Gesamtes Protokol
Schönen
guten Tag! Die Sitzung ist eröffnet.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 1 auf:
Befragung der Bundesregierung
Die Bundesregierung hat als Thema der heutigen
Kabinettssitzung mitgeteilt: Politik für den Mittelstand –
Bericht des Bundesministeriums für Wirtschaft und
Technologie.
Das Wort für den einleitenden fünfminütigen Bericht
hat der Bundesminister für Wirtschaft und Technologie,
Dr. Werner Müller.
Dr. Werner Müller, Bundesminister für Wirtschaft
und Technologie: Herr Präsident! Meine Damen und
Herren! Gestatten Sie mir, dass ich auf das heute im Ka-
binett Besprochene kurz eingehe. Das Kabinett hat den
Mittelstandsbericht meines Hauses mit Zustimmung zur
Kenntnis genommen. In diesem habe ich einleitend darauf
hingewiesen, dass mein Haus am letzten Freitag, dem
8. März, eine große Mittelstandstagung im Wirtschafts-
ministerium veranstaltet hat. Fast 300 Vertreterinnen und
Vertreter mittelständischer Unternehmen waren anwe-
send. Obwohl auch Vertreter der Parteien, die dem Bun-
destag angehören, eingeladen waren, konnte ich auf die-
ser Tagung keine Vertreter der Opposition als Gäste
entdecken.
– Meines Wissens waren Sie eingeladen. – Deshalb will
ich Ihnen das Fazit der Tagung mitteilen: Bezogen auf die
Geschäftsentwicklungen blickt der Mittelstand bereits für
dieses Jahr durchaus mit Zuversicht und Optimismus in
die Zukunft.
Der Mittelstandsbericht der Bundesregierung beschäf-
tigt sich in diversen Kapiteln mit dem, was für den Mit-
telstand notwendig ist. Es wird darauf hingewiesen, dass
die Steuerreform den Mittelstand in den Jahren 1998 bis
2005 in einer Größenordnung von 17Milliarden Euro ent-
lastet und dass die Steuerreform, wie es auch im Jahres-
gutachten des Sachverständigenrates dargelegt wird, in
keiner Weise mittelstandsfeindlich ist.
In dem nächsten wichtigen Kapitel geht es um die
Finanzierung des Mittelstandes. Die Bundesregierung
wird die DtA und die KfW unverändert zur Mittelstands-
finanzierung einsetzen und das Fördervolumen in der bis-
herigen Größenordnung aufrechterhalten. Basel II wird
als ein aufgrund der Globalisierung der Bankenwelt not-
wendiger Prozess dargestellt. Dieser darf aber nicht dazu
führen, dass sich die durchschnittlichen Finanzierungsbe-
dingungen für den Mittelstand in Zukunft verschlechtern.
In einem weiteren Kapitel wird die Beseitigung des
Fachkräftemangels behandelt. Wir verweisen auf drei be-
sondere Notwendigkeiten:
Erstens. Die Ausbildung im Lande muss weiter ausge-
baut werden. Ausbildungsordnungen müssen à jour ge-
halten, also permanent reformiert werden.
Zweitens. Die besonderen Potenziale im Lande sind zu
erschließen. Es gab noch nie eine so gut ausgebildete
Frauengeneration. Die Potenziale dort zu wecken heißt
aber, die Vereinbarkeit von Familie und Beruf durch Re-
formen vorwärts zu bringen.
Drittens. Um den Fachkräftemangel nicht nachteilig
für den Mittelstand werden zu lassen, brauchen wir drin-
gend das Zuwanderungsgesetz.
Ein weiteres Kapitel ist dem Thema Technologie unter
zwei besonderen Gesichtspunkten gewidmet. Einerseits
muss der Mittelstand – das ist nicht ganz einfach – den
Fortschritt der Informations- und Kommunikationstech-
nologie mitmachen und diese auch anwenden. Dazu un-
terhalten wir unter anderem 24 Kompetenzzentren für
E-Commerce und drei besondere, bundesweit agierende
Kompetenzzentren, zum Beispiel für den Tourismus.
Andererseits muss der Mittelstand, unabhängig von
diesem Aspekt der Technologieanwendung, techno-
logisch moderner werden. Das heißt, wir müssen die
öffentlichen Forschungseinrichtungen und den Mittel-
stand sowie die Industrieforschung des Mittelstandes
22125
223. Sitzung
Berlin, Mittwoch, den 13. März 2002
Beginn: 13.00 Uhr
untereinander vernetzen. Auch dafür haben wir Mittel in
der Größenordnung von fast 1 Milliarde DM in diesem
Jahr bereitgestellt.
Die außenwirtschaftliche Betätigung des Mittelstandes
muss vorangebracht werden. Auch der Mittelstand muss
sich in die Globalisierung integrieren. Das Außenwirt-
schaftsinstrumentarium des Ministeriums muss noch mit-
telstandsfreundlicher werden.
Das sind die wesentlichen Kapitel des Mittelstands-
berichtes.
Ich darf abschließend sagen: Bei Besprechungen mit
den Industrie- und Handelskammern sowie den Hand-
werkskammern wird bekräftigt, dass die Stimmung im
Mittelstand wieder besser wird. Bei Gesprächen vor Ort
wird das bestätigt, was beispielsweise der Ifo-Geschäfts-
klimaindex zum vierten Mal hintereinander ergeben hat,
nämlich dass die wirtschaftlichen Perspektiven in diesem
Lande wieder gut sind.
Ich danke
Ihnen, Herr Bundesminister.
Mir liegen eine Reihe von Fragen vor. Zunächst hat der
Kollege Hansjürgen Doss, CDU/CSU-Fraktion, das Wort.
Herr Bundesmi-
nister, der Sparkassen- und Giroverband beschreibt in sei-
ner „Diagnose Mittelstand“ die Lage des Mittelstandes
wie folgt: Die Ertragslage ist unzureichend. Die
Eigenkapitalausstattung ist besorgniserregend. Unterneh-
merische Tätigkeit wird immer unrentabler. Die Lage ist
düster. Der Investitionstrend zeigt nach unten. Die
Perspektiven für 2002 lauten: weniger Unternehmen und
noch weniger Arbeitsplätze.
Die Frage ist: Was rechtfertigt Ihren Optimismus? Sie
schreiben: Wir senken Steuern und Abgaben. Wir sichern
die Finanzierung des Mittelstandes. Wir schaffen ein bes-
seres Klima für mehr Selbstständigkeit. Wir bauen Büro-
kratie ab. – Hier gibt es offensichtlich einen Dissens. Wie
erklären Sie ihn?
Dr. Werner Müller, Bundesminister für Wirtschaft
und Technologie: Das müssen Sie den Sparkassen- und
Giroverband fragen. Ich weiß nicht, ob er seine spezielle
Kundschaft befragt hat oder wie die Bundesregierung
einen breiten Querschnitt des Mittelstandes zugrunde ge-
legt hat.
Herr Präsident,
Sie erlauben, dass ich noch einmal nachfrage.
Ich denke, Sie machen sich das ziemlich einfach.
– Sie schreien sehr schön. – Sie haben sich in Ihren Fest-
stellungen auf die Aussagen der Industrie- und Handels-
kammern sowie der Handwerkskammern bezogen. Neh-
men Sie selektiv nur das zur Kenntnis, was Ihnen passt?
Dr. Werner Müller, Bundesminister für Wirtschaft
und Technologie: Herr Doss, ich will Ihnen gerne ein Ge-
genbeispiel nennen. Es ist üblich, dass Bankinstitute ihre
Klientel befragen. Ich habe Ihnen nicht die Umfrage der
KfW bei den von der KfW kreditierten Unternehmen zi-
tiert. Diese Unternehmen haben im November des letzten
Jahres angegeben, dass sie gute bis sehr gute Geschäfts-
aussichten haben. Im Mittel wollen alle von der KfW kre-
ditierten Unternehmen im Jahre 2002 9 Prozent mehr Per-
sonal einstellen.
Das ist, wie gesagt, eine ausschnittsweise Betrachtung,
die bei der KfW-Klientel besonders gut ist. Das Ergebnis
der Untersuchung des Sparkassen- und Giroverbandes bei
seiner Klientel ist offensichtlich anders. Das kann aber
durchaus so sein. Ich weiß aber nicht, ob der Bericht über-
haupt richtig zitiert ist. Ich stehe mit dem Verband in stän-
digem Kontakt. Heute Abend werde ich dort eine Tagung
eröffnen.
Der nächste
Fragesteller ist der Kollege Rainer Wend, SPD-Fraktion.
Herr BundesministerMüller, mir wird immer wieder mitgeteilt, dass die Finan-zierung von Existenzgründungen und des Mittelstandeszunehmend problematisch werde, insbesondere diegroßen Privatbanken sich aus diesem Finanzierungsge-schäft zurückzögen.Meine Frage an Sie ist: Teilt die Bundesregierung dieseBewertung? Wenn ja, welche Möglichkeiten sehen Sie Ih-rerseits, die Finanzierung von Existenzgründungen unddes Mittelstandes zu verbessern?Dr. Werner Müller, Bundesminister für Wirtschaftund Technologie: Die Klage, die Sie aus dem Mittelstandschildern, bezieht sich auf einen Umstand, der der Bun-desregierung seitens der mittelständischen Wirtschaft,insbesondere seitens potenzieller Existenzgründer, sehrwohl bekannt gemacht worden ist. Das Bundeswirt-schaftsministerium hat sich mit allen am Kapitalmarkttätigen Institutionen zusammengesetzt und mit ihnen einegemeinsame Erklärung erarbeitet, die auch von dem Bun-desverband der Privatbanken mit unterschrieben wurde.Danach ist die Finanzierung des Mittelstandes die vorran-gige Aufgabe der am Kapitalmarkt Tätigen. Die Bundes-regierung wird den Bankensektor an dieser Selbstver-pflichtung messen.Ich verhehle nicht, dass die Selbstverpflichtung, dieder Bankensektor eingegangen ist, aus unserer Sicht nochnicht zu befriedigenden Zuständen geführt hat. Wir erle-ben, dass insbesondere Gründerdarlehen nur unter er-schwerten Bedingungen gegeben und Antragsteller einerrelativ langen Risikoprüfung unterzogen werden. Wirüberlegen zusammen mit DtAund KfW, wie wir die Mitt-lerfunktion des Bankensektors so verbessern können, dassdie von der Bundesregierung den Banken des Bundes be-reitgestellten Gelder wirklich zur Gründung von Existen-zen verwendet werden.
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 223. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 13. März 2002
Bundesminister Dr. Werner Müller22126
Nächster
Fragesteller ist der Kollege Heinrich Kolb, FDP.
Herr Minister, ich wun-
dere mich ebenfalls über Ihre wiederholte und so un-
eingeschränkt positive Darstellung der Geschäftserwar-
tungen im Bereich des Mittelstandes. Meine eigenen
Erfahrungen aus fast täglichen Gesprächen mit Mittel-
ständlern sind andere. Vielleicht liegt ein Unterschied
darin, ob man mit Verbandsfunktionären oder mit den Un-
ternehmern selbst spricht. Meine Bitte vorab wäre: Viel-
leicht können Sie bei der Beantwortung der Frage sagen,
was Sie als Wirtschaftsminister unter dem Begriff „Mit-
telstand“ verstehen. Es gibt ja sehr unterschiedliche Auf-
fassungen. Vielleicht erklärt das auch die unterschiedli-
chen Erwartungen, die jeweils beschrieben werden.
Meine Frage ist: Wir hatten im letzten Jahr 33 000 Kon-
kurse und damit einen dramatischen Anstieg der Zahl der
Konkurse. Die Perspektive für dieses Jahr ist leider, dass
diese Zahl noch weiter ansteigt. Teilen Sie diese Ein-
schätzung? Was will die Bundesregierung gegebenenfalls
unternehmen, um diesen Trend zu stoppen?
Dr. Werner Müller, Bundesminister für Wirtschaft
und Technologie: Dass die Zahl der Insolvenzen ansteigt,
ist ein Umstand, der seit 1992 belegt ist. Wir haben eine
permanent steigende Zahl – auch prozentual betrachtet –
der Insolvenzen. Die einzige Ausnahme bei diesem lang-
fristigen Trend war das Jahr 1999.
Sie müssen die Zahl der Insolvenzen vor dem Hinter-
grund der Liquidationen in toto sehen. Seitdem diese Bun-
desregierung regiert, ist die Zahl der Unternehmensliqui-
dationen permanent zurückgegangen, und zwar von über
500 000 auf 460 000 im letzten Jahr. Warum gerade im
letzten Jahr die Zahl der Insolvenzen angewachsen ist, er-
klärt sich durch die von Ihnen begonnene Reform des In-
solvenzrechts, die wir fortgesetzt haben. Wie Sie wissen,
kann sich das Kleingewerbe durch Insolvenzantrag von
Restschulden entlasten. Davon ist im letzten Jahr erstmals
und deutlich Gebrauch gemacht worden. Die Zahl der In-
solvenzen im Kleingewerbe ist in einer Größenordnung
von 40 Prozent gestiegen.
Zusatz-
frage?
Herr Minister, verstehe
ich Sie richtig, dass es nach Ihrer Auffassung im deut-
schen Mittelstand kein Insolvenzproblem gibt?
Dr. Werner Müller, Bundesminister für Wirtschaft
und Technologie: Wenn Sie zugehört haben, müssen Sie
zugeben, dass ich das nicht gesagt habe. Ich habe gesagt,
dass das Kleingewerbe – ich betone: das Kleingewerbe –
vom neuen Insolvenzrecht Gebrauch macht und insofern
deutlich häufiger Insolvenzanträge gestellt hat, als das
früher, als die Möglichkeit der Restschuldbefreiung nicht
gegeben war, üblich war.
Im Übrigen – ich habe es schon einmal gesagt –: Be-
trachten Sie das Ganze vor dem Hintergrund der großen
Zahl der Liquidationen, die permanent zurückgegangen
ist. Der Saldo von Unternehmensgründungen und Liqui-
dationen liegt unverändert bei 75 000; dies gilt auch für
das letzte Jahr. Im letzten Jahr waren per saldo in Deutsch-
land 75 000 Unternehmen mehr vorhanden.
Nächster
Fragesteller ist der Kollege Christian Lange, SPD.
Herr Minister,
Sie haben den Fachkräftemangel angesprochen, der auch
meiner Erfahrung nach in der Tat ein großes Problem dar-
stellt. Ich will es mit einer Frage zur Betriebsnachfolge
kombinieren. Die Bundesregierung hat erstmals die
Gleichwertigkeit von akademischer und beruflicher Bil-
dung durch die Verbesserung im Bereich des Meister-
BAföG erreicht. Welche Erwartungen verknüpfen Sie
damit insbesondere im Hinblick auf die Frage der Be-
triebsnachfolge? Welche Erwartungen verknüpfen Sie mit
der Neuordnung der Berufsbilder und meinen Sie, dass da-
durch ein wesentlicher Abbau der Zahl der 300000 Be-
triebe, für die ein Nachfolger gesucht wird, erreicht wer-
den kann?
Dr. Werner Müller, Bundesminister für Wirtschaft
und Technologie: Lassen Sie mich zunächst einmal Zah-
len nennen: Es gibt in Deutschland alles in allem 3,3 Mil-
lionen Betriebe, davon der weit überwiegende Anteil mit
Betriebsgrößen von unter 100 Beschäftigten, Herr Kolb.
Das ist der eigentliche Mittelstand. Fast 1 Million der
3,3 Millionen Betriebe werden in den nächsten zehn Jah-
ren einen Nachfolger brauchen. Dabei handelt es sich also
um ein immenses Problem. Schon heute ist es eine Tatsa-
che, dass wir Arbeitsplätze in einer Größenordnung von
50 000 dadurch verlieren, dass in einer beachtlichen Zahl
von Unternehmen, denen die Nachfolgeregelung nicht ge-
lingt, der Betrieb geschlossen wird. Deswegen – auch das
können Sie im Mittelstandsbericht nachlesen – haben wir
die Kampagne „Nexxt“ gestartet, die letztlich nur dann er-
folgreich sein kann, wenn auch genügend Leute zur Un-
ternehmensnachfolge bereitstehen und die Erbschaftsteuer
mittelstandsfreundlich und nicht – wie Sie das wollen – so
wie bei den Kapitalgesellschaften gestaltet wird. Vielmehr
sollte der Mittelstand seine Rechte behalten. Deswegen
müssen wir darauf achten, dass es genügend Gründer gibt.
Daher ist eine flexible Anwendung der Handwerksord-
nung erforderlich, für die Sie, Herr Lange, und ich uns
eingesetzt haben.
Was noch zu Klagen Anlass gibt: Wir müssen uns
bemühen, über das Meister-BAföG für diejenigen, die
sich nach Erhalt des Meisterbriefes selbstständig machen
wollen, neue Dynamik zu bringen und angemessene
Gründungshilfen gewähren.
Ob das Maßnahmenbündel schon ausreicht, ist abzu-
warten. Aber die Problematik ist erkannt und aus meiner
Sicht mit zufrieden stellenden Maßnahmen aufgegriffen
worden.
Zur nächs-ten Frage hat der Kollege Hans Michelbach von derCDU/CSU-Fraktion das Wort.
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 223. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 13. März 2002 22127
Herr Minister
Dr. Müller, was sagen Sie zu einer aktuellen Umfrage un-
ter 3 000 Mittelstandsunternehmen, die besagt, dass 44 Pro-
zent der Einzelhandelsunternehmen einen Umsatzrück-
gang aufweisen? 49 Prozent der Baufirmen klagen über die
sinkende Zahl der Auftragseingänge, 76 Prozent im Woh-
nungsbau über ein geringeres Bauvolumen. 34 Prozent der
Industrieunternehmen wollen Personal abbauen und nur
noch 32 Prozent melden ausgelastete Anlagen.
50 Prozent der Großhandelsfirmen verzeichnen ein Um-
satzminus und 37 Prozent der unternehmensnahen
Dienstleister sind von Einbußen betroffen. Gibt es bei die-
sen eindeutigen, negativen Zahlen Anlass zur Gesund-
beterei?
Dr. Werner Müller, Bundesminister für Wirtschaft
und Technologie: Das Wort „Gesundbeterei“ weise ich
ausdrücklich zurück. Ich bitte Sie, die Statistiken so zu be-
werten, wie man das erwarten kann. Wenn Sie von Umsatz-
einbußen im Großhandel reden, müssen Sie Folgendes
berücksichtigen. Wenn die Einfuhrpreise um 5 Prozent
sinken, dann ergibt sich bei konstantem Volumen schon
deswegen eine Umsatzeinbuße.
Dass sich in der Bauwirtschaft die Auftragslage nicht
rosig darstellt, ist mir bekannt. Das ist auf die viel zu lange
öffentliche Subventionierung des gesamten Bausektors
zurückzuführen, der sich in Ost- und Westdeutschland
jetzt gesundkonsolidiert. Dort gibt es übrigens auch die
höchsten Zahlen von Unternehmensschließungen bzw.
der Insolvenzen, Herr Kolb. Die niedrigste Zahl der In-
solvenzen gibt es bei den Handelsunternehmen.
Zurück zu Ihrem ersten Punkt: Mir ist bekannt, dass
seit September vergangenen Jahres der Einzelhandel
tatsächlich über schleppenden Umsatz klagt. Auch der
Januar ist entgegen den ersten Erwartungen – weil das
Weihnachtsgeschäft im Einzelhandel überraschend gut
verlief –, ein relativ schlechter Monat für den Einzel-
handel gewesen. Die Bürger konsumieren nur sehr
zögerlich. Die genauen Ursachen dafür müssen wir noch
analysieren. Ich kann Ihnen aber noch eine persönliche
Erklärung für den schlechten Januar geben: Es ist denk-
bar, dass die Bürger zunächst einmal eine etwas zöger-
liche Haltung gegenüber dem neuen Geld, dem Euro, an
den Tag gelegt haben. Aber das ändert, wie gesagt, nichts
daran, dass die Umsätze im Einzelhandel im Januar
schlecht waren.
Eine Zu-
satzfrage.
Herr Bundesminis-
ter, Sie räumen jetzt eine hausgemachte Nachfrage- und
Investitionsschwäche ein.
Wissen Sie nicht, dass sich die Ertragslage bei Umsatz-
rückgang und gleichzeitig erhöhten Personal- und fort-
laufenden Bürokratiekosten automatisch verschlechtert?
Können Sie mir angesichts dessen sagen, wie die Eigen-
kapitalausstattung, die notwendig ist, um Investitionen
voranzubringen, gestärkt werden soll? Tatsache ist doch,
dass die Eigenkapitalausstattung mit 4,9 Prozent beim
Handel und mit 2,9 Prozent in der Bauwirtschaft einen ab-
soluten Tiefstand erreicht hat.
Dr. Werner Müller, Bundesminister für Wirtschaft
und Technologie: Die Eigenkapitalausstattung des deut-
schen Mittelstandes ist auch im internationalen Vergleich
in der Tat nicht rosig. Deswegen ist er auf Fremdfinanzie-
rung angewiesen. Das war ein wesentlicher Grund, wa-
rum wir die übermäßige steuerliche Belastung, wie wir sie
Ende 1998 vorgefunden haben, zugunsten des Mittelstan-
des verändert haben. Die Steuerreform ermöglicht es dem
Mittelstand, mehr Eigenkapital zu bilden, wenn er – ich
betone das – das will.
Ich komme auf den Konsum zurück: Es ist ja nicht so,
Herr Michelbach, dass den Bürgerinnen und Bürgern das
Geld für den Konsum generell fehlt; denn korrespondie-
rend mit den niedrigen Konsumausgaben wächst die
Sparquote. Das belegt, dass die Bürger, die frei entschei-
den können, ob sie konsumieren oder sparen, zurzeit ei-
nen höheren Teil ihrer Einkommen auf die hohe Kante le-
gen. Ich bitte, das zur Kenntnis zu nehmen und nicht den
Eindruck zu erwecken, dass wir den Bürgerinnen und
Bürgern etwa durch erhöhte Steuern und Abgaben das
Geld aus der Tasche ziehen.
Nächster
Fragesteller ist der Kollege Rolf Kutzmutz, PDS-Fraktion.
Herr Minister, ich komme aufdie Mittelstandsfinanzierung zurück. Sie haben für denBund und die Förderinstitute erklärt, dass man weiterhinbereit sei, den Mittelstand finanziell zu unterstützen. Inden letzten Jahren war auffallend – das gilt auch jetzt –,dass der Flaschenhals bei dieser Förderung die Hausban-ken sind. Gibt es in Ihrem Haus Überlegungen, wie mandiesen Flaschenhals erweitern kann?Dr. Werner Müller, Bundesminister für Wirtschaftund Technologie: Herr Kutzmutz, wir müssen diesenFlaschenhals differenziert betrachten. Richtig ist, dass in-zwischen etwa 80 Prozent der originär von DtAund KfWausgelegten Kredite über Volksbanken und Sparkassenlaufen. Das heißt also, vor allem die Privatbanken sindder Flaschenhals. Man darf dabei aber nicht vergessen:Wir leben grundsätzlich in einem marktwirtschaftlichenSystem. Wenn die Privatbanken sagen würden – ich be-tone: würden –, dass die Kreditierung von kleinen undmittelständischen Betrieben, zum Beispiel das Auslegeneines Kredites von 100 000 Euro, auf Dauer zu teuer sei,weil man die Kosten nicht mehr hereinbekomme, unddass man deshalb diese Kundschaft zurückweise, dannmüssten wir versuchen, wirklich unkonventionell zu den-ken. Zum unkonventionellen Denken möchte ich nur dasStichwort „Direktvertrieb“ nennen, das heißt – um esetwas salopp zu formulieren –, man holt sich das Geldbei mir.
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 223. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 13. März 200222128
Eine Zu-
satzfrage.
Herr Minister, in diesem Jahr
sind zum ersten Mal 3 Millionen Euro in Ihrem Haushalt
für die Netzwerkmanagementförderung in Ostdeutsch-
land eingestellt. Obwohl das Jahr noch relativ jung ist,
möchte ich Sie fragen: Wurden schon Anträge gestellt, um
Geld in diesem Rahmen anzufordern?
Dr. Werner Müller, Bundesminister für Wirtschaft
und Technologie: Herr Kutzmutz, wir mussten das erst
programmatisch aufarbeiten. Wir haben erst vor zehn Ta-
gen dieses Programm mit einer kleinen Presseaktion ge-
startet.
Nächster
Fragesteller ist der Kollege Ernst Hinsken.
Herr Minister, im Vor-
feld der heutigen Kabinettsentscheidung haben Sie in den
letzten Tagen großen deutschen Tageszeitungen eine Bro-
schüre mit dem Titel „Zukunft Mittelstand – Mittelstands-
politik 2002“ beilegen lassen.
– Ich habe sie gelesen, deshalb frage ich. Mich interes-
siert, was die Herstellung und der Vertrieb dieser Bro-
schüre gekostet haben. Herr Minister, mir wäre lieber, Sie
würden etwas für den Mittelstand tun und nicht allein sol-
che Broschüren herausgeben.
Dr. Werner Müller, Bundesminister für Wirtschaft
und Technologie: Ich kann mir vorstellen, dass Ihnen das
lieber wäre. Aber Sie sind ja auch Opposition.
Sie müssen schon gestatten – das ist das gute Recht der
Bundesregierung –, dass wir auf unsere Politik hinwei-
sen, insbesondere wenn wir voller Überzeugung dahinter
stehen und sie für gut befinden. Die Mittelstandspolitik
meines Hauses ist eine gute Politik. Es freut mich, dass
die Aktion, die Sie gerade erwähnten, Sie erreicht hat.
Das zeigt, dass Sie die „FAZ“ lesen; denn wir haben sie
nur wenigen Tageszeitungen beigelegt. Die Aktion ist
insgesamt deutlich kostengünstiger, als wenn wir Anzei-
gen schalten würden, wobei der geringste Kostenblock
das Drucken dieser 1,3-Millionen-Auflage ist. Ich ver-
mute, dass die Aktion insgesamt etwa 200 000 Euro kos-
tet, auf den Pfennig genau kann ich es Ihnen nicht sagen.
Ich kenne die ungefähren Zahlen nur, weil eine Anfrage
Ihrer Fraktion vorliegt, die wir schriftlich beantworten
werden.
Eine Nach-
frage, Herr Hinsken.
Herr Minister, ichnehme das, was Sie zu den Kosten gesagt haben, gern zurKenntnis. Da ich diese Broschüre aufmerksam gelesenhabe, ist mir natürlich nicht entgangen, dass hier vielesschöngeschrieben wird und dass Sie zum Beispiel diesteuerliche Schlechterstellung der Personengesellschaf-ten, der tragenden Säule des Mittelstandes, gegenüber denKapitalgesellschaften ebenso wie verschiedene andereDinge nicht erwähnt haben.
Deshalb möchte ich fragen: Warum haben Sie nichts ge-gen die Einstellungshemmnisse getan, die wir in der Bun-desrepublik Deutschland haben, um den jungen Bürgern,die bereit sind, in die Selbstständigkeit zu gehen, Mut zumachen?
Warum sind Sie unter dem Motto „Bürokratieabbau“nicht eines der größten Hemmnisse angegangen und ha-ben das 630-DM-Gesetz, jetzt 325-Euro-Gesetz, abge-schafft?
Dr. Werner Müller, Bundesminister für Wirtschaftund Technologie: Herr Hinsken, Ihre erste Frage versteheich, ehrlich gesagt, nicht.
Sie können in der Mittelstandsbroschüre auch keinen Hin-weis darauf finden, dass Lebkuchen Sägemehl enthalten.Warum nicht? – Weil es falsch wäre. Wir schreiben in die-ser Broschüre doch nichts Falsches; wir schreiben in derBroschüre nur Richtiges. Deswegen brauchen wir indieser Broschüre Ihre völlig aus der Luft gegriffene Un-terstellung, dass die Kapitalgesellschaften bei der Steuer-reform besser behandelt würden als die Personengesell-schaften, auch nicht aufzugreifen.Von mir aus greifen wir sie einmal auf. Wir haben ge-rade festgestellt, dass die Personengesellschaften erb-schaftsteuerrechtlich wesentlich besser gestellt sind. Ichwiederhole noch einmal:Erstens. Es wäre ein Verbrechen am Mittelstand, wennIhre Forderung durchkäme, dass Kapital- und Personen-gesellschaften steuerlich gleichgestellt werden müssen.Das dürfen Sie dem Mittelstand nicht zumuten.Zweitens. Wenn Sie in Bezug auf den Mittelstand for-dern, die Besteuerung der Kapitalgesellschaften zu revi-dieren, müssen Sie immer bedenken: Die allermeistenKapitalgesellschaften, GmbHs gibt es im Mittelstand.Das heißt, ein großer Teil des Mittelstandes würde wiederschlechter gestellt.
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 223. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 13. März 2002 22129
Wenn Sie dann noch fordern, dass der Mittelstandso Steuern zu zahlen hätte wie die Personen- und Kapital-gesellschaften, dann würden Sie 98 Prozent aller Unter-nehmen in Deutschland steuerlich schlechter stellen. Einesolche Forderung würde wahrscheinlich nicht einmal un-ser Finanzminister aufstellen, der der einzige NutznießerIhrer Forderung wäre.
– Es ist keine Frechheit, was ich hier sage; ich sage hierTatsachen. Tatsachen sind nur für diejenigen Frechheiten,die Tatsachen nicht verkraften.
Inzwischen habe ich die genauen Zahlen, HerrHinsken: Grafik und Layout unserer Broschüre koste-ten 14 000 Euro, die Schalt- und Beilagekosten betru-gen 143 000 Euro und der Druck der 1,3 MillionenExemplare kostete 48 000 Euro. Das Ganze ist um weitmehr als die Hälfte billiger, als Anzeigen in den Orga-nen, denen wir die Broschüre beigelegt haben, gewesenwären.
Nächster
Fragesteller ist der Kollege Engelbert Wistuba, SPD-
Fraktion.
– Die Frage hat sich erledigt. – Dann hat der Kollege
Jürgen Koppelin, FDP-Fraktion, das Wort.
Herr Minister, Sie haben be-
richtet, dass Sie dem Kabinett heute den Mittelstandsbe-
richt vorgelegt haben. Damit man sieht, welchen Stellen-
wert der Mittelstand im Kabinett hat, möchte ich erfahren,
wie lange die Diskussion über diesen Bericht gedauert
hat.
Ich frage Sie weiter, ob die schlechte Politik, die die
Bundesregierung für den Mittelstand macht, auch eine
Rolle gespielt hat. Diese Politik kommt nicht unbedingt
aus Ihrem Hause – ich will es einmal bei dem bewenden
lassen, was Sie von Ihrer guten Politik sagten –; die gute
Politik wird von der schlechten Politik des Arbeitsminis-
ters Riester – Kündigungsschutz, Betriebsverfassungs-
gesetz, Teilzeitgesetz usw. – überlagert.
– Ich habe nicht Sie gefragt, sondern den Minister. Sie
sollten besser zuhören, damit er Ihnen erklären kann, was
beim Mittelstand los ist. Ihr Problem ist ja, dass Sie über-
haupt nicht wissen, was beim Mittelstand los ist.
Herr Minister, alle diese Gesetze spielen für den Mittel-
stand eine entscheidende Rolle. Das werden Sie bei der
Tagung in Ihrem Hause ja auch von den Mittelständlern
gehört haben. Ist das diskutiert worden, als Sie den Be-
richt vorgelegt haben?
Dr. Werner Müller, Bundesminister für Wirtschaft
und Technologie: Über die Arbeitsmarktpolitik des Kolle-
gen Riester – –
– Darf ich fortfahren?
– Gut. Sie suchen da offenbar jemanden.
Über die Arbeitsmarktpolitik des Kollegen Riester ist
heute im Kabinett nicht diskutiert worden. Das lag unter
anderem vielleicht auch daran, dass ich etwas längere
Ausführungen zu dem Mittelstandsbericht gemacht habe
und zusätzlich noch das ERP-Wirtschaftsplangesetz im
Kabinett verabschiedet worden ist. Beides zusammen ist
ausgiebig erörtert worden.
Ich weise immer wieder auf Folgendes hin: Wir haben
auch andere Reformen zum Arbeitsmarkt realisiert. Die
frühere Bundesregierung hatte veranlasst, dass man in
Deutschland nicht mehr befristet einstellen kann. Diese
Bundesregierung hat die Möglichkeit, ohne Angabe von
Gründen befristet einzustellen, neu geschaffen.
– Natürlich! Ihr Gesetz war bis Ende des Jahres 2000 be-
fristet. Es musste also ein neues Gesetz geschaffen wer-
den. Dieses ist auch wesentlich flexibler, etwa in der Hin-
sicht, dass die Zeitdauer der Befristung zwischen den
Sozialpartnern vereinbart werden kann. Ich erwähne das
deswegen, weil aus meiner Sicht von der Möglichkeit, be-
fristet einzustellen – insbesondere zum Nachteil älterer
Arbeitnehmer –, viel zu wenig Gebrauch gemacht wird.
Mit Blick
auf den vorgegebenen Zeitrahmen kann ich nur noch zwei
Fragesteller aufrufen, den Kollegen Hartmut Schauerte
und den Kollegen Rainer Wend.
Herr Minister, wirführen diese Debatte, um dem Mittelstand zu helfen, vorallem aber, um die Arbeitslosigkeit zu bekämpfen. Zwi-
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 223. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 13. März 2002
Bundesminister Dr. Werner Müller22130
schen Mittelstand und Arbeitslosigkeit besteht nämlichein klarer Zusammenhang. Der Gründungsboom ist leidervorbei. Die Selbstständigenquote ist rückläufig. Das Wirt-schaftswachstum ist gleichfalls rückläufig. Wir könnendas auch verifizieren.
– Das gehört zur Frage! – Gucken wir uns einmal die Si-tuation in den Ländern an! Baden-Württemberg hat einWirtschaftswachstum von 1,3 Prozent und eine hohe Mit-telstandsquote. Nordrhein-Westfalen hat eine geringeMittelstandsquote und ein Wachstum von nur 0,1 Prozent.Klar erkennbar ist also: je weniger Mittelstand, desto we-niger Wirtschaftswachstum und desto weniger Ar-beitsplätze.Warum organisieren Sie die Steuerreform dann so, dassdie Großkonzerne die Vorteile ab sofort erhalten,
der Mittelstand den eigentlichen Vorteil – was immer auchzwischendurch an kleinen Schritten passiert – aber erst imJahr 2005 erhält? Meinen Sie nicht, dass das der wirt-schaftlichen Entwicklung abträglich ist?Dr. Werner Müller, Bundesminister für Wirtschaftund Technologie: Herr Schauerte, ich darf Sie zunächstdarauf hinweisen, dass die überwiegende Zahl der Kapi-talgesellschaften zum Mittelstand gehört. Sie müsstenalso korrekt fragen: Warum gibt es für den einen Teil desMittelstandes, wie Sie formulieren, Steuervorteile sofortund für den anderen Teil erst später?Ferner ist die Gewerbesteuerbelastung der Personen-gesellschaften ab sofort quasi entfallen.
– Das ist kein Witz!
– Es kann sein, dass Sie verwechseln, wer wann an der Re-gierung war. Der Höchststeuersatz ist von 1982 an immerwieder angehoben worden.
Bleiben wir bei dem Thema Gewerbesteuerbelastung:Erstens. Die Gewerbesteuerbelastung entfällt quasi ab so-fort. Zweitens. Senkungen des Eingangs– und Spitzen-steuersatzes pro rata sind schon vorgenommen worden,weitere sind bis 2005 gesetzlich vereinbart. Eine steuer-liche Schlechterstellung ergibt sich zurzeit bei zu ver-steuernden Einkommen in einer Größenordnung vonetwa 200 000 Euro aufwärts. Das betrifft wenige, aberdoch einige. Wie gesagt, dieser Zustand verebbt bis zumJahre 2005 weitgehend.
Herr
Schauerte, ich kann leider keine Zusatzfrage mehr zulas-
sen.
Der Kollege Rainer Wend ist der letzte Fragesteller.
Herr Minister, Sie haben denVorwurf, dass Kleinunternehmen und der Mittelstand imBereich der Steuerpolitik benachteiligt werden, ein-drucksvoll widerlegt.
Ein weiterer Vorwurf gegenüber der Bundesregierunglautet, dass es zu einer Überregulierung der Regelungenkommt, die unsere Wirtschaft betreffen. Könnten Sie mirerläutern, was die Bundesregierung in den letzten drei-einhalb Jahren unternommen hat, um Bürokratisierungenim Wirtschaftsleben abzubauen?Dr. Werner Müller, Bundesminister für Wirtschaftund Technologie: Der Abbau von Bürokratie ist aus mei-ner Sicht eine der großen Notwendigkeiten. Ich darf Ih-nen sagen, dass die Erfolge, die diese Bundesregierungerzielt hat, aus meiner Sicht zwar etwas größer als diefrüherer Jahre, aber für den Mittelstand nicht ausreichendsind.Eine der wichtigsten Änderungen, die wir geplant ha-ben und von nun an auf rechtlicher Basis versuchsweisedurchführen werden, ist die Einführung einer einheitlichenBetriebsnummer. Dadurch wird das ganze Meldewesen– insbesondere nach seiner Digitalisierung, was eine er-hebliche Vereinfachung mit sich bringt – für die Betriebevom Ansatz her zentraler und einheitlicher geregelt.Ich will Sie auf Folgendes hinweisen: Vonseiten derBundesregierung haben wir die Initiative, die Altbundes-kanzler Schmidt in einem Artikel in der „Zeit“ vom 4. Ok-tober letzten Jahres angestoßen hat, aufgegriffen: Erschlug vor, dass die ostdeutschen Länderparlamente dasRecht erhalten sollen, in ihrem Bundesland, falls durchMehrheit beschlossen, gewisse Regelwerke – wenn Sie sowollen: Bürokratiewerke – außer Kraft zu setzen. Das istetwas, was der Kanzlerkandidat der CDU/CSU dieserTage aufgegriffen hat.Diese Fragestellung ist im Rahmen der Konferenz derWirtschaftsminister der Länder und der Konferenz derMinisterpräsidenten kurz erörtert worden. Es scheint sozu sein – diese Erkenntnis basiert auf einem Rechtsgut-achten der Staatskanzlei Sachsen –, dass der aus meinerSicht sehr intelligent entworfene Ansatz zum Abbau derBürokratie von Herrn Schmidt verfassungsrechtlich nichthaltbar ist. Er würde umfangreiche Änderungen desGrundgesetzes voraussetzen. Deswegen ist er im erstenAnlauf leider nicht machbar.
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Hartmut Schauerte22131
Herr Bun-
desminister, ich danke Ihnen. Damit ist die Regierungs-
befragung beendet.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 2 auf:
Fragestunde
– Drucksache 14/8460 –
Ich rufe zunächst den Geschäftsbereich des Bundesmi-
nisteriums für Gesundheit auf. Zur Beantwortung steht
die Parlamentarische Staatssekretärin Gudrun Schaich-
Walch zur Verfügung.
Die Frage 1 stellt der Kollege Dr. Ilja Seifert:
Wann und mit welchem Wortlaut setzte die Bundesregierung
die Zusage des Staatssekretärs im Bundesministerium für
Gesundheit, Dr. Klaus Theo Schröder, vom 21. Februar 2002 um,
Widerspruch einzulegen gegen die restriktive Entscheidung des
Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen vom
26. Februar 2002 zur Abgabe von Sondennahrung, zum Beispiel
an Menschen mit apallischem Syndrom , die künst-
lich ernährt werden müssen?
G
Herr Kollege, am
20. Februar 2002 führte Staatssekretär Dr. Klaus Theo
Schröder ein Gespräch mit Vertretern des Vereins Schädel-
Hirnpatienten in Not, in dem diese ihm ihre Befürchtungen
erläuterten, dass es bei Wirksamwerden der Neuregelung
des Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen zur
Verordnungsfähigkeit von Ernährungstherapeutika zu
medizinisch nicht gerechtfertigten Leistungseinschrän-
kungen komme. Staatssekretär Dr. Klaus Theo Schröder
hat zugesagt, dass das Bundesministerium für Gesundheit,
sobald der Beschluss des Bundesausschusses vorliegt, in
der vorgegebenen Beanstandungsfrist – diese beträgt zwei
Monate – sehr genau prüfen wird, ob sich der Bundesaus-
schuss bei seiner Neuregelung an den gesetzlichen Er-
mächtigungsrahmen gehalten hat, das heißt, ob berück-
sichtigt wurde, dass das medizinisch Notwendige auch
diesem Patientenkreis zur Verfügung steht.
Möchten Sie
eine Zusatzfrage stellen?
Ja, gern, Herr Präsident. – Frau
Staatssekretärin, nun ist ja diese Prüfzeit noch nicht abge-
laufen; das haben Sie gesagt. Unabhängig davon – das
wissen Sie so gut wie ich – steht fest, dass die betroffenen
Patientinnen und Patienten sich nicht wehren können und
deren Angehörige dadurch sehr verunsichert sind, dass
zum Beispiel Wachkomapatientinnen und -patienten in
Zukunft möglicherweise keine Sondennahrung mehr be-
kommen oder bestimmte Dinge wie Ballaststoffe zur De-
cubitus-Prophylaxe usw. nicht mehr verordnet werden
können. Die Angst ist doch sehr groß. Kann denn die Bun-
desregierung nicht schneller als erst in acht Wochen etwas
tun, um die Befürchtungen dieser Menschen, die sich ja
nun wirklich in größter Not befinden, zu zerstreuen?
G
Die Bundesregie-
rung befindet sich im Augenblick in der Situation, dass ihr
der Beschluss des Bundesausschusses noch nicht zu-
gestellt worden ist. Sie muss, wie gesagt, nach Zustellung
über den Beschluss des Bundesausschusses innerhalb von
acht Wochen entscheiden. Wir werden einer gründlichen
Überprüfung dieser neuen Vorgaben des Bundesaus-
schusses der Ärzte und Krankenkassen den Vorzug vor ei-
ner sehr schnellen Entscheidung geben. Ich kann Ihnen
aber versichern: Wir werden darauf achten – das belegen
nicht nur das Gespräch des Staatssekretärs, sondern auch
Gespräche, die die Ministerin und auch ich geführt haben –,
dass den Patientinnen und Patienten das, was als notwen-
dig erachtet wird, nicht vorenthalten wird. Dazu werden
wir auch die entsprechenden Leitlinien überprüfen. Das
haben wir den Patientinnen und Patienten zugesichert.
Zweite Zu-
satzfrage.
Frau Staatssekretärin, für diese
Zusicherung danke ich Ihnen erst einmal. Es ist wichtig,
dass Unsicherheit beseitigt wird. Das ändert aber nichts an
der schwierigen Situation, dass die Spitzenverbände der
Freien Wohlfahrtspflege und die privaten Pflegeverbände
zurzeit keine Verhandlungen mit dem Bundesausschuss
führen, weil man nicht miteinander reden kann, wenn die
Bedenken der einen Seite überhaupt nicht berücksichtigt
werden. Das Verhalten des Bundesausschusses ist ja et-
was problematisch.
G
Auch wir haben mit
dem Vorsitzenden des Bundesausschusses und seinen
Vertretern Gespräche geführt und dabei noch einmal auf
die Notwendigkeit der Versorgung dieser Patientinnen
und Patienten hingewiesen. Wir haben das Gespräch auch
auf die Versorgung von Säuglingen ausgedehnt, die nor-
male Milchnahrung nicht vertragen, und darauf gedrängt,
auch dafür die Kosten zu übernehmen. Wir haben Signale,
dass der Bundesausschuss die Anregungen des Ministeri-
ums aufgenommen hat.
Der Bundesausschuss ist per Gesetz verpflichtet, in ei-
nem gesetzlich geregelten Anhörungsverfahren Sachver-
ständige und Betroffene anzuhören. Ob dies auch gesche-
hen ist, wird Bestandteil der Überprüfung sein. Nur vor
diesem Hintergrund könnte überhaupt eine Genehmigung
erfolgen.
Ich rufe die
Frage 2 des Kollegen Dr. Seifert auf:
Wie bewertet die Bundesregierung die Tatsache, dass der BÄK
in dieser Weise die jahrelangen Erfahrungen und begründeten
Forderungen der Angehörigen-Organisationen von Wachkoma-
patienten unberücksichtigt lässt, und welche Maßnahmen will sie
ergreifen, um einer Verschlechterung der gesundheitlichen Ver-
sorgung dieses Patientenkreises durch die am 26. Februar 2002 er-
folgte Konkretisierung des gesetzlichen Leistungsanspruchs auf
Krankenkost nach § 31 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch
in den Arzneimittel-Richtlinien entgegenzuwirken?
G
Der Bundesaus-
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 223. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 13. März 200222132
schuss der Ärzte und Krankenkassen hat bei der Erarbei-tung der Neuregelung sowohl die Stellungnahmen dernach § 92 SGB V anhörungsberechtigten Organisationen– darauf habe ich schon verwiesen – als auch von anderenInstitutionen übermittelte Stellungnahmen in seine Ent-scheidungsfindung einzubeziehen. Das Bundesministe-rium für Gesundheit wird im Rahmen seiner Prüfung derNeuregelung nach § 94 SGB V dafür Sorge tragen, dassalle Versicherten und insbesondere Wachkomapatientenauch künftig medizinisch indizierte Ernährungstherapeu-tika auf Kosten der gesetzlichen Krankenversicherung er-halten.
Für die letzte Aussage können
die Patientinnen und Patienten nur dankbar sein. Aller-
dings habe ich in Erinnerung, dass der Bundesausschuss
seine Entscheidung wesentlich restriktiver gefällt hat und
Sondennahrung und andere erforderliche Zusatznah-
rungsmittel nur in wenigen Ausnahmen – was dann immer
mit besonderen Schwierigkeiten versehen ist – bewilligen
will. Diesen Widerspruch zu Ihrer Aussage müssten Sie
mir einmal erläutern.
G
Ich habe gerade
von unserer politischen Zielsetzung gesprochen, die sich
auch nach dem SGB V ergibt. In diesem Rahmen hat der
Bundesausschuss zu entscheiden. Wie ich vorhin schon
ausgeführt habe, ist uns die Stellungnahme des Bundes-
ausschusses noch nicht zugeleitet worden und nicht be-
kannt. Bekannt sind uns bisher Teile aus Diskussionen
und aus vorbereitenden Protokollen, auf deren Grundlage
es, wie ich ebenfalls schon ausgeführt habe, Gespräche
gegeben hat. Wir wissen, zum Beispiel in Bezug auf die
Ernährung für Säuglinge, dass Anregungen aus den Dis-
kussionen aufgenommen worden sind.
Wie schon gesagt, müssen künftig medizinisch indi-
zierte Ernährungstherapeutika auf Kosten der Kranken-
versicherung zur Verfügung stehen. Wir prüfen das. Wenn
das nicht der Fall ist, werden wir diese Richtlinie nicht
genehmigen.
Frau Staatssekretärin, wären
Sie, da es offensichtlich verschiedene Wissensstände gibt
– es kann ja sein, dass das, was mir vorliegt, nicht der
letzte Stand ist –, so freundlich, mir oder vielleicht auch
allen anderen interessierten Kolleginnen und Kollegen
des Parlamentes den Beschluss des Bundesausschusses
zuzuleiten, sobald er Ihnen zugeleitet worden ist?
G
Sobald wir diesen
Beschluss zugeleitet bekommen haben, wird das ge-
schehen. Wir werden dann mit Sicherheit auch im Ge-
sundheitsausschuss darüber diskutieren.
Es gibt
keine weiteren Zusatzfragen. Ich danke Ihnen, Frau Par-
lamentarische Staatssekretärin.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministeriums
für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen auf. Die Fra-
gen werden durch den Parlamentarischen Staatssekretär
Stephan Hilsberg beantwortet.
Ich rufe die Frage 3 des Kollegen Hans Michelbach
auf:
Welche Verkehrsinfrastrukturmaßnahmen plant die Bundes-
regierung für die Region Oberfranken?1)
S
Herr
Michelbach, im vordringlichen Bedarf des Bedarfsplans
Schiene sind die Region Oberfranken betreffend das
Verkehrsprojekt „Deutsche Einheit“ Nr. 8.1, Nürnberg–
Erfurt, die Ausbaustrecke Nürnberg–Leipzig/Dresden,
Franken-Sachsen-Magistrale, und das länderübergrei-
fende Projekt Ausbaustrecke Nürnberg–Grenze Deutsch-
land/Tschechien, Richtung Prag, enthalten.
Im Bundesverkehrswegeplan 1992 und im Bedarfsplan
für die Bundesfernstraßen sind für Oberfranken 73 vor-
dringliche Maßnahmen vorgesehen. 43 Neu- oder Aus-
baumaßnahmen von Bundesautobahnen und Bundesfern-
straßen konnten bisher in Verkehr genommen werden. Für
die übrigen Maßnahmen des vordringlichen Bedarfs be-
steht weiterhin ein uneingeschränkter Planungsauftrag.
Derzeit laufen in Oberfranken auf der Grundlage der
von der Bundesregierung beschlossenen Programme
– das sind das Investitionsprogramm 1999 bis 2002 und
das Zukunftsinvestitionsprogramm 2001 bis 2003 – Bau-
arbeiten bei folgenden Projekten: Bundesautobahn A 73:
Herbartswind – Landesgrenze Thüringen/Bayern – bis
Coburg – Bundesstraße B 4 –; Bundesstraße B 4: Verle-
gung nördlich Coburg; Bundesstraße B 89: Ortsum-
gehung Burggrub – im Zukunftsinvestitionsprogramm
enthalten –; Bundesstraße B 173: Ortsumgehung Wallen-
fels; Bundesstraße B 303: Verlegung Sonnefeld–Johan-
nisthal, das ist die Ortsumgehung Sonnefeld.
Bis 2003 ist der Baubeginn bei folgenden Maßnahmen
vorgesehen: Bundesautobahn A 9: Anschlussstelle Bay-
reuth-Nord Richtung Sophienberg; Bundesstraße B 173:
Lichtenfels–Zettlitz – das ist die Ortsumgehung Trieb und
Hochstadt, im Zukunftsinvestitionsprogramm enthalten;
gegenwärtig ist allerdings eine Klage anhängig –; Bun-
desstraße B 2: Ortsumgehung Zedtwitz. Außerdem ist im
Rahmen der Bundesstraße B 22 der Baubeginn der Orts-
umgehung Aichig vorgesehen.
Eine Zu-
satzfrage des Kollegen Michelbach.
Herr Staatssekretär,Sie haben die Maßnahmen im Einzelnen dargestellt. SindSie bemüht, noch vor der Bundestagswahl den Bundes-verkehrswegeplan fortzuschreiben, und welches Finanz-volumen wird im Bundesverkehrswegeplan in Bezug aufdiese wichtigen Infrastrukturmaßnahmen in Oberfrankenzur Verfügung gestellt?
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 223. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 13. März 2002
Parl. Staatssekretärin Gudrun Schaich-Walch22133
1) siehe hierzu auch Frage 7S
Diese
Frage steht nicht im Zusammenhang mit Ihrer schriftlich
eingereichten Frage.
Herr
Michelbach, Sie haben noch eine zweite Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär,
Sie haben jetzt Maßnahmen bezüglich Oberfranken dar-
gestellt. Der Bundeskanzler hat in diesem Zusammen-
hang auf einer SPD-Veranstaltung das Thema einer ICE-
Trasse in den Raum geworfen. Aber wir wissen
natürlich: Gebaut wird nur das, was im Rahmen der Fort-
schreibung des Bundesverkehrswegeplanes gesetzlich
festgelegt worden ist. Sind Sie bereit, hier eine Aussage
dahin gehend zu treffen, wann und mit welchem Finanz-
volumen der Bundesverkehrswegeplan fortgeschrieben
wird?
S
Sehr
geehrter Herr Michelbach, wir haben hier bereits des Öf-
teren über die Fortschreibung des neuen Bundesverkehrs-
wegeplanes diskutiert. Darüber gibt es Aussagen, auf die
ich verweise. Ich lasse Ihnen das alles gern noch einmal
schriftlich zukommen, auch bezogen darauf, was das für
die Region Oberfranken bedeutet.
Wir haben eine ausreichende Finanzierungsvorsorge
getroffen. Jüngst hat das Kabinett ein Investitions-
programm in Höhe von 90 Milliarden Euro für neue Ver-
kehrswegeprojekte vorgestellt. Es beinhaltet 300 neue
Ortsumgehungen, neue Ost-West-Verbindungen – der
Schwerpunkt liegt dabei in Ostdeutschland – und den
Ausbau von Autobahnen in einer Größenordnung von
1 100 Kilometern. Selbstverständlich wird die Region
Oberfranken in diesem Programm ausreichend berück-
sichtigt.
Eine Zu-
satzfrage des Kollegen Hartmut Koschyk.
Herr Staatssekretär,
ist die Finanzierung des jetzt vom Bundeskanzler an-
gekündigten Weiterbaus der ICE-Strecke Nürnberg–
Coburg–Erfurt nicht nur kurzfristig gesichert, sondern
auch in der mittelfristigen Finanzplanung enthalten?
S
Sie ist
durch das vom Kabinett beschlossene 90-Milliarden-In-
vestitionsprogramm gesichert.
Ich rufe die
Frage 4 des Kollegen Peter Weiß auf:
Wird der Bundeskanzler, Gerhard Schröder, beim Europä-
ischen Gipfel am 15./16. März 2002 dem französischen Staats-
präsidenten Jacques Chirac konkrete Zusagen hinsichtlich der von
deutscher Seite zu erbringenden Leistungen für eine schnellere
Realisierung der TGV-Verbindung über Straßburg/Kehl machen
können, nachdem der französische Staatspräsident angekündigt
S
Sehr ge-
ehrter Herr Weiß – wir treffen uns hier immer wieder we-
gen dieses Themas –, die Bundesregierung will den
kurzen deutschen Anteil von Kehl nach Appenweier
am Südast der Schnellbahnverbindung Paris–Ostfrank-
reich–Südwestdeutschland zeitgleich mit der Fertigstel-
lung der Neubaustrecke in Frankreich, also bis Straßburg,
realisieren. Die Bundesregierung wird sich bei ihren
Entscheidungen an den Terminen orientieren, die von der
französischen Seite für die Fertigstellung des Strecken-
anteils in Frankreich benannt wurden.
Eine Zu-
satzfrage.
Herr
Staatssekretär, da ja nun bekannterweise ein offenkun-
diger Streitpunkt zwischen der Bundesrepublik Deutsch-
land und Frankreich ist, ob bereits mit der Realisierung
des ersten Bauabschnitts für den TGV Est Européen eine
Beschleunigung der Verbindungen über Straßburg/Kehl
nach Appenweier realisiert werden kann, möchte ich Sie
fragen: Wird der Bundeskanzler – wenn er dieses Thema
auf dem Gipfeltreffen in Barcelona ansprechen sollte –
dem französischen Staatspräsidenten dazu Neues mit-
teilen können oder bleibt es bei der Aussage der Bun-
desregierung, dass sie sich in keinerlei Verpflichtung
sieht, bis zum Jahr 2006 irgendetwas zur Beschleunigung
einer möglichen TGV-Verbindung über Straßburg/Kehl
nach Appenweier vorzunehmen?
S
Sehr ge-
ehrter Herr Weiß, unsere Position als Vorbereitung für das
Gipfeltreffen am 15./16. März 2002 habe ich Ihnen in
meiner gerade gegebenen Antwort auf Ihre schriftlich ein-
gereichte Frage dargestellt.
Zweite Zu-
satzfrage.
HerrStaatssekretär, da in den Antworten der Bundesregierungwie der Deutschen Bahn AG zu diesem Sachverhalt im-mer nur davon die Rede ist, dass es Verhandlungen zwi-schen der Bundesregierung und der französischen Regie-rung sowie zwischen der Deutschen Bahn AG und derSNCF über die Realisierung einer schnellen Verbindungdes TGV über Straßburg/Kehl nach Deutschland gebe,möchte ich Sie fragen: Was ist Inhalt dieser Verhandlun-gen und welches Ziel wird damit angestrebt, wenn Siesonst immer nur davon sprechen, dass bis zum Jahre 2006auf deutscher Seite auf keinen Fall etwas passiert?
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 223. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 13. März 200222134
S
Herr
Weiß, ich kann nur wiederholen, was ich bereits gesagt
habe: Die Strecke von Kehl nach Appenweier – das ist der
deutsche Beitrag – ist mit 14 Kilometern sehr kurz. Diese
Strecke zu realisieren hat für uns nur unter der Bedingung
Sinn, dass sie Teil einer Gesamtstrecke wird. Daher
kommt eine vorzeitige Realisierung dieses Teilstücks für
uns nicht infrage.
Es liegt in unserem Interesse, die Strecke so frühzeitig
wie möglich, aber auch mit dem notwendigen verkehrs-
wirtschaftlichen Nutzen in Betrieb zu nehmen. Deshalb
werden wir Sorge dafür tragen, dass sie zeitgleich mit dem
französischen Streckenteil in Betrieb gehen kann.
Es gibt
keine weiteren Fragen. Ich danke Ihnen, Herr Staats-
sekretär.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesminis-
teriums für Bildung und Forschung. Zur Beantwortung
steht der Parlamentarische Staatssekretär Wolf-Michael
Catenhusen zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 5 des Abgeordneten Werner Lensing
auf:
Welche Kosten hat das Anmieten und welche Kosten hat das
Betreiben der beiden räumlich getrennten Messestände 129 sowie
202/203 verursacht, die bei der Fachmesse für Bildungs- und
angemietet wurden?
W
Lieber
Herr Kollege Lensing, auf Ihre Frage möchte ich Ihnen
antworten: Für den Messestand des Bundesministeriums
für Bildung und Forschung mit einer Größe von 120 Qua-
dratmetern sind anlässlich der Learntec 2002 Gesamt-
kosten von 63 770,03 Euro entstanden. Die Kosten für
den Messestand zur Präsentation des Förderprogramms
„Neue Medien in der Bildung – Hochschulbereich“ und
der in diesem Kontext vom BMBF geförderten Projekte
betrugen 62 735,25 Euro. Der Messestand war im
Messekatalog als Stand des Bundesministeriums für Bil-
dung und Forschung eingetragen. Beim Messestand für
das Förderprogramm „Neue Medien in der Bildung –
Hochschulbereich“ waren alle Unteraussteller einzeln im
Messekatalog aufgeführt.
Herr Staatssekretär
Catenhusen, ist meine Wahrnehmung richtig, dass Ihre
Auskunft impliziert, man hatte in Ihrem Ministerium von
vornherein die Idee, zwei getrennte Stände unter den Kri-
terien, die Sie gerade erläutert haben, aufzubauen?
W
Die
Entscheidungen wurden nacheinander gefällt. Für uns ist
klar, dass wir wie in diesem Jahr auch in den kommenden
Jahren einenMessestand des Bundesministeriums für Bil-
dung und Forschung auf der Learntec, einer der zentralen
Messen für Lernen in Deutschland, aufbauen. Es hat sich
im Kontext unseres Förderprogramms „Neue Medien in
der Bildung – Hochschulbereich“ die Idee für eine zusätz-
liche Präsentation unseres Hauses auf der Messe ergeben.
Kann ich daraus
schlussfolgern, Herr Catenhusen, dass die Denkprozesse
in Ihrem Hause zwar nacheinander ablaufen – das ver-
stehe ich sehr wohl –, aber dass es unter dem Aspekt des
auch von Ihrem Hause geförderten lebenslangen Lernens
schwierig war, diese Prozesse zu koordinieren?
W
Das
können Sie nicht daraus schließen.
Aber Sie haben Recht: Politik ist ein Prozess, der immer
für Anregungen offen sein sollte. Wir haben von den Be-
suchern dieser Stände keine Klagen darüber gehört, dass
es an zwei Ständen auf der Learntec möglich war, über die
Politik der Bundesregierung informiert zu werden.
Ich rufe die
Frage 6 des Abgeordneten Werner Lensing auf:
Welche Kosten wären für das Anmieten und welche Kosten
wären für das Betreiben eines gemeinsamen Messestandes ent-
standen?
W
Bei
Messeständen in einer solchen Größenordnung – beide
Messestände hatten eine Größe von 120 Quadratmetern –
ist die Preisdifferenz zwischen Bauen und Betreiben von
einem oder zwei Messeständen marginal unterschiedlich,
da sich während der gesamten Zeit etwa 100 Betreue-
rinnen und Betreuer zur individuellen Beratung von In-
teressierten vor Ort an den beiden Messeständen befan-
den. Messebauer berechnen üblicherweise die Kosten
eines Messestandes nach der Formel Quadratmeter mal
Kostensatz pro Quadratmeter.
Der Kostensatz ist nur von der Qualität des Messebau-
ers abhängig.
Inhaltlich kann ein zweiter Stand natürlich Sinn ma-
chen, wenn es um die Präsentation eines speziellen För-
derprogramms – in diesem Falle des Programms „Neue
Medien in der Bildung – Hochschulbereich“ – geht und
ein größerer Personenkreis damit erreicht werden kann.
Sie wissen, dass viele zufällig auf Messestände stoßen.
Die Präsentation war so ausgelegt, dass auch ein Forum
integriert werden musste.
Da mir, Herr Staats-sekretär Catenhusen, die von Ihnen vorgetragenen Be-rechnungen auch schon im Vorfeld meiner Frage klar wa-ren, werden Sie sehr wahrscheinlich Verständnis für
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 223. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 13. März 2002 22135
meine Frage haben, ob eine rechtzeitige Evaluation auchunter dem Aspekt erhoffter Synergieeffekte zu einer deut-lichen Minderung der Kosten hätte führen können.Wolf–Michael Catenhusen, Parl. Staatssekretär bei
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das
können Sie meiner Antwort nicht entnehmen. Wenn Sie
sich vorher schon über die Kosten informiert haben – –
– Wenn Sie sich schon über die Berechnungen informiert
haben, wundere ich mich natürlich noch etwas mehr über
Ihre Frage.
Im Kern, Herr Kollege Lensing, kommt es darauf an,
ob es dann, wenn man auf einer Messe zwei Stände an
verschiedenen Ecken und nicht nebeneinander aufbaut,
möglich ist, Beratungspersonal einzusparen. Da der eine
Stand allgemein über die Breite der Förderpolitik des
BMBF informierte, der andere Stand aber den Auftrag-
nehmern des BMBF ermöglichte, ihre Projekte darzu-
stellen, wäre der Personaleinsatz logischerweise auch
durch ein Nebeneinander der beiden Stände nur unwe-
sentlich beeinflusst worden. Wir hätten die Unterauf-
tragnehmer nicht dazu animieren können, das gesamte
Förderprogram des BMBF auf dem Ministeriumsstand
darzustellen.
Lieber Kollege Lensing, damit habe ich, wie ich
glaube, sehr präzise Antworten gegeben.
Um die Regierung
nicht in zusätzliche unnötige Schwierigkeiten zu bringen
und aufgrund Ihrer freundlichen Ansprache verzichte ich
auf eine weitere Frage.
Ich danke
dem Kollegen Lensing und dem Parlamentarischen
Staatssekretär.
Ich rufe nunmehr den Geschäftsbereich des Bundes-
ministeriums für Wirtschaft und Technologie auf.
Wir kommen zur Frage 7 des Kollegen Michelbach,
zur Gefahr der Wettbewerbsverzerrung aufgrund der
EU-Osterweiterung:
Sieht die Bundesregierung die Gefahr der Wettbewerbsverzer-
rung aufgrund der EU-Osterweiterung, und wenn ja, welche För-
dermaßnahmen plant die Bundesregierung für Oberfranken?
Diese Frage wird von der Parlamentarischen Staatssekre-
tärin Margareta Wolf beantwortet.
M
Lieber Herr Kol-
lege Michelbach, ich beantworte Ihre Frage wie folgt: Die
Bundesregierung sieht in der EU-Osterweiterung vor al-
len Dingen eine große politische, aber auch eine große
wirtschaftliche Chance. Von einem größeren EU-Binnen-
markt – das besagen alle Studien – werden in der Regel
gerade die wettbewerbsfähigen Unternehmen in Deutsch-
land profitieren. Allerdings muss eine beitrittbedingte Be-
lastung der Arbeitsmärkte vermieden werden. Deshalb hat
sich die Bundesregierung – das werden Sie verfolgt ha-
ben – für begrenzte flexible Übergangsregelungen im Be-
reich der Arbeitnehmerfreizügigkeit, aber auch des
Dienstleistungssektors eingesetzt, um wirtschaftliche und
soziale Auswirkungen im Zusammenhang mit der Ost-
erweiterung abzufedern. Die Regelungen für den
Dienstleistungssektor beziehen sich, wie Sie wissen,
hauptsächlich auf die Bauwirtschaft und den sensiblen
Handwerksbereich.
Selbstverständlich sehen wir auch die besondere Situa-
tion der Grenzregionen. Aufgrund unserer Initiative hat die
Europäische Kommission ein Programm zur Festigung der
wirtschaftlichen Wettbewerbsfähigkeit der Grenzregionen
vorgeschlagen. Gegenwärtig erfolgt die Konkretisierung
der so genannten Gemeinschaftsaktion für Grenzregionen.
Im Rahmen von „Interreg III A“ kann Oberfranken För-
dermittel aus dem bayerisch-tschechischen Programm er-
halten, in dem EU-Fördermittel in Höhe von 63,8 Milli-
onen Euro für den Zeitraum von 2000 bis 2006 zur
Verfügung stehen. Die Durchführung des Programms ob-
liegt aber, wie gesagt, dem Land Bayern, das seinerseits
die entsprechenden regionalen Förderschwerpunkte setzt.
Zusatzfrage.
Frau Staatssekretä-
rin, Sie sprechen einzelne bescheidene Förderinstrumente
an. Der Bundeskanzler hatte aber Ende 2000 in Weiden in
der Oberpfalz angekündigt, das Spektrum strukturpoli-
tischer Förderinstrumente insgesamt zu nutzen und für
eine vernünftige Förderkulisse mittels eines Grenzregio-
nenprogramms des Bundes und der Länder zu sorgen.
Warum ist bis heute nicht mehr als eine glatte Null dabei
herausgekommen, zumal die entsprechenden EU-Länder
in wenigen Monaten grünes Licht für den Beitritt bekom-
men sollen?
M
Sehr geehrterKollege Michelbach, zum einen wird der Abschluss derVerhandlungen mit den potenziellen Beitrittsstaaten imJahre 2004 erwartet. Zum anderen bin ich nicht der Mei-nung, dass das von Ihnen angesprochene Programm „Ge-meinschaftsaktion für Grenzregionen“ besonders niedrigausgestattet ist. Im Gegenteil: Im Rahmen dieses Pro-grammes werden Mittel in Höhe von 260 Millionen Euroverausgabt.Um zu unterstützen, was der Bundeskanzler in Weidengesagt hat, möchte ich Ihnen die Maßnahmen nennen, de-ren Finanzierung in diesem Programm vorgesehen ist:Erstens soll das Budget für die transeuropäischenNetze um 150 Millionen Euro aufgestockt werden.Gleichzeitig schlägt die Kommission vor, den Höchstför-dersatz für grenzüberschreitende TEN-Projekte von10 Prozent auf 20 Prozent anzuheben.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 223. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 13. März 2002
Werner Lensing22136
Zweitens sind Kooperationsmaßnahmen zugunstenkleiner und mittlerer Unternehmen in den Grenzregionenin einer Größenordnung von 15 Millionen Euro vorgese-hen. Davon soll ein Projekt der Grenzlandkammern fürdie Strategieberatung in Höhe von 10 Millionen Euro un-terstützt werden.Drittens werden für Maßnahmen zur Förderung undErleichterung der Zusammenarbeit in den GrenzregionenMittel in einer Größenordnung von 20Millionen Euro zurVerfügung gestellt.Viertens werden für den Einsatz von zusätzlichen Ge-meinschaftsmitteln im Rahmen des Jugendaustauschesund der Freiwilligendienste für die Grenzregionen10 Millionen Euro verausgabt.Last but not least haben wir im Haushalt 2002 30 Mil-lionen Euro für strukturpolitische Maßnahmen, für dieUnterstützung von Verkehrssystemen in den Grenzregio-nen und für kleine und mittlere Unternehmen, für Ausbil-dung und Aktionen im interkulturellen Bereich vorgese-hen. 18 Millionen Euro werden für Projekte der KMUs inden Grenzregionen und 2 Millionen Euro für Programmeim Rahmen der Jugendarbeit aufgewandt. – Wir ergänzensomit die Mittel durch die EU-Programme um 30 Milli-onen Euro. Ich hoffe, dass wir dadurch die in diesen Re-gionen vorhandenen verständlichen Ängste auch mate-riell abfedern können.
Frau Staatssekretä-
rin, sind Sie mit mir der Meinung, dass gezielte Förder-
maßnahmen notwendig wären, und zwar insofern, als das
jeweils zuständige Bundesland ein eigenes Förderinstru-
ment bekommt, um im Zuge der EU-Osterweiterung die
Chancengleichheit zu erreichen, insbesondere durch eine
Förderkulisse, die nicht der Beihilfekontrolle der EU un-
terstellt ist?
M
Herr Kollege,
weil ich diese Ihre Meinung teile, habe ich gerade ver-
sucht, deutlich zu machen, dass Oberfranken aus dem
bayerisch-tschechischen Programm Fördermittel in Höhe
von 63,8 Millionen Euro erhalten kann und dass Bayern
in der Lage ist, die regionalen Förderschwerpunkte des
Programmes selber zu definieren und dieses Programm
eigenständig durchzuführen.
Eine Zu-
satzfrage des Kollegen Koschyk.
Frau Staatssekretä-
rin, Sie haben von den Mitteln der Europäischen Union
für die Grenzregionen in Höhe von circa 200 Milli-
onen Euro berichtet. Sie haben auch, wenn ich Sie richtig
verstanden habe, Zahlen aus dem Bundeshaushalt ge-
nannt und hier 30 Millionen Euro angeführt. Halten Sie
den Haushaltsansatz auf Bundesebene für die deutschen
Grenzregionen angesichts einer so gewaltigen Herausfor-
derung wie der EU-Osterweiterung, vor allem in struktu-
reller Hinsicht, für ausreichend oder meinen Sie nicht
auch, dass er zu gering ist? Denkt die Bundesregierung an
weitere nationale Maßnahmen?
M
Herr Kollege
Koschyk, Europa und der Bund wenden insgesamt
290 Millionen Euro für strukturpolitische Maßnahmen
auf. Sie wissen, dass sich diese Bundesregierung vorge-
nommen hat, den Haushalt zu konsolidieren, die Schulden
abzubauen. Insofern sollten wir jetzt erst einmal abwar-
ten, wie diese strukturpolitischen Maßnahmen tatsächlich
wirken, ob in den Grenzregionen eine Angleichung er-
reicht werden kann.
Im nächsten Haushaltsjahr wird sich die Bundesregie-
rung dann Gedanken darüber machen, ob sie diesen An-
satz erhöht oder ihn so belässt. Grundsätzlich kann man
aber sagen: Die Höhe der eingesetzten Summe sagt nicht
unbedingt etwas über die Qualität der Maßnahmen aus.
Eine Zu-
satzfrage des Kollegen Hofbauer.
Frau Staatssekretärin,
der Herr Bundeskanzler hat in Weiden zusätzliche Gelder
des Bundes versprochen. Nun müssen wir feststellen, dass
Sie vorwiegend EU-Gelder erläutert haben: Die EU gibt
weit über 200 Millionen Euro. Der Freistaat Bayern gibt
ungefähr 100 Millionen Euro. Der Bund aber hat sich bis-
her fast nicht beteiligt. Ich muss also feststellen, dass die
Zusage des Herrn Bundeskanzlers in Weiden einfach
nicht eingehalten wurde.
Ich möchte hinzufügen: Wir müssen bedenken, dass
diese EU-Gelder für 23 Regionen von Finnland bis Grie-
chenland bestimmt sind – 150 Millionen Euro für den
Straßenbau. Allein für die A 6 werden noch 150 Milli-
onen Euro benötigt. Dieses Geld reicht also lediglich bei-
spielsweise für eine Straße in Ostbayern.
10 Millionen für den Mittelstand: Was wollen Sie hier
machen? Die Probleme sind riesengroß und wir bekom-
men fast keine Hilfe.
M
Herr KollegeHofbauer, ich beantworte Ihre Frage wie folgt: Sie wissen,dass es überhaupt nur aufgrund der Initiative der Bundes-regierung bei der Europäischen Kommission dazu kam,ein Programm „Gemeinschaftsaktion für Grenzregionen“aufzulegen.Sie wissen vielleicht, dass sich der Haushaltsrat unddas Europäische Parlament aufgrund nachhaltigen Drucksseitens der Bundesregierung darauf verständigt haben, zu-sätzliche Finanzmittel in der Größenordnung von 65 Mil-lionen Euro einzusetzen. Ich kann nicht erkennen, warumes strukturpolitisch gesehen klüger wäre, als Bundes-regierung jetzt statt 30 Millionen Euro 60 Millionen Euro
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Parl. Staatssekretärin Margareta Wolf22137
einzustellen. Zunächst einmal muss doch verfolgt wer-den, welche Wirkung die vom Land Bayern und der Eu-ropäischen Union getätigten Investitionen haben.Herr Kollege Hofbauer, ich muss Sie darauf hinweisen,dass wir im Gegensatz zu Vorgängerregierungen sparsammit dem Geld umgehen, weil wir sparen wollen.
Wir sind auch nicht der Meinung, dass man strukturpoli-tische Fragen allein durch zusätzliche Subventionen lösenkann. Hier kommt es auch auf intelligente Konzepte derLänder für die jeweiligen Regionen an, die versuchen,dieses Problem als Chance für die Grenzregionen zu be-greifen.
Eine Zu-
satzfrage des Kollegen Brüderle.
Frau Staatssekretärin, Sie
sagten eben, dass Oberfranken eigenständig über die För-
dermittel disponieren kann. Angesichts der Tatsache, dass
solche Fördermittel in Brüssel notifiziert werden müssen
bzw. der Beihilfenkontrolle der EU unterliegen, frage ich
Sie: Worin genau besteht die Eigenständigkeit in der Dis-
position der Mittel?
M
Es handelt sich
um das Programm „Interreg III A“. Dies ist ein Pro-
gramm, das EU-Fördermittel zur Verfügung stellt. Es zielt
auf Bayern und Tschechien. Bayern kann eigenständig
Fördermittel aus diesem Programm in einer Größen-
ordnung von 63,8 Millionen Euro beantragen.
Sie haben
leider keine zweite Zusatzfrage, Herr Kollege Brüderle.
Deswegen rufe ich jetzt die Frage 8 des Kollegen
Jochen-Konrad Fromme auf:
Hat die Bundesregierung ihre Auffassung zur Notwendigkeit
der Beibehaltung des Gesetzes über die Überführung der Anteils-
rechte an der Volkswagenwerk Gesellschaft mit beschränkter
Haftung in private Hand, „VW-Gesetzes“, die in den letzten
Wochen von Mitgliedern der Bundesregierung, unter anderem
dem Bundeskanzler Gerhard Schröder, immer wieder betont
worden ist, geändert vor dem Hintergrund, dass sie in ihrem
neuen Verhaltenskodex für Vorstände und Aufsichtsräte durch die
Bundesministerin der Justiz, Professorin Dr. Herta Däubler-
Gmelin, die Forderung erhoben hat: „Alle Aktionäre sollen glei-
Die Frage wird von dem Parlamentarischen Staats-
sekretär im Bundesministerium der Justiz, Professor
Dr. Eckhart Pick, beantwortet.
D
Herr Kollege Fromme, das von
Ihnen angeführte Zitat findet sich in dem von Ihnen ange-
sprochenen Corporate Governance Kodex nicht. Insbe-
sondere enthält der Kodex auch keine Soll-Vorschrift,
etwa zur Abschaffung von Stimmrechtsbeschränkungen
welcher Art auch immer. Folglich haben weder die Bun-
desregierung noch die Kodex-Kommission eine solche
Forderung gegenüber wem auch immer erhoben.
Zusatzfrage.
Herr Staats-
sekretär, können Sie mir erklären, wie dieser Eindruck
durch das Vorstellen des Papiers erzeugt werden konnte?
Wenn die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ dies in einer
Überschrift schreibt, muss dieser Eindruck bei der Prä-
sentation ja entstanden sein.
D
Herr Kollege, ich kann mir das nur
so erklären, dass aus dem Text des Kodex, der auf der
Pressekonferenz damals vorgestellt worden ist und der
den Redakteurinnen und Redakteuren zur Verfügung
stand, falsch zitiert wurde. Ich darf mir erlauben, diese
Passage – es geht um die Bestimmung 2.1.2 – aus dem
Kodex, den Herr Dr. Cromme gemeinsam mit der Bun-
desministerin der Justiz damals vorgestellt hat, zu zi-
tieren:
Jede Aktie gewährt grundsätzlich eine Stimme. Ak-
tien mit Mehrstimmrechten oder Vorzugsstimmrech-
ten sowie Höchststimmrechte be-
stehen nicht.
Ich will hinzufügen, dass das eine etwas verkürzte
Darstellung der gegenwärtigen Rechtslage ist. In der
Tat gibt es aufgrund des VW-Gesetzes Stimmrechts-
beschränkungen. Ich denke, dass sich dieser Kodex ins-
besondere auch an künftige Investoren aus dem Ausland
richtet. Insofern wäre die Gewichtung sicherlich
schlecht gewesen, wenn die Kodex-Kommission ge-
sagt hätte, dass es eine einzige Ausnahme, nämlich auf-
grund des VW-Gesetzes das VW-Werk, gibt. Insofern
ist deutlich gesagt worden: Grundsätzlich gibt es im
deutschen Recht keine Höchststimmrechte oder gar
Golden Shares.
Zweite Zu-
satzfrage.
Kann ich da-
von ausgehen, dass Sie sich auf der Ebene der EU – diese
will das ja abschaffen – dafür einsetzen werden, dass das
VW-Gesetz – genauso wie englische Regelungen – bei-
behalten wird?
D
Sie kennen den Standpunkt der Bun-desregierung. Das VW-Gesetz spielt in diesem Unterneh-men bzw. Konzern eine große Rolle. Deswegen wird dieBundesregierung erst dann entsprechende Überlegungenanstellen, wenn von den Betroffenen selbst dieser Wunschan die Bundesregierung herangetragen wird. Ich denke,
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das ist dieselbe Haltung, die auch die Vorgängerregierungeingenommen hat.
Herr Kollege, Sie wissen, dass es bei den Initiativen derEuropäischen Kommission insbesondere um diese so ge-nannten Golden Shares geht. Diese haben eine etwas an-dere Qualität als das Höchststimmrecht im Rahmen des– verkürzt ausgedrückt – VW-Gesetzes. Nach diesemwerden die Stimmrechte auf ein Fünftel des Grundkapi-tals beschränkt. Es handelt sich nicht um eine Blockade,wie sie etwa durch einen Golden Share entstehen könnte.Insofern sind die bisherigen Initiativen, die sich zum Teilgegen Mitgliedstaaten richten, ausschließlich auf diese sogenannten Golden Shares gerichtet.
Ich danke Ih-
nen, Herr Staatssekretär, und rufe den Geschäftsbereich des
Bundesministeriums für Verbraucherschutz, Ernährung
und Landwirtschaft auf.
Ich rufe die Frage 9 des Kollegen Peter Dreßen auf:
Welche Pflanzenschutzmittel können die gewerblichen An-
bauer von Stachel- und Johannisbeeren im ökologischen und kon-
ventionellen Anbau in Deutschland gegen den falschen und den
echten Mehltau einsetzen, nachdem im Rahmen des Pflanzen-
schutzgesetzes die meisten Pflanzenschutzmittel nicht mehr ein-
gesetzt werden dürfen?
Diese Frage wird durch den Parlamentarischen Staats-
sekretär Dr. Gerald Thalheim beantwortet.
Dr
Sehr geehrter Herr Kollege Dreßen, ge-
gen echten Mehltau an Stachelbeeren sind zurzeit
Pflanzenschutzmittel mit den Wirkstoffen Lecithin, also
ein Bioblattmehltaumittel, und Schwefel, also diverse
Netzschwefelpräparate, wie zum Beispiel Netzschwefel,
Stulln, Thiovit und Kumulus WG, zugelassen. Beide
Wirkstoffe stehen auch dem ökologischen Landbau zur
Verfügung.
Gegen echten Mehltau an Johannisbeeren ist zurzeit
kein Pflanzenschutzmittel zugelassen. Am 1. März 2002
ist jedoch eine Genehmigung nach § 18 a des Pflanzen-
schutzgesetzes für das Mittel Discus gegen echten Mehl-
tau an Stachelbeeren und Johannisbeeren erteilt worden.
Ein weiterer Genehmigungsantrag mit der gleichen Indi-
kation ist für das Mittel Vento Spezial eingereicht worden.
Falsche Mehltaupilze an Johannis- und Stachelbeeren ha-
ben nach hier vorliegenden Erkenntnissen bisher keine
wirtschaftlichen Schäden verursacht. Aus diesem Grunde
sind keine Pflanzenschutzmittel gegen den Erreger zuge-
lassen.
Möchten Sie
eine Zwischenfrage stellen, Herr Kollege Dreßen?
Ja. – Habe ich Sie richtig ver-
standen, dass jetzt ein Ersatzmittel gegen Mehltau zuge-
lassen ist?
Dr
Das ist richtig. Um den Zwischenruf auf-
zugreifen: Das ist insofern kein Thema für den Wissen-
schaftlichen Dienst, als mit dem Pflanzenschutzgesetz
von 1998 eine Systemumstellung in Deutschland mit der
Folge wirksam geworden ist, dass für circa 800 Anwen-
dungsgebiete keine Anwendungen möglich waren. Die
Bundesregierung hat sich intensiv bemüht, gemeinsam
mit der Biologischen Bundesanstalt hier für Abhilfe zu
sorgen. Bei rund der Hälfte dieser so genannten Lücken
ist diese Abhilfe erreicht worden. Wir arbeiten mit Nach-
druck daran, bis zum Saisonbeginn eine größere Anzahl
weiterer Lücken zu schließen.
Ich bin in meiner Frage unter-
brochen worden. Herr Staatssekretär, ich komme zu ei-
nem Punkt, der ebenfalls eine große Rolle spielt. Sie wis-
sen, dass das Pflanzenschutzmittel Lebaycid zum Schutz
der Kirschbäume gegen die Kirschfruchtfliege nicht mehr
zugelassen ist. Die Obstbauern, insbesondere am Kaiser-
stuhl, wo es sehr viele Kirschbäume gibt,
haben die große Befürchtung, dass sie dann keine Kir-
schen verkaufen können. Wenn sie keine Pflanzenschutz-
mittel mehr spritzen dürfen, dann sind Maden in den Kir-
schen. Es ist aber verboten, Lebensmittel mit Maden in
den Handel zu bringen. Gibt es hier eine ähnliche Lösung
wie bei den Stachelbeeren?
Dr
Nein, eine ähnliche Lösung wie bei den
Stachelbeeren gibt es gegenwärtig nicht. Diese Anwen-
dung bei der Kirschfruchtfliege gehört zu den schwierig
zu schließenden Lücken. Das Problem besteht zum Ersten
darin, dass es keinerlei biologische Möglichkeiten gibt,
die Kirschfruchtfliege zu bekämpfen. Zum Zweiten haben
wir in Deutschland nur noch ein Präparat zugelassen, das
im Gegensatz zu anderen Mitbewerbern, zum Beispiel
Frankreich, viel längere Wartezeiten vorsieht. Zum Drit-
ten ist das Präparat Lebaycid aus Gründen des Umwelt-
schutzes verboten worden.
Die Biologische Bundesanstalt hat allerdings die Mög-
lichkeit, bei Gefahr im Verzuge, das heißt beim Nachweis,
dass gehandelt werden muss, im Ausnahmefall eine Zu-
lassung auszusprechen.
Ich wollte noch einmal nachfra-gen, ob die Bundesregierung beabsichtigt, bei Gefahr imVerzuge dieses Mittel zuzulassen. Es ist unehrlich gegen-über anderen Ländern, in denen man wie in Frankreichsieben Tage und bei uns 21 Tage vor der Ernte mit demDimethoat spritzen darf.
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Parl. Staatssekretär Dr. Eckhart Pick22139
Dr
Mit der Verabschiedung des Pflanzen-
schutzgesetzes 1998 hat der Gesetzgeber ein zum Teil
über den anderen Mitgliedsländern der Europäischen
Union liegendes Schutzniveau in Deutschland festge-
schrieben. Insofern ergeben sich aus der rechtlichen Um-
setzung dieses hohen Schutzniveaus Unterschiede in der
Pflanzenschutzmittelanwendung in den Ländern der Eu-
ropäischen Union.
Kollege
Koschyk.
Herr Staatssekretär,
könnten Sie noch einmal die Bedingungen erläutern,
unter denen in Deutschland – der Kollege Dreßen hat
vom Kaiserstuhl gesprochen, aber auch die Fränkische
Schweiz ist eines der größten Kirschanbaugebiete in der
Bundesrepublik – eine solche Ausnahmegenehmigung bei
Gefahr im Verzuge für den Einsatz von wirksamen Be-
kämpfungsmitteln gegen die Kirschfruchtfliege erteilt
werden kann?
Dr
Gefahr im Verzuge besteht insofern, als
wir außer diesem einen Präparat Lebaycid über keine
anwendbaren Alternativen verfügen. Daher bedarf es der
Antragstellung und des Hinweises, dass dieser Schadens-
erreger – in diesem Fall konkret die Kirschfruchtfliege –
in dieser Region und in diesem Jahr besonders stark auf-
tritt und Schädigungen der Kirschen zu erwarten sind. In
der Regel können das die Behörden vor Ort erfassen und
belegen. Damit wäre die Handlungsmöglichkeit für die
Biologische Bundesanstalt gegeben.
Kollege
Weiß.
Herr
Staatssekretär, nachdem bekannt ist, dass etliche Lücken
im Pflanzenschutz nicht geschlossen werden können und
dass zum Beispiel zur Bekämpfung des Feuerbrandes
nichts Adäquates zur Verfügung steht, nachdem bekannt
ist, dass zur Bekämpfung der Kirschfruchtfliege nichts
Adäquates zur Verfügung steht – denn es ist ja von Ihrem
Hause abgelehnt worden, die Wartezeit für Adimethoat zu
verkürzen, sodass die Kirschen nach Ablauf der Wartezeit
verfault an den Bäumen hängen und nicht mehr geerntet
zu werden brauchen –, frage ich Sie: Ist die Bundesregie-
rung bereit, die Bundesratsinitiative des Landes Baden-
Württemberg, die jüngst eingebracht worden ist, zu un-
terstützen, wonach die Übergangsfristen des § 45 Abs. 1
des Pflanzenschutzmittelgesetzes so geändert werden,
dass an die Stelle des 1. Juli 2001 – dieses Datum ist ja ab-
gelaufen – das neue Übergangsdatum 1. Januar 2005 tritt,
was nach dem EU-Recht möglich wäre und uns helfen
würde, die derzeitigen Lücken im Pflanzenschutz wirk-
sam zu schließen?
Dr
Die Entscheidung liegt nicht bei der
Bundesregierung, sondern beim Gesetzgeber. Der Deut-
sche Bundestag als Gesetzgeber hat sich eindeutig
geäußert, indem er dem Antrag der Fraktionen der SPD
und des Bündnisses 90/Die Grünen zugestimmt hat, wo-
nach ein einfaches Zurückfahren auf die Situation vor
dem 1. Juli des vergangenen Jahres nicht angezeigt ist,
weil es auf der einen Seite gelungen ist, eine ganze Reihe
der bestehenden Lücken – ich habe bereits Zahlen ge-
nannt; von ehedem 800 hat man für 500 Anwendungsge-
biete eine Entscheidung getroffen – zu schließen, und es
zum anderen für das Offenbleiben bestehender Lücken
gute Gründe gibt. Das heißt: Das Adimethoat – um bei
diesem Beispiel zu bleiben – ist ein Insektizid, das zu den
Phosphorsäureesthern gehört, mit erheblicher Giftigkeit;
ich will das einmal so platt sagen. Wir gehen davon aus,
dass die Anwendung dieses Präparats im nächsten Jahr in
ganz Europa generell verboten wird. Es macht deshalb
wenig Sinn, aus Gründen des vorsorgenden Verbraucher-
schutzes einen generellen Freibrief zu geben und am Ende
auf die Situation des vergangenen Jahres zurückzufallen.
Ich danke
Ihnen, Herr Parlamentarischer Staatssekretär.
Die Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesmi-
nisteriums der Finanzen, die Fragen 27 und 28 des Kolle-
gen Heinz Seiffert und die Fragen 29 und 30 des Kollegen
Hansgeorg Hauser, werden schriftlich beantwortet.
Da aus dem Geschäftsbereich des Bundesministeriums
für Arbeit und Sozialordnung nur eine Frage zur Beant-
wortung ansteht – die Frage 31 des Kollegen Benno
Zierer, die Fragen 33 und 34 des Kollegen Johannes
Singhammer und die Fragen 35 und 36 des Kollegen
Dr. Peter Ramsauer werden schriftlich beantwortet –,
ziehe ich diesen Geschäftsbereich vor.
Ich rufe die Frage 32 des Kollegen Jochen-Konrad
Fromme auf:
Sieht die Bundesregierung konkrete Einspareffekte allein
durch eine Zusammenlegung von Arbeitslosenhilfe und Sozial-
hilfe, und wenn ja, in welcher Höhe werden sie eintreten?
Zur Beantwortung steht der Parlamentarische Staats-
sekretär Gerd Andres zur Verfügung.
G
Herr Abgeordneter Fromme,Ihre Frage beantworte ich wie folgt: Übergreifendes Zielaller Reformbestrebungen ist es, Langzeitarbeitslosigkeitdurch Vermittlung in dauerhafte Beschäftigung zu überwin-den. Des Weiteren muss eine Neustrukturierung der Leis-tungen zu einem Abbau administrativer Doppelstrukturenführen. Die Entscheidung, ob sich diese Hauptziele einerReform besser durch eine Harmonisierung und Optimie-rung der beiden Leistungssysteme oder durch deren Ver-schmelzung erreichen lassen, ist in dem bevorstehendenumfangreichen Diskussionsprozess zu klären.Im Rahmen dieses Diskussionsprozesses sind eineVielzahl von finanzpolitischen, sozialpolitischen, verfas-
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 223. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 13. März 200222140
sungsrechtlichen und organisatorischen Problemen zulösen. Ich gehe davon aus, dass durch SynergieeffekteEinsparungen erzielt werden. Die Neuordnung muss sichgesamtwirtschaftlich rechnen. Zugleich müssen die da-raus resultierenden Finanzverteilungseffekte ausgewogensein. Die genauen Finanzierungseffekte sind vom Inhaltder Neustrukturierung abhängig und können zum gegen-wärtigen Zeitpunkt noch nicht quantifiziert werden.
Zusatz-
frage?
Herr Staats-
sekretär, geben Sie mir Recht, dass, wenn der Bundes-
finanzminister im Zusammenhang mit dem Sparkonzept
zur Einhaltung der Maastricht-Kriterien diese Maßnahme
an erster Stelle nennt, der Verdacht auf der Hand liegt, im
Bundeshaushalt solle an dieser Stelle kräftig gespart
werden?
G
Herr Abgeordneter
Fromme, einen Verdacht kann ich weder bestätigen noch
ausräumen. Es ist Ihre Angelegenheit, wie Sie etwas be-
werten. Der Bundesfinanzminister ist zurzeit dabei, eine
Kommission zu installieren, die sich insbesondere mit der
kommunalen Finanzsituation auseinander setzt. Dass da-
bei beispielsweise Fragen der Ausgaben für die Sozial-
hilfe eine Rolle spielen, ist klar. Aber mit der Frage, ob
man Sozialhilfe und Arbeitslosenhilfe entweder anders
miteinander verzahnt oder auch verschmilzt und mit wel-
chen finanziellen Entwicklungen dabei gerechnet werden
kann, hat das nichts zu tun. Es hängt sehr von der Gestal-
tung ab und davon, welche Maßnahmen durchgeführt
werden, um entsprechende Effekte ausweisen zu können.
Danach haben Sie schließlich gefragt.
Wie ich Sie
jetzt verstehen muss, sind durch die organisatorische Zu-
sammenlegung allein keine Einsparungen zu erzielen,
sondern es müssen andere Maßnahmen damit verbunden
werden. Können Sie wenigstens das bestätigen?
G
Nein, Herr Abgeordne-
ter Fromme. Man muss das Problem sehen, das sich
dahinter verbirgt. Auf der einen Seite gibt es die Arbeits-
losenhilfe, die durch das SGB III garantiert ist und durch
den Bund finanziert wird. Auf der anderen Seite gibt es
die Sozialhilfe, die über die Sozialhilfeträger – sprich:
überwiegend durch die Länder – finanziert wird. Dabei
handelt es sich um zwei unterschiedliche Systeme. Die
Arbeitslosenhilfe ist in ihrer Ableitung sozusagen eine
Lohnersatzleistung, während die Sozialhilfe das sozio-
ökonomische Lebenshaltungsminimum finanzieren soll.
Schon aus den unterschiedlichen Finanzierungsquellen
und Ableitungen ist erkennbar, welche Probleme sich in
diesem Zusammenhang ergeben.
Was die Schnittmenge angeht, beschränkt sich die Aus-
einandersetzung auf diejenigen, die Sozialhilfe beziehen,
im erwerbsfähigen Alter sind und bei denen Anstrengun-
gen unternommen werden müssten, sie in eine Arbeits-
stelle zu vermitteln bzw. in Arbeit zu bringen, damit der
Bezug von Sozialhilfe wie auch von Arbeitslosenhilfe
entfällt. Es handelt sich also um relativ schwierige Mate-
rien, die man angehen muss und die wir – die Bundesre-
gierung hat bereits angekündigt, dass dies in der nächsten
Legislaturperiode angepackt wird – auch angehen wollen.
Aber solange die Entscheidung, ob beides zusammen-
gelegt werden oder ob eine Zusammenführung im Sinne
einer engen Kooperation erfolgen soll, nicht gefällt ist,
sind über die finanziellen Auswirkungen keine Aussagen
möglich.
Eine Zu-
satzfrage des Kollegen Dr. Klaus Grehn.
Herr Staatssekretär, denkt
die Bundesregierung bei der Zusammenlegung auch an
Alternativen und wäre es für die Bundesregierung eine
Alternative, wenn alles, was den Bereich Arbeitslosigkeit
betrifft und alles, was sich um diesen Bereich rankt,
einschließlich privater Vermittlung, in die Arbeitsverwal-
tung eingeordnet und die Sozialhilfe auf das zurückge-
führt würde, wofür sie ursprünglich gedacht war, nämlich
als Hilfe in besonderen Lebenslagen?
G
Herr AbgeordneterGrehn, wenn Sie eben der Zielsetzung zugestimmt haben,zuallererst Langzeitarbeitslose aus der Arbeitslosigkeitherauszuführen, dann müssen Sie sehen, dass eines derModelle unter anderem darin besteht, beispielsweise Ar-beitslosenhilfeempfänger, die ergänzende Sozialhilfe be-kommen, zu betreuen und mit ihnen entsprechend umzu-gehen. Aus der Arbeit des Ausschusses für Arbeit undSozialordnung ist Ihnen bekannt, dass die Bundesregie-rung gegenwärtig einen Modellversuch mit dem Titel„MoZArT“ durchführt, in dem die Zusammenarbeit zwi-schen Arbeitsverwaltung und Sozialhilfeträgern in30 Modellprojekten in der Bundesrepublik erprobt wird.Wir haben dafür die rechtlichen Grundlagen geändert,damit es möglich ist, dass Leistungen aus einer Hand ge-währt werden, also Arbeitsämter auch die Sozialhilfeleis-tungen auszahlen können oder Sozialämter die der Ar-beitslosenhilfe.Wenn dies systematisch durchdacht wird, erscheint esin der Tat sinnvoll, darüber nachzudenken, wie man ineiner organisatorischen Einheit für diese Zielgruppe – esgeht nur um Sozialhilfeempfänger, die im arbeitsfähigenAlter sind, einer Arbeit nachgehen könnten und gleich-zeitig Bezieher von Arbeitslosenhilfe sind – ein Modellfinden könnte, das ermöglicht, dass die Betreuung auseiner Hand erfolgt, dass alle Maßnahmen der aktivenArbeitsförderung stattfinden und Drehtüreffekte – erstist jemand in dem einen Leistungssystem und wird dannan das nächste weitergegeben – unterbleiben und Ähn-liches mehr. Darüber wird gegenwärtig diskutiert. Wirhaben zwar angekündigt, dass wir die Systeme stärkermiteinander verzahnen wollen. Aber welche Lösung
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 223. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 13. März 2002
Parl. Staatssekretär Gerd Andres22141
letztendlich herauskommt, kann ich nicht prophezeien.Wir denken auch über die Alternativen nach, die Sie ge-nannt haben.
Eine Zu-
satzfrage des Kollegen Dr. Ilja Seifert.
Herr Staatssekretär, wenn ich
Sie richtig verstanden habe, dann ist die Entscheidung
über die Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozial-
hilfe noch längst nicht gefallen. Das veranlasst mich zu
der Frage: Müssten Sie nicht das größte Interesse daran
haben, dass in der Öffentlichkeit nicht der Eindruck ent-
steht, diese Grundsatzentscheidung ist schon gefallen
– wenn man die Presseberichterstattung verfolgt, kann
man ja fast denken, dass die Zusammenlegung schon mor-
gen erfolgt –, dass vielmehr vermittelt wird, dass zwar
Überlegungen über verschiedene Alternativen der Ver-
zahnung angestellt werden, diese aber nicht unbedingt in
der Überführung der Arbeitslosenhilfe in die Sozialhilfe
enden müssen?
G
Herr Seifert, Sie haben
Recht, wenn Sie sagen, dass die Entscheidung noch nicht
gefallen sei. Des Weiteren möchte ich darauf hinweisen,
dass die Bundesregierung immer deutlich gemacht hat,
dass gegenwärtig nur Modellprojekte – diese habe ich
eben genannt – durchgeführt werden und dass man daran
interessiert ist, Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe – das
macht ja aus ganz unterschiedlichen Gründen Sinn – stär-
ker miteinander zu verzahnen. Aber die Entschei-
dung über die Zusammenlegung von Arbeitslosen- und
Sozialhilfe wird erst in der nächsten Legislaturperiode ge-
troffen.
Es gibt
keine weiteren Zusatzfragen. Ich danke Ihnen, Herr Par-
lamentarischer Staatssekretär.
Wir kommen nun zum Geschäftsbereich des Bundes-
ministeriums der Verteidigung. Die Fragen werden von
der Parlamentarischen Staatssekretärin Brigitte Schulte
beantwortet.
Die Frage 10 des Kollegen Benno Zierer und die Fra-
gen 11 und 12 des Kollegen Jürgen Koppelin werden
schriftlich beantwortet.
Ich rufe die Frage 13 des Kollegen Albrecht Feibel auf:
Von wann bis wann war Annette Fugmann-Heesing bei der
Gesellschaft für Entwicklung, Beschaffung und Betrieb, GEBB,
beschäftigt und wie hoch war ihr Jahresgehalt?
B
Herr Präsident, herzlichen
Dank. – Herr Kollege Feibel, es ist ja nicht das erste Mal,
dass Sie danach fragen. Ich bitte deshalb, die Fragen 13
und 14 im Zusammenhang beantworten zu dürfen.
Herr Feibel,
sind Sie damit einverstanden? – Das scheint der Fall zu
sein. Dann rufe ich auch die Frage 14 des Kollegen
Albrecht Feibel auf:
In welcher Höhe hat die frühere Chefin der GEBB, Annette
Fugmann-Heesing, nach ihrem Ausscheiden eine Abfindung er-
halten?
Bitte, Frau Staatssekretärin.
B
Frau Dr. Fugmann-Heesing
war vom 21.August 2000 bis zum 31. Dezember 2001 als
Geschäftsführerin der Gesellschaft für Entwicklung, Be-
schaffung und Betrieb tätig. Im Vorfeld dieser Tätigkeit
hat sie seit Anfang Mai 2000 im Rahmen eines Vorver-
trags die Gründung der GEBB vorbereitet. Wie ich Ihnen
bereits in meinen vorangegangenen Antworten, zuletzt
am 15. Januar 2002, mitgeteilt habe, genießt diese Ge-
sellschaft ein rechtliches Eigenleben, das heißt, die
Gesellschaft ist hinsichtlich gesellschaftsinterner Vor-
gänge wie des Abschlusses und der Auflösung von Ar-
beitsverträgen mit Mitarbeitern selbstständig. Die Gesell-
schaft entscheidet auch, ob und wie sie Einzelheiten
der Arbeitsverträge gestaltet. Dies gilt auch für die Frage
nach einer möglichen Abfindung von Frau Dr. Fugmann-
Heesing.
Verehrte Kollegin, sind
Sie der Meinung, dass wir bei Einrichtungen, die zu
100 Prozent dem Bund gehören, auf jegliche parlamenta-
rische Kontrolle verzichten können? Denn das, was die
Bundesregierung hier und auch in anderen Bereichen
praktiziert, ist nichts anderes, als ihr Handeln der parla-
mentarischen Kontrolle zu entziehen. Das ist der Grund,
warum ich mit Ihren vorhergehenden Antworten – ver-
ständlicherweise – nicht zufrieden war.
B
Herr Kollege Feibel, Sie wis-
sen ganz genau, dass ich nicht der Meinung bin, dass dem
Parlament etwas vorenthalten werden soll. Aber es gibt
Spielregeln – an deren Ausgestaltung habe ich ein biss-
chen mitgewirkt –: Die GEBB wird vom Bundesrech-
nungshof kontrolliert. Weder der Bundesrechnungshof
noch wir geben der Öffentlichkeit Auskünfte über einen
solchen persönlichen Bereich, nach dem Sie gefragt ha-
ben. Wenn aber der Bundesrechnungshof die GEBB ge-
prüft hat, dann wird er dem Rechnungsprüfungsausschuss
und dem Haushaltsausschuss entsprechende Informatio-
nen geben.
Wie erklären Sie sich,dass der Bundesrechnungshof allein für die Vorprüfungmehr als ein halbes Jahr benötigt, bevor er die eigentlichePrüfung vornehmen kann? Wie sollen angesichts derzeitlichen Verzögerung dieser Prüfung, die ein Ersatz fürdie parlamentarische Kontrolle sein soll, noch irgendwel-che Veränderungen herbeigeführt werden können, wenn
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 223. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 13. März 2002
Parl. Staatssekretär Gerd Andres22142
es nicht möglich ist, aktuelle Zahlen beispielsweise imHaushaltsausschuss vorzulegen? Insbesondere Ihr Kol-lege hat sich geweigert, diese Zahlen im Haushaltsaus-schuss in nicht öffentlicher Runde bekannt zu geben.B
Herr Feibel, Sie wissen doch
sehr genau, dass es eine ganze Reihe von öffentlichen Un-
ternehmen und Gesellschaften gibt, die nicht in der
Öffentlichkeit darstellen, was die Mitarbeiter verdienen
und was sie beim Ausscheiden aus ihrem Arbeitsverhält-
nis bekommen. Bei uns Bundestagsabgeordneten und
auch bei Parlamentarischen Staatssekretären ist es leicht,
eine solche Information zu erhalten. Jeder kann nach-
lesen, was wir bekommen.
Hier geht es doch um eine andere Frage. Der Rech-
nungshof kann die Angelegenheit prüfen. Sie wissen aus
Ihrer Tätigkeit im Haushaltsausschuss, dass es im An-
schluss an eine Prüfung sehr wohl einen Bericht gibt. Die-
ser geht an den Rechnungsprüfungsausschuss. Die Infor-
mation gegenüber dem Parlament findet allerdings nicht
in der Öffentlichkeit statt. Es gibt also Kontrollmechanis-
men und die müssen Sie nun abwarten.
Wenn Sie der Auffas-
sung sind, dass diese Kontrollmechanismen ausreichen,
aber gleichzeitig die parlamentarische Kontrolle eigent-
lich bejahen, sehe ich darin einen erheblichen Wider-
spruch, weil Sie nicht bereit sind, den zuständigen Aus-
schuss über die notwendigen Fakten zu informieren.
Das führt natürlich auch zu der Vermutung, dass im
Zusammenhang mit den Privatisierungsabsichten oder
vielleicht auch – das sage ich in Anführungsstrichen –
Pseudo-Privatisierungsabsichten der Gesellschaft für Ent-
wicklung, Beschaffung und Betrieb eine weitere – gestat-
ten Sie mir den Ausdruck – Verdunkelungsgefahr in Be-
zug auf das Regierungshandeln besteht.
B
Natürlich weise ich das mit
größter Empörung zurück. Wie Sie, Herr Kollege Feibel,
wissen, werden wir uns in der nächsten Woche im Haus-
haltsausschuss auch mit einigen Initiativen der GEBB be-
schäftigen. Ich darf an Flottenmanagement und an Be-
kleidungsmanagement erinnern. Ich hoffe, wir kommen
dort noch ein Stück voran.
Wenn ich mir Ihre Vita und auch Ihre sonstigen Fragen
ansehe, bin ich mir eigentlich ziemlich sicher, dass auch
Sie ein Interesse daran haben, dass moderne Verwaltung
effizient wird. Den Versuch, mit dieser Gesellschaft auch
in den großen Apparat der Bundeswehrverwaltung Effizi-
enz in Abläufe wie zum Beispiel die Beschaffung hinein-
zubringen, halte ich weiterhin für sehr richtig. Sich dazu
einer Gesellschaft zu bedienen, die nicht nur mit Stellen-
plänen arbeitet, wie beim Einzelplan 14 sonst üblich, halte
ich auch für richtig. Außerdem ist das Recht auf Auskunft
dem Parlament in bestimmten Gremien ja auch vor-
behalten.
Aber augenblicklich ist es ja nicht Ihre Absicht, durch
Ihre Fragen herauszubekommen, wie gut wir das Ganze
organisieren, sondern es interessiert die Leute natürlich
vor allen Dingen, welche Entschädigung die ehemalige
Finanzsenatorin bekommt. Auf die Entschädigung hat sie
einen Anspruch. Wie bei anderen Unternehmen der öf-
fentlichen Hand hat sie aber auch Anspruch auf einen ge-
wissen Schutz und deshalb kann das nicht in der Öffent-
lichkeit dargestellt werden.
– Ich weiß ja, was Sie möchten. Aber ich halte es einfach
für selbstverständlich, dass es Gremien gibt, in denen sol-
che Fragen intern besprochen werden.
Die letzte Ausführung
ist Ihre Betrachtung der Dinge. Ich sehe das ein bisschen
anders, das ist auch mein gutes Recht.
Wenn Sie schon nicht sagen wollen, wie Frau Fugmann-
Heesing für das, was sie geleistet hat, honoriert wurde und
ob sie vielleicht eine Abfindung in der Größenordnung
von ein oder zwei Jahresgehältern bekommen hat, nach-
dem sie ein Jahr beschäftigt war, können Sie vielleicht et-
was anderes ausführen, was uns als Parlamentarier dann
doch etwas beruhigt.
Für Frau Fugmann-Heesing sind Zielvorstellungen
formuliert wurden. Ein Ziel war zum Beispiel, Immobi-
lien in der Größenordnung von 1,5 Milliarden DM zu ver-
äußern, damit Geld in die Kasse der Bundeswehr kommt
– das ist Ihr Anliegen ebenso wie unseres –, und so wenig
Kosten wie möglich zu produzieren. Sind diese Zielvor-
stellungen nach Ihrer Auffassung erreicht worden oder
gibt es ganz erhebliche Abweichungen davon?
B
Nein, Herr Kollege. Wir wer-den in der Tat ein wirtschaftlicheres Vorgehen erreichen.Auch Sie, Herr Feibel, wissen, dass wir zu viele Liegen-schaften besitzen, sowohl bebaute als auch unbebauteLiegenschaften. Es kommt jetzt darauf an, beim Verkaufsolcher Liegenschaften – da wollten wir uns ja der Ge-sellschaft bedienen – darauf zu achten, dass wir auch ei-nen angemessenen Preis bekommen. Im Moment ist derImmobilienmarkt nicht so ideal, um beliebig verkaufen zukönnen.Was die wirtschaftlichen Abläufe betrifft – ich bin gernbereit, das auch noch einmal öffentlich zu diskutieren –,so haben wir, seit wir die GEBB gegründet haben, docheinen Umdenkungsprozess erreicht, der zu Einsparungs-maßnahmen in der öffentlichen Verwaltung, auch schonbei der Beschaffung, geführt hat. Die Einsparungen – daswill ich gern zugeben – sind natürlich noch nicht mit1,5 Milliarden zu quantifizieren. Ich gehöre aber auch zudenjenigen, die die Meinung vertreten, dass das ein biss-chen Zeit braucht.
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 223. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 13. März 2002
Albrecht Feibel22143
– Ja, aber ich bin der Meinung, dass wir mehr erreichenwerden. Wir werden in einer größeren Zeitspanne mehr anWirtschaftlichkeit erreichen. Ich hoffe, dass wir beide dasin der nächsten Wahlperiode gemeinsam verfolgen können.
Eine Zusatz-
frage des Kollegen Siemann.
Frau Staatssekretärin,
Sie haben uns bestätigt, dass das Haushaltsrecht des Bun-
destags durch die Gründung dieser Gesellschaft, auch der
geplanten Gesellschaften zum Bekleidungsmanagement
und Flottenmanagement, nicht beeinträchtigt wird, wol-
len aber die Fragen des Kollegen Feibel nicht beantwor-
ten. In welchen Ausschüssen – da erbitten wir Ihren Rat –
können wir Antwort auf diese Fragen bekommen?
B
Aber lieber Herr Siemann,
ich habe doch gerade dargestellt, dass der Rechnungs-
prüfungsausschuss da ein Element ist und es gewährleis-
tet ist, dass der Bundesrechnungshof prüft.
– Lassen Sie doch die Leute erst einmal arbeiten! – Ich bin
ziemlich sicher, dass hier nichts anderes interessiert als
eine Zahl, die in der Öffentlichkeit eine Neiddebatte aus-
löst, wobei ich nicht Ihnen unterstelle, eine solche Neid-
debatte beginnen zu wollen, um Gottes willen!
– Nein. Ich bin mir auch ganz sicher, dass Sie das nicht
wollen. – Hierbei geht es einfach um Abläufe, die wir Ih-
nen darstellen werden.
Ich bin davon überzeugt, dass Frau Fugmann-Heesing
mit der ihr eigenen energischen und durchsetzungsfähigen
Art einiges in Bewegung gebracht hat. Das merkt man
spätestens an den Widerständen, die da gewesen sind.
Lassen Sie uns also in Ruhe abwarten. Für diese Fra-
gen haben wir den Rechnungsprüfungsausschuss. Es gibt
den Bericht des Rechnungshofs. Anschließend besteht
sehr wohl auch die Möglichkeit, das im Haushaltsaus-
schuss des Deutschen Bundestags zu behandeln. Es ist
aber kein Gegenstand öffentlicher Darstellung. Das ist bei
dieser Gesellschaft nicht der Fall und das ist, finde ich,
auch in Ordnung.
Eine Zusatz-
frage des Kollegen Fromme.
Frau Staats-
sekretärin, wären Sie bereit, auch in dieser Gesellschaft
die von der Justizministerin vorgestellten 50 Regeln für
Vorstände und Aufsichtsräte durchzusetzen? Wenn das
geschähe, würde sich das Problem erledigen, weil die Ge-
sellschaft das Ganze von sich aus veröffentlichen würde.
B
Das ist eine gute Frage. Ich
finde den Gedanken eigentlich auch gar nicht so unsym-
pathisch. Aber lassen Sie die doch erst einmal ein biss-
chen arbeiten! Gegen die Regeln, die die Justizministerin
aufgestellt hat – sie hat natürlich gedacht, dass das Gehalt
allen bekannt ist –, habe ich nichts. Ich persönlich habe
auch keine Probleme damit, dies den Leuten draußen dar-
zustellen. Mit den Gesellschaften, die wir jetzt für die
Bundeswehr brauchen, betreten wir Neuland. Sie wissen,
dass der Widerstand gegen diese Neuausrichtung in Tei-
len sehr energisch ist, berechtigt, zum Teil aber auch un-
berechtigt.
Ich rufe die
Frage 15 des Kollegen Martin Hohmann auf:
Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung zu den Vor-
kommnissen von Drohungen gegen Angehörige bzw. zu Beläs-
tigungen von Angehörigen der in Afghanistan eingesetzten Sol-
daten des Kommandos Spezialkräfte der Bundeswehr – Bericht
der Zeitung „Welt am Sonntag“ vom 3. März 2002 – und ins-
besondere dazu, wer dahinter steckt?
B
Sehr geehrter Herr Kollege
Hohmann, die Berichterstattung der „Welt am Sonntag“
vom 3. März trifft nach unseren Feststellungen insoweit
zu, als es gegenüber der Ehefrau eines Soldaten des Kom-
mandos Spezialkräfte Belästigungen in Form von Tele-
fonanrufen und von schriftlichen Mitteilungen auf das
Mobiltelefon gegeben hat. Anzeige wurde erstattet. Die
polizeilichen Ermittlungen zu Tätern und Motiven sind
noch nicht abgeschlossen.
Zusatzfrage.
Frau Staatssekretärin,
vielen Dank. – Hat es seitdem weitere Vorfälle gegeben
oder ist es bei diesem einen Vorfall geblieben?
B
Nach unserer Kenntnis gibt eskeine weiteren Vorfälle. Bundesminister Scharping hatam letzten Sonntag einen Teil der Frauen getroffen – dashaben wir aus vielerlei Gründen der Öffentlichkeit nichtvorab bekannt gegeben – und hat erfahren, dass ein guterTeil der Frauen von dem betroffen war, was ihnen undihren Kindern nach der Darstellung in der Öffentlichkeitan Ausführungen zugemutet wurde. Weitere Vorfälle, beidenen von draußen auf die Angehörigen eingewirktwurde, hat es aber Gott sei Dank nicht gegeben. Aller-dings sind viele Journalisten in der Region präsent. Sieversuchen, von den Leuten Storys zu erhalten. ErinnernSie sich daran, was los war, als die ersten Soldatinnen indie verschiedenen Verbände kamen. Eine solche Situationwollten wir vermeiden. Es handelt sich hierbei um einensehr eingegrenzten Personenkreis, dessen Standort be-kannt ist. Wir appellieren immer wieder an Sie, bei die-sem Thema zurückhaltend zu sein.
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 223. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 13. März 2002
Parl. Staatssekretärin Brigitte Schulte22144
Eine zweite
Zusatzfrage.
Gibt es aufgrund des
Einsatzortes des KSK irgendwelche Hinweise oder Ver-
dachtsgründe, dass diese Initiative einen islamistischen
Hintergrund hat?
B
Es ist gut, dass Sie mich da-
nach fragen; denn es ist natürlich eine berechtigte Frage.
Einen solchen Zusammenhang können wir heute nicht
nachweisen. Bis zum jetzigen Zeitpunkt gibt es keine
klare Erkenntnis darüber, dass die Vorfälle damit zusam-
menhängen.
Die Fra-
gen 16 und 17 des Kollegen Günther Friedrich Nolting
werden schriftlich beantwortet.
Ich rufe die Frage 18 des Kollegen Werner Siemann
auf:
Wie beurteilt die Bundesregierung den Jahresbericht 2001 des
Beauftragten für Erziehung und Ausbildung beim Generalinspek-
teur und welche Konsequenzen wird sie aus diesem Bericht zie-
hen, insbesondere im Hinblick auf Aussagen wie „Der politischen
Leitung wird mit starken Vorbehalten begegnet“ und „Die Zurück-
haltung der ,Generalität‘ wird zunehmend unverhohlen kritisiert.
Die Truppe steht nicht mehr vorbehaltlos hinter der militärischen
Führung“, „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ vom 1. März 2002?
B
Herr Kollege Siemann, der
Jahresbericht des Beauftragten für Erziehung und Ausbil-
dung beim Generalinspekteur soll dem Generalinspekteur
dazu dienen, Trends und Tendenzen in den Streitkräften
rechtzeitig zu erkennen. Die Aussagen im Jahresbericht
sollten für den Generalinspekteur eine Grundlage zur Be-
wertung der Streitkräfte, für seine Beratung des Bundes-
ministers der Verteidigung und gegebenenfalls auch für
erforderliche Maßnahmen, die dann wiederum für das
Parlament relevant wären, sein.
Eine Zusatz-
frage.
Frau Staatssekretärin,
man kann darüber, dass der Bericht an die Öffentlichkeit
gelangt ist, denken, wie man will; aber er ist in der Öf-
fentlichkeit. Er ist ins Internet gestellt und für jedermann
zugänglich. Auch die Soldaten kennen diesen Bericht.
Was wird die Hardthöhe, der Generalinspekteur und der
Minister, konkret veranlassen, um die Dinge, die in dem
Bericht als Missstände angeprangert werden, zu besei-
tigen?
B
Ich habe den Bericht mit
großer Aufmerksamkeit gelesen. Ich muss Ihnen sagen:
Ich halte es im Interesse des Verteidigungsministeriums
für wichtig, dass die Darstellung gemäß dem Blankeneser
Erlass offen und sorgfältig ist. Allerdings habe ich an ei-
nigen Anmerkungen des Berichts Zweifel. Ich beziehe
mich nicht auf die Anmerkungen zur politischen Führung;
als Politiker muss man es ertragen, kritisiert zu werden.
Aussagen in diesem Bericht, dass sich die Soldaten von
ihren militärischen Vorgesetzten so wenig vertreten
fühlen, kann ich allerdings nicht nachvollziehen. Wir
beide wissen das besser.
Andere Fragen, die in der Tat berechtigte Sorgen wi-
derspiegeln, haben sowohl Regierung als auch Parlament
zu klären.
Eine zweite
Zusatzfrage.
Frau Staatssekretärin,
der besondere Vertrauensverlust der Soldaten in die po-
litische Führung wird gerügt, weil Versprechungen zur
Erhöhung der Attraktivität der Bundeswehr nicht einge-
halten worden sind. Es wird ausgeführt, dass man auf den
Kanzler setze, der die Finanzierung richten werde. Kön-
nen wir davon ausgehen, dass die Finanzierung der Bun-
deswehr nun zur Chefsache wird?
B
Wir können sehr wohl davon
ausgehen. Wir haben bereits eine große Anzahl von Be-
förderungsmöglichkeiten geschaffen.
Ich bedauere es sehr, dass auch die Soldaten, die in den
letzten Jahren stärker als je zuvor gefordert waren, von der
Abschaffung der Zulagen aufgrund der allgemeinen Spar-
zwänge betroffen sind. Sie haben das, genau wie ich in der
Vergangenheit, gerügt. Gegenüber dem Innenminister
und dem Finanzminister haben wir uns aber nicht durch-
setzen können. Das gilt sowohl für die Zeit, in der Sie das
Land noch regierten, als auch für unsere Regierungszeit.
Eine weitere Attraktivitätssteigerung hinsichtlich der Be-
förderungsmöglichkeiten werden wir erreichen, sobald
ein Teil der älteren Berufssoldaten aus dem Dienst aus-
scheidet.
Weder konnte die vorangegangene Bundesregierung
alle Wünsche erfüllen noch kann dies diese Bundesregie-
rung. Gemeinsam müssen wir uns darüber Gedanken ma-
chen, ob die Besoldungsstrukturen noch stimmen. Wir
brauchen Bündnispartner: den Innenminister und die Län-
der. Ich bin in der Tat der Meinung, dass wir auf diesem
Gebiet noch mehr tun müssen.
Herr Siemann, einen Teil der Klagen, die ich in dem
Bericht gelesen habe, fand ich doch ein bisschen zu banal.
Ich rufe die
Frage 19 des Kollegen Werner Siemann auf:
Trifft es zu, dass beim Tornado-Geschwader der Marineflieger
nur sechs von 40 Piloten combat ready – volle Einsatzfähigkeit –
sind, „Der Spiegel“ vom 25. Februar 2002, und falls ja, was wird
dagegen unternommen?
B
Die Auswertung der
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 223. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 13. März 2002 22145
Ausbildungsergebnisse 2001 ergab, dass mit Stand vom1. Januar 2002 sechs von gegenwärtig 40 Einsatzbesat-zungen den Anforderungen von combat ready genügen,also den höchsten Einsatzbereitschaftsstatus gemäßNATO-Standard erreicht haben. 33 Einsatzbesatzungenverfügen jedoch über den Status limit combat ready undsind damit natürlich auch einsatzfähig, wenn es daraufankommt. Das Tornado-Geschwader der Marine verfügtdamit über 39 Besatzungen, die den Anforderungen füreinen Einsatz nach NATO-Standards gerecht werden.Mit der im Mai 2002 beginnenden Waffeneinsatzaus-bildung des Marinefliegergeschwaders 2 auf Sardinienwerden neben den sechs bisherigen Besatzungen elfweitere Besatzungen den Status combat ready wieder-erlangen. Somit stehen dem Tornado-Geschwader derMarine voraussichtlich ab Mai 2002 wieder 17 Besat-zungen mit dem Einsatzstatus combat ready zur Verfü-gung.
Weitere Zu-
satzfrage?
Dann, wenn wieder
17 Maschinen voll zur Verfügung stehen. – Wie lange
wird es dauern, bis alle Besatzungen diesen Einsatzstan-
dard erreicht haben werden?
B
Es lohnt, sich einmal den For-
derungskatalog anzusehen, der für combat ready erfüllt
sein muss. Unser Problem war, dass wir im letzten halben
Jahr bestimmte Schießübungen mit der Bordkanone nicht
leisten konnten, weil der Flugplatz in Sardinien für uns
gesperrt war. Wie Sie sich vielleicht erinnern, hatten wir
im Jahr 2000 einen etwas unangenehmen Vorfall auf ei-
nem holländischen Flugplatz, als auf einen Turm ge-
schossen wurde. So waren auch die Holländer nicht son-
derlich angetan von der Idee, alle Übungsabläufe bei
ihnen stattfinden zu lassen.
Ich gehe davon aus, dass wir im Laufe des Jahres 2003
diesen Status erreichen können, wenn nicht Übungsmög-
lichkeiten eingegrenzt werden und damit die Ausbildung
in bestimmten Kategorien verhindert wird. Weiterhin
gehe ich davon aus, dass der Klarstand der Maschinen, der
noch nie so hoch war, wie wir es uns immer wünschen
– das wissen Sie ja auch –, es erlauben wird, dass alle
Ende des Jahres 2003 den entsprechenden Standard er-
reicht haben.
Frau Staatssekretärin,
gibt es weitere Einheiten in der Bundeswehr, die, obwohl
sie theoretisch voll einsatzfähig sein sollten, zum gegen-
wärtigen Zeitpunkt unter Berücksichtigung dieser Krite-
rien nicht voll einsatzfähig sind?
B
Einsatzfähig sind wir; aber den
höchsten Einsatzstandard haben wir sicherlich auch in an-
deren Verbänden nicht immer. Den haben wir übrigens
noch nie überall und bei allen Besatzungen erreicht.
Wir sind am
Ende dieses Geschäftsbereichs. Ich danke Ihnen, Frau
Parlamentarische Staatssekretärin.
Wir haben jetzt noch den Geschäftsbereich des Aus-
wärtigen Amtes und des Bundesministeriums des Innern.
Ich weise darauf hin, dass die Aktuelle Stunde nicht vor-
gezogen wird, falls die Fragestunde früher zu Ende geht,
sondern pünktlich um 15.35 Uhr eröffnet wird.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Auswärtigen
Amtes. Zur Beantwortung steht Staatsminister Christoph
Zöpel zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 20 des Kollegen Peter Weiß zum
Thema Einschränkung der öffentlichen Religionsaus-
übung in verschiedenen Ländern auf:
Welche Konsequenzen gedenkt die Bundesregierung hinsicht-
lich der politischen, wirtschaftlichen und Entwicklungszusam-
menarbeit mit denjenigen Ländern zu ziehen, in denen nach dem
vom Missions- und Hilfswerk Offene Grenzen, Seesen/Harz, ver-
öffentlichten Verfolgungsindex Christen hinsichtlich der Ein-
schränkung der öffentlichen Religionsausübung am stärksten ver-
folgt werden, allen voran in Saudi-Arabien, Nordkorea und Laos?
D
Sehr geehrter Herr Kollege, die Probleme, die Dis-kriminierung, die Menschenrechtsverletzungen und teil-weise auch die Verfolgung, denen religiöse Minderheiten,darunter auch christliche Gruppen, in vielen Teilen derWelt ausgesetzt sind, werden von der Bundesregierungmit großer Aufmerksamkeit verfolgt. Die Regierung hatin ihrer Antwort vom 22. Dezember 1999 auf die GroßeAnfrage Ihrer Fraktion zur Verfolgung von Christen inaller Welt dargelegt, welchen Ansatz sie grundsätzlichverfolgt, um Bedrohungen der Religionsfreiheit geradeauch gegenüber Christen entgegenzutreten. Die Bundes-regierung geht dabei von einem Ansatz aus, der generellauf den Dialog zur Förderung rechtsstaatlichen und frei-heitlichen Denkens abstellt.Im Rahmen der deutschen Entwicklungszusammen-arbeit basieren alle fünf Kriterien zur Bewertung vonRahmenbedingungen in den einzelnen Partnerländern aufden Menschenrechten und haben wesentlichen Einflussauf die Entscheidung der Frage, ob und wie mit einem sol-chen Land zusammengearbeitet wird. Defizite sind Ge-genstand des Politikdialogs. Einen Automatismus, der beieinem bestimmten Maß von Menschenrechtsverletzungenbestimmte Sanktionen vorsähe, gibt es sinnvollerweisenicht. Im Übrigen muss jeder Einzelfall im Gesamtkon-text geprüft werden.Von den drei in der vorliegenden Frage genannten Län-dern ist nur Laos Partnerland der deutschen Entwick-lungszusammenarbeit. Im Rahmen des politischen Dia-logs thematisiert die Bundesregierung ihre Besorgnisseüber die Menschenrechtslage. Sie wird dies auch anläss-lich der anstehenden Regierungsverhandlungen zur wei-teren entwicklungspolitischen Zusammenarbeit im Som-mer 2002 tun und auf die Einhaltung der in der laotischenVerfassung garantierten Religionsfreiheit drängen. Dieser
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 223. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 13. März 2002
Parl. Staatssekretärin Brigitte Schulte22146
Dialog im Rahmen der Entwicklungszusammenarbeit istder geeignete Rahmen, auf Fortschritte in dem hier ange-sprochenen Bereich hinzuwirken.
Zusatzfrage.
Herr
Staatsminister, da Sie in Ihrer Antwort auf die Länder ab-
gehoben haben, mit denen wir aktuell staatliche Entwick-
lungszusammenarbeit pflegen, möchte ich Sie fragen: Hat
die Bewertung einzelner Länder als sehr problematische
Länder hinsichtlich der Gewährung von Religionsfreiheit
Auswirkungen auf die politische Zusammenarbeit zwi-
schen der Bundesrepublik Deutschland, für deren Außen-
politik Sie und das Auswärtige Amt zuständig sind, und
diesen Ländern oder spielt das in den politischen Bezie-
hungen, zum Beispiel zu Saudi-Arabien, keine Rolle?
D
Das spielt auch bei den Beziehungen mit den ande-
ren Ländern eine Rolle. Ich habe die Fakten in Bezug auf
das Land, in dem die Diskriminierung von Christen nach
unserem Kenntnisstand am wenigsten systematisch er-
folgt, dargelegt. Wenn es Entwicklungszusammenarbeit
gibt, bestehen am ehesten Möglichkeiten der Einwirkung.
In Nordkorea – um zu den beiden anderen Ländern zu
kommen – gehört es zu den angestrebten Folgen der Wie-
deraufnahme diplomatischer Beziehungen, überhaupt
über diese Problematik reden zu können, und zwar im
Rahmen dessen, was an Gesprächen mit der nordkoreani-
schen Regierung möglich ist; ich sehe, Sie nicken, Herr
Kollege Koschyk. Ich sage das nicht ausweichend, son-
dern das ist ein Faktum.
Saudi-Arabien ist ein Land, das relativ unabhängig ist.
Es hat eine hervorragende ökonomische Grundlage und
spielt eine spezifische Rolle. Es gibt eigentlich nur die
Möglichkeit eines kontinuierlichen Dialogs mit der saudi-
schen Regierung – der von den EU-Botschaftern wahrge-
nommen wird –, damit das Land sich den in den entspre-
chenden Erklärungen der Vereinten Nationen festgelegten
Grundsätzen annähert.
Daneben gibt es – das liegt schon an der Grenze des-
sen, was sich für die hier öffentlich stattfindende Erörte-
rung eignet – Bemühungen, die private Religionsaus-
übung in diesem Lande, soweit es angesichts der dort
herrschenden Auffassung darüber möglich ist, aufrecht-
zuerhalten.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege Weiß zu
einer Nachfrage, bitte.
Herr
Staatsminister, da Sie zu Recht die Entwicklungszusam-
menarbeit angesprochen haben, möchte ich Sie fragen:
Hat die Bewertung einzelner Länder als besonders pro-
blematisch hinsichtlich der Gewährleistung der freien Re-
ligionsausübung, die Bestandteil der Menschenrechte ist
und damit zu den fünf Kriterien unserer Entwicklungszu-
sammenarbeit gehört, irgendwelche Auswirkungen? Von
den zehn Ländern, in denen Christen nach der von mir zi-
tierten Untersuchung am stärksten verfolgt werden, sind
die Volksrepublik China, Pakistan und Vietnam Schwer-
punktpartnerländer der deutschen Entwicklungszusam-
menarbeit und das von Ihnen bereits angesprochene Laos
ist Partnerland der deutschen Entwicklungszusammen-
arbeit. Spielt es bei der Einordnung und der Fortentwick-
lung der Entwicklungszusammenarbeit irgendeine Rolle,
dass die Religionsfreiheit dort offensichtlich in einem nur
unzulänglichen Maße gewährleistet ist bzw. in einem ho-
hen Maße behindert wird?
D
In Ihrer Frage haben Sie drei Länder genannt. Sinn-
vollerweise ist die Vorbereitung auf diese drei Länder
konzentriert worden.
Zu Laos ist festzuhalten: In diesem Land ist die Reli-
gionsfreiheit in der Verfassung garantiert. In einzelnen
Provinzen werden christliche Gruppen unter Druck ge-
setzt. Es gibt vor allem dann Probleme, wenn Missionie-
rung festgestellt wird. Zwischen dem Ergebnis, unsere
Position in der Verfassung, in der Rechtsordnung festzu-
schreiben, und einem der Erkenntnis der Botschaften fol-
genden Hinweis in dem entsprechenden politischen Dia-
log gibt es eigentlich nicht viel Konkretes. Ich würde aber
sagen, eine Verschlechterung hinsichtlich der Religions-
ausübung, also eine Abweichung von der Verfassung von
Laos, bei ausdrücklicher Billigung der Regierung hätte
Konsequenzen für die Art und das Ausmaß deutscher Ent-
wicklungshilfe. So wird auch in anderen Fällen von Men-
schenrechtsverletzungen gehandelt.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich rufe jetzt die Fra-
ge 21 des Kollegen Koschyk auf:
Inwieweit hat die Bundesregierung die Empfehlung des polni-
schen Staatspräsidenten Aleksander Kwasniewski, die er in seiner
Rede in der Friedrich-Ebert-Stiftung am 6. März 2002 abgegeben
hat , in der
Diskussion über die Benes-Dekrete eine Lösung zu finden, zum
Anlass genommen, dieses Thema mit dem polnischen Staatsprä-
sidenten zu erörtern, und wenn ja, mit welchem Ergebnis?
D
Herr Kollege Koschyk, ich bedanke mich für IhreFrage. Ich möchte sie beantworten, indem ich das vorlese,was Präsident Kwasniewski gesagt hat. Vorher möchte ichzwei Dinge dazu sagen: Wir teilen seine Auffassung. Aberaus förmlichen Gründen ist festzustellen: Formelle Ge-spräche mit dem polnischen Präsidenten kann nur der Prä-sident unseres Landes führen. Das Auswärtige Amt kannnicht auf Fragen antworten, die in den Verantwortungsbe-reich des Bundespräsidenten fallen.Ich lese Ihnen nun vor, was Präsident Kwasniewski ge-sagt hat – wir finden das insgesamt richtig; es entsprichtunserer Politik –:Der Erweiterungsprozess der EU ist etwas anderesals die Lösung der Fragen, die ein Erbe des ZweitenWeltkriegs sind. Es wäre völlig unverständlich, pa-radox, aber auch gefährlich, wenn es sich herausstel-len würde, dass auf dem Weg der Erweiterung der
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 223. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 13. März 2002
Staatsminister Dr. Christoph Zöpel22147
EU die Schatten von Hitler, Benes, Roosevelt,Churchill und Stalin stehen. Das würde bedeuten,dass wir uns selbst der Kriegs- und Nachkriegslogikunterwerfen lassen, die wir eigentlich überwindenwollen.Es gibt Probleme – eines wurde gelöst. Ich sprechehier von den Entschädigungen für die Zwangsarbei-ter, aber wir haben noch andere Fragen: die Frage des
und die der Gesten gegenüber dieser Gruppe. Diessind Fragen, über die wir in einem vernünftigen Dia-log entscheiden sollen, in einem Prozess, der Zeit inAnspruch nimmt, aber auch historische Wahrheitund große politische und soziale Sensibilität fordert.Ich unterstreiche das noch einmal: Die Schatten die-ser Menschen, die ich erwähnte, dürfen kein Hinder-nis im Erweiterungsprozess und auf dem Weg zurEU darstellen. Ansonsten wird alles zerstört werden,was uns gelungen ist, bisher zu schaffen.Wenn es nicht der Präsident eines wichtigen Nachbar-staates wäre, würde ich sagen: Das könnten auch Vertre-ter der Bundesregierung gesagt haben.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Die erste Nachfrage
des Kollegen Koschyk.
Herr Staatsminister,
natürlich ist mir klar, dass es keine direkten Konsultatio-
nen zwischen der deutschen Bundesregierung und dem
polnischen Staatspräsidenten gibt. Aber es hat ja Ge-
spräche auch des Herrn Bundeskanzlers mit dem polni-
schen Staatspräsidenten gegeben. Ist dabei vonseiten der
Bundesregierung der in meiner Frage angesprochene Teil
– der polnische Präsident hat sich nicht nur in dieser Rede,
sondern während seines Deutschlandbesuches verschie-
dentlich zu diesen Fragen geäußert – mit dem polnischen
Präsidenten erörtert worden und wird die Bundesregie-
rung die Anregungen des polnischen Präsidenten bei ihren
weiteren Konsultationen und Kontakten mit der polni-
schen Regierung aufgreifen?
D
Den ersten Teil Ihrer Frage beantworte ich folgen-
dermaßen: Ich kann es Ihnen korrekterweise nicht sagen.
Die Gespräche mit dem Kanzler, die im Kern Vier-Augen-
Gespräche sind, könnte ich wiedergeben. Aber Fragen zu
Gesprächen auf Präsidentenebene können nach unserer
Verfassung nicht von einem Vertreter des Auswärtigen
Amts beantwortet werden.
Für die Politik der Bundesregierung gilt hinsichtlich all
dieser Fragen, dass es sich im Kern um bilaterale Angele-
genheiten handelt. Wir wollen sie nicht dazu nutzen, die
Verhandlungen über EU-Beitritte zu verzögern. Denn un-
seres Erachtens erleichtert ein erfolgter Beitritt die Erör-
terung all dieser Fragen im europäischen Rahmen.
Bei unserem Gespräch mit allen infrage kommenden
Regierungen betonen wir diesen Grundsatz, sind aber er-
freut darüber, dass vor allem im Rahmen des doch etwas
schwierigeren Verhältnisses zwischen Tschechien und
Deutschland ein europäischer Dialog beginnt. Er zeigt,
dass die Überwindung der Folgen faschistischer – konkret
gesagt: nationalsozialistischer – und kommunistischer
Machtausübungen ein Problem aller Demokratien Euro-
pas ist.
Darf ich trotzdem
noch einmal fragen, ob und in welcher Art und Weise die
Bundesregierung den Kerngehalt dieser Äußerungen des
polnischen Präsidenten, denen Sie ja zustimmen, zum Ge-
genstand bilateraler Gespräche mit der polnischen Seite
angesichts dessen machen wird, dass der polnische Präsi-
dent zum Beispiel in einem Interview mit der „Welt“ ge-
sagt hat: „Es gibt die Vertriebenen, die auf eine ehrenvolle
Geste hoffen“? Wird die Bundesregierung mit der polni-
schen Regierung über eine vom polnischen Präsidenten so
genannte „ehrenvolle Geste“, also über den Versuch der
Aufarbeitung des Vertreibungsunrechts, in ein Gespräch
treten?
D
Herr Kollege, ohne dass dieses in der – bezogen auf
ein korrektes Handeln in der Außenpolitik – notwendigen
Form vom Auswärtigen Amt aufgeschrieben wurde, sage
ich für die politisch Verantwortlichen dieser Regierung:
Ja.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich rufe die Frage 22
des Kollegen Hartmut Koschyk auf:
Mit welchen Ergebnissen hat die Bundesregierung die Situa-
dem polnischen Staatspräsidenten Aleksander Kwasniewski the-
matisiert und inwieweit hat die Bundesregierung das bereits ein-
mal gescheiterte und nun erneut in den parlamentarischen Bera-
tungen befindliche Minderheitengesetz angesprochen?
D
Herr Kollege, das polnische Parlament hat, wie Sie
vermutlich wissen, am 15. Februar 2002 in erster Lesung
über das Gesetz über nationale und ethnische Minderhei-
ten beraten. Im Anschluss wurde der Gesetzentwurf an die
Sejm-Kommission zur weiteren Beratung überwiesen. In
der Debatte im polnischen Parlament unterstützten Ver-
treter verschiedener Minderheiten den Entwurf und hoben
insbesondere lobend hervor, dass damit die in Polen le-
benden Minderheiten einen mit den Regelungen in ande-
ren europäischen Ländern vergleichbaren Schutz erhalten
würden. Im Unterschied zu früheren Legislaturperioden
unterstützt die größte Fraktion im Sejm den Gesetzent-
wurf. Die Bundesregierung sah daher keinen Anlass, den
nun vorliegenden Gesetzentwurf anzusprechen.
Die für den Mai geplante Volkszählung in Polen steht
nach Erkenntnissen der Bundesregierung nicht im Wider-
spruch zu den einschlägigen europäischen Normen. Im
Übrigen ist und bleibt die Bundesregierung mit ihrem
Nachbarn und Partner Polen auch weiterhin auf allen Ebe-
nen in einem intensiven Meinungsaustausch auch über die
Fragen der Förderung nationaler Minderheiten.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr KollegeKoschyk, bitte die erste Nachfrage.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 223. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 13. März 2002
Staatsminister Dr. Christoph Zöpel22148
Herr Staatsminister,
Sie sagen, dass nach Meinung der Bundesregierung die
für den 20. Mai in Polen anberaumte Volkszählung mit
europäischen Normen nicht in Widerspruch stehe. Ich
habe eine amtliche Übersetzung des Fragebogens in deut-
scher Sprache vorliegen. Demnach sollen die Angaben
nicht anonym, sondern unter Nennung des vollen Namens
gemacht werden.
Ist der Bundesregierung bekannt, dass die Beantwor-
tung der Frage 16, nämlich welche Nationalität jemand
besitzt und ob er eine andere Staatsangehörigkeit neben
der polnischen besitzt, von den Angehörigen der deut-
schen Minderheit mit gewisser Sorge gesehen wird, weil
sie nicht anonym erfolgen kann?
D
Dass die deutsche Minderheit mit diesem Gesetz-
entwurf – –
Nicht Gesetzent-
wurf, sondern Fragebogen.
D
Damit kein Missverständnis entsteht: Der Bundes-
regierung ist bekannt, dass die deutsche Minderheit mit
dieser Volksbefragung einige kritische Fragen verbindet.
Nach unseren Informationen führt aber die polnische Re-
gierung mit der deutschen Minderheit derzeit Gespräche
über diese Thematik. Es ist richtig, dass zunächst einmal
eine innerstaatliche Diskussion erfolgt. Nach unserer
Kenntnis werden diese Gespräche von der deutschen
Minderheit als konstruktiv gewürdigt.
Sie verübeln mir sicher nicht, dass ich jetzt nicht alle
Einzelheiten kenne. Aber ich werde mich persönlich verge-
wissern, ob von der polnischen Regierung und von den Re-
präsentanten der deutschen Minderheit die Gespräche so
geführt werden, dass es von deutscher Seite keinen Grund
gibt, in eine im Prinzip innerstaatliche Angelegenheit
Polens – wenn auch nur ganz behutsam – einzugreifen.
Im Übrigen kann ich feststellen, dass solche Fragen un-
serer Botschaft im Umgang mit der polnischen Regierung
mittlerweile selbstverständlich sind.
Ich danke Ihnen für die Hinweise.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich danke Herrn
Staatsminister Zöpel.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesminis-
teriums des Inneren. Zur Beantwortung steht der Herr Par-
lamentarische Staatssekretär Fritz Rudolf Körper zur Ver-
fügung.
Ich rufe die Frage 23 des Abgeordneten Klaus
Hofbauer auf:
Welche Initiativen unternimmt die Bundesregierung, um die
Stellung der Kommunen auf europäischer Ebene zu stärken, ins-
besondere eine Garantie des kommunalen Selbstverwaltungs-
rechts im zu erarbeitenden europäischen Verfassungsvertrag zu er-
reichen?
F
Herr Kollege Hofbauer, ich darf
Ihre Frage wie folgt beantworten: Die Bundesregierung
hat sich bereits mehrfach in der Vergangenheit für eine
Stärkung der Kommunen auf europäischer Ebene und zur
Aufnahme des kommunalen Selbstverwaltungsrechts in
die europäischen Verträge, die der Konvent und die Re-
gierungskonferenz 2004 möglicherweise zu einem euro-
päischen Verfassungsvertrag weiterentwickeln werden,
eingesetzt.
Die Bundesregierung ist insbesondere bei folgenden
Gelegenheiten dafür eingetreten: im Rahmen der Regie-
rungskonferenz 1996 mit dem Versuch, das Recht der
kommunalen Selbstverwaltung in den Europäischen Ver-
trägen zu verankern, bei der Konkretisierung des Subsi-
diaritätsprinzips zugunsten der Kommunen und Regio-
nen, bei der Ratifizierung der Europäischen Charta der
kommunalen Selbstverwaltung des Europäischen Rates
vom 15. Oktober 1985 und bei der Sicherung einer ange-
messenen Vertretung der regionalen und lokalen Gebiets-
körperschaften auf europäischer Ebene.
Die Länder und Kommunen haben die Möglichkeit, im
Ausschuss der Regionen ihre Auffassungen auf EU-
Ebene geltend zu machen. Der Vertrag von Nizza hat die
Stellung des Ausschusses der Regionen gestärkt, indem
für seine Mitglieder ein politisches Mandat auf regionaler
oder lokaler Ebene vorgeschrieben wird.
Die Bundesregierung steht einem engen Meinungsaus-
tausch mit den Deutschen, die auch die Kommunen im
Konvent zur Zukunft der EU vertreten, offen gegenüber.
Dies sind namentlich der Ministerpräsident des Landes
Baden-Württemberg, Herr Teufel, der vom Bundesrat ent-
sandt wurde, und als Beobachter für den Ausschuss der Re-
gionen Herr Professor Dammeyer aus Nordrhein-West-
falen. Letzterer ist einer von sechs Beobachtern, die aus
Regional- und Kommunalvertretungen in den Ausschuss
der Regionen gewählt wurden. Die Bundesregierung ach-
tet dabei stets auf die Tatsache, dass die Kommunen staats-
rechtlich den Ländern zugeordnet sind. – Diese Bemer-
kung wollte ich noch pflichtgemäß hinzugefügt haben.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Nun kommen wir zu
den Nachfragen des Kollegen Hofbauer.
Herr Staatssekretär,
können Sie mir konkret sagen, welche Schwerpunkte hier
von der Bundesregierung angestrebt werden? Wir müssen
ja feststellen, dass das Europarecht immer mehr in die
Rechte und Aufgaben der Kommunen eingreift, insbeson-
dere in die Finanzhoheit, die Planungshoheit, die Organi-
sationshoheit und die großen Bereiche der Daseinsvor-
sorge. Bei den Gemeinden, Städten und Landkreisen hat
man den Eindruck, dass die Übermacht Europas immer
größer wird. Welche konkreten Ziele streben Sie an, um
die Selbstverwaltung der Kommunen zu stärken und de-
ren Gängelung durch Europa zurückzuschrauben?
F
Herr Kollege Hofbauer, wenn
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 223. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 13. März 2002 22149
man darüber reden will, welche Aufgaben und welcheAufgabenverluste bei der kommunalen Selbstverwaltungauftreten, dann muss man eine zweifache Diskussionführen: einmal in Deutschland selbst die Diskussion da-rüber, wie sich das Verhältnis des Bundes zu den Ländernund kommunalen Gebietskörperschaften und das interneVerhältnis der Länder zu den kommunalen Gebietskör-perschaften entwickelt haben – der größere Teil dessen,was Sie eben angesprochen haben, ist Ergebnis der Ent-scheidungen dieser Ebenen – und zum anderen die Dis-kussion auf europäischer Ebene, die Sie mit Ihrer Frage inerster Linie im Auge hatten. Dass wir insoweit unter-scheiden müssen, hängt ganz entscheidend damit zusam-men, dass wir in Deutschland mit dem Thema der kom-munalen Selbstverwaltung sehr gute Erfahrungengemacht haben, unsere Strukturen und deren rechtlicheVerankerung – das wissen Sie genauso gut wie ich – in Eu-ropa aber keine gängige Praxis sind. Deswegen fandenund finden wir bei Fragen der kommunalen Selbstverwal-tung auch im Zuge anderer Verhandlungen auf EU-Ebenefast nur die Unterstützung Österreichs. Auch wenn esschwierig ist, anderen unsere Strukturen zu vermitteln,können Sie versichert sein, dass wir uns darum ganz kon-kret bemühen, weil wir das Gut der kommunalen Selbst-verwaltung hoch schätzen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ihre zweite Frage,
bitte, Herr Hofbauer.
Ich habe keine weitere
Zusatzfrage.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Dann rufe ich die
Frage 24 des Kollegen Hofbauer auf:
Ist die Bundesregierung der Auffassung, dass ein Schutz des
kommunalen Selbstverwaltungsrechts im europäischen Verfas-
sungsvertrag in Inhalt und Umfang dem Standard der Garantie des
Art. 28 Abs. 2 Grundgesetz entsprechen muss, und wenn nein,
warum nicht?
F
Herr Kollege Hofbauer, ich
glaube, diese Frage ist zum Teil in Ihre vorhergehende
Frage eingeflossen und daher schon von mir beantwortet
worden. Ich kann Ihre Frage eindeutig mit Ja beantwor-
ten. Bisher aber hat die Forderung Deutschlands und
Österreichs nach Verankerung des Rechts der Kommunen
auf Selbstverwaltung in den europäischen Verträgen nicht
die Unterstützung anderer Mitgliedstaaten gefunden; der
Diskussionsprozess ist Ihnen bekannt. Ich habe eben be-
reits umrissen, welche Schwierigkeiten hier bestehen.
Dies entbindet uns aber nicht von der Aufgabe, diesen Ge-
danken auch weiterhin in die auf europäischer Ebene ge-
führte Verfassungsdebatte einzubringen. Das entspricht
auch der Art und Weise der Pflege unserer Kontakte.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Jetzt besteht für den
Kollegen Hofbauer noch einmal die Gelegenheit, eine
Nachfrage zu stellen.
Herr Staatssekretär,
Sie haben die Problematik aufgezeigt: Die Stellung der
Kommunen ist in den verschiedenen Ländern Europas
sehr unterschiedlich. Wir haben in Deutschland allerdings
gute Erfahrungen mit der starken Stellung der Kommunen
gemacht.
Ich entnehme Ihrer Antwort, dass Sie schon fast resi-
gniert haben, den Standard Deutschlands auf europäischer
Ebene umsetzen zu können. Könnten Sie vielleicht einige
der Vorgaben nennen, die Sie den Mitgliedern des Kon-
vents von deutscher Seite mitgegeben haben bzw. mitge-
ben werden? Und könnten Sie auch die Strategie darstel-
len, wie Sie versuchen wollen, dass die in Deutschland
vorhandenen Grundsätze in den europäischen Verfas-
sungsvertrag aufgenommen werden?
F
Lieber Herr Kollege Hofbauer,
wenn Sie bei mir auch nur an irgendeiner Stelle den Hauch
von Resignation festgestellt haben, so muss ich Sie
korrigieren. Wer mich kennt, der weiß, dass mir dies ab-
solut fremd ist, gerade auch bei diesem Sachverhalt. Ich
habe nur versucht, die Konstellationen realistisch dar-
zustellen.
Ich glaube nicht, dass wir hier in unseren Einschätzun-
gen weit auseinander liegen. Im Grunde genommen sind
wir beide von dem Modell der kommunalen Selbstver-
waltung in Deutschland überzeugt. Wir glauben, es hat
sich bewährt. Dies hängt vielleicht ein wenig mit unserer
Biografie zusammen; denn uns beiden ist das Thema der
Kommunalpolitik nicht fremd.
Ich glaube, man sollte eines beachten: Es geht nicht da-
rum, die Debatte in der Richtung zu führen, dass alle un-
serem Beispiel folgen. Umgekehrt aber muss klar sein
– und zwar auf Grund der Erfahrungen, die wir gemacht
haben –, dass wir unser Modell der kommunalen Selbst-
verwaltung beibehalten.
Sie haben mich auch gefragt, welche Strategie wir ver-
folgen. Ich glaube, dass es ausreicht, wenn man auf die
Erfolgsgeschichte der kommunalen Selbstverwaltung bei
uns verweist. Das dürfte das beste Argument sein.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Jetzt rufe ich die Fra-
ge 25 des Kollegen Wolfgang Dehnel auf:
Wie beurteilt die Bundesregierung die Tatsache, dass laut Be-
richt der Zuwanderungskommission circa 80 Prozent der Antrag-
steller im Asylverfahren keinen Pass vorlegen, und wie hoch
schätzt die Bundesregierung den Anteil an absichtlich verborge-
nen bzw. vernichteten Personaldokumenten ein?
F
Herr Kollege Dehnel, die Schät-zung, dass etwa 80 Prozent der Antragsteller in Asylver-fahren keinen Pass oder sonstige Personaldokumentevorlegen, weil sie solche nicht besitzen bzw. weil sie sievernichtet haben oder verbergen, ist nicht neu. Das weißjeder, der sich mit dieser Materie beschäftigt.Diese Angabe stammt aus dem so genanntenSüssmuth-Bericht, der Ihnen bekannt sein dürfte. Die
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Parl. Staatssekretär Fritz Rudolf Körper22150
Zahl selbst ist durch Mitarbeiter des Bundesamtes, die zurGeschäftsstelle der unabhängigen Kommission Zuwande-rung abgeordnet waren, dort eingebracht worden. Sie be-ruht auf aktuellen Schätzungen des Bundesamtes und sei-ner Außenstellen.Wie hoch – das ist mir sehr wichtig – der Anteil an ab-sichtlich verborgenen oder vernichteten Personaldoku-menten ist, ist nicht feststellbar. Dies muss man der Fair-ness halber hinzufügen. Deswegen wäre eineentsprechende Aussage spekulativ.Aus der Tatsache aber, dass ein Asylbewerber keinegültigen Personaldokumente im Asylverfahren vorlegt,kann nicht ohne Weiteres auf einen Asylmissbrauch ge-schlossen werden, weil im Falle politischer Verfolgungder Verfolgerstaat im Zweifel keine zur Ausreise berech-tigenden Reisedokumente ausstellen wird.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Bitte, Herr Kollege
Dehnel.
Herr Staatssekretär,
Sie sagten, die Zahl in dem Bericht beruhe auf einer
Schätzung. Nach meinem Kenntnisstand steht in dem Be-
richt aber ganz klar und deutlich, dass man davon ausge-
hen kann, dass 80 Prozent der Antragsteller in Asylver-
fahren keinen Pass vorlegen. Auch häufen sich gerade in
der letzten Zeit – das haben Sie vielleicht in den Berliner
Zeitungen gesehen – Inserate, mit denen Pässe aus China,
dem Libanon oder sonst woher gesucht werden. Darin
wird sogar die Passnummer angegeben. Damit wird eine
Mithilfe suggeriert; denn bei Vorlegen eines Passes wird
eine entsprechende Verlängerung des Asylverfahrens ge-
nehmigt. Genau darauf hebt auch der Bericht ab. Sie da-
gegen sagen, das sei alles an den Haaren herbeigezogen
und geschätzt. Man kann doch eigentlich davon ausge-
hen, dass es 80 Prozent der Asylbewerber betrifft, oder
nicht?
F
Lieber Herr Kollege Dehnel,
exakt dieser Frage bin ich natürlich in weiser Voraussicht
nachgegangen: Ich ahnte, dass Sie mir diese Frage stellen
würden.
Ich sage Ihnen ganz offen: Es ist eine Schätzung. Es
gibt beispielsweise auch keine Ergebnisse darüber, wie
hoch die Anerkennungsquote bei diesen geschätzten
80 Prozent der Asylbewerber bzw. den verbliebenen
20 Prozent der Asylbewerber ist. Dazu gibt es keine statis-
tischen Erkenntnisse, keine Zählungen.
Auch über den zweiten Teil, den ich dargestellt habe,
gibt es keine Schätzung. Angesichts dessen werbe ich da-
rum, dann, wenn man solche Zahlen verwendet, immer
auch die Zahlengrundlage zu nennen. Deswegen habe ich
auch meine Quelle und die Fundstelle genannt. Dies ist
mir ganz wichtig. Daraus sollte man – das sage ich in aller
Sachlichkeit – auch keine falschen Schlussfolgerungen
ziehen. Deshalb möchte ich jetzt noch einmal auf den letz-
ten Absatz meiner vorhin gegebenen Antwort hinweisen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Eine weitere Nach-
frage. Bitte, Herr Kollege Dehnel.
Herr Staatssekretär,
sind Sie nicht mit mir einer Meinung, dass der Anteil der-
jenigen, bei denen es – eventuell auch unter Einsatz kri-
mineller Mittel – zu einem Verschwinden des Passes
kommt, dennoch sehr hoch sein muss, auch wenn es sich
um eine Schätzung handelt?
F
Herr Kollege Dehnel, ich will
mich gar nicht darauf fixieren, ob diese Zahl gut oder
schlecht geschätzt ist. Aber die Tatsache, dass diese Zahl
geschätzt ist, also diejenigen, die im Asylverfahren keinen
Pass vorlegen, nicht statistisch erfasst sind, ist schon eine
Aussage für sich.
Viel mehr kommt es mir darauf an, nicht automatisch
die Schlussfolgerung zu ziehen, die Sie etwa in Ihre Frage
hineingelegt haben. Dafür gibt es einen einfachen Grund:
Es gibt keine Belege, keine Fakten, nur eine Schätzung.
Zudem hat derjenige – ich sage das, um einen Eckpunkt
zu setzen –, der politisch verfolgt wird, häufig keinen gül-
tigen Pass mehr. Dies ist unter anderem ein Kennzeichen
politischer Verfolgung. Deswegen muss man mit diesem
Umstand sachgerecht umgehen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich rufe jetzt die
Frage 26 des Kollegen Wolfgang Dehnel auf:
Mit welchen erkennungsdienstlichen Maßnahmen will die
Bundesregierung diesen Verhaltensweisen im Umgang mit dem
Gastrecht entgegenwirken, um die ordnungsgemäße Durchfüh-
rung von Asylverfahren einschließlich zweifelsfreier Identitäts-
feststellung gewährleisten zu können?
Dies ist die letzte Frage, die in der heutigen Frage-
stunde aufgerufen wird. Ich weise jetzt schon darauf hin,
dass wir die Sitzung nicht unterbrechen müssen; denn laut
Plan beginnen wir um 15.35 Uhr mit der Aktuellen
Stunde.
F
Frau Präsidentin, vielleicht haben
Sie schon geahnt, dass ich jetzt eine längere Antwort pa-
rat habe, sodass ich die Zeit voll ausnutzen kann.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Staatssekretär,
Sie kennen die Spielregeln. Es sollte auch noch die
Chance bestehen, zwei Zusatzfragen stellen zu können.
F
Selbstverständlich.Nach dem Bericht der unabhängigen Kommission„Zuwanderung gestalten – Integration fördern“ vom4. Juli 2001 ist aufgrund fehlender Personaldokumenteeine zweifelsfreie Klärung der Identität und des Verfolg-tenschicksals im Asylverfahren häufig nicht möglich. DieBundesregierung hat deshalb mit dem Gesetz zurBekämpfung des internationalen Terrorismus eine gesetz-liche Grundlage für Sprachaufzeichnungen geschaffen,
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Parl. Staatssekretär Fritz Rudolf Körper22151
anhand derer eine identitätssichernde Sprachanalyse zurBestimmung des Herkunftsstaates oder der Herkunftsre-gion durch das Bundesamt für die Anerkennung ausländi-scher Flüchtlinge auch gegen den Willen des Betroffenenerfolgen kann. Bislang waren solche Sprachanalysen nurmit Zustimmung des Asylbewerbers möglich.Im Jahre 2000 wurden vom Bundesamt circa700 Sprachanalysen auf freiwilliger Basis durchgeführt.Im Jahre 2001 waren es circa 1 000. In etwas über 60 Pro-zent dieser Fälle konnte ein anderer Herkunftsstaat, als imAsylverfahren angegeben, der Sprache zugeordnet wer-den. In etwa 30 Prozent der Fälle wurde das vom Asylbe-werber angegebene Herkunftsland bestätigt. Für denBereich der Sprach- und Textanalyse hat das Bun-desministerium des Innern in den laufenden Haushalts-verhandlungen mit dem Bundesministerium der Finanzenden Sach- und Personaleinsatz für die Haushaltsjahre2002 und 2003 deutlich erhöht. Künftig sollen Mittel fürrund 15 000 Sprachaufzeichnungen zur Verfügung ge-stellt werden.Neben diesen neuen identitätssichernden Maßnahmennimmt das Bundesamt für die Anerkennung ausländischerFlüchtlinge wie auch schon bisher Lichtbilder und Ab-drücke aller zehn Finger der Asylbewerber auf. Die inso-weit gewonnenen Unterlagen können gemäß § 16 Abs. 5des Asylverfahrensgesetzes zur Feststellung der Identitätoder zur Zuordnung von Beweismitteln für Zwecke desStrafverfahrens oder zur Gefahrenabwehr verarbeitet undgenutzt werden. Durch diese im Rahmen des Gesetzes zurBekämpfung des internationalen Terrorismus erfolgteNeufassung des § 16 Abs. 5 des Asylverfahrensgesetzesist es heute möglich, die Fingerabdrücke von Asylbewer-bern automatisiert mit dem polizeilichen Tatortspuren-bestand des Bundeskriminalamtes abzugleichen. Alle er-kennungsdienstlichen Unterlagen aus dem Asylverfahrenkönnen heute entsprechend der durch das Gesetz zurBekämpfung des internationalen Terrorismus erfolgtenÄnderungen des besagten § 16 zehn Jahre nach dem un-anfechtbaren Abschluss des Asylverfahrens aufbewahrtwerden und stehen somit den Strafverfolgungsbehördenfür längere Zeit zur Verfügung.Um die Rückführung abgelehnter Asylbewerber zuverbessern, hat die Bundesregierung mit dem Gesetz zurBekämpfung des internationalen Terrorismus darüber hi-naus die Möglichkeit geschaffen, an Staatsangehörigenvon Staaten, bei denen Rückführungsschwierigkeiten be-stehen, durch die jeweilige Auslandsvertretung der Bun-desrepublik Deutschland erkennungsdienstliche Behand-lungen vorzunehmen. Im Falle der Verschleierung derStaatsangehörigkeit nach der Einreise in das Bundesge-biet lässt sich so der Herkunftsstaat zweifelsfrei ermitteln.Darüber hinaus setzt das Bundesamt für die Anerken-nung ausländischer Flüchtlinge speziell geschulte Reise-wegbeauftragte ein, die Asylbewerber vornehmlich ausherkunftsstarken Ländern auf freiwilliger Basis nachihren Reisemodalitäten befragen. Das Bundesministe-rium des Innern hat in den laufenden Haushaltsverhand-lungen mit dem Bundesministerium der Finanzen denSach- und Personaleinsatz für diesen Bereich für dieHaushaltsjahre 2002 und 2003 verdreifacht.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Sie haben es wirklich
fast geschafft. Ich lasse daher jetzt nur noch eine kurze
Zusatzfrage zu und bitte um eine kurze Antwort.
Sie waren ja auch
schon bei uns an der Landesgrenze zu Tschechien. Sie
wissen, dass die Bundesgrenzschützer hervorragende,
aber auch schwierige Arbeit leisten. Wenn Menschen, die
illegal über die Grenze kommen, aufgegriffen werden:
Wie ist dann gewährleistet, dass die Maßnahmen des Er-
kennungsdienstes angewandt werden können? Denn die
Bundesgrenzschützer können nicht wissen, ob es sich um
Terroristen oder Asylbetrüger handelt.
F
Ob es eine hundertprozentige Ga-
rantie gibt, Erkenntnisse über Personen zu bekommen, die
beispielsweise im Zusammenhang mit bestimmten terro-
ristischen Strukturen stehen, will ich einmal dahingestellt
sein lassen. Aber Sie haben an dem Maßnahmenkatalog,
Herr Dehnel, gemerkt, worum es uns geht und welche
Möglichkeiten wir eingeräumt haben, einen Zusammen-
hang herzustellen. Dort, wo Erkenntnisse vorliegen, kön-
nen diese genutzt werden, um beispielsweise jemanden an
der Einreise zu hindern. Auch das ist ein ganz wichtiger
Punkt zur Einreisesituation.
Daher haben wir diese Maßnahmen in dem so genann-
ten Sicherheitspaket 2 vorgesehen. Die Praxis wird zei-
gen, wie wirksam diese Maßnahmen sein werden. Aber
Sie wissen: Dieses Gesetz ist erst seit dem 6. Januar die-
ses Jahres in Kraft.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Die Fragestunde ist
beendet. Ich bedanke mich bei dem Staatssekretär.
Ich verweise darauf, dass die noch offen stehenden Fra-
gen für den Bereich des Bundesministeriums der Fi-
nanzen und des Bundesministeriums für Arbeit und So-
zialordnung – wie üblich – schriftlich beantwortet
werden.
Ich rufe jetzt den Zusatzpunkt 1 auf:
Aktuelle Stunde
auf Verlangen der Fraktion der CDU/CSU
Milliardendefizit in der gesetzlichen Kranken-
versicherung
Ich eröffne die Aussprache. Erste Rednerin für die
Fraktion der CDU/CSU ist die Kollegin Dr. Sabine
Bergmann-Pohl.
Frau Prä-sidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen!Unser Gesundheitssystem leidet. Aus den system-immanenten Überregulierungen folgt der Zwang zuständigen gesetzlichen Nachsteuerungen.Dies schreibt ein SPD-Gesundheitspolitiker, liebe FrauSchaich-Walch, am 26. Februar 2002 in seinen elf Thesen
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Parl. Staatssekretär Fritz Rudolf Körper22152
zur notwendigen Neugestaltung des Gesundheitswesens.Recht hat er.
Aber in der rot-grünen Gesundheitspolitik herrscht Kon-zeptionslosigkeit.
Die Folgen: Die Beiträge explodieren. Die Ausgaben fürArzneimittel steigen. In einigen Gebieten Ostdeutsch-lands ist die Versorgung der Bevölkerung durch zuneh-menden Ärztemangel ernsthaft gefährdet.
Die Patienten sind unzufrieden. Staatsdirigismus greiftum sich.
Wenn Herr Eichel und Herr Riester Geld brauchen,weil aus Brüssel ein blauer Brief droht, dann wird den So-zialversicherungssystemen durch VerschiebebahnhöfeGeld entzogen.
Oder es werden Gesetze wie das Arzneimittelbudgetablö-sungsgesetz geschaffen, deren In-Kraft-Treten man garnicht erst abwartet; denn am nächsten Tag berät man be-reits das Arzneimittelausgabenbegrenzungsgesetz mit derumstrittenen Aut-idem-Regelung. Als Novum wird einAblasshandel mit der Industrie vereinbart. Es wird ge-feilscht wie auf einem Basar.
Wer wundert sich dann noch, wenn diese Regelungnicht funktioniert, wenn es an den erforderlichen Datenfehlt und keiner der Beteiligten, insbesondere ältere Pati-enten, die getroffene Regelung überhaupt akzeptiert?Frau Ministerin, es hatte doch alles so gut angefangen.Mit vollmundigen Ankündigungen, es besser machen zuwollen,
sind Sie vor gut einem Jahr mit einer so genannten Ge-sundheitspolitik des Vertrauens angetreten. Am 15. Fe-bruar 2001 haben Sie Folgendes gesagt:Zu einer Kultur des Vertrauens gehört nicht zuletztdas Vertrauen in die Berechenbarkeit der Finanzie-rung des Systems.Jetzt, gut ein Jahr später, ist das Vertrauen bereits aufge-braucht. Sie haben durch Ihre Politik und durch die Poli-tik Ihrer Vorgängerin im letzten Jahr in der gesetzlichenKrankenversicherung ein Defizit in Höhe von 5,48 Milli-arden DM verursacht.Sie waren vor einem Jahr auch mit der Aussage ange-treten:Dabei geht es nicht nur um Einzelmaßnahmen, son-dern wir brauchen ein Gesamtkonzept.Von diesem Konzept ist bis heute weder etwas zu sehen,noch sieht man überhaupt einen roten Faden in Ihrer Ge-sundheitspolitik.
Frau Ministerin, Sie haben aus den Fehlern Ihrer Vor-gängerin wirklich gar nichts gelernt. Anstatt runde Tischeeinzuberufen, hätten Sie an einem Gesamtkonzept arbei-ten sollen. Statt auf Wünsche von Lobbyisten einzugehen,hätten Sie die Erfahrungen der Sachverständigen im Ge-sundheitswesen nutzen sollen. Beratungsresistent habenSie und die Koalitionsfraktionen es versäumt, sinnvolleund vor allen Dingen intelligente Steuerungsmechanis-men einzuführen.
Sie sind in einen puren Aktionismus verfallen und pro-duzieren allenfalls Stückwerk, ein Einzelgesetz nach demanderen:
Kassenwahlrecht mit Wechselverbot, Wohnortprinzip mitunzureichender Vergütung im Osten, eine Aufblähung desRisikostrukturausgleichs mit weiteren finanziellen Ver-werfungen,
überstürzte Einführung eines DRG-Systems mit Ver-schiebebahnhöfen in den ambulanten Bereich – das ist nureine kleine Kostprobe dieser vielen Gesetze. Alle dieseGesetze waren nicht aufeinander abgestimmt.
Sie lassen eine grundlegende Reform der Krankenversi-cherung vermissen, Herr Schmidbauer,
die den Leistungserbringern eine verlässliche Zukunftund den Patienten die notwendige medizinische Versor-gung sichert. Defizite und Zweiklassenmedizin sind dieFolgen Ihres Handelns.
Der jetzige Kanzler ist mit dem Slogan angetreten:„Wir wollen nicht alles anders, aber vieles besser ma-chen.“
– Was darunter zu verstehen ist, sehen wir, Frau Schmidt-Zadel: mehr Arbeitslose mit Firmenpleiten ohne Ende,durch Reglementierung der Wirtschaft Schlusslicht in Eu-ropa,
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 223. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 13. März 2002
Dr. Sabine Bergmann-Pohl22153
eine chaotische Gesundheitspolitik und – wie in den Me-dien zu hören und zu lesen ist – ein Korruptionsskandalder SPD, der seinesgleichen sucht.
Es wird Zeit, dass Sie abgewählt werden.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort hat die Bun-
desgesundheitsministerin Ulla Schmidt.
FrauPräsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ichmöchte mich zu dem letzten Punkt nicht äußern. Bei man-chen Dingen hätte man lieber geschwiegen.
Die gesetzliche Krankenversicherung hat das Jahr2001 bei einem Ausgabevolumen von rund 138 Milliar-den Euro mit einem Defizit von rund 2,8 Milliarden Euroabgeschlossen. Der durchschnittliche Beitragssatz wirdsich nach dreijähriger Beitragssatzstabilität in diesemJahr bei etwas unter 14 Prozent einpendeln.
Wer bei dieser Zahl von Rekorddefiziten in der gesetz-lichen Krankenversicherung
oder von einem Rekordanstieg bei den Beitragssätzenspricht, Frau Bergmann-Pohl, hat vergessen, was in derRegierungszeit von CDU/CSU und FDP gemacht wurde.
Es kann sein, dass Sie ein kurzes Gedächtnis haben: Wasstört mich das, was ich gestern getan habe.
Wenn wir uns die Rekorddefizite und die Beitragssatz-entwicklung anschauen, müssen wir feststellen, dass wirallemal besser waren.
Meine liebe Kollegin ich sage Ihnen eines: 1992 – Siebrauchen gar nicht zu lachen – hatten Sie eine Defizit von4,8 Milliarden Euro bei einem Ausgabevolumen von108 Milliarden Euro und 1995 ein Defizit von 3,7 Milli-arden Euro bei einem Ausgabevolumen von 124 Milliar-den Euro. 1996 – hören Sie zu – hatten Sie ein Defizit von3,6 Milliarden Euro bei einem Ausgabevolumen von128 Milliarden Euro. In der Zeit von 1991 bis 1998 stiegder durchschnittliche Beitragssatz von 12,3 Prozent auf13,6 Prozent.
Allein im ersten Jahr Seehofer lag der Anstieg bei 0,7 Bei-tragssatzpunkten.Worin bestand Ihre Lösung? Was war das Intelligente,das Sie immer wieder versucht haben?
Sie haben nur eine Antwort gekannt: Beitragssatzer-höhungen, Leistungsausgrenzungen und immer mehr Zu-zahlungen der kranken Menschen. Das war ihre einzigeAntwort.
Mit Ihren Spargesetzen der Jahre 1996 und 1997 habenSie durch Zuzahlungserhöhungen und Leistungsausgren-zungen 6 Milliarden Euro von den Versicherten geholt:
Anhebung der Zuzahlungen bei Arznei-, Heil- und Hilfs-mitteln, Zahnersatz, Krankenhausbehandlung, Fahrtkosten,Vorsorge- und Rehamaßnahmen, außerdem die Absenkungdes Krankengeldes, die Ausgrenzung des Zahnersatzes fürKinder und Jugendliche und den Ausschluss von allenPräventionsmaßnahmen.
Kommen Sie nicht mit dem Argument, dies alles hätteeinem guten Zweck gedient, nämlich dem Aufbau des ost-deutschen Gesundheitswesens.
Das können Sie wiederholen, so oft Sie wollen, meine Da-men und Herren. Es wird dadurch nicht richtiger.
Bis 1998 gab es überhaupt keinen Kassenarten übergrei-fenden West-Ost-Transfer; dennoch ist allein im Westender Beitragssatz von 12,2 Prozent auf 13,6 Prozent ge-stiegen.
1998 gab es zum ersten Mal einen krankenkasseninternenAusgleich.
Erst 1999 gab es zum ersten Mal einen auf 1,2 Milliar-den DM begrenzten Transfer von West nach Ost. Wir ha-ben die Begrenzung aufgehoben und dafür gesorgt, dasssich die ostdeutschen Kassen endlich entschulden konn-ten und dass die Angleichung der Gesundheitssysteme inOst und West auf den Weg gebracht werden konnte.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 223. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 13. März 2002
Dr. Sabine Bergmann-Pohl22154
Sie haben nichts für den Osten getan. Sie haben im Wes-ten Defizite verursacht und die Beitragssätze angehobenbei immer mehr und höheren Belastungen der Patientenund Patientinnen. Sie können das Gegenteil so oft wie-derholen, wie Sie wollen.
Jeder kann in die Gesetze schauen.Vergessen Sie eines nicht, meine Damen und Herren:Ich bin gegenwärtig die Ministerin in einem Ministerium,
dem Herr Seehofer vorgestanden hat und in dem mir alldas aufgelistet werden kann, was zu Ihren Zeiten passiertist. Machen Sie sich darüber keine falschen Vorstellungen!Angesichts dessen, was wir an West-Ost-Transfer aufden Weg gebracht haben – wobei es uns gelingt, die ost-deutschen Kassen zu entschulden – unterstützen Sie dieKlage Ihres Kanzlerkandidaten und anderer CDU-regier-ter Länder und wollen den Risikostrukturausgleich ab-schaffen, wodurch die ostdeutschen Kassen wieder in einedesolate Situation kämen.
– Ich sage nicht bewusst die Unwahrheit.
Sie wollen das nicht hören. Sie müssen auch einmal zuIhren Taten stehen, lieber Herr Kollege,
und nicht in dem einen Bundesland das eine sagen und indem anderen etwas anderes.
Zu den Arzneimittelausgaben. Frau Kollegin Bergmann-Pohl, Sie haben in einem Recht: Zwei Drittel der Mehraus-gaben und des Defizits sind auch der Steigerung der Arz-neimittelausgaben geschuldet. Das liegt nicht in erster Liniedaran,
dass mehr verordnet wurde – das kann man nachprüfen –,
sondern es wurden mehr teure Medikamente verordnet.
Auch dafür gibt es zwei Gründe. Der eine Grund ist, dasses wirkliche Innovationen gibt.
Jeder weiß, dass nur dann geforscht und entwickelt wird,wenn sich das anschließend auch im Preis niederschlägt;sonst setzt die Industrie die Forschung nicht fort. Beiwirklichen Innovationen habe ich nichts dagegen.
Was aber falsch ist und wo wir ansetzen müssen, ist,dass viel zu viele teure Arzneimittel verschrieben wurden,obwohl sie keinen erhöhten therapeutischen Nutzen ge-genüber anderen Medikamenten haben, die sich bereitsauf dem Markt befinden.
Deshalb kann eine intelligente Arzneimittelpolitik nur beider Steuerung ansetzen.Ich erläutere Ihnen, was wir mit dem Ausgabenbegren-zungsgesetz auf den Weg gebracht haben – dazu stehe ichnach wie vor.
Erstens. Die Menschen sollen die Innovationen bekom-men, die sie brauchen, um bisher nicht heilbare Krank-heiten zu bekämpfen oder auch ihre Lebensqualität zu er-höhen.
Dafür brauchen wir Geld.Zweitens. Ich erwarte, dass überall da, wo es medizi-nisch-therapeutisch gleichwertige Medikamente gibt, dieÄrzte und Ärztinnen das Wirtschaftlichkeitsprinzip be-achten, weil nur dann sicherzustellen ist, dass auch mor-gen noch die Menschen die teuren Innovationen ver-schrieben und von der Kasse ersetzt bekommen.Drittens. Wir werden neue Arzneimittel danach bewer-ten, ob sie gegenüber anderen einen erhöhten therapeu-tischen Nutzen haben.
Meine Damen und Herren von der CDU/CSU, das isteine Arzneipolitik, die auf Dauer die medizinische Ver-sorgung der Menschen und hohe Qualität bei bezahlbarenPreisen sicherstellt. Wir machen damit Schluss mit einerPolitik, die die Probleme in der gesetzlichen Kranken-kasse nur zulasten der Kranken gelöst hat.Vielen Dank.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Für die FDP-Fraktion
spricht jetzt der Kollege Dr. Dieter Thomae.
Frau Präsidentin! Meinesehr geehrten Damen und Herren! Es steht eindeutig fest:
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 223. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 13. März 2002
Bundesministerin Ulla Schmidt22155
1998, als Sie die Regierung übernommen haben, konntendie Krankenkassen ein nennenswertes Plus vorweisen.Heute haben sie – das steht definitiv fest – ein nennens-wertes Minus.
Die medizinische Versorgung ist nicht besser gewor-den. Aufgrund Ihrer Budgetierungspolitik sind viele Leis-tungen nicht mehr erbracht worden. Die Mediziner kön-nen nicht mehr alle Arzneimittel, krankengymnastischenund logopädischen Maßnahmen verschreiben, weil ihrBudget erschöpft ist. Daran ändert auch nichts, dass Sieglauben, mit der Beseitigung des Arzneimittelbudgets seidas Problem gelöst.
Ein weiterer wichtiger Punkt ist: Aufgrund Ihrer Bud-getierungspolitik sinkt der Punktwert. Hier gibt es großeProbleme; denn gerade in den neuen Bundesländern wer-den viele Praxen nicht mehr besetzt. Darunter leidet diemedizinische Versorgung in den neuen Bundesländernmassiv. Dies haben Sie zu verantworten.
Sie machen nun bestimmte Gruppen für das Defizit derKrankenkassen verantwortlich. Sie beschimpfen dieÄrzte, weil sie zu viele Arzneimittel verschrieben. Manmuss aber feststellen, dass aufgrund Ihrer strengenBudgetierung hochinnovative Arzneimittel für chronischKranke über viele Wochen und Monate hinweg nicht ver-schrieben wurden. Diese leiden am meisten unter IhrerPolitik. Das, was Sie betreiben, ist schlimmer als eineZweiklassenmedizin.
Sie beschimpfen auch die Krankenkassen, weil diesendie Verwaltungsausgaben davonliefen. Die steigen in derTat. Wenn man aber sieht, welche Einzelgesetze Sie aufden Weg gebracht haben und welche Auswirkungen dieseauf die Verwaltung der Krankenkassen haben, dann darfman sich nicht wundern, dass zusätzliche Ausgaben imVerwaltungbereich getätigt werden.Sie alle wissen: Wir wollen Disease-Management-Pro-gramme, aber nicht im Zusammenhang mit dem Risiko-strukturausgleich. Ihre Konzeption der Disease-Manage-ment-Programme bedeutet eine nennenswerte Ausweitungder Verwaltungstätigkeiten der Krankenkassen. Dies hatmir das Bundesversicherungsamt bestätigt. Ich könnte Ih-nen noch andere Bereiche nennen, in denen Sie die Ver-waltungsausgaben der Krankenkassen durch planwirt-schaftliche Instrumente nach oben treiben. Dafür sind Siemit Ihrer Konzeption verantwortlich.
Man ist angesichts der unterschiedlichen Vorschlägeaus Ihren Reihen, was in Zukunft im Rahmen der gesetzli-chen Krankenversicherung gemacht werden soll, fassungs-los. Herr Gerster hat Vorschläge gemacht, die in Ihrer Frak-tion nicht mehrheitsfähig sind. Auch das Bundeskanzleramtscheint seine eigenen Vorstellungen zu haben. Nur vonder SPD-Bundestagsfraktion höre ich überhaupt nichts.
Die Gesundheitsministerin sagt jeden Tages etwas ande-res. Einmal möchte sie diesen Weg und ein anderes Maljenen Weg gehen.Sie sind stolz auf das Ausgabenbegrenzungsgesetz. Ichsage Ihnen: Sie werden in zwei Punkten Schiffbruch er-leiden. Sie werden mit der Aut-idem-Regelung Schiff-bruch erleiden.
Ich sage Ihnen auch voraus: Sie werden das Thema derReimporte und der Parallelimporte wieder von der Tages-ordnung streichen müssen; denn das, was Sie planen, wirdnicht funktionieren. Dann werden die Einsparungen, vondenen Sie träumen, völlig dahin sein.Die Gesundheitspolitik wird im Kanzleramt und im Mi-nisterium, aber nicht mehr in der Fraktion gemacht. Es isteigentlich sehr bedauerlich, dass sich die Fraktion mitihren Konzepten und Vorstellungen nicht durchsetzenkann. Wir erwarten auch von der SPD-Bundestagsfraktioneindeutige Konzepte, aus denen hervorgeht, wie sie nachder Bundestagswahl die Gesundheitspolitik organisierenwill. Dazu hören wir, wie gesagt, nichts. Das ist traurig.Die Ministerin hat versagt. Wir stehen vor einemScherbenhaufen. Es wird Zeit, dass wir Rot-Grün ablösen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Für die FraktionBündnis 90/Die Grünen spricht jetzt die Kollegin KatrinGöring-Eckardt.
entwicklung der GKV – wir haben es bereits gehört –zeigt natürlich deutlich, dass wir Handlungsbedarf haben.
Es besteht auch Bedarf für Konzepte über diese Legisla-turperiode hinaus, die wir als Bundesregierung vorgelegthaben. Sie, Herr Thomae, haben keinen einzigen Vor-schlag geliefert. Das ist keine Politik.
Wir erwarten von Ihnen keine Konzepte, aber den einenoder anderen Vorschlag könnten Sie hier schon liefern,wenn Sie es ernst meinen.
Es ist hier bereits gesagt worden: Die GKV hat in derTat mit einem Defizit von 2,8 Milliarden Euro abge-schlossen. In Westdeutschland lag das Defizit bei über2,9 Milliarden Euro, im Osten, Herr Thomae, wurde er-freulicherweise ein Überschuss von 0,12 Milliarden Euroerzielt.
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 223. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 13. März 2002
Dr. Dieter Thomae22156
Wenn man die Ursachen dieser Finanzentwicklung be-urteilen will, muss man genau hinsehen. Man kann Ihnenden Hinweis nicht ersparen, dass die Ursachen eben wirk-lich nur zu einem ganz geringen Teil kurzfristig sind. Viel-mehr liegen sie in Ineffizienzen des Systems, die Sie inIhrer Regierungszeit gefördert haben und die nichtkurzfristig zu heilen sind.
Die Opposition betreibt – damit wird sie nicht durch-kommen – Täuschung der Öffentlichkeit, indem sie dieUrsachen für die Finanzentwicklung der Krankenkasseneinseitig der jetzigen Bundesregierung zuschieben will.Sie wollen damit von Ihren eigenen Fehlern ablenken. ImUnterschied zu Ihnen doktern wir nicht kurzfristig anSymptomen herum, sondern wir sagen sehr klar: Es müs-sen langfristig Änderungen her.
– Ich werde es Ihnen gleich sagen.Schauen wir uns doch erst einmal die Rekorddefiziteder Krankenkassen an – sie lagen alle in Ihrer Regie-rungszeit –: 4,8 Milliarden Euro, 3,7 Milliarden Euro und3,6 Milliarden Euro in den Jahren 1992, 1995 und 1996.Gezahlt haben das die Versicherten und die Unternehmen.Herr Thomae, Sie haben gerade von einem Plus geredet,das Sie uns übergeben haben. Das war vor allen Dingenein Plus, das die Patientinnen und Patienten, die Versi-cherten, zu zahlen hatten
mit erhöhten Zuzahlungen, die wir zurückgenommen ha-ben. Das war richtig. Das Zuzahlungsvolumen der Pati-entinnen und Patienten ist im Zeitraum von 1991 bis 1998von 0,6 Milliarden Euro auf 2,8 Milliarden Euro gestie-gen.
Die rot-grüne Regierung hat das zu Recht zurückgenom-men. Wir haben zu Recht eine Einschränkung vorgenom-men, weil wir der Meinung sind, dass die zusätzlichenKosten im Gesundheitssystem nicht ausgerechnet aufdem Rücken der Patientinnen und Patienten ausgetragenwerden können.
Die externen Ursachen durch Kostensteigerungen auf-grund zunehmender Alterung der Bevölkerung oder durchmedizinischen Fortschritt sind von der Politik nicht be-einflussbar. Das wissen Sie auch und Sie sollten die Men-schen nicht für dumm verkaufen.
Sie wissen sehr wohl, wo welche Ursachen wofür liegen.Es geht darum, die Verteilung der gesellschaftlichenKosten durch die Politik zu steuern. Da haben Sie sich nunwirklich nicht mit Ruhm bekleckert, gerade die FDPnicht, die vor allen Dingen Lobbypolitik gemacht hat.
Eine geplante langfristige Reform und nicht Planwirt-schaft ist zehnmal besser als Lobbypolitik zum Nachteilder Versicherten.Wir betreiben keine Kostenverlagerung zuungunstender Patientinnen und Patienten.
Der Weg der Konsolidierung der Kassen ist mühsam undlässt sich nicht von heute auf morgen bewerkstelligen.Wenn Sie das Gegenteil behaupten, betreiben Sie vor al-len Dingen Augenwischerei. Es geht um eine langfristigeReform. Schauen Sie sich an, was beispielsweise imKrankenhausbereich passiert ist! Dort betrug die Kosten-steigerung in den Jahren 1991 bis 1995 8 Prozent, in denletzten drei Jahren hatten wir eine Kostensteigerung vongerade einmal 1 Prozent.
Hier wurden in der Tat Wirtschaftlichkeitsreserven er-schlossen
und mit dem Fallpauschalengesetz werden wir jetzt einelangfristige Kostenstabilisierung hinbekommen. Ich kannIhnen nur empfehlen: Machen Sie deutlich, dass Sie hiertatsächlich mit an einem Strang ziehen!
Hauptursache für das Defizit ist der Arzneimittelsektor.
Die Ministerin hat deutlich gesagt, was hierzu zu sagenist. In der letzten Zeit sind vor allen Dingen teureMedikamente ohne einen wirklichen Zusatznutzen ver-schrieben worden. Dieses Problem packen wir mit demneuen Gesetz an. Hier kann man nur sagen: Mehr isteben nicht immer mehr. Deswegen machen wir nichteine einfache Politik nach dem Motto „Mehr Geld insSystem“
oder nach dem Motto „Die Versicherten und Patientinnenund Patienten werden es schon irgendwie bezahlen“, son-dern wir machen eine Politik
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 223. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 13. März 2002
Katrin Göring-Eckardt22157
nach dem Motto: Langfristige Probleme müssen langfris-tig gelöst werden.
Deswegen braucht man langfristige Konzeptionen, mitdenen die Zusammenarbeit im Gesundheitswesen ge-stärkt wird, die integrierte Versorgung gefördert wird unddas System der Stärkung von Hausärztinnen und Hausärz-ten gestützt wird.
Damit kommen wir voran und nicht mit kurzfristigerRumdokterei, wie Sie sie jahrelang betrieben haben undoffensichtlich wieder betreiben wollen. Das wird nicht sokommen. Dafür können die Patientinnen und Patientenund die Versicherten nur dankbar sein.Vielen Dank.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort hat die Kol-
legin Dr. Ruth Fuchs für die PDS-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine Da-men und Herren von der CDU/CSU, ich hätte mich regel-recht gewundert, wenn Sie für heute nicht diese AktuelleStunde beantragt hätten.
Das war ein gefundenes Fressen, sozusagen eine Retour-kutsche zu der Aktuellen Stunde vom letzten Mal. Ichsage dazu nur: Der Wahlkampf hat begonnen.
Richtig ist natürlich, dass die wachsenden Defizite inder gesetzlichen Krankenversicherung ein ernst zu neh-mendes Problem sind. Richtig ist auch die Feststellung,dass Verursacher dieses Problems in erster Linie schon diejetzige Bundesregierung ist. Aber Ihre Kritik, meine Da-men und Herren von der rechten Seite dieses Hauses, hatfürmich einen ganz bitterenBeigeschmack, dochdazu spä-ter. Zunächst einmal möchte ich einige Bemerkungen zuden gegenwärtigen Defiziten und ihren Ursachen machen.
Frau Ministerin Schmidt, es ist auch unsere Auffassungdamals gewesen, dass die Aufhebung des Arzneimittel-budgets und des Kollektivregresses ein notwendigerSchritt ist, aber wir haben von Anfang an gesagt, dass dievorschnelle Abschaffung dieser Instrumente, ohne dassman andere funktionstüchtige Instrumente zur Verfügunghat, eine Fehlentscheidung ist. Wir sehen jetzt auch, wasdabei herausgekommen ist.Sie haben das ebenfalls sehr schnell erkannt und habensehr aktiv versucht, Schadensbegrenzung zu betreiben.Die Festbetragsregelung und das Arzneimittelausgaben-Begrenzungsgesetz, das Sie auf den Weg gebracht haben,enthielten aber viele Halbheiten und haben zum Teil sogarneue Probleme geschaffen. Doch der schwerwiegendsteFehler der Bundesregierung war unserer Meinung nach,die Politik der sozialpolitischen Verschiebebahnhöfenicht zurückzunehmen, obwohl Sie das vor der Wahl ver-sprochen haben.Richtig ist, dass Sie von der früheren Regierung 5 bis6 Milliarden jährliche Einnahmeverluste der GKV über-nommen haben
– ja, übernommen haben –, aber Sie haben dann das ge-naue Gegenteil von dem getan, was Sie gesagt haben. Siehaben nämlich durch weitere Beschneidung der Bemes-sungsgrundlagen
bei den Arbeitslosenhilfebeziehern die Einnahmeseite derGKV verschlechtert.
In dem Wissen um die demographische Entwicklung undden medizinischen Fortschritt, in dem Wissen darum, dassder medizinische Bedarf und damit die Ausgabenseitesteigt, und in dem Wissen darum, dass, wie Herr Thomaevorhin schon gesagt hat, die Grundlohnsumme, gemessenam Bruttoinlandsprodukt, zurückgeht,
hätten Sie das einfach nicht tun dürfen.
Die Hoffnung, dass die Arbeitslosenzahlen zurückgehenoder dass durch die Gesundheitsreform 2000 von heuteauf morgen Wirtschaftlichkeitsreserven erschlossen wer-den können – Sie haben den Fehler gemacht, das zu glau-ben; ohne Zweifel werden dadurch aber nur auf längereSicht Wirtschaftlichkeitsreserven erschlossen –, hat sichnicht erfüllt; es ist eine Hoffnung geblieben. Somit sinddie Defizite in der GKV schon hausgemacht. Die Verant-wortung dafür hat die rot-grüne Regierung zu tragen.Meine lieben Kolleginnen und Kollegen von derCDU/CSU, davon mag man sich eine Art Wahlkampfvor-teil versprechen, aber ich sage Ihnen: Die Menschendraußen haben so manches nicht vergessen. Sie sind – wieman immer so sagt – nicht so dumm, wie man meint. Indiesen Zusammenhang gehört auch, dass die jetzige Re-gierung in dieser Legislaturperiode insgesamt bestrebtwar, etwas von den Belastungen zurückzunehmen, die diedritte Stufe der seehoferschen Gesundheitsreform für dieVersicherten gebracht hat. Ich will nur folgende nennen:steigende Zuzahlungen und Selbstbeteiligung, Leistungs-kürzungen; ich erinnere nur an die unsägliche Streichungder Erstattung für Zahnersatz für Kinder und Jugendliche.
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 223. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 13. März 2002
Katrin Göring-Eckardt22158
Vorgesehen war das auch für die gesamte Bevölkerung.Niemand, so glaube ich, hat auch vergessen, dass Sie Ele-mente der privaten Krankenversicherung wie Selbstbe-halte und Beitragsrückerstattung einführen wollten,
die über kurz oder lang die Substanz des Solidaraus-gleichs zerstört hätten.
– Lieber Kollege Thomae, ich möchte Sie gar nicht erst andie Blamage mit dem Krankenhausnotopfer erinnern.
Lieber Kollege Parr und liebe Kolleginnen und Kolle-gen von der CDU/CSU, was ist von Ihnen heute zur Zu-kunft des Gesundheitswesens zu hören? – Es sind die al-ten Sprüche, nur ein bisschen weniger klar ausgedrückt.Sie klingen ein bisschen verschwommener.
Nach wie vor sprechen Sie von Eigenverantwortung. Wasist die Versicherung denn anderes? Aufgrund der Versi-cherungsbeiträge besteht doch eine hohe Eigenverant-wortung.Bei Ihnen sieht das so aus: Die CDU ist für Regel- undWahlleistungen, die CSU hat sich zurzeit mehr auf Selbst-behalte, Kostenerstattung und Systeme der Leistungsab-wahl durch Versicherte verlegt. Im Klartext heißt das:Auffrischung der dritten Stufe der Gesundheitsreform undZerschlagung des Solidargedankens.
– Und die PDS? Das habe ich Ihnen, Herr Thomae, dochschon immer gesagt: Wir sind für Gesundheitsreformen,die den Solidargedanken erhalten.Wir haben auch Finanzvorschläge. Nachher gehen wirhinaus und ich gebe Ihnen unsere Finanzvorschläge.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Fuchs, Sie müss-
ten jetzt vom Pult weggehen, weil Ihre Redezeit abgelau-
fen ist.
Ich habe das Dringendste und
Notwendigste angesprochen. Das Schlimme ist nur, dass
die ganze Debatte, die wir hier führen, Wahlkampf pur ist.
Die tatsächlichen Probleme werden durch solche Aktuel-
len Stunden nicht geklärt und den Menschen draußen, die
unter den Defiziten leiden, hilft unser Gequatsche hier
nicht.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort hat der Kol-
lege Dr. Martin Pfaff für die SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kol-leginnen und Kollegen! Dass die CDU/CSU dieses Themajetzt aufgreift, wundert niemanden.
Das gehört zum Parlamentarismus.
Dass sie das in einem Wahljahr tut, verwundert noch we-niger. Was aber verwundert und vielleicht auch zu kriti-sieren ist, ist die Qualität der Argumente, die hier vorge-tragen werden.Das Kurzzeitgedächtnis ist wirklich erstaunlich. DieMinisterin hat darauf hingewiesen – ich sage es noch ein-mal –: 1992 9,3 Milliarden DM Defizit, 1995 7,1 Milliar-den DM Defizit, 1996 6,9 Milliarden DM Defizit. Dassollten Sie zumindest erwähnen.
Damals gab es noch die D-Mark.
– Auf 1998 komme ich gleich noch zu sprechen. Ich sagedeshalb: Wer im Glashaus sitzt, sollte wahrlich nicht mitSteinen werfen.
In Ihren bisherigen Beiträgen wurde die Gesundheits-politik auf die Finanzpolitik verkürzt. Den Erfolg der Ge-sundheitspolitik nur an Defiziten oder Überschüssen zumessen, wie Sie es tun, ist eine sehr verengte Sicht derDinge.Man muss die Ursachen berücksichtigen: die leider an-haltende Arbeitslosigkeit; die leider eingetretene kon-junkturelle Abkühlung; die Steigerung der Einkommender Mitglieder um nur 1,6 Prozent; die Fehlsteuerung imArzneimittelsektor und – das sage ich frank und frei – dieVerschiebebahnhöfe, die wir von der Vorgängerregierunggeerbt haben,
– ja, sowie die von uns selbst zu verantwortenden Ver-schiebebahnhöfe. Keiner von uns glaubt doch, dass essolche Sparaktionen, die auch zulasten der gesetzlichenKrankenversicherung gehen, gegeben hätte, wenn wirkeine Schulden in Höhe von 1,5 Billionen DM geerbthätten.
Viel wichtiger ist noch, dass ein Teil der Ausgabendurchaus gewollt ist, weil sie die Versorgung verbessern:Sozio- und Psychotherapie, Prävention, Ausweitung derRehamaßnahmen, Patientenförderung, Disease Manage-ment, Zahnersatz bei Jugendlichen, neu geschaffene
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 223. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 13. März 2002
Dr. Ruth Fuchs22159
Institutionen der Selbstverwaltung zur Qualitätsverbesse-rung, Weiterbildung im Bereich der Allgemeinmedizin,Methadonbetreuung.
Es gibt auch solche Maßnahmen, die die Verteilungs-gerechtigkeit erhöht haben: Senkung der Zuzahlung,
Härtefallregelungen für chronisch Kranke, Neuregelun-gen bei der Krankenversicherung der Rentner, Abschaf-fung des Krankenhausnotopfers. Das sind doch qualita-tive Verbesserungen im System.
Deshalb sage ich: Defizite haben eine unterschiedlicheQualität.Was man zu Ihrer Klage gegen den Risikostrukturaus-gleich auch immer sagen mag: Tatsache ist, dass ohne die-sen die Beitragssätze in Mecklenburg-Vorpommern um1,5 Prozent höher wären; Tatsache ist auch – das mussman sich einmal auf der Zunge zergehen lassen –, dass dieBeitragssätze der AOKen in den neuen Ländern um rund6 bis 7 Beitragssatzpunkte höher lägen. Selbst inBaden-Württemberg – –
– Ja, wohlgemerkt außer Sachsen. Das ist völlig richtig.Selbst in Bayern – auch darauf muss ich hinweisen –wären die Beitragssätze 1,7 Prozentpunkte höher.
– Ich sagte ja nicht, dass Sie es abschaffen wollen, ichsagte nur, dass jeder, der das relativiert, also auch Sie, sichdas vergegenwärtigen muss.Dann wurde noch der Überschuss des Jahres 1998 an-gesprochen. Wer nicht darauf hinweist, dass dieser Über-schuss nur durch erhebliche Leistungskürzungen und eineenorme Ausweitung der Selbstbeteiligung erzielt werdenkonnte, ist unredlich.
Die Kürzung von Leistungen, die Erhöhung der Zuzah-lung – all das ist Kunst der Primitiven; das kann jeder ma-chen.
Ausgaben einfach auf die Haushalte der Kranken und Al-ten zu übertragen, das ist in meinen Augen auch kein Aus-druck von Staatskunst. Das ist der Weg der Privatisierungund Entsolidarisierung, für genau den Sie im Jahr 1998die politische Quittung bekommen haben.
Dazu, dass die Instrumente der Entsolidarisierung– Selbstbeteiligungen, Kostenerstattung, Beitragsrückge-währ usw. – in einem früheren CSU-Papier sogar als Aus-druck von Eigenverantwortung bezeichnet wurden, kannich nur sagen: Wer Jahr für Jahr Beiträge zur gesetzlichenKrankenversicherung gezahlt hat, um im Alter im Krank-heitsfalle Leistungen in Anspruch nehmen zu können, derhat wahrlich genügend Selbstverantwortung gezeigt. Des-halb sind Ihre Vorschläge insbesondere angesichts der Zu-zahlungen, die von Ihnen verantwortet werden müssen,und der Tatsache nicht überzeugend, dass in den Jahren,in denen Sie Regierungsverantwortung getragen haben,trotz dieser Privatisierungsmaßnahmen die Beitragssätzeum über 2 Prozentpunkte gestiegen sind. Da muss man et-was sorgfältiger herangehen.
Wenn Sie wirklich ernst genommen werden wollen,dann sollten Sie den Bürgerinnen und Bürgern dieses Lan-des, während Sie ihnen in die Augen schauen, gleichzei-tig sagen: Mit uns gäbe es kein Defizit, aber wir hätteneure Selbstbeteiligungen erhöht, eure Leistungen gekürztund trotzdem noch die Beiträge erhöhen müssen. WennSie in der jetzigen Situation so handeln würden, zeigtenSie Courage.
Ansonsten wird Ihre Aufregung schnell als Bestandteilvon Wahlkampfgeplänkel enttarnt werden.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Der nächste Redner ist
der Kollege Aribert Wolf für die Fraktion der CDU/CSU.
Frau Präsidentin! Meinesehr verehrten Damen und Herren! Die rot-grüne Koali-tion kann sich bemühen, ihre Gesundheitspolitik schön-zureden, wie sie will; aber die Fakten sprechen eine an-dere Sprache.
Noch nie in der Geschichte der Bundesrepublik Deutsch-land sind zur gleichen Zeit im Gesundheitswesen so vielenegative Faktoren
zusammengekommen wie unter dieser rot-grünen Bun-desregierung.
Erstens. Die finanzielle Lage der Krankenkassen istdesolat: ein Defizit von 2,8 Milliarden Euro! FrauSchmidt, sagen Sie wenigstens wie der Kollege Pfaff dieWahrheit, nämlich dass die Krankenkassen beim Regie-
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Dr. Martin Pfaff22160
rungswechsel ein Plus von 1,1 Milliarden DM aufwiesen,und reden Sie nicht von Schulden, die Sie übernommenhätten.
Dass dieses Defizit kein Pappenstiel ist, Frau Schmidt,sehen Sie daran, dass der Kollege Eichel, als er den blauenBrief aus Brüssel angedroht bekommen hat, versucht hat,die Schuld für das Defizit, das Deutschland zu verzeich-nen hat, auf die Länder und Kommunen zu schieben. Abereigentlich hätte er sich erst einmal Sie, Frau Schmidt, vor-knöpfen müssen, denn das Minus von 2,8Milliarden Eurobei den Krankenkassen, das Sie zu verantworten haben,liegt doppelt so hoch wie das Minus, das alle Gemeindenin ganz Deutschland aufgehäuft haben. Daran erkennenSie, wer die wirkliche politische Verantwortung dafürträgt, dass sogar Europa die Politik der rot-grünenBundesregierung rügt.
Zweitens. Herr Pfaff, wir kritisieren nicht nur das fi-nanzielle Defizit, sondern wir kritisieren auch, dass dieQualität der Versorgung der Patienten durch die Leis-tungserbringer, also die Pfleger und die Ärzte, immer wei-ter zurückgeht, weil der Budgetdruck immer weiterwächst, Sie aber keinerlei Reformen auf den Weg bringenwollen. All das hinterlässt seine Spuren.
Wir haben also erstens ein Milliardendefizit, zweitenseine schlechter werdende Versorgung und drittens Re-kordbeitragssätze.
Noch nie mussten die Bundesbürger für die gesetzlicheKrankenversicherung so viel bezahlen wie unter dieserRegierung. Allein im Jahr 2001 sind die Beitragssätze von13,5 auf 14 Prozent gestiegen.
Hinzu kommt noch ein vierter Negativpunkt. Vier Ne-gativpunkte auf einmal hat es noch nie gegeben. Sie ha-ben ja noch nicht einmal ein Konzept, wie Sie darauf rea-gieren wollen.
Bis jetzt hat jede Regierung, die Defizite und steigendeBeitragssätze feststellen musste, gehandelt. Sie aber sindnicht einmal in der Lage zu handeln, denn Sie wissennicht, was Sie tun sollen.
Es stehen weitere dunkle Wolken am Horizont, die denKostendruck eher erhöhen werden als etwas Positives er-warten lassen. Sie wissen alle, wie es um die Entwicklungder Altersstruktur in unserer Bevölkerung bestellt ist undwas der medizinische Fortschritt, der ja nicht stehenbleibt, sondern weiter voranschreitet, kostet. Ohne Kon-zept, nur mit einzelnen Steinchen werden Sie die herein-stürzenden Wassermassen nicht aufhalten können, son-dern Sie werden unaufhaltsam hinweggeschwemmtwerden.Und welche Einzelmaßnahmen das sind! Frau Kolle-gin Bergmann-Pohl hat sie angesprochen. Während Sieden Pflegekräften in den Krankenhäusern und auch denKrankenhausärzten, die alle über eine ungeheure Arbeits-belastung klagen, keine Perspektive bieten, erlauben Sieder Pharmaindustrie in einem höchst fragwürdigen Akt,für 400 Millionen DM ein ihr unangenehmes Gesetz ab-zukaufen. Damals hat es bereits begonnen, nach KölnerKlüngel zu riechen.
Das sehen auch die Bundesbürger so. Zwei Dritteläußern sich unzufrieden mit Ihrer Gesundheitspolitik. Eswird höchste Zeit, dass Sie zugeben, dass Sie die selbstgesteckten Ziele, die Sie in Ihre Koalitionsvereinbarunghineingeschrieben haben, bei weitem verfehlt haben.Wenn man selber keine Konzepte hat, bleibt einem inder Not nur noch eines – auch das haben Sie hier wiedereindrucksvoll bewiesen, Frau Schmidt –: Man greift zuLügen. Man greift zu der Lüge, dass Bayern den Risiko-strukturausgleich abschaffen will. Die Wahrheit ist, FrauSchmidt, dass es eine Klage – nicht ein Gesetz oder der-gleichen – der Bundesländer Bayern, Baden-Württem-berg und Hessen beim Bundesverfassungsgericht gibt. Essoll rechtlich überprüfen, ob es gerecht ist, wie Sie den Ri-sikostrukturausgleich organisiert haben. Kein Menschwill die Solidarität zwischen West und Ost abschaffen,kein Mensch will den Risikostrukturausgleich, den Fi-nanzausgleich, die Finanzströme zwischen West und Ostabschaffen. Aber es muss gerecht zugehen, Frau Schmidt.Das soll das Bundesverfassungsgericht überprüfen, nichtsanderes!
Sie haben nur Angst davor, dass das Gericht feststellt,dass das, was Sie tun, nicht richtig ist, weil es nicht rich-tig sein kann, dass eine Kasse mehr Geld aus dem Aus-gleichstopf bekommt, als sie selber für Leistungen be-zahlt. Es kann nicht sein, dass jemand, der etwas bezahlt,mehr gutgeschrieben bekommt, als er tatsächlich bezah-len muss. Das soll das Bundesverfassungsgericht über-prüfen. Es kann auch nicht sein – das ist doch keine Soli-darität –, dass eine Kasse, die wenig Geld hat und hoheBeitragssätze verlangen muss, einer anderen, die niedrigeBeitragssätze und gefüllte Kassen hat, Unterstützungs-zahlungen leisten muss.
Das ist keine Frage des Ost-West-Ausgleichs, sonderneine Frage der Gerechtigkeit. Das sehen im Übrigen auchSPD-Mitglieder so, wie die Vorsitzende des Verbandesder Angestellten-Krankenkassen, Frau Mönig-Raane vom
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Aribert Wolf22161
DGB. Sie sagt, dass die Zahlerkassen inzwischen so vielGeld, vor allem an die Ostkassen, zahlen müssen –
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege Wolf,
ich muss Sie jetzt leider bremsen, denn Ihre Redezeit ist
abgelaufen.
– ich bin gleich fertig –,
dass die Empfänger ihre Beitragssätze teilweise unter das
Niveau der Zahler senken können. Damit wird – das sagt
ein SPD-Mitglied! – der Grundgedanke der Finanzhilfen
auf den Kopf gestellt.
Ich komme zum Schluss. Es wird Zeit, dass die Ge-
sundheitspolitik in Deutschland wieder in bewährte
Hände kommt, dass wieder ein Bundesgesundheitsminis-
ter Seehofer auf dem Amtssitz Platz nimmt, der von Bun-
deskanzler Stoiber die Ernennungsurkunde erhält.
Ich bedanke mich.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Die nächste Rednerin
in der Debatte ist die Kollegin Monika Knoche für die
Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Herr Kollege Wolf, ich will Ihnen Ihrebayerisch-landsmännische Vorfreude nicht nehmen, aberich glaube, daraus wird nichts werden.
Es ist ja erlaubt, jetzt schon mal in die Vollen zu greifen,den Wahlkampf zu eröffnen und die Abwahl zu prophe-zeien. Aber wenn die CDU/CSU das tut, muss sie auchihre Alternativen darlegen. Dann muss sie etwas auf denTisch legen, sagen, um was es geht, und korrekt kritisie-ren; denn es geht heute um die Defizite,
die Sie zum Anlass für eine Aktuelle Stunde genommenhaben.Niemand von Ihnen wird bestreiten, dass es durch dieArzneimittelausgaben einen beträchtlichen Kostenschubgegeben hat. Niemand von Ihnen hat kritisiert, dass es imKrankenhausbereich und im Bereich der ärztlichen Ver-sorgung zu einer Stabilisierung der Ausgaben gekommenist
und dass jetzt zusätzlich ein DRG-System etabliert wer-den wird, das ja nicht ausgabensteigernd wirken wird.Dazu habe ich keine Kritik von Ihnen gehört. Ich vermute,wenn Sie an der Regierung wären, würden Sie genau dasGleiche tun.
– Ich habe nicht gehört, dass Sie sich grundsätzlich gegendas DRG-System aussprechen.
– Sei es drum, wir haben sehr stabile Ausgabenblöcke.Was es erstmalig unter dieser Regierung gibt – auchdas können Sie nicht abstreiten –, ist, dass es im materiel-len Sinne einen West-Ost-Ausgleich unter den Kassengibt, den es so vorher nicht gegeben hat.
Es hat jeweils in Ostdeutschland und in Westdeutschlandeinen Risikostrukturausgleich gegeben.
Das Zusammenführen des solidarischen Ausgleiches gibtes erst unter dieser Regierung.
Reden Sie also die Tatsachen nicht weg und sagen Sienicht, dass es dies gegeben hat!Auch die Elemente, die zum Risikostrukturausgleichneu hinzugekommen sind, tragen dazu bei, die Beitrags-sätze der einzelnen Kassen entsprechend ihren Versor-gungsausgaben auszutarieren. Auch hier gibt es bei einerseriösen Betrachtung nichts, was man von Grund auf kri-tisieren kann.Herr Wolf, mich hat etwas verwundert, dass Sie die Fi-nanzpolitik von Herrn Eichel, die Stabilität des Euro undden blauen Brief der EU-Kommission im Zusammenhangmit den gesetzlichen Krankenkassen angesprochen haben.
Vielleicht sollten wir darüber einmal intensiver diskutie-ren. Meines Erachtens können die Defizite der gesetzli-chen Krankenkassen nicht direkt in die Staats-verschuldungsquote eingerechnet werden.
– Moment, dies bezieht sich darauf, dass es keine Finanz-transfers aus dem Steueraufkommen in die gesetzlicheKrankenversicherung gibt.
Bevor man hier also so lautstark in die Vollen geht, sollteman diese Besonderheit des deutschen Krankenversiche-rungssystems beachten und vor diesem Hintergrund vor-schlagen, wie man im Sinne dieses Systems Lösungenherbeiführen kann. Meines Erachtens müssten Sie, wennSie so denken, die Debatte darüber eröffnen, ob Sie durchSteuerzufinanzierungen oder auf andere Art und Weise in-direkt die Verschuldungsquote reduzieren wollen.
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 223. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 13. März 2002
Aribert Wolf22162
Da Sie einen Rückgriff auf 1998 machen, möchte ichauf die damalige Finanzsituation hinweisen: UnterSeehofer hat der Gesetzgeber erstmalig in die Beitrags-satzstabilität eingegriffen und den Beitragssatz gesenkt,und zwar zu dem Preis, dass das sich dadurch ergebendeKostenaufkommen zulasten der Kranken unter den Versi-cherten im Rahmen von Zuzahlungen externalisiertwurde.
Es ergab sich eine geschönte Bilanz. Denn Sie haben mitder Systematik der paritätischen Finanzierung gebrochen.
Aus Ihren früheren Beiträgen – heute haben Sie dazunichts gesagt – kann ich nur folgende Alternative erken-nen: Festschreibung des Arbeitgeberbeitragssatzes undfreies Floaten im Rahmen der Zuzahlungen durch Kranke.
Das wird kein Werbemoment in Ihrem Wahlkampf sein.Die Menschen haben genügend schlechte Erfahrungengemacht, um zu wissen, was das bedeutet.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Jetzt hat der Kollege
Wolfgang Zöller für die CDU/CSU die Chance zu erwi-
dern.
Frau Präsidentin!Liebe Kolleginnen und Kollegen! Immer dann, wenn Fra-gen zu den Kosten im Gesundheitswesen gestellt werden,fällt Rot-Grün nichts anderes ein, als mit Statistiken zutricksen. Ich will das gleich belegen; denn trotz allerTrickserei kommen Sie um folgende Tatsachen nichtherum:Erstens. 1998 haben wir eine gesetzliche Krankenver-sicherung übergeben, die einen Milliardenüberschuss zuverzeichnen hatte.
Heute steht Rot-Grün vor einer Kassenlandschaft mit ei-nem Defizit von mehr als 5 Milliarden DM.Zweitens. Sie tricksen auch mit Ihrer Behauptung, dassdie Stabilität der Beiträge nicht gegeben gewesen sei.1992 wurde unter Seehofer ein Gesundheitsreformgesetz– im Übrigen mit den Stimmen der SPD – verabschiedet.
Der Erfolg war, dass von 1993 an die Beiträge – ich nennesie einmal: 13,4, 13,2, 13,2, 13,5, 13,5, 13,5 und noch ein-mal 13,5 Prozent – stabil waren. Wer angesichts dieserZahlen nicht von stabilen Beiträgen spricht – es tut mirLeid –, der will einfach die Statistik fälschen.
Wir kommen jetzt zu einem entscheidenden Punkt. DieKollegin Knoche hat gesagt, es gebe stabile Ausgaben-blöcke. Wenn es also in der gesetzlichen Krankenversi-cherung stabile Ausgabenblöcke gibt, dann kann nur dieEinnahmeseite das Problem sein. Sie hätten Recht, wennSie das so sehen würden. Das Hauptproblem der letztenJahre in der gesetzlichen Krankenversicherung ist näm-lich die Einnahmeseite.
Was hat Rot-Grün dagegen getan?
Sie haben die Einnahmeseite noch verschlechtert. WennSie nach unserem Konzept fragen und danach, was wir tunwürden: Wir müssten nur Ihre Maßnahmen zurückneh-men, die seit 2001 bewirken, dass die Situation auf derEinnahmeseite schlechter wird. Dann würde das Defizitverschwinden.
Sie haben durch Ihre Maßnahmen die Einnahmeseite inMilliardenhöhe verschlechtert.Ich möchte stichpunktartig einige Beispiele nennen.Sie haben die Beiträge zur Arbeitslosenversicherung zu-lasten der gesetzlichen Krankenversicherung gesenkt.
– Entschuldigung, da gibt es einen gravierenden Unter-schied. Bei uns gab es noch einen Überschuss. Ihre Poli-tik führt aber zu einem Defizit.
Ein weiteres Beispiel, das vorhin ebenfalls angeschnit-ten wurde, sind die Instandhaltungskosten. Warum sindSie nicht dem guten Beispiel Bayerns gefolgt? Bayern hatdie Instandhaltungskosten getragen. Was haben Sie ge-macht?
Sie haben den Beitragszahlern die Kosten aufgehalst.Was haben Sie bei der Reform der Erwerbsunfähig-keitsrenten und bei der Rentenminderung gemacht? ImKlartext: Es gibt 2 Milliarden DM weniger Einnahmenjährlich, weil Sie von der Nettolohnbezogenheit der Ren-ten abgekommen sind. Mit einem Trick von Riester wur-den 4 Prozent der Rentenversicherung ganz herausge-nommen. Das heißt, dass für diese 4 Prozent künftig keineBeiträge gezahlt werden.
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 223. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 13. März 2002
Monika Knoche22163
Das bedeutet eine zusätzliche Verschlechterung auf derEinnahmeseite.SiehabenalsogravierendeFehlergemacht,die Ursachen für die negative Entwicklung nicht richtig er-kannt und die Einnahmeseite weiter verschlechtert.
Ich möchte noch kurz einen weiteren Punkt nennen.Sie haben letzte Woche erneut eine Verschlechterung her-beigeführt. Weil Sie nicht den Mut haben, den Rentnernvor der Wahl die Wahrheit zu sagen, machen Sie den Bes-serverdienenden ein Wahlgeschenk, indem sie bis kurzvor der Wahl weniger Krankenkassenbeiträge zahlenmüssen.Unser Hauptproblem – darin sollten wir uns eigentlicheinig sein – ist die sinkende Lohnquote in Deutschland.
Wir können diese sinkende Lohnquote nur bekämpfen, in-dem wir eine vernünftige Wirtschaftspolitik machen.
Damit sind wir beim entscheidenden Punkt. Sie ma-chen eine verkehrte Wirtschaftspolitik, selbst in der Ge-sundheitspolitik. Sie werden zum Beispiel Arbeitsplätzeverlagern. Mit Reimporten wollen Sie Geld in Milliar-denhöhe einsparen.
Warum aber sind die Reimporte billiger? – Weil die Me-dikamente im Ausland nicht mit 16 Prozent, sondern nurmit 7 Prozent Mehrwertsteuer belegt werden. Die deut-schen Beitragszahler müssen mehrere Milliarden mehrzahlen, weil in Deutschland der Mehrwertsteuersatz fürMedikamente so hoch ist. Es ist aber unvernünftig,Arbeitsplätze ins Ausland zu verlagern, nur weil man imeigenen Land die Hausaufgaben nicht gemacht hat.
Meine Redezeit ist leider um.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Wunderbar, dass Sie
das selber erkannt haben.
Ja, die Präsidentin
blinkt schon.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, Sie werden
erleben: Was Rot-Grün sagt und wie Rot-Grün handelt,
kann man nur mit dem Satz „Zwei fremde Welten begeg-
nen sich“ beschreiben.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Während ich jetzt da-
rüber nachdenke, wie man hier oben blinkt,
spricht der Kollege Eike Hovermann für die SPD-Frak-
tion.
Frau Präsidentin!Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Die Aktuelle Stundeist oft dazu angetan, darüber nachzudenken, ob man miteiner Redezeit von fünf Minuten wirklich eine politischeAuseinandersetzung führen kann.
Ich vermute, dass das heute auch nicht richtig geklappthat.Wir haben den untauglichen Versuch erlebt, die Milli-ardendefizite einseitig der Bundesregierung anzulasten
– ich komme gleich auf einige Strukturüberlegungen; daskann man ja nachvollziehen –; denn Sie wissen ganz ge-nau, welche Rolle der Föderalismus in unserem Gesund-heitswesen spielt. Ohne den Bundesrat sind aus meinerSicht strukturelle Reformen nur schwer machbar.Frau Bergmann-Pohl, ich komme gleich noch auf dasvon Ihnen verwandte Zitat zu sprechen. Ich habe das näm-lich gesagt, wenn auch in einem etwas anderen Zusam-menhang.Trotz dieser Schwierigkeiten mit dem Bundesrat hin-sichtlich der DRGs und der integrierten Versorgung habenwir uns mit Erfolg an Reformschritte herangewagt. Wirhaben sie beschlossen; aber das heißt noch lange nicht,dass sie umgesetzt werden. Es liegen ja auch in der Um-setzungsproblematik gewisse Gefahren;
Gefahren, Herr Dr. Thomae, weil manche in der Selbst-verwaltung der Leistungserbringer die integrierte Versor-gung nicht wollen. Man ist da ja einem durchaus interdis-ziplinären Leistungsdruck ausgesetzt und macht mancheslieber allein, anstatt sich im Rahmen der ganzen Behand-lungskette mit den Kollegen niedergelassenen Ärzten undKrankenhausärzten in den Wettstreit um die beste Ge-sundheitsversorgung zu begeben.Bei dem Thema dieser Aktuellen Stunde vergessen Sievöllig, dass Sie – das ist auch ein Strukturmoment undschon oft wiederholt worden – mit Beitragserhöhungen,Zuzahlungen und der Ausgrenzung von Leistungen nichtDefizite, wohl aber defizitäre Strukturen geschaffen ha-ben, die viel zäher sind und bestehen bleiben.
– Frau Widmann-Mauz weiß das noch nicht; sie bekommtes gleich erklärt.
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 223. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 13. März 2002
Wolfgang Zöller22164
Die Schaffung defizitärer Strukturen – Herr Kirschnerwürde sagen: die wo viel Geld kriegen und wo nix beirauskommt –
führte zu Kosten, die uns geblieben sind. Diese Strukturensind schwer durch neue zu ersetzen; sie müssen erst wach-sen. Wir sollten ihnen das Wachstum zugestehen und nichtständig an ihnen herumnörgeln.Die Selbstverwaltung scheint in der bestehenden Formund mit ihren bestehenden Rechten immer weniger in derLage zu sein, die unterschiedlichen und kaum harmoni-sierbaren Interessen auf neue Wege zu bringen. Es liegt inden Selbstverwaltungen der Kassen und der Ärzte be-gründet, dass die integrierte Versorgung nicht richtig an-gestoßen wird. Mir stellt sich hier die Frage, warum mandas nicht als Modellversuch in einem Bundesland wieNordrhein-Westfalen oder bei Herrn Kirschner in derNähe der Kasse Zollern-Alb ausprobiert. Das geschiehtnicht; vielmehr wird der Status quo zäh verteidigt. Das istaus meiner Sicht das zentrale Problem. Den Patienten undder Kostentransparenz dient das nicht, der Qualität schongar nicht.Ich erinnere hier nur an den Streit um das ambulanteOperieren: Wir machen es. Woher bekommen wir dasGeld? Findet ein Transfer vom stationären zum ambulan-ten Sektor statt?
Die Selbstverwaltung hat es geschafft, dass eine nicht zutun und das andere zu lassen.
– Herr Lohmann, Sie wissen ganz genau, dass ich nichtHerr Jung bin und im Koordinierungsausschuss die Pro-bleme für die beiden anderen Sektoren lösen kann.
Ich erinnere auch an große Defizite bei der Brustkrebs-oder Diabetesversorgung. Herr Dr. Thomae – – Wo ist erdenn?
Das gilt auch für die Hörgeräteversorgung, hinsichtlichderen sich Herr Dr. Thomae ungeheuer um den Wett-bewerb kümmert und die Preise senken will. Das könnteman auch einmal näher besprechen.An diesen Beispielen kann man vielfach Geldver-geudung, kostspielige Drehtüreffekte und mangelndeQualität erkennen. Die defizitären Strukturen – FrauWidmann-Mauz, jetzt wieder der andere Begriff: nicht dieDefizite, sondern die defizitären Strukturen –, die Geldkosten und nichts bringen, können aber nicht allein derBundesregierung angelastet werden. Das ist falsch, weilStrukturen viel Zeit zum Wachsen benötigen. Sie habendiese Strukturen mächtig gegossen; in Ihrer Zeit sind siegewachsen.Dies war also ein untauglicher Versuch.
– Melden Sie sich doch! Ich antworte Ihnen immer ger-ne. – Dennoch haben wir mit den Disease-Management-Programmen neue Wege gegen diese defizitären Struk-turen beschritten.
Frau Präsidentin, die randaliert da hinten. Das störtmich.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Um im Jargon zu blei-
ben: Das bewegt sich noch auf der Ebene homöopa-
thischer Dosen. Deshalb rüge ich das nicht.
Ihr Ruf nach festen
Punktwerten, Herr Parr, oder gar nach Aufhebung des
Budgets vernebelt doch die Grundsatzproblematik, dass
unendliche Leistungen nicht mit endlichen Mitteln zu
finanzieren sind.
Keiner von uns wird alleine strukturelle Reformen auf
den Weg bringen können.
– Ich will versuchen, es in einem Satz zusammenzufassen;
das muss ich wohl auch.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Es muss aber ein kur-
zer Satz sein.
Wir brauchen die Re-gierung und die Opposition – wir hoffen, dass die bis-herigen Verhältnisse bestehen bleiben werden – und auchdie Länder. Der überwiegende Teil dessen, was Sie anstruktureller Reform vorschlagen, Herr Parr, bedarf derZustimmung durch den Bundesrat. Lassen Sie uns also,anstatt die Kultur der gegenseitigen Beschimpfung zupflegen, überlegen, in welchen Punkten wir uns treffen,um bei Lahnstein II sagen zu können, was wir gemein-sam angehen wollen. Ich wünsche Ihnen dabei vielGlück.Herzlichen Dank für das Zuhören.
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 223. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 13. März 2002
Eike Maria Hovermann22165
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Für die CDU/CSU hat
jetzt der Kollege Dr. Wolf Bauer das Wort.
Frau Präsidentin! MeineDamen! Meine Herren! Es ist schon interessant, was hierheute alles zu hören war. Ich kann gar nicht alles auf-greifen.Herr Pfaff, wir waren vor nicht allzu langer Zeit auf ei-ner Veranstaltung der Pneumologen. Dort hat der Vorsit-zende gesagt: Die medizinische Versorgung ist schlechtergeworden. Ich habe bei dem Kollegen Thomae eine An-leihe gemacht und dazwischengerufen: Können Sie dasbitte noch einmal sagen?
Darauf hat er gesagt: Jawohl. Die medizinische Versor-gung ist schlechter geworden.Sie können doch in jeden Teil unseres Landes gehen:Alle werden Ihnen sagen, dass ihnen als Patienten die Ra-tionierung zu schaffen macht.
Sie bekommen einfach nicht mehr, was sie brauchen. In-novationen kann man zum Teil ganz vergessen. Die Men-schen bekommen das Billigste. Und uns werfen Sie vor,wir würden die Augen vor der Wirklichkeit verschließen!
Sie sollten sich einmal unter das Volk mischen und zurKenntnis nehmen, welche Stimmung dort herrscht.Sie sagen immer wieder, dass die Zuzahlungen dochvon Ihnen reduziert worden seien. Wenn Sie aber ehrlichwären, hätten Sie die Zuzahlungen ganz abgeschafft.
Sie haben sie bescheidenerweise heruntergesetzt.
Was aber haben Sie damit erreicht? – Sie haben den so-zial Schwachen die Möglichkeit genommen, die Medi-kamente zu bekommen, die sie brauchen.
Vorher war aufgrund der Sozialklausel, der Überforde-rungsklausel, jedem die Möglichkeit gegeben, dass er dasbekommt, was er braucht. Sie aber haben die Zuzahlun-gen reduziert und die Rationierung eingeführt. Nun kannsich der sozial Schwache seine Medikamente nicht mehrselber kaufen. Das kann nur noch der Besserverdienendetun. Das ist Ihre Politik.
Eigentlich wollte ich auf etwas ganz anderes eingehen.Bei einem Defizit geht es immer um zwei Seiten, nämlichum die Ausgaben- und die Einnahmenseite. Ich möchtemich einmal auf die Einnahmenseite konzentrieren. Hiergeht es in der Hauptsache um die Beiträge.Die Frau Ministerin hat im Januar 2001 gesagt: Icherwarte, dass der durchschnittliche Beitrag stabil bleibt. –Was aus dieser Erwartung geworden ist, haben wir gese-hen: Der Beitragssatz stieg um 0,5 Prozentpunkte auf eineRekordhöhe von mittlerweile 14 Prozent.
Im Januar 2002 hat sie gesagt – hier gibt es einen feinenUnterschied –: Ich gehe davon aus, dass die Kassen-beiträge im Durchschnitt stabil bleiben. – Damit sie im Ja-nuar 2003 nicht noch eine dritte Variante suchen muss,werden wir dafür sorgen, dass sie dazu keine Gelegenheitmehr haben wird.Es ist heute bereits gesagt worden – das muss man im-mer wiederholen –: Wir hatten nicht nur in den Jahren1998 und 1997 einen Überschuss von 1,1 Milliarden DM.Wir haben auch im Jahr davor – das ist nicht zu bestrei-ten – das Defizit um 6 Milliarden DM abgebaut. Mankann jetzt nicht so tun, als sei dies nicht wahr.Ich war schon ein wenig erschüttert, als die Frau Mi-nisterin vorhin sagte, dass es im Jahre 2001 ein Defizit inHöhe von „nur“ 2,8 Milliarden Euro gegeben hätte. Diesist nun wirklich so traurig, dass man das Wörtchen „nur“in diesem Zusammenhang eigentlich nicht benutzendürfte.
Was zeigt das Ganze? Dies ist letztendlich eine traurigeBilanz, die Bilanz einer verfehlten kopflosen Gesund-heitspolitik, die auch durch all Ihr Reden nicht schönerwird. Es ist nun einmal so.Heute ist viel über Beitragssätze und Ähnliches ge-sprochen worden. Ich weiß auch, wie gern Sie als Argu-ment immer die Erblast heranziehen, wenn Sie nicht mehrweiterwissen. Auf eines möchte ich in diesem Zusam-menhang aber ganz besonders hinweisen: Man muss dieEntwicklung der Beitragssätze einmal weiter zurückver-folgen. In zwölf Jahren SPD-geführter Bundesregierungsind die Beitragssätze um 3,8 Prozentpunkte gestiegen.
Wenn man dies auf die zwölf Jahre umrechnet, kommtman auf eine Steigerung von etwa 0,3 Prozentpunkten proJahr.Jetzt kommt es aber: In 17 Jahren CDU/CSU-geführ-ter Bundesregierung gab es eine Steigerung um 1,6 Pro-zentpunkte. Dies sind auf 17 Jahre umgerechnet proJahr 0,1 Prozentpunkte. Also 0,1 gegenüber 0,3 Prozent-punkten.
– Das kann ich gern noch einmal wiederholen.
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 223. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 13. März 200222166
Jetzt haben wir es mittlerweile geschafft, dass die Bei-tragssätze in nur einem Jahr um 0,5 Prozentpunkte stei-gen. Sie müssten uns im Namen der Krankenversichertennahezu anflehen, die Regierungsverantwortung zu über-nehmen, damit es nicht mehr so weitergeht.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege Bauer,
so viel Zeit für Wiederholungen ist nicht mehr. Ich nehme
jetzt einen Begriff aus dem Plenum auf und sage: Die Prä-
sidentin blinkt.
Das ist aber sehr schade.
Ich bedanke mich trotzdem fürs Zuhören.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort hat der Kol-
lege Horst Schmidbauer für die SPD-Fraktion.
Frau Präsi-dentin! Meine Damen und Herren! Ich glaube, das ganzeManöver heute ist sehr durchsichtig. Man kann sehrschnell erkennen, was sich dahinter eigentlich verbirgt:Man benutzt das Defizit in der gesetzlichen, solidarischenKrankenversicherung, um die Krankenversicherungenkrank zu reden, sie madig zu machen, um Angst bei denBürgerinnen und Bürgern sowie den Patientinnen und Pa-tienten zu schüren,
um damit den Boden für den Einstieg in eine Zwei-klassenmedizin zu bereiten. Da machen wir nicht mit.
Das lassen wir Ihnen genauso wenig wie die Fehlein-schätzung des Kollegen Bauer durchgehen.Ich will noch einmal daran erinnern: Zur Zeit der Re-gierungsübernahme gab es eine Emnid-Umfrage, dieseinerzeit von der ABDA in Auftrag gegeben worden war.Herr Kollege Bauer, Sie müssten das Ergebnis dieserEmnid-Umfrage gut kennen. Seinerzeit sagten 40 Prozentder Patientinnen und Patienten aus, sie könnten ihr Rezeptnicht mehr oder nicht mehr voll einlösen.
Das war der entscheidende Grund dafür, dass wir ge-sagt haben: Sie haben mit der Abzockerei der Patientinnenund Patienten überzogen. Folge war eine Rationierung beiden Patienten. Weil die Menschen nicht mehr zu ihrenArzneimitteln kamen, mussten wir handeln und haben ge-handelt.
In der Zwischenzeit sind Zuzahlungen in einer Größen-ordnung von etwa 2 Milliarden Euro aufgelaufen, die wirden Menschen zurückzugeben haben. Ich bin stolz darauf,dass die Ministerin mit allem Nachdruck verfolgt hat,
dass vor allen Dingen die chronisch Kranken in diesemLande freigestellt werden, damit wir endlich sagen kön-nen: Wir haben für die Menschen eine soziale Basis un-abhängig von ihrer Krankheit geschaffen.
Das, was Sie wollen, haben Sie lediglich besser ver-packt. Sie sprechen jetzt von Eigenverantwortung, vonabwählbaren Leistungen.
Im Kern handelt es sich aber um nichts anderes als ein neuverpacktes Grund- und Wahlleistungsmodell, das Sie denBürgern schmackhaft machen wollen. Mit Ihren Heils-versprechungen geht in Wirklichkeit als Nebenwirkungdie Zerstörung des Solidarsystems einher. Das trifft dieMenschen unmittelbar.
Sie müssen den Bürgern vor der Wahl sagen, was von denheutigen Leistungen abwählbar sein soll und was sie – ichhoffe, dass es nie so weit kommt, dass Sie etwas zu sagenhaben – bei Ihrem Konzept in Zukunft zusätzlich be-zahlen müssten. Wie tief müssten sie in ihre Taschen grei-fen?
Mir ist heute aufgefallen, dass die Opposition an derAufklärung der Ursachen, die für dieses Defizit verant-wortlich sind, nicht interessiert ist.
Wenn Sie die Ursachen nämlich benennen müssten, wäreIhre Showveranstaltung doch zu Ende. Ich glaube, das istder eigentliche Punkt: Sie sind für die eigentlichen Ursa-chen und deren Wirkungen blind.
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 223. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 13. März 2002
Dr. Wolf Bauer22167
Ich glaube, die Ministerin hat es sehr deutlich gesagt:Das Defizit 2001 geht zu zwei Dritteln zulasten des Arz-neimittelsektors. Es betrug 11,2 Prozent; das sind umge-rechnet 3,1 Milliarden Euro. Jetzt kommt der entschei-dende Punkt: Allein die Mehrausgaben in diesem Jahrbetragen 3,1 Milliarden Euro und das Defizit betrug2,8 Milliarden Euro. Das ist die Ursachenbetrachtung, diewir vornehmen müssen.
Die Aufklärung hat den Arzneimittelmarkt noch nichterreicht. Deshalb genügt der Blick nach hinten nicht, son-dern wir müssen den Blick nach vorne richten. Würde dieAufklärung Wirkung zeigen, wäre der Nutzen für die Pa-tienten transparent; denn es waren nicht die Innovationen,die zu dieser Entwicklung geführt haben,
sondern es waren die Preise der Analogpräparate, der„me,too“-Präparate, die keinen nachgewiesenen Mehr-nutzen für die Patientinnen und Patienten haben. DerAnteil der Ausgaben für die Innovationen im Bereichder Arzneimittel ist nur von 14,6 auf 14,8 Prozent ge-stiegen.Der Anteil dieser so genannten „me,too“-Präparate istvon 10,2 Prozent auf 16,3 Prozent gestiegen. Ohne dassdie Patientinnen und Patienten einen therapeutischenMehrnutzen haben, haben wir sehr viel Geld zusätzlichausgegeben. Wenn in den 23 Präparatgruppen dieser Ana-logpräparate die preisgünstigsten Arzneimittel verordnetworden wären, hätten 2 Milliarden Euro gespart werdenkönnen,
ohne dass es einen Qualitätsverlust für die Patientinnenund Patienten gegeben hätte.
Ich muss sagen: An solchen Fragen können wir nichtvorbeigehen; solchen Fragen müssen wir uns stellen.Dafür brauchen wir ein Konzept.
Sie werden sehen, dass unsere Gesetze greifen. Bei derUmsetzung brauchen wir die Mithilfe der Ärzte und Kran-kenkassen. Ich glaube, dass wir über Zielvereinbarungenbezüglich einer Beratungspflicht Transparenz in den Arz-neimittelmarkt hineinbringen und dass wir unser Ziel er-reichen können, damit auch Beitragsstabilität zu gewähr-leisten. Ich bin mir sicher, dass wir 2002 ein positivesErgebnis erreichen werden. Dann können wir uns nocheinmal sprechen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Jetzt spricht die Parla-
mentarische Staatssekretärin Gudrun Schaich-Walch.
G
Frau Präsidentin!Sehr verehrte Kolleginnen und Kollegen! Sie haben esmir ganz schön leicht gemacht. Ich habe festgestellt, dassSie sich nicht entscheiden konnten. Herr Zöller, Sie habengerade beklagt, dass wir ein Einnahmedefizit haben; dashat Herr Bauer auch getan. Heute Morgen haben Sie imGesundheitsausschuss ein Einnahmedefizit in nicht uner-heblicher Höhe für die gesetzlichen Krankenkassen be-schlossen, indem Sie dem Antrag der FDP zugestimmt ha-ben, dass Sozialhilfe und Arbeitslosenversicherungzusammengelegt werden, ohne eine Lösung für die Ein-nahmeausfälle auf der Beitragsseite der GKV zu haben.
Nur die Tatsache, dass Sie keine Mehrheit haben, hat die-ses Desaster heute verhindert.
Der zweite Punkt betrifft Ihren Umgang mit den Zah-len. Herr Wolf, Sie haben vorhin gesagt, dass das Defizitder gesetzlichen Krankenkassen so hoch wie das derKommunen sei.
Ich muss Sie korrigieren: Das stimmt nicht. Bei den Kom-munen sind es 26 Milliarden Euro.
Das hättenSie eigentlichwissenmüssen,wennSie sich denKommunal- unddenLänderbereichangeschauthätten.Dasheißt, 1 Prozent sind es auf der Länderseite; 0,1 Prozentwären es bei den Krankenkassen gewesen. In diesem Jahrhaben wir aber kein Defizit mehr, weil wir mindestens miteinem ausgeglichenen Finanzergebnis rechnen können.Sie können jetzt nicht immerzu klagen: Die Leute er-halten keine Leistungen. Die Beiträge sind zwar gestie-gen. Aber die Steigerung der Beiträge und die Zunahmeder Ausgaben haben mehr Solidarität ermöglicht und einebessere Versorgung geschaffen. Ich bin der Überzeugung,dass das kurzfristig vertretbar ist, bis die strukturellenMaßnahmen, die wir bereits ergriffen haben, ihre Wir-kung entfalten.
Wir haben in diesem Land keine Rationierung.
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 223. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 13. März 2002
Horst Schmidbauer
22168
Die Patientinnen und Patienten erhalten das, was notwen-dig ist. Der medizinische Fortschritt kommt den Men-schen überall in diesem Land zugute. Dabei bleiben dieBeiträge stabiler als bei Ihnen.
Herr Wolf hat vorhin so nett gesagt: Wir hatten damalsein größeres Defizit bei geringeren Ausgaben, aber wirhaben gehandelt. – Wie haben Sie denn gehandelt?
Sie haben dahin gehend gehandelt, dass Sie die Zeche vonden Betrieben und den Arbeitnehmern haben zahlen las-sen und die kranken Menschen zur Kasse gebeten haben.
Sie haben nämlich allein mit den Spargesetzen von1996 und 1997 die Versicherten durch Zuzahlungser-höhungen und Leistungsausgrenzungen mit 6 MilliardenEuro belastet. An dieser Schraube haben Sie immer wei-ter gedreht. Sie haben nicht zur Kenntnis nehmen wollen,
dass weder die Budgetierung – wir haben erkannt, dassdies nicht das Allheilmittel ist – noch die Erhöhung derZuzahlungen eine Lösung ist; denn nachdem Sie die Zu-zahlungen erhöht haben, sind die Ausgaben allein im Arz-neimittelbereich bereits 1998 um 5 Prozent gestiegen.
Das ist ein weiterer Beleg dafür, dass Zuzahlungen keineLösung sind. Man darf nicht glauben, damit die Ausgabensteuern zu können.Was wir brauchen, haben auch Sie ab und an gefordert,aber letztlich niemals umgesetzt: Wir brauchen intelli-gentere Steuerungsmechanismen, als wir sie jetzt haben.Ich denke, wir haben mit dem Arzneimittelausgaben-Be-grenzungsgesetz die Möglichkeit dazu der Selbstverwal-tung gegeben. Auch die Kassen sind fest davon überzeugt,dass wir in diesem Jahr Beitragssatzstabilität erreichenwerden. Unser Weg ist ganz sicher der schwerere. Wirgreifen nicht einfach jemandem in die Tasche, der dannzahlen muss, egal, ob er will oder nicht.
Wir erwarten zum Beispiel von der Ärzteschaft undden Apothekern Verhaltensänderungen im Umgang mitden Ressourcen der gesetzlichen Krankenversicherung.Das ist ein besserer Weg, als einfach die Zuzahlungen zuerhöhen.
Sie haben sich auch einer weiteren Maßnahme nichtunterzogen. Sie haben sich nie die Mühe gemacht, Qua-lität zu verbessern und Wirtschaftlichkeitsreserven zuerschließen. Als wir darüber diskutiert haben, wie wirbei den Krankenhäusern mehr Wirtschaftlichkeit er-reichen können, haben Sie erklärt: Für das Fall-pauschalengesetz sind wir zwar, aber mitmachen könnenund wollen wir nicht. – Wenn es wirklich Ernst wird,dann ist der Punkt gekommen, an dem Sie sich verwei-gern. Auch weigern Sie sich, den Menschen klar zu sa-gen, was sie von Ihrer künftigen Politik zu erwarten ha-ben, was wirklich Sache ist.
Ich bin der Überzeugung, dass Ihre Konzeption, HerrZöller, von Wahl- und Regelleistungen letztendlich in dieSackgasse führen wird.
Ihr gesamtes Repertoire von Wahl- und Regelleistungen,Kostenerstattung, Selbstbehalten, höheren Zuzahlungen– das ist aus Ihrem CDU-Papier – wird nur eines bringen,nämlich die Privatisierung der gesetzlichen Kranken-versicherung. Was eine privatisierte Krankenversiche-rung bedeutet, sehen Sie in den USA. Dieses System istfür alle Beteiligten teurer und die Gesamtversorgung derGesellschaft ist letztendlich schlechter.
– Ich habe mir das CDU-Konzept sehr genau angesehenund es bewertet.
Der Weg, den Sie vorgeschlagen haben, birgt die Ge-fahr einer permanenten Unterversorgung der Versicher-ten. Sie werden damit den Menschen die Möglichkeiteröffnen, Leistungen zu wählen. Gesunde und gut Ver-dienende werden sich billigere Tarife wählen. Anderewerden auf ihren hohen Kosten sitzen bleiben. Dem Sys-tem werden auf diese Weise Mittel entzogen. Es wird aus-gesprochen schwierig sein, den Menschen deutlich zu ma-chen, dass dadurch keine Folgekosten entstehen.Das System, das wir haben und von dem wir fest über-zeugt sind, dass es ein gutes System ist, braucht keinenSystemwechsel. Es benötigt aber eine weitere Fortent-wicklung in Richtung zu mehr Qualität und Wirtschaft-lichkeit. Das ist der richtige Weg. Ich bin der Überzeu-gung, dass sämtliche Maßnahmen, die im Laufe derletzten Jahre ergriffen worden sind – ich nenne den Kran-kenhaussektor, Qualitätsverbesserungen in verschiedenenBereichen, Veränderungen bei der Arzneimittelversor-gung, künftige Veränderungen im Bereich der Vorsorge;wir hatten heute eine ausführliche Diskussion über dieMammographie –, dazu beitragen werden, langfristig dasSystem zu verbessern, zu stabilisieren und es für alleMenschen bezahlbar zu halten.
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 223. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 13. März 2002
Parl. Staatssekretärin Gudrun Schaich-Walch22169
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Zur Erwiderung er-
teile ich dem Kollegen Wolfgang Lohmann, CDU/CSU,
das Wort.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Her-ren! Ich finde das großartig: Es wird uns dauernd vorge-halten, wir hätten kein Konzept, und anschließend wirdauf dieses nicht vorhandene Konzept eingeschlagen.
Herr Schmidbauer, es war die Spitze, als Sie sagten: Wirmüssen uns den Herausforderungen stellen und dafürbrauchen wir ein Konzept. – Sie haben nur vergessen zusagen: Das haben wir eben nicht.
Deswegen ist und bleibt das Ganze ein Herumdoktern anSymptomen, wie es Herr Gerster, der demnächst die Ar-beit der Bundesanstalt für Arbeit leiten wird, bezeichnethat.Herr Hovermann hat Recht, wenn er sagt, die AktuelleStunde mit 5-Minuten-Beiträgen sei nicht geeignet, tief-schürfende Diskussionen in Rede und Gegenrede zuführen. Das ist klar. Man muss also etwas vereinfachen.Deshalb komme ich darauf zurück, worin der Sinn liegenkann. Es geht ja ausdrücklich in dieser Aktuellen Stundeum die Verantwortung für das Defizit in der gesetzlichenKrankenversicherung. Man kann dabei nicht erzählen,was früher irgendwann einmal gewesen ist.Es wurde sehr viel – man hat es sehr strapaziert – vonBilanz gesprochen. Bei der Bilanz gibt es einen Aus-gangspunkt, die Eröffnungsbilanz, und einen Schluss-punkt, die Schlussbilanz. Weil das Jahr noch nicht ganz zuEnde ist, sprechen wir besser von einer Zwischenbilanz.Es ist klar – es wurde schon x-mal gesagt –: In der Eröff-nungsbilanz stand kein Defizit, sondern im Gegenteil einÜberschuss.
Die Politik, die vorher betrieben wurde und deren FolgenSie gar nicht so abrupt beseitigen konnten, wirkte sogar indas Jahr 1999 hinein, denn auch in diesem Jahr gab es ei-nen Überschuss von 1,1 Milliarden. Erst dann war Feier-abend mit dem Staat, als wirklich Ihre Maßnahmen zumTragen kamen.Ulla Schmidt hat seit ihrem Amtsantritt die finanziel-len Probleme der GKV– ich behaupte das, Frau Schmidt –ignoriert. Sie haben im Juli 2001 erklärt, das größte Pro-blem der GKV seien nicht die angekündigten Beitrags-erhöhungen, sondern sei die mangelnde Qualität im Ge-sundheitswesen. Im Herbst letzten Jahren setzten Sie nocheins drauf, indem Sie sagten: Wenn einzelne Kassen ihreBeiträge erhöhen wollen, kann ich das nicht verhindern. –Ja, wer denn sonst? Sie haben eben gesagt: Ich bin zurzeitMinisterin. – Natürlich. Deswegen tragen Sie die Verant-wortung für die Lage, in der wir jetzt sind.
Manches kann als Realitätsverlust bezeichnet werden.Immer höhere Beiträge werden für mittelmäßige Qualität– davon spricht der Sachverständigenrat – gezahlt. Wennes um höhere Beiträge für eine ständige Steigerung derQualität und eine Verbesserung der Versorgung ginge,dann könnte man darüber reden. Aber das Gegenteil istder Fall und das ist nicht in Ordnung.Im Übrigen: Warum sind im Zusammenhang mit denZuzahlungen die Überschüsse entstanden? Wenn Sie we-nigstens so ehrlich gewesen wären, nachdem Sie imWahlkampf die Zuzahlungen bis aufs Äußerste diffamierthaben, sie hinterher ganz abzuschaffen! Was aber habenSie getan? Ganz bescheiden und verschwiegen haben Siesie um 1 DM gekürzt und die Spreizung verringert. Dashatte Folgen im Umfang von 1 Milliarde. Sie haben ebenselbst erklärt, es seinen 6 Milliarden gewesen. Sie habenalso 5 Milliarden klammheimlich eingesteckt.
Deswegen muss man sagen: Sie haben die Leute hintersLicht geführt. Das ist nicht zu bestreiten.Ihre viel beschworene Aut-idem-Regelung, mit der Siebereits im vergangenen Sommer die Probleme bei denAusgaben für Arzneimittel lösen wollten, bringt die Leutein den Wartezimmern der Ärzte richtig in Stimmung. Mankönnte Ihnen raten: Reden Sie einmal mit den Leuten aufder Straße und hören Sie sich an, was sie zu Ihrer Politiksagen! Gerade ältere Menschen und chronisch Kranke be-fürchten, dass sie in den Apotheken nicht mehr die Arz-neimittel erhalten, die sie brauchen. Deswegen ist diesePolitik nicht in Ordnung und deswegen geht es auch nichtnur darum, welche Alternativen es gibt. Natürlich könnenwir uns auch über Alternativen unterhalten. Aber hier undheute geht es darum, wer der Verursacher für die Lage dergesetzlichen Krankenversicherung ist
und wer es zu verantworten hat, dass den Leuten ein um0,5 Prozentpunkte höherer Beitragssatz – das sind im-merhin mehr als 8 Milliarden zusätzlich – aus der Taschegezogen wird. Das nämlich sind Sie.
Die Spitzenverbände der Krankenkassen mussten Sieam 14. September 2001 auffordern – daran sieht man,dass Sie das offensichtlich gar nicht so wichtig genom-men haben –, die dramatische Finanzsituation in der GKVzum Thema des runden Tisches zu machen. Man könnenicht in Ruhe über zukünftige Reformen diskutieren, hießes wörtlich vonseiten der Spitzenverbände der Kranken-kassen, solange die aktuellen Probleme nicht angegangenwürden. Recht haben sie. Es spricht für sich, dass die Kas-sen Sie dazu auffordern müssen, sich um ihre Belange zukümmern.In der öffentlichen Anhörung zum 10. SGB-V-Ände-rungsgesetz haben Sie im Gespräch mit dem Sachver-ständigenrat im Gesundheitsausschuss auch erfahren,dass sich der runde Tisch bis heute nicht inhaltlich mit den
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 223. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 13. März 200222170
Finanzproblemen der GKV befasst hat. Bis jetzt fandennur Plauderrunden statt.
Ehe die Frau Präsidentin anfängt zu blinken – –
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Sie tut es schon.
Aber erst seit kurzem. – Statt das Gesundheitswesen vor
der Bundestagswahl mit einem wirklich überzeugenden
und nachhaltigen Konzept zu reformieren, meint Rot-
Grün die Probleme aussitzen zu können. Man kann fast
schon glauben, Sie seien froh, dass die Krankenkassen
endlich die Beiträge erhöht haben. Dass Sie sich bei der
Rede der Ministerin nicht geschämt haben, Frau Schaich-
Walch, wundert mich eigentlich. Ich hatte insofern etwas
mehr Mitgefühl von Ihnen erwartet.
Vielen Dank.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich werde ganz nach-
denklich. Die Attraktivität des Blinkens scheint ziemlich
groß zu sein. – Letzte Rednerin dieser Aktuellen Stunde ist
die Kollegin Regina Schmidt-Zadel für die SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin!Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Lohmann, ichmöchte nicht polemisch werden, aber dazu, wer sich schä-men muss, werde ich gleich etwas sagen. Denn einer Ih-rer Vorredner hat von „Ablasshandel“ und „kölschemKlüngel“ geredet.Ich will Ihnen allen Ernstes sagen: Wer im Glashaussitzt, soll nicht mit Steinen werfen.
Dann müssen wir auch über schwarze Kassen und Klüngelin Oggersheim reden, liebe Kolleginnen und Kollegen.
Das möchte ich Ihnen mit auf den Weg geben. Darüber soll-ten Sie nachdenken, bevor Sie solche Aussagen machen.
Für Ihre Pläne, wie wir sie hören, benötigen Sie mehrGeld. Diese Mittel müssten die Beitragszahler bzw. diePatientinnen und Patienten durch höhere Zuzahlungenaufbringen.
Das war doch die Politik in den 16 Jahren Ihrer Regie-rung. Auch deswegen sind Sie abgewählt worden. Erin-nern Sie sich einmal daran, was Sie den Patientinnen undPatienten und den Versicherten zugemutet haben!
Wir dagegen muten den Akteuren im Gesundheitswe-sen zunächst einmal zu, die Wirtschaftlichkeitsreservenzu mobilisieren, die noch im System vorhanden sind, be-vor wir über neue Geldquellen nachdenken.
– Die kann ich Ihnen nennen. Sie haben vielleicht zu-gehört, als der Sachverständigenrat im Ausschuss war,Herr Parr, oder waren Sie abwesend? Er hat die Wirt-schaftlichkeitsreserven aufgezeigt.
– Ich kann Ihnen die Liste und auch das Buch schicken.Wir betreiben nicht wie Sie knallharte Klientelpolitik,sondern fordern auch die Leistungserbringer. Mit einerqualitätsorientierten Gesundheitspolitik haben wir posi-tive Zeichen gesetzt. Denken Sie nur an das Fallpauscha-lengesetz, das mittel- und langfristig sowohl die Qualitätals auch die Wirtschaftlichkeit in der stationären Versor-gung erhöhen wird.
Trotz der Bedenken einiger Länder wurde dieses Ge-setz – das möchte ich auch noch anmerken – im Bundes-rat verabschiedet. Nicht alle CDU-regierten Länder habensich wie die süddeutschen Länder verhalten, die nicht zu-gestimmt haben. Es gibt also auch bei Ihnen einige posi-tive Zeichen.Die Bilanz der rot-grünen Regierung in der Gesund-heitspolitik kann sich sehen lassen. Das Defizit der Kran-kenkassen im Jahr 2001 als Beweis für das Scheitern rot-grüner Politik anzuführen ist nichts anderes als billigePolemik.
– Nein, Sie können sich sicher sein: Die Zahlen lügennicht.
Auch ich hätte mir wirklich ein besseres Ergebnis ge-wünscht. Wenn aber weiterhin so viel Geld für struktu-relle Überkapazitäten sowie für Unter- und Fehlversor-gung verpulvert wird – ich verweise noch einmal auf dasGutachten des Sachverständigenrats; die Stellen, an de-nen das geschieht, sind ja identifiziert –, dann wird sichauch in der Zukunft ein Defizit nicht vermeiden lassen.Das werden wir verändern.
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 223. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 13. März 2002
Wolfgang Lohmann
22171
Wenn ich sicher sein könnte, dass die Krankenkassen jedeMark nur für medizinische notwendige und qualitäts-orientierte Leistungen ausgeben, dann könnte ich sogarmit einem Ausgabenüberschuss leben; denn dann wüssteich, dass die Patientinnen und Patienten gut versorgt unddie Beitragsgelder gut angelegt sind.
Wir werden unsere Offensive für mehr Qualität undWirtschaftlichkeit fortsetzen. Ich bedanke mich aus-drücklich bei der Ministerin; denn sie hat in das Zentrumihrer Gesundheitspolitik die Qualität gestellt.
Wir haben mit der Gesundheitsreform 2000 den längstüberfälligen Paradigmenwechsel vollzogen, weg vom rei-nen Kostendenken hin zu Qualität und Wirtschaftlichkeit.Sie sind herzlich eingeladen, uns auf diesem Weg zu fol-gen. Den ersten Schritt in diese Richtung haben die uni-onsregierten Länder bereits gemacht. Sie haben in ihremPapier zur Gesundheitspolitik – man höre und staune; dassollten Sie auch einmal lesen, Herr Parr – immerhin ein-geräumt, dass im Gesundheitssystem noch beträchtlicheWirtschaftsreserven vorhanden sind. Das ist doch schonein enormer Fortschritt gegenüber Ihrer Regierungspoli-tik. Es wäre schön, wenn Sie das in Zukunft in Ihrem Han-deln beherzigen würden, anstatt Aktuelle Stunden zu be-antragen, die purer Wahlkampf sind.
Ihre heuchlerischen Aussagen, die Sie heute gemachthaben,
lassen mich aber daran zweifeln, dass bei Ihnen – viel-leicht auch in der Gesundheitspolitik – noch die Vernunfteinkehren wird.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Liebe Kolleginnen
und Kollegen, die Aktuelle Stunde – und damit auch die
„Blinkerei der Präsidentin“ – ist beendet. Wir sind damit
am Schluss unserer heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundes-
tages auf morgen, Donnerstag, den 14. März 2002, 9 Uhr,
ein.
Die Sitzung ist geschlossen.