigen in
diesem Lande, die seit längerer Zeit auf Beschäftigung
warten, das Risiko einzugehen.

Vielen herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1422403600
Zur Geschäfts-
ordnung erhält der Kollege Repnik das Wort.


Hans-Peter Repnik (CDU):
Rede ID: ID1422403700
Frau Präsidentin!
Wir diskutieren derzeit über eines der größten Probleme,
das die Bundesrepublik Deutschland berührt, nämlich
über die Fragen, wie man die Arbeitslosigkeit verringern
und den Abbau von Arbeitslosigkeit verbessern kann. Wir
stellen fest, dass bei diesem für die Bundesrepublik
Deutschland wichtigen Thema kein einziger Bundes-
minister auf der Regierungsbank sitzt, auch nicht der zu-
ständige Bundesminister Riester. Wir beantragen hiermit,
den Bundesminister Riester ins Plenum des Deutschen
Bundestages zu zitieren.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1422403800
Ebenfalls zur
Geschäftsordnung erhält die Abgeordnete Susanne
Kastner das Wort.


Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1422403900
Herr Kollege Repnik, die
zuständige Parlamentarische Staatssekretärin spricht in
dieser Debatte noch. Sie können das der Rednerliste ent-
nehmen.


(Zuruf von der CDU/CSU: Das reicht uns nicht!)


– Das mag Ihnen nicht reichen. – Wir lehnen Ihren Antrag,
den Bundesminister herbeizuzitieren, ab, weil wir glau-
ben, es ist guter parlamentarischer Brauch, dass die
Staatssekretärin in einer solchen Debatte spricht.


(Zurufe von der CDU/CSU: Abstimmen!)

– Frau Präsidentin, dann beantrage ich eine Unterbre-
chung für eine Fraktionssitzung.


(Widerspruch bei der CDU/CSU – Friedrich Merz [CDU/CSU]: Sie machen sich doch lächerlich!)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1422404000
Gibt es weitere
Wortmeldungen zur Geschäftsordnung?


(Zurufe von der CDU/CSU: Neuwahlen! – Abstimmen!)


Nach einer Beratung unter den Geschäftsführern ent-
scheide ich so, wie in diesem Haus immer entschieden
wurde, dass nämlich der Antrag auf Unterbrechung, wenn
er von einer großen Fraktion gestellt wird, anderen Anträ-
gen vorgeht.


(Widerspruch bei der CDU/CSU)


– Sie können sich dazu verhalten, wie Sie wollen. Aber
das ist auch in der Vergangenheit immer Übung dieses
Hauses gewesen. Ich habe mich darüber noch einmal in-
formiert.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Ich unterbreche die Sitzung für zehn Minuten.


(Unterbrechung von 11.45 bis 12.11 Uhr)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1422404100
Liebe Kollegin-
nen und Kollegen, die unterbrochene Sitzung ist wieder
eröffnet.

Im Rahmen der Geschäftsordnungsdebatte wurde der
Antrag auf Erscheinen des Ministers gestellt. Da sich der
Minister jetzt im Saal befindet, gehe ich davon aus, dass
der Antrag in der Sache erledigt ist.


(Friedrich Merz [CDU/CSU]: Redet der Minister denn auch? Vielleicht sagt er auch einmal etwas dazu! Vielleicht weiß er aber auch gar nicht, worum es geht! – Gegenruf von der SPD: Das ist eine Frechheit!)


Dies ist auch die Meinung der Geschäftsführer.
Wir können also bei gut gefülltem Haus in der Debatte

fortfahren. Als Nächste hat das Wort die Abgeordnete
Brigitte Lange.


Brigitte Lange (SPD):
Rede ID: ID1422404200
Frau Präsidentin! Liebe Kolle-
ginnen und Kollegen! Der hessische Löwe hat gebrüllt


(Anhaltender Beifall bei der CDU/CSU)

– warten Sie es ab! –; Sie sehen uns zutiefst erschreckt.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Ich kann nur sagen: Wegen dieser Rede hätte Walter

Riester nicht kommen müssen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Ich kann verstehen, dass Sie bekümmert sind, dass der
Minister dem hessischen Ministerpräsidenten nicht sein
Ohr geliehen hat. Aber warum sollte er auch? Er hat doch
nichts Neues gesagt.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Der Atem, der ihm bei seiner Rede entwich, enthielt jede
Menge heiße Luft.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Er ist nach vorne gestürmt und hat hier weit geöffnete
Scheunentore eingerannt;


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Werner Siemann [CDU/CSU]: Wer hat Ihnen denn das aufgeschrieben?)


denn vieles von dem, was er aufgezählt hat, steht bereits
im Gesetz und wird auch praktiziert. Dies hätte er auch in
seinem Hessenland leicht erfahren können, wenn er nicht




Ministerpräsident Roland Koch
22208


(C)



(D)



(A)



(B)


den Umweg über Wisconsin genommen hätte und dann
Wisconsin-geblendet hier hereingestürmt wäre.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Zuruf von der SPD: Geldverschwender!)


Sehr verehrter Herr Koch, es macht sich nie gut, wenn
man die Sozial- und Arbeitsämter im eigenen Land – ich
komme aus Hessen und kenne mich ein bisschen aus – so
darstellt, als müsse der Ministerpräsident nach Berlin ra-
sen, um eine Pressekonferenz zu geben und dort von Maß-
nahmen zu erzählen, die schon seit Jahren, schon vor sei-
ner Regierungsübernahme und nachher auch trotz der
Regierungsübernahme durch ihn, durchgeführt werden.


(Heiterkeit und Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dr. Irmgard Schwaetzer [FDP]: Das ist wirklich seicht hoch drei!)


Sie haben hier eine Menge Dinge angeführt, zum Bei-
spiel, dass es nicht möglich sei, einen Hilfeplan zu erstel-
len. Wo leben Sie denn?


(Friedrich Merz [CDU/CSU]: Das hat er gar nicht gesagt!)


– Doch, hat er. Ich habe es mir notiert.

(Dr. Andreas Schockenhoff [CDU/CSU]: Zuhören!)

Die Erstellung eines Hilfeplans ist ebenso möglich

wie eine stärkere Zusammenarbeit zwischen Arbeitsamt
und Sozialamt, und zwar über die bestehenden Modelle
– Hessen hat übrigens auch drei Modelle – hinaus. Man
kann dies durchaus machen. Es läge auch in Ihrer Macht,
die entsprechende Unterstützung zu leisten,


(Wolfgang Meckelburg [CDU/CSU]: Stimmen Sie dem Gesetz doch zu!)


damit auch die restlichen 10 Prozent der Arbeits- und So-
zialämter in Ihrem Land – 90 Prozent machen es näm-
lich – in die Lage versetzt werden, die Hilfen gebündelt
anzubieten.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Albert Deß [CDU/CSU]: Da ist nichts mehr drin!)


Herr Koch, Sie schlagen vor, einen individuellen
Hilfeplan zu erstellen. Sie sagen sogar, dass die Mehrheit
der Sozialhilfeempfänger ihre Situation überwinden und
arbeiten will. Wenn Sie schon einen individuellen Hilfe-
plan vorschlagen, müssten Sie auch begreifen, was Sie auf
der anderen Seite bei den Sanktionen verlangen.


(Dr. Andreas Schockenhoff [CDU/CSU]: Sagen Sie doch einmal etwas zu den Betroffenen!)


Wenn man den Gedanken konsequent durchdringt, dass
man zusammen mit dem Hilfeempfänger einen Plan ent-
wickelt und mit ihm zusammen diese Schritte von Anfang
an geht, stellt sich die Frage der Sanktionen völlig anders.


(Beifall bei der SPD)

Sie haben angesprochen, dass die Sanktionen, also die

Kürzung von Leistungen – in einem ersten Schritt um

25 Prozent und dann möglicherweise um bis zu 100 Pro-
zent – vor allem bei Alleinstehenden angewandt werde,
bei Familien jedoch wirkungslos sei. Das ist im Sinne des
Sozialhilfegesetzes. Sie werden nicht ernsthaft erwarten
können, dass ein Sachbearbeiter im Sozialamt einem Fa-
milienvater die Leistungen kürzt, wenn er ganz genau
weiß, dass er damit die Kinder trifft.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Der Vater, der sich weigert, Arbeit aufzunehmen, der viele
Probleme hat oder alkoholabhängig ist, wird zum Beispiel
seinen Alkoholkonsum nicht einschränken, damit seine
Kinder vernünftig leben können.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

In solchen Fällen ist also eine individuelle Handhabung
der Sanktionsmechanismen durchaus gerechtfertigt.

Aber noch einmal: Wenn wir – wir haben es bereits in
unseren Gesetzen berücksichtigt – von Anfang an konse-
quent, erfolgsorientiert und mit den anderen zusammen
einen Hilfeplan erstellen, ist die Frage der Sanktionen
nicht mehr in der Weise wichtig, wie Sie es immer wieder
herausstellen.


(Beifall bei der SPD sowie der Abg. Dr. Thea Dückert [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Und ganz nebenbei: Sie sollten sich noch einmal von
einem Sozialamtsleiter die richtigen Zahlen zu den Leis-
tungsempfängern vorlegen lassen


(Wolfgang Meckelburg [CDU/CSU]: Jetzt werden Sie aber dreist, Frau Lange!)


und Sie sollten sich noch einmal darüber informieren las-
sen, wie viele von den Sozialhilfeempfängern wirklich er-
werbsfähig und arbeitslos sind.


(Zuruf von der SPD: Sehr gut!)

Das sind nämlich wesentlich weniger als Sie angedeutet
haben. Von den geschätzten – es gibt bisher nur Schät-
zungen darüber – zwischen 600 000 und 800 000, die
wirklich erwerbsfähig arbeitslos sind und vermittelt wer-
den müssen, befindet sich nach den Angaben des Deut-
schen Städtetages ein Teil bereits in Maßnahmen.

Wenn Sie tatsächlich meinen, von den 600 000 bis
800 000 wenigstens die Hälfte wieder in Arbeit bringen zu
können, kann ich das nicht als ein wahnsinnig ehrgeiziges
Ziel empfinden. Das ist wirklich herzlich wenig. Wir ha-
ben andere Vorstellungen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Dirk Niebel [FDP]: Sie machen doch gar nichts! – Johannes Singhammer [CDU/CSU]: Wenn Sie doch erst einmal anfangen würden! – Helmut Heiderich [CDU/CSU]: Sie haben eine ruhige Hand!)


– Ja, die braucht man auch. Hektik bewirkt überhaupt
nichts.


(Dr. Irmgard Schwaetzer [FDP]: Ihr macht doch nichts! – Gegenruf von der SPD: 1 Million Arbeitslose weniger!)





Brigitte Lange

22209


(C)



(D)



(A)



(B)


– Wir können ganz ruhig sein und Sie können jetzt auch
ganz ruhig zuhören.

Eine zweite Bemerkung: Sie haben gesagt, dass sehr
viele länger als fünf Jahre Sozialhilfe beziehen.


(Abg. Peter Hintze [CDU/CSU] begibt sich zur Bundesratsbank und unterhält sich mit Roland Koch, Ministerpräsident [Hessen] – Zuruf von der SPD: Herr Koch lässt sich trösten!)


– Ja, der hat eine Tröstung nötig!

(Lachen und Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Unruhe)


– Ich warte noch einen kleinen Moment.
Herr Koch, die durchschnittliche Verweildauer von

Leistungsempfängern in der Sozialhilfe liegt laut Bun-
desamt für Statistik bei zweieinhalb Jahren. Sie haben
gesagt, dass Sie die Langzeitarbeitslosigkeit in Hessen ab-
bauen. Das tun wir bundesweit; Sie können es nachvoll-
ziehen.


(Jochen-Konrad Fromme [CDU/CSU]: Es werden immer mehr!)


Dass Sie für die Behinderten etwas tun, ist in Ordnung;
das wollten wir auch so.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Über diejenigen, die einen Lohn erhalten, der nur ge-

ringfügig höher als die Sozialhilfe ist, wird gesagt, dass
sie deswegen nicht wieder ins Erwerbsleben zurückkeh-
ren. Ich sage Ihnen aber: Genau das stimmt nicht; denn die
Familien, also bei der Gruppe, wo der Lohnabstand am
geringsten ist, beziehen in der Regel weniger als ein Jahr
– viele sogar nur ein halbes Jahr – Sozialhilfe. Das nur
einmal zu den Zahlen. Wie gesagt, es lohnt sich, diese an-
zuschauen.

Ich will jetzt auf das zu sprechen kommen, mit dem ich
im Plenum heute eigentlich anfangen wollte. Es war bis-
her aber nett.


(Heiterkeit und Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Wolfgang Meckelburg [CDU/CSU]: Wollen Sie eine Büttenrede halten? – Walter Hirche [FDP]: Schweigen wäre besser gewesen! – Weiterer Zuruf von der CDU/CSU: Es freut die Arbeitslosen, wie Sie hier reden!)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, „Fördern und For-
dern – Sozialhilfe modern gestalten“ – so haben wir un-
seren Antrag, den wir heute verabschieden wollen, über-
schrieben. Wir brauchen eine Reform unseres 40 Jahre
alten Sozialhilfegesetzes, das im Kern aktuell geblieben
ist und nach wie vor gewährleistet, dass niemand unter
dem menschenwürdig Lebensnotwendigen, dem sozio-
kulturellen Existenzminimum, leben muss.

Unsere sechs Eckpunkte benennen Weichenstellungen
für eine umfassende Reform. Es geht also nicht um Puz-
zeleien an einzelnen Paragraphen, nicht um Reförmchen
und schon gleich gar nicht um „Verschlimmbesserungen“,
wie wir es aus der letzten Wahlperiode so gut kennen. Es
geht vielmehr darum, das Sozialhilfegesetz den verän-

derten Anforderungen anzupassen. Es gibt eine verän-
derte Empfänger- und Ursachenstruktur.


(Johannes Singhammer [CDU/CSU]: Was haben Sie bisher gemacht?)


Das erfordert, dass wir das im Grundsatz fabelhafte
System auf seine problemgerechte Leistungsfähigkeit
überprüfen, Schnittstellen zu den anderen sozialen Siche-
rungssystemen abklopfen und es wieder so fit machen,
dass es seinem Auftrag gerecht werden kann,


(Johannes Singhammer [CDU/CSU]: Wie lange prüfen Sie?)


nämlich Menschen aufzufangen und sie so schnell wie
möglich wieder aus diesem System heraus zu fördern. Da-
rauf lege ich Wert.

An dieser Stelle sage ich auch: Geldleistungen allein
ersetzen keine Ursachenbewältigung. Nicht alle Ursachen
lassen sich durch Sozialhilfe lösen. Das alarmierende Pro-
blem von Kindern in der Sozialhilfe zum Beispiel muss
außerhalb der Sozialhilfe geregelt werden. Wir sind dabei,
Lösungen zu erarbeiten.


(Peter Weiß [Emmendingen] [CDU/CSU]: Sie wollen dem CDU-Familiengeld zustimmen, Frau Lange? Sehr gut!)


– Ihr Kandidat hat gesagt, dass das Geld, um das zu fi-
nanzieren, nicht vorhanden ist. An Ihrer Stelle wäre ich
ganz ruhig.


(Beifall bei der SPD)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1422404300
Frau Kollegin
Lange, ich muss Sie leider darauf hinweisen, dass Ihre Re-
dezeit vorbei ist.


(Friedrich Merz [CDU/CSU]: Das reicht jetzt auch! – Johannes Singhammer [CDU/CSU]: Die Zeit ist abgelaufen!)



Brigitte Lange (SPD):
Rede ID: ID1422404400
Lassen Sie mich einen letzten
Satz sagen. Wir haben mit unseren vorgelegten sechs Eck-
punkten die Weichen richtig gestellt.


(Peter Weiß [Emmendingen] [CDU/CSU]: Reden Sie doch einmal über den Gesetzentwurf, nicht über die sechs Eckpunkte!)


Ihre Vorwürfe treffen uns nicht. Die Fachwelt hat unsere
Reformziele bestätigt. Sie ist bereit, uns auf diesem Re-
formprozess zu begleiten.


(Dirk Niebel [FDP]: Das ist aber ein langer Satz!)


Wir werden diese Reform weiterhin in Ruhe vorbereiten
und sie in der nächsten Wahlperiode umsetzen.

Danke.

(Anhaltender Beifall bei der SPD – Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1422404500
Das Wort hat
jetzt die Abgeordnete Dr. Irmgard Schwaetzer.




Brigitte Lange
22210


(C)



(D)



(A)



(B)



Dr. Irmgard Adam-Schwaetzer (FDP):
Rede ID: ID1422404600
Frau Präsidentin!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte nun zur
ernsthaften Reformdebatte zurückkehren.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Susanne Kastner [SPD]: Nicht so überheblich!)


Die Fülle der Anträge, die heute für die Debatte zur Re-
form des einfachsten sozialen Netzes in Deutschland vor-
gelegt worden sind, zeigen, dass es in der Sozialhilfe und
in der Arbeitslosenhilfe in der Tat einen hohen Reform-
bedarf gibt. Der Thematik, dieses System für die Zukunft
zu reformieren, haben Sie sich jetzt durch den Jubel zu ei-
ner Rede, die sicherlich dem üblichen Niveau der Kolle-
gin nicht angemessen ist, entzogen.

Was Sie uns heute hier vorlegen – ich meine den zwei-
ten Punkt, nicht das OFFENSIV-Gesetz und die entspre-
chende Initiative des Landes Hessen; darauf komme ich
gleich –, ist ein Gesetzentwurf zur Änderung des Bundes-
sozialhilfegesetzes. Das ist die Verlängerung der Verlän-
gerung einer Übergangsregelung.


(Wolfgang Meckelburg [CDU/CSU]: Die ganze Legislaturperiode ist ein Übergang, mehr nicht! – Walter Hirche [FDP]: Rot-Grün ist ein einziger Übergang!)


Die ganze Legislaturperiode haben Sie eine Sozialhilfe-
reform angekündigt, die Sie nicht einmal in Ansätzen fer-
tig gebracht haben. Der Antrag, den Sie heute vorlegen, ist
so vage, dass er weit hinter dem zurückliegt, was heute
schon vielerorts Praxis in den Sozialämtern und den Ar-
beitsämtern der Bundesrepublik Deutschland ist.


(Beifall bei der FDP)

Das zeigt nicht nur die Dringlichkeit einer Reform. Es
zeigt auch, wie notwendig es ist, sich über die Prämissen
dieser Reform klar zu werden, und dass es Mut braucht,
diese Reform anzugehen.

Ich will ein paar der Prämissen darstellen. Wir alle wis-
sen, dass es arbeitsfähige Hilfeempfänger gibt. Was wir
brauchen, ist eine Sozialpolitik, die diese Menschen wie-
der in die Lage versetzt, den Sprung in den ersten Ar-
beitsmarkt zu schaffen.


(Beifall bei der FDP)

Dazu ist unser gegenwärtiges Sozialhilferecht nicht wirk-
lich geeignet. Durch die Tatsache, dass praktisch jeder
Hinzuverdienst auf die Sozialhilfe angerechnet wird, ist
kein wirklicher Ansatzpunkt vorhanden.


(Beifall bei der FDP)

Das heißt, wenn man eine Brücke in den ersten Arbeits-
markt schaffen will, muss man dafür sorgen, dass die An-
rechnungsregelungen in der Sozialhilfe anders ausgestal-
tet werden. Nach unserem Vorschlag sollten 50 Prozent
zunächst in der Hand des Arbeitsfähigen und Arbeitswil-
ligen verbleiben. Diese Anrechnungssätze sollten dann
weiter hochgefahren werden. Nur so wird ein Sprungbrett
in den ersten Arbeitsmarkt geschaffen.


(Beifall bei der FDP)

Zweiter Punkt: „Fördern und fordern“ nennen Sie es.

Aber Sie ziehen nicht die Konsequenzen daraus. Wir sa-

gen: keine Leistung ohne die Bereitschaft zur Gegenleis-
tung. Nur dann können wir in der Tat dafür sorgen, dass
diejenigen, die wirklich etwas leisten wollen, dazu kom-
men, während diejenigen, die auf unsere Unterstützung
angewiesen sind, diese auch bekommen. Das kann zum
Beispiel infolge von Kindererziehung der Fall sein. Wir
müssen aber auch durch eine andere Verwaltung, eine an-
dere Organisation, direkte Ansprachemöglichkeiten für
die Hilfeempfänger schaffen, damit sie stärker gefördert
werden und zeigen können, was sie zeigen wollen.


(Beifall bei der FDP)

Es muss dabei ein dritter Punkt sichergestellt sein – das

ist genau der Punkt, um den sich die Koalition herum-
drückt: Es muss Möglichkeiten für Sanktionen geben.


(Brigitte Lange [SPD]: Die gibt es heute schon!)


– Sie sagen, die Sanktionen gebe es heute schon. Es gibt
die Möglichkeit einer teilweisen Kürzung,


(Brigitte Lange [SPD]: Nein, bis auf null!)

die aber – das war die Erfahrung, die uns von den So-
zialämtern mitgeteilt worden ist – nicht ausreicht, weil sie
aufgefangen werden kann und deshalb nicht wirklich ei-
nen Anreiz bietet.

An dieser Stelle, Herr Koch, möchte ich Ihnen Folgen-
des sagen: Das, was Sie in Ihrem OFFENSIV-Gesetz vor-
schlagen, ist bis auf einen Punkt heute schon möglich und
wird in vielen Bereichen auch bereits praktiziert – leider
nicht überall in Hessen. Es wird zum Teil in dem so ge-
nannten MoZArT-Modellversuch umgesetzt; ein sehr de-
korativer Name für etwas sehr einfaches, nämlich die Zu-
sammenarbeit von Sozialamt und Arbeitsamt. Aber längst
nicht alle Möglichkeiten, die diese Modellprojekte bieten,
werden ausgeschöpft. Umsetzbar ist das heute schon, und
zwar nicht nur in den Modellprojekten. Ich würde mir
wünschen, dass auch in Hessen sehr viel stärker davon
Gebrauch gemacht wird.

Es gibt nur einen Punkt, der nicht möglich ist, nämlich
schärfere Sanktionen gegenüber denjenigen, die wirklich
nicht den Willen haben mitzumachen. Wer nicht mitma-
chen kann, braucht unsere Hilfe und soll sie auch in Zu-
kunft bekommen. Von dem, der nicht mitmachen will,
müssen wir die Bereitschaft zur Gegenleistung verlangen.
Wenn sie nicht vorhanden ist, muss es Sanktionsmöglich-
keiten geben.


(Beifall bei der FDP)

Letzter Punkt dazu: Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe

müssen zusammengefasst werden. Das ist genau der
Punkt, vor dem Sie zurückschrecken.


(Brigitte Lange [SPD]: Das kann man nicht herbeireden, das muss man prüfen!)


Wir haben dafür einen eigenen Antrag vorgelegt. Es ist
die einzige Möglichkeit, um zu verhindern, dass mehrere
Formulare ausgefüllt werden müssen. Auch nach Ihrem
Modell, Herr Koch, brauchen Sie noch zwei Formulare.
Nur wenn Sie es so machen, wie wir es vorgeschlagen ha-
ben, nämlich eine einheitliche, transparente Leistung aus






(C)



(D)



(A)



(B)


einer Hand verwirklichen, dann können Sie wirklich eine
Vereinfachung ohne Schnittstellen haben.

Eine solche Reform verdient den Namen Reform. Das,
was hier vorgelegt worden ist, ist viel Schaum. Lassen Sie
uns zur Ernsthaftigkeit zurückkehren; dann können wir
vielleicht noch etwas machen.

Danke.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1422404700
Das Wort hat
jetzt die Abgeordnete Thea Dückert.


Dr. Thea Dückert (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1422404800

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir
diskutieren hier wirklich über einen ausgekochten Plan.


(Heiterkeit beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Ich denke, Sie hätten sich, bevor Sie das eingebracht
haben – gerade als Parteien mit dem C in Ihren Partei-
namen –, an einen Ausspruch des ehemaligen Ruhr-
bischofs Hengsbach erinnern sollen. Er hat Folgendes ge-
sagt:

Habe ich ohne wichtigen Grund durch eine Wort-
meldung eine Sitzung verlängert und somit mich und
andere von der Familie fern gehalten, lieber Gott,
dann hilf mir, mein großes Maul zu halten, bis ich
weiß, worüber ich rede.

(Heiterkeit und Beifall beim BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN und bei der SPD – Susanne Kastner [SPD]: Ein kluger Bischof! – Dr. Irmgard Schwaetzer [FDP]: Es muss Ihnen verdammt dreckig gehen, wenn Sie zu solchen Mitteln greifen! – Gegenruf von der SPD: Fassen Sie sich an die eigene Nase!)


Meine Damen und Herren, ich meine, dass man wirk-
lich hätte nachdenken sollen, bevor man etwas fordert,
was längst möglich ist. Herr Koch hat in seiner Rede vor-
hin selber deutlich gemacht, dass es – übrigens auch im
Land Hessen – möglich ist, Experimente oder eigene
Wege auf das gesamte Land auszuweiten. Sie haben das
zum Beispiel bei den Behinderten auch getan – das haben
Sie vorgetragen – und das ist auch gut so.

Aber Sie wollen sich mit Ihren Vorschlägen bzw. mit
dem so genannten OFFENSIV-Gesetz mit 30 Prozent der
Mittel aus den Versicherungsleistungen für Arbeitslose
für Job-Center in Hessen bedienen. Sie wollen 30 Pro-
zent der Mittel von den Arbeitsämtern in die Job-Center
umschichten.


(Peter Weiß [Emmendingen] [CDU/CSU]: Das ist bestimmt besser, als die Arbeitslosigkeit zu finanzieren, Frau Dückert!)


Das ist es doch, was Sie für Hessen durchsetzen wollen.
Ich kann Ihnen aber versichern, dass die Beschränkungen,
die es auf Bundesebene gibt, gut sind. Wir wollen nicht,

dass Sie in Hessen für sich allein entscheiden können, was
mit den Mitteln der Versicherten gemacht wird.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Des Weiteren schlagen Sie vor, dass der hessische bzw.
kochsche Weg einer Experimentierphase bis 2007 ausge-
dehnt werden soll. Wir haben vor – das ist Ihnen bekannt;
es ist auch in dem zweiten Gesetzentwurf, den wir heute
noch diskutieren werden, dargelegt –, in der nächsten Le-
gislaturperiode, die im Herbst beginnt, vieles von dem,
was heute schon vorbereitet und möglich ist umzusetzen,
nämlich zum Beispiel die Zusammenlegung von Arbeits-
losenhilfe und Sozialhilfe in ein gemeinsames Angebot,


(Dr. Irmgard Schwaetzer [FDP]: Der grüne Vorruhestand!)


die Maßnahmen im Rahmen von MoZArT, was auch in
Hessen bereits gemacht wird. Dabei handelt es sich um
Maßnahmen, die bereits so weit fortgeschritten sind, dass
wir am Beispiel von Best Practice die besten Lösungen für
die gesamte Bundesrepublik Deutschland finden können.
Dazu müssen wir nicht abwarten, bis Hessen 2007 seine
Experimentierphase beendet hat.


(Peter Weiß [Emmendingen] [CDU/CSU]: Aber dann regieren Sie doch nicht mehr, Frau Dückert! –Widerspruch beim BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Das OFFENSIV-Gesetz, das Sie einbringen, ist an ei-
ner Stelle offensiv. Es greift nämlich offensiv in die De-
batte um Hängematten und Faulenzer ein. Das ist der Hin-
tergrund.


(Dr. Irmgard Schwaetzer [FDP]: Sie hätten mal in Köln dabei sein sollen! Dann hätten Sie viel Erfahrung!)


Ich meine, dass wir die Diskussion so nicht mehr führen
dürfen. Herr Koch hat diese Begriffe hier nicht benutzt;
aber er hat sie zum Beispiel in seiner Pressemitteilung, in
der er das OFFENSIV-Gesetz in Hessen vorgestellt
hat,verwendet.

Reden wir doch einmal über die Sanktionen. Sie wol-
len sie ausweiten und verschärfen. Das haben Sie hier
wieder vorgetragen. Es gibt bereits Sanktionsmög-
lichkeiten. Man kann die Eckregelsätze bei den Sozial-
hilfeempfängern um 25 Prozent kürzen und bei mehr-
fachem Verstoß sogar die gesamte Sozialhilfe streichen.
Das reicht Ihnen als Sanktionsmöglichkeiten offenbar
nicht aus. Ich weiß nicht, wie weit Sie noch gehen wollen.


(Dr. Irmgard Schwaetzer [FDP]: Das ist richtig! Das sagen Ihnen alle Praktiker! Auch die Sozialdemokraten!)


– Dass die FDP sagt, dass dies richtig ist, wundert uns
nicht. Denn Sie wollen – das zeigen Ihre Debattenbeiträ-
ge – verlässliche und vernünftige Sozialhilfe, um die
Leute in den Stand zu versetzen, sich flexibel auf den Ar-
beitsmärkten zu bewegen. Stattdessen wollen Sie bei den
bestehenden Sanktionen noch nachlegen – hinsichtlich
der Sozialhilfe habe ich das eben ausgeführt – und reden
die beim Arbeitslosengeld und bei der Arbeitslosenhilfe
bestehenden Sanktionsmöglichkeiten einfach klein.




Dr. Irmgard Schwaetzer
22212


(C)



(D)



(A)



(B)


Dass die Arbeitslosen heutzutage so gut wie jeden Job
annehmen müssen, ist Ihnen bekannt. Was sie jedoch
brauchen, ist Hilfe, um in die Jobs hineinzukommen. Sie
müssen qualifiziert werden und brauchen Angebote aus
einer Hand. Dabei stehe ich ganz auf Ihrer Seite, Herr
Koch. Aber solche Angebote sollten wir nicht erst nach
2007, sondern schon in der nächsten Legislaturperiode
einführen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Dr. Irmgard Schwaetzer [FDP]: Warum denn nicht jetzt? Nur weil ihr keinen Mut habt!)


Herr Koch, Sie haben von einem notwendigen Para-
digmenwechsel in der Arbeitsmarktpolitik gesprochen.
Richtig! Wir haben diesen notwendigen Paradigmen-
wechsel mit dem Job-AQTIV-Gesetz eingeleitet. Nur, un-
ser Paradigmenwechsel ist anders als der kochsche; denn
wir setzen auf die Integration in den ersten
Arbeitsmarkt, und zwar mit einem Set von Maßnahmen,
mit vernünftiger Beratung und mit Eingliederungsverein-
barungen. Die Integration muss im Vordergrund stehen.
Die Menschen dürfen nicht erst langzeitarbeitslos sein,
bevor ihnen geholfen wird. Es muss ihnen sofort geholfen
werden. Der Gedanke der Integration muss, wie gesagt,
im Vordergrund stehen.

Ihr Paradigmenwechsel zielt auf etwas ganz anderes
ab. In Ihrer damaligen Pressemitteilung – auch das haben
Sie heute hier nicht so deutlich gesagt – ist zu lesen, dass
jede Arbeit – ich betone: jede – würdiger sei als der Be-
zug von Transferleistungen. Herr Koch, das ist der Para-
digmenwechsel, den Sie wollen.


(Dr. Irmgard Schwaetzer [FDP]: Das ist doch richtig!)


– Frau Schwaetzer, ich glaube Ihnen, dass Sie das richtig
finden. – Wenn wir über diesen Paradigmenwechsel dis-
kutieren, müssen wir auch über die Arbeitslosen in den
neuen Ländern reden – ich glaube, Herr Laumann von der
CDU/CSU-Fraktion wird mich sicherlich darin unterstüt-
zen –, zum Beispiel über einen älteren Ingenieur, der ar-
beitslos geworden ist, oder über eine junge Frau, die nach
der Erziehungsphase wieder in den Arbeitsmarkt hinein-
finden muss. In diesen Fällen kann es doch nicht darum
gehen, dass jede Arbeit angenommen werden muss. Sol-
chen Menschen muss vielmehr eine Arbeit angeboten
werden, die ihnen die Chance bietet, irgendwann auf dem
ersten Arbeitsmarkt wieder Fuß zu fassen. Daran müssen
wir uns orientieren.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Was Sie in der jetzigen Debatte suggerieren – das ist
das Gefährliche –, ist, dass Faulheit und Hängemat-
tenmentalität die Ursache seien, die wir bekämpfen müss-
ten. Nein, das ist nicht das Problem.


(Johannes Singhammer [CDU/CSU]: Mehr Arbeitsplätze sind das Problem!)


Sicherlich gibt es schwarze Schafe unter den Arbeits-
losen. Aber die gibt es auch in anderen Bevölkerungs-
gruppen. Das ist aber bestimmt nicht der Punkt, an dem

wir unsere Politikkonzepte ausrichten müssen. Das Pro-
blem sind vielmehr


(Johannes Singhammer [CDU/CSU]: Die Arbeitslosigkeit!)


der große Mangel an Arbeitsplätzen und das „Miss-
match“, dass also die Qualifikationen der Bewerber und
das Anforderungsprofil der Stellen nicht zusam-
menpassen.

Hier müssen wir ansetzen. Wir müssen den Menschen
mehr Flexibilität auf dem Arbeitsmarkt ermöglichen, ge-
rade auch den jungen. Sie sind bereits sehr flexibel, und
zwar so flexibel, dass es schon wieder zu einem Problem
wird, wenn man sieht, wie viele junge Menschen aus den
neuen Ländern abwandern.


(Johannes Singhammer [CDU/CSU]: Taten statt Worte!)


Wir müssen sie mithilfe einer stabilen und verlässlichen
Sozialpolitik in die Lage versetzen, die Anpassungspro-
zesse zu leisten, die der Arbeitsmarkt ihnen abverlangt.
Man darf ihnen aber nicht das Arbeitslosengeld oder so-
gar die Sozialhilfe vollständig streichen. Das ist nicht un-
sere Vorstellung von Fördern und Fordern.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Wir brauchen die Betreuung aus einer Hand. Das sehe
ich ganz genauso. Das ist richtig. Wir brauchen natürlich
auch ein vernünftiges Verhältnis zwischen Fördern und
Fordern. Die Eingliederungspläne, die wir auf den Weg
gebracht haben und mit deren Hilfe die Arbeitslosen viel
individueller beraten und vermittelt werden können, er-
möglichen auch die Nutzung der vorhandenen Sanktions-
möglichkeiten. Sie werden heute häufig nicht angewandt.
Aber es gibt sie. Eine Verschärfung der Sanktionen ist da-
her nun wirklich nicht notwendig.

Frau Schwaetzer, Sie haben vorhin dazwischen-
gerufen: Warum legen Sie nicht schon jetzt die Arbeits-
losen- und Sozialhilfe zusammen?


(Dr. Irmgard Schwaetzer [FDP]: Sie haben das doch anderthalb Jahre angekündigt)


Wir haben in den letzten dreieinhalb Jahren etwas ge-
macht, was Sie nie geschafft haben: Wir haben das Pro-
jekt „MoZArT“ aufgelegt. Es gibt in vielen Städten in die-
sem Land genau das, was Sie immer fordern.


(Dr. Irmgard Schwaetzer [FDP]: Aber doch nicht auf Ihre Initiative hin, sondern auf die der Sozialämter und der Kommunen!)


Bedenken Sie aber: Man kann eine solch grundsätzliche
Reform wie die jetzige, bei der es um viele Menschen und
um viel Geld geht, nicht übers Knie brechen. Wir wollen
keine Schnellschüsse; wir wollen tatsächlich helfen.


(Dirk Niebel [FDP]: Wenn einer Schnellschüsse gemacht hat, dann diese Regierung!)


– Herr Niebel, das Nebelhorn ruft wieder.

(Heiterkeit beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜ NEN und bei der SPD)





Dr. Thea Dückert

22213


(C)



(D)



(A)



(B)


Wir wollen eine Gemeindefinanzreform,

(Dirk Niebel [FDP]: Das haben wir in unseren Antrag geschrieben!)

weil wir nicht, wie Herr Koch, wollen, dass sich die Kom-
munen aus der Arbeitslosenversicherung bedienen und
dass die geplanten Reformprojekte – Arbeitslosenhilfe
und Sozialhilfe sowie die entsprechenden Betreuungs-
angebote aus einer Hand – die Kommunen zusätzlich
finanziell belasten. Deswegen brauchen wir die Einbet-
tung in eine Gemeindefinanzreform


(Dirk Niebel [FDP]: Das steht in dem Antrag! – Dr. Irmgard Schwaetzer [FDP]: Steht drin!)


und das – das gebe ich gerne zu – schaffen wir in den
nächsten vier Monaten nicht mehr.


(Johannes Singhammer [CDU/CSU]: Daraus wird nichts mehr! – Dirk Niebel [FDP]: Sie nicht!)


Wir werden das aber in der nächsten Legislaturperiode an-
gehen.


(Dirk Niebel [FDP]: Gerade die Grünen nicht!)


– Doch, Herr Niebel, wir schon!
Sie haben gerade dargestellt, was Sie wollen. Sie wol-

len das Modell Wisconsin. Die eine Hälfte, die Hilfe und
bessere Betreuung betrifft, ist in Ordnung. Sie wollen aber
auch die andere Hälfte und die ist nicht in Ordnung, weil
sie nicht sozial verträglich ist, weil die Sozialhilfe für be-
stimmte Personengruppen irgendwann vollständig gestri-
chen wird. Das kann nicht sein.

Sie reden über etwa 800 000 Sozialhilfeempfänger, die
arbeitsfähig sind. Davon ist die Hälfte in Arbeit oder in
Projekten.


(Dr. Irmgard Schwaetzer [FDP]: Sie werden von Projekt zu Projekt geschleust, statt in den ersten Arbeitsmarkt eingegliedert zu werden! – Walter Hirche [FDP]: Da muss man fragen, wer die Projektträger eigentlich sind!)


Es bleiben also etwa 400 000 Sozialhilfeempfänger. Sie
benutzen das – das werfe ich Ihnen vor –, um den Sozi-
alabbau, den Abbau von Sozialhilfe und die gänzliche
Streichung von Sozialhilfe wieder in die Diskussion zu
bringen. Das ist eine vordergründige Debatte. Wir haben
mit dem Job-AQTIV-Gesetz und mit dem Antrag „För-
dern und fordern – Sozialhilfe modern gestalten“, den wir
heute verabschieden werden,


(Dr. Irmgard Schwaetzer [FDP]: Alles nur weiße Salbe! – Zuruf von der CDU/CSU: Nur Papier ist das! – Dr. Irmgard Schwaetzer [FDP]: Ein vages Papier!)


den richtigen Weg eingeschlagen. Wir wollen das trans-
parent machen. Wir wollen natürlich die Selbstverant-
wortung der Menschen, die ohne Arbeit sind, stärken. Wir
wollen die Best-Practice-Beispiele aus dem MoZArT-
Projekt umsetzen. Das ist unser Antrag; das ist unsere
Linie.

Sie – das sage ich Ihnen noch einmal – wollen eine
Faulenzerdebatte nach vorn bringen,


(Johannes Singhammer [CDU/CSU]: Wer hat das Wort erfunden? – Peter Weiß [Emmendingen] [CDU/CSU]: „Faulenzer“ stammt doch von Schröder!)


die Betroffenen nicht integrieren, sondern ihnen letztlich
selbst die Schuld für die Arbeitslosigkeit geben. Diese un-
soziale Debatte machen wir nicht mit.

Danke schön.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Dr. Irmgard Schwaetzer [FDP]: Ihr seid reformunfähig!)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1422404900
Das Wort hat die
Abgeordnete Pia Maier.


Pia Maier (PDS):
Rede ID: ID1422405000
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen
und Kollegen! Hessen hat das OFFENSIV-Gesetz in den
Bundesrat eingebracht und ist damit zum Glück geschei-
tert. Im Bundestag wird es als Unionsinitiative wohl eben-
falls scheitern. Ich hoffe nur, dass es nicht Gegenstand der
nächsten Unterschriftenkampagne in Hessen wird.


(Beifall bei der PDS)

Würde dieses Gesetz verabschiedet, entstünde wirklich

ein skurriler Wettbewerb. Es gäbe einen Wettbewerb zwi-
schen den Bundesländern darum, welches Land am
schnellsten die schlechtesten Regelungen für Sozial- und
Arbeitslosenhilfe erlassen kann, um die Arbeitslosen und
Sozialhilfeempfänger dann am effektivsten zu gängeln.
Nur gut, dass Sie damit im Bundesrat gescheitert sind!

Sie wollen für die Länder weit gehende Öffnungsklau-
seln für die Sozialleistungen einführen. Geöffnet wird
aber nur nach unten. Das kann doch wirklich kein Ziel von
Sozialpolitik sein.


(Beifall bei der PDS)

Bisher sind die Regeln dafür, wann jemand Sozialleis-

tungen erhält, in den wesentlichen Grundzügen im ganzen
Bundesgebiet gleich. Die Regelsätze der Sozialhilfe un-
terscheiden sich in den alten und neuen Bundesländern
kaum voneinander – mit Ausnahme der Mindestregel-
sätze in Bayern.

Ich möchte gern ein Beispiel dafür anführen, was die
von Ihnen vorgeschlagenen Änderungen vermutlich be-
wirken würden: In Wiesbaden beträgt der volle Regel-
satzbedarf für eine Familie mit zwei Kindern zurzeit
ungefähr 961 Euro – ohne Miete. Bei einer Leistungsein-
schränkung nach § 25 BSHG – das sind die Sanktionen,
die Sie ausbauen wollen – gilt bundesweit, dass für die
Verstöße des Vaters nicht die ganze Familie haften muss.
Deswegen wird bei Fehlverhalten des Vaters nur sein Teil
der Sozialhilfe gekürzt. Diese Sanktionen wollen Sie ver-
schärfen. Es soll nicht mehr nur beim Bedarf des Vaters
gekürzt werden, sondern die ganze Familie soll den Gür-
tel enger schnallen.

Nehmen wir die Familie in Wiesbaden als Beispiel. Sie
erhält 961 Euro Sozialhilfe. Der Vater weigert sich, eine




Dr. Thea Dückert
22214


(C)



(D)



(A)



(B)


Arbeit anzunehmen, die das Amt für zumutbar hält. In
Hessen würde, wenn ich die vorgeschlagenen Regelungen
richtig verstehe, die Sozialhilfe um wahrscheinlich bis zu
190 Euro gekürzt. Zöge diese Familie nur wenige Kilo-
meter weiter nach Mainz, würden nur ungefähr 60 Euro
abgezogen. In Hessen bekäme die Familie also 130 Euro
weniger als in Rheinland-Pfalz. In der gleichen Situation
müsste die gleiche Familie aufgrund unterschiedlichen
Landesrechts mit deutlich unterschiedlichen Sozialleis-
tungen auskommen, und das auf dem niedrigsten Lebens-
niveau. Dieses Beispiel steht für nur eine von mehreren
Sanktionen, die Sie verschärfen wollen.

Das OFFENSIV-Gesetz will gerade bei Familien, die
von Sozialhilfe leben, sparen, um den Lohnabstand zu er-
höhen. Das ist hessische Sozialpolitik, die von der PDS
nicht mitgetragen wird.


(Beifall bei der PDS – Walter Hirche [FDP]: Sie spielen also eine wichtige Rolle in Hessen!)


Mit diesem Gesetz schüfen Sie deutlich unterschiedliche
Lebensbedingungen für Hilfeempfänger und -empfänge-
rinnen. Das geht weit über das hinaus, was in Modellver-
suchen bislang zugelassen wurde. Der grundgesetzlichen
Pflicht zur Herstellung gleicher Lebensbedingungen
widerspricht das wirklich massiv.

Außerdem würden Sie die angrenzenden Länder in
Zugzwang bringen. Die Länder müssten versuchen, ver-
gleichbare Regelungen zu schaffen, weil sonst womög-
lich alle Sozialhilfeempfänger von Wiesbaden nach
Mainz – das würde Mainz wohl auch nicht wollen – zö-
gen. Das darf kein Ziel einer ausgleichenden Politik sein.

Mit dem OFFENSIV-Gesetz will man Arbeitslose
schnell in Niedriglohnjobs bringen. Dafür breiten Sie
hier das ganze Instrumentarium aus, mit dem Arbeitslose
gegängelt werden können, damit sie Arbeit annehmen
müssen: egal wie sie bezahlt wird, egal was man vorher
gemacht hat oder welche Qualifikation man hat. Sie wol-
len auch, dass jemand, der 600 Euro Arbeitslosenhilfe
bekommt, eine Arbeit für 500 Euro annehmen muss.
Hauptsache, es wird gearbeitet, egal zu welchen Bedin-
gungen!

Dieser Ansatz ist viel zu kurzsichtig, erstens für die
Niedriglöhner selbst. Wer für einen Hungerlohn – der
Lohn reicht gerade noch so zum Leben – dauerhaft arbei-
tet, hat nicht mehr genug in der Tasche, wenn er dann von
Krankengeld, Arbeitslosengeld oder Rente leben muss,
die auf der Grundlage dieses Lohns berechnet wird.

Zweitens. Gerade schlecht bezahlte Jobs werden als
erste abgebaut, wenn ein Betrieb Mitarbeiter entlässt. Die
Gefahr, gleich wieder arbeitslos zu sein, ist also enorm
hoch.

Drittens. Mit solchen Vorschlägen setzen Sie das ge-
samte Lohngefüge unter Druck. Wenn es immer mehr
Leute gibt, die schlecht bezahlte Jobs annehmen müssen,
steigt der Druck auch auf diejenigen, die noch etwas mehr
bekommen, auf Lohn zu verzichten. Die Lohndumping-
spirale nach unten bekäme neuen Schwung. So haben Ar-
beitnehmer immer weniger Geld in der Tasche, das sie
ausgeben können und mit dem die Nachfrage angeregt

werden könnte. Das ist keine Politik mit Weitsicht für
mehr Beschäftigung.


(Beifall bei der PDS)

Auf die eigentlich spannenden Fragen geben Sie gar

keine Antwort: Wo sollen die Leute denn eigentlich alle
arbeiten? Wo sind denn die Stellen, die von den Arbeits-
losen – mit entsprechendem Druck – angetreten werden
könnten? In Hessen kommen auf derzeit 267 000 Arbeit-
suchende ganze 37 000 gemeldete offene Stellen. Das
Missverhältnis von sieben Bewerbern pro offener Stelle
müssen Sie doch erst einmal umkehren, bevor Sie mit sol-
chen Vorschlägen kommen.


(Beifall bei der PDS)

Aber: So was kommt eben von so was. Die Hessische

Landesregierung hat ihre Ideen in Wisconsin geklaut.

(Helmut Heiderich [CDU/CSU]: Wer klaut denn hier?)

Dort herrscht nahezu Vollbeschäftigung. Programme die in
Wisconsin bei Vollbeschäftigung funktionieren, lösen ganz
andere Probleme als die, die wir hierzulande haben. Hier
sind zu wenig Arbeitsplätze das Problem und nicht zu we-
nig Arbeitskräfte wie in Wisconsin. Die Orientierung auf
Billigjobs schafft neue Probleme, die wir noch gar nicht in
dem Ausmaß haben, wie sie in den USA schon bestehen:
Die Zahl der Working Poor, also derer, die um leben zu kön-
nen, mehrere Jobs brauchen, ist in den USAdeutlich höher.
Zum Glück haben wir solche Zustände noch nicht.


(Walter Hirche [FDP]: Zum Glück gibt es dort eine geringere Arbeitslosigkeit!)


Wir haben ein höheres Maß an sozialer Sicherheit und
ausgleichender Gerechtigkeit als die Vereinigten Staaten.
So soll es auch bleiben.

Wenn Sie die Arbeitslosigkeit wirklich abbauen wol-
len, dann müssen Sie Arbeitsplätze schaffen. Geben Sie
den Kommunen zum Beispiel Geld für Investitionen! Of-
fenbach hat schon lange kein Geld mehr im Stadtsäckel.
Schaffen Sie doch eine Pauschale ohne Kofinanzierung,
die die Stadt ausgeben kann! Einziges Kriterium: Auf-
tragsvergabe an Betriebe, die Arbeitslose einstellen. Da-
mit könnten Sie die Arbeitslosigkeit abbauen.


(Beifall bei der PDS – Helmut Heiderich [CDU/ CSU]: Warum machen Sie das nicht?)


Wenn Sie die Arbeitslosigkeit dauerhaft abbauen wol-
len, dann sollten Sie besser die Nachfrage ankurbeln. Die
Arbeitslosenhilfe abzuschaffen, den Ärmeren noch weni-
ger zu geben, hilft der Nachfrage nicht. Stattdessen sollte
Tariftreue mit öffentlichen Aufträgen belohnt werden.
Sie sollten die vorhandene Arbeit besser verteilen, statt
Überstunden zu dulden und öffentliche Arbeitsplätze in
den Bereichen einzurichten, die sich ohnehin für kein Un-
ternehmen betriebswirtschaftlich rechnen.


(Walter Hirche [FDP]: Mit solchen sozialistischen Vorstellungen sind schon viele Volkswirtschaften ruiniert worden!)


Sie sollten die soziale Sicherheit stärken, statt sie weiter-
hin aufzulösen.




Pia Maier

22215


(C)



(D)



(A)



(B)


Hier stehen sich wirklich zwei Prinzipien gegenüber:
Soziale Unsicherheit oder soziale Sicherheit schaffen?
Die Union und Ministerpräsident Koch wollen Unsicher-
heit und weniger soziale Leistungen. Sie wollen mehr
Druck, damit schlechtere Arbeit angenommen wird, da-
mit die Löhne sinken und die, die Arbeit zu vergeben ha-
ben, noch reicher werden.

Die PDS stellt diesem Sozialabbau ein Konzept sozia-
ler Sicherheit entgegen, verteidigt klare Ansprüche auf
Sozialleistungen und das Recht auf ordentlich bezahlte
Arbeit. Wir wollen einen gesetzlichen Mindestlohn, der
untere Standards sichert, und ein Vergabegesetz gegen
Billiganbieter.


(Beifall bei der PDS – Walter Hirche [FDP]: Neue Arbeitsplätze brauchen wir, das ist das Wichtige!)


Statt Abschaffung der Arbeitslosenhilfe schlagen wir die
Einführung einer Grundsicherung vor.


(Dr. Irmgard Schwaetzer [FDP]: Eigentlich haben Sie damit schon einmal die DDR ruiniert!)


Außerdem sollen die Kommunen besser von den Kosten
der Arbeitslosigkeit entlastet und alle Sozialhilfeempfän-
gerinnen und -empfänger in die Arbeitslosenversicherung
geholt werden.

Lassen Sie mich zum Schluss noch zwei Sätze zur
Sozialhilfereform der Bundesregierung sagen, die wir
heute auch mit verabschieden. Sie verlängern mit dieser
Sozialhilfereform die Regelung, dass die Regelsätze analog
zur Rente angepasst werden. Die Regelsätze sind mangels
Steigerung in den letzten Jahren ohnehin schon zu niedrig.
Nach der Rentenreform steigen jetzt die Renten noch gerin-
ger. Die BfA veröffentlichte gerade, dass die Renten in die-
sem Jahr mit der alten Regelung – vor der Riester-Reform –
um einen Prozentpunkt mehr gestiegen wären. Es wird Sie
nicht wundern, dass die PDS dem nicht zustimmt, sondern
eine Anpassung der Regelsätze nach Lebenshaltungskosten
fordert, um eine schleichende Armut zu vermeiden.

Herr Koch, Sie können sich sicher sein: Gegen das
OFFENSIV-Gesetz werden wir offensiv vorgehen.

Danke.

(Beifall bei der PDS)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1422405100
Das Wort hat
jetzt die Parlamentarische Staatssekretärin Ulrike
Mascher.


(Zurufe von der CDU/CSU: Wir wollen Riester hören!)


U
Ulrike Mascher (SPD):
Rede ID: ID1422405200
Frau Präsidentin!
Sehr verehrte Damen und Herren! In Deutschland gibt es
schon seit längerem, nicht erst seitdem der Ministerpräsi-
dent aus Hessen sich in die Diskussion eingeschaltet hat,
eine Diskussion darüber, wie der Grundsatz „Fördern und
Fordern“ in den großen sozialen Sicherungssystemen um-
gesetzt werden soll. Diese Diskussion mit Vorschlägen
von sehr unterschiedlicher Qualität spiegelt sich auch in
den Anträgen wider, die wir heute beraten.

Die Regierungskoalition legt konkrete Regelungen
vor, die für die laufende Arbeit der Sozialämter wichtig
sind, und einen Antrag, der zeigt, wie wir das große Pro-
jekt für die nächste Legislaturperiode angehen wollen, die
Reform der Sozialhilfe und die Kodifizierung im Rah-
men des Sozialgesetzbuches als XIII. Buch.


(Peter Weiß [Emmendingen] [CDU/CSU]: Wo haben Sie das Konkrete denn versteckt?)


Diese Reform muss auch eine Neujustierung der Hilfe zur
Arbeit im Rahmen der Sozialhilfe und der Arbeitslosen-
hilfe im System der Arbeitslosenversicherung bringen.
Der Umfang allein dieses Projektes wird deutlich, wenn
wir uns die finanziellen Größenordnungen vor Augen
führen, Frau Dr. Schwaetzer. Daraus ersieht man auch,
warum man das nicht hoppla hopp machen kann.


(Dr. Irmgard Schwaetzer [FDP]: Dreieinhalb Jahre ist nicht hoppla hopp!)


Die Arbeitslosenhilfe hatte 2000 ein Volumen von
12,78 Milliarden Euro, davon allein 3,84 Milliarden Euro
für Renten-, Kranken- und Pflegeversicherung, finanziert
aus den Steuermitteln des Bundes. 4,9 Milliarden Euro
Hilfe zum Lebensunterhalt für erwerbsfähige Sozialhilfe-
bezieher und ihre angehörigen Bedarfsgemeinschaften
wurden von Ländern und Kommunen finanziert und
1,1 Milliarden Euro haben die Kommunen für Hilfe
zur Arbeit ausgegeben. Diese Leistungen gehen an
1 460 000 Arbeitslosenhilfebezieher und circa 950 000 er-
werbsfähige Sozialhilfeempfänger und ihre Familien. Ins-
gesamt brauchen rund 2,7 Millionen Menschen in unse-
rem Land Sozialhilfe.

Der Armuts- und Reichtumsbericht, den die Bundes-
regierung im vergangenen Jahr erstmals vorgelegt hat, sagt
uns, wie es um die Lebenslage dieser Menschen bestellt ist.


(Wolfgang Meckelburg [CDU/CSU]: Längst bekannte Zahlen! Nichts Neues!)


Er zeigt, wie Menschen ökonomisch absteigen. Er be-
schreibt, welche sozialen Gruppen besonderem Risiko
ausgesetzt sind. Es sind vor allen Dingen Frauen, Allein-
erziehende, Familien mit mehreren Kindern und Zuwan-
dererfamilien, die so in Not geraten, dass sie Hilfe zum
Lebensunterhalt brauchen. Allein bei den Kindern unter
18 Jahren gibt es rund 1Million Sozialhilfeempfänger. Ich
glaube, wir sind uns alle darüber im Klaren, dass ein rei-
ches Land wie die Bundesrepublik sich diesen Skandal
nicht länger leisten kann.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Ilse Falk [CDU/CSU]: Deswegen haben wir ein Konzept vorgelegt!)


Fehlende Arbeitsplätze, schlechte Qualifikation, geringes
Erwerbseinkommen, Überschuldung, fehlende Kinderbe-
treuungsplätze – Herr Singhammer, vor allen Dingen in
Bayern – gehören zu den wichtigsten Ursachen von Be-
dürftigkeit, hier speziell von Alleinerziehenden.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



(V o r s i t z : Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms)





Pia Maier
22216


(C)



(D)



(A)



(B)


Die Zahl der Menschen, die Hilfe zum Lebensunterhalt
außerhalb von Einrichtungen bekommen, hat sich allein
während der Regierungszeit von Helmut Kohl mehr als
verdoppelt. Hinter dieser Zahl stehen nicht nur schwere
menschliche Schicksale, sondern auch große finanzielle
Belastungen. Die Hilfe zum Lebensunterhalt hat im Jahr
2000 insgesamt rund 9,5 Milliarden Euro gekostet. Die Er-
fahrungen der Praxis und die Analyse der Anforderungen,
die an ein zukunftsfähiges System der Sozialhilfe gestellt
werden, zeigen, dass wir eine grundlegende Reform brau-
chen. Die Bundesregierung, die Fraktionen von SPD und
Bündnis 90/Die Grünen, aber auch die Kommunen und ei-
nige Länder haben hier schon erste Schritte unternommen.

Wir haben in den drei Jahren, die wir jetzt an der Re-
gierung sind, ein ganzes Bündel von Gesetzen auf den
Weg gebracht, die wesentlich dazu beitragen, dass Men-
schen erst gar nicht sozialhilfebedürftig werden.


(Beifall bei der SPD)

Ich nenne beispielsweise die steuerliche Entlastung von
Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern, die Entlastung
von Familien, die Verbesserung des Familienlastenaus-
gleichs,


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

die Wohngeldreform, die Sie seit 1990 haben schleifen
lassen,


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

die soziale Grundsicherung im Alter und bei dauerhafter
Erwerbsminderung aus medizinischen Gründen, die Ar-
beitsmarktpolitik, das Programm zur Bekämpfung der Ju-
gendarbeitslosigkeit. Es zeigt sich auch ein Erfolg dieser
Politik: Die Zahl der Sozialhilfebedürftigen ist seit 1998
um insgesamt 7 Prozent zurückgegangen.

Die Sozialhilfe ist und bleibt für uns eine unverzicht-
bare Säule des Sozialstaates. Wir müssen sie stärken und
auf neue Anforderungen ausrichten.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Unser Ziel ist es, den Menschen die Führung eines Lebens
zu ermöglichen, das der Würde des Menschen entspricht,
wenn eigene Mittel, familiäre Unterstützung und vorran-
gige Sozialleistungen immer noch nicht ausreichen und
der Hilfesuchende sich aus eigener Kraft nicht helfen
kann. Die Sozialhilfe soll auch in Zukunft nicht nur die
materielle Existenz sichern, sondern auch die Teilhabe am
sozialen, gesellschaftlichen und kulturellen Leben ermög-
lichen. Wir wollen das zum Beispiel durch die nationalen
Aktionspläne gegen Armut und soziale Ausgrenzung er-
reichen, die wir gemäß Beschluss der EU in Lissabon im
Jahr 2000 im Zweijahresturnus vorlegen werden.


(Dr. Irmgard Schwaetzer [FDP]: Wo bleibt das Fordern?)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1422405300
Frau Kol-
legin Mascher, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kol-
legen Meckelburg?

U
Ulrike Mascher (SPD):
Rede ID: ID1422405400
Ja.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1422405500
Bitte
schön, Herr Meckelburg.


Wolfgang Meckelburg (CDU):
Rede ID: ID1422405600
Ich bitte um
Verzeihung, Frau Mascher, dass meine Frage ein bisschen
Abstand zu dem hat, was Sie gerade gesagt haben. Es war
etwas schwierig, Kontakt zum Präsidium zu bekommen.

Eben haben Sie aufgelistet, was Sie in der Sozialpoli-
tik alles gemacht haben und was nach Ihrer Aussage dazu
geführt hat, dass es allen besser geht. Würden Sie mir für
Ihr Haus und damit diese Bundesregierung bestätigen,
dass in den Jahren 2000 und 2001, wo die Rentenanpas-
sungen niedriger als die Inflationsrate lagen und die So-
zialhilfesätze an diese gekoppelt waren, die Sozialhilfe-
empfänger immer weniger in den Taschen hatten, da die
Inflation stärker als die Sozialhilfesätze gestiegen ist?


(Brigitte Lange [SPD]: Wer hat das denn beschlossen? – Weiterer Zuruf von der SPD: Billige Propaganda! Kennen wir doch!)


Können Sie mir das bestätigen?

U
Ulrike Mascher (SPD):
Rede ID: ID1422405700
Nein, das kann ich
Ihnen nicht bestätigen.


(Zurufe von der CDU/CSU: Das ist ja dreist! – Brigitte Lange [SPD]: Der hat ein kurzes Gedächtnis!)


Wir verstehen die Sozialhilfe als Hilfe zur Selbsthilfe
mit dem Ziel, Menschen wieder zu befähigen, unabhän-
gig von der Sozialhilfe zu leben. Das heißt vor allem,
Menschen wieder ins Erwerbsleben zu integrieren. Wir
stehen hier vor einer sehr komplexen Herausforderung
und vor einer Aufgabe, die Sachkompetenz und sorgfäl-
tige Abstimmungen voraussetzt, aber auch soziales Ge-
spür und soziale Intelligenz verlangt. Aus gegebenem An-
lass appelliere ich nicht nur an die Kollegen der
Opposition, sondern an uns alle, verantwortungsvoll mit
dem Thema Sozialhilfe umzugehen und keine Illusionen
zu nähren, dass man hopplahopp Armut beseitigen und So-
zialhilfebezug verringern kann, aber auch keine Vorurteile
zulasten der Empfänger von Sozialhilfe und Arbeitslosen-
hilfe zu befördern und das soziale Klima in unserem Land
zu verschlechtern. Das haben insbesondere die Kinder
von Sozialhilfeempfängern nicht verdient.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Ich finde es problematisch, wenn Herr Stoiber vor-
rechnet, wie viele neue Stellen sich bei Umsetzung seiner
Vorschläge schaffen ließen, oder wenn Herr Koch Sün-
denböcke schafft, indem er suggeriert, dass sich das Pro-
blem der Sozialhilfe von allein löse, wenn man – erlauben
Sie mir das Bild – die Daumenschrauben nur ein wenig
anziehe.


(Martin Hohmann [CDU/CSU]: Hat er überhaupt nicht gesagt! – Dr. Irmgard Schwaetzer [FDP]: Sie sollten sich einmal die Realität anschauen!)





Parl. Staatssekretärin Ulrike Mascher

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(C)



(D)



(A)



(B)


Meine Damen und Herren, wir sprechen von Proble-
men, die mehrere Millionen Menschen betreffen, Men-
schen, die oft ganz unverschuldet in eine schwierige Le-
benslage geraten sind.


(Konrad Gilges [SPD]: Was hat der Koch mit Menschenwürde zu tun? Das interessiert den doch nicht!)


Ich denke, wir alle sind uns einig, dass diese Menschen
Respekt und gezielte Hilfe verdienen. Das ist jedenfalls
der Anspruch, mit dem die Bundesregierung und die
Koalitionsfraktionen an die Reform der Sozialhilfe he-
rangehen.

Wir haben das in dem Antrag „Fördern und Fordern –
Sozialhilfe modern gestalten“ im Einzelnen dargelegt.


(Dr. Irmgard Schwaetzer [FDP]: Wo ist denn hier Fördern?)


– Frau Dr. Schwaetzer, ich vertraue auf Ihre Lesefähig-
keit. – Wichtige Aspekte sind dabei:

Erstens. Die eigentliche Notlage: Der Hilfebedürftige
muss stärker in den Vordergrund gestellt werden. Vorran-
giges Ziel der Leistung ist die Überwindung der Hilfe-
bedürftigkeit bei Arbeitslosigkeit, Überschuldung und
Wohnungslosigkeit. Die Bearbeitung von Familienpro-
blemen und die Auflösung von Betreuungsdefiziten ge-
lingen nur dann, wenn sich der Hilfesuchende aktiv betei-
ligt. Wir wollen die Hilfebedürftigen stärker in den
Hilfeprozess einbeziehen. Sie sollen als Partner ernst ge-
nommen werden. Denn wir sind sicher, dass das ein ers-
ter wichtiger Schritt ist, um eine Notlage zu überwinden.
Anreize und Sanktionen können den Prozess unterstützen,
sind aber kein Selbstzweck.

Zweitens. Geldleistungen der Sozialhilfe, also der Re-
gelsatz, Unterkunftskosten und einmalige Leistungen,
müssen nach wie vor als soziale Leitplanken zur Über-
windung einer Notlage gesehen werden. Das bedeutet, sie
müssen so ausgestaltet sein, dass keine soziale Ausgren-
zung erfolgt, aber auch so, dass sie nicht dazu verleiten,
sich darin einzurichten. Die Geldleistungen müssen, ins-
besondere im Bereich der einmaligen Leistungen, verein-
facht werden. Der Betroffene muss wissen, womit er wirt-
schaften kann, und soll nicht ständig als Bittsteller mit
ungewissem Ausgang antreten müssen. Die Verwaltung
muss von den komplizierten Einzelfallregelungen entlas-
tet werden.

Drittens. Diese tiefgreifende Umgestaltung der Sozial-
hilfe kann man nicht einfach von oben verordnen. Wir
wollen deswegen all die Erfahrungen, die wir mit der Ex-
perimentierklausel, der Pauschalierung von Sozialhilfe-
leistungen und den verschiedenen Projekten im Bereich
der Hilfe zur Arbeit gemacht haben, auswerten. Dabei
wollen wir nicht bis zum Jahr 2007 warten. Dieses Datum
wird ja in dem Gesetzentwurf, der in Hessen ausgebrütet
worden ist, nahe gelegt.


(Erika Lotz [SPD]: Kein schneller Brüter!)

Wir wollen den Grundsatz des Förderns und Forderns,

den wir schon im Job-AQTIV-Gesetz umgesetzt haben,
auch im Bereich der Sozialhilfe zur Geltung bringen. Aber
man muss ganz klar sagen: Wir wollen keine Sanktionen,

die zum Beispiel so weit gehen, dass Kinder vom Fehl-
verhalten ihrer Eltern betroffen werden. Das kann nicht
unsere Politik sein.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Eines lässt die CDU/CSU in ihrem Antrag ganz locker
beiseite, nämlich die Schlüsselfrage: Wie wird das alles fi-
nanziert? Was bedeutet das für die Finanzverfassung?
Sich einfach an der Arbeitslosenversicherung anzudocken
und sie zur Finanzierung anzuzapfen, das halte ich für
kein seriöses Konzept.


(Johannes Singhammer [CDU/CSU]: Das wird auf alle Fälle günstiger!)


Das Ziel der Bundesregierung ist eine umfassende So-
zialhilfereform. Wir befinden uns auf gutem Kurs. Wir
brauchen keine neuen Experimentierklauseln bis 2007.
Wir brauchen auch keine Schnellschüsse. Die Vorarbeiten
für die Reform werden vorangetrieben.

Die von Peter Hartz geleitete Kommission wird zu
organisatorischen Fragen sowie zu den Schnittstellen
zwischen Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe Vorschläge
erarbeiten. Die Kommission zur Gemeindefinanzreform
wird die Fragen der Finanzverantwortlichkeiten zwi-
schen Bund, Ländern und Gemeinden klären. Wir
werden die Erfahrungen mit den Experimentierklau-
seln und den MoZArT-Projekten sowie die Ergebnisse
der Arbeit zum Beispiel der Bertelsmann Stiftung aus-
werten.


(Dr. Irmgard Schwaetzer [FDP]: Und das Geld dafür nehmen Sie den Werkstätten für Behinderte weg!)


Wir werden sehr genau sehen, was in den Familien- sowie
Kinder- und Jugendberichten zur Situation von Frauen
und Alleinerziehenden steht. Wir werden eine Sozialhil-
fereform durchführen, die abgestimmt ist und die zwar
keine Patentrezepte enthält, aber eine wirklich grund-
legende Neuordnung dieses wichtigen Bereiches mit sich
bringt.


(Zuruf von der CDU/CSU: Wie wollen Sie das in den vier Monaten noch schaffen?)


Wir versprechen hier nicht, den Königsweg erfunden zu
haben. Wir behaupten auch nicht wie Herr Koch oder Herr
Stoiber, wir hätten den Stein der Weisen in der Tasche,


(Wolfgang Meckelburg [CDU/CSU]: Sie haben den steinigen Riester!)


ohne ein Finanzierungskonzept zu haben. Wir wollen
nicht fünf Jahre warten,


(Johannes Singhammer [CDU/CSU]: Dreieinhalb Jahre haben Sie schon gewartet!)


bis wir bundesweit das Ziel einer besseren Integration
durch Erwerbsarbeit erreichen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)





Parl. Staatssekretärin Ulrike Mascher
22218


(C)



(D)



(A)



(B)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1422405800
Als
nächster Redner hat der Kollege Peter Weiß von der
CDU/CSU-Fraktion das Wort.


(Erika Lotz [SPD]: Heiliges Blechle! – Klaus Brandner [SPD]: Wieder eine Wahlkampfrede!)



Peter Weiß (CDU):
Rede ID: ID1422405900
Herr Präsi-
dent! Meine Damen und Herren! Was wir heute im Deut-
schen Bundestag erleben, ist schon sehr bezeichnend.
Trotz des Höchststands der Arbeitslosenzahlen von
4,3 Millionen und trotz der Tatsache, dass wir heute das
zentrale Thema der Zusammenlegung von Arbeitslosen-
und Sozialhilfe diskutieren, glänzte der Bundesminister
für Arbeit zunächst einmal durch Abwesenheit


(Zuruf von der CDU/CSU: So war es! – Klaus Brandner [SPD]: Was für ein inhaltlicher Beitrag! – Johannes Kahrs [SPD]: Sie glänzen durch Ihre Ahnungslosigkeit!)


und musste erst durch eine Initiative der Opposition dazu
bewegt werden, sich gnädig dazu herabzulassen, endlich
in diesem Hohen Hause zu erscheinen.

Das passt zusammen: erst 1,2 Millionen Arbeitslose
aus der Statistik herauswerfen und dann, wenn im Bun-
destag darüber debattiert wird, nicht da sein.


(Johannes Kahrs [SPD]: Billige Polemik!)

Stärker kann man seine Verachtung und Nichtachtung der
Arbeitslosen in Deutschland nicht ausdrücken, als es
Walter Riester hier tut.


(Beifall bei der CDU/CSU – Widerspruch bei der SPD)


Nachdem Sie nun endlich da sind, Herr Minister, wol-
len Sie nachher auch noch das Wort ergreifen.


(Johannes Kahrs [SPD]: Vielleicht kommen Sie mal zur Sache!)


Nach den vielen Absichtserklärungen, die wir nun gehört
haben, erwarte ich von Ihnen, dass Sie hier klipp und klar
sagen, wie Sie Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe zusam-
menführen wollen und das Hilfeinstrumentarium für
Langzeitarbeitslose einheitlich so ausgestalten wollen,
dass es tatsächlich Wirkung hat.

Denn es ist doch merkwürdig: Bei der CDU/CSU, bei
der FDP,


(Johannes Kahrs [SPD]: Ahnungslosigkeit!)

bei den Koalitionsfraktionen wird erklärt, sie wollten Ar-
beitslosenhilfe und Sozialhilfe zusammenführen. Aber es
geschieht nichts. Auch heute geschieht nichts. Das ist das
Faktum.


(Johannes Kahrs [SPD]: Das merkt man an Ihrer Rede! Sie sagen nichts!)


Es geschieht nur eines: Auf Antrag der Bundesregierung
werden heute mehrere Übergangsfristen im Bundes-
sozialhilfegesetz noch einmal bis zum Jahr 2004 verlän-
gert, um Ihnen die Gelegenheit zu geben, nichts zu tun.

Das ist das, was heute beschlossen wird: ein Gesetz zum
Nichtstun!


(Beifall bei der CDU/CSU – Johannes Kahrs [SPD]: Sie haben doch keine Ahnung! Das zeigen Sie auch noch! Da geht sogar der Ministerpräsident!)


Sie haben angekündigt, eine Sozialhilfereform durch-
zuführen; daran darf ich Sie erinnern. Sie haben derzeit
noch die Mehrheit im Deutschen Bundestag. Sie stellen
derzeit die Bundesregierung. Sie könnten handeln!


(Johannes Kahrs [SPD]: Ihre Rede ist so schlecht, dass sogar der Koch geht!)


Stattdessen legen Sie dem Deutschen Bundestag einen
weiteren Antrag vor, in dem Sie erklären, was Sie alles
gerne machen würden, wenn Sie auch in der nächsten
Legislaturperiode wieder an die Regierung kommen
könnten.

Ich will Ihnen eines sagen:

(Johannes Kahrs [SPD]: Mehr haben Sie auch nicht zu sagen! – Gegenruf der Abg. Dr. Irmgard Schwaetzer [FDP]: Wie heißt denn der Grünschnabel da hinten?)


Ihre Methode des Vertröstens, die Sie heute anwenden,
und Ihre Ankündigungen sind deswegen Schall und
Rauch, weil Sie, wenn Sie so weitermachen, nach dem
22. September gar keine Gelegenheit mehr haben werden,
das, was Sie jetzt erzählen, in die Tat umzusetzen.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Mit dem Entwurf des OFFENSIV-Gesetzes liegt jetzt

wenigstens ein konkreter Vorschlag vor, den Sie be-
schließen könnten,


(Brigitte Lange [SPD]: Was machen Sie mit Ihren anderen? Sie haben doch schon so viele Anträge eingebracht!)


um einen ersten Schritt zu unternehmen – ich betone:
nicht, um alle Probleme zu beseitigen –, um Arbeitslosen-
und Sozialhilfe wirklich zusammenzuführen:


(Klaus Brandner [SPD]: Wenn er so viel an Inhalten hätte, wie er an Lautstärke hat, dann wäre der Mann gut!)


gemeinsame Job-Center und die gleichen Beratungs- und
Hilfemöglichkeiten für alle Hilfebezieher, gleiche Zu-
mutbarkeitsschranken für alle Langzeitarbeitslosen, glei-
che Förderinstrumentarien, gleiche Möglichkeiten, bei
Arbeitsaufnahme etwas hinzuzuverdienen und damit ei-
nen besseren Arbeitsanreiz zu haben als bisher, gleiche
Möglichkeiten der Qualifizierung, gleiche Sanktions-
möglichkeiten, wenn Hilfe und Arbeitsgelegenheit trotz
Angebot abgelehnt werden.

Sie wissen ganz genau, dass in all Ihren schönen
Modellversuchen, die Sie so sehr loben, eines bleibt:
Die unterschiedlichen rechtlichen Regelungen des
Sozialhilfegesetzes und des SGB III stehen nebenei-
nander.






(C)



(D)



(A)



(B)


Wir machen ein Angebot zu einem ersten Schritt, bei-
des wirklich zusammenzuführen. Dabei könnten Sie mit-
machen. Aber Sie sagen: Nein, das vertagen wir.


(Beifall bei der CDU/CSU – Zuruf von der CDU/CSU: Verweigerung! – Johannes Kahrs [SPD]: Man merkt, dass Sie weiterhin in die Opposition gehören!)


Sie haben große Schreckensszenarien entworfen, die
aber alle daneben liegen. Uns geht es um das Prinzip, dass
der Arbeitslose einen Betreuer bekommt und dass er nur
aus einem Geldtopf Förderung erhält.


(Klaus Brandner [SPD]: Warum blockieren Sie dann die Reform der Bundesanstalt für Arbeit? Alles Wahlkampf!)


Wir bieten den arbeitslosen Menschen, die eine Arbeit su-
chen, eine Eingliederungsvereinbarung an.


(Dr. Thea Dückert [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das haben wir schon im Gesetz! Wo waren Sie das ganze letzte Jahr?)


In diesem verbindlichen Vertrag zwischen Hilfebezieher
und dem Amt sollen Rechte und der Anspruch auf Leis-
tungen, aber auch entsprechende Gegenleistungen fest-
geschrieben werden.


(Franz Thönnes [SPD]: So wie wir das im JobAQTIV-Gesetzgeregelthaben!–KlausBrandner [SPD]:Warum reden Sie so laut, HerrWeiß? Haben Sie nur Schwerhörige imWahlkreis?)


– Ich muss so laut sprechen, weil ihr die Wahrheit nicht
vertragen könnt und deshalb dazwischenruft. Das ist der
Punkt.


(Johannes Singhammer [CDU/CSU]: Was richtig ist, das darf auch laut gesagt werden!)


Anstatt den richtigen Schritt zu gehen – dass man ihn
gehen kann, beweist das OFFENSIV-Gesetz –, zählen Sie
Ihre Bedenken auf, die schon seit Jahrzehnten vorge-
tragen werden. Der neue Chef der Bundesanstalt für Ar-
beit, der von Ihnen ins Amt gesetzte Florian Gerster,


(Johannes Kahrs [SPD]: Guter Mann!)

hat in einem Gespräch mit der „Frankfurter Allgemeinen
Zeitung“ festgestellt:

Deutschland ist zu langsam, zu bedenklich, zu
schwerfällig, was die Flexibilisierung vonArbeitsver-
hältnissen in der ergänzenden Beschäftigung angeht.

Wir ziehen mit unserem Gesetzentwurf daraus die Konse-
quenz. Aber Rot-Grün blockiert.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Sie von Rot-Grün haben zum Thema Arbeitslosenhilfe

und Sozialhilfe einen Antrag der Belanglosigkeiten vor-
gelegt. In dem Titel Ihres Antrages sprechen Sie so schön
von „Fördern und Fordern“. Sie haben sich in der Über-
schrift leider etwas geirrt. Der Titel müsste heißen: Verta-
gen und Vertrösten.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP– Klaus Brandner [SPD]: Herr Weiß, merken Sie nicht, dass Sie schon lange im Abseits stehen?)


Das ist Ihre Antwort an die Menschen, die in Deutschland
Arbeit suchen und die in Deutschland auch Arbeit finden
könnten. Es ist nämlich offenkundig, dass in einem brei-
ten Beschäftigungssegment gerade für diejenigen, die als
Langzeitarbeitslose heute auf Arbeitslosen- und Sozial-
hilfe angewiesen sind, Beschäftigung aktiviert werden
könnte, wenn man nur wollte.

Aber derzeit gibt es diese Beschäftigung leider nicht in
Form legaler, sondern vorwiegend in Form illegaler Ar-
beit. Ein Spitzenergebnis rot-grüner Politik ist: Deutsch-
land ist Spitze bei der Schwarzarbeit. Die Schwarzarbeit
in Deutschland hat mittlerweile einen Anteil von 16,3 Pro-
zent des Bruttoinlandsprodukts.


(Konrad Gilges [SPD]: Woher wissen Sie das eigentlich? Das Wesen der Schwarzarbeit ist, dass sie schwarz ist!)


Damit liegt Deutschland im Vergleich der Industriestaaten
auf Platz drei hinter Italien und Spanien. Die legale Wirt-
schaftstätigkeit in Deutschland schrumpft dank Ihrer Po-
litik; die illegale Beschäftigung nimmt zu.

Unser Angebot, den Niedriglohnsektor zu aktivieren,
Arbeitslosenhilfe- und Sozialhilfebeziehern zu helfen, in
Beschäftigung zu kommen und dafür eine zusätzliche
staatliche Förderung zu erhalten, schafft die Voraus-
setzung, damit aus illegaler Arbeit legale Arbeit werden
kann. Das ist übrigens nicht nur die Position der
CDU/CSU, sondern auch die Position des von Ihnen ins
Amt gehievten Herrn Gerster. Er erklärt in einem Inter-
view mit dem „Spiegel“:

Ich bin überzeugt, dass wir nach diesem Prinzip eine
Vielzahl neuer Stellen etwa im Handel, in der
Landwirtschaft oder der Gastronomie schaffen kön-
nen – Jobs, die heute allenfalls schwarz gemacht
werden. Wir brauchen ein Gesamtkonzept, um mit
gezielten staatlichen Zuschüssen das riesige Be-
schäftigungsfeld gering qualifizierter Tätigkeiten
etwa in Privathaushalten zu erschließen.


(Konrad Gilges [SPD]: Was ist dagegen einzuwenden?)


Was Gerster kapiert hat, das fordern wir schon lange. Aber
es wird von Rot-Grün bis zum heutigen Tag blockiert.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Konrad Gilges [SPD]: Sie fordern geringere Löhne! – Klaus Brandner [SPD]: Sie hatten doch 16 Jahre Zeit dafür! Da hat er ein Eigentor geschossen!)


Zu Beginn dieser Legislaturperiode vor bald vier Jah-
ren ist diese rot-grüne Regierung mit dem Motto angetre-
ten, sie müsse einen angeblichen Reformstau auflösen.


(Zuruf von der SPD: Richtig!)

Heute, vier Jahre später, müssen wir angesichts der dra-
matischen Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt feststellen,
dass der Reformstau in Deutschland einen Namen hat.
Der Name lautet Rot-Grün.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Lachen bei der SPD)





PeterWeiß (Emmendingen)

22220


(C)



(D)



(A)



(B)


Deutschland ist mittlerweile, was Wirtschaft und Ar-
beitsmarkt anbelangt, in Europa auf einem Abstiegsplatz.
Die Regierungsmannschaft ist konzeptionslos und bei
Debatten gar nicht mehr anwesend, der Trainer am Ende
seiner Ideen. Wir wollen, dass Deutschland im Interesse
seiner Bürgerinnen und Bürger wieder um die Meister-
schaft spielt. Dazu brauchen wir eine neue Mannschaft
und einen neuen Trainer. Vertragsabschluss für die Neuen
ist am 22. September.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1422406000
Das Wort
hat jetzt der Kollege Niebel von der FDP-Fraktion.


Dr. h.c. Dirk Niebel (FDP):
Rede ID: ID1422406100
Herr Präsident! Meine sehr ver-
ehrten Damen und Herren! Nachdem die SPD wegen der
Rede von Ministerpräsident Koch eine Sondersitzung ih-
rer Fraktion beantragt hatte, hatten Kollege Riesenhuber
und ich gehofft, dass sie darüber nachdenkt, was sie in
den letzten dreieinhalb Jahren aus ihrem Versprechen,
eine Sozialhilfereform umzusetzen, gemacht hat, und an-
schließend hier im Plenum des Deutschen Bundestages
feststellt, nur eine Verlängerung einer Verlängerung einer
Übergangsregelung komme dem versprochenen Anspruch
nicht wirklich nahe.


(Beifall bei der FDP – Wolfgang Meckelburg [CDU/CSU]: Eine Übergangsregierung kann nicht mehr!)


Leider haben wir uns geirrt. Das ist schade. Aber Sie ha-
ben noch 219 Tage lang Zeit, Ihr Versprechen zu erfüllen
und die steuerfinanzierten Hilfesysteme so umzubauen,
dass sie den betroffenen Menschen Zukunftschancen er-
öffnen.


(Beifall bei der FDP)

Das von der Union vorgelegte OFFENSIV-Gesetz geht

in die richtige Richtung, verfolgt aber in erster Linie nur
das Ziel, noch einmal deutlich darauf hinzuweisen, dass
Sie mit Ihrer totenstarren „ruhigen Hand“ dreieinhalb
Jahre lang nichts getan haben. Es reicht nicht aus, sich da-
mit herauszureden, dass andere vor Ihnen regiert hätten.
Sie trugen dreieinhalb Jahre lang die Verantwortung und
haben in dieser Zeit Ihre Versprechen nicht erfüllt. Dafür
werden Ihnen die Wählerinnen und Wähler am 22. Sep-
tember die Quittung geben.


(Beifall bei der FDP)

In der Bundesrepublik Deutschland gibt es zwei steu-

erfinanzierte Transferleistungssysteme, die für ein und
denselben Lebenssachverhalt, nämlich die Unterstützung
derer, die sich ihren Lebensunterhalt nicht durch eigene
Erwerbstätigkeit finanzieren können, gedacht sind und
deren Verwaltung 3,5 Milliarden Euro kostet. Die für
diese Doppelverwaltung benötigten Steuergelder sollten
sinnvollerweise für die Unterstützung derjenigen Men-
schen ausgegeben werden, die in diesem Land Hilfe brau-
chen, weil sie nicht alleine für sich sorgen können.

Allein der Umstand, dass sich das Drittel der Arbeits-
losenhilfeempfänger, das ergänzende Leistungen zum
Lebensunterhalt bezieht, in ihren wesentlichen wirt-
schaftlichen Verhältnissen vor zwei wildfremden Beam-
ten quasi entkleiden muss – dies hat etwas mit der Würde
der Menschen zu tun, die nicht selbst für ihren Lebens-
unterhalt sorgen können –, lässt es als sinnvoll erscheinen,
Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe zusammenzufassen.


(Beifall bei der FDP)

Natürlich ist es sinnvoll, dass man versucht, all die-

jenigen, die aus der Versicherungsleistung herausgefal-
len und bei der steuerfinanzierten Bedürftigkeitsleistung
– wie auch immer sie dann heißt – angekommen sind, ein-
heitlich und umfassend zu betreuen. Selbstverständlich
brauchen wir mittelfristig Job-Center, in denen staatliche
und private Vermittler gemeinsam und in Konkurrenz zu-
einander Bildungsträger, Therapieangebote und im Zwei-
felsfall auch gemeinnützige Tätigkeiten anbieten. Diesen
Weg verbauen Sie in dieser Legislaturperiode, statt die
letzten 219 Tage Ihrer Regierungszeit zu nutzen, auf die-
sem Weg den ersten Schritt zu gehen.


(Beifall bei der FDP)

Ein Fallmanager, der die Lebensumstände der Einzelnen
genau kennt, der den zu betreuenden Personen Hilfestel-
lungen geben kann, ist genau der Richtige, damit sie wie-
der in den Arbeitsprozess hineinkommen.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, zu der Fau-
lenzerdebatte, die Sie uns hier unterstellen wollen, hat Ihr
Bundeskanzler angestiftet. Das muss man ihm auch im-
mer wieder sagen. Natürlich gibt es keine Leistung ohne
die grundsätzliche Bereitschaft zur Gegenleistung. Wer
aber nicht in der Lage ist, etwas leisten zu können, braucht
unsere Hilfe. Dafür brauchen wir angesichts der heute
knappen Haushaltsmittel jeden verfügbaren Euro. Damit
diejenigen, die nichts leisten können, unsere Hilfe be-
kommen, müssen wir also all diejenigen sanktionieren,
die nichts leisten wollen.


(Beifall bei der FDP)

Wir müssen die Schwachen vor den Faulen schützen.

Erlauben Sie mir ein Beispiel. Sie haben vielfach da-
rauf hingewiesen, dass ich aus der Arbeitsvermittlung
komme. Ich kann nur sagen: Man lernt aufgrund prak-
tischer Erfahrungen. 1994 gab es im politischen Umfeld
eine Diskussion, an die ich mich noch sehr genau erin-
nere; damals war ich noch Arbeitsvermittler. Es wurde da-
rüber diskutiert, ob die Arbeitslosenhilfe nicht auf drei
Jahre befristet werden sollte.


(Zuruf von der SPD)

– Dies haben Sie schon in zwei Debatten gemacht, lieber
Kollege, allerdings im Rahmen von Aktuellen Stunden, und
dort konnten Sie keine Zwischenfrage stellen. Nun haben
Sie die Gelegenheit, aufzustehen und eine Frage zu stellen.
Dann bekommen Sie eine Antwort. Mit Ihren Beschimp-
fungen können Sie in Aktuellen Stunden fortfahren.

Ich kann mich noch erinnern, wie viele Arbeitslosen-
hilfeempfänger, die bereits zwei, drei oder auch fünf Jahre
– bis hin zu 16 Jahren – Arbeitslosenhilfe bezogen haben,




PeterWeiß (Emmendingen)


22221


(C)



(D)



(A)



(B)


plötzlich beim Arbeitsamt erschienen und außerordentlich
glaubwürdig erklärten, wie dringend sie schon immer und
gerade jetzt eine Arbeit suchen. Nach Ende der Diskus-
sion über einer Befristung der Arbeitslosenhilfe hat man
diese Arbeitslosenhilfebezieher nicht mehr gesehen.

Mit anderen Worten: Es gibt natürlich einen großen
Teil jener, die händeringend Arbeit suchen. Es gibt aber
auch genügend andere, bei denen man hier und da nach-
helfen muss, damit das System nicht so stark strapaziert
wird, dass diejenigen, die wirklich Hilfe brauchen, nicht
mehr versorgt werden können. Deswegen ist dies der rich-
tige Ansatz.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Die FDP-Bundestagsfraktion hat einen Antrag einge-
bracht, der auch die Finanzierung gemeinsam mit den
Kommunen regelt. Natürlich brauchen wir dafür eine
Gemeindefinanzreform, Frau Dückert. Was dazu aber
von Rot-Grün in dieser Legislaturperiode vorgelegt wor-
den ist, war eine „gemeine“ Finanzreform. So wird das
nicht funktionieren.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1422406200
Für die
Bundesregierung hat jetzt der Bundesminister Walter
Riester das Wort.

Walter Riester, Bundesminister für Arbeit und So-

(von der SPD sowie von Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN mit Beifall begrüßt)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren!
Herr Abgeordneter Weiß, ich weiß nicht genau, gegen
wen oder für wen Sie sprachen. Als ich hierher kam, habe
ich mich gefreut, dass der Plenarsaal aufgrund des kleinen
Aufstands voll war; denn ich dachte, ich könnte zu dieser
wichtigen Frage einmal vor allen im Parlament sprechen.


(Wolfgang Meckelburg [CDU/CSU]: Als Sie nicht da waren, war es auch voll!)


Ich sehe jetzt, dass Ihre Fraktion, Herr Niebel, hier noch
nicht einmal mehr mit ihrem Anteil von 7 Prozent vertre-
ten ist. So ernst also nehmen Sie dieses Thema.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Da wir gerade bei dem Stichwort „ernst“ sind: Herr
Ministerpräsident Koch, als Sie das erste Mal Ihre Über-
legung öffentlich geäußert haben, habe ich dies bereits ge-
sagt: Ich teile Ihre Auffassung in vielen Punkten, nämlich
dann, wenn sie sich auf die gut entwickelte Praxis bezieht,
die es nicht zuletzt auch in Bereichen Ihres Landes gibt.
Ich kenne die Praxis, die im Main-Kinzig-Kreis ent-
wickelt worden ist, sehr genau. Dies ist zum Teil in das
Job-AQTIV-Gesetz aufgenommen worden.

Was ich allerdings nicht für richtig halte, ist, bis zum
Jahr 2007 eine Experimentierklausel aufzunehmen, da die
Zusammenführung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe und
die Neugestaltung viel schneller vonstatten gehen müssen.

Was ich ebenfalls nicht teile, ist die Auffassung, dass
Sanktionsmöglichkeiten im Einzelfall sozusagen flächen-
deckend zwingend notwendig sind; denn dafür müssten
wir ein entsprechendes Angebot an Arbeitsplätzen haben.
Das will ich nicht, um es einmal deutlich zu sagen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Mit einem solchen Anspruch kämen wir flächendeckend
– dies ist nicht polemisch gemeint, ich will nur zum Nach-
denken anregen – zu einem zweiten Arbeitsmarkt.

Mein Ziel ist es, alles dafür zu tun, dass mit der Zu-
sammenführung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe denje-
nigen, die arbeitsfähig sind, ein schneller Zugang zum
ersten Arbeitsmarkt ermöglicht wird.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Dr. Irmgard Schwaetzer [FDP]: Der Abteilungsleiter hat doch schon einen Gesetzentwurf! Warum legt er ihn nicht vor?)


An diesem Ziel müssen sich die Organisations- und Fi-
nanzstränge ausrichten. Dies bedeutet aber, dass wir pa-
rallel dazu eine Gemeindefinanzreform in Angriff neh-
men. Noch in diesem Monat wird die Regierung die
Zusammenführung dieser beiden Projekte vornehmen.
Unser Ziel ist es, spätestens Ende 2004 die gesamte Re-
form abgeschlossen zu haben und sie mit den entspre-
chenden Schritten der Arbeitsmarktreform zu verbinden.

Nun zu dem, was bereits geschehen ist. Meine Damen
und Herren, über die Hälfte der Arbeits- und Sozialämter
in Deutschland haben in den letzten drei Jahren enge Ko-
operationen entwickelt, die sie auch praktizieren.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Zum Teil sind sie über die Modellprojekte MoZArT ent-
sprechend unterstützt worden.


(Dr. Irmgard Schwaetzer [FDP]: Die Wirklichkeit ist weiter als Ihre Fraktion!)


Herr Ministerpräsident, gerade in den zwei am meisten
entwickelten Teilen Ihres Landes, im Main-Kinzig-Kreis
und in Wiesbaden, ist das der Fall. Genau das unterstüt-
zen wir. Genau das ist in der Praxis entwickelt worden.

Meine Damen und Herren von der Opposition, ich darf
Sie vielleicht daran erinnern, dass Sie damals, als der un-
bequeme Schritt anstand, die Rentenversicherungs-
beiträge für Arbeitslosenhilfeempfänger an den Zahlbe-
trägen auszurichten, alle samt und sonders dagegen
gestimmt haben.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Zuruf von der CDU/CSU: Zu Recht!)


Bei dieser Frage darf man sich nicht in die Büsche schla-
gen. Deswegen bezweifle ich, dass Sie reformfähig sind.
Dort, wo es unbequem wird, wo es über Spruchblasen hi-
nausgeht, ducken Sie sich sofort.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Johannes Singhammer [CDU/ CSU]: Hier liegt ein konkreter Antrag vor! – Dirk Niebel 22222 Peter Weiß [Emmendingen] [CDU/CSU]: Hat die Rentenkürzung irgendeinen Arbeitsplatz gebracht?)





(C)


(D)


(A)


(B)


Sie waren lange Jahre reformunfähig. 1997 war „Re-
formunfähigkeit“ das Wort des Jahres. Sie haben sich
auch in Ihrer Oppositionszeit als reformunfähig erwiesen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Weil ich das weiß, kann ich solche Kleinaufstände, wie
ich sie vorhin erlebt habe, wo man auf einmal das Haus
füllt und es schlagartig wieder verlässt, wenn es um die
Diskussionen geht, leider nicht mehr ernst nehmen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Peter Weiß [Emmendingen] [CDU/CSU]: Das war eine so schlechte Rede mit null Inhalt! Unglaublich!)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1422406300
Das Wort
hat jetzt der Kollege Johannes Singhammer von der
CDU/CSU-Fraktion.


Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1422406400
Herr Präsi-
dent! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr
Minister Riester, fünf Minuten seichte Ankündigungsrhe-
torik ersetzen keine einzige Tat.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Widerspruch bei der SPD)


Davon haben die Menschen hier im Plenum und auch die-
jenigen, die uns sonst zusehen, zunehmend die Nase voll.
Durch Ihre Regierungszeit zieht sich ein roter Faden:


(Dirk Niebel [FDP]: Grüner Faden!)

Es begann mit dem Spruch, an den sich viele noch erin-
nern: Wir machen nicht alles anders, aber vieles besser.


(Peter Dreßen [SPD]: Das ist geschehen!)

Heute, nach dreieinhalb Jahren, stellen wir – und nicht nur
wir – fest: Es ist vieles, ja sogar nahezu alles schlechter
geworden.


(Johannes Kahrs [SPD]: Vor allem die Opposition ist schlechter geworden!)


Die Menschen können dies auch sehr genau überprüfen.
Das Einzige, was Konjunktur hat,


(Johannes Kahrs [SPD]: Ist die SPD!)

ist die Schwarzarbeit. Der Kollege hat schon darauf hin-
gewiesen, dass sie mit 16,5 Prozent der regulären Wirt-
schaftsleistungen einen neuen traurigen Höchststand er-
reicht hat. Die Menschen suchen Auswege aus einem
überbordenden Abgabenstaat.


(Peter Dreßen [SPD]: Woher haben Sie die Zahl?)


Die Bilanz, die Sie jetzt vorweisen – das ist ein sehr
ernstes Thema und diese muss man auch im Zusammen-
hang sehen –, ist deprimierend.


(Wolfgang Weiermann [SPD]: Absoluter Blödsinn!)


Die deutschen Sozialversicherungen sind in der Krise.
Obwohl der Arbeitsmarkt allein aus demographischen
Gründen jedes Jahr um 200 000 Menschen schrumpft, ist
die Zahl der offiziell gemeldeten Arbeitslosen jetzt auf
4,3 Millionen angestiegen.


(Peter Dreßen [SPD]: Wir haben auch die höchste Zahl sozialversicherungspflichtig Beschäftigter!)


Die Krankenversicherung gerät aus den Fugen. Die
Beiträge steigen und betragen im Durchschnitt nunmehr
14 Prozent. Die Pflegeversicherung wird von Ihnen Mo-
nat für Monat angezapft und Gelder der Versicherten wer-
den in andere Systeme überführt. In der Rentenpolitik
sind Sie trotz der Ökosteuer gescheitert.


(Johannes Kahrs [SPD]: Sie haben nicht zugehört! – Franz Thönnes [SPD]: Quatsch!)


Trotz Ökosteuer wird der Rentenbeitrag im nächsten Jahr
auf 19,3 Prozent steigen.


(Dr. Thea Dückert [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wie lang ist eigentlich Ihr Gedächtnis? Wie hoch war er denn 1998?)


Die Menschen zahlen doppelt: Ökosteuer und höhere
Beiträge.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Über allem schwebt wie ein Wetterleuchten die he-

raufziehende demographische Katastrophe, die uns alle
besorgt macht. Ihre Rezepte darauf sind Ankündigungen
und Versprechungen, die Sie immer wieder kassieren.

Die Lage ist so ernst, dass wir eine Neujustierung der
Sozialversicherungssysteme und eine Generalrevision
der Arbeitsmarktordnung brauchen. Das OFFENSIV-
Gesetz, das von Hessen initiiert worden ist und das der
hessische Ministerpräsident hier in einer überzeugenden
Weise begründet und dargelegt hat,


(Lachen bei Abgeordneten der SPD)

haben wir gerne als Initiative übernommen, weil es genau
diese Neujustierung beinhaltet.


(Peter Dreßen [SPD]: Das glauben Sie doch selbst nicht!)


– Herr Kollege, Sie brauchen sich nicht zu erregen, ich
sage Ihnen schon, worum es geht.


(Klaus Brandner [SPD]: Es ist peinlich, was Sie hier sagen!)


Es geht nicht darum, Politik mit einer neuen Mitleid-
losigkeit zu betreiben, sondern wir wollen vielmehr einen
im guten Sinne verstandenen mitfühlenden Sozialstaat er-
richten.


(Zurufe von der SPD: Oh! – Weitere Zurufe von der SPD)


Das bedeutet, dass diejenigen, die leistungsfähig sind,
ihre Leistung für das Ganze einbringen müssen, und dass
die Menschen, die nicht in der Lage sind, entsprechende
Leistungen zu bringen, auch weiterhin mit unserer Hilfe
und unserem Engagement rechnen können.




Bundesminister Walter Riester

22223


(C)



(D)



(A)



(B)


Ich sage Ihnen ganz konkret, welche beiden Gruppen
wir meinen. Zum einen meinen wir Familien mit Kin-
dern, die es ganz besonders schwer haben. Frau Staats-
sekretärin, in einem stimme ich Ihnen zu: Es ist ein Skan-
dal, dass noch immer eine so große Zahl von Kindern
Sozialhilfe beziehen muss. Wir wollen dem mit dem Fa-
miliengeld ein Ende setzen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Wolfgang Weiermann [SPD]: Wer hat die Familien denn dahin gebracht? – Weitere Zurufe von der SPD)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1422406500
Meine lie-
ben Kolleginnen und Kollegen, man muss die Zwischen-
rufe verstehen können. Bei 30 Zwischenrufen gleichzeitig
geht das nicht. – Herr Kollege Singhammer, erlauben Sie
eine Zwischenfrage des Kollegen Schemken?


Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1422406600
Gerne.

(Klaus Brandner [SPD]: Macht ihr eine getrennte Fraktionssitzung oder was ist das hier?)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1422406700
Kollege
Schemken, bitte


Heinz Schemken (CDU):
Rede ID: ID1422406800
Es wäre ganz gut,
wenn Sie jetzt einmal aufmerksam zuhören würden. Viel-
leicht frage ich ja in Ihrem Sinne.

Herr Kollege Singhammer, wie bewerten Sie den Vor-
wurf, der bezüglich der Kinderbetreuung hier soeben ge-
genüber dem Land Bayern gemacht wurde? Ich gehe da-
von aus, dass Sie – bezogen auf die Metropole München –
dazu eine Auskunft geben können.


(Zurufe von der SPD)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1422406900
Herr Kollege
Schemken, die Kollegin Mascher hat darauf hingewiesen
und gemeint, sie müsse dem Freistaat Bayern einen be-
sonderen Nachholbedarf in Sachen Kindergartenver-
sorgung vorhalten.


(Zuruf von der SPD: Sie sollen die Frage beantworten!)


Dies ist nicht richtig. Es gibt allerdings eine einzige Aus-
nahme: In der rot-grün regierten Landeshauptstadt Mün-
chen sind die Zahlen in Bayern am schlechtesten. Das ist
eine Schande.


(Beifall bei der CDU/CSU – Widerspruch bei der SPD)


Ich darf den Gedanken von gerade aufgreifen, bei wel-
chen Gruppen wir mehr tun müssen: Das sind zum einen
die Familien und zum anderen die Menschen mit einem
Handicap bzw. einer Behinderung. Das meine ich mit ei-
nem mitfühlenden Sozialstaat.

Das heißt aber auch – das ist der vollständig richtige An-
satz –, dass Menschen, die gesund und tatkräftig sind und
die keinenAnhanghaben,mehr tunmüssenundnichtmehr
damit rechnen können, sich in einem sozialen Netz ohne
eigenes Engagement längere Zeit aufhalten zu können.
Das ist richtig und notwendig; dahinter stehen wir auch.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, soziale Un-

gerechtigkeit entsteht vor allem dann, wenn Leistungs-
unterschiede nicht beachtet werden, wenn also derjenige,
der mehr tun kann, nicht gefordert wird und derjenige, der
mehr Hilfe braucht, die entsprechende Hilfe nicht erhält.
Das OFFENSIV-Gesetz ist genau das richtige Rezept ge-
gen eine Entwicklung, die die Menschen in unserem Land
immer mehr beklagen.


(Peter Dreßen [SPD]: Das ist doch eine Mogelpackung!)


– Herr Kollege, das ist keine Mogelpackung, das ist ein
konkreter Antrag, der umgesetzt wird, wenn wir mit Ihrer
Hilfe die entsprechende Mehrheit erhalten und Sie nicht
bloß die übliche Ankündigungsrhetorik verwenden, die
Sie seit vielen Jahren hier praktizieren.


(Zuruf von der SPD)

Ich komme jetzt zu einem wichtigen Punkt: Damit die

Menschen aus dem Bereich der sozialen Fürsorge wieder
heraus und auf eigene Füße kommen,


(Zuruf von der SPD: Muss die SPD weitere vier Jahre regieren!)


brauchen wir ein abgestimmtes System. Wir haben uns
nicht mit Ankündigungen aufgehalten, sondern wir haben
eine klare Konzeption vorgelegt.


(Zurufe von der SPD: Oh!)

Ich nenne Ihnen zwei Beispiele: Zunächst komme ich

zum Geringverdienerbereich. Wir haben als Grenze
400 Euro vorgeschlagen. Ihr 630-DM-Gesetz war das
größte Feuerwerk für mehr Schwarzarbeit in Deutschland
in den letzten 20 Jahren.


(Beifall bei der CDU/CSU – Widerspruch bei der SPD)


Wir wollen die Menschen wieder in eine legale Beschäf-
tigung zurückholen und wir wollen insbesondere den Ein-
stieg in eine Beschäftigung erleichtern. Deshalb haben
wir 400 Euro vorgeschlagen. Die Geringverdiener sollen
keine zusätzlichen Abgaben zu entrichten haben und die
Pauschalsteuer wird vom Arbeitgeber ganz unbürokra-
tisch entrichtet.

Der nächste Schritt ist das Einfädeln in die Beschäf-
tigung, ohne gleich hohe Abgaben an die Sozialversiche-
rung entrichten zu müssen, damit ein gleitender Übergang
erreicht wird. Damit wird Schwarzarbeit vermieden und
der Einstieg erleichtert. Unser Gesamtkonzept, das, was
wir heute Vormittag besprochen haben, bedeutet für die-
jenigen, die in der Sozialhilfe sind, eine Hilfe, um wieder
in Arbeit zu kommen. Dies geschieht nicht nur mit guten
Worten, sondern vor allem auch mit Taten, wie wir sie
festgelegt haben.




Johannes Singhammer
22224


(C)



(D)



(A)



(B)


Das ist ein geschlossenes Konzept. Hätten Sie das ver-
wirklicht, dann stünden Sie nicht vor einem solchen
Scherbenhaufen, wie das bei Ihnen der Fall ist.


(Wolfgang Weiermann [SPD]: Warum habt ihr das nicht unter Kohl gemacht? Ihr hattet doch 16 Jahre Zeit!)


Ich verspreche Ihnen an dieser Stelle: Wir werden es an-
ders machen. Ich bin mir auch sicher: Wir werden es bes-
ser machen.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1422407000
Als letz-
ter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt hat der Kol-
lege Walter Hoffmann von der SPD-Fraktion das Wort.


Walter Hoffmann (SPD):
Rede ID: ID1422407100
Herr Präsi-
dent! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr
Singhammer, ich hatte nicht den Eindruck, dass der hes-
sische Ministerpräsident seine Position in einer überzeu-
genden Art und Weise dargelegt hat.


(Johannes Singhammer [CDU/CSU]: Das hat er wohl!)


Das ist sicherlich eine subjektive Auffassung von Ihnen
gewesen. Die anwesende Mehrheit dieses Hauses hat dies
in der Tat nicht so gesehen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Ilse Falk [CDU/CSU]: Die Mehrheit dieses Hauses war die CDU!)


Aber ich bekenne: Es ist bemerkenswert, dass er an
dieser Diskussion heute teilnimmt. Es ist deshalb bemer-
kenswert, weil es mittlerweile verdeutlicht, wer in der
immerhin zweitgrößten Bundestagsfraktion in der Sozial-
politik den Ton angibt.


(Zuruf von der SPD: Genau! Und das völlig anders als die Fraktion bisher!)


Wenn ich Ihnen einen Ratschlag geben darf – normaler-
weise macht man das nicht –,


(Dr. Irmgard Schwaetzer [FDP]: Dann lassen Sie es auch besser!)


dann empfehle ich Ihnen schlicht und ergreifend: Ent-
wickeln Sie eigenständige, selbstkritische Positionen!
Lassen Sie sich nicht von Hessen an der Leine führen!


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Andreas Storm [CDU/CSU]: Blödsinn!)


Wenn es nun so wäre, dass in der Diskussion qualita-
tive Sprünge entstanden wären, dann hätte ich das akzep-
tiert. Aber wir alle haben mitbekommen, dass das in die-
ser Sache nicht geschehen ist. Vieles von dem, was wir
heute diskutieren, ist Ausdruck von Aktionismus, der
nicht durch die Sache selbst, sondern nur durch die Vor-
wahlkampfzeit und durch nichts anderes zu begründen ist.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Dr. Irmgard Schwaetzer [FDP]: Blödsinn!)


Ihre Forderung, zum Beispiel Vermittlungsagenturen
für Arbeitslose und Sozialhilfeempfänger einzurichten,


(Dirk Niebel [FDP]: Sehr vernünftig!)

ist im Kern völlig richtig. Daran gibt es überhaupt nichts
zu deuteln.


(Dirk Niebel [FDP]: Dann machen wir es doch!)


Die Grundidee der Zusammenfassung von Beratung, Be-
treuung, Vermittlung und Leistungsauszahlung in einer
Hand kann nur von jedem unterstützt werden. Aber genau
das machen wir auch.


(Wolfgang Meckelburg [CDU/CSU]: Wo denn?)


Sie rennen mit Ihrer Forderung offene Türen ein. Es ist
von mehreren Vorrednern bereits gesagt worden: Es gibt,
unterstützt mit 15 Millionen Euro, auch in CDU/CSU-ge-
führten Bundesländern bundesweit 30 Modellversuche.
Dort wird eine Verbesserung der Zusammenarbeit zwi-
schenSozial- undArbeitsämternerprobt.Genaudortgibt es
gemeinsameAnlaufstellen, indenenHilfebedürftigebeider
Systeme, von derBeantragung vonLeistungen über die Er-
arbeitung von Eingliederungsplänen bis hin zur Vermitt-
lung, im Grunde genommen von einer Stelle betreut wer-
den. Das ist in der Sache richtig und sinnvoll. Deshalb sage
ich noch einmal: Wir sollten diese Modellversuche
–sie laufenzumgrößtenTeil imFrühjahrdieses Jahresaus–
sinnvoll mit Kreativität und Fantasiereichtum auswerten
und dann die entsprechenden Konsequenzen ziehen.

Ich will noch einmal das unterstreichen, was der Bun-
desarbeitsminister gerade gesagt hat. Ich warne sogar da-
vor, Herr Koch, Ihren Antrag anzunehmen; denn die Da-
tierung Ihres Antrages bis zum Jahre 2007 würde
praktisch bedeuten, dass wir eine richtige Reform der Ar-
beitslosen- und Sozialhilfe erst ab dem Jahre 2007 ange-
hen könnten. Das dauert uns viel zu lange. So lange wol-
len wir nicht warten. Wir wollen dies bereits im Jahre
2003 nach der gewonnenen Bundestagswahl machen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Peter Weiß [Emmendingen] [CDU/CSU]: Deshalb vertagt ihr das jetzt! Das ist ja lächerlich!)


Es ist bereits – ich will das nicht wiederholen – auf
viele Modellprojekte auch in Hessen hingewiesen wor-
den. Ein Modellprojekt läuft im Main-Kinzig-Kreis. Sie
alle kennen diese Projekte und wissen, dass sie gut laufen.
Mit ihnen ist es gelungen, die Zahl der Sozialhilfeemp-
fänger drastisch zu verringern. Das ist eine von uns allen
anzuerkennende Leistung.


(Beifall des Abg. Dirk Niebel [FDP])

Es bleiben einige wirklich schwer zu verändernde

Fakten.
Fakt ist, dass wir die Zahl der Sozialhilfeempfänger

nur zu einem bestimmten Prozentsatz verringern können,
denn nur ein kleiner Teil von ihnen ist – ich glaube, das
hat man mittlerweile verstanden – arbeitsfähig.


(Dr. Irmgard Schwaetzer [FDP]: Immerhin 950 000! So wenig ist das nicht!)





Johannes Singhammer

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(C)



(D)



(A)



(B)


Zweiter Fakt ist: Alle Drohungen mit Kürzungen der
Sozialhilfe laufen im Grunde genommen leer. Wir können
bereits mit der bestehenden Rechtslage Kürzungen vor-
nehmen. Die Frage, die ich mir immer wieder gestellt
habe, ist: Was will man eigentlich erreichen, wenn man
das konkret weiß?

Der dritte Punkt – man muss auch das klar und deutlich
festhalten –: Das System und das Angebot von stärkerer
Betreuung und Sanktionen auf beiden Seiten setzen vo-
raus, dass eine ausreichende Anzahl von Arbeitsplätzen
existiert. Ich denke, wir haben ein paar gute und richtige
Schritte gemacht. Es ist das Job-AQTIV-Gesetz erwähnt
worden, wir setzen im Moment das rheinland-pfälzische
Niedriglohnmodell um. Das sind Schritte in die richtige
Richtung, die wir weiter fortführen möchten. Es wird un-
ser aller Aufgabe sein, in diesem Segment – im Dienstleis-
tungssektor, im Niedriglohnbereich – verstärkt Arbeits-
plätze zu schaffen, damit wir den Sozialhilfeempfängern
und den Arbeitslosenhilfeempfängern etwas Konkretes
anbieten können.

Lassen Sie mich ganz deutlich sagen: Alle Vorschläge
zur Verbesserung der individuellen Beratung und Hilfe
dürfen nicht die bestehenden Modellprojekte und Versu-
che ignorieren und quasi einen Neubeginn in der Diskus-
sion fordern. Bundesweite Spezialregelungen sind nicht
nur bezogen auf die einzelnen Länder verfassungsrecht-
lich unmöglich, sondern führen auch zu Flickenteppi-
chen, die die Entwicklung einheitlicher Lebensverhält-
nisse in den Regionen massiv erschweren werden. Das
wollen wir auf keinen Fall.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1422407200
Herr Kol-
lege, kommen Sie bitte zum Schluss.


Walter Hoffmann (SPD):
Rede ID: ID1422407300
Von daher
bleiben der Vorwurf – Herr Koch, ich kann das nicht än-
dern – des Populismus und der Verdacht, dass, wie schon
einmal, diesmal auf Kosten der Minderheit der Sozialhil-
feempfänger aus Stimmungen Wählerstimmen gemacht
werden sollen. Das ist nicht nur abgekocht, sondern im
wahrsten Sinne des Wortes abgebrüht.


(Zuruf von der SPD: Unanständig!)

Wir werden uns dagegen ganz massiv wehren.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1422407400
Herr Kol-
lege Hoffmann, Ihre Redezeit ist weit überzogen. Kom-
men Sie bitte zum Schluss.


Walter Hoffmann (SPD):
Rede ID: ID1422407500
Wir sollten
also die bestehenden Handlungsmöglichkeiten mit den
Experimentierklauseln nutzen und das Angebot des neuen
Job-AQTIV-Gesetzes in der Praxis umsetzen, die Erfah-
rungen aus den 30 MoZArT-Projekten ebenfalls weiter
entwickeln und die vorhandenen kommunalen Experi-
mente umsetzen. Ich bin davon überzeugt, dass wir
mit einer ruhigen Hand die Reform der Sozialhilfe in
der nächsten Legislaturperiode angehen werden. Herr

Singhammer, dann wird es uns gelingen, einen mitfühlen-
den Sozialstaat zu entwickeln.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1422407600
Ich
schließe die Aussprache.

Zum Tagesordnungspunkt 4: Interfraktionell wird
die Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache
14/8365 an die in der Tagesordnung aufgeführten
Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es anderweitige Vor-
schläge? – Das ist nicht der Fall. Dann ist die Überwei-
sung so beschlossen.

Zum Zusatzpunkt 2 a: Abstimmung über die von der
Bundesregierung sowie von den Fraktionen der SPD und
des Bündnisses 90/Die Grünen eingebrachten Gesetzent-
würfe zur Verlängerung von Übergangsregelungen im
Bundessozialhilfegesetz auf Drucksachen 14/8010 und
14/7280. Der Ausschuss für Arbeit- und Sozialordnung
empfiehlt unter Nr. 1 seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksache 14/ 8531, die genannten Gesetzentwürfe als
Gesetz zur Verlängerung von Übergangsregelungen im
Bundesozialhilfegesetz in der Ausschussfassung anzu-
nehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in
der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Hand-
zeichen. – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Der Ge-
setzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stim-
men der Koalitionsfraktionen bei Gegenstimmen der
übrigen Fraktionen angenommen.

Wir kommen zur
dritten Beratung

und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Ge-
genstimmen? – Enthaltungen?– Der Gesetzentwurf ist da-
mit mit dem gleichen Mehrheitsverhältnis angenommen.

Zusatzpunkt 2 b: Der Ausschuss für Arbeit- und So-
zialordnung empfiehlt unter Nr. 2 seiner Beschlussemp-
fehlung auf Drucksache 14/ 8531 die Annahme des An-
trags der Fraktionen von SPD und Bündnis 90/Die
Grünen auf Drucksache 14/7293 mit dem Titel: „Fördern
und Fordern – Sozialhilfe modern gestalten“. Wer stimmt
für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dage-
gen? – Wer enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist
mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen bei Gegen-
stimmen der übrigen Fraktionen angenommen.

Unter Nr. 3 empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung des
Antrags der Fraktion der FDP auf Drucksache 14/5982
mit dem Titel „Für eine Reintegration von Sozialhilfe-
empfängern in den Arbeitsmarkt – Anreize für die Rück-
kehr in das Erwerbsleben erhöhen“. Wer stimmt für diese
Beschlussempfehlung? – Gegenstimmen? – Enthaltun-
gen? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der
Koalitionsfraktionen und der PDS-Fraktion bei Gegen-
stimmen der FDP-Fraktion und bei Enthaltung der
CDU/CSU-Fraktion angenommen.

Schließlich empfiehlt der Ausschuss für Arbeit und So-
zialordnung unter Nr. 4 seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksache 14/8531 die Ablehnung des Antrags der Frak-
tion der PDS auf Drucksache 14/7298 mit dem Titel „Die




Walter Hoffmann (Darmstadt)

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(C)



(D)



(A)



(B)


Sozialhilfe armutsfest gestalten“. Wer stimmt für diese
Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent-
hält sich? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stim-
men der Koalitionsfraktionen und der Fraktionen der
CDU/CSU und der FDP bei Gegenstimmen der PDS-
Fraktion angenommen.

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 20 a bis 20 k – es
handelt sich um Überweisungen im vereinfachten Verfah-
ren – sowie die Zusatzpunkte 3 a bis c auf:
20.a)Beratung des Antrags der Bundesregierung

Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deut-
scher Streitkräfte an dem NATO-geführten
Einsatz auf mazedonischem Territorium zum
Schutz von Beobachtern internationaler Orga-
nisationen im Rahmen der weiteren Implemen-
tierung des politischen Rahmenabkommens
vom 13. August 2001 auf der Grundlage des
Ersuchens der mazedonischen Regierung vom
8. Februar 2002 und der Resolution Nr. 1371

(2001) des Sicherheitsrates der Vereinten

Nationen vom 26. September 2001
– Drucksache 14/8500 –
Überweisungsvorschlag:
Auswärtiger Ausschuss (f)

Rechtsausschuss
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Haushaltsausschuss gemäß § 96 GO

b) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Fünften Gesetzes
zur Änderung des Bundesfernstraßengesetzes

(5. FStrÄndG)

– Drucksache 14/8448 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen (f)

Innenausschuss
Rechtsausschuss
Ausschuss für Tourismus

c) Erste Beratung des von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zurÄnde-
rung des Fernstraßenbauprivatfinanzierungs-
gesetzes und straßenverkehrsrechtlicher Vor-
schriften (FstrPrivFinÄndG)

– Drucksache 14/8447 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen (f)

Innenausschuss

d) Erste Beratung des von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur
Errichtung einer Verkehrsinfrastrukturfinanzie-
rungsgesellschaft zur Finanzierung von Bundes-

(Verkehrsinfrastrukturfinanzierungsgesellschaftsgesetz – VIFGG)

– Drucksache 14/8449 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen (f)

Ausschuss für Tourismus

e) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ände-
rung des Grundstoffüberwachungsgesetzes
– Drucksache 14/8387 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Gesundheit

f) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Errich-
tung einer Stiftung Deutsche Geisteswissen-
schaftliche Institute im Ausland, Bonn
– Drucksache 14/8465 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung (f)

Ausschuss für Kultur und Medien

g) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur
Änderung des Gesetzes über den Auswärtigen
Dienst (GAD)

– Drucksache 14/8225 –
Überweisungsvorschlag:
Auswärtiger Ausschuss (f)

Innenausschuss
Rechtsausschuss

h) Erste Beratung des von der Bundesregierung einge-
brachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkom-
men über die Zusammenarbeit bei der Bekämpfung
der organisierten Kriminalität zwischen der Regie-
rung der Bundesrepublik Deutschland und der Re-
gierung der Republik Litauen vom 23. Februar 2001
und zwischen der Regierung der Bundesrepublik
Deutschland und der Regierung der Republik

(Organisierte Kriminalität – Drucksache 14/8199 – Überweisungsvorschlag: Innenausschuss Rechtsausschuss Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union i)

brachten Entwurfs eines Siebten Gesetzes zur Än-
derung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes
– Drucksache 14/8450 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (f)

Innenausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen

j) Beratung des Antrags der Abgeordneten Petra
Bläss, Dr. Heinrich Fink, Wolfgang Gehrcke, wei-
terer Abgeordneter und der Fraktion der PDS
Die Gewaltspirale im Nahen Osten beenden
– Drucksache 14/8271 –
Überweisungsvorschlag:
Auswärtiger Ausschuss (f)

Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union




Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms

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(C)



(D)



(A)



(B)


k) Beratung der Unterrichtung durch die Bundes-
regierung
Übereinkommen über nukleare Sicherheit
Bericht der Regierung der Bundesrepublik
Deutschland für die Zweite Überprüfungsta-
gung im April 2002
– Drucksache 14/7732 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit

ZP3 a)Beratung des Antrags der Abgeordneten Renate
Blank, Dirk Fischer (Hamburg), Eduard Oswald,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der
CDU/CSU
Verbesserung der Schifffahrtsverhältnisse im
Donauabschnitt zwischen Straubing und Vils-
hofen
– Drucksache 14/8484 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen (f)

Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Haushaltsausschuss

b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Hans-
Michael Goldmann, Horst Friedrich (Bayreuth),
Dr. Karlheinz Guttmacher, weiterer Abgeordneter
und der Fraktion der FDP
Ausbau der Donau zwischen Straubing und
Vilshofen
– Drucksache 14/8497 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen (f)

Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Haushaltsausschuss

c) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Dr. Michael Meister, Dirk Fischer (Hamburg),
Eduard Oswald, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion der CDU/CSU
Notwendigkeit des Saaleausbaus
– Drucksache 14/8485 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen (f)

Ausschuss für Angelegenheiten der neuen Länder
Haushaltsausschuss

Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen an
die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu
überweisen. Die Gesetzentwürfe auf Drucksache 14/8447
und Drucksache 14/8449 sollen zusätzlich an den Haus-
haltsausschuss zur Mitberatung überwiesen werden. Sind
Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann ist so
beschlossen.

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 21 b, c und e bis m
auf. Dabei handelt es sich um die Beschlussfassungen zu
Vorlagen, zu denen keine Aussprache vorgesehen ist.

Wir kommen zu den Abstimmungen.

Tagesordnungspunkt 21 b:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundes-
regierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Vorbereitung einer bundeseinheitlichen
Wirtschaftsnummer
– Drucksache 14/8211 –

(Erste Beratung 218. Sitzung)

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschuss
für Wirtschaft und Technologie (9. Ausschuss)

– Drucksache 14/8505 –
Berichterstattung:
Abgeordneter Dr. Hansjürgen Doss

Der Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
empfiehlt auf Drucksache 14/8505, den Gesetzent-
wurf anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetz-
entwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. –
Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Dann ist der Gesetz-
entwurf in zweiter Beratung mit den Stimmen der
Koalitionsfraktion und der PDS-Fraktion bei Enthal-
tung der Fraktionen der CDU/CSU und der FDP ange-
nommen.

Wir kommen zur
dritten Beratung

und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die
dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erhe-
ben. – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Der Gesetz-
entwurf ist mit demselben Stimmenverhältnis ange-
nommen.

Tagesordnungspunkt 21 c:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundes-
regierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zu den Verträgen vom 15. September 1999 des
Weltpostvereins
– Drucksache 14/7977 –

(Erste Beratung 215. Sitzung)

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschuss
für Wirtschaft und Technologie (9. Ausschuss)

– Drucksache 14/8446 –
Berichterstattung:
Abgeordneter Werner Schulz (Leipzig)


Der Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
empfiehlt auf Drucksache 14/8446, den Gesetzentwurf
anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf
zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Gegenstim-
men? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist zweiter
Beratung einstimmig angenommen.

Wir kommen zur
dritten Beratung

und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Ge-
genstimmen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist
einstimmig angenommen.




Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
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(C)



(D)



(A)



(B)


Tagesordnungspunkt 21 e:
Zweite Beratung und Schlussabstimmung des von
der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs ei-
nes Gesetzes zu dem Protokoll vom 27. Februar
2001 zur Ergänzung des Abkommens vom
5. April 1993 zwischen der Bundesrepublik
Deutschland und der Republik Lettland über
den Luftverkehr
– Drucksache 14/7419 –

(Erste Beratung 205. Sitzung)

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-
ses für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen

(15. Ausschuss)

– Drucksache 14/8355 –
Berichterstattung:
Abgeordneter Norbert Königshofen

Der Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen
empfiehlt auf Drucksache 14/8355, den Gesetzentwurf
anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf
zustimmen wollen, sich zu erheben. – Gegenstimmen? –
Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist einstimmig ange-
nommen.

Tagesordnungspunkt 21 f:
Zweite Beratung und Schlussabstimmung des von
der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs
eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 2. Okto-
ber 2000 zur Änderung und Ergänzung des
Abkommens vom 18. Juni 1991 zwischen der
Bundesrepublik Deutschland und dem Staat
Bahrain über den Luftverkehr
– Drucksache 14/7978 –

(Erste Beratung 215. Sitzung)

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-
ses für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen

(15. Ausschuss)

– Drucksache 14/8356 –
Berichterstattung:
Abgeordneter Norbert Königshofen

Der Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen
empfiehlt auf Drucksache 14/8356, den Gesetzentwurf
anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf
zustimmen wollen, sich zu erheben. – Gegenstimmen? –
Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist einstimmig ange-
nommen.

Tagesordnungspunkt 21 g:
Zweite Beratung und Schlussabstimmung des von
der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs ei-
nes Gesetzes zu dem Abkommen vom 19. Juni
2001 zwischen der Regierung der Bundesrepu-
blik Deutschland und der Regierung der Repu-
blik Kap Verde über den Luftverkehr
– Drucksache 14/7976 –

(Erste Beratung 215. Sitzung)


Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-
ses für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen

(15. Ausschuss)

– Drucksache 14/8357 –
Berichterstattung:
Abgeordneter Norbert Königshofen

Der Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen
empfiehlt auf Drucksache 14/8357, den Gesetzentwurf
anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf
zustimmen wollen, sich zu erheben. – Gegenstimmen? –
Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist einstimmig ange-
nommen.

Tagesordnungspunkt 21 h:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundes-
regierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Änderung des Gesetzes vom 20. Mai 1997
zur Revision des Übereinkommens vom
20. März 1958 über die Annahme einheitlicher
Bedingungen für die Genehmigung derAusrüs-
tungsgegenstände und Teile von Kraftfahrzeu-
gen und über die gegenseitige Anerkennung der
Genehmigung
– Drucksache 14/7245 –

(Erste Beratung 201. Sitzung)

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-
ses für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen

(15. Ausschuss)

– Drucksache 14/8405 –
Berichterstattung:
Abgeordneter Manfred Heise

Der Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungs-
wesen empfiehlt auf Drucksache 14/8405, den Ge-
setzentwurf anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Hand-
zeichen. – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Der Ge-
setzentwurf ist damit in zweiter Beratung einstimmig
angenommen.

Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Ge-
genstimmen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist
einstimmig angenommen.

Wir kommen nun zur Abstimmung über die Beschluss-
empfehlungen des Petitionsausschusses.

Tagesordnungspunkt 21 i:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses (2. Ausschuss)

Sammelübersicht 362 zu Petitionen
– Drucksache 14/8369 –

Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent-
hält sich? – Die Sammelübersicht 362 ist mit den Stim-
men der Koalitionsfraktionen, der CDU/CSU und der
FDP bei Enthaltung der PDS angenommen.




Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms

22229


(C)



(D)



(A)



(B)


Tagesordnungpunkt 21 j:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses (2. Ausschuss)

Sammelübersicht 363 zu Petitionen
– Drucksache 14/8370 –

Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthal-
tungen? – Die Sammelübersicht 363 ist mit den Stimmen
der Koalitionsfraktionen, der CDU/CSU und der FDP bei
Enthaltung der PDS-Fraktion angenommen.

Tagesordnungspunkt 21 k:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses (2. Ausschuss)

Sammelübersicht 364 zu Petitionen
– Drucksache 14/8371 –

Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthal-
tungen? – Die Sammelübersicht 364 ist mit den Stimmen
der Koalitionsfraktionen, der CDU/CSU und der FDP bei
Gegenstimmen der PDS-Fraktion angenommen.

Tagesordnungpunkt 21 l:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses (2. Ausschuss)

Sammelübersicht 365 zu Petitionen
– Drucksache 14/8372 –

Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent-
hält sich? – Die Sammelübersicht 365 ist mit den Stim-
men der Koalitionsfraktionen und der PDS-Fraktion bei
Gegenstimmen der CDU/CSU-Fraktion und der FDP-
Fraktion angenommen.

Tagesordnungspunkt 21 m:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses (2. Ausschuss)

Sammelübersicht 366 zu Petitionen
– Drucksache 14/8373 –

Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent-
hält sich? – Die Sammelübersicht 366 ist einstimmig an-
genommen.

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 5 a bis 5 e sowie die
Zusatzpunkte 4 bis 7 auf:
5. a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Rudolf

Bindig, Lilo Friedrich (Mettmann), Angelika Graf

(Rosenheim), weiterer Abgeordneter und der Frak-

tion der SPD sowie der Abgeordneten Christa
Nickels, Dr. Angelika Köster-Loßack, Kerstin
Müller (Köln), Rezzo Schlauch und der Fraktion
des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
58. Tagung der VN-Menschenrechtskommis-
sion in Genf
– Drucksache 14/8376 –

b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Menschenrechte und

humanitäre Hilfe (18. Ausschuss) zu dem Antrag
der Fraktionen der SPD und des BÜNDNIS-
SES 90/DIE GRÜNEN
Stärkung der wirtschaftlichen, sozialen und
kulturellen Rechte im Völkerrecht und im in-
ternationalen Bereich
– Drucksachen 14/7483, 14/8406 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Heide Mattischeck
Hermann Gröhe
Christa Nickels
Sabine Leutheusser-Schnarrenberger
Carsten Hübner

c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Rudolf
Bindig, Lilo Friedrich (Mettmann), Angelika
Graf (Rosenheim), weiterer Abgeordneter
und der Fraktion der SPD sowie der Abgeord-
neten Christa Nickels, Dr. Angelika Köster-
Loßack, Cem Özdemir, weiterer Abgeordneter
und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE
GRÜNEN
Weltweite Bekämpfung und Ächtung der Folter
– Drucksache 14/8488 –

d) Beratung der Beschlussempfehlung und des
Berichts des Ausschusses für Menschenrechte
und humanitäre Hilfe (18. Ausschuss) zu dem
Antrag der Abgeordneten Hermann Gröhe,
Annette Widmann-Mauz, Monika Brudlewsky,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der
CDU/CSU
Im Namen der „Ehre“ – Gewalt gegen Frauen
weltweit ächten
– Drucksachen 14/7457, 14/8404 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Angelika Graf (Rosenheim)

Monika Brudlewsky
Christa Nickels
Sabine Leutheusser-Schnarrenberger
Carsten Hübner

e) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Dr. Helmut Haussmann, Ulrich Irmer, Ina
Albowitz, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
der FDP
Sklaverei weltweit verhindern
– Drucksache 14/8280 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe (f)

Auswärtiger Ausschuss
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung

ZP 4 Beratung des Antrags der Abgeordneten Hermann
Gröhe, Monika Brudlewsky, Dr. Heiner Geißler,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/
CSU sowie der Abgeordneten Sabine Leutheusser-
Schnarrenberger, Dr. Helmut Haussmann, Dr. Klaus




Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
22230


(C)



(D)



(A)



(B)


Kinkel, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
der FDP
Den Friedensprozess im Sudan in Gang setzen
und nachhaltig fördern
– Drucksache 14/8481 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe (f)

Auswärtiger Ausschuss
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung

ZP 5 Beratung des Antrags der Abgeordneten Hermann
Gröhe, Monika Brudlewsky, Dr. Heiner Geißler,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der
CDU/ CSU
Lage der Menschen- und Minderheitenrechte
in Vietnam
– Drucksache 14/8483 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe (f)

Auswärtiger Ausschuss
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung

ZP 6 Beratung des Antrag der Abgeordneten Dr. Helmut
Haussmann, Sabine Leutheusser-Schnarrenberger,
Hildebrecht Braun (Augsburg), weiterer Abgeord-
neter und der Fraktion der FDP
Für eine China-Resolution der Europäischen
Union auf der 58. VN-Menschenrechtskommis-
sion
– Drucksache 14/8486 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe (f)

Auswärtiger Ausschuss
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung

ZP 7. Beratung des Antrags der Abgeordneten Carsten
Hübner, Petra Bläss, Wolfgang Gehrcke, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion der PDS
Konkrete Maßnahmen zur Stärkungwirtschaft-
licher, sozialer und kultureller Rechte ergreifen
– Drucksache 14/8502 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe (f)

Innenausschuss
Rechtsausschuss
Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Ausschuss für Kultur und Medien

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Stunde vorgesehen. – Ich höre keinen
Widerspruch. Dann ist so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache. Als erste Rednerin hat das
Wort die Kollegin Heide Mattischeck von der SPD-Frak-
tion.


Heide Mattischeck (SPD):
Rede ID: ID1422407700
Herr Präsident! Liebe
Kollegen! Liebe Kolleginnen! Die Stärkung der wirt-

schaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte ist und
bleibt eine wichtige Aufgabe – national wie auch interna-
tional. Der Ausschuss für Menschenrechte und huma-
nitäre Hilfe hat im vorletzten Jahr eine Anhörung zu die-
sem Thema durchgeführt. Diese Anhörung hat uns noch
einmal wichtige Anregungen für unsere Arbeit im Aus-
schuss gegeben.

Obwohl alle Vertragsstaaten mit der Unterzeichnung
des Sozialpakts die Gleichrangigkeit dieser Rechte mit
den bürgerlichen und politischen Rechten anerkannt ha-
ben, spielte der Sozialpakt zumindest in der westlichen
Welt lange eine eher untergeordnete Rolle. Darüber hi-
naus geriet er in den ideologischen Ost-West-Streit.
Während die Entwicklungsländer und bis zum Ende des
Kalten Krieges auch der Ostblock dem Sozialpakt den
Vorrang gaben, drängte der Westen vorrangig auf die Um-
setzung des Zivilpakts. Auf der Wiener Menschen-
rechtskonferenz im Jahre 1993 wurden die Unteilbarkeit
und die Gleichrangigkeit beider Pakte noch einmal deut-
lich bestätigt.

Wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte sind in
der Regel nicht einklagbar. Die einzige Kontrollinstanz
auf internationaler Ebene bildet das Berichtsverfahren
vor dem Ausschuss für wirtschaftliche, soziale und
kulturelle Rechte beim Wirtschafts- und Sozialrat der
Vereinten Nationen. Gegenüber diesem Ausschuss be-
richtet auch die Bundesrepublik Deutschland regelmäßig
über den Stand der nationalen Bemühungen bei der Um-
setzung der wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen
Rechte. Die Themen in den vergangenen Berichten waren
unter anderem das immer noch vorhandene wirtschaftli-
che Ost-West-Gefälle in unserem Land und zum Beispiel
der Status Asylsuchender. Gerade hierzu haben wir nun
bei der Novellierung des Ausländerrechts und im Rahmen
des Zuwanderungsgesetzes Initiativen ergriffen. Auch das
in Stellungnahmen immer wieder kritisierte Informati-
onsdefizit hinsichtlich der Armut in Deutschland ist mit
dem im letzten Jahr vorgelegten Armutsbericht weitge-
hend beseitigt worden. Gelöst worden sind allerdings
noch nicht alle Probleme in diesem Bereich.

Trotzdem besteht auch bei uns weiterhin kein Grund,
sich auf Lorbeeren auszuruhen, zumal man wohl kaum
von Lorbeeren sprechen kann, wenn es um die Erfüllung
elementarer und schon vor Jahrzehnten kodifizierter
Rechte geht. SPD undGrüne fordern deshalb in ihremAn-
trag die Bundesregierung auf, die Empfehlungen desAus-
schusses für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte
nicht nur konstruktiv aufzugreifen, sondern auch publik zu
machen, um damit das öffentliche Bewusstsein zu schär-
fen.Weitere wichtige Forderungen sind die immer wieder
angemahnte frühzeitige und regelmäßige Einbeziehung
derNichtregierungsorganisationen in dieVorbereitung der
zukünftigen Berichte und eine bessere geschlechtsspezi-
fische Differenzierung der Berichterstattung.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Um wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte end-
lich wirkungsvoller durchsetzen zu können, muss es auch
für den Sozialpakt ein individuelles Beschwerdever-
fahren entsprechend der Regelung für den Zivilpakt




Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms

22231


(C)



(D)



(A)



(B)


geben. Das ist eine Forderung, die wir in unserem Antrag
noch einmal aufgegriffen haben. Man muss sagen, dass
sich gerade die deutsche Regierung dafür schon in der
Vergangenheit immer wieder auch bei der MRK beson-
ders stark gemacht hat.

Nötig ist die Entwicklung und die Durchsetzung von
Verhaltenskodizes für transnationale Unternehmen – das
ist mir besonders wichtig –, die sich an den Konventionen
der Vereinten Nationen und der Internationalen Arbeitsor-
ganisation orientieren und die für Deutschland weitge-
hend selbstverständliche Praxis auch für andere Standorte
umsetzen.

Insgesamt muss es Ziel unserer Politik sein, die Wirk-
samkeit staatlicher Steuerungsinstrumente auch und ge-
rade gegenüber der globalisierten Wirtschaft zu erhalten,
um der völkerrechtlichen Verpflichtung zum Schutz und
zur Förderung der wirtschaftlichen, sozialen und kul-
turellen Rechte in vollem Umfang nachkommen zu
können.

An dieser Stelle möchte ich auf eine Forderung in un-
serem Antrag besonders hinweisen. Die Bundesregierung
wird aufgefordert, darauf hinzuwirken, dass die OECD-
Leitsätze für multinationale Unternehmen umgesetzt wer-
den und die deutsche nationale Kontaktstelle für die
Leitsätze als interministerielle Struktur eingerichtet wird,
in der die Sozialpartner und die Nichtregierungsorga-
nisationen in allen wichtigen Fragen beteiligt werden.

Ein weiterer Hinweis ist mir in diesem Zusammenhang
besonders wichtig: Weder die Weltbank noch der IWF,
noch die WTO sind an die Menschenrechtspakte gebun-
den. Sie sind in den letzten Jahren zunehmend – nicht
ganz zu Unrecht – in die Kritik geraten. Wir regen deshalb
an, dass jene Vertragsstaaten, die zugleich Anteilseigner
von IWF und Weltbank sind, in ihren so genannten Staa-
tenberichten an den UN-Ausschuss für die WSK auch ihre
Politik gegenüber den internationalen Finanzsituationen
sowie ihre in den Gremien vertretenen Positionen darstel-
len. Ich denke, das ist eine ganz wichtige und umfassende
Forderung, deren Umsetzung – das wissen wir alle – noch
sehr lange dauern wird. Wenn wir dies aber nicht angehen,
immer wieder darauf hinweisen und die Bundesregierung
auffordern, weiterhin danach zu handeln, werden all die
Probleme, die wir zurzeit auf der Welt haben, nicht gelöst
werden können.

Die 58. Sitzung der Menschenrechtskommission der
Vereinten Nationen, die MRK, findet in diesem Jahr – wie
wir alle wissen – in einer besonders angespannten Zeit
statt. Die Zuspitzung der Konflikte um Kaschmir und in
Palästina, die Fortdauer des Bürgerkrieges in Tschetsche-
nien und eine Vielzahl anderer regionaler und lokaler
Konflikte gehen allesamt mit gravierenden Menschen-
rechtsverletzungen einher. Daraus leiten sich eine Reihe
von Forderungen in unserem Antrag zur MRK ab.

Die nationale, regionale und internationale Umsetzung
der in Durban vereinbarten Maßnahmen gegen Rassismus
und Fremdenfeindlichkeit muss organisiert werden.

Die Unterzeichnung und Ratifizierung der VN-Kon-
vention gegen transnationales organisiertes Verbrechen
sowie das Zusatzprotokoll zur Vorbeugung, Bekämpfung

und Bestrafung des Menschenhandels, insbesondere
des Frauen- und Kinderhandels, müssen vorangebracht
werden.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Das Zusatzprotokoll zum Übereinkommen über die
Rechte des Kindes betreffend die Beteiligung von Kin-
dern an bewaffneten Konflikten und das Zusatzprotokoll
zum Übereinkommen über die Rechte des Kindes betref-
fend den Handel mit Kindern sowie Kinderprostitution
und Kinderpornographie muss unterzeichnet und ratifi-
ziert werden.

Die Auseinandersetzung um die weltweite Ächtung
und Abschaffung der Todesstrafe – damit haben wir uns
hier sehr häufig zu Recht beschäftigt – muss weitergeführt
werden.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Die Einhaltung der Menschenrechte und die Verfol-

gung begangener Menschenrechtsverletzungen an vielen
Orten der Welt muss thematisiert und in den Blick der Öf-
fentlichkeit gestellt werden, nicht zuletzt in Tschetsche-
nien, in Tibet, in Xinjiang und in den kurdischen Gebie-
ten der Türkei. Darauf müssen wir immer wieder
hinweisen und sollten das vor dem Hintergrund aktueller
Aktionen nicht vergessen.

Mit besonderer Sorge verfolgen wir die Entwicklung
der Menschenrechtssituation in einzelnen Staaten. Wenn
ich diese nenne, heißt das nicht, dass es nicht auch in an-
deren Staaten der Welt Probleme gibt. Einheimische wie
internationale Menschenrechtsorganisationen – das habe
ich eben schon erwähnt – berichten aus Tschetschenien
von schweren Menschenrechtsverletzungen auf beiden
Seiten. Es darf kein Krieg gegen die Bevölkerung geführt
werden. Das Vorgehen der russischen Streitkräfte steht
weiterhin nicht im Einklang mit dem humanitären Völ-
kerrecht.

Die Türkei hat mit den Verfassungsänderungen im letz-
ten Jahr sicher einen wichtigen Schritt hin zu einer even-
tuellen Mitgliedschaft in der EU getan. Die Menschen-
rechtslage ist aber nach wie vor mehr als unbefriedigend:
Verletzung der Presse- und Meinungsfreiheit, Folter in den
Gefängnissen, Beibehaltung der Todesstrafe usw.

Wir begrüßen das Vorhaben der indonesischen Regie-
rung, ein Menschenrechtsgericht zur Ahndung der Ver-
brechen in Osttimor einzusetzen. Aber zum Beispiel die
gewaltsame Räumung eines Armenviertels in Jakarta
durch die Polizei verletzt die Menschenrechte der Bevöl-
kerung.

Der Rechtsstaatdialog mit China ist zu begrüßen. Die
Liste der Menschenrechtsverletzungen in China ist jedoch
lang: die exzessive Anwendung der Todesstrafe, die Ad-
ministrativhaft zur Umerziehung durch Arbeit, das Verbot
politischer Opposition, die Verfolgung religiöser Minder-
heiten und die noch zunehmende Unterdrückung der Ti-
beter und der Uiguren.

In diesem Sinne bitte ich um Unterstützung unserer
Anträge.




Heide Mattischeck
22232


(C)



(D)



(A)



(B)


Zum Schluss möchte ich noch eine Bemerkung ma-
chen, die mir besonders am Herzen liegt. Wir haben seit
dem 11. September viele Diskussionen um die Bekämp-
fung des Terrorismus geführt. Wir sind uns alle darin ei-
nig, dass dieser Terrorismus, vor allen Dingen aber seine
Wurzeln und Ursachen, bekämpft werden müssen. Vieles
von dem, was ich gesagt habe, trägt dazu bei bzw. kann
dazu beitragen.

Es geht bei der Terrorismusbekämpfung aber auch um
die Einhaltung der Menschenrechte bei dem, was wir ge-
gen den Terrorismus tun. Auch wenn Wut, Trauer und
Schmerz über diese entsetzlichen Verbrechen vom
11. September manchmal individuell verständlich sind,
dürfen die Reaktionen einer zivilisierten Gesellschaft
nicht dazu führen, dass man bei der Bekämpfung des Ter-
rorismus die Menschenrechte außer Kraft setzt – weder
bei uns noch anderswo.

Danke schön.

(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1422407800
Das Wort
hat jetzt die Kollegin Monika Brudlewsky von der
CDU/CSU-Fraktion.


Monika Brudlewsky (CDU):
Rede ID: ID1422407900
Herr Präsident!
Meine Damen und Herren! Zu den wichtigsten Themen
im Parlament gehören unzweifelhaft die Menschenrechte
– die der Bewohner im eigenen Land, aber auch die
Rechte der Menschen in anderen Ländern der Welt. Der
Menschenrechtsausschuss des Deutschen Bundestages
hatte seit Beginn dieser Legislaturperiode daher keinen
Mangel an Arbeit.

Es ist gut, dass die Menschenrechte im Bewusstsein
der Menschen und auch im Bewusstsein der Politik immer
fester verankert sind. In einer Reihe von Ministerien sind
die Menschenrechte mit eigenen Arbeitsstäben in die
alltägliche Arbeit integriert. Weiterhin finden bilaterale
Gespräche mit anderen Staaten vonseiten unserer Regie-
rung oder auch im Rahmen der EU und anderer interna-
tionaler Gremien heutzutage auch immer unter dem Ge-
sichtspunkt der Achtung der Menschenrechte statt.

Diese Einbeziehung der Menschenrechte auf allen Ge-
bieten hat wesentlich dazu beigetragen, Anfragen zur Ver-
besserung der Menschenrechte weltweit schneller voran-
zubringen, als dies zu Zeiten des Kalten Krieges möglich
war. Aber sogar heute unter rot-grüner Regierung hat man
schnell lernen müssen, dass man aus politischer Rück-
sichtnahme, aus Gründen der Diplomatie in manchem
Land die Menschenrechtsfrage behutsamer ansprechen
muss, als man dies noch vor einigen Jahren zu Regie-
rungszeiten von Helmut Kohl gefordert hat.

Die zu dieser Debatte vorliegenden Anträge sind ein
Querschnitt aus vielen einzelnen schicksalhaften Beispie-
len, die aus aller Welt an uns herangetragen und bei uns
beraten wurden. Durch Berichte von mutigen Menschen-
rechtsvertretern oder durch Parlamentarierreisen erfuhren
wir direkt vor Ort noch intensiver, als dies durch Medien-

berichte möglich ist, vom Leid vieler Millionen Kinder,
Frauen und Männer in aller Welt. Vor allem das Schicksal
der Kinder, die als schwächstes Glied aus allen Ausein-
andersetzungen hervorgehen, muss uns Ansporn genug
sein zu handeln. Wer wie ich Hunderte von Kindern als
Waisen, als Hungernde, als Krüppel, als Minenopfer, als
Kindersoldaten gesehen hat oder sich an die vielen Kin-
der in den Flüchtlingslagern Afrikas erinnert, den lassen
solche Bilder nicht mehr los.

Es ist eigentlich mit dem normalen Menschenverstand
nicht zu fassen, welche Grausamkeiten im Allgemeinen in
der Welt heute noch systematisch verübt werden und was
im Besonderen Frauen und Mädchen in nicht wenigen
Ländern der Welt nach wie vor zugefügt wird. In den
zurückliegenden Monaten ist ganz besonders die Situa-
tion von Frauen durch die jüngsten Ereignisse in Afgha-
nistan in den Blick der Öffentlichkeit gerückt. Es war
eigentlich beschämend, aber in gewisser Weise auch be-
zeichnend, den weltweiten Aufschrei der Öffentlichkeit
bei der Sprengung der Buddhaskulpturen durch die Tali-
ban zu hören, während es andererseits vorher das jahre-
lange Schweigen der Öffentlichkeit gegenüber der ent-
setzlichen und menschenverachtenden Lage insbesondere
der Frauen in Afghanistan gab.


(Beifall im ganzen Hause)

Hier hat ein Regime nicht nur die Hälfte seiner Bevölke-
rung demokratischer Grundrechte beraubt, sondern sie
vielmehr ganz aus dem öffentlichen Leben verbannt und
zu Leibeigenen des anderen Geschlechts gemacht. Das
darf die Weltgemeinschaft nie mehr zulassen.

Diejenigen, die zur Zeit der Talibanherrschaft und jetzt
wieder in Afghanistan und auch in Pakistan vor Ort wa-
ren, können sicher noch viel detaillierter auf die momen-
tane Lebenssituation dort eingehen. Ich möchte zu diesem
Thema nur sagen: Es ist eine erfreuliche Tatsache, dass
über den Antrag der CDU/CSU-Fraktion „Im Namen der
‚Ehre’ – Schandemorde und Gewalt gegen Frauen welt-
weit ächten“ im Ausschuss Einigkeit bestand.

Angesichts der verheerenden Gewalt von beiden
Seiten im Nahen Osten kann man mit Spannung die Sit-
zung der Menschenrechtskommission der Vereinten Na-
tionen erwarten. Zum 58. Mal tritt dieses internationale
Gremium in einigen Wochen in Genf zusammen. Im ent-
sprechenden Antrag der Koalition werden zwar einige
wichtige Fakten dargelegt, jedoch fehlt uns in diesem An-
trag eine klarere Benennung bestimmter gravierender
Menschenrechtsverletzungen, die uns, wenn überhaupt,
zu schwammig formuliert sind.

Gerade angesichts der Lage in Tschetschenien kann
man sich unseres Erachtens nicht auf die Aussage be-
schränken, dass es dort Menschenrechtsverletzungen auf
beiden Seiten gibt, sondern man muss aufzeigen, dass hier
seit Jahren, schon lange vor dem Geschehen am 11. Sep-
tember, unter dem Vorwand, Terroristen zu bekämpfen,
Zivilisten grausam gefoltert und ermordet wurden und
noch werden.


(Rudolf Bindig [SPD]: Leider wahr!)





Heide Mattischeck

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(C)



(D)



(A)



(B)


In den letzten Tagen war in einigen großen Zeitungen
über das Wirken so genannter Todesschwadronen der rus-
sischen Armee und der berüchtigten Sondereinheiten des
Innenministeriums zu lesen, die unter Duldung der russi-
schen Regierung Hunderte tschetschenischer Männer
verschleppen und brutalst zu Tode foltern. Bei allem Ver-
ständnis für die weltweite Antiterrorallianz, der sich auch
Russland angeschlossen hat: Diese darf nicht als Feigen-
blatt und Vorwand für die Verfolgung und Unterdrückung
eigener missliebiger Bevölkerungsgruppen dienen.


(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS)


Dem muss die freie Welt, dem müssen wir entgegentreten
und eine klare Trennung zwischen Terroristenbekämp-
fung und dem Tschetschenien-Problem einfordern.

Ich hatte deshalb beim Putin-Besuch in Berlin und sei-
ner Rede hier im Hohen Hause für mich persönlich die
Konsequenz gezogen, nicht an dieser Plenarveranstaltung
teilzunehmen, sondern stattdessen vor dem Brandenburger
Tor zusammen mit der Gesellschaft für bedrohte Völker
auf diese gravierenden Menschenrechtsverletzungen
durch die russische Regierung hinzuweisen. Wir müssen
darauf aufmerksam machen, dass keine Medien in dieses
Gebiet kommen, um über die wirklichen Schicksale der
Betroffenen zu berichten. Wenn Berichte herausgelangen,
dann nur, weil es immer wieder todesmutige Frauen und
Männer wagen, die Wahrheit herauszutragen. Werden sie
mit Film- oder Fotomaterial von den russischen Behörden
gefasst, dann drohen ihnen langjährige Gefängnisstrafen,
Folter oder sie verschwinden einfach für immer.

Es genügt auch nicht festzustellen, dass die Verhältnis-
mäßigkeit der Mittel nicht gewahrt bleibt. Vielmehr muss
die russische Regierung klar und deutlich aufgefordert
werden, den Krieg gegen das tschetschenische Volk sofort
zu beenden.


(Beifall im ganzen Hause)

Es wäre auch dringend notwendig, eindringliche Forde-
rungen nach einer internationalen Untersuchung der Men-
schenrechtsverletzungen in Tschetschenien zu erheben.

Auch China kommt in dem Koalitionsantrag verhält-
nismäßig gut weg. Schon der einleitende Passus „trotz
ermutigender Zeichen“ lässt erst einmal Hoffnung aufkei-
men, die aber dann schon wieder im Keim erstickt wird.
Was sich jedoch in China, dem Land, in dem in sechs Jah-
ren die sportliche Jugend der Welt zu den Olympischen
Spielen zusammentreffen wird, wirklich abspielt, ist ein
Trauerspiel und lässt noch lange nicht auf Verbesserung
der Menschenrechtslage hoffen. Fast täglich bekommen
wir Meldungen über die schwierige Menschenrechtslage
in Tibet, über die Sanktionen gegen die Falun-Gong-Be-
wegung und die schwierige Lage der Christen im Land.
Es darf nicht sein, dass der Welt bei den Olympischen
Spielen nur jubelnde Parteikader zuwinken und die Op-
position in dieser Zeit weggeschlossen wird und nach dem
Olympiaereignis alles so weiter geht wie bisher.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der PDS)


Kolumbien, Simbabwe und der Sudan gehören meines
Erachtens ebenfalls zwingend in die Reihe der Länder, in
denen viele Opfer durch Menschenrechtsverletzungen zu
beklagen sind; sie werden in dem Antrag aber leider nicht
erwähnt.

Trotz dieser Anmerkungen, die darauf hinweisen, dass
uns dieser Antrag zu verhalten, zu vorsichtig ist, trotz un-
serer Bemängelungen werden wir den Antrag aber nicht
ablehnen, sondern uns der Stimme enthalten.

Einer Zustimmung zu dem vorliegenden Antrag der
FDP „Sklaverei weltweit verhindern“, der zunächst noch
an die Ausschüsse überwiesen wird und daher noch nicht
zur Abstimmung kommt, steht unsererseits nichts im
Wege.

Ich merke, dass ich mich doch ein wenig lange ausge-
lassen habe, möchte aber noch sagen, dass es ein Glücks-
fall ist, dass die UN unseren ehemaligen Innenminister
Gerhart Baum als Sonderbotschafter für die Region des
Sudan eingesetzt hat und sich ein sehr positiver Dialog
mit uns und vielen NGOs über den Sudan entwickelt hat,
der der Region hoffentlich bald friedlichere Zeiten
bringt.

Abschließend möchte ich generell feststellen, dass im
Ausschuss für Menschenrechte trotz der eben aufgezeig-
ten Meinungsverschiedenheiten doch die Meinungen von
Koalition und Opposition in Fragen der Menschenrechte
häufig enger beieinander liegen, als dies in anderen Aus-
schüssen der Fall ist. Ich möchte bei dieser Gelegenheit
ausdrücklich all meinen Kolleginnen und Kollegen im
Ausschuss für das gute Miteinander bei der nicht immer
leichten Arbeit für die Rechte der Menschen in aller Welt
danken. Das schließt natürlich nicht aus, dass wir in Ein-
zelfragen verschiedene Auffassungen haben und daher
unterschiedlich abstimmen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich danke für Ihre
Aufmerksamkeit.


(Beifall im ganzen Hause)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1422408000
Das Wort
hat jetzt unsere Kollegin Christa Nickels vom Bünd-
nis 90/Die Grünen.


Christa Nickels (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1422408100

Herr Präsident! Kolleginnen und Kollegen!

„Die 58. Sitzung der ... MRK findet in diesem Jahr in
einer besonders angespannten Zeit statt.“ Sie findet ziem-
lich genau ein halbes Jahr nach den Terroranschlägen vom
11. September 2001 statt, „die in vielen Staaten einen Po-
litikwechsel bewirkt haben, in dem neue Allianzen sowie
neue Schwerpunkte ... entstanden sind“. So lautet es im
Antrag der Koalitionsfraktionen zur MRK, der heute auf
der Tagesordnung steht. Allmählich werden die Struktu-
ren dieser neuen Politikansätze, ihre Chancen und auch
ihre großen Risiken, klarer erkennbar. Die neuen Heraus-
forderungen in der Menschenrechtspolitik gewinnen an
Schärfe.




Monika Brudlewsky
22234


(C)



(D)



(A)



(B)


Wir als Angehörige der Nachkriegsgeneration – so er-
scheint mir das ziemlich oft – leben bis heute in dem
Grundgefühl, dass die demokratische, rechtsstaatlich ver-
fasste Zivilgesellschaft eine für alle Zeit garantierte
Grundkonstante ist, die uns nie verloren gehen kann. Aber
allmählich erkennen wir gerade vor dem Hintergrund der
globalen Herausforderungen, dass sich jede Generation
solcher Errungenschaften wie der Menschenrechte neu
vergewissern, sie neu erkämpfen und sichern muss.


(Beifall im ganzen Hause)

Angesichts dessen stelle ich mit großem Erstaunen und

auch immer wieder mit Erschrecken fest, wie viele Wäch-
ter und Anwälte der Menschenrechte in der Stunde der
Not die Menschenrechte offenbar als eine Schönwet-
terveranstaltung für blauäugige Gutmenschen, welt-
fremde Fantasten oder – das liest man wörtlich so – „ver-
zärtelte Weicheier“ ansehen. Wer aber so argumentiert,
liefert den Diktatoren und Menschenschindern in der Welt
ungewollt eine Steilvorlage; das muss man ganz klar und
deutlich sagen. Von daher gesehen wird gerade auch in der
globalisiert zugespitzten Auseinandersetzung die Gefahr
größer, dass der Antiterrorkampf mit menschenrechtlich
fragwürdigen Mitteln geführt wird.

Darum haben wir als Koalitionsfraktionen die Bundes-
regierung noch einmal aufgefordert – wir wissen, dass sie
das auch tut –, auf der 58. MRK in Genf entschieden da-
rauf zu bestehen, dass menschenrechtliche Standards im
Antiterrorkampf eingehalten werden und dass die Ver-
hältnismäßigkeit der Mittel auch in dieser Extremsitua-
tion gewahrt bleibt. Menschenrechtsrabatt im Anti-
terrorkampf darf es unter gar keinen Umständen geben,
wenn man die Menschenrechte an sich nicht gefährden
möchte.


(Beifall im ganzen Hause)

Seit dem 11. September 2001 ist es nach meiner Ein-

schätzung Methode geworden, islamistische Fundamenta-
listen einseitig als die eigentlichen Feinde der Menschen-
rechte zu betrachten. Dabei dürfen wir nicht vergessen,
dass es Gründe dafür gibt, weshalb der Islamismus bereits
seit den 70er-Jahren auf dem Vormarsch ist und weshalb
sich islamistische Oppositionelle immer wieder kämpfe-
risch für die Wiedereinführung der Scharia einsetzen.

Die internationalen Menschenrechtspakte werden in
vielen muslimischen Ländern nicht als Grundlage einer
gemeinsamen und werteorientierten Politik begriffen,
sondern lediglich – wie es auch seinen Niederschlag in
der Kairoer Erklärung von 1990 findet – als Ausdruck
westlicher Werte und westlichen Hegemoniestrebens.
Das liegt auch mit daran, dass die betroffenen Länder
sehr oft unter der Kolonialisierung und deren menschen-
rechtlich zweifelhaften, brutalen Methoden gelitten
haben.

Aber – das möchte ich hier genauso deutlich sagen –
ein interkultureller Dialog darf nicht weichspülerisch nur
auf Harmonie aus sein. Vielmehr müssen wir auch die Un-
vereinbarkeit von Teilen dieser Kairoer Erklärung und der
Scharia mit dem universellen Anspruch der internationa-
len Menschenrechtspakte auf die Tagesordnung setzen
und intensiv darüber diskutieren, wenn wir die Men-

schenrechte als Magna Charta für eine sich globalisie-
rende Welt weiter erhalten wollen. Das ist ein sehr wich-
tiger Punkt. Darum ist der interkulturelle Dialog in der
Auseinandersetzung keine Marginalie, sondern muss ins
Zentrum gerückt werden.

Ich finde es wichtig, dass wir neben diesen sehr klaren
und deutlichen Differenzen auch daran anknüpfen, was
uns allen unstrittig gemeinsam ist, zum Beispiel die wirt-
schaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte. Wir müssen
deutlich machen, dass die Menschenrechte aus schreckli-
chen, leidvollen Erfahrungen und auch aus einer Wider-
standsbewegung gegen Unterdrückungsmaßnahmen ge-
boren sind, aus Erfahrungen mit dem Totalitarismus und
mit Religionskriegen, um nur zwei besonders drastische
Beispiele zu nennen. Am Ende des 30-jährigen Krieges in
Europa war ein Drittel der Bevölkerung tot. Ähnliche
Leidenserfahrungen, die natürlich nicht direkt vergleich-
bar sind, gibt es auch in muslimischen Gesellschaften. Sie
sind letztlich transkulturell. Es ist zentral, dass wir an
diese transkulturellen Erfahrungen anknüpfen und sie als
Grundlage dafür sehen, dass nur das Beharren auf den
Menschenrechten wirtschaftliche, kulturelle und soziale
Wohlfahrt ermöglicht und Freiheit sichert.

Darum finde ich es auch sehr begrüßenswert, dass die
Bundesregierung bei der Menschenrechtskommission
eine Resolution zum Recht auf Wohnen einbringen wird.
In diesem Punkt sind alle einer Meinung, aber er ist bei
weitem noch nicht vollständig umgesetzt. Das ist eine
richtige Herangehensweise, um nicht nur das Trennende,
sondern auch das Gemeinsame zu beraten.

Wichtig ist, dass wir in Bezug auf die Bekämpfung
der Folter – das fordern wir in unserem Antifolterantrag,
der Ergebnis einer Anhörung des Menschenrechtsaus-
schusses ist, mit dem wir auch die weltweite Kampagne
von Amnesty International gegen Folter unterstützen wol-
len – von der Menschenrechtskommission einfordern,
dass sie einen Schwerpunkt auf dieses Thema setzt. Frau
Brudlewsky hat es schon gesagt: Der Antrag hat eine ganz
neue, schreckliche Aktualität, zum Beispiel vor dem Hin-
tergrund der schrecklichen Entwicklungen in Tschetsche-
nien.Wir haben gerade wieder neue Informationen darü-
ber bekommen, in welch menschenverachtender Weise
Menschen gequält, gefoltert, umgebracht werden oder
verschwinden. Es kann unter keinen Umständen angehen,
dass Russland aufgrund der Tatsache, dass es nun ein
wichtiges Mitglied der Antiterrorkoalition ist, ein Men-
schenrechtsrabatt gegeben wird. Gerade unter Bündnis-
partnern gilt, dass Folter und grausame Behandlung ab-
zuschaffen sind. Das ist mehr als eine Frage des
politischen Willens. Wir müssen das unter allen Umstän-
den durchsetzen. Wir müssen die Unkultur der Straflosig-
keit gemeinsam bekämpfen.

Für mich ist sehr erfreulich – da möchte ich auch auf
meine Erfahrungen von über einem Jahr als Vorsitzende
des Menschenrechtsausschusses hinweisen –, dass der
Menschenrechtsausschuss über alle verschiedenen, auch
politischen, Auffassungen hinweg in den wesentlichen
Fragen gemeinsam an einem Strang zieht, dass er sich
nicht für irgendwelche partei- oder machttaktischen
Spielchen operationalisieren lässt. Wir haben in den




Christa Nickels

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letzten Jahren, seit der Menschenrechtsausschuss ein
Vollausschuss des Deutschen Bundestages ist, Maßstäbe
für die absolut notwendige Kultur gesetzt, dass man in Fra-
gen der Menschenrechte mit aller Energie über die Frakti-
onsgrenzen hinweg gemeinsam vorgeht. Ich möchte mich
sehr dafür bedanken, dass das möglich ist und dass wir uns
vor entscheidenden Sitzungen im Bundestag die nötige
Zeit nehmen, diese Fragen zu debattieren.

Danke schön.

(Beifall im ganzen Hause)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1422408200
Für
die FDP-Fraktion spricht jetzt Sabine Leutheusser-
Schnarrenberger.


Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP):
Rede ID: ID1422408300

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die
Situation der Menschenrechte, ihre Achtung und Durch-
setzung sowie die Ahndung ihrer Verletzungen, ist kurz
vor Beginn der 58. Konferenz der Menschenrechtskom-
mission der Vereinten Nationen nicht gut. War es schon
auf der letzten Tagung, der 57. Konferenz im vergangenen
Jahr, äußerst schwierig, den bestehenden Standard der
Menschenrechte zu verteidigen und wichtige Länderreso-
lutionen überhaupt auf die Tagesordnung zu bringen, sind
die Fronten in diesem Jahr noch stärker verhärtet.

Seit den fürchterlichen Anschlägen vom 11. September
letzten Jahres steht die Bekämpfung des internationalen
Terrorismus im Mittelpunkt internationaler Politik. Die
Beteiligung an der Terrorismusbekämpfung, die aktive
Teilhabe an der Antiterrorallianz, zumindest ihre aktive
Duldung, haben die Achtung der Menschenrechte in den
Hintergrund treten lassen. In manchen Staaten wird der
11. September instrumentalisiert, um endlich, auch unter
Inkaufnahme von Menschenrechtsverletzungen oder ihrer
bewussten Begehung, gegen Minderheiten, die jetzt aus-
schließlich Terroristen zu sein scheinen, vorgehen zu
können.

Da kämpfen beispielsweise die Russen in Tschetsche-
nien nunmehr auch oder ausschließlich gegen den Terro-
rismus, wobei sie sich nur sehr eingeschränkt in die Kar-
ten schauen lassen wollen und vor Repressionen nicht
zurückschrecken. Nicht nur die Pressefreiheit ist in man-
chen Staaten ein Opfer des Terrorismus geworden, wie es
der Beauftragte der OSZE für die Freiheit der Medien und
die Pressefreiheit in unserem Ausschuss vor wenigen Ta-
gen eindeutig und unmissverständlich feststellte.

Die Voraussetzungen für die 58. Konferenz der
Menschenrechtskommission sind also nicht besonders
gut. Da die Vereinigten Staaten derzeit nicht Mitglied der
Menschenrechtskommission sind – die Zeichen stehen
aber gut, dass sich das bald ändern wird –, fehlt für die
Thematisierung mancher wichtigen Anliegen die trei-
bende Kraft.


(Beifall bei der FDP)

Das erleben wir gerade auch in diesem Jahr am Bei-

spiel der Befassung mit der Menschenrechtslage in der

Volksrepublik China. Die Vereinigten Staaten waren,
wenn auch mit einer gewissen selektiven Wahrnehmung,


(Zuruf von der SPD: Richtig!)

die Akteure für die Einbringung einer Resolution, in der
die Verletzung der Menschenrechte angesprochen wurde.
Aber für diese Menschenrechtskonferenz ist auch nach
den bisherigen Bewertungen durch Vertreter der Bundes-
regierung kaum damit zu rechnen, dass sich irgendetwas
auf diesem Gebiet tun wird. Die Vereinigten Staaten kön-
nen als Beobachter nicht die aktive Rolle spielen, die not-
wendig wäre. Innerhalb der EU wiederum scheint kein
Konsens erreichbar zu sein.

Die FDP-Bundestagsfraktion hat deshalb, anknüpfend
an die sich in den letzten Jahren wiederholenden Debat-
ten, leider wieder einen Antrag einbringen müssen, um die
Bundesregierung aufzufordern, sich mit der Unterstüt-
zung des gesamten Parlamentes dafür einzusetzen, dass es
mithilfe der EU und auch anderer Partner in der MRK zu
einer Befassung mit der Menschenrechtslage und der Ver-
letzung der Menschenrechte in China kommt.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU sowie des Abg. Carsten Hübner [PDS])


Das Thema sollte zumindest auf der Tagesordnung stehen.
Wir sollten auch das Europäische Parlament, das schon

Anfang Februar diesen Beschluss gefasst hat, für unsere
Unterstützung heranziehen. Alle Parlamentarier sind sich
einig, und es muss doch möglich sein, dass angesichts die-
ses Drucks die Regierenden mehr erreichen können.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU sowie des Abg. Carsten Hübner [PDS])


Leider ist es nicht unbedingt die Sache des Bundes-
kanzlers, das Thema der Menschenrechtsverletzungen in
China direkt anzusprechen. Wir erinnern uns noch alle da-
ran, dass er sagte, er wolle sich nicht die Ritualisierung
der Menschenrechte zu Eigen machen, wie es vorher an-
geblich der Fall war. Er wollte bei seinem letzten Besuch
in China noch nicht einmal die Situation von vielen Häft-
lingen und Dissidenten ansprechen. Man kann vieles an
der Politik der alten Regierung bis 1998 kritisieren. Aber
die Menschenrechtsverletzungen waren immer ein unver-
zichtbarer Punkt in den Gesprächen mit der chinesischen
Seite. Ich erinnere mich noch genau daran, wie Sie sich in
dieser Hinsicht uns gegenüber eingelassen haben.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Dr. Irmgard Schwaetzer [FDP]: Sie haben uns nur kritisiert! Aber jetzt machen sie es schlechter!)


Ich komme zu einem zweiten wichtigen Punkt. Sie,
meine Damen und Herren von den Koalitionsfraktionen,
sprechen in Ihrem Antrag zur 58. MRK-Konferenz die Si-
tuation in Indonesien kurz an. Heute startet das nationale
Ad-hoc-Tribunal in Jakarta, um sich endlich, nachdem fast
drei Jahre vergangen sind, mit den schwersten Menschen-
rechtsverletzungen, die es im Zuge des Referendums in
Osttimor gab, zu befassen und die Verantwortlichen zur
Rechenschaft zu ziehen. Wir wissen alle: Das Schlimmste
ist, wenn sich impunity, also Straflosigkeit, durchsetzt.
Wenn es dadurch keine Konsequenzen geben würde, wäre




Christa Nickels
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es eine Ermutigung der Machthaber, fast schon eine Auf-
forderung, die Menschenrechte zu verletzen.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Es ist ein erster richtiger Schritt, der jetzt in Jakarta ge-
gangen wird. Machen wir uns aber bitte nichts vor: Ob
Menschenrechtsstandards eingehalten werden, ist äußerst
zweifelhaft. Es wurden zu Recht Bedenken von Amnesty
International und von Watch Indonesia an den ausge-
wählten Richtern und Staatsanwälten im Hinblick auf ihre
Unabhängigkeit geäußert. Wer steht vor Gericht? Von den
ursprünglich 30 Personen, die auf der Liste des damaligen
Generalstaatsanwaltes Darusman standen, sind nur noch
18 übrig geblieben. Darunter befinden sich nicht mehr die
oberen Ränge des Militärs. Wir dürfen angesichts der ers-
ten Schritte in die richtige Richtung nicht zulassen, dass
durch ein solches Verfahren die Standards von Men-
schenrechten langfristig weiter gesenkt werden.


(Beifall bei der FDP sowie des Abg. Carsten Hübner [PDS])


Das nationale Ad-hoc-Tribunal darf nicht ein Beispiel
dafür sein, wie man künftig Menschenrechtsverletzungen
aufarbeitet.

Leider ist meine Redezeit fast zu Ende. Aber ich
möchte noch kurz bemerken, dass natürlich auch Indone-
sien auf der MRK behandelt werden muss. Es sollte ver-
sucht werden, die dortigen Probleme mithilfe einer Reso-
lution zu verdeutlichen. Wir wissen, wie schwierig dies
ist. Aber man muss sich diesem Unterfangen widmen.

Lassen Sie mich noch ein Wort zum Sudan sagen. Wir
haben zusammen mit der CDU/CSU einen Antrag einge-
bracht, der jetzt an die Ausschüsse überwiesen werden
wird. Ich bitte darum, dass auch der Sudan auf die Tages-
ordnung der 58. MRK-Konferenz gesetzt wird, weil sich
die Menschenrechtslage dort bisher nicht verbessert hat.


(Dr. Heiner Geißler [CDU/CSU]: Deswegen darf man nicht abschieben!)


Es ist wichtig, dass es auf der Konferenz auch eine kriti-
sche Resolution zum Sudan geben wird.

Verbessert hat sich lediglich, dass ein Sonderbericht-
erstatter ins Land darf und dort Gespräche führen und
auch in Gefängnisse gehen kann. Damit funktioniert end-
lich das Monitoring. Für diesen Sonderberichterstatter
brauchen wir aber ein weiteres Mandat, damit er die jetzt
begonnene Aufgabe fortsetzen kann.

Ich bedanke mich.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1422408400
Das Wort
hat jetzt der Kollege Carsten Hübner von der PDS-Frak-
tion.


Carsten Hübner (PDS):
Rede ID: ID1422408500
Herr Präsident! Liebe Kolle-
ginnen und Kollegen! Aufgrund der knappen Redezeit be-
schränke ich mich heute auf die Anträge zu den wirt-

schaftlichen, sozialen und kulturellen Rechten. Um es
gleich vorweg zu sagen: So sehr der Antrag von SPD und
Bündnis 90/Die Grünen auf die Gleichrangigkeit von
bürgerlichen und politischen Freiheitsrechten auf der ei-
nen Seite und von wirtschaftlichen, sozialen und kulturel-
len Rechten auf der anderen Seite abhebt, so sehr
reproduziert er gleichzeitig die bisherige Abwehrhaltung
der allermeisten Regierungen gegen eine juristisch ver-
briefte Garantie genau dieser WSK-Rechte.

Dem Feststellungsteil kann ich in weiten Passagen ja
zustimmen. Aber die Skepsis gegenüber den WSK-Rech-
ten wird im Forderungsteil offenkundig, indem man buch-
stäblich mit der Lupe nach konkreten Forderungen suchen
muss. Fast könnte man meinen, hier spricht die Bundes-
regierung selbst


(Rudolf Bindig [SPD]: Da sollten Sie mal zum Optiker gehen!)


– ich zitiere schon noch genug daraus –, wenn es etwa
heißt, sie werde aufgefordert, „in dem Bemühen nicht
nachzulassen“, „Empfehlungen ... nicht nur konstruktiv
aufzugreifen, sondern auch publik zu machen“, „nach
Möglichkeit ... vorzunehmen“, noch einmal „konstruktiv
aufzugreifen“, „sich dafür einzusetzen, dass ... berück-
sichtigt“ wird, usw. Der beste Beleg für diese parlamenta-
rische Bettvorlegerlyrik ist folgende Forderung:

Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregie-
rung auf, ... die Prüfung, ob die Revidierte Europä-
ische Sozialcharta ratifiziert werden kann, zügig
fortzusetzen und Bedenken, die einer Ratifizierung
entgegenstehen, in geeigneten Fällen durch eine Än-
derung des innerstaatlichen Rechts auszuräumen; da-
bei ist sicherzustellen, dass ein ausreichender
Gestaltungspielraum für Gesetzgebung und Praxis
erhalten bleibt; ...

Wenn das, liebe Kolleginnen und Kollegen, eine Forde-
rung sein soll, dann höchstens eine Aufforderung zur Ar-
beitsverweigerung.


(Heiterkeit und Beifall bei der PDS)

Nur am Rande sei erwähnt, dass die Revidierte Europä-
ische Sozialcharta bereits 1996 verabschiedet wurde, also
vor sechs Jahren. Aber prüfen Sie nur zügig weiter; viel-
leicht lässt sich ja doch noch etwas ausräumen, und sei es
die letzte Hoffnung auf konkrete Schritte.


(Rudolf Bindig [SPD]: Wir sind bei unserer Arbeit eben gründlich!)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, Millionen Menschen
auf der Welt werden die elementarsten Menschenrechte
vorenthalten: Freiheit, Demokratie, der Schutz vor staat-
licherWillkür. Dagegenmussman unmissverständlich Po-
sition beziehen, nicht zuletzt auf der Menschenrechtskom-
missionssitzung in Genf, besser noch durch eine kohärente
Außenpolitik. Die Äußerungen von Bundeskanzler
Gerhard Schröder, nach dem 11. September erscheine das
Vorgehen Russlands in Tschetschenien in einem anderen
Licht, lassen da ebenso besorgt aufhorchenwie dieRambo-
Manieren und die Bündnispolitik des US-Präsidenten.Wer
die Nordallianz in Afghanistan – ich rede bewusst nicht
von PräsidentKarsai und einigenwenigen anderen – in den
Sattel der Macht hebt, sollte nicht vergessen, dass sich
viele ihrer Vertreter in der Vergangenheit schlimmster




Sabine Leutheusser-Schnarrenberger

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(A)



(B)


Menschenrechts- und Kriegsverbrechen schuldig gemacht
haben. Ich denke hier etwa an General Dostum, den stell-
vertretendenVerteidigungsminister.


(Joseph Fischer, Bundesminister: Das ist abenteuerlich!)


– Das wissen Sie doch genau. Das ist überhaupt nicht
abenteuerlich; das sagt Ihnen jeder, der sich mit der Pro-
blematik auskennt.


(Beifall bei der PDS – Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Quatsch!)


Inwieweit sich diese Leute in Menschenrechtsfragen
und insbesondere in Fragen der Rechte der Frau von den
Taliban unterscheiden, wird sich erst noch herausstellen
müssen. Wir konnten uns dies in Afghanistan jedenfalls in
Teilen persönlich vor Augen führen lassen.

Doch genau so, wie sich angesichts der Menschen-
rechtslage in Afghanistan oder in Tschetschenien, im Na-
hen Osten oder in Indonesien die Frage nach den elemen-
tarsten Bürger- und Freiheitsrechten stellt, drängt sich
dort wie hier die Frage nach den WSK-Rechten auf. Man
kann das nicht trennen; solche Probleme gibt es nicht nur
in der so genannten Dritten Welt, sondern auch vor unse-
rer eigenen Haustür.

Eine Reihe von Fachleuten hat bereits konstatiert, Zu-
stände wie in Städten der Dritten Welt hätten unsere Me-
tropolen erreicht: französische Vorstädte, Vorstädte Ham-
burgs oder Stadtteile Berlins. Dies sind Orte, an denen
sich Armut und soziale Ausgrenzung über Generationen
fortsetzen, wo Bildung und Kultur aus der Reichweite vie-
ler Menschen verschwunden sind, Orte, die Elend sind,
die Elend produzieren und die Elend verstetigen. Wir
müssen das nicht zügig prüfen, liebe Kolleginnen und
Kollegen, sondern Aufgabe von Politik ist es, das zu än-
dern – hier und in andern Teilen der Welt.


(Beifall bei der PDS)

Wer die Idee der Globalisierung, wer kosmopolitisches

Denken befürwortet, der muss einer sich globalisierenden
Ökonomie eine sich globalisierende Gesellschaft mit so-
zialen, kulturellen, wirtschaftlichen sowie bürgerlichen
und politischen Rechten entgegensetzen, damit der ein-
zelne Mensch nicht dazu verurteilt bleibt, Spielball über-
mächtiger Kräfte zu sein.


(Rudolf Bindig [SPD]: Darum bemühen wir uns unentwegt intensiv!)


Die konsequente Forderung nach einen Individualbe-
schwerderecht auch bei Verstößen gegen den WSK-Pakt,
die in Ihrem Antrag nur leicht anklingt, ist dafür ein ers-
ter wichtiger Schritt, wenn auch kein Allheilmittel. Es
wäre ein Signal, dass die Gleichrangigkeit von politischen
und WSK-Rechten strukturell ernst genommen wird. Die
Bundesregierung sollte dabei eine Vorreiterrolle spielen.

Der Antrag von SPD und Bündnis 90/Die Grünen wird
dazu allerdings wenig beitragen.


(Joseph Fischer, Bundesminister: Ihre Rede aber auch nicht!)


Deshalb kann ich Sie nur dringend auffordern, sich bei
den Ausschussberatungen mit unserem deutlich konkrete-
ren WSK-Antrag intensiv auseinander zu setzen.

Aus Zeitgründen nur noch einen Satz zu dem Antrag
der CDU/CSU zu so genannten Ehrenmorden. Kollegin
Brudlewsky hat eben in ihrer letzen Bundestagsrede da-
rauf Bezug genommen und hat dargestellt, dass es hierzu
große Einigkeit im Ausschuss gab. Mein jüngster Besuch
mit dem Menschenrechtsausschuss in Pakistan hat mir die
Dramatik dieser Problematik nochmals verdeutlicht. Wir
werden dem Antrag selbstverständlich zustimmen. Ich
finde es wichtig, Folgendes in diesem Zusammenhang
hervorzuheben: Gewalt gegen Frauen, liebe Kollegen,
ist vor allem ein Problem der Männer.


(Beifall der Abg. Eva Bulling-Schröter [PDS])

Die Frauen sind in allererster Hinsicht Opfer, die sich ent-
weder selber wehren oder des rechtlichen wie gesell-
schaftlichen Schutzes bedürfen. Aber lösen können sie
das Problem nicht. Das ist Aufgabe des männlichen Teils
der Welt.

Vielen Dank.

(Beifall bei der PDS)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1422408600
Das Wort
hat jetzt die Kollegin Angelika Graf von der SPD-Frak-
tion.


Angelika Graf (SPD):
Rede ID: ID1422408700
Herr Präsident!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Uns liegen heute zwei
konkrete Anträge vor, die sich mit zwei Arten von
Menschenrechtsverletzungen befassen. Ich möchte auf
diese beiden Anträge, also auf den Antrag zum Thema der
„Ehrenmorde“ an Frauen und auf den Antrag zum
Thema Folter, eingehen.

Vor knapp zwei Jahren lernte ich in der deutschen Bot-
schaft in Islamabad Hian Jilani, eine Rechtsanwältin aus
Lahore, kennen. Sie erzählte, wie 1999 eine 28-jährige
Pakistanerin in ihrer Kanzlei erschossen wurde, weil sie
sich von ihrem Mann scheiden lassen wollte. Die Mutter
des Opfers hatte den Mörder mit in die Kanzlei gebracht.
Nach dem Mord verließen beide in aller Seelenruhe die
Kanzlei.

Ein halbes Jahr später war trotz der Anstrengungen der
Rechtsanwältin weder gegen den Mörder noch gegen die
Mutter ermittelt oder gar Anklage erhoben worden. Der
Vater der Ermordeten war weiterhin Vorsitzender der
Handelskammer in Peshawar, obwohl er die Ermordung
der Tochter öffentlich gutgeheißen hatte. Die Begründung
für dieses Verbrechen war: Die Familienehre habe ge-
wahrt werden müssen, weil die Tochter das Unvorstell-
bare verlangt hatte, nämlich die Scheidung. Die Rechts-
anwältin musste um ihr Leben fürchten.

Dies beschreibt einen ganz spektakulären Fall eines so
genannten Ehrenmordes. Das Wort „Ehrenmorde“ sollte
man dabei immer in Anführungszeichen setzen;


(Sabine Leutheusser-Schnarrenberger [FDP]: Das ist richtig!)





Carsten Hübner
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(C)



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denn den Euphemismus sollte man sich in dem Fall spa-
ren und besser von dem sprechen, was es wirklich ist,
nämlich von „Schandemorden“.


(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der PDS)


Noch immer sterben Frauen an den Verletzungen, die
ihnen zugefügt werden. Aber nicht immer sterben sie. Im
Frauenhaus der Shanaz Bokhari in Rawalpindi habe ich
vor ziemlich genau einem Jahr Frauen besucht, die auch
mir, einer Frau gegenüber, das Tuch nicht vom Gesicht
genommen haben, weil sie durch die Brandnarben so ent-
stellt waren, dass sie sich geschämt haben, sich zu zeigen.
Jede Bewegung, die diese Frauen gemacht haben, war we-
gen der Vernarbungen die schiere Folter.

Frau Bokhari hat seit 1994 durch Recherchen an den
Krankenhäusern in Islamabad und Rawalpindi mehrere
Tausend solcher Fälle untersucht und erfasst und sich um
die körperliche und seelische Rehabilitation dieser Frauen
gekümmert. Sie hat auf Anregung der SPD-Bundestags-
fraktion für ihre Arbeit erst kürzlich den Menschenrechts-
preis der Stadt Weimar erhalten. Ich bin glücklich, heute
hier mitteilen zu können, dass es uns gelungen ist, eine
dauerhaftere Förderung für ihr Frauenhaus zu finden.


(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Der Antrag, der uns heute vorliegt, beschreibt die
Hintergründe dieser unglaublichen Menschenrechtsverlet-
zungen. Diese Frauen, die wir damals gesehen haben,
waren von ihren Vätern, Söhnen, Brüdern, Onkeln
verstümmelt worden, um die vermeintlich beschädigte Fa-
milienehre wieder herzustellen. Dabei genügt für die Ver-
letzung dieser Ehre oft eine unbewiesene Vermutung.
Manchmal ist es nur ein Traum, den der Mann hatte. Oft sind
aber selbst dies nur vorgeschobene Gründe. Oft ist es
schlicht und einfach so, dass die Frau einer anderen, neuen
Frau Platz machen muss. Diese Vorgehensweise ist
Bestandteil einer gesellschaftsimmanenten alltäglichen
Gewalt gegen Frauen, die in einer Reihe von Ländern, vor-
wiegend in Asien und dem Nahen Osten, praktiziert wird.

Wie nimmt die nationale Politik dieser Länder diese
Verbrechen wahr? In Jordanien kämpft das Königshaus
gegen diese Praxis. Im 1999 aufgelösten pakistanischen
Parlament haben allerdings lediglich vier von insgesamt
87 Abgeordneten einem Gesetzentwurf zum Schutz der
Frauen vor Schandemorden zugestimmt. Auch die derzei-
tige Regierung unter General Musharraf nimmt zumin-
dest meines Erachtens diese Menschenrechtsverletzungen
zu wenig ernst. So hat die pakistanische Justizministerin
vor wenigen Wochen in einem Gespräch, welches wir mit
ihr führen konnten, zwar über schwierige Beweisführun-
gen, fehlende finanzielle Unterstützung, Korruption und
eine fehlende Kooperation mit den Provinzen geklagt,
aber ein wirksames Konzept, eine konkrete Maßnahme
gegen diese Dinge hat sie nicht vorlegen können.

Die heutige Debatte macht deutlich, dass wir partei-
übergreifend über solch entsetzliche Verbrechen und die
Untätigkeit des Staates nicht einfach hinweggehen, son-

dern Druck auf die Länder machen wollen, in denen diese
Praxis vorherrscht. Wir werden deshalb dem Antrag der
CDU/CSU in der vom Ausschuss geänderten Form zu-
stimmen.

Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang etwas sa-
gen, was auch schon die Kolleginnen Brudlewsky und
Christa Nickels erwähnt haben: Wir sind uns in diesem
Ausschuss oft einig. Das hat etwas mit den Themenberei-
chen zu tun, mit denen wir uns beschäftigen. Ich glaube
aber, dass es auch etwas damit zu tun hat, wie die Mitar-
beiter die Vorlagen vorbesprechen, wie man versucht, auf-
einander zuzugehen.


(Christa Nickels [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das stimmt!)


Ich möchte infolgedessen die Gelegenheit nutzen, auch
den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern ein herzliches
Dankeschön zu sagen.


(Beifall im ganzen Hause)

Internationaler Druck ist auch bei der weltweiten

Bekämpfung der Folter notwendig. Obwohl ihr Verbot
in zahlreichen Konventionen verankert ist, ist die Folter in
mindestens 70 Ländern der Welt immer noch eine weit
verbreitete Praxis. Nach dem 11. September 2001 hat bei
manchem die Akzeptanz der Folter sicherlich nicht gerade
abgenommen. Gefoltert wird in diesen Ländern insbeson-
dere in Polizeistationen in den ersten Stunden und Tagen
der Haft und zur Erpressung von Geständnissen, aber
auch in Gefängnissen. Das immerwährende Abspielen
von Musik – von den Nazis gegenüber den Mitgliedern
der Roten Kapelle angewandt – ist genauso Folter wie
Vergewaltigung, Elektroschocks an Genitalien oder ein
Baby vor den Augen der Mutter vor einen scharfen Hund
zu legen. Dass dies Praxis ist, haben wir bei einer Reise in
die Türkei erfahren. Folteropfer sind oft politisch und re-
ligiös Andersdenkende, Mitglieder von Minderheiten und
sehr oft auch Frauen und Kinder.

Folter bereitet nicht nur körperliche Schmerzen, son-
dern verwundet die Psyche des Opfers nachhaltig. Die
Scham über die Erniedrigung in der Folter verschließt den
Opfern oft den Mund. Erst lange Zeit nach den traumati-
sierenden Erlebnissen können viele Menschen darüber
sprechen; manche können es nie. Man muss auch wissen,
dass Folter die Persönlichkeit der Opfer grundlegend ver-
ändert. Aggressivität und Depressionen gehören zu kli-
nisch feststellbaren Folgen. Dies bestätigt unter anderem
das Zentrum für Folteropfer in Berlin, das wir sowohl
vom Ausschuss als auch von der Fraktion her öfter be-
sucht haben. Bei der Vernehmung von Folteropfern, zum
Beispiel im Rahmen eines Asylverfahrens, muss deshalb
sehr sensibel vorgegangen werden. Ich freue mich, dass
das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer
Flüchtlinge seine Mitarbeiter diesbezüglich inzwischen
intensiv schult.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der PDS)


Folter findet nicht nur in den Ländern des Südens statt.
Es gibt aber eine Reihe von Ländern, in denen die Folter




Angelika Graf (Rosenheim)


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alltäglich ist. Ich nehme an, dass wir uns im Ausschuss bei
der Beratung der heute eingebrachten Anträge zu Vietnam
und zum Sudan auch mit diesem Themenbereich beschäf-
tigen werden. Folter kann nicht mit der kulturellen Eigen-
art oder der Notwendigkeit von Geständnissen entschul-
digt werden. Um Folter zu verhindern, müssen Folterer
hart bestraft werden und dürfen nicht von Vorgesetzten
gedeckt werden können.

Hilfreich sind hierbei sicherlich Besuche von interna-
tionalen Delegationen in Polizeistationen und Gefängnis-
sen, die eine gewisse Öffentlichkeit der Vorgänge herstel-
len können. Unabdingbar ist eine bessere Ausbildung des
Personals der Polizei und in den Haftanstalten. Hierbei
bietet die Bundesregierung bereits einer Reihe von Län-
dern ihre Hilfe an. Hilfe für die Opfer und Unterstützung
für die örtlichen Hilfsorganisationen und kritischen Me-
dien müssen hinzukommen.

Einwichtiges Fazit ist:Wer die Folterwirksambekämp-
fen und den Folteropfern helfen will, muss an vielen Punk-
ten der nationalen und internationalen Politik ansetzen.
Eindimensionale Lösungen wird es hier nicht geben.

Ich meine, der vorliegende Antrag fasst in sehr guter,
um nicht zu sagen in hervorragender Weise – das sage ich
nicht deshalb, weil der Antrag von uns kommt – die Er-
gebnisse einer Anhörung des Menschenrechtsausschusses
vom 17. Oktober 2001 zusammen und formuliert daraus
18 diesbezügliche Forderungen an die Bundesregierung.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir würden uns
freuen, wenn wir die vorhin beschriebene und beschwo-
rene Einmütigkeit auch in diesem Zusammenhang bei Ih-
nen finden könnten.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie des Abg. Carsten Hübner [PDS])



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1422408800
Das Wort
hat jetzt der Kollege Dr. Heiner Geißler von der
CDU/CSU-Fraktion.


Dr. Heiner Geißler (CDU):
Rede ID: ID1422408900
Herr Präsident!
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wenn man
heute in die Tageszeitungen schaut und die Berichte über
konkrete Menschenrechtsverletzungen liest, weiß man
gar nicht so richtig, wo man anfangen soll.

Weil es eine grundsätzliche Frage ist, will ich den Vor-
fall mit der nigerianischen Frau hier noch einmal zur
Sprache bringen. Sie wurde vergewaltigt und soll jetzt in
einem bestimmten Bundesstaat in Nigeria wegen Ehe-
bruchs gesteinigt werden. Das sind keine Einzelexzesse
von sexualneurotischen Mullahs, sondern es ist ein Sys-
tem zu erkennen. Wegen der Einführung der Scharia in
Nigeria sind inzwischen 10 000 Christen geflüchtet.

Wir müssen uns mit dieser Form des Islamismus aus-
einander setzen. Diese Barbarei religiös zu begründen, ist
eine mindestens genauso schlimme Blasphemie wie
Kreuzzüge, Hexenverbrennungen und Inquisitionen.


(Beifall im ganzen Hause)


Diese barbarische und extreme Form des Islamismus ist
genauso zu ächten wie die weltweite Folter. Man kann
dies nicht damit begründen, dass es im Namen Allahs ge-
schieht. Das ist ein Missbrauch des Namens Gottes. Das
haben wir hier bei der letzten Debatte schon festgestellt.

Die Anmaßung, Menschenrechte verletzen zu dürfen
– wie es zum Beispiel die Singapur-Schule, Malaysia und
andere tun –, auf eine eigene kulturelle Tradition zurück-
zuführen, ist nichts anderes als eine Irreführung und dient
vielmehr ausschließlich der ideologischen Zementierung
der eigenen Machtposition.
Das gilt im Übrigen auch für Saudi-Arabien.


(Beifall bei der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD, der FDP und der PDS)


Ich will noch einen Punkt ansprechen, über den wir im
Menschenrechtsausschuss schon ein paar Mal auch mit
dem Innenminister geredet haben: In der „Süddeutschen
Zeitung“ erscheint heute im NRW-Report ein Bericht
über das Abschiebegefängnis in Neuss. Ich will zu dem
Schicksal der kurdischen Frau, die nach 13 Jahren abge-
schoben werden soll, nicht Stellung nehmen. Ihr Vater hat
hier Asyl oder zumindest eine Duldung bekommen, weil
er gefoltert wurde. Diese Sache ist bekannt. Aber diese
Frau, die nach 13 Jahren abgeschoben werden soll, hat ge-
sagt, dass sie kein Türkisch, sondern nur Deutsch könne.

Mir ist etwas anderes aufgefallen. Die Betreuungs-
gruppe „efa“ kritisiert ausdrücklich, dass innerhalb dieses
Gefängnisses in Neuss, in dem 72 Frauen auf die Ab-
schiebung warten, weder eine Psychologin noch eine
Übersetzerin für die oftmals traumatisierten Frauen tätig
ist. Sie verurteilt, dass es Männer sind, die diese Insassin-
nen medizinisch betreuen. Wir alle miteinander waren uns
nach langen Diskussionen darüber einig, dass gerade
traumatisierte Frauen nicht wieder in die Hände von
Männern fallen sollen, weil sie dann nach den Erfahrun-
gen, die sie gemacht haben, einfach unfähig sind, Aus-
künfte zu geben.

Frau Nickels, ich möchte vorschlagen, dass wir an den
Innenminister von Nordrhein-Westfalen herantreten, da-
mit er sich um dieses Gefängnis und die dortigen Verhält-
nisse kümmert.


(Christa Nickels [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich war schon einmal drin! Da gehen wir noch mal hinein!)


Beim Behandlungszentrum für Folteropfer Berlin habe
ich mich darüber informiert, dass nach Möglichkeit ver-
mieden werden soll, diese traumatisierten Frauen von Po-
lizeiärzten überprüfen zu lassen. Zudem bleibt die Frage,
ob sie dazu überhaupt in der Lage sind. Sie sind dafür
auch gar nicht ausgebildet.

Ich will etwas zur Folter sagen. Sie gehört ganz zwei-
felsfrei zur widerwärtigsten und perversesten Form der
Intoleranz gegenüber Untergebenen und Gefangenen.
Diese perverse Form der Intoleranz erlauben sich viele
Staaten und sie wird auch von Behörden durchgeführt.
Frau Graf hat die Zahlen genannt. Ich will sie nicht noch
einmal vertiefen. Aber nach dem letzten Bericht von „am-
nesty“ – die Zahlen stammen aus dem Jahre 1999 – kam




Angelika Graf (Rosenheim)

22240


(C)



(D)



(A)



(B)


es in 125 Staaten zu Folter und Misshandlungen von Ge-
fangenen. In 81 Staaten starben Menschen an der Folge
systematischer Folter.

Dazu gehören auch solche, mit denen Deutschland in-
tensive Beziehungen pflegt. Ich will diese Staaten einmal
nennen. Es sind China, die Türkei, Indonesien, der Irak,
der Iran, Syrien, Birma, Algerien, Tunesien, Mexiko, In-
dien und leider auch Israel. Auch das muss man ehrlich
sagen.


(Zuruf von der SPD: Das ist leider wahr!)

In den meisten Ländern gibt es sogar offizielle Folterme-
thoden, die im Polizeiunterricht gelehrt werden. Allein in
Syrien sind es 36 offizielle Foltermethoden.

Damit die Bundesregierung nicht glaubt, ich würde
blauäugig die Philosophie vertreten, man solle die wirt-
schaftlichen Beziehungen zu Ländern abbrechen, in de-
nen gefoltert wird, will ich hinzufügen: Ich bin mir darü-
ber im Klaren, dass wir dann mit drei Vierteln der Welt
keine wirtschaftlichen Beziehungen mehr unterhalten
könnten. Aber wir alle miteinander im Bundestag haben
schon 1988 unsere eigene Regierung, aber auch die Un-
ternehmer aufgefordert, dass sie in diesen Staaten bei
ihren politischen, diplomatischen und wirtschaftlichen
Verhandlungen und sonstigen Gesprächen gleichzeitig
immer wieder die Frage der Menschenrechte ansprechen.


(Rudolf Bindig [SPD]: Das geschieht auch!)

Ich finde, das muss bekräftigt werden.

Wir sollten wirklich dafür sorgen, dass wir, bevor wir
das Wort Euro in den Mund nehmen – so muss man ja jetzt
sagen –, immer wieder die Menschenrechtsfragen anspre-
chen. Ich möchte den Minister ausdrücklich ermuntern,
dies auch in der Zukunft fortzusetzen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP)


Das gilt auch Staaten gegenüber, mit denen wir traditio-
nell oder aufgrund gemeinsamer Zukunftsperspektiven
gute Beziehungen haben.

Dürfen Geschäftsbeziehungen, Gewinne oder der Ab-
schluss von Verträgen wirklich so die Hirne von De-
mokraten und Unternehmern verwirren, dass sie die
Folterknechte nicht mehr sehen, die hinter ihren Ge-
schäftspartnern stehen und grinsen? Kannibalen werden,
wenn sie mit Messer und Gabel essen, nicht zu zivilisier-
ten Menschen und haben vor allem nicht das Recht, im
Namen derer zu sprechen, die sie gefressen haben,


(Beifall bei Abgeordneten der PDS)

so sagt der Satiriker und Lyriker Stanislaw Jerzy. Es geht
aber jedem so. Jeder normale Bürger muss doch miss-
trauisch werden, wenn der Polizeihund mit dem Schwanz
wedelt. Das müsste somit auch für jeden Geschäftsreisen-
den gelten.

Was China anbelangt: Ich höre dauernd die Klagen
wegen der Korruption. Auf dem letzten Volkskongress hat
der Ministerpräsident laut darüber Klage geführt. Man
kann die Korruption in China nicht so bekämpfen, wie es

dort gemacht wird. Korruption kann man nur bekämpfen,
wenn man eine unabhängige Staatsanwaltschaft und eine
freie Presse hat. Überall auf der Welt werden die Korrup-
tionsfälle nicht von den Regierungen aufgedeckt. Sie sind
meistens darin verwickelt. Das ist doch klar: Es hat dann
kein Mensch ein Interesse daran, dass es herauskommt.
Korruptionsfälle werden in aller Regel nur durch Journa-
listen, durch die Presse, aufgedeckt. Wenn China mit der
Korruption fertig werden will – es wäre sinvoll gewesen,
wenn das der Inhalt dieses Antrages gewesen wäre –, dann
muss es endlich die Presse- und Informationsfreiheit ein-
führen. Das ist der beste Weg, um mit diesem Geschwür
fertig zu werden.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN, der FDP und der PDS)


Peter Weiss hat in seinem Drama „Die Ermittlung“ den
Gesang von der Schaukel geschrieben; ein unglaubliches
Gedicht. Er beschreibt darin die so genannte Boger-
Schaukel, die in den Konzentrationslagern der SS ein be-
liebtes Folterinstrument war, das insbesondere bei Juden
ausprobiert wurde. Jetzt lese ich in dem letzten Bericht
von Amnesty International, dass ausgerechnet in Israel die
Folter wieder systematisch eingeführt wird.

Was schlimmer ist, lieber Herr Fischer – ich muss das
hier sagen und Sie werden sicherlich mit mir übereinstim-
men –:Wir müssen auf etwas anderes aufpassen. Seit dem
11. September wird in den Vereinigten Staaten die Frage
diskutiert, ob Menschenrechte nicht ein Luxusgut der Zi-
vilisation seien, auf dieman inNotzeiten schon einmal ver-
zichten könnte. Jonathan Alter, ein berühmter Journalist,
schreibt in „Newsweek“: Es wird Zeit, über die Folter
nachzudenken. Das FBI verdiene eine Chance. – Heute
steht in der „Zeit“, dass das nicht nur Spinnereien von Jour-
nalisten sind, sondern dass die Sache bereits realisiert wird.
Die „Washington Post“ hat einen Fall recherchiert, wo ein
Verdächtiger von den Philippinen nach Ägypten transpor-
tiert worden ist, weil man ihn nicht in den USA selber fol-
tern will. Man bringt die Leute in befreundete Staaten, die
dann sozusagen diese Sauarbeit für die Demokraten ver-
richten. Ein hoher Beamter hat der „Washington Post“ be-
stätigt, dass es Dutzende ähnlicher Fälle gibt.

Wir müssen feststellen, dass niemals der Zweck die
Mittel heiligen darf, vor allem nicht, wenn es sich bei den
Mitteln um Mord oder Folter handelt.


(Beifall im ganzen Hause)

Man kann natürlich viele Gründe anführen, auch von-

seiten der Polizei. Es gäbe aber auf der Welt kein Halten
mehr. Alle Staaten, die wir und andere westliche Demo-
kratienmitMühe undNot durch unsereBemühungen dazu
gebracht haben, denWeg des Rechts, auch des internatio-
nalen Rechts, zu gehen, würden doch in die unmenschli-
chen Praktiken zurückfallen. Der gesamte zivilisatorische
Fortschritt, den wir erreicht haben, würde infrage gestellt.
Folter in den USA – das ist unglaublich. In den Vereinig-
ten Staaten sollte nicht die Folter eingeführt, sondern end-
lich die Todesstrafe abgeschafft werden.


(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS)





Dr. Heiner Geißler

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(C)



(D)



(A)



(B)


Wir verlieren sonst jede moralische Position.
Der amerikanische Justizminister, der zu den christli-

chen Fundamentalisten gehört, sollte vielleicht in seinem
Amtszimmer ein Kreuz aufhängen und daran denken, dass
dort jemand hängt, der systematisch zu Tode gefoltert wor-
den ist. Das könnte auch ein Anlass sein, über den funda-
mentalistischen christlichen Standpunkt nachzudenken.

Wenn die westlichen Demokratien mit der Folter be-
ginnen, dann haben sie kein Recht mehr, die Verbrechen
der Despoten und Tyrannen dieser Erde zu brandmarken
und zu verfolgen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU sowie beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der PDS)


Dann können wir die Bemühungen aufgeben, die Men-
schenrechte zum integralen Bestandteil der Außenpolitik
zu machen. Das aber ist unser gemeinsames Ziel.


(Beifall bei Abgeordneten aller Fraktionen)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1422409000
Das Wort
hat jetzt der Bundesminister Joseph Fischer.


Joseph Fischer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1422409100

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lassen Sie
mich – was sicherlich ungewöhnlich ist – mit einem Dank
an den Ausschuss und an Sie, Frau Vorsitzende, beginnen,
weil es sich gerade im Bereich der Menschenrechte als
unglaublich hilfreich erweist, dass die Regierung immer
wieder auf das Parlament und auch zunehmend auf das
Europäische Parlament verweisen kann und dass dabei
die Frage der Menschenrechte und das Selbstbewusstsein
des Parlaments – dabei kommt dem Ausschuss eine ganz
besondere Bedeutung zu – in den Gesprächen mit Regie-
rungen, deren Menschenrechtsbilanz fragwürdig und
manchmal sogar äußerst zweifelhaft und kritikwürdig ist,
für uns von sehr großer Wichtigkeit sind.


(V o r s i t z : Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer)


Auch der Hinweis auf den Ratifikationsvorbehalt des
Europäischen Parlaments bei Partnerschafts- und Asso-
ziationsabkommen, die überaus hilfreich und nützlich
sind, erweist sich in Menschenrechtsfragen immer als
sehr hilfreich. Deswegen möchte ich mich an dieser
Stelle bedanken.

Man muss aber auch sehen, dass der Kampf um die
Durchsetzung der Menschenrechte einen elementaren
Bestandteil unserer Außenpolitik darstellt. Dies gilt vor
allen Dingen seit dem 11. September. Denn wenn wir im
Kampf gegen den internationalen Terrorismus bestehen
wollen, dann müssen wir begreifen, dass es sich nicht nur
um eine machtpolitische Auseinandersetzung, sondern
vor allem auch um eine Werteauseinandersetzung handelt.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der PDS)


Es wäre einer der fatalsten Erfolge des islamistischen Ter-
rorismus, wenn er uns dazu bringen würde, im Kampf ge-

gen ihn unsere eigenen freiheitlichen und menschenrecht-
lichen Grundwerte infrage zu stellen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD, der CDU/CSU und der FDP)


Wenn wir uns auf die kommende Tagung der Men-
schenrechtskommission der Vereinten Nationen in Genf,
die in wenigen Tagen beginnen wird, vorbereiten, ist es si-
cherlich wichtig und richtig, dass wir uns dieses 11. Sep-
tembers und der Herausforderungen, vor denen wir stehen,
bewusst werden. Aber ich betone noch einmal: Im Kampf
gegen den Terrorismus wird es auch Bündnisse mit Regie-
rungen geben müssen, deren eigene Menschenrechtsbilanz
alles andere als zweifelsfrei ist. Aber für unsere eigene
Haltung als Europäer und Deutsche muss klar sein, dass
Demokraten, Menschenrechtsgruppen und Initiativen, die
sich für Entrechtete und Unterdrückte einsetzen und sich
auf die Charta der Vereinten Nationen und die internatio-
nalen Menschenrechtskonventionen berufen, die Freiheit
– auch Meinungs- und Organisationsfreiheit – und Ge-
rechtigkeit wollen und sich für soziale Rechte einsetzen, in
uns immer einen unbestechlichen Anwalt haben werden.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der CDU/CSU)


Das gilt auch und gerade seit dem 11. September. Deswe-
gen muss ich das, was Sie, Frau Leutheusser-Schnarren-
berger, gesagt haben, zurückweisen. Ich weiß aus eigener
Erfahrung, dass bei allen Gesprächen, die der Bundes-
kanzler und ich in China führen, die Menschenrechts-
agenda, die Lage der Christen und der Dissidenten in den
Gefängnissen in der Volksrepublik China und die Demo-
kratisierung immer zentrale Punkte darstellen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Ich kann dem Kollegen Geißler in diesem Punkt nur zu-
stimmen und ihm den Vollzug der Regierung melden. Bei
dieser Bundesregierung mit mir als Außenminister ran-
gieren Geschäfte in der Tat nicht vor den Menschenrech-
ten. Ich denke, das muss ich hier nicht noch einmal nach-
drücklich unterstreichen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Es ist mir vorhin sehr schwer gefallen, ruhig zu blei-
ben, als sich die PDS bei den Menschenrechtsfragen zu
Wort gemeldet hat.


(Carsten Hübner [PDS]: Sie waren ja gar nicht ruhig!)


– Ich sagte ja: Es ist mir schwer gefallen, ruhig zu bleiben.
Kollege Hübner, Sie haben offenbar noch nicht erlebt, wie
es ist, wenn ich richtig laut werde. Für meine Verhältnisse
war ich vorhin noch oberruhig.


(Christa Nickels [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Stimmt!)


Ich möchte Ihnen Folgendes sagen – das wird gewiss auch
der eine oder andere in Ihren Reihen so sehen –: Sie dürf-
ten sich an der Debatte über die Menschenrechte eigent-
lich nicht mehr beteiligen, wenn Sie sich von der Solida-
ritätskundgebung, die ein Teil Ihrer Partei vor dem




Dr. Heiner Geißler
22242


(C)



(D)



(A)



(B)


Schöneberger Rathaus für Herrn Milosevic veranstaltet
hat, nicht zweifelsfrei distanzieren, wobei distanzieren
der falsche Begriff ist.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Ich frage mich, was Sie eigentlich mit solchen Leuten ge-
mein haben.


(Carsten Hübner [PDS]: Nichts!)

– Eben! Dann müssen Sie aber auch die Konsequenzen
ziehen, wenn Sie mit solchen Leuten nichts zu tun haben.
Ich unterstelle Ihnen ja gar nicht, dass Sie mit solchen
Leuten etwas gemein haben. Nur, es muss zweifelsfrei
klar sein, dass es mit solchen Leuten wie Herrn Milosevic
keine Solidarität geben darf. Sie müssen sich vielmehr im
Rahmen eines rechtsstaatlichen Verfahrens vor dem Inter-
nationalen Strafgerichtshof verantworten. Das scheint mir
der entscheidende Punkt zu sein.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP – Der Abg. Carsten Hübner [PDS] meldet sich zu einer Zwischenfrage)


– Herr Hübner, bitte.

(Wolfgang Gehrcke [PDS]: Das Wort erteilt die Präsidentin!)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1422409200
Wir haben das
auf dem kurzen Dienstweg erledigt. Das ist zwischen
Herrn Fischer und mir so üblich.

Bitte, Herr Hübner.


Carsten Hübner (PDS):
Rede ID: ID1422409300
Herr Außenminister, sind Sie
bereit, zur Kenntnis zu nehmen, dass ich in den letzten
Jahren weder im Fall Milosevic noch in anderen Fällen
von Menschenrechtsverletzungen, die in direktem oder
indirektem Zusammenhang mit der Politik beispielsweise
sozialistischer Länder stehen, ein Blatt vor den Mund ge-
nommen habe, auch nicht in der Plenardebatte etwa über
die Menschenrechtsverletzungen in China? Sind Sie be-
reit, zu akzeptieren, dass ich es für problematisch halte,
dass Sie mir solche Dinge vorhalten, wenn ich mich zu
Menschenrechtsproblemen in anderen Ländern zu Wort
melde? Ich empfinde das als eine Retourkutsche, die we-
der dem Sachverhalt noch dem Redner angemessen ist.


(Abg. Carsten Hübner [PDS] nimmt Platz)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1422409400
Herr Hübner,
Sie müssen stehen bleiben.


Joseph Fischer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1422409500

Meinetwegen kann er sich auch hinsetzen. Ich antworte
ihm trotzdem.


(Abg. Carsten Hübner [PDS] erhebt sich)

Herr Kollege Hübner, Sie haben gerade ein hohes Maß

an Sensibilität gezeigt, das Sie bei Ihrer Kritik an der Re-

gierungskoalition vermissen ließen. Das möchte ich nicht
weiter vertiefen. Aber ich kann mich noch sehr gut an Ihre
Reden erinnern, die Sie während des Kosovo-Krieges ge-
halten haben. Auch das möchte ich nicht vertiefen. Da-
mals konnte keine Rede davon sein, dass Sie kein Blatt
vor den Mund genommen hätten. Sie haben ganz einfach
geschwiegen. Ich muss Ihnen ehrlich sagen: Ich fand es
unerhört, dass es eine Veranstaltung unter der Überschrift
„PDS – Solidarität mit Milosevic“ vor dem Schöneberger
Rathaus gab. So etwas darf es nicht geben. Das ist alles,
was ich Ihnen sagen wollte. Ich würde mich freuen, wenn
Sie das klarstellten.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Wir stehen vor einer wichtigen Konferenz. Ich denke,
dass sich nun, nachdem Italien seine Kandidatur zurück-
gezogen hat, vier Länder aus der westlichen Gruppe, da-
runter Deutschland und die USA, um die vier freien Plätze
in der VN-Menschenrechtskommission bewerben wer-
den. Ich bin mir sicher, dass die USAwieder Mitglied die-
ser Kommission sein werden. Ich halte das unter allen Ge-
sichtspunkten für sehr wichtig. Ich finde es auch richtig,
dass wir in der westlichen Gruppe ein Rotationsverfahren
einführen werden. Dann werden wir nicht länger von der
Gnade höchst zweifelhafter Mitgliedsländer abhängig
sein. Solche Mitgliedsländer dürfen nicht entscheiden,
wer Mitglied der VN-Menschenrechtskommission wer-
den kann und wer nicht.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Das heißt aber auch, dass die Bundesrepublik Deutsch-
land, die von Anfang an Mitglied der VN-Menschen-
rechtskommission ist, beim nächsten Mal aussetzen wird.
Ich kündige das bereits hier an. So ist es in der westlichen
Gruppe abgesprochen worden, damit das Rotationsver-
fahren in Gang gesetzt werden kann.

Noch ein Wort zu einzelnen Ländern: Die China-Reso-
lution hat bisher leider noch keine Mehrheit gefunden,
auch nicht beim letzten Mal. Die amerikanische Initiative
hat im Verfahren keine Mehrheit gefunden, obwohl die
Europäische Union entschlossen war, zuzustimmen. Ich
sage Ihnen, Frau Leutheusser-Schnarrenberger, in diesem
Zusammenhang: Es ist von überragender Bedeutung, dass
die Europäer in Menschenrechtsfragen eine geschlossene
Position einnehmen. Ich würde mir sicherlich in vielen
Fragen eine härtere Gangart wünschen. Damit hätte ich
auf der nationalen Ebene überhaupt kein Problem. Tatsa-
che ist aber, dass wir einen europäischen Konsens brau-
chen. Dieser europäische Konsens ist gerade im Rahmen
der Vereinten Nationen unverzichtbar und das gilt auch
für die Menschenrechtskommission. Das ist anders als in
früheren Jahren und anders als zu der Zeit, in der ich im
ersten Jahr Außenminister war. Die Bedeutung einer ge-
schlossenen europäischen Position nimmt zu.

Wir werden uns dennoch darum bemühen, dass die Si-
tuation in Tschetschenien thematisiert wird. Selbst wenn
es zur Situation in China keine Resolution geben wird,
werde ich das – das kann ich Ihnen hier schon zusagen –
in der Rede thematisieren. Ich habe bisher in jedem Jahr




Bundesminister Joseph Fischer

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(C)



(D)



(A)



(B)


in meiner Rede die entscheidenden Punkte benannt; das
gilt auch für andere.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Christa Nickels [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Das stimmt! – Wolfgang Gehrcke [PDS]: Auch von den USA?)


– Es ist typisch, dass der Zwischenruf „Auch von den
USA?“ von Ihnen kommt,


(Zuruf von der PDS: Ja, natürlich!)

und ich will Ihnen auch sagen, warum. Da unterscheide
ich mich übrigens vom Kollegen Geißler, allerdings gar
nicht so sehr in dem, was er in der Sache kritisiert hat,
nämlich dass es in Rechtsstaaten und Demokratien zum
Beispiel Folter nicht geben darf,


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


dass es dafür keinen Grund gibt, dass der Zweck dieMittel
nicht heiligt. Ich erinnere mich aber daran, dass es in
schwierigerenZeitenbei uns diesbezüglich auch schon ein-
mal einzelne andere Meinungen gegeben hat, nicht unbe-
dingt von Personen aus dem politischen Spektrum, das mir
nahe steht. Ich meine die 70er- und frühen 80er-Jahre; ich
könnte auchNamennennen. Ichunterstelle Ihnendanichts.

Die USA und Israel sind Rechtsstaaten und Demokra-
tien, in denen wie bei uns zum Teil abwegige Positionen
geäußert werden. Nur, sie sind Rechtsstaaten und das un-
terscheidet sie elementar von den anderen Fällen, die Sie
genannt haben. Jeder dort kann bis zum obersten Gerichts-
hof gehen. Ich vertraue völlig auf die rechtsstaatliche Tra-
dition dieser beiden Demokratien. Bei allem, was wir im
Einzelfall bei uns und auch bei ihnen zu kritisieren haben,
würde ich sie niemals in einem Atemzug mit Iran, mit Sy-
rien und mit anderen Staaten nennen. Ich habe schwerste
Bedenken, dies gleichzusetzen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Demokratien und Rechtsstaaten sind nicht vor Fehlern
und Irrtümern und auch nicht vor abwegigen Meinungen
gefeit – das gilt für unsere eigene Demokratie ebenfalls –,
aber sie haben ein Verfahren, das um Lichtjahre besser ist,
gerade weil sie Rechtsstaaten sind: Es gibt den Indivi-
dualschutz für jede einzelne Bürgerin und für jeden ein-
zelnen Bürger. Deswegen finde ich, dass der Zwischenruf
„Auch von den USA?“ in diesem Zusammenhang schlicht
und einfach an der Sache vorbeigeht.

Meine Damen und Herren, wir werden die schwierigen
Länderresolutionen auf der Konferenz diskutieren. Wir
werden uns auch bemühen, die Fragen, die Sie angespro-
chen haben, zum Beispiel Folter, zu thematisieren. Ich
glaube, dass die Frage der Vereinbarkeit der Scharia mit
den Konventionen das zentrale Thema im Dialog mit dem
Islam ist.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Christa Nickels [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Das muss!)


Ich habe mir erlaubt, das auch in dieser Offenheit auf der
Istanbuler Konferenz anzusprechen.

Die Tagung der Menschenrechtskommission wird in
einem sehr, sehr schwierigen Umfeld stattfinden. Wir
werden auf der Grundlage unserer bisherigen Position,
nämlich dass die Menschenrechte integraler Bestandteil
unserer Grundwerte und damit auch unserer Politik sind,
wie in den vergangenen Jahren auch dort klar Stellung be-
ziehen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1422409600
Zu einer Kurz-
intervention erhält der Herr Kollege Geißler das Wort.


Dr. Heiner Geißler (CDU):
Rede ID: ID1422409700
Lieber Herr Fischer,
ich bin völlig ungeeignet, vom Bundesaußenminister als
Kritiker der USA charakterisiert zu werden. Selbstver-
ständlich sind Israel und die Vereinigten Staaten Demo-
kratien. Umso höhere Ansprüche – das ist das Problem –
müssen sie an sich selber stellen.


(Zuruf von der FDP: Richtig!)

Ich will das einmal von der Geschichte her betrachten,

auch wenn Vergleiche da immer gefährlich sind. Ich er-
wähne die Gefangenen auf Guantanamo. Einem Muslim
den Bart abzuschneiden


(Christa Nickels [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ist unwürdig!)


und ihn kahl zu scheren ist ungefähr genauso schlimm,
wie wenn man einem Juden das Käppi zerfetzt. Wir haben
in früheren Zeiten ähnliche Bilder gesehen. Wenn ferner
Präsident Bush das Wort „Kreuzzug“ in den Mund nimmt,
dann ist das für viele Muslime genauso schlimm wie das
Wort „Holocaust“ für Juden. Damit werden die Vereinig-
ten Staaten und wir mit ihnen eines Stückes unserer mo-
ralischen Autorität beraubt.

Ich bringe hier eine Sorge zum Ausdruck, wenn ich da-
rauf hinweise, dass solche Gedanken in unseren rechts-
staatlichen Demokratien geäußert und von Verwaltungen
möglicherweise sogar aufgenommen werden. Aus Solida-
rität zu den Vereinigten Staaten müssen wir in der Lage
sein, so etwas zu kritisieren.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der PDS – Rudolf Bindig [SPD]: Haben wir auch schon! Vielfältig!)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1422409800
Zur Erwiderung
hat der Bundesminister des Auswärtigen, Joseph Fischer,
das Wort.


Joseph Fischer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1422409900

Herr Kollege Geißler, es war nicht meine Absicht, Ihnen
vorzuschreiben, was Sie zu kritisieren und was Sie nicht
zu kritisieren haben. Wo kämen wir denn da hin? Hier, im
Bundestag, muss alles kritisiert werden können.




Bundesminister Joseph Fischer
22244


(C)



(D)



(A)



(B)


Gestatten Sie mir allerdings, darauf hinzuweisen, dass
ich schlicht und einfach in der Reihung ein Problem ge-
sehen habe. Für mich besteht in der Tat ein Unterschied.
Demokratien haben einen höheren Standard zu halten; in-
sofern ist an sie, auch an uns selbst, ein höherer Maßstab
anzulegen. Wir müssen einfach sehen: Diese Debatte steht
im Zusammenhang mit dem furchtbaren Terroranschlag
vom 11. September. Sie wurde in den USA selbst – das
muss man auch sehen – auf das Schärfste zurückgewie-
sen. Das ist nicht die Entscheidungsgrundlage.

Ich hätte mir von Anfang an gewünscht, dass in Guan-
tanamo bis zur Klärung des Rechtsstatus die entsprechen-
de Konvention über die Behandlung von Kriegsgefange-
nen gilt. Darauf haben die Europäer, die Europäische
Union, aber auch die Bundesregierung hingewiesen. Es ist
dann zu einer entsprechenden Entscheidung gekommen.

Aber eines bitte ich Sie, zu bedenken: Wir müssen Acht
geben, dass wir uns begrifflich nicht völlig vergaloppieren.
Kreuzzüge sind das eine. Bei der Einnahme Jerusalems
1099 durch das erste Kreuzfahrerheer wurde die gesamte
muslimische und jüdische Bevölkerung abgeschlachtet –
alle. Ich würde das aber nicht mit dem Holocaust gleich-
setzen. Insofern rate ich in diesem Zusammenhang – man
hat es mit, wie ich finde, einmaligen Menschheitsverbre-
chen zu tun – zu einer sehr präzisen Wortwahl; denn sonst
bekommen wir eine Debatte, die meines Erachtens in eine
Sackgasse führt. Das kann nicht im Interesse des gemein-
samen Einsatzes für die Menschenrechte sein.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1422410000
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Christoph Moosbauer.


Christoph Moosbauer (SPD):
Rede ID: ID1422410100
Frau Präsidentin!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Außenminister hat
mir leider Redezeit weggenommen. Ich werde prüfen, ob
das eine Verletzung meiner politischen Rechte ist.


(Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Joseph Fischer, Bundesminister: Das mache ich beim nächsten Mal wieder gut!)


Ich unterstütze die Bundesregierung in ihrem Bemühen,
die Menschenrechte zum Kern der Außenpolitik zu ma-
chen und dementsprechend zu berücksichtigen, natürlich
weiterhin.

Der Generalsekretär der Vereinten Nationen, Kofi
Annan, hat an dieser Stelle, vor dem Bundestag, kürzlich
noch einmal betont, dass es die gemeinsame Anstrengung
der Staatengemeinschaft sein muss, einen nachhaltigen
Frieden zu schaffen. Er hat damit auch darauf hingewie-
sen, dass es nicht nur darauf ankommt, Konflikte in der
Welt zu beenden, sondern vor allen Dingen darauf, De-
mokratie und Menschenrechte dauerhaft zu wahren. Da-
her ist es auch unsere Aufgabe, den zivilen Frieden täglich
aufs Neue zu wahren sowie für die Demokratie und die
Menschenrechte auch in unserem Land zu kämpfen.


(Beifall des Abg. Rudolf Bindig [SPD])


Freiheit und Demokratie zu erringen ist für viele Län-
der erst ein Anfang. Demokratie bewährt sich vor allen
Dingen im Umgang mit den Menschenrechten.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


In vielen Teilen der Erde bleiben vielen Menschen rudi-
mentäre Menschenrechte tagtäglich versagt. Die Kollegin-
nen und Kollegen haben auf Tschetschenien, auf Paläs-
tina, auf Tibet, auf den Sudan und auf viele andere Orte
dieser Welt hingewiesen. Aber auch in Gesellschaften, die
Demokratie und Freiheit errungen haben, werden jeden
Tag bürgerliche, politische und auch soziale Rechte ver-
letzt. Daher ist die im Sozialpakt festgeschriebene Be-
richtspflicht der Staaten keine lästige Fleißaufgabe, son-
dern eine wichtige Instanz bei der Umsetzung der im Pakt
festgehaltenen Rechte.

Durch den uns vorliegenden Antrag zur „Stärkung der
wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte im Völ-
kerrecht und im internationalen Bereich“ soll gerade die-
ses Instrument gestärkt werden. In ihm wird die Bundes-
regierung aufgefordert, bei der Erstellung ihres Berichts
auch die zivilgesellschaftlichen Organisationen einzubin-
den, die gegenüber Verletzungen der im Sozialpakt nie-
dergelegten Rechte oft sensibler sind.

Außerdem soll in Zukunft der Bericht publik gemacht
und auch öffentlich diskutiert werden. Das schafft nicht
nur zusätzliche Transparenz, sondern stärkt auch das Be-
wusstsein für die Bedeutung dieser Rechte in der Öffent-
lichkeit. Nur wenn dieses Bewusstsein geschärft wird, kön-
nen die Menschenrechte dauerhaft verteidigt werden. Die
Berichtspflicht und die im Antrag vorgesehene Stärkung
des Instruments als gering abzutun, wie es oft getan wird,
ist daher falsch.

Zusätzlich müssen wir aber engagiert auf ein Zusatz-
protokoll zum Sozialpakt hinarbeiten, das die Möglich-
keit von praktikablen Individual- und auch Kollektivbe-
schwerden ermöglicht, wie es etwa beim Zivilpakt der
Fall ist. Erst wenn betroffene Menschen ihre Rechte auch
wirksam einklagen können, ist der Wesensbestand der
Menschenrechte gesichert.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Auch das steht im Antrag, im Übrigen nicht im Konjunk-
tiv, wie der Kollege Hübner sagte. Ich will es einmal zi-
tieren:

Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregie-
rung auf, ... für ein Zusatzprotokoll zum UN-Sozial-
pakt einzutreten ...

Wollte man es noch stärker formulieren, hätte man nur sa-
gen können, man müsse die Bundesregierung zwingen,
dass das passiert. Das können wir natürlich nicht.

Ich danke dem Menschenrechtsausschuss für seine Ar-
beit und ich danke auch den Kolleginnen und Kollegen für
die vielen Anträge, die jetzt vorliegen. Wenn wir es wirk-
lich schaffen, die Menschenrechte zum Kernbestandteil
der Außenpolitik zu machen, dann haben wir hier im Par-
lament gute Arbeit geleistet.




Bundesminister Joseph Fischer

22245


(C)



(D)



(A)



(B)


Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1422410200
Ich schließe die
Aussprache.

Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der
Fraktionen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen
mit dem Titel „58. Tagung der VN-Menschenrechtskom-
mission in Genf“. Wer stimmt für den Antrag auf Druck-
sache 14/8376? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält
sich? – Der Antrag ist mit den Stimmen der Koalitions-
fraktionen bei Enthaltung aller anderen Fraktionen ange-
nommen worden.

Beschlussempfehlung des Ausschusses für Menschen-
rechte und humanitäre Hilfe auf Drucksache 14/8406
zu dem Antrag der Fraktionen der SPD und des Bünd-
nisses 90/Die Grünen „Stärkung der wirtschaftlichen,
sozialen und kulturellen Rechte im Völkerrecht und im
internationalen Bereich“. Der Ausschuss empfiehlt, den
Antrag anzunehmen. Wer stimmt für diese Beschluss-
empfehlung? – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Die
Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koali-
tionsfraktionen gegen die Stimmen von CDU/CSU bei
Enthaltung von FDP und PDS angenommen worden.

Antrag der Fraktionen der SPD und des Bündnisses 90/
Die Grünen zur weltweiten Bekämpfung und Ächtung der
Folter, Drucksache 14/8488. Wer stimmt für diesen An-
trag? – Gibt es Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Der
Antrag ist einstimmig angenommen worden.

Beschlussempfehlung des Ausschusses für Menschen-
rechte und humanitäre Hilfe auf Drucksache 14/8404 zu
dem Antrag der Fraktion der CDU/CSU mit dem Titel „Im
Namen der ‚Ehre‘ – Gewalt gegen Frauen weltweit äch-
ten“. Der Ausschuss empfiehlt, den Antrag in der Aus-
schussfassung anzunehmen. Wer stimmt für diese Be-
schlussempfehlung? – Gegenstimmen? – Enthaltungen? –
Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen des
ganzen Hauses angenommen worden.

Tagesordnungspunkt 5 e sowie Zusatzpunkte 4 bis 7:
Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlagen auf
den Drucksachen 14/8280, 14/8481, 14/8483, 14/8486
und 14/8502 an die in der Tagesordnung aufgeführten
Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie einverstanden? –
Das ist der Fall. Dann sind die Überweisungen so be-
schlossen.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 6 auf:
Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten

(Erlangen)

Fraktion der CDU/CSU
Maßnahmen der Bundesregierung für eine na-
tionale Bildungsoffensive zur mittel- und lang-
fristigen Behebung des Fachkräftemangels im
IT-Bereich
– Drucksachen 14/4172, 14/6943 –

Es liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion der
CDU/CSU vor.

Nach interfraktioneller Vereinbarung ist für die Aus-
sprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Widerspruch
höre ich nicht. Dann ist so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat zunächst der
Abgeordnete Norbert Hauser.


Norbert Hauser (CDU):
Rede ID: ID1422410300
Frau Präsiden-
tin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Arbeitsmarkt
in Deutschland ist in eine Schieflage geraten. Wir haben
auf der einen Seite 4,3 Millionen Arbeitslose zu beklagen.
Hinzu kommen noch einmal etwa 1,7 Millionen Personen
in Arbeitsförderungsmaßnahmen. Auf der anderen Seite
beklagen wir einen gewaltigen Fachkräftemangel. In der
Zukunft wird es darauf ankommen, diesen gordischen
Knoten in der Bildungs-, Wirtschafts- und Arbeitsmarkt-
politik zu durchschlagen.

Auch in der IT-Branche gibt es einen Fachkräfteman-
gel. Im letzten Jahr waren etwa 75 000 Stellen – so hat man
errechnet – unbesetzt. Die Schätzungen differierten zwi-
schen 50 000 und 150 000 Stellen. Demgegenüber gab es
fast 70 000 Ingenieure und Naturwissenschaftler, die eine
Stelle suchten, und 32 200 EDV-Fachleute, die arbeitslos
waren. Dies ist eine enorme Verschleuderung von Hu-
mankapital, die sich eigentlich kein Staat leisten kann.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Die Bundesregierung hat bis heute auf diese Probleme

keine geeignete Antwort gefunden. Es gibt eine Reihe von
Programmen; das ist durchaus löblich. Es fehlt aber ein
Gesamtkonzept, und zwar nicht nur für den IT-Bereich.
Weil dies fehlt, greift die Bundesregierung immer wieder
zu Ersatzlösungen.


(Zuruf von der CDU/CSU: So ist es!)

So stellt es auch eine Ersatzlösung dar, wenn sie meint, sie
könnte diese Probleme mit einem neuen Zuwanderungs-
recht bekämpfen. Dabei vergisst sie aber, dass wir es, wie
eben gerade angesprochen, mit Millionen von Arbeits-
losen, Umschülern und Menschen in ABM zu tun haben.
Diese Menschen dürfen wir nicht links liegen lassen.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Wir müssen uns darum kümmern, dass diese Menschen in
Arbeit kommen. Wir glauben, dass hier ein großes Poten-
zial vorhanden ist, aus dem sich auch Fachkräfte schöp-
fen lassen.

Die Zuwanderung – das räume ich durchaus ein – mag
in dem einen oder anderen Fall eine Lösung darstellen, sie
beseitigt aber eben nicht das Grundproblem. Es sind – da-
rauf hat die Bundesregierung gestern hingewiesen –
etwa 11 000 Greencards erteilt worden. Etwa 8 000 bis
9 000 Arbeitnehmer von diesen 11 000, die in den Genuss
einer Greencard gekommen sind, haben die Möglichkeit
ergriffen und ihre Arbeitsverhältnisse tatsächlich angetre-
ten. Dies, meine Damen und Herren, ist doch angesichts
der Größe des Problems nicht mehr als ein Tropfen auf
den heißen Stein.


(Jörg Tauss [SPD]: Zuwanderungsgesetz! Damit sind wir beim Thema!)





Christoph Moosbauer
22246


(C)



(D)



(A)



(B)


– Sie haben offensichtlich nicht zugehört, Herr Kollege.
Sie müssten gelegentlich das Lesen unterlassen.

Hier handelt es sich lediglich um einen Tropfen auf den
heißen Stein.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Die Greencardlösung hat deutlich gemacht, dass es mög-
lich ist, Fachkräfte nach Deutschland zu holen. Sie wissen
ganz genau, dass wir das vorliegende Zuwanderungsge-
setz nicht benötigen, um die Probleme im Spitzen- und
Fachkräftebereich zu lösen.


(Jörg Tauss [SPD]: Oh! Oh! Oh!)

Hier gibt es durchaus untergesetzliche Möglichkeiten,
zum Beispiel auf dem Verordnungswege, um dieses Pro-
blem zu lösen.


(Beifall bei der CDU/CSU – Zurufe von der Regierungsbank)


– Ich wäre den Anwesenden auf der Regierungsbank
dankbar, ihre Zwischenrufe, wenn sie denn schon welche
machen, so vernehmlich zu machen, dass man sie auch
versteht. Ich bin aber gerne bereit, Ihnen die entsprechen-
den Paragraphen zu nennen. Denken Sie an § 9 Nr. 9 der
Arbeitsgenehmigungsverordnung. Schauen Sie dort hi-
nein; dann sehen Sie, dass es heute schon möglich ist, die-
sem Fachkräftemangel zu begegnen.


Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1422410400
Darf ich Sie
kurz unterbrechen? Die Regierungsbank darf keine Zwi-
schenrufe machen.


Norbert Hauser (CDU):
Rede ID: ID1422410500
Darauf wollte
ich mit meiner Äußerung aufmerksam machen, Frau Prä-
sidentin.


(Zurufe von der CDU/CSU und der SPD)

Sie bringen ja immer wieder die Begründung, dass die

Wirtschaft Zuwanderung verlange, weil sie der Ansicht
sei, der Fachkräftemangel lasse sich nur über Zuwande-
rung lösen. Schauen Sie sich einmal die Umfrage an, die
der Deutsche Industrie- und Handelskammertag Ende
vergangenen Jahres vorgelegt hat. Es wurden 21 000 Un-
ternehmen befragt; von diesen haben 12 Prozent angege-
ben, dass sie ausländische Arbeitskräfte anzuwerben ge-
denken. Auf die Frage, warum denn dieser Prozentsatz so
gering sei, nämlich nur 12 Prozent, wurde die Antwort ge-
geben, dass zum einen die Kosten für die Suche auslän-
discher Arbeitskräfte zu hoch seien, zum anderen die In-
tegration in den hiesigen Arbeitsprozess zu schwierig sei
und schließlich unabdingbar für den Einsatz ausländi-
scher Arbeitskräfte in der Bundesrepublik die Beherr-
schung der deutschen Sprache sei. Dies sei eben bei die-
sen Menschen weitestgehend nicht der Fall.

Wir brauchen also Lösungen vor Ort für die jetzt Arbeit
suchenden Menschen. Zuwanderung wird uns dabei nicht
besonders weiterhelfen.


(Jörg Tauss [SPD]: Wasch mir den Pelz, aber mach mich nicht nass!)


Wir wollen den Fachkräftemangel in Deutschland durch
Maßnahmen auf den Gebieten der Schul- und Hochschul-
bildung, der dualen Berufsausbildung und der Weiterbil-
dung beseitigen. Bereits Jungen wie Mädchen muss der
Umgang mit Technik zur Normalität werden. Schülerin-
nen und Schüler sind für naturwissenschaftliche und tech-
nische Fächer zu begeistern. Die Fehler der Vergangen-
heit, in der Technik und Fortschritt oft verteufelt wurden,
dürfen sich nicht wiederholen.

Aber man darf natürlich auch die weiterführenden
Schulen nicht vernachlässigen. Wie man es richtig macht,
zeigt uns zum Beispiel – man höre und staune – der Frei-
staat Bayern.


(Beifall bei der CDU/CSU – Jörg Tauss [SPD]: Das musste ja kommen! – Weitere Zurufe von der SPD: Oh!)


– Ich kann Ihre Begeisterung nachvollziehen. – Dort wird
die IT-Ausbildung bereits in der Mittelstufe – hören Sie
gut zu! – begonnen und gehört damit zum Basisunterricht.


(Jörg Tauss [SPD]: Oh, oh, oh! Das war ein Eigentor! Jetzt reden wir einmal über Bayern!)


An den bayerischen Gymnasien nehmen mehr als
29 000 Schüler des Wahlpflichtbereichs Mathematik im
neunten und zehnten Schuljahr an Informatikkursen teil.
Hinzu kommen mehr als 22 000 Schüler, die Informatik
als Wahlkurs belegen. Das heißt, 46 Prozent eines Jahr-
gangs haben ausgezeichnete Computerkenntnisse. Das ist
ein Pfund, mit dem sich wuchern lässt.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Wir beklagen immer wieder zu lange Studienzeiten,

ohne wirklich Gravierendes dagegen zu unternehmen.
Stellen Sie sich einmal eine Verkürzung der Studienzeit
um nur ein Jahr vor. Das brächte dem Arbeitsmarkt in ei-
nem Zeitraum von fünf Jahren 40 000 zusätzliche Akade-
miker. Das ist das Doppelte von dem, was Sie mit der
Greencard erreichen wollten, und ein Vielfaches von dem,
was Sie tatsächlich mit der Greencard erreicht haben.

Gerade im Akademikerbereich werden wir auf einen
erheblichen Fachkräftemangel zusteuern, wenn wir nicht
rechtzeitig reagieren. Von 1998 bis 2010 werden insgesamt
etwa 1,3Millionen Akademiker aus dem Arbeitsleben aus-
scheiden. Der Bedarf für diesen Zeitraum wird auf etwa
1,1 Millionen Akademiker geschätzt. Das heißt, wir brau-
chen jährlich mindestens 200000 Hochschulabsolventen.

Laut Kultusministerkonferenz erlangen in den nächs-
ten Jahren jeweils circa 350 000 junge Leute die Hoch-
schulreife; aber nur etwa zwei Drittel dieser jungen Men-
schen nehmen ihre Chance zum Studium wahr. Das heißt,
mehr als 150000 junge Menschen streben zwar einen qua-
lifizierten Schulabschluss an, wollen aber danach keine
Hochschule besuchen. Auch hier ist ein enormes Poten-
zial, das es auszuschöpfen gilt.

30 Prozent der jungen Menschen mit Hochschulreife
absolvieren zunächst einmal eine herkömmliche duale Be-
rufsausbildung. Offensichtlich bietet ein Hochschulstu-
dium in ihren Augen keine ausreichende Basis für eine be-
rufliche Zukunft. Sie beklagen mangelnden Praxisbezug.




Norbert Hauser (Bonn)


22247


(C)



(D)



(A)



(B)


Dieser Praxisbezug muss hergestellt werden. Eine Lö-
sung in diesem Fall heißt: duale Studiengänge. Sie ent-
sprechen dieser Anforderung. Sie wecken die Bereitschaft
zum Studium und haben den unschätzbaren Vorteil, dass
sie die Dauer von acht Jahren für eine duale Erstausbil-
dung plus Studium auf einen Zeitraum von fünf Jahren
verkürzen. Das heißt also, die jungen Menschen stehen
dem Arbeitsmarkt drei Jahre früher zur Verfügung. Dies
ist ein gigantisches Potenzial zur Behebung des Fachkräf-
temangels.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Deutschland muss sich international ausrichten, wenn

es im Wettbewerb bestehen will. Dazu gehört, dass der
Wissenschaftsstandort Deutschland Werbung in eigener
Sache macht.


(Siegfried Scheffler [SPD]: Machen wir!)

Hochschulen sind bei der Gründung von Offshoreeinrich-
tungen zu unterstützen. Studenten, die ihren ersten Ab-
schluss im Ausland machen, um dann ihre Studien in
Deutschland fortzusetzen, gehören zu unserer Zielgruppe.


(Jörg Tauss [SPD]: Loben Sie uns mal!)

Der Wettbewerbsbeitrag der Bundesregierung lautet:

Mittelkürzung für deutsche Kulturarbeit im Ausland.

(Dr. Martin Mayer [Siegertsbrunn] [CDU/ CSU]: Hört! Hört! – Thomas Rachel [CDU/ CSU]: Bittere Realität!)


Deutsche Schulen werden geschlossen, Goethe-Institute
werden geschlossen, der Deutschen Welle werden die
Mittel gekürzt. Das ist kein Kampf um die besten Köpfe,


(Beifall bei der CDU/CSU)

das ist Resignation. Wir brauchen keinen Rückzug, wir
brauchen eine Offensive.


(Thomas Rachel [CDU/CSU]: Rot-grüne Realität!)


Ein Letztes: Wettbewerb funktioniert nur, wenn es
genügend Freiheit für die Bildungsträger gibt. Unser Bil-
dungssystem erstickt an bürokratischen Vorgaben und
einengenden Gesetzen. Die Bildungsanbieter in Deutsch-
land sind besser, als einige in diesem Hause es vermuten.
Geben wir ihnen die Chance, ihre Zukunft selbst in die
Hand zu nehmen. Unser Antrag ist ein erster Schritt in
diese Richtung. Haben Sie den Mut und stimmen Sie zu,
damit der Fachkräftemangel wirksam bekämpft werden
kann.


(Jörg Tauss [SPD]: Das wäre ja ein Rückschritt!)


Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Dr. Martin Mayer [Siegertsbrunn] [CDU/CSU]: Bravo! Eine großartige Rede! – Hans-Peter Repnik [CDU/CSU]: Das war die letzte Rede von Herrn Hauser im Deutschen Bundestag! – Gegenruf des Abg. Jörg Tauss [SPD]: Wenn es die letzte Rede war, hätte er sich mehr anstrengen sollen!)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1422410600
Es spricht jetzt
der Parlamentarische Staatssekretär Wolf-Michael
Catenhusen.

W
Wolf-Michael Catenhusen (SPD):
Rede ID: ID1422410700
Frau
Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es gibt im
Hause sicherlich Einigkeit darüber, dass die Bildung ein
Schlüsselfaktor bei der Bewältigung des strukturellen
Wandels von der Industriegesellschaft zur Informations-
und Wissensgesellschaft darstellt und dass wir davon aus-
gehen müssen, dass dieser Wandel mit steigenden Tätig-
keitsniveaus und Arbeitsplatzanforderungen verbunden
ist und deshalb zu einem höheren Bedarf an qualifizierten
Fachkräften führt. Aus diesem Grund steht das Thema
Fachkräftemangel auf der Tagesordnung aller hoch ent-
wickelten Industriestaaten. Wir alle müssen uns fragen,
inwieweit wir dieser Situation durch geeignete Maß-
nahmen Rechnung tragen.

Sie wissen, dass der Fachkräftemangel bei der Regie-
rungsübernahme ein sehr brisantes Problem der IT-Bran-
che war. Der Bundesverband Informationswirtschaft,
Telekommunikation und neue Medien bezeichnete den
Mangel an IT-Fachkräften seinerzeit als die entschei-
dende Wachstumsbremse der deutschen Informations-
wirtschaft. Damals konnte man von Ausbildungsplätzen
und Ausbildern in größerem Umfang noch nicht reden.
Die Absolventenzahlen im Fach Informatik stürzten ab
und der IT-Weiterbildungsmarkt war von Wildwuchs ge-
prägt.

Die Regierung hat umgehend gehandelt. Sie kann deut-
liche, auch international beachtete Erfolge vorweisen. Um
das einmal klar zu sagen: Mit Ihrer Großen Anfrage hink-
ten Sie schon im Jahr 2000 den Entscheidungen der
Bundesregierung hinterher.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der PDS)


Mit dem Entschließungsantrag bemühen Sie sich nun
krampfhaft, den Abstand zwischen den Entscheidungen
und dem Handeln der Regierung und den Forderungen der
Opposition nicht zu groß werden zu lassen.

Bereits im Sommer 1999 haben wir im Bündnis für
Arbeit zusammen mit der Wirtschaft und den Gewerk-
schaften die Offensive gegen den Fachkräftemangel im
IT-Bereich gestartet. Mit dem darauf aufbauenden Sofort-
programm zur Deckung des IT-Fachkräftebedarfs vom
März 2000 – das war vor Ihrer Großen Anfrage – hat diese
Bundesregierung parallel zur Greencardinitiative eine
Bildungsoffensive gestartet, die ein Bündel von Maßnah-
men umfasst


(Thomas Rachel [CDU/CSU]: Ihr seid ja so toll! – Gegenruf des Abg. Jörg Tauss [SPD]: Wo der Rachel Recht hat, hat er Recht!)


und alle Bildungsebenen – duale Berufsausbildung, Wei-
terbildung und Studium – einschließt.

Ihre Rede, lieber Kollege Hauser, ist ein sehr vorder-
gründiger Versuch in einem Wahljahr, das Thema Zuwan-




Norbert Hauser (Bonn)

22248


(C)



(D)



(A)



(B)


derung aus innenpolitischen Profilierungsgründen gegen
die notwendigen Maßnahmen zur Aus- und Weiterbil-
dung, die diese Bundesregierung längst durchführt, aus-
zuspielen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Wenn Sie wirklich ein Interesse daran haben, dass hoch
qualifizierte Fachkräfte aus aller Welt, wie Sie in Ihrem
Text immerhin noch verbalisieren, nach Deutschland
kommen, dann müssen Sie sich sehr gut überlegen, ob Sie
mit Ihrer Position des Ausspielens der notwendigen
Interessen unserer jungen Menschen und der schon in Ar-
beit Befindlichen gegen das Thema Zuwanderung wirk-
lich einen Beitrag zu dem angemessenen Umgang auch
dieser Gesellschaft mit den Talenten, die aus aller Welt zu
uns kommen sollen, leisten.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Ich denke, dass wir heute eine positive Bilanz ziehen
können. Wir hatten uns vorgenommen, bis zum Jahre
2002 die Ausbildungsplätze im IT-Bereich und im Be-
reich der Medienberufe auf 40 000 zu erhöhen. Ende 2001
gab es über 70 000 Ausbildungsplätze im Vergleich zu
14 000 im Jahr 1998.


(Siegfried Scheffler [SPD]: Man höre und staune! – Dr. Martin Mayer [Siegertsbrunn] [CDU/CSU]: Damals wurden die Berufe erst geschaffen!)


Sie verschweigen aus sehr vordergründigen wahltakti-
schen Gründen sehr gerne, dass wir die IT-Weiterbil-
dungsmaßnahmen von Erwerbslosen in den Jahren 2000
und 2001 auf jeweils 46 000 Teilnehmerinnen und Teil-
nehmer pro Jahr ausgeweitet haben.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Das bedeutet, dass wir in diesem Bereich zusätzlich über
10 000 Erwerbslose pro Jahr ausgebildet haben.

Gemeinsam mit den Ländern haben wir schon im Jahr
2000 das Programm zur Weiterentwicklung des Informa-
tikstudiums gestartet, das mit Mitteln in Höhe von 50Mil-
lionen Euro bis zum Jahre 2004 dazu beiträgt, die Studien-
kapazitäten zu erweitern und die Studienstrukturen sowie
die Praxisorientierung zu verbessern. Lassen Sie uns über
die Zahlen reden! 1997 gab es 11 000 Studienplätze. Jetzt
sind es 27 000 Studienplätze.


(Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]: Das ist doch was!)


Ist das kein Erfolg dieser Regierung?

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

Sie sollten sich an dieser Stelle sehr gut überlegen, ob

Sie Ihre sehr vordergründige Kampagne, die auf einer Be-
schreibung der Situation basiert, die vielleicht für 1998
angebracht gewesen wäre, fortsetzen wollen, mit der die
Greencard gegen die Ausbildung von Inländern ausge-
spielt werden soll.


(Beifall des Abg. Jörg Tauss [SPD])


Ich sage ganz deutlich: Diese Regierung hat von An-
fang an ein integriertes Konzept der Förderung der Bil-
dung im beruflichen Bereich, im akademischen Studium
sowie im Bereich der Aus- und Weiterbildung gestartet,
was dazu führt, dass wir erstmals seit der langen Zeit der
Untätigkeit, die Ihre Regierung an den Tag gelegt hat, die
Begabungsreserven für einen zukunftsträchtigen Be-
reich umfassend ausschöpfen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Alle Prognosen weisen gegenwärtig darauf hin, dass
wir die Talsohle bei den Informatikabsolventen längst
durchschritten haben. Das Institut der deutschen Wirt-
schaft rechnet in den nächsten Jahren mit sukzessiv stei-
genden Absolventenzahlen auf circa 15 000 bis 2005. Das
bedeutet, dass es gegenüber dem Durchschnitt Mitte der
90er-Jahre mehr als eine Verdoppelung geben wird. Die
Studierenden gibt es bereits.

Die Greencard ist ein Erfolg. Es kam nicht darauf an,
möglichst viele Menschen nach Deutschland zu holen. Es
kam vielmehr darauf an, dass Fachkräfte, die bei uns ge-
braucht werden, nach Deutschland kommen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Wenn wir durch unsere Ausbildungsanstrengungen dazu
beigetragen haben, dass es nicht 20 000 oder 25 000, son-
dern nur 11 000 Menschen sind, die nach Deutschland ge-
kommen sind, weil wir aus wachsenden Ressourcen jun-
ger qualifizierter und weiterqualifizierter Arbeitskräfte
schöpfen können, dann ist das etwas, worüber ich mich
nicht beklagen kann.

Ich will einen weiteren Punkt nennen. Unser Bundes-
ministerium hat in der letzten Woche im Rahmen eines in-
ternationalen Kongresses die wesentlichen Eckpunkte un-
serer Reform der IT-Weiterbildung vorgestellt, die
international hohe Anerkennung und Nachfrage erfährt.
Die Reform setzt Qualifikationsstandards für 29 markt-
gängige Spezialistenprofile in diesem Bereich. Sie wurde
gemeinsam mit Gewerkschaften, Verbänden und Unter-
nehmen entwickelt. Wir wollen damit die Voraussetzung
schaffen, praxisnahe Qualifizierungen in einem Unter-
nehmen mit der wissenschaftlichen Ausbildung an einer
Hochschule zu kombinieren. Sie könnten dies heute un-
eingeschränkt begrüßen und uns dafür loben,


(Dr. Martin Mayer [Siegertsbrunn] [CDU/ CSU]: Das wäre zu viel verlangt!)


dass wir gemeinsam mit der Wirtschaft und mit allen Ver-
bänden diese strategische Weichenstellung für ein qualifi-
ziertes IT-Weiterbildungssystem in Deutschland geschaf-
fen haben. Wir sind auch europaweit eines der ersten
Länder, das die Vereinbarungen zum European Credit
Transfer System in diesem Bereich für die IT-Weiterbil-
dung umsetzt.

Ich schließe mit einer letzten Bemerkung: Sie sind spät
mit Ihren Anträgen und mit Ihren Vorschlägen. Um das
am Beispiel Offshore-Gründungen deutlich zu machen:
Sie stellen dieses Thema heute in Ihrem Entschließungs-
antrag erstmals zur Debatte. Wir handeln aber bereits. Sie




Parl. StaatssekretärWolf-Michael Catenhusen

22249


(C)



(D)



(A)



(B)


wissen, dass eine Reihe von deutschen Universitäten in
dieser Richtung von uns unterstützt werden und erste Ini-
tiativen in vielen Ländern der Welt starten. Wir wünschen
Ihnen weiterhin viel Glück, mit Ihren Forderungen an das
heranzukommen, was diese Regierung schon längst um-
setzt.

Danke schön.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Hans-Peter Repnik [CDU/ CSU]: Bei diesem Niveau ist einmal mehr deutlich geworden, wie wichtig die Kulturhoheit der Länder ist!)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1422410800
Das Wort hat
jetzt die Abgeordnete Ulrike Flach.


Ulrike Flach (FDP):
Rede ID: ID1422410900
Frau Präsidentin! Meine Damen
und Herren! Lieber Herr Catenhusen, ich bin gern bereit,
Sie zu loben.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Hans-Peter Repnik [CDU/ CSU]: Nein! Er hat weder Lob noch die Ansprache „lieber“ verdient!)


Aber so dramatisch gut, wie Sie es darstellen, ist es natür-
lich auch nicht. Wenn Sie hier mit Zahlen operieren, die
auf das Jahr 1998 zurückverweisen, dann dürfen Sie nicht
vergessen, dass diese Berufe in jenem Jahr neu eingeführt
worden sind.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Angesichts dessen ist es kaum möglich, dass sie zu die-
sem Zeitpunkt schon das heutige Mengenniveau erreicht
hatten.

Trotzdem ist die FDP-Fraktion bereit und willens, an-
zuerkennen, dass die Bundesregierung reagiert hat.


(Jörg Tauss [SPD]: Das ist auf jeden Fall etwas!)


Sie haben in Ihrer Antwort auf das 100-Millionen-Son-
derprogramm zur Weiterentwicklung des Informatikstu-
diums verwiesen. Das ist ein ordentliches Programm. Des
Weiteren haben Sie auf Tausende von Teilnehmern an
Weiterbildungs- und Qualifikationsmaßnahmen der BA
und auf das Internet für Arbeitslose, Frauen und Um-
schüler verwiesen. Herr Catenhusen, hier ist es mit dem
Loben nicht getan, hier fehlt uns die Erfolgskontrolle.
Dies betrifft insbesondere die BA. Es liegen keine verläss-
lichen Zahlen darüber vor, ob diese Schulungen auch zu
Einstellungen führen. Wenn Sie keine Erfolgskontrolle
haben, können Sie im Hinblick auf die Qualität auch nicht
nachregeln.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Meine Damen und Herren, es ist wichtig, dass die Dis-

kussion über die Bundesanstalt fürArbeit endlich ange-
fangen hat und die Effizienz dieser Anstalt auf dem Prüf-
stand steht. Dies gilt insbesondere für eine ganze
Generation von IT-Fachkräften zwischen 45 und 55 Jah-
ren, auf die Herr Hauser eben schon hingewiesen hat. Sie

stehen ohne Chance auf einen Job auf der Straße. Ende
2001 – lassen Sie sich diese Zahl einmal durch den Kopf
gehen – waren es immerhin 34 000 arbeitslose IT-Kräfte.
Ich frage mich natürlich, was die Bundesregierung im
Hinblick auf diese Leute macht. Hier muss deutlich effi-
zienter und erfolgsorientierter gefördert werden. Die
11 000 Greencards, die Sie, Herr Catenhusen, eben ange-
führt haben, sind im Vergleich dazu wahrlich nur ein laues
Lüftchen.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Im Schulbereich sind wir vorangekommen; das sehen

wir genauso. Fast alle Schulen verfügen inzwischen über
einen Internetzugang, eine wachsende Anzahl auch über
moderne Computer. Ich betone allerdings, Herr
Catenhusen, dass wir vorangekommen sind; denn ein
Großteil dieses Fortschritts ist nicht zuletzt auf das bei-
spielhafte Engagement von Eltern und Sponsoren und
weniger auf das segensreiche Wirken der Bundesregie-
rung zurückzuführen.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Ernst Burgbacher [FDP]: Allerdings!)


Aber auch dieses Engagement reicht nicht, was die
Bundesregierung selbst zugibt. Sie sagt nämlich in ihrer
Antwort auf die Große Anfrage, bis 2005 könnten unge-
fähr 350 000 IT-Fachkräfte gewonnen bzw. ausgebildet
werden. Der Technologiebericht des Wirtschaftsministers
stellt aber schon für 2002 einen Bedarf von 350 000 IT-
Fachkräften fest. Das ergibt eine Lücke von drei Jahren,
Herr Catenhusen. Mit Ausbildung ist dies nicht zu schaf-
fen; wir brauchen – hier widerspreche ich Ihnen sehr
energisch, Herr Hauser – auch qualifizierte Fachkräfte aus
dem Ausland.


(Beifall bei der FDP sowie des Abg. Siegfried Scheffler [SPD])


Dieser Punkt stört uns übrigens an dem Antrag der
CDU/CSU.


(Jörg Tauss [SPD]: Dem wird die FDP im Bundesrat aber zustimmen, nicht?)


Es ist erneut der Versuch, das Thema Zuwanderung in et-
was hineinzumischen, bei dem wir uns alle einig sind. Wir
wissen doch, dass wir qualifizierte Kräfte aus dem Aus-
land brauchen, und sollten dies nicht dergestalt in eine De-
batte hineinbringen, dass wir plötzlich die Leute mit
Stammtischargumenten aufhetzen, um Wahlkampfpunkte
zu machen.


(Beifall bei der FDP, der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS)


Wir werden heute den Entschließungsantrag an den
Ausschuss überweisen. Ich kann sagen, dass uns vieles an
ihm gefällt. Die Maßnahmen, die Sie zur Integration aus-
ländischer Studenten angeführt haben, liegen auf unserer
Linie. Das gilt auch für die Quoten, in deren Rahmen die
Hochschulen selbst aussuchen dürfen. Wir sind uns mit
Ihnen, aber auch mit Herrn Catenhusen einig, dass es an
der Zeit ist, die Geschwindigkeit im Ausbildungsbereich
zu erhöhen. Aller Wahrscheinlichkeit nach werden wir im




Parl. StaatssekretärWolf-Michael Catenhusen
22250


(C)



(D)



(A)



(B)


Ausschuss Ihrem Antrag folgen, warten aber zunächst die
Debatte ab.


(Beifall bei der FDP sowie des Abg. Siegfried Scheffler [SPD])



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1422411000
Das Wort hat
jetzt die Abgeordnete Grietje Bettin.


Grietje Bettin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1422411100
Frau
Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Bei dem
Thema der heutigen Debatte stößt man natürlich auf den
Begriff der Greencard; dies ist hier schon mehrfach an-
gesprochen worden. Seit knapp zwei Jahren können Com-
puterexperten und -expertinnen aus Nicht-EU-Ländern
aufgrund der Greencardregelung bei uns arbeiten.


(Dr. Martin Mayer [Siegertsbrunn] [CDU/CSU]: Das konnten sie vorher auch schon!)


Über 10 000 Arbeitserlaubnisse wurden bereits ausge-
stellt. 88 Prozent davon gingen – das erwähne ich nur am
Rande – an Männer.

Was gab es nicht alles an Befürchtungen, insbesondere
von konservativer Seite: Ganze Zuwanderungswellen
könnte diese Greencard auslösen, vergleichbar mit der
Einwanderung in den 50er- und 60er-Jahren. Heute wis-
sen wir mehr. Die Greencard war sicherlich notwendig;
sie ist aber nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Der IT-
Markt ist sehr komplex und erfordert spezifische Qualifi-
kationen sowie ständige Weiterbildung, bringt aber leider
auch häufig wechselnde Arbeitgeber und Einsatzorte mit
sich. Hierdurch sowie durch die vielen Weiterbildungs-
maßnahmen, die leider viel zu häufig am Markt vorbei
gehen, lässt sich das scheinbar unverständliche Verhältnis
von bis zu 30 000 arbeitslosen EDV-Fachleuten auf der
einen und einem hohen Fachkräftebedarf auf der anderen
Seite erklären. Die Überprüfung der Qualifizierungsmaß-
nahmen von Arbeitslosen ist also auch für den IT-Bereich
dringend erforderlich.

Gerade gestern war ich auf der Cebit und habe mich
dort von der guten Zukunftsfähigkeit des IT-Marktes
rund um die neuen Technologien überzeugen können. Die
Bundesregierung ist sich dieser Bedeutung vollkommen
bewusst und hat zahlreiche Maßnahmen getroffen, um
diesen innovativen, aber auch schwierigen Arbeitsmarkt
für alle zu öffnen: für Arbeitslose aus anderen Bereichen
wie für Spezialisten und Spezialistinnen aus dem Aus-
land.

Wegen der guten Zukunftsaussichten dieser Jobs ist es
besonders wichtig, Mädchen und Frauen frühzeitig für
diese Bereiche zu interessieren. So hat sich die Bundesre-
gierung vorgenommen, den Anteil der Frauen bei den Stu-
dienanfängern in Informatikstudiengängen bis zum Jahr
2005 von jetzt 17 Prozent auf 40 Prozent zu steigern.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der PDS)


Das kann uns auch gelingen. Schon jetzt zeigt sich ein
wachsendes Interesse junger Frauen an den neuen Tech-

nologien, an einem naturwissenschaftlichen oder techni-
schen Studium.


(Dr. Martin Mayer [Siegertsbrunn] [CDU/ CSU]: Ohne die Maßnahmen der Bundesregierung!)


Während Ende 1997 rund 11 000 junge Frauen ein Stu-
dium in den Bereichen Ingenieurwissenschaften, Informa-
tik und Elektrotechnik aufnahmen, waren es im Winterse-
mester 1999/2000 bereits fast 15 000. Diese Entwicklung
ist mehr als erfreulich und wird durch das 100-Millionen-
Sofortprogramm der Bundesregierung zur Verbesserung
des Informatikstudiums weiter anhalten.

Die wesentlichen Ursachen des heutigen Fachkräfte-
mangels liegen in der Bildungspolitik der 90er-Jahre.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Die Weichen wurden nicht rechtzeitig gestellt, um die
technologischen und bildungspolitischen Herausforde-
rungen, die durch die neuen Informations- und Kommu-
nikationstechnologien entstanden sind, frühzeitig zu er-
kennen.


(Dr. Martin Mayer [Siegertsbrunn] [CDU/CSU]: Sie haben damals vom Jobkiller geredet!)


Was Helmut Kohl und Co jahrelang ausgesessen haben,
kann man nicht innerhalb kürzester Zeit zum Galoppieren
bringen. Doch Rot-Grün ist hier auf einem sehr guten
Weg. Jetzt wird gesurft und gehandelt.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der PDS – Hans-Peter Repnik [CDU/CSU]: Man merkt, dass Sie von der Küste kommen! Vielleicht verstehen Sie ja etwas vom Windsurfen!)


– Das tue ich leider nicht, muss ich gestehen.
Wichtig sind – das wurde von Herrn Catenhusen be-

reits angesprochen – zum einen die Offensive zum Abbau
des Fachkräftemangels im Rahmen des Bündnisses für
Arbeit, Ausbildung und Wettbewerbsfähigkeit und das
Sofortprogramm der Bundesregierung zur Deckung des
IT-Fachkräftebedarfs in Deutschland. Außerdem werden
bis zum Jahr 2004 für die Entwicklung von Lehr- und
Lernsoftware für Schulen, Hochschulen und Berufsbil-
dung circa 650 Millionen DM von der Bundesregierung
bereitgestellt.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Die Anzahl der Computer und der Internetanschlüsse
wurde in den letzten Monaten massiv gesteigert. Gerade
deshalb ist die Integration der neuen Medien in Schule
und Universität nach wie vor eine ganz zentrale bildungs-
politische Aufgabe.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der PDS)


Mir persönlich liegt in diesem Zusammenhang beson-
ders die Förderung von Mädchen und jungen Frauen




Ulrike Flach

22251


(C)



(D)



(A)



(B)


am Herzen. Gestern auf der Cebit fühlte ich mich noch
immer allein unter Männern.


(Zuruf von der SPD: Wir waren hier!)

Dies muss sich nach und nach ändern.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der PDS – Hans-Peter Repnik [CDU/CSU]: Haben Sie Stoiber getroffen? Der war auch dort!)


Auch hier sind wir mit Unterstützung der rot-grünen Bun-
desregierung auf einem guten Weg. Stellvertretend
möchte ich in diesem Zusammenhang zwei Projekte er-
wähnen: Sachsen-Anhalt veranstaltet für Mädchen tech-
nische Sommerakademien und unterstützt Patenschaften
mit Hochschulen und Fachhochschulen. In Thüringen
gibt es ähnliche Initiativen, die von der Koordinierungs-
stelle „Wissenschaft und Technik für Schülerinnen“ be-
gleitet werden.


(Hans-Peter Repnik [CDU/CSU]: Frau Schipanski ist gut!)


Die Aufgeschlossenheit von Mädchen für naturwissen-
schaftliche Themen, insbesondere für die modernen In-
formations- und Kommunikationstechnologien, sollen
Projekte wie „girls@D21“ oder „Idee-IT“ wecken.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, es gibt noch viel zu
tun, um unsere Gesellschaft für die Herausforderungen
der Informationsgesellschaft fit zu machen.


(Hans-Peter Repnik [CDU/CSU]: Packen wir es an!)


Die kurzfristige Gewinnung von IT-Fachkräften oder
auch die erfreuliche Mitteilung, dass alle deutschen Schu-
len mittlerweile am Netz sind, reichen bei weitem nicht
aus. Wir brauchen eine Bildungspolitik, die flexibel mit
der Berufsausbildung umgeht und nicht in starren Struk-
turen verharrt.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Hans-Peter Repnik [CDU/CSU]: So wie in Baden-Württemberg!)


Wir wollen eine Informationsgesellschaft ohne Barrie-
ren aufbauen, in der sich junge Frauen genauso selbststän-
dig bewegen wie netzbegeisterte Seniorinnen und Senio-
ren. Dafür bitte ich um Ihre Unterstützung und bedanke
mich für Ihre Aufmerksamkeit.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der CDU/CSU)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1422411200
Das Wort hat
jetzt die Abgeordnete Angela Marquardt.


Angela Marquardt (PDS):
Rede ID: ID1422411300
Frau Präsidentin! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Große Anfragen dienen ei-
nerseits der Bundesregierung, ihre Taten der Vergangen-
heit lobend zu erwähnen, und andererseits der Opposition,

diese kritisch zu hinterfragen und meistens etwas schwarz
zu malen.

Ich möchte zunächst einmal einige lobende Worte aus-
sprechen: Den Trend, dass Deutschland Schlusslicht im
IT-Geschehen zu werden drohte, hat diese Bundesregie-
rung zumindest gestoppt.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Während der Kohl-Regierung ist eher nichts passiert und
wir haben den Anschluss völlig verpasst.


(Hans-Peter Repnik [CDU/CSU]: War das noch schön bei Margot Honecker!)


Inzwischen sind wir bei einem international vergleich-
baren Standard angelangt. Es ist sehr erfreulich, dass in-
zwischen fast alle Schulen über einen Internetzugang ver-
fügen. Gleichfalls geht die Ausstattung mit Computern
in einem großen Tempo voran.

Dennoch – das zeigt die Antwort der Bundesregierung
auf die Große Anfrage – wird häufig auf die Privatwirt-
schaft gesetzt.


(Beifall bei der FDP)

Dies gefällt mir nicht unbedingt, wenngleich auch ich
nicht verhehlen will, dass Sponsoring in diesem Bereich
ein Weg sein kann. Ich denke aber, dass auch die Bundes-
regierung Verantwortung trägt und man sich nicht nur auf
das Sponsoring verlassen darf. Zudem wird natürlich hier
versucht, auf Bildungsinhalte Einfluss zu nehmen.


(Thomas Rachel [CDU/CSU]: Vielleicht könnten wir die Bundesregierung privatisieren!)


Die Bildungsinhalte sollten doch unabhängig festgelegt
werden.


(Beifall bei der PDS)

Ein zweiter Aspekt ist, dass zum Beispiel die Telekom

ganz großzügig ungefähr 33 000 Schulen mit Internetzu-
gängen ausgestattet hat


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

– insoweit prima –, die Folgekosten aber häufig auf die
Schulen bzw. Kommunen umgelegt werden. In Branden-
burg mussten PCs bereits wieder vom Netz genommen
werden, weil man sich die Folgekosten nicht leisten kann.
Der Internetzugang ist also nicht alles. Die Hard- und
Software gehören dazu.

Hinzu kommen die so genannten Fachkräfte. Lehrerin-
nen und Lehrer befinden sich auch heute noch häufig in
der Situation, dass ihnen die Schülerinnen und Schüler
zeigen, wie man mit dem PC umzugehen hat, und nicht
umgekehrt. Auch diesem Trend gilt es etwas entgegenzu-
setzen.


(Beifall bei der PDS sowie der Abg. Grietje Bettin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Ich glaube – das ist ein Aspekt, den ich hier noch ein-
bringen möchte –, dass Medienbildung nicht in erster Li-
nie Spezialistenausbildung, sondern Allgemeinbildung
ist. Häufig wird betont, dass für Naturwissenschaften,




Grietje Bettin
22252


(C)



(D)



(A)



(B)


Mathematik und Biologie mehr getan werden muss. In-
zwischen ist aber die gesamte Content-Ebene, sind also
die Inhalte genauso wichtig. Dazu gehört der Englischun-
terricht genauso wie der Deutschunterricht. Der Schwer-
punkt darf nicht immer nur auf die naturwissenschaftli-
chen Fächer gelegt werden. Ich halte eine breit gefächerte,
gute Allgemeinbildung für die eigentliche Grundlage für
einen guten Umgang mit den Herausforderungen in der
IT-Branche.


(Beifall bei Abgeordneten der PDS und der SPD)


Eine gute Allgemeinbildung ist Grundlage für den Um-
gang mit den Medien. Deswegen hoffe ich, dass wir statt
des Trends zur Spezialisierung den Weg hin zu einer so-
zial gerechten, allgemeinen Schulausbildung, zu einer all-
gemeinen Medienbildung in der Bundesrepublik finden.
Dies ist neben der Lösung des Zuwanderungsproblems
die beste Voraussetzung dafür, um den Herausforderun-
gen einer zunehmenden IT-Entwicklung gerecht werden
zu können.

Danke.

(Beifall bei der PDS)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1422411400
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Jörg Tauss.


Jörg Tauss (Plos):
Rede ID: ID1422411500
Sehr geehrte Frau Präsidentin!
Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Ich will gleich
mit einer Bemerkung zum Kollegen Mayer beginnen, der
vorhin, als es darum ging, dass mehr IT-Experten im
Lande beschäftigt werden sollen, den goldigen Zwi-
schenruf gemacht hat, dass es auch vorher schon möglich
gewesen sei. Lieber Kollege Mayer, sobald ein IT-Experte
in Deutschland sein Informatikstudium abgeschlossen
hatte, ist er aus unserem Land rausgeflogen. Am nächsten
Tag musste er Deutschland verlassen, weil er hier nur Gast
war. Das haben Sie uns hinterlassen. Erzählen Sie hier
also bitte nicht einen solchen Unsinn!


(Beifall bei der SPD)

Gelegentlich bin ich zwar dankbar dafür, dass die Op-

position Anträge stellt. Aber sie sollten schon ein wenig
mit der Realität in diesem Lande zu tun haben. Lieber
Herr Kollege Hauser, ich weiß nicht, ob Sie den vorge-
legten Antrag als Ihr politisches Testament verstehen und
ob es Ihre letzte Rede war; denn eigentlich müsste einen
dieser Antrag ob der Gehaltlosigkeit ratlos machen


(Zuruf von der CDU/CSU: Gehaltlos ist Ihre Rede! Das ist auch schon alles!)


oder verzweifeln lassen. Sie nehmen Ihren eigenen Antrag
nicht ernst. Ich will auf diesen einmal eingehen.

Sie sagen heute, wir müssten uns um die Behebung des
Fachkräftemangels im IT-Bereich kümmern. Ich kann
Ihnen nur sagen: Prima, das hätten Sie eventuell vor zwei
Jahren sagen können, als Sie nach der Cebit-Äußerung des
Kanzlers Ihre unsägliche Kampagne „Kinder statt Inder“
gestartet haben. Sie wissen ganz genau, dass das auf der
Cebit auf den Weg Gebrachte im Grunde genommen die

Grundlage dessen ist, was wir heute miteinander disku-
tieren können. Hier sind Sie zu spät gekommen.

Jetzt müssen Sie sich einig werden, was Sie wollen. Sie
sagen uns, dass mit der Greencard – ich zitiere aus Ihrem
Antrag – eine wirkliche Lösung des Problems nicht er-
reicht werde. Umgekehrt sagte gestern Ihr Kanzlerkandi-
dat – nach langem Würgen gefunden –, dass im Falle ei-
nes Wahlsieges bei der Bundestagswahl am Green-
card-Konzept festgehalten werden solle. Ich weiß gar
nicht, warum Sie die Wahl gewinnen wollen. Mal ganz da-
von abgesehen, dass man bei Ihnen keinen eigenständigen
Punkt erkennen kann. Wenn Sie die Wahl gewinnen wol-
len, um das fortzusetzen, was diese Bundesregierung auf
den Weg gebracht hat, ist ein Wahlsieg Ihrerseits völlig
überflüssig. Dies ist er im Übrigen aber ohnehin.


(Thomas Rachel [CDU/CSU]: Der politische Aschermittwoch ist schon vorbei!)


– Sie müssen die Realitäten mal ein bisschen zur Kennt-
nis nehmen!

Nun stellen Sie eine Vielzahl von wunderbaren Forde-
rungen bezüglich der studentischen und wissenschaftli-
chen Kräfte in Deutschland auf. Was tun Sie aber? Frau
Kollegin Flach, genau die Punkte, die Sie in Ihrem eige-
nen Antrag fordern, wollen die Union und – wenn ich
Herrn Westerwelle richtig verstehe – auch Herr Wester-
welle aus rein parteipolitischen und taktischen Gründen
vor der Bundestagswahl im Bundesrat scheitern lassen.
Das ist etwas, was nicht zusammenpasst.


(Beifall bei der SPD – Ulrike Flach [FDP]: Herr Tauss, Sie sollten etwas für Ihre Bildung tun!)


Man kann natürlich fragen, woran es liegt. Ich sage es
Ihnen: Wir führen im Moment eine Kampagne durch und
Sie geraten unter Druck. Wir haben die Hochschulen und
die deutschen Wissenschaftseinrichtungen darauf auf-
merksam gemacht, dass Sie die dringend notwendige
Internationalisierung im deutschen Wissenschafts-
bereich und in der deutschen Hochschullandschaft ver-
hindern wollen, weil Sie einige rechtsradikale bayerische
Stammtische mobilisieren wollen und sich nicht für die
Zukunftsprobleme in diesem Land interessieren. Das ist
Folge dessen, was Sie tun.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Thomas Rachel [CDU/ CSU]: Herr Tauss, Sie sind nicht auf dem SPDParteitag! – Weitere Zurufe von der CDU/CSU)


Jetzt hätte ich mich beinahe aufgeregt; aber so ist es
eben.

Ich komme nun auf das zurück, was wir geleistet ha-
ben. Sie verkürzen das immer ein wenig auf die Green-
card-Debatte. Es gibt noch einige andere Dinge; Wolf-
Michael Catenhusen hat darauf hingewiesen. Zu Ihrer
Zeit waren 15 Prozent der Schulen am Netz, bei uns sind
es heute alle allgemein bildenden Schulen.


(Kurt J. Rossmanith [CDU/CSU]: Das ist gut! – Hans-Peter Repnik [CDU/CSU]: Das hat nichts mit der Bundesregierung zu tun!)





Angela Marquardt

22253


(C)



(D)



(A)



(B)


– Fragen Sie doch einmal, was das mit der Bundesregie-
rung zu tun hat und wer die Initiative D21 gemeinsam mit
der Regierung und der Wirtschaft auf den Weg gebracht
hat. Das sollten Sie einmal nachschauen.


(Hans-Peter Repnik [CDU/CSU]: Gehen Sie doch einmal nach Baden-Württemberg, wo Sie herkommen!)


Kollege Mayer sagte, dass Bayern ein Vorbild sei. Wie
sah es denn an den bayerischen Berufsschulen aus, bevor
die Bundesregierung das Zukunftsinvestitionsprogramm
für Berufsschulen auf den Weg gebracht hat?


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Es gab doch ganze Landkreise, in denen keine IT-Fach-
klassen eingerichtet werden konnten, weil die armen
Menschen keine Computer hatten.


(Hans-Peter Repnik [CDU/CSU]: Und wer finanziert es?)


So war der Sachverhalt. Dann haben wir mit 125 Milli-
onen Euro – das sind 250 Millionen DM – dafür gesorgt,
dass auch in Bayern an den Berufsschulen IT-Fachklassen
eingerichtet werden konnten.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Zurufe von der CDU/ CSU)


– Sie können hier noch so toben; das ist die Wahrheit über
den Freistaat Bayern.

Herr Kollege Repnik, in Baden-Württemberg war es
im Übrigen ähnlich. Das Land hat groß getönt, dass es die
Mittel, die der Bund gibt, verdoppeln wolle. Keinen Pfen-
nig hat der Ministerpräsident, der vor der Wahl verkündet
hat, dafür sorgen zu wollen, dass alle Schüler kostenlos an
die Computer können, zur Verfügung gestellt.


(Hans-Peter Repnik [CDU/CSU]: Wir waren doch das erste Land, das alle Schüler am Netz hatte!)


– Herr Repnik, toben Sie nicht rum, stellen Sie eine Zwi-
schenfrage! Es ist Ihnen unbequem, dass Sie mit der
Wahrheit, die aber nicht Ihre Wahrheit ist, konfrontiert
werden.


(Beifall bei der SPD – Lachen bei der CDU/CSU)


Kommen wir zurück zum Zuwanderungsgesetz und
zur Verbesserung der Situation ausländischer Studieren-
der, die wir in Deutschland haben wollen. Wir werden ent-
sprechende Maßnahmen ergreifen. Was fordern Sie? Sie
fordern die Bundesregierung auf, die Aufenthaltserlaub-
nis ausländischer Studierender nach erfolgreichem Ab-
schluss in Deutschland gegebenenfalls bis zu einem hal-
ben Jahr für die Suche nach einem angemessenen
Arbeitsplatz zu verlängern. Dem kann ich nur zustimmen.
Das ist prima. Wir stellen uns übrigens ein Jahr und nicht
nur ein halbes Jahr vor. Genau das, was im Zuwande-
rungsgesetz steht, ist Ihre Forderung im heutigen Antrag.
Stimmen Sie dem zu, was wir auf den Weg gebracht ha-
ben! Hören Sie auf, die Stammtische zu mobilisieren!


(Beifall bei der SPD)


Ein weiterer Punkt: Sie fordern die Bundesregierung
auf, gemeinsam mit der Exportwirtschaft im Ausland um
hoch qualifizierte Kräfte zu werben. Auch dies ist einer
der Schwerpunkte des modernen Zuwanderungsgesetzes.
Aber was ist heute passiert? Heute Morgen war Herr
Koch hier und hat uns mit seinen Ausführungen die Zeit
gestohlen. Herr Koch ist es, der im Moment Unter-
schriften gegen das sammeln will, was Sie in Ihrem An-
trag selbst fordern. Da das Wort „Heuchelei“ von der
Frau Präsidentin wahrscheinlich gerügt würde, möchte
ich von einer heuchlerischen Politik sprechen, die Sie
hier betreiben.


(Beifall bei der SPD – Hans-Peter Repnik [CDU/CSU]: Wenn Sie es sagen, nicht!)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1422411600
Ich will Ihre
Lebhaftigkeit nicht durch eine Rüge unterbrechen.


Jörg Tauss (Plos):
Rede ID: ID1422411700
Ich danke Ihnen.
Wir müssen etwas tun.

(Thomas Rachel [CDU/CSU]: Hinsetzen! – Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Wir müssen in der Tat die Attraktivität unserer Hochschu-
len für ausländische Studierende und Lehrende verbes-
sern. Hören Sie auf – das ist wirklich eine ernsthafte Bitte
an Sie –,


(Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


das, was Sie selbst als richtig erkennen, durch stoibersche
und kochsche Winkelzüge zu ersetzen! Das nimmt
Ihnen im Land niemand ab. Im Grunde schadet es dem
Standort Deutschland in unglaublicher Weise. Sie haben
die Chance, im Bund und in den Ländern, in denen Sie zu-
sammen mit der FDP noch regieren, Ihren eigenen Antrag
ernst zu nehmen. Sie können im Bundesrat dem, was Sie
hier fordern, zustimmen. Dazu fordere ich Sie auf.

Ansonsten kann ich nur sagen: Vielen Dank für die
Steilvorlage durch Ihre Große Anfrage. Es ist wirklich ge-
lungen, Ihre Versäumnisse aufzuzeigen und unsere Er-
folge darzulegen.


(Thomas Rachel [CDU/CSU]: Auf ins Abseits, Herr Tauss!)


Verabschieden Sie sich von Ihrer nicht mehr in die Zeit
passenden Politik! Stimmen Sie dem, was wir auf den
Weg gebracht haben, zu, um hier Ihren Beitrag zu leisten!

Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Thomas Rachel [CDU/ CSU]: Peinlich! Peinlich! – Dr. Martin Mayer [Siegertsbrunn] [CDU/CSU]: Der Fasching ist vorbei!)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1422411800
Ich schließe die
Aussprache.




Jörg Tauss
22254


(C)



(D)



(A)



(B)


Der Entschließungsantrag der Fraktion der CDU/CSU
auf Drucksache 14/8492 soll zur federführenden Bera-
tung an den Ausschuss für Bildung, Forschung und Tech-
nikfolgenabschätzung und zur Mitberatung an den Innen-
ausschuss, den Haushaltsausschuss, den Ausschuss für
Wirtschaft und Technologie, den Ausschuss für wirt-
schaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung und an den
Ausschuss für Kultur und Medien überwiesen werden.
Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann ist
die Überweisung so beschlossen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 7 auf:
Beratung der Unterrichtung durch die Bundesre-
gierung
Fortschrittsbericht zum Aktionsprogramm der
Bundesregierung
Innovation und Arbeitsplätze in der Informati-
onsgesellschaft des 21. Jahrhunderts
– Drucksache 14/8456 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie (f)

Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Kultur und Medien

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. – Wider-
spruch gibt es nicht. Dann ist es so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat zunächst
Herr Staatsminister Hans Martin Bury.

H
Hans Martin Bury (SPD):
Rede ID: ID1422411900
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Wenn ein bayerischer Ministerpräsident diese
Woche über die Cebit marschiert und erklärt: „Den Auf-
schwung sehe ich hier noch nicht“, dann ahne ich, woher
Ihre Schlusslichtdebatte kommt: Die Schlusslichter sieht,
wer hinterherfährt.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Jörg Tauss [SPD]: Das ist wahr!)


Deutschland aber startet in das Rennen um die Märkte
von morgen aus der Poleposition. Wir in Deutschland ha-
ben mit 56 Millionen Mobilfunknutzern, 31 Millionen In-
ternetzugängen und einer weltweit herausragenden
Telekommunikationsinfrastruktur eine ausgezeichnete
Startposition für die Nutzung mobiler Dienste und An-
wendungen. Jeder fünfte ISDN-Anschluss weltweit liegt
in einem deutschen Haushalt oder Unternehmen; bei der
Ausstattung mit breitbandigen DSL-Anschlüssen haben
wir im letzten Jahr sogar die Vereinigten Staaten überholt.

Wir haben in unserem Land eine neue Offenheit und
Begeisterungsfähigkeit für die Chancen neuer Technolo-
gien und die wachsende Bereitschaft, Zukunft gemeinsam
zu gestalten. Die Bundesregierung hat mit ihrem Aktions-
programm, dessen Fortschrittsbericht wir heute debattie-
ren, den Startschuss gegeben. Wir sind nicht mehr das
Deutschland in den Zeiten der Kohl-Ära, das drohte, den
Anschluss zu verpassen. Wir sind heute in Europa Markt-

führer im E-Commerce. Nur in den USA gibt es mehr
elektronische B2B-Marktplätze als bei uns. Die Domain
„.de“ ist weltweit das am meisten verbreitete Länderkür-
zel. Bereits zwei Drittel der deutschen Betriebe verfügen
über eine Webseite, 20 Prozent ermöglichen ihren Kunden
die Onlinebestellung über das Internet.

Die Bundesregierung hat sich an die Spitze der Bewe-
gung gesetzt. Bundeskanzler Gerhard Schröder ist Vorsit-
zender des Beirats der Initiative D 21, in der Unternehmer
und Politik gemeinsam daran arbeiten, optimale Bedin-
gungen für den Wandel im Informationszeitalter zu ent-
wickeln.

Die Initiative D 21 entspricht dem Leitbild eines akti-
vierenden Staates und ist für mich ein Musterbeispiel für
Public Private Partnership: gemeinsam Ziele zu defi-
nieren, konkrete Umsetzungsschritte zu vereinbaren und
sie zu erreichen. Denken Sie etwa an das Aktionspro-
gramm zur Beseitigung des Fachkräftemangels oder an
die Initiative „Schulen ans Netz“.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Als wir die Regierung übernahmen, war zwar das pa-

pierlose Büro dort schon erfunden.

(Jörg Tauss [SPD]: Rohrpost!)


Doch ein ambitioniertes E-Government-Programm haben
erst wir aufgelegt. Bis 2005 wollen wir alle internetfähi-
gen Dienstleistungen der Bundesverwaltung online be-
reitstellen; denn die Daten sollen laufen, nicht die Bürger.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


E-Government hat zudem einen Link zu E-Democracy.
Wir nutzen die Möglichkeiten des Internets für mehr
Transparenz und die Beteiligung der Bürgerinnen und
Bürger an Entscheidungsprozessen. So haben wir bei-
spielsweise über Internetforen nicht nur Interessenver-
bände, sondern die gesamte interessierte Öffentlichkeit an
der Erarbeitung einer Strategie für nachhaltige Entwick-
lung beteiligt. Heute Mittag hat der Bundeskanzler live im
Chat mit der Internet-Community diskutiert.

Wir werden auf dem Weg in die Wissens- und Infor-
mationsgesellschaft darauf achten, dass es nicht zu einer
von manchen befürchteten Spaltung unserer Gesellschaft
in Vernetzte und Unvernetzte oder in User und Loser
kommt; denn der Zugang zu und die Beherrschung der
neuen Medien entscheidet mehr und mehr über die Chan-
cen im Erwerbsleben und über gesellschaftliche Teilhabe.

Teilhabe an den Chancen ist deshalb der rote Faden
unserer Politik, ob beim Anschluss aller Schulen – die
15 Prozent im Jahr 1998 wurden in der vorangegangenen
Debatte mehrfach erwähnt –, bei der Ausstattung der
Bibliotheken oder bei der Integration in Schulunterricht
und Weiterbildung, der Netzanbindung aller Hochschulen
mit Hochgeschwindigkeitszugängen und bei gezielten
Förderprogrammen für Seniorinnen und Senioren, für Be-
hinderte oder für Kinder im Rahmen der Kampagne
„Internet für alle“.

Vor uns liegen faszinierende Möglichkeiten. Denken
Sie an die Telematik, das Gesundheitswesen oder den




Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer

22255


(C)



(D)



(A)



(B)


Bildungssektor. Wer die Chancen sieht, wird auch die Ri-
siken beherrschen und die Herausforderungen bestehen.
Eine Herausforderung liegt darin, die besten Köpfe zu ge-
winnen, ihre Ideen in Deutschland zu verwirklichen und
damit zukunftsträchtige Arbeitsplätze zu schaffen. Mit
der Greencard ist uns das schon sehr gut gelungen. Jeder
Inhaber einer Greencard hat im Schnitt zwei bis drei zu-
sätzliche Arbeitsplätze im Lande geschaffen.

Mit einer vernünftigen Steuerung von Zuwanderung
lassen sich also Wachstumspotenziale erschließen. Man
kann aber auch wie die Union die Augen vor der Realität
verschließen. Dann, meine sehr geehrten Damen und Her-
ren von der Union, ist man irgendwann „world wide
weg“.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Wir werden auf dem Weg in die Wissens- und Infor-
mationsgesellschaft weiter vorangehen. Sie mögen dann
weiterhin beklagen, dass Sie nur die Schlusslichter sehen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1422412000
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Dr. Heinz Riesenhuber.


(Zuruf von der SPD: Aber nicht wieder weglaufen!)



Dr. Heinz Riesenhuber (CDU):
Rede ID: ID1422412100
Frau Präsiden-
tin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Bury,
Sie haben uns in einer eindrucksvollen Weise dargestellt,
wie glanzvoll die Bundesregierung in den vergangenen
drei Jahren gearbeitet hat


(Beifall bei der SPD – Zuruf von der SPD: Lob zur rechten Zeit tut gut!)


und wie trüb die Kohl-Ära gewesen ist.

(Zurufe von der SPD: Cholera! – Schwarze Koffer!)

Es ist schon eine faszinierende Debatte. Was ist in der

Kohl-Ära passiert? In dieser Ära ist Folgendes passiert:
Wir haben die Normen und Standards in Europa aufge-
baut, von denen heute unsere Überlegenheit in Bezug auf
das Mobilfunknetz und ISDN herrührt.


(Jörg Tauss [SPD]: Datenautobahn als Stichwort! – Hubertus Heil [SPD]: Kohl hat das Internet erfunden!)


Wir haben 26 Länder auf eine Schmalband-ISDN-
Norm gebracht. Wir haben GSM aufgebaut und damit
Mobilfunklizenzen erst möglich gemacht. Wir haben ein-
heitliche Infrastukturen in Europa geschaffen. Wir haben
den Telekommunikationsmarkt liberalisiert. Wir haben
die Märkte geöffnet.


(Beifall bei der CDU/CSU – Monika Griefahn [SPD]: Kupferkabel! – Jörg Tauss [SPD]: Sie waren in der Kupferzeit!)


Wir haben die Ausschreibung der Mobilfunklizenzen
durchgeführt. Dies alles ist der Ausgangspunkt, von dem
Sie leben.

Herr Bury, Sie sagen, Sie haben die Quote der Inter-
netanschlüsse in den Schulen von 15 auf 80 oder 90 Pro-
zent gebracht. Das ist großartig. Das Entscheidende war
aber, mit dieser Aktion überhaupt zu beginnen. Dass Sie
jetzt weiter sind – Gott sei Dank. Ein Zwerg auf den
Schultern des Riesen schaut weiter als dieser, sagte Sir
Isaac Newton.


(Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU)

Wir wünschen Ihnen weiterhin einen glanzvollen Weit-
blick, der uns alle beglücken wird.


(Jörg Tauss [SPD]: Den haben wir ja!)

Was in diesen Jahren geschehen ist, ist beglückend.

Wenn ich allerdings Ihre Pressemeldungen lese, gibt es
schon Momente der Nachdenklichkeit. Das eine ist, dass
Sie so tun, als ob die Bundesregierung in Weisheit und
Güte gehandelt hätte.


(Jörg Tauss [SPD]: Sprechen Sie mal wieder zu uns! – Dr. Reinhard Loske [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Der Souverän sitzt hier! – Hubertus Heil [SPD]: Wir sind das Publikum!)


Das ist aber ein Missverständnis. Das Gute ist, dass diese
Technik aus den Märkten, den Unternehmen und der Wis-
senschaft kommt und nichts ist, was der Staat in seiner
Weisheit und Güte zu organisieren hätte. Was die Wirt-
schaft vom Staat verlangt, sind faire Wettbewerbsbedin-
gungen in den Märkten, der Schutz des geistigen Eigen-
tums und die Integrität der Kontrakte. Alles, was sich an
Problemen abzeichnet, lässt sich unter diesen drei Prä-
missen aufführen. Der Staat erbringt dabei – ich kann das
nur wieder in Erinnerung rufen – eine gute Leistung dann,
wenn er nicht stört.

Was wir in diesen Jahren erreicht haben, haben Sie
hoch gepriesen. Wir haben in der Tat ein flächendecken-
des Telefonfestnetz, 40 Millionen Fernsehgeräte – wenn
man nur die angemeldeten Geräte rechnet –


(Heiterkeit bei der CDU/CSU)

und weit über 50 Millionen Handys. Die gesamte Infra-
struktur ist vorhanden. Dies alles ist erfreulich und ist et-
was, was wir Ihnen gern als Teil der Grundlage, auf der
Sie fortfahren können, hinterlassen haben.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Über Ihre Pressemeldung schreiben Sie als Überschrift:

„Deutschland jetzt Spitze in der Informationsgesellschaft“.

(Zuruf von der SPD: So ist es!)


Wenn man so etwas schreibt, muss man sich überlegen, ob
das nicht eine große Versuchung bedeutet, sich auf dem
auszuruhen, was man hat.

Es ist auch reizvoll, andere Meinungen zu lesen. Herr
Eierhoff ist Vorstand von Bertelsmann. In einer anderen
Eigenschaft ist er Vorsitzender der Kommission für Tele-
kommunikation und Multimedia des BDI. Eine ganze
Reihe von klugen Leuten ist in dieser Kommison. Was sa-




Staatsminister Hans Martin Bury
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(D)



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(B)


gen sie zu der Frage: Deutschland ist Spitze. Der Anteil
der Internetnutzer beträgt in den USA und in Skandina-
vien über 55 Prozent,


(Andrea Fischer [Berlin] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dafür haben die Amis kein SMS!)


in Großbritannien und in den Niederlanden mehr als
45 Prozent, in Deutschland 37 Prozent.


(Hubertus Heil [SPD]: Immerhin!)

Das ist nicht ausgesprochen Spitze, aber immerhin. Bei
den Pro-Kopf-Ausgaben für Information und Telekommu-
nikation liegen hinter uns also nur noch Irland, Spanien,
Portugal und Griechenland.

Die Internetangebote des Staates sind eine interessante
Sache. Sie sprachen von Ihren glanzvollen Leistungen im
E-Government. In den Internetangeboten liegen nach ei-
ner Untersuchung – ich meine, sie stammt von Accen-
ture – nur Belgien und Italien hinter uns in Europa. So
glanzvoll scheint die Leitfunktion des Staates hier nicht zu
sein.

Wenn Sie so tun, als hätten Sie alles erreicht, dann ha-
ben wir die Befürchtung, dass sich die Bundesregierung
entspannt zurücklehnt. Ich sage nur: Wer sich auf seinen
Lorbeeren ausruht und sich auf sie setzt, trägt sie am
falschen Körperteil.


(Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU)

Insofern ist das, was wir hier vortragen, keine unfreund-
liche Kritik an dem, was Sie tun. Wir geben vielmehr ei-
nen brüderlichen Rat, ganz im Sinne der „admonitio
fraterna“, von der Luther spricht, um den Irrenden auf den
rechten Weg zu geleiten.

Der BDI hat Wünsche angemeldet. Natürlich ist die
Nutzung des Internets an den Schulen eine prächtige Sa-
che. Es wird sicherlich ein Problem sein, die Infrastruktur
auch in Zukunft auf dem neuesten Stand zu halten. Ent-
scheidend ist aber die Frage, wie die Lehrer mit den
neuen Technologien umgehen.


(Jörg Tauss [SPD]: Richtig!)

In Deutschland sind 63 Prozent der Lehrer nicht im Um-
gang mit Computern und Internet ausgebildet. Nur
29 Prozent der Lehrer in Deutschland nutzen Computer
und Internet im Unterricht. Im EG-Durchschnitt sind es
aber 36 Prozent. Nur noch in Spanien, Portugal und Grie-
chenland setzen die Lehrer die neuen Technologien im
Unterricht seltener ein als in Deutschland. Alle anderen
Länder liegen beim Einsatz von Computern und Internet
im Unterricht vor uns. Ich sage das nicht, um Sie zu är-
gern, Herr Bury. Auch ich möchte lieber einen glückli-
chen Staatsminister sehen. Ich sage Ihnen das nur, damit
Sie wissen, dass hier noch etwas getan werden muss.


(Heiterkeit bei der CDU/CSU – Monika Griefahn [SPD]: Wir haben ja erst vor drei Jahren angefangen! Er hat Vorarbeiten geleistet!)


– Er hat schon drei Viertel der Regierungszeit überstan-
den. Ich bin sicher, dass er auch noch das letzte Viertel

überstehen wird. Dann werden wir wieder die Sache mit
Ruhe und Gelassenheit auf den Weg bringen.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Wir möchten auf eine Reihe von Fragen weiter-

führende Antworten haben. Das Problem der Vereinheit-
lichung der Mehrwertsteuersätze in Europa ist ordent-
lich gelöst worden. Aber nun muss auch die OECD ein
Konzept entwickeln, das verhindert, dass die Unterneh-
men in Nicht-EG-Staaten abwandern, um die dortigen
Vorteile zu nutzen, und dann den Firmen im EG-Markt
Konkurrenz machen.

Ich würde gerne wissen, ob die Bundesregierung daran
denkt, Rundfunkgebühren auf multimediafähigen PCs zu
erheben.


(Jörg Tauss [SPD]: Schon geregelt!)

Das ist keine leicht zu beantwortende Frage. Sie wollen
des Weiteren den elektronischen Gesundheitspass ein-
führen.


(Monika Griefahn [SPD]: Schauen Sie doch mal in die aktuellen Seiten im Internet!)


Ich kann dazu nur feststellen: Hier gibt es bisher keine
großen Fortschritte, auch nicht in der Frage des Daten-
schutzes. Sie sprechen von der elektronischen Signatur.
Dies ist in der Tat eine wichtige Sache. Wir haben schon
damals – ich freue mich über Ihren Beifall – die elektro-
nische Signatur eingeführt, als sie nur noch in Utah –
manche werden sicherlich wissen, dass dies ein Bundes-
staat in den USA ist – genutzt wurde.


(Hubertus Heil [SPD]: Aber wir haben es modernisiert!)


Es ist aber jetzt entscheidend, dass die elektronische Sig-
natur in der Praxis so eingesetzt wird, dass sie in allen Ge-
schäften so einfach wie eine handschriftliche Unterschrift
genutzt werden kann. Wir haben zweifellos eine ganze
Menge erreicht. Das ist erfreulich. Aber es gibt eine Fülle
von einzelnen Fragen, die noch beantwortet werden müs-
sen.

Ich sehe am Blinken des roten Lichts auf meinem Pult,
dass mich die Präsidentin ermahnt, zum Schluss zu kom-
men.

In der Pressemeldung der Bundesregierung, die sicher-
lich lehrreich ist, ist zu lesen:

Erstmals hat die Bundesregierung konkrete und
messbare Ziele zur Gestaltung des Wegs in die In-
formationsgesellschaft gesetzt.

Wenn man weiterliest und versucht herauszufinden,
welche konkreten Maßnahmen in der Zukunft geplant
sind, dann stellt man fest, dass sich ein Viertel des Textes
nur mit Perspektiven beschäftigt. Man findet so gut wie
keine einzige Zahl. Es ist lediglich zu lesen, dass bis 2005
der Anteil der Internetnutzer auf 70 Prozent gesteigert
werden soll. Das ist zwar erfreulich. Aber das entspricht
lediglich den gängigen Prognosen. Man erfährt in der
Pressemitteilung der Bundesregierung des Weiteren, dass
es den ehrgeizigen Plan gibt, den Anteil der mittelständi-
schen Betriebe, in denen das Internet rundum genutzt




Dr. Heinz Riesenhuber

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wird, von 15 Prozent auf 20 Prozent zu steigern. Auch das
entspricht lediglich der gängigen Prognose. Im Übrigen
ist das nichts, was der Bundesregierung anheim gegeben
wäre. Ich stelle also fest: Die „Perspektiven“ des Berichts
enthalten keine konkreten Zahlen und Ziele. Dann sollten
Sie aber auch nicht so tun, als ob Sie die Gestalter der IT-
Welt wären. Sie sind es mitnichten. Wenn Sie es aber
schon nicht sind, dann sollten Sie wenigstens die Ent-
wicklung des IT-Bereichs nicht behindern.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Das, was jetzt läuft, kann nicht planifikatorisch erfasst wer-
den. Insofern ist es weise, dass Sie keine konkreten Zahlen
nennen. Aber dann sollten Sie nicht ankündigen, dass Sie
sich „konkrete und messbare Ziele“ gesetzt hätten.

Das, was jetzt heranwächst, ist die Wissensgesell-
schaft. Dies bedeutet nicht nur das Zusammenwachsen
von Computer, Telefon und Fernsehen. Nein, in einer sol-
chen Gesellschaft wächst das Wissen. Sie erwächst aus
Wissen. Eine solche Gesellschaft versteht es, mit Wissen
verantwortlich umzugehen und Zukunft zu gestalten,
ohne dabei Rohstoffe zu verbrauchen. Dies zu stützen,
Dynamik und Unternehmungsgeist freizusetzen, dem
Einzelnen die Lust daran zu geben, Zukunft zu gestalten,
die neuen Märkte nicht mit Fragen der Fondsbesteuerung,
über die wir, Frau Staatssekretärin, herzliche Gespräche
führen, zu bedrängen, die Leute nicht mit Vorschriften für
die Business Angels zu entmutigen, sondern Dynamik zu
begründen und zu erweitern, Schwung und Lebensfreude
der Unternehmer zu erreichen, das ist eine der hohen Auf-
gaben der Bundesregierung. Ich bin zuversichtlich, dass
Sie die nächsten Monate, die Sie das Land noch regieren,
in diesem Geist für unsere gemeinsame Zukunft in diesem
schönen Land konstruktiv nutzen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Jörg Tauss [SPD]: Pfeifen im Walde!)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1422412200
Das Wort hat
jetzt die Staatssekretärin Margareta Wolf.

M
Margareta Wolf-Mayer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1422412300
Frau Präsiden-
tin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr
Riesenhuber, es ist durchaus legitim, glaube ich, dass wir
uns glanzvoll darstellen. Wir freuen uns selbstverständ-
lich darüber, dass Sie die Ergebnisse unserer Politik
durchaus als positiv dargestellt haben.

Vielleicht wissen Sie, dass ich eine Anhängerin von
Gelassenheit bin, verehrter Herr Kollege, aber ich habe
doch den Eindruck – dabei will ich gar nicht großartig den
Blick zurück wagen –, dass man vor vier oder fünf Jahren
mehr hätte tun können, was die Präsentation der Bundes-
regierung im Internet angeht. Gegen Ende der letzten Le-
gislaturperiode habe ich irgendwo einmal gelesen – daran
kann ich mich noch erinnern –, dass das Rüttgers-Minis-
terium einen Internetauftritt hat. Daraufhin habe ich das
Internet auf alle Ministerien hin durchgeguckt. Kein Mi-
nisterium hatte einen Internetauftritt. Das Rüttgers-Mi-
nisterium hatte auch noch keinen, weil das noch nicht frei-
geschaltet war. Wir haben jetzt Open Source in allen

Ministerien. Das ist durchaus ein Erfolg, denke ich, der
sich sehen lassen kann.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Die Zahlen sprechen eine deutliche Sprache. Wir haben
den großen Sprung vom Mittelfeld in die Spitzengruppe
geschafft und davon haben wir alle etwas.

Herr Riesenhuber, weil Sie in unserem Fortschrittsbe-
richt Zahlen vermisst haben, möchte ich Sie jetzt mit ei-
nigen Zahlen behelligen. Die Zahl der Internetnutzerin-
nen und -nutzer hat sich von Ende des Jahres 1998 bis
heute verdoppelt. Inzwischen sind fast die Hälfte der In-
ternetnutzer Frauen. Die Zahl der Mobilfunknutzerinnen
und -nutzer ist erheblich gestiegen und liegt heute mit
56 Millionen über der Zahl der Festnetzanschlüsse. Die
IuK-Branche ist – das ist gemeinsame Meinung in diesem
Haus – die Wachstumsbranche unserer Wirtschaft mit
800 000 neuen Arbeitsplätzen.

Ich fände es schon schön, wenn einmal konzediert
würde, dass das Aktionsprogramm „Innovation und
Arbeitsplätze in der Informationsgesellschaft des 21. Jahr-
hunderts“ – so etwas hat es vorher noch nicht gegeben –,
das von meinem Haus erarbeitet worden ist, die Grundlage
für diesen Erfolg geschaffen hat. Lassen Sie mich dazu ei-
nige Schwerpunkte hervorheben:

Wir haben durch gezielte Informations-, Demonstrati-
ons- und Aufklärungskampagnen im Rahmen der Initia-
tive „Internet für alle“ Bevölkerungsgruppen angespro-
chen, die mit diesem Medium vorher überhaupt noch
nicht in Berührung gekommen waren. Es waren vor allem
Seniorinnen und Senioren, aber auch Frauen, die durch
diese Demonstrationskampagnen für das Internet begeis-
tert werden konnten.

Wir haben den Mittelstand davon in Kenntnis gesetzt,
was dieses Medium für ihn bedeuten kann. Das haben wir
durch 24 regionale Kompetenzzentren gemacht. Mit dem
Handwerk zusammen haben wir ein Internetportal aufge-
baut. Ich bin froh und glücklich darüber, dass heute mehr
als zwei Drittel der deutschen Betriebe mit einer eigenen
Website im Internet präsent sind. Jeder zweite Betrieb
nutzt das Internet heute für Onlinebeschaffung – auch das
ist, glaube ich, ein Resultat der intensiven Kampagne, die
wir in Sachen E-Commerce durchgeführt haben –; das ist
ein Wettbewerbsfaktor, der die kleinen und mittleren Un-
ternehmen zukunftsfähig macht.

Das Gesetz zum elektronischen Geschäftsverkehr und
das Gesetz zur digitalen Signatur sind angesprochen wor-
den. Das sind ganz wichtige Gesetze, gerade auch unter
datenschutz- und verbraucherschutzrechtlichen Gesichts-
punkten. Wir haben damit die Sicherheit im Netz erheb-
lich ausgebaut und somit auch die Akzeptanz dieses Me-
diums erhöht.

Wir haben Gründerwettbewerbe und Internetpreise
ausgeschrieben. Ich glaube, das waren für neue Arbeits-
plätze, für Unternehmensgründungen und für Innovatio-
nen in diesem Bereich durchaus wichtige Motoren.
10 000 qualifizierte Arbeitsplätze wurden geschaffen. Ge-
rade in der letzten Zeit haben wir vermehrt Frauen mit die-




Dr. Heinz Riesenhuber
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(D)



(A)



(B)


sen Preisen ausgezeichnet. Wir werden dies hoffentlich
auch weiterhin tun. Selbstverständlich konnten wir das al-
les nur durch die intensive Zusammenarbeit mit der Wirt-
schaft erreichen. In der Initiative D21 – Herr Bury hat es
angesprochen – wurde ein ganz wichtiger Rahmen für die
entscheidenden Schritte gesetzt.

Ich habe mich vorhin über die Einlassungen von Herrn
Hauser, was die Verzahnung zwischen Greencard und Zu-
wanderungsgesetz angeht, ziemlich geärgert. Wir sollten
zur Kenntnis nehmen, dass 80 Prozent der Greencard für
kleine und mittlere Unternehmen infrage kommen. Jetzt
zu sagen, die Greencard sei nicht angenommen worden,
weil die infrage kommenden Personen zu teuer seien,
führte zu einer Stimmung, die wir in unserem Land nicht
zulassen sollten. Ich möchte Sie wirklich auffordern, die-
ses Thema nicht zum Wahlkampfthema zu machen.


(Jörg Tauss [SPD]: Der Stoiber hat es ja schon zurückgenommen!)


– Ja, aber man weiß nicht, was morgen wieder kommt.

(Jörg Tauss [SPD]: Das ist wahr!)


Diese Kakophonie ist wirklich allgegenwärtig.
Ich möchte jetzt auf den Fortschrittsbericht zu spre-

chen kommen. Weil wir natürlich nicht stehen bleiben,
sondern weitergehen, und weil wir wissen, dass sich die
Entwicklung immer mehr beschleunigt, haben wir uns
neue, konkrete Ziele gesetzt: Die Internetnutzerquote
soll – das wurde schon angesprochen – bis 2005 auf
70 Prozent steigen. Unser Ziel ist auch, dass sich breit-
bandige Internetanschlüsse bis 2005 als dominierende
Zugangstechnologie etablieren. Ein weiteres Ziel ist es,
den Anteil der mittelständischen Unternehmen mit um-
fassenden E-Business-Strategien von heute 12 Prozent
auf 20 Prozent im Jahre 2005 zu steigern. Das BMI hat die
E-Government-Initiative BundOnline 2005 auf den Weg
gebracht, durch die bis 2005 über 350 Dienstleistungen
der Bundesverwaltung online bereitgestellt werden sol-
len. Das spart nicht nur Kosten, sondern es ist auch bür-
gerfreundlich und ein Beitrag zum Bürokratieabbau.

Lassen Sie mich aus Sicht des Bundeswirtschaftsminis-
teriums einige künftige politische Schwerpunkte nennen,
mit denen wir die Informationsgesellschaft voranbringen
wollen:

Erstens. Die zentrale Voraussetzung für die Weiterent-
wicklung der Informationsgesellschaft ist die Verfügbar-
keit von komplexen multimedialen Anwendungen. Für
die Bundesregierung hat deshalb der Ausbau der Infra-
struktur für Breitbandkommunikation hohe Priorität. Wir
werden unsere marktöffnende Telekommunikations- und
Wettbewerbspolitik fortsetzen.

Zweitens. Wir werden den Übergang zum mobilen In-
ternet sowie die Konvergenz von Informations- und
Kommunikationstechnik und neuen Medien zielgerichtet
fördern.

Drittens. Die Bundesregierung will die Chancen für
E-Government und E-Democracy nutzen, und zwar nicht
nur im Rahmen der bereits genannten Initiative „BundOn-
line 2005“, sondern auch – das ist sehr wichtig – auf kom-

munaler Ebene. Dort arbeiten wir mit dem Deutschen
Städte- und Gemeindebund und mit dem Deutschen Land-
kreistag zusammen. Es gibt in den Kommunen – ich ver-
weise auf die E-Mail-Adresse MEDIA@Komm – bereits
sehr erfolgreiche Projekte. Das sind alles Projekte, die zu
einer bürgernahen Verwaltung und zu einem vermehrten
Abbau von Bürokratie führen. Von daher weisen sie, wie
ich finde, in die richtige Richtung.

Viertens. Im Bereich der IT-Sicherheit kommt es da-
rauf an, den flächendeckenden Einsatz der digitalen Sig-
natur voranzutreiben und den Mittelstand von dem ent-
scheidenden Wettbewerbsfaktor IT-Sicherheit noch mehr
zu überzeugen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Auf europäischer Ebene werden wir die Schwerpunkte
unserer IT-Politik aktiv in den neuen Aktionsplan
„eEurope 2005“ einbringen. Die Bekämpfung der digitalen
Spaltung zwischen armen und reichen Ländern wird damit
– das ist wichtig – wirklich zum politischen Schwerpunkt.
Wir werden uns in diesem Sinne in den einschlägigen Gre-
mien der G 8 und der Vereinten Nationen engagieren.

Lassen Sie mich abschließend noch auf die Cebit hin-
weisen. Die dort vertretenen 8 000 Unternehmen aus aller
Welt illustrieren auf beeindruckende Weise – das sollte
uns alle herzlich begeistern, Herr Kollege Riesenhuber –
das Entwicklungstempo in dieser Branche und die Vielfalt
der Informationsgesellschaft. Das große Interesse an der
Cebit verdeutlicht die enormen ökonomischen Chancen,
die in der IuK-Technologie gerade für unsere Volkswirt-
schaft liegen. Ich hoffe, dass wir weiter an diesem Ziel ar-
beiten.

Herr Riesenhuber, ich empfehle Ihnen dringend die
Lektüre des Berichtes. Er ist gerade aus der Druckerei ge-
kommen und ich schicke ihn Ihnen noch heute zu.


(Dagmar Wöhrl [CDU/CSU]: Nicht vergessen!)


– Nein.
Danke schön.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1422412400
Ich möchte eine
kurze Ermahnung loswerden: Wenn in einer Debatte drei
Mitglieder der Bundesregierung reden und alle ihre Re-
dezeit überziehen, wird es wirklich schwierig. Ich bin
nach der Geschäftsordnung gehalten, Sie nicht zu stop-
pen, aber ich bitte darum, das bei den nächsten Reden
doch zu bedenken.

Wir sind gerade informiert worden, dass wir eine Ab-
stimmung dazwischenschieben. Ich unterbreche deshalb
jetzt die Debatte zu diesem Tagesordnungspunkt.

Die heutige Tagesordnung soll um die Beratung einer
weiteren Beschlussempfehlung des Ausschusses für Wahl-
prüfung, Immunität und Geschäftsordnung auf Genehmi-
gung zum Vollzug eines gerichtlichen Durchsuchungs-




Parl. Staatssekretärin Margareta Wolf

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und Beschlagnahmebeschlusses erweitert werden. Es han-
delt sich um eine Ergänzung zu der bereits heute Morgen
beschlossenen Angelegenheit. Erhebt sich dagegen Wider-
spruch? – Das ist nicht der Fall. Dann ist so beschlossen.

Ich rufe somit Zusatzpunkt 17 auf:
Beratung der Beschlussempfehlung des Ausschus-
ses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäfts-
ordnung (1. Ausschuss)

Antrag auf Genehmigung zum Vollzug gericht-
licher Durchsuchungs- und Beschlagnahme-
beschlüsse
– Drucksache 14/8550 –

Wir kommen sofort zu Abstimmung. Wer stimmt für
diese Beschlussempfehlung? – Gegenprobe! – Enthaltun-
gen? – Die Beschlussempfehlung ist einstimmig, mit den
Stimmen des ganzen Hauses, angenommen worden.

Jetzt machen wir in der Debatte zum Tagesordnungs-
punkt 7 weiter. Das Wort hat der Abgeordnete Rainer
Funke.


Rainer Funke (FDP):
Rede ID: ID1422412500
Frau Präsidentin! Meine Da-
men und Herren! Der vorliegende Fortschrittsbericht der
Bundesregierung zu Innovationen und Arbeitsplätzen in
der Informationsgesellschaft ist in meinen Augen ein gu-
ter Sachstandsbericht und eine gute Grundlage für die
weiteren politischen Diskussionen


(Beifall bei der SPD)

und für die Weiterentwicklung unserer Informationsge-
sellschaft. Man soll auch einmal die Wahrheit sagen.


(Beifall bei der SPD – Jörg Tauss [SPD]: Daran hat es in der letzten Debatte gemangelt!)


Meine Damen und Herren, auch wenn die Börse zur-
zeit die Werte des Neuen Marktes und insbesondere die
New-Economy-Werte abstraft und sich bei vielen Unter-
nehmen dieser Branche früher vorhandene Blütenträume
nicht realisieren lassen, wage ich die Prognose, dass die
New Economy erst am Anfang einer grandiosen wirt-
schaftlichen Entwicklung steht. Da ist es nur natürlich,
dass sich gerade in der Anfangsphase solch umwälzender
wirtschaftlicher und technologischer Entwicklungen die
Spreu vom Weizen trennt. Langfristig wird sich die IT-Re-
volution, also die Verknüpfung von Computereinsatz und
Netzwerkstrukturen, durchsetzen und einen hohen Anteil
an der Steigerung unseres Bruttosozialprodukts haben,


(Beifall bei der FDP)

weil die damit verbundenen Innovationen zu höherem
gesamtwirtschaftlichem Wachstum führen. Die Steige-
rung der Produktivität wird auch international zur Ver-
besserung unserer Wettbewerbsfähigkeit führen.


(Beifall bei der FDP)

Noch nie konnten wir in solch einem Umfang wie

heute Information in Wissen transformieren. Aufgabe der
Politik wird es sein, diese Entwicklung zu einer umfas-
senden Informationsgesellschaft zu begleiten und zu un-

terstützen. Vieles ist in der Vergangenheit – häufig, Herr
Tauss, Gott sei Dank auch partei- und fraktionsübergrei-
fend – beschlossen worden. So haben Sie zum Beispiel
beim Telekommunikationsgesetz mitgewirkt. Das ist eine
Entwicklung, die durchaus positiv zu beurteilen ist.

Wir sollten auch in Zukunft durch Wettbewerb im
Telekommunikationssektor für Innovation und preis-
werte Angebote, zum Beispiel im Internet, sorgen. Das
Telekommunikationsgesetz ist dabei eine gute Grundlage.
Die Politik und insbesondere das Bundesministerium für
Wirtschaft – das ist gerade in enge Gespräche eingebun-
den; es wäre doch ganz nett, wenn Sie zuhören und die
Diskussion begleiten würden –, das eine gewisse Verant-
wortung auch für die Regulierungsbehörde trägt, sorgen
eben zurzeit nicht dafür, dass private Anbieter und Tele-
kom gleiche Startchancen haben.


(Beifall bei der FDP)

Natürlich will ein Ex-Monopolist seine wirtschaftlich
starke Position am Markt nutzen. Dafür hat jeder Ver-
ständnis. Aufgabe der Regulierungsbehörde ist es jedoch,
für fairen Wettbewerb zu sorgen. Dazu sollte auch das
Wirtschaftsministerium beitragen; denn es hat die Fach-
aufsicht über diese Regulierungsbehörde.


(Jörg van Essen [FDP]: Genau das ist die Aufgabe!)


Vermisst habe ich in dem an und für sich guten Bericht
der Bundesregierung jedoch eine Antwort auf die Frage,
wie gerade der Wettbewerb durch die Förderung von jun-
gen innovativen Unternehmen gestärkt werden könnte,
zum Beispiel durch Zurverfügungstellung von Venture
Capital, und zwar nicht nur von staatlichen Institutionen
wie der KfW, sondern auch von privaten Gesellschaften.

Genauso wichtig sind die rechtlichen Rahmenbedin-
gungen im Urheberrecht. Die EU-Richtlinie zur Harmo-
nisierung des Urheberrechts in der Informationsgesell-
schaft gibt den Rahmen vor, wie ein Schutz von Werken
und eine angemessene Vergütung bei Werknutzung auch im
digitalen Umfeld gewährleistet werden können. Diese
Richtlinie muss zügig umgesetzt werden. Von besonderer
Bedeutung ist die zukünftige Regelung des Rechts der pri-
vaten Vervielfältigung urheberrechtlich geschützter Werke.


(Beifall bei der FDP)

Wir haben uns ausdrücklich für die Förderung von DRM-
Systemen ausgesprochen.

Obwohl die Bundesregierung immer wieder betont,
welche Bedeutung sie der Informationstechnik beimisst,
hat sie den von ihr seit langem angekündigten Entwurf zur
Umsetzung der EU-Richtlinie, die ich gerade erwähnt
habe, bis heute nicht vorgelegt. Interessanterweise ist auch
kein Vertreter des Bundesjustizministeriums heute anwe-
send; das scheint es nicht übermäßig zu interessieren.


(Hubertus Heil [SPD]: Die arbeiten gerade daran, Herr Kollege!)


– Das hoffe ich sehr. Vielen Dank für diese Vorlage, Herr
Heil. – Während sich alle Beteiligten einig sind, dass es
sich bei dieser Reform des Urheberrechtsgesetzes um ein
für die Urheber und die IT-Wirtschaft gleichermaßen zen-




Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer
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trales Thema handelt, verhindert die Bundesregierung auf
diese Weise die notwendige Diskussion


(Hubertus Heil [SPD]: Eins nach dem anderen!)


und hemmt durch ihre Untätigkeit die Etablierung von
Systemen zu digitalem Rechtemanagement. Das können
Sie nicht bestreiten, Herr Tauss.


(Beifall bei der FDP – Jörg Tauss [SPD]: Das ist völlig falsch!)


Alles in allem kann man sagen, dass wir gerade auf dem
Gebiet der Informations- und Kommunikationstechnologie
am Anfang einer rasanten Entwicklung stehen. Aufgabe der
Politik ist es, die rechtlichen Rahmenbedingungen zur Ver-
fügung zu stellen, damit diese Kommunikationstechnolo-
gie nicht durch zu große Regulierung behindert, sondern
gefördert wird. Wir sollten davon Abstand nehmen, diese
Märkte immer nur zu regulieren.


(Jörg van Essen [FDP]: Sehr richtig!)

Wir sollten nur das tun, was unbedingt notwendig ist,
denn gerade auf diesem Gebiet gilt, dass Freiheit und
Deregulierung für Innovation sorgen.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der FDP)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1422412600
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Wolfgang Bierstedt.


Wolfgang Bierstedt (PDS):
Rede ID: ID1422412700
Sehr geehrte Frau Präsi-
dentin! Meine Damen und Herren! Man hatte die Absicht
anzukündigen, dass ich hier meine erste Rede halte. Das
stimmt für diesen Deutschen Bundestag, ich hatte aller-
dings schon Gelegenheit, mich im letzten Deutschen Bun-
destag zu äußern. Aus diesem Grunde muss ich auf diese
Ehre verzichten.


(Jörg Tauss [SPD]: Jedem Anfang wohnt ein neuer Zauber inne!)


Gestatten Sie mir zu Beginn eine kurze Bemerkung,
Frau Staatssekretärin Wolf. Sie haben vorhin in Ihren Aus-
führungen darauf verwiesen, dass der Mittelstand generell
von der IT-Sicherheit überzeugt werden müsste. Ich glau-
be, da kommt ein etwas falscher Zungenschlag in die De-
batte. Wir sollten dafür Sorge tragen, dass gerade der Mit-
telstand an der IT-Sicherheit kostengünstig partizipieren
kann. Diesen Ansatz sollten wir gemeinsam wählen. Es ist
mir wichtig, das einzufügen.

Ich kann der positiven Tendenz in der vorliegenden
Unterrichtung durch die Bundesregierung zustimmen.
Seit dem Regierungswechsel gab es in diesem Politikfeld
tatsächlich einen auch außerhalb des Parlamentes wahr-
nehmbaren Fortschritt zu verzeichnen.


(Beifall des Abg. Hubertus Heil [SPD])

Gestatten Sie mir diese Bemerkung trotz meiner erst seit
drei Wochen wieder bestehenden Zugehörigkeit zu die-
sem Hohen Hause.


(Jörg Tauss [SPD]: Sie wissen ja von der Enquete-Kommission her, wie es damals war!)


– Genauso ist es, Herr Kollege Tauss, Jörg. – Nach Jahren
einer mehrheitlichen Fokussierung auf die reine Technik-
ausstattung bleibt zu hoffen, dass Sie, meine Damen und
Herren von der Koalition – auch du, Jörg –, Ihre Zuwen-
dung zu den mehr inhaltlichen Themenkreisen und Lö-
sungsansätzen auch finanziell weiterhin umsetzen können
und dass Sie im Diskurs mit den in diesem Sinne positiv
Betroffenen bleiben.

Ihre Bilanz wäre zumindest aus meiner Sicht deutlich
besser ausgefallen,


(Hubertus Heil [SPD]: Noch besser?)

wenn Sie neben den in der Wirtschaft geschaffenen Ar-
beitsplätzen auch noch darauf hätten verweisen können,
dass Sie mit den Ländern und Kommunen Mittel und
Wege gefunden hätten, wie man zum Beispiel die vielen
ABM-Stellen oder auch das ehrenamtliche Engagement
im außerschulischen Bereich – ich meine in den Compu-
terkabinetten oder in den Internetcafés – in ordentlich do-
tierte und feste Arbeitsplätze umwandeln kann. Wenn wir
uns wirklich auf dem Weg in die Informationsgesellschaft
befinden – was auch immer dies heißen mag –, dann
gehört doch wohl auch dieser Bereich unverzichtbar und
gleichberechtigt dazu. Wertevermittlung im fakultativen
Bereich, das Lehren und Lernen, mit Daten und Inhalten
umzugehen, muss institutionalisiert werden.

Ich möchte mich noch kurz zu dem Bereich E-Govern-
ment in Ihrer Unterrichtung äußern: Lobenswerte An-
sätze und Ergebnisse sind allemal vorhanden. Aber die
mehrheitliche Kommunikation der öffentlichen Verwal-
tung mit dem Bürger und der Bürgerin, mit der Wirtschaft
und innerhalb der Verwaltungen oder die Kommunikation
mit der örtlichen Legislative findet doch wohl unterhalb
der Bundesebene statt. Dort ist das Geld bekanntlich
knapp. Jeder für die Selbstbefassung – in diesem Status
befinden sich immer noch viele Verwaltungen im Zuge
der Findung von E-Government-Lösungen – ausgegebene
Euro fehlt der Verwaltung für ihre eigentliche Dienstleis-
tungswahrnehmung.

Natürlich sollen und können E-Government-Lösungen
den Dienstleistungscharakter erhöhen und den Aufwand
der Selbstverwaltung minimieren. Dazu benötigen, wie
Modellprojekte zeigen, die Verwaltungen nicht unerheb-
liche Mittel im investiven Bereich. Darüber hinaus sind
sie mit ihrer derzeitigen personellen Ausstattung schlicht-
weg überfordert. Auch die Folgekosten für die erhöhten
Qualifikationsanforderungen und die Wissenserforder-
nisse sind schwerlich aufzubringen.

Noch eine Schlussbemerkung: E-Government-Lösun-
gen sind, strategisch eingesetzt, ein hervorragendes Navi-
gationsmittel in der Kommunikation mit der Verwaltung.
Allerdings ändern sie nichts am eigentlichen Grundübel
unserer Verwaltungsvielfalt. Mir wurde neulich vorge-
rechnet, dass ein privater Häuslebauer alles in allem mit
187 Gesetzen, Verordnungen und Vorschriften leben muss.
Er oder sie wird sich mittels E-Government-Lösungen si-
cherlich leichter zurechtfinden.


(Hubertus Heil [SPD]: Ihr fordert doch immer mehr Gesetze!)





Rainer Funke

22261


(C)



(D)



(A)



(B)


Ob er oder sie sich dabei glücklicher fühlt und ob es ins-
gesamt preiswerter wird, wage ich dennoch zu bezwei-
feln.

Ich bedanke mich.

(Beifall bei der PDS)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1422412800
Geübt ist geübt:
Sie haben Ihre Redezeit auf die Sekunde genau einge-
halten.

Das Wort hat als Nächstes der Abgeordnete Hubertus
Heil.


Hubertus Heil (SPD):
Rede ID: ID1422412900
Frau Präsidentin! Meine lieben
Kolleginnen und Kollegen! Herr Riesenhuber, ich habe
Ihnen sehr begeistert zugehört. Ihre rhetorischen Fähig-
keiten sind nicht zu schlagen. Aber beinahe hätten Sie ge-
sagt – Sie haben es wohl vergessen –, Helmut Kohl habe
das Internet erfunden.


(Dagmar Wöhrl [CDU/CSU]: Sie haben es auch nicht erfunden!)


Diesen Eindruck hatte ich, als Sie darauf hingewiesen ha-
ben, was alles Tolles Sie gemacht haben und dass wir das
fortsetzen würden. So ist es nicht, Herr Riesenhuber; auch
Sie wissen das. Bis 1998 hatten wir eine Administration,
die in diesem Bereich kaum ansprechbar war.


(Jörg Tauss [SPD]: Rohrpost gab es damals! Sonst nichts!)


Ich will nicht die Frage der Rohrpost bemühen oder noch
einmal darauf eingehen, dass der frühere Bundeskanzler
Kohl die Datenhighways eher dem Verkehrsministerium
zugeordnet hat. So war das doch, Herr Kollege. Sie waren
übrigens einer der wenigen, der sich in der früheren Re-
gierung tatsächlich darum bemüht hat, in diesem Bereich
ein Ansprechpartner zu sein.


(Jörg Tauss [SPD]: Er hat sich bemüht! Das ist wahr!)


Das möchte ich Ihnen gerne zugestehen.
Seit 1998 haben wir eine Bundesregierung, die in die-

sem Bereich so etwas wie einen Masterplan aufgestellt
hat. Das ist das Aktionsprogramm, dessen Zwischenbi-
lanz wir heute ziehen. Es gibt technische Innovationen,
die den Lauf der Weltgeschichte entscheidend verändert
haben. Die Erfindung des Buchdrucks, der Dampfma-
schine, des Telefons oder des Automobils – das muss ich
als Niedersachse, aus der Nähe von Wolfsburg kommend,
immer wieder feststellen – sind solche Innovationen.

Aber auch heute können wir feststellen, dass die neuen
Medien, speziell das Internet, eine Technologie sind, die
unsere Art zu leben, zu arbeiten und zu wirtschaften, mas-
siv verändert. Wir haben eine Bundesregierung, die die
Chancen und Aufgaben erkannt und genutzt hat, die wirt-
schaftlichen Potenziale, die diesem Bereich innewohnen,
für unser Land zu erschließen.

1999 haben wir das Programm „Innovationen und
Arbeitsplätze für die Informationsgesellschaft des
21. Jahrhunderts“ auf den Weg gebracht. Es umfasst klare
Zielvereinbarungen und konkrete Maßnahmen, die in en-

ger Abstimmung zwischen Politik und Wirtschaft, dem,
was man „Community“ nennt, umgesetzt worden sind.

In der heutigen Debatte ziehen wir Bilanz. Um es vor-
wegzunehmen: Ich glaube, dass der Begriff „Fortschritts-
bericht“, mit dem diese Bilanz übertitelt ist, sehr treffend
ist, da dieser Bericht eine Erfolgsstory beschreibt, die wir
seit 1998 in diesem Bereich geschrieben haben.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ich möchte die Erfolge im Einzelnen darstellen, weil
vorhin von Herrn Riesenhuber angemahnt wurde, konkret
den Zusammenhang herzustellen zwischen einer Ent-
wicklung, die sich Ihrer Meinung nach ganz automatisch
vollzieht, und den Maßnahmen, die wir durchgeführt ha-
ben und die sicherlich in vielen Bereich dazu geführt ha-
ben, dass Effekte, die schon vorhanden waren, verstärkt
wurden und so das Vorankommen befördert haben.

Der erste Erfolg ist, dass sich die Zahl der Internet-
nutzer in unserer Regierungszeit von 14 Millionen auf
über 30 Millionen verdoppelt hat. Natürlich, Herr
Riesenhuber, wäre eine Steigerung auch zu erwarten ge-
wesen, wenn wir nicht regiert hätten. Das will ich gar
nicht bestreiten. Es ist aber auch wichtig, in der Politik
den richtigen Hintergrund dafür zu schaffen: Die Kosten
sind gesunken. Das hängt damit zusammen – da sind wir
uns sicherlich einig –, dass wir eine wettbewerbsorien-
tierte Telekommunikationspolitik machen. Ebenso spielt
eine Rolle, dass wir für die Akzeptanz des Internets in die-
ser Gesellschaft werben. Das hat diese Bundesregierung
in einer vielfältigen Art und Weise getan.

Wir haben zweitens bis Herbst 2001 alle Schulen ans
Netz angeschlossen.


(Beifall der Abg. Monika Griefahn [SPD])

Auch das war eine Initiative, die mit der Politik dieser
Bundesregierung zusammenhängt. Ich sage hier, im Ge-
gensatz zu einigen anderen, nicht, wir hätten das Internet
erfunden. Das ist Quatsch. Aber ohne die Initiative des
Bundeskanzlers und der Bundesregierung, ohne die Zu-
sammenarbeit mit D21 wäre es nicht gelungen, alle Schu-
len ans Netz zu bringen. Auch das ist eine ganz erhebliche
Leistung.

Drittens hat sich die Zahl der Mobilfunknutzer seit
dem Jahr 2000 in Deutschland mehr als verdoppelt. In-
zwischen übersteigt die Zahl dieser Anschlüsse sogar
schon die Zahl der Festnetzanschlüsse.


Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1422413000
Herr Kollege,
gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen
Riesenhuber?


Hubertus Heil (SPD):
Rede ID: ID1422413100
Gerne doch.


Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1422413200
Bitte.


Dr. Heinz Riesenhuber (CDU):
Rede ID: ID1422413300
Die Frau Präsi-
dentin hatte sich einen Moment entspannt, deshalb muss
ich drei Sätze zurückgehen.




Wolfgang Bierstedt
22262


(C)



(D)



(A)



(B)



Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1422413400
Ich werde gleich
abgelöst.


Dr. Heinz Riesenhuber (CDU):
Rede ID: ID1422413500
Herr Kollege
Heil, würden Sie mir darin zustimmen, dass bei der Frage,
wie weit die Liberalisierung der Kommunikationsmärkte,
die Sie angesprochen haben, vorangeschritten ist, die
Liberalisierung der Ortsnetze eine entscheidende Rolle
spielt? Wie sehen Sie Ihre Möglichkeiten, die Bundesre-
gierung zu unterstützen, diese so zu liberalisieren, dass wir
auch dadurch konkurrenzfähige Internetangebote zu ent-
sprechend niedrigen Preisen bekommen, deren Senkung
um etwa 30 Prozent bis jetzt nur durch einige große Fir-
men erzwungen worden ist, während wir bei den Fernge-
sprächen eine Senkung von über 90 Prozent haben?


Hubertus Heil (SPD):
Rede ID: ID1422413600
Herr Kollege Riesenhuber, ich
erinnere daran, dass wir – nicht ich persönlich; damals
war ich noch nicht in diesem Haus – die Liberalisierung
im Deutschen Bundestag gemeinsam auf den Weg ge-
bracht haben. Der Kollege Bury, der jetzt Staatsminister
ist, war damals maßgeblich daran beteiligt, auch andere,
zum Beispiel Arne Börnsen. Ich erinnere daran, dass die
Regulierungsbehörde eine Institution ist, die sich um
Wettbewerb verdient gemacht hat. Ich weiß, dass wir im
Ortsnetzbereich eine Diskussion über die so genannte
Bottleneck-Problematik haben. Ich weiß aber auch, dass
es falsch wäre, wenn wir als Staat hier kräftig regulierend
eingreifen würden.


(Dr. Heinz Riesenhuber [CDU/CSU]: Deregulierend!)


– Nein, es geht um Regulierung, um Wettbewerb durch-
zusetzen. Das ist doch der Hintergrund Ihrer Frage. –
Dafür haben wir die Regulierungsbehörde, die in diesem
Bereich als unabhängige Behörde tätig ist


(Rainer Funke [FDP]: Na ja!)

und dafür sorgt, dass wir Schritt für Schritt vorankom-
men. Insofern glaube ich, dass wir auf einem guten Weg
sind. Wenn wir uns in der Analyse einig sind, dass wir in
diesem Bereich nur mit Wettbewerb vorankommen, dann
haben wir etwas gemeinsam. Ich glaube, dass wir die Er-
folge auf diesem Gebiet nicht kleiner reden sollten, als sie
sind.


(Beifall bei der SPD)

Tatsache ist doch, dass wir in diesem Bereich die Kosten

durch den Wettbewerb ganz kräftig gesenkt haben. Im Übri-
gen wurden auch im Ortsnetzbereich die Kosten gesenkt. Es
gibt technische Lösungen – das wissen Sie auch –, die die so
genannte Flaschenhalsproblematik im Ortsnetzbereich lö-
sen könnten. Ich nenne in diesem Zusammenhang die An-
wendung Wireless Local Loop.


(Rainer Funke [FDP]: Klappt alles nicht!)

Die technische Entwicklung schreitet voran. Dafür tun
wir eine ganze Menge.

Viertens möchte ich sagen, dass die Branche der In-
formations- und Kommunikationstechnologien – wir
führen hier eine wirtschaftspolitische Debatte – mit über

800 000 Beschäftigten und einem Anteil von 8 Prozent am
Bruttoinlandsprodukt mittlerweile zu einem der führen-
den Wirtschaftszweige in unserem Land geworden ist.


(V o r s i t z: Vizepräsident Dr. h. c. Rudolf Seiters)


Herr Kollege Riesenhuber, ich will Ihnen verdeutli-
chen, wieso die Bundesregierung und wir der Überzeu-
gung sind, dass die Aussage, dass Deutschland in Europa
eine Spitzenposition erreicht hat, nicht eine euphemisti-
sche Wendung ist, sondern einen realen Zahlenhinter-
grund hat. In Deutschland verzeichnet der elektronische
Handel einen Umsatz von 25 Milliarden Euro. Damit
steht unser Land auf Platz eins in Europa. Darauf können
wir ruhig einmal stolz sein.


(Beifall bei der SPD)

Im Übrigen sollten wir deutlich machen – Herr Kollege

Funke, ich bin Ihnen dankbar, dass Sie das angesprochen
haben –, dass wir das Gerede, wir würden von einem Ex-
trem der New Economy, nämlich von der absolut blinden
Euphorie von der Art eines Goldrausches vor anderthalb
Jahren, in das andere Extrem, nämlich die absolute Ver-
drossenheit in diesem Bereich, fallen, nicht zulassen dür-
fen. Die Cebit, die in diesen Tagen stattfindet, ist in dieser
Beziehung eine sehr erfolgreiche Veranstaltung, weil sie
deutlich macht, dass jetzt die Spreu vom Weizen getrennt
wird und dass Unternehmen, die wertschöpfend tätig sind,
nach vorne kommen. Der Branchenverband Bitkom hat
vorhergesagt, dass wir für das Jahr 2002 insgesamt damit
rechnen können, dass der Umsatz dieser Branche auf die
beträchtliche Summe von über 143Milliarden Euro steigt.
Auch das hat etwas damit zu tun, dass ein Rahmen gesetzt
wurde.

Lassen Sie mich die zentralen Maßnahmen nennen,
die wir auf den Weg gebracht haben, um den Ordnungs-
rahmen voranzubringen. Auch dazu haben Sie, Herr
Riesenhuber, vorhin zwar vieles erzählt, aber nicht in der
richtigen Reihenfolge. Richtig ist, dass Sie ein Signatur-
gesetz gemacht haben. Richtig ist aber auch, dass wir eine
Novelle des Gesetzes zur digitalen Signatur in dieser
Legislaturperiode auf den Weg gebracht und beschlossen
haben.


(Dr. Heinz Riesenhuber [CDU/CSU]: Aufgrund der europäischen Richtlinie!)


Damit haben wir erreicht, dass wir in Deutschland eine
Sicherheitsinfrastruktur haben, die dazu führen kann, dass
die elektronische Signatur zu einem vollständigen Ersatz
der handschriftlichen Unterschrift wird. Dass wir ge-
meinsam dafür werben und diese Möglichkeit populär
machen, ist gar keine Frage. Ich werbe auch dafür, den
Menschen klar zu machen, dass es diese einfache Mög-
lichkeit mit einem hohen Sicherheitspotenzial gibt.

Die zweite Maßnahme, die ich nennen möchte, ist das
E-Commerce-Gesetz, das wir im Bundestag verabschie-
det haben. In diesem Zusammenhang möchte ich Ihnen,
Frau Kollegin Wöhrl – Sie sprechen ja nach mir –, sagen,
dass wir das Rabattgesetz und die Zugabeverordnung ab-
geschafft haben.


(Beifall bei der SPD)







(C)



(D)



(A)



(B)


Damit haben wir auch für den Handel faire Wettbewerbs-
bedingungen geschaffen. Ich kann mich daran erinnern,
dass die Abstimmung ein bisschen chaotisch war. Die
CDU/CSU-Fraktion hat zum Teil dagegen gestimmt und
hat sich zum Teil enthalten. Sie wollten die Entwicklung
verzögern. Wir haben aber dieses Wettbewerbshindernis
tatsächlich beseitigt.

Ich will zum Schluss Folgendes deutlich machen:
Wettbewerbsorientierte Telekommunikationspolitik
muss eine Politik sein, in der der Staat – Stichwort „Bund
Online 2005“ – als Vorbild auftritt. Es handelt sich um
eine Politik, die dafür sorgt – das war Gegenstand der vor-
herigen Debatte –, dass wir in diesem Bereich die Quali-
fikation verbessern. Dass die Zahl der Ausbildungsplätze
kräftig gestiegen ist und dass sich die Zahl der Studenten
im IT-Bereich seit 1998 verdoppelt hat, sind Punkte, die
deutlich machen, dass wir in Deutschland auf einem guten
Weg sind.

Es ist, wie gesagt, eine Zwischenbilanz. Wir haben
Ziele bis zum Jahre 2005. Ich bin der festen Überzeugung,
dass es diese Bundesregierung ist, die im Jahre 2005
– Herr Kollege Riesenhuber, ich weiß nicht, ob Sie dann
dem Parlament noch angehören werden – einen entspre-
chenden Bericht vorlegen wird, der zeigt, wie erfolgreich
dieses Programm am Ende war.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD – Jörg Tauss [SPD]: Kollege Riesenhuber lädt uns 2005 zum Workshop ein!)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1422413700
Nun gebe
ich der Kollegin Dagmar Wöhrl das Wort für die
CDU/CSU-Fraktion.


Dagmar G. Wöhrl (CSU):
Rede ID: ID1422413800
Herr Präsident! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Wir leben im Zeitalter der
Kommunikationsrevolution. Wir wissen, dass sich die
neuen Kommunikationstechnologien so rasant wie nie zu-
vor entwickeln, dass das Internet die neue Basistechnologie
darstellt, dass eine breite Internetnutzung für die Wettbe-
werbsfähigkeit unserer Wirtschaft und für neue Arbeits-
plätze entscheidend ist und dass das Internet die Effizienz
der internationalen Arbeitsteilung in einem bisher nicht
gekannten Ausmaß steigert. Deutschland ist ein rohstoff-
armes Hochlohnland. Angesichts dessen dürfen wir natür-
lich nicht nachlassen, die Nutzung der Informationstech-
nologien, vor allem des Internets, zu fördern. In diesem
Punkt sind wir in diesem Hause sicherlich einer Meinung.

Wir wissen auch, dass mit der Liberalisierung des
Telekommunikationsmarktes von 1997 unter der alten
Regierung die besten Voraussetzungen für die Entwick-
lung des IuK-Sektors in Deutschland geschaffen wurden.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Damals haben wir uns an die Regel gehalten, dass durch-
schlagende Erfolge beim Wandel zur Informationsgesell-
schaft nur erzielt werden, wenn man das Tempo und die
Richtung vorgibt. Das heißt, die Schnellen fressen die
Langsamen. Diese Erfahrung haben alle modernen Unter-

nehmen gemacht; sie hat für die gesamte Volkswirtschaft
Gültigkeit.

Deshalb ist die Politik gefordert, hier die richtigen
Rahmenbedingungen zu schaffen, die für Investoren
verlässlich sind, die Innovationen nicht hemmen, sondern
anregen, und die vor allem international wettbewerbs-
fähig sind. Hier müssen wir auf breiter Front zu einer steu-
erlichen Entlastung kommen;


(Beifall des Abg. Dr. Heinz Riesenhuber [CDU/CSU])


denn nur so können wir künftig im boomenden Informa-
tions- und Kommunikationssektor verlorenen Boden wie-
der gutmachen.


(Dr. Rainer Wend [SPD]: Indem Sie die Ökosteuer abschaffen?)


Es ist doch offenkundig, meine Damen und Herren,
dass Aktienoptionen kein normales Einkommen darstel-
len. Sie sind mit Risiken behaftet. Deswegen müssen wir
endlich dazu übergehen, die Stock Options so zu besteu-
ern, dass junge und innovative Technologieunternehmen
in Deutschland nicht schlechter gestellt werden als bei un-
seren europäischen Nachbarn.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kol-

legen, Deutschland verfügt, wie wir alle wissen, über ein
großes Potenzial ausgewiesener Fachleute und innovati-
ver Unternehmen. Dennoch haben wir im IuK-Sektor
Nachholbedarf.


(Hubertus Heil [SPD]: Durch Ihre Politik!)

Deswegen brauchen wir endlich eine umfassende, breit
angelegte Offensive zur Informationsgesellschaft. Meine
Damen und Herren von der Regierung und der Koalition,
hier gebe ich Ihnen einen guten Rat: Machen Sie es sich
einfach und schauen Sie nach Bayern. Dann wissen Sie
ganz genau, wie man eine Zukunftsoffensive angeht.


(Beifall bei der CDU/CSU – Hubertus Heil [SPD]: Wie viele Abiturienten gibt es denn in Bayern?)


Nicht umsonst sind in Bayern 30 Prozent aller Internet-
Start-ups beheimatet.

Das Aktionsprogramm der Bundesregierung erweckt
nur vordergründig den Anschein, dass sie hier aktiv han-
delte. Im Wesentlichen ist es nur eine Bündelung von Ak-
tionen, die bereits vor zwei Jahren von der Enquete-Kom-
mission „Zukunft der Medien in Wirtschaft und
Gesellschaft“ vorgeschlagen wurden.


(Hubertus Heil [SPD]: Genau, wir ziehen Konsequenzen daraus! Wir machen das!)


– Sie haben das doch nur gebündelt und nichts Neues auf
den Weg gebracht. – Außerdem ist Ihr Aktionsprogramm
alles andere als ehrgeizig. Wenn Sie nur die Vision haben,
dass Deutschland eine europaweite Spitzenposition haben
solle, dann sind Sie wirklich bescheiden.


(Jörg Tauss [SPD]: Sie kommen doch nicht über die Lederhose hinaus!)





Hubertus Heil
22264


(C)



(D)



(A)



(B)


Deutschland darf sich bei den neuen Medien und Diensten
nicht mit der Europaliga begnügen.


(Jörg Tauss [SPD]: Bayerische Kreisklasse!)

Wir müssen Visionen und Ziele haben und weltweit an der
Spitze mitspielen wollen. Es reicht nicht aus, zu sagen,
wir wollten in Europa nach vorn.


(Hubertus Heil [SPD]: Was haben Sie denn gegen Europa?)


Hier ist auch ein breiter Zugang zum Internet beson-
ders wichtig. Die neuesten Erhebungen in Deutschland
sind aber nicht sehr positiv. Vielmehr zeigen Sie, dass die
digitale Spaltung in den vergangenen Jahren zugenom-
men hat. Die Kluft zwischen denjenigen, die selbstver-
ständlich und kompetent mit dem PC umgehen können,
und denjenigen, die das Internet nicht nutzen, ist groß. Die
Umfragen zeigen, dass diese Kluft künftig noch größer
sein wird.

In dem Gestrüpp von unkoordinierten Programmen
und Aktionen hat es die Bundesregierung nicht geschafft,
die Zahl der Internetnutzer in allen Alters- , Bildungs- und
Einkommensschichten zu steigern.


(Hubertus Heil [SPD]: Das ist doch Quatsch! Verdoppelt haben wir die!)


Sie müssen die Spaltung, die zwischen Usern und Losern
besteht, nun endlich wirkungsvoll bekämpfen und Chan-
cengleichheit beim Zugang zum Netz schaffen.


(Jörg Tauss [SPD]: Sie haben unseren Antrag zur Digital Divide doch abgelehnt, Frau Kollegin!)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1422413900
Frau Kolle-
gin Wöhrl, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen
Heil?


Dagmar G. Wöhrl (CSU):
Rede ID: ID1422414000
Nein, ich lasse heute
keine Zwischenfrage zu. – Es gibt in Deutschland noch zu
viele digitale Analphabeten. Diese Menschen dürfen wir
zukünftig nicht vom gesellschaftlich-politischen Leben
ausschließen.

Sie stellen sich hier hin und rühmen sich, dass die Si-
tuation der Schulen bei der Ausstattung mit Computern
und Internetzugängen verbessert worden sei. Das hilft
nicht viel; denn Sie haben vergessen, für die Wartung und
die Pflege dieser Computer zu sorgen. Warum sagen Sie
das nicht?


(Jörg Tauss [SPD]: Das ist ja unglaublich! Ausgerechnet Bayern!)


Sie haben in Ihrem Programm „Schulen ans Netz“ ver-
säumt, die Folgekosten zu berücksichtigen. Sprechen Sie
einmal mit den Schulträgern vor Ort, denen in den nächs-
ten Jahren erhebliche Ausgaben ins Haus stehen werden,
bei denen sie nicht wissen, wie sie sie aufbringen sollen.
Sie haben hier eklatante Versäumnisse zu verantworten.
Ihre Zwischenrufe zeigen, dass ich mit meinen Aussagen
den Nerv getroffen habe.

Es wäre viel sinnvoller, wenn Sie endlich zu einem
effizienten E-Government kommen würden, und zwar
zu einem E-Government, das mehr ist als der „elektroni-
sche Amtsschimmel“, meine Damen und Herren von der
Koalition. Es gibt eine neue Studie der Unternehmensbe-
ratung Accenture. Sie hat die Entwicklung des E-Govern-
ment in 22 Ländern untersucht. Wo landen wir? Deutsch-
land liegt nicht im vorderen Bereich – ausnahmsweise
auch nicht auf den letzten Plätzen –, sondern auf Platz 15.

Die Analyse, die hinsichtlich der Positionierung
Deutschlands abgegeben wird, ist niederschmetternd. Es
ist zu lesen, dass es keine Zukunftsvision für das E-Go-
vernment und keine politische Koordinierung der ver-
schiedenen Strategien gebe.


(Jörg Tauss [SPD]: Bitte? Wo leben Sie eigentlich?)


Daran kann man sehen, dass die Bundesregierung bei die-
sem Thema vollständig verschlafen hat. Sie verliert sich
in einer Reihe von unkoordinierten Einzelprojekten.


(Jörg Tauss [SPD]: Bei Ihnen hat PISA voll zugeschlagen! – Monika Griefahn [SPD]: Problem: Leseverständnis!)


Man könnte bei dem, was Sie hier auf den Weg gebracht
haben, von einem „virtuellen Flickenteppich“ sprechen.
Es kommt aber nicht auf die Anzahl von Aktionen, Pro-
jekten und Programmen an, sondern es ist, gerade bei un-
serer dezentralen Verwaltungsstruktur, wichtig – das wis-
sen Sie –, zu einer Vernetzung und einer Koordinierung zu
kommen.

Lassen Sie mich zusammenfassen: Die Bilanz Ihres
Aktionsprogramms zeigt deutlich, dass Sie trotz aller
High-Tech-Rhetorik, die Sie an den Tag legen, die eigent-
lichen Probleme des Standortes Deutschland, wenn über-
haupt, nur tröpfchenweise angehen. Und wenn eine
Lösung greift, dann nur in Ländern, in denen die CDU
oder die CSU regiert.


(Beifall bei der CDU/CSU – Lachen bei der SPD – Dr. Peter Ramsauer [CDU/CSU]: Das ist so! – Wolfgang Weiermann [SPD]: Bayern hat im Finanzausgleich 40 Jahre Geld von NRW bekommen!)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1422414100
Zu einer
Kurzintervention gebe ich das Wort dem Kollegen
Hubertus Heil.


Hubertus Heil (SPD):
Rede ID: ID1422414200
Liebe Frau Kollegin Wöhrl,
zum Schluss hätte ich analog zu dem, was Sie davor ge-
sagt haben, gesagt, Herr Stoiber habe das Internet erfun-
den, wenn Herr Kohl das nicht schon gewesen ist. Da
müssen Sie sich einigen.

Ich will kurz zwei Punkte ansprechen, die mich ge-
ärgert haben, weil sie sachlich nicht stimmen. Erstens. Sie
haben gesagt, in unserer Regierungszeit habe sich die
Zahl der Internetnutzer nicht nennenswert erhöht. Hal-
ten Sie eine Steigerung von 14 Millionen auf über 30 Mil-
lionen Internetnutzer, also mehr als eine Verdopplung in-
nerhalb von drei Jahren, nicht für nennenswert?




DagmarWöhrl

22265


(C)



(D)



(A)



(B)


Zweitens. Auch Sie haben das Problem der digitalen
Spaltung, der Teilung in Angeschlossene und Ausge-
schlossene, angesprochen. Als wir hier in diesem Parla-
ment einen Antrag dazu vorgelegt haben, da haben wir
von Ihrer Fraktion nicht nur keine Zustimmung bekom-
men, sondern Ihr Kollege von Klaeden hat darüber hinaus
dazwischengerufen, das sei Klassenkampf. Was denn
nun? Wir tun etwas gegen die digitale Spaltung in dieser
Gesellschaft, und zwar mit ganz konkreten Maßnahmen,
beispielsweise mit denen, die wir eben diskutiert haben.
Sie ignorieren das.

Zusammengefasst muss ich sagen, Frau Kollegin
Wöhrl, dass ich sehr enttäuscht bin, wenn versucht wird,
so billig zu sagen, dass in Bayern alles klasse sei und im
Bund tue man gar nichts. Ich bitte Sie, etwas genauer in das
Programm hineinzusehen. Das ist nicht nur ein Sammel-
surium von Maßnahmen, sondern es ist ein zusammen-
hängender Masterplan für die Informationsgesellschaft in
Deutschland.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Dagmar Wöhrl [CDU/CSU]: Sie kriegen den Bericht von mir aus Bayern!)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1422414300
Ich erbitte
jetzt Ihre Aufmerksamkeit für den nächsten Redner, den
Parlamentarischen Staatssekretär im Bundesministerium
für Bildung und Forschung, Wolf-Michael Catenhusen.

W
Wolf-Michael Catenhusen (SPD):
Rede ID: ID1422414400
Herr
Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Viele haben
Ihren krampfhaften Versuch, Frau Wöhrl,


(Jörg Tauss [SPD]: Ich rege mich schon auf!)

hier zum Beispiel die verwegene These vorzutragen, dass
wir im Bereich der Internetnutzung in den letzten Jahren
gar nicht vorangekommen seien, mit einem gewissen
Amüsement verfolgt. Aber wir befinden uns ja in einem
Wahljahr und nach 22 Jahren versucht wieder einmal ein
bayerischer Ministerpräsident, republikweit Renommee
zu gewinnen. Die Zahl der Internetnutzer hat sich jedoch
seit 1998 auf 30 Millionen gesteigert und damit mehr als
verdoppelt.


(Jörg Tauss [SPD]: Sogar im Kabinett!)

Die Beteiligung von Frauen am Internet ist von 30 Pro-

zent um 15 Prozent auf heute schon über 45 Prozent
gestiegen. Auch die Generationsblockade der älteren
Generation besteht weitgehend nicht mehr. Auch für über
50-, 60- oder 70-Jährige ist die Internetnutzung kein
Thema mehr. Meine Mutter beispielsweise ist 79 Jahre alt,
arbeitet am PC und hat auch einen Internetanschluss.


(Beifall des Abg. Dr. Reinhard Loske [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] sowie der Abg. Angela Marquardt [PDS])


Dazu kann ich Ihnen, Frau Wöhrl, nur sagen: Das Ge-
spenst, das Sie beschreiben, ist Ihre eigene Wahrneh-
mung, eine Wahrnehmung, die jemand hat, wenn man aus

Bayern mit Sendungsbewusstsein in den Rest der Repu-
blik hinausgeht. Also jedem das Seine.


(Hubertus Heil [SPD]: Sie will es gar nicht wissen! Sie geht schon! – Dr. Rainer Wend [SPD]: Sie geht wahrscheinlich zum Internetkurs! – Lachen bei Abgeordneten der SPD)


Wir halten daran fest: Das Aktionsprogramm ist die
strategische Grundlage einer Innovationspartnerschaft
auf dem Gebiet der Informationsgesellschaft. Was wir
brauchten und die alte Regierung nicht zustande gebracht
hat, war eine strategische Verständigung zwischen Regie-
rung, der informationstechnischen Industrie, der Wirtschaft
insgesamt und der Wissenschaft: In welche Richtung soll
denn eigentlich die Entwicklung in der Informationsge-
sellschaft gehen?

Deshalb haben Sie, Herr Riesenhuber, völlig Recht:
Diese Bilanz ist eine gemeinsame Erfolgsbilanz von
Regierung, Wirtschaft und Wissenschaft sowie Bund,
Ländern und Gemeinden, die ihren Teil dazu beigetragen
haben. Aber dies ist der Weg, den wir für die Informa-
tionsgesellschaft gestalten.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie der Abg. Angela Marquardt [PDS])


Sie möchten bitte nüchtern zur Kenntnis nehmen, dass
die europäischen Regierungschefs mit der Lissabon-
Erklärung genau den gleichen Weg beschritten haben.
Sie haben dort einen Masterplan bis zum Jahre 2010 ver-
einbart, mit dem die europäischen Regierungen und die
Europäische Kommission gemeinsam den USA bei der
Entwicklung und Gestaltung der Informationsgesellschaft
ebenbürtig werden wollen. Dies ist ein ehrgeiziges Ziel.
Wenn wir darüber reden, mit den USA konkurrenzfähig
zu werden, kann man als bayerische Politikerin vielleicht
noch darüber nachdenken, ob das nur eine nationale Auf-
gabe ist. Wir jedenfalls sind schon längst einen Schritt
weiter.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie der Abg. Angela Marquardt [PDS])


Mit Tony Blair, Jospin und vielen anderen Regierungs-
chefs in Europa haben wir eine gemeinsame Perspektive
entwickelt. Ich denke, wir sind an einer Stelle auch sehr
ehrgeizig: Wir wollen in Deutschland und auch weltweit
eine Vorreiterrolle spielen, ein breitbandiger Internet-
zugang soll die dominierende Zugangstechnologie zum
Internet werden. Ich denke, in der Kombination von Aus-
bau von DSL, der rechtzeitigen und breiten Nutzung von
UMTS und unserer Kabelinfrastruktur haben wir die
Chance, in den nächsten Jahren eine weltweite Spitzen-
stellung anzustreben und zu erreichen. Wir haben auf die-
sem Gebiet ehrgeizige Ziele.

Dass dieser Bereich zur Chefsache in der Politik ge-
worden ist, ist das, was wir brauchen. Eines ist auch deut-
lich geworden: Wir haben seit 1998 die Forschungsmit-
tel für Bildung, Forschung und Entwicklung im Bereich
Informationstechnik um fast 40 Prozent


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)





Hubertus Heil
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von 550 Millionen Euro im Jahr 1998 auf 766 Milli-
onen Euro im Jahre 2002 gesteigert. Damit stoßen wir die
Weiterentwicklung sowohl der Basistechnologien für das
Internet als auch eine stärkere Softwareentwicklung an,
die gerade für die mittelständische Industrie von beson-
derer Bedeutung ist.

Ich weise nur darauf hin, dass wir gerade im schuli-
schen Bereich von der Symbolpolitik von „Schulen ans
Netz“ von 1998 weggekommen sind.


(Jörg Tauss [SPD]: Ja!)

Wir haben die Innovationspartnerschaft zwischen öffent-
lichem und privatem Sektor, um diese Anschlüsse zu rea-
lisieren, gestärkt. Jede Schule ans Internet! Wir wissen,
dass dies Folgeaufgaben und Folgekosten hat. Jeder muss
hier seine Verantwortung tragen. Wir als Bund haben,
ohne dass dies unsere ureigene Aufgabe war, eine Reihe
von Maßnahmen ergriffen. Wir haben geholfen, die IT-
Ausstattung in den Berufschulen für die berufliche
Bildung zu verbessern. Wir haben Internetecken und
-cafés in öffentlichen Bibliotheken und Einrichtungen ge-
schaffen.

Eines muss man aber auch deutlich sagen: Natürlich
stehen die Länder in der Verantwortung, bei der Lehrer-
ausbildung weiterzukommen. Viele Länder haben in den
letzten zwei Jahren mit den notwendigen Schritten be-
gonnen. Das Tragen der Folgekosten ist eine gemeinsame
Aufgabe. Das kann der Bund nicht für die Länder und Ge-
meinden erledigen. Ich lache mich ja kaputt, wenn Frau
Wöhrl der Meinung ist, wir sollten die Aufgaben an der
Basis und ein notwendiges, kostengünstiges Management
von IT-Systemen in den Schulen finanzieren.


(Beifall bei der SPD – Monika Griefahn [SPD]: Und dann reden sie von Entflechtung der Kulturaufgaben!)


Das kann doch wohl nicht wahr sein. Ich glaube auch
nicht, dass das ganz ernst gemeint war.

Ich denke, dass es darauf ankommt, dass der Bund die
Initiativen startet, mit denen wir in der Innovationspart-
nerschaft Schwerpunkte setzen können. Lassen Sie mich
das abschließend an zwei Beispielen verdeutlichen. Der
Blick richtet sich auf den Kontent, den Inhalt. Wie können
wir im Bildungssystem eine qualitativ hochwertige Aus-
bildung unter Nutzung der neuen Technologien ge-
währleisten? Dazu haben wir zwei Maßnahmen ergriffen,
mit denen wir international Vorbild sind:

Mit mehreren 100 Millionen Euro fördern wir die Ent-
wicklung qualifizierter Bildungssoftware für alle Einrich-
tungen des Bildungssystems, von den Schulen über die
Hochschulen bis hin zur beruflichen Aus- und allgemei-
nen Weiterbildung. Das ist unser erster Beitrag.

Der zweite Beitrag ist die Einführung multimedialge-
stützter Studiengänge in den verschiedensten Bereichen
des deutschen Hochschulsystems auf breite Ebene.

Meine Damen und Herren, das sind Flaggschiffpro-
jekte, mit denen wir Bildung und Beschäftigung nach
vorne bringen. Ich denke, die Bilanz dieser Debatte zeigt,
dass wir auf dem richtigen Weg sind. In den Zwischentö-

nen – auch der Beiträge der Opposition – ist deutlich ge-
worden, dass Sie gerne möchten, dass es noch schneller
und besser geht, dass die Richtung aber stimmt.

Danke schön.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Jörg Tauss [SPD]: Es ist schade, dass Frau Wöhrl das nicht mehr gehört hat!)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1422414500
Ich schließe
die Aussprache.

Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 14/8456 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. – Ich sehe keinen Wi-
derspruch. Dann ist die Überweisung so beschlossen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 17 auf:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Innenausschusses (4. Ausschuss)

– zu dem Antrag der Abgeordneten Jörg Tauss,

Harald Friese, Ludwig Stiegler, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion der SPD sowie
der Abgeordneten Grietje Bettin, Cem
Özdemir, Kerstin Müller (Köln), Rezzo
Schlauch und der Fraktion des BÜNDNIS-
SES 90/DIE GRÜNEN
E-Demokratie: Onlinewahlen und weitere
Partizipationspotenziale der neuen Medien
nutzen

– zu dem Antrag der Abgeordneten Wolfgang

(Recklinghausen)

und der Fraktion der CDU/CSU
Voraussetzungen für die Durchführung
von Onlinewahlen

– Drucksachen 14/8098, 14/6318, 14/8466 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Harald Friese
Sylvia Bonitz
Grietje Bettin
Dr. Max Stadler
Petra Pau

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Das Haus ist
damit einverstanden.

Ich eröffne die Aussprache und gebe als erstem Redner
dem Kollegen Harald Friese für die SPD-Fraktion das
Wort.


Harald Friese (SPD):
Rede ID: ID1422414600
Herr Präsident! Meine sehr ge-
ehrten Kolleginnen und Kollegen! Gestatten Sie mir
zunächst eine Anmerkung Richtung CDU/CSU-Fraktion.
Sehr geehrte Kollegin Bonitz, wir bedauern es wirklich,
dass wir keine Einigung über einen gemeinsamen Antrag
erzielt haben. Ich sage Ihnen, dass es der Sache gut getan
hätte, einen gemeinsamen Antrag zu stellen.




Parl. StaatssekretärWolf-Michael Catenhusen

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(C)



(D)



(A)



(B)


Worum geht es? Es geht hier heute um eine Posi-
tionsbestimmung des Deutschen Bundestages, welche
Konsequenzen wir aus neuen Informations- und
Kommunikationstechnologien und aus dem veränderten
Kommunikationsverhalten der Menschen ziehen. Daraus
leiten sich folgende Fragen ab: Verändern sich die Formen
politischer Kommunikation und hat dies Auswirkungen
auf die Teilnahme der Menschen an der politischen Dis-
kussion? Weil dies Fragen sind, die alle Fraktionen und
alle Parteien gleichermaßen betreffen, haben wir Ihnen ei-
nen gemeinsamen Antrag geradezu auf einem silbernen
Tablett angeboten. Sie haben sich aber verweigert,


(Sylvia Bonitz [CDU/CSU]: Sie hätten ja auch unserem Antrag zustimmen können!)


weil in dem Antrag folgender Satz enthalten ist – ich zi-
tiere –:

Denkbar sind darüber hinaus mittelfristig die Ermög-
lichung der elektronischen Stimmabgabe bei Volks-
abstimmungen ...

Das hat bei Ihnen geradezu panische Reflexe und
Angstzustände ausgelöst, weil sie befürchten, dass damit
eine mittelbare Zustimmung zum Instrument einer Volks-
abstimmung verbunden sei.


(Sylvia Bonitz [CDU/CSU]: Wehret den Anfängen! Sonst schreibt man es ja nicht hinein! – Jörg Tauss [SPD]: Da erschrecken Sie!)


Meine Damen und Herren von der CDU/CSU, ich muss
Sie wirklich fragen: Wie viel Angst haben Sie eigentlich
vor dem Volk?


(Sylvia Bonitz [CDU/CSU]: Wir haben Respekt vor dem Volk!)


Wir werden Ihren Antrag ablehnen und ich sage Ihnen
auch, warum: Sie springen viel zu kurz. Sie können nicht
die von Ihnen zu Recht beklagte Tatsache, dass es immer
mehr Nichtwähler gibt, verändern, indem Sie ein neues
Wahlverfahren einführen. Das ist zu kurz gesprungen. Die
politische Teilhabe ist kein technisches Problem. Die Ur-
sachen, warum Menschen nicht mehr zur Wahl gehen,
sind ganz andere.


(Sylvia Bonitz [CDU/CSU]: Der Korruptionsskandal zum Beispiel!)


Das hat etwas mit Parteien- und Politikverdrossenheit so-
wie der fehlenden Transparenz politischer Entscheidun-
gen zu tun.


(Sylvia Bonitz [CDU/CSU]: Ich sage nur: SPD-Skandal!)


Es hat absolut nichts mit der Frage zu tun, ob uns neben
der Urnen- und der Briefwahl noch ein drittes Wahlver-
fahren zur Verfügung steht. Politische Teilnahme ist mehr,
als online wählen zu dürfen und die Teilnahme an neuen
Kommunikationsformen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der PDS)


Wir wollen die Chancen ausloten, die sich durch eine
veränderte Gesellschaft ergeben. Wir nehmen auch zur
Kenntnis, dass junge Menschen andere Formen der Kom-
munikation haben und diese praktizieren. Wir wissen,
dass das Internet für mehr Informationen und deshalb
auch für mehr Transparenz sorgen kann. Damit haben wir
die Voraussetzungen für politisches Interesse, politische
Diskussionen und politische Teilhabe definiert. Das hat
etwas mit Informationen, Transparenz und auch Glaub-
würdigkeit zu tun.

Deshalb ist es für uns wichtig – das werden wir heute
ausdrücklich beschließen –, dass das E-Demokratie-
Projekt des Deutschen Bundestages fortgesetzt und
schnell abgeschlossen wird, mit dem Modelle der elek-
tronischen Demokratie erprobt werden. Wir wollen,
dass das E-Government-Programm des Programms
„BundOnline 2005“ zügig umgesetzt und verwirklicht
wird. Im Rahmen dieses Programms sollen auch schon
Testwahlen in anderen gesellschaftlichen Bereichen on-
line praktiziert und durchgeführt werden.

Aber eines muss ich dazu sagen: Bundestags- oder
Landtagswahlen haben eine andere Bedeutung als andere
Wahlen; denn in den Wahlen konkretisiert und konstitu-
iert sich die Demokratie. Deshalb müssen bei Bundestags-
und Landtagswahlen bestimmte Bedingungen unabding-
bar erfüllt sein. Das sind nämlich die Wahlgrundsätze: un-
mittelbar, frei, gleich, allgemein und geheim.


(Sylvia Bonitz [CDU/CSU]: Darin sind wir uns einig!)


Eines darf aber nicht infrage gestellt werden: Bei On-
linewahlen muss ganz klar identifiziert werden können,
ob tatsächlich der Wahlberechtigte wählt. Die Geheim-
haltung muss sichergestellt sein. Die Geheimhaltung
muss auch nach Abschluss des Wahlvorganges sicherge-
stellt sein, weil die Geheimhaltung der Wahl nicht nur ein
Recht des Bürgers – das ist es auch –, sondern auch eine
Verpflichtung ist, über die nicht disponiert werden kann.
Auch müssen wir sicherstellen, dass die Wahldaten gegen
Angriffe von außen geschützt sind. Es kann vorkommen,
dass man eine Wahl wiederholen muss.

Deshalb bitte ich Sie: Mäkeln Sie doch nicht am
Innenminister herum, wie Sie das in der ersten Beratung
Ihres Antrages gemacht haben. Wir sind dankbar, dass un-
ser Innenminister keinen Schnellschuss macht,


(Sylvia Bonitz [CDU/CSU]: Das war überhaupt kein Schuss, außer nach hinten!)


sondern in seinem Hause eine Arbeitsgruppe eingesetzt
hat, um genau diese Fragen zu prüfen, zum Beispiel ob die
Geheimhaltung und die Identifizierung sichergestellt
sind.


(Beifall bei der SPD)

Sie verweisen darauf, dass bei der Briefwahl die

Geheimhaltung nicht sichergestellt sei, meine Damen und
Herren Kollegen von der CDU/CSU.


(Sylvia Bonitz [CDU/CSU]: Das tun wir gar nicht! Haben Sie unseren Antrag nicht gelesen?)





Harald Friese
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Sie können doch nicht anhand der Tatsache, dass bei der
Briefwahl die Geheimhaltung nicht sichergestellt ist, ab-
leiten, dass wir ein drittes Wahlverfahren einführen, bei
dem die Geheimhaltung ebenfalls nicht sichergestellt ist.

Die Bedeutung der Briefwahl wird zurückgehen; denn
das Bundesinnenministerium plant, dass bis zum Jahre
2006 alle Wahllokale in Deutschland miteinander vernetzt
sind, sodass ich an jedem Ort, an dem ich mich befinde,
wählen kann, und damit der Grund für Briefwahl, nämlich
Abwesenheit vom Wohnort, nicht mehr vorliegt.


(Sylvia Bonitz [CDU/CSU]: Ankündigungen, nichts als Ankündigungen!)


Dies scheint mir im Augenblick wichtiger als manches an-
dere zu sein. Dies ist ein erster Schritt, um die Wahlbetei-
ligung zu erhöhen und die Gefahr der mangelnden Ge-
heimhaltung bei der Briefwahl zu verringern.


(Beifall bei der SPD)

Wir sind offen für Innovationen und Veränderungen.


(Sylvia Bonitz [CDU/CSU]: Aber nicht für Oppositionsanträge!)


Wir wollen die Chancen neuer Kommunikationsformen
nutzen. Wir werden aber auch sorgfältig prüfen, ob die
Bedingungen, die ich formuliert habe, erfüllt werden.
Deshalb bitte ich Sie, unserem Antrag zuzustimmen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1422414700
Für die
CDU/CSU-Fraktion spricht die Kollegin Sylvia Bonitz.


Sylvia Bonitz (CDU):
Rede ID: ID1422414800
Sehr geehrter Herr Präsi-
dent! Sehr geehrte Damen und Herren! Die CeBIT hat ge-
rade wieder ihre Tore geöffnet und zeigt uns, wie mobile
Kommunikation Welten verbindet. In rund sechs Monaten
ist Bundestagswahl. Sie zeigt uns, was die Wählerinnen
und Wähler mit ihrer Stimmabgabe verbinden: einen
Sonntagsspaziergang, vielleicht schlechtes Wetter, eine
muffige Wahlkabine sowie Stift und Wahlzettel. Im güns-
tigsten Falle hat das Wahlvolk in Vorausahnung des wahl-
sonntäglichen Schmuddelwetters oder aufgrund ernsthaf-
ter Verhinderungsgründe von seinem Recht auf Briefwahl
Gebrauch gemacht.

Während unser Wahlbürger zwar von seinem Heim-PC
aus online shoppen, online banken und online chatten
darf, so darf er eines nicht: online wählen.

In den letzten Jahren hat die Zahl der Internetnutzer
weltweit stark zugenommen. Auch bei uns in Deutschland
nutzen inzwischen 30 Millionen Menschen das Internet
zur Unterhaltung, zur Kommunikation oder zur Informa-
tionsbeschaffung. Immer mehr bundesdeutsche Haushalte
sind mit PCs ausgestattet. So gewinnt angesichts einer ste-
tig wachsenden Zahl von Internetnutzern die Möglichkeit
der Onlinestimmabgabe zunehmend an Bedeutung. Die
mittels Internet abgegebene Wählerstimme könnte damit
die herkömmliche Stimmabgabe im Wahllokal oder per

Briefwahl um ein attraktives, zeitgemäßes Angebot er-
gänzen.

Der Weg dorthin scheint mit dieser Bundesregierung
sehr steinig zu werden.


(Zurufe von der SPD: Ah!)

Erst im Februar wurde bekannt, dass frühestens 2006
– Herr Friese, Sie haben es gesagt – die Wahllokale mit-
einander vernetzt werden und dann Onlinewahlen vor Ort
möglich sein sollen. Dies ist zwar ein erster richtiger
Schritt, dennoch sind echte Onlinewahlen nach den Vor-
stellungen der Bundesregierung frühestens 2010 geplant.
Es fällt auf, dass neben plakativen Ankündigungen,
Deutschland befinde sich auf dem Wege zu Onlinewah-
len, konkrete Schritte in diese Richtung bislang nicht er-
kennbar sind. Zwar erwähnt die Regierungskoalition in
ihrem Antrag eine Arbeitsgruppe im Bundesinnenminis-
terium, die sich mit der Vorbereitung für die Durch-
führung von Onlinewahlen beschäftigt,


(Dr. Michael Bürsch [SPD]: Die arbeitet wie verrückt!)


doch leider ist die Informationspolitik über den Fortgang
dieser Aktivitäten spärlich. Es hat den Anschein, als ob
man bis auf kleinere Erfolge nicht recht vorankäme.

Worum geht es nun in unserem Unionsantrag? Um bei
der Realisierung endlich voranzukommen, fordern wir die
Bundesregierung auf, einen Bericht über die gesetzlichen,
sicherheitstechnischen und verwaltungsrelevanten Erfor-
dernisse für Onlinewahlen sowie die Maßnahmen zu ihrer
Realisierung vorzulegen. Gleichzeitig wird die Bundesre-
gierung aufgefordert darzulegen, unter welcher zeitlichen
Perspektive und mit welchem technischen, personellen
sowie finanziellen Aufwand erste Onlinewahlen auf den
unterschiedlichen Ebenen durchgeführt werden können.

Die Bundesregierung soll geeignete Projekte zur Er-
probung von Onlinewahlen entwickeln und dabei die Er-
fahrungen aus den Ländern oder anderen gesellschaftli-
chen Bereichen heranziehen. Eine ganz entscheidende
Voraussetzung – Sie haben das auch erwähnt, Herr Kol-
lege Friese – kommt dabei der Entwicklung eines siche-
ren und manipulationsfreien Wahlsystems zu, um die Ver-
traulichkeit der Wahlentscheidung zu gewährleisten. Das
Vertrauen der Bürger in die Sicherheit einer solchen
Wahlalternative ist schließlich die Grundvoraussetzung
für ihre allgemeine Akzeptanz.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Onlinewahlen können letztlich nur durchgeführt wer-

den, wenn die grundgesetzlichen Anforderungen des
Art. 38 an allgemeine, unmittelbare, freie, gleiche und ge-
heime Wahlen erfüllt sind.


(Jörg Tauss [SPD]: Das ist nicht so ganz einfach!)


So müssen gewährleistet sein: erstens die eindeutige Fest-
stellung der Wahlberechtigung, zweitens die dauerhafte
Geheimhaltung der abgegebenen Wahlentscheidung, drit-
tens die gebotene Einmaligkeit der Stimmabgabe und
Stimmzählung und viertens die Nachprüfbarkeit der
Wahlergebnisse. Vor allem aber muss der gesamte




Harald Friese

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(C)



(D)



(A)



(B)


Wahlvorgang sicher vor Manipulationen geschützt wer-
den. Hackerattacken zur Fälschung von Wahlergebnissen
dürfen keine Chance haben.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Jörg Tauss [SPD]: Deswegen dauert es noch ein bisschen! Das kann man nicht durch Kabinettsbeschluss machen!)


Die Bundesregierung soll diese Bedingungen in Mo-
dellprojekten testen und letztlich die Funktionalität dieser
Wahlalternative sicherstellen. Ist all dies gewährleistet,
wird auch die Bevölkerung das Angebot von Onlinewah-
len gewiss annehmen.

Um jedoch keine Missverständnisse aufkommen zu
lassen, sage ich an dieser Stelle deutlich: Es geht uns bei
dem Begriff der Onlinewahl um die Schaffung einer zu-
sätzlichen Möglichkeit der Stimmabgabe neben Urnen-
und Briefwahl. Von einem vollständigen Ersatz der bishe-
rigen Wahlmöglichkeiten kann zum gegenwärtigen Zeit-
punkt keine Rede sein.

Was spricht eigentlich dagegen, das Wahlrecht mit der
Einführung einer zeitgemäßen zusätzlichen Stimmabga-
bemöglichkeit zukunftsgewandt fortzuentwickeln und zu
ergänzen? Schließlich wurde auch die Briefwahl erst
einige Jahre nach dem Entstehen der Bundesrepublik
zugelassen. Erst seit 1957 dürfen Wählerstimmen per
Briefwahl abgegeben werden. Dabei ist die Briefwahl-
möglichkeit seinerzeit vom Bundesverfassungsgericht
ausdrücklich nur als Ausnahme genehmigt worden. Sie
sollte auf diejenigen beschränkt sein, die am Wahltag aus
einem gesundheitlichen oder anderen trifftigen Grund
nicht im Wahllokal erscheinen können.

Aus dieser Ausnahme hat sich allerdings in den letzten
Jahren eine stetig gestiegene Zahl von Briefwählern ent-
wickelt. So betrug der Anteil der Briefwahlstimmen bei
der Bundestagswahl 1998 allein 16 Prozent. In München
wurde sogar jede vierte Stimme per Briefwahl abgegeben.
Was läge also näher, als angesichts einer stetig wachsen-
den Zahl von Internetnutzern demnächst auch die Mög-
lichkeit der Stimmabgabe mittels dieses elektronischen
Mediums zuzulassen? Sie wäre in vielen Fällen beque-
mer, weil die sonst erforderliche Anforderung von Brief-
wahlunterlagen entfällt.

Um aber den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts
gerecht zu werden, gilt weiterhin der Grundsatz, dass der
Wähler sein Kreuz in der Wahlkabine zu machen hat.
Wenngleich dieser Grundsatz zunehmend unterlaufen
wird, so bleibt doch festzustellen: Eine komplette Wahl
per Internet widerspräche wohl zumindest derzeit auch
unserer Wahlkultur. Einige kritisieren gar, eine Stimm-
abgabe per Mausklick tangiere die Würde des Wahlaktes.

Da unser Anliegen fraktionsübergreifend grundsätzlich
begrüßt wird, bedaure ich es umso mehr, dass SPD und
Grüne unserem Antrag vermutlich die Zustimmung ver-
weigern werden.


(Monika Griefahn [SPD]: Sie können doch unserem zustimmen, Frau Bonitz!)


Schade, dass Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen der
Koalition, ein Problem damit haben, dass eine gute Idee
von Ihrem politischen Mitbewerber formuliert wurde.


(Jörg Tauss [SPD]: Das ist ganz falsch!)

Ihr nachgeschobener Koalitionsantrag ist – wie so

oft – mit rot-grünen Verbalblähungen angereichert, die
sich in einer Selbstbeweihräucherung der Regierungs-
arbeit verlieren. So frage ich mich, warum Sie es nötig ha-
ben, das Projekt „BundOnline 2005“ als E-Government-
Initiative der Bundesregierung immer wieder in den
Himmel zu loben. Selbst Bundesinnenminister Otto
Schily ist sich für einen Gastbeitrag in der gestrigen Aus-
gabe der „Welt“ nicht zu schade.


(Jörg Tauss [SPD]: Das ist doch ein renommiertes Blatt! Was haben Sie denn plötzlich gegen die „Welt“?)


Hat der Minister derzeit nicht Wichtigeres zu tun? Viel-
leicht sollte er zum Beispiel erst einmal sein eigenes Haus
in den Griff bekommen. Vielleicht würde das den
Überblick über die etwas unübersichtliche Nachrichten-
lage von der V-Mann-Front beim NPD-Verbotsverfahren
erleichtern.


(Jörg Tauss [SPD]: Da fragen wir gleich mal nach Herrn Kanther! Der hatte sich selber nicht im Griff!)


Hier gilt das Motto: Die Hütte brennt, sein Laden pennt
und der Minister Texte schreibt, damit er im Gedächtnis
bleibt.


(Ulrike Höfken [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das gilt wohl auch für Ihre Rede!)


Wer solche Prioritäten setzt, sollte Mitarbeitern dankbar
sein, die einen nicht mit wichtigen Informationen belästi-
gen.

Im Übrigen – das sei auch erwähnt – ist das Projekt
„Bund online 2005“ bei einem internationalen Vergleich
schon in der ersten Runde durchgefallen, wie der
„Spiegel“ in seiner jüngsten Ausgabe meldet. Peinlich ist
auch, dass Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von Rot-
Grün, den Entwurf für ein Informationsfreiheitsgesetz in
Ihrem Antrag erwähnen. Dieser Entwurf des Innenminis-
teriums ist aber noch nicht einmal im Bundeskabinett ver-
abschiedet, geschweige denn in den Bundestag einge-
bracht worden.


(Jörg Tauss [SPD]: Daran sehen Sie, wie gründlich wir die Gesetzesarbeit machen! Und Sie kritisieren das immer!)


Eine wahre Zumutung findet sich allerdings an einer
anderen Stelle in Ihrem Antrag wieder. Darin heißt es:

Denkbar ist darüber hinaus mittelfristig die Ermögli-
chung der elektronischen Stimmabgabe bei Volksab-
stimmungen oder aber die Ermöglichung der elek-
tronischen Einreichung von Petitionen.


(Jörg Tauss [SPD]: Demokratie tut weh, nicht?)





Sylvia Bonitz
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(A)



(B)


Was wir von der Union auf keinen Fall wollen, ist die
schleichende Einführung von Volksabstimmungen über
den elektronischen Umweg.


(Jörg Tauss [SPD]: Ah ja! Da haben wir das wahre Motiv!)


Onlinewahlen sind eine dritte, ergänzende Möglichkeit
der Stimmabgabe neben Urnenwahl und Briefwahl.


(Harald Friese [SPD]: Aber trotzdem muss die Reihenfolge umgekehrt sein!)


Es ist zu billig, wenn Sie versuchen, Onlinewahlen mit
dem Volksentscheid zu verknüpfen, nur weil Sie Angst
haben, keine parlamentarische Mehrheit für die Ein-
führung von Plebisziten zusammenzubekommen. Für uns
sind dies zwei verschiedene Paar Schuhe.

Ich appelliere daher an Sie: Trennen Sie die Einführung
von Onlinewahlen sauber von dem Thema Volksent-
scheid. Befreien Sie Ihren Antrag von falschen Lobge-
sängen auf regierungseigene Projekte, die noch nicht ein-
mal die Kinderkrankheiten überwunden haben. Reden Sie
der Bevölkerung nicht ein, dass Sie mit Ihrem Antrag
– wie Sie schreiben – der Politikverdrossenheit und der
Intransparenz politischer Entscheidungsprozesse begeg-
nen wollen, solange Sie den Korruptionsskandal in der
SPD noch nicht einmal ansatzweise aufgeklärt haben.


(Widerspruch bei der SPD – Jörg Tauss [SPD]: Oh! Glashaus!)


Ich sage das ohne Häme und Schadenfreude. Denn was
der SPD-Filz in Nordrhein-Westfalen angerichtet hat,
schadet der Politik insgesamt.

Befreien Sie Ihren Antrag von diesem überflüssigen
Ballast und konzentrieren Sie sich auf unser gemeinsames
Kernanliegen: die zukunftsgewandte Option, eine zusätz-
liche Onlinestimmabgabe zügig einzuführen. Wir stim-
men doch in diesem wichtigen Punkt überein. Also könnte
unser Antrag heute eine breite Mehrheit in diesem Hause
finden.

Es ist noch viel zu tun, um die Sicherheit solcher elek-
tronisch gestützter Wahlverfahren gewährleisten zu
können. Deswegen fordern wir die Bundesregierung auf,
einen entsprechenden Bericht vorzulegen. Erst muss
die Bundesregierung ihre Hausaufgaben machen. Dann
können wir – hoffentlich bald – auch per Mausklick
wählen.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord neten der FDP)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1422414900
Ich erteile
das Wort der Kollegin Grietje Bettin für Bündnis 90/Die
Grünen.


Grietje Bettin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1422415000
Herr
Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Stellen Sie
sich Folgendes vor: Es ist Bundestagswahl und niemand
geht hin. Dieses Schreckensszenario ist nicht so unwahr-
scheinlich; denn Politik- und Wahlverdrossenheit schla-

gen insbesondere bei Wahlen auf unterer Ebene immer
stärker zu Buche.

Doch zukünftig ist auch Folgendes vorstellbar: Es ist
Bundestagswahl, niemand geht hin und es wird trotzdem
gewählt, und zwar per Mausklick am Computer. Für viele
ist wohl auch Letzteres ein Schreckensszenario nach dem
Motto: Die neuen Medien dominieren ohnehin schon im-
mer mehr unseren Alltag. Nun soll auch noch die gute alte
Wahlurne durch einen schnöden PC ersetzt werden?
Meine Antwortet lautet: Nein, wir brauchen Vielfalt. Es ist
Bundestagswahl und viele machen mit – so muss einer der
Slogans lauten –, und zwar in der Wahlkabine, per Brief-
wahl oder in Zukunft zusätzlich per Mausklick.

Rot-Grün ist sich vollkommen im Klaren darüber, dass
Onlinewahlen zukünftig ein wichtiges Mitbestimmungs-
instrument sein müssen und auch sein werden. Allerdings
darf sich das Thema elektronische Mitbestimmung kei-
nesfalls nur auf das Thema Onlinewahlen beschränken. Der
Fantasie im Hinblick auf elektronische Mitbestimmung
sind nach Ansicht von Bündnis 90/Die Grünen erst einmal
keine Grenzen gesetzt. Sofort fallen mir Volksabstimmun-
gen und Petitionen als sinnvolle Möglichkeiten der elek-
tronischen Mitbestimmung ein. Aber auch die Virtualisie-
rung der Sitzungen von Parlamentsausschüssen halte ich
grundsätzlich für sinnvoll.

Bündnis 90/Die Grünen befindet sich in Sachen elek-
tronischer Partizipation zweifellos in einer Vorreiterrolle.
Am kommenden Samstag veranstalten die Grünen in
Schleswig-Holstein – das ist mein Landesverband – einen
virtuellen Parteitag. Unter „www.gruener-parteitag.de“
können ab Samstag Menschen mit und ohne Parteibuch
der Grünen über Anträge mitdiskutieren und selber Vor-
schläge einbringen.


(Sylvia Bonitz [CDU/CSU]: Können die aus der Partei auch virtuell austreten?)


Wir sind gespannt, direkt zu erfahren, was die Menschen
von uns erwarten und welche politischen Bereiche sie von
uns stärker als bisher beachtet sehen wollen. Wir wollen
mit diesem Parteitag nicht nur ein junges Publikum an-
sprechen. Wir wollen uns vielmehr generell allen politisch
interessierten Menschen im Land öffnen. Wir probieren
mit diesem virtuellen Parteitag neue Wege der politischen
Kommunikation aus.


(Sylvia Bonitz [CDU/CSU]: Es sind nur noch wenige an Ihrer Partei interessiert!)


Kritische Stimmen bleiben nicht aus und werden von
uns selbstverständlich ernst genommen. Doch von einer
„elektronischen Diktatur“ – so hat es eine große Regio-
nalzeitung in Schleswig-Holstein formuliert – kann nun
wirklich keine Rede sein. Wir wollen mit dem geplanten
virtuellen Parteitag keineswegs die gesamte politische
Kommunikation inklusive der wichtigen Gespräche in der
Lobby in das Netz verlegen. Wir wollen den Bürgerinnen
und Bürgern vielmehr eine zusätzliche Möglichkeit bie-
ten, sich in die Politik einzumischen und einzubringen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)





Sylvia Bonitz

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Wenn es uns nicht gelingt, mithilfe der elektronischen
Demokratie für mehr Mitbestimmung zu sorgen, dann ha-
ben wir etwas falsch gemacht. E-Demokratie heißt nicht
Computerdemokratie, sondern mehr Demokratie.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Doch wir haben noch einen langen Weg zurückzule-
gen, bevor bedeutende Wahlen über das Netz durchge-
führt werden können. Geeignete Verfahren müssen erst
gründlich erprobt und evaluiert werden. Hier sind wir in
Deutschland mit Unterstützung der Bundesregierung auf
einem sehr guten Weg.


(Sylvia Bonitz [CDU/CSU]: Ich dachte, erst ab 2010!)


Es gibt im Bundesgebiet bereits mehrere vorzeigbare Pi-
lotprojekte. So schrieben vor kurzem 234 Wählerinnen
und Wähler in Marburg ein Stück Internetgeschichte, als
sie als erste Wahlberechtigte überhaupt bei einer Land-
ratswahl ihre Stimme online abgeben durften.

Doch nicht nur die technische Funktionsfähigkeit von
Onlinewahlen, sondern auch die breite Aufklärung der
Bürgerinnen und Bürger über das elektronische Wahlver-
fahren muss gewährleistet sein, um für die notwendige
Akzeptanz in der Bevölkerung zu sorgen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Ohne die umfassende Vermittlung von Medienkompetenz
wird es uns nicht gelingen, die neuen Medien so einzu-
setzen, dass sie für alle und nicht nur für eine computeri-
sierte Minderheit da sind.

Die Bundesregierung ist mit ihrem Schritt-für-Schritt-
Programm in Sachen Onlinewahlen sicherlich auf einem
guten Weg. Als ersten Schritt sollen sich die Bürgerinnen
und Bürger in den Wahllokalen an die elektronische
Stimmabgabe per PC und dann, in nicht allzu ferner Zu-
kunft, auch an die Stimmabgabe per heimischen PC ge-
wöhnen, die, wie gesagt, nur eine Möglichkeit von vielen
darstellt. Das langfristige Ziel ist, Kommunalwahlen, aber
auch Landtags- und Bundestagswahlen über das Netz ab-
zuwickeln.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie uns ge-
meinsam dafür sorgen, dass sich die Bürgerinnen und
Bürger stärker in die Politik einmischen, egal, ob online
oder offline. Hauptsache, wir haben ein offenes Ohr für
ihre Belange. Und dabei können uns die neuen Medien
sehr hilfreich sein.

Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1422415100
Für die
FDP-Fraktion spricht nun der Kollege Dr. Schmidt-
Jortzig.


Prof. Dr. Edzard Schmidt-Jortzig (FDP):
Rede ID: ID1422415200
Herr Präsident!
Meine sehr verehrten Damen und Herren Kollegen! So

wie Griechenland Inbegriff der Demokratie ist und Eng-
land oder Großbritannien – so müssen wir wohl besser sa-
gen – Inbegriff des Parlamentarismus ist, soll Deutsch-
land jetzt offensichtlich Inbegriff der elektronischen Wahl
werden. Ich hoffe, dass wir da den Mund nicht zu voll
nehmen und die Erwartungen nicht zu hoch setzen; denn
es ist uns ja noch nicht einmal gelungen – dieser Seiten-
hieb sei schon gestattet –, in diesem Haus die elektroni-
sche Abstimmung einzuführen.


(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Sehr wahr!)

Liebe Grietje, Sie haben gesagt, dass Sie einen virtuel-

len Parteitag veranstalten. Ich hoffe, dass der nicht so
schief geht wie der in Baden-Württemberg, bei dem man
nicht einmal die Wahlberechtigungen richtig hinbekam.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Ernst Burgbacher [FDP]: Wir machen den nächsten in Pisa! – Rüdiger Veit [SPD]: Das hätte man online korrigieren können!)


Aller Anfang ist schwer, aber wir sollten das Thema in der
Tat angehen.

Das Internet hat in den letzten Jahren eine gigantische
Entwicklung genommen. Lieber Herr Tauss, verehrte
Frau Wöhrl – sie ist leider nicht mehr hier –, ich vermute
einmal, dass der Siegeszug des Internets auch ganz unab-
hängig von irgendwelchen grandiosen Politiken, welcher
Farbe auch immer, zustande gekommen wäre.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der PDS und der Abg. Sylvia Bonitz [CDU/ CSU])


Ich jedenfalls habe mir meinen PC nicht auf Initiative der
Regierungspolitik hin zugelegt.

Heute besteht die Möglichkeit, an nahezu jedem Ort
der Welt über eine Unmenge an Informationen zu verfü-
gen, sich Meinungen zu bilden und auch Meinungen aus-
zutauschen. Das Internet ist deshalb zu einem politischen
Faktor geworden und es gilt, die darin liegenden Mög-
lichkeiten auszuschöpfen.

Lassen Sie mich das an einigen Aspekten verdeutli-
chen, wenngleich die meisten hier schon angeklungen
sind. Bei der letzten Bundestagswahl haben circa 8 Milli-
onen Bürgerinnen und Bürger – das sind immerhin rund
16 Prozent der Wähler – von der Möglichkeit der Brief-
wahl Gebrauch gemacht. Das heißt, die dezentrale
Stimmabgabe nimmt zu. Auch die mit der Freizügigkeit
einhergehende Mobilität der Bevölkerung lässt sich ins
Feld führen. Man möchte für die Wahl unabhängig von
seinem Wohnort sein, sich möglicherweise auch mit dem
PC in die Natur begeben können.

Viele Bürger beklagen mit Recht die häufig gegebene
Nichtdurchschaubarkeit politischer Vorgänge. Ziel muss
es also sein, wieder mehr Bürger für die Politik zu inte-
ressieren, indem Transparenz bzw. Information über das
Geschehen verschafft wird. Das kann – darüber gibt es im
Haus auch keinerlei Dissense – durch Internetnutzung er-
reicht werden.


(Ernst Burgbacher [FDP]: Richtig!)





Grietje Bettin
22272


(C)



(D)



(A)



(B)


Meine Damen und Herren, das Potenzial, das in der
Möglichkeit der Onlinewahl liegt, sollte daher nicht un-
terschätzt werden. Die FDP unterstützt deshalb die
Bemühungen, in diesem Bereich zu technischen, sozialen
und juristischen Lösungen zu gelangen.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Dass wir vorhandene Bedenken ernst nehmen, ist keine
Frage. Jeder Mann und jede Frau hat schon benannt, wo
die Bedenken liegen, nämlich bei der Anwendung der
Wahlrechtskriterien des Art. 38 des Grundgesetzes, was
die Bundestagswahl betrifft. Insbesondere der Grundsatz
der Allgemeinheit der Wahl würde verletzt, wenn man
Bürger, die sich mit der neuen Technologie nicht an-
freunden wollen, ausschlösse oder wenn man diejenigen
ausschlösse, die keinen PC haben. Das ist aber nicht ge-
plant. Um es kurz zu machen: Im Hinblick darauf, dass die
Wahl geheim und unmittelbar sein muss, sind natürlich
auch noch Probleme zu lösen.

Die FDP stimmt der Beschlussempfehlung des Innen-
ausschusses zu.


(Beifall des Abg. Jörg Tauss [SPD])

– Der Antrag ist nicht schlecht; sonst würden wir nicht zu-
stimmen.

Zum Schluss will ich noch etwas zur Erheiterung des
Hauses zum Besten geben. Gerade wir Liberale können
der Perspektive der Onlinewahl offenbar zuversichtlich
entgegensehen; denn, wie mir berichtet wurde, hat bei
einer vor einiger Zeit durchgeführten virtuellen Wahl
zum Internetkanzler die liberale Kandidatin Malta mit
28,72 Prozent der Stimmen bei einer Wahlbeteiligung von
immerhin 82,6 Prozent enorm erfolgreich abgeschnitten.
Das werten wir einmal als gutes Omen.

Besten Dank.

(Beifall bei der FDP – Ernst Burgbacher [FDP]: Zieht euch warm an, Herr Tauss! – Harald Friese [SPD]: Das widerspricht ja dem Projekt 18!)


– Nach oben ist die Skala offen.


Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1422415300
Für die
PDS-Fraktion spricht die Kollegin Angela Marquardt.


Angela Marquardt (PDS):
Rede ID: ID1422415400
Herr Präsident! Liebe Kol-
leginnen und Kollegen! Lieber Kollege Schmidt-Jortzig,
ein sozialistischer Kandidat hat bei einer solchen Abstim-
mung sogar einmal gewonnen. Ich hoffe, das bedrückt Sie
jetzt nicht sehr. Das war im vergangenen Jahr.


(Beifall bei der PDS – Dr. Edzard SchmidtJortzig [FDP]: War das ein Mann?)


Hier ist zum Ausdruck gebracht worden, dass die feh-
lenden Onlinewahlen weder an der Politikverdrossenheit
noch an der Tatsache, dass viele Menschen zurzeit nicht
mehr zur Wahl gehen, schuld sind; vielmehr hat das Des-
interesse an demokratischen Verfahren natürlich andere
Gründe. Einer dieser Gründe ist vielleicht, dass sich die-
ses Haus auf einen gemeinsamen Antrag, zu Onlinewah-

len zu kommen, nicht einigen konnte. Ich finde das sehr
schade, weil ein solches Vorhaben nicht gegen irgendje-
mand gerichtet ist, sondern uns allen dient.


(Beifall bei der PDS)

Auch ich finde die Aussicht, Abstimmungen per Inter-

net durchzuführen, sehr verlockend. Ich glaube, gerade
für Menschen mit eingeschränkter Mobilität ist das eine
gute Alternative zu den bisher bestehenden Möglich-
keiten.

Wahlen müssen frei sein. Das heißt, sie müssen ano-
nym sein und ohne Druck erfolgen. Im Wahllokal kann
man das kontrollieren. Auch bei der Briefwahl kann man
das einigermaßen kontrollieren. Wird im großen Maßstab
am PC abgestimmt, lässt sich immer weniger kontrollie-
ren, inwiefern eine Wahl frei erfolgte. Nur ein Beispiel:
Hat eine Ehefrau, die den PC ihres Mannes nutzt, oder ha-
ben Jugendliche, die am heimischen PC ihre Stimme ab-
geben – ich denke an Wahlen, an denen man ab dem
16. Lebensjahr teilnehmen darf –, wirklich ohne Druck
abgestimmt oder wurde Einfluss genommen? Diesen
Aspekt muss man natürlich beachten. Er spricht letztlich
aber nicht gegen die Durchführung von Onlinewahlen.

Wichtiger sind für mich jedoch die von Kollege Friese
schon angesprochenen technischen Fragen, was Geheim-
haltung etc. betrifft. Wir müssen einerseits die Authenti-
zität feststellen und andererseits eine hundertprozentige
Geheimhaltung der Wahlentscheidung gewährleisten. Es
muss bei den Onlinewahlen natürlich Datensicherheit ge-
ben. Kollege Tauss, Sie wissen, dass ich Sie sehr schätze:
TKÜV, Cybercrime-Konvention


(Jörg Tauss [SPD]: Daran bin ich nicht schuld!)


– nein, natürlich nicht –; ich könnte es weiter ausführen.
Es gibt Begehrlichkeiten des Bundesinnenministeriums
bezüglich der Überwachung von Verbindungsdaten. Das
alles sind Entwicklungen, die den Datenverkehr durch-
sichtiger machen und die Anonymität zerstören. Das kann
dazu führen, dass wir letztlich keine Onlinewahlen erle-
ben werden.

Kollege Tauss – ich habe gerade zum Ausdruck ge-
bracht, dass ich Sie schätze –, ich möchte Sie kurz zitie-
ren, wenn Sie erlauben:

Die Überwachungswut im Internet übersteigt schon
jetzt alles, was wir aus der Offlinewelt kennen.

Wohl wahr, Kollege Tauss.

(Beifall bei der PDS – Dr. Edzard SchmidtJortzig [FDP]: Jetzt muss er aber rot werden!)


Ich hoffe, dass wir beide gemeinsam etwas dagegen tun.
Onlinewahlen dürfen kein Feigenblatt werden und eine
Sicherheit im Netz vortäuschen, die so nicht gegeben ist.
Die in den USA erneut aufgeflammten Diskussionen zu
dem Thema Kryptographie zeigen auch, wohin die Ent-
wicklung geht. Ich hoffe, dass die Bundesrepublik un-
missverständlich zum Ausdruck bringt, dass sie für Kryp-
tographie ist. Wir warten noch darauf, dass aus einem
Bericht Schlussfolgerungen gezogen werden.




Dr. Edzard Schmidt-Jortzig

22273


(C)



(D)



(A)



(B)


Das E-Demokratie-Projekt muss weitergeführt wer-
den. Ich finde, das ist eine sehr gute Initiative der Bun-
desregierung. Man kann sich auf einen gemeinsamen An-
trag offensichtlich nicht einigen, weil es unterschiedliche
Herangehensweisen an demokratische Verfahren gibt. Ich
halte die Möglichkeit von Volksabstimmungen über das
Internet wirklich für eine hervorragende Ergänzung. Ich
weiß überhaupt nicht, was dagegen spricht, es sei denn,
man hat Angst, kontrolliert zu werden.


(Beifall bei der PDS – Dr. Peter Ramsauer [CDU/CSU]: Kontrolliert habt ihr genug in Deutschland!)



Dr. Rudolf Seiters (CDU):
Rede ID: ID1422415500
Als letzter
Redner spricht nunmehr der Kollege Jörg Tauss für die
SPD-Fraktion.


Jörg Tauss (Plos):
Rede ID: ID1422415600
Herr Präsident! Meine lieben Kol-
leginnen und Kollegen! Ich möchte der guten Ordnung
halber auf Folgendes aufmerksam machen: Die Tatsache,
dass wir hier nicht elektronisch abstimmen können, geht
auf einen damaligen Mehrheitsbeschluss von CDU/CSU
und FDP zurück.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Dr. Edzard Schmidt-Jortzig [FDP]: Und SPD!)


Ich sage das nur, damit es hier keine Missverständnisse
gibt. Wir hatten damals keine Mehrheit in diesem Hause.
Hier sind noch nicht einmal entsprechende Kanäle gelegt
worden. Heute würde das Legen dieser Kanäle sehr viel
Geld kosten. Das ist eigentlich schade.

Liebe Kollegin Bonitz, Sie wissen, Sie schätze ich auch
sehr – nachdem wir uns heute hier alle schätzen, Kollegin
Marquardt, Kollegin Bettin. Ich glaube, bei diesem The-
ma haben wir zum Teil wirklich Berührungspunkte über
Fraktionen hinweg; das sollte man schon sagen. Weil ich
glaube, dass wir heute schon an einer Stelle sind, wo wir
möglicherweise auch über die Zukunft von Parlament und
Parlamentarismus reden, Kollegin Bonitz, will ich für die
Chronisten, die später einmal gucken, wie das anno 2002
war, festhalten, dass ich es war – das sei in aller Beschei-
denheit angemerkt –, der das Thema Onlinewahl in der
letzten Legislaturperiode in den Abschlussbericht der
Enquete-Kommission hineingeschrieben hat.


(Sylvia Bonitz [CDU/CSU]: Warum haben Sie denn keinen Antrag eingebracht? Unser Antrag ist vom Sommer letzten Jahres!)


Damals haben wir heftige Diskussion mit Ihrer Seite da-
rüber geführt. Dies nur zur historischen Redlichkeit. Aber
wenn wir uns heute weitgehend einig sind, ist das doch
ganz prima.

Ich gebe Ihnen, Kollegin Marquardt, und allen anderen
völlig Recht, die hier gesagt haben, bevor wir über elek-
tronisches Wählen reden, müssen wir natürlich zunächst
einmal darüber reden, dass die Netze sicher sein müssen
und dass der Staat nichts tun darf, um Netze unsicher zu
machen. Wir müssen über die Möglichkeit von Anony-
misierungs- und Pseudonymisierungsverfahren reden.

Das sage ich jetzt auch als Forschungspolitiker. Das
Thema ist außerordentlich spannend und könnte einen
großen Schub für die IT-Industrie und für die Software-
industrie in Deutschland auslösen. Das ist überhaupt
keine Frage.


(Beifall bei der SPD und der FDP)

Ich kann Ihrem Antrag, Kollegin Bonitz, heute nicht

zustimmen, weil ich die Reduzierung auf das Thema On-
linewahlen für problematisch halte, so interessant es ist.
Gerade unter diesem Gesichtspunkt haben wir es damals
übrigens in den Abschlussbericht der Enquete-Kommis-
sion hineingeschrieben.Wir haben gesagt: Sichere Wahlen
im Internet würden voraussetzen, dass wir ein sicheres In-
ternet haben. Ein sicheres Internet wäre übrigens auch Vo-
raussetzung für viele weitere tolle positive Entwicklun-
gen in Geschäftsprozessen. Da haben wir uns einen Schub
erhofft. Man stelle sich vor, bis in die letzte Kommune
und in das letzte Wahlamt hinein würde über die Frage
diskutiert: Wie können wir verhindern, dass die SPD der
CDU/CSU 1 Million Stimmen abnimmt? Das werden wir
schon wegen Ihres Kanzlerkandidaten tun; das ist keine
Frage. Aber es sollte ja nicht elektronisch manipulierbar
sein – natürlich auch nicht anders herum, das will ich Ih-
nen natürlich zugestehen.

Wenn wir über diese Dinge reden, reden wir über mehr.
Selbstverständlich ist elektronisches Wählen spannend.
In geschlossenen Netzen könnten wir es heute schon tun.
Deswegen schlagen wir vor, elektronische Wahlen bei-
spielsweise bei Wahlen nach dem Betriebsverfassungs-
gesetz und bei den Wahlen zu den Sozialversicherungs-
trägern zu ermöglichen. Niemand würde uns daran
hindern, das in diesen Bereichen auszuprobieren. Ich
warne aber davor – das tun auch alle Informatiker –, bei
der höchsten Wahl, die wir in diesem Lande haben, bei der
Bundestagswahl mit elektronischen Wahlen zu beginnen.
Kollegin Bonitz, Sie sollten es deshalb auch nicht zum Ge-
genstand von Angriffen auf die Bundesregierung machen.

Wir sollten in geschlossenen Netzen Erfahrungen sam-
meln, zum Beispiel in Betrieben, bei Studentenparlamen-
ten, bei der Testwahl für Schülerinnen und Schüler, und
uns langsam vortasten. Gerade bei der Frage der IT-
Sicherheit ist ein Zeitraum von zehn Jahren nicht zu lang.
Darüber habe ich auch mit den führenden IT-Experten in
unserem Lande gesprochen, die vor einem Schnellschuss
gewarnt haben. Diese Warnungen sollten wir beachten.


(Sylvia Bonitz [CDU/CSU]: Haben Sie Angst, dass die Wähler Sie ablehnen?)


Wir reden über mehr als über elektronisches Wählen
per Mausklick. Ihr Antrag greift einfach zu kurz; der Kol-
lege Friese hat schon darauf hingewiesen. Bertolt Brecht
sprach in seiner Rundfunktheorie einmal von der groß-
artigen Möglichkeit, dass es auch für politische Kommu-
nikation ganz andere Chancen gäbe, wenn man einen
Kommunikationsapparat hätte, der nicht nur empfängt,
sondern es einem auch ermöglicht, selbst zu senden. Das
war in den 30er-Jahren eine tolle Vision.

Aus diesem Grunde wollen wir eben nicht nur darüber
reden, die Leute alle vier Jahre einen Mausklick machen
zu lassen, sondern wir wollen darüber reden, ob das mehr




Angela Marquardt
22274


(C)



(D)



(A)



(B)


Partizipation in vielen Bereichen mit sich bringen kann.
Sie haben Angst vor dem Volk, weil Sie sich gegen Volks-
abstimmungen wenden.


(Sylvia Bonitz [CDU/CSU]: Wir nicht!)

Das zentrale demokratietheoretische Problem auf der
konservativen Seite des Hauses ist, dass Sie Angst vor
dem Volk haben, weil Sie befürchten, es würde Ihnen
möglicherweise an ein paar Punkten nicht mehr folgen.


(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS – Sylvia Bonitz [CDU/ CSU]: Dummes Zeug!)


Da werden Sie über Ihren Schatten springen müssen und
Sie werden das auch tun.

Jede Demokratie lebt von aktiver Teilnahme. Die
Chance der neuen Medien ist selbstverständlich nicht,
dass sie automatisch zu mehr Demokratie führen. Aber
wenn wir ein Mehr an Demokratie wollen, dann geben uns
das Internet und die neuen technischen Möglichkeiten
eine herausragende Chance, Bürgerinnen und Bürger
auch an den Prozessen hier im Parlament stärker zu betei-
ligen. Das wollen mit unserem E-Demokratie-Projekt
ausprobieren. Das ist ein ganz schwieriger Prozess bis hin
zu den Fragen, welche Software eingesetzt wird und wie
sicher kommuniziert werden kann. Das sind alles keine
profanen Probleme. Wir müssen dazu stehen, dass wir
eine solche Beteiligung von außen tatsächlich haben
wollen.

Es gibt drei positive Möglichkeiten: Wir müssen den
Menschen vereinfachte nutzerorientierte Zugänge zu re-
levanten Informationen geben. Wir müssen komplizierte
politische Verfahren bürgernah nachvollziehbar darstel-
len. Wir haben die Chance, in einen dauernden direkten
Dialog mit Bürgerinnen und Bürgern zu treten. Das ist die
Zielsetzung, die wir mit all dem verbinden.

Auch dieses Parlament hat gute Chancen, hierzu in den
nächsten Jahren Beiträge zu leisten. Mit aller Deutlichkeit
sage ich mit Blick auf die Regierungsbank: Selbstver-
ständlich kann ich mir vorstellen, dass wir die Mög-
lichkeiten auch nutzen werden, um Regierungshandeln
– dabei ist es egal, wer gerade regiert; wir werden noch
lange regieren – für uns als Parlamentarier transparenter
zu machen, sodass wir früher in Erfahrung bringen kön-
nen, was die Ministerien machen. Hier bietet sich eine
hervorragende Chance, zusätzlichen Sachverstand für das
Parlament zu mobilisieren.

Die Akzeptanz und die Legitimation politischer und
parlamentarischer Prozesse können wir, Herr Präsident
– Sie erinnern mich ja schon an die Zeit –, mithilfe der
Technik, wenn wir es wollen, erhöhen. Die Technik rich-
tet es nicht von alleine. Ein Mehr an Demokratie können
wir aber, wenn wir es denn wollen, mithilfe der Technik
realisieren.


(V o r s i t z: Vizepräsidentin Petra Bläss)

Ich würde mich freuen, wenn Sie alle unserem Antrag

zustimmen. Die FDP hat ja bereits ein positives Beispiel
gegeben, indem Herr Schmidt-Jortzig ein zustimmendes
Votum signalisierte. Vielen Dank dafür. Vielleicht sprin-

gen auch die anderen über ihren Schatten. Springen Sie
nicht zu kurz! Haben Sie Mut! Stimmen Sie dem Antrag
von Rot-Grün zu!


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1422415700
Ich schließe die Aus-
sprache.

Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Innen-
ausschusses auf Drucksache 14/8466. Der Ausschuss
empfiehlt unter Nr. 1 seiner Beschlussempfehlung die An-
nahme des Antrags der Fraktionen von SPD und Bünd-
nis 90/Die Grünen auf Drucksache 14/8098 mit dem
Titel: „E-Demokratie: Onlinewahlen und weitere Partizi-
pationspotenziale der neuen Medien nutzen“. Wer stimmt
für diese Beschlussempfehlung? – Gegenprobe! – Enthal-
tungen? – Die Beschlussempfehlung ist gegen die Stim-
men von CDU/CSU bei Enthaltung der PDS-Fraktion mit
den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der FDP ange-
nommen.

Unter Nr. 2 seiner Beschlussempfehlung empfiehlt der
Innenausschuss die Ablehnung des Antrags der Fraktion
der CDU/CSU auf Drucksache 14/6318 mit dem Titel:
„Voraussetzungen für die Durchführung von Online-
wahlen“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? –
Gegenprobe! – Enthaltungen? – Diese Beschlussempfeh-
lung ist gegen die Stimmen der CDU/CSU bei Enthaltung
der PDS-Fraktion angenommen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 8 auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundes-
regierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Neuordnung der Statistik über die Beher-

(Beherbergungsstatistikgesetz – BeherbStatG)

– Drucksache 14/6392 –

(Erste Beratung 182. Sitzung)

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-
ses für Tourismus (21. Ausschuss)

– Drucksache 14/8475 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Brunhilde Irber

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Ich höre kei-
nen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache. Erster Redner ist für die
Bundesregierung der Parlamentarische Staatssekretär
Ditmar Staffelt.

D
Dr. Ditmar Staffelt (SPD):
Rede ID: ID1422415800
Frau Präsiden-
tin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wie Sie
wissen, verdient die Tourismusbranche als eine Branche,
die in Deutschland immerhin rund 8 Prozent zum Brut-
toinlandsprodukt beiträgt, rund 3Millionen Menschen be-
schäftigt und 105 000 Ausbildungsplätze bereitstellt, die
besondere Aufmerksamkeit der Bundesregierung. Es ist




Jörg Tauss

22275


(C)



(D)



(A)



(B)


uns durch ein vielfältiges Engagement gelungen, die Be-
deutung der Tourismuswirtschaft als Wirtschaftsfaktor
in der Öffentlichkeit zu verankern und ihr mehr Anerken-
nung zu verschaffen.

Auch die Novellierung des Beherbergungsstatistik-
gesetzes ist ein Weg in die richtige Richtung. Letztlich
misst doch das Instrument Statistik Leistungen und stellt
sie für die Öffentlichkeit vergleichbar dar. Es ist mit Si-
cherheit richtig, dass man auf der einen Seite möglichst
viel wissen will, um feinsteuern zu können; auf der ande-
ren Seite besteht immer die Sorge, dass die zusätzlich be-
lastet werden, die in der Praxis tätig sind. Wir haben ge-
meinsam versucht, einen goldenen Mittelweg zu finden,
um sowohl dem einen wie auch dem anderen Anliegen
Rechnung tragen zu können.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Mit der Beschlussempfehlung des Tourismusausschus-

ses zum Gesetzentwurf der Bundesregierung haben wir
einen für alle Beteiligten, wie ich denke, tragfähigen
Kompromiss gefunden. Dafür bedanke ich mich auch von
dieser Stelle aus.

Gleichzeitig ist erreicht worden, dass wir den europä-
ischen Vorgaben Rechnung getragen haben, zum Beispiel
den Informationsanforderungen der EG-Tourismussta-
tistik-Richtlinie, die somit von Deutschland erfüllt wer-
den kann. Mit der Aufnahme der Pflicht der Erfassung der
Zimmerauslastung in den Gesetzentwurf wird darüber hi-
naus einer langjährigen Forderung der Tourismuswirt-
schaft entsprochen.

Saldiert können wir sagen: Trotz der Erfassung zusätz-
licher Zahlen wird es beimAufwand eine Nettoeinsparung
geben.Damit ist einZiel, daswirunsgesetzt haben, erreicht.


(Beifall bei der SPD)

Es ist auch wichtig, dass nicht vergessen worden ist,

insbesondere den Bereich der Vorsorge- und Rehabilita-
tionseinrichtungen mitzuberücksichtigen. Dies ist eben-
falls ein Wunsch der Länder und der Tourismusverbände
und wird von der Bundesregierung in vollem Umfange
mitgetragen. Ich glaube, dass damit die bisherige Trans-
parenz beibehalten werden kann, die wir uns alle wün-
schen und die insbesondere in jenen Ländern und Regio-
nen Bedeutung hat, in denen Kurgäste die überwiegende
Anzahl von Touristen ausmachen, sodass für Unterneh-
mer in der Tourismusbranche Investitionsentscheidungen
erleichtert werden.


(Beifall bei der SPD)

Ich bitte Sie deshalb, diesem Gesetzentwurf in Verbin-

dung mit der Beschlussempfehlung Ihre Zustimmung zu
geben.


(Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Was?)

Ich glaube, dass das im Zusammenhang mit der Interna-
tionalen Tourismusbörse, die bekanntlich am Sonnabend
in Berlin eröffnet wird, sehr gut ist. Dies ist ein Signal, das
deutlich macht, Herr Hinsken, dass die Politik auch ein-
mal zusammenstehen kann, wenn es darum geht, die Sa-
che voranzubringen.


(Ernst Burgbacher [FDP]: Wir machen das immer!)


Insoweit ist das sicherlich auch für die FDP- und die
CDU/CSU-Opposition ein wichtiges Anliegen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Die Bundesregierung hat im Hinblick auf den Tou-
rismus zahlreiche wichtige Schritte getan: Die Steuer-
reform wirkt. Die Konsolidierung des Haushaltes, die
Entbürokratisierung, die Aufgabe von Rabattgesetz
und Zugabenverordnung, die Investitionsförderung, die
wir im Rahmen der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesse-
rung der regionalen Wirtschaftsstruktur“ auf einem ho-
hen Niveau haben festsetzen können, und auch die Zu-
wendung für die DZT sind einige von vielen Punkten,
die die Bundesregierung zugunsten des Tourismus auf-
gelegt hat.

Lassen Sie mich abschließend auf Folgendes hinwei-
sen: Wer sich die Zahlen des deutschen Tourismus in den
vergangenen Jahren anschaut, der wird feststellen kön-
nen, dass der Tourismus tatsächlich eine Wachstums-
branche in Deutschland ist.


(Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Richtig!)

Ich möchte einmal die Zahlen nennen: Wir hatten 1997
287,2 Millionen Übernachtungen in Deutschland. Es sind
jetzt 326,6 Millionen. Betrachtet man die Zahlen nach
Bundesländern aufgefächert, so sei an dieser Stelle der
Hinweis erlaubt, dass es insbesondere in den neuen Bun-
desländern gelungen ist,


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

in diesem wichtigen Bereich fast durchweg erfreuliche
Akzente zu setzen.


(Klaus Brähmig [CDU/CSU]: Es könnte aber noch besser sein!)


– Es ist immer alles besser zu machen. Würde diese Mög-
lichkeit in unserem Leben nicht bestehen, wären wir nicht
mehr perspektivisch genug ausgerichtet.

In Berlin – ich fange einmal mit meinem Bundesland
an – stieg die Zahl der Übernachtungen von 8,3 Millionen
auf 11,3 Millionen, in Mecklenburg-Vorpommern von
13,3 Millionen auf 19,8 Millionen. Das zeigt, dass dort
viel in Bewegung ist,


(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS)


dass in den Tourismus investiert wird und dass es auch in
den neuen Bundesländern attraktive Angebote gibt. Ich
nenne hier – damit niemand sagt, ich wäre parteipolitisch
einäugig – genauso gern die südlichen neuen Bundeslän-
der Thüringen und Sachsen, die auf diesem Gebiet eben-
falls große Erfolge zu verzeichnen haben.


(Sylvia Voß [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Auch Brandenburg!)


Ich möchte abschließend sagen: Wir werden auf dieser
Linie fortfahren. Wir laden Sie alle ein, weiter mitzuhel-
fen, den Tourismus in Deutschland zu unterstützen und zu
fördern sowie Deutschland im Blick auf den Tourismus
weiter attraktiv zu gestalten.




Parl. Staatssekretär Dr. Ditmar Staffelt
22276


(C)



(D)



(A)



(B)


Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1422415900
Das Wort für die
CDU/CSU-Fraktion hat jetzt der Kollege Klaus Brähmig.


Klaus Brähmig (CDU):
Rede ID: ID1422416000
Frau Präsidentin!
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Einleitend freue
ich mich, dass wir unsere Kollegin Brunhilde Irber weiter
in den Reihen der Tourismuspolitiker des Deutschen Bun-
destages begrüßen dürfen. Mein Dank gilt daher Landrat
Christian Bernreiter von der CSU mit seinem überragen-
den Wahlergebnis von 59,2 Prozent bei den Landratswah-
len im Kreis Deggendorf.


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: So einen Unsinn müssen Sie auch noch ablesen!)


Er hat dafür gesorgt, dass die SPD-Bundestagsfraktion
nach dem Ausscheiden von Staatssekretär Mosdorf nicht
noch mehr von ihrem tourismuspolitischen Sachverstand
verliert.

Ein gutes Beispiel für mangelnden tourismuspoliti-
schen Sachverstand ist die von Rot-Grün geplante Ände-
rung des Beherbergungsstatistikgesetzes, über die wir
heute debattieren. Von dem ursprünglichen Regierungs-
entwurf ist durch die vehementen Proteste der Tourismus-
branche und der Opposition kaum noch etwas übrig ge-
blieben. Erst im Bundesrat wurde der Irrweg Ihres
Gesetzentwurfes auch von SPD-geführten Bundesländern
beendet und wurden die Hauptforderungen der CDU/
CSU-Bundestagsfraktion eingearbeitet. Insofern kann ich
Ihnen für unsere Fraktion hier und heute mitteilen, dass wir
dem Gesetzentwurf zustimmen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Zur Verdeutlichung: Es war die rot-grüne Bundesre-

gierung, die die Übernachtungen in Kurkliniken aus der
statistischen Erfassung streichen wollte. Eine verantwort-
liche und langfristige Tourismus- und Infrastrukturpolitik
der deutschen Heilbäder und Kurorte fordern und
gleichzeitig den Kommunen kein verlässliches Zahlen-
material als Planungsgrundlage zur Verfügung zu stellen,
das ist rot-grüner Sachverstand pur.

Es war die rot-grüne Bundesregierung, die nur noch
Übernachtungen in Beherbergungsbetrieben mit mehr als
zwölf Betten statistisch erfassen wollte. Derzeit liegt die
Grenze bei acht Gästebetten. Den effizienten Einsatz von
Steuermitteln bei der Planung von Infrastrukturmaßnahmen
wie bei Verkehrswegen, Wasser- und Abfallentsorgung for-
dern und gleichzeitig Bund, Länder und Kommunen die
Planungsgrundlagen dafür entziehen – Sachverstand à la
Rot-Grün.

Es war die rot-grüne Bundesregierung, die die Fest-
legung der Abschneidegrenze mit einem Verweis auf das
Gaststättengesetz regeln wollte. Für diese Verbindung
von Gaststättengesetz und Beherbergungsstatistikgesetz
gab es keine sachliche Begründung. Änderungen im Gast-
stättengesetz hätten damit Veränderungen in der Touris-
musstatistik zur Folge haben können. Auch hier zeigt sich
die Vorstellung von rot-grünem Sachverstand.

In der nächsten Legislaturperiode sollte grundsätzlich
überlegt werden, ob tourismusrelevante Einzelgesetze in
einem eigenen Tourismusgesetz zusammengefasst wer-
den können,


(Beifall des Abg. Ernst Hinsken [CDU/CSU])

um etwas mehr Klarheit für die Branche zu schaffen, eine
alte Forderung auch unseres Ausschussvorsitzenden Ernst
Hinsken.


(Sylvia Voß [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Warum habt ihr das denn nicht umgesetzt, wenn es eine alte Forderung ist?)


Leider wurde die Forderung der CDU/CSU-Bundestags-
fraktion, zumindest einmal im Jahr die Betriebe mit
weniger als acht Betten statistisch zu erfassen, nicht er-
füllt. Für eine strategische und nachhaltige Tourismus-
politik wären aber gerade diese Zahlen von unschätzbarer
Bedeutung. Gott sei Dank haben wir im Osten Deutsch-
lands ein Projekt, das uns nähere Auskunft über die Be-
deutung dieses touristischen Graumarktes gibt.


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Ich denke, Sie sind für die Verhinderung von Bürokratie!)


Das Sparkassen-Tourismusbarometer, das jährlich durch
den Ostdeutschen Sparkassen- und Giroverband und ei-
nige Agenturen mit neuen Themen fortgeschrieben wird,
gibt den Ländern und Kommunen nunmehr seit vielen
Jahren Ratschläge für eine positive Entwicklung des Tou-
rismus zwischen Fichtelberg und Rügen.


(Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Sehr gut!)

Am kommenden Montag wird im Rahmen der ITB die-

ser bisher noch nicht durch die Statistik erfasste Grau-
markt im Mittelpunkt der Betrachtung stehen.


(Renate Gradistanac [SPD]: Sehr gut!)

Vorab schrieb die „Fremdenverkehrswirtschaft“ am
7. März dieses Jahres: „Während das offizielle Übernach-
tungsvolumen für 2001 insgesamt 57,5 Millionen Über-
nachtungen in den neuen Bundesländern umfasst, liegt
das ‚wahre‘ Marktvolumen mit 159,1 Millionen Über-
nachtungen mehr als zweieinhalb Mal so hoch. Zu diesem
Volumen tragen Aufenthalte in Privatzimmern und Feri-
enwohnungen, der Sofatourismus – private Verwandten-
und Bekanntenbesuche –, das Dauercamping und die
Übernachtung in Freizeitwohnsitzen bei – ein bislang in
dieser Höhe völlig unbekannter und daher auch im touris-
tischen Marketing weitgehend vernachlässigter Markt.“

Wie Sie sehen, werden riesige Wirtschaftspotenziale
und erbrachte Leistungen von unserem bisherigen Statis-
tiksystem leider einfach ausgeblendet. Die CDU/CSU-
Bundestagsfraktion sieht daher durchaus weitere Ver-
besserungsmöglichkeiten im Statistikgesetz. Denn das
Sparkassen-Tourismusbarometer belegt, dass man auch
ohne zusätzliche Bürokratie, ohne zusätzliche Kosten für
die Betriebe und bei gleichzeitiger Wahrung des Daten-
schutzes zeitnahe Daten über die touristische Lage der Öf-
fentlichkeit sowie politischen und wirtschaftlichen Ent-
scheidungsträgern zur Verfügung stellen kann. – Wie Sie
sehen: Die Statistik ist nicht alles, aber ohne Statistik ist
alles nichts.




Parl. Staatssekretär Dr. Ditmar Staffelt

22277


(C)



(D)



(A)



(B)


Meine sehr geehrten Damen und Herren, lassen Sie
mich die heutige Debatte für einen Ausblick auf die ITB,
die größte Tourismusmesse der Welt, nutzen, die über-
morgen hier in Berlin beginnt. Die ITB ist unzweifelhaft
ein Seismograph für die bevorstehende Saison. Der
Deutschlandtourismus wird wahrscheinlich von der ge-
stiegenen Nachfrage nach erdgebundenen Verkehrsmit-
teln profitieren.


(Ernst Hinsken [CDU/CSU]: So ist es!)

Damit ist die große Chance verbunden, neuen Zielgrup-
pen die hohe Qualität des deutschen Tourismusangebotes
zu präsentieren.


(Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Sehr richtig! – Lachen bei Abgeordneten der SPD)


Im Gegensatz zu allgemein rückläufigen Gästezahlen ha-
ben viele Regionen in Deutschland in den letzten Mona-
ten noch Gäste hinzugewinnen können. Es freut mich be-
sonders, dass dies auch für sächsische Tourismus- und
Feriengebiete zutrifft.


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: „Sehr richtig“, Herr Hinsken!)


Die Absage einiger großer Reiseveranstalter und Flugge-
sellschaften bzw. deren deutlich reduzierter Messeauftritt
auf der ITB zeigt die Kurzsichtigkeit dieser Unternehmen,
die die erstbeste Gelegenheit nutzen, sich vom wichtigen
internationalen Messestandort Berlin zu verabschieden –
ein falsches Zeichen zur falschen Zeit.


(Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Leider wahr! – Lachen bei Abgeordneten der SPD)


Abschließend möchte ich in der heutigen Debatte eine
Bilanz der rot-grünen Tourismuspolitik ziehen. Die Bun-
desregierung hätte in den vergangenen Jahren die Chan-
cen der Branche für mehr Arbeitsplätze beherzter nutzen
können und müssen.


(Beifall bei der CDU/CSU – Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Die fünf anwesenden CDU/ CSU-Mitglieder sind regelrecht begeistert!)


Offensichtlich gehört die große Liebe unseres Wirtschafts-
ministers Dr. Müller aber wohl vor allem der Energie-
wirtschaft.


(Horst Kubatschka [SPD]: Und dem Tourismus!)


– Davon habe ich bisher leider sehr wenig mitbekommen,
Herr Kubatschka.


(Horst Kubatschka [SPD]: Das liegt aber an Ihnen! Dafür kann der Herr Müller nichts!)


Sein Interesse für die mittelständisch geprägte Tourismus-
branche als Jobmaschine und Leitökonomie des 21. Jahr-
hunderts hält sich dagegen leider in Grenzen. Das Ein-
zige, was unter Wirtschaftsminister Dr. Müller gewachsen
ist, ist die Schwarzarbeit. Hierzu nur eine Zahl: In diesem
Jahr wird mit einem Volumen von 350 Milliarden Euro
gerechnet.


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: So ein Unsinn!)


Wir werden diese politische Einstellung zu den Millionen
von fleißigen und engagierten Mitarbeitern, Unterneh-
mern und Existenzgründern ab dem 22. September wieder
zur Herzenssache einer von uns geführten Bundesregie-
rung unter Kanzler Edmund Stoiber machen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Horst Kubatschka [SPD]: Oje! Da wird sich die DZT freuen, dass sie weniger Geld hat! – Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Noch ein Versprechen, das Sie nächste Woche wieder einstampfen müssen!)


Im Gegensatz zu Minister Müller hat der scheidende
Staatssekretär Siegmar Mosdorf die Initiativen der Oppo-
sition zu würdigen gewusst und viele unserer Ideen über-
nommen. Erinnert sei hier nur an das „Jahr des Tourismus
in Deutschland 2001“, die Bemühungen, das Sparkassen-
Tourismusbarometer auf das ganze Bundesgebiet auszu-
weiten, und die Entwicklung der deutschen Nationalparke
zu einer eigenständigen Premiummarke. An dieser Stelle
hoffe ich, dass uns der neue Staatssekretär, Herr Staffelt,
ebenfalls seine Unterstützung im Ausschuss zusagt und
seine Punkte entsprechend setzen wird.


(Zuruf von der SPD: Das wird er auch über den 22. September hinaus machen!)


Der Deutschen Zentrale für Tourismus als Fenster
Deutschlands in vielen Staaten der Erde möchte ich für
unsere Fraktion ein herzliches Dankeschön sagen. Wir
wollen nach dem 22. September 2002 die DZT deutlich
stärken. Hier sehe ich keine Alternative.


(Horst Kubatschka [SPD]: Wie vorher, was? Mit weniger Mitteln!)


Wir sollten in diesem Zusammenhang nicht außer Acht
lassen: Tourismuspolitik ist die beste und nachhaltigste,
vielleicht auch kostengünstigste Außen- und Entwick-
lungspolitik. Deutschland ist Reiseweltmeister und leistet
damit direkt und indirekt auch einen wichtigen Beitrag
zur Wirtschaftsentwicklung vieler Länder unserer Erde.

Eine Debatte zur Mittelstands- und Tourismuspolitik,
bei der das Thema Rahmenbedingungen nicht angespro-
chen wird, ist wie ein Blinder, der über die Farben spricht.


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Das war bisher der gesamte Stil Ihrer Rede!)


Als ostdeutscher Abgeordneter möchte ich hier die Be-
trachtung besonders auf die Situation in den neuen Bun-
desländern lenken. Seit 1999 sinkt in Ostdeutschland die
Kaufkraft stetig. Die Arbeitslosigkeit war seit 1990 noch
nie so hoch wie unter Kanzler Schröder.


(Zuruf von der SPD: Stimmt ja nicht!)

Die Investitionsquote in den neuen Ländern geht seit Jah-
ren zurück. Dafür wächst die Zahl der Unternehmensplei-
ten auch im Tourismus auf ein neues Rekordniveau, wie
heute „Die Welt“ schreibt.


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: So ein Unsinn! – Wolfgang Weiermann [SPD]: Man kann es mit dem Stöhnen auch übertreiben!)





Klaus Brähmig
22278


(C)



(D)



(A)



(B)


In diesen Zusammenhang passt ein Kommentar über
den Ostparteitag der SPD aus der „Freien Presse“ in
Chemnitz von heute – ich zitiere –:

Auf dem SPD-Ost-Parteitag in Magdeburg hat
Schröder vollmundig den A-72-Bau zwischen
Chemnitz und Leipzig versprochen. Kurz darauf ru-
derten Mitarbeiter im Bundesverkehrsministerium
bereits wieder zurück. Ihr Motto: So war das alles
nicht gemeint. Kein Wunder, dass Sachsens Wirt-
schaftsminister Schommer nun eine verbindliche
Zusage verlangt. Und zwar vor dem Wahltag.

(Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Der hat Recht, der Mann!)

Meine Damen und Herren, die Halbwertszeit von Kanz-

lerversprechen liegt bei Gerhard Schröder mittlerweile nur
noch bei Stunden. So sieht es also aus, wenn ein SPD-Bun-
deskanzler den Aufbau Ost zur Chefsache macht. Die rot-
grüne Bundesregierung ist besonders in den ostdeutschen
Ländern ein Risikofaktor mit erheblicher Standortgefähr-
dung.

Zusätzlich lässt sich die Sozialdemokratie zur Erhal-
tung ihrer Macht mehr und mehr auf die Bündnisse mit
der PDS ein.


(Renate Gradistanac [SPD]: Sagen Sie doch mal was zur Statistik!)


– Hören Sie doch einmal zu!

(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Nein, da muss man wirklich nicht zuhören!)

Überall, wo diese Bündnisse bestehen, sackt die Wirt-
schaft in den Keller. Insofern stellt sich für mich die
Frage, warum der Genosse der Bosse und selbsterklärte
Wirtschaftskanzler Gerhard Schröder nun sogar auf Bun-
desebene versteckte Bündnisangebote an die PDS aus-
sendet.


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: So eine Lachnummer! Sind wir hier im Kabarett?)


Anscheinend regiert bei Rot-Grün nur noch die Panik.
Die Angst vor dem Machtverlust geht um.


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Aber nicht bei solchen Rednern, wie Sie es sind!)


Diese Politik hat uns auch im EU-Vergleich die rote La-
terne eingebracht. Deutschland ist in den wichtigsten
wirtschaftlichen Kennzahlen erstmals Schlusslicht in Eu-
ropa. Weltwirtschaftliche Krisen gab es auch schon vor
dem 11. September 2001 und auch zu Zeiten einer CDU/
CSU-geführten Bundesregierung. Der entscheidende Un-
terschied dabei ist: Unter Bundeskanzler Helmut Kohl


(Renate Gradistanac [SPD]: Sagen Sie doch mal was zur Statistik!)


waren wir selbst in der Krise noch die Lokomotive inner-
halb Europas.


(Lachen bei der SPD – Zurufe der Abg. Ingrid Holzhüter [SPD])



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1422416100
Herr Kollege
Brähmig, ich muss Sie jetzt ein wenig bremsen. Ihre
Redezeit ist nämlich abgelaufen.


Klaus Brähmig (CDU):
Rede ID: ID1422416200
Ich bin sofort fertig,
Frau Präsidentin. – Heute, unter Gerhard Schröder, sind
wir nur noch der Bremsklotz.

Kollege Hinsken hat diese Situation vor zwei Wochen
von diesem Platz aus sehr anschaulich dokumentiert.
Das Tohuwabohu auf der Regierungsbank verdeutlichte,
wie dünnhäutig die rot-grüne Bundesregierung gewor-
den ist.


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1422416300
Herr Kollege
Brähmig, sehr geduldig bin ich heute nicht.


Klaus Brähmig (CDU):
Rede ID: ID1422416400
Ja, Frau Präsidentin. –
Die Bundesregierung inszeniert bei jeder sich bietenden
Gelegenheit angebliche Erfolge mit riesigen Show-Effek-
ten. Wir werden sie aber nicht aus dieser Schlusslicht-
debatte herauslassen.


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1422416500
Jetzt haben Sie selbst
das Stichwort Schlusslicht gegeben. Das rote Licht leuch-
tet schon eine Weile.


Klaus Brähmig (CDU):
Rede ID: ID1422416600
Erlauben Sie mir noch
einen letzten Satz.


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Hören Sie doch mit dem Unsinn auf! Jetzt überzieht er die Redezeit noch weiter! Hören Sie auf, unsere Geduld zu strapazieren!)


Die letzten vier Jahre waren für Deutschland insgesamt
und für die Tourismuspolitik im Besonderen vier verlo-
rene Jahre. Der Mittelstand und die Wähler werden am
22. September Rot-Grün die Quittung präsentieren.

Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU/CSU – Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Absolute Lachnummer, Herr Brähmig! – Horst Kubatschka [SPD]: Der kennt noch nicht einmal die Uhr!)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1422416700
Es spricht jetzt die
Kollegin Sylvia Voß für die Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen.


Sylvia Voß (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1422416800
Sehr ge-
ehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Auch wenn die Opposition hier ein ganz schrecklich
schwarzes Falschbild malt: Der Tourismus in unserem
Land entwickelt sich gut, und zwar auch deswegen, weil
Sie in der Opposition sitzen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Lachen bei der CDU/ CSU)





Klaus Brähmig

22279


(C)



(D)



(A)



(B)


Weltweit zählt nämlich Deutschland neben den USA,
Spanien, Frankreich und Italien nach wie vor zu den at-
traktivsten Urlaubszielen.


(Zuruf von der CDU/CSU: Jetzt hat der Schröder auch noch die Alpen und die Ostsee gemacht! Die Entwicklung der Gästeübernachtungen in Deutschland war auch im Jahre 2001 positiv. Die Hotels, Pensionen und anderen Beherbungsbetriebe mit neun oder mehr Betten in Deutschland begrüßten im Jahr 2001 insgesamt 16,9 Millionen ausländische Gäste. Bevorzugte Reiseziele der ausländischen Touristen waren die deutschen Großstädte. Ganz anders ist das Reiseverhalten der deutschen Touristen, die es stärker in die stillen ländlichen Regionen mit schöner Natur und in kleinere Gemeinden zieht. Es ist gut, dass wir solche Zahlen und Verhaltenstrends kennen. Wir kennen sie, weil es eine Statistik gibt. Zugegeben, Gerippe sind nicht sonderlich malerisch, das Wortungetüm Beherbergungsstatistikgesetz auch nicht. Aber ohne eine solche Stütze wäre vieles schlechter, auch wenn sich uns der Charme des Ganzen erst auf den zweiten Blick erschließt. (Manfred Grund [CDU/CSU]: Das leuchtet ein!)


– Euch erschließt er sich überhaupt nicht.
Mit dem vorliegenden Gesetz wurde die Beherber-

gungsstatistik an zahlreiche gesetzliche, wirtschaftliche
und europarechtliche Anforderungen angepasst. Das be-
grüßen wir alle, wie wir auch schon von Ihnen gehört ha-
ben. Ich gehe hier nur auf wenige Details ein:

Erstmals werden jetzt die angebotenen Gästezimmer
und nicht nur die Gäste und die Zahl ihrer Übernachtun-
gen erfasst. Dieser auf den ersten Blick kleine Fakt hat
eine große Wirkung. Die Branche erhält so einen viel ge-
naueren Überblick über das bestehende Angebot und kann
gegebenenfalls gezielt die Bedarfslücken füllen.

Das neue Beherbergungsstatistikgesetz sieht auch vor,
das Erhebungsprogramm zu straffen. Bund und Länder
werden durch diese Neuerung Kosten sparen. Das ist, wie
sicherlich auch Sie zugeben werden, eine gute Sache.

Nicht alles ist von uns geändert worden. Wenn sich Al-
tes bewährt hat, kann man es belassen. Dazu sage ich nur,
dass die vorgesehene Streichung der Kur- und Rehaein-
richtungen aus der Beherbergungsstatistik wieder zurück-
genommen worden ist. Als Ärztin war ich immer dafür,
dass diese Daten erhoben werden; denn das Kur- und
Bäderwesen stellt ein unverzichtbares Potenzial der Tou-
rismuswirtschaft dar. Die in diesem Bereich getätigten
Übernachtungen sind ohne Zweifel dem touristischen
Verbrauch zuzuordnen, da sich Kur- und Rehateilnehmer
vor Ort wie Touristen verhalten;


(Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Da hat sie Recht! Die Bundesregierung hatte das nur nicht geglaubt und kapiert!)


nur werden sie in diesem Fall Patient, Kurgast und Well-
nesstourist genannt. Sie kaufen ein, gehen manchmal zum
Essen aus und statten gelegentlich, mit oder ohne Kur-

schatten, dem Kino, dem Theater oder der freien Natur ei-
nen Besuch ab. Der Deutsche Heilbäderverband bezeich-
net diese Gäste deshalb zu Recht als „Säule für die lokale
und die regionale Tourismuswirtschaft“.

Abschließend möchte ich die Gründe nennen, die mich
zu der Überzeugung bringen, dass zukünftige Statistiken
über die Beherbergung, aber auch über die anderen Indi-
katoren der wirtschaftlichen, sozialen und ökologischen
Entwicklung des Tourismus in unserem Land einen posi-
tiven Trend aufzeigen werden, und zwar dank Rot-Grün
und unserem Sachverstand, Herr Brähmig. Mit unserem
Tourismusförderprogramm haben wir unter anderem die
Voraussetzungen dafür geschaffen, dass Betreiber von
Einrichtungen ihre Anlagen mit moderner Technologie
ausstatten können und dass damit ein gewichtiger Beitrag
zum Umweltschutz sowie für ein verbessertes Investiti-
onsklima und so auch für den Arbeitsmarkt geschaffen
wird. Die Bundesregierung stellt dafür Gelder in spe-
ziellen Förderprogrammen bereit.

Mit der erfolgreichen Einführung der Umweltdach-
marke Viabono kann sich der Kunde nun zuverlässig da-
rüber informieren, ob sein Hotel umweltschonend geführt
wird, die Küche Produkte aus der Region anbietet und ob
er auch ohne Auto an sein Reiseziel kommen kann.

Immer mehr Touristen – die meisten kommen, wie ich
eben schon sagte, aus Deutschland; aber wir werben
dafür, dass auch Ausländer hierhin kommen – entscheiden
sich für Ferien in unseren Großschutzgebieten, also in
Nationalparken, Biosphärenreservaten und Naturparken.
Diese sind Qualitätsmarken für ganze Regionen. Daraus
ergeben sich große Chancen auch für den Tourismus. Die
von uns auf den Weg gebrachte Imagekampagne für
Deutschlands Nationalparke kam also genau zur richtigen
Zeit.

Mit dem neuen Bundesnaturschutzgesetz haben wir
ein modernes Naturschutzrecht geschaffen, das die Be-
wahrung unseres nationalen Naturerbes auf eine deutlich
verbesserte Grundlage stellt, das Landschaftserleben für
die Menschen deutlich verbessert und damit dem Touris-
mus dient, der auf den Erhalt dieser Landschaft angewie-
sen ist. Wir müssen die Menschen für das Land Deutsch-
land begeistern.

Veränderungen führen wir auch im Bereich der Mobi-
lität und des Verkehrs herbei, indem wir die Förderung
umweltschonender Verkehrsträger gewährleisten, was
wiederum eine Entlastung für die Umwelt bedeutet. Hier
ist auch die deutlich verbesserte Kooperation mit der
Deutschen Bahn AG zu nennen, die zum Jahr des Touris-
mus schon gut war und die auch jetzt zum Internationalen
Jahr des Ökotourismus ihren Beitrag leistet.

Wir als Rot-Grün haben uns nicht nur viel für den
Deutschlandtourismus vorgenommen, sondern die Bilanz
kann sich schon jetzt sehen lassen. In den nächsten Mo-
naten werden von uns weitere Initiativen in den Bundes-
tag eingebracht werden. Ich hoffe, dass Sie auch diesen
dann zustimmen werden.

Danke schön.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)





Sylvia Voß
22280


(C)



(D)



(A)



(B)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1422416900
Das Wort hat der Kol-
lege Ernst Burgbacher für die Fraktion der FDP.


Ernst Burgbacher (FDP):
Rede ID: ID1422417000
Frau Präsidentin! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte Sie daran erin-
nern, dass wir uns über das Beherbungsstatistikgesetz un-
terhalten.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD)


Das wurde bisher fast vergessen.
Ich möchte zunächst betonen, dass ich es für gut halte,

dass wir dieses Gesetz heute wahrscheinlich mit großem
Konsens verabschieden werden.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD, der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Das ist ein Zeichen dafür, dass es in diesem Hause durch-
aus möglich ist, inhaltliche, sachlich gerechtfertigte
Dinge im Konsens zu regeln, nachdem man sich zusam-
mengerauft hat. In diesem Gesetzentwurf von Rot-Grün
waren Dinge strittig. Wenn keine Änderungen vorgenom-
men worden wären, hätten wir mit Sicherheit nicht zuge-
stimmt.

Es sollte der Kur- und Rehabereich aus der Touris-
musstatistik herausgenommen werden. Das hätte – ich
denke da zum Beispiel an mein Heimatland Baden-Würt-
temberg – für Tourismusländer fatale Folgen gehabt; denn
gerade im Zuge der Gesundheitsreform haben sich die
Kur- und Rehaorte umgestellt. Für sie spielt heute Touris-
mus die größte Rolle. Wenn dieser Bereich herausgenom-
men worden wäre, hätte das von der Förderung bis zu vie-
len anderen Dingen Konsequenzen gehabt, die äußert
kontraproduktiv gewesen wären.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Wir als Opposition haben das von Anfang an angemahnt.
Wir, CDU/CSU und FDP, haben gemeinsam immer ge-
sagt, dass wir so nicht zustimmen werden.

Ich möchte an dieser Stelle auch sagen: Wir sind der
Regierung und den Regierungsfraktionen weit entgegen-
gekommen, indem wir ihnen immer Zeit gegeben haben,
Kompromisse zu finden. Wir hätten dies auch publikums-
wirksam nach außen verkaufen können. Wir haben dies
nicht getan, sondern haben im Sinne einer Lösung, die uns
in der Sache weiterbringt, versucht, einen gemeinsamen
Weg zu finden. Ich bin froh, dass die Regierung dann auf
diesen Weg eingeschwenkt ist und wir heute einen Ge-
setzentwurf vorliegen haben, mit dem wir alle leben kön-
nen und der auch zur vollsten Zufriedenheit aller Betei-
ligten ist.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU sowie der Abg. Sylvia Voß [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Ich möchte auch ein wenig über den Inhalt reden. Hin-
sichtlich der Bettenstatistik begrüße ich es sehr – das ist
wichtig –, dass die Abschneidegrenze von acht Betten bei
der statistischen Erfassung bleibt. Wir reden alle in Sonn-

tagsreden darüber, Bürokratie abzubauen. Sobald es aber
konkret wird, sind wir ganz schnell bereit, neue Regelun-
gen einzuführen. Deshalb habe ich mich immer dagegen
gewehrt, noch eine zusätzliche Statistik zu schaffen. Wir
können jetzt gleichzeitig mit der Prüfung einer Möglich-
keit der Erfassung statistisch sicherer Daten bei kleineren
Betrieben prüfen, wie man an anderer Stelle Statistiken
einsparen kann. Ich glaube, dass dies der richtige Weg ist.
Das begrüße ich für die FDP-Fraktion ausdrücklich.


(Beifall bei der FDP)

Von den Vorrednern wurde viel zum Deutschlandtou-

rismus gesagt. Ich denke, wir alle hier in diesem Hause
sind uns darüber einig, dass der Tourismus ein Wirt-
schaftsfaktor für die Bundesrepublik ist, der weit wichti-
ger ist, als dies in der Öffentlichkeit und leider manchmal
auch in diesem Hohen Hause wahrgenommen wird. Des-
halb ist es richtig, dass wir gemeinsam versuchen, weitere
Maßnahmen zu treffen. Ich appelliere aber auch an die
Regierungsfraktionen, diesen Weg weiter zu beschreiten
und Dinge, die richtig sind, aber von der Opposition kom-
men, nicht nur deshalb abzublocken, weil sie von der Op-
position kommen.

Ich würde mich freuen, wenn wir bei der Frage der
Ausschilderung von touristischen Attraktionen an Auto-
bahnen weiterkämen. Ich denke aber, wir kommen hier
weiter.


(Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Ich hoffe es!)

Ich freue mich aber auch auf die nachfolgende Debatte.

Wir haben jetzt in einem wichtigen Punkt Konsens erzielt.
Ich hoffe immer noch, dass wir auch nachher bei der Ab-
schaffung der Trinkgeldbesteuerung Konsens erzielen.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Dirk Niebel [FDP]: Immerhin hat es der Kanzler vor der Wahl versprochen!)


Gehen Sie noch einmal in sich. Wir werden darüber noch
einmal inhaltlich diskutieren. Aber es bleibt noch Zeit für
Sie, um nachzudenken. Wenn nicht, machen Sie doch wie
heute Morgen eine kurze Fraktionssitzung und be-
schließen Sie das. Dann kämen wir heute zu zwei Eini-
gungen. Darüber wären alle am Tourismus Beteiligten
sehr froh.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1422417100
Einen solchen Werbe-
block schon für die nächste Debatte haben wir auch nicht
alle Tage. Nächste Rednerin ist die Kollegin Rosel
Neuhäuser für die PDS-Fraktion.


Rosel Neuhäuser (PDS):
Rede ID: ID1422417200
Frau Präsidentin! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Herr Brähmig, in zehn Minu-
ten lässt sich viel sagen.


(Sylvia Voß [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Auch viel Unsinn!)







(C)



(D)



(A)



(B)


Ich hätte mir allerdings gewünscht, dass Sie ein wenig
mehr Inhalt rübergebracht hätten.


(Beifall bei Abgeordneten der PDS und der CDU/CSU – Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Das war eine gute Rede des Kollegen Brähmig! – Hans Michelbach [CDU/CSU]: Was soll denn diese Kollegenschelte?)


– Das war eine Wahlkampfrede, aber sie verhallt ir-
gendwo.

Wir haben 1998 den TAB-Bericht diskutiert. Die Re-
gierungsfraktionen von CDU/CSU und FDP hatten die
Grundlage für diesen Bericht geschaffen. Damals haben
wir festgestellt, dass es in der Bundesrepublik Deutsch-
land eine unterschiedliche Datenlage gibt, diese auch kri-
tisiert und die Bundesregierung aufgefordert, dies zu än-
dern. Ich denke, die vorliegenden Gesetzentwürfe, die wir
heute zu beschließen haben, tragen im Wesentlichen dazu
bei, diese Unterschiedlichkeit zu beseitigen und die statis-
tische Erfassung zu vereinfachen.

Der Tourismus als Wirtschaftsfaktor findet in der
wissenschaftlichen Literatur, in Veröffentlichungen und
in Debatten von Politik und der Tourismusbranche selber
eine breite Resonanz und wird gern für die Darstellung ei-
nes positiven Images benutzt. Wir haben dies auch vorhin
bei der Rede des Staatssekretärs Staffelt gehört. Man fin-
det zum Beispiel Zahlen zum Beitrag der Tourismuswirt-
schaft zum Bruttoinlandprodukt, zur Wertschöpfung, zur
Beschäftigungs- und Ausbildungssituation, zur Umsatz-
entwicklung, zu Übernachtungszahlen usw. Aber genau
diese Daten sind wenig transparent und nicht immer trag-
fähig, weil sie sehr unterschiedlich „gehändelt“ werden.

Sowohl die amtliche Statistik als auch die wissen-
schaftliche Forschung liefern voneinander abweichende
bzw. schwer vergleichbare Zahlen. Deshalb sagen Exper-
ten immer wieder, dass Prognosen und perspektivische
Betrachtungen für die Zukunft des Tourismus mit Vorsicht
zu benutzen sind. Wenn die Datenlage so widersprüchlich
war und ist, dann lässt sich in der Politik nur unzureichend
über die Bedeutung des Tourismus in der Wirtschaft kom-
munizieren, lassen sich wirtschaftliche Risiken ebenso
wie Wachstumspotenziale nur unzureichend darstellen
und sind angemessene Instrumente und Maßnahmen
schwierig zu wählen.

Ich möchte ein Beispiel dafür, wie es mit der Datenlage
insgesamt aussieht, nennen. Es geht um den Bereich der
Kinder- und Jugendreisebranche. Die Bundesarbeits-
gemeinschaft der Kinder- und Jugenderholungszentren,
das Deutsche Jugendherbergswerk, das Kolping Famili-
enwerk, die Naturfreundejugend und das Reisenetz grün-
deten 1998 den runden Tisch der Unterkünfte. Sie bewirt-
schaften insgesamt 1 130 Beherbungsstätten mit 102 000
Betten für junge Gäste mit jährlich etwa 13 Millionen
Übernachtungen. Die Datenbank über Kinder- und Ju-
gendunterkünfte erfasst aber nur knapp 5 000 Häuser. Wo
finden wir diesen wichtigen Bereich als Wirtschaftsfaktor
wieder? Wer schmückt sich mit diesen Zahlen? Hier sehe
ich unter anderem eine mögliche neue Herausforderung
für das Tourismusbarometer des Ostdeutschen Sparkas-
sen- und Giroverbandes.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, um diese unbefriedi-
gende Situation zu beheben, war es an der Zeit, Verbesse-
rungen der amtlichen Statistik und eine fundierte ökono-
mische Grundlagenforschung im Bereich des Tourismus
zu unterstützen. Die wirtschaftliche Bedeutung und die
Perspektiven des Tourismus können so stärker in den
Blickpunkt wirtschaftlicher und arbeitsmarktpolitischer
Betrachtungen gerückt werden. Es wäre geradezu absurd,
der Tourismusbranche die Basis für eine qualifizierte
Branchenbeobachtung zu beschneiden.


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1422417300
Frau Kollegin
Neuhäuser, jetzt muss ich Sie aber ermahnen.


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Aber sie hat noch sieben Seiten! So gut wie das von Herrn Brähmig ist das allemal! – Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Ewig schade!)



Rosel Neuhäuser (PDS):
Rede ID: ID1422417400
Ja. – Nein, ich habe keine
sieben Seiten mehr.

Die Beherbungsstatistik ist Grundlage für tourismus-
politische Entscheidungen, für infrastrukturelle Planun-
gen und für Maßnahmen der Tourismuswerbung und der
Marktforschung. Deshalb werden wir diesen zwei Gesetz-
entwürfen zustimmen.


(Beifall bei der PDS sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1422417500
Die letzte Rednerin in
dieser Debatte ist die Kollegin Brunhilde Irber für die
SPD-Fraktion.


(Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Es bleibt einem nichts erspart! – Gegenruf des Abg. Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Herr Hinsken, das Schöne ist, dass Sie uns heute erspart geblieben sind! – Gegenruf des Abg. Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Das nehme ich Ihnen gerne ab! Das ist für mich ein Prädikat!)



Brunhilde Irber (SPD):
Rede ID: ID1422417600
Frau Präsidentin! Meine sehr
geehrten Kolleginnen und Kollegen! Zunächst einmal
möchte ich unserem bisherigen Parlamentarischen Staats-
sekretär im Wirtschaftsministerium Mosdorf namens der
SPD-Fraktion für seine Arbeit sehr herzlich danken. Ich
bin überzeugt, dass dies mit unserem neuen Staatssekre-
tär, Herrn Ditmar Staffelt, genauso sein wird.


(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS – Ernst Hinsken [CDU/ CSU]: Das muss sich erst noch zeigen!)


Ich weiß, dass er die Interessen der Tourismusbranche und
der Tourismuspolitik im Wirtschaftsausschuss bereits ve-
hement vertreten hat. Herr Staatssekretär, ich freue mich,
dass Sie bereits heute hier zu diesem Thema geredet
haben.

Manche Tage erhellen einen wirklich und man weiß,
woran man ist. So hat mir auch die geschmacklose Be-




Rosel Neuhäuser
22282


(C)



(D)



(A)



(B)


merkung des Kollegen Brähmig zu meiner Wahlnieder-
lage in Bayern gezeigt, woran ich mit ihm bin. Ich weiß
jetzt, was für ein Mensch Sie sind. Die weitere Zusam-
menarbeit werde ich entsprechend gestalten.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Ernst Hinsken [CDU/ CSU]: Er hat nur zum Ausdruck gebracht, dass er sich freut, dass die Frau Kollegin Irber hier bleibt! – Gegenruf des Abg. Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Ach, hören Sie doch auf! Das ist doch unerhört!)


– Herr Hinsken, auch Ihre heuchlerische Einlassung
möchte ich nicht weiter werten.


(Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Frau Präsidentin, rügen!)


Ich möchte jetzt zum eigentlichen Thema kommen, da
das nicht das Thema der Auseinandersetzung ist. Es geht
vielmehr um das Beherbergungsstatistikgesetz, dessen
Novellierung wir heute beschließen. Das Beherbergungs-
statistikgesetz hat für die Betriebe in der Analyse der Kon-
junktur einen unschätzbaren Wert. Es ist ein unverzicht-
bares Hilfsmittel für Investitionen im Gastgewerbe und
genießt eine hohe Priorität bei der heimischen Wirtschaft.

Ich möchte mich an dieser Stelle sehr herzlich beim
Statistischen Bundesamt in Wiesbaden und bei den Mit-
arbeiterinnen und Mitarbeitern des Bundesfinanzministe-
riums für die in diesem Zusammenhang geleistete Arbeit
und auch für die Arbeit, die durch die Entschließung noch
entstehen wird, bedanken.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Die Novelle wird allen Interessen gerecht werden: Ers-
tens hat sie erreicht, dass die Statistik in Bezug auf die
Harmonisierung der Europäischen Union angepasst wird.
Zweitens ist ein 20-jähriges Ringen der Hotelbranche um
eine Erfassung der Auslastung der Zimmer jetzt endlich
erfolgreich. Herr Brähmig, Sie und Ihre Fraktion hätten
16 Jahre lang Gelegenheit gehabt, diesen Wunsch der
Branche zu erfüllen, in der Statistik die Zimmerauslas-
tung und nicht nur die Bettenauslastung zu erfassen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Dies haben Sie nicht getan. Dies ist jetzt ein Erfolg der
rot-grünen Bundesregierung und zeigt, wie mittelstands-
freundlich wir sind.


(Beifall bei der SPD – Lachen bei der CDU/CSU)


Sie reden zwar immer, aber handeln nicht.

(Klaus Brähmig [CDU/CSU]: Ab dem 22. September handeln wir wieder!)


Sie bluffen nur und ergehen sich in Larmoyanz. Ihre Rede
wäre vielleicht vor dem Kreisverband Pirna, aber nicht
vor dem Deutschen Bundestag passend gewesen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der PDS)


Drittens bleiben die Vorsorge- und Rehaeinrichtungen in
der statistischen Erfassung. Für diese Betriebe entstehen
durch die Berichtspflicht keine nennenswerten Belastun-
gen. Auch darum ging es natürlich. Im Kur- und Bäder-
wesen sind im Jahr 2000 2 Millionen Patienten versorgt
worden. Dies entspricht einer Zahl von 51,6 Millionen
Übernachtungen.

Für diese Übernachtungen erhalten die Gemeinden die
Schlüsselzuweisungen in den Bundesländern, die diese
nach der Beherbergungsstatistik vergeben. Das ist für die
Kommunen äußerst wichtig. Zusätzlich erhalten die Ge-
meinden dafür die Kurtaxe. Durch die Streichung aus dem
Gesetz wären vermutlich die Zahlungen der Kurtaxe, die
die Kranken- und Rentenversicherungsträger für die Kur-
gäste abführen, eingestellt worden. Ich glaube, es ist ein
riesiger Erfolg, dass wir das verhindert haben.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN, der CDU/CSU und der FDP)


Ich möchte mich ausdrücklich bei dem Kollegen
Burgbacher für die konstruktive Zusammenarbeit be-
danken.


(Beifall bei der SPD – Ernst Hinsken [CDU/ CSU]: Sie müssen noch dazu sagen, dass die Bundesregierung etwas anderes wollte als das, was jetzt herausgekommen ist!)


– Herr Hinsken, auch hier gilt das strucksche Gesetz, dass
kein Gesetzentwurf das Parlament so verlässt, wie er he-
reingekommen ist.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ansonsten wäre das Parlament überflüssig, wenn nur die
Beschlüsse der Regierung umgesetzt würden.


(Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Gott sei Dank hat das Parlament die Regierung auf den Pfad der Tugend zurückgeführt!)


Vorlagen zu beraten ist unsere Aufgabe. Diese haben wir
mit und nicht gegen die Regierung erfolgreich gelöst.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Jetzt komme ich zu einem anderen Erfolg. Wir haben
im Jahr 2000 bei den Patientenzahlen Zuwächse um
6,8 Prozent gehabt. Zum Vergleich: 1997, als Sie an der
Regierung waren, gab es einen Rückgang um 17,8 Pro-
zent. 1998 haben wir mit einem Zuwachs von 10,8 Pro-
zent, 1999 von 9,7 Prozent aufgeholt.


(Horst Kubatschka [SPD]: Sie haben die Kur an die Wand gefahren! Das ist schwarze Politik!)


Bei der Beschäftigung gab es im Jahr 2000 einen Zu-
wachs um 4,1 Prozent. Ich glaube, dass man auch noch ei-
nen weiteren Aspekt hinzufügen kann, dass nämlich auch
die Umsätze im Gastgewerbe wieder gestiegen sind und
zwar um 0,9 Prozent.


(Ernst Burgbacher [FDP]: Aber die Ertragslage ist gefallen! – Klaus Brähmig [CDU/CSU]: Aber die Gewinne der Unternehmen noch nicht! Das ist die entscheidende Kenngröße!)





Brunhilde Irber

22283


(C)



(D)



(A)



(B)


– Wenn ich mehr Redezeit hätte, könnte ich darauf noch
eingehen. Aber ein wichtiger Punkt, der in dieser Novelle
enthalten ist, ist der, dass künftig auch eine Erhebung für
Betriebe unter acht Betten einmal jährlich stichproben-
artig gemacht werden soll.


(Klaus Brähmig [CDU/CSU]: Der Umsatz in der Gastronomie war noch nie so schlecht wie bei Rot-Grün!)


Nach unserer Meinung soll dies bei den prädikatisierten
Orten in Deutschland geschehen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Leider habe ich kaum noch Redezeit, sonst könnte ich
noch auf einen anderen Punkt eingehen.


(Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Wenn es etwas Vernünftiges wäre, könnten Sie weitermachen!)


Die Statistik ist im Ganzen auch billiger geworden.
Das ist ein nicht unwesentlicher Aspekt, da wir einen
Haushalt haben, bei dem wir jeden Euro dreimal umdre-
hen müssen. Diesen Schuldenberg, der der Grund dafür
ist, dass wir jetzt so sparen müssen, haben Sie uns nach
16 Jahren Regierung hinterlassen.


(Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Ach Gott!)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1422417700
Frau Kollegin, Sie ha-
ben sicherlich schon das Blinklicht gesehen, was das Ende
Ihrer Redezeit bedeutet.


(Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Es ist Zeit, dass Sie zum Ende kommen, bevor Sie noch einen Fehler machen!)



Brunhilde Irber (SPD):
Rede ID: ID1422417800
Entschuldigung, Frau Präsi-
dentin, für die Überziehung. – Ich möchte jetzt zum
Schluss kommen. Lassen Sie mich noch einen Dank an
den Deutschen Hotel- und Gaststättenverband ausspre-
chen. Er hat auf die zehnjährige Totalerhebung der Gast-
stätten und die sechsjährige Kapazitätserhebung verzich-
tet. Dies hat zu einer Erleichterung geführt.


(Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Sie müssen doch aufhören!)


Auf die übrigen Erfolge unserer Politik kann ich jetzt
leider nicht eingehen. Ich möchte aber noch darauf hin-
weisen, dass wir im Jahr 2000 ein Rekordjahr im Deutsch-
landtourismus hatten und im Jahr 2001 trotz des 11. Sep-
tember eine Zunahme bei den Übernachtungen von
1 Prozent hatten.


(Klaus Brähmig [CDU/CSU]: Das hat nichts mit der rot-grünen Regierung zu tun!)


– Das hat auch etwas mit unserer guten Politik zu tun.
Herzlichen Dank.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1422417900
Ich schließe die Aus-
sprache.

Wir kommen zur Abstimmung über den von der
Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf auf
Drucksache 14/6392 zur Neuordnung der Statistik über
die Beherbergung im Reiseverkehr. Der Ausschuss für
Tourismus empfielt unter Buchstabe a) seiner Beschluss-
empfehlung auf Drucksache 14/8475, den Gesetzentwurf
in der Ausschussfassung anzunehmen.

Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen
wollen, um das Handzeichen. – Gegenstimmen? – Ent-
haltungen? – Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter
Beratung mit den Stimmen des ganzen Hauses ange-
nommen.

Wir kommen zur
dritten Beratung

und Schlussabstimmung.
Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen

wollen, sich von den Plätzen zu erheben. – Gegenstim-
men? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist mit den
Stimmen aller Fraktionen angenommen worden.


(Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Man kann zustimmen, wenn die Bundesregierung auf unsere Wünsche eingeht!)


– Es ist nicht meine Aufgabe, das zu kommentieren.
Weiterhin empfiehlt der Ausschuss für Tourismus un-

ter Buchstabe b) seiner Beschlussempfehlung die An-
nahme einer Entschließung. Wer stimmt für diese Ent-
schließung? – Gegenprobe! – Enthaltungen? – Die
Entschließung ist bei Enthaltung der CDU/CSU-Fraktion
angenommen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 9, der bereits von
dem Kollegen Burgbacher angekündigt worden ist, auf:

– Zweite und dritte Beratung des von den Abgeord-
neten Gerda Hasselfeldt, Heinz Seiffert,
Bartholomäus Kalb, weiteren Abgeordneten und
der Fraktion der CDU/CSU eingebrachten Ent-
wurfs eines Gesetzes zur Erhöhung des Trink-
geldfreibetrages
– Drucksache 14/4938 (neu)

(Erste Beratung 150. Sitzung)


– Zweite und dritte Beratung des von den Abgeord-
neten Ernst Burgbacher, Gerhard Schüßler,
Dr. Hermann Otto Solms, weiteren Abgeordneten
und der Fraktion der FDP eingebrachten Entwurfs
eines Gesetzes zur Änderung des Einkommen-

(Abschaffung der Trinkgeldbesteuerung)

– Drucksache 14/5233 –

(Erste Beratung 150. Sitzung)

a) Beschlussempfehlung und Bericht des Finanz-

ausschusses (7. Ausschuss)

– Drucksache 14/6216 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Horst Schild
Klaus-Peter Willsch
Ernst Burgbacher




Brunhilde Irber
22284


(C)



(D)



(A)



(B)



(8. Ausschuss)

– Drucksachen 14/6217, 14/8427 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Hans Georg Wagner
Oswald Metzger
Dr. Günter Rexrodt
Dr. Christa Luft
Hans Jochen Henke

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Ich höre kei-
nen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.

Erster Redner ist für die SPD-Fraktion der Kollege
Horst Schild.


Horst Schild (SPD):
Rede ID: ID1422418000
Frau Präsidentin! Meine Damen
und Herren! Herr Hinsken, wir kommen in der Sache
schon voran. Bislang haben wir das Thema immer zu viel
späterer Stunde diskutiert. Aber die Hartnäckigkeit, mit
der die Antragsteller ihr Anliegen vertreten, ist durchaus
beeindruckend.


(Horst Kubatschka [SPD]: Das hätten sie in der Regierung machen können!)


Ich verhehle nicht, dass für eine Modifizierung der Trink-
geldbesteuerung auch in unserer Fraktion und dort ins-
besondere bei den Tourismuspolitikern durchaus Sympa-
thie besteht.


(Zuruf von der CDU/CSU: Dann machen Sie es doch!)


– Moment.
Wenn der Gesetzgeber das geltende Recht bei der Be-

steuerung von Trinkgeldern modifizieren will, sollte er
sich zunächst mit den rechtlichen Fragen eines solchen
Vorhabens gründlich befassen. Das ist bislang bei den An-
tragstellern nicht erfolgt. Der Gesetzgeber ist in seinem
politischen Wollen an das Gleichheitsgebot des Art. 3 des
Grundgesetzes und an die höchstrichterliche Rechtspre-
chung gebunden. Er ist insofern gehalten, die daraus fol-
genden Steuerprinzipien auch bei gesetzgeberischen Vor-
haben zu beachten. Das Anliegen, das einem sehr am
Herzen liegt, allein reicht nicht aus.

Ich will versuchen, Ihnen das an einem Beispiel der
steuerlichen Behandlung der Trinkgelder zu verdeutlichen.
Nach §3 Ziffer 51 des Einkommensteuergesetzes beträgt
der gegenwärtige Freibetrag für Trinkgelder 1 224 Euro.
Die Dimension dieses Freibetrages wird am besten an-
hand eines Beispiels verdeutlicht: Nimmt man eine Be-
schäftigte, die jährlich 24 000 Euro verdient – das ist in
der Branche schon ein relativ hohes Einkommen – und zu-
sätzlich 5 Prozent Trinkgeld bekommt, dann ergibt sich
ein Trinkgeld von 1 200 Euro, das völlig steuerfrei bleibt.


(Zuruf von der CDU/CSU: Das ist doch gut so!)


– Das ist in Ordnung. Das ist die gegenwärtige Rechts-
lage. Man kann durchaus die Auffassung vertreten, dass
das angemessen und ausreichend ist.

Lassen Sie mich einige Gesichtspunkte zur Steuersys-
tematik vortragen, mit denen Sie sich oder wir uns ausei-
nander setzen müssen. Nach der ständigen Rechtspre-
chung des Bundesfinanzhofs – das ist nicht neu – sind
Trinkgelder Arbeitslohn und zu versteuerndes Einkom-
men.


(Abg. Ernst Hinsken [CDU/CSU] meldet sich zu einer Zwischenfrage)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1422418100
Herr Kollege, gestat-
ten Sie eine Zwischenfrage?


Horst Schild (SPD):
Rede ID: ID1422418200
Moment, Frau Präsidentin. –
Deshalb reicht es nicht, wenn Sie in Ihrem Antrag schrei-
ben, das sei nicht mehr zeitgemäß, Herr Burgbacher. Das
ist eine Kategorie, mit der wir im Steuerrecht nichts an-
fangen können.


(Beifall bei der SPD – Dirk Niebel [FDP]: Aber der Kanzler hat es doch versprochen – Gegenruf des Abg. Hans Michelbach [CDU/CSU]: Der Kanzler verspricht viel!)


Bitte schön, Herr Hinsken.


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1422418300
Ich gehe davon aus,
dass Sie die Frage zulassen.


Ernst Hinsken (CSU):
Rede ID: ID1422418400
Herr Kollege Schild,
können Sie mir sagen, wie viel Geld der Staat durch die
Trinkgeldsteuer im vergangenen Jahr bzw. in den vergan-
genen Jahren jeweils eingenommen hat?


(Horst Kubatschka [SPD]: Vor allem beim Waigel!)


Pflichten Sie in dem Fall nicht dem Bundeswirtschafts-
minister Müller bei, der gesagt hat: „Wenn man schon
nicht weiß, wie viel Geld damit eingenommen wird, kann
sie wieder abgeschafft werden“?


Horst Schild (SPD):
Rede ID: ID1422418500
Herr Kollege Hinsken, ich ver-
suche gerade, deutlich zu machen, dass es bei solchen Fra-
gen um Gleichbehandlung, Verfassungsgrundsätze und
die Steuersystematik geht.


(Hans Michelbach [CDU/CSU]: Warum interessiert das Herrn Schröder nicht?)


Ob es um Einnahmen in Höhe von 3 Millionen oder
30Millionen Euro geht, ist nicht die entscheidende Frage.


(Beifall bei der SPD)

Entscheidend ist, dass jede steuerliche Regelung auf den
Prüfstand der Verfassungsmäßigkeit gestellt werden
muss.


(Hans Michelbach [CDU/CSU]: Aber der Herr Schröder hat es doch versprochen! – HansMichael Goldmann [FDP]: Hat Herr Schröder Verfassungsbruch versprochen, oder was?)





Vizepräsidentin Petra Bläss

22285


(C)



(D)



(A)



(B)


Unter diesem Gesichtspunkt müssen wir es zuerst beur-
teilen. Dann können wir immer noch über die steuerlichen
Auswirkungen reden.

Herr Kollege Hinsken, ich fahre jetzt fort.

(Klaus Brähmig [CDU/CSU]: Aber die Frage vom Kollegen Hinsken wurde nicht beantwortet!)

– Das Problem ist doch, dass Sie von einer völlig vereng-
ten Sicht ausgehen, wenn Sie die Frage in den Mittelpunkt
stellen, ob damit Steuerausfälle in Höhe von 3 Millionen
oder 30 Millionen Euro verbunden sind.


(Hans Michelbach [CDU/CSU]: Wollen Sie sagen, dass Herr Schröder eine verengte Sicht hat?)


Ich möchte auf Folgendes aufmerksam machen: Das
Einkommensteuerrecht muss die verfassungsrechtlichen
Prinzipien der Besteuerung nach der Leistungsfähig-
keit und der gleichmäßigen Besteuerung aller Steuer-
pflichtigen erfüllen. Das ist Ihnen doch bekannt, Herr
Kollege Hinsken und Herr Kollege Michelbach. Der Ge-
setzgeber kann doch nicht willkürlich handeln.


(Hans Michelbach [CDU/CSU]: Aber der Kanzler hat es versprochen!)


Er hat diese Prinzipien zu beachten. Dazu darf ich aus
dem Urteil des Bundesfinanzhofs zur Frage der Trink-
geldbesteuerung aus dem Jahr 1999 zitieren:

Würden ... freiwillige Trinkgelder von der Besteue-
rung völlig freigestellt, so würde dies andererseits
den Anspruch auf Gleichbehandlung derjenigen Ar-
beitnehmer berühren, die bei gleicher wirtschaftli-
cher Leistungsfähigkeit ihren Arbeitslohn in vollem
Umfang zu versteuern haben.

Das hat der Bundesfinanzhof unter ausdrücklicher Wür-
digung des Vorschlags von Professor Bareis ausgeführt.
Das ist eine Kernaussage des Bundesfinanzhofs zur Be-
steuerung von Trinkgeldern, die wir bei jeder Änderung
des Steuerrechts zu berücksichtigen haben.

Das Argument – das bringt die FDP in ihrem Antrag
vor –, eine völlige Nichtbesteuerung von Trinkgeldern sei
gerechtfertigt, weil ein ungleichmäßigerVollzug derBe-
steuerung durch die Finanzämter erfolge, trifft zumindest
nach Auffassung des Bundesfinanzhofs nicht zu. Trotz-
dem werden wir die Bundesregierung bitten, eine Be-
standsaufnahme durchzuführen, in der die Praxis der
Finanzverwaltungen in den einzelnen Ländern aufgelistet
und vergleichbar gemacht wird. Das ist eine wesentliche
Voraussetzung für einen solchen Nachweis. Der Bundes-
finanzhof hat festgestellt, dass der Nachweis, dass es zu
einer ungleichmäßigen steuerlichen Behandlung komme,
von den Klägern nicht erbracht werden konnte. Wir wer-
den die Bundesregierung bitten und hoffentlich bald einen
Bericht bekommen, der es uns erlaubt, zur Frage der steu-
erlichen Behandlung in den einzelnen Bundesländern et-
was mehr zu sagen. Nach der Rechtsprechung wendet die
Finanzverwaltung – jedenfalls nach den bisherigen Er-
kenntnissen – im Zweifelsfall maßvolle Schätzgrößen bei
der Trinkgeldbesteuerung an.

Ein wichtiger Punkt ist weiterhin, dass in der Steuer-
politik das Postulat der Verbreiterung der Bemessungs-

grundlage bei sinkenden Steuersätzen verwirklicht wird.
Darin waren wir uns alle einig. Das steht in der Begrün-
dung eines jeden Gesetzentwurfes. Das heißt, es soll keine
Ausnahmetatbestände geben und die Gleichmäßigkeit der
Besteuerung soll gewährleistet sein. Es sind schließlich
die Ausnahmen von der Steuerregel, die unser Steuersys-
tem ständiger Kritik aussetzen.

Wir – das gilt sicherlich nicht nur für die Finanzpoli-
tiker – sollten darauf achten, dass unser Steuerrecht nicht
durch weitere Ausnahmen unüberschaubar wird und zu
einer ungleichmäßigen Steuerbelastung führt, die dann
wiederum auf dem Prüfstand des Bundesverfassungsge-
richts steht.


(Zuruf von der CDU/CSU: Da haben wir schon einiges geleistet!)


Das haben wir in der Vergangenheit ja mehrmals erleben
dürfen, zuletzt bei der Frage der steuerlichen Behandlung
der Alterseinkünfte. Es waren ja nicht gesetzgeberische
Maßnahmen der jetzigen Koalition, die Anlass für das Ur-
teil waren.

Mir drängt sich auch die Vermutung auf, dass sowohl
CDU/CSU als auch FDP die Folgewirkung ihrer Vor-
schläge nicht hinreichend im Blick haben. Schon die
Bareis-Kommission hat ausdrücklich darauf hingewie-
sen, dass ein Missbrauch durch Umwandlung von Lohn-
bestandteilen in Trinkgelder im Falle ihrer Steuerfrei-
heit unterbunden werden muss. Zumindest darauf müsste
man sich verständigen. Es würde ansonsten zwangsläufig
ein Anreiz für Arbeitgeber bestehen, den regulären Lohn
mit Hinweis auf steuer- und sozialabgabenfreie Trinkgel-
der zu senken.


(Beifall bei der SPD)

Das würde die Position der Arbeitnehmer gegenüber der
der Arbeitgeber schwächen. Schon gegenwärtig – auch
das gilt es zu bedenken – liegt der im Gastronomiebereich
gezahlte Tariflohn mit Hinweis auf anfallende Trinkgel-
der unter dem für vergleichbare Tätigkeiten. Zumindest
ist das nach meiner Erkenntnis bei Tarifverträgen in Ba-
den-Württemberg – das dürfte kein Einzelfall sein – der
Fall. Wir können auch ins Ausland schauen: Wer in die
USA reist, wird feststellen, dass er böse angeschaut wird,
wenn er weniger als 25 Prozent des Rechnungsbetrags als
Trinkgeld gibt. Das liegt daran, dass dort aufgrund ent-
sprechender Regelungen Kellner sowie anderes Bedie-
nungs- und Servicepersonal fast ausschließlich von den
Trinkgeldeinnahmen leben müssen. Das wollen wir je-
denfalls nicht.

Wie Sie wissen, knüpfen die Sozialabgaben an die
steuerliche Qualifizierung der Einnahmen an. Fehlende
Sozialversicherungsabgaben können sich auch nachteilig
für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer auswirken.
Denken Sie nur an die Altersvorsorge! Es hat Folgen für
die Alterseinkünfte, wenn 4 Prozent und mehr des Ein-
kommens nicht sozialversicherungspflichtig sind. Sie
sollten also nicht immer beklagen, wir trügen zur ständi-
gen Senkung des Niveaus der gesetzlichen Rente bei.

Sie müssen sich schon fragen lassen, ob sich bei der
Umsetzung Ihrer Vorstellungen nicht ein Gerechtigkeits-




Horst Schild
22286


(C)



(D)



(A)



(B)


problem hinsichtlich der anderen Steuerpflichtigen ergibt.
Ich habe das ja bereits bei dem Grundsatz der gleich-
mäßigen Besteuerung ausgeführt. Man kann das aber
auch ganz konkret darstellen – ich hebe dabei auf das Ver-
fassungsgebot der steuerlichen Gleichbehandlung ab –:
Warum sollen Arbeitnehmer Trinkgelder gar nicht oder,
wie es die CDU/CSU vorschlägt, erst ab 2 100 Euro ver-
steuern, während Freiberufler freiwillig gegebene Zuzah-
lungen oder Trinkgelder vom ersten Euro an versteuern
müssen? Das mag in der Praxis nicht so bedeutend sein.
Wenn man das aber einer rechtlichen Überprüfung unter-
ziehen würde, dann würde man sicherlich feststellen, dass
das ein Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz ist.


(Jochen-Konrad Fromme [CDU/CSU]: Gilt das auch für die Besteuerung von BMW-Jahreswagen?)


– Das ist ein anderes Problem. Aber daran können Sie die
Folgewirkung Ihrer Vorschläge sehen. In der Diskussion
über die in Ihren Anträgen erhobene Forderung, den Frei-
betrag für Trinkgelder anzuheben bzw. sie steuerlich ganz
freizustellen, hat der Bundesverband des Deutschen
Groß- und Außenhandels darauf hingewiesen, dass das
auch für die Arbeitnehmerrabatte gelten müsse. Hier geht
es nicht mehr um 3 Milliarden oder 4 Milliarden Euro,
sondern um ganz andere Dimensionen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Hans Michelbach [CDU/CSU]: Sie widersprechen laufend Ihrem Kanzler!)


– Es ist in unserer Fraktion bisweilen möglich, dass man
anderer Auffassung als der Kanzler ist.


(Beifall des Abg. Jochen-Konrad Fromme [CDU/CSU])


Der Kanzler wird allerdings das letzte Wort haben. Darauf
können Sie sich verlassen.

Ich möchte noch auf einen anderen Sachverhalt hin-
weisen. Sie sprechen – das gilt insbesondere für den An-
trag der FDP-Fraktion – von Schenkungen.Bekommt ein
Arbeitnehmer aber ein Geschenk von einem Dritten, dann
handelt es sich nach unserem gegenwärtigen Einkom-
mensteuerrecht um Einnahmen, die nach § 8 des Einkom-
mensteuergesetzes zu versteuern sind. Eine Zuwendung,
die einem Arbeitnehmer – es spielt keine Rolle, ob vom
Arbeitgeber oder von einem Dritten – gewährt wird und
deren Wert die Grenze von 50 Euro monatlich über-
schreitet, muss in vollem Umfang versteuert werden.
Auch das berührt den Gleichheitsgrundsatz. Ich sage ja
nicht, dass man das nicht ändern kann. Aber man muss es
wenigstens bedenken. Ich frage insbesondere die Kolle-
gen von der FDP-Fraktion: Sieht so eine gerechte
Besteuerung aus? – Ich denke, hier müssen Sie sich noch
ein bisschen mehr einfallen lassen.

Nicht zuletzt müssen wir auch bedenken, dass neben
den Steuereinnahmen zwangsläufig auch die Einnahmen
der Sozialversicherungen zurückgehen werden. Ich habe
das vorhin im Zusammenhang mit der Rente deutlich zu
machen versucht.

Auf die Fragen, die ich hier aufgeworfen habe, geben
Ihre Anträge keine Antwort. Deshalb werden wir ableh-
nen müssen.

All die Fragen, die ich formuliert habe, werden die Ko-
alitionsfraktionen sorgfältig prüfen. Vom Ergebnis dieser
Prüfung – in diesem Prozess sind wir bereits – werden wir
unsere weitere Haltung abhängig machen.


(Manfred Grund [CDU/CSU]: Ihr habt nicht mehr viel Zeit!)


Weil ich noch einige Sekunden Redezeit habe, sei mir
noch ein Wort ganz zum Schluss erlaubt: Sie haben in die-
ser Frage 16 Jahre nichts getan.


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: So ist das! – Manfred Grund [CDU/CSU]: Es ist nie zu spät, dazuzulernen!)


Da wird uns sicherlich zugestanden werden, dass wir noch
ein paar Tage benötigen, um diese Prüfung zum Abschluss
zu bringen.

Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Gisela Frick [FDP]: Aber Sie haben keine 16 Jahre mehr Zeit!)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1422418600
Für die CDU/CSU
spricht jetzt der Kollege Klaus-Peter Willsch.

Klaus-Peter Willsch (CDU/CSU) (von der CDU/
CSU mit Beifall begrüßt): Frau Präsidentin! Meine sehr
verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Lieber Herr Schild, wir besprechen das Thema
nicht zuletzt deshalb, weil bei jeder Gelegenheit, wenn
mehr als drei Kellner oder Hoteliers zusammenstehen, ir-
gendeiner von den Sozis aufspringt und sagt: Wir schaf-
fen die Trinkgeldbesteuerung ab. Nur, wenn es darauf an-
kommt, das hier im Bundestag umzusetzen, geschieht
nichts. Da klaffen Anspruch und Wirklichkeit auseinan-
der.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Auf die steuersystematischen Gesichtspunkte, die Sie

angeführt haben, werde ich gleich eingehen, Herr Schild.
Vorab möchte ich eine Würdigung der Situation vor-
nehmen.

Wir haben heute drei Varianten zur Auswahl. Nach der
ersten Variante, die Herr Burgbacher gleich begründen
wird, soll – das ist der Kern – ein neuer Ausnahmetatbe-
stand in unserem ohnehin schon komplizierten Steuer-
recht geschaffen werden. SPD und Grüne legen wie in den
meisten Politikbereichen die Nullvariante vor und sagen:
Ruhige Hand! Wir machen gar nichts. Es besteht kein
Handlungsbedarf. –


(Zuruf von der CDU/CSU: Eingeschlafene Füße!)


Die CDU/CSU als die große bürgerliche Kraft in der
Mitte der Gesellschaft


(Lachen bei der SPD)





Horst Schild

22287


(C)



(D)



(A)



(B)


legt wie immer einen vernünftigen Vorschlag vor.

(Beifall bei der CDU/CSU – Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: So ein blanker Unsinn! Das glaubt keiner!)


Zunächst zu den geschätzten Kollegen von der FDP.
Auch wir von der CDU/CSU wollen nicht, dass das Trink-
geld, das wir jemandem, weil er uns gut bedient hat, weil
er uns eine hervorragende Serviceleistung geboten hat,
zukommen lassen, eben in Anerkennung dieser persönli-
chen Leistung, in den klammen Kassen von Eichel landet.
Wir wollen eine Dienstleistungskultur in Deutschland.
Wir wollen die Wachstums- und Beschäftigungschancen,
die im Tourismussektor, einem der wenigen noch wach-
senden Wirtschaftszweige, vorhanden sind, für unsere
Volkswirtschaft nutzen.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Wir wollen gegenüber den dort Beschäftigten, die uns
mitten in der Nacht, an Sonn- und Feiertagen, wann im-
mer wir den Service haben wollen, bedienen, diese be-
sondere Wertschätzung zum Ausdruck bringen können,
ohne das Gefühl haben zu müssen: Das landet letztlich
doch bei Eichel im Sack.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Aber wir müssen natürlich die ständige Rechtspre-

chung des Bundesfinanzhofs – Herr Schild, insofern
gehe ich auf Ihren Beitrag ein – in Betracht ziehen. Zu
nennen sind die Problembereiche „Gleichheit der Belas-
tung“ und „Gleichheit der Belastungswirkung“. Es gibt
auch in anderen Wirtschaftsbereichen vielfach variable
Gehaltsbestandteile, die leistungsbezogen gewährt wer-
den. Damit ist das Trinkgeld natürlich vergleichbar. So
empfindet es auch der einzelne Trinkgeldempfänger. Weil
er eine Leistung besonders gut erbracht hat, bekommt er
mehr für diese Leistung. Genau so wird es wahrgenom-
men. Insofern ist die Einteilung des BFH, dass das ein
Gehaltsbestandteil ist, nicht so einfach von der Hand zu
weisen.

Ihre einfache Lösung – mit Verlaub, liebe Kollegen von
der FDP – ist eben nur vermeintlich einfach. Sie lädt zum
Gestaltungsmissbrauch ein.


(Ernst Burgbacher [FDP]: Wo denn?)

Deshalb können wir sie im Rahmen unserer Einkommen-
steuersystematik nicht abbilden.

Wir haben einen synthetischen Einkommensteuerbe-
griff.Dabei wird alles, was in einer Wirtschaftsperiode zu-
fließt, sei es aus unselbstständiger Arbeit, sei es aus Ver-
mietung und Verpachtung, seien es Zinseinnahmen aus
Vermögen, zusammengefasst. Dann werden die Werbungs-
kosten, die man aufwenden muss, um dieses Einkommen
zu erzielen, abgezogen und es wird noch die persönliche
Situation berücksichtigt. So kommen wir zu dem Ein-
kommen, das die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit wi-
derspiegelt, und das ist die Bemessungsgrundlage für die
Einkommensteuer. Daran haben wir immer festgehalten.

Deshalb ist unsere Antwort die richtige. Nach zwölf
Jahren – 1990 erfolgte die letzte Anpassung – muss der
Freibetrag wieder kräftig angehoben werden, damit das,

was wir mit der Einführung dieses Freibetrags erreichen
wollten, ökonomisch auch noch bewirkt wird.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Liebe Kollegen von der SPD und von den Grünen,

wenn man in einem Bereich einen Freibetrag einführt, so
geschieht dies, weil man erkannt hat, dass es zur Vermei-
dung übermäßigen Verwaltungsaufwands im Verhältnis
zur Ergiebigkeit der betreffenden Steuereinnahmen klug
ist, Bagatellfälle unter den Tisch fallen zu lassen. Wenn
man diese Richtung einmal eingeschlagen hat, dann muss
man logischerweise auch den nächsten Schritt gehen:
Wenn sich Inflation und Gehaltsentwicklung fortent-
wickelt haben, dann muss man die Freibeträge periodisch
anpassen. Das haben wir bei den Übungsleiterpauschalen
und in anderen Bereichen gemacht. Das muss man auch
auf diesem Gebiet machen. Wir schlagen konkret vor, den
Freibetrag von 2 400 DM auf 4 200 DM, also um 75 Pro-
zent, zu erhöhen. Nach zwölf Jahren des Stillstands ist das
keine übermäßige Steigerung.

Wir würden damit den überwiegenden Teil der Trink-
geldeinnahmen steuerfrei stellen, ohne dass – diese
Bremse wäre nach wie vor vorhanden – die Möglichkeit
zum Gestaltungsmissbrauch gegeben ist. Damit würde
zugleich den Finanzbehörden das Signal gegeben, dass
der Gesetzgeber nicht der Auffassung ist, angesichts der
knappen Ressourcen der Finanzbehörden müsse sozusa-
gen mit Hochdruck darauf geachtet werden, ob auch die
letzte Trinkgeldmark richtig deklariert ist. Stattdessen
vertreten wir die Auffassung: Wir wollen, dass das, was
durch Trinkgelder durchschnittlich verdient wird, steuer-
frei bleibt.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Wir können auf diese Art und Weise eingeübte, relativ

einfache Handhabungen in der betrieblichen Praxis fort-
setzen, seien es Tronc- oder Verteilungssysteme mit Punk-
ten, über die auch diejenigen, die nicht direkt an der Kun-
denfront, sondern in der Küche, am Empfang oder wo
auch immer ihren Dienst tun, an der Gesamtleistung, die
das Haus erbringt, beteiligt werden. Unser Vorschlag ist
also schlüssig. Er hat eine innere Logik. Er bewegt sich
im Rahmen unseres synthetischen Einkommensteuerbe-
griffes.

Liebe Kolleginnen und Kollegen von der FDP, wir sind
uns einig, dass die Bürger bei uns zu viel Steuern und zu
viel Abgaben zahlen.


(Ernst Burgbacher [FDP]: Allerdings!)

Dieses Problem gehen wir gemeinsam an. Unsere Lösung
lautet: dreimal 40 Prozent. Wenn wir ab September an der
Regierung sind, dann werden wir mit Ihnen vereinbaren,
das Ziel zu erreichen,


(Beifall bei der CDU/CSU)

dass der Staat niemandem in diesem Land mehr als
40 Prozent Steuern abnimmt, dass der Gesamtsozialversi-
cherungsbeitrag und dass die Staatsquote unter 40 Prozent
fallen. Das müssen wir in Deutschland erreichen.


(Beifall bei der CDU/CSU – Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Wer soll das bezahlen?)





Klaus-PeterWillsch
22288


(C)



(D)



(A)



(B)


Zur Tourismuspolitik von SPD und Grünen passt nur
eine Überschrift: Versprochen – gebrochen!


(Beifall bei der CDU/CSU – Wolfgang Weiermann [SPD]: Das sagt einer, der 16 Jahre lang nichts getan hat!)


Dasselbe gilt für alles, was Sie im wirtschafts-, finanz und
steuerpolitischen Bereich vorgelegt haben. Im Mai 1998
– Frau Kastner, Sie haben das damals verantwortet – wur-
den die tourismuspolitischen Grundsätze der SPD aufge-
stellt. In dem entsprechenden Papier steht zum Thema
Maßnahmen – ohne irgendeinen Vorbehalt – die schlichte
Forderung nach der Abschaffung der Trinkgeldbesteue-
rung. Dieses Versprechen haben Sie den Bürgern gege-
ben. Warum erfüllen Sie dieses Versprechen denn jetzt,
wo Sie die Mehrheit haben, nicht?


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP – Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Die Kastner hat doch in der SPD nichts zu sagen!)


Versprochen – gebrochen!
Anfang 1999 sagte Bundesminister Müller bei der

ITB-Eröffnung – dies ist ein anderer Bereich, über den wir
auch schon diskutiert haben –, er werde sich nachhaltig
dafür einsetzen, dass die Umsatzsteuerbelastung im Ho-
telleriebereich reduziert wird. Nichts ist geschehen. Ver-
sprochen – gebrochen!

Noch am 5. Februar dieses Jahres hat Bundesminister
Müller auf einer Veranstaltung des Tourismusverbandes
Ostbayern in Plattling die Abschaffung der Trinkgeldbe-
steuerung gefordert. Mein Kollege Hinsken verfolgt alles,
was im touristischen Bereich passiert, sehr aufmerksam
und er ist der beste Sachwalter für Tourismus in Deutsch-
land überhaupt.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Er hat diese Aussage des Bundesministers nicht auf sich
beruhen lassen, sondern gleich Müllers Kollegen Eichel
gefragt, wie es mit diesem Vorhaben stehe. Auf Hinskens
Frage an das Haus Eichels, ob man die Auffassung
Müllers teile, hat Herr Diller gesagt: Herr Müller begeg-
net diesem Ansinnen mit Sympathie; aber an der Haltung
des Bundesfinanzministers ändert sich nichts.


(Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Wir können uns doch einen Wirtschaftsminister spa-

ren, der das, was er vorhat, nicht durchsetzen kann. Zu-
mindest sollte er sich nicht öffentlich äußern; denn das,
was er ankündigt, wird sowieso nicht umgesetzt.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Das hat er noch dazu im Beisein der Kollegin Irber gesagt und die hat damals geklatscht!)


Wir sind schon heute gespannt, welches neue Versprechen
Bundesminister Müller am nächsten Samstag bei der
Eröffnung der diesjährigen ITB geben wird. Später wird
es gebrochen. Wir sind sicher, dass es wieder so kommen
wird.

Der Fisch fängt bekanntlich am Kopf an zu stinken.
Das lässt sich auch durch einschlägige Zitate von Bun-

deskanzler Schröder belegen. Im März 1999 sagte er beim
Bundesverband der deutschen Tourismuswirtschaft zur
Trinkgeldbesteuerung: Darum werde ich mich persönlich
kümmern.


(Heiterkeit bei der CDU/CSU)

Das ist die schlimmste Drohung, die in diesem Land für
irgendeinen Politikbereich ausgesprochen werden kann.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Manfred Grund [CDU/CSU]: Dafür würde ich kein Trinkgeld geben!)


Die Bürger wissen schon Bescheid: Der Bundeskanzler
liebt die Inszenierung im grellen Scheinwerferlicht. Der
Bundeskanzler liebt es, dem jeweiligen Publikum mit
schmeichelnden Worten zu gefallen,


(Jochen-Konrad Fromme [CDU/CSU]: Wie ein Chamäleon!)


und der Bundeskanzler liebt markige Worte wie „Chef-
sache“, „Machtwort“, „mich selbst kümmern“. Aber
wenn es an die Umsetzung geht und die Fernsehschein-
werfer ausgeschaltet sind, sucht der Bundeskanzler schon
wieder nach der Schlagzeile für die nächste Tageszeitung.
Die Menschen bleiben mit ihren Problemen zurück. Ver-
sprochen – gebrochen, so auch beim Kanzler.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Liebe Kolleginnen und Kollegen von Rot und Grün,

Sie können sich nicht mehr so leicht wie wir, die CDU und
CSU, auf steuersystematische Gründe berufen. Sie haben
die Steuersystematik verlassen. Es gibt in unserer Ein-
kommensbesteuerung den synthetischen Einkommens-
begriff doch nicht mehr;


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


denn Sie haben die Mindestbesteuerung eingeführt, die
Einschränkung bei der Verlustverrechnung vorgenommen
und das Vollanrechnungsverfahren aufgegeben. All das
waren Angriffe auf den Einkommensbegriff, der der Ein-
kommensbesteuerung zugrunde lag. Insofern können Sie
diesen Vorwand heute nicht mehr vorbringen, wenn Sie
gegenüber den Interessengruppen und Ihren Wählern be-
gründen wollen, warum Sie Ihre Wahlversprechen nicht
einlösen.

Sie haben mit Ihrer Steuerreform die großen Kapital-
gesellschaften entlastet. Das hat zunächst ein Kursstroh-
feuer an den Börsen entfacht, aber von den Entlassungen
in Hunderter- und Tausenderpäckchen bei denen, die Sie
so einseitig durch die Freistellung von Veräußerungserlö-
sen entlastet haben, lesen wir noch immer. Für den Mit-
telstand in diesem Land gab es Steine statt Brot. Das wirkt
sich heute aus.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Ich muss zum Schluss kommen.


(Sylvia Voß [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wunderbar!)


Ansonsten würde ich Ihnen all das aufzählen, was Sie
sonst noch verbrochen haben. Teilzeitrecht: Jetzt kann




Klaus-PeterWillsch

22289


(C)



(D)



(A)



(B)


man sagen, dass man nur noch halbtags arbeiten will, und
ein halbes Jahr später verlangen, wieder ganztags arbeiten
zu können. Betriebsverfassungsrecht: Funktionärswirt-
schaft statt Sozialpartnerschaft. 630-Mark-Jobs: Damit
haben Sie den Arbeitsmarkt zugeriegelt.


(Zuruf von der SPD: Ökosteuer!)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1422418700
Herr Kollege Willsch,
für die Aufzählung bleibt jetzt wirklich keine Zeit mehr.


Klaus-Peter Willsch (CDU):
Rede ID: ID1422418800
Wir werden am
22. September die Mehrheit in diesem Land erringen und
dann eine Politik für Wachstum und Beschäftigung in die-
sem Land machen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Eine sehr gute Rede! – Wolfgang Weiermann [SPD]: Zurück in die Steinzeit, so war Ihre Rede!)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1422418900
Das Wort hat die Kol-
legin Sylvia Voß für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.


Sylvia Voß (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1422419000
Frau Prä-
sidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege
Willsch, Ihre Rede war so, dass Sie dafür von uns nicht
einmal Trinkgeld bekommen hätten.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Sie verdient die übliche Qualitätsmarke: Hokuspokus,
Simsalabim. Es ist einfach nicht zu glauben, was Sie ge-
sagt haben.


(Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Das war eine gute Rede! – Jochen-Konrad Fromme [CDU/ CSU]: Dass Sie das nicht erfassen können, ist uns klar!)


Ich komme aus dem Osten und weiß aufgrund Ihrer Re-
gierungszeit genau, was „Versprochen – gebrochen“ heißt.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Manfred Grund [CDU/CSU]: Zum Beispiel?)


Zurück zum Thema. Ich denke, auch Ihnen, liebe Kol-
leginnen und Kollegen, geht es so: Seit man mit dem Euro
zahlt, gibt man entweder gar kein Trinkgeld oder einfach
zu viel.


(Jochen-Konrad Fromme [CDU/CSU]: Mit brutto und netto hattet ihr es schon immer!)


Ohne weiter darüber nachzudenken, runden wir die unge-
nauen Beträge auf. Oder haben Sie den Kellner schon ein-
mal gebeten, von 36,80 Euro auf 39,50 Euro heraus-
zugeben?


(Zuruf von der CDU/CSU: Schon öfter, als Sie denken!)


Nein, man sagt dann: 40 Euro.

(Klaus-Peter Willsch [CDU/CSU]: Und davon wollen Sie jetzt einen Anteil haben!)


– Sie können ja nicht einmal zuhören. Wie wollen Sie
dann Beträge berechnen?


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD)


Damit habe ich ein wesentliches Problem geschildert,
das im Mittelpunkt der heutigen Debatte steht. Nicht ein-
mal wir, die Gäste, wissen gleich, wie viel Geld wir für
guten Service drauflegen sollen.


(Dirk Niebel [FDP]: Dann ist es auch besser, wenn der Staat das Geld kriegt!)


Wie aber nun können es die Finanzämter genau wissen?
Wir wissen, dass sie es nicht können. Und wenn man et-
was nicht genau weiß, versucht man es mit Schätzungen.

Damit schafft man aber ein neues Problem. Bei der
Schätzung des Trinkgeldes muss nämlich eine Vielzahl
von Faktoren berücksichtigt werden: die finanzielle Leis-
tungsfähigkeit der Kunden, die Höhe der Rechnung,


(Ernst Burgbacher [FDP]: Sie schätzen doch mit jeder Rechnung!)


die Art des Betriebes, die wirtschaftliche Rahmenlage und
– nicht zu vergessen – die typischen Eigenheiten der Gäs-
te, die standortspezifisch sind. Zusätzlich erschwert wird
diese Schätzung dadurch, dass in Deutschland im Gegen-
satz zu sehr vielen anderen Ländern kein fester Prozent-
satz für Trinkgelder gilt. Diese Faktoren sind kaum ob-
jektiv zu ermitteln, diese Daten kann kein Finanzamt
verlässlich erheben und bewerten.


(Jochen-Konrad Fromme [CDU/CSU]: Eine Regelungslücke erkannt!)


Es fehlen aber auch belastbare Angaben über die Höhe des
Steueraufkommens aus der Trinkgeldbesteuerung.

Rein steuersystematisch betrachtet ist eine Trinkgeld-
steuer zweifelsfrei im Grundsatz richtig. Darüber haben
wir jetzt und auch schon zu früheren Terminen hier sehr
ausführlich gesprochen. Trinkgelder stellen eben Ein-
kommen dar wie andere Entlohnungen auch. Es ist si-
cherlich nicht unproblematisch, wenn Einkommen in
Form von Trinkgeldern steuerfrei gestellt wird, Einkom-
men in anderer Form dagegen voll versteuert werden
muss. Das Gerechtigkeitsgefühlwird hier sicherlich ver-
letzt.

Doch das Gerechtigkeitsgefühl kann auch durch die
Praxis der Erhebung der Trinkgeldsteuer verletzt werden.
Die Finanzämter haben im Umgang mit der Dienstleis-
tungsgesellschaft scheinbar schlechte Erfahrungen ge-
macht, denn einem Taxifahrer, einer Friseurin oder ande-
ren Angestellten des Dienstleistungssektors trauen sie
nicht zu, einen ebenso freundlichen Service wie die ange-
sprochenen Kellner zu bieten. Man vermutet deshalb, sie
erhalten weniger Trinkgeld. Die Finanzämter gehen da-
von aus, dass bei solchen Berufen der Freibetrag nicht er-
reicht wird.

Wenn der Steuerpflichtige, der Trinkgelder bezieht, in
seiner Steuererklärung keine Angaben zur Höhe des
Trinkgeldes macht, muss das Finanzamt davon ausgehen,
dass es unterhalb des Freibetrages liegt. Während die Mit-




Klaus-PeterWillsch
22290


(C)



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(A)



(B)


arbeiter des Finanzamtes das den Friseurinnen glauben,
versuchen sie bei Kellnern den Gegenbeweis anzutreten.
Das ist relativ erfolglos, denn es gibt für die eingenom-
menen Trinkgelder keine Aufzeichnungspflicht. Deswe-
gen existieren die bereits angesprochenen Schätzungen.
Ein komplizierter Fakt jagt hier den anderen: Fehlende
objektive Maßstäbe bei der vorgenommenen Schätzung
der Trinkgelder durch das Finanzamt wiegen finanzielle
Nachteile, die durch den erheblichen Verwaltungsauf-
wand entstehen, nicht auf. Steuergesetze aber müssen zu-
mindest als Nebenzweck die Erzielung von Einnahmen
voraussetzen.

Zur Verwaltungsvereinfachung wurde 1954 ein Frei-
betrag eingeführt, der dann im Jahre 1990 auf 2 400 DM
– das sind 1 224 Euro, wie schon gesagt – verdoppelt
wurde. Eine lohnende Verwaltungsvereinfachung ist da-
durch aber keinesfalls eingetreten. Die Abhängigkeit von
den richtigen Angaben der Arbeitnehmer konnte durch
diese Regelung nicht aufgehoben werden. Denn selbst
wenn Angaben des Schuldners vorliegen, müssen die
Behörden prüfen, ob er denn die Wahrheit spricht.


(Zuruf von der CDU/CSU: Abgrundtiefes Misstrauen gegen Menschen!)


Zudem nehmen die pflichtbewussten Männer und Frauen
von den Finanzbehörden und -gerichten selbst dann
Schätzungen vor, wenn ihnen keine Angaben vorliegen.

Die Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten geht
davon aus, dass im Hotel- und Gaststättengewerbe rund
100 000 Personen Trinkgeld beziehen. Die Einnahmen
von etwa 90 Prozent der Beschäftigten bleiben unterhalb
der festgesetzten Grenze. Die eingenommenen Steuern
können dann aber nur Peanuts sein, die durch hohe Ver-
waltungskosten für Überprüfungen und Schätzungen da-
hinschmelzen dürften. Ich denke, Verwaltungseffizienz
buchstabiert man anders. All dies führt zu Überlegungen,
wie das Problem gelöst werden kann. Die von CDU/CSU
und FDP vorgelegten Vorschläge lehnen wir ab. Kollege
Schild hat hierzu Hinreichendes und Ausreichendes ge-
sagt. Die Tourismuspolitiker der Koalition sind sich aber
darin einig, dass weiter an einer Lösung gearbeitet werden
muss. Sie können sich sicher sein, dass wir das auch tun.

Danke schön.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der PDS)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1422419100
Für die FDP-Fraktion
spricht jetzt der Kollege Ernst Burgbacher.


Ernst Burgbacher (FDP):
Rede ID: ID1422419200
Frau Präsidentin! Meine
Damen und Herren! Ich möchte gerne, damit wir wissen,
über was wir reden, eine Passage zitieren:

Eine Form der Anerkennung für die Beschäftigten im
Gastgewerbe stellt das Trinkgeld dar, mit dem Gäste
ihre Zufriedenheit ausdrücken. Die Besteuerung des
Trinkgelds als Arbeitslohn verkennt den persönli-
chen Charakter dieser Anerkennung und ist daher ab-
zuschaffen.


(Beifall bei der FDP)


Dieses Zitat stammt nicht aus FDP-Papieren, sondern aus
den tourismuspolitischen Leitlinien der SPD, Frau
Kastner, von 1998.


(Beifall bei der FDP – Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Hört! Hört!)


Wir geben Ihnen jetzt die Gelegenheit, Ihr Wahlverspre-
chen einzulösen. Sie müssen heute nur zustimmen und die
Wähler sind mit Ihnen zufrieden.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Lieber Herr Schild, niemand versteht, dass Sie nicht
zustimmen wollen. Wir haben auch im Finanzausschuss
die Argumente ausgetauscht. Ihre Einwände sind ja alle
berechtigt, aber bei der Diskussion sind die Gegenargu-
mente immer schwächer geworden. Wie lässt es sich denn
rechtfertigen, dass in Hotellerie und Gastronomie massiv
kontrolliert wird, in allen anderen Bereichen aber nicht?
Das widerspricht der Gleichmäßigkeit der Besteuerung
und kann deshalb so nicht aufrechterhalten werden.


(Beifall bei der FDP)

Wir sprechen von steuersystematischen Überlegungen.

Da habe ich nun wirklich Schwierigkeiten mit einem Ar-
gument, das, so glaube ich, auch von Ihnen, lieber Herr
Willsch, kam und das so nicht gelten kann. Es ist ja rich-
tig: Es gibt höchstrichterliche Urteile, gemäß denen
Trinkgeld versteuert werden muss. Aber, meine lieben
Kolleginnen und Kollegen, wir sind der Gesetzgeber.


(Beifall bei der FDP)

Wenn es solche Urteile gibt, wir aber anderer Ansicht
sind, dann ändern wir doch das Gesetz! Genau das wollen
wir tun. Wer soll es denn sonst tun? Deshalb legen wir
heute einen solchen Gesetzentwurf vor.


(Horst Schild [SPD]: Das ist eine Frage des Gleichheitsgrundsatzes! Das steht im Grundgesetz!)


Auch Sie wissen ganz genau, dass für besonders guten
Service Trinkgeld gegeben wird. Ich möchte das klarstel-
len: Wenn ich schlecht bedient werde, gebe ich kein
Trinkgeld. Wenn ich gut bedient werde, gebe ich Trink-
geld. Aber dann möchte ich nicht, dass es in der Tasche
von Herrn Eichel oder Herrn Diller landet. Es soll bei dem
bleiben, dem ich es gebe.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der PDS)


Wir müssen endlich bereit sein umzudenken. Wir ge-
hen bisher nach der Devise vor: Wer nett serviert, wird ab-
kassiert. Wir wollen Leistung belohnen. Deshalb müssen
wir die Steuern insgesamt senken. Wir müssen in diesem
Zusammenhang das Steuersystem vereinfachen und vor-
her muss die Trinkgeldsteuer abgeschafft werden.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Es lohnt sich übrigens, einen Blick in die Nachbar-
länder zu werfen. Herr Diller, die Bundesregierung hatte
mir vor zwei Jahren auf eine diesbezügliche Anfrage




Sylvia Voß

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(A)



(B)


geantwortet, dass in fast allen Ländern der Europäischen
Union Trinkgeld besteuert wird. Jetzt besagte eine neue
Antwort der Bundesregierung, dass es nur zwei Länder
gibt, von denen das bekannt ist. Alle Länder um uns
herum besteuern Trinkgeld faktisch nicht. Das muss man
einmal wahrnehmen.


(Beifall bei der FDP)

Jetzt, verehrter Herr Schild, noch einmal zu Ihren Ar-

gumenten: Sie haben die Bareis-Kommission von 1994
und, so glaube ich, auch Professor Kirchhoff angespro-
chen. Von beiden Seiten wird die Abschaffung der
Trinkgeldbesteuerung vorgeschlagen.


(Beifall bei der FDP)

Professor Kirchhoff schlägt in seinem Karlsruher Entwurf
zur Reform des Einkommensteuergesetzes vor – ich habe
es dabei und kann es Ihnen vorlegen –, auf die Trinkgeld-
besteuerung zu verzichten. Das ist Kirchhoff im Original.


(Horst Friedrich [Bayreuth] [FDP]: Guter Mann!)


Er sagt eindeutig, dass trotz der weiteren Verbreiterung
der Bemessungsgrundlage die Trinkgeldbesteuerung weg
muss.


(Beifall bei der FDP– Horst Schild [SPD]: Aber der Gesetzgeber müsse dem Missbrauch vorbeugen! Das hat er auch gesagt!)


– Nein, ich zeige es Ihnen nachher.
Liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU/CSU,

Sie wollen einen halben Schritt gehen, indem Sie sagen:
Wir setzen den Freibetrag hoch. Lieber Herr Willsch, ich
muss Sie jetzt auf Folgendes hinweisen: Mehrere Kolle-
gen aus Ihrem Ausschuss sagen öffentlich ebenfalls, dass
die Trinkgeldbesteuerung weg muss. Der bayerische
Wirtschaftsminister Wiesheu hat öffentlich gefordert, die
Trinkgeldbesteuerung abzuschaffen. Deshalb fordere ich
Sie auf, nicht einen halben Schritt zu gehen, sondern mit
uns zu springen und mitzumachen.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der PDS)


Hätten Sie dies bereits früher getan, dann wären wir in
dieser Frage vielleicht einen Schritt weiter.

Es geht noch um etwas anderes. Es geht darum, dass
viele Tausende Menschen in unserem Land abends und
am Wochenende arbeiten. Wir verlangen von ihnen einer-
seits, dass sie freundlich sind, und haben andererseits die
Motivationsbremse Trinkgeldbesteuerung. Schaffen wir
sie doch ab! Sorgen wir für mehr Servicequalität in
Deutschland! Sorgen wir dafür, dass sich Lächeln in
Deutschland wieder lohnt!


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ich appelliere jetzt wirklich an alle in diesem Hohen
Hause. Der Kanzler hat es versprochen.


(Gisela Frick [FDP]: Ja!)


Herr Wiesheu hat es versprochen. Die SPD hat es ver-
sprochen. Wirtschaftsminister Müller hat es vor zwei Mo-
naten öffentlich versprochen.


(Gisela Frick [FDP]: Ja!)

Vor diesem Hintergrund kann es doch nicht sein, dass Sie
heute die Abschaffung der Trinkgeldbesteuerung wieder
ablehnen. Das würde kein Mensch verstehen. Sorgen Sie
dafür, dass sich Lächeln wieder lohnt! Wenn Sie es heute
nicht tun, dann wird Ihnen im September vielleicht das
Lachen vergehen.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1422419300
Die letzte Rednerin in
dieser Debatte ist die Kollegin Heidemarie Ehlert für die
PDS-Fraktion.


Heidemarie Ehlert (PDS):
Rede ID: ID1422419400
Frau Präsidentin! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Auch wenn wir heute schon
zum vierten Mal über die Frage der Trinkgeldbesteuerung
diskutieren, werden wir das Problem wiederum nicht lö-
sen. Denn wo kein Wille ist, ist auch kein Weg.


(Beifall bei der PDS)

Trinkgelder sind für viele Beschäftigte, insbesondere

in der Gastronomie und im Friseurwesen, nach wie vor
lebensnotwendig, da ihre Löhne so niedrig sind, dass sie
kaum zum Leben reichen. Eine entsprechende Sozial-
abgabenpflicht durch den Arbeitgeber wäre eigentlich
eher notwendig als eine Besteuerung.


(Beifall bei der PDS)

Die Absicherung bei Arbeitslosigkeit oder im Alter ist
aufgrund der niedrigen Löhne nicht gegeben und der
Gang zum Sozialamt gegenwärtig fast unvermeidlich.

Steuersystematisch ist es sicher richtig, dass eigentlich
jede Mark Einkommen besteuert werden muss. Es gibt
viele Bereiche, in denen die Arbeitnehmerinnen und Ar-
beitnehmer einen ähnlich niedrigen Lohn wie die Beschäf-
tigten in der Gastronomie haben und alles besteuert wird.
Aber – das wissen Sie doch alle – gerade im Gastrono-
miebereich arbeiten immer mehr, inzwischen die Hälfte
der Beschäftigten, auf Teilzeitbasis. Im Vergleich zum
produzierenden Gewerbe werden relativ viele Lehrstellen
angeboten. Das ist positiv. Doch die Mehrheit der jungen
Leute suchen nach der Ausbildung ihr Glück in anderen
Bereichen, weil die Löhne so niedrig und die Arbeitsbe-
dingungen schlecht sind.

Hinzu kommt, dass eine tatsächliche Gleichstellung
nicht sichergestellt werden kann, da die Höhe der Trink-
gelder entweder freiwillig angegeben werden muss oder
das Finanzamt diese auf der Grundlage der Umsätze
schätzt.

Letzteres ist gerade gegenwärtig sehr problematisch.
Nach der Euroumstellung hat man zwar in manchen Gast-
stätten das Gefühl, in den Speisekarten sei die D-Mark
durch den Euro ersetzt worden und der Preis – und damit
auch der Umsatz – habe sich verdoppelt. Das Trinkgeld ist




Ernst Burgbacher
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(C)



(D)



(A)



(B)


damit nicht automatisch gestiegen. Im Gegenteil – da kön-
nen Sie einmal Kellner, Taxifahrer oder Ihre Friseurin fra-
gen –, es wird gegenwärtig sehr viel weniger Trinkgeld
gegeben als noch vor einem halben Jahr. Von dem Ver-
waltungsaufwand in den Finanzämtern will ich hier gar
nicht reden.

Wesentlich mehr Steuern könnten wir zum Beispiel
durch zeitnahe Betriebsprüfungen einnehmen, aber dafür
fehlen uns ja bekanntlich die Leute. Wesentlich mehr
Steuereinnahmen könnten wir auch haben, hätten wir
nicht diese verunglückte Reform zur Einkommens- und
Unternehmensbesteuerung.


(Beifall bei der PDS)

Gewinne aus dem Verkauf von Beteiligungen bleiben
steuerfrei, nur bei den Niedriglohnempfängerinnen und
-empfängern sind wir steuersystematisch konsequent.
Den Kleinen beißen eben die Hunde.

Die Erhöhung der Freibeträge, wie die CDU/CSU
sie fordert, ist eine Nachbesserung, die für die Betroffe-
nen eine gewisse Verbesserung bedeuten würde. Nur wird
das Problem dadurch nicht generell gelöst und wir haben
es in der nächsten Legislaturperiode wieder auf der Ta-
gesordnung.

Die PDS-Fraktion unterstützt den Vorschlag der FDP,
die Trinkgeldbesteuerung abzuschaffen.


(Beifall bei der PDS und der FDP)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1422419500
Frau Kollegin, Sie
müssen jetzt bitte zum Schluss kommen.


Heidemarie Ehlert (PDS):
Rede ID: ID1422419600
Das ist endlich einmal ein
konsequenter Schritt.

Ich bedanke mich.

(Beifall bei der PDS)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1422419700
Ich schließe die Aus-
sprache.

Wir kommen zur Abstimmung über den Gesetzentwurf
der Fraktion der CDU/CSU zur Erhöhung des Trinkgeld-
freibetrages auf Drucksache 14/4938 (neu). Der Finanz-
ausschuss empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschluss-
empfehlung auf Drucksache 14/6216, den Gesetzentwurf
abzulehnen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf
zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Gegenprobe! –
Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist gegen die Stim-
men der CDU/CSU-Fraktion bei Enthaltung der FDP-
und der PDS-Fraktion abgelehnt. Damit entfällt nach un-
serer Geschäftsordnung die weitere Beratung.

Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den Gesetzent-
wurf der Fraktion der FDP zur Änderung des Einkom-
mensteuergesetzes auf Drucksache 14/5233. Der Finanz-
ausschuss empfiehlt unter Buchstabe b seiner
Beschlussempfehlung auf Drucksache 14/6216, den Ge-
setzentwurf abzulehnen. Ich bitte diejenigen, die dem Ge-
setzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. –
Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Gesetzent-

wurf ist damit in zweiter Beratung gegen die Stimmen der
FDP-Fraktion, der PDS-Fraktion und einige Stimmen der
CDU/CSU-Fraktion bei Enthaltung der Mehrheit der
CDU/CSU-Fraktion abgelehnt. Damit entfällt nach unse-
rer Geschäftsordnung die weitere Beratung.

Jetzt rufe ich die Zusatzpunkte 8 und 9 auf:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Verkehr, Bau- und Woh-
nungswesen (15. Ausschuss) zu dem Antrag der
Abgeordneten Dirk Fischer (Hamburg), Dr.-Ing.
Dietmar Kansy, Eduard Oswald, weiterer Abge-
ordneter und der Fraktion der CDU/CSU
Weißbuch über Harmonisierungsdefizite bei
Verkehrsdienstleistungen
– Drucksachen 14/4378, 14/8378 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Karin Rehbock-Zureich
Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Verkehr, Bau- und Woh-
nungswesen (15. Ausschuss) zu der Unterrichtung
durch die Bundesregierung
Weißbuch
Die europäische Verkehrspolitik bis 2010: Wei-
chenstellungen für die Zukunft
KOM (2001) 370 endg.; Ratsdok. 11932/01
– Drucksachen 14/7409 Nr. 2.38, 14/8480 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Karin Rehbock-Zureich

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Ich höre kei-
nen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache. Erste Rednerin für die
SPD-Fraktion ist die Kollegin Karin Rehbock-Zureich.


Karin Rehbock-Zureich (SPD):
Rede ID: ID1422419800
Sehr verehrte Frau
Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Die
Wachstumsprognosen hinsichtlich des Verkehrs sind ein-
deutig: Bis 2015 nimmt der Personenverkehr in Deutsch-
land um 20 Prozent zu, der Güterverkehr nimmt um
64 Prozent zu. Die enormen Folgen dieser Zunahme lie-
gen auf der Hand. Uns allen ist klar: Allein auf der Straße
lässt sich diese Herausforderung nicht bewältigen. Dazu
benötigen wir ein integriertes Verkehrssystem, das alle
Verkehrsträger nach ihren Stärken einsetzt. Die Schiene
wird dabei eine wichtige Rolle spielen. Dies gilt nicht nur
für die Situation in der Bundesrepublik, sondern dies gilt
auch EU-weit.

Das Weißbuch „Die europäische Verkehrspolitik bis
2010: Weichenstellungen für die Zukunft“ resultiert aus
der zentralen Erkenntnis, dass die Steuerung der Ent-
wicklungen im Verkehrsbereich notwendig und das
Zusammenspiel aller Verkehrsträger unerlässlich ist, da
nur so die Mobilitätsbedürfnisse der Bürgerinnen und
Bürger und auch der Wirtschaft dauerhaft gesichert wer-
den können.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)





Heidemarie Ehlert

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(B)


Die zentralen Rahmenbedingungen müssen erfüllt
werden. Hier geht das Weißbuch in die richtige Richtung.
Es bietet gute Ansätze und ist eine wichtige Basis für eine
europaweit ökonomisch und ökologisch dauerhaft trag-
bare Mobilität. Langfristziele sind die Entkopplung von
Verkehrs- und Wirtschaftswachstum und das Erreichen
ausgewogener Verkehrsträgeranteile. Nur so ist dem pro-
gnostizierten Zuwachs zu begegnen. Vorgeschlagene
Maßnahmen sind die Einflussnahme auf die Preise des
Straßenverkehrs, Begleitmaßnahmen zur Effizienzsteige-
rung anderer Verkehrsträger und gezielte Investitionen in
transeuropäische Verkehrsnetze. Dies ist wirtschaftlich
sinnvoll und verkehrspolitisch notwendig.


(Beifall bei der SPD)

Selbstverständlich gibt es auch Themen, die in diesem

Weißbuch aus unserer Sicht nicht ausführlich genug be-
handelt wurden. Hier sind es besonders die Maßnahmen,
die dazu beitragen, Klimaschutzziele wie die Verringe-
rung des Schadstoffausstoßes und der Lärmemissionen zu
erreichen. Hier sind weitere Anstrengungen notwendig,
gerade im Hinblick auf die Erreichung der Klimaschutz-
ziele, die im Kioto-Protokoll vorgesehen sind.

In den Beratungen auf europäischer Ebene zur Umset-
zung der Weißbuch-Vorschläge muss die Bundesregie-
rung vor allen Dingen folgende Akzente setzen: Da ist
zum einen die Stärkung der Wettbewerbsposition der
Schiene sowie der See- und Binnenschifffahrt und zum
anderen die Beschleunigung der Marktöffnung im Be-
reich des Schienenverkehrs, und zwar im Personen- wie
im Güterverkehr. Ein weiterer wichtiger Punkt ist die
Stärkung der Interoperabilität. Hier legen wir besonderen
Wert auf die Verbesserung der grenzüberschreitenden
Verkehre; denn dies ist der Markt der Zukunft.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Auch hinsichtlich der Stärkung der Intermodalität des
Verkehrssystems haben die Bundesregierung und die
SPD-Fraktion zusammen mit den Grünen, unserem Ko-
alitionspartner, wichtige Weichenstellungen für die Zu-
kunft schon beschlossen und zum Beispiel die Mittel für
die Kombiverkehre im Haushalt verstärkt, um so ein
deutliches Zeichen zu setzen. Das Fördervolumen lag
2001 bei 150 Millionen DM bzw. 75 Millionen Euro. Die
kontinuierliche Erhöhung dieser Mittel seit Regierungs-
übernahme spiegelt den politischen Willen wider, die
Potenziale des Kombiverkehrs und die Verlagerung der
Güterverkehre auf die Schiene zu unterstützen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Ein ganz wichtiges Vorhaben, das Sie über Jahrzehnte
in den Schubladen liegen ließen, ist die Stärkung des
Verursacherprinzips bei der Anlastung der Infrastruk-
turkosten. Wir werden schrittweise von einer Haushaltsfi-
nanzierung zu einer Nutzerfinanzierung der Verkehrsin-
frastruktur übergehen.

Des Weiteren wird auf der Tagesordnung der EU die
Erhöhung der Verkehrssicherheit und die Reduzierung der
negativen Umweltwirkungen des Verkehrs stehen. Dass

eine Reduzierung der Schadstoff- und Lärmemissionen
von besonderer Wichtigkeit ist, liegt auf der Hand. Wir
halten es aber auch für wichtig, die faire Anlastung aller
vom Verkehr verursachten Kosten auf EU-Ebene zu erör-
tern. Dazu gehört auch das Thema Mineralöl- und Kfz-
Besteuerung.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Bei diesem Thema gibt es noch große Defizite auf EU-
Ebene, was eine Harmonisierung der Wettbewerbsbedin-
gungen im Straßengüterverkehr angeht. Dabei wird ein
Schwerpunkt der zukünftigen Verkehrspolitik auf der Ent-
wicklung einheitlicher Rechtsvorschriften im Hinblick
auf die Kraftstoffbesteuerung und die Nutzerentgelte lie-
gen müssen.

Im Arbeits- und Sozialrecht haben wir bereits Fort-
schritte erzielt. Wir haben die Kontrollen verbessert und
mit dem EU-Führerschein die Voraussetzungen dafür
geschaffen, dass sozialversicherungspflichtige Arbeits-
verhältnisse die Normalität im Transportbereich werden.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Vergleichbare Wettbewerbsbedingungen kann es nur
bei fairem Wettbewerb in ganz Europa geben. Um die Un-
gleichgewichte in Europa zu vermindern, muss der Sub-
ventionswettlauf beendet und Subventionsabbau betrie-
ben werden.

Gerade mit der Einführung der LKW-Maut gehen wir
den ersten Schritt hin zu einer Nutzerfinanzierung der
Straßenverkehrsinfrastruktur. Es erscheint in diesem Zu-
sammenhang geboten, die Entlastungsmaßnahmen für
das Verkehrsgewerbe auf die Tagesordnung zu setzen,
denn vom Grundsatz her schafft eine LKW-Maut kein Un-
gleichgewicht und keine Verzerrungen im Transport-
markt, da die Maut für alle LKWs auf deutschen Auto-
bahnen gilt, egal, aus welchem Land sie kommen.

Die Transportwirtschaft leidet heute noch unter der
konzeptionslosen Liberalisierung vergangener Jahre. Lei-
der sind gerade unter Ihrer Regierung die Märkte auf EU-
Ebene liberalisiert worden, ohne dass zur gleichen Zeit
eine Harmonisierung erfolgt wäre. Vielmehr ist zu Ihrer
Regierungszeit die Harmonisierung der Liberalisierung
hinterhergerannt.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Wir haben damit begonnen, diese Defizite aufzuarbei-
ten. Bis 2003 sollen nach unserem Willen die Subventio-
nen im Mineralölsteuerbereich auslaufen. Auch haben wir
dafür gesorgt, dass es bei der EU-Osterweiterung im
Sinne des heimischen Gewerbes zu ausreichenden Über-
gangsfristen kommen wird.

Die Maut für schwere LKWs auf deutschen Straßen,
die seit Jahren auf der Tagesordnung stehen könnte, um
hier zu einem gerechteren Wettbewerb unter den Ver-
kehrsträgern zu kommen, wird im Vermittlungsverfahren
von Ihnen leider behindert. Von Ihnen wird nach dem
Motto „Zurück in die Steinzeit“ aus rein taktischen Über-




Karin Rehbock-Zureich
22294


(C)



(D)



(A)



(B)


legungen heraus ein wichtiges Infrastrukturprojekt ver-
hindert – dieses Projekt geht weg von der Haushalts-
finanzierung und hin zu einer Nutzerfinanzierung, um eu-
ropaweit eine Chancengleichheit der Verkehrsträger
herzustellen –, und zwar zum Schaden aller Verkehrs-
träger.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Horst Friedrich [Bayreuth] [FDP]: Das war ein gelungenen Witz, Frau Kollegin! Wenn das nicht so ernst wäre, könnte man direkt darüber lachen!)


Dieses Verhalten geht auch zulasten eines Infrastruk-
turprojektes, bei dem wir durch die Einführung einer
LKW-Maut Marktführer sein könnten, nämlich bei der
Entwicklung eines über Satellit gesteuerten neuen Sys-
tems. Hier könnten wir die Vorreiterrolle in Europa spie-
len. Dies muss Ihnen bewusst sein, wenn Sie diese Ver-
hinderungspolitik hier weiter betreiben.


(Dr. Michael Meister [CDU/CSU]: Es war der Ausschreibungsstopp, der behindert hat! Es war nicht die Opposition!)


Wir haben mit der LKW-Maut, deren Einnahmen in
das Gesamtsystem der Verkehrsinfrastruktur zurück-
fließen sollen, ein Projekt auf die Tagesordnung gebracht,
das den integrativen Ansatz dieses Verkehrssystems deut-
lich macht. Es macht darüber hinaus deutlich, dass wir
eine Chancengleichheit für alle Verkehrsträger erreichen
wollen und dass wir dies europaweit angehen müssen. Mit
den Harmonisierungsschritten, die hierfür nötig sind, ma-
chen wir einen großen Schritt in Richtung Mobilität.

Ich fordere Sie dazu auf, dass Sie dem Grundsatz die-
ses Weißbuches, das für die Zukunft des Wettbewerbs
aller Verkehrsträger in Europa eine neue Dimension dar-
stellt, zustimmen und dass die Harmonisierungsansätze,
die im Weißbuch aufgezeigt werden, von Ihnen mitgetra-
gen werden. Lassen Sie uns gemeinsam diesen wichtigen
Schritt tun! Ich denke, in diesem Hause sind alle der Mei-
nung, dass dieses Weißbuch eine Grundlage für die Ge-
staltung zukünftiger Mobilität darstellt, die wir alle unter-
stützen müssen. Manches ist selbstverständlich auch aus
unserer Sicht noch verbesserungswürdig. Die Bundesre-
gierung hat von uns den Auftrag, diese Änderungsvor-
schläge aufzugreifen und durchzusetzen.

Wir werden Ihren Antrag ablehnen. Wir haben unse-
rerseits einen Antrag vorgelegt, der alle Punkte aufgreift.
Wir bitten Sie, diesem Antrag zuzustimmen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1422419900
Für die CDU/CSU-
Fraktion spricht jetzt der Kollege Dirk Fischer.

Dirk Fischer (Hamburg) (CDU/CSU) (von der CDU/
CSU mit Beifall begrüßt): Frau Präsidentin! Meine ver-
ehrten Kolleginnen und Kollegen! Ich kann die Bundes-
regierung nur dazu auffordern, die Interessen der deut-

schen Verkehrswirtschaft und unserer Betriebe in Bezug
auf die Arbeitsplätze bei kommenden Ratstagungen der
EU-Verkehrsminister verstärkt vorzutragen; denn die
Harmonisierung derWettbewerbsbedingungen für das
Verkehrsgewerbe muss weiterhin als vordringliches Ziel
der europäischen Verkehrspolitik definiert werden.

Natürlich haben Sie, Frau Kollegin Rehbock-Zureich,
Recht, wenn Sie sagen, dass der Grundsatz „erst Harmo-
nisierung, dann Liberalisierung“ nicht verwirklicht wur-
de, sondern dass Mitte der 80er-Jahre die Liberalisierung
an die erste Stelle gerückt ist und dadurch Harmonisie-
rungsdefizite geblieben sind.


(Heide Mattischeck [SPD]: Wer war das denn damals?)


Daraus folgt, dass wir um so hartnäckiger einfordern müs-
sen, dass diese Defizite abgebaut werden, weil in einem
europäischen Binnenmarkt Wettbewerb nur unter glei-
chen Bedingungen funktioniert.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Reparaturbetrieb!)


Ich darf feststellen, dass wir immer noch keine fai-
ren Wettbewerbsbedingungen für das deutsche Verkehrs-
gewerbe haben. Die Wettbewerbsverzerrungen bei den
verkehrsspezifischen Gebühren und Abgaben, bei den
technischen Regelungen und den Sozialvorschriften, ins-
besondere bei ihrem Vollzug, müssen abgebaut werden.
Denn aus dem unterschiedlichen Vollzug entstehen per-
manent weitere Wettbewerbsverzerrungen.

Unser Land ist sicherlich bei der Umsetzung und An-
wendung von Gemeinschaftsrecht am EU-treuesten. Des-
wegen müssen wir auch verlangen, dass die Kommission
den gleichmäßigen Vollzug des Gemeinschaftsrechts im
Auge behält. Ohne Harmonisierung stehen viele mittel-
ständische Unternehmen der Transportwirtschaft in unse-
rem Lande vor dem Aus oder der Ausflaggung. Beides
kostet Steueraufkommen, beides kostet Arbeitsplätze und
verschärft die Arbeitsmarktsituation in unserem Land.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Natürlich müssen Sie sich immer wieder dazu beken-

nen, dass Sie in dieser Legislaturperiode, in der Sie in die-
sem Hause die Mehrheit haben, die Situation durch eine
einseitige Steuer- und Abgabenpolitik erheblich ver-
schärft haben und dass Sie eben nicht – eingepasst in die
europäische Entwicklung – gehandelt haben, sondern
dass Sie unser Gewerbe noch dramatisch höher einseitig
belastet haben, während andere Länder – Frankreich,
Belgien, Italien


(Reinhard Weis [Stendal] [SPD]: EU-rechtswidrig!)


und insbesondere die Niederlande als ein Hauptwett-
bewerber auf der Straße – ihrem Gewerbe gezielt durch
Entlastung geholfen haben. Während dort also das Ge-
werbe entlastet worden ist, ist es bei uns dramatisch mehr
belastet worden.

Nun wollen Sie mit Ihrem Mautgesetz ohne einen aus-
reichenden Harmonisierungsbeitrag voll zuschlagen. Hier




Karin Rehbock-Zureich

22295


(C)



(D)



(A)



(B)


soll unserem Gewerbe, das seinen Umsatz überwiegend
auf unserem Markt generiert, ohne nennenswerte Harmo-
nisierung eine achtfach höhere Gebührenbelastung aufge-
brummt werden.


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Das stimmt doch überhaupt nicht! Völliger Unsinn! Mit diesem Unsinn treten Sie auch im Vermittlungsausschuss auf!)


Frau Rehbock-Zureich, ich sage noch einmal: Es geht
hier nicht um das Ob; es geht hier nicht um den Grundsatz.
Auch wir haben in unserer Regierungszeit die Umstellung
einer zeitbezogenen Euro-Vignette auf eine strecken-
bezogene, nutzungsabhängige Gebühr vorbereitet.


(Karin Rehbock-Zureich [SPD]: Warum haben Sie es nicht gemacht?)


Es geht vielmehr um das Wie. Es geht hier nicht um Tak-
tik, sondern um die Existenz deutscher Unternehmen und
um die Arbeitsplätze deutscher Arbeitnehmer.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Bezüglich der Umstellung der Haushaltsfinanzierung

auf die Nutzerfinanzierung kostet es verdammt viel
Glaubwürdigkeit, wenn diejenigen, die bezahlen müssen,
nachweisen, dass ein erheblicher Anteil des Aufkommens
nicht in die Verbesserung der Infrastruktur geht, son-
dern im Haushalt verschwindet. Es ist nahezu das Dop-
pelte dessen, was heute schon über die Euro-Vignette im
Haushalt verschwindet. Das und nichts anderes ist der
Kernpunkt unseres Konflikts.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Wir sind Ihnen – um das deutlich zu sagen – in unserer

Kompromissbereitschaft in zwei Punkten erheblich ent-
gegengekommen: Zum einen werden wir bis zu einem ge-
wissen Grad eine Quersubventionierung anderer Ver-
kehrsträger und ihrer Infrastruktur akzeptieren, wenn es
um die Erreichung eines Gesamtkompromisses geht.


(Karin Rehbock-Zureich [SPD]: Was heißt entgegenkommen? Das ist Klugheit!)


Zum anderen sind wir im Hinblick auf die blauen Briefe,
die diese Bundesregierung aus Brüssel bekommt, und im
Hinblick auf die nahezu unhaltbaren Zusagen, die bis zum
Jahre 2004 gemacht worden sind, sogar bereit, hinzuneh-
men, dass der Status quo im Haushalt nicht angetastet
wird. Aber alles, was darüber hinausgeht, muss zusätzlich
als Harmonisierungsbeitrag erbracht werden. Es muss für
das Gewerbe zumindest einen geringen flankierenden
Schutz geben.


(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Das passiert doch! Was Sie erzählen, ist völliger Unsinn!)


Das ist der Punkt, um den wir streiten, nicht aber um den
Grundsatz.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Es gibt auf europäischer Ebene dringenden Hand-

lungsbedarf, da die Kommission mit ihrem Weißbuch nur
die Wettbewerbsregulierung und weniger die Wettbe-

werbsharmonisierung beabsichtigt. Ich glaube, dass die
rot-grüne Regierungskoalition Unrecht hat;


(Heide Mattischeck [SPD]: Nein!)

denn das Weißbuch stimmt in wichtigen Punkten eben
nicht mit den verkehrspolitischen Zielsetzungen des
Deutschen Bundestages überein. Der Deutsche Bundes-
tag ist gegenüber Brüssel, gegenüber der Kommission,
geradezu verpflichtet, diese Nichtübereinstimmungen
herauszuarbeiten.

Stetiges Verkehrswachstum bedingt einen großen In-
frastrukturausbaubedarf. Die EU-Kommission sieht aber
vornehmlich Infrastrukturinvestitionen zugunsten der
Schiene vor. Ich halte das für einigermaßen weltfremd.
Wenn ich mir Ihren Verkehrsbericht anschaue und die Zu-
wächse im Straßengüter- und Straßenpersonenverkehr,
die dort aufgezeigt und prognostiziert werden, zugrunde
lege, muss ich sagen, dass ich dieses für einigermaßen
weltfremd halte. Es ist keine realistische Perspektive für
die anderen Verkehrsträger.


(Sylvia Voß [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Brummis herunter von den Straßen!)


Richtigerweise stellt die Kommission fest, dass das
Fehlen leistungsfähiger Verkehrsinfrastrukturnetze weit-
gehend unterschätzt wird. Mit Sicherheit hat sie damit
aber auch unsere Bundesregierung gemeint, die dieses in
eklatanter Weise tut. Es ist doch ein Widerspruch, wenn
Sie in der Investitionspolitik nur einseitige Schwerpunkte
setzen, die überhaupt nicht umsetzbar sind.

Meine Damen und Herren, bei der Revitalisierung der
Eisenbahnen will Europa die Trennung von Netz und
Betrieb als Ziel der Schienenverkehrspolitik verwirk-
lichen. Das steht ausdrücklich in der EU-Verord-
nung 1107/70 neu, der so genannten Infrastrukturricht-
linie.


(Heinz Wiese [Ehingen] [CDU/CSU]: Höchste Zeit!)


Damit sollen Wettbewerb, Wachstum, ein geringerer öf-
fentlicher Zuschussbedarf und Privatisierung möglich
und monopolistische Strukturen aufgebrochen werden.
Die Grundvoraussetzung dafür ist die Unabhängigkeit
des Netzes;


(Karin Rehbock-Zureich [SPD]: Ja, die schaffen wir gerade!)


denn für die Schaffung weiterer Kapazitäten ist dies uner-
lässlich. Ich kann nur eines sagen: Frau Rehbock-Zureich,
dieses mickrige und unzureichende Task-Force-Ergebnis
ist, gemessen an dem, was Herr Minister Bodewig in
Stuttgart auf dem Parteitag der Grünen gesagt hat – die-
sem haben Sie zugejubelt –, in Wahrheit Bodewig hoch
minus Drei.


(Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU – Karin Rehbock-Zureich [SPD]: Ich gehöre nicht den Grünen an!)


Eines ist doch ganz klar – das sagt Ihnen jeder Sachver-
ständige und Sie können auch die Kommission fragen –:




Dirk Fischer (Hamburg)

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(C)



(D)



(A)



(B)


Mit diesem Ergebnis erfüllt Deutschland die EU-Richt-
linie nicht.


(Karin Rehbock-Zureich [SPD]: Doch! – Reinhard Weis [Stendal] [SPD]: Das ist falsch, Herr Fischer!)


Es besteht ein weiterer Handlungsbedarf. Unserem
mittelständischen Verkehrsgewerbe dürfen keine weite-
ren Sonderlasten aufgebürdet werden, weil ein fortbeste-
hender und immer höherer Zuschussbedarf unseres mo-
nopolistischen Eisenbahnunternehmens den Wettbewerb
verhindert. Wenn wir uns die finanziellen Ergebnisse der
Bahnreform bis heute anschauen, erkennen wir, dass
diese Aussage sehr zutreffend ist. Sie können die Hand-
lungsverweigerung auf einem Felde nicht durch ein über-
bordendes Belasten der mittelständischen Verkehrsunter-
nehmen ausgleichen. Das ist eine Politik, die nach meiner
Auffassung voll daneben geht.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Reinhard Weis [Stendal] [SPD]: So ein Quatsch!)


Zum Bau der transeuropäischen Netze ist zu bemer-
ken, dass in den Randregionen deutlich wird, dass die
Nachbarländer ihre Baumaßnahmen bis an die Grenze
vorangetrieben haben. Die nicht sehr finanzstarke Tsche-
chische Republik hat eine entsprechende Autobahnver-
bindung gebaut. In Deutschland gibt es auf der A 6 nach
wie vor erhebliche Defizite.


(Heide Mattischeck [SPD]: Warum haben Sie sie nicht ausgebaut?)


Das ist die Wirklichkeit. Dort werden die Projekte voran-
getrieben, während in Deutschland zu viel diskutiert und
zu wenig getan wird.


(Sylvia Voß [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wieder auf dem falschen Stand!)


Deutschland darf sich nicht mit wohlklingenden Ankün-
digungen zufrieden geben, sondern muss auch die kon-
kreten Maßnahmen umsetzen.

Wenn der Bundesverkehrsminister dem Deutschen
Bundestag bei der Debatte über das Weißbuch der EU-
Kommission – das ist sozusagen die Magna Charta der eu-
ropäischen Verkehrspolitik – die Ehre seiner Anwesenheit
gegeben hätte – das hätte ich für erforderlich gehalten –,
würde ich ihm jetzt zurufen: Herr Minister Bodewig, die
Bauleistung muss hoch- und die Propagandaleistung
muss heruntergefahren werden. Das wäre allemal besser,
als permanent umgekehrt zu handeln.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Reinhard Weis [Stendal] [SPD]: Die Bauleistungen sind so hoch wie ewig nicht!)


Lassen Sie mich ein Wort zu unserem Antrag „Weiß-
buch über Harmonisierungsdefizite bei Verkehrsdienst-
leistungen“ sagen; ich komme damit auf den Ausgangs-
punkt meiner Rede zurück. Auch hier im Hause ist es
unbestritten, dass es gravierende Harmonisierungsdefi-
zite bei den Wettbewerbsbedingungen im Bereich der
Transportwirtschaft, nämlich beim Straßengüterverkehr
und bei der Binnenschifffahrt, gibt. Die Beseitigung die-
ser Defizite im europäischen Güterverkehrsmarkt ist Ziel

der zukunftsorientierten Verkehrspolitik meiner Frak-
tion.Wir wollen die europäische Marktordnung weiter
ausbauen. Wir wollen weiterhin dafür sorgen, dass faire
Wettbewerbsbedingungen auch für unsere deutschen Un-
ternehmen entstehen.

Die Harmonisierung ist Voraussetzung für die Markt-
öffnung. Die EU-Kommission muss daher zügig ein
Weißbuch über die noch fortbestehenden Regelungs- und
Vollzugsdefizite zur Harmonisierung der Wettbewerbs-
bedingungen für die Verkehrsdienstleistungen im europä-
ischen Binnenmarkt – quasi wissenschaftlich genau – er-
arbeiten. Daraus ergibt sich auch Regelungsbedarf im
Hinblick auf den Beitritt der Staaten aus Mittel- und Ost-
europa und die damit verbundene Erweiterung des Ver-
kehrsmarktes; denn eine Erweiterung in dieser Situation
führt zu weiteren Marktverwerfungen.

Das Weißbuch soll als Grundlage dienen, einen Maß-
nahmenkatalog zu erstellen, der einen zügigen Abbau
dieser Defizite bewirkt und damit faire Wettbewerbsbe-
dingungen für alle Marktteilnehmer gewährleistet. Es
reicht nicht aus, schöne Ziele zu definieren, sondern es
müssen konkrete und konsequente Maßnahmen ergriffen
werden.


(V o r s i t z : Präsident Wolfgang Thierse)

Ich sage deutlich: Wer das Weißbuch ablehnt, will die

Wahrheit verschleiern und nicht zum Handeln gezwungen
werden. Einen SPD-Antrag, in dem dies von der Europä-
ischen Kommission gefordert wird, habe ich bisher noch
nicht gelesen. Wir sind im Interesse unserer deutschen
Firmen und ihrer Arbeitnehmer zum Handeln verpflichtet.
Deswegen müssen wir Druck auf Europa machen, endlich
die Wahrheit auf den Tisch zu legen. Dann fällt, auf
Deutsch gesagt, der politische Handlungskatalog unten
heraus.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1422420000
Ich erteile Kollegin
Franziska Eichstädt-Bohlig das Wort.


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

legen! Lieber Kollege Fischer, nach Ihrer Rede habe ich
folgenden Eindruck: Erstens: Sie haben das Ergebnis der
Task Force nicht verstanden.


(Dirk Fischer [Hamburg] [CDU/CSU]: Davon gibt es offenbar sehr viele in Deutschland!)


Zweitens: Sie haben das vorliegende Weißbuch der EU
nicht verstanden. Drittens – das ist Ihr Hauptproblem –:
Sie haben offenbar die Verkehrsprobleme, vor denen ein
Land mitten in einem sich erweiternden Europa heute und
in den nächsten Jahren steht, nicht begriffen.

Ihre Forderung heißt: Weiter so wie bisher! Steckt im-
mer mehr Geld in den Straßenbau! Baut einfach die dritte
und vierte LKW-Spur, um die Warteschlangen der LKW,
die praktisch rollende Lagerhallen sind, zu vermeiden. So
lösen wir die Probleme. – Das kann es wirklich nicht sein.




Dirk Fischer (Hamburg)


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(C)



(D)



(A)



(B)


Ich hatte gedacht, Sie hätten im Laufe der Legislaturperi-
ode ein bisschen mehr von den Problemen begriffen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Sylvia Voß [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die lernen es nie! – Widerspruch bei der CDU/CSU)


– Die Probleme muss man doch endlich ernst nehmen.
Ich nenne Ihnen jetzt die Zahlen der EU, die für ein

Land in der Mitte Europas besonders gravierend sind: Al-
lein bis 2010 werden wir einen Zuwachs von 38 Prozent
im Personen- und von 24 Prozent im Güterverkehr haben.
Wenn diese Zahlen zutreffen, dann müssen wir von die-
sem „Weiter so!“ im Straßenausbau wegkommen. Denn:
Erstens. Die Straßen sind schon sehr verstopft. Zweitens.
Wir können nicht – wir haben über den drohenden blauen
Brief schon diskutiert – ständig weiter Geld in den
Straßenausbau stecken. Das geht nicht. Dass dies auch
ökologisch unverträglich ist, sollten Sie inzwischen ge-
lernt haben.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Demgegenüber ist gerade das EU-Weißbuch für die eu-

ropäische Verkehrspolitik bis 2010 ein sehr guter Hand-
lungsrahmen, um eine verträgliche Mobilität national
und in Europa zu gewährleisten. Es ist auch eine Bestä-
tigung für die Politik, die Rot-Grün in diesen vier Jahren
begonnen und umgesetzt hat und auch weiterhin betreiben
wird. Von daher gibt die EU mit ihrem Weißbuch die ent-
scheidende Unterstützung für unsere Strategie.

Unsere Strategie ist: Die jahrzehntelange einseitige
Bevorzugung der Anteile für den Verkehrsträger Straße
muss endlich zurückgefahren werden. Dafür muss der
Ausbau des umweltfreundlichen Schienenverkehrs und
der Binnenschifffahrt dort, wo sie umweltverträglich ist,
gefördert werden. All dies muss in ein richtiges Gleichge-
wicht gebracht werden. Es muss umgesteuert werden, um
die Straßen, insbesondere unsere überfrachteten Autobah-
nen, endlich zu entlasten. Dieses Ziel werden wir in Ko-
operation mit der EU weiterhin verfolgen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Ich muss ganz klar sagen: Die LKW-Maut, die in
Grundzügen auch von Ihnen unterstützt wird, ist ein ganz
zentraler Baustein. Ich sage es noch einmal – meine Kol-
legin Karin Rehbock-Zureich hat es eben schon gesagt –:
Es geht nicht, dass Sie jetzt einfach Forderungen stellen,
man solle jetzt über so viel Harmonisierung all das weg-
kompensieren, was die LKW-Maut eigentlich bringt, da-
mit wir endlich ein Stück weit von der Steuerfinanzierung
zur Nutzerfinanzierung kommen. Das ist das Erste, was
wirklich sehr wichtig ist. Wir können keine Harmonisie-
rung machen, die das Ganze letztlich wieder aufkom-
mensneutral macht. Ich bin gespannt, was Sie, Herr Kol-
lege Friedrich dazu sagen. Wir haben es erlebt, wie Sie in
der Arbeitsgruppe zum Vermittlungsausschuss die Ver-
handlungen blockiert haben.

Ich sage als Zweites – es ist sehr wichtig, sich das klar
zu machen –: Die Probleme des Verkehrsgewerbes liegen
nicht so sehr in diesem Bereich, sondern im Sozialdum-

ping, der Konkurrenz von Billigstfahrpreisen in einem
ruinösen Wettbewerb um niedrige Löhne und um niedrigs-
te Steuerabgaben, indem man den Standort des Unterneh-
mens ins Ausland verlagert. Von daher besteht das Pro-
blem – Sie hatten das vorhin zugegeben – , dass wir
während Ihrer Regierungszeit nicht nur in Deutschland,
sondern europaweit ein Zuviel an Liberalisierung hatten,
das zu einem ruinösen Wettbewerb geführt hat. An diesen
Schrauben muss gedreht werden. Die LKW-Maut ist ein
sinnvolles Instrument, gerade um mehr Chancengleich-
heit und Gerechtigkeit zwischen den ausländischen Fahr-
zeugen, die durch unser Land fahren, und unseren eigenen
zu bekommen. Das wird auch vom Verkehrsgewerbe
längst anerkannt. Von daher heißt unsere Formel: Ein
Stück weit Harmonisierung, Ausgleich und Kompensa-
tion über die Mineralölsteuer und ansonsten eine LKW-
Maut, die als Lenkungsinstrument wirklich greift.

Als Drittes ist besonders wichtig, dass die Maut antei-
lig auf Straße, Schiene und naturverträgliche Binnen-
schifffahrt gelenkt wird und dass wir damit Schritt für
Schritt in ein integriertes Verkehrskonzept umsteuern und
ein Verhältnis im Verkehr erreichen, das die Straße ent-
lastet und der Schiene das abverlangt, was sie wirklich
leisten kann. Daran arbeiten wir systematisch weiter, auch
die nächsten vier Jahre in Kooperation mit Europa. Dann
sind wir ein Stück weiter.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1422420100
Das Wort hat nun Kol-
lege Horst Friedrich, FDP-Fraktion.


Horst Friedrich (FDP):
Rede ID: ID1422420200
Herr Präsident!
Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Wenn ich in die-
ser Wahlperiode alles richtig verstanden habe, dann hat
die Bundesregierung unter Führung von SPD und Grünen
dem deutschen Gewerbe im Januar 2001 versprochen, mit
der Umstellung der Maut von der Zeitbezogenheit auf die
Streckenbezogenheit würde es eine Harmonisierung auf
größtmöglichem europäischen Niveau geben.


(Beifall bei der FDP)

Frau Rehbock-Zureich, Sie sagen, wir hätten eine Har-

monisierungslast hinterlassen. Wenn man zugrunde legt,
was Sie im Januar 2001 dem Gewerbe versprochen haben,
und sich dann anhand der vorgelegten Zahlen anschaut,
was Sie mit der Maut dem Gewerbe zur Verfügung stel-
len, kann man sagen: Offensichtlich ist der Harmonisie-
rungsbereich, den Sie akzeptieren, in der Größenordnung
von 260 Millionen Euro zu sehen. Mehr sind Sie nicht be-
reit, dem Gewerbe zur Verfügung zu stellen, und dies bei
einer Gesamtbelastung des deutschen Gewerbes durch die
Maut von immerhin 2,6 Milliarden Euro. Das ist ungefähr
ein Verhältnis von 10 zu 1.

Wenn das alles zutrifft, sollten Sie sich fragen lassen,
wem Sie eigentlich Vorwürfe machen. Zu einem Zeit-
punkt, wo Sie angeblich Harmonisierungsdefizite festel-
len, beschließen Sie die Ökosteuer. Sie beläuft sich mitt-
lerweile auf 24 Pfennig plus 4 Pfennig Umsatzsteuer. Sie
beschließen eine Maut, die das deutsche Gewerbe nicht




Franziska Eichstädt-Bohlig
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(C)



(D)



(A)



(B)


entlastet, sondern belastet. Das alles geschieht vor dem
Hintergrund der zu erwartenden EU-Osterweiterung.
Dann, Frau Kollegin Rehbock-Zureich, hilft Ihnen auch
keine noch so lange Übergangsfrist.


(Karin Rehbock-Zureich [SPD]: Die zahlen doch alle!)


Wenn sie nämlich in einer vorgegebenen Zeit nicht in der
Lage sind, national die Kosten zu senken, dann können
Sie sich die Übergangsfrist sparen. Sie verlängern eigent-
lich nur das Problem, aber Sie lösen es nicht. Das ist das
eigentliche Defizit. Deswegen verstehe ich nicht, warum
Sie im Ausschuss ein Weißbuch auf Antrag der Kollegen
der Unionsfraktion ablehnen, in dem Europa aufgefordert
wird, Defizite in der Harmonisierung einmal deutlich zu
machen. Denn dann weiß man, wo man ansetzen muss.

Es nützt doch nichts, im Wege einer Selbstfindungs-
gruppe nach dem Motto „Gut, dass wir darüber geredet
haben“ in jedem Weißbuch der EU erneut festzustellen,
dass zwar aufgezeigt worden ist, was zu tun ist, dass aber
der Rat – oder wer auch immer – das nicht verstanden hat.
Es nützt dem deutschen Gewerbe nichts und es nützt erst
recht nichts, auf nationaler Ebene dauernd neue Kosten
für das deutsche Gewerbe zu erfinden, die andere umge-
hen.

Wenn ich mich recht erinnere, dann ist das, was im
Jahr 2000 von allen schon genannten Ländern dem jewei-
ligen Gewerbe eingeräumt worden ist, mit Zustimmung
der Bundesregierung erfolgt, ohne dass deswegen Wider-
spruch eingelegt worden ist. Es nützt dem deutschen Ge-
werbe auch nichts, wenn Sie jetzt sagen, das läuft zum
Jahresende aus. Die Spritpreise steigen mittlerweile wie-
der an. Die Rohölpreise steigen ebenfalls. Ich bin ge-
spannt, wie es weitergeht. Sie werden sich wundern, was
andere Länder – Italiener, Belgier, Franzosen oder Nie-
derländer – noch alles erfinden, um aus diesem Verspre-
chen wieder herauszukommen.

Wir kommen zum Thema Bahn. Das ist offensichtlich
die allein selig machende Lösung. Im Jahr 2001 ist groß
getönt worden, die Bahn habe einen Güterzuwachs in
Höhe von 1,5 bis 2 Prozent erzielt. Das galt als Leistung
von Herrn Mehdorn. Wir haben erwidert, das liege aus-
schließlich an der Wirtschaftsentwicklung insgesamt.
Jetzt liegt die Statistik für das Jahr 2001 vor: minus 2 Pro-
zent. Das ist dann offensichtlich auch die Leistung der
Bahn. Denn wenn der Zuwachs die Leistung der Bahn ist,
dann gilt das auch für ein Minus. Deswegen verstehe ich
nicht, dass Sie uns dauernd erzählen wollen, mit Ihrer Po-
litik würden Sie Probleme im Hinblick auf den Güter-
markt lösen. Nein, es bleibt dabei: Wir müssen endlich
Wettbewerb auf der Schiene darstellen.


(Beifall bei der FDP)

Wir müssen echte Leistungsfähigkeit auf der Schiene
schaffen, sonst wird das Ganze nichts. Selbst die Bahn
gibt zu: 15 Cent Maut pro Kilometer auf der Autobahn
bringen eine Güterverlagerung von der Straße auf die
Schiene von bestenfalls 1 Prozent. Wenn das Ihre Lösung
ist, dann stehen Sie sehr schnell im Wald. Deswegen wird
es Zeit, dass ab September wieder eine andere Verkehrs-
politik stattfindet.

In diesem Sinne unterstützen wir den Antrag der Uni-
onsfraktion und werden Ihre Anträge ablehnen.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1422420300
Ich erteile das Wort
dem Kollegen Dr. Winfried Wolf von der PDS-Fraktion.


Dr. Winfried Wolf (PDS):
Rede ID: ID1422420400
Sehr geehrter Herr Präsi-
dent! Werte Kolleginnen und Kollegen! Es ist wohl im-
mer so, dass man einem umfangreichen Weißbuch wie
dem vorliegenden alles oder fast alles – viele Fakten,
Vorteile und eine ganze Reihe liebenswerter Vorhaben –
für alle Fraktionen entnehmen kann. Das hat auch Vor-
teile. Ich würde zum Beispiel das in dem Weißbuch vor-
gesehene notwendige Vorhaben erwähnen, die Zahl von
jährlich 40 000 Straßenverkehrstoten in Europa zu hal-
bieren.

Ich meine, dass das Wichtigste, das man zum Weiß-
buch feststellen kann, der folgende Widerspruch ist. Ei-
nerseits wird in der Gesamtorientierung zu Recht festge-
stellt, dass eine Verlagerung auf Schiene und Wasser, und
zwar eine Rückführung der Anteile von Straße und Luft
auf das Niveau von 1998 zugunsten von mehr Anteilen
von Schiene und Wasser, notwendig ist.


(Beifall bei der PDS)

Gleichzeitig wird aber allseits festgestellt, dass man
weiter Flughäfen und Straßen bauen und Engpässe be-
seitigen müsse. Ich meine, wir machen dabei auf EU-
Ebene den gleichen Fehler wie auf bundesdeutscher
Ebene, indem man eine parallele Förderung aller Ver-
kehrsträger vornimmt. Aber auf dem derzeitigen hohem
Niveau wird man keine wirkliche Wende in diesem Be-
reich erreichen.

Was stattdessen notwendig wäre, sind zwei Dinge.
Erstens sollten wir das Thema Transportintensität un-
tersuchen, nämlich die Tatsache, dass für eine Ware der
gleichen Qualität von Jahr zu Jahr – ein Glas Wasser, ein
Mikrofon, ein Auto oder ein Fahrrad – mehr Transport-
kilometer anfallen und immer weitere Wege zurückge-
legt werden, ohne dadurch in irgendeiner Weise einen
wirtschaftlichen Vorteil zu haben. Zweitens müssen wir
über die individuelle Mobilität diskutieren, bei der
nicht über mehr Kilometerfraß mehr Genuss heraus-
kommen muss. Zum Beispiel bietet Ryanair an, für 10,
20 oder 30 Euro europaweit überall hinfliegen zu kön-
nen. Selbstverständlich wird dann jede Art von Touris-
mus im eigenen Land bzw. im Nahbereich nicht mehr
realisierbar sein.

Interessant ist, dass keiner meiner Vorredner – ich kann
das beurteilen; denn ich bin der letzte Redner in dieser De-
batte – darauf hingewiesen hat, dass auf Seite 11 des
Weißbuches eine grundlegende Strategie zur Entkopp-
lung von Verkehrswachstum und Wirtschaftswachs-
tum gefordert wird.


(Karin Rehbock-Zureich [SPD]: Habe ich gesagt! – Horst Friedrich [Bayreuth] [FDP]: Das findet doch schon statt!)





Horst Friedrich (Bayreuth)


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(C)



(D)



(A)



(B)


– Kollege Friedrich, eine solche Entkopplung findet
nicht im Verkehrs-, sondern nur im Energiebereich statt.
Die Industrie verbraucht nämlich trotz Wirtschafts-
wachstums immer weniger Energie. Aber im Verkehrs-
bereich geht man noch immer davon aus, dass der Ver-
kehr im gleichen Maße wie die Wirtschaft wachsen
muss. Das hat beispielsweise schon die Kollegin Reh-
bock-Zureich gleich zu Beginn ihrer Rede deutlich ge-
macht. Sie sprach davon, dass das Wirtschaftswachstum
irgendwie auf die Verkehrsträger verschoben werden
müsse. Ich glaube, dass es nicht verschoben werden
muss. Nach meiner Auffassung ist es möglich, das öko-
nomische System so zu gestalten, dass es Wirtschafts-
wachstum ohne Zunahme des Verkehrs gibt. Das müsste
das Ziel sowohl auf bundesdeutscher Ebene als auch auf
EU-Ebene sein.

Danke schön.

(Beifall bei der PDS)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1422420500
Ich schließe die Aus-
sprache.

Zusatzpunkt 8: Wir kommen zur Abstimmung über die
Beschlussempfehlung des Ausschusses für Verkehr, Bau-
und Wohnungswesen auf Drucksache 14/8378 zu dem
Antrag der Fraktion der CDU/CSU mit dem Titel „Weiß-
buch über Harmonisierungsdefizite bei Verkehrsdienst-
leistungen“. Der Ausschuss empfiehlt, den Antrag auf
Drucksache 14/4378 abzulehnen. Wer stimmt für diese
Beschlussempfehlung? – Gegenprobe! – Enthaltungen? –
Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen von SPD
und Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen von
CDU/CSU und FDP bei Stimmenthaltung der PDS an-
genommen.

Zusatzpunkt 9: Wir kommen zur Abstimmung über die
Beschlussempfehlung des Ausschusses für Verkehr, Bau-
und Wohnungswesen auf Drucksache 14/8480 zu der Un-
terrichtung durch die Bundesregierung über das Weiß-
buch „Die europäische Verkehrspolitik bis 2010:
Weichenstellungen für die Zukunft“. Der Ausschuss emp-
fiehlt unter Nr. 1 seiner Beschlussempfehlung in Kenntnis
der genannten Unterrichtung, eine von den Fraktionen der
SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen vorgeschlagene
Entschließung anzunehmen. Wer stimmt für diese Be-
schlussempfehlung? – Gegenprobe! – Enthaltungen? –
Die Beschlussempfehlung ist mit den gleichen Stimmver-
hältnissen wie zuvor angenommen.

Unter Nr. 2 seiner Beschlussempfehlung empfiehlt der
Ausschuss in Kenntnis der genannten Unterrichtung, eine
von der Fraktion der CDU/CSU vorgeschlagene Ent-
schließung anzunehmen. Wer stimmt für diese Beschluss-
empfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? –
Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen von SPD,
Bündnis 90/Die Grünen und PDS gegen die Stimmen von
CDU/CSU und FDP abgelehnt.

Ich rufe die Zusatzpunkte 10 und 11 auf:
ZP 10 Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-

richts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz

und Reaktorsicherheit (16. Ausschuss) zu der Ver-
ordnung der Bundesregierung
Verordnung über den Versatz von Abfällen un-
ter Tage und zur Änderung von Vorschriften
zum Abfallverzeichnis
– Drucksachen 14/8197, 14/8321 Nr. 2.1, 14/8523 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Rainer Brinkmann (Detmold)

Werner Wittlich
Michaele Hustedt
Birgit Homburger
Eva Bulling-Schröter

ZP 11 Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz
und Reaktorsicherheit (16. Auschuss) zu der Ver-
ordnung der Bundesregierung
Verordnung über die Entsorgung von Altholz
– Drucksachen 14/8198, 14/8321 Nr. 2.2,
14/8522 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Rainer Brinkmann
Frank Obermeier
Michaele Hustedt
Birgit Homburger
Eva Bulling-Schröter

Ich eröffne die Aussprache und schließe sie gleich wie-
der; denn alle Reden sind zu Protokoll gegeben, und zwar
die der Kolleginnen Hustedt, Homburger, Bulling-
Schröter und Altmann sowie der Kollegen Brinkmann,
Wittlich und Obermeier.1)

Zusatzpunkt 10: Wir kommen zur Abstimmung über
die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Umwelt,
Naturschutz und Reaktorsicherheit zu der Verordnung
der Bundesregierung über den Versatz von Abfällen
unter Tage und zur Änderung von Vorschriften zum Ab-
fallverzeichnis, Drucksache 14/8523. Der Ausschuss
empfiehlt, der Verordnung auf Drucksache 14/8197 zu-
zustimmen. Wer stimmt für diese Beschlussempfeh-
lung? – Wer stimmt dagegen? – Stimmenthaltungen? –
Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen von SPD
und Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen von
CDU/CSU und FDP bei Enthaltung der PDS ange-
nommen.

Zusatzpunkt 11: Wir kommen zur Abstimmung über
die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Umwelt,
Naturschutz und Reaktorsicherheit zu der Verordnung der
Bundesregierung über die Entsorgung von Altholz,
Drucksache 14/8522.
Der Ausschuss empfiehlt, der Verordnung auf Drucksache
14/8198 zuzustimmen. Wer stimmt für diese Beschluss-
empfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Stimmenthaltun-
gen? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen
von SPD, CDU/CSU und Bündnis 90/Die Grünen bei Ent-
haltung von FDP und PDS angenommen.




Dr. Winfried Wolf
22300


(C)



(D)



(A)



(B)


1) Anlage 2

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 11 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Johannes
Singhammer, Horst Günther (Duisburg), Ulrich
Adam und weiterer Abgeordneter
Dokumentation der freigelegten russischen
Graffiti-Inschriften im Reichstagsgebäude in
historisch gerechtfertigtem Umfang
– Drucksache 14/6761 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Kultur und Medien

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Ich höre kei-
nen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Kollegen
Johannes Singhammer das Wort.


Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1422420600
Herr Präsi-
dent! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Kein an-
deres Gebäude in Deutschland trägt ein so hohes Maß an
Geschichtlichkeit wie der Sitz des Deutschen Bundesta-
ges, der Reichstag. Dieser Antrag will zu einer Balance,
zu einem inneren Gleichgewicht dieses Gebäudes mit sei-
nen historischen Häutungen und der erfolgreich prakti-
zierten demokratischen Bundesrepublik Deutschland bei-
tragen.

Um jedes Missverständnis von vornherein auszu-
schließen: Es geht nicht darum, die Eroberung des Reichs-
tags durch die Rote Armee und damit das tatsächliche,
aber auch symbolhafte Ende der nationalsozialistischen
Schreckensherrschaft zu verdrängen, zu verwischen oder
gar die Geschichte umzuschreiben. Niemand von den Un-
terzeichnern beabsichtigt Derartiges.

Der jetzige Zustand kann aber nicht überzeugen. Auf
mehr als 100 Metern Seitenlänge in mehreren Etagen des
Reichstags erscheinen Graffiti der sowjetischen Soldaten.
An keiner Stelle des Gebäudes werden die in kyrillischer
Schrift angebrachten Signaturen übersetzt.


(Dr. Helmut Lippelt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann müssen Sie Russisch lernen!)


An keiner Stelle erfolgt eine Erklärung des historischen
Zusammenhangs. Zu 90 Prozent enthalten die Graffiti Na-
men, in den wenigsten Fällen Inhalte. Eine erhebliche An-
zahl der Originalgraffiti wurde beseitigt. Das Selektions-
kriterium war vermutlich ein obszöner oder verletzender
Inhalt. Jedenfalls ist bereits eine Auswahl getroffen
worden.

Unser Antrag hat zum Ziel, dass die Graffiti an einem
Ort konzentriert erhalten bleiben, dass sie übersetzt wer-
den und dass den Besuchern der historische Hintergrund
des Reichstags erklärt wird. Wir wollen darüber hinaus
eine Debatte dazu anstoßen, wie sich die erfolgreichste
Demokratie Deutschlands, die Bundesrepublik und ihr
Parlament, in dieses Gebäude in einer lebendigen Weise
einbringen kann.

Die Eroberung des Reichstagsgebäudes und der Sieg
über den Nationalsozialismus waren zugleich Ausgangs-
punkt zunächst eines demokratischen Experiments, mitt-

lerweile einer fest verankerten erfolgreichen Demokratie,
der Bundesrepublik Deutschland. Mit dem Umzug des
Deutschen Bundestags im Jahr 1999 von Bonn nach Ber-
lin in den Reichstag begann keine neue Zeitrechnung; sie
begann schon wesentlich früher, nämlich spätestens 1949
mit der Gründung der Bundesrepublik. Seither haben Ge-
nerationen von Parlamentariern eine erfolgreiche, fest ge-
gründete demokratische Staatsform ausgebaut. Darauf
können wir stolz sein.


(Ingrid Holzhüter [SPD]: Dann müsst ihr das auch aushalten!)


Aber kaum etwas im Gebäude des Reichstags erinnert
daran. Während die Parlamente unserer europäischen
Nachbarn oder auch die Parlamente in Übersee Repräsen-
tanten und Grundlagen ihrer Demokratie eindrucksvoll
darstellen, findet Erinnerung im Sinne von Realpräsenz
als Vergegenwärtigung unserer demokratischen Ge-
schichte in diesem Parlamentsgebäude kaum oder nur un-
genügend statt. Nirgendwo erscheint der Text des Grund-
gesetzes, weder im Original noch dem Inhalt nach, als
Grundlage unserer parlamentarischen Verfasstheit.


(Ingrid Holzhüter [SPD]: Die lernt jeder in der Schule! – Dr. Helmut Lippelt [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Dazu tragen Sie das Grundgesetz unter dem Arm!)


Nirgendwo wird auf die tragende Struktur der Bundes-
republik, die Bundesländer, hingewiesen. Jeglicher Hin-
weis auf die Länder fehlt. 100 Meter Graffiti, aber kein
einziges Wappen eines Bundeslandes an den Wänden des
Reichstags, das führt zu einer ungewollten Verdrängung
der Bundesstaatlichkeit.

Nirgendwo wird auf die Präsidentinnen und Präsiden-
ten dieses Hohen Hauses hingewiesen. Jede Erwähnung
der Persönlichkeiten, die den Parlamentarismus nach
1945 geprägt haben, fehlt, während in Bonn vor dem Um-
zug – viele werden sich daran noch erinnern –, die
Gemälde der Präsidenten, beispielsweise im Vizepräsi-
dentenbereich des Plenarsaalbaus, zu sehen waren.

Damit entfernt sich der Bundestag von einer Tradition,
die andere angesehene Parlamente pflegen. Selbstver-
ständlich hängen im Capitol in Washington, der Haupt-
stadt der Vereinigten Staaten, die Bilder der bisherigen
Speakers. Natürlich können beispielsweise in Österreich
die Porträts aller Präsidenten im Empfangssalon betrach-
tet werden. Ähnliches gilt für andere demokratische Län-
der. Die Kanzler der deutschen Nachkriegsdemokratie,
wie Konrad Adenauer oder Willy Brandt, sind im Reichs-
tag nicht existent.

Das Reichstagsgebäude in seiner jetzigen Form ist das
Ergebnis des Wunders der deutschen Einheit. Warum
weist beispielsweise nichts auf diese glückliche Wendung
der deutschen Geschichte hin?


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Warum wird der Einigungsvertrag bzw. der Zwei-plus-
Vier-Vertrag an keiner Stelle gezeigt?


(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Richtig!)





Präsident Wolfgang Thierse

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(A)



(B)


Die Verengung der Geschichtlichkeit auf 100 Meter
nicht erklärte Graffitidarstellung verspielt eine Chance.
Wir alle wissen, dass sich Deutschland mit seiner Ge-
schichte schwer tut und Gedenktage in unserem Land
vielfach als Freizeit verstanden werden. Viele beklagen
den Mangel an positiver Geschichtlichkeit. Nutzen wir
deshalb die Chance, unsere erfolgreiche Demokratie an
dem Ort darzustellen, wo sie sich täglich ereignet! Graf-
fiti allein sind zu wenig für dieses Haus.

Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1422420700
Ich erteile dem Kolle-
gen Eckhardt Barthel, SPD-Fraktion, das Wort.


Eckhardt Barthel (SPD):
Rede ID: ID1422420800
Herr Präsident!
Meine Damen und Herren! Herr Singhammer, was Sie so-
eben gemacht haben, war sehr geschickt: Erst stellen Sie
einen Antrag, mit dem Sie dazu auffordern, etwas zu ent-
fernen, und dann sprechen Sie über etwas, was Ihrer Mei-
nung nach hinzugefügt werden soll.


(Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Das ist vielleicht dialektisch. Ihr Antrag ist – das gilt auch
für seine Begründung – sehr kurz. Es ist wie früher bei den
Aufsätzen: Man sollte über den Elefanten schreiben und
hat sich nur auf das Schreiben über die Schlange vorbe-
reitet.

Das Reichstagsgebäude ist kein Haus der Geschichte;
aber es ist ein Haus mit Geschichte.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Dies sichtbar gemacht zu haben ist jedenfalls für mich das
Großartige an der heutigen architektonischen Gestaltung.


(Widerspruch des Abg. Hans-Michael Goldmann [FDP])


Dort, wo es möglich war, wurde nicht geglättet, wurde
nicht verputzt, wurde nicht geweißt, sondern es wurden
Stolpersteine gelassen, Brüche in unserer Geschichte
symbolisiert. Das zeigt sich an den abgeschlagenen Orna-
menten, die wir in den Gängen sehen, an geschliffenen
und ungeschliffenen Steinblöcken in den Wänden und
natürlich in den restaurierten Inschriften sowjetischer
Soldaten, von denen die Reichstagsruine voll war, und
zwar überall und nicht nur in diesem begrenzten Teil. Sie
erinnern an die schrecklichen Folgen der Naziherrschaft
und an das befreiende Ende dieser Diktatur und des Krie-
ges. Daran ändert übrigens nichts, dass der Reichstag
– trotz Reichstagsbrand – fälschlicherweise als Symbol
für Nazideutschland in Anspruch genommen wurde.

Diese Graffiti sind authentische Zeitzeugnisse, die, im
ursprünglichen Sinne des Begriffes „Denkmal“, Denk-
malcharakter besitzen. Es sind keine von der Obrigkeit
verordneten, sehr häufig ästhetisch verquasten Sieger-
oder Heldenmonumente, sondern sie sind – gestatten Sie

mir, dass ich das so sage – Ausdruck des Triumphs und des
Leids der kleinen Leute.


(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS)


Da stehen nämlich Namen. Ihnen sind die Namen der ein-
fachen Leute zu wenig. Sie brauchen Bilder von Präsi-
denten. Das macht den Unterschied aus.

Meine Damen und Herren, diese authentischen Zeit-
zeugnisse wollen Sie zumindest in großen Teilen weißen,
unsichtbar machen, Sie wollen die Wände sauber waschen.


(Vera Lengsfeld [CDU/CSU]: Sie haben unseren Antrag nicht gelesen!)


Dies, meine Damen und Herren von CDU/CSU, wird und
kann man nicht als schlichten Reinigungsvorgang inter-
pretieren, sondern als einen bedenklichen Umgang mit
den Schattenseiten unserer deutschen Geschichte.


(Beifall bei der SPD und der PDS)

Nun sagen Sie, Sie wollen die Graffiti nur noch, aber

eben doch, an einem Ort belassen – ich habe den Antrag
nämlich gelesen – und sie auf einen „gerechtfertigten Um-
fang“ reduzieren. Letzteres ist übrigens meines Erachtens
bereits geleistet. Ich glaube nicht, dass dies den Wünschen
aller entspricht.


(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Die einzige historische Botschaft ist das!)


Von einem, der schon früher gegen die Graffiti wet-
terte, diesen Antrag aber erstaunlicherweise nicht unter-
zeichnet hat – vielleicht, weil ihm der Antrag nicht weit
genug geht? –, von Herrn Zeitlmann, liegt ein Zitat vor,
von dem ich wohl vergebens hoffe, dass es falsch ist.


(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Fragen Sie ihn doch, ob es falsch ist!)


– Hören Sie ruhig einmal zu! – Den Erhalt der Graffiti be-
zeichnete er als „Kotau vor den Siegermächten“. Nun
überlasse ich Ihnen die Bewertung dieser Aussage ange-
sichts der Schrecknisse zwischen 1933 und 1945.


(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Das ist doch gar nicht Gegenstand des Antrags!)


Dieses Zitat sollte man vielleicht neben den Inschriften
anbringen, vielleicht in Sütterlin, damit Jugendliche es
nicht lesen können.


(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Jetzt missbrauchen Sie das Zitat! – Johannes Singhammer [CDU/CSU]: Das ist unterstes Niveau!)


Zumindest macht diese Aussage deutlich, dass es viele
gibt – sicher nicht alle Unterzeichner dieses Antrages –,
denen es nicht um mehr oder weniger Inschriften geht,
sondern um die Inschriften selbst.

Nun hat es in der Tat vor Jahren die Überlegung gege-
ben, die Zahl der Graffiti zu reduzieren. Schon allein ein
Argument sollte uns überzeugen, diese Diskussion nicht
wieder aufzunehmen, nämlich die Antwort auf die Frage,
wie die Besucher des Reichstagsgebäudes auf die Graf-
fiti und auch auf ihre Anzahl reagieren. Ich bin Berliner




Johannes Singhammer
22302


(C)



(D)



(A)



(B)


und habe oft die Möglichkeit, auch in sitzungsfreien Wo-
chen mit Besuchern durch dieses Haus gehen. Ich mache
oft von dieser Möglichkeit Gebrauch. Meine Damen und
Herren, ob Sie mir das nun glauben oder nicht: Ich habe
noch keinen Besucher gehabt, der die Graffiti, auch im
derzeitigen Umfang, infrage stellte.


(Vera Lengsfeld [CDU/CSU]: Weil sie sich die wahrscheinlich nicht genau angucken!)


Im Gegenteil, mein Hinweis, dass einige Kollegen diese
Graffiti verringern wollen, lässt immer nur den Zeigefin-
ger an die Stirn schnellen. Ich habe mich auch beim Be-
sucherdienst erkundigt. Der Besucherdienst kommt zu
demselben Ergebnis.

Ich mache auch immer deutlich, wer diese Graffiti re-
duzieren will. Ich sage, dass es lediglich Abgeordnete von
CDU und CSU mit einem etwas fremdgehenden Libera-
len sind und dass die Sozialdemokraten, die den Initiato-
ren zunächst auf den Leim gegangen sind, sich schnell
wieder von diesem Antrag distanziert haben.


(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Genau, das ist euer Demokratieverständnis!)


Dass man das deutlich macht, gehört dazu.
Meine Damen und Herren, noch ein letzter Hinweis. Es

ist Ihnen vielleicht nicht bewusst oder Sie wollen es nicht
wahrhaben: Diese Graffiti bieten spannende Diskussions-
anstöße, vor allen Dingen bei Gesprächen mit Jugend-
lichen.


(Beifall bei der PDS)

Wenn die Graffiti an einem anderen Ort zu finden wären,
wäre die Aufmerksamkeit noch viel stärker. Wissen Sie,
was die Besucher des Reichstagsgebäudes, die die Mög-
lichkeit hatten, auf diese Etage zu kommen, sagen, wenn
Sie sie fragen, was eigentlich das Interessanteste an die-
sem Reichstag ist? Sie nennen zwei Sachen: die Kuppel
und die Graffiti.


(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS – Widerspruch bei der CDU/CSU)


– Dies darf man einmal sagen. – Das sind die Antworten,
die Sie hören.

Meine Damen und Herren, das Schöne und Beruhi-
gende an diesem Antrag ist, dass er in diesem Haus nie-
mals eine Mehrheit finden wird.

Ich bedanke mich.

(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1422420900
Ich erteile das Wort
dem Kollegen Ulrich Heinrich, FDP-Fraktion.


Ulrich Heinrich (FDP):
Rede ID: ID1422421000
Herr Präsident! Meine lieben
Kolleginnen und Kollegen! Dieser Antrag ist sicherlich
berechtigt. Es lohnt sich sicherlich, über diesen Antrag zu
diskutieren. Aber ich bin anderer Meinung. Ich bin des-
halb anderer Meinung, weil wir uns in der Baukommis-

sion und im Kunstbeirat – in beiden bin ich Mitglied –
sehr intensiv mit dieser Frage beschäftigt haben. Als wir
darüber in der Baukommission das erste Mal vom Archi-
tekten informiert und wir gefragt wurden, wie wir damit
umgehen wollen, habe ich nicht erlebt, dass jemand mas-
siv dagegen gesprochen hat. Man hat das eine Argument
gegen das andere abgewogen und überlegt, in welchem
Umfang man die Graffiti belassen solle. Aber die Tat-
sache, dass ein Zeitzeugnis erhalten bleiben soll, war nie
umstritten.


(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Keine Frage! – Eckhardt Barthel [Berlin] [SPD]: Zwei Quadratmeter!)


Jetzt ist es eine Frage des politischen Instinkts und der
politischen Bewertung, wie man diese Debatte führt. Es
lohnt sich nicht, wie ich finde, hier eine Schärfe hinein-
zubringen. Wir können hier mit ebenso großer Gelassen-
heit diskutieren, wie wir über das Kunstwerk von Hans
Haacke und über andere Dinge diskutiert haben. Wir soll-
ten alles vermeiden, was hier eine Schärfe hineinbringen
könnte. Viele Leute würden das nicht verstehen, auch ich
nicht.


(Beifall des Abg. Hans-Michael Goldmann [FDP])


Ich hielte das für kontraproduktiv. Die Ausführungen von
Herrn Singhammer waren mehr als dürftig. Er sagte, dass
er nicht zufrieden mit den Hinweisen auf Historie und un-
seren föderativen Staat, mit denen der Reichstag bisher
ausgestattet ist, ist. Darüber kann man diskutieren und
auch unterschiedlicher Meinung sein. Wenn er aber In-
schriften, die nicht wir angebracht haben, die nicht auf un-
sere Initiative zurückgehen, sondern bezüglich derer wir
nur die Entscheidung getroffen haben, sie zu belassen, re-
duzieren und auf das dokumentarisch Notwendige zu-
rückführen will, muss er sich schon fragen lassen, was der
tiefere Gehalt seiner Argumente ist.


(Georg Brunnhuber [CDU/CSU]: Was ist der tiefere Grund, es so zu lassen?)


Zwar kann man darüber streiten, was dokumentarisch
notwendig ist; die Diskussion darüber – darauf bin ich
stolz – haben wir aber in den Gremien des Bundestages,
in denen diese Fragen behandelt worden sind, in einer ru-
higen und sachlichen Art geführt.


(Franziska Eichstädt-Bohlig [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Fraktionsübergreifend!)


Ich bin stolz darauf, dass wir Größe gezeigt haben und
nicht eine kleinkarierte Diskussion darüber geführt haben,
ob jetzt hier ein Meter zu viel oder dort ein Meter zu we-
nig erhalten bleiben soll, sondern die Dinge einfach so
hingenommen haben. Natürlich haben wir die Denkmal-
pflege herangezogen und mit dem russischen Botschafter
darüber gesprochen, was seiner Meinung nach richtig und
notwendig ist.


(Georg Brunnhuber [CDU/CSU]: Das ist doch kein Argument!)


Wir haben uns dabei auf einen Umfang geeinigt, der ak-
zeptabel ist und auch akzeptiert worden ist.




Eckhardt Barthel (Berlin)


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(C)



(D)



(A)



(B)


Auch ich, lieber Kollege von der SPD-Fraktion, habe
noch nie jemanden getroffen, der beim Rundgangmit mir
durch den Reichstag an den Graffitis Kritik geübt hätte.
Die Besucher waren hochinteressiert und gespannt auf
das, was man ihnen in diesem Zusammenhang erzählt hat.
Viele, vor allen Dingen die jungen Leute, auf die es uns
ganz besonders ankommt, können sich das alles gar nicht
mehr so richtig vorstellen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der PDS)


Über Kunst kann man streiten. Hier wollen wir aber
keine Veränderung. Hier akzeptieren wir den Status quo
nicht nur, sondern treten offensiv für seine Bewahrung
ein, weil wir wissen, dass darin ein Selbstverständnis zum
Ausdruck kommt, das uns zu unserer eigenen Größe ge-
reicht.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der FDP, der SPD, dem BÜND NIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1422421100
Ich erteile das Wort
dem Kollegen Helmut Lippelt, Bündnis 90/Die Grünen.


Dr. Helmut Lippelt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1422421200

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Heinrich,
ich bin Ihnen sehr dankbar, dass Sie gesagt haben, man
dürfe hier keine Schärfe hineinbringen. Ich war wirklich
drauf und dran, sehr ironisch und scharf zu reden. Ich will
jetzt einen Gang zurückschalten; Sie haben nämlich völ-
lig Recht: Solch ein Antrag hat keine Aussicht auf Erfolg.

Ich habe mich natürlich gefragt, was die Antragsteller
umtreibt: Ist es nur Reinlichkeitswahn, wie ihn die Deut-
schen oft haben?


(Heiterkeit bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN und der PDS)


Sind Ihnen vielleicht die Wände zu beschmutzt? Ich bin
aber zu dem Schluss gekommen, dass es das allein nicht
sein kann. Dann habe ich mir gesagt: Vielleicht kommt es
ihnen doch auf den Inhalt an: dass nämlich Siegesin-
schriften von Sowjetsoldaten als Zeichen der Schmach
bzw. Schande vorhanden sind.


(Zuruf von der FDP: Die sind ja gar nicht da!)

Jetzt spreche ich nach Herrn Heinrich – wie gesagt, ich

bin ganz milde – und sage: Man kann Geschichte ja Gott
sei Dank nicht umschreiben.


(Franziska Eichstädt-Bohlig [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Das ist das Ziel! – Weitere Zurufe von der SPD und der CDU/CSU)


– Ich nehme alles zurück. – Politiker pflegen Geschichte
permanent zu ihren eigenen Gunsten umzuschreiben. Re-
gime schreiben sie sowieso um.


(Horst Kubatschka [SPD]: Schauen Sie sich die Historiker an!)


Man kann zwar vorübergehend einiges versuchen, aber de
facto kann man vieles nicht fälschen.

Als Nächstes habe ich mich gefragt: Wollen die An-
tragsteller die Geschichte einhegen? Wollen sie sie mu-
sealisieren – das wurde ja sehr deutlich – und an einem Ort
verstecken, an dem man den sowjetischen Kilroys mög-
lichst überhaupt nicht begegnet? Das war doch offen-
sichtlich das Ziel.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, deshalb sage ich Ih-
nen: Wir tagen hier im „Deutschen Bundestag im Reichs-
tag“.


(Zuruf von der CDU/CSU: Das bestreitet niemand!)


So lautet die komplizierte und offizielle Bezeichnung.

(Vera Lengsfeld [CDU/CSU]: Wieso ist die kompliziert?)

– Darin zeigt sich die Schwierigkeit deutscher Geschichte,
Frau Lengsfeld. Der Deutsche Bundestag hat diese Ge-
schichte mit vollem Bewusstsein angenommen, als er sei-
nen Sitz hier im Reichstag, so wie er zum damaligen
Zeitpunkt war, eingenommen hat.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der PDS)


Er möchte diese Geschichte mit all ihren Höhen und Tie-
fen – mit den Kilroys wie auch mit der schönen, transpa-
renten Kuppel – annehmen.

Mit jeder russischen oder sonstigen Parlamentarier-
gruppe – ich treffe viele aus dem Bereich der GUS-Staa-
ten – gehe ich durch die Korridore. Die Menschen sind be-
wegt und dankbar dafür, dass wir diese Inschriften
erhalten haben. Sie finden in den Ortsangaben der In-
schriften ihre Landsleute wieder.

Ich möchte Ihnen, obwohl ich kein Russisch sprechen
kann, sagen, was dort geschrieben steht – denn so viel Ky-
rillisch habe ich mir angeeignet –: „Moskau–Berlin“ oder
„Kaukasus–Sotschi–Warschau–Berlin–Elbe“. Die Ukrai-
ner finden Kiew und Odessa. Selbst die vier Soldaten, die
aus dem fernen sibirischen Osten von der pazifischen
Küste her kamen, schrieben ihre Namen unter „Chaba-
rowsk–Moskau–Berlin“. An einer Stelle gibt es auch eine
Inschrift in georgischer Sprache. Diese haben Sie viel-
leicht noch nicht entdeckt.


(Zuruf von der FDP: Doch, die wollen wir lassen!)


Ich weiß nicht, ob Sie diese dann besonders hegen wollen.

(Zuruf von der FDP: Ja, die wollen wir ganz besonders hegen!)

Alle Inschriften, die ich zitiere, stehen an ganz ver-

schiedenen Stellen. Sie können gar nicht alle zusammen-
bringen. Es gibt auch eine amerikanische Inschrift in la-
teinischen Lettern, die da lautet: „E. Kenedy“. Dahinter
steht geschrieben: „13. May 1945“. Dies zeigt: Es gibt
doch einige Amerikaner, die sich mit den Russen verbrü-
dert und hier ebenfalls unterschrieben haben.




Ulrich Heinrich
22304


(C)



(D)



(A)



(B)


Deshalb möchte ich einen russischen Kollegen zitie-
ren, der mir Folgendes gesagt hat: Wenn wir in Moskau
doch erst so weit wären, dass wir auch in der Duma die
Orte des Gulag an die Wand schreiben könnten! Des-
halb sollten Sie begreifen, dass Sie auf diese Inschriften
stolz sein müssten. Vielleicht zeigt dies eine solche
Äußerung.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der PDS)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, mit den meisten der
Besucher, von denen ich gesprochen habe, gehe ich auch
in die Lobby der Plenarebene, in den Raum mit den
Büchern zum Gedenken an unsere von den Nazis umge-
brachten oder in das Exil vertriebenen Kollegen aus der
Weimarer Zeit. Die russischen oder ukrainischen Besu-
cher blättern in den Büchern. Dort finden sie die Namen
unserer ehemaligen Kollegen aus der KPD, der USPD,
der SPD, dem Zentrum und – wenn Sie sie sich selbst an-
gesehen haben, wissen Sie es – selbst aus dem Christlich-
Sozialen Volksdienst und der DNVP. Sie beeindruckt die
Breite des Widerstands gegen die Nazidiktatur. Sie ver-
stehen, dass die ersten Opfer der Nazidiktatur die deut-
schen Politiker selbst und ihre Parteien waren.

Aber nur, wer sich auch der Soldaten erinnert, die aus
den Weiten Russlands hierher gekommen sind, um den
Faschismus zu besiegen, hat das Recht, an die eigenen
Opfer zu erinnern. Bewusst bleiben muss uns beides: die
schmachvollen und die ehrenhaften Seiten der deutsche
Geschichte.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der PDS)


Deshalb denken Sie noch einmal gründlich nach. Wer-
fen Sie Ihren Antrag in den Papierkorb! Im Papierkorb
landet er, wie ich das Plenum und Herrn Heinrich ver-
standen habe, so oder so.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der PDS)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1422421300
Ich erteile Kollegen
Heinrich Fink, PDS-Fraktion, das Wort.


Dr. Heinrich Fink (PDS):
Rede ID: ID1422421400
Ich möchte eindeutig fest-
halten, sehr verehrter Herr Präsident, sehr verehrte Kolle-
ginnen und Kollegen: Für die Neugestaltung des ge-
schichtsträchtigen Reichstages steht der Name Sir
Norman Foster, für das Parlament in der Zeit des Umbaus
der Name Rita Süssmuth, der damaligen Präsidentin des
Deutschen Bundestages; ihr zur Seite stand die Bau-
kommission.


(Beifall der Abg. Franziska Eichstädt-Bohlig [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Die Neugestaltung ist in einem demokratischen Prozess
vollzogen worden. Darunter fallen auch die Graffiti.

Bei den Umbauarbeiten des Reichstagsgebäudes für
den Deutschen Bundestag wurden kyrillische Inschriften

freigelegt, die 1945 nach der Eroberung des Gebäudes
von sowjetischen Soldaten angebracht wurden. Diese Be-
schriftungen wurden durch die Bundesbaugesellschaft
Berlin mbH dokumentiert und mithilfe der russischen
Botschaft übersetzt.

Von der damaligen Präsidentin des Deutschen Bundes-
tages und dem Botschafter der Russischen Föderation
wurde im April 1996 gemeinsam eine Auswahl der In-
schriften definiert, die restauriert und erhalten werden
sollten. Unabhängig hiervon hat der Denkmalpfleger des
Landes Berlin, Professor Engel, zusammen mit dem Büro
Sir Norman Foster in einem größeren Umfang erhaltens-
werte Inschriften festgelegt. Grobes Kriterium hierbei
war, nur Flächen zu berücksichtigen, die zu mehr als
50 Prozent mit Inschriften versehen waren. Die Inschrif-
ten wurden mit hohem finanziellen Aufwand fachgerecht
restauriert. Sie müssen erhalten bleiben.

Bei jedem Rundgang mit Besuchergruppen bin je-
denfalls ich beeindruckt, dass Architekt und Baukommis-
sion die Inschriften sowjetischer Soldaten in gemeinsa-
mer Entscheidung erhalten haben, mit denen die Soldaten
in den ersten Stunden des Kriegsendes die Wände des zer-
störten Reichstages spontan zu einer Kapitulations-
urkunde gemacht haben. Eine Inschrift drückt das in zwei
Worten aus: Woina kaputt – der Krieg ist zu Ende. Kürzer
kann der Sieg über den deutschen Hitlerfaschismus nicht
definiert werden.


(V o r s i t z : Vizepräsidentin Petra Bläss)

Jeder Name ist doch ein bleibendes Lebenszeichen für

Tausende Gefallene der Roten Armee, die noch wenige
Tage zuvor auf den Seelower Höhen in der letzten
Schlacht um Berlin ihr Leben lassen mussten. Laut Antrag
sollen aber nun diese Namen, weil sie nur nichts sagende
Wiederholungen ohne weitere Hinweise seien, auf einen
„historisch gerechtfertigten Umfang“ reduziert werden.
Gerade diese Reduzierung würde dem architektonischen
Konzept, das sich gerade auch der Geschichte des
Reichstages verpflichtet weiß, widersprechen.


(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Herr Dr. Lippelt hat doch gezeigt, wie man es anders machen könnte!)


Foster bekennt:
Die Graffiti von 1945 traten aus der deutschen Ge-
schichte hervor, die die Soldaten der siegreichen
Sowjetarmee nach der Eroberung Berlins an die
Wände gekritzelt hatten. Diese Inschriften bewegten
mich sehr – jede einzelne davon ein lange der Ver-
gessenheit anheim gefallener Hinweis auf leidvolle
persönliche Erfahrungen. ... Ich begann zu begreifen,
dass keine noch so gelungene Ausstellung die Spuren
der Vergangenheit eindrucksvoller bezeugen kann
als dieses Bauwerk.

Ich fände es sehr bedauerlich, wenn die Enkel der Be-
freier von Berlin zum Beispiel in Moskau, Kiew und
Nowgorod in der Zeitung lesen müssten, dass die Namen
der Helden von damals dem deutschen Volk heute histo-
risch ungerechtfertigt zu viel Platz wegnehmen.




Dr. Helmut Lippelt

22305


(C)



(D)



(A)



(B)


Ich hoffe, dass solche Artikel nie geschrieben werden
können. Deshalb bitte ich Sie, mit mir alles zu tun, diese
Antikriegsautogramme zu erhalten.


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1422421500
Herr Kollege Fink, Sie
müssen bitte zum Schluss kommen.


Dr. Heinrich Fink (PDS):
Rede ID: ID1422421600
Meine Fraktion setzt sich
ausdrücklich dafür ein, dass die Schriftzüge denkmalge-
schützt bleiben und damit die Befreiung vom Hitler-
faschismus dokumentiert wird.


(Beifall bei der PDS sowie bei Abgeordneten der SPD)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1422421700
Das Wort hat der Kol-
lege Horst Kubatschka für die Fraktion der SPD.


Horst Kubatschka (SPD):
Rede ID: ID1422421800
Sehr geehrte Frau Präsi-
dentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir behandeln
heute einen Gruppenantrag und keinen Fraktionsantrag;
diesen Hinweis halte ich für wichtig. Sonst müssten wir
uns nämlich über die außenpolitische Wirkung dieses An-
trages unterhalten. In der Russischen Föderation hat man
für diesen Antrag wenig Verständnis.


(Vera Lengsfeld [CDU/CSU]: Wer hat denn das gesagt?)


Hören Sie auf den russischen Botschafter, dann wüssten
Sie es. – Da es aber ein Gruppenantrag ist, ist für mich der
außenpolitische Aspekt nicht so wichtig. Ich möchte den
Antrag aus geschichtlicher und denkmalpflegerischer
Sicht betrachten. Geschichte und Denkmalpflege sind Po-
litik, mit Geschichte und Denkmalpflege wird Politik ge-
macht.


(Vera Lengsfeld [CDU/CSU]: Genau!)

Norman Fosters faszinierende Bauidee bestand darin,

das noch vorhandene Vergangene sichtbar zu lassen und
das Neue klar erkennbar zu machen. Alte und neue Bau-
substanz grenzen sich klar ab, sie stoßen aufeinander und
wenden sich zu etwas Neuem. Die Spuren der deutschen
Geschichte sind klar erkennbar. Dazu gehören auch die
Graffiti. Die Verringerung ihrer Zahl, die der Antrag for-
dert, würde der Bauidee zuwiderlaufen. Die Bauidee ist
sowohl außen wie im Inneren durchgehalten. Die Kuppel
halte ich für eine Glücksidee. Es freut mich immer wie-
der, dass sie zu einer touristischen Attraktion in Berlin
wurde. Die Menschen stehen Schlange, um in die Kuppel
zu gelangen.


(Georg Brunnhuber [CDU/CSU]: Aber nicht, um die Graffiti zu sehen!)


Die Kuppel ist aber viel mehr als nur eine touristische At-
traktion. Über den Besuch der Kuppel ergreifen die Bür-
gerinnen und Bürger Besitz von ihrem Parlament – ich be-
tone: ihrem Parlament –: Es entsteht Identifizierung mit
der Demokratie. Die Menschen erleben den Ort, an dem
Demokratie umgesetzt wird. Diese Möglichkeit wird von
vielen Menschen wahrgenommen.

Bedauerlicherweise, aber notwendigerweise ist das In-
nere des Bundestages nicht so leicht zugänglich. Deswe-
gen führe ich möglichst viele Bürgerinnen und Bürger
durch diesen Teil des Hauses. Dies machen alle Abgeord-
neten dieses Hauses. Beim Rundgang stoßen wir natür-
lich auf die Graffiti. Ich erzähle, dass an 17 Stellen nahezu
200 Graffiti erhalten geblieben sind. Ich erzähle aber
auch, dass sehr wohl auch Graffiti entfernt wurden:
Deutschfeindliche Parolen sind – übrigens in Zusammen-
arbeit mit der russischen Botschaft – beseitigt worden. Ich
berichte weiter, dass es für die sowjetischen Soldaten in
Berlin fast eine Pflichtaufgabe war, sich in den Ruinen des
Reichstages zu verewigen. Sicher schwang bei dieser
Handlung auch die Freude mit, den Krieg überlebt zu ha-
ben. Es herrschte aber auch Trauer über die durch die
Deutschen zerstörte Heimat und über die gefallenen Ka-
meraden. Sicher war aber auch Stolz dabei, zusammen mit
den Amerikanern, Briten und Franzosen sowie den ande-
ren Alliierten Deutschland vom Faschismus befreit zu ha-
ben. All dies ist nachvollziehbar und hat sich in Form der
Graffiti erhalten. Damit sind diese ein Teil der deutschen
Geschichte an einem markanten Ort.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der PDS)


Die Graffiti waren durch den Wiederaufbau des Reichsta-
ges hinter Verkleidungen verschwunden. Sie waren aus
dem geschichtlichen Gedächtnis getilgt. Beim Umbau
wurden sie wieder entdeckt und erhalten.

Der Reichstag ist ein geschichtlicher Ort und ein Sym-
bol für das wiedervereinigte Deutschland. Er ist aber auch
ein Symbol für den schmerzhaften Weg Deutschlands zur
Demokratie, für den langen Weg nach Westen. Wir müs-
sen auch die bitteren Seiten der deutschen Geschichte aus-
halten. Geschichte ist nicht teilbar. Ich weiß, dass Ge-
schichte interpretierbar ist. Jede Generation schreibt ihre
Geschichte – deswegen mein leichter Protest, Herr Kol-
lege Lippelt, bei Ihren Ausführungen. Aus diesem Grunde
müssen sichtbare Zeichen bleiben. Die vorhandenen
Graffiti als Teil unserer Geschichte müssen erhalten blei-
ben. Dieses geschichtliche Gedächtnis darf nicht ge-
schmälert werden. Wenn wir die Zahl der Graffiti redu-
zieren, wie es der Antrag will, engen wir auch unser
Gedächtnis ein. Die Graffiti sollen möglichst unsichtbar
gemacht werden, um so aus dem geschichtlichen Ge-
dächtnis verdrängt zu werden.


(Beifall bei Abgeordneten der PDS)

Es wäre ein erneutes Vergessen wie nach dem Wiederauf-
bau des Reichstages. Diesen Akt des Vergessens dürfen
wir nicht zulassen. Eine Vielzahl von Graffiti sind Namen.
Sie müssen erhalten bleiben, denn sie repräsentieren Ein-
zelschicksale, es ist Geschichte von unten.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der PDS)


Es sind diejenigen, die den Krieg erleiden mussten.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich komme noch ein-

mal auf die Besucher zurück, die wir alle durch den




Dr. Heinrich Fink
22306


(C)



(D)



(A)



(B)


Reichstag führen. Den meisten Besuchern müssen wir die
Graffiti erklären, denn die kyrillische Schrift kann kaum
jemand lesen. Dies trifft natürlich vor allem für Besuche-
rinnen und Besucher aus den alten Bundesländern zu.

In diesem Zusammenhang weise ich auch immer auf
den Gruppenantrag der Kolleginnen und Kollegen der
CDU/CSU hin.


(Georg Brunnhuber [CDU/CSU]: Sehr gut! Sehr wichtig!)


– Ihr „Sehr gut!“ werden Sie jetzt vielleicht überdenken. –
Ich habe dieselben Erfahrungen wie zwei meiner Vorred-
ner gemacht und muss Ihnen sagen: Ob alt, ob jung, ob
Frau, ob Mann, niemand hat für diesen Antrag Verständ-
nis. Die Mehrheit dieses Hauses hat für diesen Antrag
auch kein Verständnis. Deswegen lehnen wir ihn ab.


(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1422421900
Die letzte Rednerin in
dieser Debatte ist die Kollegin Vera Lengsfeld für die
Fraktion der CDU/CSU.


(Zuruf von der SPD: Für die Fraktion?)



Vera Wollenberger (CDU):
Rede ID: ID1422422000
Frau Präsidentin! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Am Anfang stelle ich allen
Anwesenden die Frage, an welcher Stelle sich die SS-Ru-
nen befinden und ob Sie auch der Meinung sind, dass die
SS-Runen zur notwendigen Dokumentation gehören, weil
sie Teil unseres Selbstverständnisses sind?


(Ingrid Holzhüter [SPD]: Das ist aber sehr daneben!)


– Wieso? Diese Runen existieren und man muss sich mit
ihnen auseinander setzen.


(Zuruf von der SPD: Auch das ist Geschichte!)

– Ach ja, auch das ist Geschichte? So, so.


(Horst Kubatschka [SPD]: Natürlich! Das ist erstaunlich!)


Ein demokratischer Staat muss der eigenen Geschichte
gedenken und er muss das symbolisch an Orten der poli-
tischen Macht tun, vor allen Dingen in Parlamenten. Er
muss dies erst recht hier im Reichstagsgebäude tun, da
dieser Ort selbst ein Nationalsymbol ist. Aber es kommt
gerade in einem demokratischen Parlament darauf an,
welcher Geschichte man sich politisch erinnert; denn an
dieser Erinnerung zeigt sich, welche Auffassung man von
seinem Staat hat. Jedes Erinnern im politischen Raum ist
Geschichtspolitik. An unserem Erinnern werden wir er-
kannt. Aber nicht jede Spur der Geschichte ist gleichbe-
deutend und nicht jede Spur der Geschichte hat etwas
mit der demokratischen Tradition der Bundesrepublik
Deutschland und ihres Parlaments zu tun.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Der Kaiser mochte das Reichstagsgebäude nicht; er

nannte es Reichsaffenhaus und verbannte es aus der da-
maligen Mitte Berlins vor das Brandenburger Tor. Bis zu-

letzt widersetzte er sich der Inschrift auf dem Westportal,
„Dem Deutschen Volke“. Die Nazis mochten das Haus
noch weniger. Niemals war der Reichstag Symbol natio-
nalsozialistischer Politik.

Die Inschriften sowjetischer Soldaten im Reichstags-
gebäude erinnern an die Eroberung Berlins durch die Rote
Armee. Sie zu bewerten ist dem Gemeinschaftswerk der
Versöhnung, Verständigung und dem Vertrauen zwischen
Deutschen und Russen keineswegs abträglich, wie be-
hauptet wird, im Gegenteil. Zwar hat die Rote Armee ei-
nen Teil Deutschlands unzweifelhaft vom Nationalsozia-
lismus befreit, nicht aber vom Totalitarismus. Zu unserer
Geschichte gehört eben auch, dass der nationalsozialisti-
schen Diktatur in einem Teil Deutschlands die real-sozia-
listische Diktatur folgte.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. HansMichael Goldmann [FDP] – Rolf Kutzmutz [PDS]: Sie können doch nicht die Soldaten verantwortlich machen! – Dr. Helmut Lippelt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Eure Real-Sozialisten kamen doch erst nach dem Krieg!)


– Aber sicher hat die Rote Armee etwas mit der real-so-
zialistischen Diktatur der DDR zu tun; denn die DDR
hätte ohne die Rote Armee gar nicht existieren können.
Ich bitte Sie, Herr Kollege!


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Franziska Eichstädt-Bohlig [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Deswegen jetzt die Graffiti wegmachen? – Georg Brunnhuber [CDU/ CSU]: Rot-Rot will das nicht mehr hören!)


Die sowjetischen Soldaten haben im Mai 1945 kom-
munistische Siegesbekundungen, Verwünschungen oder
einfach nur Namenszüge hinterlassen; Letztere machen
95 Prozent aller über den Reichstag verteilten Reste
sowjetischer Geschichte aus. Nach meiner Auffassung
müssen sie in diesem Umfang nicht dokumentiert blei-
ben.


(Rolf Kutzmutz [PDS]: Darum geht es gar nicht!)


– Was dokumentieren sie denn? Es war alles andere als
eine Armee eines freiheitlich-demokratischen Landes, die
den Reichstag eroberte. Die Inschriften zeugen zum Teil
von der totalitären Geschichte der Sowjetunion.


(Dr. Helmut Lippelt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das waren arme Jungs, die aus allen Teilen der Sowjetunion hierher gekarrt wurden! – Eckhardt Barthel [Berlin] [SPD]: Konnte der kleine Soldat etwas dafür, dass er hierher geschickt wurde?)


– Natürlich, der kleine Soldat hat das an die Wände ge-
schrieben. Wenn der kleine Soldat eine Huldigung Stalins
an die Wände geschrieben hat, dann kann er natürlich et-
was dafür, meine Damen und Herren.

Das Andenken an die gefallenen sowjetischen Soldaten
soll nach unserem Antrag an einer dafür eigens eingerich-
teten Gedenkstelle im Reichstagsgebäude bewahrt wer-
den. Wir sollten daneben aber nicht vergessen, dass der




Horst Kubatschka

22307


(C)



(D)



(A)



(B)


zerbombte Reichstag während des Endkampfes um Ber-
lin Notspital und Schutzkeller für schwangere Frauen war.
Wir sollten nicht vergessen, dass sich die Kämpfe um Ber-
lin und die Eroberung des Osten Deutschlands unter un-
geheuren Verbrechen vollzogen. Es ist im Sinne der An-
tragsteller deshalb zureichend, einen ausgewählten Platz
nebst Gedenktafel und Übersetzungen diesen Tatsachen
zur Verfügung zu stellen.

Dieses Gebäude repräsentiert unsere Demokratie. Das
Parlament hat vor allen Dingen der demokratischen Tra-
dition in Deutschland zu gedenken. Wir müssen symbo-
lisch an unsere freiheitlichen Traditionen erinnern:


(Dr. Helmut Lippelt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da ist doch noch eine Tafel! Haben Sie die noch nicht gesehen?)


an die Ausrufung der Republik durch Scheidemann, die
Gott sei Dank wirkungsvoller war als die Ausrufung der
sozialistischen Republik, oder an den Widerstand gegen
die sowjetische Blockade. Als die Sowjets 1948 gegen
den ganzen westlichen Teil der Stadt die Blockade errich-
teten, versammelten sich 350 000 Deutsche vor dem
Reichstag. Ernst Reuter machte ihnen Mut und appellierte
an alle Völker der Welt, den Blick auf das freie Berlin zu
richten. Wir müssen nicht zuletzt – das sage ich auch mit
großem Ernst – an das legendäre Konzert an Pfingsten
1986 vor dem Reichstag erinnern, das Unter den Linden
zu den ersten Rufen „Die Mauer muss weg“ führte. Das
sind die demokratischen Traditionen der Bundesrepublik
Deutschland, die wir in den Mittelpunkt stellen sollten.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1422422100
Ich schließe die Aus-
sprache.

Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 14/6761 an den Ausschuss für Kultur und
Medien vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? –
Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen.

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 12 a und b auf:
a) Erste Beratung des von den Abgeordneten

Dr. Winfried Wolf, Eva Bulling-Schröter,
Wolfgang Bierstedt, weiteren Abgeordneten und
der Fraktion der PDS eingebrachten Entwurfs ei-
nes Gesetzes zurAufhebung des Magnetschwebe-
bahnplanungsgesetzes
– Drucksache 14/8300 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen (f)

Finanzausschuss
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Haushaltsausschuss

b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Winfried
Wolf, Eva Bulling-Schröter, Wolfgang Bierstedt,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der PDS
Keine Entscheidung über den Bau einer Ma-
gnetschwebebahn-Strecke in der Bundesrepu-

blik Deutschland ohne Einstellung der entspre-
chenden Bundesmittel in den Bundeshaushalt
– Drucksache 14/8296 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen (f)

Finanzausschuss
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Haushaltsausschuss

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen, wobei die
Fraktion der PDS fünf Minuten Redezeit erhalten soll. –
Ich höre auch hier keinen Widerspruch. Dann ist das so
beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache. Erster Redner für die PDS-
Fraktion ist der Kollege Dr. Winfried Wolf.


Dr. Winfried Wolf (PDS):
Rede ID: ID1422422200
Sehr geehrte Frau Präsi-
dentin! Werte Kolleginnen! Werte Kollegen! Es gab in
den Jahren 1998 und 1999 zwei verkehrspolitische Duft-
marken der neuen Regierung, und zwar zum einen den
Baustopp für die Strecke Nürnberg–Erfurt und zum ande-
ren das Aus für die Transrapid-Strecke Hamburg–Berlin.
Als der Baustopp für die Strecke Nürnberg–Erfurt disku-
tiert wurde, haben wir darauf hingewiesen, dass, wenn
man nur einen Baustopp verhängen und stattdessen keine
alternativen Maßnahmen realisieren würde, im Osten zu
Recht gesagt werde, dass das einseitig eine Maßnahme
gegen den Osten sei, und dass Druck ausgeübt werde, den
Baustopp wieder aufzuheben. Genau das ist passiert; Bun-
deskanzler Schröder hat das vor einigen Tagen gesagt.

Es bleibt der Transrapid. Ich glaube, dass an diesem
Beispiel das Desaster der Verkehrspolitik von SPD und
Grünen noch deutlicher wird. In den ersten acht Jahren
nach der Wende haben wir uns bei der Fahrzeit auf der
Strecke Hamburg–Berlin langsam an die Fahrzeit von
1934 herangetastet. Wir haben dann erlebt, dass die Fahr-
zeit vier Jahre lang gleich geblieben ist, und zwar bei zwei
Stunden und acht Minuten. Es wurde vier Jahre lang, also
während einer ganzen Legislaturperiode, keine Verbesse-
rung auf dieser Strecke erzielt.

Die Technik des Transrapid wird als brillant angese-
hen. Im September 2000 wurde ein Knebelvertrag zwi-
schen dem damaligen Verkehrsminister Klimmt und dem
Transrapid-Konsortium geschlossen, wonach bis zum
30. Juni dieses Jahres eine Willenserklärung zum Bau ei-
ner oder mehrerer Transrapid-Strecken in Deutschland
vorliegen müsse und dass anderenfalls pro Jahr 35 Milli-
onen DM für die Optimierung dieser Technik bezahlt wer-
den müssten.

Pünktlich haben wir jetzt eine Machbarkeitsstudie für
zwei Projekte vorliegen, einmal für die Strecke zwischen
München und München-Flughafen und zweitens für die
Strecke zwischen Dortmund und Düsseldorf. Die Situa-
tion in München möchte ich nur kurz streifen. SPD und
Grüne vor Ort in München sagen Nein zu dem Projekt,
aber Stoiber sagt Ja. Damit ist die absurde Situation ein-
getreten, dass eine Art Stoiber/Schröder-Schnellbahn ge-
baut werden kann, aber das gegen den Willen der Stadt-
regierung in München.




Vera Lengsfeld
22308


(C)



(D)



(A)



(B)


Im Ruhrgebiet – dort liegt die Strecke Dortmund–Düs-
seldorf, die am relevantesten sein dürfte und die wahr-
scheinlich versucht werden wird zu bauen – ist die Situa-
tion noch burlesker und noch grotesker. Hierzu möchte
ich drei Aspekte nennen.

Erstens. Bisher ist in allen Parteien, in denen es Trans-
rapid-Befürworter gab, immer gesagt worden, dass die
Transrapid-Technik eine Technik für Höchstgeschwindig-
keit im erdgebundenen Verkehr sei. Bei der Strecke Dort-
mund–Düsseldorf soll jetzt eine bereits existierende und
funktionierende Hauptverkehrsader genommen und pa-
rallel dazu eine Transrapid-Strecke gebaut werden. Die
Höchstgeschwindigkeitsbahn wäre dann praktisch eine
Turbostraßenbahn. Dies wäre eine völlige Veränderung
und Entwertung der eigentlichen Technik.

Zweitens. Wir erleben bei dieser Strecke – ähnlich wie
damals bei der Strecke Hamburg–Berlin – eine unheim-
liche Schönrechnerei in Bezug auf Fahrzeit, Bauzeit,
Kosten und die Fahrgastzahl. Wenn man dies als Milch-
mädchenrechnung bezeichnen würde, wäre dies eine Be-
leidigung aller Milchmädchen.


(Beifall bei der PDS)

Um nur einen Aspekt zu nennen: Die Rechnung in der

Machbarkeitsstudie sieht so aus: Die Fahrt mit diesem
Zug zwischen Dortmund und Düsseldorf ist ein Premium-
angebot. Gleichzeitig müssen, um zu dem gewünschten
Ergebnis zu kommen, die Pendler in den Hauptverkehrs-
zeiten zu 30 Prozent stehen; und dies im Premiumange-
bot, welches mehr kostet als die normale Bahn. An diesem
Beispiel wird klar, wie hier schöngerechnet wird. Ich
glaube, dass der Kollege Königshofen nachher auch da-
rauf eingehen wird, wie mit dieser Schönrechnerei der
Bock zum Gärtner gemacht wird.

Ein weiteres Beispiel für Schönrechnerei ist, dass den
Instituten, die die Machbarkeitsstudie gemacht haben, ge-
sagt wurde, sie bekämen weiteres Geld beim Bau der
Strecke, wenn sie die Strecke machbar rechnen würden.

Drittens. Ich glaube, dass das Argument dafür, warum
man eine Turbostraßenbahn baut, Sinn macht. Es macht
Sinn, weil die Transrapid-Technik auf der Strecke bis zum
Jahre 2001 mit 2,5 Milliarden DM subventioniert wurde.
Zudem sollen die Baukosten zu 70 oder 80 Prozent sub-
ventioniert werden. Darüber hinaus wird aber jetzt gesagt:
Wenn wir dies zu einer Nahverkehrstrecke machen, kön-
nen wir Regionalisierungsgelder nehmen. Wenn alle
Fahrten zu 60 Prozent vom Bund subventioniert werden
und auch noch Regionalisierungsgelder hineinfließen,
macht die Strecke Sinn. Das ändert allerdings nichts da-
ran, dass die Strecke absolut unsinnig ist, weil hier eine
Hochgeschwindigkeitstechnik im regionalen Nahverkehr
eingesetzt werden soll.

Wir erleben, wie sich jetzt überall vor Ort Widerstand
erhebt. Ich glaube nicht, dass sich die Situation so wie in
München entwickeln wird, wo das Projekt einfach eine
tote Angelegenheit bleiben wird. Vielmehr wird bereits
jetzt in Düsseldorf und Essen Nein zu dieser Strecke ge-
sagt. In Duisburg und Mülheim haben SPD und Grüne mit
nur einer Stimme Mehrheit die Strecke momentan noch

verteidigt. Wahrscheinlich werden aber auch diese Städte
entlang der geplanten Strecke kippen.

Die PDS hat einen Gesetzentwurf und einen Antrag
vorgelegt. Zu unserem Antrag möchte ich sagen: Alle Par-
teien sollten sich – das wäre das Mindeste – darauf eini-
gen, dass nicht noch einmal das Modell Scharping ange-
wandt wird, damit nicht noch einmal nach Karlsruhe
gegangen werden muss, weil Bundesmittel für ein – in
meinen Augen, nicht in Ihren – unsinniges Projekt ver-
sprochen werden, wofür nirgendwo im Haushalt Bundes-
mittel eingestellt sind. Diese Versprechen dürfen nicht ge-
macht werden. Die bisher von den Regierungsparteien
gemachten diesbezüglichen Versprechen sollten zurück-
genommen werden.

Danke schön.

(Beifall bei der PDS)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1422422300
Nächster Redner ist
der Kollege Reinhard Weis für die SPD-Fraktion.


Reinhard Weis (SPD):
Rede ID: ID1422422400
Frau Präsidentin!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Nach meinen Zählun-
gen ist es in dieser Legislaturperiode ungefähr die achte
Debatte zum Transrapid. Angesichts der leeren Ränge ist
die Frage, warum wir heute Abend darüber miteinander
debattieren, tatsächlich berechtigt. Wir haben dieses
Thema auch im Fachausschuss schon ausgiebig bespro-
chen. Aber wenn es gewünscht wird, stelle ich die Ge-
schichte des Transrapid noch einmal dar.


(Zurufe von der CDU/CSU und der FDP: Ah!)

Wir haben uns nach langem Überlegen aufgrund wirt-

schaftlicher Erwägungen entschlossen, den Transrapid
zwischen Hamburg und Berlin nicht zu bauen und damit
endlich eine Hängepartie zu beenden. Wir haben aber hier
im Deutschen Bundestag überlegt, wie wir das Know-
how der Schwebebahntechnik für Deutschland erhalten
und sichern können. Zu diesem Sicherungskonzept gehört
unsere Entscheidung – die auf industriepolitischen Erwä-
gungen beruht – die Anwendung in Schanghai zu unter-
stützen.

Bei einer Rückschau auf die Beiträge der PDS in den
vergangenen Debatten und auch bei Betrachtung der heu-
tigen Vorlagen der PDS drängt sich mir nur ein Eindruck
auf: dass die PDS offensichtlich ein neurotisches Verhält-
nis zur Magnetschwebebahntechnik hat.


(Horst Friedrich [Bayreuth] [FDP]: Mein lieber Mann!)


Mir als Ingenieur ist ein solch grundsätzlich ablehnen-
des Verhältnis zu einer an sich ganz attraktiven Verkehrs-
technik rätselhaft. Man mag zu den Projekten Metrorapid
im Ruhrgebiet oder Flughafenanbindung an München ste-
hen, wie man will. Tatsache ist aber doch, dass mit der
Magnetschwebebahntechnik eine Verkehrstechnik zur
Verfügung steht, die die Möglichkeit bietet, schneller und
bei Geschwindigkeiten bis zu 250 km/h sogar leiser als
mit herkömmlichen öffentlichen Verkehrsmitteln ein Ziel
zu erreichen.




Dr. Winfried Wolf

22309


(C)



(D)



(A)



(B)


Wir können auch davon ausgehen, dass die Umweltbe-
lastungen zumindest nicht höher sein werden als bei her-
kömmlicher Schienentechnik. Nur ein Narr könnte erwar-
ten, dass ein neues Verkehrsmittel, das in Ballungsräumen
Mobilität für viele Tausende von Menschen sichern soll,
mit keinerlei Eingriffen in Natur, Landschaft oder Städte-
bau verbunden sein würde. Wer das annimmt, könnte Ver-
kehrsplanungen schlechthin beenden. Irgendwie scheint
mir die PDS diesen Punkt erreicht zu haben.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der FDP – Zuruf von der CDU/CSU: Sehr richtig!)


In ihrem Antrag nimmt die PDS Bezug auf die beiden
Magnetschwebebahnprojekte in Nordrhein-Westfalen
und Bayern. Es wurde schon kurz dargestellt, wie es zu
diesen Projekten kam, wie das Auswahlverfahren aussah
und wie sich schließlich herauskristallisierte, dass die bei-
den Projekte in Nordrhein-Westfalen und Bayern die aus-
sichtsreichsten aus der Liste der von den Bundesländern
vorgelegten Projekte sind. Die Machbarkeitsstudien wur-
den im Februar übergeben. Dann fiel auch die Entschei-
dung, die ausgewählten Projekte entsprechend den bereits
genannten industriepolitischen Erwägungen und den Zu-
sagen zu bezuschussen. Meine Fraktion steht zu diesen
Zusagen. Innerhalb des Rahmens, den wir bezüglich der
beiden Schwebebahnprojekte in Nordrhein-Westfalen
und Bayern mit den Zuschüssen setzen wollten, herrscht
nunmehr Klarheit und Planungssicherheit.

Ich möchte hier mit zwei Irrtümern aufräumen. Als
Erstes gibt es eine Reihe von Kritikern, die jetzt lamen-
tieren, dass der Bund bei den Projekten in Nordrhein-
Westfalen und Bayern zu hohe Risiken übernehmen
würde. Richtig ist, dass es sich weder beim Metrorapid
noch bei der Flughafenanbindung an München um ein
Bundesprojekt handelt. Bei beiden Strecken handelt es
sich stattdessen um regionale Verkehrsprojekte. Die
Verantwortung für die Realisierung liegt in vollem Um-
fang bei den beiden Bundesländern.


(Dirk Fischer [Hamburg] [CDU/CSU]: Warum soll der Bund bezahlen, wenn es kein Bundesprojekt ist?)


– Aus industriepolitischen Gründen wollen wir diese Pro-
jekte bezuschussen. Wie gesagt, das tun wir mit dem Rest
der Summe, die für die Strecke Hamburg–Berlin zur Ver-
fügung stand. Dabei handelt es sich um einen gedeckelten
Betrag, den wir später nicht erhöhen werden. Diese Be-
zuschussung stellt auch keine Projektbeteiligung dar.


(Zuruf von der CDU/CSU: Das Geld ist doch längst weg, Herr Weis!)


Der Bund wird keine weiteren Risiken übernehmen, we-
der für den Bau noch für den Betrieb.


(Zuruf von der CDU/CSU: Das, was Sie hier erzählen, ist doch eine Luftnummer!)


Zweitens. Es ist auch ein Irrtum, dass zum gegenwär-
tigen Zeitpunkt irgendeine Notwendigkeit bestünde, für
eine haushaltsrechtliche Absicherung der beiden regio-
nalen Projekte im Bundeshaushalt zu sorgen. Richtig ist
dagegen, dass die Länder am Zuge sind. Es ist deren Auf-

gabe, ein schlüssiges Finanzierungskonzept vorzulegen
und den Eigenanteil der beiden Länder verbindlich darzu-
stellen. Wir wissen, dass beide Länder konkrete Vorstel-
lungen haben und sich zu diesen auch äußern werden. Es
erscheint mir wichtig, dass an dieser Stelle auch auf die
unterschiedliche Verantwortlichkeit zwischen den födera-
len Ebenen hingewiesen wird.

Die PDS unterstellt uns mit ihrem Antrag, wir würden
mit dem Haushaltsrecht nicht sorgfältig umgehen. Ich
weise das mit Entschiedenheit zurück.


(Beifall bei der SPD)

Ebenso weise ich die Unterstellung in dem Gesetzentwurf
der PDS zurück, beim Magnetschwebebahnplanungsge-
setz handele es sich um ein Bürgerknebelungsgesetz.


(Ulla Jelpke [PDS]: Das steht doch in jeder Zeitung!)


Die Begründung der PDS zu ihrem Gesetzentwurf ist
einfach haarsträubend, so als hätten wir hier chinesische
Verhältnisse. Dann wird auch noch das „Handelsblatt“ als
Kronzeuge für die Notwendigkeit des PDS-Vorstoßes
herangezogen. Das alles ist schon ziemlich abenteuerlich
und wohl nur mit dem bereits eingangs erwähnten neuro-
tischen Verhältnis der PDS zur Magnetschwebetechnik zu
erklären.

Meine letzte Anmerkung: Jedes große industriepoliti-
sche Projekt ist natürlich nicht frei von Risiken. Wenn es
nun zum Beispiel in Nordrhein-Westfalen gelingt, diese
völlig neue Verkehrstechnologie mit ihrem hohen Ent-
wicklungspotenzial darzustellen, dann hat das nicht nur
für Nordrhein-Westfalen, sondern auch für den Indus-
triestandort Deutschland eine Bedeutung. Das ist genau
der Hintergrund dafür, warum wir als SPD-Bundestags-
fraktion an unserer Zusage zur Gewährung eines Zu-
schusses für diese Projekte festhalten.

Danke.

(Beifall bei der SPD)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1422422500
Vielen Dank, Herr
Kollege Weis, dass Sie Ihre Redezeit nicht ausgeschöpft
haben.

Nächster Redner für die Fraktion der CDU/CSU ist der
Kollege Dirk Fischer.


Dirk Fischer (CDU):
Rede ID: ID1422422600
Frau Präsiden-
tin! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Der
Gesetzentwurf zur Aufhebung des Magnetschwebebahn-
planungsgesetzes soll wohl heute das vollenden, was die
Bundesregierung mit ihrer Zerstörung des Schienenpro-
jektes Hamburg–Berlin begonnen hat. Eine hochmoderne
und umweltfreundliche Technologie soll in Deutschland
lebendig begraben werden.


(Zustimmung bei der CDU/CSU)

Der Antrag lässt sich nur mit einer Fundamentaloppo-

sition gegenüber der Magnetschwebebahntechnologie er-
klären. Deswegen ist eine inhaltliche Auseinandersetzung
wahrscheinlich nicht mehr möglich. Technologische Mo-




Reinhard Weis (Stendal)

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(D)



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(B)


dernisierungsimpulse sowie Impulse für den Arbeitsmarkt
würden im Keim erstickt werden. Die technologische Po-
leposition bei dem spurgeführten Hochgeschwindig-
keitsverkehr in Europa würde verschenkt werden. Dass
die Magnetschwebebahntechnologie europäische Distan-
zen in den spurgeführten Verkehrssystemen schrumpfen
lassen würde, wird einfach ignoriert.

Befänden wir uns nicht im Wahljahr, wäre die Zahl de-
rer, die den Transrapid lieber tot als lebendig sähen, deut-
lich höher. Die Grünen könnten sich aus ideologischer
Verblendung weiterhin grundsätzlich gegen jede Art von
Highspeed positionieren. Auch die SPD müsste nicht aus
wahltaktischem Kalkül den Metrorapid in NRW und die
Flughafenanbindung München – ohne jeden Kabinetts-
entscheid und ohne jede Bundestagsbefassung mit quali-
fizierten Unterlagen – durchpeitschen.

Wir hätten hierzu noch Fragen zu stellen. Während für
292 Kilometer zwischen Hamburg und Berlin auf völlig
neuer Trasse ein Betrag von 6,1 Milliarden DM und kein
Pfennig mehr als nicht mehr finanzierbar galt, sind jetzt
für 79 Kilometer zwischen Düsseldorf und Dortmund auf
vorhandener Bahntrasse 2,6 Milliarden Euro für die In-
frastruktur nicht zu viel. Während es bei der Strecke Ham-
burg–Berlin unabdingbar war, keinen Parallelverkehr zu
akzeptieren, ist bei der Strecke Dortmund–Düsseldorf
mittlerweile jede Menge Parallelverkehr unschädlich. Auf
großen Werbetafeln in NRWwird verkündet: Für die Fuß-
ball-WM 2006 muss alles fertig sein. Uns will man erklä-
ren, dass für ein Ereignis von zwei oder drei Wochen, in
denen vielleicht zwei Spiele in Dortmund und, wenn es
hoch kommt, noch zwei in Düsseldorf stattfinden, ein sol-
ches Investment argumentativ begründbar ist.


(Zuruf von der SPD: In Schalke auch!)

Hierzu erklärt die Industrie, dass dies bis 2006 niemals

fertig werden kann, weil Planungsgrundlagen fehlen. Bei
der Strecke Hamburg–Berlin war ein halbes Jahr Probe-
betrieb eingeplant, um nur jedes Verkehrs- oder Sicher-
heitsrisiko auszuschalten. Ich sage der Industrie: Clement
und Schwanhold werden euch den schwarzen Peter schon
früh genug zuschieben; da könnt ihr ganz sicher sein.

Es gibt also Fragen über Fragen, die noch zu stellen
wären. Der Löwenanteil der von Bodewig versprochenen
Bundesmittel hat eine Höhe von 2,3 Milliarden Euro. Der
Steuerzahler gibt durch unsere Entscheidung fast 5 Milli-
arden DM aus.


(Ulla Jelpke [PDS]: Skandalös!)

Herr Kollege Weis, bei aller persönlichen Wertschätzung
für Sie: Es ist wirklich ein Stück aus dem Tollhaus, dass
Sie hier erklären, das sei kein Bundesprojekt.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Reinhard Weis [Stendal] [SPD]: Sie übertreiben!)


Der Steuerzahler hat einen höheren Anspruch an die Aus-
übung der Verantwortung des Deutschen Bundestages im
Umgang mit seinen schwer verdienten Steuermitteln. Das
kann ich wohl behaupten.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


1,75 Milliarden Euro fließen – das ist für uns natürlich
nicht nachvollziehbar; es gibt überhaupt keine Unterla-
gen, warum das so ist – nach Nordrhein-Westfalen, wo
sich SPD-Ministerpräsident Clement dank dieser Wahl-
kampfhilfe als erfolgreicher Hightechförderer feiern las-
sen kann. Der Verdacht, dass Parteipolitik der sachlichen
Bewertung vorgezogen wurde, liegt nahe. Außerdem ist
Bodewigs Ankündigung eine unverbindliche Absichtser-
klärung und keine verlässliche Finanzierungsgrund-
lage. Eine Finanzierungszusage kann in dieser Legis-
laturperiode in haushaltsrechtlich unbedenklicher Weise
nur durch einen Nachtragshaushalt erfolgen; denn im
Bundeshaushalt 2002 sind weder Barmittel noch Ver-
pflichtungsermächtigungen eingestellt.

Bei der Vorstellung der Machbarkeitsstudien ist
schlicht und ergreifend die Unwahrheit gesagt worden.


(Beifall bei der CDU/CSU, der FDP und der PDS)


In der „Frankfurter Rundschau“ und der „Frankfurter All-
gemeinen Zeitung“ ist diese Unwahrheit an die lesende
Bevölkerung weitergegeben worden, weil Sie nicht selber
geprüft haben. Es verstößt gegen die elementaren Mitwir-
kungsrechte des Parlamentes, wenn eine unverbindliche
Zusage von Bundesmitteln von der nordrhein-westfä-
lischen Landesregierung als ausreichende Planungs-
grundlage bezeichnet wird, um im weiteren Verfahren die
Maßnahme zu planen und auszuführen. Schon die Bestel-
lung der Militärflugzeuge A400M führte zur Abgabe ei-
ner uneingeschränkten Unterwerfungserklärung vor dem
Bundesverfassungsgericht. Wie oft soll dieser Vorgang
noch passieren?


(Horst Friedrich [Bayreuth] [FDP]: Bis sie es begriffen haben!)


Die permanente Verletzung des parlamentarischen
Haushaltsrechtes hätten wir uns einmal in unserer Regie-
rungszeit erlauben sollen. CDU/CSU und FDP haben das
Budgetrecht des Deutschen Bundestages immer ernst ge-
nommen. Der Fachausschuss für Verkehr hat einen An-
spruch auf Beteiligung und Information. Sie haben durch-
gesetzt, dass wir bei Transrapidprojekten drei große
Hearings durchgeführt haben. Die Vorgängerregierung
hat beratungsfähige Unterlagen paketweise geliefert. Es
hat Parlamentsbeschlüsse gegeben. SPD und die Grünen,
die sich gelegentlich als Erfinder der Demokratie darstel-
len, sollten sich – ich sage es in aller Härte und Deutlich-
keit – dafür schämen, wie hier das Parlament abgefertigt
wird.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Es passt ins Bild, dass Herr Bodewig über das Land

zieht, Presseerklärungen abgibt und Konferenzen durch-
führt sowie Geld verteilt, aber nicht hier sitzt, wo es da-
rum geht, uns zu erläutern, warum er was zugesagt hat.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Zuruf von der CDU/CSU: Bodewig sofort ins Parlament!)


Wir verlangen eine Kabinettsentscheidung. Diese Un-
terlage muss dann dem Deutschen Bundestag zur Ent-
scheidung vorgelegt werden, die Fachausschüsse müssen




Dirk Fischer (Hamburg)


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damit befasst werden. Ihnen gegenüber muss der Nach-
weis des verkehrlichen Nutzens und der Wirtschaftlichkeit
erbracht werden. Es muss klargestellt werden, zulasten
welcher Bereiche der Bundesanteil von 2,3 Milliarden
Euro im Verkehrsetat gewonnen werden soll.


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1422422700
Sie müssen nun bitte
zum Schluss kommen.


Dirk Fischer (CDU):
Rede ID: ID1422422800
Frau Präsiden-
tin, ich komme zum Ende.

Es muss deutlich gemacht werden, was Sie mit „andere
Bundesmittel“ für Transrapidstrecken meinen und woher
Sie diese nehmen wollen. Ich kann nur eines sagen: Die-
ses Material muss dem Parlament umgehend geliefert
werden. Wir können uns mit dem bisherigen Verfahren
nicht abspeisen lassen. Wenn Sie das nicht tun, werden
wir Grund haben, nach dem 22. September beim Transra-
pid eine seriösere Politik zu machen, als es von dieser Re-
gierung mit Spiegelfechtereien geschieht.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Rolf Kutzmutz [PDS]: Das war ein echter Libero, so wie ich ihn kenne!)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1422422900
Jetzt spricht die Kol-
legin Franziska Eichstädt-Bohlig für die Fraktion des
Bündnisses 90/Die Grünen.


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Kollegen! Wie gesagt, wir reden zum wiederholten Mal
über das Lieblingsspielzeug einiger Herren. Ich glaube, es
geht nicht nur darum, dass einige ein neurotisches Ver-
hältnis zum Transrapid haben. Andere haben offenbar ein
so erotisches Verhältnis, dass sie das immer wieder hier
ausleben müssen. Ich weiß auch nicht, warum das sein
muss, egal, ob es von der linken oder von der rechten Seite
kommt.


(Horst Friedrich [Bayreuth] [FDP]: Sie müssen endlich mal Ja sagen!)


Ich will mich auf den Punkt konzentrieren, der sowohl
von Herrn Kollegen Fischer angesprochen wurde als auch
im Antrag der PDS vorkommt, nämlich die Behauptung,
es werde das Haushaltsrecht verletzt. Das ist nicht der
Fall.


(Horst Friedrich [Bayreuth] [FDP]: Natürlich! – Dirk Fischer [Hamburg] [CDU/CSU]: Die Grünen sind aber sehr bescheiden geworden!)


– Nein, Sie kennen offenbar das Haushaltsrecht nicht,
Herr Kollege Fischer. Von daher sollten Sie an dieser
Stelle etwas üben.Wir haben sehr wohl genau darauf ge-
achtet.


(Horst Friedrich [Bayreuth] [FDP]: Das sagen die Richtigen! Das ist nur noch peinlich! – Dirk Fischer [Hamburg] [CDU/CSU]: Fragen Sie mal die Kollegin Altmann, was sie früher verlangt hat! – Ich würde es Ihnen gerne sagen. Es gibt keinerlei haushaltsrechtlich verbindliche Zusagen über den Einsatz von Bundesmitteln für den Bau der Magnetschwebebahn. Das Haushaltsrecht des Deutschen Bundestages ist und bleibt an dieser Stelle korrekt gewahrt. Darauf hat sowohl der Minister als auch wir als Haushälter sehr genau geachtet. Von daher sollten Sie Ihren Adrenalinspiegel ein Stück weit heruntergehen lassen. Das Zweite ist, – der Kollege Weis hat darauf hingewiesen –, dass die Projekte, um die es jetzt geht, Ländersache sind. (Dirk Fischer [Hamburg] [CDU/CSU]: Das ist doch Quatsch! Dann zahlt doch der Bund keine 2,3 Milliarden Euro! Warum zahlen wir dann soviel Geld aus dem Haushalt? Sie wollen uns wohl auf den Arm nehmen!)


– Sie sollten sich mit dem Vorgang wirklich einmal be-
schäftigen und nicht immer nur Reden halten über Dinge,
über die Sie sich offenbar nicht ausreichend informiert ha-
ben.

Der Bund hat sich bei der Beendigung des Projektes
Hamburg–Berlin – das auf Initiative der Deutschen Bahn
AG nicht verwirklicht wurde, weil ihr die Finanzierung zu
aufwendig war – verpflichtet, dass er, wenn in Deutsch-
land neue Strecken gebaut werden, bereit ist, die rest-
lichen Mittel zur Verfügung zu stellen.


(Dirk Fischer [Hamburg] [CDU/CSU]: Aber nicht für Straßenbahnstrecken!)


Jetzt sind die Machbarkeitsstudien von Nordrhein-
Westfalen und München vorgelegt worden. Auf dieser
Grundlage hat sich der Bund bereit erklärt,


(Zuruf von der FDP: Aha! – Hans-Michael Goldmann [FDP]: Hat er denn die Machbarkeitsstudie vorgestellt?)


– als Absichtserklärung; es wäre gut, wenn Sie zuhören
würden –, dafür die verfügbare oder kalkulatorische Rest-
summe bis zu 2,3 Milliarden Euro bereitzustellen. Aber
die Projekte sind und bleiben in voller Finanzverantwor-
tung der beiden Länder.


(Dirk Fischer [Hamburg] [CDU/CSU]: Auf welcher gesetzlichen Basis wird denn das bezahlt?)


– Es gibt noch keine gesetzliche Basis für diese Finanzie-
rung.


(Lachen bei der CDU/CSU und der FDP – Dirk Fischer [Hamburg] [CDU/CSU]: Dann verteilt der Bodewig das Geld! Das kann doch wohl nicht wahr sein! Das ist unglaublich! Ich nehme das Parlament ernster als Sie!)


Es wäre gut, wenn Sie das endlich kapieren würden. Viel-
leicht sollten Sie sich den Vertrag einmal durchlesen. Ich
habe Ihnen eben schon erklärt, dass ein Vertrag gemacht
worden ist. Wenn Sie Fragen haben, dann melden Sie sich
zu einer Frage, statt mir die Redezeit zu nehmen.


(Dirk Fischer [Hamburg] [CDU/CSU]: Es gibt ja keine Befassung mehr! Sie verhindern ja die Parlamentsbehandlung!)





Dirk Fischer (Hamburg)

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(B)


– Offenbar können Sie solche Verträge nicht lesen, sonst
wüssten Sie es besser.

Kurzum, die Projekte liegen hinsichtlich der Finanzie-
rung und Wirtschaftlichkeit in der Verantwortung der
Länder


(Dirk Fischer [Hamburg] [CDU/CSU]: Wenn der Bund so viel Geld ausgibt, muss er das erst prüfen! Das ist Pflicht!)


und müssen von ihnen hinsichtlich ihrer Wirtschaftlich-
keit, ihrer konkreten Machbarkeit, des Planfeststellungs-
verfahrens und des gesamten Verfahrens erst einmal auf
den Weg gebracht werden. Erst auf dieser Grundlage wird
im Haushalt – das wird selbstverständlich erst in der
nächsten Legislaturperiode der Fall sein – darüber be-
funden,


(Dirk Fischer [Hamburg] [CDU/CSU]: Wir können doch nicht ohne weitere Prüfung 5 Milliarden DM zum Fenster hinauswerfen!)


inwieweit die Mittel für diese Projekte ausbezahlt werden
können.

Ich beende jetzt meine Rede, weil die Kollegen offen-
bar nicht das Interesse haben, sich so weit darüber zu in-
formieren, dass sie wissen, was Sache ist.


(Zurufe von der FDP: Nein!)

Es tut mir wirklich Leid. Ich hatte von den Mitgliedern
des Verkehrsausschusses erwartet, dass sie sich die Mühe
machen, sich die Verträge anzusehen,


(Dirk Fischer [Hamburg] [CDU/CSU]: Welche Verträge? – Weiterer Zuruf von der CDU/CSU: Legen Sie die Verträge dem Ausschuss vor!)


und zur Kenntnis nehmen, was Herr Bodewig als Ab-
sichtserklärung abgegeben hat, wobei er aber das Limit
sehr deutlich angesprochen hat.


(Dirk Fischer [Hamburg] [CDU/CSU]: Welche Verträge haben Sie denn?)


– Meine Güte! Es tut mir Leid, liebe Kolleginnen und
Kollegen.


(Dirk Fischer [Hamburg] [CDU/CSU]: Welche Verträge meinen Sie?)


Da der Kollege Fischer in Sachen Transrapid offenbar
doch sehr dumm ist und nicht einmal zuhören kann, tut es
mir Leid.


(Zurufe von der CDU/CSU: Oh!)

Lassen wir das für heute einfach so stehen!


(Dirk Fischer [Hamburg] [CDU/CSU]: Welche Verträge haben Sie denn, die wir nicht kennen? – Hartmut Koschyk [CDU/CSU]: Sie sollten die Leute nicht beleidigen!)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1422423000
Ring frei für den Kol-
legen Horst Friedrich von der FDP-Fraktion.


Horst Friedrich (FDP):
Rede ID: ID1422423100
Verehrte Frau Prä-
sidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte
nicht unbedingt ringen, aber es war schon ein Lehrstück
der Parlamentsgeschichte. Ausgerechnet Sie, Frau
Eichstädt-Bohlig, wagen es, dem Deutschen Bundestag
eine Lehrstunde im Haushaltsrecht zu geben. Das ist doch
der Höhepunkt der Frechheit.

Was Sie persönlich mit dem A400M und der Haus-
haltssituation jeden Tag aufs Neue abliefern, müsste Sie
eigentlich dazu bringen, sich zu dem Thema Haushalts-
recht und der Beachtung des Parlaments etwas devoter zu
verhalten.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Dr. Angelica Schwall-Düren [SPD]: Devot, das ist ja noch schöner! – Reinhard Weis [Stendal] [SPD]: Die beiden Dinge sind doch überhaupt nicht vergleichbar!)


Das ist schon ein starkes Stück.
Zu den Anträgen der PDS-Fraktion: Dass Sie, Herr

Kollege Wolf, diese Anträge stellen, überrascht mich
nicht. Auch das Ergebnis überrascht mich nicht; denn es
ist wenigstens konsequent. Was hat sich gegenüber der
Diskussion über die Strecke Hamburg–Berlin bei den bei-
den in den Blick genommenen Strecken – der Metrorapid-
Strecke und der Strecke München Hauptbahnhof bis zum
Münchner Flughafen – geändert? Die SPD und Bünd-
nis 90/Die Grünen, die uns damals vorgeworfen haben,
alle unsere Gutachten mit verkehrswirtschaftlicher
Grundlage seien Schall und Rauch, Hausnummern, unse-
riös und Ähnliches mehr, machen nun das Gleiche.


(Dirk Fischer [Hamburg] [CDU/CSU]: Gar nichts machen die!)


Für die Strecke Hamburg–Berlin wurde alles infrage ge-
stellt. Nun hören wir zu unserer großen Überraschung:
Das ist kein Bundesprojekt. Aber auf welcher Berech-
nungsgrundlage sind im Haushalt noch 5 Milliarden DM
aufgeführt? Wie werden die denn ausgegeben?

Wenn ich es bisher richtig begriffen habe, ist der Bund
im Verkehrswegebau nur für die Sachen zuständig, die
auch Bundesangelegenheiten sind. Im Gegensatz zu uns,
die wir bei der Strecke Hamburg–Berlin die 6,1 Milliar-
den DM tatsächlich in den Haushalt eingestellt hatten
– auch aufgeteilt in der Finanzierung –, ergibt sich bei Ih-
nen bestenfalls aus einer Fußnote im Haushalt, dass man
gegebenenfalls beabsichtige, die restlichen Mittel, die
noch nicht bei der Strecke Hamburg–Berlin – der Schie-
nenstrecke – für die Vorfinanzierung der Verwirklichung
des Eisenbahnkreuzungsgesetzes ausgegeben worden
sind, irgendwann für den Bau des Transrapids auf den bei-
den Strecken zur Verfügung zu stellen.

Nun haben wir erlebt, wie virtuelles Geld verteilt wird,
das noch gar nicht in den Haushalt eingestellt worden ist.
Plötzlich prescht die nordrhein-westfälische Staatskanzlei
vor und erklärt, die Verteilung der Gelder für die Magnet-
schwebebahnstrecken in NRW und Bayern stehe schon
lange fest: 75 Prozent der Gelder würden an NRW und
25 Prozent an Bayern gehen. Das war natürlich ein Feh-
ler. Das haben Sie auch erkannt und deshalb schnell




Franziska Eichstädt-Bohlig

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(B)


erklärt, alles sei noch offen. Nach Vorlage der Gutachten
werden die Gelder – überraschenderweise – exakt nach
dem angekündigten Schlüssel verteilt. Komisch, darüber
regt sich kein Mensch mehr auf.

Die Begründung für diesen Verteilungsschlüssel ist
sehr pfiffig: Herr Clement erklärt öffentlich, NRWmüsse
einen höheren Zuschuss aus der Bundeskasse bekommen,
weil die geplante Strecke in NRW nicht so rentabel sein
werde wie die in Bayern. Das ist natürlich die Krönung
und endlich das Eingeständnis, dass der Ministerpräsident
des Landes NRW, der als großer Reformer, Erneuerer und
Modernisierer angetreten war, eigentlich mit leeren Hän-
den dasteht. Weil Herr Clement jetzt händeringend ein
Prestigeprojekt braucht, wird der Transrapid als Metrora-
pid missbraucht, ohne dass klare Finanzierungsgrundla-
gen vorhanden sind.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Ihre Berechnungsgrundlagen für die heutigen Magnet-

schwebebahnstrecken sind schlechter als unsere für die
Transrapid-Strecke Hamburg–Berlin, die Sie damals ve-
hement kritisiert haben. Was mussten wir uns nicht alles
von Frau Staatssekretärin Gila Altmann anhören, die da-
mals verkehrspolitische Sprecherin der Grünen war! Bis-
her habe ich von ihr zu den Berechnungsgrundlagen für
die Strecken in NRW und Bayern kein einziges Wort
gehört. Dazu kann man nur sagen: Mein lieber Mann,
Grüne, wie weit ist es mit euch gekommen!


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Es kommt aber noch schlimmer. Das Ganze wird sogar

noch als der große Durchbruch verkauft nach dem Motto:
Die Technik war ja gut, wir müssen sie nur umsetzen.
Dazu kann ich nur sagen, liebe Kollegen von Rot-Grün:
Setzt sie endlich um! Schafft eine Finanzierungsgrund-
lage für diese seriöse Technik, damit der Transrapid nicht
nur in Schanghai, sondern auch bei uns gebaut werden
kann. Das, was Sie bisher abgeliefert haben, ist eine
Frechheit und keine Unterstützung für eine moderne
Technik!


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1422423200
Das letzte Wort in die-
ser Debatte hat der Kollege Norbert Königshofen für die
CDU/CSU.


(Dr. Angelica Schwall-Düren [SPD]: Die Hälfte der Redezeit reicht auch!)



Norbert Königshofen (CDU):
Rede ID: ID1422423300
Frau Präsiden-
tin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der „Spiegel“
schreibt am 4. März 2002:

Es gehört zu den größeren Momenten im Leben
eines Verkehrsministers, wenn man mal eben so
2,3 Milliarden Euro für ein Zukunftsprojekt unters
Volk bringen darf. Das Problem dabei ist nur das: Er
hat dieses Geld nicht. Es ist nicht da, jedenfalls nicht
im Bundeshaushalt 2002.

Es gibt auch keine Verpflichtungsermächtigung; denn
ein entsprechender Antrag der Union wurde ja bekanntlich

bei den Haushaltsberatungen im letzten November abge-
lehnt. Es gibt – darauf ist bereits hingewiesen worden –
auch keine Beratungen und keine Anhörungen im Ver-
kehrsausschuss und keine Entscheidungen. Dennoch ver-
teilt Herr Bodewig – darauf wurde schon hingewiesen –
fiktives Geld, und zwar 1,45 Milliarden Euro an NRW
und 0,55 Milliarden Euro an Bayern. Wir brauchen aber
eine seriöse Beratung; denn es stellen sich ja eine Menge
Fragen.

Frau Eichstädt-Bohlig, es gibt zwar keine Verträge oder
dergleichen. Aber wir haben etwas Interessantes zur
Machbarkeitsstudie über die Metrorapid-Strecke in NRW
gefunden. Uns liegt eine „Gemeinsame Erklärung des Ver-
kehrsministeriums in NRW und des Konzerns Deutsche
BahnAG“ vom 11. Juli 2001, unterschrieben von Clement
und Mehdorn, vor. Darin wird festgehalten, dass im Rah-
men der notwendigen Vergabeverfahren der Know-how-
Vorsprung der an der Machbarkeitsstudie beteiligten Fir-
men angemessen zu berücksichtigen sei. Im Klartext: Wird
aufgrund der Machbarkeitsstudie der Metrorapid gebaut,
haben die Verfasser der Studie gute Chancen, ein riesiges
Stück vom Planungskuchen zu bekommen. Damit wir wis-
sen, worüber wir reden: Es geht dabei um Gesamtpla-
nungskosten in Höhe von 334 Millionen Euro!


(Dirk Fischer [Hamburg] [CDU/CSU]: Die halten sich an die Kölner SPD!)


Da verwundert es nicht, dass sich die entscheidenden
Eckdaten innerhalb eines Wochenendes verändern. Inves-
titionskosten: rund 500 Millionen Euro weniger; das sind
14 Prozent weniger. Betriebskosten: rund 11,5 Millionen
Euro pro Jahr weniger; das sind 18,5 Prozent weniger. Die
Fahrgastprognose wird von 25 Millionen auf 34,5 Milli-
onen Fahrgäste heraufgesetzt; das sind sage und schreibe
40 Prozent mehr. Da kann man schon fragen: Warum so
bescheiden? Man hätte ja auch noch mehr hineinschrei-
ben können.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Auf dieser Grundlage vergibt nun der Herr Bodewig
Geld!

Woher das restliche Geld kommen soll – der Metrora-
pid in Nordrhein-Westfalen kostet 3,2 Milliarden Euro –,
weiß niemand.


(Manfred Grund [CDU/CSU]: Doch, Frau Eichstädt-Bohlig weiß das!)


Es wird gesagt: Wir bekommen günstige Kredite. – Wie
die aber getilgt werden sollen und wie die Zinszahlungen
finanziert werden sollen, sagt niemand. Nur ein Beispiel:
Für einen Kredit von 1 Milliarde Euro fallen Kreditkosten
in Höhe von 75 bis 80 Millionen Euro pro Jahr an. Wenn
man die Betriebskosten von 50 Millionen Euro dazu-
nimmt, dann kommt man auf 130 Millionen Euro. Die
fährt der Metrorapid nie ein.

Auch der verkehrliche Nutzen ist sehr umstritten. Die
Gewerkschaft Transnet schreibt am 25. Februar 2002 in
ihrem „Un-Machbarkeitspapier“, dass der Metrorapid zu
vermehrt gebrochenem Verkehr, zu erhöhten Fahrpreisen
und zu Arbeitsplatzverlusten führt, und kommt zu dem
Schluss: Der Metrorapid ist verkehrspolitisch überflüssig,




Horst Friedrich (Bayreuth)

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(B)


der Nutzen ist nicht absehbar und die Kosten sind nicht
kalkulierbar.

All das hätten wir gern geprüft, aber Vorlagen haben
wir nicht. Vielleicht kann Herr Großmann seinem Minis-
ter einmal sagen, dass es für ihn – als ehemaliger Ge-
werkschaftssekretär hat er ja eigentlich guten Kontakt zu
seinen Kollegen – ganz gut wäre, auf seine Kollegen von
Transnet zu hören.

Wie notiert doch der „Spiegel“ unter dem Titel
„Kurtchens Mondfahrt“ – ich zitiere –:

So ist das immer bei ihm.
– Gemeint ist Minister Bodewig.

Was er auch anpackt, irgendetwas funktioniert nie.
Irgendetwas kommt immer dazwischen. Irgendetwas
ist nie ganz zu Ende gedacht.


(Horst Friedrich [Bayreuth] [FDP]: Donnerwetter!)


Ich schließe mich an und sage: So ist es auch hier.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der PDS)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1422423400
Mir bleibt jetzt nur
noch, die Aussprache zu schließen.

Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlagen auf
den Drucksachen 14/8300 und 14/8296 an die in der Ta-
gesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. –
Alle sind damit einverstanden. Dann sind die Überwei-
sungen so beschlossen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sind damit am
Schluss unserer heutigen Tagesordnung.

Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundes-
tages auf morgen, Freitag, den 15. März 2002, 9 Uhr, ein.

Die Sitzung ist geschlossen.